Nr. 449
Burg der Geheimnisse Hetzjagd in den Höhlen des Marmorbergs von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihr...
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Nr. 449
Burg der Geheimnisse Hetzjagd in den Höhlen des Marmorbergs von H. G. Ewers
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahr stuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern, Besatzern und Invasoren zu tun haben, trachtet der Arkonide danach, die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis auszuspähen und die Kreise der Mächtigen zu stören. Gegenwärtig geht es Atlan und seinen Gefährten Razamon und Kennon/Axton al lerdings nicht darum, den Machthabern der Schwarzen Galaxis zu schaden, sondern es geht ihnen ganz einfach ums nackte Überleben – und das seit der Stunde, da sie auf Geheiß des Duuhl Larx im »Land ohne Sonne« ohne Ausrüstung und Hilfsmittel ausgesetzt wurden. Die Welt, auf der die drei Männer aus ihrer Betäubung erwachen, ist Dorkh, eine Welt der Schrecken und der tödlichen Überraschungen. Kaum sind Atlan und seine Gefährten den Nachstellungen der riesigen Raubvögel und der seltsamen Gnomen entgangen, da müssen sie auch schon vor den katzen artigen Mavinen die Flucht ergreifen. Sie verschwinden im Dschungel und erreichen den »Jagdteppich« der Nomaden, wo für sie erneut eine abenteuerliche Flucht be ginnt. Der weitere Weg führt die drei von Pthor in die Todeswüste und in die BURG DER GEHEIMNISSE …
Burg der Geheimnisse
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan, Razamon und Kennon-Grizzard - Drei »Inspekteure« der Burg Odiara.
Kuashmo - Burgherr von Odiara.
Vinzenz - Ein hilfsbereiter Roboter.
Warwingha, Kungorrat, Konnitz und Dhosh - Bewohner von Odiara.
1. Atlan erwachte von einem stechenden Warnimpuls seines Extrasinns. Er öffnete die Augen und tastete nach sei nem Wurfmesser. Doch obwohl sich die Be leuchtung der Unterkunft aktivierte und all mählich hochschaltete, nachdem er erwacht war, vermochte er nichts zu sehen. Aber ihm war, als hätte er im Augenblick des Erwachens ein Flattern, ein Knistern ge hört. Langsam setzte er sich auf und sah sich um. Der riesige Raum, den Kuashmo ihm und seinen beiden Gefährten als Unterkunft zu gewiesen hatte, war leer bis auf die Matten, Decken und Polster, die als Ruhelager dienten – und bis auf den übermannshohen Spiegel aus poliertem Metall, der an der Wand hing. Von einem der beiden anderen Lager er tönte leises Schnarchen. Dort ragte außer dem ein nackter Fuß aus den Polstern. Raza mons Fuß. Atlan lauschte in Richtung des anderen Lagers und vernahm ein leises Atmen, das ab und zu von einem ebenso leisen Stöhnen unterbrochen wurde. Das mußte Lebo Axton sein. Alles friedliche Eindrücke, aber das kann täuschen! dachte Atlan. Es täuscht! teilte ihm sein Extrasinn mit. Vorhin kreiste ein großer Vogel über euch, dann verschwand er plötzlich wieder. Das wäre weniger verdächtig, gäbe es irgendwo eine offene Luke, doch die gibt es nicht. Der Arkonide stand ganz auf. Er war sehr nachdenklich geworden. Auf einer Welt wie Dorkh mußte man zwar immer auf unbe greifliche Phänomene gefaßt sein. Es war
durchaus denkbar, daß sich Kuashmo, der möglicherweise eine Art Verwalter der Burg darstellte, eines »Geistervogels« bediente, um seinen Gästen nachzuspionieren. Ande rerseits hätte er das zweifellos auch mit dem großen Spiegel tun können, der ja nach sei nen eigenen Worten auch als Kommunikati onsmittel diente. Das wäre logisch gewesen – für Kuash mo! raunte ihm der Logiksektor zu. Atlan nickte. Für Kuashmo wäre es logisch gewesen, aber nicht unbedingt für einen anderen Be wohner der schwarzen Marmorburg, vor al lem nicht für einen, der nicht wollte, daß Kuashmo von seinen Bemühungen erfuhr. Vielleicht hat Kuashmo Gegenspieler, die seine Pläne durchkreuzen möchten! überleg te er und ging zu dem einzigen Fenster des Raumes. Es war etwa anderthalb Meter hoch und einen halben Meter breit. Jenseits der dicken Bleiglasscheiben lagen noch rund zwei Meter dicke Wände aus schwarzem Marmor. Atlan konnte von seinem Fenster platz in ein hohes Gewölbe sehen, das von mehreren flackernden Lichtquellen erhellt wurde. Er versuchte, das Fenster zu öffnen. Aber die beiden Flügel waren vierfach verriegelt, und Atlan brauchte fast zwei Minuten, um das Fenster zu entriegeln. Als er es öffnete, war es fast zu spät, aber nicht ganz, denn der Arkonide hörte noch deutlich, wie rechts – und ein ganzes Stück vom Fenster entfernt – eine Tür geschlossen und verriegelt wurde. Wenig später flackerte das Licht im Gewölbe nicht mehr. Das konnte nur bedeuten, daß jemand ei lig durch das Gewölbe gegangen war, das von offenem Feuer erleuchtet wurde. Jemand, der einen Geistervogel durch ge schlossene Wände und Türen in die Unter
4 kunft gebracht und wieder herausbefördert hatte? Irgendwo links vom Fenster quietschten Scharniere, dann ertönte Stampfen, Schar ren, Klirren und Schlurfen. Atlan erinnerte sich, daß die plumpen Roboter Kuashmos derartige Geräusche erzeugten, wenn sie sich bewegten. Abermals flackerte die Beleuchtung des Gewölbes. Dann wankten nacheinander fünf Roboter am Fenster vorüber. Wenig später hielten sie an. Riegel scharrten und klirrten. Eine Tür wurde heftig aufgerissen und schlug dumpf an eine Wand. Das mußte die Tür sein, durch die der Un bekannte verschwunden war – vermutlich vor den Robotern geflüchtet. Der Arkonide wartete darauf, daß die Ro boter die Verfolgung fortsetzten. Tatsächlich hörte er wieder ihr Stampfen, Scharren, Klir ren und Schlurfen. Aber es verstummte, bevor sie außer Hör weite gekommen waren. Danach näherte es sich wieder. Wenig später wurde die rechte Tür wieder geschlossen und verriegelt. Die fünf Roboter wankten von rechts nach links am Fenster vorbei, verließen das Gewölbe durch die linke Tür und schlossen sie hinter sich. Atlan schloß das Fenster wieder, dann ging er zu Lebo Axton. Der frühere USO-Spezialist – beziehungs weise sein Bewußtsein – im Grizzard-Kör per schlief unruhig. Das Gesicht war mit ro ten Flecken bedeckt. Besorgt musterte Atlan ihn. Hatten die Strapazen der letzten Tage einen Rückfall verursacht? Wehrte sich der Grizzard-Kör per erneut gegen das fremde Kennon-Ax ton-Bewußtsein? Er legte dem Gefährten die Hand auf die Stirn und war ein wenig erleichtert, als er keine Anzeichen von Fieber wahrnahm. Anschließend ging er zu Razamon. Der Pthorer schien die Strapazen und Entbehrun gen gut überstanden zu haben, aber er brauchte anscheinend noch mehr Schlaf. At lan wußte, daß er nur deshalb wach war und
H. G. Ewers sich völlig erholt fühlte, weil sein Zellakti vator den Regenerationsprozeß erheblich be schleunigt und noch dazu vertieft hatte. Jetzt konnte Atlan das nachholen, wozu er vorher nicht in der Lage gewesen war. Er eilte auf die Nebentür zu, die Kuashmo ihnen gezeigt hatte, und fand dahinter einen kleinen Saal mit sechs großen, in den Boden eingelassenen Marmorwannen, sechs offe nen Duschkabinen und im Mittelpunkt ei nem runden, zirka zwölf Meter durchmes senden Schwimmbecken. Innerhalb weniger Sekunden hatte der Ar konide alle Sachen abgestreift und sich in ei ne Wanne gesetzt. Wenig später reckte und dehnte er sich im dampfenden Wasser und genoß den wohlriechenden und reinigenden Schaum, den Düsen immer wieder ins Was ser preßten …
* Nachdem er auch seine Kleidung mehr mals ausgewaschen und unter einem Heiß luftgebläse getrocknet hatte, zog er sich wie der an. Er fühlte sich schon viel besser, und wenn die Kleidung nicht so zerlumpt gewe sen wäre, hätte er sich direkt wohl gefühlt. Als er in die Unterkunft zurückkehrte, schliefen Razamon und Lebo Axton noch fest, aber Atlan entschied, daß zumindest Razamon aufstehen konnte. Er holte eine Schöpfkelle voll kaltes Wasser aus dem Bad und schüttete es dem Pthorer über den Kopf. Razamon prustete, riß die Augen auf und starrte benommen um sich. Allmählich aber wurde sein Blick klar. »Atlan?« fragte er. Atlan lächelte. »Ist es so schwer, mich wiederzuerken nen?« »Ich wußte nicht mehr, wie ein Atlan oh ne Dreckkruste aussieht«, meinte Razamon. »Aber, wie hast du deine Kleidung sauber gekriegt?« »Fünfmal in der Wanne abgeschrubbt«, erklärte Atlan. »Und unter der Heißluftdu sche getrocknet.« Er blickte auf seine nack
Burg der Geheimnisse ten Füße. »Mit den Schuhen klappte das lei der nicht. Ich habe sie weggeworfen.« Razamon grinste, dann sprang er auf die Füße und kratzte sich ausgiebig auf der Brust. »Ich denke, ich werde auch baden und meine Lumpen waschen – und auf meine Schuhe verzichte ich ebenfalls. Vielleicht kann Kuashmo uns neue besorgen.« »Das ist eine Idee!« rief Atlan. Er ging zu dem Spiegel, von dem Kuash mo ihnen gesagt hatte, daß sie ihre Wünsche in ihn sprechen sollten, stellte sich davor und sagte: »Atlan ruft Kuashmo! Kuashmo, kannst du mich hören?« Die Spiegelfläche veränderte sich wie ei ne glatte Wasserfläche, in die jemand einen Stein geworfen hat. Als sie sich wieder glät tete, befand sich Kuashmos Abbild darin. Atlan nickte anerkennend. Kuashmo und der Ausschnitt eines Prunksaals wirkten so echt, als würden sie nicht abgebildet, son dern als wäre der Spiegel eine Tür – und der Langbeinige brauchte nur einen Schritt zu tun, um in der Unterkunft seiner drei Besu cher zu stehen. Kuashmo legte die Hände auf die Brust, verneigte sich und sagte dann: »Du siehst sehr gut erholt aus, Atlan. Es ist fast ein Wunder.« »Danke«, erwiderte der Arkonide. »Kuashmo, kannst du für meine Gefährten und mich neue Kleidung beschaffen?« Kuashmo lächelte. Trotz seiner humanoi den Gestalt war er nur ein Hominide, und sein Lächeln wirkte nicht nur fremdartig, weil er dabei den Mund geschlossen ließ. »Ich habe bereits Kleidung für dich und deine Gefährten besorgt, Atlan. Darf ich sie euch schicken? Ich persönlich kann leider nicht kommen, da ich noch etwas Wichtiges erledigen muß.« »Es genügt, wenn du die Kleidung schickst«, antwortete der Arkonide und wunderte sich abermals über den Eifer, mit dem Kuashmo sich darum bemühte, die Be dürfnisse seiner Besucher zu befriedigen.
5 Wenige Minuten später trafen drei Robo ter mit der Kleidung ein, und Atlan und Raz amon staunten. Die Kleidung bestand aus »fabrikneuen« langärmeligen Hemden aus sandfarbenem seidenartigen Stoff, hellbraunen Lederkilts mit breiten Gürteln sowie Ledersandalen mit langen Wadenriemen. Atlan fühlte sich wieder vollwertig, als er seine Kleidung angezogen hatte – und Raza mon stürzte sich mit Feuereifer in eine Wan ne, um ebenfalls so bald wie möglich wieder zivilisiert auszusehen. Atlan hatte gerade sein Messer unter den Gürtel des Kilts geschoben, als Lebo Axtons Stimme hinter ihm sagte: »Ich wußte gar nicht mehr, daß du auch menschlich aussehen kannst, Lordadmiral!« Der Arkonide drehte sich um und sah, daß Axton-Kennon auf seinem Lager saß. »Wie fühlst du dich?« fragte er. »Wie ein halbverwester Kadaver«, ant wortete Axton. »Jedenfalls stinke ich so. Ich denke, ich sollte ebenfalls ein Bad nehmen und mich anschließend neu einkleiden.« »Dann beeile dich, denn wir werden an schließend auf Erkundung gehen, Lebo!« sagte Atlan. Kurz darauf zog auch Razamon seine neue Kleidung an und musterte sich vor dem Spiegel. »Paßt wie angegossen. Kuashmo muß heimlich Maß genommen haben, denke ich.« Der Gedanke war Atlan auch schon ge kommen. Er fragte sich, wie sicher die Tür verriegelung wirklich gegen Unbefugte schützte. Denke lieber an Lebo! ermahnte ihn sein Extrasinn. Dieser Gedanke hatte im Unterbewußtsein nur auf einen Anstoß gelauert, wie der Arko nide merkte. Er eilte ins Bad – und kam ge rade noch zurecht, denn Lebo Axton war in der Wanne bewußtlos geworden und rutsch te gerade mit dem Kopf unter Wasser, als Atlan ankam. Atlan konnte ihn herausziehen, bevor er
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H. G. Ewers
Wasser schluckte. Er schleppte ihn unter ei ne Dusche und spritzte ihn mit kaltem Was ser ab. Anschließend massierte er ihn, bis er tief atmete und dann die Augen aufschlug. »Ich bin wohl noch ein bißchen schwach«, meinte er. Atlan musterte die roten Flecken, die fast den gesamten Körper Axtons bedeckten. »Du hast einen leichten Rückfall – ich meine, dein Grizzard-Körper«, erklärte er. »Aber es scheint nicht allzu schlimm zu sein«, bemerkte Razamon, der dazugekom men war. »Schlimm genug, um Lebo zur Bettruhe zu zwingen – jedenfalls vorläufig«, erklärte Atlan. Auf Interkosmo berichtete er danach von den seltsamen Vorgängen, die er kurz vor und nach seinem Erwachen beobachtet hatte, und er schloß: »Ich vermute, daß Kuashmo Konkurren ten beziehungsweise Gegenspieler besitzt und daß es zwischen ihm und ihnen eine ter ritoriale Abgrenzung gibt. Es wäre gut für uns, mehr darüber zu erfahren. Deshalb schlage ich vor, daß Razamon und ich uns ein wenig umsehen. Du hütest inzwischen das Bett, Lebo.« Axton verzog das Gesicht. »Das paßt mir zwar nicht, aber wer kann schon einen neugierigen Lordadmiral fest halten«, erwiderte er, ebenfalls auf Interkos mo. Er stand ohne Hilfe auf, stellte sich, wenn auch etwas wackelig, unter eine Heißluftdu sche und zog sich danach seine neue Klei dung an. Sie kehrten in den Aufenthaltsraum zu rück, und Lebo Axton suchte sich ein paar Kissen zusammen, um sich darauf zu betten. »Falls du dem Geistervogel begegnest, Atlan, solltest du ihn rupfen«, sagte er, als seine Gefährten zur Tür gingen. »Die Kissen scheinen mit Holzwolle gefüllt zu sein.«
* Der Korridor vor der Unterkunft lag leer
und in düsteres rötliches Licht getaucht vor Atlan und Razamon. Das Licht fiel durch schmale Glassitstreifen, die in Abständen von anderthalb Metern in die Wände einge lassen waren. Atlan wandte sich nach links, denn von rechts waren sie damals unter Kuashmos Führung gekommen. Eine ganze Weile gin gen sie über den glattgeschliffenen schwar zen Marmor, der den Boden bildete. Auch die Wände bestanden aus schwarzem Mar mor. Nach etwa fünfzehn Minuten verzweigte sich der Korridor nach links und rechts. At lan hielt sich links. Er wollte irgendwie das Territorium erreichen, in das der Unbekann te oder die Unbekannten geflohen waren, die wahrscheinlich den geisterhaften Vogel in die Unterkunft geschickt hatten. Daraus wurde allerdings vorerst nichts. Der Korridor endete an einer breiten Wen deltreppe, die nach unten führte. Von einer Abzweigung in die von Atlan angestrebte Richtung war nichts zu sehen. Atlan und Razamon verständigten sich durch Blicke und stiegen die Wendeltreppe hinab. Ungefähr fünfzehn Meter tiefer ende te sie in einer kleine Halle. Es schien eine Art Vorhalle zu sein, denn auf der gegen überliegenden Seite befand sich ein großes zweiflügeliges Tor aus schwarzem Holz, das mit Silber beschlagen war. »Sieht aus wie das Tor, durch das wir in die Burg kamen«, meinte Razamon und klopfte prüfend gegen das Holz. »Nur nicht so groß, aber ebenfalls sehr stabil.« Atlan musterte die beiden drei Meter ho hen schlanken Krüge oder Vasen aus Glas sit, die links und rechts des Tores standen und zur Hälfte mit funkelnden Edelsteinen gefüllt waren. Dann zuckte er die Schultern und suchte nach einer Möglichkeit, das Tor zu öffnen. Weder eine Klinke noch ein Schloß waren zu sehen, aber als Razamon kräftig an einem hervorstehenden Silberknauf zog, bewegte sich der linke Torflügel quietschend und knarrend nach außen.
Burg der Geheimnisse Als die Öffnung groß genug war, wischte sich der Pthorer den Schweiß von der Stirn und ging vorsichtig hindurch. Atlan folgte ihm. Überrascht standen die beiden Männer kurz darauf in einem riesigen Saal mit zahl reichen Marmorsäulen, einem mit Goldplat ten belegten Boden und verblaßten Malerei en an Wänden und Decke. Die Beleuchtung war archaisch. Sie bestand aus zahlreichen ehernen Schalen, die auf Wandhaltern befe stigt waren und in denen kleine blaue Flam men brannten. Überall standen runde Tische aus schwerem schwarzem Holz, deren Plat ten von silbernen Intarsienarbeiten ge schmückt waren. Alles war jedoch mit einer Staubschicht bedeckt, bis auf zwei Tische und mehrere Stellen des Bodens. »Anscheinend war die Halle früher Schauplatz rauschender Feste«, meinte Raz amon und deutete auf ein großes Wandge mälde. Atlan musterte es ebenfalls. »Es scheint einen Ausschnitt dieses Saales wiederzugeben«, sagte er. »Die Feiernden sind ausnahmslos Wesen wie Kuashmo, auch wenn sie keine Kilts, sondern bunte Umhänge tragen. Die Bedienung besteht al lerdings aus anderen Wesen, ebenfalls homi nid, aber kleiner und mit Hufen statt Füßen und Schafsgesichtern – und es gibt Langbei nerfrauen.« Er wirbelte herum, als er klatschende Flü gelschläge hörte. Im Hintergrund des Saales flog ein bus sardgroßer Vogel mit hellblauem Gefieder um einige Säulen herum, dann verschwand er nach links. Atlan lief ihm nach. Seine Füße wirbelten dabei eine Menge Staub auf, so daß Raza mon, der ihm folgte, husten mußte. Doch der Vogel blieb verschwunden. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Dennoch suchte Atlan sorgfältig alle Wände und die Decke in jenem Teil des Saales ab – und dann entdeckte er, daß die runde gelbe Sonne in einem Deckengemälde
7 nicht gemalt war, sondern aus einem kreis förmigen Loch bestand, durch das von wei ter oben gelbes Licht schien. »Raffiniert gemacht«, stellte der Arkonide anerkennend fest. »Man muß schon sehr ge nau hinsehen, um den Trick zu durchschau en.« Razamon nickte, dann schleifte er einen der an einer Wand aufgestapelten schweren Holzstühle heran und stellte ihn unter das Loch. »Wir können zwar nicht fliegen, aber klettern«, meinte er und stieg auf den Stuhl. Die Entfernung zur Decke war noch zu groß, deshalb zog Atlan einen zweiten Stuhl heran und stellte ihn auf den ersten. Danach reichten er und Razamon mit den Händen gerade durch das Loch, wenn sie die Arme ausstreckten. Der Pthorer zog sich als erster hinauf, rollte sich zur Seite und sagte: »Ich liege in einem relativ niedrigen, aber langen Korridor mit zahllosen Löchern dicht unterhalb der Decke. Die Löcher sind von goldenen, nach außen gewölbten Gittern verschlossen. Dahinter hocken Falken oder Bussarde mit hellblauem Gefieder.« Atlan zog sich ebenfalls durch das Loch, richtete sich auf und sah sich in dem Korri dor um. Die Beleuchtung war die gleiche wie im Festsaal, nur schwächer – und hinter den goldenen Käfiggittern saßen zahlreiche bus sardgroße Vögel und blickten aus gelbleuch tenden Augen auf die Fremdlinge. Dünnes Piepsen ließ den Arkoniden auf horchen. Er trat näher an den Käfig heran, aus dem er das Piepsen gehört hatte – und tatsächlich sah er unter den halb ausgebreite ten Schwingen eines der Vögel vier nur faustgroße junge Vögel mit hellgrauem Ge fieder hocken. »Eine echte Vogelzucht«, meinte er. Razamon trat an einen anderen Käfig her an und streckte die Hand danach aus. Sofort schoß der Kopf des Vogels durch das Gitter und nackte nach ihm. Rasch zog der Pthorer die Hand wieder zurück.
8 »Eine Zucht von Raubvögeln«, stellte er fest. »Als der Vogel sich bewegte, habe ich halb hinter ihm einige Fleischfetzen gese hen. Die Vögel werden also mit Fleisch ge füttert. Ich hoffe, es ist das Fleisch von Tie ren.« Atlan richtete seine Aufmerksamkeit un terdessen auf die mit Silber beschlagene Holztür am linken Ende des Korridors. »Die Riegel werden im Holz geführt und durch Stahlgriffe bewegt, die sich anschei nend auf beiden Seiten der Tür befinden«, sagte er, während er näher ging. Achtung, Gefahr! teilte ihm sein Extrasinn mit. Er blieb stehen, noch etwa dreißig Meter von der Tür entfernt. Aufmerksam musterte er die Wände. Auch in ihnen befanden sich dicht unter der Decke große, mit goldenen Gittern verschlossene Löcher. Aber hinter den Gittern hockten keine Vögel wie in dem Teil des Korridors, der hinter ihm lag. »Was ist los?« fragte Razamon und eilte herbei. Atlan hob warnend die Hand. »Es gibt offenbar eine unsichtbare Grenz linie. Ich nehme an, sie trennt das Territori um unseres Freundes Kuashmo und das der Vogelzüchter.« »Eine durch magische Sprüche errichtete Grenze«, meinte Razamon abfällig und trat über die unsichtbare Linie. Im nächsten Augenblick blieb er ruckartig stehen. Seine Augen weiteten sich, als er einen eisigen Hauch spürte, der aus den lee ren Vogelkäfigen zu ihm wehte. Aber die Vogelkäfige waren gar nicht mehr leer. Aus ihnen starrten die Augen von echsenköpfigen Wesen mit chitinartigen har ten Häuten und aufgerissenen roten Mäu lern, aus denen fingerlange Reißzähne droh ten. Entsetzt wich der Pthorer zurück – und starrte im nächsten Moment wieder in leere Käfige. »Es war also nur Einbildung!« stellte er zornig fest. »Ich weiß nicht«, erwiderte Atlan nach-
H. G. Ewers denklich. »Ich habe die Wesen ebenfalls ge sehen. Vielleicht gibt es sie wirklich.« Er blickte über die Schulter zurück, als er ein Geräusch hörte. »Wir können ja die Vogelzüchter danach fragen.« Razamon fuhr herum. Von der anderen Seite des Korridors nä herten sich ungefähr zwölf Wesen. Sie hat ten die gleiche Gestalt wie Kuashmo, trugen aber weite grüne Umhänge und spitze rote Hüte. Ihre linken Hände waren durch dicke schwarze Lederhandschuhe geschützt. In den rechten Händen trugen sie dünne, arm lange silberne Stäbe. »Komm!« sagte Atlan leise und ging den »Vogelzüchtern« entgegen. Razamon folgte ihm. Als sie noch etwa fünf Meter vor der Gruppe entfernt waren, blieben die »Vogelzüchter« stehen. Ihre Gesichter wirk ten abweisend und gleichzeitig neugierig. Atlan deutete zuerst auf sich, dann auf Razamon und erklärte: »Atlan, Razamon. Wir sind als Gäste auf Burg Odiara und sehen uns ein wenig um.« Einer der »Vogelzüchter«, sein Gesicht wirkte durch zahllose tiefe Furchen sehr alt, deutete auf sich. »Warwingha.« Er deutete mit dem Silberstab in die Rich tung, aus der Atlan und Razamon gekom men waren. »Ihr seid vielleicht von dort gekommen, Schützlinge Kuashmos«, sagte er auf der auf Dorkh gebräuchlichen Spielart des Pthora. »Aber ihr könnt nicht den gleichen Weg zu rückgehen.« »Wir sind nicht ganz von dort gekommen, sondern dort durch«, erwiderte Atlan und deutete auf das Loch im Boden, unter dem sich die Festhalle befand. »Außerdem sind wir nicht die Schützlinge Kuashmos, obwohl ich zugebe, daß er uns zuerst Gastfreund schaft auf Burg Odiara gewährt. Euer Vogel wird es euch verraten haben.« »Krylkhe!« rief einer der »Vogelzüchter«.
