Neal Davenport
Cocos unheimliche Verwandlung
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Neal Davenport
Cocos unheimliche Verwandlung
ERICH PABEL VERLAG KG-RASTATT/BADEN DÄMONEN-KILLER-Buch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright © 1979 by Neal Davenport Titelillustration: Nikolai Lutohin Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300 A-5081 Anif NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1, Telefon (0 40) 3 01 96 29, Telex 02.161.024 Printed in Germany August 1979
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Völlig verwirrt blickte sich Ralf Winter um. Der Verkehrslärm auf der breiten Straße war betäubend. Ein paar Fußgänger kamen ihm entgegen. Wo bin ich? fragte er sich. Seine Verwunderung steigerte sich, als er die Kennzeichen der Autos betrachtete, die an ihm vorbeifuhren. Alle hatten italienische Nummern. Und die Leute, die an ihm vorbeiströmten, sprachen ausnahmslos ita lienisch. Kopfschüttelnd ging er ein paar Schritte weiter, blieb stehen und starrte ein zweistöckiges Haus an. Via Garibaldi stand auf einem Schild. Zweifelsohne befand er sich in einer italienischen Stadt – aber in welcher? Und wie war er hierhergekommen? Angst stieg in ihm hoch. So sehr er sich auch bemühte, er konnte sich einfach an nichts erinnern. Ein junges Pärchen kam laut lachend auf Ralf zu. „Entschuldigen Sie“, sagte er in seinem miserablen Italienisch. „Was wollen Sie?“ fragte der junge Mann freundlich. „Könnten Sie mir sagen, in welcher Stadt wir sind?“ Der Junge lachte laut auf, und seine Begleiterin begann zu kichern. „Bitte!“ sagte Ralf flehend. „In L’Aquila“, antwortete das Mädchen. 3
Dann schlenderten die beiden kichernd weiter. „L’Aquila“, flüsterte Ralf. Nie zuvor war Ralf in dieser Stadt gewesen. Er kannte keine Menschenseele hier und konnte sich einfach nicht erklären, wie er hergekommen war und was er hier wollte. Was soll ich, tun? fragte er sich. Ruhig bleiben, beruhigte er sich selbst. Ich bin Ralf Winter, zweiundzwanzig Jahre alt, wurde in Lindau geboren und studiere in München. Ich habe eine kleine Wohnung in der Land wehrstraße und fahre einen klapprigen VWKäfer. Das hilft mir aber nicht weiter, unterhielt er sich weiter mit sich selbst. Vor einer Auslage blieb er stehen und starrte sein Spiegelbild an. Er war hochgewachsen, breitschultrig und wirkte überaus kräftig. Sein schmales Gesicht war tief braun, die grauen Augen standen leicht schräg. Das dunkelbraune Haar war kurz geschnitten und lag wie eine Kappe an seinem Kopf. Bekleidet war er mit einer naturfarbenen Lederjacke, einem blauen Hemd und blauen Hosen. Er griff in die Jackentaschen, die aber alle leer waren. Dann durchsuchte er die Hosentaschen, fand jedoch nur ein paar zerknüllte Papiertaschentücher. Ich brauche Hilfe, sprach er weiter zu sich selbst, während er langsam weiterging. Aber wohin sollte er sich in dieser fremden Stadt wenden, in der er keinen Menschen 4
kannte? Vermutlich gab es hier auch keine deutsche Botschaft oder ein Konsulat. Ihm würde wohl keine andere Wahl bleiben, als sich an die Polizei zu wenden. Als er an einem schmiedeeisernen Gitter vorbeikam, hob er den Kopf und blickte nach links. Ein palastartiges Gebäude war zu sehen, das inmitten eines gepflegten Gartens stand. Kurz bevor er das hohe Tor erreichte, hörte er ein knirschendes Geräusch, und das Tor schwang, wie von Geisterhänden bewegt, auf. Überrascht blieb er stehen und blickte wieder zum Haus. Seine Augen wurden groß, als er einen giftgrünen VW-Käfer vor dem Haus stehen sah, der ein Münchener Kennzeichen trug – das Kennzeichen seines Wagens! Augenblicklich betrat er den Garten und lief auf seinen Wagen zu. Seine Verwirrung war noch größer geworden. Er war also mit seinem Auto nach L’Aquila gefahren – und er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern. Keuchend blieb er neben dem Fahrzeug stehen und versuchte die Fahrertür zu öffnen. Sie war versperrt. Er umrundete den Wagen und probierte die Beifahrertür. Auch hier hatte er kein Glück. Mechanisch begann er nach den Autoschlüsseln zu suchen, als ihm einfiel, daß er seine Taschen bereits untersucht und sie leer gefunden hatte. Er hörte Schritte und drehte sich rasch um. 5
Ein schwarz gekleideter Mann trat aus dem hohen Hauptportal und blickte zu ihm herüber. Der gewaltige schwarze Vollbart verlieh dem Unbekannten ein unheimliches Aussehen. „Herzlich willkommen im Palazzo Trinci, Herr Winter“, sagte der Vollbärtige mit tiefer Stimme. „Sie kennen mich?“ fragte Ralf verwundert. Der Unheimliche nickte kurz. „Ich kenne Sie aber nicht. Wer sind Sie?“ „Adalmar Zamis. Wir haben uns vor ein paar Wochen in München kennengelernt.“ Ralf kniff die Augen zusammen. „Das kann ich nicht glauben, Herr Zamis, zumindest kann ich mich an Sie nicht erinnern. Und ich bin sicher, daß ich Sie nicht vergessen hätte.“ „Mein Lieber, Sie können sich doch an vieles nicht erinnern!“ „Woher wissen Sie das?“ „Kommen Sie zu mir, Herr Winter. Ich werde Ihnen später alles erklären.“ Ralf zögerte einen Moment. Er ging an seinem Wagen vorbei und auf den Bärtigen zu, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah. Blitzschnell drehte er den Kopf zur Seite, keuchte. Sein Auto hatte sich ins Nichts aufgelöst! „Wo – wo ist mein Wagen?“ stotterte er. „Er steht in München“, antwortete Zamis. „Aber ich… Er – er war doch gerade noch hier. Ich habe ihn doch gesehen und…“ 6
„Sie haben sich getäuscht, Herr Winter.“ „Ich begreife das alles nicht. Wer sind Sie?“ Adalmar Zamis blickte ihn durchdringend an. Ralf fürchtete ohnmächtig zu werden. Er spürte einen starken Druck an Stirn und Schläfen, und ein fremdartiges Ziehen war in seinem Nacken. Dann flimmerte alles vor seinen Augen. Willenlos ging er auf Zamis zu, an ihm vorbei und betrat das Haus. Nach ein paar Schritten blieb er stehen. Ein junges Mädchen kam auf ihn zu. Sie war nicht unhübsch, aber ihr Gesicht war seltsam starr, fast puppenhaft, und der Blick ihrer Augen war glanzlos und stupid. „Das ist Celia“, hörte er Adalmars Stimme. „Sie wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen, Herr Winter. Ich erwarte Sie in einer Stunde zum Abendbrot.“ Ralf wollte protestieren, wollte sich gegen den unheimlichen Bann auflehnen, der ihn gepackt hatte. Doch willenlos folgte er dem Mädchen, das ihn durch geschmackvoll eingerichtete Räume, durch Gänge und dann Stufen hinaufführte. Celia öffnete eine holzgeschnitzte Tür. Das Zimmer war klein, fensterlos und spartanisch eingerichtet. „Ich hole Sie in einer Stunde ab, Herr Winter“, sagte Celia. „Warten Sie, Celia“, sagte er rasch. „Ich habe eine Menge Fragen, die ich…“ „Ich darf Ihnen keine Frage beantworten, 7
Herr Winter.“ Das Mädchen schloß hinter sich die Tür, und Ralf schüttelte den Kopf. „Was hat das alles zu bedeuten?“ fragte er leise und sah sich im Zimmer um. Der Schrank neben der Tür war leer, das Bett nicht überzogen. Er setzte sich auf einen Stuhl und schloß die Augen halb. Angestrengt begann er nachzudenken. Schon seit seiner frühesten Jugend hatte ihn die Welt des Übersinnlichen fasziniert. Er hatte Bücher über okkulte Themen verschlungen und auch immer gern Science Fiction gelesen. Eines stand für ihn mit Sicherheit fest: Hier waren Kräfte am Werk, die er sich nicht erklären konnte. Der unheimliche Adalmar Zamis hatte ihn auf eine ihm nicht erkennbare Art nach L’Aquila gelockt. Vermutlich war er hypnotisiert worden, ohne etwas davon zu merken. Für diese Annahme sprach einiges. Adalmar hatte ihm seinen Willen auf gezwungen, ohne daß er etwas dagegen unternehmen konnte. „Aber weshalb hat er mich hierher gelockt?“ fragte Ralf laut. „Gut überlegt, mein Lieber“, klang Adalmars Stimme aus dem Nichts. „Kombinieren Sie nur ruhig weiter.“ „Wo stecken Sie?“ fragte Ralf und stand auf. Doch er erhielt keine Antwort. Ein paarmal ging er im Zimmer auf und ab und blieb dann schließlich vor der Tür stehen. Er versuchte sie zu öffnen, doch sie war verschlossen. 8
Mißmutig setzte er sich wieder auf den Stuhl. Eigentlich sollte ich nun Angst haben, dachte er, doch ich habe keine Angst. Ganz im Gegenteil: seine Neugierde und sein Interesse waren geweckt. Mit Spannung erwartete er das Abendessen. Vier Minuten vor sieben Uhr holte ihn Celia ab. Schweigend schritt sie voraus, und er folgte ihr und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Es schien ihm, als wäre1 sie kein Mensch, sondern ein Roboter. Ihre Bewe gungen waren ruckartig, und sie ging so steif, als hätte sie einen Stock verschluckt. Der Raum, in den sie ihn brachte, war ungewöhnlich hoch und groß. Der Parkettboden war mit wunderschönen Teppichen bedeckt, und an den dunklen Wän den hingen farbenfrohe Gobelins. Auf einem schwarzen Eichentisch, der achteckig war, stand ein Kerzenleuchter, in dem ein halbes Dutzend Kerzen brannten. Auf dem Tisch standen Becher; schwere Porzellanteller und kunstvoll verziertes Silberbesteck waren zu sehen. Eine junge Frau saß am Tisch und blickte Ralf furchtsam entgegen. „Guten Abend“, sagte Ralf und kam langsam näher. „Ralf Winter.“ „Doris Emke“, stellte sich die farblos wirkende Frau vor. Ihr hochaufgestecktes Haar war aschblond, das nichtssagende Gesicht mit den tiefliegenden braunen Augen 9
war teigfarben. Sie war dünn und klapprig wie ein Skelett, und ihre großen Hände hielten nicht einmal eine Sekunde still. Ralf blieb vor dem Tisch stehen. „Wurden Sie auch nach L’Aquila gelockt, Frau Emke?“ „Fräulein Emke“, sagte sie mit schriller Stimme. „Ja, so kann man es sagen. Ich fand mich plötzlich vor diesem Palast, Ich kann mich einfach nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin.“ „Da geht es Ihnen so wie mir“, meinte Ralf. Schritte waren zu hören, und Ralf drehte sich langsam um. Ein aufgeweckt aussehender junger Mann kam auf sie zu. Trotz seiner Jugend war sein dunkelblondes Haar schon etwas gelichtet, und der Backenbart sah aus, als hätten Mäuse darin genistet. Ein farbenfrohes Hemd unterstrich seinen Bierbauch, und die uralte Jeans war an den Knien ausgebeult. „Ich bin Hugbert Stossl“, stellte sich der Neuankömmling vor. „Das ist Fräulein Doris Emke, und ich bin Ralf Winter.“ „Sehr angenehm“, sagte Stossl. „Eine Frage: Kennen Sie diesen finsteren Adalmar Zamis schon länger?“ „Nein“, antwortete Doris Emke rasch. „Ich habe ihn vor einer halben Stunde kennengelernt, doch er hat behauptet, daß er mich vor ein paar Monaten in Stuttgart getroffen hat. Daran kann ich mich aber nicht 10
erinnern, außerdem stehe ich vor einem Rätsel, wie ich nach Italien gekommen bin.“ „Mein Fall ist genauso“, meinte Stossl und zog sich einen Stuhl heran. „Der finstere Bursche hat mir auch weismachen wollen, daß ich ihn von Linz her kennen müsse. Das ist ein völliger Unsinn, denn’ ich hätte ihn niemals vergessen. Auch ich habe keinerlei Ahnung, wie ich nach L’Aquila belangt bin.“ „Dann haben wir alle das gleiche Problem“, stellte Ralf sachlich fest. „Ich frage mich nun, was das alles zu bedeuten hat.“ „Eine gute Frage, mein lieber Stossl“, war Adalmar Zamis zu hören, der den Raum betrat. „Bitte, nehmen Sie den Platz, Herr Winter.“ Ralf setzte sich nieder und starrte Adalmar an, der gemächlich näherkam und sich auf einen Stuhl fallen ließ. „Wollen Sie uns nicht endlich erklären, was Sie mit uns vorhaben?“ zischte Doris Emke. „Das würde mich auch interessieren“, brummte Stossl. Ralf schwieg. „Alles zu seiner Zeit, meine Herrschaften“, sagte Adalmar freundlich. „Vorerst wollen wir einmal essen.“ „Ich habe keinen Appetit!“ schrie die junge Frau. In ihrer Wut sah sie hübscher aus. Ihre Wangen hatten Farbe bekommen. „Wenn Sie mir nicht sofort antworten, dann verständige ich die Polizei!“ 11
Adalmar warf ihr nur einen Blick zu, und sie verstummte und sank im Stuhl zusammen. Zwei Mädchen brachten Silberplatten herein, die sie auf den Tisch stellten. Es gab unzählige Sorten Käse, Wurst, Pasteten und kalte Fleischgerichte, dazu ein Dutzend Salate und andere kleine Leckerbissen. Doris aß nur wenige Bissen. Sie nippte kurz an ihrem Weinglas und brütete still vor sich hin. Hugbert schien die Umgebung vergessen zu haben; er konzentrierte sich ganz auf das Essen und stopfte unglaubliche Mengen in sich hinein. Ralf wählte mit Bedacht einige Köstlichkeiten aus, die er langsam verspeiste. Der Gastgeber war so wie Stossl ein starker Esser. Während des Essens wurde kein Wort gesprochen. Ralf legte das Besteck auf den Teller und lehnte sich zurück. Immer wieder wanderte sein Blick zu Adalmar Zamis hin, der sich davon jedoch nicht stören ließ. Endlich wurde der Tisch abgeräumt und Kaffee serviert. „Beantworten Sie uns jetzt endlich unsere Fragen, Zamis?“ fragte Emke gereizt. In dieser Frau scheine ich mich gründlich getäuscht zu haben, dachte Ralf, denn ich habe sie für ängstlich gehalten, doch das scheint sie nun wirklich nicht zu sein. Hugbert rülpste geräuschvoll. Ihn schien das alles nicht sonderlich zu interessieren. Ziemlich gelangweilt blickte er die Frau an. „Ich habe über drei Jahre gesucht, bis ich Sie 12
gefunden hatte“, sagte Adalmar. „Und weshalb haben Sie uns gesucht?“ fragte Ralf neugierig. „Ich brauche Sie zu einem Experiment.“ „Sie wollen uns als Versuchskaninchen verwenden?“ fragte Ralf verblüfft. „Ich traue Ihnen nicht, Zamis“, knurrte Doris wütend. „Vorerst will ich einmal wissen, was Sie mit mir getan haben, denn ich kann mich nicht erinnern, wie ich hierher gekommen bin.“ „Diese Frage werde ich nicht beantworten, meine Liebe. Ich habe Sie alle drei seit einiger Zeit beobachtet. Sie eignen sich vorzüglich für mein Experiment.“ „So kommen wir nicht weiter“, sagte Doris entschieden und stand auf. „Ich verständige nun die Polizei und dann…“ „Setzen Sie sich“, sagte Adalmar sanft und blickte sie an. Ihr Gesicht verzerrte sich, und es war, als würden sie unsichtbare Hände zurückdrängen, gegen die sie vergeblich ankämpfte. „Es ist sinnlos, wenn Sie sich gegen mich aufzulehnen versuchen, meine Herrschaften. Sie sind meine Gefangenen. Es würde alles viel leichter machen, wenn Sie ohne Widerstand an meinem Experiment teilnehmen würden.“ „Wer sind Sie eigentlich, Adalmar Zamis?“ fragte Stossl und beugte sich vor. „Sie würden mich als Dämon bezeichnen.“ Doris fauchte verächtlich, und Stossl hielt 13
hörbar den Atem an, während sich Ralf nichts von seiner Überraschung anmerken ließ. „Dämon“, sagte Doris höhnisch. „Ich glaube eher, daß Sie ein Verrückter sind. Sie gehören in eine geschlossene Anstalt. Ich denke nicht daran, an irgendwelchen Experimenten teilzunehmen. Ich will nach Hause.“ „Halten Sie den Mund, Doris“, sagte Adalmar scharf. „Ich habe Sie alle drei hypnotisiert. Sie müssen meinen Befehlen gehorchen, jede Gegenwehr ist sinnlos, ja würde alles für Sie nur schlimmer machen. Ihr Schicksal ist mir höchst gleichgültig, das will ich zuerst einmal betonen. Zum Unterschied von meinen Artgenossen habe ich aber keinen Spaß am sinnlosen Quälen von Menschen. Für mich stellen Sie nichts anderes als Versuchstiere dar, die aber sprechen und denken können, was mein Experiment erleichtert.“ Ralf spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Adalmar Zamis, der sich selbst als Dämon bezeichnete, hatte so eiskalt und gefühllos gesprochen, daß in Ralf erstmals echte Angst aufstieg. Er blickte zu Hugbert hin, der sich nervös mit der Zunge über die Lippen strich, dann zu Doris, die sich mit beiden Händen an der Tischplatte festkrallte und die Lippen zusammengepreßt hatte. „Ich kann mir gut vorstellen, daß Sie einige Fragen bewegen, auf die ich Ihnen aber keine Antwort geben werde. Ich werde Sie nun in einen magischen Schlaf versetzen und in ein Castello in den Abruzzen bringen lassen, wo 14
das Experiment stattfinden wird. Wenn alles gut geht, dann sind Sie schon in wenigen Tagen wieder zu Hause, und Sie werden sich an nichts erinnern können, was vorgefallen ist.“ „Was ist das für ein Experiment?“ fragte Ralf. „Jeder von Ihnen verfügt über eine Fähigkeit, von der sie selbst nichts ahnen. Ich will nun diese verborgenen Kräfte aktivieren und vereinen und mit magischen Kräften testen. Ich hoffe, daß es klappen wird.“ „Und welche geheimnisvollen Kräfte in uns verborgen sind, das werden Sie uns sicherlich nicht verraten, was?“ brummte Stossl. „Richtig.“ „Aber weshalb gerade wir?“ fragte Doris leise. „Sie sind die einzigen Menschen, die ich gefunden habe, die über diese Fähigkeiten verfügen. Um es ganz primitiv zu sagen: ich will Ihnen diese in Ihnen schlummernden Kräfte rauben.“ „Und was geschieht dann mit uns? Werden wir verrückt? Werden wir sterben?“ „Ich weiß es nicht“, sagte Adalmar Zamis einfach. „Genug der sinnlosen Rederei.“ Er hob die rechte Hand, in der sich eine erbsengroße strahlende Kugel befand. Ralf wollte aufstehen, doch da schoß ein grellweißer Blitz aus der Kugel, hüllte seine Gestalt ein paar Sekunden ein und erlosch dann. Augenblicklich war er in einen magischen Tiefschlaf gefallen. 15
Er merkte nichts davon, daß er zu einem Kastenwagen gebracht und auf die Ladefläche gelegt wurde.
