Champagner zum Brot
Roman von Reiner Vial
Champagner zum Brot ©2003 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte...
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Champagner zum Brot
Roman von Reiner Vial
Champagner zum Brot ©2003 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diesen Roman auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Dieser darf, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor!
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Kapitelbezeichnungen (z.B. Kapitel 1 ) sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der das gewünschte Kapitel beginnt. Champagner zum Brot........................................................ Vorwort Tante Herta ist so frei......................................................... Kapitel 1 Bauerntöchter und der Städter............................................ Kapitel 2 Im grauen Kostüm ins Unglück.......................................... Kapitel 3 Nur Sommerlieben und sonst nichts.................................... Kapitel 4 Aufstieg zum Kümmerer..................................................... Kapitel 5 Zusammenraufen in der Onkelehe....................................... Kapitel 6 Das exakt geplante Glück.................................................... Kapitel 7 Die hohe Zeit des Plattmachers........................................... Kapitel 8 Letzter Aufstieg zum freien Fall.......................................... Kapitel 9 Weibergeschichten im Wendejahr....................................... Kapitel 10 Der Boss der BBSS............................................................. Kapitel 11 Alle müssen wir sterben, nur jeder anders........................... Kapitel 12 Glückliche Endzeit zwischen Eifersucht und Geldsorgen... Kapitel 13 Als wir mit den „Latschis“ zogen........................................ Kapitel 14 Die Geschwister Freud und Leid......................................... Kapitel 15 Ihr müsst voneinander lassen............................................... Kapitel 16 Die Erfahrung des Alleinseins............................................. Kapitel 17 Ein Jahr voller Action.......................................................... Kapitel 18 Rückkehr ins Leben............................................................. Kapitel 19 Letzte Worte des Autors...................................................... Nachwort Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Champagner zum Brot – Vorwort Der Titel dieses Buches „Champagner zum Brot“ klingt wie „Fusel zum Kaviar“, nur umgekehrt. Irgendwie scheint da etwas nicht zusammen zupassen, etwas Höherwertiges zu etwas Gewöhnlichem. Wieso eigentlich? Warum sind Champagner und Kaviar höherwertig und Brot und Fusel gewöhnlich? Ich persönlich mag weder Champagner noch Kaviar – aber Fusel im Übrigen auch nicht. Ich bin kein großer Experte und daher muss man mir wohl nachtragen, dass mir Champagner genauso schmeckt wie Billigschaumwein vom Discounter – und Sodbrennen bekomme ich sowohl von dem Einen wie von dem Anderen. Warum sollte ich jetzt Champagner höherwertiger einstufen als den Noname-Schaumwein? Etwa nur wegen des Preises? Der kann einmal auf der großen Nachfrage und dem geringen Angebot und/oder auf eine aufwendige, zeitraubende Verarbeitung beruhen aber auch durch vorsätzliche Verknappung oder einfach nur durch gutes Marketing künstlich hochgepuscht sein. Superpreise stellen für den Realisten kein Qualitätsmerkmal da und über den persönlichen Geschmack des Einzelnen sagt es noch viel weniger aus. Warum soll mir preiswerte Limonade oder ein „kühles Blondes“ nicht erheblich besser schmecken als Schaumwein aus der französischen „Erfinderprovinz“ Champagne? „Eu, eu,“, wird jetzt diese oder jener sagen, „der Vial ist offensichtlich ein ganz gewöhnlicher Prolet. Weil er sich Besseres nicht leisten kann verteufelt er es jetzt voller Neid.“. Und damit sind wir bei dem Thema, was ich mir für dieses Buch vorgenommen habe, bei der Bewertung der Menschen nach ihrem Einkommen und was sie sich leisten können. Gerne teilen wir die Menschen, die nicht nur im religiösen Sinne alle gleichwertig sind, in höher- oder minderwertige Kategorien ein. Dabei werden dann die Schwachen zu Asoziale obwohl sie eigentlich keine großen Möglichkeiten haben im Sinne des Wortes „Asozial“ gegen die Gemeinschaft zu arbeiten und die parasitären Egomanen in den Chefetagen der Wirtschaft, die zur Verbesserung der Ertragssituation ihrer Unternehmen und damit ihrer Einkommen am Liebsten die sozialen Netze zerreißen und Arbeitnehmerrechte eliminieren möchten zu den hochgeachteten Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Sitzen die wahren Asozialen nicht immer oben? Die nächste Reaktion, die jetzt von der werten Leserschaft kommen könnte, lautet: „Au weia, der Vial ist ein Sozialneider und Klassenkämpfer. Er hat es nicht gepackt und jetzt macht er alles was über ihn ist nieder. Er hätte doch auch da oben sitzen können, wir hatten doch alle die gleiche Chance.“. Hatten wir wirklich eine Chancengleichheit? Hat der Nachfahre von leibeigenen Landarbeitern wirklich die gleiche Chance wie der Nachfahre von Raubrittern und Bauernausbeutern? Konnte Ersterem wirklich die gleiche Ausbildung wie Zweiterem geboten werden? Standen dem Landarbeiternachfahren wirklich die gleicheinflussreichen Leute zur Protektion zur Verfügung wie dem Adelsspross? War es dem Untenstehenden genauso wie dem „Besseren“ möglich zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein? Jetzt habe ich die maßgeblichen Kriterien für den sozialen Stand genannt: Herkunft, Ausbildung, Protektion und zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Jetzt kommt bestimmt die dritte Frage: „Und wo bleibt bei dir Veranlagung, Charakter und Leistung?“. Ganz ohne Zweifel sind die nicht unwichtig aber auch die können ungleich auf die sozialen Schichten verteilt sein. Da verkümmert ein musisch veranlagter Millionärssohn nur weil sein Vater ihm zum Wirtschaftslenker trimmen will. Da gibt es den Sohn eines hochstehenden Beamten, der nicht in die Fußstapfen des Vaters treten kann weil er vom Charakter her das Sozialamt mit einer karitativen Einrichtung verwechselt, was ja beim besten Wohlwollen auch nicht geht. Da geht der Wissenschaft ein nobelpreisverdächtiges Talent verloren nur weil der Sohn nicht studieren darf und einen handwerklichen Beruf ergreifen muss weil er später den väterlichen Betrieb übernehmen soll. Also, Veranlagung, Charakter und Leistung nutzen wenig, wenn es bei der Herkunft, Ausbildung, Protektion und zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein nicht stimmt. Alle Faktoren und das Wechselspiel des Lebens sind entscheidend für den sozialen Status eines Menschen. Dadurch ist man jedoch weder höher- noch minderwertiger. Bischöfe, Bundeskanzler, Bankenbosse, Toppmanager und Chefärzte haben menschlich den gleichen Wert wie Sozialhilfeempfänger, Pförtner, Packer und Versender. Alle haben ihren Stellenwert ohne den unsere Gesellschaft nicht funktionieren kann. Alle sind Menschen wie du und ich. Wenn uns das ständig bewusst ist kämen wir sicher alle viel weiter. Wenn wir uns nicht ständig in unserer soziologischen Umgebung unter unseres Gleichen einkapseln sondern von Mensch zu Mensch gleichwertig miteinander kommunizieren, uns bemühen einander zu verstehen und uns auch in den anderen hineinversetzen, können wir, weil wir tatsächlich alle Facetten kennen, alle Abläufe im Leben und in der Gesellschaft besser verstehen und richtigere Entscheidungen treffen. Es ist doch natürlich, dass Leute aus unteren Schichten jede Reform, auch wenn sie letztlich das Wohlergehen aller sichert, als ein Angriff auf ihre Existenz ansehen und die Leute aus oberen Schichten mit gesamtwirtschaftlichen Faktoren rechnen ohne die Auswirkung auf die Existenz des Einzeln aus der unteren Schicht zu kennen. Sicherlich ist es richtig, dass die hohen Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen wenn wir international konkurrenzfähig bleiben wollen aber man darf dabei nicht vergessen, dass dabei durch Abwälzen der Soziallasten allein auf den Arbeitnehmer dessen verfügbarer Rahmen so eingeengt wird, dass es bei ihm nicht mehr ums Leben sondern ums Überleben geht.
Wenn die Wirtschaftslenker hierüber mal nachdenken würden, merkten sie sehr schnell, dass sie am eigenen Ast sägen. Einerseits sinkt die Motivation der Working-pur-Job-Inhaber und damit steigt der Stücklohn – mehr Ausschuss, geringe Stückleistung – an und andererseits dämpft man den Konsum ab. Wenn weniger konsumiert wird, muss auch weniger produziert werden und weitere Leute freigesetzt werden. Das treibt wiederum die Soziallasten nach oben und das Ganze beginnt zu eskalieren bis zu dem Punkt, wo sich die Unternehmen selbst in das Insolvenzverfahren entlassen müssen. Nur wenn man quer durch alle Schichten gleichwertig und gleichrangig miteinander spricht werden ein alle Zusammenhänge deutlich und damit wird die Chance eröffnet, gemeinsamen einen in aller Interessen liegenden Weg zu suchen und zu finden. Eines möchte ich aber zwischendurch noch anmerken: Wenn ich jetzt die Gleichwertigkeit von Pförtner und Toppmanager, von Sozialhilfeempfänger und Bundeskanzler propagiere, dann möchte ich dieses nicht als einen Aufruf zur „Verkumpelung“ verstanden wissen. Das gilt sowohl von Unten wie von Oben. Ein Pförtner hat keinen Manager anzupöbeln und der Manager hat keinen Grund den Taxifahrer als seinen Kuli zu betrachten. Die Gleichwertigkeit der Menschen hat mit Menschenwürde zutun und stellt gerade deshalb sinnvolle Hierarchien nicht infrage. Und jeder hat Anspruch darauf, dass seine Autorität, die der Manager im Unternehmen und der Taxifahrer in der Kraftdroschke haben sollte, geachtet wird. Man sollte Autorität haben aber ob man diese wirklich hat, hängt von dem Einzelnen immer selber ab. Je mehr dem Betreffenden die Gleichwertigkeit des Menschen und seiner Würde bewusst ist, um so einfacher fällt einen anerkannte Autorität von selber zu. Das klingt alles ein Bisschen idealistisch und theoretisch. Ich sollte deshalb als gesellschaftskritischer Erzähler bei meinen Leisten bleiben und das, was ich meine, anhand einer Geschichte erläutern. Was ich bisher angesprochen habe lässt sich wohl am Besten an einer Romanfigur, die ein Wechselbad von Aufstieg und Fall quer durch die soziologischen Schichten erlebt, verdeutlichen. Nun, so etwas spielt sich natürlich nicht in wenigen Monaten oder nur in ein paar Jahren ab, da muss man schon ein ganzes Leben bemühen. Deshalb schreibe ich jetzt einen Roman, der sich wie eine Autobiografie ließt. Da sich ein Leben, wie ich es schildern möchte, an wechselnden Schauplätzen abspielt, müsste ich, wenn ich wie bisher auf fiktive Orte und Ortsnamen zurückgreifen wollte, eine neue Republik erfinden, die das Ganze dann in den Bereich des Fantastischen abgleiten lässt. Deshalb greife ich jetzt auf tatsächlich existierende Orte, die ich in der Zeit, wo die Geschichte handelt, tatsächlich auch so erlebt habe. Alle Orte in diesem Roman gibt es wirklich und sie stellen sich auch so, wie ich sie beschreibe, in meinen Erinnerungen dar. Aber gerade weil ich wahre Orte verwende ist es diesmal besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass alle Personen in diesem Roman außerhalb der Windungen meiner grauen Zellen nie gelebt haben. Alle Personen und Handlungen in diesem Roman wurden von mir frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlich lebenden Personen und ihrer Geschichte halte ich praktisch für ausgeschlossen und sollten Sie rein zufällig jemand kennen, der das, was ich erfand, tatsächlich erlebt haben könnte, dann bitte ich Sie unbedingt zu beachten, dass es sich nur um eine oberflächliche Täuschung handeln kann. Personen und Handlung sind wirklich frei erfunden. Allerdings verschwinde ich nicht absolut in den Bereich der Fiktion und orientiere mich wie immer am „realen Leben“. So, jetzt ist Schluss mit der Vorrederei. Jetzt kommen wir gleich zur Handlung, die sie hoffentlich einerseits zum Nachdenken anregt und andererseits gut unterhält.
Nachrodt-Wiblingwerde, im Oktober 2003
Zum Kapitel 1
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Tante Herta ist so frei Ja Leute, ein Millionär bin ich noch nicht gewesen – aber ganz nah dran war ich doch schon. Und jetzt? Jetzt bin ich schon ein ganzes Weilchen ein Loser; ein Arbeitsloser. Arbeitslosengeld kriege ich schon seit März dieses Jahres nicht mehr, man hat mich zur Arbeitslosenhilfe abdegradiert. Und sollte der Sozialraubplan, den ein gewisser Herr Gerhard Schröder Agenda 2010 nennt, in die Tat umgesetzt werden, wird aus mir auch noch Stütze Dieter. Bis zur vollen Rente habe ich ja noch ein Bisschen Zeit; noch ganze schlappe acht Jahre. Was soll man eigentlich machen, wenn man zum Tagedieb von seines früheren Arbeitgebers Gnaden ernannt worden ist und alle, denen ich meine Dienste angeboten habe, meinen ich sei mit meinen 57 Jahre ein Bisschen zu alt? Ich habe zwar noch nicht gemerkt das ich an Verkalkung und/oder Vergreisung leide aber die bald 200 Leute, bei denen ich wegen eines Jobs bis jetzt vorstellig geworden bin, sind offensichtlich der Meinung, dass ich dieses Stadium bereits erreicht oder gar überschritten habe. Nun, inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass ich mich finanziell mit den Almosen aus den Sozialkassen abfinden muss – ich bin halt unten: ein Sozialkostenfaktor, Mensch II. Wahl oder noch härter gesagt: Sozialer Abfall, Müll. Aber nichts zutun kribbelt mich auch irgendwie. Na ja, dann setze ich mich einfach mal hin und schreibe das, was mir im Leben an erzählenswerten Ereignisse zuteil wurde, mal nieder. Ich schreibe so etwas wie einen Lebenslauf oder eine Autobiografie – ist eigentlich auch wurst wie das Ganze heißt. Ich, Dieter Kleiner, erblickte am 12. Juni des Jahres 1946 in Letmathe/Sauerland, einem Städtchen, das seit 1975 zu Iserlohn gehört, das Licht der Welt. Mein Vater war im September 1945 vom zweiten Weltkrieg heimgekehrt. Wenn ich so nachrechne, könnte zwischen Vaters Heimkehr und meiner Geburt ein Zusammenhang bestehen. Etwas satirisch habe ich später, im Erwachsenalter, ab und zu mal behauptet, dass mein Vater seinen bestgelungenen Schuss erst bei der Heimkehr vom Krieg abgegeben hätte; was meine Mutter aber gar nicht so lustig fand und gerne hörte. In unserer Familie gab es eine besondere Häufung in dem Beruf des „Gegenteils von Vollglatzenpolierer“. Ich bin mir sicher, dass Sie noch nie von einem „Gegenteil eines Vollglatzenpolierers“ gehört haben aber trotzdem kann ich kein Copyright auf diese Bezeichnung beantragen, denn die liegt bei Onkel Albert, dem Bruder meiner Großmutter. Der hatte nämlich eine Vollglatze und konnte daher zu seinem Leitwesen keine familiäre Dienste in Anspruch nehmen. Meine beiden Großväter, meine Eltern und Tante Herta, die Schwester meiner Mutter, waren Frisöre und Frisörrinnen, sorry Friseure und Friseusen, wie es damals noch geschrieben wurde. Onkel Albert brauchte also nach seinen Worten einen Polierer für sein Hauptschmuck und Frisöre sind, seiner Meinung nach, das Gegenteil davon. Für diese Häufung in einem Beruf gab es selbstverständlich eine natürliche Erklärung. Mein Großvater väterlicherseits hatte in Letmathe und der Vater meiner Mutter in Iserlohn ein Frisörgeschäft, sorry auch hier müsste ich der Handlungszeit angepasst „Friseursalon“ schreiben. Wenn mal ein Geschäft da ist, dann ist für den Nachwuchs die Freiheit der Berufswahl zumindestens eingeschränkt. Dieses Prinzip ist erst in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten mehr und mehr aufgeweicht – und seitdem gehen viele gutgehende Geschäfte an der Nachfolgefrage ein. Aber zu den Zeiten meiner Eltern war das noch ein ehernes Gesetz. So musste mein Vater als der älteste Sohn meiner Großeltern selbstverständlich auch Frisör werden. Die Eltern meiner Mutter hatten keinen Sohn und so mussten dann zur Sicherheit beide Töchter Frisösen werden. Nach der Meinung meines Opas konnte sich ja eine von den beiden Mädchen einen Kollegen angeln und dann mit dem das Geschäft weiterführen. Meine Mutter war offensichtlich eine folgsame Tochter und ließ sich von einem Kollegen, den sie in der Berufsschule kennen gelernt hatte, zum Standesamt und zum Traualtar schleppen. Aber ganz im Sinne meines Opas auf mütterlicher Seite war das wohl auch nicht, weil mein Vater wahrscheinlich für das Geschäft seines Vaters und nicht seines Schwiegervaters zur Verfügung stehen würde. Da war aber dann noch Tante Herta, die zwei Jahre jüngere Schwester meiner Mutter. Aber die griff bei den Männern, auf die sie, wie ich heute weiß, unheimlich stand, regelmäßig daneben. Ihr erster Verlobter machte sich zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Eheschließung auf und davon. Als Erinnerung hat er ihr meinen Vetter Hans hinterlassen. Mehr weiß ich allerdings von Tante Hertas Ersten jedoch nicht. Dann weiß ich nur, dass sie sich einen SS-Mann, also ein Kettenhund des alpenländischen 1.-Weltkrieg-Gefreiten Adolf, der Verführer, geangelt hatte, der sie, nachdem meine Cousine Anita unterwegs war, auch heiraten wollte. Dann legten die braunen Verbrecher unter der Führung des eben bereits genannten Wiener Stadtstreichers Hitler mit ihren Überfällen auf die Nachbarn los und Hertas Bester musste nach Polen, von wo er im Sarg zurück kam. Alle guten Dinge sind Drei und so angelte sich Tante Herta einen Tommy, wie man früher die Angehörigen der britischen Besatzerstreitkräfte nannte, und durch diesen kam ich zu einem weiteren Vetter, der auf den Namen Georg getauft wurde. Na ja, der Ruf meiner Tante war wohl dahin und es gab, wie mir meine Mutter, als ich es verstehen konnte, erzählte, nicht wenig Leute, die sie dem horizontalen Gewerbe, dem ältesten der Welt, zu ordneten und damit war sie dann auch das schwarze Schaf in der Familie, in der es nicht wenige gab, die sich dem allgemeinen Urteil anschlossen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass sie Opfer leichtfertiger öffent-
licher Verurteilungen geworden ist, denn sie hat es, nach ihren eigenen Beteuerungen, mit allen Dreien ehrlich gemeint. Was dann geschah war offensichtlich dann die Folge ihres besonderen Rufes. Aber warten wir es ab. Als Kind hatte ich eigentlich ein warmes, gutbürgerliches Nest. Das Frisörgeschäft befand sich im eigenen Haus in der Alleestraße, die heute Berliner Allee heißt, ganz in der Nähe des Volksgartens, einem Paradies für Schwäne, Enten und Spaziergänger. Wir hatten einen Herrensalon, in dem mein Opa wirkte, und einen Damensalon, in dem meine Mutter die Herrin war. Mein Vater fungierte dann als Springer zwischen den Damen und Herren. Meine Oma, die ich als so eine Art Hausdrachen in Erinnerung habe, schmiss damals die Haushalte von Jung und Alt. Also es war ein perfekter Familienbetrieb. Das Beste an der Geschichte war für mich, so wie ich das aus meinen vagen Erinnerung entnehmen kann, der schöne große Garten, in dem ich spielerisch, bei jedem Wetter und ohne Verkehrsgefährdung, unsere Welt entdecken konnte. Ich schrieb gerade von meinen vagen Erinnerungen und das müsste ich, wenn ich aus der Zeit von vor meiner Schulzeit berichten wollte, bei jeder Gelegenheit schreiben. Das dürfte aber natürlich sein, denn bei einem Jeden, der mehr als ein halbes Jahrhundert auf dieser Erde verbracht hat, dürfte die Kindheit in so weiter Ferne gerückt sein, dass da im Erinnerungsstübchen nur einige Bilder, die aber keinen erzählenswerten Zusammenhang ergeben, übrig geblieben ist. Dieser oder jene kann sich noch an diese oder jene Gegebenheit aus Kindergartentagen erinnern. Da muss ich aber passen, denn nach dem Willen meines Vaters – auf jeden Fall sagte das meine Mutter später immer – durfte ich nicht in den Kindergarten. Da wäre ich ja mit den Blagen der Flüchtlinge aus der Kalten Heimat zusammen gekommen. Nach Ansicht meines Vaters waren die ja alle schmutzig und verlaust. Im Grunde muss er da etwas gegen besseres Wissen behauptet haben, denn die Leute waren ja auch seine Kunden und da hat er sich nicht über Läuse muckiert sondern war recht nett zu ihnen. Es ist halt ein Unterschied zwischen einen abgekanzelten Anonymus in einer grauen Masse und dem einzelnen bekannten Mitglied aus dieser Gruppe, der einen dann auch noch als Kunde das Geld bringt. Auch die Karriere zukünftiger Frisöre beginnt mit dem ersten Schultag. Das ich auch mal Frisör sein würde stand nach den Osterferien 1953, als ich mich bei den i-Männchen, wie man damals sagte, einreihen durfte, noch fest. Das es mal ganz anders kommen sollte wollte sich damals keiner vorstellen; die Welt bei Kleiners war da noch in bester Ordnung. Vielleicht habe ich jetzt für die jüngeren Leserinnen und Leser ein Wenig in Rätseln geschrieben: Erster Schultag nach den Osterferien? Ja, Leute so war es bis in die 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts in unserem Lande. Das Schuljahr begann immer nach den Osterferien und endete folglich mit dem Beginn dieser schulfreien Tage. Alles hat natürlich seine Vor- und Nachteile. Der rühmenswerte Vorteil eines solchen Schuljahres lag für uns Schüler darin, dass wir, wenn wir uns gerade mal im Pauken warmgelaufen hatten, schon wieder gleich in die großen Ferien entschwinden durften und deren Beginn nicht durch „Giftblättern mit Geisterschrift“, wie damals Zeugnisse im Schülerjargon hießen, getrübt wurde. Der Nachteil war dann die lange Durststrecke vom Ferienende bis Ostern, die nur durch die kurzen Herbst- und Weihnachtsferien unterbrochen wurde. Ich glaube, das Letzteres auch der Grund für den Schuljahrsumbau in den 60erJahren war. Eben schrieb ich, dass zu dem Zeitpunkt als ich in die Schule kam, unsere kleine Familienwelt noch in Ordnung war. Das kann ich für die Zeit, wo ich das erste und zweite Schuljahr der Evangelischen Volksschule zu Letmathe besuchte, auch unverändert stehen lassen. Als ich dann im „Dritten“ war ging es dann aber mit Macht los in die raue Wirklichkeit. Da begann eigentlich meine Lebensstory, die es sich nach meiner Meinung für die Nachwelt aufzuzeichnen lohnt. Es begann mit kleinen Anlässen, die dann jedoch phänomenale Auswirkungen hatten. Der erste, ganz kleine Anlass war das die Kirschen bei uns im Garten reif waren und meine Mutter sich so emanzipiert fühlte diese zu pflücken. Sonst hatte das immer mein Opa gemacht aber der war 1955 zur Kirschenreife nicht so gut darauf und musste das Bett hüten. Seit jener Zeit kränkelte der inzwischen bald 70Jährige im Übrigen öfters einmal. Mein Vater hatte schon von jeher gute Ausreden wenn es um Gartenarbeiten aller Arten ging. Er beschäftigte sich wohl lieber mit Haaren als mit Rasen, Obst und Gemüse. Also machte sich meine Mutter kurz entschlossen ans Werk. Sie ließ sich von meinem Vater die Leiter an den Kirschbaum anlegen und stieg hinauf um die reifen, dunkelroten Kirschen vom Ast in einen Korb zu befördern. Und dann ... die Leiter setzte sich langsam in Bewegung um letztlich vollendens umzukippen. Es dürfte wohl daran gelegen haben, das der Gartenlaie in Person meines Vaters, die Leiter nicht standfest angelegt hatte. Meiner Mutter, die in diesem Moment ziemlich auf den obersten Sprosse stand, blieb dann nur ein ungewollter Salto Mortale auf den etwas härteren Rasenboden unter dem Kirschbaum. Dabei ist dann bei ihr einiges zu Bruch gegangen. Ihr linkes Bein und ihr rechter Arm kamen in Gips und ihr Kopf zusätzlich in eine Halskrause. Und so „verpackt“ wurde sie in einem Zimmer des Marienhospital „gelagert“. Dieses liest sich jetzt als sei ich ein fürchterlich Sarkast, der sich über einen schweren Unfall seiner Mutter auch noch lustig macht. Aber so ist das beim besten Willen nicht zu verstehen. So etwas mache ich jetzt um ein bisschen Humor in das Geschreibsel zu bringen. Damals war das für mich ein fürchterlich Schock. Ich hatte den Unfall ja mit angesehen und führe
meine Höhenangst, die ich bis heute nicht losgeworden bin, darauf zurück. Damals habe ich fürchterlich um meine Mama geheult und war nur schwerlich zu beruhigen. Auch für mein Vater taten sich einige Probleme auf, die ich damals aber noch nicht so richtig oder besser gesagt gar nicht einschätzen konnte. Opa „normal krank“ im Bett und Mutti mit gebrochenen Armen und Beinen im Krankenhaus. Da hätte er dann sowohl im Damen- wie im Herrensalon rotieren können. Aber seine Kunden wollte er auch ungern zu Kollegen gehen lassen. Erstens fehlt dann der Umsatz in der eigenen Kasse und zweitens besteht immer die Gefahr, dass es dem einzelnen Kunden beim Kollegen besser gefällt und dieser dann nicht wieder kommt. Da erschien es Vati zunächst als Glück im Unglück, dass mein Iserlohner Opa kurz zuvor sein Laden zugemacht hat. Auch er war schon über das Rentenalter hinaus und konnte auch nicht mehr so richtig. Die Hoffnung, dass eine seiner beiden Töchter den Laden übernehmen würden, hatte er inzwischen aufgegeben. Tante Herta wollte im Hinblick auf ihre drei Kinder und ihrem „guten“ Ruf nicht und Mutti war wohl für den Salon Kleiner in Letmathe ausgebucht. Was lag da für meinen Vater näher als Tante Herta als Vertretung für ihre Schwester anzufordern. Das war allerdings meiner Mutter nicht so ganz recht. Sie traute ihrer Schwester wohl nicht so ganz über den Weg. Direkt „Nein“ sagte sie aber auch nicht, weil zu dem, an was sie dachte, immer zwei gehören und daher konnte das Misstrauen gegenüber ihrer Schwester dann auch nach Misstrauen gegenüber ihrem Mann aussehen. Diesen Eindruck wollte sie aber auf keinen Fall erwecken und sagte deshalb zähneknirschend zu. Was mir als Knirps paradox erschien war, dass mein Vater die Köpfe der Damen schönte und die Herren bei Tante Herta ihre Haare ließen. Na ja, meinen Vater kannte ich ja als Damenfriseur aber meine Mutter hatte ich noch nie bei den Herren erlebt. Die Erklärung war eigentlich recht einfach: Alle Drei, Vati, Mutti und auch Tante Herta hatten sowohl Damen- wie Herrenfriseur gelernt und Vati hat es in dem Beruf auch zu Meisterehren gebracht. Nur ihre beruflichen Erfahrungen hatten die Damen des Hauses nur eingleisig sammeln können. Mutti war, seit sie mit Vati verlobt war, immer nur im Damensalon Kleiner tätig gewesen. Auch in der Zeit wo mein Vater in seltsame Gewänder gesteckt und zum Überfall auf andere Völker verpflichtet worden war, sprich in der Zeit wo er im Krieg war. In dieser Zeit war mein Opa auf Herrenhäupter und Mutti, wie bis zu letzt, auf den Kopfputz der Damen spezialisiert. Anders war das bei Tante Herta, die war immer im Salon meines anderen Opas, einem ausschließlichen Herrensalon, tätig. Also wie geschrieben, alles war zwar logisch erschien mir, den Knirps des Hauses, jedoch paradox. Damals hatte ich auch noch keine Erklärung dafür, warum wir ausgerechnet in jener Zeit deutlich mehr Herren wie üblich im Laden sitzen hatten. In meinem Alter sagte es mir absolut nichts, dass meine Tante einen besonderen Ruf genoss. Somit hatte ich auch keine Erklärung dafür, warum meine Oma die ganze Zeit, die sie erübrigen konnte, im Herrensalon verbrachte. Ihre Tätigkeit bestand da in erster Linie aus Tratschen und Kassieren. Heute ist mir klar, dass sie bestimmte Anzüglichkeiten und diverse Fehlgriffe seitens der Herren gegenüber Tante Herta zu verhindern hatte. Diese Sittenwächtertätigkeit wird sie wohl weniger im Interesse von Tante Herta als viel mehr im Interesse des Geschäftes, was immer noch in den Händen ihres Mannes lag, getan haben. Aber trotzdem freuten sich doch alle über den gesteigerten Ansturm und so waren letztlich Überstunden unvermeidlich. Regelmäßig war jetzt erst immer nach 8:00 Uhr abends, als ich schon auf Omas Geheiß im Bett liegen musste, Schluss. Da schien es ja auch direkt sinnvoll, dass Tante Herta bei uns im Haus schlafen sollte. Bis sie nach den Überstunden mal aus dem Laden raus, dann von der Alleestraße bis zur Hagener Straße, von wo die Straßenbahn fuhr, gelaufen, dann mit der Bahn nach Iserlohn gefahren und letztlich zuhause war, zeigte die Uhr schon auf deutlich nach Zehn. Und am nächsten Tag musste sie dann ja auch wieder zeitig den umgekehrten Weg einschlagen, damit auch pünktlich um Acht geöffnet werden konnte. Also war es schon vernünftig, dass sie in die kleine Dachmansarde, die früher mal das Zimmer meines im Kriege gefallenen Onkel Walters gewesen sein soll, einzog. Bis jetzt war also alles noch in Ordnung. Dieses galt bis an jenem Tag, der unser aller Leben mehr als deutlich verändern sollte. Wie jeden Abend hatte mich meine Oma kurz vor Acht ins Bett gebracht und auch am besagten Tag durfte ich noch eine Geschichte lesen. Meine Großmutter hatte zuvor schon die Erfahrung gemacht, dass ich, wenn ich noch lesen durfte, kein Theater machte und auch über die Geschichte sehr schnell einschlief. An diesem Tag war es eine Geschichte, die ich gar nicht so leicht verdauen konnte. Ich kann mich an diese Geschichte heute natürlich nicht mehr erinnern und weiß nur noch, dass ich aufgrund dieser an jenem Schicksalstag nicht so schnell einschlief und mich diese dann später auch im Traum beschäftigte. Nach einem Alptraum wachte ich auf und ging hinüber ins Schlafzimmer meiner Eltern. Ich gehöre ja zu den wenigen privilegierten Kinder, die schon in den 50er-Jahren ein eigenes Kinderzimmer hatten. Wenn ich mich nicht täusche gab es in meiner Klasse außer mir nur noch ein Mädchen mit einem eigenen Zimmer. An jenem Tag wollte ich aber auf mein Privileg verzichten und mich zu meinen Vater ins Bett kuscheln. Ich kam aber gar nicht bis ins Elternschlafzimmer, welches durch das Wohnzimmer erreichbar war. Auf dem Sofa in der guten Stube saß meine Tante vollkommen frank und frei, also pudelnackt. Mein Vater saß, nur mit
einem Unterhemd bekleidet, auf einen Stuhl neben dem Sofa. Beide starten mich an als sei ich das neugeborene Ungeheuer aus dem Volksgartenteich. Wenn man sich überlegt, was sich da in meinen grauen Gehirnzellen verewigt hat, ist das ja schon „bombastisch“. Man muss sich überlegen, dass ich damals noch nicht mal ein Jahrzehnt auf Erden verbracht hatte, ich war gerade ganze 9 Jahre alt, und das Ganze liegt jetzt immerhin schon 48 Jahre zurück. Das muss schon für den kleinen Dieter ein gewaltiges Schlüsselerlebnis gewesen sein. Aber alles überragend in meinen Erinnerung ist, das Tante Herta so frei war. Sie war das erste nackte weibliche Wesen, also ich meine es im Sinne von Mädchen und/oder Frau, die meine Augen zu sehen bekamen. Ja, so war das in den „Goldenen 50-ern“ mit dem damals langläufigen total verlogenen Moralgehabe. Ich glaube nicht, dass die Leute damals in Richtung Sex ehrfürchtiger und wertebewusster wie heute waren. Da brauch man ja nur ein Wenig die Statistiken bemühen. Man schaue mal auf die Zahl der unehelichen Kinder, Dunkelziffer bei den Abtreibungen, Anzahl der sogenannten Mussehen, Zahl der Scheidungen und das sich in jeder Großstadt im Bahnhofsbereich eine Straße, die man im Volksmund Puff nannte, gab. Wo kommen diese hohen Zahlen her, wenn alle damals solche Englein gewesen wären wie sie sich selbst verheiligend darstellten. Ein schönes Beispiel für die Lugmoral der 50er-Jahre ist wohl das Trallala, das man um den Film „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef angestellt hat. In diesem geht es um Ehebruch, der ja, wie die Statistik beweist, auch in den 50ern nicht selten war. Was aber die scheinheiligen Engeltuer am meisten aufregte war eine einzige, winzig kleine Szene mit der nackten Hildegard Knef. Heute lässt man solche Filme unbedenklich im Nachmittagsprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten laufen. Aber was soll’s, das sind ohnehin alles Dinge, die ich anno 1955 noch gar nicht verstehen konnte. Auf jeden Fall war Tante Herta die erste nackte Frau meines Leben und das löste bei mir ... – ja, was eigentlich? – aus. Ich kann mir vorstellen, das sexuelle Empfindungen ausgelöst wurden. Ob das jedoch stimmt kann ich nicht sagen, denn da wusste ich überhaupt noch nichts mit anzufangen. Mir war zwar inzwischen bewusst, das es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gibt aber was man damit anfangen kann waren für mich böhmische Dörfer. Auf jeden Fall starrte ich Tante Herta, das so für mich fremde Wesen, an. Und von nun an werden meine Erinnerungen an das lange zurückliegende Highlight immer schwammiger. Ich müsste jetzt, wenn ich weiter erzähle häufig „ich glaube, das es so war“ einflechten. Also meine Erinnerungen sagen mir, dass man mich nicht „angepfiffen“ und rausgeworfen hat. Das dürfte eigentlich auch richtig sein, denn schließlich waren meine Großeltern im Haus und Aufsehen konnte die beiden Nackedeis wohl am Wenigsten gebrauchen. Dann erinnere ich mich, dass sich Tante Herta anzog um anschließend wortlos zu verschwinden und mich mein Vater zu sich nahm und noch lange mit mir sprach – über was weiß ich wirklich nicht mehr. Im späteren Leben, als ich die Dinge schon durch eine klarere Lupe sehen konnte, wurde mir bewusst in welche fürchterliche Lage mein Vater geschlittert war. Das Ganze hätte, wenn es unter dem Sünderpaar geblieben wäre, eine zwar unrühmliche aber genüssliche Episode ohne großem Nachspiel sein können. Jetzt hatten sie aber einen Mitwisser – und was für einen. Kann man von einem 9-Jährigen erwarten, dass er die große Sensation, dass er seine Tante als Nackedei erwischt hat, für sich behält? Da musste er sich doch etwas einfallen lassen. Wie ich in späteren Jahren von meiner Mutter erfuhr entschloss er sich mit dem Rücken an der Wand die Initiative zu ergreifen. Er sprach mit seinen Eltern. Mutti erzählte mir immer, dass Opa darauf Tante Herta rausschmeißen wollte aber Oma hätte dem, weil sie hinter dem Geld her war, widersprochen. Ich schätze aber, das es wahrscheinlich umgekehrt war. Mein Großvater war immer für Ausgleich und Frieden. Der dürfte wohl überlegt haben, wie man die Sache ohne größeren Scherbenhaufen hätte bereinigen können. Aber gleichgültig wie es wahr: Tante Herta blieb. Na ja, jetzt gab es dann noch das heißeste Problem: Man musste Mutti, der Gehörnten, das Ganze beibringen bevor sie es aus meinem Plappermäulchen erfahren konnte. Aus meiner Sicht hätte das wohl dem Sünder, sprich meinem Herrn Vater, zugestanden diese in kleinen, verdaubaren Dosen zu vollziehen. Aber so etwas ließ sich meine Oma nicht nehmen. Sie ging hin und fetzte mit gekonnter Holzhammer-Diplomatie Mutti die ganze Wahrheit auf einen Schlag um die Ohren. Nicht nur das, sie warf Mutti auch noch vor ihrem Sohn nicht das gegeben zu haben, was eine Frau ihrem Mann schuldig sei. Damit trage sie, also Mutti, die Verantwortung für das Geschehene. Aber holla Leute, da wurden dann große Veränderung angestoßen. Die Veränderung Nummer Eins war, dass Tante Herta die Dachmansarde wieder räumen und fortan wieder mit der Straßenbahn zwischen Letmathe und Iserlohn hin und her gondeln musste. Damit hatte sie dann auch Platz für die Aktion Nummer Zwei geschaffen. Die gab es, als meine Mutter aus dem Krankenhaus kam. Da bezog mein Vater die Kammer unter dem Dach. Meine Eltern trennten sich also damals am Tisch und im Bett. Der Rosenkrieg war ausgerufen und dazu fanden dann auch deftige Familienschlachten statt. Meine Eltern schrieen sich regelmäßig an und dabei fielen Kosenamen, die ich bisher noch nicht gehört hatte. Wen ich die in der Schule an meine Klassenkameraden weitergab und unser Lehrer das mitkriegte, war ich mir eine der damals üblichen Strafen sicher. Das waren dann so Sachen wie eine Schulstunde, sprich 45 Minuten, hinter der Tafel stehen oder zehn bis zwanzig Mal einen gewissen Absatz aus dem Sprachbuch abschreiben beziehungsweise, wenn unser Lehrer entsprechend Zeit hatte, einen um eine Dreiviertelstunde verlängerten Schultag, sprich
Nachsitzen. Na ja, im Großen und Ganzen hielt sich aber alles noch in einem bestimmten Rahmen. Hinter allen drei Zeugnis-Kopfnoten – Führung, Beteiligung am Unterricht und häuslicher Fleiß – stand bei mir, auch in der ersten Zeit des Familienkrieges, immer das Wörtchen „Gut“. Ich weiß nicht ob ich mir etwas vormache oder nicht aber ich glaube, dass der Rosenkrieg meiner Eltern keinen Einfluss auf meine schulische Entwicklung und Leistung hatte. Das mag aber auch daran liegen, dass sich meine Mutter intensiv um mich kümmerte, intensiver als je zuvor. Sie hatte ja aufgrund ihrer Arbeitsverweigerung im Damensalon deutlich mehr Zeit für mich. Diese Verweigerung machte es notwendig, dass Tante Herta sie auch da noch, wo ihre Schwester längst wieder arbeitsfähig war, vertreten musste. Dieser Umstand ermöglichte dann mindestens einmal wöchentlich einen „Aufstand der Weiber“. Mutti und Tante Herta „fetzten“ sich dabei immer bis zum Heulen. Zumindestens habe ich, immer wenn ich das miterleben musste, herzerbärmlich geheult. Und meistens heulte hernach auch die eine oder die andere Frau und nicht selten sogar beide. Das Schlimmste bei den Schwesternstreitigkeiten war das meine Oma fast immer kräftig mitmischte. An die meisten Streitigkeit entsinne ich mich heute natürlich nicht mehr. In meinem Hinterstübchen ist eigentlich nur das vorhanden was ich eben schrieb aber die Details sind mir doch entschwunden. Davon machen nur zwei Angelegenheiten, bei denen es erst nach einer Wende aussah, eine Ausnahme – die taten mir doch in der Seele sehr weh. Das Eine mal war als Tante Herta bereits weinend zu uns in die Küche kam. Tante Herta wollte Mutti um Entschuldigung und Vergebung bitten. Später, als ich älter war, erzählte mir Mutti das Tante Herta ihr dabei gestanden hätte, dass Vati immer auf ihren schlechten Ruf angespielt habe und Tante Herta wollte schon das Handtuch als Aushilfsfrisöse werfen. Dann sei sie aber von meinen Vater mit einem dunklen Flecken aus ihren Leben, welches er eigentlich nur von seiner Mutter kennen konnte, erpresst worden. Ich weiß nicht ob Mutti erfahren hat um welchen „dunklen Flecken“ es sich handelte, ich weiß es jedenfalls nicht. Tante Herta war damals der Meinung, dass in der Ehe meiner Eltern doch nichts mehr zu kitten sei und wollte wenigstens mit ihrer Schwester wieder ins Reine kommen. Das Gespräch der beiden Schwestern habe ich nicht mitbekommen, denn ich war hinaus geschickt worden. Dieses war vielleicht ein Fehler, denn ich war zu meiner Oma gegangen und hatte ihr voller Glück und Stolz erzählt das Tante Herta bei Mutti wäre und die sich wieder gut sein wollten. Darauf begab sich die alte Dame dann auch in unsere Küche. Durch Geschrei angelockt folgte ich wenig später meiner Oma. Eu, das war grausam für meine kindliche Seele. Die beiden Schwestern schlugen aufeinander ein, kratzten und bissen sich und Oma stand dabei und schürte keifend das Feuer. Da fiel auch erstmalig aus Muttis Mund eine Bezeichnung für Tante Herta, die sie in der Folgezeit häufiger gebrauchte: Fünfzig-Pfennig-Hure. Allerdings konnte ich mit diesem Wort nichts anfangen. Als ich diese in der Schule gegenüber einer Klassenkameradin anwandte bekam ich neben zwei Stunden Nachsitzen einen Eintrag ins Klassenbuch und zudem wurde Mutti mittels blauen Brief zu einem Gespräch mit dem Lehrer eingeladen. Nun, diese Auseinandersetzung endete mit reichlich Blessuren im Gesicht der Schwestern und einer Riesenheulerei. Tante Herta zog prompt die Konsequenz und stand nicht mehr für den Salon Kleiner zur Verfügung. Aus meinem heutigen Wissenstand würde ich sagen, dass sie von dem Mittel der außerordentlichen Kündigung Gebrauch gemacht hatte. Danach wurde dann mein Opa sehr aktiv. Er versuchte zwischen meinen Eltern zu vermitteln. Oma hielt sich aus dieser Sache raus. Meine Mutter vermutete später, dass Oma weniger am Frieden und der Ehe ihres Sohnes gelegen war sondern sie nur den Untergang des Damensalons verhindert sehen wollte. Unterstützung erhielt mein Großvater durch mich, der wechselweise seine Eltern anflehte: „Bitte, bitte seid wieder gut.“. Aber es bewegte sich nichts in diese Richtung. Ganz im Gegenteil, die Streitigkeiten zwischen meinen Eltern nahmen wieder an Häufig- und Deftigkeit zu. Im Frühjahr 1956 gab es dann die Konsequenzen daraus. Mein Vater hatte sich einen Job bei Hoesch in Hohenlimburg, unserer Nachbarstadt, die heute zu Hagen gehört, besorgt und der Salon Kleiner wurde für immer geschlossen. Mutti hatte auch was besorgt, nämlich eine Wohnung, und zog mit mir aus dem großelterlichen Haus aus. Wir waren gerade in dem Haus in der Bergstraße, einer Gegend die allerdings nicht den besten Ruf hatte, eingezogen als es noch mal zu einem Schwesternstreit, der meine Seele belastete, kam. Mein Iserlohner Großvater hatte einen Herzinfarkt erlitten und war daran gestorben. Und so kam es dann auf der Beerdigung wieder zu einer Begegnung der Schwestern. Bei der Trauerfeier saßen Tante Herta, meine Vettern, meine Cousine, Mutti und ich in der ersten Reihe. Ich kann mich heute nicht mehr an die genaue Sitzfolge erinnern und ich weiß nur von meiner Mutter, dass man da, zum Entsetzen der Verwandten, auf Distanz gegangen sei. Dieses führte dann nach der Beisetzung, als man sich vom Grab zum Kaffeetrinken aufmachte zu Nachfragen. Unter anderem erkundigte sich Onkel Hans aus Geismar, einem Dorf, das heute zur hessischen Stadt Frankenberg an der Eder gehört, nach dem, was los sei. Onkel Hans ist der Cousin von Tante Herta und Mutti und hatte in Geismar einen Bauernhof. Mutti klärte Onkel Hans über die Geschehnisse auf und er machte den Vorschlag, dass sich die beiden Schwestern am Rande des Kaffeetrinkens doch noch mal zusammensetzen sollten und er bot sich als Vermittler an. Mutti lehnte das Angebot mit dem Hinweis, dass sie sich mit keiner Fünfzig-Pfennig-Hure zusammensetzen wolle, ab. Das hatte Tante Herta mit spitzen Ohren mitbekommen und sie kam schnurstracks auf Mutti zu und schleuderte ihre flache rechte Hand in Muttis Gesicht. Damit war eine Schwesternschlägerei,
wie damals bei uns in der Küche, ausgelöst – und das praktisch noch auf dem Friedhof. Wenn ich heutzutage so etwas als Unbeteiligter sehen würde, käme mir der Gedanke auf einen schnell heiß gewordenen Erbschleicherkrieg – was in diesem Fall gar nicht der Fall war. Beide Schwestern haben später aus gekränktem Stolz auf eine Annahme der Erbschaft verzichtet. Da war allerdings auch nicht viel zu erben, denn er wohnte in einer Mietwohnung und der frühere Herrensalon befand sich auch in gemieteten Räumen. Sicher dürfte er einiges angespart haben aber woher sollte ich darüber Kenntnisse haben. Dieses war meine letzte Begegnung mit Tante Herta. Sie zog kurze Zeit später nach Dortmund, wo sie eine Stelle als Frisöse gefunden hatte. Zwei Jahre später hat sie dann geheiratet und ist mit ihrem Mann, von dem ich überhaupt nichts berichten kann, nach Süddeutschland gezogen – irgendwo hin. Mutti hat dann nie mehr von ihr gehört. Ich habe jetzt vor Kurzem mal versucht mit Hilfe meiner D-Info-Diskette meine beiden Vettern Hans und Georg Waymann zu finden. Ich fand weder den einen noch den anderen. Es gab lediglich in Biberach an der Riss eine Anita Waymann. Ob das meine Cousine ist? Ich weiß es nicht. Auch Onkel Hans aus Geismar hatte anschließend keinen blassen Schimmer wo Tante Herta abgeblieben sein könnte. Den Namen von Tante Hertas Ehemann hat niemand in der Familie erfahren. Allen Ernstes hatte Tante Herta alle Brücken hinter sich abgerissen und sich in ein neues Leben begeben. Möglicher Weise war das auch das Beste was Tante Herta machen konnte, denn wer einmal ein Kainsmahl hat wird dieses wahrscheinlich nicht mehr so ohne weiteres los. Heute kann ich mir vorstellen, dass Tante Herta es mit den drei Männern, von denen sie ihre Kinder hat, immer ehrlich und anständig gemeint hat und sich nur das Schicksal gegen sie gestellt hat. Da haben die Leute, einschließlich der eigenen Familie und Verwandtschaft ihr einen Stempel aufgedrückt, den sie, wenn sie nicht konsequent alle Brücken hinter sich abgebrochen hätte, bestimmt nicht mehr losgeworden wäre. Tante Herta ist mit großer Wahrscheinlichkeit durch Ortswechsel mit gleichzeitigem Brückenabbruch ihren Stempel losgeworden während wohl zur gleichen Zeit Mutti, und in deren Gefolge ich, einen aufgedrückt bekamen. Obwohl Scheidungen, auch damals in den „schwarzen 50ern“, gar nicht so selten waren belegte man zu jener Zeit geschiedene Frauen mit einem Makel. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass dieses wohl weniger aus moralischer wie sozialer Sichtweise geschah. Wäre so etwas allein durch die Moralbrille gesehen worden hätte es die Männer ja genauso wie die Frauen treffen müssen. Aber damals galt ja der Mann, auch von Gesetzes wegen, als Familienoberhaupt – Haushaltsvorstand wie es amtlich hieß – und Familienernährer. Der Mann hatte damals nicht nur ein gewichtiges sondern ein entscheidendes Wort mitzureden wenn auch die Frau mitarbeiten wollte. In den meisten Fällen verweigernd die Herren aus ihrem Männerstolz ihren Frauen eine Erwerbstätigkeit, denn dann kamen die Herren sehr schnell in den Verdacht entweder ihre Familie nicht ernähren zu können oder das Paar kam in den Verdacht raffgierige „Doppelverdiener“ zu sein. In einem solchen Umfeld besaßen die Frauen so gut wie keine eigene wirtschaftliche Unabhängigkeit. Auch nach der Scheidung waren die Frauen damals noch auf die Unterhaltszahlungen ihrer Exmänner angewiesen. So Sachen wie Kindergeld, zumindestens fürs erste und zweite Kind, Wohngeld und so weiter gab es in jenen Jahren noch nicht. Also mussten sich die Frauen ihren Unterhalt erstreiten. Dazu war erst einmal ein Sieg im Scheidungsverfahren notwendig. Damals gab es ja noch das Verschuldensprinzip und eine Frau musste schon schuldlos geschieden werden um Unterhalt zu bekommen. Wenn das Ergebnis 50 zu 50 lautete, was es auch gab, musste die Frau schon mächtig kämpfen um an entsprechenden Unterhalt zu bekommen. Ja, da kamen bei Scheidungen schon mächtige Verfahren wie beim Strafgericht, also mit Zeugen und allen drum und dran, zustande. Das Verfahren meiner Eltern dauerte dann fast drei Jahre. Erst wurde meine Mutter vom Amtsgericht Iserlohn schuldlos geschieden, was aber meinem Vater nicht passte. Er legte Berufung beim zuständigen Landgericht in Hagen ein, wo dann die Ehe 50 zu 50 geschieden wurde. Das passte nun meiner Mutter wieder nicht und so ging es dann noch zum Oberlandesgericht nach Hamm. Dort endet das Verfahren dann wieder so wie vor dem Amtsgericht, also zum Alleinverschulden meines Vaters. Meiner Mutter ging es in erster Linie noch nicht einmal um den Unterhalt, da sie auch selbst der Überzeugung war, dass sie sich den durch eigene Arbeit verdienen könne, sondern um mich. Wem das Kind, falls um dieses gestritten wurde, zugesprochen wurde hing natürlich auch vom Ausgang der Scheidung ab. Aber auch hier musste man sich die Sache erstreiten. Die meisten Scheidungskandidaten ging man damals davon aus, dass ein Kind zur Mutter gehöre und ließen keinen Streit aufkommen. Nur vor der Unterhaltszahlung haben sich die Herren früher wie heute gedrückt. Auch mein Vater zahlte auf freiwilliger Basis nichts und auf mich wollte er auch nicht verzichten, da musste gestritten werden. Na, dann gab es damals noch ein tolles Paradoxem. Im Streit um die Kinder konnte es der Frau nachtteilig ausgelegt werden, wenn sie einer Arbeit nachkam. Da dachte man sehr schnell an Vernachlässigung während ich ja bei meinen Vater in Omas „guten Händen“ gewesen wäre. Ohne Arbeit und Unterhalt konnten aber die Frauen und ihre Kinder nicht überleben. Da mussten sich die Frauen Fürsorge, wie die Sozialhilfe damals hieß, holen. Die geleistete Fürsorge musste zur damaligen Zeit vom Unterhaltspflichtigen zurück gezahlt werden und daher wurden dann die Frauen auch von Amts wegen in die Unterhaltsprozesse gedrängt. Auch dieses Verfahren ging bei meinen Eltern, wie auch das, wo es um mich ging, auch noch mal über zwei Instanzen – Iserlohn und Hagen – so dass es letztendlich 1958 war bis alles über die
Bühne war. Wenn ich es mir so überlege war es wohl Santa Justitia, die die Schlammschlachten jener Zeit aufs Unerträgliche ausweitete. Der wirtschaftliche Hintergrund war es auch, warum wir in der nicht so gut angesehenen Bergstraße wohnten. Die Zweizimmerwohnung, Küche und Schlafzimmer, in einem Haus im „Tränental“, wie diese Ecke im Volksmund hieß, war gerade das, was sich die Fürsorgeempfängerin Hermine Kleiner gerade so leisten konnte. Diese Wohnung brachte in jener prüden Zeit ja noch ein Problem. Gebadet wurde mangels Badezimmer in einer Zinkbadewanne in der Küche und in dem kleinen Schlafzimmer musste ich mit meiner Mutter in einem Bett schlafen. Mutti kriegte die von der damalige Sitte vorgeschriebene Zugeschnürtheit mir gegenüber nicht in den Griff. Sie hatte in solch beengten Wohnverhältnissen keinerlei Übung. Also ging sie den Schritt nach Vorne. Sie bereitete sich in der Zinkwanne ein Bad und zog sich vor meinen Augen nackt aus. Als sie in der Wanne saß bat sie mich ihr den Rücken zu waschen und sagte mir bei der Gelegenheit, dass sie mich nun aufklären wolle aber ich darüber mit niemanden sprechen dürfte. Nach dem Bad und den Abtrocknen zog sie sich nicht gleich wieder an sondern ich bekam von meiner nackten Mutter den angekündigten Aufklärungsunterricht. Sie ging sogar soweit, dass sie mir ihre Scheide zeigte und mit ihrem Finger veranschaulichte, wie ein Penis eingeführt werden kann. Erst dann zog sie sich wieder an. Wenn ich mich daran erinnere, kommt es mir tatsächlich so vor als habe ich, der damals 10-jährige, bei der Gelegenheit erstmals sexuelle Empfindungen bewusst empfunden. So zähle ich zu den sehr wenigen Kindern aus jener Zeit die in einem so jungen Alter zielgerichtet aufgeklärt wurden. Meine Mutter hatte dabei, wie sie später öfters sagte, die Mordsangst ausgestanden, dass ich dieses auf der Straße oder in der Schule ausplaudern könnte und sich dieses dann nachteilig auf das Sorgerecht auswirken könnte. Ich zeigte mich aber dem mir entgegen gebrachten Vertrauens würdig und behielt es als kleines Geheimnis zwischen mir und Mutti. Der anschließende Vorteil für meine Mutter war es dann, dass sie unbeschwert und uneingeengt auf den zwei Zimmern bewegen konnte und ich hatte später eine Vertraute, an die ich mich auch bei Sachen, die neu auf mich zukamen, zum Beispiel bei meinem ersten „Blauwässerchen“, wenden konnte. Nun, heute ist die Aufklärung 10-jähriger oder gar jüngerer Kinder keine Ausnahme. Zum Beispiel gibt es heute schon in den Kindergärten Bücher wie „Wenn Papa und Mama ein Kind kriegen“ aber damals stellte so etwas eine Art schrecklicher Todsünde dar. Einzig hätte man darüber streiten können ob sie mir unbedingt ihre Scheide zeigen und demonstrieren musste. Als ich selbst ein Erwachsener war sprach sie mit mir auch mal darüber. Sie hatte sich natürlich vor der Aktion ihre Gedanken gemacht und nach Anschauungsmaterial gesucht, damit meine Fantasie da nicht irgendetwas raus macht, was man sich dabei nicht vorstellen sollte. Da es aus ihrer Sicht nichts brauchbares gab opferte sie sich als lebendes Anschauungsmaterial. Wir waren also tief gerutscht: Vom bürgerlichen Mittelstand in unserem Städtchen zu den Asozialen. Mutti lebte in Scheidung, wir lebten von der Fürsorge und wohnten in einer billigsten Miniwohnung in schlechtester Wohngegend. Wie mir Mutti später immer sagte war ihre größte Sorge, wie sich dieses mal auf meine Berufswahl und mein Lebensweg auswirken würde. Einmal Assi immer Assi – und das über Generationen. Daher wandte sie viel Zeit für mich auf. Zum Beispiel besuchten wir die Dechenhöhle, die ja in Letmathe liegt, gingen zum Schloss Hohenlimburg oder fuhren mit den Bus nach Altena um zur Burg raufzukraxeln. Mit dem Zug ging es auch mal nach Wuppertal um mit der Schwebebahn zu fahren und den Elberfelder Zoo zu besuchen. Nicht selten spazierte sie mit mir über den Honsel in das Bergdörfchen Wiblingwerde. Ich ging auch immer ganz gerne mit – und das nicht nur aus dem Grund, dass ich bei solchen Gelegenheit immer ein Würstchen und eine Sinalco von Mutti spendiert kriegte. Ihre ganze Motivation war es, dass ich nicht in den Sog der „Kinder von der Straße“ gezogen werden sollte. Leute, die in schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lagen sind können sich, wenn sie überleben wollen, nicht allzu intensiv um ihre Kinder kümmern – und da entwickeln sich schon bestimmte Eigengesetzlichkeiten die gesellschaftlich gar nicht so gerne gesehen werden. Wo Mutti jedoch den meisten Wert darauf legte war meine schulische Entwicklung. Sie beschäftigte sich sehr viel mit mir und den Dingen, die bei mir in der Schule anstanden. Natürlich zeigte das auch seine Wirkung: Ich war bei uns in der Klasse der Musterknabe. Als ich aber 1957 auf das Gymnasium in Hohenlimburg, in Letmathe gab es damals noch keins, wollte floppte ich bei der Aufnahmeprüfung. Mutti meinte, dass es da wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen sei und mein derzeitiger sozialer Status der wahre Grund für eine Ablehnung war. Ein Genie aus der Unterklasse hat das zu bleiben was seine Eltern waren. Es wäre doch schlimm wenn der schlaue Assi dem dummen Söhnchen von Onkel Doktor den Platz wegnehmen dürfte. Ein Jahr später klappte es aber dann bei der Realschule in Letmathe. Nach Ostern 1958 konnte ich dann auch durch das Portal, über dem, ich glaube heute noch, „Hindenburg-Schule“ steht obwohl sie offiziell „Städtische Realschule“ heißt, zur Stätte meiner schulischen Ausbildung schreiten. 1958 war dann auch der Zeitpunkt wo es insgesamt mit meiner Mutter und mir wieder aufwärts ging. Nicht nur dass ich dank bestandener Aufnahmeprüfung zur Realschule gehen durfte sondern auch Mutti fand, nachdem mein Vater erklärt hatte, dass er nichts mehr unternehmen wolle um mich zu erhalten, eine Arbeit und etwas später bekamen wir auch eine Wohnung in einer besseren Gegend. Mutti arbeitete ab Juni 58 in einem größeren
Damensalon in Iserlohn und in der Friedrich-Ebert-Straße in Letmathe-Oestrich, ganz nahe an der Realschule, bekamen wir eine Genossenschaftswohnung. Erst machte sich meine Mutter doch einige Gedanken darüber, dass ich infolge ihrer Arbeit in der schulischen Leistung nachlassen könnte, aber ich hatte ja ein solides Fundament und dann läuft ja vieles wie von allein. Anfang des Jahres 1959 durfte ich dann noch mal etwas, was ich schon erlebt hatte, erneut erfahren. Diesmal schockierte es mich nicht sondern es erfreute mich. Es war an einem Samstagnachmittag und ich wollte zur 15Uhr-Vorstellung ins Kino. Nach meiner Information hätte da ein Dick- und Doof-Film, also ein Film mit Stan Laurel und Oliver Hardy, laufen müssen. Meine Information war aber falsch, der Film sollte erst an einem Tag in der kommenden Woche laufen. Also trottete ich vom Viktoria-Theater wieder heimwärts. Als „Schlüsselkind“ konnte ich ja ohne große Anmeldung in die Wohnung. Diesmal was es nicht Tante Herta sondern Mutti die so frei war. Wie damals ihre Schwester saß sie pudelnackt auf der Couch. Der Herr, den sie bei sich hatte, war noch dürftiger als damals mein Vater bekleidet. Mein Vater hatte ja noch ein Unterhemd an und dieser Herr absolut nichts, noch nicht einmal Socken. Er saß neben Mutti auf der Couch und sprang erschrocken auf als ich hereinkam. Diesmal blieb ich aber nicht gaffend im Raume stehen sondern machte, so wie es sich gehört, die Wohnzimmertür blitzschnell wieder von Außen wieder zu. Nachdem die beiden „Erwischten“ sich wieder angezogen hatten, holte mich Mutti zurück ins Wohnzimmer. Noch bevor wir dort eintraten bat sie mich um Verständnis. Sie meinte sie sei ja noch jung und könne es alleine nicht aushalten. Da habe sie sich per Heiratsanzeige einen Mann gesucht. Ich weiß nicht, wie oft die Beiden sich vorher schon getroffen hatten aber jetzt sah es so aus als würde es ernst. Und so hieß der Mann auch, den sie mir dann vorstellte: Ernst Greul, ein geschiedener Spediteur aus Menden. Der Mann, den ich hernach Ernst nannte, gefiel mir ganz gut und den hätte ich auch als Stiefvater akzeptiert. Er war nach dem „Vorfall“ jedes Wochenende bei uns und schlief auch bei Mutti, was ich auch als ganz normal ansah. Im Laufe der Zeit wurde mir mein angeblich zukünftiger Beruf offeriert: Speditionskaufmann. Aus der Art wie ich gerade formulierte kann man schon erahnen, dass da wohl nichts raus wurde. Meine Mutter hatte wohl einen Fehlgriff gemacht. Im Herbst 1959 erfuhr sie Ernst wahren Scheidungsgrund und mit dem Wissen wollte Mutti dann auch nicht mehr. Ernst erste Frau hatte eine uneheliche Tochter mit in die Ehe gebracht und an der hatte er später mehr Spaß als an seiner Frau. Etwas strafbares war allerdings nicht passiert, denn Ernst Stieftochter war schon erwachsen als er sich an sie heranmachte. Aber trotzdem: So einen Kerl wollte Mutti auch nicht und so waren wir erst mal wieder einmal allein. Den Richtigen, mit dem sie bis zu seinem Tode 1991 zusammen war fand sie dann im Sommer 1960. Wie alle Jahre, seitdem mit meinen Vater Schluss war, fuhren wir in den Sommerferien auf den Bauernhof von Onkel Hans nach Geismar. So auch in jenem Sommer des Jahres wo ich 14 geworden war. Auch auf dem Nachbarhof, auf dem ich mich gerne wegen der beiden Töchter Elke, 13 Jahre, und Anna, 15 Jahre, aufhielt, war Besuch aus unserer Gegend. Ingo Frank, ein Leuchtenfabrikant aus Lüdenscheid, war der verwitwete Schwager des Hofbesitzers Karl Remmel. Irgendwie muss es zwischen Mutti und Ingo gefunkt haben, auf jeden Fall fühlten die sich wie zwei Magnete gegenseitig angezogen. Machen wir es kurz: Seit Juli 1961 heißt meine Mutter Frank und wir zogen danach in das Bergdorf Wiblingwerde, dem oberen Gemeindeteil der Doppelgemeinde NachrodtWiblingwerde, wo Ingo Frank ein Häuschen, dass sich sehen lassen konnte, gebaut hatte. Tolle Sache für mich war, dass mich mein Stiefvater des Morgens mit seinem Auto zur Realschule nach Letmathe fuhr und mich des Mittags ein Mitarbeiter der Firma Leuchten Frank wieder abholen musste. So fand meine Kindheit, die an und für sich gut begann, dann aber auf ein Desaster zusteuerte, letztlich dann doch ein Happyend. Als Kleinkind gehörte ich zu einer gutbürgerlichen, kleinstädtischen Familie und kam dann in die Lage zu den Asozialen gezählt zu werden und jetzt gehörte ich familiär wieder zur ersten Sahne. Dieses Auf und Ab sollte dann bezeichnend für mein Leben werden. Eines hatte ich dabei schon in der Kindheit gelernt: Die Leute sehen sich in der Regel nicht an wie eine Person in Wirklichkeit ist sondern immer nur den Schein mit dem sie sich umgeben kann. In der Zeit wo wir im „Tränental“ hausten waren Mutti und ich die gleichen Leute wie vorher, als Mutti noch die Chefin im Salon Kleiner war, und wie hinterher, als sie die Gattin des Leuchtenfabrikanten Frank war und trotzdem trat man uns zu Tränentalzeiten so gegenüber als wären wir gesellschaftlicher Abschaum. Diese Erfahrung durfte ich im Laufe meines Lebens noch ein paar Mal machen. Der Unterschied war nur, dass ich das Ganze als Kind nicht so sehr wahrgenommen habe und im späteren Leben dann doch sehr darunter gelitten habe. Heute bin ich diesbezüglich allerdings abgebrüht; das Leben hat mich halt geschult. So, dieser Absatz soll jetzt das Schlusswort zu dem Kapitel, über dem auch „Meine Kindheit“ stehen könnte, sein. Dann will ich jetzt jenes auflegen, das im Untertitel „Turbulenter Start in die Jugendzeit“ heißen könnte.
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Bauerntöchter und der Städter Man kann es sicherlich als nicht ungewöhnlich bezeichnen wenn Leute sich und ihresgleichen in ihrem Weltbild aufwerten und alle anderen abwerten. Wo kommt denn sonst der ganze irrationale Nationalismus her? So gibt es Bewohner größerer Städte, die die Leute aus den Kleinstädten und Dörfern als „Landeier“ und alles was diese machen als „Dorfposse“ bezeichnen. Umgekehrt spricht man von „Häuser-Schluchten-Cowboys“, die nichts dafür können, dass sie naturfremd sind. In der harmlosesten Form benutzen beide Seiten sogar die gleichen Worte, die „Dörfler“ und „Städter“ heißen. Für den Dörfler ist der Städter eben dieser Häuser-SchluchtenCowboy während er sich selbst für denjenigen, der sich in allen Lebenslagen zu helfen weiß hält und für den Städter ist der Dörfler halt das Landei und er der stets intellektuell überlegene. Seit 1961 war ich diesbezüglich ein Paradoxem. Ich wohnte in einem kleinen sauerländer Dörfchen namens Wiblingwerde, dessen Hauptbestandteil die spätromanische Hallenkirche, eine Schule, ein paar Kneipen, Bauernhöfe und ein paar Häuser darüber hinaus war. Also ich war ganz eindeutig ein Dörfler oder Landei. Schon im unteren Gemeindeteil, in Nachrodt, hätte das schon ein Bisschen anders ausgesehen, da dieser Ortsteil eher ein Kleinstadtcharakter hat. Wenn ich aber nach Geismar kam war ich der Städter. Dabei gab ich mich noch nicht einmal städtisch sondern ich hatte diesen Titel von meinem Vater geerbt. Ich schrieb ja schon im vorausgegangenen Kapitel, dass sich dieser immer gekonnt vor jeder Art von Gartenarbeit drückte und was für den Garten gilt dürfte in einem noch stärkeren Maß für das Feld gelten. Zu Tieren, insbesondere gegenüber Kühe oder Schweine, ging er auf sichere Distanz. Schon ein flippiger Hahn konnte ihn zum Flüchtling, der um sein Leben lief, machen. Dementsprechend waren dann auch seine Einsichten und Erkenntnisse bei den Abläufen in der Natur. Das wirkt auf einem richtigen Bauerndorf natürlich etwas doppellinkshändig und unbeholfen. Mein Stiefvater, Ingo Frank, ist übrigens genau so eine Type wie mein leiblicher Vater. Anders dagegen Mutti, die fasste, wenn sie in Geismar war, mit an und hatte ein natürliches Verhältniss zu Tieren und der Natur. In den 50er-Jahren wurde in Geismar fast alles mit Kuhgespannen erledigt. Damit wurde gepflügt, Grummet gewendet, Heu und Getreide eingefahren und so weiter und so fort. Natürlich hielten in der zweiten Hälfte der 50er immer mehr Traktoren Einzug ins Dorf und in den 60ern gab es Kuhgespanne eigentlich gar nicht mehr. Aber zu Kuhzeiten war meine Mutter die ideale Gespannführerin – die machte das furchtbar gerne. Aber kein Wunder, schließlich war der Waymannhof in Geismar, der von Muttis Großvater – da muss sich wohl etwas über das Blut vererbt haben. Und ich? Ich war halt auf die Art meiner Mutter geschlagen. Deshalb fuhr ich ja auch so gerne nach Geismar, denn da konnte ich immer richtig mitbauern und –ackern. Trotzdem sagten die dortigen Kinder in meinem Alter ständig Städter zu mir. Mein Vater war halt einer, folglich musste ich auch einer sein. Als ich klein war wurmte mich das immer fürchterlich; ich hätte aus der Haut fahren können. Aber als ich in die Pubertät kam, entdeckte ich in dem, gegen mich vorgetragenen Vorurteil sogar einen Vorteil. Ich nutzte das Ganze zum Renommieren und Prahlen. Da erzählte ich den Dörflern, welche Möglichkeiten ich in der Stadt hatte von denen die Dörfler nur träumen konnten. Ich stellte „uns“ Städter als Jünger des Fortschritts dar, während ich die Dörfler kurz vor Beginn des Mittelalters ansiedelte. Na ja, was die Jungens darüber dachten war für mich nicht unwichtig aber ich habe das nicht überbewertet. Wichtiger war mir das, wie das bei den Bauerntöchtern wirkte. Oh, ich armer Tor, wenn ich schon damals das gewusst hätte, was ich später erfuhr: Sie haben sich über mich lustig gemacht. Schließlich waren sie ja nicht aus der Welt und wussten schon was anderes wo passierte. Beides, Ferienlandwirt und Renommierstädter, machte mir damals soviel Spaß, dass ich nach wie vor meine Sommerferien bei Onkel Hans in Geismar verbringen wollte. Man konnte mich weder mit Italien, noch mit Spanien noch mit sonst was locken. So auch 1963, dem Jahr als ich meine letzten großen Ferien als Realschüler „feiern“ konnte. Inzwischen sprach ich, wenn ich von Mutti und ihrem zweiten Mann Ingo Frank sprach, immer von meinen Eltern und wenn ich von meinem Stiefvater alleine sprach, handelte es sich um Ingo. Dieses nur so zwischendurch, damit ich es ab sofort bei meiner Schreiberei leichter habe und keine Missverständnisse aufkommen. Also, meine Eltern wollten 1963 im Urlaub nach Lorret de Mar, nördlich von Barcelona in Spanien. Und ich war durchaus eingeladen mitzukommen. Aber was wollte Dieter Kleiner, also meines Vaters Sohn? Ich wollte wie all die Jahre zuvor nach Geismar. Ingo erlaubte sich schon zu scherzen: „Also Dietz, wenn du unbedingt Bauer werden willst, brauchst du ja kein Abi. Sollen wir dich an der Schule wieder abmelden?“. „Nanu, nana,“, wird jetzt diese oder jener fragen: „Realschule und Abi?“. Ganz einfach ich war in der Schule so gut, dass mir die Chance geboten wurde, anschließend auf dem Burgstadt Gymnasium in Altena weiterzumachen. Das stand zu Beginn der Sommerferien 1963 also schon fest. Eine Woche vor Beginn der Sommerferien machte ich bereits mit meinen Eltern einen Sonntagsausflug nach Geismar. Der Grund lag auf der Hand. Ingo konnte mich am ersten Ferientag nicht an mein Wunschferienziel bringen und damit ich frank und frei reisen und wandern konnte, wurden schon mal meine beiden Koffer vorab an mein Feriendomizil gebracht werden. Immerhin wollte ich die ganzen sechs Wochen dableiben. Selbst zwei
Koffer hätten ja nicht gereicht, wenn Tante Kathrin, die Frau von Onkel Hans, nicht für mich mitgewaschen hätte. So konnte ich dann am ersten Ferientag mit Zug und Bus von Schwerte über Bestwig, Winterberg und Hallenberg nach Frankenberg fahren. Dort wäre ich so früh angekommen, dass ich eigentlich mit dem Postbus, der von Frankenberg über Geismar nach Bad Wildungen fährt, hätte fahren können. Aber mit Rainer, Onkel Hans ältesten Sohn, hatte ich bei unserem letzten Besuch vereinbart, dass er mich in Frankenberg abholen wollte und wir dann zu Fuß über die Alte Straße nach Geismar laufen wollte. Eu, was war das für eine Überraschung als dort nicht nur Rainer sondern auch Elke und Anna Remmel standen um mich abzuholen. Ich konnte ja nicht wissen, dass die beiden Mädchen ohnehin in Frankenberg zutun hatten und bei der Gelegenheit Rainer getroffen hatten. Eigentlich wollten die ursprünglich mit den Postbus zurück aber ein Fußmarsch unter jungen Leuten macht halt mehr Spaß als in einem Linienbus zu gondeln. Für mich sah es jedoch so aus als wären sie extra für mich erschienen. Das munterte auf und ich überlegte die ganze Zeit während des Weges über die Alte Straße ob wir mit den Mädchen was „anstellen“ sollten. Aber aufgrund Rainers angeborener Schüchternheit konnte da nichts raus werden. Dieses, obwohl die Mädchen aus meiner Sicht recht eindeutig in die von mir gedachte Richtung steuerten. Auf jedem Fall konnte ich mit Anna, der älteren von den beiden Mädchen, für den Abend ein Rendezvous in Remmels alter Scheune vereinbaren. Na ja, ich konnte es gar nicht erwarten, bis die Zeiger der Uhr auf den vereinbarten Zeitpunkt für das Treffen vorgerückt sein würden. Überpünktlich machte ich mich auf den Nachbarhof und dort gleich ab in die Scheune. Und dann ... was für ein großer Schock, Anna war nicht alleine. Nicht nur ihre Schwester Elke sondern auch ihre Freundin Marlies Keune war mit von der Partie. Das wäre allerdings kein Grund für einen Schock gewesen, denn was noch nicht ist kann ja immer noch werden. Also nicht das Trio an für sich erregte mich, sondern das Wie, also wie sie da standen. Ich kam mir vor wie der Hirte Paris aus der griechischen Sage, der aus drei nackten Göttinnen die schönste auswählen musste. Paris wählte Helena und ich ... zunächst mal keine, ich wusste überhaupt nicht was ich machen sollte. Ich stand einfach nur wie angewurzelt drei vollkommen entblößten Bauerntöchtern gegenüber. Nach meiner Tante Herta, wo ich das ganze eigentlich so noch gar nicht gecheckt hatte, und meiner Mutter waren das die ersten nackten weiblichen Wesen, die sich meinem staunenden Augen präsentierten. 1963 war ich schon stolze 17 Jahre und das Bauerntöchter-Trio waren da die ersten nackten Mädchen in meinem Alter, denen ich auf erotischer Ebene begegnete. Da mögen heute viele drüber lächeln, wo doch heute schon mehr als jeder zweite Jugendliche seine ersten sexuellen Erfahrungen im „zarten“ Alter unter 15 Jahren macht. Ich glaube, dass dieses an den vielen Reizangeboten, die uns sowohl Print- wie elektronische Medien bieten, liegt. Da entsteht doch sehr schnell der Eindruck, als sei das Ganze die normalste Sache der Welt. Der Hauch des Besonderen, der Schleier des Geheimnisse ist durch das Medienangebot zerrissen und zerstört worden. Man macht es halt, weil es Spaß macht. Das Knistern des Abenteuers, so wie es früher einmal war, ist gefallen und für die Empfindungen der Menschen verloren. Eigentlich sehr schade, denn den jungen Leuten entgeht so doch einiges an Schönen und Wunderbaren. Aber 1964 gab es noch keine Schulmädchen-Reports, keine OswaldKolle-Bücher und den Aufklärungsfilm „Helga“ hatte noch niemand angedacht. In den Illustrierten und in der Bild-Zeitung hatte man noch nicht einmal den Zensurbalken eingeführt, den alle Covergirls waren noch vollständig bekleidet. „Schlimmstenfalls“ bekam man so etwas, was einem heute als BH-Reklame unterläuft, zu sehen. Das Wort „Zensurbalken“ dürfte jetzt die jüngeren Leser in Erstaunen gesetzt haben. Ich weiß jetzt nicht wer der wahre Erfinder dieser Geschichte ist, ich habe ihn jedenfalls erstmalig in dem berühmten Boulevardblatt „Bild“ gesehen. Da gab es dann Bilder mit Oben-ohne-Girls aber sehen konnte man von den beiden süßen Dingern trotzdem nichts, denn da war ein schwarzer Balken drüber gedruckt. Ja, so fing das mal an und dann wurde es immer freizügiger, bis zu dem Punkt das man Porno. Aber noch nicht 1964, erst vier Jahre später ging es richtig los. Sorry, für den kleinen Abstecher aber ich denke das dieser doch ganz nützlich war, damit sich auch jüngere Leserinnen und Leser in meine damalige Lage versetzen können. Jetzt aber zurück in Remmels alte Scheune. Da standen nun die damals 16-jährige Elke und die beiden 18-jährigen Anna und Marlies in spannender Erwartung. Und ich betrachte mir die Drei erst einmal ausführlich bis ins Detail. Eigentlich war ich zunächst über deren Oberweiten etwas enttäuscht. Ich hatte ja bisher nur die Busen meiner Mutter in der Erinnerung und die wiesen doch deutlich stärkere Proportionen auf. Aber dann fand ich doch Spaß an den Dingerchen, an den spitzgestylten der Jüngsten, dann den vollrunden aber handlichen ihrer Schwester und den mehr länglichen von Marlis, die dafür aber auch die größten Warzenhöfe hatte. Auch nach unten fiel mein Blick und da stellte ich fest, das Anna etwas locker behaart war, so das man dort noch die ursprüngliche Anatomie durchscheinen sah während ihre jüngere Schwester und ihre Freundin mir als vollbeharrte Vollfrauen erschienen. Wie Sie sehen, ich habe schon genau hingeschaut. Während der Betrachtungen regte sich aus nachvollziehbaren Gründen auch bei mir einiges und ich verspürte ein suchtähnliches Verlangen meine Hosen runter zulassen. Kurz gedacht und getan, wodurch auch die Mädchen
was zusehen bekamen. Wie es jetzt weiterging kann ich aus zwei Gründen hier nicht erzählen. Erstens liegt mir nichts daran, hier ein Teenie-Porno zu verfassen und zweitens sind mir auch die Details im Laufe der Zeit aus meinem Gedächtnisspeicher verloren gegangen. Ich weiß nur noch, dass wir wohl ein ganzes Weilchen zu Dritt „gespielt“ haben aber uns dann die beiden 18-Jährigen allein ließen. Elke und ich „spielten“ noch ein Weilchen weiter und da kam es bei uns beiden zum allerersten Mal. Wir müssen wohl sehr viel Freude dran gehabt haben, denn wir trafen uns jetzt, außer am Samstagabend, Abend für Abend und immer waren wir ein Liebespaar. Dieses die ganzen sechs Wochen lang. Demjenigen, der sich ein Wenig in der Humanbiologie auskennt, müsste die letzte Bemerkung doch ein Wenig zu Denken geben. Den weiblichen Lesern ist jetzt bestimmt was aufgefallen. Dieses geht doch nur, wenn was ausbleibt. Insbesondere „Anfänger“ scheuen doch an bestimmten Tagen vor etwas zurück. Aber warten wir es ab, das kommt alles noch. Lassen sie mich erst noch von etwas berichten, was während dieser Ferien bei mir auch zur Premiere kam – und das hängt mit den Samstagabenden, wo ich nicht für die Liebe zur Verfügung stand, zusammen. Nun, in Geismar gab es, wie in allen anderen vergleichbaren deutschen Dörfern, zu jener Zeit nicht viel Möglichkeiten seine Freizeit zu verbringen. Aber im Grunde hatte man auch nur recht wenig freie Zeit. Die meisten Dorfbewohner waren Bauern – treffender gesagt: Kleinbauern. Da bestimmen die Bedürfnisse der Tiere und die Gegebenheiten der Natur den Rhythmus des Tagesablaufes und insgesamt des Jahresablaufs. Schon früh morgens muss man raus um im Stall alles ins Reine zu bringen. Für die meisten Männer musste alles bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt sein, denn auch damals schon wartete auf sie ein Zweitjob, zum Beispiel im Straßen- oder Hausbau. Nur wenn eine Ernte oder das Heu anstanden hatten sie regelmäßig Urlaub. Während die Herren ihrer Arbeit nachgingen, versorgten die Frauen und die älteren Kinder Haus und Hof. Des Abends wenn die „Herren der Höfe“ wiederkamen musste der Stall gemacht werden, die Kühe von der Weide geholt und gemolken werden. Und so weiter, und so fort. Nach einem solchen Tagesablauf ist man geschafft; da fällt man gerne ins Bett. Fernseher hatten damals in Geismar Seltenheitswert. Man brauchte sie ja eigentlich nicht, denn wer setzte sich schon nach einem so ausgefüllten Tag noch vor die, damals noch ausschließlich schwarz-weißen Glotze. Nur am Samstagabend, da ließen überwiegend die jungen Männer und männlichen Jugendlichen die „Sau raus“. In den beiden Kneipen war es zu jener Zeit immer rappelvoll. Auch Rainer nahm mich dann immer mit, mal in die eine und mal in die andere Kneipe – und zwischendurch wurde immer gewechselt. Ja, wir kamen uns doch wie vollwertige Männer vor und für die ist Cola und Limo bekanntlich ja nichts. Wir griffen, wie alle anderen, dann zum Henninger, der Biersorte, die damals in den dortigen Kneipen geführt wurde. Ein Bier kostete in jener Zeit 35 Pfennige und drei Biere bekam man für eine schlappe Mark. Hinsichtlich dieses Angebotes passten wir schon auf, dass wir keine Fünfer verschenkten und fuhren die kühlen Blonden im Dreierpack ein. Mein Problem an meinem ersten Ferienwochenende: Es war nicht nur mein erstes Ferienwochenende sondern auch mein erster aktiver Bierabend. Ich hatte wohl schon mal ab und an von Ingo ein Gläschen abbekommen aber richtig reingeschoben habe ich die kühlen Blonden erstmalig in Geismar. Jetzt kann man sich vorstellen, wie die Sache ausging. Dank geringer Übung hatte ich auch nur eine minimale Verträglichkeit vorzuweisen. Ich glaube beim ersten Mal war ich schon nach dem ersten „Dreierpack“ Sturz betrunken. Am nächsten Tag kam ich nicht vor Mittag auf die Beine und für den Rest des Tages war mir fürchterlich schlecht. Ich wusste nicht, wo ich meinen Brummelschädel hinlegen sollte. Das nicht ganz so feine Spielchen wiederholte sich jetzt Woche für Woche. Nun ja, letztlich schaffte ich dann doch mehr als nur einen Dreierpack. Am letzten Sonntag meines „turbulenten“ Urlaubes wurde mir dann mein Kater zum Verhängnis. Des Nachmittags trafen meine Eltern, die noch bis zum nächsten Dienstag bleiben und mich dann mit nach Hause nehmen wollten, ein. Nun, meine Mutter war furchtbar entsetzt, dass ich unter die exzessiven Säufer gegangen war. Dafür konnte sie bei allem Wohlwollen überhaupt kein Verständnis aufbringen. Ich erhielt eine gesalzene Standpauke – und das bei meinem Brummschädel. Das ich da auf Freiersfüßen wandelte, was Mutti von Tante Kathrin erfahren hatte, sah meine Mutter als nicht so dramatisch an. Einmal wären auch alle jetzigen Erwachsenen und auch sie selbst mal damit angefangen. Viel älter wie Elke und ich wäre sie bei dem Austausch von ersten Zungenküsschen auch nicht gewesen. Sie war im Übrigen davon überzeugt, dass sie mich gut aufgeklärt habe und dass da eigentlich nichts passieren könne. Ja, das ging mir dann auch in die Glieder. Aufgeklärt hatte sie mich aber an das Wesentliche, worüber sie wohl in diesem Augenblick referierte, habe ich in der ganzen Zeit keinen einzigen Gedanken verschwendet. Jetzt weiß ich nicht ob Elke aufgeklärt war aber falls ja, dürfte es ihr wahrscheinlich ebenso wie mir gegangen sein. Erst hatte ich ja ein Bisschen Angst, die auch noch anhielt als ich des Abends mit „meinem Schatz“ zusammen war. Aber sonntags spielte sich bei uns ohnehin immer fast kaum was ab. Aufgrund meines Brummschädels war ich schon glücklich wenn ich neben ihr lag und ganzkörperlich beschmust wurde. Einen Geschlechtsverkehr hat es an diesen Tagen unter uns nie gegeben. Am nächsten Tag war alles wie weggeblasen und wir trieben es wie all die Tage zuvor auch. Nein, sogar noch ein Bisschen toller, denn das war ja für diese Ferien unser letzter Abend. Zu den Herbstferien wollte ich wieder kommen und bis dahin sollte ja der Vorrat an Liebe reichen. Das
ich schon ein wenig vor den Herbstferien wieder bei ihr sein sollte, wusste ich damals ja noch nicht. Deshalb sage ich an dieser Stelle erst einmal: Warten wir es ab. Dach ging es erst wieder zur Schule, zur letzten Realschulrunde. An den ersten beiden Tagen nach den Ferien prahlten meine Klassenkameradinnen und –kameraden über ihre Erlebnisse in Italien, Spanien oder auch „nur“ in Holland. Es sagten immer alle „Holland“ aber nur ein Mädchen war wirklich dort gewesen, und zwar in Zandvoort. Die anderen Drei waren in Friesland, eine in Lemmer am Ijsselmeer und die beiden anderen auf der westfriesischen Insel Vlieland. Gemeinsam hatten die Vier jedoch, dass sie in den Niederlanden waren. Da kann ich mich heute noch dran erinnern, weil unser Pauker so ein Korrektheitstick hatte und mit der Richtigstellung bald eine ganze Stunde mit verbracht hatte. Das hätte vielleicht nicht ausgereicht um sich 40 Jahre in meinem Gedächtnis gehalten, wenn ich nicht den „Klöppel“ des Tages gefunden hätte. Inhalt der Geographiestunde war, dass die Schüler sagten, wo sie ihren Urlaub verbracht hatten und unser Lehrer dann dazu ein paar Ausführungen machte. Das dabei die Niederlande, wo sich unser Pauker offensichtlich gut auskannte, den breitesten Raum einnahmen habe ich bereits geschrieben. Aber meine Auskunft war dann für meine Mitschülerinnen und –schüler aber der „absolute Hammer“. Ehrlich sagte ich, dass ich im hessischen Geismar auf dem Hof meines Onkels gewesen wäre. Darauf sagte ein Mädchen schnippisch: „Na, wenn man nur mal eben um die Ecke war, dann hat man bestimmt nichts erlebt.“. Darauf tönte ich: Und ob ich was erlebt habe. Ich habe die große Liebe erfahren ... aber davon erzähle ich dir nichts.“. Na ja, aufgrund dieser Aussage hat man mich bis zu einem bestimmten Tag regelmäßig „veräppelt“ und dann ... Stopp, Eines nach dem Anderen. Aber was soll’s, für mich lief es zunächst wie gewohnt prima. Als Stiefsohn des Leuchtenfabrikanten Ingo Frank hatte ich mein Domizil im schönen Wiblingwerde. Von meinem Zimmer hatte ich einen wunderbaren Panoramablick ins ganze Sauerland. Angemessene Wünsche brauchte ich nur zu äußern und schon bekam ich sie erfüllt. Es wäre jetzt unnatürlich, wenn ich jetzt nicht eingestehen würde, dass es trotzdem in regelmäßigen Abständen zu Streitigkeiten zwischen mir und meinen Eltern wegen Anliegen, die ich für angemessen hielt aber von meinen Eltern aber für unangemessen gehalten wurden. Aber so etwas kennt wohl jeder aus seiner Jugendzeit und die meisten älteren Leser auch aus den Auseinandersetzung mit ihrem Nachwuchs. In der Schule war und blieb ich der Klassenprimus und weiterhin wartete das Burgstadtgymnasium in Altena auf mich. Überall in unserem Umfeld waren wir allesamt gut angesehen. Was sollte da noch an mein Glück fehlen? Ja, vielleicht fehlte mir die Liebe, die ich ja in den letzten Ferien erstmalig selbst erfahren konnte. Ich zählte richtig die Tage bis ich in den Herbstferien wieder zu meiner Elke konnte. Und dann, es waren nur noch wenige Tage zu zählen, da schlug der Blitz ein. Als ich aus der Schule kam und hinüber zum Neumarkt, wo in der Regel immer Ingos Mitarbeiter auf mich wartete, ging sah ich sofort, in diesem Augenblick noch zu meiner Freude, dass mich Ingo an diesem Tage mal selber abholte. Die Abholerei war ja nach wie vor nötig, da es mit dem Bus immer eine halbe Weltreise dargestellt hätte bis ich mal zurück nach Wiblingwerde gekommen wäre. Als ich mich auf den Beifahrersitz schwang fragte ich, auch noch erfreut, welchen Umstand ich die Ehre, dass mich der Chef persönlich fährt, zu verdanken habe. Dann bekam ich aber bitteren Wermut in meine gute Laune gegossen. Wir hatten Besuch bekommen. Ingos ehemaliger Schwager war mit seiner Tochter angereist und seitdem war meine werte Mutter ganz aus dem Häuschen. Im Klartext: Karl Remmel war mit seiner Tochter Elke angereist und hat bei meiner Mutter erschrecken darüber, dass sie nun schon Oma wird, ausgelöst. Elke war schwanger. Und wenn man sich das richtig überlegt, konnte das bei unserem Vorgehen ja auch gar nicht ausbleiben. Durch den Zeitverzug, der durch meine Abholung entstanden war, hatte sich offensichtlich doch einiges gelöst. Elke kam strahlend auf mich zu und gab mir vor den Augen ihres Vaters und meiner Eltern erst einmal einen richtigen Kuss und meine Mutter merkte daraufhin erst mal an, dass wir ja dafür doch noch viel zu jung seien. Immerhin waren wir noch vier beziehungsweise fünf Jahre vom Erwachsensein entfernt. Dieses meine ich jetzt nicht nur im Sinne der Entwicklung des Menschen beziehungsweise der Biologie sondern auch vom damaligen Rechtsstandpunkt her. In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde man erst mit 21 erwachsen, aber zur Bundeswehr und Autofahren durfte man damals auch schon mit 18. Was wiederum fürs Wählen nicht galt; da musste man Abwarten, bis man 3 x 7 Jahre alt war. Damit habe ich jetzt auch das Problem angesprochen, was uns danach beschäftigte. Nach den Gepflogenheiten der 50er- beziehungsweise 60er-Jahre hatten wir den Grundstein für eine Mussehe gelegt. Wenn ein Kind zur Welt kommt muss es einen Vater haben und in Folge dessen muss halt der Erzeuger des Kindes die werdende Mutter heiraten. Aber wir durften ja noch gar nicht. Ich auf keinen Fall und Elke nur mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten und des Vormundschaftsgericht. Das ging bei Frauen mit 16 und bei den Männern erst mit 18. Normal konnte man das, wie geschrieben, erst mit 21. Ja, da galt es jetzt eine Menge Probleme zu lösen. Ganz ohne Zweifel musste unser Kind erst einmal unehelich zur Welt kommen. Der berechnete Geburtstermin sollte Mitte Mai sein und ich würde erst am 12. Juni das 18. Lebensjahr vollendet haben. Mutti hatte schon auf dem Kalender nachgeschaut: Mein Geburtstag fiel 1964 auf einen Freitag. An einem solchen Tag sind die Standesämter auf und man kann heiraten. Wo sollte denn jetzt der Wohnsitz des Paares sein? Zwischen Nachrodt-Wiblingwerde und Geismar, im Kreis Frankenberg/Eder, liegen
immerhin etwas mehr als 130 Kilometer. Der Eine hier und die Andere da, dass ist doch kein Zustand für ein Ehepaar; auch nicht für ein Kinderpaar so wie wir. So dachten jedenfalls Elkes und meine Eltern. Elke wollte gerne in Geismar bleiben und mich würde es freuen, wenn ich dahin könnte. Karl Remmel fand das auch gut, denn dann könnte sich sein Klärchen, also richtig gesagt Klara, sowohl noch weiter um die Tochter wie um das Enkelkind kümmern. Platz habe er auch, denn im 1. Stock des Hofes könne er für das junge Paar eine Wohnung herrichten. Nur Mutti war von der ganzen Sache nicht so begeistert, die hätte es lieber umgekehrt gesehen. Problematischer waren die Angelegenheiten mit unseren Ausbildungen. Elke hatte inzwischen zwei Jahre Ausbildung zur Einzelhandels-Kauffrau hinter sich aber aus dem letzten Jahr würde wohl nichts mehr werden. Aber, es war die einhellige Meinung des Elternrates, dass so etwas bei einer verheirateten Frau nicht so schlimm sei; die hat ja ihren Mann. Aber der muss auch erst mal was sein. Den Besuch der Oberstufe des BurgstadtGymnasiums konnte ich mir jetzt ja wohl abschminken. Für mich musste im Kreis Frankenberg was adäquates gefunden werden. Na, ich kann es an dieser Stelle schon mal vorab sagen: Ich bekam eine Ausbildungsstelle zum Industriekaufmann direkt in Frankenberg. Zum 1. April 1964 konnte ich dort anfangen. Da ich ja im Juni 18 wurde wollte mir Ingo Führerschein und wenn ich den habe auch einen Gebrauchten, möglicherweise einen VWKäfer spendieren. Damit hätte ich dann auch keine Probleme um zwischen Geismar und Frankenberg hin- und herzukutschen. Soweit war alles klar, ich musste nur noch meine Realschulausbildung beenden. Vor den Herbstferien hatte niemand in der Schule von meinem „Glück“ erfahren und so fuhr ich aus der Sicht meiner Mitschüler in die Herbstferien als sei nichts gewesen. Da gab es dann schon bei meiner Ankunft eine tiefgreifende Änderung: Ich wurde nicht wie gewohnt bei den Waymanns sondern bei den Remmels einquartiert. Erstmalig musste ich mir das Bett mit meiner Verlobten teilen. Halt, noch war sie es ja nicht; wir mussten erst einmal Verlobung feiern. Dieses taten wir dann allerdings auch. Meistens ist es in deutschen Landen der Brauch, das am Vorabend der Hochzeit gepoltert wird – in Geismar, und wohl im ganzen Waldecker Raum, ist das der Brauch am Vorabend beziehungsweise zur Verlobung. Aber woher sollte ich, der gebürtige Sauerländer, das wissen? Während meinen früheren Besuchen bei Onkel Hans war mir nie eine Verlobung unterlaufen, zumindestens wissentlich nicht. Da kann man sich vorstellen wie ich ausrastete als die komplette Jugend- und Jungmännermannschaft aus dem Dorf da schubkarrenweise mit Poltermaterial auf dem Remmelhof erschien loslegte. Und dafür mussten wir die Massen auch noch mit Schnaps beköstigen während Elke und ich den gesamten Scherbenhaufen auch noch auffegen und beseitigen mussten. Weil es jedoch Elke offensichtlich freute und sie mich mit „Komm, sei doch kein typischer Städter“ zum Mitmachen aufforderte machte ich gute Miene zum bösen Spiel und handelte auch wie von mir gefordert mit. Danach habe ich mir, wieder einmal erstmalig in meinem Leben zwei oder drei Schnäpse reingezogen, was dann bei mir einen großen Katzenjammer auslöste. Das Poltern kam mir vor wie Totenglocken, die zur Beerdigung meiner Jugend, die noch gar nicht stattgefunden hatte, läuteten. Ich musste daran denken, wie erwachsene Männer auf Familienfeiern oder anderen Anlässen prahlten, was sie in ihrer Jugendzeit für Weiberhelden waren. Und ich? Ich habe es nur mit einer gehabt und der muss ich wohl, wenn es mir nicht wie meinen Vater gehen soll, treu sein und bleiben. Nur eine und sonst keine. Auf jeden Fall hatte das Ganze mit einem „flotten Vierer“, bei dem ich der einzigste Mann war, begonnen. Wer kann so etwas schon vorweisen? Aber was habe ich davon, wenn andere mit ihren Abenteuer renommieren, kann ich das wohl kaum bringen. Ich kann doch nicht sagen, dass ich meine Frau eigentlich erst beim Gruppensex richtig habe kennen gelernt. Natürlich habe ich diesen Punkt auf meiner Verlobung nicht vorgetragen, auch beim Katzenjammer nicht. Das wäre mir in Anwesenheit von Remmels, die ich wohl ab diesen Tag als meine Schwiegereltern bezeichnen kann, und meiner Eltern sowie auch Elkes schlecht bekommen. Ich fing also nicht davon an, aber Anna. Immer wenn sie mich allein erwischte frotzelte sie mich mit diesem Schandfleck, an dem sie beteiligt war. Das tat sie auch später ab und zu noch mal aber so hart wie am Verlobungstag hat es mich allerdings nie mehr getroffen. Aufgrund der auf mich eingeschlagenen neuen Eindrücke ist mir diese Verlobung so plastisch in Erinnerung geblieben; auch nach diesen nunmehr 40 Jahren. Ansonsten ist von jenen Herbstferien nicht viel geblieben. Nur, dass ich doch auf irgendeine Art richtig stolz wurde, ist auch noch haften geblieben. Voller Stolz trug ich meinen Ring am entsprechenden Finger der linken Hand und zwar immer so, dass Andere es auch sehen konnten. Dieses natürlich auch unmittelbar nach den Ferien in der Schule. Ich war der erste Verlobte in unserer Klasse und als man mich auf meine Beringtheit ansprach, habe ich auch gleich gestanden, dass ich Vater würde. Jetzt bekam meine Aussage, dass ich in den Sommerferien die große Liebe erfahren hätte, für meine Mitschüler einen ganz anderen Klang. Aber im Gegensatz zu meinen Erwartungen wurde ich damit ganz schön hoch genommen. Die böseste Aussage lautete: „Andere machen Urlaub und unser ‚kleine Kleiner’ macht Bauerntrampel zu Müttern.“. Aber meiner Mutter haben Leute aus unserer Umgebung auch ganz schön zugesetzt, indem sie ihr sagten, dass ich wohl ganz auf meinen Vater, von dem nach der Scheidung inzwischen zwei Liebschaften mit mannstollen Frauen bekannt geworden waren, käme. Mehr und mehr war mir dann auch bewusst, dass ich in Wirklichkeit keine Heldentat vollbracht hatte.
Weihnachten 1963 bekam ich dann ein ganz großes Problem: Ich wusste nicht wo ich hingehörte. Es war doch immer so wunderschön: Weihnachten mit meiner Mutter. Wenn ich daran denke, werden heute noch meine Augen feucht. Und da war jetzt eine Verlobte, die, wenn ich ein Jahr älter gewesen wäre, bestimmt schon meine Frau gewesen wäre. War ich nicht verpflichtet mit ihr zu feiern? Die Weihnachtsfeiern zusammenlegen ging ja auch nicht. In Geismar gab es ja neben Elke und deren Eltern auch noch Anna und auch das Vieh muss auch an diesen Tagen versorgt werden. Und ohne ihre Eltern mochte Elke auch keine Weihnachten feiern. Auch im Hause Frank gab es Probleme. Ich habe bis jetzt meine beiden Stiefbrüder noch nicht erwähnt. Diese waren oder sind immer noch Björn, 20 Jahre und Betriebswirtschaftsstudent, und Heiko, 21 Jahre und im letzten Ausbildungsjahr, anschließend will er sich an der Ingenieurschule Iserlohn zum Elektroingenieur ausbilden lassen. Ja, die wollten natürlich zuhause mit ihrem Vater feiern und Mutti gehörte halt zu ihren Mann. Auf Anraten meiner Mutter entschied ich mich mit teils schwerem Herzen für Geismar. Weihnachten war dann mein letzter Besuch in Geismar. Nein, nein, da war es nicht schon wieder aus. Aber als ich im März 1964 gen Geismar zog wurde dieses Dörfchen ja mein Zuhause. Ab da konnte ich wohl in umgekehrter Richtung von Besuch sprechen. Da bezog ich dann mit Elke unsere „eheliche“ Wohnung auf dem Remmelhof. Irgendwie war es doch schön und wir beide waren glücklich. Nur zu Anna, meiner Schwägerin, wurde mein Verhältnis immer schlechter. Sie mischte sich in alles ein und trat auch offensiv sexuell an mich heran. Auf irgendeine Weise konnte ich jetzt das Dreiecksverhältnis zwischen Mutti, Tante Herta und meinem Vater irgendwo nachvollziehen. Mein Verhältnis zu Anna wurde erst zwei Jahre später, als sie einen größeren Landwirt aus Viermünden heiratete und dann dort auf dem Hof die Jungbäuerin war wieder besser. Vorher jedoch hätte ich sie öfters gerne zum Teufel geschossen aber mein schlechtes Gewissen hinsichtlich des Beginns meiner Liebe zu Elke hielt mich davon ab. Ich glaube es wäre jetzt müßig, wenn ich von meiner Lehre erzählen würde. Sie begann an jenem Tag als auch das Zweite Deutsche Fernsehen ZDF mit seinem Programm begann. Dieses Datum nebst dem Ereignis ist mir auch hängen geblieben weil wir just an diesem Tage den Fernseher, den uns Mutti geschenkt hatte, geliefert bekamen. Aber was soll ich sonst noch von meiner Lehre erzählen. Ich fuhr morgens, die ersten drei Monate mit dem Fahrrad und dann mit dem VW-Käfer, den mir Ingo versprochen hatte, nach Frankenberg zu meiner Lehrstelle und kam am Abend auf die gleiche Weise zurück. Und zwischendurch habe ich halt gelernt und gearbeitet, wie das halt so ist, wenn man Industriekaufmann werden will. Ich habe mich von anderen Lehrlingen, damals sagte man noch nicht Auszubildender beziehungsweise das kam zu jener Zeit erst neu auf, nur dadurch unterschieden, dass ich ein verheirateter Vater war. Aber was soll’s, heutzutage soll es so etwas sogar öfters geben. Der nächste große Tag, der einen festen Platz in meinem Gedächtnis hat, ist der 12. Mai 1964. An diesem Tag, es war ein Mittwoch, wurde unsere Tochter Katja geboren. Elkes Arzt war der Meinung, dass unser Baby am 10. Mai, also schon zwei Tage vorher, hätte zur Welt kommen müssen. Aber wir sollten uns nicht auf diesen 10. versteifen, denn ein paar Tage eher oder später wäre kein „Beinbruch“. Na, wenn ich mich richtig erinnere hatte ich schon die ganze Woche vor dem besagten Tag ein recht unruhiges Gefühlsleben. Als dann das Plandatum auf dem Kalender stand, war es bei mir vorbei. Ich wollte erst gar nicht zur Arbeit gehen. Klärchen Remmel, meine Schwiegermutter in spe, und Elke aber auch Anna mussten besänftigend auf den werdenden Vater einreden und ihm erklären, dass eine Geburt die normalste Sache der Welt sei. Wenn etwas wäre, würden sie mich sofort informieren. Den ganzen Tag starrte ich das Telefon auf meinem Arbeitsplatz an und war, wenn es wirklich schellte, enttäuscht, dass es sich um keinen mir geltenden Anruf aus Geismar handelte. Ich dachte auch immer darüber nach ob es nicht zu spät sei, wenn der Anruf käme, denn weder auf dem Remmel- noch auf dem Waymannhof gab es ein Telefon. Selbst die Festnetztelefone waren in den 60er-Jahren noch kein Haushaltsstandard und Handys gab es damals erst recht noch nicht. Aber nichts passierte an diesem 10. Mai und am nächsten Tag gab’s noch einmal das gleiche Spielchen. Am Mittwoch gab es dann noch eine Steigerung im Kampf mit meinen eigenen Nerven. Ich hatte Berufsschule und da steht bekanntlich kein Telefon auf dem Tisch. Na, meine Schwiegermutter schaffte es auch an diesem Tag mich dann doch auf den Weg zu schicken. Und dann, als ich nach Hause kam, war weder meine Zukünftige noch meine Schwiegermutter da. Unser Nachbar, Onkel Hans, hatte sie nach Frankenberg ins Krankenhaus gebracht. Es war losgegangen während ich mir kaufmännische Wissen zu Gemüte führen musste. Ich weiß es heute zwar nicht mehr aber ich nehme mal an, dass damals der komplette Unterrichtstoff an mir nutzlos vorüber gezogen ist. Natürlich bin ich dann wie der Blitz auf den Nachbarhof gerast und habe Onkel Hans damit überfallen, dass er mich auch dahin bringen solle, wo er die Frauen zuvor schon hingebracht hatte. Na ja, der ließ sich nicht lumpen und brachte mich dann auch ins Krankenhaus. Dort erlebte ich dann zwei Stunden, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen. Ich musste doch vor dem Kreißsaal „geduldig“ der Dinge harren, die sich darin abspielten. Zum Glück hatte ich die werdende Oma zur Seite, die alles darum gab, mich vor den Nervenzusammenbruch zu bewahren. Ja, so war es damals. Der
Kreißsaal war ein heiliger Raum, den neben werdenden Müttern nur Ärzte, Hebammen und Schwestern betreten durften. Für werdende Omas und Väter war der Raum tabu. Das hat sich erst in den 80er-Jahren geändert. Aber auch nicht von Heute auf Morgen, da musste man vorher schon zur Sicherheit nachfragen ob auch Väter zugelassen seien. Endlich, nach dem Ewigkeitszeitraum öffnete sich eine Tür und heraus kam eine Schwester, ging auf mich zu und sprach: „Gratuliere Herr Remmel, es ist ein Mädchen.“. Das sie vom Nachnamen der Mutter auf den des Vaters geschlossen hatte, nahm ich ihr in meinem Glück noch nicht einmal übel. Woher sollte sie auch wissen, dass wir erst genau einen Monat später den staatlichen und kirchlichen Segen zu unserer Partnerschaft erhalten würden. Wo ich gerade bei den Namen bin kann ich ja gleich von dem Drama mit Katjas Nachnamen erzählen. Der Mann vom Amt ließ sich nicht beirren. Katja war unehelich zur Welt gekommen und uneheliche Kinder erhalten den Namen der Mutter. Also hieß unsere Tochter Katja Remmel. Nun, das ließ ich mir ja dann auch noch gefallen. Warum es aber einen Monat später einen Riesenverwaltungsaufwand gab, damit Katja auch wie ihre Eltern Kleiner hieß, kann ich bis zum heutigen Tag nicht nachvollziehen. Aber wie sagen die beamteten Rathausstuhlbeleger immer: Es muss ja alles seine Ordnung haben, auch wenn dank Krümelzählerei alles zusammenbricht. Von allen, Unternehmer, Freiberufler und Arbeitnehmer, verlangt man Flexibilität, nur den Beamten ist dieses verboten. Aber warum sollte ich weinen; zirka drei Wochen nach unserer Hochzeit hieß auch unsere Tochter so wie wir beide Kleiner. Wo ich in meiner Erzählung so galopp vorspringe, kann ich ja gleich dabei bleiben, denn an Katjas Geburtstag war ich im wahrsten Sinne des Wortes so besoffen vor Glück, das ich schon einen Monat später keine Details aus meinen Erinnerungen zitieren konnte und jetzt, 40 Jahre später, geht das folglich erst recht nicht. Also kommen wir zu meinem Geburts- und Hochzeitstag. Schrauben Sie aber bitte auch hier die Erwartungen nicht zu hoch, denn im Großen und Ganzen kann ich den 12. Juni 1964, dem Tag, als Nelson Mandela in Südafrika zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, unter dem Stichwort „Black Out“ abhaken. Woher ich das mit Nelson Mandela noch weiß? Na, achten Sie auf ihrem Geburtstag nicht auch auf bestimmte Chroniken aus denen Sie erfahren was an diesem so alles Tag los war? Aber zurück zu meinem 18. Geburtstag und unserem Hochzeitstag oder noch besser: Zurück auf einen Tag davor. Da stand die männliche Dorfjugend bei mir auf der Matte und wollten mit mir den Junggesellenabschied feiern, einmal in der einen und einmal in der anderen Kneipe. Ja, das ist eigentlich alles was ich noch von diesem Zug durchs Dorf weiß, denn ich hatte meine Alkoholverträglichkeit immer noch nicht wesentlich steigern können. Man erzählt, dass man mich auf einer Schubkarre heimgefahren hätte aber ob das stimmt, kann ich bei größter Bemühung nicht aus eigenen Erinnerungen bestätigen. Damit ich Standesamt und Kirche nicht verpasste hat mich mein Schwiegervater kalten Duschen aus Wassereimer ausgesetzt. Was uns der Standesbeamte und der Pastor empfohlen hatten ist mir eigentlich unbekannt geblieben. Man erzählt, dass ich dann beim Kaffeetrinken noch mal zu einer Flasche Bier und einem Pinchen Schnaps gegriffen hätte und dann habe man mich zwecks Rausch ausschlafen ins Bett gelegt. Das war dann wirklich eine tolle Hochzeitsnacht: Der Frischgetraute hat sie vollkommen durchgeschnarcht. Erst zwei Tage drauf, am Sonntag, war ich erst wieder richtig in der Welt. Ich glaube, dass es niemand wundert, dass ich also meinen ersten großen Ehekrach bereits am Hochzeitstage hatte und das der sich auch über das ganze Wochenende auf hohen Niveau hielt. Was heißt hier Ehekrach; meine Mutter, meine Schwiegereltern sowie meine Schwägerin ließen kein gutes Haar an mir. Ausschließlich Ingo hielt sich diskret reserviert aber trotzdem fand auch er mein „Verhalten“ nicht gut, was er mir selbstverständlich auch gesagt hat. Aber auch meine bessere Hälfte musste Federn lassen, und zwar immer dann, wenn von so etwas wie „Wenn Kinder Kinder kriegen“ fiel. Nun ja, heute gebe ich zu, dass wir viel zu jung waren. Aber was nutzt die späte Einsicht, Katja konnten wir ja nicht wieder zurück zurückschicken. Ja, nach dem turbulenten Auftakt normalisierte und harmonisierte sich alles wieder. Während meiner Lehrzeit gab es dann keine besonderen Highlights, die man hier erzählen könnte, mehr. Elke und ich waren mit unserer kleinen Tochter glücklich, sogar sehr glücklich. Aus mir wurde auch immer mehr ein richtiger Dörfler. Man kann sagen, dass aus mir gleichzeitig ein Industriekaufmann und Nebenerwerbsbauer wurde. Bei den samstäglichen Ausschweifung war ich auch nicht mehr mit von der Partie. Das war ja ein Privileg der Jugend und der Junggesellen und zu beiden Gruppen habe ich ja auch vorzeitig nicht mehr gehört. Wenn ich nicht gerade auf meiner Lehrstelle war trat die Jungbauernfamilie Kleiner immer gemeinsam auf. Wir hatten schon bald den Ruf eines Musterpaares. In dieser Zeit kam ich auch zu Trauzeugenehren. Anna, die 1966 heiratete, hatte mich doch tatsächlich zu ihren Trauzeugen erkoren. Unter vier Augen und diesmal im freundlichen Ton erinnert sie mich dann letztmalig daran, wie anno 1963 alles begonnen hatte. So wie sie es sagte, klang es so, als hätten wir jetzt endgültig Frieden geschlossen – was sich ja auch im Nachhinein bewahrheitete. Nach Annas Auszug bekamen wir noch eine Wohnungserweiterung und so bekam unsere Katja bereits im zarten Alter von zwei Jahren ihr eigenes Kinderzimmer. Rundherum kann man sagen, dass alles stimmig war. So hätte es ein Leben lang bleiben können. Aber wo gibt es so was schon?
Im Frühjahr 1967 bestand ich meine Lehrabschlussprüfung und am 12. Juni des gleichen Jahres war ich dann auch von Gesetzes wegen ein ganz normaler Erwachsener. Und damit sollte die schöne Zeit erst einmal zuende gehen. So eine komische Behörde schickte mir ein nettes Schreiben, dass ich mich doch zum 2. Oktober in Hildesheim zu meinem 18-monatigen Dienst fürs Vaterland einfinden sollte. Das ich verheiratet war und eine Tochter hatte, hatte die Shanghaier in bundesdeutschen Diensten kalt gelassen. Heute bin ich ein auf ganzer Linie überzeugter Pazifist und kann gar nicht mehr nachvollziehen, warum ich überhaupt zu dem Haufen gegangen bin. Nur eine Kriegsdienstverweigerung wäre aus meiner heutigen Sicht richtig gewesen. Ich kann es eigentlich nur unter der Überschrift „Ich war halt zu jung um ...“ abhaken. In den letzten drei Jahren schraubte ich mich zu einem privaten Höhenflug auf und jetzt sollte der Punkt, an dem ich mal wieder derbe abstürzte, kommen. Aber lassen Sie mich dazu gleich erst einmal ein neues Kapitel auflegen.
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Im grauen Kostüm ins Unglück Je näher im Jahre 1967 der 2. Oktober rückte um so mehr gingen Elkes und meine Gefühle auseinander. Elke wurde zunehmend trauriger und begründete mir gegenüber dieses damit, dass sie das Gefühl habe, das der Bund – gemeint ist hier die Bundeswehr – uns trennen würde und das wir uns dadurch verlieren könnten. Ich erlaubt mir dann immer zu scherzen, dass sich der 3. Weltkrieg inzwischen 22 Jahre nicht zum Ausbruch geneigt gefühlt habe und dass er dieses wohl nun nicht gerade in der Zeit, wo ich 18 Monate lang „meinen Dienst“ schiebe, tun würde. Und ich Riesendepp freute mich damals sogar noch darauf in so ein graues Kostüm gesteckt zu werden. Na ja, ich muss immer wieder sagen, dass ich, wie auch bei den vorausgegangenen Ereignissen, viel zu jung und unreif für die Geschichte war. Aber trifft das nicht auch auf alle anderen auch zu? Wer ist denn tatsächlich im Alter zwischen 18 und ... na sagen wir 25 so reif, dass ihm bis in die letzte Facette die Tragweite von Kriegsdienst oder nicht bewusst ist? Damals hätte ich es bei der Entscheidung Kriegsdienst oder Verweigerung allerdings leichter als heutige Jugendliche gehabt. Heute ist es ja so, dass die Politiker im großen Chor den Kriegsdienst als Edelleistung propagieren um sich damit das Potential für den Fall ihres Versagens – Krieg ist immer ein Totalversagen der Politik – bereitzustellen und –zuhalten. Die Gegenstimmen, die aus Kirchen, religiösen Gemeinschaften und der Friedensbewegung kommen, klingen heutzutage ganz, ganz leise. Das war anno 1967 aber vollkommen anders. In Vietnam tobte ein schmutziger Krieg, der uns über Tagesschaubilder ins Haus geliefert wurde. Im Bundestag ging es um die Notstandsgesetze, die die große Koalition, bestehend aus CDU, CSU und SPD unter Kanzler Kiesinger und Vizekanzler Brand letztendlich durchsetzte. Was sollte dagegen schon eine Miniopposition, bestehend aus einer Hand voll FDPler schon ausrichten? Und außerdem ist ja die FDP nicht gerade eine pazifistische Partei. Damals gab es schon eine breite und sehr lautstarke außerparlamentarische Opposition, die sich selbst kurz APO nannte, durch die auch die Stimmen der Kriegsgegner laut wurden. Aber ich will mal ganz ehrlich sein: Damals interessierte ich mich beim besten Willen nicht für diese Dinge, ich war halt ein junger dörfischer Kleinbürger. So kam es dann, dass ich am Nachmittag des 2. Oktober 1967, einem Montag, mit einem Sammeltransport, sprich mit einem Sonderzug, in Hildesheim eintraf. Normal bin ich gar nicht so erstklassig in der Wiedergabe lange zurück liegender Daten. In diesem Fall habe ich jedoch eine Reihe Eckpunkte, die mir die Erinnerung erleichtern. Erst mal war es das Jahr in dem ich auch nach damaligen Recht ein Erwachsener geworden bin; ich hatte also das 21. Lebensjahr vollendet. 46, mein Geburtsjahr, plus 21 Lebensjahre sind halt 67. Dann kann ich mich noch gut daran erinnern, dass der normale Grundwehrdienst immer 18 Monate dauerte, also doppelt so lang wie heute, und, in diesem Fall wichtig, immer zu den Quartalsanfängen begann. Da die Weihnachtsdienstbefreiung zum Ende meiner 3-monatigen Grundausbildung eine bedeutende Rolle in meiner Lebensgeschichte spielt – Sie werden es gleich lesen – kann meine Einberufung also nur zum vierten Quartal, das bekanntlich am 1. Oktober beginnt, erfolgt sein. Letztlich ist es aus meinem Gedächtnis nicht verschwunden, dass ich damals einen Tag später antreten konnte, weil der erste Tag auf einen Sonntag, an dem ich noch einmal mit Elke sehr, sehr glücklich war, fiel. Das dieses Sonntagsglück auch eine besondere Bedeutung hat werden Sie im Verlauf dieser Geschichte auch noch erfahren. An jenem 2. Oktober begann die, aus meiner heutigen Sichtweise, nutzloseste Zeit meines Lebens. Sie hat bei mir persönlich viel zerstört und nichts gebracht. Was kann man denn mit so einem zackigen Tamtam schon anfangen außer bundesdeutsches Glanz und Gloria zu präsentieren? Dienen diese blödsinnigen Exerzierübungen etwa dem Zweck den freien Willen des Individuums zu brechen und ihn auf Gedeih und Verderb in die Herde einzuordnen? Was sollte das Gegröle von Durchhalteliedern während man im Gleichschritt durch die Gegend stampft und trampelt? Was sollte das zackige und doch widernatürliche Grüßen von bekannten und unbekannten dienstgradhöheren Grau-Kostüm-Trägern? Aber was soll’s, für mich, dem Panzerschützen Dieter Kleiner, gab es diese Grußmätzen ohnehin nur auf dem Gelände der Gallwitz-Kaserne. Wenn ich in Zivil bin weiß ja kein mir entgegen kommender Offizier oder Unteroffizier, dass ich derzeitig auch zwangsverpflichteter Weise zu dem Haufen gehöre. Und falls derjenige, der mir entgegen kommt, mich kennt, ist es auch bei den Angehörigen des grauen Haufens üblich, dass man sich wie ein normaler Mensch, zum Beispiel mit „Guten Tag“ grüßt. Außerhalb der Kaserne hat man mich nie im grauen Kostüm gesehen; ein Arbeiter geht ja auch nicht im Blaumann spazieren und eine Krankenschwester hüpft ja auch nicht im Karboldirndl zum Tanz. Erst durften wir ja nicht in Uniform vom Gelände schwärmen, wir mussten erst auf so eine splinige Grußabnahme warten. Und danach hatte ich den Durchblick und wollte auch nicht mehr. Nun, das Exerzieren ist ja nicht das A und O des Militärdienste. Da scheint doch Waffen- und Schießkunde beziehungsweise die entsprechenden Abknallübungen eine höhere Bedeutung zu haben. Irgendwie scheint mir Tucholsky mit seinem berühmten Spruch, der später in der Ära des großen Kohl eine berühmte Rolle spielte, doch irgendwo nahe an die Wahrheit gekommen zu sein. Wurde ich nicht zum Töten von Menschen ausgebildet?
Nun ja, damit es einem nicht so schwer fällt wird nicht von Menschen sondern von Feinden gesprochen – und geht der Schuss mal nach hinten los, dann hat man auch keinen Menschen getötet sondern im neuerlichen NatoJargon, seit der Zeit des Kosovokrieges, ein Kolalateralschaden angerichtet. Es kommt also immer darauf an, wie man es ausdrückt. Töten und Töten sind in den Köpfen der Zurechtinterpretierer noch lange nicht das Gleiche. Paradoxer Weise haben diejenigen, die ich auf Befehl meiner Vorgesetzten umlegen soll den genau umgekehrten Befehl erhalten. Aus diesem Grund bläute man uns damals den dummen Spruch „Wer schneller schießt und besser trifft lebt länger“ ein. So ein Blödsinn fand man damals auch in der ZDV (Zentralen Dienst-Vorschrift) aber Jesus-Aussagen wie „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen“ sucht man darin vergeblich. Nun, Krieg findet nicht im Saal oder auf dem Sportplatz statt und deshalb musste man hinaus ins Gelände um das Kriegsspiel zu üben. Für uns hieß das, dass wir bepackt wie ein Maultier, hinaus auf den Osterberg, dem Truppenübungsplatz, trotten mussten. Da durften wir dann auch auf Befehl im Schlamm suhlen. Unseren Säuen zuhause in Geismar hätte das vielleicht Spaß gemacht, aber mir beim besten Willen nicht. Als das Schlimmste bei der Kriegsspielerei fand ich ja immer, dass man das ganze Zeug, was man wider Willen verdrecken musste, anschließend auch wieder sauber machen musste. Insbesondere das Reinigen der G3 genannte Flinte brachte mich mit meinen enormen technischen Kenntnissen immer ins Rotieren. Zum Zwecke der Säuberung musste das Schießeisen immer auseinander genommen werden und ich habe immer wieder verschusselt wie es sich schnell und einfach wieder zusammensetzen lässt. Ich hatte und habe halt kein rechtes Verständnis für die Braut des Soldaten. Dann gab es da noch die Sportausbildung, der einzigsten Sache der ich beim Bund einen Sinn nachsagen konnte. Aber dass man da so hart gefordert wird war auch nicht nach meinem Geschmack. Ich war in meinem jungen Leben nie der sportlichste Typ gewesen.. Die Noten in Sport und in Musik haben mir immer das ganze Zeugnis versaut. Normalerweise stand bei mir hinter jedem Fach „gut“ und wenn da mal nicht „gut“ stand, dann war es „sehr gut“. Aber sowohl im Sport wie bei der Musik waren meine Standardnoten „ausreichend“ und nur ausnahmsweise, wenn ich mal ein Glückshalbjahr hatte, stand da „befriedigend“. Letzteres war auch in meinem Abschlusszeugnis der Fall, wo ich es aber auf die wohlwollende Meinung der Lehrer, dass man mir nicht mit Musik und Sport das schöne Zeugnis versauen wollte, zurückführe. Und jetzt beim Bund wurde von mir Sport im Höchstmaße gefordert. Da habe ich so manches Mal schlapp gemacht und mir insgeheim gewünscht daheim bei meiner Elke und meiner Tochter Katja zu sein. Aber nicht nur beim Sport machte ich regelmäßig schlapp sondern dieses Unglück traf mich auch bei den Märschen. Abgesehen davon konnte ich grundsätzlich, wenn Marsch auf dem Dienstplan gestand hatte, über einen angelaufen Wolf und Blasen klagen. Meine diesbezügliche Kondition brachte meine sogenannten Ausbilder auf den Gedanken nachzufragen ob ich Sani werden wollte. Irgendwie herrscht unter den Leuten aus den sogenannten Kampfeinheiten immer die Vorstellung als bestände die Aufgabe von Jenseitsmechanikern darin in Fahrzeugen, auf denen ein rotes Kreuz auf weißen Grund ist, hinter Angehörigen der nationalen Elite herzugondeln. Überhaupt merkte ich beim Bund, dass man sich selbst immer als den Topptruppenteil ansah und die anderen als ... . Na ja, was?. Pioniere galten bei uns in den Reihen der Panzerschützen als Leute die nichts im Kopf aber dafür viel in den Armen haben. Luftwaffenangehörige waren für uns die Schlipssoldaten, für die die Kriege ins Casino verlegt werden müsste. Und so weiter und so fort. Ich schreibe jetzt so negativ von der Angelegenheit, wie ich es damals empfunden habe. Trotzdem bitte ich mich nicht falsch zu verstehen: Meine heutige pazifistische Einstellung rührt nicht aus meinen schlechten persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, her sondern beruhen auf meiner heutigen Weltanschauung und Überzeugung. Was ich hier nur ausführlich darstellen wollte, ist die Tatsache, dass es mir damals ganz und gar nicht gefallen hat und ich habe auch fast alles, bis auf das, was ich gerade schilderte, aus meinem Gedächtnis verdrängt. Ich muss schon intensiv überlegen, wie oft ich während meiner Grundausbildung überhaupt zu Hause war. Also, ich habe wirklich das Gefühl, dass es nur zwei oder höchstens drei Mal war. Als ich das erste Mal heim durfte habe ich mir meinen Käfer nach Hildesheim geholt. Den musste ich dann durch so eine Art TÜVPrüfung durch den Technischen Offizier bringen, damit ich überhaupt auf dem Kasernenhof parken durfte. Auch dieses ist eines der wenigen Details, die sich in meinen Erinnerungen über die Jahre gerettet haben. Auch der Tag, der mein Leben grundlegend ändern sollte, ist mir nur schleierhaft im Gedächtnis geblieben. Die Grundausbildung war gelaufen und bei mir stand fest, dass ich nach dem Jahreswechsel von 67 auf 68 zu den Sanis wechseln sollte. Mir war auch bekannt, dass man mich auf einen entsprechenden Lehrgang nach Bückeburg in die Jägerkaserne, die zu jener Zeit als ChirLaz (Chirurgisches Lazarett) firmierte, schicken wollte. Aber erst mal bekamen die Verheirateten Weihnachtsdienstbefreiung und die Junggesellen Neujahrsdienstbefreiung. Einen Tag vor der Heimfahrt hatte es auf unserer Stube aus Anlass unserer beendeten Grundausbildung noch einen tollen Budenzauber gegeben. Ich war danach mal wieder, sagen wir es ruhig hochdeutsch: stockbesoffen. Den Vormittagsdienst, den wir noch absolvieren mussten, habe ich mit einem
richtigen Brummschädel versehen. Gegen Mittag kam noch so etwas unangenehmes wie Eisregen hinzu. Meinen Käfer hatte ich schon mit alle dem, was ich mit in die Dienstbefreiung nehmen wollte, bepackt. An diesem Tag wollte ich so schnell wie möglich vom „Acker reiten“. Da zu unserem letzten Dienst die Ausgehuniform vorgeschrieben war, blieb ich an diesem Tag, als erste und einzigste Ausnahme, auch für die Heimfahrt im grauen Kostüm. Praktisch saß ich innerhalb einer Minute nach Dienstschluss hinter dem Steuer meiner „Luftbüchse“ – der Käfer hatte einen luftgekühlten Motor – und rauschte davon. Ich war gerade auf der Steuerwalder Straße und beschleunigte als ich abrupt bremsen musste. Und dann ... Ja, da weiß ich heute nichts mehr von zu erzählen. Ich war wörtlich im grauen Kostüm ins Unglück gefahren. Was von meinem Käfer übrig geblieben war landete auf den Schrottplatz, was von mir übrig war kam ins Städtische Krankenhaus nach Hildesheim und mein Führerschein nach Flensburg. Der Restalkoholpegel betrug immerhin noch 1,3 Promille. Zum Glück war außer mir und meinem Käfer niemanden und keiner anderen Sache, außer dem Straßenbelag, etwas passiert, ich hatte ja nur mit meinem Käferchen den dreifachen Salto Mortale geübt – und das fast gradlinig der Straße entlang. Ja, ich kann es gleich vorab verraten, dass ich mir mit der Eile, die ich an den Tag legte, „nur“ schlappe sieben Monate Krankenhausruhe eingehandelt habe. Die ersten beiden Monate sah es gar nicht gut um mein irdisches Dasein aus. Die erste Woche, also Weihnachten, habe ich im Koma verbracht und anschließend hatte ich gehörige Schwierigkeiten meinen Denk- und Erinnerungsapparat einsetzen zu können. Ich muss damals wohl arg gelitten haben, wovon ich heute so gut wie nichts mehr weiß. Diesen sehr bösen Abschnitt meines Lebens habe ich ganz offensichtlich ganz bewusst verdrängt, was ich allerdings für gut halte. Eigentlich ist es ein Wunder, wie wenig äußerlich bei mir von diesem Unfall zurück geblieben ist. Mein linkes Bein ist steif, auf dem Bauch habe ich eine große Narbe und am Kopf eine kleine. Deutlich schwerwiegender wie die äußerlichen Verletzungen waren die inneren. Aber verlangen Sie jetzt nicht mehr von mir, dass ich Ihnen darüber referiere, denn ich habe, wie ich schon soeben erwähnte, alles verdrängt und ich spüre auch kein Verlangen mich an die Dinge zwischen Leben und Tod erinnern zu wollen. In der ersten Zeit haben mich Elke und Katja, die mal mit Onkel Hans und mal mit meinem Schwiegervater kamen, Woche für Woche besucht; genauso wie meine Eltern. Während meine Eltern sich während der ganzen Zeit, wo ich im Krankenhaus lag, auf die über 300 Kilometer lange Strecke von Nachrodt-Wiblingwerde nach Hildesheim machten, wurden Elkes Besuche immer seltener. Sie kam mir zunehmend distanzierter vor. Immer wenn ich sie fragte ob sie was hätte, ob sie etwas belaste, bekam ich immer nur ein kurzes „Nein“ zur Antwort und dann wich sie auf ein anderes Thema aus. Als sie mich zu Ostern besuchte kam sie erstmals ohne Katja und danach kam sie nur noch ganze zwei Mal. Danach kam nur noch ein Brief von ihr, den ich als sehr widersprüchlich in Erinnerung habe. Die Wortwahl war freundlich und der Inhalt las sich sehr lieb aber die Aussage war zerstörerisch. Elke teilte mir mit, dass sie mich nicht mehr liebe. Sie könnte aufgrund ihrer Jugend noch nicht einmal sagen ob sie mich überhaupt jemals geliebt habe. Das haute mich natürlich noch einmal vollendens um. Mein Zustand nahm, obwohl ich zuvor bereits auf dem Wege der Besserung war, erneut einen bedrohlichen Zustand an. Damals war der Lebenswille von mir gewichen; ich wollte einfach nicht mehr. Ich weiß, dass sich Elke aufgrund dieses Briefes im Nachhinein schweren Ärger eingehandelt hatte, denn es gab niemand der verstehen konnte, warum sie mir diesen zu diesem Zeitpunkt geschrieben hatte. Selbst ihre Eltern und meine Schwägerin konnten kein Verständnis für ihr Vorgehen aufbringen. Meine Mutter kam wieder auf das Thema, dass wir doch viel zu jung gewesen seien, zurück. Da musste sie sich aber entgegen halten lassen, dass sie einerseits noch jünger als wir war, als sie meinen Vater kennen lernte und andererseits war ihre Schwester deutlich älter wie wir als sie ihre Männer kennen lernte und trotz ihres Alters nicht vor Dummheiten verschont geblieben sei. Kann man solche Angelegenheiten überhaupt am Alter ausmachen? Ist man nicht zu erst zu jung „zum Zum“ und muss dann nicht anschließend die Ausrede, dass Alter nicht vor Torheit schützt, verwenden? Hatten Elke und ich nicht bis zu dem Tage, wo ich zum Bund musste und nichts dagegen unternahm, eine mustergültige Ehe geführt? Nun, meine Zeit beim Bund war ja durch meinen Unfall abgelaufen. Nach meiner Krankenhausentlassung würde ich nicht mehr kriegsdienstverwendungsfähig sein und vorzeitig das Liedchen „Parole heißt Heimat“ singen dürfen. Dann kann man ja wieder neu dort ansetzen wo es aufgehört hat und vielleicht wird doch noch alles gut. Darauf setzte ich jetzt alle Hoffnung, in die ich mich sogar richtig reinsteigerte. Das war für mich hinsichtlich meiner Gesundheit auch vom Besten. Die Hoffnung verlieb mir neuen Lebenswillen und es ging gesundheitlich wieder bergauf. Just in diesem Moment musste Elke zum zweiten, noch viel härteren Schlag ansetzen. Die Vorwürfe, die sie von allen Seiten einstecken musste, machte sie trotzig. Jetzt bediente sie sich einer Einrichtung, die man langläufig Telefon nennt. Vom Schreiben hatte sie abgesehen, da sie befürchtete, dass man jetzt aus schlechten Erfahrungen ihre Brief abfangen könnte. Sie rief dann im Städtischen Krankenhaus Hildesheim auf der Station Unfallchirurgie an und verlangte nach mir. Da es zur damaligen Zeit noch keine Telefone an jedem Bett gab musste man mich im Rollstuhl ins Schwesternzimmer holen. Es war just zu einer Zeit, die vom Pflegepersonal „Erbschleicher-Stunde“ genannt wurde. Zur damaligen Zeit konnte man ja nicht
nach Belieben kranke Angehörige vom Morgens bis Abends besuchen, da waren noch feste Zeiten an bestimmten Tagen angesetzt. Da durfte dann jeder, der noch mal schnell Erbschleichen wollte für zwei Stunden in die Krankenstuben vordringen. Elke hatte erklärt, dass ihr Anruf sehr wichtig sei und keinen Aufschub zuließe. Als ich dann am Telefon war machte sie es kurz und bündig. Sie sagte mir „nur“, dass sie sich in einem anderen Mann verliebt habe und nun von dem ein Kind erwarte. Dann legte sie, ohne das ich ihr etwas erwidern konnte, einfach auf. Ich soll vollkommen fertig gewesen und ausgerastet sein. Was da genau geschehen ist, kann ich heute nicht mehr schildern, denn erstens hat die Zeit und zweitens meine bewusste Verdrängung die Details aus meinen Speicher gelöscht. Mir ist heute nur noch bekannt, dass mein Theater das Aufsehen der Besucherscharen erregte und von einem Besucher dann der entscheidende Vorschlag, der dann auch aus dieser Krise in die endgültige Besserung führte, kam. Auf der Station lag ein sich im Ruhestand befindlicher evangelischer Pfarrer. Er war auf einem Fußgängerüberweg von einem angetrunkenen Autofahrer an- und überfahren worden. Sein Schwiegersohn, ebenfalls ein Pastor, machte den Vorschlag uns beide zusammenzulegen. Er war davon überzeugt, dass sein Schwiegervater sowohl von Berufs wegen wie auch aufgrund seiner menschlichen Art der Richtige, der mich aufbauen könne, sei. Andererseits wäre so etwas auch gut für seinen Schwiegervater, den es glücklich machen würde, helfen zu können. Der Besucher konnte den Stationsarzt überzeugen und wir wurden zusammen gelegt. Heute muss ich sagen, dass ich dem Pastor Neuperth sehr viel zu verdanken habe und ich ihn wohl nie vergessen werde. Er ermunterte mich immer wieder, dass ich mich richtig aussprechen solle. Dann war er aber ein sehr guter und stets aufmerksamer Zuhörer. Und was tat das gut, sich alles von der Seele reden zu können. Immer wenn ich mal wieder alles aus mich herausgeredet hatte, fühlte ich mich viel leichter und wohler. Da habe ich gelernt, dass nicht Ratschläge, Trost oder Verarbeitungsanalysen der Weg zur Heilung der Psyche sind sondern nur das Freisprechen befreit einen Menschen von psychischen Knacksen. Pastor Neuperth gab mir damals einen Rat, der mir auf meinem späteren Lebensweg oft geholfen hat: Er wies mich daraufhin, dass es ständig jemand gäbe, der einen geduldig, ohne Fragen und Ratschläge, zuhört: Unser aller Vater, Gott der Schöpfer. Im Gebet können wir ihm alles antragen was uns belastet. Das Gebet kann man mit dem Öffnen eines Fenster, wenn man sich in einem stickigen und muffigen Raum befindet, vergleichen. Nach dem Gebet fühlt man sich leichter und man kann wieder durchatmen. Pastor Neuperth merkte an, dass die meisten Leute ein Gebet mit dem Nachplappern von vorgefertigten Texten verwechseln. In der Bergpredigt heißt es aber: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört um ihrer vielen Worte willen.“. Ein Gebet ist aber ein befreiendes Gespräch mit unseren Schöpfer. Letztendlich war ich so befreit, dass ich mir weniger Gedanken über meine Sorgen als über Fragen des Glaubens machte. Alles Mögliche wollte ich von meinem Bettnachbarn wissen und bekam auch immer kompetente Antworten. Pastor Neuperth lehrte mich die Texte der Bibel nicht zusammenhanglos und dann wortwörtlich zunehmen. Gleiche Worte können, wenn man sie in unterschiedliche Zusammenhänge stellt, eine vollkommen entgegengesetzte Aussage sein. Alles muss man im Zusammenhang und im Konsens sehen. Bei mir bildete sich in jener Zeit eine ganz neue Lebensperspektive; ich wurde richtiggehend gläubig. Diese neue Sichtweise stellte meine Weltanschauung auch auf sichere fundamentierte Füße, was mir sehr bei dem Auf und Ab im folgenden Leben geholfen hat. Hieraus entwickelte sich dann auch meine pazifistische Auffassung, die sich nicht nur bis heute gehalten sondern sich zunehmend gefestigt hat. Ich muss wirklich sagen, dass ich Pastor Neuperth viel zu verdanken habe. Pastor Neuperth war halt ein wunderbarer Mensch. Aber auch er musste mir erst Sorgen und dann Leid bereiten. Noch während meines Krankenhausaufenthaltes baute er plötzlich enorm ab und eines Morgens, als ich wach wurde, lag mein väterlicher Freund tot im Nebenbett. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich persönlich ein Sterben miterlebt. Es hat mich aber nicht entsetzt sondern sogar aufgebaut und gestärkt. Pastor Neuperth war geduldig und freundlich bis in die letzte Minute. Oft hat er mir gesagt, dass er voll auf die Verheißung unseres Herrn vertraue und er wisse, dass wir, wenn unsere Tage auf Erden gezählt sind, erlöst zu unserem Vater heimkehren dürften. Der tote Pastor sah aus als würde er glücklich schlafen. Unmittelbar nach Entdeckung des Pastorentodes machte man sich im Krankenhaus auch Sorgen um mich. Man befürchtete, auch ich würde jetzt wieder abbauen aber ganz im Gegenteil: Der Verstorbene hatte mich in seinen letzten Lebenstagen so aufgebaut und gekräftigt, dass ich zur Freude aller mit Riesenschritten meiner Gesundung entgegen eilte. Jetzt konnte ich auch einiges einstecken. Neben der vollen Wahrheit über das derzeitige Leben meiner Ehefrau Elke, auf das ich in Kürze zu schreiben komme, konnte man mir noch eine weitere harte Nuss zu schlucken geben. Mein Stiefvater Ingo Frank hatte sich mit seiner Leuchtenfabrik übernommen. Neuinvestitionen und Entwicklungen und dazu einige größere geschäftliche Fehlschläge hatten so sehr an sein Vermögen gezerrt, dass er einer Zahlungsunfähigkeit, auf Latein: Insolvenz, entgegensteuerte. Ihm, den jetzt langsam die Puste ausging, blieb nichts anderes als ein Konkursverfahren zu beantragen. Jetzt kann man sagen: Was soll’s, es war doch eh
nur eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, kurz GmbH, und die haftet ja nur mit ihrem Stammkapital und dann ist Sense. Ja Leute, schön wäre es. Aber Geschäfte kann man üblicher Weise nur mit Krediten führen, das ist hinsichtlich Abschreibung und steuerlicher Bewertung des Umlaufvermögens sogar sinnvoll. Kredite bekommt man bekannter Weise von Banken, die ja nichts mit sozialen Einrichtungen zutun haben. Diese Institute rechnen mit spitzen Bleistiften und lassen sich selbst das Schwarze unter den Fingernägeln besichern. Da bekommt eine GmbH keinen Pfennig, heute würde man Cent sagen, wenn die Gesellschafter nicht mit ihrem Privatvermögen dafür bürgen. Ingo hatte bis aufs Letzte gehofft und dabei den Punkt überschritten, wo noch ein Konkurs eröffnet werden konnte. Amtlich heißt das, dass ein Konkurs mangels Masse nicht eröffnet werden konnte. So etwas bedeutet dann, dass die Lichter ausgehen und nicht nur die Arbeitnehmer sondern auch der Chef nach Hause gehen darf. Dann kommt die Zeit des Hämmerchens: Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Was mich persönlich heute noch wundert ist die Tatsache, dass sich die Leuchtenfabrik Frank, die zuvor doch ein recht gut gehendes und modern ausgestattetes Unternehmen war, nicht komplett „vermarkten“ ließ. Es gab keinen Interessenten der diese weiterführen wollte. Und so ging diese dann in Einzelteilen, teilweise zu Auktions-Ramsch-Preisen, auf allerlei andere Besitzer über. Die ganze Leichenfläderei dauerte doch fast zwei Jahre. Man kann es vielleicht unter dem Stichwort „Marktbereinigung“ verstehen. Ein Mitbewerber weniger bedeutet dass die verbliebenen ihre eigenen Kapazität besser auslasten oder gar ausweiten können, was sich dann auch im steigenden Umsatz und damit in steigenden Gewinnen wiederspiegelt. Anders lief die Angelegenheit mit Ingos „Häuschen“ in Wiblingwerde, was er freiwillig zu Gunsten der Banken veräußerte. Nach seinem Pleite hätte er es ohnehin wirtschaftlich nicht halten können. Innerhalb eines Monats hat dieses zu einem guten Preis den Besitzer gewechselt. Bei der Geschwindigkeit konnten meine Eltern bei der Wohnungssuche nicht sehr wählerisch vorgehen und griffen folglich bei der ersten Gelegenheit zu. In Hohenlimburg, dem Städtchen was seit 1975 zu Hagen gehört, konnten sie dann unterkommen. In der, im Ortsteil Elsey gelegenen Wiesenstraße, konnten sie im April 1968, also zu einer Zeit wo ich noch in Hildesheim im Krankenhaus lag, eine Wohnung finden. Man muss sagen, dass es keine schlechte Wohnung war und diese sich auch recht preiswert darstellte aber gegenüber dem großen Haus in Wiblingwerde, von dem man einen wunderbaren Panoramablick genießen konnte, war das doch ein erheblicher Abstieg. Die Wahl der Wohnung spielte dann auch bei der Jobsuche meiner Eltern eine Rolle. Auch in diesem Fall hatten meine Eltern Glück im Unglück. Meine Mutter konnten in ihrem Beruf als Frisöse in der Hohenlimburger Innenstadt arbeiten. Ingo kam als kaufmännischer Angestellter bei „Oma Hoesch“, wie man den größten Arbeitgeber in Hohenlimburg liebevoll nannte, unter. Für mich war das Kuriose an dieser Sache, dass sowohl mein leiblicher Vater wie auch mein Stiefvater nach vorhergehender Selbstständigkeit beim gleichen Brötchengeber gelandet waren. Meine Mutter erzählte mir später, dass man in unserem Bekanntenkreis oft mit Häme „Hermine macht alle ihre Männer zu Hoesch-Malochern“ gesagt habe. Na ja, Häme und Spott musste sie damals viel einstecken. War sie doch zur Dame in Wiblingwerde aufgestiegen und als Frau den Berg wieder runtergepurzelt. Nur zum besseren Verständnis: Letmathe, Nachrodt-Wiblingwerde und Hohenlimburg sind unmittelbare Nachbarstädte. Jeder der drei Orte hat eine gemeinsame Grenze zu den beiden anderen. Da war man natürlich nicht aus der Welt – und die „Volksmeinung“ ist grausam. Das mag wohl daran liegen, dass die Leute gerne von ihren eigenen Problemen und Schandflecken ablenken indem sie mit ihren schmutzigen Finger auf andere zeigen. Aufgrund des ehemaligen Friseursalons Kleiner in Letmathe war meine Mutter auf lokaler Ebene schon so eine Art Prominenz, was ihr natürlich dann auch eine doch größere Klatsch- und Mobbingschar bescherte. Aber sorry, Mobbing ist ein Wort, was damals in deutschen Landen noch nicht geläufig war. Dahingehend bewundere ich meine Mutter, wie sie die Sache doch ganz locker durchgestanden hat. Dieses geschah alles in der Zeit, wo ich in Hildesheim im Krankenhaus wieder zurecht geflickt wurde und ich wusste lange Zeit nichts von all den Dingen. Um so mehr weiß ich zu schätzen, dass meine Eltern mich Woche für Woche besuchten und dabei mir gegenüber immer als glückliches und zufriedenes Paar auftraten. Außer anfänglichen Elke-Besuchen war das der einzigste Besuch, den ich im Krankenhaus erhielt. Stopp, den Spieß der 3. Kompanie muss ich, wenn ich meine Besucher vollständig auflisten will, auch noch erwähnen. Er kam einmal für eine halbe Stunde vorbei. Mir schien, dass seine Visite eher dienstlich motiviert war. Er brachte ein Protokoll mit, welches besagte, dass man meinen Spind im Beisein von Zeugen aufgebrochen hatte. Bundeseigentum war in den dafür vorgesehenen Verstecken, sprich Klamotten- oder Flintenkammer und so weiter, gebracht worden. Meine Privatsachen hatte man in meinen Koffer, den der Spieß mitbrachte, gepackt. Pervers fand ich, dass man das graue Kostüm mit denen ich ins Unglück gefahren war als verlustig auf der Liste führte und mich dann noch darüber belehrte, dass man mich dafür in Regress nehmen könnte. Allerdings habe ich von der Geschichte nie wieder etwas gehört. Was der Spieß nach meinem Verständnis auch hätte mitbringen können waren die Entlasspapiere. Es stand doch wohl eindeutig fest, dass ich kein Dienst fürs Vaterland mehr leisten konnte. Aber nee, es muss ja bei Beamto-
kratus Bürolaus alles seine penetrante Ordnung haben; selbst wenn dann alles vollkommen zusammenbricht. Dafür musste ich später, zwei oder drei Monate nach meiner Krankenhausentlassung extra antanzen. Dieses hat man mir noch nicht einmal zugeschickt sondern man hat mich mit beigefügten Freifahrtschein nach Hildesheim beordert. Als ich nach ein paar Stunden Zugfahrt dort eintraf und mich in der Schreibstube meldete musste ich erst einmal dort wie bestellt und nicht abgeholt warten. Dann wurde ich zum „Chef“ vorgelassen, der mir dann das ganze Geschreibsel mit einer Belehrung übereichte. Was der Inhalt der Belehrung war habe ich vergessen, da ich das, schon zum Zeitpunkt wo ich sie erhielt, für äußerst unwichtig hielt. Nach einem Shake Hands durfte ich dann auf Nimmerwiedersehen die recht ungastliche Stätte verlassen. Der Bund war also für mich kein Thema mehr. Das Wichtigste, auf was sie werte Leserin, werter Leser wohl auch warten, ist wohl das was mit meiner Familie, sprich mit Elke und unserer Tochter Katja passierte. In der Tat hatte sich Elke in jemand anderes verliebt. Im Gegensatz zu unserem Zusammenprall soll sich diese Liebe ganz konventionell und romantisch entwickelt haben. Objektiv gesehen hatte uns ja jugendliche sexuelle Neugierde und dann wilde Lust – oder sagen wir Spaß an der Freud – zusammengeführt. Ein richtiges Verlieben war das ja nicht. Wären nach unserem Eröffnungsspiel nicht Anna und Marlies Keune verschwunden sondern Elke, dann hätte es auch die Schwester sein können. Oder, wenn die beiden Schwestern gegangen wären, hätte es auch Marlies sein können. Also, alles war ein, von der jeweils eigenen Lust getriebenes Spiel, mit Liebe hatte das überhaupt nichts zutun. Ob das dann zu Zeiten unserer Mussehe Liebe war ist möglich, es kann aber auch sein das Liebe nie im Spiel war. Möglich ist es deshalb, weil es nie auszuschließen ist, dass sich aus einem zufälligen Zusammensein oder ein Partnerschaft aufgrund einer Kontaktanzeige, mit der Zeit sogar echte Liebe entwickelt. Ob das der Fall bei uns war, kann ich nicht beurteilen, da ich damals keine Vergleichsmöglichkeiten hatte – beim ersten Mal hat es ja gleich gerumst. Und das Ganze nachträglich zu analysieren führt ja bekanntlich zu nichts. Nun war Elke aber richtig verliebt – möglicher Weise zum ersten Mal in ihrem Leben. Der Glückliche war – oder ist – ein Amerikaner. Bei Amerikanern im Bundesland Hessen, wo auch Geismar liegt, denkt man zuerst immer an GIs, zumal auch Elvis Presley als solcher mal in Hessen war. William (Bill) Gardner war aber nicht Soldat sondern Student. Was er in Marburg studierte weiß ich leider nicht, auch nicht wie er gerade auf Marburg kam. Ich habe mal gehört, dass Amerikaner, wenn sie in Old Germany studieren wollen, immer zuerst an Heidelberg, das in den USA so ein romantisches Fluidum hat, denken. Marburg ist zwar nicht weit aber immer noch ein Ende von Geismar entfernt. Da würde es mich schon interessieren wie und bei welcher Gelegenheit sich die Beiden kennen gelernt haben aber das hat man mir nie erzählt. Für Elke muss es die ganz große Liebe gewesen sein, denn sie nahm dafür so gut wie alles in Kauf. Von allen Seiten setzte man ihr zu, dass sie dieses Verhältnis beenden müsse, da sie eine verheiratete Frau, dessen Mann schwerverletzt im Krankenhaus läge, sei. Ich kann mir vorstellen, dass gerade die Art und Weise wie man auf sie einwirkte, die doch unschöne Verhaltensweise mir gegenüber hervor gerufen hat. Auf jeden Fall hat sie, wie sie bei der Scheidung eingestand, aus Trotz bewusst beschlossen sich von ihrem Geliebten schwängern zu lassen. Als sie mir am Telefon mitteilte sie sei schwanger, wusste sie auch noch nicht mehr, als das es geklappt haben könnte – es war gerade erst passiert. Elkes Sohn wurde erst im Oktober 1968 geboren. Es dürfte wohl jedermann klar sein, dass bei den Voraussetzungen nichts mehr zwischen uns zu kitten war. Lange Zeit hatte ich jedoch die Hoffnung, dass sich nach meiner Rückkehr doch alles wieder zum glücklichen Besten wenden könnte. Aber in der Zeit, als es mir immer besser ging, erfuhr ich dann von meiner Mutter die volle Wahrheit und sie bereitete mich schonend darauf vor, dass ich mich mit dem Unwendbaren abfinden konnte. Je näher das Ende meines Krankenhausaufenthaltes kam um so mehr war mir klar, dass ich nicht mehr nach Geismar zurückkehren würde. Vorsorglich hatten meine Eltern mir ein Zimmer in ihrer Hohenlimburger Wohnung reserviert. Etwa 14 Tage vor meiner Entlassung bat ich meine Eltern meine Sachen aus Geismar abzuholen. Diesem Wunsch wollte außer Elke aber niemand entsprechen. Auch meine Schwiegereltern waren der Meinung, dass wir, wenn es schon sein muss, „anständig“ auseinander gehen sollten. Als ich entlassen wurde, zog ich dann auch gleich in Hohenlimburg ein. An dem Wochenende nach meiner Entlassung fuhr ich dann mit meinen Eltern nach Geismar. Sie wollten mich für eine Woche dort lassen, natürlich nicht in der ehelichen Wohnung sondern bei Onkel Hans auf dem Hof. Schließlich hatte ich außer der Abwicklung meiner Ehe auch sonst noch einiges zu erledigen. Da war ja auch noch mein Arbeitgeber in Frankenberg, mit dem ich mich darüber einigen musste, dass ich nach meiner endgültigen Bundeswehrentlassung nicht mehr antrete. Da wäre jetzt ja wieder die Distanz, die mich zu Beginn meiner Frühehe von einem Abitur in Altena abgehalten hatte; jetzt nur in umgekehrter Richtung. Ich wollte mir im „heimischen“ Raum etwas suchen, gegebenenfalls auch bei Oma Hoesch anfangen. Ende der 60er-Jahre ging es auch schon aufwärts mit den Arbeitslosenzahlen aber in so schwindelerregenden Höhen wie heute ging es damals dann doch noch nicht. Was soll’s, ich fand anno 1968 bei einem Unternehmen in Iserlohn einen Job als Sachbearbeiter im Vertrieb, wo ich auch unmittelbar nach meiner offiziellen Entlassung loslegen konnte.
Des weiteren musste ich mich ja auch vor Ort abmelden um mich in Hohenlimburg wieder anmelden zu können. So etwas kann man natürlich auch nicht am Wochenende erledigen. Wo ich aber den meisten Bammel vor hatte, war das von unseren Eltern eingeplante Gespräch mit Elke. Das kam mir wie der Gang nach Canossa vor. Auch Elke hätte sich am Liebsten vor diesem Gespräch gedrückt, was aber ihre Eltern nicht zu ließen. Was mir im Vorfeld die meisten Kopfschmerzen bereitete war ob und wie ich meiner Tochter Katja begegnen sollte. Eine weitere Dummheit, die Elke während meines Krankenhausaufenthaltes gemacht hatte, war es der Kleinen zu sagen ich sei tot und wäre jetzt im Himmel; ich könne nie mehr wieder kommen. Was kann man in dem Kind anrichten wenn ich jetzt plötzlich vor ihr stehe. Da hatte meine Schwiegermutter einen recht vernünftigen Vorschlag gemacht: Katja sollte für die Woche, wo ich in Geismar wäre, erst mal zu ihrer Tante Anna, mit der es die Kleine gut konnte, nach Viermünden gebracht werden und dann sollte ich – nur ich alleine - vor Ort entscheiden was nun zu geschehen habe. Ich muss jetzt noch vorab sagen, dass ich bereits im Vorfeld meine Ansicht, dass ein Kind besser bei seiner Mutter aufgehoben sei, bekundet hatte. Bei meiner Ankunft in Geismar teilte ich dann gleich als erstes mit, dass ich es für das Mädchen besser hielte, wenn wir es bei dem beließen, wie es sich jetzt für sie darstellte. Schweren Herzens verzichtete ich auf einen Abschied von meiner Tochter, woraus mir im späteren Leben noch einmal ein Vorteil, von dem ich aber jetzt noch nichts schreiben möchte, wurde. An dem Wochenende, als ich in Geismar ankam, war Elke mit ihrem Bill unterwegs und so kam es dann erst am Montagabend zu unserem „vorletzten“ Gespräch. Das letzte Gespräch sollte dann später am Amtsgericht, wo wir uns aus Anlass unserer Scheidung trafen, stattfinden. Dazu aber später mehr, jetzt erst mal zu unserem Montagsgespräch, welches uns beidseitig zu Beginn schwer fiel. Dann durchbrach Elke jedoch das Eis. Sie offenbarte mir ganz ehrlich was ihre Empfindungen in der ganzen Zeit gewesen waren. Sie gestand mir, dass es zum Anfang nur die Geilheit, insbesondere ihrer Schwester, gewesen sei. Anna wäre es damals beim ersten Mal darauf angekommen sich einerseits nackt zu zeigen und andererseits ein Schwänzchen zu sehen und anfassen zu können. Elke hatte zu jenem Zeitpunkt überhaupt keine Erfahrung auf sexuellem Gebiet aber das Begehren eine solche zu machen. In ihrem Kopf hatte sich aber noch etwas festgefressen: Sie wollte raus aus dem Dorf. Letzteres war es, was sie entgegen der Verabredung mit ihrer Schwester und deren Freundin dazu brachte nicht abzubrechen und sich von dannen zu machen. Ihr kostete es die Jungfräulichkeit und es hat sie „süchtig“ gemacht. An eventuelle Konsequenzen, wie sie sich dann wirklich einstellten, hat sie eben so wenig gedacht wie ich. Das Einzigste was bei ihr bewusst gesteuert war, war der feste Wille mich für sich zu gewinnen, damit ich sie mal aus dem Dorf entführe. Als dann das eigentlich logisch aber von uns in keiner Weise bedachte und noch weniger gewollte passiert war, haben nicht wir sondern unsere Eltern und unsere Umgebung entschieden. Elke erzählte mir in unserem Gespräch, dass sie nur an einem großen Schuldbewusstsein gelitten habe und an nichts anderes hätte denken können. Dieses konnte ich ihr aus meiner Sichtweise hundertprozentig bestätigen. Ab dem Zeitpunkt haben wir nicht mehr selbst entschieden und gehandelt sondern wir haben uns in dem Strom, der aus dem Willen der Anderen bestand, treiben lassen. Letztendlich fanden wir das, was dabei herauskam, noch für gut und richtig. Nach Elkes Ansicht, der ich aus meiner Sicht nicht widersprechen kann, haben wir dann das Beste daraus gemacht. Eigentlich war es dann doch eine schöne Zeit, in der wir glücklich waren. Als Elke in ihrem Monolog, dem ich in der Manier eines Pastor Neuperth geduldig zuhörte, an diesem Punkt angekommen war, brach sie in Tränen aus und fiel mir um den Hals. Aus einem echten Bedürfnis heraus umarmte ich sie ebenfalls und schloss mich ihr in der Freigabe von Tränen an. Eine Wende wurde aus dieser Situation nicht, obwohl wir in vertrauter Umarmung unser Gespräch zuende führten. Jetzt kam Elke nämlich zum entscheidenden Punkt. In der ganzen Zeit waren wir nie wir selbst. Unsere Gefühle wurden durch das „Wie es sein muss“ aber nicht durch unsere Empfindungen und Emotionalität bestimmt. Und das war für Elke, als wir dank Bund auf einmal zwangsgetrennt wurden, plötzlich deutlich geworden. Sie entdeckte auf einmal hinter all der Fremdbestimmung ihr Ich. Jetzt wollte sie ihrer selbst und nicht aus einer auf jugendlichem Sexualtrieb beruhender Pflichtübung geliebt werden. Jetzt wollte sie sich nicht nur zur Befriedung der eigenen Lust oder aus ehelicher Pflicht hingeben sondern sie spürte das Gefühl sich hingeben zu wollen damit der Andere in ihr die Erfüllung finden könnte. Sie wollte in der Gewissheit empfangen, dass der Andere dann das empfinden könne was sie auch bereit war zu geben. Nachträglich gesagt muss ich bestätigen, dass Elke enorm gereift war. Damals war sie mir wohl hundertprozentig überlegen. Ich gebe zu, dass ich sie damals so gar nicht richtig verstanden habe aber dass sie aus meiner heutigen Sicht vollkommen Recht hatte. In dieser Situation lief ihr dann, während ich in Hildesheim für den Bund Räuber und Gendarm spielte, Bill Gardner über den Weg. Er war es der alles unternahm sie zu erobern und als sie sich dann näher kannten alles tat um sie zufrieden zu stellen. Bei ihm hatte sie im Gegensatz zu mir nie das Gefühl, dass er in ihr ein Lustobjekt sah. Ihm gab sie sich dann gerne hin und es machte sie überaus glücklich, dass Bill darin die Erfüllung fand. Dabei hatte sie allerdings ein sehr schlechtes Gewissen und glaubte noch daran, dass alles nur eine Episode sein würde. Ihr Glaube war es auch, daraus gelernt zu haben und alles dann auf uns übertragen zu können. Da kam
wieder der Druck von Außen. Wieder wollte man über sie bestimmen und in eine bestimmte, den gesellschaftlichen Konventionen entsprechende Richtung drängen. Diesmal wollte sie sich aber nicht wieder fremd bestimmt treiben lassen sondern sie wollte sich trotzig wiedersetzen. Beim Rudern gegen den Strom ist ihr dann auch einige Mal das Ruder außer Kontrolle geraten. Der erste schwere Schlag führte dann zu dem Brief, in dem sie mir schrieb, dass sie mich nicht mehr liebe. Bewusst habe sie den Brief lieb und freundlich gehalten, da sie zwar aus ihrer Sicht die Wahrheit schrieb, aber mich im Grund doch noch sehr lieb habe. Als sie dieses berichtete haben wir uns tatsächlich, zum letzten Mal in unserem Leben, noch einmal richtig und innig geküsst. Das sie mir in der Situation, in der ich mich zu diesem Zeitpunkt befand, gesundheitlich richtig schaden konnte hatte sie nicht bedacht. So etwas lag nicht in ihrer Absicht und sie bat mich aufrichtig ihr zu verzeihen. Aber da wurde ihr erst recht zugesetzt. Sie empfand es so als dränge man sie in die Ecke eines kleinen Mädchens von dem man verlange, dass sie nun wieder brav und gehorsam sei. Sie gedachte aber nicht dem Umfelddruck zu folgen und wollte dadurch, dass sie sich von Bill schwängern ließ, ihrem Trotz Nachdruck verleihen. Letztendlich sah sie sich durch den auf sie ausgeübten Druck genötigt mir ihre erneute Schwangerschaft mitzuteilen. Diesmal hatte sie aber im Gegensatz zum Schreiben des Briefes körperliche Reaktionen von mir einkalkuliert. Elke gestand ganz ehrlich, dass sie zu diesem Zeitpunkt meinen Tod billigend in Kauf genommen hätte. Ich merkte ihr richtig an, dass ihre Aussagen, dass dieses ihr Gewissen jetzt schwer belasten würde, ehrlich gemeint war. Dadurch war dann aber auch der Punkt erreicht, dass nun die Geschichte unumkehrlich wurde. Ich weiß nicht woher unsere Vernunft kam, dass wir in dem Punkt, dass es nun wirklich besser sei, wenn wir jetzt nichts mehr in Richtung Rückwärts ändern. Wir waren uns bewusst, dass nun unsere Wege wieder auseinander gehen mussten. Ganz offensichtlich waren wir nicht füreinander bestimmt. Nach einer Pause, in der wir beidseitig vor uns hin weinten, kamen wir dann auf das Thema wie es weitergehen sollte. Elke hatte bis jetzt die Scheidung noch nicht eingereicht, was sie jetzt aber umgehend machen wollte. Ich versprach ihr, dem Scheidungsbegehren nicht zu widersprechen. Da es damals noch das Verschuldensprinzip gab, wollte Elke alle Schuld auf sich nehmen. Sie war der Ansicht, dass dieses auch richtig sei, da ja sie den Ehebruch begangen habe. Ich erklärte darauf, dass ich keine Ansprüche auf Katja erheben würde. Nach meiner Meinung war es für das Kind besser wenn kein Zank und Streit um sie geführt wird und wenn sie weiterhin das glaubt, was ihr Elke eingeredet hat. Katja war zu diesem Zeitpunkt ohnehin noch nicht in der Lage zu verstehen was da um ihr herum passierte. Elke versprach mir, dass sie, wenn Katja reif genug wäre, ihr von ihrem Vater und der Wahrheit erzählen wollte. Unterhaltsansprüche wollte Elke weder für sich noch für Katja stellen. Was den Hausrat anbelangte waren wir übereinstimmend der Meinung, dass die Möbel ohnehin Elkes Eltern gehörten und diese denen auch zurückgegeben werden sollte. Sie wollte später, wenn sie ihren Bill geheiratet hat, einen ganz neuen Hausstand begründen und stellte mir daher frei, dass ich von dem Geschirr und Besteck nehmen könne was ich wolle, aber ich wollte nichts. Dann brauchte ich also nur noch meine persönlichen Dinge der Wohnung entnehmen, was dann am nächsten Tag auch geschah, und die Sache war gelaufen. Ich kann jetzt schon sagen, dass wir – und da insbesondere Elke – uns Punkt für Punkt an diese Vereinbarung gehalten haben obwohl uns unsere Mütter reichlich zusetzten um andere Ergebnisse zu erreichen. Meiner Mutter ging es dabei in erster Linie um ihre Enkeltochter und meiner Schwiegermutter um Unterhaltsleistungen. Aber diesmal ließen wir uns nicht wieder fremd bestimmen sondern stellten uns, vielleicht zum ersten Mal im Leben, auf die eigenen Hinterbeine. Dieses Gespräch, was ein Resümee unserer Ehe darstellte, dauerte über drei Stunden. Natürlich habe ich hier nur eine Kurzfassung wiedergegeben, die sicherlich auch durch nachträgliche Interpretationen meinerseits gefärbt ist. Schließlich liegen zwischen dem Geschehen und heute schon mehr als 35 Jahre. Da ich im späteren Leben sehr oft daran dachte, habe ich es in all den Jahren gut in Erinnerung behalten. Praktisch war dieses Gespräch, unser eigentliche Abschied, immer das Erste an was ich im Zusammenhang mit Elke dachte. Bei meinen Rückbesinnungen kommt es mir immer so vor, als sei diese Gelegenheit die erste gewesen bei der Elke und ich nicht in erster Linie an uns selbst sondern an den Anderen gedacht haben. So ist es auch zu verstehen, dass wir uns darauf verständigten, dass wir uns vorläufig aus dem Wege gehen wollten, damit wir uns nicht gegenseitig weh täten. Später wollten wir, wenn wir uns mal durch Zufall begegnen, als gute Freunde entgegen kommen. Im Zuge unserer letzten Vereinbarung begab sich Elke dann am nächsten Morgen auch zu ihrer Schwester Anna nach Viermünden und am darauffolgenden Samstag saß ich wieder in Ingos Wagen, der mich dann mit meinen Sachen zurück nach Hohenlimburg brachte. Erst an dem Tag, an dem rheinische Karnevalisten ihr Ausflippen offiziell starten, also am 11. November (Elfte im Elften) 1968 trafen wir uns in der Geismarer Straße in Frankenberg wieder. Wer in diesem Städtchen an der Eder ortskundig ist, weiß das sich dort das Amtsgericht befindet und daher weiß man auch, dass der Anlass unseres Treffens die Scheidung war. Da Elke und ich uns geeinigt hatten ging alles blitzartig über die Bühne und unsere „Kinderehe“, wie wir beide anschließend auf dem Gerichtsflur sagten, war damit beendet. Das letzte Gespräch, was wir bei dieser Gelegenheit führten, bestand im Wesentlichen daraus, dass wir uns bekundeten wie leid uns das Ganze täte aber das es nun doch wohl so besser sei. Nachdem mir meine „Ex“ dann noch von der
Geburt ihres Sohnes vor einem Monat und wie sehr sich Katja über ihr Brüderchen gefreut hatte berichtet hatte wünschten wir uns noch viel Glück auf dem weiteren Lebensweg und dann gingen für immer auseinander. Ich habe Elke danach bis zum heutigen Tage nicht wieder getroffen. Das liegt zum einen daran, dass ich mich selbst nach der Scheidung vorerst nicht mehr nach Geismar aufmachte und dann daran, dass Elke im Sommer 1969 ihren Bill Gardner, mit dem im Jahre 1970 in die USA auswanderte, geheiratet hat. Seitdem lebt sie in Bills Heimat in Illinois. Den Namen der Stadt, in der sie wohnen kann ich auch gut behalten: Sie heißt Mannheim und soll in der Nähe von Chicago liegen. Na ja, im Lauf der Jahre war ich dann doch mal wieder das eine oder andere Mal in Geismar und konnte dann immer erfahren das es Elke gut gehe. Verheiratet sind die beiden heute immer noch und Elke hat noch drei weitere Kinder zur Welt gebracht. Und damit kann ich jetzt meine ehemals bessere Hälfte aus meiner Geschichte entlassen. So erlebte ich also jenes berühmte Jahr 1968, was heutzutage dem Einen die Jähzornsader anschwellen lässt und dem Anderen in Verzückung versetzt. Diejenigen, bei denen die Jähzornsader auf der Stirn deutlich heraustritt, zählen zu den konservativen Kreisen, denen Law und Order offensichtlich mehr bedeutet als die Freiheit des Individuums. Wenn diese Leute von anno 68 berichten dann hört sich das so an als sei um jede Ecke eine Horde Linker mit ihrem Ruf „Ho, Ho, Ho Schi Min“ geschossen und es wäre unmöglich gewesen ordentlich zu studieren weil diese linken Typen jede Vorlesung in eine Chaosveranstaltung umkrakelt hätten. Mir kommt es so vor als wären die Leute zu jenem Zeitpunkt auf einem anderen Stern gewesen. Sicherlich gab es in den ganz großen Städten große Demos, die von den Polizisten mit Wasserwerfern und Schlagstöcken bekämpft wurden. Es ist auch nicht zu leugnen, dass diverse Vorlesungen an den Universitäten umfunktioniert worden sind. Aber so ein Flächenbrand wie es konservative Law-and-order-Freaks oder einschaltquotenhaschende Medien es darstellen, war es beim besten Willen nicht. Man kann es bequem mit den Aufmärschen der Leute, die auf dem Kopf zeigen was sie darin haben, in den letzten Jahren vergleichen. Von der Masse der Leute und der Zahl der Aufmärsche ist der NPD-Mob durchaus mit den wilden 68-ern zu vergleichen. An den Orten wo ich mich 68 aufhielt, da waren auch Großstädte wie Dortmund und Hagen dabei, war absolut nichts los. Die meisten Menschen, die das Jahr 1968 durchlebt haben, kannten das, wovon man heute noch so viel erzählt, auch nur aus dem Fernsehen, was ja ein Jahr zuvor auch farbig geworden war. Diejenigen, die bei der Nennung der Jahreszahl 68 verklärte Augen bekommen liegen etwas näher an der Realität als die Leute, die ich soeben beschrieb. Damals fand wirklich eine entscheidende Wende statt. Einiges von der prüden Zeit vorher habe ich ja bereits in meiner Niederschrift erwähnt. Ich schrieb doch schon von dem Film „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef. Ich habe doch, insbesondere im Falle meiner Eltern, vom Verschuldensprinzip bei Ehescheidungen berichtet. Auch die berühmten Disziplinierungskopfnoten wie Betragen, Beteiligung am Unterricht und Häuslicher Fleiß habe ich auch schon angesprochen. Da gibt es noch eine ganze Menge anzuführen, worauf ich bis jetzt nicht eingegangen bin. Da war der Frontalunterricht in den Schulen. Die Lehrer standen vorne und hielten ihre Monologe und die Schüler wurden nachdem abgefragt, was von des Lehrers Indoktrination hängen geblieben war. Natürlich hatte man als Schüler nur das hohe Lied der offiziellen Meinung zu singen. Kritische Töne waren unerwünscht. So ein dummes Zeug wie „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ oder „Schuster bleib bei deinen Leisten“ wurden im Unterricht gelehrt und begründet. Gleichberechtigung gab es damals nur auf geduldigem Grundgesetzpapier. In der Wirtschaft gab es die Frauenlohngruppen, das heißt, dass Männer bei gleicher Leistung besser bezahlt wurden, wie die „Fabrikenfotzen“, wie sie bestimmte Leute zu beschimpfen pflegten. Die Meldeämter kannten die Haushaltsvorstände, was nur Männer sein konnten. Nur geschiedene Frauen kamen selbst als Haushaltsvorstände in Frage. Aufgrund des Haushaltsbestimmungsrecht hatten Frauen nur in der Küche das Sagen, wenn sie arbeiten gehen wollten bedurften sie der Zustimmung des Ehemannes, der sich das Ganze gut überlegen musste, da die sogenannten Doppelverdiener gesellschaftlich nicht gut angesehen waren. Damals galten homosexuelle Handlungen, auch unter erwachsenen Männern, als Straftaten, die nach § 175 StGB verfolgt wurden. Jede Abtreibung wurde, wenn nicht unbedingt zwingende medizinische Gründe vorlagen, nach § 216 StGB strafrechtlich verfolgt. Bei einem gebrochenen Eheversprechen, sprich bei einer geplatzten Verlobung, konnte der Brautvater bei dem Exverlobten Schadenersatz einklagen. Heute gehören in bestimmten Kreisen Worte wie „Ficken“ und „Bumsen“ zum Alltagsgebrauch. Damals musste man, wenn man sich erdreiste so etwas in den Mund zu nehmen aufpassen, dass man nicht wegen Jugendgefährdung hinter Schloss und Riegel gebracht wurde. Und so weiter und so fort. Das sind also die entscheidenden alltäglichen Dinge die sich durch die 68er-Revolution geändert haben. Natürlich wären diese ohne die spektakulären Ereignisse des Jahres 1968 wahrscheinlich auch gekommen aber mit Sicherheit nicht so rasant in einem so kurzen Zeitraum. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass wir im prüden Trott auch immer weiter bis in die heutige Zeit getrottet wären. Profitiert haben wir alle von dem gesellschaftlichen Aufstand anno 68 aber nur sehr wenige Leute haben an diesem aktiv teilgenommen. Die meisten Leute hatten damals mit ihrem Alltag, mit ihren Sorgen und Nöten zu kämpfen. So wie ich damals, der 7 /12 dieses Jahres nach einem Unglück, in das ich im grauen Kostüm gefahren war, im Krankenhaus verbrachte. In dieser Zeit scheiterte die Firma meines Stiefvaters und meine Frühehe, die es möglicherweise nach 1968 in
einer solchen Form gar nicht gegeben hätte. Nach einem „kurzen“ Ausflug in den eigenen Hausstand auf dem Dorf kehrte ich in die elterliche Wohnung unter Mutters Fittiche zurück. Aus dem Stiefsohn des Leuchtenfabrikanten war nun wieder der Sohn einer Frisöse, die mit einem Hoesch-Angestellten verheiratet ist, geworden. Aus dem Nebenerwerbs-Jungbauern war wieder ein kleinstädtischer Junggeselle, der seine Brötchen als Sachbearbeiter in einem Industrieunternehmen verdiente, geworden. Es war also wieder deutlich bergab gegangen. Es gab nur eine sehr positive Wende in meinem Leben: Dank meines Bettnachbarn, Pastor Neuperth, war ich ein religiöser und damit wertebewusster Mensch geworden. Mit meiner Exfrau Elke habe ich gemeinsam, dass wir in diesem Jahr gereift und wirklich erwachsen geworden sind.