Burg der Geheimnisse Er meinte damit wahrscheinlich den »Geistervogel«, den Atlans Extrasinn in der Unterkunft bemerkt hatte, denn einer der Vögel hinter den goldenen Käfiggittern stieß einen Schrei aus, der wie »Hiaah« klang. Warwingha ging zu dem betreffenden Kä fig, griff unter seinen Umhang und warf einen Fleischfetzen durchs Gitter. Der Vogel hüpfte hoch, ließ sich mit den Krallen auf das Fleisch fallen und riß kleine Stücke mit dem gebogenen Schnabel ab. »Wollt ihr nicht bei uns, bei der Gilde der Vogelspäher, bleiben?« fragte Warwingha. »Das läßt unser Auftrag nicht zu«, erwi derte Atlan ausweichend. »Wir müssen uns um alles kümmern. Ich denke, wir kehren erst einmal in unsere Unterkunft zurück.« »Das dürfen wir nicht zulassen, Warwing ha!« rief ein anderes Mitglied der Vogelspä her-Gilde. Hinter Warwinghas Augenschlitzen leuchtete die Iris grün und grell auf, doch dann ertönten aus der Halle unter dem Loch stampfende und klirrende Geräusche. Unter den Vogelspähern entstand Unruhe. »Geht, aber hütet euch vor den Erzklop fern!« sagte Warwingha und hob beschwö rend die Hände. »Hütet euch auch vor den Schmeicheleien Kuashmos!« Wortlos wandte Atlan sich um und spähte durch das Loch im Boden. Gerade wankte einer von Kuashmos Robotern darunter vor bei und stieß dabei gegen die beiden über einander gestellten Stühle. »Nicht umwerfen!« rief Atlan. »Halte sie fest!« Der Roboter blieb stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Seine Hän de stemmten sich gegen den Boden, und sein Kopf lehnte sich so weit zurück, daß der spi ralige Hals nachgab und den Kopf hin und her pendeln ließ. Der Arkonide hielt sich am Lochrand fest und ließ sich hinabgleiten. Razamon folgte ihm. Wenig später standen sie neben dem Roboter, während vier weitere Roboter sich unbeholfen näherten. »Meister Lebo schickt uns«, berichtete
9 der erste Roboter. Er sprach klirrend und monoton, und es war das erste Mal, daß At lan einen solchen Roboter sprechen hörte. »Meister Lebo?« rief Razamon. Atlan lächelte. »Er hat sein Kennon-Robotertrauma of fenbar überkompensiert. Aber ohne das wä ren wir in eine etwas schwierige Lage gera ten, Razamon.« »Die Vogelspäher haben mich nicht sehr beeindruckt«, meinte der Pthorer. »Auf die Erzklopfer bin ich allerdings schon ge spannt. Gehen wir zurück? Ich habe großen Hunger. Notfalls würde ich sogar einen Spähvogel essen.« »Das würde Warwingha nicht gefallen«, erwiderte Atlan. »Gehen wir zurück!«
2. Auf halbem Wege kam ihnen Lebo Axton entgegen – auf dem Rücken eines Roboters sitzend. Seine Augen leuchteten auf, als er die Ge fährten erblickte. »Ich hatte mir schon Sorgen um euch ge macht«, erklärte er. »Von meinen Sklaven erfuhr ich, daß es in der Burg zahlreiche Gruppierungen von Langbeinern wie Kuash mo gibt. Sie führen so ausgefallene Namen wie ›Vogelspäher‹, ›Wünschelrutengänger‹, ›Erzklopfer‹ und ›Reliquiensammler‹ und sollen ziemlich finstere Typen sein.« »Mit einigen Vogelspähern haben wir ge sprochen«, erwiderte Atlan, der sich darüber freute, wie gut Lebo Axton alias Sinclair Ma-rout Kennon mit den Robotern zurecht kam. »Sie waren nicht ausgesprochen feind lich, hätten uns aber am liebsten nicht zu Kuashmo zurückkehren lassen. Es scheint, als stünden alle Gruppierungen untereinan der und mit Kuashmo im Konkurrenzkampf um die Macht. Vor den Erzklopfern hat uns ein Vogelspäher namens Warwingha beson ders gewarnt.« »Vor den Erzklopfern?« fragte Axton und schlug seinem Trägerroboter mit der flachen Hand auf den Kopf. »Was ist an den Erz
10 klopfern so Besonderes, Vinzenz?« Der Kopf des Roboters pendelte hin und her, während »Vinzenz« antwortete: »Sie unterwühlen alles, und oftmals sind Burgbewohner spurlos in ihren Gängen ver schwunden. Der Herr sagt, sie essen sie.« Razamon schüttelte sich. »Wenn ›der Herr‹ es sagt, muß es noch lange nicht stimmen«, meinte Atlan. »Lebo, wir haben einen Mordshunger. Kuashmo wird gut daran tun, uns etwas zu essen zu geben.« »Der Herr sagt, der Tisch sei schon ge deckt«, erklärte Vinzenz. »Bitte, folgt mir!« »Halt!« rief Lebo Axton. Vinzenz blieb stehen. »Du mußt immer erst deinen Meister fra gen, bevor du etwas tust, Vinzenz!« sagte Axton mahnend. »Ja, Meister«, gab Vinzenz zurück. »Darf ich euch in den Speisesaal führen, Meister?« »Ich befehle es dir!« erwiderte Lebo Ax ton und blinzelte Atlan triumphierend zu. Mit Axton auf Vinzenz voraus und von den übrigen fünf Robotern gefolgt, gingen sie zu dem »Rittersaal«, in dem sie kurz nach ihrer Ankunft verpflegt worden waren. Auch diesmal war der langgestreckte Me tallplastiktisch bereits gedeckt – und Kuash mo wartete stehend am Kopfende des Ti sches. Er warf einen mißbilligenden Blick auf Vinzenz und Axton, enthielt sich aber jeden Kommentars dazu, daß einer der Besu cher sich einen seiner Roboter »Untertan« gemacht hatte. Razamon schnupperte verzückt und ver schlang den Inhalt der auf dem Tisch stehen den Schüsseln, Kannen und Karaffen mit den Augen. »Du bist sehr gastfreundlich, Kuashmo«, sagte Atlan. Kuashmo verneigte sich mehrmals. »Ich würde mich freuen, wenn wir uns für deine Hilfe und Gastfreundschaft erkennt lich zeigen könnten«, fuhr Atlan fort. »Wenn wir also etwas für dich tun können, dann sage es frei heraus.« Kuashmo hörte auf, sich zu verneigen.
H. G. Ewers Sein Gesichtsausdruck schien Verlegenheit zu verraten. Razamon merkte es gar nicht, aber Le-bo Axton hatte er ebenfalls regi striert. Kuashmo überspielte seine Verlegenheit, indem er den Besuchern Plätze zuwies, ih nen die Eßschalen zurechtschob und ihnen aus Karaffen die bekannte hellgrüne Flüssig keit in die kurzstieligen Gläser goß. Axton hatte sich unterdessen von zwei Robotern vom Rücken seines Tragerobots helfen lassen und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Atlan hielt sich nicht länger zurück. Er hob sein Glas und nippte an der Flüssigkeit. Sie bestand wie beim erstenmal aus fast hundertprozentigem scharfgewürztem Alko hol. »Ich möchte nicht unhöflich sein, Kuash mo«, sagte er und stellte sein Glas wieder ab. »Aber dieses köstliche Getränk löscht leider nicht unseren Durst. Hast du vielleicht etwas Alkoholfreies anzubieten?« Kuashmo stutzte, dann wurde er ausge sprochen nachdenklich, aber er faßte sich schnell wieder. Er ging zu einer großen An richte, die an der Wand stand, schob eine Platte zur Seite und tastete über die Sensor punkte, die darunter sichtbar geworden wa ren. Sekunden später bildete sich in der An richte eine kreisrunde Öffnung. Ein großer Tonkrug schob sich heraus. Kuashmo nahm ihn, kehrte an den Tisch zurück und schenk te eine rötlich-gelbe Flüssigkeit in große langstielige Gläser, die er vor den Besuchern abstellte. Als Atlan von seinem Glas kostete, stellte er einen süß-säuerlichen Fruchtgeschmack fest. »Ausgezeichnet!« lobte er. »Wir pflegen zwar normalerweise das zu trinken.« Er deu tete auf das kurzstielige Glas von der Form eines faustgroßen Schrumpfkopfes. »Aber für gewisse Konditionierungsmaßnahmen sind alkoholfreie Getränke vorteilhafter.« Er blinzelte dem Pthorer, der ihn verständnislos anstarrte, verschwörerisch zu.
Burg der Geheimnisse »Ich verstehe, Atlan«, sagte Kuashmo ernsthaft und offensichtlich wieder im seeli schen Gleichgewicht. Atlan nickte zufrieden. Er ahnte, daß Kuashmo von ganz bestimmten Besuchern – für die er die Freunde hielt – ein ganz be stimmtes Verhalten erwartete, und ohne die Erklärung Verdacht geschöpft hätte, die drei Besucher könnten nicht die sein, für die er sie gehalten hatte. Anschließend ließ er sich die heißen, scharf gewürzten und nach Wildbret schmeckenden Fleischstücke schmecken, aß auch etwas von den fremdartigen Gemüsen und genoß zum Dessert einiges von dem auf Schalen servierten Obst. Als er satt war, lehnte er sich zurück. »Ich sprach von einer Konditionierung, Kuashmo«, erklärte er. »Sie hängt mit unse rer Mission zusammen, die allerdings erst richtig beginnen kann, wenn wir die inneren Verhältnisse in der Burg genauer kennen. Um sie kennenzulernen, werden wir nachher einen Rundgang durch die Burg durchfüh ren. Wir fangen ganz oben an und gehen all mählich immer tiefer …« Kuashmo sprang auf und streckte die Ar me abwehrend von sich. »Das geht nicht!« rief er aufgeregt. »Ich darf euch auf keinen Fall in den Hauptturm gehen lassen!« »Aber warum denn nicht?« fragte Lebo Axton. »Wir sind berechtigt, uns alles anzu sehen.« Kuashmo druckste eine Weile herum, be vor er herausbrachte: »Der Hauptturm darf nur mit besonderer Legitimation betreten werden, weil von dort aus das Augenfeld eingesehen werden kann.« Sein Blick bekam etwas Lauerndes. »Könnt ihr mir diese Legitimation vorwei sen?« »Wir haben unsere gesamte Habe in der Wüste bei einem Sandsturm verloren«, er klärte Atlan. »Aber du hast uns gastfreund lich aufgenommen und weißt also, wer wir sind …« »Ihr seid liebe Gäste für mich«, gab Kuas
11 hmo zu. »Aber das berechtigt mich noch nicht dazu, euch Zugang zum Turm zu ge währen. Meine Vorschriften sind ganz ein deutig. Wer sich legitimieren kann, darf den Hauptturm betreten und das Augenfeld in spizieren. Da ihr euch nicht legitimieren könnt, dürft ihr das nicht.« »Ich möchte sehen, wer uns daran …!« brauste Razamon auf. Atlan warf ihm einen warnenden Blick zu, der eindringlich genug war, um ihn zum Schweigen zu veranlassen. »Wir wollen das Problem nicht unnötig hochspielen«, meinte er. »Da du anschei nend deinen Vorschriften mehr traust als uns, Ku-ashmo, verzichten wir vorerst dar auf, das Augenfeld zu inspizieren. Du ge stattest, daß wir uns zur Beratung in unsere Unterkunft zurückziehen.« Er erhob sich und verließ in würdevoller Haltung den Saal, gefolgt von seinen Ge fährten, von denen Lebo Axton wieder auf Vin-zenz ritt.
* Vor der Unterkunft ließ Axton den Trage roboter warten, dann gingen sie hinein, regi strierten erstaunt, daß inzwischen aufge räumt worden war und setzten sich weit vom Wandspiegel entfernt. »Was ist dieses Augenfeld?« fragte Raza mon ungeduldig auf Interkosmo und schaute dabei den Arkoniden an. »Du hast davon ge sprochen, als würdest du wissen, worum es sich dabei handelt.« Atlan lächelte. »Ich weiß auch jetzt noch nicht, was unter dem Begriff ›Augenfeld‹ zu verstehen ist, wenn ich auch etwas ahne. Fest steht aller dings nach unserer Auseinandersetzung mit Kuashmo für mich, daß er uns für Kontrol leure hält, die sich um das Augenfeld küm mern sollen. Anscheinend stimmt damit et was nicht, und Kuashmo befürchtet, daß ihm das als persönliches Versagen angerechnet würde, wenn es herauskäme.« »Aber wenn er sicher ist, daß wir Kontrol
12 leure sind, die das Augenfeld inspizieren sollen, warum besteht er dann auf einer Le gitimation?« fragte Razamon. »Er benutzt seine Vorschriften als Vor wand, um die vermeintlichen Kontrolleure zu behindern«, erklärte Lebo Axton. »Die Vorgesetzten der Kontrolleure würden das wahrscheinlich akzeptieren, sonst würde er es nicht wagen.« »Aber er behandelt uns ansonsten mit aus gesuchter Höflichkeit und liest uns alle an deren Wünsche von den Augen ab«, wandte Razamon ein. Axton lachte leise. »Kleine Rückversicherung, mein Lieber. Er glaubt ja zu wissen, daß wir die erwähn ten Kontrolleure sind, und wenn er das auch niemals zugeben wird, behandelt er uns, ab gesehen vom Zutritt zum Augenfeld, als sol che, damit wir ihm später nicht vorwerfen würden, er hätte nicht korrekt gehandelt.« »Aber lieber wäre es ihm sicherlich, wir wären in der Wüste umgekommen«, sagte Atlan. »Deshalb dürfen wir uns Kuashmo gegenüber auch keine Blöße geben. Sollte er erkennen, daß wir nicht die erwarteten Kon trolleure sind, ließe er uns wahrscheinlich für immer verschwinden.« »Der Kerl kann nicht ganz richtig im Kopf sein!« sagte Razamon. »Es gefällt mir auf einmal nicht mehr in dieser Burg.« »Mir auch nicht«, stimmte ihm Lebo Ax ton zu. »Allerdings bin ich nicht dafür, daß wir die Burg einfach wieder verlassen. Mir graut es nicht nur vor dem Abstieg über die Treppe, sondern auch vor einem neuen Mar sch durch die Wüste.« »Wir brauchen Ausrüstung«, meinte At lan. »Davon sollte sich in der Burg genug finden lassen. Sehen wir uns also erst einmal um!« Razamon und Axton waren damit einver standen. Sie brachen auf und begaben sich zuerst in den Burghof. Scheinbar ohne großes In teresse schlenderten sie an der Innenseite der die Burg umgebenden Mauer entlang. Dabei kamen sie auch an das Tor, durch das sie in
H. G. Ewers die Burg geholt worden waren. »Dachte ich es mir doch«, meinte Lebo Axton und deutete mit dem Kopf zu den bei den mit Metallplastik verkleideten meterho hen Blöcken links und rechts neben dem Tor. »Sie enthalten zweifellos Elektromoto ren, die die Torflügel aufziehen und schlie ßen.« »Und die Stabantennen darauf verraten, daß sie ferngesteuert werden«, fügte Atlan hinzu. »Freiwillig wird Kuashmo uns kaum sein Steuergerät geben.« »Über die Mauer können wir auch nicht klettern«, erklärte Razamon. »Jedenfalls nicht ohne Leiter.« Sie schlenderten weiter und näherten sich dabei wie unabsichtlich auch dem Haupt turm. Nachdem sie sich mit Blicken verstän digt hatten, gingen Sie schnell auf das Tor am Fuß des Turmes zu. Es öffnete sich, als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren – aber in der Öff nung standen Kuashmo und sechs seiner Ro boter. Die drei Männer blieben stehen. »Schöner Tag heute«, sagte Atlan freund lich zu Kuashmo. »Zu schön, um in dem dunklen Turm zu stehen. Gehst du etwas mit uns spazieren, Kuashmo?« »Ich habe leider keine Zeit, Atlan«, erwi derte der Langbeinige ebenso freundlich. »Seht euch nur ein wenig um! Darf ich euch Erfrischungen bringen lassen?« »Nicht nötig«, sagte Lebo Axton. »Wir werden etwas Wasser aus dem Brunnen schöpfen und trinken.« Sie schlenderten zum Brunnen, zogen einen Eimer kristallklares kaltes Wasser her auf und tranken mit Hilfe der am Brunnen rand hängenden Schöpfkelle. Danach gingen sie weiter. Das Tor des Hauptturmes schloß sich wieder. Kuashmo und seine sechs Ro boter blieben dahinter. Lebo Axton pfiff plötzlich leise, dann flü sterte er: »Seht ihr das Gebäude dort hinten? Links von dem, in dem sich der ›Rittersaal‹ befin det.«
Burg der Geheimnisse Atlan blickte so unauffällig wie möglich hinüber, während sie weitergingen. Er sah das kastenförmige Gebäude, das Axton ge meint hatte. Und er sah auch, was dem ehe maligen USO-Spezialisten daran aufgefallen war. »Es hat weder Türen noch Fenster«, sagte er. »Außer einem breiten Tor dicht unterhalb des Flachdachs. Wer da hinein oder heraus will, muß schon fliegen können.« »Die Flugschalen!« entfuhr es Razamon. »Richtig!« erwiderte Lebo Axton. »Eine Flugschale wäre genau das Transportmittel, das wir brauchten, um uns schnell und sicher auf Dorkh zu bewegen. Ich denke, wir soll ten nicht warten, sondern gleich zugreifen. Da das Gebäude hier oben keine Türen hat, muß sich der Eingang unterhalb der Ebene des Burghofs befinden.« »Worauf warten wir noch?« meinte Raza mon.
* Durch das Gebäude mit dem »Rittersaal« gelangten sie nach etwa einstündiger Suche tatsächlich zu einer Wendeltreppe, die nach oben führte – und kurz darauf standen sie in einer Art Parkhaus, auf dessen vier Ebenen die Flugschalen standen, mit denen die Ro boter nachts umherflogen. »Ungefähr drei Meter Durchmesser«, sag te Atlan und blickte in den Innenraum einer Flugschale. »Aber sonst hat das Fahrzeug große Ähnlichkeit mit einem der auf Pthor gebräuchlichen Zugors. Die Außenfläche ist mit einer glassitähnlichen Substanz be schichtet, mitten in der Schale befindet sich ein Instrumentensockel, mit dessen Hilfe das Fahrzeug gesteuert wird.« Razamon schwang sich über den Rand der Flugschale und untersuchte den Instrumen tensockel. »Eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Zugor läßt sich nicht leugnen«, meinte er und bewegte versuchsweise einige der Hebel, die aus dem säulenförmigen Instrumentensockel ragten.
