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Über dieses Buch Der vorliegende Band besteht zum größten Teil aus Briefen, die der Sade-Forscher Gilbert Lely 1948 auf dem Schoß der direkten Nachkommen des Marquis entdeckte. Der Fund war ein Glücksfall, wie er der Literaturwissenschaft nur selten beschieden ist. Die Briefe wurden während der zwölfjährigen Gefangenschaft (17771789) de Sades in Vincennes und in der Bastille geschrieben, zu einer Zeit also, in der er noch voll ungebrochener Kraft war. Sie verraten die Qualen des Eingekerkerten, dieses heißblütigen, von Leidenschaften besessenen Mannes; aber sie sind auch ein großartiges Zeugnis seines Stolzes, seiner Standhaftigkeit, seines unzerstörbaren Freiheitswillens. Zugleich spiegeln sie ein überraschendes, den Leser ergreifendes Verhältnis de Sades zu seiner Frau wieder, der Adressatin der meisten Briefe. Man weiß nicht, was mehr für diesen Mann spricht, dem der Ruf eines Ungeheuers anhaftet: sein unbedingtes Vertrauen oder die tatsächlich immer wieder bezeugte, in den Briefen bestätigte Treue und Ergebenheit seiner Frau.
MARQUIS DE SADE
BRIEFE Ausgewählt und mit einem Vorwort herausgegeben von Gilbert Lely
Dieses E-Book ist nicht für den Verkauf bestimmt.
FISCHER BÜCHEREI
Aus dern Französischen übertragen von Hilda von Born-Pilsach
Erstmalig in der Fischer Bücherei April 1965 Ungekürzte Ausgabe
Umschlagentwurf : Kurt Wirth unter Verwendung einer Zeichnung von Man Rey (>Imaginäres Portrait des Marquis de Sade<) Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg Lizenzausgabe des Karl Rauch Verlages, Düsseldorf © 1962 by Gilbert Lely Paris Deutsche Ausgabe: © 1962 by Karl Rauch Verlag GmbH,Düsseldorf Gesamtherstellung: Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg Printed in Germany
ScanNED by Mathaswintha CORRECTED BY SEKTIONSRAT
Von altem provenzalischem Adel und durch seine Mutter, MarieEléonore de Maillé de Carman, mit der jüngeren Linie des Hauses Bourbon verwandt, wurde Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade, Herr auf La Coste und Saumane, Mitbesitzer von Mazan, Statthalter der Provinzen Bresse, Bugey, Valmorey und Gex, Oberst der Kavallerie, am 2. Juni 1740 im Palais de Condé zu Paris geboren. Von 1745 bis 1750 lebt der junge Marquis in Saumane, wo sein Onkel väterlicherseits, der Abbé de Sade d'Èbreuil, ein eleganter Mann und tüchtiger Historiker, mit seiner ersten Erziehung betraut ist. Im Alter von zehn Jahren kehrt er nach Paris zurück, um in das Collège Louis-le-Grand bei den Jesuiten einzutreten. 1755 wird er, nachdem er ein Jahr auf der Kavallerieschule der Chevau-légers verbracht hat, zum Leutnant beim Infanterieregiment du roi befördert. 1757 ist er Kornett bei den Carabiniers und nimmt dann als Hauptmann der Kavallerie am Siebenjährigen Krieg teil. Am 17. Mai 1763 heiratet er mit Zustimmung der königlichen Familie Renée-Pélagie Cordier de Launay de Montreuil, mit der er zwei Söhne und eine Tochter hat und die bis 1790, dem Jahr ihrer Scheidung, mit vorbehaltloser Liebe an ihm hängt. Fünf Monate nach seiner Heirat ist der Marquis wegen außergewöhnlicher Ausschweifungen fünfzehn Tage lang auf der Festung von Vincennes inhaftiert. Am 3. April 1768 spricht er auf der Place des Victoires die Bettlerin Rosé Keller an, die ihn zu seinem »kleinen Haus« in Arcueil begleitet. Er verlangt, daß sie sich auszieht, peitscht sie zu wiederholten Malen und schließt sie dann in ein Zimmer ein. Sie entwischt, führt Klage und erlangt ein enormes Schmerzensgeld. Der Marquis wird in Saumur, dann in PierreEncise eingesperrt, man gestattet ihm jedoch, Begnadigungsbriefe geltend zu machen, und die Grand-Chambre von Paris verurteilt ihn nur zu einer Geldstrafe; er bleibt indes auf Befehl des Königs bis November 1768 inhaftiert. 5
Am 27. Juni 1772 begibt er sich auf der Durchreise in Marseille mit seinem Diener Latour in ein Haus, in dem vier bestellte Mädchen versammelt sind. Flagellation, erhalten und ausgeteilt, heterosexuelle Sodomie, Homosexualität; eins der Mädchen, Mariane, ißt von den «Pastilles galanthes« (Kantharidinbonbons), die der Marquis ihr anbietet. Am Abend besucht de Sade eine andere Prostituierte, die den ganzen Inhalt der Bonbonniere ihres Kunden verzehrt und sich bald in einem Zustand befindet, der auf Vergiftung deutet. Der Staatsanwalt erhebt wieder Klage. Sade, der mit seiner Schwägerin, dem Stiftsfräulein Anne-Prospère de Launay, die er als seine Frau ausgibt, nach Italien geflohen ist, wird vom Gerichtshof der Provence wegen Vergiftung und Sodomie zum Tode verurteilt und am 12. September auf der Place des Prêcheurs in Aix in effigie hingerichtet. Nachdem er im Oktober 1772 nach Chambéry geflüchtet war, läßt ihn der König von Sardinien auf Ersuchen der Schwiegermutter de Sades, der Präsidentin de Montreuil, verhaften. Man bringt ihn auf die Festung von Miolans, aus der er am 1. Mai 1773 ausbricht. Während seines Aufenthalts in La Coste zwischen 1774 und 1777 verursacht er mehrfach Skandale, von denen der schwerste derjenige der »kleinen Mädchen« ist. Bei einem vorübergehenden Aufenthalt in Paris wird der Marquis, gegen den die Präsidentin de Montreuil einen Haftbefehl erwirkt hat, aufs neue gefangengenommen und auf die Festung von Vincennes gebracht. Im Juni 1778 überführt man ihn nach Aix, wo das Urteil des Gerichtshofs der Provence wegen mangelnder Beweise für eine vorsätzliche Vergiftung aufgehoben wird. Frei gegenüber dem Gesetz, aber noch immer der königlichen Willkür unterworfen, verläßt er Aix unter polizeilicher Bewachung. Unterwegs gelingt es ihm, aus dem Quartier in Valence zu entkommen: er verbirgt sich in La Coste und wird dort am 26. August wieder verhaftet und nach Vincennes gebracht. Dort lebt er als Gefangener vom 7. September 1778 bis 29. Februar 1784, an welchem Tag er in die Bastille gebracht wird. Hier schreibt er seine ersten Meisterwerke: Dialogue entre un prêtre et un moribond, Aline et Valcour, seine Erzählungen und Märchen und die erste Justine. Kurz vor dem 14. Juli 1789 versucht er das Volk des Faubourg-Saint-Antoine aufzuwiegeln; er schreit aus seinem Fenster, man wolle die Gefangenen nieder6
metzeln; daraufhin wird er aus der Bastille entfernt und zu den Mönchen von Charenton-Saint-Maurice gebracht. Infolge eines Dekrets über die Haftbriefe (lettres de cachet) am 2. April 1790 befreit, nimmt de Sade zwei Jahre später als Sekretär an den Arbeiten der Section des Piques teil, insbesondere an den Bestrebungen für die Reformen der Krankenhäuser von Paris. Im August 1793 weigert er sich als Präsident der Section, durch Abstimmung zu einer Aktion der Unmenschlichkeit beizutragen. Revolutionsfeindlicher Haltung angeklagt, wird der frühere Marquis am 8. Dezember 1793 verhaftet und im Gefängnis Madelonnettes, dann im Karmelitergefängnis, in Saint-Lazare und in Picpus eingekerkert. Obwohl er auf der Liste der kollektiven Anklagerede von FouquierTinville vom 8. Thermidor des Jahres II steht, sucht ihn der Gerichtsdiener des Revolutionstribunals in den verschiedenen Gefängnissen vergebens, und so entgeht Sade durch eine glückliche Fügung der Guillotine. Am 13. Oktober 1794 wird er in Freiheit gesetzt, sechseinhalb Jahre darauf, am 6. März 1801, als Autor der skandalösen, 1797 erschienenen Romane Justine und Juliette durch die Polizei des Ersten Konsuls aufs neue verhaftet. Nach einem Aufenthalt von zwei Jahren in Sainte-Pélagie und in Bicêtre wird er auf dem Verwaltungswege in der Irrenanstalt von Charenton interniert; Marie-Constance Quesnet, seit 1790 seine Geliebte, erwirkt die Erlaubnis, bei ihm zu bleiben. Der Direktor, Monsieur de Coulmier, gestattet Sade bis 1808, Theateraufführungen zu veranstalten, die von der eleganten Welt von Paris besucht werden. Der Marquis stirbt am 2. Dezember 1814, nachdem er dreißig Jahre seines Lebens im Gefängnis zugebracht hat. Auf seinem Grabstein steht kein Name; die Familie schämte sich seines Andenkens.
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VORWORT Eine Stimme erhabenen Wahns und erhabener Vernunft: die geißelnde und drohende Stimme des Marquis de Sade.
Im Januar 1948 hatten wir das Glück, im Château de Condé-en-Brie bei dem direkten Nachkommen des Marquis de Sade einen ganzen Stoß unschätzbarer Briefe zu entdecken, die uns einen neuen oder wenigstens kaum erhofften Ausblick auf das literarische Genie des Autors der Justine eröffneten. Es sind einhundertneunundsiebzig Briefe, zu denen, wenn man will, noch die Kommissionslisten, Zettel und sonstigen schriftlichen Mitteilungen kommen, so daß die Gesamtzahl ungefähr zweihundertfünfzig Dokumente beträgt. Hier die Einordnung der Briefe: a) zweiundvierzig Briefe, geschrieben im Gefängnis von Vincennes vom Februar 1777 bis zum Juni 1778; b) einhundertzwanzig Briefe, geschrieben ebenfalls daselbst vom September 1778 bis zum Februar 1784, nach einer Periode der Freiheit von einigen Wochen; c) siebzehn Briefe, geschrieben in der Bastille vom Februar 784 bis September 1785. Dreiviertel dieser Korrespondenz ist an die Marquise de Sade gerichtet. Die anderen Empfänger sind, nach Anzahl der Schriftstücke: die Präsidentin de Montreuil, Marie-Dorothée de Rousset, der Polizeidirektor Le Noir, der Diener Carteron, genannt La Jeunesse oder genannt Martin Quiros, der Notar Gaufridy, der Abbé Amblet, der Polizeischreiber Martin, der Kommandant de Rougemont, der Augenarzt Grandjean und der junge Donatien-Claude-Armand, der älteste Sohn des Marquis. Diese einhundertneunundsiebzig Briefe sind von uns in drei Sammlungen herausgegeben worden, die folgende Titel tragen: L'Aigle, Mademoiselle . . ., Le Carillon de Vincennes und Monsieur le 6, dieser letztere Band herausgegeben unter Mitwirkung von Monsieur Georges Daumas. Weitaus die meisten Briefe des Marquis sind nicht datiert oder geben nur Auskunft über Monat und Tag, oder auch nur über den Tag. Ein peinlich genaues Anpeilungssystem erlaubt jedoch
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in den meisten Fällen das Einsetzen eines ziemlich genauen Datums. Die Briefe bestehen im allgemeinen aus einem Blatt mit zwei recto et versa sehr eng beschriebenen Seiten. Die Schrift ist stets von auserlesener Eleganz. Der längste dieser Briefe hat achtzehn Seiten, manche haben nur zwei. Sie sind ohne Rand und enthalten - ihrem Format entsprechend, das zwischen 9,5 zu 12 und 18,5 zu 25 cm schwankt - zweihundertfünfzig bis sechshundert Worte pro Seite. Sade hat sie offensichtlich ohne Konzept geschrieben, diktiert vom Elan der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit, der tragischen Heiterkeit. Stets ist nur sehr wenig, manchmal überhaupt nichts durchgestrichen. Vier oder fünf Briefe fallen durch ihre ungeschickte Schrift auf (so die Briefe 36, 37 und 38 in Monsieur le 6); sie gehören einer der von seinem heftigen Augenleiden gezeichneten Perioden an, dessen erste Anzeichen der Marquis im Februar 1783 verspürte. Zu dieser Korrespondenz gehören noch einige dreißig unveröffentlichte Briefe der Madame de Sade, adressiert an den Gefangenen von Vincennes. Trotz ihres glänzenden Stils gibt es zwischen den Briefen de Sades - die wahre Shakespeare-Monologe sind - und den Werken der klassischen Briefliteratur keinen gemeinsamen Maßstab. Sie sind indes so lebendig geschrieben, daß sie den Leser tief beeindrucken, und so glaubten wir, jeder unserer Sammlungen einen Titel geben zu müssen, der von vornherein ihren außergewöhnlichen Charakter aufzeigt. »Der Adler, Mademoiselle...«: diese ersten Worte eines Briefes an Mademoiselle de Rousset haben wir wegen ihrer seltsamen Schönheit und heraldischen Bedeutung für die erste Sammlung gewählt. Der Titel der zweiten Sammlung, »Das Glockenspiel von Vincennes«, ergibt sich aus folgenden Worten des Marquis: »Wie ein Gefangener stets alles auf sich bezieht und sich einbildet, alles, was geschieht, betreffe nur ihn, jedes Wort werde in einer bestimmten Absicht gesagt, so will mir's nicht aus dem Sinn, daß dieses verdammte Glockenspiel zu mir spricht, daß es mir sagt - und zwar sehr deutlich: >Je te plains - je te plains / il n'est plus pour toi de fins / qu'en poudre - qu'en poudre.<« Und schließlich ist »Monsieur le 6« der Marquis de Sade selbst, der Gefangene von Zelle 6: »Wenn ich Monsieur le 6 zu kurieren gehabt hätte, würde ich es ganz anders angefangen haben, denn statt ihn zu 9
den Menschenfressern zu sperren, hätte ich ihn mit Mädchen zusammengesteckt; ich hätte sie ihm in so hübscher Anzahl geliefert, daß es mit dem Teufel zugehen müßte, wenn in den sieben Jahren, die er jetzt hier ist, das Öl seiner Lampe nicht ausgegangen wäre!« Nahezu alle Briefe de Sades, die vor unseren Sammlungen veröffentlicht wurden, insbesondere diejenigen - und das sind weitaus die meisten -, die in der Briefe-Ausgabe von Paul Bourdin enthalten sind, gehören in die Zeit zwischen seiner Entlassung aus Charenton am 2. April 1790 (infolge des Dekrets der Assemblée constituante über die laut Haftbrief Gefangenen) und seiner späteren Einkerkerung in Sainte-Pélagie am 5. April 1801 durch die Polizei des Ersten Konsuls. Seine zwölfjährige Gefangenschaft in Vincennes und in der Bastille (1777-1789) war in der Sammlung von Paul Bourdin nur durch vier Briefe vertreten sowie außerdem noch durch den von Maurice Heine veröffentlichten Brief an Martin Quiros vom 4. Oktober 1779. Nun, die auf Schloß de Condè-en-Brie entdeckten Briefe de Sades beziehen sich gerade auf die neun ersten dieser zwölf qualvollsten Jahre seines Daseins, auf jene Zeit, in der seine Feinde ihn - der in voller Manneskraft stand und erfüllt war von einer durch berauschende erotische Erlebnisse gespeisten Phantasie nacheinander in dem schaurigen Schoß der beiden düstersten Festungen Frankreichs »lebendig begruben«. Die von Paul Bourdin veröffentlichten Briefe sind von wesentlichem Interesse, sowohl weil man durch sie von dem Tun und Lassen de Sades während der Revolution erfährt, als auch wegen des hohen literarischen Wertes, den einige von ihnen besitzen. Die wichtigsten unter ihnen wurden in die hier vorliegende Sammlung aufgenommen; da sie jedoch fast alle an seinen Geschäftsführer Gaufridy gerichtet sind, stehen Verwaltungsfragen, seine Güter betreffend, und Bitten um Geld an erster Stelle. Auch war de Sade, trotz seines Wohlwollens gegenüber dem Spielgefährten der Kindheit, nur selten in der Stimmung, ihm seine innersten Gedanken anzuvertrauen. Es dauerte außerdem nicht lange, bis er die Rolle des Geheimagenten der Präsidentin de Montreuil entdeckte, die der gewandte Notar seit 1775 spielte und bis zur Revolution nicht aufgab. 10
In den von uns veröffentlichten Briefen de Sades herrscht ein sehr unterschiedliches geistiges Klima. Fast ausschließlich sind sie an dieselbe Person gerichtet, an einen Menschen, dessen große Anhänglichkeit, ja, heroische Ergebenheit er unter den mannigfachsten Umständen erfahren durfte: an seine Frau. Die Sarkasmen und Wutanfalle des Donatien-Alphonse-François bei der geringsten Widerwärtigkeit - sehr verzeihliche Reaktionen auf sein qualvolles Einsiedlerdasein - dürfen den Leser weder über die Handlungsweise der Marquise de Sade noch über die wirklichen Gefühle täuschen, die der Gatte ihr entgegenbrachte. Trotz seines immer wachen Mißtrauens wollte er mit seinen Ausfällen wohl nur ihren Eifer anstacheln, weil ihre Bemühungen seiner angstvollen Ungeduld zu träge und zu wenig wirkungsvoll erschienen. Jedenfalls konnte er nicht leugnen, daß das Leben seiner Frau einzig und allein dem Wirken für seine Befreiung gewidmet war und daß sie, um dieses kostbare Gut zu erlangen, vor keinem Unternehmen zurückschreckte und täglich mit herzbewegenden Bitten in den Ministerien vorstellig wurde. In der Hoffnung, seine Briefe würden der Polizeizensur oder der Indiskretion der Präsidentin entgehen, öffnete er Madame de Sade sein ganzes Herz. Bisweilen vertraute er ihr sogar seine geheimsten Wünsche an, denn er wußte, daß sie, von der er so viele Beweise der Liebe empfangen hatte, sein Vertrauen nicht mißbrauchen werde. Ich habe die Zwingburg von Vincennes gesehen, sie ist ein gigantisches, von vier Türmen flankiertes Grabmal. Ich bin die Wendeltreppe emporgestiegen, die zu seiner Gefangenschaft hinaufführte. Die Zellen öffneten sich meinem Bangen und meinem Mitleid: eng, unmäßig hoch und ewiger Dämmerung verfallen, mit einer doppelt vergitterten Schießscharte gesichert. In einem dieser eiskalten, zylinderförmigen Verliese im Schoß des düsteren Schreckens hat der Marquis de Sade seine Briefe geschrieben, jene Muster der Beredsamkeit und Phantasie, die nur mit den weltumspannenden Werken des elisabethanischen Genius zu vergleichen sind. Beim ersten Lesen schon bewundern wir an den Briefen - nachdem der Marquis die Krise der Verzweiflung in den 11
ersten Monaten seiner Gefangenschaft überstanden hat - das hohe Beispiel der Standhaftigkeit, die uns stets vor Augen steht, sowohl in bezug auf die Ideen, welche die Gefangenschaft ihrem Autor eingab, als auch auf die Verwendung eines überlegenen Humors, der zweifellos die heroischste und zugleich wirksamste Verteidigungsform des Menschen gegen die Angriffe der äußeren Wirklichkeit ist. Nie ist der Marquis bereit, seinen Charakter, seine Moral und seine Philosophie zu verleugnen - obwohl er fürchten muß, durch einen solchen Starrsinn seine Hoffnungen auf Befreiung zunichte zu machen. »Ich bin herrschsüchtig, jähzornig, heißblütig, extrem in allem, von einer beispiellosen Zügellosigkeit der Phantasie und der Lebensführung, Atheist bis zum Fanatismus, mit einem Wort, so bin ich, und noch einmal, tötet mich oder nehmt mich wie ich bin, denn ändern werdet ihr mich nicht.«1 Aus zwanzig anderen, ähnlichen Erklärungen, die in den Briefen des unbezähmbaren Gefangenen vorkommen, halten wir nur diese fest: »Meine Art zu denken ist die Frucht meiner Betrachtungen: sie trägt meine Existenz, meine innere Bildung. Ich werde ihrer nicht Herr; und wenn ich das könnte, würde ich es nicht wollen. Diese Denkweise, die Sie tadeln, ist der einzige Trost meines Lebens ; sie mildert alle meine Leiden im Gefängnis, sie umfaßt alle meine Freuden auf Erden, und ich hänge mehr an ihr als an meinem Leben. Es ist nicht meine Aufgabe, darüber nachzudenken, wer mein Unglück verschuldet hat, das ist die der anderen.«2 Wenn Sade sich in dem »Gebet am Abend« an den Schöpfer zu wenden scheint, dessen »Zweckmäßigkeit und mithin Existenz« er stets geleugnet hat, so sucht er damit seine Peiniger mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Doch läßt sich andererseits auch annehmen, daß in seinem »Gebet«, das so hochgesinnt das Bewußtsein einer erhabenen Person und einer beispiellosen Einsamkeit wiedergibt, der Appell des Donatien-Alphonse-François an ein höheres, von ihm »Gott« genanntes Wesen in diesem Fall die Poesie selbst ist, oder vielmehr - da zu seiner Zeit ein solcher Begriff nicht geläufig war - der paroxystische Ausdruck einer rächenden 1 2
Siehe Brief XX, Seite 116 f. Siehe Brief XVIII, Seite 106.
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Wahrheit, die imstande war, den Gedankenterror zu zerstören und dem Menschen sein Richtschwert, den Ausdruck der höchsten Gewalt, zurückzuerstatten. Es wurde hier im voraus auf den wesentlichen Anteil des Humors in den bisher ungedruckten Briefen des Marquis de Sade hingewiesen. In der Rangordnung der Ästhetik haben wir stets die Tränen für schöner gehalten als das Lachen. Und der Comte de Lautréamont hat im 4. Gesang des »Maldoror« gedichtet. »Oh, abscheuliche Erniedrigung! wie man an eine Ziege erinnert, wenn man lacht!« Indes kommt das Lachen zuweilen der Schönheit der Tränen gleich: wenn es nämlich in der Form eines transzendenten Humors - wie wir bereits weiter oben sagten - eine Verkörperung des menschlichen Heroismus darstellt. »Humor«, sagt Freud, zitiert von André Breton1, »hat nicht allein etwas Befreiendes [...], sondern auch [...] etwas Großartiges, Erhabenes […] Die Unverletzbarkeit des Ich behauptet sich siegreich. Das Ich will sich nicht antasten, nicht durch äußere Wirklichkeiten Leid aufbürden lassen, es weigert sich, anzugeben, daß die Verletzungen von außen her es berühren, mehr noch, es zeigt, daß sie ihm sogar Gelegenheit zum Vergnügen sein können.«2 Die geniale Revolte des Gefangenen de Sade bestätigt eine solche Definition, sie steht hinter den modernen Gesichtspunkten dieses »schwarzen Humors« nicht zurück, von dem die Anthologie André Bretons zahlreiche Beispiele gibt. Lautréamont, Jarry, Nietzsche: das sind die Namen, die sich uns auf die Lippen drängen, wenn wir zum ersten Male die Briefe de Sades überfliegen. Mit Vergnügen vergegenwärtigt man sich die Bestürzung der Briefpartner des Marquis bei der Lektüre seiner Botschaft, die mit ihren kühnen Ideen über das Leben solchen Anstoß erregte. Man liest, daß Marie-Dorothée de Rousset sich am 1. Januar 1779 bei dem Advokaten Gaufridy entschuldigt, daß sie ihm keine Abschrift der aus Vincennes erhaltenen Briefe zu kommen lassen konnte. »Alle Briefe des Marquis zu kopieren, wäre zu langwierig, und Sie würden neben dem Ausdruck schwär1
Anthologie des scbvarzen Humors Paris, Ed du Sagittaire, 1940 (veröffentlicht erst 1945) 2 Ist es nötig darauf hinzuweisen, daß das »Vergnügen«, von dem Freud hier spricht mit Masochismus nichts zu tun hat?
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zester Trauer zuviel verrücktes Zeug lesen.«1 Auf jeder Seite seiner Briefe, in denen er seiner Zeit um hundert Jahre voraus ist, bezieht er die äußere Wirklichkeit in seine Gedanken ein und bereichert die Sprache mit bildlichen Ausdrücken, die dem XVIII. Jahrhundert unbekannt waren: »Deine Mutter muß vollkommen betrunken oder zum Einsperren verrückt sein, daß sie das Leben ihrer Tochter aufs Spiel setzt, um eine 19 und 4 oder eine 16 und 9 zu bilden, und daß sie das seit zwölf Jahren unermüdlich tut. Oh, wie hat sich das gemeine Weib an den Zahlen den Magen verdorben! Ich bin überzeugt, wenn man sie nach ihrem Tode sezierte, würden Millionen Zahlen aus ihren Eingeweiden quellen.« Eine der Haupterfindungen des Comte de Lautréamont bestand dann, daß er in literarische Texte Sätze einflocht, die er medizinischen oder naturwissenschaftlichen Werken entlehnt hatte. Auch in den Briefen de Sades findet sich dieses Verfahren der Entfremdung, das einer der Hauptbestandteile der surrealistischen Taktik werden sollte: »Die geringe Kapazität meines Kleinhirns kann es nicht fassen«, schreibt der Marquis an seine Frau, »daß die bloße Bitte um ein Etui so aufregend für ihre Nerven ist, daß Ihre Seele von ihnen die Sensation des Schmerzes empfängt. Sie schreiben, man hält Sie für verrückt: das verstehe ich nicht. Und ich kann auch nicht dulden, daß die Bitte um ein großes Etui bei einer kleinen Frau eine solche Verwirrung in der Zirbeldrüse anrichtet, die wir atheistischen Philosophen als den Sitz der Vernunft ansehen « 2 Die ganze beunruhigende Feierlichkeit des Kommodore, des Vaters von Mervyn, scheint in der Passage des Briefes VIII der vorliegenden Sammlung enthalten, die sich auf die Kleidung der Madame de Sade bezieht; die Drohungen und Beschwörungen des Marquis könnten nicht schärfer formuliert sein, sie entspringen dem unheilvollen Gefühl der Eifersucht. Was soll man über die verwirrende Erscheinung dieses weiblichen Ubu, der »Präsidentin Cordier«, sagen, die im Jahre 1784 auftaucht 1
In einem anderen Brief läßt Mademoiselle de Rousset dem genialen Briefstil de Sades mehr Gerechtigkeit widerfahren »Ich versichere Ihnen, wenn ich diese Briefe) jemals drucken ließe, würden sie mehr Aufsehen erregen als die Memoiren des berühmten Beaumarchais, er schreibt wie ein Engel. « 2 Siehe Brief XIX, Seite 110.
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und mit »erhabener Urteilskraft« vollgepfropft ist? Die Dialogform zu Anfang des Briefes wie das Vorhandensein eines Tölpels, hier des Kommandanten der Bastille, erhöht noch den Wert einer Übereinstimmung zwischen dem Marquis de Sade und Alfred Jarry.1 Der Brief XVII, den wir das »Zeichengedicht« nennen möchten, nimmt nach unserem Dafürhalten den Brief Friedrich Nietzsches vom 4. Januar 1889 vorweg und überragt ihn sprachlich zweifellos. Von diesem Nietzsche-Brief sagt André Breton, er sei »der höchste lyrische Ausbruch« des Philosophen. Täuschen wir uns zudem, wenn wir glauben, in dem »Zeichengedicht«, im gleichsam physischen Leuchten (sogar die »Erscheinung der Euphorie« inbegriffen) »das ganze Unternehmen Nietzsches« wiederzufinden? So erklärt es zumindest André Breton mit den Worten: »Der Pessimismus als Ausdruck des guten Willens, der Tod als Ausdruck der Freiheit und die sexuelle Liebe als ideale Verwirklichung einer Vereinigung der Gegensätze.« - In diesem Brief nennt der Marquis seiner Frau vier Zeichen2 »von größter Schönheit«, erfunden von ihm, «Christophe de Sade«. Das erste wird aus dem »Abschneiden der H ... des Cadet de la Basoche [Albaret]« bestehen, die dem Gefangenen in einem Kästchen zugesandt werden sollen. Das zweite soll »die 2, das Double, das Duplikat«3 bezeichnen: Man soll dem Marquis ein schönes Geschöpf in der Haltung der farnesischen Kallipyga 4 ins Zimmer stellen; er verachte »diese Partie« keineswegs. Drittens soll das Pulvermagazin in Brand gesteckt werden, um damit den »Donner« dieses Sommers nachzuahmen. Das vierte ist »das schönste«: die Marquise soll sich zwei Totenköpfe verschaffen (er, der Marquis, hätte sagen können, sechs: aber obwohl er bei den Dragonern gedient habe, sei er bescheiden); sie soll sie ihrem Gatten als »ein aus der Provence angekommenes Paket« bezeichnen, er werde es »voll Eifer« öffnen, und es werde das sein, und er werde »große Angst haben«. Doch soll man sich nicht zu genau an die zeitgenössische Definition des »schwarzen Humors« halten (wenigstens was den inneren Wert betrifft; 1
Siehe Brief XXIV, Seite 126. Siehe unsere »Bemerkungen zu den Zeichen», Seite 19 3 Wahrscheinlich die beiden Hemispharen des Gesäßes 4 Anspielung auf die Venus Kallipyga aus der Sammlung Farnese, die Sade während seines Aufenthalts in Neapel im Jahre 1776 bewundern konnte. 2
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denn die Tatsache, daß de Sade den Mut gehabt hat, diese Briefe während der Zeit seiner schrecklichen Gefangenschaft zu schreiben, gibt ihnen den Nimbus eines solchen Humors). Man findet zahlreiche Stellen, ja sogar ganze Briefe von einer Komik höheren Grades, die sich zu lyrischer Kraft erhebt und den Vergleich mit manchen Stellen bei Aristophanes und Shakespeare nicht zu scheuen braucht. Dieser Humor hat mit jenen niederen Äußerungen, die das Lachen zum ausschließlichen Zweck haben, nichts zu tun; man könnte ihn als »leuchtend« bezeichnen. An seine Definition knüpfen wir eine Beobachtung allgemeiner Art, die uns die großen erotischen Romane de Sades gleichsam neu entdecken läßt: die Briefe des Verfassers, die sein Genie in dieser überraschenden Form hervorbringt, machen jenen Anteil transzendenter Mystifikation sichtbar, der auch in den Romanen Justine und Juliette enthalten ist, wobei diese Mystifikation mit der blendenden Verbindung von Lyrik und beschreibender Psychopathologie, die uns diese beiden Werke bieten, keineswegs unvereinbar ist. Von allen Jahrgängen der Briefkorrespondenz de Sades ist das Jahr 1783 das qualitativ fruchtbarste. Über einen dieser Briefe (jenen vom 23. und 24. November 1) schreibt in ganz anderem Sinne und ohne zu wissen, wie gut das gesagt ist, der Diener Carteron eines Tages an seinen Herrn: »Es scheint, als habe sich ein Bienenschwarm auf Ihrem Papier niedergelassen.« Die erotische Kühnheit seiner Worte, ihre köstliche Heiterkeit, die Anmut und Geschlossenheit der Sprache, die uns ununterbrochen entzückende Grazie eines solchen Briefes erinnern uns unwillkürlich an Mozarts Musik, die uns das Glücksgefühl vermittelt, ein Mensch zu sein. Zudem erweist sich hier der Marquis de Sade wieder einmal als ein Vorläufer der modernen Sexologen und verteidigt damit zugleich die Legitimität seiner künftigen Werke: »... ich respektiere die Neigungen, die Einfälle, wie barock sie auch sein mögen, ich finde sie alle achtenswert, weil man ihrer nicht Herr ist, weil sich das Seltsamste, Bizarrste genaugenommen stets auf ein Prinzip der Delikatesse zurückführen läßt.« Diese These wurde hundert Jahre 1
Siehe Brief XIX, Seite 109.
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später von Havelock Ellis unterstützt. Er erklärt, die Phänomene des erotischen Symbolismus, die uns den individuellen Menschen nackt zeigen, »setzen eine stark entwickelte bildende Kraft der Imagination voraus [und] stellen den vollkommenen Triumph des menschlichen Idealismus dar«. Man muß es bewundern, daß de Sade im Jahre 1783 den Gehalt einer solchen Idee ausdrücklich formuliert und sie so genau durchdenkt, daß sie den philosophischen Gedankenflug der Arbeiten von Havelock Ellis vorweg nimmt. »Sie wissen, daß niemand [...] so zu analysieren versteht wie ich«, so glaubt der Marquis zu Anfang seines Briefes sagen zu dürfen, und man muß zugeben, daß nicht nur seine Werke, sondern auch seine herrlichen Briefe diese bündige Erklärung rechtfertigen, über die nur ein Dummkopf lachen kann. Die außerordentliche Entdeckung der Korrespondenz de Sades, die in der ganzen Literaturgeschichte nicht ihresgleichen hat, steht vielleicht - wenn auch in einem anderen Bereich - der Auffindung der 120 Tage von Sodom zu Beginn dieses Jahrhunderts nicht nach. Die großen, zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Romane des Marquis haben ihm in unseren Tagen in sprachlicher Hinsicht einen Ruhm eingebracht, dessen Ausmaß nur wenige französische Schriftsteller mit ihm teilen durften. Doch trotz der erotischen Kühnheit ihres Wortschatzes und obwohl sie das Bild eines Umsturzes ohnegleichen bieten, scheinen La Nouvelle Justine und Juliette noch in gewissen Konventionen befangen zu sein, die den Romanciers des achtzehnten Jahrhunderts anhaften und selbst von einem so unabhängigen Geist wie de Sade nicht ganz überwunden werden konnten. Seine Briefe indes sind frei von jeder Befangenheit des Geschmacks oder der Komposition, von jeder literarischen Nebenabsicht; er konnte ja nicht ahnen, daß sie eines Tages veröffentlicht werden würden. Niemand vor den Romantikern hat mit solcher Freiheit geschrieben, abgesehen vielleicht von dem Duc de Saint-Simon. Rousseaus Confessions wirken, trotz ihrer Aufrichtigkeit und der Vollkommenheit ihres Stils, anspruchslos und frostig neben den Briefen de Sades. Diese Korrespondenz, in der die Anschauungen des Marquis - wie bereits erwähnt - ihrer Zeit um 17
hundert Jahre voraus sind, bedeutet einen Triumph des Subjektivismus, der seine glänzendste Periode mit Comte de Lautréamont, Arthur Rimbaud und Alfred Jarry erreicht. Immer mehr denkende Menschen fühlen sich von de Sade angezogen, obwohl ein gewisses starkes Unbehagen ihr Erfassen eines Werkes von so schrankenloser Ausgeliefertheit behindert. Diese Unentschlossenen verstehen die Verschmelzung der Widersprüche nicht zu verarbeiten, mit der die Lektüre der 120 Tage, der Justine und Juliette ihre Schrecken verliert. Die Briefe de Sades, die so überaus menschlich berühren, werden dazu beitragen, die noch unbewußte oder beunruhigte Bewunderung für die Werke des Marquis zu klären; die Unentschlossenen werden von der Vielfalt dieser aus der unmittelbaren Tragödie geschöpften Sprache ergriffen sein, in ihren Augen wird der Marquis de Sade zu den anerkannten Genies wie Shakespeare, Pascal oder Nietzsche aufrücken. Sie werden sein erotisches schwarzes Paradies ohne Gewissensbisse lieben, ob sie nun seine Bücher im Licht der beschreibenden Psychopathologie betrachten oder sie geläutert durch die zweifache Vermittlung von Sprache und Dialektik der Gegensätze beurteilen, die der andere große Pessimist, Comte de Lautréamont, ihnen schon seit langem nahegebracht hat. Der Stolz der bereits Wissenden indes wird belohnt, wenn die im Gefängnis von Vincennes geschriebenen Briefe die Erkenntnis fördern helfen, daß der Marquis de Sade vor aller Welt zu den hellsten Sternen des poetischen Realismus gehört - den ewigen Kläffern zum Trotz, die jedes Zeitalter unverändert gegen ihn hetzt. Hier ist sie, die der Hölle entrissene Symphonie. Der Seufzer der Erbitterung eines Heroen der Liebe vereint sich mit dem Wechselgesang von Ariel und Falstaff. Der Kerker füllt sich mit namenlosen Idolen. Aus den düsteren Mauern tönt eine Sprache der Zukunft.
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BEMERKUNGEN ZU DEN ZEICHEN
In vielen Briefen, die der Marquis in Vincennes und in der Bastille geschrieben hat, finden sich mehr oder weniger verständliche Zahlenkombinationen, die er als »Zeichen« darstellt. Was bedeutet diese ungewöhnliche Arithmetik? Durch einen »Haftbrief« ins Gefängnis geworfen, d. h. der Willkür seiner Peiniger ausgeliefert, befand sich der Marquis de Sade in tragischer Unkenntnis der Dauer seines Gewahrsams, er dachte sich also ein System der Schlußfolgerungen aus, das auf Berechnungen basierte, die uns lächerlich erscheinen mögen, seinem Geist jedoch das so töricht erhoffte Datum seiner Entlassung enthüllen sollten. Wir haben an anderer Stelle von einer Art »Zahlenpsychose« gesprochen; tatsächlich stellen die seltsamen arithmetischen Berechnungen des Marquis eine Art Verteidigungsreaktion seines seelischen Zustandes dar, einen unbewußten Kampf gegen die Verzweiflung, in die sein Geist ohne den Beistand einer solchen Ablenkung gesunken wäre (Behaupten nicht manche Psychoanalytiker in ähnlicher Weise, daß der Verfolgungswahn, der aus dem Schuldwahn hervorgeht, das kleinere Übel bedeutet, weil die Seele gegen die Feindseligkeiten der Außenwelt besser gerüstet ist als gegen Angriffe, die dem eigenen Ich entspringen?) »Die Unmöglichkeit, die Willkür zu chiffrieren«, schreibt Maurice Heine, »führt Sade dazu, das Gerüst seiner Berechnungen über den unwahrscheinlichsten Ausgangspunkten aufzuschlagen. Alles erscheint ihm als Fingerzeig des Schicksals oder vielleicht als eine geheime Mitteilung, die der Zensur entgangen ist. Sein Geist klammert sich verzweifelt an die Zeilenzahl eines Briefes, die Zahl der Male, wo dieses oder jenes Wort wiederholt wird, sogar an die Gleichklänge, an die eine Zahl erinnert.« Aber dieses Verfahren betrifft nicht nur das Erforschen des Datums, an dem ihm die Freiheit zurückgegeben wird, er sucht auch Hinweise auf sein Gefangenendasein herauszufinden: an welchem Tag das Verbot der Spaziergänge aufgehoben oder 19
Madame de Sade ihn besuchen wird etc. Im allgemeinen liefern ihm die Briefe seiner Frau den Stoff zu seinen Berechnungen1, und oft beschuldigt er - weil die Folgerungen, die er aus ihnen zieht, ihm unheilvoll und widersprüchlich erscheinen - die Präsidentin oder ihre »Helfershelfer«, insbesondere Albaret, sie hätten der Marquise ihre eigenen Zeichen eingegeben, um ihn zu entmutigen oder im Ungewissen zu lassen. Sogar manche Gesten oder Reden eines Wächters werden von dem Gefangenen als unbedingt aus dem Hause Montreuil stammend betrachtet. Der hier folgende Brief an seine Frau stammt vom März 1781. Wir zitieren ihn, weil er das System der »Zeichen« in Zahlen mit besonderer Deutlichkeit wiedergibt: »Ich kenne nichts, was den Mangel und die Geistesarmut Ihrer Phantasie klarer beweist, als die unhaltbare Eintönigkeit Ihrer abgeschmackten Zeichen. Was denn! immer nur kranke Dienstboten für nichts und wieder nichts? oder Arbeiter, die man nachschleppt? Etwas anderes fällt Ihnen nicht ein, und dabei sind Sie doch ein Dutzend Personen, die daran arbeiten und sich den Kopf zerbrechen, um etwas zu erfinden, und die doch alle Tage stumpfsinnig das gleiche wiederholen! Welche Plattheit, und wie ich deswegen für Sie erröte! Weil Sie kürzlich eine 24 brauchten, kam am 4. ein Sackträger, der geschickt worden war, um Monsieur Le Noir nachzumachen und damit ich an Monsieur Le Noir schriebe: da hätten wir die 24. Letzthin, weil Sie eine 23 brauchten, Spaziergang gekürzt, und nur von 2 bis 3, und da hatten wir die 23. Aber wie schön das ist! wie großartig! welch genialer Schwung! welches Feuer! Nun, mein Gott, lesen Sie, arbeiten Sie, beschäftigen Sie sich, hätten Sie wenigstens den Kleinen Däumling gelesen, hätten Sie gearbeitet, geklöppelt und keine Zeit mit solchen Dummheiten verloren. 1
Seine fruchtlose Findigkeit beschäftigt sich auch mit den Briefen seiner Kinder oder der Mademoiselle de Rousset. Am 15. Januar 1779 richtet er an die »Heilige« folgende Kritik der vorgeblichen Zeichen »Wie Sie, die Sie wie ein Engel schreiben, linkisch und gekünstelt werden, wenn [Ihr Geist] Sie mit dem Wort, den Zahlen und Zellen und all den anderen Dummheiten spielen läßt, die Sie in der Schule der Karmeliterinnen gelernt haben!« [Le Carillon de Vincennes S. 19]
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Wenn es wahr ist, daß man Gott über seine Zeit Rechenschaft ablegen muß, in welcher Verlegenheit werden Sie dann in der anderen Welt sein! Aber machen Sie doch Ihre Zeichen wenigstens aus Güte und nicht immer, um mich zu quälen! Nur der Henker foltert und mißhandelt einen Gefangenen. Müssen Sie diese Tätigkeit ausüben, Sie oder Ihre Familie? Ist es Gemeinheit oder Dummheit, daß Sie Ihre Zeichen statt in Güte immer in Bosheit kleiden? Wenn es Gemeinheit ist, habe ich nichts zu sagen, sondern werde Ihrem Beispiel folgen, mein Wort darauf! Was nützt mir Ihre Belehrung, wenn ich nicht von ihr profitiere? Ist es aber Dummheit, schön! Schauen Sie sich dies kleine Beispiel an, und Sie werden sehen, wie leicht es ist, die gleichen Dinge nett zu sagen, statt boshaft und dumm. Wenn ich eine 16 machen wollte, da ja nach Ihnen seize [sechzehn] und cesse [Aufhören] dasselbe ist und da Sie sich anmaßen, die Sprache und die Gedanken soweit zu verderben, wenn ich, sage ich, eine 16 machen wollte, hätte ich von den dreißig oder vierzig lächerlichen Ketten, die Monsieur S. hier hat, eine beseitigt, und das wäre eine cessation [Unterbrechung]. Er wünscht eine offene Tür: mit einer 16 würde ich sie öffnen. Er findet es stumpfsinnig und töricht, wie ein Irrer von 3 Männern bedient zu werden: mit einer 16 würde ich dem ein Ende bereiten [faire cesser]. Wenn ich eine Neun [neuf] machen wollte, würde ich ihm eine Neuigkeit 1 mitteilen lassen oder irgendeine Annehmlichkeit bewilligen. Bei allen anderen Ziffern dasselbe. Will ich eine 24? Am 2. werde ich ihm die Annehmlichkeit zugestehen, am 4. mit jemandem zu plaudern. Brauche ich eine 33? Ich lasse ihn 3 Stunden spazierengehen, und er schreibt: am 3. hatte ich 3 Stunden Spaziergang, das macht 33. Ich will ein großes Ereignis notieren, ein Viertel, ein Drittel etc.: Ich lasse ihn in Begleitung des Kommandanten oder des Arztes 2 oder 3 Stunden in einem anderen Garten spazierengehen, das ist ein Ereignis. Und warum müssen von einem elenden halben Morgen, zumal es sich doch hier darum handelt, Luft zu schnappen, vom Kommandanten drei Viertel genommen werden? Ist das gerecht? Hast Du erlebt, daß Monsieur de Borry solche Gemeinheiten beging? 1
Das Wortspiel ist nur im Französischen verständlich: neuf heißt zugleich »neun« und »neu«; nouvelle heißt »Neuigkeit« (Anmerkung des Übersetzers).