Ich erwachte, als die Tür geöffnet wurde. Mein Bruder Adalmar und Onkel Ingvar kamen auf mich zu. Müde blickte ich ihnen entgegen. Adalmar setzte sich mir gegenüber nieder und blickte mich finster an. Ingvar blieb neben dem Fenster stehen, blickte kurz hinaus und sah mich dann nachdenklich an. Er ist der Bruder meines Vaters und mir sowie Adalmar nicht gut gesinnt. Aber meine Gefühle ihnen gegenüber sind nicht viel anders. „Mit dir haben wir nur Ärger, Coco“, sagte Adalmar wütend. „Diesmal kann sie nichts dafür, Adalmar“, versuchte Ingvar meinen Bruder zu besänftigen. „Wo hast du dummes Geschöpf die vergangene Woche gesteckt?“ fragte mich Adalmar ergrimmt. Ich räusperte mich, griff nach den Zigaretten und steckte mir eine an. „Antworte schon!“ schrie er mich an. Vor einem Jahr hätte er mich beeindrucken und einschüchtern können, doch jetzt war er mir völlig gleichgültig. Früher habe ich vor einigen Mitgliedern unserer dämonischen Familie eine Heidenangst gehabt, doch das hat 16
sich gelegt. „Dein Ton mißfällt mir, Bruder“, sagte ich ruhig. „Vor mir brauchst du nicht den Starken zu spielen, das beeindruckt mich nicht mehr.“ Seine Brauen wölbten sich, und seine Augen schienen größer zu werden. „Ruhig, Adalmar, ruhig“, sagte Ingvar sanft. Er legte seine rechte Hand auf Adalmars Schulter und sah mich bittend an. Auf seine Art sieht Ingvar wirklich gut aus. Sein schulterlanges Haar ist schneeweiß, das braungebrannte Gesicht mit den tiefen Falten ist überaus männlich und anziehend. Meine Müdigkeit war hinweggewischt. Mein Körper war angespannt, und ich war zu der bevorstehenden Auseinandersetzung mit Adalmar bereit. Früher habe ich mich nie aufgelehnt^ doch das ist wohl für immer vorbei. Zuviel hatte ich in den vergangenen Wochen erlebt. Zuviel hatte sich verändert. Ich war mir nun meiner Fähigkeiten durchaus bewußt. Nach außen hin mußte ich meine Kräfte verbergen, doch innerhalb der Familie wollte ich das nun nicht mehr tun. „Du hast vor einer Woche eine Kampferklärung von Pietro Salvatori übermittelt bekommen“, stellte Adalmar sachlich fest. „Du hättest dich augenblicklich mit Vater in Verbindung setzen müssen, doch du hast es nicht getan. Du bist spurlos verschwunden. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie Vater getobt hat.“ 17
„Du bist mit den Gesetzen der Schwarzen Familie vertraut, ungeliebter Bruder“, sagte ich fest. „Pietro Salvatori hat die Kampfansage mir übermittelt. Das geschah vor einer Woche in einem Hotel in Venedig. Zeuge der Kampfübermittlung war der Schiedsrichter Skarabäus Toth, und der Herr der Schwarzen Familie hatte dem Kampf zugestimmt. Die Ansage lautete auf Leben und Tod, ohne Sippenhaftung, aber mit allen erlaubten Mitteln. Und bei so einer Kampfansage brau che ich keine Mitteilung an das Oberhaupt unserer Sippe zu machen. Ich darf die Hilfe unseres Clans in Anspruch nehmen, aber ich bin dazu nicht verpflichtet.“ „Das ist mir alles bekannt, hohlköpfige Schwester. Würde es nur nach mir gehen, dann würde ich dich höchstpersönlich Pietro Salvatori übergeben und voller Freude zusehen, wie er dich umbringt. Dann wären wir dich endlich los. Aber es geht um die Ehre unseres Clans. Du darfst nicht sterben. Wir müssen die Überlegenheit unserer Sippe beweisen, daher muß Pietro Salvatori sterben!“ „Ich weiß“, sagte ich leise. „Es ist für euch alle nur eine Prestigeangelegenheit.“ „Richtig. Und deshalb hättest du dich unbedingt mit Vater in Verbindung setzen sollen.“ „Dazu hatte ich leider keine Gelegenheit. Außerdem erwartete ich, daß es mir leicht fallen würde, selbst diesen Vampir zu töten.“ 18
„Aber du hast dich getäuscht. Du brauchst unsere Hilfe, denn sonst bist du rettungslos verloren.“ „Da bin ich nicht so sicher, Brüderchen“, sagte sie • spöttisch. „Du arme Närrin. Du hast keinerlei Ahnung, was Pietro für eine Waffe gegen dich in der Hand hat. Er verfügt über einen Zauber, mit dem er dich langsam töten kann. Allein hast du keine Chance gegen ihn.“ „Nimm endlich Vernunft an, Coco“, schaltete sich nun Onkel Ingvar ein. „Erzähle uns alles.“ Ich dachte ein paar Sekunden nach, dann nickte ich langsam. „Ich werde euch alles erzählen.“ Sie blickten mich aufmerksam an, während ich überlegte, was ich ihnen alles verraten durfte. Den Großteil der Erlebnisse der vergangenen Wochen würde ich ihnen wohl verschweigen müssen. „Wie ihr wißt, gelang es mir, Merlin zu beschwören, der auch tatsächlich den Dämon Atma tötete, der in Wirklichkeit Kilian Elkin war, und der Asmodi den Kampf erklärt hatte. Vor ein paar Wochen wollte ich Merlin wieder anrufen, doch ich erfuhr, daß er mir nicht helfen kann, da er sich selbst in großer Gefahr befindet. Ich beschloß daraufhin, ihm zu helfen. Deshalb fuhr ich vor einer Woche nach Venedig. Ich quartierte mich in einem Hotel ein, und da kam plötzlich Pietro Salvatori während des Abendessens zu mir. Vor ein paar Jahren, als ich meine Ausbildung als 19
Hexe bei Cyrano von Behemoth erhielt, krachte ich mit Pietro zusammen, der damals schwor, daß er sich an mir rächen würde. Und in Venedig übermittelte er mir nun die Kampfansage, die ich nicht besonders tragisch nahm, denn ich wußte ja ganz genau, daß Pietro nicht einmal die Grundbegriffe der Magie gelernt hatte. Er ist ein schwacher Vampir, den ich mit einer Handbewegung erledigen kann. Ich verschwand ganz einfach und erledigte einen Auftrag für Merlin. Doch dann wurde ich stutzig. Pietro Salvatori war mir zu siegessicher vorgekommen, deshalb vermutete ich, daß er von irgendeiner Seite Hilfe bekommen hat. Daher setzte ich mich mit Onkel Ingvar in Verbindung, der mir sagte, daß ich nach Arezzo kommen solle. Dort habt ihr mich dann abgeholt. Und ich bin durch das Dimensionstor nach Castello della Malizia gelangt.“ „Alles recht gut und schön“, brummte Adalmar, „aber du hast uns nicht die ganze Wahrheit erzählt, Schwester. Ich habe mit Georg gesprochen. Du bist seit einiger Zeit ziemlich verändert. Angeblich sollst du sehr selbstsicher geworden sein. Das habe ich ja nun selbst festgestellt. Von dir geht eine unglaublich starke magische Ausstrahlung aus. Außerdem trägst du einige Gegenstände an dir, die höchst ungewöhnlich sind. Zeig mir mal die Kette.“ Ich zögerte einen Augenblick, dann holte ich die Kette hervor, die ich von Oirbsen, Merlins 20
Boten, erhalten hatte, und an der sich der Signatstern befand. „Hm, das scheint einer der geheimnisvollen Sterne der Weisen zu sein“, stellte mein Bruder sachkundig fest. „Ein Signatstern, der deine Fähigkeiten steigert. Und was ist mit dem Goldreifen an deinem linken Handgelenk?“ „Ein einfaches Schmuckstück“, meinte ich lächelnd. „Ja, ja, das kannst du einem Narren erzählen. Wozu ist der Goldreifen nützlich?“ Ich zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten. Mein Bruder mußte wirklich nicht wissen, daß ich in Verbindung mit dem Signatstern und dem Goldreifen die geheimnisvollen Zeitschächte betreten und mit ihrer Hilfe in die Vergangenheit gelangen konnte. „Hm, und dieser Ring an deinem rechten Ringfinger ist wohl auch nur zur Verschönerung deiner Hand da?“ „Ein hübscher Ring“, sagte ich grinsend. „Der blaue Stein scheint Lapislazuli zu sein.“ „Jetzt reicht es mir aber“, sagte Adalmar wütend und stand auf. „Du bleibst im Schloß, Coco. Hier bist du sicher. Wir werden dann später beraten, wie wir vorgehen sollen.“ Ich blickte den beiden nach. Adalmar schlug die Tür hinter sich zu, und ich kicherte leise. Das Zimmer, das mir Tante Bianca zugewiesen hatte, war überraschend groß und hübsch eingerichtet. Das große Fenster ging 21
auf den achteckigen Hof hinaus. Mit Castello delle Malizia verbanden mich alles andere als angenehme Erinnerungen. Hier war ich als eine Gefangene gehalten worden und hatte die grauenvolle Auseinandersetzung mit der Winkler-ForcasSippe erlebt, bei der ich eine entscheidende Rolle gespielt hatte. Das Castello gehörte Onkel Ingvar, der es vor etwa fünfzig Jahren erworben hatte. Es lag in der Nähe der kleinen Ortschaft Pietracamela in den Abruzzen. Eine schmale Straße führte vom Ort zur grünen Hochfläche der Prati di Tivo, von wo man zum Corno Grande und Corno Piccolo aufsteigen konnte. Im Winter war es ein Skigebiet, doch im Frühling verirrte sich kaum ein Tourist hierher. Das Schloß war von unzähligen magischen Fallen umgeben, die jeden unerwünschten Besucher abhielten. Hier in dieser Gegend war vor über einem Jahr meine Schwester Vera und mein Vetter Selmar von den Winkler-Forcas bestialisch ermordet worden. Doch mein Clan hatte die Sippe der Winkler-Forcas bis auf einen ausgerottet. Aber an die damaligen Ereignisse dachte ich nur höchst ungern. Die Gegenwart beschäftigte mich im Augenblick viel mehr. Ich hoffte, daß mein Aufenthalt im Schloß nur sehr kurz sein würde, denn ich wollte nach London zu rückkehren, wo ich hoffte, daß sich Oirbsen mit mir in Verbindung setzen würde. Den Ring hatte ich nach einigen 22
Schwierigkeiten in Venedig der Renaissance an mich gebracht. Dabei war es zu einer fürchterlichen Auseinandersetzung mit einem schrecklichen schlangenartigen Monster gekommen, das in menschlicher Gestalt aufgetreten war. Das Monster hatte sich Xenia genannt, und nach ihrem Tod hatte ich ein Bild von ihr gefunden, das sie in ihrer richtigen Gestalt zeigte. Dieses Bild und ein rundes Plättchen hatte ich mit ins 20. Jahrhundert genommen und es eigentlich Adalmar zur Untersuchung geben wollen. Ich öffnete meine Handtasche und holte das Bild hervor. Ein unheimliches Geschöpf war zu sehen. Der Kopf war schlangenartig, in der Stirn war ein einziges Auge zu sehen, ein typisches Schlangenauge. Der Körper war menschenähnlich, doch die Beine und Arme waren tentakelartig. Dieses Alptraumgeschöpf war mit einem merkwürdigen Anzug bekleidet, und weit im Hintergrund war ein bizarr geformtes Gebäude zu erblicken, das aus einem SF-Film zu stammen schien. Das Material, aus dem das Bild gefertigt war, griff sich wie eine Alufolie an und ließ sich ganz klein zusammenfalten. Das Bild legte ich auf den Tisch, dann suchte ich nach dem runden Blättchen, fand es und legte es auf das Bild. Irgendwie erinnerte es mich an einen Jeton. Es war kaminrot, halb durchsichtig, und völlig unverständliche Zeichen waren auf beiden Seiten zu sehen. Ich stand auf und stieß einen Schrei aus. 23
Die Schmerzen in meiner rechten Hand begannen wieder! Es war, als würde mir eine glühend heiße Nadel durch die Hand gestoßen. Diese Schmerzen hatte ich das erstemal in Arezzo gespürt, als ich auf Adalmar und Ingvar gewartet hatte. Ich hatte mich vergeblich bemüht, den Schmerz zu vertreiben. Er war erst verschwunden, als ich in den gegen alle magischen Angriffe gesicherten Mercedes gestiegen war. Ich hatte gehofft, daß ich hier im Schloß sicher vor Pietros Angriffen sein würde, doch da schien ich mich gründlich getäuscht zu haben. Meine Hand schien in Feuer getaucht zu sein. Die Schmerzen breiteten sich nun über den ganzen Unterarm aus und reichten bis zum Ellbogen. Ich hob den Arm hoch und sah meine Hand an. Sie verfärbte sich. Innerhalb weniger Sekunden war die Haut pechschwarz geworden und schien Blasen zu bilden. Alle Finger waren angeschwollen. Ich versuchte den Ring abzustreifen, doch es gelang mir nicht. Er schien mit dem Finger verwachsen zu sein. Die Schmerzen waren nun so unerträglich, daß ich stöhnend im Zimmer hin und her lief und zu keinem vernünftigen Gedanken fähig war. Immer wieder starrte ich die Hand an, die nun bis zum Handgelenk schwarz verfärbt war. Einige der Blasen brachen auf, Blut sickerte hervor. 24
Verzweifelt versuchte ich den Signatstern zu aktivieren, doch meine Kräfte waren noch von der Zeitreise zu geschwächt. Das gewohnte Pulsieren des geheimnisvollen Steins wollte sich nicht einstellen. Entsetzt sah ich meine Finger an, die binnen einer halben Minute so dick wie Weißwürste wurden. Der Schmerz raste durch meinen Oberarm und erreichte die Schulter. Nun konnte ich den Arm nicht mehr bewegen, er war gelähmt. Ich taumelte auf die Tür zu, griff nach der Klinke, als sich alles vor meinen Augen zu drehen begann. Ich wankte hin und her. Kopfüber flog ich auf die Tür zu, schlug mit der Stirn dagegen, ging in die Knie und brach bewußtlos zusammen.