13 Plötzlich fingen zwei Glassitscheiben in schnellem Wechsel an zu blinken, die eine rot und die andere blau. Razamon musterte sie nervös, dann trat er auf einen der beiden Fußschalter, die sich bei der Flugschale di rekt auf dem Boden befanden. Die einzige Reaktion darauf waren stoß weise Heultöne, die in kurzem Intervall er schollen. Rasch trat Razamon auch den an deren Fußschalter nieder, aber nichts gesch ah. »Ich fürchte, ich habe so etwas wie einen Alarm ausgelöst«, meinte der Pthorer. »Wahrscheinlich lassen sich die Flugschalen nicht von Unbefugten starten. Ich nehme an, dazu bedarf es erst eines Freigabesignals von Kuashmo.« Er schob die Hebel, die er bewegt hatte, in ihre Ausgangsstellungen zurück und nahm die Füße von den Fußschaltern. Das Blinken und Heulen hielt unvermindert an. »Uns bleibt nichts weiter übrig, als von hier zu verschwinden«, erklärte Atlan. »Wenn Kuashmo den Alarm registriert hat, wird er bald mit seinen Robotern auftau chen.« Sie wandten sich wieder der Wendeltrep pe zu und stiegen sie hinab. Doch auf halb em Wege hörten sie das typische Stampfen und Klirren, mit dem sich die Roboter Kuas hmos bewegten. Razamon stieß eine Verwünschung aus. »Was jetzt?« fragte er. »Wenn Kuashmo uns ertappt, wird er uns künftig streng bewa chen lassen.« »Vielleicht hören die Maschinen auf mich und ziehen sich zurück«, meinte Lebo Axton und versuchte, seine Gefährten zu überho len, um den Robotern entgegentreten zu können. »Warte!« flüsterte Atlan und hielt ihn am Arm fest. »Hier ist eine Tür!« »Wo?« gab Razamon zurück. »Man kann sie im Dunkeln nicht sehen«, erklärte der Arkonide. »Ich habe sie zufällig entdeckt, weil ich mich an der Wand ab stützte, als Lebo mich überholen wollte.« Mit einem Ruck zog er die Tür auf. Da
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hinter war es noch dunkler als auf der Trep pe, die wenigstens eine Spur Licht von wei ter unten erhielt, wo die Korridore beleuch tet waren. »Wer weiß, wohin es dort geht«, sagte Axton unbehaglich und zog die Schultern hoch. Unter den Männern verstummte das Stampfen und Klirren. Die Roboter hatten das untere Ende der Wendeltreppe erreicht. Dann blitzte ein heller Lichtschein auf, und wenig später polterte und klirrte es, als der erste Roboter die Treppe betrat. »Wir haben keine andere Wahl«, flüsterte Atlan. Er zog und schob seine Gefährten in die Dunkelheit hinter der Öffnung, dann kroch er selbst hinein und zog die Tür hinter sich zu. Augenblicklich verstummten die von den Robotern hervorgerufenen Geräusche. Dafür war etwas anderes zu hören: ein helles Geräusch wie das Aufeinanderschla gen von Metall auf Stein, das sich in unter schiedlichen Zeitabständen wiederholte. Razamon schnaufte. »Da sind wir wohl vom Regen in die Traufe geraten, Freunde.« »Du meinst …?« warf Lebo Axton ein. »Ich meine, das Hämmern könnte von den Erzklopfern verursacht werden«, erklärte der Pthorer. »Aber es kommt von ziemlich weit her«, meinte Atlan. »Es ist also nicht gesagt, daß wir die Erzklopfer treffen werden. Mögli cherweise gibt es Abzweigungen, die in an dere Regionen der Burg führen.«
3. Der finstere Korridor verzweigte sich tat sächlich schon nach knapp fünfzig Metern. Die drei Männer ertasteten fünf Abzwei gungen – und nur aus einer hallte das Klin gen von Hämmern. Drei der übrigen vier Abzweigungen waren allerdings auch nicht stumm. Nur blieben die Geräusche, die aus ihnen kamen, vorläufig undefinierbar. Sie entschieden sich für den Korridor, aus
dem keine Geräusche zu hören waren. Er war nur etwa einen Meter breit, aber mehr als zwei Meter hoch. Atlan übernahm die Spitze. Der Korridor führte mit geringem, aber stetigem Gefälle abwärts. Schon nach kurzer Zeit fühlte der Arkonide, daß die Wände nicht mehr völlig glatt waren. Sie wiesen deutliche Spuren einer Bearbeitung mit ar chaischen Werkzeugen auf. Nach ungefähr achtzig Metern stieß Atlan mit der vorgestreckten rechten Hand gegen eine Leiter. Sie war aus Holz zusammenge zimmert und lehnte an der rechten Wand. »Eine Leiter«, flüsterte er. »Ich sehe kurz nach, wohin sie führt.« Er kletterte hoch und merkte, daß der Korridor an dieser Stelle erheblich höher als zwei Meter war. Nach zirka neun Metern en dete die Leiter an einem großen Loch in der Wand. Atlan beugte sich vor und tastete um sich, dann stieg er wieder hinab. »Wir befinden uns in einer alten Mine«, berichtete er seinen Gefährten. »Die Anlage ist typisch für einen Örterabbau. Die Leiter führt in die erste, abgebaute Strecke, aber es gibt weiter oben wahrscheinlich noch mehr.« »Also haben früher die Erzklopfer hier gearbeitet«, meinte Razamon. »Und wahrscheinlich nicht nur minerali sches Erz, sondern auch andere Mineralien abgebaut«, erwiderte Atlan und drückte dem Pthorer einen kleinen Kristallsplitter in die Hand. »Es fühlt sich an wie ein Gipskristall, der ja oft bei anderen Sekundärmineralen vorkommt. Er lag mit anderen Resten in der Höhlung oben.« »Gips werden sie nicht gerade gesucht ha ben«, erwiderte Razamon und drückte den Kristallsplitter Axton in die Hand. Atlan zuckte die Schultern und ging wei ter. Er stieß noch mehrmals auf Leitern, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Dann entdeckte er weit vor sich einen Licht schimmer. »Wir sind zu tief, als daß das Tageslicht sein könnte«, flüsterte er. »Seid also ab so
Burg der Geheimnisse fort so leise, daß uns niemand hören kann!« Auch er bewegte sich absolut lautlos vor an. Der Lichtschimmer wurde allmählich heller. Wenige Minuten später erkannte er etwa zehn Meter vor sich den Ausschnitt ei ner Höhle, auf deren Boden eine kleine Lampe stand und die schwache Helligkeit verbreitete. Er drehte sich um und wartete, bis Lebo Axton gegen ihn stieß. Seine Gefährten und er waren so gut aufeinander eingespielt, daß niemand etwas sagte. Erst, nachdem sie die Köpfe zusammen gesteckt hatten, flüsterte Atlan: »Ich gehe voran. Ihr folgt mir noch acht Meter weit, dann bleibt ihr stehen und wartet ab!« »Ist klar«, flüsterte Razamon. Vorsichtig schlich der Arkonide weiter. Ab und zu blieb er stehen und lauschte kon zentriert. Ungefähr drei Meter vor dem Ein gang der Höhle hörte er eines der erwarteten Geräusche. Es war nur ein kaum hörbares Scharren, aber es verriet, daß jemand seit Stunden unbeweglich auf einem Fleck stand und es allmählich satt hatte. Da das Geräusch von vorn gekommen war, befand sich die Wache wahrscheinlich innerhalb der Höhle. Atlan schlich lautlos weiter. Am Höhleneingang erhöhte er sein Tempo, so daß er sich bereits mitten in der Höhle befand, als die Wache ihn bemerkte. Dennoch kam die Reaktion unerwartet schnell. Atlan hörte etwas durch die Luft sausen, dann senkte sich ein mit Metallkü gelchen beschwertes Netz über ihn. Der Arkonide warf sich zu Boden und versuchte, das fallende Netz noch zu unter laufen. Er schaffte es nicht ganz. Mit gellendem Schrei schnellte sich ein langbeiniger Hominide aus einer Wandnis che und wirbelte eine morgensternähnliche Waffe über seinem Kopf. Atlan trat mit einem Fuß auf den Rand des Netzes, zog einen Teil davon mit der lin ken Hand straff und schnitt mit dem Wurf messer einen zirka vierzig Zentimeter lan gen Schlitz hinein. Im nächsten Augenblick
15 war er frei und sprang auf die Füße. Doch da hatte sich Razamon schon von hinten auf den Wächter gestürzt und ihm die Hände um den Hals gelegt. Er drückte ein mal zu, und der Wächter ließ seine Waffe fallen und verdrehte die Augen. »Du kannst ihn wieder loslassen!« sagte Atlan. Der Hominide faßte sich an die Kehle und japste. Er glich weitgehend Kuashmo, trug aber eine lange Hose aus dunkelgrünem Kunststoff und eine Art Anorak, dessen Ka puze er über den Kopf gezogen hatte. Das Gesicht war mit roten und schwarzen Strei fen bemalt. Atlan schob sein Messer hinter den Gürtel zurück. Er beschloß, zu bluffen. »Seit wann werden in der Burg Odiara In spekteure überfallen?« fragte er streng. »Wie heißt du?« Der Wächter nahm die Hand von seiner Kehle, hustete hohl und erwiderte heiser: »Ich bin Kungorrat von der Gilde der Re liquiensammler. Verzeiht, aber ich konnte nicht wissen, daß Inspekteure angekommen sind.« »Wir sind schon seit zwei Tagen hier«, er klärte Atlan. »Wenn ihr Verbindung zu Kuashmo halten würdet, wüßtet ihr es.« Er musterte die Wände der Höhle. Sie wa ren sorgfältig glattgehauen und wiesen zahl reiche kleine Nischen auf, in denen unter schiedliche Gegenstände lagen: Porzellan scheiben, gläserne Stifte, kleine Felle und viele undefinierbare Dinge. Offenbar han delte es sich dabei um die »Reliquien«. »Wer bestimmt in eurer Gilde?« fragte er. »Wushwigha«, antwortete Kungorrat. »Führe uns zu ihm!« »Ich darf meinen Posten nicht verlassen«, jammerte Kungorrat. »Der Befehl eines Inspekteurs macht alle anderen Befehle hinfällig«, fuhr Razamon ihn an. »Vorwärts!« Aber bevor der Reliquiensammler sich in Bewegung setzen konnte, erscholl aus dem Gang, der auf der anderen Seite der Höhle zu sehen war, eine Serie von kurzen hellen
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Schreien. Kungorrat starrte in den Gang, dann wandte er sich Atlan zu und sah ihn entsetzt an. »Was bedeuten die Schreie?« fragte At lan. »Die Erzklopfer!« stieß Kungorrat hervor. »Sie haben anscheinend eine Sammlergrup pe entdeckt und jagen sie – und wahrschein lich nähern sie sich unserer Wohnhöhle!« Atlan überlegte kurz. Er war nicht daran interessiert, sich in die Auseinandersetzungen zwischen zwei Grup pen von Langbeinern zu mischen, aber wenn er untätig blieb, würde Kungorrat an der Au torität der »Inspekteure« zweifeln. »Führe uns zu eurer Wohnhöhle!« befahl er.
* Atemlos von dem schnellen Lauf blieb Kungorrat vor dem Zugang zur Wohnhöhle der Reliquiensammler stehen. Auch Atlan und seine Gefährten hielten an. Die Wohnhöhle war ein natürlicher Hohl raum im massiven schwarzen Granit. Die Höhe betrug etwa dreißig Meter, die Länge sechzig und die Breite zwanzig Meter. An den Wänden hingen Lampen ähnlich der, die die Reliquienhöhle beleuchtete. Ihr Licht fiel auf zahlreiche Hominide, die wie Kungorrat gekleidet waren und ziellos durcheinander liefen. »Wo ist Wushwigha?« fragte Atlan. Kungorrat streckte den Arm aus und deu tete mit zitterndem Finger auf einen bärtigen und sehr korpulenten Langbeiner, der mit wilden Handbewegungen Ordnung in das Durcheinander bringen wollte, aber bisher erfolglos geblieben war. »Melde uns an!« befahl Atlan. Kungorrat rannte los, stürzte auf Wus hwigha zu und schrie auf ihn ein. Es dauerte eine Weile, bis er gehört wurde. Dann er klärte er und deutete auf die Besucher. Atlan nickte seinen Gefährten zu, dann betraten sie die Höhle und gingen auf Wush-
wigha zu. Die anderen Reliquiensammler blieben stehen und blickten sie überrascht an. »Ihr seid Inspekteure?« rief Wushwigha aufgeregt. »Du sagst es«, erwiderte Atlan. »Ruhe!« schrie er, als die übrigen Reliquiensammler durcheinanderreden wollten. »Von wo kom men die Erzklopfer, Wushwigha?« Wushwigha deutete auf das entgegenge setzte Ende der Höhle. »Sie werden uns alle umbringen oder eini ge von uns verschleppen«, jammerte er. »Vielleicht auch nicht«, erklärte der Ar ko-nide. »Wie sind sie bewaffnet?« »Sie haben Lichtbohrer, mit denen sie uns verbrennen können«, antwortete Wushwig ha. »Außerdem werfen sie den Blitz.« Vom anderen Ende der Höhle hastete ein Reliquiensammler mit verzerrtem Gesicht heran. In der rechten Hand hielt er einen schweren Lederbeutel. Er reichte ihn Wus hwigha. »Alles andere mußten wir zurücklassen!« stieß er keuchend hervor. »Die Erzklopfer werden bald hier sein. Sie haben wahr scheinlich Melpather und Ginzlopher ergrif fen.« Bevor Wushwigha es tun konnte, hatte Atlan ihm den Beutel abgenommen. Er öff nete ihn und wühlte mit der Hand in zahllo sen unterschiedlich großen Rohsmaragden und Aquamarin-Kristallen sowie Topasen und verschiedene Calciten. Als Wushwigha ihm den Beutel fortneh men wollte, schlug er ihm auf die Finger. »Ich nehme an, die Kristalle sind den Erz klopfern gestohlen worden«, sagte er zornig. »Kein Wunder, daß sie auf Rache sinnen. Ich werde versuchen, zwischen ihnen und euch zu vermitteln. Lebo und Razamon! Nehmt euch Waffen! Wushwigha, du bleibst hier! Alle anderen Reliquiensammler ver stecken sich!« Er deutete nach oben, wo zahlreiche Öffnungen in den Marmorwän den zu sehen waren. Razamon und Lebo Axton nahmen den nächsten Reliquiensammlern ihre Waffen
Burg der Geheimnisse weg: eine Art Morgenstern und einen Speer aus schwarzem Holz mit einer Spitze aus ge hämmertem Gold. Die Reliquiensammler ließen sich nicht zweimal auffordern. Sie turnten an Leitern und Stricken die Höhlenwände hinauf und verschwanden in den Löchern, hinter denen sich wahrscheinlich kleine Höhlen befanden. Auch Wushwigha wollte sich davonma chen, aber Razamon packte ihn am Genick und sagte grimmig: »Das könnte dir so passen, Freundchen! Aber du wirst dich nicht vor deiner Verant wortung drücken!« Nach einigen Sekunden der Stille machte Atlan Bewegung auf der anderen Seite der Wohnhöhle aus. Dunkle Gestalten schlichen dort herum. »Hierher!« rief der Arkonide. »Hat euch Kuashmo nicht angekündigt, daß drei In spekteure euch besuchen wollen, Erzklop fer?« Die dunklen Gestalten erstarrten, dann er tönte ein lauter Schrei – und sie setzten sich schlagartig in Bewegung und rannten zur Mitte der Wohnhöhle. Einige von ihnen schossen aus klobigen Geräten grell leuch tende Laserstrahlen gegen die Höhlenwände. »Halt!« rief Atlan. »Ich verbiete euch, zu kämpfen! Wer ist euer Anführer?« Die dunklen Gestalten, es waren ebenfalls Hominide, aber in dunkelbraunes oder schwarzes Leder gekleidet und mit Leder helmen auf den Köpfen, an deren Vordersei ten Scheinwerfer befestigt waren, näherten sich langsamer. Viele von ihnen trugen die klobigen Laser, mit denen sie normalerweise wohl Sprenglöcher in die Felsen bohrten. In Gürtelschlaufen staken außerdem Meißel und Hämmer. Um die Hälse gehängt hatten sie Schnüre, an denen Päckchen aus Spreng mitteln hingen. Ein etwas kleinerer Erzklopfer, mit hell wachen Augen, unbewaffnet und mit einer Kette kleinerer Holowürfel um den Hals, trat vor und musterte Atlan. »Ich bin Konnitz, der Gangkenner«, er klärte er mit tiefer Stimme. »Wer bist du?«
17 »Ich bin Atlan, der Erste Inspekteur«, er widerte der Arkonide. Er bückte sich und leerte den Inhalt des Lederbeutels auf den Boden. »Ist das euer Eigentum?« Die Augen Konnitz' funkelten zornig. »Es gehört uns«, stellte er fest. »Die Reli quiensammler haben es aus einem Gang ge stohlen, den wir gerade erst eröffnet hatten. Dafür werden wir sie brennen.« »Hier wird nicht gebrannt!« erklärte At lan. »Nehmt euer Eigentum zurück und geht in Frieden! Nur dann werden wir auf eine Meldung verzichten.« Die Erzklopfer murrten und starrten Atlan und seine Gefährten aggressiv an. »Die Reliquiensammler müssen bestraft werden«, sagte Konnitz. »Um deine Forde rung nach Frieden erfüllen zu können, sind wir aber zu einem Kompromiß bereit. Wir verlangen die Auslieferung Wushwighas, um ihn stellvertretend für seine ganze Gilde bestrafen zu können.« Wushwigha keuchte vor Furcht und ging rückwärts. Aber Razamon und Lebo Axton stellten sich ihm in den Weg. »Wir dürfen niemanden auf Gedeih und Verderb ausliefern«, sagte Atlan zu seinen Gefährten. »Es verstieße gegen unsere ethi schen Grundsätze.« »Entweder wir nehmen Wushwigha mit, oder wir brennen die Reliquiensammler aus ihren Löchern!« erklärte Konnitz. In einem der Höhlenlöcher tauchte der Kopf eines Reliquiensammlers auf. »Nehmt Wushwigha mit!« schrie er. »Nehmt Wushwigha mit!« erscholl es aus anderen Höhlenlöchern. »Verräter!« kreischte Wushwigha. Er zit terte am ganzen Leibe. »Du bist der Verräter!« rief ein anderer Reliquiensammler und stellte sich vor sei nem Höhlenloch auf. »Du hast uns gezwun gen, die Erzklopfer zu bestehlen – und du hast die Steine an dich genommen und ge gen Traumkraut an die Türmer verkauft!« Zustimmende Rufe erschollen aus ande ren Höhlen. »Wenn es so ist, nehme ich Wushwigha
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nicht in Schutz«, erklärte Atlan. Konnitz rief einen Befehl. Zwei seiner Leute sprangen vor, packten Wushwigha, fesselten ihm die Hände auf dem Rücken und führten ihn ab. Konnitz wandte sich Atlan zu und hob grüßend die Hand. »Melde, daß wir Erzklopfer den Frieden wahren, Atlan«, sagte er, dann wandte er sich um und verließ mit den anderen Erz klopfern die Wohnhöhle der Reliquien sammler. Die Reliquiensammler krochen aus ihren Höhlen, stiegen hinab und umringten Atlan, Razamon und Lebo Axton. Sie jubelten ih nen zu. Der, der die Beschuldigungen gegen Wus hwigha vorgebracht hatte, stellte die Ruhe wieder her, dann wandte er sich an Atlan und sagte: »Melde, daß wir Reliquiensammler wie der unserer normalen Aufgabe nachgehen und niemals mehr den Frieden brechen wer den, Atlan!« »Das werde ich tun«, erwiderte Atlan. »Wo leben eigentlich die Türmer?« wollte Razamon wissen. »Das läßt sich nur schwer erklären, denn der Weg dorthin ist kompliziert«, erklärte der Sprecher der Reliquiensammler. »Dann gib uns jemanden mit, der uns hin führt!« sagte der Pthorer. Atlan blickte ihn fragend an, und Raza mon nickte lächelnd. »Kungorrat soll euch führen«, sagte der Sprecher.
* »Dort ist es«, sagte Kungorrat, nachdem er die drei »Inspekteure« über drei Stunden lang durch ein wahres Labyrinth von Höh lengängen und Korridoren geführt hatte. Atlan blickte in die angegebene Richtung und sah eine schmale Wendeltreppe, die vom Grund einer schachtförmigen Höhle nach oben führte. Flackerndes bläuliches Licht fiel von oben herab und spiegelte sich
in den blanken Teilen der Metalltreppe. »Warum kommst du nicht mit?« fragte Razamon. »Ich fürchte mich«, antwortete Kungorrat. »Die Türmer sind seltsame Wesen und leben in einer unheimlichen Atmosphäre.« »Wushwigha schien mit ihnen gut ausge kommen zu sein«, erwiderte Lebo Axton. »Wushwigha stand unter ihrem Bann«, er klärte der Reliquiensammler. »Er war nicht mehr er selbst.« »Dann geh zurück, Kungorrat«, meinte der Pthorer. »Und vielen Dank!« »Ich danke euch, Inspekteure!« rief Kun gorrat und entfernte sich eilig. Atlan blickte Razamon an. »Du hoffst immer noch, daß die Türmer den Hauptturm bewohnen?« Der Pthorer nickte. »Und daß wir einen Weg in ihn gefunden haben, der nicht von Kuashmo bewacht wird.« Er eilte auf die Wendeltreppe zu und stieg ohne Zögern hinauf. Atlan und Axton folg ten ihm. Als Atlan hinter Razamon durch das Loch stieg, durch das die Wendeltreppe führte, sah er als erstes große Warenballen, die ringsum aufgestapelt waren. Von oben ver breitete eine in einer Schale brennende blaue Flamme eine zuckende Helligkeit. Außer dem roch es nach verbrannten Kräutern. Atlan zog sein Messer und schlitzte eines der Warenbündel auf. Getrocknete und ge preßte Kräuter kamen zum Vorschein. Lebo Axton nahm etwas von den Kräu tern zwischen zwei Finger und verrieb sie, dann roch er daran. »Ich würde nichts davon in der Pfeife rau chen«, meinte er. »Wahrscheinlich handelt es sich um eine Droge, die süchtig macht.« »Das erwähnte Traumkraut«, sagte Atlan. Razamon hob den Kopf und schnüffelte. »Dann sollten wir nicht lange hier blei ben, denn ich wette, daß der Rauch hier von verbranntem Traumkraut kommt.« Er wand sich zwischen den Ballen hin durch, gefolgt von Atlan und Axton. Wenig
Burg der Geheimnisse später standen die drei Männer in einer zirka fünfzehn Meter durchmessenden Halle, in deren Mitte eine breite, stabil aussehende Wendeltreppe nach oben führte. An fünf Stellen schwelten kleine Haufen getrockne ter Kräuter und verbreiteten unangenehm süßlich schmeckenden Rauch. Etwa ein Dut zend hagerer, blaßgesichtiger Hominide hockte, in fadenscheinige Decken gehüllt, um die Schwelfeuer und wiegte den Ober körper im Rhythmus eines leisen schwermü tigen Gesanges. Keiner von ihnen blickte zu den Eindringlingen. »Die Türmer«, flüsterte Razamon. »Sie sind geistig weggetreten – und wir werden es auch bald sein, wenn wir nicht schnell stens verschwinden.« Er lief auf die Wendeltreppe zu und be gann mit dem Aufstieg. Atlan und Axton musterten noch einige Sekunden lang die Türmer und bemerkten, daß sie alle mit Schmuckketten aus den verschiedensten Rohkristallen behangen waren. »Das müssen die Kristalle sein, die Wus hwigha ihnen beschaffte«, meinte Lebo Ax ton. »Aber wir sollten wirklich nicht länger hier bleiben. Mir wird schon ganz anders.« Atlan nickte. Sie stiegen ebenfalls die Treppe hinauf, konnten den Pthorer aber erst ganz oben, auf der von einem niedrigen Geländer umgebe nen Plattform des Turmes, einholen. »Es ist tatsächlich der Hauptturm!« sagte Atlan nach einem kurzen Rundblick. Razamon nickte und deutete mit ausge strecktem Arm nach Westen. »Und das dort muß das Augenfeld sein!« Atlan blickte in die angegebene Richtung und sah in zirka achthundert Metern Entfer nung westlich der Burg Odiara ein rundes, etwa vier Kilometer durchmessendes Tal, umgeben von steilen Felswänden, und nur zur Burg hin offen. In diesem Tal gab es eine achteckige Flä che, deren Kantenlänge einen Kilometer be tragen mochte – und in dieser Fläche gab es zahlreiche Gebilde, die nur als künstliche Augen gedeutet werden konnten.
19 »Beim alten Quinto!« entfuhr es Lebo Axton. »Das ist ja gespenstisch!« Das ist es wirklich! dachte Atlan, wäh rend er die in achteckigen Rahmen installier ten, zirka neun Meter durchmessenden Au gen musterte. Sie ragten halbkugelförmig empor und waren kristallweiß. Am höchsten Punkt befand sich eine schwarze Kreisflä che: die Pupille. Blaue Linien um die Pupille stellten die Iris dar. Unwillkürlich fixierte Atlan eines der Au gen, weil er erwartete, daß es blinzeln würde wie ein natürliches Auge. Doch diese Augen blinzelten nicht. Sie ragten starr aus ihren Rahmenfeldern und schienen genau in den Himmel zu schauen. »Sie sind tot«, sagte Razamon. »Meinst du tatsächlich, sie hätten jemals gelebt?« sagte Lebo Axton ironisch. »Es handelt sich doch um künstliche Gebilde.« »Zweifellos wurden sie konstruiert und installiert, damit sie etwas beobachteten«, erklärte der Pthorer. »Da sie wie organische Augen aussehen, müssen sie zumindest so ähnlich wie organische Augen funktioniert haben.« Atlan nickte. »Das können sie aber nicht, wenn sie ver schmutzt sind, nicht wahr?« warf er ein. »Ob die milchige Schicht, die sie über zieht, Schmutz ist, weiß ich natürlich nicht«, erwiderte Razamon. »Auf jeden Fall muß sie die Funktion der Augen stark beeinträchti gen.« »Und das ist offenbar Kuashmos Pro blem«, meinte Atlan. »Ich wette sogar, daß das Augenfeld von Dorkh, das Pendant zum Wachen Auge von Pthor ist. Nur frage ich mich, warum Kuashmo davor zurück schreckt, uns als vermeintlichen Inspekteu ren zu sagen, was mit dem Augenfeld los ist.« Ein Warnimpuls seines Extrasinns veran laßte Atlan, sich umzudrehen. Er sah, daß Kuashmo hinter ihnen über die Wendeltreppe auf die Turmplattform ge kommen war. »Fragen wir ihn selbst!« sagte er zu sei
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nen Gefährten.