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Dies ist ein kleiner Auszug aus dem, was Sie für Ihre Zeichen gebrauchen können. Das kleine Beispiel kann ebenso für fünfhundert wie für zwei Zahlen benutzt werden; wenigstens würde ich dann nicht verblöden, wie ich es hier tue, weil ich doch nie jemand sprechen oder sehen kann. Ja, so könnten Sie handeln, wenn Sie ein wenig Gefühl hätten und nicht nur den Scharfrichter der Hölle spielten, um meinen Verstand völlig durcheinanderzubringen. Das Zeichen sollte nicht nur in Güte gegeben werden, sondern sich auch ganz und gar und sehr deutlich von dem gewöhnlichen Gegenstand abheben, sonst bewirkt es nur Schrecken und Qual und zeugt von einer Bosheit, die Rache verdient.« Die Cahiers personnels des Marquis (1803-04), deren Herausgabe kürzlich von uns besorgt wurde, enthalten eine Passage, die dazu beiträgt, das psychologische Problem zu erhellen, das sich auf das System der »Zeichen« stützt. Als sinnvollsten Abschluß der soeben gelesenen Seiten bringen wir hier einen Teil daraus: »Ich stelle fest, daß die Situation, in die man mich gebracht hatte, und die Streiche, die man mir spielte, mich dazu zwangen, die wirklichen Erlebnisse mit denen zu vermengen, welche ich der stupiden Bosheit der Schurken verdankte, die mich ins Gefängnis geworfen hatten; das machte mich gegenüber denen, die arrangiert waren, ebenso unempfindlich wie gegenüber denen des Schicksals oder der Natur, dergestalt, daß ich um meiner Ruhe willen an nichts mehr glauben wollte und mich gegen alles verhärtete. Daher der schreckliche, gefährliche Zustand, daß ich lieber annahm, man habe mich mit der Mitteilung der furchtbarsten Wahrheit getäuscht, als daß ich sie glaubte, sobald es mir nämlich günstig erschien, sie als eine Lüge zu betrachten, die man vervielfachte, um Situationen zu erzwingen oder entstehen zu lassen. [...] Doch das Herz verkümmerte, der Charakter wurde bitter, alles Wirkungen, die bösartig und schädlich waren und mit diesen Quälereien nur Beweise des größten Stumpfsinns, der plumpen Automaten würdig, die sie überlegten oder ausführten. [...] Daher der sophistische Charakter, der mir in meinen Werken vorgeworfen wird.« G.L.
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ERSTER TEIL 1777
BRIEF I An die Präsidentin de Montreuil [Vincennes, Ende Februar 1777] Geben Sie zu, Madame, daß von allen nur möglichen Mitteln, die Rache und Grausamkeit ersinnen können, Sie das schrecklichste gewählt haben. Ich war nach Paris gekommen, um die letzten Seufzer meiner Mutter zu empfangen, voll Verlangen, sie noch einmal lebend zu umarmen oder sie als Tote zu beweinen. Diesen Augenblick haben Sie benutzt, um mich aufs neue Ihr Opfer werden zu lassen! Ach! ich fragte Sie in meinem ersten Brief, ob ich in Ihnen eine zweite Mutter oder einen Tyrannen finden würde, doch Sie ließen mich nicht lange in Ungewißheit! Habe ich nicht Ihre Tränen getrocknet, als Sie einen Vater verloren, den Sie zärtlich liebten? Und fanden Sie damals mein Herz nicht ebenso empfänglich für Ihren Schmerz wie für meinen eigenen? Ja, wenn ich nach Paris gekommen wäre, um Ihnen Trotz zu bieten oder Sie mit Plänen zu belästigen, die Ihnen meine Entfernung wünschenswert erscheinen ließen! ... Aber neben der Fürsorge, die meine Mutter beanspruchte, hatte ich nur im Sinn, Sie zu besänftigen und zu beruhigen, mich mit Ihnen zu verständigen und mich, was meine Angelegenheiten betraf, Ihrer Meinung anzuschließen und Ihrem Rat zu folgen. Außer aus meinen Briefen müssen Sie das auch durch Amblet 1 erfahren haben wenn er es ehrlich meinte (was ich nicht glaube). Der treulose Freund hat sich mit Ihnen verabredet, um mich zu täuschen, zu verderben, und das ist Ihnen beiden ausgezeichnet gelungen. Als man mich hier einsperrte, wurde mir gesagt, es geschehe, um meine Sache aus der Welt zu schaffen, aus diesem Grunde sei meine Inhaftierung unerläßlich. Aber seien Sie ehrlich - muß ich der Betrogene bei diesem Verfahren sein? Als Sie in Savoyen die gleichen Mittel benutzten, wurde da auch nur das Geringste zu meinem Gunsten unternommen? Und meine beiden Abwesenheiten von jeweils einem Jahr, haben sie etwa die einfachsten Schritte gezei1
Einstiger Hauslehrer de Sades.
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tigt? Ist es nicht ganz klar, daß Sie mich nicht rehabilitieren, sondern gänzlich verderben wollen? Einen Augenblick will ich mit Ihnen glauben, ein Haftbefehl sei unerläßlich gewesen, um einem immerhin ärgerlichen Verweis aus dem Wege zu gehen - aber mußte er so hart und grausam ausfallen? Hätte nicht ein Schreiben, das mich aus dem Königreich verbannte, den gleichen Zweck erfüllt? Pünktlich und gewissenhaft hätte ich mich Ihren Verfügungen unterworfen, denn ich war ja gekommen, um mich in Ihre Hand zu geben und mich allem, was Sie verlangten, unterzuordnen. Als ich Sie von Bordeaux aus um Geld bat, damit ich nach Spanien fahren konnte, und Sie es mir verweigerten, war mir das ein Beweis dafür, daß es Ihnen nicht um meine Entfernung zu tun war, sondern daß Sie meine Verhaftung wollten; und alles das wenn ich mir die Umstände ins Gedächtnis zurückrufe - überzeugt mich davon, daß Sie nie etwas anderes beabsichtigt haben. Doch ich täusche mich, Madame: Amblet hat mir etwas anderes mitgeteilt, und das will ich erfüllen. Er hat mir gesagt, Madame - zweifellos in Ihrem Auftrag - eine Sterbeurkunde1 sei das Notwendigste und Wirksamste, um das Ende dieser unglücklichen Sache zu beschleunigen. Sie muß Ihnen beschafft werden, Madame, und ich versichere Ihnen, Sie werden sie in kurzem haben. Ich werde nicht mehr viele Briefe schreiben, nicht weil sie schwer zu verfassen sind, sondern weil ich mich vergeblich an Sie wende; glauben Sie mir, dieser Brief wird meine letzten Gefühle enthalten. Meine Lage ist furchtbar. Sie wissen, daß weder mein Blut noch mein Kopf Zwang ertragen. Auch das wissen Sie, daß ich - weniger streng bewacht als jetzt - mein Leben wagte, um mich zu befreien. Die Möglichkeit dazu ist mir hier verwehrt, doch bleibt mir ein Mittel, das mir niemand nehmen kann, und ich werde es benutzen. Aus der Tiefe ihrer Gruft ruft mich meine unglückliche Mutter. Ich glaube sie zu sehen, wie sie mir ihren Schoß noch einmal öffnet und mich auffordert, mich in ihm als in der einzigen Zuflucht, die mir bleibt, zu bergen. Ich bin froh, daß ich ihr so bald folgen darf, und erbitte von Ihnen, Madame, als letzte Gunst, mich neben ihr zu bestatten. Nur eins hält mich noch zurück; ich gebe zu, es ist eine Schwäche, doch ich muß sie Ihnen gestehen: Ich möchte 1
Alle unterstrichenen Manuskriptstellen sind kursiv wiedergegeben.
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meine Kinder sehen. Ich wäre so glücklich, sie in die Arme schließen zu dürfen. Auch meine neuen Schicksalsschläge haben mir diesen Wunsch nicht nehmen können, wahrscheinlich werde ich ihn mit ins Grab nehmen. Ich lege sie Ihnen ans Herz, Madame. Lieben Sie sie zumindest so, wie Sie ihren Vater gehaßt haben. Lassen Sie sie so erziehen, daß sie, wenn möglich, vor den Schicksalsschlägen bewahrt bleiben, die mir die Unterlassungen bei meiner eigenen Erziehung zugezogen haben. Wenn sie mein trauriges Schicksal erfahren, werden sie, deren Seele ihrer sanften Mutter nachgebildet ist, sich Ihnen zu Füßen werfen und ihre unschuldigen Hände erheben, um Sie zu erweichen. Meine Liebe zu ihnen läßt dieses tröstliche Bild vor mir erstehen, doch es fruchtet nichts, und ich will es schnell wieder vertreiben, weil ich fürchte, sonst in Augenblicken, wo ich der Standhaftigkeit bedarf, allzu gerührt zu sein. Adieu, Madame.
BRIEF II
An Madame de Sade [Vincennes, 6. März 1777] Oh, meine liebe Freundin, wann wird meiner schrecklichen Lage ein Ende bereitet! Lieber Gott, wann werde ich hier herauskommen! aus dem Grab, in das man mich lebendig versenkt hat? Es gibt nichts, was meinem furchtbaren Schicksal gleicht! nichts, was mein Leiden schildern, was die Sorge, die mich quält, den Kummer, der mich verzehrt, wiedergeben konnte! Ich habe nichts weiter als meine Tränen und meine Schreie, doch niemand hört sie... Wo sind die Zeiten, da meine liebe Freundin meinen Schmerz teilte? Heute habe ich niemand mehr; es ist, als sei die ganze Natur für mich tot! Wer weiß, ob Du überhaupt meine Briefe bekommst? Daß ich keine Antwort auf den letzten erhielt, beweist mir, daß man sie Dir nicht gibt und daß man mir nur erlaubt, an Dich zu schreiben, um sich an meinem Kummer zu weiden oder zu erfahren, was ich denke. Ein 26
neues Raffinement, erfunden von der Wut derjenigen, die mich verfolgen! Was soll man von solcher Grausamkeit denken? Versuche zu begreifen, in welchem Zustand sich mein armer Kopf befindet. Eine schwache Hoffnung hatte mich bisher aufrecht gehalten und die erste Zeit meinen furchtbaren Kummer gemildert: doch alles dies zerstört meine Hoffnung, und aus dem Schweigen, in dem man mich läßt, und der Lage, in der ich mich befinde, ersehe ich, daß man mein Verderben will. Würde man so handeln, wenn man mein Bestes wollte? Man muß doch spüren, daß diese Härte mir den Verstand raubt und daß daraus (angenommen, man wolle mich erhalten) nur Unheil entsteht. Denn ich bin überzeugt, daß ich es hier nicht einen Monat aushalte, ohne verrückt zu werden: gerade das bezweckt man ja zweifellos, es stimmt ausgezeichnet mit dem überein, worauf man es in diesem Winter abgesehen hatte. Oh, meine liebe Freundin, ich sehe mein Schicksal nur allzu deutlich voraus! Erinnere Dich an das, was ich Dir bisweilen gesagt habe, daß man mich meine fünf Jahre in Frieden beenden lassen wolle, um dann... Dieser Gedanke quält mich noch zu Tode. Wenn es in Deiner Macht steht, mich darüber zu beruhigen, so tu es doch, ich flehe Dich an, denn mein Zustand ist entsetzlich, ich bin überzeugt, Du würdest Mitleid haben, wenn Du wüßtest, wie mir ist. Ich zweifle auch nicht, daß man darauf hinarbeitet, uns zu trennen; das wird der letzte Streich sein, den man gegen mich führt, sei überzeugt, ich werde ihn nicht überleben. Ich beschwöre Dich, widersetze Dich dem aus allen Kräften, halt Dir vor Augen, daß unsere Kinder die ersten Opfer sein würden. Es gibt kein Beispiel dafür, daß Kinder aus einer zerrütteten Ehe glücklich sein können. Meine liebe Freundin, Du bist alles, was mir auf Erden geblieben ist. Vater, Mutter, Schwester, Gattin, Freundin, Du ersetzest mir sie alle, ich habe nur Dich, verlaß mich nicht, ich flehe Dich an - nicht von Dir will ich den letzten unglückseligen Schlag erhalten. Ob man denn - wenn man in guter Absicht handelt – nicht fühlt, daß man durch diese Strafe alles verdirbt? Macht man sich nicht klar, was die Öffentlichkeit davon denkt? Sie wird sagen: »Er muß schuldig sein, weil er verurteilt worden ist.« Bei einem erwiesenen Vergehen wendet man diese Mittel an, oder um das Parlament 27
zu beruhigen, oder um zu verhindern, daß die Sache an die große Glocke kommt. Wenn es jedoch sicher ist, daß es sich um kein Verbrechen handelt und der Urteilsspruch den Gipfel des Wahnsinns und der Bosheit darstellt, darf man nicht strafen. Denn man würde dann all das Gute zerstören, was hätte geschehen können, wenn das Urteil getilgt und klar bewiesen würde, daß allein die Gnade waltet, daß das Vergehen existiert und man den König gebeten hat, die Strafe zu verhängen, um zu verhindern, daß das Parlament es tat. Ich wette, es hätte nichts Schlimmeres gegen mich unternommen werden können als dies, ich bin dadurch für mein ganzes Leben ruiniert. Damals, vor Jahren, hat Deine Mutter gesehen, daß Militär und Publikum sich nicht irreführen ließen und keine Bestrafung wollten, ob sie nun vom König oder vom Parlament ausging. Aber da sieht man, wie sie ist: wenn sie handeln soll, gibt sie sich preis, läßt sich täuschen, und es endet damit, daß man mir viel mehr Böses zufügt, als sie zuweilen gewollt hat. Das ist die Geschichte vom heiligen Vinzenz, sage ihr, ich lasse sie bitten, sich daran zu erinnern; hier spielt jemand die gleiche Rolle, und wer es ist, das sollte nicht schwer zu erraten sein. Und schließlich, meine liebe Freundin: eine einzige Gunst erbitte ich mir von Dir: Hilf mir sobald als möglich hier heraus, und zwar um jeden Preis, denn ich fühle, ich werde es hier unmöglich aushalten können. Man sagt Dir, daß ich es gut habe, das beruhigt Dich; schön, ich freue mich darüber. Ich will Dir den Irrtum nicht benehmen, weil mir das verboten ist: das ist alles, was ich Dir sagen kann. Denke nur daran, daß ich eine solche Lage wie meine jetzige noch nie ertragen mußte und daß es von Deiner Mutter niederträchtig war, unter den damaligen Umständen1 so an mir zu handeln. Der arme Advokat, der sagte, es sei gegen die Natur, Leid auf Leid zu häufen, kannte Deine Mutter wenig. Ich hoffe auf den glücklichen Tag, der mich von diesen Qualen erlöst, und flehe Dich an, zu erreichen, daß Du mich hier besuchen, mir öfter schreiben kannst, als Du es tust, daß Du mir die Erlaubnis erwirkst, mich nach den Mahlzeiten etwas bewegen zu dürfen - eine Sache, die mir, wie Du 1
Der Marquis kam nach Paris, nachdem er von der Krankheit seiner Mutter gehört hatte. Tatsächlich war sie bereits am 14. Januar 1777 gestorben.
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weißt, notwendiger ist als das Leben -, und daß Du mir umgehend zweimal Bettwäsche schickst. Ich habe seit sechs Nächten kein Auge zugetan und erbreche in der Nacht, was ich am Tage gegessen habe. Bring mich fort von hier, meine gute Freundin, bring mich fort von hier, denn ich fühle, daß ich allmählich eingehen werde. Ich weiß nicht, warum man so grausam gewesen ist, mir mein Feldbett zu verweigern; das wäre doch eine geringe Bevorzugung gewesen und hätte mich wenigstens mein Unglück für einige Nachtstunden vergessen lassen. Schick mir zumindest umgehend meine Bettwäsche. Adieu, meine liebe Freundin, liebe mich so sehr, wie ich leide, das ist alles, worum ich Dich bitte, und glaube mir, daß meine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreicht hat.
BRIEF III
An Madame de Sade [Vincennes, 18. April 1777] Man muß wirklich sagen, meine liebe Freundin, daß alles, was ich mir in meiner gegenwärtigen Lage ausmale, nur Luftschlösser sind und meine Gedanken nur Hirngespinste, die, sobald sie sich bilden, wieder zerfließen. Von sechs Vermutungen wegen einer baldigen Entlassung, auf die sich meine Hoffnung stützte, ist Gott sei Dank nicht eine einzige richtig gewesen. Dein Brief vom 14. April hat sie verscheucht wie die Strahlen der Sonne die Morgenröte. Aber eins ist sicher, so habe ich mir nun zum Trost gesagt: Ich werde nicht eine Minute länger als nötig hierbleiben Es gibt für mich auf der Welt nichts Beruhigenderes als diese Tatsache, und ich werde also sechs Monate hierbleiben, wenn es nötig ist, daß ich sechs Monate hierbleibe. Das ist charmant. Die Leute, die Dir Deine Briefe diktieren, können sich freuen, weil Du solche Fortschritte machst in der Kunst, die Wunden der Unglücklichen zu vergiften. Du hast damit den größten nur möglichen Erfolg. Indes möchte ich Dich darauf aufmerksam machen, daß es äußerst fraglich ist, ob 29
mein Kopf das grausame Leben, das ich führe, noch lange aushält. Ich sehe voraus, man wird das Übermaß an Härte noch bereuen, das bei mir so fehl am Platze ist und meiner Natur so gar nicht entspricht. Es sei zu meinem Besten, heißt es. Ein göttlicher Satz, die simple Sprache triumphierenden Schwachsinns spricht aus ihm. Zum Besten eines Menschen setzt man ihn der Gefahr aus, wahnsinnig zu werden, zu seinem Besten zerstört man seine Gesundheit, zu seinem Besten speist man ihn mit Tränen der Verzweiflung! Ich muß gestehen, es ist mir noch nicht gelungen, das Gute darin zu begreifen und zu empfinden... Sie irren sich, sagen die Dummköpfe ganz ernst. Er muß zur Besinnung kommen. Tatsächlich, das geschieht hier. Aber weißt Du auch, worin diese Besinnung besteht? Ich möchte aus einem Land fliehen, wo der Irrtum eines Augenblicks durch die Verdienste eines Bürgers nicht aufgewogen werden kann, wo die Unvorsichtigkeit wie ein Verbrechen bestraft wird, wo eine Frau, weil sie intrigant und arglistig ist, die Unschuld den eigenen Launen, vielmehr dem eigenen Machtinteresse zu unterwerfen, und vor allem zu verschweigen versteht, was eigentlich gespielt wird. Fern den Peinigern und ihren Helfershelfern möchte ich ein freies Land suchen, um dem Fürsten, der mir Zuflucht gewährt, zu dienen und von ihm zu empfangen, was man mir in meinem eigenen Land nicht gewährt... Gerechtigkeit und Frieden. Das, liebe Freundin, ist meine einzige Besinnung, und ich wünsche den Augenblick herbei, wo ich ihr entsprechend handeln kann. Du sagst, man hat uns getäuscht. Keineswegs ... Ich versichere Dir, ich habe mich nicht eine Minute getäuscht. Erinnerst Du Dich, daß ich einen Moment, bevor diese Bande von Schuften in Dein Zimmer drang und mich, ohne eine Order vorzuweisen, auf Befehl des Königs verhaftete -, daß ich Dir damals sagte, ich glaubte dem beruhigenden Brief Deiner Mutter nicht und wäre überzeugt, daß sie, gerade weil sie Gefühl zeigte, nur an Verrat dachte? Nein, liebe Freundin, nein, ich war zwar durch den Überfall überrascht, aber getäuscht hatte ich mich nur, wenn sich diese Person einmal wirklich als aufrichtig erweisen würde, was höchstwahrscheinlich nie der Fall sein wird. Als ich hierher kam, sagte ich mir wie Cäsar: »Sich einmal im Leben der Gefahr aussetzen, ist mehr wert, als in ewiger Sorge zu leben, wie man ihr ausweichen kann.« Diese Anschauung 30
führte Cäsar in den Senat, wo, wie er wußte, die Verschwörer ihn erwarteten. Ich habe das gleiche getan, und wie er werde ich durch meine Unschuld und meinen Freimut stets größer sein als meine Feinde durch ihre Gemeinheit und ihren Groll. Du fragst mich, wie es mir geht. Es ist jedoch zwecklos, Dir darauf zu antworten; denn wenn ich es tue, wirst Du meinen Brief nicht bekommen. Dennoch will ich versuchen, Dich zufriedenzustellen, und hoffen, daß man mich nicht daran hindert, Dir auf eine Frage zu antworten, die man Dir zu stellen erlaubt hat. Ich bin in einem Turm hinter neunzehn eisernen Türen eingeschlossen und erhalte das Tageslicht durch zwei kleine Fenster, von denen jedes mit zwanzig Stäben vergittert ist. Ungefähr zehn bis zwanzig Minuten am Tage leistet mir ein Mann Gesellschaft, der mir das Essen bringt. Die übrige Zeit verbringe ich allein und weinend ... Das ist mein Leben ... So bessert man hierzulande einen Menschen. So zerreißt die Gesellschaft alle Bande, statt sie fester zu knüpfen, damit der Mensch, der das Unglück hatte, sich von der Tugend zu entfernen, dem Guten wieder zugeführt wird. Anstelle von guten Ratschlägen habe ich meine Verzweiflung und meine Tränen. Ja, meine Freundin, das ist mein Schicksal. Wie willst Du, daß man die Tugend liebt, wenn sie einem in so himmlischen Farben dargeboten wird! Was die Art betrifft, mit der ich hier behandelt werde, so sind die Leute zweifellos um Redlichkeit bemüht... aber so viel kleinliche Misere, so viel Kindereien, daß ich mich zu Anfang auf eine Liliputanerinsel versetzt glaubte, wo die Menschen nur acht Daumen hoch sind und Manieren haben, die ihrem Wuchs entsprechen. Zuerst mußte ich lachen, weil es mir nicht in den Kopf wollte, daß Menschen, die mir im übrigen vernünftig zu sein schienen, sich mit solchen Lappalien befaßten. Dann machte es mich ungeduldig, und schließlich endete es damit, daß ich mir vorstellte, ich sei erst zwölf Jahre alt - das war redlicher, als wenn ich glauben wollte, die anderen seien es -, und der Gedanke, sich in seine Kindheit zurückversetzt zu fühlen, besänftigt ein wenig den Schmerz, den der vernünftige Mensch empfindet, wenn er ein solches Leben führen muß. Einen äußerst liebenswerten Umstand vergaß ich zu erwähnen, nämlich die prompte Weise, mit der man hier jede kleinste Veränderung im Mienenspiel registriert, 31
um die dafür zuständige Person sogleich davon in Kenntnis zu setzen. Zunächst ließ ich mich düpieren. Ich, der kein anderes Vergnügen als Deine Briefe kennt, zeigte eines Tages allzu offen meine Freude über ein Billett von Dir. Wie die, welche das hörten, mich sogleich meine Dummheit fühlen ließen! Von dem Augenblick an war ich entschlossen, ebenso verlogen zu sein wie sie. Ich mache jetzt ein Gesicht, auf dem sich meine Gefühle nicht mehr spiegeln. Nun, mein Herz, hier hast Du denn doch eine erworbene Tugend! Wehe, wenn Du jetzt behauptest, man lernte im Gefängnis nichts! Was den Spaziergang und die Bewegung betrifft, die Du mir rätst, so redest Du wirklich so, als lebte ich in einem Landhaus, wo ich tun kann, was mir gefällt... Wenn man den Hund von der Kette losmacht, verbringt er eine Stunde auf einer Art Friedhof von ungefähr vierzig Fuß im Quadrat, umgeben von fünfzig Fuß hohen Mauern; und diese Gunst wird nicht einmal so oft gewährt, wie es wünschenswert wäre. Du begreifst also - oder solltest es jetzt wenigstens begreifen -, was daraus Übles erfolgt, wenn man einem Menschen die Freiheit läßt, die man den Tieren läßt: er wird sich nicht plötzlich gut aufführen: zum Teufel, sie bezwecken doch nichts anderes, als ihn krepieren zu lassen! In den fünfundsechzig Tagen, die ich hier bin, habe ich fünf verschiedene Male fünf Stunden Luft geschöpft. Vergleiche das mit der Bewegung, an die ich, wie Du weißt, gewöhnt bin und die mir lebensnotwendig ist, und beurteile danach meinen Zustand! Er besteht aus schrecklichen Kopfschmerzen, die mich kaum je verlassen und mich verzehren, aus entsetzlichen Nervenschmerzen, aus Blähungen und einer totalen Schlaflosigkeit - alles Dinge, die früher oder später zu einer ernsten Krankheit führen müssen. Aber was will das heißen, wenn nur die Präsidentin zufrieden ist und ihr dicker Gatte sagt: »Gut, gut, das wird ihn zur Besinnung bringen!« Adieu, mein Herz, laß es Dir gut gehen und lieb mich ein wenig: dieser Gedanke ist das einzige, was meine Leiden mildert. Ich habe noch nichts zum Unterzeichnen bekommen. Wozu machte man mich denn im voraus so ausgiebig auf dieses Gesuch aufmerksam, wenn nun gar nichts erfolgt. Nach dem Auszug, den Du mir übermittelt hast, vermute ich außerdem die größte Verzögerung. Ich werde also um die Erlaubnis bitten, mir einen Anwalt zu 32
nehmen, der sich mit der Sache befaßt. Zunächst muß man diese Erlaubnis haben, dann den Anwalt finden, ihn damit vertraut machen und schließlich ihn handeln lassen... Du siehst, wie sich das verzögert, wie lange es dauern wird! Und dann stellt man sich noch so ehrenwert, als beeile man sich, mich die Papiere unterzeichnen zu lassen, und dabei dauert es doch eine Ewigkeit, Du wirst es erleben. Wirklich, nur eins tröstet mich, daß ich nämlich nicht einen Augenblick länger als nötig hierbleiben werde. Noch einmal adieu, meine liebe, gute Freundin. Es ist ein langer Brief geworden, der Dich vielleicht nicht einmal erreichen wird, weil er nicht à la lilliputienne geschrieben ist. Macht nichts - er wird gelesen werden und den Leuten unter die Augen kommen, an die er vielleicht direkter gerichtet ist als an Dich. Was Du mir von Deinen Kindern erzählst, macht mir Freude. Du zweifelst doch nicht an der Liebe, mit der ich sie umarmen werde, obwohl ich mir - trotz meiner Zärtlichkeit - keine Illusionen darüber mache, daß ich gegenwärtig um ihretwillen leide. Nachdem ich meinen Brief noch einmal durchgelesen habe, ist es mir ganz klar, daß Du ihn nicht bekommen wirst - die Härte und Ungerechtigkeit, die ich erfahre, sind der Beweis dafür. Denn wenn das, was ich erdulden muß, gerecht und unverfänglich wäre, warum fürchtet man dann, es Dich wissen zu lassen? Ich werde Dir erst wieder schreiben, wenn ich eine sichere Antwort von Dir habe. Denn wozu soll ich schreiben, wenn meine Briefe Dich nicht erreichen?
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ZWEITER TEIL 1779 - 1784
BRIEF IV An Madame de Sade [Vincennes, 17. Februar 1779] Ich antworte Dir mit der gewohnten Pünktlichkeit, meine liebe Freundin; nichts wird Dir leichter sein, als meine Briefe zu zählen und zu sehen, ob einer fehlt: Du brauchst nur die Deinen zu zählen. Gewiß, ich bin fähig, Dir zu schreiben, und wenn ich es nicht wäre, würde ich - aus Furcht, Dich zu beunruhigen, weil ich Deine Gefühle für mich kenne - es so einrichten, daß Du es nicht bemerktest. Aber erkläre mir, ich bitte Dich, was Du damit meinst, wenn Du immer sagst: Wenn Du nicht selbst schreiben kannst, laß mir schreiben? Du scheinst zu glauben, ich hätte Sekretäre zu meiner Verfügung: ach, von solchem Aufwand bin ich weit entfernt, kann kaum meinen notwendigsten Bedürfnissen nachkommen! Ein stets sehr eiliger Mann erscheint viermal am Tage in meinem Zimmer, das erste Mal in der Morgendämmerung, um mich zu fragen, ob ich gut geschlafen habe (Du siehst, das heißt, die Aufmerksamkeit auf die Spitze zu treiben); die anderen Male, um mir das Essen zu bringen etc. Aus sieben vollen, runden Minuten bestehen die genau abgemessenen Zwischenzeiten, die er viermal am Tage bei mir verbringt, und dann ist Schluß. Stirb, wenn du willst, vor Langeweile und Kummer; übrigens ist uns das völlig gleichgültig! - Bitte sag mir, wo die Sekretäre herkommen sollen, wenn man so eingeschränkt lebt wie ich! Oder willst Du vielleicht behaupten, Du hättest das nicht geschrieben? …Und wirklich, früher sorgte man viel besser für mich als jetzt; ich ging öfter spazieren, man leistete mir immer Gesellschaft, während ich aß, ich wohnte in einem guten Zimmer, wo ich heizen konnte... Und jetzt, niemand mehr, wenn ich esse; viel weniger Spaziergänge; und eingenistet in dem feuchtesten Zimmer meines Gewahrsams (denn nur davon habe ich meine Kopfschmerzen). Und zu allem noch die Unmöglichkeit, Feuer zu machen. Ich habe, wie Du mich hier siehst, während des ganzen 35
Winters noch nicht einmal geheizt und kann Dir schon im voraus sagen, daß ich es auch künftig nicht tun werde. So steht es, liebe Freundin. Man hat mich im Moment nicht mehr nötig: mein Prozeß ist entschieden. Wenn ich krepiere - um so besser, dann sind sie mich los. Sie würden gewiß nicht böse darüber sein. Und Du willst nicht, daß ich auf das dringlichste bitte, mich hier herauszulassen oder mir wenigstens die Zeit zu sagen, wann das geschehen wird? Ich müßte mein größter Feind sein, wenn ich mich nicht einzig mit diesem Gedanken beschäftigte, müßte so sein, wie sie zu mir sind, alle jene, die mich hierher gebracht haben und die mir den einzigen Trost verweigern, um den ich bitte... Du weißt es nicht, sagst Du! Und wenn Du es nicht weißt, was tust Du, um es für mich zu erfahren? Komm mir um Gottes willen nicht wieder mit solcher Lüge! komm mir nicht wieder damit, denn mein Blut kocht. Ich werde es Ihnen auf die zuverlässigste Art beweisen: seit dem 14. Februar 1777 wußten Sie, daß ich am 14. Juni 1778 vor Gericht stehen würde. Nun, wenn Sie über den ersten Teil meiner Gefangenschaft so gut Bescheid wußten, wie wollen Sie mich davon überzeugen, daß Sie über den zweiten nichts wissen? Aber was rede ich? ... Ach! Sie weigern sich ja gar nicht, es mir zu sagen, und Sie haben es mir auch wirklich auf eine sehr deutliche, drastische Weise beigebracht, indem Sie mich mit unserer Nummer 22 auf die sechzehn Monate hinwiesen. Es gibt nichts so Klares auf der Welt als Samstag den 22. Februar Nr. 3 endlich. Wollte man hiernach bezweifeln, daß der Tag meiner Entlassung der 22. Februar 1780 sein wird, würde man sich einer verhängnisvollen Illusion hingeben. Aber aus Furcht, ich würde nicht ganz davon überzeugt sein, hatten Sie die Güte, mir kurze Zeit darauf drei Blankovollmachten zu schicken, indem Sie versicherten, das sei für drei Jahre, Und nun, wo heute, gerade heute, zwei Jahre vergangen sind und noch eins übrigbleibt, verlangen Sie ganz einfach eine Blankovollmacht. Und Sie meinen, ich sollte noch zweifeln? Nein, nein, nein, ich zweifle keine Minute daran, daß ich noch ein unglückseliges Jahr zu leiden habe. Es hat keinen Zweck, daß Sie das immer wieder breittreten; ich verstehe, ich begreife Sie, frischen Sie diese schreckliche Erinnerung nicht mehr in mir auf. Denen, die sich schändlich 36
benehmen, verzeihe ich ihr Unrecht nie; ich muß versuchen, diese Gedanken zu vertreiben, statt ihnen nachzuhängen. Wenn Ihnen von Anfang an soviel daran lag, mich an diese drei Jahre glauben zu lassen, warum wurde mir dann, als ich es hier sagte, geantwortet: Was für eine Idee! drei Jahre, unmöglich! höchstens ein paar Monate... Das ist ja das Infame, das Abscheuliche, die Ursache meines ganzen Kummers, des ganzen Unglücks meiner Lage. Wäre es nicht unendlich viel menschlicher gewesen, mir meine Illusion zu lassen, weil sie ja doch kein Hirngespinst ist, anstatt sie täglich zu zerstören und eine Hoffnung in mir zu nähren, die man nur in mir erregte, um sich dann an meiner Enttäuschung weiden zu können. Ich wiederhole, diese Handlungsweise ist abscheulich, unmenschlich, boshaft und so grausam, wie Tiger und Löwen sind. Und heute, da ich mehr denn je davon überzeugt bin, daß ich noch ein Jahr zu leiden habe, bezeuge ich es in meinen Briefen: immer wieder singt man das gleiche Lied, man hat die Frechheit, die Gemeinheit, mir zu den zwölf Töpfen Marmelade, die ich im Dezember erbat, zu schreiben: Zwölf Töpfe Marmelade! lieber Himmel, was wollen Sie damit? Sie geben wohl einen Ball? Immerhin ist es kein Unglück, wenn was übrigbleibt. Mit einem Wort, das war - und ist heute noch - das Werk meiner Henker; einen anderen Titel weiß ich nicht für jene, von denen ich die schlimmsten Dolchstiche erhielt. Drei Jahre, sagten Sie mir, und ich stellte mich darauf ein - warum zerstören Sie mir jetzt diesen Wahn? Warum spiegeln Sie mir eine frühere Entlassung vor, wenn es nicht wahr ist? Und endlich, warum freut es Sie, mir immerfort Hoffnungen zu machen, wenn Sie sie mir im nächsten Augenblick wieder zerstören? Das ist ein infames Spiel, über das ich mich bitter beklage; und die es spielen, die sich zu Werkzeugen der Rache anderer machen lassen, geben sich zu einer ganz erbärmlichen, man kann sagen, grausamen Rolle her, denn was habe ich diesen Leuten getan? Dem einen nichts: denn ich hatte ihn nie im Leben gesehen; dem anderen erwies ich Achtung und Höflichkeit… Damit ist für den Augenblick alles gesagt; mögen sie ihre Pfeile für das nächste Jahr schärfen, wenn ihnen meine Illusionen zufällig ein besonders günstiges Ziel bieten. Ich erkläre ihnen, sie können, verdammt nochmal, schreiben was sie wollen; ich bin an ihre widerlichen Lügen gewöhnt und glaube nicht, daß 37
ich eine Sekunde eher als am 22. Februar 1780 entlassen werde. Sprechen wir nicht mehr davon. Ein Satz in Ihrem Brief läßt mich indes einen noch schlimmeren Ausgang vermuten. Nämlich dieser: Es gibt keinen Beweis dafür, daß das, was ich Dir mitgeteilt habe, falsch ist. Aber das, was Sie mir mitgeteilt haben, ist der 22. Februar 1780. Ich versichere und bezeuge, daß ich aus Ihren Briefen nie etwas anderes ersehen oder erraten habe. Sie fügen jedoch folgenden Satz hinzu: Du fragst mich: aber warum hast Du das und das in La Coste gesagt? Ich antworte Dir, daß ich getäuscht worden bin. Aber in La Coste haben Sie erklärt, es sei Ihnen gesagt worden, ich würde hier nach meiner Verurteilung noch drei Jahre bleiben - oder ein Jahr, und die übrigen Jahre im Exil. Jetzt erklären Sie, daß Sie bereuen, mir dies berichtet zu haben. Schlimm genug, denn man bereut nicht, mehr gesagt zu haben, als der Wirklichkeit entspricht, Das heißt, mir eine angenehme Überraschung bereiten! Es ist nicht zu entschuldigen, daß man mich in dieser Hinsicht getäuscht hat... Allein es ist nun mal geschehen. Schlimm genug. Und wenn es schlimm ist, glaube ich doch noch lange nicht, daß ich am 22. Februar 1780 entlassen werde! Ich wäre Ihnen unendlich dankbar, wenn Sie mir diesen Satz erklären wollten, denn er beunruhigt und quält mich grausam. Sag mir bitte, fragst Du die Kanaillen, denen es Vergnügen bereitet, mich auf glühenden Kohlen sitzen zu lassen, indem sie mir den Termin verheimlichen - fragst Du sie manchmal, was sie dabei zu gewinnen hoffen? Tausendmal habe ich es schon gesagt und geschrieben, daß sie, statt zu gewinnen, nur verlieren, statt Gutes zu tun, mir nur das Schlimmste zufügen, daß diese Behandlung gegen meine Natur ist, daß man mir die Möglichkeit und den guten Willen nimmt, mich zu besinnen und also aus der Lage Nutzen zu ziehen. Ich versichere und bescheinige heute, am Ende von zwei furchtbaren Jahren, daß ich mich tausendmal schlechter fühle als damals, da ich herkam, daß mein Gemüt verbittert und streitsüchtig geworden ist, mein Blut tausendmal mehr kocht, mein Kopf tausendmal mehr schmerzt, mit einem Wort, daß ich, wenn ich hier herauskomme, in einem Wald werde leben müssen, weil ich in dem Zustand, in dem ich mich befinde, unmöglich unter Menschen wohnen könnte! 38
- Großer Gott, was würde es mich kosten, zu sagen, es sei zu meinem Besten, wenn es wirklich so wäre? Ach, ihr Herren Apotheker jetzt wo Eure Arzneien bezahlt sind, und zwar zu doppeltem Preis, und wo ich schon zwei Drittel von ihnen eingenommen habe, warum sollte ich dann nicht ihre Wirkung anerkennen, wenn sie eine haben? Glaubt mir, sie machen nur verrückt, und Ihr seid Giftmischer und keine Ärzte, Ihr seid vielmehr Schurken, die gerädert werden müßten, damit Ihr begreift, daß Ihr einen Unschuldigen gefangenhaltet, nur um der Befriedigung Eurer Rache, um Eurer Habgier und Eurer schmutzigen persönlichen Interessen willen! Und ich soll davon auch nur einen Tag schweigen? Ich möchte tausend Tode dafür sterben, daß es wahr ist! Du schreibst, auch andere sind von ihnen betrogen worden und haben kein Wort gesagt... Das sind Tiere, sind Schwachsinnige; hätten sie geredet, hätten sie alle Greuel und Gemeinheiten aufgedeckt, deren Opfer sie waren, dann wäre der König aufgeklärt worden. Er ist gerecht und würde das nicht dulden. Gerade dem Schweigen dieser Leute verdanken die Schufte es, daß sie frei ausgehen. Aber ich werde den König aufklären, ich werde ihm die Augen öffnen, werde mich ihm zu Füßen werfen und ihn um Recht und Gerechtigkeit anflehen für alles, was ich ungerechterweise habe leiden müssen. Oh, Du brauchst mir nicht zu empfehlen, Deine Briefe nicht zu zählen und miteinander zu vergleichen! Mein Ehrenwort, ich tue es nicht mehr. Leider tat ich es, weil ich glaubte verrückt zu werden. Aber lieber ließe ich mich foltern, als wieder damit anzufangen. Sie stellen sich taub wegen der Nr. 22 ... Meine Frage war ganz einfach, aber Sie konnten mich nicht befriedigen; sprechen wir nicht mehr davon. Denken Sie nur daran, daß ich Ihre Zähigkeit nicht vergessen werde...Wenn Sie ein gutes Gedächtnis hätten, würden Sie sich daran erinnern, daß alle diese Schikanen, die man meinem Charakter zugefügt hat, Früchte getragen haben. Der Unterschied zwischen mir, wie ich in La Coste war, nach dem geistreichen Unfug, den man dort trieb, und mir, wenn man mich in Ruhe gelassen hätte ... Hieraus können Sie sehen, wie gut das alles für mich ist! Ich will mich nur auf das berufen, was Sie mir selbst darüber sagten.
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Wenn Milli Rousset 1 nicht sagen kann, was sie nicht weiß, dann soll sie auch nichts sagen: das ist meine ganze Antwort; sie wird mich verstehen. Wenn sie mault, um so schlimmer für sie; ich sehe daraus, wie es um die Freunde dieses Jahrhunderts steht etc. Darf man erfahren, wen Milli Devri geheiratet hat? Milli de Launay2, sagst Du, ist noch nicht verheiratet, und ich werde auf keinen Fall zu ihrer Hochzeit gehen. Sie wird also heiraten, da Du Dir vornimmst, ihrer Hochzeit fernzubleiben? Folglich hat Marais3 doch nicht so gelogen, wie Du behauptest. Aber mich zum Beispiel hat er belogen, als er mir sagte, ich würde nur sechs Monate hier sein. Daran erkenne ich, daß er ein gemeiner Lump ist, denn er wußte wohl, daß es nicht stimmte, und darum war es schändlich von ihm, mir eine so kurze Zeit zu nennen; das heißt: einen Menschen unvorbereitet der schrecklichsten Verzweiflung zuzuführen, wenn er seine Hoffnung betrogen sieht. - Ich antworte nicht auf die Blankovollmacht. Sie ist ein Zeichen. Sie hat gewirkt; schweigen wir darüber. Haben Sie nicht das Geld aus der Provence? Lassen Sie es kommen, wenn Sie es brauchen ; aber ich unterschreibe nichts. Mein ganzer Trost hier ist Petrarca. Ich lese ihn mit reinem Vergnügen, mit einer Begierde, der sich nichts vergleichen läßt. Aber ich mache es wie Madame de Sévigné mit den Briefen ihrer Tochter: ich lese ihn ganz langsam, aus Furcbt, ihn dann gelesen zu haben. Wie gut ist das Werk geschrieben! ... Laura verdreht mir den Kopf; ich bin wie ein Kind, ich lese den ganzen Tag, und nachts träume ich von ihr. Höre, was ich gestern träumte, während alle Welt sich amüsierte. Es war um Mitternacht. Das Buch in der Hand, war ich eingeschlafen. Plötzlich erschien sie mir... Ich sah sie! Der Schrecken des Grabes hatte ihren Reizen nichts anhaben können, und ihre Augen hatten noch das gleiche Feuer wie damals, als Petrarca sie rühmte. Ein schwarzer Flor umhüllte sie ganz, und ihre schönen blonden Haare wallten lose darüber. Es war, als wollte die Liebe, um ihre 1
Siehe Lely, »Leben und Werk des Marquis de Sade«, Düsseldorf 1961, S. 200 f. Fußnote: Milli, familiäre Abkürzung de Sades für Mademoiselle. 2 Ebd. S. 101 ff. 3 Polizeiinspektor.