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Nur Sommerlieben und sonst nichts Als ich kürzlich mal auf drei Bier in einer Gaststätte war standen am Tresen zwei Herren, die der Alkoholpegel an diesem Abend zu Philosophen berufen hatte. Sie hatten sich ein Thema von „Weltbedeutung“ auserkoren. Der eine der beiden „Weltdurchblicker“ war der Meinung, der Mensch sei nur hormonell, also nur durch den Trieb, gesteuert und der andere widersprach diesem und war der Meinung, dass alles im Kopf beginne. Allerdings sah er es so verklärt, dass er Homosexualität als Denkausrutscher in Folge falscher Erziehung ansah. Nun, auf Bierseligkeit und sich aus dieser sich ergebenen Großweisheiten brauchen wir nicht groß einzugehen aber die Frage, ob wir nun überwiegend hormonell oder durch unseren Geist gesteuert werden, fand ich trotzdem so interessant, dass ich darüber noch ein Wenig nachdachte. Eigentlich muss man doch sagen, dass beides, Trieb und Geist, unser Handeln bestimmen. Es ist nur individuell unterschiedlich, wohin das Pendel mehr ausschlägt und Extreme sind in beiden Fällen fatal. Das jemand, über dem die Hormone die Herrschaft übernommen haben, volkstümlich mit „pervers“ abgehandelt werden kann, dürfte allseits unbestritten sein. Das man voll vergeistigte Menschen als „weltfremd“ bezeichnen kann, wird in der Regel nicht so gerne eingesehen aber wohl auch als allgemein bekannt abgehandelt. Es kommt eben, wie so gut bei allen Dingen, nur auf die richtige Mischung an. Verdanken wir nicht der hormonellen Steuerung unser Dasein? Gäbe es überhaupt eine Fortpflanzung wenn sich die Geschlechter nicht lustvoll gegenseitig angezogen fühlten? Der Bestand der Menschheit ist also nach dieser Theorie deren Triebhaftigkeit zu verdanken. Und das ist auch gut so, denn würden die Menschen so etwas ausschließlich mit dem Verstand genannten Geist meistern, dann wären George Orwells Visionen vom großen Bruder schon seit Anbeginn der Menschheit Wirklichkeit, denn man wäre ja gleich auf Zuchtauslese hinausgesteuert, oder die Spezis Mensch wäre ausgestorben. Anderseits kann ja gerade ich aus eigenem Erleben einen Erfahrungsbericht davon geben, wie es ist wenn der Trieb zum Zuge kommt und der Geist ausgeschaltet wird. Wie bin ich denn sonst an meine erste Frau Elke und an meine Tochter Katja geraten? Jetzt kann man natürlich fragen, warum ich ausgerechnet an dieser Stelle auf dieses Thema komme. Na ja, nach dem der Zeitabschnitt, den ich mit „Elke“ überschreiben kann, begann die Zeit, in der die Hormonsteuerung die oberste Priorität in meinen Zielen setzte. Ich wollte wieder Weiblichkeit spüren können, nicht allein schlafen gehen und mich wieder mit einer Vertrauten austauschen können. Kurz: Mein ganzes Streben und mein Ziel war es wieder zu einer Partnerin zu kommen. Bei meinen Freizeitplanungen stand immer die Frage, ob man dort, wo ich mich möglicherweise hinbegeben könnte, „Mädchen“ kennen lernen kann, im Vordergrund. Da konnte mich eine bestimmte Angelegenheit brennend interessieren aber ich ging nicht hin, weil ich dort nicht mit weiblicher Beteiligung rechnete. Auf der anderen Seite gab es Gelegenheiten, die mir normaler Weise ein müdes Lächeln abgedungen hätten aber wo ich mich aufgrund der Tatsache, dass man dort ansprechbare Frauen trifft, auf gut Deutsch hingenötigt fühlte. Jetzt sollte man sagen, dass ein solcher Einsatz zwangsläufig zum Erfolg führe. Dem war aber nicht so. Ganz im Gegenteil: Ich war eine längere Zeit ein einsamer Freizeitwandler. In dieser nachgeholten Brautschauzeit nahm mein Leben so eine gewisse Art von Eintönigkeit an. Von Montags bis Freitags fuhr ich in den frühen Morgenstunden mit einem Gelenkbus der Kreisbahn-Linie 1 von Elsey nach Iserlohn um bei meinen Brötchengeber Sachen zu bearbeiten, schließlich war ich ja Sachbearbeiter. Dort gab es im Kollegenkreis auch jede Menge Weiblichkeit, darunter aber nichts für meines Vaters Sohn. Entweder waren die Damen nicht mein Typ oder sie waren anderweitig vergeben. Nun aber kein falscher Gedanke, ich habe schon meine Arbeit ordentlich erledigt, denn ein Büro ist ja wohl auch nicht der ideale Ort für Liebesanbandelungen. Die Arbeit erledigte ich sogar mit einiger Bravour, die mir von meinem Arbeitgeber auch mit einer entsprechenden Leistungszulage honoriert wurde. Nach Feierabend zog es mich aber nicht wieder direkt zurück in die elterliche Wohnung nach Hohenlimburg, denn dann suchte ich in unserer damaligen Kreisstadt erst einmal einschlägige Lokalitäten, die von den jungen Leuten bevorzugt wurden, auf um dort nach einem passenden Weibchen für mich Ausschau zu halten. Und dann, so zwischen Acht und Neun, führten mich dann doch meine Wege heimwärts. Das, was ich an den Samstagen machte war saisonal bedingt. Jahreszeiten und eventuell stattfindende Volksfeste spielten dabei eine größere Rolle. Mal ging es nach Henkhausen, einem Ortsteil von Hohenlimburg, in das dortige Freibad, mal nach Letmathe zur Kilianskirmes, mal nach Iserlohn zum IBSV-Schützenfest oder mal ins Hallenbad nach Iserlohn oder, oder, oder ... . Wie bereits mehrfach betont, hatte ich dabei immer die Hoffnung die Richtige zutreffen. Der Sonntag unterschied sich, wenn nicht der morgendliche Gottesdienst in der reformierten Kirche gewesen wäre, durch nichts von den Samstagen. Pastor Neuperth hatte mir in Hildesheim sehr viel von Johannes Calvin erzählt und deshalb entschied ich mich bei der Anmeldung in Hohenlimburg als Konfession „evangelisch-reformiert“ anzugeben obwohl die lutherische Stiftskirche ganz bei uns in der Nähe in Elsey lag. Dagegen musste ich mich, entsprechend meines Wunsches, zur reformierten Kirche in die Hohenlimburger Innenstadt begeben. Der Gottesdienst war die einzigste Gelegenheit, bei der mein Antrieb nicht
das Finden einer Partnerin war. Dort ging ich aus einem Bedürfnis, dass mir in meiner Zeit mit Pastor Neuperth gewachsen war, hin. Da war der Antrieb nicht hormonell sondern im wahrsten Sinne des Wortes geistig gesteuert. Die Samstagabende liefen ebenfalls Woche für Woche nach dem gleichen Strickmuster ab. Damals gab es im Wald, im Nahmertal, eine nette Diskothek mit dem hübschen Namen „Samira“. Die Ortsgrenzen verlaufen dort so undurchschaubar, dass kaum jemand sagen konnte ob sich die Disko auf Hohenlimburger, NachrodtWiblingwerder oder Schalksmühler Gebiet befand. Dort hat vor ein paar Jahren die Stadt Hagen, zu der jetzt Hohenlimburg gehört, eine Brücke erneuert und nach der Fertigstellung festgestellt, dass diese auf dem Gebiet der Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde lag. Ich weiß jetzt nicht, ob die Großstadt der kleinsten Gemeinde im Märkischen Kreis diese Brücke geschenkt hat aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Nachrodt-Wiblingwerder „Wer die Musik bestellt muss sie auch bezahlen“ getönt haben. Na, wenn die Beamtokraten schon nicht wissen wo was hingehört, wo soll das dann der Normalbürger her haben. Aber zurück zu dem jungen Dieter Kleiner und seinen samstäglichen Samirabesuchen. Warum ich mir Samstag immer ein Taxi spendierte und dorthin fuhr habe ich jetzt ja schon so oft geschrieben, dass ich es jetzt nicht extra wiederholen muss. Aber alle meine Bemühungen liefen ins Leere. Wenn ich mal zu einem körperlichen Erleben kam, war dieses ausschließlich auf die Partnerschaft mit meiner eigenen Hand zurückzuführen. Ich machte mir damals doch einige Gedanken. War ich doch der Erste aus meiner ehemaligen Schulklasse der eine Frau „erobert“ und geschwängert hatte. Mit „zarten“ 18 Jahren hatte ich eine komplette Familie begründet. Im jugendlichen Überschwang hatte man mich unter Altersgenossen als den „König der Weiberhelden“ gefeiert. Und was war die „raue“ Wirklichkeit? Nichts von dem, mir gelang es einfach nicht auf normalen Wege eine „Braut“ abzustauben. Ganz offensichtlich war ich doch kein so großer Weiberheld wie ich es mir selber glaubhaft machen wollte. Oder sollte das an meinem Hinkebein liegen? Schließlich war seit meinem Unfall Weihnachten 1987 mein linkes Bein steif. War ich nur ein halber Mann? Hielt ich mich überhaupt für etwas, was ich gar nicht war? Wäre nicht der Urlaub im Jahre 1989 gewesen wäre ich vielleicht schon sehr bald in ein depressives Grübeln verfallen. In diesem Urlaub sollte aber mein männliches Selbstbewusstsein zunächst mal wieder aufpoliert werden. Im Jahre 1989, als ich immerhin schon stolze 23 Jahre auf dieser Erde weilte, begab ich mich erstmals unter die „Pauschis“, wie man die Leute, die bei Neckermann, TUI oder anderen buchen, salopp nennt. Erstmals in meinem Leben hieß mein Urlaubsort nicht Geismar und zum ersten Mal ließ ich mich mit den Flieger an den Ort, wo ich mich erholen wollte, bringen. Ich hatte mir Lorett de Mar an der Costa Brava auserkoren. Ich begab mich also in das Spanien des Generalissimo Franco. Vorher hatte ich mir extra eine neue, für meinen Geschmack altertümliche Badehose gekauft, da man mir erzählt hatte, dass im katholischen Franco-Spanien der Bauchnabel durch die Badehose bedeckt sein müsse. Ich glaube das stimmt sogar aber aus eigenem Erleben kann ich das weder bestätigen noch bestreiten, denn ich bin doch tatsächlich in den ganzen drei Wochen nicht auf dem Teutonen-Grill gelandet. Schon als ich dem Bus, der uns vom Flughafen Badelona – also nicht Barcelona – nach Lorett gebracht hatte, entstieg lief sie mir über den Weg. Mit „sie“ meine ich eine junge Dame, die ich damals als tolles Weib empfand. Aber leider habe ich bis heute sowohl ihren Namen, ich glaube sie hieß Brigitte, und ihr Aussehen vergessen. Ich nenne sie jetzt, damit ich es einfacher habe, einfach so wie nach meinem Glauben ihr Name war: Brigitte. Sie schwirrte an uns vorbei in Richtung eines Platzes während wir Neuankömmlinge mit unseren Koffern auf den Hoteleingang zustrebten. Da war, außer das es bei mir gefunkt hatte, also noch nichts passiert. Am Abend, als wir Vollpensionsgäste in dem terrassenähnlichen Speisesaal abgefüttert wurden, sah ich sie wieder. So wie ich saß sie als Einzelperson an einem kleinen Tisch. Diese Sitzordnung haben wir zum Ärger einiger Hotelgäste, die auf meinem „schönen“ Platz spekuliert hatten, beibehalten. Ich glaube, dass ich an diesem ersten Tag wohl ein Wenig zu arg zu ihr herüber gestarrt habe, denn sie schaute erst verlegen in eine andere Richtung und dann flirrten zu mir rüber. Am Liebsten wäre ich gleich aufgestanden und zu ihr hinüber gegangen um zu fragen, ob sie anschließen gleich mit mir ins Bett gehen wollte. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl das es bei der klappt. Natürlich nicht gleich beim Essen sondern am Abend bei der, auf dem, dem Hotel gegenüberliegenden Platz stattfindenden Fiesta sollten sich dann meine ersten Wünsche erfüllen. Sie sah sich stehend eine Volkstanzgruppe an und ich näherte mich ihr mit zaghaften aber doch zielstrebigen Schritten. Sie beobachtete mich genau und warf mir dann wieder ihre Flirtblicke zu. Jetzt weiß ich nach all den Jahren nur noch, dass es klappte und wir nur kurze Zeit später auf ihrem Zimmer gelandet waren. Die erste Nacht war, wie alle folgenden, die wir wechselweise mal in ihrem und mal in meinem Zimmer verbrachten, eine recht „versaute“ Sause. Brigitte hatte, wenn ich mir das so recht überlege, doch eine Menge sexuelle Erfahrungen mitgebracht und nahm mich damit ordentlich in die Mangel. So etwas hatte ich mit Elke nicht erlebt. Aber schließlich war es ja auch so, dass Elke meine Erste und ich ihr Erster war. Ganz offensichtlich hatte Brigitte da einiges mehr in ihrem jungen Leben hinter sich gebracht. Das ging auch aus ihren Erzählungen, in denen doch diverse Männer vorkamen, hervor. Mir erschien das damals wie das „Wunder der Liebe“, welches
ich mir gerne ein Leben lang erhalten hätte. Auf den Gedanken, dass man solchen Ausschweifungen gegenüber auch überdrüssig werden kann, kam ich damals nicht. Tagsüber musste ich dann für die Abenteuer der Nacht im wahrsten Sinne des Wortes kräftig zahlen. Brigitte besaß nicht nur jede Menge sexueller Fantasie sondern war auch hinsichtlich von Unternehmungen recht einfallsreich. So begaben wir uns mehrmals mit dem Taxi in die katalanische Hauptstadt nach Barcelona. Aber die ganzen Sehenswürdigkeiten dieser Stadt reduzierte sie auf nur zwei, auf die Vergnügungsparks Miramare und Tibitabo. Das es auch noch so etwas wie die Sakra Santa Familia, die Wasserspiele der ehemaligen Weltausstellung oder den Hafen, in dem eine Statue von Christobal Colon – spanischer Name von Christof Kolumbus – gen Osten, nach Indien, zeigt und so weiter, erfuhren wir erst am zweiten Sonntag, zu Beginn meiner letzten Woche in Spanien. Da machten wir eine Stadtrundfahrt deren Höhepunkt ein Stierkampf in der „Arena di Toro monumentale“ darstellen sollte. Zwei der drei Toreros waren die prominentesten, die Spanien aufzubieten hatte. Paco Camino und El Cordobes waren damals sogar in Deutschland bekannt. Auf den steilen Rängen der Stierkampfarena, auf denen ich mit kurzer Hose und mit kurzärmeligen Hemd saß habe ich mir damals im Übrigen einen fürchterlichen Sonnenbrand, der mich heute noch von dem gnadenlosen Sonnenaussetzen abhält, zugezogen. Aber auch vor Ort in Lorett gab es einiges zu unternehmen. Zum Beispiel sahen wir uns eine Flamenco-Show gleich zwei Mal an und in einer Bodega haben wir diverse Sangria geschlürft. Neben der Stadtrundfahrt in Barcelona buchten wir auch noch einen Tagesausflug zum Kloster Montserrat. Eines kann ich aber auch mit Fug und Recht behaupten: Dabei habe ich von Land und Leuten jedoch deutlich mehr mitgekriegt als der typische Teutone, der von seinen Urlaubszielen in der Regel nur das Hotel und den Ganzkörpergrill am Strand kennt. Für diejenigen, die jetzt fragen was das mit den Bezahlen für Liebesnächte zutun hat, muss ich jetzt noch klarstellen, dass die ganze Angelegenheit von mir allein finanziert worden ist. Brigitte brauchte da von ihrer Urlaubskasse keinen Peseta, noch nicht mal einen Cent, für opfern. Als sie zwei Tage vor mir zurück nach Deutschland flog hatte ich mein eingeplantes Urlaubsbudget um mehr als das Doppelte überzogen. Damals waren Euroschecks und Plastikkarten noch nicht so im Umlauf, damals hielt man auch bei Urlaubsreisen Bares noch für Wahres. Da musste ich doch zwischendurch meine Mutter telefonisch um eine telegrafische Nachschuborder bitten. Zuhause hatten wir damals kein Telefon und so musste ich meine Mutter im Friseurladen mit der Bitte um Geldüberweisung angehen. Vielleicht war das auch gut so, denn hinter abgeschlossenen vier Wänden hätte sie mir bestimmt noch einen ganzen Streifen zu meinem ausschweifenden Leben erzählt. Bis zum Eintreffen der „Kohle“ bei einer Bank in Lorett half Brigitte leihweise aus ihrer Urlaubskasse aus. Also selbst das, was sie dabei aufgewandt habe, musste ich ihr erstatten. Wenn man es sich recht überlegt ist dieses doch wohl schon so eine Art von Prostitution. Aber daran habe ich im Sommer 1969 natürlich nicht gedacht. Als Brigitte dann in den Bus stieg, der sie zu ihrem Flieger nach Frankfurt bringen sollte, empfand ich sogar richtigen Trennungsschmerz. Der Katzenjammer, dass ich für eine Sommerliebe und sonst nichts meine sauer verdienten Kröten aufgewandt hatte, stellte sich erst langsam ein, als ich in Düsseldorf meinem Flieger entstiegen war. Trotz- und alledem hatte ich nach meiner Rückkehr nach Hohenlimburg den großen Wunsch Brigitte noch einmal wiederzusehen. Sie wohnte in einem Örtchen, ich glaube im Westerwald; auf jeden Fall nahe Frankfurt. Aus der Formulierung kann man entnehmen, dass ich auch davon heute nichts näheres mehr weiß. Einzig das mir die Fahrt mit Bahn und Bus dorthin wie eine kleine Weltreise erschien, ist mir geläufig geblieben. So habe ich es auch immer wieder aufgeschoben Brigitte in ihren heimischen Gefilden aufzusuchen. Ich wollte ihr auch immer mal ein Briefchen senden. Das schob ich jedoch immer neu auf den Tag, an dem feststünde, dass ich sie besuchen würde, auf. Alles legte sich nach einem paarmaligen Aufschiebungen automatisch. Der Sommer war vorbei und damit auch die Liebe dieses Sommers. Aufgrund meiner nach Urlaubs-Reise-Pläne wurde auch der Wunsch nach der Rückerlangung meines Führerscheines, den man mir aufgrund der Alkoholtröpfchen, die ich bei meinem Unfall noch im Blut hatte, entzogen hatte, erweckt. 12 Monate rückgewonnenes Fußgängertum hatte mir ein Richter aufgebrummt. Diese Zeit war bis zum Urlaub 1969 längst verstrichen aber ich hatte mich darum noch nicht bemüht. Da muss man im Übrigen sowieso aufpassen, denn wenn die offizielle Fahrerlaubnis eine gewisse Zeit geruht hat, bekommt man die sogenannte „Fleppe“ nicht wieder, dann muss man noch einmal bei Adam und Eva in der Fahrschule wieder anfangen. Dabei spielt es keine Rolle ob die führerscheinlose Zeit insgesamt auf des Richters Spruch beruhte oder ob man eine solche Zeit über die Frist hinaus durch Nichtwiederbeantragung selbst zu verantworten hat. Ich weiß jetzt nicht genau ob das zwei oder drei Jahre sind, nur dass dieses heute noch so wie damals gilt, ist bestimmt. Nehmen wir mal an, die Frist wäre zwei Jahre, dann hätte ich ja schon ein Wenig später recht dumm ausgesehen. Aber so ging ich im September 1969 zum Straßenverkehrsamt um meinen Führerschein wieder zu beantragen. Da musste ich auch erst recherchieren, welches Amt nun für mich zuständig war. Die ausstellende Behörde war
das Straßenverkehrsamt Altena, da Nachrodt-Wiblingwerde zu jener Zeit zum Kreis Altena gehörte. Mein erster Wohnsitz zum Zeitpunkt des Scheinentzuges war jedoch Geismar im Kreis Frankenberg/Eder, wo das StVA Frankenberg zuständig gewesen wäre. Nun wohnte ich in Hohenlimburg, das zum Landkreis Iserlohn gehörte, wofür das StVA Iserlohn zuständig war. Weil die Behördenleutchen nicht nachgeforscht hatten wo ich letztlich abgeblieben war, hatte ich auch keine Mitteilung erhalten, dass ich, wenn ich wieder wollte nun könne – also die Wiedererteilung beantragen könne. Nun, zuständig war Iserlohn aber die mussten wegen vorhergehender Nichtzuständigkeit sich erst einmal die notwendigen Unterlagen besorgen. Also ging auch erst einmal wieder ein paar Wochen übers Land. Sie wissen ja, wenn Beamte am Werk sind plätschert alles betulich durch die Behördenlandschaft. Eile ist der größte Feind des deutschen Beamten. Dann bekam ich den damals noch grauen Lappen auch nicht sofort wieder. Ich wurde erst einmal zu einem Idiotentest, den es auch damals schon gab, geschickt. Bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung traf ich dann auch einen ehemaligen Klassenkameraden, der dort antreten musste obwohl er gar nicht gesoffen hatte, wieder. Der hatte „nur“ nach über 50 Fahrstunden zum dritten Mal die Fahrprüfung nicht geschafft. Wenn ich mir das so überlege: Mein Fahrlehrer hatte mich damals nach der 10. Fahrstunde zur Prüfung angemeldet und dann hatte ich auch gleich bestanden. An der Tatsache, dass man in den 60ern noch mit einer Hand voll Fahrstunden davon kam, kann man ermessen was die fünfzig Stunden meines Klassenkameraden bedeuteten. Dabei schien er rein oberflächlich gesehen überhaupt nicht zur intellektuellen Unterschicht zu gehören. Nach der Mittleren Reife hatte er Maschinenschlosser gelernt und danach wiederum hatte er an der Ingenieurschule Iserlohn, heute Fachhochschule Südwestfalen, Maschinenbau studiert. Da er aufgrund seiner KriegsdienstVerwendungs-Fähigkeit nicht zum Bund musste, war er, als wir uns beim medizinisch-psychologischen Institut des TÜV in Hagen trafen, auch mit seinem ersten Studium fertig und wollte jetzt auf eine pädagogische Fachschule wechseln um Berufsschullehrer, die ja bekanntlich Studienräten gleichgestellt sind, zu werden. Na ja, das klappte bei ihm dann jedoch besser wie mit dem Führerschein. Für mich ist sein Beispiel ein weiterer Beleg dafür, dass man vor niemanden aufgrund seines akademischen Grades mit den Knien zittern muss. Was man ist, hängt ja sehr oft von bestimmten momentan Lebensumständen ab. Was hätte aus mir geworden sein können, wenn ich nicht den Blödsinn mit Elke gemacht hätte. Was wäre wenn, zum Beispiel wenn ich nicht nach Geismar sondern mit meinen Eltern in einen Pauschalurlaub entfleucht wäre. Ja, auch ein Idiotentest konnte mir damals nichts anhaben, ich bekam meinen Schein wieder. Aber nicht so, wie ich ihn abgeben hatte. Darin befand sich zum Ersten ein Säuferbalken und zum Zweiten eine Auflage. Das mit dem Säuferbalken muss ich den jüngeren und auch den bis dato ungescholtenen älteren Lesern kurz erklären. Die alten grauen Führerscheine hatten immer ein Feld für den sogenannten Prüfvermerk des Fahrschulprüfers. Das man seinen Lappen wieder erhält ist ja nur so eine volkstümliche Redensart, in Wirklichkeit wird das Papierchen bei Wiedererlangung der Fahrerlaubnis neu ausgestellt. Auf diesem neuen Führerschein konnte sich natürlich kein Prüfvermerk befinden und daher wurde da ein diagonaler Balken drüber gedruckt. Aus der Farbe des Balkens konnte man erkennen ob der Führerschein nach einem Entzug der Fahrerlaubnis oder aus einem anderen Grunde neu ausgestellt worden war. Der Säufer war also gebranntmarkt. Bei mir führte das dazu, dass ich bei jeder Routinekontrolle nach dem Vorzeigen des Führerscheins immer erst eine Runde in die Tüte blasen musste. Und Routinekontrollen gab es in den 70er-Jahren im Hinblick auf die Suche nach Mitgliedern der BaderMeinhof-Bande, die sich selbst Rote Armee Fraktion RAF nannte, nicht wenige. Die Auflage, die ich in den Führerschein geschrieben bekam, bezog sich auf mein linkes steifes Bein, welches ich ja bis zum heutigen Tage noch nicht wieder gelenkig bewegen kann – Steif ist eben steif. Bekanntlich benötigt man das linke Bein beim Autofahren zum Kuppeln, und das konnte ich ja nun nicht mehr. Daher bekam ich die Auflage, dass ich nur Fahrzeuge mit spezieller Ausstattung oder Automatikfahrzeuge fahren durfte. So etwas ist natürlich auch ein etwas dickerer Brocken. Kleinwagen oder solche aus der unteren Mittelklasse wurden zur damaligen Zeit so gut wie gar nicht mit einer Automatik ausgestattet – wenn wir mal von dem holländischen DAF-O-Dill, das in Deutschland kaum gefahren wurde, absehen. Also, da war auf dem Gebrauchtwagenmarkt so gut wie nichts zu machen. Und ein größerer Gebrauchter, zum Beispiel Opel Kapitän, Admiral oder Commodore, kosteten auf dem Markt etwa genauso viel wie ein neuer Kleiner. So etwas ist natürlich ein dicker Brocken für einen jungen Otto Normalverdiener. So kam ich zunächst erst mal nicht wieder zu einem neuen fahrbaren Untersatz und deshalb verlief Ende 1969 und in der ersten Hälfte des Jahres 1970 alles so weiter, wie ich es oben beschrieben habe. Wenn ich jetzt ohne Weiteres zum nächsten „Highlight“ in meinem Leben, den Urlaub 1970, überginge würden bestimmt einige aufmerksame Zeitgenossen in meiner Altersklasse fragen, ob ich nicht etwas ganz Wichtiges aus anno 69 verpasst hätte. Natürlich nicht, selbstverständlich ist mir das Ereignis, dass ich erstmalig bei einer Bundestagswahl meine Stimme abgeben durfte, nicht aus dem Gedächtnis entschwunden. Es ist ja nicht nur die Tatsache, dass ich erstmalig mitmischen durfte, interessant sondern die Wahl leitete ja auch eine politische Zeitenwende ein. Zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mussten CDU und CSU in die Opposition gehen. Großer Wahlsieger 1969 war die SPD, die nach nordrhein-westfälischen Vorbild,
eine Koalition mit der FDP einging. Willy Brand, in meinen Augen der wahre Kanzler der Einheit, führte die Bundesregierung an. Vizekanzler wurde damals der spätere Bundespräsident Walter Scheel von der FDP. Demjenigen, der mich jetzt fragt, warum ich Willy Brand für den wahren Kanzler der Einheit halte, dem sage ich, dass die deutsche Einheit eine Spätfolge der Brandschen Ost- und Friedenspolitik, für die Willy Brand auch den Friedensnobelpreis erhielt, war. Der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, ein gewisser Helmut Kohl, schmückte sich dann später mit dem Titel „Kanzler der Einheit“ obwohl er die damalige Ostpolitik, dessen Früchte er dann später während seiner Kanzlerschaft ernten konnte, verbissen bekämpfte. Damals erschienen einige Leute in der CDU total rechts verdeppt zu sein. Da schrieb doch ein bundestagssesselbesetzender Schnösel bei der Bundestagswahl „Fram nie“ auf den Wahlzettel. Er spielte darauf an, dass sich ein gewisser Herbert Fram bei seiner Emigration nach Norwegen in Willy Brand umbenannt hatte. Aber nicht der Namenswechsel war für die Rechtstrottel das maßgebliche sondern die Emigration. Nach deren Ansicht war es wohl ehrenhafter im Namen des Wiener Stadtstreichers Adolf Hitler mordend und plündernd über die anderen europäischen Länder herzufallen. Das Letzte habe ich jetzt nur mal erwähnt um zu verdeutlichen, dass man damals im Jahre 1969 noch eine echte Wahl hatte. Damals wollten noch nicht alle das Gleiche, nämlich nur mit anderen Pöstchenjäger im Dienste von Banken und Industrie antreten, so wie mir das heute der Fall zu sein scheint. Ja, nicht nur im Rechtswahn und linkem Denken gab es damals gravierende Unterschiede zwischen CDU und SPD, auch in der Wirtschaftspolitik. Was damals die SPD da an wirtschaftspolitischen Ziele ausgab, passte den „Herren in den Nadelstreifenanzügen“, wie man die Oberbankfiosis und die Industrieverlenker damals zusammenfasste, überhaupt nicht in den Kram. Direkt und über dubiose Wege ließen die Wirtschaftsbesitzer der Truppe mit dem hohen C davor einige Milliönchen zufließen. Daraus resultierten dann später ja auch einige bekannte Affärchen bis zum Ende des letzten Jahrhunderts. Ich nenne nur als Beispiel die Flick-Affäre, die Kohlsche Bimbessammlung auf Ehrenwort und die hessische Schwarzgeldaffäre. Die C-Parteien suchten damit ihr Glück in kostenträchtigen Materialschlachten und die SPD konterte mit ihrer großen Mitgliederzahl dagegen. Ja, damals in der kleineren, menschenärmeren Bundesrepublik kam die SPD auf über eine Millionen Mitglieder und die hatten ein heute schon unheimlich aussehendes Wir-Gefühl. Der Slogan des Wahlkampfes 1969 hieß „Wir schaffen das moderne Deutschland“. Und an der Spitze dieser SPD stand Willy Brand, Gott der SPD und Zeus der Jusos. Es darf nicht vergessen werden, dass die gesamten gesellschaftlichen Änderungen aus den prüden und verstaubten Vor-68er-Jahren in die Neuzeit nach 68 der sozialliberalen Koalition „anzulasten“ sind. Die andere Seite behaarte auf die verknöcherten Konventionen der 50er-Jahre. Damals überlegte ich ob ich mich nicht auch zu den Jusos begeben sollte. Damals hatte ich aber keine Zeit weil ich andere Prioritäten gesetzt hatte, ich wollte ja wie beschrieben mir erst einmal eine Frau fürs Bett und fürs ganze Leben angeln. Wenn ich es so nachträglich überlege wäre ich, wenn meine kleine Familie mit Elke und Katja noch intakt gewesen wäre, wahrscheinlich mit flammender Überzeugung ein Sozialdemokrat geworden. Irgendwie, sagt mir eine meiner kleinen Lebensphilosophien, muss im privaten Umfeld alles in Ordnung sein bevor man an großen gesellschaftlichen Dingen mitwirken kann. Eine gesunde Gesellschaft kann nur aus gesunden Familien wachsen. In diesem Punkt bin ich mir mit den Konservativen einig, nur das ich es ernst meine und das den Konservativen nur als Schlagwortfetzen in den Sonntagsreden einfällt. Oder warum wurde gerade in der Regierungszeit eines Helmut Kohl so gegen die Familien gearbeitet? Aber verlassen wir jetzt wieder die große gesellschaftliche und politische Bühne und kehren zurück zu den Ereignissen im Leben des einzigen Sohnes meiner Eltern. Auch 1970 plante ich einen Pauschalurlaub mit dem Zwecke einer Weibchenfindung ein. Lorett sollte es diesmal nicht wieder sein, denn nach meinen Feststellungen war der Urlaubsort nicht so mit herrenlosen Damen bestückt, wie ich mir das eigentlich gewünscht hätte. Mit Brigitte hatte ich offensichtlich ein Nadel im Heuhaufen gefunden. Jetzt hatte ich ein Ziel in Jugoslawien auserkoren. Heute würde man mich allerdings korrigieren, dass das istrische Porec nicht in Jugoslawien sondern in Kroatien liegt. Na ja Leute, damals gehörten aber Slowenien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien genau wie Serbien und Montenegro auch zur Bundesrepublik Jugoslawien, an deren Spitze zu jener Zeit immer noch der Gründer Marschall Tito stand. Das Wiederzerstückeln geschah erst in den 90er-Jahren. Jugoslawien war zwar ein kommunistische Land gehörte aber nicht zum sogenannten Ostblock. Offiziell bezeichnete sich Jugoslawien als neutraler Staat und zeigte gegenüber dem Westen die liberalste Haltung unter allen kommunistischen Ländern. Apropos liberale Haltung: In Sachen Baden am Meer ging es in Jugoslawien liberaler als in jedem anderen europäischen Land zu. Wer nach Jugoslawien fuhr konnte ohne Sorgen seinen Badeanzug vergessen. In jedem Urlaubsort entlang der Adria gab es einen oder sogar mehrere FKK-Strände. Die waren teilweise sogar besser als die für die Leute, die glaubten doch noch diverse Teile durch Textil verstecken zu müssen. Das war es, was ich damals haben zu müssen glaubte. Nackedi und Nackedei, sehen und sehen lassen, erwies sich damals so recht nach meinen Geschmack. Wo kann man sonst vornehm tun und trotzdem schamlos gucken. Ja, wo schamlos
gucken sogar noch erwünscht war oder weshalb begibt man sich sonst frank und frei unter andere Menschen. Bleiben Sie doch ehrlich meine lieben Damen und Herrn Nudisten, hingucken und hingucken ist doch der Grund warum man sich in eine Gemeinschaftssauna oder an einem FKK-Strand begibt. Nur das es welche gibt, die lieber zeigen und andere die lieber hinschauen – Exhibitionisten und Spanner. Aber nichts für ungut, ich geh auch heute noch gerne in die Gemeinschaftssauna. Da es aber nackte Weiber, den man seinen Dödel zeigen konnte, in jedem Ort entlang der blauen Adria gab, musste es ja noch was besonderes geben, was meine Wahl ausgerechnet auf Plava Laguna bei Porec lenkte. Ganz einfach, in den Prospekten war Plava Laguna als so eine Art Sportzentrum ausgewiesen. Da sollte man segeln, Tennis und Minigolf spielen, schwimmen, tauchen und so weiter können. Nun, ich habe ja schon früher davon berichtet, dass Sport nie mein Fall war und nun kam ja noch mein steifes Bein hinzu. Was wollte ich dann genau dort. Auch der Gedankengang, der mich darauf brachte ist leicht zu erklären. Wo es Sport gibt, gibt es auch Sportler und wo es Sportler gibt, sind auch Mädchen, die einen solchen Sportler angeln wollen, aber auch Sportlerinnen, die sich Bewunderer angeln wollen. Also kurz: Ein Sportzentrum riecht immer danach, dass sich dort junge Leute begegnen. Da gibt es eine gleich große Wahrscheinlichkeit, wie die auf einen Kurschatten für Oma oder Opa in einem Kurort. Lange Rede kurzer Sinn: Ich flog von Düsseldorf nach Pula, fuhr von dort mit dem Zubringerbus nach Plava Laguna und wurde dort im Hotel Lotus untergebracht. Das Hotel Lotus bestand aus vier Häusern: Lotus 1, 2, 3 und 4; ich glaube, mein Domizil lag in Lotus 3. Na, gleich am ersten Tag, wie ein Jahr zuvor in Spanien, klappte es diesmal nicht mit meiner Frauensuche. Am ersten und zweiten vollen Tag konnte ich mich solo und lonely an den FKK-Strand begeben und dort, im wahrsten Sinne des Wortes auf- und abschwänzeln. Am Ankunftsabend und am darauffolgenden Tag, also an dem, den ich eben ersten vollen Tag genannt habe, begab ich mich ins Hotel Delphin, wo abends immer so ein Bisschen Ringelpietz stattfand. Aber nirgendwo wurde ich fündig. Dort in Plava Laguna gab es auch einen „Club International“ mit Disko und „Nachtclub“. Na ja, was sich da Nachtclub nannte war mehr oder weniger ein konventionelles Tanzlokal mit Kapelle und Programm um Mitternacht. Da wurde ich dann fündig. Dort saßen zwei Mädchen, die eine, eine Blonde, die ich nach meinem Geschmack als „Rasseweib“ bezeichnen würde und dann eine dunkelhaarige, die ich zunächst als so eine Art keusches Küken einschätzte. Ich fragte die beiden jungen Damen ob ich auf einen der beiden freien Plätze an ihrem Tisch platz nehmen dürfte und dies war dann der Beginn meines Ferienabenteuers 1970. In dieser Nacht gab es dann zunächst so eine Art Geschichtswiederholung. Da passierte etwas, was ich schon mal erlebt hatte. Natürlich verabredete ich mich, natürlich mit dem „Rasseweib“, zu einer flotten Nacht. Was ich bei der Gelegenheit erst feststellte, war die Sache, dass die Beiden im gleichen Lotus-Haus wohnten wie ich. Ich sollte nach Anweisung meiner Eroberung schon mal auf mein Zimmer vorgehen und sie wollte folgen. Ich fühlte mich schon auf den Arm genommen, als sich dann doch noch etwas tat. Es klopfte an der Tür und nachdem ich „Herein“ gerufen hatte traten beide Mädchen mit Bademänteln bekleidet ein. Das „Rasseweib“ hatte eben die Tür hinter sich zugemacht als beide mit Kichern ihre Bademäntel, unter denen sich kein weiteres Kleidungsstück befand, ablegten. In diesem Augenblick verspürte ich, wie es mir in meiner Bekleidung zu eng wurde und ließ blitzartig meine Hose herunter, was die beiden erst mal zur Bewunderung meiner Männlichkeit veranlasste. Dann gab es erst einmal ein Spielchen zu Dritt, nach dem uns dann aber das „Rasseweib“ mit einer Ausrede verließ. Zurück blieb Gabi; so hieß das Mädchen was ich erst für ein keusches Küken hielt. Im nackten Zustand konnte ich sie als gutgebaut und sehr schön bewundern. An ihr war nichts üppig aber alles wohl proportioniert und sehr weiblich gerundet. Mit Gabi trieb ich es dann in dieser Nacht und nicht nur da sondern an der blieb ich dann für die restliche Urlaubszeit kleben. Na, hatten wir so etwas nicht schon mal? War es damals mit Elke nicht genauso losgegangen? War das etwa ein Omen? Nur der entscheidende Moment bei der Elke-Geschichte konnte sich jetzt bei Gabi jedoch nicht wiederholen: Gabi nahm die Pille, die sich nach ihrem „Vermarktungsstart“ Mitte der 60er-Jahre inzwischen durchgesetzt hatte, und sagte mir das auch. Etwas anderes hätte sich aber wiederholen können aber zu meinem Glück geschah das nicht: Ich brauchte tagsüber nicht für die Lüste der Nächte zahlen. Gabi war ein ganz anderer Typ als Brigitte ein Jahr zuvor. Meiner 70er-Eroberung kam es nicht darauf an alles mögliche mitzunehmen und genoss lieber den Urlaubstag. Gabi und ich gingen gerne entlang des Felsenstrandes spazieren. Wir schauten mal hier und mal dort zu. Insbesondere genossen wir auch FKK-Freuden, meist auch zusammen mit ihrer Freundin und deren Urlaubsfreund, den sie einen Tag nach mir „abgeschossen“ hatte. Ab und zu mieteten wir uns auch ein Boot mit Außenbordmotor um mit diesem ein Wenig hinaus zu tuckern oder wir spielten eine Runde Minigolf. Bei den Gelegenheiten zahlte mal sie und mal ich. Das gleiche galt, wenn wir uns mal zu einem Getränk niedergelassen hatten. Dieses geschah ohnehin entweder nur im Lotus oder im Delphin. Ach, ich habe das Ganze eigentlich als eine wirklich schöne und angenehme Zeit in Erinnerung behalten. Des Nachts konnte ich mit Gabi auch ganz neue Erfahrungen machen. Bei ihr stand der eigentliche Geschlechtsverkehr nicht an erster Stelle. Sie stand viel mehr auf Zärtlichkeit und Schmusen. Wir haben uns
immer lange am ganzen Körper, vom Kopf bis Fuß und nicht nur in der Intimzone, zärtlich gestreichelt, zart gekitzelt und abgeküsst. Gerne nahm sie meinen Penis in den Mund und umzüngelte diesen mit sanfter Zunge und dabei akzeptierte sie stets, dass ich im Gegenzug nicht so gerne an ihrer Vagina züngelte. Ich weiß nicht, aber auch heute ist für mich der Blick in eine Scheide kein ästhetischer Genuss. Breiten wir aber jetzt die Angelegenheit nicht weiter aus, denn ich habe beim besten Willen nicht die Absicht ein pornografisches Pamfleet zu verfassen. Ich wollte nur verdeutlichen, was Gabi unter Zärtlichkeit verstanden und Fantasie anregend sagen, dass so etwas sehr schön sein kann. Gabi hat mich letztlich damit so infiziert, dass ich sogar heute noch ein unverbesserlicher Anhänger der körperlichen und sehr lustvollen Zärtlichkeit bin. Was ich in den letzten beiden Absätzen schrieb klingt so, als habe ich mich in das Mädchen verliebt. Das klingt nicht nur so, sondern es war so. Und die Geschichte war nicht einseitig. Gabi gestand mir, dass sie in mich verknallt sei. Darüber hinaus erfuhr ich auch, dass sie aus gleicher Motivation wie ich in den Urlaub gefahren war. Auch sie fühlte sich in jener Zeit bei der Partnersuche glücklos. Ich nehme mal an, dass dieses wohl in erster Linie auf ihr öffentliches Auftreten zurückzuführen war. Durch ihre Kleidung, die so ungeschickt ausgewählt war, dass sie alles was weiblich erschien versteckte und durch ihr, etwas duckmäuserisch wirkendes Auftreten erweckte sie absolut den Eindruck eines keuschen Kükens. Ich merkte es sehr deutlich, wenn ich mit ihr im vollkommen bekleideten Zustand durch die Gegend bummelte. So gut wie niemand nahm dann von ihr Notiz. Auch mir wäre sie ja entgangen, hätte nicht ihre, ein Bisschen aufgedonnerte Freundin mit ihr am Tisch im Club International gesessen. Anders war das, wenn sie im Bikini oder gar nackt am FKK-Strand war, dann klebten die Männerblicke an ihr und auch so mancher Frau konnte man ein Wenig Neid in den Augenwinkel ansehen. Nie war mir bewusster wie hier, dass Kleidung und Auftreten den Eindruck von einem Menschen ins Gegenteil verkehren können. Umgekehrt konnte man es bei ihrer Freundin beobachten. Durch ihr Aufdonnern erschien sie als Rasseweib aber sah man sie mal von allem Äußeren befreit, dann war sie eher Durchschnitt. Sie war dann zwar nicht hässlich aber zur Schönheitskönig hätte ich sie dann auch nicht gewählt. Ja, in schmutzigen Jeans und unrasiert kommt jeder Millionär inkognito durch während man dem im Nadelstreifenanzug auftretenden Straßenreiniger im Grand Hotel die Füße küsst. Auf den Effekt beruht ja bekanntlich der Erfolg von Hochstaplern. In manch feinen Anzug steckt ein Schwein und in schmutzigen Klamotten kann auch ein Edelmann stecken. Zur Urteilsfindung muss man schon näher hinschauen. Das Äußere eines Menschen ist zwar der Signalgeber um zueinander zu finden, entscheidend sind aber seine persönlichen Eigenschaften und seine inneren Werte. Wenn ich auf der Basis die beiden Freundinnen miteinander vergleiche, komme ich dazu, dass beide ihre nette, freundliche und liebe Art gemeinsam hatten. Beide waren auch intelligent aber dann kommen die großen Gegensätze. Gabi war still, zurückhaltend und stets sehr nachdenklich, sie ging immer in die Tiefe. Dagegen war ihre Freundin lebhaft, immer mit dabei und auch für oberflächlichen Spaß zu haben. Sie suchte sexuelles Vergnügen und Gabi suchte wirkliche Liebe. Als ich dieses gerade schrieb, fiel mir auf, dass ich Ihnen, verehrte Leserschaft noch eine Erklärung schuldig bin. Immer wenn ich von Gabi schreibe benenne ich sie beim Namen und bei dem anderen Mädchen schreibe ich von ihrer Freundin oder zuvor vom „Rasseweib“. Ja Leute, so ist das nun mal, der Name der Freundin ist mir im Laufe der Zeit ganz und gar entfallen. Aber nach dieser Zwischenbemerkung zurück zu dem, was ich von den beiden Mädchen erzählen wollte. Gabi suchte also Liebe oder mit anderen Worten etwas Festes. Dabei standen ihr ihre Art und ihr Auftreten im Wege. Sie fand keine Beachtung; an einem Köder, den man nicht sieht kann man nicht anbeißen. Da war ihre Freundin ganz anders, die war nicht zu übersehen. Da schlossen die Beiden einen Pakt und fuhren gemeinsam in Urlaub. Die Freundin wollte erst einen Boy für Gabi aufreißen und sich dann selbst ein Abenteuer verschaffen. Bereits an ihrem ersten Abend klappte der Plan. Die Mädchen waren zwei Tage nach mir mit einer anderen Reisegesellschaft angereist. Im „Club International“ war ich voll auf die Freundin abgeflogen. Jetzt ging nur eines schief: Die Freundin versuchte ständig von sich abzuleiten und auf Gabi aufmerksam zu machen. Aber es lag an mir, ich spielte nicht mit. Ganz im Gegenteil traf ich meine Verabredung mit der Freundin. Als die Zwei dann auf ihrem Zimmer waren, wollte die Freundin immer Gabi an ihrer Stelle zu mir schicken. Was aber Gabi wiederum nicht wollte. Dann kam die Freundin auf eine „blöde“ Wette: Sie wetteten, dass ich, wenn ich die beiden nackt sehen würde, auf Gabi abfliegen würde. Gabi war zwar der Meinung, dass danach alles vorbei sei aber die Wette ging sie in Urlaubslaune trotzdem ein. Na, was dann passierte habe ich geschrieben. Dass dann erst beide Mädchen mit mir „spielten“ war für Gabi selbst ein Rätsel und sie führte es auf den Wein, den wir alle Drei an dem Abend getrunken hatten zurück. Eu, ich wundere mich über mich selbst. Konnte ich von diesem Urlaub doch noch mehr berichten als ich selbst geglaubt habe. Mehr ist aber nach den 33 Jahren wirklich nicht mehr drin. Ich weiß nur noch, dass Gabi und ich an meinem letzten Abend unter einigen Abschiedsschmerz gelitten haben. An dem Abend versprachen wir uns auch nach dem Urlaub miteinander zu gehen und wir tauschten die Adressen miteinander aus. Mit dem Auto, so schien es mir, sind Aachen und Hohenlimburg keine großen Entfernungen. So zirka 150 bis 160 Kilometer kalkulierte ich „Pi mal Daumen“. In 2½ bis 3 Stunden müsste das mit dem Auto schaffbar sein. Was ich
Wonneproppen bei dieser Gelegenheit übersehen hatte war die Tatsache, dass ich zu dem Zeitpunkt überhaupt kein Auto hatte. Aber, ob es so hätte sein müssen, schon eine Woche nach meinem Urlaub hatte sich das Ganze geändert. Ein Kollege von Ingo war linksbeinig noch lädierter wie ich, er hatte ein Holzbein. Dieser bekam ein neues Auto und ich konnte seinen alten Siebzehnhunderter Opel Rekord mit Automatik preisgünstig bekommen. So fuhr ich also 14 Tage nach dem Urlaub Richtung Aachen und an diesem Tag zogen dann auch wieder dunkle Wolken über unsere Liebe auf. Ich wusste ja nicht wie lange ich für die Fahrt nach Aachen brauchte und so verabredeten wir uns bei Gabi zu Hause. Auf diese Art kam ich früher als gewollt mit ihren Eltern in Kontakt. Ja, seitdem weiß ich auch, dass Gabis, für sie unvorteilhafte Art, nicht von ungefähr kam. Ihr Vater war erstens ein Beamter vom alten Schlag und zum Zweiten erzkatholisch. Prinzipientreue und Sittenstrenge waren seine obersten Prinzipien. Mir kam der „Kerl“ so vor wie einer, der Kinder in den Brunnen stürzen lässt, wenn in irgendeinem Gesetz steht, dass man auf die Brunnensicherung verzichten kann. Aus meiner heutigen Sichtweise war das so ein Typ, wie die Beamtentrottel von einer Ausländerbehörde, die es bei der Abschiebung gar nicht interessiert was der arme Mensch, den sie im wahrsten Sinne des Wortes zum Teufel jagen, in seiner Heimat zu erwarten hat und dann die Unmenschlichkeit damit begründen, dass alles nach Recht und Ordnung ablaufen muss. Selber denken und Courage zeigen kann ja die Pension, die einem Beamten offensichtlich wichtiger als Menschlichkeit ist, kosten. Dieser „feine“ Herr unterzog mich erst einem Verhör, also er quetschte mich so richtig aus, und dann wurde ich von ihm mächtig abgekanzelt. Nein, ich war nicht der richtige für seine Tochter. Einer, der mit Achtzehn schon verheiratet war, wie seine Eltern geschieden ist und dann noch evangelisch. Nach seinen Vorstellungen konnte es nichts Schlimmeres geben. Gabi sackte bei den Redensarten ihres alten Herrn immer mehr zusammen und brach letztendlich in Heulen aus. Letztendlich konnte sie sich nicht mehr halten, sprang auf und schrie ihren Vater das nette Wort „Arschloch“ ins Gesicht, wonach sie dann aus dem Zimmer lief. Da war auch für mich der Zeitpunkt gekommen, das Haus wieder zu verlassen. Auf der Heimfahrt überlegte ich, ob ich um Gabi kämpfen und sie aus ihrem Elternhaus entführen sollte. Ja, hätte da nicht die Distanz Hohenlimburg-Aachen zwischen gelegen, hätte ich das bestimmt gemacht – aber so? Was mir geblieben ist, ist mein Mitleid mit dieser armen Gabi. Ansonsten war es wieder einmal nur eine Sommerliebe und sonst nichts. Ein Wenig verändert hatte sich mein Alltag danach doch. Jetzt war ich mobilisiert und konnte mein Wirkungskreis ausdehnen. Jetzt brauchte ich mich nach Feierabend nicht nur mehr in Iserlohn umsehen. Ich konnte auch mal kurz nach Hagen oder andere umliegende Städte huschen. An den Wochenenden konnte ich auch mal bis zur Sorpe- oder zur Möhne-Talsperre ausschwirren. Nun war ich nicht mehr auf die Samira im Nahmertal als Stammdiskothek angewiesen sondern ich konnte mich mal zur Suzy Wong in Iserlohn oder gar nach Dortmund in Hösls gute Stuben begeben. Letzteres war so ein schickes, konventionelles Tanzlokal mit Tischtelefonen und reichlich „Ball paradox“, also gleichzeitig Damen- und Herrenwahl. Dort ging es in etwa so wie bei einem Ball der einsamen Herzen zu, nur dass man mehr auf ein etwas jüngeres Publikum abzielte. Ab und zu ging ich auch mal in Letmathe in den Racing-Saloon, der allerersten Diskothek in dieser Gegend. Der Kreis hatte sich also erweitert aber ansonsten war alles beim Alten geblieben. Aus meinen Erfahrungen mit dem Rasseweib und dem Küken resultierte wohl meine neuerliche Putzsucht. Eine ganze Menge Geld investierte ich in mein Äußeres. Ich legte mir laufend neue Klamotten zu, immer musste es das Modernste sein. Stets und ständig versuchte ich meine Männlichkeit herauszustellen. Aber alles nützte mir nichts, ich blieb erfolglos. Beim letzten Klassentreffen vor fünf Jahren erfuhr ich von einer ehemaligen Mitschülerin woran es lag. Ich soll ein Typ, den sich Mädchen gerne zugelegt hätten, gewesen sein. Mein großer Haken sei es aber gewesen, dass ich auf Hinweise wie Flirten und andere Signale nicht reagiert hätte und von mir aus wäre nichts gekommen. Auch sie habe mir oft einen entsprechenden Blick zugeworfen und darauf gewartet, dass ich sie anders wie eine ehemalige Klassenkameradin angesprochen hätte – aber nichts sei geschehen. Na ja, Anfang der 70er-Jahre waren die Frauen wohl schon emanzipierter wie in den prüden 50ern und 60ern aber von sich aus Männer ansprechen war und blieb unschicklich. Ja, wenn ich mich so recht zurück besinne war es immer das, also von Frauen angesprochen werden, auf was ich gehofft hatte. Irgendwo war ich doch in meinem Inneren ein ganz schüchternes Kerlchen. Anfang 1971 sollte es eine Riesenwende in meinem Leben geben. Es änderte sich eine ganze Menge in meinem Alltag. Es heißt immer so schön, dass alle guten Dinge Drei wären, aber eine dritte Sommerliebe und sonst nichts sollte es zu jener Zeit nicht mehr geben. Dieses ist natürlich ein Grund, dieses Kapitel an dieser Stelle zu beenden und ein neues aufzulegen. Na, dann blättern Sie mal um und erfahren wie es im Leben von Dieter Kleiner, also meiner bedeutungslosen Wenigkeit, weiter ging.
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Aufstieg zum Kümmerer Große Veränderungen fallen nicht vom Himmel, da stehen immer lange schleichende Prozesse davor. Diese Prozesse sind oft so schleichend, dass die tatsächliche Wende selbst für aufmerksame Beobachter plötzlich und absolut überraschend kommt. Als sehr deutliches Beispiel aus der jüngeren Geschichte kann man die Deutsche Einheit und darüber hinaus den gesamten Fall des Ostblockes nennen. Alles in dieser Richtung entwickelte sich sehr langsam und schleichend. Spätestens seit der Friedenspolitik eines Willy Brands lief alles in kleinen, teilweise sehr kleinen Schritten darauf hinaus. Wenn man es nachträglich analysiert, war letztlich die tatsächliche Wende vorhersehbar. Beim letzten Satz ist das Wort „nachträglich“ das wichtigste in der ganzen Zeile. Denn selbst für aufmerksamste Beobachter, wie zum Beispiel Rudolf Walter Leonhard, Autor des Buches „Die Revolution entlässt ihre Kinder, kam dann doch die tatsächliche Wende, die ich hier mal mit dem Mauerfall am 9. November 1989 terminisieren möchte, plötzlich und unerwartet. Dieses gestand er in Interviews nach jenem 9. November auch selber ein. So wie in der großen Geschichte ist es natürlich auch im privaten Leben. Meine persönliche Wende in 1971 war eigentlich eine Konsequenz aus den vielen kleinen Schritten der vorangegangen zwei bis drei Jahren. Wenn man das als Beteiligter nicht mitkriegt ist das durchaus verständlich, denn man steckt ja voll und ganz in dem momentanen Details, die letztendlich zu dem führen, was geschieht. Aber meine Mutter, für die ich wohl ein Leben lang nicht nur auf dem Papier ihr Kind bleiben werde, könnte ich wohl als aufmerksame und in diesem Fall außenstehende Beobachterin bezeichnen. Aber auch die hatte nichts gemerkt und auch für die kam alles sehr überraschend. Jetzt gibt es aber auch noch die Tatsache, dass man natürlich nicht fortwährend spontan und situationsbedingt handeln kann. Aus einer Handlung von Jetzt auf Gleich resultiert entweder nichts oder nur Chaos. Man muss schon ein Bisschen vorausdenken und planen. Treten nun Wenden in einer bestimmten Planphase ein, dann ist mal wieder alles über den Haufen geworfen. Dann kann man mit Wilhelm Busch sagen: Erstens kommt es anders und Zweitens als man denkt. So trat ich Anfang 1971 natürlich auch mit meiner erneuten Urlaubsplanung an. Es sollte wieder, wie im Vorjahr, Jugoslawien sein. Das Nackedi und Nackedei an der adriatischen Küste hatte mir doch zu gut gefallen. Auch das dortige Angebot an nicht bemannten Urlauberin hatte mein Zuspruch gefunden. Irgendwo glaubte ich mir auch sicher zu sein, dass nun beim dritten Mal mehr als nur eine Sommerliebe dabei heraus kommen würde. Mit Gabi schien ich ja schon ganz nahe dran gewesen zu sein. Das mit dem karikaturfähigen Beamten als Vater war sicherlich ein Künstlerpech was sich bestimmt nicht so schnell wiederholt. Unter den möglichen Urlaubsorten war wieder Porec, Plava Laguna, mein Toppfavorit. Lediglich die Überlegung, dass ich in diesem Jahr mit eigenen fahrbaren Untersatz reisen konnte, war der Grund, warum ich noch nicht bei Yugotours, der damaligen jugoslawischen halb- oder ganzstaatlichen Reisegesellschaft, eine Flugreise gebucht hatte. Mit dem Auto hätte ich ja auch schnell auf der Halbinsel Istrien einen Ortswechsel vornehmen können. Da konnte es auch Koper, Vrsar, Rovinij oder Rijeka sein. Warum nicht gleich in ein FKK-Camp, wie zum Beispiel Koversada bei Rovinij beziehungsweise Vrsar? Ich war mir gar nicht schlüssig und überlegte Hin und wieder Her. Dem Umstand, dass ich für meine Überlegerei fast das komplette erste Quartal benötigte habe ich es zu verdanken, dass ich später keine Reiserücktrittskosten tragen musste. Ach, ich sollte dabei bleiben, dass ich alles der Reihe nach erzähle. Mein Chef, mit dem weitverbreiteten Namen Müller, war, wie ich schon mal erwähnte, sehr zufrieden mit mir. Im November 1970 betraute er mich, seinen jüngsten Sachbearbeiter, erstmalig mit der Alleinbewältigung einer größeren Aufgabe. Anfang 1971 lag dann das Ergebnis meines Wirkens vor und dieses war besser als alle Seiten es erwartet hatten. Dann durfte ich im Büro des Chefs antreten. Neben einem ansehnlichem Scheck wurde mir noch allerlei Honig um den Bart geschmiert. Die Krönung der Audienz war, dass mich Herr Müller zu einem kleinen Umtrunk in sein Haus in Villigst bei Schwerte einlud. Damit ich keine Probleme in Hinblick auf meinen Führerschein und Alkohol hätte wollte er mich abholen und wieder nach Hause bringen lassen. Eine solche Einladung war recht außergewöhnlich, da Herr Müller für eine strickte Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben bekannt war. So war auch das private Umfeld von Herrn Müller, in das ich jetzt laut Einladung eindringen durfte, weitgehenst unbekannt. Hätte ich dieses gekannt, hätte ich wohl gleich gemerkt, dass Herr Müller noch einen mich betreffenden Hintergedanken hatte. Die Einladung war also als so eine Art Fallstrick für den armen Dieter Kleiner gedacht. So außergewöhnlich ist das aber nicht, die meisten Leute, die plötzlich von ihrem Chef, wie aus heiterem Himmel eingeladen werden, sind als Opfer für bereitgestellte Fallen bestimmt. Welcher Art Fallstrick das im vorliegenden Fall war, stellte ich fest, als ich mit den beim Umtrunk anwesenden Damen und Herren bekannt gemacht wurde. Natürlich war da erst einmal die Gattin meines Bosses. Na ja, Unternehmerfrauen hatte ich mir doch irgendwie anders vorgestellt. Auf mich wirkte sie so wie ein etwas zu breit gebautes Mütterchen. Auch ihren Bruder, der an diesem Abend anwesend war, konnte ich nicht gerade in die Galerie der männlichen Schönheiten einordnen. Allerdings war der sehr bedeutend und wohlhabend rausge-
putzt, ein echter Nadelstreifentyp mit einem grauen Kränzchen um seine Glatze. Nun, Herr Prätorius stellte ja auch etwas da, er war Vorsitzender der Schweikart AG in Dortmund-Hörde. Der hatte sich allerdings ein Superweib zur Frau auserkoren. Mensch, ich war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal 25 Jahre und diese Frau dürfte schon auf die Fünfzig zugegangen sein und trotzdem hätte ich keine Sekunde gezögert, wenn sie mich in ihr Bett eingeladen hätte. An diesem Abend bereitete es mir die meiste Mühe, nicht ständig auf ihr tiefes Dekollete zu starren. Des weiteren war die Müllertochter Ilka anwesend. Ein perfekter Ableger der Mutter: Sehr gewichtig, mindestens hundert Kilo, und ansonsten sehr hausbacken. Mit anderen Worten: Sie war überhaupt nicht nach meiner „bescheidenen“ Fasson. Da waren dann auch noch eine Reihe anderer Leute, alle aus dem Müllerschen Verwandtenkreis, die aber in meiner Geschichte keine große Rolle spielen und zum anderen habe ich sie im Lauf der Zeit auch vergessen. Man kann sich denken, was der Fallstrick, von dem ich eben schrieb, war. Er hieß Ilka. Herr Müller hatte mich offensichtlich als tüchtig genug für seinen Schwiegersohn beurteilt. Die Tochter war wohl in die Geschichte ausreichend eingeweiht worden, denn ich war gerade fünf Minuten da, als sie auf ihr Opfer, also auf mich, lossteuerte. Das ist natürlich eine heikle Angelegenheit. Ilkas Vater war ja immerhin mein Boss aber deshalb konnte ich mich ja nicht in eine Liebe zu einer Frau, gegenüber der ich allenfalls brüderliche Liebe empfinden könnte, ziehen lassen. Übertrieben gesagt lautete meine Einstellung: Lieber Eunuch werden als eine Nacht mit der verbringen. Da musste ich verdammt taktieren. Ich weiß nicht, ob es Flucht vor Ilka oder die Attraktivität von Frau Prätorius war, dass ich mich an diesem Abend praktisch an das Ehepaar Prätorius anklammerte. Jetzt konnte ich junger Spund aber doch nicht mit einer Frau, die etwa doppelt so alt wie ich war, flirten und rumschäkern und deshalb führte ich ein Gespräch nach dem anderen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Schweikart AG. Dabei machte mir seine Frau die Geschichte nicht gerade leicht. Ihr war nicht entgangen, was meine Aufmerksamkeit bei ihr erregte und sie kokettierte dann damit so, dass dieses natürlich Einfluss auf meinem Hormonhaushalt hatte. Ehrlich gesagt war ich froh, als ich mich, nachdem sich die Chance bot, dass ich Heim gebracht werden konnte, verabschieden durfte. Das Ganze war mir doch Alles in Allem ein Wenig zu heiß. Dieser Empfang fand an einem Freitag statt und am darauffolgenden Montag wurde ich dann auch gleich in das Büro von Herrn Müller bestellt. Der Weg dorthin fiel mir nicht gerade leicht. Mir war schon bewusst, dass er mir seine Tochter angeboten hatte und ich dieses Angebot mit Missachtung gestraft hatte. Und wenn dann noch mein Augengrabschen bei seiner Schwägerin in den falschen Kanal geraten war, dann konnte ich mich ja auf was gefasst machen. Als ich beim Boss im Büro war und er mir Platz angeboten hatte, ging es los und seine ersten Worte hörten sich ganz so an, als würden sich meine Ahnungen bestätigen: „Ja mein lieber Herr Kleiner, meine Ilka ist wohl nichts für sie. Das Mädchen ist einmal leider und einmal ‚Gott sei dank’ auf ihre Mutter gekommen. Ich habe damals auch nicht die Schönste abbekommen ... das muss ich leider gestehen. Aber die liebe Art und die Klugheit meiner Frau gaben dann doch den Ausschlag ... und ich habe dies bis zum heutigen Tage nicht bereut. Ilka ist genauso wie sie ... Vielleicht überlegen sie es sich doch noch einmal. Ich stehe ihnen gerne als Vermittler zur Verfügung.“. Seine Ehrlichkeit verblüffte mich enorm und ich suchte krampfhaft nach einer diplomatischen Ausrede, als er auch schon weiter fuhr: „Statt zwischen ihnen und mein Fräulein Tochter hat es aber zwischen ihnen und meinem Schwager gefunkt. Er möchte sie ganz gerne als Vorstandsassistent zur Schweikart AG abwerben. Und ich armer Müller kann jetzt nichts dagegen machen, denn sie würden es mir bestimmt nicht verzeihen, wenn ich ihnen eine solche Chance verbauen würde. ... Übrigens: Auch als Vorstandsassistent bleiben sie mir weiterhin als Schwiegersohn willkommen. Ich brauch ja auch hier im Laden einen tüchtigen Nachfolger und einen so netten Kerl wie sie, würde ich meiner Tochter auch gerne wünschen.“. Um mich jetzt selbst vor einem zu schnellen Himmelsflug zu schützen, erwiderte ich: „Nun ja, netter Kerl. Mit 18 musste ich heiraten und mit 22 war ich schon das erste Mal geschieden.“. „Das ist mir ja von Anfang an aus ihrer Personalakte bekannt gewesen.“, erwiderte Müller, „Was meinen sie, was andere für Jugendsünden vollbracht haben. Und ich habe mal mitgekriegt, wie nett sie im Büro über ihre Exfrau gesprochen haben. Dadurch können sie sich nicht zum schlechten Kerl degradieren. Außerdem habe ich sie ja hier im Hause genügend kennen gelernt und deshalb bleibe ich bei der Ansicht, dass ich sie sehr gerne an Ilkas Seite sehen würde.“. Er holte kurz Luft und fuhr dann mit „Aber lassen wir mal meine privaten Träume beiseite und kommen wir zur Sache, zur Chance, die sich ihnen bei Schweikart bietet.“ fort. Nun erzählte er mir, was mich laut seinem Schwager auf dieser Position erwartete. Das klang ja alles super: Großes Chefbüro, Sekretärin und ein Gehalt, welches doppelt so hoch wie mein derzeitiges war und so weiter und so fort. Nach seinen Worten sollte ich so eine Art „Kümmerer“ sein, der als linke und rechte Hand seines Bosses fungieren sollte. Bei der Gelegenheit berichtete mir Müller, dass ich Prätorius mit meinen Kenntnissen aber auch mit meiner schnellen Auffassungsgabe beeindruckt hätte. Dann erfuhr ich, welche Bewerbungsunterlagen man bei der Schweikart AG wünschte und wie diese auszusehen hätten. Dann bekam ich erst die Ermunterung, dass ich mir die Chance nicht entgehen lassen sollte und dann den Auftrag, die Bewerbungsunterlagen zu erstellen und ihm diese in der darauffolgenden Woche zu übergeben.
Den Auftrag führte ich aus und danach hörte ich ganze vier Wochen nichts mehr von der Angelegenheit. Meine anfängliche freudige Erwartung war schon einer Art Enttäuschung gewichen und da bekam ich an einem Samstagmorgen zuhause dann doch überraschend Post von der Schweikart AG. Kurz und bündig nahm man Bezug auf meine Bewerbung und bat mich für den darauffolgenden Mittwoch zu einem Gespräch nach Hörde. Im Schreiben bat man mich noch zusätzlich, mir doch bitte den ganzen Tag dafür freizuhalten. Als ich daraufhin am nächsten Montag für den Mittwoch einen Tag Urlaub erbat quittierte Herr Müller das mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch Herr Assistent, der Aufstieg zum Kümmerer ist gelungen.“. Trotzdem wollte ich jetzt nicht eher daran glauben, bis ich die Sache endgültig schriftlich haben würde. Aber ich musste Müller nicht nur wegen eines Urlaubstages ersuchen sondern ich wollte am gleichen Tag schon früher, möglichst schon Mittags, Schluss machen, denn der Montag war – und ist in kleineren Städten immer noch – der Frisösensamstag. Mit anderen Worten an dem Tage mussten die Haare auf dem Kopf bleiben, denn die Salons waren zu. Dafür mussten aber die Kopfputzkünstler an den Mittwoch- und Samstagnachmittagen, wo die anderen Geschäfte im Städtchen verrammelt waren, ran. Ein Vorteil hatte die ganze Geschichte damals: Man wusste immer wo man dran war, ein Öffnungszeitenchaos wie heute in den Klein- und Mittelstädten gab es damals nicht. Das brachte offensichtlich auch wirtschaftliche Vorteile für die Ladeninhaber, denn es gab damals eine Vielzahl von Läden aus allen Bereichen. Heute trifft man ja vielerorts nur noch auf Filialen einer Hand voll bundesweit operierender Ketten. Auch für dem Arbeitsmarkt hatte das offensichtliche Vorteile. In den Länden gab es überall vollfertige Jobs, dank deren der Kunde auch Beratung haben konnte. Heute ist der Handel durchseucht von Loddelchen, die erst 620-Marks-, dann 320-Euro- und jetzt 400-Euro-Jobs heißen, die in Zukunft der Rentenversicherung viel Geld sparen, da die 400-Euro-Sklaven bei ihren Loddelchen keine Rentenansprüche erwerben. Aber was die Rentenversicherung nicht bezahlt muss dann vielfach die Stütze zücken; mal sehen womit wir den Staat eher bankrott kriegen. Dieter, reiß dich am Riemen und schweif nicht immer wieder ab. Also weiter mit dem Frisösensamstag, der offiziell Montag heißt. Das war folglich dann auch der freie Tag für meine Mutter. Und die wollte doch auch ihren Beitrag zu meinem Aufstieg zum Vorstandsassistenten leisten. Ich sollte von Kopf bis Fuß neu eingekleidet werden und Mütterchen wollte natürlich bei der Ausstaffierung dabei sein. Ganz passte mir das letztendlich nicht in den Kram. Immerhin war ich 243/4-jährig, war zuvor schon mal Familienvater und sollte jetzt ein besseres Pöstchen in der Wirtschaft bekommen und gehe dann, wie das kleine Dieterle, mit der Mama zum Einkleiden. Ihre Argumente, dass man beim Anzugkauf jemand, der das, was man selber nicht sieht, erblicken kann, mitnehmen sollte zog bei mir auch nicht so recht. Aber dass sie aus der Familienkasse 500 Mark zu der Ausstattung, die nicht billig sein sollte, beisteuern wollte ließ mich dann doch an Muttis Händchen losziehen. Ich wurde also ganz schnuckelig neu eingekleidet. Es gab einen neuen seriösen Anzug, dazu fünf neue modische Oberhemden und zu jedem Hemd passend zwei Krawatten. Nicht genug damit: Ich bekam auch noch zwei Paar neue schwarze Schuhe wozu dann auch noch mehrere Paare Socken gehörten. Was beim Einkauf meinen Magen gribbeln ließ war der Gedanke daran, wenn nun alles sinnlos wäre und ich den Job doch nicht kriegen sollte. So fuhr ich dann frisch uniformiert und mit etlichen komischen Gefühlen an dem besagten Mittwoch in den Dortmunder Stadtteil Hörde. Ich fuhr auf dem Firmenparkplatz auf und stellte fest, dass alle Besucherparkplätze belegt waren. Da ich ja nicht gleich unangenehm auffallen wollte, begab ich mich wieder vom Parkplatz herunter und parkte meinen Rekord etwa 100 Meter weiter am Straßenrand ein. Dann begab ich mich von dort, wahrscheinlich wie ein kleiner Sünder, zur Rezeption des Verwaltungsgebäudes und meldete mich bei dem Empfangsherrn. Der rief irgendwo an und sagte mir anschließend: „Einen kleinen Augenblick Herr Kleiner, Fräulein Breuer holt sie sofort ab. Sie möchte heute gerne ihren neuen Chef in sein Büro begleiten.“. Der Pförtner lachte und mir kam das Ganze etwas komisch vor. Ich fühlte mich in diesem Moment gar nicht wohl. Einen Augenblick später öffnete sich die Fahrstuhltür und heraus kam eine sehr gepflegte und auch super gebaute Blondine mit freundlich lächelndem Gesicht. Als Erstes schoss mir durch den Kopf, dass sie das Richtige für mich wäre und die noch zu haben sei. Schließlich hat der Pförtner, wie es anno 1971 bei unverheirateten Frauen noch üblich war, von einem Fräulein gesprochen. Fräulein ist zur Identifikation von habbaren Frauen ja ganz gut aber wie hätte die Männerwelt dreingeschaut, wenn Fräulein nicht abgeschafft aber dafür Herrlein für frauenlose Männer eingeführt worden wäre. Na ja, „abgeschafft“ ist eigentlich nicht das richtige Wort sondern „Fräulein“ ist im gesellschaftlichen Umgang ganz still und heimlich gestorben. Fräulein Breuer startete auch direkt auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte: „Guten Tag Herr Kleiner, ich bin Ulrike Breuer, ihre zukünftige Sekretärin. Es freut mich sie kennen zu lernen“. Langsam begann ich jetzt an mein Glück zu glauben. Schließlich hatte mir Müller schon zum Posten gratuliert und sowohl der Pförtner wie diese wirklich „tolle“ Dame, die sich mir als meine Sekretärin vorstellte, hatten in mir einen neuen Chef gesehen. War ich jetzt auf einmal nicht mehr Dieter Kleiner sondern Hans im Glück. Nicht nur, dass ich jetzt beruflich die Treppe rauf fallen sollte sondern auch gleich noch eine unverheiratete Superfrau zur Sekretärin bekommen konnte. Ein Alarmglöckchen sagte mir allerdings: „Vorsicht Dieter, Chef und Sekretärin ist eine
heikle Angelegenheit, die einem Neuling zum Verhängnis werden kann.“. Sicherheitshalber nahm ich mir, zumindestens fürs Erste vor, nicht zu schneidig heran zugehen – später kann man ja immer weiter sehen. Jetzt folgte ich ihr, nachdem ich ihr auch ehrlich gesagt hatte, dass es mich ebenfalls freue, sie kennen gelernt zu haben, in den Fahrstuhl. Während der Fahrt in den 5., obersten Stock, entschuldige sie sich für den Oberboss, Herrn Prätorius, der auf einer Postbesprechung, die eigentlich schon zuende sein müsste, kleben geblieben sei. Aber dann könnte ich ja schon mal mein künftiges Büro in Augenschein nehmen. Im obersten Stock angekommen stellte sie mir erst einmal Frau Reuter, Prätorius schon etwas ältere Sekretärin vor und führte mich dann in „mein“ Büro. Am Liebsten hätte ich mir mit den Worten „Dieter wach auf“ kräftig vor den Kopf geschlagen. Es war wie im Traum – ein Superbüro, hinter dem sich die Chefkabine meines Herrn Müller mehrfach verstecken konnte. Fräulein Breuer fragte mich ob ich Kaffee oder lieber etwas anderes haben wollte. Nachdem ich mich für das zu erst Angebotene entschieden hatte, empfahl sie mir schon einmal Platz zunehmen und verschwand um das gewünschte Getränk zu brühen. Platz nehmen war leicht gesagt, ich wusste nicht wohin. Ich wagte es nicht mich auf den Volllederthron hinter dem Schreibtisch zu setzen. Auf einen der beiden davor stehenden Sessel Platz zu nehmen kam mir auch mehr als komisch vor. Zum Glück gab es links hinter der Tür noch eine Sitzgruppe mit drei besseren Stühlen. Na ja, dann entschloss ich mich auf einen dieser drei Stühle zu setzen. Als „mein“ Fräulein Breuer nach zirka fünf Minuten mit einem Tablett mit Kaffee zwei Tassensätzen, Milch und Zucker wieder herein kam, stutze sie erst mal: „Nanu Chef, wollten sie sich noch nicht auf ihrem Arbeitsplatz setzen? ... Aber gleich mal eine Frage: Haben sie etwas dagegen, wenn ich mir auch einen Kaffee einschütte. Sie interessieren sich doch bestimmt dafür mit wem sie es bei mir zu schaffen haben. Dann kann ich mich ihnen bei der Gelegenheit gleich einmal vorstellen.“. Natürlich hatte ich nichts dagegen, dass sich ein solch charmantes Wesen auf eine Tasse Kaffee zu mir setzte. Ich brauchte nichts zu fragen, denn sie erzählte munter alles was für mich interessant war. Zunächst erfuhr ich, dass sie knapp drei Monate jünger war als ich. Sie war am 11. September 1946 in Letmathe geboren. Da konnte ich ihr nun freudig drauf antworten, dass auch ich, welch großer Zufall, in Letmathe geboren wäre und sogar im gleichen Jahr, nur am 12. Juni. Darauf fragte sie mich dann etwas verwundert ob ich etwas mit dem ehemaligen Frisör Kleiner in der Berliner Allee zutun hätte. Auch hier konnte ich ihr eine positive Auskunft geben. Ich konnte ihr sagen, dass es zwei ehemalige Frisöre Kleiner gebe: Mein Großvater und mein Vater. Das wir uns nicht früher über den Weg gelaufen sind hing damit zusammen, dass sie in Oestrich, einem Stadtteil von Letmathe, der vor der Eingemeindung nach Letmathe 1953 ein selbstständiges Amt war, gewohnt hat. So war sie auch in Oestrich auf die Volksschule und dann in Hohenlimburg aufs Gymnasium gegangen. Nach dem Abitur hat sie eine Ausbildung zur Fremdsprachen-Korrespondentin gemacht. Sie beherrscht Englisch, Französisch, Spanisch und auch ein Wenig Italienisch. Da aber alle ihr angebotenen Stellen etwas weiter weg lagen, hat sie noch eine Steno-Ausbildung gemacht und sich danach bei Schweikart beworben. Ja, da war sie nun seit zwei Jahren und seit Januar hatte sie keinen Chef mehr. Mein Vorgänger war einem Herzinfarkt, den er bereits im November erlitten hatte, erlegen. Von Oestrich wollte sie nicht weg, weil sie das Reihenhäuschen ihres Opas auf dem Baumberg geerbt habe. Dort wohnte sie zu jenem Zeitpunkt ganz alleine. Das war doch eine ganze Menge, was ich da unaufgefordert auf einen Schlag erfahren hatte. Danach konnte ich nur sagen, dass ich mich auf eine Zusammenarbeit mit ihr freuen würde – und das war ganz ehrlich. Fräulein Breuer hatte ihre Vorstellung gerade beendet als der Big Boss, also Prätorius eintrat. Er hatte meinen Arbeitsvertrag gleich mitgebracht und ging, nachdem meine Sekretärin den Raum verlassen hatte, diesen mit mir durch. Das Wesentliche ist wohl dass ich mehr als doppelt soviel wie bisher an Gehalt bekommen sollte. Das Ganze sollte nach dem Probehalbjahr noch einmal aufgestockt werden. Darüber hinaus sollte ich einen repräsentativen Firmenwagen erhalten. Theoretisch hätte ich den Mercedes 280 SL meines Vorgängers gleich mitnehmen können aber da musste ich auf mein Handicap, dass ich nicht kuppeln kann, aufmerksam machen. Aber alles kein Problem: Die Firmenfahrzeuge waren alle geleast und da kam es nicht darauf an anstelle eines anderen Wagens eine Automatik, natürlich aus der gleichen Klasse wie der andere Wagen, anzuleasen. Prätorius veranlasste postwendend eine entsprechende Order. Na ja, den Rest meines ersten AT-Vertrages spare ich mir mal an dieser Stelle und sage nur, dass wir, nachdem ich unterschrieben hatte, erst einmal zur Hohensyburg im Dortmunder Süden, wo Prätorius sein „Häuschen“ hat, fuhren um dort fein zu Mittag zu speisen. An der Hohensyburg traf ich dann auch wieder mit Frau Prätorius, der von mir angebeteten 50-Jährigen, zusammen. Auch heute hatte sie ein tiefer dekolletiertes Kleid an. Vor dem Essen ließ uns der Hausherr ein Weilchen allein in der Wintergartenterrasse, von der man einen wunderbaren Blick bis hinunter zum Hengsteyund Harkortsee sowie übers ganze Ruhrtal nach Hagen und Herdecke hat. Da ging die „Chefin“ aufs Ganze. Mit einem Finger fuhr sie entlang ihres Dekolletes und tönte: „Das gefällt ihnen doch Herr Kleiner.“. Ich wurde verlegen und sagte kleinlaut: „Oh entschuldigen sie vielmals Frau Prätorius, ich kann aber nicht umhin, wenn ich etwas Schönes sehe, dieses zu bewundern. Ich wollte und will ihnen damit aber nicht zu nahe treten.“. „Ach wissen sie, Herr Kleiner,“, setzte sie wieder an, „sie treten mir ja gar nicht zu nahe. Mir macht es ja eine Freude.
Das ist bestimmt bei jeder Frau in meinem Alter so, wenn sie von einem smarten jungen Mann, so wie sie es sind, noch bewundert wird. Es baut doch ältere Frauen immer auf, wenn noch junge Männer hinter sie hersehen. So gesehen haben und machen sie mir eine große Freude. Und andererseits macht es meinen Mann auch ganz stolz, wenn andere und insbesondere auch junge Männer mich noch begehrenswert finden. Der Tatsache haben sie es auch zu verdanken, dass mein Mann ihnen an dem Abend bei unserem Schwager so viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Dabei haben sie sich wirklich gut dargestellt, so dass mein Mann später sagte: ‚Donnerwetter, das ist der richtige Kerl, den kann ich zu meinem Nachfolger aufbauen’. Was sie jetzt noch wissen sollten, ist die Tatsache, dass meine Schwiegermutter eine geborene Schweikart ist. Die Familie meines Mannes ist der Großaktionär der Gesellschaft. Wenn der also meint sie könnten sein Nachfolger auf dem Vorstandsposten werden, dann ist das wirklich ernst zu nehmen. Das wollte ich nur noch loswerden, damit sie wissen wo sie dran sind. Es wird ihnen doch sicher helfen, wenn ihnen bekannt ist, was man mit ihnen vor hat.“. Das war dann auch eine neue Erfahrung für mich: Durch Bewundern von Frauen kann man ohne Weiteres in den Fahrstuhl nach Oben gelangen. Ich nehme mal an, dass das Fernbleiben von Prätorius und das Outing seiner Frau abgesprochen war, denn als er zurück kam sagte er gleich: „Ich nehme an, meine Gemahlin hat ihnen eben verraten, was ich mit ihnen vorhabe. Wir haben uns immer einen Sohn gewünscht aber meine Frau konnte leider keine Kinder bekommen. Sie sind der Typ wie ich mir meinen Sohn vorgestellt habe und deshalb lasse ich ihnen jetzt das zukommen, was für ihn bestimmt gewesen wäre. Jetzt kann ich ihnen ja die Kröte, die damit verbunden ist, zu schlucken geben. Ich werde sie hart ran nehmen müssen, härter wie jeden anderen, um aus ihnen einen erstklassigen Manager zu machen. Das wird für sie in der Tat ganz schön hart werden und dann verlange ich noch von ihnen absolute Loyalität. Bei der Gelegenheit kann ich ihnen auch sagen, dass ich bei jungen Herrn absolut Verständnis dafür aufbringe, wenn sie sich nach der holden Weiblichkeit umsehen aber ich möchte sie bitten einstweilen von solchen Sachen Abstand zu nehmen. Die Hörner haben sie sich ja schon abgestoßen ... sie waren ja schon einmal verheiratet. Ausschließlich wenn sie etwas Festes und Solides suchen bin ich auf ihrer Seite. Bei der Gelegenheit ein Tipp: Wenn sie es so machen wollen wie ich, dann würde ich die Sache auch unterstützen. Als ich in ihrem Alter als Vorstandsassistent anfing, war meine Frau meine Sekretärin. ... Aber falls sie es mir nach machen wollen, möchte ich ihnen verraten, dass Fräulein Breuer nicht der Typ der heutigen Mädels, wie man sie langläufig kennt, ist. Sie ist nicht so leichtlebig, sehr vertrauenswürdig und verdammt tüchtig. Wenn, ... dann gehen sie bitte mit etwas Niveau vor. Nach meinen Beobachtungen haben sie offensichtlich ganz gute Chance bei ihr.“. Jetzt könnte man sagen, dass das alles doch ein wenig sehr weit ginge. Da bewerbe ich mich um einen Job und bekomme den dann auch zu Toppkonditionen und schon wird mir die Schlinge um den Hals gelegt und über mein Privatleben bestimmt. Da will man mich gleich schon mit meiner Sekretärin, die es ja eigentlich noch gar nicht war, verkuppeln. Ja, was meinen Sie, was ich da innerlich empfand? Es war mir ganz recht, mir war so als hätte ich alle Joker auf einmal gezogen und dem entsprechend willigte ich auch auf alles ein. Daraus entwickelte sich dann zwischen Prätorius und mir so eine Art Vater-Sohn-Verhältnis. Wenn Sie mich jetzt fragen ob ich diese damalige Entscheidung auch heute noch für richtig hielte, dann kann ich nur sagen, dass ich bestimmt, wenn ich heute noch einmal vor bestimmten Entscheidung stünde, vieles gar nicht oder anders machen würde aber bereuen tue ich nichts in meinem Leben. Ich stehe dazu, sogar so, dass ich es heute, weder mit Reue noch mit Zorn, niederschreiben kann. Als wir von Hohensyburg zurück nach Hörde fuhren, fragte mich Prätorius ob mir Fräulein Breuer gefiele und ich verfiel in ein Schwärmen, allerdings mit vorsichtig gewählten Worten. Darauf erklärte er mir dann, dass er am kommenden Samstag anlässlich meiner „Berufung“ einen kleinen Untrunk bei sich zuhause veranstalten wolle. Außer mir wolle er nur noch Fräulein Breuer dazu einladen. Seine Gemahlin und er würden uns dann reichlich Gelegenheit geben, dass wir uns näher kommen könnten. Er wies mich dabei aber ausdrücklich noch einmal auf seine Worte vom Mittagstisch hin. Am Samstagmorgen wollte er mich in Hohenlimburg abholen, damit man mir meinen neuen Wagen übergeben könne. Mit diesem sollte ich des Abends Fräulein Breuer in Oestrich abholen. Damit es keine Jungfernparty würde, könnten wir in seinem Hause übernachten aber selbstverständlich nur in deutlich von einander getrennten Zimmern. Ich hatte ihm bereits an dem Abend bei Müller von meiner Restalkoholgeschichte, der ich mein steifes Bein zu verdanken hatte, erzählt. Damit begründete ich damals meinen zurückhaltenden, kontrollierten Umgang mit den alkoholischen Getränken. Darauf setzte jetzt Prätorius an und erklärte, dass wir bis zum Sonntagabend seine Gäste wären. Im Vorfeld wollte er sich um das entsprechende Arrangement mit Fräulein Breuer kümmern. Was wir danach, wenn ich sie wieder nach Hause gebracht hätte, machten, wäre dann unsere Sache. Mehr könne er nicht tun. In meinen Augen entpuppte sich Prätorius in diesem Augenblick als der perfekte Kuppler. Der folgende Nachmittag bestand daraus, dass mich Prätorius durch den ganzen Betrieb, nicht nur durch die Verwaltung sondern auch durch die Fertigung, führte und mir alle wichtigen Damen und Herren vorstellte. Zwischen den einzelnen Stationen wies er mich immer auf die Macken und Eigenarten der nächsten Ansprech-
partner hin. Es war so gesehen praktisch ein vorgezogener erster Arbeitstag, der laut Vereinbarung erst am Donnerstag, dem 1. April 1971, sein sollte. Dass das reibungslos, so ohne Kündigungsfrist und so weiter, klappte war zwischen Müller und Prätorius abgesprochen. Alles in Allem stellte ich fest, dass man hinter meinem Rücken schon alles perfekt geplant und ausgehandelt hatte und sich sicher war, dass ich anbeißen würde. Sogar das ich aufgrund meines Resturlaubes am nächsten Tag bei Müller meinen letzten Arbeitstag haben würde, erfuhr ich aus dem Munde von Prätorius. Ich gestehe, dass ich, als ich kurz vor Fünf meinen Wagen wieder Richtung Hohenlimburg steuerte glücklich wie Oskar im Goldregen war. Ich konnte es kaum erwarten in die elterliche Wohnung zu stürmen, meine Mutter in die Arme zu nehmen und ihr zu sagen: „Mutti, dein Sohn ist über Nacht ein großer Mann geworden.“. An diesem Abend wusste ich nicht, dass ich, ebenfalls über Nacht, meine ganze Art und mein Auftreten ändern könnte und würde. Bereits am nächsten Tag erschien ich bei Müller in Iserlohn nicht mehr wie ein kleiner bescheidener Arbeitnehmer sondern ich war mir meines gestiegenen Wertes deutlich bewusst. Selbstsicher steuerte ich gleich bei Arbeitsbeginn auf das Büro des Chefs zu und trat ihm wie ein Kollege gegenüber. Nein, nicht das ich jetzt meine ekelige Seite gezeigt hätte, ich war weiter freundlich und nett, nur eben halt meines Selbstwertes bewusst. Mit Müller habe ich dann fast eine anderthalbe Stunde geplaudert. Zum Einen ging es um meine Sichtweise über meine unerwartete Karriere, wobei ich natürlich nicht aus dem Nähkästchen plauderte, und zum Anderen ging es um Müllers Tochter Ilka. Jetzt erlaubte ich mir zu raten, dass Ilka erstens an ihrer Figur arbeiten müsse, wo sie einen Arzt zu Rate ziehen sollte, und zum Zweiten solle sie mal eine Typberatung hinsichtlich ihres Äußeres befragen. Müller hörte sich diese gut gemeinten Ratschläge, die ich früher nicht zu äußern gewagt hätte, mit Interesse und sogar ein Wenig Dankbarkeit an. Letztlich holte er sogar noch meine Meinung zu einigen Vorhaben in seinem Betrieb ein. Unmittelbar nach unserem Gespräch trommelte er noch die komplette Büromannschaft zusammen und teilte meinen erstaunten Kolleginnen und Kollegen mit, dass ich noch am gleichen Tage das Haus verlassen würde, weil ich bei der Schweikart AG eine Führungsaufgabe übernehmen würde. Dann bestand meine Arbeit nur noch darin, dass ich noch anstehende Arbeiten übergab und meinen Arbeitsplatz ausräumte. Gegen 16 Uhr hatte ich noch zu einem Umtrunk, auf der Müller eine Laudatio sprach, geladen. Eine Stunde später bedankte ich mich noch persönlich bei Müller für alles und dann ging für mich ein weiterer Lebensabschnitt zuende. Am darauffolgenden Samstag holte mich Prätorius wie abgesprochen zur Wagenübergabe ab. Auf der Rückfahrt von Dortmund nach Hohenlimburg fühlte ich mich im neuen Firmenwagen wie der King. Als ich in der Wiesenstraße ausstieg pinkste ich auch mit meinen Augenwinkel in alle Richtung ob mich auch ja alle sahen. Und dann bekam ich, je mehr die Zeiger der Uhr vorrückten, immer mehr Herzklopfen. Um 18:00 Uhr sollte ich in Oestrich auf der Grürmannsheider Straße, an der Mauer wo es zur Straße „Am Baumberg“ raufgeht stehen und „mein“ Fräulein Breuer abholen. Ihr gegenüber kam ich mir nicht wie der große Herr sondern wie ein schüchtern Jüngling vor dem ersten Rendezvous vor. Eine ganze Viertelstunde war ich zu früh da und brauchte gar nicht zu warten, denn sie hatte es offensichtlich auch nicht erwarten können. Sie war auch schon da und stieg auch gleich mit einem freundlichen Gruß ein und dann sagte sie zu meiner entsetzten Überraschung: „Herr Kleiner, verstehen sie das jetzt bitte nicht falsch aber könnten sie wenden und mit mir über Grürmannsheide fahren? Ich habe nämlich noch etwas mit ihnen zu besprechen.“. Eu, da schoss mir doch einiges durch den Kopf, denn auf Grürmannsheide parkten bei Dunkelheit immer junge Leute ganz gerne um da zu schmusen. Meine Ahnungen waren gar nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, denn sie sagte gleich, nach dem ich an der Kirche gewendet hatte: „Herr Kleiner, die Einladung unseres Bosses kam mir zwielichtig vor und da habe ich erst auch abgelehnt. Dann rief er mich zu sich herein und war auf einmal ganz ehrlich. Er verriet mir vertraulich, dass er sie zu seinem Nachfolger aufbauen will. Diesbezüglich würde er eine Beziehung zwischen uns, spätere Heirat nicht ausgeschlossen, sehr gerne sehen. Wir beide würden nach seiner Meinung gut zusammen passen. Er erzählte mir, dass er auch mit ihnen darüber gesprochen hätte und sie sich so geäußert hätten als hätten sie bereits ein Auge auf mich geworfen. Stimmt das?“. „Nun ja,“, kam es etwas zögerlich aus mir heraus, „es war nicht ganz so wie er es ihnen gesagt hat. Richtig ist aber, dass ich sie tatsächlich gerne haben möchte und daraufhin hat Herr Prätorius das Arrangement für diese Wochenende getroffen. Bitte verzeihen sie mir, aber ich möchte sie tatsächlich gerne für mich haben. Schon als sie am Mittwoch aus dem Fahrstuhl kamen hatte es bei mir gefunkt.“. „Das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit,“, fuhr Fräulein Breuer jetzt fort, „wie sonst hätte ich ihnen bei meiner Vorstellung so viel Privates erzählt. Es ist ja auch nicht üblich, dass sich eine Sekretärin selbst zum Kaffee bei ihren Chef einlädt. Wir sollen also verkuppelt werden und haben beide nichts dagegen. Aber ich würde ganz gerne dabei mit ihnen die Regie selber führen ... und deshalb möchte ich jetzt mit ihnen nach Grürmannsheide.“. Danach schwieg sie erst und schaute dabei etwas verlegen nach Unten. Dann setzte sie zu einem Frage- und Antwortspiel an: „Was würden sie auf der Schälker Landstraße (in Grürmannsheide) machen, wenn ich nicht ihre Sekretärin wäre und wir uns zum Beispiel im Racing-Saloon kennen gelernt hätten?“. „Ich würde parken und versuchen mit ihnen das Du zu vereinbaren.“, gab ich ihr ehrlich und offensichtlich auch ihrer Erwartung
entsprechend zur Antwort. Worauf sie gleich mit der nächsten kurzen Frage fortfuhr: „Und dann, wenn ihr Versuch erfolgreich war?“. „Dann würde ich sie um den Bruderschaftskuss bitten.“, antwortete ich weiterhin ehrlich. Dann kam dann die dritte und letzte offizielle Frage: „Würden sie nach dem Kussaustausch dann gleich wieder losfahren?“. Ich lächelte und bekannte: „Nein, dann würde ich erst mal eine viertel bis halbe Stund mit ihnen schmusen.“. „Und warum machen wir es nicht so?“, sagte sie jetzt weniger fragend als bestimmend klingend. Also fuhr ich an geeigneter Stelle rechts ran und fragte: „Fräulein Breuer, wollen wir nicht zueinander Du sagen? Ich bin der Dieter.“. Sie lächelte charmant und sagte: „Ich bin Ulrike aber du kannst wie meine besten Freundinnen Uli zu mir sagen.“. Jetzt bat ich gar nicht erst um den Bruderschaftskuss sondern ich nahm sie in die Arme und küsste sie wonach ich dann gleich zum Schmusen überging. Dabei betatschte ich sie zärtlich im Nacken und auf ihren Armen. In einer Kusspause sagte sie: „Oh, was ist das herrlich, du bist so zärtlich, so etwas möchte ich eigentlich am ganzen Körper spüren.“. „Na ja,“, antwortet ich flüsternd, „das möchte ich dir auch gerne zukommen lassen aber ich kann dich ja jetzt hier im Wagen schlecht ausziehen.“. „Dann müssen wir halt Prätorius sagen, das wir uns schon geeinigt hätten und statt in deutlich getrennten Zimmer in einem Bett schlafen möchten.“, kommentierte sie und hing noch an: „Das machen wir am Besten gleich wenn wir ankommen, dann sieht er das wir die ganze Sache in die Eigenregie genommen haben. Er gibt ja immer vor, dass er die Eigeninitiative über alles bei seinen Mitarbeitern schätzt.“. Darauf küssten wir uns noch einmal ganz intensiv und machten uns dann auf zur Hohensyburg. Irgendwie hatte ich jetzt dahingehend, dass wir Prätorius das Spiel verderben würden, komische Gefühle, was ich Uli auch sagte. Die beruhigte mich aber dann: „Lass mal, ich kenne ihn länger als du. Der hat bestimmt, nachdem er mir auch die Wahrheit gesagt hat, so etwas einkalkuliert. Aber im Grunde bin ich ihm für sein Kuppelversuch gar nicht böse, denn du bist ein toller Kerl. Wer weiß wie lange wir sonst wie eine Katze um den heißen Brei herumgeschlichen wären. Es hätte ja immer die Distanz unseres Dienstverhältnisse zwischen uns gestanden. Auf der Arbeit bist du der Chef und ich deine Sekretärin und das hätten wir beide nicht aufs Spiel setzen wollen. Im Leben wäre vieles leichter, wenn man alles, was man denkt und fühlt, offen sagen könnte.“. Nach ein kleinen Pause fuhr sie dann noch mal ernst fort: „Du hast schon mit 21 Jahren geheiratet, hast eine kleine Tochter und bist schuldlos geschieden. Das weiß ich aus deinen Unterlagen, in denen ich geschnüffelt habe. Das brauchst du mir jetzt nicht erklären. Vielleicht ist es sogar besser wenn du es mir nie erklärst. Ich will jetzt nur, das du weißt, dass ich wissend bin und diese Sache auf keinen Fall zwischen uns steht.“. Ich sagte ihr daraufhin, dass mir jetzt ein Stein vom Herzen gefallen sei und ich auch bereit wäre, es ihr jederzeit, wenn sie es wünsche, zu erklären. Damit war nun Uli wiederum zufrieden. Weil wir uns unverabredeter Weise eine Viertelstunde früher als geplant getroffen hatten kamen wir auch pünktlich bei Prätorius an. Wie verabredet gingen wir Arm in Arm zur Haustür und schellten, in der Umarmung verharrend, an. Der Hausherr öffnet uns selbst und sagte gleich sehr freundlich: „Habe ich es mir doch gedacht. Nachdem ich sie, Fräulein Breuer, in meine Pläne einweihen musste haben sie die weitere Ausführung gleich selbst übernommen. Das erinnert mich an was. Damals kam der Wunsch das Zimmer teilen zu dürfen. Sollte sich das heute wiederholen.“. Wie aus einem Mund kam von Uli und mir das Ja. Später, als wir unter uns waren fragte Uli mich, was er denn mit „Das erinnert mich an was“ gemeint haben könnte. Darauf konnte ich ihr stolz mein Wissen bekunden: „Ja, Prätorius ist auch mal als Vorstandsassistent angefangen und seine Frau war damals seine Sekretärin.“. Uli kicherte darauf ein Wenig und sagte leise: „Nur gut, dass ich nicht 25 Jahre älter bin. Bei einem so fiesen Möpp hätte ich bestimmt nicht mitgespielt. Aber bei dir mache ich das ganz freiwillig. Ich habe das Gefühl, dass du derjenige bist, auf den ich gewartet habe.“. Von dem Abend gibt es nicht viel zu erzählen außer das er sehr nett war und sich Frau Prätorius als sehr nette Unterhalterin erwies. Sie war an diesem Abend übrigens keuscher dekolletiert wie bei den ersten beiden Malen als ich mit ihr zusammentraf. Offensichtlich wollte sie mich nicht von der für mich bestimmten Dame ablenken. Trotzdem fand ich sie, die meine Mutter sein könnte, weiterhin sehr reizvoll. An diesem Abend konnte ich auch zum ersten Mal in meinem Leben echten Champagner trinken. Na, ob das aber so etwas Besonderes ist wusste ich nicht zu sagen. Mir hat er nicht viel anders als andere Schaumweine geschmeckt. Außer dem stolzen Preis und dem Bewusstsein, dass es sich bei ihm um das Original handelt, ist da wohl nichts außergewöhnliches dran. Bis so gegen Eins in der Nacht saßen wir beisammen und dann konnten wir erstmalig gemeinsam auf ein Zimmer verschwinden. Da erlebte ich dann zunächst aber eine Überraschung. Uli setzte sich auf einmal ganz ruhig und zusammengekauert auf die Bettkante. Besorgt fragte ich sie ob sie etwas habe. Zunächst schüttelte sie den Kopf und dann kam leise und stockend aus ihr heraus: „Ich habe nicht viel Erfahrung. Du bist erst der zweite Mann mit dem ich richtig ins Bett gehe. Seitdem ich bei Schweikart arbeite habe ich überhaupt nichts mit Männern gehabt. Mir ist jetzt im Moment so wie beim ersten Mal.“. Nicht nur um sie zu beruhigen sondern sogar der Wahrheit entsprechend erwiderte ich ihr: „Ich kann selbst nicht von so wenig Erfahrung sprechen aber jetzt bei dir habe ich das Gefühl als wäre es etwas ganz was Besonderes. Irgendwie freue ich mich jetzt so auf deinen Körper als hätte ich noch nie eine nackte Frau gesehen.“. Sie schaute mich an und versuchte zu lächeln.
Dem folgte dann ein Wunsch: „Du warst auf der Grürmannsheide so furchtbar zärtlich. Könntest du das jetzt wieder sein und mich dabei langsam ausziehen? So etwas habe ich mir in meinen Träumen immer so schön vorgestellt.“. Dem Wunsch kam ich sehr gerne nach. Ich zog ihr ein Kleidungsstück nach dem anderen aus und jedes Mal wenn ich neue freie Hautstücke entdeckt hatte benetzte ich diese Stelle mit zarten Küssen. Oh, was war Uli schön. Auf ihren Busen und im Bereich der Hüften konnte man deutlich sehen, wo sie im Sommer der Bikini vor der Sonne und unsittsamen Blicken geschützt hatte. Natürlich nicht so deutlich als käme sie gerade vom Sonnenbaden sondern über Winter war die Bräune natürlich fast vollkommen abgeblasst, aber die Konturen waren noch zu erkennen und machten mich irgendwie noch spitzer als ich schon war. Jetzt musste ich mich aber auch befreien, ich spürte schon einiges an Druck. In dem Moment fasste mir Uli an die Hose, öffnete den Gürtel und den Reisverschluss und zog diese langsam runter. Ganz sinnig betrachte sie meinen Phallus und ... . Jetzt ist aber Schluss Freunde, wir sind hier doch nicht bei Graf Porno und Co. Erotik ist etwas Sinniges und lässt der angestoßen Fantasie freien Raum. Versuchen Sie es doch einmal damit, dann kann ich jetzt des Sängers Höflichkeit schweigen lassen. Abschließend sage ich nur, dass es wunderbar und himmlisch war. Diese Nacht hat sich in meinen Erinnerungen bis heute gehalten. Der nächste Tag, der Sonntag, entwickelte sich entgegen meiner Erwartung zu einer aktiven Freizeitgestaltung. War doch das Prätorius-Haus mit allem ausgestattet, was man heute in Ferienbunkern, die auf Fitness und Wellness ausgerichtet sind, zu finden hofft. Im Keller war ein kleiner Pool mit Sauna und Solarium und dazu ein Stockwerker höher, also im Erdgeschoss, zumindestens wenn man es in diesem, am Hang gebauten Haus, vom Eingangsbereich aus her sieht, befand sich ein Gymnastikraum mit entsprechenden Trainingsgeräten, die jedem heutigen Fitness-Center zur Ehre gereichen würde. Bei der Nutzung dieser Räume hat mir Uli auch einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht. Frau Prätorius hatte eine gemeinsame Nutzung dieser entsprechenden Räume, natürlich alle nackt, vorgeschlagen aber dagegen verwahrte sich Uli ganz strickt; sie wollte nur mit mir allein. Hätte Uli nicht diese Haltung eingenommen, hätte ich Leckerschmecker die tolle Fünfzigerin auch mal im Eva-Kostüm in Augenschein nehmen können. Spätestens an dieser Stelle merkte ich, dass Ulrike Breuer, meine „neue Perle“, in Sachen Sexualität und Erotik doch eine konservative, zurückhaltende Auffassung hatte. So nach den ersten 24 Stunden hätte ich sogar „prüde“ gesagt, aber das war sie, wie ich später feststellte, im Grunde auch wieder nicht. Sie bewahrte sich diese Dinge lediglich als etwas Besonderes, was man nicht alltäglich konsumieren sollte, auf. Und ich muss sagen, dass ich in Folge selbst Freude an dieser Einstellung fand. Die von Frau Prätorius zubereiten Speisen standen einer Restaurationskost in keiner Weise nach. Es gab nie Hausmannsportion, die bei einer kräftigen Mittagsmahlzeit und diversen Häppchen zwischendurch den ganzen Tag ausreichen sondern in gewissen Abständen gab es immer ein vollwertiges Menü in der Portionierung, dass man nach zwei bis drei Stunden wieder zuschlagen konnte. So etwas ist natürlich davon abhängig wie viel Zeit man für die Herrichtung einerseits und das Zusichnehmen der Speisen zur Verfügung hat. Ein solche Speisefolge ist natürlich nichts für den Alltagsgebrauch – aber sehr schön. Bei den einzelnen Speisegängen ging es immer sehr gemütlich und gelassen zu und es wurde dabei viel geplaudert. Dabei ließ Prätorius dann fallen, dass meine Unterkunft in der elterlichen Wohnung in Hohenlimburg-Elsey wohl nicht die idealen Wohnverhältnisse für mich wären. Darauf biss Uli auch sofort an und führte damit meinen Märchentraum zur Vollendung. Sie bot mir an, zu ihr zu ziehen und das gleich in der Folgewoche. So zog ich dann 1971 endgültig aus der elterlichen Wohnung aus und mit Uli hatte ich eine Partnerschaft begründet. Diesmal stand ich dann tatsächlich auf eigenen Füßen. Der Unterschied zu damals bei Elke war, dass ich anno 67 zwar bei meinen Eltern ausgezogen aber dafür bei meinen Schwiegereltern wieder eingezogen war. Jetzt lebte ich tatsächlich mit meiner Partnerin allein im eigenen Haushalt und Haus. Als mir nach einer Anlaufphase der Unterschied bewusst wurde, wusste ich woran meine Ehe mit Elke gescheitert war. Elke hatte den Drang sich abzunabeln. Sie wollte raus aus Geismar, weg vom elterlichen Hof. Da ich mich dann aber dort „einnistete“ habe ich ihr alles verbaut, wovon sie unbewusst träumte. So gesehen hatte ich mit Uli, mit der ich ja auch mehr oder weniger zusammengekracht war, wesentlich bessere Chancen auf eine gemeinsame Zukunft. Wo ich gerade „zusammengekracht“ schrieb dachte ich daran, dass es weder bei Elke und mir noch bei Uli und mir ein richtiges Kennenlernen gegeben hat. Gestern waren wir uns noch unbekannt und heute sind wir ein Paar, was aber eigentlich nichts zu sagen haben sollte. Wir werden es im Laufe dieser Geschichte ja sehen. Am Donnerstag, dem 1. April 1971, trat ich dann meinen Dienst als Kümmerer an. Jetzt wird sicherlich manche aufmerksame Leserin und mancher hellhöriger Leser stutzen: Was hat der Kleiner eigentlich immer mit dem Wort „Kümmerer“? Das ist doch jemand, der meist in der mittleren Betriebshierarchie angesiedelt ist, und sich im Auftrage seiner Herren um Alles und Nichts kümmert. Mit Strategien und Entscheidungen hat der Kümmerer in der Regel nichts zu tun. Bösartig könnte man sagen, dass der Kümmerer der Stiefelknecht oder Kofferträger seines Herrn ist. Dagegen ist ein Manager ein Stratege und Entscheider, zumindestens sollte er das sein. Ich bin als Vorstandsassistent eingestellt worden und sollte zum Vorstandsvorsitzenden herangezogen werden. Vorstand ist aber ein Manager und kein Kümmerer. Genau da liegt in meinem Fall der Hase im Pfeffer. Das ich bewusst ausgewählt worden bin und nur nach außen wie ein Manager aussehen aber in Wirklichkeit nur ein Kümmerer
sein sollte, machte die Ereignisse, die wie ein Märchen aussehen, möglich. Ich war im Schachspiel nicht der König sondern zunächst der Bauer, den man auch zu opfern bereit gewesen wäre, der dann aber zum Läufer, der beweglichste Figur auf dem Brett, aufgebaut werden sollte. Der König war Prätorius und die Dame war, was ich zunächst nicht wusste, seine Schwester, Frau Müller. Und beide wollten das bleiben was sie waren und kein Schach geboten bekommen. Übrigens bei der Gelegenheit kann ich auch erwähnen, das auch Müller nur ein Kümmerer, der nach Außen den Chef spielte war; der wahre Boss im Laden war seine Frau. Meine „Karriere“ war also nichts anderes als ein Schachzug der Prätorius-Geschwister in dem es um Geld, Macht und Einfluss ging. Neben Frau Müller gab es übrigens noch eine weitere Prätorius-Schwester, die auch fröhlich mitmischte. Was war denn deren Ziel und warum kamen die gerade auf mich? Dazu ist es erst mal wichtig zu wissen, dass den Familien Schweikart und Prätorius insgesamt fünf Unternehmen, verteilt auf das gesamte Bundesgebiet, gehörte. Darunter das Iserlohner Unternehmen, bei dem ich zuvor beschäftigt war. Dazu kam, dass sie die Mehrheitsaktionäre bei der Schweikart AG waren. Zwei Unternehmen und die AG wurden von den Prätorius-Geschwistern beherrscht. Die beiden Unternehmen hatten die Schwestern fest in der Hand und hatten für die Unternehmensführung ihre Männer als Kümmerer. In der Aktiengesellschaft war Prätorius der Vorstand aber im Aufsichtsrat hatte sein Cousin das sagen. In Aktiengesellschaften haben Vorstände das Sagen aber sie liegen an der Kette des Aufsichtsrats. Jetzt kann man darüber streiten, wer mächtiger ist: Vorstand oder Aufsichtsratsvorsitzender, bei dem auch noch die anderen Kapitaleigner mitziehen. Da es jedem Aufsichtsrat gelingt Vorstände nach ihrem Willen zu besetzen und unliebsame gewordene Vorstände in die Wüste zu schicken, schlägt das Pendel bei der Frage nach mehr Einfluss immer zu Gunsten des Aufsichtsratsvorsitzenden aus. Daher auch die Hypermacht der Banken in der deutschen Industrie. Prätorius wollte aber beides, Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender, in Personalunion; er wollte die uneingeschränkte Macht. Das geht schon aus rechtlichen Gründen nicht und deshalb brauchte er auf einen der beiden Posten eine Majonette, die auf Gedeih und Verderb von ihm abhängig war. Für so etwas ist jemand, der von Hause her keine Voraussetzungen für diese Position mitbringt am ehesten geeignet. Die Voraussetzungen für ein Vorstandsposten sind ein Kapitalgeber-Elternhaus und/oder einschlägige Erfahrungen nach einem entsprechendem Studium. Wer „nur“ Letzteres mitbringt ist auch zusätzlich noch auf Sponsoren und/oder Gönner angewiesen. Von alle dem brachte ich nichts mit. Ich hatte kein Kapital, kein Studium und keine Gönner. Mir wurde nun vom Einkommen und Ansehen her ein „himmlischer“ Aufstieg geboten. Aber wenn ich mich von meinem Herrn lossagen will, sacke ich wie ein wertloses Stück Holz, das man wegfegen kann, zusammen. Anderweitig hätte man mir nur Sachbearbeiterpositionen und da bestenfalls eine Abteilungsleitung angeboten. Das ist halt das Schicksal einer Majonette. Jetzt kann man weiter fragen, warum gerade ich. Für so etwas gibt es doch noch zig-tausend andere, die man dafür auswählen konnte. Nun ja, die gibt es immer und für alles. Wäre es nicht eine Katastrophe für die Bundesrepublik Deutschland, wenn es nur eine einzige geeignete Person für das Amt des Bundeskanzlers gäbe. Was ist dann, wenn mal etwas passiert? Zum Wohl des Volkes muss es immer eine ganze Schar anderer Leute geben, die das Amt von Heute auf Morgen übernehmen können. Medien können zwar ihre Einschaltquoten mit der Vergötterung Einzelner puschen aber um den Staat würde es düster aussehen, wenn es wirklich so aussähe. Da macht es mir schon Angst, wenn ich sehe, das ein Herr Gerhard Schröder mit verdeckten Rücktrittsdrohungen seine ganze Truppe, die immer noch mit dem Wort Sozialdemokratie kokettiert, zum Kuschen bringt. Wie schrecklich ist doch so ein Götterglaube, der im Umkehrschluss doch die Überzeugung der eigenen Unfähigkeit ist. Wer meint ein Politiker zu sein, muss auch bereit sein im Falle eines Falles die Verantwortung zu übernehmen und auch glauben sie wahrnehmen zu können., Alles andere wäre nur Demokratismus, eine auf Stimmvieh basierende Alleinherrschaft. Wenn also viele Leute für den gleichen Posten in Frage kommen, kriegt immer der diesen, der zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Und das war ich bei Müller und ich hatte zudem meine Fähigkeiten als Kümmerer unter Beweis gestellt. Immer wenn ich von Müller einen Auftrag bekam, erledigte ich den eigenständig und mit meiner offensichtlich angeborenen Ordentlichkeit. Wenn ich mal einer Sache widersprach, lag auch wirklich immer ein Haar in der Suppe. Mit der größeren Angelegenheit, die man mir im Dezember 1970 anvertraute, bekam ich, ohne es selbst zu wissen, meine Prüfungsaufgabe zum Kümmerer, die ich bestanden hatte. Ich hatte noch einen Vorzug für die Prätorius-Geschwister: Ich hatte derzeitig keine Frau und war auf der Suche danach nicht sehr erfolgreich, was Müller nicht verborgen geblieben war. Dieses ist keine unwichtige Angelegenheit. Wechselnde Bekanntschaften stellen überall dort, wo es auf Vertraulichkeit ankommt, ein Risiko dar und andererseits können starke Ehefrauen, die in andere Richtungen stürmen, so manche schöne Pläne durchkreuzen. Ich musste also an die richtige Frau gebracht werden und dann dürfte der Kümmerer oder die Majonette perfekt sein. Da kam man zuerst auf Müllers hässliches Töchterlein Ilka. Eine Verbindung zu ihr wäre natürlich für die Prätorius-Strategen die ultimative Lösung gewesen, denn dann hätte man mich auch von der Familienseite her so
an der festen Leine wie meinem Exchef Müller gehabt. Jetzt gab es aber ein Problem: Ich biss an dem Köder Ilka nicht an; er war ja auch für mich zu unschmackhaft. Ganz im Gegenteil ich strafte die Müller-Tochter mit Missachtung ab. Prätorius hatte aber sofort festgestellt, dass meine Augen an seiner attraktiven Frau hängen geblieben waren und disponierte sofort um. Sofort dachte er an die ebenso attraktive Sekretärin Ulrike Breuer, die, wie er wusste, nach etwas festen und solidem Ausschau hielt. Ihre Eignung für eine Kümmerergattin hatte er zuvor im Büro auch schon feststellen können. Der musste ich jetzt schmackhaft gemacht werden. Ohne das ich davon wusste und ohne das Uli das merkte, bereitete er tröpfchenweise die junge Frau auf mich vor und machte sie „heiß“ auf mich. Daher der Zeitverzug zwischen meiner Bewerbung und meiner Einladung, die natürlich erst dann erfolgen konnte, wo sich Prätorius sicher war, dass seine Taktik bei Ulrike Erfolg zeigte. Dann schlug er dann endgültig zu. Das Wochenende, von dem ich soeben berichtete, war dann eine Inszenierung, die für Prätorius einen vollen Erfolg darstellte. Wir hätten die ganze Sache in seinem Sinne nur noch dadurch krönen können, in dem wir ihm erklärt hätten, dass wir in der darauffolgenden Woche zum Standesamt gehen würden um das Aufgebot zu bestellen. Das Ziel, dass sein Kümmerer nicht in Folge einer Brautschau ausschwärmt war gebannt. Ulis Loyalität schien er sich sicher zu sein, sonst hätte er sie ja auch nicht auserwählt. Das Uli während eines Sonntagsgespräches gesagt hatte, dass sie in absehbarer Zeit nicht an Kinder denke, muss auch Musik in seinen Ohren gewesen sein, denn sie wurde in der Schweikart AG gerne als Übersetzungsbüro missbraucht und da ließen sich einige Märklein gegenüber einer externen Auftragsvergabe einsparen. Und im Gegenzug freute es Uli sich im Sinne ihrer ursprünglichen Berufswahl betätigen zu können. Wichtiger als das, war es für Prätorius, dass Uli und ich uns auf diese Weise immer 24 Stunden unter Kontrolle hatten. So konnte weder Uli noch ich durch einen Seitensprung seine Pläne, die sich so schön umzusetzen schienen, durchkreuzen. Natürlich habe ich das, was ich jetzt gerade schrieb, erst später, als ich das Ganze mehr durchblickte, begriffen. Wenn Sie mich jetzt fragen ob ich dann den Job des Vorstandsassistenten, der der eines Kümmerers war, auch angenommen hätte, wenn ich dieses von vornherein gewusst hätte, dann kann ich nur ehrlich „Ja“ sagen. Eine solche Tätigkeit unterscheidet sich von der eines Sachbearbeiters doch nur dadurch, dass die Kümmereraufgaben interessanter sind. Aber bei einem solchen Kümmerer kommen ein überdurchschnittliches Einkommen, ein gehobener sozialer Status und Ansehen hinzu. Darüber hinaus bescherte mir diese Angelegenheit ja auch meine Ulrike, gut aussehend, attraktiv gepflegt, intelligent und niveauvoll, nach der sich die Mehrheit aller Männer die Hacken ablaufen würden. Sagt man da nein? Von Heute auf Morgen wurde bei mir aus einem männlichen Aschenputtel ein smarter junger Weltmann. Also, ich hätte den Job auch angenommen, wenn ich von vornherein gewusst hätte, was mit mir gespielt werden sollte. Das Risiko des Spiels mit offenen Karten lag auf der anderen Seite. Was wäre wenn ich wider Erwarten nicht mitgespielt hätte und dann mit meinem Wissen bei den Schweikarts hausieren gegangen wäre – da waren ja diejenigen, gegen die Prätorius angetreten war. Diese Gefahr bestand nach meinem Dienstantritt jedoch immer noch, das war Prätorius Restrisiko. Aber ich lief in einem solchen Fall ja auch in die Gefahr, dass ich dafür kein „Danke schön“ sondern nur von allen Seiten einen Tritt in den Allerwertesten bekam. Ich war hoch geflogen aber lebte in der ständigen Gefahr, dass man mich wie ein heiße Kartoffel auf die Erde fallen ließ. Und das machte mir Prätorius in meiner ersten Zeit häufig durch die Blume klar.
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Zusammenraufen in der Onkelehe An dem Sonntag, wo wir bei Prätorius waren, brachte ich Ulrike nicht direkt nach Oestrich sondern ich machte erst einen Abstecher nach Elsey, um meiner Mutter meine neue Partnerin und künftige Sekretärin vorzustellen. Nun, ich bin nicht mehr das Jüngschen, welches bei der Partnerwahl den Segen seines Mütterchen benötigt; zumindestens war ich dieser Meinung. Obwohl es so etwas bei mir ja auch noch nicht gegeben hatte. Uli würde die Erste sein, die ich mit nach Hause bringe. Der Anlass war auch vielmehr meiner Mutter zu sagen, dass ich mich nun ihrer Obhut entziehen und ausziehen wollte. Ich war ja schon einmal aus dem Nest gefallen. Damals, nach meinem Elke-Absturz, hatte man mich aber wieder aufgelesen und zurück gesetzt. Jetzt glaubte ich aber flügge zu sein und davon fliegen zu können. Ein Bisschen stolz war bei der Gelegenheit schon in meiner Brust, konnte ich doch demonstrieren, was für eine Superfrau ich an mich binden konnte. In dieser Laune trafen wir am frühen Abend in der elterlichen Wohnung ein. Meine Eltern saßen gerade im Wohnzimmer beim Abendessen und mussten sich einen dreisten Überfall von mir lassen. Ich polterte, Uli im Arm haltend, los: „Schönen guten Abend Leute, das ist Ulrike. Ich habe sie am Mittwoch kennen gelernt; sie ist meine zukünftige Sekretärin und Morgen ziehe ich zu ihr.“. Na, wie hätten Sie das aufgefasst wenn Sie meine Mutter oder Ingo gewesen wären? Na ja, dann können Sie sich ja vorstellen was auf einmal los war. Auch Uli fand meine Art und Weise gar nicht gut. Aber ich hatte mir doch, auch wenn es nicht so aussieht, was bei der Überfallaktion gedacht. So hatte ich in zwei kurzen Sätzen von vornherein den ganzen Sachverhalt geschildert. Damit wollte ich Uli und mir ein mit üblichen Konversationen geschmücktes Verhör ersparen. Andererseits war mir bewusst, dass man jetzt nicht über die Sache sondern über mein „ungehöriges“ Vorpreschen diskutieren würde und damit sind dann alle bekannten mütterlichen Vorbehalte wie „Ist das nicht zu schnell“ oder „Habt ihr euch das auch überlegt“ vom Tisch. Ich bereinigte dann die Situation sofort wieder: „Entschuldigung, es sollte ein Scherz mit wahrem Hintergrund sein. Ist mir offensichtlich misslungen. Aber was soll’s Mutti, auf diese Art und Weise weist du halt schon alles. Bei Uli und mir war es Liebe auf dem ersten Blick; als wir uns sahen hat es gefunkt. Ingo was sagst du dazu, kann man einer so wunderbaren Frau widerstehen?“. Damit hatte ich gewonnen und die Sache war doch so gelaufen, wie ich mir das gedacht hatte. In Folge gab es eine wirklich nette Plauderei, die von Ulis charmanter Art beherrscht wurde. Ingo hatte zur Feier des Tages die beiden Flaschen Wein, die er im Hause hatte, spendiert. Das ergab aber gerade mal zwei bis drei Glas für jeden. Aber selbst nach der geringen Menge wollte ich nicht mehr Auto fahren. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Sieben Monate Krankenhausaufenthalt und ein steifes Bein waren mir eine Lehre gewesen. Darauf schlug meine Mutter vor, Uli solle bei mir schlafen und ich sollte sie am nächsten Morgen zu ihrem Auto fahren, damit sie unauffällig zu ihrer Arbeit kommt. Unser Verhältnis würde schon früh genug für Aufsehen sorgen. So konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben im Haushalt meiner Mutter eine Frau mit auf mein Zimmer nehmen. In dieser Situation war es dann auch zugleich das letzte Mal. Es sollte noch einmal eine wunderbare Nacht werden. Wir waren gerade auf mein Zimmer, da fragte mich Uli mit einem keuschen Lächeln, ob wir das Auszieh-Schmuse-Spiel noch einmal wiederholen könnten. Wir konnten und ... Na, Sie wissen schon, an dieser Stelle kommt wieder die berühmte Höflichkeit des Sängers. Am nächsten Tag musste ich dann früh raus, denn Uli hatte ja nichts anderes als ihren Sonntagsdress an und ihren Kulturbeutel mit. Da wollte sie sich in ihrer häuslichen Umgebung erst mal zurecht machen. Sie nahm mich mit hinein, da sie mir auch einen Hausschlüssel geben und mir zeigen wollte, wo ich meine Sachen, bis sie am Abend zurück sei, hinstellen könnte. Meine Aufgabe an diesem Tag sollte es sein schon mal alles von Elsey nach Oestrich zu schaffen. Am Abend wollten wir dann gemeinsam einräumen. Bei dieser Gelegenheit erlebte ich dann zum ersten Mal Ulis allmorgendliches Ritual. Heute unterschied es sich nur dadurch, dass sie nicht aus dem Bett sondern aus ihren Sonntagsklamotten kam. Aber wie alle Morgende danach kam sie splitterfasernackt aus dem Schlafzimmer und strebte dem Badenzimmer zu, in dem sie für etwa zehn Minuten duschte. Natürlich sah ich ihr an diesem Tag mit lustvoller Genüsslichkeit dabei zu. Anschließend war das Zurechtmachen ihrer Frisur angesagt. Das nahm dann fast eine Viertelstunde in Anspruch. Jetzt kam aber das Überraschende für mich, in „Null Komma Nix“ hatte sie ihre Lippen mit dem Stift nachgestrichen und ihre Fingernägel kontrolliert – und fertig war sie. Mich setzte in Erstaunen, dass sie eigentlich keine Kosmetika einsetzte. Sie war tatsächlich eine Naturschönheit, die das Schminken nicht nötig hatte. Dafür gab es jetzt aber eine Frühstücksorgie. Sie versorgte sich mit Müsli, Milch und Obst, an jenem Tag war es glaube ich ein Apfel. Abschließend verzerrte sie noch ein Knäckebrot mit Quark. Wahrlich ein gesundes Frühstück, an dem ich mich auch beteiligte. Da ich aber den reinen Milchgeschmack nicht abkann bekam ich Orangensaft aber meinen gewohnten Frühstückskaffee bekam ich nicht. Das war nun eine Sache, an die ich mich gewöhnen musste, denn dieses blühte mir jetzt jeden Morgen. Das Tollste an diesem Frühstück aber war, dass sie immer noch so nackt war wie sie in das Bad gegangen war. Sie sagte mir, dass sie, seitdem sie alleine wohne,
das schon immer so gemacht habe. Ich hatte aber vielmehr den Eindruck, dass sie diese mehr oder weniger aus erotischer Neigung weil ich da war, getan hätte. Sie tat auf jeden Fall alles um ihre Reizzonen mir gegenüber in Szene zu setzen. Ab dem nächsten Tag habe ich übrigens diese Art von ihr übernommen und wir haben dieses dann auch vorerst beibehalten. Nach dem Frühstück putzte sie sich ihre Zähne, zog sich an und fuhr mit ihrem Kadett in Richtung Hörde davon. Nicht nur das gesunde Nacktfrühstück sondern alles habe ich von ihr schon ab dem nächsten Morgen übernommen und finde es gar nicht so schlecht, danach ist man erst wirklich richtig frisch und munter. Nicht nur das, man fühlt sich auch gepflegt, was für ein anschließendes sicheres Auftreten sorgt. Als Uli zur Arbeit fuhr machte ich mich auch wieder auf den Weg nach Elsey und begann mein Zimmer auszuräumen. Da es an dem Tage Montag, also wieder Frisösensamstag, war konnte mir meine Mutter tatkräftig dabei helfen. Gegen Mittag hatte ich Sack und Pack zum Baumberg gebracht und ließ mich dann schon mal in Erwartung ihrer Rückkehr, in etwa vier bis fünf Stunden, in ihrem Wohnzimmer nieder. Das ich das dürfe und auch ihre Bücher sowie Radio nutzen könne, hatte sie mir beim morgendlichen Abschied noch ausdrücklich gesagt. Bei der Gelegenheit hatte sie aber was Entscheidendes vergessen, was dann zu einem zunächst peinlichen Zwischenfall führte. Ich hatte es mir ausgesprochen gemütlich gemacht, das heißt ich hatte mich auf die Couch gelegt, als plötzlich eine Dame, etwa im Alter meiner Mutter, im Raum stand. „Was machen sie denn hier?“, herrschte sie mich an, worauf ich erst erwiderte: „Das wollte ich sie auch gerade fragen.“. Dann besann ich mich aber eines Besseren. Sie war ja offensichtlich mit einem Schlüssel herein gekommen, deshalb fragte ich vorsichtig: „Entschuldigen sie, sind sie Ulis Mutti?“. Ein Glück, ich hatte richtig getippt und musste mich jetzt vorstellen: „Mein Name ist Dieter Kleiner. Ich bin Vorstandassistent bei der Schweikart AG und ihre Tochter ist meine Sekretärin. Wir beiden haben uns ineinander verliebt und wollen heiraten. Nächstes Wochenende wollten wir auch unsere Aufwartung bei ihnen machen.“. Ulis Mutter schaute mich skeptisch von der Seite an und fragte: „Und jetzt können sie nicht mehr bis zur Hochzeit warten und fangen schon mal mit einer Onkelehe an?“. An dieser Stelle muss ich erst einmal den jüngeren Leserinnen und Lesern etwas erklären. Anno 1971 waren Begriffe wie „Lebenspartnerschaft“ oder „Lebensabschnittpartnerschaft“ noch nicht geläufig. Damals sprachen vornehme Leute von einem Konkubinat, womit sie dann auch gleich die Dame in der Partnerschaft als Konkubine diffamieren konnten. Betroffene sprachen vorsichtiger von der „Ehe auf Probe“ und im Volksmund war das Ganze dann als Onkelehe bekannt. Und nach Letzterem hatte Ulis Mutter gefragt und ich hielt es für besser, ihr diese Frage ehrlich zu beantworten. Ich bekannte mich also zur Onkelehe und verriet ihr auch gleich, dass dieser Tag auch mein erster in Ulis Haus sei. Na, sie nahm es gelassen und sagte: „Ja, sie sind ja beide alt genug und wissen was sie tun. Dann freue ich mich ja, dass ich doch noch so einen netten Schwiegersohn bekomme. Ich hatte schon Angst, dass Ulrike, wo sie doch bald 25 wird, keinen mehr abkriegt.“. Ich konnte reichlich verstaubte Ansichten feststellen aber ansonsten fand ich die Dame, die immer Montags und Donnerstag zum Putzen erschien, ganz nett und habe den ganzen Nachmittag mit ihr über Gott und die Welt geplauscht. Darüber kam Uli nach Hause und war gar nicht so erschrocken wie ich befürchtet hatte. Während der Arbeit war ihr auch eingefallen, dass sie die Putzdienste ihrer Mutter vergessen hatte, worauf sie nun das Schlimmste befürchtete. Das ich mich offensichtlich gut mit der Witwe verstand setzte sie doch statt ins Entsetzen in freudiges Erstaunen. Uli brachte dann auch wie jeden Montag erst einmal ihre Mutter nach Hause. Es dauerte an jenem Tag jedoch eine ganze Weile, denn sie wurde erst einmal von ihrer Mutter ausgequetscht, was sie bei mir tunlichst unterlassen hatte. Sie hatte mit mir über alles mögliche gesprochen, nur ausgequetscht hatte sie mich nicht. Als Uli wiederkam fragte sie gleich: „Macht es dir was aus, wenn wir Morgen Ringe kaufen gehen. Ich musste Mutti versprechen, dass wir uns noch diese Woche verloben. Dabei habe ich ihr allerdings abgehandelt, dass wir beide das ganz still unter uns machen ... ich habe keine Lust, da so ein offizielles Tänzchen rauszumachen.“. Ja Leute, ich kam einfach nicht umhin dieser Bitte zu entsprechen und ab dem übernächsten Tag trug ich wieder einen Ring, diesmal aber am linken Ringfinger. Alles in Allem war meine erste Begegnung mit Ulis Mutter glatt über die Bühne gegangen, was bei einer Blitzaktion, wie sie von uns jungen Paar vollzogen worden ist, gar nicht so selbstverständlich ist. Es dürfte wohl ein angeborener Mutterinstinkt sein, dass Mütter ein Leben lang das Gefühl haben, ihre Kinder vor Schaden bewahren zu müssen und dabei glauben sie Anspruch darauf zu haben, dass sie bei wichtigen Dingen im Voraus informiert werden. Natürlich ist so etwas von Mutter zu Mutter individuell unterschiedlich, bei der Einen ist es ausgeprägter wie bei der Anderen, aber ganz frei davon ist keine. Es mag wohl daran liegen, dass ich ja schon mein Elke-Abenteuer hinter mir hatte und auch daran, dass meine Mutter ihren Ingo hatte, dass sich meine „alte Dame“ sich doch aus unseren Sachen raushielt. Lediglich wenn wir uns mal besuchten, was nicht sehr oft, vielleicht alle anderthalb Monate ein Mal vorkam, bekam nur ich alleine mal ihre einschlägige Meinung zu hören. Das war bei Ulis Mutter, die zwei Mal in der Woche zum Putzen erschien und darüber hinaus Witwe war, etwas ganz anderes. Die mischte sich häufig ein und hatte überall etwas zu „keckern“. Das war natürlich Sprengstoff in unserer „Onkelehe“ und grundsätzlich Anlass zu Streit zwischen Uli und mir, wenn sie wieder von dannen war. Da spielte auch immer mit, dass ich diese gründliche Putzerei an zwei Tagen der Woche für
übertrieben hielt und so polterte ich in unseren Auseinandersetzungen sehr häufig vom „Putzfimmel der Mamuschka“. Ulis Mutter, die auch noch ziemlich in den Auffassungen der 50er-Jahre wurzelte, stellte in der Tat eine echte Belastung oder gar Gefährdung unserer Beziehung dar. Zum Glück sah Uli die Sache ein und dann genauso wie ich. Sie brachte ihrer Mutter schonend bei, dass sie in Zukunft ihren Haushalt alleine erledigen wolle. Für mich hatte dieses einen Vor- und einen Nachteil. Der Vorteil war das ich dann in Zukunft eigentlich ein gutes Verhältnis, zu meiner Schwiegermutter, die uns dann mal so ein Mal im Monat besuchte, hatte. Andererseits musste ich, was mir auch nicht so behagte, dann an den Samstagen, wenn wir einen Haushaltstag einlegten, immer mit ran; schließlich waren wir zeitlich beide in gleicher Weise eingespannt. Die gleiche zeitliche Einspannung beruhte darauf, dass wir gleich ab dem 1. April 1971 immer nur mit meinen Wagen zur Arbeit fuhren. Es gab nur ganz wenige Ausnahmen. Natürlich hat ein Vorstandsassistent, auch wenn er nur ein Kümmerer ist, keinen Acht-Stunden-Tag. Die Regel lag bei 10 Stunden aber an mindestens einem Tag in der Woche wurden es auch mal 12 oder gar bis zu 14 Stunden. Uli kam auf diese Weise zu einer einträglichen Zusatzschicht. Während der normalen Arbeitszeit kam sie einer üblichen Sekretärinnenarbeit nach und nach „Feierabend“ beschäftigte sie sich mit Übersetzungen, die bei der exportintensiven Schweikart AG keinen kleinen Umfang hatten. Mit Prätorius hatte ich vereinbart, dass sie diese Tätigkeit gesondert honoriert bekam. Rein rechnerisch ergab das sogar immer noch ein Plus für das Unternehmen, denn jetzt brauchten solche Arbeiten überhaupt nicht mehr extern vergeben werden. Erst war diese Regelung ein Traum für uns Zwei; wir konnten ja immer zusammen sein. Später hätte ich es dann doch gerne gesehen, wenn Uli unabhängig und separat ihrer Arbeit nachgekommen wäre. Nur alle Vorstöße in diese Richtung kamen bei Uli in den falschen Kanal. Einmal sah sie in dem was sie machte auch eine Selbstbestätigung und emotional spielte dann bei ihr Eifersucht eine Rolle. Das ich mich wohl an andere Frauen ranmachen wollte wenn sie Feierabend machte, fiel immer als erstes. Ich fand das Argument natürlich als Quatsch aber machen Sie mal was dagegen. Ja, wir mussten in der damaligen Zeit mit einer Menge Umstellung fertig werden. Mit meinem Jobantritt veränderte sich auch Ulis Dienstverhältnis enorm. Es ging schon am ersten Tag los. So gegen Neun, die Zeit wo ich künftig immer im Hause antrat, trafen wir mit meinem Wagen, den ich auf dem für mich reservierten Parkplatz abstellte, ein. Da war es überhaupt gut, dass ich Uli dabei hatte, denn ich wusste an diesem ersten Tag natürlich gar nicht welcher Parkplatz für mich bestimmt war. Er lag direkt neben dem von Prätorius, mit dem ich auch den Beginn um Neun, vereinbart hatte. Es war eine Zeit, die er auch für sich richtig hielt. Wir gingen nebeneinander in das Verwaltungsgebäude und es gab kein Augenpaar was nicht an uns kleben blieb. Im 5. Stock, wo sich hinter einem großen Vorzimmer sowohl Prätorius wie mein Büro befand, angekommen, trafen wir schon direkt vor dem Fahrstuhl Frau Reuter, Prätorius Sekretärin. Als sie Uli, die als erste den Fahrstuhl verließ, sah tönte Frau Reuter: „Sie sind heute aber spät dran“ und Uli erklärte gleich: „Ach, ab heute komme ich immer zusammen mit meinem Verlobten.“. Da fielen bei Frau Reuter gleich ein paar Jalousien runter. Immerhin war schon im Vorfeld das nicht ganz unzutreffende Gerücht, dass ich ein Protektionskind von Prätorius sei, kursiert. Und jetzt outete sich Uli, die mit Frau Reuter zusammen im Vorzimmer saß, als meine Verlobte. Na ja, Frau Reuter sorgte etwas später dafür, dass auch diese Kunde in den betrieblichen Umlauf kam. Wie man danach Uli begegnete kann man sich vorstellen. Ihr gegenüber war man doch in vielen Punkten vorsichtiger wie gegenüber anderen Kolleginnen. Im Grunde war uns Beiden das aber recht, denn so brauchten wir jedenfalls kein Versteckspiel zu initiieren. Während unserer Arbeit merkt ein Außenstehender kaum etwas von unserem privaten Verhältnis. Für mich ging es am ersten Tag gleich voll ran. Es ging, wie ab da auch an allen Tagen, mit einer Aufgabenbesprechung zwischen mir und Prätorius in seinem Büro los. Anfänglich erhielt ich von meinem „Herrn“ dabei immer noch ein paar Tipps, die sich auf besondere Eigenarten bestimmter Leute und den Umgang mit ihnen, Manager likes Auftreten, insbesondere gegenüber unseren externen Verhandlungspartnern, und diverse Verhandlungsstrategien bezogen. Aber diese Ratschläge erübrigten sich schon nach den ersten vier Wochen. Nach wie vor war ich erstens sehr lernfähig und zweitens ebenso eifrig bei der Sache. Danach ging ich dann munter an die Erledigung der anstehenden Dinge, wobei ich auf meine Sekretärin mit Diktaten und Aufträge zurückgriff als sei sie irgendeine „beliebige“ Angestellte und nicht meine Verlobte. Lediglich in kleinen unbedeutenden Dingen merkte man, dass es sich bei ihr nicht um eine Normalsekretärin handelte. Zum Beispiel, wenn ich allein im Büro saß und bei ihr einen weiteren Kaffee ordert, dann machte sie mir den zwar, so wie sie den auch für Prätorius gemacht hätte, aber ermahnte mich dann immer, dass zu viel Kaffee nicht gut sei. Wenn ich sie zum Diktat reinrief haben wir auch ständig zwei oder drei private Worte miteinander gewechselt; warum auch nicht. Ab und zu flachsten wir auch mal miteinander. So zog sie, wenn sie sich zum Diktat hinsetzte, schon mal den Rock bis zu dem Punkt, wo ich das Höschen blitzen sehen konnte, hoch und wartete schelmisch grinsend auf meine Reaktion, die in der Regel in Form eines zweideutigen Kommentars ausfiel, wobei ich sie bei dieser Gelegenheit immer mit Sie ansprach. Sie nahm zum Diktat auch schon mal einfach auf meinem Schoss platz. Aber nur kurz als Gag, denn die Sitzart ist beim Diktat wirklich nicht gerade zweckmäßig. Welche Sekretärin wagt es schon ihren Chef anzuknurren, wenn er mal wieder alles sofort und auf einmal haben will. Dafür bekam ich aber auch diesen oder jenen guten Tipp, den in der Regel Sekretärinnen nicht an ihre Chefs weitergeben, von ihr. Und
damit habe ich jetzt schon das gesamte Spektrum der privaten Einflüsse auf unsere Arbeit aufgezählt. Mehr spielte sich im Büro zwischen uns Beiden wirklich nicht ab. Die dienstlichen Einflüsse auf unser privates Leben waren dafür wesentlich gravierender. Man sagt immer so schön, dass man bei Dienstschluss abschalten muss – aber wer kann das schon. So nahm ich doch diese oder jene dienstliche Angelegenheit im Kopf mit nach Hause und dabei kam ich dann doch auf die fixe Idee, schon mal diesen oder jenen Brief zu diktieren. Das brachte dann meine Verlobte regelmäßig zum Ausrasten. Sie war der Meinung, dass ich so etwas ja nicht könne, wenn wir nicht privat liiert wären. Also müsse ich schon wie jeder andere Chef auch gefälligst bis zum nächsten Tag warten. Zuhause war sie nach ihrer Meinung meine Verlobte Ulrike und im Büro die Sekretärin Fräulein Breuer, auch wenn ich sie auch dort Uli nennen dürfe. Die Verlobte habe kein Interesse an der Aufnahme von Diktaten. Das wollte ich dann nicht so akzeptieren und so bekamen wir uns dann richtig in die „Wolle“. Letztendlich hat es Uli aber dann doch geschafft mich richtig zu erziehen. Im Gegenzug habe ich ihr ihre Umziehmarotte „aberzogen“. Diese Marotte war ein Theater besonderer Klasse. Wenn wir des Abends nach Hause kamen, bereitete uns Uli immer ein Abendbrot. Zur Zubereitung zog sie sich ihre Küchenarbeitskleidung, also Sachen wo ruhig mal was dran kommen konnte, an. Da wäre nichts gegen zu sagen gewesen wenn sie nicht zum Abendbrot hätte wieder gesellschaftsfähig sein wollen. Folglich zog sie sich zwischen Zubereitung und Abendbrot erst noch mal wieder um. Nach dem Essen ging es ans Abräumen und da war die Dinnerkleidung natürlich unangemessen und so wechselte sie wieder zu ihrer Küchenkleidung. Nach fünf bis zehn Minuten war natürlich auch das Abräumen, Vorspülen und Einräumen der Spülmaschine erledigt und erst dann wechselte sie zu der Freizeitkleidung, in der sie den Abend verbringen wollte. In den ersten Tagen machte mir dieses, der ich ihr bei der Umzieherei zusehen durfte, natürlich Spaß. Insbesondere weil sie bei der ersten und letzten Umziehaktion des jeweiligen Tages grundsätzlich alles, einschließlich der Unterwäsche, wechselte. Da gab sie aber später ehrlich zu, dass sie das erst machte seit ich im Hause war war. Der Grund für den Komplettwechsel war also ausschließlich erotischer Natur. Aber mit der Zeit nervt das, wenn sich die Frau innerhalb von höchstens einer Stunde vier Mal umzieht. Dann strafte ich sie zunächst mit Missachtung ab und dann warf ich ihr vor mit ihrem Klamottenwechsel unheimlich viel Zeit, die wir für uns nutzen könnten, zu verschwenden. Na ja, sie war einsichtig und zog sich dann nur noch ein Mal um, und zwar unmittelbar wenn wir nach Hause kamen schlüpfte sie in die Kleidung in der sie den Abend verbringen wollte. Und darin habe ich es ihr von Anfang an gleich getan. Ich glaube von diesen kleinen Marotten wie Zahnpastatuben und Strümpfe auf der richtigen Seite und so fort brauche ich keinem Ehemann oder Lebensabschnittspartner etwas zu erzählen, dass haben wir wohl alle mal erlebt. Aber so leicht sollte man diese Dinge nicht abhandeln, denn sie wurzeln ja in den unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen, die wir von Hause her mitbringen. Diese entstanden ja auch auf Grund dieser oder jener lieb gewonnenen Angewohnheiten. Obwohl, wenn beide nach ihren Vorstellungen vorgehen, für sich Ordnung herstellen würden führt das Übereinander der Ordnungsprinzipien zum Gegenteil, zur Unordnung. Und deshalb muss man sich schon zu einem einheitlichen System durchraufen. Da jeder seine Art für die beste hält, ist das natürlich immer mit Auseinandersetzungen verbunden. Nachträglich gesehen muss ich sagen, dass das, was bei unserer diesbezüglichen Auseinandersetzung herauskam, weder etwas mit Ulis noch mit meinen Ordnungsvorstellungen zutun hatte. Es war eine ganz neue Ordnung, die wir uns gemeinsam geschaffen hatten und zu der wir dann auch letztlich gemeinsam standen. Durch mein Kümmerer-Gehalt und durch Ulis Einkünfte als Chefsekretärin plus sehr gute Zusatzeinkünfte als Übersetzerin standen wir wirtschaftlich auf der Sonnenseite des Lebens. Aber was hat man von dem Segen, wenn man das Geld nicht vernünftig ausgeben kann. Sicher, man kann Champagner statt Sekt konsumieren und so tun als gebe einem das mehr Lebensqualität oder man kann statt Kaffee oder Tee dann Champagner zum Brot trinken. Dieses bringt aber nur etwas in Hinsicht auf ein hoffärtiges Selbstwertgefühl, vielleicht kann man damit Regenbogenpresse-Leserinnen imponieren aber wirklich mehr Lebensqualität bringt das nicht. Letztendlich fällt den meisten Leuten nichts besseres ein, als das Geld zu häufeln, sprich anzulegen, damit dann die Erben, die ein Leben lang nichts anderes zu tun haben als darauf zu warten, dass der Erblasser endlich abtritt, eine fetzige Schlacht um „alles Mein und nichts ist Dein“ führen können. Erbschleicher-Schlachten stellen ja die kuriosesten Tragikomödien dar. Uli und ich standen jedoch kurz vor Vollendung des 25. Lebensjahres und hatten gerade den Grundstein zu unserer Karriere gelegt, da sind Anlagen auch noch nicht das große Thema. Was lag nun näher, als zu überlegen wie wir uns ausstattungsmäßig mit ein Wenig Luxus umgeben könnten. Sprich wir überlegten, uns mit neuer Ausstattung zu umgeben. Aber dabei gab es dann immer ein „kleines Tänzchen“. Nach meiner unbefangenen Auffassung konnten wir das Haus total räumen und komplett neu bestücken. Aber die Ursprungsausstattung war nicht in meinem sondern in Ulis Besitz und bei jeder Überlegung spielten dann ein oder mehrere Dinge, von denen sie sich nicht trennen wollte, eine maßgebliche Rolle. Meine Argumentation, dass wir bei einer Kombination von alt und neu uns ein Museum zulegen würden, zog dann bei solchen Gelegenheiten bei ihr überhaupt nicht. Dann liefen die Diskussionen sehr schnell heiß und es wurde sich
mal wieder echt gefetzt. Eine Lösung des Problems sollte es erst im Jahr darauf geben; aber soweit sind wir in der Niederschrift noch nicht. Aus dem, was ich bisher geschrieben habe, kann entnommen werden, dass Uli und ich durch unsere Partnerschaft nicht auf „Wolke Sieben“ gehoben wurden sondern dass wir uns häufig gestritten haben. Jetzt möchte ich aber allen jungen Ehen und Partnerschaften, denen es eben so geht wie uns, raten nicht den Kopf hängen zu lassen, denn so etwas ist normal. Zuvor waren wir Einzelpersonen, die ihre eigenen Wege nach eigenem Ermessen gingen. Wenn wir so weiter gegangen wären hätte es an allen Ecken und Enden gehakelt und letztlich wären wir nur noch aneinander vorbeigelaufen. Eine Gemeinschaft aus Einzelpersonen, die nur ihre jeweilige eigene „Selbstverwirklichung“ in den Vordergrund stellen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Eine Partnerschaft kann nur funktionieren wenn beide geben und nehmen, wenn sie Selbstverwirklichung nicht nur auf ihre Einzelperson sondern auf die Partnerschaft beziehen. Dann entsteht nämlich etwas Neues, was dann auch mit Bestand gekrönt wird. Aber leider kann man sich nicht hinsetzen und wie bei einem Geschäft vereinbaren „Du gibst das und ich gebe jenes“. Das würden beide Seiten so empfinden als würden sie sich aufgeben und sich dem Anderen unterwerfen zu müssen. Da bleibt nichts anderes als sich zusammenzuraufen. Und nichts anderes als ein Zusammenraufen in der Onkelehe, wenn ich mal die Worte von Ulis Mutter benutzen darf, war das, was bei uns ablief. Jetzt muss ich aber zugeben, dass ein Zusammenraufen auch nur dann gut gehen kann, wenn man sich wirklich liebt. Sogenannte Partnerschaften, die aber in Wirklichkeit vermeintliche Interessengemeinschaften sind, zerbrechen an diesem Zusammenraufen. Dort wird nicht gerauft sondern es wird ein Rosenkrieg ausgetragen. Jetzt kann man fragen, ob sich Uli und ich auch wirklich geliebt haben, zumal wir in einem Crashverfahren und dann noch überwiegend fremdbestimmt zusammen fanden. Und wie wir uns geliebt haben. Das merkte man schon an dem typischen Verlauf unserer „Streitigkeiten“. Nach einer gewissen Auseinandersetzungszeit kam nämlich der Punkt wo feuchte Augen ins Spiel kamen. Mal bei Uli, mal bei mir und sehr oft bei uns beiden. Dann trat immer zunächst Ruhe nach dem großen Sturm ein. Entweder war es dann Uli mit den Worten „Ach Schatz, ich liebe dich doch so“ oder ich mit den Worten „Ach Mausi, ich habe es doch gar nicht so gemeint“ wer den anderen um den Hals fiel. Dann haben wir uns immer ganz fest aneinander gedrückt und erst einmal richtig miteinander geschmust. Alle unsere Streitigkeiten beinhalteten von vornherein ein solches Versöhnungsfinale. Im Raume stehen geblieben ist bei uns nie etwas. Dabei sind wir richtig zusammen gewachsen. Uli wurde zu einem Stück von mir und ich ein Stück von ihr. Wir wurden, wie es in der Bibel heißt ein Fleisch. Ich glaube so etwas sind wahre Zeugnisse der Liebe, die nichts damit zutun haben, was der andere im Bett leisten kann oder auch nicht. Als ich gerade ein Bibelzitat ansprach, fiel mir ein Punkt ein, weshalb Uli und ich uns nicht zusammenraufen mussten. Durch Pastor Neuperth fand ich in Hildesheim zu Jesus Christus und Uli entstammte einen guten christlichen Elternhaus. Ihr Vater war, bevor er im Alter von 49 Jahren an Krebs starb, Leiter des CVJMPosaunenchors und Mitglied des Presbyteriums. Da war es einfach selbstverständlich, dass wir uns gemeinsam fast regelmäßig zum sonntäglichen Gottesdienst einfanden und uns auch fast täglich mindestens einmal über religiöse Dinge unterhielten. Aber bei den Berufsfrömmlern wollten wir uns absolut nicht einordnen. Gebetsshows gab es zum Beispiel bei uns nicht. Was soll denn die unaufrichtige Beterei vor den Mahlzeiten? Zum Gebet zogen sich sowohl Uli wie auch ich ins stille Kämmerlein zurück und zwar auch noch so, dass der Andere davon kaum was mitbekam. Dieses aber nur so nebenbei, damit man sieht, dass es auch diesbezüglich eine große Übereinstimmung zwischen uns gab. Auch so etwas oder gerade so etwas gehört zu einer guten Partnerschaft. Von Anbeginn an waren wir gegenseitig auch sehr stolz aufeinander. Gerne zeigte ich mich mit meiner Uli in der Öffentlichkeit und schwellte gerne die Brust, weil ich doch eine so schöne, attraktive und stets gepflegte „Frau“ hatte. Sie wiederum ließ keine Gelegenheit aus darauf hinzuweisen, dass ich ein fähiger Vorstandsassistent und wirklich guter Chef sei. Oft betonte sie laut und deutlich, was sie sich doch für einen tollen Typ geangelt habe. Jetzt könnte ich mich wiederholen und noch einmal schreiben, das auch so etwas zu einer guten Partnerschaft gehört. Wer auf etwas stolz ist, stellt es mit Sicherheit nicht in Frage. Und stolz ist man natürlich nur auf etwas, woran man selber glaubt. Alles dieses ist nach natürlich gleichbedeutend mit gegenseitiger Anerkennung. So, das soll aber jetzt endgültig reichen. Nachdem ich anfangs also von unseren Raufereien berichtet habe, wollte ich zwischendurch nur klar machen, dass wir aber doch in einer wunderbaren heilen Welt voller Liebe lebten. Jetzt möchte ich doch noch von „einigen“ außergewöhnlichen Ereignissen des Jahres 1971, unserem ersten Jahr berichten. Das erste dieser Geschehnisse war am Samstag, dem 12. Juni 1971. Richtig, mein 25. Geburtstag. Aus Spaß behauptete ich, dass man aus diesem Anlass extra eine Parade in London veranstaltete, denn am 2. Samstag im Juni feiern die Engländer immer den Geburtstag ihrer Königin nach. Englische Soldaten paradieren wohl nicht gerne im Regen und so suchte man sich einen Tag mit hoher Schönwetterwahrscheinlichkeit aus. So kommt es, dass immer dann, wenn mein Geburtstag auf einen Samstag fällt, immer gleichzeitig auch der Geburtstag der
Queen gefeiert wird. Dass es 1971 ein Samstag war, kann ich wegen der besonderen Umstände meines ersten Geburtstages in der Partnerschaft mit Uli beziehungsweise meines Kümmerers-Dasein nicht vergessen. Ulrike und ich hatten uns diesen Tag nämlich so schön ausgemalt. Wir wollten uns eine Jagdhütte im Sauerland mieten und dort ein ganzes Schmusewochenende verbringen. Dann kam uns Prätorius in die Quere. Ihm war es nicht verborgen geblieben, dass ich Geburtstag hatte und arrangierte für uns ein Geburtstagswochenende in seinem Haus an der Hohensyburg. Das Ganze sollte wie damals von Samstagnachmittag bis Sonntagabend laufen. Lediglich am Samstagabend sollten Gäste nach meiner Wahl, das waren dann allerdings nur Ulis Mutter und meine Eltern, dazu stoßen. Ansonsten sollte es ein Happiness für Vier, wie an unserem ersten Wochenende, sein. Kai Prätorius gehört nicht zu den Menschen, die irgendetwas uneigennützig tun. Immer steckt bei ihm irgendwo immer eine Karte mit der Aufschrift „Hintergedanke“ mit im Spiel. Ein Geburtstagswochenende für seinen Kümmerer, nur weil er in für tüchtig hält, wäre ja so eine Uneigennützigkeit, die ich bei ihm soeben in Abrede stellte. Wenn Prätorius so etwas wie für mich veranstaltet, dann hat das entweder den einen oder den anderen Grund, nur zwei Alternativen und sonst nichts. Die eine Alternative spricht für den Spielertyp, die er zweifellos war, und die andere für einen Menschen, der sich nach geleisteten Diensten erkenntlich zeigt, um diese für sich abzusichern. Den Spielertyp haben wir bereits kennen gelernt. Durch sein Spiel mit dem ahnungslosen Dieter Kleiner wurde ich zu seinem Kümmerer. Meine jetzige Einladung verdankte ich dem Menschen, der sich durch „erkenntlich zeigen“ absichern wollte. Für den letztgenannten Fall kommen nur Personen infrage, die sein Vertrauen erworben haben und denen gegenüber spielt er im Gegensatz zum Spiel des Spielertypens von Vornherein mit offenen Karten. Also in den paar Wochen wo ich bei Schweikart war hatte ich sowohl seine Zufriedenheit wie sein Vertrauen gefunden. In diesem Fall ging es im um den Kauf von Schweikart-Aktien, die er aufgrund irgendwelcher Verträge und rechtlicher Grundlagen gar nicht hätte erwerben dürfen. Diese Aktien habe ich mit seinem Geld auf sein Risiko erworben und anschließend habe ich meine Stimmrechte legal auf ihn übertragen. Mehr möchte ich, um niemanden auf krumme Gedanken zu bringen, nicht erzählen. Lediglich, dass es nicht das letzte Mal war, dass ich für ihn einen solchen Deal erledigte. Darauf zeigte er sich mit der Geste meines Geburtstagswochenendes erkenntlich und dieses hatte dann für ihn den höheren Sinn mich persönlich noch enger an ihn zu binden. Alles in Allem lief also eine schleichende Adoption nach den Spielregeln eines knallharten Managers ab. Im Vorfeld war Uli gar nicht begeistert über das Prätorius-Arrangement. Dabei ging es ihr weniger um die Hintergründe mit dem Aktiendeal sondern um das was uns dann in der sauerländischen Jagdhütte entging; schließlich hatten wir uns das so schön ausgemalt. Sie widersprach der Sache auch nicht, weil sie es als Pflichtübung auf unser beider Weg nach Oben ansah. So fuhren wir also mit Pflichtbewusstsein aber nicht mit innerer eigener Freude zur Hohensyburg. Das dürfte der Hintergrund gewesen sein, der Uli schon in der ersten Stunde unserer Anwesenheit zum Ausrasten brachte. Wir saßen auf der Wintergartenterrasse, an der jetzt die Glaswände entfernt waren. Die „Gäste“ waren noch nicht anwesend. Da hielt Prätorius eine Laudatio auf das Geburtstagskind. Er lobte meine Tüchtigkeit und prognostizierte mir eine verheißungsvolle Zukunft. Bei der Gelegenheit kam er darauf zu sprechen, dass er sich mit meinem Vorgänger geduzt habe und erklärte gleich: „Also ich bin der Kai und meine bessere Hälfte ist Eleonore. Also Prost verehrte Ulrike und mein bester Dieter.“. Seine Frau schloss sich mit der Wiederholung seine letzten Satzes an. Ich konterte gleich mit „Prost Kai, prost Eleonore“ und nachdem auch Ulrike ihre Zustimmung durch Zuprosten bekundet hatte, tönte ich aus „jugendlichem“ Leichtsinn: „Und wie ist das mit dem Bruderschaftskuss?“. Ohne lange zu zögern packte ich mir Eleonore Prätorius und knutschte einmal richtig zu. Nachdem wir uns getrennt hatten, sagte sie lachend und scherzend: „Da hast du wohl, seit dem du mir damals ins Dekollete gestarrt hast, drauf gewartet.“. Eu, da schaute Uli mit einem hexischen Blick auf mich. Sie wäre wohl an Ort und Stelle geplatzt, wenn nicht Kai Prätorius auch sein Recht auf einen Bruderschaftskuss tätlich eingefordert hätte. Ulrike beteiligte sich ab diesem Moment nicht mehr an unseren Gesprächen. Bei der erst besten folgenden Gelegenheit keifte sie mich an, dass sie mit mir sprechen müssen. Ich folgte ihr auf unser Zimmer und da ging es dann los: „Jetzt weiß ich woher der Wind weht. Der kleine Dieter hat sich an Oma Eleonore heran gemacht und ist ihr ins Dekollete gekrochen. Als Dank dafür hat sie ihren Kerl dazu gebracht ihren jugendlichen Liebhaber zu protektionieren. Und zur Krönung bleibt mir dann nichts anderes übrig als ich mich auch noch von so einem fiesen Kerl küssen lassen zu müssen. Als Chef mag er ja in Ordnung sein aber als Mann ist er ein Ekelpaket.“. Man kann sich vorstellen, dass ich jetzt meine gesamte Redekunst benötigte um die Sache bei Ulrike klarzustellen. Allerdings konnte ich, weil es wirklich harmlos war, mit der Wahrheit operieren, was ich auch selbstverständlich tat. Nun ja, zum Glück kam nach fünf Minuten der Moment, wo sich Ulis Augen feuchteten. Auch jetzt kam ihr berühmter, von mir so geliebter Satz: „Ach Schatz, ich liebe dich doch so“ und diesmal hing sie noch an: „Verstehe mich aber bitte, ich möchte dich nicht mit Eleonore Prätorius und mit keiner anderen Frau teilen. Ich will dich für mich ganz allein.“. Das ging mir nun wieder so ans Herz, das es zur festen Umarmung und zärtlicher Schmuserei kam. Auch so etwas gehört wohl zum Zusammenraufen: Uli hatte so reagiert, weil sie rasend eifersüchtig war und Eifersucht am Anfang einer Partnerschaft ist ein Ausdruck wahrer Liebe. Man muss
jedoch Differenzieren: Später ist rasende Eifersucht entweder krankhaft oder ein Zeichen von Misstrauen und das kommt in der Regel nicht von ungefähr. Danach verlief der restliche Nachmittag dann doch friedlich und freundlich ab. So ganz langsam gewöhnten wir uns auch an die Duzerei. Es gab bei Uli noch diesen oder jenen Versprecher aber letztlich klappte die ganze Sache dann doch auch bei ihr famos. Diese Geschichte setzte sich dann auch im Unternehmen fort, was natürlich nicht verborgen blieb und unter den Mitarbeitern den Sicherheitsabstand zu Uli noch erweiterte. Dieses war für sie zunächst ärgerlich aber mit der Zeit genoss sie die Situation, in der sie als so eine Art Quasi-Chefin erschien. Selbstverständlich war mir der (aufgezwungene) Respekt gegenüber meiner Verlobten mehr als recht. Am Abend meines Geburtstages erweiterte sich der Kreis der Duzfreunde noch einmal. Als unsere Eltern eintrafen gab es dann gleich einen verblüffenden Zwischenfall. Mein Stiefvater blieb, als er unsere Gastgeber erblickt hatte, zunächst wie angewurzelt stehen und polterte dann erfreut los: „Eleonore Hass. Mensch ich werde verrückt. Du hast dich aber überhaupt nicht verändert. Willst du denn gar nicht älter werden?“. Und die angesprochene Eleonore schoss zurück: „Mensch Ingo Frank, das kann doch nicht wahr sein.“. Eines war jetzt allen klar: Die Beiden kannten sich von früher. Jetzt kamen ungewollt einige Wahrheiten auf den Tisch des Herrn. Eleonore war Sekretärin bei Ingos Vater und furchtbar verknallt in meinem späteren Schwiegervater. Ingo hatte sich aber in Maria Remmel, der Tante meiner Exfrau Elke, verguckt. Aus verschmähter Liebe hat sie sich an Kai Prätorius Onkel als Braut für seinen Neffen verkauft und diesem, unseren jetzigen Gastgeber, wurde sie als Sekretärin untergeschoben. Diese Version ist ein Wenig anders als wir sie kannten, wonach es bei den beiden Prätorius so ähnlich wie bei uns gelaufen wäre. Nun ja Leute, so wie ich es jetzt geschrieben habe, fiel dieses natürlich nicht an diesem Abend, der größte Teil stammt auch aus Dingen, die ich erst später von Ingo erfuhr. Für Uli und mich stand, nachdem wir alles wussten, nun auch fest, wieso ein an und für sich hässlicher Mann an eine so attraktive Frau gekommen war – mein Stiefvater war schuld. So, das waren jetzt die Dinge, die von meinem 25. Geburtstag für die Nachwelt berichtenswert sind. Mehr, was für meine Memoiren interessant wäre, ist an diesem Wochenende, wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, nicht passiert. Es lief, nachdem unsere Eltern das Haus verlassen hatten, wieder so wie beim ersten Mal, also mit Sauna, natürlich auch da wieder paarweise getrennt, Fitness und zwei- bis dreistündlichen restaurantreifen Menüs. Auch diesmal war die Rechnung von Kai Prätorius aufgegangen: Wir waren uns privat näher gekommen. Dieses sonderbare Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Kai und mir hatte sich weiter gefestigt. So war die Atmosphäre gegeben, die uns ab und zu, wenn alles, außer die Nachtwächter, das Haus verlassen hatten, in der fünften Etage der Schweikart AG noch kurz zu Dritt zusammensitzen ließ, um den Tag ausklingen zu lassen. Bei einer solchen Gelegenheit wurde auch unsere Urlaubsidee geboren, die für mich dann auch ein in meinem Erinnerungen zu einem erwähnenswerten Erlebnis des Jahres 1971 wurde. In diesem Jahr sollte ich nicht nur Vorstandsassistent beziehungsweise Kümmerer und Bräutigam sondern auch noch „Kapitän“ werden. So plauderte Kai bei einer Dreierrunde Anfang Juli, dass er in „Holland“ eine tolle Yacht liegen habe. Holland habe ich jetzt in Anführungsstriche gesetzt, weil fast alle, wenn sie das Königreich der Niederlande meinen, Holland sagen. Dieses ist aber nur eine Provinz, und zwar die nordwestlichste der Niederlande. Wer jetzt nach Amsterdam oder Zandvoort fährt hat natürlich recht aber wer wie Kai Prätorius zum Beispiel das kleine Dörfchen Langweer, in der Nähe von Joure beziehungsweise Sneek meint, liegt natürlich voll daneben, denn die genannten Orte liegen in der Provinz Friesland und nicht in Holland. Ich hatte jetzt eben den „falschen“ Provinznamen geschrieben, weil auch Kai zu den Leuten gehörte, der immer, auch dann wenn es richtig war, Holland sagte. Das ist mir über die Jahre in Erinnerung geblieben, weil meine „kluge“ Uli seit dem Tag, wo wir uns verbrüderten, Kai ebenso wie mich diesbezüglich immer berichtige. Seit der Verbrüderung wurde Kai, was Tipps und Hinweise bis hin zu dem Thema „zuviel Kaffee“, genauso behandelt wie ich. Alles andere, was Uli von einer normalen Sekretärin unterschied, blieb allerdings nur mir vorbehalten. Wir saßen also zusammen und Kai berichtete, wie eben schon geschrieben, von seiner Yacht, die im friesischen Dörfchen Langweer im Yachthafen lag. Er meinte dazu: „So eine Yacht war immer schon mein Traum und als ich sie gekauft hatte merkte ich, dass ich mich doch irgendwie verkauft hatte. Lediglich an zwei oder drei Wochenende pro Jahr komme ich mal dazu diese zu nutzen. Hätte ich mir nicht ein Studentenpärchen aus dem Ort angeheuert, die das Boot regelmäßig nutzen, würde das schöne Dingen dort in dem Yachthafen vergammeln.“. Uli und ich reagierten jetzt in ähnlicher Weise. Sie meinte das sie es mal ganz schick finden würde über einen See zu schippern und ich bekannte, dass ich schon immer mal davon geträumt habe ein Freizeit-Kapitän zu sein. Darauf tönte Kai: „Ja Leute, warum denn nicht. So wie ihr rangeht habt ihr euch mal eine Runde Urlaub verdient. Den verbringt ihr dann auf meiner Yacht in Holland. Am Besten wählt ihr euch den August dafür aus. Dann sind zwar große Ferien, auch in Holland, aber dann ist dieser Henk Dijkstra mit seiner Frau ganzzeitig für euch verfügbar ... Diese Leute sind übrigens in euerem Alter. Bei denen könntet ihr auch wohnen. Das geht zwar auch auf dem Schiff aber da ist alles doch sehr beengt und die hygienischen Verhältnisse sind auch nichts für verwöhnte kultivierte Leute. Darüber hinaus könnte euch Herr Dijkstra in die Kunst der
Schiffsführung einführen. Ich werde ihn gleich Morgen mal anrufen“. Scheinbar bestimmte Kai in diesem Jahr immer wo es bei uns lang ging, denn jetzt hatte er uns auch unseren Urlaub „angedreht“. Am Sonntag, dem 8. August 1971, fuhren wir dann los. Toll, wie ich dieses Datum über all’ die Jahre behalten habe – oder finden Sie nicht. Das hängt auch mit einem Zwischenfall, der sich auf der Fahrt zu unserem Urlaubsziel ergab, zusammen. Sie entsinnen sich doch noch, das es damals noch strickte Grenzkontrollen rings um die Bundesrepublik gab. Am Schlimmsten waren die, wenn man von Deutschland nach Deutschland wollte. So ist es an der niederländischen Grenze nun bei weitem nicht aber seinen Personalausweis oder Pass musste schon vor der Gesichtskontrolle abgeben. Und kam man an einen ganz großen Pinkel, dann musste man auch den Grünen Versicherungsschein vorzeigen und der Herr Grenzer schaute auch noch nach ob man auch das D-Schild am Wagen hatte. So etwas kann in der Hauptferienzeit, wenn die Arbeitnehmer sofort nach der letzten Schicht, meist ein Freitag, losbrausen, zu einigem Stau an den Grenzen führen. Die „Schlauen“ fahren dann am Samstag und die „Ganzschlauen“ am Sonntag hinterher. Wir wollten uns zu den letztgenannten Leuten zählen und kamen ... in einen gewaltigen Stau. Uli bemerkte darauf scherzhaft, dass doch nicht alle Augsburger auf einmal auf den Gedanken gekommen wären, einen Feiertags-Ausflug in die Niederlande zu machen. Sie kam darauf, weil der 8. August nur in der Stadt Augsburg und sonst nirgends einer Feiertag ist: Das Augsburger Friedensfest. Sie wissen doch: 1555, wessen Land dessen Religion. Über diesen Scherz kamen wir auf das Thema Reformation. Wir sprachen über die Reformatoren Jan Hus, Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin. Den Augsburger Frieden, durch den der Landesherr bestimmen konnte was seine Untertanen zu glauben hatten fanden wir schrecklich und bemerkten dabei aber gar nicht, dass wir selbst Majonetten des Puppenspielers Kai Prätorius waren und der uns in fast ähnlicher Weise, wie damals die Fürsten, vorschrieb in welche Richtung wir zu denken hatten. Das aber nur am Rande; wichtig ist, dass wir ab Grenze bis zu unserer Ankunft in Langweer die komplette Reformationsgeschichte durchdiskutiert hatten. Immer wenn später Uli und ich irgendwo hin fuhren, erlaubten wir uns den Scherz, dass an diesem Tag nirgendwo etwas, was mit der Reformation zusammenhinge, gefeiert würde. Durch diese vielfache Wiederholung hat sich dann auch jener 8. August 1971 in die Erinnerung eingebrannt. Gleich am nächsten Tag gab es den Ablauf wie an allen folgenden zwölf Tagen. Am Morgen, so gegen Zehn stachen wir mit der Yacht, mit dem schönen Namen „Flamenco“, in See, sprich auf den Langweerer Wielen und dann durch die Kanäle und über andere Seen mal zu diesem und mal zu jenem Ziel. Henk Dijkstra und ich standen fast immer auf der „Brücke“ wo ich von unserem Gastgeber in die Kunst der Schiffsführung eingeweiht wurde. Uli, und Hiltje, Henks Frau, amüsierten sich mal auf dem und mal unter dem Deck. Wenn wir mal eine Zugbrücke passierten, leiste uns Uli meistens Gesellschaft auf der Brücke. Ab und an legten wir an einem schönen Fleck außerhalb von Ortschaften an um zu Schwimmen oder einfach nur um in der Sonne zu baden. Ich befand mich, wenn ich nicht gerade schwamm, in einer hellen Hose mit einem weißen Hemd. Uli hatte vorher extra für mich ein paar solcher Garnituren eingekauft, denn ich hatte ihr von meinem schlimmen Sonnenbrand, den ich mir damals in der Stierkampfarena in Barcelona geholt hatte, erzählt und ihr dabei gestanden, dass ich vor weiteren Sonnenbränden Angst hätte. Sie wollte aber, dass ich trotzdem sportlich und „Yacht gerecht“ aussehen sollte. Sie selbst war, wenn es nicht mal etwas kühler war, auf dem Boot immer in einem knappen Bikini; also so einem, den man schon als Tanga hätte bezeichnen können. Auch davon hatte sie gleich mehrere mitgenommen. Wenn sie schwamm zog sie meistens einen Einteiler, den sie, wenn sie aus dem Wasser kam, wieder auszog, an. Hiltje machte es genau wie mein Schatz, nur das sie von Bikini zu Bikini wechselte. Beim erstmaligen Wechsel in das Badezeug gab es dann einen Zwischenfall, der auch in die Kategorie „Zusammenraufen“ fällt. Diesmal war ich derjenige, der vor Eifersucht durchbrannte. Wir Männer brauchten ja nur die Hosen runter zu lassen um badefertig zu sein, denn wir hatten beide unsere Badehosen schon am Morgen angezogen. Die Damen legten aber ihre Bikinis ab und standen erst einmal so wie Gott sie geschaffen hatte da. Henk machte irgendeine Bemerkung, worauf sich Uli, die ich bis dahin nur etwas prüde kannte, ihm auch noch zudrehte, damit er auch noch einen richtigen Blick nehmen konnte. Da raste ich aus. Henk und Hiltje zogen sich sofort diskret zurück und Uli stand weiter nackt vor mir. Keck tönte sie: „Mensch, lebst du eigentlich noch im Mittelalter? Was hast du mir denn alles von deinem FKK und so erzählt?“. „Na und du?“, konterte ich, „Was war denn als uns Kai und Eleonore zur gemeinsamen Sauna einladen wollten? Was hast du mir denn da von letzten Geheimnissen und so weiter erzählt?“. Trotzig konterte Uli: „Ich kann schon unterscheiden. Damals hätte mich der olle Kai nur angestarrt und dafür bin ich mir nun wirklich zu schade. Du warst ja auch nur dafür weil du Eleonore angaffen wolltest. Hier sollte es aber ein natürliches Umziehen sein, bei dem sich außer dir, keiner was Schlimmes gedacht hat. Und außerdem gibt es diesbezüglich noch Unterschiede zwischen Menschen mit denen man täglichen Umgang hat und denen, mit denen man mal den Urlaub verbringt.“. „Dann kannst du doch auch mit zum FKK kommen“, verpasste ich ihr darauf und sie antwortete hier rauf patzig: „Nein, ich bin Ulrike Breuer, eine Frau, ein Mensch und kein Schauobjekt.“. Dann setzte sie noch mal nach: „Ich bin kein Objekt, verstehst du?“. Na, es ging noch eine Weile Hin und Her, bis es dann doch zu der bei uns üblichen Versöhnung kam. Diesmal setzte sich Uli durch; sie hat bis zum Schluss an diesem Vorgehen, was ich ursprünglich
beanstandet hatte, nichts geändert. Nun ja, ich habe mich ja nach dem ersten Bad dann ja auch selbst dem ungenierten Wechsel aus dem nassen Badezeug in trockene Kleidung angeschlossen. Des Nachmittags legten wir zwischen Vier und Fünf wieder im Langweerer „Yachthafen“ an. Gemeinsam brachten wir dann erst einmal alles auf dem Schiff in Ordnung. Dabei wurden dann die Taschen mit den persönlichen Utensilien des Tages gepackt, die Henk und Hiltje regelmäßig anschließend mit von Bord nahmen. Dass sie bepackt und wir frank und frei die Yacht verließen ging darauf zurück, dass unsere beiden niederländisch-friesischen Gastgeber darauf bestanden hatten. Schließlich waren wir ja auch zahlende Gäste, auch für die Yacht hatten wir Miete an Kai Prätorius bezahlt, und da wollten sie doch am bestimmten Service zeigen, dass es diverse Unterschiede zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer gibt. Zumal sie dieses von Kai Prätorius, der solche Dienstleistungen immer von diesen so erwartet hatte, so vorgegeben war. Wir stiegen dann immer in meinem, direkt am Yachthafen geparkten Wagen und fuhren zu dem, etwas außerhalb gelegenen Haus unserer Gastgeber um dort zu duschen und uns für den Abend fertig zu machen. Uli und ich schlüpften dann immer in unsere „leichte Dienstkleidung“ – also in die „Klamotten“ des Vorstandsassistenten und seiner ihm anverlobten Chefsekretärin - weil wir die, auch in Sporturlaubsorten wie Langweer, angemessen für Restaurantbesuche hielten. Wenn alles klar war begaben wir uns, wieder mit den Wagen, entweder wieder direkt ins Dorf Langweer oder nach Joure beziehungsweise nach St. Nikolaska und an zwei Tagen auch mal nach Sneek, um dort in einem Restaurant einzukehren. Wenn wir in Langweer waren, machten Uli und ich noch einmal einen kleinen Verdauungsspaziergang bis hinaus zur Mühle und dann wieder zurück. Hiltje und Henk haben uns lediglich an zwei Tagen, davon war einer unser letzter Abend, in ein Restaurant begleitet. Des Abends gingen diese lieber ihre eigenen Wege. Nach den Restaurantbesuch begaben Uli und ich uns dann immer gleich in unser Urlaubsdomizil. Der Tag war für uns zwar noch nicht gelaufen aber im Urlaub waren wir auch in anderer Beziehung, das heißt im Bett, in Form. So augenscheinlich „solide“, wie in diesem ersten Urlaub als Vorstandsassistent, war ich noch nie bei solchen Gelegenheiten. Keiner hat es mir beigebracht aber man konnte feststellen, dass ich mich von Anfang an standesgemäß benehmen konnte. Ich habe später diesbezüglich öfters mal darüber nachgedacht ob wir Menschen uns in der Öffentlichkeit überhaupt naturgemäß bewegen oder ob wir nur Klischees nachspielen und für dieses Nachspiel im Grunde recht wenig Proben brauchen. Ja, ja, aus Dieter Kleiner war schon ein ganz feiner Pinkel geworden. Dabei führe ich mein Auftreten allerdings nicht alleine auf das „bessere“ Pöstchen, dass ich laut Papier bekleidete, zurück sondern auch die Frau an meiner Seite spielte dabei eine ganz große Rolle. Uli hatte ein durch und durch damenhaftes Auftreten wobei gleichzeitig ein Maximum an weiblicher Anmut rüberkam. Aus eigener Erfahrung kann ich natürlich nicht sagen ob das ihr angeborenes Wesen war oder ob bei ihr dieses ebenfalls im Rahmen ihrer Tätigkeit als Chefsekretärin gewachsen war. Da muss ich schon darauf vertrauen, was Kai Prätorius mir später mal erzählte. Demnach verdankte sie neben ihrer vorzüglichen Sprachkenntnisse insbesondere ihrer „reizenden Damenart“ ihre Position bei der Schweikart AG. Unter den Bewerberinnen für diese Stelle wären noch zwei gewesen, die hinsichtlich Fremdsprachen durchaus mit Uli hätten mithalten können aber die eine wäre hässlich gewesen und die andere wäre wie ein Trampel aufgetreten. So gesehen wird Uli wohl die geborene Dame gewesen sein. Nun, ich befand mich jetzt an Ulis Seite und da gibt es ja auch ein ziemliches Aneinanderanpassen. Uli achtete ja auch stets darauf, dass mein Auftreten unbedingt der eines Weltmannes entsprach. Wie ich mich verändert hatte wurden mir dann an einer eher belanglosen Urlaubsbegegnung in Langweer bewusst. Diese blitz- oder schockartige Bewusstseinsbildung wird es wohl gewesen sein warum ich diese Nebensächlichkeit bis heute nicht vergessen habe und sie hier bei den Schlüsselerlebnissen meines Lebens mit aufzähle. Wir kamen des Nachmittags wieder rein in den Yachthafen von Langweer. Da die Flamenco schon eine imposante Yacht ist, die doch in ihrem Format etwas über dem anderer gleichartiger Boot lag, empfanden wir es schon als so eine Art Selbstverständlichkeit, dass andere Touristen stehen blieben und uns beim Einfahren und Anlegen zusahen. An einem Tag glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen: Stand da doch am Ufer meine Urlaubsschwalbe vom Vorjahr: Gabi. Ich hätte es vielleicht für eine Verwechselung gehalten wenn nicht ihr Vater, diese komische Beamtenkarikatur, sowie ihre Mutter dabei gestanden hätten. In einer einzelnen Person kann man sich ja schon mal vertun, insbesondere wenn Erinnerungen und Gedanken Flügel bekommen, aber bei einer Personengruppe ist das dann doch eher unwahrscheinlich. Gabi hatte sich nicht verändert und stand da wie ein unwahrscheinliches Küken. Man kann es als einen glücklichen Umstand für meine, von mir selbst als wohlig empfundenen, hoffärtigen Gefühle werten, dass Henk sich für diesen Nachmittag ein paar Wartungsarbeiten an der Flamenco vorgenommen hatte. Aus diesem Grunde war er schon am Morgen mit seiner eigenen Ente angereist. So waren wir unabhängig und konnten unmittelbar nach dem Anlegen wie für diesen Urlaub gewohnt vorgehen. Die Frauen hatten schon die Tasche, die wir mit ins Domizil nehmen sollten, gepackt und so konnten Uli und ich gleich nach dem Anlegen an Land gehen. Hiltje stand schon am Ufer, da sie die Yacht festgemacht hatte und Henk reichte ihr die Tasche an. Dann half unser holländischer Freund als Kavalier Uli noch ans Ufer und ich begab mich währenddessen, trotz meines Hinkebeins sportlich, eigenständig dorthin. Hiltje trug unsere Tasche und meine
damenhafte Braut hakte sich gleich bei mir ein. Wir hatten uns ein paar Meter in Richtung zu meinem Wagen, der sich ja auch sehen lassen konnte, begeben, da hatte Henk noch eine, meinen Wünschen zur Wartung entsprechende Frage. Er hatte die nette Angewohnheit, bei Fragen mich immer mit „Chef“ anzusprechen. Wir blieben stehen und ich antwortete in meiner neuen weltmännischen Art. Dann gingen wir zum Wagen. Nachdem Hiltje unsere Tasche im Kofferraum abgestellte hatte ging sie wieder zurück zum Boot um ihren Henk behilflich zu sein. Wir setzten uns in unser Auto und fuhren wie vorgesehen davon. In meinem Kopf schwirrte danach dann die ganze Zeit herum, was Gabi und ihre Eltern wohl über das Wunder von Langweer gedacht haben. War ich doch für diesen Beamtenstiesel von Gabi-Vater noch ein Jahr zuvor gesellschaftlicher Abschaum gewesen und jetzt war ich der Weltmann, der zumindestens nach meiner Ansicht, hoch über ihm schwebte. Sicher habe ich daran gedacht Gabi auf ein kurzes „Shake hands“ anzusprechen. Wenn ich alleine gewesen wäre, hätte ich das auch mit Sicherheit getan. Aber so? Was würde Uli von mir denken? Zwischenzeitig hatten Uli und ich uns auch gegenseitig unser Vorleben weitgehenst gestanden. Natürlich zu dem Zeitpunkt noch nicht im vollen Umfang mit allen Details. Für solche Geständnis-Einschränkungen gibt es ja auch ein paar nachvollziehbare Gründe. Wer gibt schon gerne ohne Not seine großen Schlappen zu? So hielt ich persönlich meinen Sex mit drei beziehungsweise zwei „Frauen“, bei der mir diejenige, die ich zu jenem Zeitpunkt am Wenigsten wollte überblieb, noch für eine solche verheimlichungswerte Angelegenheit. Andererseits muss man sich beim Prahlen mit seinen Vorlebens-Partnerinnen ein Wenig zurückhalten, denn das kommt sehr oft falsch rüber, was einem Negativpunkte bei der jeweils Jetzigen einbringt. So hatte ich Uli wohl von meiner Jugoslawien-Eroberung erzählt aber nicht wie ich diese gemacht hatte. Also, was würde Uli jetzt denken, wenn sich jetzt die Eroberung als ein solches Küken erweist? Da ließ ich es sein, Gabi zu begrüßen. So wie ich mich kenne, hätte ich die Gelegenheit auch nur genutzt, um an Gabis Vater Revanche für die Abfuhr vom Vorjahr zu üben. Vielleicht ist es allseits besser, dass ich von einer Begrüßung Abstand nahm. Ich tat also so als würde ich diese Aachener Familie, die auch irgendein Zufall nach Langweer getrieben hatte, überhaupt nicht kennen und ließ sie daher unbeachtet stehen. Aber ehrlich gesagt hätte es mich schon interessiert, was ich an jenem Tag in den Köpfen dieser Leute ausgelöst habe. Gerne hätte ich denen erzählt, dass ich nicht im Lotto gewonnen habe sondern mit „Fleiß und Leistungen“ nach Oben gestiegen bin. Ob die mir das geglaubt hätten? Auf jeden Fall merkte ich durch diesen Vorfall selbst, wie ich mich sehr schnell in meiner Selbsteinschätzung auf einen Höhenflug, der streng gesehen nicht nur überflüssig sondern auch dumm ist, begeben habe. Der hoffärtige Standesdünkel hatte sich von ganz alleine eingestellt. Der Mensch hat doch viel von einem Chamäleon, er passt seine „Farbe“ immer kontinuierlich seinem Umfeld an. Obwohl es objektiv gesehen dafür keine Gründe gibt, denn wir sind doch alle Gottes Geschöpfe, die er nach seinem Bilde geschaffen hat. Niemand ist weniger aber auch keiner mehr wert. Die Feststellung meiner Veränderung ist wohl das gravierenste Erlebnis unseres damaligen Urlaubes. Auch Uli dürfte sich in diesen nur vier Monaten, wo wir uns kannten, erheblich geändert haben. Dazu kann ich allerdings selbst nichts sagen, da ich sie vor unserem Kennenlernen nicht kannte. Richtig, der letzte Satz ist sprachlich unsinnig aber er macht sich doch so, wie ich ihn geschrieben habe, ganz locker und sagt gleich das Wichtigste aus. Aber jetzt wieder zur Sache. Mit Sicherheit hat Uli dieses Chefinnen-Auftreten vor mir nicht gehabt. Und so wird sie einige Eigenarten, die ich vorher an ihr nicht kannte, umgekrempelt haben. Gemeinsam und gleichzeitig machten wir dann in jener Zeit auch eine ganz neue berufliche Erfahrung: Wir konnten auf Geschäftsreise gehen, und das gleich über den großen Teich in die USA. In Niles/Illinois trafen wir mit Vertretern einer amerikanischen Gesellschaft, die mit uns eine Kooperation eingehen wollten, zusammen. Was heißt hier „wir“, richtig ist, dass Kai Prätorius mit diesen Leuten zusammentraf und er uns als das, was wir waren, mitgenommen hatte. Ich blieb auch auf dieser USA-Reise der Kümmerer, der laufend in der „Heimat“ rückfragen, Unterlagen besorgen und Strategien nachvollziehen und prüfen musste. Uli wurde in erster Linie hinsichtlich ihrer perfekten englischen Sprachkenntnisse mitgenommen. Hinsichtlich der etwas prägnanten Verträge, die ausgehandelt werden mussten, war es Kai schon lieber, auf eine linguistische Fachkraft zurückgreifen zu können. Nun wir entsinnen uns was im Jahre 1971 war. Die Ostverträge, die der Bundeskanzler Willy Brand und sein „Kümmerer“ Egon Bahr ausgehandelt hatten, traten in Kraft und zeigten langsam Wirkung. Da wurde die Bundesrepublik langsam zu einer Drehscheibe im Ost-West-Handel. Dazu kam noch, dass sich die EWG (Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft), also die Vorgängerin der EU (Europäischen Union), nun zur Erweiterung öffnete. Dieses sogar in zweierlei Hinsicht. Auf der einen Seite begann die räumliche Ausdehnung. Bisher bestand die EWG nur aus Deutschland, den Benelux-Staaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg), Frankreich und Italien. In 1971 waren erfolgreiche Verhandlungen mit Großbritannien geführt worden. Im August erklärten die „Engländer“ unter der Voraussetzung der Unterhauszustimmung ihren Beitritt zur EWG. Das Wort „Engländer“ habe ich jetzt in Anführungsstriche gesetzt, weil wir im alltäglichen sprachlichen Umgang Großbritannien, das neben England aus Nordirland, Schottland, Wales und Man besteht, gerne auf das Mutterland ihres Königshauses reduzieren. Stopp, da war schon wieder was falsch, denn das englisches Königshaus entstammt den Welfen – und die kommen bekanntlich aus dem niedersächsischen Hannover. Aber nichts desto trotz, muss ich auch noch von der zweiten EWG-Erweiterung schreiben. Bislang lag der EWG-
Schwerpunkt einmal auf dem Agrarbereich (Landwirtschaft) und zum anderen auf dem Montanbereich (Kohle und Stahl). Nicht nur, dass zunehmend andere Bereiche gleichwertig wurden sondern man dachte auch immer lauter über politische Schulterschlüsse nach. Damit wuchs natürlich auch das Interesse der amerikanischen Mammonisten an dem kleinen und zu dem geteilten Ländchen der Teutonen. Die Amerikaner wünschten eine weitgehende Kooperation, sogar mit gegenseitigen Beteiligungen, und die Familien Schweikart und Prätorius waren dazu nicht abgeneigt – und deshalb flogen wir hin. Eigentlich wollten Uli und ich schon am Donnerstag, den 9. September 1971, von Chicago unseren Heimflug antreten. Kai, der privat auch Eleonore mitgenommen hatte, wollte anschließen noch ein paar Tage Urlaub in Kanada machen. Das Datum passte meiner Braut und mir wunderbar in den Kram. Schließlich ist der 11. September 1971 nicht nur der Todestag des ehemaligen Sowjetpräsidenten Nikita Chruschtschow – richtig, der Knabe, der das Rednerpult der UNO mal mit seinem Schuh bearbeitet hat - sondern, und das war für mich viel wichtiger, der 25. Geburtstag meiner angebeteten Ulrike. Jetzt wollten wir aber das nachholen, wozu wir anlässlich meines Fünfundzwanzigsten nicht gekommen waren: Ein flottes Wochenende, nur zu Zweit, in einer Jagdhütte im Sauerland. Wir hatten eine solche auch schon in der Gegend von Schmallenberg gebucht. Und wieder gab es einen Strich durch unsere Rechnung und ich musste später in diesem Fall für die Jagdhütte bezahlen obwohl wir diese gar nicht genutzt hatten. Die Verhandlungen verzögerten sich und auf diese Weise wurde Ulis Geburtstag zu unserem Rückflugtag. Da konnten auch zum ersten Mal am eigenen erleben, was ein Flug in West-Ost-Richtung für eine Tortur ist. Gegen 16 Uhr starteten wir auf dem riesigen Chicagoer Fughafen, wo die Flugzeuge erst einmal eine halbe Stunde durch die Gegend gondeln bis sie ihre Startposition erreicht haben und dann ging der Flieger, ich glaube das war damals eine Boeing 747, also ein sogenannter Jumbo-Jet, auf seine etwas über 8-stündige Reise über die Nordroute über den Atlantik. Was mir bei der Nennung von Boeing-Flugzeugen immer so ein Spaß macht ist die Tatsache, dass der Herr Boeing, Flugzeugkonstrukteur und Gründer der gleichnamigen Werke, in Hohenlimburg geboren ist. Ja, genau da, wo ich bis zu meinen Zuzug bei Ulrike wohnte und wo meine Eltern immer noch wohnten. Der „Flugzeugmensch“ stammte aus einer Apothekerfamilie. Die Apotheke Boeing am Kronenburgplatz war zu dem Zeitpunkt, von dem ich hier berichte, noch existent. Aber jetzt wieder schnell zurück zum Flug in den Abend, dem keine Nacht folgen sollte. Uli und ich saßen in der Business-Class, in der wir es uns noch enger machten wie es durch die Anordnung der Sitze notwendig gewesen wäre, und plauderten turtelhaft miteinander. Schließlich hatte mein Schatz ja Geburtstag und zwar einen besonderen: ein Silberjubiläum. Zwei Mal hatten wir uns ein Piccolo bestellt um darauf anzustoßen. Erst so gegen Elf hatten wir die richtige „Bettschwere“ und da kam aus den Lautsprechern die Schreckenskunde: „Meine Damen und Herrn, hier spricht Kapitän XYZ (den Namen habe ich natürlich vergessen). Es ist jetzt 7:00 Uhr Ortszeit und wir befinden uns über Amsterdam im Landeanflug auf Frankfurt, wo wir in zirka einer halben Stunde landen werden. ...“. Nun, dann kamen die Stewardessen mit Erfrischungstüchern und so hatte Ulis 25. Geburtstag für uns keine Nacht gehabt. Zum Glück wurden wir abgeholt und kurz nach Zehn waren wir zu Hause. Das Einzigste, was wir uns noch wünschten war ein Bett – und zwar um richtig zu schlafen; auszuschlafen. An das, über was wir geplaudert hatten, kann ich mich heute noch gut entsinnen und das macht es wert, dass ich es hier berichte. Es begann damit, dass wir uns über unser „Zusammenraufen in der Onkelehe“, dass wir inzwischen selbst bewusst wahrnahmen, unterhielten. Wir erinnerten uns gegenseitig an verschiedene Katz-undMaus-Spielereien und stellten fest, dass es zwischen uns zunehmendst harmloser und harmonischer wurde. Übereinstimmend waren wir der Meinung, dass wir uns inzwischen gut aneinander angepasst hatten. Gemeinsam waren wir uns darüber einig, dass alle Weichen gestellt seien, dass aus uns ein glückliches Paar werden könnte. Und dann begannen wir mit einer Planung für den nächsten Lebensabschnitt. Was wir planten, will ich hier jetzt nicht weiter ausführen. Dafür lege ich lieber ein neues Kapitel auf. Wir haben nämlich alles, Punkt für Punkt, in die Tat umgesetzt. Also schauen sie doch gleich ins nächste Kapitel rein.