4. Kuashmo machte den Eindruck eines Menschen, der plötzlich feststellte, daß alle seine Hoffnungen zusammengebrochen wa ren. »Ich dachte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis das Augenfeld wieder einwandfrei funktioniert«, erklärte er verzweifelt. »Es hatte sich doch auch früher immer wieder von selbst regeneriert. Statt dessen lieferte es immer schlechtere Bilder – und zuletzt bekam ich überhaupt nichts mehr auf die Kontrollschirme.« »Hast du nicht gesehen, daß die Augen verschmutzt sind?« fragte Atlan. »Ja, aber ich habe ja jede Nacht die Robo ter hinausgeschickt und hoffte, es käme alles wieder in Ordnung«, sagte Kuashmo nieder geschlagen. »Was haben die Roboter damit zu tun?« fragte Razamon. »Was sollten sie denn un ternehmen?« »Ich weiß es auch nicht genau!« jammerte Kuashmo. »Wie kann ich das denn wissen!« Seine Verzweiflung schlug in Trotz um. »Aber im SCHLOSS hat man sich die ganze lange Zeit auch nicht darum geküm mert!« rief er vorwurfsvoll. »Es schien so, als wollte man im SCHLOSS nichts mehr von den Daten wissen, die das Augenfeld früher beschaffte.« »Das SCHLOSS!« sagte Atlan. »Freunde, das ist der letzte Beweis dafür, daß Dorkh ebenso ein Dimensionsfahrstuhl ist wie. Pthor. Das SCHLOSS scheint unter norma len Umständen hier die gleiche Funktion zu erfüllen wie die FESTUNG dort.« »Aber die Umstände sind nicht mehr nor mal«, meinte Lebo Axton. »Offensichtlich erwartet Duuhl Larx von uns, daß wir sie wieder normalisieren und Dorkh wieder funktionsfähig machen.« »Das wäre Grund genug für uns, die Fin ger vom Augenfeld zu lassen«, sagte Atlan leise. »Ich kann mir zwar nicht denken, daß
es allein ausschlaggebend für das Funktio nieren dieses Dimensionsfahrstuhls ist, aber wir müssen auch mit der Möglichkeit rech nen, daß der geringste Anstoß genügt, um Dorkh wieder in Schwung zu bringen.« »Woran wir wirklich nicht interessiert sind«, meinte Razamon. »Überhaupt möchte ich nicht warten, bis Duuhl Larx uns wieder abholen läßt«, sagte Atlan. »Mein Platz ist auf Pthor.« »Ohne ein raumtüchtiges Fahrzeug kom men wir niemals hin«, wandte Lebo Axton ein. »Aber falls es so etwas überhaupt auf Dorkh gibt, dann wahrscheinlich nur in die sem mysteriösen SCHLOSS.« »Ich weiß gar nicht, wovon ihr redet«, warf Kuashmo ein. »Das mußt du auch nicht wissen«, erklär te Atlan. »Sage uns nur, wie man zu dem SCHLOSS kommt! Wir haben in der Wüste die Orientierung verloren.« Kuashmos Miene verriet impulsive Ab lehnung. »Ich weiß nicht, wie ihr zu dem SCHLOSS kommt«, erwiderte er. »Es heißt, daß es irgendwo im Osten liegt. Mehr weiß ich auch nicht.« »Das ist nicht viel«, meinte Lebo Axton. »Aber du gibst uns sicher ein Fahrzeug, so daß wir es nicht zu schwer haben werden, das SCHLOSS zu suchen und zu finden, nicht wahr, Kuashmo?« »Das ist unmöglich«, wehrte Kuashmo ab. »Ich darf erstens kein Fahrzeug heraus geben, und zweitens gibt es auf Burg Odiara nur die Flugschalen – und sie versagen, so bald sie einen engen Bereich um die Burg verlassen.« »Dann gehen wir eben zu Fuß!« stellte Razamon fest. Er blickte in Kuashmos Richtung, als der Langbeiner nicht sofort antwortete und sah, daß er verschwunden war. »Er hat sich aus dem Staub gemacht!« schrie er entrüstet. »Dann hat er wohl etwas dagegen, daß wir seine Burg verlassen«, erklärte Atlan und stürmte los, um Kuashmo einzuholen.
Burg der Geheimnisse Aber der Langbeiner raste die Wendel treppe so schnell hinunter, daß Atlan nicht aufzuholen vermochte. Unten schrie er den Türmern etwas zu, worauf sie sich dem Ar koniden in den Weg stellten. Zwar griffen sie nicht an, aber Atlan brauchte Zeit, um die in seinem Weg stehen den Türmer wegzustoßen – und als er das Haupttor des Turmes erreichte, sah er, daß Kuashmo sich in den Schutz von etwa drei ßig Robotern geflüchtet hatte, die sich auf dem Burghof versammelten. Atlan wartete, bis seine Freunde ihn ein geholt hatten, dann ging er mit ihnen zu Kuashmo und sagte: »Du wirst uns mit Vorräten und Waffen versorgen und das Tor für uns öffnen, Kuas hmo!« Kuashmo sah ihn gar nicht mehr höflich, sondern ausgesprochen feindselig an. »Ich werde das alles gern tun, sobald ihr herausgefunden habt, wie sich das Augen feld regenerieren läßt. Wenn die Herren vom SCHLOSS Kontrolleure nach Burg Odiara schicken, weil das Augenfeld nicht richtig funktioniert, dann verstehen diese Kontrol leure bestimmt mehr davon als ich. Es dürfte deshalb im Sinn der Herren vom SCHLOSS sein, daß ihr euch des Augenfelds annehmt.« »Wir werden wohl oder übel in den sau ren Apfel beißen müssen«, meinte Lebo Ax ton. Atlan blinzelte in die tiefstehende Sonne. »Morgen inspizieren wir das Augenfeld«, teilte er Kuashmo mit. »Sorge dafür, daß wir bei Tagesanbruch eine Flugschale bekom men, mit der wir hinüberfliegen können!« Kuashmo verneigte sich tief. Sein Lächeln war wieder so zuvorkommend wie am An fang. »Ich werde alles vorbereiten lassen, At lan«, versprach er.
* Nachdem sie wieder eine ausgiebige Mahlzeit zu sich genommen hatten, be schlossen die drei Männer, sich noch etwas
21 in der Burg umzusehen. Sie mieden diesmal die Region, in der sie mit den Vogelspähern zusammengetroffen waren und hielten sich mehr nach rechts. Nachdem sie in einem spiralförmig ver laufenden Korridor zwei Stunden lang im mer tiefer gegangen waren, erreichten sie ei ne riesige, aber ziemlich niedrige Halle. Starke weißgelbe Lampen waren an der Decke angebracht und beleuchteten einen gewaltigen Garten. Im Unterschied zu normalen Gärten stan den die Pflanzen hier jedoch nicht in Erde, sondern wurzelten in lockerem Kies, der von Wasser umspült wurde. »Hydroponische Gärten!« sagte Lebo Ax ton bewundernd. »Mindestens dreißig Hektar!« Atlan musterte die Hominiden, die zwi schen den niedrigen Vegetationsbecken her umgingen und aus großen Plastiktrommeln, die sie über den Schultern hängen hatten, ab und zu etwas in die Nährflüssigkeit warfen. »Es würde mich nicht wundern, wenn die se Leute zur Gilde der Gärtner gehörten«, meinte er. Axton nickte. »Jetzt wissen wir, woher die Früchte und Gemüse kommen, die Kuashmo uns aufti schen ließ.« Sie gingen den Hauptweg zwischen den hydroponischen Gärten entlang und bewun derten die gesunden und reichlich tragenden Pflanzen. Die Gärtner, an denen sie vorbei kamen, musterten sie zwar, verhielten sich aber passiv. Atlan blieb bei einem der Gärtner lange genug stehen, um zu sehen, was er aus sei ner »Botanisiertrommel« nahm und in die Nährflüssigkeit warf. Es handelte sich um fingerlange madenartige Würmer, die sich sofort zwischen den Kieseln der hydroponi schen Becken verkrochen. Wenig später sah der Arkonide auch, was aus den Würmern wurde: schlangenartige Wasserbewohner, die sich wahrscheinlich von Wurzelparasiten ernährten und damit der Gesunderhaltung der Pflanzungen
22 dienten. Als sie die Halle in ihrer gesamten Länge durchquert hatten, blieben sie stehen und sa hen sich an. »Wir hätten unterwegs viele Male eine Abzweigung nehmen können, die aus der Halle führt«, sagte Axton. »Aber es gefällt uns hier einfach zu gut.« »Es geht eben nichts über einen gepfleg ten Garten«, meinte Atlan. »Dazu noch die saubere Luft … Aber wir sind schließlich nicht hier, um uns zu erholen, obwohl das uns auch guttut.« Razamon deutete auf das offene Tor in der diesseitigen Abschlußwand der Halle. »Wir haben uns erholt«, erklärte er. »Gehen wir also wieder an die Arbeit!« Sie gingen durch das Tor und gerieten in ein Labyrinth von engen Korridoren und na türlichen Höhlungen. An manchen Stellen waren Stahlplatten in den Felsboden einge lassen, die wie Gullydeckel aussahen. Unter ihnen rauschte Wasser. Die Freunde überlegten bereits, ob sie umkehren sollten, als ihnen ein Hominide entgegenkam, der ihre Aufmerksamkeit er regte. Auch er ähnelte weitgehend Kuashmo, aber er trug eine hellblaue Röhrenhose aus Leder, dazu kniehohe Schaftstiefel, ein hell braunes Hemd und eine dunkelbraune Le derjacke, darüber einen breiten Gürtel mit zahlreichen Halterungen, in denen Instru mente staken. In den Händen hielt der Hominide eine Wünschelrute aus schwarzem Holz. Er sah nicht nach links oder rechts, sondern hatte den Blick auf den Boden geheftet und be wegte sich langsam vorwärts. »Ein Wünschelrutengänger!« entfuhr es Razamon. Der Hominide blieb stehen und sah zu den drei Männern. »Was sucht ihr hier?« fragte er verärgert. »Ihr stört mich bei der Arbeit.« »Das tut uns leid!« sagte Lebo Axton. »Wir werden auch gleich wieder verschwin den. Wir suchen nur nach einem Weg, wie
H. G. Ewers man aus dem Berg herauskommt.« »Da kann ich euch auch nicht helfen«, sagte der Wünschelrutengänger. »Ich habe zwar von zwei Quellen gehört, aus denen der Süße und der Bittere Fluß entspringen sollen, die beide in die Wüste Churrum flie ßen, aber gesehen habe ich sie noch nicht. Mein Gebiet ist hier oben, wo ich mit den Mitgliedern meiner Gilde nach Wasser für die hydroponischen Anlagen suche. Die alten Quellen versiegen nämlich nach und nach.« »Wir wünschen euch Erfolg«, sagte Atlan und deutete nach unten. »Aber es ist wahr, daß es zwei Flüsse gibt, die aus dem Berg hinaus fließen?« »Ja, aber sehr viel tiefer«, erklärte der Wünschelrutengänger. »Noch unter der Ebe ne der Grabsucher und wahrscheinlich im Gebiet der Fänger.« »Der Fänger?« fragte Lebo Axton ah nungsvoll. »Was fangen denn die Fänger?« »Früher fingen sie Tiere, die von draußen hereinkamen in den Berg, weil es dort viele Salzlager gibt. Heute sollen sie auch Leute fangen, die sich auf ihre Ebene verirren. Sie benutzen sie als Köder für die Giftechsen, deren Fleisch besonders schmackhaft ist.« »Danke für die Auskunft«, sagte Atlan. »Gehen wir tiefer?« fragte Razamon. Atlan schüttelte den Kopf. »Das würde zu spät werden. Ich denke, wir gehen wieder nach oben und ruhen noch ein wenig bis zum Morgen, damit wir frisch sind, wenn wir zum Augenfeld fliegen.«
* Am nächsten Morgen war Lebo Axton verschwunden, als Atlan und Razamon auf wachten. Doch bevor sie sich Sorgen um ihn ma chen konnten, tauchte er wieder auf. »Ich habe nur dafür gesorgt, daß Vinzenz uns mit einer Flugschale zum Augenfeld fliegt«, erklärte er. »Das Ekel Kuashmo wollte uns ursprünglich von einem Ding be gleiten lassen, dessen Sprechapparat nicht
Burg der Geheimnisse mehr funktioniert. Vinzenz verriet es mir. Dadurch hätten wir natürlich kaum etwas er fahren.« »Ausgezeichnet!« lobte Atlan den ehema ligen USO-Spezialisten. Sie brachen auf, wurden oben von Kuash mo und Vinzenz empfangen und in die Flug schalengarage begleitet. Es waren noch fünf weitere Roboter dabei, die sich Kuashmo of fenbar als Leibgarde zugelegt hatte. Nachdem sie mit Vinzenz eine Flugschale bestiegen hatten, aktivierte Kuashmo das Fahrzeug durch einen Kodeimpuls, den er mit seinem tragbaren Funkgerät ausstrahlte. Erst danach ließ es sich fliegen. Durch das Tor unter dem Dach, das sich automatisch öffnete, steuerte Vinzenz die Schale ins Freie und nahm Kurs auf das Hochtal mit dem Augenfeld. Dort angekommen, ließ Vinzenz die Flug schale langsam dicht über dem Augenfeld kreisen. Die drei Männer beugten sich über die Ränder des Fahrzeugs und blickten hin ab. »Die milchige Schicht ist einfach Staub, der durch Regen und Tau zusammenge backen wurde«, sagte Razamon. »Es ist ganz klar, daß die Augen durch diese Schicht hin durch nichts sehen können.« »Ich frage mich, warum man die Augen nicht längst gesäubert hat«, meinte Atlan. »Vinzenz, kannst du auf einem der Stege landen, den die Rahmen der einzelnen Au gen bilden?« »Selbstverständlich, Atlan«, erwiderte der Roboter. Kurz darauf setzte die Flugschale auf ei nem etwa meterbreiten Steg auf. Für die Au gen der drei Männer ergab sich eine völlig neue Perspektive, denn die sie umgebenden, etwa viereinhalb Meter hohen Einzelaugen schlos-sen sie vollkommen von der Außen welt ab. Atlan stieg aus dem Fahrzeug, ging auf dem Steg in die Hocke und wischte mit der Hand über die Randfläche eines Auges. Zu seiner Überraschung ließ sich die Schmutz schicht mühelos abwischen.
23 »Habt ihr das gesehen?« fragte Atlan sei ne Gefährten. Razamon schwang sich ebenfalls aus der Flugschale. Auch er wischte mit der Hand über die Randfläche eines Auges. »Dann begreife ich nicht, warum Kuash mo ein Problem daraus macht«, erklärte er. »Ich schon«, sagte Lebo Axton. »Eben habe ich überschlägig ausgerechnet, daß das Augenfeld aus zirka siebzigtausend Ein zelaugen bestehen muß. Wenn wir drei das machen wollten, hätten wir nicht einmal die Hälfte geschafft, bis das erste Viertel wieder verschmutzt wäre. Es wäre eine Sisyphusar beit.« »Und die Blechkerle lassen sich dabei nicht einsetzen«, erwiderte Atlan. »Sie wür den mehr Schaden anrichten.« »Wir sind auch nicht dafür vorgesehen«, erklärte Vinzenz. »Dafür sind die Augenput zer da.« »Die Augenputzer!« rief Razamon. »Ist das wieder so eine Gilde? Und warum tun die Kerle nicht ihre Pflicht?« »Die Augenputzer sind Tiere«, sagte Vin zenz. »Ich kann sie euch zeigen, wenn ihr wieder einsteigt.« Atlan und Razamon stiegen wieder ein. Vinzenz steuerte die Flugschale ungefähr zwanzig Meter hoch und über einen kleinen quadratischen Raum zwischen vier Ein zelaugen. Erst jetzt fiel es Atlan auf, daß es noch sehr viele dieser Zwischenräume gab. Er spähte nach unten und entdeckte in ei ner schmutzigen Grube mehrere kugelförmi ge Gebilde mit Durchmessern zwischen zehn Zentimetern und einem halben Meter. »Sie sehen aus wie zusammengerollte, überdimensionale Kellerasseln«, stellte er fest. »Das sind die Augenputzer«, erläuterte Vinzenz. »Sie rollen sich nur bei Tageslicht zusammen. Nachts laufen sie auf den Augen herum und fressen alle Ablagerungen auf. Jedenfalls haben sie das früher getan und sollten es heute auch noch tun. Aber sie blei ben auch nachts in ihren Gruben, obwohl Kuashmo uns in jeder Nacht losschickt, da
24 mit wir die Augenputzer durch helles Scheinwerferlicht aufscheuchen.« »Habe ich richtig verstanden, daß die Au genputzer früher die Ablagerungen auffra ßen, sich also davon ernährten?« fragte Ax ton. »Das ist richtig«, antwortete der Roboter. »Wovon ernähren sie sich dann, seit sie die Ablagerungen nicht mehr fressen?« frag te Axton. »Das weiß ich nicht«, erklärte Vinzenz. »Würdest du noch einmal auf einem Steg landen?« sagte Atlan. Der Roboter gehorchte. Atlan stieg abermals aus und begab sich zu der nächsten Grube. Obwohl er sich vor dem Schmutz und Unrat ekelte, der den Bo den der Grube bedeckte, holte er ein Seil aus der Flugschale und ließ sich von Razamon in die Grube abseilen. Insgesamt sieben jener »Riesenasseln« befanden sich dort, aber zwei davon waren tot, wie der Arkonide schnell feststellte. Ihre Körper waren halbverwest, und fünf kleine Exemplare kletterten auf ihnen herum und ernährten sich offensichtlich von der faulen den Biomasse. Atlan ließ sich wieder aus der Grube her ausziehen. »Die Lebenden ernähren sich von den Toten«, sagte er. »Aber das ist natürlich keine befriedigende Erklärung dafür, daß die Au genputzer irgendwann ihre Arbeit einstell ten. Das kann nur auf äußere Einflüsse zu rückzuführen sein. Etwas muß die Lebens gewohnheiten der Tiere einschneidend ver ändert haben.« Er ließ sich in weitere Gruben abseilen und fand überall ähnliche Zustände vor. All mählich bildete sich ein Verdacht bei ihm heraus. Dieser Verdacht verstärkte sich, als er Paarungsvorgänge und einmal sogar die Geburt von drei Jungen beobachtete. Er sah, daß das Muttertier gleich nach der Geburt in einen Dämmerzustand fiel und wenig später starb. Im Verlauf der nächsten halben Stunde starb auch das Vatertier. Die drei Jungen
H. G. Ewers waren auf sich angewiesen, aber sie litten deshalb keine Not, sondern fraßen die Ab fälle, die in der Grube herumlagen. Atlan war sicher, daß sie sich auch über ihre Eltern hermachen würden, sobald ihr Fleisch durch den Fäulnisprozeß weich genug geworden war, daß sie mit ihren schwachen Beißwerk zeugen Stücke davon abreißen konnten. Der Arkonide kehrte in die Flugschale zu rück. »Ich werde versuchen, eine logische Er klärung für das Versagen der Augenputzer zu finden«, sagte er. »Am Anfang der ver hängnisvollen Entwicklung muß ein Überan gebot von Nahrung in den Gruben gestanden haben. Vielleicht fiel irgendwann soviel Staub vom Himmel, daß die Augenputzer sich von dem ernähren konnten, der in ihren Gruben landete. Dadurch brauchten sie nicht auf die Au gen zu klettern, was sicher beschwerlich für diese Tiere gewesen ist. Sie konnten sich von dem in ihre Gruben gefallenen Staub er nähren, bis sie Nachkommen zeugten. Die Beobachtungen, die ich anstellte, scheinen darauf hinzudeuten, daß die Au genputzer sich nur einmal fortpflanzen kön nen, weil sie bald nach der Geburt ihrer Jun gen sterben. Die halbverdauten Ausschei dungen, die sie hinterließen, sowie ihre ver wesenden Körper versorgten die Jungen so reichlich mit Nahrung, daß auch sie nicht mehr auf die Augen kletterten, sondern in den Gruben blieben. Das reichliche Nahrungsangebot in den Gruben muß dann zu einer Vorverlegung der Geschlechtsreife geführt haben. Dadurch wurde ein unheilvoller Kreislauf in Gang ge setzt. Reichliche, eiweißreiche Nahrung führte zu früher Geschlechtsreife und ent sprechend früher Fortpflanzung. Die Tiere paarten sich und bekamen Nachwuchs, be vor sie ihre normale Körpergröße erreichten. Entsprechend mußten die Jungen kleiner als normal geboren worden sein. Da sie infolge des frühen Todes ihrer El tern und ihrer Kleinheit stets ein überreiches Nahrungsangebot vorfanden, wurden sie von
Burg der Geheimnisse Generation zu Generation immer früher ge schlechtsreif und pflanzten sich immer frü her fort. In einigen Gruben habe ich gesehen, daß sich die Augenputzer bereits paarten, wenn sie nur ein Fünftel der Körpergröße jener Er wachsenen erreicht hatten, die ich als größte Exemplare sah. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem die Entwicklung ohne Hilfe von au ßen nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, denn die Augenputzer der jüngsten Generationen pflanzen sich bereits fort und sterben, bevor sie eine Größe erreicht haben, die es ihnen erlauben würde, über die hohen Mauern zu den Augen zu klettern.« Eine Weile sagte niemand etwas, dann meinte Razamon: »Dann werden früher oder später Junge geboren werden, die die Geschlechtsreife überhaupt nicht mehr erreichen, sondern vorher sterben. Das bedeutet dann das Aus sterben der Art.« »Kann man dagegen etwas unterneh men?« fragte Lebo Axton. Atlan zuckte die Schultern. »Ich denke schon. Aber das wird davon abhängen, ob wir Kuashmo begreiflich ma chen können, was mit den Augenputzern ge schehen ist. Außerdem müßte er mir noch einige Fragen beantworten.« »Du willst also wirklich, daß wir ihm hel fen?« fragte Razamon erstaunt. Atlan lächelte. »Wenn wir ihm helfen, sieht es so aus, als würden wir dadurch indirekt Duuhl Larx helfen, nicht wahr! Aber in der Schwarzen Galaxis sind die Beziehungen zwischen Ur sachen und Wirkungen entartet, so daß et was, das in einer normalen Galaxis günstig für Duuhl Larx sein würde, hier das Gegen teil bewirken könnte. Außerdem wollen wir zum SCHLOSS, und ich bin sicher, daß dort nur besonders Ausgewählte Zutritt haben. Eine ›gute Tat‹ könnte sich eventuell als Eintrittskarte erweisen.« »Und dazu führen, daß die Herren vom SCHLOSS uns falsch einschätzen«, bemerk te Lebo Axton dazu. »Vinzenz, bringe uns
25 zu Kuashmo zurück!«
5. Kuashmo hörte sich den Bericht Atlans interessiert an, dann sagte er: »Einige der von dir erwähnten Fakten wa ren mir bereits bekannt, aber ich vermochte die von dir dargelegten Zusammenhänge nicht zu erkennen. Bist du sicher, daß deine Schlüsse richtig sind, Atlan?« »Ziemlich sicher«, erwiderte der Arkoni de. »Ich brauche nur noch eine Auskunft von dir, als letzten Beweis sozusagen. Ir gendwann muß sehr viel mehr Staub als nor mal vom Himmel gefallen sein. Wann war das? Ich meine, gibt es ein anderes Ereignis, das ungefähr zur gleichen Zeit beziehungs weise kurz vorher stattfand?« Kuashmo dachte angestrengt nach, dann meinte er: »Es muß ungefähr zwei Tage vor dem Zeitpunkt gewesen sein, an dem der weiße Staub herniederregnete, da beobachtete ich auf den Kontrollschirmen ein vom Augen feld registriertes Ereignis. Die Stadt Tirn wurde durch den Götterblitz zerstört. Da mals stieg eine gewaltige pilzförmige Wolke bis über den Himmel hinaus.« Atlan sah seine Gefährten bedeutungsvoll an. »Das ist es, was ich ahnte. Zweifellos wurde Tirn durch eine Atomexplosion zer stört. Dafür spricht auch der Zustand, in dem wir ihre Überreste antrafen. Der Staub, der zwei Tage später auf die Burg und auf das Augenfeld fiel, war radioaktiver Nieder schlag von dieser Explosion. Die Augenput zer, die davon fraßen, erkrankten unheilbar. Bei denjenigen Tieren, die noch nicht ge schlechtsreif waren, bewirkte die Strahlen krankheit eine vorzeitige Reife und Fort pflanzung. Ähnliche Beispiele für den Ver such der Natur, eine bedrohte Art zu erhal ten, hat es auch auf vielen anderen Welten gegeben.« »Du meinst, der radioaktive Niederschlag leitete den verhängnisvollen Kreislauf ein?«
26 fragte Razamon. »Nur so kann es gewesen sein«, erwiderte Atlan. »Das Überangebot an Staub allein ge nügte nicht. Frühreife und vorzeitiges Ab sterben der Elterntiere waren die Folge der Strahlenerkrankung – jedenfalls am An fang.« »Ich begreife nicht ganz, was du meinst, Atlan«, sagte Kuashmo. »Vor allem erkenne ich nicht, wie deine Erkenntnisse dabei hel fen könnten, das Augenfeld wieder funkti onsfähig zu machen.« »Das ist doch ganz einfach«, erklärte der Arkonide. »Der Kreislauf muß nur unterbro chen werden. Lasse von deinen Robotern mindestens zwanzigtausend gesunde, noch nicht geschlechtsreife Augenputzer aus den Gruben holen. Sie müssen in leeren Räumen der Burg, von denen es bestimmt mehr als genug gibt, sicher verwahrt werden und dür fen nur ein Minimum an Nahrung erhalten. Anschließend müssen alle Putzergruben von deinen Robotern gereinigt werden. In ihnen darf nichts zurückbleiben, was den Putzern als Nahrung dienen könnte. Wenn danach die geborgenen Augenputzer in die leeren Gruben gesetzt werden, bleibt ihnen nichts weiter übrig, als auf die Augen zu klettern und den Belag abzuweiden.« Kuashmo blickte Atlan aus großen Augen an. »Das ist ein sehr guter Plan!« rief er ent zückt. »So werde ich es machen!« »Na, fein«, sagte Razamon. »Dann brauchst du uns ja nicht mehr und kannst uns gehen lassen.« Kuashmo starrte ihn verblüfft an. »Aber ihr werdet doch nicht gehen wol len, ohne den Erfolg von Atlans Plan gese hen zu haben! Außerdem wäre es doch auch möglich, daß der Erfolg sich nicht wie er hofft einstellt. Was sollte ich dann tun ohne eure Hilfe!« »Wir sollen deine ›Gastfreundschaft‹ also noch einige Zeit genießen«, meinte Lebo Axton verdrießlich. »Ich werde euch alle Wünsche erfüllen«, versicherte Kuashmo. »Und ich werde euch
H. G. Ewers belohnen, wenn das Augenfeld durch eure Hilfe wieder funktionsfähig wird.« »Dann werden wir wohl bleiben müssen, denn auf die Belohnung sind wir gespannt«, erwiderte Atlan ironisch.