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Schönheit zu erhalten, die düstere Umgebung mildern, in der sie mir erschien. »Warum seufzest du auf Erden?« fragte sie mich. »Komm zu mir. Kein Leid, kein Kummer, keine Unruhe sind in dem unendlichen Raum, in dem ich wohne. Habe den Mut, mir zu folgen.« Ich warf mich ihr zu Füßen. »Oh, meine Mutter! ... « rief ich schluchzend, und meine Tränen fielen auf die Hand, die sie mir reichte; auch sie weinte. »Als ich noch in der Welt lebte, die du haßt«, fuhr sie fort, »liebte ich es, meine Blicke in die Zukunft zu richten. Ich mehrte meine Nachkommen bis zu dir und sah dich nicht so unglücklich.« Voll Verzweiflung und Zärtlichkeit wollte ich meine Arme um ihren Hals schlingen, um sie zurückzuhalten oder ihr zu folgen und um sie mit meinen Tränen zu benetzen, aber die Erscheinung war verschwunden. Es blieb mir nichts als mein Schmerz. O voi che travagliate, ecco il cammino Venite a me se'l passo altri non serra. Petr . ., Son. LIX. Gute Nacht, liebe Freundin, ich liebe und umarme Dich von ganzem Herzen. Ich beschwöre Dich, habe doch ein klein wenig Mitleid mit mir, denn glaub mir, ich bin unglücklicher, als Du Dir vorstellen kannst. Ermiß alles das, was ich leide, mein Seelenzustand hat die ganze Düsternis meiner Phantasie. Ich umarme selbst die, die mir grollen, denn ich hasse in ihnen nur die Ungerechtigkeit. Am 17. Februar, nach zwei Jahren in schrecklichen Ketten.
BRIEF V An Martin Quiros1 [Vincennes, 4. Oktober 1779] Martin Quiros ... Du spielst den Unverschämten, mein Sohn, wenn ich da wäre, würde ich Dich verhauen...ich würde Dir Deinen Hundsfott von einem falschen Toupet ausreißen, den Du alljährlich 1
Carteron, genannt »La Jeunesse«, genannt »Ritter Quiros«, war der Diener und Schreiber des Marquis.
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mit den Schwanzhaaren der Pferdchen auf der Straße von Courtheson nach Paris erneuerst; wie machst Du das, alter Freund, um das anzuflicken? Na, wie wirst Du das machen? Du wirst herumlaufen wie ein Bauer, der Nüsse abschlägt nach rechts und links, alle diese alten schwarzen Dinger, die des Abends entlang der Rue St. Honoré die Läden zieren, und dann wirst Du das am nächsten Morgen mit etwas Leim auf deine alte finnige Stirn kleben, so daß es nicht deutlicher zu sehen ist als eine Laus auf dem »Kochkessel« eines Luders, nicht wahr, mein Junge ... Also versuch ... versuch ein bißchen zu schweigen, ich bitte Dich, denn ich habe es satt, so lange von der Kanaille beschimpft zu werden. Wirklich, ich mache es wie die Hunde, wenn ich diese ganze Meute von Kötern hinter mir kläffen sehe, hebe ich das Bein und pisse ihnen auf die Schnauze. Verdammt, Du wirst gelehrt wie ein Buch, woher hast Du all diese schönen Dinge? ...diese Elefanten, die Cäsar töten, diesen Brutus, der Rinder stiehlt, diesen Herkules, diese Schlacht von Prunelles und diesen Varius! ... oh: wie schön das alles ist. Du hast das alles eines Abends gestohlen, als Du Deine Herrin zum Souper bei ihrer Patin gebracht hattest. Du stecktest ihr das so wie Du es genommen hattest in ihre Schleppe, und dann tatest Du so wie einer, der Kirschen aß, so daß die arme Marquise am Abend mit Elefanten, Herkulessen und Ochsen im Kleid bei sich anlangte, wodurch sie so gerade und steif aussah, als ob sie nicht die Tochter einer Präsidentin gewesen wäre. Warum erzählst Du mir von schwangeren Frauen, ich habe Dir mein Spiel nicht für dicke Frauen gegeben, sondern für Dich... Bist Du selbst schwanger oder ist es Madame Patulos? oder etwa Milli PRINTEMPS ? Sag mir...sag mir doch, wer bei Euch schwanger ist. Nun, mag sein, wer will, Du erinnerst Dich doch übrigens an mein Lied Ein Glück, daß ich drauf pfeife... also gut, ich singe es sechsmal am Tag und pfeife es viermal. Du altes, mit Brombeersaft verschmiertes Queckengesicht. Pfahl von Noahs Weinberg, Gräte vom Walfischrücken des Jonas, altes Zündholz vom Feuerzeug des Bor…, Talgkerze, von der es zwei Dutzend aufs Pfund gibt, zerschlissener Sattelgurt des Esels meiner Frau. Du hast mir keine Inseln entdeckt, Du wagst es, mir das zu sagen. Du 42
und Deine vier Kameraden der Fregatte backbord, die am Ufer des Hafens von Marseille schaukelt. Ihr habt die Inseln nicht für mich entdeckt und keine sieben Inseln an einem Morgen gefunden? Oh: alter Kürbis, eingemacht in dem Saft der Bettwanze, drittes Horn des Teufelskopfes, Aussehen des Kabeljaus verlängert wie die beiden Ohren einer Auster, Latschen der Makrele, mit den roten Sachen von Milli Printemps beschmutzte Wäsche, wenn ich Dich kriege, wie ich Dich damit abreiben werde, Du dreckige Schnauze eines Bratapfels, der nach verbrannten Maronen aussieht, ich will Dich lehren, so zu lügen. Wie herzig Du tust, weil Du nicht ins Meer kotzt, was soll ich dazu sagen, mein Junge, es ist lange her, daß ich merkte, daß Du den Wein und das Wasser besser verträgst als ich, aber während Du auf dem Deck den Tapferen spielst, muß nur eine Papierschlange kommen, und Du sprängst ins Wasser oder in die Hölle, wenn sie sich unter Deinen Füßen auftäte ... jeder seinen Gebrechen entsprechend, mein Sohn Quiros ... glücklich, wer nicht viele hat. Aber was erzählst Du mir da von Venedig, ich bin nie in Venedig gewesen, es ist die einzige Stadt Italiens, die ich nicht kenne, aber eines Tages werde ich hinfahren, worauf ich hoffe wie auf Patron Raviol, das ist eine andere Sache. Ich kenne ihn, ich hatte die Ehre, drei Wochen lang sein Hauptmann zu sein, und ich erinnere mich, daß wir zusammen die Brücke von Arles attackierten, bei welchem Kampf ich viele von meinen Leuten verlor, auch mußte ich mich zurückziehen - mit Schimpf und Schande und ohne das Ufer zu erreichen. Währenddessen wanktest Du, der nicht schwimmen kann wie ich und aus diesem Grunde den Seekrieg nicht liebt, am Ufer entlang, Deinen Sattel wie eine Schildkröte auf dem Rücken und Deine dicken Stiefel in Ermangelung von Handschuhen in den Händen, wobei Du Dich mit einem gewissen Monsieur Rétif zusammenzutun suchtest, oh: ich habe all diese Heldentaten nicht vergessen. Es freut mich sehr zu hören, daß mein Geschwader auf der Reede war. Ich werde nicht zögern, mich mit meinem Kahn Fracasseur mit ihm zu vereinen, ich erwartete nicht mehr als sechzig oder achtzig Kanonen und vierzig Kugeln, die beim Gießer sind und die ich auf dem Toppsegel anbringen wollte, um ihm ein schreckliches Aus43
sehen zu geben. Und dann werde ich die Segel setzen um in diesem Frühling auf Seefahrt zu gehen. Du sagst also, mein Sohn Martin, ich schreibe nicht nach Deinem Geschmack; höre ein wenig meine Gedanken über dieses Thema. Ich schreibe nur für meine Frau, die meine Schrift, so schlecht sie auch sein mag, sehr gut entziffern kann. Wer keinen Anspruch und kein Recht darauf hat, seine Nase in diese Handschrift zu stecken, die Dir nicht gefällt, den will ich, wenn er mit ihr nicht zufrieden ist, zum Teufel schicken. Willst Du jetzt darüber Bescheid haben, nun gut, da ist er, mein Sohn, und das Männlein und das Weiblein, die das tun und sich nicht im geringsten über den Ort ärgern, an den ich sie schicke, werden mir, wenn sie ehrlich sind, antworten, was der Regent zu einer Frau sagte, die ihm klagte, der Kardinal Dubois habe sie dorthin geschickt, wohin ich diese Leute schicke : Madame, der Kardinal ist ungezogen. Aber er gibt manchen guten Rat. Adieu, Quiros. Grüße Gautruche, wenn Du ihn siehst; sag ihm, ich freute mich über seine unverhoffte Genesung und vor allem vergiß mir bitte nicht Milli PRINTEMPS. Geschrieben am 4. abends, nach Empfang Deines dritten Briefes oder in dieser Minute, wie Milli Printemps sagt.
BRIEF VI An Monsieur Carteron [Martin Quiros] [Vincennes, Anfang Januar 1780] Mit Vergnügen, Monsieur Quiros, ergreife ich die Gelegenheit, Ihnen und allem, was Sie interessiert, zum Jahreswechsel das allerbeste zu wünschen. Endlich vermindern sich meine Schmerzen und mein Unglück, Monsieur Quiros, und dank der Güte und hohen Protektion der Frau Präsidentin de Montreuil hoffe ich, Ihnen übermorgen in fünf Jahren meine guten Wünsche in natura übermitteln zu können. Es leben die guten Beziehungen, Monsieur Quiros! Wenn mein Unglücksstern mein Schicksal mit einer anderen Familie 44
verbunden hätte, säße ich für mein Leben, denn Sie wissen, Monsieur Quiros, in Frankreich wird man bestraft, wenn man es an Respekt für die Huren fehlen läßt. Von der Regierung, vom König, von der Religion kann man Übles reden: das schadet nichts. Aber eine Hure, Monsieur Quiros, Donnerwetter! eine Hure darf man nicht beleidigen, weil sonst die Sartine1 und Maupeou, die Montreuil und andere Anhänger des Bordells sogleich der Hure ihren soldatischen Schutz angedeihen lassen und ihretwegen einen Edelmann mir nichts dir nichts für zwölf oder fünfzehn Jahre einsperren. Daher gibt es nichts Schöneres als die französische Polizei. Wenn Sie eine Schwester, eine Nichte, eine Tochter haben, Monsieur Quiros, dann raten Sie ihr, Hure zu werden; ich wette, sie findet keinen besseren Beruf. Und wirklich, wo kann ein Mädchen besser aufgehoben sein als in einem Stand, wo sie neben dem Luxus, der Wollust, dem unausgesetzten Rausch der Ausschweifung noch einen Beistand, ein Ansehen, eine Protektion genießt wie die ehrbarste Bürgerin? Das heißt die Sitten fördern, mein Freund, und den anständigen Mädchen Abscheu vor der Hurerei beibringen. Bei Gott! wie wahr das ist! Oh, Monsieur Quiros, was für ein Geist in diesem Jahrhundert herrscht! Was mich betrifft, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Monsieur Quiros: wenn der Himmel mir das tägliche Brot für meine Tochter verweigerte, würde ich sie Hure werden lassen, das schwöre ich Ihnen bei allem, was mir auf Erden heilig ist. Ich hoffe, Monsieur Quiros, Sie erlauben mir, Ihnen als Neujahrsgeschenk ein neues Büchlein zu übermitteln, das die Küchenjungen von Madame, Ihrer lieben Herrin, ausgesucht haben und das ihrem Geschmack entspricht. Wirklich, ich glaube, die Lektüre wird Sie interessieren, deshalb will ich Ihnen das Buch gern überlassen. Es ist anonym, doch wie Sie wissen, hängen sich die großen Schriftsteller gern einen Deckmantel um. Wir Laien dagegen suchen die Masken zu lüften, ich glaube, diese hier erraten zu haben, und wenn das Buch nicht vom Lastträger an der Ecke ist, dann bestimmt von Albaret. Dieses Kunstwerk kann keinen anderen Vater haben als einen dieser beiden großen Männer: die Markthalle oder die Ba1
Polizeipräsident.
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soche, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die äußerste Ähnlichkeit dieser beiden Pinsel ist der Grund meines Irrtums: man kann sich da mächtig täuschen; denn es kommt leicht vor, daß man dem einen zuschreibt, was von dem andern stammt. Es ist wie mit den Bildern von Carrachio und Guido; diese beiden berühmten Meister sind sich in ihrer Erhabenheit so ähnlich, daß man manchmal ihre Pinsel verwechseln kann. Alle Wetter! Monsieur Quiros, es ist ein Vergnügen, mit Ihnen über Kunst zu reden. Die Palieri, Albani, die Solimena, Domenico, Bramante, Guerchino, die Michelangelo, Bernini, Tizian, Paolo Veronese, Lanfranc, Espagnolet, Luc Giardino, Calabrese etc., alle diese Leute sind Ihnen bekannt wie die Huren dem Sartine und die Staatsanwälte dem Albaret. In diesem Haus begreift man indes nicht, was ich meine, wenn ich von dem allen spreche. Nur der Herr Leutnant Charles1, ein sehr gebildeter Mann, wird Ihnen, so oft Sie es hören wollen, erzählen, daß die Festung im zwölften Jahrhundert mit Kanonen beschossen wurde. Man hat indes nicht so oft wie man möchte das Glück, mit ihm zu plaudern ... er ist wie Molé2, er spielt nur an besonderen Tagen. Ich habe das hier beigefügte Buch mit einigen den Text erläuternden Anmerkungen bereichert, die Ihnen hoffentlich nicht mißfallen werden, Monsieur Quiros, ich schmeichle mir, daß Sie dieses kleine Geschenk von mir Ihr ganzes Leben aufheben werden. Ich habe auch ein Liedchen hinzugefügt, etwas alt und etwas schlüpfrig, doch wohl geeignet, Sie, Monsieur Quiros, und Ihre Freunde zu ergötzen, wenn Sie in Vincennes, in La Rapée oder in der Redoute ein Kalbsfrikassee oder einen gespickten Hasen essen. Apropos, Monsieur Quiros, tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie mir, ob Sie nach der Mode gekleidet sind, ob Sie Laufschuhe haben und einen Harnisch mit Schnallen und eine Windmühle auf dem Kopf. Ich hätte große Lust, Sie so gekleidet zu sehen, Sie müssen sehr interessant wirken. Neulich wollte ich selbst meinen Kopf mit einer solchen Windmühle bedecken. Sie gehörte dem Herrn Leutnant Charles, der an jenem Tag spielte (es war ein schöner Tag); nun, Monsieur Quiros, ob Sie es glauben oder nicht, ich sah aus wie ein Hahnrei mit diesem Kopf 1 2
Charles de Rougemont, Kommandant des Schlosses von Vincennes. Berühmter Schauspieler des Théâtre-Français.
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schmuck. Na so was, Monsieur Quiros, woran lag diese Ähnlichkeit (denn sie war da)? Lag sie an dem Hut? an meinem Kopf? oder an dem Herrn Leutnant Charles? Das ist eine Frage, die ich Sie entscheiden lasse. Ich wäre Ihnen äußerst dankbar, Monsieur Quiros, wenn Sie mir in Anerkennung meiner Aufmerksamkeit für Sie ein kleines Papiermodell der närrischen Kopfbedeckung Ihres Freundes Albaret schicken wollten. Ich habe eine fixe Idee wie eine schwangere Frau, ich möchte ein Muster dieses Diadems sehen. Bitte lassen Sie sich die Adresse seines Hutmachers geben, denn das erste, was ich nach meiner Entlassung tue, wird sein, daß ich mir bei ihm einen Hut machen lasse. Und die Vergnügungen, Monsieur Quiros, wie steht es mit denen? Qui, de Bacchus ou de l´Amour, Remporte aujourd'hui la victoire? Quoi! ... de les fêter tour à tour Voulez-vous obtenir la gloire? Ich halte Sie für recht tüchtig, und die Weine von Meursault, von Chablis, von der Hermitage, Côte-roti, Lanerte, der Romanée, von Tokay, Paphos, Xeres, Montepulciano, von Falerno und Brie machen Sie lüstern nach dem keuschen Schoß der Demoisellen Pamphale, Aurore, Adélaïde, Rosette, Zelmire, Flore, Fatime, Pouponne, Hyacinthe, Angélique, Augustine und Fatmé. Ausgezeichnet, Monsieur Quiros! glauben Sie mir, das heißt das Leben genießen, wie es sich gehört. Und da der Schöpfer einerseits die Reben und andererseits die ... geschaffen hat, ist es gewiß seine Absicht, uns damit zu erfreuen. Was mich betrifft, Monsieur Quiros, ich habe ebenfalls meine kleinen Freuden, und wenn sie auch nicht so lebhaft sind wie die Ihren, sind sie doch nicht weniger delikat. Ich gehe im Zimmer auf und ab; bei Tisch amüsiert mich (und das ist eine besondere Gnade) ein Mann, der, ohne Übertreibung, regelmäßig zehn Prisen Tabak schnupft, sechsmal niest, sich zwölfmal schneuzt und mindestens vierzehnmal spuckt, und das alles in einer halben Stunde. Können Sie sich vorstellen, daß das nicht besonders sauber 47
und erheiternd ist, noch dazu, wenn ich im Wind stehe? ... Freilich, um mich zu zerstreuen, kommt alle vierzehn Tage ein großer invalider Soldat, der mir den Befehl bringt, weiterzumachen, und alle Jahre spielt der Herr Leutnant Charles den Unverschämten als Zeichen. Sie können es mir wirklich glauben, Monsieur Quiros, diese Wonnen sind die Ihren wert: die Ihren verstricken Sie ins Laster, die meinen führen mich zur Tugend. - Fragen Sie, fragen Sie die Frau Präsidentin de Montreuil, ob es auf der Welt ein besseres Mittel gibt als Schloß und Riegel, um einen zur Tugend zu führen. Ich weiß wohl, es gibt Esel - wie Sie, Monsieur Quiros (bitte entschuldigen Sie) -, die behaupten, man könne das Gefängnis einmal versuchen, doch sei ein zweites Mal, falls das erste nichts geholfen hat, sehr gefährlich. Aber diese Behauptung ist plump, Monsieur Quiros. Überlegen wir einmal gründlich: das Gefängnis ist das einzige Heilmittel, das wir in Frankreich kennen; demnach kann das Gefängnis nur heilsam sein, und weil es das ist, muß es auf jeden Fall benutzt werden. - Es hat jedoch nichts genützt, weder beim ersten, noch beim zweiten oder dritten Mal... Man wird Ihnen antworten, das sei ein Grund, um es ein viertes Mal zu versuchen; nicht das Gefängnis sei schuld - weil wir zwar nicht bewiesen, aber festgestellt haben, daß es gut ist -, sondern es liege an dem Gefangenen, und darum müsse er wieder eingesperrt werden. Der Aderlaß ist gut gegen das Fieber; wir kennen in Frankreich nichts Besseres; folglich ist der Aderlaß unübertrefflich. Aber, Monsieur Quiros, wer zum Beispiel zarte Nerven oder dünnes Blut hat, bei dem richtet er nichts aus: da muß man versuchen, etwas anderes zu finden! Keineswegs, wird der Arzt antworten, wir haben festgestellt, daß der Aderlaß vortrefflich gegen das Fieber ist. Monsieur Quiros hat Fieber: also muß man ihn zur Ader lassen. Sehen Sie, das heißt vernünftig folgern... Sehr viel klügere Leute als Sie, Monsieur Quiros, der Sie ein Dummkopf sind (entschuldigen Sie bitte), sagen dazu: Heiden! Atheisten! Ungläubige! wie könnt Ihr die Krankheiten des Körpers mit denen der Seele verwechseln! Spürt Ihr nicht, daß zwischen ihnen kein Zusammenhang besteht? Der Beweis dafür sind Sie, Hurenbock und Trunkenbold, Ihre Seele ist des Teufels, während ihr Leib in der Gruft von Saint-Eustache modert! Zwischen 48
Seele und Leib besteht also ein großer Unterschied, folglich kann man das eine nicht gleichermaßen wie das andere kurieren. Außerdem verdiene ich daran, wenn ich Sie zur Ader lasse: pro Schnitt bekomme ich soundsoviel; also muß ich Sie zur Ader lassen. - Und ich, Sartine, verdiene, wenn ich Sie ins Gefängnis bringe. Ich bekomme soundsoviel für jeden Gefangenen, also müssen Sie eingesperrt werden. Was haben Sie auf diese Logik zu antworten, Monsieur Quiros? Glauben Sie mir, schweigen Sie und mischen Sie sich nicht ein mit Ihren abgedroschenen Einwänden: das Gefängnis ist die schönste Einrichtung der Monarchie... Wenn ich meinen Schwiegersohn nicht weiterhin im Gefängnis belassen hätte, wird die Präsidentin de Montreuil zu Ihnen sagen, hätte ich dann die verschiedenen 5 und 3 und 8 verheiraten können? Hätte ich die 23 und die 9 zusammenbringen und es so einrichten können, daß mehr als vierundzwanzig Zahlen übereinstimmen, wenn meine Tochter ihren Gatten das erste und das letzte Mal besucht und wenn sie ihn dann abholt? - He, Sie Tölpel! wird die Präsidentin fortfahren, hätte ich das tun können, wenn ich das Glück meines Schwiegersohns, seine Heilung und seine Rückkehr zur Tugend erstrebte? Und wiegen die Kombinationen der Zahlen nicht all diese albernen Ratschläge auf, die Sie mir da geben? Glück, Tugend, Heilungen, das sieht man alle Tage. Aber die Übereinstimmung der Zahlen, die Zusammenhänge, die Ähnlichkeiten, das bringen nur mein Günstling Albaret und ich fertig. - Angesichts dieser tiefgründigen Beweisführung, Monsieur Quiros, lassen Sie die Arme sinken, Ihr breiter Mund grinst von einem Ohr bis zum anderen, Ihre rechte Augenbraue kommt der linken entgegen, Ihre Nase bläht sich, auf Ihrer Stirn perlt Schweiß, Ihre Knie biegen sich einwärts, und begeistert rufen Sie aus: Habe ich nicht immer gesagt, daß dieses Weibsbild mehr Verstand hat als ich und mein Vetter Albaret auch! Nun, Monsieur Quiros, husten, schnupfen, spucken, furzen Sie und überraschen Sie mich: Margot macht Biribi.
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BRIEF VII An Madame de Sade [Vincennes, 20. Februar 1781] Mein großer Brief Ich glaube wirklich, liebe Freundin, Sie wollen mir vor Ihrem Götzen einen ebenso tiefen Respekt einflößen, wie Sie ihn empfinden. Weil Sie vor dieser ganzen Sippschaft auf dem Bauch kriechen, verlangen Sie daß ich es genauso mache! daß ein*** und ein*** und ein*** und ein*** und ein*** und*** für mich Götter wären, weil sie es für Sie sind! Leider haben Sie sich diese Idee in den Kopf gesetzt ich bitte Sie dringend, reißen Sie sie wieder heraus! Auch im Unglück werde ich mich nie erniedrigen; Auch in Ketten habe ich nicht das Herz eines Sklaven, (Les Arsacides) und werde es niemals haben. Würden mich diese unglückseligen Ketten, ja, würden sie mich ins Grab bringen, ich bliebe dennoch stets derselbe. Ich habe das Unglück, vom Himmel eine starke Seele bekommen zu haben, die sich nie gebeugt hat und es auch nie tun wird. Ich fürchte niemand, wer es auch sei. Zu viele Beweise geben Sie mir, daß meine Zeit hier festgesetzt ist, als daß ich daran zweifeln könnte: folglich hängt es von niemand ab, sie zu verlängern oder zu verkürzen. Und wäre es anders, würde ich trotzdem nicht von diesen Leuten abhängen, sondern vom König, und er ist der einzige im ganzen Land, den ich respektiere ihn und die Prinzen seines Blutes. Alles, was unter ihnen steht, erscheint mir so plump, so gleichförmig, daß es unter diesen Umständen besser ist, gar nicht weiter nachzuforschen, weil die Überlegenheit auf meiner Seite ist; die riesige Langeweile, die da erzeugt wird, würde mir nur eine große Enttäuschung bereiten. Sie müssen es doch selbst empfinden, daß es unmöglich ist, bei dieser Behandlung auch noch von mir zu verlangen, ich solle mich nicht beklagen. Fassen wir doch einmal kurz zusammen: Wenn eine Gefangenschaft so lange dauert wie die meine, ist es dann nicht einfach eine Gemeinheit, meine Qual hier noch zu verstärken mit 50
alledem, was Ihre Mutter ausgeheckt hat? Wie? Genügt es nicht, einem alles geraubt zu haben, was das Leben schön und angenehm gestaltet, genügt es nicht, daß man nicht einmal die frische Himmelsluft atmen darf, daß alle Wünsche von vier Mauern abprallen und daß die Tage verrinnen, als sei man lebendig begraben? Indes meint die schreckliche Person, damit sei es noch nicht genug: was ihre Phantasie sich nur ausmalen kann, muß getan werden, um die Haft noch strenger zu gestalten. Geben Sie zu, nur ein Ungeheuer ist fähig, die Rache so weit zu treiben... Ach, alles das besteht nur in Ihrer Einbildung! werden Sie sagen. Man tut ja nichts; in Ihrer Lage bilden Sie sich allerhand Hirngespinste ein. Hirngespinste? In meinem Merkbuch habe ich 56 Beweise der Art aufgezeichnet, wie ich Ihnen einen zitieren werde, ich greife nur einen einzigen heraus, und Sie werden sehen, ob nicht die Wut, welche die Aktionen dieser Megäre diktiert, immer größer wird und ob man das noch Hirngespinste nennen kann. Wenn ein Gefangener auch Grund zu der Annahme hat, der Zeitpunkt seiner Befreiung sei noch fern, ist es doch verständlich, wenn er die geringsten Anzeichen für einen früheren Termin begierig aufgreift. Das ist natürlich und kein Unrecht, man darf ihn deshalb nicht strafen, man muß ihn bemitleiden. Es ist doch eine offensichtliche Grausamkeit, mit allen Mitteln seinen Irrtum zu bestärken. Man müßte sich um das Gegenteil bemühen, die Menschlichkeit (wenn es eine gäbe) müßte dem Herzen diktieren, das empfindliche Gefühl des Unglücklichen nicht so [zu verwunden]; denn was ist im allgemeinen die Ursache eines Selbstmords? getäuschte Hoffnungen. Man darf die Hoffnung nicht begünstigen, wenn sie nicht begründet ist; wer das tut, ist wahrhaftig ein Ungeheuer. Die Hoffnung ist die sensibelste Substanz in der Seele des Unglücklichen. Wer sie in ihm erregt, um sie gleich wieder zu zerstören, der gleicht den Quälgeistern der Hölle, die - so sagt man -Wunde auf Wunde unablässig erneuern und sich der bereits zerfleischten Teile besonders annehmen. Sie sehen, das tut Ihre Mutter mit mir seit vier Jahren: Monat für Monat Hoffnung über Hoffnung. Wenn ich die Leute hier höre, wenn ich Ihre Sendungen, Ihre Briefe prüfe, immer muß ich auf der Hut sein. Und dann gibt es plötzlich einen Dolchstich, einen 51
gutgezielten Stoß. Dieser bösen Frau scheint es Vergnügen zu bereiten, mich Kartenhäuser bauen zu lassen, um sie mir dann sogleich wieder über den Haufen zu werfen Sie werden mir zustimmen, daß unter allen Gefahren, die der Hoffnung drohen - angesichts der großen Wahrscheinlichkeit, daß sie sich ins Gegenteil verkehrt und der Gewißheit, daß sie sich für den Rest des Lebens als falsch erweist -, die Gefahr eines letzten Verzweiflungsaktes eminent ist. Ich habe keinen Grund, auch nur einen Augenblick zu bezweifeln, daß gerade dies ihr einziges Ziel ist. Da es ihr nicht gelang, mich umzubringen, indem sie mich fünf Jahre lang in der schrecklichen Lage hielt, in der ich vor der Haft war, hat sie nur überlegt, in den nächsten fünf Jahren mit sicheren Mitteln darauf hinzuarbeiten. Aus der Vielfalt der Beweise, daß es ihr ein barbarisches Vergnügen bereitet, mich, nachdem sie mich aufgerichtet hat, wieder niederzuschlagen, wähle ich den allerneuesten, um Sie zu überzeugen. Vor etwa sechs Monaten schickten Sie mir einen Vorhang für mein Zimmer, immer wieder bat ich darum, ihn aufzuhängen, man wollte es nie. Was mußte ich daraus schließen? Es lohnt nicht mehr die Mühe, ihn anzubringen. Da sehen Sie die neu erweckte Hoffnung, die man bestehen läßt, bis zu dem Augenblick, wo man glaubt, das Kartenhaus sei nun fertig - in diesem Augenblick wird der Vorhang aufgehängt, und schon liegt das Kartenhaus am Boden. So ist das Vergnügen der Frau Präsidentin de Montreuil beschaffen, das ist ihre angenehme Beschäftigung seit vier Jahren, gemeinsam mit ihren Helfershelfern, die ihr, wenn sie ihre Geschenke oder ihr Geld bekommen haben, zu Diensten sind, sich jedoch gründlich über sie mokieren (wenigstens hat mir das Marais versichert, der eifersüchtig ist, daß er nicht dazugehört). So gibt es, genau berechnet, 56 Manöver dieser Art - abgesehen von dem, was mich erwartet. Nicht, daß ich 56 verschiedene Male mir meine Befreiung schon für morgen vorgestellt hätte, Gott behüte! ich hätte mein Leben mit Zählen verbringen müssen, es fehlte noch, daß ich das täte (Sie haben Proben von ernsthafteren Beschäftigungen), aber ich habe genau beobachtet und dabei festgestellt, daß sie wahrscheinlich abgesehen von dem vierten Kartenhaus in Spanien, das ich gebaut habe und das zweifellos, wie weit es auch entfernt sei, umfallen wird 52
wie die drei anderen -, daß sie abgesehen von diesem vierten, sage ich, wahrscheinlich dabei mitgewirkt hat, mir noch mehr als 56 weitere zu zerschlagen. Ich frage Sie, ist das das Benehmen einer klugen Frau, einer Frau von Geist, einer Frau, die - schließlich auch um der Bande willen, die uns aneinanderknüpfen - meine Qualen hätte lindern können, statt sie zu vermehren? Aber sie ist beleidigt, sagen Sie. Zunächst verneine ich es, sie war nur verletzt, weil sie es sein wollte, und sie selbst ist schuld an dem, was sie als einen gegen sie persönlich gerichteten Angriff betrachtet. Doch nehmen wir an, sie sei es wirklich gewesen: muß sie sich denn rächen? Eine so fromme Frau, die äußerlich ihre religiösen Pflichten so gut zu erfüllen scheint, darf sie das erste und wesentlichste aller Gebote mißachten? Gestehen wir ihr gleichwohl noch die Rache zu - gut, ich will es tun eine so lange, so harte Gefangenschaft, ist das nicht Rache genug? Muß sie noch härter gemacht werden? Oh! Sie irren sich! fahren Sie fort, alles das war nötig, es wird uns nutzen – Nutzen! Wahrhaftig, im guten Glauben, ich werde morgen freigelassen, wagen Sie zu sagen, es werde mir nutzen, und fürchten nicht, von mir für maßlos unverschämt gehalten zu werden? Jemanden vier oder fünf Jahre ins Gefängnis zu werfen wegen einer Mädchengeschichte, wie sie sich in Paris täglich hundertmal wiederholt! Und ihm dann zu sagen, er könnte froh sein, mit fünf Jahren Gefängnis davonzukommen, und es sei nur zu seinem Besten, wenn er derart gequält worden sei! Nein, ich verzichte auf diese Ansicht, denn sie empört mich zu sehr, und ich bin überzeugt, Sie werden es nie wagen, ebenso zu denken. Kehren wir einen Augenblick zu der dummen Affäre mit den Mädchen zurück, die, wie ich von hier aus erkenne, diejenigen wild gemacht hat, die darüber erbost sind, daß sie mich nicht all der Verleumdungen überführen können, die sie über mich in Umlauf gesetzt haben. Alle meine Abenteuer schrumpfen bis auf drei zusammen. Ich spreche nicht von dem ersten, es bezieht sich einzig und allein auf die Frau Präsidentin de Montreuil, und wenn jemand bestraft werden müßte, dann sie. Aber Leute, die hunderttausend Livres Einkommen haben, werden in Frankreich nicht bestraft. Die kleinen Opfer, die unter ihnen leben, wirft man der Gefräßigkeit dieser Bestien vor, die sich von dem Blut der Unglücklichen nähren. 53
Die kleinen Opfer verlangt man von ihnen, und dann sind sie quitt. Darum bin ich im Gefängnis. Das zweite Abenteuer ist das von Marseille. Ich glaube, es wurde festgestellt, daß es sich nur um eine Ausschweifung gehandelt hat und daß alles reine Erfindung war, was man dem Gericht mitzuteilen für angemessen hielt, um die Rache meiner Feinde in der Provence und die Habgier des Kanzlers zu befriedigen, der meinen Posten für seinen Sohn wollte. Somit glaube ich es durch die Gefangenschaft von Vincennes und das Exil von Marseille gebüßt zu haben. Kommen wir nun zum dritten. Ich bitte Sie im voraus um Entschuldigung wegen der Ausdrücke, die ich benutzen muß; ich werde sie nach besten Kräften mildern und mich kurz fassen. Übrigens kann man sich, wenn es nötig ist, unter Ehegatten ruhig etwas freier ausdrücken als gegenüber Unbekannten oder irgendwelchen Freunden. Auch wegen der Geständnisse bitte ich um Entschuldigung, ich möchte jedoch lieber, daß Sie mich für einen Wüstling als für einen Verbrecher halten. Hier ist nun meine Schuld, völlig ungeschminkt, ohne daß ich ein Jota verschweige. Da man mich gezwungen hatte, meine Zeit allein in einem einsamen Schloß und fast immer ohne Sie zu verbringen, und da es eine kleine Schwäche von mir ist (ich muß es gestehen), daß ich die Frauen vielleicht etwas zu sehr liebe, habe ich mich in Lyon an eine Kupplerin gewandt und zu ihr gesagt: Ich möchte drei oder vier Dienerinnen mitnehmen, sie sollen jung und hübsch sein; verschaffen Sie mir solche Mädchen. Diese Frau, es war Nanon, denn diese Nanon war in Lyon die offiziell anerkannte Kupplerin - sollte es nötig sein, werde ich es bestätigen -, verspricht mir die Mädchen und gibt sie mir. Ich nehme sie mit und bediene mich ihrer. Nach sechs Monaten kommen Eltern, um ihre Töchter zurückzuholen, und versichern, es seien ihre Kinder. Ich gebe sie ihnen; und plötzlich entsteht gegen mich ein Prozeß wegen Entführung und Notzucht! Aber nun kommt die größte aller Ungerechtigkeiten. Hier das Gesetz - Monsieur de Sartine hatte die Freundlichkeit, es mir eines Tages selbst zu erklären, er wird sich daran erinnern können: Es ist in Frankreich einer Kupplerin ausdrücklich verboten, Jungfrauen zu liefern, und wenn das gelieferte Mädchen eine Jungfrau ist und 54
klagt, wird nicht der Mann verantwortlich gemacht, sondern die Kupplerin, die auf der Stelle streng bestraft wird. Aber selbst wenn der Mann eine Jungfrau verlangt hätte, würde er nicht bestraft werden: er tut nur das, was alle Männer tun. Noch einmal: es ist also die Kupplerin, die sie ihm gegeben hat, obgleich sie sehr wohl wußte, daß es ihr ausdrücklich verboten war. Demnach ist diese erste, in Lyon gegen mich erhobene Anklage auf Entführung und Notzucht ungesetzlich; ich bin nicht schuldig, die Kupplerin, an die ich mich gewandt hatte, hätte bestraft werden müssen, nicht ich. Doch von ihr war nichts zu gewinnen, von mir dagegen hofften die Eltern Geld zu bekommen. Fahren wir fort. In Arcueil hatte ich ein primitives Abenteuer, nach dem eine verlogene, boshafte Frau, um mir Geld abzuluchsen (was man ihr törichterweise auch bezahlte), in ganz Paris verbreitete, ich mache Experimente, und der Garten meines Hauses sei ein Friedhof, in dem ich die Leichen einscharrte, die mir zu Versuchen gedient hätten. Diese Behauptung klang äußerst abenteuerlich; sie kam der Wut meiner Feinde allzu gelegen, als daß diese sie nicht in all die Suppen getan hätten, die sie mir einbrockten. Infolgedessen war auch die Affäre von Marseille ein Experiment, das ich machen wollte, und auch in dieser hier war zweifellos ein Experiment, vorgenommen an den Mädchen, die angeblich nicht wieder erschienen. Wenn jedoch die These richtig war, weil sie nicht wieder nach Lyon kamen, dann hätten sie ebensowenig irgendwo anders wieder auftauchen dürfen. Untersuchen wir die Sache näher. Man weiß, es waren fünf Mädchen aus Lyon. Eine von ihnen, erschreckt durch die Verborgenheit, in der sie gehalten wurde (nicht um Experimente an ihr vorzunehmen, sondern weil der Anstand mich dazu verpflichtete), flüchtete und kam zu meinem Onkel. Ihr Schicksal ist bekannt. Eine zweite blieb ganz offiziell in meinem Dienst und starb dort eines natürlichen Todes vor den Augen der ganzen Provinz; sie wurde im Dorf zur Schau gestellt, nachdem sie von dem öffentlichen Gesundheitspfleger betreut worden war. Also wieder ein bekanntes Geschick. Zwei der Mädchen wurden Vater und Mutter zurückgegeben: zwei weitere Schicksale, über die man Bescheid weiß. Die Fünfte schließlich, die laut gedroht hatte, sie werde wie ihre Kameradin flüchten und aller55
hand ausplaudern, wenn man sie noch länger in der Einsamkeit ließe, die jedoch keine Eltern besaß, die sie abholten, war von mir einem Bauern aus La Coste übergeben worden, den ich, wenn nötig, nennen werde und den Sie gut kennen. Er wollte das Mädchen nach Marseille bringen, wo sie einen Dienst bei einem Verwandten von ihm antreten sollte. Sie wurde hingebracht, und ich erhielt ein Zeugnis, daß sie in guten Händen sei; ich werde es bei Bedarf gern vorzeigen. Nachher erfuhr ich dann, daß die Person jenes Haus verlassen hatte und Dirne geworden war. Hiermit ist die Existenz der fünf Mädchen von Lyon festgestellt, und zwar so klar, daß der geschickteste, verschlagenste Jurist mir nicht das Gegenteil beweisen könnte. Fahren wir fort. Drei andere Mädchen - in einem Alter und in Verhältnissen, daß sie nicht von ihren Eltern zurückverlangt werden konnten - haben vorher oder nachher ebenfalls auf Schloß La Coste gewohnt. Erzählen wir ihre Geschichte, und wenn sie auch eine Generalbeichte werden sollte. Denn es ist meine Absicht und ich will mein Möglichstes tun, den kleinsten Verdacht zu entkräften, daß alle diese Greuel wahr sind, die man mir andichtet und die Madame de Montreuil, leichtgläubig wie sie ist, als Waffen dienen, die sie für ihre Rache braucht. Das erste dieser drei Mädchen hieß Du Plan und war Tänzerin am Theater von Marseille. Ganz offiziell, ohne Inkognito, wohnte sie als Haushälterin im Schloß und verließ es ebenso offiziell. Später fand ich sie am Theater von Bordeaux wieder, danach lebte sie, wie mir auf meiner Reise nach Aix erzählt wurde, in einem Städtchen in der Provinz. Also auch ihretwegen keine Sorge. Die zweite kam aus Montpellier und hieß Rosette. Sie lebte ungefähr zwei Monate verborgen auf dem Schloß. Dann aber langweilte sie sich und wollte fort. Wir kamen überein, sie solle an einen ihr bekannten Mann in Montpellier schreiben, der von Beruf Tischler und, ich glaube, ihr Hauswirt in besagter Stadt war. Dieser sollte sie am Fuß der Schloßmauer abholen; Stunde, Ort, Tag und Treff, alles war erklärt. Am genannten Tag erschien er denn auch, und das Mädchen wurde ihm von mir selbst übergeben. Die bereits genannte Marie (das Mädchen aus Lyon, das in meinem Dienst geblieben war) trug ihr Bündel und übergab es dem Mann. Er hob das Mädchen und ihre 56
Habe auf ein mitgebrachtes Maultier, erhielt von mir 6 Louisdor eine Summe, die das Mädchen bei mir verdient hatte und die ich ihm auf ihre Bitte übergab -, und der kleine Trupp entfernte sich. Das geschah im Juni 1775. Im Oktober 1776 mußte ich, wie Sie wissen, vierzehn Tage in Montpellier verbringen und brachte von da das dritte Mädchen mit. Besagte Rosette lebte damals in Montpellier, der Beweis dafür ist, daß ich sie sah, sie sah in jeder Weise, oder anständiger ausgedrückt: in des Wortes wahrster Bedeutung, und sie war es, die diese dritte, Adélaïde, dazu veranlaßte, mit mir zu kommen und zu tun, was sie getan hatte. Dabei versicherte sie ihr vor zwei oder drei Frauen - die vielleicht nicht alle anwesend sein werden, wenn es soweit ist, daß ich mich rechtfertigen kann -, sie versicherte ihr also, daß sie, abgesehen von der Einsamkeit, mit allem, was ich täte, zufrieden sein könnte. Allein an ihrer Empfehlung lag es, daß ich die andere, die mich nicht kannte, bekam, denn sonst wäre sie gewiß nicht mitgekommen. Adélaïde langt also an und bleibt bis zu dem dritten Skandal von Madame de Montreuil. Es ist verbürgt, daß der Postmeister von Courthézon sie damals zurückbrachte; das Schicksal der dritten ist also ebenfalls genau festgestellt. Zwei oder drei andere Mädchen, als Köchin und Küchenmädchen, ebenso viele wie die, welche wir in Paris zu uns nahmen, haben zu wiederholten Malen auf Schloß La Coste gewohnt, aber es waren so wenige, und ihr Kommen und Gehen geschah in aller Öffentlichkeit, so daß es sich nicht verlohnt, darüber zu reden. Unter ihnen war auch eine Nichte dieser Kupplerin Nanon, sie wurde in ein Kloster gesteckt. Madame de Montreuil hat sie da herausgenommen, sie weiß demnach, was aus ihr geworden ist. Das ist alles. Hier haben Sie meine Generalbeichte, die ich auch, wenn ich sterbe, vor Gott ablegen werde. Was ist nun das Resumee von alledem? Zweifellos legt man Monsieur de Sade die größten Greuel zur Last, da man ihn so lange in einem Zustand läßt, den zu hassen er allen Grund hat. Aber Monsieur de Sade will hernach die Wahrheit an den Tag bringen, nachdem er schon zweimal bewiesen hat, was die boshaften Verleumdungen der Öffentlichkeit gegen ihn zustande brachten. Er will zeigen, daß er in dieser letzten Sache wie in allen anderen keine 57