„Asmodi hätte Coco in einen Freak verwandeln sollen, als sie sich ihm damals bei ihrer Hexenweihe verweigerte“, sagte Adalmar, als er die Tür zu seinem Labor öffnete. „Vergiß nicht, lieber Neffe, daß sie uns auch schon recht nützlich war“, meinte Ingvar. Adalmar schnaubte verächtlich. „Wir wären auch ohne ihre Hilfe mit den Winkler-Forcas fertig geworden. Und ich bin noch immer der Meinung, daß es besser für unsere Sippe gewesen wäre, wenn wir damals Kilian Elkin mit Asmodi hätten kämpfen lassen. So wären wir Asmodi los geworden 25
und hätten uns mit Elkin schon irgendwie geeinigt. Aber nein, meine Schwester mußte die Formeln finden, mit der sie Merlin zu Hilfe rief. Etwas Dümmeres hätte sie gar nicht tun können.“ „Damals hast du aber anders darüber gedacht, Adalmar.“ „Ich habe damals auch nicht anders empfunden, doch mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte Vaters Befehl gehorchen.“ Wütend bewegte Adalmar seine rechte Hand, und eine hohe Tür öffnete sich geräuschlos. Ingvar blickte seinen Neffen kurz an. Üblicherweise war Adalmar äußerst wortkarg, nur wenn er sehr verärgert war, dann redete er mehr und steigerte sich in einen alles vernichtenden Zorn hinein. Immer wieder war Ingvar von Adalmars Labor fasziniert. Es war eine Mischung zwischen einem modernen Laboratorium, in dem sich die neuesten Geräte befanden, und einer Alchemistenküche. Das alles wirkte unglaublich bizarr und verwirrend. Der Raum wurde von einem etwa vier Meter langen Backsteinofen beherrscht, auf dem einige Destillierkessel und Abzugshauben standen. Die Kessel waren durch verschieden starke Rohre miteinander verbunden. Auf einem Regal lagen unzählige uralte Bücher. An den Wänden standen Schränke, in denen sich Tiegel, Flaschen, Tuben und Gläser befanden, die mit allen möglichen Farben, Säuren und Tinkturen gefüllt waren. In einem Schrank 26
befanden sich nur Kräuter und Wurzeln. Auf einem großen Tisch standen ein halbes Dutzend Bunsenbrenner und Glasbehälter. In einem hohen Glasbehälter kochte eine durchsichtige, geleeartige Flüssigkeit. Ein fremdartig süßer Geruch ging vom Glasbehälter aus. Adalmar blieb vor dem Tisch stehen und blickte die kochende Flüssigkeit an. Er brummte zufrieden und griff nach einem Glas, in dem sich ein blutrotes Pulver befand. Er warf etwas von dem Pulver in die kochende Flüssigkeit, die sich unruhig zu bewegen begann und Blasen warf. „Sehr schön“, freute sich Adalmar. Die Flüssigkeit war nun blutrot gefärbt, und der süßliche Geruch im Labor wurde immer intensiver. „Was ist das für ein Experiment?“ erkundigte sich Ingvar. „Magisches Blut“, antwortete Adalmar. „Hergestellt nach einer uralten Formel.“ „Und wozu ist dieses magische Blut verwendbar?“ „Angeblich soll es die magischen Kräfte verstärken“, sagte Adalmar grinsend. „Willst du es kosten, Onkel?“ „Nein, danke. Ich diene nicht gern als Versuchsobjekt.“ Adalmar kicherte leise. Er schöpfte etwas von der kochenden Flüssigkeit in eine Porzellanschale. „So, jetzt werde ich das magische Blut 27
abkühlen lassen“, meinte Adalmar, „dann werde ich es Doris Emke trinken lassen.“ „Was hast du mit den drei Gefangenen vor, Adalmar?“ „Ich habe dir schon gesagt, daß die drei über PSI-Kräfte verfügen, von denen sie selbst nichts ahnen. Ich will diese verborgenen Fähigkeiten aktivieren.“ „Und was versprichst du dir davon?“ „Einiges. Ich hoffe, daß ich dadurch neue magische Fallen entwickeln kann, gegen die es für normale Dämonen kein Entkommen gibt. Außerdem habe ich mit den dreien einige Zeitexperimente vor.“ Adalmar durchquerte den Raum, und eine Tür schwang unter seinem Blick auf. Der Raum dahinter war klein und in mattes Licht getaucht. Doris Emke, Hugbert Stossl und Ralf Winter lagen nebeneinander auf einer breiten Holzpritsche. An ihren Stirnen, Handund Fußgelenken und unter dem Herzen waren Elektroden befestigt, von denen verschiedenfarbige Drähte zu einigen Apparaten führten, die an der rechtsliegenden Wand standen. Adalmar kontrollierte die Geräte, nickte zufrieden und betrat wieder das Labor. Er wartete, bis sich das magische Blut etwas abgekühlt hatte, trat dann auf die Pritsche zu und weckte Doris Emke auf, die ihn mit glasigen Augen verständnislos anstarrte. „Trinken Sie das, Fräulein Emke“, sagte Adalmar und reichte ihr die Porzellanschale. 28
Doris setzte die Schale an die Lippen und trank die dicke Flüssigkeit auf einen Zug hinunter. Adalmar blickte sie gespannt an. Doris hielt noch immer die Schale in der rechten Hand. Ihr Gesicht war bleich. Adalmar kontrollierte die Geräte, vor allem ihre Herztätigkeit interessierte ihn. Es dauerte kaum zwei Minuten, dann begann ihr Herz schneller zu schlagen, auch die Linien auf dem Papierstreifen, den der Enzephalograph ausspuckte, wurden kräftiger. „Gut, sehr gut“, flüsterte Adalmar. Doris Emke begann zu stöhnen. „Wie fühlen Sie sich, Doris?“ erkundigte sich Adalmar. „Mir ist heiß“, flüsterte die junge Frau. Schweißtropfen perlten über ihre Stirn. „Mein Blut scheint zu kochen.“ „Haben Sie Schmerzen?“ „Nein, aber ich fühle mich seltsam. Ich glaube zu schweben. Alles dreht sich vor meinen Augen. Das Blut rauscht in meinen Schläfen. Ich fühle mich müde.“ „Gut, gut“, freute sich Adalmar. Doris Emkes Atem ging rascher. Ihre Augen waren nun blutunterlaufen. Adalmar holte aus einer Lade einen roten Vollgummiball. Er hielt den etwa faustgroßen Ball zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand. „Sehen Sie den Ball an, Fräulein Emke“, sagte er befehlend. 29
Die junge Frau gehorchte. Noch immer rann ihr der Schweiß in Strömen über das Gesicht. „Konzentrieren Sie sich auf den Ball, Fräulein Emke.“ Ihre Augen wurden schmal. Ihr Blick war starr auf den roten Ball gerichtet. „Sie können den Ball beherrschen, Fräulein Emke“, sagte Adalmar beschwörend. „Der Ball gehorcht Ihnen. Sie können ihn bewegen, wenn Sie es nur wollen.“ Der Atem der Frau ging nun ruhiger. In ihren Augen war ein merkwürdiges Flackern zu sehen. „Ich lasse jetzt den Ball los, Fräulein Emke. Sie werden ihn mittels Ihrer geistigen Kräfte in der Luft schweben lassen!“ Adalmar ließ den Ball los. Er fiel zu Boden, prallte auf und sprang etwa einen Meter hoch. Dann senkte er sich wieder dem Boden zu, doch plötzlich wurde sein Fall langsamer. Zehn Zentimeter über dem Boden kam er zum Stillstand. „Sehr schön“, lobte Adalmar. „Und nun heben Sie den Ball hoch.“ Doris’ Stirn war gerunzelt. Deutlich war ihr die Anstrengung anzusehen. Doch langsam bewegte sich der Ball, flog eine Handbreit nach links, dann erhob er sich, wurde immer schneller und raste auf die Decke zu. Seine Geschwindigkeit wurde wieder langsamer, er fiel etwas zu Boden und blieb dann ruhig in der Luft hängen. „Prächtig, ganz prächtig!“ Adalmar strahlte 30
höchst zufrieden. „Bewegen Sie nun den Ball in meine Richtung, Fräulein Emke.“ Der Ball flog langsam auf Adalmar zu, der ihn ergriff und Ingvar angrinste. „Entspannen Sie sich nun, Fräulein Emke.“ Sie schloß die Augen, und nach wenigen Sekunden ging ihr Atem wieder völlig normal. „Nun legen Sie sich zurück, Fräulein Emke.“ Gehorsam legte sie sich auf den Rücken. „Und nun schlafen Sie, Fräulein Emke.“ Adalmar ging zu den Apparaten, kontrollierte kurz die Skalen, dann brummte er zufrieden. „Das Experiment war erfolgreich“, sagte Adalmar. „Sie verfügt über die Fähigkeit der Psychokinese. Ihr Geist herrscht über die Materie. Wenn ich ihr diese Fähigkeit entreißen oder sie mit Magie verstärken kann, dann verfüge ich über eine Waffe, gegen die nicht einmal Asmodi ein Gegenmittel besitzt.“ „Der Versuch war recht eindrucksvoll, Neffe“, sagte Ingvar. „Aber im Augenblick gibt es wichtigere Dinge zu erledigen.“ „Ach ja“, seufzte Adalmar mißmutig. „Diese blödsinnige Kampfansage. Aber du hast recht, Onkel, wir müssen zuerst diesen Pietro Salvatori finden, was aber nicht so einfach sein wird. Der Bursche hat sich sicherlich irgendwo gut versteckt.“ „Wir sollten einen aus seiner Sippe gefangen nehmen. Vielleicht kann er uns sagen, wo sich Pietro versteckt hält.“ „Ein Versuch kann nicht schaden“, meinte Adalmar wenig begeistert. „Viel lieber würde 31
ich meine Experimente weiter durchführen.“ „Dazu hast du später noch Gelegenheit genug, Adalmar.“ Der Bärtige warf seinen Versuchsobjekten einen bedauernden Blick zu, zuckte mit den Schultern und verließ das Labor. Ingvar und Adalmar stiegen eine schmale Wendeltreppe hoch, die in einem breiten Gang endete. Sie gingen auf eine hohe Tür zu, hinter der ein fußballfeldgroßer Raum lag. An den Wänden zwischen den Fenstern hingen mannshohe Bilder, die berühmte Dämonen darstellten. Der spiegelblanke Boden schimmerte wie geschmolzenes Silber. An einem achteckigen Tisch saß Bianca und blickte den beiden Dämonen interessiert entgegen. Sie stammte aus einer unbedeutenden römischen Sippe und war sehr glücklich darüber gewesen, daß Ingvar mit ihr eine Dämonenehe eingegangen war. Bianca war eine eindrucksvolle Dämonin. Ihr dunkles Haar fiel in zwei dicken Zöpfen über ihre breiten Schultern. Ihr Gesicht mit der hohen Stirn, der kräftigen, leicht gekrümmten Nase und den vollen Lippen war fast maskulin. Unter ihrem schwarzen Kleid zeichneten sich schwere Brüste ab. „Hat sich Georg gemeldet?“ fragte Ingvar, zog einen der schweren Stühle heran und setzte sich. „Er ist unterwegs“, antwortete Binaca. Ihre Stimme war überraschend hell und einschmeichelnd. „Wahrscheinlich wird er in 32
ein paar Stunden eintreffen.“ Adalmar nahm neben seinem Onkel Platz und starrte die funkelnde Tischplatte an. Er wetzte unruhig hin und her. „Was ist mit dir los?“ fragte Ingvar. „Ich weiß es nicht“, flüsterte Adalmar und blickte seine rechte Hand an. „Ich spüre ein seltsames Ziehen in meiner Hand und ein unangenehmes Prickeln in meinem rechten Unterarm.“ „Coco“, sagte Ingvar. „Sie muß wieder Schmerzen haben, die du auch spürst.“ „Das ist möglich“, stimmte Adalmar zu. „Zwischen uns besteht eine ziemlich enge Verbindung. Wir müssen zu ihr gehen.“
Ingvar drehte das Licht an, und Adalmar kniete neben seiner Schwester nieder, die bewußtlos auf dem Bauch lag. „Das sieht ziemlich böse aus“, meinte Adalmar und griff nach Cocos rechtem Arm. Als er ihn berührte stöhnte die Bewußtlose auf. „Wir müssen sie aufs Bett legen. Pack mit an, Ingvar.“ Sie hoben Coco hoch und legten sie auf das Bett. Adalmar beugte sich über die geschwollene Hand und betrachtete den Ring mißtrauisch. Von ihm ging eine geheimnisvolle Kraft aus. Vorsichtig berührte er den blau glänzenden Stein, der sich eigenartig weich 33
anfühlte. „Mit diesem Ring stimmt einiges nicht“, brummte der Bärtige. „Ich kann ihn nicht abstreifen, da der Finger zu angeschwollen ist. Aber ich bin ziemlich sicher, daß Pietro Salvatori etwas mit diesem Ring zu tun hat. Über ihn kann er Coco Schmerzen zufügen und sie vielleicht sogar töten.“ Er richtete sich auf und starrte seine bewußtlose Schwester an. Ihr pechschwarzes Haar war offen und zerwühlt. Ihr schönes Gesicht mit den hochangesetzten Backenknochen war vor Schmerzen verzerrt. Ihre Nasenflügel zitterten, und sie atmete heftig. „Ihre Hand und der Unterarm sehen ja grauenvoll aus“, stellte Ingvar entsetzt fest. „Hast du schon mal etwas Ähnliches gesehen, Adalmar.“ „Nein“, antwortete Adalmar. „Wir müssen sie aufwecken und ihr etwas gegen die Schmerzen geben.“ Adalmar überlegte kurz, dann nickte er. „Bleibe bei ihr, Ingvar“, sagte er rasch. „Ich hole verschiedenes aus dem Labor.“ Ingvar setzte sich auf das Bett und ließ Coco nicht aus den Augen. Sie war eine ungewöhnlich hübsche Hexe, mit starken magischen Fähigkeiten ausgestattet, die sie aber bisher nicht in den Dienst der Schwarzen Familie gestellt hatte. Coco hatte alle Chancen erhalten, doch sie hatte sie nicht genützt. Sie war anders, sie 34
paßte nicht in die Schwarze Familie. Immer schon war sie eine Außenseiterin gewesen. Nicht einmal die Erziehung bei Cyrano von Behemoth hatte daran etwas geändert. Und als sie sich dann in einen Sterblichen verliebt und sich dem Herrn der Schwarzen Familie verweigert hatte, war die Zamis-Sippe in ernstliche Schwierigkeiten gekommen. Seither war der Zamis-Clan bei Asmodi in Ungnade gefallen. Ingvar blickte auf, als Adalmar zurückkam, eine schwere Tasche auf den Tisch stellte und sie öffnete. Sein Blick fiel auf das jetonartige Plättchen und das Bild. Neugierig sah er sich das Plättchen an und studierte dann stirnrunzelnd das Bild. „Sieh dir das mal an, Ingvar“, sagte er und reichte ihm das Plättchen und das Bild. „Von diesen schlangenartigen Dämonen habe ich schon gehört“, sagte Ingvar überrascht. „Es ist aber schon lange her, seit einer von ihnen gesehen wurde.“ „Richtig“, brummte Adalmar. „Ich würde nur zu gern wissen, woher Coco dieses Bild hat.“ Nun entnahm er der Tasche eine Flasche, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war. Er entkorkte die Flasche und beugte sich über Cocos Hand, auf die er ein paar Tropfen der geruchlosen Flüssigkeit fallen ließ, die er mit einem Wattebausch verreib. Die Haut begann zu glänzen, als wäre sie glasiert worden. Nach und nach rieb er die ganze Hand und den Unterarm bis zum Ellbogen 35
damit ein. Danach verrieb er etwas von der Flüssigkeit auf Cocos Stirn und Schläfen. Das Fläschchen stellte er nun auf den Tisch und entnahm der Tasche eine Schachtel, in der sich eine kittartige rote Masse befand. Er brach ein Stück ab und knetete es zwischen den Händen, bis es weich und geschmeidig geworden war. Dann formte er einen finger dicken Streifen, den er plattdrückte und um Cocos Ring preßte. „Das sollte die schädlichen Kräfte aufhalten, die der Ring absondert“, sagte Adalmar. Cocos Gesicht entspannte sich langsam. Ihre großen Brüste hoben sich nun ruhig unter ihren normal werdenden Atemzügen. Die junge Hexe seufzte und öffnete die Augen. „Die Schmerzen kamen wieder“, sagte Coco leise und hob ihren rechten Arm. „Jetzt sind sie aber verschwunden.“ „Es hat funktioniert“, sagte Adalmar zufrieden. „Ihr habt das Bild gefunden“, sagte Coco. „Woher hast du es?“ „Das ist eine lange Geschichte, die euch aber nichts angeht.“ „Jetzt hör mir mal gut zu, Coco“, sagte Adalmar wütend, „du scheinst noch immer nicht begriffen zu haben, daß du dich in großer Gefahr befindest. Du verfaulst bei lebendigem Leib!“ Die junge Hexe strich sich mit der Zungenspitze über die Lippen. 36
„Woher hast du das Bild und den Ring?“ Sie zögerte einen Augenblick. „Wie ich dir schon gesagt habe, war ich in Merlins Auftrag unterwegs. Ich traf mit einer wunderschönen Frau zusammen, die sich Xenia nannte, in Wirklichkeit aber das Schlangenmonster war. Sie verfügte über die Fähigkeit, jede beliebige Menschengestalt anzunehmen. Es gelang mir, dieses Monster zu töten, und unter ihren Sachen fand ich das Bild und das Plättchen. Ich nahm sie mit, da ich sie dir zeigen wollte.“ „Und der Ring?“ „Merlin hat mich beauftragt, diesen Ring zu besorgen“, antwortete Coco. „Bist du ganz sicher, daß du den richtigen Ring erhalten hast?“ Coco runzelte die Stirn. „Ich habe nur ein Bild des Ringes mit dem Stein gesehen. Er scheint der richtige zu sein, eine Garantie habe ich allerdings nicht dafür.“ „Vielleicht hat jemand den Ring vertauscht?“ „Das ist unmöglich“, sagte Coco bestimmt. „Da bin ich nicht so sicher, denn die Schmerzen und die Veränderung deiner Hand und des Armes werden vom Ring verursacht. Das ist hundertprozentig sicher. Wer hat gewußt, daß du diesen Ring besorgen sollst?“ „Nur Merlin und ich. Ich habe nicht einmal Georg etwas davon erzählt.“ „Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten, Coco“, sagte Adalmar bestimmt. „Du hast den richtigen Ring, dann will dich Merlin verderben und…“ 37
„Das würde er niemals tun“, unterbrach ihn Coco. „Dann bleibt nur die zweite Möglichkeit: der Ring wurde irgendwann vertauscht. Irgendwie hat Pietro Salvatori erfahren, daß du hinter diesem Ring her bist. Und es ist ihm gelungen, dir einen vergifteten Ring unterzujubeln.“ Coco setzte sich auf und schüttelte entschieden den Kopf. „Das ist ganz und gar unmöglich, Adalmar.“ „Weshalb bist du da so sicher?“ „Pietro Salvatori ist ein einfacher Vampir. Er hätte niemals an den Ring herankommen können.“ „Willst du mir nicht endlich die ganze Wahrheit sagen?“ Coco blickte ihren Bruder durchdringend an. „Ich habe den Ring aus der Vergangenheit geholt!“ Adalmar schluckte.
„Aus der Vergangenheit?“ fragte er verblüfft.