* Kuashmo machte sich mit Feuereifer an die Arbeit. Er setzte alle seine Roboter – bis auf seine Leibgarde – ein, um gesunde, noch nicht fortpflanzungsfähige Augenputzer ein sammeln zu lassen. Diese Tiere wurden an schließend in schnell hergerichteten Einzel zellen in der Burg untergebracht. Atlan, Razamon und Lebo Axton verfolg ten die Aktionen der Roboter von der ober sten Plattform des Hauptturmes aus. Die Bergung der gesunden Augenputzer verlief noch einigermaßen zügig. Doch als die Roboter anschließend daran gingen, die Gruben von Unrat sowie toten und sterbenden Putzern zu säubern, kamen sie nur quälend langsam voran. Für solche Arbeiten waren sie einfach zu plump. »Es kann vier Wochen dauern, bis genü gend Gruben gereinigt sind und die ersten Putzer darin ausgesetzt werden können«, meinte Lebo Axton. »Wollen wir wirklich so lange warten?« »Ich bin dagegen!« sagte Razamon zor nig. »Wir werden versuchen, die Quellen des Süßen und des Bitteren Flusses zu finden«, erklärte Atlan. »Da wir dabei die Ebene der Fänger durchqueren müssen, brauchen wir mehr Waffen.« Der Speer und der Morgen stern waren nachts aus ihrer Unterkunft ver schwunden. »Außerdem brauchen wir min destens einen Handscheinwerfer, ein langes Seil sowie Trinkwasser und Proviant.« »Wir werden kommende Nacht alles zu sammensuchen«, erwiderte Razamon eifrig. »Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht schaffen würden.« Sie blieben den ganzen Tag über auf der obersten Plattform des Hauptturmes und sa hen den Robotern auf dem Augenfeld zu.
Burg der Geheimnisse Einmal tauchten drei Roboter bei ihnen auf und brachten Lebensmittel und Getränke. Atlan hielt es für ein gutes Zeichen, daß Kuashmo sie weiterhin so gastfreundlich versorgte. Sie merkten erst am Abend, daß sie sich getäuscht hatten. Als sie den Turm verlassen wollten, ver sperrten ihnen auf halber Höhe fünf Roboter den Weg. Zwar waren die Maschinenwesen unbewaffnet, aber da sie die Wendeltreppe stur blockierten, vermochten die drei Män ner nichts gegen sie auszurichten. Niedergeschlagen kehrten sie auf die oberste Plattform zurück. »Kuashmo traut uns offenbar nicht mehr«, sagte Razamon verbittert. »Er will sichergehen, daß wir verfügbar sind, falls bei der Durchführung des Planes Pannen auftreten«, erklärte Lebo Axton. »Kannst du nicht versuchen, Vinzenz zu erreichen?« fragte Atlan ihn. »Er hört doch auf dich und könnte uns vielleicht helfen.« Axton dachte nach, dann lächelte er. »Sicher fliegt er nachts mit den anderen zum Augenfeld. Wenn es dunkel ist, können wir uns bemerkbar machen. Aber dazu brau chen wir etwas. Wartet hier auf mich!« Er eilte die Wendeltreppe hinunter, bevor seine Gefährten ihm Fragen stellen konnten. Eine halbe Stunde später kehrte er zurück, einen Ballen getrockneter Kräuter auf dem Rücken und in der Hand einen glimmenden Stock. Inzwischen war es dunkel geworden. »Unsere Bewacher haben mir geglaubt, daß wir den Rauch der Kräuter einatmen müssen, um gesund zu bleiben«, berichtete er. »Sie ließen mich zwar nicht selbst zu den Türmern gehen, aber sie besorgten mir das hier.« Er ließ den Ballen fallen, riß ihn auf und schob vorsichtig den glimmenden Stock hin ein. Nachdem er kräftig geblasen hatte, schlugen Flämmchen aus den Kräutern. Er riß die zusammengepreßten Kräuter über den Flämmchen auseinander, so daß ausrei chend Luft hindurchströmte. Wenig später loderten helle Flammen aus dem Ballen, angefacht von dem Nachtwind,
27 der durchs Gebirge wehte. Die drei Männer verzogen sich auf die Seite, von der der Wind blies, damit sie nicht den benebelnden Rauch einatmen mußten. Immer wieder blickten sie in die Nacht und zu den hellen Lichtern, die zwi schen der Burg und dem Augenfeld hin und her flogen. Doch keine der Flugschalen än derte den Kurs und kam zu ihnen. Sie hatten die Hoffnung schon fast aufge geben, da tauchte über ihnen die dunkle Masse einer Flugschale auf. Sie war unbe leuchtet, deshalb hatten sie sie erst so spät entdeckt. Die Flugschale landete, und der Roboter darin sagte: »Ich bin Vinzenz. Euer Feuer muß etwas zu bedeuten haben, deshalb bin ich gekom men. Vorsichtshalber ließ ich meinen Scheinwerfer desaktiviert, damit Kuashmo mich nicht sehen konnte.« »Das war sehr klug von dir, Vinzenz«, lobte Lebo Axton ihn. »Kuashmo läßt uns von anderen Dienern im Turm festhalten. Aber wir können nicht so lange warten, wie Kuashmo das möchte, denn wir haben noch andere Aufgaben zu erfüllen. Du mußt uns helfen.« »Ich werde euch helfen, denn du hast mich zu deinem persönlichen Diener umpro grammiert, Lebo«, erklärte der Roboter. »Doch du mußt mir sagen, wie ich euch hel fen kann.« »Das ist ganz einfach«, erklärte Razamon. »Du bringst uns mit deiner Flugschale vom Turm und läßt uns vor dem Gebäude aus steigen, in dem sich der Speisesaal befin det!« »Ohne Proviant, Wasser und Waffen?« fragte Lebo Axton. »Als ob wir noch Zeit hätten, uns das be sorgen zu lassen!« entgegnete der Pthorer ärgerlich. »Unter uns wachen fünf Roboter.« »Sie verhalten sich passiv«, warf Atlan ein. »Es besteht für uns also kein Grund, übereilt zu handeln. Vinzenz, kannst du uns Proviant und Wasser sowie Waffen und Handscheinwerfer besorgen – und natürlich
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etwas, in dem wir Wasser und Proviant transportieren?« »Und ein Seil?« fragte Axton. »Ich werde es versuchen«, erwiderte Vin zenz. »Allerdings gibt es in dem Teil der Burg, der mir zugänglich ist, keine Waffen – außer denen, die Kuashmo unter Verschluß hält. An sie komme ich jedoch nicht heran.« »Notfalls können wir Waffen von den Vo gelspähern oder einer anderen Gilde erbeu ten«, schlug Razamon vor. Lebo Axton nickte. »Also, gut. Du brauchst also nicht unbe dingt auch Waffen zu besorgen, Vinzenz. Aber alles andere brauchen wir unbedingt.« »Ja, Meister«, erwiderte der Roboter. Er startete seine Flugschale wieder und verschwand in der Nacht.
* Diese Nacht und den ganzen folgenden Tag ließ sich Vinzenz nicht blicken. Dafür erschien Kuashmo in Begleitung dreier Roboter auf der Turmplattform und erkundigte sich danach, wie es seinen »Gästen« ginge. Razamon wäre ihm am lie bsten an die Kehle gefahren. Atlan bemerkte es noch rechtzeitig und legte ihm warnend die Hand auf den Unterarm. »Uns geht es gut«, erwiderte er. »Wir se hen, daß die Roboter Fortschritte beim Au genfeld machen. Wie geht es den geborge nen Augenputzern?« »Es hat einige Todesfälle gegeben, aber die betreffenden Tiere waren offenbar be reits krank gewesen«, berichtete Kuashmo. »Die meisten Augenputzer scheinen jedoch durchzukommen.« »Das freut mich«, sagte Lebo Axton. »Allerdings verstehe ich nicht, warum du uns daran hinderst, den Hauptturm zu ver lassen. Wir würden lieber in unseren Unter künften schlafen, anstatt auf der harten und zugigen Plattform.« »Das leuchtet mir ein«, meinte Kuashmo. »Ich werde dafür sorgen, daß eine sichere Unterkunft in einem Nebenturm für euch
vorbereitet wird. Das können die fünf Die ner erledigen, die weiter unten warten. Dafür lasse ich euch diese drei Diener hier.« »Das hast du davon!« schimpfte Razamon auf Interkosmo, nachdem Kuashmo gegan gen war. »Jetzt haben wir drei Wächter di rekt auf dem Hals.« »Es wäre besser gewesen, zu schweigen«, stimmte Atlan ihm zu. »Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wir müssen versuchen, die drei Diener über die Brüstung zu stürzen, sobald Vinzenz hier auftaucht. Da sie sehr unbeholfen sind, werden sie nicht schnell genug reagieren, wenn immer zwei von uns einen an den Beinen packen und hochhe beln.« Lebo Axton rieb sich die Hände. »Es wird mir Spaß machen, sie zu Schrott zu verarbeiten!« stieß er grimmig hervor. Der alte Roboterhaß bricht durch! warnte Atlans Extrasinn. Paß auf, daß er nicht au ßer Kontrolle gerät, sonst zerstört er wo möglich auch Vinzenz! Atlan nahm sich vor, Lebo Axton im ent scheidenden Moment scharf im Auge zu be halten. Zwar hatte sich Sinclair Marout Ken nons Gehirn in seiner Vollprothese trotz sei nes Robotertraumas stets beherrschen kön nen, wenn es die Durchführung einer USOMission erforderte, aber das Bewußtsein Kennons befand sich weder in seinem ur sprünglichen, verkrüppelten Körper noch in einer Vollprothese, sondern im Körper Griz zards. Es hatte nicht nur sehr viel durchge macht, sondern war durch die unvermeidli che Rückkopplung mit Grizzards Körper chemie verändert worden. Folglich ließen sich seine Reaktionen nicht mehr präzise vorhersagen. Doch der Augenblick der Entscheidung ließ noch lange auf sich warten. Nicht so lange auf sich warten ließ dagegen Kuash mo. Er tauchte kurz nach Einbruch der Dun kelheit auf der Turmplattform auf und teilte seinen »Gästen« mit, daß sie ihre neue Un terkunft beziehen könnten. Aus seinem Tonfall hörte Atlan heraus, daß die neue Unterkunft noch ausbruchssi
Burg der Geheimnisse cherer sein mußte als der Hauptturm. Der Arkonide traf seine Entscheidung entspre chend schnell und kompromißlos. Durch Handzeichen gab er Razamon und Axton zu verstehen, daß sie sich der drei Roboter annehmen sollten. Razamon und Axton handelten, als hätten sie das stundenlang geübt. Der erste Roboter befand sich bereits auf dem langen Weg zum Innenhof, da hatten weder Kuashmo noch die beiden anderen Roboter etwas da von bemerkt. Erst, als die beiden Männer den zweiten Roboter über die Brüstung hebelten, wurden der dritte Roboter und Kuashmo aufmerk sam. Kuashmo blieb jedoch friedlich, denn At lan hielt ihm die Spitze seines Wurfmessers an die Kehle. Der dritte Roboter dagegen versuchte zwar, sich zu wehren, aber er ver lor das Gleichgewicht, als er beide Arme gleichzeitig hob. Razamon und Axton brauchten seinen Sturz nur in die richtige Richtung abzulenken – und wenig später zerschellte auch er klirrend auf dem Mar morboden des Burghofs. »Was … was soll das?« stammelte Kuas hmo. »Frage nicht so dämlich!« fuhr Razamon ihn an. »Wir haben es schon lange satt, durch dich bevormundet zu werden!« Er nahm Kuashmo den Lederkilt ab und riß ihn in Streifen, mit denen er ihn so gründlich fesselte und knebelte, daß er sich niemals selbst befreien noch um Hilfe rufen konnte. Wenig später tauchte eine unbeleuchtete Flugschale auf. Rasch drehte Atlan Kuash mo mit dem Gesicht zu Boden, dann stieg er mit seinen Gefährten in das Fahrzeug. »Starten!« befahl Lebo Axton. Der Roboter in der Flugschale gehorchte und startete. Die Flugschale beschrieb einen halben Kreis über dem Burghof, dann senkte sie sich neben dem Gebäude mit dem »Rittersaal« auf den Boden. »Hast du alles besorgt, Vinzenz?« flüster te Axton.
29 »Ich bin nicht Vinzenz«, erwiderte der Roboter. »Aber Vinzenz hat mich umpro grammiert und zu euch geschickt. Er wurde von Dienern Kuashmos so scharf überwacht, daß er die Sachen nicht in der Flugschale verstauen konnte. Sie liegen in einem Ver steck, und er wartet dort auf euch.« »Er ist wirklich ein Schatz«, sagte Axton. »Du führst uns zu dem Versteck?« »Ich führe euch«, erklärte der Roboter. Er brachte die drei Männer in das Gebäu de und führte sie dann eine Weile durch ver trautes Terrain, bis sie in eine Art Thronsaal kamen, in dem unter anderem Regale mit verstaubten Büchern standen. Der Roboter setzte sich auf einen thronar tigen Sessel und berührte mehrere Ornamen te auf den Armlehnen. Plötzlich schwang der Sessel mit einem Stück des Podests, auf dem er stand, zur Seite. Eine viereckige Öff nung wurde sichtbar, unter der eine schmale Wendeltreppe in die Tiefe führte. »Geht hinunter!« sagte der Roboter. »Du gehst voran!« befahl Lebo Axton mißtrauisch. »Ich werde zurückgehen und mit meiner Flugschale im Gebirge abstürzen«, erklärte der Roboter, erhob sich und wankte stamp fend und klirrend davon. Axton sah sich mit haßverzerrtem Gesicht nach einem Gegenstand um, den er dem Ro boter über den Schädel schlagen konnte, aber Atlan hielt ihn fest und sagte: »Man kann das Mißtrauen auch übertrei ben, Lebo. Vinzenz hat diesem Roboter ge sagt, wie er sich verhalten soll – und Vin zenz kannst du vertrauen. Er möchte nur, daß für Kuashmo eine falsche Spur gelegt wird, damit er uns seine Diener nicht hinter her schickt.« Axton seufzte schwer, dann lächelte er verzerrt. »Alles klar, Lordadmiral«, sagte er. »Du weißt warum …?« »Natürlich, Sinclair«, erwiderte der Arko nide mitfühlend. »Ich kenne mich mit den Schicksalen und Traumata Tausender von USO-Spezialisten aus, die viele Male durch
30 die Hölle gingen und jedesmal neue Wunden empfingen – körperliche wie seelische. Alle diese Wunden brennen auch in mir.« »Entschuldige, Atlan«, sagte Lebo Axton. »Ich weiß, daß dir jedes Schicksal deiner Mitarbeiter tief unter die Haut geht und du mit ihnen leidest. Es ist anmaßend von mir, wenn ich immer wieder nur auf meinem Trauma herumreite.« »Und es ist dumm, wenn du dich selbst zerfleischst«, erklärte Atlan und stieß Axton freundschaftlich auf die Geheimtür zu. Axton stolperte auf die Öffnung zu, dann fing er sich, drehte sich um und grinste, be vor er die Wendeltreppe hinabstieg. Wenige Minuten später trafen sie mit Vin zenz zusammen und freuten sich über die Dinge, die er besorgt hatte: drei kleine, grellweiß strahlende Handscheinwerfer, wie die Roboter sie benutzten, sowie Ersatzbat terien, Feuerstein und Zunder, zwei Messer, ein langes Seil, drei Pakete mit Dörrfleisch und Dauerbrot, sowie andere Eßwaren und drei gefüllte Wasserbeutel aus Leder. Dazu Tücher und Bänder, damit der Pro viant und die Wasserbeutel zu drei Packen verschnürt und auf dem Rücken getragen werden konnten. Lebo Axton war so begeistert, daß er den Roboter umarmte und auf den Schädel küß te. »Du bist ein wirklicher Freund, Vinzenz!« beteuerte er. »Ich bin nur ein Roboter, Meister«, wider sprach Vinzenz. »Und ich gehorche dem Programm, das du mir eingegeben hast.« Ernüchtert ließ Axton von ihm ab. »Immerhin hast du nicht nur blind ge horcht, sondern sogar Eigeninitiative ent wickelt«, erklärte er. »Ich danke dir jeden falls.« »Wir alle sind dir dankbar, Vinzenz«, er klärte Atlan. »Willst du uns nicht begleiten, mein Freund?« »Ich habe eure positiven Emotionsäuße rungen mir gegenüber registriert«, sagte Vinzenz und ließ dadurch erkennen, daß er keiner Gefühle mächtig war, sondern tat-
H. G. Ewers sächlich nur gemäß seiner Programmierung durch Axton gehandelt hatte. »Wenn mein Meister mir befiehlt, euch zu begleiten, ge horche ich selbstverständlich. Ursprünglich beabsichtigte ich allerdings, zurückzublei ben und einzugreifen, falls Kuashmo euch eine Robotertruppe nachschicken sollte. Ich könnte mich ihr anschließen und sie irrefüh ren.« »Das klingt gut, obwohl du uns als Führer zu den beiden Quellen sicher auch nützlich gewesen wärst«, sagte Lebo Axton. »Wohl kaum, denn ich kenne den Weg nicht«, erwiderte Vinzenz. »Aber ich weiß, wo ein Weiser wohnt, der euch den Weg zeigen kann. Es handelt sich um Dhosh von der Gilde der Grabsucher. Er wurde vor lan ger Zeit aus seiner Gilde ausgestoßen und lebt seitdem in einem Versteck bei den Gär ten. Die Gärtner versorgen ihn mit allem, was er zum Leben braucht, denn sie achten seine Weisheit.« »Den Weg zu den Gärten kennen wir«, sagte Razamon. »Laßt uns also keine Zeit verlieren!« Vinzenz wartete, bis die drei Männer ver schwunden waren, dann trat er den Rückweg an.