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Das exakt geplante Glück Wirtschaftsbosse, Politiker und Beamte sind immer stolz auf ihre präzisen Analysen und Prognosen und darauf satteln sie dann ihre ultimativen Pläne, zu denen es laut ihrer eigenen Bekundungen keine Alternativen gibt auf. Dann sind sie immer ganz stolz darauf, was sie doch für gute Manager, Politiker oder Beamte sind. Schon ein paar Jahre später hat sich die ganze Sache entweder verklärt oder sie findet im günstigen Fall nur ein Belächeln aber meist wird sie barsch kritisiert. Dieses aber nur, wenn jemand analytisch zurückblickt, denn meist verschwindet alles, was man zum Zeitpunkt des Geschehens für wichtig oder gar historisch hält, in die Tiefen des Vergessens. Was gute Politik ist, kann man erst im Nachhinein beurteilen. Wenn zum Beispiel heute Amateurpolitiker in den Räten Neubaugebiete ausweisen schwafeln sie stolz von denen sich daraus ergebenen Entwicklungschancen für ihre Kommunen und erklären ihren Gläubigen, wie sich das Ganze belebend auf die Sicherung zukünftiger Haushalte auswirkt. Sie sind ja die Hyperpolitikusse, wie sie das Örtchen zuvor noch nie erlebt hat. Wenn sich die Geschichte dann aufgrund rückläufiger Bevölkerungszahlen und Wirtschaftsentwicklungen als Schuss nach Hinten auswirkt, insbesondere weil man in der Baueuphorie Maßnahmen zur Weiterentwicklung der örtlichen Infrastruktur vernachlässigt hat, dann werden die Politiker, die dann am Ruder sind tönen, was das früher in den Räten doch für Deppen waren; sie hätten so etwas natürlich vorausgesehen. Was gute Politik ist, kann man so gesehen nur im Nachhinein feststellen. Die Ursache für die Massenanhäufung von schlechter Politik liegt in der mangelhaften Erstellung und Auswertung von Analysen und Prognosen. Grundsätzlich werden keine außergewöhnliche Ereignisse wie Naturkatastrophen, Terroranschläge und Kriege im Vorhinein mit eingerechnet. Aber nicht nur Negativereignisse sondern auch positive Ereignisse, wie zum Beispiel der Mauerfall, können alles anders werden lassen wie man gedacht hat. Schlimm ist das Augenschließen vor dem, was man nicht wahrhaben will. So bleibt heute bei politischen und wirtschaftlichen Planungen der dramatische Geburtenrückgang und damit der Bevölkerungs- und Konsumentenrückgang außer Betracht. Was wollen weniger Leute mit mehr Kühlschränken und Fernseher. Und wenn die nicht gebraucht werden, müssen sie auch nicht produziert werden. Damit hat das Wirtschaftswachstum seinen Zenit erreicht. Rezessionen sind eigentlich daraus nur logische Folgen, was dann natürlich Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme hat. Wenn man dann in der Manier heutiger Politiker, dann noch mit der Überschrift „Agenda 2010“ Sozialraubbau betreibt, dann entzieht man dem Binnenmarkt, der von der rückläufigen Zahl der Konsumenten ohnehin schon gebeutelt ist, weitere Kaufkraft. Weimar bitte warten, wir kommen. Lange Rede kurzer Sinn: Eine Planung kann nur so gut sein, wie die Analysen und die daraus entwickelten Prognosen, die ihr zugrunde liegen. Was für Wirtschaft und Politik gilt, ist für das Privatleben gleichbedeutend. Die schönsten Pläne werden sowohl durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder auch nur leicht negative Einkommensentwicklungen wie auch von Geburten und unerwarteten Erbschaften über den Haufen geworfen. Immer kommt es anders als man gedacht hat. Da brauche ich doch als Beispiel nur mein Leben, wie ich es bisher geschildert habe, zu nehmen. Durch die Scheidung meiner Eltern, durch die Geburt unserer Katja und die Mussehe und Scheidung mit beziehungsweise von Elke, durch meine Bundeswehrzeit, durch den schweren Unfall und neuerlich durch meine plötzliche Karriere wurde ich immer sofort auf ein ganz anderes Gleis geworfen. Alle vorhergehenden Pläne wurden zur Makulatur und neue mussten her. Jetzt hatte ich ja im vorhergehenden Kapitel berichtet, dass Uli und ich auf dem Flug von Chicago nach Frankfurt plaudernder Weise Zukunftspläne, Pläne für unser Glück, geschmiedet haben. Dann wollen wir mal in diesem Kapitel sehen, was dabei heraus kam; ob es sich um ein exakt geplantes Glück handelte. Man kann sich schon sicherlich denken um was es bei unseren Planungen ging. Ich hatte ja gerade ein ganz großen Karrieresprung gemacht und dass das so in absehbarer Zeit von zwei bis drei Jahren so weiter geht, erscheint selbst in der wagemutigsten Prognose doch sehr unwahrscheinlich. Darum kann es also nicht gegangen sein. Dann bleibt doch nur so etwas „altmodisches“ wie Ehe und Familie und alles, was dazu gehört. Und das ist absolut richtig. Der erste Schritt fiel noch in das Jahr 1971, in dem wir gerne schon nach der EinkommenssteuerErklärung nach der Splittingtabelle berechnet werden wollten. Wir wollten also noch in 1971 heiraten, dann ist es nämlich steuerlich so, als wären wir schon das ganze Jahr verheiratet gewesen. Das gilt auch, wenn es der letzte mögliche Tag ist. Da die Standesämter Sylvester in der Regel geschlossen sind, wäre dieser Tag Donnerstag, der 30. Dezember 1971. Der Termin passte auch sonst wunderbar, da in der Zeit des Jahreswechsel die meisten Leute sich in ihre Familien zurückziehen und sich nicht so sehr für andere interessieren. Auch in der Schweikart AG werden dann 90% aller Leute im Weihnachtsurlaub sein. Dann kann man zwar auch nicht so ganz klammheimlich heiraten aber man kann großes Aufsehen weitgehenst vermeiden. Wir wollten bei der Hochzeit doch nur unsere Eltern, Ulis Bruder, meine Stiefbrüder Heiko und Björn mit ihren Frauen sowie die Betreiber unserer Glücksschmiede Kai und Eleonore Prätorius dabei haben. Ulis Bruder und eine meiner beiden Stiefschwägerinnen sollten als Trauzeugen fungieren. Das wir die Prätorius dazu laden wollten war eigentlich nicht so ganz freiwillig aber wir hatten uns überlegt, dass es vielleicht für mich auf dem Wege zum Vorstand
nachteilig sein könnte, wenn sich Kai diesbezüglich übergangen fühlen würde. Extra hielten wir den Plan allseitig bis Mitte Dezember unter uns Beiden unter strengen Verschluss, weil wir immer hofften, unsere „Gönner“ würden dann wegen eines anderweitig geplanten Weihnachtsurlaub absagen. Aber leider war dem nicht so, die Prätorius sagten auf unsere Einladung zu. Außer Aufgebot bestellen, Einladungen zu überbringen und sonstige Hochzeitsvorbereitungen hatten wir im Dezember 1971 zuvor noch ganz etwas Wichtiges zu „erledigen“. Wir hatten vom 11. September 280 Tage zurück gerechnet und waren, da 72 ein Schaltjahr war, auf den 6. Dezember gekommen – normal ist das der 5. Dezember. Na, da wohl jeder weiß, dass eine normale Schwangerschaft 280 Tage (40 Schwangerschaftswochen) hat, kann sich jeder vorstellen, was die Rechnung sollte. Wir hatten es uns so schön vorgestellt, wenn unser erstes Kind, das nach Ulis Ansicht ein Junge und nach meinen Wunsch ein Mädchen sein sollte, am gleichen Tage wie die Mutter Geburtstag haben würde. Dieses Plandetail sorgte bei Uli schon unmittelbar nach unserer Rückkehr aus Amerika für Aufregung, denn das Ganze klappt ja nur auf natürlichem Wege, wenn zum fraglichen Zeitpunkt auch ein Eisprung stattfindet. Deshalb war Uli dann auch fortwährend mit ihrem Menstruationskalender und Temperaturmessungen beschäftigt. Immer wieder verkündete sie mir mit gespannter Freude, dass alles nach ihren Berechnungen tatsächlich klappen müsste. Das einzigste was uns auf dem Kalender störte war der Wochentag, auf den der 6. Dezember fiel. Es war nämlich ein Montag. Da kann man sich doch wohl schlecht zwecks Zeugung den ganzen Tag ins Schlafzimmer zurückziehen. Nun, wir waren von unserer Planung so besessen, dass wir uns in der Zeit vom 1. bis zum 10. Dezember, immer wenn wir nach Hause kamen, gleich ins Bett begaben. Wir sorgten in jener Zeit auch immer für einen überpünktlichen Büroschluss. Auf unser Abendessen haben wir da in der Regel verzichtet. Am fraglichen Sechsten, also am Nikolaustag, regte Uli sogar eine echte Übertreibung an. An diesem Tag trieben wir es gleich zwei Mal im Büro. So gegen Zehn rief ich Uli, nach ihrem eigenen Plan, zu einem Diktat in mein Büro. Wir konnten ja sicher sein, dass niemand unangemeldet in ein Chefbüro vordringt. Das war auch noch nie passiert. Uli war gerade im Zimmer als sie ihren Slipper und ihre Strumpfhose auszog und sich dann auf dem Teppich legte. Wie es dann weiterging, brauche ich ja aufgeklärten Menschen nicht extra zu beschreiben. Diesen BüroZeugungs-Akt haben wir dann am Nachmittag noch einmal wiederholt. Dabei hat es dann doch eine kleine Panne gegeben. Wir waren gerade so richtig in Fahrt als Frau Reuter über die Gegensprechanlage anpiepste. Na, es ging jetzt nicht das wir mal kurz unterbrachen und so ließen wir den Reuterschen Ruf unbeantwortet. Unmittelbar nach dem Akt machten wir beide uns wieder dienstfähig und Ulrike verließ mit dem Stenoblock in der Hand das Büro. Am Abend erzählte mir Uli, das Frau Reuter gefragt habe, warum wir uns nicht gemeldet hätten, Kai hätte etwas von uns gewollt. Darauf verpasste ihr Uli die Antwort, dass ihr das nichts anginge. An dem Gesicht und dem Kopfschütteln der Frau Reuter glaubte Uli dann erkannt zu haben, dass ihre Kollegin wohl richtig assoziiert hatte. So gründlich wie wir unser erstes Kind vorbereiteten so phlegmatisch gingen wir an die entsprechenden Hochzeitsvorbereitungen. Ein Tag vor Weihnachten stand fest, dass wir um 10:00 Uhr im Standesamt Letmathe, welches sich in der Trillingschen Villa befand, und um 11:00 Uhr in der Oestricher Kirche getraut werden sollten. Nach der kirchlichen Trauung wollten wir unsere Gäste in einem, an der Kirche liegenden Gasthof versammeln, damit dort das Festmahl eingenommen werden sollte. Und dann ... Ja, was war dann? Wir wussten es selbst nicht. Wir konnten ja einen 500 Meter Fußmarsch, die Grürmannsheider Straße hinauf zum Baumberg unternehmen. Da konnten wir uns ja dann in unserem, sorry in Ullis Haus versammeln. Ich musste nur noch nach Weihnachten Getränke, Torten, Kuchen und eine Kalte Platte für den Abend ordern. Als Kai bei einer Dreierrunde zum Feierabend von unseren Planungen hörte fiel er erst einmal in seinem Chefsessel und dann erklärte er sich für zuständig. Standesamt, Kirche und Gasthofmenü lief nach unserer Planung ab. Aber dann wurden wir von ihm in seinem Wagen und unsere Gäste in einem Kleinbus zur Hohensyburg gekutscht. In seinem Haus war dann alles für eine standesgemäße Hochzeit im kleinen Kreis arrangiert. An diesem Tag konnten wir feststellen, dass an dem Spruch, dass alte Liebe nicht roste, eine ganze Menge dran ist. Ingo beschäftigte sich mehr mit Eleonore wie mit meiner Mutter. Die beiden tanzten, scherzten und plauderten miteinander. Dann machten wir zwei Feststellungen: Erstens, dass Eifersucht keine Altersbeschränkung kennt und zweitens, dass bei so aalglatten Managertypen tatsächlich im Kern noch Menschen verborgen sind. Mutti und Kai wurden zunehmend ösig, bis meine Mutter platzte und Ingo fragte ob er noch wisse wo er hingehöre. Diese Gelegenheit ließ sich Kai nicht entgehen und machte seiner Frau deutlich, dass es wohl nicht klappe, wenn man drei Jahrzehnte zurückspringen wollte. Wörtlich fragte er Eleonore: „Du hast wohl in der Midlife crisis davon geträumt, Du hättest vom Jungbrunnen getrunken und deinem Schwarm ginge es ebenso.“. Jetzt mussten wir, das frischgetraute Paar, ran. Ich nahm mir Mutti und Ingo vor und Uli besänftigte das Ehepaar Prätorius. Als wir dann in der Nacht alleine waren meinte Uli: „Ist dir aufgefallen, dass heute etwas vollkommen umgekehrt gelaufen ist. Du hast bisher von deinen Eltern immer Ratschläge zu deiner Besänftigung entgegen nehmen müssen – wenn nicht, wäre das ja unnatürlich. Ich habe, genau wie du, von den Prätorius immer nur gehört was für uns gut und richtig wäre. Und
heute war es umgekehrt. Du hast deine Eltern und ich die Prätorius ins Gebet genommen. Ich glaube, dass wir uns mit unserer Eheschließung emanzipiert haben.“. Damit hatte Uli noch nicht einmal unrecht. Das Ratgeben war auf einmal keine Einbahnstraße mehr. Sowohl Kai und Eleonore, wie Ulis Mutter und auch meine Eltern wandten sich ab und an in Sachen „Bitte um Rat an uns“. Natürlich wandten sich die Frauen mehr an Uli und Kai sowie Ingo an mich. Kai sogar nicht nur in privaten sondern mehr und mehr auch in beruflichen Dingen. Mir kam es so vor, als wäre unser Trauschein so eine Art Reifezeugnis gewesen. Ich weiß nicht woran das liegt aber ich habe so etwas auch schon mehrfach von anderer Seite gehört. Reagieren wir Menschen auf Signale und ist eine Eheschließung ein solches wirkungsreiches Signal? Werden junge Leute erst danach richtig für voll genommen? Wir hatten uns, nachdem klar war, dass wir uns wieder an der Hohensyburg „versammeln“ würden, ausgemacht, dass wir noch einmal unser allererste Zusammensein nachspielen wollte. Uli entpuppte sich zunächst auch als eine erstklassige Schauspielerin. Sie setzte sich keusch, richtig verschüchtert wirkend, auf die Bettkante und sagte leise: „Du Schatz, ich muss dir was gestehen. Ich habe überhaupt keine Erfahrung mit verheirateten Männern. Du bist der erste verheiratete Mann mit dem ich zusammen bin. Tust du mir den gefallen und ziehst mich langsam aus.“. Weiter ging das Spiel nicht, denn Uli brach in fürchterliches Gelächter aus. Sie fiel mir um den Hals und ließ sich mit mir im Arm nach hinten ins Bett fallen. Und, ... welche Überraschung, unter Bett gab es einen Knall und auf dem Flur Gelächter. So etwas hätte ich diesem Kai Prätorius gar nicht zugetraut. Da war doch in dem Manager mehr Mensch über geblieben als ich glaubte. Das ist gar nicht so selbstverständlich, was ich heute ganz gut beurteilen kann. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass man vollkommen hinter seinen Zahlen aufgehen kann. Da kennt man Personalkostenfaktoren oder Mann/Stunden und bekommt gar nicht mehr mit, dass da hinter immer menschliche Schicksale stecken. Man entfernt sich immer mehr vom wahren Leben und verhärtet dabei zunehmendst. Dagegen hilft eigentlich nur eins: sich unters Volk mischen und dort zuhören und mitfühlen, aber wer macht das schon. Allerdings verlief der nächste Tag auf unseren Wunsch nicht so, wie die bisherigen Tage im Hause Prätorius. Nach einem „fürstlichen“ Frühstück ließen wir uns mit einem Taxi zum heimischen Baumberg bringen. Wir wollten das folgende lange Wochenende, der Freitag war Sylvester, so verbringen, wie wir das auf unseren Geburtstagen geplant hatten aber wo dann immer was dazwischen kam. Der Unterschied hier sollte nur sein, dass wir es nicht in einer Jagdhütte im Sauerland sondern in den eigenen vier Wänden erleben wollten. Dieses Mal sollte unser Plan auch tatsächlich funktionieren. Es war so, wie wir es uns das vorgestellt hatten. Ein Wochenende, das nur uns gehören sollte und deshalb erzähle ich von diesem auch nichts hier an dieser Stelle. Der Montag, der 3. Januar 1972, war in zweifacher Hinsicht der erste Arbeitstag für Uli und mich. Einmal war es, wie für alle anderen auch, unser erster Schaffenstag im neuen Jahr und zum anderen – und das ist viel wichtiger – unser erster Bürotag als Herr und Frau Kleiner, ein Fräulein Breuer gab es nicht mehr. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir unseren Eheschluss im Betrieb „geheim“ gehalten. Frau Reuter sollte mal wieder als erste von dieser Neuerung Kunde erhalten. Als wir hereinkamen tönte sie in ihrer Art: „Ein schönes neues Jahr Herr Kleiner, Prosit Neujahr Fräulein Breuer“. Obwohl Uli und sie schon bald drei Jahre zusammenarbeiteten war es zwischen der älteren Frau Reuter und Uli noch nicht zum Du gekommen. Meine Gattin, schelmisch wie sie ist, antwortete prompt: „Frau Reuter, ich wünsche ihnen erst einmal ein besonders schönes neues Jahr. ... Das hätten sie mir aber auch wünschen können. Meinen Mann haben sie bedacht aber mich nicht. Dafür haben sie es einem Fräulein Breuer, die es hier gar nicht gibt, gewünscht.“. Frau Reuter ist in der Regel keine Frau, die Scherze gut findet, meist reagiert sie dann etwas säuerlich. Aber begriffsstutzig ist sie nicht und postwendend tönte sie: „Soll das etwa heißen, dass sie geheiratet haben?“. Fröhlich lächelnd und bejahend nickend gab Uli dann zu: „Ja, letzten Donnerstag, einen Tag vor Jahresschluss. Na ja, Frau Reuter ließ es sich nicht nehmen herzlich zu gratulieren und ich gab ihr daraufhin den Auftrag, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung für 16:00 Uhr zu einem Umtrunk in das große Besprechungszimmer einzuladen. Vier Uhr Nachmittags, war damals, als es noch keine Gleitzeit gab und die Leute offiziell bis 17:00 Uhr im Hause waren, eine ganz übliche Zeit. Von der Stunde an veränderte sich die Stellung und das Ansehen des Ehepaars Kleiner nochmals in einem größeren Umfang. Aus dem Ziehsohn des Prätorius, der mit seiner Sekretärin poszierte wurde jetzt tatsächlich so eine Art Respektperson. War ich doch vorher, als so eine Art Junggeselle, aus der Sicht der meisten Mitarbeiter so eine Art Kofferträger des „großen Herrn“ und jetzt sah man in mir nun doch einen eigenständigen Vorgesetzten. Meine Frau Ulrike rutschte jetzt in so eine Art Assistenten-Stellung. Die Mitarbeiter, die zuvor mit diversen Angelegenheiten direkt zu mir kamen, wendeten sich jetzt erst an Uli, womit sie eigentlich nur den Dienstweg verlängerten, denn meine bessere Hälfte hütete sich natürlich ihre Sekretärinnenkompetenz zu überschreiten. Auch unser Verhältnis zu Kai änderte sich ein Wenig. Kam ich mir ihm gegenüber erst doch so vor wie der jugendliche Sohn, der noch jede Menge von seinem Vater lernen musste. Jetzt war der „Sohn“ erwachsen geworden und diente seinem Vater als Stütze. Kai ließ mich ab 1972 auch immer mehr alleine im Hause schalten und walten. Bestimmte Dinge trat er häppchenweise ganz an mich ab und konzentrierte sich mehr und mehr auf die großen Dinge. Dabei bekam er dann auch immer mehr freies Feld für die Schlachten
innerhalb der Familien Prätorius und Schweikart. Und das war für ihn ja Ziel der ganzen Übung. Ich bekam Einblick in alle, die Schweikart AG betreffenden Dingen, was aber die Kombination aus Familien- und Unternehmenspolitik anbelangte war und blieb ich der Dumme. Darüber wurde ich nicht informiert. Im privaten Umfeld gab es zunächst keine besonderen Veränderungen. Uli und ich lebten in ihrem Haus am Baumberg in Oestrich nach wie vor so wie vor unserer Eheschließung. Na ja, so pausenlos geturtelt wie in den ersten Wochen haben wir natürlich nicht mehr. Es hatte sich doch alles ein Bisschen normalisiert. Wir lebten halt wie wahrscheinlich jedes andere junge Ehepaar auch. Aber das kam nicht mit einem Schlag durch die Eheschließung sondern das hatte sich bereits vorher so kontinuierlich ergeben. Je weniger wir rauften um so mehr wurden wir zu einem „normalen“ Paar. Für unsere Nachbarn waren wir auch nicht die Respektpersonen wie in der Firma, für die waren wir lediglich ein junges Paar, welches offensichtlich kein schlechtes Einkommen hatte. Die einzige Änderung, die unsere Eheschließung bei der konservativeren Nachbarschaft auslöste, war die Erkenntnis, dass wir nicht in einer wilden Onkelehe hausten sondern so ein Ehepaar, wie es sich gehört, waren. Ja, ja, Attribute können dem folgenden Substantiv einen ganz anderen Sinn geben. Während eine „wilde“ Ehe ganz was Schlimmes und die Leute in ihr vollkommen „verrucht“ sind, sind die gleichen Leute in einer „geschlossenen“ Ehe halt einfach nette und anständige Menschen. Nicht das, was der Mensch ist, zählt sondern ausschließlich das, was man aus dem Schein, der ihn umgibt, schließen kann. Füllt man Champagner in eine ganz normale Flasche und klebt kein Etikett darauf, dann ist er auch nur ein Schaumwein, den man, wenn man will, auch zum ordinären Butterbrot trinken kann. Aber bei unserer Glücksplanung damals im Flugzeug hatten wir auch zwei Punkte vorgesehen, die dann in Angriff genommen werden sollten, wenn feststeht, das Ulrike schwanger ist. Durch diese beiden Punkte würde sich dann auch unser privates Umfeld verändern. Wir hatten beschlossen, dass sich unsere beruflichen Wege im Falle einer Schwangerschaft trennen sollten. Uli wollte, so bald dann eine Nachfolgerin für sie gefunden wäre, ganz vom Berufs- ins Privatleben wechseln. Schon im Januar stand fest, dass unsere Zeugungsaktion erfolgreich verlaufen war. So gar der Termin hatte bis jetzt exakt geklappt: Der vorausberechnete Entbindungstermein hieß: 11. September 1972. Zu dem Zeitpunkt als Ulis Schwangerschaft festgestellt wurde, hatten wir uns immer noch nicht auf das Geschlecht unseres Nachwuchses geeinigt. Uli träumte weiterhin davon, dass unser erstes Kind ein Junge, der Jean heißen sollte, würde und ich beharrte auf meiner Janine. Natürlich lag in unseren Wünschen keine Verbissenheit denn sowohl Uli wie auch ich würden eine umgekehrte „Geschlechterfolge“ nicht nur akzeptieren sondern wir würden uns auch dann riesig freuen. Das stand aber noch eine Weile aus, jetzt hieß es erst mal eine Nachfolgerin für meine Frau im Büro zufinden In diesem Fall übernahm dann Kai Prätorius mal wieder die Regie. In einem „Dienstgespräch“ unter vier Augen erklärte er mir, dass er auf keinem Fall bei der Position der Chefsekretärin auf das Arbeitsamt zurück greifen wolle. Seiner Ansicht nach gibt es immer Gründe, warum sich Leute an das Arbeitsamt wenden. Einmal könnten das blutige Anfängerinnen sein, die nicht unbedingt auf einer Chefetage ins Berufsleben eingeführt werden müssten. In allen anderen Fällen, so meinte er, wären es ja Leute, die bewusst von dem Vorgängerunternehmen für das Arbeitsamt ausgewählt worden sind. Warum wurde gerade sie und nicht ihre Kollegin entlassen. Im günstigsten Fall trifft man auf eine Bewerberin, die sich verändern möchte. Aber auch dieses hat dann seinen Grund und warum geht sie deshalb zum Arbeitsamt statt sich in Eigeninitiative auf entsprechende Anzeigen zu bewerben. Er gab mir damals den Rat in Zukunft bei ähnlichen Fällen immer darauf zu achten, dass die Bewerberin oder der Bewerber immer aus einer noch bestehenden Anstellung auf Grund von Zeitungsanzeigen beworben hat. Dann ist schon ein wichtiges Auswahlkriterium erfüllt. Wo er schon mal dabei war, gab er mir dann gleich weitere Tipps, unter anderem wie man mit Bewerbung umgeht. Als erstes schaue man auf die beigefügten Passbilder. Wer keines beilegt, hat bestimmt seine Gründe dafür. Dann ist es wichtig, dass einem die Dame oder der Herr auf dem Bild sympathisch oder mindestens akzeptabel vorkommt. Mit Leute, gegen die man emotional eine Abneigung hat, kann man auf Dauer nicht zusammenarbeiten. Bei aller Ratio können wir unsere Emotionen nie aus dem Spiel lassen. Also das Äußere eines Menschen ist bei aller fachlichen Qualifikation das wichtigste Entscheidungskriterien. Dann ließt man sich das Bewerbungs-Anschreiben gründlich durch. Wer wie ein Bittsteller klingt oder wer durchblicken lässt das er sich auf eine x-beliebige Stelle bewirbt ist nicht geeignet. Aus dem Anschreiben muss hervorgehen, dass sich die Kandidatin oder der Kandidat mit dem Unternehmen, wo er oder sie sich bewirbt, beschäftigt hat und dass er oder sie selbstbewusst bekundet für die ausgeschriebene Stelle der oder die Geeignete zu sein. Das Nächste ist der Blick auf den Lebenslauf, der handgeschrieben sein sollte. Je kürzer der Lebenslauf um so besser. Jede Zeile zuviel spricht für Unstetigkeit und einem Übermaß an Vakanz. Bei dem Lebenslauf sollte man auch beachten, dass die berufliche Entwicklung gradlinig verlaufen ist. Eine Sekretärin, die mal als Kellnerin und/oder Verkäuferin gearbeitet hat, dürfte dieses ja auch nicht grundlos getan haben. Hat sich aber eine Kellnerin zur Sekretärin „hochgearbeitet“ spricht das für ihre Strebsamkeit. Sie will halt mehr aus sich machen. Stellenwechsel, die mit deutlichen Wohnortwechsel, also zum Beispiel von Hamburg nach München, verbunden waren, spricht für die Flexibilität der Bewerberin beziehungsweise des Bewerbers während Umzieherei und Stellen-
wechsel in einem näheren Umkreis immer für Unstetigkeit sprechen. Dann kommt man zu den Zeugnissen, um die zwar ein ziemlicher Kult getrieben wird, aber die man nicht überbewerten sollte. Schon wegen bestimmter Formvorschriften und das Arbeitnehmer, wenn sie mit diesem unzufrieden sind, ein neues verlangen können, machen daraus ein wenig sagendes Dokument. Man kann auch hingehen und den Leuten es selbst überlassen sich ein Zeugnis zu schreiben. Und danach zu suchen ob der oder die Vorgänger jemand wegloben oder dem Kündigenden mit Schlamm nach schmeißen wollen, ist müßig. Es sei denn, so etwas würde sich von Zeugnis zu Zeugnis wiederholen. Bedeutend sind diese nur zum Abgleich mit dem Lebenslauf. Stimmen die Daten überein oder will da jemand puschen? Wenn das alles erledigt hat, dann bleiben nur wenige, die man zu einem alles entscheidenden Gespräch einlädt. Der persönliche Eindruck stellt dann das absolute Kriterium da. Im Falle einer Nachfolgerin für Uli wollte Kai aber keine Ausschreibung vornehmen. Er hatte zwei Damen aus dem internen Kreis ins Auge gefasst. Das eine war eine kinderlose 37-Jährige, die als Chefsekretärin bei Kais anderem Schwager, also nicht bei Müller, arbeitete und eine 27-Jährige, die derzeitig als Sekretärin unseres Versandleiters tätig war. Beide sollten in ihrem Beruf perfekt sein und gute deutsche wie englische Schrift- und Sprachkenntnisse besitzen. Für beide Damen sprach auch ihr recht attraktives Äußeres, was nach Kais Ansicht erstens mir gefallen würde und unserem Vorzimmer ein entsprechendes Flair verleihen würde. Für die 37Jährige sprach, dass sie sich wohl nicht mehr unter die späten Erstgebärenden begeben würde und für die 27Jährige, dass sie bekannter Weise hochgradig lesbisch war. Bei hochlesbischen Frauen ist natürlich ein Kinderwunsch nicht auszuschließen aber die Zeugung eines eigenen Kindes ist für sie eine übermäßig hohe Hürde. Nach Kais Ansicht ist eine mögliche Schwangerschaft immer das größte Risiko bei der Einstellung von Frauen, da sie dann für ein Unternehmen sehr, sehr teuer werden. Man denke da unter anderem auch daran, dass bei einer engearbeitenden Person vieles von alleine funktioniert, für dass man dann wieder eine Schwangerschaftsvertretung einarbeiten müsste. Ganz locker stellte er fest: „Ja, wenn alle wie Ulrike bei Eintritt der Schwangerschaft kündigen würden, könnte man ja über Frauenbeschäftigung anders denken.“. Kai lachte danach aber mir war dazu nicht zu Mute. Jetzt hatte ich die Qual der Wahl. Für mich sah es ja nicht so aus, als wenn bei den Beiden was für mich daraus heraus springen könnte. Seit ich Eleonore kenne weiß ich, dass mich auch ältere Frauen begeistern können. Dass ich aber was mit ihnen anfange hielt ich doch für ausgeschlossen. Und bei einer Lesbe würde ich wohl ständig abblitzen. Der Gedanke, dass ich mich bei Annäherungsversuchen lächerlich machen würde, würde mich bei beiden Kandidatinen von unüberlegten Schritten abhalten. Aber sieht das nicht etwas komisch aus, wenn Sekretärin und Chef wie Mutter und Sohn wirken. Also entschied ich mich für die jüngere Lesbe, die ich gleich anschließend von Uli in mein Büro bestellen ließ. Unmittelbar nach dem Anruf im Versand kam Uli zu mir ins Büro: „Gehe ich recht in der Annahme, dass du dir Katarina Krause als meine Nachfolgerin auserkoren hast. Hat dir Kai auch gesagt, dass du bei der keine Chance hast oder machst du das gerade deshalb?“. Dabei fiel mir ein Stein vom Herzen. Uli kannte ihre Exkollegin gut und war offensichtlich mit der Wahl einverstanden. Nicht nur ich, sondern auch Frau Krause – sie bestand darauf nicht mit Fräulein angeredet zu werden – war mit dem anschließenden Gespräch einverstanden, sie wechselte in die 5. Etage. Im März hatte Frau Reuter drei Wochen Urlaub. In dieser Zeit wechselte Frau Krause bereits nach Oben und wurde bei dieser Gelegenheit von Uli eingearbeitet. Ich habe meine Wahl nie bereut. Frau Krause war wirklich eine perfekte Sekretärin und arbeitete sehr selbstständig und gewissenhaft. Insgesamt war sie ja auch ein netter Anblick, der mir, wenn ich nicht von ihrer Veranlagung gewusst hätte, auch hätte gefährlich werden können. Na ja, sicherlich habe ich schon mal ihre Beine soweit verfolgt bis es nicht mehr weiterging oder ich habe ihr mal in den Ausschnitt gesehen – man ist ja nicht vom Weltlichen ab. Sie reagierte darauf aber stets so als wäre nichts gewesen. Insgesamt war sie auch sehr umgänglich und man konnte mit ihr auch nett plaudern aber privaten Dingen sind wir dabei immer aus dem Weg gegangen. So war ich dann nach einem Jahr Kümmerertätigkeit in der Schweikart AG ein normaler Vizechef, der mit allen anderen in einer solchen Position vergleichbar gewesen wäre. Ganz war Uli damals dann doch nicht aus dem aktiven Berufsleben ausgeschieden. Kai wollte sie hinsichtlich ihrer Fremdsprachen-Kenntnisse nicht missen. Allerdings sollte sie nun diese Tätigkeit nach Kais Vorstellungen nicht als Angestellte im Büro sondern als Freiberuflerin im eigenen Haus ausüben. Er regte an, dass Uli als Übersetzerin eine selbstständige Gewerbetätigkeit anmelden sollte. Dann könne ordnungsgemäß abgerechnet werden und das Finanzamt wäre dann auch zufrieden. Erst zierte sich Uli ein Wenig während ich mich aus der Geschichte ganz heraushielt. Letztlich sagte sie dann doch zu, was uns auch hinsichtlich eines weiteren Punktes in unserem Glücksplan vom September 1971 auch ganz recht war, denn trotz meines Supergehaltes waren uns die Einnahmen aus diesem Geschäft dazu recht willkommen. Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, der, wie ich schon andeutete, bei Bekannt werden der Schwangerschaft in Angriff genommen werden sollte. Wir wollten Ulis Haus auf dem Baumberg aufgeben und uns ein standesgemäße Häuschen kaufen oder bauen. Dieser Wunschpunkt erfüllte sich fast von ganz alleine. Ulis Mutter
berichtete uns, als wir sie mit der Nachwuchskunde besuchten, von Bekannten, die ein ganz neues Haus in der Straße „Am Amtswald“ im Letmather Stadtteil Roden gebaut hätten. Nachdem sie dieses Haus komplett mit modernsten Möbeln eingerichtet hatten, starb plötzlich der erst 35-jährige Mann. Nun würde die Frau das Haus gerne wieder verkaufen, da sie das ohne ihren Mann wirtschaftlich nicht unterhalten könne. Nur gut, dass sich Telefonanschlüsse in den 70er-Jahren sprunghaft verbreiteten und auch Ulis Mutter schon im Besitze eines solchen Gerätes war. Wir ließen Mutti gleich bei der jungen Witwe anrufen und einen Besichtigungstermein vereinbaren. In Jahren 1971 und 72 hat wohl Fortuna ihr Füllhorn nur über mich ausgeschüttet. Wer weiß, was gewesen wäre wenn das so geblieben wäre – wo ich dann untergegangen wäre? Irdisches Glück im Übermaß macht letztendlich den Menschen kaputt. Aber daran dachte ich, als wir das am Waldrand gelegene Haus, von dem Ulis Mutter berichtet hatte, besichtigten nicht. Alles war wie im Traum. Das ganze Haus, in dem sich auch eine kleine Sauna und ein Minipool befanden, war topp eingerichtet. Alles hell, modern und praktisch. Bei dem Preis, den die Verkäuferin verlangte, spielte wohl der Hintergedanke alles schnell und ohne Verluste loszubekommen die bestimmende Rolle. Auf jeden Fall schlugen wir zu und kümmerten uns umgehend um die Finanzierung und um einen Notartermin. Schon am 10. Mai, einen Tag vor Himmelfahrt zogen wir in unser Traumhaus ein. Ich weiß sogar heute noch die Nachricht des damaligen Tages: Die Irren hatten sich in einem Referendum für den Beitritt zur EWG entschieden. Das Datum weiß ich noch genau, weil ich am übernächsten Tag, also an dem Brückentag nach Vatertag, plötzlich aus unerklärlichen Gründen einen schweren Moralischen bekam. Uli hatte aus Spaß gesagt, dass ich im darauffolgenden Jahr auch Vatertag feiern dürfte. Dann korrigierte sie sich: „Eu sorry, ich habe ja ganz vergessen, dass du schon Vater bist.“. Da musste ich unweigerlich an meine Tochter Katja, die an diesem Tag ihren achten Geburtstag hatte, denken und irgendwie tat es mir sehr weh, dass ich nichts mehr von meiner Tochter gehört hatte. Was war ich damals doch für ein stolzer Vater gewesen. Ja, es gibt Dinge, die man sich ein Leben lang nicht aus den Rippen schwitzen kann. Daran sollte man immer denken, bevor man zu übereilten Schritten übergeht. Aber unser exakt geplantes Glück schien uns nicht in Stich zu lassen. Für mich sah es so aus, als würde sich der Wunsch vom gleichen Geburtstag von Mutter und Tochter auch erfüllen. Natürlich dachte Uli nicht an Tochter sondern an Sohn aber ansonsten waren unsere Träume identisch. Am 11. September 1972 sollten die zwanzigsten Olympischen Spiele in der Neuzeit verspätet zuende gehen. Diese Spiele, die so fröhlich begonnen hatten, waren ja von dem fürchterlichen Terroranschlag auf die israelische Mannschaften überschattet worden. So endeten diese dann einen Tag später als vorgesehen mit einer Gedenkfeier. An diesem Tag hatten wir in Hörde mehrere wichtige Besprechungen und ich konnte da ja nicht wegen der bevorstehenden Geburt meiner Tochter zu Hause bleiben. Allerdings war ich an diesem Tag bei Weitem nicht so aufgeregt wie am 12. Mai 1975 als in Frankenberg/Eder meine Tochter Katja geboren wurde. Zwar nicht gelassen, aber doch noch in der Welt, fuhr ich dann an diesem Morgen nach Hörde. Jedoch nicht ohne Uli aufzutragen, dass sie sofort anrufen sollte, wenn es „losgeht“. Meine erste Amtshandlung war es an diesem Tage, Frau Krause zu beauftragen, mir sofort Bescheid zugeben, wenn meine Frau anruft – auch wenn ich in einer Besprechung wäre. Nun, der Tag war fast gelaufen, alle Besprechungen waren über die Bühne gegangen, und der Anruf meiner Holden war immer noch nicht eingegangen. Irgendwo war ich schon ein bisschen enttäuscht. Sollte es nur ein geplantes aber kein exakt geplantes Glück sein. Mensch, da hatten wir doch, um nur den Eisprung, der wie ein Wunder termingerecht stattfand, nicht zu verpassen, extra auf dem Teppich in meinem Büro gebumst und jetzt sah es so aus, als sei alles vergeblich gewesen. Ich saß noch einen Moment mit Kai in seinem Büro zusammen um mich danach auf den Heimweg zu machen, da meldete sich Frau Krause über die Gegensprechanlage und fragte ob sie mal eintreten dürfte. Nachdem Kai ihr grünes Licht gegeben hatte, trat sie ein und steuerte mit ausgestreckter Grußhand auf mich zu: „Herzlichen Glückwunsch Herr Kleiner, ihre Mutter hat soeben angerufen und lässt ihnen mitteilen, das Jean vor einer halben Stunde geboren ist. Ihre Frau und ihr Sohn sind wohl auf.“. Das Einzigste, was an diesem Anruf nicht stimmte war die Person der Anrufenden: Es war nicht meine Mutter sondern meine Schwiegermutter. Aber sonst stimmte alles und Uli hatte sich durchgesetzt, es war ein Junge. Hatte es doch geklappt ... unser exakt geplantes Glück. Kai gratulierte mir dann auch und machte mir begreiflich, dass er am nächsten Tag ohne mich auskommen könnte. Dann empfahl er mir, mich dann nach Iserlohn, ins Krankenhaus Bethanien, wo Jean geboren ist, aufzumachen. Nun, in diesem Falle hätte ich alles so, wie er es gesagt hat, gemacht auch wenn ich den Rat nicht erhalten hätte. Ulli war nun an ihrem 26. Geburtstag zum ersten Mal Mutter geworden und ich zur gleichen Zeit zum zweiten Mal Vater. Also Leute, ich weiß jetzt nur noch, dass ich sehr, sehr glücklich war. Ich freute mich tatsächlich noch mehr wie damals bei Katja. Jean war wirklich gewollt und tatsächlich exakt geplant. Das Jahr 1972 war für Uli und mich, als es dann zuende ging, super gelaufen. Das heißt mit anderen Worten, das unser junges Familienglück bis zum Jahresultimo nicht getrübt worden ist. Dieses Jahr hatte ja auch für die Bundesrepublik Deutschland eine historische Bedeutung. Wegen der Ostverträge waren einige rechtsgetünchte
SPD-Abgeordnete zur CDU übergelaufen und hatten, wie könnte es anders sein, ihr, ihnen von Wähler verschafftes Mandat, mit ins andere Lager genommen. Die Mehrheit der sozialliberalen Koalition war hauchdünn geworden. Dann gab es zwischen dem damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller und seinem Chef Willy Brand wirtschaftpolitische Differenzen. Der sogenannte „Vater des Wirtschaftswunders“ Ludwig Erhard, ebenfalls ehemaliger Wirtschaftsminister und Adenauers Nachfolger als Bundeskanzler, lag mit seinem ehemaligen Professorenkollegen Schiller auf einer Wellenlänge und Schiller fühlte sich da auch so ein Bisschen der CDU zugewandt. Da stellte die Opposition die konstruktive Vertrauensfrage und beantragte den damaligen CDU-Vorsitzenden Dr. Rainer Barzel zum Bundeskanzler zu wählen. Das war eine knappe Sache. Da hatte man den sterbenskranken Iserlohner Abgeordneten Werner Jacoby, der anschließend auch verstarb, extra zur Abstimmung aus dem Krankenhaus geholt. Mit nur einer Stimme Mehrheit wurde der Antrag abgelehnt. Der Bundestag beschloss anschließend Neuwahlen. Es gab einen flotten polarisierenden Wahlkampf aus dem die SPD mit dem besten Ergebnis ihrer Geschichte hervorging. Willy Brand wurde noch einmal zum Bundeskanzler gewählt. Der Stern des CDU-Kandidaten Barzel ging dann auch langsam unter. An seiner Stelle wurde dann der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, CDU-Vorsitzender. Der nächste CDU/CSUKanzlerkandidat war dann Franz-Josef Strauss, das Oberhaupt der deutschen Rechten. Aber von diesem kleinen Ausflug in die Geschichte der Bundesrepublik zurück zu dem exakt geplanten Glück des Ehepaares Ulrike und Dieter Kleiner. Nur noch zwei Punkte waren in unserem Plan offen geblieben, die aber einmal aus biologischen und einmal aus zeitlichen Gründen nicht in 1972 gepasst hätten. Einen der beiden Punkte, der mit dem biologischen Hintergrund, hatten wir dann für 1973 und den anderen halt für später, irgendwann im Jahrzehnt, eingeplant. Sicher wird jetzt jeder sofort erraten haben, um was es sich bei dem ersten Punkt handelte: Richtig, unser Jean sollte noch ein Schwesterchen bekommen. Mein Wunsch nach einer Jeanine sollte auch in Erfüllung gehen. Jetzt wäre es ja wie im Märchen gewesen, wenn das zum 12. Juni 1973, meinem 27. Geburtstag, geklappt hätte. Aber das konnten wir uns schon vorher ausrechnen, dass dieses nicht klappen konnte - Eisprung und Zeugung hätten am 5. September 1972, also da wo Jean noch unterwegs war, stattfinden müssen. Da planten wir also nur das Jahr, denn viel mehr als ein Jahr sollte nicht zwischen unsern Kindern liegen, und ließen den Tag offen. Am Donnerstag, dem 4. Oktober 1973, war es dann soweit: Janine erblickte, ebenfalls im Iserlohner Krankenhaus Bethanien, das Licht der Welt. Dieser Tag war fast identisch wie der 11. September 1972 gelaufen. Wieder hatte ich wichtige dienstliche Besprechungen und konnte daher meinem Büro in Hörde nicht fern bleiben. Wieder war alles gelaufen und immer noch keine Kunde von der Geburt meiner Tochter eingetroffen. Und noch ein drittes Mal „wieder“: Wieder saß ich noch auf ein paar Worte mit Kai in seinem Büro zusammen. Diesmal meldete sich aber nicht Frau Krause sondern Frau Reuter. Sie kam auch nicht rein sondern stellte die Anruferin durch. An diesem Tag war es dann tatsächlich meine Mutter, die ich aufgrund eines Fehlers auch gleich korrigieren musste. Sie behauptete, sie wäre soeben zum zweiten Mal Oma geworden. Das hätte zwar auf meine Schwiegermutter zugetroffen aber nicht auf meine Mutter. Auch wenn ich nichts von ihr hörte, wollte ich trotzdem nicht vergessen haben, dass auch Katja meine Tochter ist. Ich hatte also jetzt zwei Töchter und einen Sohn aber nur zwei Kinder auf der Lohnsteuerkarte, da man Kinder ja nur eingetragen bekommt, wenn man Unterhalt leistet – was ich im Falle Katja, im fernen Amerika, ja nicht tat. Ich war übrigens schon zwei Mal ganz in der Nähe meiner ersten Tochter. Auch in 1973 hatte ich eine Dienstreise nach Niles/Illinois und da in der Nähe liegt auch das amerikanische Mannheim. Ich weiß nicht woran das liegt aber meine Exfrau Elke spielte kaum noch eine Rolle in meinen Erinnerungen. Seitdem ich mit Uli zusammen war, habe ich kaum noch an sie gedacht aber seltsamer Weise wurden in dem Moment, wo Jean unterwegs war, meine Gedanken an meine älteste Tochter immer lebhafter. Und immer wenn von meinen Kindern die Rede war habe ich, zumindestens im Kopf, Katja immer mit einbezogen. Im Gegensatz habe ich es schon von vielen Männern umgekehrt gehört: Sie konnten von ihren Exfrauen nicht loskommen aber ihre Kinder hatten sie gedanklich eliminiert. Ich vermute dahinter einen Verdrängungseffekt von unterhaltsunwilligen Vätern. Ich brauchte keinen Unterhalt zu zahlen, hätte den aber, wenn er von mir gefordert worden wäre, leisten können und so hatte ich eine entsprechende Verdrängung nicht notwendig. Das wird es wohl gewesen sein. Bleibt letztlich von dem, wovon wir an Ulis 25. Geburtstag geträumt hatten, nur noch ein einzigster Punkt über. Ich wollte ja das werden, was mir Kai Prätorius zu Beginn meiner Kümmerer-Laufbahn in Aussicht gestellt hatte: Vorstand in der Schweikart AG. Aber man könnte sagen, dass dieses ja noch ein Bisschen Zeit hätte. Schließlich war ich ja im Wirtschaftsleben ein blutjunger Spund. Am 10. Juni 1974, einen Tag, nach dem der Bundespräsident Gustav Heinemann die 10. Fußball-Weltmeisterschaften, die letztlich von der Bundesrepublik gewonnen wurden, eröffnet hatte, erhielt ich die große Kunde, dass es offiziell am 1. August des gleichen Jahres soweit sein sollte. Allerdings sollte ich nicht wie Kai alleiniger Vorstand sondern ich sollte dieses an seiner Seite sein. Praktisch könnte man sagen, dass bei meinem Kümmererpöstchen nur das Wort „Assistent“ gestrichen werden sollte. Ganz so simpel sollte es dann aber doch nicht sein. Abgesehen davon, dass sich mein Gehalt fast verdoppelte sollte ich jetzt in strategische Entscheidungen, die bisher Kai alleine vorbehalten waren, einbezogen
werden. Mein „Mitvorstand“ hatte auch jetzt keine Ambitionen mehr der Aufsichtsratsvorsitzender zu werden. Diesen Platz hatte inzwischen seine Schwester Anita Prätorius-Reimann, also nicht Frau Müller sondern die andere, eingenommen. Dieser Tatsache hatte ich dann auch meine „Beförderung“ zu verdanken. In der Familie war man sich sicher, dass ich in ihren Boot rudere. Das macht es den Prätorius leicht, eine Gegenforderung ihrer Verwandten namens Schweikart für den Aufsichtsratsvorsitz zu erfüllen. Die wollten nämlich das Kai nicht mehr alleine im Unternehmen „regiere“ sondern einen familienneutralen Mitvorstand erhalte. Nun, familienneutral war ich ja nun mal aber ich war bestimmt nicht der, an den die Schweikarts gedacht hatten. Wie mich die Prätorius dann doch durchgesetzt haben, habe ich nie erfahren. Auf jeden Fall konnte jetzt Kai und seine Schwestern an die Verwirklichung ihrer Pläne, alles was zu Schweikart und Prätorius gehörte nach und nach unter einem Dach zusammenzuführen, gehen. Was sie dann, wenn dieses gelungen sein wird, machen wollten, wusste ich lange Zeit nicht und als ich es erfuhr, war es zu spät für mich. Aber lassen Sie mich jetzt nicht weiter vorgreifen sondern lesen Sie jetzt erst einmal, wie ich von meinem Aufstieg erfuhr und wie ich die Nachricht verarbeitete. Ich kam nichts ahnend an diesem 10. Juni, einem Montag, wie immer so gegen 9:00 Uhr im Verwaltungsgebäude in Hörde an. Praktisch schon, als ich noch in der Tür stand, überfiel mich Frau Krause aufgeregt: „Herr Kleiner, Herr Prätorius hat eben angerufen. Sie möchten bitte sofort ins Schlossrestaurant Baldeney in Essen kommen. Sie wären vom Aufsichtsrat eingeladen und es wäre sehr wichtig. Unterlagen würden sie nicht benötigen.“ Also wieder ab nach Unten, rein ins Auto und dann die zirka 30 Kilometer nach Essen. In jenen Tagen durfte man übrigens wegen der Ölkrise, die durch einem Krieg in Nahost ausgelöst worden war, auf den Autobahnen nur maximal 100 km/h und sonntags nie fahren – Sonntagsfahrverbot. Aber so etwas ist für eine Fahrt durchs Ruhrgebiet, auch heute noch, an einem Werktagmorgen ohnehin uninteressant, man fährt ja ohnehin nur im Stop-and-go-Tempo; mehr ist sowieso nicht drin. Was soll’s, eine Dreiviertelstunde später war ich in dem Restaurant am Baldeneysee und wollte mich schon nach der Aufsichtsratssitzung erkundigen. Aber das war nicht nötig, denn Kai hatte mich in Empfang genommen und bat mich noch mit ihm einen Moment im Restaurant platz zu nehmen. Im Moment würde noch beraten und wir würden hereingerufen. Auf meine Frage was los sei, flachste er: „Vielleicht wollen sie mich rausschmeißen und dich fragen ob du meinen Platz einnehmen möchtest.“. Dann setzte er eine ernstere Mine auf und fuhr fort: „In der Tat geht es um unser beider Posten. Aber bekomme keinen Schreck, du fällst schon wieder mal die Treppe rauf.“. Danach erklärte mir noch, welche Typen ich an dem Tisch im Tagungsraum zu erwarten hätte und erzählte mir gleich etwas über deren Macken. Dabei konnte er sich ruhig Zeit lassen, denn es dauerte noch fast eine Stunde, bis man uns gnädigst herein ließ. Daher konnten Kai und ich zuvor noch eine ganze Menge plaudern. Na ja, als wir dann herein gerufen wurden ging alles relativ rasch über die Bühne. Man teilte Kai mit, dass man seine Kompetenzen als Alleinvorstand beschneiden wolle und mich zusätzlich als gleichberechtigten Vorstand berufen wolle. Bei der Größe der Schweikart AG, Alles in Allem ein doch kleines mittelständisches Unternehmen, gibt es ja bekanntlich keine rechtlichen Grundlagen, dass man mehr als einen Vorstand benötigt. Dann wurden wir gefragt ob wir die Entscheidung respektierten und ich ganz persönlich wurde gefragt ob ich die Berufung annehme. Als ich, nachdem ich erwartungsgemäß noch ein Wenig um meine Vorstandstantiemen gefeilscht hatte – hätte ich mich gleich mit dem Aufsichtsratvorschlag abgefunden, hätte ich mein Gesicht verloren - die Frage nach der Berufungsannahme bejahte, erfolgte dann meine formelle Berufung zum 1. August 1974. Krönung der Veranstaltung war dann noch, dass man uns offerierte welche Unternehmenspolitik und welche Strategie wir nach dem Willen des Aufsichtsrates einzuschlagen hätten. Ich muss sagen, dass der Herr Schweikart, der dieses vortrug, sich wirklich intensiv Kais Vorstellungen zueigen gemacht hatte. Der Urheber musste sich also jetzt in seine eigenen Ideen unterweisen lassen. Nach einem gemeinsamen Mittagsessen, welches etwas über zwei Stunden dauerte, wurde dann mein erstes Zusammentreffen mit dem Aufsichtsrat beendet. In Zukunft sollte ich dann öfters das Vergnügen haben. Kurz nach Drei traf ich ungefähr gleichzeitig mit Kai wieder in Hörde ein. Im Vorzimmer setzte Kai dann die beiden Sekretärinnen auf seine Art in Kenntnis: „Meine Damen, ab 1. August müssen sie sich, wenn wir Beide gleichzeitig etwas von ihnen verlangen, leider in Stücke reißen. Mir hat man die Flügel um die Hälfte gestutzt und hat die andere Hälfte meinem Kollegen Kleiner aufgesetzt. Ab 1.8. sind wir Zwei also gleichberechtigte Vorstände. ... Übrigens Frau Reuter, was für die Chefs gilt, gilt in gleicher Weise auch für die Sekretärinnen.“. Die Angesprochene schaute da nicht besonders begeistert drein, denn sie fühlte sich, da ich nur der Assistent und Frau Krause meine Sekretärin war, als die Chefin im Vorzimmer. Nachdem mir beide Damen gratuliert hatten, rief Kai Frau Reuter gleich in sein Zimmer um ihr eine entsprechende Mitteilungen an die Mitarbeiter im Betrieb zu diktieren. Ich erkundigte mich dann zwischenzeitig bei Frau Krause nach alle dem, was während unserer Abwesenheit gelaufen war. Danach standen noch ein paar Erledigungen an und, da ich an diesem Tage nicht mehr die meiste Lust hatte, schickte ich mich an kurz nach Vier „vom Acker“ zu reiten. Vorher instruierte ich Frau Krause noch, dass sie, falls meine Frau wider erwarten anrufen sollte, nichts von den Ereignissen des Tages
berichten sollte. Das Überbringen meiner Aufstiegsnachricht wollte ich mir selbst vorbehalten. Und dann war ich wirklich auf und davon. Heute fuhr ich nicht wie jeden Tag auf direktem Wege über Schwerte, Hennen, Kalthof und der Iserlohner Heide heimwärts, sondern in Schwerte fuhr ich erst mal bei einen Blumenladen vor und erkundigte mich nach dem Komplettbestand an frischen Rosen. Wenn ich mich nicht irre waren das so an die fünfzig, die ich dann alle aufkaufte und mir zu einem Riesenstrauß zusammenbinden ließ. Zuhause ankommen benutzte ich nicht den Schlüssel, wie sonst, um ins Haus zu gelangen sondern ich klingelte wie ein Klinkenputzer an. Unmittelbar nach dem Schellen hielt ich den Hyper-Rosenstrauß vor mein Gesicht und Oberkörper. Für Uli war es überhaupt keine Frage, dass ich es war, denn sie hatte ja mitbekommen, wie ich meinen Wagen in die Garage gesetzt hatte. Daher öffnet sie mir die Tür und polterte scherzend los: „Du Blödmann ...“ und weiter kam sie nicht, den der große Strauß, den sie natürlich nicht erwartet hatte, haute sie um. Als ich reingekommen war und mir erst den Überfall von Jean und Janine gefallen gelassen habe, wollte dann Uli wissen, wie ich auf die Schnapsidee mit den Rosen gekommen sei. Jetzt war meine große Stunde gekommen: „Ach Schatzi, ich wollte dir damit den Empfang einer Kunde erleichtern. Der 31. Juli ist für mich der letzte Tag als Vorstandsassistent bei der Schweikart AG.“. Das war mal wieder einer meiner berühmten Scherze, die nicht so gut ankamen. Uli zuckte richtig zusammen und setze sich erst einmal hin. Das brachte mich erst einmal zur Besinnung: „Oh sorry Mausi, ich wollte dich nicht erschrecken, denn ich habe doch eine gute Nachricht für dich. Am 1. August fange ich nämlich bei Schweikart als Vorstand an. Ab 1. August bin ich mit Kai gleichberechtigt.“. Das musste Uli erst einmal verarbeiten und begann zu weinen, was ihr den tröstenden Zuspruch unserer beiden Kinder einbrachte. Beide wollten gleich auf ihren Schoß krabbeln. Sie packte sich die beiden Racker und sprang mit ihnen hoch: „Hurra Janine, hurra Jean, unser Papa ist ein ganz großer Mann. Wir sind doch stolz auf ihn.“. Was die Beiden auch freudig bejahten obwohl sie gar nicht wussten um was es sich handelte. Dann kam Uli zu mir, ganz dicht an mein Ohr und flüsterte mir zu: „Und heute Abend wird richtig gebumst. Ich habe noch nie mit einem Vorstand gebumst.“. Worauf wir beide herzlich lachten und unsere Beiden wissen wollten, was die Mama gesagt habe. Natürlich tischte Uli denen dann eine kinderstubenreine Lüge auf, denn eine Antwort schuldet man auch Kleinkindern aber deshalb muss man sie ja nicht mit Dingen, die sie nicht verstehen können, schockieren. Mich erfasste dann nach diesem Wunsch meiner Frau, den ich auch unbedingt erfüllen wollte, eine bestimmte Vorfreude, denn so häufig wie im ersten Jahr kam so etwas zwischen uns „altem“ Ehepaar inzwischen auch nicht mehr vor. Dabei war das doch immer so schön, insbesondere weil dieses bei uns immer mit einer himmlischen Orgie an Zärtlichkeit verbunden war. Im Juni 1974 gab es innerhalb von drei Tagen gleich zwei Mal eine Vollendung der Zweisamkeit im Hause Kleiner, denn zwei Tage nach dem mich der Aufsichtsrat mit Wirkung zum Beginn des übernächsten Monats zum Mitboss gekürt hatte, konnte ich auch noch meinen 28. Geburtstag feiern – und da gab es natürlich ein Geburtstagsnummerchen. Ansonsten hatte sich unsere Ehe diesbezüglich „normalisiert“. Wir waren in dieser Art und Weise immer nur noch sporadisch zusammen. Das konnte mal zwei oder drei Wochen hintereinander ein Mal die Woche sein, es kam auch schon zwei Mal in der Woche vor und andersherum passierte es auch schon mal, dass drei Wochen hintereinander gar nichts lief. Immer, wenn wir es dann machten, war es nur ganz traditionell im Bett hinter einer verschlossenen Schlafzimmertür. Abschließen mussten wir schon, denn unsere beiden Kleinen wachten schon mal des Nachts auf und Jean machte sich dann auf seinen kleinen Füßchen auf um bei Papa und Mama ins Bett zu kriechen. Janine schaffte das 1974 noch nicht aber sie meldete sich dafür lautstark, wenn sie das gleiche Anliegen wie ihr Bruder hatte. Ja, ja, die lieben Kleinen haben großen Anteil daran, dass das Körperliche bei uns auf kleiner Flamme gesetzt wurde. Früher war es oft so, dass wir, wenn wir allein im Haus waren und es mal über uns kam, dem Anderen nur ein Signal zuwerfen mussten und schon ging es los. Aber jetzt waren wir nie allein, unsere Beiden, die wir exakt geplant hatten, waren immer da, wo wir auch waren. Und deshalb es sich zur Pflichtübung zu machen, jedes Mal beim Ins-Bett-Gehen zu treiben, hat nichts mehr mit der Schönheit solcher Augenblicke zu tun, dass ist stressig und wird letztlich langweilig. Wer in eine Partnerschaft zieht um sich regelmäßige, vielleicht sogar noch tägliche, sexuelle Freuden zu sichern, der sollte es besser sein lassen, denn nach einer Anlaufphase kann ihm seine Partnerin nicht mehr das geben, was er haben zu müssen glaubt und umgekehrt ist es dann genauso. Eine auf Sexualität aufgebaute Partnerschaft hat nur sehr kurze Beine. Jetzt aber nach dem kleinen Ausflug in die Partnerschaftsberatung schnell zurück zu unserem exakt geplanten Glück. Aber da ist ja auch nicht mehr viel zu sagen, denn mit der Ernennung zum gleichberechtigten Vorstand war der letzte Punkt unseres Planes erfüllt. Wenn es nach uns gegangen wäre, hätte es „nur“ so weiter laufen müssen. Ja Leute, diese „nur so weiter laufen“ gibt es aber nicht, denn das Leben verläuft nicht auf einer unendlich Steigung und auch nicht auf einer schnurgraden ebenen Straße sondern es geht ständig bergauf und bergab. Mal ist der Aufstieg etwas höher und mal ist der Abstieg etwas tiefer, aber kontinuierlich ist nichts auf der Welt. Und richtig überlegt ist das auch gut so. Mit Sicherheit erkennt jeder, dass es schrecklich ist, wenn einer ständig Leid und Unglück ertragen muss. Das Umgekehrte, ständiges Glück und Freude, ist aber genauso
schrecklich – nur das glaubt auf Anhieb niemand. Dazu muss erst einmal gesagt werden, dass jemand, der niemals Leid empfand, sein Glück gar nicht wahrnehmen kann. Glück ist nur das, was wir als Besonderheit empfinden. Wenn wir aber ständig auf der Sonnenseite des Lebens schwimmen, ist dieses für uns nichts Besonderes sondern etwas ganz Normales. Wer im Glück schwimmt, entfernt sich dabei von der Allgemeinheit und Überheblichkeit stellt sich ein. Ich empfand mich in der Zeit, von der ich gerade berichtete, als tollen Kerl aber die Anderen empfanden mich als überheblichen Pinkel, von dem man sich besser fern hält. Ich glaubte, dass mich die meisten Leute bewundern würden aber in Wirklichkeit gab es viele, viele Neider, die mich anfeindeten. Wenn ich so etwas merkte, setzte ich mich darüber hinweg, weil die nach meiner Ansicht nicht zur geistigen Elite, der ich mich selbst zurechnete, gehörten. Dadurch habe ich mir selbst wichtige Rat- und Hinweisgeber entzogen. Ich führte ein Leben in einer eigenen Welt, die aber leider nicht so war wie die raue Wirklichkeit. Wären nicht Uli und die Kinder gewesen hätte ich mich richtig in das Schneckenhaus „Einsamkeit“ zurück gezogen und wäre darauf auch noch hagestolz gewesen. Mit anderen Worten: Mein damaliges Dauerglück bekam mir gar nicht gut aber ich merkte davon nichts. Ja liebe Leserin, lieber Leser, das Letzte, was ich jetzt geschrieben habe, klingt wie ein Fazit aus meiner Glücksphase. Ein solches Fazit zieht man immer dann, wenn etwas vorbei ist. So war es auch. Jetzt sollte die Zeit kommen, wo ich wieder einen oder mehrere Schläge auf die Nase bekommen sollte. Natürlich nicht so fort, von Heute auf Morgen, und auch nicht so, dass ich gleich merkte, dass ich nun wieder bergab rutschte. Zunächst kam eine Zeit voller Glück und Harmonie, die ich aber so gar nicht empfand, da ich dieses damals für Normalität hielt. Deshalb haben sich aus dieser Zeit keine Highlights in meinen Erinnerungsspeicher eingeschlichen. Deshalb machen wir jetzt von diesem auf das nächste Kapitel ein Sprung von fast einem Jahr. Im Mai 1976 sollte es dann, zunächst glücklich aussehend, mit den Schlägen, die mich wieder aus dem Wolken-KuckucksHeim holten, losgehen. Jetzt aber Schluss mit den Vorankündigungen, jetzt schließe ich hier ab um ein neues Kapitel aufzulegen.
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Die hohe Zeit des Plattmachers In der Wirtschaft und in der Politik hat man einen „fürchterlichen“ Hang zur Fusionities bis hin zur Gigantonomie. Immer wenn mal wieder die Karre mit den Gemeindefinanzen in den Dreck gefahren ist, was ja auch immer regelmäßig wieder passiert, denkt man über kommunale Neuordnungen nach. Seit der preußischen Landreform in der Provinz Westfalen im Jahre 1834 hat man in diesem „Ländchen“, welches heute ein Teil Nordrhein-Westfalens ist, so etwa alle 25 Jahre die Gemeinden zu immer größeren neuen Gebilden geformt. Welch ein Quatsch, als ob man aus zwei Fußkranken einen Sprinter machen könnte. Wenn sich ein Blinder und ein Rollstuhlfahrer zusammen tun, bekommt der Blinde keinen gewandten Führer und der Rollstuhlfahrer niemanden, der ihn mal sicher durch unwegsames Gelände fahren könnte. Dadurch, dass man eine kleine Stadt, in der noch eine Fabrikhalle oder ein Supermarkt gebaut werden könnte, zur benachbarten überschuldeten Großstadt schlägt, kommen beide nicht aus ihren Problemen heraus. Es werden nur die Verwaltungen insgesamt aufgebläht und immer weitere Bürgerferne ist die eigentlich logische Folge. Man sollte lieber mal über eine übergeordnete Gemeindefinanzierung anstelle des Kommunaldumpings nachdenken. Dann würde man auch den nachfolgenden Generationen den Dienst erweisen, dass nicht jede Gemeinde, nur weil sie keine andere Finanzierungsmöglichkeit sieht, die Flächen mit Neubau- und Gewerbegebieten versiegelt. Dann könnte man auch über die Renaturalisierung bestimmter bebauter und inzwischen heruntergekommenen Flächen nachdenken. Na ja, dann müsste über Raumordnung aber auch regional entschieden werden und damit würde ja den Amateurpolitikern in den Räten ziemlich die Flügel gestutzt, was aber bestimmt nicht zum Schaden wäre, denn größere Auswahl ergibt auch eine Wahrscheinlichkeit von mehr Qualität und Know how, was vielleicht gerade im Bereich von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen manche Posse vermeiden würde. Ich komme aus zweierlei Gründen an dieser Stelle auf dieses Thema. Im Jahr 1975 fand ja die letzte große kommunale Neuordnung statt. Du meine Güte, was war das anno 75 und davor für ein Theater in der hiesigen Gegend. Hatten sich doch damals die Bürgermeister von Hohenlimburg, Letmathe und Nachrodt-Wiblingwerde, obwohl sie sich ansonsten spinnefeind waren, zusammen geklüngelt. Am Liebsten wären sie ja selbstständig geblieben aber wenn sie das nicht konnten, dann wollten sie sich lieber zur Lennestadt zusammenschließen. Aber nichts wurde daraus: Hohenlimburg wurde zu Hagen 5, kam also zu Hagen und Letmathe wurde Iserlohn 7, kam also zu Iserlohn. Lediglich Nachrodt-Wiblingwerde kam mit heiler Haut davon und durfte weiter alleine krosen. Und eine Lennestadt entstand im Hochsauerland. Hohenlimburg wollte es damals nicht wahrhaben und zog vor das Landes-Verfassungs-Gericht in Münster. Ausgerechnet am Elften im Elften des Jahres 1976, wo man eigentlich den Sieg für ein freies Hohenlimburg mit Karneval und Glockengeläut feiern wollte, kam die Kunde vom höchsten Landesgericht: Hohenlimburg bleibt bei Hagen. So ähnlich ging es damals auch Wattenscheid, die nicht zu Bochum wollten, und anderen ging es ähnlich. Erst nach 25 Jahren, also im Jahre 2000, haben sich die Hohenlimburger und Wattenscheider „Freiheitsbewegungen“ resigniert geschlagen gegeben und haben sich aufgelöst. Der zweite Grund weshalb ich hier auf die Fusionities zu schreiben komme gehört in den Bereich Wirtschaft. Da gibt es zwar auch vergebliche Zusammenschlüsse zweier Fußkranker aber in den meisten Fällen hat dort eine Fusion andere Gründe. Zum Einen heißen diese Marktbeherrschung und zum Anderen Spekulation. Wenn sich Unternehmen, die im gleichen Marktsegment tätig sind, zusammenschließen dann ist meistens das Ziel, dass letztendlich die Verbraucher auf sie angewiesen sind, keine Ausweichmöglichkeit mehr haben, und sie so jeden Dreck zu jedem Preis an den Mann bringen können. Wenn sich Mischkonzerne zusammenschließen geht es in der Regel darum, dass sich der ominöse Aktienwert erhöht, also das Reiche noch reicher werden. Gleichgültig ob es sich um Marktbeherrschung oder Spekulation und nicht selten auch in Kombination aus beiden handelt, immer geht es auch um Kostenersparnis, also das Einsparen von Doppelverwaltungen, Auslastung von bestimmten Standorten auf Kosten von anderen und so weiter. Letzteres war auch in 1975 für mich aktuell. Die Geschwister Prätorius hatten den Plan, die fünf, bislang unabhängigen Unternehmen in Händen der Großfamilie Schweikart/Prätorius in der Aktiengesellschaft aufgehen zulassen. Statt fünf plus eins Standorte – Iserlohn, Essen, Emden, Hannover, Berlin plus der Sitz der Aktiengesellschaft Dortmund-Hörde – wollte man nur 2½ und zwar Dortmund und Berlin sowie vorläufig noch Emden. Mit anderen Worten: Iserlohn, Essen und Hannover sollten platt gemacht werden und Emden sollte deutlich runtergefahren werden. Dortmund sollte den Binnenmarkt versorgen und Berlin sollte den Export übernehmen. Der Hintergedanke war die steuerliche Berlin-Präferenz. Bis ein Jahr nach dem Mauerfall konnten westdeutsche Käufer sich 7% des Nettokaufpreises von Berliner Erzeugnissen vom Finanzamt wiederholen. Die Preise von Erzeugnissen aus der eingemauerten Stadt wurden also von der Bundesrepublik Deutschland subventioniert. Da gab es dann ein Handelsunternehmen in Bremen, was die Maschinen, die von der SchweikartFirma in Berlin gebaut wurden aufkaufte und dann exportierte. Die Maschinen verkauften sie zu den gleichen Preisen wie sie diese eingekauft hatten. Die Handelsfirma bekam dann die 7% Berlin-Präferenz, von denen sie dann 5% an den Hersteller abführten und 2% gingen in deren Betriebsergebnis. Das sieht nach einem
Schmuddelgeschäft aus, aber es ist keins, ein solcher Komplott war ganz legal und sogar noch vom Gesetzgeber so gewollt. Es ging ja darum, die grüne Insel (Berlin) im roten Land (DDR) lebensfähig zu halten. Berlin sollte ein Bollwerk für eine eventuelle Wiedervereinigung, an die 1975 wohl niemand mehr so recht glaubte, sein. Auf keinen Fall wollte man, das Berlin mangels Arbeit entvölkert wurde. Beim ersten Lesen der Fusionspläne sieht das ja ganz vernünftig aus. Wenn man sich aber die Besitzverhältnisse im Schweikart/Prätorius-Clan ansieht weiß man, warum das bisher noch nicht geschehen war. An der Aktiengesellschaft waren die Prätorius-Geschwister ursprünglich etwa genau so beteiligt wie ihre Verwandten namens Schweikart. Über den Strohmann Dieter Kleiner also über mich, hat sich Kai noch ein paar Anteile aus dem Streubesitz dazu verschafft. Das Berliner Unternehmen gehörte je zur Hälfte den Prätorius und den Schweikarts. Die beiden größeren und damit werthöheren Unternehmen in Iserlohn und Essen gehörten den Prätorius und die Werke in Emden und Hannover, die beide zusammen etwa den Wert des Essener Werkes hatten, waren im Besitz der Schweikarts. Wenn alles unter einem Dach wäre, würden die Prätorius die beherrschende Stellung im Unternehmen haben und fast doppelt so reich wie ihre Verwandten sein. Schon seit dem 11. Juni 1974, also einen Tag nach dem man mir meine Vorstandskür bekannt gegen hatte, arbeitete Kai mit mir an einer Strategie alles unter ein Dach zu bekommen. Schritt für Schritt hatten wir ausgeklügelt, es musste nur gehandelt werden. Im Juni 1975 sollte es losgehen. Kai wollte die Transaktionen managen und ich sollte für die Organisation der Überleitungen von Verwaltung und Produktion aus Iserlohn, Essen und Hannover nach Dortmund oder Berlin zuständig sein. Anschließend sollte ich dann die künftigen Töchter platt machen. Kai mochte den Standort Emden nicht besonders aber er wollte ihn aus Gründen, die er mit unseren amerikanischen Kooperationspartner abgesprochen hatte, nicht aufgeben. Ich Naivling habe mir dann eine Story von wegen Verschiffung nach Amerika aufbinden lassen. Hatte ich gewusst, dass .... Stopp, lassen wir das und warten ab, bis es soweit ist. Ich erzähle jetzt lieber chronologisch wie es mit mir weiterging. Vor dem Start der Fusionsaktion im Juni wollte ich erst einmal Urlaub machen. Obwohl Vorstandsmitglieder Angestellte, allerdings leitende, sind und so auch ein Anrecht auf Urlaub haben, hatte ich seit unserer YachtFreizeit in Langweer keinen richtigen Urlaub mehr gemacht. Was für mich galt, galt natürlich auch für Uli, die sich mit Haus, Kindern und Übersetzungen abrackerte. Wir hatten eine Kreuzfahrt ins Auge gefasst. Von Frankfurt wollten wir nach Barbados fliegen, wo wir auf das Schiff „MS Britannis“ gehen wollten. Von Barbados sollte es über Martinique, Grenada, Caracas/Venezuela, Curacao und New York nach Amsterdam gehen. So etwas war natürlich nichts für Jean und Janine. Für die wäre es eine absolute Strapaze gewesen und deshalb sollte die Oma, also meine Schwiegermutter, in unser Haus ziehen und ein 3-Wochen-Babysitting durchführen. Unsere Beiden konnten es wirklich gut mit der Oma und freuten sich schon richtig darauf eine Zeit mit ihr alleine zu verbringen. Diese Reise im Mai 1975 kommt mir im Nachhinein exemplarisch für die Zeitenwende, in der ich mich zu jener Zeit befand, vor. Der erste Teil der Reise gehörte noch in die Phase „Dieter und Ulli im unbeschreiblichen Glück“ und der zweite Teil stellte unsere Belastbarkeit und Leidensfähigkeit auf die Probe. Was war das erst ein wunderschönes Erlebnis. Wie uns die Taxifahrer auf Martinique alle zu Josefine fahren wollten. Ich dachte schon an sonst was, zum Beispiel an eine Superdirne. Aber dank der Sprachkenntnisse meiner Frau erfuhr ich dann von Taxifahrern, dass es sich um das Geburtshaus von Napoleons Frau Josefine handelte. Apropos, Französisch-Kenntnisse meiner Uli, die wurden auf Martinique richtig unter Beweis gestellt. Dort wird nämlich Kreolin, dass sich wie das Bayerische vom Deutschen vom Französischen unterscheidet, gesprochen und Uli hatte überhaupt keine Schwierigkeit sich fließend zu verständigen. Ja, dann waren wir auf Grenada, auf der Insel, wo wir sehen konnten wie und wo der Pfeffer wächst. Überall standen dort Boys mit Gitarren, die uns für einen Quarter (25 US-Cent) ein Lied des großen Sohns der Insel Harry Belafonte vortragen wollten; meist wollten sie „Mathilda“ singen. In Venezuela kamen wir zufällig in den Genuss eines großen Empfangs. Als wir mit dem Bus von der Hafenstadt Catia la Mar, wo sich auch der Flughafen von Caracas befindet, in die Hauptstadt Caracas fuhren, kamen wir durch ein Flaggen und Fahnenmeer rechts und links der Straße. Aber ehrlich gestanden das war nicht für uns bestimmt. Bis einem Tag vor unserer Ankunft war der persische Schah Resza Phalewi zu einem Staatsbesuch in dem Ölförderland Venezuela gewesen und der Staatsschmuck war nur noch nicht wieder abgeräumt worden. Hinter der roten Fahne haben wir das Geburtshaus von Simon Boliva, dem „Befreier“ Südamerikas, und das alte Parlamentsgebäude gestürmt. Das mit der roten Fahne ist natürlich ein Spaß mit wahren Hintergrund. Unsere Stadtführerinnen hielten, damit die Gruppen nicht durcheinander liefen und auch keiner verloren ging, verschiedenfarbige Fähnchen hoch. Unsere Reiseführerin Juanita, deren Name mich an einen alten Schlager von Freddy Quinn (Die Gitarre und das Meer) erinnerte, hatte halt ein rotes Fähnchen. Mit der Seilbahn, dem Teleferico, die übrigens in Deutschland gebaut worden ist, fuhren wir hoch über Caracas hinaus. Dort ließen wir uns an einer Seilbahnattrappe fotografieren. Das Bild sah so aus, als würde ich in der Höhe draußen vor der Gondel hängen und Uli versuchte mich zu sich in das Innere zu ziehen. Bis Caracas passte alles in das Bild der
Zeit, die Uli und ich in den letzten vier Jahren durchleben durften. Wir waren sehr, sehr glücklich und Fortuna hatte uns immer noch nicht in Stich gelassen. In New York mischten sich dann die ersten kritischen Töne in unser Glückgefühl. Irgendwie wurden wir auf der berühmten „Wolke 7“ an das reale Leben erinnert. Bei der Stadtrundfahrt prahlte die Reiseführerin nach typisch amerikanischer Art mit Superlativen. Zum Beispiel erzählte sie uns, dass in New York mehr Deutsche wie in Bremen leben. Was sowohl mir wie Uli gegen den Strich ging war, dass sie in Harlem, wo man unseren Bus sogar mit Steinen beworfen hatte, von der Armut und der Zahl der Verbrechen auch in Superlativen sprach. Armut und Verbrechen sind ja Zwillingsgeschwister, die immer gemeinsam auftreten. Daher sollten wir, wenn wir Verbrechen und Terror bekämpfen wollen, nicht über die anzuwendenden Waffen und Strafen nachdenken sondern darüber wie wir den Sumpf aus dem Verbrechen entsteht durch Bekämpfung der Armut austrocknen können. In der Boweriestreet, im alten Holländerviertel des Häuser-Schluchten-Gebirges, prahlte dann die Reiseführerin mit der hohen Zahl der Alkoholkranken, die schon soweit herunter gekommen waren, dass sie mit Methanol ihre Sucht besänftigten. Ulli und ich besichtigten auch das 102 Stockwerke hohe Empire State Building; anschließend wollten wir noch ein Hubschrauber-Rundflug machen. Ich glaube bis zum 85. Stock kann man mit mehreren Aufzügen fahren und dann fährt nur noch einer bis zur Aussichtsplattform im 102. Stock. Da stand dann eine sehr lange Schlange Wartender. Wir bekamen Angst, dass wir es nicht mehr rechtzeitig bis zum Hubschrauberabflug schaffen würden aber wir wollten auch noch unbedingt in den 102. Stock. Da wandte ich mich an den Knaben an der Fahrstuhltür, zückte eine Dollarnote und schon waren wir im Lift und schossen hinauf in den 102. Stock. Aber ehrlich gesagt: Ist das denn richtig, dass man sich mit Geld rotzig und kotzig an der Menge vorbei schleichen kann. Na, damals wo es passierte, empfand ich dementsprechenden Hochmut aber später schlich sich doch der Gedanke ein, dass so etwas nicht sein darf. Kein Wunder, wenn die Amerikaner auf diese Art und Weise auf die hohe Zahl von Slumbewohnern und Staatsmordzellen-Insassen (Todesstrafe = Staatsmord!) kommen. Während mir die Erkenntnis über die amerikanische Mammonistenherrschaft, die ich live im Empire State Building erlebte, erst später kam, stieß mir in der 86. Straße, der Straße der Deutschen, die amerikanisches Unlebensart sofort auf. In dem Restaurant „Alt Heidelberg“, in dem wir bei Münchener Löwenbier ein Eisbein mit Sauerkraut „verputzen“ wollten, saß eine Gruppe körperlich Behinderter, die uns auf keinen Fall störten. Als dann die Kellnerin zu uns kam und sich entschuldigte, dass sie die Gruppe angenommen hätten, wäre ich beinahe ausgerastet. Die Serviererin betonte, dass sie, wenn die Gruppe vorher ehrlich gesagt hätte, dass es sich um „Krüppel“ handele hätte man die Gruppe nicht angenommen. Mir kochte die Galle. Zum Glück hatte ich während meiner Kümmerertätigkeit gelernt, mich in jeder Situation zu beherrschen und erklärte nur, dass ich mich durch die Herrschaften nicht gestört fühlte. Der „alte“ Dieter Kleiner, also der ich vor meinen Eintritt bei Schweikart war, wäre aus seiner christlichen Überzeugung der Kellnerin mit Sicherheit an den Kragen gesprungen. Da spielte sicherlich auch die Tatsache mit, dass ich mich mit meinem steifen linken Bein doch auch zu den Krüppeln zählen musste. Ja, ja, der „American Way of Live”, oft bejubelt von Mammonisten, ist bestimmt nicht der, welcher in bessere Zukunft führt – eher zum Ende der westlichen Kultur. Es riecht doch alles ein Wenig nach Dekadenz, die immer an der Schwelle eines Hochkulturunterganges steht. Auf der Überfahrt von New York nach Amsterdam erfasste uns dann das Leben, wie es wirklich ist, auch an unseren Körpern. Es war über Pfingsten 1975. Ich glaube, das war so um den 20. Mai herum. Da hatte sich auf dem Atlantik ein mächtiges Sturmgebraus gebildet und wir erlebten auf dem Schiff einen „mordsmäßigen“ Seegang. Mann, was waren wir seekrank. Vier Tage lang haben wir ständig erbrochen obwohl wir doch keine Nahrung zu uns nahmen. In dieser Zeit wäre uns sterben lieber als weiter leben gewesen. So wie uns ging es aber augenscheinlich den meisten Passagieren. Nur ein kleines Häufchen, diejenigen, die man ständig an einer der Bars antreffen konnte, widerstanden offensichtlich den Unbilden der See. Ein Arzt erzählte mir mal später das Alkohol gegen Seekrankheit „immun“ mache. Das wäre der Hintergrund warum Rum früher unter Seeleuten ein Dienstgetränk gewesen wäre. Das erste gute Mittel gegen Seekrankheit wäre von dem französischen Arzneimittelfabrikanten Vial gekommen. Dieses Vialon sei aus Weinbrand hergestellt worden. Na ja, da hatten Uli und ich auch schlechte Karten. Uli hat weder das Rauchen noch das Trinken angefangen. Ich dagegen hatte beides mal zu meiner Geismarer Zeit anfangen und dort, so wie bei der Bundeswehr, teilweise exzessiv durchgeführt. Aber seit meinen sieben Monaten im Hildesheimer Krankenhaus habe ich nie wieder geraucht und aus böser Erinnerung Alkohol nur kontrolliert und in sehr geringen Dosen zu mir genommen. Da mussten wir halt die Seekrankheit in bösester Form durchleben. In dem Lied vom Hamburger Veermaster heißt es: „Zu Hause angekommen fängt ein neues Leben an.“. Das traf auf uns voll zu; aber nicht im positiven sondern im negativen Sinne. Beruflich wurde aus mir an der Stelle des Kümmerers ein Plattmacher, der von allen angefeindet wurde, und privat wurde ich enormen Familienturbulenzen ausgesetzt. Um jetzt nicht für Verwirrung zu sorgen erzähle ich jetzt parallel verlaufende familiäre und berufliche „Geschichten“ nacheinander. Fangen wir mit einer Familiengeschichte an. Oma, also meine
Schwiegermutter, hatte in den drei Wochen bei den Kindern ihr Bestes gegeben. Sie hatte Jean und Janine total verwöhnt. Die Kinder mussten nur „Piep“ sagen, dann kriegten sie es oder Oma sprang für sie. Unsere Beiden hatten sich im Nu zu Kommandeure entwickelt. So etwas erzieht man den Kindern schnell an aber es ist ihnen schwer wieder abzugewöhnen, folglich kommandierten sie auch uns. Nur das sie nicht, wie bei Oma, gleich ihren Willen bekamen. Da gebärdeten sich die Beiden, und da noch insbesondere Jean, recht rebellisch und aufsässig. Ich forderte daraufhin Uli auf, ihre Mutter zur Rede zu stellen. Darauf argumentierte sie: „Ach Dieterle, lass uns doch keinen Stunk machen. Mutti hat es doch nur gut gemeint. Sie wollte ihren Enkelkindern doch nur alles geben was sie konnte. Dabei wollte sie doch weder unsere Kinder verziehen noch gegen uns opponieren. Den Fehler haben wir gemacht. Wir hätten nicht auf Reise gehen und unsere Kinder mit der Oma allein lassen dürfen.“. Im Grunde hatte Ulrike ja recht aber das wollte ich nicht einsehen. Folglich übernahm ich die Aufgabe, die Ulrike nicht ausführen wollte. Ich stellte meine Schwiegermutter zur Rede und putzte sie richtig runter. Ich ging sogar soweit, dass ich ihr bei uns Hausverbot erteilte. Das war für Uli zu viel und sie gab mir konter. Unser Streit spulte sich richtig hoch. Jetzt kamen nicht wie ehemals in unserer Zusammenraufzeit Tränen und im Zusammenhang damit ein versöhnliches Wort. Jetzt wurde es immer härter. Da passierte es dann: Mir rutschte die Hand aus und ich schlug Uli kräftig ins Gesicht, so dass sie Nasenbluten bekam. In diesem Moment kam ich auch sofort wieder zur Besinnung und es tat mir furchtbar leid was ich getan hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich meine Frau geschlagen. Auch Elke hat in der vorangegangenen Ehe von mir nie einen Schlag abbekommen. Das traf mich so, dass ich der „feine und große Herr“ da stand wie ein dummer Junge und losheulte. Ich wollte mich entschuldigen und bekam zur Antwort: „Das nützt dir jetzt auch nichts mehr. Dieser Schlag ist der Anfang vom Ende. Ich ziehe jetzt mit den Kinder zu Mutti.“. Was sie dann auch postwendend, ohne das ich daran etwas ändern konnte, machte.“. Dieses war also der erste echte Streit, den Uli und ich hatten. Nach Ulis Ankündigungen konnte ich jetzt offensichtlich auch meiner zweiten Scheidung entgegen sehen. Nach drei Tagen war sie dann, als ich von meinem Dienst wieder nach Hause kam, dann doch wieder da. Aber keinesfalls reumütig und kleinlaut sondern selbstbewusst und fordernd. Na ja, schließlich war ich ja auch der Sünder gewesen. Ausgerechnet ihre Mutter hatte sie davon überzeugt, dass sie zu ihrem Mann und die Kinder zu ihrem Vater gehörten und sie sollte nicht bei dem ersten Donnerwetter davon laufen. Auch sie habe mit Ulis Vater mal Krisen durchstehen müssen und es wäre doch insgesamt eine glückliche Ehe gewesen. Uli hatte also den Rat ihrer Mutter befolgt aber Sonnenschein sollte über unserem Ehe- und Familienglück nicht gleich wieder herrschen und daher bestand sie zunächst einmal auf getrennte Schlafzimmer. Ich war natürlich froh, dass sie wieder da war und stimmte daher auch allen Bedingungen zu. Erst drei Wochen später kam es wieder zur echten und richtigen Versöhnung – und das auf eine etwas spektakuläre Art und Weise. Es war ein Montag als ich des Nachmittags gegen Drei wieder nach Hause kam. An diesem Tag hatte ich des Vormittags eine Besprechung in Iserlohn und wollte anschließend noch paar Dinge erledigen und dafür sorgen, dass ich Punkt Drei zuhause wäre, weil dieses mit Uli so abgesprochen war. Für 17:00 Uhr war ich nämlich mit Gemahlin zu einem Empfang in Hagen eingeladen. Uli hatte mir zugesagt mitzukommen. Die Kinder wollte sie aus diesem Anlass zur anderen Oma, also zu meiner Mutter bringen, weil die erstens an diesem Tage frei hatte und wir zweitens dann nach dem Empfang die Kinder zwischen Sieben und Acht auf dem Rückweg dort wieder abholen konnten. Ich kam also zu einem fest verabredeten Zeitpunkt, wo auch die Kinder aus dem Haus waren, nach Hause. Als ich im Haus war hörte ich Uli aus ihrem Schlafzimmer rufen, ich möchte doch mal zu ihr kommen. Als ich ins Schlafzimmer kam saß sie so nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, auf dem Bett und lächelte mich an und sagte mit erotisierter Stimme: „Ach Schatz, ich brauche dich und du mich sicherlich auch. Das was passiert ist war, wie ich selber einsehe, sicherlich ein einmaliger Ausrutscher, den ich ab sofort vergessen habe. Komm lass uns doch mal wieder ... und dann ist wieder alles wie früher.“. Ab dem Moment war ihr Schlafzimmer auch wieder mein Schlafzimmer – unsere Ehe war gekittet.“. Nur eins hatte sich für eine längere Folgezeit geändert: Wenn wir uns mal im kleineren Umfang stritten, was ja in der besten Ehe nicht ausbleibt, reckte mir Uli nach höchstens zwei Minuten Streitzeit ihr Gesicht entgegen und fragte: „Wolltest du mich wieder schlagen?“. Dann kam ich natürlich zur Besinnung und gab, unabhängig ob ich mich im Recht fühlte oder nicht, nach. Damit hatte mich dann meine bessere Hälfte voll im Griff. Ab diesem Zeitpunkt hatte sie zuhause die Hosen an.“. Zeitgleich mit meinem familiären Schlamassel liefen die ersten beiden Plattmachaktionen an. Es war beabsichtigt, die kompletten Verwaltungen in Iserlohn und Essen bis zum Jahresende nach Hörde zu verlagern. Im darauf folgenden Jahr sollte die gesamte, nur binnenmarktorientierte Produktion von Iserlohn nach Dortmund, also nach Hörde gehen und fast die Hälfte der Essener Produktion nach Berlin. Der Rest aus Essen sollte 77 nach Dortmund gehen, wo erst noch eine zusätzliche Halle gebaut werden musste. Dann hätten wir aber auch Platz um einen Großteil der Emdener und Hannoverschen Produktion zu übernehmen. Der Rest sollte dann eh in Emden bleiben oder nach Berlin gehen. So das unseren norddeutschen Standbeinen das Ende erst in 1978
drohte. Ich musste also in Iserlohn, wo ich selbst mal Angestellter war, beginnen. Da mir dieses wahrscheinlich am Schwersten fallen würde, war ich froh, dieses auch als Erstes erledigen zu können. Ich stellte mir vor, dass, wenn die Hürde Iserlohn genommen sei, bei mir alles wie geschmiert laufen würde. So erschien ich am ersten Dienstag im Juni 1975 an meiner ehemaligen Wirkungsstätte. Ich wurde von Ilka Müller, die, nachdem ihr Vater im Dezember des vorangegangenen Jahres einen Herzinfarkt erlitten hatte, die Geschäftsführung übernommen hatte, erwartet. Zunächst wurde ich jedoch erst einmal von den Leuten, mit denen ich mal zusammengearbeitet hatte, mit einem kollegialen Hallo begrüßt. Ein kollegiales Verhältnis konnte ich bei dem Geschäft aber beim besten Willen nicht gebrauchen. Jetzt konnte ich mal zeigen was ich von Kai Prätorius in Sachen Managerauftreten gelernt hatte. Durch Auftreten, Körpersprache und Artikulation musste ich eine Respektdistanz aufbauen. Bei einigen, mit denen ich zu meiner Zeit ein gutes Verhältnis hatte, piekste mich das schon ein Wenig. Aber was soll’s, es musste sein. Da werden sich bestimmt eine Reihe von Leuten gedacht haben, dass ich ein bornierter Affe geworden sei. Im Chefbüro empfing mich dann Ilka Müller mit den Worten: „Grüß dich Dieter. Ich glaube wir sollten das Du, was wir damals bei den Empfang bei uns daheim vereinbart haben, belassen.“. Nun denn, gegen dieses hatte ich dann auch nichts einzuwenden, denn schließlich gehörte ja Ilka zur Kapitalgeberseite in „meinem“ Unternehmen. Ilka hatte sich auch wesentlich verändert. Sie hatte jetzt kräftig abgenommen und war sogar fast schlank. Außerdem hatte sie mittels Kosmetika und Kleidung auch einiges an ihrem Äußeren getan. Nun eine Schönheit war sie dadurch auch nicht geworden aber das hässliche Entlein von damals war sie nun beim besten Willen auch nicht mehr. Und der Typ von Frauen, auf denen ich abfliege, war sie dadurch ebenfalls noch nicht geworden. Als Heiratsvermittler hätte ich mir jedoch, auch in Anbetracht der Mitgift, die sie mitbringen würde, durchaus zugetraut, sie jetzt an den Mann – aber nicht an mich – zu bringen. Unsere Aufgabe hieß jetzt: Erarbeiten eines organisatorischen Ablaufs, wie man den Iserlohnern Arbeit abnehmen und diese den Dortmundern auflasten kann. Dann wollte ich abchecken, wer eventuell von den Iserlohner Leuten für eine Personalaufstockung in Hörde in Frage käme. Ich muss sagen, dass sich nicht nur Kai und ich Gedanken gemacht haben sondern das auch Ilka gute Vorarbeit geleistet hatte. Wir kamen gut voran, so dass wir schon für den nächsten Tag eine Abteilungsleiterbesprechung einberufen konnten. Auf dieser Besprechung erfuhren dann die „Chefs“ was in den nächsten 3½ Monaten ablaufen würde und dass sie danach, nebst ihren Mitarbeitern, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden. Eu, was war das eine tumultartige Sitzung, bei der ich auch mehrere persönliche Beleidigungen einstecken musste. Mehrfach musste ich verschiedenen Leuten ernste Konsequenzen androhen um alles im Griff zu behalten. Am nächsten Tag waren dann alle Mitarbeiter von dem Tumult erfasst. Da wir nun die Angelegenheit Ilka nicht mehr alleine überlassen konnten, kam ich mit Kai überein, dass ich für die letzten Iserlohner Tage dort inoffiziell die Geschäftsführung übernahm. Es ist ja gar nicht so einfach, Leute die man gefeuert hat, zur ordentlichen Erledigung ihrer Restarbeit anzuhalten. Am 30. September 1975, den Tag, als Cassius Clay alias Muhammad Ali seinen Weltmeistertitel im Schwergewichtsboxen gegen seinem Landsmann Joe Frazier verteidigte, verließen dann die letzten Iserlohner Verwaltungsmitarbeiter für immer das Haus. Ich bin davon überzeugt, dass mich danach keiner meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen noch leiden konnten. Von mir gefeuerte Mitarbeiter verschafften mir im September 1975 dann auch gleich meine zweite „Ehekrise“. Sie hatten einen anonymen Brief an Uli geschrieben, in dem sie mich bezichtigten ein Verhältnis mit Ilka Müller zu haben. Mit Worten allein hätten sie damit jedoch nichts bewirken können, denn Ulrike kannte ja meine Ansichten über diese „Schönheit“. Aber sie hatten ein, mit einer Sofortbildkamera geschossenes Foto beigelegt, das auf dem ersten Blick nach einer eindeutigen Situation aussah. Wir waren nur mit den Oberkörpern zu sehen und zwar so, das es so aussah, als habe Ilka auch auf meinem Schoss gesessen. Ilka machte einen verzerrten oder entzückten Gesichtsausdruck. Es kam nur darauf an, was man rein deuteln wollte; genau war das nicht zu definieren. Ich umfasse sie von hinten, und das direkt am Busen. In Wirklichkeit war sie auf einer Ölspur, die man wahrscheinlich vorsätzlich legte und mir gegolten haben mag, ausgerutscht und ich, der hinter ihr gegangen war, hatte sie spontan aufgefangen und nicht darauf geachtet, dass ich sie in diesem Moment „unsittlich berührte“. Aber anders hätte ich das Auffangen der nach hinten fallenden Person auch nicht hingekriegt. Uli, die Ilka Müller nicht persönlich kannte, befand erst einmal, dass Ilka gar nicht so hässlich, wie ich sie immer darstellte, war und schloss daraus, dass ich ihr vorsätzlich die „Mär vom hässlichen Entlein“ erzählt habe um von meinem Verhältnis abzulenken. Folglich war dann auch der anonyme Schmier für sie glaubhaft. Als ich nach Hause kam hielt sie mir das Foto vor die Nase und keifte mich heftig an. Ich versuchte immer wieder zu Wort zu kommen aber sie redete sich immer mehr in Rage. Es kamen weder feuchte Augen noch die Frage nach dem Zuschlagen. Da brüllte ich sie dann an: „Verdammt noch mal, lass mich doch auch mal zu Wort gekommen!“. Im ersten Moment wirkte sie erschrocken. Dann blickte sie zur Seite, sah dort eine Standvase stehen, die sie dann hoch nahm und ... . Ja, dass kann ich jetzt nicht aus eigenem Erleben erzählen. Sie hat mir die Vase auf den Kopf geschlagen. Die Vase zerbarst in einer Reihe kleiner Stücke und ich sank mit blutenden Kopf ohnmächtig
zu Boden. Als ich wieder wach wurde, lag ich bei uns auf dem Wohnzimmerboden und der Notarzt kniete über mir. Ich musste mit ihm erst ins Marienhospital nach Letmathe, wo meine Kopfwunde mit ein paar Stichen genäht wurde. Nachdem mich Uli „nieder geschlagen“ hatte war ihr ganz schön mulmig geworden und hat sofort per Eins-EinsZwo, den Notarzt beordert. Als ich zur Wundversorgung mit ins Krankenhaus kommen musste, hat sie den Kinder das versprechen artig zu sein abgenommen und war auch gleich in Richtung Marienhospital gefahren. So konnte sie mich nach meiner ambulanten Behandlung gleich wieder mitnehmen. Im Wagen kam ich dann endlich zu Wort und ich konnte die Sache richtig stellen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir nicht so recht glaubte aber sie war nun doch recht kleinlaut. Wieder in den vier eigenen Wänden eingetroffen konnten wir eine Besucherin, mit der ich seit dem ersten Vorfall nicht mehr gesprochen hatte, begrüßen. Meine Schwiegermutter hatte, kurz nachdem Uli aus dem Haus war, aus irgendeinem Grunde angerufen und Jean hatte mit seinem Kindermund so was ähnliches wie „Mama hat Papa halbtot geschlagen“ gesagt. Da kann man verstehen, dass es der alten Dame keine Ruhe gelassen hat und sie sofort „anreiste“. Als sie uns gemeinsam reinkommen sah konnte man praktisch bei ihr den sprichwörtlichen Stein vom Herzen fallen sehen. Obwohl wir längere Zeit nicht miteinander gesprochen hatten galt ihre erste Sorge doch ihrem Schwiegersohn. Besorgt und herzlich wurde ich von ihr versorgt. Zwischen mir und meiner Schwiegermutter war nun die Welt wieder in Ordnung aber dafür gab es dann einen gewaltigen Mutter-Tochter-Zwist, der letztendlich dazu führte, dass ich meine Schwiegermutter erst einmal zum Bleiben einladen musste. Meine Schwiegermutter redete ihrer Tochter mit mächtigen Worten ins Gewissen. Die konterte zurück und dann flogen auch hier die Fetzen. Diese Theater führte dazu, dass sich Uli wutentbrannt und ruckzuck einen kleinen Koffer packte und ohne weiter Worte zur Haustür herausraste, um mit den Wagen davon zu fahren. Was blieb mir jetzt anders als meine Schwiegermutter zu bitten, doch so lange zu bleiben bis Uli wieder kommt. Ich fühlte mich mit meinen Brummschädel nicht in der Lage die Kinder zu beaufsichtigen. Andererseits bestand ja die Möglichkeit, dass sie über Nacht nicht wieder käme; schließlich hatte sie ja den kleinen Koffer gepackt. Letzte Befürchtung bewahrheitete sich aber zum Glück nicht, nach etwa anderthalb Stunden stand Ulrike mit verheultem Gesicht wieder vor der Tür. Sie war einfach rast- und ziellos durch die Gegend gefahren. Dabei war ihr durch den Kopf gegangen, dass ich, wenn ich dienstlich unterwegs war, auch immer da anzutreffen gewesen bin, wo ich gesagt hatte und meine Freizeit hatte ich immer ohne Ausnahme mit meiner Familie verbracht. Ich war also ein absolut häusliches Wesen. Da konnte es nicht anders sein, ich musste die Wahrheit gesagt und ihre Mutter dahingehend recht haben. Jetzt fühlte sie sich schlecht und am Boden zerstört. Es mag paradox erscheinen aber jetzt musste ich, das „Opfer“, sie, die „Täterin“, wieder aufbauen. Auf ihre Mutter konnte sie nicht setzen. Die war stinksauer auf ihre Tochter und hatte dann noch die üble Eigenart sehr nachtragend. Nachdem sie drei Monate nicht mit mir gesprochen hatte, war jetzt ihre Tochter und meine Frau dran. Mit mir hielt sie dann aber um so reichlicher Kontakt. Offensichtlich wollte sie nicht von ihren Enkelkinder getrennt werden. Allerdings machte mir das Verhältnis auch nicht die meiste Freude, denn diese Art führte doch ab und an zu Reibereien zwischen Uli und mir. Dann musste ich immer ganz vorsichtig taktieren, denn ich wollte es mir nun nicht mehr mit Uli oder ihrer Mutti verderben sondern im Gegenteil zwischen den Beiden vermitteln. Denn nach wie vor war Uli meine große Liebe, die ich nicht verlieren wollte. Obwohl ich in Iserlohn den inoffiziellen Geschäftsführer mimte musste ich gleichzeitig auch in Essen mit dem gleichen Spielchen wie in Iserlohn vorstellig werden. Schließlich sollten ja beide Verwaltungen am Jahresende der Vergangenheit angehören. In Essen war es aber in mehrerlei Hinsicht für mich einfacher wie in meiner Heimatstadt. Da Letmathe ja inzwischen zu Iserlohn gehörte kann man ja ruhig von Heimatstadt sprechen. In Essen fungierte von Hause her Klaus Reimann, der Ehemann der Aufsichtsratsvorsitzenden Anita PrätoriusReimann, als der Boss im Haus. Er war also der Müller von Essen. Der war, im Gegensatz zu Ilka Müller, von Person her schon ein knallharter Geschäftsmann. Und dieser Herr hatte ja dann auch noch seine Frau, die ja mit ihrem Bruder den Plan geschmiedet hatte, im Nacken. Da musste ich also nur zu zwei Besprechungen erscheinen und alles andere lief von alleine. Auf jeden Fall dachten wir das. Aber dann wurden Anfang September die Essener Arbeitnehmer rebellisch. Erst veranstalteten sie so einige Protestveranstaltungen und dann kamen sie noch auf den Trichter zu streiken. Das waren ja Aktionen, die von vornherein nichts bringen konnten, da wir das Aus der Niederlassung ohnehin beschlossen hatten. Wir mussten nur ein wenig umdisponieren. Ursprünglich sollte es nach den Verwaltungen zuerst der Iserlohner Produktion an den Kragen gehen, weil wir Teile der Essener Produktion nach Berlin verlagern wollten. Na ja, aber jetzt sollte Essen vorgezogen werden, denn wer weiß, was wir noch von den rebellisch gewordenen Arbeitnehmern zu erwarten gehabt hätten. Dieses bedurfte jedoch „nur ein Wenig“ logistischer Vorarbeit. Wozu gab es denn mich, den, vom Kümmerer zum Plattmacher aufgestiegenen, Dieter Kleiner. Auf den ersten Blick erschien mir die Sache nur eine kleinere Operation zu sein aber wenn man die fast
alleine durchführt, wird daraus, zumindestens vom zeitlichen Aufwand, doch eine etwas größere Aktion. Zwangsläufig wurde dadurch für mich der 12-Stunden-Tag zum Standard. Jetzt kann man natürlich berechtigter Weise fragen ob ich nicht eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Managers, das Delegieren, beherrscht hätte. Ja, was nützt es aber, wenn niemand da ist, auf den man eine Arbeit abwälzen kann. Von der Qualifikation gab es schon eine Anzahl von Damen und Herren denen ich alles mögliche hätte aufdrücken können. Aber wie ist das mit Vertrauen und Misstrauen? Was nützt die schönste Transaktion wenn sie, weil sie vorzeitig bekannt geworden ist, von irgendeiner Seite dann erschwert oder gar blockiert werden könnte? Was hat man davon, wenn ein jemand das schönste Zahlenwerk erstellt, wenn er dadurch in die Lage versetzt wird, Dinge, die ihm nichts angehen, durchschauen kann? Was passiert, wenn jemand der irgendwo Einblick erhalten hat, seine Erkenntnisse vertraulich weitergibt und er damit für Unruhe sorgt? In solchen Situation ist man da plötzlich ganz einsam, man muss alles alleine machen. Und wenn man tatsächlich etwas zwangsläufig delegieren muss, dann muss man sich den glaubhaften Vorwand, warum dieses jetzt sofort gemacht werden muss, konstruieren. Eine Begründung muss man immer geben, denn was sich jemand zusammenreimt kann gebenenfalls gefährlicher sein als die Wahrheit. Plattmachen ist halt ein Geschäft, bei dem man gegen mächtigen Gegenwind ansteuern muss. Wenn alles glatt laufen soll, darf man nur sehr wenige Mitwisser, am Besten sogar keine, haben. Also führte ich für mich die 60- bis 80-Stunden-Woche ein und diese hat mich insgesamt auch persönlich schwer verändert. Hatte ich doch früher, ohne mir dieses anmerken zu lassen, dieses oder jenes Mitgefühl, war ich jetzt der Mensch, der hinter den Zahlen keine anderen mehr sah. Da gab es dann für mich nur noch Lohn- und Gehaltsempfänger, die viel zu hohe Kosten verursachten oder die nicht ausreichend ausgelastet waren. Zur wirtschaftlichen Sicherung des Unternehmens schlug oder nahm ich dann Personalabbau vor und sah nicht wen es traf. Die Leute waren für mich Faktoren und ich machte mir keine Gedanken darüber, dass es Menschen sind, an denen noch Familien hängen. Man kann ja nicht aus Gefühlsdusselei die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens auf Spiel setzen. Man muss nicht rückwärts gewandt an Menschen denken sondern man muss immer voranschreitend das Wachstum des Unternehmens im Auge haben. Irgendwie dreht sich etwas im Kopf und man sieht nicht mehr, dass die Wirtschaft vom Grundgedanken her den Menschen dienen soll sondern man sieht nur noch Menschen im Dienste der Wirtschaft. Ich tröste mich damit, dass die Leute, die auf meine Veranlassung frei gesetzt wurden, erst vom sozialen Netz aufgefangen werden und wenn sie darin nicht schaukeln wollen, mit Sicherheit schnell einen neuen Arbeitgeber finden. Die Leute müssen nur wollen, dann klappt das auch. Allerdings muss ich auch entschuldigend sagen, dass die Situation, damals in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre, insgesamt noch nicht so gespannt war wie in der heutigen Massenarbeitslosigkeitszeit. Durch solche Gedankengänge ändern sich auch die Wahrnehmung des umgebenden Lebens. Hatte ich zuvor doch manchen Blick für „flotte Bienen“ über, schaute ich doch meiner Sekretärin mal ganz gerne in den Ausschnitt oder verfolgte ich gerne dem Verlauf ihrer Beine, dachte ich jetzt gar nicht mehr an solche Sachen. Hatte ich doch nur Dinge, die ich verändern musste und wollte, im Kopf. Und das setzte sich dann auch in mein spärlich gewordenen Privatleben fort. Wochentags stand da ohnehin nichts an. An diesen Tag traf man meine komplette Familie ohnehin nur zum Frühstück an. Vor Neun antreten wollte ich, gleichgültig wie viel Arbeit auf meinem Schreibtisch lag, aus Statusgründen nicht. Ich war mir doch zu fein, mit einem Hoesch-Malocher, der um Sechs im Blaumann antritt, verwechselte zu werden. So fand richtiges Familienleben bei uns nur noch zum Frühstück und am Wochenende statt, denn wenn ich spät abends oder des nachts nach Hause kam hatten Jean und Janine schon die ersten Schlafrunden hinter sich. Uli, die sich vereinsamt im Hause zunehmend in die Kinder, ihren Haushalt und in die Übersetzungen, die immer noch im reichlichen Umfang anstanden, geflüchtet hatte, erwarte mich in der ersten Zeit zu meiner Heimkunft regelmäßig im Wohnzimmer. Wir wechselten dann noch ein paar Worte und dann gingen wir ins Bett; natürlich um auszuschlafen und nichts anderem. Nach einiger Zeit hatte sich das dann auch noch geändert. Sie wartete dann nur noch dann, wenn etwas anlag, was sie glaubte mit mir besprechen zu müssen, auf mich, ansonsten empfing sie mich kurz, immer ein Bisschen verschlafen klingend, im Bett liegend wenn ich mich in meine Hälfte legte. Zank und Streit aber auch Liebe gab es in dieser Zeit bestenfalls mal am Wochenende, in der Woche gab es dafür an und für sich keine Gelegenheit. Anfänglich gab es am Wochenende jede Menge Streit und überhaupt keine Liebe. Stets ging es darum, dass sich Uli vernachlässigt und allein gelassen fühlte. Ihrer Ansicht nach war das nicht der Grund weshalb sie mich geheiratet hatte. Sie glaubte auch ziemlich ans Haus gefangen zu sein, weil sie außerhalb der schützenden eigenen vier Wände peinliche Distanz oder hin und wieder sogar Anfeindung durch die anderen Leute empfand. Schließlich fand ja auch die Plattmacherei ihr Echo in der Lokalpresse. Ich muss sagen, das empfand ich selbst auch aber ich genoss es. Glaubte ich doch, dass sich dadurch zeige, was ich für ein großer Mann sei. Mit der Zeit wurden unsere Wochenendstreitigkeit immer weniger, bis sie überhaupt nicht mehr stattfanden. Die Abnahme der Streitbereitschaft fand im gleichen Zuge mit der Abnahme der Kommunikationsbereitschaft statt. Uli und ich hatten uns kaum noch etwas sagen. So einmal im Monat vereinbarten wir am Wochenende mal Sex miteinander, weil wir dieses offensichtlich für so eine Art
eheliche Pflicht hielten. Das war aber nicht mehr wie früher ein himmlische Vergnügen aus Zärtlichkeit und Liebe sondern eher ein Drauf und Fertig. Unsere Ehe war also kein Mit- sondern nur noch ein Nebeneinander. Gesellschaftliche Kontakte hatten wir in jener Zeit jede Menge. Jeden Samstagabend waren wir auf einem anderen Empfang. Aber leider immer mit den gleichen, letztendlich gleichen Leuten. So schwirrten wir durch die komplette Familie Schweikart/Prätorius sowie bei allen deren und unseren Geschäftsfreunden vorbei. Samstag für Samstag gab es die gleichen Abläufe. Erst wurde in Zweier- oder Dreiergesprächen über geschäftliche Dinge geplauscht und mit zunehmenden Alkoholpegel wurde es dann versauter. In dem Kreis waren dann auch einige Damen, die ganz gerne mal die Hüllen fallen lassen wollten und von der Herrlichkeit auch entsprechend angeheizt wurden. Da sie aber immer von den eigenen Männer zurück gepfiffen wurden gab es aber nie etwas, was unsere scheinbar eingeschlafenen Sexualtriebe hätte wach küssen können. Diese samstäglichen Außerhaus-Aktivitäten bedingten es auch, dass ich regelmäßig des Samstagsabends meine Schwiegermutter, die ständig für das Babysitting, obwohl unsere Beiden nun bei Weitem keine Babys mehr waren, zuständig zeichnete, begrüßen konnte. Dagegen hatte ich mit meinen Eltern nur zu Weihnachten und telefonisch zu deren oder meinen Geburtstag Kontakt. Familiäre Beziehungen fanden eigentlich nur in meiner Abwesenheit statt. So hatte Uli stets deutlich mehr und normaleren Kontakt zu meinen Eltern als ich, der Sohn. Auch mein religiöse Leben änderte sich. Nach wie vor war ich der Meinung, dass ich an den dreieinigen Gott glaubte aber nachgedacht habe ich darüber nicht mehr. Und in den Gottesdienst ging ich auch nicht mehr – auch Weihnachten nicht. Beziehungen zu Personen meines früheren Umfeldes hatte ich überhaupt nicht mehr, keine Freunde und Bekannten. Und Alles in Allem glaubte ich, das so etwas Leben wäre. Ich war nach meiner Meinung der große Mann, ich hatte es geschafft. Da ich auch jetzt flott Tauschhilfsmittel, sprich Geld, anlegte wurde ich auf dem Papier immer reicher. In Wirklichkeit hatte aber das Leben bei mir eine Auszeit genommen. Praktisch war der Mensch Dieter Kleiner gestorben und in seiner Hülle lebte der biologische Roboter, den man Plattmacher nannte. So wie ich das letzte jetzt geschrieben habe, kann man schließen, dass entweder die Essener Aktion eine unendliche Zeit dauerte oder ich, einmal in diesen Trott geraten, einfach immer so weiter machte. Letzteres ist richtig. Von Ende 1975 bis Anfang 1978 ging es in diesem Trott immer und immer weiter. Außer das in dieser Zeit Jean in die Schule kam, wo von ich selbst nichts mitgekriegt hatte, passierte nichts, was eine Abwechselung in die Geschichte, die ich Ihnen erzählen könnte, brachte. Es war die hohe Zeit des Plattmachers, in der ich glaubte, derjenige, der es im Leben zu etwas gebracht hat, zu sein. In Wirklichkeit war es aus meiner heutigen Sicht die verlorenste Zeit in meinem Leben. Diese Periode sollte nach einer nochmaligen Schussfahrt nach Oben, der ein tiefer Sturz folgte, beendet werden. Aber dieses erzähle ich Ihnen in dem nun folgenden Kapitel.