„Ja, aus der Vergangenheit. Merlin schickte
mich in die Renaissance. Genau gesagt in das Venedig des Jahres 1535. Nur er und ich wußten davon. Ich nahm den Ring an mich und kehrte in die Gegenwart zurück. Glaubst du mir nun, daß Pietro Salvatori unmöglich diesen Ring vertauschen konnte?“ Der bärtige Dämon überlegte einen Augenblick, dann nickte er langsam. „Pietro Salvatori hat vielleicht einen mächtigen Helfer gehabt, der dir in die Vergangenheit gefolgt ist“, schaltete sich 38
Ingvar ein. „Das ist höchst unwahrscheinlich, Onkel. Das Wissen um die magischen Zeitreisen ist unter den Dämonen vergessen. Nur Merlin scheint dieses Geheimnis bewahrt zu haben.“ „Merlin scheint ziemlich mächtig zu sein“, brummte Adalmar. „Du hast aber behauptet, daß er dir nicht helfen könne, da er sich selbst in großer Gefahr befindet. Wie gelang es ihm dann aber, dich in die Vergangenheit zu schicken?“ „Darüber darf ich nicht sprechen“, sagte Coco rasch. „Hm“, brummte Adalmar. „Wo bist du diesem Schlangenmonster begegnet?“ „In der Vergangenheit.“ „Hat dieses Monster den Ring gehabt?“ „Nur kurze Zeit.“ „In der Vergangenheit hätte aber irgend jemand Gelegenheit gehabt, den Ring zu vertauschen?“ Coco überlegte kurz, dann nickte sie. „Ja, das wäre möglich gewesen, aber ich habe dir gesagt, daß nur Merlin und ich wußten, daß ich in die Vergangenheit gehen würde.“ „Wir müssen aber davon ausgehen, daß doch irgendein mächtiger Dämon davon erfahren hat. Und dieser Dämon muß über die Fähigkeit der Zeitreise verfügen. Er ist dir gefolgt und hat den Ring vertauscht.“ „Du verrennst dich da in etwas völlig Unmögliches, Bruder.“ Adalmar brummte mißmutig. „Im Augenblick 39
ist es auch ziemlich unwichtig, ob das nun der richtige oder ein falscher Ring ist. Unser Problem liegt darin, daß wir den Ring von deinem Finger herunterbekommen, was nicht einfach sein wird, da er mit deinem Fleisch verwachsen zu sein scheint.“ Coco blickte die angeschwollenen Finger an und strich mit dem linken Zeigefinger leicht über den Ring. „Wenn meine magischen Beschwörungen nichts helfen sollten, dann bleibt uns nur eine Möglichkeit: ich muß deinen Ringfinger abschneiden!“ „Das wirst du schön bleiben lassen“, sagte Coco heftig und starrte ihren Bruder böse an. „Eure Unterhaltung war recht interessant“, meldete sich nun Ingvar zu Wort, „doch sie ging am Wesentlichen vorbei. Wir müssen Pietro Salvatori finden, und Coco muß ihn töten.“ „Das wird nicht einfach sein, denn er wird sich irgendwo gut versteckt haben“, meinte Coco. „Habt ihr schon einen Plan, wie wir ihn finden können?“ „Die Straße, die zum Schloß führt, wird von zwei Mitgliedern der Salvatori-Sippe bewacht. Wir werden die beiden gefangennehmen und hypnotisieren. Von ihnen werden wir erfahren, wo sich Pietro versteckt hält.“ „So einfach wird das keinesfalls sein“, sagte Coco. „Mit dieser Möglichkeit müssen sie ja rechnen. Ich bin sicher, daß keiner aus dem Clan weiß, wo sich Pietro versteckt hat.“ 40
„Ein Versuch kann nicht schaden“, sagte Ingvar brummend. „Wir warten, bis Georg eingetroffen ist, dann sehen wir weiter.“ „Was ist über die Salvatori-Sippe bekannt?“ fragte Coco. „Nicht viel“, antwortete Ingvar. „Sie waren einmal recht mächtig. Doch ihre magischen Kräfte waren nie sehr stark ausgeprägt. Eine recht große Vampir-Sippe, ziemlich degeneriert, die in allen größeren italienischen Städten Mitglieder hat.“ „Ist die Sippe Asmodi treu ergeben?“ „Ja, sehr treu sogar.“ „Ich verstehe nicht, daß Asmodi einer Kampfansage zugestimmt hat“, sagte Coco nachdenklich. „Er muß etwas über die Art der Waffe gewußt haben, die Pietro einsetzen will. Unter normalen Umständen hätte er so einer Ansage niemals zugestimmt, da er doch ganz genau weiß, daß Pietro gegen mich nicht den Funken einer Chance hat.“ „Daran ist etwas Wahres“, stimmte Adalmar zu. „Aber sollte das tatsächlich zutreffen, dann wäre Pietro verloren“, sagte Ingvar, „denn er darf sich nur einer Waffe bedienen, die er selbst geschaffen hat.“ „Darum kümmert sich Asmodi wenig“, sagte Adalmar knurrend. „Er hat möglicherweise eine Chance gesehen, wie er Coco töten kann, und da ist ihm jedes Mittel recht.“ „Das kann ich mir nicht gut vorstellen“, meinte Ingvar kopfschüttelnd. „Er als 41
Oberhaupt der Schwarzen Familie kann sich doch nicht über die uralten Gesetze hinwegsetzen.“ „Dieser Halunke kann alles“, sagte Adalmar. „Ich traue ihm jede Bösartigkeit zu. Möglicherweise steckt aber gar nicht Asmodi dahinter. Es könnte auch durchaus dieser verdammte Zakum sein, an den sich Pietro gewandt hat Und Zakum hat Asmodi empfohlen, der Kampfansage zuzustimmen.“ „So wird es auch gewesen sein“, meinte Coco. „Genug der Rederei“, sagte Adalmar und stand auf. „Du kommst mit mir mit, Coco. Ich werde versuchen, den Ring herunterzubekommen.“
Ich war erst einmal in Adalmars Labor gewesen, und das war nach dem Kampf mit der Winkler-Forcas-Sippe gewesen. Adalmar brachte mich in einen der unzähligen Nebenräume, der fensterlos war und dessen Wände rauh und unverputzt waren. Von der Decke hingen ein Dutzend Schnüre, an denen verschieden große magische Kugeln befestigt waren, die hin und her schwangen, gegeneinander prallten und seltsam singende Geräusche verursachten. „Setz dich an den Tisch, Coco.“ Der Tisch war rußgeschwärzt, ziemlich hoch, und in die Platte waren magische Zeichen 42
eingebrannt. Ich zog einen Holzschemel heran und setzte mich. „Zieh dir die Bluse aus!“ befahl mein Bruder. Widerspruchslos gehorchte ich. Ich schlüpfte aus der Bluse und legte sie auf den Boden, dann sah ich mir meinen Arm genauer an. Er war noch immer stark geschwollen und bis zum Ellbogen schwarz verfärbt. „Lege deine Hand auf den Tisch“, sprach Adalmar weiter. Die Tischplatte war hart und eiskalt. „Schiebe nun deine Hand weiter vorwärts, Coco. Ja, so ist es gut. Siehst du die drei SRunen?“ „Ja“, sagte ich. „Lege den Daumen auf das Sigyl-Zeichen, den kleinen Finger auf die Sol-Rune und den Mittelfinger auf das Sowelu-Zeichen.“ Ich gehorchte. Mein Ellbogen lag nun zwischen den alchemistischen Zeichen für Kobalt und Zink. „Nun schließe die Augen und versuche dich völlig zu entspannen.“ Wieder folgte ich. Ich preßte die Lider zusammen und schob alle bohrenden Gedanken weit von mir. Innerhalb weniger Sekunden war ich völlig entspannt. Ein lauter Knall war zu hören, dann stieg mir beißender Rauch in die Nase. „Ochnotinos“, hörte ich meinen Bruder die uralten hebräischen Zauberwörter murmeln, „Chnotinos. Notinos. Tinos. Inos. Nos. Os.“ Das waren Wörter, die man sprach, wenn 43
man ein Fieber vertreiben wollte. Der Rauch wurde stärker. Mühsam unterdrückte ich den Hußtenreiz. Trotz meiner geschlossenen Lider begannen meine Augen zu brennen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann spürte ich ein sanftes Prickeln in meinen Fingern und am Unterarm. „Huat hanat huat“, sprach mein Bruder einen mir völlig unbekannten Zauberspruch. „Ita bisto sistos. Doniambostos damnaustacas!“ Ich stieß einen lauten Schrei aus, als ich einen grauenvollen Schmerz in meinem rechten Ringfinger verspürte. „Bewege dich nicht, Coco!“ schrie mir Adalmar zu. Ich biß die Zähne zusammen. Der Schmerz wurde immer stärker, fast unerträglich. Undeutlich hörte ich Adalmar, der weiterhin magische Wörter vor sich hin sprach:“ Irinoni hjirioni, effer khuder fere!“ Mein Finger schien nun in Flammen zu stehen. Der stinkende Rauch legte sich schwer auf die Lungen, ich konnte kaum noch atmen. So plötzlich wie er gekommen war, verschwand der Schmerz. „Du kannst die Augen öffnen“, brummte Adalmar. Ich schlug sie auf und starrte meine Hand an. Sie schien unverändert zu sein, nur vom Ring ging ein weißlicher Schimmer aus, der aber nach wenigen Augenblicken erlosch. „Diese Beschwörung hat nicht geklappt“, 44
ärgerte sich Adalmar. „Der verdammte Ring ist mit deinem Fleisch verwachsen.“ Neben meiner Hand stand eine kleine Silberschale, aus welcher der ekelhafte Rauch aufstieg, der türkisfarben und so dicht wie Nebel war. „Was nun?“ fragte ich und blickte zu Adalmar hin. „Ich weiß es nicht“, antwortete er wütend. „Einen stärkeren Zauber wage ich nicht anzuwenden, denn ich muß befürchten, daß du sonst deine Hand verlieren würdest. Ich werde jetzt ein paar Hautproben entnehmen und sie untersuchen. Vielleicht kann ich so herausbekommen, welcher Zauber die Veränderung hervorruft.“ Er näherte sich mir mit einem seltsam geformten Apparat, der einer Zange ähnelte und drückte ihn gegen meinen Handrücken. Einen kurzen Augenblick spürte ich einen schwachen Druck, dann zog er den Apparat zurück und starrte kopfschüttelnd meine Hand an. „Deine Haut ist unverwundbar geworden“, stellte er stirnrunzelnd fest. Er warf den Apparat auf den Tisch, ging zu einem Schrank und zog eine Lade auf. Mit einem spitzen Messer näherte er sich mir. „Die Klinge dieses Messers ist schärfer als jedes Rasiermesser“, sagte er, als er sich über meinen Arm beugte und mit der Klinge vorsichtig über meinen Unterarm und den Handrücken strich. Er verstärkte dann den 45
Druck, doch es gelang ihm nicht, die schwarzgefärbte Haut auch nur zu ritzen. „Interessant“, flüsterte er. „Hochinteressant. Ich würde nur zu gern wissen, welcher Zauber da angewendet wird.“ Das interessierte mich nun wieder nicht besonders. Ich wollte, daß er den Ring von meinem geschwollenen Finger herunterbekam, doch das schien nicht möglich zu sein. „Tja“, brummte er und blickte mich an, „das sieht gar nicht gut aus, Coco. Im Augenblick ist die Veränderung aufgehalten, doch sie kann jederzeit wieder einsetzen. Und ich habe keinerlei Gegenmittel.“ Wir blickten nun beide auf meine Hand. Angst stieg in mir auf. Die Vorstellung, daß sich unter Umständen mein ganzer Körper so verformen konnte, entsetzte mich. Hier hatte ich es mit einer Gefahr zu tun, der ich nichts entgegensetzen konnte. Ich war meinem Gegner völlig hilflos ausgeliefert. „Es muß doch eine Möglichkeit geben, den Ring herunterzubekommen, Adalmar“, sagte ich mit zittriger Stimme. „Ich könnte ihn zu schmelzen versuchen“, meinte er überlegend. „Aber das magische Feuer würde vermutlich auch deine Hand verbrennen. Das Risiko ist zu groß.“ „Was soll ich tun, wenn die Schmerzen wieder einsetzen?“ „Ich gebe dir ein paar Tabletten, die du einnehmen mußt. Sie werden die Schmerzen 46
lindern.“ Ich griff nach meiner Bluse und stand auf. „Wir müssen endlich etwas unternehmen“, sagte ich heftig. „Wir müssen Pietro Salvatori finden.“ „Darüber haben wir schon gesprochen. Wir warten, bis Georg eingetroffen ist.“ „Wir können die beiden Salvatoris auch ohne Georg hypnotisieren“, stellte ich grimmig fest. „Du bist keine große Hilfe im Augenblick, Schwester. Ich bin sicher, daß du deine Fähigkeiten kaum anwenden kannst.“ Ich knöpfte die Bluse zu. Adalmar hatte recht. Ich war noch immer von der Zeitreise geschwächt. „Du wirst es doch noch zusammen mit Ingvar schaffen, die beiden Vampire zu hypnotisieren“, sagte ich verächtlich. „Ich habe in solchen Dingen nicht viel Erfahrung“, sagte Adalmar. „Ich verlasse mich da viel lieber auf Georg, für ihn ist es ein Kinderspiel.“ Adalmar verließ den Raum, und ich folgte ihm. Vor einem Kästchen blieb er kurz stehen, öffnete es und holte ein kleines Fläschchen hervor, in dem sich kleine rote Pillen befanden. „Sobald die Schmerzen wieder einsetzen, schluckst du zwei Pillen.“ Ich steckte das Fläschchen in meine Blusentasche. „Geh zu Ingvar, Coco. Ich werde in der Zwischenzeit in einigen alten Büchern 47
nachsehen. Vielleicht finde ich doch eine Möglichkeit, wie ich dir helfen kann.“ „Danke“, sagte ich leise und verließ das Labor. Als ich die Stufen hochstieg, überlegte ich weiter. Der Ring war vergiftet, oder er diente quasi als Empfänger, über den der Schadenzauber auf mich übertragen wurde und die Veränderung meiner Gliedmaßen her vorrief. Adalmars Vermutung, daß der Ring irgendwann ausgetauscht worden war, hatte einiges für sich. Aber wann? Und wo war das geschehen? Es konnte nur in der Vergangenheit geschehen sein. Elenora Gonzala, die den Ring von Tizian erhalten hatte, war ein paar Tage lang die Gefangene des Schlangenmonsters gewesen. Xenia hatte ihr den Ring abge nommen, den sie dann dem Kapitän der „Santa Catarina“ mitgegeben hatte. Natürlich hätte irgend jemand den Ring vertauschen können, aber das kam mir höchst unwahrscheinlich vor, denn außer Merlin und mir hatte ja niemand gewußt, daß ich hinter dem Ring her war. Elenora Gonzala hatte mir den Ring dann als Dank für ihre Befreiung geschenkt. Und seither hatte ich den Ring immer an meinem Finger getragen. Niemand hätte danach Gelegenheit gehabt, den Ring zu vertauschen. Die Schmerzen setzten wieder ein, als ich den Gang erreichte, der zum großen Saal führte. 48
Sofort schluckte ich zwei der roten Pillen, die mir mein Bruder gegeben hatte. Die Glasur, die von Adalmars Abwehrflüssigkeit verursacht worden war, bekam Risse. Die Haut warf wieder Blasen,, die aufplatzten. Der Ellbogen wurde schwarz, und die Verfärbung griff rasend schnell auf meinen Oberarm über. Es dauerte kaum zehn Sekunden, und die Haut war bis zum Schultergelenk schwarz verfärbt. Aber die Pillen schienen zu helfen, die Schmerzen wurden schwächer, nur ein unangenehmes Ziehen war in meinem Arm. Ich lief den Gang entlang. So wenig ich sonst die Gegenwart meiner Familie mochte, so sehr sehnte ich mich nun nach ihrer Gesellschaft, denn in meinem Zustand wollte ich nicht allein sein. Ich riß die Tür auf und taumelte in den riesigen Saal hinein. Ingvar, Bianca und eine ihrer Töchter, die rotblonde Cora, saßen um den achteckigen Tisch und blickten mich an. „Hat dir Adalmar helfen können, Coco?“ erkundigte sich Ingvar. Ich schüttelte den Kopf und kam langsam näher. Cora blickte meinen Arm entsetzt an. „Dein Arm sieht ja grauenvoll aus, Coco.“ Ich nickte mit zusammengepreßten Zähnen und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Ich versuchte den Arm zu bewegen, was mir aber nicht gelang. Er war steif. Verzweiflung stieg in mir auf. Ich spürte, wie das unangenehme 49
Ziehen meine rechte Schulter erreichte, dann von einem Schulterblatt zum anderen sich weiterbewegte und schließlich die linke Schulter erreichte. Dann war das Ziehen in meinem linken Oberarm. Ich drehte den Kopf zur Seite und erstarrte. Mein linker Oberarm verfärbte sich ebenfalls. „Wir müssen Adalmar holen“, sagte Ingvar und sprang auf. „Es ist sinnlos“, stieß ich hervor. „Er weiß kein Gegenmittel. Er hat mir nur schmerzstillende Tabletten geben können, die noch wirken. Bleib ruhig sitzen, Onkel.“ Er ließ sich zurück auf den Stuhl fallen. Ich starrte nun meinen linken Arm an, so als würde er nicht zu mir gehören. Deutlich war die Veränderung mitzuverfolgen. Es ging rasend schnell, und meine Haut war bis zum Handgelenk verfärbt. Kaum eine halbe Minute später war die Hand, waren die Finger pechschwarz. Blasen bildeten sich und zerbarsten mit einem lauten Knall. Zwei Minuten später konnte ich auch meinen linken Arm nicht mehr bewegen. Nun wurde ich ruhig. Es hatte keinen Sinn, zu klagen oder zu jammern. Ich mußte mich mit dem Unfaßbaren abfinden. Mein Körper veränderte sich erschreckend rasch. „Das ist entsetzlich“, stieß Cora keuchend hervor. Ihr hübsches Gesicht mit den dunkelgrünen Augen war verzerrt. Ihre rechte Hand hatte sie gegen ihren vollen Busen gedrückt. 50
„Meine Arme sind gelähmt“, sagte ich leise. „Ich habe Durst. Gebt mir bitte etwas zu trinken.“ Ingvar griff nach einem Glas und schenkte Wasser ein. Dann stand er auf und hielt mir das Glas an die Lippen. Gierig trank ich es leer. Das merkwürdige Ziehen raste nun die Wirbelsäule hinunter, griff auf meine Hüften über und bewegte sich dann den Bauch hinauf zu meinen Brüsten. Gleichzeitig schob es sich aber auch die Schenkel hinunter. Nun wurden die Schmerzen wieder stärker. „In meiner Blusentasche habe ich die Tabletten“, flüsterte ich kaum hörbar. „Gib mir bitte zwei Pillen.“ Ingvar holte das Fläschchen heraus, und ich schluckte die Pillen. „Ich hole doch Adalmar“, sagte mein Onkel. Plötzlich wurde ich unendlich schwach. Das Ziehen war stärker geworden und reichte nun von den Zehenspitzen bis zum Nacken. Ich versuchte die Beine zu bewegen, bekam aber keine Gewalt über sie. Dann konnte ich auch nicht mehr den Kopf bewegen, da die Läh mung bereits meinen Hals ergriffen hatte. „Dein Gesicht, Coco“, sagte Cora keuchend, „es verfärbt sich auch.“ „Ich weiß es“, sagte ich. Die Lähmung hatte nun mein Kinn ergriffen und zog sich zu den Wangen hoch. Meine Zunge wurde gefühllos. Meine Ohren begannen zu brennen. Ein fürchterlicher 51
Schmerz durchraste meine Augen, und irgend etwas schlug gegen meine Stirn. Für ein paar Sekunden war ich blind. Biancas und Coras Stimmen waren nur undeutlich zu hören. Wenig später konnte ich wieder sehen und deutlich hören, doch ich konnte mich nicht bewegen. „Ist sie tot?“ fragte Cora. „Ich weiß es nicht“, antwortete ihre Mutter. Bianca beugte sich über mich und blickte in meine weit geöffneten Augen. Ich sah, daß sie nach meinem Handgelenk griff und dann ihre Hand an mein Herz legte. „Kein Pulsschlag“, sagte sie leise. „Und ich spüre auch keinen Herzschlag!“ „Dann ist sie tot“, sagte Cora entsetzt. Ich bin nicht tot! wollte ich schreien, doch ich konnte meine Zunge nicht bewegen. Nun hielt mir Bianca einen kleinen Spiegel vor den Mund. „Der Spiegel beschlägt sich nicht“, stellte sie nach ein paar Sekunden fest. „Sie dürfte tatsächlich tot sein.“ Das Zuschlagen einer Tür war zu hören, dann rasche Schritte. „Coco ist tot!“ sagte Cora. Nun beugte sich Adalmar über mich, der mich gründlich untersuchte. Er brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Schließlich hielt er mir eine erbsengroße farblose Kugel vors Gesicht. „Ich glaube nicht, daß du tot bist, Coco“, sagte er. „Ich vermute sogar, daß du uns 52
hören kannst. Dein Körper ist gelähmt, aber dein Geist sollte hellwach sein. Setz deine magischen Kräfte ein. Konzentriere dich auf die Kugel. Es sollte dir gelingen, sie zu aktivieren. Probiere es.“ Er bewegte die Kugel hin und her. Es war nun ganz ruhig im großen Saal. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich konzentriert hatte. Und ich schaffte es. Die Kugel flammte plötzlich giftgrün auf. „Coco lebt“, sagte Adalmar zufrieden. „Sie kann uns auch verstehen. Habe keine Angst, Coco. Wir werden dir helfen. Faß mit an, Ingvar. Wir legen sie auf die Couch.“ Ich wurde hochgehoben und auf die Couch gelegt. „Im Augenblick können wir nichts tun“, meinte Adalmar. „Wir müssen warten, bis die Lähmung sich gelöst hat.“ Ich war froh, daß Adalmar meinen Zustand erkannt hatte. Nur zu leicht hätten sie mich für tot halten können. Das wäre höchst unangenehm für mich gewesen, denn in unserer Familie ist es Sitte, ein Familienmit glied, das eines unerklärlichen Todes gestorben war, zu konservieren. Sie hätte mich in einen sargähnlichen Behälter gesteckt und ihn mit einem magischen Kunststoff gefüllt, der innerhalb von fünf Minuten so hart wie Beton geworden wäre. Das wäre dann mein sicheres Ende gewesen. „Können wir denn wirklich nichts für Coco tun?“ fragte Cora. 53
„Wir können Adalmar.