6. »Dhosh?« wiederholte der Gärtner und musterte die drei Männer, dann schob er sei nen Strohhut zurück. »Dhosh, der Weise?« Atlan hatte den Eindruck, als schwänge so etwas wie gutmütiger Spott in der Stimme des Hominiden mit. »Richtig«, erwiderte Lebo Axton unge duldig. »Wir wissen von einem Freund, daß Dhosh bei euch lebt.« Er bezwang seine Un geduld. »Würdest du so freundlich sein und uns zu ihm führen?« »Warum nicht?« sagte der Gärtner. »Laßt mich nur erst die letzten Zigools aussetzen.« Er fuhr fort, aus seiner »Botanisiertrommel« fingerlange, madenar tige Würmer zu holen und in die Nährflüs sigkeit eines hydroponischen Beckens zu
Burg der Geheimnisse streuen. »Die Zigools sind sehr wichtig für die Ge sundheit unserer Kulturen«, erklärte er da bei. »Sie sorgen dafür, daß die Wurzelschma rotzer nicht überhand nehmen. Außerdem erzeugen sie in ihren Därmen ein Enzym, das mit ihren Ausscheidungen in die Nähr flüssigkeit gerät und von den Pflanzen auf genommen und als Katalysator für die Bil dung von Proteinen aus Zucker genutzt wird.« Razamons Augen funkelten zornig. Atlan sah, daß der Pthorer vor Ungeduld den Gärt ner am liebsten am Genick gepackt und ge zwungen hätte, sie sofort zu Dhosh zu füh ren. Er blickte ihn vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf. Schließlich kam es wirklich nicht auf eine Stunde mehr oder weniger an. Ständig schwatzend erreichte der Gärtner eine Sektion, in der vier andere Gärtner da mit beschäftigt waren, erntefrisches Gemüse in den Einfülltrichter einer Maschine zu schaufeln. »Früher war es nicht nötig, Gartenerzeug nisse bester Qualität in die Kompostierma schinen zu werfen«, erklärte der Gärtner. »Aber seitdem jede Gilde in der Burg ihre eigenen, egoistischen, Ziele verfolgt, hat der Wächter ihre Versorgung eingestellt.« »Kuashmo?« fragte Lebo Axton. Der Gärtner blickte ihn leicht verwundert an. »Wer sonst! Jedenfalls nimmt der Wäch ter uns nur noch ein Zehntel der Ernten ab. Alles andere wird zu Kompost verarbeitet, soweit wir es nicht selbst verbrauchen oder an Bedürftige verteilen können. Es ist ein Wunder, daß die Gilden ihre eigenen hydro ponischen Gärten bebauen, anstatt uns zu bestehlen.« Er verschloß seine »Botanisiertrommel« und ging an der Kompostiermaschine vorbei und in einen niedrigen Gang hinein. Die Wände wiesen mehrere vergitterte Öffnun gen auf – und hinter ihnen erblickten die drei Männer schäferhundgroße sechsbeinige
31 Tiere, die mit kurzen Rüsseln schmatzend Gemüsebrei aus Trögen fraßen. Vor der letzten vergitterten Öffnung blieb der Gärtner stehen, schob einen Riegel zu rück und deutete in den dahinterliegenden Stall. Atlan blickte hinein – und blinzelte ver blüfft, als er auf einer Schütte aus ver schmutzten Stroh einen alten bärtigen Homi niden sah, der in uralte Fetzen gekleidet war und einen mageren Arm nach dem Gitter ausstreckte. In der schmutzigen Hand hielt er eine von Essensresten verkrustete Schüs sel, und sein zahnloser Mund lallte unver ständliche Worte. »Besuch für dich, Dhosh!« rief der Gärt ner freundlich. Er griff in eine Tasche seines grünen Kittels und holte ein paar Früchte heraus, die er in die Schüssel fallen ließ. »Das soll Dhosh sein?« fragte Razamon fassungslos. »Nennt er das weise, in einem Nutzviehstall zu hausen und von den Brocken zu leben, die ihm vorgeworfen wer den?« »Warm!« brachte der Bärtige halbwegs deutlich heraus. »Und satt!« Er lächelte se lig. »Er ist senil«, meinte Lebo Axton. Atlan musterte Dhosh genauer, dann wandte er sich an den Gärtner. »Stimmt es, daß Dhosh vor langer Zeit aus der Gilde der Grabsucher ausgestoßen wurde?« Er fing einen sehr aufmerksamen Blick des Alten auf, ließ sich aber nichts an merken. »Genau genommen wurde er wegen eines Delikts verurteilt«, antwortete der Gärtner. »Ich weiß nicht mehr, um was es sich han delte, aber seine Gilde wollte ihn töten und hätte es auch getan, wenn er nicht einige Zeit verschwunden gewesen wäre.« Atlan lächelte. »Und als sie ihn schließlich nach langer Zeit fand, in diesem Nutztierstall und in ver wahrlostem Zustand, verschonte sie ihn, weil Geisteskranke unter dem Schutz der Götter stehen, nicht wahr?« Dhoshs Gesichtsausdruck verriet, daß er
32 sich in die Enge getrieben fühlte. Der Gärtner musterte Atlan zum ersten mal mit voller Aufmerksamkeit. »Du bist sehr klug …« »Atlan!« stellte der Arkonide sich vor. »Aber Dhosh ist tatsächlich weise. Nur des halb lebt er noch.« Er wandte sich an den Alten. »Keine Sorge, Dhosh. Meine Freunde und ich sind zu dir gekommen, weil wir den Weg zu den Quellen des Süßen und des Bit teren Flusses nicht allein finden würden.« Als der Alte ihn zweifelnd anschaute, fragte er: »Sehen wir so aus wie Grabsucher, Dhosh?« Lebo Axton nahm seinen Packen vom Rücken, wickelte ihn auf und holte eine klei ne flache Plastikflasche heraus, die er dem Alten reichte, nachdem er sie aufgeschraubt und einen großen Schluck daraus getrunken hatte. Dhosh musterte Axton aufmerksam, dann roch er an der Flasche. Sein Gesicht verklär te sich plötzlich. Im nächsten Augenblick hatte er die Flasche angesetzt und trank. Aber nach wenigen Schlucken setzte er die Flasche ab, obwohl deutlich zu erkennen war, daß er sich dazu zwingen mußte. Er at mete tiefer, und sein Gesicht rötete sich. »Das tat gut«, sagte er völlig klar und deutlich. »Danke, Atlan und dir, mein Freund!« »Lebo!« stellte Axton sich vor. »Beim Parraxynt!« entfuhr es Razamon. »Du bist ein gewitzter Bursche, Dhosh! Ich heiße Razamon und hoffe, daß du uns den Weg zu den beiden Quellen zeigen kannst.« »Warum wollt ihr dorthin?« fragte Dhosh. »Weil wir die Freiheit lieben«, antwortete Atlan. »Wir haben Kuashmo bei der Lösung eines Problems geholfen, aber er wollte uns in der Burg festhalten, weil er meint, wir könnten ihm bei der Lösung weiterer Proble me helfen. Da wir uns nicht gern festhalten lassen, wollen wir durch einen der subplane tarischen Flußläufe die Burg Odiara verlas sen.« Dhoshs Augen leuchteten auf.
H. G. Ewers »Freiheit!« flüsterte er sehnsüchtig. »Ich wurde ausgestoßen, weil ich die Freiheit suchte. Allein wagte ich mich nicht durch die Ebene der Fänger, aber mit euch zusam men könnte es gelingen. Nehmt ihr mich mit auf eurem weiteren Weg?« Atlan musterte den Alten skeptisch. Er hatte bisher nicht daran gedacht, ihn mitzu nehmen, und er hielt das auch jetzt noch für undurchführbar. Immerhin war Dhosh ein alter, gebrechlicher Mann, der sich keinen tagelangen Marsch durch die Wüste Chur rum zumuten konnte. Andererseits würden sie den Weg zu den Quellen wohl kaum ohne Dhoshs Hilfe fin den. Atlan beschloß, auf den Wunsch des Alten einzugehen und später zu versuchen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Ge lang das nicht, dann allerdings würde er zu seinem Wort stehen müssen. »Wir nehmen dich mit, wenn du nach der Ankunft bei den Quellen immer noch darauf bestehst«, versprach er. Dhosh blickte ihm prüfend in die Augen, dann erklärte er: »Du bist ein Mann, der sein Wort niemals bricht, Atlan. Deshalb vertraue ich dir.«
* »Wenn wir den Alten mitnehmen, bürden wir uns eine Last auf, die zuviel für uns ist«, sagte Razamon. Die drei Männer waren allein. Dhosh hat te sich von dem hilfsbereiten Gärtner zu ei ner kleinen warmen Quelle bringen lassen, wo er sich den Schmutz abwaschen wollte. »Ohne ihn kommen wir wahrscheinlich nicht zu den Quellen«, erwiderte der Arko nide. »Also müssen wir diesen Preis bezah len. Aber wir werden Dhosh genau erklären, welche Schwierigkeiten uns in der Wüste Churrum erwarten, sobald wir bei den Quel len sind. Ich hoffe, er wird einsehen, daß es besser für ihn ist, wenn er zu den Gärtnern zurückkehrt.« Die drei Männer blickten auf, als der Alte in Begleitung des Gärtners zurückkehrte.
Burg der Geheimnisse Dhosh hatte sich verwandelt. Seine Haut schimmerte rosig; der vorher graue und stumpfe Kopfpelz glänzte wieder wie gold brauner Samt. Der wirre Bart war abge schnitten, die Gesichtshaut rasiert. Der Gärt ner hatte ihm statt seiner Fetzen ein grünes Seidenhemd, einen hellbraunen Lederkilt und Schnürsandalen gegeben. »Ich bin bereit, Freunde!« rief Dhosh. Er umarmte und küßte den Gärtner und bedank te sich für alles, dann wandte er sich einer Stahltür in der Wand mit den Gittern zu und öffnete sie. Eisige Luft schlug Atlan entgegen, als er dem Alten in den schmalen Gang hinter der Stahltür folgte. Zielsicher tappte Dhosh vor wärts. Es ging zuerst geradeaus, dann schmale Steinstufen hinab und etwa hundertfünfzig Meter tiefer in ein ausgedehntes Höhlensy stem, in dem stellenweise uraltes Eis lag. Atlan hielt sich stets dicht hinter oder neben dem Alten, um den Weg mit seinem Hand scheinwerfer zu beleuchten. Aber er hatte den Eindruck, als hätte Dhosh sich auch im Dunkeln mühelos zurechtgefunden. Am Ende des Höhlensystems blieb Dhosh vor einem Felstor stehen, hinter dem ein breiter Gang zu sehen war. Dhosh drehte sich um und sagte mit listi gem Lächeln: »Ihr würdet bestimmt den Weg durch das Felstor nehmen – wie viele andere, die ver sucht haben, die Quellen zu erreichen. Doch so bequem der Weg auch aussieht, er führt nicht zu den Quellen, sondern ins Verder ben.« Er bog nach links ab und kletterte einen Pfad, der als solcher nicht zu erkennen war, die steile und zerrissene Höhlenwand hinauf. Nach ungefähr zwölf Metern ging es zwi schen klippenartig vorspringenden Felswän den hindurch, die verblüffend Theaterkulis sen ähnelten. Die Kulissenwände verbargen perfekt das etwa einen Meter durchmessende Loch im Fels, das sich dicht unter der Höhlendecke befand. Dhosh zwängte sich hindurch und
33 blieb in dem dahinter liegenden niedrigen Gang keuchend liegen. Atlan kroch neben ihn, packte seinen Wasserbeutel aus und gab dem Alten etwas zu trinken. Allmählich erholte sich Dhosh wieder, aber an der grauen Färbung seines Gesichts war zu erkennen, daß die Anstren gung ihn dem Grab deutlich nähergebracht hatte. »Wir müssen weiter«, sagte Dhosh nach ungefähr einer Viertelstunde. »Ich bin zwar kein junger Mann mehr, aber wenn wir ab und zu eine Pause einlegen, schaffe ich es schon noch.« Atlan und Razamon wechselten einen Blick. Der Pthorer nickte mit dem Kopf in Dhoshs Richtung, dann verdrehte er vielsa gend die Augen. Atlan wußte, er hatte recht, aber er wußte auch, daß sie ohne den Alten diesen Weg niemals gefunden hätten. Etwa zwei Stunden lang führte Dhosh sie durch den niedrigen Gang, der sich in weiten Spiralen nach unten wand, dann hielt er vor einem schmalen Riß in der Felswand an und deutete darauf. »Sieh hindurch, Atlan!« forderte er den Arkoniden auf. Atlan kroch an den Riß und spähte hin durch. Er blickte auf eine breite Podesttrep pe aus massivem Fels, die in eine große Hal le mündete. In die Hallenwände waren schmale Leuchtstäbe eingelassen. Und auf dem Boden der Halle lagen meh rere Skelette von Hominiden! »Das ist der Weg, den alle Unkundigen gehen würden, nicht wahr?« fragte Atlan be klommen. »Der Weg durch das Felsentor«, bestätig te Dhosh. »Die meisten Unkundigen enden in diesem Saal der Halluzinationen. Sie glauben, ihren Weg zielstrebig fortzusetzen und irren doch nur hilflos in der Halle um her.« »Aber was ruft diese Halluzinationen her vor?« warf Razamon ein. Dhosh schickte ihm einen undefinierbaren Blick, antwortete ihm aber nicht, sondern setzte seinen Weg fort.
34
H. G. Ewers
Zehn Minuten später endete der Gang vor einem Steinschuttberg, der ihn ausfüllte. »Was nun?« fragte Lebo Axton. »Wir müssen den Schutt wegräumen«, er klärte Dhosh. »Aber das muß leise gesche hen, denn es können nur Grabsucher gewe sen sein, die sich in die Tiefe gearbeitet ha ben und dabei dieses Gangstück mit Schutt füllten – und sie müssen noch in der Nähe sein. Ich spüre es.«
* Razamon, Atlan und Lebo Axton bildeten eine Kette, so daß immer einer die Stein brocken aufhob und einer sie hinter ihnen ablegte. Das ging natürlich nicht völlig laut los, aber sehr laut waren die hervorgerufe nen Geräusche nicht. Dhosh lauschte die ganze Zeit über an der Wand. Plötzlich hob er die Hand und stieß ein warnendes Zischen aus. Die drei Männer hielten inne, ohne ihre gekrümmten Rücken entspannen zu können. Dazu war der Gang zu niedrig. »Was gibt es?« flüsterte Razamon. »Hört!« flüsterte der Alte zurück. Atlan bemühte sich, nicht auf das Rau schen des Blutes in seinen Ohren zu hören. Er blickte zu Lebo Axton und sah an dessen schmerzverzerrtem Gesicht, daß auch seine Rückenmuskeln völlig verkrampft waren. Nach einer Weile angestrengten Lau schens hörte er ein leises Summen, das rasch lauter wurde und dann wieder abebbte. Nur ein auf die Nerven gehendes dünnes Singen blieb noch länger und verstummte nicht ganz. »Das war eine Fahrstuhlkabine«, flüsterte Dhosh. »Demnach sind die Grabsucher fün dig geworden, denn sonst richten sie niemals einen Fahrstuhl ein.« »Wieso denn ein Fahrstuhl, um ein Grab zu suchen?« fragte Axton und wischte den Schweiß aus den Augen. »Die Gräber der Goldkönige liegen sehr tief«, erwiderte der Alte. »Deshalb können die Grabsucher nicht auf Leitern den Ziel-
schacht hinunter und hinauf klettern und da bei noch Fundstücke transportieren.« Er deutete auf den Schutt. »Ihr könnt weitermachen!« Ächzend und stöhnend setzten die drei Männer ihre Arbeit in vorgebeugter Haltung fort. Nach etwa einer halben Stunde stieß Dhosh abermals ein warnendes Zischen aus. Wieder hielten die Männer inne – und wie der hörten sie bald darauf das an- und ab schwellende Summen und das Singen der nachschwingenden Fahrseile. »Wir müssen gleich durch sein«, sagte der Alte. »Und was dann?« fragte Lebo Axton. »Der Gang geht auf der anderen Seite des Fahrstuhlschachts weiter«, erklärte Dhosh. »Natürlich wird er ebenso verschüttet sein wie der auf dieser Seite. Wir müssen eben auch dort den Schutt wegräumen.« »Das gefällt mir«, erwiderte Atlan sarka stisch. »Gibt es denn keine Möglichkeit, auf die Fahrstuhlkabine zu springen?« »Dazu fährt sie viel zu schnell«, sagte Dhosh entsetzt. »Aber wie sollen wir den Schutt auf der anderen Seite des Schachtes wegräumen, wenn der Fahrstuhl ständig fährt?« fragte Razamon. »Da müßte sich praktisch einer drüben hinquetschen und die Steinbrocken herüber werfen. Das ist zu umständlich.« »Vor allem dürfen die Grabsucher nichts von uns bemerken«, erklärte der Alte. »Sie würden sonst den Schacht mit Gas fluten.« »Das sind aber freundliche Zeitgenos sen«, meinte Lebo Axton. »Warum sollen wir dann rücksichtsvoll sein? Ich schlage vor, wir räumen den letzten Schutt einfach in den Schacht, wenn sich die Kabine gerade unter uns befindet. Wenn wir schnell genug arbeiten, wird sie so stark belastet, daß sie festsitzt. Wir können dann den Schutt von der Gangfortsetzung auf der anderen Seite ebenfalls einfach in den Schacht werfen.« »Was würden die Grabsucher in diesem Fall unternehmen?« fragte Atlan. »Sie würden wahrscheinlich an einen
Burg der Geheimnisse Bergrutsch aus natürlicher Ursache denken«, antwortete Dhosh. »In dem Fall würde ein Arbeitstrupp an einem Hilfsseil herabgelas sen, um den Schutt von der Oberseite der Kabine zu entfernen.« »Und wenn sie vermuten würden, daß die Panne durch Fremdeinfluß hervorgerufen wurde?« fragte Razamon. »Dann würden sie den Schacht auf jeden Fall mit Gas fluten«, sagte der Alte. »Ich denke, wir sollten es dennoch riskie ren«, meinte Axton. Atlan nickte. Sie warteten, bis sie abermals das Sum men hörten. »Er fährt wieder hinunter«, sagte Dhosh. Als das Summen verklungen war, stemm ten sich Razamon und Atlan gegen den Rest des Schutts zwischen ihnen und dem Schacht. Sekunden später stürzten die ersten Gesteinstrümmer in den Schacht – und etwa fünfzehn Sekunden danach schlugen sie pol ternd und krachend auf dem Kabinendach auf. Bald hatten Razamon und Atlan rund zehn Zentner Schutt den Schacht hinabge stoßen, und die Lichtkegel ihrer Scheinwer fer beleuchteten das Innere des ungefähr dreieinhalb Meter durchmessenden Schach tes, der in Abständen von vier Metern mit meterbreiten dicken Stahlringen abgeteuft war. Über diese Kette von Stahlringen liefen zwei gegenüberliegende Schienen, die so wohl als Führung für Kabine und Gegenge wicht als auch vorher als Leitern für die Schachtbauer gedient hatten. »Eine beachtliche Leistung«, sagte Atlan. »Ich hatte mir den Schacht primitiver vorge stellt.« »Er ist primitiv genug«, erwiderte Dhosh. »Wenn das Gestein nicht aus Marmor be stünde und es Verschiebungen gäbe, würde diese Abteufung nicht genügen.« »Führen wir keine Fachgespräche!« rief Razamon und sprang zur anderen Seite des Schachtes. Er hielt sich an der Führungsschiene fest, beugte sich nach rechts und räumte den
35 Schutt aus der verschütteten Weiterführung des Ganges. Atlan folgte seinem Beispiel. Bald hatten sie einen Hohlraum geschaf fen, der groß genug war, daß sie sich alle vier darin aufhalten konnten. Dhosh sprang allerdings nicht über die gähnende Tiefe des Schachtes, sondern ließ sich mit Hilfe des Seiles hinüberziehen. Razamon, der sich förmlich durch den Schutt wühlte, war gerade in die freie Wei terführung des Ganges durchgebrochen, als ein lautes Hornsignal ertönte. »Schnell, schnell!« rief Dhosh voller Pa nik. »Sie haben gemerkt, daß der Bergrutsch keine natürliche Ursache hat, und sie werden den Schacht mit giftigem Gas fluten!« »Obwohl sich ihre eigenen Leute auf der Schachtsohle befinden?« fragte Atlan. »Darauf nehmen sie keine Rücksicht«, er klärte der Alte. Razamon stieß eine Verwünschung aus und schaufelte mit seinen großen Händen noch schneller. Bald konnten sie alle in den freien Teil des Ganges kriechen. Dhosh eilte an Razamon vorbei und haste te gebückt weiter. Nach knapp einer Minute erreichte er eine Stelle, an der sich ein brei ter Spalt im Fels daneben geöffnet hatte. Da durch war ein senkrecht nach oben führen der Kamin entstanden. »Wir müssen hinauf!« sagte der Alte schnaufend. »Da das Gas schwerer als Luft ist, füllt sich der Schacht und das umliegen de Gangsystem von unten auf. Wenn wir Glück haben, können wir hoch genug klet tern und werden nicht erreicht.« »Dann klettern wir mal!« sagte Razamon und zog den Alten zu sich heran. »Zuerst Atlan, dann Lebo! Ich werde mit Dhosh fol gen, denn er kommt sowieso nicht aus eige ner Kraft hoch. Vorwärts, es riecht schon ganz komisch!«
7. Sie lagen, nachdem sie ungefähr hun dertzwanzig Meter hoch gestiegen waren, in einer halbrunden Höhlung, die durch eine
36 Gasblase vor undenklichen Zeiten im Mar mor entstanden sein mußte. Von der Flutung des Schachtes und der Nebengänge durch Gas hatten sie nur durch die Bewegung der verdrängten normalen Luft etwas bemerkt. Da es über ihnen nicht weiterging, war ihnen weiter nichts übrig geblieben, als in der Höhlung abzuwarten, bis der Tod sie erreichte – oder bis er an ih nen vorüberging. Als Dhosh plötzlich zusammensackte, ris sen sie ihn hoch und standen aufrecht in der Höhlung, wissend, daß das Gas über ihre Füße und Knie langsam emporkroch. Doch nach einer Viertelstunde lebten sie immer noch, und Dhosh kam sogar wieder zu sich. Da wußten sie, daß der Tod noch einmal an ihnen vorübergegangen war, wenn auch nur um Haaresbreite. Sie warteten noch eine Stunde, dann stie gen sie den Kamin wieder hinab. Atlan machte den Anfang, da es ihm am wenigsten schaden würde, falls er etwas Gas einatmete. Zweimal geschah das tatsächlich. Doch das schwere Gas sank stetig tiefer, so daß sie in nerhalb einer guten Stunde den Kamin ver lassen und ihren Weg durch den Gang fort setzen konnten. Nach einer weiteren Stunde kamen sie an ein Loch im Boden. Unter ihm ging es eine Wendeltreppe hinab, die so schmal war, daß sie rückwärts kriechen mußten. Außerdem mußten sie sich beeilen, denn an verschiedenen Geräuschen hörten sie, daß mehrere Hominide hinter ihnen her waren: eine Gruppe Grabsucher, die nach ihnen suchte. Wenig später hörten sie auch von rechts Geräusche. »Eine zweite Gruppe«, sagte Dhosh atem los. »Sie soll uns wahrscheinlich den Weg abschneiden.« »Dann werden wir kämpfen müssen!« stellte Razamon grimmig fest. »Das wäre Selbstmord«, erklärte der Alte. »Die Grabsucher schießen vergiftete Pfeile aus Blasrohren ab und werfen mit Moleku larsäure gefüllte Glaskolben. Uns bleibt wei-
H. G. Ewers ter nichts übrig, als in die Grabkammer des Goldkönigs Visurtha auszuweichen und zu versuchen, durch die Seelenröhre zu ent kommen.« Sie rutschten etwas schneller die Wendel treppe hinab, während sich hinter ihnen und rechts von ihnen die Geräusche verstärkten. Auf einem Treppenabsatz blieb Dhosh ste hen und deutete auf einen Stahlring, der in eine Seitenwind eingelassen war. »Ihr müßt daran ziehen!« stieß er keu chend hervor. »Dahinter geht es in die Grab kammer.« »Die Verfolger werden sich denken kön nen, daß wir diesen Fluchtweg benutzt ha ben«, wandte Atlan ein. »Wohl kaum«, erwiderte der Alte. »Seht ihr den goldschimmernden Fleck an der Wand? Es handelt sich um das Grabsiegel. Kein Bewohner des Berges Odiara wird es wagen, das Grabsiegel aufzubrechen, denn ein versiegeltes Grab ist durch einen Bann fluch belegt. Wer es dennoch wagt und über lebt, wird von den Grabsuchern solange ver folgt, bis er gestellt und bestraft worden ist. Nur einmal ist jemand dennoch davonge kommen.« »Du?« fragte Lebo Axton. Der Alte kicherte. »Ja, ich war es«, gab er zu. »Ich brach das Siegel des Zugangs zur Grabkammer des Goldkönigs Trunghlon und warf einen Blick auf die Geheimnisse der Vorzeit.« Razamon ergriff den Stahlring und zog mit aller Kraft daran. Nach einiger Zeit wur de ein Riß in der Marmorwand sichtbar, der genau durch den daumennagelgroßen golde nen Fleck ging. Allmählich verbreiterte sich der Riß zu einem Spalt, dann schwang eine zwei Meter hohe und anderthalb Meter brei te Marmorplatte zur Seite und gab eine rechteckige Öffnung frei. Unterdessen hatten sich die Verfolger weiter genähert. Deshalb zögerten Atlan und seine Gefährten nicht länger. Sie drangen in den Gang ein, der einen rechteckigen Quer schnitt hatte und dessen Wände mit golde nen Einlegearbeiten verziert waren, die Sze
Burg der Geheimnisse nen aus einer fremdartigen Mythologie dar stellten. Mit Hilfe des an der Innenseite der Tür befestigten Stahlrings schloß Razamon den Zugang wieder, dann eilten sie weiter. Es ging zuerst etwa hundert Meter gerade aus, dann eine in den Marmor gehauene nor male Podesttreppe ungefähr fünfzig Meter hinab – und dann standen die Männer in ei ner etwa dreißig Meter langen, zwanzig Me ter breiten und fünf Meter hohen Kammer mit schwarzem Marmorboden, massiv gol denen Wandplatten und einer milchglasarti gen Decke. Mitten in der Kammer gab es ein halbme terhohes Podest, und darauf stand ein Sarko phag aus grauweißem Metall. Atlan strich mit der Hand darüber und zog sie schnell wieder zurück. »Es ist eisig«, sagte er überrascht. »Der Sarkophag besteht aus dem Vorzeit metall Suranit«, erklärte der Alte. »Seine Temperatur liegt unveränderlich auf dem Gefrierpunkt von Wasser. Kein bekanntes Werkzeug vermag es zu beschädigen, und niemand weiß noch, wie es hergestellt wer den kann.« »Weshalb sucht ihr Grabsucher eigentlich diese Stätten auf?« fragte Lebo Axton. »Um den Goldkönigen Opfer zu bringen«, antwortete der Alte. »Es heißt, daß sie eines Tages wieder aus ihren Gräbern steigen und die Herrschaft über Dorkh übernehmen. Dann werden diejenigen, die ihnen geopfert haben, reich belohnt werden.« Razamon trat an den Sarkophag heran und stemmte sich gegen die schwere Deckplatte. Er schrie überrascht auf, als sie sich leicht bewegen ließ und lautlos aufklappte. Auch Atlan und Axton sprangen auf das Podest, um einen Blick in den Sarkophag zu werfen. Atlan atmete unwillkürlich schneller, als er den goldenen Menschen sah, der im Sar kophag lag. Es handelte sich nicht nur um einen Hominiden wie bei Kuashmo und den anderen Bewohnern von Burg und Berg Odiara, sondern um einen echten Humanoi
37 den. Er gleicht einem ägyptischen Gottkönig! durchfuhr es den Arkoniden. Aber es war natürlich fragwürdig, zwi schen den ägyptischen Gottkönigen und die sem Goldkönig von Dorkh eine Verbindung herstellen zu wollen, ganz davon abgesehen, daß König Visurtha aus massivem Gold zu bestehen schien und nicht nur eine vergolde te Mumie war. »Sicher ist das nur die Nachbildung eines Lebewesens«, meinte Razamon. Er streckte die Hand nach dem Goldkönig aus, brachte es aber nicht fertig, ihn zu berühren. Aber als er die Hand zurückziehen wollte, rutschte er aus – und seine Hand stieß voll gegen das Gesicht Visurthas. Ein laut hallender Gongschlag ertönte. Der Goldkönig richtete seinen Oberkörper auf. Die Lider in dem starren Gesicht öffne ten sich. Zwei Augäpfel aus lupenreinen wasserhellen Diamanten blitzten und funkel ten. Der Pthorer schrie entsetzt auf und schlug die Hände vors Gesicht. Atlan sprang hinter den Sarkophag und versuchte, den Deckel zuzuklappen. Es gelang ihm nicht. Dhosh zitterte heftig. Er zog etwas aus ei ner Tasche seines Kilts, das einer vertrock neten Fledermaus ähnelte und warf es in den Sarkophag. Ein unmenschlicher Schrei ertönte. Aus dem Sarkophag waberte grelles Leuchten. Der »Leichnam« des Goldkönigs wurde transparent, dann verschwand er von einem Augenblick zum andern. Mit dump fem Knall fiel der Deckel zu. An der Rückwand der Grabkammer knackte es. Ein Spalt öffnete sich. Dhosh lallte Unverständliches, dann lief er auf den Spalt zu und durch ihn hindurch. Atlan packte Razamon an den Schultern und schüttelte ihn. Aber der Pthorer schien weder zu sehen noch zu hören. Er reagierte überhaupt nicht. Da warf Atlan ihn sich über die Schulter und eilte ebenfalls auf den Spalt zu und in den schmalen Gang dahinter. Lebo Axton
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folgte ihm.