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Letzter Aufstieg zum freien Fall Am Samstag, dem 16. September 1978, gab es nach langer Zeit mal wieder einen Empfang im Hause Prätorius in Dortmund-Hohensyburg, in deren Mittelpunkt meine „Wenigkeit“, wie die Schönschwätzer so gerne schwulstig sagen, stehen sollte. Die Operation „alles nur Schweikart AG und dann von Prätorius dominiert“ war erfolgreich abgeschlossen worden. Drei Patienten, sprich die Unternehmen in Iserlohn, Essen und Hannover, waren praktisch tot. Das Emdener Unternehmen war nur noch eine Handelniederlassung mit einem größeren Maschinen-Umschlags-Lager und befand sich, wie auch das Berliner Unternehmen unter der Flagge der Schweikart AG in Dortmund-Hörde. Ich hatte als Plattmacher zur Zufriedenheit meiner Auftraggeber ganze Arbeit geleistet. Fast 600 Arbeitsplätze hatte ich abgebaut und in der gleichen Zeit hatten Kai und ich für die Verdoppelung des „Konzernsumsatzes“ gesorgt. Alle vorhergehenden Unternehmen waren Maschinenfabriken, nur alle für unterschiedliche Branchen. Da wurde vorher sehr viel Doppelarbeit geleistet. Bestandteile, die man sowohl in Holzbearbeitungs- wie Bergbaumaschinen oder anderen, in fast gleicher Weise benötigte, wurden bisher an allen Standorten unabhängig voneinander gefertigt. Jetzt wurden sie nur noch an jeweils einer Stelle gefertigt, was nicht nur der Ratio zu Gute kam sondern auch durch die entsprechende Konzentration von Ingenieurleistung der technischen Qualität diente. Also, auch wenn ich im Nachhinein die menschliche Art und das Vorgehen des Plattmachers bedauere, kann ich das aber nicht in Hinsicht von Sinn und Nutzen der kompletten Aktion machen. Kai und Eleonore Prätorius wollten sich für meine „unermüdliche“ Arbeit erkenntlich zeigen und einen weiteren Aufstieg ihres „Ziehsohnes“ bekannt geben. Gleichzeitig sollte auch der Frau an meiner Seite gedacht werden. Uli hatte an dem vorangegangenem Montag auf 32 vollendete Lebensjahre zurückblicken können und gleichzeitig war sie seit 6 Jahren stolze Mutter. Jean, der in diesem Jahr, ein Jahr früher wie es offiziell Pflicht ist, zur Schule gekommen war, hatte ja, dank unserer exakten Planung und dem Eisprung-Glück, am gleichen Tage Geburtstag, wie seine Mutter. Aber auch in der Familie Prätorius, oder in diesem Falle besser gesagt Müller, sollte es etwas zu feiern geben. Ilka Müller hatte doch noch ein passendes Körnchen gefunden und wollte ihre Verlobung mit dem Amerikaner Miles Miller feiern. Hört sich doch wohl prima an: Verlobung Müller-Miller. Miles Miller war der Sohn eines größeren Kapitaleigners unseres amerikanischen Kooperationspartners. Das er und seine ihm zugedachte Karriere im direkten Zusammenhang mit meinem letzten Aufstieg und dann mit meinem freien Fall stehen sollte, wusste ich vorher natürlich nicht, sonst wäre ich nicht so begeistert zu dem „großen Fest“, an dem über dreißig Leute teilnahmen, gegangen. Nun, an Details kann ich mich heute natürlich nicht mehr erinnern. Ich glaube, dass diese im großen Zusammenhang belanglos sind. Entscheidend ist nur, dass mir erst einmal eine Superlaudatio zuteil wurde und an deren Ende erfuhr ich dann die für mich große Neuheit. Der Sitz der Aktiengesellschaft sollte von Dortmund nach Berlin verlegt werden. Kai Prätorius würde aus dem Vorstand ausscheiden aber in Zukunft sollte es weiterhin zwei Vorstände geben. Aber nicht wie bisher zwei gleichberechtigte mit Kompetenzen über alle Bereiche sondern es sollte einen Vorstandsvorsitzenden, der gleichzeitig für den ganzen kaufmännischen Bereich und die Logistik verantwortlich zeichnete, und einen Stellvertreter, der für die Technik und die Produktion zuständig sein sollte, geben. Man kann sich denken, dass man mich zum Vorsitzenden gekürt hatte und aus einer vorausgegangenen Andeutung kann man entnehmen, dass Miles Miller für den Stellvertreter auserkoren war. Ich fühlte mich wie der King und die Pferdefüße fielen mir während der Feier beim besten Willen nicht auf. Erst im Laufe der Nacht, als wir mit dem Taxi heimgekehrt und ins Bett gegangen waren, wurden durch Uli entscheidende Denkanstöße geliefert. Sie lag neben mir und drehte sich von eine Seite auf die andere. Etwas müde und doch ein Wenig besorgt fragte ich sie was denn los sei. „Ach Schatz“, begann sie ihr Statement, „ich mache mir einen Haufen Gedanken. Alles, was jetzt so rosig aussieht kann letztlich ganz übel enden. Man setzt dich auf den Schleudersitz und du merkst es gar nicht. Dafür gibt’s du dann mich und die Kinder auf oder wir geben hier gemeinsam alles für eine ungewisse Zukunft auf.“. „Das verstehe ich nicht ganz.“, erwiderte ich ihr, „Erstens sehe ich keinen Schleudersitz auf den man mich setzen will und zweitens brauchst du nicht zu befürchten, dass ich dich und die Kinder aufgeben würde. Wir verkaufen hier unser Haus und kaufen in Berlin ein neues ... und dann bleibt alles wie es ist.“. Uli knipste das Licht auf ihrer Konsole an und sah mir ins Gesicht: „Schatzi, dass es so bleibt wie es ist möchte ich bei aller Liebe nicht hoffen. In den letzten beiden Jahren hast du uns doch sehr vernachlässigt. Ich saß hier mit den Kindern wie ein Vergissmeinnicht und du kamst lediglich mal vorbei um hier zu nächtigen. Ich wünsche mir so sehr, dass wir wieder so ein Paar, so eine Familie werden, wie wir es einmal waren. Deshalb stimme ich dir auch zu, wenn wir hier unser Heim veräußern und uns in Berlin was Neues suchen. In der Hoffnung, dass wir dann wieder glücklich werden, bin ich bereit hier alles aufzugeben: Meine Mutti, deine Eltern, die paar Freunde, die uns noch geblieben sind, die vertraute Gegend in der wir aufgewachsen sind. Alles bin ich bereit aufzugeben, weil ich dich über alle Dinge liebe und ich es mal wieder so haben möchte, wie es einmal war. ... Aber was ist,
wenn man dich dann in absehbarer Zeit fallen lässt wie eine heiße Kartoffel? Hast du bedacht, dass dieser Miles einer Familie entstammt, die in Amerika das sagen hat. Findest du nicht, dass es ein Trick sein kann, dass er ausgerechnet für Technik und Produktion verantwortlich zeichnet. Damit hat er den Freibrief, mit dem er die Schweikart AG in das amerikanische Unternehmen einpassen kann. Wenn dabei mal im Unternehmensverlauf, zum Beispiel beim Umsatz was schief läuft, hat man einen Anderen als Sündenbock. Du bist der Vorsitzende und für den kaufmännischen Bereich zuständig. Ziel der ganzen Aktion scheint mir zu sein, die dann vollkommen reorganisierte Schweikart AG bei den Amerikanern einzubringen. Wenn alles gelaufen ist, dann hat der Kleiner seine Schuldigkeit getan, dann kann mein Dieter gehen. Und dann haben wir hier alles aufgegeben und sitzen Mutterseelen alleine in Berlin.“. In dem Moment als Uli das sagte, ging mir ein Licht auf und ich stellte fest, dass das, was Uli überlegt hatte, eigentlich nur die logische und konsequente Fortführung der bisherigen Prätorius-Strategie zu sein schien. Die Familie wird so immer reicher und brauch immer weniger dafür zutun. Jetzt wollte ich mir gegenüber meinem Schatz nicht ganz die Blöße geben und sagte beruhigend: „Ach Mäuschen, du bist ein ganz kluges ‚Mädchen’; deshalb habe ich dich auch geheiratet. Sicher hast du mit dem, was du von der Strategie der Prätorius sagst recht ... Aber habe ich eine andere Wahl? Habe aber keine Angst, es wird, wenn es mal soweit ist, schon weitergehen. Schließlich bin ich ja nicht irgendwer sondern ich habe mir sicherlich einen Namen gemacht und werde zu gegebener Zeit schon wieder etwas Adäquates finden. Was mir jetzt viel mehr Gedanken macht ist dein Gefühl, dass ich dich und die Kinder vernachlässigt habe. Ich gestehe mit Scham, dass ich wirklich immer nur an meinen Job und nur ganz selten mal an euch gedacht habe. Aber das soll sich jetzt ändern, ... ich gelobe es..“. Nach diesen Worten kam es zum ersten Mal nach langer Zeit wieder zu einer himmlischen zärtlichen Begegnung, wie sie uns früher öfters zuteil wurde. Irgendwo kapierte ich jetzt, was mir bei meinem Eifer als Plattmacher alles an Leben verloren gegangen war. Dieses alleine wäre schon ein Grund gewesen, mein Gelöbnis zu halten. In der folgenden Zeit gab es noch mehr Gründe, die uns wieder mehr näher zusammenzubringen sollten. Wir mussten uns eine Bleibe in Berlin suchen – und das war nicht ganz einfach. Alles was man uns anbot hatte einen, aus unserer Sicht, unwahrscheinlichen Preis oder es taugte nicht. Uli und ich hatten geplant, eine Immobilie möglichst ohne Fremdfinanzierung zu erwerben. Hintergrund war Ulis Überlegung, dass wir, im Falle eines Falles nicht einen Klotz, der uns unbeweglich machte, am Bein haben sollten. Irgendwie glaubte Uli unser Aufenthalt in Berlin könnte nicht von langer Dauer sein und deshalb wäre es ihr am liebsten gewesen, wenn wir uns nur eine Mietwohnung zugelegt hätten. Abgesehen davon, dass es in dem damals ummauerten Westberlin nur überteuerte Wohnungen oder sonst solche nur mit viel Glück zu bekommen waren, hielt ich eine Mietwohnung für einen Vorstandsvorsitzenden nicht statusgemäß. Meinen Dünkel hatte ich zu dem Zeitpunkt also noch nicht abgelegt. Da konnten wir uns auf den Kompromiss einigen, dass wir uns ein Haus, welches wir praktisch vollkommen eigenfinanzieren gedachten, suchen wollten. Wenn keine Finanzierungen nachdrücken, kann man im „Notfall“ ein Haus auch mal eine Weile leer stehen lassen und muss nicht auf Biegen und Brechen veräußern. Bei Notverkäufen zahlt in der Regel der Verkäufer drauf. Nun, bei den Häusern war es, wie ich schon schrieb, wie bei den Wohnungen: Entweder überteuert – Große Nachfrage und geringes Angebot diktierten den Preis – oder es gab Gründe, warum diese so preiswert sind. Mit anderen Worten, die taugten nichts für unseren verwöhnten Geschmack. Ach, was sage ich da, man musste nicht erst verwöhnt sein um von Bruchbuden zu sprechen. So waren wir jedes zweite Wochenende in Berlin und sahen uns Objekte von Lübars bis Lichtenrade, vom Wedding bis Gatow an. Gerade in Gatow gab es zwei schöne Objekte, direkt am Wannsee gelegen, die uns gefallen hatten. Aber mit welch’ stolzen Preis; da konnte man nur Holla sagen. Mein Auto fuhr des Samstagmorgens schon fast alleine von Iserlohn nach Düsseldorf, von wo aus wir nach Tegel flogen. Im Novotel in Tegel war Familie Kleiner schon Stammgast geworden. Ja, das war das schönste an dieser Zeit: Die Familie war wieder zusammengeschmiegt. Pro Wochenende besichtigten wir ein Objekt, selten auch mal Zwei, aber den Rest der Zeit gingen wir auf Entdeckungstour. Unsere Kinder wollten fortwährend U-Bahn fahren. Abends im Bett tönten sie dann immer noch: „Zurückbleiben bitte!“. Wir besuchten den Zoologischen Garten oder spazierten trotz useligen Winterwetter ein Stück an der Krummen Lanke. Den Kurfürstendamm haben wir natürlich auch mal aufgesucht aber das war scheinbar nichts für uns; da war zu viel Rummel. Aber Alles in Allem kann man sagen, das in dieser Zeit wirklich richtiges Familienleben stattfand. Des Abends, wenn die Kinder schliefen, waren Uli und ich ein Paar, so wie wir es vor meinem Aufstieg in den Managerhimmel schon einmal waren. Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit wird jemand, der intensiv sucht, auch irgendwann mal fündig. Im Januar 1979 konnten wir zuschlagen. In Alt Marienfelde, direkt gegenüber einem Gutspark fanden wir ein älteres Einfamilienhaus was uns ganz gut gefiel und im Preis etwa auf dem Level lag, welches wir uns vorgestellt hatten. Wir mussten es auch vollkommen neu einrichten, da wir unser Haus am Roden in Iserlohn so verkaufen konnten wie wir es selber erworben hatten: Vollständig eingerichtet. Wodurch für den kompletten Umzug ein kleiner LKW reichte. Nur unser Hausrat und unsere persönlichen Sachen mussten nach Berlin spediert werden. Die Neueinrichtung unsere neuen Domizils machte es noch notwendig, dass wir nach wie vor an den Wochen-
enden regelmäßig nach Berlin mussten. Jetzt musste ich auch innerhalb der Woche öfters mal nach Berlin um alles für den Einzug der Geschäftsleitung in der Verwaltung am Wedding vorzubereiten. Alles war am neuen Hauptsitz der Schweikart AG etwas „großkotziger“ als in Dortmund-Hörde, wodurch mir alles wie im Traum erschien. Da war ich kleiner Knabe, der nicht einmal ein Abitur hatte, doch bis in die obersten Stübchen der Wirtschaft aufgestiegen. Wer hätte das gedacht? Bei allen Besuchen in Berlin war ich mit dem Flieger angereist. Entweder war ich mit Britisch Airways oder der Air France geflogen. Eine große Auswahl hatte man ja nicht, da damals ja nur Maschinen von Gesellschaften, die ihren Sitz in einem Land, was zu den westlichen Siegermächten gehörte, hatte. Für die Amerikaner flog PAN AM den Flughafen Tegel an. Berlin war in jener Zeit eine Viersektorenstadt. Westberlin teilten sich England, Frankreich und die USA und Ostberlin, das die „Ostzonen-Oberen“ gerne als Hauptstadt der DDR bezeichneten, war dem Machtbereich der Sowjets zugeschrieben. Da gab es dann einige Paradoxen. Zum Beispiel lag das sowjetische Ehrenmal, nahe dem Reichstag, im britischen Sektor und deshalb passten britische Soldaten auf, dass keiner etwas den russischen Soldaten, die die Ehre hatten zur Ehrenwache stundenlang unbeweglich zu stehen, antat. Im Spandauer Gefängnis lösten sich Wachmannschaften aus allen vier „Besatzungsmächten“ ab um nur einen einzigen Mann, dem ehemaligen Hitler-Stellvertreter Hess zu bewachen. Und rings um diese Gebilde hatten die DDRler am 13. August 1961 eine Mauer, die ihre Einwohner am Weglaufen hindern sollten, gebaut. Sich offensichtlich selbst „verarschend“ nannten sie diese Unikum „Antifaschistischer Schutzwall“ – und dabei saßen die Staatsfaschisten um den saarländischen Schalmaienbläser Honecker in den Regierungssesseln der Deutschen Demokratischen Republik. Im Berliner Volksmund übersetzte man DDR damals auch gerne mit: Der doofe Rest. Am Mittwoch, dem 14. März 1979, fuhr ich dann erstmals als Beifahrer mit dem Auto nach Berlin. Beides Beifahrertum und Autofahrt hatten einen speziellen, miteinander verwandten Grund. Haus und Einrichtung hatten wir in Berlin neuerworben, mit unserem Hausrat und unseren persönlichen Sachen war ein Spediteur unterwegs und in Berlin wartet ein neuer geleaster Chefwagen auf mich. Da blieb uns nur noch Ulis Wagen und natürlich wir selbst für den Landweg nach Berlin. Bei uns in der Familie war es üblich, dass wir, wenn wir zusammen unterwegs waren, auf meinen Wagen zurückgegriffen. Dieses hatte nichts damit zutun, dass ich ein solcher Macho, der immer glaubte selbst fahren zu müssen, war sondern nur so bestand die Möglichkeit, dass ich mit Uli auch mal den Fahrersitz austauschen konnte und in ihrem Wagen war ich zum Beifahrer verurteilt. Der Hintergrund ist ganz simpel: Ich konnte wegen meines linken steifen Beines nur eine Automatik fahren und Uli hatte ausschließlich geschaltete Fahrzeuge. Immer wenn für sie ein neues Fahrzeug anstand haben wir immer überlegt, ob sie nicht auch eine Automatik haben sollte aber wenn es soweit war, hatten wir uns dann wieder für ein geschaltestes Fahrzeug entschieden. Nun, wir kauften ihr Auto auch nie auf Vorbestellung sondern immer ein ab Autohaus verfügbares Gefährt und da war das Angebot an Schaltfahrzeugen immer reichlicher und auf diese Weise war dann insbesondere Ulis Geschmack bei den Geschalteten stets eher zu befriedigen. Jetzt bei unserem Umzug hatte es dann den Nachteil, dass Uli die knapp über 500 Kilometer von Iserlohn nach Berlin-Marienfelde alleine fahren musste. Aber sie fuhr auch sehr gerne Auto und deshalb machte es ihr auch nichts aus. Ganz im Gegenteil: Im Gegensatz zu mir fuhr sie sehr gerne Autobahn und ich kurvte lieber über Dörfer und Landstraßen. Das mag wohl daran liegen, dass Uli durch Kuppeln und Schalten zu einer Abwechselung kam, die ich mir durch Anhalten, Wiederanfahren und Abbiegen verschaffen musste. Diese, durch nichts bewiesene Theorie, habe ich jetzt locker dahin geschrieben aber irgendwas muss daran sein, denn die meisten Leute fahren lieber zig Kilometer Umweg über die Autobahn statt über erheblich kürzere Wege über Land weil sie die vielfältigen Tätigkeiten einer Überlandfahrt scheuen. Dagegen geben Überlandfahrer, wenn sie ehrlich sind, als Grund immer die Angst vor Autobahnfahrten an. Das ist real gesehen aber nicht richtig, denn die meisten Unfälle gibt es im „normalen“ Straßenverkehr. Allerdings muss man auch zugeben, dass wegen der hohen Geschwindigkeiten Autobahnunfälle meist schwerer verlaufen. Also aufpassen muss man überall. Ich fuhr aber auch ganz gerne neben Uli auf dem Beifahrersitz; in ihrem Wagen noch lieber als in meinem. Meine Frau war kein Hosentyp sondern sie gab sich immer damenhaft und weiblich. Sie trug also immer Röcke oder Kleider. Nach meinem Geschmack kamen dabei Ulis fraulichen Beine immer besonders gut zur Geltung und daher schaue ich beim Beifahren zwischendurch immer ganz gerne ihrem anmutigen Beinspiel zu. Ganz im Anfang als wir zusammen waren wurde sie von meiner Eigenart immer ziemlich irritiert aber inzwischen gehörte das einfach dazu. Jetzt waren wir doch schon über 8 Jahre verheiratet aber ich hatte immer noch Spaß an dieser Sache genau wie sich Uli dadurch immer noch angesprochen fühlte. Scheinbar unterliegt eine wahre Liebe keinerlei Verfallserscheinungen. Gleichgültig ob Uli oder ich als Beifahrer fungierte war man in dieser Position immer für die, von langen Autofahren am meisten geschädigten Mitreisenden, für die Kinder, zuständig. Eigentlich sollte man, wenn man mit Kindern unterwegs ist, überlegen, ob eine so lange Distanz wirklich nötig ist oder ob es eine kürzere Alternative gibt. Muss es wirklich sein, dass man mit Kindern im Wagen wirklich in mediterrane Länder reist oder ob
es zur Abwechselung nicht auch mal die bayerischen Berge oder die Nordsee sein können. Andererseits sollte man hinsichtlich des Nachwuchses auch überlegen ob es unbedingt das Auto sein muss oder ob man mit dem Flugzeug das gleiche Ziel nicht schneller und bequemer erreicht. Kinder besitzen einen natürlichen Bewegungsdrang und wollen sich entfalten. Auf den Rücksitzen der Autos sitzen sie eingepfercht ohne jede Entfaltungs- und Bewegungsfreiheit. Warum ordnet man die „lieben Kleinen“ immer den Bedürfnissen und Interessen der erwachsenen Eltern unter? Wie sollen da denn mal selbstbewusste Menschen, die ihre Frau oder ihren Mann stehen, raus werden. Bei unserem Umzug bot sich allerdings keine vernünftige Alternative an. Bestenfalls dass ich mit den Kindern nach Berlin geflogen wäre und Uli die Strecke allein gefahren wäre. Aber das lag, nach der Zeit der Vernachlässigung, auch nicht in meinem Interesse. So war ich während unserer Fahrt dann auch dafür zuständig Jean und Janine so gut wie möglich bei Laune zu halten. So kam ich an jenem 14. März 1979 zum ersten Mal zu einem „Erlebnis“, welches man heute nicht mehr haben kann. Wir mussten durch die Festung, die sich DDR nannte, über eine Transvestiten-, sorry Transit-Autobahn fahren. Du meine Güte was bekam man da für beklemmende Gefühle, wenn man sich da auf riesigen Plätzen, die Gefängnis-Innenhöfen glichen, in mehreren Spuren einordnen musste. Während man sich dann in reichlich Stopp und wenig Go zum ersten Schalter durch huckelte, kam dann eine uniformierte Figur vorbei, die nach mitgeführten Waffen oder Funkgeräten fragte. Wenn man dann an so einem Schalter ankam verlangte ein, darin wie ein Äffchen sitzender, Uniformträger nach den Fahrzeugpapieren und den Pässen und dann konnte man sich mit dem Auto am nächsten Schalter anstellen. Dort bekam man dann nach einer Gesichtskontrolle seine Papiere auf die gleiche Art und Weise wieder wie sie einem abgenommen wurden. Was mit diesen Dokumenten zwischenzeitig gemacht wurde entzog sich der Kenntnis der Reisenden. Auf jeden Fall hatten wir dann anschließend einen Stempel im Pass – Personalausweis genügte ja bei Nichtberlinern nicht – der besagte, dass wir ein Transitvisum für die DDR besaßen. Wir haben jedoch nur je eins von diesen Unikums in unsere Pässe gekriegt. Mit unserer Anmeldung in Berlin erhielten wir dann einen Westberliner Personalausweis, in dem nichts gestempelt wurde. Nach dieser schärfsten Grenzkontrolle, die man in Europa kannte, konnten wir dann endlich mit Tempo 100 weiter nach Berlin fahren, wo uns dann in Drewitz noch einmal eine scharfe Gesichtskontrolle zum Wiederaustritt aus dem Ländchen, welches seine Bürger einsperrte, erwartete. Aber auch in Dreilinden, also auf Westberliner Seite, mussten wir dann dem Westberliner Zoll auch noch mal unsere Identität nachweisen. Was war das zu jener Zeit nur für ein Schwachsinn. Übrigens ich habe jetzt so locker Westberlin beziehungsweise Westberliner geschrieben. Dieses war damals aber verpönt weil die DDR-Schnuffeln darauf bestanden. Die offizielle westliche Schreibweise hieß Berlin/West. So wurde dann an jenem Tag im März aus kernigen Sauerländer imitierte Berliner. Was mir in diesem Zusammenhang immer Spaß machte war, dass es im Bezirk Reinikendorf ein kleines sauerländer Viertel gab. Eine Straße war sogar nach unserem Geburtsort Letmathe benannt. Ich bin mal da gewesen und fand dort die Kneipe „Zum Sauerländer“, in der sich auch der Sitz des SGV (Sauerländer Gebirgs-Verein), Sektion Berlin, befand. Da müssen wohl schon vor uns Leutchen aus unserer Heimat den gleichen Schritt unternommen haben und im Gegensatz zu uns ein Stück von Zuhause mitgebracht haben. Ich bin allerdings nur einmal in dem besagten Viertel gewesen, denn das war doch ein Wenig von Marienfelde im Bezirk Tempelhof entfernt und ein besonderer Ausflugs-Highlight war es ja auch nicht. Da war die Exklave Steinstücken schon eher etwas Besonderes. In Steinstücken waren ein paar Häuser, eins davon eine Gaststätte, die sich eigentlich schon in Babelsberg befanden aber rechtlich nach Westberlin gehörten. Über einen schmalen Pfad, der rechts und links von dem Mauerungetüm begrenzt wurde. Aber wenn wir mal einen Ausflug machten, dann zog es uns eher zur Krummen Lanke oder in den Grunewald. Nur schade, dass man auch hier immer nur auf so viel Menschen traf. So richtig seelebaumelnder Weise spazieren gehen wie in unserer sauerländer Heimat konnte man nirgendwo in Berlin. Schon einem Tag nach unserem „Umzug“ erschien ich zu meiner Standardzeit um Neun bei der Schweikart AG am Wedding. Mein morgendlicher herrenhafter „Einmarsch“ war natürlich nichts Besonderes für mich, der war schon in Dortmund-Hörde zu Routine geworden. Inzwischen war ich auch schon oft genug in Berlin gewesen, so dass mich die Leute und ich die Leute kannte. Auch meine neue Sekretärin, die 27-jährige Karola Schmidtke, die zuvor schon für den vorhergehenden Unternehmensleiter Reimund Schweikart tätig war, gehörte bereits zu meinen Bekannten. Wir hatten zuvor auch ein sehr ausführliches Gespräch, so eine Art Einstellungsgespräch, geführt. Mit Miles Miller hatte ich in letzter Zeit sowohl in Berlin wie auch in Dortmund schon intensiv zusammengearbeitet. So gab es keinen Grund, warum ich mich lange mit der Vorrede aufhalten sollte und ich startete ohne lange Vorrede durch in den normalen Alltag des Vorstandsvorsitzenden. In einer Hinsicht musste ich mich doch öfters innerlich zur Selbstdisziplin ermahnen. Frau Schmidtke, war wie ihre beiden Vorgängerinnen bei mir, also ich denke an meine Frau Ulrike und an deren Nachfolgerin Frau Krause, sehr gut gebaut. Also, sie war ein weibliches Wesen so recht nach meiner Kragenweite. Nur im Gegensatz zu Uli war es nicht meine Verlobte beziehungsweise Frau und im Gegensatz zu Frau Krause war sie nicht lesbisch. Prüde schien sie mir auch nicht zu sein. Ich glaube, dass ich, wenn ich es darauf angelegt hätte,
sie mit Fingerschnipsen hätte flachlegen können. Sie kleidete sich auch stets sehr körperbewusst, damit man ja keines ihrer Reize verpasste. Da machte mich ich mir schon Gedanken darüber ob dieses auf Dauer gut gehen könnte. Schließlich war ich ja kein Übermensch sondern ein Mann aus Fleisch und Blut. Probleme hatte ich anfänglich auch mit berlinerischen Zeitangaben, die man mir machte. Die differierten ein wenig zu den Angaben, wie ich diese aus meiner Heimat gewohnt war. Wenn es in Westfalen „Viertel nach Drei“ ist, dann ist es in Berlin „Viertel Vier“ und das westfälische „Viertel vor Vier“ entspricht dem berlinerischen „Dreiviertel Vier“. Nur um Halb gab es eine Identität „Halb Vier“ war sowohl in Berlin wie in Westfalen 15:30 Uhr. Jetzt kann man sagen, dass so etwas unbedeutend wäre. Im Großen und Ganzen gab es damit auch keine Probleme aber in einigen Fällen führte der gewohnte Klang bei dem Wort „Viertel“ bei mir zu Verwechselungen. So assoziierte ich immer gerne von „Viertel Vier“ auf „Viertel vor Vier“, wodurch ich, wenn ich keine Sekretärin, die mich an Termine erinnert hätte, gehabt hätte prompt immer eine halbe Stunde zu spät erschienen wäre. So bestand ich dann darauf, dass man mir korrekte Angaben, zum Beispiel 15:45 Uhr machte, was mir dann doch den Ruf, ein Wenig verschnoppt zu sein, einbrachte. Dass ich des Nachmittags zwischen Fünf und Sieben das Haus wieder verließ hatte ich mir nach dem 16. September 1978 schon in Dortmund-Hörde wieder angewöhnt. So wie Uli mir ihr Gefühl von ihrer Vernachlässigung vorgetragen hatte, war mir dieses doch gehörig ins Gewissen gefahren, zumal es sich ja eigentlich nur um das Vortäuschen ein Leister zu sein handelte. Ich hatte mich doch wieder mehr dem Wichtigsten, der Familie zugewandt. Vielfach setzen wir Menschen die Prioritäten falsch. Nichts geht über Mensch sein und über das Leben, Dinge, die sich nirgendwo mehr wie in der Familie dokumentieren. Wirtschaft und Politik rangieren immer nachrangig dahinter. Schließlich arbeiten wir um zu leben und wir leben nicht um zu arbeiten. Nicht der Mensch wurde für die Wirtschaft und der Politik geschaffen sondern umgekehrt sollen Wirtschaft und Politik dem Menschen dienen. Die Unterordnung des Menschen unter Wirtschaft und Politik ist im Ansatz schon faschistoid und führt zunehmend in den Faschismus, egal ob in den kapitalorientierten von Rechts oder dem systemideologischen von Links, so wie uns dieser in der DDR präsentiert wurde. Ziel und Sinn muss immer der Mensch sein, alles andere ist ihm unterzuordnen. Aber ich bin hier wieder einmal ehrlich, so weit, wie sich dieses jetzt ließt, war ich anno 1979 auch noch nicht. Damals waren es wohl zwei Gefühle, die mich richtig handeln ließen. Das eine Gefühl hieß Liebe, die mich an Ulrike und die Kinder band, und das zweite war irgend so eine Ahnung, dass es mit dem großen Manager Dieter Kleiner bald vorbei sein würde und ich dann die Familie brauchte um mich aufzufangen. Über Letzteres erhielt ich dann schon nach nur zwei Monaten, im Mai 1975, Gewissheit. Vom Aufsichtsrat und der Familie Prätorius wurde ich mal wieder über den großen Teich nach Niles in Illinois beordert. Zur Vorbereitung auf diese Sitzung wurde ich mit einer Reihe von Papieren bestückt. Die Familien Prätorius und Schweikart hatten alle Anteile an unserer Aktiengesellschaft an die Amerikaner verkauft und hatten dafür Anteile an dem US-Unternehmen erworben. Das Ganze war auf Basis eines Aktientausches abgewickelt worden. Die Amerikaner hatten inzwischen einer handvoll Kleinaktionären, in deren Händen der sogenannte Streubesitz lag, einen entsprechendes Angebot, bei dem sie bestimmt nicht „Nein“ sagen, unterbreitet. Mir kam es so vor, als wäre alles von vornherein das Ziel der gesamten Arbeit gewesen. In mir hatte man lediglich den Hampelmann gefunden, der die Arbeit, für die sich die Geschwister Prätorius selbst zu fein waren, gemacht hatte. Nachträglich gesehen fiel mir auch auf, dass ich nie selbstständig gearbeitet habe sondern ich habe immer nur die Weisungen der Geschwister Prätorius ausgeführt. Den schönen Titel und das wirklich gute Gehalt hat man mir nur verpasst um mich selbst bei Laune zu halten und um ihr andererseits die Autorität zu verleihen, den Willen der Geschwister auch gegenüber den anderen Leuten durchzusetzen. Für so etwas ist ein Querseinsteiger, den man sich selbst aus der „Gosse“ geholt hat, immer besser zu gebrauchen wie jemand mit entsprechender Fachqualifikation auf dem Papier. Welchen Sinn alles gehabt hatte, konnte ich erst jetzt nach Vorliegen der Papiere richtig abchecken, vorher war ich doch reichlich naiv. Aber nicht die Kapital-Transfer-Geschichte sondern das was die Amerikaner vorhatten war für mich der größte Schocker. Die Schweikart AG sollte praktisch in der US-Gesellschaft voll und ganz aufgehen. Dazu sollte jetzt auch der Standort Dortmund-Hörde ganz platt gemacht werden. Die Produktion von Dortmund sollte nach Lüneburg, wo die Amerikaner selbst ein Werk hatten, welches im letzten Jahr erweitert worden war, verlegt werden. Emden sollte zu einem Logistikzentrum, wo sowohl die Rohstoffe und Halbzeuge wie die Produkte umgeschlagen werden sollten, ausgebaut werden. Berlin sollte weiterhin die Produktionsstätte für Präferenz begünstigte Maschinen bleiben aber die Deutschland-Niederlassung, also die hiesige Hauptverwaltung sollte nach Düsseldorf; offensichtlich wegen der Nähe zu Bonn, der zur damaligen Zeit unumstrittenen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, verlegt werden. Der Sinn nach meiner Reise nach Niles war also der Befehlsempfang für diese letzte Plattmachaktion. Was das für mich zu bedeuten hatte, konnte ich mir an fünf Fingern abzählen. Mit der Auflösung der Schweikart AG dürfte sich mein Amt als deren Vorstandsvorsitzender erledigt haben. Hinzu kam ja auch noch, das man
mich auch recht preiswert loskriegen konnte. Ich hatte mit Wirkung zum 1. August 1974 einen 5-Jahres-Vertrag erhalten, der als man mich zum Vorstandsvorsitzenden kürte, nicht erneuert sondern nur ergänzt worden ist. Damit lief meine Tätigkeit für die Schweikart AG zum 31. Juli 1979 automatisch ab. Alles in Allem hatte ich also meinen letzten Aufstieg hinter mir und ich konnte zum freien Fall ansetzen. Als ich mich vor meiner Reise nach Niles mit Tränen in den Augen mit Uli darüber unterhielt sagte sie zunächst stöhnend, dass sie das alles haben kommen sehen. Aber dann bekam ich es zu spüren, welch glückliche Bestimmung mich meiner Familie hat zuwenden lassen. Alleine wäre ich, der vermeintlich große Mann, am Boden zerstört gewesen. Jetzt konnte ich aber auf die aufbauende Unterstützung meiner Frau setzen. Sie stellte erst einmal fest, wie gut es gewesen ist, dass wir unser Haus und dessen Einrichtung aufgrund ihrer Vorahnung vollständig aus Eigenmittel finanziert hatten. Wir brauchten uns jetzt keine Blöße zugeben und reumütig heimwärts zu ziehen, da wir ja auch noch auf Rücklagen zurück greifen konnten. Dann wollte Uli wieder als Freiberuflerin ihre Dienste als Übersetzerinnen anbieten. Nach ihrer Einschätzung gab es dafür in Berlin einen guten Markt. Diese Tätigkeit würde nach ihrer Ansicht einen erheblichen Beitrag zu den laufenden Kosten leisten und wir könnten dann schonend mit dem inzwischen aufgelaufenen Vermögen umgehen. So etwas würde uns Luft verschaffen. Ich könnte dann gelassen den Arbeitslosen mimen und mir ebenso gelassen was Adäquates suchen. Etwas zu überstürzen bringt ja in der Regel keine brauchbaren dauerhaften Lösungen. Eigentlich hätte ja eine solche Überlegung von mir kommen müssen, denn ich war es ja, der den großen Manager markieren wollte und Uli war ja zuvor nur meine Sekretärin. In dem Moment, wo es mir offensichtlich an den Kragen ging, hatte sich die Führungskompetenz offensichtlich vom Mann auf die Frau übertragen. Jetzt war es auch Uli, die mir immer einredete, dass ich schon etwas Passendes, wenn schon nicht Vorstand einer AG dann doch Geschäftsführer einer kleineren GmbH, finden würde. Ich wollte nicht mehr so recht an mein Glück glauben. Hatte ich doch weder Abitur, noch Studium und außer den Prätorius keine Sponsoren. Aber Letztere dürften jetzt kein Interesse mehr an mir haben, denn ihr Stiefelknecht hatte seine Aufgabe getan und konnte jetzt zum Müll geworfen werden. Deren Vermögen dürfte sich allerdings durch die Aktion vervier- oder verfünffacht haben. In der Wirtschaft zählen keine menschlichen Emotionen und Dank kennt man nur in der Version „gibt’s du mir, dann gebe ich dir“. Ulrike bezeichnete meine diesbezüglichen Gedanken erst einmal im Grundsatz richtig aber sie gab mir zu bedenken, dass ich mich aber durch diese Tätigkeit als Kümmerer und leider auch als Plattmacher qualifiziert hätte. Beim Plattmachen wäre ich ja noch so gründlich gewesen, dass ich mich dabei letztendlich selbst überflüssig gemacht hätte. Sie schätzte, das so etwas wie mich immer mal wieder gebraucht wird und ich sollte mir deshalb keine Gedanken machen. Sie erinnerte mich an das Jesus Wort aus der Bergpredigt: „Darum sage ich euch: Sorget euch nicht um euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung?“ (Matthäus 6, 25). Damit war jetzt zum ersten Mal nach langer Zeit wieder ein religiöses Wort, wie es anfänglich zu unserem alltäglichen Umgang gehörte, in unserer Partnerschaft gefallen. War das nicht alles, was mir früher so wichtig erschien, während meines „Aufstieges“ verloren gegangen? Nein, verloren ist es bestimmt nicht gegangen sonst wäre es nicht plötzlich und unbestritten wieder da gewesen. Von Stunde an verspürte ich doch wieder das Bedürfnis ab und an in die Kirche zu gehen. Diese war ja in Alt Marienfelde von unserem Haus auch nur ein paar Schritte entfernt. Natürlich bewirkt das „in den Gottesdienst gehen“ keinerlei Wunder aber es erleichtert immer den betreffenden Mensch doch ungemein. Irgendwie fühlt man sich leichter und schöpft neue Kraft. Sich unvoreingenommen in einen Gottesdienst zu setzen, ist das beste Stressabbauprogramm, was man sich denken kann. Meine Ankündigung, doch wieder regelmäßig zum Gottesdienst zu gehen, fand bei Uli offene Ohren, da dieses auch ihren Wünschen entsprach. Zumal wir uns in der Gemeinde auch für andere Menschen öffnen könnten und somit nicht mehr isoliert in unserer „neuen Heimat“ sein würden. Insgesamt bin ich durch meine, auch sehr um mich besorgte Frau Ulrike durch und durch gestärkt worden. Wie gut ist es doch wenn man eine stabile funktionierende Partnerschaft hat. So flog ich dann gelassen zunächst von Tegel nach Frankfurt und von dort mit der Lufthansa nach Chicago. Gerne hätte ich, wie damals als wir unser Glück exakt planten, Uli neben mir sitzen gehabt. Stattdessen saß bei diesem Flug Miles Miller, der schon mehr als ich wusste, neben mir. Ganz ehrlich bereitete er mich darauf vor, was uns in Niles erwarten würde. Er hatte von Anfang an alles gewusst und trotzdem fühlte er sich jetzt „beim Bock getan“. Er war immer davon ausgegangen, dass er Deutschland-Direktor „seines“ Unternehmens werden würde. Auch ihn hatte man, allerdings von amerikanischer Seite her, als Kofferträger eingesetzt. Bei ihm ging es insgesamt um das Europageschäft seines Unternehmens und nicht nur um die Schweikart AG. Auch seine Aufgabe war es fußkranken Unternehmen, die man aufgekauft hatte, die lukrativen Geschäftszweige zu entziehen und diese in wirtschaftliche Unternehmen und Standorte zu überführen. Unmittelbar danach waren die Trümmer des Fußkranken platt zumachen. Nicht alle Unternehmen waren wie die Schweikart AG aus der MaschinenbauBranche. Es ging also nicht um eine spezielle Marktstrategie sondern nur um rein spekulative Anlagengeschäfte. Die Macher erwarteten eine Wirtschaftsliberalisierung in Osteuropa und da wollten sie sich in die Pole-Position, wie es beim Autorennen heißt, bringen.
Die Aktion „Melke in Europa“, die auch schon seit fünf oder sechs Jahren lief, stand jetzt vor dem Abschluss und Miles hatte sich erhofft, der Maker in Old-Germany zu werden aber da hatten seine Bosse anders disponiert. Da sollte ein Wirtschaftsexperte für Osteuropa hin. Die Familie Miller, der Miles entstammte, gehörte zwar zu den größeren Aktionären seines Unternehmen – ich glaube die hatten so zwischen 5 und 10 Prozent der Aktienanteile – aber das half Miles nichts, er musste mit mir gehen. Daraus schloss er, das jetzt die anderen Aktionärsgruppen auf feindlichem Wege versuchen würde, auch die Millers auszubooten. Sein Fazit lautete, dass es in der Wirtschaft ums Fressen und gefressen werden ginge. Nun weder Miles noch ich hatten uns in unseren Erwartungen getäuscht. Wir wurden beide aus den Vorstands-Diensten entlassen. Ich per 31. Juli 1979 und Miles zum Jahresende. Zu meinem Erstaunen erhielten wir beide noch eine satte 6-stellige Abfindung. Kai Prätorius, der auch anwesend war, kommentierte dieses noch sarkastisch mit Provision für hervorragende Arbeit. Am Liebsten hätte ich mit Kai kein Wort mehr gesprochen aber im Hinblick darauf, dass er mir eventuell bei der Suche nach einer Folgestellung behilflich sein könnte, machte ich noch eine gute Mine zum bösen Spiel. Was ich vorher nicht gedacht hätte, dass es Miles Miller noch härter treffen würde als mich. Er war aus irgendeinem Grunde, den ich nicht kenne, bei seiner Familie in Ungnade gefallen und die war es, die ihn wie eine heiße Kartoffel fallen ließ. Damit hatte er beim besten Willen nicht gerechnet. Er war sogar soweit „geschädigt“, dass er sofort an Ort und Stelle zurücktreten wollte. Darauf wurden auch unsere stolzen Abfindungen relativiert. Man machte uns klar, dass wir diese nur erhalten würden, wenn wir bis zum letzten Tag unsere Aufgabe erfüllten. Ich musste also noch einmal als Plattmacher kräftig ran. Allerdings ging ich nicht mehr so strategisch und taktisch wie früher sondern eher wie eine Dampfwalze vor, was für mich dann den Vorteil brachte, dass ich auch einiges delegieren konnte und nicht alles selbst machen musste. So kam ich mit einer 50- statt mit einer 60- bis 70-Stunden-Woche aus. Na ja, es gab ein bisschen mehr Unruhen, bei denen ich als Selbstbetroffener jetzt auch mitfühlen konnte, aber meine Arbeit, die man mir in Niles/Illinois aufgetragen hatte, konnte ich wie vorgegeben erledigen und meine Abfindung habe ich auch erhalten. Ab 1. August 1979 war ich dann zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos. Mir stand auch, wie jedem anderen Arbeitnehmer, der Beiträge zur Arbeitslosen-Versicherung gezahlt hat, auch, das Arbeitslosengeld zu. Allerdings orientiert sich dieses bei Leitenden Angestellten und anderen Großverdiener nicht an den zuletzt bezogenen Gehältern sondern an der Beitragsbemessungsgrenze, den nur bis dahin hat man ja schließlich Beiträge bezahlt. Nur hinsichtlich meiner Abfindung musste ich mir im Sinne des § 119 des Arbeitsförderungsgesetzes eine Mitwirkung an der Auflösung meines Arbeitsverhältnisse vorwerfen lassen und bekam eine entsprechende Speerzeit aufgebrummt. So gesehen hätte ich ja auch gar nicht zum Arbeitsamt gehen brauchen; das war auch mehr hinsichtlich der Anrechnungszeit für die spätere Rentenversicherung wichtig. Ja, da hatte ich einen absoluten Sturzflug hinter mir. Von den Höhen eines Vorstandsvorsitzenden war ich bis zum Arbeitslosen abgestürzt. Eigentlich war ich jetzt ganz froh, dass wir uns in Berlin und nicht in heimischen Gefilden befanden, also in einer Umgebung, in der wir unbekannt waren. Zuhause hätte ich unter der Häme von Nachbarn und Bekannten Spießruten laufen müssen – dieses obwohl ich mir immer noch Champagner zum Brot leisten konnte. Natürlich hätte die öffentliche Missachtung nicht nur mich sondern nach der Devise „mitgefangen gleich mitgehangen“ sondern auch die ganze Familie getroffen. Jean und Janine hätten das in ihrer kindlichen Unschuld wohl noch ganz gut wegstecken können aber Uli hätte es bestimmt sehr schwer getroffen. Und dabei war doch meine Familie vollkommen unschuldig. Erst empfand ich das Leben als arbeitsloser Manager gar nicht so schlecht. Ich konnte mit meiner Frau fast wie in alten Tagen turteln. Die Einschränkung „fast“ ist hinsichtlich unserer Rücksichtnahme auf unseren Nachwuchs zu verstehen. Wären Jean und Janine nicht gewesen, dann ... olala. Aber ich will mich nicht über die Anwesenheit der Kinder beschweren, denn ich konnte erstmalig meine Rolle als Vater richtig wahrnehmen und genießen. Wir waren jetzt eine von vielen Alltagslasten befreite glückliche Familie. Schlicht und einfach gesagt, die erste Zeit der Arbeitslosigkeit entsprach in meinem Empfinden der eines Urlaubes. Da unternahmen wir auch reichlich Ausflüge innerhalb Westberlins und auch in den Ostteil der Stadt. Im Ostteil der Stadt besuchten wir den Alexanderplatz, wo wir auch, nach etwas Schlangestehen in das sich drehende Aussichtscafé hinauf fuhren. Da haben sich Uli und ich dann einen Kaffee bestellt, was wir aber besser sein gelassen hätten, denn der Columbia Hochlandkaffee sah zwar so aus wie Kaffee aber er schmeckte nach ... Na, lassen wir es. Im Rathaus von Köpenik machten wir dann andere, positivere Erfahrungen mit der ostdeutschen Gastronomie. Da gab es Eisbein mit Sauerkraut und Erbspüree zu einem Spottpreis, in zwei verschiedenen Portionsgrößen. Bei dem Preis schlug ich zu und bestellte mir eine große Portion. Die Kellnerin warnte mich, dass ich die wohl nicht aufkriegen würde. Ich blieb aber eisern bei meinem großen Wunsch. Die Kellnerin hatte recht und ich musste mit meinen Schweißperlen auf der Stirn kämpfen, weil ich mir keine Blöße geben und mir die nicht schaffbare Menge hineinschieben wollte. Aber was sollte es, man musste ja das „DDR-Eintrittsgeld“ loswerden. Für einen Besuch im „Arbeiter- und Bauernstaat“ musste man 25 D-Mark zücken und bekam dafür die gleiche Summe an Spielgeld, wie man im Westteil des Stadt zu den DDR-Moneten spöttisch sagte. Ausführen oder wieder zurücktauschen durfte man nichts und deshalb musste man sich Mühe geben, das Spielgeld bei Nachwerfpreisen
in der Gastronomie zu lassen. So beschaffte man sich damals Devisen, mit denen unter anderen die Ehefrauen der SED-Oberhäuptlinge, zum Beispiel Frau Honecker, im KaDeWe (Kaufhaus des Westen, zughörig zur Hertie-Kette) einkaufen konnte. Da denke ich gerade an einen Vorfall, der in Berlin für reichlich spöttischer Häme führte: Da hatte man doch im KaDeWe die Inhaberrinnen von „Golden Kundenkarten“, Frau Honecker und Frau von Schnitzler, die Frau des Schwarzen-Kanal-Ede, beim Ladendiebstahl erwischt. Ein Besuch in der Hauptstadt des staatsfaschistischen Reiches war ohnehin mit einem besonderen bürokratischblödsinnigen Akt verbunden. Im Westteil der Stadt unterhielt die Ostadministration sogenannte Passierscheinbüros. Dort musste man sich erst einmal eine Eintrittsberechtigung besorgen bevor man dann mit der U-Bahn zum Bahnhof Friedrichsstraße fahren konnte, wo man sich dann noch zu einem hyperbürokratischen Übergangsakt anstellen musste. Eine Stunde oder mehr musste man schon für eine Einreiseaktion einrechnen. Aufgrund der Passierschein-Angelegenheiten konnte man nicht des Morgens aufstehen und spontan sagen heute gehen wir mal nach Ostberlin, da musste man sich schon einen bestimmten Tag, mindestens eine Woche im Voraus ausgucken. Na ja, man konnte sich auch Mehrfachpassierscheine besorgen, in deren Rahmen man dann doch schon mal spontan los konnte – aber wer hatte, außer den Leuten, die verwandtschaftliche Beziehungen nach Jenseits der Mauer hatten, daran schon Interesse. Einen bestimmten Vorfall bei der Einreise in Ostberlin werde ich wohl auch nie vergessen. Wir hatten den Übergang Friedrichsstraße gewählt. Als wir nach anderthalb Stunden endlich durch die Grenzkontrollen durch waren wollten wir uns erst einmal etwas trinken. Wir setzten uns in den Mitropa genannten Wartesaal und ich bestellte mir ein Bier, was kein Problem darstellte. Aber zwischen Uli und der Kellnerin entwickelte sich ein netter Dialog, den ich jetzt mal wiedergeben möchte. Kellnerin: „Und was möchten sie?“. Uli: „Eine Cola“. Kellnerin: „Die gibt es hier nicht“. Uli: „Ach ja, dann bringen sie mir bitte eine Orange.“. Kellnerin: „Haben wir nicht.“. Uli: „Dann eben einen Apelsaft.“. Kellnerin: „Haben wir nicht.“. Uli: „Was haben sie denn?“. Kellnerin: „Rhabarbersaft“. Uli: „Igitt.“ Kellnerin: „Dann gehen sie doch nach Westberlin.“. Uli: „Was meinen sie, wo wir gerade herkommen? Na gut, bringen sie mir ein Wasser.“. Letzteres hatte die Mitropa und die Kellnerin schwirrte ab um uns die bestellten Getränke zu bringen. Einmal haben wir uns auch auf die Socken gemacht und sind nach Potsdam gefahren. Mit dem Westberliner Linienbus fuhren wir über Dreilinden nach Drewitz und begaben uns dort per Pedes auf durch die Grenzkontrollen auf die andere Seite. Da wollten wir dann mit der Straßenbahn nach Potsdam, wo uns in erster Linie das Schloss interessierte, weiterfahren. Eu, da bekamen wir erst einmal Probleme, denn beim Zwangsumtausch hatte man uns nur „Großgeld“ gegeben und damit konnten wir keinen Fahrschein erwerben. In den Bimmelbahnen im Reich der Arbeiter und Bauern warf man üblicher Weise Kleingeld in einen Glaskasten und konnte sich dann einen Fahrschein abreißen. Alles war so konstruiert, dass die anderen Fahrgäste die Kontrolle ausüben konnten. In der DDR ging es ohnehin immer so zu: Jeder kontrollierte Jeden. Und zehn Spielmärklein waren mir natürlich für eine Straßenbahnfahrt von Babelsberg nach Potsdam zu viel. Wir hatten Glück: Eine nette Dame half uns mit Fahrscheinen aus und wollte noch nicht einmal Geld dafür haben. Sorry Leute für diesen kleinen Ausflug in die damaligen DDR-Kuriositäten, aber es ist doch mal ganz interessant an Dinge, die man heute nicht mehr erleben kann, erinnert zu werden. Eigentlich wollte ich ja nur berichten, dass ich die erste Zeit nach meinem Sturz vom Vorstandssessel praktisch wie ein Urlaub verbracht habe. Ich habe jetzt extra nur von meiner Person geschrieben, als ich „ich“ und nicht „wir“ schrieb, weil Uli die ganze Zeit gut zutun hatte. Übersetzungen kann man überall und immer gebrauchen, aber keine Führungskraft ohne Abitur, Studium und ohne gute Drähte aber dafür mit fünf Jahren Plattmacher-Erfahrung. Alle Bewerbungen, die ich damals schrieb, hätte ich gleich statt in den Briefkasten auch in den Papierkorb werfen können. Na, ich hatte mir auch von Anfang an keine großen Hoffnungen gemacht und dachte daran, mich ein paar Etagen tiefer, zum Beispiel als kaufmännischer Abteilungsleiter, so wie etwa Versandleiter, zu bewerben. Aber Uli war immer der Meinung, dass uns keine Not treiben würde und ich, wenn ich der Meinung wäre alles ausgeschöpft zu haben, immer noch tiefer stapeln könnte. Damit hatte sie ja im Grund recht aber mich zwickte auch sehr, dass ich da quasi als Tagedieb herumhocken musste. Mit der Zeit wich dann auch meine Urlaubsstimmung einer Frustration. Nach und nach musste ich erkennen, dass ich gar nicht der große Mann, der ich zu sein glaubte, gewesen bin. Ich war eigentlich nur der Hanswurst, den ein Kai Prätorius als Springer oder Läufer, den er zu Opfern bereit war, in seinem Spiel ums große Geld einsetzte. Meine Leistungen bestanden lediglich daraus, dass ich stets willig und naiv war. Mit Kai Prätorius hatte ich in jener Zeit nur einmal Kontakt. Ich hatte ihn gebeten für mich empfehlend tätig zu werden. Dabei wurde ich von ihm nur von Oben herab richtig abgekanzelt. Ich habe danach mit ihm nie wieder Kontakt gehabt. Ab dem Zeitpunkt kannte ich seine wahre Einstellung mir gegenüber. Für ihn war ich nur eine kleine Leuchte, die er in einem üblen Spielchen hat hoch fliegen lassen. Zwischendurch bekam ich dann immer wieder einen Moralischen. Bei einer solchen Gelegenheit sagte ich dann mal: „Ich verfluche den Tag, an dem ich an Prätorius
geraten bin.“. Darauf schaute mich Uli ganz ernst an und sagte: „Besser nicht, ohne diesen Tag hätten wir uns nicht kennen gelernt und damit wäre unser beider Leben viel, viel ärmer.“. So gesehen hatte sie ja recht. Im Jahre 1979 und auch in den ersten drei Monaten gab es dann keine Änderung in meinem, mittlerweile trostlosen außerfamiliären Dasein. Die Verwendung von „außerfamiliär“ ist im Zusammenhang mit „trostlos“ hier sehr wichtig, denn zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich auf der anderen Seite richtig Familie empfinden. Das war auch in meiner ersten Ehe nie so der Fall gewesen. Mit Uli hatte ich eine starke Partnerin, mit der ich mir Freud und Leid teilen konnte. Die Kinder, die nun beide auf die Kiepert-Grundschule in Marienfelde gingen, waren richtig stolz auf ihre Mama und ihren Papa, die immer, wenn sie nach Hause kamen, für sie da waren. Wenn es nach Jean und Janine gegangen wäre, hätte es immer so bleiben können, wie es damals war. In dieser Situation waren Uli und ich noch einmal sehr mutig. Sie setzte, obwohl wir beide bereits im 34 Lebensjahr waren, die Pille ab und wir gingen noch einmal an die Zeugung eines weiteren Kindes. Im November wussten wir, dass Uli ein drittes Mal schwanger war. Wir haben uns so sehr über die Schwangerschaftskunde gefreut, dass wir eine richtige kleine Feier veranstalten, zwar nicht mit Champagner aber mit echtem Sekt von Luther & Wegener. Unsere Mütter, die von uns telefonisch davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie einer weiteren Großmutterschaft entgegen sehen konnten, sind allerdings laut ihren Worten am Telefon umgefallen. Der vorausberechnete Termin für die Geburt war Anfang Juli 1980. Vorher sollte aber meine Zeit als arbeitsloser Exvorstand zuende gehen. Am Montag, dem 5. Mai 1980, dem Tag an dem die Niederländer den Tag der deutschen Kapitulation feiern, begann ich als Vertriebsleiter Inland bei einer Büromaschinenfabrik in Neukölln. Die Position eines Vertriebsleiters liegt zwar deutlich unter der Chefetage, auf der ich mich bei Schweikart tummeln durfte, ist aber auf jeden Fall noch besser „als nur“ Sachbearbeiter. Und wieder einmal muss ich gestehen, dass ich diesen Job meiner Frau zu verdanken hatte. Ein starker Mann ist nur ein starker Mann wenn er auch eine starke Frau zur Seite hat. Im Zuge der Gleichberechtigung muss ich hier aber auch betonen, dass es sich umgekehrt genau so verhält. Aber nun gleich zur Sache. Die Neuköllner Büromaschinenfabrik gehörte zu den guten Kunden Ulis. Die hatten jede Menge vom Deutschen ins Englische und Französische und hin und wieder auch ins Spanische zu übersetzen. Dazu kamen dann reihenweise amerikanische Schriften, die ins Deutsche zu übersetzen waren. Es handelte sich überwiegend um Produktbeschreibungen und Handbücher. Bei einer solchen Tätigkeit bleibt es natürlich nicht aus, dass man mal dieses oder jenes Wort, welches nichts mit der eigentlichen Aufgabe zutun hat, wechselt. So hatte Uli dann auch mal gegenüber dem geschäftsführenden Gesellschafter in geblümter Form von meinem Schicksal erzählt. So kam es dann als der bisherige Amtsinhaber nach einem Streit mit dem Boss im „gegenseitigen Einvernehmen“ das Handtuch warf, Uli vom Chef gefragt wurde ob ich nicht vorrübergehend, bis ich etwas was meiner „Qualifikation entspräche“ gefunden hätte, einspringen könnte. Nun, ich konnte einspringen; ich sprang nicht nur ein sondern es wurde für mich eine Dauerbeschäftigung. Davon werde ich jetzt in Folge aber nicht viel berichten, denn es war eine Angestelltentätigkeit in der mittleren Betriebshierarchie wie sie zig-tausendfach in deutschen Landen vorkommt und nichts Aufregendes für Leserinnen und Leser bietet. Auch für Uli gab es in jener Zeit eine berufliche Veränderung. Im Hinblick auf ihre Schwangerschaft sowie auf Jean und Janine war sie der Meinung sich für ihr Übersetzungsbüro zumindestens eine tüchtige Aushilfe suchen zu müssen. Sie fand nicht nur eine Aushilfe sondern eine Partnerin. Natürlich im Geschäft, was dachten Sie denn? Die dunkelhäutige, erst 24-jährige Maria von Roman, Tochter eines deutschen Vaters und einer brasilianischen Mutter, beherrschte neben den Sprachen, die auch Uli beherrschte, auch noch ihre Muttersprache Portugiesisch. Muttersprache kann man in diesem Fall sogar wörtlich nehmen, denn Brasilien ist ja das einzigste Land Südamerikas in dem nicht Spanisch sonder Portugiesisch gesprochen wird – und Marias Mutter war ja, wie eben schon schrieb, Brasilianerin. Uli und Maria richten sich bei in unserem Haus im Keller – oder besser gesagt in der Tiefparterre unseres Hauses – ein Büro, das unter dem Namen „Kleiner & Roman, Translingua GbR firmierte, ein. Dieses Büro entwickelte sich zu einer ganz einträglichen Geschichte, so dass wir, obwohl ich vom einkommenshohen Vorstandsockel gestürzt war immer noch zur gehobenen Verdienerklasse gehörten. Dazu kamen ja dann noch unsere Anlagen, die sich durch meine Abfindung noch erhöht hatten und während meiner Arbeitslosigkeit nur unwesentlich angetastet worden waren. Anlässlich meiner neuerlichen Arbeitsaufnahme bekam ich auch ein „neues“ Auto. Neues habe ich jetzt in Anführungsstriche gesetzt, da es sich um einen gebrauchten blauen Opel Admiral mit schwarzen Vinyldach – also einen sehr schönen sogar – handelte. Zum Dienstschluss als Vorstandsvorsitzender der Schweikart AG hatte ich ja, was man sich eigentlich denken kann, auch meinen etwas protzigen Dienstwagen abzuliefern. Als Arbeitsloser hatte ich mich nur ständig kutschieren lassen. Na, nicht mit dem Taxi; dafür war ich zu geizig sondern von meiner besseren Hälfte. Meine erste längere Tour im neuen Gebrauchten trat ich alleine an einem Wochenende im Juni 1980 an. Ich weiß noch, was die Nachricht dieses Wochenendes war: Man konnte in den Nachrichten erfahren, dass einer der weltweit erfolgreichsten deutschen Komponisten, Bert Kaempfert, in Palma de Mallorca gestorben war. Das ist mir in der Erinnerung geblieben weil ich gemeinsam mit Uli für die Musik
dieses Komponisten und Orchesterleiter geschwärmt habe. Also außer Familie und Arbeit gab es natürlich auch noch andere Dinge in unserem Leben. Wir lebten also keinesfalls in einem Schneckenhaus. Ziele meiner eben erwähnten Tour waren Hagen-Hohenlimburg, wo ich, zum ersten Mal nach unserem Wegzug nach Berlin eine Stippvisite bei meinen Eltern unternahm und Iserlohn-Dröschede, wo ich meine Schwiegermutter zu Haushälterinnen- und Kindermädchendiensten abholen wollte. Hintergrund war, dass der geplante Entbindungstermin immer näher rückte. Auch beim dritten Mal hatte sich Uli die Spannung nicht durch Ultraschall nehmen lassen. Nach ihrem Gefühl müsste es ein Björn sein aber über Sabrina hätte sie sich natürlich genau so gefreut. Und wieder hatten wir einen Punkt der 100%-igen Übereinstimmung. Also der anvisierte Termin, wo sich die Frage ob Sabrina oder Björn klären sollte, war bereits überschaubar nahe. Wäre ich noch arbeitslos gewesen wäre es ohne Zweifel gewesen, dass nicht meine Schwiegermutter sondern ich für meine Ulrike in unserem Hause eingesprungen wäre. Na ja, Jean und Janine haben sich damals jedoch riesig gefreut, mal wieder ihre Oma „ausnutzen“ zu können. Die Geburt meines vierten Kindes habe ich intensiver wie die drei vorgehenden erlebt. Es ging schon am Vorabend, am Freitag, den 4. Juli 1980, los. Ich hatte mir angewöhnt des Abends, wenn wir zusammen saßen, immer dazu ein oder auch mal zwei Flaschen Bier zu trinken. So war es auch an diesem besagten Tag. Unsere Beiden hatten sich während meiner Daueranwesenheit wegen der Arbeitslosigkeit zu richtigen „Papakindern“ entwickelt. Als ich mich mit der Ankündigung mir ein Fläschen Bier zu holen erhob stürmten Jean und Janine wie auf Kommando los. Beide wollten ihrem Vater den Dienst des Bierholens erweisen. Nachdem Janine eine Bierflasche aus dem Kühlschrank entnommen hatte wollte ihr Jean diese entreißen. Und Plitsch und Platsch, die Flasche fiel auf den Kachelboden und löste sich in Hunderte kleine Splitter auf. Was soll’s, schimpfen konnte ich ja nicht, den die Beiden hatten ja nur ihre Liebe zu mir unter Beweis stellen wollen. Einzig dass sie diese Liebe nicht miteinander teilen sondern diese für sich alleine haben wollten, bedurfte einer, allerdings netten Ermahnung. Meine Schwiegermutter war auch sofort zum Aufwischen zur Stelle. Sie sah sich wohl zur Beseitigung der, von ihren Enkelkinder angerichteten Schäden, zuständig. Soweit so gut. Zwei Stunden später, als wir zu Bett gehen wollten, wurden mir dann die Splitter, die Muttis Aufwische entgangen waren, zum Verhängnis. Ich wollte mir nur eben noch, bevor ich unter die Bettdecke schlüpfte einen kalten Schluck Mineralwasser gönnen. Nach meiner Meinung handelt es sich bei diesem Getränk um den besten Durstlöscher, den man sich denken kann. So ging ich, nur mit dem Unterhemd bekleidet, also auch barfuss, in die Küche zum Kühlschrank und dann - „Autsch“ – hatte ich doch gleich ein paar Splitter im rechten Fuß. Auf meinem Schmerzensruf erschienen dann meine höchstschwangere Frau und ihre Mutter gleichzeitig in der Küche. Für meine Schwiegermutter könnte das auch mit etwas Genüsslichem verbunden gewesen sein, denn zum ersten und einzigsten Mal bekam sie dadurch aufgrund meiner Bekleidungsordnung mein edelste Teilchen zu sehen. Ich kann mich entsinnen, dass ich damals merkte, dass doch eine Menge Exhibitionismus in mir verborgen war, denn ich genoss den auf mein Besonderes gerichteten Blick meiner Schwiegermutter recht wohlig. So gab ich ihr auch den Vorzug gegenüber Ulrike um den Schaden unter meinen Füßen zu begutachten. Ihr Urteil war eindeutig: Da kann man nicht viel machen; das sind zu viele Splitter. Der Krankenwagen sollte her müssen. Das sah meine Holde aber anders. Sie meinte schwanger sei nicht krank und wollte mich selbst fahren. Da sie keinen Widerspruch zuließ, zog ich mich an und ließ mich von ihr nach Lichterfelde ins Krankenhaus kutschen. Als ich da von einer Ärztin behandelt wurde schaute diese zunächst zur Seite auf Uli und sagte dann: „Ja, Frau Kleiner, da hole ich jetzt bei ihrem Mann was raus und es sieht ganz so aus, als müsse auch bei ihnen was rausgeholt werden. Aber da dürfte mein Kollege von der Gyno zuständig sein.“. Über den Scherz haben wir dann erst einmal zu Viert, eine Krankenschwester war auch noch dabei, gelacht und dann tönte Uli: „Na, ich glaube nicht, dass es heute noch etwas wird, unser Drittes hat sich diesbezüglich noch nicht gemeldet.“. Darauf erwiderte die Ärztin, offensichtlich ganz zu recht: „Nun, das möchte ich nicht ganz so stehen lassen. Der Samstag hat gerade erst angefangen und wie es für mich aussieht, kann es sich bei ihnen höchstens nur noch um Stunden handeln.“. Ja, so gegen Eins, also zum Ende der berühmten Geisterstunde, waren wir dann wieder zu Hause. Die Oma nahm mich, der nun beidbeinig hinkte, was wohl recht seltsam aussah, in Empfang. Offensichtlich war sie doch auch etwas besorgt um ihren Schwiegersohn und war daher nicht ins Bett gegangen sondern hatte aus diesem Grund auf uns gewartet. Ich verkündete den Damen, dass sie ruhig ins Bett gehen könnten und ich wollte mir erst einmal in der Küche in Ruhe ein Bierchen trinken. Nun, bei dem einen Bier habe ich es dann doch nicht belassen sondern ich köpfte im Anschluss noch eine zweite Flasche. Da ich beim Bier nicht zu den Schnelltrinkern gehöre, saß ich so, alleine mit meinen Gedanken, fast über anderthalb Stunden in der Küche. Da stand Uli plötzlich mit den Worten „Dieterle, ich glaube es geht los“ in der Tür. Jetzt hatte ich in dieser Nacht immerhin schon drei Flaschen Bier verputzt und zudem war ich am rechten Fuß frisch lädiert und daher bestellten wir uns ein Taxi, das uns zum Klinikum Steglitz bringen sollte.
Als wir ankamen lieferte ich zuerst Uli und ihre Tasche am Kreißsaal ab. Ich wurde dann erst einmal zur Anmeldung geschickt. Nach Erledigung der Formalitäten sollte ich gleich zurückkommen. Na, als ich dann zurück war wurde erst gar nicht lange mit mir verhandelt sondern ich wurde in eine Umkleidekabine gesteckt, wo ich mich ganz in Grün überkleiden musste. Nach gut fünf bis zehn Minuten holte man mich aus der Kabine wieder heraus und ich, der inzwischen schon dreifache Vater, betrat erstmalig in meinem Leben einen Kreißsaal. Auch im Jahre 1980 war es noch nicht überall üblich, dass die werdenden Väter dabei sein durften und deshalb hatte sich Uli vorher erkundigt, wo dieses erlaubt sei – im Klinikum Steglitz war es erlaubt. Ich konnte an Ulis linker Seite Platz nehmen. Ich kann es jetzt gar nicht richtig beschreiben wie Uli auf mich wirkte. Man konnte ihr ansehen, dass ihr die Wehen Schmerzen bereiteten und andererseits wirkte sie glücklich und entspannt. Das Seltsame in dieser Zeit war die, von Uli mehrfach geäußerte Besorgnis um mich. Zwischendurch ermunterte der Arzt Uli zum Pressen. Eu Leute, was habe ich da gepresst. Obwohl ich gar nicht gemeint gewesen sein kann, denn mein Pressen bezweckte ja überhaupt nichts, habe ich kräftiger gepresst als die Gebärende. Dann, so gegen Vier, war es soweit. Für mich war es so als habe es „Blubb“ gemacht und zwischen Ulis Schenkeln konnte man ein blutverschmiertes Köpfchen erblicken und dann war als bald das ganze Kind dem bisher schützenden Mutterleib entsprungen. Der Arzt zog das kleine Wesen an den Füßen hoch, klapste es an und sagte, während das Kind losschrie: „Es ist ein Junge“. Uli reichte mir ihre Hand, die ich dann fasste, und sagte ganz glücklich: „Unser Björn“. Jetzt war Uli eine dreifache Mutter und ich ein vierfacher Vater und nachträglich muss ich sagen, dass die Geburt meines vierten Kindes zu den größten Erlebnissen meines Lebens gehört. Zum ersten Mal war ich bei der Entstehung eines neuen Lebens dabei. Ich muss sagen, dass das Miterleben einer Geburt nach meiner Meinung zu den außergewöhnlichsten Dingen im Leben gehört. Bei einer solchen Gelegenheit kann man so richtig das Wunder der Schöpfung nachempfinden. Also ich mache es kurz: Ich bin heute noch ganz begeistert darüber, dass ich bei der Geburt unseres Björns dabei sein durfte. An dieser Stelle möchte ich jetzt ganz gerne das Kapitel, das von meinem letzten Aufstieg mit anschließendem freien Fall handelt, zum Ende führen. Ein Erlebnis war für mich dabei von größter Bedeutung: Dank einer funktionierenden Partnerschaft, die sogar die Belastungsproben während meines Aufstieges überstand, wurde ich aufgefangen und konnte mit einem „normalen“ Leben fortfahren. Für meinen Höhenflug als Vorstand brachte ich von Hause keinerlei Voraussetzungen mit und ich verdanke diesem nur dem Spieltrieb der geld- und machtsüchtigen Geschwister Prätorius. Vertriebsleiter hätte ich auf Grund meiner Ausbildung und meines „Fleißes“ eventuell auch ohne Umweg über die Vorstandsetagen werden können, aber nur Eines hätte ich ohne diesen Höhenweg nicht gefunden: Die Liebe meines Lebens, meine Frau Ulrike. Diese Liebe war nun von drei Kindern gekrönt worden. Wahrlich ein schönes Happy End für ein Kapitel. Da es im Rest des Jahres 1980 und im folgenden Jahr bei uns Kleiners keine erzählenswerten Ereignisse gab, werde ich gleich in das Jahr 1982 springen. Aus der großen weiten Welt gab es natürlich einige Ereignisse, die ein Chronist nicht vergessen sollte. So rückte Frankreich nach Links und dort wurde der Sozialist Mitterand Präsident. In den USA ging es umgekehrt. Dort hieß es: Auf nach Rechts. Aus dem ehemaligen Sportreporter Ronald Reagan war in den 30er-Jahren ein Cowboy-Darsteller geworden und so etwas konnten die Amerikaner nun zum Höhepunkt der Iran-Krise als Präsident gebrauchen. Im Gegensatz zum heutigen Oberfalken war Herr Reagan jedenfalls ehrlich. Er gestand ein, dass es um die Ölfelder in Nahost ging, die er als vorrangige amerikanischen Interessengebiete bezeichnete. Und dann gab es noch eine Traumhochzeit, so recht nach dem Geschmack der Regenbogen-Presse-Leserinnen und natürlich -Leser, obwohl man bei dieser Genre weniger Männer antrifft. Aber stoi, zur Hochzeit des Jahres 1981, also der des englischen Kronprinzen Prinz Charles und Lady Diana, kann ich noch ein nettes kleines Anekdötchen erzählen. Die Frauen bei uns im Unternehmen waren ganz heiß darauf Fernsehbilder von dieser „Traumhochzeit“ zu sehen. Als ob die etwas Besonderes wären. Der gute Charles hat sich auch vorher seine Mutter nicht aussuchen können und das Lieschen von England, seine Mutter, nun mal Königin war kann man, je nach Sichtweise, als sein Pech oder Glück bezeichnen. Unser Boss reagierte auf die Wünsche der Mitarbeiterinnen mit absolut gelassener Clevernis. Er ließ einen tragbaren Fernseher im Besprechungsraum aufstellen und ordnete an, dass ein Jeder und eine Jede, die davon etwas mitkriegen wollten für zehn bis maximal fünfzehn Minuten im Besprechungsraum „verschwinden“ durfte. In der vorhergehenden Postbesprechung wies er uns Vorgesetzte an, darauf zu achten, dass die vorgegebenen Zeiten nicht überschritten würden. So kann man sich sozial zeigen und gleichzeitig verhindern, dass das Personalkostenkonto wegen einer solchen Sache allzu arg gebeutelt wird. Meine Sekretärin, die ich mir mit dem Vertriebsleiter Ausland teilen musste, war eine gebürtige Polin, deren Eltern nach England, wo sie aufgewachsen war, emigriert waren. Als sie sich in den Besprechungsraum abmeldete, reagierte ich ganz locker und sagte: „Ach, was ist denn da Besonderes dran, wenn Prinz Gurkennase Lady Ufo-Hut heiratet.“. Das sollte eine ironische Anspielung auf die Nasenform von Prinz Charles und auf die Vorliebe für Riesenhüte von Lady Di sein. Au weia, was war da meine liebe Frau Güldner empört. Über eine Woche lang hat sie mit mir nur über dienstliche Dinge gesprochen und dieses in sehr
kurzen formalen Sätzen. Hatte ich doch in ihren Augen Halbgötter verletzt obwohl doch nach meiner Überzeugung auch Mitglieder von Königsfamilien nur Menschen wie du und ich sind. Aber nach dieser Anekdote ist jetzt wirklich das Ende des Kapitels erreicht. Wenn sie weiterlesen wollen, blättern sie jetzt ganz einfach um.
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Weibergeschichten im Wendejahr Für das Geschichtsbewusstsein des heutigen Menschen wird, wenn ich mal einen Vergleich mit der Computerixerei bemühen darf, immer weniger Speicherkapazität benötigt. Ereignisse, die gerade mal ein halbes Jahr zurückliegen, müssen schon mit maximal vier Alternativantworten präsentiert werden, damit sich die Mehrheit unserer Zeitgenossen daran noch halbwegs erinnert. Die Einen begründen dieses mit der „modernen Schnelllebigkeit“ und die Anderen mit dem Leben der Geld- und Spaßgesellschaft ausschließlich im Augenblick. Schon der gestrige Tag lohnt sich nicht mehr für die Erinnerungen des morgigen Tages aufbewahrt zu werden. Schade, denn dann bleibt uns am Ende unseres Lebens nur der Augenblick des Sterbens, alle anderen Augenblicke wurden als gestrig gelöscht. So hat sich über ein komplettes Leben der Nebel des Vergessens gelegt. Was hat man dann von diesem Leben, von dem nur ein bitterer Augenblick bleibt, gehabt? Dieses war dann ausschließlich eine humanitäre Existenz, in der sich sofort wieder vergessene Augenblicke aneinander reihten. Diese Art von Zeitgenossen brauche ich ebenso wenig wie die heute unter 25-Jährigen zu fragen ob sie sich an das ereignisreiche Jahr 1982 erinnern. Letztere können vielleicht zwar dank einer Allgemeinbildung sagen was da los war aber sich aus ihrem eigenen Erleben erinnern können sie sich nicht; entweder waren sie zu klein oder noch gar nicht auf der Welt. Wie sieht es denn bei den über ¼-Jahrhundert alten Leserinnen und Lesern aus? Erinnern sich diese noch an das „Jahr der Wende“? Jetzt wird wohl diese oder jener rufen: „Stopp Dieter, vertust du dich nicht um ganze sieben Jahre. Die Wende war doch erst im Jahre 1989.“. Na ja, da haben Sie auch wieder recht, denn diese Wende, also der Mauerfall, fand 1982 noch nicht statt obwohl es damals diesbezüglich schon eine Menge Vorzeichen gab, die aber 1982 allerdings noch nicht entsprechend gewertet wurden. Da gab es in Polen die Gewerkschaft Solidarität, die ein Jahr zuvor im Zuge einer Liberalisierung zugelassen worden war, aber im besagten Jahr 1982 wieder verboten wurde. Die Führer der Gewerkschaft, insbesondere der spätere Staatspräsident Lech Walesa, wurden inhaftiert. Die östlichen Regime waren bereits völlig marode und konnten nur noch die Notbremse betätigen. Auch in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik gab es Anzeichen für die beginnende Endzeit. In der Kreuzkirche in Dresden trafen sich am 13. Februar 1982 über 5.000 Menschen zu einem Friedensforum und forderten, dass Schwerter zu Pflugscharen werden sollten. Das Wort „Frieden“ wurde in 1982 im Übrigen ganz groß geschrieben. Am 25. April 1982 siegte die Saarländerin Nicole mit ihrem Lied „Ein Bisschen Frieden“ erstmals für Deutschland im „Grand Prix de Eurovision de la Chanson“, den man heute, nach dem er zum Hypertrallala verkommen ist, auch nur noch „European Song Contest“ nennt. Apropos „Ein Bisschen Frieden“: Da fällt mir ein, wie der DDR-Chefpropagandist Karl-Eduard von Schnitzler, den man in der DDR nur Karl-Eduard von Schnitz nannte, weil man spätestens an der Stelle seinen Fernseher ausgeschaltet haben musste, Nicoles Sieg in seiner, für westliche Augen und Ohren stets witzig klingenden, Sendung „Der schwarze Kanal“ kommentierte. Er meinte sinngemäß: „Ein Bisschen Frieden. Ja so sind sie die Faschisten in der BRD. Wir in unserem sozialistischen Staat wollen den Frieden, nicht nur ein Bisschen Frieden.“. Was die DDR-Bonzen darunter verstanden zeigten sie uns am 25. März 1982. Da beschloss die Volkskammer, also das „Auf-Kommando-Arm-Hochhebe-Pseudo-Parlament“ die Wehrpflicht für Frauen im Kriegsfall. Na ja, wenn nicht inzwischen so eine Emanze am Europäischen Gerichtshof das Flinten-Weibertum in „modernen“ Europa erfochten hätte, dann würde ich jetzt halt entsprechend lästern, also von wegen „Flintenweiber“ und so. Aber Weiber-Wehrpflicht? Das war wohl eine Sonderheit der friedliebenden Arbeiter und Bauern im staatsfaschistischen Deutschland. In der gleichen Volkskammersitzung wurde auch der Schießbefehl an der „Grenze“ legalisiert. Da wurde also die Schonzeit für das Jagdwild „Republik-Flüchtling“ aufgehoben. Also die berühmte totale Wende fand in 1982 noch nicht statt. Es war nur die „sittlich moralisches Wende“, wie sie der Superstar dieser neoliberalen Wende, ein gewisser Herr Helmut Kohl, diese später selber taufte. Ich habe die Frechheit besessen immer in diesem Zusammenhang vom Lambsdorff-Putsch zureden. Damit bringt man natürlich eine Anzahl von Demokratiespielern, die von sich behaupten tatsächlich Demokraten zu sein, auf die Palme. Na ja, ich gebe ja zu, dass der damalige FDP-Vorsitzende Lambsdorff, der später als Steuersünder enttarnt wurde, den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht in Form eines klassischen Putsches gestürzt hat sondern dieses mit Demokratisten-Tricksen erledigte. Am 17. September 1982 traten die vier FDP-Minister der sozialliberalen Koalition geschlossen zurück und machten damit den Weg frei, dass Helmut Kohl, der „Wendekanzler“ am 1. Oktober 1982 zum Bundeskanzler gewählt werden konnte. Noch zu Beginn des Jahres, am 5. Februar, war schon ein „Putschversuch“ oder sagen wir korrekt ein Misstrauensvotum der CDU gegen Kanzler Schmidt gescheitert. Damals waren die FDPler noch bei der Stange geblieben. Ja, ja Leute, es war 1982 eine echte sittlich moralische Wende, die uns auch noch heute noch zu schaffen macht. Obwohl die Ära Kohl nach 16 Jahren zu Ende ging geht es auch heute noch munter weiter mit dem Neoliberalismus und dem Wirtschaftssponsoring durch Sozialraubbau. Den Kohl-Lambsdorff-Liberalisten ist es
doch sogar gelungen die SPD komplett zu wenden und bei den „Roten“ verstehen sich heute die Anhänger der liberalen Thesen des 18. Jahrhunderts auch noch Modernisierer. Na ja, auch in unserer obersten politischen Kaste ist offensichtlich der Speicher für Geschichtsbewusstsein, von dem ich eingangs schrieb, auf ein absolutes Minimum geschrumpft. Wenn sich jetzt jemand über die wiederholte Gleichsetzung von Mensch und Maschine (Computer) beschwert, kann ich auch auf das Jahr 1982 verweisen. Da wählte doch das US-Magazin „Time“ den Computer zum „>Mann< des Jahres 1982“. Na ja, da sieht man, wie weit wir herunter gekommen sind. Eine Maschine, die nur binäre Informationen speichern und nach vorgegebenen Allgoritmen verarbeiten beziehungsweise wiedergeben aber nicht denken und fühlen kann, wird mit einem Mann, einem Menschen, gleichgesetzt. Und das ausgerechnet von einem Magazin, das in den USA den Anspruch auf ein gehobenes Niveau erhebt. Nun, die große Wende spielte sich nicht nur in Bonn, wo damals noch der Sitz der Bundesregierung und des Bundestages war, ab sondern in gesamte Gesellschaft wurde umgekrempelt. Es ging nun nicht mehr um den Lebensraum Deutschland sondern die Maxime war jetzt der Standort. Die wirtschaftlich Mächtigen, die sich nicht selten mit dem Verbrechen der Steuerhinterziehung beschäftigten, bezeichneten und bezeichnen sich als die Leistungsträger der Nation und waren der Meinung, dass man sich die „soziale Hängematte“, in denen sich nach deren Meinung die meisten Deutschen schaukeln wollten, nicht mehr lange leisten könne. In den 21 Jahren die der Wende folgten wurde die „Soziale Marktwirtschaft“, auf die wir einstmals so stolz waren, mehr und mehr demontiert. Die letzten Funken eines Wir-Gefühls erloschen und an deren Stelle trat der Ellenbogen-Kult einer zunehmend puren Ego-Gesellschaft, deren Gott der Mammon und deren wichtigster Körperteil der Ellebogen ist. Stopp, da habe ich so eben das Wir-Gefühl, welches aus meiner sicht 1982 endgültig starb. angesprochen. So etwas gab es jetzt vermehrt in einer negativen chauvinistischen Form. Früher sprach man bei Fußballweltmeisterschaften davon ob Deutschland oder ob „unsere Jungens“ Weltmeister werden. Ab 1982 waren „wir“ das im Munde vieler. „Wir“ werden Italien schlagen, hieß es oft vor dem 11. Juli 1982. Als ob jeder Glotzenfußballer in Madrid auf dem Feld stehen würde. Man war sich sicher, dass „wir“ die Azuris, wie sich die Italiener selbst nennen, im Endspiel schlagen würden. Aber dann kam es anders: Die Azuris siegten mit 3 : 1 und wurden Weltmeister. Übrigens: Seit 1982 habe ich überhaupt nicht mehr viel für Fußball übrig. Anstelle der Sportlichkeit war die Taktik getreten. Die schon damals überbezahlten Balltreterlein erlaubten sich in fiesester Art ihre Zuschauer zu langweilen. Die ehemalige olympische Devise, dass Dabeisein alles sei, ist offensichtlich der Parole „Sieg für Cash über alles“ gewichen. Mir scheint der Sport alter Art ist ausgestorben. An die Stelle des Sports ist das Showgeschäft für Millionen, ein Mal passiv in den Stadien und insbesondere vor den Glotzen, und ein Mal munter auf den Konten der oft in Anbetracht ihres Einkommens äußerst minderleistender Akteure, die sich für Spitzensportler halten, getreten. Aber wo ich gerade beim Sport bin, hier an dieser Stelle insbesondere der Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien, fällt mir auf, dass die große Wende gar nicht von Kohl bewerkstelligt worden ist. Die Kickerei war ja fast drei Monate vor dem Lambsdorff-Putsch. Die Zeit war wohl eigentlich weltweit reif für Egomanie und dem Neoliberalismus, dem man später den Namen Globalisierung gab. Herr Helmut Kohl stellte in Deutschland lediglich die Lokomotive des Zuges nach Egomania o0der das Aushängschild der Ellebogensportler dar. Jetzt aber genug vom Ausflug in das gesellschaftliche Geschehen des Jahres 1982 und zurück zur Geschichte von Ulrike und Dieter Kleiner, die man damals mit Wohnsitz in Berlin-Marienfelde antraf. Auch in unserem Leben sollte es zu Wenden, oder präziser ausgedrückt: zu Veränderungen, kommen. Insgesamt von drei solcher Ereignisse kann ich heute noch berichten. Allen diese Wenden in unserem Familienleben wurden durch Weibergeschichten eingeleitet. Halt, ein Wenig muss ich mich doch jetzt korrigieren, denn einmal handelte es sich nur um eine vermeintliche Weibergeschichte, die, wenn die erste nicht passiert wäre, gar nicht in diese Kategorie gefallen wäre. Bei den ersten beiden Geschichten stand ich persönlich im Mittelpunkt und die dritte ging uns eigentlich gar nichts an. Davon haben wir nur am Rande erfahren aber dann leitete sie die wohl nachhaltigste Wende in unserem Familienleben ein. Aber jetzt endgültig Schluss mit der Vorgreife- und Andeuterei und wieder hübsch chronologisch der Reihe nach, wie es sein sollte. Sie, liebe Leserin, verehrter Leser, entsinnen sich doch sicherlich noch an die bereits erwähnte Maria von Roman, der dunkelhäutigen Tochter eines Deutschen und einer Brasilianerin, die ich im letzten Kapitel erwähnt habe. Richtig, diese inzwischen 26-jährige Schönheit war Ulis Partnerin in der „Kleiner & Roman, Translingua GbR“, der Firma für Übersetzungen in der Tiefparterre unseres Hauses in der Straße „Alt Marienfelde“. Maria hatte Anfang Februar 1982 einen schweren Kummer: Ihr Partner, mit dem sie schon über ein Jahr verlobt war, war mit einer Anderen, einer noch dunkelhäutigeren Nigerianerin, die in Berlin studierte, durchgebrannt. Da kann wohl eine Jede und ein Jeder leicht nachvollziehen, dass dieses ein sehr schwerer Schlag für die junge Frau war. Da kann es leicht passieren, dass so Getroffene ein Wenig seltsam reagieren, sprich sich aus Liebeskummer Einen „trötern“ wollen. So hatte sich Maria in eine etwas bessere Gaststätte ganz in der Nähe ihrer Wohnung begeben um ihren Kummer zu ertränken.
So etwas klappt in der Regel nie, denn Alkohol ist kein Seelentröster sondern ein Emotionsverstärker. Wer mit einer übergeschnappten Laune in den Suff einsteigt kommt als alberner Hampelmann wieder raus und wer sich mit Liebeskummer zum Trunke begibt muss mit kräftigen Weltschmerz in Folge des körperfremden Giftes Alkohol rechnen. Maria war zu Letzterem, also Liebeskummer in Weltschmerz umsaufen, auf dem Wege, wenn sie nicht von einem selten Exemplar von nachsichtigen Wirt daran gehindert worden wäre. Sie hatte vier oder fünf Cocktails getrunken als sie davon sprach, dass sie das Leben Leid sei und sie am Liebsten sterben würde. Es war wohl purer Zufall, dass sie sich zuvor etwas aus ihrer Handtasche geholt hatte und ihr dabei eine geschäftliche Visitenkarte auf die Theke gefallen war. Der besorgte Wirt nahm sich diese und rief erst einmal unter der privaten Telefonnummer an. Als sich dort nur der Anrufbeantworter mit Marias Stimme meldete versuchte er es auch einmal unter der Geschäftsnummer. Viel Hoffnung hatte er nicht, denn immerhin war es schon zirka Neun am Abend. Das die Anrufe nach Geschäftsschluss bei uns privat eingehen konnte er ja nicht wissen. Um so glücklicher war er als sich Uli am anderen Ende meldete und er ihr berichten konnte was los war. Uli saß noch vor einer Übersetzung für die der Abgabetermin der nächste Tag war. Durch Marias Gemütslage war diese am Tage liegen geblieben. So beauftragte mich meine Holde, dass ich mich um ihre Partnerin kümmern sollte. Auf Ulis Vorschlag sollte ich mich zu der Kneipe begeben und mal einschätzen was dort mit Maria los sei. Wenn ich es verantworten könne sollte ich sie nach Hause bringen und wenn nicht, dann sollte ich sie mit zu uns nehmen. Also fuhr ich los und betrat die Wirtschaft und erweckte den Anschein, als habe mich der pure Zufall dorthin geführt. Maria wusste ja laut Telefonat nichts davon, dass uns der Wirt informiert hatte. Sie war auch in der Tat ganz überrascht und rief mich gleich zu sich. Nachdem ich mir beim Wirt eine Cola bestellt hatte, lehnte sich Maria bei mir an und fragte ganz ungerührt und von aller Zurückhaltung befreit: „Dieter, willst du mich vögeln?“. Just in diesem Moment bewegte sich etwas Einschlägiges bei mir. Die Vorstellung es mal mit dieser exotischen Schönheit zu treiben hatte mich schon des Öfteren in meinen unverbindlichen exotischen Fantasien bewegt. Mein innerer Schweinehund und ich selbst liefen gleich heiß und ich sagte zu. Im Nu hatte ich eine neue Variante parat: Ich wollte Uli von Marias Apparat anrufen und ihr sagen, dass ich Maria zwar nach Hause gebracht hätte aber ich noch ein Weilchen mit ihr reden müsse um sie zu beruhigen. Geplant und ausgeführt. Uli vertraute mir, eigentlich wie immer, und schöpfte keinen Verdacht. Noch während ich telefonierte hatte sich Maria splitterfasernackt ausgezogen. Eu, was war das für ein „famoser“ Anblick. Da konnte ich mich nicht lange halten und lag ruckzuck mit ihr in ihrem Bett. Bis nach Mitternacht haben wir es dann miteinander getrieben. Na so was, da fragt doch jemand prompt „Wie?“. Dazu kann ich jetzt aus zwei Gründen keine Angaben zu machen: Erstens dienen solche ausführlichen Schilderungen nur den Lüstlingen, natürlich sowohl weiblichen wie männlichen Geschlechts, und tragen nichts Informatives zu meiner Biografie bei. Wichtig ist doch nur, dass ich es getan habe. Zum Zweiten ist die ganze Geschichte schon so lange her – immerhin sind seit dem mehr als 21 Jahre vergangen -, dass ich fast alles, was ich davon heute noch weiß, bereits ausgepackt habe. Auf jeden Fall saß ich kurz nach Mitternacht, nachdem mir Maria versprochen hatte keine Dummheiten zu machen, in meiner Blechkarosse, die ich in Richtung der heimischen Straße „Alt Marienfelde“ steuerte. Uli habe ich dann eine vollkommen frei erfundene Story, wie schwer es war Maria zu besänftigen, erzählt. Soweit so gut. Uli hatte nichts gemerkt, auch keinen verdacht geschöpft, und das normale Leben schien weiter zu gehen. Am nächsten Morgen erschien Maria, zwar noch nicht wieder in Toppform aber immerhin, wieder im Büro. So gesehen lief der Alltag erst einmal fast in üblichen Bahnen weiter. Geblieben war bei mir nur ein furchtbar schlechtes Gewissen. Einerseits war ich enttäuscht über mich selbst. Wie konnte ich mich nur durch meine Geilheit so mitreißen lassen, dass ich den psychischen Zustand, der dazu noch leicht angetrunkenen Maria, so schäbig ausnutzte? Als Eroberung und Abenteuer kann ich so etwas wohl nicht abtun. Eigentlich war Maria ja in einem Zustand, in dem sie von mir abhängig war und wie schäbig ist das Ausnutzen von Abhängigkeitsverhältnissen, auch dann, wenn der oder die Betreffende sich ihre Abhängigkeit selbst zuzuschreiben hat? Und wie habe ich das Vertrauen meiner Ulrike missbraucht? Ich kann mich an keine Gelegenheit entsinnen wo sie mal eine Gelegenheit für einen Seitensprung hatte und außerdem war sie so eine Frau, die so etwas nie tun würde. Wo war meine Verantwortung gegenüber meiner Familie, gegenüber Jean, Janine und Björn, geblieben? Hatte ich nicht selbst als Kind erfahren wie bitter es ist, wenn sich die Eltern scheiden lassen. Warum musste ich nur auf diese Art und Weise in die Fußstapfen meines leiblichen Vaters treten? So schleppte ich mich eine ganze Weile mit den Gewissensbissen, die mich bei allen möglichen Gelegenheiten überfielen, durch die Alltagslandschaft. Auch Maria berichtete mir später, dass auch sie in dieser Zeit unter den Bissen ihres Gewissen zu leiden hatte. Dann kam noch eine Sache hinzu, die uns direkt in Panik versetzte. Etwa drei Wochen nach dem Vorfall – Jean und Janine waren in der Schule und Uli war mit Björn zum Einkaufen gefahren – kam Maria zu mir ins Wohnzimmer, wo ich eine Grippe auskurierender Weise auf der Couch lag, um mir die Kunde zu überbringen, dass „ihre Tage“ ausgeblieben seien. In der ersten Zeit als ihr Verlobter abgedampft war hatte sie es in ihrem „Sursa“ mit der Pille nicht so genau genommen und außer mit mir hätte sie es mit keinem anderen Mann gehabt. Da schoss natürlich ein Mordsschock durch meinen Körper. Sollte ich nun,
nach einem nur einmaligen Seitensprung, zum fünften Mal Vater werden? Was ist dann mit meiner eigentlich so glücklichen Ehe und Familie? So waren dann meine ersten Worte: „Du lässt doch sicherlich abtreiben?“. Das lehnte Maria aber entschieden ab, denn eine Abtreibung ist für sie die Abtötung werdenden Lebens und dazu glaubt sie aus ihrer katholischen Auffassung kein Recht zu haben. Und dagegen konnte ich noch nicht einmal kontern, denn meine, doch mehr calvinistisch geprägte evangelische Auffassung deckt sich dahingehend in etwa mit der ihrigen. Bisher tolerierte ich die Abtreibung nur dahingehend, dass ich nicht das Recht, den ersten Stein zu werfen, habe. Ein werdender Mensch ist doch kein Geschwür, dass man nach der Devise „Mein Bauch gehört mir“ herausschneiden kann. Und jetzt, unterbreite ich selbst aus puren Eigennutz einen solchen Vorschlag. Theoretisch kann man ja jederzeit großartig über Recht und Unrecht lamentieren aber wenn es ans eigene Fell geht, dann zeigt sich immer wieder, dass wir Menschen es einfach nicht fertig bringen ohne Sünden zu leben. Maria „kam mir entgegen“, in dem sie sagte, dass sie im Falle eines Falles den Namen des Vaters nicht preisgeben würde. Daraus entbrannte bei uns eine Diskussion über das Thema „Recht des Kindes auf die Kenntnis seiner Herkunft“. Diese Sache konnte aber nicht ausdiskutiert werden da Uli zwischenzeitig wieder nach Hause kam. Ja, das Ganze hat mir natürlich nicht gut getan. Ich nehme an, dass ich meine Grippe schon zuvor dem schlechten Gewissen, dass mich stets wie ein Sack Wackersteine belastete, zu verdanken hatte. Wie sollte es sich sonst erklären, dass ich nun zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben wegen einer Erkrankung, die ich früher immer als harmlos abgetan habe, ausfiel. Meine Krankschreibung war der erste gelbe Schein, den mir je ein Arzt ausgestellt hatte. Und jetzt nach der neuerlichen „Schreckenskunde“ wollte es gar nicht so fix wieder aufwärts gehen. Man kann sagen was man will, jede Krankheit hat einen psychosomatischen Hintergrund. Immer spielen Geist und Körper miteinander. Einmal ist es mehr der Geist, die Seele, und mal mehr der Körper aber nie hat eine Krankheit eine nur seelische oder nur körperliche Ursache. Auf diesen Gedanken kam auch Maria. Als Uli mal wieder kurz außer Haus war sagte sie zu mir: „Wir sollten zunächst mal aufhören uns Gedanken zu machen. Vielleicht bin ich gar nicht schwanger. Im Moment bin ich in so schlechter psychischer Verfassung, dass dieses auch Auswirkungen auf meinen Körper haben könnte. Das Ausbleiben der Periode kann einen ganz anderen, vielleicht harmlosen Grund haben. Ich habe jetzt erst mal einen Termin beim Frauenarzt gemacht. Nächste Woche gehe ich erst einmal hin und dann sehen wir weiter.“. Den Frauenarzttermin brauchten wir jedoch nicht abzuwarten, denn schon am nächsten Tag gab es eine Aufklärung, die mich letztendlich doch nicht glücklich stimmen konnte. Uli hatte mit Björn gerade das Haus verlassen. Sie wollte zu Fuß Eier aus einem nahegelegenen kleinen Laden holen. Den kleinen, 1½-jährigen Björn wollte sie dabei ein Wenig „trippeln“ lassen. Also konnten wir mit einer etwas längeren Abwesenheit der Beiden rechnen. Flugs kam Maria zu mir und verkündete glücklich mit lauter Stimme: „Alles klar Dieter, heute morgen haben sich meine Tage eingestellt.“. Und wie der Blitz stand auf einmal Uli im Wohnzimmer. Sie war noch einmal ins Haus zurück gekommen, weil sie sich überlegt hatte, doch zur Sicherheit Björns Buggy mitzunehmen. Mit frischen Eiern in der Hand kann es doch, wenn Björn wider erwarten streikt, zu Problemen kommen. „Was habe ich da gehört?“, schrie sie los, „Was hast du mit Marias Periode zutun? Habt ihr etwa miteinander gebumst und du Maria hattest Angst schwanger zu sein? Was habt ihr den einen Abend eigentlich getrieben?“. Ja, Uli ist nicht von Gestern, sie hatte gleich auf Anhieb richtig assoziiert. Ich kannte Uli lange genug um zu wissen, dass ich mich jetzt mit leugnen erst recht reinreiten würde. Deshalb fiel ich Maria, die schon mit einer Ausrede begonnen hatte, gleich ins Wort. Maria beabsichtigte, das Wort „Tage“ mit einer neuen Glücksphase, die nichts mit ihrer Menstruation zutun hatte, zu erklären. Sie wollte keck behaupten, dass sie just an diesem Morgen einen Mann, der es sein könnte, kennen gelernt habe. Na ja, die Story hätte auch ich ihr nicht abgekauft, selbst dann, wenn ich unbefangen gewesen wäre, nicht. Da war es schon besser, dass ich gleich sagte: „Ja Maus, du hast recht. Das war eine ganz große Dummheit von mir und das tut mir jetzt auch furchtbar leid. Das hat mein Gewissen schrecklich gequält und ich glaube, dass dieses auch der Grund ist, warum ich im Moment mit einer üblicherweise harmlosen Erkältungsgrippe nicht fertig werde. Es tut mir sehr leid ... mehr kann ich dazu nicht sagen. Dich um Verzeihung bitten ist wohl jetzt zu diesem Zeitpunkt etwas verfrüht, aber ich mach es trotzdem: Bitte, bitte entschuldige.“. Nach einer so langen Zeit kann selbstverständlich niemand mehr garantieren, dass die eben angeführte wörtliche Rede auch wirklich wörtlich so war aber in diesem Fall bin ich mir fast sicher, denn seit dem Moment, wo Maria mit der „Schreckenskunde“ kam, habe ich an der Formulierung, insbesondere hinsichtlich der Verzeihungsbitte, gebastelt. Ulrike stemmte während meiner Rede ihre Fäuste in die Hüfte und nachdem ich beendet hatte tönte sie barsch: „Was hast du Schwein dir denn dabei gedacht?“. Auch für die Beantwortung dieser Frage, die nach meiner Voraussicht mit Sicherheit kommen würde, hatte ich mir eine Formulierung zurecht gelegt: „Bitte verstehe doch Maus. Maria ist doch wirklich ein so reizvolles exotisches Wesen, dass es jedem Mann genauso gehen würde wie mir. Ich bin doch nur ein Mann und konnte der Versuchung nicht wieder stehen. Aber mache ihr jetzt bitte keine Vorwürfe. Du weißt ja, in welcher Verfassung sie damals war. Und wenn du sagst, dass ich ein Schwein
sei, weil ich Marias Situation so ausgenutzt habe, hast du recht und ich schäme mich deshalb auch. Das quält mich ja schon die ganze Zeit.“. Ich hatte auch schon Formulierung für den Fall, dass Uli jetzt mit Scheidung drohen würde, vorgefertigt. Die benötigte ich aber nicht sondern Uli reagierte überraschender Weise ganz anders. Uli entschuldigte sich erst einmal mit dem Worten „Moment, ich bringe erst einmal Björn zum Spielen auf sein Zimmer“ und verschwand zunächst erst einmal aus dem Raum. Maria setzte sich den Tränen nahe erst einmal in einen Sessel und sagte: „Au weia, jetzt ist alles aus und ich bin schuld.“. Selbst innerlich vollkommen aufgewühlt versuchte ich trotzdem sie dahingehend zu beruhigen, dass sie keine Schuld sondern bestenfalls eine Mitschuld habe. Aber auch Letzteres könne man nicht so ohne weiteres stehen lassen, denn sie sei in einer seelischen Ausnahmesituation, die ich ausgenutzt habe, gewesen. Damit träfe mich eigentlich ganz alleine die Schuld. Für diesen Wortwechsel, der in der momentanen Situation auch nicht so flüssig lief, brauchten wir natürlich ein paar Minuten. Daran kann man ersehen, dass Uli auch nicht postwendend zurück gekommen war. Später erfuhr ich dann von ihr, dass sie auch erst einmal mit sich ins Klare kommen musste. Trotz des Vorfalles wollte sie mich nicht verlieren, da sie mich, laut ihren eigenen Worten, immer noch über alle Dinge liebte. Dann dachte sie daran, dass unsere Drei sehr an beiden Eltern hingen und die es nicht verstehen würden, wenn sich zwischen den Beiden eine Wand auftun würde. Dann dachte sie an Maria, die sie wie eine Freundin empfand, mit der sie bisher immer gut zusammen arbeiten konnte und deren Fehlverhalten sie nachvollziehen konnte. Am Liebsten wäre es ihr gewesen, wenn sie mit „Schwamm drüber“ hätte zur Tagesordnung übergehen können – aber dafür war nach ihrer Meinung doch zu viel geschehen. Das sie Björn auf sein Zimmer bringen wollte war also hauptsächlich nur ein Vorwand für sie gewesen. In diesem Sinne wandte sie sich dann nach ihrer Rückkehr auch an uns: „Also, ich glaube wir sind uns einig, dass das was ihr da gemacht habt eine echte Riesensauerei war. Aber das Ganze ist es Alles in Allem aber nicht wert, dass ich jetzt eine Scheidung begehre und unseren Laden so mir nichts hinschmeiße. Einfach zur Tagesordnung möchte ich aber auch nicht übergehen. ... Das könnt ihr euch doch sicher denken. Zwischen uns beiden, mein lieber Dieter, wird es jetzt erst einmal eine Zeit etwas sehr frostig zugehen. Für dich gilt jetzt erst einmal, dass das Berühren meiner Figuren strengstens untersagt ist obwohl ich dich, schon wegen der Kinder, nicht aus unserem Schlafzimmer verbanne. Du hast dann eine Chance dich zu bewähren. ... Nutze sie, eine zweite bekommst du nicht mehr. Und nun zu dir, beste Maria. Seit drei oder vier Monate überlege ich ob ich eine Veränderung in unserem Unternehmen anstreben sollte. Der jetzige Vorfall hat für die endgültige Entscheidung gesorgt.“. In diesem Moment zuckte Maria zusammen und brach in Tränen aus: „Du willst dich von mir trennen und die Firma alleine weiterführen.“. „Nein, nicht ganz so schlimm.“, fuhr Uli, jetzt ihre Überlegenheit kostend, fort, „Ich habe bei Neudecker (ein sehr guter Kunde von Uli und Maria) einen jungen Franzosen – ich glaube der ist dreißig Jahre alt – kennen gelernt. Das ist ein ganz toller und netter Kerl, der dir nach meiner Einschätzung sogar gut gefallen wird. Dessen Tante hat einen kleinen Verlag, der überwiegend triviale Liebesromane auf den Versandwege in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Österreich und im Vereinigten Königreich (Großbritannien) vertreibt. Die werden über Anzeigen in Frauenzeitschriften vertrieben. Pierre Hougon, so heißt der Knabe, hat bisher Übersetzungen für seine Tante gemacht. Jetzt hat er sich mit seiner familiären Auftraggeberin überworfen und würde gerne bei uns einsteigen. Ich habe überlegt ob ich einfach mit ihm tauschen sollte, denn irgendwie macht mir der ganze kaufmännische, juristische oder technische Kram, den wir übersetzen, kein Spaß mehr und bei der Übersetzung von Liebesschmökern hätte ich zudem weniger Zeitdruck und könnte mich noch mehr um unsere Kinder kümmern, die sich sicherlich sehr darüber freuen würden. Ich werde diesen Pierre Hougon sofort einmal einladen und dir ihn vorstellen. Wenn er dir zusagt und du der ganzen Geschichte zustimmst hätten wir eine gangbare Lösung. Und wenn nicht, dann müssen wir halt was anderes machen ... also hängen lassen werde ich dich auf keinen Fall.“. Später erfuhr ich, dass Uli schon drei Wochen vorher diesen Vorschlag unterbreiten wollte, da sie sich mal als Kupplerin versuchen wollte. Sie war nämlich der Meinung, dass dieser Pierre Hougon der richtige Mann für Maria sei. Natürlich konnte Maria zu jenem Zeitpunkt nicht abchecken, dass Uli sich dieses nicht als Strafe ausgedacht hatte und sagte daher zunächst mit dem Rücken an der Wand etwas zögerlich zu. Das ändert sich aber schon am gleichen Nachmittag. Uli hatte umgehend per Telefon mit diesem Pierre Hougon schon für den gleichen Nachmittag ein Treffen vereinbaren können. Wieder einmal hatte meine Frau das richtige Gefühl gehabt: Dieser Pierre war wirklich der Richtige für Maria. Ähnlich wie damals zwischen Uli und mir hatte es zwischen den Beiden auf Anhieb gefunkt. Schon ein halbes Jahr später waren Pierre und Maria miteinander verheiratet. So ab und zu höre ich ja noch mal etwas von den Beiden; das letzte Mal so vor einem dreiviertel Jahr. Mit Stand von Anfang 2003 kann ich sagen, dass die Zwei, die auch zwei Kinder miteinander haben, immer noch glücklich sind. Damit habe ich nun klar und deutlich gesagt, dass der von Uli vorgeschlagene Tausch zwischen ihr und dem jungen Franzosen über die Bühne gegangen war. Aus der tätigen Gesellschafterin der Kleiner & Roman, Translingua GbR war eine freie Mitarbeiterin eines französischen Groschenroman-Verlages geworden ... und das
machte ihr letztlich sogar tatsächlich Spaß. Offiziell schied Uli zum 31. März 1982 aus der Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus und Pierre Hugon stieg am 1. April an ihrer Stelle ein. Das war jetzt also die erste Weibergeschichte in jenem Jahr, die in unserem privaten Bereich gleich an zwei Stellen zu einer Wende führte. Zum ersten Mal in unserer Ehe war Uli nicht mehr regelmäßig mit geschäftlichen und/oder technischen Übersetzung, die stets mit Termindruck verbunden waren, beschäftigt. Die Übersetzungen der Schmöker lief ganz anders ab. Hierfür bekam Uli jeweils ein vorher vereinbartes Pauschalhonorar pro „Roman“ und als Termin galt dann, dass sie diesen dann in sechs bis maximal neun Monaten abliefern zu hatte. Damit war Ulrike vollkommen unabhängig und konnte erstmalig von einer wirklich freien Zeiteinteilung sprechen. An Tagen wo sie keine Lust hatte oder sich mit was anderen beschäftigten wollte konnte sie unbesorgt die Arbeit liegen lassen. Und jederzeit, wenn ihr danach war konnte sie sich mit kleineren und größeren Abschnitten zwecks Übersetzung beschäftigen. Gegenüber früher bedurfte es bei ihrer Arbeit so gut wie keiner Rückfrage. Bei geschäftlichen Übersetzungen gilt es auf eventuelle juristische Feinheiten zu achten und bei den technischen Dingen musste sie sich oft erst sachkundig machen, was da überhaupt ablief. Mit alle dem hat man bei der Trivialliteratur natürlich nichts zutun. Uli behauptet dann ab und zu von sich selbst: „Nun bin ich eine echte Hausfrau und Mutter mit einer interessanten Nebenbeschäftigung. Jetzt kann ich mich um unsere Kinder kümmern und auf meinen Mann aufpassen.“. Mit letzterem war dann auf scherzhafte Weise die zweite Wende in unserem familiären Leben angesprochen. Man könnte sagen, dass mein Seitensprung mit Maria für sie zu einem Happy End führte. Das galt aber beim besten Willen nicht für mich. Das es zwei oder drei Wochen lang eher nach Rosenkrieg als nach glücklicher Ehe roch kann sich sicherlich jeder vorstellen. Allerdings gab es auch in dieser Zeit keine großen Auseinandersetzungen, denn aus einem berechtigten Schuldgefühl gab ich dann immer klein bei, auch in den Fällen, bei denen ich mich hundertprozentig im Recht fühlte. Daraus wurde dann so eine Art Gewohnheitsrecht. Man hat es sicherlich meiner bisherigen Erzählung entnehmen können, dass Uli in unserer Partnerschaft und Ehe immer schon leicht dominierend war aber jetzt hatte sie vollendens das Kommando übernommen und ich war voll und ganz in die Rolle des Pantoffelhelden geschlüpft. Seltsam ist wohl, dass ich das nie bereut habe sondern mich noch in dieser Rolle wohl fühlte. Aber das hing wahrscheinlich auch damit zusammen, dass mir Uli, obwohl sie das Zepter in der Hand hielt, mir meine persönlichen Freiheiten und Interessen beließ und andererseits damit, dass es sich bei Uli um eine sehr clevere und partnerschaftliche Frau handelte. Ich habe nie erlebt, dass sie aus egoistischen Gründen handelte. Unter solchen Voraussetzungen kann man sich beruhigt einer Frauenherrschaft unterwerfen. Anfänglich hatte Uli auch die Herrschaft im Schlafzimmer übernommen. Sie hatte mir ja am Tage des „großen Knalls“ praktisch jede sexuelle Berührung „verboten“. Das sie es ernst meinte machte sie mir auch immer sehr deutlich wenn ich ihr einen Schritt zu nahe kam. Daraus entwickelte sie dann auch ein recht übles Spiel. Im Schlafzimmer sandte sie mit Worten und ihrem Körper häufig erotische Reize aus und beendete dieses dann, wenn ich richtig heiß gelaufen war, ganz abrupt mit dem Hinweis auf ihre „Bedingung“. Ihre körperlichen Reize bekam ich nur unter Textil – Unterwäsche oder Nachthemd – zu sehen; nackt hat sie sich in dieser Zeit mir gegenüber nie gezeigt. Im Gegenzug erlaubte sie sich meine männlichen Sonderheiten sehr ausführlich und genüsslich zu betrachten. Wenn ich mich bei einer solchen Gelegenheit abwenden wollte forderte sie mich direkt auf noch ein Weilchen in der jeweiligen Stellung zu verharren. Jeder Mann kann wohl nachvollziehen was ich dabei gelitten habe. Das hätte natürlich nicht lange gut gehen können. Nach den drei bis vier Wochen dieser Tortur war ich in meinem sexuellen Gefühlsleben ganz am Ende. Das war wirklich eine harte Strafe für einen Seitensprung, die mich auch nachhaltig vor jeder Wiederholung warnte – und das war ja schließlich auch Ulis Absicht. Ich kann mich sogar noch an das Datum des Endes meiner „Schlafzimmerleiden“ entsinnen: Es war der 10. April 1982. Na ja, ich will mal ehrlich sein und verraten, dass ich gestern in einem Buch eine Tabelle zur Berechnung des Ostertages gefunden habe und da ich mich mit diesem Kapitel dem Jahr 1982 zuwenden wollte, habe ich mir unter anderem Ostern 1982 rausgepickt und siehe da, es war der 11. April. Das ich dieses gefunden hatte kam mir ganz gelegen, denn anlässlich des Osterfestes hat Uli am Vorabend dieses Festes ihren „Liebesboykott“ beendet. Da lief dann etwas ganz tolles ab. Nachdem unsere Kinder im Bett waren und offensichtlich Ruhe gaben setzte sich Uli neben mir auf die Couch und schaute mir lächelnd in Gesicht und fragte plötzlich: „Willst du deine Frau eigentlich nicht mal küssen?“. „Ja, wenn ich nur dürfte“, erwiderte ich teils skeptisch und teils fragend und bekam darauf „Dann mach es doch einfach mal“ zur Antwort. Das ließ ich mir natürlich nicht zwei Mal sagen und fühlte mich irgendwie in den siebenten Himmel versetzt. „Sollten wir uns nicht ins Schlafzimmer zurückziehen“, fragte dann Uli nach dem wir uns vom Küssen getrennt hatten. Natürlich wusste ich sofort was das zu bedeuten hatte und war auf den Sprung bereit nach Oben in besagtes Zimmer zu eilen. Dort erwartete mich dann ein überraschendes „Schauspiel“. Uli setzte sich auf einmal ganz ruhig und zusammengekauert auf die Bettkante. Besorgt fragte ich sie ob sie etwas habe. Zunächst schüttelte sie den Kopf
und dann kam leise und stockend aus ihr heraus: „Ich habe nicht viel Erfahrung. Du bist der erste Ehebrecher mit dem ich richtig ins Bett gehe. Mir ist jetzt im Moment so wie beim ersten Mal. Du warst immer so furchtbar zärtlich zu mir. Könntest du das jetzt wieder sein und mich dabei langsam ausziehen?“. Uli entsann sich also unseres ersten Males, damals bei Prätorius in Dortmund-Hohensyburg und spielte diese Szene jetzt einfach nach. Damit wollte sie ausdrücken, dass dieses jetzt für sie ein Neubeginn war und über alles was vorher war wollte sie mit dem Schwamm wischen. Ich glaube schöner hätte sie es nicht sagen können. In dieser Angelegenheit gab es also dann keine dauerhafte Wende: es blieb hernach wieder alles beim Alten. In der Liebe hat Uli dann auch nicht dominiert sondern da ging es dann partnerschaftlich zu. Na ja, anders kann Liebe auch nicht funktionieren, diese klappt nur wenn Beide im gleichen Maße Geben und Nehmen. Am nächsten Tag, dem Ostersonntag, erhielt ich dann nach dem Kirchgang doch noch einmal eine, im freundlichen Ton gehaltene Standpauke von Uli. Sie machte mir noch einmal klar, dass ich in einem Wiederholungsfall mit härteren Konsequenzen zu rechnen hätte; ansonsten sei jetzt der Fall für sie abgeschlossen. Das mit dem „abgeschlossen“ war für sie wohl leichter gesagt wie empfunden, denn ich bemerkte schon, dass ich jetzt von ihr etwas argwöhnisch, fast eifersüchtig beobachtet wurde. Dieses war dann auch der Hintergrund des Vorfalles mit der vermeintlichen Weibergeschichte, die sich am Samstag, dem 12. Juni 1982, also zu meinem 36. Geburtstag, ereignete. Morgens, so gegen Zehn, schellte es bei uns an der Haustür und ich ging hin um zu öffnen. Vor der Tür stand eine junge Dame, die mir irgendwie sehr bekannt vorkam obwohl ich mir sicher war, dass ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Als ich geöffnet hatte sagte sie schüchtern: „Hello, you’re Mister Dieter Kleiner from Geismar?“. Ganz verdutzt antwortete ich mit „Yes“ und in diesem Moment fiel mir die junge Dame mit den Worten „Happy birthday, Daddy“ um den Hals. Fast schockiert fragte ich „Katja?“. Als sie dann mit „Yes, I am“ geantwortet hatte, kamen mir die Tränen und ich schloss meine, inzwischen erwachsene Tochter, die so plötzlich aufgetaucht war, fest in meine Arme. Es dürften wohl ein paar Minuten vergangen sein, in denen wir da fest umschlungen und beide vor Glück weinend in der Tür gestanden haben. Da ertönte plötzlich von Hinten Ulis Stimme barsch und schrill: „Was soll das denn nun schon wieder heißen?“ Als ich mich umschaute stand sie da mit in den Hüften gestemmten Fäusten, so wie damals als sie Maria und mich im Wohnzimmer stellte. Katja löste die Umarmung nicht sondern schaute nur an mir vorbei zu Uli und sagte: „Guten Tag Frau Kleiner. I’m Katja Kleiner. Ihr Mann is my Daddy.“. Dieses war jetzt ein Gemisch aus Deutsch und Englisch. So ging es nun auch munter weiter. Mal kamen ganze englische oder deutsche Absätze und mal mixte Katja innerhalb eines Satzes mehrfach. Ich werde jetzt allerdings bei der weiteren Erzählung nur auf die deutsche Sprache zurück greifen. Katja, die ja in den USA aufgewachsen war sprach übrigens ein hervorragendes Deutsch aber immer wenn sie aufgeregt war fiel sie ganz oder teilweise ins Englische. Uli war zunächst sprachlos, was man sicher auch nachvollziehen kann. Ihr Fäuste hatten sich geöffnet und ihre Arme waren schlaff nach Unten gefallen. Zunächst konnte sie nur leise „Entschuldigung“ sagen aber dann kam sie richtig freudig wirkend auf uns zu und reichte Katja die Hand: „Dann willkommen in ihrem Vaterhaus. Kommen sie doch erst einmal rein.“. Katja und ich lösten uns und meine Tochter erwiderte den Handschlag meiner Frau und sagte: „Sagen sie doch ruhig Katja zu mir, schließlich bin ich doch so eine Art Stieftochter für sie.“. „Aber nur wenn du auch zu mir Uli sagst“, erwiderte Ulrike und so war schon mal eine vertraute Atmosphäre begründet worden. Während wir hineingingen fragte Uli ob Katja ihre Halbgeschwister kennen lernen möchte. Natürlich wollte sie das. Unser Jüngster, Björn, war ja schon im Wohnzimmer aber Jean und Janine waren im Garten und wurden von Uli hereingerufen. Wir hatten gerade Platz genommen als die Beiden hereingestürmt kamen. Dieses war dann für mich eine tolle Premiere. Zum ersten Mal saß ich im Kreis aller meiner vier Kinder – das hatte es noch nie vorher gegeben. Wie in unserem Hause üblich führte Uli Regie und fragte unsere Kinder: „Wisst ihr wer unser Besuch ist?“. Jean und Janine schüttelten verneinend den Kopf. Darauf fuhr Uli fort: „Papa hat euch doch schon öfters von eurer großen Schwester in Amerika erzählt.“. „Das ist Katja“, mischte sich an dieser Stelle Jean, Zurückhaltung zeigend, ein. Nachdem sowohl Uli, Katja und auch ich dieses bejaht hatten löste sich als erste Janine und ging auf ihre Halbschwester zu um sie zu umarmen. Sie machte dieses von der Seite, so dass wir Gesicht an Gesicht sehen konnten. Sowohl bei Uli wie bei mir machte es auf einmal mächtig klick – wir bekamen sogar einen richtigen Schrecken. Die beiden Mädchen sahen sich so ähnlich als wären sie nicht nur Halb- sondern echte Vollgeschwister. Janines Ähnlichkeit mit mir war uns allerdings zuvor schon bewusst gewesen. Darauf tönte Ulrike: „Ihr beiden müsst euch mal unbedingt im Spiegel ansehen. Ihr könnt nicht leugnen das ihr Schwestern und Papas Töchter seid.“. Na ja, das wollte sich dann Katja auch nicht nehmen lassen und allesamt stürmten ins Badezimmer, in dem meine Töchter den Spiegel zu rate ziehen wollten. Seltsam, Katja war darüber überglücklich und ihre jüngere Halbschwester rückte an diesem Tage nicht mehr von ihrer Seite obwohl der kleine Björn immer wieder versuchte die Aufmerksamkeit seiner plötzlich aufgetauchten ganz großen Schwester auf sich zu lenken. Am Zurückhaltesten verhielt sich Jean, der aber kaum einen Blick von Katja abwendete. Ich
weiß nicht ob bei 10-jährigen Jungens bereits sexuelle Empfindungen erwachen; auf jeden Fall sagte er mir, als wir mal einen Augenblick alleine waren: „Katja ist aber sehr schön.“. Nach dieser ersten Kennenlernphase gab es dann ein doch etwas seltsam anmutendes Geburtstagsfrühstück. Wir machten in unserer Familie in der Regel um Geburtstage keinen großen Wirbel. Eigentlich wollten wir am späteren Nachmittag nur zu Fünft zu einem Italiener am Großbeerenstraße, direkt an der S-Bahn-Linie von Lichtenrade nach Frohnau. Mehr war eigentlich nicht vorgesehen. Jetzt durch Katjas „Erscheinen“ standen wir dann plötzlich vor einer anderen Situation. Uli wollte da eine Schnittchenplatte machen und ich ging in unserem Vorratskeller um ein Fläschen Wein zu holen, denn schließlich wollte ich ja mit meiner Tochter, die genau einen Monat vorher 18 geworden war, anstoßen. Da fiel mein Blick auf eine Flasche Original Champagner, die ich im vorrangegangenen Jahr nach einem besonders guten Geschäft von meinem Chef geschenkt bekommen hatte. Diese hatte ich mir für einen besonderen Anlass aufbewahrt. Nun ja, wenn die Tochter aus erster Ehe zum 36. Geburtstag ihres Vaters erscheint, dann ist das doch wohl so ein besonderer Anlass. Also nahm ich die Flasche zur Hand und so gab es dann Champagner zu Schnittchen. Das ist doch wohl eine Kombination, die die Verehrer dieses französischen Teuergesöffs Rad schlagen lässt. Und das Ganze dann auch noch als eine Art zweiten Frühstück. Auch unsere Jüngsten bekamen etwas Originales, allerdings berlinerisches. Für sie nahm ich Fassbrause mit nach Oben. Ja, dieses ist ein Getränk, was gattungsmäßig etwas mit Apfelschorle zu tun hat. Es ist also ein alkoholfreies Apfelgetränk. Näher kann ich dieses Getränk, was es meines Wissens nur in Berlin gibt, auch nicht beschreiben. Am Besten ist es, wenn Sie mal in diese Stadt kommen, wenn Sie es mal selbst probieren. Na ja, mein Geschmack ist es nicht gerade aber die Kinder, die dazu wegen seines Aussehens Kinderbier sagten, waren ganz versessen darauf. So gab es also ein Geburtstagsfrühstück mit Schnittchen, Fassbrause und Champagner. Eine solche seltsame Kombination hatte es bei uns auch noch nicht gegeben. Während des Frühstücks konnte ich dann auch meiner ältesten Tochter mal auf dem „Zahn fühlen“, das heißt, dass ich mal nachfragte, was in den 14 Jahren, wo ich von meiner ersten Familie nichts gehört habe, gelaufen ist. Da kniff Katja erst einmal. Mit ihren „Parents“, also mit Elke und Bill Gardner, hatte sie besprochen, dass es nicht gut sei die Vergangenheit wieder herauf zu beschwören. Da könnte sich aus Schuldgefühlen und irrationalen Emotionen etwas zusammenbrauen, was dann allen Seiten Schaden könnte. Ihr Stiefvater Bill Gardner hatte, laut Katja, die Devise: „Wir müssen aus der Vergangenheit lernen aber sie nicht wachküssen, wir müssen im Heute leben aber dabei nicht vergessen was war und wir müssen die Zukunft planen aber dabei nicht vergessen, dass wir erst das, was heute ansteht, erledigen müssen.“. So wäre es richtig, dass Elke und ich uns in guter Erinnerung behielten aber diese Erinnerungen nicht wieder mit Leben füllten. Unser Heute wären unsere jetzigen Familien und so wäre es besser, wenn Katja in Deutschland nichts von den Gardners und in den USA nichts von den Kleiners erzählen würde. Katja fragte mich, wie ich diesbezüglich dazu stehen würde. An dieser Stelle schaltete sich Uli dazwischen: „Dieterle, antworte lieber nicht zu schnell und überlege es dir gut. An dem, was Katja gerade gesagt hat, ist eine ganze Menge dran.“. Sofort bekam Ulrike dann Unterstützung von Katja: „Yes Daddy, du kannst dir Zeit lassen. Ich bin ja noch zwei Wochen in Berlin und das bestimmt nicht zum letzten Mal. Jetzt wo ich meinen richtigen Daddy wiedergefunden habe, möchte ich den Kontakt mit ihm behalten. ... Ich hoffe sehr, dass ihr nichts dagegen habt.“. Irgendwo bin ich ein Kerl, der doch nahe am Wasser gebaut hatte, denn als mich Katja ihren richtigen Daddy nannte und ihre Absicht bekundete jetzt mit mir Kontakt zu halten, bekam ich richtig feuchte Augen. Aber von sich selbst hatte Katja eine Menge zu berichten. Sie hat in ihrem ganzen Leben von mir gewusst; immerhin war sie ja schon bald vier Jahre als die Trennung kam. Man hat ihr damals gesagt, dass ich mit dem Auto verunglückt und jetzt im Himmel sei. Dort würde es mir gut gehen, viel besser wie auf Erden. Als Kind habe sie oft bei verschiedenen Gelegenheiten gefragt, was ich denn wohl dazu sagen würde, wenn ich das vom Himmel aus sehen würde. Das hätte sich dann mit zunehmenden Alter allerdings gelegt aber vergessen hätte sie mich nicht. Sie habe sich auch sehr oft Fotos von mir angesehen, so dass ich auch bildhaft bei ihr in Erinnerung geblieben sei. Darauf, dass Bill Gardner, nicht ihr leiblicher Vater gewesen sei, wären die Leute auch immer durch ihren Namen aufmerksam gemacht worden, denn sie hieße ja nach wie vor Kleiner, wie ihr Vater. Etwa vier Wochen vor Weihnachten 1981 hat Elke Katja beiseite genommen und ihr gestanden, dass sie eine „große Lügnerin“ sei. Sie gestand, dass sie geschieden sei und ich noch leben würde. Da habe es einen furchtbaren Mutter-Tochter-Streit gegeben, von dem Katja aber keine Details berichten wollte. Weihnachten habe es dann aber wieder eine Versöhnung gegeben. Natürlich wollte Katja sofort den Kontakt mit mir aufnehmen. Da war es dann Bill Gardner, der dieses dann zunächst verhinderte – allerdings in positiver Absicht. Er wollte sich erst einmal in Geismar erkundigen, welche Auswirkungen ein plötzlich auflebender Kontakt haben würde. Es ging ihm darum, was meine jetzige Familie von Katja wusste und wie dieses es möglicher Weise auffassen würde, wenn meine älteste Tochter plötzlich wieder auf der Bildfläche erscheint. Da ich ja noch ab und an Kontakt mit Rainer und Karl-Heinz Waymann, den Söhnen des Cousins meiner Mutter, hatte, konnte er erfahren, dass sowohl Uli wie auch unsere drei Kinder von Katja wussten und ich mich immer so anhören würde, als wenn ich doch ganz gerne Kontakt mit meiner Ältesten
haben würde. Dort erfuhr Gardner auch, dass ich von Katjas vier amerikanischen Halbgeschwistern wusste. Damit war ja eigentlich der Weg frei und wieder mal wollte Katja sofort „loskontakten“. Da haben ihr ihre Parents vorgeschlagen, sie solle doch überraschend persönlich zu meinem Geburtstag am 12. Juni erscheinen. Das wäre doch sicherlich eine ganz große Freude für uns beide. Bill Gardner wollte ihr den Flug und den Aufenthalt spendieren. Von diesem Vorschlag war sie sofort begeistert und hatte sich damit eine kleine Qual eingehandelt. Sie konnte es nicht abwarten bis es soweit war. Nachträglich gesehen muss ich sagen, dass ich auch den Vorschlag gut fand. So wurde mein 36. Geburtstag zu einem der glücklichsten Tage meines Lebens. Uli stellte zum Thema „Überraschung“ fest, dass es ganz gut gewesen wäre, wenn sie vorher eingeweiht worden wäre, denn in dem Moment wo sie uns eng umschlungen in der Tür gesehen hätte, wäre ein furchtbarer Schrecken in sie gefahren. Sie hatte auf eine Weibergeschichte, die das Ende unserer Familie gewesen wäre, assoziiert. Zum Anderen wäre es dann nicht nötig gewesen, dass sich Katja erst in ein Hotel einquartieren musste. Für Uli stand also fest, dass Katja die zwei Wochen bei uns im Hause verbringen sollte. Sie begründete es damit, dass meine Tochter selbstverständlich zur Familie gehöre. Na ja, Katja wollte auf der einen Seite sehr gerne und auf der anderen Seite wollte sie nicht unverschämt erscheinen und niemanden zu Last fallen. Da gab es dann noch eine paar Verhandlungen hin und her bis sich Uli und Katja auf dem Weg machten um meine Tochter aus dem teueren Hotel am Kurfürstendamm auszuquartieren. Bei uns sollte Katja dann in Janines Zimmer untergebracht werden. Janine sollte während dieser Zeit in Björns Zimmer ziehen. Unsere Kinder waren ja so privilegiert, dass ein jedes sein eigenes Zimmer hatte. Der letzte Teil gefiel aber den beiden, sich trotz verschiedener Mütter sehr ähnelnden Schwestern aber gar nicht. Sie wollten sich das Zimmer teilen. Aber warum sollte man sich solchen Wünschen widersetzen und so verbrachten die beiden Schwestern dann 14 Tage auf einem Zimmer. Trotz des Altersunterschied von 9 Jahren – Katja war just in diesem Jahr doppelt so alt wie Janine – wurden die Beiden ein richtiges Gespann. Ich habe mir dann kurzfristig zwei Wochen Urlaub genommen und diesen dazu genutzt meiner amerikanischen Tochter Berlin zu zeigen. Meistens natürlich in Begleitung der kompletten Familie Kleiner aber auch mal alleine, nur Vater und Tochter. Erst nachträglich fiel mir auf, dass uns Uli zu solchen Gelegenheiten ohne jeglichen Argwohn abziehen lassen hat. Katja war zwar meine Tochter aber als ich sie zuvor das letzte Mal gesehen habe war sie keine vier Jahre alt. Jetzt war sie immerhin eine junge Frau von gerade achtzehn Jahren und, wenn mich mein väterlicher Stolz nicht trügt, nicht unattraktiv. Gerade an dieser Sache konnte ich feststellen, wie sehr unser Bewusstsein Einfluss auf unsere Wahrnehmungen und Sinne nimmt. Mir war bewusst, dass Katja meine Tochter ist und habe sie zu keinem Zeitpunkt mit den Augen eines Mannes gemustert. Bei mir gab es keinen Unterschied zwischen der Betrachtung von Katja oder Janine. Bei beiden Mädchen blieb bei mir der sexte Sinn unberührt. Auch Katja sah in mir keinen Mann sondern ausschließlich ihren Vater. Daher ging sie auch schon mal unbekümmert in Unterwäsche ins Bad oder kam des Abends noch einmal im Nachthemd zu uns herunter ins Wohnzimmer um diese oder jene Frage zu stellen. Alles ein normaler innerfamiliärer Vorgang, der mit Sex absolut nichts zutun hatte. So etwas ähnliches spielte sich auch im Kopf von Uli ab. Als sich Uli und ich uns eine ganze Zeit später mal über einen Fall, wo ein Mann seine Tochter missbraucht hatte, unterhielten, sagte mir Ulrike, dass sie zum Zeitpunkt des Katja Besuches nicht ein einziges Mal daran gedacht habe, dass zwischen mir und Katja was anderes sein konnte als es zwischen Vätern und Töchtern üblich ist oder üblich sein sollte. Im Gegenzug kann man daraus dann aber auch schließen, das triebhaftes Verhalten stets auf Abschalten des Bewusstseins beruht. Wo ich gerade beim Thema Bewusstsein bin kann ich ja auch noch davon berichten, dass sich dieses bei mir nach dem Auftauchen von Katja auch in einem ganz wesentlichen Punkt geändert hatte. In meinem Inneren war Katja das kleine Mädchen, den man den Vater ausgetauscht hatte, geblieben. Obwohl ich ja real wusste, das auch sie immer älter wurde, war sie in meinen Erinnerungsbildern immer das kleine muntere Kind geblieben, wie ich es zu meiner Bundeswehrzeit zum letzten Mal gesehen hatte. Erst als sie am 12. Juni 1982 bei uns im Wohnzimmer saß hatte sie auch in meinem Kopf wieder reale Formen angenommen. So existiert in meinem Kopf auch heute noch ein Wesen, das 14 Jahre lang vier Jahre alt und dann plötzlich Achtzehn war. Eine unangenehme Seite hatte ihr Erscheinen in meinem Bewusstsein doch: Das Bild von Elke, meiner ersten Frau, hatte sich im Laufe der Zeit fast vollkommen verwischt. In meinem Kopf gab es letztlich nur eine Frau: Ulrike. Jetzt auf einmal waren auch die Bilder von meiner Ersten wieder lebendig geworden und diese waren immer mit einem Hauch von Wehmut verbunden. Gegen diese Bilder kämpfte ich immer mit dem Gedanken, dass ich, wenn ich immer noch mit Elke zusammen wäre niemals Ulrike, der in meinem Augen bezaubernsten Frau der Welt und Glück meines Lebens, hätte begegnen können. Dieser Gedankengang förderte jedoch kontinuierlich meine Anhänglichkeit an Uli – und das ist doch wohl wiederum positiv. Katja wollte aber nicht nur als Gast in unserem Hause leben sondern sich auch innerfamiliär nützlich machen. Wo sich eine Gelegenheit ergab ging sie Uli zur Hand. Für unsere Kinder war die große Schwester so eine Art Superkindermädchen. Katja hatte Uli und mich auch dazu überredete, mal nur für uns auszugehen. Ihre Absicht war es als Kindermädchen für ihre jüngeren Halbgeschwister zu fungieren. Damit hatte sie dann eine Wende in
unserem Familienleben ausgelöst. Zwei Mal haben wir von Katjas diesbezüglichen Angebot Gebrauch gemacht. Beim zweiten Mal stellten wir übereinstimmend fest, dass es ganz gut und für uns nützlich ist, wenn wir uns einmal in der Woche Urlaub von der Familie nehmen. Seitdem wir aus Iserlohn weg waren und uns die Omas, also unsere eigenen Mütter, nicht mehr zur Verfügung standen, hatte es so etwas für uns nicht mehr gegeben. Da beschlossen wir uns via „Zweite Hand“ eine Studentin Kindermädchen zu suchen. Die „Zweite Hand“ ist ein Anzeigenblättchen in dem man, für Westdeutsche paradoxer Weise, kostenlos Anzeigen aufgeben konnte (oder kann – ich weiß nicht, ob es dieses auch heute noch gibt). Während solche Blättchen in westdeutschen Landen kostenlos verteilt werden, musste man dieses in Berlin kaufen. Es war also in Berlin genau umgekehrt wie im übrigen Land. Zwei Wochen nachdem Katja wieder abgereist war fanden wir die gesuchte Kraft, eine 20-jährige Studentin aus Lankwitz, die, wie sich später herausstellte, ihre Sache wirklich gut machte. Unsere Drei freuten sich immer richtig auf die Abende wenn sie kamen. Und wir natürlich auch, so hatten wir einmal in der Woche einen Abend nur für uns. Alles hat mal ein Ende, nichts auf Erden hat ewigen Bestand. So gingen auch die schönen und glücklichen Tage mit meiner ältesten Tochter zuende. An diesem Tag ging es mir innerlich nicht sehr gut. Immer wieder wurde ich von Wehmut erfasst. Ich riss mich furchtbar zusammen damit die anderen davon nichts merkten. Dieses Gefühlverbergen gelang den beiden Mädchen Janine und Katja allerdings nicht so sehr. Bei den Beiden liefen dann am Abschiedstag doch immer wieder Tränen, was dann den kleinen Björn immer zum Mitweinen veranlasste. Jean, der sonst immer sehr lebhaft bis aufsässig ist, war an diesem Tag ausgesprochen still. Natürlich wirkte sich die allgemeine Gefühlswelt auch auf Uli, die ja eigentlich die „lockersten Bande“ zu Katja hatte, aus. An diesem Tage kam bei mir auch erstmals die Überlegung was im Inneren meiner Frau vorgegangen sein muss, als auf einmal die Tochter ihres Mannes, die er gemeinsam mit seiner Geschiedenen hatte, vor der Tür stand. Darüber hat sich Uli nie ausgelassen. Das Einzigste was sie sagte war: „Natürlich war das für mich ein komisches Gefühl aber ich habe Katja vom ersten Augenblick gern gehabt. Es ist ja auch deine Tochter und unserer Janine nicht nur äußerlich sondern auch im Wesen so ähnlich. ... Muss wohl an deinem dominierenden Erbgut liegen.“. Dann lachte sie und das Thema war für sie beendet. Am Flughafen Tegel kam dann der endgültige Abschied. Katja flog mit der PAN AM nach Frankfurt und von dort mit der Lufthansa nach Chikago. Zuvor gaben wir uns gegenseitig das Versprechen von nun an, doch Kontakt miteinander zu halten, überwiegend schriftlich aber auch ab und zu mal fernmündlich. Darüber hinaus versprach Katja, dass sie wiederkommen wolle. Diese Versprechen wurden auch eingehalten und daher kommt Katja in der Erzählung meines Lebens auch noch ein paar Mal vor – aber warten wir es ab. Bei dieser Gelegenheit kam mir auch in den Sinn, dass Elke mir versprochen hatte, dass sie Katja zur gegebenen Zeit die Wahrheit über ihren Vater sagen wollte. Sie hatte Wort gehalten. Dieser Gedanke, der mir zum Abschied am Flughafen Tegel kam, machte mich auch auf irgendeine Art sicher, dass ich meine älteste Tochter noch einmal wiedersehen würde – sie hatte es ja versprochen. Als dann der Augenblick, an dem Tanja sich in den Raum, in dem abgefertigte Abfliegende niederlassen, begeben musste wurde es mir doch ein Bisschen mulmig. Mehr noch: Ich nahm meine Katja fest in meine Arme und weinte tatsächlich los – und meine Tochter tat es mir gleich. Die komplette Familie Kleiner war im Nachhinein der Meinung, dass uns Katjas Besuch gut getan habe. Die Wende, oder sprechen wir besser von der Veränderung, die der Katjabesuch mit sich gebracht hatte habe ich ja schon angesprochen: Wir hatten ein Mal in der Woche ein Kindermädchen und konnten die Abende als glückliches Ehepaar für einen Evening Out nutzen. In Hinsicht auf Jean, der in diesem Jahr Zehn wurde, und auf die ein Jahr jüngere Janine hätten wir uns dieses auch möglicher Weise ohne Kindermädchen erlauben können. Aber im Hinblick auf den gerade 2-jährigen Björn erschien uns das Kindermädchen unerlässlich. Die älteren Geschwister waren ja auch noch nicht so alt, dass sie im Falle eine Falles richtig gehandelt hätten. Außerdem entspricht es ja auch den Lebenserfahrungen, dass, wenn die Katze – Uli und ich – aus dem Haus ist, die Mäuse – Jean und Janine – tanzen. Jetzt hatten wir also eine Lösung und wunderten uns über uns selbst, dass wir nicht schon selbst auf diesen Gedanken gekommen waren, dass es erst der Initiative von Katja bedurfte. Bei einem unseren Ausgehabenden hatten wir dann eine überraschende Begegnung. Wir waren in dem Boulevardtheater „Komödie am Kurfürstendamm“ gewesen und hatten uns im Anschluss daran noch in eine Bar begeben um uns noch einen Drink zu genehmigen. Da dieser Drink von vornherein eingeplant war, hatten wir uns mit Bus und U-Bahn zum Kurfürstendamm begeben und wollten so gegen Eins mit dem Taxi zurück fahren. Das Kindermädchen wusste also Bescheid und wir hatten keinen Zeitdruck. In der Bar fiel uns dann gleich eine alte Bekannte, die wir hier nicht erwartet hätten, auf: Katarina Krause. Sie erinnern sich doch noch an meine lesbische Sekretärin bei Schweikart in Dortmund-Hörde. Aber nicht nur das sie überhaupt da war versetzte uns in Überraschung sondern auch die Tatsache, dass sie sich in Begleitung eines jüngeren Mannes befand. Die Tatsache, dass sie sich in männlicher Begleitung befand, ist ja nun auch nicht so etwas außergewöhnliches, dass man ins Staunen geraten müsste. Zwar war Katarina eine „hochgradige Lesbe“ aber warum sollte sie deshalb Kontakte zum anderen Geschlecht meiden. Aber das die Beiden dort in vertrauter Umarmung, wie ein richtiges
Liebespaar, saßen erschien uns doch außergewöhnlich. Sollte Katarina inzwischen in sich auch eine Neigung zum anderen Geschlecht entdeckt haben? In einer solchen Situation weiß man dann natürlich nicht was man machen soll. Einerseits würde man ja gerne die zufällige Situation für ein Hallo nutzen aber andererseits stört man ja ungern eine frische Liebe. Auf „frische Liebe“ komme ich weil Paare die etwas länger zusammen sind in der Regel nicht mehr so innig in der Öffentlichkeit anzutreffen sind. Die Entscheidung wurde uns dadurch abgenommen, dass Katarina uns entdeckt hatte und uns freudig an ihren Tisch rief. Als uns dann Katarina miteinander bekannt machte klärte sich die Frage nach dem Liebespaar auf. Der Mann in Katarinas Begleitung war Dirk Krause, ihr genau 10 Jahre jüngerer Bruder. Die Zwei hatten einen gemeinsamen Liebeskummer. Ja „gemeinsam“ und nicht „gleichzeitig“ ist richtig. Die Geschwister Krause hatten ein Liebesverhältnis mit ein und der selben Frau. Also, ein echtes Dreiecksverhältnis war in die Brüche gegangen, weil die gemeinsame Geliebte der Geschwister sich einen anderen Mann, den sie einen Monat darauf heiraten wollte, gefunden hatte. Dieses ist also die dritte Weibergeschichte im Wendejahr, die ich weiter oben in diesem Kapitel angedeutet habe. An dieser waren zwar weder Uli noch ich direkt beteiligt aber diese sollte später die gravierernste Wende des Jahres in unserem Familienleben einleiten. Aber alles schön der Reihe nach. Jetzt will ich erst einmal die Geschichte von Katarina und Dirk erzählen. Als damals bei Schweikart die Lichter ausgingen klappte es auch mit Katarina und ihrer Partnerin nicht mehr so und die beiden lesbischen Frauen trennten sich. Katarina verließ nicht nur die gemeinsame Wohnung sondern auch ihren Heimatort Dortmund. Sie hatte sich in Berlin eine Stellung gesucht. Dort traf sie auf die fünf Jahre jüngere Tochter ihres Chefs, die ihr gegenüber ihre bisexuelle Neigung hatte durchblicken lassen. Die beiden nahmen eine Liebesbeziehung miteinander auf. Auch Dirk, der in Dortmund Informatik studiert hatte, nahm in Berlin eine Stellung an. Zunächst aus Mangel an einer eigenen Wohnung war er zu seiner Schwester gezogen. Da gab es dann zunächst mal ein riesiges Theater, denn Katarinas Geliebte bändelte auch mit ihrem jüngeren Bruder an. Na ja, daraus hat sich dann ein echtes Dreiecksverhältnis entwickelt. Alle drei wohnten zusammen und einmal stieg die „Geliebte“ mit der Schwester und einmal mit dem Bruder ins Bett. Ehrlich gesagt, brannte, als ich dieses hörte, meine sexuelle Fantasie auch ein Bisschen mit mir durch. Allerdings dürften zwischen meinen Vorstellungen und der Wirklichkeit doch erhebliche Unterschiede gelegen haben. Die „durchgebrannte“ Geliebte war aber nicht das Einzigste weshalb sich die Beiden hier in der Bar langsam Einen ansäuselten, sie hatten auch noch existenzielle Sorgen. Dirk war ein begnadeter Programmierer und hatte, zunächst nur in seiner Freizeit, an einem integrierten Bürosystem gebastelt. Von der Texterfassung über Finanzbuchhaltung wie Lohnbuchhaltung einschließlich Zeiterfassung und Urlaubsplanung sowie Fakturierung bis hin zum Mahnwesenwesen und weiter bis zu den Steuererklärungen packte er alles in ein System. Alles musste nur einmal erfasst werden und an allen Stellen hatte man, sofern man eine entsprechende Zugangsberechtigung hatte, Zugang zu den aktuellsten Daten. Das System hatte er in diversen, jederzeit aufrüstbaren Zuschnitten angelegt, so dass es sowohl in kleinen Familienbetrieben bis hin zur mittelständischen Industrie im jeweils ausreichenden und nicht überzogenen Umfang genutzt werden konnte. Ich schrieb eben, dass er dieses zunächst in seiner Freizeit gemacht habe. Bei einem solchen geringen Aufwand hätte das Ganze bestimmt Jahre gedauert bis er fertig geworden wäre – und bis dahin wäre er bestimmt von einigen anderen überholt worden. Das hatte die Geliebte der Geschwister erkannt und sponsert ihn deshalb. Sie bezahlte ihm den Unterhalt und kaufte ihm alles was er brauchte. Jetzt konnte er sich an sieben Tagen in der Woche je 12 bis 14 Stunden der Entwicklung seines Systems widmen. In dieser Zeit wurde bei ihm dann auch die Liebe kleingeschrieben. Katarina und Dirk vermuten, dass dieses letztendlich auch den Ausschlag gegeben hat warum sich ihre Geliebte einem Anderen zuwandte. Dieses dann auch noch just in dem Moment wo Dirk soweit zu sein glaubte, dass er jetzt eine Firma gründen und damit an den Markt gehen könne. Er hatte schon alle entsprechenden Dinge in Angriff genommen und auch diverse Bankkredite beantragt. Diese zu kriegen schien ihm hinsichtlich der Bürgerschaft seiner Geliebten auch kein Problem. Aber dann kam der große Knall: Die Geliebte stieg aus. Sie wollte zwar nichts zurück haben aber auch nichts mehr geben, auch keine Bürgschaften. Und ohne diese brauchte Dirk gar nicht erst wieder bei den Banken anzutreten. Dazu kam dann noch, dass sich Katarina in der Firma öffentlich mit ihrer Exgeliebten angelegt und dadurch ihre Stelle verloren hatte. Jetzt saßen die Geschwister Krause ganz schön in der Patsche. An diesem Abend muss ich den Beiden wie ein Engel erschienen sein. Ich sprach davon, dass ich ja als Kümmerer und Plattmacher bei Schweikart einiges an Tauschhilfsmitteln, sprich Geld, hätte häufeln können. Durch mein gutes Gehalt als Vertriebsleiter war ich ja auch nicht ärmer geworden, zumal Uli mit ihren Übersetzungstätigkeiten ja auch immer reichlich zum Familieneinkommen beigetragen hatte. So konnte ich doch an der Stelle der Geliebten in die Geschichte einsteigen. Allerdings betonte ich, dass ich meinem Geld nicht böse sei und mir die Geschichte erst einmal ansehen wollte. Ich hielt es für möglich, dass ich mich an einer Firmengründung beteiligen würde und behielt mir für diesen Fall die kaufmännische Leitung vor. Darauf
meldete sich Katarina gleich mit dem Vorschlag, dass sie dann wieder ganz gerne Chefsekretärin sein wollte. Na ja, sie hatte ein paar getrunken und hing in dieser Laune an, dass ich ihr dann wieder wie früher in den Ausschnitt und unter den Rock sehen könne. Jetzt erwartete ich, obwohl ja alles schon ein Bisschen verjährt war, ein Donnerwetter von Uli. Das kam aber nicht. Stattdessen sagte Uli: „Katarina du hast heute eine lockere Zunge und deshalb möchte ich, bevor es im falschen Moment fällt, lieber gleich selber etwas gestehen. Ich bin zwar zu 90 Prozent heterosexuell aber zu 10 Prozent auch ein Bisschen bi. Unsere Meetings, bevor ich Dieter kannte, haben mir wirklich Spaß gemacht.“. Jetzt war ich im ersten Moment etwas baff; Uli und Katarina hatten etwas miteinander gehabt. Uli begründete mir diesen Schritt, den sie unternommen hatte, später zuhause damit, dass sie das Gefühl habe, dass aus der Geschichte eine größere Sache werden könnte. Wenn das System von Dirk wirklich das bringe, was er uns davon verspräche, wäre das sicherlich eine Chance wo ich zugreifen sollte. Sie habe das Gefühl, dass ich trotz gegenteiliger Beteuerungen meinen Absturz vom Vorstand zum kleinen Vertriebsleiter immer noch nicht ganz verkraftet habe. Das wäre wohl auch der Grund warum ich so ungern mal in unsere sauerländer Heimat oder nach Geismar wolle. Ich befürchtete wohl die Schadenfreude unserer früheren Bekannten über meinen Absturz. Ehrlich gesagt: Ganz Unrecht hatte Uli nicht. Ulrike meinte weiter, dass sich jetzt da eine Chance, dass ich wieder aufsteige, auftäte. Da könne auch was raus werden, denn überall würde man hören, dass dem Computer die Zukunft gehören würde. Sie wolle sich da auf keinen Fall gegen stellen sondern sie wolle die Sache unterstützen. Dieses würde aber beinhalten, dass wir näher mit Katarina und Dirk zusammenrücken würden, wobei nicht ausgeschlossen wäre, dass solche Dinge dann zu einem unpassenden Zeitpunkten kämen. Da wäre es schon besser wenn man vorher „klar Schiff“ machen würde und die Gelegenheit, wo Katarina mich als „Kiebitz“ enttarnte wäre da günstig gewesen. So hätten wir uns auch nichts gegenseitig etwas vorzuwerfen. Mit anderen Worten besagte Ulis Erklärung aber auch, dass Uli bei meiner Blitzidee in die Dirk-Geschichte einzusteigen, ganz auf meiner Seite war. Wir zogen also wieder einmal an einem Strick. Als wir uns im Bett über diese Sache unterhielten wurde ich tatsächlich ein Wenig angespitzt. Ich fragte Uli wie sie sich verhalten würde, wenn sich Katarina sich ihr wieder nähern würde. Sie sagte nur lapidar und leicht lachend: „Dann bin ich nett zu ihr aber mehr wird es nicht geben.“. „Würdest du denn noch mal mit ihr schlafen wollen?“, fragte ich weiter. Da bekam ich eine Antwort, die mich richtig in meinem Ehemannstolz wachsen ließ: „Mit Sicherheit nein. Das Besondere an den lesbischen Meetings war Katarinas unheimliche Zärtlichkeit wie ich sie noch nie im Leben zuvor erfahren hatte. Damals überlegte ich, dass ich, wenn ich mal verheiratet sei, wegen dieser Zärtlichkeiten ab und zu mal einen lesbischen Seitensprung wagen sollte. Aber dann kamst du. Du hast sogar Katarinas Zärtlichkeit um ein mehrfaches übertroffen. Du bist ein so herrlicher Softi, dass ich keinen und keine Andere gebrauche. ... Übrigens, darauf hätte ich im Moment Heißhunger.“. Damit hatte sich dann das Thema „Katarina und lesbische Liebe“ erledigt, denn wir machten es jetzt lieber gleich und selbst ehelich. An dieser Stelle sage ich nur noch, dass ich mir Dirks System angesehen habe und begeistert war. Auch seine Geschäftsidee war aus meiner Sicht nicht von schlechten Eltern. Wir wurden uns handelseinig und beschlossen die Gründung der BBSS GmbH. BBSS sollte für Berliner Büro-Software-Systeme stehen. Offiziell, also so wie die BBSS GmbH ins Handelsregister eingetragen wurde, begann die Gesellschaft am 1. Oktober 1982. Somit genau an dem Tag, an dem Helmut Kohl in einem konstruktiven Misstrauensvotum erstmalig zum Kanzler gewählt wurde und seine sittlich-moralische Wende – also hin zum neoliberalen Ellebogen-Egoismus – ausrufen konnte. Das ist jetzt mal alles, was ich in diesem Kapitel von der BBSS GmbH berichte, denn diese Firma war dann in den folgenden Jahren bestimmend für mein Leben – und das schreit ja dann direkt nach weiterer Untergliederung in andere Kapitel. Bevor ich dieses Kapitel jedoch schließe, möchte ich noch von einem „tollen Erlebnis“, welches Uli und mir im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen der Geschwister Krause zuteil wurde, berichten. Etwas böswillig sarkastisch hat sich die Geliebte der Krauses sich von ihnen verabschiedet. Sie hat sich dieses auch ein paar Märklein kosten lassen. Mit der Widmung „Wein nicht um mich Katarina“ – angelehnt an „Wein nicht um mich Argentinien“ – hatte sie den Beiden recht teuere und in der Regel sehr schwer zu bekommende Theaterkarten geschenkt. Man kann es, wenn man sich ein Wenig in der Theatergeschichte auskennt, vielleicht erahnen, dass es sich um deutsche Erstaufführung des Musicals „Evita“ von Andrew Lloyd Webber, die am Vorabend von Ulis 36. Geburtstag, also am 10. September 1982, im Theater des Westens stattfand, handelte. Katarina und Dirk wollten sich jetzt nicht die Blöße geben und weder die Karten zurückgeben noch tatsächlich hingehen. Diese verfallen zu lassen war ihnen dann auch zuschade. Wo ich ihnen eigentlich ja auch Recht geben muss. So baten sie Uli und mich an ihrer Stelle hinzugehen. Natürlich haben wir zunächst versucht, die beiden doch noch zu überreden die Vorstellung trotz allem zu besuchen aber nach langem Hin und Her ließen wir uns dann doch überreden. Sowohl für Ulrike wie für mich war das die erste große Erstaufführung an der wir teilnehmen konnten. Das war schon ein großes Erlebnis obwohl wir uns unter den ganzen Schickimickis gar nicht wohl fühlten. „Die haben doch alle einen am Apfel“, stellte Uli fest. Na ja, zu meinen Schweikart-Zeiten habe ich
mich darum gerissen selbst dazu zugehören und eigentlich will ich mich in Zukunft wieder dieser Pseudo-Elite nähern. Ob mir das gelingt, erfahren Sie wenn Sie jetzt weiterlesen.