nur
warten“,
antwortete
Georg Zamis wußte, daß er seit seiner Ankunft in Rom beobachtet worden war. Doch es störte ihn nicht. Am Flughafen hatte er einen Alfa Romeo gemietet, mit dem er nun nach Castello della Malizia unterwegs war. Kurz nach L’Aquila hatte es zu regnen begonnen. Er fuhr die Bundesstraße 80 in Richtung Montorio al Vamano entlang. Bis nach Ortolana hatte ihn ein weißer Lancia verfolgt, der jetzt aber nicht mehr zu sehen war. Georg verlangsamte nun sein Tempo und bog in die wenig befahrene Straße ein, die zum verschlafenen Ort Pietracamela führte. Er fuhr noch langsamer und blickte immer wieder in den Rückblickspiegel, doch der weiße Lancia tauchte nicht mehr auf. Nun stieg er wieder stärker aufs Gaspedal und raste die schmale Straße hoch, die zum Prati die Tivo führte. Es war dunkel geworden, als er den kleinen Ort erreichte. In einer Seitengasse parkte er den Wagen und griff nach dem schmalen Koffer, der auf dem Beifahrersitz lag. Er klappte den Deckel hoch, griff nach dem Mikrophon und drückte einen Schalter nieder. Ein rotes Lämpchen flammte auf. Dann preßte er seinen rechten Zeigefinger auf eine Taste 54
und drückte sie in einem bestimmten Rhythmus nieder. Er ließ die Taste schließlich los und steckte sich eine Zigarette an. Kurze Zeit danach war ein schrilles Läuten zu hören, und Georg kippte einen Schalter zur Seite. „Simaz“, sagte er in das Mikrophon, und das Läuten verstummte. „Kannst du mich hören, Georg?“ ertönte Adalmars Stimme aus dem Lautsprecher. „Ja, ich höre dich tadellos, Bruder. Ich bin eben in Pietracamela eingetroffen. Was gibt es Neues?“ „Cocos Verwandlung ist weiter fortgeschritten. Sie sieht grauenvoll aus. Ihre Haut hat sich schwarz verfärbt, und sie befindet sich in einem scheintoten Zustand.“ Georg verzog die Lippen. Er hatte ein Dutzendgesicht, das so unauffällig war, daß man es Sekunden, nachdem man es gesehen hatte, auch schon vergessen hatte. „Zwei Mitglieder der Salvatori-Sippe bewachen den schmalen Pfad, der zum Schloß führt. Wir wollen sie gefangennehmen und verhören.“ „Davon verspreche ich mir nichts“, sagte Georg knapp. „Es kann aber auch nichts schaden. Du kannst in zehn Minuten die Schlucht erreichen. Ingvar und ich kommen dir entgegen. Du mußt auf uns warten, denn wir haben einige neue magische Fallen angebracht, die du nicht kennst. Aber du könntest in der Zwischenzeit die beiden 55
Burschen hypnotisieren.“ „Dieser Plan gefällt mir überhaupt nicht.“ „Hast du einen besseren Vorschlag?“ „Wir sollten der Salvatori-Sippe eine Kampfansage übermitteln und diese VampirBrut ausrotten“, zischte Georg. „Das ist mit den Gesetzen der Familie nicht vereinbar, das solltest du auch wissen.“ „Zum Teufel mit den Gesetzen“, schrie Georg wütend. „Hinter der Kampfansage an Coco steckt doch Asmodi.“ „Das mag schon sein, aber wir können es nicht beweisen. Und wenn wir jetzt den Salvatoris den Kampf ansagen, dann haben wir die ganze Schwarze Familie gegen uns. Wenn du keine besseren Vorschläge hast, dann hättest du ruhig in Wien bleiben können.“ Georg zügelte seine Wut. „Gut, ich bin einverstanden. Ich werde die zwei Vampire hypnotisieren.“ „Du darfst ihnen aber nicht einmal ein Haar krümmen, ist das klar, Georg?“ „Ja“, knirschte der Dämon beherrscht. „Ich werde sie herzen und liebkosen, während ich auf euch warte. Beeilt euch.“ Georg unterbrach die Verbindung, klappte den Koffer zu und stieg aus dem Wagen. Kein Mensch kam ihm entgegen. Kurz bevor er den schmalen Pfad erreichte, der zum Schloß führte, kam ihm ein Hund entgegen, der sich leise winselnd bei seinem Anblick zurückzog. 56
Die Sinne des Dämons waren angespannt. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und hob den Kopf. Deutlich konnte er die Ausstrahlung der beiden Vampire wahrnehmen, die sich in etwa fünfhundert Meter Entfernung befanden. Die Vampire hatten ihn noch nicht bemerkt, aber das hatte Georg auch nicht erwartet. Geräuschlos wie eine Katze schlich er weiter. Es war so dunkel, daß man nicht einmal die Hand vor dem Gesicht hätte sehen können, doch das störte ihn nicht. Er kannte den Weg genau, und in ihm wurden Sinne wach, über die nur Mitglieder der Zamis-Sippe verfügen. Von einem Augenblick zum anderen glitt Georg in eine andere Zeitdimension. Wie kein anderer aus seinem Clan konnte er die Zeit manipulieren. Nur Coco konnte diese Fähigkeit fast so gut wie er anwenden, die anderen Familienmitglieder hatten große Schwierig keiten, diese seltene Kraft einzusetzen. Für Georg bewegte sich die Zeit normal, doch für die andere Welt war sie stehen geblieben. Nun erblickte er schemenhaft die Gestalten der Vampire, eilte auf sie zu und blieb hinter ihnen stehen. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, riß sie in seine Zeitebene und hypnotisierte beide. Danach versetzte er sich mit den beiden in die normale Zeit. „Eure Namen!“ sagte Georg befehlend. „Renato Salvatori“, stellte sich der größere der beiden mit tonloser Stimme vor. 57
„Paolino Salvatori“, sagte der zweite. „Wie lange solltet ihr hier warten?“ „Die ganze Nacht über. Wir werden im Morgengrauen abgelöst. Könnt ihr euch von hier aus mit anderen Mitgliedern eurer Sippe in Verbindung setzen?“ „Nein“, antworteten beide wie aus einem Mund. Die düsteren Wolken verzogen sich langsam, und der Mond lugte schüchtern hervor. Georg betrachtete die beiden Vampire, die wie normale Menschen aussahen. Für Italiener war ihre Haut ein wenig bleich, sonst waren ihre Gesichtzüge durchaus südländisch. Beide waren ziemlich schmächtig und klein geraten. Verächtlich wandte sich Georg um. Der charakteristische Vampirgeruch, der von den beiden ausging, benagte ihm nicht sonderlich. Er hatte sich noch nie etwas aus Vampiren gemacht, schon gar nicht aus degenerierten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man schon lange alle diese Nachtgeschöpfe wie Vampire, Werwölfe und Ghoule ausrotten sollen. Doch die Zamis-Sippe hatte nur sehr wenig innerhalb der Schwarzen Familie zu bestimmen. „Das wird sich aber bald ändern“, knurrte Georg zu sich selbst. Ein paar Minuten war nun der Mond zu sehen. Sein fader Schein tauchte die zerklüftete Schlucht in milchiges Licht und ließ die ganze Gegend unwirklich alptraumhaft erscheinen. 58
Georg liebte diese Gegend überhaupt nicht. Zu viele unangenehme Erinnerungen verbanden sich mit diesem Land. Zum Unterschied von seinen Schwestern Coco und Vera, die bei Cyrano von Behemoth ausgebil det worden waren, hatte er seine Erziehung hier auf dem Castello della Malizia erhalten, und sein Onkel Ingvar und sein Bruder Adalmar waren seine Lehrer gewesen. Ingvar hatte er schon nach wenigen Jahren nicht mehr als Lehrer akzeptiert. Das magische Wissen seines Onkels war nicht besonders. Da war Adalmar schon aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Er war der fanatischste Forscher, den man sich nur vorstellen konnte. Wenn es nach ihm ginge, würde er sein Labor überhaupt nicht verlassen. Von Adalmar hatte Georg einiges gelernt, was ihm später sehr geholfen hatte. Hier in dieser Gegend war sein Vetter Selmar bei der Auseinandersetzung mit den WinklerForcas bestialisch ermordet worden. Und auch seine Schwester Vera, eine hoffnungsvolle, sehr begabte junge Hexe, hatte hier den Tod gefunden. Langsam wandte sich Georg wieder um und warf den beiden Vampiren einen kurzen Blick zu, dann blickte er über das weite Tal, das vor ihm lag. Um Vera ist es wirklich schade, dachte Georg. Aus ihr hätte ein würdiges Mitglied ihrer Sippe werden können. Sie war von Natur aus bösartig und pervers gewesen, so ganz 59
anders als ihre sanfte Schwester Coco, die nie eine richtige böse Hexe werden würde. Coco war zu menschlich, sie ließ alle Fähigkeiten vermissen, die notwendig waren, um eine durch und durch verderbte Dämonin zu sein. Dabei würde es ihr an magischen Fähigkeiten nicht fehlen, das Gegenteil war der Fall. Mit ihrer Begabung hätte sie sich zur Herrin der Schwarzen Familie aufschwingen können, doch daran hatte sie überhaupt kein Interesse. Georg seufzte leise. In seinem Verhältnis zu Coco hatte sich aber doch einiges im vergangenen Jahr geändert. Hatte er sie bis zum Kampf mit den WinklerForcas ignoriert, ja sie sogar verachtet und wegen ihrer Schwäche gehaßt, so konnte er nun gelegentlich ihre Beweggründe und ihre Probleme verstehen, mit denen sie zu kämpfen hatte. Er achtete sie nun als Kampfgefährtin, die mit ihren Fähigkeiten für die Zamis-Sippe nützlich sein konnte, aber er empfand sonst keinerlei Gefühle für sie. Zu ei nem Gefühl wie der Liebe war er gar nicht fähig. Freundschaft kannte er auch nicht. Er war ein typischer Dämon, der nur die Interessen seines Clans gelten ließ. Sonst war er ein Einzelgänger und nur auf seinen Vorteil bedacht. Georg blickte wieder über das Tal. Seine Nasenflügel bebten. Lange bevor er seinen Bruder und seinen Onkel sehen konnte, spürte er ihre charakteristische Dä 60
monenausstrahlung. „Kommt mit, Renato und Paolino“, sagte Georg befehlend und ging seinen Verwandten entgegen. „Sei gegrüßt, Bruder“, sagte Adalmar. „Wer sind die beiden Vampire?“ „Renato und Paolin“, antwortete Georg. „Sie sind Pietros Brüder.“ „Hast du sie schon verhört?“ erkundigte sich Ingvar. „Nur ganz kurz. Sie werden erst im Morgengrauen abgelöst. Wir haben genügend Zeit, mit ihnen zu sprechen.“ Schweigend gingen sie auf das alte Schloß zu, das von heimtückischen Fallen umgeben war, aus denen es für einen normalen Menschen kein Entkommen gab. Georg starrte das achteckige Schloß mit den oktonalen Türmen an den äußeren Ecken mißvergnügt an. Hier hatte er fünf höchst langweilige Jahre verlebt und sich damals geschworen, daß er das Schloß nur in äu ßersten Notfällen nochmals betreten würde. Es ging kreuz und quer dahin. Auf einem geraden Weg konnte man Castello della Malizia nicht erreichen. „Hat sich Cocos Zustand verändert?“ fragte Georg, als sie den Innenhof betraten. „Nein, er ist unverändert. Ich bringe dich zu ihr.“ Im großen Saal hatten sich nun auch die anderen Mitglieder der Zamis-Sippe versammelt, die derzeit im Schloß wohnten. 61
Das waren Coras Schwester Fides, die ihr sehr ähnlich sah, und ihr Bruder Tjalf, ein eingebil deter Dämonenjüngling, der sich hauptsächlich für junge Burschen interessierte, was von seinen Eltern mißbilligt wurde. Tjalf wandte sich ab, als er Georg er blickte. Die beiden verstanden sich überhaupt nicht, und der junge Dämon haßte die spöttischen Bemerkungen, die Georg über seine Neigungen machte. Georg grüßte kurz, dann trat er an die Couch heran, auf der Coco noch immer bewegungslos lag. Ein paar Sekunden blickte er sie mit unbewegtem Gesicht an, dann begannen seine dunklen Augen zu glühen. Coco sah abstoßend häßlich aus. Die schwarze Haut warf noch immer Blasen, die gelegentlich aufsprangen und eine gelbrote Flüssigkeit absonderten. „Dafür werden sie Salvatoris büßen müssen“, sagte er grimmig. „Kann mich Coco verstehen?“ „Ja, sie hört jedes Wort.“ „Kannst du nicht die Lähmung von ihr nehmen, Adalmar?“ „Ich habe es versucht, es ist mir nicht gelungen.“ Georg schnaubte verächtlich. „Dann nehmen wir uns mal die Vampire vor. Wohin hast du die beiden gebracht, Ingvar?“ „Ins Nebenzimmer.“ Georg warf seiner Schwester einen kurzen Blick zu, schüttelte wütend den Kopf und 62
stürmte ins Nebenzimmer, in dem die beiden Vampire standen. „Renato“, sagte Georg scharf, „sieh mich an!“ Der Vampir gehorchte augenblicklich. „Wo steckt dein Bruder Pietro, Renato?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wer aus eurer verfluchten Sippe kennt seinen Aufenthaltsort?“ „Niemand. Nach der Kampfansage haben wir ihn nicht gesehen. Er hält sich irgendwo versteckt. Das gehört zu seinem Plan.“ „So etwas Ähnliches habe ich mir ja gedacht“, brummte Georg und blickte zu Ingvar und Adalmar hin, die das Zimmer betreten hatten. „Welche Waffe hat Pietro gegen Coco in der Hand?“ „Auch das wissen wir nicht. Die Waffe soll aber absolut tödlich für Coco sein. Für sie gibt es keine Rettung. Sie wird einen grauenvollen Tod sterben. Ihr Todeskampf wird lange und entsetzlich sein. Mehr weiß ich darüber nicht.“ „Woher hat Pietro diese Waffe?“ „Er hat sie selbst entwickelt.“ „Blödsinn“, sagte Georg verächtlich. „Ihr dämlichen Vampire versteht doch überhaupt nichts von Magie. Wer hat Pietro diese Waffe verschafft?“ „Er hat sie selbst entwickelt. Pietro hat lange dazu gebraucht. Er hat jahrelang alle möglichen alten Schriften studiert.“ „So kommen wir nicht weiter, Georg“, 63
schaltete sich Adalmar ein. „Gut, dann stell du die Fragen. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich die beiden augenblicklich pfählen und…“ „Halt den Mund!“ sagte Ingvar scharf. „Das kommt nicht in Frage. Wir halten uns an die Regeln der Kampfansage. Und sie lautet: ohne Sippenhaftung.“ „Die beiden können uns nicht weiterhelfen. Sie sprechen die Wahrheit. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, um Pietros Aufenthaltsort zu finden.“ „Und wie stellst du dir das vor?“ fragte Ingvar. Georg seufzte. „Dafür ist Adalmar zuständig. Meine Fähigkeiten reichen dazu nicht aus. Aber Adalmar sollte es schaffen können.“ „Hm, ich hätte da schon ein paar Ideen“, meinte Adalmar nachdenklich. „Wie war’s mit einer magischen Zeichnung?“ fragte Georg und streckte seinem Bruder angriffslustig das Kinn entgegen. „Das wäre eine Idee“, brummte Adalmar und zupfte an seinem gewaltigen Bart herum. „Ich könnte die Erinnerung der beiden anzapfen und ein Bild Pietros anfertigen.“ „Dann los, Adalmar. Du hast nicht viel Zeit.“ „Was soll uns das Bild Pietros nützen?“ fragte Ingvar. „Erkläre es ihm, Georg. Ich verschwinde mit den beiden in mein Labor.“ „Das Bild hilft uns im Augenblick nicht viel, Ingvar“, sagte Georg langsam. „Aber das ist 64
nur der Anfang. Wir werden uns einige Gegenstände besorgen, die Pietro gehören.“ „Und wie willst du das bewerkstelligen?“ „Ich habe einige Erkundigungen über die Salvatori-Sippe eingeholt, bevor ich hergeflogen bin. Ich weiß, daß Pietro ein Haus in Rom bewohnt. Dort werden wir uns die notwendigen Dinge besorgen, mit denen wir dann eine Beschwörung durchführen können. Zusammen mit dem Bild könnte uns das weiterhelfen. Adalmar weiß da schon einige recht wirksame Mittel. Dafür ist er der richtige Fachmann.“ „Du willst einen magischen Spion aktivieren, nicht wahr?“ „Erraten, Onkelchen. Geh vielleicht zu Adalmar. Er könnte deine Hilfe benötigen.“ „Ich werde zu ihm gehen“, sagte Ingvar zögernd. „Ich habe eine Bitte an dich, Georg.“ „Ich kann sie mir denken“, sagte Georg höhnisch. „Ich soll deinen mißratenen Sohn Tjalf nicht mit verächtlichen Bemerkungen quälen. Darum hast du mich doch bitten wollen?“ Ingvar nickte. „Diese Bitte werde ich zu erfüllen versuchen, aber ich kann für nichts garantieren. Das hängt von deinem Sohn ab. Am besten wäre es, wenn er mir nicht zu oft unter die Augen kommt.“ „Er wird sich bald auf sein Zimmer zurückziehen.“ 65
Georg betrat den Saal und setzte sich rieben Coco auf die Couch. Er griff nach ihrer rechten Hand und versuchte sie hochzuheben, was ihm aber nicht gelang. Ihr ganzer Körper war starr, so als wäre er tiefgefroren. Vorsichtig strich er über die Haut, die merkwürdig hart und unnachgiebig war. Dann sah er sich den Ring an. „Keine Angst, Coco. Alles wird gut werden. Morgen fahren Adalmar und ich zu Pietros Haus, und wir werden sein Versteck aufspüren, ihn gefangennehmen und den Zauber von dir nehmen.“ Georg sah seiner Schwester ins Gesicht. Ihre Augen waren weit geöffnet und starr. Ihre Haut war so dunkel wie ihr volles Haar. Doch langsam änderte sich nun ihre Hautfärbung. Sie schimmerte nun dunkelgrau, und es bildeten sich unzählige Falten. „Sie sieht jetzt wie eine uralte Frau aus“, flüsterte Fides. Georg warf der jungen Dämonin einen strafenden Blick zu. Dann sah er wieder seine Schwester an. Cocos Haut war nun mausgrau. Die Falten verschwanden nach und nach, und die Haut war nun wieder straff, schimmerte aber leicht grünlich wie Gorgonzola. Doch auch diese Färbung hielt nicht lange an, änderte sich in strahlendes Blau. „Das ist unheimlich“, sagte Cora fast unhörbar. Fasziniert sah Georg der Farbveränderung 66