Proben und Experimente vorgenommen und keinen Mord begangen, sondern nur das getan hat, was alle Welt tut, daß er mit Mädchen verkehrt hat, die bereits alle verführt und ihm von einer Kupplerin zugeführt worden waren, daß also das, was er tat, mit Verführung nichts zu tun hat und daß man ihn gleichwohl bestraft und leiden läßt, als habe er die größten Verbrechen begangen. Kommen wir nun zu den Beweisen, die man ihm entgegenhält: 1. Die Geständnisse der schuldigen Kupplerin: doch sind die persönlichen Gründe, die diese Frau hatte, um sich zu rechtfertigen, so schwerwiegend, daß man sich kaum zu fragen braucht, warum sie den Angeklagten, den sie als ihren Komplicen betrachtete, so schwer belastete. 2. Das Verschwinden der Mädchen: Ich wette meinen Kopf und verliere ihn ohne Bedauern, wenn man mir das beweisen kann. 3. In einem Garten gefundene Totenknochen: Sie wurden von dem Mädchen Du Plan dorthin gebracht; sie lebt, man kann sie fragen. Man hat sich damit vergnügt (ob gut oder schlecht, das stelle ich anheim), ein Kabinett mit den Knochen zu schmücken; sie wurden wirklich dazu benutzt und dann, als man das Vergnügen, oder vielmehr die Plattheit satt hatte, in den Garten gebracht. Wenn man Zahl und Art der gefundenen Knochen mit der Liste vergleicht, die mir die Du Plan gab und die sie aus Marseille mitgebracht hatte, dann wird man sehen, ob ein einziger mehr gefunden worden ist. Alle diese Untersuchungen und Vergleiche sind dennoch wesentlich in einer Sache wie der vorliegenden: aber hat man sich die Mühe gemacht, auch nur eine einzige Untersuchung vorzunehmen? Oh nein! nicht die Wahrheit war hier wichtig, sondern daß ich ins Gefängnis kam - und da bin ich. Aber eines Tages hoffe ich herauszukommen, und dann wird man mir vielleicht so viel Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich mich verteidigen kann und daß man dann gerade jene verurteilen muß, die mich so behandelt haben. Sollte ich jedoch gegen ihr Geld und ihre Protektionen nicht aufkommen, möge es mir dann wenigstens vergönnt sein, sie öffentlich zu beschimpfen und zu beschämen. Fahren wir fort; ich will nichts unterschlagen. Was kommt zu diesen Beweisen noch hinzu? Das Zeugnis eines Kindes? Aber dieses Kind war ein Bedienter: in seiner Eigenschaft als Kind und als Bedienter 58
kann ihm nicht geglaubt werden. Außerdem sind hier andere Interessen im Spiel: dieses Kind war der Sohn einer Mutter, die glaubte, wenn man ihn hundert Scheußlichkeiten sagen ließe, würde sie sich damit gesicherte Einnahmen verschaffen können: sie wußte von den hundert Louis von Arcueil. Aber, wird man mir vielleicht entgegenhalten, woher wußten Sie, daß die Aussage des Jungen Sie belasten könnte? Er hatte also gesehen, er wußte also Bescheid, und deshalb mußten Sie seine Geständnisse fürchten? So höre ich Sie sagen, und gerade das zeigt die ganze Niedertracht. Zunächst, wer muß das Kind fürchten, weil er weiß, daß es wieder befragt werden wird, und zwar in der gleichen Weise und durch Leute der gleichen Art wie die, welche bereits in Lyon Lärm geschlagen hatten? Erster Grund für meinen Argwohn, der Junge werde sich nach dem Beispiel der anderen und zu dem gleichen Zweck was ausdenken. Doch das ist nicht alles, und nun kommt das, was ich wußte und was mir auf meiner Reise in die Provence bestätigt worden war von jemand, der viel zu gut Bescheid zu wissen schien, als daß man seine Auskünfte anzweifeln durfte. Ich habe ihm mein Ehrenwort gegeben, ihn nicht zu kompromittieren, und so werde ich seinen Namen auch nicht nennen. Aber ich gebe mein Wort auch dafür, daß seine Mitteilungen nicht ewig ein Geheimnis bleiben werden. Wenn er zur Zeit meiner Entlassung tot ist, bin ich nicht mehr verpflichtet und kann seinen Namen nennen; lebt er aber noch, so [kann ich] fast überzeugt sein, daß er mich von meiner Verpflichtung entbindet, und dann werden Sie erfahren, wer er ist. Um es besser zu verdeutlichen, spreche ich mit seinen eigenen Worten: »Sie haben alles zu befürchten, Monsieur«, sagte er zu mir, »sogar Ihre bereits beendete Affäre von Aix. Das Kind, das Sie im Jahre 1775 als Sekretär bei sich hatten, wurde, nachdem es das Schloß verlassen hatte, mit seiner Mutter in Häusern in Aix untergebracht, um dem Herrn Generalstaatsanwalt zur Verfügung zu stehen, und da - das kann ich Ihnen so positiv versichern, als hätte ich es selbst mitangehört - hat man ihm dies und das, was es sagen sollte, in den Mund gelegt. Monsieur de Castillon fürchtete, die Sache sei beigelegt - nämlich Ihr Angriff auf seinen Vetter, Monsieur de Mende, der Ihnen in Marseille dieses ungerechte Strafverfahren eingebrockt hatte. Alles, 59
was man ihm unterdessen über Paris berichtet hatte, beunruhigte ihn, weil er Ihre Absichten weder kennen noch erraten konnte; und da er voraussah, daß besagter Monsieur de Mende verloren sein würde, wenn Sie Gegenbeschuldigungen vorbrächten, war er froh, gegen Sie vorgehen zu können; der Mutter und dem Kind wurde ein Lügengespinst eingeredet, man gab ihnen Geld, und sie sagten und schrieben, was gewünscht wurde. Monsieur de Castillon, der sich als ein Mann ausgab, der ungern Wunden schlägt und nichts übereilen möchte, verständigte Ihre Frau Schwiegermutter, und gemeinsam ließen sie Mutter und Sohn nach Paris reisen, reichlich mit Geld versehen, voller Zukunftshoffnungen und so gut einstudiert, daß sie gewiß in Paris die gleichen Dinge gesagt haben, die ihnen in Aix beigebracht worden waren.« - So wurde mir berichtet, ich gebe mein Ehrenwort darauf, und zwar von jemand, der es wissen muß. Ich bin überzeugt, daß er mir, wenn etwas Besonderes eintreffen sollte, eines Tages erlauben würde, seinen Namen zu nennen, und dann werden Sie sehen, ob ich mein Wort gehalten habe. So stehen in einer derart wichtigen Sache eine Kupplerin und ein Kind gegen mich; eine Kupplerin, die das größte Interesse daran hat, die Schuld auf mich abzuwälzen, und ein Kind, das offensichtlich von meinen schlimmsten Feinden für sich gewonnen worden ist. Das ist eine ganz klare Schlußfolgerung, die mit einer Schuld meinerseits nichts zu tun hat. Besitzen Sie nicht deutliche Beweise, wie gut man in Aix an meinem Untergang zu arbeiten verstand, als man ihn wollte? Wenn die erste Affäre in Aix Ihnen so klare Beweise bot, warum weisen Sie dann die zurück, welche die zweite jetzt liefern könnte? Sie müssen zugeben, daß meine Folgerung einleuchtet und für mich sehr günstig ausfällt. Sagen Sie, gingen Sie gern wieder in einen Wald, in dem Ihnen das erste Mal der Geldbeutel abgeschnitten wurde? Und wenn er Ihnen ein zweites Mal geraubt wird, haben Sie dann nicht Grund, anzunehmen, daß es dieselben Diebe sind? Wäre ich Madame de Montreuil, hätte mir das allein genügt, alle aus dieser Stadt gegen meinen Schwiegersohn gerichteten Denunziationen zurückzuweisen. Weiter: es bleibt noch etwas übrig, und ich will, daß alles erledigt wird. Man hat in meiner Brieftasche drei Dinge gefunden – oder 60
finden können -, die gegen mich zeugen. Ich will sie alle drei erklären. Das eine ist ein Rezept, um eine schwangere Frau, die ihr Kind nicht haben will, von der Frucht zu befreien. Ich gebe zu, es war unrecht und zweifellos unvorsichtig von mir, so etwas aufzuheben. Ich hätte gewiß nie Gebrauch davon gemacht und hatte nicht die Absicht, es jemals zu benutzen. Ich bin in meinem Leben ein paar Frauen begegnet - ich erkläre mich nicht näher -, die stichhaltige Gründe zu haben glaubten, das Ergebnis ihrer Verfehlungen zu verheimlichen [und] sich deshalb zu einem solchen Verbrechen gezwungen sahen. Sie gestanden es mir ein und vertrauten mir zugleich an, daß Fachleute an ihnen Prozeduren vornahmen, die ich für lebensgefährlich hielt. In Italien hörte ich von diesem Rezept, das man in meiner Brieftasche fand, und da es mir harmlos und ungefährlich zu sein schien, habe ich es aus Neugier kopiert. Ich glaube, ein vernünftiger Mensch würde überhaupt nichts dabei finden, jedes Kind weiß, daß Wacholder die gleiche Wirkung hat. Das zweite Papier war die Folge einer Diskussion mit dem kleinen Doktor in Rom. Er behauptete, die Alten hätten die Geburtszange mit diesem Mittel vergiftet, das er mir diktierte. Ich widersprach ihm und sagte, ich hätte von ganz anderen Dingen gelesen. Wir waren auf dieses Thema gekommen, nachdem wir zusammen im Arsenal der Engelsburg antike, vergiftete Waffen gesehen hatten. Da ich in meiner Beschreibung von Rom einige Worte darüber einfügen wollte, schrieb ich seine Meinung auf und versprach, falls ich sie wiederfände, ihm die Bestätigung der meinen zu schicken und mich schließlich in meiner Abhandlung für das Wahrscheinlichste zu entscheiden. Ich habe das Rezept auch tatsächlich gefunden, und zwar in einem der Bücher, die Sie mir geschickt haben, im vierten Band der Histoire des Celtes. Es handelt sich um ein Kraut, das linveum heißt, nach Plinius und Aulus-Gellius Helleborus; die Alten rieben damit das Eisen ein, das sie vergiften wollten. Ich hätte mich für das von mir vertretene Verfahren entschieden. Das ist die Erklärung für jene Aufzeichnung, die bei mir gefunden wurde. Ist es nicht eine läßliche Sünde? Doch jetzt kommt das Wichtigste: eine vollständige Beichte; sie 61
betrifft Dinge, die denen sehr ähnlich sind, die Ihnen zur Last gelegt wurden. Tatsächlich; ein schrecklicher Beweis, man kann sagen, in diesem Fall handelt es sich fast um die schwarze Messe. Sie wissen ja wohl davon und kennen die Geschichte von Calas und viele andere ähnliche; an ihnen können Sie lernen, daß man nicht nach dem Augenschein urteilen und die Leute nicht bestrafen darf, ohne sie gehört zu haben, noch dazu in einem Land, das auf seine Gesetze und seine Regierung schwört, weil sie frei von inquisitorischer Bedrückung sind - kurz, in einem Land, in dem Sie keinen Bürger einsperren dürfen, den Sie nicht zuvor gehört haben oder der nicht zumindest nachher die Möglichkeit hat, sich zu rächen und Sie zu bestrafen. Ja, um wen es sich auch handeln möge, begreifen Sie es und hören Sie, was ich Ihnen zu diesem wichtigen Dokument zu sagen habe. Es ist das Geständnis eines Unglücklichen, der gleich mir in Italien Zuflucht suchte. Er dachte an keine Rückkehr; aber als er sah, daß ich Vorkehrungen traf, die Alpen wieder zu überschreiten, übergab er mir seine eigenhändig geschriebene Beichte und bat mich, sie in Frankreich zu zeigen und ihm eine Antwort zu übermitteln. Ich versprach es ihm. Zwei Tage später flehte er mich an, ihm das Schriftstück zurückzugeben, da es gegen ihn zeugte; er wollte es umschreiben lassen, fand jedoch niemand, der Französisch schrieb. Ich wollte ihm einen Gefallen tun und schrieb das Ganze mit eigener Hand ab, wobei ich nicht daran dachte, was für ein Schicksal das Schreiben haben könnte. Auch hierfür gebe ich mein Ehrenwort und werde, wenn es nötig sein wird, authentische Beweise dafür herbeischaffen. Das sind alle meine angeblichen Verbrechen, das habe ich Ihnen entgegenzuhalten, und ich schwöre, ich werde es so überzeugend beweisen, daß man sich der Wahrheit unmöglich verschließen kann. Schuldig bin ich demnach nur der simplen, puren Ausschweifung, die alle Männer betreiben, je nach Maßgabe ihres Temperaments, mehr oder weniger abhängig von dem, was sie von der Natur erhalten haben. Jeder hat seine Fehler, wir wollen nicht vergleichen; meine Peiniger kämen dabei vielleicht nicht gerade gut weg. Ja, ich gestehe, ich bin ein Wüstling; alles, was man sich auf diesem Gebiet vorstellen kann, habe ich mir vorgestellt, aber ich 62
habe durchaus nicht alles getan, was ich mir vorgestellt habe, und werde es auch nie tun. Ich bin ein Wüstling, aber ich bin kein Verbrecher und kein Mörder. Und wenn man mich zwingt, meine Beweisführung und meine Rechtfertigung nebeneinanderzustellen, dann werden meine ungerechten Richter ihre Bosheiten vielleicht nicht durch so gute Taten ausgleichen können, wie ich es kann, wenn ich meine Irrtümer meinen Taten gegenüberstelle. Ich bin ein Wüstling, aber drei Familien, die in unserem Viertel wohnen, haben fünf Jahre von meinen Almosen gelebt, ich rettete sie aus der äußersten Not. Ich bin ein Wüstling, aber einen Deserteur, den sein Regiment und sein Oberst verlassen hatten, habe ich vom Tode errettet. Ich bin ein Wüstling, aber vor den Augen Ihrer ganzen Familie habe ich in Évry unter Einsatz meines Lebens ein Kind gerettet, das unter den Rädern eines von scheuenden Pferden gezogenen Wagens zermalmt zu werden drohte. Ich bin ein Wüstling, aber die Gesundheit meiner Frau habe ich nie gefährdet. Und keineswegs habe ich mich mit all den anderen Arten der Ausschweifung abgegeben, die für das Glück der Kinder oft so verhängnisvoll sind: habe ich meine Kinder durch Spiel oder andere Ausgaben geschädigt, die ihr Erbteil hätten schmälern oder gar verschlingen können? Habe ich meine Güter schlecht verwaltet, soweit sie mir zur Verfügung standen? Kurz, habe ich in meiner Jugend erkennen lassen, daß mein Herz einer Verruchtheit fähig ist, wie man sie mir heute andichtet? Habe ich nicht stets alles das geliebt, was ich lieben, was mir teuer sein sollte? Habe ich nicht meinen Vater geliebt? (ach, ich beweine ihn noch täglich) habe ich mich gegen meine Mutter schlecht benommen? und wollte ich nicht ihre letzten Seufzer auffangen und ihr ein letztes Zeichen meiner Anhänglichkeit geben, als Ihre eigene Mutter die Gelegenheit benutzte, mich in diesen entsetzlichen Kerker sperren zu lassen, in dem ich seit vier Jahren schmachte? Mit einem Wort, man soll mich von meiner frühesten Kindheit an prüfen. Zwei Personen, die sie miterlebt haben, befinden sich in Ihrer Nähe, Amblet und Madame de Saint-Germain. Ich denke zurück an meine Jugend, die ich unter den wachsamen Augen des Marquis de Poyanne verbrachte. Wenn man bis zu der Zeit zurückgeht, in der ich heiratete, mag man fragen 63
und sich danach erkundigen, ob ich je Proben einer Grausamkeit gegeben habe, wie man sie mir jetzt andichtet, und ob etwa einige dumme Streiche die Vorboten jener Verbrechen waren, die mir heute zugeschrieben werden: es mag sein wie es will; Sie wissen, das Verbrechen hat seine Grade. Wie kann man also annehmen, ich sei nach einer so unschuldigen Kindheit und Jugend plötzlich auf dem Gipfel aller nur denkbaren Scheußlichkeiten angelangt: nein, Sie glauben es selber nicht. Sie, die Sie mich heute so grausam quälen, glauben es nicht. Zwar hat die Rachsucht Ihren Sinn verbittert, Sie sind ihr blind ausgeliefert, aber Ihr Herz kennt das meine, es urteilt besser, und es weiß genau, daß ich unschuldig bin. Eines Tages werde ich mit Freuden erkennen, daß Sie mit mir übereinstimmen, aber das Geständnis erlöst mich nicht von meiner Qual, und ich werde nicht weniger gelitten haben... Mit einem Wort, ich will mich rechtfertigen, und ich werde es tun, wenn die Zeit gekommen ist, daß man mich hier herausläßt. Wenn ich ein Mörder bin, hat man mich zu gering bestraft, und wenn ich es nicht bin, viel zu hart, und ich werde das Recht haben, Rechenschaft zu fordern. Das ist ein langer Brief, nicht wahr? Aber ich mußte ihn schreiben, ich war ihn mir schuldig für den Verlauf der vier Leidensjahre, die nun verstrichen sind. Hier ist er; er klingt, als läge ich im Sterben. Sollte der Tod mich überraschen, ohne daß ich den Trost gehabt habe, Sie noch einmal in die Arme zu schließen, sende ich Ihnen mit meinem letzten Atemzug die Gefühle, die in diesem Brief ausgedrückt sind - so wie jene letzten, die Sie Ihrerseits für ein Herz aufbringen, das zumindest Ihre Achtung mit ins Grab zu nehmen verlangt. Verzeihen Sie seine Verworrenheit; er ist weder gewählt ausgedrückt noch geistreich: Sie ersehen aus ihm nur die Natur und die Wahrheit. Damit er Sie erreicht, mache ich einige Namen unkenntlich, die am Anfang stehen, und bitte inständig, man möge ihn Ihnen zustellen. Sie brauchen mir nicht im einzelnen zu antworten, teilen Sie mir nur mit, daß Sie ihn erhalten haben, meinen großen Brief: so werde ich ihn nennen, ja, so werde ich ihn nennen. Und wenn ich Ihnen wieder von den Gefühlen spreche, die er ausdrückt, werden Sie ihn wieder lesen... Verstehst Du mich, meine Freundin? Du wirst ihn wieder lesen und wirst sehen, daß der, 64
welcher Dich lieben wird bis zum Tode, ihn mit seinem Blute signieren wollte. de Sade Am 20. Februar [Begleitkarte] Es kommt nicht oft vor, daß ich so umfangreiche und für meine Rechtfertigung so notwendige Briefe schreibe, und es wird gewiß auch nicht wieder vorkommen. Darum bitte ich diejenigen, durch deren Hand dieser Brief geht, ihn meiner Frau richtig zustellen zu wollen. Ich hoffe, sie werden es tun und mich nicht glauben lassen, daß sie so wichtige Briefe wie diesen zurückhalten, Briefe mit einem Wort, in denen ich mich rechtfertige. Denn wenn sie sie zurückhalten und ihre Zustellung verhindern, geben sie mir das Recht, mich eines Tages über diese Behandlung zu beklagen, sie zu brandmarken und das offensichtliche Interesse aufzudecken, das man zweifellos an meiner Gefangenschaft hatte, weil man sich den mir zur Verfügung stehenden Rechtfertigungsmöglichkeiten, durch die ich eine Verkürzung meiner Haft erstrebte, widersetzte.
BRIEF VIII An Madame de Sade [Vincennes, 21. Mai 1781] Es ist ergötzlich zu sehen, wie Sie Ihre Anordnungen und Vorbereitungen treffen, nur daß Sie dabei die Bosheit zu sehr zeigen, finde ich. Sonst wären sie köstlich. Untersuchen wir sie näher. Sie (oder die Ihren) möchten etwas unternehmen, was meine Qualen vermindert oder sie beendet. Sie sind sich indes nicht im klaren über den Ausgang der Sache. Er kann gut, er kann auch schlecht sein: schön, warum mir dann davon erzählen? Am besten, man läßt mich wie ich bin, und alles geht weiter seinen Gang. - Hat Ihr Unternehmen Erfolg gehabt? Wenn es mißglückt ist, bleibt alles, wie es war. Nun gut, wenn alles, was Sie zu tun versprachen, wahr 65
gewesen wäre, dann hätten Sie gewiß getan, was die Vernunft in solchen Fällen diktiert. Sie tun aber das Gegenteil, und ich durchschaue den Betrug, habe von Anfang an durchschaut, daß mir nur ein fetter Köder hingeworfen werden sollte. Seit dem 3. oder 4. April schrieb ich es Ihnen, doch hat sich seitdem wenig geändert. Der Besuch von Monsieur Le Noir wurde nur gemacht, um den Schein zu wahren. Einem Juristen, den man für respektabel hält, meint man sein Wort glauben zu können, wenn er sagt: Ihre Not ist zu Ende, Ihre Schuld gesühnt. Er hat mich getäuscht. Aber was tut das? Er hat sich viel mehr erniedrigt als ich, denn vom Betrogenen zum Betrüger ist ein großer Unterschied, der bestimmt nicht zum Vorteil des Betrügers ausfällt. Indessen läßt sich das alles ganz klar zusammenfassen. Gerichtspersonen, Verwandte, Geschäftsleute, Freunde, Kammerdiener oder Kommandanten (was dasselbe ist), sie alle reden im Grunde im gleichen Ton; das Instrument hat nur eine einzige Saite, und sie wird von allen gleich angeschlagen. Die einen (ich spreche von den Unterstrichenen1 ) tun es als die guten, dicken Tölpel, die sie sind, die anderen mit etwas mehr Kunstsinn, aber der Akkord ist immer der gleiche, der Einklang heißt: wir müssen ihn belügen, recht gemein belügen! Das ist das Resultat; es ist immer noch der Brief des Comte de La Tour, den ich beim Kommandanten von Miolans entdeckte: die Präsidentin de Montreuil, die den Minister dazu überredet hat, ihr alle Monsieur de Sade betreffenden Entscheidungen zu überlassen, will, daß er von morgens bis abends getäuscht wird; folglich müssen Sie ihm unaufhörlich sagen, seine Gefangenschaft gehe ihrem Ende entgegen. Es ist klar, daß gemäß einer so fatalen Kombination der Plan darin besteht, mich zu betrügen und sich zehn bis zwölf Jahre lang über mich lustig zu machen. Meine Antwort darauf lautet: Es gibt nur einen einzigen abgefeimten Schurken und Lügner wie Monsieur de S.2, der zu einer solchen Schändlichkeit raten konnte, nur von einem Lumpen wie ihm, der (was ich eines Tages beweisen werde) mehr als zweihundert Unschuldige in Ketten oder sonstwie sterben ließ, konnte ein solcher Rat ausgehen. Nicht zufrieden damit, meine früheste Jugend zer1 2
Siehe Fußnote auf Seite 25. Der Polizeipräsident Sartine.
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stört zu haben, hofft er auch noch das Ende meines Lebens dem Anfang gleich zu machen, damit er sich gratulieren kann, den Henker gespielt zu haben, er, der die Qualen eines Damiens 1 verdiente, er, der einen Unglücklichen aufs Rad flechten ließ, einen bewiesenermaßen Unschuldigen, der mit den Worten starb: Ich werde die Schandtat meines Anklägers vor Gottes Richterstuhl bezeugen, er wird mich richten - bemerkenswerte Worte, die ich, wäre ich der König, auf seine Karosse gravieren ließe, falls es ihm in den Sinn käme, eine solche zu haben und sich von seinen Vorfahren zu unterscheiden, die glücklich waren, wenn sie für ein paar Sous die Unglücklichen in den Gefängnissen der Inquisition von Madrid verprügeln durften. Das ist der schändliche Kerl, mit dem ich es zu tun habe. Ihre Mutter wußte wohl, warum sie sich mit solcher Begeisterung an ihn wandte: er hatte bereits genugsam bewiesen, daß er mein Feind war und ihr nur Ratschläge geben würde, die ihrer Rachsucht dienten. Diese ganze Strafe, die nicht bessert, sondern den Betroffenen nur noch mehr zur Empörung reizt, ist ein sinnloses Bubenstück; vor dem gesunden Menschenverstand und der Vernunft sind seine Urheber tausendmal schuldiger als ihr Opfer. Diese These ist zu klar, als daß sie widerlegt werden könnte. Nun, was dürfen wir hoffen? Und was glauben Sie mit all Ihren Bemühungen erreichen zu können, damit ich meinen Lebensmut und meinen Humor nicht ganz verliere und so falsch, böse und ruchlos werde wie Sie alle? Denn wenn meine Vergleiche auch hinken, Sie müssen zugeben, daß sie stimmen; was Sie für mich tun, ist nichts anderes, als was man mit Hunden tut, um sie noch schärfer zu machen. - Wir verstehen es ausgezeichnet, Sie zu gängeln, wenn wir nur wollen. Wir brauchen nur die Rede auf Ihre Entlassung zu bringen, und darum schicken wir Ihnen Monsieur Le Noir2. Er machte Ihnen Hoffnung, und Sie wurden sanft wie ein Lamm. – Das ist Ihr System, nicht wahr? Meinetwegen seien Sie stolz darauf! Weiter habe ich Ihnen nichts zu sagen. Kurz, für meine Fehler gibt es Beispiele genug; im Vergleich dazu hat meine Bestrafung auf der Welt nicht ihresgleichen. Sie ist rechtswidrig, ungesetzlich in allen Punkten und kann weder vom 1 2
Damiens verübte ein Attentat auf Ludwig XV. Als Polizeipräsident Nachfolger Sartines.
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König noch von einem höchsten Gerichtshof verhängt worden sein, infolgedessen muß ich Gerechtigkeit erflehen und, wenn sie mir verweigert wird, mich nach Ihrem Beispiel selbst rächen. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, Monsieur Le Noir zu sehen. Ich schätze ihn zu hoch, daß ich sein Gewissen noch mit einer weiteren Ungerechtigkeit belasten möchte. Eines Tages wird er es mir danken. Mit Ihnen ist es etwas anderes; Sie wiederzusehen, ist mein größter Wunsch. Seit Sie mir davon sprechen, muß es Ihnen doch hundertmal erlaubt oder verweigert worden sein. Wenn ich Sie vor Pfingsten nicht mehr zu sehen bekomme, werde ich überzeugt sein, daß das mit dem Gerede von der Entlassung nur eine Farce ist, und werde mich mit meinen Maßnahmen danach richten. Sehen Sie zu, was Sie mich darüber glauben lassen. Oder kommen Sie - und dann ist es klar, daß ich wirklich entlassen werde. Monsieur Le Noir hat nichts geändert, nichts hat sich geändert, seit zehn Jahren ist alles festgelegt, die Tage und Zeiten bestimmt, die Lügen geplant, die Farcen einstudiert, und das alles hat sich seither nur noch etwas mehr verschärft, je älter Ihre Mutter wurde, je verlassener sie sich in der Welt fühlte (die übrigens nie viel Wesens von ihr gemacht hat) und je näher sie dem Grabe rückt. Es scheint, als wolle sie, gleich der Natter, vor dem Tode noch ihr ganzes Gift verspritzen. Gut, dann soll sie sich wenigstens beeilen, ehe wir von alledem verpestet werden, was an Gift in ihren Eingeweiden übrigbleibt. Sie soll sich beeilen, ihre boshafte Seele auszuhauchen und dem Staub zu überantworten. Sie schreiben, meine Gefangenschaft mache in der Provence den schlechtesten Eindruck. Ja, davon bin ich überzeugt; das brauchen Sie mir nicht zu sagen, wofern Sie mir mit dieser Freundlichkeit nicht etwas Balsam auf die Wunde träufeln wollen. Nun ja, und weil dem so ist, begreife ich nicht, daß es Ihrer Mutter Vergnügen bereitet, ihren Enkelkindern den Vater zu rauben. Und Sie wollen, daß ich sie nicht ein Scheusal nenne? Wen werden Sie jetzt in der Provence davon überzeugen, daß das Exil von Marseille nicht eine Verbannung aus der Provinz gewesen ist? - Oh, man hat Mittel benutzt, ja, Mittel, um die Provenzalen am Sprechen zu hindern! Wenn Sie die herausfinden, sind Sie sehr schlau: mir selber, das kann ich Ihnen sagen, mir ist es egal; meine Absichten sind stets 68
dieselben und haben sich nicht geändert. Einmal draußen, werde ich bald ganz anders als meine Landsleute denken, denn ich werde weit weg von ihnen sein. Dem, was ich über Milli Rousset sagte, habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Nachdem sie drei Jahre auf mich gewartet hatte, konnte sie wohl noch weitere drei Jahre warten - wenn das nämlich der Zeitpunkt meiner Entlassung sein soll, was mir der Besuch Le Noirs zu beweisen scheint, der die Angewohnheit hat, immer dann bei mir zu erscheinen, wenn die Hälfte meiner Haftzeit vergangen ist. Das heißt mich glauben machen, ich sollte noch hundert Jahre hier bleiben, und das ist schändlich von ihr, anders kann ich es nicht nennen. Kommen Sie mir nicht mit der Ausrede: Es ist Ihre Schuld, daß Sie noch nicht entlassen sind. Man hat Ihnen Montélimart angeboten, Sie brauchten nur hinzugehen... Ihr Montélimart war ein Märchen, es beruhte nicht auf Wahrheit; um das zu beweisen, akzeptiere ich es und bin bedingungslos bereit, in Begleitung oder nicht, hinzugehen. Dann werden wir ja sehen, ob es ein Märchen ist oder nicht. Ich erwähne das nicht, um zu sondieren oder um festzustellen, was daran wahr ist, sondern ich bitte jetzt wirklich darum, mich nach Montélimart zu schicken, weil ich in diesem scheußlichen Haus nicht bleiben möchte, wo die Bosheiten und Kränkungen ihren Höhepunkt erreicht haben. Weil ich nun mal im Zuge bin, will ich drei ganz frische Beispiele anführen. Kürzlich hatte ich Lust, Lammfleisch zu essen, das zu dieser Jahreszeit auf den Tischen der einfachen Leute zu finden ist. Ich ließ es mir für mein Geld kaufen. Na, was sagst Du zu der Knauserei? Gestern hörte ich, wie über junge Erbsen gesprochen wurde, und da mir in diesem Jahr noch keine aufgetischt worden waren, bat ich darum. Ich bekam einen Fraß von trockenen Erbsen vom vorigen Jahr und aß sie trotzdem mit einer Gier, als seien es frische, weil ich sie mir so sehr gewünscht hatte. Darauf hatte ich zweimal vierundzwanzig Stunden einen Durchfall, daß ich glaubte, ich müsse sterben, und die jungen und zarten Schoten waren doch eine solche Wohltat für mich gewesen. Willst Du noch ein anderes, noch krasseres Beispiel hören? Seit drei Jahren bekomme ich fauliges Wasser aus der Zisterne, das wie die Pest stinkt, Monsieur 69
de Rougemont dagegen hat köstlich frisches Wasser aus dem Fischweiher. Aber dieses Wasser kostet einiges, und wenn man es den Gefangenen lieferte, gäbe das ein paar Taler weniger im Jahr von dem Geld, das der Lump ihnen stiehlt. Und dann noch eins: Glaubst Du, fünf oder sechs Briefe und ebenso viele Gespräche könnten diesem Spitzbuben folgendes verständlich machen? Das gewöhnliche Essen des Hauses besteht aus täglich fünf Gerichten, einschließlich Suppe, und zwar aus fünf Gerichten, die selbst der Teufel nicht fressen würde; sie werden so widerlich zubereitet, damit mehr für die Schließer übrigbleibt, mit denen der Koch unter einer Decke steckt. Ich habe gebeten, mir von diesen fünf Gerichten nur zwei zukommen zu lassen, dafür aber zwei wirklich gute, für die das ganze Geld verwendet wird, das sich sonst auf die fünf erstreckt. Mir scheint, so ist es richtig. Wenn meine Familie für meine Ernährung 6 Livres täglich zahlt, kann ich verlangen, daß diese 6 Livres, abzüglich der Wäsche, ganz für diese beiden Gerichte eingesetzt werden, weil ich ja nicht mehr als diese zwei zu mir nehme. Wenn Sie das ablehnen, Herr Kommandant, dann gibt es nur eins von beiden: entweder meine zwei Gerichte werden so schlecht wie die fünf zubereitet, und dann stehlen Sie mir die drei übrigen, die ich nicht esse, oder Sie lassen zu, daß Ihr Koch mit Ihren Schließern unter einer Decke steckt, um mich zu bestehlen. Ein Mittelding gibt es nicht. - Sehen Sie, deshalb hat Monsieur de Rougemont diese meine Forderung nie verstehen wollen. Die zwei Gerichte sind ebenso schlecht wie die fünf, das beweisen die Erbsen, an denen ich zu krepieren glaubte. Ich bitte Dich, beschwer Dich für mich bei Monsieur Le Noir, oder ich werde, wenn Du mir nicht Genugtuung verschaffst, selbst an ihn schreiben, daß dieser kleine Halunke von Rougemont, wenn er nur ein bißchen Anstand im Leibe hat, vor Scham erröten muß. Mach Monsieur Le Noir klar, daß ich gar keinen Wein trinke, keine Kerzen benutze, nur halb soviel Möbel habe wie andere, keine Wäsche aus dem Gefängnis etc., ich wünsche also und kann mit Recht verlangen, daß mit Ausnahme meiner Wäsche und ohne Profit für den Gefängniswärter das ganze für meine Ernährung bestimmte Geld für nur zwei Gerichte benutzt wird, die dann wenigstens eßbar sein müssen. Denn noch einmal: 70
diese Mißgeburt, dieser Bastard, dieser garstige Zwitter, dieser Viertelengländer muß wissen, daß er mir nicht nur auf der Nase herumtanzen oder herumtanzen lassen darf. Natürlich, der kleine Halunke wird zweifellos sagen: Aber Sie selbst machen uns Schwierigkeiten. Sie müssen uns das bezahlen. - Darauf habe ich zweierlei zu erwidern: erstens, die Präsidentin hat die Streiche zu bezahlen, weil sie sie spielen läßt, und zweitens rate ich ihr, sie recht knauserig zu bezahlen, weil sie schlecht gespielt werden. Wenn mir zum Beispiel einer eine Frechheit zu sagen hat, dreht er sich zur Seite, um mir nicht ins Gesicht lügen zu müssen, und ein anderer (der Favorit!), der mir ebenfalls eine versteckte Bosheit verabfolgt, mit der der Hauptmann ihn am Morgen betraut hat, pufft seinen Kameraden in die Seite zum Zeichen, daß er jetzt lügen wird, und zwar auf Befehl, und daß der andere also dasselbe sagen muß... Toren! mich beeinflussen zu wollen, mich! Und die arme Präsidentin, die sich in der Hoffnung wiegt, es werde ihr gelingen! Oh! Rougemont, das ist etwas anderes; sein Spiel ist kitzliger, raffinierter. Er ist wahrhaftig der einzige von der ganzen Truppe, der mindestens seine zwanzig Sous je Vorstellung wert ist; man könnte sogar bis dreißig gehen, an Tagen, wo er überfressen und noch mit vollem Munde kauend ankommt und, während sich die Bissen in seiner Kehle stauen, mit Mühe hervorwürgt. Aber nein, sage ich! Sie tun mir unrecht. Sie glauben, die Worte sind da, daß man sich verständigt, aber nicht doch: Glauben Sie kein Wort von dem, was ich mir erlaube, Ihnen zu sagen, denn es hat keinen Sinn. Aber nein, sage ich… Und dann übermannt ihn der Schlucken und läßt ihn nicht wieder los. Sie müssen zugeben, es gehört eine Lammsgeduld dazu, und ich muß mir meine Lage immer wieder vergegenwärtigen, um ihn nicht mit einem Tritt in den Bauch aus meinem Zimmer zu befördern. Aber es rächt sich alles, ich gebe ihm mein Wort darauf. Wie dem auch sei, erlauben Sie mir, mit einem Satz zu schließen, den der gesunde Menschenverstand diktiert: der Liederlichkeit und der Bosheit kommt es nicht zu, die Liederlichkeit zu bessern oder zu strafen; das ist allein Aufgabe der Tugend, der reinsten Tugend. Der Präsidentin de Montreuil, der Kusine, Nichte, Verwandten, Gevatterin und Patin all der schmierigen kleinen Bankrotteure von 71
Cadix und Paris, der Nichte eines Spitzbuben, der wegen seiner Diebstähle und Unterschlagungen von Monsieur de Choiseul aus den Invalides hinausgeworfen wurde, der Präsidentin de Montreuil, in deren angeheirateter Familie ein Großvater war, der auf der Place de Grève gehängt wurde, die ihrem Gatten sieben oder acht Bastarde geschenkt und alle ihre Töchter verkuppelt hat - ihr kommt es nicht zu, Fehler des Temperaments, deren man nicht Herr ist und die niemandem je geschadet haben, zu bestrafen oder zu unterdrücken. Auch dem Don S...nos1, der sich eines Morgens in Paris fand, ohne daß man wußte, woher er kam und wohin er wollte, ungefähr wie die Giftpilze, die irgendwo in einem Waldwinkel plötzlich aus der Erde schießen -, diesem Don S...nos, der, wie schließlich ans Licht kam, zur linken Hand von Hochwürden Père Torquemada und einer Jüdin abstammt, die der Betreffende in den von ihm geleiteten Inquisitionsgefängnissen von Madrid verführt hatte, diesem Don S...nos, der in Frankreich sein Glück nur gemacht hat, weil er wie die Kannibalen Menschen schlachtete, der als Untersuchungsrichter den Unglücklichen, von dem ich bereits erzählte, rädern ließ, nur weil es seinen Ruhm erhöhte, wenn er zeigte, daß er recht hatte und zu einem falschen Urteil nicht fähig war, - diesem Don S...nos, der kraft seines hohen Amtes zum Vergnügen des Volkes abscheuliche Martern und Gewalttätigkeiten erfand, um dann laszive Listen zusammenzustellen, die zur Erheiterung der kleinen Soupers des Parc-aux-Cerfs dienten, der, um mit jeder herrschenden Partei gut zu stehen, mehr als zweihundert unschuldige Personen, die er zur Selbstbezichtigung zwang, auf der Folter oder in den Gefängnissen sterben ließ, diesem Don S...nos endlich, dem listigsten Betrüger, den je die Sonne beschien, und vielleicht dem ersten, der sich, seit Mißbräuche geduldet werden, den ausgedacht hat, eine Hure mit Gefangenen zu unterhalten - nein, einem solchen Ungeheuer kommt es nicht zu, Fehler zu tadeln oder zu bestrafen, die zu einer Zeit begangen wurden, als er dem König fünfhunderttausend Franc pro Jahr stahl, außer der Million, die ihm ausgesetzt worden war, damit er dem Hof scblüpfrige Einzelheiten liefere, dieser Mann, der zu 1
Sartine.
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jener Zeit nicht nur ungestraft nach Herzenslust stahl, sondern auch seine Stellung in gemeinster Weise mißbrauchte, um unglückliche Geschöpfe zu Lastern zu zwingen, die er heute nicht wahrhaben will! - Und das habe ich von denen selbst. Es steht, mit einem Wort, dem kleinen Bastard von Rougemont nicht zu, dieser Personifikation des Lasters, dieser Kanaille in Hosen und Wams, der erstens seine Frau prostituiert, um Gefangene zu haben, die er dann hungers sterben läßt, damit er ein paar Taler mehr verdient und mit ihnen die schändlichen Gefährten seiner Ausschweifungen bezahlen kann, diesem kleinen Bastard, der die, welche erhöht werden müßten, zu seinem Vergnügen erniedrigt und die anderen, die nur auf dem Bauche kriechen dürften, erhöht, der im Grunde aber froh sein müßte, mein Schuhputzer zu sein, wenn wir beide an dem Platz geblieben wären, an den uns der Himmel gestellt hatte; einem solchen Lumpen steht es nicht zu, sich zum Richter der Sittenlosigkeit zu machen, der gleichen Sittenlosigkeit, der er in noch höherem Grade selber frönt, denn, ich wiederhole, man wird nur verächtlicher und lächerlicher, wenn man an anderen tadelt, was man selbst noch tausendmal mehr betreibt. Es kommt dem Buckligen nicht zu, den Hinkenden zu verspotten, und dem Blinden nicht, den Einäugigen zu führen. So sei es, und ich grüße Sie.
BRIEF IX An Madame de Sade [Vincennes, etwa am 15. August 1781] Ich bin Dir so dankbar, wie ich nur sein kann, liebe Freundin, daß Du die große Freundlichkeit hattest, mir Wort für Wort den Brief zu senden, um den ich Dich bat. Gewiß hat er mich beruhigt, aber die versteckten Nadelstiche, die verhüllten Bosheiten, die ich aus den Dir von Deiner Mutter diktierten Briefen herauslas und die ich zu meinem Glück bisher noch kaum bemerkt hatte, erfüllen mein Gemüt mit einem Kummer und einer Sorge, gegen die der Trost, den 73
Du mir spendest, nicht aufkommt. Doch wie stark auch die neue Erregung ist, die ich empfinde, wie groß auch Kummer und Sorge sein mögen, ich erwarte Deinen Besuch und hoffe, Deine Worte werden mich noch mehr beruhigen als Deine Briefe, die mit der Galle Deiner Mutter vergiftet sind. Während Du mir meine Fragen beantwortest, werde ich begierig in Deinen Mienen forschen, und Deine Antworten werden mir hoffentlich mehr bedeuten als Briefe; ich erwarte Dich. Es ist ja leider so, daß Du mich im selben Augenblick, wo Du mich wegen einer Sache beruhigst, mit einer anderen in Unruhe versetzt. Warum antwortest Du mir nicht auf meine dringende Frage, ob Boucher 1 Dich begleiten wird? Kann Dich irgend jemand dazu zwingen, nicht allein zu kommen? Ich sage nichts weiter, denn nach Deinem Brief scheint es, als hofftest Du es zu erreichen, und ich begnüge mich also, um nicht wieder von vorn anzufangen und davon zu sprechen, Dir mein Ehrenwort zu geben, daß ich, wenn Boucher Dich begleitet und man mich wieder wie das letzte Mal überrumpelt, nicht herunterkommen werde. Meine erste Frage, wenn man mich holt, wird sein: Ist Boucher dabei? ist sie wieder angezogen wie beim vorigen Mal? Wenn die Antwort ja lautet, komme ich bestimmt nicht hinunter. Vielleicht will man mich täuschen; dann komme ich, aber sobald ich das weiße Gewand und die Haartracht sehe, kehre ich um, ich schwöre es bei meinem Gott und meiner Ehre und will, wenn ich in meinern Entschluß wankend werde, die größte aller Memmen heißen. de Sade Warum diese Entschuldigung: Wenn Du die anderen sehen könntest? Die anderen haben nicht ihren Gatten im Gefängnis. Und wenn sie ihn dort haben und sich so benehmen, sind sie Dirnen, die nur Verachtung verdienen! Sagen Sie, würden Sie in diesem Aufputz einer Possenreißerin oder Quacksalberin zum Ostergottesdienst gehen? Nein, nicht wahr? - Also gut, die Stimmung soll die gleiche sein, Kummer und Sorge sollen in diesem Fall ganz in der Pietät und Ehrfurcht vor dem Göttlichen aufgehen. Bis zu welchem Grade 1
Polizeibeamter.