* Sie liefen ungefähr dreihundert Meter weit, während hinter ihnen das grelle Leuch ten durch den Deckel des Sarkophags drang, die Grabkammer ausfüllte und danach in den Gang kroch. Eine schwere Stahltür versperrte ihnen den Weg. Dhosh zerrte an dem Ring, der an ihr befestigt war. Er war wie von Sinnen vor Furcht. Lebo Axton half ihm, aber auch beide Männer zusammen bekamen die Tür nicht auf – und hinter ihnen näherte sich das wa bernde Leuchten. Atlan legte Razamon auf den Boden und unterstützte die Bemühungen Dhoshs und Axtons. Er fragte sich, was geschehen wür de, wenn das wabernde Leuchten sie er reichte und einhüllte, und er ahnte, daß der Tod nicht das Schlimmste war, was ihnen davon drohte. Er verdoppelte seine Anstrengungen. Mil limeterweise gab die Tür nach, aber es reich te noch lange nicht. Das wabernde Leuchten war nur noch we nige Meter von ihnen entfernt. Atlan spürte plötzlich eine Welle des Grauens, die ihm vorauseilte. Dhosh stieß einen Schrei aus, dann sank er wimmernd zu Boden. Mit einer letzten verzweifelten Anstren gung rissen Axton und Atlan die Tür einen halben Meter weit auf. Axton ergriff den Alten unter den Armen und schleifte ihn durch die Öffnung. Atlan sprang zurück und packte Razamon unter den Armen. Er erstarrte vor Entsetzen, als ein Ausläufer des wabernden Leuchtens ihn berührte und ihn zu lähmen drohte. Unter äußerster Anspannung seines Wil lens schüttelte der Arkonide den verhängnis vollen Einfluß ab und zog Razamon hinter sich her durch die Öffnung und auf das ober ste Podest einer Treppe. Dort ließ er den Pthorer fallen und wandte
sich gemeinsam mit Axton der Tür zu. Die beiden Männer stemmten sich mit der Kraft der Verzweiflung dagegen – und als ein wa bernder Leuchtfinger durch die Öffnung griff, gelang es ihnen, die Tür zu schließen. Es gab einen dumpfen Laut, dann war sie zu. Atlan und Axton sanken zu Boden. Sie waren unfähig, weiterzugehen, geschweige denn, den Alten und Razamon mitzuneh men. Körperlich und psychisch erschöpft, lagen sie einfach da und warteten darauf, daß das wabernde Leuchten durch die ge schlossene Tür kroch, wie es durch den ge schlossenen Deckel des Sarkophags gekro chen war. Langsam vergingen die Sekunden und Minuten. Irgendwann begriff Atlan, daß das wa bernde Leuchten ihnen nicht durch die ge schlossene Tür folgte und daß sie vor sei nem grauenhaften Einfluß gerettet waren. Erst da nahm er seine Umgebung wieder bewußt war, sah Lebo Axton mit offenen, blicklosen Augen an der Tür lehnen und sah, daß Razamon und Dhosh neben ihm lagen. Der Alte sah Atlan unverwandt an. Sein Blick wirkte nicht starr, sondern lebendig. »Was war das?« fragte der Arkonide. »Der Geist König Visurthas«, flüsterte Dhosh. »Als Razamon den Goldkönig be rührte, wurde der Geist durch die Seelenröh re zurückgeholt. Aber es war zu früh für ei ne Wiederbelebung Visurthas. Deshalb ver suchte sein Geist, von einem von uns Besitz zu ergreifen.« »Aber er kann die Tür nicht durchdrin gen?« fragte Atlan. »Nicht, solange er nicht seinen Körper be sitzt«, antwortete der Alte. Lebo Axton seufzte. In seinen Augen kehrte das Leben zurück. Atlan beugte sich über Razamon. Das Ge sicht des Pthorers war noch immer völlig ausdruckslos, die Augen waren starr und un beweglich. Atlan fühlte nach dem Puls und vermochte ihn erst nach längerer Zeit ganz schwach wahrzunehmen. Er schlug genau siebenmal in der Minute.
Burg der Geheimnisse »Was hat er?« fragte Lebo Axton matt. »Er ist offenbar im Zustand stark herabge setzter Lebensfunktionen«, erklärte der Ar ko-nide. »So etwas wie scheintot.« »Er hat in die Augen des Goldkönigs ge sehen«, sagte Dhosh. »Es heißt, daß man in diesem Fall bis zur Wiedererweckung des betreffenden Goldkönigs schläft.« Atlan starrte den Alten erschrocken an. Er glaubte natürlich nicht daran, daß die Goldkönige irgendwann wiedererweckt wer den würden, es sei denn, sie wären nicht wirklich tot, sondern auf unbegreifliche Weise konserviert. Razamon würde aber kaum erwachen, sobald Visurtha erwachte. So etwas gab es nicht. Er stand lediglich un ter einem schweren Schock. Mit den Mitteln der modernen Medizin würde es nicht allzu schwer sein, ihn aus diesem Schock zu be freien. Aber auf Dorkh gab es ja nicht einmal ei ne Hausapotheke. Atlan ohrfeigte Razamon. Aber noch nicht einmal die Wangen röteten sich. So leicht war er also nicht aus seinem Schock zustand herauszuholen. Ein leiser Pfiff ertönte. Dhosh zuckte zusammen, dann flüsterte er: »Es sind Fänger in der Nähe. Sie befinden sich auf der Jagd. Wir müssen ein Versteck suchen, damit sie uns nicht entdecken.« »Wir befinden uns also schon auf der Ebene der Fänger«, sagte Lebo Axton. »Dann müssen ja auch die beiden Quellen hier irgendwo sein.« »Die Quellen sind tiefer – unter der Ebene der Fänger«, erwiderte Dhosh. »Aber uns hat man gesagt …« »Ja, diese Lüge wurde vor langer Zeit ab sichtlich von den Fängern verbreitet«, er klärte Dhosh. »Sie sollte Burgbewohner, die die Quellen suchten, dazu verleiten, so lange auf der Ebene der Fänger umherzuirren, bis sie eingefangen wurden.« Er richtete sich auf. Für sein Alter ist er nach all den Strapa zen noch recht gut beisammen! dachte At
39 lan. Ich fühle mich wie zerschlagen. Aber wir können Razamon dennoch nicht zurück lassen. Er lud sich den Pthorer wieder über die Schulter und folgte dem Alten die Treppe hinab.
* Sie hatten das untere Ende der Treppe er reicht. Die Lichtkegel ihrer drei Scheinwer fer enthüllten eine bizarre Höhlenlandschaft. Unterschiedlich dicke, von zahllosen Rissen durchzogene Marmorwände ragten schwarz und steil empor. Zwischen ihnen gab es schmale und breite Gänge, Terrassen und natürliche Treppen. Wieder zuckte Dhosh zusammen, als ein Pfiff ertönte. Er kam von rechts. Kurz darauf kam von links ebenfalls ein Pfiff. »Wir müssen geradeaus«, sagte der Alte und deutete auf einen breiten Gang zwischen zwei schwarzen Marmorwänden, der terras senförmig anstieg. Atlan seufzte und folgte Dhosh und Ax ton. Das Gewicht Razamons drückte schwer auf seiner Schulter. Es nützte kaum noch et was, daß er den schlaffen Körper in kurzen Abständen von einer Schulter auf die andere wechselte. Zwei Pfiffe von links! Lauter diesmal! Dhosh wurde von Panik ergriffen und rannte los. Er schaffte es bis auf die zweite Marmor-Terrasse, dann brach er erschöpft zusammen. Atlan brauchte mit seiner Last doppelt so lange für die gleiche Entfernung. Lebo Axton warf sich den Alten über die Schulter, als der Arkonide ihn erreichte. Hintereinander gingen die beiden Männer weiter, Axton noch einigermaßen frisch, At lan mit rasselndem Atem und wankend. Sie erreichten die höchste Terrasse. Von dort ging es in einem gewundenen Hohlweg abwärts. Ein Pfiff von hinten! Weiter! Weiter! Links stieg eine natürliche Treppe in einer Marmorwand empor. Die Stufen waren un
40 terschiedlich groß und unterschiedlich ge formt. Atlan und Razamon wären an ihr vor beigegangen, wenn nicht von vorn ebenfalls ein Pfiff gekommen wäre. Mühsam quälten sie sich die Stufen hin auf, die teilweise so schmal waren, daß sie ihre Füße querstellen mußten. Atlans Atem ging pfeifend. Die Stufen hörten in etwa zehn Metern Höhe dort auf, wo die Marmorwand in zwei schief auseinander stehende dünnere Wände geborsten war. Eine schmale Rinne führte in eine dunkle Höhle. Lebo Axton und Atlan wankten hinein. Die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer stachen in die Dunkelheit und enthüllten nach wenigen Metern das Ende der Höhle. Und das Ende der Flucht! Sie legten ihre Lasten ab, lehnten sich keuchend gegen die Wände, schalteten ihre Scheinwerfer ab und versuchten, neue Kräf te zu sammeln. Es dauerte einige Zeit, bis das Rauschen des Blutes in Atlans Ohren verebbte und das Zittern seiner Beine nachließ. Das Pulsieren des Zellaktivators verriet ihm, wie groß sei ne Erschöpfung gewesen war. Ohne das wundervolle Gerät wäre er nicht so weit ge kommen. »Lebo?« »Ja?« flüsterte Axton. »Wir haben sie ab gehängt, nicht wahr?« »Das können wir nur hoffen«, erwiderte Atlan leise. Seine Hoffnung war nicht allzu groß, denn er sagte sich, daß die Fänger das Ter rain ihrer Ebene gründlich kannten. Falls sie sie entdeckt hatten, brauchten sie nur alle bekannten Schlupfwinkel zu untersuchen. Aber es war nicht sicher, daß sie von der Existenz der vier Eindringlinge etwas ahn ten. Sie mochten hinter Tieren hergewesen sein und nur zufällig den Weg der vier Män ner tangiert haben. Sie kommen! raunte ihm sein Extrasinn zu. Atlan wollte es nicht glauben, denn er hörte und sah nichts von anderen Lebewe-
H. G. Ewers sen, und er hoffte, daß seine letzte Stunde noch nicht schlagen würde. Doch die Illusion zerrann, als in der Rinne vor der Höhlung drei Gestalten auftauchten, die Zerrbilder des terranischen Robin Hood hätten sein können, wären die langen Au genschlitze nicht gewesen, hinter denen es hellgrün flackerte. Außerdem trugen sie weder Pfeil noch Bogen, sondern hauchdünne grüne Netze und spitze silberne Stäbe. Atlan und Lebo Axton zogen ihre Messer. Sie waren entschlossen, sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Doch die drei Fänger erwiesen sich als Meister ihres Berufs. Ihre Netze flogen in die Höhlung, bevor Atlan und Axton über haupt reagiert hatten. Die beiden Männer verstrickten sich bei ihrem Bemühen, freizu kommen und sich zu wehren, nur immer mehr in dem dünnen, aber zähen Netzwerk. Sekunden später stachen die Spitzen der silbernen Stäbe nach ihnen. Atlan fühlte einen brennenden Schmerz am Hals, wo die Spitze ihn getroffen hatte, dann kreisten feurige Räder vor seinen Au gen – und dann riß ihn ein unwiderstehlicher Sog ins Nichts …
8. Atlan erwachte durch einen scharfen Schmerz am linken Fuß. Er wollte die Au gen öffnen, als ein Warnimpuls seines Ex trasinns sein Bewußtsein erreichte. Er ließ die Augen geschlossen und kon zentrierte sich auf die Wahrnehmungen sei ner anderen Sinne. Bald wußte er, daß er an Hand- und Fuß gelenken gefesselt, irgendwo aufgehängt und getragen wurde. Schaukelbewegungen verrieten ihm, daß er wahrscheinlich mit Stricken an einer Stange festgebunden war, die vorn und hinten von je einem Mann ge tragen wurde. Von einem Jäger! Nur undeutlich erinnerte sich der Arkoni de an das Aussehen der Fänger, die ihn und
Burg der Geheimnisse seine Gefährten überwältigt hatten. Da er über ein photographisches Gedächtnis ver fügte und sich nicht im Zustand totaler Ent kräftung befand, konnte das eigentlich nur bedeuten, daß er unter den Nachwirkungen eines Narkotikums litt. Wieder spürte er einen scharfen Schmerz, diesmal am rechten Fuß. Scharren, Schnau fen und undeutliche Worte verrieten ihm, daß seine Träger einen schwierigen Gelän deabschnitt bewältigen mußten. Er durfte al so davon ausgehen, daß sie ihm nicht mehr Aufmerksamkeit widmeten, als unbedingt erforderlich. Vorsichtig öffnete er die Augen. Als erstes sah er schräg über sich die von Scheinwerferlicht erhellten Wände einer Schlucht, dann eine Holzstange, an der seine Handgelenke mit Stricken festgebunden wa ren. Vor sich schaukelten seine gefesselten Fußgelenke, ebenfalls mit Stricken an der Holzstange befestigt – und davor ging ein Hominide, gekleidet in lange braune Wollst rümpfe, eine kurze olivfarbene Pluderhose, ein braunes Hemd und eine olivfarbene Le derweste. Der Schädel wurde von einem speckigen olivgrünen Hut bedeckt, an des sen linker Seite eine Sammlung großer Kral len oder Reißzähne baumelte. Das Schuh werk bestand aus braunen Stiefeletten mit dicken Sohlen. Bei diesem Anblick erinnerte sich Atlan wieder daran, daß er beim Anblick der er sten Fänger an Zerrbilder des terranischen Robin Hood gedacht hatte. Natürlich gab es Unterschiede, aber die Ähnlichkeiten waren dennoch verblüffend. Der erste Träger stolperte. Diesmal pen delte Atlan so, daß er mit der rechten Schul ter gegen die Schluchtwand stieß. Er verbiß sich den Schmerz. Sein Gehirn durfte sich nicht mit Nebensächlichkeiten abgeben. Es mußte sich mit Überlegungen befassen, wie er und seine Gefährten überleben konnten. Deine Gefährten werden noch gelähmt und bewußtlos sein! teilte ihm sein Logik sektor mit. Ihr wurdet mit vergifteten Speer
41 spitzen gestochen, und du hast die Giftwir kung nur dank deines Zellaktivators bereits überwunden! Die Fänger bewegten sich zügig durch ein Labyrinth aus Schluchten, natürlichen Höh lengängen und künstlichen Korridoren. At lan gewann den Eindruck, daß es dabei im mer tiefer ging. Nach ungefähr zwei Stunden kamen sie in eine große Höhle, in der mehrere Feuer brannten. An der geringen Rauchentwick lung war zu erkennen, daß es sich um Holz kohlenfeuer handelte. Mindestens dreißig Fänger saßen an den Feuern, gingen herum oder standen in kleinen Gruppen beisam men. Zum erstenmal seit der Ankunft in der Burg Odiara wurde sich der Arkonide der Tatsache bewußt, daß alle Gruppen nur aus männlichen Vertretern ihrer gemeinsamen Art bestanden. Natürlich ließ sich bei einer fremden Art nie genau erraten, ob man männliche oder weibliche Vertreter vor sich hatte oder ob es allesamt Zwitterwesen wa ren. Aber ein noch wichtigeres Merkmal ei nes lebendigen Gemeinwesens fehlte ganz: die Kinder. Atlan verdrängte die entsprechenden Überlegungen. Sie waren in seiner Lage ir relevant, also unwichtig. Er schloß die Au gen wieder, als zahlreiche Fänger sich ihm und seinen Trägern näherten. »Wo habt ihr die aufgegabelt?« hörte er nach dem ersten Stimmenwirrwarr jemanden fragen. »Sie sind aus eigenem Antrieb in unsere Ebene gekommen und gerieten mitten in un sere Treibjagd auf Aarfalkhs«, antwortete ei ne andere Stimme. »Es sind Fremde – bis auf einen«, sagte jemand. »Vielleicht aus den Wilden Dörfern.« »Oder aus der Stadt der Verlorenen.« »Legt sie bei meinem Feuer nieder!« sag te eine Stimme, aus der Autoritätsbewußt sein klang. »Sie sind uns hochwillkommen, denn die Späher haben eine Gruppe Tichys gemeldet, die in die unterste Ebene einge
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drungen sind. Es sind große Exemplare, für deren Fleisch wir bei der Gilde der Händler viele Werkzeuge eintauschen können. Mor gen werden wir die Gefangenen an günsti gen Stellen plazieren.« Atlan spürte, wie seine Träger sich wieder in Bewegung setzten. Nach kurzer Zeit setz ten sie ihn ab, ohne ihn jedoch von der Tra gestange loszubinden. Für sie bestand ja auch kein Anlaß dazu, da sie ihn für gelähmt und bewußtlos halten mußten. Seine Gedanken jagten sich. Mit den Tichys waren wahrscheinlich Giftechsen gemeint, wie der Wünschelruten gänger sie erwähnt hatte. Und die Fänger hatten sicher vor, ihre Gefangenen am näch sten Tag als Köder für die Giftechsen auszu legen. Gab es überhaupt eine Möglichkeit, die sem grausamen Schicksal zu entgehen?
* Atlan brauchte nicht lange, um sich klar darüber zu werden, daß er, wenn er etwas mit einiger Aussicht auf Erfolg unternehmen wollte, er es noch vor dem nächsten Tag tun mußte. Der Anführer der Fänger hatte davon ge sprochen, die Gefangenen an günstigen Stel len zu plazieren. Das bedeutete mit Sicher heit, daß sie in großen Abständen plaziert werden sollten. Immer vorausgesetzt, er könnte sich selbst befreien und retten, würde das eine Befreiung und Rettung der Gefähr ten erheblich erschweren. Der Arkonide beobachtete die in der Nähe befindlichen Fänger mit Vorsicht und Auf merksamkeit. Mit Vorsicht, weil er sich so bewegen mußte, daß niemand etwas merkte. Er stellte zu seiner Erleichterung fest, daß sie nach einer reichlichen Mahlzeit und dem reichlichen Genuß berauschender Getränke nach und nach einschliefen. Als er sicher war, daß ihn niemand mehr beobachtete, rutschte er Zentimeter um Zen timeter näher an die dunkelrot glühenden Holzkohlestücke des Feuers heran. Nach je-
weils wenigen Zentimetern hielt er inne und lauschte. Wenn jemand merkte, daß er sich bewegte, wäre alles aus gewesen. Endlich hatte er den Rand des Feuers er reicht. Er drehte sich so, daß die Stricke, mit denen seine Handfesseln an der Tragestange befestigt waren, auf eine glühende Holzkoh le zu liegen kamen. Es dauerte nicht lange, da waren die Stricke durchgebrannt. Das gleiche wiederholte er mit den Stricken, an denen die Füße hingen. Als er die hinderliche Tragestange los war, ruhte er sich, ein paar Minuten aus. Da nach ging er an die Befreiung von den Hand- und Fußgelenkfesseln. Das war schwieriger – und vor allem sehr schmerzhaft, denn die Holzkohlenglut ver brannte nicht nur die Fesseln, sondern auch seine Haut. Als er endlich frei war, gab es etliche Stellen an Haut- und Fußgelenken, an denen die rohe Haut feuerrot bloßlag. Mit zusammengepreßten Zähnen lag At lan auf dem Boden. Tränen des Schmerzes liefen ihm aus den Augen. Er mußte sich ge waltsam zusammenreißen, um nicht laut zu schreien. Nach einiger Zeit hatte er die Schmerz empfindung soweit verdrängt, daß er wieder klar denken konnte. Erfreut stellte er fest, daß er sein Wurfmesser noch besaß. Lautlos kroch er zu Lebo Axton, der ihm am nächsten lag. Als er dabei dicht an einem Fänger vorbeikam, erwachte dieser. Atlan schickte ihn mit einem Schlag des Messer griffs ins Reich der Träume zurück. Anschließend befreite er Axton von sei nen Fesseln. Das gleiche tat er mit Razamon und Dhosh. Danach ergab sich das Problem, wie er die Gefährten abtransportieren konn te, denn sie waren noch immer gelähmt und bewußtlos – und Razamon stand überdies noch unter paralysierender Schockwirkung. Er kroch zu einem der Fänger, neben dem er einen Lederbeutel gesehen hatte. Der Beutel enthielt kein Wasser, sondern eine scharfriechende alkoholische Flüssigkeit. Atlan kroch mit ihm zu den Gefährten zu rück und rieb ihre Schläfen kräftig ein.