zu. Die Hautfarbe änderte sich alle paar Minuten, mal war sie grün, türkis, danach schwefelgelb, um schließlich wieder pechschwarz zu werden. Doch plötzlich hatte Coco ihre normale Hautfarbe. Nur die Finger ihrer rechten Hand waren noch geschwollen. „Versuch zu sprechen, Coco“, sagte Georg drängend. Doch ihre Lippen bewegten sich nicht. „Sieh dir Cocos Hand an!“ sagte Bianca kurze Zeit später. Georg beugte sich vor und malmte grimmig mit den Kiefer. Die Haut änderte sich wieder. Deutlich waren winzige Schuppen zu erkennen, die sich über die ganze Hand ausbreiteten und ein bizarres rotblaues Muster bildeten. „Ich kann das nicht mehr mitansehen“, sagte Cora, sprang auf und eilte aus dem Saal. Die Schuppenbildung griff rasend schnell um sich. Es dauerte kaum eine Minute, dann war Cocos rechter Arm bis zum Ellbogen mit den rotblauen Schuppen bedeckt. Dann bildeten sich auch gelbe Schuppen, die in einer Schlangenlinie vom Handgelenk bis zum Ellbo gen liefen. Georg ballte wütend die Hände. Das Bewußtsein, daß er Coco nicht helfen konnte, machte ihn rasend vor Wut. „Sie wird zu einer Schlange“, meinte Tjalf. „Halt den Mund!“ zischte Georg zornig. Langsam kam die Schuppenbildung zum 67
Stillstand. Sie reichten nun bis zum halben Oberarm, nur ein schmaler Ausläufer erstreckte sich wie ein dünner Finger bis zum Schultergelenk. Aber nun veränderten sich Cocos Finger! Sie krümmten sich, wurden länger und dünner, und die Nägel wuchsen rasend schnell, bogen sich und wurden zu scharfen Krallen. Ein leichtes Zittern durchlief die Hand und pflanzte sich bis zum Ellbogen fort. Der Unterarm und die Hand schienen nun ein eigenes Leben zu entwickeln. Die Hand mit den scharfen Krallen huschte über die Couch und riß den Überzug in Fetzen. Nun kam aber Leben in Cocos ganzen Körper, der heftig durchgeschüttelt wurde, so als würde elektrischer Strom hindurchgeleitet. Cocos Lippen öffneten und schlössen sich rasend schnell, und unheimliche Geräusche drangen aus ihrer Brust, die dann in ein durchdringendes Zischen übergingen. Die junge Hexe setzte sich auf. Die Augen hatte sie geschlossen. Die Lider mit den langen Wimpern zitterten leicht. Ihr Mund verzerrte sich und bildete ein O. Als Coco die Augen öffnete, stießen Tjalf und Fides Entsetzensschreie aus. Bianca war vor Schreck wie gelähmt. Georg sprang auf und taumelte einen Schritt zurück. Cocos rechtes Auge hatte sich verändert. Es war zu einem ganz typischen Schlangenauge geworden, das gelbrot leuchtete. Die ellipsenförmige Pupille war vertikal und 68
unbeweglich. Aus dem O-förmig geöffneten Mund schoß nun eine lange gespaltene Zunge hervor. Wieder waren die Zischlaute zu hören, als die gespaltene Zunge hin und her züngelte. „Kannst du mich verstehen, Coco?“ fragte Georg. Coco wandte den Kopf in seine Richtung. Ihr normal gebliebenes Auge war blutunterlaufen und unnatürlich geweitet. „Verstehst du mich?“ fragte Georg drängend. Ein Zischen war die Antwort. Coco stand unsicher auf und blieb schwankend stehen. Sie hob den rechten Arm und starrte ihre verformte Hand mit den gekrümmten Krallen an. Wieder durchlief ein Zittern die unmenschliche Hand, und sie wurde ruckartig hochgehoben. Coco trat einen Schritt vor und schlug mit der Pranke nach Georg, der geschickt auswich. „Sie ist übergeschnappt!“ schrie Tjalf und sprang auf. Wieder griff Coco ihren Bruder an, doch ihre Bewegungen waren so langsam und unkontrolliert, daß er ihr mühelos ausweichen konnte. Doch sie folgte ihm mit einer unglaublichen Verbissenheit. Nach dem fünften vergeblichen Versuch, Georg mit der Pranke zu zerschmettern, blieb sie plötzlich neben dem Tisch stehen und stützte sich mit der gesunden Hand auf der Tischplatte auf. Ihr Oberkörper krümmte sich 69
zusammen. Sie wankte wie eine Betrunkene hin und her, dann ging sie langsam in die Knie und fiel kopfüber auf den glänzenden Boden und bewegte sich nicht mehr. „Pack mit an, Tjalf“, sagte Georg, blieb neben Coco stehen und kniete nieder. „Wir müssen sie auf den Rücken wälzen.“ „Ich greife sie nicht an!“ schrie der junge Dämon entsetzt. „Ich helfe dir“, sagte Fides. Gemeinsam griffen sie zu und drehten Coco auf den Rücken. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre volle Brust hob sich leicht. „Sie lebt“, stellte Georg fest. „Aber sie stellt für uns alle eine Gefahr dar. Wir müssen sie in den Keller bringen und in einer Zelle einsperren.“ Georg hob die Bewußtlose hoch und warf sie sich einfach über die rechte Schulter. „Fides, geh voraus und öffne mir die Türen.“ Coco war noch immer bewußtlos, als sie die Kellergemäuer erreichten, die sich unter Adalmars Labor befanden. Hier gab es noch Kerkerzellen, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr verwendet worden waren. Georg trug Coco in eine der fensterlosen Zellen, in der nur eine einfache Holzpritsche stand. Fides warf ein paar Decken auf die Pritsche, und Georg legte seine Schwester darauf. Dann untersuchte er die armdicke Holztür, die mit Eisenplatten beschlagen war, schloß 70
sie und legte die drei Riegel vor. Er ließ das Licht in der Zelle brennen und öffnete die kleine Beobachtungsklappe. Coco bewegte sich noch immer nicht. „Du wartest hier, Fides“, sagte er befehlend. „Ich hole meinen Bruder.“ Eine Wendeltreppe führte direkt in Adalmars Labor. Georg mußte nicht lange nach seinem Bruder suchen, er fand ihn in einem der vielen Nebenräume. Die beiden Salvatoris saßen auf einer Holzbank. Beide trugen seltsam geformte Hauben, von denen Drähte zu einem mannsgroßen Kasten führten, an dem ein Dutzend verschieden großer Pendel befestigt waren, die sich alle rasend schnell bewegten. Vom Kasten aus führten verschieden starke Rohre zu einer Leinwand hin, die an der Wand befestigt war. Die Rohre bewegten sich langsam auf und ab und sprühten magisch behandelte Farbe auf die Leinwand. Deutlich waren bereits die Umrisse eines Mannes zu erkennen. Das Gesicht war schon tadellos zu sehen. Es war hager, mit einer hervorspringenden Geiernase. Die Haut war bleich und fast durchscheinend. Die blutleeren Lippen waren gefletscht und entblößten gewaltige Vampirzähne. Das schwarze Haar glänzte ölig und fiel auf die mageren Schultern herab. Adalmar legte den rechten Zeigefinger auf die Lippen und grinste Georg vergnügt an. Georg winkte seinen Bruder heran, der 71
unwillig folgte. Sie traten in den Gang hinaus, und Georg schloß die Tür. „Weshalb störst du mich?“ fragte Adalmar verärgert. „Coco hat sich wieder verändert. Sie griff mich an, und ich sperrte sie jetzt in eine Zelle. Du solltest nach ihr sehen.“ „Das muß warten. Zuerst muß das Bild fertig werden. Ich komme, sobald das erledigt ist.“ Ein paar Minuten sah Georg interessiert zu, wie das Bild vervollständigt wurde. Das war auch eine von Adalmars Erfindungen, für die er Spezialist war. Es war Georg ein Rätsel, wie es Adalmar zustande brachte, die Erinnerung der beiden Salvatoris anzuzapfen und den seltsamen Apparat so zu steuern, daß er das Bild durch die übermittelten Gedankenströme malte. Georg kehrte zurück zu den Zellen. „Coco ist noch immer bewußtlos“, sagte Fides. „Ich bleibe hier, du kannst zu den anderen gehen.“ „Ich möchte lieber hier bleiben. Hast du etwas dagegen?“ Georg schüttelte den Kopf. „Glaubst du, daß es für Coco eine Rettung gibt, Georg?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht, Fides. Ich kann es nur hoffen. Wir dürfen…“ Coco hatte einen lauten Schrei ausgestoßen, 72
und Georg blickte sofort durch die Beobachtungsklappe. Coco saß aufrecht auf der Pritsche und hatte den Kopf der Tür zugewandt. Ihre Augen waren weit aufgerissen und schienen normal zu sein. „Kannst du mich verstehen, Coco?“ „Ja, ich verstehe dich, Georg. Weshalb habt ihr mich hierher gebracht?“ „Du wolltest mich töten, Coco.“ „Das glaube ich nicht“, sagte die junge Hexe. Sie sprang von der Pritsche herunter und ging langsam auf die Tür zu. „Es ist aber so, kannst du dich nicht daran erinnern?“ „Nein, das kann ich nicht.“ „Sieh dir einmal deine rechte Hand an, Coco.“ Coco hob den Arm und atmete heftiger. „Ich habe ja eine richtige Pranke mit fürchterlichen Krallen bekommen“, sagte sie entsetzt. „Und die Haut ist mit Schuppen bedeckt.“ „Du wolltest mich mit deiner Pranke erschlagen, dann bist du aber bewußtlos zusammengebrochen. Und ich wollte kein Risiko eingehen, deshalb habe ich dich eingesperrt.“ „Ich verstehe“, sagte Coco tonlos und nickte langsam. „Es ist mir nur recht, daß du mich eingesperrt hast, denn ich fürchte, daß mit mir noch grauenvolle Dinge geschehen werden.“ 73
„Hast du eine Vermutung, Coco?“ „Adalmar soll dir das Bild vom Schlangendämon zeigen, dann wirst du mich verstehen, Georg. Ich habe Hunger und Durst. Könntet ihr mir etwas zu essen und zu trinken bringen?“ „Ich hole es“, sagte Fides rasch. „Was willst du mit deiner Bemerkung über den Schlangendämon andeuten, Coco?“ „Hast du eine Zigarette?“ Georg nickte, holte ein Päckchen heraus und steckte zwei an. Eine schob er durch das Gitter hindurch, und Coco griff danach und rauchte gierig. „Ich fürchte, daß ich mich in ein Schlangenmonster verwandle“, meinte Coco. „Kannst du mir das nicht näher erklären?“ „Ich habe Adalmar schon alles erzählt. Ich kämpfte mit einem Monster, das jede beliebige menschliche Gestalt annehmen konnte, in Wirklichkeit aber ein einäugiges Schlangengeschöpf war. Ein Bild dieses Mon sters habe ich Adalmar gegeben. Wir vermuten, daß meine Verwandlung vom Ring ausgelöst wird, den ich vom rechten Ringfinger nicht herunterbekomme. Und Adalmar ist sicher, daß dieser Ring vertauscht wurde. Aber diese Vermutungen soll dir Adalmar erzählen. Was habt ihr vor?“ „Adalmar fertigt im Augenblick ein Bild von Pietro Salvatori an. Mit Hilfe dieses Bildes und einigen Gegenständen, die Pietro gehören, wollen wir eine Beschwörung versuchen, bei 74
der wir seinen derzeitigen Aufenthaltsort erfahren wollen.“ „Das ist eine vernünftige Idee“, sagte Coco zufrieden. „Sie könnte Erfolg bringen.“ „Das hoffe ich auch. Adalmar ist eben gekommen. Ich öffne nun die Tür. Adalmar soll sich deine Hand ansehen.“ „Das ist doch sinnlos, Georg. Er kann mir nicht helfen.“ Adalmar schob Georg zur Seite und zog die Riegel zurück, dann betrat er die Zelle. Georg folgte ihm. Coco lächelte tapfer, als Adalmar wütend brummend ihren Arm und die Hand untersuchte. „Fühlt sich wie eine Schlangenhaut an“, sagte Adalmar. „Coco vermutet, daß sie sich in ein Schlangenmonster verwandeln wird. Was meinst du dazu, Adalmar?“ „Hm, daran habe ich auch schon gedacht.“ Adalmar griff in seine Brusttasche. Er zog Xenias Bild heraus und reichte es Georg, der es neugierig anstarrte. „Hast du Schmerzen, Coco?“ „Im Augenblick habe ich keine. Ich hatte auch keine, als ich mich nicht bewegen konnte. Ich verstand aber alles, was ihr gesprochen habt.“ „Ich bedauere es, daß ich es wiederholen muß, Coco. Ich kann dir nicht helfen. Der Schadzauber, der gegen dich angewandt wird, ist nicht von dieser Welt.“ 75
„Das habe ich auch vermutet“, flüsterte sie gefaßt. „Für mich gibt es keine Rettung. Ich bin hoffnungslos verloren. Spar dir deine Trostworte, Adalmar. Du würdest nur lügen. Ich habe mich mit meinem Schicksal abgefunden.“ Adalmar nickte schweigend. Bianca und Fides brachten Coco eine kalte Platte, verschiedene Brotsorten und eine Flasche Wein. Georg und Adalmar trugen einen Tisch in die Zelle. „Alle paar Stunden wird jemand nach dir sehen, Coco. Du kannst dann deine Wünsche bekanntgeben.“ „Viel Glück bei eurer Suche nach Pietro, Georg. Ich bedauere es, daß ich dir nicht helfen kann.“ Georg nickte ihr noch einmal zu, dann schloß er die Zellentür und verriegelte sie. „Sie reagiert wie eine echte Zamis“, sagte Georg stolz. „Sie blickt dem Tod ohne zu wehklagen entgegen.“ „Ich weiß nicht, ob ich an Cocos Stelle so gelassen reagieren würde“, sagte Fides leise. Georg nickte und wandte sich dann Adalmar zu: „Ist das Bild fertig?“ „Ja, es ist prachtvoll gelungen.“ „Wir haben noch einige Vorbereitungen zu treffen, Adalmar. Laß uns in dein Labor gehen und alles ganz genau besprechen.“
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Meine vorgetäuschte Ruhe und Gelassenheit fiel von mir ab, als Georg die Zelle verlassen hatte. Am liebsten hätte ich einfach losgeheult, doch das konnte ich nicht tun, denn eine Hexe kann nicht weinen. Ich setzte mich auf die Pritsche und starrte die Köstlichkeiten an, die mir Bianca und Fides gebracht hatten. Dann griff ich nach der Weinflasche und schenkte ein Glas voll, das ich gierig leertrank. Ich vermied es, meine entstellte rechte Hand anzusehen und langte mit der linken zu. Doch mein Magen schien gelähmt zu sein. Ich war hungrig, doch so nervös und angespannt, daß ich nur wenige Bissen hinunterwürgen konnte. Tiefste Verzweiflung erfaßte mich. Ich versank in ein dumpfes Brüten, aus dem mich erst pochende Schmerzen in meiner verunstalteten Hand weckten. Ich hob die Hand und starrte sie an. Die Schuppen änderten die Farbe und bildeten verwirrende Muster, die vor meinen Augen zu flimmern begannen. „Ich will nicht sterben“, flüsterte ich. „Ich will leben!“ Ich schlug rasend vor Wut und Verbitterung mit der geschwollenen Pranke auf die Tischplatte, schluchzte und schrie meine Wut hemmungslos hinaus. Nach ein paar Minuten hatte ich mich beruhigt und fühlte mich angenehm erschöpft 77
und erleichtert. Die Schmerzen waren wieder verschwunden, und langsam faßte ich Mut. „Noch ist nicht alles verloren“, sagte ich und griff nach den Zigaretten, die mir Georg gegeben hatte. Ich rauchte langsam, trank noch ein Glas Wein, legte mich auf die Pritsche und starrte die dunkle Decke an. Etwas später holte ich den Signatstern aus der Bluse und versuchte seine Kräfte zu wecken, was mir aber mißlang. Irgendwann fiel ich dann in einen unruhigen Schlaf. Immer wieder schreckte ich hoch und blieb mit wild klopfendem Herzen liegen…
Es war noch dunkel, als Adalmar und Georg mit den beiden Gefangenen das Schloß verließen. Adalmar ging voraus, dann folgten die Salvatoris, die schwere Koffer trugen, in denen sich allerlei magische Utensilien befanden, die der Magier möglicherweise benötigen würde. Georg bildete den Abschluß. Schweigend führte sie Adalmar durch die magischen Fallen hindurch auf die schmale Schlucht zu. Als sie diese erreicht hatten, nahmen Adalmar und Georg die Koffer an sich. Georg hatte noch im Schloß den Vampiren eine falsche Erinnerung einsuggeriert. Die Sonne ging auf, als sie vor Georgs 78
Leihwagen stehen blieben. Georg öffnete den Kofferraum, und sie legten ihr Gepäck hinein. Dann fuhren sie los. Keiner der beiden Dämonen hatte Lust auf eine Unterhaltung. Was zu sagen gewesen war, hatten sie gesagt. Sinnlose Vermutungen und Hoffnungen anzustellen, war nicht nach ihrem Geschmack. Georg fuhr wie ein Robot. Um diese frühe Stunde war noch nicht viel Verkehr auf den Straßen. Er kam rasch vorwärts. Ihr Plan sah vor, daß sie direkt nach Rom fuhren. In Rom wollten sie sofort zu Pietro Salvatoris Haus in der Via del Corso fahren. Immer wieder blickte Georg in den Rückspiegel, doch ein Verfolger war nicht zu erblicken. Sie fuhren durch L’Aquila hindurch und erreichten nach wenigen Minuten die Autobahn nach Rom. Mit jeder Minute wurde der Verkehr dichter, trotzdem kamen sie recht zügig voran. Das änderte sich aber schlagartig, als sie Rom erreichten und sich ins Zentrum quälten. Es schien endlos lange zu dauern, bis sie endlich die Via del Corso erreichten und direkt auf das scheußliche Denkmal Emanuels II zufuhren. „Ich hasse Rom und alle Großstädte“, brach Adalmar das Schweigen. „Mir ist es völlig schleierhaft, daß man sich in so einer riesigen Stadt wohlfühlen kann. Diese vielen Autos, der Lärm, der Gestank und diese Men 79