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die Mode auch überspannt sei, Sie machen mir nicht weis, es gäbe keine für Frauen von sechzig Jahren. Machen Sie die nach, wenn Sie auch noch so weit entfernt sind von diesem Alter. Bedenken Sie, daß mein Unglück uns ihm näher bringt, obwohl wir es noch nicht erreicht haben; was Betragen und Kleidung betrifft, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns danach zu richten. Als anständige Frau haben Sie nur mir zu gefallen, und Sie gefallen mir nur im Anschein und in der Tatsache größter Dezenz und vollendeter Sittsamkeit. Kurz, das verlange ich, wenn Sie mich lieben (und ich merke es bestimmt; wenn Sie mir meine Bitte verweigern, demaskieren Sie sich ganz, durch Ihre Zeichen, durch Ihr Gehabe und Ihren ganzen blödsinnigen Aufzug). Ich verlange also, sage ich, daß Sie in einem Kleid kommen, das Ihr Frauen ein Morgenkleid nennt, mit einer großen, sehr großen Haube, ohne irgendwelche Coiffure darunter, sondern mit glattgekämmtem Haar. Bitte nicht die kleinste Spur von falschen Locken oder einem Chignon und keine Tressen und Schleifen, kein Reifrock, und den Busen außerordentlich bedeckt und nicht unanständig entblößt wie damals, und die Farbe des Kleids so dunkel wie möglich. Ich schwöre Ihnen bei allem, was mir auf Erden heilig ist, daß ich schrecklich wütend werde und eine schreckliche Szene mache, wenn Sie im Geringsten von dem abweichen, was ich Ihnen hier vorschreibe. Sie müßten sich schämen, wenn Sie nicht fühlten, daß die, welche Sie neulich so herausgeputzt haben, sich im Grunde ihres Herzens über Sie lustig machten. Oh, sie werden gesagt haben: Die hübsche kleine Marionette! und wie wir alles aus ihr machen, was wir wollen! Seien Sie also einmal im Leben Sie selbst. Ich sehe ein, daß es Fälle gibt, wo die Umstände Sie zum Nachgeben zwingen; aber es gibt auch indezente und lächerliche, vielleicht sogar schändliche Dinge, und ich bin überzeugt, man hat sie von Ihnen verlangt, schmeichle mir jedoch, Sie haben nicht eingewilligt! Aber was die ersten und den bloßen Vorschlag der zweiten betrifft, so brauchten Sie den einen nur mit einer Weigerung zu antworten und den anderen mit der Drohung, Sie würden sich lieber das Leben nehmen, als so etwas auch nur aussprechen zu hören. Ich weiß wohl, in welchen gemeinen Händen Sie sind! Denn glauben Sie mir, ich lasse mich nicht täuschen, ich weiß sehr 75
wohl, daß Sie bei Ihrer Mutter sind; mich schaudert bei dem Gedanken, Sie dort zu wissen! Ja, ich muß sagen, ich wüßte Sie lieber bei Madame Gourdan1, Sie würden dann wenigstens angesichts Ihres Tuns auf der Hut sein, statt völlig ungeschützt gegenüber den künstlichen Fallgruben, die Ihnen bei der anderen gegraben werden. Glauben Sie, ich vergäße je in meinem Leben die Worte: Fünfzig Louis für den, der die Tugend dieses kleinen Unschuldslammes zu Fall bringt? - Nein, nein, ich werde sie nie vergessen; und wenn Sie sich die ganzen Umstände wieder ins Gedächtnis zurückriefen und sich bezüglich der Zeiten, Orte und Situationen in meine Lage versetzten, würden Sie meine größten Irrtümer begreifen! - Liebe Freundin, denken Sie an die Verzweiflung der Frauen, die die Tugend geringschätzten und die Achtung nicht zu würdigen wußten, die ihnen ihre aufrichtigen Verehrer darbrachten, denken Sie an jene Ungläubigen, die den Gott, den zu nennen sie sich weigerten, beschimpft und beleidigt wissen wollten. Bewahren Sie, ja, bewahren Sie die Tugend. Um ihretwillen schäme ich mich meiner Ausschweifungen, sie allein macht sie mir hassenswert. Es liegt in der Natur des Menschen, sich an anderen ein Beispiel zu nehmen; der empfindsame Mensch sucht dem zu gleichen, den er liebt. Nur das Beispiel der Sittenlosigkeit hat mein Unglück verschuldet: verewigen Sie es nicht durch das Furchtbarste, was mir geschehen könnte. Ich würde es nicht überleben; oder wenn die Liebe zum Leben größer sein sollte als der Mut, mir den Tod zu geben (was ich nicht glaube), dann würde ich mich in alle nur möglichen Laster stürzen, um es auf irgendeine Weise zu verkürzen. Man sagt, der Unbestand, die Untreue rütteln einen Liebhaber oder Gatten auf: ja, eine niedrige, gemeine Seele. Aber denken Sie nicht, daß die meine so ist. Ich verzeihe einen Schimpf nie und werde nie versuchen, etwas wiederzubekommen, was mir nicht mehr gehört. Der bloße Gedanke, daß man sich vielleicht in meinen Armen mit einem anderen beschäftigt, hat mich stets empört, und ich habe in meinem Leben nie eine Frau wiedergesehen, von der ich argwöhnte, sie habe mich betrogen. Ich glaube, ich irre mich, aber Sie haben mir den Argwohn ins Herz 1
Berühmte Kupplerin jener Zeit.
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gesenkt, und er hat dort Wurzeln geschlagen. Denken Sie an den guten Rat, den ich Ihnen gegeben habe! Ich werde ihn bestätigt sehen: ich werde nichts finden (hoffe ich wenigstens), aber der Argwohn keimt, und bei einer Natur wie der meinen ist er ein schleichendes Gift, das täglich die Zersetzung steigert, deren Fortgang nichts auf der Welt aufhalten kann. Ich wiederhole: der gute Rat, den ich Ihnen gegeben habe! Es war so süß für mich, wenigstens einem glücklichen Alter in den Armen einer treuen Freundin entgegenzusehen, die nicht fähig wäre, mich je zu betrügen. Ach, es war mein ganzer Trost, es nahm den Stacheln, die mich jetzt zerreißen, ihre Schärfe. Sie stießen sie mir ins Fleisch, weil Sie mir die süße Hoffnung für mein Alter nicht gönnten! Ich habe sie nicht mehr; das Mißtrauen ist gesät, die Worte sind zu durchsichtig, als daß sie mich blind machen könnten. Oh, meine liebe Freundin, ich könnte Dich nicht mehr achten! Ist es wahr? Sage mir, hast Du mich so grausam getäuscht? Welch schreckliche Zukunft, wenn es so ist! - Großer Gott, ich wünschte, man täte mir das Gefängnis niemals auf! lieber sterbe ich, als es zu verlassen, um meine Schande, die Deine und die der Unmenschen, die Dich beraten, zu sehen! lieber sterbe ich, als das Haus hier zu verlassen und mich in den letzten Exzeß ungeheuerlichster Verbrechen zu stürzen, um mich zu betäuben und zu verlieren! Keines, das ich nicht erfinden könnte. - Adieu, Du siehst, wie ruhig ich bin und wie nötig ich es habe, Dich allein zu sehen. Erreiche es doch, ich beschwöre Dich.
BRIEF X An Mademoiselle de Rousset [Vincennes, 26. Januar 1782] Philosophisches Neujahrsgeschenk An welchem Ort Sie auch sein mögen, Mademoiselle - nah oder fern, bei Türken oder Galilaern, Mönchen oder Schauspielern, Gefan77
genenwärtern oder ehrlichen Leuten, Rechnern oder Philosophen -, nie wird die Freundschaft es mir erlauben, daß ich mich zum Jahreswechsel den heiligen Pflichten entziehe, die sie mir auferlegt, - ich werde mich also, altem Brauch gemäß und Ihr Vergnügen daran voraussetzend, gewissen episodischen Reflexionen hingeben, die der Tiefe des Themas entspringen. Wenn meine Lage auch ihre Dornen hat, muß ich doch zugeben, daß sie mich zuweilen auf ergötzliche philosophische Gedanken bringt. Wenn ich mir die Zeit meines Unglücks vor Augen halte, glaube ich manchmal jene sieben oder acht weißgepuderten Halunken vor mir zu sehen, denen ich sie verdanke und von denen der eine sich mit einem unschuldigen Mädchen, der andere mit der Frau seines Freundes vergnügt, während ein dritter, der sich heimlich aus einer dunklen Straße schleicht, sehr erbost sein würde, wenn man sein Treiben aufdeckte, und schließlich noch einer aus einem besudelten Nest entschlüpft ist - ich glaube sie also zu sehen, wie sie - selbst mit Unzucht und Verbrechen beladen sich um die Akten meines Prozesses scharen, während der Chef voll patriotischer Begeisterung und Liebe zu den Gesetzen ausruft: »Was, zum Teufel, meine Herren Kollegen! dieser Knirps, der weder Präsident noch Staatsanwalt ist, hat sich wie ein hoher Gerichtshof amüsieren wollen. Dieser kleine Landedelmann hat sich dazwischendrängen wollen in dem Glauben, es sei ihm gestattet, uns zu gleichen? Wie! ohne Hermelin und Degen hat er es sich in den Kopf gesetzt, es gelte für ihn dasselbe Naturgesetz wie für uns, als ob die Natur sich analysieren, vergewaltigen, verunglimpfen ließe durch andere als die Vollstrecker ihrer Gesetze, und als ob es andere Gesetze als die unseren geben könnte. Das Gefängnis, potztausend! das Gefängnis, meine Herren! Etwas anderes kommt nicht in Frage: ja, sechs bis sieben Jahre in einem fest verrammelten Zimmer für diesen kleinen Frechdachs... Nur dort, meine Herren, lernt man die Gesetze der Gesellschaft und den Vorteil all dieser Heilmittel respektieren, statt sie zu mißachten oder gar zu verfluchen. Übrigens hier noch etwas: Monsieur de ..., der über ein hohes Amt verfügt (es war einmal und ist Gottseidank nicht mehr), freut sich, Gelegenheit zu haben, seiner Mätresse ein kleines Geschenk zu machen: die Erpressung könnte zwölf- bis fünfzehntausend Franc kosten. 78
Besinnen wir uns nicht lange... Aber die persönliche Ehre... seine Frau... seine Güter... seine Kinder...? Wahrhaftig! Das sind gute Gründe! ... Soll uns das hindern, vor dem Idol die Knie zu beugen? ... Ehre ... Frauen ... Kinder? Sind das nicht die Opfer, die wir täglich darbringen? ... Gefängnis, meine Herren! Gefängnis, sage ich! und morgen werden unsere Vettern, unsere Brüder sich zu Schiffskapitänen machen.« - Gefängnis, es sei! antwortet mit Nachdruck der Präsident Michaut, der geschlafen hat. - Gefängnis, Messieurs, Gefängnis! wiederholt mit säuerlicher Miene der schöne Darval und kritzelt heimlich unter seinem Mantel einen Liebesbrief an eine Schöne von der Oper. - Gefängnis, unwiderruflich! fügt der Schulmeister Damon hinzu, dessen Kopf noch erhitzt ist vom Frühstück im Restaurant. - Nun also, wer zweifelt am Gefängnis? kläfft abschließend der kleine Valère; er steht auf den Zehenspitzen und sieht nach der Uhr, um die Stunde des Stelldicheins bei Madame Gourdan nicht zu verpassen. Da haben wir's! Was bedeutet in Frankreich die Ehre, das Leben, das Vermögen und der Ruf des Bürgers. Niedertracht, Schmeichelei, Herrschsucht, Geiz beginnen seinen Sturz, und die Dummheit vollendet ihn. Armselige Kreaturen, für einen Augenblick auf die Oberfläche dieses kleinen Dreckhaufens Erde geschleudert, muß nicht die eine Hälfte der Viehherde stets die andere verfolgen? O Mensch, ist es an dir, zu entscheiden, was gut sei oder schlecht? Wie will ein elendes Individuum deiner Art die Grenzen der Natur festsetzen und bestimmen, was sie erlaubt, kundtun, was sie verbietet! Du, vor dessen Augen das geringste ihrer Werke noch zu enträtseln ist, der die einfachsten Phänomene nicht zu erklären vermag, definiere mir den Ursprung der Gesetze des Lebens, der Gravitation, enthülle mir das Wesen der Materie: ist sie tot oder nicht? Wenn sie sich nicht regt, sage mir, wie die Natur, die nie im Zustand der Ruhe ist, etwas schaffen konnte, das es ständig sei, und wenn sie sich in Bewegung befindet, wenn sie der sichere und gesetzmäßige Urgrund ununterbrochener Zeugungen und Wechselwirkungen ist, sage mir, was das Leben ist und der Tod; sage mir, was die Luft ist, überlege genau ihre verschiedenen Auswirkungen, lehre mich, warum es Muscheln 79
gibt oben auf den Bergen und Ruinen auf dem Meeresgrund. Du, der entscheidet, wann eine Tat verbrecherisch ist und wann nicht, der in Paris hängen läßt, was am Kongo Kronen wert ist, gib mir eine Meinung über den Lauf der Sterne, über ihren Zustand, ihre Anziehungskraft, ihre Beweglichkeit, ihr Wesen, ihre Zeitläufe, beweise mir Newton eher als Descartes, und Kopernikus eher als Tycho Brahe, erkläre mir nur, warum ein Stein fällt, wenn er von oben geworfen wird, ja, veranschauliche mir diesen so einfachen Vorgang, und ich will dir verzeihen, ein Moralist zu sein, wenn du ein besserer Physiker bist. Du willst die Gesetze der Natur analysieren, und dein Herz, dem Herz, in das sie sich einprägt, ist selbst ein Rätsel, das du nicht lösen kannst. Du willst sie genau bestimmen, diese Gesetze, und kannst mir nicht sagen, wieso es geschehen kann, daß kleine, überpralle Gefäße einen Kopf augenblicklich verwirren und am selben Tag aus einem ehrenhaften Mann ein Verbrecher wird. Du, in deinen Systemen ein ebensolches Kind wie in deinen Entdeckungen, der du seit drei- oder viertausend Jahren erfindest, umänderst, wieder umstürzest, argumentierst, du kannst uns trotz allem als Belohnung für unsere Tugenden nur das Elysium der Griechen bieten und als Strafe für unsere Verbrechen nur ihren sagenhaften Tartarus; der du nach so vielen verschiedenen Reflexionen, so viel Arbeit, so vielen verstaubten Werken, die über diese erhabene Materie zusammengeschrieben wurden, es nur erreichst, einen Sklaven des Titus an die Stelle des Herkules zu setzen und ein jüdisches Weib an die der Minerva, du willst die menschlichen Verirrungen philosophisch ergründen, willst Laster und Tugend dogmatisieren, während es dir nicht möglich ist, mir zu erklären, was dieses oder jenes bedeutet, was davon dem Menschen am zuträglichsten ist, was der Natur am besten entspricht und ob nicht vielleicht aus diesem Gegensatz das innere Gleichgewicht geboren wird, das sie beide notwendig macht. Du willst, daß die ganze Welt tugendhaft sei, und begreifst nicht, daß in dem Augenblick, wo es nur Tugend auf Erden gäbe, alles vergehen müßte; du willst nicht einsehen, daß, da es notwendig ist, daß es Laster auf Erden gibt, du ungerecht bist, wenn du sie strafst, weil das nicht anders ist, als wolltest du einen Einäugigen verspotten... Und deine falschen Kombinationen, deine widerlichen Bollwerke, die du 80
gegen jene errichtest, die dich verhöhnen, was ist ihr furchtbares Resultat? ... Unglücklicher, ich schaudere, es zu sagen : Wer sich an seinem Feind rächt, soll gerädert werden, und wer die Feinde seines Königs mordet, wird mit Ehren überschüttet, wer dir einen Taler stiehlt und dich mit Belohnungen überschüttet, soll vernichtet werden, du, der du glaubst, im Namen deiner Gesetze denjenigen umbringen zu dürfen, der kein anderes Unrecht begangen hat, als daß er sich von den Gesetzen der Natur verführen ließ, kein anderes Unrecht, als daß er geboren war für die geheiligte Handhabung ihrer Rechte. Aber laß deine törichten Haarspaltereien! genieße, mein Freund, genieße und richte nicht ... genieße, sage ich, überlaß der Natur die Sorge, dich nach ihrem Belieben zu treiben, und dem Ewigen, dich zu bestrafen. Wenn du dich nur als Frevler empfindest, armselige kleine Ameise, die du auf diesem Klumpen Erde moderst, zieh deinen Strohhalm in den Speicher, brüte deine Eier aus, füttere deine Jungen, liebe sie, reiße ihnen vor allem nicht den Schleier von den Augen: ich sage dir, Trugbilder bedeuten mehr für das Glück als die langweiligen Wahrheiten der Philosophie. Freue dich des flammenden Alls: um Freuden zu beleuchten, und zwar nicht durch Sophismen, strahlt sein Licht vor deinen Augen. Benutze nicht die eine Hälfte deines Lebens dazu, die andere unglücklich zu werden, und nach Jahren kümmerlichen Vegetierens unter diesen absonderlichen Umständen, was auch dein Stolz darüber meinen mag, entschläfst du im Schoß deiner Mutter, um in einer anderen Gestalt wieder zu erwachen, und das unter neuen Gesetzen, die du nicht besser begreifst als die alten. Mit einem Wort, bedenke, daß es geschieht, um deine Mitmenschen glücklich zu machen, um für sie zu sorgen, ihnen zu helfen, sie zu lieben und nicht, um sie zu richten und zu bestrafen und vor allen Dingen nicht, um sie einzukerkern. Wenn dieses Stückchen Philosophie Ihnen gefällt, Mademoiselle, werde ich Ihnen gern zum nächsten Neuen Jahr die Folge darbringen. Wenn nicht, lassen Sie es mich wissen, dann wählen wir ein Thema, das besser zu der Heiterkeit des Geistes eines Geschlechts paßt, dessen Krone Sie sind und dem mein ganzes Leben gehört, wie auch Ihnen, Mademoiselle, als Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener. Des Aulnets 81
Aus dem Hühnerstall von Vincennes, am 26. Januar, am Ende von neunundfünfzig und einem halben Monat der Läuterung, und wahrhaftig ohne Erfolg.
BRIEF XI An Marie-Dorothée de Rousset Aus meinem Landhaus1, am 17. April 1782 Der Adler, Mademoiselle, muß zuweilen die siebente Region der Luft verlassen, um sich auf die Spitze des Berges Olymp herabzusenken, auf die alten Fichten des Kaukasus, die kühle Lärche des Jura, den verblichenen Rücken des Taurus und manchmal sogar in die Nähe des Steinbruchs von Montmartre. Wir wissen aus der Geschichte (denn die Geschichte ist eine gute Sache), daß Cato, der große Cato, sein Feld mit eigener Hand bestellte, Cicero die Bäume in seinen schönen Alleen von Formia selbst ausrichtete (ich weiß nicht, ob man sie ihm beschnitt), daß Diogenes in einer Tonne schlief, Abraham Statuen aus Ton schuf, der berühmte Autor des Télémaque kleine Verse für Madame Guyon machte, Piron zuweilen die erhabenen Pinsel der Métromanie beiseite legte, um Champagnerwein zu trinken und die Ode à Priape zu dichten (vielleicht kennen Sie das leichte Stück Poesie, das sich so gut für junge Damen eignet und wie geschaffen ist für den ganzen sauberen Erziehungsplan zur Bildung von Geist und Herz derer, die für die große Welt bestimmt sind?). Haben wir nicht den großen Voltaire dem Herrn eine Kirche bauen sehen mit derselben Hand, mit der er, von der Heiligen Geburt sprechend, schrieb: Joseph, pantherre et la brune Marie Sans le savoir firent cette oevre pie. Pucelle 2 Und in unsern Tagen, Mademoiselle, in unsern großen Tagen, sehen 1 2
Gemeint ist das Gefängnis Vincennes. »La Pucelle d'Orléans«, Dichtung von Voltaire.
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wir da nicht die berühmte Präsidentin de Montreuil Euclid und Barême beiseite legen, um mit ihrem Koch über Öl und Salat zu sprechen? Das, Mademoiselle, beweist uns, daß es, wenn der Mensch auch gut handeln, sich gut über sich selbst erheben kann, doch immer zwei fatale Augenblicke am Tage gibt, die ihn trotz allem an die triste Beschaffenheit der Tiere erinnern, von denen, wie Sie wissen, sich mein System (vielleicht urteile ich zu sehr nach mir selbst) nicht allzuweit entfernt. Und diese beiden qualvollen Augenblicke sind (verzeihen Sie die Ausdrücke, Mademoiselle, sie sind nicht fein, aber sie sind wahr) der, wo man sich füllen, und der, wo man sich entleeren muß. Man könnte hier noch den hinzufügen, wo man erfährt, daß einem sein Stammgut zerstört worden ist, und den, wo einem der Tod eines treuen Dieners gemeldet wird. Das ist der Gemütszustand, schöne Heilige, in dem ich mich befinde und der mich zu diesem tristen Kapitel verführt. Ich betraure Gothon1. Gewiß hatte sie Fehler, doch machte sie sie durch Tugenden und Qualitäten wieder gut; viele Menschen haben diesen Ausgleich nicht. Gothon liebte die Männer. Doch, Mademoiselle, sind die Männer nicht für die Frauen geschaffen und die Frauen für die Männer? Ist das nicht die Absicht der Natur? Gothon, wie Madame de Sade scherzend sagte, »heiratete, weil sie schwanger war«. Gut! Mademoiselle, ein bißchen Philosophie. Ist das ein so großes Unrecht? Ich sehe da nur Tugenden. Sie wollte ihrem Kind einen Vater geben, wollte ihm Brot sichern, es jenem Stand entheben, der dem Unglück keine anderen Möglichkeiten mehr läßt als die Armut und das Verbrechen. Aber sie ist ihrem Gatten untreu gewesen... Nun, dafür finde ich keine Entschuldigung! Der Ehebruch der Frauen hat so schreckliche Nachteile, so unheilvolle, verderbliche Folgen, daß ich ihn nie dulden könnte. Forschen Sie in meinen Prinzipien, prüfen Sie die Geschichte meiner Ausschweifungen, und Sie werden finden, daß ich dieses Band in meinem Leben nur sehr selten zerrissen habe, und auf ein Dutzend Jungfrauen oder sogenannte Jungfrauen, die ich zu verführen suchte, werden Sie nicht drei verheiratete Frauen finden. In diesem Punkt hatte Gothon also unrecht. Gothon hat mich verhaften lassen, ich 1
Dienerin Sades in La Coste.
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weiß, aber in meinen Augen löscht der Tod alle Beleidigungen aus, und mein unglückliches Herz hat Tränen, selbst für meine größten Feinde. Trotz so großer Schuld war Gothon anhänglich. Als Dienerin war sie angenehm, flink und geschickt, eine gute kleine Stute, die den Stall ihres Herrn liebte. Dieses unglückliche Mädchen hätte mir nur mit der Hilfe der Herren Paulet, Payan, Sambuc1 und Konsorten in zwölf oder fünfzehn Jahren ein komplettes Haus einrichten können. Wirklich, ich traure um sie. Übrigens muß ich Ihnen gestehen - ja, da wir gerade von Tugenden gesprochen haben, könnten wir uns mit ihren Eigenschaften beschäftigen -, Gothon hatte, so wird behauptet, den schönsten P... Teufel! wie soll ich es ausdrücken? Das Wörterbuch hat kein Synonym für dieses Wort, und der Anstand verbietet mir, es auszuschreiben, obwohl es nur vier Buchstaben hat… Aber wirklich, Mademoiselle, es war der schönste P..., den die Schweizer Berge seit mehr als einem Jahrhundert hervor gebracht haben... tatsächlich, das war bekannt. Der Präsident de Montreuil konnte, obwohl er wegen sehr wichtiger Dinge in die Provence gefahren war (Dinge, die er gewiß vortrefflich ausführte), es sich in Augenblicken der Muße nicht versagen, sich der süßen Betrachtung dieses berühmten Zwillingsgestirns hinzugeben. Das begründete den Ruf, dessen sich die arme Gothon für den Rest ihres Lebens erfreute. Und die bereits genannte Obrigkeit, um so mehr Kenner dieses Körperteils, als sie bei den göttlichen Schönheiten der Hauptstadt ihren Geschmack gebildet hatte, vermochte das gewiß richtig zu beurteilen. Ich bemerke, daß ich hier ein bekanntes Sprichwort anzuführen vergaß: Im Hause eines Gehenkten soll man nicht vom Strick sprechen, und daß ich mich folglich nicht mit diesen unzüchtigen Dingen beschäftigen sollte, die mir, wie behauptet wird, mein Unglück eingebracht haben. Doch konnte ich mir diese kurze Apologie nicht versagen, und bei einer schönen Seele, die man trotzdem ist, fließt die Beschreibung der Qualitäten einer Person, mit der man sich trauernd beschäftigt, wie von selbst in die Feder. Kehren wir zu ernsteren Dingen zurück und plazieren wir sie um der Bequemlichkeit des Schmierfinks willen auf die andere Seite, denn ich neigte schon immer leicht zum Laster, und ich betrachte 1
Einwohner von La Coste
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jene, die ihm mit Eifer zu frönen verstehen, als große Männer. Sie sehen, auf einmal ist Jacques der Schmierfink ein großer Mann! Er hat es nicht erwartet, und man hatte es ihm so auch nie gesagt. [Das Folgende fehlt]
BRIEF XII [Vincennes, Mai 1782] An Mademoiselle Mademoiselle de Rousset wohin Gott sie gestellt hat Mademoiselle, Ich hatte mir die Ehre gegeben, Ihren Brief zu beantworten, und gewiß sind Sie zufrieden gewesen mit den Dingen, die ... um so mehr, als ... also! nein, ich sage... Sie hatten gewiß mit mir Mitleid, wenn Sie gehört hätten, wie plötzlich - gerade als ich die Feder ergriff, ein verdammtes Glockenspiel1, das einzige unglückselige Instrument, das ich hier höre, mit einem Höllenlärm einsetzte. Wie ein Gefangener stets alles auf sich bezieht und sich einbildet, alles, was geschieht, betreffe nur ihn, jedes Wort werde in einer bestimmten Absicht gesagt, so will mir's nicht aus dem Sinn, daß dieses verdammte Glockenspiel zu mir spricht, daß es mir sagt - und zwar sehr deutlich: Je te plains —je te plains il n'est plus pour toi de fins qu'en poudre - qu'en poudre Ich hatte mich in unsagbarem Zorn erhoben und wollte den Glöckner totschlagen, als ich zu meinem Schmerz bemerkte, daß die Pforte der Rache noch nicht geöffnet war. Ich setzte mich also wieder hin 1
Das der Kirche, man muß diese Couplets nach der Melodie des Glockenspiels mitsingen oder sie ins Feuer werfen, denn zum Lesen eignen sie sich nicht. [Anmerkung de Sades]
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ergriff von neuem die Feder - ich dachte, ich müßte diesem Schuft in seinem Geiste antworten -, und im gleichen Ton, ich konnte einfach nicht mehr anders, sagte ich, De plaisir, de jouir il faut donc vous désaisir mon ame, mon ame Capucin, capucin rencontre au moins, une main qui branle - qui branle Mais ici - quel souci pour tout bien j´ ai dieu merci la mienne, la mienne Venés donc - vénes donc soulager par votre c.. ma peine, ma peine Ma moitié, ma moitié me rend sans nulle pitié tantale, tantale Ah quel sort! ah quel sort oh par ma foi cest trop fort, J'en crève, j'en crève Le sainfoin, meurt sans soin venés en chercher au moins la graine - la graine Quel martir - quel martir Je vois bien qu'il faut souffrir sans cesse, sans cesse Hier stockte ich, zählte, erblickte neun, die mit cesse [aufhören] endeten, und das Ganze nach der Melodie der Toten - Lieber Gott, mein Freund, habe ich ausgerufen, ein Ende bei 9 - und Tote; Du 86
hast Geist wie ein Präsident; und mindestens so geschwollen wie dieser, wenn er die Audienz der Madame Gourdan verläßt; ich habe dieses Meisterwerk gleich ins reine geschrieben und lasse es Ihnen zugehen, damit Sie sehen, Mademoiselle, wie ich mich entwickele und an Geist zunehme. Hören Sie, Mamselle, schicken Sie mir doch, ich bitte Sie, etwas von unsern guten Erbsen aus der Provence - dieses Jahr ist es mir nicht möglich, die hiesigen zu essen, Sebastien de Quipuscoa hat die feinen Schoten zu Farce gemacht - ich muß also dran glauben oder ich esse von denen der Kutscher -, im vergangenen Jahr waren die Kirschen ein Zeichen, er verdiente jedoch nichts dabei, weil es auf meine Kosten ging, er hat der Präsidentin ein Gesuch vorgelegt, um die Erlaubnis zu erhalten, in diesem Jahr ein kleines Zeichen a profit zu machen - oh, der Schlingel ist nicht blöde, verlassen Sie sich auf ihn -, wenn man sich darüber beklagt, sagt er, es sei kleinlich, darüber zu reden ... Ich bitte Sie, wenn Sie in der Provence jemand treffen, dem ich eine jährliche Pension zahlen muß oder der Geld oder Korn haben will, antworten Sie ihm - nein pfui, wie kleinlich. Adieu, schöner Engel, denken Sie manchmal an mich, wenn Sie zwischen Ihren Laken liegen, die Schenkel gespreizt und die rechte Hand damit beschäftigt, Ihre Flöhe zu suchen. Denken Sie daran, daß in diesem Fall auch die andere Hand tätig sein muß, weil es sonst nur ein halbes Vergnügen ist. Die eine tut ... das, und die andere schreibt Zahlen wie die Präsidentin.
BRIEF XIII An Madame de Sade [Vincennes, August 1782] Ihre Verdienste, Madame la Marquise, und Ihre ganze, wenig geistvolle Stichelei beunruhigen mich nicht im geringsten: ich habe die Ehre, Ihnen darauf zu antworten. Mit einer Idee ist es nicht wie mit einem Werk des Geistes. Man kann sich leicht täuschen, wenn man selbst eine Arbeit dieser Art zu beurteilen hat; mit einer Idee ist es sehr schwierig und, wenn man kein Heu frißt, unmöglich zu 87
wissen, ob sie gut ist oder nicht. Nun, ich behaupte vor aller Welt, daß die Idee meines Planes gut ist: haben Sie keine Angst, daß Sie mich jemals solche Worte von einem meiner Werke gebrauchen hören werden. Ich weiß genug von der Architektur und habe die Schönheiten dieser Kunst in Italien genugsam studiert, wo ich meine ganze Zeit nur mit Leuten dieses Handwerks verbrachte, um zu entscheiden, ob eine Idee gut ist oder nicht, und ich wiederhole Ihnen, daß meine Idee wundervoll ist und so erhaben, daß man sie nicht verwirklichen kann. Kein Staat, kein Herrscher in Europa wäre reich genug, um sie zu verwirklichen. Entweder hat Ihr Dessinateur nicht gesagt, was Sie ihm zu sagen befahlen, oder er wäre ein Narr, wenn er sich mit einer Sache befaßte, deren Durchführung ihm unmöglich erscheinen muß. Ist es doch nur ein hübsches Trugbild das ich jedoch liebe und mit dem ich eines Tages mein Arbeitszimmer schmücken will. Hier eine kleine Ergänzung, die Sie ihm bitte zurückgeben wollen, weil sie für eine genaue Durchführung seines Entwurfs notwendig sein wird. Basta! Auf das langweilige Geschwätz von Milli Rousset werde ich gewiß nicht antworten. Wie kann man nur seinen Geist mit solchen Lappalien beschäftigen. Ich finde es äußerst amüsant, seine Phantasie für pikante Dinge zu mißbrauchen (deshalb hat mich der Pförtner der Kartäuser auch nie in Erstaunen gesetzt), aber ich finde nicht, daß man von Kochtöpfen, moderigen Zimmern, Lustseuchen, Küchenutensilien und all den anderen Torheiten reden soll, deren Planung die Präsidentin de Montreuil gewiß sechs Monate gekostet hat, um sie von der armen Rousset abschreiben zu lassen, deren genialer Sinn meilenweit davon entfernt ist. Also soll ihr himmlischer Brief Nr. 223 dem völligen Vergessen anheimfallen. Zu diesen niederen Einzelheiten werde ich mich herabwürdigen, wenn ich auf dem Lokus bin: bis dahin will ich nicht einmal daran denken. Vergessen Sie nicht, daß ich nicht will, daß sie meinen Pförtner bezahlt: ich verstehe nicht, wie sie auf diese Idee kommen konnte und wie Sie sie auch nur einen Augenblick bestärken konnten. Haben Sie die Güte, mir das einleuchtend zu erklären. Von allen Büchern, die Sie mir geschickt haben, sind mir nicht zwei es wert, noch einmal gelesen zu werden, und ich brauche gerade Bücher. Ich bitte Sie dringend, vervollständigen Sie mir den beigefügten Katalog. Die Ilias kann man nur einmal lesen. 88
Die Italienischen Anekdoten sind nicht zum Lesen geschrieben; es sind Chronologien, die man auf dem Tisch hat, wenn man arbeitet, sie lesen sich nicht anders als ein Wörterbuch. Ich bitte Sie also dringend, meine Liste zu vervollständigen. Hier eine kleine Notiz für Amblet, bitte schicke sie ihm; wenn das Manuskript zu Dir zurückkommt, nimm die kleinen Korrekturen vor, die diese Notiz enthält. Da die Geschichte der Medici nicht geschrieben worden ist, soll mit dem Doktor nicht gebrochen werden, sondern im Gegenteil, schone ihn. - Wirklich, unter uns gesagt, wäre es nicht viel besser gewesen, man hätte mich in sein Zimmer in Florenz einsperren lassen, um diese Geschichte zu schreiben, die mir sicherlich eines Tages viel Ruhm eingebracht hätte, statt mich hierher zu schicken, damit ich die blöde Suppe der Präsidentin de Montreuil auslöffele? ... Ich gehe mit Ihnen und Ihrer Sippschaft eine ganz simple Wette ein: es wird Sie seit zehn Jahren mehr als hunderttausend Franc gekostet haben, um meinen Charakter hunderttausendmal schlechter zu machen, als er war, und um der Ehre und dem Ruf meiner Kinder hundertmal mehr zu schaden. Geben Sie mir zu, daß das Vergnügen an zwecklosen Bosheiten und nüchternen Zahlen teuer genug bezahlt ist? Damals hatte mich der Doktor in Pension genommen. Ein Diener und ich bei ihm, Wohnung und Essen für 800 Livres, und beides ausgezeichnet; fügen wir 1200 für meinen Unterhalt etc. hinzu und berechnen wir nun, was wir seit zehn Jahren gewonnen hätten. Ich hätte ihn verlassen mit zehntausend Franc mehr in der Tasche, mit einem guten Werk für das Publikum und reich an Kenntnissen. Nehmen Sie die Kehrseite der Medaille und sehen Sie sich das an, was aus Ihren Machenschaften entstehen wird. Aber es mußte geschwiegen und eingesperrt werden! Oh, sie war sehr geschickt: es gibt in Florenz einen französischen Gesandten, der etwas mehr bedeutet als Monsieur de Rougemont. Allerdings, er hätte gewiß nicht die gleiche Rolle gespielt (nicht immer findet man die Schritte der Soldaten leise genug für diese Rolle), aber Barbantane, der verständig und mein Vetter ist, hätte mich aufgenommen und in seiner Tasche einen Haftbefehl gehabt, der mich, falls ich aus Florenz hätte fliehen wollen, binnen acht Tagen wieder in den Turm 89
von Vincennes befördert hatte; er würde die Korrespondenz geführt, das Geld etc. gehabt haben; ich hätte einen anderen Namen angenommen; und diesem ganzen Klüngel von Halunken, die mich absolut hinter Schloß und Riegel haben wollten, hätte man gesagt, ich sei beim Großherzog, und sie hätten es billigerweise glauben müssen, da sie mich nicht mehr sahen und nicht mehr von mir reden hörten. - Da sehen Sie, wie man handelt, wenn man klug ist, Sie sehen, daß Sie wie der reinste Strohkopf vorgegangen sind und den Beistand all dieser untergeordneten Personen dem Wohlbefinden und Glück der Eltern vorgezogen haben. Sie wollten einen Brief für meine Kinder? Hier ist er. Sie haben es nicht nötig, sich lange von mir etwas zu wünschen, ich tue, was Sie wollen. Kein anderes Interesse als mein Herz und die Lust, Ihnen zu gefallen, haben ihn diktiert, denn ich will keine Antwort darauf. Tausendmal lieber möchte ich von alldem nichts schreiben, als hohle Phrasen erhalten, die töricht und durchtränkt sind von dem galligen Gift meiner nichtswürdigen Peiniger. Vergessen Sie nicht, daß ich keine Antwort will; lassen Sie sie schreiben, wenn Sie wollen, aber schicken Sie sie mir nicht. Dieser Brief ist der Ausdruck meiner Gefühle für meine Kinder. Sie werden ihn bekommen, lesen, sie werden sich an ihn erinnern... Glauben Sie jetzt, ich sei ihnen und mir selbst so feindlich gesonnen, daß ich hierin niemals die Prinzipien ändern könnte? Sie würden mich wohl verachten, wenn ich es niemals täte, und sie hätten recht. Erinnern Sie sich an ein wohldurchdachtes Briefchen von diesem Winter und seien Sie überzeugt, daß es mir stets fernliegen wird, meinen Kindern schlechte Grundsätze beizubringen. O nein, das wird mir nie in den Sinn kommen: bei der Wahl, sie zu töten oder ihr Herz zu verderben, würde ich keine Minute schwanken, und ich glaube fast, ersteres wäre das kleinere Übel. Denken Sie nicht, das Gefängnis hätte diese Wirkung auf mich: es beeinflußt eher zum Gegenteil, es gibt keine schlechte Wirkung, die es nicht in mir hervorrufen könnte! Während meines ganzen Lebens habe ich so gedacht, das wissen Sie. Was mein Glaubensbekenntnis angeht, erwarten Sie nur Genugtuung in allem, was Sie betrifft, Sie und die Kinder; das alleinige Glück von Euch wird meine Aufgabe und meine immerwährende Befriedigung sein. So haben Sie mich 90
jederzeit reden hören. Das ist auch meine Absicht, wenn meine Leiden beendet sein werden. Was mich persönlich betrifft, so verspreche ich Ihnen nichts. Das Tier ist zu alt. Glauben Sie mir und verzichten Sie darauf, es zu erziehen. Julie vermochte nichts über Monsieur de Wolmar1, und Julie wurde sehr geliebt. Es gibt Dinge, die zu sehr mit dem Leben verhaftet sind, besonders wenn man sie mit der Muttermilch eingesogen hat, als daß man jemals darauf verzichten könnte. Das gleiche gilt für die Gewohnheiten: wenn sie so stark mit dem Körper eines Menschen verbunden sind, werden ihnen zehntausend Jahre Gefängnis und fünfhundert Pfund schwere Ketten nur noch mehr Kraft verleihen. Sie werden gewiß erstaunt sein, wenn ich Ihnen sage, daß ich stets alle diese Dinge und die Erinnerung an sie zu Hilfe rufe, wenn ich den Schmerz über meine Lage betäuben will. Sitten hängen nicht von uns ab, sie wurzeln in unserer Beschaffenheit. Von uns hängt es ab, daß wir unser Gift nicht nach außen streuen und daß unsere Umgebung nicht nur nicht darunter leidet, sondern es nicht einmal gewahr werden kann. Ein Lebenswandel mit seinen Kindern und seiner Frau, der nach außen hin so makellos ist, daß die Frau die schlechten Sitten ihres Mannes unmöglich vermuten kann, selbst wenn sie ihr Schicksal mit dem anderer Frauen vergleicht: das hängt von uns ab, und dafür müßte ein anständiger Mann sorgen, denn er ist deshalb noch kein Lump, wenn seine Freuden merkwürdiger Art sind. Verbergt sie vor der Öffentlichkeit, vor allem vor euren Kindern, und sorgt dafür, daß eure Frau nie auch nur den geringsten Verdacht schöpft und daß eure Pflichten ihr gegenüber immer in jeder Hinsicht erfüllt werden. Das ist das Wesentliche, und das verspreche ich. Tugenden kann man nicht erwerben, und man ist ebensowenig in der Lage, in den Dingen da einen bestimmten Geschmack anzunehmen; man kann nicht gerade werden, wenn man bucklig geboren ist, nicht braunhaarig, wenn man rot auf die Welt gekommen ist. Das ist meine ewige Philosophie, die ich nie aufgeben werde. - Und doch, im Jahre 1777 war ich noch ziemlich jung; das Übermaß an Unglück, das ich erlitt, hätte das Werk vorbereiten können; meine Seele war noch nicht verhärtet, so wie Sie seitdem Sorge getragen haben, daß sie für 1
Hauptpersonen in der Nouvelle Héloise von Jean-Jacques Rousseau.
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gute Gefühle unerreichbar werde. Ein ganz anderer Plan als der Ihre hätte Großes vollbringen können: Sie haben es nicht gewollt. Ich danke Ihnen dafür; es ist mir lieber, daß ich nur Ihre Zahlen aus meinem Kopf verscheuchen muß, statt einer Unmenge von Dingen und für mich köstlichen Einzelheiten, die meine Pein so gut zu lindern verstehen, wenn ich meine Phantasie schweifen lasse. Sie waren schlecht beraten, das muß man sagen; aber im Vertrauen, es ist mir sehr viel lieber, daß es so gekommen ist. Sie werden Gaufridy tausend Dinge erzählen, aber ich schreibe an ihn nicht häufiger als an die Heilige - an die ich vielleicht in diesem Herbst, wenn die Abende so lang und traurig sind, allerhand Dummheiten schreiben werde: nichts Besonderes. Wenn Sie mir berichten, was für einen Eindruck mein Brief auf meine Kinder gemacht hat und was diese Ihnen darüber gesagt haben, wird es mich freuen, aber eine Antwort - die genügt zum Neujahrstag. [P. S.] Bemühen Sie sich um das Cabinet d'histoire naturelle; ich wiederhole meine dringende Bitte. Wenn Sie meinen anständigen Neigungen nicht besser entgegenkommen werden, um so mehr Grund, mich anderen hinzugeben. Und wie immer: diese verfluchte falsche Gesinnung alles dessen, was Sie umgibt, begräbt mich unter zwei Dächern, ohne es zu wollen, und steigert meine Qual, mangelt des Segens, den Pfad des Guten zu erkennen.