Burg der Geheimnisse Er wollte schon aufgeben, da schlug Lebo Axton plötzlich die Augen auf. Der Arkonide legte ihm warnend die Hand auf den Mund und erklärte flüsternd die Lage. »Wir müssen so schnell wie möglich fort – und zwar auf die unterste Ebene!« fügte er hinzu. »Ohne Dhosh finden wir den Weg nur unter großen Schwierigkeiten, also müs sen wir zusehen, daß wir auch ihn wachbe kommen!« Gemeinsam rieben sie Dhoshs Schläfen ein, massierten ihm die Brust und die Fuß sohlen – und nach etwa einer Stunde regte sich der Alte. Auch ihm erklärte Atlan die Lage flü sternd. Dhosh erschauderte. »Sie wollten uns als Köder benutzen«, flüsterte er. »Wir müssen fort, aber nicht nach unten, sondern nach oben, wenn Gif techsen in die unterste Ebene eingedrungen sind.« »Wenn wir nach oben auswichen, müßten wir alles noch einmal durchmachen«, gab der Arkonide zurück. »Schließlich wollen wir die Quellen erreichen. Aber wenn du lie ber zu den Gärtnern zurückgehst …« Dhosh dachte nach, dann meinte er: »Ich führe euch hinunter, denn ich möchte nicht bis zu meinem Tode weiter den Irren spielen und in einem schmutzigen Stall hocken.« Atlan und Axton hoben Razamon gemein sam auf, dann folgten sie leise und geduckt dem Alten, jederzeit darauf gefaßt, daß ein Fänger erwachte und Alarm schlug. Doch alles ging gut. Sie konnten sogar ih re gesamte Ausrüstung mitnehmen. Nach ei ner halben Stunde verließen sie die Höhle der Fänger und gelangten an eine Schlucht, die so tief war, daß das Licht ihrer Schein werfer nicht bis zum Grunde leuchtete. Aber direkt an ihrer Wand führten breite Stufen in zahllosen engen Serpentinen hin unter. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich ihnen anzuvertrauen.
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* Nach ungefähr einer halben Stunde legten sie eine Pause ein. »Dorkh hat sich mir bereits jetzt als Welt der Treppen eingeprägt«, meinte Lebo Ax ton schnaufend. »Sollte ich einmal dazu kommen, mir ein Haus zu bauen, dann darf es nicht eine einzige Stufe haben.« Atlan lächelte trotz der Schmerzen an Hand- und Fußgelenken. »Der Sandsturm war schlimmer, Lebo. Aber ich denke, wir sollten unsere Schein werfer für eine Weile ausschalten. Auch du, Dhosh!« »Warum?« fragte der Alte, der Razamons Scheinwerfer trug. »Weil ich wissen möchte, ob sich unter uns Lichtquellen befinden«, erklärte der Ar konide. Sie schalteten ihre Scheinwerfer aus. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit ge wöhnt hatten, entdeckten sie tatsächlich un ter sich einen schwachen Lichtschimmer. »Was meinst du dazu, Lebo?« fragte At lan. »Es handelt sich nicht um eine punktför mige Lichtquelle, sondern um einen hellen Streifen«, antwortete Lebo Axton. »Demnach stammt das Licht nicht aus einer einzigen Lampe und auch nicht aus zweien oder dreien, sondern es ist entweder Tages licht oder das Licht, das aus einem weit ent fernten, großräumig beleuchteten Terrain hereinfällt.« Atlan nickte. »Du hast nichts verlernt, Spezialist Ken non.« »Ich fand leider bisher keine Gelegenheit dazu«, erwiderte Axton. »Wir steigen weiter ab!« entschied der Ar-konide. »Ohne die Scheinwerfer zu be nutzen! Ist das klar, Dhosh?« »Ich begreife«, sagte Dhosh. »Ihr vermu tet, weiter unten könnten Späher der Fänger sein.« Sie setzten ihren Weg fort. Wieder trugen
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Atlan und Lebo Axton Razamon gemein sam. Bald hatten sie das Gefühl, die Arme würden ihnen aus den Schultern gerissen. Plötzlich blieb Dhosh stehen. Beinahe wä ren Atlan und Axton über ihn gefallen. Aber sie sagten nichts, sondern legten den Pthorer lautlos ab und stellten sich neben den Alten. Ungefähr acht Meter unter sich sahen sie das Ende der Treppe. Gleich dahinter gab es eine tief herabhängende Marmordecke – und unter ihr fiel bläulicher Lichtschein auf einer Breite von etwa einem Kilometer hervor. Gegen das Licht aber hoben sich zwei Ge stalten ziemlich deutlich ab. Sie trugen die »Robin-Hood-Kleidung« der Fänger und wandten Atlan und seinen Gefährten die Rücken zu. Der Arkonide und Axton nickten sich zu. Atlan bedeutete Dhosh mit Handzeichen, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis sie zurückkehrten. Danach glitten die beiden Männer lautlos die Treppe hinab. Da die beiden Fänger nichts von ihrer Existenz ahnten und ihre ganze Aufmerk samkeit der beleuchteten Gegend hinter der herabhängenden Marmordecke widmeten, war es für Atlan und Lebo Axton reine Rou tine, sich ihnen unbemerkt zu nähern, sie an zuspringen und schlafen zu schicken. »Fesseln wir sie?« fragte Axton. Atlan schüttelte den Kopf. »Da wir nicht bei ihnen bleiben, wären sie durch eventuell auftauchende Giftechsen ge fährdet. Wir nehmen ihnen nur die Waffen ab. In einer halben Stunde dürften sie zu sich kommen. Dann können sie zu ihrer Höhle zurückkehren.« Sie holten Razamon und Dhosh, stiegen an den beiden bewußtlosen Fängern bis zum Ende der Treppe und gingen in den Licht schein jenseits der herabhängenden Marmor decke hinein …
9. Dumpfe Trommelklänge ließen Atlan und Lebo Axton aufhorchen. Dhosh reagierte an ders. Er zitterte am ganzen Leib und konnte
sich kaum noch auf den Beinen halten. Atlan und Axton blieben stehen. »Trommeln!« sagte Axton verwundert. »Sollten das die Fänger sein?« »Es kommt von vorn, nicht von hinten«, erwiderte der Arkonide. Sie legten Razamon behutsam hin und sa hen sich um. Seit ungefähr einer Stunde waren sie durch eine gigantische Höhle gegangen, über einen leicht gewellten schwarzen Mar morboden, zwischen unterschiedlich ge formten schwarzen Marmorsäulen hindurch, die die etwa dreißig Meter hohe schwarze Marmordecke stützten, die manchmal nach oben gewölbt und manchmal völlig glatt war. In die glatten Flächen waren große dreieckige, kreisrunde und quadratische Leuchtkörper eingelassen, die die ganze Höhle in bläuliches Licht tauchten. »Wir sind allein«, stellte Lebo Axton fest. »Ich möchte nur wissen, wovor Dhosh sich so sehr fürchtet. Dhosh!« Der Alte hörte nicht. Er war auf die Knie gesunken, wiegte den Oberkörper hin und her und murmelte undeutliche Beschwörun gen. Axton ging zu ihm und rüttelte ihn an den Schultern. »Dhosh! Hörst du mich? Antworte!« Dhosh hörte auf, Beschwörungen zu mur meln. Er wandte das Gesicht Axton zu. Es war bleich, und aus den Augenschlitzen flammte grünes Leuchten. »Es sind Tichys«, sagte er mühsam. »Wir sind verloren.« »Was sind Tichys?« fragte Lebo Axton. »Hört ihr sie nicht?« entgegnete der Alte. »Sie dlungsen immer, wenn sie ihr Opfer umstellt haben.« Axton und Atlan lauschten angestrengt. »Mit ›dlungsen‹ scheint er das Trommel geräusch zu meinen«, sagte Atlan. »Aber es kommt nur von vorn, wenn auch auf breiter Front. Wir können demnach nicht umstellt sein.« Ein scharfes, metallisch hallendes Knacken ließ die beiden Männer nach oben
Burg der Geheimnisse schauen. Was sie sahen, erfüllte sie mit Ent setzen. In der Decke über ihnen bewegte sich et was. Es war schwarz wie der Marmor des Berges Odiara, doch Marmor konnte sich nicht schlangenförmig bewegen wie das Ding, das mindestens hundert Meter lang sein mußte und sich mit seiner dicksten Stel le direkt über ihnen befand. »Wenn das ein Tichy ist …«, flüsterte At lan und erschauderte. »Schnell, weg von hier!« Sie packten abermals den Pthorer und schleppten ihn fort, so schnell es ging. Über ihnen knackste es wieder. Der riesige, schlangenförmige und rund hundert Meter lange Körper hob sich deutlich vom Marmor der Höhlendecke ab. Dort, wo sich die dickste Stelle des Unge heuers befand, löste sich ein keilförmiger, ungefähr zehn Meter langer und an der brei testen Stelle fünf Meter dicker Echsenschä del von der Decke. Drei tellergroße Augen glühten grellrot, während der Schädel sich langsam bis zum Höhlenboden senkte. Die von vorn kommenden Trommelklän ge verstärkten sich – und plötzlich wurden sie von dem Ungeheuer an der Decke erwi dert. Es schien sie durch das Pulsieren des aufgeblähten Halses unter dem Schädel zu erzeugen. »Dhosh!« rief Atlan, als er sah, daß sich der Schädel des Ungeheuers auf den Alten herabsenkte, der anscheinend vor Furcht ge lähmt war. Er und Axton legten Razamon ab und eil ten zu Dhosh. Sie konnten ihn gerade noch packen, bevor der Tichy ein riesiges Maul aufriß, um die mit einem unterarmlangen Giftdorn besetzte Zunge vorzuschnellen. Das Trommeln des Ungeheuers wurde oh renbetäubend und versetzte Atlan und Axton in Panik. Sie rannten, den offenbar bewußt losen Alten zwischen sich, ziellos vor dem Schädel davon, der ihnen unerbittlich folgte. Als sie sich an Razamon erinnerten, war es zu spät. Das Untier hatte von ihnen abgelassen
45 und sich dafür dem Pthorer zugewandt. Mit seinem Maul, das so weit klaffte wie ein Scheunentor, pendelte der gigantische Schä del vor Razamon hin und her. Die etwa drei Meter lange und hinten meterbreite rote Zunge mit dem gifttropfenden Dorn kroch schlangengleich über den Boden auf Raza mon zu. Atlan ließ Dhosh fallen und riß sein Wurfmesser aus dem Gürtel. Er hörte nicht auf die Warnimpulse seines Extrasinns und kam gar nicht auf den Gedanken, daß das im Vergleich zu dem Ungeheuer winzige Mes ser völlig nutzlos war. Dennoch handelte er nicht unüberlegt. Im Augenblick der größten Gefahr wurde er eis kalt und furchtlos. Er holte aus und schleu derte das Messer genau in eines der teller großen Augen des Tichys. Und es traf genau. Das Ungeheuer zuckte zurück, knallte mit dem Schädel gegen die Höhlendecke – und im nächsten Augenblick brandete eine Flut psionischer Impulse auf Atlan und Axton ein. Obwohl mentalstabilisiert, reichte allein die Wucht der psionischen »Flutwelle« aus, um den Arkoniden in eine Puppe zu verwan deln, die hilflos mit Armen und Beinen zuckte. Das Untier schüttelte sich – und das Messer flog aus dem Auge und fiel klirrend neben Atlan auf den Boden. Doch der Arkonide war unfähig, die Waf fe überhaupt zu erkennen. Gleichsam durch einen wirbelnden Schleier sah er, wie die Giftechse abermals zum Angriff auf Raza mon ansetzte. Aber der Pthorer lag nicht länger hilflos am Boden. Mit marionettenhaften Bewegun gen hatte er sich aufgerichtet und starrte das Ungeheuer an, als wollte er es hypnotisieren. Erneut schwollen die Trommelgeräusche zu einem akustischen Orkan an. Sie schie nen diesmal von allen Seiten zu kommen. Undeutlich glaubte Atlan weiter hinten die Schädel weiterer Giftechsen von der Höh lendecke herabhängen zu sehen. Unter Aufbietung aller Willenskraft ver
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suchte Atlan die Nachwirkungen der psioni schen Flut abzuschütteln. Als die Zunge des Ungeheuers abermals in Richtung des Pthorers kroch, entdeckte Atlan das Wurfmesser neben sich. Er bückte sich, um es aufzuheben – und taumelte, als eine zweite psionische »Flutwelle« ihn über rollte. Abermals verschwamm die Umgebung vor seinen Augen. Nur schemenhaft sah er, wie die Zunge des Ungeheuers dicht vor Razamon haltmachte, sich aufrichtete – und wie der Giftdorn sich in eines der drei Au gen des Tichys bohrte. Als der ganze Riesenkörper des Ungeheu ers sich aus der Höhlendecke löste und beim Aufprall auf den Boden ein Beben erzeugte, verlor der Arkonide den Halt. Er ruderte hilflos mit den Armen, dann schlug er auf. Ein stechender Schmerz jagte durch sei nen Schädel, dann spürte er nichts mehr …
* Er konnte nicht lange bewußtlos gewesen sein, denn als er wieder zu sich kam und sich umsah, war die Szene fast genauso ein gefroren, wie er sie im Gedächtnis hatte. Razamon stand aufrecht, und vor ihm lag der Riesenschädel des Ungeheuers – und da hinter liefen letzte Zuckungen durch den schlangenförmigen, zirka hundert Meter lan gen Leib der Giftechse. Aber weiter hinten zuckten die Leiber von mindestens fünf weiteren gigantischen Tichys auf dem Höhlenboden. Atlan erhob sich schwankend. Dabei fiel sein Blick in die Richtung, aus der sie ge kommen waren – und er sah eine Gruppe von Fängern, die in etwa zweihundert Me tern Entfernung so reglos wie Statuen stan den und herüberblickten. Zorn ergriff den Arkoniden, Zorn darüber, daß die Fänger vorgehabt hatten, seine Ge fährten und ihn den grauenhaften Ungeheu ern als Köder vorzuwerfen. Er deutete auf die vor Razamon liegende, verendende Echse und rief:
»Da habt ihr eure Beute! Holt sie euch! Holt auch die anderen Tichys! Sie können niemanden mehr töten!« Die Fänger rührten sich nicht. Dafür drehte sich Razamon langsam um und blickte Atlan an. »Was ist geschehen?« fragte er erstaunt. Ein leises Wimmern ließ beide Männer in eine andere Richtung schauen. Sie sahen Dhosh, der auf dem Bauch zu Razamon kroch. Hinter ihm erhob sich Lebo Axton und blickte verwundert auf die toten Echsen. Atlan eilte zu Dhosh und hob ihn hoch. »Bist du verletzt?« fragte er. Der Alte starrte unverwandt auf den Ptho rer. »König Visurtha!« flüsterte er kaum hör bar. »Gnade! Bestrafe mich nicht für den Frevel an deiner Gruft!« Atlan schüttelte ihn leicht. »Komm zu dir, Dhosh! Das ist Razamon, nicht König Visurtha!« Er hielt inne, als ihn eine jähe Ahnung überfiel. »Die zweite psionische Flutwelle; sie kam von dir«, flüsterte er und blickte Razamon an. »Aber sie kann nicht von Razamon ge kommen sein. Wer bist du wirklich?« »Was soll das?« fragte der Pthorer. »Du weißt, daß ich Razamon bin, Atlan.« »Du bist König Visurtha!« sagte Dhosh klar und deutlich. »Nur die Goldkönige kön nen den Todesblick auf die Tichys schleu dern. Verfüge über mich!« »Du hast die Giftechsen mit psionischen Mitteln dazu gebracht, daß sie sich selbst tö teten, Razamon«, erklärte der Arkonide. »Da Razamon nicht über psionische Fähigkeiten verfügt, muß zumindest vorübergehend et was anderes in dir gewesen sein. Vielleicht tatsächlich der Geist Visurthas. Ich vermute, vor dem Angriff der Echse schlief dieser fremde Geist in dir und zwang deinen eige nen Geist dazu, ebenfalls zu schlafen. Die psionische Ausstrahlung der Echse muß Vi surthas Geist geweckt haben. Er wehrte sich seinerseits mit psionischen Mitteln. Danach hat er dich offenbar verlassen, und dein Be
Burg der Geheimnisse wußtsein erwachte durch seine Aktivitäten.« Razamon fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich weiß von alledem nichts. Das letzte, an das ich mich erinnern kann, ist der Sarko phag und der Goldkönig – und seine Au gen!« Er stöhnte. »Sein Blick fraß sich in mein Gehirn …« Atlan ging zu ihm und legte ihm die Hän de auf die Schultern. »Die Hauptsache ist, daß du wieder du selbst bist.« Er lächelte. »Und daß Lebo und ich dich nicht länger tragen müssen.« Razamon erwiderte das Lächeln, dann blickte er an Atlan vorbei, sah die Gruppe der Fänger und wurde wieder ernst. »Wer ist das?« Erst da bemerkte auch der Alte die Grup pe. »Die Fänger!« kreischte er voller Panik und wollte davonlaufen. Atlan hielt ihn fest. »Von ihnen haben wir nichts mehr zu be fürchten. Sie wollten uns als Köder für die Giftechsen benutzen – und sie müssen mit angesehen haben, wie Razamon die Unge heuer zum Selbstmord trieb. Wahrscheinlich halten sie ihn, wie Dhosh vorhin, für einen Goldkönig. Sie werden solange nicht näher kommen, wie wir hier sind. Aber ich bin si cher, daß sie später dennoch kommen und das Fleisch der Echsen holen werden.« »Ach, sollen Sie doch!« sagte Lebo Ax ton. »Ich kann erst wieder frei atmen, wenn ich die Ungeheuer nicht mehr sehe. Gehen wir weiter!« Atlan nickte. »Zwischen uns und den beiden Quellen dürfte es wohl kein Hindernis mehr geben, Dhosh. Gehen wir!«
* Sie brauchten eine gute Stunde, bis sie die riesige Höhle hinter sich gelassen hatten. Vor ihnen stand eine Mauer aus schwar zem Marmor, die von zahllosen Rissen und Spalten durchzogen war. Einige der Spalten
47 waren breit genug, um begangen zu werden. »Welchen Weg nehmen wir, Dhosh?« fragte Razamon. Der Alte deutete, ohne zu zögern, auf einen Felsspalt, etwa dreißig Meter rechts von ihnen. »Warst du wirklich schon einmal hier?« fragte Lebo Axton ungläubig. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du lebend durch die Höhle der Tichys gekommen sein willst.« »Sie waren nicht immer dort«, erwiderte Dhosh. »Die Hauptsache ist, daß er den Weg kennt«, meinte Atlan. »Aber bevor wir wei tergehen, sollten wir einen Imbiß zu uns nehmen. Ich bin nämlich sicher, daß es für uns kein Halten mehr geben wird, sobald wir die Quellen und die von ihnen ausgehenden Flüsse erreicht haben.« Seine Gefährten pflichteten ihm bei. Gut gelaunt aßen und tranken sie etwas, dann setzten sie ihren Weg fort. Die Aussicht, schon bald das Ziel ihres beschwerlichen und gefährlichen Marsches erreicht zu ha ben, beflügelte ihre Schritte. Dhosh führte sie zielstrebig durch ein Ge wirr von unterschiedlichen Gängen. Atlan bewunderte ihn, denn er zögerte nicht ein einziges Mal an einer Abzweigung. Sie überquerten gerade eine natürliche Marmorbrücke über einem Abgrund, in dem sich Nebel ballte, als sie das Geräusch zuerst hörten. Es klang wie das Summen von Mücken schwärmen, die sich ihnen allmählich näher ten. Erst nach einigen weiteren hundert Me tern veränderte sich das Geräusch so, daß sie es schlagartig alle erkannten. Es war das Rauschen schnell dahinströ menden Wassers! Dhosh blieb stehen, dann drehte er sich mit leuchtenden Augen um. »Die Quellen!« rief er triumphierend. »Das sind die Quellen des Süßen und des Bitteren Flusses, die uns in die Freiheit füh ren werden! Bald werde ich unter freiem Himmel atmen können und die Sonne wie dersehen!«
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Er vollführte einen etwas grotesk wirkenden Luftsprung, dann eilte er davon. Atlan, Razamon und Lebo Axton schau ten ihm lachend nach. »Er kann es nicht erwarten«, sagte Axton, als das Gelächter verstummt war. »Ehrlich gesagt, ich hätte ihm nicht zugetraut, daß er es überhaupt bis hierher schaffen würde. Die Hoffnung auf die Freiheit muß ihn verjüngt haben.« Sie gingen weiter, in der Gewißheit, daß sie den Alten hinter der nächsten oder der übernächsten Biegung wieder einholen wür den. Doch dann kam nach der übernächsten Biegung eine dreifache Abzweigung – und von Dhosh war immer noch nichts zu sehen. »Dhosh!« rief Razamon. »Wo bist du? Komm hierher!« Als keine Antwort erfolgte, schüttelte er den Kopf. »Der alte Mann kann doch nicht so weit vorausgelaufen sein. Vielleicht hat er sich doch verirrt. Es wäre möglich, daß er den Weg nicht bis zum Ende kennt.« »Wir müssen nach ihm suchen«, erklärte Atlan. »Nach allem, was er für uns getan hat, dürfen wir ihn jetzt nicht im Stich las sen. Kommt, jeder nimmt eine Abzweigung! Wir kehren um, sobald wir die nächste Ab zweigung erreichen, spätestens aber nach ei ner Viertelstunde!« Gesagt, getan! Nach einer halben Stunde trafen sie sich
am Ausgangspunkt wieder. Sie brauchten nichts zu sagen, denn sie erkannten gegen seitig an ihren Gesichtern, daß niemand et was von Dhosh entdeckt hatte. »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als allein weiter nach den Quellen zu su chen«, meinte Lebo Axton schließlich. »Eigentlich sollten wir Dhosh dort fin den«, sagte Atlan. »Ich kann mir nicht vor stellen, daß er sich ausgerechnet auf der letz ten Strecke, auf der er sich am Rauschen des Wassers orientieren kann, verirren sollte.« Unwillkürlich lauschten sie alle auf das deutliche Rauschen der Quellen. »Ich auch nicht«, erwiderte Razamon. »Und auch uns wird das Rauschen zum Ziel führen. Wir können es gar nicht mehr ver fehlen. Allerdings, ohne Dhoshs Hilfe wären wir niemals bis hierher gekommen.« Atlan nickte nachdenklich. »Bald werden wir die Sonne wiedersehen. Aber wer weiß, was uns unter ihr alles noch erwartet, bevor wir das SCHLOSS errei chen.« Schweigend setzten sie sich wieder in Be wegung und tauchten in einer der Abzwei gungen unter, hinter sich unsägliche Strapa zen und Gefahren und vor sich das verhei ßungsvolle Rauschen der Quellen …
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 450 von König von Atlantis mit: Die negativen Magier von Marianne Sydow