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Der Boss der BBSS Wenn ich die diversen Berufsstände nach den Risiken des Berufsstandes klassifizieren sollte, dann würde ich natürlich die Beamtokratie ganz oben in der sicheren Lebensschaukel ansiedeln. Ein Beamter kann ruhig mal „floppen“ und kommt trotzdem in den Hochgenuss weiterer gesicherter Einkünfte und dabei stattlichen Pension im Laufe des Lebens immer näher. Beamte kommen in meiner Klassifizierung direkt vor den Managern und Bankfiosis, deren Flops in der Regel zwar den Arbeitnehmern den Arbeitsplatz und den Aktionären das Geld kosten aber selbst haben sie sich doch wohl in ihrer Zeit gut „besahnt“ oder caschen beim Abgang noch mal recht gründlich ab. Was diesen Punkt angeht kann ich mir doch an die eigene Nase fassen. Meine Polster, auf die ich jetzt zurückgreifen wollte, beruhten doch auf mein Kümmerer- und Plattmacher-Dasein bei der Schweikart AG. An dritter Stelle setze ich alle Arbeitnehmer, die nicht in beamtischer Sicherheit und nicht in leitender Position anzusiedeln sind. Sie haben, obwohl sie selbst gar nichts daran ändern können, alle wirtschaftlichen Risiken mit der (Un)sicherheit ihres Arbeitsplatzes zu bezahlen. Aber so lange sie ihrem Arbeitgeber „dienen“ dürfen haben sie Anspruch auf geregelten Lohn und Urlaub. Wenn sie dann jedoch ihren Arbeitsplatz verlieren werden sie jedenfalls noch mit Arbeitslosengeld oder –hilfe alimentiert. Wobei ich gegen Letzteres ja gar nichts sagen will, denn dafür haben sie ja in ihrem aktiven Arbeitsleben reichlich Beiträge in die ArbeitslosenVersicherung eingezahlt. Die Berufsgruppe, die in meiner Klassifizierung an letzter Stelle kommt, sind die selbständigen Unternehmer. Dieses ist die Gruppe, die sich ihren Arbeitsplatz auf eigene Kosten und Gefahr selber schaffen muss. Für die Arbeitsplatzsicherheit und für ein regelmäßiges Einkommen müssen sie selber sorgen und wenn es schief geht, geht ihre eigene Existenz mit hopps. Dabei muss man noch bedenken, das über 40 Prozent der Kleinunternehmer, zum Beispiel im Bereich Handwerk und Handel, keine regelmäßige Arbeitszeit kennen und in der Regel mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten. Jahresurlaub ist bei ihnen eine Ausnahme und für alle dieses erzielen sie ein Einkommen, welches deutlich unter den Bezügen eines mittleren Beamten liegen. Darüber hinaus werden die kleinen Selbstständigen und Freiberufler dann auch an wichtigen Stellen von gesellschaftlichen Entscheidungen, zum Beispiel in der Kommunalpolitik, ausgeschlossen. Hobbyparlamente wie die Stadt- oder Gemeinderäte sowie in Berlin die Bezirksverordneten-Versammlungen und deren Ausschüsse tagen zu den, im öffentlichen Dienst genehmen Zeiten, des Nachmittags, wo kein Kleinunternehmer seinen Laden in Stich lassen kann. Daher auch die, in meinen Augen gefährliche Überrepräsentation der Leute, die ihre Wurzeln im Öffentlichen Dienst haben, und die totale Unterrepräsentation der Selbstständigen und Freiberufler in den Parlamenten und politischen Gremien. Wem wundert es da, dass heute viele Kleinbetriebe Nachfolgeprobleme haben und auch sehr viele von ihnen deshalb eingestellt werden. Dieses hielt mir mein Chef, als ich ihm von meiner Absicht die BBSS Berliner Büro-System-Software GmbH zu gründen unterrichtete, auch vor Augen. Aber damals ging so etwas bei mir in das eine Ohr rein und aus dem anderen wieder hinaus. Mir war zu diesem Zeitpunkt erst richtig bewusst geworden, welche Schussfahrt ins Tal ich nach meinem Abschuss bei Schweikart im gesellschaftlichen Ansehen hinter mir gebracht habe. Vom Gipfel eines Vorstandsvorsitzenden einer mittelständischen Aktiengesellschaft war ich herunter gedonnert auf die Position eines Vertriebsleiter Inland eines kleineren, aber doch noch mittelständischen Privatunternehmens. Uli hatte schon recht, als sie mutmaßte, dass ich, weil ich mich dieser Talfahrt schämte, mich nicht in die Heimat, zu meinen Eltern wagte. Insbesondere fürchtete ich auch böse Häme, weil ich ja schließlich dort auch den Plattmacher des Unternehmens, aus dem ich selbst hervorgegangen war, darstellte. Wie würde man sich in Iserlohn freuen, wenn man dort Wind davon bekommt, dass ich selbst auf die Nase gefallen war. Obwohl ich es mir vor dem Zusammentreffen mit den Krause-Geschwistern nicht habe anmerken lassen, stachelte mich irgendein inneres Männchen immer auf, wieder in den Fahrstuhl nach Oben einzusteigen. In der BBSSGeschichte sah ich dann also meine neue Chance. Es war also im Grunde keine rationale Entscheidung der Boss der BBSS zu werden sondern dieser seltsame Trieb nach einer gesellschaftlichen Stellung und Ansehen. Ich wollte ganz Oben stehen. Warum eigentlich? Ich hatte eine intakte und glückliche Familie, der ich mich als Angestellter mit geregelter Arbeitszeit und Einkommen widmen konnte und die mir alles gab, was ich zum Glücklichsein benötigte. Wirtschaftlich war ich bestens abgesichert. Wir bewohnten ein schuldenfreies Häuschen und alles Geld, was ich zu Schweikart-Zeiten habe scheffeln können, hatte ich in stabilen soliden Aktienwerten, Investmentfonts und Festanlagen angelegt. Ich brauchte, selbst wenn es mal schlimm kommen würde, keine Not zu fürchten. Ich brauchte eigentlich nur zu leben. Ich hinterfragte damals nicht, was ich denn von allen meinen Bemühungen habe, wenn ich dabei das richtige Leben vergesse. Was habe ich denn davon, wenn man am Ende meiner Tage sagt, dass ich alles im Leben gehabt habe nur nichts vom Leben selber. Auch Uli, die ja von Anfang an mitzog, hat sich nicht von der Ratio leiten lassen. Ihr war ja bewusst wie sehr sie darunter gelitten hatte, dass ich in meiner großen Managerzeit nur am Rande mit ihr verheiratet war. Mein
Körper und mein Kopf gehörten damals dem Geschäft und von meiner Seele habe ich zu der Zeit nichts gespürt. Fürs Geschäft ist ja ein Seelenleben ohnehin ungeeignet. Auch ihr war klar, dass wir von dem was wir hatten glücklich bis an dem Tag, wo uns der Tod abberuft, leben konnten. Bei ihr spielten bei der Zustimmung dann gleich zwei Dinge eine Rolle. Einmal saß in ihr auch ein „kleines Schweinemännchen“, welches ihr den Wunsch, die Frau eines großen Mannes zu sein, eintrichterte. Dann liebte diese Frau mich so sehr, dass sie ihren Beitrag dazu leisten wollte, dass meine Wunden vom Absturz vom Vorstandssockel heilen konnten. Bösemäulig könnte man sagen, dass sowohl Uli wie auch ich vermeintlichen Ruhm und Ehre über unser tatsächliches persönliches Glück stellen wollten. Natürlich half ich durch mein Einsteigen in die Geschichte den Geschwistern Katarina und Dirk Krause aus der Patsche, aus einer aus ihrer Sicht sehr argen sogar. Aber hätte ich, wenn Helfen mein wahres Leitmotiv gewesen wäre, da nicht etwas anderes machen können? Ich hätte ihnen doch beim Ausstieg aus der für sie ausweglosen Situation behilflich sein können. So tief saßen sie doch gar nicht in der Patsche. Zwar waren die Beiden derzeitig arbeitslos und wohnten in einer für sie in ihrer Situation zu teueren Wohnung. Aber einerseits hatte Katarina Anspruch auf Arbeitslosengeld und andererseits hatte Dirk ein gutes Produkt erstellt, was er sicherlich, einschließlich seiner Person, an einschlägige Firmen verkaufen können. Da auch noch nichts weiter gelaufen war, hatten sie noch keine Schulden gemacht. Ein wirklicher Ausweg, auf den ich sie hätte führen können, war für sie also immer noch vorhanden. Es hat also außer unseren Wunsch mal ganz groß zu sein keinen triftigen Grund für die Gründung der BBSS GmbH. Bevor es aber mit Volldampf losgehen konnte musste ich erst einmal ein persönliches Problem lösen. Ich war ja in einem festen Angestelltenverhältnis, mit einer im AT-Vertrag festgelegten, etwas verlängerten Kündigungsfrist. Demnach hätte ich bis Mitte 1983 noch meinem Brötchengeber zur Verfügung stehen müssen. Sowohl Vertriebsleiter wie Firmengründer sind Vollzeitjobs, die man nicht so nebeneinander und nebenbei betreiben kann. Wenn wir aber so spät gestartet wären, hätte ich zwangsläufig Dirk und Katarina bis zu diesem Zeitpunkt erstens bei Laune halten und zweitens „durchfüttern“ müssen. Also musste ich mit meinem Chef reden. Dem kam ich dann nur halbwegs ungelegen. Er hatte schon zuvor überlegt im Zuge einer Rationalisierung den Vertrieb In- und Ausland zusammen zu legen. In einem solchen Fall brauchte er allerdings nur einen Vertriebsleiter. Entweder für meinen Kollegen oder für mich hätte er sich was anderes einfallen lassen oder sich von einem von uns beiden trennen müssen. Weil ihm eine entsprechende Entscheidung schwer fiel schob er bisher die Betriebsrationalisierung etwas unschlüssig vor sich her. Jetzt als ich von mir aus kam konnte er die Rationalisierung sofort in Angriff nehmen und er war gerne bereit, einen einvernehmlichen Auflösungsvertrag, bei der keine Seite etwas von der anderen im Nachhinein zu erwarten hatte, mit mir zu vereinbaren. Das Gespräch mit meinem Chef entwickelte sich darüber hinaus zu einem Glücksfall für unsere Startphase. Die Neuköllner Büromaschinenfabrik hatte ein gutausgebautes Händlernetz im gesamten Bundesgebiet als Partner. Mein Chef, der in Zukunft mehr und mehr in Neukölln Büro-Computer und PC, die in Taiwan und Korea vorgefertigt werden sollten, komplettieren wollte, schlug mir eine Kooperation vor. „Seine“ Computer und unsere Software sollten über „sein“ Händlernetz vertrieben werden. Er wollte so eine Art ausschließlicher Kunde von uns werden. Also Dirks System sollte über meine alte Firma mit deren Maschinen an die Händler gehen. Im Zuge der Kooperation sollten wir uns anteilig an den Vertriebs- und Marketingkosten beteiligen. Gemeinsam wollten wir auch ein Schulungszentrum betreiben. So etwas ist für einen Existenzgründer ja schon die halbe Miete aber es bedeutet aber auch eine große Abhängigkeit, die später für uns zum Verhängnis werden sollte. Aber soweit sind wir noch nicht; jetzt wollen wir erst einmal gründen. Wer aber glaubt, dass es genügt einen „starken“ Partner zu haben um mit den Geld verdienen loslegen zu können, der hat sich schwer getäuscht. Am 1. Oktober 1982 haben wir die BBSS GmbH gegründet und das erste Geld lief erst im April 1983, nach der Hannover Messe – die CeBIT gab es damals noch nicht als eigenständige Messe – in unsere Kasse. Bis dahin mussten wir mächtig „ackern“. Wir mussten uns Geschäftsräume mieten, herrichten und ausstatten. Büros, Räumlichkeiten für die Entwicklung und „Fertigung“ unserer Software, Schulung und Präsentation sowie für diverse Lagerung waren notwendig. Wir konnten eine alte Villa am Lichterfelder Ring, in der Nähe des Lilienthalparks, anmieten und mit erheblichen Aufwand renovieren beziehungsweise umbauen. Dann mussten allerlei Dokumentationen ausgearbeitet und gestaltet werden. Das begann bei der einfachen Werbung bis hin zum umfangreichen Handbuch, dass als repräsentativer Ringordner mit auswechselbaren Seiten entstand. Ebenfalls repräsentative Verpackung musste entworfen und in Auftrag gegeben werden. Schließlich hatten wir ja kein Produkt was aus dem Kaufhausregal verkauft werden sollte sondern ein System für welches unsere Kunden richtig Geld hinblättern sollten. Es mussten Instrukteure für die Schulung und Präsentation eingestellt und eingearbeitet werden. Mit diesen mussten wir dann auf Tournee durchs Bundesgebiet gehen und dort die Händler von dem überzeugen, was sie verkaufen konnten und sollten. Bereits Anfang 1983 mussten wir Leute für die „Produktion“ einstellen. Es war ja nicht mit dem Duplizieren und Verpacken von Disketten getan, denn das System war ja so geschaffen, dass es für jeden Kunden extra und speziell konfiguriert werden konnte. Unsere Produktioner mussten schon die Kenntnisse eines Softworkers
haben. Ab Februar 1983 mussten wir Schulungen speziell für die Händler durchführen, denn schließlich müssen die ja in den Umgang, mit dem was sie verkaufen sollen, eingewiesen sein. Dazu kamen dann Verhandlungen mit Bankern und Behörden. Die Hannover Messe musste zusammen mit meinem Exbrötchengeber geplant werden. Eine Werbekampagne zur Messe und für die Zeit danach musste geplant und vorbereitet werden. Zum Glück brauchten wir uns noch keine eigenen Werbeleute zulegen, da wir auf die entsprechende Abteilung in meiner ehemaligen Firma zurückgreifen konnten. Und, und, und ... Das alles kostet viel, viel Geld. Bei solchen Gelegenheiten kann man feststellen, dass eine Million doch ein kleiner Betrag ist. Bis zum Zeitpunkt der ersten Verkäufe hatten wir deutlich mehr als eine halbe Million DMark ausgegeben. Dabei hatten wir ja noch ein Riesenglück das wir auf einen bestehenden Vertriebsapparat, wo ein Bedarf nach unserem Produkt bestand, zurückgreifen konnten. Hätten wir bei Adam und Eva anfangen müssen wäre unser Kapitalbedarf bestimmt doppelt so groß gewesen. Noch verheerender wäre es gewesen, wenn Dirk zwar eine Produktidee aber noch kein Produkt gehabt hätte. Leute, es ist wirklich nicht so einfach eine Firma aus dem Boden zu stampfen. Zugegeben: Der Aufwand bei einer Firmengründung ist unterschiedlich hoch. Da kann man schnell mal einen Frisörladen zum Laufen bringen aber ohne Aufwand geht es auch da nicht. Wer sich selbstständig machen will muss schon einiges an Geld, dicke Nerven und einen außerordentlichen Arbeitswillen mitbringen. Das sollten sich einmal die Leute, die heutzutage die Ich-AG – das Unwort des Jahres 2002 – propagieren, überlegen. Bei den meisten wird es wohl so sein, dass sie mangels Basis nach Abschluss der zweijährigen Förderung reif für die Pleite sind. Bis dahin können sie dann legalisierte Schwarzarbeit betreiben. Bei all dem Aufwand den wir zu betreiben hatten bekamen wir vom Bundestags-Wahlkampf der damals in der Bundesrepublik „tobte“ so gut wie nichts mit. Na ja, wir waren Berliner und durften so oder so nicht mitwählen. Berlin hatte nämlich bis zur Wiedervereinigung ein Sonderstatut. Die Berliner Bundestagsabgeordneten, die in Bonn eigentlich nur ein demonstratives Stimmrecht hatten – sie konnten weder etwas durchsetzen noch konnten sie etwas kippen –, wurden nur indirekt vom Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Alle Gesetze, die für die Bundesrepublik verabschiedet wurden, mussten durch ein Überleitungsgesetz auch für Berlin gültig erklärt werden, das heißt, dass das Abgeordnetenhaus noch einmal über Gesetze, die für die Bundesrepublik schon gültig waren, abstimmen mussten. Wären diese im Berliner Abgeordnetenhaus abgelehnt worden, was meines Wissens aber nie passiert ist, hätte ein Bundesgesetz in Berlin nie gegolten. Auch was den „Barras“ anbelangte waren die Berliner außen vor, das Wehrpflichtgesetz galt nicht in Berlin. Berliner, die unbedingt zur Bundeswehr wollten, hatten jedoch die Chance sich freiwillig zu melden. Uli war damals immer glücklich darüber, dass unsere beiden Jungens Jean und Björn nicht zum Bund müssten, weil wir ja Berliner waren. Wer konnte schon damals ahnen, dass dieser Gedanke, wenn es mal so weit sein sollte, Makulatur sein würde. Wo ich schon dabei bin kann ich ja auch gleich daran erinnern, wie die Wahl damals am 6. März 1983 ausging: Erstmalig hatten die Grünen die Fünf-Prozent-Klausel hinter sich gebracht und konnten mit Blumen und in Turnschuhen im Bundestag einziehen. Sie erinnern sich doch sicherlich noch, wie man damals von der Turnschuh-Fraktion sprach. Die Grünen waren damals, auch in SPD-Kreisen, als die Linksradikalen verschrien. Ein Jahr später, am 7. Juni 1984, fanden sie sich in Hessen erstmals in einer rot-grünen Koalition ein. Die Parteienlandschaft hat sich 1983 wohl am nachhaltigsten in der Geschichte der alten Bundesrepublik geändert. Am 27. November dieses Jahres gründeten sich dann auch noch die Republikaner, die ich stets nur die „RepiDeppis“ genannt habe, also die Rechtsdraußen, die in den Wahlkämpfen bis zur Wiedervereinigung die wohl bedeutenste Rolle unter den Rechtsauslegern spielte. Aber ich war ja beim Wahlausgang und da hieße es Eulen nach Athen tragen, wenn ich jetzt noch darauf hinweisen würde das Helmut Kohl am 29. März 1983 erneut zum Bundeskanzler wiedergewählt worden ist. Aber nach diesem kleinen Ausflug in die Politik des Jahres 1983 zurück zum Geschehen um den Boss der BBSS. Man kann sich vorstellen, das ich in der Gründungsphase voll ausgelastet war. Fast wie in alten Zeiten als ich noch der Kümmerer und Plattmacher bei der Schweikart AG war. Allerdings war ich zunächst zuhause mehr als nur ein Schlaf- und Sonntagsgast. Ich war sogar, abgesehen von ein paar Reisen zu Händlern in Westdeutschland, mehr als in der Zeit als Vertriebsleiter in den heimischen vier Wänden anzutreffen. Der Grund war, dass die angemietete Villa noch nicht zur Verfügung stand und ich derweil das ehemalige Büro von Ulis Übersetzungsfirma bei uns in der Tiefparterre dienstlich bezogen hatte. Aus Mangel an einem Vorzimmer teilte ich mir das Büro mit meiner Sekretärin Katarina Krause. Sie war eine von drei Angestellten, die die BBSS GmbH vom ersten Tag an hatte. Die beiden anderen, Dirk und ich, waren gleichzeitig Gesellschafter. Dirk fungierte als technischer und ich als kaufmännischer Geschäftsführer. Da wir noch keine Einnahmen hatten kamen die Gehälter von meinem Konto, wodurch das Paradoxem, dass ich mir mein Gehalt selbst aus der einen Tasche in die andere selbst bezahlte ... und dafür durfte ich dann noch Sozialabgaben und Steuern abführen ..., entstand. Mit Katarina war es zunächst wie in alten Zeiten bei Schweikart. Wir haben auch die ersten Tage noch genau so wie früher zueinander „Sie“ gesagt. Uli war es dann, der diese förmliche Anrederei in einem „Noch-Familien-
Betrieb“ etwas komisch vorkam und deshalb das „Du“ zwischen Katarina und mir vorschlug. Erstmalig musste ich bei einer Du-Vereinbarung mit einem weiblichen Wesen auf einen Bruderschaftskuss verzichten. Ich hätte ja gerne gewollt, denn nach wie vor war Katarina eine reizende und bezaubernde Frau, aber ihr war, sicherlich aus nachvollziehbaren Gründen, der Kussaustausch mit einem Mann unsympathisch. Sie hätte sich lieber mit meiner Frau geküsst, was aber dann Uli unsympathisch war. Meine ehemalige „dumme“ Angewohnheit, bei entsprechenden Möglichkeit zu versuchen Katarina in den Ausschnitt zu sehen oder dem Verlauf ihrer Beine unter den Rock zu folgen, konnte ich mir erst auch nicht verkneifen. So lange wir noch per Sie waren, ließ sie es sich wie damals in Dortmund-Hörde gefallen aber ab dem Zeitpunkt wo wir uns duzten bekam ich prompt einen „passenden Kommentar“, worauf ich die Sache dann auch sein ließ. Zum Ende des Jahres 1982 war unser Marienfelder Familienleben fast intakter wie zuvor. Uli befürchtete trotzdem das die ehemaligen bösen Zeiten, wo ich nur Gast zu Hause war, wieder kommen würde. Sie sprach deshalb dieses Thema auch immer wieder an. Stets erinnerte sich mich daran, dass ich jetzt der Boss der BBSS sei und in der Firma weder Karriere machen noch absteigen könne. Ich brauchte also niemanden mehr etwas zu beweisen. Ich bräuchte nicht wieder einen biologischen Computer, der nur arbeitet, isst und schläft, darzustellen. Meine Hauptaufgabe sei es, wenn die Geschichte richtig läuft, mich mit ausreichend guten und verlässlichen Leuten, auf die ich die Arbeit delegieren könnte, zu umgeben. Selbst sollte ich mich auf die Entscheidungen, meine Familie und mein Leben konzentrieren. Nach Ulis Meinung würden die Entscheidungen, wenn ich mich künstlich mit Hektik und Stress umgebe nicht besser sondern eher das Gegenteil. Ein ausgeglichener lebender Mensch ist nach ihrer Meinung einer überdrehten humanitären Existenz überlegen. Also Uli war es wichtig, dass ich der Familie als der Mensch Dieter Kleiner erhalten bliebe. In Ulrike waren offensichtlich zwei Wünsche gleichzeitig groß geworden: Auf der einen Seite wäre sie gerne die Frau eines erfolgreichen Unternehmers geworden und auf der anderen Seite wollte sie einen häuslichen Mustergatten behalten. Ob sich die beiden Wünsche gleichzeitig verwirklichen lassen wo doch nach allgemeinen Lebenserfahrungen die Wünsche miteinander unvereinbar sind? Na ja, wir werden es sehen. Wir wissen doch, dass man nicht auf der großen Bühne „Gesellschaft“ und daheim in der Privatsphäre gleichzeitig agieren. Entweder ist man der große Leister, der täglich, rund um die Woche, mehr als 12 Stunden für sein Unternehmen aktiv ist oder der Familienmensch, der seine Erfüllung im privaten Glück findet. Man muss sich schon entscheiden: Entweder hält man Ruhm, Macht und Reichtum oder Liebe, Glück und Zufriedenheit für sein Lebensziel. Grundsätzlich steht das Eine dem Anderen im Weg. Wie sagte einstmals der schwer reiche griechische Reeder Aristoteles Onassis, der ja unter anderem mit der Operndiva Maria Callas und der Präsidentenwitwe Jaqueline Kennedy verheiratet war: „Ein reicher Mann ist in Wirklichkeit nur ein armer Mann mit viel Geld.“. Ich glaube das er es wissen musste. Aber damals, bei der Gründung der BBSS hatten Uli und ich die Absicht eine eierlegende Wollmilchsau, die Alles mit Allem verbinden kann, zu schaffen. Was daraus wurde werden Sie schon sehr bald lesen. So lange ich das Büro im eigenen Haus nutzte war auch die familiäre Welt noch in Ordnung. Ich war ja 24 Stunden am Tag für meine Familie allgegenwärtig. Aber ab dem Zeitpunkt wo unsere Räume am Lichterfelder Ring fertig waren, saß ich dort von Morgens, so ab 9:00 Uhr, bis Abends zirka Acht oder Neun mit meiner überstundenfleißigen Sekretärin Katarina Krause. Und dieses sogar auch noch an jedem zweiten Samstag. Es war ja auch noch jede Menge zu tun und Mitarbeiter auf die ich hätte etwas delegieren können gab es nicht. Na ja, jetzt schon welche einzustellen wäre zu stark an die finanzielle Substanz, die wir ohnehin schon für alles Mögliche ankratzen mussten, gegangen. Im gesamten kaufmännischen Bereich, einschließlich Marketing, das heißt Messe- und Vertriebsvorbereitungen, leistete ich gemeinsam mit Katarina im Hause ja eine einsame Show. Auch Dirk, der zu dem selbst mit Schulungen alle Hände voll zutun hatte, musste ich tatkräftig unter die Arme greifen. Er hatte zwar während seines Informatikstudiums die Betriebswirtschaft als Zweitstudiengang belegt aber er hatte doch keine kaufmännischen Erfahrungen sammeln können. So war seine Software diesbezüglich wohl lehrbuchhaft korrekt aber oft auch weit von der kaufmännischen Praxis entfernt. Da mussten ihn schon unsere Instrukteure, die alle sowohl aus dem technischen als auch aus dem kaufmännischen Bereich kamen, und ich die Praxishinweise geben und er bastelte dann fröhlich um. Gerade auf diesem Gebiet wurden wir, je näher die Hannover Messe kam, immer nervöser. Meine Familie, bei der ich nun wieder Schlaf- und Sonntagsgast war, vertröstete ich zu jener Zeit immer damit, dass es nach der Messe besser werden würde. Die Messe war für uns ein voller Erfolg. Wir kamen wie erhofft auf dem Markt und die Aufträge liefen ein und wurden abgewickelt. Aber nach wie vor zog ich ein kaufmännisches Solo ab und stellte dieses nur sehr zögerlich ein. Immer kam ich mit dem Kostenargument und einer Abwartedevise. So ging noch fast ein halbes Jahr ins Land bis wir eine ausreichende Mannpower, bei der ich auch hätte etwas kürzer treten können, hatten. Da war aber schon wieder der Punkt, an dem ich mich für unentbehrlich hielt, erreicht. Kurz gesagt: Ich war wieder wie in alten Zeiten zu über 90 Prozent meiner Wachzeit in Diensten einer Firma und fühlte mich dabei wie ... . Ja, wie fühlte ich mich überhaupt? Als der Mann, der was geschaffen hatte, als unverzichtbares Mitglied der
Leistungsgesellschaft, als jemand zu dem man heraufsehen kann? Hatte ich mich doch wieder aus den Niederungen eines normalen Lebens auf den hohen Sockel des Außergewöhnlichen geschwungen. Bei Uli wichen die ersten Emotionen über unseren Aufstieg zunehmend dem Frust. Jetzt saß sie wieder vernachlässigt mit unseren drei Kindern zuhause. Des Abends kam ich geschafft aus dem Büro und hatte nur noch einen Wunsch: Ab ins Bett und ausschlafen. Liebe und Zärtlichkeit fand auch jetzt wieder nur in Ausnahmefällen statt. Für alles, was sich Uli und ich uns zu erzählen hatten, standen täglich etwa zehn Minuten beim Frühstück zur Verfügung. Familienvater war ich nur an den Wochenenden, wobei zumindestens der halbe Samstag zwei oder drei Mal im Monat auch noch für das Bossspiel bei der BBSS draufging. Im Jahre 1982 hatten wir noch einmal wegen des kleinen Björns auf eine größere Urlaubsunternehmung verzichtete aber im Jahre 1983 wollten wir wieder groß zuschlagen. Zumindestens war das unser Vorsatz bevor wir die BBSS gründeten, als es aber soweit war, starb dieser dann unter meiner Bemerkung, dass ich mir in dieser Phase so etwas nicht leisten dürfe. Ich behauptete ich könne es mir nicht erlauben so lange der Firma fern zu bleiben. Uli und ich gehörten schon jeher nicht zu den Leuten die auf jeder Hochzeit tanzen mussten aber jetzt fand überhaupt nichts mehr, was annähernd mit gesellschaftlichen Kontakten zutun hatte, statt. Im Grunde hatte ich wieder einen neuen Vertrag mit Mephisto geschlossen. Unter Verzicht auf Liebe, Glück und Zufriedenheit wollte ich mir Macht, Ruhm und Geld verschaffen. Da riss dann bei Uli der Faden und sie stellte mich an einem Samstagnachmittag zur Rede. Sie fauchte mich an: „Du hältst dich für den erfolgreichen Macher, für ein unverzichtbares Mitglied der Leistungsgesellschaft aber in Wirklichkeit bis du ein armes Würstchen, der alles was er hat, dem Zufall verdanken kann. In Iserlohn konnte man deine Eigenart als willige Majonette, die einem gewissen Prätorius in den Kram passte, feststellen. Diesem Zufall hast du es zu verdanken, dass dich Kai Prätorius für seine Schmutzarbeit tanzen ließ. Deine Vorstandskarriere beruhte also nicht auf deiner Fähigkeit und deinen Leistungen sondern lediglich auf der Eigenart als williger Kümmerer, wie du selber sagst. Als das Dieterchen dann seine Schuldigkeit getan hatte, ließ man ihn fallen. Dann – so kann man es ja ruhig sagen – habe ich dir eine Stelle besorgt, die nicht ganz unten anzusiedeln war. Auf der hättest du gesessen bis man dir Rente gewährt hätte, wenn uns nicht Dirk und Katarina im Liebeskummer über den Weg gelaufen wären. Dirk hatte was geschaffen und du hattest noch rein zufällig das Geld um da ein Geschäft rauszumachen. Aber damit wärest du auch baden gegangen, wenn nicht deine Exfirma langsam mit ihren elektromechanischen Büromaschinen auf ein Ende zugelaufen wäre und nicht händeringend nach moderner Technologie gesucht hätte. Immer war es nur der glückliche Zufall der dich nach oben schwemmte und nie dein außergewöhnliches Können. ... Aber mach dir da nichts raus. Die Meisten, die einen dicken Otto markieren, haben entweder geerbt oder sind wie du Nutznießer eines glücklichen Zufalls geworden.“. Au, so etwas tut weh, insbesondere wenn es eigentlich die ungeschminkte Wahrheit ist. Ich kochte und drohte innerlich zu explodieren. Jetzt kann ich natürlich nicht sagen, wie ich äußerlich wirkte. Auf jeden Fall sprang Uli in eine Ecke und kauerte sich hockend zusammen, gerade so als ob sie jetzt einen lebensbedrohlichen Angriff erwartete. Just, in diesem unglücklichen Moment kam dann auch Björn hereingetapst und brüllte beim Anblick der Situation gleich los. Dadurch wurden dann natürlich auch Jean und Janine alarmiert, die dann ebenfalls noch hinzu stürmten. Natürlich brachte mich das ganze Geschehen wieder zur Besinnung und ich versuchte mich zu sammeln. Auch Uli erhob sich wieder und sagte mit leiser, schuldbewusster Stimme: „Entschuldigung, ich wollte dich nicht verletzen.“. „Ach, du brauchst dich nicht entschuldigen,“, erwiderte ich darauf jetzt sehr kleinlaut, „denn du hast ja recht. Aber wenn man so ungeschminkt die Wahrheit hört tut das sehr weh.“. Darauf erwiderte Uli, jetzt etwas gefasster: „Ja, deshalb habe ich mich ja entschuldigt, denn das wollte nicht.“. Nach dieser Aussage wandte sie sich erst einmal den Kindern zu während ich mich völlig geschafft auf die Couch setzte. Uli brauchte etwa eine halbe Stunde bis sich das Klima auch bei den Kindern wieder normalisiert hatte. Eigentlich hätte ich ihr dabei behilflich sein müssen aber ich, der sich einbildete der starke Mann zu sein, war in diesem Moment dazu gar nicht in der Lage. Ich saß da vollkommen untätig, äußerlich wie ein frisch gebrühtes Würstchen aussehend, auf der Couch. Als die Kinder wieder in ihre halbwegs heile Welt versetzt waren kam Uli zurück in Wohnzimmer, setzte sich auch auf die Couch und kuschelte sich dicht an mich. heran Mit sehr lieber freundlicher Stimme, gerade so als habe sie etwas gut zu machen, sagte sie: „Ach Schatz, ich liebe dich doch sehr und ich brauche dich dringend. Dieses auch als Mann, denn ich bin doch noch jung und noch nicht vom weltlichen ab. Es ist noch nichts zugewachsen und auch noch nichts vertrocknet. Wenn du wüsstest wie ich mich hier im Hause fühle ... nicht als ob ich verheiratet wäre sondern so wie eine Witwe oder eine geschiedene Frau, die sich noch nicht wieder der Männerwelt zugewandt hat. Lass uns doch mal überlegen, wie man beides, also unsere Familie und euer Unternehmen unter einen Hut bringen kann. Ist es denn wirklich nicht möglich, dass du Arbeiten, die du ohnehin in den Abendstunden alleine erledigst mit nach Hause bringst. Wir haben doch unten noch das Büro. Dann bist du jedenfalls hier und ich weiß, dass ich noch einen Mann habe.“. Diese Idee fand ich
auf Anhieb gut aber ich wollte auch nicht gleich sagen: „Au ja, das mache ich.“ sagen. Also stellte ich mich zunächst überlegend. Dann nahm ich sie aber doch fest in meine Arme und bekundete ihr: „Ach mein Mäuschen, ich habe dich doch sehr, sehr lieb. Du bist mein Ein und Alles, das ich nicht verlieren möchte. Aber verstehe mich doch bitte auch. Ich möchte nicht als graue Maus sterben. Ich möchte etwas schaffen, was wir mal unseren Kindern übergeben können. Dabei drücken mich jetzt fürchterliche Sorgen. Es ist doch alles teurer geworden als ich es mir ursprünglich gedacht habe. Wenn jetzt etwas passieren würde, wären wir alles los, was wir mal besessen haben. Du weist ja, dass ich alles was zur Verfügung stand zu Gunsten des Eigenkapitals verflüssigt habe. Alles andere habe ich als Sicherheit an die Bankfiosis abgetreten. ... Mensch, das alles kratzt und wühlt in mir. Ich habe Angst Fehler zu machen und gehe deshalb jede Sache drei- oder viermal durch. Bevor ein Fehler passiert arbeite ich lieber alles was unsere Leute gemacht haben noch einmal gründlich nach. Natürlich zittert Dirk genau so wie ich. Zu seiner Sicherheit spricht er jeden neuen Schritt mit mir zwei- oder dreimal durch. Bei alle dem geht die meiste Zeit, die mir zur Verfügung steht, bei mir drauf und das sind alles Sachen, die ich nicht mit nach Hause bringen kann. Nur deshalb bin ich von des Morgens bis zum späten Abend im Geschäft. Aber ich mache dieses ja doch für uns alle ... ich wäre tatsächlich gerne mehr zuhause bei euch. Aber dieses wird sich bestimmt legen. Warte mal ab, nächstes Jahr sieht schon alles anders aus.“. Uli war nach diesen Worten zunächst für ein Weilchen recht nachdenklich, dann gab sie mir einen kräftigen Kuss und sprach hernach ihre Gedanken zu der Angelegenheit aus: „Ach Schatz, du machst dir viel zu viel Gedanken. Natürlich ist ein Geschäft immer mit Risiko verbunden. Es kann gut gehen und du kannst dabei alles was du an Vermögen hast verlieren. Aber was ist denn so schlimmes daran, wenn man kräftig auf die Nase fällt. Mitnehmen in die Ewigkeit kannst du ohnehin nichts und früher oder später wird sowieso wieder alles zu Staub und Asche. Wenn du alles verloren hast, fängst du einfach wieder von Vorne an ... Das Leben geht halt immer weiter. Wenn du aber für deinen Erfolg und dein Vermögen die Menschen, die dich umgeben aufgegeben hast, dann bist du ein armer Mensch. Dann stehst du da alleine ohne Liebe und Glück. Dann ist da niemand der dich wieder aufbauen will, niemand der dich tröstet und niemand der dir wieder Hoffnung gibt. Dann ist auch niemand, für den sich ein Neuanfang lohnt. Deshalb sehe doch alles gelassener und wende dich uns zu. Für mich wirst du immer mein Dieter und für die Kinder, selbst auch für Katja, wirst du immer der Papa sein ... auch wenn alles kräftig in die Hosen geht. So wie du für uns da bist wollen wir auch immer für dich da sein. Und deshalb lass uns bitte nicht allein.“. Jetzt hatte ich erst mal wieder, wie so oft bei solchen Angelegenheiten, feuchte Augen bekommen, die ich mit den Taschentuch behandeln musste. Ich war damit noch nicht fertig als ich nochmals einen „dicken“ Kuss bekam. Danach setzte Uli dann zum Finale ihrer „Rede“ an: „Stell doch deine Angst und die Nacharbeiterei aus diesem Grunde ein und bringe doch deinen Mitarbeitern mehr Vertrauen entgegen. Ansonsten bewirkst du das Gegenteil von dem was du eigentlich willst. Du setzt dich und deine Mitarbeiter nur unter psychischen Druck und gerade dann kommt es zu Fehlern. Vertrauen stärkt die Leute und sie gehen mit höherer Motivation an die Arbeit. Sie leisten mehr und machen weniger Fehler. Das gilt auch für dich selbst. Habe doch einfach mehr Selbstvertrauen und mach nur alles zwar gründlich aber nur ein Mal. Die Zeit, die du dabei gewinnst, nutze um Kraft und Elan zu tanken. ... Und wo kannst du Kraft tanken?“. Sie lachte und schaute mich so an als ob sie eine Antwortet erwarte. „Zu Hause, bei dir meine Maus und bei unseren drei Rackern“, gab ich ihr kleinlaut zur Antwort. „Also,“ erwiderte Uli jetzt wieder, „dann mach doch aus der Erkenntnis einen Vorsatz.“. Danach schloss sie die Runde mit einem dritten starken Kuss ab.“. Alles in Allem war ich jetzt richtig heiß auf meine Frau geworden aber da konnte zu diesem Zeitpunkt nichts raus werden, denn da war ja noch unser dreiköpfige Nachwuchs, der auch genau in diesem Moment wieder hereingestürmt kam. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir zu Fünft in familiärer Eintracht. Insgesamt entwickelte sich daraus ein glückliches Wochenende, wie wir es lange nicht erlebt hatten. Mit dem festen Vorsatz es so zu machen, wie es meine Frau vorgeschlagen hatte, trat ich am darauffolgenden Montag wieder an. Das war in der Praxis gar nicht so einfach. Immer wieder war da der Hang, eine abgeschlossene Arbeit erneut in die Hand zu nehmen und ich musste immer wieder gegen den inneren Schweinehund, der mir gebot die Arbeit meiner Mitarbeiter zu kontrollieren, ankämpfen. Mein offensichtlich paradoxes Verhalten fiel auch Katarina auf, denn sie fragte: „Hör mal, was ist denn mit dir passiert. Du arbeitest heute flott und zielstrebig aber zwischen den einzelnen Vorgängen wirkst du immer wie ein hypernervöses Hemd. Wie kommt es?“. Darauf gab ich ihr das Fazit aus Ulis Rede als meine eigene Erkenntnis kund. Katarina erwiderte darauf, dass es gut sei, dass ich da von selber drauf gekommen sei, denn ihr wäre das, was mir aufgefallen sei, auch schon bewusst geworden. Sie habe nur noch nicht gewusst, wie sie mir das hätte sagen sollen. Sie hoffte jetzt im eigenen Interesse, dass das Ganze keine Eintagsfliege sei. Hinsichtlich des eigenen Interesses fragte ich nach und bekam zur Antwort, dass ihre Zeiteinteilung ja stark mit der meinigen zusammenhing. Wenn ich mir mehr Freizeit beschaffen würde, bekäme sie diese auch. Dann könnte sie sich ja auch mal wieder nach einer neuen Partnerin umsehen. Irgendwie bräuchte sie so etwas für ihr „Libido“. Sie
hätte schon mal daran gedacht eine einschlägige Anzeige im „Tip“, einem Anzeigenblättchen ähnlich der „Zweiten Hand“, in dem schon damals, wo es eigentlich noch nicht so üblich war, diverse Partnerschaftsanzeigen, auch für Schwule, Lesben und Swinger, erschienen, aufzugeben. Diesen Gedanken hätte sie aber immer wieder verworfen, weil sie ja ohnehin keine Zeit gehabt habe. Sollte meine neue Art aber keine Eintagsfliege sein, dann wolle sie „zuschlagen“. Sie konnte zuschlagen, denn es war tatsächlich keine Eintagsfliege. Dafür sorgte schon allabendlich Uli mit einer entsprechenden Seelenmassage. In den ersten beiden Wochen fiel mir das allerdings sehr schwer aber dann ging es immer besser. Irgendwie musste Uli recht gehabt haben, denn es lief offensichtlich auch arbeitsmäßig immer besser. Nach meinem Eindruck gingen auch unsere Mitarbeiter mit zunehmenden Schwung an ihre Arbeit. Augenscheinliche Fehler kamen hernach sogar deutlich weniger wie vorher vor. Auch geschäftlich war das Jahr 1983 wunderbar verlaufen. Wir waren praktisch als Senkrechtstarter an den Markt gegangen. Wenn ich jetzt mal unkaufmännisch spekuliere und die vorhergehenden Investitionen nicht berücksichtige, also so tue als hätte ich den Laden geschenkt bekommen, dann könnte ich behaupten, wir hätten das Jahr mit einem satten Gewinn abgeschlossen. Nach dem Donnerwetter im Oktober, bei dem mich Uli auf den Teppich zurückholte, lief es auch familiär ganz harmonisch ab. An zwei Wochenenden im November waren wir auch in Hohenlimburg und Letmathe bei den Omas aufgetaucht und hatten mit denen die Vereinbarung getroffen, dass sie uns in Berlin besuchen sollten. Den Anfang machte dann Weihnachten 1983 Ulis Mutter. Meine Eltern wollten im Januar 1984 für zwei Wochen nach Berlin kommen und auf ihre Enkel aufpassen, damit Uli und ich mal ein Wenig Winterluft in Österreich schnuppern konnten. Also den Mut zum Urlaub hatte ich inzwischen also auch gefunden. Jetzt kann man natürlich fragen, was ein so unsportlicher Typ, wie ich es war und bin, im Skiurlaub macht. Sorry Leute, ich habe zwar „Winterluft in Österreich“ geschrieben aber nicht „Schneeluft in Saalbach-Hinterglemm“. Natürlich hat sich bei mir die Sportlichkeit, die im Jugendalter fehlte nicht im Mannesalter plötzlich eingestellt und mein linkes Bein war und ist nach wie vor steif. Uli war zwar deutlich sportlicher als ich aber Skilaufen konnte sie auch nicht. Wir hatten auch kein klassisches Wintersportgebiet zum Ziel sondern Wien, also ein Ganzjahresziel, im Auge. Wir hatten uns Wien als Kurzurlaubsziel ausgesucht weil ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden wollte. Mein ehemaliger Brötchengeber hatte traditionell für seine Büromaschinen einen guten Markt auch in Österreich, den er jetzt auch mit der neuen Technologie „beackern“ wollte. Dazu gehörte natürlich auch unser Softwaresystem. Da es zwischen deutschen und österreichischen kaufmännischen wie rechtlichen Gepflogenheiten beziehungsweise Vorschriften diverse Unterschiede gab – man denke beispielsweise auch nur an das Steuerrecht – brauchten wir für die Anpassung Leute, die sich einerseits im österreichischen Kaufmanns-Chinesisch und in der Software andererseits auskannten. Wenn man andere Leute in seine Software fummeln lassen will, muss man diesen erstens Einblick geben und zweitens muss man sich auf diese verlassen können, damit es kein Schindluder gibt. Dirk hatte da eine einschlägige „Softwarebude“ in Wien ausgesucht. Der Junior hatte mit ihm zusammen in Dortmund studiert und in dieser Zeit waren die beiden eng miteinander befreundet. Jetzt war also schon alles klar, ich musste nur noch nach Wien um bei einem Rechtsanwalt und Notar Verträge unterzeichnen. Theoretisch hätte ich das auch so erledigen können, dass ich an einem Tag hin und am nächsten Tag zurück geflogen wäre. Aber warum sollte ich da nicht mal meine Frau mitnehmen und eine ganze Woche rausmachen. Damit das möglich wurde kamen meine Eltern nach Berlin um unser Haus und unseren Nachwuchs zu hüten. Sicherlich ist jetzt die aufmerksame Leserin beziehungsweise der hellhörige Leser über eine differenzierende Zeitangabe gestolpert. Wir wollten eine Woche nach Wien und meine Eltern für zwei Wochen nach Berlin. Das erklärt sich aber sehr leicht: Weder meine Mutter noch mein Stiefvater waren jemals zuvor in Berlin gewesen. Da liegt es nahe, dass man sich diese Stadt dann auch mal ansieht. Wenn man im Hause der Schwiegertochter und des Sohnes eine dreiköpfige Enkelschar hütet bekommt man von der jeweiligen Stadt naturgemäß wenig oder gar nichts zusehen; da muss man dann schon eine Woche dranhängen. Nun meine Eltern trafen am Donnerstagabend ein und am nächsten Tag sollte es dann vom DDR-Flughafen Schönefeld direkt nach Wien gehen, denn einen Direktflug ab Tegel gab es damals nicht. Zum ersten Mal in meiner Berliner Zeit nutzte ich diese östliche Verkehrseinrichtung, die unter anderem beim Mauerbau 1961 eine Rolle spielte. Die DDR wollte damals, weil ihnen die Leute im bedrohlichen Maße davon liefen – Adenauer nannte das „Abstimmung mit den Füßen –, den Zugang von und nach Berlin ganz unter ihre Kontrolle bringen und daher den Flughafen Schönefeld als Zentralflughafen durchsetzen. Na ja, wie wir alle wissen war das dem Herrn Ulbricht und seinen Genossen nicht gelungen. Den Flughafen Schönefeld konnte man von Westberlin auf zweierlei Art und Weise, die am Endstück einheitlich verliefen, erreichen. Einmal konnte man ab dem Zentralen Omnibusbahnhof mit einem Ostberliner Linienbus zum Flughafen fahren oder man konnte zum Grenzübergang Bukower Chaussee fahren und von dort zu Fuß ein Grenzerhäuschen im „Todesstreifen“ anlaufen und von dort das letzte Stück im bereits genannten Linienbus mitfahren. Da von Marienfelde ausgesehen der Grenzübergang günstiger als der Omnibusbahnhof lag, haben wir
uns für diese Alternative entschieden. Aber einen richtigen großen Bahnhof sollte es zu unserem „Abschied“ dennoch geben. Alle, das heißt meine Eltern sowie unsere drei Kinder, wollten mit zur Bukower Chaussee. Mit Uli und mir wären dieses insgesamt sieben Personen gewesen, die wir ja nicht in einem PKW verstauchen konnten. Deshalb griff ich auf den neunsitzigen Bus der BBSS zurück. Diesen hatten wir uns für den Servicebereich unserer Schulung zugelegt. Damit konnten wir dann mehre Personen von und zum Flughafen, von und zum Kurfürstendamm und so weiter bringen. Katarina, die übrigens nicht nur eine gute Sekretärin sondern auch eine gute Autofahrerin ist, fuhr uns hin weil weder meine Mutter noch mein Stiefvater diesen Kleinbus fahren wollten. Am Grenzübergang gab es dann die übliche Urlaubsreisen-Abschiedszeremonie und dann konnten wir live erleben, wie bedrohlich diese unnatürliche Grenze wirkte. Nachdem uns der Westberliner Zoll in die Ausweise gesehen hatte konnten wir über einen schmalen umzäunten Fußweg neben der Straße zu dem DDR-Grenzerhäuschen begeben. Ich hatte rechts und links unsere beiden Koffer und Uli eine Reisetasche an der Hand. Als wir uns da vorwärts begaben hörten wir ein riesiges Gebrüll „Papa, Mama, Papa, ...“. Unser kleine Björn schrie, als er uns innerhalb des Unikums sah, Mordio. Da konnten sich die beiden Großen auch nicht halten und ließen ebenfalls ihre Tränen fließen. Die Oma hatte alle Hände voll zutun, um den Kleinsten begreiflich zu machen, das Papa und Mama bestimmt wieder kommen. Es war wohl doch ein Fehler alle mit zur Grenze zu nehmen. In Wien hatten Uli und ich ein paar sehr schöne Tage. Erstmalig seitdem wir in Berlin wohnten waren wir tatsächlich mal mehr als nur ein paar Stunden für uns allein, das heißt ohne Kinder. Zeitweilig haben wir richtig wie in jungen Jahren geturtelt. In Wien haben wir uns auch allerhand angesehen. Aber liebe Wiener, ist das nur mein Eindruck oder ist Wien wirklich eine melancholische Stadt. Auf mich wirkte sie immer etwas deprimierend, was aber auch mit an dem trüben, dunklen Wetter dieser Tage gelegen haben kann. So wie die Stadt wirkte auch das etwas sehr plüschige Hotel, in dem wir wohnten, auf mich. Dabei gab es in diesem Haus alles was einem modernem Hotel gut ansteht. Unter anderem auch eine geräumige Sauna mit einem eigenen kleinen Pool, die gerne von den Hotelgästen in Anspruch genommen wurde. Durch diese konnte ich eine ganz neue Uli kennen lernen. So hinsichtlich Sauna und FKK kannte ich sie aus den ganzen über 12 Ehejahren immer etwas prüde. In Wien war sie es, die unbedingt mal da rein, also in die Sauna, wollte – und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem nicht zu erwarten war, dass wir dort alleine sein würden. Etwas verwundert fragte ich daraufhin: „Nanu, du willst in die Sauna, wo Männlein und Weiblein so herum laufen wie sie geschaffen wurden. Da muss du aber auch alles ablegen. Ein Badeanzug ist da unanständig.“. Recht keck antwortete sie mir: „Na und, ich bin doch noch ganz knackig, ich kann mich doch sehen lassen. Oder gönnst du mir etwa nicht, dass ich mir mal ein paar andere Pimmelchen ansehe – deinen kenne ich ja nun mittlerweile zu genüge.“. Na ja, so waren wir dann während unseres Aufenthaltes täglich einmal in der Sauna. Nackt unter Nackten sein, turnt irgendwo an, zumindestens kann ich das von mir behaupten. Uli und ich waren nach einem Saunabesuch in der Tat richtig scharf auf einander. Wir hatten uns also in der Sauna Appetit geholt aber wie es sich gehört auf dem eigenen Zimmer gesessen. Uli meinte darauf, dass so ein Bisschen Abwechselung dem eigenen Sexualleben recht gut täte. Allerdings beim Thema Schlafen oder nur beim Thema Petting blieb sie eisern konservativ. Dafür kam bei ihr nur ich in Frage und umgekehrt verlangte sie von mir eine gleiche eiserne Disziplin. Flotte Dreier, Swingerspiele, Partnertausch und solcherlei Scherze blieben für sie absolut tabu, was sie mir auch ganz deutlich sagte. Aber am „sich zeigen“ und „mal richtig hinsehen“ hatte sie Spaß gefunden. 1984 ist auch noch anderen Leuten die Lust am Fremdgehen vergangen. Damals wurde nämlich der Aids-Virus entdeckt. Zuerst löste diese Entdeckung doch eine Menge Aufsehen und Panik aus. Aber wie alles im Leben, wie später auch BSE oder neuerdings SARS, gehen die Menschen wenn die Sensationsmeldungen abgedroschen sind wieder zur Tagesordnung über, das heißt, dass die Gefahren, die von solchen Krankheiten ausgehen größtenteils ignoriert werden. Die vorherige Panik, die einer Weltuntergangsstimmung gleichkommt, steht in keinem Verhältnis zu dem späteren phlegmatischen Umgang mit diesen Dingen. Meines Erachtens liegt das auch sehr stark daran, dass die Medien und die Politik beim bekannt werden solcher Dinge diese nicht real und aufklärend behandeln sondern alles irreal aufbauschen. Die Medien machen daraus Sensationsmeldungen und die Politiker entwickeln hektische Stimmenfang-Aktivitäten. Wenn dann der Vorrat an Sensation und Stimmenfang-Geschrei aufgebraucht ist, wenden sich die Vorgaukler unserer Zeit anderen Dingen zu und die Masse denkt nicht mehr daran. Sachlicher aber dafür nachhaltiger wäre in meinen Augen wirklich in den meisten Fällen nützlicher. Die Gelegenheit, dass Uli zum Exhibitionismus gefunden hatte, nutzte ich dann für einen Urlaubswunsch. Ich wollte mal wieder nach Jugoslawien und dort auch mal wieder zu einem FKK-Strand. Das ich in jenen Tagen öfters an Jugoslawien denken musste lag auf der Hand, denn in diesem Jahr sollten in Sarajewo, das ein paar Jahre später eine schreckliche Rolle in einem schmutzigen Krieg spielen sollte, die Olympischen Winterspiele stattfinden. Damals fanden ja die Winterspiele immer im gleichen Jahr wie die Sommerspiele statt. Die Sommerspiele 1984 fanden in Los Angeles statt. Wie vier Jahre zuvor nahm an dieser nur die halbe Welt teil. Die USA hatte mit ihren Getreuen, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, die Sommerspiele 1980 in Moskau boykottiert und im Gegenzug fanden dann die Spiele 1984 ohne Ostblockbeteiligung statt. Da konnten
die Amerikaner wegen des Fehlens der starken Sportler aus der UdSSR und der DDR eine richtige „Operation Gold“ ausrufen. Aber was ist das schon für einen Sieg wenn die ernsthaftesten Konkurrenten gar nicht erst antreten. Wenn ich mit mir allein um die Wette laufe bin ich logischer Weise auch immer der Sieger, was schon vor dem Start klar war. Aber dieses mit den Olympischen Spielen nur so am Rande. Ich wollte ja eigentlich von meinem Urlaubswunsch und was daraus wurde erzählen. Da wurde mal wieder nichts raus. Das konnte ich dann so etwa einen Monat nach unserem Wien-Urlaub erfahren. Als ich am Abend gegen Sieben nach Hause kam saß Uli am Wohnzimmertisch als sei gerade vorher die Welt untergegangen. Besorgt erkundigte ich mich gleich danach ob etwas passiert sei. „Und ob“, stöhnte Uli, „die Spirale, die ich mir hab’ setzen lassen saß nicht richtig. Zum Zeitpunkt als wir in Wien waren hatte ich dann meinen Eisprung ... Ausgerechnet in dieser Zeit war ich dann noch spitz wie Nachbars Lumpi.“. „Na und,“, versuchte ich die Sache erst einmal abzutun, „was ist denn daran so schlimm?“. „Das fragst du noch?“, konterte Uli, „Wir beide werden dieses Jahr Achtunddreißig und zählen dann trotzdem noch einmal zu den jungen Papis und Mamis. Ich bin mal wieder schwanger.“. Irgendwie wusste ich erst auch nicht, wie ich diese Nachricht aufnehmen sollte und tönte dann in einer nicht sehr glücklichen Wortwahl: „Vier Kinder. Da ist es mal gut, dass ich Unternehmer bin. Ansonsten fängt ja in den Köpfen der meisten Menschen in unserer kinderfeindlichen Gesellschaft bei mehr als zwei Kindern Asozial an obwohl wir, die kinderzeugenden und –gebärenden Zeitgenossen diejenigen sind, die den Fortbestand unserer Rentenversicherung sichern.“. Uli sah mich an als habe ich gerade in einer ihr vollkommen unverständlichen Fremdsprache gesprochen und sagte dann etwas keifig: „Was die Leute denken und wie man die Rentenversicherung sichert ist mir im Moment scheiß egal. Ich will wissen, was du jetzt empfindest. Bist du entsetzt oder freust du dich trotzdem oder ...“. Ich konnte ihr erklären: „Ach Mäuschen, erstens habe ich dich sehr, sehr lieb und andererseits habe ich ein Herz für Kinder. Auch wenn mir jetzt alles überraschend kommt freue ich mich tatsächlich auf mein viertes Kind.“. „Sorry,“, unterbrach mich Uli jetzt freundlich lächelnd, „es ist zwar unser viertes aber dein fünftes Kind – oder willst du jetzt deine Katja aus deinen Erinnerungen streichen. Die hat übrigens geschrieben ... Der Brief liegt auf den Sideboard.“. Das war übrigens „nur“ einer der üblichen netten Briefe meiner Ältesten, der also keine besondere nachhaltenswerte Kunde enthielt. Es ist mir nur so in der Erinnerungen geblieben weil es zum ersten Mal vorgekommen war, dass es Uli war, die mich daran erinnerte, dass es außer unseren Dreien noch ein weiteres Kind, dessen Vater ich bin, gab. So sah ich dann in jenem olympischen Jahr, dem ersten vollen Geschäftsjahr der BBSS, zum fünften Mal Vaterfreuden entgegen. Wo ich gerade mal wieder die BBSS erwähne kann ich ja gleich sagen, dass ich in diesem Kapitel da nicht mehr groß darauf einzugehen brauche, denn die Geschäfte liefen gut und besondere Vorkommnisse gab es nicht. So hat sich bei mir auch nichts eingeprägt, was sich zu berichten lohnte. Stopp, das stimmt nicht ganz, von Katarina muss ich doch noch berichten. Sie entwickelte und zeigte immer mehr Geschäftsführungstalente. Dadurch wurde ich enorm entlastet und hatte mehr Freizeit als in meinem ganzen Berufsleben zuvor. Auf der Suche nach einer Partnerin war sie in jenem Jahr auch nicht sehr erfolgreich und daher weiß ich nicht ob sie die Partnerlosigkeit mit erhöhtem Arbeitseifer kompensierte aber sie war dann letztlich die Seele des Unternehmens. Auf meinem Vorschlag beteiligten Dirk und ich sie an der GmbH und beriefen sie zur weiteren Geschäftsführerin. Klar, dass es sich schlecht macht, wenn sich eine Geschäftsführerin als Sekretärin betätigte und deshalb stellten wir noch eine Sekretärin für die Geschäftsführung, also gleichzeitig für Katarina und mich, ein. Auf diese gehe ich aber erst im nächsten Kapitel ein, denn die stand dann im Mittelpunkt einer erst interessanten und später dramatischen Geschichte. Aufgrund des großen Freiraumes, den ich jetzt hatte, konnte ich mich jetzt mehr als bei den vier Malen davor um meine schwangere Frau kümmern. Eu, ich war ganz schön besorgt um sie. Ich weiß nicht woran das liegt, dass ich zuvor die Schwangerschaften meiner Frau als etwas normales angesehen habe und jetzt ein solches Theater, als müsse man Mutter und Kind in Seidenpapier einpacken, machte. Vielleicht lag das daran, dass Uli und ich jetzt zum ersten Mal von einer Schwangerschaft überrascht worden sind. Bei den drei Malen zuvor war immer eine Planung, beim ersten Mal so gar ganz exakt, vorausgegangen. Oder lag es daran, dass Uli, die zum Zeitpunkt unseres jüngsten Kindes 38 Jahre sein würde, für eine werdende Mutter nicht mehr die Jüngste sein würde? Auf jeden Fall machte ich einen Heidenzirkus um diese Angelegenheit, den Uli mal so und mal so auffasste. Einmal genoss sie es, wie sie mir später gestand, wie ich um ihr herumsprang und sie behütete aber sehr oft ging ich ihr mit meinem Theater doch sehr auf die Nerven. Sehr oft versuchte sie mir klar zu machen, dass Kinderkriegen die normalste Sache der Welt sei. Auch Jean, Janine und Björn erlebten mich in dieser Zeit mit gemischten Gefühlen. Noch nie in ihrem Leben hatte ich mich so sehr um sie gekümmert. Selbst wieder zu einem Kind mutiert, spielte ich mit dem 4-jährigen Björn in der Buddelkiste, wie man im Berlin zum Sandkasten sagt. Mit der 10-jährigen Janine experimentierte ich in der Küche an neuen Menüs. Von der Schule hatte sie just in dieser Zeit einen kleinen Kochtick mit nach
Hause gebracht. Mit dem 11-jährigen Jean und seinen Freunden ging ich auf „Verbrecher“ und Monsterjagd. Inspiriert von dem Kinderbuch „Fünf Freunde“ fühlten sie sich zu Meisterdetektiven berufen. Soweit jetzt ein Beispiel pro Kind und dabei wollen wir es belassen obwohl ich noch reihenweise weitere Dinge aufführen könnte. Ja, auch das gibt es: Männer, die auf der einen Seite den „großen“ Unternehmer markieren und auf der anderen Seite ganz Kind geblieben sind. Dahingehend war ich für unsere Kinder super. Aber das ich mich aber auch für ihre schulischen Aktivitäten sowie um das Aufräumen der Kinderzimmer oder das Ausräumen der Spülmaschine kümmerte lag natürlich nicht in ihrem Geschmack. Ursprünglich habe ich diesen Kinderbetreungseifer entwickelt um meine schwangere Frau, um die ich besorgt war, zu entlasten und später weil es mir Spaß machte. Als der Entbindungstermin immer näher kam galt es noch einen kleinen Kampf auszustehen. Unsere Eltern waren inzwischen allesamt Rentner. Das war dann der Anlass für unsere beiden Mütter sich zur Hausverwaltung und Kinderbetreuung zu melden. Nachzugeben und beide Omas mit der Aufgabe zu betrauen hätte wahrscheinlich zu allerlei Hickhackereien geführt, aber keine der beiden Damen wollte freiwillig verzichten. Uns blieb letztlich nichts anderes als sowohl meiner wie Ulis Mutter zu sagen, dass wir ihre Dienste nicht benötigten sie aber gerne nach der Geburt für ein paar Tage nach Berlin einladen würden. Auch dieses wurde zunächst weder von der einen noch anderen Mutter akzeptiert und bei den Telefonaten mit unseren Elternhäusern ging es dann eine Weile knapp und etwas frostig zu. Dieses änderte sich dann so ab dem 10. Oktober 1984 schlagartig. Da hatten die beiden Damen kalte Füße bekommen und bedachten, dass sie bei weiterer sturer Haltung dann auch nach der Geburt nicht zu ihrem neuen Enkelkind kamen. Da wurden sie zunehmenst freundlicher und kündigten ihren Besuch sofort nach der Geburt an. Insgesamt kam ich durch die großmütterlichen Eifersüchteleien ganz schön in Bedrängnis. Zum Einen musste ich ganz in die Hausmannsrolle schlüpfen und hätte dann auch bei der Geburt nicht dabei sein können, denn unsere drei Kinder dachte ich in dieser Situation nicht allein zuhause lassen zu können. Zum Anderen musste ich mir Gedanken darüber machen wie ich jetzt sowohl Ulis Mutter wie meine Eltern gleichzeitig bei uns im Haus unterbringen sollte. Nach den Eifersuchtsvorgängen im Vorfeld konnte ich mich auf einigen Zoff einstellen, wenn ich ihnen eine Hotel- oder Pensionsunterkunft angeboten hätte. Also verhandelte ich mit unseren Kindern, dass sie vorübergehend auf dem Zimmer unseres, bis jetzt Jüngsten, Björn, zusammenziehen sollten. Das etwas größere Zimmer von Janine richtete ich für meine Eltern und Jeans für Ulis Mutter her. An Arbeiten war in dieser Zeit nicht zu denken; ich musste alles Katarina und Dirk überlassen. Der Boss der BBSS war also zum „perfekten“ Hausmann degradiert. Am Montag, dem 22. Oktober 1984, war dann der erwartete große Tag, der allerdings nicht so glänzend wie die bisherigen drei Geburtstage verlief. Schon am vorangegangen Freitag war Uli in das Klinikum Steglitz eingeliefert worden. Bei einer Ultraschallaufnahme hatte man erstens festgestellt, dass unser viertes Kind ein Mädchen sein würde und zweitens, dass eine ungünstige Steißbeinlage vorlag. Da musste bei der unmittelbar bevorstehenden Geburt mit Komplikationen gerechnet werden. Am Montagmorgen entschloss man sich dann unsere Arnika mittels Kaiserschnitt auf die Welt zu bringen. Daher gesehen hätte ich bei der Geburt ohnehin nicht dabei sein können. An diesem Tag musste dann trotzdem die BBSS mal ganz ohne Geschäftsführer auskommen. Dirk war zu einer Messe in den USA und Katarina kam zu uns ins Haus um mich in der Zeit, wo ich Uli und Arnika im Klinikum besuchte, bei den drei älteren Kindern zu vertreten. Uli war noch nicht so gut dran aber der neuen Erdenbürgerin Arnika ging es gut. Eine Woche später konnte ich aber dann doch meine Beiden aus dem Klinikum abholen. Da war das Haus so voll wie nie zuvor. Neben der nun fünfköpfigen Familie Ulrike und Dieter Kleiner war für eine Woche eine dreiköpfige Großelternschar anwesend. Da war ich eigentlich ganz froh, dass ich mich ins Büro verdrücken und dort die Zeit übergebühr ausdehnen konnte. In dieser Zeit war ich dann auch wieder von morgens bis zum späten Abend im Dienst. Damit konnte ich aber auch unseren Eltern dokumentieren, was für ein großer und wichtiger Mann ich, der Boss der BBSS, war. Es wirkte auch wie gewünscht, denn die beiden Omas waren richtig stolz auf ihren Sohn beziehungsweise Schwiegersohn. In der Woche danach mussten Uli und ich uns erst einmal von all den Strapazen mit unseren Müttern erholen. Da nahm ich noch einmal eine richtige Auszeit in der BBSS. In dieser Zeit konnte ich feststellen, dass eine plötzliche persönliche Veränderung mit und in Uli vorgegangen war. Sie war jetzt ganz und gar Mutter. Bei ihr kam erst Arnika und dann die anderen Kinder und danach lange nichts. Ich, der Ehemann und Vater war bei ihr in die Rolle eines Statisten, der sogar noch immer im Wege stand, geschoben worden. Da war ich doch tatsächlich froh, als ich am darauffolgenden Montag wieder ins Büro „durfte“. Meine Hoffnung, dass sich dieser „Anfall“ wieder legen würde, erfüllte sich nicht, was dann dazu führte, dass ich meine Boss-Spielerei in der BBSS nach und nach wieder auf das Männchen-Wichtig-Maß ausdehnte. Jetzt wurde ein Dienst von Neun bis Neun, morgens bis abends, wieder zur Regel. Regelmäßig wandelte ich auch den Samstag wieder in einen Werktag um. Des Samstags ließ ich es nur nicht zu spät werden. Da kam ich dann zwischen 14:00 und 17:00 Uhr nach Hause. Aber im Gegensatz zu früher gab es jetzt keine Widersprüche meiner Gattin mehr, sie war zur totalen Mutter geworden und in dieser Rolle offensichtlich glücklich.
Augenscheinlich ging eine selten glückliche Phase, die mit dem Erscheinen meiner Tochter Katja begann, zuende. Im Leben geht es halt immer auf und ab, was eigentlich auch gut so ist. Würden wir immer nur im Glück leben, würden wir es gar nicht mitbekommen, wie gut es uns in Wirklichkeit geht. Wir würden übermütig und drohten völlig auszuflippen. Größenwahn und Hochmut sind natürliche Folgen lang anhaltender Glücksphasen. Daher müssen wir schon ab und zu Einen auf die Nase bekommen. Aber warum dieses dann teilweise immer so hart ausfallen muss kann ich auch nicht erklären. Auf jeden Fall stand ich damals vor einer Phase, in der ich mal wieder deftig einstecken sollte. Aber ein Ereignis, was ich als ein sehr glückliches in Erinnerung habe, sollte in 1984 doch noch auf mich warten. Dirk war ja in den USA auf einer Messe gewesen. Als er wiederkam berichtete er mir, dass die jetzige SoftwareGeneration mit dem DOS (Disk Operating System) für PCs und UNIX für Großrechner bereits ihren Höhepunkt überschritten habe. Die Zukunft würde den auf PCs lauffähigen 32-Bit-Systemen mit visueller Bedienoberfläche und neuartigen Bedienelementen wie Maus, die es erstmals 1983 zum Apple-Computer „Lisa“ gab, und Touchscreen gehören. Der PC würde immer mehr die Großrechner ersetzen können. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass er mit dieser Zukunftsprognose recht hatte. Allerdings sollte es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern bis die alte Softwaregeneration wirklich langsam ausstarb. Das letzte DOS-basierende System, das „Windows ME“ kam 2000 auf dem Markt. Allerdings entsprach dieses aber weitgehenst den sonstigen Rahmenbedingungen, die Dirk genannt hatte, also 32 Bit – oder in diesem Fall präziser gesagt 2 x 16 Bit, visueller Oberfläche und Maus. Mit „Windows 95“ war allerdings „schon“ fünf Jahre früher ein erstes entsprechendes System auf dem Markt. Heute schreibt man diesen Erfolg überwiegend der SoftwareEntwicklung zu aber richtiger scheint mir, dass dieses eher ein Erfolg der Prozessor-Technik gewesen ist. Ohne die Prozessoren der Pentium-Generation müssten wir auf der Softwareseite immer noch mit den „DOeSchen“ zufrieden sein. In Amerika hatte Dirk einen jungen Mann aus Chicago kennen gelernt, der nach seiner Ansicht ein hervorragendes Konzept und gute Ansätze für ein solches System habe. Dieser Robert Turner wollte uns die ganze Sache in Chicago einmal genauestens vorstellen und wenn wir interessiert seien, wollte er dann nach Deutschland kommen und dieses für uns entwickeln. Nun, ich war nicht abgeneigt und Dirk vereinbarte für ein Treffen mit Robert eine Woche Anfang Dezember 1984. Aus einer Sentimentalität, die aus Schweikart-Zeiten herrührte schlug ich als Ort des Treffens das Hotel “Holliday Inn“ in Niles vor, was dem Amerikaner auch ganz recht war. Man kann sich vorstellen, dass ich dabei auch den Hintergedanken hatte, dass ich dort vielleicht meine Tochter Katja treffen könnte hatte. Der Zufall wollte es, dass diese genau an dem Tag, als wir unseren US-Trip klar gemacht hatten, dann bei uns anrief. Katja war begeistert und wollte sich zu diesem Zeitpunkt auch für eine Woche im Holliday Inn „einnisten“. Sie übernahm dann auch gleich die Organisation, dass heißt die Buchung im Hotel und die Planung der Abholung vom Flughafen Chicago und so weiter. Wir brauchten uns also, außer um die Flugbuchung, um nichts mehr zu kümmern. Als Dirk und ich dann im „Flieger“ saßen fiel mir auf, dass ich gegenüber Dirk noch nichts von meiner großen amerikanischen Tochter erzählt hatte. Zwar wusste seine Schwester Katarina von dem Vorhandensein meiner Ältesten aber ich hoffte während des Fluges, dass sie ihrem Bruder davon nichts erzählt habe, denn ich wollte mir einen Spaß erlauben. Vielleicht haben sie auch schon mal festgestellt, dass die Verblüffung der Mitmenschen eines der größten Späße ist, die man sich machen kann. So etwas hat ja gerade in jüngster Zeit Leute auf den Splin „Flash Mob“ gebracht. Wie alles Unsinnige ist auch diese Geschichte über den großen Teich zu uns herüber geschwappt. Da verabreden sich wildfremde Leute über das Internet beziehungsweise über eMails an einem bestimmten Ort für fünf Minuten zu einem absoluten Nonsens. Zum Beispiel dass sie sich an einem schönen Sommertag mit geschlossenen Regenschirmen mitten auf einem öffentlichen Platz treffen. Punkt 14:32 Uhr öffnen sie die Regenschirme und beginnen zu klatschen. Wieder pünktlich um 14:37 Uhr löst sich dann der komplette Spuk so wieder auf wie er sich gebildet hatte. Na ja, für mich sind solche Späße, bei denen man sich ausschließlich an den verdutzten Gesichtern zufälliger Passanten ergötzen kann, doch ein Bisschen wenig obwohl Verblüffung, wie ich schon schrieb, Spaß machen kann. Da genieße ich doch ganz gerne auch Informationen darüber was in dem Verblüfften vorgegangen ist. Unter anderem hatte ich ja einen solchen Spaß als ich damals Katarina bei meinen Eltern vorstellte. Also ich beabsichtigte Dirk in Verblüffung zu setzen und dieses auszukosten. Ich kam darauf als er mich schon beim Flug von Tegel nach Frankfurt fragte ob ich unsere Abholung vom Flughafen organisiert hätte oder ob wir mit dem Taxi fahren müssten. Ich konnte ihm sagen, dass wir von einer jungen Dame abgeholt werden sollten. Darauf wollte er wissen, ob ich bestimmte Erkennungszeichen vereinbart habe. Diese Frage konnte ich sogar wahrheitsgemäß mit „Nein“ beantworten. Weshalb sollte ich auch mit meiner Tochter, die ich und die mich kannte, solche Zeichen vereinbaren. Letzteres wusste Dirk ja nicht und er machte sich doch eine Reihe von Gedanken ob das tatsächlich mal gut gehe. Er meinte, dass, so wie er sein Glück kannte, die Abholung bestimmt schief gehen würde. Diese Bedenken trug er auch während des 9-stündigen Fluges von Frankfurt nach Chicago
immer wieder vor. Ich habe ihn dann immer beruhigt, dass es schon klappen würde. Ganz so dumm wie uns die Amerikaner erscheinen würden, wären die ja nun zum Glück auch nicht. Na ja, so kamen wir in Chicago an und unser Dirk verließ hinsichtlich der Abholung ganz nervös die EinreiseAbfertigung. Wir waren gerade draußen, als mich Katja erblickt hatte und auf uns losstürmte. Dirk, der es wohl nicht für möglich hielt, dass unsere Abholerin auf uns los stürmen würde, schaute sich immer noch suchend in der Halle um. Dabei bekam er auch nicht mit, dass Katja mir schon aus einiger Entfernung „Hi Dad“ zugerufen hatte. Um so verblüffter war er als Katja gleich in meine Arme sprang und mich auf die linke – oder war es die rechte? – Wange küsste. Vor Verblüffung ließ Dirk gleich seinen Koffer fallen. Nachdem ich Katja erst einmal kräftig gedrückt hatte ging ich zur Vorstellung über: „Katja darf ich dir Herrn Dirk Krause, meinem Partner vorstellen“ und dann sah ich Dirk an sagte: „Dirk, darf ich dir Katja Kleiner, meine älteste Tochter vorstellen.“. Das hatte gewirkt. Dirk wusste gar nicht was er sagen sollte. Eine solche Tochter hatte er mir wohl gar nicht zugetraut. In dieser Woche und auch als wir später wieder in Berlin waren, sagte er immer, dass unsere Abholung für ihn das bemerkenswerteste persönliche Ereignis unserer Amerikareise gewesen wäre. Ich glaube, dass es sich bei mir ebenso verhielt, denn welches Teufelchen hätte mich denn sonst geritten, dass ich nach all der Zeit darüber noch so ausführlich berichte. Für mich kam ja jetzt auch noch als Glücksmoment hinzu, dass dieses meine zweite Begegnung mit meiner erwachsenen Tochter war. Auch für Katja sollte diese Woche zu einem großen unvergesslichen Ereignis werden. Wir verbrachten ein paar sehr schöne Tage zu Viert. Denn zu uns stieß noch am gleichen Abend Robert Turner, der junge Mann wegen dem wir über den Teich gehopst waren. Ich lernte Bob als smarten, stets fröhlichen und aufgeweckten Burschen kennen. Was er uns vortrug hatte wirklich alles Hand und Fuß. Gerne hätten Dirk und ich zugeschlagen aber meine Kalkulation des notwendigen Aufwandes für Investitionen und Entwicklung, wozu wir dann auch noch ein paar Toppleute hätten einstellen müssen, ergaben eine Summe, die wir nicht hätten aufbringen können. Da hätten die Banken nicht mitgespielt. Ich sagte dieses Bob Turner ganz klipp und klar und er zeigte dafür auch jede Menge Verständnis. Aus unserem Geschäft wurde also nichts aber danach habe ich Bob nicht mehr aus den Augen verloren. Für ihn war diese Woche, wie er mir später mal stolz sagte, der Gewinn seines Lebens. Ja, jetzt kann man vielleicht schon Eins und Eins zusammenzählen. Katja wollte immer gerne bei allen, auch bei den Dingen, von den sie keine Ahnung hatte, dabei sein. Sie begründete es damit, dass sie ja ansonsten zu wenig von ihrem Vater habe. Bob bestand dann auch immer darauf, dass Katja dabei sein könnte. Er begründete es mit ihren Deutschkenntnissen, die uns immer bei komplizierten neueren Dingen aus dem Amerikanischen ganz nützlich sein könnte. Ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie geschickt damals Bob argumentierte um Dirk und mich nicht hinsichtlich unserer Englischkenntnisse zu verletzen. Den jeweils wahren Grund warum Katja dabei sein wollte und sollte kann man sich leicht vorstellen: Die beiden jungen Leute hatten sich ineinander verguckt. Bei ihnen war die Liebe ins Spiel gekommen. Im Mai 1985 reisten die Beiden zusammen nach Kalifornien um sich dort am Tage von Katjas 20. Geburtstag, also am 12. Mai 1984, das Ja-Wort zu geben. Dieser Bob Turner war sozusagen zu meinem Schwiegersohn geworden. Das hätte ich mir zum Zeitpunkt meiner Scheidung von Elke im Jahre 1968 nicht träumen lassen, dass ich dabei sein würde, wenn unsere Tochter ihren Mann kennen lernt. In mehrerlei Beziehung hatte ich bei meiner Rückkehr das „letzte Mal“ hinter mich gebracht. Zunächst war es für mich das letzte Mal, dass ich in den USA sein sollte. Später gab es bis zum heutigen Tage keinen weiteren Anlass weshalb ich über den Atlantik hopsen sollte. Dann war es natürlich das letzte Mal, dass ich meiner unverheirateten Tochter Katja begegnen sollte. Von ihrer Hochzeit und so weiter erfuhr ich durch den Schriftverkehr, dem so wohl Katja wie auch ich in der weiteren Zukunft treu und rege nachkamen. Allerdings war es zum Glück nicht das allerletzte Mal wo ich ihr begegnen sollte. Wir werden also noch von ihr zu lesen bekommen. Der dritte Punkt, bei dem ich nachträglich sagen kann, dass es das letzte Mal war, ist die Tatsache, dass ich das letzte Mal als Boss der BBSS richtig glücklich war. Von nun an ging es bergab – und das ganz dramatisch. Aber lesen Sie dazu das nächste Kapitel.
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Alle müssen wir sterben, nur jeder anders Dieser Tage las ich mal einen im Grunde furchterregenden Aufsatz zu einer Statistik hinsichtlich Ehe und Partnerschaft. Mehr als jedes dritte Ehepaar kommuniziert in der Regel täglich nur zirka 10 Minuten miteinander. Na ja, wenn ich an meine Zeit als Plattmacher bei Schweikart oder an meine Aktivitäten nach der Geburt von Arnika denke, muss ich gestehen, dass es auch in unserer Ehe ja zeitweilig entsprechend zugegangen ist. So unwahrscheinlich ist das Ganze offensichtlich ja gar nicht. Auch das von dem Phänomen der kommunikationslosen Ehe mehr Leute aus höheren Sozialschichten betroffen sind, ist auch nicht gerade verwunderlich, denn wer einen Vortänzer in Politik oder Wirtschaft spielt hat wenig Zeit und Raum um den Ansprüchen seiner Familie gerecht zu werden. Da haben es Angestellte mit geregelten Arbeitszeiten doch deutlich besser – sie gehören ihren Familien und nicht den Firmen beziehungsweise der Öffentlichkeit. Also stellen wir schon einmal durch die Hintertür fest, dass wir nach Arnikas Geburt eine typische Unternehmer-, Manager- beziehungsweise Politiker-Ehe führten. Morgens unterhielten wir uns beim Frühstück für zehn Minuten und dann ging ich meine Wege als der Chef der BBSS während Uli ganz und gar das Hausmütterchen spielte. Abends, wenn ich geschafft nach Hause kam schlief in der Regel schon alles und ich legte mich ins Bett, um es ihnen gleichzumachen. Aber der Aufsatz, den ich eben erwähnte, ging noch weiter. Da war dann ausgeführt, dass es in den in diesem erwähnten Ehen über Weihnachten, wenn man sich traditionsgemäß in die familiäre Stille zurückgezogen hat, zu großen und schweren Auseinandersetzungen kommt. Nach Ansicht der Experten liegt das daran, dass man die ungewohnte Ruhe und familiäre Zurückgezogenheit nicht ertragen kann und dann alles zum Ausbruch kommt was sich das ganze Jahr aufgestaut hat. Jeder dritte Rosenkrieg, der in einer Scheidung mündet, soll laut diesen Ausführungen zu Weihnachten ausgebrochen sein. Mit Rosenkrieg zu Weihnachten hatten Uli und ich bis 1984 eigentlich auch noch keine rechte Erfahrung. Unser Weihnachtskrieg des Jahres 1984 war so gesehen für uns ganz was neues. Wichtig kann das, worüber wir gestritten haben, auch nicht gewesen sein, denn ich habe bis heute so gut wie alles um was es damals ging total vergessen. Ich weiß nur noch, dass es teilweise hoch hergegangen ist. Aber zum Glück sind wir dabei nicht gewalttätig geworden, was bei Dauerstreitereien nun wirklich nicht auszuschließen ist. Im emotionalen Streit verliert man schnell die Selbstbeherrschung und die Körperkontrolle, wovon sich eigentlich niemand auf dieser Welt freisprechen kann. Da war ich richtig froh, dass ich am 27. Dezember, ich glaube, dass es ein Donnerstag war, unter einen Vorwand für den ganzen Tag ins Büro verschwinden konnte. Zumindestens hatte ich mir das am Morgen vorgenommen. Dort sollte ich dann zunächst aus dem Staunen nicht mehr heraus kommen. Eigentlich hatten wir ja über Weihnachten und Neujahr Betriebsferien ausgerufen. Außer zwei Mitarbeiter, die freiwillig einen Notdienst versehen wollten, sollte also laut unserer Ablaufplanung niemand im Hause anzutreffen sein. Zu meinem Erstaunen war aber unser Geschäftsführungsbüro in voller Stärke vertreten. Also auch Katarina und unsere Sekretärin Frauke Stolpe waren offensichtlich genau so „arbeitssüchtig“ wie ich. Die beiden Frauen waren heute aber ganz anders als sonst. Katarina saß mürrisch an ihrem Platz und vor ihrem Schreibtisch stand die rothaarige, extrem schlanke Frau Stolpe mit verheulten Gesicht. Hatte sie etwa ein Problem und mit diesem eine Abfuhr bei Katarina erhalten? Auf jeden Fall konnte man dieses sofort aus der Szene schließen. Natürlich fragte ich erst einmal nach ob ich helfen könne, was mir allerdings dann aus zwei Mündern verneint wurde. Dann fragt ich forscher: „Kann mir mal jemand sagen was hier los ist?“. Dann legte Katarina wie aus heiterem Himmel mit einem Mordsgeschimpfe los. Sie bezichtigte Frau Stolpe der Verlogenheit und der Untreue. Na, das kam mir dann doch etwas komisch vor und ich fragte: „Habt ihr beiden etwas miteinander?“. „Hatten, wir hatten.“, polterte Katarina die Antwort heraus, „Aber Weihnachten hat die Sau sich mit Dirk eingelassen. Sie sagt sie liebt mich und treibt es mit meinem Bruder – die Bi-Nudel.“. Oh je, das hatten wir schon mal. Damit war ja alles, was mit der BBSS zutun hat, angefangen. Also auch im Hause Krause gab es über Weihnachten statt Frieden und Stille nur Krieg und Krach. Da hatte Katarina aus der gleichen Motivation wie ich die Flucht ins Büro angetreten und ihre Freundin Frauke Stolpe war ihr gefolgt um erstens Abbitte zutun und sie zweitens wieder zurückzuholen. Nun denn, da konnte ich mich wohl schlecht einmischen und ließ die beiden Frauen mit ihren Problemen alleine. Ich verzog mich also in mein eigenes Büro, welches direkt neben Katarinas liegt, und machte die Tür hinter mir zu. Eine Stunde später kamen beide, jetzt plötzlich wieder mit strahlenden Gesichtern, zu mir und verkündeten mir, dass sie sich vertragen hätten und jetzt wieder nach Hause wollten. Als sie dann im neuen Jahr wieder erschienen erfuhr ich dann auch, dass sich die Geschwister Krause erneut eine Frau teilten. Diesmal sollte die Dreiecksgeschichte nicht so gut ausgehen wie die erste, diesmal sollte sie in einer Tragödie, die auch bedrohliche Auswirkungen auf die BBSS haben sollte, enden. Aber warten wir ab, bis es soweit ist. Das „Pärchen“ war gerade aus dem Haus, als sich ein Besucher bei mir telefonisch anmeldete. Mein früherer Chef, unser jetziger Partner, hatte zuvor bei uns zuhause angerufen und von Uli erfahren, dass ich im Büro sei. Bei seinem Anruf wollte er wissen, ob er mich eine Stunde später mal aufsuchen könne. Er konnte und was er
mir da zu berichten hatte ging mir sehr unter die Haut. Ihm war, fast so wie damals meinem Stiefvater, die Luft ausgegangen. An diesem Morgen war er schon in aller Frühe beim Amtsgericht Charlottenburg, wo das Handelsregister geführt wurde, gewesen um einen Konkursantrag zu stellen. Er hatte mit diesen Schritt aus drei Gründen bis zum Tag nach Weihnachten abgewartet. Als Erstes hoffte er, dass das Ergebnis des Jahresendgeschäftes so gut sein würde, dass er noch mal den Kopf aus der Schlinge ziehen könne. Zum Zweiten hätte er, wenn er früher den Antrag gestellt hätte, auch unser Jahresendgeschäft kaputt gemacht, was dann für uns lebensbedrohlich geworden wäre. Und Drittens wollte er seinen Mitarbeitern und deren Familien Weihnachten nicht verderben. Für ihn war, wie er berichtete, Weihnachten die Hölle. Er stöhnte, dass er nun nicht mehr wisse wie es weiter gehen sollte und das er sich am Liebsten das Leben nehmen würde. Ich erzählte ihm von meinem Stiefvater und das im Fall Ingo Frank das Leben weiter gegangen sei und dieser mit meiner Mutter glücklich wäre. Irgendwie schien ihm das alles zu trösten, aber ihm sollte es nicht vergönnt sein noch mal glücklich zu werden. Einen Monat später erfuhr ich von seinem Krebsleiden an dem er ein halbes Jahr später verstarb. Nach dem Zusammenbruch seiner Firma hatte er wohl keine Kraft mehr, gegen die böse Krankheit, die in ihm offensichtlich bereits schlummerte, anzugehen. Der Zusammenbruch unseres Partners war auch ein harter Schlag für uns. Schließlich hatten wir einen gemeinsamen Vertriebsapparat und unsere Schulung war ja zur Hälfte von ihm mitgetragen worden. Bisher hatten wir Komplettsysteme aus Hard- und Software angeboten und jetzt fiel für uns die Hardwareseite aus. Uns fehlten die Mittel sowohl zur Übernahme des insolventen Unternehmens wie zum Aufbau eines eigenen Hardwarehandels. Wir mussten jetzt sehen, dass wir unsere Software hardwareunabhängig unter die Leute bringen konnten. Über die Hälfte unserer Händlerkunden blieb uns auch treu aber der Rest sprang erst mal ab. Entweder nahmen diese einen süddeutschen Konkurrenten, der auch Hardware mit anbot, an unserer Stelle in ihr Programm oder waren in der Lage den amerikanischen Giganten IBM zu vertreten. IBM stellte damals sehr hohe Ansprüche an die Händler, die sie vertreten wollten, zum Beispiel hinsichtlich der Lage und Ausstattung der Geschäfte sowie Qualifikation der Mitarbeiter und so weiter. Insgesamt hätte sich unser Umsatz fast halbiert, wenn es uns nicht gelungen wäre, neue Händlerkunden für unser Produkt zu finden. Ende 1985 konnte ich leicht befriedigt feststellen, dass wir „nur“ etwa 15 Prozent an Umsatz eingebüßt hatten. Durch Umstrukturierung, sprich durch Freisetzen von Instrukteuren und strafferes Programm, haben wir die Kosten für die Schulung fast halbiert, so dass diese für uns in etwa genau so teuer wie zu den Zeiten, wo wir uns diese mit einem Partner teilten, kam. So etwas fällt natürlich nicht vom Himmel und dafür muss man hart arbeiten. Ich glaube zum ersten Mal war es, wenn ich von Früh bis Spät im Dienst war, tatsächlich auch vom Arbeitsaufwand her gerechtfertigt und nicht nur „Großer-Mann-Mache“. Also erstmals war es keine Unternehmer- beziehungsweise Manager-Angeberei, mit der es zu dokumentieren gilt, dass man ein unverzichtbares Mitglied der Leistungsgesellschaft ist. Bei Katarina kam ihre Fähigkeit als Reisediplomatin zum Vorschein. Sie bereiste das gesamte Bundesgebiet und Österreich um unsere Händler bei der Stange zu halten oder neue zufinden. Allerdings gab es vor jeder Katarina-Reise eine heiße Diskussion. Sie wollte jedes Mal „ihre“ Frauke mit auf Tour nehmen und dagegen hatten ihr Bruder wie auch ich etwas. Dirks Gründe waren ja der maßgebliche Punkt warum Katarina sie mitnehmen wollte. Bei mir bestand diesbezüglich überhaupt keine Gefahr, denn diese dürre Frau Stolpe war einfach nicht mein Typ. Aber bei dem derzeitigen Wirbel konnte ich einfach nicht auf eine Sekretärin verzichten und eine weitere Kraft einzustellen war in unserer derzeitigen geschäftlichen Situation wirklich nicht angebracht. Mein Argument war schließlich ausschlaggebend und Katarina reiste deshalb auch immer alleine. Es mag wohl eine Ironie des Schicksals sein, dass zu einer dramatischen immer eine oder mehrere tragische kommen. Am 11. März 1985, der Tag, an dem der sowjetische Reformer Michael Gorbatschow an Stelle des am Vortage gestorbenen Konstantin Tschernenko zum Chef der KPdSU gewählt wurde, traf Uli und mich der schwerste Schlag unseres bisherigen Lebens. Dieses ist also in meinen Erinnerungen nicht nur der Tag, wo der erste wichtige Schritt zur späteren friedlichen Wende in der Weltpolitik vollzogen wurde, sondern der einer sehr bitteren Leiderfahrung. Gerade einen Tag vorher, ein Sonntag, hatten Uli und ich uns mal richtig ausgesprochen. Sie erzählte mir von ihrer offensichtlich unbegründeten Angst um unsere Kinder, die sich bei Arnikas Geburt in sie gebildet habe. Durch dieses Phänomen habe sie praktisch nur noch die Kinder im Kopf und für alles andere, was um ihr herum vorging, keinen Gedanken mehr frei. Sie glaubte erst jetzt richtig verstanden zu haben, was die Pleite unseres Partners für uns bedeutet habe und bekundete volles Verständnis für meinen derzeitigen Arbeitseinsatz. Laut ihren Worten kam sie sich schäbig vor, dass sie sich jetzt nicht mehr um ihren so eingespannten Mann kümmerte. Wir vereinbarten, dass wir alle erdenklichen Freiräume nutzen zu wollen, um uns mehr umeinander kümmern zu können. Vielleicht war es so eine Art Vorahnung, die uns zu diesem Gespräch zusammen geführt hatte. Am Folgetag, also an jenem besagten 11. März, rief mich Uli so gegen Zehn im Büro an: „Dieterle, Schatz, komm doch bitte, bitte ganz schnell nach Hause – Arnika ist tot.“. Unsere Tochter war einem plötzlichen Kindstod erlegen. Ein Glück fürs Geschäft an diesem Tag war es, dass Katarina in dieser Woche keine Dienstreise im Terminkalender
stehen hatte, denn sie musste jetzt auch meinen Part übernehmen. Ich war nicht mehr in der Lage einen geschäftlich vernünftigen Gedanken zu fassen. Tiefe Wehmut erfasste mich auch deshalb weil ich aufgrund meiner erst vorgespielten und dann notwendigen Geschäftigkeit so wenig von unserer jüngsten Tochter hatte. Ich hatte sie eigentlich nur am Rande erlebt. Wieder einmal drängte sich mir die wahre Erkenntnis, dass in übertriebener Geschäftigkeit das wahre Leben erstickt wird, auf. Zuhause traf ich dann auf meine völlig am Boden zerstörte Frau Ulrike. Mehrfach heulte sie laut los und war einem Zusammenbruch sehr nahe. Teilweise wirkte sie wie ein hilf- und willenloses Wesen. Von diesem Schlag hat sich Uli nur schwer und sehr langsam erholt. Ich habe mir damals sehr viel Sorgen um sie gemacht. Ich weiß nicht, wie ich es dann fertig brachte des Abends bis spätestens Sieben zuhause zu sein. Auch die Wochenenden hielt ich mir frei um samstags und sonntags ganz für meine Familie da zu sein. Sollte selbst in der schwierigen Unternehmenslage die wichtigtuerische Chefspielerei die hauptsächlichste Ursache für Zeittotschlagerei sein? Ich tat alles um Uli und die Kinder, die in ihrem Sog auch in einer kontinuierlich depressiven Stimmungslage waren, aufzumuntern und wieder zu festigen. Dabei machte ich die erstaunliche Feststellung, dass mich meine Fürsorge für die Familie selbst aufmunterte und mir viel Kraft gab. Aus Erfahrung möchte ich sagen, dass ein „sich gegenüber Mitmensch öffnen“ und der Versuch diesen zu helfen, dem betreffenden Menschen selbst sehr viel gibt. Dabei schöpft man selbst sehr, sehr viel Kraft. Wir müssen nicht über sondern unter den anderen Menschen agieren. Nicht der Herr sondern der Diener ist der große Mann. Letzteres klingt sehr religiös und kann unter anderem auch so verstanden werden. In der Zeit nach Arnikas Tod hatte Uli ein starkes Verlangen Trost im Glauben zu finden. In der Zeit meines Wiederaufstieges war ich, aber auch Uli, ziemlich vom Glauben abgerückt. Hatten wir uns doch früher mal sehr oft über biblische Themen unterhalten, mal miteinander oder mal alleine gebetet und waren wir doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit zum Gottesdienst gegangen, war davon in letzter Zeit bis zum Tode von Arnika davon nichts zu spüren. Jetzt, in unserem Leid, besann sich Uli aber wieder unseres christlichen Glaubens. Da wir jetzt auch wieder häufig miteinander kommunizierten wurde auch ich wieder in die Welt des Glaubens zurückgeholt. Uli glaubte die Antwort nach dem Warum im Römerbrief gefunden zu haben. Im 5. Kapitel heißt es im 3. und 4. Vers: „Aber nicht nur das, sondern wir rühmen uns auch in den Leiden und Trübsalen, weil wir wissen, dass die Leiden und die Trübsal Standhaftigkeit wirkt; die Standhaftigkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung.“. Schickt uns Gott die Leiden, damit sich unsere Augen für das Glück und die Hoffnung öffnen? Kann uns eigentlich nur so das Leben, was dann ewig anhält, bewusst werden? Wir haben uns natürlich über alle möglichen religiösen Themen, meist über neutestamentliche Bibelstellen unterhalten und fast keine dieser Unterhaltungen kann ich heute noch inhaltlich wiedergeben; da sind nun doch schon zu viele Jahre vergangen. Das ich mich an die eben genannte Stelle aus dem Römerbrief so gut erinnere liegt wohl daran, dass dieses Thema, das man sich seiner Leiden rühmen sollte, sehr oft angeschnitten wurde und uns gerade diese Stelle jede Menge Trost gab. Aber insgesamt konnten wir unseren Glauben als Born des Trostes und der Kraft bezeichnen. So fanden wir alle allmählich wieder in ein normales reales Leben zurück. Im Sommer konnte ich feststellen, das Uli ganz wieder die „alte“ geworden war. Sie war wieder die elegante, kluge und auch etwas nett stolze Ulrike, die ich doch so sehr liebte. Bei uns zuhause hatte sie längst wieder das Zepter übernommen und zeigte mir wo es lang ging. Sie forderte mich auch wieder als Mann, was mir allerdings gut behagte. Zum Ende der großen Ferien fuhr Uli mit den Kindern für 14 Tage nach Iserlohn, damit die Kinder ihre Omas und die wiederum ihre Enkelkinder erleben konnten. Da es auch geschäftlich wieder in ruhigen Bahnen lief, deuteten wohl alle Anzeichen auf ein neues Hoch hin. Wir sollten uns jedoch getäuscht haben, denn im November sollte der nächste Schlag auf uns lauern. Der Sonntag, 10. November 1985, sollte ganz dramatisch verlaufen und eine weitere Wende in unserem Leben einleiten. Ich habe das Datum so gut in Erinnerung behalten, weil der nächste Tag eine besondere Bedeutung in meinem Leben hatte. Nein, nein, ich habe mit den Karnevalisten, für die der Elfte im Elften ein heiliger Tag ist, nichts am Hut. Aber jedes Jahr jährt sich an diesem Tag mein Scheidungstermin von Elke; 1985 also schon zum siebzehnten Mal. Nach dem „Wiedererscheinen“ von Katja am 12. Juni 1982 bewegte dieser Tag dann auch wieder innerlich immer einiges in mir. Es scheint tatsächlich schwer zu sein, Personen, die einen mal etwas bedeutet haben, so mir nichts, dir nichts gänzlich aus dem Gedächtnis zu streichen. Aber jetzt genug mit den Nebenbemerkungen und zur Schilderung der tragischen Ereignisse des 10. Novembers 1985. Es dürfte wohl so gegen halb Neun gewesen sein als wir zu Fünft um den Frühstückstisch saßen. Eigentlich wollten wir an diesem Tag zu Fünft zum Gottesdienst in die Dorfkirche, die an der Straße, in der wir wohnten, lag. Ausgerechnet der Jüngste, der 5-jährige Björn, freute sich darauf am meisten und unser Großer, der 13jährige Jean, wäre stattdessen lieber zum Sportplatz, der schräg gegenüber der Kirche lag, gegangen um der Jugend von Stern Marienfelde beim Fußball zuzusehen. Da gab es dann ein Wenig Diskussionen. Uli hielt dieses für eine Marotte von Jean, weil sich dieser ansonsten kaum für Fußball interessierte. Sie wollte ihn also nicht gehen lassen und bestand darauf, dass er mit in die Kirche kommen sollte. Ich dagegen trug meinen ehrlichen
Standpunkt, dass man niemanden zum Glauben zwingen könne, dass man nur aus eigener Überzeugung glauben könne, vor. Nur wenn man die Freiheit dazu hat, kann sich nach meiner Überzeugung Glauben bilden und entwickeln. Überall dort, wo wir uns einem Druck beugen bleibt unser Herz woanders. Ich wollte also nachgeben, das heißt ich wollte Jean zum Sportplatz ziehen lassen. Solche Dinge, die wohl jeder, der Kinder im entsprechenden Alter hat oder hatte, kennt, gehören natürlich auch zu denen, die man im Laufe eines Lebens vergisst, wenn nicht irgendetwas Außergewöhnliches hinzu kommt. In diesem Fall war das dann eine furchtbar makabere Äußerung Jeans nach dem Telefonanruf, der uns kurz vor Schluss unserer Frühstücksrunde erreichte, mit der er dann eine unvergessliche Situation auslöste. Etwas rotzig tönte er nämlich, nachdem ein schlimmes Ereignis unseren Plan durchkreuzt hatte, dass der liebe Gott wohl auch der Meinung sei, dass er nicht zur Kirche müsste und deshalb das, was wir gerade erfahren hatten, passiert sei. Damit hatte Jean sowohl bei Uli wie bei mir einen Faden durchglühen lassen. Uns rutschte beiden fast zur gleichen Zeit die Hand aus und Jean bekam dann sowohl von rechts wie von links ein paar getafelt. Das wir gleichzeitig auf ihn eingeschlagen hätten, wir also gewalttätig seien, trug Jean während seiner wilden Pubertätszeit dann öfters mal vor, immer wenn er mal wieder richtig Zoff auf seine Eltern hatte, das heißt, wenn er mal wieder seinen Willen nicht gegen uns hatte durchsetzen konnte. Ja, Jean war, insbesondere in seiner frühen Jugend, ein doch etwas schwieriger Mensch. Wir hatten es nicht immer leicht mit ihm. Was war nun Schreckliches passiert, was Jeans Äußerungen so makaber machte. Als ich den Telefonhörer hochgenommen und mich gemeldet hatte vernahm ich am anderen Ende Katarinas, jetzt sehr erbärmlich klingende Stimme: „Dieter, es ist was ganz schreckliches passiert. Björn hat Frauke umgebracht. Ich bin völlig fertig ... könnt ihr bitte, bitte zu mir kommen.“. Ich glaube die Erfüllung einer solchen Bitte ist doch wohl selbstverständlich und ich sagte auch ohne Rückfrage bei Uli zu. Dieser Anruf hatte mich so verwirrt, dass ich Uli gleich ungeschminkt und ohne Rücksicht auf unsere drei anwesenden Kinder davon berichtete. Die reagierte dann auch prompt und erklärte, dass Janine auf Björn aufpassen solle, Jean dann zum Sportplatz könne und wir sollten uns dann, wie ich zugesagt hatte, nach Kreuzberg zu Katarina begeben. Genau an dieser Stelle gab es dann den Vorfall mit Jean, von dem ich ja bereits berichtet habe. Als wir bei Katarina ankamen öffnete uns eine Dame, die sich uns als Mitarbeiterin der Kriminalpolizei vorstellte. Sie war noch ein Weilchen bei der fast bis zur menschlichen Ruinen zerstörten Katarina geblieben, da sie der Meinung war, dass man sie in dieser Situation nicht alleine lassen könne. Sie fragte uns ob wir uns um die Verzweifelte kümmern wollten und riet uns, nachdem wir dieses bejahten, sie zumindestens für diesen Tag mit zu uns zunehmen. Danach verabschiedete sie sich erst von Katarina, die im Morgenmantel auf ihrem Bett kauerte, und wollte dann dieses auch von uns tun. Während die Kripo-Dame zum Abschied noch ein paar Worte mit Katarina wechselte hatte sich Uli in der Wohnung umgesehen. So konnte sie dann bei der Verabschiedung die Dame von der Kripo fragen ob sie im Bad putzen dürfe und bekam zur Antwort: „Ach ja, das wäre furchtbar nett, wenn sie das erledigen könnten. Unsere Spurensicherung hat alles aufgenommen, so das nichts gegen ihr Vorhaben spricht.“. Danach verabschiedete sie sich endgültig und ich warf auch mal ein Blick in das Bad. Dabei bekam ich doch recht schwammige Beine und in meinen Magen vollzog das Frühstück einen Überschlag. Nur mit Mühe konnte ich mich gegen das Erbrechen erwehren. Das komplette Bad war blutverschmiert – ich konnte gar nicht richtig hinsehen. Ich habe Uli, die dort auch das Putzzeug hinter einen Vorhang entdeckt hatte, bewundert, dass sie tatsächlich die Kraft aufbrachte, diesen Ort zu säubern. Ich hätte so etwas, selbst mit den eisernsten Vorsätzen nicht fertig gebracht. Überhaupt managte Uli jetzt erst einmal den kompletten weiteren Ablauf. Ich sollte mich im Schlafzimmer um Katarina kümmern. Sie sollte sich anziehen und ein paar Sachen zusammen packen. Uli gedachte Katarina nicht nur für diesen sondern für ein paar Tage, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen habe, in unser Haus aufzunehmen. Katarina legte jetzt ganz geistesabwesend, ohne sich zu erheben und ohne Beachtung meiner Anwesenheit erst einmal ihren Morgenmantel ab. Als sie da splinterfasernackt auf ihrem Bett saß begann sie wieder laut zu heulen und schrie jämmerlich: „Ulrike, Ulrike, ...“. Die gerufene erschien sofort und setzte sich zu ihr aufs Bett. Katarina, die wie ein nacktes Bündel von Frau wirkte, fiel Uli zitternd und schluchzend um den Hals. Also, Uli übertraf sich an diesem Sonntagmorgen selbst. Sie schaffte es innerhalb kurzer Zeit, dass sich Katarina so weit beruhigte, dass sie ihre Sachen, die sie mitnehmen wollte, zusammenpackte und sich dann anzog. Ja, die Reihenfolge die ich schrieb war richtig. Über eine Viertelstunde war sie vollkommen nackt obwohl ich bei ihr im Zimmer war. Aber an Sex und Eros habe ich in dieser Situation nicht gedacht ... Kann man das bei solchen Gelegenheiten überhaupt. So etwas war Uli auch nicht in den Kopf gekommen sonst hätte sie ja nicht ausdrücklich darauf bestanden, dass ich bei der Nackten im Schlafzimmer bleiben sollte. Wir nahmen dann, wie vorgesehen, Katarina mit zu uns nach Haus und kümmerten uns an diesem Sonntag abwechselnd um sie. Wer von uns gerade „frei“ hatte kümmerte sich um die Kinder, die wir am ersten Tag bewusst von Katarina fern hielten. Wir konnten ja nicht wissen, was eine Begegnung der Kinder mit Katarina und eine vielleicht unbedachte Äußerung ausgelöst hätte. Erst nach und nach erfuhren wir von dem, was
geschehen war. Dirk war in der Nacht auf einer Party gewesen und kam so gegen halb Fünf reichlich alkoholisiert nach Hause. Er stürmte in das Schlafzimmer der Frauen und wollte von Frauke Stolpe Sex. Als diese sich weigerte hat er sie aus dem Bett gerissen und ins Bad geschleppt. Die Tür hatte er von innen verriegelt, damit Katarina nicht ihrer Geliebten zu Hilfe kommen konnte. Katarina hat zunächst nur Geschrei und Kampfgetümmel gehört. Dann wurde es plötzlich sehr still. Auf ihr Klopfen und Rufen wurde von innen nicht reagiert. Daraufhin hat Katarina dann die Polizei gerufen, die die Tür gewaltsam öffnete. Da gab es dann einen entsetzlichen Anblick: Frauke lag blutüberströmt vor der Badewanne. Offensichtlich hat sie Dirk solange mit dem Kopf auf die Badewannenkante geschlagen, bis die Frau leblos in sich zusammensackte. Dirk selbst lag mit aufgeschnittener Pulsader unter dem Waschbecken. Er wurde sofort auf eine Intensivstation eines Krankenhauses gebracht. Der Blutverlust war doch schon zu groß und er starb im Laufe des Vormittags, als Katarina schon bei uns war. So wie wir im Laufe der Zeit von Katarina erfuhren war das Ganze nicht von Heute auf Morgen gekommen sondern das Unglück war nach und nach heraufgezogen. Es hatte zuvor, eigentlich von Anfang an, schon einige böse Vorfälle gegeben. Das Geschehen vom 10. November 1985 war dann das tragische Finale. Eines ist mir seit jenem Tag klar: Eine Dreiecksbeziehung ist eine Lebensform, die nicht funktionieren kann. Katarina blieb noch eine Woche bei uns im Haus. Wir hatten ihr Björns Zimmer hergerichtet und unsere beiden Jungens mussten sich vorübergehend ein Zimmer teilen. Als sie uns verließ war sie bei Weitem noch nicht wieder okay aber sie bestand darauf wieder in ihre eigenen vier Wände zurückzukehren. Nach Ulis und meiner Ansicht war sie nach dieser Woche aber soweit wieder hergerichtet, dass sie wohl keine Dummheiten machen würde. Im Büro musste ich jetzt drei Wochen ohne Sekretärin auskommen. Als Katarina nach drei Wochen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte fungierte sie überwiegend als meine Sekretärin und nur in seltenen Ausnahmefällen als Geschäftsführerin. Sehr oft wirkte sie völlig geistesabwesend und sehr schreckhaft. Sie war auch richtig kontaktscheu geworden. Praktisch hat sie sich nur im Kontakt zu mir nicht wie ein scheues Reh gezeigt. An diesem Zustand sollte sich dann auch nichts mehr ändern. Für meine BBSS war der Ausfall von Dirk auch ein sehr schwerer Schlag. Er war der geistige Vater des Systems. Bei ihm waren alle Software-Fäden zusammen gelaufen. Es gab zu diesem Zeitpunkt keinen Zweiten mit dem Überblick den Björn hatte. Aussichten, dass unser System weiter entwickelt werden könnte gab es also so gut wie keine. Ich begann mich bereits damit abzufinden, dass wir mangels Weiterentwicklungsmöglichkeiten jetzt langsam auslaufen müssen. Alle Mitarbeiter in unserer Entwicklung hatte von Dirk nur Detaileinblick erhalten, den entscheidenden Gesamtüberblick hatte er sich vorbehalten. Seine Gründe für diese Art Geheimhaltung erschienen mir zunächst triftig. Software ist eine schwer zu schützende geistige Ware, die man unbemerkt im Kopf mitnehmen kann und dann woanders mit leichten Veränderungen wieder verwerten kann. Dirk und ich hielten unser Vorgehen für ein gesundes Misstrauen. Das mal etwas passieren könnte, was uns dann zum Verhängnis werden könnte, haben wir zu Dirks Lebzeiten nie bedacht. Wer sich ein Wenig im SoftwareGeschäft auskennt, weiß wie schnell dann solche Produkte altern. Wenn man da keine kontinuierliche Weiterentwickelung betreibt, kann man sich ausrechnen, wie lange man noch “überlebt“. Und dieses alles in Zeiten, wo die ersten mausbedienbaren visuellen Oberflächen, wie zum Beispiel GEM oder Windows, auf dem Markt waren und die 16-Bit-Rechner ihre 8-Bit-Vorgänger endgültig abzulösen schienen. Im Dezember sollte ich dann eine diesbezügliche Erlösung erfahren. Katja war auf „Ehemann-VorstellDeutschland-Tournee“ gegangen. Sie besuchte ihre Großeltern in Geismar und zu meiner Freude auch ihre Großmutter in Hagen-Hohenlimburg, also meine Mutter, die dadurch ihre älteste Enkeltochter zum ersten Mal seit der Kindheit wieder zusehen bekam. Katja hatte im Gegenzug ihre Großmutter väterlicherseits dabei erstmalig bewusst kennen gelernt. Außer den Großmüttern standen natürlich auch ihre Tante Anna in Viermünden sowie ihr Vater und Halbgeschwister in Berlin auf dem Programm. Insgesamt sollte diese nachgeholte Hochzeitsreise drei Wochen dauern, davon fielen dann auf ihre Großeltern in Geismar und auf mich dann je eine Woche und die dritte Woche wurde auf Anna und meine Mutter aufgeteilt. Sorry, die Reihenfolge war jetzt falsch. Die Reise ging erst nach Geismar und dann über Viermünden und Hohenlimburg nach Berlin. Katjas Besuch handelte uns im Vorfeld auch eine schwere Auseinandersetzung mit Jean ein. Damit wir mehr voneinander haben könnten, sollte das junge Paar Katja und Robert Turner bei uns im Hause, genauer gesagt in Jeans Zimmer, einquartiert werden. Wir hatten uns für Jeans Zimmer entschieden weil es das größte Kinderzimmer war. Der eigentliche Zimmerinhaber sollte derweil sich das kleinste mit seinem Bruder Björn teilen. Es war gar nicht so leicht den pubertierenden Jugendlichen von der Richtigkeit der Maßnahme zu überzeugen. Sein Zimmer wollte er zwar schon zur Verfügung stellen aber er verlangte dafür als Ausgleich Janines Zimmer, die dann an seiner Stelle zu Björn ziehen sollte. Er hatte die zwölfjährige Janine schon soweit herum bekommen, dass sie freiwillig ihr Zimmer für ihren ein Jahr älteren Bruder räumen und zu ihrem fünfjährigen Bruder ziehen wollte. Bei dem Alter der Kinder wäre das natürlich bedenkenlos gewesen aber Uli und ich blieben hart. Erziehung verlangt Konsequenz und da kann man nicht nach der Pfeife eines Dreizehnjährigen tanzen. Letztendlich räumte Jean das Zimmer aber dann doch. Nicht nur das, als da von die
Rede war, dass es Anfang 1986 zu einem erneuten und dann längeren Besuch unserer „amerikanischen Kinder“ kommen sollte, schlug er sogar aus freien Stücken von sich aus vor, dass seine Halbschwester mit ihrem Mann wieder in sein Domizil einzögen. Damit habe ich jetzt schon verraten, dass Katja und Bob zu Beginn des neuen Jahres, sprich ab Januar 1986, noch einmal nach Berlin kommen wollten. Dieses hing mit dem geschilderten Problem, das durch den Tod von Dirk Krause entstanden war, zusammen. Bob, der beim innerfamiliären Gespräch von meinen Problemen gehört hatte, wollte für drei bis vier Monate nach Deutschland kommen und mir helfen. Er wollte sich zusammen mit zwei Mitarbeitern in Dirks Software einarbeiten und diese dabei auch gleich der Software eine von ihm entwickelte visuelle Oberfläche verpassen. Die Mitarbeiter, die er auf meinen Vorschlag hinzuziehen wollte, sollten dann bei seiner Abreise dazu befähigt sein, die Sache fortführen zu können. Er bot mir diese Arbeit nicht umsonst aber zu fairen Preisen und Konditionen an – ansonsten hätte ich den Vorschlag gar nicht angenommen. Zu den Preis, den ich Bob bezahlen musste kam dann auch, dass ich den beiden ausgewählten Mitarbeitern einen noch schärferen Vertrag zum Schutze des geistigen Eigentums – immaterielles Wirtschaftsgut – aufdrücken musste und sie dann auch dementsprechend besser bezahlen musste. Das Ganze hat mir dann insgesamt auch schlappe 100.000 D-Mark gekostet, was mir auch nicht leicht fiel. So ist es verständlich, dass ich daran noch gerne geknabbert hätte. Daher fragte ich Bob ob er nicht mit mir der Meinung sei, dass es ein Mitarbeiter nicht auch tun würde, zumal Bob selbst dann ja auch eingeweiht sei. Darauf begann mein werter Schwiegersohn zu philosophieren und erklärte mir: „Denk daran, dass wir alle sterben müssen, nur jeder stirbt anders. Der Eine stirbt an einer Krankheit, der Andere an einem Unfall, ein Weiterer wird ermordet oder nimmt sich selbst das Leben. Dem Einen trifft es früher und den Anderen später. Uns allen ist nur sicher, dass wir sterben müssen. Wenn du willst, dass das, was du aufbaust und schaffst auch nach deinem Ableben weiter existiert, dann muss du dich entbehrlich machen, dann musst du zusehen das jederzeit jemand aus dem Stand heraus deinen Part übernehmen kann. Dieses hast du ja jetzt selbst erfahren. Jetzt gibt es aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dein Mitwisser gerade dann, wenn er gebraucht wird, aus irgendeinen Grund nicht erreichbar ist. Zum Glück ist jetzt bei eurem System nichts schlimmes passiert, was ein sofortiges Eingreifen eines Wissenden erfordert hätte, aber es hätte sein können. Deshalb empfehle ich dir hier am Ort zwei Leute, die gegenseitig für einander einspringen können. Mich hast du dann immer noch als Joker ... aber ich bin halt in den Staaten und wenn die beiden mächtig gewirkt haben, müsste ich ohnehin erst anreisen und mich erneut schlau machen. Es gibt noch ein Aspekt warum du gleich zwei Leute nehmen solltest. Die passen nämlich gegenseitig aufeinander auf. Wenn du nur Einen mit einer wichtigen Aufgabe, in die du selbst auch nicht den richtigen Einblick hast, betraust, dann kann der dich leicht hintergehen. Du kannst ihn dann noch nicht einmal was nachweisen.“. Noch heute bin ich davon überzeugt, dass Bob hundertprozentig recht hatte und deshalb habe ich ihm auch zugestimmt. Ab der zweiten Januarwoche bis Mitte April waren dann also Robert und Katja bei uns im Haus. Man kann sich vorstellen, dass mich das total begeisterte. Konnte ich doch nach meiner Scheidung damit rechnen meine Tochter nie wiederzusehen hatte ich sie jetzt als verheiratete Frau gemeinsam mit ihrem Mann unter meinem Dach. Was mich zu dem stolz machte war die Tatsache, dass fast alle Leute die uns kannten Katja sofort als meine Tochter identifizierten. Alle erkannten eine gewisse Ähnlichkeit zwischen mir und Katja und wer dann noch Janine kannte hatte keine Zweifel, das Katja meine Tochter war. Mit dem Älterwerden war Janine ihrer älteren Halbschwester noch ähnlicher geworden. Meine Älteste hatte in den USA eine Ausbildung zur Fotografin gemacht und ging nun kreuz und quer durch Berlin auf Fotopirsch. Sie wollte ein Bildband über diese Stadt erstellen und nach Möglichkeit auch veröffentlichen. Ich kann schon sagen, dass das Vorhaben auch geglückt ist. Es war der erste von einigen erfolgreichen Bildbänden, die Katja in den USA und später auch in Deutschland veröffentlichte. Uli und die Kinder begleiteten sie ganz gerne und stolz bei ihrer Fotopirsch. Das Letzte berichtete ich jetzt aus zweierlei Gründen. Einmal wollte ich mal loswerden, was meine Älteste so treibt und zum anderen möchte ich damit überleiten auf einen Vorfall mit meiner Ulrike, den ich auch nicht vergessen kann. An einem Nachmittag kam ich mal extrem früh aus dem Büro nach Hause. Ich hatte einfach keine Lust mehr gehabt. Im Wohnzimmer traf ich nur Janine an und fragte diese wo die anderen seien. Ich wusste lediglich, das Bob noch in der Firma und Björn noch im Kindergarten war. Janine gab mir dann zur Auskunft, das Jean bei einem Freund am Tirschenreuther Ring sei und Katja mache oben Nacktfotos von der Mama. Meine Tochter macht Nacktfotos von meiner Frau? Das musste ich sehen und so stürmte ich gleich hinauf. Tatsächlich Uli saß in erotischer Pose auf dem Bett und Katja machte Aufnahmen davon. Dieses musste man mir dann allerdings erklären. Eigentlich sollte ich davon noch gar nichts wissen, denn Uli wollte mich mit dieser Fotoserie zu meinem nächsten Geburtstag überraschen. Auf den Gedanken war Uli gekommen als ihr Katja eine entsprechende Fotoserie, die sie von ihren „Parents“ gemacht hatte, gezeigt hatte. Mir wollte man diese Bilder aber nicht zeigen, da dieses Elke wohl nicht recht gewesen wäre und mir bestimmt nicht gut getan hätte. Dieses brachte dann Uli auch noch prompt auf die Idee, dass Katja mich ja auch im Adamskostüm fotografieren könne. Oh je, das war mir gar nicht recht, dass ich nackt vor meiner Tochter posieren sollte. Uli
glaubte mich nicht wieder zu erkennen, wo ich mich doch so gar nicht prüde gab und mich alle unsere Kinder, außer Katja, schon des Öfteren im Schöpfungsanzug gesehen hatten. Aber bei Katja kam mir dieses alles anders vor. Ich entschuldigte mich damit, dass das wohl daran läge, dass Katja vor meinen Augen einen Sprung vom Kleinkind zur erwachsenen Frau gemacht habe, dass ich sie nicht habe aufwachsen sehen. Nun ja, meine Hemmungen wurden akzeptiert und ich brauchte nicht vor einer Tochter zu posieren. Eine solche Story hört sich nach glücklichen Tagen an. Das waren sie auch, das Jahr 1986 war gut angefangen und ich glaubte, unsere Unglücksphase wäre beendet. Aber das war leider eine trügerische Täuschung, denn auch in 1986 sollten noch tragische Dinge auf uns warten. Da kann ich richtige parallelen zu dem aktuellen geschehen ziehen. Am Jahresanfang 1986 amüsierte man sich im ganzen Land über eine Panne, die der ARD unterlaufen war. Sie hatte versehentlich anstelle der aktuellen Neujahrsansprache von Bundeskanzler Kohl die vom vorangegangenen Jahr ausgestrahlt – und kaum einer hat es gemerkt. Ich schätze, dass das wohl daran lag, dass die Leute bei solchen Sachen kaum zuhören und dann immer gleichartige Worthülsen fallen. Das hat sich ja bis heute nicht geändert. Aber in diesem Jahr kam es dann knüppeldicke. Am 26. Januar explodierte in den USA die Weltraumfähre Challenger kurz nach dem Start, alle sieben Astronauten fanden den Tod. Am 5. April wurde in Berlin ein Anschlag auf die, vornehmlich von US-Soldaten besuchte Diskothek „La Belle“ verübt und dabei fünf Menschen getötet. Man verdächtigte Libyens Staatschef Gaddafi als Drahtzieher. Weltraum-Cowboy Reagan ordnete darauf nach der Devise „Augen um Auge, Zähne um Zahn“ die Bombardierung von Tripolis und Bengasi an. Weltraum-Cowboy habe ich jetzt wegen des spinnernden SDI-Projektes, einem amerikanischen Abwehrsystem im Weltraum, das Präsident Ronald Reagan mit Fanatismus und Milliarden Dollar vorantreiben wollte, geschrieben. Damit hat er dann lediglich Ost-West-Abrüstungsverhandlungen, für die sich der sowjetische Parteichef Gorbashow stark machte, behindert und verzögert. Am 26. April kam es dann in Tschernobyl/Ukraine zum ersten Supergau in der Geschichte der Kernkraft. Durch die Explosion eines Reaktors war eine riesige radioaktive Wolke, die sich rasch über ganz Europa ausweitete, ausgetreten. Letztlich kam es dann am 12. Dezember 1986 auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld zu einem Flugzeugabsturz bei dem 71 Menschen ums Leben kamen. Das sind also die markantesten Unglücke des Jahres 1986 die mir in Erinnerung geblieben sind. Fußballfanatiker mögen da noch den 29. Juni zurechnen, an dem Deutschland im Endspiel um die FußballWeltmeisterschaft mit 2 : 3 unterlag. Ostern, das in diesem Jahr sehr früh fiel, schon am 30. März konnten wir die Auferstehung unseres Herrn feiern, wurden wir dann erstmalig damit konfrontiert, dass das Jahr, was so gut begonnen hatte noch nicht das Ende unserer Unglücksphase war. Am Morgen des Ostersonntags bekamen wir einen Anruf aus Iserlohn, dass meine Schwiegermutter einem Herzinfarkt erlegen sei. Den Infarkt habe sie bereits des Nachts gehabt aber das hatte niemand bemerkt. Am Frühmorgen hatte sich die alleinlebende Frau Breuer mit einer Nachbarin zu einem Osterfrühstück verabredet. Als aber meine Schwiegermutter nicht öffnete und sich auch nicht am Telefon meldete, rief die Nachbarin die Polizei und man fand die tote Frau auf den Boden zwischen Schlafzimmer und Toilette. Vielleicht hätte man sie noch retten können wenn jemand bei ihr gewesen wäre und den Notarzt alarmiert hätte. Meine Schwiegermutter hatte also das Alleinleben mit dem Leben bezahlt. Dieses war erst einmal ein harter Schlag für Ulrike. Sie hatte ihre Mutter wirklich sehr gerne gehabt. Jetzt bedauerte Uli, dass sie sich nicht mehr um ihre Mutter gekümmert habe, dass sie nicht öfters bei ihr gewesen sei und sie jetzt nie mehr bei ihr sein könnte. Ich kann mir vorstellen, dass wohl alle Kinder, die ihre Eltern geliebt haben, in solchen Fällen ebenso denken wie Uli. Es ist gar nicht so leicht wenn ein lieber Mensch für immer von uns gegangen ist. Uli saß am Küchentisch und weinte vor sich hin. Ich glaube das es richtig war, dass ich ihr diesen Moment der Trauer gelassen hatte. Ich überbrachte in der Zwischenzeit den Kindern die Nachricht vom Tod der Oma. Zunächst war ich entsetzt wie gelassen Jean die Nachricht aufnahm. Erst später erkannte ich, dass es sich bei der Gelassenheit nur um eine kontrahäre äußerliche Erscheinung handelte. In Wirklichkeit hatte ihn der Tod der von ihm sehr geliebten Oma sehr mitgenommen. Jean war es, der noch lange Zeit nach diesem Ostertag immer wieder auf seine Oma zu sprechen kam und dabei nicht selten feuchte Augen bekam. Soweit ist der Junge gar nicht von mir entfernt. Mir gehen Todesnachrichten immer sehr nahe aber man sagt mir nach, dass man in solchen Fällen bei mir den Eindruck habe, dass ich an Gefühlskälte leide. Janine und Björn hatten zu dem Zeitpunkt, als ich ihnen die Hiobsbotschaft überbringen wollte, mal wieder im Wohnzimmer ihre große Halbschwester in Beschlag genommen. Der war das ganz recht, denn Bob, der sich mit Vorliebe an freien Tagen als Langschläfer betätigte, lag noch in seinen Träumen. So überbrachte ich den Dreien gleichzeitig die schlimme Nachricht. Janine reagiert ähnlich wie Uli. Sie setzte sich leise weinend in einen Sessel und bedauerte, dass sie so wenig von ihrer Omi gehabt habe. Katja, die ja eigentlich nichts mit meiner Schwiegermutter zutun hatte, reagierte betroffen, etwa so als habe sie vom Tode eines Vetters oder einer Cousine erfahren. Sie erklärte dann auch gleich, dass wir beruhigt nach Iserlohn fahren könnten, da sie sich in Berlin um alles kümmern wolle. Diese Erklärung erfolgte ohne das ich die Angelegenheit angesprochen hatte.
Katja hatte wohl als selbstverständlich vorausgesetzt, dass wir uns jetzt um alles kümmern müssten und auch am Grab von der Verstorbenen Abschied nehmen wollten. Ich nahm dann auch gleich das Angebot meiner Ältesten an. Aus dieser Sache erklärte sich auch die Reaktion des kleinen Björn, dem es schwer fiel, zu erfassen was geschehen war, was ja auch aus seinem Alter erklärlich ist. Er wollte dann erst einmal wissen, warum denn Katja nicht mitkäme. Katja sagte ihm darauf: „Ja Björn, diese Oma ist nicht meine Oma.“. „Ist denn Oma Mine (meine Mutter) auch nicht deine Omi?“, fragte der Steppke darauf zurück. „Doch“, antwortete Katja nachsichtig, „Oma Mine ist auch meine Omi.“. Das hatte Björn dann etwas verwirrt. Das meine Mutter die Oma von allen Vieren aber Ulis Mutter nur die Oma von ihm, Janine und Jean war hatte ihn doch etwas verwirrt. Katja schaute mich an und sagte: „Lass mal, ich erkläre es ihm ... oder darf ich das nicht?“. Natürlich durfte sie und hätte deshalb auch gar nicht zu fragen brauchen. Ihre Frage zielte wohl auch eher darauf ab, dass ich mich jetzt um die Abreisevorbereitungen kümmern könne und sie Björn übernehmen würde. Zwischenzeitig war auch Uli zu uns gestoßen und wir konnten dann gemeinsam das unternehmen, was wir für nötig hielten. Vorher jedoch wurde Uli von Katja fest in den Arm genommen und kräftig gedrückt. Diese Beileidsbekundung hatte Uli doch so sehr gerührt, dass sie erst einmal wieder weinte. Sie legte dazu ihren Kopf auf meine Schulter. Nun, so waren wir dann in der Woche nach Ostern in Iserlohn. Noch am Abend des Ostersonntags konnte ich mit dem Chef des Beerdigungsinstitutes alles mögliche absprechen. Ich brauchte mich also um Trauerfeier, Beisetzung und amtliche Erledigungen relativ wenig zu kümmern. Was aber vom Beerdigungsinstitut nicht erledigt wurde waren die Kündigung und Auflösung der Wohnung, Kündigung des Telefons und des Bankkontos und so weiter. Es gab also doch einiges zutun was ich in dieser einen, durch den Ostermontag noch verkürzten Woche zu erledigen hatte. Uli wollte ich nicht mit der Mithilfe behelligen, da es sich ja um ihre Mutter, um die sie trauerte und im Gedenken kümmern wollte, handelte und außerdem war sie für die Kinder zuständig. Seltsam kommt mir nachträglich vor, dass ich mich in dieser Woche so gut wie gar nicht um die BBSS gekümmert habe. Ich rief nur einmal am Tag bei Katja an und erkundigte mich ob alles in Ordnung sei, wobei ich in dem Falle sogar in erster Linie an Katja und Bob und nicht an die Firma gedacht habe. Da mir Katja meine Anfrage immer positiv bestätigte bekam ich eine parallel gelaufene Tragödie erst in Folge mit. Donnerstags wurde meine Schwiegermutter in Oestrich beigesetzt und des Freitags machten wir uns dann wieder auf dem Weg nach Berlin. Wieder daheim half uns Katja beim Auspacken aus dem Auto. Während ich einen Koffer hinein trug schaute ich auf das Sideboard und sah zwei ungeöffnete Briefe, die der Postbote im Laufe der Woche zugestellt hatte. Auf den einem Brief erkannte ich Katarinas Handschrift. Nanu, da schreibt mir Katarina an meine Privatadresse obwohl sie doch weiß, dass ich nicht da bin. Darauf fragte ich etwas verblüfft Katja, was Katarina eigentlich mache. Das ich mich als allererstes nach meiner Mitgesellschafterin und Sekretärin erkundigte machte dann auch Uli stutzig. Sie blieb stehen und schaute mich verblüfft an. Da sagte Katja ganz locker: „Ja Dad, das wollte ich dir eigentlich nachher schonend beibringen. Die war die ganze Woche nicht im Büro und mit dem Telefon war sie auch nicht zu erreichen. Ich habe die Woche über in deinem Büro Telefondienst für euch gemacht. Ich habe den Leuten, die anriefen gesagt, dass du ein Trauerfall in der Familie hättest und du nächste Woche wieder erreichbar wärest.“. Jetzt war ich doch etwas besorgt, stellte den Koffer erst einmal ab und öffnet erst mal den Brief, den sie ganz offensichtlich schon spätestens am Ostersamstag geschrieben haben muss, denn er trug den Poststempel vom 29. März 1986. Den Inhalt möchte ich jetzt mal aus der Erinnerung in den wesentlichsten Punkten rekonstruieren: Lieber Dieter, wenn Du diesen Brief erhältst bin ich nicht mehr unter den Lebenden – ich kann nicht mehr. Ich schreibe Dir weil ich Dich liebe. Ja Dieter, ich liebe Dich, einen Mann. Ich war eigentlich keine richtige Lesbe, ich war vielleicht nicht lesbischer wie Ulrike. Ich hatte nur Angst vor Männern und vor Penissen habe ich mich geekelt. Das liegt wohl daran, dass mich mein Vater ab meinem 6. Lebensjahr regelmäßig, immer wenn er besoffen war und Mutti Nachtdienst hatte (Anm.: Katarinas Mutter war Krankenschwester), vergewaltigt hat. Erst musste ich ihm Einen blasen und wenn ich das nicht tat, dann hat er mich richtig zusammen geschlagen. Wenn er durch das Blasen ein Orgasmus hatte war ihm das immer noch nicht genug, etwas später führte er Seinen in meine kleine Scheide ein. Glaube mir, das war die Hölle, die ich bald bis zu meinem 10. Lebensjahr ertragen musste. Erst als Mutti mit Dirk schwanger war hörte das auf. Sie hat danach ja auch nicht mehr im Krankenhaus gearbeitet. Ich verstehe trotz allem nicht, warum Mutti nichts davon gemerkt hat. Mit 15 wurde mir der nächste Schock fürs Leben zugefügt. Mein erster und letztlich einzigster „Freund“ - er war damals 20 - war ein brutaler Sadist. Er hat einen grausamen Exzess, der mich bis heute in meinen Alpträumen begleitet, mit mir vollzogen. Ich habe sofort Schluss gemacht aber seitdem habe ich panische Angst vor Männern. Mit 18 wurde ich dann von einer lesbischen 30-Jährigen verführt. Sie war so zärtlich zu mir und
das hat mir so gefallen, dass ich fortan nur noch mit Frauen wollte. Kann es sein, das weibliche Homosexualität keine besonderen Veranlagung ist? Meine drei Partnerinnen, die ich zu lieben glaubte, hatten in ihrer Kindheit und Jugend alle ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich. Für diese Annahme spricht doch auch, dass mich meine erste große Liebe wegen eines Mannes verließ. Die Zweite trieb es neben mir auch mit Dirk und nahm sich dann doch einen Anderen. Was mit Frauke war weißt Du selbst. Ich glaube Dirk, der selbst wenig Erfolg beim Aufreißen von Frauen hatte, wusste das die meisten lesbischen Frauen doch eher bisexuell veranlagt sind und deckte sich bei meinen Partnerinnen ein. Als ich bzw. wir mit Frauke zusammen waren entpuppte sich Dirk auch als ein sadistische Schwein. Wenn Frauke mal nicht wollte hat er sie vergewaltigt. Das machte er dann prompt auch in meinem Beisein. Ich konnte auf ihn einschlagen, ihn kratzen und beißen, er ließ nicht eher von Frauke ab, bis er in sie hinein gespritzt hatte. Der einzigste Mann, den ich geliebt habe, bist Du. Aber auch wenn Du nicht mit Ulrike verheiratet gewesen wärest, wäre nichts aus uns geworden, denn auch bei Dir hätte ich Angst vor Intimitäten gehabt und sicher hätte ich mich auch vor deinem Penis geekelt. Ach, dieses Alles ist zufiel für mich. Ich kann nicht mehr anders und fliehe aus dem Leben. Bitte betet für mich, damit das Blut von Jesus Christus auch für mich vergossen worden ist. Ich wünsche Euch, dass ihr glücklich alt werdet und grüße Dich ein letztes Mal Deine Dich liebende Katarina Dieser Tage las ich mal etwas, was mich an diesen Brief erinnerte. Da schrieb eine Psychologin, das Homosexualität sowohl bei Männern wie bei Frauen eine angeborene Veranlagung sei, die weder als Krankheit noch als Charakterfehler diffamiert werden dürfe. Aus ihrem ganzen Aufsatz klang auch ein berechtigter Seitenhieb auf religiöse Moralisten, zu denen ich auch den Papst zählen möchte, raus. Die Verfasserin kam dann aber auch darauf zu schreiben, dass fast alle Frauen – es gäbe nur ganz wenige Ausnahmen – eine bisexuelle Ader hätten. Sie begründete es mit der Notwendigkeit, dass Mütter sowohl Jungens wie Mädchen auch mit körperlicher Liebe, zum Beispiel an die Brust nehmen, annehmen müssten. Da könne es vorkommen, dass, wenn Mädchen im Kindesalter missbraucht und so seelisch geschädigt würden, sich eine Abwehrhaltung gegen das männliche Geschlecht, die durch verstärktem Zuspruch zum eigenen Geschlecht kompensiert würde, bilden. Dieses wären aber Ausnahmefälle mit denen man nicht generell weibliche Homosexualität begründen könne. Ich halte zwar nicht viel von der Psychologie aber ich glaube, dass die Dame ausnahmsweise mal recht hatte. Um einen solchen Fall, wie sie ihn am Schluss ihres Aufsatzes als Ausnahme darstellte, muss es sich bei Katarina Krause gehandelt haben. Nach dieser Zwischenbemerkung, die sich mir auf Grund des Inhaltes aufdrängte, jetzt wieder weiter mit dem chronologischen Geschehen. Natürlich fuhr ich jetzt zusammen mit Uli nach Kreuzberg um nachzuschauen. Während der Fahrt haben wir nicht viel miteinander gesprochen. Später, als Uli und ich unsere Gedanken austauschten, konnten wir feststellen, dass wir beide das Gleiche dachten. Wir hofften, dass Katarina wohl die feste Absicht zum Suizid aber nicht den Mut dazu aufgebracht hatte. Wir hofften also, dass sie noch lebte und wir ihr helfen konnten. Eines war uns aber klar: Wenn sie zum letzten Schritt bereit war, dann dürfte, gleichgültig was sie unternahmen wollte – Gift, Pulsader öffnen, Strangulieren und so weiter – nach dieser einen Woche so oder so alles zu spät sein. In Kreuzberg angekommen öffnet uns niemand. Daraufhin rief ich die Polizei, denen ich den Brief, den ich erhalten hatte, zeigte. Die öffnete die Tür und Katarina lag direkt dahinter. Es war kein schöner Anblick. Der Kripobeamte, der den Fall später aufnahm, berichtet uns, dass man Leute, die mittels Tabletten Suizid begingen, sehr oft direkt hinter der Tür vorfände. Fast immer hätten diese auch von Innen abgeschlossen und den Schlüssel aus dem Fenster geworfen. Im letzten Moment würden die dann doch daran denken sich aus dem Raum zu befreien und Hilfe zu rufen. Das gelänge aber dann nicht mehr und deshalb würde man diese Leute dann direkt hinter der Eingangstür finden. Nun, da ich von keinen Angehörigen wusste, erklärte ich mich nun zum zweiten Mal innerhalb einer Woche für eine Verstorbene für zuständig. Als alles erledigt war zog ein etwas größeres Problem für mich herauf. Katarina war Gesellschafterin in der BBSS und hatte zuvor auch die Anteile ihres Bruders „geerbt“. Zwar stammte alles mitgebrachte Geld von mir aber ohne Dirks Software, also ohne sein geistiges Eigentum, wäre da bestimmt nicht so etwas wie die BBSS bei herausgekommen. Laut Gesellschaftervertrag besaß Dirk 33 1/3 Prozent und Katarina 6 2/3 Prozent, also zusammen 40 Prozent, die nach Dirks Tod alleine in Katarinas Hand lagen. Wenn sich da ein erbberechtigter Angehöriger findet, dann muss man den entweder in die Firma aufnehmen und an der Aktiva und Passiva, also sowohl an dem Vermögen und wie an den Schulden, beteiligen oder die ganze Sache bewerten lassen und den Erben abfinden. Aber wenn sich keine Erbe findet, hat man es dann mit der Kommune, sprich in diesem Fall dem Land Berlin zutun, was dann dank beamteter „Einfühlungsfähigkeiten“ auch nicht gerade erfreulich. Also Katarinas Freitod bereitete mir in geschäftlicher Hinsicht ein paar Kopfschmerzen. Es fand sich
dann tatsächlich auch ein Erbe: ausgerechnet Katarinas Vater. Den hätte ich, aufgrund der Sachen, die ich aus dem Abschiedsbrief seiner Tochter erfahren habe, am Liebsten .... . Aber lassen wir das. Zum Glück ist er mir ja nie über den Weg gelaufen; es hatten lediglich unsere Anwälte miteinander zutun. Der „Knabe“ konnte mit einer fünfstelligen Summe abgefunden werden. Diese tat mir zwar weh aber ich hatte so ohne monate- oder gar jahrelanger Hickhackerei Ruhe und Planungssicherheit in meiner BBSS. Ein weiteres Problem, welches der Freitod Katarinas aufgeworfen hatte, war die Tatsache, dass ich nun in der Firma ein echtes Solo hinlegen musste. Zumal außer der Geschäftsleitung, die jetzt nur noch aus mir bestand, nur noch zwei kaufmännische Mitarbeiter im Hause tätig waren. Der eine stellte den gesamten Vertrieb von der Auftragsannahme bis zur Fakturierung einschließlich Mahnwesen da und der andere war mein „Erbsenzähler“, also der war für alles was man Buchhaltung nennt – Lohn- und Finanzbuchhaltung – zuständig. Jetzt hatte ich nicht einmal eine Sekretärin mehr und konnte nicht nur gleich alles selber tippern sondern ich musste auch selbst alles postversandfähig machen und auf die Reise schicken. Ich hatte niemand mehr auf den ich etwas delegieren konnte. Mangels Übung ging mir auch nicht alles so schnell von der Hand. Also ich war schon wieder mal zum Schlaf- und Wochenendgast in der eigenen Familie verurteilt. Diesmal hatte dieser Anflug von Arbeitswut aber weder mit Imagesucht noch mit Unentbehrlichkeitswahn oder Geschäfts-Torschluss-Panik zutun sondern war mit tatsächlicher Notwendigkeit begründet. Diesmal musste auch Uli nicht Druck, dass ich Abhilfe schaffe, auf mich auszuüben, denn in diesem Falle war ich selbst aus eigenem Antrieb daran interessiert, eine geeignete Kraft die mich in meiner Einmann-Show entlastet zu finden. Neben den typischen Sekretärinnenfähigkeiten wie Stenografie, Schreibmaschine, möglichst auch gute EnglischKenntnisse, Repräsentations- und Koordinationstalent sollte diese auch ein Wenig Fingerspitzengefühl für Geschäftsführungsaufgaben mitbringen. Schließlich sollte es in meiner Abwesenheit so weiter laufen als sei ich allgegenwärtig. Letzteres bedeutet, dass ich dieser Kraft nicht nur von vornherein etwas mehr Einkommen als üblich bieten musste sondern dieser musste ich insbesondere von vornherein vertrauen können. Da fällt natürlich die Personalauswahl besonders schwer. Für die Entscheidung stand auch mir nur meine Menschenkenntnis und die Signale, die der Symphatikus aussendet zur Verfügung. Eines wusste ich ja aus alten Zeiten: Die Leute, die erst dann aktiv werden wenn das Arbeitsamt sie auf Trapp bringt, scheiden von vornherein aus. Für mich sollten nur Bewerber, die sich auf meine Annoncen im „Tagesspiegel“ oder der „Morgenpost“ meldeten, in Frage kommen. Dabei wollte ich Tagesspiegel-Leserinnen bevorzugen, da ich die Leserschaft dieser Publikation in der Regel für niveauvoller als die von der SpringerKonkurrenz hielt. Nun ja, da musste ich einige Bewerbergespräche führen. Darunter waren dann auch immer mal welche, die mir das Arbeitsamt, von mir unaufgefordert, vorbei schickte. Auch die Mitarbeiter des Arbeitsamtes werteten den Stellenmarkt in den Tageszeitungen aus und versuchten dann für ihre Klienten etwas dabei heraus zu holen. Nun ja, in einem solchen Fall ist man freundlich aber man bleibt sich treu und sagt „Nein“. So hatte ich schon bald 20 Bewerbungsgespräche geführt als die Richtige vor mir saß. Frau Renate Kolossek, Jahrgang 1951, also damals 35 Jahre und somit fünf Jahre jünger als ich, lebte in Scheidung, wie man so schön sagt. Die gelernte Sekretärin hatte zuvor mit ihrem Mann ein Bürofachhandelsgeschäft betrieben. Sie hatte also Geschäftsführungserfahrung und das Produkt der BBSS war ihr nicht fremd. Sie hatte sich weder auf eine Tagesspiegel- noch Morgenpostanzeige gemeldet und war auch nicht vom Arbeitsamt geschickt worden sondern sie hatte von einem unserer Instrukteure erfahren, dass ich eine solche Kraft wie sie suche. Beim Bewerbungsgespräch nannte sie mir auch den Grund warum sie die Scheidung beantragt hatte. Ihre Schwiegereltern, der der Laden, den sie mit ihrem Mann betrieb, gehörte bezichtigten sie eine „ausgenommen Gans“ zu sein. Sie konnte keine Kinder und damit auch keine Erben gebären. Ihr Mann nahm immer mehr gegen seine Frau die Position seiner Eltern ein und hat schließlich schon einmal außer Haus einen Erben oder Erbin gezeugt. Da hat Frau Kolossek schnell, bevor ihr Mann dieses machen konnte, die Scheidung beantragt. Na ja, eine Frau die keine Kinder kriegen kann ist bei einem so kleinen Laden wie die BBSS immer zu bevorzugen. Da kann einen keine Schwangerschaft den kontinuierlichen Ablauf über den Haufen schmeißen, das heißt, dass ich von vornherein das Problem „Schwangerschaftsvertretung“, was ohnehin nicht nur auf meine Kosten sondern auch auf meine Knochen gegangen wäre, ausschließen konnte. Also, Alles in Allem die ideale Kraft für mich. Aber Frau Kolossek hatte noch weitere Vorzüge, die Uli ganz anders wie ich bewertete. Sie war eine supersexy Frau mit langen, aufregenden Beinen und mächtig Holz vor der Hütte. Nun, sie war zwar nicht ganz schlank sondern es war schon etwas an sie dran aber zu den Dicken würde ich sie trotzdem noch lange nicht zählen. An ihr war also schon etwas dran und zwar immer an den richtigen Stellen. Das heißt schlicht und einfach, dass sie männerbetörende Pölsterchen hatte. Und mit einer solchen Frau wollte ich mir nun das Büro teilen. Zuhause erzählt ich Uli von den Vorzügen, aber nur von den fachlichen, die diese Frau hatte. Da hat sie mir sogar zu meinem Glück bei der Personalsuche beglückwünscht. Aber als meine bessere Hälfte dann in der ersten Woche, wo Frau Kolossek bei mir arbeitete, mal bei mir im Büro erschien um mir auf meine telefonische Bitte eine Akte, die ich zuhause vergessen hatte, zu bringen und sie dabei meine neue Sekretärin kennen lernte, wandelte sich
ihre uneingeschränkte Zustimmung. Oh, oh, ab diesen Zeitpunkt hielten Misstrauen und Eifersüchteleien Einzug in unsere Ehe. So schlimm wie damals war es zwischen uns Beiden in der ganzen Geschichte unserer Ehe noch nie. Ob das gut geht? Nun, wir werden es sehen. Beinahe wäre es an meinem 40. Geburtstag am 12. Juni schon zu einem Theater gekommen. Da es ein runder Geburtstag war gab ich des Nachmittags in der Firma einen kleinen Sektempfang. Also ich hatte bei einem Partyservice ein paar kalte Platten bestellt. Angestoßen wurde nicht mit Champagner sondern mit Luther & Wegener, dem Originalsekt aus Berlin. Ein Schauspieler, ein guter Freund des Dichters E.T.A. Hoffmann, verkehrte im Hause Luther & Wegener und trank mit Vorliebe Schaumwein. Eines Abends rief er: „Man gebe mir Sekt.“. Das stammt aus dem Sommernachtstraum von William Shakespeare. Sekt war eigentlich ein Kunstwort des Übersetzer August Wilhelm von Schlegel, da er kein deutsches Wort für den Wachholderschnaps, den Shakespeare meinte, fand. Bei Luther & Wegener wusste man mit dem Wort „Sekt“ auch nichts anzufangen und brachte dem Schauspieler darauf den Schaumwein, den der Schauspieler immer trank. Damit war als die Bezeichnung Sekt für Schaumwein geboren. Und mit einem Sekt aus dem Haus, wo der Gattungsname geboren wurde, haben wir also angestoßen und danach ging es, je nach Geschmack der Mitarbeiter, mit Wein, Bier, Saft und Cola weiter. Also mein Geburtstagsempfang war nichts besonderes sondern so etwas dürfte langläufig üblich sein. Auch dass ich als einzigste außerbetriebliche Person meine Frau eingeladen hatte, dürfte nicht ungewöhnlich sein. Wie es bei solchen Gelegenheiten üblich ist, plaudert man nach und nach mal mit einem jeden Mitarbeiter. So etwas macht man insbesondere dann, wenn man der Mittelpunkt einer solchen Versammlung ist – und das war ich als Geburtstagskind nun mal. Als nun Frau Kolossek an der Reihe war berichtete sie mir von einem Fehler, der mir kurz vor dem Beginn des Empfanges unterlaufen war. Sie hatte die Akte beiseite gelegt. Ich konnte mir den Fehler gar nicht vorstellen und deshalb gingen wir noch einmal ins Büro zurück. Wir hatten gar nicht darauf geachtet, dass uns Uli gefolgt war. Schnurstracks gingen wir zum Schreibtisch meiner Sekretärin, sie griff die Akte und zeigte mir diese dicht neben mir stehend. Mit dem Finger zeigte sie auf die Fehlerstelle und schaute mich schelmisch lächelnd von der Seite an. Für Uli, die in der Tür stehen geblieben war, sah es offensichtlich so aus, als ob Frau Kolossek jetzt einen Kuss von mir erwarte. Sie machte die Tür zu und zog erst mal ein Theater ab. Es war mir sehr peinlich. Zwar konnten Frau Kolossek und ich den Irrtum aufklären aber die eheliche Stimmung war für diesen Abend dahin und so kam ich auch nicht zu dem mir versprochenen Geburtstagsnümmerchen. Das war der erste von einer Reihe ähnlicher Vorfälle. So wurde dann Ulis Eifersucht zu einem kleinen Problemchen in unserer Ehe, das zumindestens im folgenden Jahr 1987 zu keinem größeren wurde. Auch ein anderes Problemchen, welches für mich erst gar nicht danach aus, sollte sich für mich zu einer größeren Sache ausweiten. Es handelte sich um einen Sterbefall, mit dem ich eigentlich gar nichts zutun hatte. Man könnte sagen, das mein Bedarf an Sterbefällen ja nun langsam gedeckt sei. Nun, alle müssen wir sterben aber warum so viele, die mir nah standen beziehungsweise dessen Ableben mir Probleme machen sollten, in so kurzen Abständen hintereinander sterben sollten dürfte wohl die unbeantwortete Frage an mein Schicksal bleiben. Dieses auch, weil ich eine solche Phase später noch einmal durchlaufen sollte. Aber soweit sind wir noch nicht. Jetzt sind wir erst einmal beim Tode des Vermieters der Villa, in der die BBSS beheimatet war. Den Mann habe ich nie kennen gelernt. Alles war damals über einem Makler und einem Rechtsanwalt gelaufen. Da habe ich erst gar nicht mitbekommen, dass dieser Herr schon im Februar des Jahres verstorben war. Man hatte mich auch nicht benachrichtigt, warum sollte man das auch. Wie sagte doch mein Schwiegersohn Bob Turner: „Alle müssen wir sterben, nur jeder anders.“ Ich hatte jetzt nun ja diverse Todesformen erlebt, zum Beispiel plötzlicher, Kindstod, Herzinfarkt, Totschlag und Selbstmord, aber mein Vermieter, ein bereits sehr alter Herr, brachte eine neue Variante dazu: Mysteriöser Unfall. Er war aus ungeklärten Gründen über die Balkonbrüstung seiner Wohnvilla gefallen. Wie ich die Erben aus dem Schriftverkehr meines Anwaltes kennen lernte, kann ich mir sogar vorstellen, dass einer von ihnen dabei nach geholfen hat. Aber lassen wir das, Mutmaßungen bringen nichts. Damit habe ich jetzt angedeutet, dass ich in einen Erbfolgekrieg hinein gezogen wurde. Alle wollten das Eine: Sie wollten reich sein und wie das bei Erben so üblich ist, ohne dafür ein Handschlag zutun. Ist doch toll, wenn der Vorfahre das Leben vergisst, sich zum Raffroboter entwickelt und man dann, nach dem der „endlich Verstorbene“ die „Löffel geworfen“ hat, alles einstreichen kann. Die Erben meines Vermieters, insgesamt drei Töchter, waren sich erstens nicht einig darüber, wem der Löwenanteil an dem Erbe zustand und zweitens nicht darüber, wie sie diverse Dinge, die ihnen zugefallen waren noch weiter vergolden konnten. Nun, wie alle Erben in dieser Republik waren sie auch sauer auf Väterchen Staat, der auch noch für das, was ihnen zugefallen war, auch noch Steuern haben wollte. Sie waren der Meinung, ihr Erblasser habe in seinem viel zu langen Leben schon genug Steuern gezahlt, deshalb brauchten sie nicht zu zahlen. Es gibt ja Schlauschwätzerchen, die behaupten es wäre ja schon alles versteuert, da griffe der Staat wiederholt zu. Auf ein Geschäft übertragen hieße das, dass die Leute die Waren aus einem versteuerten Einkommen bezahlt haben, warum soll jetzt der Geschäftsinhaber auf seine Einnahmen noch Steuern zahlen? Wenn wir mal generalisieren, dann ist ja das
komplette im Umlauf befindliche Geld schon einmal versteuert worden. Warum bezahlen wir dann überhaupt noch Steuern? Ja Leute, ein Erbe zu sein ist wirklich ein sehr schweres Los. Da muss man erst immer lieb und freundlich zu einem Raffgeier, der auch nicht abkratzen will, sein damit ein dieser nicht aus dem Rennen trickst und dann muss man noch sowohl gegen die fiesen Typen, die auch noch miterben wollen, und gleichzeitig gegen den nimmersatten Staat, der für alles Steuern haben will, kämpfen. Unter diesen Voraussetzungen muss man sich immer wundern, dass die überwiegende Zahl der Menschheit gerne zur Kaste der Erben gehören möchte. Aber im Grunde hatte ich mit alledem ja nichts zu schaffen. Ausschließlich das, was sie mit der Villa, in der meine Firma beheimatet war, machen wollten, verdiente meine Aufmerksamkeit. Die eine Erbin wollte da ein Domizil für ihre eigene Familie rausmachen. Das heißt, sie setzte auf Eigenbedarf. Die andere Erbin wollte das Ganze teuer verhökert wissen. Mir wollte sie ein Vorkaufsrecht einräumen aber ihre Preisvorstellungen lagen für mich jenseits von Gut und Böse. Letztlich wollte die dritte Erbin weiter vermieten aber nach Ablauf meines Mietvertrages, also nach fünf Jahren, die Konditionen neu festlegen. Also, nach deren erste Vorstellungen hätte ich auch kaufen können, denn das wäre meinem Ansehen bei den Bankfiosis genau so gut bekommen. Zunächst war ich ja mal durch den bestehenden Mietvertrag, der noch bis Ende 87 lief, geschützt. Aber die Rechtsverdreher der Erbinnen suchten krampfhaft im Gesetzesdschungel nach einem Grund, mir vorzeitig, möglichst sofort, zu kündigen. Ich hätte mir am Liebsten auch sofort was anderes gesucht und von mir aus gekündigt aber dahingehend hatten alle drei Rechtsanwälte gedroht, auf den Mietvertrag zu bestehen und mich in diesem Fall zur Kasse zu bitten. Das bedeutete für mich und mein Unternehmen jede Menge Planungsunsicherheit und deshalb hatte ich einen Anwalt beauftragt für mich einen Auflösungsvertrag, der möglichst sofort wenn ich was anderes gefunden habe wirksam wirkt, auszuhandeln. Ja, wenn ich dafür ein unangemessenes Sümmchen auf die Tische der Erbinnen gezahlt hätte, wäre alles kein Problem gewesen. Aber woher sollte ich die Sümmchen nehmen und nicht stehlen. Diese „unsichere Lage“ wollte ich zum Vorwand nehmen, um den Urlaub, den ich Uli schon Anfang des Jahres versprochen hatte, für mich abzusagen. Uli und den Kindern wollte ich diesen allerdings gönnen; ich wollte allein in Berlin zurück bleiben. Eu, da bekam ich aber mächtig Dampf von meiner besseren Hälfte. Die kaufte mir die „unsichere Lage“, an der ich vorerst ohnehin nichts ändern könne, nicht ab sondern vermutete, dass ich mir freie Bahn für ein Techtelmechtel mit Frau Renate Kolossek, meiner neuen Sekretärin, verschaffen wollte. Ulis Eifersucht hatte inzwischen schon ein krankhaftes Ausmaß angenommen. Nur in dem Punkt, dass ich, gleichgültig ob ich in Berlin bin oder nicht, an dem Krieg der Erben nichts ändern könne, hatte sie, wie ich einsehen musste, hundertprozentig Recht – und passieren konnte ja vorläufig auch nichts. Also fuhr ich, wenn auch ziemlich unwillig, mit in unserem Urlaub 1986. Wir hatten uns ab der Mitte der großen Ferien das Örtchen Pleinfeld im bayerischen – oder präziser fränkischen – Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, bei uns kurz Wug, wegen des Autokennzeichens WUG, genannt, ausgesucht. Damals wurde da im Zuge des sogenannten Altmühl-Überleiters die Brombach-Talsperre gebaut. Inzwischen ist die ja fertig und geflutet, was 1986 aber nur für die Vortalsperren galt. Aber trotzdem hatten wir, auch weil das Wetter entsprechend war genügend Badegelegenheiten, mal im Freibad Pleinfeld und mal in einem ganz tollen Bad im Gunzenhausen. Es ist nun schon zu lange her, dass ich es noch genau beschreiben könnte aber ich weiß noch, dass es ein Hallenbad war wo man durch einen Kanal in ein Außenbecken schwimmen konnten. Draußen war dann ein Whirlpool und ein Pilz unter dem man sich in gewissen Abständen mit Solewasser überspülen lassen konnte. Im Freibad Pleinfeld erlebte ich dann Uli auch von ihrer neuen Seite. Sie gehörte zu den drei Besucherrinnen dieses Freibades, die die Liegewiese barbusig, also Oben ohne, nutzen. Die beiden anderen Damen waren seltsamerweise auch immer dann, wenn wir kamen da – sie hatten dann Uli auch zu diesem Schritt, den sie früher auf keinen Fall gemacht hätte, inspiriert. Ich registrierte dieses mit ein wenig gemischten Gefühlen: Einerseits turnte es mich an, dass auch andere die wohlgeformten Dingenchen meiner Frau bewundern konnten und auf der anderen Seite fand ich die Keckheit meiner besseren Hälfte etwas unangenehm. Ein schönes Urlaubserlebnis mit den Kindern ist mir auch noch in Erinnerungen geblieben. In diesem Jahr hatte es in dieser Gegend wohl ein besonders gute Population bei den Fliegen gegeben. Man konnte fast von einer Fliegenplage reden. Als wir dann nach Gunzenhausen fuhren kamen wir an einen Wegweiser, der nach Fiegenstall führte vorbei. Am Steuer sitzend tönte ich spaßhaft: „Kein Wunder, dass es hier so viel Fliegen gibt. Die haben hier ja einen Fliegenstall. Die beiden Großen tönten gleich „Oh ja“, denn sie hatten erst gar nicht gescheckt, dass ich ein „l“ in den Ortsnamen geschmuggelt hatte. Sie machten sich dann lustig über diesen Ortsnamen und kamen erst nach dem wir drei oder vier Mal an diesem Wegweiser vorbeigekommen waren darauf, dass es ja richtiger Weise Fiegenstall hieß. Unser Björn, mit seinen 6 Jahren hatte dann eine ganze Menge Fragen zu einer Einrichtung wie einen Fliegenstall. Da hieß es dann warum, wieso, weshalb und so fort. Worauf er dann insbesondere von seinen älteren Geschwistern „veräppelt“ wurde. Dann wollte Björn wissen wozu Fliegen eigentlich gut sind. Mit dieser Frage ging er dann letztlich insbesondere Uli, die ihm erzählt hatte, dass der liebe Gott alles was auf Erden ist geschaffen habe und nichts unnütz sei, auf die Nerven.
An diesen Dingen, die ich von diesem Urlaub noch zu berichten weiß, kann man ermessen, dass er mir doch einiges gegeben haben muss, dass ich ihn erlebt habe. Alles was man nicht bewusst erlebt spült unser Gedächtnis gleich den Strom des Vergessens hinunter. Erleben bedeutet aber auch, dass man nicht zur gleichen Zeit mit anderen Dingen belastet war. Der Mensch ist zwar in der Lage verschiedene Dinge gleichzeitig zu machen aber es klappt immer nur mit einer Sache richtig. Mit anderen Worten muss ich jetzt sagen, dass mich in dieser Zeit der Vermieter-Erben-Krieg offensichtlich gar nicht tangierte. Nach unserer Rückkehr sagte ich dann mal salopp zu Uli: „Mensch, jetzt muss ich mich erst einmal schlau machen, was in der Zwischenzeit bei unseren wildgewordenen Erbinnen gelaufen ist. Die Geschichte hätte ich im Urlaub beinahe vergessen.“. Diese Aussage entpuppte sich aber als ein Schuss nach Hinten. Uli schloss aus der Aussage, dass sie offensichtlich mit ihrer Annahme, dass ich wegen Frau Kolossek nicht mit in den Urlaub wollte, recht habe. Und damit stand ihre Eifersucht, die uns im folgenden Jahr reichlich zu schaffen machte – Sie werden es in Kürze lesen – ,auch wieder auf der Tagesordnung. So wie bei mir in diesen Ferientagen die Erbinnen-Story ruhte, verhielt es sich bei Uli augenscheinlich mit ihrer Eifersucht. Wegen der Erbschaftsgeschichte hinsichtlich meines Firmendomizils hätte ich auch nicht zuhause bleiben brauchen. Während meines Urlaubes war nichts gelaufen und in den drei Wochen danach lief auch nichts. Dann kam aber die endgültige Entscheidung. Diejenige, die immer verkaufen wollte, hatte sich mit ihrer Schwester, die eigentlich weiter vermieten wollte, auf Verkauf geeinigt. Bei dieser Einigung fiel dann das Vorkaufsrecht, welches mir erstere immer einräumen wollte, unter den Tisch. Jetzt wollten sie ihre Anteile an ihre Schwester, die die Villa selbst nutzen wollte, verkaufen. Dazu war diese auch bereit und schacherte mit ihren Schwestern um den Kaufpreis und verhandelte mit mir über einen Auflösungsvertrag. Wenn schon, dann wollte sie mich auch bis Ende des Jahres aus dem Hause haben. Mein Mietvertrag sollte also ein Jahr früher wie vorgesehen auslaufen. Mein Anwalt war zwar der Meinung, dass ich deshalb ein paar Forderungen aufstellen sollte aber ich war froh, jetzt endlich Klarheit zu haben und ging darauf ohne Weiteres ein. Da begann dann für mich eine hektische Suche nach einer Bleibe für meine BBSS. Als ich bis Ende Oktober noch nicht das geringste Zeichen für ein Firmendomizil gefunden hatte wurde ich langsam nervös und ich dachte schon an einer Flucht aus der Frontstadt, wie diverse kalte Krieger aus westlichen Landen zu Berlin sagten. Dann sollte mir aber das Glück mal wieder hold sein. Von Frau Kolossek, meiner Sekretärin, erfuhr ich, dass am Mehringdamm in Kreuzberg auf einem Hinterhof, also in einem Gartenhaus, wie die Berliner zu den im Ganztagsschatten liegenden Hinterhaus- und Hinterhinterhaus-Gebilden sagten, ein Kunde ihres Exmannes geräumt habe und diese Etablissement für uns geeignet wären. Ich sprach sofort mit dem Vermieter und sah mir die Räume an. Sie gefielen mir für die Firma – aber wohnen hätte ich da beim besten Willen nicht wollen. Die Fläche entsprach zwar nicht einmal der Hälfte der der Villa in Lichterfelde aber ich wollte ja ohnehin die stationäre Schulung aufgeben und auf Reiseinstrukteure, wie sie auch von meinen Händlerkunden gewünscht wurden, umzustellen. Dementsprechend war ja die Miete im Kreuzberger Hinterhof deutlich niedriger als am Lichterfelder Ring. Schon unmittelbar nach meiner Besichtigung hatte ich den neuen Mietvertrag in der Tasche. Als ich von Kreuzberg nach Lichterfelde zurückkam stürmte ich begeistert in mein Büro oder besser gesagt in das Vorzimmer und tönte: „Frau Kolossek, sie sind ein ganz großer Schatz. Ich könnte sie so küssen.“. Sie deutete mir nur mit dem Finger vor dem Mund „psst“ an und zeigte dann mit dem Daumen in Richtung meiner offenstehenden Bürotür. Nun, es war schon zu spät. Meine Angetraute stand plötzlich mit in den Hüften gestützten Fäusten da und kündete mit ironischer Stimme: „Das lässt du mal besser sein, auch wenn der Schatz noch so groß ist.“. „Ach Mausi,“, konterte ich sofort, „Frau Kolossek hat praktisch die BBSS vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Wir ziehen jetzt um nach Kreuzberg. Ich muss mich gleich um die Organisation kümmern. Da hat sie doch wohl ein dickes Lob verdient. Dass das alles nur symbolisch gemeint war ist doch logisch. Erstens bist du mein allergrößter Schatz und zweitens weiß ich gar nicht ob das Frau Kolossek recht wäre wenn ich sie küsse.“. Uli blieb jetzt auch nichts anderes als zu lachen, aber als wir dann alleine hinter verschlossenen Türen in meinem Büro waren ermahnte sie mich, dass ich so etwas nicht einmal andenken dürfe. Schließlich ginge es nicht nur um sie sondern wir hätten auch drei Kinder für die wir die Verantwortung trügen. Einer unserer Kinder, nämlich Jean, war auch der Grund weshalb sie im Büro erschienen war. Der Junge hatte mal wieder, wie in letzter Zeit so oft, etwas ausgefressen und Uli war zum Schulleiter der Gustav-HeinemannGesamtschule in Marienfelde bestellt worden. Bevor sie dahin ging, wollte sie mich fragen ob ich mitkäme und wenn nein, wollte sie die Marschroute mit mir abstecken. Das hätte Uli natürlich auch telefonisch erledigen können aber seit Frau Kolossek bei mir arbeitete nutzte sie jede Gelegenheit für ein persönliches Erscheinen. Ja, ja, die Eifersucht. Wie ich schon nach meiner Rückkehr ins Lichterfelder Büro zu Uli sagte musste ich mich von der Stunde an um die Organisation des Firmenumzuges kümmern. Die Räume, die wir beziehen wollten, waren im besten Zustand aber trotzdem mussten da erst bestimmte Arbeiten durchgeführt werden, das heißt zum Beispiel, dass die Elektroinstallationen unseren Bedürfnissen angepasst werden mussten. Dann mussten Wände und Decken aufgefrischt werden und das Parkett bedurfte eines Schliffes. Wie beim privaten Umzug auch, gilt es vor dem
Umzug einzupacken und danach wieder auszupacken. Bei einer Firma muss so etwas natürlich bis ins Detail durchdacht sein, da man ja den, durch Umzug anstehenden Arbeitsausfall auf ein absolutes Minimum begrenzen möchte. Nun, ich bin dahingehend kein Pfennigfuchser – heute müsste man Centfuchser sagen –, dass ich über die umzugsbedingte unproduktive Zeit der Mitarbeiter weinen würde, aber den durch Umzug ausfallenden Kundenkontakt hielt ich für tragisch. Ein Kunde, der ein Problem hat und an der Unerreichbarkeit seines Lieferanten scheitert, ist in der Regel so begeistert, dass er zumindestens mit dem Lieferantenwechsel bei nächster Gelegenheit droht – und dabei sind dann auch immer einige, die ihre Drohungen wahr machen. Natürlich musste ich auch einen zuverlässigen Spediteur beauftragen, dass alles pünktlich von Lichterfelde nach Kreuzberg kam. Und so weiter, und so fort. Den meisten Organisationsärger hatte ich mit dem Telefon. Damals gab es ja die berüchtigte Telekom und ihre Mitbewerber noch nicht. Zu jener Zeit lag auch das Telefonieren in den Händen des Staatsmonopolisten Deutsche Bundespost, einer Behörde. Abgesehen davon, dass die jeden Preis, den der Bundespostminister absegnete, nehmen konnten, war das eine typisch beamtokratische Mannschaft mit dem Arbeitsmotto: „Kommst du heute und morgen nicht, dann vielleicht nächste Woche – Hauptsache es läuft alles korrekt, denn es muss ja alles seine Ordnung haben.“. Bis man so einen Beamten oder einen ihm ähnlichen Angestellten von einer einzigen logischen Notwendigkeit überzeugt hat, hat ein Techniker schon einen ganzen Berg von Arbeiten erledigt. Wenn etwas eilig erscheint aber man es bis zum geht nicht mehr verschleppt haben will, dann muss man damit einen Beamten betrauen. Mit Sicherheit dauert es dann sehr, sehr lange, wird wahnsinnig teuer aber es hat alles seine Ordnung, zumindestens die, die Beamte dafür halten. Sie sehen, wie ich, wenn ich an die Arbeitsweise von Behörden denke, zum Heißsporn werden kann. Ja unser Umzug hat zu dieser meiner Haltung gehörig beigetragen. Da meinte doch tatsächlich der zuständige Postbeamte, ich müsste fast drei Wochen auf einen Anschluss in Kreuzberg verzichten, da nur alles der Reihe nach abgearbeitet werden müsse. Ansonsten hätte ich früher kommen müssen. Meine Güte, wo hat dieser Beamte, der sich auch nicht erweichen lassen wollte, nur denken lassen. Da musste ich doch meinen Anwalt beauftragen, dass er entsprechende Posthäuptlinge, die eine Entscheidung, die meiner Firma das Überleben sicherten, treffen konnten, anzusprechen. Zum Glück hat es dann auf diesem Wege dann doch geklappt. Das klingt jetzt alles so, als wollte ich gleich wieder einen überzogenen Arbeitstag mit all den Sachen, die auf mich einstürmten, begründen wollen. Dem ist aber nicht so. Wenn ich mich jetzt real rückbesinne, hatte inzwischen ein vernünftiger Durchblick inzwischen die Hektik, die offensichtlich von meiner Großmannssucht geboren wurde, abgelöst. Inzwischen hatte ich wohl gelernt, dass man alles in einer normalen Arbeitszeit erledigen kann und was man bis zum Feierabend nicht geschafft hat, kann in 99,9 Prozent der Fälle auch am nächsten Tag erledigt werden. Wozu man bei abendlichen „Überstunden“ mehr als eine Stunde benötigt, kann man zur normaler Zeit in Minuten erledigen. Die Gründe hiefür sind ganz einfach: Einmal stehen einem in der Arbeitszeit Leute für Auskünfte und Unterlagenanreichung zur Verfügung. Dann findet man auch in anderen Unternehmen Ansprechpartner, mit denen man schnell und einfach etwas abklären kann. Und außerdem ist nach ein gewissen Anzahl von Stunden auch bei Hyperleister der Energievorrat verbraucht. Auch an den biophysikalischen Grenzen kann sich keiner vorbeimogeln. Einzig das Nachdenken funktioniert besser wenn man alleine ist und Ruhe herrscht; aber dafür muss man nicht im Büro sitzen bleiben. Auch hinsichtlich Ulis derzeitiger Eifersuchtsphase war es besser am Spätnachmittag im familiären Reich einzutreffen. Geklappt hat trotz meiner Gelassenheit alles; vielleicht sogar besser als wenn ich wieder in Hektik gefallen wäre. Aber mächtig Geld gekostet haben die ganze Geschichten ab Dirks Tod bis zu unserem Umzug nach Kreuzberg auch. Ich musste jetzt bei den beiden Banken, mit denen ich zusammenarbeite, mächtig um jeden Pfennig Kredit feilschen. Ich hatte nur zwei starke Argumente: Zum Einen war der Umsatz gegenüber dem Vorjahr wieder leicht gestiegen und durch die Umstellung der Schulung auf Reiseinstruktion sowie durch die deutlich geringere Miete am Mehringdamm hatte ich doch erhebliche Kosten eingespart. Kostensenkung, insbesondere wenn die mit Personalabbau verbunden ist, kommt bei Bankfiosis immer gut an. Der Personalabbau ergab sich zwangsläufig, denn nicht alle unserer Instrukteure neigten dazu, in Sachen BBSS auf Reisen zu gehen. Die musste ich dann abfinden, was zunächst einmal wieder Geld kostete. Alles in Allem überstiegen Ende 1986 meine Schulden den Wert meines Vermögens. So, dieses waren fast alle nennenswerte Ereignisse der Jahre 1985 und 86 und das Kapitel ist schon lang genug geworden. Jetzt mache ich gleich eine Zäsur und lege ein neues auf. Nachdem in diesem Kapitel reichlich viel gestorben wurde, ist ein neues Leben als Kapitel-Happyend nicht zu verachten. Damit kann ich sogar dienen: Am 27. November 1986 wurde Monica Turner in Mannheim/Illinois geboren. Es ist wohl nicht schwer zu erraten, dass Monica die Tochter von Bob und Katja, also meine Enkeltochter, ist. Wer vom 27. November 280 Tage zurückrechnet, kommt auf den 20. Februar. Selbst wenn wir großzügige Toleranzen einrechnen, dürfte wohl klar sein, dass Monica im Hause ihres Großvaters in Berlin gezeugt worden sein muss. So könnte man sagen, dass wir Berliner wohl nah am Geschehen waren, aber auch die Letzten, die von diesem Ereignis erfuhren. Katja hatte zwar ein paar Mal geschrieben und auch angerufen und ich hatte zwei oder drei Mal mit
Bob telefonisch zu tun aber das meine Tochter schwanger war, haben sie mir dabei nicht verraten. Erst in der Nacht vom 27. auf den 28. November 1986 – ich glaube bei uns war schon der 28 aber in den USA noch der 27. – wurde ich durch einen Anruf des überglücklichen Bobs von der Ankunft meiner Enkeltochter, von der ich vorher nichts ahnte, informiert. Na ja, wir haben dieses dann mit der ganzen Familie, schließlich waren unsere Kinder ja auch Onkel und Tante geworden, am Freitagabend, also am 28., gefeiert. Ist doch ein versöhnlicher Kapitelschluss – oder?
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Glückliche Endzeit zwischen Eifersucht und Geldsorgen Am Anfang des Jahres 1987 konnte man überall in Mitteleuropa „Zieht euch warm an“ im Chor singen. Es war ein bitter kalter Winter und über Mangel an Schnee konnte man ebenfalls nicht klagen. So etwas wuchs dann in jener Zeit durch bestimmte Eigenschaften in der Berliner Bevölkerung in dieser Stadt immer zu einer zusätzlichen mittleren Katastrophe aus. Schon bei normaler Glätte oder bei ein paar Schneeflöckchen brach in dieser Großstadt der Straßenverkehr fast völlig zusammen. Meines Erachtens war die sture Fahrmentalität ampelgesteuerter Großstädter der Hintergrund. Bekanntlich heißt ja das gelbe Ampellicht „Gas geben, damit man noch rüber kommt“ und das grüne Licht „Fertig los“, gleichgültig was im Kreuzungsbereich los ist. Bei glatten Straßen dauert aber in der Regel die Räumung einer Kreuzung immer etwas länger. So kam es dann, dass die Leute, die gerade grün bekommen hatten in den Kreuzungsbereich, der von den Gelb-Fahrern noch nicht geräumt war, „stochten“. Die logische Folge: Kreuz und quer im Kreuzungsbereich stehende Fahrzeuge, nichts ging mehr. Mir war damals aufgefallen, dass Berliner beim Autofahren immer gerne die Nase über „ländliche“ Fahrer aus Westdeutschland, also über die Fahrer von Kraftfahrzeugen mit drei, teilweise schon zwei Buchstaben als amtliches Kennzeichen, rümpften aber im Vermeiden von Verkehrskollapsen waren diese den Berliner jedoch weit überlegen. Das nichts mehr geht habe ich beispielsweise in meinem heimischen Märkischen Kreis – Kennzeichen MK - noch nicht erlebt. Auf Ampelbefehl Gas geben oder bremsen kann doch wohl ein jeder, mit Um- und Übersicht fahren nur wenige, insbesondere keine Großstädter. Das Zweite was ich heute noch bemängele war der damalige Berliner Anti-Tausalz-Tick. Ich muss „damalige“ schreiben, weil ich mich schon seit langem nicht mehr für Berliner Lokalkolorit interessiere und so auch nicht mitbekommen habe ob sich da etwas geändert hat. Bekanntlich bekommt man mit gezieltem Einsatz von Tausalz weitgehenst freie Straßen und Gehwege. Tausalz dient in erster Linie der Sicherheit von Fußgängern und Autofahrern und außerdem bleibt dabei der Verkehr insgesamt flüssig. Der Nachteil von Salz ist zugebener Weise jedoch die darin enthaltende Harnsäure, die das Wurzelwerk von Straßenbäumen angreift und unseren lieben Vierbeinern – Hunden und Katzen – unter den Pfoten brennt. Daher halte ich es schon für angebracht, dass man bei der Verwendung von Tausalz ein gewisses Augenmaß propagiert, aber Tausalz-Verbote wie damals in Berlin – ich weiß, wie eben geschrieben, nicht, ob das in der heutigen Bundeshauptstadt auch noch gilt – halte ich schlicht für Spinnerei. Man sollte sich einmal überlegen, dass durch die Abgase der Kraftfahrzeuge ein unvergleichlich größer Schaden an Straßenbäumen, Menschen und Vierbeiner angerichtet wird. Warum muss mit dem Auto zum Zigaretten holen oder zum nächsten Briefkasten gefahren werden. Nach meinen Einschätzungen sind 80 Prozent der in Berlin durchgeführten Autofahrten, bei der sehr, sehr gut ausgebauten Struktur des öffentlichen Nahverkehrs überflüssig. In den Großstädten herrscht ohnehin aufgrund der Stoffe, die die vielen Auspuffe verlassen, eine prächtige Giftluft, die bei austauscharmen Wetterlagen, wie sie in kalten Winter nicht unüblich sind, zu einer lebensbedrohenden Brühe, die man Smog nennt, werden können. So gab es auch in diesen Wintertagen, genau am 1. Februar 1987, in Berlin erstmalig einen Smogalarm. Die Autofahrer waren aufgerufen ihre Blechkisten stehen zu lassen aber nur äußerst wenige hielten sich daran. Was soll das ganze Tausalz-Palaver, wenn man die größere Gefahr für die Umwelt billigend in Kauf nimmt. Ich glaube, dass es den Bäumen, wenn sie denken und sich äußern könnten, lieber wäre von Harnsäure geschädigt zu werden als durch CO2 umgebracht zu werden. Ich denke auch ältere Leute, die sich, wenn Salz gestreut gewesen wäre, keinen komplizierten Knochenbruch geholt hätten, stimmen sicherlich in meinen Pro-Salz-Plädoyer ein. Die Blechschäden, die durch Aufrutschen auf den Vordermann entstehen, wollen wir jedoch nicht erwähnen, denn Blech kann ersetzt werden aber heile Knochen nicht. Hat nicht der Mensch Vorfahrt? Nun, ich kann jetzt voller Stolz sagen, dass ich in jenem Winter an den extremen Tagen auf das Auto verzichtete. Aber wenn ich behaupte, dass hätte ich aus Umweltschutzgründen getan, dann würde ich mich glatt mit ungerechtfertigten fremden Federn schmücken. Bei mir waren mehr oder weniger praktische Erwägungen der Hintergrund für mein Handeln. Ich dachte an den Faktor Zeit. In meiner vorrangegangen Berliner Zeit hatte ich da schon meine Erfahrungen gemacht. An einem plötzlichen Schneetag im Winter 1985/86 hatte ich vom Büro am Lichterfelder Ring bis nach Hause in Alt Marienfelde wegen zugestopfter Kreuzungen und so weiter bald zwei Stunden benötigt. Das wollte ich mir jetzt zum und vom Mehringdamm nicht antun, zumal man auf dem größten Teil der Strecke von Alt Mariendorf bis zur Gneisenaustraße die Verkehrsprobleme mit der U-Bahn unterfahren konnte. Bei dieser Gelegenheit konnte ich dann feststellen, wie sich ein vermeintlicher Status auf den Charakter eines Menschen auswirkt. Wie erhaben fühlte ich, der Unternehmer, mich. Musste ich doch jetzt in der U-Bahn mir den Waggon mit „BZ“ lesenden Proleten teilen – das kam mir sogar richtig unangenehm vor. An dieser Stelle muss ich den Nichtberlinern erst einmal erklären, was die BZ war oder ist. Das war eine etwas dickere Bildzeitung, also ein idealer Lesestoff für wortkarge, leseschwache Leute: Plakatgroße Lettern und viele Bilder, die sich mit dem Mindestwortschatz der Umgangssprache begnügte. Außer blutrünstiges Boulevard-Gedöhne und Sport war in jener Zeit der Bundestagswahlkampf das Thema Nummer Eins in der soeben genannten BZ. Wie ich schon mal schrieb, war vor der Wende eine Bundestagswahl
kein Thema für Berliner, denn sie durften nicht mitwählen. Es gab damals allerdings in Berlin einige fanatische Parteigänger in allen Gruppierungen, die extra im Bundesgebiet eine Zweitwohnung anmeldeten, um auf diese Art und Weise an der Wahl beteiligt zu werden. Na ja, wie geschrieben waren das aber nur wenige fanatische Leute, denn das war ja dann auch mit Kosten verbunden, was sich bekanntlich nicht jeder leisten kann. 1987 hatten wir politisch so eine umgekehrte Situation wie heute. Die CDU war dran aber sehr vielen Leuten war diese überdrüssig und die SPD sprach aus so vielen, sich erheblich unterscheidenden Mäulern, das keiner wusste, was die eigentlich wollten. Bundeskanzler Kohl befand sich praktisch auf einem deutlichen Abwärtstrend. Ich schätze, dass er, wenn nicht die Wende gekommen wäre, es kein weiteres Mal geschafft hätte. Die CDU erlitt am 25. Januar 1987 erhebliche Verluste, die aber nicht der SPD zugute kamen sondern F.D.P. und Grüne waren die Gewinner dieser Wahl. Aufgrund der Zugewinne der F.D.P. konnte trotzdem wieder eine schwarz-gelbe Koalition unter dem gewichtigen Bundeskanzler Helmut Kohl etabliert werden. Jetzt aber erst einmal Schluss mit den Ausschweifungen ins allgemeine Geschehen, jetzt wieder weiter mit den Storys aus dem Leben des Dieter Kleiners, also meiner Person. Ich, der Chef, fuhr in diesem strengen Winter zwar mit der U-Bahn zur Arbeit aber die meisten Mitarbeiter nahmen dazu unverändert ihren eigenen fahrbaren Untersatz, wodurch es doch zu einer diversen Ansammlung von Verspätungszeiten bei uns im Hause kam. Als Boss konnte ich ja nur als Vorbild voranschreiten aber den Leuten öffentliche Verkehrsmittel vorschreiben konnte ich natürlich nicht. Auch meine Sekretärin, Frau Kolossek, nutzte ungerührt von der Wetterlage ihr Auto weiter. An einem Tag wollte ich dann doch gerne eine Stapel Akten mit nach Hause nehmen. Ich arbeitete gerade an einer Strategie, wie man unsere Instrukteure auch als Fachberater, die neue Kunden akquirieren sollten, einsetzen könne. Damit bei der Angelegenheit alle gerecht behandelt werden wollte ich mir die Kundendaten ansehen und danach die Bezirke einteilen. Sie sollten Provision von allen Kunden in ihrem Gebiet erhalten, gleichgültig ob sie den Verkauf vermittelt haben oder sich die Leute direkt an die „Zentrale“ gewandt haben, und hinsichtlich der Provisionen wollte ich ihnen das Grundgehalt kürzen. So etwas lässt sich auch ganz gut innerhalb der heimischen vier Wände in aller Ruhe erledigen. Das war der Grund für meinen Aktentransport, was in der U-Bahn aber dann problematisch gewesen wäre. Deshalb wollte ich Uli anrufen, dass sie mich abhole. Da sie sich nicht meldete bot mir Frau Kolossek an, mich nach Hause zu fahren. Ich nahm das Angebot natürlich gerne an und kam so zu dem ersten heimischen Theater jenes Jahres. Als Frau Kolossek mit mir und den Akten bei uns vor dem Haus vorgefahren war, bot sie mir noch an, beim Hineintragen der Unterlagen behilflich zu sein, was ich ebenfalls gerne annahm. Wir brachten die Akten ins Wohnzimmer wo ich mich dann später arbeitender Weise niederlassen wollte. Ich hätte auch in das Büro in der Tiefparterre gehen können aber weshalb kam ich dann eigentlich pünktlich nach Hause. Bestimmt nicht, um mich anschließend wieder der Anwesenheit in der Familie zu entziehen. Ich wollte die Anwesenheit von Frau und Kindern verspüren und die sollten merken, dass es mich noch gibt. Hätte ich mich in der Tiefparterre abgekanzelt hätte ich auch in der Firma bleiben können. Als Frau Kolossek die Akten, die sie auf dem Arm hatte, abgelegt hatte fragte ich sie noch ob ich ihr einen Kaffee anbieten dürfe. Sie lehnte dankend ab weil sie noch etwas vorhabe und wollte sich gleich verabschieden. Darauf wollte ich sie noch bis zur Haustür begleiten und in diesem Moment betrat Uli zusammen mit Björn und Janine das Haus. Sie stutzte und sagte böse lässig: „Och, komme ich zu früh? Wenn wir stören, dann können wir ja noch mal gehen. Wann dürfen wir denn zurück sein?“. Da platzte mir doch der Kragen. Langsam gingen mir Ulis Eifersüchteleien doch arg auf die Nerven und ich polterte los: „Sag’ mal Ulrike, du bist wohl nicht mehr ganz sauber im Oberstübchen. Welche Frechheiten erlaubst du dir eigentlich ständig gegenüber Frau Kolossek. Sie ist meine Sekretärin und nicht deine Sklavin. Ich muss mich ja ständig wegen deines unanständigen Benehmens schämen. Sie hat nichts mit mir - und dir hat sie nichts getan. Bitte entschuldige dich bei ihr.“. „Ich bin doch kein kleines Mädchen,“, schrie Uli los, „das du mit mir so umgehen kannst. Meinst du ich wäre blind? Ich sehe doch wie du Frau Kolossek ständig mit den Augen ausziehst. Außerdem kenne ich dich so lange, dass ich deine Gedanken lesen kann.“. Jetzt wurde sie von Frau Kolossek unterbrochen: „Frau Kleiner, sie brauchen sich doch keine Gedanken zu machen. Ich bin die Sekretärin ihres Mannes und möchte den Job auch gerne behalten. Was soll denn da im Büro passieren?“. „Ja, ja, Sekretärin,“, konterte Uli trotzig, „ich war auch mal seine Sekretärin und weiß aus eigener Erfahrung, was das bei meinem Mann bedeutet. Dann brauche ich dir mein lieber Dieter doch nur die Namen Maria und Katarina zu sagen ... Das reicht doch wohl?“. Frau Kolossek machte sich unterdessen klammheimlich davon. Jetzt ging es erst richtig los. Wir haben uns eine Stunde lang so gefetzt als wäre ein Rosenkrieg in die heiße Phase gekommen. Wir hatten uns so in der Wolle, dass ich mir dann doch die Akten schnappte und mich nach Unten ins Büro verzog. Das was ich mir vorgenommen hatte lief jetzt, wo ich sehr aufgekratzt war, gar nicht so wie es hätte laufen können. Bis bald Zwei in der Nacht saß ich da über den Papieren bis ich die Daten, die ich zusammenstellen wollte, erarbeitet hatte und umsonst wollte ich diese Akten auch nicht nach Hause geschleppt haben. Während des Arbeitens hatte ich mich dann auch noch richtig in den Ärger mit meiner Frau hinein gefressen. Das führte dazu, dass ich in dieser Nacht nicht ins Bett ging sondern stattdessen auf der Couch im Wohnzimmer schlief. Auch nach dem Wachwerden war der Ärger noch nicht verflogen. So packte ich dann
schon kurz vor halb Sieben die Akten in mein Auto und fuhr mit diesem zur Firma. Uli hatte mich also ab dem Zeitpunkt, wo ich ins Kellerbüro geflüchtet war bis zu dem Zeitpunkt wo ich am nächsten Tag das Haus verließ, nicht mehr gesehen. Dafür habe ich dann auch kein Frühstück erhalten. Als Frau Kolossek wie immer um halb Neun kam staunte diese nicht schlecht, dass sie mich schon antraf. Das hatte es während ihrer Zeit bei mir noch nicht gegeben. Ich merkte ihr ihre Verwunderung an und erzählte ihr dann, dass ich mich mit meiner Frau noch richtig gestritten hätte und ich mich am Morgen davon „geschlichen“ hätte, bevor sie aufgewacht sei. Jetzt wollte ich Uli aber auch nicht ganz schlecht machen und deshalb führte ich aus: „Ich weiß nicht, was im Moment mit meiner Frau los ist. Die war und ist ja gar nicht so. Seit dem Tod meiner Schwiegermutter hat die praktisch einen Knall. Das habe ich erst gar nicht gemerkt, weil ich mich ja nach dem Tode meiner Mitgesellschafterin darum kümmern musste, dass es hier weitergeht. Der Tod ihrer Mutter muss meine Frau ganz schön mitgenommen haben. Dafür, warum sich dieses in ungerechtfertigte Eifersuchtsattacken äußert, habe ich auch keine Erklärung. Ich kann mich nur bei ihnen für meine Frau entschuldigen. Warum gerade sie immer das Opfer ihrer Attacken sind, leuchtet mir allerdings halbwegs ein. Sie sehen gut aus und sind außer meiner Familie diejenige, die am meisten mit mir zusammen ist. Aber ich liebe meine Frau und deshalb will ich diesbezüglich nichts von ihnen. Ich weiß aber auch, dass sie die ideale Kraft für mich sind und will sie deshalb auch nicht verlieren. Deshalb kann ich mich nur für meine Frau entschuldigen und sie bitten etwas Nachsicht ihr gegenüber zu üben.“ Meine Sekretärin schaute mich freundlich an und sagte: „Erst einmal vielen Dank für ihre Komplimente, die mir sicherlich sehr gut getan haben. Dahingehend, dass ich Nachsicht mit ihrer Frau übe, kann ich sie beruhigen. Weil ich eine Zeit lang genau so wie sie war, kann ich sie verstehen und übe schon aus diesem Grunde Nachsicht. Meine Eltern waren geschieden und nach der Scheidung lebte meine Mutter auch ganz alleine für sich in ihrer Wohnung. Dort ist sie dann vor fünf Jahren einsam gestorben. Erst nach zwei Tagen hat man sie, nach dem sie sich am Telefon nicht meldete, gefunden. Damals ist mir bewusst geworden, dass es mir, insbesondere weil ich keine Kinder habe, eines Tages genauso geht, wenn ich meinen Mann nicht mehr habe. Ich hatte panische Angst meinen Mann, den ich so sehr liebte, dass ich keinen anderen haben wollte, zu verlieren. Da habe ich meinen Mann auch furchtbar mit Eifersucht überschüttet. ... Wenn ich es mir nachträglich überlege, habe ich vielleicht damit die Sachen, die dann zur Scheidung führten, selbst herauf beschworen. Deshalb möchte ich im Gegenzug an sie appellieren, mit ihrer Frau nachsichtig zu sein, denn die liebt sie offensichtlich über alles ... Sonst gäbe das Ganze auch keinen Sinn. Und was mich als Arbeitskraft anbelangt, brauchen sie sich vorerst auch keine Gedanken zu machen, denn wegen einer solchen Sache werde ich sie nicht verlassen. Mir gefällt es hier, mit ihnen komme ich gut aus und ich verdiene auch ganz gut – warum sollte ich dann gehen?“. Als ich über die Worte meiner Sekretärin nachdachte, musste ich ihr eingestehen, dass sie wohl recht hatte. Bei Uli dürfte das Ganze auch noch mit Arnikas vorhergehenden plötzlichen Kindstod zutun gehabt haben. Wie hatte sie doch die Kleine begluckt und dann war sie auf einmal weg. Da hat sie dann möglicherweise festgestellt, dass die größeren Kinder immer selbstständiger werden und eines Tages, wie wir alle, mal das Haus verlassen werden. Auch Katja, meine älteste Tochter, hatte ja in dieser Zeit das Haus ihrer Parents in Amerika verlassen und sich auf eigene Beine gestellt. Für Uli war wohl klar, dass sie, vielleicht schon in absehbarer Zeit, nur noch mich haben würde und wenn sie mich dann auch noch verliert, ist sie allein und einsam wie ihre Mutter. In jungen Jahren fällt es den Leuten leicht alleine zu sein, da ist es scheinbar sogar ein mehr an Freiheit, aber im Alter ist die Einsamkeit die Rache fürs Singletum. Der Mensch ist nicht für das Alleinsein geschaffen. Wo ich darüber nachdachte, wurde ich ganz rührselig und wollte zuhause anrufen um mich zu entschuldigen. Als niemand abnahm raffte ich mich auf und wollte erst noch einmal nach Hause fahren. Das aber brauchte ich nicht, denn als ich gerade meinen Mantel überzog kam Uli mit einer besonderen Art von schuldbewussten Gesicht ins Büro hereinspaziert. Sie ging auf meine Sekretärin zu, reichte ihr die Hand und sagte: „Bitte entschuldigen sie Frau Kolossek. Ich weiß ja, dass sie nichts mit meinem Mann haben. Ich habe ihnen Unrecht getan ... nicht nur gestern, schon des Öfteren. Bitte entschuldigen sie. Irgendetwas stimmt im Moment nicht mit mir. Ich weiß auch nicht warum ich mich so blöd benehme.“. Frau Kolossek nahm die Entschuldigung mit den Worten „Schon gut, ich kann sie ja verstehen. Mir ist es vor nicht all zu langer Zeit genau wie ihnen gegangen“ an. Aus dem Vorgespräch wusste ich ja, dass meine Sekretärin es ehrlich gemeint hatte. Anschließend kam Uli auf mich zu und legte ihren Arm um meine Hüften und deutete an, dass sie gerne mit mir hinter meiner Bürotür verschwinden würde. Als wir alleine waren entschuldigte sie sich auch bei mir und erklärte mir, dass sie mich über alle Dinge lieben würde. So dann kuschelte sie sich bei mir ein und war lieb und nett wie ein Kätzchen zu mir. Das ging dort natürlich nur für zirka ein Viertelstündchen und es geschah nichts, was nicht jugendfrei gewesen wäre. Aber am Abend, als ich wieder zu Hause war, begann sie noch mal mit einer kätzischen Kuscheltime und da ging es auch weiter – ola la. Daraus entwickelte sich jetzt ein ganz neues Uli-Erscheinungsbild. Sie hatte in Folge regelmäßige Eifersuchtsanfälle. Sie richteten sich jetzt nicht nur gegen Frau Kolossek sondern gegen jede Frau, der ich oder die mir bis
auf einen Schritt nahe kam. In der ersten Zeit gab es dann auch regelmäßig eine Szene aber später hatte sie doch gelernt sich ein Wenig mehr zu beherrschen und gab dann nur noch für mich vernehmlich bissige Kommentare ab. Aber jetzt machte sie es hinterher, wenn sie mit mir alleine war, immer wieder mit ihrer Kuschelkätzchenart gut. Das begann ich dann nach und nach zu genießen. Ich war letztlich richtig begeistert darüber, dass meine Frau mich so begehrte, dass sie stets mit Eifersucht um mich kämpfte. Ich genoss es, wenn sie wie ein kleines Kätzchen um mich herum schnurrte und mir fast zu Füßen lag. Ohne es selbst zu wollen hatte mich Uli zum Macho gemacht. Obwohl ich diese, meist mit wenig Gehirnschmalz ausgestatten Macho-Typen als arme Dummerchen belächelt habe und auch immer noch belächele, fühlte ich mich wohl in der Rolle, in die mich Uli gebracht hatte. Ich konnte mich allerdings mit einem trösten: Ich war es nicht selbst, der seine selbst empfundene Minderwertigkeit mit Macho-Allüren aufzuwerten versuchte, sondern es war die doch sehr große Liebe meiner Frau, die mich in diese Rolle getragen hatte. Ich empfand es ein Macho zu sein aber ich putzte diesen Typ nie heraus. Zudem war ich das nur bei meiner Frau und nicht gegenüber dem weiblichen Geschlecht generell. Eine weitere Eigenart, die es neuerdings bei Uli zu finden gab weitete sich in 1987 immer mehr aus. Sie wurde zunehmendst exhibitionistischer. Sehr gerne ging sie jetzt mit mir in die Gemeinschaftssauna. Im Sommer 1987 fuhren wir auch ein paar Mal zum FKK in den Grunewald. Bei uns im Garten sonnte sie sich gerne, obwohl die Nachbarn einsehen konnten, Oben ohne. Ihre neueren Kleider und Pullis verfügten alle über erotische Dekolletes. Für diese Erscheinung lieferte sie mir dann aber selbst die Erklärung: „Ach, ich werde auch nicht jünger. Jetzt bin ich noch eine knackige Frau, die sich auch junge Männer noch gerne ansehen. Das ist ja auch nicht mehr ewig der Fall. Vielleicht ist es schon in zehn Jahren der Fall, dass sich auf der Haut Falten und Altersflecken zeigen, wenn meine Busen mehr zum Hängen übergehen. Das ist ja alles nicht so schlimm. Jedes Alter hat doch seine schönen Seite. Das haben sowohl deine wie meine Mutter immer gesagt. Aber jetzt möchte ich es noch mal richtig genießen, dass ich eine Frau bin, an der die begehrlichen Blicke der Männer kleben bleiben.“. Wenn ich ganz ehrlich bin, genoss ich aber auch die neidischen Blicke anderer Frauen und die begehrlichen Augen der Männerwelt die meiner Frau galten. Aus Anlass meines 41. Geburtstages, zu dem hoher Besuch aus Amerika in Berlin eintraf, übertrieb Uli es sogar mit ihrer derzeitigen exhibitionistischer Ambition und handelte sich damit einen kräftigen Eifersuchtsanfall, der mir dann wieder ein Kuschelkätzchen verschaffte, ein. Es gab also alle ihren neuesten Ticks auf einmal. Bevor ich davon erzähle, muss ich erst einmal etwas hinsichtlich des hohen Besuches aus Amerika aufklären. Es war nicht Katja und der Besuch galt auch nicht mir. Katja ging wegen der kleinen Monica natürlich nicht auf so weite Reisen. Für so ein kleines Würmchen wie meine Enkeltochter ist ja eine Transatlantikreise keine empfehlenswerte Angelegenheit. In 1987 bekam ich meine amerikanischen Familienangehörigen überhaupt nicht zu Gesicht. Der Besucher war Ronald Reagan, also der Mann, der bei mir nur der Weltraum-Cowboy hieß. Bei dieser Bezeichnung für den ehemaligen amerikanischen Präsidenten bleibe ich auch heute noch, denn abgesehen von seinem Wahnsinnsprojekt des Weltraumschutzschildes SDI, war er damals der größte Abrüstungsverhinderer. Seitens der Sowjetunion wurden ja, insbesondere durch KPdSU-Chef Gorbatschow, alle möglichen Versuche unternommen um zu einer weltweiten Abrüstung zukommen. Dagegen trieb Reagan nicht nur sein SDI-Projekt sondern auch die Entwicklung von Bio- und Atombomben voran. Da hatte doch die Sowjetunion einseitig ein Atomtest-Stopp-Moratorium erklärt und die Amerikaner setzten weiter auf Wettrüsten. Am 26. Februar 1987 war dann auch den Sowjets die Puste bei der Einseitigkeit ausgegangen und sie hatten wieder eine neue Atombombe testhalber gezündet. Aber nicht nur ich sah in Reagan eine Gefahr für den Frieden sondern viele andere auch. So kam es auch am 12. Juni 1987 zu tumultartigen Protesten in Berlin. Aber jetzt genug mit diesem geschichtlichen Ausflug in die „große“ Politik und endlich zu der Geschichte, die sich tatsächlich anlässlich meines Geburtstages, der auf einen Freitag fiel, abspielte. Leckerschmecker können es wohl kaum erwarten, dass ich die Sache schildere. Aber ganz so heiß ist die Story nun auch wieder nicht. Zu meinem Geburtstag hatten wir für des Abends ein Ehepaar aus der Wehnertstraße, die gegenüber dem Gutspark von der Straße „Alt Marienfelde“ abging, also Leute, die direkt um die Ecke wohnten, eingeladen. Deren beiden Kinder waren im Alter von Jean und Janine. Sogar richtig passend: Der Junge war so alt wie unser Jean und das Mädchen wie Janine. Unsere Kinder, die also alters- und geschlechtsmäßig zueinander passten, hingen fast ständig beieinander und so hatten wir Erwachsenen uns ein Wenig angefreundet. Da wir aus Anlass des Geburtstages der Frau Anfang Mai bei der Familie eingeladen waren, haben wir sie im Gegenzug zu meinem Geburtstag eingeladen. Als die Gäste erschienen waren sollte ich das Geburtstagsgeschenk, welches mir meine Holde zugedacht hatte, auspacken. Die Form des Paketes und so wie es sich anfühlte ließ bei mir den Schluss zu, dass es sich um ein Gemälde handele. Trotzdem ahnte ich nichts böses und packte unbekümmert aus. Dann, oh Schreck, erblickte ich das Gemälde: Meine nackte Frau, erotisch auf ihrem Bett hockend. Mir war bewusst, dass dieses Gemälde von einem Foto, welches ich kannte, weil ich es im Vorjahr geschenkt bekommen hatte, entstanden war. Die Aufnahme hatte damals, wie ich ja berichtet habe, Katja gemacht. Uli hatte es dann von einer Künstlerin zu einem Gemälde umarbeiten lassen. Zugegeben, ein tolles Bild welches auch bis zum Ende unserer Berliner Zeit seinen Platz an der Schlafzimmerwand fand. Momentan trage ich mich mit der Absicht, es zum Cover dieses Buches zu machen.