schenmassen. Geht es dir nicht auch so, Georg?“ „Nein. Ich kann nicht verstehen, wie man auf dem Land glücklich sein kann.“ Adalmar schnaubte verächtlich. Als Georg am Palazzo Chigi vorbeifuhr, verlangsamte er das Tempo und blinkte. Ein paar Autos hupten ihn wütend an, doch er achtete nicht darauf. Nach kurzem Suchen hatte Georg einen Parkplatz gefunden, und sie stiegen aus. Adalmar blickte kopfschüttelnd zum grellweißen Denkmal hin. „Dieses Bauwerk ist eine Zumutung an den guten Geschmack“, sagte er mit gesträubtem Bart. „Den Italienern scheint’s aber zu gefallen“, sagte Georg grinsend. „Kulturbanausen sind sie“, entrüstete sich Adalmar. „Degenerierte Kümmerlinge, die das Erbe ihrer Ahnen vergessen haben. Vergleichbar mit uns Dämonen.“ „Beruhige dich, Bruder. Wenn dich der gute Viktor Emanuel so stört, kannst du ja einmal das Denkmal sprengen.“ „Schade um die Zeit“, brummte Adalmar. „Wenn ich alle Gebäude und Denkmäler, die ich als scheußlich empfinde, sprengen wollte, dann hätte ich viel zu tun. Wo ist das Haus, das Pietro Salvatori gehört?“ „Wir stehen davor, Bruder.“ Adalmar drehte sich ruckartig um und starrte 80
das zweistöckige, ganz in Gelb gehaltene Gebäude an. „Es sieht nicht gerade einladend aus“, stellte Adalmar sachlich fest. „Der Verputz bröckelt ab, einige Fensterscheiben sind zerbrochen. Ziemlich abgewohnt und heruntergekommen. Nehmen wir gleich die Koffer mit?“ „Nein. Wir sehen uns erst einmal im Haus um. Aber ich bin sicher, daß es unbewohnt ist.“ „Na, dann gehen wir.“ Kein Mensch schenkte ihnen Beachtung. Vor dem Haustor blieben sie stehen. Georg konzentrierte sich kurz auf das Schloß und strich einmal mit der rechten Hand darüber, dann drückte er die Klinke nieder, und das Tor schwang auf. Fauliger Gestank strömte auf sie zu. „Hier riecht es nach Vampiren“, brummte Adalmar und folgte widerwillig seinem Bruder. Marmorstufen führten in eine große Halle, in der einige finster blickende Büsten aufgestellt waren. „Das sind wohl Pietros Ahnen?“ fragte Adalmar und betrachtete eine Büste näher. „Vergiß die Büsten, Bruder“, sagte Georg gereizt. „Du untersuchst die Räume in den Obergeschossen, während ich das Erdgeschoß und den Keller durchsuche.“ „Es wäre wohl besser, wenn wir zusammenbleiben würden, Bruder.“ Georg seufzte. „Ich spüre keine Dämonenausstrahlung. Das Haus ist leer. Los, 81
fang mit der Durchsuchung an.“ Die meisten Zimmer im Erdgeschoß waren völlig leer. Einige waren bescheiden möbliert, doch schon seit vielen Jahren nicht mehr betreten worden. Die Küche war modern eingerichtet und auch peinlich sauber. Sie war sogar mit einem Speisenaufzug ausgerüstet. Die schwere Eisentür, die zum Keller führte, war versperrt. Doch es dauerte nur wenige Sekunden, und Georg hatte sie geöffnet. Ein übler Geruch schlug ihm entgegen. Es roch nach verfaulendem Fleisch. Georg glitt in die andere Zeitebene, so konnte er dem penetranten Geruch entgehen. Rasch durchsuchte er den Keller. Ein Raum war mit Weinflaschen gefüllt. Georg sah sich ein paar Flaschen an und nickte anerkennend. Pietro schien ein Weinkenner zu sein. „Chambertin, Clos de Beze, Kellerabfüllung, Armand Rousseau“, las Georg laut vor, legte die Flasche zurück und griff nach einer anderen. „Hm, das ist ein feiner Tropfen: Vouvray 1947!“ Aber dann erinnerte er sich wieder, weshalb er hierhergekommen war. In einem anderen Raum entdeckte er einige Skelette und ging rasch weiter. Überrascht blieb er in einem gewaltigen Gewölbe stehen. Auf Podesten standen mit Samt überzogene Särge. Vor einem kleinen Sarg blieb er stehen und verschob den Deckel. Dann leuchtete er mit seiner Taschenlampe hinein. 82
Ein junges Mädchen war zu sehen, das auf dem Rücken lag. Ihr langes blondes Haar war zerrauft und ihr Gesicht unnatürlich bleich. Der rechte Unterarm lag zwischen ihren kleinen nackten Brüsten. Deutlich waren die schlecht verheilten Bißwunden an ihrem schlanken Hals zu erkennen. „Wie in einem Horror-Film“, amüsierte sich Georg. Lachend schob er den Deckel zurück und verließ den Keller. „Wo steckst du, Adalmar?“ brüllte er, als er die Halle betrat. „Ich bin schon unterwegs zu dir, Bruder.“ Adalmar stolzierte die Treppe hinunter und blieb vor seinem Bruder stehen. „Was hast du entdeckt, Georg?“ „Einen gut gefüllten Weinkeller mit einigen hervorragenden Weinen.“ „Ich trinke lieber Bier“, brummte Adalmar. „Sonst hast du nichts gefunden?“ „Ein paar Särge.“ „Leer?“ „Es ist wie in einem dieser Vampirfilme der Hammer-Production“, sagte Georg grinsend. „Spinnweben. Feuchte Wände. Särge, in denen die Vampiropfer schlafen.“ „Und das hast du wirklich gefunden?“ wunderte sich Adalmar. „In einem Sarg liegt ein junges Mädchen. Sie scheint tot zu sein. In die anderen Särge habe ich nicht geblickt.“ „Die Zimmer im zweiten Stockwerk sind alle völlig leer. Unser lieber Pietro scheint sich 83
hauptsächlich im ersten Stock aufgehalten zu haben. Besonders gern scheint er in der Bibliothek gewesen zu sein, die voll mit Büchern über Vampire ist. Dracula scheint sein Lieblingsbuch gewesen zu sein. Ich glaube, daß er alle Ausgaben dieses Werkes hat, die je gedruckt wurden.“ „Wer hätte das vermutet“, sagte Georg lachend. „In einem Zimmer fand ich einen Einbauschrank, der voll mit Kleidern ist, die unserem Vampir gehören. Einige sind ganz normale Kleidungsstücke, aber andere sehen so altmodisch aus wie diejenigen, die Graf Dracula getragen hat. Unser lieber Pietro scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Vermutlich träumt er davon, so stark und mächtig wie Dracula zu sein.“ „Aber das alles kommt uns doch sehr gelegen, Bruder.“ „Du sagst es. Ich hole die Koffer.“ Georg setzte sich auf eine Stufe und steckte sich eine Zigarette an. Schnaufend schleppte Adalmar die schweren Koffer in die Halle, und stellte sie vorsichtig ab. „Was nun, Georg?“ „In welchem Raum dürfte sich Pietro am häufigsten aufgehalten haben?“ „Sicherlich im Schlafzimmer. Dort hat er wahrscheinlich auch seinen Bettgenossinnen das Blut abgezapft. Aber dieser Raum eignet sich nicht für unsere Zwecke. Die Bibliothek 84
ist da schon viel besser.“ „Wohlan, Bruder, dann gehen wir in die Bibliothek.“ Georg ergriff einen Koffer und folgte Adalmar, der die Treppe leichtfüßig hochstieg. Dann ging es einen düsteren Gang entlang. „Kann sich unser süßer Vampir eigentlich in eine Fledermaus verwandeln?“ fragte Adalmar. „Davon träumt er vermutlich“, antwortete Georg verächtlich. „Aber diese Fähigkeit ist bei der Salvatori-Sippe schon längst verschwunden. Sie sind völlig degeneriert.“ Adalmar stieß eine Tür auf, stellte den Koffer ab und drehte das Licht an. Neugierig trat Georg ein. Der Raum war ganz in Schwarz und Rot gehalten: Vorhänge, Möbel, Tapeten und der Boden waren schwarz. Alle anderen Gegenstände waren rot. Eine Wand wurde von einem großen Bücherregal eingenommen. Davor stand ein kleines Tischchen, um das drei unbequem aussehende Stühle gruppiert waren. Eine hohe Stehlampe stand daneben. „Nicht unbedingt mein Geschmack“, meinte Georg und legte den Koffer auf einen Stuhl. „Das Bild werde ich auf diesen Stuhl legen“, sagte Adalmar und zeigte auf einen. „Hier scheint unser Vampirchen oft ausgeruht zu haben. Das Leder ist schon ganz abgewetzt.“ Der Bärtige öffnete einen Koffer, dann schlüpfte er in hauchdünne Handschuhe, die aus Menschenhaut gefertigt waren und 85
entnahm vorsichtig dem Koffer das Bild, das er aufrollte und auf den Stuhl legte. „Du faßt nichts an, Georg“, sagte er beschwörend. „Ich hole nun ein paar Kleidungsstücke, und dann…“ „Ich habe eine Idee, Adalmar. Hör mir kurz zu. Pietro hat doch sicherlich eine starke Bindung zu seinem Opfer. Er hat ihnen das Blut ausgesaugt und ihren Körper vergiftet, sie quasi untot gemacht. Was hältst du davon, wenn ich eines seiner Opfer aus dem Keller heraufhole? Das würde doch unsere Beschwörung nur verstärken!“ „Hm, hm“, brummelte Adalmar. „Nicht übel, gar nicht übel, Bruder. Ja, das würde uns sehr helfen. Hole eines der Opfer. Ich treffe in der Zwischenzeit die anderen Vorbereitungen. Es wird aber einige Zeit dauern, bis ich damit fertig bin. Du kannst ruhig ein Fläschchen aus Pietros Keller trinken.“ „Wie lange wird es dauern, bis du mit deinen Vorbereitungen fertig bist?“ „Eine Stunde. Vielleicht auch etwas länger. Du weißt, daß es ziemlich schwierig ist, was wir vorhaben, und ich will, daß alles perfekt klappt.“ „Laß dir nur ruhig Zeit, Bruder. “
Mit der Dämmerung kamen die fremdartigen Träume, die ich dann beim Erwachen vergessen hatte. 86
Merlin kam auf mich zu. Sein Gesicht war ernst, sein Blick fast feierlich. „Irgendwann einmal wird der Tag kommen, da wirst du vergessen haben, daß du mir geholfen hast“, sagte er. „Du wirst deine Aufgabe erfüllen. Dein Leben wird gefahrvoll sein, voller Schrecken und Abenteuer, aber du wirst auch glückliche Stunden verleben. Du wirst einen Gefährten haben, für den du dein Leben opfern würdest. Ich werde für dich nur ein Name sein, mit dem sich unzählige Legenden verbinden. Du wirst und mußt mich einmal vergessen. Doch später, viel später, wirst du dich wieder an mich erinnern und an die Aufgaben deiner Jugend. Du wirst viel leiden, kleine Coco. Du bist eine Auserwählte, die eine wichtige Aufgabe erfüllen muß.“ Merlins Bild verblaßte, und ich schreckte schweißgebadet hoch. Ich strich mir das feuchte Haar aus der Stirn, setzte mich auf und versuchte, mich an den Traum zu erinnern. Merlin hatte zu mir gesprochen, doch so sehr ich auch nachdachte, ich konnte mich nicht an seine Worte erinnern. Erschöpft sank ich wieder zurück auf die harte Pritsche, schlang eine Decke um mich, rollte mich zusammen wie ein Embryo im Mutterleib und träumte weiter, weiter und weiter… Ein Mann stand breitbeinig vor mir. Er war groß, schlank und ein wenig schlampig gekleidet. Sein Haar war schwarz, seine Augen waren grün, und ein buschiger 87
Schnurrbart wölbte sich über seinen Oberlippen, dessen Spitzen nach unten hingen. Ich war völlig nackt und mir war bitterkalt. Der Mann keuchte. Der Atem stand wie eine weiße Wolke vor seinem Mund. Ich starrte ihn furchtsam an, er lachte. „Burn, witch, burn!“ keuchte er und hob mich hoch. Ich war gefesselt, und über meinen Lippen klebte ein Pflaster. Dann sah ich den Scheiterhaufen, auf den er mich zutrug. „Hexen müssen brennen!“ schrie er und warf mich auf den aus Ästen und Holzstücken gebildeten Scheiterhaufen. „Du bekommst deine verdiente Strafe, verfluchte Hexe.“ Meine Augen baten um Gnade, als er sich bückte und sein Feuerzeug herausholte. Er knipste es an und steckte eine alte Zeitung in Brand. Innerhalb weniger Sekunden brannte sie lichterloh. Dann trat er einen Schritt zurück. Einer der Äste fing Feuer. Sein Gesicht war haßverzerrt. „Brenne, Hexe, brenne!“ Das Bild wurde schwächer. Nur undeutlich sah ich nun den Mann vor mir. „Dieser Mann wird dein Schicksal werden, Coco“, vernahm ich nun wieder Merlins Stimme. Ich will seinen Namen wissen! „Er hat viele Namen gehabt, mein Kind“, raunte mir Merlin zu. „Du wirst ihn als Dorian 88
Hunter kennen und lieben lernen. Die Dämonen werden ihn als Dämonenkiller hassen und fürchten. Aber das liegt noch weit in der Zukunft, mein Kind. Jahre werden vergehen, bis du ihn kennenlernst. Ihr beide werdet irgendwann vollenden, was wir jetzt begonnen haben. Vieles ist vorherbestimmt, doch manches ist veränderlich. Fast nichts ist unabwendbar. Ich werde dich beschützen, Coco. Ich wache über dich. Ich helfe dir. Ich lasse dich nicht allein. Schlafe weiter, mein Kind. Schlafe weiter…“ Und ich schlief weiter. Als ich erwachte, wußte ich, daß ich geträumt hatte, doch die Erinnerung an meine Träume fehlte mir. Für einen Augenblick sah ich ein Männergesicht vor mir. Ein braungebranntes Gesicht mit seltsamen grünen Augen und einem gewaltigen Schnauzbart. Doch dieses Gesicht löste bei mir keine Erinnerung aus. Meine Kehle war rauh und mein Mund ausgetrocknet. Meine Augen waren verklebt, und ich war müde und mein Körper schmerzte. Langsam setzte die Erinnerung ein, und ich stierte meinen entstellten rechten Arm an. Ich griff nach der Weinflasche und trank einen Schluck. Als ich sie auf den Tisch stellte, hörte ich vor der Zelle Schritte. Ich blickte zur vergitterten Klappe hin. „Guten Morgen, Coco“, hörte ich Fides Stimme. „Wie fühlst du dich?“ 89
„Nicht besonders“, antwortete ich und erhob mich. Jede Bewegung fiel mir schwer. Alles begann sich vor meinen Augen zu drehen, und ich blieb nach ein paar Schritten stehen. „Ich habe dir das Frühstück gebracht, Coco.“ Fides öffnete die breite Klappe am Fußende der Tür und schob ein Tablett in die Zelle. Ich ging weiter, bückte mich, hob das Tablett mühsam hoch und trug es zum Tisch. Dann brachte ich ihr das Tablett vom gestrigen Abendessen zurück. „Georg und Adalmar sind nach Rom gefahren“, sprach Fides weiter. „Hoffentlich haben sie Erfolg.“ Ich nickte. „Hoffentlich“, sagte ich tonlos. „Brauchst du sonst noch etwas, Coco? Soll ich dir ein Radio bringen, Bücher und Zeitschriften?“ „Nein, danke. Laß mich bitte allein, Fides.“ „Ich komme in zwei Stunden wieder. Bis später.“ Ich lauschte ihren Schritten und blieb ein paar Minuten an die Tür gelehnt stehen. Dann wankte ich zurück zur Pritsche und schenkte eine Tasse Kaffee ein. Die frischen Brötchen konnten mich nicht reizen. Ich war völlig appetitlos und hatte auch keinen Hunger. Langsam trank ich den heißen Kaffee und rauchte eine Zigarette, danach legte ich mich wieder auf die Pritsche. Ich versuchte zu schlafen, doch es gelang mir nicht. Ruhelos wälzte ich mich hin und 90
her. Dann kamen die fremdartigen Gedanken, die ich nicht verstehen konnte, die aber mein Gehirn überfluteten und es zu beeinflussen versuchten. Ich kämpfte gegen den fremdartigen Zwang an, der sich in mein In neres schleichen wollte. Danach setzten die Schmerzen ein. Stöhnend und wimmernd drehte ich mich hin und her. Mein Blut schien zu kochen. Die Schmerzen waren überall, und ich glaubte verbrennen zu müssen. Ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Ich merkte nicht, daß ich aufstand, zur Zellentür ging und mit meiner verformten rechten Hand gegen das Holz schlug. Die Tür knirschte unter der Wucht meiner Schläge. Holzsplitter wurden herausgerissen, und es dauerte nur wenige Minuten, und der Eisenbeschlag der Tür kam zum Vorschein. Meine Prankenhand gehorchte mir nicht. Sie führte ein eigenes Leben, und sie war so stark wie eine Axt. Ununterbrochen drosch sie auf die Tür ein. Die Eisenplatte verformte sich, und einer der Riegel löste sich und fiel auf den Steinboden. Bald danach war in der Tür eine Öffnung entstanden, die groß genug war, um hindurchklettern zu können. Was ich auch tat. Im Gang blieb ich stehen, dann stapfte ich auf die Wendeltreppe zu. Keuchend hastete ich sie hoch. Vor meinen Augen drehte sich wieder alles, und ich glaubte danach alles wie durch einen 91
dichten Vorhang hindurch zu sehen. Undeutlich nahm ich wahr, daß ich mich in Adalmars Labor befand. Ein paarmal taumelte ich im Kreis herum, dann ließen die Schmerzen nach, und ich konnte wieder normal denken. Nun nahm ich auch wieder meine Umgebung normal wahr. Verwirrt blickte ich meine verformte Hand an, dann sah ich mich im Labor um. Hier war ich zuvor nie gewesen. Der Raum war groß und bildete eine verwirrende Mischung aus modernem Labor und einer mittelalterlichen Hexenküche. Ich hörte leises Keuchen und drehte mich um. Das Geräusch kam von einer halb offenstehenden Tür her. Neugierig ging ich auf sie zu und blickte in den dahinterliegenden Raum. Eine Frau und zwei Männer lagen auf Holzpritschen. Alle drei waren nackt, und von ihren Körpern liefen verschiedenfarbige Drähte zu seltsam geformten Apparaturen. Langsam ging ich auf die Pritsche zu. Ich wußte, daß Adalmar auch Menschen zu seinen Experimenten verwendete, etwas, das ich grundsätzlich ablehnte. Aber mein Bruder folgte seinen eigenen Gesetzen. Einer der Männer trug einen Backenbart, die Frau sah ziemlich durchschnittlich aus. Dann fiel mein Blick auf den zweiten Mann – und meine Augen weiteten sich. „Manannan mac Lir!“ schrie ich und stürzte auf die Pritsche zu. 92