BRIEF XIV An Madame de Sade [Vincennes, Juni 1783] Ich bitte Sie, sagen Sie mir, ob es an Gevatterin Cordier oder Gevatter Fouloiseau liegt, daß ich keine Hemden bekommen soll. Den Gefangenen des Hospitals kann man eigene Wäsche verweigern, aber nicht mir. Wie Ihre Niedrigkeit, die Ihrer Herkunft und die 92
Ihrer Eltern in allem zutage tritt! Liebchen, als ich so sehr vergaß, wer ich war, daß ich bereit war, Dir zu verkaufen, was ich bin, war es vielleicht, um Dir das Hemd auszuziehen, aber nicht, um keines zu haben. Behalten Sie diesen Satz gut, Sie und Ihre Sippe, und machen Sie sich drauf gefaßt, daß ich ihn drucken lassen werde. Wenn ich zuviel Wäsche brauche, soll man sie von der Wäscherin nehmen, die mir täglich alles, was ich habe, verliert und zerreißt, und soll dem Herrn Kommandanten befehlen, dazu Anweisung zu geben. Kein Monat, wo ich nicht acht bis zehn Franc dafür ausgeben muß. Soll das so weitergehen? Wie dem auch sei, ich erkläre Ihnen, daß ich, wenn die Wäsche, die ich verlange, nicht in vierzehn Tagen kommt, meine Sachen packen werde in der sicheren Überzeugung, daß dies ein Beweis für meine baldige Entlassung ist. Das allein könnte Ihre törichte Verweigerung meiner Wäsche rechtfertigen. Wenn es keine Verrückten im Hause gäbe, würde man sich ganz unbekümmert der Gegenstände im Haus bedienen und sie nicht so oft vom eigenen Hause verlangen müssen. Vincennes ist nicht für Verrückte gedacht; man bringt sie nach Charenton, die Verrückten, und nicht hierher, und der schändliche Geiz, der sie dort bewacht, soll dennoch nicht von der Polizei beachtet werden wegen der Gefahr, daß die gleiche Krankheit sich auch auf die verbreitet, die es nicht sind. Doch sie duldet alles, die Polizei; nur den Schimpf, der den Huren angetan wird, duldet sie nicht. Man kann sich aller Übertretungen, aller nur möglichen Schandtaten schuldig machen, vorausgesetzt, daß man den Arsch der Huren respektiert: das ist die Hauptsache, und es ist ganz simpel: die Huren bezahlen, und wir bezahlen nicht. Wenn ich erst wieder draußen bin, muß ich versuchen, mich ein wenig von der Polizei protegieren zu lassen: ich habe einen Arsch wie eine Hure, und ich würde mich freuen, wenn man ihn respektierte. Ich werde ihn Monsieur Fouloiseau sehen lassen - sogar küssen lassen, wenn er will, und ich bin überzeugt, von einer solchen Perspektive gerührt wird er mich auf der Stelle ins Buch der Protégés einschreiben. Man hat mir erzählt, daß Sie, als Sie in Paris ankamen (nachdem Sie mich hatten verhaften lassen), sich in dieser Weise benommen haben, um sicher zu sein. Zunächst sei die Frage entstanden, ob 93
besagter Arsch nicht geschändet war - weil die Präsidentin behauptete, ich schändete die Ärsche. Folglich wünschte sie den Besuch eines Experten. Man erzählt, sie hätte gesagt: Meine Herren, sehen Sie, sehen Sie, das ist ein kleiner Teufel voller Laster; er könnte vielleicht ... wie sagt man? Er hat soviel Liederlichkeit im Sinn! … Und dann hoben Sie die Röcke auf. Der Richter Le Noir setzte seine Brille auf, Albaret ergriff die Kerze, die Schreiber von Le Noir kritzelten. Und man setzte einen Befund auf in folgenden Worten: Item, auf Ersuchen der Marie-Madeleine Cordier, verheiratete Montreuil, sind wir zu besagtem Hôtel de Danemark gefahren, haben besagter Pélagie du Chauffour, ihrer Tochter, die Röcke aufheben lassen und sie mit der erforderlichen Sorgfalt untersucht, wir haben festgestellt, daß besagte du Chauffour, wie es sich gehört, mit zwei sehr weißen, sehr schönen und völlig unbeschädigten Hinterbacken versehen ist. Wir sind besagtem Körperteil sehr nahe gerückt und haben es auch unsere Begleiter tun lassen. Sie haben, auf eigene Gefahr, entfaltet, gespreizt, eingeatmet, durchforscht, und da sie gleich uns nur gesunde Partien gefunden haben, haben wir dieses Schreiben ausgestellt, um damit dem Gesetz zu genügen, und sind überdies gern bereit, der besagten Pélagie du Chauffour die Aufnahme beim Gericht sowie für die Zukunft unsern mächtigen Beistand zu gewähren. Gezeichnet: Jean-Baptiste Le Noir, Kuppler von Paris und geborener Protektor von Bordellen der Hauptstadt und Umgegend. Nun also? Ist es so gewesen? Gestehen Sie es mir, ganz unter uns... Außerdem oder obwohl es so sein mag, wenn Sie das lieber wollen, Sie haben mir nicht den vierten Teil von dem geschickt, was ich brauche. Vor allem brauche ich Wäsche, wirklich und wahrhaftig, oder ich packe meine Koffer; vier Dutzend Sahnebaisers, zwei Dutzend große Biskuits, vier Dutzend Vanillepastillen mit Schokolade überzogen und nicht diese elende Arznei, die Sie mir schickten. Was sollen diese zwölf Papierhefte? Ich habe nicht um geheftetes Papier gebeten: ich habe Sie um ein Heft gebeten als Ersatz für das mit der Komödie, die ich Ihnen geschickt hatte. Lassen Sie mir 94
dieses Heft zukommen und schwatzen Sie keinen Unsinn, denn alles das ist sehr fade. Bestätigen Sie mir doch den Empfang meines Manuskripts. Ich habe es nicht geschrieben, damit es zurückgehalten wird. Außerdem wird es heutzutage kaum gehen. Falls es doch gehen sollte, können Verbesserungen vorgenommen werden, wenn sie gewünscht werden, aber es darf nichts unterschlagen werden: es darf versetzt, korrigiert, aber nichts weggenommen werden. O mein Gott! wann werden Sie all diese Platitüden unter lassen? Wenn Sie doch begreifen würden, wie wenig Erfolg Sie damit haben; aber wohin hat Sie das seit nahezu sieben Jahren geführt? Sagen Sie es nur. Sie wollen doch mein Unglück? Wollen doch, daß mein Kopf sich zermürbt? Wenn ja, dann werden Sie zufrieden sein, denn ich schwöre Ihnen bei allem, was mir auf Erden heilig ist, ich werde Ihnen Ihre Streiche mit Wucherzinsen zurückzahlen; ich versichere, daß ich meinen Verstand in einer Weise benutzen werde, daß Sie überrascht sein werden, und daß ich Sie so lange nötigen werde, bis Sie zugeben, daß Sie die größten Schafsköpfe gewesen sind. Ich gestehe, ich habe lange geglaubt, Ihr Le Noir hätte mit all diesen Scheußlichkeiten nichts zu tun, aber daraus, daß er fortfährt sie zu dulden, sehe ich, daß er sie teilt, und so bin ich denn überzeugt, daß er nur ein Trottel ist wie die anderen. Vergessen Sie nicht die Mütze, die Brille, die sechs Wachsstangen, die Confessions von Jean-Jacques und die Weste, von der Monsieur de Rougemont versichert, Sie hätten sie. Ich schicke einen faden Roman und den 4. und 6. von Velly zurück. Ich küsse Ihre H...backen und werde mir, der Teufel hol's, ihnen zu Ehren eins draufgeben. Sagen Sie das wenigstens nicht der Präsidentin, denn sie ist eine gute Jansenistin und liebt es nicht, daß man eine Frau molinisiert. Sie behauptet, Monsieur Cordier habe es nie anders als in die Vorrichtung zur Fortpflanzung zurückgedrängt, und wer auch immer sich von der Vorrichtung zurückziehe, müsse in der Hölle braten. Und ich, der ich Schüler bei den Jesuiten war und von dem Père Sanchez gelehrt worden bin, man solle nur ja nicht ins Leere schwimmen, weil schon Descartes sagt: die Natur verabscheut das Leere, ich kann mich mit Mama Cordier nicht einverstanden erklären. Aber Sie sind Philosophin; Sie besitzen einen äußerst 95
wunderschönen Hintersinn, der Handhabung, der Enge im Hintersinne und der Wärme im Rektum, was bewirkt, daß ich mit Ihnen sehr übereinstimme. Wirklich, ich bin sehr der Ihre. Sobald Sie diesen Brief erhalten haben, gehen Sie bitte selbst zu Monsieur Grandjean, dem Augenarzt, Rue Galande, nahe der Place Maubert, und sagen Sie ihm, er möchte die Freundlichkeit haben, die Mittel und Instrumente Monsieur de Rougemont zu schicken, die er dem Gefangenen, den er in Vincennes besuchte, versprochen hat, und gehen Sie bei dieser Gelegenheit auch zu Ihrem Beschützer Le Noir und sagen Sie ihm, er soll mich Luft schöpfen lassen. Dies aus dem einzigen Grunde, daß er es selber tut, er, der viel schuldiger ist als ich. Ich habe einige Ärsche versohlt, gewiß, ich gebe es zu, aber er hat eine Million Menschen der Gefahr des Hungertodes ausgesetzt. Der König ist gerecht: daß er über uns beide entscheiden und den Schuldigen rädern lassen möge, damit bin ich einverstanden. Weiterhin brauche ich, abgesehen von den vergessenen und darüber hinaus erbetenen Besorgungen, eine Flasche Eau de Cologne, ein Band für den Kopf und eine halbe Flasche Eau de fleur d'orange.
BRIEF XV An Madame de Sade [Vincennes, etwa am 25. Juni 1783] Liebenswürdige Königin, es gibt tatsächlich nichts, was so ergötzlich wäre, wie die Unverschämtheit Ihrer Gehilfen. Wenn man nicht überzeugt wäre, daß ihre Zahlen Rätsel sind (übereinstimmend übrigens mit meiner Denkungsart), würde man wahrhaftig Ihren Gehilfen eines Tages eine tüchtige Tracht Prügel verabfolgen. Ach, Sie wollen jetzt meine Tage hier bestimmen! ein köstlicher Streich! Es ist an Ihnen, charmante Prinzessin, die Sie in vornehmer Gesellschaft mit Madame Goupille1 (heute im Hospital) soupieren, 1
Unklar, ob es sich um einen Namen oder ein Synonym handelt.
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die Stunden mit Leuten wie Martin1, Albaret 2, Fouloiseau und anderen Trotteln dieser Art zu verbringen, die Ihnen gefallen und die mir wie Droschkengäule vorkommen, die dazu da sind, die Peitsche zu fühlen und dem Publikum stündlich und täglich zu dienen. Mir die Confessions von Jean-Jacques zu verweigern, ist wieder eine großartige Idee, besonders, nachdem mir die Lucrèce und die Dialogues von Voltaire geschickt worden sind. Das beweist ein feines Unterscheidungsvermögen und einen starken Gerechtigkeitssinn Ihrer Anweiser. Ach, sie tun mir viel Ehre an, wenn sie glauben, ein deistischer Autor könne eine schlechte Lektüre für mich sein; ich wünschte, es wäre noch so. Sie sind nicht sublim in Ihren Heilmitteln, meine Herren Anweiser! Lernen Sie, daß eine Sache gut oder schlecht wird durch den Standpunkt, den man einnimmt, und daß sie es nicht von sich aus ist. Die russischen Bauern heilt man mit Arsen vom Fieber; der Magen einer schönen Frau dagegen verträgt solche Arznei nicht. Das der Beweis, daß alles relativ ist. Gehen Sie davon aus, meine Herren, und haben Sie den gesunden Menschenverstand, zu begreifen, indem Sie mir das Buch schicken, um das ich bitte, daß Rousseau für dumpfe Frömmler Ihrer Art vielleicht ein gefährlicher Autor ist, für mich aber ein vortreffliches Buch. Für mich ist Jean-Jacques das, was für Sie die Nachfolge Jesu Christi ist. Rousseaus Moral und Religion sind für mich ernste Dinge, ich lese sie, wenn ich mich erbauen will. Wenn Sie nicht wollen, daß ich besser werde als ich bin - nun gut! Das Gute ist für mich ein Zustand der Mühe und der Peinlichkeit, und ich wünsche mir nichts Besseres, als in meinem Sumpf zu bleiben; ich fühle mich wohl in ihm. Sie bilden sich ein, meine Herren, Ihre Eselsbrücke sei dienlich und erfolgreich für die ganze Welt; aber Sie irren sich, ich werde es Ihnen beweisen. Es gibt tausend Gelegenheiten, bei denen man ein Übel ertragen muß, um ein Laster zu beseitigen. Ich wette, Sie glauben zum Beispiel, etwas Großartiges getan zu haben, indem Sie mir eine entsetzliche Enthaltsamkeit des Fleisches auferlegten. Nun, da haben Sie sich getäuscht: Sie haben mir den Kopf erhitzt, haben mich Phantome erdichten lassen, die ich realisieren muß. Solches 1 2
Polizeibeamter. Der Notar Albaret war das Faktotum der Präsidentin de Montreuil.
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ist bereits vorgekommen, und es wird noch schöner wiederkehren. Sie wissen, wenn man die Kanne zu heiß macht, springt sie. Wenn ich Monsieur le 6 zu kurieren gehabt hätte, würde ich es ganz anders angefangen haben, denn statt ihn zu den Menschenfressern zu sperren, hätte ich ihn mit Mädchen zusammengesteckt; ich hätte sie ihm in so hübscher Anzahl geliefert, daß es mit dem Teufel zugehen müßte, wenn in den sieben Jahren, die er jetzt hier ist, das Öl seiner Lampe nicht ausgegangen wäre! Wenn man ein allzu feuriges Pferd hat, galoppiert man mit ihm über den Sturzacker; man sperrt es nicht in den Stall. Dadurch würden Sie ihn auf die richtige Bahn geführt haben, auf den Pfad der Ehre, wie man es nennt. Mehr von diesen philosophischen Ausflüchten, diesen von der Natur verachteten Nachforschungen (als ob die Natur sich mit alledem abgäbe), diesen gefährlichen Abweichungen einer überhitzten Phantasie, die stets hinter dem Glück herläuft, ohne es je zu finden, führt dazu, Trugbilder an die Stelle der Wirklichkeit zu setzen und schändliche Abwege an die der ehrlichen Genüsse ... Monsieur le 6 inmitten eines Harems wäre der Freund der Frauen geworden; er hätte erkannt und empfunden, daß nichts schöner, nichts größer ist als das Geschlecht und daß es außer dem Geschlecht kein Heil gibt. Einzig damit beschäftigt, den Damen zu dienen und ihre zarten Wünsche zufriedenzustellen, würde Monsieur le 6 all die seinen geopfert haben. Die Gepflogenheit, nur noch sittlich zu empfinden, hätte seinen Geist daran gewöhnt, Neigungen zu besiegen, die ihn daran gehindert hätten, zu gefallen. Alles das würde ihm schließlich Beruhigung geschenkt haben, und er hätte sie, wie sonst inmitten des Lasters, in der Tugend wiedergefunden! Denn noch eins: für ein lasterhaftes Herz ist die Tugend ein kleineres Laster. Man soll sich nicht einbilden, daß man einen Mann mit einem gewaltsamen Ruck vom Abgrund zurückreißen kann; allein der Gedanke daran kann ihn nur empören. Begnügen Sie sich damit, ihn zu lehren, Geschmack an weniger starken Dosen zu finden, die jedoch auf der gleichen Linie liegen wie jene, an die er gewöhnt ist. Nach und nach werden Sie ihn unmerklich vom Pfuhl zurückziehen. Brüskieren Sie ihn indessen und verlangen Sie von ihm, daß er sich auf einmal über alles hinwegsetzt, werden Sie ihn nur noch mehr reizen. Ganz allmählich 98
gewöhnt man einen Magen an die Diät; wenn man ihm die Nahrung plötzlich entzieht, schädigt man ihn. Es ist wahr, es gibt gewisse Köpfe (und ich kenne sie wie diesen), die ganz im Bösen verhaftet sind, und sie empfinden darin, zu ihrem Unglück, einen solchen Reiz, daß die geringste Kehrtwendung für sie einen qualvollen Zustand bedeutet; man kann sagen, sie fühlen sich wohl im Bösen, leben in ihm, für sie ist es ein natürlicher Zustand, dem keine Macht sie entreißen kann: der Himmel müßte es denn gestatten, doch leider läßt der Himmel, für den das Gut oder Böse der Menschen eine indifferente Sache ist, zu ihren Gunsten nie ein Wunder geschehen. Und das Seltsame ist, daß sie nicht ungehalten darüber sind; sie wären untröstlich, wenn sie anders wären, als sie sind; all die Kümmernisse und Verdrießlichkeiten, all die Sorgen, die das Laster zur Folge hat, sind, statt sie zu peinigen, sogar Freuden für sie; sie sind wie die Unfreundlichkeiten einer Mätresse, die man liebt: dürfte man nicht für sie leiden, wäre man unglücklich. Ja, eine göttliche Wahrheit! meine Schönste, ich kenne solche Menschen. Oh, sie sind gefährlich! Bitten wir den Ewigen, daß er uns davor bewahrt, ihnen je zu gleichen, und beten wir, um dieser Gnade teilhaftig zu werden, alle beide vor dem Einschlafen ein Vaterunser und ein Ave Maria mit einigen Oremus zu Ehren von Monsieur Saint [der Name ist von fremder Hand zerstört]. (Das ist ein Zeichen.) Ich küsse Ihren Hintern. Ich bitte Sie, sich zu erinnern, daß Sie mir immer, wenn es so heiß war wie jetzt, Rindermark geschickt haben, das ich sehr vermisse; ich bitte Sie dringend, es mir ganz bestimmt bis zum 15. zu schicken. Außerdem zwei Bänder für die Nacht, und zwar, damit ich nicht immer wieder darauf warten muß: die stärksten und dunkelsten, die Sie finden können. Hier die genauen Maße eines Etuis, das Sie mir bitte machen lassen wollen, in der Art wie jenes, das Sie mir geschickt haben, aber mit den angegebenen Maßen, ohne etwas zu verkleinern oder zu vergrößern, in der Höhe jedoch um drei Finger langer. Bitte keinen Ring und keinen Knopf aus Elfenbein, wie bei dem, das Sie mir geschickt hatten, weil das nicht hält. Dieses Etui (denn man muß 99
Ihren Anweisern alles erklären) soll die Stiche, die Entwürfe und mehrere kleine Landschaften enthalten, die ich mit roter Tinte gemalt habe. Und ich glaube, daß wirklich [hier sind ein oder zwei Wörter von fremder Hand ausgestrichen], wenn dies für eine Nonne wäre, müßte man [mehrere Wörter von fremder Hand ausgestrichen]. Ich bitte Sie dringend, mir das so bald wie möglich zu besorgen; alle meine Entwürfe und Zeichnungen liegen herum, und ich weiß nicht, wo ich sie lassen soll. Wer Ihnen sagt, ich hätte genug Wäsche, der irrt. Ich besitze nicht mehr als vier tragbare Hemden und weder Taschentücher noch Handtücher. Schicken Sie mir also das, worum ich Sie bitte, und hören Sie auf mit Ihren schlechten Scherzen darüber. Schicken Sie, schicken Sie... Nun, ich habe noch Zeit genug, es zu benutzen.
BRIEF XVI An die Präsidentin de Montreuil [Vincennes, 2. September 1783] Ich belästige Sie selten, Madame, und Sie können mir glauben, wenn ich es tue, dann habe ich ein brennendes Bedürfnis, mich an Sie zu wenden. Von allen Schlägen, die Sie mir, seit ich hier bin, versetzt haben, hat mich keiner so tief getroffen wie jener, mit dem Sie mein Herz zerrissen haben. Sie geben sich dazu her, Madame, mich davon überzeugen zu lassen, daß meine Frau sich entehrt. Ist es möglich, großer Gott, daß das eine Mutter ist, die solche Gemeinheit duldet und sich noch dazu bemüht, ihren Schwiegersohn davon zu überzeugen! Ihre Politik ist abscheulich, aber, Madame, sie verrät sich selbst. Sie wünschten, daß ich mich von meiner Frau trenne und, wenn ich erst fort von hier bin, sie nicht mehr zu mir nehme. Wie schlecht kennen Sie meine Gefühle für sie, wenn Sie glauben, irgend etwas auf Erden könne mich dazu bringen. Sollte ich sie im Geiste vor mir sehen, einen Dolch in der Hand, mit dem sie versucht, mir das Herz zu durchbohren, würde ich mich ihr zu Füßen werfen 100
und sagen: Stoß zu, ich habe es verdient! Nein, Madame, nichts, nichts auf der Welt könnte mich von ihr trennen, und ich vergöttere sie bis in ihre Rache hinein. Großer Gott, zuviel habe ich wieder gut zumachen, zuviel! Lassen Sie mich nicht sterben in der Verzweiflung, daß es mir nicht gelungen ist, sie mein Unrecht vergessen zu lassen. Liebe, Achtung, Zärtlichkeit, Dankbarkeit, Respekt, all die Gefühle, welche die Seele hervorzubringen vermag, vereinen sich in mir für sie, und im Namen von alledem, Madame, und mehr noch aus dem Schrei meines Gewissens heraus, beschwöre ich Sie, sie mir wiederzugeben, sobald ich hier heraus bin. Meinen Sie, ich hätte mir während einer so langen Gefangenschaft keine Gedanken gemacht? Können Sie annehmen, meine Haft hätte nicht Gewissensbisse in mir erweckt? Ich bitte Sie nur um die einzige Gunst, nämlich mich auf die Probe zu stellen. Ich will nicht durchaus, daß Sie mir auf mein Wort glauben. Ich will geprüft werden. Führen Sie uns zusammen, unter wessen Augen und in welchem Land Sie wollen. Dort soll man mich von morgens bis abends beobachten so viele Jahre, wie es Ihnen gefällt, man soll sie mir beim geringsten Verstoß wieder fortnehmen, so daß ich sie nie wiedersehe, man soll mich, wenn man will, ein letztes Mal meiner Freiheit und meines Lebens berauben, ich gehe auf alles ein. Könnte ich noch mehr sagen, Madame? Könnte ich Ihnen mein Herz noch mehr öffnen? Ich flehe Sie an, haben Sie ein wenig Mitleid mit meinem Zustand! Er ist furchtbar. Ich weiß, Sie werden über mein Geständnis triumphieren, aber das ist mir gleich. Ich habe leider Ihre Gemütsruhe allzusehr beeinträchtigt, Madame, als daß ich bedauern dürfte, Ihnen diesen Triumph auf meine Kosten zu bereiten. Wenn Sie auf die Ihrigen mich im letzten Stadium der Demütigung, der Verzweiflung und des Unglücks zu sehen wünschen, in dem sich ein Mensch befinden kann, freuen Sie sich also, Madame, freuen Sie sich, Sie haben Ihr Ziel erreicht, und ich glaube nicht, daß es auf Erden ein Geschöpf gibt, dem das Leben so zur Last geworden ist wie mir. Der Himmel, der mich hört, ist mein Zeuge, daß ich, wenn ich sie behalte, nur versuchen werde, mein Leben zu bessern und die tugendhafte, zartfühlende Seele Ihrer anbetungswürdigen Tochter zu mir zurückzuführen, der ich im furchtbaren Rausch meiner Aus101
schweifungen soviel Kummer bereitet habe. O mein Gott! Wie groß ist meine Verzweiflung und meine Reue! Religion und Natur verbieten es Ihnen gleichermaßen, Madame, Ihre Rache bis zum Grabe zu verfolgen; sie verbieten Ihnen, sich gegen meine Reue zu sträuben und meine Wünsche zu einer Besserung zurückzustoßen. Zugleich mit diesem heißen Gebet flehe ich Sie an, Madame, mich nicht aus dem Gefängnis zu entlassen, wenn Sie mich nicht wieder mit meiner Frau vereinen wollen. Ich bitte Sie inständig, stürzen Sie mich nicht in einen neuen Abgrund des Unglücks; geben Sie mir nicht die Freiheit zurück, um sie mir schon am nächsten Tag wieder zu nehmen. Das würde geschehen, Madame, ich sehe es voraus. Nicht einen Augenblick würde ich mich frei fühlen, wenn ich ihr nicht wieder in die Arme sinken dürfte. Wenn Sie sie in den Schoß der Erde versenkten, wurde ich sie herausholen und wieder mit mir vereinigen. Sobald ich frei bin, eile ich zu Monsieur Le Noir und verlange von ihm meine Frau zurück. Ich laufe zum Minister, wenn er sie mir verweigert, und werde ich auch dort zurückgestoßen, werfe ich mich dem König zu Füßen und erbitte von ihm zurück, was der Himmel mir gegeben hat und was die Menschen mir nicht nehmen können. Man wird meine Schritte verhindern, man wird mich wieder ins Gefängnis werfen, gut! ich liebe sie mehr, ja ich liebe sie tausendmal mehr, als daß ich frei ohne sie leben könnte. Mein Gewissen ist in Ketten wenigstens ruhiger; es ist stark, weil ich es dort, wo ich bin, unmöglich auf die Probe stellen kann. In der Freiheit wurde nichts seine Schwankungen hindern, ich müßte mich bessern oder das Leben verlieren. Ich beschwöre Sie, Madame, stürzen Sie mich also nicht wieder in neues Unglück und entlassen Sie mich nur, um mich mit ihr wieder zu vereinen, oder auch nie, wenn das nicht sein kann. Erlauben Sie mir, sie so bald wie möglich zu sehen, und allein, ich bitte Sie! Ich habe ihr sehr interessante und besondere Dinge zu sagen; Sie würden selbst nicht wollen, daß andere Leute, auch wenn Sie sie bis zu einem gewissen Grade ins Vertrauen gezogen hätten, alles das wüßten. Erlauben Sie, Madame, daß ich, in dem ich diesen Brief beende - ich schwöre, es ist der letzte, den ich schreiben werde, an wen es auch sei und wie lange meine Leiden auch noch dauern mögen -, erlauben Sie, sage ich, daß ich mich Ihnen zu Füßen werfe und sie um Vergebung bitte 102
für alles, wozu mein schreckliches Schicksal mich hingerissen hat. Sehen Sie darin nur die Verzweiflung eines irregeführten Kopfes und in dem hier allein die wahrhaftigen Gefühle meines Herzens. Ich erhoffe viel von Ihrem Erbarmen, Madame, ich erflehe es ohne Scham und erröte mit Ihnen über nichts als über meine Schuld. Ich bin in Verehrung, Madame, Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener. de Sade BRIEF XVII1 An Madame de Sade [Vincennes, 19. September 1783] Heute morgen habe ich einen langen Brief von Ihnen erhalten, der nicht enden wollte. Bitte schreiben Sie doch nicht so lang: glauben Sie, ich hätte nichts anderes zu tun, als Ihre ewigen Wiederholungen zu lesen? Sie müssen viel Zeit zu verlieren haben, daß Sie Briefe von dieser Länge schreiben, und ich selbst, das müssen Sie zugeben, um sie zu beantworten. Da indes das Thema meines Briefes sehr folgenschwer ist, bitte ich Sie, ihn mit ruhigem Kopf und kaltem Blut zu lesen. Ich fand drei Zeichen von größter Schönheit. Es ist mir unmöglich, sie Ihnen zu verheimlichen. Sie sind so erhaben, daß ich überzeugt bin, Sie werden beim Lesen trotz allem meinem Geist und Kenntnisreichtum Beifall zollen. Man könnte von Ihrer Clique sagen, was Piron von der Académie sagte: Ihr seid da vierzig, die den Verstand von vieren haben. Mit Ihrer Familie ist es das gleiche: Ihr seid da sechs, die den Verstand von zweien haben. Nun, mit all Ihrem Geist, und obwohl Sie erst seit zwölf Jahren an dem großen Werk arbeiten, wette ich mit Ihnen, wenn Sie wollen, zwei gegen eins2, daß meine drei Zeichen mehr wert sind als alles, was 1 2
Zum Thema dieses Briefes siehe Vorwort Seite 19. Nicht wahr, zwei gegen eins, das ist hübsch. Hatten Sie es herausfinden können? [Anmerkung de Sades]
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Sie gemacht haben... Warten Sie, ich irre mich, es sind tatsächlich bei mir vier... Nun gut, also sind es drei oder vier, und Sie wissen, daß die drei-vier eine besondere Kraft hat. 1. Zeichen, von mir, Christoph de Sade, erfunden: Beim ersten Schnitt oder Riß, den Sie mir anzuzeigen haben, müssen die H... des Cadet de la Basoche [Albaret] abgeschnitten und mir in einer Schachtel geschickt werden. Ich werde die Schachtel öffnen, werde aufschreien und sagen: Ja, mein Gott, was soll das? - Jacques der Souffleur, der dahinter steckt, wird antworten: Nichts, Monsieur, sehen Sie nicht, daß es eine 19 ist? - Aber nein! sage ich ... - Ohne eitel zu sein, haben Sie etwas, was das aufwiegt? 2. Zeichen, von demselben: Wenn Sie die 2, das Double, das Duplikat, das zweite Du, zweimal bezahlen etc. bezeichnen wollen, müssen Sie folgendes nehmen: Man soll mir in mein Zimmer in der Haltung ein schönes Geschöpf stellen (gleich, welchen Geschlechts; ich bin darin Ihren Verwandten ein wenig ähnlich, ich sehe nicht so genau darauf; und im übrigen dann tollwütiger Hund etc.), man soll mir, sage ich, in mein Zimmer ein hübsches Geschöpf in der Haltung der farnesischen Kallipyga stellen - das sich da recht schön präsentiert. Ich verachte diese Partie durchaus nicht, sondern denke wie der Präsident, ich finde, sie ist fleischiger als das übrige und bedeutet folglich für den, der Fleisch liebt, mehr als das, was flach ist... Wenn ich eintrete, werde ich zu dem Souffleur oder der Souffleuse sagen: Was soll denn diese Gemeinheit bedeuten? (Natürlich nur der Form halber.) Und der Souffleur wird antworten: Monsieur, es ist ein Duplikat. 3. Zeichen, immer von demselben : Wenn Sie, wie in diesem Sommer, eine große Brücke machen wollen mit dem Donner und dem Kondukteur (schreckliche Wirkung, die zur Folge hatte, daß ich beinah an Krämpfen starb), muß 104
man Feuer an das Pulvermagazin legen (es liegt vertikal zu dem Zimmer, in dem ich schlafe): das wird einen großen Effekt geben. Dies ist das Schönste, nicht wahr? Als 4. schließlich: Wenn Sie eine 16 zur 9 machen wollen (hören Sie gut zu!), müssen Sie zwei Totenköpfe nehmen (zwei, verstehen Sie; ich würde sagen, sechs, aber obwohl ich bei den Dragonern gedient habe, bin ich bescheiden: ich sage also zwei), und Sie werden sie, während ich im Garten bin, in meinem Zimmer so aufstellen, daß ich die Dekoration sofort beim Eintreten bemerke. Oder Sie kündigen mir ein Paket an, das aus der Provence gekommen sei und das man für mich in Empfang genommen habe: ich werde es voll Eifer öffnen, und ... es wird das sein - und ich werde große Angst haben (denn von Natur aus bin ich äußerst schüchtern, das habe ich ein paarmal in meinem Leben bewiesen). O ihr guten Leute, ihr guten Leute! glaubt mir, erfindet nicht, denn um solche Plattheiten zu erfinden, die so dumm und so leicht zu erraten sind, lohnt es nicht der Mühe, sich in Unkosten zu stürzen. Es gibt genug bessere Dinge zu tun, als zu erfinden, und wenn man keinen Erfindungsgeist hat, macht man besser Schuhe oder Rohre, als daß man mühsam, ungeschickt und töricht erfindet. Den 19. und abgeschickt am 22. A propos, schicken Sie mir doch meine Wäsche; und sagen Sie denen, die entscheiden, ich hätte sie nicht nötig, daß sie sehr schlecht entscheiden, den Monsieur le directeur de Rougemont, der sehr gut entscheidet, hat entschieden, daß an meinen Laken sehr viel zu flicken sei, und er läßt es machen. Also ziehen Sie doch, wenn's geht, einmal im Leben am gleichen Strang, solche Karrengäule wie Ihr sollten wirklich darauf achten, daß nicht immer der eine nach rechts zieht und der andere nach links.
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BRIEF XVIII An Madame de Sade [Vincennes, Anfang November 1783] O mein Gott! wie recht Monsieur Duclos hat, wenn er in seinen Confessions, Seite 101, sagt, die Späße der Juristen röchen stets nach dem Hörsaal. Er möge mir erlauben, ihn noch zu überbieten und zu behaupten, sie röchen immer nach Vorzimmer, und zwar nach schlechtem Vorzimmer, denn in den Witzen der Vorstadt würde man gewiß nicht solche albernen Plattheiten dulden, wie sie Ihre Mutter zusammen mit ihrem Buchführer erfindet. Also werden Sie nur nicht müde! auf diese Weise werden wir diese Schmeichler und Robenträger überhaupt nicht mehr los! Stopfen Sie sich voll mit ihnen. Berauschen Sie sich an ihnen. Es wäre unrecht von mir, Sie davon abzuhalten, und mein Unrecht ist so groß wie das eines Menschen, der einem Schwein beweisen will, daß ein Crème à l'eau de rose besser schmeckt als de la m.... Aber wenn Sie mir ein Beispiel Ihrer Starrköpfigkeit geben, dann tadeln Sie wenigstens nicht die meine. Sie reiten auf Ihren Prinzipien, nicht wahr? Und ich auf den meinen. Der große Unterschied, der trotzdem zwischen uns beiden besteht, ist nur der, daß die Vernunft meine Prinzipien stützt und die Ihren Ausfluß der Dummheit sind. Sie sagen, meine Denkungsart könne nicht gebilligt werden. Was tut mir das? Der ist schön dumm, der sich um der anderen willen eine Denkungsart aneignet. Meine Art zu denken ist die Frucht meiner Betrachtungen: sie trägt meine Existenz, meine innere Bildung. Ich werde ihrer nicht Herr; und wenn ich das könnte, wurde ich es nicht wollen. Diese Denkweise, die Sie tadeln, ist der einzige Trost meines Lebens; sie mildert alle meine Leiden im Gefängnis, sie umfaßt alle meine Freuden auf Erden, und ich hänge mehr an ihr als an meinem Leben. Es ist nicht meine Aufgabe, darüber nachzudenken, wer mein Unglück verschuldet hat, das ist die der anderen. Der vernünftige Mensch, der die Vorurteile der Dummen verachtet, wird notwendigerweise der Feind der Dummen; er muß sie ertragen, und es muß ihm gleichgültig sein. – Ein Reisender wandert eine 106
schöne Straße entlang. Man hat ihm eine Falle gestellt. Er stürzt. Ist das Ihrer Ansicht nach die Schuld des Reisenden oder die des Schurken, der ihm die Falle gestellt hat? Wenn man mir also, wie Sie sagen, die Freiheit nur geben will, wenn ich meine Grundsätze und meine Neigungen opfere, können wir uns für immer Lebewohl sagen, denn ich würde lieber tausend Leben und tausend Freiheiten opfern, wenn ich sie hätte, als meine Grundsätze und Neigungen aufgeben. Sie sind von mir bis zum Fanatismus gesteigert worden, und dieser Fanatismus ist das Ergebnis der Verfolgungen durch meine Tyrannen. Je länger sie ihre Schindereien fortsetzen, desto tiefer verwurzeln sie meine Prinzipien in meinem Herzen, und ich erkläre offen, daß man mir nie von Freiheit zu sprechen braucht, wenn man sie mir nur um den Preis ihrer Zerstörung gewähren will. Das sage ich Ihnen. Das werde ich Monsieur Le Noir sagen. Der ganzen Welt werde ich es sagen. Auch das Schafott wird mich nicht wankend machen. Wenn meine Grundsätze und Neigungen mit den französischen Gesetzen nicht vereinbar sind, will ich nicht in Frankreich bleiben. Es gibt in Europa weise Regierungen, die die Leute nicht um ihrer Neigungen willen ehrlos machen oder sie wegen ihrer Ansichten einsperren. Dort werde ich leben und glücklich sein. Nicht die Meinungen und Laster einzelner schaden dem Staat; einzig und allein die Sitten des in der Öffentlichkeit stehenden Mannes beeinflussen die allgemeine Verwaltung. Der einzelne glaube an Gott oder nicht, er achte und ehre eine Hure oder versetze ihr hundert Fußtritte in den Bauch - weder das eine noch das andere nützt der Verfassung oder erschüttert sie. Aber daß die Obrigkeit, die über die Versorgung der Hauptstadt zu wachen hat, die Warenpreise verdoppelt und dafür von den Lieferanten besonders bevorzugt wird, daß der mit der Leitung einer öffentlichen Kasse betraute Mann diejenigen leiden läßt, die von dieser Kasse unterstützt werden sollten, weil er das Geld für seine eigene Rechnung verbraucht, daß der Verwalter eines dem König gehörenden, dicht bevölkerten Hauses die unglücklichen Soldaten, die der König hier untergebracht hat, Hungers sterben läßt, weil er am Gründonnerstag mit seiner Familie an einem reichgedeckten Tisch sitzen will - diese Art von 107
Unterschlagungen erschüttern die Grundfesten des Staates; alles wird morsch und verkommt. Und während der Schuldige triumphiert, schmachtet der andere im Kerker. Wenn nur der Schwache bestraft wird, sagte der Kanzler Olivier an dem großen, von Heinrich II. gehaltenen Gerichtstag, und der reichgewordene Übeltäter sich seine Straflosigkeit mit Geld erkaufen kann, dann geht der Staat seinem Ruin entgegen. Wenn doch der König die Verfehlungen der Regierung strafen, ihre Mißbräuche abstellen und die ihn täuschenden oder bestehlenden Minister hängen ließe, ehe er die Meinungen und Neigungen seiner Untertanen unterdrückt! Diese Neigungen und Meinungen würden seinen Thron nicht erschüttern, aber die Schändlichkeiten derer, die ihm nahestehen, richten ihn früher oder später zugrunde. Sie sagen, liebe Freundin, Ihre Eltern hätten es sich zur Regel gemacht, ich dürfe sie niemals um etwas bitten. Diese Behauptung ist um so sonderbarer, als sie notwendigerweise beweist, daß entweder sie oder ich Schurken sind. Wenn sie mich für fähig halten, um mehr als um Ihre Mitgift zu bitten, dann bin ich ein Schurke (aber ich bin es nicht; das Schurkische paßt nicht zu meinen Grundsätzen; es ist ein zu niedriges Laster), und wenn sie es sich dagegen zur Regel gemacht haben, mir nicht zu geben, worauf selbstverständlich meine Kinder Anspruch haben, dann sind sie Schurken. Bitte entscheiden Sie sich, denn Ihre Worte lassen keinen Kompromiß zu. Ist es letzteres? Ich wäre nicht erstaunt darüber und nicht überraschter als über die Mühe, die man sich gab, Sie zu verheiraten, und über die Äußerung eines Ihrer Verehrer: Das Fräulein -ja gern, aber die Eltern -nein! Ich würde mich nicht mehr darüber wundern, wenn man mir Ihre Mitgift in Geschäftspapieren auszahlte und zwei Drittel davon auf der Stelle verlöre; ich würde mich darüber nicht mehr wundern als über das, was mir von Leuten, die Interesse für mich hatten, stets gesagt würde: Nehmen Sie Ihre Interessen wahr, Sie wissen nicht, mit wem Sie es zu tun haben. Bei Leuten, die es sich zur Regel gemacht haben, die ihrer Tochter versprochene Mitgift nicht auszuzahlen, braucht einen nichts mehr zu überraschen; ich frage mich schon lange, ob die Ehre, Ihnen drei Kinder gemacht zu haben, mich ruinieren wird. Zweifellos hat Ihre Mutter deshalb die Papiereinnahmen bei mir so sehr erhöht. Mit 108
einigen Louis hat sie jetzt nur die Urschriften der Notare beiseiteschaffen und einige Schuldscheine von Albaret fälschen zu lassen: so steht es fest, daß ich, wenn ich von hier entlassen werde, um Almosen bitten muß. - Nun gut, was ist dagegen zu tun? Immerhin bleiben mir drei Dinge, die mich über das alles trösten werden: das Vergnügen, das Publikum ins Bild zu setzen, das die Schurkenstreiche der Juristen gegenüber dem Adel sowieso nicht mag, die Hoffnung, den König aufzuklären, indem ich, wenn nötig, einen Kniefall vor ihm tue, um ihn zu bitten, daß er Ihre Eltern wegen ihrer Betrügereien zur Rechenschaft zieht, und wenn all das nicht gelingt, die für mich so süße Genugtuung, Dich, meine liebe Freundin, zu besitzen, um Deiner selbst willen, und das wenige, was mir bleiben wird, Deinen Bedürfnissen und Wünschen zur Verfügung zu stellen in dem beglückenden Geühl, daß Du alles von mir empfängst. de Sade
BRIEF XIX An Madame de Sade [Vincennes, 23./24. November 1783] Bezauberndes Wesen, Sie wollen meine schmutzige, meine alte Wäsche? Wissen Sie, was für ein vollkommenes Zartgefühl das beweist? Sie sehen, wie ich es zu schätzen weiß. Hören Sie, mein Engel, ich habe die größte Lust, Ihrem Wunsch zu willfahren, denn Sie wissen, ich respektiere die Neigungen, die Launen, wie barock sie auch sein mögen, ich finde sie alle achtenswert, weil man ihrer nicht Herr ist, weil sich das Seltsamste, Bizarrste genaugenommen stets auf ein Prinzip der Delikatesse zurückführen läßt. Wenn es Ihnen beliebt, werde ich das beweisen: Sie wissen, daß niemand die Dinge analysiert wie ich. Ich hätte also, mein Herzchen, die größte Lust, Sie zu befriedigen. Indessen würde ich es für eine Gemeinheit halten, meine Wäsche nicht dem Mann zu geben, der mich bedient. Ich habe es immer getan und werde es weiter tun; Sie können sich jedoch an ihn wenden, ich habe ihm schon Andeutungen darüber 109
gemacht. Er hat mich verstanden und mir versprochen, die Wäsche für Sie zu sammeln. Also, mein Lämmchen, wende Dich an ihn, und er wird Dich zufriedenstellen. - O gerechter Himmel! wenn es mir auf so einfache und schnelle Weise möglich wäre, mich mit Dingen von Dir, die bald zerrissen wären, wenn ich sie hätte, regelrecht vollzustopfen, wie würde ich eilen! wie würde ich fliegen! wie würde ich sie mit Gold bezahlen! wie würde ich sagen: Geben Sie, geben Sie, Monsieur, das kommt von der, die ich vergöttere! ich werde die Düfte ihres Lebens atmen; sie werden das Fluid entzünden, das meine Nerven durchströmt, werden etwas von ihr in den Schoß meines Seins rinnen lassen, und ich werde glücklich sein! Das vorausgesetzt, werden Sie mir die Liebe tun, meine Königin, mir neue Wäsche zu schicken, weil ich sie doch so dringend brauche? Sie fragen, mein Püppchen, wie ich das Heft mit den 300 Blättern, das heißt mit den 600 Seiten haben will? Gut, mein Liebchen, ich antworte Ihnen darauf, es soll sein, wie das Heft des Inconstant1. Freude des Propheten Mohamet, Sie sagen, das Etui, um das ich Sie bitte, macht Ihnen solche Mühe. Ich gebe gern zu, daß dies der Fall wäre, wenn Sie es selbst verfertigten. Aber es handelt sich doch nur darum, es machen zu lassen, und deshalb kann die geringe Kapazität meines Kleinhirns es nicht fassen, daß die bloße Bitte so aufregend für Ihre Nerven ist, daß Ihre Seele von ihnen die Sensation des Schmerzes empfängt. Sie schreiben, man hält Sie für verrückt: das verstehe ich nicht. Und ich kann auch nicht dulden, daß die Bitte um ein großes Etui bei einer kleinen Frau eine solche Verwirrung in der Zirbeldrüse anrichtet, die wir atheistischen Philosophen als den Sitz der Vernunft ansehen. Sie werden mir das nach Ihrem Belieben erklären, und inzwischen werden Sie es bestellen und mir schicken, ich bitte sie dringend, weil ich es so sehr nötig brauche; denn da es mir fehlt, muß ich Dinge zur Unterbringung meiner Zeichnungen benutzen, die sie trotz passender Größe beschädigen. Sie haben mir den hübschen Jungen geschickt, geliebte Turteltaube. Den hübschen Jungen: wie süß das Wort meinen ein wenig italienischen Ohren klingt! Un' bel giovanetto, signor, sagte man zu 1
Komödie in einundfünfzig Versen von de Sade.