Das eingeladene Ehepaar, insbesondere der Mann, war darüber ganz begeistert und das war mir dann auch nicht so recht. Ich glaube, dass sich diesmal auch in mir so etwas wie Eifersucht regte. Aber das Bild hatte unsere Nachbarn so erotisiert, dass auch sie uns etwas zeigen wollten. Der Mann spurtete, nach dem er uns gefragt hatte ob wir das Video aus deren letzten Urlaub sehen wollten, schnell mal rüber zur Wehnertstraße und holte das „Kunstwerk“. Nun, wir wussten ja nur, dass sie letztes Jahr in Jugoslawien waren. Das Band wurde in unseren Recorder eingelegt und wir sahen, wo sie genau gewesen sind. Sie waren im Nudistencamp Koversada in der Nähe von Vrsar auf der Halbinsel Istrien, die heute zu Kroatien gehört. Na ja, im Nudistencamp hatte sich die komplette Familie von ihren „besten Seiten“ gezeigt und sie hatten dieses auch auf Video festgehalten. Also was die da aufgenommen hatten, lag teilweise doch sehr dicht an der gewissen Grenze – zumindestens aus der damaligen Sichtweise. Heute wäre dieses Video allerdings auch als harmlose Erotik durchgegangen. Dank Privatfernsehen und Internet sind in Folge doch einige, damals noch bestehende Hemmungen gewichen. Wenn man nicht gerade in eine Scheide oder einen dienstbereiten Phallus filmt beziehungsweise fotografiert, geht das heute in Ordnung. Soweit war man, wie soeben schon geschrieben, 1987 doch noch nicht und ich halte es nur noch für eine Frage der Zeit bis auch noch die letzte Barriere gefallen ist. Schöner wird es bestimmt nicht. Das Prickelnde an der Sache ist doch, was die Fantasie daraus macht und wenn alles real gezeigt wird, dann hat die Fantasie ja keinen Spielraum mehr. Während der Vorführung erlaubte ich mir ein paar Mal die Qualitäten unseres weiblichen Gastes zu rühmen. Da traf mich doch ein kräftiger Tritt vors rechte Schienenbein, nachdem ich mir ein „Au“ nicht verkneifen konnte. Dieses blieb natürlich unseren Gästen nicht verborgen aber ich wollte auch nicht zugeben, dass mich die Eifersucht meiner Frau getroffen hatte und deshalb behauptete, ich habe plötzlichen einen Krampf im rechten, gesunden Bein. Ich erhob mich und stelzte im wahrsten Sinne des Wortes erst mal aus dem Raum um mir in der Küche sitzend die Einschlagsstelle von Ulis Schuh zu reiben. Die Übeltäterin war mir gleich gefolgt, aber nicht um mir Trost zuzusprechen, sondern um mir mit barschen Worten zu sagen, weshalb sie zurecht diese gewalttätige Maßnahme ergriffen habe. Nachdem unsere Gäste so gegen Elf gegangen waren hatte sich Uli die Sache jedoch anders überlegt und sich bereits wieder in das liebe Schmusekätzchen verwandelt. Jetzt sah sie die ganze Geschichte ganz anders wie zuvor. Jetzt zog sie mir ganz zärtlich die Hosen aus. Um an die „Einschlagstelle“ gelangen zu können hätte es allerdings nicht eines Ausziehens meiner Unterhose bedurft aber Uli zog sie trotzdem mit runter. Stopp Dieter, du wolltest doch keine Pornografie niederschreiben ... dann hör auch auf. Nur noch ein Wort: Es war sehr schön und damit war ich wieder mit mir und meinem Schmusekätzchen versöhnt. Nachdem, was ich bis jetzt berichtet habe, könnte fast der Eindruck entstehen als seien Uli und ich jetzt plötzlich zu einem kinderlosen Paar geworden. Diesen Eindruck möchte ich nun erst mal verwischen, in dem ich mal ein paar Worte mehr zu unseren Kindern schreibe. Ich fange mal von unten, bei unserem Nesthäkchen Björn, der in diesem Jahr 1987 auch zur Schule kam, an. Bei den paar Tagen Differenz zwischen seinen Geburtstag zum Stichtag für die Einschulung hätte er auch ein Jahr früher zur Schule gehen können aber Uli teilte die Ansicht Pestalozzis, dass man die Kinder so lange spielen lassen müsse, wie es ginge. Im Spiel entdeckt das Kind seine Welt, entwickelt Forschungstrieb, Phantasie und Kreativität. Leider scheint eine solche Erkenntnis heute vielfach verloren gegangen zu sein. Viele Eltern scheinen der Meinung zu sein, dass man die Kinder nicht früh genug in Richtung Abitur drillen könnte. Dabei vergessen sie ganz, dass die jungen Menschenkinder sich nur im freien Spiel entwickeln können und nur dadurch die Fähigkeiten selbstbewusst und initiativ das Leben zu meistern erwerben können. Ein früher Drill zum Abitur führt nur zum unkritischen Hineinfressen von Bildungsinhalten, die dann später nicht mehr flexibel gehandhabt werden können. Es muss nur mal andersherum laufen und dann wissen die dressierten Genies nicht mehr weiter. Beim Bildungsdrill kommt nur so etwas heraus wie die heutigen Politiker sind, die dann alte liberale Rezepte aus dem 19. Jahrhundert als Reform und Modernisierung verkaufen wollen. Denen kann ich nur zugute halten, dass sie selber nicht wissen was sie tun. Aber jetzt wieder zu Björn. Ich weiß nicht ob seine Muttersöhnchen-Mentalität damit zusammen hängt, dass er vor und nach Arnika das Nesthäkchen war. Auf jedem Fall wich er ungern von der Seite seiner Mama. Wenn Uli irgendwohin wollte brauchte sie Björn erst gar nicht lange zu fragen, er wollte mit. Musste er sich zwischen seiner Mutter, seinen Geschwistern oder meiner Person entscheiden, dann fiel die Wahl immer auf die Mama. Ehrlich gesagt war mir dieses in vielen Fällen sogar recht, denn Björn war ein wissensdurstiges Kerlchen. Pausenlos überschüttete er einen mit Fragen. Es ist vielleicht noch nicht einmal übertrieben wenn ich sage, dass beim ihm fast jeder Satz mit einem „W“ begann, zum Beispiel: Was ist, weshalb, warum, wieso, wann, wo und so weiter. Uli hatte auch immer die rechte Geduld um ihm jede seiner Fragen ausführlich zu beantworten. Da setzte dann auch Björns phänomenales Gedächtnis ein. Was man ihm einmal erklärt hatte, das behielt er scheinbar bis in alle Ewigkeit. Dadurch erschien er auch wie ein hyperintelligenter Knirps. Da sollte man sagen, dass der bestimmt keine Probleme in der Schule haben würde. Aber denkste, es gab riesige Probleme beim Lesen und Schreiben. Beim Lesen erweckte er einen seltsamen Eindruck: Wenn er den Text schon mal gehört hatte, also wenn ihm dieser vorgelesen worden war, schnurrte er den von Anfang bis Ende runter. Ich nehme an, dass er dabei in erster Linie die Fähigkeiten seines Gedächtnisse genutzt hat, denn bei
neuen Texten kam er einfach nicht zu Potte, wie man so salopp in der Umgangssprache sagt. Und Schreiben war bei ihm eine wahrlich echte Katastrophe. Deshalb drehte er später schon im zweiten Schuljahr eine Ehrenrunde. Ich tippte auf Legasthenie, was aber Björns Lehrerin abstritt. Ich sollte aber recht behalten. Nach einem späteren Schulwechsel teilte die Lehrerschaft meine Meinung: Björn ist Legastheniker. Er bekam eine entsprechende Förderung und es lief alles viel besser. Er brachte es später in Deutsch sogar auf die Note „gut“ obwohl seine Rechtschreibung heute noch nicht als topp zu bezeichnen ist. Also zum Trost aller Eltern, deren Kinder Legastheniker sind: Die Eigenschaft ist keine Krankheit und auch kein Hemmnis, dass daraus noch ein guter Schüler wird. Ich kann ja mal ausnahmsweise weit, in die Jetztzeit, vorausgreifen: Björn ist seinen Weg gegangen, besser sogar als die Mehrheit der Anderen. Legasthenie ist also wirklich kein Hemmnis um Lehrer, Ingenieur oder gar Professor zu werden. Aber auf eine qualifizierte Förderung, so wie sie Björn im dritten und vierten Schuljahr bekam, sollte man nicht verzichten. Ehrenrunden sind dabei jedoch keine Lösungen. Soweit also Björn, Mamas Liebling. Kommen wir jetzt zu Janine, die in 1987 der Vollendung ihres 14. Lebensjahr entgegensteuerte. Das war „mein“ Töchterchen. So wie Björn auf Uli fixiert war, verhielt es sich bei Janine zu mir. Ich war ihr „Paps“ und nahm mich bei jeder Gelegenheit in Beschlag. Bei ihr ging in dem Jahr, welches ich hier beschreibe, eine große Veränderung vor, sie wandelte sich vom Kind zum Teenager. Sie putzte sich richtig sexy heraus. Ihre noch kleinen Busen puschte sie unter ihrem Pulli, damit auch das männliche Geschlecht mitbekam, dass da etwas war. Mehr und mehr legte sie sich einen recht eleganten Gang, so wie ich ihn von Uli kannte zu. Meines Erachtens entwickelte sie sich zu einem kleinen, jungen Luder. Da machte ich mir dann doch öfters Gedanken. Für eine Partnerschaft war sie ja nun doch noch zu jung und zu unreif. Und für naive Sexspielchen, wie sie so bei pubertierenden Jugendlichen vorkommen, war mir doch meine Tochter zuschade. Des Öfteren sprach ich Uli darauf an, dass sie unsere Tochter von „Frau zu Frau“ ins Gebet nehmen sollte, damit da ja nichts passiere. Ulrike beruhigte mich jedoch: „Lass mal unsere Kleine ist schon in Ordnung und hat kein Interesse daran sich wegzuwerfen. Sie hat nur ihren weiblichen Körper entdeckt und geht bewusst wie freudig damit um. Aber mehr brauchst du nicht zu befürchten, sie kennt ihren Wert. Glaube mir, ich spreche aus Erfahrung, denn ich war genau so wie Janine.“. Auch an dieser Stelle kann ich schon mal weit vorgreifen und sagen, dass Uli wirklich Recht gehabt hat. Janine entwickelte sich mehr und mehr zum gleichen Typ wie ihre Mutter. Unser Sorgenkind war der Älteste. Jean, der am gleichen Tag Geburtstag wie seine Mutter hat, war einerseits ein cleverer und gelehriger Schüler und auf der anderen Seite der Faulenzer und Rabauke. Hausaufgaben machte er nur sporadisch und laufend traf bei uns eine neue Schreckenskunde über das, was er gerade mal wieder ausgefressen hat, ein. Irgendwie hatte er ein seltsames Ich-Verständnis. Nirgendwo sah er ein eigenes Verschulden, immer wies er auf andere, die immer ihm was wollten, hin. Was man ihm angeblich angetan hatte spielte er hoch, wie zum Beispiel die doppelte Ohrfeige, die er nach seiner makaberen Äußerung bei der Tragödie im Hause Krause erhielt, aber was er anderen angetan hatte relativierte er ins Gegenteil. Wenn er mit mir zusammen saß, ging es immer schon nach kurzer Zeit hoch her. Laufend schnitt er Themen an, von denen er wusste, dass er damit bei mir in eine offene Wunde schlug. Dann ließ er mich nie meine Argumentation zuende führen aber wenn ich wirklich mal schwache Argumente hatte trieb er mich mit Nachhaken in die Enge. Die anderen Familienmitglieder, die mit uns am Tisch saßen, kamen dann überhaupt nicht mehr zu Wort. Uli hat das oft sehr weh getan. Ja, Jean hat es mir oft sehr schwer gemacht aber trotzdem hatte und habe ich ihn lieb. Die beiden Großen waren in jener Zeit in der Regel mit ihren Freundinnen und Freunden zusammen. Nur ganz selten schloss sich Janine ihren Eltern an und das war bei Jean nie der Fall. Nur zu den Geburtstagen der Familienmitglieder pflegten wir gemeinsam zu Fünft auszugehen. Aber ich würde sagen, dass so etwas normal ist. Jugendalter bedeutet ja, dass der Nachwuchs flügge geworden ist und jetzt üben muss, auf eigenen Beinen und Wegen durchs Leben zu gehen. Eines ist nur wichtig, dass sie immer wieder sagen können: „Ich gehe nach Hause.“. So lange man ein Zuhause, in das man immer wieder zurückkehren kann, hat ist die Welt in Ordnung. Das betrifft jetzt Jean und Janine; für Björn galt, wie ich schon schrieb, dass, wenn man ihn suchte, nur nach Uli schauen musste. Wo Uli war fand man Björn auch. So könnte ich sagen, dass es damals doch insgesamt eine glückliche Zeit war, wenn es nicht meine Geldsorgen, auf die ich gleich zu schreiben komme, gegeben hätte. Zuerst muss ich noch von einem tragischen Ereignis, was uns in dieser Zeit erschütterte, berichten. Das Sterben, welches in den vorausgegangenen zwei Jahren immer wieder in unser Schicksal einschnitt, war noch nicht beendet. Noch einmal sollte es uns hart treffen. Es geschah am 7. September 1987, an dem Tag als Erich Honecker die Bundesrepublik besuchte. Zum ersten Mal hatte ein DDR-Staatsratsvorsitzender ein Besuch in der BRD – eine damals im Westen nicht gern gehörte Abkürzung – abgestattet. Ja, auch in der DDR hatte zu jener Zeit das Tauwetter bereits begonnen obwohl man im deutschen Arbeiter- und Bauernstaat, wie die SED-Bonzen gerne sagten, krampfhaft versuchte, den LiberalisierungsBemühungen der Sowjetunion, und dort war es insbesondere Gorbatschow mit seinem Außenminister Schewardnadse, entgegen zu steuern versuchte. Aber immerhin hatte die DDR im Juli 1987 die Todesstrafe, die
es in der Bundesrepublik schon seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 nicht mehr gab, abgeschafft. Na ja, bis zur endgültigen Wende sollten ja auch noch zwei Jahre vergehen. Genau an diesem Tag erhielten wir so gegen Sieben am Abend einen Anruf aus den USA. Eine weibliche Stimme, die sich mit „Gardner“ gemeldet hatte, überbrachte mir, der ans Telefon gegangen war, die Nachricht. Ich hatte das Gefühl, dass es sich bei der Anruferin, die mich mit „Sie“ anredete um Elke gehandelt habe und deshalb habe ich auch nicht zurück gefragt. Erst jetzt vor Kurzem, während ich schon an diesem Buch schrieb, habe ich erfahren, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Katja war der Meinung, dass ich ein Anrecht darauf habe von der schlimmen Sache zu erfahren, zeigte sich aber nicht in der Lage diesen Anruf zu tätigen und da hatte Elke die Sache übernommen. Mit bewegter Stimme erzählte sie mir, dass Bob zur Zeit einen Pilotenschein für Sportflugzeuge haben machen wollen. Am sehr frühen Morgen sei er in Begleitung seines Fluglehrers in Chicago gestartet. Vom Boden aus hatte man gesehen, dass die Maschine brannte und dann praktisch wie ein Stein vom Himmel fiel. Bob und sein Fluglehrer waren sofort tot. So etwas ist natürlich ein sehr schwerer Schlag, wegen dem wir dann auch den, vier Tage später fälligen Familienrestaurantbesuch aus Anlass von Ulis und Björns Geburtstag abgesagt haben. Ganz kamen wir um eine Feier am 11. September nicht umhin. Björns Kindergeburtstag, zu dem er seine Klassenkameradinnen und –kameraden eingeladen hatte, wurde natürlich gefeiert. Insgesamt haben wir den Todesfall in den USA leichter als die vorhergehenden aufgefasst. Na ja, das wird wohl an der Distanz und an der Tatsache, dass wir Bob so wenig persönlich erlebt hatten, gelegen haben. Auch dieser Todesfall war wieder ein Schlag gegen meine schon angeschlagene Firma. Immerhin war Bob nach Dirks Krauses Tod mein wichtigster Berater in der Softwarebude. Er war zwar in diesem „Laden“ nur drei Monate körperlich anwesend gewesen aber sehr oft hatte er mir telefonischen Rat erteilt und einige Mal bekam ich auch von ihm Sources, die er in den USA erstellt hatte. Da das Komplettsystem nicht mehr so gefragt war, hatte er mir geraten nach und nach auf einzelne Programme, die man auch über Kaufhäuser und Computerhandel vertreiben kann, umzusteigen. Dabei sollte ich mich nicht nur auf das Segment „Büro“ stürzen sondern ich sollte mich auf die ganze Palette von Dienstleistungsprogrammen, die sowohl privat wie geschäftlich verwendet werden können, festlegen. Natürlich befolgte ich den Rat meines Schwiegersohnes und er steuerte aus der Ferne auch einiges hinzu. Das war auch gut so, denn sonst wäre ich schon früher erledigt gewesen. Der Grund für den Niedergang unseres Systemgeschäftes dürfte wohl in der fortschreitenden PC-Technik, also der Hardware, zu suchen sein. Immer leistungsfähigere PC mit immer größeren Festspeicherkapazitäten konnten im Netzverbund mehr und mehr die Aufgaben übernehmen, die zuvor nur auf sehr teueren Großrechnern zu erledigen waren. In der ersten Hälfte der 80er-Jahre, als die Großrechner in größeren Mittelbetrieben noch vorherrschend war, konnten wir mit unserem, auf PC-Netzwerke zugeschnitten System eine Marktlücke in Handel- und Handwerksbetrieben sowie in kleineren mittelständischen Industriebetrieben decken. Da konnten wir tatsächlich 5-stellige Summen fordern und lagen immer noch günstiger als die Branchenriesen, die in diesem Segment immer noch auf die Großrechner setzten. Allerdings hatte unser Bürosystem seine oberen Grenzen bei kleinen mittelständischen Unternehmen. Wobei man klein sowohl in Hinsicht der Betriebsgröße wie in Hinsicht des Geschäftsumfang sehen kann. Für ein Handelsunternehmen mit 10 Beschäftigten aber weltweitem florierenden Handelsumsatz war unser System ebenso wenig geeignet wie für einem Laden mit mehr als hundert Beschäftigten. Das wäre dann tatsächlich einige Nummern für uns zu groß gewesen. Aber für die Kleinen, die sich keine Großrechner leisten konnten waren wir gerade recht, denn mit uns konnten auch sie ins ComputerZeitalter einsteigen. Mit den leistungsfähigeren PC hätten aber auch größere Unternehmen auf dieser Basis abgedeckt werden können, was dann für die Branchenriesen, wie IBM, Siemens, Nixdorf, DEC und so weiter interessant wurde. So kamen diese jetzt von Oben immer mehr in unseren Bereich und gegen deren Marketingund Servicemöglichkeiten waren wir schlichtweg chancenlos. Hinzu kam die Entwicklung von multitaskfähigen visuellen Betriebssystemen wie OS/2 oder Windows NT und Betriebssystem-Oberflächen wie Windows mit den standarisierten Programm-Schnittstellen. Nun war man nicht mehr auf komplette Systeme angewiesen sondern man konnte diverse Programme für einzelne Aufgaben, zum Beispiel: Lohnbuchhaltung, Finanzbuchhaltung, Fakturierung, Kunden- und Lagerverwaltung oder Steuerabwicklung, von verschiedenen Anbieter miteinander verknüpfen. Natürlich ist der Einzelne nicht ein Topass auf allen Gebieten sondern jeder hat seine Stärken und auch Schwächen. Das einem dann die Kunden, die Dinge abnahmen, auf denen man stark war, und sich die anderen Dinge bei den Mitbewerbern, die eben auf diesen Gebieten stark waren, ist doch aus der Kundensicht vernünftig. In Folge dieser Entwicklung wuchs auf der einen Seite die Zahl unserer Kunden, obwohl sich einige ehemaligen Systemkunden anderweitig orientierten, kontinuierlich aber die Umsatzerlöse brachen wegen der doch moderaten Preise für Einzelprogramme ein. Aber immer noch konnte man von einem gutgehenden Geschäft reden. Aber die vorhergehenden großen Investitionen und das dafür aufgenommene Fremdkapital wurden mir zunehmenst zum Verhängnis. Es fiel mir immer schwerer meine Verpflichtungen aus den Krediten nachzukommen. Permanent drückten mich Geldsorgen. Im Hinblick auf meine derzeitige familiäre Harmonie bestöhnte ich mich mit „Glückliche Zeit zwischen Eifersucht
und Geldsorgen“ selbst. Dass diese Zeit eine Endzeit war wollte ich in 1987, dem Jahr wo der 5-Milliardste Erdenbürger geboren wurde, noch nicht wahrhaben. Am Ende des Jahres machte unsere komplette 5-köpfige Familie noch einmal richtig Urlaub. Es sollte in der Besetzung der letzte unseres Lebens sein. Vom 23. Dezember 1987 bis zum 2. Januar 1988, also über Weihnachten und Neujahr flogen wir nach Zypern um in dem Ort, wo der Sage nach Aphrodite (Venus) aus dem Schaum des Meeres geboren worden ist, ausspannender Weise Weihnachten zu feiern. Kenner werden mich jetzt fragen, warum ich nicht gleich Phaphos gesagt habe. Nun denn: Wir flogen nach Phaphos. Stopp, das Wort „flogen“ ist in diesem Zusammenhang nicht ganz richtig. Wir flogen zunächst mit der DDR-Fluggesellschaft „Interflug“ nach Budapest und von dort mit der ungarischen Gesellschaft „Malev“ nach Larnaka. Das war die preiswerteste Lösung. Von dort nahmen wir uns ein Taxi, dass uns in die privat gebuchte Unterkunft in Phaphos bringen sollte. Diese Taxifahrt bei unser Ankunft am späten Abend sollte für uns dann das größte Ferienerlebnis werden. Uli hatte die Anschrift und Telefonnummer unseres Vermieters eingesteckt. Es war vereinbart, dass wir vom Flughafen Larnaka unseren Vermieter anrufen sollten und dieser wollte uns dann einen Freund mit dem Taxi zur Abholung schicken. Dann, oh Schreck, wir standen am Flughafen und Uli fand den Zettel nicht. Allesamt wurden wir, je länger die Suche dauerte, immer nervöser. Na ja, dann haben wir uns ein Taxi am Flughafen genommen. Wir wussten zumindestens noch die Anschrift in Phaphos. Sie lautet: Toms of the Kings – zu deutsch: Gräber der Könige. Nur die zugehörige Hausnummer kannte ich nicht und Uli versuchte diese im Taxi zu rekonstruieren. Auf jeden Fall fuhren wir erst einmal zu dem Ort Phaphos und dann haben wir dem Taxifahrer auf der etwas längeren Straße „Toms oft the Kings“ zur Verzweifelung getrieben. Uli nannte eine Hausnummer aber das Haus gab es nicht. Nachträglich schätze ich, dass sie sogar recht hatte, denn das richtige Haus lag etwas versteckt in einer kleinen Seitenstraße. Gegenüber der Seitenstraßeneinfahrt lag ein Supermarkt und ich bin mir sicher, dass wir da gestanden hatten. Aber dann ging es los, die Straße rauf und runter. Uli nannte immer eine andere Nummer. Aber einmal konnte es vom Anschein her nicht sein und einmal war bei dem Haus niemand erreichbar. Der Taxifahrer wurde immer saurer. Uli sagte immer: „Toms oft the Kings, das weiß ich ganz genau.“. Da hielt der Taxifahrer an der Ausgrabungsstätte aus römischer Zeit an und fragte uns erbost ob wir in den Grabkammern schlafen wollten. Zuletzt war er so grantig, dass er vor einem kleinen Hotel anhielt, unsere Koffer auslud und bei mir abkassierte. Wir gaben uns geschlagen, nahmen uns dort erst ein Zimmer. Uli wusste noch den Namen der Vermieterin – den Vornamen Elli mit Gewissheit und den griechischen Nachnamen so ungefähr – und damit wollte sie sich am nächsten Morgen auf die Suche begeben. Die Suche erübrigte sich dann aber doch, denn als Uli nach unruhiger Nacht sehr früh aufstand, griff sie zuerst zu ihrem Kulturbeutel um sich frisch zu machen und danach wollte sie das Telefonbuch auf der Suche nach unserem Domizil studieren. Als sie den Kulturbeutel aufmachte erfolgte ein Aufschrei, so dass wir anderen vier Familienmitglieder aufrecht im Bett saßen. Uli hatte, damit der Zettel nicht unter die Räder kommt, diesen in ihren Kulturbeutel gesteckt. Nun empfahl es sich erst einmal nach zwei Stunden abzuwarten, denn wir wollten ja unsere Vermieter nicht aus dem Bett schmeißen. Zu Fünft saßen wir jetzt auf dem Doppelbett, in dem wir mangels anderer Möglichkeiten zusammen genächtigt hatten und warteten darauf, dass Uli anrufen konnte. Na ja, es sollte dann doch noch ein schöner Urlaub werden. Sowohl Uli wie auch ich – und die Kinder erst recht – erlebten eine Weihnacht, wo draußen die reifenden Orangen an den Büschen hingen. Während des Urlaubs kam bei Uli weder ihre derzeitige Eifersucht noch ihr exhibitionistischer Trieb zum Ausbruch – so warm war es nämlich auch nicht. Wenn die Sonne untergegangen war, war es sogar recht kalt. Aber eine glückliche Zeit war es allemal. Später sagte ich, der ich in diesem Urlaub auch meine Geldsorgen verdrängt hatte, dass dieses wohl die letzte unbeschwerte Glückszeit unserer Familie war. Nach unserer Rückkehr begann der BBSS-Niedergang mit einem Zwergenaufstand. Unsere Instrukteure in Personaleinheit mit Fachberatern waren mit ihren Provisionen nicht zufrieden. Sie verlangten ein höheres Fixgehalt und drohten mir für den Fall, dass ich ihnen dieses nicht bewilligen würde, dass sie geschlossen zum Quartalsende kündigen wollten. Das war mir sogar recht, denn ich hatte sowieso kein Geld mehr um sie richtig zu bezahlen. Wegen meiner hätten sie auch gar nicht bis zum Quartalsende warten brauchen, denn wenn sie sofort gekündigt hätten, wäre es mir möglich gewesen neben mindestens zwei Monatsgehältern auch noch das Weihnachtsgeld einzustreichen. So hatte ich dann ab April keine Instrukteure mehr, weshalb dann auch noch eine Anzahl von Händlerkunden von Bord gingen. Meine beiden kaufmännischen Angestellten ließ ich gleich mit den Instrukteuren ziehen. Den kaufmännischen Part übernahm ich dann alleine mit Frau Kolossek. Erst haute das in normaler Arbeitszeit nicht immer hin und da bot sich dann Uli als Springerin an und half uns zeitweilig bei der Bewilligung unserer Verwaltungsarbeit. Laut ihren Worten tat sie dieses ausschließlich um ihren Beitrag zur Rettung des untergehenden Schiffes zu leisten aber ich will nicht ausschließen, dass ihre Eifersucht auch eine Rolle spielte. Das heißt also, dass sie uns wohl auch unter Kontrolle behalten wollte. Allerdings muss ich eingestehen, dass sie mir in der Folgezeit in Verbindung mit Frau Kolossek keine Eifersuchtsszene mehr machte.
Aber auch hinsichtlich anderer Frauen ließ die Sache im Laufe des Jahres 1988 immer mehr nach und Ende des Jahres war davon nichts mehr zu spüren. Aber das liebe Schmusekätzchen war sie geblieben. Fast täglich umschnurrte sie mich. Immer wenn ich über meine Finanzsorgen, die laufend zunahmen, in Schwermut verfiel tröste sie mich mit ihrer zärtlichen Liebe und wandelte dabei Sorgen in Glück. Dann gestand ich ihr immer, dass ich sie brauche und nicht verlieren möchte. Vielleicht war es genau das, was ihre Eifersuchtkrankheit heilte. Auch von ihrem Exhibitionismus schien sie jetzt geheilt zu sein. Sie wollte nun nicht mehr laufend in die Sauna und im Sommer 1988 waren wir kein einziges Mal auf dem FKK-Gelände. Früher erschien sie immer etwas prüde, dann stark exhibitionistisch und geblieben war dann ein natürlicher Umgang mit ihrem weiblichen Körper. Dadurch hatte sie wieder die atemberaubende Eleganz, wie sie diese früher als Chefsekretärin bei Schweikart vortrug, zurück gewonnen. Ich war richtig stolz auf sie. Jetzt, wo wir diverse Programme für einzelne Aufgaben und kein System mehr anboten, konnten wir auch auf Arbeiten externer Autoren, die uns ihr Programm auf Lizenzbasis anboten, zurückgreifen. Dadurch wurde dann nach und nach auch unsere eigene Softwareentwicklung überflüssig. Deshalb entledigte ich mich dann bis August 1988 bis auf Frau Kolossek aller meiner Leute. Aus dem Bürosystemhersteller und –anbieter war ein kleiner Softwarehändler geworden. Auf Frau Kolossek konnte ich noch nicht verzichten, denn der stückzahlmäßige Umsatz war immer noch in prächtiger Höhe. Da kamen neben den Büroarbeiten auch noch das Duplizieren von Disketten, Verpacken, Versenden und so weiter auf uns zu. Ohne Frau Kolossek und Uli, die in einem zeitlich immer größeren Umfang mitwirkte, hätte ich es nicht schaffen können. Allerdings brauchte ich dazu die Betriebsräume am Mehringdamm in Kreuzberg nicht mehr, ich konnte in das Büro in der Tiefparterre des eigenen Hauses umziehen. Als die BBSS praktisch nur noch im Keller meines Hauses beheimatet war, kamen Uli und ich uns auch mit Frau Kolossek näher. Es wurden doch ab und an ein paar private Worte mehr miteinander gewechselt. Da Frau Kolossek jetzt auch, ohne dafür mehr Gehalt zu verlangen, täglich von Acht bis Acht, und wenn es sein musste auch länger, antrat zogen wir uns auch öfters zu Dritt zu einer Verschnaufpause in unser Wohnzimmer zurück. Da fragte Uli dann mal besorgt ob wir Frau Kolossek nicht ihre Freizeit rauben würden. Da stöhnte sie uns ihr Leid: „Ach wissen sie, ich bin ja ganz froh wenn ich sie um mir herum habe. Ansonsten bin ich ja immer so alleine. Ich kann an Massen fremder Menschen vorbei durch die Straßen gehen oder mir die Decke meiner Wohnung auf den Kopf fallen lassen. Meine früheren gesellschaftlichen Kontakte beruhten auf das Geschäftsumfeld unserer Firma. Seit meiner Scheidung ... ach, schon ab dem Tag wo ich die eingereicht habe – sind alle Kontakte bis auf Null abgesackt. Ich habe hier in Berlin ja auch keine Verwandtschaft, denn ich stamme ja aus der Oldenburger Gegend. Gerne hätte ich ja wieder einen Partner. Zum Einen habe ich natürlich auch noch frauliche Bedürfnisse und andererseits bin ich des Alleinseins müde. Aber ich musste erkennen, dass es für eine Frau eines Tages immer schwerer wird. Ich bin zwar erst 37 aber alle passenden Männer sind entweder verheiratet und wollen mir mal nur so eben in die Wäsche oder sind aus gutem Grund über geblieben. Wenn ich heute so höre, dass junge Frauen bewusst Single bleiben wollen, kann ich ihnen nur raten aufzupassen, dass sie den Zeitpunkt für eine Umkehr nicht verpassen. Ab einem gewissen Alter ist eine Frau keine Partnerin für die Männer mehr sondern allenfalls ein Objekt für den Seitensprung ... und allein sein ist gar nicht so schön.“. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt auch auspacken könnte: „Ach Frau Kolossek sie machen alles um nicht ganz allein zu sein. Dadurch das sie zur Arbeit gehen können haben sie Menschen um sich herum – und ich nutze das schamlos aus. Ich müsste ihnen ja viel, viel mehr zahlen aber ich kann nicht. Ich bin am Ende und weiß nicht woher ich es nehmen soll. Es kommt zwar immer noch reichlich rein und die Kosten habe ich ja bis auf ein Minimum gesenkt aber das, was die Banken von mir haben wollen, weiß ich nicht zusammen zu bekommen. Praktisch mache ich alles nur noch um möglichst lange zu überleben. Allerdings will ich mich von der Hoffnung auf ein Wunder nicht freisprechen ... aber woher soll das kommen. Eines Tages – und das noch nicht einmal in all zu ferner Zukunft werden mir die Banken den Hahn zudrehen. Aber das brauche ich ihnen gar nicht zu erzählen, denn sie haben genügend kaufmännischen Durchblick und wissen das alles selber. Deshalb sage ich ihnen jetzt, dass ich ihnen nicht böse bin, wenn sie was anderes gefunden haben und mich verlassen. Da kann ich ihnen nur trotzdem anbieten, dass wir Freunde bleiben und sie uns so oft wie sie wollen besuchen können.“. „Nee, nee,“, meldete sich Frau Kolossek jetzt wieder zu Wort, „ich weiß doch, dass ihr Schiff untergeht. Ich bin doch in Allem eingeweiht. Wenn ich sie verlassen wollte, hätte ich das schon längst machen können ... und das kann ich auch noch immer noch machen, wenn die Lichter ganz ausgehen sollten. Aber ich habe mich an sie gewöhnt, sie sind mir vertraut und sonst habe ich in dieser großen Stadt niemand. Ich möchte bei ihnen bleiben. Irgendwie und irgendwo sind sie meine einzigsten Freunde.“. Uli schaute sie an und sagte: „Dann sollten wir eine richtige Freundschaft daraus machen, Renate. Das ich Uli bin und mein Schatz der Dieter, das weist du ja. Und dann begeben wir uns zu Dritt mal unter die Leute. Mal seh’n, vielleicht finden wir dabei auch noch den
richtigen Mann für dich. Und allesamt kommen wir dabei auch mal auf andere Gedanken.“ Da hatte Uli große Worte gelassen ausgesprochen. Zwar duzten wir uns von Stunde an aber mit den unter die Leute gehen war so eine Sache. Kneipe hatte Uli nicht gemeint und das ist in der Regel auch nicht der richtige Ort um Partner zu finden. Andere Gesellschaften waren entweder nicht auf unserer gemeinsamen Wellenlänge oder zu exklusiv, sprich zu teuer für uns. Letztlich blieb eigentlich nur so eine Art Familienanschluss für Renate. Aber manchmal geht das Schicksal seltsame Wege. Genau durch diese Art Familienanschluss kam Renate Kolossek wieder zu einem Mann fürs Leben. Ab und zu besuchte mich Horst Weiland, ein mir gegenüber fünf Jahre jüngerer Mann mit einer Tochter im Alter unseres Björns. In meiner früheren Firma hatte er bei mir im Vertrieb gearbeitet. Als damals seine Frau mit dem Motorrad tödlich verunglückte, habe ich mich ein Wenig um ihn gekümmert. Und so kam er aus alter Verbundenheit immer mal sporadisch vorbei. So auch an jenem Samstag, so um den 10. November herum. Ich weiß jetzt nicht mehr das genaue Datum aber es muss so um dem Zehnten herum gewesen sein, denn in dieser Woche war der bisherige US-Vizepräsident George Bush – richtig der Vater vom jetzigen Falken – zum Präsidenten der USA gewählt worden und die Präsidentschaftswahlen sind in den USA immer am zweiten Dienstag im November. Horst hatte des Nachmittags angerufen und gefragt ob er kommen könne. Auch er hatte das Problem mit dem Alleinsein, woran ich aber zuvor gar nicht gedacht hatte. Sicher konnte Horst kommen obwohl sich für diesen Abend auch Renate bei uns angesagt hatte. Just, als ich den Hörer aufgelegt hatte, fiel mir auf, dass dieses möglicher Weise ein Zusammentreffen im Sinne beider Seiten sei. Das war es auch. Die Beiden verstanden sich auf Anhieb gut. Im Mai 1989 begründeten sie, nachdem sie bis dahin miteinander gegangen waren, eine Lebenspartnerschaft. Laut Horst Worten war Renate auch die ideale Stiefmutter für seine Tochter. Auch die Zwei hatten sich von Anfang an verstanden. Ende 1990 wurde dann die Lebenspartnerschaft in eine Ehe umgewandelt. Aber obwohl Renate jetzt nicht mehr alleine war, hielt sie mir die Treue bis ich sie letztendlich im Mai 1989 entlassen musste. Warum ich sie entlassen musste, erfahren Sie gleich in diesem Kapitel. Ich möchte jetzt erst mal wieder chronologisch weitererzählen. Das Jahr 1989 begann mit einer leichten Enttäuschung für mich. Katja wollte für zwei bis drei Wochen nach Deutschland kommen um Monica den Urgroßeltern, also sowohl bei Remmels in Geismar wie bei meiner Mutter in Hohenlimburg, und dem Großvater, also bei mir in Berlin, vorzustellen. Wie sie mir schrieb hatte sie jetzt langsam Bobs Tod verkraftet. Zwar hatte sie, nachdem Bob mit seinem Flugzeug abgestürzt war, etwas Bammel in einen Flieger zu steigen aber sie fühlte sich stark genug, um die Reise antreten zu können. Da passierte dann am 21. Dezember 1988 die Tragödie von Lockerbie. Vermutlich Terroristen im Auftrag des libyschen Geheimdienstes hatten mit einer Kofferbombe ein Jumbo Jet der amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am über diesen schottischen Ort in die Luft gesprengt. Alle 259 Insassen kamen ums Leben und zusätzlich wurden noch 11 Einwohner von Lockerbie durch abstürzende Trümmerteile getötet. Jetzt wollte Katja auch nicht mehr fliegen und sagte ihre Reise ab. Sicher war das eine Enttäuschung für mich aber ich hatte auch vollstes Verständnis für meine älteste Tochter. Seit Anfang 1989 war es unverkennbar, dass die Endzeit der BBSS und des Unternehmers Dieter Kleiner bereits im vollen Gange war. Das konnte man nicht übersehen. Auch im Ostblock powerte bereits die Endzeit. Ungarn machte bereits im Januar den Anfang und beschloss die Vereins- und Versammelungsfreiheit und politische Parteien wurden zugelassen. Im Februar schloss die Sowjetunion ihren Truppenabzug aus Afghanistan ab. Das Land wurde dann von der Taliban, damals noch die große Freunde der Amerikaner, beherrscht. Im April wurde in Polen die Gewerkschaft Solidarität wieder zugelassen und es sollte eine parlamentarische Demokratie eingeführt werden. Im Juni gab es dann die ersten halbwegs freien Wahlen, bei denen die Solidarität fast alle der 35 Prozent Nicht-KP-Sitze gewann. Ende August wurde Tadeusz Mazowiecki zum ersten nicht-kommunistischen polnischen Ministerpräsidenten gewählt. Er forderte in seiner Regierungserklärung im September die Einführung der Marktwirtschaft in Polen. Die Ungarn begannen im Mai mit dem Abbau der Grenzbefestigung an der Grenze nach Österreich. Im August nutzen rund 500 DDR-Bürger dieses offene Loch im sogenannten Eisernen Vorhang zur Flucht über Österreich, das übrigens in diesem Jahr den Aufnahmeantrag zur EU stellte, in die Bundesrepublik Deutschland. Damit begann die größte Fluchtwelle nach 1961. Im Juli beschloss der Oberste Sowjet weitreichende wirtschaftliche Autonomie für die Baltenstaaten Estland, Lettland und Litauen. In der DDR wollte man aber die Endzeit noch nicht so recht wahrhaben., trotzdem schritt sie dort mächtig voran. Im September gründete sich die Oppositionsgruppe „Neues Forum“ und betrieb ihre Zulassung als politische Organisation. Als diese Gruppe noch im gleichen Monat verboten wurde, demonstrierten in Leipzig mehre tausend Menschen. Aber unmittelbar danach gründete sich die nächste Oppositionsgruppe unter dem Titel „Demokratischer Aufbruch“. Einen Tag darauf wurde in Leipzig eine Demonstration mit 25.000 Leuten gewaltsam aufgelöst. Man fürchtete, dass die DDR zu einer sogenannten „Chinesisch Lösung“ greifen würde. Dabei dachte man an das Geschehen in Peking im Mai dieses Jahres, als eine Studentendemonstration auf dem „Platz des himmlischen Frieden“ durch die Volksbefreiungsarmee mit einem Massaker, bei dem 3.000 Zivilisten buchstäblich abgeschlachtet wurden, aufgelöst wurde. Davor schreckte aber die DDR-Führung, die offensichtlich keine Rückendeckung beim „Großen Bruder“ in Moskau mehr hatte, dann doch zurück. Die fehlende
Rückendeckung wurde auch offensichtlich als Michael Gorbatschow am 6. Oktober 1989 die DDR besuchte und dort Reformen anmahnte. Damals sagte er zu Honecker: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“. In Folge des Gorbatschow-Besuches kam es dann in den DDR-Städten zu Massendemonstrationen. Bei diesen fiel dann erstmals der Spruch „Wir sind das Volk“ – eigentlich der erste demokratische Grundsatz –, der später von Dampfwalze Kohl und seinen patriotisch konservativen Freunden in die etwas oberflächlichere Aussage „Wir sind ein Volk“ umsuggeriert wurde. Na ja, Honni, wie man den im Saarland geborenen DDR-Häuptling nannte, war schon zu spät gekommen und er wurde schon vom Leben bestraft. Am 18. Oktober löste Egon Krenz Honecker als Parteischef und am 24. Oktober als Staatschef ab. Als erstes wurde unter Krenz der Visa-Zwang für Reisen in die Tschechoslowakei, die erst im Vorjahr eingeführt worden war, wieder aufgehoben und in Folge dieser Maßnahme flüchteten tausende DDR-Bürger in die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Prag. Der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher konnte dann aushandeln, dass diese Leute in die Bundesrepublik über Dresden, wo sie aus der DDR formal ausgebürgert wurden, ausreisen durften. Am 7. November trat dann der Ministerrat, die Regierung der DDR, geschlossen zurück und einen Tag später wurde Hans Modrow als neuer Ministerpräsident vorgeschlagen. Ja, und dann noch einen Tag weiter hatte die DDR-Endzeit ihren Höhepunkt, von dem man vermutlich noch in hundert Jahren noch sprechen wird: Die Wende. An dieser Stelle beende ich mal meinen Ausflug in die Ostblock-Endzeit und komme auf meine eigene, die mich naturgemäß damals deutlich mehr bewegte, zurück. Auf die Wende komme ich im nächsten Kapitel, insbesondere in Verbindung mit meinen eigenen Erlebnissen zu dieser Sache, ohnehin noch zu schreiben. Bei uns im Hause ging es immer schlimmer zu. Jetzt hatte ich regelmäßig, fast täglich Mahnbescheide bei der Post. Laufend musste ich bei den Bankfiosis zum Rapport erscheinen, damit ich wieder mal ein Loch mit dem anderen stopfen konnte. In erster Linie musste ich darauf achten, dass ich die Kosten für Verpackungsmaterial, Handbücher, Disketten und sonstiges „Halbzeug“ irgendwie abgedeckt bekam. Wenn ich da meine Lieferanten nicht halbwegs befriedigt hätte, dann hätte ich in Folge auch nicht mehr liefern können. Dafür schob ich dann die Zahlungen an meine Lizenzgeber, sprich an meine Autoren, immer weiter hinaus. Beliebt machte ich mich mit so etwas natürlich nicht. Ich wurde teilweise als richtiger Betrüger beschimpft. Es wurde mir in Folge auch immer weniger angeboten, was ich hätte vertreiben können. Da ich auf immer billigere Lösungen zurückgriff, wurde die Umverpackung auch immer mickriger. Das führte dazu, dass die Handels- und Kaufhausketten mir nach und nach die geschlossenen Lieferverträge kündigten. Anzeigen konnte ich auch nicht mehr bezahlen und so nahmen einschlägige Zeitschriften meine entsprechenden Aufträge nicht mehr an. Alle meine Versuche Leute, die sich mit Kapital beteiligen sollten, zu finden scheiterten schon nach der ersten Kontaktaufnahme. Meine Bemühungen um Tilgungsstundungen liefen ins Leere, weil die Bankfiosis natürlich die Sinnlosigkeit meines Handelns durchschauten. Obwohl ich den Eindruck habe, das Banker wohl echte Finanzakrobaten sind aber vom logischen kaufmännischen Handeln keine Ahnung haben, musste ich jetzt eingestehen, dass sie mit ihrer Einschätzung ausnahmsweise mal recht hatten. Im März und April konnte ich Renate Kolossek nur die Hälfte ihres Gehaltes auszahlen. Selber mussten wir uns in der Familie unter Sozialhilfeniveau einschränken. Standardspeisen wurden für Uli und mich des Morgens und des Abends einfache „Stullen“ mit Margarine und Käse-Scheibeletten. Des Mittags gab es entweder Eintopf, den Uli in Dosen bei ALDI einkaufte, oder Nudeln in diversen Varianten, wie Gabelnudeln, Makkaroni oder Spagetti. Unsere Topp-Getränkemarke hieß „Kranmacher“, also frisches Wasser aus dem Kran. Bei den Kindern achten wir allerdings darauf, dass die etwas ordentliches bekamen. Ulis Auto hatten wir Anfang Februar verkauft und meins kam Ende März dann auch an die Reihe. Ab dem Zeitpunkt übernahm Uli mit einem Fahrrad mit Anhänger Besorgungen und Lieferungen. Aber nicht das jetzt jemand fragt warum ich meine Frau vorgeschickt hätte. Mein steifes Bein machte es mir unmöglich selbst mit dem Fahrrad zu fahren. Am Haus und Garten machte keiner von uns mehr etwas. Dadurch wurden sehr schnell Verfallsanzeichen deutlich, was natürlich unsere Nachbarn auf die Barrikaden brachte. Was soll ich sagen? Ich war am Ende angelangt, alles was Uli mal eingebracht und was ich zusammengerauft hatte war verloren. In dieser schweren Zeit durfte ich dann paradoxer Weise viele, viele glückliche Momente erleben. Grundsätzlich wenn man mir meine Angeschlagenheit und Mutlosigkeit besonders deutlich anmerkte, verwandelte sich Uli flugs in das Schmusekätzchen und gab mir dann viel Wärme und Zärtlichkeit. Aber auch wenn sie selbst eine depressive Phase hatte, was bei ihr in dieser Zeit genau so oft vorkam wie bei mir, suchte sie Trost in dem sie mit mir schmuste. Mit Zärtlichkeit und Wärme bauten wir uns gegenseitig immer wieder auf. Wenn wir glaubten das Schmusen nötig zu haben nahmen wir letztendlich keine Rücksicht darauf ob Renate oder die Kinder anwesend waren. Na ja, zu anstößigen sexuellen Handlungen ist es dabei ja nicht gekommen. Nach Sex stand uns in jener Zeit auch gar nicht so sehr der Sinn. Auch im Bett war der Unterschied zu unserer Schmuserei am Tage nur, dass wir dabei nackt waren. Gelegentlich haben wir uns mal gegenseitig ein Orgasmus manipuliert – aber wirklich nur gelegentlich. Richtig „gebumst“ haben wir in dieser Zeit nie aber trotzdem waren wir uns
sicher, dass wir uns liebten und zusammenhalten würden. Das alles machte uns sehr glücklich, so dass ich diese Periode meines Lebens auch heute noch eine „glückliche Endzeit“ nenne. Dann kam der Pfingstsamstag, der 13. Mai. Einen Tag vorher hatte ich schon einen weiteren derben „Schlag ins Kontor“ hinnehmen müssen. Ich hatte mir nach der Devise „auf einen USA-Anruf kommt es, da ich schon seit drei Monaten keine Telefonrechnung mehr bezahlt, nun auch nicht mehr an“ vorgenommen, Katja zum 25. Geburtstag telefonisch zu gratulieren. Wegen der Zeitverschiebung von sieben Stunden musste ich bis Vier oder Fünf am Nachmittag warten sonst hätte ich meine Tochter zu nächtlicher Stunde aus dem Bett geworfen. Ansonsten sah ich an diesem Tag keinen Grund, mich mit irgend jemand anderem telefonisch in Verbindung zusetzen. Es waren lediglich zwei oder drei Anrufe eingegangen. Als ich dann zum Gratulationsanruf „schreiten“ wollte, stellte ich fest, dass der Fernmeldedienst der Deutschen Bundespost meine Telefonleitung in eine Einbahnstraße umgewandelt hatte: Ich konnte zwar angerufen werden aber selbst niemand mehr erreichen. Nun, Katja wird es mir nicht übel genommen haben, da ich ihr wie in den Jahren zuvor geschrieben hatte. Die Silberzahl Fünfundzwanzig wollte ich lediglich zum Anlass nehmen um erstmals per Telefon zu gratulieren. Aber mir war jetzt hundertprozentig klar, dass ich absolut „k.o.“ war. Ich lag am Boden und wusste nicht, wie ich wieder aufstehen könnte. Ich konnte nur noch Uli in die Arme schließen und mich an ihren Busen ausweinen. Vom Freitag auf Samstag hatte ich eine schlaflose Nacht. Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich in dieser Nacht überhaupt ein Auge zugemacht habe. Als eigentlich der Zeitpunkt zum Aufstehen gekommen war, fühlte ich mich vollkommen kaputt und zerschlagen. Dazu kam, dass es an diesem Morgen relativ kalt war. Der Eisheilige Servatius hatte sich pünktlich eingestellt und wollte offensichtlich seinem Namen alle Ehre machen. Ich fühlte mich krank und wollte am Liebsten im Bett bleiben. Einzig die Tatsache, dass Uli es wegen der Kinder mir nicht gleich tun konnte, gab mir die Absicht, den inneren Schweinhund zu bekämpfen und doch aufzustehen. Ich stand eben wieder auf den Beinen als sich alles bei mir drehte und mich erst einmal wieder auf die Bettkante setzte. Darauf verordnete mir dann Uli Bettruhe. Sie setzte sich auf die Kante meiner Bettseite, strich mir über die Haare und sagte: „Ach Schatz, wir sollten einen Schlussstrich ziehen. Das Leben geht weiter ... sowohl für uns wie für unsere Kinder – und darauf sollten wir uns konzentrieren. Wenn du dich wieder so halbwegs besser fühlst, dann setzt du dich hin und schreibst einen Konkursantrag, den ich dann Dienstag zum Amtsgericht Charlottenburg bringe. Du gehst derweil zum Arbeitsamt und meldest dich arbeitslos, damit du Arbeitslosengeld bekommst. Wozu hast du dich denn sonst in deiner GmbH selbst als Geschäftsführer angestellt und die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich abgeführt. Jetzt ist es an der Zeit, Leistungen aus der Versicherung, für die du Prämien gezahlt hast, zu beziehen. Mit dem Arbeitslosengeld geht es uns dann besser wie so.“. Nun, den Vorschlag fand ich erst gar nicht so gut. Ich war der Meinung, dass ein Konkursantrag so oder so nichts bringen würde, da das Verfahren ohnehin mangels Masse eingestellt werden würde. Und alles was wir besaßen war ganz eindeutig verloren, denn alle Kredite liefen nicht auf dem Namen der GmbH, einer sogenannten juristischen Person, sondern auf Dieter Kleiner – oft sogar auch auf die Mitschuldnerin Ulrike Kleiner. Es gibt einen naiven Volksglauben, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, nur mir ihrem Stammkapital und Betriebsvermögen hafte und diese ansonsten nach einem Konkursantrag für tot erklärt würde. Wer so etwas sagt, kennt die Banken nicht. Die geben einer „mittellosen“ GmbH keine Kredite. So etwas bekommen nur die Gesellschafter. GmbHs erhalten diese nur, wenn sie von den Gesellschaftern verbürgt werden, was fast auf das gleiche rauskommt, als habe der Gesellschafter diesen auf seinen Namen aufgenommen. Als ich Uli sagte, dass ich einen Konkursantrag für sinnlos hielt, erwiderte sie mir: „Nicht ganz. Du dokumentierst allen, die glauben von dir noch etwas kriegen zu können, dass du nicht mehr kannst. Die wollen jetzt von dir nur noch vollstreckbare Titel, falls sie diesen nicht ohnehin schon haben, damit sie diese an Inkassogeier verkaufen können. Und dann denke daran, dass du als Geschäftsführer Angestellter der GmbH bist – vielmehr jetzt noch bist. Nach dem Konkursantrag ist offensichtlich dass du arbeitslos bist und du hast, wie Renate, Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das ist deutlich mehr, als uns zur Zeit zur Verfügung steht. Dann haben wir wieder etwas Luft zum Leben.“. Letztlich stimmte ich ihr, nach einiger Hin- und Her-Überlegerei dann doch zu aber an diesem Tag wollte ich noch nicht ran, schließlich gab es ja noch den Pfingstsonntag und –montag. Sowohl am Gericht wie beim Arbeitsamt konnte allemal erst am Dienstag wieder ankommen. Dann trat ein Umstand ein, der uns an diesem Tag doch noch ans Werk gehen ließ. Es wurde nicht nur der Antrag geschrieben sondern auch gleich sowohl eine Vermögens- wie auch eine Gläubiger-Aufstellung angefertigt. Alles was zum Konkursantrag gehört, war am Samstagabend fertiggestellt und ehrlich gesagt: Mir war danach viel wohler und leichter als am Morgen. Allerdings richtig „happy“ ist wohl niemand in einer solchen Situation. Aber jetzt sollte ich doch erst einmal von dem angeschnittenem „Umstand“ berichten. Zwischen Zehn und Elf kamen Renate Kolossek und Horst Weiland vorbei. Renate hatte am Tag zuvor mit Uli vereinbart, dass sie ein paar Dinge für uns bei ALDI einkaufen und anschließend bei uns vorbeibringen wollte. Dabei ging es nicht, wie man annehmen könnte, ums liebe Geld sondern um die Tatsache, dass wir kein Auto hatten. Als Uli am Vortag
mit ihrem Fahrrad losstrampeln wollte hatte ihr Renate diesen Service angeboten. Als Renate und Horst kamen lag ich immer noch im Bett. Just zu dieser Stunde war ich sogar ein Wenig eingeschlafen. Die Drei, also Renate, Uli und Horst, unterhielten sich über die Dinge, denen ich am Morgen zögerlich zugestimmt hatte, also über den Konkursantrag. Bei dieser Gelegenheit überredete Renate Uli dazu, dass die beiden Frauen den Antrag schreiben wollten und dann gemeinsam die Aufstellungen, die ich ein Stückchen weiter oben erwähnte, zusammenstellen wollten. Ursprünglich wollte Renate ja mit Horst und seiner Tochter in den Zoologischen Garten. Jetzt sollte Horst an Renates Stelle unsere Kinder mitnehmen. Björn und Janine waren dazu auch sofort bereit. Nur mit Jean musste Uli erst einmal eine Auseinandersetzung führen aber dann schloss er sich dann doch Horst und den anderen Kindern an. Mich, den „kranken Mann“, wollten die beiden Frauen bestenfalls mit eventuell notwendigen Fragen und letztlich mit Unterschriften behelligen. Und so machten sie sich dann zunächst ohne mich ans Werk. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde am Werk waren tauchte die erste Frage, die sie mir stellen mussten, auf. Daran merkte ich erst was los war. Selbstverständlich stand ich sofort auf, machte mich fertig und beteiligte mich an der Aktion. Allerdings ist mir dieser Tag schwer gefallen, sowohl körperlich wie seelisch. Offensichtlich war ich tatsächlich krank. Jetzt kann ich ja mal zusammenfassen, was für uns die Folgen des, am Dienstag dem 16. Mai 1989 beim Amtsgericht Charlottenburg, wo die BBSS ins Handelsregister eingetragen war, eingereichten Konkursantrages war. Nun, erwartungsgemäß wurde der Antrag mangels Masse abgewiesen. Zuvor mussten wir bei so einem Konkursanwalt, der, wenn der Konkurs eröffnet worden wäre, vom Gericht zum Verwalter erkoren worden wäre, antanzen. Da wir ja schon eine Vermögens- und Gläubigeraufstellung beigefügt hatten, erkannte dieser die wohl für alle Zeit hoffnungslose Lage und empfahl uns: „Leben sie“. Die Banken kündigten uns alle Geschäftsbeziehungen und machten sich an die Verwertung der zur Sicherung gegebenen Anlagen. Auch unser Häuschen in Alt Marienfelde kam unter den Hammer. Wegen nicht bezahlter Prämien wurden unsere RisikoVersicherungen, wie zum Beispiel Haftpflicht, gekündigt und die anderen, zum Beispiel Lebens- oder Rentenversicherungen wurden beitragsfrei gestellt. Na ja, von denen blieb dann auch nichts, den die haben die Gläubiger zum Rückkaufwert „gefressen“. Als alles diesbezügliche abgewickelt war, blieben noch etwas über 300.000 D-Mark an Schulden über. Die entsprechenden Schuldtitel wurden von den Banken an Inkassogeier „verhökert“ und haben sich bis heute auf eine höhere Summe in Euro, wie sie ursprünglich in D-Mark war, aufgezinst. Durch Lohnpfändung haben die Geier zwar geringe Beträge eingeheimst aber die lagen ja in der Regel unter dem, was alleine an Zinsen anfiel. Man überlege doch einmal, das auf 300.000 D-Mark (153.388 Euro) bei „nur“ 7 % Zinsen – von mir verlangt man mehr – jährlich schlappe 21.000 D-Mark (10.737 Euro) an Zinsen kommen. Wenn ich dann noch in, sagen wir mal 15 Jahren von der Schuld abkommen will, müsste ich noch zirka 20.000 D-Mark (10.226 Euro) jährlich tilgen. Also 41.000 D-Mark im Jahr entsprechen 3.417 D-Mark (1.747 Euro) im Monat. Eine solche Summe muss zumindestens in der ersten Zeit aufgebracht werden, damit man tilgt und nicht trotz Zahlung aufzinst. 1.747 Euro ist ja in etwa schon das Bruttoeinkommen, was in sehr vielen Berufen im Monat erzielt werden kann. Schulden kann man aber nur vom verfügbaren Nettoeinkommen tilgen und zum Leben muss bekanntlich auch immer noch etwas übrig bleiben. So müsste ich für Schulden, Steuern, Sozialabgaben und normalen, sogar bescheidenden Lebensunterhalt mindestens 7 bis 8-tausend Euro verdienen. Dagegen, dass ich einen Job, der so dotiert ist, bekommen könnte, sprachen doch einige Gründe. Der wichtigste dürfte wohl sein, das zu besser dotierten Jobs auch Repräsentationsaufgaben gehören. Da müssen Kleidung, Auto und so weiter schon was hergeben. Was würden Sie denn sagen, wenn jemand, der beruflich etwas darstellen soll, in alten Jeans mit einem über zehn Jahre alten Golf vorfahren würde – den nimmt wirklich keiner mehr ernst. Ein Pleitier ist zu einer repräsentativen Ausstattung aber nicht in der Lage. Einerseits wird ihm ab einer bestimmten Summe alles abgepfändet und zum anderen kriegt er ja auch keine Kredite mehr. Dagegen dürfte wohl „seine“ Schufa eindeutig sprechen. Sollte er etwa einen Mittelklassewagen aus der Tasche bezahlen? Wenn er das kann und eine Eidesstattliche Versicherung abgelegt hat, ist sicher, dass er sich strafbar gemacht hat, denn er hat ja geschworen, dass er kein Vermögen hat. So etwas ist ja der Straftatbestand des Meineides, zu dem das Gesetz sogar mit Haft droht. Aber auch einen normalen Job im Fußvolk zu kriegen ist für einen Pleitier schwer. Ist doch schon bei der Einstellung klar, dass mindestens einmal aber meist öfters der Gerichtsvollzieher zwecks Lohnpfändung im Hause erscheint. Inanspruchnahme als Drittschuldner nennt man so etwas in der offiziellen Rechtssprache. Gerichtsvollzieher sind ja bekannter als man glaubt und so ist bei seinem Erscheinen immer mit einen Imageschaden zu rechnen. Welcher Außenstehende, der zwar den Gerichtsvollzieher aber nicht seinen Auftrag kennt, weiß schon ob er in Sachen der Firma selbst oder in Sachen eines verschuldeten Arbeitnehmers erscheint? Da muss man schon Arbeitgeber verstehen, die sich so etwas nicht wissentlich am Hals holen wollen. Andererseits müssen Lohnpfändungen in den Personalbüros bearbeitet werden, wodurch für den Arbeitgeber Kosten entstehen. Das war es wohl, was meine Arbeitssuche nach der Pleite so unheimlich schwer machte. Verheimlichen konnte ich das Ganze wohl kaum, denn wie sollte ich, der ich lange Zeit Manager und dann Unternehmer war, begründen warum ich mich um einen Job in den unteren Etagen bewarb. Das Verheimlichen
von Überschuldung bei Einstellungen ist übrigens auch nicht zu empfehlen. Zwar kann man wegen Schulden nur dann gefeuert werden, wenn man bei der Einstellung nachweislich danach gefragt wurde und wenn man dann nachweisen kann, dass man darauf vorsätzlich gelogen hat, aber es dürfte sicher sein, dass man nach bekannt werden der trüben Lage gleich auf die Abschussliste für die nächste Umstrukturierung gesetzt wird. Und wenn der Zeitpunkt offensichtlich noch zu lange hin ist, kann man seitens des Arbeitsgebers ja auch durch das Initiieren von Mobbing etwas nachhelfen. Ist es verwunderlich, dass ein von Inkassogeiern verfolgter Arbeitnehmer, auch nicht die notwendige Motivation aufbringt? Aufstieg und Karriere sind ihm ja aus den Gründen, die ich weiter oben beschrieb, verwehrt. Mehrverdienste aus Beförderungen, Leistungszulagen und Überstunden landen zum größten Teil – und ab einer bestimmten Höhe sogar vollkommen – auf den Konten der Inkassogeier. Weshalb soll man sich da noch groß ins Zeug legen? Sicher steht man sich mit Arbeitseinkommen trotz Pfändung ein Wenig besser als mit Stütze oder Arbeitslosenhilfe aber ob es dem Betreffenden dann noch einsichtig ist, dass er sich dafür noch mächtig ins Zeug legt, ist doch äußerst fraglich. Das wissen Arbeitgeber, bei denen man sich um eine Stelle bemüht, natürlich auch und so geht ein Pleitier natürlich mit den besten Empfehlungen für eine Ablehnung zu Einstellungsgesprächen. Ja, was ich jetzt als Konsequenz aus meinen abgewiesenen Konkursantrag niederschrieb, also Verwertung der Anlagen, Versteigerung des Hauses und so weiter, trat natürlich nicht von Heute auf Morgen ein. Das passierte alles so über einem Zeitraum von zirka anderthalb Jahren. Bis dahin trafen immer noch fröhlich Mahnbescheide und andere üble amtliche Schriftstücke ein. Auch der Gerichtsvollzieher erschien häufig zur Visite. Da trafen dann auch schon die ersten Schreiben von Inkassogeiern, die nicht selten einen ungehörigen entwürdigen Stil haben, ein. Nun, so etwas wird man dann, wenn man keinen reichen Erbonkel hat oder im Lotto gewinnt, auch in dreißig Jahre nicht mehr los. Erst nach drei Jahrzehnten verjähren ja solche Schuldtitel. Für mich bedeutet das, dass ich erst nach der Vollendung des 73. bis 75. Lebensjahr da wieder raus bin. Heute weiß ich noch nicht einmal ob ich überhaupt so alt werde. Das Alter liegt ja über der durchschnittlichen Lebenserwartung für Männer. Was soll ich da noch anstreben. Meine Existenz als Mensch der Wirtschaft und als Konsument in der Spaß- und Geldgesellschaft war damit also unwiderruflich beendet. Und Leute, es mag jetzt komisch klingen, aber ich hatte dadurch das Glück, dass ich mich fortan auf das wahre Leben konzentrieren konnte. Heute möchte ich sagen, dass ich dadurch seltsamer Weise sogar glücklicher und zufriedener geworden bin. Auch solche Anfälle wie Sorgen sind bei mir heute relativ selten. Ich weiß, dass es immer irgendwie weitergeht und dass man die schönen Seiten des Lebens nur geschenkt bekommen kann. Natürlich hatte ich diese Erkenntnis auch nicht von Heute auf Morgen. Ich litt zunächst schwer unter dem was geschehen war und habe auch sehr oft geweint. Teilweise bin ich auch richtig emotional ausgerastet. Als ich so im psychischen Sumpf saß habe ich auch das Biertrinken und das Rauchen, was ich seit meinem Unfall damals in Hildesheim nicht mehr gemacht hatte, wieder begonnen. Ich musste es ertragen lernen, dass mich viele Leute, die von meiner misslichen Lage wussten, mich wie den letzten Dreck behandelten. In den Augen von diversen Leuten war ich zum Asozialen und Doofi verkommen. Seltsamer Weise waren das oft Leute, die auf Grund ihrer Fähigkeiten und Voraussetzungen beim besten Willen nicht das erreichen können, was ich zuvor erreicht hatte. Ich empfand meine Situation als Strafe dafür, dass ich Arbeitsplätze schaffen und richtig Steuern zahlen wollte. Damals bedauerte ich oft, dass ich nicht Beamter geworden bin. Ein Beamter kann in ruhiger aber akkurater Weise seine Sachen abarbeiten. Er kann sich schadlos Fehler erlauben – was Beamte verbocken muss der Steuerzahler bereinigen – und kassiert dafür stolze Sümmchen. Immerhin ist der Beruf der Beamten in der Staffel der Bestverdiener an zweiter Stelle. Auf Beamte bekam ich in jener Zeit einen richtigen Brasst, weil mich insbesondere Angehörige dieses Berufsstandes am Schlimmsten wie sozialen Abfall behandelten. Offensichtlich sahen einige in mir nicht den Bürger sondern den Untertan. Ich habe zwar in meinem Leben selbst nie Sozialhilfe bezogen aber ich kann absolut nachvollziehen, wenn Betroffene einen Horror davor haben, sich in ein solches Amt, in dem ein Vertreter einer solchen Kommunalobrigkeit sitzt, zu begeben. Aber ich konnte in jener Zeit auch eine Reihe positiver Erfahrungen machen, die mir erst später bewusst wurden. Da war mein Stiefvater, der, obwohl er es als Rentner gar nicht so dicke hatte, mir unsere Telefonrechnung ausglich damit wir in Verbindung bleiben konnten. Immer wieder machte er mir mit seinen eigenen Erlebnissen klar, dass das Leben weitergeht und mitunter noch lebenswerter wie vorher ist. Dann war da meine Mutter, für die ich ihr Junge, der alles richtig gemacht hatte, blieb. Ihre Worte haben mir oft sehr, sehr gut getan. Da war Katja, die immer wieder in einem jeden Brief betonte, dass ich ihr Dad sei und bleiben würde. Dann waren da Renate und Horst, die unsere Freunde blieben als sei nichts geschehen. Viele, fast alle Leute, mit denen wir vorher Kontakt hatten, mieden uns jetzt aber es gab wenige Einzelne, die uns jetzt im positiven Sinne näher kamen wie in der Zeit davor. Dann entwickelte sich zwischen Uli und mir eine echte Eheharmonie. In keiner Zeit zuvor sind wir so aufeinander eingegangen. Nie zuvor hatten wir so an einem Strick gezogen. Gemeinsam weinten, beteten und schmusten wir miteinander und bauten uns dadurch immer wieder auf. Unsere Kinder zeigten auf ihre Weise
Verständnis für uns und waren auf irgendeine Art und Weise doch noch stolz darauf, dass wir ihre Eltern waren. Natürlich war es für sie nicht immer leicht Konsumwünsche, die durch ihre Umgebung, insbesondere durch Klassenkameraden, an sie herangetragen wurden, abzuschreiben. Da gab es schon mal diese oder jene Auseinandersetzung, insbesondere mit Jean. Aber trotz allem konnte man feststellen, dass wir den Umständen entsprechend eine glückliche Familie waren. Nur eine Sache gelang dann nicht mehr: Weder Uli noch ich fanden in Berlin eine Arbeit und eine Wohnung fanden wir auch nicht mehr. Unsere Berliner Endzeit war also angebrochen. Wie es danach weiterging erfahren Sie ab dem nächsten Kapitel.
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Als wir mit den „Latschis“ zogen Nachdem die BBSS zusammengebrochen war gedachten wir zunächst in Berlin zu bleiben. Unsere Gründe kamen wohl mehr aus dem Bauch als aus dem Kopf. Auf jeden Fall kann ich diese heute nicht mehr nennen, da ich sie selbst nicht mehr weiß. Damals nach meinem Absturz vom Vorstandssockel der Schweikart AG wollte ich nicht in heimische Gefilde weil wir erstens das Haus in Marienfelde gekauft hatten und zweitens weil ich, der zuvor den großen Herrn markiert hatte, mich schämte wieder zum Fußvolk degradiert worden zu sein. Der erste Grund zog jetzt nicht mehr, da unser Häuschen sowieso unter dem Hammer kommen würde, und der zweite Grund zählte nach meiner Pleite auch so nicht mehr, denn der Stempel des von Inkassogeiern verfolgten Pleitiers dürfte mir jetzt überall, auch wenn ich in Berlin bleiben würde, sichtbar anhaften. Außerdem kann man gegenüber Dritten, die von allen Dingen nichts mitbekommen haben, eine Pleite besser und nachvollziehbarer positiv begründen als einen Abschuss aus der Managerriege. Also, die 79er-Gründe um in Berlin zu bleiben hatten zehn Jahre später so gut wie keine Bedeutung. Was es aber dann war, kann ich heute nicht mehr rekonstruieren – es tut mir leid. Wichtig an dieser Stelle ist lediglich, dass wir zunächst mit dem Vorsatz in Berlin zu bleiben beide, also Uli und ich, in dieser Stadt eine Arbeit suchten. Uli hatte ja, wie ich berichtet habe, nachdem sie aus dem Übersetzungsbüro, welches sie mit Maria Roman betrieben hatte, Liebesschmöker aus dem Deutschen, Englischen und Französischen in eine der beiden oder in beide der anderen Sprachen übersetzt. Aber dem auftraggebenden Verlag schien es wirtschaftlich auch nicht mehr so rosig zu gehen. Einerseits fuhren sie das Volumen an „Neuerscheinungen“ deutlich zurück und andererseits erschienen neuere Sachen fast ausschließlich nur in der Sprache, in der sie auch geschrieben worden waren. Seit anderthalb Jahren war schon nicht mehr hinsichtlich einer neuen Übersetzung bei Uli nachgefragt worden. Da Uli nun in unserer neuen Situation einen Beitrag zum Familienunterhalt leisten wollte, ging sie genauso wie ich auf Arbeitssuche. Dahingehend unterschieden wir Beide uns nur in dem Punkt, dass ich Arbeitslosengeld bekam und sie nicht. Ich hatte mich ja in der BBSS selbst als Geschäftsführer angestellt und habe auch treu und brav Sozialversicherungsbeiträge, also auch in die Arbeitslosenversicherung, abgeführt. Dringender wie die Suche nach Arbeit erschien uns die nach einer Wohnung. Wir hatten ja keine Ahnung wie lange oder wie schnell es geht bis es zu einer Zwangsversteigerung kommt. Schließlich hatten wir ja ein paar Raten auf die Grundschulden, die wir aufgenommen hatten, nicht bezahlt und die Bank hatte, zumindestens laut deren Schreiben, ja schon alles zur Zwangsversteigerung in die Wege geleitet. Da hatten wir gehört, dass man aus sozialen Gründen für eine gewisse Zeit einen Räumungsschutz beantragen könnte. Dieses geht einerseits wirklich nur für eine gewisse Zeit und anderseits gilt das, wie ich gehört habe, nicht bei Versteigerung oder Verkauf. Versteigerte oder verkaufte Objekte müssen übergeben werden. Also nach Ablauf des Räumungsschutzes oder nach dem Versteigerungstermin drohte uns eine Obdachlosen-Unterkunft. Wer in einem solchen Etablissement mal gelandet ist hat es schwer da wieder rauszukommen. Und so lange man da drin ist, ist man sozial gebranntmarkt, was sich auch verheerend auf die Zukunft der Kinder auswirkt. Werden nicht die Kinder der vermeintlichen „Assis“ aus dem Obdachlosenasyl in der Schule nicht wie das siebte Rad am Wagen behandelt? Haben wir nicht alle im Hinterstübchen, das mit Kindern aus äußert sozialschwachen Familien nicht viel los sein kann. Es muss doch einen Grund geben, warum die Familie dort gelandet ist und Kinder kommen in der Regel nicht auf fremde Leute. Ich halte solche Vorurteile real für falsch aber ich kann mich auch nicht immer dagegen wehren, dass mein Unterbewusstsein so assoziiert. Was ist denn bei der Ausbildungsstellensuche, wenn der mögliche Ausbilder weiß, was sich hinter der Anschrift des Bewerbers verbirgt? Ich will mal nicht übertreiben und behaupten, dass für Bewohner von Obdachlosenunterkünften die Zukunft verbaut sei aber rosig ist sie mit Sicherheit nicht. Nach einem halben Jahr absolut erfolgloser Arbeits- und Wohnungssuche setzten sich Uli und ich uns vollkommen resigniert zusammen. Das Datum dieses Tages der Aussprache werde ich wohl aus historischen Gründen nie vergessen: Es war Donnerstag, der 9. November 1989. Das Datum kommt Ihnen doch sicherlich auch bekannt vor – oder? Der 9. November war schon vor dem Jahre 1989 ein besonderer deutscher Schicksalstag und da sollte an diesem Tag des Jahres 1989 noch was zukommen. Am 9. November im Jahre 1918 verkündete der damalige Reichskanzler Max Prinz von Baden die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und trat nach der Verkündigung des Kaiser-Rücktritts selbst zurück. Daraufhin proklamierte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in Berlin die Republik. Wilhelm, der letzte Oberpreuße, nahm zwar nicht seinen Henkelmann und fing auch nicht bei Krupp in Essen an – wie ein Spottlied behauptet – sondern er begab sich ins Exil in die Niederlande. Zwanzig Jahre später, also 1938, richtete die braune Verbrecherbande die „Reichskristallnacht“, wie die Hitlerbande selbst zur Pogromnacht sagten, an. Damit begann dann die öffentliche Judenverfolgung in Deutschland. Der Holocaust war also an jenem 9. November 1938 für alle sichtbar geworden. Eigentlich hätte nach diesem Tag niemand mehr sagen können, dass er von den Verbrechen im Namen der Deutschen nichts
gewusst habe, aber ... ach, das wissen Sie, wenn Sie zu den Älteren gehören, ja selbst. Auf das, was dann an diesem Tag im Jahre 1989 kommen wir nachher noch zu schreiben. Was heißt nachher? Für unsere Familie war dieser Tag auch ein ganz persönlicher Schicksalstag – und davon berichte ich jetzt umgehend. Am Morgen dieses Donnerstags waren Uli und ich ganz aktiv gewesen. Uli war beim Arbeitsamt um sich nach offenen Sekretärinnenstellen zu erkundigen aber leider hatte sie alles, was man ihr anbieten konnte, schon abgeklappert. Neue diesbezügliche Stellenangebote waren nicht herein gekommen. Ich hatte einen Termin zwecks Vorstellung wahrgenommen, aber der zuständige Personalleiter war der Meinung, dass ich für den angeboten Job „zu überqualifiziert“ sei. Gemeinsam haben wir dann uns dann zwei Wohnungen angesehen. Bei beiden Wohnungen wurde nach der Devise „Mieter neppen Mieter“ ein Abstand in für uns unerschwinglicher Höhe verlangt. Beide Vormieter, die einen Nachmieter suchten, wollten unbedingt ein paar speergutreife Möbel in der Wohnung stehen lassen und dafür einen „Abstand“ haben, für den wir die komplette Wohnung hätten neu ausstatten können. Was nützt da die Erkenntnis, dass diese Vorgehen rechtswidrig ist. Wenn jemand etwas verlangen kann, dann ist das selbstverständlich nur der Vermieter und für das, was er verlangen darf, gibt es einen gesetzlichen Rahmen und der Verkauf von Speermüll fällt auch bei diesem nicht darunter. Der Vormieter hat lediglich zum rechtzeitigen Termin die Wohnung zu räumen. Wie geschrieben, nützt die Erkenntnis wenig, wenn man nur über den Vormieter rechtzeitig an den Namen und die Anschrift des Vermieters kommt. Und bis sich ein Gericht mit so etwas beschäftigt, sucht vielleicht der, der an unserer Stelle eingezogen ist, auch schon einen Nachmieter. Ja, das waren damals die wilden Vermietungsmethoden in Berlin und da konnte man nur entweder den Vormieter irgendwie austricksen, zahlen oder „Danke“ sagen. Die besichtigten Wohnungen waren im Übrigen auch nicht das, worin wir uns nur halbwegs behaglich gefühlt hätten. Alle Räume sehr hoch und alt, was weder mein noch Ulis Geschmack entsprach. So saßen wir, zu dem Zeitpunkt, an dem unsere beiden Großen noch in der Schule waren und der Kleine zu einer Klassenkameradin abgedüst war, ziemlich niedergeschlagen nebeneinander auf der Couch. „Ich kann nicht mehr, ich gebe auf“, stöhnte ich und Uli erwiderte: „Ich auch nicht mehr. Jetzt verlassen wir Berlin. Ich habe mich ohnehin hier nie so wohl wie zuhause gefühlt. Ich vermisse die bewaldeten sauerländer Berge doch sehr.“. Da fassten wir den Plan, dass wir uns im heimischen Märkischen Kreis, vornehmlich in Iserlohn, zunächst einmal eine Wohnung suchen wollten. Notfalls wollten wir die erstbeste Wohnung nehmen, denn, so dachten wir, wir könnten uns dann ja immer noch was Passenderes suchen. Insgesamt schien es uns in heimischen Gefilden einfacher zu sein eine, auch bezahlbare Wohnung zufinden. Und ob wir nun in Berlin oder im Märkischen Kreis beziehungsweise im nahegelegenen Ruhrgebiet, zum Beispiel Bochum, Dortmund oder Hagen, einen Job suchen dürfte wohl auf das Gleiche heraus kommen. Möglicherweise hatten wir sogar in der Heimat eine bessere Chance als in dieser Großstadt. Letztlich fassten wir den Beschluss, das ich an dem kommenden Montag mit dem Zug nach Hohenlimburg, wo ich bei meinen Eltern wohnen könnte, fahren sollte um dort auf Wohnungssuche zu gehen. Uli wollte wegen der Kinder, die ja zur Schule gehen mussten, derweil in Berlin bleiben. Ich nahm mir keinen festen Zeitpunkt für meine Rückkehr vor sondern ich wollte erst, wenn ich eine Wohnung gefunden hatte, zurückkommen. Nach diesem Beschluss rief ich umgehend, ich wartete nicht bis 18:00 Uhr, wo es billiger gewesen wäre, bei meiner Mutter an und buchte meine Untermiete bei ihr. Ich konnte dort im „Gästezimmer“, was mal meine Junggesellenbude war, wohnen. Dabei brauchte ich noch nicht mal ein schlechtes Gewissen haben, denn für meine Mutter war es eine große Freude ihren Jungen mal da zu haben und dazu kam jetzt, dass wir uns wieder in die Heimat zurückziehen wollten. Seltsamerweise waren Uli und ich nach dieser Unterredung nicht erleichtert, zu ungewiss war doch auch in dieser Hinsicht unsere Zukunft, sondern wir hatten einen enormen echten Durchhänger. Wir fühlten uns zerknirscht und ausgehöhlt. So ist es nicht verwunderlich, dass Uli an diesem Tag schon recht früh, schon so gegen Acht, das Bett aufsuchte. Ich selbst war so aufgekratzt, dass ich erst im Wohnzimmer meinen Lastern, die ich mir wieder zugelegt habe, nachkommen wollte. So trank ich mir zwei Flaschen Bier und übte mich dabei als Kettenraucher. Ich saß allein in der „guten Stube“ und hatte zunächst weder Fernseher noch Radio eingeschaltet. Kurz nach Zehn faste ich den Entschluss, dass ich noch ein drittes Fläschen Bier köpfen und dabei ab halb Elf die Tagesthemen ansehen wollte. Also holte ich mir die Flasche aus dem Kühlschrank in der Küche und schaltete unmittelbar nachdem ich wieder im Wohnzimmer war das Fernsehen ein. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht, ich konnte gar nicht glauben was ich da zu sehen und hören bekam. Fröhliche und ausgelassene Menschen turnten auf der Mauer und dann war da ein Neuköllner Übergang zusehen, durch denen die Menschen mit Trabis und zu Fuß gen Westen strömten, während einige Grenzer fröhlichen Gesichtes zu sahen. Das war eine Sensation, die ich gleich Uli berichten musste. Ich stürmte hinauf ins Schlafzimmer und tönte „Uli, Uli, die Mauer ist gefallen. Das musst du unbedingt sehen.“. Die hatte offensichtlich so feste geschlafen, dass sie gar nicht richtig checkte was ich gesagt hatte und murmelte verschlafen: „Ach lass mich doch schlafen. Wir können uns doch alles morgen im RIAS TV ansehen.“. Jetzt muss ich den Jüngeren erst einmal erklären, was RIAS TV war. Es gab in Berlin den „Rundfunk im amerikanischen Sektor RIAS“; heute ist dieses das Deutschlandradio Berlin. Dieser Rundfunksender strahlte über den
SAT1-Fernseh-Kanal in den Morgenstunden von Sechs bis Neun ein Fernseh-Frühstücks-Programm aus. Und genau da wollte sich Uli am nächsten Morgen informieren. Na ja, ich akzeptiere zunächst einmal ihren Schlafenswunsch und ging wieder hinunter. Aber was ich da im Fernsehen zusehen bekam erfasste mich mit einem solchen Glücksgefühl, dass es mich danach verlangte, diese schönste Stunde in der deutschen Geschichte mit Uli zu teilen. Also stürmte ich im Abstand von je einer halben Stunde noch drei Mal hinauf ins Schlafzimmer. Immer mit dem selben Ergebnisse wie beim ersten Mal. Fünf Minuten, nachdem ich zum dritten Mal im Schlafzimmer angetanzt war, machte mir Uli dann halb verschlafen ihre Aufwartung im Wohnzimmer. Zu erst sagte sie nur: „Was ist denn los, dass du mich immer weckst. Oder hast du etwa zu viel gesoffen.“. Dabei blickte sie dann auch zum Fernseher und war zunächst ganz sprachlos. Dann tönte sie: „Mensch, das ist ja die Sensation des Jahrhunderts. Und da hast du mich nicht richtig geweckt. Du legtest immer schon mit deinen Meldungen los als ich noch gar nicht wach war.“. Trotz unserer persönlichen Tieflage freuten wir uns über das Geschehen und waren richtig gehend glücklich. Wir haben dann noch bis nach Zwei vor dem Fernseher gesessen obwohl sich die Bilder nun fast alle ähnelten. Am nächsten Tag und am folgenden Wochenende konnten wir überall in Berlin den Duft von Freiheit und Abenteuer schnuppern. Damit meine ich jetzt den besonderen Flair, der von den Abgasen der Zweitaktmotoren der Trabis ausging. Eines ist mir heute noch ein Rätsel: Woher kam nur der Heißhunger der DDR-Bürger auf alles was mit Banane zusammenhing? Dazu gab es noch eine besondere Geschichte in unserer Familie. Janine und Björn hatten just in jener Zeit eine Vorliebe für einen bestimmten Bananenjogurt. Uli wollte den beiden Kindern was Gutes tun und radelte verzweifelte die nächstliegenden ALDI-Märkte ab; nirgendwo war das Begehrte mehr erhältlich. „Alles Banane“, wie es der schöne Spruch der damals aufkam besagt. Als Uli zurückkam berichte sie, dass die Märkte alle mit Leuten aus dem Osten überfüllt gewesen seien. Die wären richtig mit dem Begrüßungsgeld, was sie damals aus der Bundeskasse erhielten, in einen Kaufrausch versetzt worden. Sie meinte, dass es im Laufe des Tages bei ALDI zur „gleichen Pornografie“ wie in den HO-Läden des Osten kommen würde: Nackt, alles nackt, wo man hinschaut nackte Regale. Trotz allem haben wir in diesen Tagen, ich glaube mit allen Leuten in deutschen Landen, ein richtiges Glück verspürt. Wenn wir gewusst hätten, was der Fall der Grenzen dann für uns persönlich für Konsequenzen haben würde, hätten wir wahrscheinlich alles etwas nüchterner gesehen. Wieder einmal ermahne ich mich jetzt mal wieder alles der Reihe nach zu erzählen. Ich fuhr also mit gemischten Gefühlen wie vorgesehen an dem Montag, der dem Mauerfall folgte, nach Hagen-Hohenlimburg, um mich dort bei meinen Eltern zwecks Wohnungssuche einzuquartieren. Wer hätte da gedacht, dass ich wider Erwarten schon am Folgetag erfolgreich sein würde. Ich klapperte erst einmal den Spar- und Bauverein Hohenlimburg und die Wohnungsgenossenschaften in Letmathe und Nachrodt-Wiblingwerde ab. Am nächsten Tag sollten dann die Wohnungsämter in Hagen und Iserlohn mit meiner Aufwartung rechnen können. Da kann man sagen, dass ich mir also ein dicht gedrängtes Programm auferlegt hatte, denn man muss ja dabei auch berücksichtigen, dass ich, da ich autolos war, alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigen musste und diese in der hiesigen Gegend bei Weitem nicht in ihrer Verkehrsdichte mit den großstädtischen „Supernetzen“ zu vergleichen sind. So etwas sollten sich auch mal Politiker, die immer noch bei der Ökosteuer drauflegen oder die Kilometerpauschale bei den ersten zwanzig Kilometer streichen wollen, vor Augen führen. Man muss nicht alles durch die großstädtische Brille sehen. Wer in kleinstädtischen oder schlimmer noch in ländlichen Gegenden auf den ÖPNV angewiesen ist, kann als verraten und verkauft angesehen werden. Wenn diese Leute notgedrungener Weise auf ein eigenes Auto umsteigen, können doch nicht die Großstadt-Pflaster-Politiker hingehen und diese durch Abzocken noch zusätzlich bestrafen. Dieter, nun lass es doch mal, immer abzuschweifen. Erzähl doch lieber, wie du schon am ersten Suchtag eine Wohnung fandest. Also, als ich in Hohenlimburg am Bardensiepen aus dem MVG-Bus der Linie 1 ausstieg, kam ich auf den Gedanken in der, in unmittelbarer Nähe liegenden Kneipe noch zwei oder drei Bier „zu schlürfen“ bevor ich mich wieder in elterliche Obhut begeben wollte. Als ich dort reinkam traf ich Willi Köster, der mit mir einstmals in Letmathe auf die Realschule gegangen war. Wir hatten uns seit unserer Schulentlassung nicht mehr getroffen. Nun da lief dann zunächst mal die bei solchen Geschichten übliche Zeremonie ab: Bist du es, bist du es wirklich, wie geht es dir, wie ist es dir ergangen, was führt dich denn her und so weiter und so fort. So hatten wir schon fünf Pils durch unsere Kehlen geleitet als ich dann auf mein derzeitiges Anliegen, nämlich die Wohnungssuche, zu sprechen kam. Willi erlaubte sich erst einmal zu scherzen: „Wo warst du denn eigentlich, in Ost- oder Westberlin? Weil du jetzt mit den „Latschis“ ziehst, könnte man annehmen, du habest dich zuvor in die Arbeiter- und Bauernrepublik abgesetzt.“. Damit hatte ich jetzt erstmals das Wort „Latschis“ gehört, was ich später, als sich bei mir Verbitterung über die aus dem Osten, nicht nur aus der DDR sondern auch insbesondere aus der Sowjetunion, zuströmenden Leute einstellte, auch gebrauchte. Eigentlich hätte ich aus heutiger Sicht vor den Wörtern DDR und Sowjetunion das Adjektiv „ehemalige“ setzen müssen. Aber soweit waren wir damals noch nicht. Die DDR gab es noch offiziell bis zum 3. Oktober 1990. An diesem Tag traten die fünf ostdeutschen Länder, die Anfang 1990 aus den vierzehn
Bezirken der DDR wieder gegründet worden waren, der Bundesrepublik Deutschland bei. Bei der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken = offizielle Bezeichnung der Sowjetunion) dauerte es sogar noch länger. Nach innenpolitischen Unruhen und einem Putschversuch im August 1991 löste sich die Sowjetunion am 21. Dezember 1991 auf und die nun autonomen Staaten gründeten die GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten). Michael Gorbatschow, der letzte sowjetische Staatspräsident trat am 25. Dezember 1991 zurück, weil es für ihn kein Amt mehr gäbe. Als Willi das Wort „Latschis“ gebrauchte wusste ich zwar, was er damit meinte aber ich ließ es mir trotzdem von ihm begründen. Darauf führte er dann aus: „Ja, bisher wurde in Sonntagsreden von unseren Brüdern und Schwestern im Osten, die sich nach Freiheit sehnten, gesprochen. Den Leuten, die zwischen dem 13. August 1961 und dem letzten Donnerstag gekommen sind, kaufe ich auch unbesehen ab, dass sie wirklich einen starken Freiheitsdrang hatten. Immerhin haben ja einige ihren Versuch in den Westen zu gelangen mit dem Leben bezahlt. Den Leuten, den man ihren Versuch in den Westen zu gelangen, vereitelte drohte lange Haft wegen Republikflucht. Das drohte den nicht nur, sondern das bekamen sie auch. Wer sich wagte einen offiziellen Ausreiseantrag zu stellen, waren, bevor er dann wirklich losziehen durfte, kräftige Repressalien gewiss. Aber jetzt wo feststeht, dass sie die ersehnte Freiheit kriegen, nehmen die Leute, denen es nicht um Freiheit sondern um die Segnungen des Westens geht, ihre Latschen und ziehen damit gen Westen. Die haben alle die Prahlereien vieler Bundesbürger und ihrer Politiker im Kopf und glauben die D-Mark, mit denen sie nach Hawaii reisen oder mit denen sie sich einen Porsche kaufen können, würde hier auf reichlich vorhandenen Bäumen wachsen. Hier belasten sie den Arbeits- und Wohnungsmarkt, außerdem schröpfen sie den Steuerzahler, der ihnen hier erst einmal über die ersten Hürden helfen muss. Dafür lassen drüben lassen diese Latschis erst mal alles zusammen brechen. Sie schädigen West und Ost ... Und dann darfst du noch nicht einmal was sagen, denn sonst wird behauptet, du würdest ihnen die Freiheit missgönnen. Aber da kommen nicht nur die Latschis aus der DDR sondern pass mal auf, wie viel Nachfahren der deutschen Auswanderer zur Zeit Katharinas der Großen (2. Hälfte des 18. Jahrhunderts) jetzt mit den Worten, dass sie als Deutsche unter Deutschen leben wollen, angelatscht kommen. Die kriegen dann alle Arbeit und Wohnung und die Leute, die immer hier waren, gucken in die Röhre.“. Wie sich das Latschi-Verhalten auf deren Herkunftsorte auswirkte, konnten Uli und ich auch am 30. Dezember 1989 erleben. Zum letzten Mal feierten wir unseren Hochzeitstag in Berlin. Aus diesem Anlass wollten wir beide ausgehen und wollten, weil sich der Anlass bot, diese mal in Ostberlin machen. Also fuhren wir an jenem bitterkalten Tag mit der S-Bahn von Marienfelde zum Bahnhof Friedrichstraße. Dann zogen wir die Straße „Unter den Linden“ bis hinunter zum Alexanderplatz und schauten auch in die Nebenstraße. Entweder hatten die Restaurants geschlossen oder im Inneren standen auf fast allen scheinbar freien Tischen Schilder mit der Aufschrift „Reserviert“. Ab und zu gab man uns dann auch die ehrliche Auskunft, dass der Koch und/oder die Kellner abgehauen seien und man mehr nicht schaffen könne. Letztlich stiegen Uli und ich, völlig resigniert und durchgefroren wieder in die S-Bahn ein um in Marienfelde bei einem Chinesen an der Hildburghauser Straße zu speisen. Aber soweit bin ich ja in meiner Geschichte noch gar nicht. Jetzt muss ich erst berichten, wie ich dank Willi an jenem 14. November 1989 wieder zu einer Wohnung im heimischen Raum kam. Willi erzählte mir, dass er einen Cousin habe, der in Letmathe ein „Steinebrecher-Haus“ habe. Die Steinebrecher-Häuser wurden zwischen 1890 und 1915 für die Arbeiter in den Kalksteinbrüchen, die man Steinebrecher nannte, gebaut. Das war so eine Art sozialer Wohnungsbau den die Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke, die bis Ende der 60er-Jahre in Letmathe noch sehr aktiv waren, betrieb. Die Häuser gingen entweder gleich oder später in den Besitz der KalkwerkeMitarbeiter über. Ein Steinebrecher-Haus war so auch in den Besitz von Willis Opa gekommen und von dem war es dann über seinen Onkel in das Eigentum seines Vetters übergegangen. Willis Tante war gerade Mitte Oktober gestorben und deren Wohnung stand jetzt frei. Noch aus der Kneipe handelte Willi mit seinem Cousin einen Besichtigungstermin für mich aus. Schon am nächsten Nachmittag, als Peter Köster, Willis Cousin, gerade von der Arbeit gekommen war, konnte ich die Wohnung besichtigen. Da Köster auch nur 400 Mark (204,51 Euro) Warmmiete haben wollte, waren wir uns auch auf Anhieb handelseinig. Da der Vermieter erst noch räumen und ich noch renovieren musste, vereinbarten wir, dass wir in der Woche nach Neujahr einziehen wollten. Das Renovieren übernahm damals auch dankenswerter Weise mein Stiefvater. Die Wohnung im ersten Stock des Steinebrecher-Hauses war allerdings keine Traumwohnung. Vier Räume, davon das erste, dritte und vierte Zimmer – alles von der Straßenseite hergesehen – hatten in etwa die gleiche Größe. Das zweite Zimmer war ungefähr nur halb so groß wie die anderen Zimmer, dafür befand sich dort aber die Tür die direkt auf den Hausflur führte. Da sich hier eine angeschlossene Spüle und ein Gasherd, die wir beim Einzug übernommen hatten, befand, war die Zweckbestimmung als Küche schon vorweg genommen. Das Bad mit Toilette befand sich ganz hinten rechts im vierten Zimmer, das in einem Anbau der in den 50er-Jahren errichtet worden war, lag. Im ersten Zimmer war eine Gasheizung und im dritten ein Kohleöfchen. Beide Heizkörper hatten wir beim Einzug ebenfalls übernommen. Die Zimmer teilten wir dann wie folgt auf: Björn und
Jean erhielten das erste Zimmer. Das sich der 17-jährige Jean das Zimmer mit seinem 8 Jahre jüngeren Bruder teilen musste bescherte uns schon im Vorfeld des Umzuges einige von Jean inszenierte Familienaufstände, wobei mir Jean dann auch erstmals vorwarf ein Versager zu sein und die Familie ins Elend gestürzt zu haben. Das dritte Zimmer war dann das Wohnschlafzimmer in dem Uli und ich hausten. Da die Jungens des Nachts durch unser Zimmer mussten, wenn sie zur Toilette mussten, führte zu einem pikanten Vorfall – ich werde gleich davon berichten – und in Folge zu reichlich Verstimmung. Letztlich das vierte Zimmer war für die 16-jährige Janine bestimmt. Immer wenn sie in ihr Zimmer wollte musste sie das unsrige passieren und alle Familienmitglieder, die mal das „stille Örtchen“ aufsuchen wollten, fanden sich dann zu jeder Tages- und Nachtzeit in ihren Zimmer ein. Klar, dass so etwas reichlich Konfliktstoff in einer Familie, die bisher im eigenen Haus, wo ein jeder sein eigenes, separat zugängliches Zimmer hatte, gewohnt hatte, bedeutete. Da wir ja nur im Zimmer der Jungens und in unserem heizen konnten, mussten wir dort auch ziemlich „hochstochen“, damit man es in der Küche und in Janines Zimmer aushalten konnte. Da ließ es sich dann des Nachts auch „angenehm“ schlafen. Das Modernste an der Wohnung waren die doppelverglasten Fenster, die erst in den letzten Jahren eingebaut worden waren. Die Fenster und unser Heizverhalten hatten dann auch die fatale Folge, dass sich an den Wänden quadratmeterweise Schimmelpilz bildete. Das sich Uli 1992 eine Lungenentzündung holte, Janine und Björn dauernd krank waren und ich seitdem chronisch an Hexenschuss leide ist daher kein Wunder. Nur Jean schien den Unbilden körperlich trotzen zu können, denn außer häufigen Erkältungen war ihm nichts anzumerken. Nun will ich aber erst einmal von dem pikanten Vorfall, der sich im Frühjahr 1990 ereignete berichten. Uli und ich wurden in diesem Jahr 44 Jahre alt. Da kann man doch leicht nachvollziehen, dass bei uns noch nichts eingetrocknet war und wir auch noch nicht vom Weltlichen ab waren. Spontan konnten wir Anflügen von Frühlingserwachen in dieser Wohnung natürlich nicht nachkommen. Wir mussten immer erst ins vordere und hintere Zimmer lauschen ob von dort keine Überraschungen drohten. In einer bestimmten Nacht muss unser Drang wohl so groß gewesen sein, dass wir uns nicht genügend abgesichert haben bevor wir unser „HoppeHoppe-Reiter-Spiel“ ausführten. Uli war es mal danach von oben zu kommen. Wir waren beide kurz vor einem Orgasmus als Jean plötzlich im Zimmer stand und vom sexuellen Missbrauch palaverte. Er behauptete, wir hätten das extra so gemacht, dass er oder Björn uns ertappen könnten. Schließlich hätten wir ja hören müssen, dass er und Björn sich noch unterhalten hätten. Ab diesem Zeitpunkt schlossen wir dann immer die Tür zur Küche ab, wenn es uns gelüstete. Die Schiebetür zu Janines Zimmer konnten wir nicht abschließen aber die hatte ja wohl auch keinen Grund des Nachts unser Zimmer zu queren, die Toilette befand sich doch in ihrem Zimmer. Das führte dann auch zu einem Vorfall mit Björn. Wir hatten nach dem freudigen Ereignis vergessen die Tür wieder aufzuschließen. Ausgerechnet in der Nacht war „Meister Durchfall“ bei Björn zu Gast. Er machte sich durch Klopfen und Rufen bemerkbar aber als Uli wach geworden war und ihm geöffnet hatte, war es schon zu spät: Bei Björn war die Geschichte in die Hose gegangen. Im Sommer 1990 gab es dann eine Sache, die mich normaler Weise überglücklich gemacht hätte aber der ich hinsichtlich der Wohnung, wegen der ich mich schämte, mit gemischten Gefühlen entgegen sah. Man kann es sich denken: Meine inzwischen 26-jährige Tochter Katja weilte in Deutschland. Sie wollte ihren Großeltern in Geismar, ihrer Großmutter in Hohenlimburg und ihrem Vater in Letmathe zwei Personen vorstellen. Die erste war, wie man es sich denken kann, meine inzwischen bald vierjährige Enkeltochter Monica. Wer die zweite Person, wegen der sie sogar beabsichtigte in Deutschland zu bleiben, hatte sie uns vorher nicht verraten. Ich tippte darauf, dass diese ein Mann, der entweder aus Deutschland stamme oder sich dort niederlassen wollte, sei. Ich hatte richtig getippt. Der 32-jährige Henk Schulte war in Wuppertal geboren und hatte in den USA studiert. Während des Studiums lernte er seine erste Frau, die aus Chikago stammte, kennen. Obwohl er die kleine Metallwarenfirma seines Onkels mal übernehmen sollte blieb er in den USA, genau gesagt bei seiner ersten Frau in Chikago. Da lief dann dem Vater von zwei Kinder der offizielle Scheidungsgrund, natürlich aus der Sicht seiner ersten Frau, über den Weg. Das in diesem Fall der Scheidungsgrund Katja hieß brauche ich ja wohl nicht extra erwähnen, dass hat sich praktisch von selbst erzählt. Die Beiden hatten sich bei einer Veranstaltung eines deutschsprachigen Radiosenders in Chikago kennen gelernt. Laut Henk brauch sich Katja aber keine allzu großen Sorgen darüber zumachen ob sie eine Ehebrecherin sei, denn seine vorhergehende Ehe wäre schon zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit Katja völlig zerrüttet gewesen und die Scheidung sei, zwar noch nicht beantragt aber ins Auge gefasst worden. Nach seinen Worten hatte er keine bestimmte Frau sondern eine komplette Familie, die ihn völlig beherrschen wollte, geheiratet. Sein Onkel, der Henk als Nachfolger in seiner Metallwarenfirma aufbauen wollte, bat ihm immer dringlicher wieder nach Deutschland zu kommen aber die Familie, die er geheiratet hatte, befahl ihm den Verbleib in den Staaten, wo es Henk im Übrigen auch gar nicht gefiel. In Katja hatte er die Frau gefunden, die ihm gerne nach Deutschland folgen wollte. Katja und Henk wollten am 10. September 1990 in Wuppertal heiraten. Das dieses einen Tag vor Ulis 44. Geburtstag sein würde war allerdings nur reiner Zufall.
Ich weiß nicht, welch seltsame Wege uns Gott in seiner Vorbestimmung vorgegeben hat. Da dachte ich doch bei meiner Scheidung 1968 das ich meine damals kleine Tochter Katja wohl nie wieder sehen würde. Dann erscheint sie plötzlich, nachdem sie Achtzehn geworden war, zu meinem Geburtstag. Dann bin ich dabei wo sie ihren ersten Mann kennen lernt und mein Enkelkind Monica wurde in meinem Berliner Haus gezeugt. Und letztlich der Höhepunkt: Ab ihrer zweiten Hochzeit wird sie mir sehr nahe sein und ihre Mutter dagegen fern auf der anderen Seite des Atlantiks. So etwas dürfte doch einen großen Seltenheitswert besitzen. Während ich schon an diesem Buch schrieb, gab es dann noch ein Ereignis, was das Wunder noch größer macht. Aber mehr sei hier noch nicht verraten – außer dass ich mindestens ein Kapitel mehr wie vorgesehen schreiben werde. Aber dazu war Katjas „Heimkehr“ nach Deutschland im Jahre 1990 eine wichtige Voraussetzung und deshalb habe ich jetzt diese Geschichte so ausführlich erzählt. In diesem Kapitel ist lediglich von Bedeutung, dass ich mich unserer Letmather Wohnung schämte, was sich aber als unbegründet herausstellte. Katja, und auch Henk, hatten großes Verständnis für mein gescheitertes Unternehmer-Schicksal und sie bewunderten Uli und mich nach dafür, wie wir nach so etwas immer noch fest zusammen hielten. Normal sei das nicht, denn die meisten Ehen gingen bei solchen Pleiten zu Bruch. Außerdem bewunderten Katja und Henk uns dafür, dass wir den Kopf nicht hängen ließen und das Beste aus der Situation machten. Henk bot uns auch an nach Wuppertal, wo er uns eine Wohnung mit Hilfe der Beziehung seines Onkels besorgen wollte, zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber gerade eine Stelle im heimischen Letmathe, mit der ich zufrieden war und den Kindern wollten wir keinen weiteren Schulwechsel zumuten, zumal Björn endlich eine Legasthenikerförderung erhielt und die beiden Großen in der Oberstufe der Gesamtschule in Iserlohn vor dem Endspurt standen. Jean stand schon für 1991 auf der Liste der Abiturkandidaten. Somit mussten wir also weiter nach einer vernünftigen Wohnung suchen. Eben habe ich angeschnitten, dass ich in 1990 eine Arbeit gefunden hätte. Das will ich jetzt erst einmal näher erläutern. Bevor ich einen Job hatte war es schon brenzlig geworden. Mein Jahr, in dem ich Arbeitslosengeld beziehen konnte, war um und ich war inzwischen bereits auf die Arbeitslosenhilfe abgesackt. Dieses konnten wir allerdings dadurch kompensieren, dass Uli inzwischen Leute gefunden hatte, für die sie Übersetzungen anfertigen konnte; einen festen Job fand auch sie nicht. Wir hatten uns im Übrigen inzwischen darauf geeinigt, dass nur ich noch einer Arbeit nachgehen sollte und Uli wollte ihren Beitrag mit gelegentlichen Übersetzungsarbeiten leisten. Wir hatten alles durchgerechnet. Hinsichtlich Pfändungsfreigrenze, Steuern und Sozialversicherung hätten wir uns, wenn wir beide einer Vollbeschäftigung nachgegangen wären, Netto sogar noch schlechter gestanden, als wenn nur einer von uns arbeitet. Einzigstes Übel wenn nur einer arbeitet ist, dass der- oder diejenige der oder die zuhause bleibt, später auf keine ausreichende eigene Rentenversicherung zurückgreifen kann. Auch unter Berücksichtigung eines Zugewinnausgleichs ist die Hausfrau oder der Hausmann darauf angewiesen, dass alles gut geht – aber das hatten sich Uli und ich uns auch fest vorgenommen. Bei meiner Jobsuche kam mir dann Anfang Juni der Freund Zufall mal wieder zur Hilfe. Ein Bekannter meiner Eltern hatte in Iserlohn-Letmathe ein Industriehandels-Unternehmen und dieser erzählte meinen Eltern, dass er dringend eine „rechte Hand“, so eine Art Kümmerer, benötigte. Meine Eltern wussten wen sie empfehlen konnten: Mich. So konnte ich am 1. Juli 1990 in dem Letmather Industriehandels-Unternehmen anfangen. Der gerade genannte Tag ist ja auch ein geschichtsträchtiger Tag. Wie sagte der damalige Bundeskanzler immer am laufenden Meter: „Dieses ist ein historische Stunde“. An diesem erstem Tag im Juli 1990 trat ja der Deutsch-Deutsche Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Zahlungsunion in Kraft. Die D-Mark wurde dadurch offizielles Zahlungsmittel auch in der DDR. Jetzt hatten ja viele Ossis, wie man damals schon sagte, das was sie eigentlich wollten: Die Deutsche Mark wurde gefeiert. Insbesondere durch den teilweisen 1-zu-1-Umtausch von „Spielgeld“ in D-Mark bescherte diese Aktion dem Land einen ungeheueren Kaufkrafttransfer von West nach Ost. Aufgrund eines riesigen Nachholbedarfes im Osten erlebten wir daraufhin kurzfristig ein zweites Wirtschaftswunder. Damals machte man dann den Fehler, dass man aus dem vermeintlich Vollem schöpfte und in Saus und Braus lebte. So lebten wir Deutsche deutlich über unsere Verhältnisse hinaus. Dieses ist unter anderem auch ein gewichtiger Grund, warum wir heute bei den Wirtschaftsdaten in Europa auf einen der letzten Plätze liegen. Das Malheur wurde also bereits vor der Wiedervereinigung angerichtet. Ja, wenn man damals schon gewusst hätte, dass die D-Mark nicht mehr lange leben würde, dann ... . Ach, dann wäre es auch nicht anders gewesen. Schon am 9. Dezember 1991 schlossen die EU-Regierungen den Vertrag von Maastricht, der den Weg zum Euro freimachen sollte. Genau an dem Tag als die D-Mark gesamtdeutsche Währung wurde trat ich also meine „letzte“ Stellung an. Das Wort „letzte“ habe ich in Anführungsstriche gesetzt weil es, als ich mit diesem Buch begann, so aussah, als wäre es die letzte Stelle meines Lebens. Dazu aber mehr an gegebener Stelle. Die Sorge „Arbeit“ war ich also Mitte 1990 zunächst mal los aber mit meiner Hoffnung auf eine Wohnung sollte es nicht so astrein funktionieren. Eu, was haben wir im Großraum Iserlohn gesucht. Woche für Woche war Uli beim Wohnungsamt. Nichts wollte funktionieren. Bei freien Vermietern schreckte man vor einer 5-köpfigen Familie zurück. Dort suchte man lieber ältere Ehepaare oder „vernünftige“ Singles. Schade, dabei waren einige
familientaugliche „Hütten“, die da an Paare, die keine Kinder mehr kriegen konnten, oder an Einzelpersonen, die keine Kinder wollten, gingen. In nur zwei Fällen während unserer gesamten Suchzeit hätte man auch unsere große Familie genommen aber der geforderte Mietpreis lag für uns bei den beiden Wohnungen jenseits von Gut und Böse. Dann gab es auch diverse Vermieter, wie zum Beispiel eine private Wohnungsgesellschaft, die erst einmal bei der Schufa nachfragten und dann waren wir aus den Gründen, die ich schon näher beschrieben habe, natürlich immer Außen vor. Bei den gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften und –genossenschaften waren es dann, wie Willi Köster, mein Schulfreund, vorausgesagt hatte, die Latschis, die uns den Zugang zu einer vernünftigen und bezahlbaren Wohnung verwehrten. Immer wieder bekamen wir zu hören, dass wir ja eine Wohnung hätten und man sich jetzt erst um die Leute die keine hätten, zum Beispiel diejenigen die aus Russland kämen, kümmern müsste. Damals wurden auch viele neue Wohnungen gebaut aber scheinbar alles nur für Latschis aus Russland. Die waren fast alle von feinster Natur. Zu den Häusern wurden Kommunikationsräume, Saunen und so weiter gebaut. Aber alles nichts für uns, die wir hier im Lande vor Ort geboren waren. Da kommt schon so mancher Unmut, der sich dann, wenn man ihn ausspricht, nach rechten Tönen anhört, auf. Da musste man also vorsichtig sein, wenn man sich mal äußerte, dass man nicht mit der braunen Brühe, die sich damals in Deutschland verbreitete, verwechselt wurde. Ja, der Rechtsdrall in Deutschland nahm nach der Wiedervereinigung bedenklich zu. Zum deutschen Hochmut kam dann im Juli 1990 noch zusätzlich das Großereignis, dass die deutsche Nationalmannschaft – nicht Deutschland wie Chauvis gerne sprachverhunzend sagen – zum dritten Mal in der Geschichte der Fußballweltmeisterschaft der Champion wurde. Am 8. Juli 1990 schlug die Mannschaft aus Deutschland im Endspiel die aus Argentinien mit 1 : 0. Das nährte natürlich den ohnehin vorhandenen Hurra-Patriotismus. Die heiße rechte Phase begann dann am 24. September 1991 als in Hoyerswerda, in der ehemaligen DDR, rechtsradikale Skinheads Terrorakte gegen ein Ausländerwohnheim verübten. Die Anschläge gegen Asylanten, auch in anderen Teilen Deutschlands, zum Beispiel Rostock, Lübeck und Solingen nahmen erschreckende Ausmaße an. „Türken klatschen“ wurde für gewisse Leute, die auf dem Kopf demonstrierten, was sie darin hatten, zu einem Volkssport. Wes Geistes Kind verschiedene Leute sind, konnte ich persönlich am 13. März 1992 miterleben. An diesem Tag war ich mit meinem Chef noch auf ein Bierchen in eine Kneipe gegangen. Das Tagesgespräch war das verheerende Erdbeben, dass an diesem Tag in der östlichen türkischen Provinz Erzincan sein Epizentrum hatte. 480 Menschen kamen ums Leben und 100.000 wurden obdachlos. Da kam ein, zur älteren Generation zählender Knabe in die Kneipe und palaverte: „Ist das, was da bei den Kanaken passiert ist, nicht wunderbar. 500 tote Kanaken sind 500 Wohlstandsasylanten weniger für uns.“. Auf diese Ungeheuerlichkeit der dümmsten Art bekam er auch noch Zustimmung von ein paar Thekenstehern. Mein Chef rastete aus und putzte den Flegel runter. Unter anderem meinte mein Chef, dass man sich, wenn alle so denken würden, in Grund und Boden schämen müsse ein Deutscher zu sein. Seltsamer Weise war der Wirt dann der Meinung, wir wären die Stänkerfritzen und schmiss uns raus. Na gut, ich habe den offensichtlichen Treffpunkt für Schwachköpfe auch nie wieder aufgesucht. Da es die Kneipe inzwischen nicht mehr gibt, kann mir das folglich auch in Zukunft nicht passieren. Aber apropos Erdbeben: So etwas kann selbstverständlich auch bei uns passieren. Nur knapp einen Monat später am 13. April des gleichen Jahres suchte uns ein solches auch in Nordrhein-Westfalen heim. Es war mit einer Stärke von 5,6 auf der Richterskala das stärkste Beben seit 1756 in dieser Gegend. Aber nur im Raum Aachen gab es geringere Schäden und Menschen kamen nicht zuschaden. Ich muss sagen, dass es für uns, die so etwas noch nie erlebt hatten, furchtbar unheimlich war, was sich da am frühen Morgen abspielte. Alle, bis auf Jean, waren wach geworden. Uli nahm mich gleich in den Arm: „Schatz was ist denn los“ und Björn sowie Janine kamen und wollten sich zu uns ins Bett legen, was wir in diesem Falle auch nicht verwehrten. Aber unser altes, ehrwürdiges Haus kam ohne Anzeichen des geringsten Schadens davon. Noch nicht einmal der alte, baufällig aussehende Schafstall auf dem Hof des Hauses, zeigte irgendwelche Anzeichen von Beschädigung. Also, auf die Art und Weise kamen wir auch nicht zu einer neuen Wohnung. Eine erste Erleichterung in unserer Wohnungssituation gab es im September 1991 aber die Art und Weise gefiel Uli und mir auch wieder nicht. Jean hatte sein Abitur abgelegt und ließ sich zur Bundeswehr ziehen. Ich weiß heute noch nicht ob Jean aus einer Trotzreaktion gegen seine Eltern oder vielmehr noch gegen mich, seinem Vater, zum Bund wollte. Ich hatte ja einerseits aus persönlichen Erleben erhebliche Gründe gegen des Volkes grauen Haufen. War meine Bundeswehrzeit nicht, auch unter Berücksichtung meines Managerabsturzes und meiner Pleite, die trübeste Zeit meines Lebens? Als lebenslängliche Erinnerung habe ich mein steifes linkes Bein und meine erste Ehe, die, wenn ich nicht zum Bund gegangen wäre, bestimmt beständig gewesen wäre, ging zu Bruch. Aber das waren ja noch nicht einmal meine Hauptgründe gegen das Militär. Gemeinsam mit Uli teilte ich die Überzeugung, dass wir laut dem Apostel Paulus, wie es später der Reformator Johannes Calvin bestätigte,
unserem Gott absoluten Gehorsam schulden. Und er hat uns geboten „Du sollst nicht töten“. Dieses gilt ohne Wenn und Aber. Jesus sagt in der Bergpredigt: „Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.“ (Matthäus 5,44). Ist es nicht so, dass jeder Krieg nur die Ursache eines oder mehrer, oft noch wesentlicher übler Kriege sind? Mit Waffen kann man keinen Frieden und keine Gerechtigkeit schaffen. Nur Friedfertige, zum Beispiel Mahatma Ghandi und viele andere, haben die Welt nachhaltig zum Besseren gewendet. Hatten wir doch gerade in jener Zeit beste Beispiele dafür wie nach dem Zerfall des Gewaltmonopol der Sieger die alten Zwistigkeiten wieder hoch kochen. Wir mussten doch nur auf den Balkan schauen wo nach Titos Tod die ethnischen und nationalistischen Fehden, die alle auf Kriegen seit dem Mittelalter herrühren, wieder grausam und brutal auferstanden. Die Teilstaaten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien erklärten sich nacheinander für unabhängig. Es entstanden wieder bestimmten ethnischen Gruppen zugedachte Kleinstaaten. Ausgerechnet Bosnien-Herzegowina, mit dem größten Völkergemisch – Serben, Kroaten, Bosniaken und ein paar Juden sowie Griechen –, machte im August 1990 den Anfang, Im Dezember des gleichen Jahres zieht Slowenien nach. Im Juni 1991 folgt Kroatien und im September 91 Makedonien. Da brandeten dann die alten territorialen Ansprüche wieder auf, wobei man die einzelnen Gebiete auch ethnisch rein haben wollte. Wie sagte man damals unter anderem in Serbien: „Überall wo ein Serbe begraben ist, ist auch Serbien.“. Rational konnte man die Gründe keiner Seite nachvollziehen – nach meiner Meinung hatte im Balkan-Krieg keine Seite Recht. Warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, friedfertig auf einem Territorium in einem Vielvölkerstaat zusammen zu leben – im Jugoslawien des Marshall Tito hat es doch auch geklappt. Offensichtlich zeigt sich, nicht nur in Exjugoslawien, dass die Menschheit zu träge und zu dumm ist politische Lösungen zu finden. Totalversager, die sich erdreisten von sich zu behaupten sie wären Politiker, nehmen sich als letztes Mittel immer das Recht zum Krieg, das heißt zum Morden, heraus. Aber selig sind laut Bergpredigt nur die Friedfertigen. Immer wieder werden die Leute mit den Argumenten „Frieden schaffen“ und „Menschenrechte durchsetzen“ in den Krieg getrieben. Aber in Wirklichkeit geht es nur um nackte wirtschaftliche Interessen. Oder warum sehen die friedensschaffenden Weltpolizisten bei den grausamen Kriegen in Afrika oder in Tschetschenien einfach nur zu. Diese Kriege sind den Medien in den Staaten der sogenannten westlichen Welt nur müde Randnotizen wert. Warum sonst, waren die Amerikaner in der ersten Hälfte der 90er-Jahre an keinen Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien interessiert aber warum schlugen sie damals, als der Irak das ebenfalls menschenrechtsverletzende Kuwait besetzte, sofort zu und dann sogar ganz feige und nihilistisch mit todbringenden Bomben aus großer Höhe. Sicher im Irak und Kuwait gibt es Erdöl, was die energieprassenden und ressourcenausbeutenden Amerikaner dringend benötigen, und in Jugoslawien gab es nichts dergleichen. Damals, im Jahre 1991, konnte man erleben, wie man in der deutschen Öffentlichkeit mit zweierlei Maß misst. Ließ man in diesem Jahr doch die Rosenmontagszüge wegen des Irakkrieges ausfallen. Wenn man der Meinung ist, dass man nicht feiern dürfe wenn in Kriegen Menschen sterben, warum gibt es dann überhaupt noch Karneval? Es sind doch in all’ den Jahren bis heute in der Karnevalszeit immer Tausende von Menschen in Kriegen gestorben. Lange Rede kurzer Sinn: Für Uli und mich war es damals schrecklich, dass unser Sohn sich nicht für den Zivildienst sondern für den Bund entschieden hatte. Er argumentierte immer damit, dass er kein Drückeberger wie die Zivis sei und zu seiner Pflicht stehe. Darauf konterte ich regelmäßig, dass die, die sich einen Helm aufsetzen lassen, den bequemeren Weg gingen. Erstens würden sie über die Angelegenheit nicht gründlich nachdenken, zweitens könnten sie sich ziehen lassen und bräuchten keine Anträge stellen und drittens sparen sie sich ein ganzes Vierteljahr an Dienstzeit. Dabei gestand ich allerdings auch ein, dass ich mich auch mal auf dem bequemeren Weg, sprich Bundeswehr, dadurch schleichen wollte. Dann kochten im Vater-und-Sohn-Gespräch die Emotionen wieder hoch. Aber – wie könnte es anders sein – Jean ging zu des Bundes wilden Haufen. Aber muss ich mir in diesem Fall nicht selbst an die Nase fassen? Sowohl Elke wie auch meine Mutter hatten ja auch was dagegen das ich zum Bund ging – und was habe ich getan? Nun, Jean bekam im Gegensatz zu mir regelmäßig, bis auf wenige Ausnahmen, Wochenendurlaub, den er dann auch bei uns in Letmathe verbrachte. Daher gab es für ihn dann auch weniger Anreize für Saufexzesse wie zu meiner Zeit. Wenn es mal solche gab, hielt er sich aber nach eigenen Angaben davon auch fern. Mein steifes Bein war ihm offensichtlich als warnendes Beispiel im Bewusstsein. Aber ansonsten machte er hinsichtlich des „Betriebsklimas“ bei der Truppe die gleichen Erfahrungen wie auch ich. Dieses und die Tatsache, dass er Anfang Dezember ein Mädchen aus Iserlohn kennen lernte, dürfte wohl bewirkt haben, dass er zunehmendst ruhiger und vernünftiger wurde. Auf jeden Fall hat sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn enorm gebessert. Dabei blieb es auch als er sich von seiner Freundin wieder trennte. Sie hatten festgestellt, dass sie nicht zueinander passten. Ob das zutrifft kann ich nicht sagen, denn ich habe sie nur zwei Mal kurz kennen gelernt und fand sie aus meiner Sicht ganz nett. Allerdings kehrte Jean nach 15 Monaten nur ganz kurz in die elterliche Wohnung zurück. Am 30. November 1992, also in dem Monat wo der damals 46-jährige Bill Clinton zum 42. Präsidenten der USA gewählt worden
war, endete offiziell seine Dienstzeit – er war jedoch schon ein paar Tage früher zuhause – und ab März 1993 studierte er, BAföG gefördert, in Köln. Schon früher hatte er geäußert, dass er Lehrer werden wollte und jetzt setzte er offensichtlich sein Vorhaben in die Tat um. Uli und ich waren froh, dass Jeans „Drohung“ Offizier zu werden, die er nach seinem Abitur immer wieder vortrug, schon während seiner Grundausbildung verflogen war. Zum Zwecke seines Studiums hatte er sich in Köln eine Studentenbude gesucht und gefunden. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten wir bei der Wohnungssuche Jean immer mit berücksichtigen aber ab diesem Jahr brauchten wir dann keine Wohnung für Fünf sondern nur noch für Drei. Auch Janine sollte in diesem Jahr das Haus verlassen. Nach ihrem glänzenden Abitur begab sie sich ab Oktober zum Medizinstudium nach Münster. Sie zog zunächst in eine Wohngemeinschaft mit anderen Studentinnen. Obwohl Uli und ich jetzt mit Björn alleine waren wurde unsere Suche nicht erfolgreicher. Allerdings besserten sich unsere Wohnverhältnisse um einiges. Unser Junior, der inzwischen auch schon 12 Jahre alt war und ebenfalls die Gesamtschule besuchte, bekam das ehemalige Zimmer von Janine und wir, Uli und ich, richteten uns das ehemalige Zimmer der Jungens als Schlafzimmer ein. Unser ehemaliges Wohnschlafzimmer diente ab diesem Zeitpunkt nur als Wohnzimmer. An der höchst unzulänglichen Heizsituation änderte sich jedoch nichts. Ich hatte elektrische Radiatoren oder besser noch mobile Nachtspeicherheizungen ins Auge gefasst aber da spielte unser veraltertes „Stromnetz“ nicht mit. Schon unsere Mikrowelle ließ die Sicherung laufend durchknallen. So gesehen, war unsere Wohnsituation nach wie vor „beschi.... wie ein Kinderhemd“. Jetzt habe ich eigentlich von allen wesentlichen Dingen berichtet, die für uns bewegten ab dem Zeitpunkt als wir mit den Latschis zogen bis ... Ja, das ist eine andere Geschichte, die sich ab Anfang 1995 entwickelte und der werde ich ein eigenes Kapitel widmen. Hier in diesem sollte ich nur noch kurz anschneiden, was sich an weniger sensationellen Dingen in der Familie Kleiner, jetzt wieder in Iserlohn-Letmathe, tat. Jetzt mache ich es mal genauso unhöfflich wie es offensichtlich die Mehrheit der Menschen immer macht und stelle mich mal vornan. Wie ich schon geschrieben hatte, war ich ab dem 1. Juli 1990 wieder in Lohn und Brot. Wieder war ich ein Kümmerer aber diesmal nicht in oberen Rängen mit Sekretärin und Luxusbüro sondern als „kleiner“ Angestellter in einem Industriehandels-Unternehmen mit ganzen neun Beschäftigten. Da von meinem Gehalt noch deutliche Beträge abgepfändet werden konnten war ich auch mit diesem zufrieden und strebte auch gar nicht mehr an. Meine größte Sorge vor unserer Rückkehr in die Heimat war, dass ich, der ehemalige plattmachende Manager und „Unternehmer“ unter dem Spott und der Häme meiner Mitmenschen Spießruten laufen müsste. Natürlich gab es in meinem Umfeld Zeitgenossen, die mir zeigten, was ich für ein „Würstchen“ war aber zu meinem Erstaunen reagierten die meisten Leute im Großen und Ganzen überhaupt nicht auf meinen Status. Damals nahm ich an und heute weis ich, dass ich mich bisher selbst zu wichtig genommen hatte. Die Mehrheit hatte sich weder für meinen Aufstieg noch für meinen Fall interessiert. Aber dieses Schicksal dürfte ich mir wohl mit allen Wichtigmännchen auf dieser Welt teilen. Dass ich ja auch Ulis Vermögen, sprich ihr Häuschen am Baumberg und all das, was sie mit ihrer Arbeit als Übersetzerin dazu geschaffen hat, mit „dadurch gebracht“ habe martert sogar heute noch oft mein Gewissen. Damals natürlich mehr und im ärgeren Maße wie heute. Dass ich Ulis Vermögen mitvernichtete habe bewegte und bewegt mich mehr als der Verlust des eigenes. Bezüglich meiner Schätze habe ich mir schon frühzeitig gesagt, dass dieses halt nur so zerronnen wäre wie ich es gewonnen habe und man auch ohne Vermögen glücklich sein kann. Uli beruhigte mich immer damit, dass auch sie ja ohnehin nicht mit ins Grab nehmen könne und ich doch immer nur das Beste gewollt hätte. Sie machte mir keine Vorwürfe sondern stand eisern an meiner Seite. Konsequent teilten wir Freud und Leid miteinander. Äußerlich hatte sich Uli gar nicht verändert. Immer noch wirkte sie elegant und damenhaft. Ja, es war halt ihr natürliches Wesen und ihr Charakter und nicht der Status und der Putz. Im billigsten Kleid wirkte sie immer noch um ein mehrfaches besser wie manche Angehörige des Geldadels, die alles daran setzt sich herauszuputzen. In jener Zeit betätigte sich Uli als Hausfrau und Übersetzerin. Letzteres mal „schwarz“, das heißt ohne Rechnung oder Quittung, und mal ganz offiziell. Eigentlich hätte alles offiziell laufen können, weil wir in der Tat nichts gegen ehrliches Steuerzahlen haben aber die „Schwarzarbeit“ kam uns doch hinsichtlich der Inkassogeier auch nicht ungelegen. Sonst kann ich von Uli aus jener Zeit nur berichten, dass sie das komplette Familienmanagement übernommen hatte. Dieses geschah aus zweierlei Gründen. Zum Einen konnte sie, während ich meiner Arbeit nachkam, alles im Interesse der Familie erledigen. Zum Anderen war sie diejenige von uns beiden, die Auto fahren konnte. An meinem steifen Bein hat sich ja nichts geändert und gebrauchte Automatikfahrzeuge in einer Preisklasse, die wir uns leisten konnten beziehungsweise deren Unterhalt wir tragen konnten, waren einfach auf dem Markt nicht erhältlich. Lediglich ein 10 Jahre alter Kadett lag damals für uns drin – und den konnte wegen der Kupplung und Schaltung nur Uli fahren. Damit kutschte sie uns an den Wochenenden hinaus ins Sauerland. Bigge-, Möhneund Sorpesee lagen wie die Museumseisenbahn in Herscheid, die Burg Altena, das Schloss Hohenlimburg und andere Dinge auf unserer Ausflugsliste. Dort, wie auch im heimischen Letmathe beziehungsweise benachbarten Nachrodt-Wiblingwerde, gingen wir dann sehr viel spazieren. Mehr und mehr stellten wir fest, wie schön doch
das Erleben der Natur ist und das die schönsten Dingen auf der Welt nichts kosten. Die Seele baumeln lassen ist wahres Leben – und die Gelegenheiten dazu bekommt man geschenkt. Das unser Jean nach seiner Bundeswehrzeit ab März 1993 in Köln studierte habe ich ja bereits berichtet. Anlässlich seines 23. Geburtstages, der zugleich der Siebenundvierzigste seiner Mutter war, kam er mit einer besonderen Überraschung auf Besuch nach Hause. Er brachte eine nette junge Dame, die sowohl vom Typ wie auch von der Art und Weise wie sie sich gab seiner Mutter, meiner lieben Uli, entsprach. Nun, da Uli die Frau meines Geschmackes war kann man sich leicht vorstellen, dass mir diese junge Dame, die ja so viel mit ihr gemeinsam hatte, auch gleich auf Anhieb gefiel. Das Wesentliche was diese von meiner Frau unterschied waren doch die deutlich größeren Busen und die schulterlangen naturblonden Haare. Kurz gesagt, das Mädel, was mein Sohn damit brachte, war auch ganz auf meiner Wellenlänge angesiedelt. Das war Uli natürlich nicht entgangen und so sagte sie mir als die Beiden wieder abgereist waren: „Dieterle, du vergisst ja nicht, dass ich deine Frau bin und das Mädchen zu deinem Sohn gehört. Vergesse auch nicht, dass es sich um deine Tochter handeln könnte.“. Ich konnte ihr aber ehrlich vergewissern, dass mir dieses alles klar wäre und sie, also Uli, für mich die beste Frau der Welt sei, was sich insbesondere in den letzten paar Jahren gezeigt hätte. Einen solchen Schatz wolle ich doch nicht verlieren. Unschwer zu erraten, dass es sich bei der eben beschriebenen Dame um die Auserwählte unseres Sohnes Jean handelte und deshalb sollte ich an dieser Stelle noch ein paar Worte zu ihr verlieren. Sie hatte einen typischen Kölner Nachnamen, nämlich Schmitz – uralter Kölner Stadtadel. Aber das war alles was an ihr typisch „kölsch“ war. Mit Vornamen hieß sie Mareike, ein Name, den ich eher in Holland ansiedeln würde, und sie war auch nicht, wie fast alle Kölner Schmitzen, katholisch sondern sie war die Tochter eines evangelischen Pfarrers. Auch Mareike hatte beschlossen einmal in absehbarer Zeit Lehrerin zu werden. Unter der Voraussetzung, dass Jean und Mareike auch eine Anstellung und dann möglichst in der gleichen Gegend finden, wäre das eine ideale Sache für das junge Paar, das sich auf Mareikes 21. Geburtstag am 20.10.1994 verlobte. Kurz vor ihrer Verlobung bezog das Pärchen eine kleine gemeinsame Wohnung in Köln-Holweide. Anlässlich der Verlobung waren wir in Köln, wo wir dann auch Mareikes Eltern – sehr nette Leute – kennen lernten. Jean meldete sich vom Beginn seiner Studienzeit an regelmäßig telefonisch bei uns aber persönlich erschien er höchst selten in unseren vier Wänden. Nach der Verlobung wurde sein Erscheinen sogar noch seltener. Im Gegensatz zu Jean tauchte Janine, die wie berichtet in einer studentischen Wohngemeinschaft in Münster wohnte, Woche für Woche bei uns in Letmathe auf. Eine Männerbekanntschaft hat sie nach ihren eigenen Worten in dieser Zeit nicht gemacht und wollte auch noch keine. Sie war sehr ehrgeizig und wollte in einem Rutsch durchstudieren. Dieses war jedoch auch in unserem Sinne, denn ein Medizinstudium ist sehr teuer und nur mit BAföG ist man da richtig aufgeschmissen. Was Uli nebenbei mit Übersetzungen verdiente ging fast ganz an Unterstützung unserer Tochter drauf. In Folge von Janines „Studieneifer“ verbrachte sie die heimischen Wochenende auch immer fast ganz über ihren Büchern. Wir bestanden aber stets darauf, dass sie uns zumindestens für eine Stunde auf einem Spaziergang begleitete. Schließlich muss derjenige, der geistige Leistung erbringen will ja auch mal ausspannen und auftanken. Auch in den Semesterferien war sie nur am Wochenende zuhause, denn sie jobbte in dieser Zeit als Aushilfsverkäuferin in der Nähe von Münster. Ihr „Ferienarbeitgeber“ war der Vater einer Mitstudentin. Unser Nesthäkchen Björn war Mamas Liebling geblieben. Aber Anzeichen dafür, dass es ein Ödipussi werden würde gab es trotzdem nicht, denn ausgerechnete unser Jüngster entpuppte sich als so eine Art Schürzenjäger. Kein Mädchen zwischen 12 und 16 war vor ihm sicher. Natürlich hat er uns nie von seinen Erfahrungen berichtet aber ich war der Überzeugung, dass er doch diesen oder jenen Treffer gelandet hatte. Daher machte ich mir gelegentlich darüber Sorgen, dass er meinen Familienrekord, den ich mit Elke aufgestellt hatte, brechen würde. Er besuchte damals die Gesamtschule in Iserlohn. Außer in der Rechtschreibung und im Fach Englisch war er in allen Fächern topp. Nach meiner Einschätzung würde er es bestimmt seinen Geschwistern trotz Legasthenie in Sachen Abitur gleich machen können. Der Höhepunkt in Björns Leben im Berichtszeitraum war seine Konfirmation in der Letmather Friedenskirche. Damals, als unsere beiden Großen in Berlin konfirmiert wurden, ging es uns wirtschaftlich ja noch deutlich besser aber ein Absahn-Festival, wie es heute leider üblich ist, hat es bei denen auch nicht gegeben. So war es für Björn auch keine Herabsetzung, dass seine Konfirmation nur mit unserer Familie plus meinen Eltern gefeiert wurde und da auch keine Hunderte von Märklein zusammen kamen. Letztlich sollte ich hier auch Katja noch erwähnen. Schließlich war auch sie meine Tochter. Wie schon geschrieben heiratete sie am 10. September 1990 in Wuppertal ihren zweiten Mann Henk Schulte. Weil Elke mit Katjas amerikanischen Halbgeschwistern an dieser Hochzeit teilnahm war es mir auch diesmal verwehrt ebenfalls bei dieser anwesend zu sein. Henk Schulte war in der Firma seines Onkels als Junior tätig und Katja richtete in Wuppertal-Elberfeld ein Studio für Werbefotografie ein und arbeitete auch weiterhin an Bildbänden, die von einem Verlag veröffentlich wurden. Nun, Wuppertal ist nicht weit von Iserlohn entfernt, nur etwas über 50 Kilometer, und so bekamen wir uns öfters zu sehen. Mal kamen Katja und Henk bei uns zu Besuch vorbei
und ab und zu waren wir in Wuppertal zu Gast. Die kleine Monica, die inzwischen altersgemäß perfekt die deutsche Sprache beherrschte und dabei noch ganz gut Englisch oder genauer gesagt Amerikanisch konnte, wurde zunehmenst zu Opas Liebling. Natürlich war das Verhältnis beidseitig. Die Kleine war immer ganz aus dem Häuschen wenn sie mit mir zusammen sein konnte. Und dieses alles obwohl ich fast keine Möglichkeiten hatte mir ihre Zuneigung mit Spendierhosen zu erkaufen. Wie Sie gelesen haben, passierte nach unserem Umzug nichts aufregendes mehr. Alles was ich zu berichtet hatte erscheint mir nur aus dem Grunde wichtig, dass es später nicht solche Fragen wie „Nanu, wie kommt das denn“ gibt. Abwechselung mit ein Wenig Dramatik kam erst im Jahre 1995 in unser Leben. Aber lesen Sie selbst; im nächsten Kapitel geht’s weiter.
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Die Geschwister Freud und Leid Alaaf und Helau, die Schlachtrufe der Jecken, schallen alle Jahre wieder durch die Lande. Dieses aber nicht überall in gleicher Intensität und Lautstärke. Während es im katholischen Rheinland zugeht als sei der Karneval das überlebenswichtige Ziel aller Dinge geht man in protestantischen Gegenden, zum Beispiel in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein, seinen Alltagsgeschäften nach als gäbe es den Karneval überhaupt nicht. Bewusst habe ich jetzt vom katholischen Rheinland und von protestantischen Gegenden geschrieben, denn die Konfession und deren grundsätzliche Einstellung zum Glauben spielt eine wesentliche Rolle bei der Auffassung zur „fünften Jahreszeit“. Insbesondere über die Briefe des Apostel Paulus kamen die Reformatoren Jan Hus, Martin Luther, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli übereinstimmend zu der Auffassung, dass vor dem dreieinigen Gott, der sich uns als Vater, Sohn und heiliger Geist offenbart hat, nur unser Glaube zählt und dieser von Anfang bis Ende immer bei uns ist. Vor unserem Vater und Herrn zählen keine Taten, er bedient sich keiner Stellvertreter und wir brauchen ihm gegenüber keine Fürsprecher. Da sich unser Gott keiner Stellvertreter bedient, kann uns auch kein Mensch, wenn wir gesündigt haben, eine Absolution, die wir uns durch Taten wie Beichte oder Bußgebete verdient haben wollen, erteilen. Absolution erlangen wir nur durch ihm selbst, durch seinen Kreuzestod. Dafür verlangt er uns Glauben und Gehorsam ab. Wer vorsätzlich sündigt, zum Beispiel durch Ehebruch, Verhöhnen seines Nächsten oder Taten, die auf die Trunkenheit zurückzuführen sind, also wer bewusst ungehorsam ist, kann sich nicht mit einem Aschenkreuz und Fasten vor Gott reinwaschen. Wer an Gott glaubt und ihm gehorsam ist, dürfte daher eher eine ablehnende Haltung zum Karneval haben. So gibt es dann auch in den Karnevalshochburgen Menschen, die solcherlei Festivitäten ablehnen und diesen möglichst „entfliehen“ möchten. Zu diesen Leuten zählte auch Mareike Schmitz, die Verlobte unseres Sohnes Jean. Sicher hängt das damit zusammen, dass ihr Großvater, der ursprünglich katholisch war, bewusst zum evangelischen Glauben konvertiert war und dessen beide Söhne, also auch Mareikes Vater, evangelische Pastöre wurden. Da haben in der Familie bewusste Glaubensentscheidungen stattgefunden; sie waren nicht evangelisch weil sie darein geboren worden sind. So war es bei Mareike schon seit ihrer Jugendzeit Sitte, dass sie die „drei tollen Tage“ außerhalb von Köln verbrachte. Seit sie das 14. Lebensjahr vollendet hatte begab sie sich, zusammen mit gleichgesinnten und gleichaltrigen Jugendlichen in Jugendherbergen oder Jugendheime außerhalb der Karnevalsregionen. So war sie auch schon mal zu einem solchen Anlass in unserer Gegend: Im Jugendheim auf dem Ahorn, welches schön im Wald auf dem Gebiet der Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde liegt. Im Jahre 1995 hatte sie Jean dazu überredet, dass sie bei uns eine Woche, von Mittwoch, dem Tag vor Altweiberfastnacht, bis zum Aschermittwoch, bei uns ihre Aufwartung machen wollten. Bei unserer Wohnsituation, die ich ja schon hinlänglich beschrieben habe, hielten wir es jedoch nicht für gut, wenn wir sie für diese Zeit in unserem Haushalt hätten aufnehmen würden. Wir hatten deshalb schon Ausschau nach preiswerten Fremdenzimmer in unserer Umgebung gehalten. Da machte es Janine, die eigentlich jedes Wochenende nach Hause kam, dann möglich, dass wir unseren Sohn mit seiner Angebeteten doch bei uns aufnehmen konnten, obwohl es mir wegen des minderwertigen Wohnraumes, wes wegen ich mich auch gegenüber Mareike mächtig schämte, dabei nicht ganz wohl war. Janine hatte dieses möglich gemacht, weil sie einen umgekehrten Weg wie Mareike beschritt. Sie wollte mal den studentischen Karneval in Münster erleben. Dieses nicht weil sie der protestantischen Prüderie Ade sagen wollten sondern es kam ihr auf die Gemeinschaft mit ihren Mitkommilitonen und Dozenten ankam. Für Janine führte dieses Karnevalswochenende zu einer sehr wesentlichen Änderung in ihrem Leben: Sie lernte einen jungen Mann, von dem sie glaubte es sei der Richtige, kennen. Aber dieses ist jetzt eine andere Geschichte auf die ich später noch zu schreiben komme. Hier an dieser Stelle ist jetzt erst mal wichtig, dass Janine über Karneval nicht nach Haus kam und so Platz für Jean mit seiner Mareike in unserer „Bruchbude“, wie Uli und ich unsere Wohnung inzwischen umbenannt hatten, schaffte. Ich bin ja ehrlich und gestehe, dass ich es lieber gesehen hätte, wenn wir unter Hinweis auf Janines „Gewohnheitsrechte“ die Beiden in ein Gasthaus mit Fremdenzimmer hätten verbannen können. Erstmalig hatten wir jetzt längeren, über einen kurzen, nur stundenweisen Besuchszeitraum hinausgehenden Kontakt mit Mareike, unserer Schwiegertochter in spe. Bisher kannten wir sie nur als nette und elegante junge Dame mit guten und gepflegten Umgangsformen. So wie wir sie kennen gelernt hatten passte jedes Klischee von der braven Pastorentochter auf sie zu. Aber als wir sie nun eine etwas längere Zeit um uns herum hatten, mussten wir unser Pastoren-Tochter-Vorurteil doch an einigen Stellen reichlich korrigieren. Hatten wir uns doch darauf eingestellt vor jeder Mahlzeit ein Tischgebet sprechen zu müssen, wurden wir schon zum Abendbrot ihres Ankunftstages eines anderen belehrt. Wir saßen eben am Tisch da langte Jean auch schon unbekümmert wie in alten Tagen zu. Ich saß da im offensichtlichen gebetsbereiten Zustand und setzte gerade mit ermahnenden Ton an „Jean ...“. Da wurde ich auch schon von Mareike unterbrochen: „Tue dir keinen Zwang an. Wir brauchen nicht zu beten, nur weil mein Alter ein Pastor ist. Zuhause beten wir vor dem Essen auch nur, wenn jemand zu Besuch ist, der meinem Vati einen Strick daraus drehen könnte, dass nicht gebetet wird. Das öffentliche Showbeten überlassen wir dann doch lieber den Pharisäern ... Das sind Taten, die nicht unbedingt etwas mit
Glauben zutun haben müssen. Das Gebet ist ein intimes Gespräch mit unserem Schöpfer und Herrn und kein Pflichtritual, dass man nur ausübt weil man glaubt es machen zu müssen. Überall Gebete plappern hat uns unser Herr Jesus ja sogar untersagt. Lest mal in der Bergpredigt nach.“. Jetzt wird sicher dieser oder jene „He, du hast eben geschrieben, dass ihr euer Pastoren-Tochter-Vorurteil reichlich korrigieren musstet und jetzt schreibst du etwas, was eigentlich nur mit theologischen Hintergrund, also doch Pastorentochter, möglich ist“ sagen. Ja, ja, schon gut, ich wollte ja auch nur ausdrücken, das Mareike im Gegensatz zu meiner Erwartungshaltung nichts von Gebeten zu den Mahlzeiten hielt. Trotzdem ist es dann doch entsprechend meines Bildes möglich, dass es sich um eine stille, ernsthafte junge Frau – halt um die Tochter vom Herrn Pastor – handelt. Aber da war Mareike genau des Gegenteil. Sie war sehr lebhaft, mit dem Mundwerk auch immer vorne mit dabei und immer zu einer Schandtat bereit. Dabei drosch sie auch ganz gerne mal ein paar Zoten. Also, langweilig konnte es einem im Beisein von Mareike wirklich nie werden. Und unseren Jean hatte sie tatsächlich voll im Griff. Sie brauchte nur „Katerchen“ zu schnurren und schon spurte unser Sohn wie Uli und ich es zuvor bei ihm noch nicht erlebt hatten. Bei einem Vorfall in der Nacht vom Samstag auf Sonntag nützte jedoch das geschnurrte „Katerchen“ nicht sehr viel, da gab es eine derbe Auseinandersetzung zwischen unseren beiden Söhnen. Hintergrund waren im Grunde unsere echt beschi... Wohnverhältnisse und die sexuellen Triebe, oder besser gesagt: Untriebe, unseres 14½jährigen Björns. Ursprünglich hatten Uli und ich vorgesehen, dass wir für diese Woche im Wohnzimmer, das vor dem Auszug unserer Großen als Eltern-Wohn-Schlafzimmer diente, auf der Couch schlafen wollten und dem jungen Paar wollten wir unser Schlafzimmer überlassen. Wir hätten nicht auf Mareike, die uns nicht aus unserem Schlafzimmer vertreiben wollte, hören dürfen, denn dann wäre es zumindestens zu diesem Vorfall nicht gekommen. Mareike und Jean schliefen also im Wohnzimmer und aus diesem drang dann in der Sonntagnacht plötzlich ein dreistimmiges Palaver zu uns herüber. Ich zog mir schnell meine Jeans über und eilte zum Ort des Geschehens. Da stand dann Mareike, nur mit ihrem Slip bekleidet, und hielt Jean, der nur mit seinem Unterhemd bekleidet war, zurück weil der sich auf seinen Bruder, der vollkommen nackt im Raume stand, stürzen wollte. Hatte doch der Kurze hinter der Schiebetür gelustert bis seine zukünftige Schwägerin vermutlich ausgezogen sein würde um dann, selbst exhibitionierend, durch das Zimmer zu marschieren. Als Begründung gab er an, dass er noch Durst habe und sich was aus dem Kühlschrank holen wolle. Ja, was war jetzt zu tun? Es blieb mir gar nichts anders als abzuwarten bis Mareike Jean beruhigt hatte. Als dieser nicht mehr auf sein Bruder losstürmen wollte sagte Mareike: „Also ich aus meiner Warte sehe das jetzt ganz locker. Wie ihr mich jetzt seht pflegte ich mich auch im letzten Sommer, als ich mit Jean in Holland war, zu zeigen. Das hat dir Katerchen doch ganz gut gefallen und deshalb brauchst du dich überhaupt nicht so aufzuregen wenn es jetzt in der Familie bleibt. Und wenn du mir den Exhibitionismus zu billigst, dann kannst du das auch bei deinem Bruder. Stimmt's Björn, es macht dir doch Spaß dein Schnippelchen zu zeigen.“. Beim zuletzt angesprochenen Björn kam jetzt doch wohl Scham auf, denn er zog bei diesen Worten ganz betrüppelt ab. Er musste allerdings, nachdem er sich was angezogen hatte, wieder zurückkommen weil ich ihn in die Küche beordert hatte. Mareike kam erst, so wie sie war – ich bin ja ehrlich und gestehe, dass das auch bei mir eine gewisse Freude auslöste –, mit in die Küche. Sie beteuerte, dass ihr das wirklich nichts ausgemacht habe und bat darum mit Björn doch gnädig umzugehen. Na ja, ich hielt es dann aber doch für angebracht unseren MiniCasanova ernsthaft ins Gewissen zu reden bevor ich ihn nach einer halbstündigen Leviten-Lesung in sein Zimmer entließ. Den Rückweg trat er dann auch vorschriftsmäßig an: Er klopfte vornehm an und wartete bis Jean im zurief, dass er passieren dürfe. Als ich danach wieder in meinem Bett lag sagte ich zu Uli: „Mensch Schatz, das hat mir jetzt den Rest gegeben. Ich halte es hier in der Bruchbude nicht mehr lange aus. Wenn wir in den nächsten paar Wochen nichts finden frage ich meinen Chef ob ich im Büro schlafen darf.“. Darauf gestand mir Uli ihr „seltsames Gefühl“, wie sie selbst sagte. Ihr war so, als würden wir kurz vor einem schrecklichen Geschehen, aus dem wir endlich mit einer besseren Wohnung heraus kommen würden, stehen. Woher dieses Gefühl kam und wieso sie dieses empfand konnte sie mir nicht erklären. Schon bald sollten wir feststellen, dass dieses eine wahrhafte Vorahnung war. Man kann halt nicht alle Dinge, die zwischen Himmel und Erde geschehen, mit rationalen Worten erklären. Damit begann bei uns dann eine denkwürdige Phase, in der immer Leid und Freud wie Geschwister auftraten. Immer wenn auf der einen Seite etwas Tragisches passierte gab es auf der anderen Seite etwas zum Freuen. Eine Zeit lang sollte immer unsere Trauer oder unser Mitgefühl dafür sorgen, dass wir uns über Dinge, die uns normalerweise auf Wolke Sieben gebracht hätte, gar nicht so sehr freuen konnten. Bereits am folgendem Tag, Rosenmontag, dem 27. Februar 1995, sollte das Schreckliche, was Uli vorausahnte, geschehen. Am frühen Morgen um Fünf schellte unser Telefon. Mit den Worten „Schon wieder“ stand Uli auf und begab sich zum Telefon, das in der Küche stand. Das „Schon wieder“ bezog sich auf eine offensichtliche Panne in der Vermittlungsstelle der Deutschen Bundespost - oder war es da schon die Telekom; ich weiß jetzt gar nicht wann genau das Bäumchen-Wechsele-Dich stattfand. Dieses war ja für uns auch ziemlich uninteres-
sant, denn wir wurden vorher wie nachher abgezockt. Noch hatte das staatseigene Monopolunternehmen keine Konkurrenz und nutzte dieses wie selbstverständlich aus. Zurück zum „Schon wieder“: Ab und zu gingen die Anrufe für einen Einzelhändler, der eine ganz andere Rufnummer wie wir hatte, bei uns ein. Sowohl der Einzelhändler wie auch wir hatten das den Komikern vom Fernmeldedienst gemeldet aber nichts tat sich. Wenn dann in frühester Stunde mal das Telefon bei uns schellte, war es meist der Einzelhändler selbst, der sich zu dieser Zeit auf dem Großmarkt in Dortmund befand und mal diese oder jene Rückfrage an seine Frau hatte. Heute war es aber nicht der Einzelhändler sondern meine vollkommen am Boden zerstörte, hörbar weinende Mutter. Als sie etwa eine Stunde vorher mal aufgewacht war lag mein Stiefvater reg- und leblos neben ihr in seinem Bett. Mutti hat sofort 112 angerufen und den Notarzt bestellt. Dieser konnte nur noch den Tod feststellen. Ingo Frank, mit dem meine Mutter bald 34 Jahre verheiratet war, war ganz plötzlich im Schlaf verschieden. Noch am Vorabend war er mit meiner Mutter auf ein Bierchen in einer nahegelegenen Gaststätte gewesen. Wenn es nicht so makaber wäre würde ich vom plötzlichen Seniorentod sprechen. Der Arzt hatte als Todesursache Herzversagen festgestellt. So kann es gehen: Ulis Mutter starb „einsam“ und mein Stiefvater lag neben meiner Mutter und beiden konnte nicht mehr geholfen werden. Uli hatte den Anruf ganz ruhig entgegen genommen und sprach mit netten Worten tröstend auf meine Mutter ein. Mich, der ich jetzt auch aufgestanden und hinzugekommen war, brauchte Uli nicht zu informieren, denn ich entnahm ihren Worten was geschehen war. In diesem Augenblick merkte ich wie lieb ich doch meinen Stiefvater gewonnen hatte. Ab einem gewissen Zeitpunkt hatte er mir deutlich mehr bedeutet wie mein leiblicher Vater, zu dem ich letztlich überhaupt keine emotionale Bindung mehr hatte. Bei dieser Gelegenheit wurde mir auch bewusst, was für ein großes Geschenk doch die Zuneigung meiner ältesten Tochter Katja zu mir ist. Ich selbst hatte seit der Scheidung meiner Eltern überhaupt keinen Draht mehr zu meinem leiblichen Vater. Er war mir im Laufe der Zeit ein Fremder geworden. Dagegen hatte ich zu Ingo Frank, meinem Stiefvater, eine innige Beziehung aufgebaut, die mich jetzt auch schmerzende Trauer empfinden ließ. Jetzt in jüngster Zeit philosophierte mal jemand, den ich jetzt sehr nahe stehe, darüber was der Unterschied meiner Beziehung zu meinem leiblichen Vater und der Katjas zu mir ist. Sie meinte, dass ich die Scheidung meiner Eltern bewusst miterlebt und Partei auf Seiten meiner Mutter ergriffen hätte und wir beide hätten dann meinem leiblichen Vater aus unserem Leben verabschiedet. An dessen Stelle wäre Ingo in unser Leben getreten. Dagegen hatte mich Katja nie aus ihrem Leben entlassen. Für die damals 4-Jährige war ich gestorben und nach meinem Tod als Engel allgegenwärtig in ihrem Leben gewesen. Die „Stimme des Blutes“ wäre wohl nur so eine schöne romantische Erfindung, die sich bei Rosamunde Pilcher und anderen einschlägigen Autorinnen und Autoren immer ganz gut mache. Ich glaube diese Dame, von der Sie zur gegebenen Zeit näheres erfahren, hatte recht. An dieser Stelle ist nur wichtig, dass ich Ingo Franks Tod so empfand als sei mein leiblicher Vater gestorben. Unmittelbar nach dem Uli aufgelegt hatten, begannen wir uns anzuziehen, damit wir nach Hohenlimburg fahren konnten. Mir war es jetzt danach bei meiner Mutter zu sein und sie zu trösten. Uli war es ein Herzensanliegen mich dabei zu begleiten und zum anderen musste sie mich, da ich keinen fahrbaren Untersatz hatte fahren. Auf dem Besuch der Toilette und auf die Morgenwäsche wollten wir wegen Mareike, Jean und Björn, die wir nicht stören wollten, verzichten. Deshalb schnappte ich mir einen Zettel auf dem ich niederschreiben wollte was los war. Diesen wollte ich auf dem Küchentisch liegen lassen. In diesem Augenblick erschienen Jean und Mareike in der Tür und wollten wissen was los war. Beide erschienen nur mit ihrer Unterwäsche, wobei Mareikes auch noch etwas durchsichtig war, bekleidet. Da hätte ich jetzt ein „Lecker-Schmecker-Blick“ auf meine Schwiegertochter in spe werfen können, wonach mir in diesem Augenblick aber gar nicht der Sinn war. Nachdem die jungen Leute erfahren hatten was geschehen war machten sie sich gleich fertig, weil auch sie mit wollten. Lediglich Björn schlief den Schlaf des Gerechten und merkte von alle dem zunächst nichts. So musste ich den Zettel doch wie vorgesehen schreiben. Als wir bei meiner Mutter ankamen wurde diese dann in dieses seltsame Wechselbad zwischen Freud und Leid versetzt. Sie wusste zwar von Mareike aber sie war ihr noch nie begegnet. Meine Mutter fand die Verlobte ihres Enkels gleich sympathisch und freute sich ganz offensichtlich, trotz des großen Schmerzes, der sie in dieser Nacht getroffen hatte. Es schien fast so als sei Mareikes Erscheinen ein großes linderndes Trostpflaster für meine Mutter gewesen. An diesem Tag erlebte ich erstmalig bewusst wie Freud und Leid in geschwisterlicher Eintracht miteinander auftreten können. War doch dieser Rosenmontag, der der Lebensfreude gewidmet ist, für uns ein Tag der Trauer. Da freute sich meine Mutter, die den Verlust ihres Mannes, den sie über drei Jahrzehnte an ihrer Seite hatte, beklagen musste, über das Erscheinen ihrer zukünftigen Schwiegerenkeltochter. Im Laufe des Vormittags gab es dann auch noch ein Anlass zur großen Freude für Uli, Björn und mich. Natürlich hatte Mutti auch Björn und Heiko Frank, meine Stiefbrüder, vom Ableben ihres Vaters informiert. Björn, der jetzt in Stuttgart wohnte und arbeitete, konnte natürlich nicht postwendend erscheinen aber Heiko, der
in Nachrodt gebaut hatte, traf fast mit uns gleichzeitig ein. Obwohl wir praktisch nahe beieinander wohnten hatte ich ihn lange Zeit nicht gesehen. Das führte dann dazu, dass wir uns zwischendurch immer mal wieder darüber austauschten wie es uns ergangen war. Dabei sprach ich auch von unseren argen Wohnverhältnissen. Da hatte Heiko eine Idee: „Mensch ich habe in unserem Haus, das in Hanglage gebaut ist, unten noch eine AnderthalbZimmer-Einlieger-Wohnung. Dazu gehört eine kleine Kochnische, ein modernes Bad und direkt vor der Wohnung befindet sich eine größere Terrasse. Die ist zwar auf der Nordseite aber das Licht fällt vom Westen ein, so dass man dort ab Mittag immer Sonne hat. Ich habe diese Wohnung noch nie vermietet. Sie war ursprünglich für meine Schwiegermutter gedacht aber als das Haus fertig war ist sie dann plötzlich gestorben. Das wäre doch jetzt ideal für Mutter und dann könntet ihr doch hier einziehen. Dieses hier ist zwar keine moderne Komfortwohnung aber sie dürfte um das x-fache besser sein als euere jetzige Behausung. Und in absehbarer Zeit wird auch euer Jüngster seine eigene Wege gehen, dann ist das hier für dich und Uli der passende Wohnraum ... und die Miete ist ja auch in euerem Sinne.“. Na ja, falls meine Mutter zustimmt wäre das ja die Lösung unserer Probleme. Und sie stimmte zu. Heiko hatte das Thema nur ganz vorsichtig angeschnitten. Er meinte, beiläufig tuend, dass er verstehen könnte, wenn sie jetzt in der Wohnung, in der sie mit seinem Vater glücklich war, bleiben wolle aber es wäre doch auch für sie schön, wenn sie in der Wohnung, die er für seine Schwiegermutter gebaut habe, wohnen würde. Er brauchte gar nicht weiter zu sprechen, denn meine Mutter, die die Einliegerwohnung in Heikos Haus kannte, fand die Idee ganz toll. Und dann kam die für uns entscheidende Aussage von ihr selbst: „Ja, wenn ich zu dir ziehe, dann können ja Ulrike und Dieter diese Wohnung übernehmen, dann sind sie ja aus diesem Loch raus.“. Damit war dann das Ende unseres 4-jährigen Wohnmartyriums angebrochen. Natürlich benötigten wir dazu auch die Zustimmung des gemeinnützigen Vermieters aber darum kümmerte sich meine Mutter schon am nächsten Vormittag, also noch vor der Beerdigung. Nun, sie hat diese einholen können und schon 14 Tage nach der Beerdigung war sie nach Nachrodt-Wiblingwerde, wo sie im oberen Gemeindeteil Wiblingwerde zu Beginn ihrer Ehe mit Ingo gewohnt hatte, zurückgezogen. Damit schlossen sich zwei Kreise, denn wir zogen in die Wohnung, in der ich zuhause war als ich Uli kennen lernte. Was früher meine Junggesellenbude war wurde jetzt das Domizil unseres Björns. Mein Stiefvater wurde am Donnerstag, also an dem Tag nach Aschermittwoch, bestattet. Auf seinem eigenen Wunsch wurde sein Leichnam im Krematorium Hagen-Delstern verbrannt und anschließend wurde seine Urne in einem anonymen Gräberfeld, eine Wiese, eingelassen. Sowohl Uli wie auch ich äußerten danach den Wunsch, dass auch wir mal so bestattet werden wollten. Diesen Wunsch konnten wir dann auch gleich allen unseren drei Kindern, die wir nach der Trauerfeier in unserer künftigen Wohnung, also bei der Oma, zusammen sitzen hatten, kundtun. Erstmalig nach längerer Zeit waren wir aus diesem Anlass wieder komplett beieinander an einem Ort. Jean und Mareike hatten ihre Karnevalsflucht um einen Tag ausgedehnt weil Jean an der Trauerfeier für seinen Opa teilnehmen wollte. Janine war zu diesem Zweck extra angereist. Für unsere Kinder, die meinen leiblichen Vater nie kennen gelernt hatten, war ja Ingo Frank der Opa – was anderes kannten sie gar nicht. An der Trauerfeier selbst hatte auch Katja, die meinen Stiefvater ja bei den Besuchen ihrer Oma kennen gelernt hatte, teilgenommen. Sie fuhr aber gleich nach Beendigung der Trauerfeier wieder zurück nach Wuppertal. Bei dieser Zusammenkunft wartete dann Janine mit einer Überraschung, die ich ja schon angedeutet hatte, auf. Sie hatte bei einer Studenten-Karnevalsfeier in Münster einen jungen Mann aus einem höheren Semester kennen gelernt. Ein ganz toller Bursche, wie sie uns berichtete. Der Vater ihres neuen Schwarmes war ebenfalls Arzt und zwar ein Landarzt in Ostfriesland. Sein Junior sollte mal die Praxis von seinem Vater übernehmen. Janine schwärmte, dass sie sich gut vorstellen könne, da ebenfalls mitzuwirken. Jetzt auf einmal zeigte sich auch Janine als ein Mitglied der schnellen Truppe. Sie erzählte uns, dass sie sich mit ihrem Freund eine gemeinsame „Bude“ suchen würde. Etwas dagegen sagen konnten Uli und ich ja mit guten Gewissen kaum etwas, denn wir waren ja auch nicht langsamer vorgegangen. Und wenn man der Meinung ist, dass eine gute Partnerschaft nur nach einer längeren Kennenlernphase möglich sei, können wir ihm ja mit unserem eigenen Beispiel eines besseren belehren. Ab diesem Zeitpunkt bekamen wir dann Janine genau so häufig oder besser gesagt so wenig wie Jean zu sehen. Irgendwie ist es ein komisches Gefühl, wenn man seine Kinder so von dannen ziehen sieht – aber was sein muss, das muss sein. Geblieben war uns jetzt unser Björn, der schon kurz nachdem wir unsere „neue“ Wohnung bezogen hatten, für eine neuerliche Aufregung sorgen sollte. Der zweite „Björn-Skandal“ ereignete sich als Katja unerwartet mit Monica zu einer Stippvisite erschien. Katja hatte für ihren Mann eine Kurierfahrt nach Menden unternommen. Auf dem Rückweg machte sie dann kurz Station bei uns in Hohenlimburg um uns etwas ganz Tolles mitzuteilen. Auch die 8-jährige Monica war nicht zum ersten Mal in unserer Wohnung, denn Katja hatte meiner Mutter auch mal ihre Urenkelin vorgestellt. Damals hatte mein Stiefvater der Kleinen seine Wüstenrennmäuse Max und Moritz, deren Terrarium im Gästezimmer, also im jetzigen Zimmer Björns, stand gezeigt. Moritz hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet – die kleinen putzigen Nager werden ja in der Regel nicht sehr alt; nur so zirka zwei Jahre – und Max befand sich in der Obhut meiner Mutter in Nachrodt. Das konnte Monica natürlich nicht wissen. So beschloss sie nach einem
Toilettengang sich in Björns Zimmer zu begeben um den Tierchen ihre Aufwartung zu machen. Es dauerte ein ganzes Weilchen bis sie wieder im Wohnzimmer erschien. Katja fragte nach wo sie denn so lange geblieben sei worauf Monica erklärte, dass sie im Zimmer bei den Mäusen gewesen sei aber die nicht mehr da wären. „Ach, da hast du gleich dem Björn ‚Guten Tag’ gesagt?“, fragte ich daraufhin, „Dein Onkel könnte ja ruhig mal zu uns kommen.“. Da stutzte die Kleine und sagte: „Das geht nicht – aber ich darf euch nicht erzählen warum nicht.“. „Was darfst du uns nicht erzählen?“, fragte Katja jetzt lachend worauf Monica dann prompt antwortete: „Der hat Besuch von einer nackten Frau. Die Beiden haben mir gesagt das ich nicht petzen darf ... deshalb hat es so lange gedauert.“. Was der noch nicht einmal 15-jährige Björn da trieb weckte dann doch mein gesteigertes Interesse und ich erhob mich um nach dem Rechten zuschauen. Eigentlich müsste ich jetzt unseren Jüngsten als kleinen Depp bezeichnen. Durch Monicas Erscheinen hätte er ja vorgewarnt sein müssen und sowohl erst mal die Tür abgeschlossen wie auch zur Kleidung gegriffen haben. Das man bei einer 8-Jährigen keine Gewähr für Stillschweigen voraussetzen kann, müsste sich auch schon unter Teenies herumgesprochen haben. Zunächst fragte ich barsch auf dem Flur ob Björn nicht mal kurz seiner ältesten Schwester „Guten Tag“ sagen wolle, denn Katja könne nicht sehr lange bleiben. Was Besseres war mir in diesem Moment nicht eingefallen. Da bekam ich doch prompt die Antwort, dass er nicht kommen könne weil er etwas Wichtigeres zu erledigen habe. Darauf sagte ich im Befehlston „Du kommst jetzt“ und wollte, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, an der Türklinke rütteln. Und schwupp, da war die Tür auf. Zu sehen bekam ich ein tatsächlich splitternacktes Teeniepärchen auf Björns Bett liegen. Das Mädchen, an dem für ihr Alter schon reichlich viel dran war, war, wie sich später herausstellte, eine Klassenkameradin unseres Youngsters. Auf meine Frage was sie da treiben gab mir mein Junior „Na und, Christa nimmt doch die Pille, da kann doch nichts passieren und du bist doch auch kein Kostverächter“ zur Antwort. Was sollte ich jetzt machen? Für ein Zimmertheater war wohl in Anwesenheit von Katja, dieser Christa und insbesondere meiner kleinen Enkelin Monica nicht der rechte Augenblick. Außerdem hatte ich in dieser Beziehung ja auch nicht gerade die besten Karten, was in diesem Moment mit Sicherheit in Björns Bewusstsein gelangen musste. An Katjas und meinem Alter hatte er ja schon längst ausgerechnet, dass ich bei Zeugung seiner Halbschwester auch erst Siebzehn war. Da war ich zwar ganze zwei Jahre älter als Björn jetzt aber was sind in dieser Beziehung schon zwei Jahre. Und wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich, wenn ich mit Fünfzehn die Chancen wie Björn gehabt hätte, diese mit großer Wahrscheinlichkeit auch wahrgenommen hätte. Nun denn, auf jeden Fall schlüpften Björn und seine Begleiterin in ihre Kleidung. Christa machte sich danach klammheimlich davon und Björn kam kleinlaut – man merkte ihm richtig an, dass er sich schämte – ins Wohnzimmer. Uli hatte mir schon vorher gesagt, dass ich nun nichts mehr zur Sache sagen sollte und sie die Angelegenheit übernehmen wolle. Am Abend gab es dann auch ein Vieraugengespräch zwischen Mutter und Sohn auf Björns Zimmer. Ich weiß nur, dass unser Sohn dabei versprochen hatte mit seiner Sexualität umsichtiger umzugehen. Uli hatte ihm klar machen können, dass die Sexualität etwas sehr schönes sein kann wenn man mit ihr „dosiert“ umgeht. Dieses mache man sich aber dadurch kaputt wenn man daraus ein Alltagsvergnügen mache. Das Argument, dass er für diese Geschichte zu jung sei, hielt Uli erstens nicht für treffend und zweitens nicht für angebracht. Auf jeden Fall wurden wir hernach kein Zeuge seiner Playboykünste mehr, zumindestens nicht in unserem Umfeld. Nun wird es aber Zeit, dass ich mal verrate weshalb Katja eigentlich den Anlass nutzte um bei uns vorbeizukommen. Sie konnte uns verkünden, dass die Zeiten wo Monica mein einzigste Enkelkind war langsam zuende gehen. Sie war schwanger und Anfang November sollte es soweit sein. Damit war uns ein weiteres Ereignis wo Freud und Leid als Geschwister auftreten sollten angekündigt. Natürlich bezog sich die Ankündigung nur auf die Freude, das Leid gesellte sich dann zu gegebener Zeit unerwartet dazu. Am Abend des 4. November 1995, an dem Tag wo der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin ermordet wurde, rief uns Henk Schulte, Katjas zweiter Mann, an. Natürlich wollte er uns nichts zu dem schrecklichen Attentat in Tel Aviv, dass das Ende eines erfolgsversprechenden Friedensprozess bedeuten sollte, berichten sondern er verkündete uns die gesunde Geburt von Hendrik Schulte, unseres zweiten Enkelkindes. Henk lud uns zum Besuch von Mutter und Kind ein. Eine Gefahr das mir meine erste Frau über den Weg laufen würde bestünde nicht, da Elke wegen der Angelegenheit nicht über den großen Teich huschen wolle. Dieses auch angesichts der Tatsache, dass Elke erstmalig seit ihrer Auswanderung mit ihrer gesamten Familie über Weihnachten und Neujahr nach Geismar kommen wollte. Und zu diesem Treffen sollte natürlich auch die Familie Henk Schulte stoßen. Daraufhin machten wir gleich den darauffolgenden Samstag, also zwei oder drei Tage später, als Besuchstermin bei Katja und Hendrik aus. Daraus wurde dann aber nichts, denn Elke war just an diesem Wochenende in Wuppertal. Ein tragischer Anlass hatte sie dazu bewegt doch nach Deutschland zu kommen. Am Nachmittag des 5. November 1995 verstarb Klara Remmel, Elkes Mutter, im Krankenhaus in Frankenberg. Als wenn das nicht genug wäre bekam Karl Remmel am frühen Morgen des 6. November einen Herzinfarkt, an dem er verstarb. In
nicht mal 24 Stunden war er seiner Frau gefolgt. Als ich dieses hörte verspürte ich ein sehr starkes Mitgefühl mit Elke. War sie doch gerade erneut Oma geworden, da sterben ihre Eltern wie verabredet hintereinander. Zum ersten Mal seit unserer Scheidung, die sich in der darauffolgenden Woche zum siebenundzwanzigsten Mal jährte, hatte ich das Gefühl Elke in die Arme schließen und trösten zu müssen. Natürlich habe ich mich nicht laut zu meinen Gefühlen bekannt, da ich damit wahrscheinlich auch ungewollt Uli, die Frau, die ich über alles liebe, getroffen hätte. Trotzdem sprach mich Uli an „Du bist wohl jetzt ganz in den Gedanken bei deiner Ersten“ und strich mir dabei verständnisvoll über die Haare. Nicht nur bei dieser Gelegenheit habe ich das Gefühl, das Menschen, die sich lieben und lange beieinander sind, auch ohne Worte verstehen. Dieses Ereignis im November 1995 tangierte mich allerdings weniger als der Tod meines Stiefvaters zu Karneval. Das mag auch ganz verständlich sein, denn ich hatte zwar während meiner 4-jährigen Ehe mit Elke ein sehr inniges Verhältnis zu meinen damaligen Schwiegereltern aber in den langen Jahren danach sind sie mir doch wieder fremd geworden. Wäre da nicht Katja, die just zu diesem Zeitpunkt meinen Enkel Hendrik zur Welt gebracht hat, gewesen hätte ich von dem Tod der Remmels, auch wenn ich davon gehört hätte, wohl kaum größere Notiz genommen. Na, jetzt nicht gleich schlecht von mir denken. Minute für Minute sterben Menschen, teilweise unter sehr tragischen Umständen. Regelmäßig sind dabei Leute, die man sehr gut kennt und die einen sogar nahe stehen. Wenn man wegen Jedem und Jeder in eine trauernde Depression fallen wollte würde sich das ganze Leben als eine Art Jammertal darstellen. Daher kann ich es auch nicht verstehen, wenn mal etwas Spektakuläres passiert ist oder es mal Promis erwischt hat, dass die Leute dann so tun als sei etwas ganz schlimmes über sie hereingebrochen. Ist es denn weniger schlimm, wenn die Frau oder das Kind des unbekannten Nachbarn stirbt. Die Kinder und Frauen von Otto-Normalverbraucher sind mir persönlich genau so viel wert wie die des Hochadels oder der Showpromis. Wollte ich alle betrauern ... Na ja, das schrieb ich schon, dann wäre das Leben ein Jammertal. Seltsamerweise treffen mich bestimmte Ereignisse immer serienweise. Das traf dann auch auf diese Kombination von Freud und Leid zur gleichen Zeit zu. Mit dem Tod meines Stiefvaters und dem gleichzeitigen Finden einer lange ersehnten menschenwürdigen Wohnung und der Geburt meines Enkels Hendrik während gleichzeitig seine Urgroßeltern in Geismar starben war in dieser Hinsicht noch kein Schlusspunkt erreicht. Das nächste Ereignis dieser Art traf uns dann in der Woche nach Ostern 1996. Ab Gründonnerstag hatten wir für über eine Woche unsere Tochter Janine zu Gast. Sie wollte erst an dem Sonntag nach Ostern wieder zurück nach Münster. Räumliche Probleme gab es nun bei solchen Anlässen nicht mehr, denn Janine begnügte sich mit einem Nachtlager auf der Couch im Wohnzimmer. Seit Beginn ihres Studiums hatte sich bei ihr eine neue nächtliche Standard-Schlafzeit herausgebildet. Wenn nichts außergewöhnliches anlag suchte sie zwischen Elf und Mitternacht das Bett auf und stand am nächsten Morgen in der Regel zwischen Sechs und Sieben wieder auf. Dadurch ergab sich bei uns praktisch überhaupt keine Behinderung in der Wohnzimmernutzung. Einzig ich musste mich auf eine veränderte Verhaltensweise einstellen: Ich durfte nach dem Willen meiner Frau und meiner Tochter während dieser Zeit nicht im Wohnzimmer rauchen. Bei einer aufkommenden Lungenschmacht musste ich mich auf dem Balkon begeben. Diese Sache habe ich dann letztlich auch dauerhaft beibehalten, was im darauffolgenden Winterhalbjahr dazu führte, dass ich meine Raucherei mengenmäßig einschränkte. Im Kalten stehen macht doch nicht den meisten Spaß, da habe ich lieber weniger geraucht. Dieser „Heimaturlaub“ hatte sich ergeben weil Janines Freund auf Wunsch seiner Eltern ebenfalls diese Zeit Zuhause bei seinen Eltern in Ostfriesland verbrachte. Das Janine in dieser Zeit bei uns weilte war nach Jeans Worten, der uns Ostermontag von Mallorca aus anrief, ein „superguter glücklicher Zufall“, denn er hätte noch ein großes Anliegen an seine Schwester. Die eine Woche Urlaub hatten Mareike und Jean als „Vorschuss“ von Mareikes Eltern geschenkt bekommen. Wofür dieses allerdings ein Vorschuss sein sollte hatte man uns nicht verraten, auch bei Jeans Anruf noch nicht. Aus dem Urlaub bat Jean einmal darum, dass wir für ihn und Mareike in Hohenlimburg oder Letmathe ein Zimmer von Donnerstag bis Sonntag besorgen sollten und zum anderen bat er Uli die Beiden doch am Donnerstag, dem 11. April, am Flughafen Düsseldorf abzuholen. Als Grund gab Jean an, dass er in unserer Gegend etwas Wichtiges, was auch für uns eine Überraschung werden würde, zu erledigen habe. Selbstverständlich kamen wir einerseits den Bitten nach und waren andererseits gespannt, was da auf uns zukommen sollte. An diesem besagten Tag, also am Elften, wurde dann unser Gefühlsleben argen Stürmen ausgesetzt. Uli hatte sich nach Düsseldorf begeben und Janine, Björn und ich saßen gut gelaunt und in freudiger Erwartung in den heimischen vier Wänden. Da vernahmen wir aus dem Radio eine Kunde, die uns erst einen kräftigen Schock verpasste: Am Düsseldorfer Flughafen war ein Großbrand ausgebrochen. Über die Zahl der Opfer konnten zunächst keine Angaben gemacht werden. Wenn man weiß, dass die Frau dort ist um dort den Sohn und die künftige Schwiegertochter abzuholen fährt einen natürlich ein großer Schreck in alle Glieder. Kurz nachdem wir die Meldung gehört hatten schellte dann auch noch das Telefon, was wohl nichts Gutes verheißen sollte. Bedacht um das Wohlergehen ihres Vaters drängelte sich Janine am Telefon vor. Das war allerdings ein Fehler, den wir
allerdings nicht voraussehen konnten. Es war eine Schreckensmeldung, aber in erster Linie für Janine. Der Vater ihres Freundes rief an und teilte ihr mit, dass sich sein Sohn auf dem Dachboden erhängt habe. Später erfuhren wir was da Dramatisches abgelaufen war. Janines Freund war von seinem Vater praktisch durchs Abitur gedrillt und zum Medizinstudium genötigt worden. Die Abiturdressur war ja gelungen und zwar so, dass es sogar zum Medizinstudium reichte. Aber dann baute der junge Mann völlig ab. Nichts haute hin. Als er dann ein Semester wiederholen musste täuschte er einfach das nächsthöhere vor und ging dann einfach gar nicht hin. Auch Janine täuschte er fortgesetzt was vor und sie hat davon gar nichts gemerkt. Da ergibt sich natürlich die Frage, was er gemacht hat, während er angeblich zu Vorlesungen und Seminaren war. Sein Vater hatte während des Osterurlaubes seines Sohnes Verdacht geschöpft und verlangte jetzt Belege von ihm. Diese hatte der junge Mann dann mit seinem Freitod geliefert. Bevor er sich erhängte hatte er noch einen Brief an Janine geschrieben und diesen im Briefkasten eingeworfen. Er war an Janines Münsteraner Adresse gerichtet und so erhielt sie diesen natürlich erst nach ihrer Rückkehr am Sonntagabend. Am besagten Donnerstag wusste Janine nur, dass sich ihr Freund erhängt habe und seine Eltern angeblich nicht wussten warum. Sie war natürlich nach dem Anruf am Boden zerstört und fragte immer nur: „Warum? Warum?“. Und dazu mischte sich dann noch die Sorge um unsere Leute, die am Düsseldorfer Flughafen, der in Flammen stand, waren. Letztere Sorge wurde uns jedoch zehn Minuten später abgenommen. Mit lauten „Hallo“ polterten Uli, Mareike und Jean in die Wohnung. Sie konnten ja nicht wissen, was in der Zwischenzeit hier passiert war. Als Jean seine Schwester weinend und verzweifelt am Tisch sitzen sah schloss er gleich darauf, dass es sich um die Sorge um die soeben Neuangekommen handelte. Er nahm sie in die Arme und sagte fröhlich klingend: „Ist doch gut, Schwesterlein. Wir sind doch da. Das Feuer muss ausgebrochen sein als wir schon weg waren. Wir haben davon auch erst in den Nachrichten im Autoradio erfahren. Als wir „Hagen West“ von der Autobahn kamen haben wir gleich an der nächsten Telefonzelle angehalten aber hier war besetzt. Mama meinte, dass wir ja ohnehin in ein paar Minuten zu Hause wären – und dann sind wir gleich durchgestocht.“. Danach gab er seiner Schwester noch einen Wangenkuss. Daraufhin bat ich die „Neuen“ erst einmal auf den Korridor und berichtet ihnen was los war. In Gegenwart von Janine wollte ich das nicht machen, da durch ein Bericht in ihrem Beisein doch dieser oder jener schmerzliche Seitenstich ausgelöst werden könnte. Jean ging spornstreichs wieder ins Wohnzimmer, nahm seine Schwester ganz fest in den Arm und sagte: „Entschuldige Janine, ich habe ja nicht gewusst was passiert ist. Mein vorlauter Schnabel tut mir leid. Ich möchte dir mein aufrichtiges Beileid aussprechen.“. Uli und mich hatte die Art des einstmals so aufsässigen Jean doch sehr verwundert. Wahrlich unser Sohn hatte sich seitdem er mit Mareike zusammen war mächtig zu seinen Gunsten verändert. Aber auch Janines Reaktion überraschte uns positiv. Sie wandte sich an ihren Bruder: „Ach Jean, du brauchst dich doch nicht entschuldigen. Ich weiß doch das du von der Geschichte nichts wusstest. ... Aber sage mal, du hast doch gegenüber Papa angekündigt, dass du eine tolle Überraschung für uns hättest und wir dann etwas zu feiern hätten. Lass dich doch bitte durch mein Leid, über das ich ja ohnehin hinweg kommen muss ... das Leben geht halt weiter –, nicht abhalten. Freud und Leid gehören zum Leben und man darf sich das Eine nicht durch das Andere nehmen lassen. ... Also, was ist? Habt ihr etwa heimlich geheiratet oder ist Mareike schwanger?“. Dabei schaute sie Jean an und lächelt dabei mit verheulten Augen. Dieses Szene hat mich so angerührt, dass ich sie wohl mein Leben lang nicht vergessen werde. Jean antwortete ruhig: „Ach, ich hatte mir diesen Moment wirklich schöner vorgestellt. Aber gleich zu deinen Fragen. Also, Mareike ist nicht schwanger ... damit wollen wir warten bis sie als beamtete Lehrerin Erziehungsurlaub nehmen kann.“. Er unterbrach jetzt und lächelte ein wenig seine Schwester, die jetzt sogar einen kleinen Lacher ausstieß, an. Dann setzte Jean wieder an: „Heimlich geheiratet haben wir auch nicht. Aber du bist tatsächlich auf dem richtigen Wege. Wir wollen in vierzehn Tagen, und zwar hier in Hagen-Hohenlimburg, heiraten. Wir haben uns die Gegend hier ausgesucht, weil Mareikes Vater Pfaffe in Köln ist und wir dort auch eine Reihe Studienkolleginnen und desgleichen Kollegen haben. Aber wir wollen nur im Kreise unserer Eltern und Geschwister heiraten. Und dich, Schwesterchen, wollte ich bitten zusammen mit Mareikes älteren Bruder ... Frank heißt der Knabe – unsere Trauzeugin zu sein. Ich kann es ja jetzt, wo das mit deinem Schatz passiert ist, verstehen wenn du das nun nicht möchtest. ... Aber es wäre sehr, sehr schön.“. Janine meinte daraufhin mit einer Stimme aus Freude und Trauer: „Ach Bruderherz, in vierzehn Tagen dürfte ich das Schlimmste überwunden haben. Wie ich schon sagte geht für mich das Leben ja weiter. Ich danke für dein Angebot und nehme es an.“. Ich gebe zu, dass wir alles dieses nicht erwartet hatten und es bereitete uns, trotz des Mitleids mit Janine viel Freude. Uli und ich konnten stolz sein: Wir hatten feine und sehr vernünftige Kinder. Dieses konnten wir auch am darauffolgenden Montag, als Janine uns anrief, feststellen. Sie hatte ja am Sonntagabend den Abschiedsbrief ihres Freundes vorgefunden und der hatte ihr indirekt stark geholfen die ganze Sache zu verarbeiten. Sie äußerte im Telefongespräch mit Uli das der junge Mann ganz offensichtlich nicht der Richtige für sie gewesen wäre. Die Tatsache, dass er alles für sich behalten habe zeige doch wie wenig Vertrauen er zu ihr gehabt habe. Außerdem
zeige die ganze Geschichte, dass er überhaupt kein Rückgrat besessen habe. Er habe zu nichts gestanden, habe weder gegenüber seinem Vater noch ihr gegenüber gezeigt, dass er jemals zu sich selbst stehen kann. Statt sich dem Leben zu stellen habe er sich mit seinem Freitod davon geschlichen. Sie würde ihm ja keine Vorwürfe machen, denn er könnte nichts dafür sondern er sei ja von seinem Vater von Kindesbeinen an dahin gebogen worden aber trotzdem wäre das wohl nicht der Mann für sie gewesen. Weder Uli noch ich stimmten ihr zu – das wäre wohl auch unangebracht gewesen – aber unter uns waren wir der Meinung, dass sie damit wohl recht habe. Der Abschiedsbrief und ihre Erkenntnis haben ihr wohl zu einer schnellen Aufarbeitung verholfen. So kam es, dass Janine am 26. April 1996, einem Freitag, gleichzeitig der Hochzeitstag von Jean und Mareike, anfänglich nicht die Fröhlichste war aber sie war auch keine Stimmungsbremse. Im Laufe des Tages taute sie immer mehr auf. Das dürfte auch sehr an Frank Schmitz, Mareikes Bruder, gelegen haben. Zunehmenst turtelten die Beiden miteinander herum. Am späten Nachmittag wurden die Beiden auch von Pastor Schmitz beim innigen Küssen – oder sagen wir doch gleich knutschen – „erwischt“. Er erlaubte sich gegenüber seinem Sohn, der auch auf dem Wege ein Pastor zu werden war, zu scherzen: „Du willst wohl deine Schwester zu deiner Schwägerin machen. Na ja, mir soll es recht sein, denn die Kleiners haben wirklich ein paar nette Kinder.“. Die beiden jungen Leute liefen zunächst ein Wenig rot im Gesicht an aber dann ergriffen sie die Gelegenheit. Frank nahm Janine mit den Worten „Warum nicht“ blitzschnell in den Arm und sie küssten sich jetzt vor versammelter Mannschaft. Nun, in der Zeit nach der Hochzeit unseres Sohnes hatte dann unsere Tochter schon wieder keinen Grund mehr am Wochenende „nach Hause“ zu kommen. An einem Wochenende besuchte Frank sie in Münster und am anderen ging es umgekehrt, dann fuhr Janine nach Köln. Die beiden Trauzeugen hatten sich ineinander verknallt. Das blitzartige in Partnerangelegenheiten scheint wohl in der Familie zu liegen. Na ja, schlechte Erfahrungen haben wir damit ja nicht gemacht. Frank und Janine versorgten dann die Familien Schmitz und Kleiner sogar in diesem Jahr noch mit einer weiteren Feier. Diese war dann allerdings nicht von traurigen Umständen umgeben. Am 31. August 1996 trafen wir uns im Schmitzen Pfarrhaus in Köln zur Nachfeier der Verlobung unserer Kinder Frank und Janine. Die Nachfeier war deshalb notwendig geworden, weil die Beiden ihre Verlobung mitten in die Woche gelegt hatten. Sie terminisierten diese auf den 28. August 1996, dem Tag als sich in England Prinz Charles und Lady Diana scheiden ließen. Na ja, Königskinder sind auch nur Menschen wie du und ich. Aber die Scheidung des Söhnchens der Queen war natürlich nicht der Anlass für den Verlobungstermin. Das war noch nicht einmal Thema des Abends. Am meisten wurde dank drei angehender Lehrer, Mareikes Schwester ist nämlich auf dem gleichen Weg wie sie und Jean, über die Reform der deutschen Rechtschreibung diskutiert. Der Vertrag dazu wurde ja knapp vorher von allen Staaten im deutschen Sprachraum (Deutschland, Österreich, Schweiz) und den Staaten mit großen deutschen Minderheiten (Italien, Ungarn, Belgien, Rumänien) am 1. Juli dieses Jahres unterschrieben. Aber dieses nur so nebenbei. Maßgeblich für den Termin war Franks 24. Geburtstag. Ja, in der Regel sucht man sich ja für Verlobungen oder ähnlichen Anlässen den Geburtstag der Frau aus, das wäre bei Janine der 4. Oktober gewesen. Warum sie nicht den sondern Franks Geburtstag genommen haben sie uns jedoch nicht verraten. Franks Vater meinte zu fortgeschrittener Stunde, dass die Beiden wohl nicht mehr solange hätten warten können. Das löste bei Uli, die darauf in eine bestimmte Richtung assoziiert hatte, ein leichtes Entsetzen aus und sie fragte spontan ihre Tochter: „Janine, du bist doch nicht schwanger?“. Die Frage wurde ihr von unserem „neuen“ Schwiegersohn beantwortet: „Beruhige dich Schwiegermutti, sie ist es nicht. Wäre ja auch ein schlappes Zeichen für eine angehende Ärztin wenn sie nicht richtig verhüten könnte.“ Darauf hätte ich beinahe in die Patsche getreten und getönt, dass sich der angehende Pastor nun dahingehend verraten hätte, dass er auch nicht keusch und züchtig in die Ehe geht. Zum Glück war da Mareike mit irgendetwas zwischengewirbelt, was ich aber jetzt beim besten Willen nicht mehr weiß. Diese Verlobungsgeschichte ließt sich wie ein Happyend. Schön wäre es gewesen, wenn es in diesem Kapitel wirklich eines gewesen wäre aber noch einmal in diesem Jahr sollten Freund und Leid bei uns als vereinte Geschwister auftreten. Diesmal sollte Freud und Leid tatsächlich an einem Ort und Tag zusammen auftreten. Am 9. November 1996, einem Samstag, traf sich unsere komplette Familie zu einer außergewöhnlichen Feier in einem Restaurant, dass zwar entsprechend der kommunalen Grenzen zu Iserlohn-Letmathe gehört aber von den meisten Leuten Hagen-Hohenlimburg zugerechnet wird. Natürlich war die Tatsache, dass am vorangegangenen Dienstag Bill Clinton zum zweiten Mal zum Präsidenten der USA gewählt wurde, nicht der Grund warum sich die Familie Kleiner traf. Da könnte schon eher unser neues Auto als Anlass gesehen werden. Uli war vom TÜV von ihrem alten Wägelchen geschieden worden. Für uns, den Pleitiers, die vom Gerichtsvollzieher und den Inkassogeiern verfolgt wurden, eigentlich eine mittelschwere Tragödie. Auf der einen Seite mussten wir unsere Janine bei ihrem teueren Medizinstudium unterstützen. Dieses zwar nicht aus einer gesetzlichen Verpflichtung, auch nicht aus einem verbalen moralischen Grund sondern aus einem gesellschaftlichen Trotz. Soll es den, teilweise sogar dummen Kindern von Betuchten vorbehalten sein Ärzte zu werden? Ich war und bin der Meinung, dass ein jeder Mensch, gleichgültig seiner familiären und sozialen Herkunft, die Chance auf die bestmöglichste, seinen Neigungen entsprechenden Ausbildung haben muss. Es kann nicht angehen, dass der Geldadel aus seinen Kreisen Pseudo-Eliten züchtet und andere dauerhaft zum vom Oben verhöhnten Fußvolk
degradiert werden. Auf der anderen Seite musste ich meinem Chef die 3.000,- D-Mark (1533,88 Euro), die er mir anlässlich unseres Umzuges aus der Letmather Bruchbude in die Hohenlimburger Wohnung aus der Privatschatulle gepumpt hatte, neben der Lohnpfändung noch zurück zahlen. Davon hatte ich bis zu diesem Tag gerade mal etwas über die Hälfte geschafft. Wo sollte da das Geld für ein neues Auto herkommen? Wir sahen uns schon wieder vor die Situation gestellt, dass Uli wieder alles mit einem Fahrrad mit Beiwagen erradeln musste. Das ich mich wegen meines steifen Beines nicht auf ein Rad schwingen konnte brauche ich doch hier nicht zu wiederholen. Da kam mir mein Schwiegersohn Henk Schulte, Katjas Mann, und ein glücklicher Zufall sogar in einer besonderen Art zur Hilfe. Henks Onkel, der Besitzer der Metallwarenfabrik, war ein kleiner Automuffel. Er stellte sich ungern auf ein anderes Fahrzeug um. Und so hatte er seinen alten Daimler, ein 200-er Diesel mit Automatik, ganze elf Jahre gefahren. Der Wagen war topp gepflegt und wer sich nicht bei den Typen und deren Baujahren auskennt, hätte den glatt für neu halten können. Im Oktober 96 hatte er sich endlich zu einem Neuwagen durchgerungen. Bei dieser Gelegenheit hatte Henk gleich an mich gedacht. Ich konnte die Karre für 1.000,- D-Mark (511,29 Euro) haben. Nicht genug damit, ich konnte die 1.000,- D-Mark noch 200-marks-weise bei meiner Tochter abstottern. Ja, als Pleitier, der weder Karriere machen kann noch Kredit aufnehmen darf, hat man es in unserer Geldgesellschaft nicht so leicht. Armut kann man schlecht an fiktiven Geldgrenzen noch an Vergleichen mit anderen Ländern ausmachen sondern immer nur daran wie die Leute an einer Gesellschaft menschenwürdig teilhaben können. In diesem Sinne waren wir arm aber in Uli hatte ich eine starke Partnerin, so das wir gemeinsam das Beste daraus machen konnten. Dieses wäre ja genug Grund für eine Feier gewesen, zumal ich zum ersten Mal seit meiner Pleite im Jahre 1989 wieder selbst Auto fahren konnte. Aber das Ganze war nur ein zusätzlicher Grund, der eigentliche Anlass waren ein paar „runde Tage“ im Jahre 1996, die man üblicherweise etwas größer feiert aber bei uns aus diversen Gründen „ausfielen“. Finanziell waren wir ja auch nicht in der Lage alle drei Feste gebührlich zu feiern und dazu kamen dann jeweils noch andere familiäre Gründe. Der erste angefallene Tag war mein 50. Geburtstag am 12. Juni dieses Jahres. Sowohl bei Janine wie auch bei Jean und Mareike fielen in jener Zeit Klausuren an, die sie lieber bei und über ihren Büchern als bei Familienfeiern verbrachten. Wie ich ja schon mehrfach schrieb war Uli im gleichen Jahr wie ich geboren, dem zufolge fiel auch ihr 50. Geburtstag am 11. September an. Da wollte Uli aber nicht, dass ihr Geburtstag gefeiert würde. Sie fand es ungerecht weil meiner nicht gefeiert werden konnte. Da hatten wir dann noch ein Anlass, an dem wir die beiden Geburtstage hätten gleich mitnachfeiern können. Am 30. Dezember 1996 würden Uli und ich ein Silberhochzeitspaar sein. Da war aber dann meine Tochter Katja nicht im Lande. Die hatte zwar mit Ulis Fünfzigsten und unserer Silberhochzeit weniger zutun, da sie ja aus meiner ersten Ehe stammte. Aber einerseits bestand Uli, weil es ja auch um meinen Fünfzigsten gehen sollte, darauf, dass auch Katja mit Familie dabei sein sollte und andererseits hatte es Katja am meisten bedauert, das mein runder Geburtstag, den sie sogar als Geburttagsgeschenk finanzieren wollte, nicht gefeiert wurde. Diese wollte aber über Weihnachten und Neujahr in die USA zu ihrer Mutter und ihren dortigen Halbgeschwistern. Da haben wir uns dann ganz einfach einen willkürlichen Tag, eben diesen 9. November, der ja noch zusätzlich durch unser neues Auto gekrönt wurde, für eine Familienfete auserkoren. Es fing alles so schön an. Alle waren da: Jean mit seiner Frau Mareike, Janine mit ihrem Verlobten Frank, Katja mit ihrem Mann Henk und ihrer Tochter Monica –, der Jüngste, Hendrik, war bei seiner Wuppertaler Oma geblieben – Björn, unser Youngster, und meine Mutter. Auch Heiko, mein Stiefbruder, war mit seiner Frau für etwas über eine Stunde vorbei gekommen. Es verlief alles so schön harmonisch und fröhlich. Dann kurz vor Mitternacht wurde meine Mutter ziemlich bleich, fiel vom Stuhl und schien gar nicht mehr ansprechbar zu sein. Eine Gesichtshälfte war vollkommen verzerrt. Janine hat sich sofort um sie gekümmert und ich habe über dem Wirt den Notarztwagen rufen lassen. Janines Diagnose Hirnschlag wurde später vom Elseyer Krankenhaus bestätigt. Eine Stunde später verstarb meine Mutter. Unsere Feier, auf die wir uns alle so lange gefreut hatten und die so gut begonnen hatte, fand so ein jähes, sehr tragisches Ende. Mit dem Tod meiner Mutter wurde auch die Serie, wo Freud und Leid als Geschwister auftraten, beendet. Aber es sollte noch nicht das letzte tragische Schicksal in unserer Familie sein. Es sollte noch sehr, sehr schlimm kommen. Davon berichte ich aber dann im nächsten Kapitel. Bevor ich Sie aber zum Umblättern verleite, möchte ich aber noch einer Chronistenpflicht nachkommen. Bisher habe ich immer an entsprechender Stelle auf besondere Ereignisse, insbesondere wenn sie zu bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen führten, hingewiesen. Da komme ich schlecht umhin, das Kapitel über die Ereignisse des Jahres 1996 abzuschließen ohne zu erwähnen, dass am 18. November 1996 die T-Aktien, die Anteilsscheine an dem zweitverschuldesten Unternehmen der Welt, der Deutschen Telekom, an der Börse ausgegeben wurden. Damit war der Starschuss zur Offenbarung des Massenschwachsinns gegeben. Die Begierde triumphierte über einfachste Vernunft. Auf einmal waren Aktien keine Firmenbeteiligungen, also Risikopapiere, mehr sondern sie wurden für sichere Anlagen mit überproportional steigenden Wert gehalten. Äußerst wildgewordene Internet-Yuppies, die kaufmännisch noch lange nicht trocken hinter den Ohren waren, gründeten
mit fantastischen Illusionen Aktiengesellschaften, die nicht einmal soviel Geld wert waren wie die Briefbogen, auf denen sich darstellten, und schafften es die Kurse über den Mond hinaus schießen zu lassen. Wenn man kritisch auf mögliche Folgen, die später tatsächlich eintraten, hinwies wurde man verhöhnt und als jemand, der überhaupt keine Ahnung hat dargestellt. Was spielte es da für eine Rolle, dass ich einstmals zum Vorstand der Schweikart AG gehört habe. Alle waren auf einmal Börsenexperten obwohl sie noch nicht einmal elementare Grundbegriffe aus dem Aktiengeschäft kannten. Auf einmal wollten alle reich werden und waren richtig geil auf hochspekulative Werte. Da traten dann neunmalkluge Journalisten in den Medien auf, die, wenn das stimmte was sie palaverten, längst Multimillionäre sein müssten. Sogenannte Analysten schwindelten das Blaue vom Himmel. Was die verzapften waren keine Analysen sondern Propaganda für Abzock-KünstlerFantasien. Da gab es dann Deppen, die Kredite aufnahmen um an der Börse mitspekulieren zu können. Als Ende 2001 alles vorbei war, waren Milliardenwerte zum Schaden der Volkswirtschaft vernichtet worden. Die Blödies, die aus lauter Geldgier das Denken abgestellt hatten, fühlten sich, weil sie viel verloren hatten, auf einmal als Opfer. Ich weiß nicht, ich kann mit diesen Leuten kein Mitleid empfinden. Wer so dumm ist und sich auf den Aktienschwindel, der mit der Ausgabe der T-Aktie begann, einzulassen, hat doch wohl einen solchen Denkzettel verdient und ein mahnendes Exempel für die Nachwelt muss es ja auch geben. So, das soll aber jetzt reichen, jetzt schließe ich endgültig das Kapitel.
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Ihr müsst voneinander lassen Zunächst gedachte ich dieses Kapitel mit der Formulierung „Nach dem Tode meiner Mutter gab es zunächst einmal normale Zeiten“ zu beginnen. Aber dann schweiften meine Gedanken von dannen. Ich fragte mich, was in diesem Zusammenhang denn eigentlich normal sei. Jetzt könnte ich scherzend und sprachlich etwas flapsig „Normal ist alles was nicht unnormal ist“ formulieren und dann stehe ich vor der großen Frage, was denn nun wieder unnormal ist. Ist ein Aufstieg und ein späterer Fall auf der Karriereleiter etwa unnormal? Ist die Gründung von Firmen und deren Pleite unnormal? Ist es unnormal, wenn Leute geboren werden und sterben? Ist es unnormal wenn sich Leute verlieben und wieder auseinandergehen? Im Grunde müsste man doch sagen, dass alles nur normal ist – und was anderes ist in meinem Leben ja auch nicht passiert. Nur wie und in welcher Reihenfolge es passiert ist, ist etwas außergewöhnlich. Aber auch dieses ist wieder normal, denn kein Schicksal gleicht dem anderen und daher verläuft das Leben eines jeden Menschen anders, also immer außergewöhnlich. Auch das es im Leben mal hektischer und aufregender und mal ruhiger und harmonischer verläuft ist nichts außergewöhnliches sondern auch dieses ist ganz normal. Und damit bin ich nun bei dem, was ich eigentlich schreiben wollte. Nach dem es im Zeitraum von Karneval 1995, wo mein Stiefvater starb, bis zum 9. November 1996, wo meine Mutter starb, laufend zu neuen aufregenden Situationen gekommen war trat jetzt erst einmal eine kurze Zeit der Ruhe und „Erholung“ ein. Ich kann mich nur an eine erzählenswerte Situation im ersten Halbjahr 1997 erinnern. Unser inzwischen Siebzehn werdender Sohn Björn hatte seinen ersten richtigen Liebeskummer. Nach seinen Worten hatte er sich in ein superhübsches, nettes und intelligentes Mädchen, ohne die er nicht mehr leben zu können glaubte, verknallt. Aber die Liebe war nur einseitig, sie zeigte unserem Jungen die „kalte Schulter“. Sie hatte unserem Björn klipp und klar gesagt, dass Jungens, die jedem weiblichen Wesen mit nur einem Ziel nachsteigen, nichts für sie sei. Unser kleiner Minicasanova war also Opfer seines eigenen Frauenheldentums geworden. Na ja, so was oder so etwas ähnliches erleben sicher zwei von drei Jugendlichen. Das gehört halt zum Erwachsen werden dazu und ist daher auch nichts Unnormales oder Aufregendes. Aus diesem Anlass gab es dann im Kreis unserer mittlerweile auf 3-Köpfigkeit geschrumpften Familie eine Diskussion über die ich bis heute ab und an mal nachdenken muss. Björn erklärte, dass bei ihm die Liebe so entbrannt sei, dass er, wenn er nicht bald Erfüllung finden würde, noch verrückt werden würde. Uli fragte, zunächst nur scherzhaft gemeint, nach was denn Liebe wirklich sei. Daraus ergab sich dann eine interessante und denkwürdige Diskussion. Wir waren uns sicher, dass das was zwischen Uli und mir bestand wirklich Liebe war. Beide hatten wir das Gefühl für einander da sein zu müssen und waren bereit dem Anderen zu geben und von ihm zu nehmen. Wir teilten uns die Freude genauso wie das Leid. Beide hatten wir das Gefühl ohne dem Anderen nur eine halbe Portion zu sein. Jetzt kommt aber das Denkwürdige: Das war aber alles im Laufe der Zeit gewachsen, dass war aber nicht von Anfang an da gewesen. Was war es dann aber, was uns zusammenführte? So ganz naiv waren wir immer von Liebe auf dem ersten Blick ausgegangen. Mit Sicherheit hat uns nicht das Gefühl für einander da sein zu wollen, mit dem anderen alles teilen zu wollen, zusammengeführt. Da gab es ganz andere, egoistische Gründe. Ich spreche jetzt nur mal von meiner Position. War es nicht Ulis äußere Erscheinung, die Art wie sie sich gab und der Duft, der von ihr aus ging, die in mir Neugierde und Lustbegierde auslösten? Begehrte ich nicht zunächst nur den Körper einer tollen Frau und nicht den Menschen, die Partnerin? Hatte diese „Liebe auf den ersten Blick“ überhaupt was mit Liebe zutun oder war das „nur“ Sexualität? Auf jeden Fall war das sexuelle Erleben am Anfang wichtig, damit sich die Liebe, wie ich sie zuvor beschrieb, erst entwickeln konnte. Was ist aber, wenn sich aus dem sexuellen Erleben, was man für Liebe hält, keine wahre Liebe und Partnerschaft erweckt wird. Irgendwann wird ja die erste brennende Neugierde gedämpft; irgendwann empfindet man das körperliche Beisammensein mit ein und dem gleichen Partner nicht mehr als wildes Abenteuer sondern nur noch als schönes aber ansonsten normales Erlebnis. Ja, wenn sich dann bis dahin keine Liebe eingestellt hat, dann ist der Wunsch nach einem neuen Partner, der einen dann das in einer spannenderen Neuauflage bietet was der „alte“ nicht mehr bringt, nachvollziehbar und verständlich. Ich habe mal gelesen, dass sich das erste heiße Interesse nach zirka zwei Jahren in eine Alltäglichkeit aufgelöst hat. Ist das die Erklärung dafür, dass heute so viele Ehen nicht über das „verflixte dritte Jahr“ hinaus kommen? Nimmt die Zahl dieser Lebensabschnittspartnerschaften nur deshalb zu, weil immer mehr Leute das erste körperliche Begehren mit Liebe verwechseln und sie gar nicht mehr bereit sind, mit einem Partner oder einer Partnerin teilen zu wollen? Heißt das nicht, dass die Liebe gestorben ist? Ich habe echt Mitleid mit den Leuten, die Sexualität und Erotik mit Liebe verwechseln weil sie Letztere, die das Größte im Leben eines Menschen ist, gar nicht erst kennen lernen. Nach meiner Meinung existieren diese Leute doch glatt am Leben vorbei. Obwohl diese Diskussion rein philosophisch und allgemein war, hat sie unserem Sohn bei seinem individuellen Problem doch sehr geholfen. Er begann darüber nachzudenken ob „Flachlegen und Bumsen“ – dieses sind seine
eigenen Worte – wirklich das Ziel aller Dinge sind oder ob zum glücklichen Leben mehr gehört; so etwas, wie er ebenfalls laut seinen Worten, bei seinen Eltern vorfand. Dann dachte er darüber nach, ob seine „Angebetete“ nicht etwa weiter wäre wie er und so etwas suche was wir in unserer Diskussion als wahre Liebe definiert haben. Seine Überlegungen führten dann dazu, dass er sein eigenes Verhalten kritisch unter die Lupe nahm und selbst zu dem Schluss kam, dass er sich allgemein wie ein unreifer pubertierender dummer Junge benähme und deshalb sein „Traumgirl“ nichts von ihm wissen wollte. Dieses wollte er jetzt als „Warnung“ verschmerzen und sich zu einem „richtigen Mann“ durchringen. Zunächst wandte er sich jetzt ein wenig vom weiblichen Geschlecht ab und konzentrierte sich erst mal auf sein bevorstehendes Abitur. Na ja, ein Jahr später wurde auch er mit einem glänzenden Abitur dafür belohnt. Und dieses trotz der tragischen Ereignisse, die uns ausgerechnet in dieser Zeit treffen sollten. Wenn jetzt jemand fragt warum ich diese nebensächliche Geschichte von Björns Liebeskummer niedergeschrieben habe, dann muss ich bekennen, dass dieses nur aus dem Grund geschah um nicht einen größeren Zeitraum einfach zu überspringen. Wie ich schon anfangs schrieb, passierte seit dem Tode meiner Mutter, im November 1996, bis nach unserem Urlaub im August 1997 ansonsten nichts, was es sich lohnte, der Nachwelt zu erhalten. Auch der Urlaub zeichnete sich nicht durch Großereignisse aus. Vielleicht ist es erwähnenswert, dass wir noch einmal nach Langweer in Westfriesland/Niederlande fuhren. Also in das Örtchen, wo Uli und ich unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten. Diesmal erschien ich dort aber nicht als der hoffnungsvolle Nachwuchsmanager, der seine Show auf der Yacht seines befreundeten Bosses lieferte, sondern als Pleitier, von dem der Glanz mehr abgebröckelt war als vom „Hotel de Wielen“, in dem wir jetzt einkehrten. Diesmal erschienen wir auch nicht im funkelnagelneuen Firmen-Daimler sondern in einem zwölf Jahre alten Wagen, allerdings von der gleichen Marke. Diesmal waren wir auch nicht nur zu Zweit sondern zu Dritt. Hatte es doch unser Björn es von sich aus vorgezogen mit seinen Eltern in den Urlaub zu fahren. Da wir es mit dem Geld nicht so dicke hatten bezogen wir nur ein Zimmer, also Björn schlief mit uns zusammen. Dieses wäre jetzt eigentlich alles gewesen, was von diesem Urlaub berichtenswert gewesen wäre, wenn nicht Uli zunehmendst über Schmerzen und Spannung sowohl im Unterleib wie in der Brust geklagt hätte. Sie war auch richtig schlapp und blieb am Liebsten auf dem Zimmer. Letztlich reisten wir deshalb auch einen Tag eher wie vorgesehen ab. Gleich nach unserer Rückankunft suchte sie ihren Frauenarzt auf. Sie kam mit einer Einweisung in das Allgemeine Krankenhaus in Hagen wieder nach Hause. Als sie nach Hause kam um sich ein paar Sachen zusammenzupacken und das ich sie ins Krankenhaus fahren sollte, setzte sie sich erst einmal im Wohnzimmer auf die Couch und weinte bitterlich. Darüber war ich zunächst einmal sehr erschrocken und ging auf sie zu, nahm sie in meine Arme und fragte was los sei, worauf sie mir schluchzend offenbarte, dass ihr Frauenarzt vermutete, dass sie Krebs im fortgeschrittenen Stadium habe. Er wollte sich aber nicht festlegen lassen und hat sie deshalb ins Krankenhaus zur näheren, gründlichen Diagnose eingewiesen. Er hatte dann auch gleich mit dem Krankenhaus telefoniert. Uli hatte eingewandt, dass man ja nichts überhasten müsste, worauf der Arzt ihr aber dringend riet keinen weiteren Tag mehr zu verlieren. Jetzt hatte Uli Angst, fürchterliche Angst. Auch ich hoffte, dass alles nicht so schlimm sei und sich alles zum Besten kehren würde. Meine Hoffnungen formulierte ich als Trost für meine jetzt total am Boden zerstörte Frau. Etwas über vier Wochen musste Uli jetzt im Krankenhaus bleiben. Der Verdacht des Frauenarztes bestätigte sich leider in einer fürchterlichen Weise. Sie hatte nicht nur ein Krebsgeschwulst sondern gleich mehrere. Sowohl in beiden Brüsten wie im Unterleib. Ein Arzt und Psychologe führte mit uns ein längeres Gespräch. Er bereitete uns darauf vor, dass Uli nicht mehr lange leben würde. Operationen hätten nur eine ganz minimale Erfolgschance; weniger als ein Prozent. Dafür gäbe es aber ein hohes Risiko, dass sich durch Eingriffe Ulis Leben verkürzen würde. Wir müssten nun entscheiden ob wir den Operation zustimmen wollten. Das einzig Sinnvolle was jetzt getan werden könne wäre eine intensive Schmerztherapie, da die Schmerzen jetzt kontinuierlich zunehmen würden. Uli bat um Ehrlichkeit und fragte wie viel Zeit ihr dann noch bliebe. Diese Frage beantwortete dieser Arzt nicht, da er in diesem Fall nur für die Übermittlung der Hiobsbotschaft zuständig war. Sie musste später vom behandelnden Arzt beantwortet werden. Ich war dabei nicht anwesend und daher weiß ich nicht wie Uli selbst dieses zunächst aufgefasst hat. Auf jeden Fall erfuhr ich davon als ich sie zusammen mit Janine am Nachmittag besuchte. Die Auskunft war für mich so niederschmetternd, dass Janine lange Zeit benötigte um mich wieder aufzurüsten. Der Arzt hatte Uli gesagt, dass ihr nur noch ein halbes bis maximal ein dreiviertel Jahr bleiben würde. Ich erfuhr an dem Samstag vor Ulis 51. Geburtstag, ich glaube es war der 6. September 1997, von dieser schlimmen Prognose. Heute weiß ich nicht mehr sehr viel davon, was in meinem Kopf vorging. Ich weiß nur noch, dass es mich fast verrückt machte, dass meine geliebte Frau nicht mehr ihren 52. Geburtstag erleben sollte. Sogar jetzt, wo ich diese Sache niederschreibe stehen mir die Tränen in den Augen, denn Uli war ja noch so jung. Ich konnte immer nur fragen: „Warum, warum?“. An diesem Samstag hatte nicht nur ich sondern Millionen von Menschen Tränen in den Augen. Allerdings kümmerten die sie nicht um unser Leid sondern bei denen ging es um Diana, der Prinzessin von Wales, die die Leute die „Königin der Herzen“ getauft hatten. Am
frühen Morgen des vorrangegangenen Sonntags war Diana zusammen mit ihrem Geliebten Dodi al-Fayed, der Sohn eines arabischen Hotelkettenbesitzers, und deren Fahrer in Paris in den Tod gerast. Sie sollen vor einer Meute von Sensationsreportern, sogenannten Paparazzia, geflohen sein. Der Fahrer soll auch ein paar Promille Alkohol im Blut gehabt haben. In einem Tunnel waren sie gegen eine Wand „geknallt“. Für Lady Diana fand also an diesem Tag in London die Trauerfeier statt. Ich habe jetzt mal gelesen, dass sich 6 Millionen Menschen zur Teilnahme an der Trauerfeier nach London begeben und an den Fernsehgeräten gar 2,5 Milliarden Zuschauer gesessen hätten. Jetzt muss ich die werte Herz- und Tratschblatt-Leserschaft enttäuschen: Für mich war der Tod der Exschwiegertochter der Queen nur eine Nachricht, wie man sie tagtäglich aus den Medien erfahren kann. Ich war weder schockiert noch habe ich mitgetrauert. Das eigene Leid, die schwere Krankheit meiner geliebten Uli, füllte mein Gefühlsleben so aus, dass da kein Platz für ein Mitempfinden für Lady Diana mehr war. Aber selbst wenn ich nicht gerade selbst in einer Leidphase gewesen wäre, hätte mich der Fall der Exfrau des englischen Kronprinzen nicht besonders mitreißen können. Sind doch diese Leute Menschen wie du und ich. Ist es nicht Gotteslästerung, wenn wir verschiedene unserer Mitmenschen zu Halbgöttern erheben? Nach meiner religiösen Auffassung sind wir Menschen alle gleichwertig. Alle die wir leben kommen nicht von der Sünde los aber wir sind seine Geschöpfe nach seinem Bilde und damit das Wertvollste, was es auf dieser Welt gibt. Wie viel ist eine Diana Spencer mehr wert als eine Ulrike Kleiner geborene Breuer. Für mich hat Letztere einen wesentlich höheren Wert. In der letzten Zeile sind die Worte „für mich“ das Wichtigste, objektiv gesehen sind beide gleichwertig. In jener Zeit besuchte ich Uli täglich, was ja eigentlich selbstverständlich sein sollte. Meine Arbeit fiel mir damals sehr schwer, denn immer war ich in Gedanken bei Uli. Mal dachte ich an all die Momente, die ich mit ihr erleben durfte und mal war ich in den Gedanken direkt bei ihr im Krankenzimmer. Ich habe in dieser Zeit mehr gebetet als in meinem ganzen Leben zuvor. Immer wieder bat ich Gott darum, dass er doch noch mal das scheinbar Unabwendbare abwenden sollte. Auf das richtige Gebet „Herr, dein Wille geschehe“ bin ich damals nicht gekommen. Aber ich glaube, dass so etwas menschlich ist und schon eine Menge Kraft dazu gehört es andersherum zu machen. Was mir jedoch seltsam erscheint ist, dass ich Angesichts des Leides nicht an Gott zweifelte und mich nicht von ihm abgewendet habe sondern im Gegenteil: Meine Religiosität steigerte sich. Ich glaube nun, dass ich jetzt verstehe, was der Apostel Paulus meinte als er im Römerbrief schrieb: „Aber nicht nur das, sondern wir rühmen uns auch in den Trübsalen, weil wir wissen, dass die Trübsal Standhaftigkeit wirkt; die Standhaftigkeit aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung.“. (Römer 5,3) Wie ich schon zuvor schrieb stand in dieser Zeit Ulis 51. Geburtstag, der ihr letzter sein sollte, bevor. Bekanntlich war dieses auch Jeans 25. Geburtstag. In Anbetracht dieser Tatsache rechne ich es unserem Jungen hoch an, dass er trotz seines eigenen Ehrentages mit seiner Frau Mareike anreiste um seiner Mutter einen Geburtstagsbesuch im Krankenhaus abzustatten. Am Abend als ich zusammen mit Björn Uli besuchte war sie ganz stolz, wie fein sich doch unser Ältester entwickelt hatte. Auch aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass ich auf alle meine Kinder recht stolz bin. Jetzt habe ich „meine“ geschrieben, weil ich da auch meine älteste Tochter Katja mit einbeziehen möchte, die übrigens auch an diesem Donnerstag, dem 11. September 1997, einen Geburtstagsbesuch bei Uli machte obwohl diese ja gar nicht ihre Mutter ist. Die bis jetzt erwähnten waren des Morgens erschienen, am Nachmittag kamen dann Janine und Frank, was, ohne den Anderen und mir selbst auf den Schlips treten zu wollen, der wohl wichtigste Besuch während Ulis erster Krankenhauszeit war. Einmal stellte Frank unter Beweis, dass er mal ein guter Pastor werden wird. Ich kenne keine Details seines Gespräches mit Uli. Ich weiß nur, dass er Uli davon berichtete, dass Gott niemand mit Armut, Krankheit, Behinderung und Tod bestrafe aber auch niemand mit Gesundheit und Wohlstand belohne obwohl er alles vorbestimmt hat. Er sprach von der doppelten Prädestination so wie sie der Reformator Calvin aus dem Römerbrief erlesen hatte. Nach Franks Ansicht geschieht alles nur um unsere Seele fit für die Ewigkeit zu machen. Wer nie gelitten hat, nie verzweifelt war und nie Schmerzen empfunden hat, kann auch keine Liebe und kein Glück erfassen. Jemanden der nie Not gelitten hat wird gar nicht bewusst was Liebe und Glück ist aber nur mit diesem Bewusstsein können wir ewig leben. Gott hat uns nicht geschaffen damit wir wieder vergehen sondern dass wir mit ihm ewig leben. Das Leid ist also keine Strafe sondern ein Zeichen seiner Liebe und Gnade. Das Leid macht es uns möglich ihn zu erkennen und wer Gott erkannt hat, dem ist das ewige Leben verheißen. Was ich jetzt in Kurzform wieder gegeben habe hat Frank mit so guten Worten rüber gebracht, dass Uli nun keine Angst mehr vor dem Tod hatte. Sie war sich nun gewiss, dass dieses Leben nur eine Vorstufe des wahren Lebens, in welches sie nun sehr bald hinüberwechsele, ist. Die Folge war auch, dass sich ihr Gesamtzustand zunächst einmal wieder besserte. Sogar so, dass sie eine Woche später erst mal wieder nach Hause entlassen wurde. Auch ein bevorstehendes Fest dürfte eine Rolle bei der Besserung von Ulis Zustand eine Rolle gespielt haben. Am 2. Oktober dieses Jahres wollten Janine und Frank standesamtlich heiraten aber nicht feiern. Erst am Samstag, dem 4. Oktober 1997, sollte nach der kirchlichen Trauung eine ruhige Feier für alle Angehörigen der
Familien Schmitz und Kleiner stattfinden. Als eigentlichen Hochzeitstag wollten sie den 4. Oktober 1997, Janines Geburtstag, fixieren. Wäre dieses kein Samstag gewesen, hätten sie sich auch am gleichen Tage standesamtlich trauen lassen. Aber bis 1999, wo der 4. Oktober wieder auf einen Tag fällt, an dem die Standesämter geöffnet sind (Montag), wollten sie auch nicht mehr warten. Verlobt haben sie sich auf seinem Geburtstag und geheiratet haben sie auf ihrem Geburtstag. Auch Janine und Frank wollten wie ihre Geschwister Mareike und Jean in unserer Gegend heiraten. Einmal war es der gleiche Grund wie ihn Mareike und Jean vorgetragen hatten und zum anderen wollten sie es Uli, der Brautmutter, ermöglichen irgendwie an dieser Hochzeit teilnehmen zu können. Diese Absicht hatten Uli und mich doch sehr gerührt. Auch diese Nachricht hatten sie Uli überbracht als sie bei ihr den Geburtstagsbesuch abstatten. Ich erfuhr dann des Abends beziehungsweise am Spätnachmittag, als ich meine Frau zusammen mit unserem Jüngsten besuchte, davon. Da gab es dann noch eine herzzerreißende Szene. Björn, der von Anfang an, ganz still neben dem Bett seiner Mutter saß, begann auf einmal fürchterlich zu heulen und schluchzte immer wieder „Mama, liebste Mama, du darfst nicht sterben. Ich brauche dich doch noch so sehr.“. Ich saß, ebenfalls mit Tränen in den Augen, neben ihm und empfand genau so wie unser jüngster Sohn. Da wurde uns bewusst, was jetzt anstand: Wir mussten Abschied nehmen. Erstmalig in meinem Leben wurde mir bewusst, dass das schwerste am Sterben der Abschied ist. Uli brachte es auf einmal auf dem Punkt: „Alle unsere Lieben sind gestorben ohne das wir uns richtig von ihnen verabschieden konnten. Haben wir nicht großes Glück, dass uns die Zeit zum Abschied nehmen geschenkt wird?“. Als Uli aus dem Krankenhaus entlassen worden war blühte sie erst einmal wieder richtig gehend auf. Zeitweilig wirkte sie wie die alte, gesunde Frau. Da trieb mich mein Wunschdenken zu einer Art Wunderglaube. Gab ich mich doch der Hoffnung hin, dass ein Wunder Uli von ihrem Krebs geheilt habe, sie nun wieder gesund würde und sie noch lange leben werde. Wenn ich dieses vorsichtig äußerte holte mich Uli mit Worten, die mir auch mein Verstand einflüsterte, immer wieder auf den Teppich: „Ach Schatz, verrenn dich doch bitte nicht in Illusionen. Damit programmierst du doch nur einen fürchterlichen Absturz, den die Wirklichkeit auslöst, vor. Krebs ist eine bösartige Gewebewucherung, die alles in ihrer Umgebung auffrisst. Du wirst praktisch von Innen von deinem eigenen Körper aufgefressen. Da gegen kann man nur im Anfangsstadium vorgehen in dem man das Geschwulst herausschneidet und durch Chemotherapie die Entstehung neuer Geschwülste verhindert. Das ist aber alles bei mir zu spät. An zu vielen Stellen sitzt bei mir der Krebs. An einigen Stellen kann man ein Geschwulst nur noch operativ entfernen, wenn man befallene, lebenswichtige Dinge mit herausschneidet. Jetzt bleibt mir nur eins: So lange zu leben, wie mir Gott dazu die Zeit gibt ... und das ist nicht mehr so lange. Darin sollten wir beide uns fügen; ändern können wir so oder so nichts mehr.“. „Hast du denn davon vorher nichts gemerkt?“, wollte ich dann meistens wissen. Diese Frage habe ich ihr, eigentlich im übertriebenen Maße, immer wieder gestellt. Ich konnte Uli nur bewundern, weil sie mir darauf immer geduldig antwortete. Ihre Antwort war aber immer gleich: „Ich muss ganz ehrlich ‚jein’ sagen. Natürlich habe ich mal Ziehen, Druck oder gar stechenden Schmerz vernommen. Oft fühlte ich mich auch ganz kaputt. Ich habe aber alles nicht für wichtig genommen und nie richtig bewertet. Darauf habe ich dann nicht reagiert. Alles wurde aber zunehmendst ärger, bis ich es im Urlaub nicht mehr ignorieren konnte. Was nützt es mir jetzt, wenn ich feststelle, dass ich mit Vorsorgeuntersuchungen vieles oder gar alles hätte verhindern können. Wenn ich diese ernst genommen hätte und hingegangen wäre, könnte ich vielleicht noch lange leben. Aber ich bin nicht hingegangen und nun ist es zu spät. Es bringt aber nichts, wenn ich jetzt mit meinem Vorleben hadere ... geschehen ist geschehen. Jetzt bleibt mir nur Abschied zu nehmen und auf die Verheißung unseres Gottes zu vertrauen.“. Diese Worte rührten mich immer so an, dass ich still vor mich hin weinen musste. Die Zeit nach ihrem Krankenhausaufenthalt nutzten wir sehr viel zum Schmusen und Kuscheln. Auf Ulis Wunsch hatten wir auch noch öfters richtigen Geschlechtsverkehr. Aber richtig wohl war mir bei dieser Sache nicht. Ich hatte immer Angst ich könnte ihr zusätzliche Schmerzen bereiten. Statt bei der Lust war ich in Gedanken immer bei der weitgehensten Vorsicht, damit ich Uli nichts zufügte. Das ließ ich mir natürlich nicht anmerken sondern ich bemühte mich immer meinen Spaß an der Lust vorzutäuschen. Na ja, Leute, die so lange miteinander leben wissen schon ganz gut, was mit dem Anderen los ist und da kann man sich nichts vormachen. So fragte Uli stets: „Schatzi, ich habe das Gefühl, dass es dir keinen Spaß gemacht hat. Möchtest du nicht mehr mit mir schlafe?“. In einer Vorwärtsstrategie blieb mir da nichts anderes als ihr die Wahrheit zu gestehen. Aber grundsätzlich fügte ich an: „Ich mache es aber gerne und es macht mir auch Freude, weil ich weiß, dass ich dich damit glücklich machen kann ... und wenn du glücklich bist, dann bin ich es auch.“. Und diese Worte machten Uli dann tatsächlich glücklich. Jetzt habe ich drei Mal das gleiche Wort (glücklich) geschrieben. Das ist stilistisch bestimmt nicht schön aber es war nach meiner Meinung das einzig treffende. Eines wurde aber für Björn und mich zu einem Leidwesen: Die Hausarbeit. Aber jetzt nicht daran denken, dass ich meutern wollte weil dieses jetzt an uns hängen blieb. Nein, das Gegenteil war der Fall. Uli war gerade aus dem Krankenhaus zu Hause als sie sich dieser Tätigkeit annahm als läge sonst nichts an. Wenn ich ihr sagte
„Ach Mausi lass mal, das können Björn und (oder) ich doch machen“ war sie immer gleich eingeschnappt. Recht makaber kam für mich ihre Redensart „Tue doch nicht immer so als sei ich eine Greisin, die schon dem Tod auf der Schüppe steht“ rüber. Greisin war sie ja noch nicht aber dem Tod stand sie ja leider doch schon auf der Schüppe. Natürlich hatte Uli jetzt nicht mehr die Ausdauer und Kraft wie noch ein halbes Jahr zuvor und ab und zu musste sie auch die Arbeit wegen Schmerzen abbrechen. Bei solchen Gelegenheiten beschwor sie dann Situationen herauf, die mich oder Björn doch mal innerlich vor Ärger kochen ließen. Immer wenn wir andere persönliche Dispositionen getroffen hatten, zum Beispiel wenn wir uns tatsächlich mal etwas im Fernsehen ansehen wollten, hatte Uli eine größere Haushaltsaktion begonnen, die sie nicht durchhalten konnte und wir anschließend nicht liegen lassen konnten. Zwar haben sich Björn und ich uns, wenn Uli nicht in Reichweite war, darüber ausgesprochen aber gesagt haben wir ihr nichts davon. Wir mühten uns sogar jede diesbezügliche sichtbare Gemütsregung absolut zu unterdrücken. Zu kurz war doch die Zeit, die uns noch mit der geliebten Frau oder Mutter blieb. Dann kam der 3. Oktober 1997, der Tag, an dem ich meinen letzten „Streit“ mit Uli hatte. Das Datum konnte ich mir ja gut merken, weil dieser Tag ja seit 1990 Feiertag ist und am Folgetag unsere Tochter Janine Geburtstag hatte und dann auch in ihrem Kalender Frau Schmitz werden wollte. Mit staatlichen Segen war sie dieses ja schon am Vortag geworden. Und genau darum ging es. Uli war es den ganzen Morgen offensichtlich schlecht gegangen. Gesagt hatte sie nichts aber man konnte es an ihrem zeitweilig schmerzverzerrten Gesicht und an ihren Körperkrümmungen sehen. Immer wenn ich fragte was sei bekam ich „Nichts“ zur Antwort. Als ich sie dann fragte ob ich unseren Hausarzt anrufen sollte – für solche Fälle hatte er mir extra seine private geheime Handy-Nummer gegeben – bekam ich zur Antwort: „Nein. Warum denn, es ist doch nichts.“. Aber ich tat es dann trotzdem und das war dann der erste Streitpunkt. Nachdem der Arzt da war, ihr eine Spritze gegeben und sie sich ein Wenig beruhigt hatte, war der erste Streitpunkt erledigt. Sie fand es dann sogar richtig was ich gemacht habe, entschuldigte und bedankte sich bei mir. Dann zog aber der zweite gravierende Streitpunkt herauf. Janine war mit Frank vorbeigekommen um mal nach ihrer Mutter zu schauen. Unsere Tochter erklärte ihrer Mutter, dass sie, wenn es ihr am nächsten Tag nicht gut gehen würde, besser zuhause bleiben solle. Sie würde es ihr auf keinen Fall übel nehmen. Das Brautpaar wollte in dem Falle nach der kirchlichen Trauung erst einmal für zwei Stunden bei uns vorbeikommen, damit die Brautmutter auch an ihrem Glück teilhaben konnte. Ich weiß jetzt nicht ob Uli nur weil sie ihre Ruhe haben wollte oder ehrlich gemeint von dem Angebot gebrauch machen wollte. Daraufhin sagte ich zu Janine: „Kleines verstehe bitte, dass ich, wenn es der Mama nicht gut geht, auch nicht komme. Das ist beim besten Willen nicht gegen euch gerichtet aber ich gehöre halt zur Mama und sie gehört zu mir.“. Janine und Frank fanden meine Haltung selbstverständlich; aber Uli nicht. Daraus entwickelte sich dann ein Streit, der fast an alte bessere Tage erinnert. Solange wie das Brautpaar noch im Hause war hielt sich ja alles noch ein Wenig in Bahnen aber danach hat mir Uli kräftig, aber auch aus heutiger Sicht noch ungerechtfertigt, die Leviten gelesen. Na ja, wie üblich haben wir uns kurz danach aber wieder versöhnt und ab diesem Zeitpunkt nie wieder miteinander gestritten. Unser eheliches Streitbeil war danach für alle Ewigkeiten begraben. Dabei wäre der Streit überflüssig gewesen, denn am nächsten Tag ging es Uli den Umständen entsprechend recht gut. Wir waren gemeinsam in der Kirche und auch am Nachmittag waren wir gemeinsam bei der Hochzeitsgesellschaft mit dabei. Am Abend zogen wir uns dann jedoch zurück weil es doch alles recht anstrengend für Uli war. An diesem Abend haben wir noch richtig schön geschmust und gekuschelt. Nun waren unsere beiden großen Kinder aus dem Haus. Das Geschwisterpaar Kleiner hatte das Geschwisterpaar Schmitz geheiratet. Ab diesem Zeitpunkt wurden unsere – oder leider treffender ‚meine’ gesagt – Kontakte zu unseren Kindern rarer. Das ist aber nicht außergewöhnlich, denn so war es damals bei Uli und mir doch auch. Eine weitere Generation war herangewachsen und ging jetzt ihre eigenen Wege. Sowohl Jean wie seine Frau Mareike wurden Lehrer beziehungsweise Lehrerin. Mareike für die Grundschule und Jean unterrichtet heute an einem Gymnasium Mathematik, Physik und Informatik. Die beiden sind jetzt in Gronau, im Münsterland, direkt an der niederländischen Grenze tätig. Auch Frank ist wie er es wollte Pfarrer geworden und hat jetzt eine Pfarrstelle bei einer evangelisch-reformierten Kirchengemeinde im Siegerland. Während einer Zeit in ihrer jungen Ehe waren die beiden Schmitzen von einander getrennt, denn Uli absolvierte ihre Assistenzarztzeit an der Universitätsklinik in Münster und hat auch noch promoviert. Ich bin richtig stolz, wenn ich sagen kann das Dr. med. Janine Schmitz meine Tochter ist. Im letzten Jahr, also 2002, ist sie als Partnerin in eine Praxis eines jungen Landarztes, in dem Ort wo Frank Pfarrer ist, eingestiegen. Dieses Soziustätigkeit kommt ihr ganz gelegen, denn ... Ach Stopp, warten Sie es ab. Gelegentlich kommt sie, genau wie Jean und Katja auch, doch noch in meiner Geschichte vor. Ich will sie ja hier nicht aus meiner Biografie entlassen sondern ich habe nur die Gelegenheit für eine kleine Abrundung genutzt, damit ich jetzt nicht mehr einzelne Details aus dem Lebensweg meiner nun eigenständigen Kinder in meine Lebensgeschichte einfließen lassen muss. Ich hätte allerdings diese Zwischenbemerkung ganz unterlassen können aber dann wäre vielleicht später dieses oder jenes nicht so
verständlich gewesen. Jetzt aber schnell zurück zur eigentlichen Geschichte dieses Kapitels: Zur Endzeit meines Lebens mit Uli. Nach Janines Hochzeit ging es dann mit Uli langsam aber stetig bergab. Kräftemäßig konnte sie nicht mehr so und Phasen, in der sie der Schmerz übermäßig belastete, nahmen von Woche zu Woche zu. Bis etwa Mitte Oktober hatte man ihr äußerlich recht wenig ansehen können aber dann veränderte sich ihre Äußeres doch. Sie nahm immer mehr ab und auch ihre Haut wurde fleckig und es bildeten sich allerlei Knoten. Im November 1997 konnte sie es dann vor Schmerzen kaum noch aushalten und sie kam wieder ins Krankenhaus. Der Grund war der, dass sie nun Schmerzmittel benötigte, die ihr zuhause nicht gegeben werden konnten. Außerdem musste sie erst teilweise und dann ganz künstlich ernährt werden. Was für mich auch heute noch erstaunlich ist, dass sie noch bis zum 7. Februar 1998 lebte und das fast bei klarem Verstand bis in die letzte Stunde. Was die gelegentliche Beeinträchtigung ihres Verstandes anbelangt, bin ich der Meinung, dass dieses fast ausschließlich auf die Wirkung der Mittel, die man ihr geben musste, zusammenhing. Für uns war es eine traurigschöne Zeit des Abschiednehmens, die ich eigentlich nicht missen möchte. Gerade diese Zeit hat mir geholfen nach Ulis Tod dann doch wieder Tritt zu fassen und meinen Weg weiter zu gehen. Aber nicht nur ich nahm Abschied von Uli sondern auch Björn von seiner Mutter – dieses sogar sehr intensiv. Und für Uli war es, so wie ich es sehe, ein würdevoller Tod. An diesem 7. Februar 1998, ein Samstag, an dem in Nagano/Japan die Olympischen Winterspiele, die erstmals nicht im gleichen Jahr wie die Sommerspiele stattfanden, eröffnet wurden, besuchte ich Uli, wie immer an den Wochenenden, schon am Morgen. Sie sah fürchterlich aus. War sie doch inzwischen auf ein Gewicht von nur knapp über 30 Kilo geschrumpft. Ihr Gesicht war schon soweit eingefallen, dass man ihr die Verzerrungen aufgrund des Schmerzes schon gar nicht mehr ansah. Björn begleitete mich schon einige Zeit nicht mehr bei den Besuchen. Das war aber jetzt kein böser Zug unseres Jungens sondern er brachte es nicht übers Herz seine Mutter so zusehen. Nach seinen letzten Besuchen war er anschließend psychisch ein vollkommenes Wrack. Aber auch Uli hatte mich gebeten ihn nicht mehr mitzubringen, da es ihr auch wehtat, dass ihr Nesthäkchen sie in einem solchen Zustand sehen musste. Geistig war Uli aber ganz dabei. Sie sprach mit mir ganz vernünftig, allerdings über Themen, die in der letzten Zeit bei ihr zum kontinuierlich zum Standard gehörten. Sie machte sich Sorgen darüber wie Björn und ich ohne sie auskommen könnten. Immer wieder erinnerte sie mich daran, dass ich noch jung sei und nicht dazu bestimmt wäre alleine zu leben. Ich solle nicht in Trauer versauern und mich nach ihrem Ableben nach einer netten Partnerin umzuschauen. Um sie sollte ich mir keine Sorgen machen, denn sie würde jetzt heim zu unser aller Vater gehen. Da, wo es kein Leid, keine Sorgen und Schmerzen mehr gäbe würde es ihr besser ergehen und eines Tages wären wir bei Ihm wieder miteinander vereint. Am Nachmittag dieses Tages bekam sie auch Besuch von Janine und Frank. Ich war inzwischen mal zuhause gewesen und war dann zusammen mit unserer Tochter und unserem Schwiegersohn wieder bei ihr erschienen. Auch jetzt nahm sie das Thema, was ich so eben beschrieben habe, wieder auf. Jetzt mischte sich Frank ein und sagte: „Ihr müsst voneinander lassen. Unser Herr hat bestimmt, dass jetzt euere Wege auseinander gehen. Ihr könnt euch darauf verlassen, dass am Ende alles gut wird, denn der Herr hat das Leben nicht geschaffen damit es vergeht sondern das es ewig bestehe. Dich, liebste Mama, hat er jetzt schon zu sich gerufen und du Papa hast noch einiges auf dieser Welt zu erledigen, deine Tage sind noch nicht gezählt. Jetzt dürft ihr nicht auf der Wegschneise stehen bleiben und euch festhalten. Ihr macht es euch nur unnütz schwer. Lasst doch den Willen des Herrn geschehen und lasst voneinander.“. Als die jungen Leute gegangen waren bat mich Uli ihr die Hand zu geben und sagte leise und beschwerlich: „Du hast es gehört, wir müssen jetzt voneinander lassen. Ich bin nun dazu bereit. Sei nicht traurig, denn ich bin jetzt erlöst und der Tag, an dem wir bei Gott wieder vereint sind ist im Angesicht der Ewigkeit nicht mehr fern. Machs gut und bleib ein so feiner Kerl wie du bist. Du warst mein Leben und dafür danke ich dir.“. Ich musste weinen und konnte ihr nicht antworten, denn ich wusste in diesem Moment, dass dieses ihre Abschiedsworte waren. Ein Klos blieb mir im Halse stecken und hinderte mich daran sprechen zu können. Als ich mich ein Wenig gefasst und mir die Tränen aus den Augen gewischt hatte, bat mich Uli die Stationsschwester für sie zu holen. Warum, hatte sie mir nicht gesagt und ich wollte auch nicht groß fragen. Ich ging wie mir geheißen zum Schwesternzimmer und bat die diensthabende Schwester auf das Zimmer meiner Frau zu kommen. Sie kam gleich mit und als wir das Zimmer wieder betreten hatten war Uli bereits verschieden. Sie hatte tatsächlich losgelassen, sich förmlich verabschiedet und war gegangen. Es war für mich ein sehr schwerer Moment aber ich war dankbar dafür, dass uns die Gelegenheit zum Abschied gegeben worden war. Heute muss ich sagen, dass Uli Sterbestunde zu den wertvollen Erinnerungen meines Lebens zählt. Am Mittwoch der darauffolgenden Woche fand die Trauerfeier im Krematorium Hagen-Delstern statt. Laut ihrem Wunsch war nur die Familie bei dieser Gelegenheit dabei. Aber alle waren sie gekommen: Jean und Mareike, Frank und Janine und auch Katja war mit ihrem Mann Henk und ihren Kindern Monica und Hendrik erschienen. Obwohl Uli nicht ihre Mutter war rechnete sich Katja selbst zum festen Bestandteil der Familie Kleiner und wollte unbedingt dabei sein. Björn und mich habe ich jetzt nicht erwähnt, denn wir waren ja
schließlich vor Ort und unsere Teilnahme erscheint ja somit wohl selbstverständlich. Uli wurde, nach dem sie eingeäschert worden war, so wie sie es gewünscht hatte, auf dem anonymen Urnenfeld beigesetzt. Am Schwersten fiel es an diesem Tag unseren Björn. Man merkte ihm an, dass er seine Mutter abgöttisch geliebt hatte. Während wir anschließend noch bei uns in Hohenlimburg in der Wohnung zum Kaffeetrinken beieinander saßen, hatte sich Frank unseren Björn beiseite genommen und war mit ihm für eine halbe Stunde auf sein Zimmer gegangen. Danach erschien es unseren Jüngsten, der in der nächsten Zeit mit mir alleine leben musste, doch deutlich besser zugehen. Ganz offensichtlich besaß Frank die Gabe, die Menschen in ihren Sorgen und Nöten richtig anzusprechen. Nach dieser Trauerfeier war unsere Familie letztmalig vollzählig beieinander. Auch wir mussten jetzt voneinander lassen und unsere eigenen Wege gehen. Sehr viel war in der Zeit, in der ich mit Uli zusammen war und wir eine Familie begründet hatten, geschehen. Darunter war sicherlich vieles, was nicht so schön und angenehm war aber insgesamt betrachtet war es eine schöne Zeit, von der ich keine Minute missen möchte. An dieser Stelle möchte ich jetzt das Kapitel beenden, da ich keinen entsprechenden würdigen und pietätvollen Übergang finde. Aber das Leben ging und geht weiter, so dass ich nach der Zäsur des Kapitelwechsel doch noch einiges zu berichten habe.
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Die Erfahrung des Alleinseins Wenn ich mich richtig rückbesinne, dann war ich bis zum Tode meiner geliebten Uli noch nie allein. Nun, wenn man sich nicht zu einer Eremitage in einem menschenleeren Land entschlossen hat, dann ist man in der Tat auch nie allein. Immer ist man umgeben von Arbeitskollegen, Nachbarn, Passanten und so weiter und so fort. Dieses habe ich jetzt auch nicht gemeint. Vielmehr geht es mir bei meinen Worten um Menschen, die mir nahe stehen und mich durchs Leben begleiten. Als Kind hatte ich meine Eltern und Großeltern sowie Tante Herta und andere. Als meine Eltern geschieden waren war da immer noch meine Mutter, zu der dann Ingo Frank, mein Stiefvater, und meine Stiefbrüder kamen. Als ich recht frühzeitig meinem Elternhaus entflog, landete ich in Geismar, wo ich dann von Elke, Anna, ihrer Schwester, den Remmels, ihren Eltern, und Waymanns, meinen Verwandten, umgeben war. Die kleine Katja hatte sich gleich von Anfang an dazu gesellt. Nach meiner Scheidung kehrte ich in mein Elternhaus zurück und da holte mich dann Uli wieder raus. Vier Kinder – Jean, Janine, Björn und Arnika – gesellten sich hinzu. Arnika starb und die beiden Großen stellten sich auf eigene Füße und verließen das Haus. Da waren mir „nur“ Uli und Björn geblieben. Jetzt nach Ulis Tod war mir als letztes nur noch Björn geblieben aber der Zeitpunkt seines Davonfliegens war schon vorprogrammiert. Das Björn und ich zunächst noch eine Zeit beisammen waren hat uns in unserer Situation ganz offensichtlich gut getan. Hatten wir doch in uns gegenseitige Ansprechpartner, die miteinander ihre intimen Sorgen und Nöte austauschen konnten. Wir teilten uns unser Leid hinsichtlich unserer von uns geliebten Verstorbenen und konnten uns so gegenseitig aufbauen. Björn war für mich der Ansporn mich nicht hängen zu lassen, um meiner Arbeit ordentlich nach zu kommen und mich der Bewältigung des Alltags zu stellen. Und umgekehrt war es entsprechend, nur wo es bei mir Arbeit heißt steht bei ihm entsprechend Schule und Abitur. Erst erschien uns die verstorbene Frau und Mutter scheinbar immer noch allgegenwärtig zu sein. Immer wieder stießen wir auf Dinge, die bisher nur von ihr erledigt worden waren und die jetzt von uns zu bewältigen waren. Das ging schon bei der regelmäßigen Zurichtung der Mahlzeiten los, nur von Fasst Food, Eintöpfen und Schnellgerichten wollten wir ja auch nicht leben. Ich habe schon früher mal diese oder jene Speise zugerichtet und auch regelmäßig an den Wochenenden Uli bei dieser Tätigkeit unterstützt. Aber ganz allein hatte ich so etwas noch nie gemanagt. Damals, wenn ich mal als Koch aktiv wurde, konnte ich in der Küche immer aus dem Vollen schöpfen. Ich war vor allen Dingen beim Samstagseinkauf sehr oft dabei aber die Auswahl hatte Uli immer getroffen. Jetzt, wo ich allein einkaufen musste, hatte ich mich erst einmal in das vorausschauende Planen einzuüben. Was wird ständig gebraucht, was nur zu bestimmten Sachen und was muss sofort verarbeitet werden. Und so weiter und so fort. Ähnlich war es bei der Wäsche. Die Waschmaschine gefüllt und wieder entleert hatte ich bisher schon unzählige Male. Aber verschiedene Textilien nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verschmutzungsgrad einteilen war eine absolut neue Tätigkeit für mich. Jetzt musste ich mir alles aus einschlägigen Anleitungen erarbeiten oder mich telefonisch von Katja dazu beraten lassen. Auf Katja habe ich in solchen Fällen zurückgegriffen, weil sie mir dieses nach der Trauerfeier so angeboten hatte und auch immer ganz Ohr für meine „handwerklichen“ Probleme im Haushalt war. Na ja, was soll’s, ich bin ja nicht der einzigste Mann auf dieser Welt, der sich auch im hauswirtschaftlichen Bereich verselbstständigen musste und muss. Unsere Mütter haben es ja ehemals nicht böse gemeint, wenn sie uns in der klassischen Männerrolle, in der uns unsere Frauen bestärkten, erzogen haben. Und so schwer ist das alles gar nicht. Hausarbeit kann praktisch jeder; man muss nur wollen. Aus diesen Gründen habe ich Uli aber in keinem Fall nachgetrauert. So etwas wäre ja schlimm gewesen. Schließlich war sie ja nicht meine Haushälterin sondern meine über alles geliebte Frau und die Mutter meiner Kinder. Sie war ein Stück von mir, was mir jetzt sehr fehlte und als solches lebt sie sogar heute noch in meinem Herzen. Dahingehend hatte ich in den ersten Wochen nach ihrem Tod ein besonderes Problem. Alle ihre persönlichen Sachen waren noch in der Wohnung und zwar so, als würde sie jeden Moment wieder nach Hause kommen. Immer wenn ich zum Beispiel den Kleiderschrank aufmachte bekam ich einen mächtigen Stich in die Seele, der mir nicht selten die Tränen in die Augen trieb. Diese Sachen mussten raus. So etwas ist leichter gesagt wie getan. So bald ich ein Stück in die Hand genommen hatte bekam ich von irgendetwas in mir gesagt, dass ich dieses als Erinnerungsstück aufbewahren müsste – wenn nicht für mich, dann doch für die Kinder. Wenn ich aber nicht handele, gelingt mir das Loslassen, was für das Weiterleben wichtig ist, aber nicht. Dann fasste ich aber einen Entschluss: Alles was Uli an Schmuck besaß – viel war es ja nicht, da sie ja nicht putzsüchtig war – packte ich in ein Paket und sandte es an Janine. Jean fragte ich am Telefon an was er sich am meisten aus Ulis Besitz erinnere und was er gerne haben möchte. Das war nur ihr Schreibset, was ich ihr mal zum 10. Hochzeitstag geschenkt hatte und was sie nur bei besonderen Anlässen nutzte. Also schickte ich es ihm. Björn und ich bedienten uns vor Ort an ein paar Sachen und dann wurde zusammengeräumt. Was allzu persönlich oder eigentlich nicht mehr zu gebrauchen war kam in den Müll und alles andere stellte ich der Diakonie zur Verfügung. Dann gab es noch ein Problem, welches ich mit meinem Gewissen ausmachen musste. Was war mit all den persönlichen Dokumenten wie Zeugnisse, bestimmte Urkunden, private Briefe, die sie aufgehoben hatte, und den
beiden Tagebüchern, die sie in jungen Jahren geführt hatte. Die Zeugnisse und die Urkunden hatte sie mir ja zu ihren Lebzeiten alle gezeigt. Aber bei den Briefen waren einige, die sie bis zu diesem Tag für sich gehalten hatte. Vor allem die Tagebücher hatte sie immer für sich „unter Verschluss“ gehalten. Hatte ich jetzt nach ihrem Ableben das Recht darin herum zu schnüffeln? Musste ich jetzt diese Dinge, die mit Sicherheit nie mehr aus einem gewichtigen Grund benötigt werden, aufbewahren? Ich entschied mich dafür ihre Privatsphäre auch nach ihrem Tode zu wahren und vernichtete alles ohne es mir noch einmal anzusehen. Ich bin überzeugt, dass ich da richtig gehandelt habe. Natürlich habe ich alles, was zu unserem gemeinsamen Leben gehörte, wie Fotos und so weiter, weiterhin aufbewahrt. Ich habe dieses nur in mein „Privatkabinett“ zusammen gefasst. Schließlich war das ja auch mein Leben – und davon wollte ich ja nichts missen. Na ja, nach der Einarbeitung in mein Witwerdasein und der Ausräumung von Ulis Privatsachen aus der Wohnung hatte ich das Loslassen, was mir mein Schwiegersohn Frank an Ulis Sterbebett empfohlen hatte, tatsächlich geschafft. Ich hatte mein Leben jetzt wieder in die eigenen Hände genommen. Ich bestimmte nun wieder selbst über mich ohne danach zu fragen, was Uli dazu gesagt hätte oder ob dieses wohl in ihrem Sinne gewesen wäre. Damit entwickelte sich nach und nach bei mir auch das Bedürfnis nach einer neuen Partnerin. Erst, als Björn noch zu Hause war, nur zur Befriedigung meiner körperlichen Bedürfnisse und später auch, oder besser gesagt insbesondere, nach einer echten Partnerin, die ihr Leben mit mir teilt so wie ich das meinige mit ihr teilen wollte. Ersteres, ein Objekt fürs Bett, lässt sich im Grunde leicht und schnell finden aber Zweiteres stellte sich, gerade im Hinblick auf meine (wirtschaftliche) Situation, zunächst unlösbar dar. Als ich mit der Niederschrift dieses Buches begann, wollte ich es mit einer positiven Resignation beenden. Ich wollte erkläre, dass ich mich nun mit dem Alleinsein abgefunden hätte und ich jetzt nur noch aus Lustgründen nach dem weiblichen Geschlecht schauen wolle. Ich bräuchte ja nur ab und zu eine im Bett, alles andere könne ich ja alleine. Dann kam es, wie sie noch erlesen werden, aber anders. Aber alles schön der Reihe nach. Wie zum wiederholten Maße geschrieben habe war Björn noch eine Zeit lang mit mir zusammen im gleichen Haushalt. Ihm fiel das Loslassen von Uli um einige Grade schwerer als mir. Täglich begann er häufig Sätze mit „Mama hätte ...“ oder er erlaubte sich nachzufragen, was Mama dazu gesagt hätte. Seine Hauptthemen waren jedoch sein bevorstehendes Abitur und seine Absicht im Anschluss daran seinen Zivildienst abzuleisten. Beides sollte in Ordnung gehen. Er schaffte problemlos die „Reifeprüfung“ und er wurde auch auf seinen Antrag als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Bruder hat er einzig aus meiner Sicht die Kraft und den Mut zum richtigen Handeln aufgebracht. Seinen Zivildienst sollte und wollte er ab 1. September 1998 im Prosper-Hospital in Recklinghausen ableisten. In den fast vier Monaten zwischen Schule und Zivildienst wollte er unbedingt jobben. Dazu hatte er etwas in einem Aluminium-Veredlungs-Betrieb gefunden. Die Arbeit war schmutzig und nicht sonderlich gut bezahlt, daher wunderte ich mich, wie tapfer der „Kleine“ bei solchen Bedingungen durchhielt – und das alles sogar noch guten Mutes. Während seines Zivildienstes hatte Björn eine Unterkunft, ein kleines und daher preiswertes möbliertes Zimmer in Recklinghausen. Wenn er am Wochenende keinen Dienst hatte, was allerdings öfters vorkam, kam er nach Hause aber im Großen und Ganzen konnte ich dann ab September 98 endgültig die Erfahrung des Alleinseins machen. Aber denken Sie bitte nicht, dass ich dieses als besonders tragisch oder nur schwer empfunden hätte. Es war natürlich bei Weitem nicht so schön wie mit Uli aber zum Verzweifeln hatte ich beim besten Willen auch keinen Grund. Ich hatte es ja inzwischen gelernt, alleine zurecht zu kommen. In jener Zeit entwickelte ich mich zu einer echten Leserate, die ich bis heute noch geblieben bin. Ich las und lese Sachbücher zu gesellschaftlichen beziehungsweise politischen sowie religiösen Themen und Belletristik, wo es auch mal leichte Kost aus dem Bereich Sex und Crime sein kann. Allerdings muss ich beim Thema Sex einschränken, dass als Erotik getarnte Pornos für mich ausgeschlossen waren und sind. Dieses allerdings nicht aus dem Blickwinkel eines Moralapostel. Diese billigen Machwerke, bei denen „Drauf und Kaputt“ und ordinäre Pöbelsprache, meist eins wie das andere, ausschließlicher Bestandteil sind, langweilen mich halt. Da liegt kein besonderer Pfiff drin. Gegen echte Erotik, sinnliche schöngeistige Erzählungen, habe ich allerdings nichts einzuwenden. Das Schönste ist es doch, wenn die Fantasie angeregt wird, die einen dann mal in schöne Erinnerungen und mal in „köstliche“ Illusionen entführt. So etwas ist doch was anderes wie diese plumpen Detailbeschreibungen, die dem Leser keine Möglichkeit mehr geben, sich das Ganze auszumalen. Auch das Fernsehen, was im meinem bisherigen Leben so gut wie keine Rolle gespielt hat, kam nun öfters zur Geltung. Ich gehöre auch heute noch zu den seltenen Zeitgenossen, die, wenn sie zwecks Verzicht zwischen Radio, Fernsehen, Zeitung und Bücher entscheiden müssten, ohne lange zu überlegen als erstes „Fernsehen“ sagen würden. Auch als Informationsquelle ist für mich das Fernsehen zweitrangig. Ich habe den Eindruck, dass in diesem Medium nur die Informationen, die mit passenden Bildmaterial unter- oder überlegt werden können gebracht werden, wobei dann noch zusätzlich nach Quotenträchtigkeit selektiert. Aus dem Rundfunk und aus der Zeitung erfahre ich sehr viele Dinge, die den Machern von Fernsehnachrichten noch nicht einmal eine Randbemerkung wert sind, wobei gerade solche Meldungen oft für unser alltägliches Leben wichtiger sind, als
jene, die groß und breit mit viel Bildmaterial ausgeschlachtet werden. Also, meinen Worten kann man schon entnehmen, dass ich auch damals nicht zum Tele-Dauer-Reinzieher mutiert bin. Einmal in der Woche begab ich mich zur Befriedigung meiner direkten Kommunikationswünsche unter Menschen, sprich in eine Kneipe. Jetzt wird wohl dieser oder jene sagen, was man denn in Kneipen groß kommunizieren könne, denn in der Regel wären dortige Gespräche nicht auf dem höchsten Niveau. Eben, eben, man muss ja auch mal ganz locker und unverbindlich über Gott und die Welt sprechen können. In 1998 gab es dann fünf Toppthemen, die nacheinander die Hoheit über den Tresen und Stammtischen ausübten. Das waren dann nacheinander: Viagra, das Potenzmittel, welches im Frühjahr 1998 in den USA zugelassen wurde. Natürlich kam man bei der Gelegenheit immer auf das Thema Nummer Eins und auf entsprechende Zoten. Na ja, in diesem Jahr konnte ich auf diesem Bereich auch nur theoretisch mitmischen; ansonsten spielte sich bei mir nichts diesbezügliches ab. Aber da komme ich gleich noch ausführlich drauf zu schreiben. Noch ein zweites Mal sollte etwas aus dem Bereich „Lust und Freude“ eine Hauptrolle bei den Thekengesprächen führen. Im Mittelpunkt stand der US-Präsident Bill Clinton, der ein Verhältnis mit seiner Praktikantin Monica Lewinsky gehabt haben soll. Da wurden so pikante Einzelheiten, wie zum Beispiel dass diese Monica ihrem Präsidenten, unter dem Schreibtisch im Weißen Haus hockend, Einen geblasen haben soll, in der breiten Öffentlichkeit bekannt. Ein wildgewordener Staatsanwalt, der sich wohl als republikanischer Sudelfighter verstand, wollte dem Präsidenten, weil er dieses zunächst leugnete, ein Meineidsverfahren anhängen, damit die macht- und moneygeile Republikanerbande ein Amtsenthebungsverfahren einleiten konnte. Nach meiner Auffassung ist auch ein amerikanischer Präsident ein Mensch und hat diesbezüglich ein Recht auf Schutz seiner Intimsphäre. Was da gelaufen ist, dürfte nur eine Sache zwischen Bill und Hilary Clinton sowie dieser Monica Lewinsky, einer echten Namenscousine meiner Enkeltochter, gewesen sein. Pervers war in meinen Augen nur der Staatsanwalt Kenneth Starr und seine machtgeilen Republikaner, den offensichtlich jede Schlammschleuder recht war. Die US-Republikaner haben es ja in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung auch immer so mit der Bibel. Dann möchte ich sie doch mal daran erinnern, dass Jesus, als es um die Steinigung der Ehebrecherin ging, „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ sagte. Nun, jetzt kann man noch sagen, dass es ja eigentlich nicht um die Affäre sondern um Meineid ging. Da möchte ich nur daran erinnern, dass man in Deutschland, was wohl eher ein Rechtsstaat wie die USA ist, auf Fragen nach solcherlei Beziehungen und insbesondere nach solchen einschlägigen Details die Aussage verweigern kann. Ein ganz „wichtiges“ Thema in den Kneipen war im jenen Jahr die Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich. Erst musste ich mir, der ich überhaupt kein Sportexperte bin, immer anhören warum Deutschland diesmal Weltmeister würde und dann hörte ich warum die überbezahlten Standfußballer aus deutschen Landen zu recht vorzeitig ausgeschieden sind. Der damalige Bundestrainer Berti Vogts fiel ja ziemlich in Ungnade, er musste auch kurz nach der Weltmeisterschaft seinen Hut nehmen. Aber wie ich am Tresen feststellen konnte dürfte das für unsere Nation kein Problem sein, denn da lernte ich in nächster Umgebung so viele Experten, die einen Super-Bundestrainer abgegeben hätten, kennen. Ja, Kneipensteher sind allesamt Supertrainer und Hyperpolitiker, zumindestens mit dem bierseiligen Mund. Das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft erschien zu meinem Unverständnis interessanter und wichtiger wie die Untaten deutscher Hooligans, die in Lens einen Polizisten fast totgeschlagen hatten, und der spätere Turniersieg des Gastgebers Frankreich. Auch die deutsche Rechtschreibreform, die am 1. August dieses Jahres in Kraft trat war teilweise Mittelpunkt der bierlaunigen Diskussionen. Aber das Thema des Jahres war wohl eindeutig der Bundestagswahlkampf und später das Ergebnis dieser Wahl. Das die Ära Kohl „endlich“ zuende ging schien den Leuten, die ihr Ohr beim Volk hatten, schon vor der Wahl klar zu sein. Den kontinuierlich Sozialbau und die ansonsten innenpolitische Erstarrung – Kohl war ein echter Meister im Aussitzen – war man in breiten Bevölkerungskreisen leid. Einzig im außenpolitischen Bereich konnte Kohl erstklassig punkten, aber bekanntlich ist den Leuten das Hemd (Innenpolitik) näher wie die Hose (Außenpolitik). Allerdings war es aufmerksamen Beobachter nicht ganz wohl bei den Alternativen. Die SPD sprach ganz offensichtlich aus zwei Mündern. Da war der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, dessen Herz immer noch links schlug. Er stand für soziale Gerechtigkeit und bei ihm hatte man den Eindruck, dass ihm das Wohlergehen der kleinen Frau beziehungsweise des kleinen Mannes wichtiger als das der Wirtschaft schien. Kanzlerkandidat war aber nicht er sondern der medienwirksame damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, der den Ruf hatte der Genosse der Bosse zu sein. Ganz eindeutig war für mich, dass es sich bei Herrn Schröder um einen Neoliberalen, der mit alten SPD-Grundsätzen nichts gemein hatte, handelte. Von ihm versprach ich mir nicht viel anderes als vom Amtsinhaber Kohl. Mein Traumergebnis war eins, welches zu einer rot-grünen Koalition, die von der PDS hätte toleriert werden müssen, geführt hätte. Da Schröder ausgeschlossen hatte sich von der PDS tolerieren zu lassen, wäre zwangsläufig nur die Alternative Oskar Lafontaine geblieben. Aus dieser Sicht hätte ich um meinen wahren politischen Willen zu bekunden eigentlich PDS wählen müssen aber ich wählte erst- und letztmalig die Grünen – vorher hatte ich immer bei allen Wahlen SPD gewählt – und damit muss ich mich leider mitschuldig bekennen.
Na ja, wir wissen ja wie es kam. Rot-Grün begann unter Lafontaines Motto „Wir halten Wort“ mit einer Superhektik als wollten sie 16 Jahre Kohl in 16 Tagen korrigieren. Dieser Übereifer führte täglich zu mehreren handwerklichen Fehlern im Regierungsgeschäft und intern führten die Oberpolitikusse noch einen Krieg mit Mobbing und Intrigen um die Macht. Ich glaube, dass es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach den Wahlen noch nie ein solches Chaos wie nach der Bundestagswahl 1998 gab. Letztlich zog Lafontaine am 11. März 1999 die Konsequenz und trat von allen seinen Ämtern zurück. Am Tage von Lafontaines Rücktritt konnte man im Fernsehen sehen wie kindhaft naiv doch diese so wichtig tuenden Börsianer sind. Sprangen die doch wie dumme Jungs auf dem Parkett rum und prosteten sich mit Sekt zu. Wenn diese Gelddummis mal nur ein kleinwenig nachdenken würden, kämen sie selbst dahinter, das in Demokratien, selbst wenn sie schlecht funktionieren, ein Einzelner keinen so großen Einfluss haben kann, dass man sein Verschwinden feiern müsste. Da sieht man, dass an der Börse aus dem Bauch und nicht mit dem Kopf spekuliert wird. Die Quittung für ihr Regierungsunwesen erhielt Rot-Grün bei allen Landtagswahlen, die im Jahre 1999 stattfanden. In Hessen und im Saarland lösten Stimmenfänger mit dem hohen C im Parteinamen bisherige sozialdemokratische Ministerpräsidenten ab. Im Oktober 1999 erzielte die SPD in Berlin ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen wurden die Sozis in den Rathäusern zur zweiten Wahl. Natürlich wies man sich im roten Lager gegenseitig die Schuld zu. Die Kämpfer für eine Neuauflage des Liberalismus des 19. Jahrhunderts, die sich selbst in absoluter historischer Unkenntnis „Modernisierer“ nannten, schoben die Schuld auf Oskar Lafontaine und seine Anhänger, die sie als „Traditionalisten“ abkanzelten. Diese, also die letzten Sozialdemokraten, sahen die Schuld in dem „Neue Mitte“ getauften Neoliberalismus, unter dem der Sozialraubbau noch beschleunigt werden sollte. Aber nach diesem Ausflug in die große deutsche Politik zurück zu mir, zu Dieter Kleiner, der ich in jener Zeit die Erfahrung des Alleinseins machte. Abwechselung in diesem Alleinsein bekam ich neben meinen wöchentlichen Kneipenbesuchen durch die regelmäßigen Telefonanrufe meiner Kinder und Schwiegerkinder. Dabei habe ich an Katja und Henk genauso wie an Jean und Mareike und auch Janine und Frank gedacht. Katja kam auch ab und an mit meinen beiden Enkelkindern Monica und Hendrik mal bei mir in Hohenlimburg vorbei. Grundsätzlich lud sie mich bei einer solchen Gelegenheit immer für ein paar Tage zu einem Besuch in Wuppertal ein. Allerdings habe ich von diesem Angebot erst später mal Gebrauch gemacht. Dann war da ja noch unser Jüngster, der Björn. Wie ich schon früher schrieb kam der regelmäßig wenn er kein Wochenenddienst hatte, nach Hause. Aber dieses sollte sich dann auch ab Anfang Januar 1999 ändern. Am ersten normalen Wochenende nach dem Jahreswechsel kam Björn zwar wie vorher üblich nach Hause; aber diesmal nicht allein. In seiner Begleitung befand sich eine hübsche Naturblondine, mit blauen Augen, langen Beinen und relativ großen Busen. Wie man meinen Worten entnehmen kann törnte mich diese junge Frau, die Björn mir als Katharina Kwiatkowski – typischer Kohlenpottname, der auf die Anfang des 20. Jahrhunderts zugewanderten polnischen Bergleute zurückgeht – vorstellte. Das erste was mir die Beiden zu berichten hatten war, dass sie am gleichen Tag im gleichen Jahr, also beide am 5. Juli 1980, geboren waren. Sie hielten das für eine Vorbestimmung und glaubten füreinander geschaffen zu sein. Katharina war Krankenpflegeschülerin im Prosper in Recklinghausen, wo Björn seinen Zivildienst leistete. Auch Katharina und ich hatten sofort einen guten Draht zueinander und ich freute mich mit unserem „Kleinen“ ob seines guten Fanges. Erstmalig in meinem Leben war ich bereit die Ehebetten, in denen ich ja jetzt alleine „beheimatet“ war, für meinem Nachwuchs zu räumen. Ich schlug Björn also einen Zimmertausch fürs Wochenende vor. Das wollten die beiden jungen Leute erst gar nicht aber ich konnte mich dann doch letztlich durchsetzen, schließlich waren sie zu Zweit und ich alleine. So zog ich dann nach langer Zeit wieder zurück in mein ehemaliges Junggesellenzimmer. Was ich dabei allerdings nicht richtig bedacht hatte war, dass ich ja alle meine Sachen im Schlafzimmer hatte und jetzt auf die Zeiteinteilung des jungen Paares angewiesen war. Meine Vorräte waren so knapp bemessen, dass ich am Samstagmorgen unbedingt einkaufen musste. Mit den Sachen, die ich im Hause zutragen pflegte wäre ich bestimmt bei ALDI oder Famila peinlich aufgefallen. Erst sah ich das gelassen aber als die jungen Leute um Mittag noch keine Anstalten machten ihr Nachtlager zu räumen blieb mir nichts anderes als an deren Zimmertür zu klopfen. „Komm ruhig rein, tue dir keinen Zwang an“, tönte es darauf von ihnen. Also trat ich unbekümmert ein und bekam so einen wollüstigen Schreck. Die Beiden saßen im Bett und ihre nackten Oberkörper waren nicht von der Bettdecke bedeckt. Die Busen der noch nicht einmal 19-jährigen Katharina waren so prall und prächtig, dass sogar bei mir ein Messer aufsprang. Bisher hatte ich Frauen in Katharinas Alter für „junges Gemüse“, welches mir nichts anhaben könnte, gehalten und jetzt musste ich feststellen, dass auch Frauen, die meine Töchter sein könnten, bei mir etwas anregen können. Dieses aber nur so am Rande. Auf keinem Fall ging es bei uns wie in Aphrodites Lusttempel zu. Katharina ist insgesamt ein sehr anständiges Mädchen. Nur auf ihre Busen ist sie richtig gehend stolz und diese zeigt sie, wenn die Gelegenheit passend erscheint, auch mal sehr gerne. Wie ich später, als ich im Sommer Katja in Wuppertal besuchte, feststellte hat sie diesen kleinen Tick gemeinsam mit meiner ältesten Tochter. Sowohl
Katjas Mann wie auch Björn erscheinen dann auch immer ganz stolz wenn ihre Frauen zeigen was sie außergewöhnliches zu bieten haben. Aber, wie geschrieben, ist dieses der einzigste Tick, über den Moralisten die Nase rümpfen könnten, an Katharina. Ansonsten ist sie sehr sittenstreng und fast prüde. Sie ist mit sehr viel sozialer Kompetenz ausgestattet und immer bereit zu helfen. In dieser Art erinnert mich Katharina immer an die Art und Weise meiner Uli. Das wird es wohl auch sein, was unseren Björn, der immer so eine Art Muttersöhnchen war, an seiner Katharina kleben lässt. An der jetzt verwendeten Zeitform – Gegenwart – kann man schon erkennen, das Björn und Katharina auch heute noch beieinander sind. So ist es – die Gegenwartsform war kein Fehlgriff meinerseits. In der Woche nach ihrem Besuch bei mir bezogen die Beiden eine kleine gemeinsame Wohnung in Recklinghausen. Es dauerte nicht lange bis Björn mir mitteilte, dass er nun einen Plan für seinen Lebensweg aufgestellt habe. Schon früher hatte er gesagt, dass er gerne wie seine Schwester Janine Arzt geworden wäre. Nur seine sprachlichen Fähigkeiten, die wahrscheinlich auf seine Legasthenie zurückzuführen sind, machte ihm da einen Strich durch die Rechnung. Eine solche Hürde wie sie Janine hinsichtlich des Latinums, welches sie an einem externen Gymnasium machen musste, da Latein an der Gesamtschule nicht unterrichtet wurde, ablegte hätte Björn um ein mehrfaches überfordert. Nun, Janine hatte hinsichtlich Sprachen die Veranlagung von ihrer Mutter geerbt und Björn hatte Legasthenie. Nun hatte er einen etwas bescheideneren Beruf gefunden, in dem er auch das in einem kleineren Maße verwirklichen konnte was ihm als Erfüllung schien: Krankenpfleger, den Beruf, den auch seine Katharina ausüben wollte. Sie könnten ja, so wie sich das junge Paar das dachte, später mal in Richtung Physiotherapie weitermachen und eventuell später eine entsprechende Praxis eröffnen. Jetzt im Moment, also 2003, ist es allerdings verfrüht zu sagen was beim letztgenannten Ziel herausgekommen ist, denn offiziell hat Björn erst Ende September dieses Jahres seine Ausbildung als Krankenpfleger beendet. Er musste ja erst seine Zivi-Zeit „durchdienen“ bevor er überhaupt erst als Krankenpflegeschüler (ab Oktober 2000) antreten konnte. Natürlich hat Katharina bei seiner Berufswahl eine große Rolle gespielt, so haben die Zwei ja den gleichen Beruf. Das, was ich zuletzt geschrieben habe, ließt sich doch so, als würde ich jetzt Björn wie die anderen Kinder aus der Geschichte ausklammern weil dieser nun seinen eigenen Weg geht. Das ließt sich nicht nur so sondern das ist auch praktisch der Fall. Mit dem Jüngsten hatte ich ab diesem Zeitpunkt etwa im gleichen Umfang Kontakt wie mit dem Älteren, das heißt: regelmäßige Anrufe und ab und an mal einen Besuch. So war ich dann ab Anfang 1999 in familiärer Sicht endgültig allein. Nachträglich muss ich Feststellen, dass das Alleinsein keine unerträgliche Bürde war aber es war keinesfalls ein Zustand, mit dem ich mich abfinden wollte. Der Mensch ist halt nicht zum allein sein geschaffen. Jetzt hatte ich aber bei der Partnerinsuche ein paar schwere Handicaps. Ein Weg wäre es ja gewesen ein Tanzlokal für die „reifere Jugend“, so wie den Rosengarten in Hagen aufzusuchen. Bekanntlich kommt man sich da ja zunächst auf der Tanzfläche etwas näher. Aber wie sollte ich so etwas mit meinem steifen linken Bein bewerkstelligen? Wenn ich mal bei bestimmten Anlässen so tat als würde ich mit Uli tanzen, dann habe ich sie nur fest in meine Arme genommen und wir haben unsere Körper im Musikrhythmus hin und her bewegt. Grundsätzlich waren da aber immer nur Leute dabei, die wussten, warum ich nicht richtig tanzen konnte. In einem Tanzlokal weiß das aber auf Anhieb niemand und was sollte eine aufgeforderte Unbekannte von mir denken, wenn ich mit ihr statt zu tanzen nur stehender Weise wippen will? Eine andere Sache war noch ein größeres Übel. Ich war Pleitier und damit ein „armer Schlucker“. Jetzt wo ich keine unterhaltsberechtigten Angehörigen mehr hatte, wurde bei der Lohnpfändung noch viel kräftiger zugeschlagen als jemals zuvor. Selbst meine preiswerte Wohnung erschien mir schon fast zu teuer. Ich wollte mich aber in der Hoffnung trotz allem eine Partnerin zu finden auch noch nicht kleiner setzen. Eine eingerichtete Wohnung könnte ja mal ein schlagendes Argument sein. Aber ist ein „Tagedieb“ so etwas was Frauen suchen? Auf das Wort „Tagedieb“ komme ich, weil ich mal mitgekriegt habe, wie mich Nachbarn hinter meinem Rücken mal so titulierten. Nun ja, nach langläufiger Ansicht in unserer Gesellschaft traf das ja auch zu. Ich unterschied mich von der Masse der Tagediebe ja nur dadurch, dass ich eine Arbeit hatte, der ich auch regelmäßig nachkam. Sind Sie mal ehrlich meine verehrten Leserinnen, wäre ein solcher Tagedieb der Mann, den sie sich für die zweite Lebenshälfte erwünschen? Ich musste während meiner Partnerinsuche sogar mehrfach auf Frauen stoßen, die sich von ihrem Mann haben scheiden lassen, weil dieser Pech gehabt hatte und zum Tagedieb degradiert worden war. Klar, diese Frauen wollten nicht den einen Mann gegen einen gleichartigen anderen austauschen. Während meiner Suche, die stets über einschlägige Anzeigen in Tageszeitungen beziehungsweise Anzeigenblättchen lief, stieß ich immer und immer wieder auf Frauen, die entweder mehrfach geschieden waren oder bisher zwar noch nicht verheiratet waren aber mehrere Lebensabschnittspartnerschaften hinter sich hatten. Diese Damen hatten alle das Selbstverwirklichungs-Syndrom. Sie legten alle wert darauf, dass sie den Lebensstil, den sie für richtig hielten, und ihre Freundeskreis in gewohnter Weise beibehalten konnten. Sich gemeinsame Interessen suchen und diese zu pflegen lief gegen deren Vorstellungen. Grundsätzlich legten diese Damen auch Wert auf deren wirtschaftliche Unabhängigkeit. Was sie an Gemeinsamkeiten wünschten war die genaue finanzielle Teilung aller beide Seiten betreffender Angelegenheiten wie Wohnung und deren Einrichtung, Reisen
und so weiter. Bei den Ansprüchen die sie dabei stellten konnte ich allerdings nicht mithalten. Im Übrigen waren dieses auch keine Frauen wie ich sie suchte. Ich wollte wieder eine echte Partnerschaft, so wie ich diese mit Uli hatte. Ich wollte eine Frau, die mit mir Interessen, Freud und Leid teilen wollte, die mir ihr Leid vorträgt und mich im Gegenzug tröstet wenn ich mal ein solches habe. Ich bin auch auf Witwen gestoßen, die schon nach einer richtigen Partnerschaft suchten. Aber diese sahen in der Ehe auch einen Hafen für ihre Versorgungsansprüche. Da war ich wohl auch nicht der Richtige, denn meine wirtschaftliche Lage dürfte wohl nicht das versprechen, was diese Damen erwarteten. Also insgesamt kam es immer nur zu ersten Treffen. In dem Moment wo wir uns gegenseitig etwas weitergehender vorgestellt und unsere Vorstellungen ausgetauscht hatten, war es dann vorbei. Ich habe zwischen Februar und August 1999 zwei Mal monatlich Anzeigen schalten lassen. Da ist eine ganze Menge Geld bei drauf gegangen. Letztlich war ich dann auch ganz deprimiert und wollte mich schon damit abfinden, das die Überschrift über meine zweite Lebenshälfte „Alleinsein“ lauten würde. Seit Janines Hochzeit hatte ich auch keine sexuellen Kontakte zu einer Frau. Natürlich hatte Janine damit nichts zutun sondern ihre Hochzeit war nur eine exakte Zeitangabe. Ich habe ja berichtet, dass es ab diesem Zeitpunkt mit Uli rapide bergab ging, so dass ich mit meiner Frau keine ehelichen Kontakte mehr hatte und mit einer anderen Frau habe ich es bis dato auch nicht gehabt. Vielleicht belächelt mich jetzt dieser oder jene aber seit ich mit Uli zusammen war hatte ich nur ein einziges Mal etwas mit einer anderen Frau, und zwar mit Maria von Roman, der Translingua-Partnerin von Uli – ich habe ja davon berichtet. Ja, das gibt es auch heute noch: Männer die ihren Frauen sogar über den Tod hinaus noch treu sind. Sicherlich wollte ich auch mal wieder etwas für mein körperliches Lustempfinden tun. Aber für eine rein mechanischen Triebbefriedigung in einem Bordell war mir doch das Geld zu schade. Richtig Spaß macht ja alles nur, wenn auf beiden Seiten so eine bestimmte Neugierde vorhanden ist und es, ebenfalls beidseitig, so eine Art Abenteuer darstellt. Im Puff, wie man volkstümlich zum Bordell sagt, sind Neugierde und Abenteuerlust bestenfalls einseitig bei dem Freier vorhanden. Für die Prostituierte ist doch alles nur Alltagsgeschäft bei der jeder normale Mensch mit der Zeit abstumpft. Wie den Taxifahrern ist den Nutten nur daran gelegen möglichst schnell wieder frei zu werden, damit das Geschäft mit dem nächsten Gast gemacht werden kann. Wenn man von Prostituierten mal Lustlaute hört, bildet immer der Gedanke „Lieber drei Mal stöhnen als diesen Gast zehn Minuten zu lange bedienen“ den Hintergrund. Schon im Vorfeld ist mir klar, dass ich in einem Bordell keine Befriedigung erlangen kann aber dafür teuer bezahlen muss. Soweit meine Vorurteile, die ich im August 1999 mal in der Hagener Kratzkopfstraße überprüfen wollte. Ich ging also hin, wurde 200 D-Mark (102,26 €), die mir weh taten, los und fand statt Befriedigung nur ein schlechtes Gewissen hinsichtlich meiner mehr als leichtfertigen Geldausgabe. Ich nahm mir vor, ein solches Etablissement nicht mehr aufzusuchen und habe diesen Vorsatz bis heute auch problemlos beachtet. In meinem Kopf ging jetzt mein Wunschdenken mehr und mehr auf zwei verschiedenen Wegen. Ich suchte jetzt irgendwie nach zwei Frauen: Eine fürs Leben und eine fürs Bett. Ich ging jetzt davon aus, dass ich, wenn ich erstere gefunden habe und diese mir auch das gibt, was ich von zweiterer erwarte, wieder zum soliden Leben zurückkehren kann. Diese Gedankengänge machten mich frei für eine bestimmte Gattung von Frauen: Verheiratete, denen es nach einem Seitensprung gelüstet. Darüber, dass so etwas gefährlich werden kann, wenn sich aus einer Bettpartnerschaft mehr entwickelt, habe ich damals nicht nachgedacht. So leicht sollte man sich die Sache allerdings nicht machen, denn auch später funktionieren die gleichen Mechanismen wie am Anfang. Erst fühlt man sich durch körperliche Reize und Instinkt zueinander gezogen und dann kann es sein, dass hieraus wahre Liebe entsteht. Darüber habe ich mich ja schon mal im Zusammenhang mit Björns einseitiger pubertären Liebe ausgelassen. Eine solche Gefahr war bei mir jetzt allerdings sehr gering, denn weshalb sollte eine Frau ihren Mann verlassen um mit einem Habenichts, der offensichtlich der bessere Hengst ist, eine Partnerschaft zu begründen. Na ja, ich habe dieses auch nur im Hinblick auf eventuelle Nachahmer am Rande erwähnt. Wichtig ist hier nur der Punkt, dass ich mir vorgenommen habe verheiratete Frauen zum Seitensprung zu bewegen. Die Suche nach einer Partnerin, im Sinne des Wortes, wollte ich dazu parallel verlaufen lassen; jetzt aber verstärkt auf einen glücklichen Zufall setzend. Das erste Abenteuer ließ nach meinem Entschluss nicht lange auf sich warten. Es wurde mir praktisch nach einem Wochenendbesuch bei Katja förmlich auf die Treppe gelegt. Erstmalig nach Ulis Tod hatte es Katja geschafft mich nach Wuppertal „zu locken“. Da gab es dann auch den „Busen-Vorfall“, den ich bereits im Zusammenhang mit Björns Freundin Katharina angedeutet habe. Das Wetter war sommerlich und so verbrachten wir den Samstagnachmittag auf der Terrasse. Meine Tochter hatte es sich luftig wie am Strand gemacht, das heißt, dass sie außer einem knappen Tangahöschen nichts an hatte. Damit war sie nicht alleine, auch meine bald 13-jährige Enkelin Monica versuchte sich im Oben ohne. Ich muss schon sagen, dass die Mädchen heute, wenn mich meine Erinnerung nicht täuschen, besser entwickelt sind als die Mädchen zu meiner Zeit. Monica hatte schon bereits mehr als nur Knöspchen zu bieten. Selbstverständlich schlossen wir Männer, also neben mir auch Henk und mein nun bald 4-jähriger Enkel Hendrik, uns der Oben-ohne-Aktion an. Henk und Hendrik trugen Badehosen und ich war unten herum vollständig bekleidet. Hendrik, der wissen wollte warum ich keine
Badehose anhabe, erklärte ich es damit, dass mein steifes Bein momentan keine Sonne vertragen könne. Die Wahrheit war allerdings, dass ich keine Badehose mit hatte und die Bekleidungsstücke meines Schwiegersohnes mir wegen meines Bäuchleins, welches ich inzwischen angesetzt habe, nicht passten. Da musste ich übrigens eine für mich zunächst erstaunliche Feststellung machen: Meine inzwischen 35-jährige Tochter rührte mich doch tatsächlich erotisch an. Das mir so etwas bei der eigenen Tochter passieren könne, hätte ich früher immer strickt zurückgewiesen. Offensichtlich macht unser Gehirn diesbezüglich keine Unterschiede zwischen Dritten und Angehörigen in gerader Linie. Aber keine Angst unser Bewusstsein ist schon ein guter Kontrolleur. Das meinige holte mich dann doch stets wieder auf den Teppich, in dem es mir sagte, dass es meine Tochter sei, und gab meiner entsprechenden Fantasie keine Chance durchzubrennen. Was ist aber, wenn Leute aus irgendeinem Grund ihr Bewusstsein abschalten oder vom Intellekt nicht in der Lage sind dieses einzuschalten. Dann kann es theoretisch unter den Menschen so wie bei den Katzen zugehen, das heißt, dass Väter ihre Töchter und Söhne ihre Mütter „begatten“. Und so etwas bei dem zunehmenden, durch die Medien geförderten Bewusstseinsverlust in unserer Spaßgesellschaft. Ein Tiefpunkt in der Talfahrt von Selbstbewusstsein und Eigenwürde lieferte uns der Teleberieseler RTL 2 im März des Jahres 2000. Das ließ sich doch tatsächlich ein Haufen geistigverarmter Mitmenschen unter dem Titel „Big Brother“ für 100 Tage in einen Container sperren und sich wie die Tiere im Zoo Tag und Nacht, hier durch Fernsehkameras, beobachten. Eigentlich müsste es egal sein, was Einzelne mit ihrer Würde machen aber das sie dabei die Würde aller Menschen mit in den Dreck ziehen, in dem sie die Menschheit auf die Stufe von Wildtieren zurückversetzen, ist und bleibt in meinen Augen unakzeptabel. Besonders traurig finde ich es, dass sich von diesem Schwachsinn auch noch hunderttausende, meist junge Menschen begeistern ließen. Aber jetzt weg von diesem Abschweifer auf den ich gekommen bin, weil ich damals feststellte wie mich selbst die eigene Tochter antörnen konnte aber dank meines Bewusstseins und der Vernunft bin ich bis heute nicht in Versuchung gekommen. Dieses war jedoch auch nicht mein Thema sondern ich wollte berichten, wie ich zu meinem ersten Abenteuer als Witwer gekommen bin. Also, als ich am Spätnachmittag des Sonntags von Wuppertal wieder nach Hause kam, saß meine Nachbarin etwas leicht geschürzt und betrüppelt auf der Treppe. Sie war lediglich mit einer, ein Wenig durchsichtigen Bluse, kurzen Shorts und darunter einem Slipper bekleidet. Sie hatte nur etwa eine Stunde vor meiner Rückkehr ihre Waschmaschine ausräumen und die Wäsche im Trockenraum aufhängen wollen. Als sie runter in den Keller ging hatte sie die Schlüssel in der Wohnung gelassen aber in Gedanken die Wohnungstür hinter sich zugezogen. Ihr Mann war mit seiner Altherrenmannschaft zu einem Freundschaftsspiel nach Bayern gefahren. Der frühere Spielertrainer seiner Mannschaft war nach Bayern gezogen und hatte dort auch sein Trainerhobby wieder aufgenommen. So konnte meine Nachbarin ihren fußballtretenden Gatten auch erst am späten Abend wieder zurück erwarten und deshalb saß sie jetzt wie ein Häufchen Elend auf der Treppe. Natürlich war ich Kavalier und lud sie in meine Wohnung ein. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, wo ich ihr erst mal einen Kaffee servierte. Dann kamen wir ins plaudern wobei sie mir dann verriet, dass ihr Mann nur seinen Beruf, er war Autolackierer, und seine Fußballkickerei im Kopf habe. Abgesehen von der reinen Schlafenszeit wäre er mehr mit seinen Sportfreunden als mit ihr zusammen. Sie fühlte sich total vernachlässigt. Mehr fiel zunächst nicht, denn sie hatte mich gefragt, wie ich denn jetzt nach dem Tode meiner Frau zu recht käme. Ehrlich sagte ich ihr, dass es mir in den ersten Wochen schwer gefallen sei aber ich jetzt ganz gut zurecht käme. Stolz verkündete ich, dass ich auch ohne Frau ganz gut zu recht käme. Darauf wurde ich gefragt ob ich nicht doch etwas vermissen würde. Auch auf diese Frage gestand ich ihr die Wahrheit, nämlich das ich doch ganz gerne mal wieder etwas im Bett hätte. Nun hatte meine Nachbarin auf einmal eine ganz zitternde Stimme, mit der sie mir bekannte, dass sich bei ihr und ihrem Mann nur ganz selten etwas abspiele. Sie habe schon öfters überlegt ob sie sich bei einem Seitensprung das holen solle, was sie brauche. So etwas war für mich natürlich ein Startschuss, der mich zur Direktheit veranlasste: „Ich bin zwar zirka 15 Jahre älter wie sie aber wenn ich ihnen ein Wenig zusage, dann könnten wir gemeinsam unsere Probleme, die wir mit unserer Lust haben, lösen.“. „Aber Herr Kleiner, wir sind doch Nachbarn“, tönte sie zunächst darauf. Aber das konnte sie nicht so ernst gemeint haben, denn postwendend erhob sie sich um ihren Short und Slipper in einem Rutsch herunterzuziehen. Das war für mich natürlich das Signal um mich zu erheben und auf sie zuzugehen. Prompt griff ich zu ihrer Bluse um dieses aufzuknöpfen. Zur gleichen Zeit griff sie zu meiner Hose um diese zu öffnen und herabzulassen. Na ja, liebe Leserin, lieber Leser, den Rest malen Sie sich doch bitte selber aus. Ich erzähle hier nur noch, das es letztlich doch sehr schön war und bei uns das Bedürfnis nach mehr ausgelöst hat. Bis zu dem Auszug der Nachbarn im dritten Quartal des Jahres 2000 haben wir uns regelmäßig, ein bis zwei Mal im Monat, zu einem Schäferstündchen getroffen. Ausgezogen sind diese jedoch nicht, wie man vermuten könnte, wegen mir sondern weil sie sich in Eilpe, einem Stadtteil im Süden von Hagen, ein eigenes Häuschen gebaut hatten. Eine Besonderheit hatte unser Verhältnis auch: Obwohl wir häufig gemeinsam ins Bett kroch – immer bei mir in der Wohnung – blieben wir beim eisernen Sie. Erst kam mir das auch komisch vor, wenn ich sie zum Beispiel nach einem Verkehr fragte ob es ihr gefallen habe und dann dabei in der Anrede die zweite Person benutzte aber
später fand ich auch dieses normal. Auf jeden Fall konnte es uns so in der Öffentlichkeit nicht passieren, dass wir uns verplapperten. Am letzten Tag dieses turbulenten Jahres 1999, also zu Sylvester, gesellte sich noch ein zweites Abenteuer in dieser Art hinzu. Wie ich an mein Abenteuer kam hing mit den angeschriebenen „Turbulenzen“ des Jahres 1999 zusammen und deshalb berichte ich hier erst einmal darüber. Mit viel Aufregung und Palaver bereite man sich 1999 auf einen Frühstart in ein neues Jahrtausend vor. Das lateinische Wort für Jahrtausend, also Millennium, war damals in aller Munde. Zu Sylvester hatte man überall Millenniumsfeiern, bei denen man auch kräftigen Millenniumsaufschlag zahlen musste, vorbereitete. Nur wenigen Leuten fiel auf, dass alles ein Jahr zu früh gestartet wurde. Die bloße Zahl 2000 hatte die Sinne verwirrt. Bevor man in eine neue Epoche starten kann, muss erst die alte vollendet sein. Ein Jahrzehnt ist aber nicht am ersten Tag des 10. Jahres sondern erst am letzten Tag dieses Jahres vollendet. Das erste Jahrzehnt endet am 31. Dezember des 10. Jahres und nicht am 31. Dezember des 9. Jahres. Also kann das zweite Jahrzehnt erst am 1. Januar des elften Jahres beginnen. So wie mit dem Jahrzehnt ist es folglich auch mit dem Jahrhundert und dem Jahrtausend. Wenn man dieses den Leuten erklärt sagen sie erst nachdenklich „Aha“ und operieren plötzlich mit dem 1. Januar des Jahres 0. Dann muss man auch gleich erklären, dass die Null bei unserer Zeitrechnung nicht vor einem Strahl steht sondern auf einer Strecke liegt. Im Geschichts- oder Religionsunterricht stoßen wir immer wieder auf Daten vor Christi Geburt. Und deshalb ist die Frage angebracht, wann dann das letzte Jahrtausend vor Christi geendet hat. Na, das war am 31. Dezember des Jahres 0, am 1. Januar des Jahres 1 begann das erste Millennium. Wer es jetzt noch nicht gecheckt hat, kann sich damit trösten, dass es anno 1999 nicht einmal Politiker, Manager und Journalisten kapiert haben und, da unsere Zeitrechnung eine mehr oder weniger willkürliche Festlegung ist, kommt der Sache ob wir im zweiten oder dritten Millennium leben, außer bei esoterischen Spinnern, keine besondere Bedeutung zu. Schlimmer war allerdings die freierfundene Geschichte mit dem Millenniumsbug bei Computern. Da sah man wegen des (falschen) Jahrtausendwechsel alles, von der Mikrowelle bis zum Atomkraftwerk in die Luft fliegen, Fahrstühle sollten stecken bleiben und ganze Strom- und Telefonnetze sollten ausfallen können. Als Grund gab man an, dass die Computer nicht den Wechsel von 1999 auf 2000 packen könnten. Was für ein Unfug. Computer arbeiten doch intern nicht mit Dezimal- sondern mit Binärzahlen. Und da wurde von 11111001111 (dezimal 1999) auf 11111010000 (dezimal 2000) gewechselt. Wo ist da überhaupt ein Problem? Programmierer erleichtern sich das Computerrechnen immer gerne mit Hexadezimalzahlen, also der Zahlenreihe 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 ,9, A, B, C, D. E. F. Da wäre es ein Wechsel von 7CF auf 7D0 gewesen. Da kann ich auch nichts besonderes daran finden. Einzig bei der Oberfläche von Anwendungssoftware gab es minimale Probleme. Wenn man die Jahresdaten zweistellig programmiert hatte, dann sprang der Zähler von 99 auf 00. Das heißt, das der Kredit, den man 1998 aufgenommen hat, erst in 98 Jahren ausgezahlt wird. Also können noch keine Zinsen oder Gebühren fällig sein. Na ja, so etwas sind kleinere, korrigierbare Dinge und deshalb fällt nichts aus, nichts bleibt stecken und in die Luft fliegt erst recht nichts. Da aber alle Leute an eine Vorstufe der Apokalypse glaubten wurden alle, die mit Strom, Telefon und so weiter zutun hatten zu diesem Jahreswechsel „dienstverpflichtet“. Erschreckend war für mich auch die Naivität in Regierungskreisen, die wegen des Phantoms „Millenniumsbug“ extra Krisenstäbe einberiefen. Mir taten damals die herzkranken und älteren Hochhausbewohner leid, deren Fahrstühle aus Angst vor dem, was nicht passieren konnte, abgestellt wurden. Zwei Millenniumsgeschädigte, die an diesem Tag arbeiten mussten, waren auch Stammgäste in der Kneipe, in die ich mich auch Woche für Woche begab. Diese beiden Herren waren bei einem Stromversorger beschäftigt. Schon vorher hatten sie vereinbart, dass ihre Frauen den Jahreswechsel klein in der Wohnung des einen feiern sollten. Sie hatten auch gar nichts dagegen, wenn die Frauen mich, der doch so alleine war, dazu einluden. Im Glauben, dass, wenn die Eine auf die Andere aufpasst, nichts passieren kann, stimmten die Ehemänner meiner Gesellschaft bei ihren Frauen zu. Aus der ganzen Sache sprach jedoch jede Menge misstrauen, denn sonst hätten sie ihre bessere Hälften auch zu irgendeiner anderweitigen Feier ziehen lassen. Na ja, die Herren Elektriker hatten die Rechnung ohne ihre „spitzen Weiber“ gemacht und mich, den Bock, noch obendrein zum Gärtner gekürt. Gabi und Uschi, so der Name der beiden Ehefrauen, fackelten nicht lange und kamen gleich zur Sache. Als so ein kleines Vorspiel droschen sie erst einmal ein paar Zoten, die immer anzüglicher auf mich abgestimmt erschienen und dann griffen sie zur Flasche. Nein, nein es war keine Sauferei angesagt, denn die Sektflasche, die sie sich bereit gelegt hatten, war leer. Sie war das wichtigste Requisit für Strip-Poker, was die Damen mit mir zu spielen gedachten. Sie kennen vielleicht die Spielregeln. Man setzt sich im Dreieck oder Kreis, je nach Personenzahl, auf den Boden. Dann legt man die Flasche in den Mittelpunkt und setzt sie mit einem Handdreh in Bewegung. Wenn die Flasche zum Stillstand gekommen ist, muss derjenige, auf den der Flaschenhals zeigt, ein Kleidungsstück ablegen. Dinge, die man paarweise trägt, zum Beispiel Schuhe oder Socken zählen als ein Kleidungsstück. Ich weiß nicht, ob mich die beiden Damen irgendwie beim Bock getan haben; auf jeden Fall war ich die erste splinterfasernackte Person in der Dreierrunde und zwar schon zu einem Zeitpunkt als die wichtigsten Dinge bei den Damen noch bedeckt waren. Uschi saß da noch im Slipper
und im BH während Gabi noch zusätzlich ihr Unterhemd anhatte. Aber wenn man so richtig spitz ist macht der Exhibitionismus erst richtig Spaß und deshalb hatte ich keinen Grund mich zu ärgern. Nachdem ich meine Unterhose losgeworden war sollte auch das Ende der Spielrunde erreicht sein. Jetzt amüsierten sich die beiden Damen erst einmal mit meinem wichtigsten Stück und dabei legten sie ganz flott, ohne dass es eines Flaschenhalshinweises bedurfte, ihre Resttextilien ab. Stopp, stopp, Dieter jetzt solltest du deine Erzählfreude mal wieder mäßigen. Dass es flotte Dreier und weitere neckische Spiele gegeben hat, kann sich ein jeder leicht ausmalen. Als ich mich kurz nach Zwei nach Hause begab dürfte ich mich wohl wie der Nachnahme-Briefträger von der Herbertstraße in St. Pauli bewegt haben. Uschi und Gabi hatten mich doch wirklich richtig geschlaucht und ausgepumpt. Daran kann man ersehen, was für ein Potenzial oft in biederen Hausfrauen schlummert. Nun, zu einer solch ausschweifenden Sache wie zu diesem Jahreswechsel ist es danach nicht mehr gekommen. Auch haben wir es nie mehr zu dritt getrieben aber mit beiden Frauen hatte ich noch diverse Schäferstündchen aber einmal mit Gabi und einmal mit Uschi. Die Erfahrung des Alleinseins war so eine Art hartes Brot aber die „lustigen Weiber“ um mich herum sorgten für reichlich Champagner zum Brot. Das Jahr 2000, in dem die Expo in Hannover und die Olympischen Spiele in Sydney stattfanden, bescherte mir mancherlei Kurzweil mit den Ehefrauen anderer Männer. Auf die Suche nach einer echten Partnerschaft habe ich mich in dieser Zeit nicht begeben, auch nicht so nebenbei. Das wurde erst im November, als Maschinen in Florida einen gewissen George W. Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten manipulierten, für mich wieder aktuell. Das meine Nachbarin nach Eilpe ins Eigenheim gezogen war habe ich ja schon berichtet. Neu war jetzt, das Gabis Mann Verdacht geschöpft und in der Kneipe auch Uschis Mann davon informiert hatte. Zum Glück hatte der Wirt die Ohren gespitzt und mich mit den Worten „Falls da was dran ist, pass auf“ gewarnt. Sowohl die Frauen wie auch ich hielten es daraufhin für angebracht, unsere Spiele für beendet zu erklären. Bei mir kam dann danach auch so ein gewisser Katzenjammer auf. Auf der einen Seite kam mir das Wort „Aids“ in den Sinn. Da hatte ich bei meinen Ehefrauen-Abenteuer gar nicht daran gedacht. Man kann ja als sicher annehmen, dass diese Frauen auch mit ihren Ehemännern schlafen. Aber mit wem schlafen diese besagten Männer? Genau wie die Herren nichts von der Geschichte ihrer Frauen mit mir wissen, ist es auch möglich, dass die Damen nichts von den Eskapaden ihrer Männer wissen. Und woher weiß ich, dass die mir zugeneigten Frauen es nicht auch noch mit anderen Herren treiben? Da hatte ich doch bisher immer mit der „blanken Waffe“ gekämpft. Wie hoch ist bei einer solchen Sache die Ansteckungsgefahr? Ehrlich gesagt, ich hatte schon ein Wenig Angst bekommen und hoffte nur, dass meine bisherigen drei Seitensprungpartnerin ansonsten anständige Frauen waren. Dann gab es noch mein religiöses Empfinden. Nach wie vor war ich nicht vom Glauben abgefallen und ging auch recht regelmäßig zum sonntäglichen Gottesdienst. Heißt es nicht aus gutem Grund „Du sollst nicht ehebrechen“? Aber wo fängt Ehebruch an? Muss eine Ehe erst geschieden werden bevor man vom Ehebruch spricht oder war das, was ich da sogar dreifach gemacht habe schon Ehebruch? Meine Versuche die Angelegenheit für mich zu verharmlosen führten immer zu einer Umkehrschluss-Überlegung: Was wäre gewesen, wenn mir Uli so etwas angetan hätte? Wäre ich dadurch nicht schwer getroffen und verletzt worden? Heißt es nicht im Volksmund: Was du nicht willst, dass man dir antut, das füge auch keinem anderen zu? Also, insgesamt war meine Freude an solchen Geschichten wie ich sie 98 und 99 veranstalte doch ziemlich auf einen Nullpunkt gesunken. Das einzig richtige ist doch trotz aller Widrigkeiten, sich eine Partnerin, so wie sie mir vorschwebte, zu suchen und wenn mir eine solche nicht beschieden ist, mich in dieses „Schicksal“ zu fügen. Ich bin ja nicht der einzigste Mann auf dieser Welt dem es so geht. Jetzt habe ich so eben, gerade mal zwei Absätze zuvor, auch die Geschichte mit dem US-Wahlbeschiss, so wie ich es nannte, erwähnt. Dazu sollte ich doch noch ein paar Worte verlieren. Sie entsinnen sich sicherlich doch noch an die US-Präsidentenwahl im November 1999 – oder nicht? Im damaligen Wahlkampf war der Vize des amtierenden Präsidenten, ein gewisser Al Gore, gegen den Sohn des Ex-Irak-Kriegers Georges Bush angetreten. Das Ergebnis war äußerst knapp. Zwar hatte Al Gore die insgesamt meisten Wählerstimmen auf sich vereinigen können aber nach dem amerikanischen Wahlrecht kommt es ja nicht auf das Verhältnis an sondern entscheidend ist die Anzahl der Wahlmänner, die aufgrund des Wahlergebnisses in den einzelnen Bundesstaaten zur Wahl des Präsidenten entsandt werden. Der amerikanische Präsident wird also nicht direkt sondern nur indirekt vom Volk gewählt. Wer in einem Bundesstaat gewonnen hat bekommt die Stimmen aller Wahlmänner, die dieser Bundesstaat entsenden kann – auch wenn der Sieg nur hauchdünn war. So kann es passieren, dass derjenige, der in der gesamten USA die meisten Stimmen bekommen hat, trotzdem die Wahl verliert. So war es dann auch 1999. Das Zünglein an der Waage bei der Entsendung von Wahlmännern bildete damals der Bundesstaat Florida. Ausgerechnet der Staat, in dem der Bruder des Kandidaten George W. Bush der Gouverneur war. Und genau da, in Florida, gab es den begründeten Verdacht, dass das von den Wahlmaschinen
ermittelte Ergebnis falsch sei. Die Stimmkarten, die gelocht werden mussten, waren so beschaffen, dass die Maschinen dieses auch zuungunsten von Al Gore lesen konnten. Daraufhin setzte die Partei Gores, die Demokraten, zunächst durch, dass die Stimmen per Hand nachgezählt werden sollten. Das passte den Republikanern, denen es nicht auf den wirklichen Wählerwillen sondern auf die Macht ankam aber gar nicht. Auch sie bemühten die Justiz und bekamen letztendlich vor dem Bundesgericht auch recht. Maschinen haben also mit dem nachträglichen Segen konservativer Oberrichter einen George W. Bush ins Weiße Haus gemurkst, der wahre Wählerwillen wurde nie ermittelt. Vielleicht hat „Dabbel-Ju“ ja sogar in Wirklichkeit gewonnen aber das er zu unrecht Präsident ist, ist ja ebenso wahrscheinlich. Was soll’s, ich habe keinen Grund mich da einzumischen, denn auf mich hört man ja sowieso nicht. Das war mal wieder einer meiner berühmten Ausflüge ins Zeitgeschehen. Jetzt könnte ich noch auf den ersten in Deutschland bekannt gewordenen BSE-Fall ausweichen – das war auch im November 2000 – oder das Kapitel an dieser Stelle beenden. Ich habe ja alles was aus 2000 berichtenswert ist, sowohl aus meinem privaten Leben wie aus dem allgemeinen Geschehen niedergeschrieben. Jetzt komme ich zum Jahr 2001, in dem sich dann allerlei in meinem privaten Leben wie im großen Weltgeschehen ereignete. Das sollte mir doch ein eigenes Kapitel wert sein. Was soll es, ich mache es jetzt einfach wie beim Privatfernsehen wenn die Programmunterbrechungen im Werbeprogramm erst mal wieder beendet werden und überrasche die Leserin beziehungsweise den Leser mit „Gleich geht es weiter“.