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mir, wenn ich in Neapel wäre, und ich erwiderte: Si, si, signor, mandatelo lo voglio bene. Sie haben mich wie einen Kardinal behandelt, Miïtterchen . . . aber leider ist es nur ein Gemälde . . . Das Etui also, wenigstens das Etui, weil Sie mich auf die Illusionen zurückbringen. Himmlische Kätzin, hören Sie zu, zu diesem Thema will ich eine sehr komische kleine Geschichte erzählen, die sich in Rom ereignete, als ich dort war. Denn man muß sich manchmal über etwas freuen können; fragen Sie nur den Leutnant Charles, der sich vor acht Tagen bei mir sehr gefreut hat, als er mir erzählte, er sei Kammerherr geworden. In Rom gibt es einen Kardinal, seinen Namen werde ich aus Diskretion nicht nennen, welcher der Meinung war, das nervliche Fluid, wenn es jeden Morgen durch die körperlichen Reize eines hübschen Mädchens in Bewegung gesetzt werde, rege den Menschen zum Studium, zur Heiterkeit und zur Gesundheit an. Deshalb mußte eine von Monsignore für diesen interessanten Zweck bezahlte Matrone jeden Morgen ein hübsches Jungfräulein in die inneren Gemächer Seiner Eminenz führen; ein Edelmann empfing das Kind, untersuchte es und stellte es vor. Die Signora Clementina (so hieß die Matrone) - welche über die Zeremonie nicht näher unterrichtet war, jedoch wußte, daß der Prälat, voll Respekt vor einer Vestalin, dieser nie in einem gewissen Punkt zu nahe trat, sondern nur einige gewohnheitsmäßige Untersuchungen bei ihr vornahm, die zur Not in seinen Augen bei beiden Geschlechtern die gleichen sein konnten -, die Signora Clementina also hatte, da die tägliche kleine Göttin gerade nicht zur Hand war, den Einfall, sie durch einen hübschen Jungen im Mädchengewand zu ersetzen. Das Kind erschien, wurde hineingeführt, die Signora zog sich zurück, und der Edelmann untersuchte. »Oh! Monsignore, welche Unverschämtheit!« rief er. »Dafür verdient Signora Clementina...! Eine Praktik wie die Ihre!« Der Kardinal trat herzu, setzte seine Brille auf, fand bestätigt, was man ihm kundtat, lächelte gütig und ließ das Kind in sein Zimmer treten. »Ruhig, ruhig, lieber Freund!« sagte er zu dem Edelmann, »wir werden sie ihrerseits hereinlegen: sie wird glauben, ich hätte mich getäuscht.« Am 23. November 111
Weil wir gerade bei diesem Thema sind, will ich Ihnen sagen, frisches Schweinchen1 meiner Gedanken, daß ich versucht habe, Ihnen einen Entwurf des Kissens zu machen, das wegen der Empfindlichkeit meines Hinterteils erforderlich ist. Ich wollte es Ihrem Finger und Auge spürbar machen und habe deshalb so gut wie möglich ein Blatt Papier ausgeschnitten und darauf eine genaue Angabe der Sache gezeichnet; das Blatt hat die Form, die das Kissen haben soll; fertigen Sie es mit Daunen und Roßhaaren an (so sind sie vortrefflich), und stecken Sie es in einen Überzug aus festem einfachem Stoff. Das Papier hat die richtige Größe, es darf aber eher etwas größer als kleiner und muß sehr weich und gut gepolstert sein. Die Übersendung des Kissens, süßer Schmelz meiner Augen, macht die Tüllserviette unnötig; sonst ist sie nötig. Das Muster der Strümpfe und der kleinen Schachtel ist abgeschickt, Blutgefäß meines Herzens, und hier ist das für die Decke: 42 Finger lang und 30 breit, aus gutem grünem Stoff, rings herum mit einem Seidenband gesäumt. Ob gut oder schlecht (die schlechtesten sind mir ebenso wichtig wie die guten), ich bitte Sie, Venusstern, schicken Sie mir alle neuen Stücke der verschiedenen Theater, die während des Jahres 83 herausgekommen sind, und zwar nur in den neuen Almanachs, das heißt Ende des nächsten Monats oder Anfang Januar. Seien Sie gewiß, Seele meiner Seele, der erste Kauf, den ich nach meiner Entlassung tätigen werde, die erste Handlung in Freiheit, nachdem ich Ihre beiden Augen, Ihre beiden Zitzen und Ihre beiden H...backen geküßt habe, wird sein, koste es, was es wolle, auf der Stelle anzuschaffen: Les Meilleurs Eléments de Physique, die Histoire naturelle von M. de Buffon, in 4° mit den Kupferstichen, sowie alle Werke von Montaigne, Delille, d'Arnaud, St. Lambert, Dorat, Voltaire, J.-J. Rousseau mit der Folgenreihe des Voyageur, Geschichten Frankreichs und des oströmischen Kaiserreichs, alles Werke, die ich in meiner Bibliothek nicht oder nur unvollständig besitze. Da ich mich so nach diesen Büchern sehne und die Gewißheit habe, daß ich sie mir eines Tages kaufen kann, sehen Sie zu, Spiegel der Schönheit, 1
Ich liebe das Schwein und bekomme hier sehr wenig davon zu essen. [Anmerkung de Sades]
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daß, Sie sie mir inzwischen zukommen lassen, soweit unsere Mittel es erlauben, denn ich will nicht, daß sie uns vom Buchhändler geliehen werden. Es ist überaus geistvoll, mein Nervenkitzel, über Bücher zu witzeln, besonders da, wo Monsieur Duclos unrecht hat, wenn er, wie ich Ihnen kürzlich schrieb, behauptet, daß die Amüsements der Gerichtspersonen nach dem Hörsaal riechen: denn was gibt es Schöneres, was Edleres, als über einen Buchtitel einen Witz zu machen? Wir besitzen keinen Schriftsteller, weder aus dem Jahrhundert Ludwigs XIV. noch aus dem Ludwigs XV., der je eine solche Erhabenheit des Geistes erreicht hat. Ich bitte Sie nur das eine: bemühen Sie sich, wenigstens so viel Geist in dem Buch unterzubringen, wie davon in dem Witz über den Titel enthalten ist was Sie bis heute nicht getan haben, denn es ist unmöglich, die neuen Romane, die Sie mir schickten, zu lesen, obwohl sie die schönsten Zahlen der Welt bilden: von 59 zu 84, von 45, kurz, wahrhaft glänzende Sachen. Könnte man nicht, o Götterbild, alle diese Zahlen und alle diese großartigen Lehrsätze zu guten Büchern machen? Vor allem, kaufen Sie um Gottes willen nichts von Monsieur Rétif! Das ist ein Autor der Pont-Neuf und der blauen Bibliothek; es wäre unerhört, wenn Sie auf die Idee kämen, mir so etwas zu schicken. Aber schicken Sie mir bitte andere neue Romane, und zwar bessere. Es ist mir absolut unmöglich, die Widerlegung des Système de la Nature1 zu prüfen, wenn Sie mir nicht auch das Système selbst senden: bitte legen Sie es mir vor und sagen Sie, Veilchen aus dem Garten Eden, die Leute sollen sich meinem Wohl und der Wiederherstellung guter Prinzipien nicht widersetzen. Ich gebe zu, es wird eine schwere Operation, und die Prinzipien, denen ich seit dreißig Jahren huldige, sind auf Felsen gebaut und nicht leicht zu zertrümmern: noch können Sie indes die Möglichkeit eines Erfolges nicht in Abrede stellen. Siebzehnter Planet des Universums, über Bänder für den Kopf sollten Sie keine Witze machen. Erstens soll eine Frau sich nicht über den Kopf ihres Mannes mokieren; und zweitens, Quintessenz der Jungfräulichkeit, sind diese Bänder ja ein Geschenk Ihrerseits, 1
Werk des Baron d'Holbach, 1770.
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sie werde auf keiner Rechnung angeführt, sondern sind eine unentgeltliche Gabe Ihrerseits. Und wollen Sie mir, Ausfluß englischen Geistes, bestätigen, daß diese Weigerung eine kleine Niedertracht ist? Ich weiß wohl, der Leutnant Charles, über dessen Kopf man sich lustig machen kann, hatte einen Witz über Kopfbänder anzubringen, aber jetzt, Symbol der Scham, wo der Leutnant Charles 6 Livres verdient hat, scheint es mir, Sie könnten mir die Bänder für den Kopf schicken, in welcher Anzahl und Qualität es Ihnen beliebt. Wunder der Natur, ich hatte Sie gebeten, mir ein schönes Paar H...backen zukommen zu lassen, wenn es ein Duplikat zu bezeichnen gibt, und statt dessen haben Sie mir den Leutnant Charles geschickt, der mir erzählte, er sei Kammerherr geworden! Taube der Venus, das nennt man sich in der Ursache der Wirkung täuschen. Rose, dem Schoß der Grazien entsprossen, es bleibt mir nur noch, Sie zu fragen, warum der Pfirsichwein abgelehnt wurde: welche Analogie besteht zwischen der Verfassung des Staates und den Fasern meines Magens? Könnten eine oder zwei Flaschen Pfirsichwein, mein Herzchen, das Gesetz der Salier erschüttern, den Code Justinians verunglimpfen? O Liebling der Minerva, einem Saufbold müssen Sie mit solchen Weigerungen entgegentreten: aber mir, der ich mich nur an Deinem Charme berausche und davon nie genug bekomme, Ambrosia des Olymps, darfst Du keinen Pfirsichwein verweigern! Augenstern, ich danke Dir für den schönen Druck von Rousseau, den Du mir geschickt hast. Flamme meines Lebens, wann, wann werden Deine Alabasterfinger die Fesseln des Leutnant Charles gegen Deine rosa Brüste vertauschen? Adieu, ich küsse sie und schlafe ein. Am 24., um ein Uhr morgens
BRIEF XX An Madame de Sade [Vincennes, Ende November 1783] Gott sei gelobt, da ist also der Brief zu den drei Fragen, es hat wahrhaftig neun ganze Monate gedauert, bis er kam, ich wurde 114
schon ungeduldig. Mein Etui muß wie das Muster sein und nicht anders, und ich brauche es so schnell wie möglich; alle Bücher, um die ich gebeten habe, sind erschienen, und es ist die reinste Buberei, daß man sie mir nicht schicken will, wirklich, es ist sehr töricht und banausisch, wegen der Bücher solche Schwierigkeiten zu machen. Zweifellos liegt es an der übertriebenen Engstirnigkeit derer, nach denen Sie sich richten. Was das Etui betrifft, so begreife ich Ihr Geschwätz darüber nicht, jeder Handwerker fertigt Etuis an, wie man sie haben will, man wird nach den Proportionen gefragt - vermutlich höchstens nach der Größe, aber nicht nach der Dummheit. Bitte kein Wort weiter, fragen Sie lieber Ihren Vetter Villette. Sagen Sie Ihrem Händler, es soll ein Etui für Vignetten und andere kleine Zeichnungen sein, die ich zu meinem Vergnügen mit roter Tinte anfertige. Weil mir das Etui zum Verwahren fehlt, muß ich mich mit anderen Sachen behelfen, die meine Zeichnungen beschädigen, zerreißen und zerdrücken, und das ist sehr unangenehm Aus Rücksicht, um Ihnen nicht Angst zu machen, habe ich das Etui nur im Umfang von 81/2 erbeten, eigentlich müßte es, gemessen an dem Umfang meiner Vignetten, 9 betragen Ich sagte mir jedoch, neun erschreckt die Leute, die über alles erschrecken, ich muß mich mit 81/2 begnügen. Wie soll ich denn die Wiederlegung des Système de la Nature prüfen, wenn Sie mir nicht zugleich mit der Widerlegung das Buch, um das es sich handeIt, schicken; das wäre ja, als sollte ich in einem Prozeß richten, ohne die Akten der beiden Parteien zu kennen. Sie können sich denken, daß das unmöglich ist, obwohl das System wirklich unbestreitbar die Basis meiner Philosophie bedeutet und ich, wenn es sein muß, bis zum Martyrium sein Anhänger bin, ist es dennoch unmöglich, weil ich es seit sieben Jahren nicht gelesen habe, ich mußte mich genügend daran erinnern, um die Widerlegung zu prüfen, und ich will sehr daran arbeiten, um festzustellen, ob ich unrecht habe, aber geben Sie mir die Möglichkeit dazu. Bitten Sie Villette, es mir nur 8 Tage zu leihen, und keine Dummheiten dabei; eine solche wäre es, wenn Sie mir ein Buch verweigerten, das ich den Papst lesen lassen würde, kurz, ein goldenes Buch, das es in allen Bibliotheken geben, das alle Köpfe beschäftigen müßte, das 115
das gefährlichste, widerlichste aller Hirngespinste, auf dessen Konto soviel Blutvergießen auf Erden entstanden ist, untergräbt und zerstört. Wenn die Wesen, die diese Welt bevölkern, nur die geringste Idee von ihrem Glück und ihrer Gemütsruhe hätten, müßten sie sich alle zusammentun, um dieses Hirngespinst für immer zu vernichten. Offen gestanden begreife ich es nicht, wie es Leute gibt, die noch daran festhalten, ich bin überzeugt, sie sind nicht aufrichtig. Oder sie sind Toren, für die die einfachste Nutzanwendung des Geistes unmöglich ist und die sich nicht die Mühe machen können - oder wollen, sich in das Problem zu vertiefen. Denn es ist sicher, daß der Theismus einer gründlichen Prüfung nicht standhalten kann; man braucht nur das Wirken der Natur im Kleinsten zu studieren, um zu erkennen, daß sie von selber und ohne Ursache handelt und daß eine solche Ursache, die nichts erklärt und, im Gegenteil, selbst erklärt werden will, das non plus ultra der Unwissenheit darstellt. Nun also, dies ist ein Brief, der zweifellos meine Gefangenschaft noch verlängern wird, nicht wahr? Sie können diesen Verlängerern sagen, daß ihre Verlängerung zwecklos ist, denn auch wenn ich hierbleiben muß, werde ich nicht widerrufen, das können Sie mir glauben - tötet mich oder nehmt mich, wie ich bin, denn der Teufel soll mich holen, wenn ich mich jemals ändere - ich sagte Ihnen bereits, das Tier ist zu alt - es ist hoffnungslos - ich bin der redlichste, freieste, zartfühlendste Mensch, der mitleidigste und liebevollste, ich vergöttere meine Kinder, für deren Glück ich durchs Feuer gehen würde, um bis zum Extrem den Argwohn zu beheben, ich wolle ihre Sitten verderben, ihrem Geist Schaden zufügen oder ihnen irgendwie meine Anschauungen aufzwingen, ich verehre meine eigenen Eltern, ich empfinde Zuneigung zu denen, die mir als Freunde noch geblieben sind, und über allem steht mir meine Frau, der ich nur Freude bereiten möchte und mit der gemeinsam ich viele Unbesonnenheiten meiner Jugend wiedergutmachen möchte - weil im Grunde die eigene Frau als solche nicht für etwas Derartiges geschaffen ist. Das ist eine Tatsache, über die ich mir klargeworden bin und die ich ihr bereits ein halbes Jahr, bevor ich hierher kam, gesagt habe; sie kann es bestätigen. Dies sind meine Tugenden - und was meine Fehler betrifft - ich bin herrschsüchtig, jähzornig, 116
heißblütig, extrem in allem, von einer beispiellosen Zügellosigkeit der Phantasie und der Lebensführung, Atheist bis zum Fanatismus, mit einem Wort, so bin ich, und noch einmal, tötet mich oder nehmt mich wie ich bin, denn ändern werdet ihr mich nicht.
BRIEF XXI [Vincennes, 1783] An die abgefeimten Schurken, die mich quälen Gemeine Trabanten der Thunfischverkäufer von Aix, niedrige, schändliche Henkersknechte, erfindet doch, um mich zu martern, Qualen, aus denen irgend etwas Gutes erfolgt! Wozu die Untätigkeit, in der Ihre geistige Blindheit mich hält, wenn nicht, um mich in Muße die verworfene Kupplerin verfluchen zu lassen, die mich so feige an Sie verkauft hat? Seit ich nicht mehr lesen, nicht mehr schreiben kann, ist dies die einhundertundelfte Folterqual, die ich für sie erfinde. Heute früh, in meiner Qual, erblickte ich sie, die Vettel, ich sah sie, wund gekratzt, auf Disteln gezerrt und schließlich in eine Essigtonne geworfen. Und ich sagte: Abscheuliche Kreatur, du hast deinen Schwiegersohn den Henkersknechten verkauft! Du hast deine beiden Töchter Zuhältern zugespielt! Du hast deinen Schwiegersohn ruiniert und entehrt! Du hast seine Kinder, denen du ihn opfertest, dazu gebracht, ihn zu hassen. Du hast es gewollt, daß er die schönsten Jahre seines Lebens verlor, denn nur du hattest ihn nach seiner Verurteilung retten können! Du hast die gemeinen, hassenswerten Embryos deiner Töchter ihm vorgezogen! Mit all dem Bösen hast du ihn seit dreizehn Jahren überhäuft, damit er für deine Streiche bezahlt! Und ich verstärkte ihre Folterqualen, und ich verhöhnte sie in ihren Schmerzen, und ich vergaß die meinen. 117
Die Feder fällt mir aus der Hand. Ich muß leiden. Adieu, Ihr Henker, ich muß Euch verfluchen.
BRIEF XXII An Madame de Sade [Vincennes, 1783] Die Wohltaten graben sich zumindest ebenso tief in mein Herz wie die empfangenen Bosheiten; zweifellos bin ich für die Gefälligkeit empfänglich gewesen, die man mir gewährte, als meine Augenkrankheit sich zu erkennen gab, und mir erlaubte, daß der Mann, der mich bedient, ein Weilchen bei mir blieb, während ich aß, so wie es am Anfang gewesen war. Aber indem man mir dies bewilligte, vergaß man etwas Wesentliches: mir vorzuschreiben, wie weit ich gehen durfte in dem, was ich sagte, und in dem, was ich zu sagen unterlassen mußte. In der Beschränktheit meines Geistes erkannte ich die Grenzen nicht, und es wäre richtig gewesen, mir einen diesbezüglichen Code zu geben. Ich mußte mir tüchtig den Kopf zerbrechen, um den trivialsten und oberflächlichsten Unterhaltungsstoff zu finden; ich bin stets recht unglücklich, wenn ich mir Verweise zuziehe, die mich, wie Sie mir glauben können, etwas teuer zu stehen kommen würden, ohne das Ehrenwort, das ich gegeben habe, die Sorge für meine Rache den anderen zu überlassen. Aber sie müßten es dann wenigstens auch annehmen. Schon zweimal glaubte ich, man wolle mir zu Leibe, das erste Mal, als ich nach den Namen der Paten des Dauphin fragte, und das zweite Mal, als ich wissen wollte, ob der Gefängnisarzt am Feiertag viele Gäste zum Diner eingeladen habe. Sie sehen also, wie nötig es wäre, mir ein Verzeichnis der Dinge zu geben, die ich sagen darf, damit ich nicht wieder so schwerwiegende Fragen stelle! Folgendes ist der springende Punkt. Zunächst hat man mir, ich sagte es schon immer, einen ganz unverschämten Bediensteten gegeben; daß das schwere Blut dieses Rüpels so leicht in Wallung gerät, hat vor allem zwei Gründe: erstens, die Verpflichtung, bei mir zu 118
bleiben, das heißt, etwas Menschliches, Freundliches zu tun, zwei grausame Forderungen für einen solchen Menschen; zweitens, seine Einfalt und seine Kaltblütigkeit und das mangelnde Interesse an meiner Konversation. Ich mache mir nichts aus Klatsch; ich gebe nichts auf Angeberei; ich stelle mich nicht, wie man sagt, mit jedem auf du und du, deshalb ist er wütend, und weil er mir auf ernsthafte Fragen nicht unverschämt antworten kann, beschuldigt er mich wegen Kleinigkeiten; das alles macht mir das Leben nicht gerade angenehm. Erklären Sie mir überdies, was der Kerl meint mit seinem ewigen: Sie wollen mir wohl die Würmer aus der Nase ziehen? Ich verstehe das nicht, erstens, weil ich es nicht tue, und außerdem, weil ich es plump und täppisch finde, mir zu sagen: Sie wollen mir wohl die Würmer aus der Nase ziehen. Er scheint übrigens Würmer zu haben, sonst würde er doch nicht fürchten, man zöge sie ihm aus der Nase. Und dann ist er plötzlich töricht genug, mir mit seinem Geschwätz allerhand zu gestehen, was ich mir nicht hätte träumen lassen; so deckte er über alles, was mir rätselhaft schien, die Karten auf. Da sehen Sie, was für feine Leute Sie beschäftigen! So sind Sie, genau so. Indem Ihre Mutter mir einen solchen Gefangenenwärter geben ließ und mich zur Zielscheibe seiner Witze machte, hat sie uns beide, sich und mich, erniedrigt; wenn in ihrer schmutzigen Seele nur ein Restchen Gefühl geblieben wäre, hätte sie wenigstens, statt die Instruktionen diesen albernen Witzbolden anzuvertrauen, sie ehrlichen Leuten mit höflichen, taktvollen und anständigen Manieren geben sollen, damit ehrenhalber ihretwegen und meinetwegen solche Unverschämtheiten unterblieben wären. Aber Roheiten dieser Art passieren dem an sich schon groben Menschen nur, weil er durch einen anderen, noch größeren Schurken dazu angestiftet wird; die beiden tauschen ihre Liebenswürdigkeiten unter lautem Gelächter aus, als wäre das selbstverständlich, es ist zu einer Art Vergnügung unter ihnen geworden; stellen Sie sich vor, wie das wirken muß und wie hassenswert und boshaft jene Person sein muß, die einen Menschen, der ihr doch so nahesteht, in eine solche Lage versetzt! Ich spreche selten und nur ungern von diesen Plattheiten, da jedoch niemand Zeuge ist, wie dieser Mann sich benimmt, und weil er Ihnen alles, was er will, als wahr verkaufen kann, ist es gut, wenn ich von Zeit zu Zeit sage, wie es sich wirklich verhält, damit 119
Sie wenigstens beurteilen können, ob alles so verläuft, wie Sie es sich vorgestellt haben. Heute zum Beispiel habe ich meine Betten klopfen lassen, und man hatte mir ein Viertel Wolle gestohlen. Ist das ein Zeichen? Wenn es das ist, geben Sie ihm ein Trinkgeld, denn er hat es nicht nur allzu gut gemacht, sondern mir auch versichert, meine Betten sollten nicht mehr geklopft werden, es sei denn wieder auf diese Weise. Ewige, charmante Widerrede! Immer muß ich bei den Leuten hier auf die erbetene Sache verzichten oder sie ist zu teuer oder zu schlecht; ein Mittelding gibt es nicht. Früher waren es die Räuber in Frankreich, die den armen Bauern nicht ungestrafter brandschatzten, und das mit der gleichen Konsequenz. Man muß sagen, wenige Vergleiche sind so vollkommen wie dieser; und das nennt sich Besserungsanstalt! Ein Milieu voll so roher, niedriger Laster soll einen Unglücklichen die Tugend lehren! Weil er den Arsch einer Hure nicht respektiert hat, riskiert ein Familienvater, von seinen Kindern nicht geliebt zu werden, denn man trennt ihn von ihnen; er wird den Armen seiner Frau, der Sorge für seine Güter entrissen, wird bestohlen, ruiniert, entehrt, zugrunde gerichtet, er kann seine Kinder nicht in die Welt einführen und selbst nicht wieder in ihr aufgenommen werden, er wird die Zielscheibe, der Spielball von Gefangenenwärtern und das Opfer von drei oder vier anderen Schurken, er verliert seine Zeit, seine Gesundheit, sein Geld und wird seit sieben Jahren in einem eisernen Käfig gefangengehalten! Und das alles warum? Welche Ursachen rufen so große Wirkungen hervor? Hat er den Staat verraten? Hat er sich gegen das Leben seiner Frau, seiner Kinder, seines Monarchen verschworen? Nichts von alledem; keineswegs. Unglücklicherweise ist er davon überzeugt, daß es nichts Verächtlicheres gibt als eine Hure und daß die Art, wie man sich ihrer bedient, sich vom Wasserlassen nicht unterscheidet. Gewiß, das sind Verbrechen, schwere Verbrechen, sie rechtfertigen, daß ein Mann ins Verderben gestürzt wird. Wenn man dem König von Achem erzählen würde, der sich von siebenhundert Weibern bedienen läßt, denen täglich für das geringste Vergehen drei- bis vierhundert Peitschenhiebe verabfolgt werden, und der auf ihren Köpfen den Säbel prüft, den er bei seiner Armee benutzen wird, oder dem Kaiser von Golkonda sagte, der seine 120
Promenade stets auf zwölf Frauen unternimmt, die wie ein Elefant arrangiert sind, und der jedesmal, wenn ein Prinz seines Blutes stirbt, zwölf von ihnen mit eigener Hand opfert; wenn, sage ich, man diesen Herren berichten würde, es gäbe irgendwo in Europa einen Erdenwinkel, wo ein schwarzer Mann täglich dreitausend Kerle kauft, um zu erfahren, in welcher Weise die Bewohner dieses Fleckchens Erde (Menschen, die sich für frei halten) ihren Samen verspritzen; und daß Gefängnisse und Schafotts für diejenigen freien Menschen bereitstehen, die noch nicht begriffen haben, daß es ein großes Verbrechen ist, den Strahl nach rechts statt nach links zu leiten; und daß das geringste Erhitzen des Kopfes in einem Augenblick, wo die Natur will, daß man sich ihrer entledigt, und wo der schwarze Mann will, daß man sie zurückhält, mit dem Tode oder mit Gefängnis von zwölf bis fünfzehn Jahren bestraft wird; wenn, sage ich, man das den Königen, die ich soeben zitiert habe, mitteilen würde, geben Sie zu, daß sie guten Grund hätten, den Redner als einen Verrückten einzusperren... Doch sind diese Menschen nicht gebildet, sie haben nicht das Glück, vom Geist des Christentums erleuchtet zu sein, sie sind Sklaven, wir dagegen, wir sind christlich, gebildet und frei. O Schöpfer dieser bösen kleinen runden Kugel, du, der du vielleicht mit einem einzigen Atemzug zehn Milliarden gleich den unsern in die Unermeßlichkeit des Raums gestellt hast, du, den der Verlust dieser zehn Milliarden nicht einmal einen Seufzer kosten würde, wie magst du dich über all die Torheiten dieser kleinen Ameisen amüsieren, mit denen du deine Himmelskörper übersät hast, wie mag dich der König von Achem ergötzen, der seine siebenhundert Frauen auspeitscht, der Kaiser von Golkonda, der sie als Postpferde benutzt, und der schwarze Mann, der will, daß man seinen Kopf behält, wenn man seinen S... verliert! Gute Nacht, meine kleine Frau.
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BRIEF XXIII An Madame de Sade [Bastille, 8. März 1784] Vierunddreißig Monate, nachdem ich formell eine Überführung auf eine Festung am Rande meiner Güter, in der man mir volle Freiheit zusagte, abgelehnt und mir nur die Gunst ausgebeten hatte, mich dort, wo ich war, in Frieden sterben zu lassen, wie schlecht es mir auch während der ganzen Zeit erging, da es Ihrer Mutter gefiel, mich ihrer Rache zu opfern, vierunddreißig Monate also nach diesem Ereignis bin ich gewaltsam entführt worden, ohne darauf vorbereitet oder darüber benachrichtigt zu werden, mit dem ganzen geheimnisvollen Gehabe, dem ganzen possenhaften Inkognito, dem ganzen Enthusiasmus, mit der ganzen unverzeihlichen Heftigkeit im ersten Aufwallen einer Affäre, die nach zwölf Jahren des Unglücks so folgerichtig wie schal und lächerlich war. Und wohin bin ich gebracht worden? In ein Gefängnis, wo ich es tausendmal schlechter habe und mich tausendmal beengter fühle als an dem unglückseligen Ort, den ich verlassen habe. Ein solches Vorgehen, Madame, mit welchen widerlichen Lügen auch immer versucht wird, diese abscheuliche Hinterlist zu beschönigen, ein solches Vorgehen, das werden Sie mir zugeben, muß wohl den Haß, den ich Ihrer nichtswürdigen Familie geschworen habe, auf die Spitze treiben. Und ich glaube, daß Sie selbst als erste mich verachten würden, wenn ich mit meiner Rache nicht eines Tages all die grausamen Schläge der Ihren ausgliche. Beruhigen Sie sich, und seien Sie sicher, weder Sie noch die Öffentlichkeit werden mir in dieser Hinsicht etwas vorzuwerfen haben. Ich werde kein Geld und keine Mühe scheuen, um in kaltem Zorn das zu suchen, was dem Gift, das angewendet werden muß, die größte Bitterkeit verleihen kann. Alles das werde ich aus tiefster Seele tun, mein Herz wird sich entfalten, um mit allen seinen Fasern zu handeln; seien Sie versichert, daß die Nattern, die es gebiert, jene noch übertrumpfen, die man gegen mich schleudert. Aber gehen wir ins einzelne. Man muß handeln und nicht 122
reden in diesem Fall und, so man die Hände gebunden hat, schweigen. Lektionen in Falschheit und Lügenhaftigkeit hat man mir gegeben: ich werde davon profitieren, ja, das werde ich, und eines Tages werde ich ebenso gemein sein wie Sie. Seit zwanzig Jahren wissen Sie, Madame, daß es mir völlig unmöglich ist, ein Zimmer mit Ofen zu ertragen, und trotzdem bin ich jetzt (dank der Aufmerksamkeit jener, die meine Überführung veranlaßten) in ein solches gesperrt. Dieser Tage war ich so unpäßlich, daß ich aufgehört habe, zu heizen, und ich werde es auch noch für einige Zeit nicht tun können. Zum Glück ist jetzt Sommer; wenn ich jedoch im nächsten Winter hier sein muß, erreichen Sie bitte für mich, daß ich ein Zimmer mit Kamin bekomme. Sie wissen, daß mir Bewegung nötiger ist als selbst Nahrung. Und hier hause ich in einem Raum, der halb so groß ist wie jener, den ich vorher hatte, und in dem ich mich kaum umdrehen kann, den ich nur selten verlassen darf, um einige Minuten in einem engen Hof umherzugehen, in dem man nur die Luft der Wachstube und der Küche atmet und in dem man mich mit aufgepflanztem Bajonett umherführt, als hätte ich Ludwig XVI. vom Thron stürzen wollen! Oh, wie man die großen Dinge verachten lernt, wenn man den kleinen soviel Wichtigkeit beimißt! Wegen der Schwindelanfälle, denen ich ausgesetzt bin, und dem Nasenbluten, das mich quält, wenn ich im Bett den Kopf nicht besonders hoch lagern kann, brauchte ich, wie Sie wissen, stets ein sehr großes Kopfkissen. Als ich dieses unglückselige Kissen mitnehmen wollte, schien es, als wollte ich die Liste der Verschwörer gegen den Staat entwenden; man riß es mir brutal aus den Händen, indem man erklärte, ein solches Verhalten könne niemals geduldet werden. Es gab allerdings, wie ich wußte, bei der Regierung ein geheimes Ressort, das verlangte, ein Gefangener habe mit niedrig gebettetem Kopf zu schlafen; und als ich, um das mir entzogene Kissen irgendwie zu ersetzen, ganz bescheiden um ein paar kleine Bretter bat, hielt man mich für verrückt. Es kam eine Abordnung von Kommissaren, und indem sie feststellten, daß ich wirklich sehr schlecht gebettet war, hieß es, es sei nicht anders üblich. Ich versichere Ihnen, man muß das sehen, um es zu glauben, und wenn man hier erzählen würde, daß so etwas in China passiert, würden unsere weichherzigen, mitleidigen Franzosen sagen: Oh! 123
diese Barbaren! Überdies verlangt man, ich solle mein Bett machen und mein Zimmer fegen. Ersteres sofort, denn es wurde mir zu schlecht gemacht, und es amüsiert mich. Aber vom letzteren verstehe ich leider gar nichts; es ist die Schuld meiner Eltern, daß die Förderung dieses Talents in meiner Erziehung nicht inbegriffen war. Sie haben eben ... vieles nicht vorausgesehen. Hätten sie es getan, würde keine Bauernmagd es mit mir aufnehmen können. Inzwischen bitte ich Sie, erreichen Sie doch für mich, daß ich ein paar Lektionen bekomme. Und daß der Mann, der mich bedient, in den nächsten vier oder fünf Jahren nur einmal in der Woche bei mir sauber macht: ich werde ihn beobachten, und Sie sollen sehen, daß ich es schließlich ebenso gut mache wie er. Sieben Jahre lang habe ich in Vincennes mit Messer und Schere hantiert, ohne daß etwas passiert ist. Ich weiß, ich habe mich in diesen sieben Jahren nicht gebessert, aber ich bin auch nicht schlechter geworden. Könnten Sie das nicht geltend machen und erreichen, daß mir die volle Benutzung dieser beiden Dinge zugestanden wird? Gottlob bin ich splitternackt und fast so, als käme ich direkt aus dem Mutterleib. Nichts von allem hat man mich mitnehmen lassen: wegen eines Hemdes, einer Mütze fluchte der Polizist wie ein Dragoner, schrie Rougemont sich die Lunge aus dem Leibe; deshalb habe ich alles dort gelassen und bitte Sie, mir ganz bestimmt bei Ihrem ersten Besuch folgendes mitzubringen : zwei Hemden, zwei Taschentücher, sechs Servietten, drei Paar Schuhe, vier Paar baumwollene Strümpfe, zwei ebensolche Mützen, zwei Kopfbänder, eine Mütze aus schwarzem Taft, zwei Musselinkrawatten, einen Frisiermantel, vier kleine fünf Finger breite Leinentücher für meine Augenbäder und einige der Bücher, die auf meinem alten Verzeichnis stehen. Und alles das mit der Bedingung, daß ich innerhalb von vierzehn Tagen meine Kisten und mein ganzes Gepäck von Vincennes wiedererhalte; denn wenn ich es noch länger entbehre, müßte ich Sie bitten, mir das alles zu verdoppeln und zu verdreifachen - je nach der von Ihnen vorgesehenen Zeit, die ich noch ohne mein Gepäck verbringen muß. Bitte fügen Sie folgende Dinge hinzu, die mit den Kisten nichts zu tun haben, die ich jedoch auf jeden Fall brauche, ob das Gepäck nun früher oder später kommt. (Die eiligsten Sachen: das Kissen für 124
meinen Steiß, das ich in Vincennes gelassen habe, meine gefütterten Pantoffeln, meine beiden Polster und mein Kopfkissen.) Ein halbes Dutzend Marmeladengläser; ein halbes Dutzend Pfund Kerzen; einige Päckchen kleine Kerzen zu fünfzehn Stück im Päckchen; eine Flasche Eau de Cologne, besser als die letzte, die nichts taugte; eine Kanne Eau de Rose für meine Augen, in das Sie ein Sechstel Eau de Vie tun, das heißt auf die Flasche fünf Teile Eau de Rose und ein Teil Eau de Vie; außerdem die Reihe der seit so langer Zeit erbetenen Bücher wie auch das, was an neuen Komödien übrig war, um den Katalog zu füllen. Wenn Sie es möglich machen, daß ich wenigstens einmal sagen kann, Sie seien mir während meiner Haft nützlich gewesen, dann ist das die Antwort auf die von mir erbetenen Sachen, besonders die beiden Polster von meinem Bett und das große Kopfkissen. Wenn die Augenärzte Ihnen sagen, das Meerwasser und der in Frage kommende Puder seien noch nötig für mein Auge, das noch immer nicht besser geworden ist, dann schicken Sie mir auch diese in Vincennes zurückgelassenen Dinge. Ich bitte Sie, beeilen Sie sich mit der Übersendung meines Gepäcks. Nun gut! meine sehr liebe, sehr reizende und besonders aufrichtige Gemahlin, Sie betrügen mich ja ganz schön, wenn Sie mir bei jedem Ihrer Besuche versprechen, Sie würden mich holen kommen, ich würde frei werden und meine Kinder wiedersehen! Kann man denn noch niedriger, noch arglistiger und lügnerischer sein? Und sagen Sie mir bitte, glauben Sie wirklich, daß die, welche Sie beauftragen, Ihren Gatten so gemein zu betrügen, das Glück Ihres Lebens wünschen? ... Meine liebe Freundin, wenn man Ihnen das sagt, dann täuscht man Sie: sagen Sie ihnen ruhig, ich hätte Ihnen das versichert. Seit ich damals nach Vincennes zurückkehrte, nach all den vorangegangenen Schrecken, die ich zumindest nicht vergessen habe, blieb Ihnen und den Ihren nur übrig, mir noch zwei Dolchstöße zu versetzen: mich in ein anderes Gefängnis zu schaffen und meinen Sohn in einem Regiment unterzubringen, in dem er gegen meinen ausdrücklichen Wunsch dient, und zwar ohne daß ich ihn sehen kann. Beide Hiebe haben Sie mir versetzt. Ich werde nicht undankbar sein, das schwöre ich Ihnen bei allem, was mir auf Erden 125
heilig ist. Ich grüße Sie untertänigst, Madame, bitte Sie in aller Bescheidenheit, meinem Brief, meinen Bitten und Aufträgen einige Aufmerksamkeit zu widmen - um so mehr, als ich in meinen neuen Lebensplan hier aufgenommen habe, Ihnen unbedingt nur noch Listen zu schicken, womit dies hier mein erster und mein letzter Brief gewesen ist. [Am Rande rechts:] Ich glaube, Sie tun gut daran, die Dienste, mit denen ich mich zufriedengeben muß, belohnen zu lassen, um so mehr, als ich augenblicklich den Unterschied sehr grausam empfinde. Ich empfehle es Ihnen.
BRIEF XXIV An Madame de Sade [Bastille, September 1784] Edle Gedanken der Präsidentin Cordier Seit sechs Monaten ärgert man meinen Schwiegersohn nur mit Kleinigkeiten: man streut ihm Sand in die Augen, man belügt ihn, man gewährt ihm nur selten einen Gang an die frische Luft. Alles das ist noch gar nichts; ich kann nichts genießen, mein Bauch schwillt an, ich habe keine Verdauung mehr, meine Nächte sind gewittrig. Holla, Henkersknechte! kommt und quält meinen Schwiegersohn noch etwas mehr. DER HENKER ODER DER EX-GARDIST-DU-CORPS DE LOSME
Aber, Madame, er beträgt sich wie ein Engel. Was, zum Teufel, sollen wir denn mit ihm tun? MADAME CORDIER
Schuft! bezahle ich dich, damit du sein Lob singst? Was tut das, ob 126
er sich gut oder schlecht beträgt. Wenn du [ihn] nicht wegen seiner Laster tadeln kannst, straf ihn wegen seiner Tugenden. Weißt du nichts von der Kunst, Szenen heraufzubeschwören, Fallen zu stellen? habe ich dich dafür nicht gedungen? Mein Schwiegersohn ist edel gesinnt, mach ihn böse; er wird dich zum Teufel schicken: da sitzt er in seinem Zimmer und folglich also: keine Spaziergänge mehr. Untersteht er sich, edel zu sein mir gegenüber, die ich nichts weniger als edel bin! - Mein Schwiegersohn hat seine Finanzen in Ordnung; er liebt es nicht, sein Geld aus dem Fenster zu werfen. Bring ihn dazu, daß er 28 Livres und 17 Sols für eine Sache von 6 Livres bezahlt. Du wirst den Profit teilen. Er wird schreien, er wird sagen, man lasse ihn zu teuer bezahlen, was er kauft: von diesem Augenblick an: Kaufverbot, damit er lernt, kein Verschwender zu sein. Siehst du wohl, du Tölpel, so mußt du es machen, um ihn für seine Tugenden zu strafen, wenn du keine Laster an ihm findest! und wie ich schlafen werde, und wie ich scheißen werde etc. An Madame de Sade Da sind sie also, die gemeinen Gedanken Ihrer verfluchten Mutter! Wie mich dieser abscheuliche Quälgeist seit zwölf Jahren in allem nach Belieben steuert und lenkt! Und Sie behaupten, ich solle mich nicht rächen? und Sie bilden sich ein, das Wort frei ließe mich alles vergessen? Wenn das zuträfe, müßten Sie mich für den feigsten, elendsten Wicht halten. Die Luft und das Obst sind, besonders während dieser Jahreszeit, meine beiden wichtigsten Lebenselemente: ob man sie mir verweigert oder mir den Hals abschneidet, darin besteht für mich nicht der geringste Unterschied. Die Verpflegung hier ist gräßlich. Solange ich selbst etwas beizusteuern hatte, habe ich nichts gesagt. Aber ich darf mich wohl beklagen, wenn ich nicht mehr leben kann. Obgleich Ihnen meine Wünsche vortragen und zu einem Stein sprechen fast auf dasselbe hinausläuft, bitte ich Sie immerhin, sich zu vergegenwärtigen, daß ich ohne diese beiden Sachen nicht leben kann und daß man die Schikanen wo möglich auf andere Dinge sich erstrecken lassen soll, denn sie dürfen sich nicht auf das Lebensnotwendige erstrecken, und daß diese beiden Sachen es für mich wirklich sind. Wenn Sie den stinkenden und widerlichen Fraß aus Fleischabfällen sähen, den man mir vorsetzt, würden Sie leicht 127
verstehen, wie sehr einer, der an feine Speisen gewöhnt ist, es nötig hat, aus der eigenen Tasche zuzuschießen. Man kann nicht mehr den Vorwand der vorgeblichen Beschwerde, daß man mich bestehle anbringen, da ich eine Bestätigung des Gegenteils abgegeben habe. Also sind es nur noch Wut und Laune, die mir das Einkaufen verbieten, und vor allem, wenn Sie so pünktlich bezahlen, wie ich hoffe, daß Sie es tun. - Inzwischen bitte ich Sie, die nachfolgende Liste zu erfüllen. Liste mit Bestellungen, die man meinetwegen von dem Brief abtrennen soll, aber die ich meine Frau bitte, sofort zu erledigen. Einen Früchtekorb in folgender Zusammenstellung Pfirsiche................12 Aprikosen. ............12 Butterbirnen..........12 Weintrauben..........12 die Hälfte von allem reif ; das Unreife so, daß es sich drei oder vier Tage hält. Zwei Töpfe Konfitüre. Ein Dutzend >Biscuits du Palais-Royal<, davon sechs à la-fleur d'orange, und zwei Pfund Zucker. Drei Pakete Nachtkerzen. Ich bitte sie, diese Sendung zu beschleunigen; und damit sie nicht Geldmangel vorschützt, hier eine Anweisung. Ich bitte Monsieur le Président de Montreuil, seiner Tochter, Madame de Sade, auf die Zinsen der Aussteuer gefälligst die Summe von zweihundert Livres abzählen zu wollen, worüber ich auf seine Anforderung jederzeit abrechnen werde. Ausgefertigt zu Paris, den vierten September siebzehnhundertvierundachtzig. de Sade
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DRITTER TEIL 1790 - 1794
BRIEF XXV An Gaufridy l [Paris, 12. April 1790] Am Aschermittwoch habe ich Charenton verlassen (wohin ich von der Bastille versetzt worden war). Guten Tag, gute Tat! Ja, lieber Freund, das ist der Tag, da ich meine Freiheit wiederhabe; auch bin ich entschlossen, sie den Rest meines Lebens heiligzuhalten und statt dieser frivolen Promenaden und dieser dem gottlosen Tun unserer Zeit geweihten Eskapaden, da wir nichts taten als jammern und weinen, statt all dieser weltlichen Eitelkeiten werde ich jedesmal, wenn der fünfundvierzigste Tag der Fasten uns den Karfreitag bringt, niederknien, beten und danken ... werde Besserung geloben und mein Wort halten. Wirklich und wahrhaftig, mein Advokat, denn ich weiß wohl, Sie werden mir wie alle Welt sagen: »Wir wollen Taten, Monsieur, und keine Worte«, wirklich und wahrhaftig, es steht fest, daß ich mit einem Louis in der Tasche nach Paris gekommen bin, ohne zu wissen, wohin ich gehen, wo ich wohnen, wo essen und wo Geld hernehmen sollte. Monsieur de Milly, Staatsanwalt im Châtelet, der seit sechsundzwanzig Jahren meine Geschäfte in dieser Gegend führt, hat mir freundlicherweise zunächst ein Bett, seinen Tisch und sechs Louis angeboten. Am vierten Tag mußte ich mit meinen sechs Louis, von denen nur noch drei übrig waren, um nicht zur Last zu fallen, Herberge, Dienstboten, Schneider etc. suchen, und das alles mit drei Louis. Bei diesem Stand der Dinge habe ich ein Gesuch an Madame la Présidente de Montreuil gerichtet, die mir freundlicherweise durch ihren Notar einige Louis leihen ließ unter der Bedingung, daß ich Ihnen sogleich schreiben sollte, damit Sie mir Geld schicken und ich sowohl das Geliehene zurückerstatten, als auch zu leben beginnen könnte. Ich beschwöre Sie, lieber Freund, mir unverzüglich die ursprüngliche Summe von tausend Talern zu schicken, um die 1
Gaufridy, Notar und Anwalt in Apt, seit 1774 Vermögensverwalter des Marquis (Siehe Lely, »Leben und Werk des Marquis de Sade«, a.a.O., S. 161f.).
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ich Sie kürzlich gebeten habe und die ich so unbedingt brauche, daß ihre Übersendung dringend ist...