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Ein Jahr voller Action Die Lebensbahnen der Menschen verlaufen nie glatt und gradlinig in vorausplanbaren Bahnen. Mal geht es bergauf und mal bergab aber auch streckenweise mal ganz glatt. Mal passiert überhaut nichts nennenswertes und mal jagt ein Ereignis das andere. Unsere Pläne werden immer wieder durch Ereignisse, auf die wir keinen Einfluss haben, durchkreuzt. Es wäre jedoch auch direkt langweilig, wenn wir unser Leben verbringen würden, als seien wir eine Lokomotive einer alten mechanischen Spielzeugeisenbahn, mit denen wir als Kinder in den 50er-Jahren spielten. Diese brauchte man nur aufzuziehen – wie ein Uhrwerk – und auf die Schienen stellen, dann fuhr sie mit gleichbleibender Geschwindigkeit immer der Schiene nach, bis die Feder abgelaufen war. So geht es im Leben also nicht zu. Wenn ich in diesem Sinne die bis jetzt letzte Zeit meines Lebens Revue passieren lasse, dann muss ich eigentlich sagen, dass es in der Zeit seit Ulis Tod und dem Jahresende 2000 ziemlich ruhig und glatt gelaufen war. Aber dann sollte es mal wieder richtig losgehen. Das Jahr 2001 sollte wieder eines voller Action werden, wie man so schickimicki im neudeutschen Denglisch sagt. Zum Glück handelte es sich jedoch überwiegend nicht um Dramen und Tragödien schon gar nicht. Bereits in der zweiten Woche dieses Jahr ging es los. Frank und Janine riefen an und kündigten mir ihren Besuch für den darauffolgenden Samstag an. Sie verrieten mir nur, dass es um eine besondere Überraschung ginge, wegen der sie am nächsten Tag, also am Sonntag, auch bei den Schmitzen in Köln vorstellig werden wollten. Ich habe mir damals gleich gedacht um was es sich bei der Überraschung handeln könnte. Sie können sich dieses doch sicherlich auch ausmalen. Mal sehen, ob Sie mit Ihrem Gedanken recht haben. Aber so etwas über zwei Stunden nach diesem Anruf gab es dann schon die nächste Überraschung. Da riefen dann auch Jean und Mareike an. Auch die beiden wollten mich am gleichen Samstag wie die Erstanrufenden besuchen. Ihre Ankündigung unterschied sich von der vorrangegangenen nur dadurch, dass Jean und Mareike nicht am nächsten Tag nach Köln wollten sondern dort bereits am Freitag antreten würden. Etwas verblüfft fragte ich dann durch die Hintertür, wann die Geschwister beziehungsweise Schwäger oder Schwägerinnen das letzte Mal miteinander gesprochen hätten. Na ja, das war schon ein Weilchen her und so konnte ich eine Absprache zunächst mal ausschließen. Wenn es sich um das handeln würde, was ich mir dachte, müsste dieses ein sehr großer Zufall sein. Als ich Mareike sagte, dass die beiden anderen auch an diesem Tag kommen wollten bekam ich nur „Jau, das ist ja wunderbar. Dann können wir die ja gleich mitüberraschen“ zur Antwort. Die Besuchsanmeldungen brachten schon eine Portion Aufregung in meinen tristen Alltag. In mir hatte sich so eine spannende Erwartung, wie bei Kindern vor der Weihnachtsbescherung, gebildet. Am Samstagmorgen habe ich dann für meine Verhältnisse eingekauft wie ein Weltmeister. Schließlich wollte ich meine Kinder und Schwiegerkinder, die mich überraschen wollten, mit einer angemessenen Bewirtung belohnen. Dann, kurz nach Mittag war es soweit: Jean und Mareike standen zuerst vor der Tür. Dadurch, dass ich den beiden, die als zweite angerufen hatten, gesagt hatte, dass ihre Geschwister auch noch zu erwarten seien, habe ich selbst meine Spannungsfolter künstlich verlängert. Jean kann sich mit Mitteilungen zurückhalten aber Mareike gehört zu den Menschen, die selbst innerlich brennen, wenn sie etwas mitzuteilen hat und dieses dann nicht kann. Aber jetzt wollten die Zwei doch auf den Herrn Pastor und auf die Frau Doktor, sprich auf Frank und Janine, warten. Na ja, das Ganze dauerte dann noch etwa eine Stunde bis das andere Paar eintraf. Da gab es erst einmal die üblichen Begrüßungszeremonie und dann schwirrte die bereits länger anwesende Mareike in die Küche um den Kaffee, den sie inzwischen gebrüht hatte, ins Wohnzimmer zu holen. Als sie die Kanne auf den Tisch gestellt hatte schaute sie an sich herunter, legte eine Hand auf ihren Bauch und bemerkte dabei: „Es sieht so aus als würde ich immer dicker.“. Ihr Bruder Frank übte sich in der Höflichkeit und tönte: „Ach Schwesterchen, du und dick werden ist wie Schnee im August.“. Prompt konterte sie, während sie sich über den Bauch strich: „Warts nur ab, das wird jetzt von Monat zu Monat mehr.“. Jetzt meldete sich Janine mit einem erfreuten und erstaunten „Du auch.“. Sicher jetzt hatten alle begriffen und es war das, was ich vermutete. Sowohl Mareike wie Janine waren schwanger. Das ich verstanden hatte wollte ich mit einer, mit freudiger Stimme vorgetragenen Frage bekunden: „Sagt bloß, dass ihr Beiden in diesem Jahr meine Enkelschar verdoppeln wollt?“. Janine sah mich, sich empört stellend, an: „Was denn, verdoppeln? Das schaff ich doch alleine und wie ich höre will Mareike doch auch noch ihren Beitrag dazu leisten. Von mir bekommst du gleich zwei auf einen Schlag. Wenn die Ultraschallaufnahmen nicht lügen, sind da zwei Mädchen drin.“. Und jetzt strich auch sie sich über den Bauch. „Gratuliere liebstes Schwesterchen,“, meldete sich Jean, „du hast tatsächlich gewonnen. Wir bringen es nur auf Einen aber dafür auf einen Stammhalter der Kleiner-Sippe.“. Das war wirklich eine tolle Überraschung, wenn Tochter und Schwiegertochter gleichzeitig schwanger sind. Aber da gibt es immer noch etwas, was man da noch drauf setzen kann. Ich wollte jetzt von den Beiden wissen, wann denn bei ihnen der vorausberechnete Termin sei. Das brachte uns denn allesamt dazu riesige Bauklötze zu staunen. Beide nannten meinen 55. Geburtstag, also den 12. Juni 2001, als vorausberechneten Termin. Janine ermahnte uns jedoch dass wir uns da jetzt nicht darauf versteifen sollten. Gerade bei Zwillingen wäre es denkbar,
dass sie sich ein paar Tage zu früh auf dieser Welt melden. Jean konnte es dann nicht lassen noch pikante Bemerkungen anzusetzen: „Nun ja, ich weiß das unser Kevin sein Dasein einem Geburtagsnümmerchen, das mir mein Goldi gewährte, zu verdanken hat. Könnte es sein, Schwesterchen, dass ihr da auch zu Ehren deines geschätzten Bruders eine flotte Sohle ins Bett gelegt habt.“. Janine nahm es gelassen und klärte ihn auf: „Ja Brüderchen, Eins von den beiden Dingen, die ihr vorgetragen habt, kann nicht stimmen. Man rechnet vom Eisprung und der Befruchtung, die innerhalb einer ganz kurzen Spanne zum Eisprung erfolgen muss, bis zur Geburt 280 Tage. Zwischen einem 11. September und einem 12.Juni liegen aber nur 274 Tage. Entweder habt ihr euer Nümmerchen wie wir am 5. September geschoben oder der Stammhalter des Hauses Kleiner ist erst für den 18. Juni angemeldet.“. „Au weia, da kann ich schlecht kontern,“, bekannte Jean jetzt kleinlaut, „du bist ja hier die Ärztin. Aber du hast bestimmt recht, was auch sein kann ... Wir gönnen es uns ja sowieso täglich.“. „Gib nicht so an“, ermahnte Mareike darauf ihren Mann, was uns alle dazu veranlasste Jean mit einem spöttischen Lächeln anzuschauen. So, an dieser Stelle enden meine Detailerinnerungen an diesem wunderschönen Tag. Ich war so richtig glücklich, fast so wie in alten Zeiten. Besonders stolz war ich darauf, dass mir meine Kinder diese tolle Sache nicht so nebenbei am Telefon erzählt haben sondern mich deshalb extra besucht haben. Wenn ich mir an die Nase fasse muss ich gestehen, dass ich dieses weder gegenüber meiner eigenen Mutter noch gegenüber Ulis Mutter so gehandhabt habe. Als die Vier am Abend wieder davon gefahren waren, musste ich erst einmal den Rest der Familie, sprich Björn und Katja, von den großen Dingen, die ihre Schatten voraus warfen, telefonisch unterrichten. Katja hatte darauf ein ganz besonderes Anliegen: „Ach Dad, ich bin ja nur die Halbschwester von Jean und Janine. Meinst du, dass die etwas dagegen haben mich wie eine richtige Tante zu sehen und zu behandeln?“. „Ach Mädchen,“, konnte ich ihr darauf verkünden, „ Allesamt, gleichgültig ob Jean, Janine oder Björn, halten sich ja auch für richtige Onkels und Tanten von Monica und Hendrik. Dann dürfte für die doch selbstverständlich sein, dass du auch die richtige Tante ihrer Kinder bist.“. „Aja, das stimmt“, antwortete Katja nachdenklich, „aber so selbstverständlich scheint das gar nicht zu sein. Meine amerikanischen Geschwister machen mir, sehr zum Leidwesen von Mam immer deutlich, dass ich nicht deren richtige Schwester bin. Dahinter steckt Grandma, die es gar nicht gerne gesehen hat, das Mam eine, noch nicht einmal amerikanische Tochter mit in die Ehe ihres Sohnes gebracht hat. Bis zur Geburt meines ältesten Bruders hat Grandma meine Mutter und mich immer wie das fünfte Rad am Wagen behandelt. Hier fühle ich mich wohl, denn hier habe ich das Gefühl dazu zu gehören.“. Das war jetzt das erste Mal, dass Katja mir gegenüber über ihre amerikanische Familie gesprochen hatte und das klang ja nun nicht gerade sehr gut. Das sie erklärt hatte, dass sie sich bei uns wohl und sich uns zugehörig fühlte, trug noch ein Bisschen mehr zu meinem Glück bei. Heute noch bin ich mit stolzgeschwollener Brust der Meinung, dass es sich bei meiner Familie um eine echte harmonische Gemeinschaft handelt. Das zeigte sich auch beim nächsten Highlight, bei dem jetzt Björn und Katharina die Hauptrolle spielten. Mitte März rief mich auch Björn an und teilte mir mit, dass er und Katharina etwas wichtiges mit mir zu besprechen hätten. Auch diese Beiden kündigten sich für den nächsten darauffolgenden Samstag an. Aus Erfahrung klug geworden fragte ich jetzt vorsorglich nach ob er dem Vorbild seiner Geschwister gefolgt sei. „Nein, nein, soweit sind wir noch nicht.“, erwiderte er, „Wir wollen auch erst einmal heiraten. Und darum geht es auch.“. Etwas amüsiert erwiderte ich: „Was, ihr wollt heiraten und meinen Segen dazu haben.“. „Ganz so einfach ist das nicht.“, kam jetzt von dem ernstklingenden Björn, „Aber warte es doch bis Samstag ab. Übrigens, können wir über Nacht bleiben und erst am Sonntagabend wieder fahren?“. Natürlich stimmte ich dazu, dass ist doch dann auch was Besonderes für mich.“. In der Tat teilten mir die Beiden mit, dass sie in der Woche nach Ostern heiraten wollten, und zwar nur standesamtlich in Berlin, wohin sie über Ostern einen Ausflug machen wollten. Björn wollte die Gelegenheit nutzen und seiner Katharina die Stätten seiner Kindheit zeigen. Von der ganzen Sache sollte nur ich im Vorhinein erfahren und ansonsten sollte die Geschichte heimlich ablaufen. Der Hintergrund lag in der Familie Kwiatkowski, also in Katharinas Elternhaus. Kwiatkowskis lebten in Scheidung. Sowohl Katharinas Mutter wie ihr Vater hatten schon längere Zeit vorher ein Verhältnis mit einem anderen Partner beziehungsweise Partnerin gehabt. Jetzt war es bei dem Ehepaar so, dass sie, wenn sie aufeinander trafen, grundsätzlich glaubten eine besonders wüsste Schlacht im Rosenkrieg ausfechten zu müssen. Trotz allem hatte – und hat auch heute noch – Katharina beide Elternteile lieb. Beide zusammen einladen konnte sie aus eben besagten Gründen nicht und nur den Vater oder nur die Mutter einladen und die jeweils andere Hälfte zuhause lassen wollte sie nicht. Wahrlich ein Problem. Jetzt hatten sich Björn und Katharina überlegt, dass sie heimlich heiraten wollten. Da schlug den Beiden allerdings in Hinsicht auf meine Person das Gewissen. Ich hatte ja nun beim besten Willen nichts mit dem Ehemalheur der Kwiatkowskis zu tun aber mich einladen wollten sie, um Katharinas Eltern nicht zu treffen, auch nicht. Sie waren gekommen um sich mein Verständnis einzuholen. Meine nun wohl berechtigte Frage war, warum sie denn unbedingt jetzt heiraten und nicht abwarten wollten bis sich die Wogen geglättet haben. Darauf sagte Katharina leise und fast weinerlich: „Ach, das wird wohl niemals mehr etwas werden. Dafür ist zuviel Porzellan zerschlagen worden. Mein heutiges Problem werden wir auch
noch in fünf Jahren haben. Und warum wir ausgerechnet jetzt nach Ostern heiraten wollen kann ich dir nicht mit logischen Worten erklären ... Wir möchten nun endlich ein richtiges, auch rechtlich verbundenes Paar sein. Ich möchte endlich auch Björns Namen tragen. ... Und ... Ja seit gestern weiß ich es genau - auch ich bin schwanger ... Anfang November sind wir eine richtige Familie.“. Potzblitz, das Jahr fängt ja gut an. Da ist das erste Quartal noch nicht zuende, da weiß ich schon, dass in diesem Jahr aus dem 2-fachen Großvater Dieter Kleiner ein 6facher geworden sein wird. Da soll mal einer sagen, ich hätte meinen Beitrag zur Zukunftssicherung der Rentenversicherung nicht geleistet. Na ja, die Enkel sind ja nicht mein Beitrag aber die fünf Kinder, von denen ja Arnika leider schon als Baby gestorben ist, kann ich mir doch voll auf die Fahne schreiben und dass diese dann auch keine Kindermuffel sind, dürfte wohl auf Ulis und meine Erziehung zurückzuführen sein. Das Einzigste was ich im Falle von Björn und Katharina zu bemängeln gehabt hätte, war erstens deren Alter – sie wurden 2001 einundzwanzig Jahre alt – und das Björn seine Ausbildung noch nicht beendet hatte. Nun, wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Wie alt war ich denn als ich Katja zeugte und wo war denn meine Ausbildung abgeschlossen gewesen? Eine Frage, die noch offen war, die ich aber nicht hinterfragt hätte, wurde mir von den Beiden unaufgefordert beantwortet worden. Sie wollten auf die kirchliche Trauung verzichten, weil sie der Meinung waren, dass eine solche Zeremonie nach einem etwas feierlicheren Rahmen „schreie“ und dieser nicht gegeben sei, wenn nur sie und der Pastor dazu erscheinen würden. Auch oder gerade bei einer kirchlichen Trauung bestünde ja das gleiche Problem mit dem verfeindeten Elternpaar Kwiatkowski wie bei der standesamtlichen Trauung. Und in der evangelischen Kirche wäre die Trauung ja sowieso kein Sakrament. Katharina war zwar katholisch aber regelmäßig, fast jeden Sonntag, mit Björn zur evangelischen Kirche gegangen. Irgendwie hatte sie inzwischen protestantisches Feuer gefangen und wollte zu einem späteren Zeitpunkt zur evangelischen Konfession konvertieren. In diesem Fall kann ich ja mal etwas vorgreifen: Ende 2002, also fast anderthalb Jahre später, hat Katharina diesen Schritt tatsächlich vollzogen. Überhaupt alles was sie sich vorgenommen hatten, haben sie durchgezogen: Am Freitag, dem 20. April 2001, haben Björn und Katharina beim Standesamt Tempelhof zu Berlin den Bund fürs Leben geschlossen. Alles in Allem zog ich es vor, mich nicht einzumischen und den jungen Leuten die Entscheidung alleine zu überlassen. Ich sagte ihnen jedoch klipp und klar, dass das, was sie vorhatten, sowohl richtig wie falsch sein könnte und sie jetzt die Verantwortung alleine schultern müssten. Ich fand es aber toll, dass sie mich vorher in ihre Pläne eingeweiht hätten. In diesem Zusammenhang bat ich dann Katharina mal darüber nachzudenken ob sie ihre Eltern nicht unabhängig voneinander genauso in Kenntnis setzen wollte wie sie mich informiert hätten. Katharina erwiderte mir darauf, dass sie dieses schon hin und her überlegt habe, aber ihre Eltern wären halt anders wie ich. Ihre Mutter würde dann bestimmt darauf bestehen, dass sie dabei sein dürfe aber sie ihrem Vater vorher nichts davon sage. Ihr Vater würde das auf jeden Fall krumm nehmen und dann die Beziehung zu ihr aufkündigen. Es wäre aus ihrer Sicht in diesem Fall doch besser ihre Eltern vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gäbe zwar auch Ärger aber mit der Zeit würden sie sich dann doch beruhigen während massiver Streit vor und bei der Hochzeit wohl das endgültige Aus der Familie sein würde. Von der Sache her, faste ich persönlich den Besuchsgrund der Beiden bei mir mit etwas gemischten Gefühlen auf aber der Besuch selbst machte mich glücklich. Es war ein wirklich nettes und harmonisches Wochenende. Das nächste „Highlight“ im Jahr voller Action war dann in keiner Hinsicht so glücklich wie die bisherigen. Dieses traf schon gleich an dem Montag, der dem zuvor beschriebenen Wochenende folgte, ein. Des Morgens versammelte unser Chef alle „seine“ Leute um sich. Er teilte uns mit, dass er seinen „Laden“ an ein größeres Unternehmen verkauft habe. Dieses Unternehmen, welches in Duisburg ansässig war, wollte wohl das „Geschäft“ aber weder die Leute noch die Immobilie, in der unser kleines Unternehmen ansässig war. Die Immobilie sei auch schon so gut wie verkauft. Ein Handwerksunternehmen wollte diese übernehmen. Die Konsequenz für uns sei, dass er uns in der kommenden Woche die Kündigung zum Monatsende Juni zustellen müsste. Den Leuten, die eine längere Kündigungsfrist wie drei Monate hätten, wollte er eine entsprechende Abfindung zahlen ansonsten stünden wir alle ab dem 1. Juli 2001 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Wenn jemand vorher etwas fände, wäre er gegebenenfalls auf jeden Fall zu einem einvernehmlichen Aufhebungsvertrag bereit. Schöne Bescherung. Jetzt konnte ich neben meiner Partnerinsuche auch noch auf Arbeitssuche gehen. Ohne Arbeit dürfte ich wohl ersteres erst einmal abschreiben dürfen. Das kann ich ja richtig nachvollziehen, dass ein Pleitier, der von Inkassogeiern verfolgt wird und zudem noch ohne Arbeit ist, kein Traumpartner darstellt. Aber die Arbeitssuche dürfte für mich auch kein Zuckerschlecken sein. Auch auf dem Arbeitsmarkt ist ein Pleitier keine Toppempfehlung und bei mir kamen dann mein Alter, am 12. Juni des besagten Jahres würde ich fünfundfünfzig Jahre alt sein, und mein steifes Bein hinzu. Nun begann eine schlimme Zeit für mich. Ich habe bis heute fast 800 Bewerbungen geschrieben. In den ersten drei Monaten waren es zirka 100 pro Monat. Dann wurden es nach und nach immer weniger. Das lag aber nicht daran, dass ich für eine Bewerbung zu faul geworden wäre sondern die Zahl der Stellen, wo ich mich hätte bewerben können und wo ich noch nicht
vorstellig geworden war, wurde immer geringer. Trotz der vielen Bewerbungen bekam ich nur drei Mal die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Auch hier in der Gegend bin ich bei allen möglicherweise infrage kommenden Unternehmen persönlich angetreten und habe vergeblich nachgefragt ob etwas Adäquates für mich frei sei. Oft hatte ich den Eindruck, dass sich meine Gegenüber sich durch mein Auftreten belästigt fühlten. Wirtschaftlich war die Zeit als ich Arbeitslosengeld bezog allerdings weniger tragisch. Dadurch das ja von meinem Gehalt abgepfändet worden war hatte ich während der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ungefähr den gleichen Betrag wie vorher zur Verfügung. Was ist aber, wenn ich in die Arbeitslosenhilfe abrutsche. Dann müsste ich zwangsläufig in eine kleinere Wohnung ziehen müssen um Miete zu sparen und dabei wollte ich diese doch in Hinsicht auf eine eventuelle neue Partnerschaft behalten. Nach wie vor fühlte ich mich zum Alleinsein nicht geboren. Auch mein Auto müsste bei einem Abrutschen in die Arbeitslosenhilfe dran glauben müssen, denn den Autounterhalt würde ich doch besser in meinen persönlichen umlenken müssen. Dieses dürfte dann der endgültige letzte fahrbare Untersatz meines Lebens gewesen sein. In einer Zeit, wo man auf absolute Mobilität setzt und dahingehend im ländlichen Raum den ÖPNV nur im eben notwendigen Maße betreibt, ist so etwas das Aus im gesellschaftlichen Leben. Als Arbeitsloser fühlt man sich gesellschaftlich geächtet und von den Politikern, die meinen sie könnten durch Druck auf die Arbeitslosen die Arbeitsmarktdaten positiv beeinflussen, verhöhnt. In dieser, zur Verzweiflung angetanen Zeit konnte ich aber auch eine wunderbare Erfahrung, die in der heutigen Zeit gar nicht so üblich ist, machen. Alle meine Kinder boten mir ihre Unterstützung sowohl finanziell wie ideell an. Gegen eine ideelle Unterstützung habe ich im Grunde ja nichts einzuwenden aber die finanzielle wollte ich auf jeden Fall ablehnen. Man überlege sich mal, dass Katja für die ich kein Kindsunterhalt gezahlt habe jetzt für ihren Vater zahlt. Natürlich hat meine Tochter recht, wenn sie sagt, dass die Nichtzahlung des Kindsunterhaltes nicht auf mich zurückzuführen sei und ich auch bereit gewesen wäre, wenn andere Umstände vorgelegen hätten. Aber Fakt ist, dass ich nicht gezahlt habe. Also Katja in Anspruch zu nehmen hielt ich, auch im Hinblick darauf, dass sie wirtschaftlich ganz gut gestellt ist, für moralisch nicht zu rechtfertigen. Natürlich gab es seitens Katjas und insbesondere ihres Mannes Henk die Überlegung mich in die Firma seines Onkels, die er mal übernehmen wird, aufzunehmen. Aber die kleine Metallwarenfabrik hatte entsprechend auch nur eine sehr kleine Verwaltung. Alle Posten waren mit langjährigen Mitarbeitern, die sowohl untereinander wie auch zu Henk und seinen Onkel ein gutes Verhältnis aufgebaut hatten, besetzt. Das hätte zu recht ganz schön böses Blut gegeben, wenn ich da jemand rausgedrängt hätte. Das bisherige Super-Betriebs-Klima dürfte dann wohl dahin sein und so etwas spiegelt sich in der Regel in der Produktivität und im Ergebnis wieder. Und man kann ja auch nicht so wie ab und zu mal im Öffentlichen Dienst vorgehen, wenn es gilt für verdiente Leute, immer mit richtigem Parteibuch, einen Posten zu schaffen. In einem privaten Wirtschaftsunternehmen kann man ja nicht zur Betriebsführung beliebig in die Steuerkasse greifen und da muss sich schon der Einsatz von Personal rechnen. Mittelfristig führen Gefälligkeitsposten dann doch dazu, dass ein anderer, schon der Auslastung halber, hinaus gedrängt werden muss. Dann waren da auch noch die beiden ältesten Kinder aus der zweiten Ehe, Jean und Janine. Jean ist wie seine Frau Lehrerin und Janine ist eine, mit einem Pastor verheiratete Ärztin. Beide dürften wohl in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen leben. Unter den Umständen würde ich wohl eine gelegentliche Zuwendung annehmen aber dauerhaft wollte ich denen auch nicht auf der Tasche liegen. Man darf ja auch nicht vergessen, das beide Paare momentan ja auch dabei waren ihre eigenen Familien mir dem dazugehörigen Umfeld aufzubauen. Sie versuchten mir zwar die moralischen Hemmungen zunehmen, in dem sie sagten wir – also Uli und ich – hätten sie ja groß gezogen und ihnen trotz wirtschaftlich schwieriger Lage ein Studium ermöglicht, aber dagegen konterte ich stets, dass ich sie nicht in die Welt gesetzt und groß gezogen habe, damit ich ihnen auf der Tasche liege. Außerdem würde ich sie ja in dem Fall, wenn ich mich von ihnen aushalten ließe, für die Risiken, die ich eingegangen bin in Anspruch nehmen. Außerdem sah ich dafür auch keine Notwendigkeit. Noch bekäme ich ja Geld aus der Arbeitslosenversicherung in die ich Jahrzehnte lang eingezahlt hatte. Und das war als Vorstandsmitglied bei Schweikart und später als Geschäftsführer in der eigenen GmbH nicht gerade wenig. Mein Beitrag wurde an der Beitragsbemessungsgrenze angesiedelt. Dem entsprechend würde ja auch später mal meine Rente ausfallen. Ich müsste nur durch die Durststrecke, in der ich auf Arbeitslosenhilfe angewiesen sei aber noch keine Rente beziehe, durchstehen. Letztlich will ich meinem „Benjamin“, also Björn, nicht vergessen. Auch er hatte mir, ohne das er von dem Angebot seiner Geschwister wusste, Hilfe angeboten. Aber der Junge muss doch erst mal seine Ausbildung beenden und hat gerade begonnen auf kleinen Füßen eine eigene Familie zu gründen. Gerade sein Angebot hat mich unheimlich geehrt und mir viel Freude gemacht aber annehmen konnte ich dieses beim besten Willen nicht. So viel dazu. Ich habe jetzt an dieser Stelle mal zusammengefasst, was es diesbezüglich bis jetzt, im Jahr 2003, gegeben hat. Entsinnen Sie sich noch an die ersten Zeilen in diesem Buch? Da schrieb ich: Ja Leute, ein Millionär bin ich noch nicht gewesen – aber ganz nah dran war ich doch schon. Und jetzt? Jetzt bin ich schon ein ganzes Weilchen ein Loser; ein Arbeitsloser. Arbeitslosengeld kriege ich schon seit März dieses Jahres nicht
mehr, man hat mich zur Arbeitslosenhilfe abdegradiert. Und sollte der Sozialraubplan, den ein gewisser Herr Gerhard Schröder Agenda 2010 nennt, in die Tat umgesetzt werden, wird aus mir auch noch Stütze Dieter. – Ende der Wiederholung – Das es doch noch mal eine Wende bei mir geben würde, konnte ich, als ich diese Zeilen in meinem alten PC eintippte, auch noch nicht erahnen. Es kommt halt immer anders als man gedacht hat – und das mal positiv und mal negativ. Aber warten Sie doch noch ein Bisschen ab. Auch in den Angelegenheiten, mit denen ich dieses Kapitel begann, kam es doch ein Wenig anders als ursprünglich gedacht. Da schien es doch so, als würde sich meine Enkelschar zu meinem 55. Geburtstag gleich um drei weitere erweitern. Allerdings hatte Janine schon darauf aufmerksam gemacht, dass man die Ankunft neuer Erdenbürger nicht so präzise vorhersagen kann. Bei Verspätungen könnte man mit einem Kaiserschnitt nachhelfen – es bleibt nur die Frage wie sinnvoll so etwas ist – aber gegen einen Frühstart ist wohl kein Kraut gewachsen. Am Mittwoch, dem 30. Mai 2001, sollte es dann zu einem solchen Frühstart kommen. Noch ging ich meiner Arbeit in dem jetzt noch nicht aufgelösten Industriehandels-Unternehmen in Letmathe nach. Inzwischen war ich mit dem Chef alleine und verrichtete nur noch Platzhalter- und Abräumverdienste, die Geschäfte wurden inzwischen schon über Duisburg abgewickelt. Sechs meiner Exkolleginnen und –kollegen hatten inzwischen von dem Angebot eines vorzeitigen Auflösungsvertrages Gebrauch gemacht weil sie eine andere Arbeit gefunden hatten. Bis auf einen Fall waren alle schlechter gestellt als bisher aber das war ihnen angenehmer als arbeitslos zu sein. Zwei Kollegen, wie ich auch über Fünfzig, hatten vom Chef ihr restliches Gehalt bekommen aber sie durften mangels Arbeit zuhause bleiben. Jetzt war ich da mit dem Boss allein auf weiter Flur und kapierte endlich, was ich, als ich im Schweikart-Auftrag Standorte liquidierte, bei den betroffenen Menschen angerichtet habe. Dann gab es doch noch, wie gerade angedeutet, eine Abwechselung im inzwischen tristen Arbeitsalltag. Das Telefon schellte und der Boss nahm ab. Nachdem er „Dann erst mal meinen herzlichen Glückwunsch“ gesagt hatte reichte er mir mit lächelnden Gesicht den Hörer rüber. Am anderen Ende war mein Schwiegersohn Frank: „Hallo Papa, altes Haus, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Ich fange mal mit der schlechten an. Es war doch geplant, dir zum Geburtstag drei Enkel zu schenken. Daraus wird nichts. Und jetzt die gute Nachricht. Sabrina und Marie wollten nicht bis zum Zwölften des nächsten Monats warten und sind schon mal in die Welt gehopst. Sowohl deine Tochter sowie die beiden neuen Erdenbürgerinnen sind wohlauf und putzmunter. Aber im Moment schlafen die drei erst einmal. Es war doch eine anstrengende Angelegenheit. Aber wie wär’s wolltest du nicht übers Wochenende mal zu uns kommen und den Familienzuwachs in Augenschein zu nehmen. Du kannst dann hier im Pfarrhaus schlafen.“. Natürlich wollte ich von der Einladung Gebrauch machen und war auch ganz aus dem Häuschen. Mein Chef hätte mich auch sofort gehen lassen weil er glaubte alles das, was jetzt anfiele auch alleine bewältigen zu können. Aber ich bin dann doch erst noch am Donnerstag und Freitag angetreten. Für den Nachmittag des Mittwochs hatte ich mir allerdings doch frei genommen, denn ich war schließlich vollkommen aus dem Häuschen. Das Wochenende vom 2. und 3. Juni 2001 stellte dann eine Premiere für mich da. Bisher war ich nur mal für das Wochenende in Wuppertal bei meiner Tochter aus erster Ehe zu Gast gewesen. Katja war die einzigste von meinen Kindern, die in einem eigenen Hause residierte. Jetzt war ich erstmalig bei einem „Kind“ aus zweiter Ehe länger als auf eine Stippvisite zu Besuch. Allerdings hatte Janine mit ihrem Mann auch ein ganzes Haus zur Verfügung aber so ein Pfarrhaus, in dem außer der Jungpastorenfamilie Schmitz auch das Gemeindebüro untergebracht ist, stellt im Grunde ja nichts anderes als eine, allerdings etwas privilegierte Dienstwohnung da. Diese konnte Frank, der noch der zweite Mann in der Gemeinde war auch nur bewohnen, weil sich der alteingesessene Gemeindepfarrer ein eigenes Häuschen in unmittelbarer Nähe der Kirche gebaut hatte. Natürlich war die Kirchengemeinde auch nicht zu splendid mit dem Wohnraum. Schlappe 115 Quadratmeter maß die Wohnung von Frank und Janine aber „noch“ hatte es ein Gästezimmer. Noch habe ich jetzt in Anführungsstriche gesetzt, weil es bei weiterem Familienzuwachs, der ja bei vielen Pastören nicht auszuschließen ist, bestimmt zum Kinderzimmer umfunktioniert wird. Derzeitig müssen sich Sabrina und Marie zunächst einmal ein Kinderzimmer teilen. Das brachte mich darauf, nach dem mich Frank durch die Wohnung geführt hatte, doch einmal durch die Blume nach der weiteren Familienplanung zu fragen. Der Befragte zuckte zunächst mal mit den Schultern und bekannte dann: „Jeu, das wissen wir jetzt selbst nicht einmal so recht. Eigentlich hatten wir uns ein Pärchen gewünscht. Dabei wollten wir es dann eigentlich belassen. Jetzt haben wir gleich zwei Mädchen auf einen Schlag bekommen. Jetzt ist die Frage ob wir doch noch einmal versuchen sollten da einen Jungen zu zubekommen. Dann kann es uns natürlich passieren, dass wir gleich wieder ein Doppelpack bekommen ... und es ganz extrem zu sagen, wieder gleich zwei Mädchen sind. Also, da wollen wir uns doch noch überlegen ob wir es noch einmal versuchen oder ob ich mir die Strippe durchschneiden lassen soll. Auf keinen Fall soll Janine ein Leben lang Pillen schlucken, nur damit uns kein Strich durch unsere Lebensplanung gemacht wird. Die Pille ist immerhin ein Eingriff in den Hormonhaushalt der Frau, wobei es eine hohe Wahrscheinlichkeit der Förderung von späteren ernsteren Krankheiten gibt. ... Und dir als gestandenen Mann kann ich es ja ruhig sagen: Mit Regenmäntelchen –
und sei es noch so gefühlsecht – macht es auf die Dauer doch auch keinen richtigen Spaß.“. Jetzt wusste ich den Stand der Schmitzen Familienplanung genau aber immer noch nicht ob ich von der Seite noch weitere Enkelkinder zu erwarten habe. Aus der Art und Weise wie mich Frank über die Familienplanung aufklärte kann man die Atmosphäre, die an diesem Wochenende herrschte, ablesen. Des Samstag war auch der „alte“ Pfarrer Schmitz aus Köln mit seiner Frau anwesend. Regelmäßig bekamen wir eine nette Abwechselung. Unsere Enkeltöchter meldeten sich mit ihren babyhaft kieksigen Stimmen regelmäßig hungrig. Jeanine nahm sie dann immer an die Brust und wir durften alle dabei sein. Ist doch ein süßer Anblick wenn zwei so kleine Würstchen an den Tietzen ihrer Mutter nuckeln. Alles in einfacher Ausfertigung hatte ich ja schon oft genug bei Uli erlebt aber zwei auf eine Mutter war auch neu für mich. Frank assistierte bei dieser Gelegenheit immer munter und eifrig. Scherzhaft meinte er, dass es schade sei, das Männer keine Milch geben könnten, denn dann könne man sich das Vergnügen ehrlich teilen. Nach jeder Säuglingsmahlzeit kam am Samstag immer die „große Stunde“ der Großväter: Wir durften je eine der beiden Enkeltöchter bis zum obligatorischen Bäuerchen auf die Arme nehmen. Janine achtete darauf, dass wir gerechter Weise je einmal Marie und einmal Sabrina bekamen. Dabei stellte ich etwas erstaunliches fest. Ich konnte die beiden Zwillingsbaby, die sich ja so glichen, nicht auseinanderhalten und Janine brauchte gar nicht lange hinzusehen und wusste wer Sabrina und wer Marie ist. Natürlich hat sie uns die ganz feinen Unterschiede zwischen den Beiden erläutert aber selbst nach dieser Erklärung musste ich ganz genau hinsehen und bei Janine sah es so aus, als könnte sie mit verbunden Augen sagen welche ihrer beiden Töchter sie vor sich hat. Das war so, als hätte sie in dieser Angelegenheit schon längere Übung und dabei waren die Kleinen erst seit einer halben Woche auf dieser Welt. Es gab auch eine ganz Reihe von weiteren Erlebnissen, die nun nicht gerade nach einer Aufzeichnung für die Nachwelt schreien für mich aber zu den großen Stunden meines Lebens zählen. Man kann sich vorstellen, dass ich trotz meiner drohenden Arbeitslosigkeit nach der vergangenen Woche recht glücklich war. Und knapp darauf stand dann das nächste tolle Ereignis an. Nun, Sie wissen es ja bereits, dass genau für den Tag meines 55. Geburtstages, also für Dienstag, den 12. Juni 2001, die Geburt eines weiteren Enkelkindes vorausberechnet worden war. Jetzt gab es nur die spannende Frage ob das wirklich so klappt. Als des Morgens um Sieben das Telefon klingelte spürte ich schon den Jubelschrei startklar in meiner Kehle. Als sich dann tatsächlich Jean am anderen Ende meldete, wäre es beinnahe passiert, dass ich los gejubelt hätte. Nachdem er dann sein Anliegen ausgesprochen hatte, dachte ich mir in meinem Hinterstübchen „Ach der blöde Kerl.“. Er teilte mir nämlich nur mit, dass noch nichts anstehe und er jetzt zwangsläufig zum Dienst fahren würde. Er wollte es aber nicht versäumen, mir noch vorher zum Geburtstag zu gratulieren. Erst als ich ein Wenig Abstand zu dem Gespräch hatte merkte ich, dass er mir doch etwas von Bedeutung mitgeteilt hatte, nämlich dass das, auf was wir warteten, noch nicht eingetreten war; die Gratulation war so eigentlich nur zugehörige Nebensache. Ich glaube an diesem Tag ging es mir im Büro so ähnlich, wie damals als Katja geboren wurde. Bei jedem Anruf hatte ich das Gefühl als sei ich privat gemeint. Das war aber nie der Fall. Als ich dann des Abends wieder zuhause war rief ich gleich bei Jean an um mich zu erkundigen, ob ich inzwischen etwas versäumt habe aber da meldete sich nur der Anrufbeantworter und mit Automaten spreche ich nur wenn es wirklich wichtig ist. Dann wählte ich Jeans Handynummer an aber da kam nur die Ansage, dass der Teilnehmer vorrübergehend nicht erreichbar sei und ich es später noch einmal versuchen solle. Na, sollte sich da etwas tun? Diese Frage bekam ich dann etwa drei Stunden später beantwortet. Jean, der offensichtlich vollkommen aus dem Häuschen war, erzählte mir irgendeinen Kaudawelsch in dem die Worte „Kevin, Kreißsaal und gesund“ vorkamen. Na ja, so etwas muss man ja auch nicht vollinhaltlich verstehen, da ist ohnehin klar was es zu verkünden gibt: Mein bis jetzt jüngster Enkel Kevin würde in Zukunft mit mir Geburtstag feiern können. Ist das nicht toll: Jean hat am gleichen Tag Geburtstag wie seine Mutter und sein Sohn teilt sich diesen Tag mit seinem Großvater. Innerhalb von vierzehn Tagen war Jean zwei Mal Onkel und einmal Vater geworden und eine weitere Onkelschaft ist schon im Werden. Natürlich besuchte ich auch Jean, Mareike und Kevin. Aber nicht schon am darauffolgenden Samstag, denn Mareike blieb tatsächlich mit ihrem Söhnchen eine Woche im Krankenhaus. Die berühmte Woche war auch bei Uli immer der Fall. Ich denke, dass, wenn Janine nicht Ärztin gewesen wäre, es bei ihr auch der Fall gewesen wäre. Aber genau weiß ich das natürlich nicht. Ich musste mit meinem Besuch in Gronau also bis zum übernächsten Sonntag warten. Daran, dass ich jetzt am Sonntag anreiste, kann man ersehen, dass ich dort auch nicht nächtigte. Das lag aber daran, dass der jungen Familie meines Sohnes weder ein Pfarrhaus noch ein Eigenheim zur Verfügung stand. Bis jetzt hatten sie nur eine kleine Wohnung. Da aber auch die Schmitzen ihren neuen Enkel begrüßen wollten und wir die 65-Quadratmeter-Wohnung nicht allzu sehr übervölkern wollten wählte ich den Sonntag, an dem auch der „alte“ Herr Schmitz seinen Dienst auf der Kanzel verrichten muss. Dafür hatte ich dann auch das Vergnügen die Familie Kleiner junior ganz alleine für mich zu haben. Auch hier
hatte ich die Ehre nach dem Säugen, an dem ich als Ehrengast teilnehmen durfte, für das Bäuerchen meines Enkels zuständig zu sein. Nach einer solchen Glücksphase hoffte ich natürlich, das es so weitergehen würde und auch meine Arbeitslosigkeit in letzter Minute abgewendet würde. Aber daraus wurde, wie man schon aus dem was ich bereits berichtet habe entnehmen konnte, aber leider nichts. Überhaupt schien meine glückliche Phase erst einmal gestoppt. Ich sollte noch ganz herbe einen auf die Nase bekommen. Wenn man so den als ganz Loser – Frauen-, Arbeits- und Vermögensloser – den ganzen Tag zuhause sitzt, hat man das Gefühl, die Decke würde einem auf den Kopf fallen. Also machte ich mich dann einen Abend im Juli auf den Weg in die Hagener Innenstadt. Ich wollte nur einmal so die Elberfelder Straße, der Geschäftstraße in der Hagener Innenstadt, hinauf und herunter spazieren. Zum Rückweg beschloss ich dann nicht über die Autobahn A46 nach Hohenlimburg zu huschen sondern den Weg über die Donnerkuhle, also die alte B7, zu wählen. Da musste es dann passieren. Ich war gerade an der Donnerkuhle vorbei als mir gleich drei Wagen nebeneinander entgegen gerast. Ich muss wohl instinktiv richtig gehandelt haben, denn ich habe meinen Wagen nach rechts seitlich gegen den Berg gelenkt. Einer der Rennfahrer muss wohl bei der Gelegenheit voll in die „Steigeisen“ gegangen und dabei ins Schleudern geraten sein. Dabei hatte er die beiden „Mitbewerber“ touchiert und diese Wagen überschlugen sich. Es hat reichlich geknallt und geschäppert. Es fiel auch sehr viel Schrott an. Das es bei dem Unfall nur zwei leichter verletzte Personen gab erschien fast wie ein Wunder, zumal in allen drei Amateur-Rennfahrer-Autos neben den Fahrern jeweils noch vier jugendliche Beifahrer saßen. Die jungen Männer zählten allesamt zur Bevölkerungsgruppe der aus Russland stammenden Deutschen und die zugehörigen Mädchen, die alle ein Wenig unter Schock standen, waren überwiegend Töchter aus Familien, die „schon immer“ hier ansässig waren. Ich musste mich doch wundern, wie wenig Schuldbewusstsein diese jungen Leute aufbrachten oder war das ganz einfach nur der Eindruck, der durch deren flapsiges Auftreten, was diese offensichtlich für modern hielten und immer von ihnen an den Tag gelegt wurde, entstanden waren. Seltsamer Weise fallen mir deutschrussische Jugendliche immer an diesem soeben beschriebenen Auftreten im Stadtbild auf. Nach meinen Einschätzungen rotten die sich gerne mit ihresgleichen zusammen und haben außer an aufgemopften Autos – tiefer gelegt, verbreiterte Spur, Breitreifen, Heck- und Frontspoiler mit Lautsprechern, mit denen man ganze Säle beschallen kann – an nichts vernünftigen Interesse. Na ja, an diesem Abend suchten sie ihren Kick mit einem Autorennen zwischen Hohenlimburg und Hagen und mein Pech war es, dass ich ihnen entgegen kam. Im Gegensatz zu den Autos der Raser, die man alle drei unter Totalschaden abhaken konnte, war mein Wagen relativ gering beschädigt. Ich konnte sogar anschließend, nachdem mir die Polizisten freundlicherweise beim Zurechtbiegen des Bleches geholfen hatten, mit eigener Motorkraft nach Hause fahren. Das Schlimme für mich war nur, dass die Reparatur bald doppelt soviel wie der Zeitwert des Wagens kosten sollte. Mein eigener Versicherungsfritze machte mir dann noch eine Menge Angst als er mir erzählte, dass die gegnerische Versicherung möglicherweise nicht mehr als den Zeitwert bezahlen würde. Dieses wäre im Gesetz so vorgesehen. Das wäre natürlich für mich armen Schlucker natürlich eine Katastrophe, denn gebrauchte Automatikfahrzeuge in einer für mich passenden Preislage sind schwer zu kriegen und auch die halbe Reparatur zu zahlen ist für mich, den Kreditunwürdigen, ein praktisch unschaffbarer Aufwand. Da war jetzt wirklich guter Rat teuer. Es war ein reiner Zufall, dass am nächsten Tag, unmittelbar nachdem ich mit meinen Versicherungsmenschen geplaudert hatte, Katja mal anrief um sich zu erkundigen wie es mir denn so geht. Da hatte ich jetzt jemand bei dem ich mich mal aussprechen konnte; mehr hatte ich tatsächlich nicht im Sinn. Das war dann meine Rettung, denn Katja empfahl mir die Reparatur ausführen zu lassen. Die Rechnung wollte sie erst einmal übernehmen und dann sollten ich in Ruhe abwarten was bei der Versicherung letztendlich doch herauskäme. Den Rest könnte ich ihr dann in kleinen Raten zurückzahlen. Natürlich habe ich nicht gleich angebissen sondern sie musste schon ein Wenig Überredungskünste aufwenden aber sie hat es damit dann letztlich doch geschafft. Jetzt ging ich natürlich nicht gleich zu einem Mercedes-Vertragshändler, da wäre ja alles viel zu teuer geworden, sondern zu einer freien Werkstatt in Letmathe. Der Werkstattbesitzer war richtig gehend in Ordnung. Er besorgte Karosserie-Ersatzteile (Heck und Tür) bei einer Autoverwertung, alles andere richtete er und verpasste der „Karre“ eine neue Lackierung. Der Wagen sieht jetzt wie neu aus. Die Rechnung fiel aus meiner Sicht sehr moderat aus und die gegnerische Versicherung zahlte später ohne Mucken und murren, so dass ich Katja schon bald alles, was sie mir geliehen hatte, auf Mark und Pfennig, die damals noch gültige Umlaufwährung waren, zurückzahlen konnte. Zum Begleichen meiner Schuld machte ich mich dann auch gleich persönlich nach Wuppertal „auf die Socken“. Natürlich hatte ich mich so wie es sich gehört vorher angemeldet. So mir nichts, dir nichts platze ich auch bei meinen Kindern nicht rein. Trotz meiner Anmeldung traf ich zu einem unerwartet ungünstigen Moment ein. Mutter und Tochter, also Katja und Monica, hatten einen deftigen Streit miteinander und beide versuchten mich dann gleich als parteiischen Schiedsrichter in ihrem Sinne zu engagieren. Monica war auf ihre Mutter zugegan-
gen weil sie eine Unterschrift haben wollte damit sie die Antibabypille verschrieben kriegen konnte. Das hatte Katja gar nicht gerne gehört, immerhin war Monica gerade mal 14½ Jahre alt. Ich hatte die feste Absicht mich nicht einzumischen aber ließ mich dann leichtfertiger Weise zu einem Kommentar, den ich eigentlich für neutral hielt, hinreißen. Ich bestätigte Katja, dass Monica nun wirklich noch etwas jung sei und mit dieser schönen Sache noch ein Wenig warten sollte. Andererseits hielt ich die Pille für besser als ein ungewolltes Kind. Nun ja, jede der Beiden versuchte jetzt meine Worte in ihrem Sinne gegen die Andere einzusetzen. Da ich das nicht gewollt hatte unternahm ich dann noch einen ungeschickten Schlichtungsversuch und sagte: „Nun, in Hinsicht auf Aids würde ich heutzutage Präservative der Pille bevorzugen.“. Darauf bekam ich dann von meiner Tochter den Dämpfer „Warum mischt du dich überhaupt ein?“. Ich sah das natürlich ein und schämte mich deshalb sehr. Irgendwie war ich auch betroffen darüber, dass ich erstmalig einen Ordnungsruf meiner Tochter aus erster Ehe einstecken musste. Natürlich war so etwas bei Jean, Janine und Björn, als sie noch zuhause waren, auch mal vorgekommen – das dürfte in einer intakten Familie ganz normal sein – aber von Katja, an deren Erziehung ich ja in keiner Weise beteiligt war, hatte ich so etwas noch nicht erlebt. Als Monica, bis jetzt noch ohne Ergebnis, abgezogen war bekannte ich Katja offen meine Schmach und bat um Entschuldigung. Meine Tochter nahm mich in ihre Arme und sagte nachdem sie mir einen Wangenkuss gegeben hatte: „Ach Dad, ich muss mich entschuldigen. Ich habe dich doch darein gezogen und mich dann darüber beschwert als du dann, sicherlich gut gemeint, reagiertes. Du hast ja kein Unrecht gehabt. Und ansonsten nimm es so als wenn es Janine gewesen wäre. Du bist mein richtiger und leiblicher Vater. Ich stehe zu dir genauso wie Janine oder die Jungs. Und der Vorfall von eben zeigt doch nur, dass ich dieses hundertprozentig so sehe wie ich das eben gesagt habe. Bitte, bitte, behandele mich auch genauso wie Janine ... schließlich bin ich ja deine Tochter.“. Zum Schluss klang sie richtig traurig und dann berichtete sie mir, dass sie in den USA von der etwas betuchteren Familie Gardner immer wie das fünfte Rad am Wagen behandelt worden wäre und sie hier in Deutschland im Grunde ihre eigentliche Familie gefunden habe. Jetzt erlaubte ich mir die Frage, wie denn William Gardner, ihr Stiefvater, sie behandelt habe und erfuhr, dass er immer lieb und nett zu ihr war aber ihr wäre immer bewusst gewesen, dass dieses nicht ihr richtiger Vater gewesen sei. Für mich schien da der Hintergrund dafür, dass sie sich so zu mir hingezogen fühlte, zu liegen. Dieses Thema, welches hier eigentlich nur ein harmloses Intermezzo darstellt, sollte nach dem Ereignis des Jahres 2001, dem Geschehen des 11. Septembers, noch einmal breiten Raum bei Katja und mir einnehmen. Sie entsinnen sich doch sicherlich noch an die Bilder von den Ereignissen jenes denkwürdigen historischen Tages, die damals um die Welt gingen. Da hatten Terroristen Passierflugzeuge in die beiden Tower des WTC in New York und in das Pentagon in Washington geflogen. Da war auch noch ein viertes Flugzeug unterwegs auf einen Terroranschlag. Es war um 8:41 Uhr in Newark mit 40 Minuten Verspätung mit Ziel San Franzisko gestartet. Offensichtlich wollten die Terroristen diese Maschine auch auf das Pentagon oder auf das Weiße Haus steuern. Was in der Maschine passiert ist weiß heute niemand. Auf jeden Fall überflog diese Maschine Washington und stürzte etwas später um 10:01 Uhr in Pennsylvania auf ein freies Feld. Alle Insassen des Flugzeuges kamen dabei ums Leben. Einer der Passagiere war William Gardner, Elkes zweiter Mann und Stiefvater von Katja. Davon erfuhr ich einen Tag später, also am 12. September, als mich Henk, Katjas Mann, anrief und mir mitteilte, das aus unserem verabredeten Wochenende nichts werden könne, da Katja mit Monica nach Chicago zur Trauerfeier für ihren Stiefvater fliegen wollte. Im Moment habe sie allerdings das Problem überhaupt einen Flug zu kriegen. Er und Hendrik, was ja sein deutscher Sohn sei, würden hier bleiben, weil er persönlich die Nase von der USA voll habe. Diese volle Nase hatten ihren Grund aber nicht bei den Amerikanern im Allgemeinen sondern bei seinen privaten Erlebnissen in seiner Exfamilie. Henk hob das Wochenende, zu dem sie mich nach Wuppertal eingeladen hatten, nicht auf sondern verschob es nur um eine Woche. Katja wusste zwar selbst noch nicht wann sie zurück käme aber länger wie eine Woche wollte sie auf keinen Fall bleiben. Nun, es kam wie vorgesehen. Katja war schon am darauffolgenden Dienstag wieder im Land und ich verbrachte dann das nächste Wochenende, von Freitag mittags bis Sonntagabend in deren, am Waldrand gelegenem Häuschen. Ein solches Wochenende sollte es jetzt häufiger geben. So in Abständen von zwei oder drei Wochen fand ich mich in Wuppertal ein. Die kleine Dachkammer, die Henk und Katja als Gästezimmer eingerichtet hatten, hieß dann sehr bald schon im Munde von Monica und Hendrik „Opas Stube“. Dieses machte ich nicht weil ich ein lästiger Patron bin, sondern weil das Katja aus einem Grund, den ich eigentlich gar nicht so erklären konnte, so haben wollte. Sie bestand immer eisern auf ihre Einladungen und ich, der Arbeits- und Anhanglose, hatte keine passenden Ausreden um dem zu entkommen. Aber ich bin auch ehrlich und gebe zu, dass ich darüber nicht böse sondern sogar recht glücklich war. So hatte ich mit meiner ältesten Tochter aus erster Ehe mehr Kontakt als mit allen drei anderen Kindern aus zweiter Ehe zusammen. Allerdings hielten die mit ihrem Vater reichlich telefonischen Kontakten; mindestens einmal pro Woche hatte ich sie an der Strippe. An dem Freitagnachmittag des besagten Wochenendes, welches ich jetzt beschreiben will, saß ich dann alleine mit Katja im Wohnzimmer und befragte sie, wie es denn auf der anderen Seite des Teiches zugegangen sei. Sie schaute mich mit einer Art verzweifelt enttäuschten Gesicht an und sagte: „Ich verstehe gar nicht, wie ich da
meine Kindheit und Jugend verbringen konnte. Die Leute sind oberflächlich, schlecht informiert und voller Hurra-Patriotismus. Was die Medien den vormachen, hört sich für einen gebildeten Europäer wie aus einer anderen Welt an. Die glauben das auserwählte Volk Gottes zu sein und teilen den Rest der Welt in Gut und Böse ein. Die Bösen, die Präsident Bush Schurkenstaaten nennt, glauben sie vernichtend schlagen zu müssen. Die schämen sich nicht einmal in gotteslästerlicher Weise von Kreuzzügen zu sprechen. Das aber Not, Elend und alles Übel dieser Welt auf die Kapitalkonzentration in den Industriestaaten zurückzuführen ist, können sie nicht einsehen. Wenn man den Terrorismus wirkungsvoll und nachhaltig bekämpfen will, dann muss man Feldzüge gegen den Hunger und die Krankheiten auf dieser Welt anstrengen und nicht gegen vermeintliche Schurkenstaaten. So lange es auf dieser Welt nur superreiche und bettelarme Staaten gibt, wird es immer wieder neue und dann immer ärgere Terroristen geben und die eventuell jetzt gekillten ‚Schurken’ werden von ihren Nachfolgern als Märtyrer für die ‚heilige’ Sache verehrt. ... Erzähl das aber mal den Amerikaner.“. „Ach, wir sollten fair sein und bleiben.“, begann ich meine Erwiderung, „Wir unterscheiden uns doch gar nicht so sehr von unserem großen Bruder jenseits des Atlantiks. Die Aussagen der Erzkonservativen sind doch praktisch deckungsgleich mit dem, was wir für Amerikanisch halten. Und unsere Medien singen doch im gleichen populistischen Chor wie die in den USA kräftig mit.“. „Nun ja,“, erwiderte Katja, „vielleicht ist auch meine Sichtweise etwas durch die blöde Art der Familie meines Stiefvaters einseitig getrübt. ... Ich bin froh, dass ich hier leben darf.“. Und jetzt begann sie mir von den Gardners zu berichten. Elke habe sich bisher durch den Rückhalt ihres zweiten Mannes, der sie doch sehr geliebt habe, dem bisher widersetzen können. Jetzt befürchtete Katja, dass ihre Mutter in Zukunft ohne ihren Mann dadurch untergehen würde, insbesondere wenn die alten Gardners, die immer die Herrschaft ausgeübt hätten, noch stärkeren Einfluss auf ihre Halbgeschwister gewinnen würden. Diese Gardners würden das Klischee von den Amerikanern, wie sie diese zu Anfang noch harmlos dargestellt habe, bestätigen. Zum Schluss sagte sie ganz nachdenklich: „Ich bete zu Gott, dass er Mam auf den Gedanken bringt nach Deutschland zurück zu kommen. ... Ich wüsste sogar den richtigen Mann für sie.“. Und dabei schaute sie mich lächelnd aber mit traurigen Augen an. Erstmalig hatte ich jetzt seit der Scheidung mal mehr von Elke und ihrem Leben erfahren. Jetzt habe ich von den Dingen, die sich nach dem 11. September 2001 ergaben, berichtet ohne den 11. September, der später von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Begriff des Jahres gewählt wurde, selbst zu erwähnen beziehungsweise von diesem zu berichten. Seit Uli in mein Leben getreten war hatte dieser ohnehin eine etwas besondere Bedeutung; es war nämlich ihr Geburtstag. Dank „hervorragender und exakter Familienplanung“ war es uns 1972 an diesem Tag gelungen zur richtigen Familie zu werden, das heißt, das unser Jean inzwischen auch schon 31 Jahre alt wurde. Da kann man sich vorstellen, dass ich diesen Tag mit einem Gedankenmix von Freude und Trauer anging. Immer wieder kreisten meine Gedanken um meine verstorbene Frau und um die schönen und glücklichen aber auch schweren Stunden, die ich mit ihr verbringen durfte. Immer wieder fiel mir dann auch die Geschichten um die Zeugung unseres ältesten Sohnes und unsere Freude als es geklappt hatte ein. Das brachte mich dann auch immer in Gedanken auf Jean und dann regte sich in mir die Freude darüber, was er in Mareike doch für eine nette Frau gefunden hatte und über die Tatsache, dass Jean und Mareike in diesem Jahr meine Enkelschar um Kevin erweitert hatten – und das ausgerechnete an dem Tag als ich meinen 55. Geburtstag feiern konnte. Genau an dieser Stelle drehten sich dann meine Gedanken wieder im Kreis, denn dann war ich wieder bei Uli. Was wäre das für eine Freude gewesen, wenn sie dieses Jahr noch hätte miterleben können. Nun war es schon zum dritten Mal nicht ihr Geburts- sondern ihr Gedenktag, der mir gerade in diesem Jahr dann doch arg auf das Gemüt ging. Meine Stimmungen an diesem Tag könnte ich als eine schöne Traurigkeit beschreiben. In dieser kam ich dann auf den Gedanken mich hinter das Steuer zu setzen und nur mal so, ohne feste Ziel, durch die Gegend zu fahren. Ich fuhr dann erst Richtung Oestrich und lenkte meinen Wagen am Baumberg vorbei Richtung Grürmannsheide, wo ich dann auf den Gedanken kam, auf Hohensyburg zuzusteuern. Dort angekommen merkte ich, dass ich jetzt genau die Fahrt, die ich auch damals als Uli und ich uns zum Paar zusammenfanden gemacht hatte, nachvollzogen hatte. Das Ganze war bis dahin nicht vom Bewusstsein gesteuert und fiel mir erst auf, als ich an der Einmündung, wo ich, wenn ich zu Prätorius gewollt hätte, hätte einbiegen müssen, vorbei fuhr. Dann steuerte ich jedoch noch einmal ganz bewusst nach Hörde, wo damals die Schweikart AG beheimatet war. Von dort ging meine Fahrt über meinen alten Heimweg bis zum Roden. Erst jetzt ging es wieder heimwärts. Ich war also noch einmal meine glückliche Vergangenheit abgefahren. Und dieses just zur Zeit als die Ereignisse in den USA geschahen. Davon bekam ich erst etwas mit als ich, wieder zuhause angekommen, das Radio einschaltete. Vielleicht hat das böse Geschehen jenseits des Teiches dazu beigetragen, dass mir meine Empfindungen jenes Tages auch jetzt, zwei Jahre später, noch so im Bewusstsein geblieben sind als hätte ich sie erst gestern verspürt. Mit dieser seltsamen Sentimentalität war ich an diesem Tage nicht allein. Auch Björn, der seine Mutter abgöttisch geliebt hatte, wurde zur gleichen Zeit davon befallen. Er hatte an diesem 11. September einen freien Tag und hatte sich mit seiner inzwischen hochschwangeren Frau in den alten Golf, den sich die Beiden vor Kurzem gekauft hatten, gesetzt und sie waren zum Krematorium Delstern, wo Ulis Asche auf dem anonymen
Gräberfeld beigesetzt ist, gefahren. Am Spätnachmittag kamen sie dann auch noch auf eine Stippvisite bei mir vorbei. Auch Björn und Katharina hatten ihr Autoradio nicht genutzt und erfuhren dann von mir, wovon inzwischen alle Welt sprach. Wir werden wohl zu den ganz wenigen Menschen gehören, die an diesem historischen Tag nicht vor den Fernsehern hingen. Auf Björns Wunsch blättern wir stattdessen in Familienalben und meinen losen Fotosammlungen. Bei dieser Gelegenheit fiel mir dann auch wieder auf, wie stark Katharinas Art und Weise an die von Uli erinnerte. Dieses traf auch auf die Art, wie Katharina häufig ganz andächtig und stolz mit der flachen Hand über ihren schwangeren Bauch strich. So etwas hatte ich ja bei meiner Uli vier Mal miterleben dürfen und ich bin Gott dafür sehr, sehr dankbar. Mit den letzten Zeilen habe ich jetzt schon ein weiteres privates Großereignis in dem Jahr voller Action angesprochen. Am Montag, dem 5. November 2001, erblickte Ramona, meine vierte Enkeltochter und insgesamt mein sechste Enkelkind, in Recklinghausen das Licht der Welt. Sie wurde im Prosper-Hospital, in dem auch ihre Eltern beschäftigt sind, geboren. Bei Katharina war es nicht so flott wie bei ihren Schwägerinnen gelaufen. Bald fünf Stunden hat sie sich im Kreißsaal gequält. Björn durfte bei seiner Frau Dienst im Kreißsaal leisten. Er dürfte aber keine große Hilfe gewesen sein, denn ihm wurden bei der Geschichte „die Knie weich“. Durch seine ZiviZeit und die inzwischen abgelaufene Ausbildungszeit war er ja einiges gewöhnt aber bei seiner eigenen Frau im Kreißsaal wurde er dann schwach. Und so hatte er den Höhepunkt, Ramonas Geburt, gar nicht mitbekommen. Er lag derweil auf einer Liege im Pflegerzimmer. Als man ihm aber sagte das Ramona auf der Welt war kam er blitzartig wieder auf seine eigenen Beine und war ab diesem Zeitpunkt fast völlig ausgeflippt. Erst zwei Stunden nach Ramonas Geburt rief er mich an und informierte mich von meinem sechsten Opaglück. Gleich am nächsten Tag konnte ich dann Schwieger- und Enkeltochter im Krankenhaus besuchen. Erstmalig war mir bei der Geburt eines Enkelkindes die Möglichkeit zu einer Krankenhausvisite gegeben. Ramona, die eine leichte angeborene Gelbsucht hatte, konnte ich im Inkubator bewundern und die Mutter in ihrem Bett. Sie erzählte mir dann, was am Vortag geschehen war und machte einen sehr glücklichen Eindruck dabei. Eines hätte ich nicht gedacht: Obwohl sie sich mit Ramona fünf Stunden „gequält“ hatte, verkündete sie mir voller Stolz, dass sie gerne noch zwei weitere Kinder haben wolle. Als ich sie fragte warum sie gerade auf die Zahl Zwei käme, antwortete sie mir, dass sie Einzelkind gewesen und richtig neidisch auf ihren Mann, der zwei Geschwister habe, gewesen sei. Sie möchte jetzt ihren Kindern das geben, was ihr nicht vergönnt gewesen sei. Im Anschluss an dem Krankenhausbesuch nahm mich Björn mit in die Wohnung der jungen Familie. Diese war natürlich nichts großes und pompöse aber mir, der dort zum ersten Mal war, gefiel diese auf Anhieb. Voller Stolz verkündete mir mein Jüngster, dass er der zuständige „Innenarchitekt“ gewesen wäre; Katharina habe ihm da vollkommen freie Hand gelassen. Das hätte mir Björn gar nicht bekennen brauchen, denn das hatte ich auf Anhieb gesehen. Obwohl ich dort noch nie gewesen war hätte ich von Anfang an voll wirken können ohne lange suchen zu müssen. Der junge Mann hat alles so eingerichtet wie es seine Mutter auch getan hätte. Dieses sind die kleinen Dinge im Leben, die einem nur in Ausnahmefällen auffallen. Unsere persönliche Ordnung, unser Sinn etwas anzuordnen fällt nicht vom Himmel sondern wird von uns unbewusst von den vorhergehenden Generationen übernommen. Es war mir schon früher aufgefallen, dass man Leute, die man als Kinder aus akribisch angeordneten Wohnungen kannte, oft auch als Erwachsene in solchen Räumlichkeiten antraf und andererseits kannte ich das Ganze auch umgekehrt: Schlampen folgten wieder Schlampen. Offensichtlich geht uns so etwas während unserer Kindheit ohne Anleitung und Drill in Fleisch und Blut über, so dass wir unseren eventuellen Tick selbst gar nicht merken. Bei Björn, der als Kind ja immer an „Mamas Rock“ hing, war das auffälliger als bei den Großen, die doch mehr als der „Kleine“ mal andere Wege als die Mutter gingen. Die extreme Abweichung von Ulis Ordnungssinn konnte man bei Jean feststellen, dessen Kinderzimmer immer verriet, dass er sich als er „Großmeister des Chaos“ verstand und dieser „Ordnungssinn“ ist auch heute noch das Leidwesen von Mareike, seiner Frau. Aber ich konnte auch bei Björn Eigenarten, die er von mir haben musste, entdecken. Wenn ich mal voller Freude steckte griff ich ganz gerne mal zu einem Fläschen Bier – und dann wurden es auch mal zwei und in Ausnahmefällen auch mal drei daraus. Das war aber das absolute obere Limit. Seit meinem Unfall zur Bundeswehrzeit habe ich das Maß nie überschritten und grundsätzlich lagen bei mir immer mehr als 12 Stunden zwischen dem letzten Schluck und der nächsten Autofahrt. Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die eine Flasche „Ex und Hopp“ köpfen konnten. Im Schnitt brauchte ich für eine Flasche Bier immer eine gute Stunde. Der Unfall, dem ich mein steifes Bein zu verdanken habe, war doch eine gehörige Lehre, die mich mein Leben lang nicht mehr los lässt, für mich. Diese Lektion hatte Björn wohl ohne eigene Erfahrung aber auch ohne Belehrung einfach von mir übernommen. Ohne meinen Unfall wäre ich doch sicher bereit gewesen bei diversen Anlässen viel fideler zuzulangen. An diesem Tag lud mich der frischgebackene Herr Papa dann zum großen Umtrunk ein und wir teilten uns sechs Flaschen Bier genau zur Hälfte. Laut Björns Worten mussten wir ja unseren Beitrag dazu leisten, dass Ramona Pipi machen kann. So kam es dann, dass ich auf der Couch in Björns und Katharinas Wohnung übernachte und am nächsten Mittag erst noch einmal Katharina und Ramona im Prosper besuchen konnte, bevor ich mich wieder ins heimische Hohenlimburg zurück begab.
Damit war jetzt der letzte Akt im Jahr voller Action – oder sollte ich lieber Höhepunkte sagen - beendet. An meiner Einschränkung, von wegen Höhepunkte, können Sie ersehen, dass ich mich nicht ganz gedankenlos in neudeutscher Weise einer englischen Schreibweise bedient habe. Ich mag so etwas eigentlich gar nicht, denn ich bin der Meinung, dass, wenn man im Deutschen „Äktschen“ sagt, es auch so schreiben sollte oder besser noch, dass man das ganze neumodische Denglisch sein lassen sollte. So ein Mix aus Deutsch und Englisch hört sich meines Erachtens flippig albern an und geschrieben ist Englisch in Deutsch nach meiner Ansicht ein wildes „Schreib wie du lustig bist.“. Diese allgemeine Bemerkung kommt jetzt auch nicht von ungefähr sondern sie hängt mit einer persönlichen Sache, die sich auch in 2001 ergab und von der ich jetzt noch schnell berichten möchte, zusammen. Die einzigste Stelle, die mir während meiner Arbeitssuche in diesem Jahr ernsthaft angeboten wurde, war bei einer Firma, die sich noch im Aufbau befand. Ein paar Yuppies, wie sie sich selber nannten, wollten eine Internet-Agentur gründen. Die Supererfolge gleichartiger Unternehmen am „Neuen Markt“ hatten sie zu ihren Schritt beflügelt. Die jungen Leute, die allesamt auf mich einen netten Eindruck machten, pflegten untereinander einen flotten denglischen Umgangsjargon, und zwar so, dass mir ziemlich die Ohren schlackerten. Im Gegensatz zu den meisten ihrer „Kollegen“ sahen diese jedoch ein, dass es ohne ein bisschen Kaufmannswissen aber nicht geht. So hatten sie beschlossen, einen „älteren Herrn“, der in ihrem Hause diesbezüglich alles managen sollte, einzustellen. Ich hatte zunächst das Glück, dass sie mich dafür erkoren hatten. Jetzt kam ja der berühmte 11. September, in dessen Folge die Kurse von den Werten der Versicherungen und Fluggesellschaften deutlich nach Unten gingen. Das dürfte wohl einige aus dem Börsenrausch aufgeweckt haben und man erkannte, dass Aktiengeschäfte etwas mit Risiko zutun hatten. Offensichtlich durch das Nachdenken flogen viele AnalystenFantasien und Bilanz-Schwindel auf, die dann zum eigentlichen Tiefpunkt an den Börsen führten. Der Börsencrash 2001 fand ja nicht unmittelbar nach dem 11. September sondern über einen Monat später Ende Oktober statt. Na ja, da wurden aus den vorher hochgehandelten, von den Illusionen junger Leute beflügelten Internetwerten dann gleich Pennystocks. Meine „Freunde“, die mich einstellen wollten, zählten offensichtlich zu den seltenen Typen der Einsichtigen. Sie sahen ein, dass das Internet nicht die ausschließliche Welt von Morgen ist und stellten ihre Begründungsinitiativen ein. Und ich, ihr Arbeitnehmer in spe, musste mich unverändert auf weitere Arbeitsplatzsuche begeben. Ja, da sind wir jetzt bei meiner Hauptbeschäftigung von Mitte 2001 bis Anfang 2003: Der Arbeitssuche. Aber ich brauche mich jetzt nicht zu wiederholen, denn was da ablief habe ich in diesem Kapitel schon bereits abgehandelt. In der gleichen Zeit war ich auf einer zweiten Suche: Der Partnerinsuche. Drei Mal gab ich in 2002 eine entsprechende Kontaktanzeige auf, aber auch in diesem Jahr kam alles auf das Gleiche wie im Jahr 2000 heraus und deshalb hier auch keine weiteren Wiederholungen. An verheiratete Seitenspringerinnen und an gewerbliche Liebesdienerinnen habe ich mich nach meinen 2000-ender Erfahrungen auch nicht mehr gemacht. Was dieses Gebiet anbelangte betätigte ich mich ausschließlich als „Sehmann“ und dieses, abgesehen von meiner Oben ohne liebenden Tochter Katja und meiner Enkeltochter Monica, alles nur im Bereich von Bildchen aus Illustrierten, Fernsehen und Internett. Ich gebe ja zu, dass ich dabei auch mal heiß anlief und daher zwangsläufig meine Hand in eigenen Lustdiensten einspannen musste. Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an alles, auch auf diesem Gebiet. Bevor ich jetzt in einen falschen Verdacht gerate muss ich doch noch ganz schnell diesem Absatz eine Zeile anhängen. Ich habe eben im Zusammenhang mit „Sehmann“ von meiner 37-jährigen Tochter Katja und meiner erst 15-jährigen Enkeltochter Monica geschrieben. Bei den beiden Frauen stand mir nie der Sinn nach erotischem Handeln sondern ich habe sie hier nur als die einzigsten nackten Frauenkörper, die mir körperlich zu Gesicht kamen, aufgeführt. Außer das ich sie als schön bewunderte ist da nichts in meinem Kopf passiert und darüber hinausgehend war erst recht nichts. Das Leben war also ziemlich eintönig geworden und lief daher auch in geregelten Bahnen ab. Sonntagsmorgens ging ich in den Gottesdienst in der reformierten Kirche in Hohenlimburg. Einmal wöchentlich war mein Ziel die nächstgelegene Kneipe, in der ich mir fünf Glas Bier á 0,2 Liter, wie sie hier üblich sind, genehmigte und dabei dann gleich ein paar Runden quatschte. Meine Kinder und Schwiegerkinder riefen regelmäßig an und alle zwei bis drei Wochen war ich für zwei bis drei Tage bei Katja in Wuppertal zu Gast. Ansonsten hatte ich die mir liebgewordenen Bücher, viel Radio und ab und an auch mal das Fernsehen. Langsam hatte ich mich damit abgefunden und glaubte nicht mehr an irgendeine Änderung zum Rest meines Lebens. Damit ich auch mal aktiv etwas unternahm begann ich zu schreiben, nur so für mich. Mein erster schriftstellerische Versuch hieß „Euro – Teuro oder was?“. Da wollte ich mich eigentlich satirisch über das Ereignis ganz zu Anfang des Jahres 2002 auslassen. Vielleicht entsinnen sie sich noch daran, wie die Deutschen langsam auf ihre liebgewonnene D-Mark verzichten und auf den Euro „umsteigen“ mussten? Och, was hatten die Medien für ein Palaver mit dem Umtausch. Ich hatte da überhaupt kein Problem mit. Ich ging am 2. Januar, einem Mittwoch, nach Hohenlimburg zur Poststelle und zahlte alles, was mir an D-Mark geblieben war auf mein Postbankkonto ein und hob von diesem dann gleich einen Euro-Betrag, den ich zu gebrauchen
glaubte, ab. Und der ganze Kuchen war gegessen. Natürliche andere haben sich bei Banken und Sparkassen angestellt um ihre Barschaften umzutauschen. Na ja, warum einfach wenn es auch umständlich geht. Der Euro stand dann gleich im Ruf ein Teuro zu sein. Vielfach war dieser Eindruck durch die „geteilt durch 2“beziehungsweise „mal 2“-Methode entstanden. Die Leute sahen ein Artikel, der vorher mit 2,99 D-Mark ausgewiesen war, teilten diesen durch 2 und kamen abrundender Weise auf 1,49 €. Neu ausgewiesen war der Artikel aber mit 1,53 €, dem exakt kaufmännisch gerundeten Preis. Das kommt nämlich dabei heraus, wenn man nicht durch 2 sondern richtiger Weise durch 1,95583 teilt und dann kaufmännisch rundet. Vor den Augen der Leute hatte aber der Händler da gleich 4 Cent draufgeschlagen. Oft hörte man die Leute sagen: „Wie weit kam man wenn man früher mit einem Hundertmarkschein einkaufen ging. Und heute ist der Fünfzigeuroschein ruckzuck weg.“. Ich pflegte bei der Gelegenheit immer zuerst zu fragen ob sie denn früher viel von ihrem Monatseinkommen hätten zurücklegen können. Meistens bekam ich dann zu Antwort: „Wer kann sich in der heutigen Zeit denn noch etwas zurücklegen?“, worauf ich dann feststellend bedauerte, dass sie ja jetzt längere Zeit ohne einen einzigen Cent auskommen müssten, worauf man mich in der Regel erstaunt ansah. Allerdings gab es damals eine sehr unglückliche Angelegenheit, die das Euro-Teuro-Argument zu bestätigen schien: Durch Missernten, vor allen Dingen in Südeuropa, war Obst und Gemüse sehr teuer geworden. Das dieses aber auch der Fall gewesen wäre, wenn wir die D-Mark noch gehabt hätten, wollten die Leute nicht wahr haben. Na ja, heute können wir froh sein, dass wir den Euro haben, denn bei unseren derzeitigen Haushaltsdefiziten wäre die D-Mark ganz schön ins Strudeln geraten. Nun, über diese Sache wollte ich eine Satire schreiben. Heraus kam mehr ein Teuro-Sach-Bericht mit scherzhaften Anmerkungen. Es war wohl nichts. Dann versuchte ich es mit Märchen, was aber dann mehr Aufsätze mit Wunder und Magie waren. Alles wurde nicht zudem, was ich eigentlich machen wollte. Aber was soll’s, ich hatte jedenfalls einen kreativen Zeitvertreib. Im Februar dieses Jahres, also jetzt 2003, kam ich dann auf den Gedanken mein Leben aus meinen Erinnerungen aufzuzeichnen. Ich wollte alles, was mir geschehen war, einmal Revue passieren lassen. Ich wollte meine Aufstiege, den immer wieder Abstürze folgten, aufzeichnen. Es gab Zeiten, wo ich mir Champagner und Kaviar leisten konnte und Zeiten, wo ich froh sein musste, wenn ich mir zum Champagner noch Brot leisten konnte und sehr oft auch Zeiten, wo Champagner vom Preis her das wohl unangebrachteste Getränk für mich darstelle. Aber ich bereue keinen einzigen Augenblick davon und werde auch weiterhin hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Diese Zeilen, die ich jetzt soeben niedergeschrieben habe, hatte ich mir in meinem Konzept für den Schluss meiner Memoiren bereits ausgemalt. Also schon bevor ich mich an den PC setzte und das erste Kapitel eintippte. Als ich Anfang März mit der Niederschrift begann sollte an dieser Stelle nur noch das Wort „Ende“ folgen. Wäre ich ein Blitzschreiber und hätten nicht immer mal mehrere Tage oder gar ganze Wochen zwischen den Kapiteln gelegen, hätte wohl die ganz große Wende, die noch einmal eintreten sollte, keinen Einzug mehr in diese Urschrift finden können. Jetzt habe ich mir aber vorgenommen, noch ein weiteres Kapitel zu schreiben und das ganze Werk einer bestimmten Person, die in diesem Kapitel vorkommt, vorzulegen. Ich habe das Gefühl, dass sie wohl die einzigste sein wird, die diesen meinigen schriftstellerischen Erguss zu lesen bekommt. Denn wer bin ich schon, dass es interessant wäre, meine Lebensbeichte zu verlegen. Aber trotzdem schreibe ich so als sei das Ganze an fremde, unbekannte Dritte gerichtete und fordere Sie nun noch einmal zum Umblättern auf ein weiteres Kapitel auf. Es sollte in diesem Jahr noch dicke Überraschungen für mich geben und diese warten jetzt auch auf Sie.
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Rückkehr ins Leben Wie ich ja schon zum Ende des vorhergehenden Kapitels verriet, begann ich Ende Februar mit der „Arbeit“ an diesem „Werk“. Nach dem ich mir im Vorfeld die ganze Geschichte von Vorne bis Hinten überlegt hatte und mir dazu ständig Notizen zu Erlebnissen aus meinen unterschiedlichsten Lebensphasen gemacht hatte war ich richtiggehend heiß darauf das Ganze niederzuschreiben. Dieses auch aus dem Grunde, weil es mir als wunderbare Ablenkung vom Alleinsein und der Arbeitslosigkeit erschien. Es lief mir anfangs recht flott von der Hand, so dass ich bereits das dritte Kapitel, also das mit der Bundeswehr und dem Ende meiner Ehe mit Elke, fast fertig hatte, als plötzlich und unerwartet die erste überraschende Wende in meinem derzeitigen Leben ohne mein eigenes Zutun auf mich zu kam. Ich weiß noch genau, dass ich, als ich von dem ersten Wendeereignis Kenntnis erhielt, überlegte, was ich schreiben sollte bevor ich Elke aus meiner Geschichte entließ. Ich wollte doch noch nicht verraten, dass Katja als sie Achtzehn wurde, wieder in mein Leben trat und ich inzwischen mehr wusste. Sollte ich da schon schreiben, dass William genannt Bill Gardner am 11. September 2001 eines der Terroropfer sein würde oder sollte ich so tun, als ginge ich jetzt noch davon aus, dass Elke immer noch mit ihrem Bill verheiratet sei. Ja, so ist das wenn man seinen Lebenslauf mit einem gewissen Pfiff an Spannung wiedergeben will. Selbst weiß man natürlich mehr als man der Spannung wegen sagen darf. Just in diesem Moment bekam ich einen Anruf, der meine Aussagen zu Beginn des ersten Kapitels über den Haufen schmeißen sollte. Sie entsinnen sich doch noch, dass ich davon ausging, dass ich ab März dieses Jahres kein Arbeitslosengeld sondern Arbeitslosenhilfe bekommen würde. Bei dem gerade angesprochenen Anruf war am anderen Ende der Telefonleitung Bernhard Becker, ein ehemaliger Arbeitskollege bei meiner letzten Firma, zu hören. Bernie, wie wir zu ihn nannten, ist drei Jahre jünger als ich und hatte sich, nach dem es hinsichtlich einer neuen Stelle für ihn nicht gut aussah zum Schritt nach Vorne entschlossen. Noch bevor ein gewisser Herr Hartz mit seiner Kommission auf die „tolle Idee“ einer Ich-AG gekommen war, hatte Bernie sich zu so etwas entschieden. Der Onkel seiner Frau hatte mit neuen und gebrauchten Holzbearbeitungsmaschinen gehandelt bevor er im Juli 2001 verstarb. Bernie hatte kurz entschlossen diesen Laden übernommen. So ein Wenig konnte ihm seine Frau, eine gelernte Frisöse mit netten Umgangsformen und Textverarbeitungskenntnissen, im Geschäft helfen, das heißt, dass sie die Telefon- und Schreibarbeit für ihn erledigte. Alles andere, von den Kundenbesuchen bis zur Buchhaltung, musste Bernie alleine erledigen. Aufgrund seines Fleißes war der Geschäftsumfang so angewachsen, dass er dringend tatkräftige Unterstützung gebrauchte. Er suchte also einen „Büro- und Innendienstleiter“, den Außendienst wollte er nach wie vor alleine schmeißen. Da er in den Jahren unserer Zusammenarbeit meine Arbeit hat schätzen gelernt – auch unser ehemaliger Chef hatte ja große Stücke auf mich gesetzt – rief er nun an um mich zu fragen, ob ich bei ihm anfangen wollte. Natürlich wollte ich. Und auch über die Höhe meines Gehaltes waren wir uns im Handumdrehen einig. Bernie hat zwar nicht gesagt, dass die Gehaltshöhe ein entscheidendes Kriterium für meine Einstellung war aber ich will es mal annehmen, denn das, was normalerweise für einen solchen Job verlangt wird, konnte Bernie noch nicht bezahlen – soweit war er noch nicht – und meine Situation kannte er, ich hatte ja keinen Hehl daraus gemacht. So war ihm sicherlich schon vor seinem Anruf klar, dass ich mich mit einem bescheidenen Betrag, allerdings doch deutlich über meiner Pfändungsfreigrenze, zufrieden geben würde. Zur Zeiten als ich noch eine Ehefrau und unterhaltsberechtigte Kinder hatte konnte ich das Gehalt ja beruhigt an der für mich maßgeblichen Pfändungsfreigrenze ansiedeln aber jetzt musste ich doch hinsichtlich der Auswirkungen auf meine spätere Rente und eventuellem Arbeitslosengeld meine Forderungen doch um einiges höher ansetzen, auch wenn dann die Inkassogeier fröhlich absahnen können. Gerade im Hinblick auf ein eventuelles späteres Arbeitslosengeld muss man ja zusehen, dass man sich nicht auf oder unter Sozialhilfeniveau herabschaukelt. Da man ja immer nur einen prozentualen Anteil seines letzten Durchschnittsgehalt erhält, muss man, wenn man Arbeiten in Höhe des Arbeitslosengeld annimmt, nach einer Arbeitslosigkeit nur noch zwei Mal arbeitslos werden bis man gleich in der sozialen Hängematte liegen bleiben kann – für richtige Arbeit gibt es dann absolut keine Anreize mehr. Zumal dann die Leute, die ihren Lebensstandard an ihrem ursprünglichen Gehalt ausgerichtet haben, mit ziemlicher Sicherheit bereits hoffnungslos überschuldet sind. Aber wem erzähle ich das; so etwas ist doch weit und breit bekannt, nur unsere lebensfremden Politikusse tun so als hätten sie noch nie davon gehört. Aber lange Rede kurzer Sinn: Ich bekam bei Bernhard Becker genau das gleiche Gehalt wie bei meinem vorhergehenden Arbeitgeber, nicht mehr und nicht weniger jedoch deutlich unter dem einschlägigen Tarif. Am Montag, dem 11. März 2003, fing ich dann auf meiner neuen Arbeitsstelle an. Das Datum kann ich so schnell nicht vergessen, da der 11. März für mich auch eine traurige Bedeutung hat: Acht Jahre zuvor war an diesem Datum unsere kleine Arnika am plötzlichen Kindstod gestorben. Na ja, das Gedenken an meine jüngste Tochter, die doch nur so wenige Zeit auf dieser Welt weilen durfte, beeinträchtigte meine Freude und Zufriedenheit über den neuen Job aber gar nicht. Die Zeit heilt doch fast alle Wunden. Da das Büro, welches meinen zukünftigen Arbeitsplatz bilden sollte, im Privathaus der Beckers untergebracht war hatte ich ab diesem Zeitpunkt auch sehr viel Kontakt mit Bernies Frau aber eine große diesbezügliche Fehltrittgefahr bestand,
obwohl Bernie fast immer außer Haus war, zu keinem Zeitpunkt. Seine Frau ist einfach nicht mein Typ. Um jetzt nicht diese oder jene Leserin, die sich den Typ mit Bernies Frau teilt, zu verprellen sage ich lieber nicht warum. Aber ich schätze Frau Becker aber auch als treue Seele, die sehr an ihrem Bernie hängt, ein und so droht aus der Richtung auch nichts Böses. Da ich auch für Bernie die Bücher führe, kann ich abschätzen, dass es sich bei seinem Laden um eine „kleine Goldgruppe“ handelt. Wenn er sein Geschäft nicht verkauft oder wenn er nicht ausflippt und Blödsinn baut, kann ich wohl davon ausgehen, dass ich mich mit dieser Stelle auf mein Rentenalter zu arbeiten kann. So lange ist es ja auch nicht mehr hin: Nur noch schlappe acht Jahre, wenn nicht ... . Na, lassen wir das; Risiken gibt es immer und überall. Wichtig ist nur, dass ich es aus jetziger Sicht gut getroffen habe obwohl doch noch kurz vorher alles verloren schien. Jetzt scheint ja alles gesichert: Sowohl meine Wohnung wie auch mein Auto kann ich weiter halten. Ich nahm mir vor, dass ich erst meinen 57. Geburtstag abwarten wolle und dann verstärkt auf die Suche nach einer neuen Partnerin gehen wollte. Wenn mich jetzt jemand fragt, warum ich denn erst meinen Geburtstage habe abwarten wollen, kann ich ihm darauf keine Antwort geben. Das war einfach so eine Sache die nicht aus dem Kopf sondern aus dem Bauch kam. Warum Katja, bei der ich nach wie vor jedes zweite Wochenende verbrachte, das damals gut fand und warum sie mich in dieser Absicht noch bestärkte, konnte ich damals auch noch nicht erklären und von ihr selbst bekam ich auch keine Erklärung dafür. Katja ging noch ein Schritt weiter und quetschte mich in einer bestimmten Richtung aus. Worüber erfahren Sie in Kürze aber jetzt möchte ich Ihnen erst einmal nicht die Spannung nehmen. Katja war es dann, die eine Riesensache, die mein Leben noch einmal total umkrempeln sollte, arrangierte. Für das Wochenende am 17. und 18. Mai dieses Jahres hatte sie mich erstens eingeladen und zweitens hatte sie dafür etwas ganz Großes anlässlich ihres 39. Geburtstages, den sie an dem vorangegangenen Montag, also am 12., hatte feiern können, angekündigt. Jetzt kann man fragen, warum sie ausgerechnet den 39. Geburtstag so groß feiern wollte obwohl im nächsten Jahr ein runder Geburtstag auf sie wartet. Na ja, das habe ich mich auch gefragt, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass es Katja und Familie auch nicht so mit der Geburtstagsfeierei hatten. Besorgt fragte ich sie vorher, auf welche Gäste ich mich, insbesondere hinsichtlich der Bekleidungsordnung, einstellen müsste und ob sie sich ein besonderes Geschenk wünschte. Ihre Antwort klang mir dann doch etwas merkwürdig: „An diesem Wochenende werden keine besonderen Gäste anwesend sein. Wir werden nur mit der Familie feiern. Und das größte Geschenk was du mir machen kannst, ist das du erscheinst und mir beweist, dass du in einer bestimmten Angelegenheit zu mir ehrlich gewesen bist.“. „Du machst so viel Wind, als sei dass der größte Geburtstag deines Lebens und dann ...“, konterte ich auf ihre Antwort und sie sagte darauf nur: „Vielleicht ist es tatsächlich der schönste und größte Geburtstag meines Lebens.“. Nun, nach solchen Ankündigungen kann man sich vorstellen, wie gespannt ich jetzt am besagten Wochenende nach Wuppertal fuhr. An diesem schönen, schon sehr warmen Tag kam ich so gegen Mittag vor dem Haus von Henk und Katja an. Ich nahm mein „Wochenendkoffer“, was in Wirklichkeit eine Reisetasche war, bei der Hand und schellte an. Nachdem mir Katja geöffnet hatte und ich sie mit einem Wangenkuss und einer Gratulation begrüßt hatte, wollte ich meinen Koffer gleich nach Oben auf „Opas Stube“ bringen. „Eu, warte mal,“, hielt mich Katja auf, „ich bin noch gerade dabei dein Zimmer sauber zu machen aber ich bin gleich fertig. Gebe mir deine Tasche, dann ich nehme sie mit rauf. Du kannst ja schon mal auf die Terrasse gehen und ich bringe dir gleich ein kühles Bier mit raus.“. Nun ja, so etwas hatte es schon öfters gegeben und deshalb handelte ich nichts ahnend wie mir geheißen worden war. Auf der Terrasse angelangt bekam ich erst mal einen Schrecken. Da lag da doch eine, auf den ersten Blick recht hübsche und gutgebaute Dame, die wohl etwas jünger als ich war, Oben ohne sonnenbadend im Liegestuhl. Als sie mich bemerkte, was eigentlich sofort der Fall war, legte sie sich spornstreichs vom Rücken auf dem Bauch und hangelt mit ihrem linken Arm nach ihren Bikini-Oberteil. Ich wusste im ersten Moment nicht was ich jetzt machen sollte und stammelte erst einmal: „Entschuldigen sie bitte, aber meine Tochter hat mir, als sie mich hier her schickte, nicht gesagt, dass sie hier sind.“. In dem Moment, als ich „meine Tochter“ gesagt hatte, schoss die reizende Dame wie eine Rakete mit dem Oberkörper hoch, so dass ich jetzt erst richtig Gelegenheit hatte ihre vollen und offensichtlich festen Busen zu bewundern. Lang gezogen fragte sie: „Ihre Tochter?“. Als ich dieses bejahte fragte sie im gleichen Tonfall „Dieter?“ und bevor ich antworten konnte sagte sie: „Deine Tochter ist auch meine Tochter, es ist unsere Tochter.“. Ja, jetzt wusste ich wen ich da vor mir hatte: Elke, meine erste Frau, die ich seit unserer Scheidung am 11. November 1968 nicht mehr gesehen hatte. Jetzt kann ich ja auflösen, was mich Katja zuvor gefragt hatte und auf welche Frage sie sich Ehrlichkeit zum Geburtstag gewünscht hatte. Sie hatte mich folgendes gefragt: „Stell dir vor Dad, Mam käme zurück nach Deutschland und würde sich auf eine Heiratsanzeige, die du aufgegeben hast, bewerben. Was würdest du machen, wenn du merktest, das Mam sich bei dir bewerben würde?“. Darauf habe ich dann aus meiner Sicht ehrlich geantwortet: „Ach Katja, da schlummern in mir immer noch solche bestimmte emotionale Bindungen, die ich nicht erklären kann. Ich würde alle anderen Bewerbungen bei Seite packen und gleich einen Termin mit
deiner Mutter vereinbaren.“. „Würdest du sie auch nehmen wollen?“, hakte Katja darauf noch einmal nach. Darauf habe ich mich wohl in ein „positives Verhängnis“ geredet, denn ich sagte: „Ach weißt du, wenn sich Leute über Heiratsanzeigen kennen lernen, kann man ja eigentlich nicht behaupten, dass Amors Pfeile getroffen hätten. Auch wäre es nicht korrekt, wenn ich sagen würde, dass ich deine Mutter noch lieben würde ... dafür sind schon so viele Jahre vergangen. Aber trotzdem gibt es noch ein unlösliches Band zwischen mir und deiner Mutter. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, die sogar sehr schön war und wir haben etwas ganz Große gemeinsam: Dich und unsere Enkelkinder Monica und Hendrik. Ich glaube, dass dieses für mich reicht um deine Mutter sofort wieder zu nehmen. ... Aber ich glaube da wird wohl nie mehr was daraus, deine Mutter ist in Amerika und ich bin hier.“. Das Katja bei Elke genauso wie bei mir gewirkt hatte, merkte ich an Elkes erster Bemerkung nach dem wir gegenseitig festgestellt hatten, wenn wir vor uns hatten. Sie sagte: „Das habt ihr euch ja fein ausgedacht ... und jetzt weiß ich, was Katjas Fragerei sollte als ich ihr sagte, dass ich nach Deutschland zurückkäme. Da dir meine für dich positive Antwort bekannt ist, brauchen wir uns ja nichts vorzumachen. Dann solltest du mir aber auch jetzt einen Kuss geben.“. Sie kam auf mich zu und legte ihren nackten Oberkörper an meine bekleidete Brust. Ich nahm sie in den Arm und sagte, bevor ich sie langanhaltend küsste: „Du verdächtigst mich zu unrecht. Katja hat mit mir das gleiche Spiel wie mit dir gespielt. Aber unsere Antworten scheinen offensichtlich identisch gewesen zu sein.“. Während ich sie küsste strich ich mit den flachen Händen über ihren nackten Rücken und merkte immer mehr, wie sich bei mir etwas regte. Am Liebsten wäre ich gleich erst einmal mit ihr für ein bis zwei Stunden auf „mein“ Zimmer verschwunden. Noch während des Kusses fasste sie mit ihrer Hand auf die Ausbeulung in meiner Hose und als wir vom Kuss abgesetzt hatten meinte sie: „Ich merke wir haben es nötig. Bei dir ist es stramm und eng und bei mir ganz feucht. Ich glaube wir müssen unserer Tochter gleich sagen, dass ihre alten Eltern erst noch einen Mittagsschlaf halten müssen.“. Worauf sie dann in einer netten Art, wie sie es früher schon an sich hatte und an die ich mich plötzlich wieder erinnern konnte, lachte. Wir mussten uns aber mit dem Ausleben unserer Geilheit, die auch dadurch verständlich ist, dass wir beide lange Zeit nichts mit dem anderen Geschlecht zutun hatten, noch ein geraumes Weilchen warten. Inzwischen war nämlich unsere Tochter mit einer Flasche kühlen Bier und einer Karaffe ebenso kühlem Orangensaft zu uns auf die Terrasse heraus gekommen. Flugs stellte sie das Mitgebrachte auf den Gartentisch und hüpfte wie ein junges Mädchen auf uns zu. Sie nahm uns beide auf einmal in ihre Arme und sagte: „Seit meinem vierten Lebensjahr habe ich mir immer wieder gewünscht, dass meine Eltern wieder vereint würden. Deshalb habe ich auch als Kind und jetzt in letzter Zeit wieder viel gebetet. Lieber Gott ich danke dir, dass du mir diesen Wunsch erfüllt hast. Ich glaube, das heute einer der schönsten Tage meines Lebens ist.“. Und als wir ihr in das Gesicht schauten, sahen wir wie die Freudentränen an ihrer Wange herunter liefen. Die „Wiedervereinigung“ ihrer Eltern war wohl Katjas größter Traum und sie hatte aktiv daran mitgewirkt, diesen in die Wirklichkeit umzusetzen. Das Wichtigste, was jetzt zuerst anlag, war das Elke erst einmal in ihre Kleidung schlüpfen wollte. So warm war es zu der Zeit nun auch wieder nicht, dass sie die ganze Zeit nur im Bikinihöschen rumspringen konnte. Zur Mittagszeit eine halbes Stündchen im direkten Sonnenlicht liegen ist doch etwas anderes als sich dauerhaft hochsommerlich auf der Terrasse aufzuhalten und innerhalb des Hauses wirkt es doch wohl ein Bisschen obszön, wenn man sich dort, bis auf das Höschen, nackt im Familienkreis bewegt. Elke hatte ihre Jeans und einen Pullover neben dem Liegestuhl abgelegt, so dass wir, während sie sich ankleidete, unserer Tochter, die uns jetzt in fast kindhafter Rührung, ihre seelischen Empfindungen der vergangenen 35 Jahre offenbarte, zuhören konnten. Es ist doch erstaunlich wie sich die Trennung der Eltern, vielmehr für sie der Verlust des Vaters, in die Seele der damals 4-jährigen eingebrannt hat und sie ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat. Ich bin ja selbst ein Kind geschiedener Eltern aber so etwas habe ich nicht empfunden. Liegt es vielleicht daran, dass ich die Scheidung meiner Eltern bewusst miterlebt habe und eine Chance hatte das ganze zu verarbeiten und für Katja war der Vater einfach aus dem Haus gegangen – ich musste ja beim Bund antreten – und kam nie wieder. Bis zu ihrem 18. Geburtstag glaubte sie ich sei im Himmel. Ich belasse es mal bei der Bezeichnung „im Himmel“, den Katja natürlich mit zunehmenden Alter gegen „verstorben“ ausgetauscht hatte. Jetzt stellte sich auch heraus, dass Katja bis heute nicht verkraftet hatte, dass sie von ihrer Mutter belogen worden war. Zum Glück sah sie aber ein, dass Elke es nur gut gemeint hat. Für Elke war diese Aussprache nicht gerade angenehm. Zumal ihr bei der Gelegenheit auch aufkam, dass sie es war, die meine durch die Bundeswehr bedingte Abwesenheit zur Untreue genutzt hatte. Dann fielen ihr auch ihre Schandtaten, mit denen sie mich gesundheitlich schädigte als ich nach meinem Unfall in Hildesheim im Krankenhaus lag, ein. Alles zusammen führte dazu, dass Elke herzerweichend weinte und Katja dann sich dazu gesellte und mehrfach schluchzte: „Mamy, liebste Mamy, das habe ich nicht gewollt.“. Elke wischte sich die Tränen aus den Augen, strich unserer Tochter über die Haare und sagte: „Ach Mädchen, es ist doch gut. Das alles war ein großer und schwerer Brocken auf unserem Herzen ... und der musste erst einmal runter. Das Wichtigste ist doch jetzt, das ihr mir jetzt verzeiht. Ich habe euch schweres Leid zugefügt. Ich bitte euch um Entschuldigung.“. Jetzt erhob ich mich und nahm beide Frauen zur gleichen Zeit in meine Arme: „Ach meine
Mädchen, lasst es gut sein. Ich merke auf einmal, dass ich euch beide sehr, sehr lieb habe. Lassen wir doch die Vergangenheit ruhen und machen jetzt einen Neuanfang. Für mich steht jetzt fest, dass ich dich Elke nie mehr verlassen werde und ich dich auch nie wieder gehen lasse. Für mich ist dieses heute eine Rückkehr ins Leben und in diesem möchte ich dich Elke an meiner Seite wissen.“. Nachdem ich das gesagte hatte wandelten sich zwei traurige, verheulte Gesichter in freundlich strahlende. Katja schaute mich an und fragte freudig: „Du willst jetzt also wirklich mit Mam zusammengehen und dich nie wieder von ihr trennen?“. „So ist es“, sagte ich noch und dann fiel mir Elke wie wild um den Hals und drückte mich derartig, dass ich kaum noch Luft bekam. Ab diesem Moment war das, was Gott mal zusammengefügt und die Bundeswehr geschieden hatte, wieder vereint. Am heutigen Tage, wo ich diese Zeilen schreibe, weiß ich genau, dass ich Elke aus ganzem Herzen liebe. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen ob ich meine Frau als junger Mensch wirklich geliebt habe aber heute bin ich mir meiner Liebe sicher. Jetzt könnte ich seitenweise von diesem Wochenende berichten. Ich könnte erzählen was es für ein Hallo gab als Henk mit den Kindern wieder zurück kam. Ich könnte davon berichten dass Elke und ich bis zum Abend nicht zu einem Schäferstündchen kamen aber eine wundervolle Nacht miteinander verbrachten. Ich könnte über einen wirklich schönen Sonntag in einer Superatmosphäre plaudern. Aber ich glaube, dass eine solche Erzählfreude an dieser Stelle den Rahmen meiner Memoiren sprengen würde. Für wichtig halte ich jedoch, dass Elke schon sehr bald, schon in der ersten Stunde unseres erneuten Zusammentreffens, beschlossen hatte schon gleich am Sonntagabend zu mir nach Hohenlimburg zu ziehen. Ihre Sachen, die sich noch auf dem Frachtwege befanden sollten gleich von Wuppertal nach Hohenlimburg durchgecheckt werden. Auch das wir wieder heiraten wollten stand an diesem Wochenende schon fest. Elke hatte sich schon einen Termin ausgeguckt: Sie will am Dienstag, dem 11. November 2003, des Nachmittags heiraten. Diesen Tag hat sie sich ausgesucht, weil sie das, was am Vormittag des 11. Novembers 1968 unterbrochen wurde nach genau 35 Jahren des Nachmittags wieder fortsetzen will. Etwas splinig, aber trotzdem so nett, dass ich gleich unbesehen zustimmte. Beim Thema Wiederheirat mischte sich Henk mit einem ganz wichtigen Hinweis ein: „Dad, ich kenne ja deine Einstellung zu Eheverträgen. Du bist der Meinung, dass solche Verträge von Leuten geschlossen werden, denen es nicht auf eine richtige Partnerschaft ankommt sondern ‚nur’ von solchen Leuten, für die eine Ehe ein steuerbegünstigtes gesellschaftliches Alibi für eine Bettgemeinschaft ist. Nach deiner Meinung haben solche Verträge nur den Sinn, das Mein und Dein bis hin zum silbernen Kaffeelöffel voreinander abzugrenzen. Eheverträge sind nach deiner Meinung im Misstrauen geboren und der Bruch einer solchen Ehe sei von vornherein vorprogrammiert. In euerem Fall würde ich auf jeden Fall zu einem solchen oder gar noch ein paar mehr Verträge raten. Darüber müsst ihr unbedingt mit einem kundigen Anwalt sprechen. Denke daran, dass hinter dir die Inkassogeier, wie du immer so schön sagst, her sind und Mam aufgrund der Beträge aus den Lebensversicherungen ihres verstorbenen Mannes vermögend ist. Und außerdem hat sie ja auch in Geismar nicht unerheblich geerbt. Da könnt ihr euch noch manche schöne Sachen mit erlauben. Vielleicht baut oder kauft ihr doch noch mal ein Häuschen. Jetzt könnt ihr euch auch neuere, moderne Autos leisten. Da wäre es doch dramatisch, wenn Mams Geld in euere Zugewinngemeinschaft eingerechnet und von Inkassogeiern geschröpft werden könnte. Ihr müsst auch in der Ehe offiziell zwei wirtschaftlich unabhängige Personen darstellen, damit niemand auf krumme Gedanken kommt. Und dann stell dir vor, Mam stirbt vor dir, noch bevor die 30-jährige Schuldner-Verfolgungs-Jagd abgeschlossen ist. Dann wäre alles zunächst dein Erbe und anschließend futsch. Da müsst ihr euch schon absichern.“. Seinen guten Rat haben wir uns natürlich zu Herzen genommen und inzwischen arbeitet auch ein Anwalt an entsprechenden hieb- und stichfesten Verträgen. Allerdings haben wir mit dem „Vollzug der Ehe“ nicht gewartet bis diese wieder beurkundet ist sondern Elke kam mit mir sofort mit nach Hohenlimburg und seitdem leben wir hier wie Mann und Frau und sind dabei sehr glücklich. Eine „Epoche“ ging dadurch allerdings zuende. Ich meine die Epoche, in der ich alle zwei bis drei Wochen in Wuppertal bei Katja zu Gast war. Zwar hatten wir zu Katja und ihrer Familie mehr persönlichen Kontakt wie zu meinen anderen Kindern aber im Grunde hatte sich hernach die Angelegenheit auch in dieser Richtung normalisiert. Es ist jetzt ein Verhältnis, wie es halt zwischen Eltern und verheirateten Kindern normal sein sollte. Regelmäßig haben wir telefonischen Kontakt miteinander und ab und zu kommt es auch zu kurzen Visiten. Es ist doch richtig, dass die jungen Familien ihren eigenen Wege gehen sollen und müssen. Um mich brauchten die Kinder sich ja auch keine Gedanken mehr zu machen, denn ich war durch Elke vom tristen Alleinsein ins Leben zurückgekehrt. Was jetzt noch interessant ist, sind die Geschichten, wie meine anderen Kinder vom Aufleben meiner ersten Ehe erfahren und wie sie dieses aufgefasst haben. Ich war zunächst nicht daraufgekommen einfach herum zu telefonieren und Jean, Janine und Björn nebst Anhang von meinem wiederbelebten Glück zu berichten. So wollte es der Zufall, dass Janine gleich die erste war, die hiervon, fast in einer überrumpelnden Weise, erfuhr. Sie hatte ausgerechnet in der Woche nach dem Großereignis eine ärztliche Fortbildung in Dortmund. Frank war in dieser Zeit für die Zwillinge Sabrina und Marie allein zuständig. Am Abend des Montags kam meine Tochter dann auf den Gedanken, doch nach ihrem „alten“ Vater in Hohenlimburg zusehen. Sie hatte sich nicht ange-
kündigt und traf ein als ich gerade unter der Dusche stand. Ich hörte wie es schellte, Elke öffnete und sagte: „Ach, schönen guten Abend, sie sind ohne Zweifel Janine. Mein Mann steht gerade unter der Dusche. Aber kommen sie doch ruhig rein.“. Später erzählte mir Elke, dass ihr das vollkommen verdutzte Gesicht meiner Janine einen richtigen Spaß gemacht habe. Ich stellte natürlich die Dusche sofort ab, trocknet mich blitzschnell ab und zog mich in ebenso großer Eile an. Als ich ins Wohnzimmer kam saß da Janine alleine, Elke war in die Küche verschwunden um einen Kaffee zuzubereiten. Janine überfiel mich gleich: „Paps, du hast heimlich geheiratet und wieso hat mich deine Frau auf Anhieb erkannt – ich bin ihr doch noch nie begegnet. Und wenn man mit einem Bild vergleicht brauch man doch einen Moment bis der Groschen gefallen ist.“. „Ja Mäuschen“, begann ich meine Aufklärung, „ich habe nicht heimlich geheiratet und trotzdem war es nicht ganz falsch wenn sie von ihrem Mann sprach. Die hat dich sofort erkannt, weil du ihrer Tochter unheimlich ähnlich siehst.“. Janine schaute drein als habe sie den Weltuntergang verpasst aber sie hatte offensichtlich richtig geschaltet: „Ist das deine erste Frau, Katjas Mutter?“. Dieses konnte ich dann mit freundlichen Kopfnicken bejahen. „Dann hat es Katja ja tatsächlich geschafft ihre Eltern wieder zu vereinen.“, fuhr die jetzt freundlich lächelnde Janine fort, „Nach dem ihr Stiefvater am 11. September verunglückte hat sie mir mal gesagt, dass es richtig schön wäre, wenn ihr wieder zusammenkommen würdet. Das wäre ja auch ideal, weil ihr beide jetzt so allein seid. Sie verriet mir damals, dass sie, wenn ihre Mutter wieder nach Deutschland käme, was sie nicht für ausgeschlossen hielt, alles daran setzen würde euch zusammenzubringen. Dann war sie ja inzwischen wirklich erfolgreich ... Und ich freue mich mit euch mit.“. Danach lachte sie sowohl erfreut wie erleichtert. Seltsamer Weise war ich nach Elkes Rückkehr aus der Küche erst einmal abgemeldet. Die beiden Frauen vereinbarten nach einem kurzen Wortwechsel das Du miteinander und dann wollten sie gegenseitig etwas von der jeweils anderen wissen. Dabei fiel dann sehr schnell, das Janine Ärztin ist und unmittelbar erfuhr ich erstmalig, das Bill Gardner in Marburg Medizin studiert und in Mannheim/Illinois als Augenarzt praktiziert hat. Das hatte mir bis zu diesem Tag noch niemand berichtet. Ich kam erst wieder ins Gespräch als Janine mal zuhause anrufen wollte. Die eben erlebte Neuigkeit brannte doch in ihr so sehr, dass sie davon gleich Frank berichten musste. Was Janine sich eigentlich vorgenommen hatte war mich für das übernächste Wochenende in das Pfarrhaus im Siegerland einzuladen. Der Anlass dafür war der zweite Geburtstag von Marie und Sabrina. Na ja, ein Wochenende, wie sie es erst gedacht hatte, wurde es dann nicht aber am Samstag, dem 31. Mai, also einem Tag nach dem Geburtstag „unserer“ Zwillinge, waren wir, genau wie das Ehepaar Schmitz aus Köln, zu Gast bei Frank, Janine, Sabrina und Marie. Bei dem Besuch sprach Elke das gelassen aus, was wir alle bewundernd feststellen konnten: „Es ist erstaunlich, wie ihr das alles in eine Reihe bekommt.“. Der Hintergrund war: Frank war inzwischen der Gemeindepfarrer geworden und Janine kam ihrer Tätigkeit als Ärztin inzwischen mehr nach als der alte Arzt, der sie als Sozia in seine Praxis aufgenommen hatte. Dazu muss man wirklich bewundern, dass die beiden sich noch rührend um ihre beiden sehr munteren Töchter kümmerten und diese auf keinem Fall zu kurz kamen. Mit freudigen Gesicht schwächte Frank das durch Elke ausgesprochene Kompliment mit den Worten „Es ist doch alles nur eine Frage der Absprache und der Koordination.“ ab. Aus Franks und Janines Worten konnte man immer deutlich raushören, dass sie in ihren Berufen eine wirkliche Berufung sehen und trotz allem ihr Erfüllung in der Familie finden. Um die Sache mit Janine im Zusammenhang abzuhandeln habe ich jetzt das vorhergehende Wochenende, an dem wir selbst Gäste empfingen, übersprungen. An diesem Wochenende wollte ich meine „Jungens“ und Elke miteinander bekannt machen. Für den Samstag hatte ich Jean, Mareike und Kevin eingeladen und für den Sonntag hatte ich Björn, Katharina und Ramona vorgesehen. Ich hatte die beiden jungen Familien eingeladen ohne ihnen zu verraten um was es bei mir ging. Die „Mädchen“, Katja telefonisch und Janine persönlich, hatte ich vorher darauf verdonnert ihren Brüdern vorher nichts von Elke zu erzählen. Die Gefahr war allerdings gering, denn so viel haben die Geschwister auch kein Kontakt zueinander aber wie es der Teufel will, gibt es genau immer dann, wenn es nicht sein soll, solche heißen Drähte zueinander. Elkes und meine Absicht war es natürlich noch weitere Überraschungseffekte wie bei Janine zu erleben. Dieses hatte uns doch gefallen. Na, so kam dann der Samstag und die Familie Kleiner junior rückte an. Auch diesmal ließ ich Elke die Tür öffnen und auch diesmal begrüßte sie die ankommenden Gäste mit Namen und ließ sie eintreten, da sich ihr Mann gerade umzöge. Wie schon bei Janine klappte der Überraschungseffekt auch hier, nur das Jean wesentlich gelassener tat. Als ich dann, wie mit Elke zuvor ausgedacht, ins Wohnzimmer eintrat reichte mir Jean gleich seine Hand und sagte: „Herzlichen Glückwunsch, aber wann habt ihr denn geheiratet?“. Ganz locker sagte ich: „Am 12. Juni 1964.“. Jetzt schaute Jean mich auch wie ein Auto, nur nicht so schnell, an. Die inzwischen eingetretene Elke ergänzte: „Und unsere Tochter war einen Monat vorher geboren. Aber leider haben wir uns am 11. November 1968 wieder scheiden lassen.“. Jetzt wusste Jean Bescheid aber trotzdem klang seine Stimme voller Erstaunen: „Sie sind Katjas Mutter und sie haben sich bei unserer Halbschwester wieder getroffen.“. „So ist es mein Sohn“, übernahm ich jetzt wieder die Gesprächsführung, „und dieses mal wollen wir auch nicht mehr auseinander gehen.“. Jetzt hatte sich mein Ältester wieder gefangen und begann gleich auf seine alt bekannte Art
zu scherzen: „Ja, Mareike und ich wollen es aber einfacher halten und uns gar nicht erst scheiden lassen und als Zeichen unseres Bundes sorgen wir dann auch für weiteren Nachwuchs.“. Damit mit hatte er beim Überraschungseffekt den Spies rumgedreht und mich verblüfft. Mareike lachte und kommentierte: „Ja, du hast dir eine Überraschung für uns ausgedacht und wir haben dir auch eine mitgebracht. Ich bin mal wieder im dritten Monat und im November wird unser Kurze ein Brüderchen oder Schwesterchen bekommen. So genau wissen wir das nicht. Diesmal wollen wir uns auch überraschen lassen und nicht vorher mittels Ultraschall nachsehen.“. „Wann ist es denn soweit?“, wollte Elke wissen. Nachdem Mareike uns die Auskunft, das es Anfang November sein würde, kommentierte Elke noch: „Das ist dann auch kurz vor unserer Wiederheirat. Wir wollen am 35. Jahrestag unserer Scheidung wieder zum Standesamt gehen und danach wollen wir wirklich zusammenhalten bis das der Tod uns scheidet.“. „Das sagen alle“, war dann der typische JeanKommentar, der darauf noch folgte, den er aber sehr nett und freundlich vortrug. Danach begann zunächst eine harmlose und nette Familienplauderei, die dann plötzlich etwas ernsthafter wurde. Jean hatte Elke nach dem Leben in der USA gefragt und damit in eine offene Wunde bei ihr gestochen. Sie beklagte sich fürchterlich über das konservative und puritanische Umfeld in der Familie ihres verstorbenen Mannes. Sie, die Deutsche, habe man nie akzeptiert und im letzten Dreivierteljahr sei das Ganze auch noch eskaliert. Die konservativen Amerikaner hielten sich für das „Schwert Gottes“ und glaubten alle müssten sich diesem unterwerfen. Das die Franzosen und Deutschen berechtigte Gründen gegen ein Eingreifen im Irak hatten und haben würde ihnen in den USA als Feigheit ausgelegt. Die Familie Gardner habe in ihr die typische Deutsche gesehen, der sie, nach ihrem Glauben, hätten sagen müssen wo es lang geht. Ihre deutlich ältere Schwägerin habe ihre Kinder gegen sie aufgebracht und diese hätten letztendlich mächtig Opposition gegen sie ergriffen. Unter ihren fünf Kindern gäbe es nur eine einzige Vernünftige – und das wäre keine Gardner sondern eine Kleiner, Jeans Halbschwester und auch meine Tochter. Dahin wäre sie dann letztendlich geflohen und während dieser Flucht habe sie immer gehofft, dass sie mir wieder begegnen könne, um das gut zumachen, was sie angerichtet habe. Ihre Strafe habe sie ja schließlich dafür gekriegt. Die vergangenen 35 Jahre seien für sie kein Leben gewesen und sie wäre jetzt froh, dass sie ins Leben zurückkehren durfte. Von Elkes Bericht waren wir alle sehr erschüttert und ich glaube, dass wir seit jenem Tag das gelobte Land Amerika mit etwas anderen Augen ansehen. Als Elke merkte, dass wir vor Erschütterung immer stiller wurden, lenkte sie blitzartig auf harmlosere Themen über und bemühte sich zur Wiedererheiterung beizutragen, was ihr dann mit Jeans schelmische Unterstützung auch gelang. Als die drei jungen Kleiners am Abend wieder abreisten sagte mir Jean unter vier Augen, dass ihm Elke sehr imponiert habe und ich jetzt darauf aufpassen sollte, dass sie mir nicht wieder davon liefe. Nun kommen wir zu Björn und seiner Familie, die uns dann am Sonntag ihre Aufwartung machte. Auch hier zogen wir jetzt zum dritten Mal das Spielchen mit „mein Mann“ ab. Diesmal funktionierte es aber nicht so wie gewünscht. Schon in Recklinghausen hatte er, wie ich im Laufe des Nachmittags erfuhr, zu Katharina gesagt: „Wetten, dass Paps uns seine neue Perle vorstellen will.“. Das Elke „mein Mann“ gesagt hatte, schien ihm sogar normal. Nach seinen Beobachtungen würde man es in jeder dritten Lebensabschnittspartnerschaft so handhaben. So nahm jetzt das Kennenlernen einen ganz anderen Verlauf aber da gelang mir dann doch ein Überraschungseffekt. Ich sagte: „Entschuldige Katharina aber ich wende mich jetzt ausnahmsweise zuerst mal an Björn.“. Dann schaute ich meine Sohn an und fuhr fort: „Björn, darf ich dir die Mutter deiner Schwester vorstellen.“. Das saß. Mit offenem Mund schaute er Elke an und als er sich etwas bekrabbelt hatte fragte er: „Das ist Katjas Mutter, deine erste Frau. Habt ihr euch nach Jahrzehnten wieder vertragen.“. Dieses bejahten Elke und ich jetzt gemeinsam mit freundlichen Kopfnicken. Während der anschließenden Plauderei, die sich fast ausschließlich um die kleine Ramona drehte, war Björn äußerst still. Elke versuchte öfters ihn in das Gespräch mit einzubeziehen. Dann gab er sich immer etwas zurückhaltend und fast reserviert. Das fiel auch Katharina auf und sie fragte nach: „Björni, hast du was?“. Darauf gab sich der junge Mann erstaunlich ehrlich: „Nee, nee, eigentlich nicht. Aber bitte versteht mich ein Wenig; ich habe meine Mutter sehr geliebt. Jetzt sagt immer so ein Männchen in mir, dass sich Elke an die Stelle, von Mama drängen will. Der Kopf sagt mir, dass das alles Quatsch ist, denn Papa hat natürlich ein Recht darauf sich sein Leben mit einem lieben Menschen zuteilen. Auch Mamas Wunsch war es, als sie schon sterbenskrank war, das Papa nicht alleine bliebe. Jetzt müsste ich froh sein, dass es Elke ist mit der er sich wieder zusammen tut, denn sie scheint mir die gleiche liebe Art wie Katja zuhaben ... und Katja ist ein toller Typ. Aber versteht bitte: Aus meinem Inneren kommt etwas anderes und das muss ich erst einmal verarbeiten. Ich meine es nicht böse.“. Ich glaube, dass Elke wohl genauso viel Verständnis wie ich für ihn hatte und sie sagte mütterlich zu ihm: „Ist schon in Ordnung und ich fände es schön wenn meine Kinder auch so wären wie du.“. Irgendwie schien jetzt aber das Eis gebrochen und wir hatten noch einen netten Nachmittag miteinander. Insgesamt kann ich feststellen, dass alle meine Kinder es im Grund gut finden, dass meine erste Wahl auch die dritte sein soll. Hinsichtlich unserer ältesten Tochter muss ich sogar sagen, dass sie das nicht nur gut fand
sondern das für sie dadurch ein Traum in Erfüllung ging. Ich freue mich richtig darüber, dass wir die Kinder an dem Beginn unseres dritten Lebensabschnitt – ich glaube das man dieses jetzt sagen kann – haben teilhaben lassen. Sicher werden wir jetzt alle verstärkt unsere eigenen Wege gehen aber wir wissen voneinander, dass wir alle in guten Händen sind. Wer weiß ob es in Zukunft noch mal eine Großfamilienzusammenkunft gibt und wie oft wir uns noch persönlich über den Weg laufen werden. Jede Generation muss sich ihren eigenen Weg suchen und finden. Ich glaube jedoch, dass ich, wenn ich 30 Jahre später an meinem Memoiren säße, an dieser Stelle meine Kinder beruhigt aus der Geschichte entlassen könnte. Der letzte Absatz ließt sich wohl so als wolle ich jetzt abrupt zum Ende kommen. Ganz so eilig habe ich es mit dem Schreiben des Wortes „Ende“ allerdings noch nicht. Ich wollte lediglich den Bericht betreffend meiner „Kinderschar“ hier abrunden. Jetzt kann es nur noch um das hoffentlich noch recht lange Leben des Paares Elke und Dieter Kleiner gehen. Jetzt könnte ich damit beginnen wie die Frachtkisten ankamen und Elke sich endgültig bei mir einrichtete. Ich könnte davon berichten, wie Elke sich einen neuen Wagen kaufte – eine Automatik, damit ich auch damit fahren kann. Aber ich kann auch gleich von unserem ersten größeren Ausflug berichten. Und das mache ich jetzt auch. Dieser Ausflug sollte uns nach Viermünden/Eder führen. Na, entsinnt sich jetzt noch jemand, wen oder was wir da besuchen könnten? Richtig, wir fuhren zu Anna, Elkes 2 Jahre ältere Schwester. Sicherlich entsinnen Sie sich auch noch an das Scheunenabenteuer, bei dem Elke und ich zusammen crashten – und da hatte ja auch Anna etwas mitzutun. Aber wie es so kommt, auf der Fahrt nach Viermünden kamen mir meine Jugendsünden wieder hoch und klopften an meine Gewissenstür. Daraus resultierte dann, dass ich auf dieser Ausflugsfahrt in Richtung Viermünden doch recht gemischte Gefühle hatte. Anna wusste nicht das wir sie besuchen würden und, falls sie nicht äußerst zufällig mit ihrer Nichte Katja Kontakt hatte, noch nicht einmal, dass ihre Schwester wieder in Old Germany ist. So war es auch ein spannender Moment als wir den Wagen auf den Hof lenkten. Anna ist mit ihren 58 Jahren immer noch eine aktive Bäuerin und wir trafen sie in Gummistiefel und „Arbeitsklamotten“ vor dem Stall stehend an. Ich weiß jetzt natürlich nicht, was sie in diesem Augenblick machen wollte, denn die Mittagszeit ist die, während der man in der Regel nicht im Stall arbeitet. Aber was soll’s, ich stieg zunächst mal aus. Offensichtlich erkannte sie mich nicht auf Anhieb. Erst als ich auf sie zuging wird sie mich wohl an meinem linken steifen Bein identifiziert haben. „Hallo Dieter Kleiner,“, rief sie mir zu, „was verschafft mir die Ehre, dass du mich mal besuchen kommst. Hier bist du doch, wenn ich mich richtig entsinne, noch nie gewesen.“. Sie hatte sich so auf mich konzentriert, dass sie meine Beifahrerin, die noch ausgestiegen war, gar nicht beachtet hatte. „Ich wollte dir jemand vorstellen, den du eigentlich sehr gut kennen müsstest“, sagte ich und wies auf den Wagen hin. Jetzt war meine ehemalige und zukünftige Schwägerin richtig baff. „Elke,“, stieß sie aus, „wo kommst du denn her ... und ihr beiden ...“. Weiter kam sie in ihrer Verwunderung gar nicht. Währenddessen war Elke ausgestiegen und die beiden Schwestern fielen sich erst einmal in die Arme. Nachdem sich die Schwestern von ihrer Begrüßungsumarmung gelöst hatten, wurde mir klar warum Anna so überrascht und verblüfft über mein Auftreten zusammen mit ihrer Schwester auf ihrem Hof war. Sie wusste nichts vom Tode ihres Schwagers William Gardner und vom Tode meiner Uli erst recht nichts. Obwohl die Schwestern zu keinem Zeitpunkt das Kriegsbeil ausgegraben und auch sonst keinen Grund für eine gegenseitige Kontaktsperre hatten, war deren beidseitige Kommunikation mit der Zeit auf eine sehr kleine Sparflamme abgesackt. Letztmalig haben sie sich persönlich bei der Beisetzung ihrer Eltern im Jahre 1995 gesehen. Danach haben sie dann sporadisch mal einen Brief oder einen Kartengruß ausgetauscht. Nach dem 11. September 2001 hatten sie sich lediglich Geburtstags- und Weihnachtsgrüße gesandt. Dabei hatte Elke nicht erwähnt, dass ihr Bill zu den Opfern des 11. Septembers gehörte. Mit Katja, ihrer Nichte, hatte Anna zwar nach dem Todestag von William (Bill) Gardner Kontakt gehabt, dass er aber tot war, hatte unsere Tochter bei den Gelegenheiten auch nie erwähnt. Da hat es die gute Anna natürlich umgehauen als wir da plötzlich, mir nichts dir nichts, auf ihrem Hof standen. Anna führte uns gleich hinein in die gute Stube und wollte sich dann erst einmal umziehen und dann anschließend für unsere Bewirtung Sorge tragen. Elkes Angebot beim Zubereiten der Speisen zu helfen nahm die Bäuerin gerne an. So saß ich dann alleine auf dem Sofa und machte von Annas vorhergehendem Angebot mich am Bücherregal zu bedienen gebrauch. Da fiel mir ein aus der USA stammender Bildband von Kathy Kleiner ins Auge. Mir war sofort klar, dass es sich bei dieser Kathy um unsere Tochter Katja handelte. Der deutsche Name Katja hört sich amerikanisch ausgesprochen ja auch etwas seltsam an. Es war ein hochinteressantes Erotikwerk. Es zeigte nackte Menschen in ästhetischen Posen und fotografisch gut gemacht. Katja hatte in bewundernswerter Weise viel mit Gegenlicht und Schatten gespielt. Bei den Nackten handelte es sich sowohl um Frauen wie auch um Männer und Paare. Was mich beim Betrachten besonders „erregte“ war, dass ich unter den abgelichteten Personen jetzt gleich mehrere Personen erkennen konnte: Es waren einmal Elke und ihr Bill aber auch Uli. Das Bild, welches als Aktgemälde bei uns lange im Schlafzimmer hing, befand sich auch unter den Veröffentlichungen. Kein Zweifel dieser Band war um die Zeit als Katja zusammen mit ihrem ersten Mann Robert Turner, der übrigens auch unter den Nackten war, bei mir in Berlin weilte. Im Copyright-Vermerk stand
auch die Jahreszahl 1987. Da waren doch meine beiden Frauen zusammen nackt in einem Bildband „verewigt“ und ich wusste nichts davon. Als Anna und Elke zurück in die Stube kamen um den Tisch zu decken hielt ich schmunzelnd Elke das Buch entgegen und sie wurde daraufhin ein Wenig verlegen. „Kanntest du das Buch noch nicht?“, fragte sich mich und ich bekannte ihr „Nein.“, worauf sie mir den Hinweis gab, dass sich dieses auch unter den Büchern, welche sie aus den USA mitgebracht habe, befände. Trotzdem konnte ich ihr auch etwas Neues aus dem Buch präsentieren: „Dann hast du immer gewusst, dass du dich mit Uli in gleicher Weise in einem Band befandest?“. „Nein,“ sagte sie jetzt etwas erstaunt, „ich habe doch diene Frau überhaupt nicht gekannt und seitdem wir wieder zusammen sind haben wir doch um das Betrachten von alten Fotos immer einen Bogen gemacht. Ich habe dir meine Kinder und die Gardner-Truppe noch nicht gezeigt und im Gegenzug habe ich noch nichts von deiner Frau gesehen.“. „Dann schau mal her,“, sagte ich während ich ihr das aufgeschlagene Buch entgegen hielt, „das hier auf dem Bett, das ist Uli und gleich auf den Nebenseite bist du mit deinem Bill.“. Da staunte Elke aber auch. Befanden sich doch die erotischen Abbilder meiner beiden Frauen in einem Werk und sie haben beide nichts davon gewusst. Dieser Fotoband von Katja und das was uns Elke von dem prüden puritanischen Leben in der konservativen USA erzählt hatte, lässt uns einen Widerspruch erkennen. Zweifelsfrei war dieser sehr schöne aber doch freizügige Band entstanden als unsere Katja noch voll in der USA und dort im Gartner-Clan zuhause war. Die Personen, die sich vor ihrer Kamera entblößten waren außer Uli allesamt Amerikaner und das Buch war auch von einem amerikanischen Verlag veröffentlicht worden. Da kann doch etwas nicht stimmen. Dieses war dann auch das Thema während wir zum Essen beieinander saßen. Nicht nur mir sondern auch Anna war dieser Gegensatz schon aufgefallen, denn Elke beschwerte sich ja nicht erst seit ihrer Rückkehr über das konservativ erstarrte Leben jenseits des großen Teiches. Gegenüber Anna hatte sie es über die Jahre immer wieder bei allen Gelegenheiten getan. Nach dem 11. September hatte sich ja auch Katja mir gegenüber so geäußert. Henks erste Ehe war am amerikanischen Leben zerbrochen und er zeigt bis heute keine Neigung noch mal in das gelobte Land zurückzukehren. Elke versuchte uns diesen vermeintlichen Widerspruch zu erklären: „Die amerikanische Gesellschaft wird von einer Doppelmoral beherrscht - und das auf allen Gebieten. Auf der einen Seite propagieren sie weltweit die Einhaltung der Menschenrechte aber im eigenen Land praktizieren sie menschenrechtsverletzende Todesstrafen, Hasslager und inhumanen Strafvollzug. Auf der einen Seite propagieren sie Rechtsstaatlichkeit und andererseits gibt es in der amerikanischen Justiz Zurschaustellungen, also Prozesse die im Fernsehen übertragen werden, was ja keinesfalls zur objektiven Wahrheitsfindung beiträgt. Sehr schnell werden in der USA aus Verdächtigen Täter, auch wenn sie es gar nicht waren. Wenn die Beweise fehlen werden diese einfach geschaffen. Das geht bis in die große Politik. Was war denn mit dem Irak. Wie es jetzt aussieht, hatte dieser tatsächlich keine Massenvernichtungswaffen aber Außenminister Powell legte CIA-Konstruktionen als solche im Sicherheitsrat vor um die Völker in den Krieg zu treiben. Der amerikanische Reichtum beruht auf dem schamlosen Ausbeuten und Verprassen der natürlichen Ressourcen. Da muss man schon in Zeiten, wo diese knapp werden könnten, diese überall kontrollieren. In Wirklichkeit geht es um Ölraub aber propagiert wird, dass man das arme geknechtete Volk der Iraker von ihrem bösen Diktator Saddam Hussein befreien will. Man tönt, dass jeder ein Recht auf ein faires Verfahren habe aber auf Guantánamo/Kuba hält man gefangene Taliban- und El-Kaida-Kämpfer ohne Prozess in Käfigen fest. Immer wieder betont man, dass Kriegsverbrechen gesühnt werden müssen aber man gesteht keinem internationalen Gericht zu, über amerikanische Kriegsverbrecher richten zu können.“. „Du schweifst in die große Politik ab aber du wolltest uns doch erklären, wie in euerer prüden Familie ein solcher Band mit Nackedeis entstehen konnte.“, wurde sie von Anna unterbrochen. „Nein,“, ließ sich Elke nicht beirren, „ich wollte gerade zur Sache kommen. Diese Doppelmoral zieht sich durch das ganze amerikanische Leben bis hin in den privaten Bereich. Man stellt Abtreibung als gotteslästerlichen Mord da aber möchte alles mögliche genmanipulieren oder klonen. Nacktheit ist eine Schande und möchte Exhibitionisten am Liebsten lynchen aber die perversesten Exhibitionisten sind Hollywoodstars. Deutsche Illustrierte werden in den internationalen Zeitschriftenhandelsgeschäften wegen der Titelbilder unter dem Ladentisch gehandelt aber der Playboy ist made in USA. Das Bill und ich uns im Familienkreis, auch gegenüber den Kindern, freizügig zeigten brachte uns immer das Strafgericht der Familie ein. Von meinem Schwiegervater musste ich mir sagen lassen, dass ich eine deutsche Nutte, die seine Enkel schädige, sei. Oft drohte er mir, dass er ein Verfahren einleiten wollte, in dem geprüft werden sollte ob man mir meine Kinder wegnehmen müsse. Als aber Katja ihren Bildband veröffentlichte, war gerade er erstmalig sauer darüber, dass unsere Tochter immer noch Kleiner und nicht Gardner hieß. Bei den Amerikanern ist eine Sünde, die Geld bringt keine Sünde mehr sondern fast schon eine Ehrentat.“. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, grinste Anna jetzt vor sich hin. „Was hast du denn jetzt auf einmal?“, wollte Elke wissen.“. „Tut mir leid,“, verteidigte sich Anna, „bei dem Thema ist mir gerade etwas eingefallen.“. Elke
ahnte wohl worauf ihre ältere Schwester offensichtlich darauf hinaus wollte: „Ich glaube, du kannst es nicht lassen immer wieder auf die gleiche alte Geschichte zu kommen ... auch nach 40 Jahren nicht. Obwohl du diejenige warst, die damals jede sich bietende Gelegenheit nutzte alle Kleider abzulegen. Und als ich einmal mitmachte passierte es und da fängst du jetzt immer wieder von an.“. „Du irrst,“, begann die Ältere jetzt noch einmal, „ich habe jetzt zwar an Nacktheit aber mehr an Sünde und Ehrentat gedacht. Du kennst doch noch den alten Freimanns Karl aus Kassel. Der war mal hier in Viermünden als wir uns hier in der Stube über FKK, Oben ohne und so weiter unterhielten. Es ging darum, ob Nacktheit Sünde ist. Da meinte der alte Karl, dass, wenn die Nacktheit zur Freude anderer und zum Lobe Gottes gedacht sei, eine Ehrentat und keine Sünde sei. Man konnte es ihm anmerken, dass er es gerne gesehen hätte, wenn ich alle Hüllen hätte fallen lassen. Karl (Annas Mann) drehte den Spieß um und sagte ihm, dass er mir zur Freude und Gott zum Lobe eine Ehrentat vollbringen sollte. Als mein Karl so tat als wolle er nachhelfen hatte er Freimanns Karl plötzlich ganz eilig wieder zu seinem Auto zu kommen um nach Hause zu fahren.“. „Aber meinst du das wäre von ungefähr gekommen, dass er dich nackt sehen wollte?“, fragte jetzt Elke ironisch zurück und Anna gestand: „Das habe ich auch gar nicht behauptet. Du hast doch selbst gerade gesagt, dass ich jede Gelegenheit zum Exhibitionieren genutzt habe. Das hat sich ja auch hinter meinem Rücken herum gesprochen. Aber ich bereue es nicht, denn es hat mir richtig Spaß gemacht und mir viel Befriedigung geben. Aber wem erzähle ich das? Wie ist es denn sonst zu dem Buch gekommen oder wie bist du an Dieter geraten?“. Elke gab sich geschlagen und da hatten wir doch wieder unsere berühmte Anfangsszene auf der Tagesordnung. Jetzt, nach vierzig Jahren, gestand Elke, dass ich der erste Mann vor dem sie sich ausgezogen habe gewesen sei. Wenn nicht Anna und Marlis gewesen wären hätte sie sich das niemals getraut. Aber sie habe vorher viel gespannt und habe immer heimlich beobachtet wie Anna für die Dorfjungens gestrippt habe. Es wäre ihr aber nicht um ihre nackte Schwester gegangen, die kannte sie ja, sondern für sie war das Spannende wenn die Jungens in Gegenleistung die Hose runter ließen. Bei ihr habe wohl kein Exhibitionismus sondern die Neugierde auf des Besondere am anderen Geschlecht die erste Geige gespielt. Erst später, als sie schon in den USA war, habe sie eigentlich erst richtig an dem Sich-Zeigen Spaß gefunden. Aber da hätte auch immer die Lust an einer Provokation mitgespielt. Anna revanchierte sich für so viel Ehrlichkeit ebenfalls mit einer offenen Beichte. Sie bekannte zu allen Zeiten eine fast krankhafte exhibitionistische Neigung gehabt zu haben. Sie hätte sich während der Ehezeit manche Eskapade, die auch immer zu sehr viel Ärger mit ihrem Karl führte, geleistet. Auch heute säße diese Teufelchen noch in ihr drin und sie hätte eigentlich auch jetzt den Drang sich an Ort und Stelle nackt auszuziehen. Nur die Tatsache, dass sie sich, wenn sie nackt wäre, fürchterlich blamiere hielte sie von dieser Aktion ab. Das beste oben würde, wenn es nicht mehr gehalten würde, nach unten platschen und das beste unten würde von den darüber fallenden Speckfalten verdeckt. Selbst für ihren Karl wäre es jetzt nicht mehr das Schönste sie im Evaskostüm zusehen. Auf jeden Fall hatte ich jetzt nach über 40 Jahren Aufklärung darüber erhalten, welchen triebhaften Hintergründen auf der „anderen“ Seite, meine kannte ich ja, mein erstes und auch mein (hoffentlich) letztes Lebensglück zu verdanken habe. Wir haben uns noch ein wenig über Gott und die Welt unterhalten – unter anderem erzählte uns Anna wo ihr Karl jetzt steckte und was ihre beiden längst verheirateten Kinder derzeitig machen – und dann brachen wir so gegen Vier, als Anna die Kühe von der Weide holen und melken musste, wieder in Richtung Hohenlimburg auf. Nach dem Besuch bei Anna hatte auch ich jetzt das Gefühl als wäre alles wieder beim Alten. Es war mir so als hätte ich die Chance zu zwei verschiedenen Leben gehabt, wobei das zweite das erste auf lange Zeit unterbrochen hätte. In beiden Leben konnte und kann ich mich glücklich schätzen wirklich echte und gute Partnerinnen gehabt zu haben beziehungsweise noch zu haben. Nun habe ich ja schon mehrfach betont, dass mir dieses Jahr 2003 nach der längeren Alleinseinsphase wie eine Rückkehr ins Leben vorkommt. Dazu gehört auch, dass ich nach langer Zeit endlich mal wieder einen Urlaub genießen konnte. Dabei brauchte ich mich noch nicht einmal von meiner wirtschaftlich ganz gut gestellten Frau – so will ich sie schon mal nennen obwohl es erst nach dem 11. November korrekt ist - aushalten lassen. Ich hatte ja, wie ich eingangs in diesem Kapitel schrieb, wieder eigenes gesichertes Einkommen. Das Schöne an meinem Gehaltsabrechnungen in diesem Jahr ist ja die Tatsache, dass von diesem nichts abgepfändet wird. Es dauert immer ein Weilchen bis die Inkassogeier von einem Stellenwechsel etwas mitbekommen und dann einen neuen Pfändungsbeschluss dem Drittschuldner (Arbeitgeber) zugestellt haben. Allerdings brauch man sich keine Hoffnung zu machen, dass man da umhin kommt; ich schätze mal, das die Geier bis November, wo es üblicher Weise in vielen Betrieben Weihnachtsgeld gibt, wieder zugeschlagen haben. Aber genau in dem Monat will ich meine Pfändungsfreigrenze durch Heirat ein Wenig nach Oben korrigieren. Jetzt wo ich den Urlaub schon einmal angesprochen habe, sollte ich davon auch kurz berichten. Am 13. September 2003 gingen in Nordrhein-Westfalen die Ferien zuende und am darauffolgenden Dienstag, es war der 16., gingen wir in Düsseldorf in die Luft. Am letzten Samstag hatte es an diesem Flughafen ja noch ein Riesenwirbel gegeben. Da hatten Unbekannte eine ernstzunehmende Bombendrohung ausgesprochen. Das Flughafengebäude wurde gesperrt und viele Flüge umgeleitet. Na, wenn das jemand aus Scherz gemacht haben
sollte wird das aber ein sehr teuerer Spaß. Erst mal droht der liebe Gesetzgeber mit drei Jahren Haft oder gar mehr für die bloße Androhung von Straftaten und dann kommen noch die saftigen Haftpflichtansprüche. Da soll ja ein Schaden von einem runden Milliönchen entstanden sein. Das könnte für den „armen“ Scherzbold bedeuten, dass es ihm so wie mir geht: Lebenslange oder mindesten 30-jährige Verfolgung durch Inkassogeier. Wenn es sich bei diesem „Scherzbold“ noch um einen sehr jungen Menschen, ein Twenty, handelt, kann er schon sagen, dass er seine Zukunft als verscherzt abhaken kann. Als wir aber am 16. in Richtung Thessaloniki davon flogen war von alledem natürlich nichts mehr zu spüren. Natürlich war nicht die zweitgrößte Stadt Griechenlands, der größten in Makedonien, unser Ziel; wer macht schon in einer Industriestadt Urlaub, sondern wir wurden mit einen Bus an die Olympische Riviera transferiert. Dort machten Elke und ich Station in einem kleinen Hotel nahe der Stadt Leptokaria, direkt am Fuße des Massivs mit Namen Olymp. Das hatte ich vorher auch noch nicht gewusst, dass der Olymp kein Berg sondern ein Massiv ist. Allerdings ist der Mitikas, auf dem Zeus gethront haben soll, mit seinen 2917 Metern der höchste Berg in diesem Massiv. Aus dieser Gegend ist einstmals Alexander der Große ausgezogen um sein makedonisches Weltreich zu gründen. In den Tempelanlagen von Dion, ganz in der Nähe unseres Urlaubsdomizils, hatte er vor seinem Feldzug noch ein Opfer gebracht. Es ist doch klar, dass wir sowohl zum Olymp wie auch zu den Ausgrabungsstätten von Dion einen Ausflug unternahmen. Man traf Elke und mich überhaupt wenig im Hotel und am Strand an, denn wir erkundeten spazieren gehender Weise die ganze Umgebung und insbesondere die Stadt Leptokaria. Natürlich waren wir auch drei oder vier Mal für etwas über zwei Stunden am Strand. Schließlich wollte Elke auch mal ihrer Leidenschaft den Leuten zu zeigen, dass bei ihr noch alles stramm ist, nachkommen. Mit anderen Worten heißt das, dass Elke sich mal ganz gerne nur im knappen Bikinihöschen präsentierte. Das löste auch bei mir immer ein wohliges sexuelles Empfinden aus. Des Abends genehmigten wir beide uns ganz gerne immer ein Fläschen Wein zu Zweit. Insgesamt hat uns dieser Urlaub viel Freude und Glück gebracht, was eventuell auch damit zusammenhängt, dass Elke und ich erstmalig in unserem Leben einen gemeinsamen Urlaub verbrachten. In jungen Jahren waren wir ja nie dazu gekommen. Wenn es nach den Wünschen meiner „Ehemaligen und Zukünftigen“ geht, werden wir so etwas auch Jahr für Jahr wiederholen. Von Elke kommt auch der gute Vorschlag, dass wir ab nächstes Jahr zwei Mal im Jahr Urlaub machen sollten: Einmal vor den Sommerferien in Deutschland, zum Beispiel in Ostfriesland, auf Sylt oder auf Rügen, und nach den Ferien noch einmal in irgendeinem anderem europäischen Land zum Beispiel in Italien, Spanien oder Portugal. Nun, da brauchte sie mich nicht lange zu überreden, denn ich bin bei so etwas ohne lange zu überlegen immer dabei. So, nach diesem kurzen Urlaubsreport habe ich den aktuellen Stand erreicht. Alles was ich jetzt noch schreiben würde kann unter der Kategorie „Science Fiction“ abgehakt werden; aber so etwas wäre bestimmt nicht seriös. Wenn ich jetzt fragen würde ob noch Fragen offen sind, dann muss ich mit der folgenden Antwort rechnen: „Hör mal lieber Dieter, du hast uns berichtet wie deine Kinder und Schwiegerkinder es aufgefasst haben, dass du mit deiner Ex wieder zusammen bist. Aber diese hatte doch auch Kinder, insgesamt sogar vier. Das du von denen nicht berichtet hast können wir ja verstehen, sie waren ja kein Bestandteil deines Lebens. Aber trotzdem könntest du mal schreiben, wie diese jetzt zu euch stehen. Oder hat deine Elke alle Brücken hinter sich zusammenbrechen lassen und keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern.“. Da bleibt mir tatsächlich nichts anderes, als abschließend auch noch Elkes vier Kinder „abzuhandeln.“. Dann beginnen wir mal mit dem ältesten Jungen, mit Georges Kleiner. Richtig Kleiner, ich habe mich nicht verschrieben. Den Vornamen hatte er von Georges Lennon – Elke war damals ein großer Beatle-Fan – und den Nachnamen von mir. Georges wurde ja 1968, als Elke noch nicht mit Bill Gardner verheiratet war, in Deutschland geboren. Als uneheliches Kind erhielt er nach deutschem Recht den Nachnamen seiner Mutter – und das war zu jener Zeit halt meiner. Eine Diskussion über die Änderung des Namens in Gardner hat Elke immer abgewürgt weil dabei auch stets Katja ins Gespräch kam. Da blieb Elke aber eisern und wollte das unsere Tochter meinen Namen behalten sollte und so behielt auch Georges diesen Namen. Georges hat eine Reihe Eigenschaften mit unserem Björn gemeinsam. In seiner Kindheit und Jugend hat er sich auch immer an den Rockzipfel seiner Mutter gehangen und Schreib- und Leseschwierigkeiten hatte er auch. Nur eine Förderung wie sie Björn erhalten hat ist Georges nie zuteil geworden. Mit der Förderung von Schwachen haben ja Amerikaner bekanntlich nicht fiel am Hut. Er wurde Maschinenmechaniker, was ihm sicherlich bei seinem heute ausgeübten Beruf zu Nutze sein dürfte. Er heiratete 1993 eine Farmertochter und ist seitdem das, was auch sein Großvater mütterlicherseits war: Ein Bauer – oder amerikanisch Farmer. Georges und seine Frau haben zwei Kinder und sind laut Elkes Worten sehr mit ihrem Leben zufrieden. Georges ist auch die treueste Seele unter Elkes Kinder aus zweiter Ehe. Regelmäßig ruft er an und erkundigt sich nach dem Wohlergehen seiner Mutter und berichtet dabei auch immer was sich alles so auf seiner Farm ereignet hatte. Als Elke ihn davon in Kenntnis setzte, dass sie wieder mit mir zusammen sei und ab November auch wieder wie er und Katja Kleiner heißen würde, rastete er fast vor Freude aus. Seine Begründung war: „Mam, wenn du glücklich bist, dann bin ich überglücklich. ... Ich habe dich sehr, sehr lieb.“.
Wenn er anruft und ich gerade mal an der Strippe bin, ist er immer sehr nett zu mir, gerade so als würden wir uns schon sehr gut persönlich kennen. Bei jeden Anruf lädt er Elke und mich auf seine Farm ein und für den Fall, dass wir nicht kommen, „droht“ er mit seinem Besuch bei uns. Also, mit Georges ist alles mehr als im Reinen. Fast das genaue Gegenteil kann ich von Sheila Gardner, Elkes 1970 bereits in den USA geborenen Tochter, berichten. Sie war der „Angel“ ihres amerikanischen Großvaters. Schon als kleines Mädchen hat sie gegen ihre Mutter und ihren älteren Geschwister opponiert. Sie schlug dann später eine Journalistinnenlaufbahn ein und lernte dabei einen republikanischen Nachwuchspolitiker, der den Ehrgeiz hat Senator oder Gouverneur zu werden, kennen. Zu deren Hochzeit 1992 wurden Elke und Bill zwar eingeladen aber auf der Feier wurden sie nach Elkes Empfindungen wie irgendwelche fernen Verwandten behandelt. Sheila, die inzwischen auch einen Sohn hat, ist nach ihrer Heirat nie wieder in ihrem Elternhaus gewesen. Mit ihrer Mutter unterhielt sie mehr oder weniger nur schriftliche beziehungsweise telefonische Pflichtkontakte. Nur zu den Geburtstagen oder zu Weihnachten schrieb sie mal. Nur wenn mal etwas außer der Reihe war, zum Beispiel die Geburt von Sheilas Sohn, rief sie mal an. Elke sagte mir, dass ihr das erst sehr weh getan habe, was man auch sicherlich nachvollziehen kann, sie sich aber inzwischen damit abgefunden habe. Natürlich ließ Elke auch Sheila nicht aus und teilte ihr telefonisch mit, dass sie wieder in Deutschland sei und jetzt hier, wo sie wieder mit mir, ihren ersten Mann, zusammen sei, bleiben wolle. Sheila nahm dieses als eine beiläufige Nachricht zur Kenntnis – mehr nicht. Zumindestens schloss das Elke aus dem Tonfall bei dem sehr kurzen Telefonat. Von sich aus hat sich Sheila seit dem noch nicht wieder gemeldet. Die beiden ältesten Kinder, die Elke mit Bill Gardner hatte, stellten also Extreme da; Georges in die positive und Sheila in die negative Richtung. Da waren die nächsten Beiden doch normaler aber auch hier jedes Kind anders. 1972 wurde William A. Gardner geboren. William ist auch der Vorname des Vaters und A steht für Abraham, dem Namen des Großvaters, der diesen offensichtlich von Abraham Lincoln hat. Laut Elke war William ein normaler netter Junge. Manchmal war er etwas hitzköpfig aber trotzdem ganz in Ordnung. William teilte sich nicht nur den Vornamen mit seinem Vater sondern er trat auch in dessen Fußstapfen; inzwischen ist auch er Augenarzt. Er hat erst mit 28 Jahren im Jahre 2000 geheiratet aber hat sich gleich mächtig ran gemacht. Zwei Kinder sind schon auf der Welt und ein drittes ist unterwegs. William hatte und hat zu seiner Mutter etwa so ein Verhältnis wie meine Drei zu mir. Als Elke ihm am Telefon sagte das sie wieder mit mir zusammen sei, gratulierte er ihr und wünschte ihr, dass es nun mit uns so klappe wie es zwischen seinen Eltern funktioniert habe. Seitdem hat er sich auch schon ein paar Mal über die Telefonleitung bei uns gemeldet. Ann Luise, das Nesthäkchen, wurde 1976 geboren. Von Anfang an war sie der Liebling ihres Vaters, der sie sehr verwöhnte. Elke schildert mir Ann Luise als sehr sensibel und schon in jungen Jahren wäre ihre Traumvorstellung vom Leben das Dasein als Frau und Mutter gewesen. So heiratete sie auch schon sehr früh im Jahre 1996. Die Ehe war aber nicht beständig und wurde bereits 1999 wieder geschieden. Laut Elke spielte bei der Scheidung eine maßgebliche Rolle, dass Ann Luise Ehemann keine Kinder haben wollte obwohl er vor der Ehe davon geschwärmt habe. 2001, kurz vor dem Tod ihres Vaters, heiratete Ann Luise ein zweites Mal. Diesmal klappte es dann in ihrem Sinne besser. Letztes Jahr brachte sie einen Jungen zur Welt und derzeitig ist sie schon „wieder“ schwanger. Auch Ann Luise pflegte und pflegt gegenüber ihrer Mutter wie auch ihr Bruder William gelegentliche Telefonkontakte. Als Ann Luise erstmalig davon hörte, dass ihre Mutter wieder mit mir, dem Vorgänger ihres Vaters zusammen sei, klang sie am Telefon ruhig und reserviert. Das wird wohl bei ihr eine ähnliche Reaktion wie bei meinem Björn gewesen sein. Hier war ich es, der den Platz ihres Vaters, den sie über alles geliebt hatte, eingenommen hat. Aber auch Ann Luise hat sich nach der Mitteilung ein paar Mal bei Elke gemeldet und war immer, auch wenn ich das Gespräch entgegennahm, sehr nett und freundlich. Resümierend könnte ich jetzt feststellen, das Elke und ich rundherum den „Segen“ unserer Kinder zu unserem zweiten und (hoffentlich) endgültigen Ehebund erhalten hätten. Was uns beide, Elke und mich, betrifft können wir uns jetzt wohl auf uns selbst konzentrieren, denn unsere Kinder sind aus dem Haus und meistern ihre eigenen Wege. Insgesamt kann man sagen, dass alle Kinder zu ihrer Mutter beziehungsweise ihrem Vater intensivere Kontakte als heutzutage langläufig üblich pflegen. Diese zwar alle nur unter Nutzung des Telefons und so gut wie gar nicht persönlich aber wie viele Familien gibt es, wo auch solche Sachen Seltenheitswert besitzen. Wenn ich mir an die eigene Nase fasse muss ich sagen, dass ich sogar deutlich weniger als unsere Kinder meine Mutter kontaktiert habe. Aber da war es Uli, die doch regelmäßig, fast Woche für Woche, am Telefon mit meiner und ihrer Mutter sprach. Zwischen Elke und mir lief es, seit dem wir uns bei Katja getroffen haben, richtig partnerschaftlich rund. Wir kommunizieren sehr viel miteinander, besprechen unsere Wünsche und Sorgen, von denen zum Glück bis jetzt keine besonderen angefallen sind, und stimmen uns in allen Punkten ab. So gut wie heute hat das damals in unserer „Kinderehe“ nicht funktioniert aber Elke berichtete mir, dass es in ihrer zweiten Ehe mit Bill Gardner ebenso zugegangen sei wie jetzt mit mir. Das Gleiche konnte ich ihr aus meiner Ehe mit Uli sagen. Ja, damals als Elke und ich schon mal ein Paar waren, waren wir eigentlich alle beide noch nicht reif für eine solche
Unternehmung wie eine Ehe. Sogar was die Liebe anbelangt waren wir gegenüber heute reine Stümper. Damals ging es bei uns doch nach der Devise „drauf und los“ während heute alles ein wunderbares sinnliches Erlebnis darstellt. Wir tauschen Zärtlichkeiten miteinander aus, schmusen und kuscheln wobei der eigentliche Geschlechtsverkehr bei weitem nicht das Wichtigste ist. Gar nicht selten kommen wir sogar ohne dem aus. Obwohl wir schon mal miteinander verheiratet waren fühlten wir uns wie ein Teenagerpaar, das gerade frisch zueinander gefunden hat. Beide sind wir der Überzeugung, dass es diesmal mit uns klappt bis das der Tod uns scheidet und Gott möge geben, dass dieser Tag noch sehr, sehr weit weg ist. Nachdem es schon zwei Mal in diesem Kapitel so aussah, dass ich das Wörtchen „Ende“ schreiben wollte, ist es jetzt im dritten Anlauf gleich tatsächlich soweit. Ich weiß jetzt natürlich nicht ob jemals jemand dieses Werk zu lesen bekommt. Ich weiß noch nicht einmal ob ich das überhaupt will. Alles was ich niedergeschrieben habe, war und ist mein Leben, das waren meine Gefühle, Träume, Sorgen und Ängste. Das ist doch alles zu intim als das man es unter die Leute schmeißen kann um deren Voyagerismus zu befriedigen. Ich hatte auch schon mal überlegt ob ich dieses Buch Elke mal vorlegen sollte. Dafür bräuchte ich nicht einmal Papier sondern sie könnte es ja am PC als so eine Art elektronisches Buch lesen. Aber Elke war es, die mir zu bedenken gab, dass ich in einem solchen Fall auch die Dinge, die nur mir und Uli gehören, vor ihr ausschütten würde. Obwohl Elke diesen PC genau so wie ich nutze hat sie noch keine Datei im Ordner „Champagner zum Brot“ geöffnet. Auf dem Flug nach Griechenland empfahl sie mir, diesen Ordner, wenn ich fertig bin, auf CD zu brennen und wie ein Tagebuch unter Verschluss zu nehmen und die Dateien von der Festplatte des PC zu löschen. Das werde ich gleich auch machen aber trotzdem war alles, was ich gemacht habe nicht nutzlos, denn ich habe mein Leben aufbereitet und verarbeitet. Vieles ist mir während der Zeit der Niederschrift deutlicher und klarer geworden. Meine allgemeine Zufriedenheit und die Dankbarkeit gegenüber unseren Gott, der mich mit alledem bedachte, sind dabei gewachsen und haben sich gefestigt. So, jetzt tue ich zum letzten Mal so als würde ich doch für Dritte schreiben und verfasse: Es würde mich freuen, wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat und Ihnen auch etwas geben konnte. Und damit verabschiede ich mich jetzt von Ihnen. Tschüss, machen Sie es gut. Ihr Dieter Kleiner.
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Letzte Worte des Autors – Ein Nachwort Soeben hat sich unser Freund Dieter Kleiner von uns verabschiedet und ist dahin entschwunden, von wo er gekommen ist: Er wurde durch meine Fantasie aus dem Nichts geboren und dahin ist er jetzt auch wieder gegangen und ich möchte ihn hier auch nicht wieder zum Leben erwecken. Wir konnten ihm 57 Jahre auf seinem fiktiven Lebensweg über reale Orte begleiten. Erstmalig habe ich mir in einem Roman keine Mühe gegeben, in den grauen Zellen meines Gehirns bisher unbekannte und nur für die Dauer eines Romans existente Orte zu gründen. Bereits im Vorwort wies ich ja schon daraufhin, dass bei der Vielzahl der einzelnen Stationen auch eine neue Republik im Reich der Fiktion entstanden wäre, die alles das, was ich zu berichten hatte ins Unwahrscheinliche verbannt hätte. Da habe ich, der ich genau drei Monate jünger als meine Romanfigur bin, mich der Orte bedient, in denen ich mich ungefähr zur passenden Zeit selbst aufgehalten habe oder die ich im betreffenden Zeitraum besuchte. Ab und zu, aber wirklich nur gelegentlich, habe ich auch tatsächliche eigene Erlebnisse verarbeitet. Dadurch entsteht, zugegebener Weise, leicht der Verdacht, dass ich meine wahren Memoiren leicht variiert und modifiziert niedergeschrieben hätte. Nun, wenn ich mal von dem nicht zu verleugnen identischen Denken des Dieter Kleiner und meiner Person absehe, unterscheide ich mich doch gravierend von ihm. Im Gegensatz zu Dieter habe ich nur einmal, und das sehr spät, erst mit fast 30 Jahren, geheiratet und bilde mit meiner ersten und einzigen Frau immer noch ein glückliches Paar. Ich habe auch niemals einen schweren Unfall, dem ein halbjähriger Krankenhausaufenthalt folgte, gehabt und weder mein rechtes noch mein linkes Bein sind steif. Auch auf fünf Kinder habe ich es nicht gebracht; ich kann nur auf einen Sohn und eine Tochter stolz sein. Also kurz, ich bin nicht Dieter Kleiner und ich kenne auch keinen anderen Menschen, dessen Biografie für das Leben meiner Romanfigur hätte Pate stehen können. Dieter Kleiner und alle anderen Personen sind wie die Handlung des Romans frei erfunden. Jetzt sollte man daraus aber nicht rückschließen, dass die diversen Lebenssituationen und die Empfindungen beziehungsweise das Verhalten der Menschen in diesen ebenso aus dem „Blauen“ heraus gezaubert worden seien. Wenn ich nicht selbst in vergleichbaren Situationen gesteckt habe sind mir doch sehr tiefe Einblicke in solche Dinge zuteil geworden. Dabei will ich es jetzt aber belassen, denn nach wie vor halte ich die Privatsphäre von tatsächlich existierenden Personen für eines der schutzwürdigsten Rechtsgüter. Selbst wenn es jemanden egal ist, dass sich Voyeure über seine Schwächen und Gelüste amüsieren, dann sollte er doch daran denken, dass er sich nicht allein auf dieser Welt befindet. Alle Aktionen des Privatsphären-Strippers hängen mit anderen Personen zusammen oder wurden von Dritten maßgeblich mitbestimmt. Diese müssen nicht die gleiche flapsige Einstellung zu ihrer eigenen Ehre und Würde haben wie der autobiografische „Schmierfink“ und haben daher ein Recht darauf, dass man ihre Angelegenheiten nicht an die große Glocke hängt. Außerdem sind solche Traktate, in denen diverse Leute ihr Intimleben outen, nie objektiv. Zu sehr ist man doch geneigt sein eigenes Handeln zu entschuldigen und alles Übel auf die Anderen abzuwälzen. Und wem dient so etwas? Unter solchen Voraussetzungen gibt es jetzt sehr schnell Leute, die schnell mit Argumentation wie „Na ja, habe ich doch gleich gesagt: Alles frei erfunden. Ein solches Auf und Ab wie im Leben des Dieter Kleiner gibt es doch gar nicht.“ bei der Hand sind. Dann gibt es bestimmt dann andere, die dem widersprechen und es eher als einen normalen Lebenslauf werten. Wir kennen ja alle den Slogan „Vom Tellerwäsche zum Millionär“ aber „Vom vermögenden Unternehmer zum Sozialhilfeempfänger“ ist genauso im Bereich des Möglichen. Und je nachdem wie es läuft, ist ein Schuss nach Oben und anschließender jäher Absturz sogar mehrfach hintereinander möglich. Die Lebensbahn der meisten Leute ist vergleichbar zu den Spuren einer Achterbahn. Nur die Höhen der einzelnen Wellen sowie das Gefälle sowohl beim Auf- wie beim Abstieg unterscheiden sich. Dagegen scheinen wir Menschen fast machtlos zu sein, denn ein Leben ist von vielen äußeren Umständen abhängig. Da gibt es Fälle wo andere Menschen unsere Lebensbahn kreuzen und uns aus eben dieser werfen. Dieses Durchkreuzen kann sowohl positiv wie negativ sein. Negative Beispiele hat man ja sehr schnell parat aber wer denkt zum Beispiel daran, dass einem auch ein ganz bezaubernder Mensch, dem man gerne folgen möchte, über den Weg laufen kann und vorherige Pläne zur Makulatur machen kann. Da gibt es politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse und technische Entwicklungen, die dem Leben plötzlich eine ganz neue Richtung geben. Was ist denn, wenn jemand einen kleinen Zulieferbetrieb aufgebaut hat, zukunftsorientiert investierte und der große Abnehmer seiner Produkte aus politischen und/oder wirtschaftlichen Gründen seine Produktion verlagert und sich am neuen Standort einen neuen Zulieferer sucht? Dann bleibt der Kleine mit Schulden und ohne Kunden zurück. Es dürfte nicht lange dauern bis ihm die Banken den Hahn zudrehen. Was ist mit dem Arbeitnehmer, der sich in „seinem“ gutgehenden Unternehmen nach Oben gearbeitet hat und sich aufgrund seines Einkommens ein Häuschen gebaut hat, wenn das Unternehmen, für Arbeitnehmer und Öffentlichkeit vorher unbemerkbar, plötzlich die Flügel streicht und er just zu diesem Zeitpunkt ein Alter erreicht hat, wo er nur schlecht eine oder gar keine Chance hat, einen Job, der seinen Lebensstandard sichern kann, zu erhalten? Es
gibt Unglücke, Krankheiten und Tod wie Lotteriegewinne beziehungsweise unerwartete große Erbschaften, die alle vorhergehenden Lebensplanungen „über den Haufen“ werfen können. Technische Entwicklungen lassen ganze Berufsstände, von denen man einstmals annahm sie hätten goldenen Boden, sterben und zurück bleibt der ehemalige Geselle oder Facharbeiter der jetzt in einer Hilfstätigkeit jobben muss. Kurz gesagt: Ein Leben, wie das von der Romanfigur Dieter Kleiner ist eher normal als außergewöhnlich. Dieses hätte ich jetzt nicht so groß herausgestellt, wenn ich nicht auf etwas bestimmtes hinaus wollte. Derzeitig spielt sich ja das Theater auf der bundesrepublikanischen politischen Bühne hinsichtlich der Reform unserer Sozialsysteme ab. Da gibt es Hyperliberale in allen Parteien, die am Liebsten das komplette Solidarsystem gegen private Vorsorge austauschen möchten. Meines Erachtens beruhen deren Irrtümer darin, dass sie von Kontinuität, sowohl im allgemeinen Bereich wie im Leben der Einzelnen ausgehen. Diese Kontinuität, die für diese Leute selbstverständlich erscheint, gibt es aber generell nicht. Je höher die Zahl der durchkreuzten Lebenswege um so sicherer das soziale Chaos, das durch private Vorsorge angerichtet werden kann. Aus meiner Sicht sehe ich derzeitig keine Alternative zu einem, auf breite Beine gestelltes Solidarsystem. Womit ich mich keinesfalls auf die Ebene des Bundeskanzlers herablassen möchte und gedankenlos „Dazu gibt es keine Alternativ“ sagen will. Es gibt immer nicht nur eine sondern immer mehrere Alternativen, man muss nur gewillt sein darüber nachzudenken. Aber vorne an muss stehen, dass es die ebnen Lebenswege, wie sie die Planer voraussetzen, nicht gibt. Na ja, „mein Dieter Kleiner“ ist nicht in das absolute Loch gefallen, aber wie leicht hätte das passieren können, insbesondere wenn er auf private Vorsorge gesetzt hätte und diese von den Inkassogeiern zum Rückkaufwert „gefressen“ worden wäre. Mit dem Auf- und Abstieg eines Menschen geht auch immer sein Ansehen in den Augen der Anderen einher. Wer ganz oben steht, gilt als der Mann oder die Frau. Dabei spielt es keine Rolle wie die Person dahin gekommen ist, da bedarf es sehr oft keiner besonderen intellektuellen Leistung, keines soziales Engagement oder besonderer keiner außergewöhnlichen persönlichen Eignung. Da kann man in ein Vermögen eingeboren sein, da können sich die vorfahrenden Raubritter schmucke Titelchen angeeignet und an ihre Nachfahren weitergegeben haben oder da kann man modernen Menschenhändlern als treffsicherer Balltreter oder gut vermarktbare Bühnenstatue aufgefallen sein. Oben ist oben und wer da ist lässt der naiven Masse vor Ehrfurcht die Knie schlottern. Wenn man sich so ansieht, wer in Politik, Wirtschaft, Entertainment oder Sport den Gipfel markiert, kann man echt bezweifeln ob es sich da tatsächlich um eine ausgewählte Elite handelt. Auch meine Figur Dieter Kleiner hatte ja, als er seine Managerkarriere startete, nichts anderes geleistet als zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen zu sein und sich dort als perfekter Kofferträger – oder „Kümmerer“ wie ich ihn sich bezeichnen ließ – zu erweisen. Trotzdem schaute man ehrfürchtig zu ihm hoch. Wir merken es insbesondere an dem Verhalten der Schweikart-Mitarbeiter ihm gegenüber als er seine Vorstandskarriere, die ihm seine zweite Frau Uli bescherte, startete. Besonders deutlich wird das daran, dass Uli, als bekannt wurde das die beiden jungen Leute miteinander liiert waren, von Heute auf Morgen ganz anders von den übrigen Mitarbeitern angesehen und behandelt wurde. Ganz anders, fast genau umgekehrt sieht es aus, wenn man Pech gehabt hat und wieder beziehungsweise erstmals Unten ist. Da ist man der Versager, von dem man ja schon immer wusste, dass er zu nichts taugte beziehungsweise nichts könnte. Dann werden Pförtner über einem solchen Pechvogel zu Herren und Amtsstubenquälerinnen über diesem zur allmächtigen und scheinbar allwissenden Obrigkeit. Lassen Sie sich mal von einstmals erfolgreichen Unternehmer, die nach ihrer Pleite auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen waren – es gibt ja einige Zeitgenossen, denen so etwas schon ereilt ist –, erzählen wie sie auf dem Sozialamt im wahrsten Sinne des Wortes von Angehörigen aus der sicheren Hängematte des öffentlichen Dienstes „abgefertigt“ worden sind. Natürlich empfinden Betroffene diese unterschiedliche Betrachtungsweise ihrer Person. Denken Sie doch nur daran, wie erhaben sich Dieter fühlte als er in Langweer/Westfriesland vor einer ehemaligen Urlaubsbekanntschaft imponieren konnte und wie er sich später, nach dem Absturz vom Vorstandssockel, genierte sich einmal in heimatliche Gefilde zu begeben. Wäre nicht diese Scheu vor der öffentlichen Meinung gewesen, hätte er bestimmt schon viel früher den Absprung aus Berlin, wo er sich offensichtlich auch gar nicht so wohl fühlte, geschafft. Das Ansehen, das uns andere Mitmenschen zuteil werden lassen, und unser eigenes Empfinden, mal Überheblichkeit und mal Schmach, sind die Ursache für viele gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Nur weil jemand oben steht hat man Hemmungen ihm zu widersprechen und in Folge ihrer vermeintlichen Schmach verstecken sich Kapazitäten, die einfach nur mal Pech gehabt haben. So wird oft größter Blödsinn zum Evangelium und Gedanken, die uns alle weiterbringen könnten, bleiben unausgesprochen. Kein Wunder, wenn sich dann die Gesellschaft zum Nutzen und Frommen der Obenstehenden formiert und berechtigte Proteste ausbleiben. Weil diejenige, die Oben sind, unentwegt reden und die Untenstehenden sind nicht zuhören weil sie sich verstecken, hören wir soviel uniforme liberale Töne und das soziale Gewissen stirbt. Ich möchte jetzt diejenigen, die auf den untersten Sprossen der gesellschaftlichen Leiter stehen ermuntern sich nicht zu verstecken und ruhig denen „da Oben“ mal zusagen, was sie in Wirklichkeit da für einen „Käse verzapfen“. Ihr werdet staunen: Die intelligentere Mehrheit sitzt unten. Aus jemanden, der mal ein großes Ass war wird ja nicht auf Grund seines
Absturzes ein Dummkopf und aus einem, etwas weniger mit Intelligenz bedachten Parteisoldaten wird ja kein Supermann wenn er sich durch die Parteiebenen in Regierungssessel gefilzt hat. Und was ist die Leistung eines Unternehmers, dem sowohl sein „Laden“ wie sein übriges Vermögen durch Erbschaft schon in die Wiege gefallen ist so unerhört großes geleistet? Wäre er als Baby mit dem Pförtner vertauscht worden, wäre das Gleiche nur in umgekehrter Besetzung dabei heraus gekommen. Aber bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Ich möchte keinesfalls die falsche These, dass die da Oben Asse und die da Unten dumme Assis sind durch bloße Umkehrung in eine gegenteilige ebenso falsche These verwandeln. Richtig ist, dass sich Intelligenz und Dummheit proportional auf alle Menschen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Position, verteilen. Leider kann man dieses in Hinsicht auf soziale Kompetenz nicht so bestätigen. Die geht leider beim Aufstieg zunehmendst verloren. Ja, sonst würde man ja auch nie Oben ankommen, denn ein Schaf wäre in einem Rudel Wölfe mit Sicherheit verloren. Aber das ist eigentlich nur Nebensache. Mir geht es viel mehr darum, dass wir erkennen, dass alle Menschen gleichwertig sind. Niemand ist mehr und niemand ist weniger wert. Niemand brauch sich zu verstecken und alle können ihre Meinung sagen. Fraktionszwang und –disziplin brauch und darf sich niemand aufknebeln lassen, auch nicht von „seinem“ Bundeskanzler. Soll er doch zurücktreten, wenn er auf demokratischen Überzeugungsweg keine Mehrheit kriegen kann. Das Ausspielen von Macht ist keine anerkennenswerte Leistung. Vielleicht liegt ja alles nur an seiner intellektuellen Unfähigkeit Alternativen zu erkennen oder an dem charakterlich bedingten Unwillen darüber nachzudenken. Ich glaube, das parteispitzenhörige, also kadavergehorsame Bundestagsabgeordnete maßlos überbezahlt sind, denn zum Armhochheben an der von der Parteiführung gewünschten Stelle kann man doch jedes Dummerchen auf 400-Euro-Basis verpflichten. Stoi, stopp, stoi, da bin ich ja schon wieder auf dem besten Weg Missverständnisse zu erzeugen. Ich will hier beim besten Willen keine Stimmungen gegen die parlamentarische Demokratie erzeugen sondern ich möchte nur ein Plädoyer für den Pluralismus, der Vollendung der Demokratie, halten. Wir müssen einfach lernen, dass ein jeder Mensch gleich wichtig und wertvoll ist und das wir die Argumente aller ernst nehmen und nachdenkenswert erachten müssen. Es gibt eine um ein mehrfaches höhere Chance aus sehr vielen, teils naiven Ansichten und Meinungen die richtige Lösung zu ziehen als aus den Erarbeitungen einer Expertenkommission, die ja leider noch sehr oft in einem Elfenbeinturm fernab vom wirklichen Leben thront. Noch einen weiteren, der Gesellschaft dienlichen Nutzen können wir aus der Gleichachtung aller ziehen: Die einzelnen Menschen fühlen sich in ihrer Würde bestätigt, was immer automatisch zur höheren mentalen Bereitschaft sich für das Gemeinwohl zu engagieren führt. Aber bitte jetzt nicht gleich wieder nach dem Staat rufen sondern selbst den Anfang machen. Wie wäre es mal mit einem Gespräch mit dem arbeitslosen Nachbarn, der ansonsten nur regelmäßige Besuche vom Gerichtsvollzieher erhält. Vielleicht können sie dann darüber staunen, was der einmal dargestellt hat und wie banal sein Reinfall war, so banal das uns allen so etwas passieren kann. Aber so etwas fällt ja vielen sehr schwer, da ist es schon besser, alles was nicht sein darf zu verdrängen. So, werte Leserin, geschätzter Leser, jetzt habe ich schon zwei von drei Grundanliegen, die mich zum Verfassen des „Champagners zum Brot“ veranlassten auch im Nachwort abgehandelt. Lediglich ein Thema, was eigentlich nicht nur durch die gesellschaftskritische Brille gesehen werden sollte, steht noch aus. Es geht um eine Sache, der sich weniger Gesellschaftskritiker sondern mehr Poeten und Philosophen annehmen. Diese Sache heißt Liebe. Was ist eigentlich wahre Liebe? Ist ihr Wesenszug das Körperliche oder ist es die Partnerschaft, das miteinander teilen zu wollen? Ich habe ja „meinem“ Dieter Kleiner oft genug sagen lassen, was ich unter Liebe verstehe. Es würde mich wirklich freuen, wenn ich recht viele Leute dazu bewegen könnte, sich auch einmal entsprechende Gedanken zu machen. Nach meiner Ansicht – und bei der lässt der Gesellschaftskritiker noch einmal grüßen – liegt in der geringen Bereitschaft zur Partnerschaft, sprich zu wahrer und wirklicher Liebe, mit eine Wurzel unserer egoistischen Gesellschaft. Oder sind diese Lebensabschnittspartnerschaft zweier, auf ihre Unabhängigkeit bedachten Individualisten nur ein Erscheinungsbild unserer Egogesellschaft? Wie es auch sei, die Zuwendung zum Anderen, mit ihm zu teilen, halte ich für einen großen Schritt in Richtung einer besseren solidarischeren und sozialeren Gesellschaft. Immer in Zusammenhang mit dem Zauberwort Liebe wurde in „Champagner zum Brot“ auch mehrfach die Frage gestellt, wann diese eigentlich beginnt. So wie Dieter und Elke zueinander fanden, kann man bestimmt nicht davon sprechen, dass sie das Band der Liebe zusammengeführt hätte. Das war doch tatsächlich nichts anderes als nachpubertäre Neugierde und Lustbegierde; zumal es Dieter ja ursprünglich nicht auf Elke sondern auf ihre ältere Schwester Anna abgesehen hatte. Sicher, nach nur vier Jahren brach das frühe Glück in sich zusammen aber was war es dann, was sie sogar nach 35 Jahren wieder zusammen führte. Und diesmal sieht es wirklich aus wie Liebe. Aber auch bei Uli und Dieter sieht es weniger nach Amors Pfeilen aus. Da lief doch diesem Dieter just nach einer längeren Zeit der Partnerinnensuche eine ihm sexuell anregende junge Dame über den Weg und deren Chef, ein gewisser Kai Prätorius, half noch ein Wenig nach. War das Liebe auf dem ersten Blick oder kam die erst später? Ist es der Zufall oder die Gelegenheit, die den Weg über Lust und Begierde zur Liebe öffnen? Wenn dieses stimmt, gibt es tatsächlich für jedes Töpfchen auch ein Deckelchen, es muss nur der
Gedanke „mit der (beziehungsweise mit dem) möchte ich auch mal“ gegenseitig angestoßen werden. Dadurch eröffnet sich aber auch der Blick auf eine gefährliche Sache: Wenn bei einer freien Liebe oder sogenannter „offener Ehe“ mal aus reiner Lustbefriedigung plötzlich Liebe wird. Es müssen ja die gleichen Mechanismen wie vor dem Beginn einer Ehe wirksam werden. Sollte uns nicht so etwas zu ehelicher Treue ermuntern, denn von echter Partnerschaft können wir auch dann noch zehren, wenn die körperliche Begierde erloschen scheint. Ja, ja, die gute alte Liebe hat schon ganze Armeen von Dichter und Philosophen beschäftigt und ich kann auf die eben aufgeworfene Frage auch keine Antwort geben. Dieses gilt um so mehr in Zeiten wo diverse Begriffe reichlich in sinnloser Weise durcheinander gemixt werden. Wenn heute von Liebe gesprochen wird hat man es sehr häufig nur mit einer Lustbefriedigung am Körper eines Mitgliedes des anderen Geschlechts zu tun und auf keinem Fall mit dem, was man sagt. Vielleicht wäre es besser bei der reinen Lustangelegenheit einfach und simpel nur vom Sex zu sprechen, also ein Paar macht keine Liebe sondern „nur“ Sex. Mit Liebe und Sex verhält es sich genauso wie mit Erotik und Pornografie. Erotik ist vom Hause her etwas Sinnliches, etwas Schönes aber jeder Pornoschinken schmückt sich mit dem, für diese Genre eigentlich unpassendem Wort Erotik. Aber jetzt nichts für ungut, wenn jemand Spaß an einem lustvollen Abenteuer, was ich als Sex bezeichnen würde, oder an direkten, mehr als eindeutigen Machwerken, die ich als Porno abtun würde, hat dann soll er ruhig wenn er will – ich bin ja kein Moralapostel. Aber ich wäre doch dafür, wenn man eine klare und eindeutige Sprache spricht, damit ich, der ich auch Freude an guter Erotik habe aber gegenüber Pornos Ekel empfinde, nicht in die Falle gelockt werde. Ich bin der Meinung, dass auch da, wo Erotik draufsteht auch Sinnlichkeit drin sein muss. Soweit jetzt die Themen, die ich in diesem Roman thematisieren wollte. Letztlich möchte ich noch eine Sache ansprechen, die im Buch keine solche Würdigung wie die vorangegangenen Themen fand, die sich aber gerade zu anbietet. Dieter und Elke hatten zusammen eine Tochter, die Katja, und mit dem jeweils anderen Partner beziehungsweise Partnerin je vier Kinder. Die Kinder der Kleiners beziehungsweise Gardners waren selbst auch wieder für Kinderwünsche aufgeschlossen. So etwas ist doch in der heutigen Zeit beim besten Willen kein Standard. Man könnte meinen „Helden“ Dieter Kleiner als jemanden bezeichnen, der den Generationsvertrag, wie er seit Beginn der Zivilisation besteht, erfüllt. Unser Wohlstand und unsere sozialen Sicherungssysteme können nur gesichert werden, wenn wir in etwa unseren Bevölkerungsstand halten. Damit alles funktioniert brauchen wir Konsumenten, Menschen mit Grundbedürfnissen, in die ich in der heutigen Zeit auch Dinge wie Fernseher, Kühlschrank und sogar das Auto einbeziehen möchte. Was diese Leute benötigen muss produziert werden und wenn produziert wird benötigt man Arbeitskräfte, die dann Einkommen erzielen und in die sozialen Systeme einzahlen. Wenn von Unten nichts nachkommt sinkt die Zahl der Konsumenten, der Binnenmarkt stagniert und die Arbeitslosigkeit steigt. Immer mehr Menschen werden dann Nehmer in der Sozialversicherung und immer weniger zahlen ein. Das Problem ist weder durch Kahlschlagreformen der Marke „Agenda 2010“ noch durch Versicherungsprivatisierungen, die mit „mehr Eigenverantwortung“ schöngelabert werden, zu lösen. Die Privatversicherungen sind im PrämienLeistungs-Verhältnis bei den Risiko-Versicherungen genauso wie die Solidar-Versicherungen auf die Zahl der Versicherungsnehmer angewiesen. Sinkt die Zahl der Versicherungsnehmer muss das entweder mit steigenden Prämien oder mit Streichung von Leistungen ausgeglichen werden. Mit anderen Worten: Dann kommt die „Agenda 2040“ nicht von den Politikussen sondern von den Vorständen der Versicherungskonzerne. Nur eines bleibt gleich: Der Schwache ist immer der Dumme. Jetzt wirft bestimmt jemand ein, dass eine private Rentenversicherung keine Risiko- sondern eine Kapitalversicherung sei. Das ist richtig und bei Kapitalversicherungen bekommt man das Geld, was man eingezahlt hat, auch abzüglich Gebühren und Provisionen auch auf Euro und Cent zurück, vorrausgesetzt es gibt keinen wirtschaftlichen Totalzusammenbruch. Ob dann der natürliche Kaufkraftverlust im Laufe der Jahre durch Zinsen ausgeglichen werden kann hängt sehr stark vom allgemeinen Wirtschaftsverlauf ab und dieser ist abhängig von der Zahl der Konsumenten, im Binnenbereich, wie es der Name schon sagt, von den Leuten im eigenem Land und im Exportbereich von allen Menschen in den Industrieländern. Ob man, wenn man seiner „Eigenverantwortung“ nachkommt, später mal soviel bekommt, dass man seinen Lebensstandard altersgemäß sichern kann, dürfte bei abnehmender Bevölkerungszahl höchst fraglich sein. Nun richte ich mich an die jungen Leute, die recht naiv mit dem Schlagwort „Generationsgerechtigkeit“ hausieren gehen. Hört mit der Milchmädchenrechnung, was die Alten eingezahlt haben und rauskriegen im Vergleich zudem was ihr einzahlen müsst, auf. Bedenkt, dass die Alten ihren Generationsvertrag erfüllt haben, indem sie, während sie für ihre Eltern in die Sozialversicherung einzahlten, gleichzeitig Euch groß gezogen, Euch eine Ausbildung ermöglicht und das was Ihr mal erben sollt geschaffen haben. Da müsstet Ihr ansetzen: Macht das, was in die sozialen Netze eingezahlt werden muss von der Kinderzahl abhängig. Gerechtigkeit muss ja sein. Wer nicht in die Generation nach ihm leisten will, also wer keine Kinder haben will, der kann auch beruhigt kräftig für die Alten zahlen – oder wollt Ihr weiter auf dem Trittbrett fahren? Dann lasst die Pille mal weg und auch die Kondome können mal in der Packung bleiben und dann ab in die Betten. Natürlich könnt Ihr
auch je nach Geschmack die Besenkammer oder den Wohnzimmerteppich wählen. Wichtig ist nur, dass wir wieder auf eine Geburtenrate von 2,3 Kinder pro Frau kommen. Bei der derzeitigen Geburtenrate von 1,4 Kinder pro Frau könnt ihr rechnen soviel ihr wollt und Jahr für Jahr eine neue radikale Reform, die bei genauerer Betrachtung keine ist, durchführen, steigende Soziallasten und Altersarmut sind Euch gewiss. Natürlich kann man auch das, was die Geburtenrate nicht bringt, auch durch einen Einwanderungsüberschuss ausgleichen. So etwas ist aber nicht so ohne Probleme. Dabei denke ich noch nicht einmal an Fremdenangst und/oder –hass. Der Schlüsselfaktor in meinen Überlegungen ist die Konsumentenzahl. Erst durch ausreichend Konsumenten kann die Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Wenn diese neuen Konsumenten nicht wie vor Ort geborene Kinder auf natürliche Art und Weise in eine Volkswirtschaft wachsen sondern von Außen kommen, dann müssten wir erst in Vorleistung gehen. Das heißt, wir müssen uns die Leute holen damit sie erst einmal konsumieren. Wir müssten ihnen zunächst einmal Leistungen ohne Gegenleistung gewähren. Dann würden diese Leute mittel- oder langfristig für sich und für uns Arbeitsplätze schaffen aber vorher erst einmal auf unsere Kosten leben. Au weia, was so etwas Land auf und Land ab für ein Geschrei geben würde und außerdem müssten wir das, was wir ihnen geben, auch erst einmal erwirtschaften. Also daher noch einmal der Appell: Ran ans Kindermachen. So, der Aufruf zum ungeschützten Geschlechtsverkehr, der ja bekanntlich vor dem Kinderkriegen steht, ist doch wohl ein schöner wie außergewöhnlicher Schluss für ein Buch. Komm mir ja keiner bei dem Wort „ungeschützt“ auf das Thema Aids. Der beste Schutz ist beidseitige Treue, gleichgültig ob in der Ehe oder Partnerschaft, und dafür habe ich mich schon zuvor ausgesprochen. Und deshalb kann ich jetzt wirklich Schluss machen. Ich wollte mit diesem „letzten Autorenwort“ auch nur das zusammenfassen, was mich bei der Konzeption und der Niederschrift dieses Werkes bewegte. Daraus muss ja dann nicht gleich auch noch ein komplettes Werk werden. Deshalb mache ich es jetzt wie meine Romanfigur Dieter Kleiner und sage: Es würde mich freuen, wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat und Ihnen auch etwas geben konnte. Und damit verabschiede ich mich jetzt von Ihnen. Tschüss, machen Sie es gut. Ihr
--- Ende ---
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