BRIEF XXVI An Gaufridy [Paris, Anfang Mai 1790] Soeben erhielt ich Ihren Brief vom 14., und da ich aus ihm ersehe, daß er noch nicht die Antwort auf den meinen sein kann, bin ich auch nicht erstaunt, daß er nicht zu den charmanten Brieflein gehört, die viel mehr wert sind, als ein Billet d'amour, und die sofort Geld bringen. Wundern Sie sich nicht, daß ich Ihnen während meiner Gefangenschaft nicht geschrieben habe, man hatte mir die Möglichkeit dazu genommen. Sie dürfen nicht annehmen, daß mein Schweigen einen anderen Grund hatte. Ich hatte mich nicht in Geschäfte eingemischt, was hatte das in meiner Lage für einen Sinn gehabt. Aber ich würde Sie nach Ihrem Ergehen gefragt und Ihnen über das meine berichtet haben, wir hätten gleichsam von Zeit zu Zeit Blumen auf die Ketten gestreut, mit denen ich gefesselt war. Man hat es nicht gewollt; ein Brief, den ich in diesem Sinne aufs Geratewohl gewagt hatte, wurde mir brutal zurückgeschickt; daraufhin schrieb ich nicht wieder. Ich wiederhole Ihnen jedoch, mein lieber Advokat, daß Sie an meinen Gefühlen für Sie nicht zweifeln dürfen. Wir kennen uns von Kindheit an, wie Sie wissen; meine Freundschaft für Sie bestimmte mein Vertrauen; nur um dieser Freundschaft willen hatte ich Sie gebeten, meine Geschäfte in die Hand zu nehmen; weshalb hatte ich meine Gesinnung Ihnen gegenüber ändern sollen? Es ist nicht Ihre Schuld, daß ich in La Coste verhaftet wurde, es ist die meine, ich fühlte mich zu sicher und wußte nicht, mit was für einer abscheulichen Familie ich es zu tun hatte. Ich denke, Sie verstehen, daß ich von der Familie Montreuil spreche; man kann sich gar nicht vorstellen, wie teuflisch und menschenfresserisch sich diese Leute gegen mich benommen haben. Und wäre ich auch das nichtswürdigste Geschöpf auf Erden 131
gewesen, hätte man doch diese barbarische Behandlung, deren Opfer ich war, nicht wagen dürfen; kurz, ich habe meine Sehkraft eingebüßt, mein Herz ist geschwächt; aus Mangel an Bewegung bin ich so enorm korpulent geworden, daß ich mich kaum rühren kann; mein Empfindungsvermögen ist erloschen; mir gefällt nichts mehr, ich liebe nichts mehr; die Welt, nach der ich mich so wahnsinnig gesehnt hatte, erscheint mir langweilig ... freudlos! ... Es gibt Augenblicke, wo ich Lust habe, zu den Trappisten zu gehen, und ich stehe nicht dafür ein, daß ich nicht wirklich eines Tages verschwinde, ohne daß jemand weiß, was aus mir geworden ist. Ich habe die Menschen noch nie so verachtet wie jetzt, wo ich zu ihnen zurückgekehrt bin, und wenn ich ihnen sonderbar vorkomme, da sie mich wiedersehen, können sie sicher sein, daß sie auf mich ebenso wirken. Während meiner Gefangenschaft war ich sehr intensiv beschäftigt; stellen Sie sich vor, mein lieber Advokat, ich hatte fünfzehn Werke, die gedruckt werden konnten; als ich das Gefängnis verließ, war mir kaum noch ein Viertel dieser Manuskripte verblieben. In unverzeihlicher Sorglosigkeit hat Madame de Sade es zugelassen, daß die einen verlorengingen, die anderen gestohlen wurden, das bedeutet dreizehn verlorene Jahre! Drei Viertel dieser Werke waren in meinem Zimmer in der Bastille zurückgeblieben; am vierten Juli wurde ich nach Charenton gebracht; am vierzehnten wurde die Bastille gestürmt, geplündert, und meine Manuskripte, sechshundert Bände, Möbel für zweitausend Livres, kostbare Porträts, alles wurde zerrissen, verbrannt, weggeschleppt, geplündert, ohne daß ich auch nur einen Strohhalm wiederfinden kann; und das alles nur wegen der Nachlässigkeit von Madame de Sade. Sie hatte zehn Tage Zeit, meine Sachen abzuholen; sie konnte sich denken, daß die Bastille, die in diesen Tagen mit Waffen, Pulver und Soldaten vollgestopft wurde, sich entweder auf einen Angriff oder auf eine Verteidigung vorbereitete. Warum beeilte sie sich nicht, meine Sachen zu retten? ... meine Manuskripte? ... meine Manuskripte, über deren Verlust ich blutige Tränen vergieße! ...Betten, Tische, Kommoden sind zu ersetzen, aber Gedanken nicht... Nein, mein Freund, nie werde ich Ihnen meine Verzweiflung über diesen Verlust schildern können, er ist nicht wieder gutzumachen. Seit dieser Zeit will mich die sensible, zartfühlende Madame de Sade nicht mehr sehen. Eine andere hätte 132
gesagt: »Er ist unglücklich, ich muß seine Tränen trocknen«; diese Logik des Gefühls war ihr fremd. Ich habe noch nicht genug verloren, sie will mich zugrunde richten, sie beantragt die Scheidung. Durch dieses unfaßbare Vorgehen wird sie alle Verleumdungen, mit denen ich überschüttet worden war, rechtfertigen; sie wird Unglück und Schande über mich und über ihre Kinder bringen, und alles das, um, wie sie sagt, in einem Kloster zu leben, oder vielmehr, wie sie sagt, friedlich dahinzuvegetieren, wo gewiß ein Beichtvater sie trösten und vor ihren Augen den Weg des Verbrechens, des Schreckens und der Schande ebnen wird, auf den sie uns alle führt. Wenn diese Frau sich von meinem schlimmsten Feind beraten ließe, könnten die Ratschläge nicht schlechter und gefährlicher sein. Sie werden leicht verstehen, mein lieber Advokat, daß aufgrund der Summen, die seinerzeit von der Mitgift meiner Frau genommen wurden (hundertsechzigtausend Livres) und für die ich mit meinem Vermögen hafte, diese Scheidung meinen Ruin bedeutet, und das ist es ja, was diese Ungeheuer wollen. Ach, großer Gott! Ich hatte geglaubt, siebzehn Jahre des Unglücks, davon dreizehn der Gefangenschaft in furchtbaren Kerkern, könnten einige Unvorsichtigkeiten sühnen, die ich in meiner Jugend beging. Sie sehen, mein Freund, ich habe mich geirrt. Der Zorn der Spanier verraucht nie, und diese verabscheuenswerte Familie ist spanischer Herkunft. Auch Voltaire hat in Alzire gesagt: »Du scheinst ein Spanier ... und du kannst verzeihen?«
BRIEF XXVII An Reinaud1 [Paris, 19. Mai 1790] Ja, Monsieur, ich sagte Ihnen bereits früher einmal, das beste sei, die Schurken zu verlassen, von denen man unglücklicherweise umgeben 1
Advokat in Aix.
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ist. Das habe ich damals zu meinem Grundsatz erhoben, ich werde es ganz modern in die Tat umsetzen; ich danke Ihnen von Herzen für das Interesse, das Sie daran zu nehmen scheinen, und für die Zeichen einer Freundschaft, die Sie mir bewahrt haben. Sicherlich, die Polizeibeamten von Valence waren nicht mehr wert als die Offiziere der Bastille und die Mönche von Charenton, und nachdem ich mich von den einen ohne Umstände getrennt hatte, konnte ich, denke ich, auch den anderen ohne viel Federlesens Valet sagen. Aber kennen Sie folgende Geschichte? Sie ist so amüsant, daß ich sie Ihnen erzählen will. Die lieben Montreuils sahen acht Tage vor der Belagerung der Bastille die Verwirrung voraus, die das zur Folge haben würde, und fürchteten, ich werde wie meine Kameraden am Tag der Einnahme meine Freiheit erhalten, deshalb ließen sie mich nach Charenton bringen. Dort, Monsieur, dort ließen diese Halunken, diese Schufte de Montreuil, die ich verachte wie den Staub der Straße, mich neun Monate unter Verrückten und Epileptikern vegetieren... Noch heute verstehe ich nicht, wie ich das überlebt habe ! ... Endlich, nach neun Monaten, kamen meine Kinder mich besuchen; eins von ihnen hatte eines Tages den Einfall, den Prior zu fragen, mit welchem Recht und auf wessen Verlangen man mich dort zurückhielte. Dieser wagte es nicht, die Order des Königs zu zitieren, die man nicht mehr kannte, und berief sich auf die Familie ... »Oh«, sagte ich zu dem Hüter der Verrückten, »diese Befehle, Monsieur, gelten heute noch weniger als die des Ministeriums, die ich nicht mehr kenne ! ... Ich fordere Sie auf, mir das Tor zu öffnen.« Der närrische Kauz wagte es nicht, sich zu weigern; die beiden Torflügel öffneten sich, und ich wünschte ihm guten Abend. Ich finde, hierauf paßt unser Sprichwort: Il n'y a si bonne compagnie, qui ne se quitte. Nun zur Sache, Monsieur, um das freundschaftliche Vertrauen zu erwidern, das Sie mir erzeigen. Nichts läßt sich mit dem schändlichen Verhalten der Montreuils mir gegenüber vergleichen. Sie zeigen es besonders in der letzten Zeit. Wütend darüber, daß ich jetzt frei bin, tun sie alles, was nur möglich ist, um mich in den Augen der Welt anzuschwärzen. Wenn sie sehen, ich habe irgendwo festen Fuß gefaßt, gleich schicken sie ihre Mittelsmänner, um mich 134
zu verleumden Sie haben erreicht, daß meine Frau sich von mir trennt. Sie wollte es nicht; aber nichts, das man sich nicht ausgedacht, nichts, das man nicht unternommen hatte, sie dahin zu bringen. Die Bosheit dieser Leute ging so weit, daß sie sich Journalisten kauften, die mich in ihren Zeitungen verreißen mußten. Mit einem Wort, seit ich diese Monstren kennengelernt habe, soll ich Ihnen sagen, was ich glaube, lieber Freund? Ich bin fest überzeugt, sie waren es, die die Affäre von Marseille eingefädelt und sich die Mädchen gekauft hatten, damit sie diese Schauergeschichten erzählten ... die mir nie in den Sinn gekommen wären. Denken Sie nicht, ich phantasiere bloß! Viele Menschen sagen es mir heute, und da sie nicht wußten, wie sie mich sonst von der Schwester meiner Frau trennen sollten, mit der ich damals, wie Sie wissen, lebte, haben sie diese Infamie erfunden, um zum Ziel zu kommen ... Basta! denn spreche ich von diesen Schuften, überkommt mich ein solcher Grimm, daß ich nur mit größter Bitterkeit darüber schreiben kann! Die Abwicklung wichtiger Geschäfte und die Furcht, in der Provence an einem demokratischen Galgen zu hängen, werden mich bis zum nächsten Frühling hier noch festhalten. Dann, das heißt in den ersten Märztagen, möchte ich mit meinen Kindern in die Provence kommen. Das sind meine Pläne, Monsieur, die ich ausführen werde, wenn Gott und die Feinde des Adels mich am Leben lassen. Halten Sie mich bitte in dieser Hinsicht nicht für einen Wüterich. Ich versichere Ihnen, ich bin ganz unparteiisch, aber zornig, soviel zu verlieren, und noch zorniger, meinen König in Ketten zu wissen, außerdem bestürzt über das, wovon Sie, meine Herren, sich in der Provinz keine Vorstellung machen können, nämlich, daß sich das Gute unmöglich durchsetzen kann, solange die Sanktionen des Königs von dreißigtausend bewaffneten Maulaffen und zwanzig Kanonen unterdrückt werden, im übrigen weine ich dem alten Regime keine Träne nach, es hat mich wahrhaftig allzu unglücklich gemacht. Dies mein Glaubensbekenntnis, das ich ohne Furcht ablege. Sie fragen mich nach Neuigkeiten; die wichtigste ist heute, daß die Versammlung dem König nicht gestattet, sich in Krieg und Frieden einzumischen. Im übrigen sind es die Provinzen, von denen alles das 135
kommt, was auch hier immer mehr um sich greift: Valence, Montauban, Marseille sind Orte des Schreckens, wo die Kannibalen täglich Tragödien inszenieren, die einem die Haare zu Berge stehen lassen… Ach, es ist lange her, daß ich mir sagte, diese gute und sanfte Nation, welche die Hinterbacken des Marschall d'Ancre auf dem Grill geröstet hatte, warte nur auf die Gelegenheit, sich zu begeistern, um zu zeigen, daß sie, stets zwischen Grausamkeit und Fanatismus stehend, sich auf ihren natürlichen Ton besinnt, sobald Gelegenheit da ist! Aber genug davon; man muß vorsichtig sein in seinen Briefen. Die Freiheit öffnet viel mehr Briefe, als der Despotismus es tat. Ich schließe, wie Sie wünschen, ohne Komplimente. Es ist ein Rest unserer Jahrhunderte der Sklaverei, daß die Freiheit verbannen muß; tun Sie bitte wie ich; der einzig richtige Schluß eines Briefes an Freunde besteht in der Versicherung, daß man sie liebt; in meinem Herzen werde ich, wenn Sie es wünschen, meine Komplimente für Sie aufspeichern. de Sade
BRIEF XXVIII An Gaufridy [Paris, Ende Mai 1790] Schon seit langer Zeit bemerkte ich im Benehmen von Madame de Sade, wenn sie mich in der Bastille besuchte, eine Haltung, die mich beunruhigte und bekümmerte. Weil ich sie so nötig brauchte, schwieg ich, doch alles an ihr ängstigte mich. Ich spürte deutlich die Einflüsterungen ihres Beichtvaters und, um ehrlich zu sein, ich sah voraus, daß meine Freiheit die Zeit einer Trennung sein würde. Am vierten Juli, anläßlich eines kleinen Auftritts, den ich in der Bastille wegen des mir dort bereiteten Ärgers verursachte, beklagte sich der Gouverneur beim Minister. Er behauptete, ich hetze von meinem Fenster aus die Leute auf, sie sammelten sich unter diesem Fenster, ich gäbe ihnen Winke über Vorkehrungen, die in der Bastille getroffen würden, ich triebe sie an, dieses Monument des 136
Schreckens zu stürzen... Alles das war wahr. Ich wurde in das Kloster der Frères de la Charité de Charenton überfuhrt, und die Schufte de Montreuil hatten die Grausamkeit, mich in diesem Milieu von Verrückten und Epileptikern, für die das Haus bestimmt ist, neun Monate schmachten zu lassen. Da ich dort etwas mehr Freiheit hatte als vorher, brachte ich heraus, daß allein der Geiz der Mönche mich bewachte, und so brauchte ich ihnen nur im Befehlston zu sagen, ich wolle fort, da öffneten sie mir auch schon das Tor. Meine Kinder und ich hatten es erreicht. Ich wurde frei, und zwar gerade vor der Sanktion des Königs bezüglich der Haftbefehle, so wie ich es in meinem Brief an Monsieur Perrotet schrieb, an den ich Sie verweise. Aber fahren wir fort. Gibt es etwas Unwürdigeres, als daß man einen Mann aus seiner Geburtsstadt und aus der Nähe seiner Frau und den Eltern seiner Frau entfernt und von einem einigermaßen seiner würdigen Gefängnis in ein völlig ungebührliches bringt? Sie müssen zugeben, daß diese Handlungsweise entweder Bosheit oder Gleichgültigkeit beweist. Doch das ist nicht alles. Als ich die Bastille in der Nacht vom dritten zum vierten Juli verließ, durfte ich, entsprechend dem alten Brauch des ministeriellen Despotismus, nichts mitnehmen. Nackt wie die Hand mußte ich fortgehen; alle meine Sachen, nämlich Möbel für über hundert Louis, Kleider und Wasche, sechshundert Bücher, von denen einige sehr kostbar waren, und, was unersetzlich ist, fünfzehn Bände handgeschriebener Manuskripte von mir, fertig für den Drucker, alle diese Sachen wurden von dem Polizeikommissar der Bastille versiegelt, und Madame de Sade dinierte, entkleidete sich, beichtete und schlief! Endlich am Morgen des vierzehnten Juli erinnerte sie sich, daß es Zeit sei, die Siegel aufzubrechen und mir die Sachen zu schicken ... mir, der ich immer noch nackt war (zum Glück war es heiß) und unter den Verrückten vegetierte. Leider wählte sie zu ihrem Erwachen aus der Lethargie gerade den Tag, an dem sich der Volkshaufe zur Bastille wälzte, an dem er den Gouverneur und alle Offiziere tötete, die dadurch nicht mehr verhindern konnten, daß alle meine Sachen geplündert wurden. Ich frage Sie, lieber Advokat, war das nicht abscheulich und unverzeihlich von Madame de Sade, die, obwohl sie doch zehn Tage Zeit hatte, mir alles rauben ließ ... vor 137
allem meine Manuskripte, denen ich täglich blutige Tränen nachweine ... Werke, die mir viel eingebracht... mich in meiner Abgeschiedenheit getröstet und meine Einsamkeit versüßt hätten, so daß ich mir hätte sagen können: »Wenigstens habe ich meine Zeit nicht verloren!« Verzeihen Sie, lieber Freund, wenn ich über diese Sache schnell hinweggehe, sie durchbohrt mir so grausam das Herz, daß es besser ist, ich versuche, dieses unglückselige Ereignis zu vergessen und zu niemand darüber zu sprechen. Auch habe ich an den Stellen, wo die Papiere der Bastille hingeworfen wurden, etwas wiedergefunden, aber nichts Wichtiges ... nur Kleinigkeiten, nicht ein einziges etwas bedeutenderes Werk. Oh, ich gebe es auf, ich gebe es auf! Gerechter Gott! Das ist das größte Unglück, daß der Himmel noch für mich aufgespart hatte! ... Und um diese Wunde zu lindern, wissen Sie, was die ehrenhafte, zartfühlende Madame de Sade sonst noch getan hat? Auch sie verwahrte viele Werke von mir... Manuskripte, die ich ihr heimlich bei ihren Besuchen zugesteckt hatte; sie hat sie mir verweigert ... sie erklärt, aus Furcht, daß diese (sehr derb geschriebenen) Sachen mir während der Revolution schadeten, habe sie sie Personen anvertraut, die einen Teil davon verbrannt hätten! ... Das Blut kochte mir, als ich das hörte! ... Doch da ich nicht der Stärkste bin, muß ich mich bescheiden und schweigen. Besagte engelhafte Dame hat sich auf diese Freundlichkeit nicht beschränkt, mein lieber Advokat. Kaum wußte sie mich frei, als sie mich die Scheidungsurkunde unterzeichnen ließ ... und dieses famose Machwerk möchte ich Sie lesen lassen. Alle Schändlichkeiten, die in den Kabaretts, den Gardekorps über mich gesagt, in den Almanachs und faden Zeitungen über mich zusammengetragen wurden, bilden die Grundlage für diese schöne Denkschrift; die haarsträubendsten Unanständigkeiten sind schändlich erfunden ... heimlich zusammengetragen. Kurz, es ist ein Monument des Schreckens, der Lügen und der Abgeschmacktheiten, so grob, so obskur wie fade und stumpfsinnig geschrieben. Und Sie sagen, niemand hat den Streich pariert? Niemand hat sich dagegen aufgelehnt? Keine Seele, lieber Advokat! Mehrfach ist mir geraten worden, dieses Monument der Gemeinheit zu ignorieren und gar nicht darauf zu antworten. Ich habe diese Ratschläge befolgt. Schreiben Sie mir, ob ich recht daran getan 138
habe. Ich werde für meine Schuld verurteilt und von Tisch und Bett getrennt, aber hoffentlich nicht ruiniert werden. An meine Güter kann man nicht heran. Zwar wird man die von der Mitgift gemachten Schulden decken müssen, doch hoffe ich, trotzdem noch genug zum Leben zu haben; dank Ihrer Fürsorge werden meine Finanzen in der Provence stets in solchem Zustand sein, daß ich nicht betteln zu gehen brauche. Sie sehen, lieber Advokat, wie sehr mich alles das verpflichtet, Ihnen mehr als je die Sorge für diese bescheidenen Geschäfte anzuempfehlen. Aber genug von diesem Thema; nichts ist noch entschieden, endgültig bestimmt; warten wir ab. Um das Bild meiner Lage abzurunden und Ihnen wenigstens einige Rosen nach all den Dornen anzubieten, will ich Ihnen sagen, daß ich bei einer charmanten Dame wohne, die selbst unglücklich gewesen ist und Verständnis für jene hat, die es ebenfalls sind. Es ist eine Frau von Geist und Talent, von ihrem Gatten getrennt, wie ich von meiner Frau. Sie überhäuft mich mit Liebenswürdigkeiten, so daß ich mich ihrer Kampagnen manchmal werde erwehren müssen, und ich kann wohl sagen, daß ich, obwohl in unserer Beziehung kein anderes Gefühl als das der Freundschaft besteht, mein Unglück in ihrer Gesellschaft stets vergesse. Es ist ihre Adresse, an die Sie Ihre Briefe senden. Sie ist die Gattin des Parlamentspräsidenten von Grenoble und vierzig Jahre alt. Letzteres erwähne ich, damit Sie sehen, daß, da ich fünfzig bin, wir beide zusammen neunzig Jahre zählen, also keine Gefahr besteht. Auch meine Verwandten sind äußerst liebenswürdig zu mir: die Gräfin Saumane, Erste Ehrendame von Madame Elisabeth, der Schwester des Königs; Graf und Gräfin de Clermont-Tonnerre (der Name des letzteren ist in der Versammlung berühmt) überhäufen mich mit Aufmerksamkeiten. Ich habe einige alte Bekannte und Freunde wiedergefunden, die mir Freundlichkeiten erweisen, die ich erwidere, alles das im Schoße des Friedens, der Ruhe und einer stoischen Philosophie ... Keine unlauteren Freuden mehr, lieber Freund, keine Heterogenitäten, alles das widert mich jetzt an, so sehr es mich früher entflammte. Ich merke, daß das Temperament bei diesen Dingen eine große Rolle spielt. Meine physischen Kräfte reichen kaum für alle Leiden aus, von denen ich befallen bin. Es sind der Husten, das Augenleiden, der 139
Magen, der Kopf; es ist der Rheumatismus und schließlich ich weiß nicht was noch; alles das strengt mich so sehr an, daß ich gottlob nicht an andere Dinge denken kann, und ich fühle mich doppelt glücklich dabei. Bei der Dame, von der ich Ihnen schrieb, habe ich ein kleines Appartement für hundert Taler im Jahr gemietet; ich kann mich kaum darin umdrehen, aber es ist anständig und angenehm; schöne Aussicht, gute Luft, gute Gesellschaft. Dort werde ich in Ruhe den Frühling erwarten, um Sie dann wiederzusehen und Ihnen meine Kinder zu bringen. Sie werden meine Kinder ungewöhnlich sanft, aufrichtig, klug, aber kühl finden. Sie kommen nicht mit mir nach La Coste, in das Haus des Armen, um sich über sein Vermögen, seine Hilfsquellen und seine Verwandtschaft zu informieren, und folglich werden sie sich auch keine Liebe gestatten. Ich erkenne es mit Schmerzen, sie haben ein wenig den Dünkel der Montreuil, ich sähe es lieber, sie besäßen die Energie der Sade. Der Chevalier kennt die Provence gut. Er hat mir viel von Ihnen erzählt. Oh, wie recht hatten Sie, lieber Advokat, als Sie sagten, daß die Souveränität darin besteht, unabhängig von anderen zu leben. Dennoch ist Gesellschaft nötig, das habe ich während meiner langen Zurückgezogenheit gespürt; und nachdem ich meine Menschenscheu ein wenig überwunden habe, fühle ich das Bedürfnis, unter die Leute zu kommen. Der trostlose Zustand, daß ich meine Ideen zwölf Jahre lang nicht mitteilen konnte, hat sie in solcher Menge in meinem Kopf angestaut, daß ich sie zutage fördern muß; es kommt immer noch vor, daß ich, wenn jemand da ist, Selbstgespräche führe. Das Reden ist ein wirkliches Bedürfnis, ich habe es erfahren, und deshalb sehe ich, daß das Schweigen nicht mehr zu mir paßt. Apropos, wir haben augenblicklich die Trappisten auf der Bühne. Nachdem wir Kardinäle in Charles IX, Mönche in der Komödie Convent gesehen haben, präsentiert man uns augenblicklich den Comte de Comminges, ein Drama von Monsieur Arnaud, dessen Schauplatz das Trappistenkloster ist. Es gibt keine anderen Personen als Mönche und keine andere Szenerie als einen Kirchhof und Kreuze. Man erstickt fast, so sehr sind wir Engländer geworden ... was sage ich? Menschenfresser!... Kannibalen!...
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BRIEF XXIX An den Präsidenten des Club de la Constitution in La Coste [Paris, 19. April 1792] Herr Präsident! Wenn ich nicht an Ihre Herren Munizipalbeamten einen langen Brief geschrieben hätte, um die Gefühle auszudrücken, die mich an so viele Rechte, an die Revolution und die französische Verfassung binden, würde ich mich gezwungen sehen, sie Ihnen hier nochmals aufzurollen, nachdem beschlossen wurde, wie mir versichert wird, daß die Turmzinnen meines Hauses in La Coste zerstört werden sollen. Da ich Sie jedoch nicht langweilen will, indem ich den Inhalt eines Briefes wiederhole, der Ihnen zweifellos bekannt ist, will ich mich darauf beschränken, Sie in diesem Schreiben kurz zu bitten, der Provinz nicht das Beispiel einer Widersprüchlichkeit zu geben, die sie kaum verstehen würde; denn Sie müssen zugeben, Herr Präsident, es würde sich gewiß sehr seltsam ausnehmen, wenn mein unglückseliges Haus im schwachen Schein von drei Kronleuchtern von den schändlichen Satelliten des ministeriellen Despotismus beschmutzt und zugleich auch von den Feinden eben dieser Satelliten geschändet würde, wovon die Folge wäre, daß der Mensch, der nicht mehr wüßte, welche Partei er ergreifen und in welchem Gebiet er wohnen sollte und der soviel Grund hat, das alte Regime zu hassen und zu verachten, dennoch gezwungen wäre, eben dieser Regierung nachzutrauern, weil er selbst unter denen, die seine Gefühle teilen, keine Verteidiger und Freunde fände. Glauben Sie, Herr Präsident, daß ich in einem solchen Fall nicht zu bedauern wäre? Glauben Sie, man würde diejenigen nicht der Ungerechtigkeit anklagen, die mich so behandelt hätten? Und glauben Sie, man würde mir die Begeisterung nicht verleiden, mit der ich in Wort und Schrift die Partei einer Revolution ergriffen habe, der ich viel mehr zu schulden glaube, als sie mich hat verlieren lassen. Wenn man auch nur einen Stein des Hauses entfernt, das ich innerhalb Ihres Bereiches besitze, werde ich mich an unsere Gesetzgeber, ich werde mich an Ihre 141
Brüder, die Jakobiner in Paris, wenden und bitten, auf diesen Stein gravieren zu lassen: »Stein von dem Haus desjenigen, der diejenigen der Bastille stürzte und den die Freunde der Constitution aus dem Hause befreiten, das die unglücklichen Opfer der Tyrannei der Könige beherbergte. Ihr, die Ihr vorübergeht, tragt diese Schmach in die Geschichte der menschlichen Inkonsequenzen ein!« Ach, lassen Sie mir meine alten, baufälligen Gemäuer, Herr Präsident! Blicken Sie in mein Herz, schlagen Sie meine Schriften auf, lesen Sie meine Briefe, die anläßlich der Flucht des Königs und der Abreise der Damen von Frankreich gedruckt und in ganz Paris verbreitet wurden, und Sie werden sehen, ob man den Besitztümern des Verfassers solcher Schriften Schaden zufügen darf. Wollen Sie ein solches Verfahren zulassen? Erkundigen Sie sich, und man wird Ihnen sagen, ob es nicht allgemein bekannt, nicht authentisch im Druck festgelegt ist, daß man mich, weil ich das Volk unter den Fenstern der Bastille sammelte, plötzlich fortbringen ließ wie einen gefährlichen Aufrührer, dessen Brandreden dieses Monument des Schreckens stürzen helfen wurden. Lassen Sie sich die Briefe des Gouverneurs der Bastille an den Minister geben und wenn Sie die Worte lesen: »Wenn Monsieur de Sade nicht in dieser Nacht aus der Bastille entfernt wird, stehe ich für dieses Haus des Königs nicht ein«, werden Sie sehen, Monsieur, ob das der Mann ist, den man belästigen darf. Bin ich emigriert, Herr Präsident? Habe ich nicht allein schon den Gedanken an einen solchen Schritt verabscheut? Bin ich nicht ein aktiver Bürger in meiner Sektion? Bezahle ich nicht meine Wachen, meine Abgaben? Trage ich andere Titel als den eines Literaten? Schreiben Sie an meinen Distrikt, und Sie werden sehen, was man dort von mir denkt... Aber meine Zinnen mißfallen Ihnen! Nun, meine Herren, seien Sie ruhig! Ich wende mich hier an Ihre ganze Gesellschaft; ich bitte Sie nur um die Ehre, Ihnen diese Zinnen, sobald ich in die Gegend komme, eigenhändig opfern zu dürfen; die Verfassung in der einen und den Hammer in der anderen Hand, will ich aus dieser Zerstörung ein Volksfest machen. Beruhigen wir uns inzwischen, meine Herren, und respektieren wir den Besitz. Die Verfassung selbst zitiere ich mit diesen Worten; ich weiß, Sie werden sie gleich mir ehren, und Sie werden sich daran 142
erinnern, was ich gestern an Ihre Munizipalbeamten schrieb, daß Brutus und seine Anhänger weder Mordbrenner noch Brandstifter bei sich hatten, als sie Rom die kostbare Freiheit zurückgaben, die von den Tyrannen geraubt worden war. Ich bin, Herr Präsident und meine Herren, mit der herzlichsten Brüderlichkeit Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener. Louis Sade Den 19. April 1792, Rue Neuve-des-Mathurins, Chaussée de Mirabeau No 20, Paris
BRIEF XXX An Gaufridy [Paris, 5. Mai 1793] Mir scheint, wenn man wie Sie eine absolute und unbegrenzte Vollmacht erhalten hat, ist man verpflichtet, pünktlich alle vier Monate die Summe von dreitausendsechshundertsiebzig Franc und weiterhin eine von zweitausend Franc zum Einlösen der verpfändeten Sachen zu senden, mit einem Wort, mir scheint, daß die Erklärung, Sie haben sich erst die Art der Übersendung überlegen müssen, nur ein Vorwand für die Verzögerung ist. Aber da unglückseligerweise diese Verzögerungen mir den Dolch ins Herz stoßen, da ich ohne die Kreditbriefe und die verpfändeten Sachen und jede Möglichkeit, etwas zu leihen, wenn Sie mich im Stich lassen, Hungers sterben muß, kann ich Ihnen diese scheußlichen Verzögerungen weder verzeihen noch sie rechtfertigen, welchen Grund sie auch haben mögen. Sie bringen mich an den Bettelstab... Ja, so steht es mit mir! ... Genau so! Seit vier Tagen habe ich keine Dienstboten mehr, weil ich sie nicht ernähren kann, ich selber kann mich nur behelfen, indem ich bald hier, bald dort esse. Innerhalb von acht Tagen sind mir drei Rechnungen ins Haus gekommen: vierhundert für meine Miete und zweihundert für andere Dinge; 143
meine Möbel werden mir genommen, wenn ich nicht bezahle. Ich war so weit, mein Freund, daß ich bei Empfang Ihres Briefes, bei dessen Ankunft ich bereits fünf Tage ohne Mittel war und in dem Sie mich kühl nach der Möglichkeit, wie Sie mir Geld schicken sollen, fragen, ja, glauben Sie mir, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich war so weit, daß ich bei Empfang Ihres Briefes zu meinen Pistolen stürzte und, ohne einen Freund, mir eine Kugel durch den Kopf geschossen hätte! ... Und Sie fragen mich, Sie, der Sie an Ort und Stelle sind, der Sie darüber verfügen, fragen mich, wie Sie es schicken sollen? ... Erlassen Sie mir, auf dieses Geschwätz zu antworten; es hat mir gestern zuviel Schmerz bereitet, als daß ich es wieder vor Augen haben möchte. Außerdem kann ich es auch nicht mehr, denn ich habe den Brief auf der Stelle verbrannt, damit er mir nicht mehr zu Gesicht kommen und mich von neuem dem Zorn und der Verzweiflung preisgeben kann. Das, worum ich Sie bitte, ist Geld, das, was ich haben will, ist Geld, das, was mir fehlt, ist Geld. Ich besitze Güter für fünfhunderttausend Franc, verkaufen Sie unverzüglich für dreizehntausend Livres ein Stück dieses Bodens, so daß ich bis zum nächsten Mai davon leben kann, um mir die schreckliche Angst zu nehmen, mit der Sie mir zu Anfang jedes Vierteljahres das Herz zerreißen. Meine durch das lange Unglück zerrüttete Gesundheit ist nicht mehr imstande, solche Schläge zu ertragen; je nachdem Sie die Mittel erhalten werden, stopfen Sie das Loch, und ich werde wenigstens nicht verschmachten. Ich nehme an, Sie können mir, angesichts des schrecklichen Zustands, in den Sie mich versetzt haben, im voraus die dreitausendsechshundertsiebzig Franc schicken, Sie riskieren doch nicht viel dabei und können es sich selbst nach Belieben zurückerstatten. Aber das wäre ein Freundschaftsdienst, und kann ich das bei der qualvollen und grausamen Weise, mit der Sie mich behandeln, verlangen? Also! tun Sie es!... tun Sie es um Gottes willen, verfahren Sie, wie Sie wollen, mit Saumane, Mazan, mit Arles, mit La Coste! Beschneiden Sie, verkleinern, verpfänden, verkaufen Sie, heizen Sie tüchtig ein, tun Sie den Teufel, aber schicken Sie mir Geld, denn ich muß es sofort haben, denn ich pfeife auf dem letzten Loch! 144
Sie haben unrecht, wenn Sie meinen, Sie könnten das nicht auf sich nehmen; Ihre Vollmacht und mein Vertrauen geben Ihnen das Recht, alles auf sich zu nehmen ... nur nicht, mich warten zu lassen.
BRIEF XXXI An Gaufridy [Paris, 3. August 1793] Der Minister hat den Auszug des Rechtsganges und der Untersuchungen bezüglich La Coste erhalten, und die Sache wird bearbeitet, aber das alles dauert sehr lange. Man beschuldigt ihn selbst, er muß sich verteidigen, kaum kann man ihn sehen ... Es ist wahr, La Coste hat mir einen verrückten Brief geschrieben; zu meiner Freude ist es soweit, daß eine Antwort unmöglich ist, und ich lasse es also bleiben. Ich kann Ihnen zu diesem Thema sagen, daß alle Erkundigungen, die der Minister eingeholt hat, mich glänzend rechtfertigen; es gibt nichts, was nicht günstig wäre; das bringt den Minister in Verlegenheit wegen des Ersatzanspruchs für mich. Ich danke Ihnen für die Mühe, die Sie sich geben, um alles auszugraben, was die Auszahlung des mir Zustehenden möglich macht. Ich kann mir vorstellen, wie undankbar, wie schwierig, ja selbst gefährlich diese Arbeit sein mag, doch ist sie so wichtig für mich, daß ich Sie inständig bitte, sie nicht zu vernachlässigen. Mir scheint, Sie haben in der Provinz einen schlechten Eindruck von der Bastille. Hier gilt es als große Ehre, dort gewesen zu sein; man prahlt damit, man läßt es drucken, und das gibt eine Art Ansehen. Adieu, ich übersende Ihnen meine dreitausendzwanzig Franc, davon neunhundertzwanzig sofort und den Rest am fünfzehnten September. Ich bin ruiniert, geliefert, ich fauche; ich hatte Ihnen doch erzählt, daß ich Präsident meiner Sektion geworden war. Mein Auftreten war so stürmisch, daß ich es nicht mehr bin! Gestern, nachdem ich unter anderem zweimal gezwungen war, mich zu decken, mußte ich den Stuhl meinem Vizepräsidenten überlassen. Sie verlangten, ich sollte über eine 145
Greueltat, eine Unmenschlichkeit abstimmen. Ich wollte es nicht. Gottlob, ich bin davon los! Adieu, denken Sie ein wenig an mich. Ich empfehle Ihnen mehr als je die Sorge für meine Geschäfte und umarme Sie. Während meiner Präsidentschaft ließ ich die Aussonderungsliste mit den Namen der Montreuil passieren. Wenn ich ein Wort gesagt hätte, wäre es ihnen schlecht ergangen. Ich habe geschwiegen; da sehen Sie, wie ich mich räche!
BRIEF XXXII An Gaufridy [Paris, 19. November 1794] Ich kann Ihnen die Freude nicht ausdrücken, lieber Bürger, die ich beim Empfang Ihres Briefes empfunden habe. Ich war gerade beim Essen, als ich ihn zusammen mit einem Mann aus Avignon empfing, der mir im selben Augenblick, als ich ihn bekam, erklärte, Sie wären weit weg von Apt gewesen, und ich würde, welchen Schmerz mir das auch bereitete, gewiß lange nichts mehr von Ihnen hören. Sie können sich denken, wie sehr es mich drängte, Ihren Brief in der Hand, Ihnen zu antworten. Also Sie sind bei Ihren Penaten angelangt, und ich hoffe, Sie werden sich nicht von der Stelle rühren. Ich glaube, wir können sicher sein, daß die Ruhe für immer zurückkehrt. Der Tod der Schurken hat alle Wolken zerstreut, und die Ruhe, der wir uns erfreuen werden, wird alle unsere Wunden heilen. Auch ich, lieber Bürger, bin eingekerkert gewesen. Man hat die Ungerechtigkeit begangen, den für einen Verräter der Nation zu halten, den das ministerielle Regime neun Monate lang als Verräter des Königs in Charenton gefangenhielt. Diese Inkonsequenz ist sehr schmerzlich für einen sensiblen, gerecht denkenden Menschen; doch das ist nun vorbei, und ich denke nicht mehr daran. Obwohl ich adlig bin, hat mich das Komitee des Unterrichtswesens ermächtigt, in 146
Paris zu bleiben, und zwar wegen meiner patriotischen Werke, es hat mich dadurch für alle Leiden entschädigt, welche die Schurken mich erdulden ließen. Während meiner zehnmonatigen Haft bin ich in vier verschiedenen Gefängnissen1 gewesen; im ersten habe ich sechs Wochen in den Toiletten geschlafen; im zweiten acht Tage mit sechs an einem bösartigen Fieber erkrankten Personen, von denen zwei neben mir gestorben sind; im dritten inmitten der Gegenrevolution von Saint-Lazare, jenem stinkenden Gift, gegen das ich mich nur durch größte Vorsicht gesichert habe; mein viertes endlich war ein irdisches Paradies, ein schönes Haus, herrlicher Garten, auserlesene Gesellschaft, liebenswerte Frauen, als plötzlich die Hinrichtungen direkt unter unsere Fenster und der Friedhof der Guillotinierten in die schöne Umfriedung unseres Gartens verlegt wurden. Von ihnen haben wir, lieber Freund, in fünfunddreißig Tagen achtzehnhundert beerdigt, davon ein Drittel aus unserem Unglückshaus. Schließlich wurde auch mein Name auf die Liste gesetzt, als das Schwert der Gerechtigkeit sich am Abend vorher auf Frankreichs neuen Sulla herabsenkte. Von diesem Augenblick an wurde alles besser, und dank der mutigen und eifrigen Bemühungen meiner liebenswürdigen Gefährtin, die seit fünf Jahren mein Herz und mein Leben teilt, wurde ich endlich am 24. Vendémiaire befreit... Aber wo, zum Teufel, sind Sie gewesen, mein lieber Advokat? Ihr Brief sagt mir nichts darüber, ob Ihr Rückzug erzwungen oder freiwillig gewesen ist, bitte teilen Sie es mir doch mit, wenn Sie können. Sie sagen auch nichts darüber, wer der Goupilleau ist, den Sie erwarten; wenn er noch nicht abgereist ist, wurde ich ihn sehen und mit ihm von Ihnen sprechen können. Meine Gefangenschaft hat mir jetzt einige Freunde im Konvent eingebracht, und es wird mir stets eine Freude sein, diese Beziehungen für Sie auszunutzen. Meine Freundin, die von den gleichen Gefühlen beseelt ist wie ich und auch einige von den Deputierten kennt, brennt ebenfalls darauf, Ihnen irgendwie dienlich sein zu können. Bestimmen Sie über uns beide. Im Konvent gibt es zwei namens Goupilleau, Sie sagen nicht, mit welchem von beiden Sie zu tun haben. Schrecklich, daß man Ihre Ernte verkauft hat. 1
Les Madelonnettes, les Carmes, Saint-Lazare und Picpus.
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Diese Leute sind wirklich mit uns umgegangen, als wären wir Menschenfresser... Ich gratuliere Ihnen herzlich, daß Ihre Frau Gemahlin und Ihre lieben Kinder frei sind. Also Mut! alles wird sich bis ins kleinste ordnen, und wir werden unserer Leiden nur noch gedenken, um unsere Enkel schauern zu machen. Mit schmerzlichem Bedauern hörte ich von dem Tod unseres Freundes Reinaud. Ich betrauere ihn aufrichtig. Die Schadenersatzangelegenheiten bezüglich der Plünderung von La Coste werde ich in die Hand nehmen. Ich glaube, es dauert noch lange, bis es soweit ist, doch muß man die verlorene Zeit wieder gutmachen und froh sein, daß man sich wiedergefunden hat. Ich kann Ihnen versichern, ich betrachte das als eins der glücklichsten Ereignisse seit langem, denn schließlich wäre es sehr gut möglich gewesen, daß einer von uns beiden unter dem Regime der Ungerechtigkeit geblieben wäre. Schreiben Sie mir die Namen der Opfer aus unserem Kreis, wenigstens soweit ich sie kenne. Weder von meinen Tanten noch von meinen Kusinen habe ich Nachricht.
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INHALTSVERZEICHNIS Das Leben de Sades .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 5 Vorwort.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 8 Bemerkungen zu den Zeichen.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..19 ERSTER TEIL
1777 Brief I. An die Präsidentin de Montreuil Vincennes, Ende Februar 1777.. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .24 Brief II. An Madame de Sade Vincennes, 6. März 1777.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ...26 Brief III. An Madame de Sade Vincennes, 18. April 1777.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .29 ZWEITER TEIL
1779-1784 Brief IV. An Madame de Sade Vincennes, 17. Februar 1779.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 35 Brief V. An Martin Quiros Vincennes, 4. Oktober 1779.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..41 Brief VI. An Monsieur Carteron (Martin Quiros) Vincennes, Anfang Januar 1780.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..44 Brief VII. An Madame de Sade »Mein großer Brief« Vincennes, 20. Februar 1781 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..50 Brief VIII. An Madame de Sade Vincennes, 21. Mai 1781 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..65 Brief IX. An Madame de Sade Vincennes, etwa am 15. August 1781. .. .. .. .. .. .. .. .. ..73 Brief X. An Mademoiselle de Rousset »Philosophisches Neujahrsgeschenk« Vincennes, 26. Januar 1782.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..77 Brief XI. An Marie-Dorothée de Rousset Vincennes, 17. April 1782. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..82 149
Brief XII. An Mademoiselle de Rousset Vincennes, Mai 1782 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..85 Brief XIII. An Madame de Sade Vincennes, August 1782. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..87 Brief XIV. An Madame de Sade Vincennes, Juni 1783 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..92 Brief XV. An Madame de Sade Vincennes, etwa am 25. Juni 1783.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 96 Brief XVI. An die Präsidentin de Montreuil Vincennes, 2. September 1783.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..100 Brief XVII. An Madame de Sade Vincennes, 19. September 1783 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..103 Brief XVIII. An Madame de Sade Vincennes, Anfang November 1783.. .. .. .. .. .. .. .. .. ..106 Brief XIX. An Madame de Sade Vincennes, 23./24. November 1783 .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..109 Brief XX. An Madame de Sade Vincennes, Ende November 1783 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..114 Brief XXI. »An die abgefeimten Schurken, die mich quälen« Vincennes, 1783.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 117 Brief XXII. An Madame de Sade Vincennes, 1783.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 118 Brief XXIII. An Madame de Sade Bastille, 8. März 1784 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..122 Brief XXIV. An Madame de Sade Bastille, September 1784.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..126 DRITTER TEIL
1790-1794 Brief XXV. An Gaufridy Paris, 12. April 1790 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..130 Brief XXVI. An Gaufridy Paris, Anfang Mai 1790. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..131 Brief XXVII. An Reinaud Paris, 19. Mai 1790.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..133 150
Brief XXVIII. An Gaufridy Paris, Ende Mai 1790. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..136 Brief XXIX. An den Präsidenten des Club de la Constitution in La Coste Paris, 19. April 1792.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .141 Brief XXX. An Gaufridy Paris, 5. Mai 1793.. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..143 Brief XXXI. An Gaufridy Paris, 3. August 1793. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .145 Brief XXXII. An Gaufridy Paris, 19. November 1794 .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .146
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