Er war es, da gab es keinen Zweifel. Manannan mac Lir, der geheimnisvolle Magier, den ich im alten Irland kennengelernt hatte. Er war hochgewachsen und kräftig. Sein kastanienfarbenes Haar schimmerte und lag wie eine Kappe an seinem gutgeformten Schädel. Sein bronzefarbenes Gesicht mit der hohen Stirn, der kleinen, kerzengeraden Nase, den sinnlichen Lippen und dem kräftigen Kinn war ungemein anziehend. „Er ist es“, flüsterte ich. „Es ist Manannan mac Lir. Merlin hat ihn zu mir gesandt.“ Ich kniete neben der Pritsche nieder und starrte in sein entspanntes Gesicht. Auf seiner Stirn waren Elektroden befestigt. Sanft strich ich mit meiner gesunden Hand über seinen nackten Körper. Dann löste ich vorsichtig die Elektroden, die an seinem Oberkörper, den Beinen und Armen befestigt waren und entfernte sie auch von seiner Stirn. „Wach auf, Liebster“, flüsterte ich und schmiegte meinen Kopf an seine Brust. „Wach auf, Manannan. Ich bin es, Coco Zamis, die du als Caillech in deiner Zeit kennengelernt hast. Wach auf!“ Doch er schlief weiter. Ich setzte mich auf und blickte ihn an. Er war in einem magischen Tief schlaf versunken, aus dem er aus eigener Kraft nicht erwachen konnte. Ich mußte ihn aufwecken, was normalerweise recht einfach gewesen wäre, doch da ich noch immer nicht über meine magischen Fähigkeiten verfügte, stellte es ein Problem für mich dar. 93
Rasch stand ich auf und lief zurück in die Alchemistenküche. Ich öffnete einige Kästen und durchsuchte sie. Endlich fand ich einen Zauberstab und ein grünlich schimmerndes Zauberpulver. Mit dem Stab verrieb ich etwas Pulver auf seinem Herzen, dann malte ich das Zeichen des Magiers Valac auf seine Stirn. Ich trat einen Schritt zurück. „Arbakoriph!“ sagte ich mit lauter Stimme. Manannan mac Lirs Lider zuckten leicht. „Chenor“, sprach ich weiter. „Pneuamourisi!“ Er öffnete die Augen, drehte den Kopf zur Seite und starrte mich verständnislos an. Seine Augen waren genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte: leicht schräg gestellt und schiefergrau. „Erkennst du mich nicht, Manannan mac Lir?“ fragte ich leise. Er räusperte sich und hob den Kopf. „Ich bin es, Coco, die du als Caillech kennst.“ „Ich kenne Sie nicht“, sagte er auf deutsch. „Wo bin ich?“ „Du mußt mich kennen, Manannan. Sieh mich genau an!“ „Sie müssen mich mit einem anderen verwechseln“, sagte er und räusperte sich wieder. „Mein Name ist Ralf Winter.“ Verwirrt blickte ich ihn an. Ich konnte mich nicht irren, er sah wie Manannan mac Lir aus. Das konnte kein Zufall sein. „Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird. Wo bin ich?“ 94
„Im Castello della Malizia in den Abruzzen.“ Er setzte sich auf, und blickte zuerst die schlafende Frau und danach den Mann an. „Wollen Sie mir nicht endlich erklären, was hier vorgeht? Wer sind Sie?“ „Ich bin Coco Zamis“, sagte ich. „Sind Sie mit diesem bärtigen Adalmar Zamis verwandt?“ fragte er und blickte mich durchdringend an. „Ja, das ist mein Bruder.“ Er atmete tief durch. „Dieser Adalmar hat mich und die beiden nach L’Aquila gelockt. Wie ihm das gelungen ist, kann ich mir nicht erklären. Er sagte, daß er Doris Emke, Hugbert Stossl und mich für ein Experiment braucht. Wir waren natürlich dagegen, doch er lahmte uns. An mehr kann ich mich nicht erinnern.“ Ich blickte ihn verständnislos an. „Ihre Hand!“ sagte er entsetzt. Rasch verstecke ich meinen rechten Arm hinter meinem Rücken. „Was haben Sie mit mir vor?“ „Keine Angst, Manannan, du bist in Sicherheit. Niemand wird dir etwas tun.“ „Da bin ich nicht so sicher“, meinte er mißtrauisch. „Wo steckt Ihr verrückter Bruder?“ „Er ist in Rom.“ „Na, dann nichts wie fort.“ „Du bleibst hier. Du kannst nicht aus dem Schloß fliehen. Überall sind Fallen aufgestellt. Wenn du in eine dieser Fallen geraten 95
würdest, dann könnte dir niemand mehr helfen.“ Ich hörte Schritte und wandte den Kopf. Der lockenköpfige Tjalf und Fides kamen auf uns zu. Beide sahen verängstigt aus. „Keine Angst“, sagte ich rasch. „Ich bin wieder ganz normal.“ Tjalf warf mir einen flüchtigen Blick zu, dann starrte er den Mann an, von dem ich glaubte, daß er Manannan mac Lir sei, der aber behauptete, Ralf Winter zu heißen. „Wer ist der hübsche Bursche?“ erkundigte sich Tjalf interessiert. Mir sind seine homophilen Neigungen bekannt. Homosexualität ist unter Mitgliedern der Schwarzen Familie weit verbreitet. Mehr als die Hälfte aller Dämonen ist bisexuell. Doch Tjalf ist da besonders extrem, denn er verkehrt nur mit Männern. Und das ist auch innerhalb der Schwarzen Familie selten. „Auch das noch“, seufzte Ralf Winter. „Ist der schwule Bruder ein Verwandter von Ihnen, Fräulein?“ Ich nickte. Tjalf tänzelte näher. Ihn störte es nicht, wenn man ihn als schwul bezeichnete. „Laß deine Finger von ihm, Tjalf“, sagte ich scharf. „Du hast mir nichts zu befehlen Coco“, meinte Tjalf. „Adalmar hat nichts dagegen, wenn ich mich mit seinen Versuchsobjekten ein wenig vergnüge.“ „Verschwinde, Tjalf“, zischte ich und hob 96
meine verunstaltete Hand zum Schlag. Tjalf duckte sich, warf mir einen bösen Blick zu und verzog sich. Fides war auch ein paar Schritte zurückgewichen. Sie sah mich furchtsam an. „Im Augenblick bin ich völlig normal, Fides“, sagte ich. „Aber wenn du wieder…“ Ich preßte die Lippen zusammen. Ich konnte ihre Angst nur zu gut verstehen. Sie hatte die zerschlagene Zellentür gesehen, und ihr war klar, was ich alles anstellen konnte, wenn ich wieder durchdrehte. „Was sollen wir tun?“ fragte Fides. „Zuerst einmal werden wir für den jungen Mann passende Kleidung suchen, dann werden wir weitersehen.“ „Zuerst werde ich meine Leidensgefährten befreien“, sagte Ralf. „Das wirst du hübsch bleiben lassen“, sagte ich scharf. „Du kommst mit uns mit.“ Ralf runzelte die Stirn, dann warf er einen Blick auf meine Pranke und zuckte dann resignierend mit den Schultern. Fides ging voraus, Ralf folgte ihr, und ich ließ ihn nicht aus den Augen.
Georg war in den Keller gestiegen und hatte ein Dutzend Weinflaschen geholt, die er in die Küche gebracht hatte. Mit leuchtenden Augen entkorkte er die 97
Flaschen und verkostete sie. Ein Chateau Grillet, vallee du Rhone, Jahrgang 1952, hatte es ihm besonders angetan. „Ein traumhaft guter Wein“, sagte er behaglich und trank wieder einen Schluck, den er genüßlich auf der Zunge zergehen ließ. „Eines muß man den Froschfressern lassen: sie verstehen etwas von einem guten Tropfen“, sagte Georg zufrieden. Er hob das Glas und trank noch einen Schluck. „Georg!“ hörte er Adalmar schreien. „Melde dich endlich, Georg!“ Georg stellte das Glas auf den Tisch und trat in den Gang. „Hier bin ich, Bruder. Komm, trink einen Schluck.“ „Verschone mich mit dem Wein, Georg. Ich habe alle Vorbereitungen abgeschlossen. Hole eines von Pietros Opfern.“ „Ich komme, Adalmar.“ Von einer Sekunde zur anderen war Georg voll auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentriert. Als er den Keller betrat, versetzte er sich wieder in den rascheren Zeitablauf. Fünf Särge standen im hohen Kellergewölbe. Zwei waren leer. In den anderen lagen Mädchen, die alle drei blond waren und sich ziemlich ähnlich sahen. Georg warf einen Sargdeckel zu Boden und griff nach einer der Untoten, die überraschend leicht war. Er warf sich die Schlafende über 98
die Schulter und huschte in die normale Zeit, als er den Gang betrat. Rasch stieg er die Stufen hoch. Die Untote war auch nicht erwacht, als er die Bibliothek betrat. „Wohin soll ich sie legen, Bruder?“ fragte er. „In den Kreis vor dem Fenster.“ Georg ging auf den Kreis zu, der noch nicht geschlossen war. Er trat durch die Öffnung hindurch und ließ die Schlafende sanft auf den Boden gleiten. „Ein hübsches Mädchen, findest du nicht auch, Adalmar?“ fragte Georg und musterte die Schlafende. Ihr blondes Haar schimmerte im Schein der Stehlampe. Ihre Brüste waren hochangesetzt und spitz, die Beine unwahrscheinlich lang und gutgeformt. Adalmar brummte etwas Unverständliches und schob seinen Bruder zur Seite, bückte sich und schloß den magischen Kreis, der von seltsamen Zeichen umgeben war. „Gut, gut“, flüsterte Adalmar. „Die Untote kann sich aus dem Kreis nicht befreien. Sie wird während der Beschwörung aufwachen und wie verrückt zu schreien beginnen, aber darum können wir uns nicht kümmern.“ Georg blickte sich interessiert um. Adalmar hatte seine geheimnisvollen Apparate vor dem Bücherregal aufgebaut. Unweit der Untoten lagen in einem Pentagramm ein paar Kleidungsstücke. Auch um den Stuhl, auf dem Pietro Salvatoris Bild lag, hatte er einen magi 99
schen Kreis gezogen. Das Pentagramm und die Kreise waren mit Zick-Zacklinien verbunden, die ein verwirrendes Muster bildeten, die zusammenliefen und zu den Apparaten führten. Auf dem Tisch standen drei magische Kugel unterschiedlicher Größe. Eine war nicht größer als eine Kirsche, die zweite war faustgroß und die dritte war groß wie eine Melone. „Tja, ich bin bereit, Bruder“, sagte Adalmar. „Schließ die Tür und bleib dort stehen.“ Georg gehorchte. Adalmar schlüpfte aus seinen Kleidern. Er war nun völlig nackt. In der rechten Hand, die noch immer mit dem Handschuh aus Menschenhaut bedeckt war, hielt er ein kunstvoll geschmiedetes Zeremonienschwert. Er drehte das Licht ab. Sekunden später wurde der Raum in ein karmesinrotes Licht getaucht, das von der kirschengroßen Kugel ausging. Adalmar wartete ein paar Sekunden, dann ging er auf den Kreis zu, in dem sich die Untote befand. Der Reihe nach berührte er mit der Schwertspitze die magischen Zeichen, die er um den Kreis gemalt hatte. Ein Zeichen nach dem anderen flammte auf. Wieder wartete Adalmar kurze Zeit. Nun bewegte er das Schwert rasend schnell vor Pietro Salvatoris Bild. Rauchschwaden hüllten das Bild plötzlich ein. Für einen Augenblick schienen Flammen aus der Abbildung zu schlagen, die aber rasch in sich 100
zusammenfielen. Aber das Bild leuchtete geheimnisvoll in türkis und smaragdgrün. Eine Flamme huschte über den Boden, lief die Zickzacklinie entlang, zog ein Flammenmeer um die Untote, das Pentagramm und den Kreis um das Bild zu raste dann auf die geheimnisvollen Geräte vor der Bücherwand zu. Die Untote bewegte sich langsam. Die Luft über dem magischen Kreis flimmerte stärker. Das Vampiropfer schlug mit den Beinen um sich und stöhnte laut auf. Dann hob es den Kopf, öffnete die Augen und stierte Adalmar an, der mit der Schwertspitze auf ihren Kopf zeigte. Sie öffnete die Lippen und entblößte halb entwickelte Vampirzähne. „Ich rufe deinen Meister, Gefangene des magischen Kreises“, sagte Adalmar mit dröhnender Stimme. Die Untote stand langsam auf. Ihre Augen waren blutunterlaufen, und ihr Mund öffnete sich wie das Maul eines großen Fisches. Sie stieß ein gurgelndes Geräusch aus und versuchte aus dem magischen Kreis zu gelangen. Der magische Schutzschirm, der eine Glocke um die Untote bildete, leuchtete schwefelgelb auf. Das Vampirgeschöpf taumelte zurück, und die magische Glocke zog sich langsam zusammen. Nun begann das Monster winselnd zu kreischen. Ihr Kreischen wurde lauter und ging in ein durchdringendes Schreien über. „Tafadhali jaza mafutsa!“ sagte Adalmar 101
laut. Der magische Kreis entzog der Untoten nun das restliche in ihr verbliebene Leben, wenn man bei diesem Schattengeschöpf überhaupt noch von Leben sprechen konnte. Es war eher etwas anderes, etwas Unerklärliches, was sich in ihrem Körper gebildet hatte, als Pietro ihr Blut trank und das restliche vergiftete. Am ehesten konnte man es als Ka bezeichnen, jene unerklärliche Kraft, die nach der Auffassung der alten Ägypter nach dem Tod in der Nähe des Leichnams blieb, während der Ba, quasi die Seele, sich ins Totenreich begab. Der Ba war von Pietro aus dem Mädchen gesogen worden und hatte sie zu einem seelenlosen Geschöpf gemacht. Adalmar bannte den Ka des Mädchens, dessen Körper durchscheinend wurde und sich einfach auflöste. Ein schattenartiges Gebilde befand sich nun im magischen Kreis, der sich immer mehr zusammenzog und den Ka auf die Zickzacklinie zutrieb. Georg hielt den Atem an. Er hatte in seinem Leben schon die absonderlichsten Beschwörungen gesehen und selbst durchgeführt, aber das, was sein Bruder da veranstaltete, war ihm völlig neu. Der bärtige Magier bewegte seine linke Hand rasend schnell und stieß mit der Schwertspitze nach dem schemenhaften Gebilde, das sich wehrte, den magischen Kreis zu verlassen. Doch Adalmars Kräfte waren stärker. Unendlich langsam glitt der Ka über die 102
Zickzacklinie, bäumte sich auf, wollte nicht weiter, doch Adalmars starker Wille hetzte ihn vorwärts. Es dauerte fast fünf Minuten, bis sich der Ka endlich im Pentagramm befand, in dem einige von Pietros Kleidungsstücken lagen. Der Ka raste wie verrückt im Fünfeck hin und her und versuchte zu entkommen. Adalmar unterbrach die Zickzacklinie, die vom magischen Kreis zum Pentagramm führte. „Der erste Teil der Beschwörung ist erfolgreich verlaufen“, sagte Adalmar zufrieden. „Ich warte nun ein paar Minuten, bis sich der Ka mit der Ausstrahlung Pietros aus den Kleidern aufgeladen hat. Dann setzte ich die Beschwörung fort.“ „Kann ich dir helfen, Bruder?“ „Noch nicht. Erst wenn ich den Ka im magischen Kreis habe, in dem Pietros Bild liegt, mußt du eingreifen. Du gehst zu dem rotgestrichenen Apparat mit der magischen Bildfläche und legst deine Hände auf die Kristallstäbe darunter.“ „Und was soll ich danach tun?“ „Das werde ich dir rechtzeitig sagen, Georg.“. „Ich glaube, du hast deinen Plan geändert, Adalmar.“ Der Magier kicherte. „Ja, ein wenig. Unser niedlicher Vampir wird eine sehr unangenehme Überraschung erleben.“ 103
„Willst du mir nicht sagen, was du vorhast?“ „Du wirst es schon noch merken. Bewege dich nicht und sprich unter keinen Umständen, verstanden?“ „Verstanden.“ Adalmar trat auf das Pentagramm zu. Der gefangene Ka huschte noch immer über die Kleidungsstücke. „Maonyesho yatakuwa lini tena“, flüsterte Adalmar beschwörend. Der Ka war nun so groß wie ein Fußball und milchig weiß. Er krümmte sich zusammen und wurde lang und dünn wie ein Schlauch. Adalmar vertrieb ihn aus einer der Ecken, versperrte ihm den Weg zu einer anderen und jagte ihn auf die Zickzacklinie zu, die zum Bild führte. Immer wieder versuchte der Ka der Schwertspitze zu entkommen, doch Adalmar war stärker. Endlich huschte das nebelartige Gebilde die Linie entlang und kroch über das Bild. „Es ist geschafft“, freute sich Adalmar. „Nimm nun deinen Platz ein, Georg.“ Georg ging zu dem roten Apparat hin und umklammerte die beiden Kristallstäbe, die eiskalt waren, sich aber nach wenigen Sekunden an seine Körpertemperatur angepaßt hatten. Die faustgroße Kugel auf dem Tisch begann zu pulsieren. Sie schien Blasen zu werfen. Die melonengroße Kristallkugel wurde durchscheinend. Adalmar hetzte nun den Ka im magischen 104
Kreis hin und her. „Gari lamoshi lina bewewa la kulia“, sagte er laut. Ein grellweißer Nebel bildete sich in der melonengroßen Kugel. Dann war plötzlich ein kleines Haus zu sehen, das rasch größer wurde. Der magische Bildschirm flammte auch vor Georg auf. Auch hier war das Haus zu sehen. „Ingieni na fungeni milango, Pietro Salvatori!“ schrie der Magier. Das Bild in der Kugel und auf dem Bildschirm änderte sich. Nun war Pietro Salvatori zu sehen, der verwirrt um sich blickte. „Kannst du mich hören, Pietro Salvatori?“ fragte Adalmar. Der Vampir blickte hoch. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet. „Ja, ich kann dich hören. Wer bist du?“ Adalmar kicherte. „Rate mal.“ Gehetzt blickte sich der Dämon um. „Wir sind dir auf die Spur gekommen, Pietro Salvatori. Du kannst uns nicht mehr entkommen. Wir werden dich jetzt gefangennehmen und dich zu Coco bringen, die dich töten wird.“ Der Vampir lief los. Deutlich war das Zimmer zu sehen, in dem er sich befand. Adalmar stieß mit dem Schwert in den rechten Fuß des Bildes. Pietro Salvatori stieß einen unmenschlichen Schrei aus und blieb stehen. „Mein rechter Fuß“, keuchte er. „Du hast ihn 105
auf dem Boden festgenagelt.“ „Richtig, Pietro. Wir wollen nicht, daß du uns entkommst. Verrate uns, was du gegen Coco in der Hand hast.“ „Sie ist verloren“, sagte Pietro mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Niemand kann sie mehr retten.“ „Das laß nur unsere Sorge sein, Pietro. Du hast irgendwie Cocos Ring vertauscht. Wo ist der richtige Ring?“ Pietro schwieg verbissen. Adalmar zog das Schwert aus dem Fuß, und Pietro lief sofort los. Doch er kam nicht weit, da nun Adalmar die Schwertspitze in den Bauch von Pietros Bild stieß. Der Vampir fiel zu Boden und heulte gequält auf. Mit beiden Händen griff er sich an den Bauch und wollte sich von der für ihn unsichtbaren Waffe befreien. „Du bist mir hilflos ausgeliefert, Pietro. Es ist sinnlos, wenn du dich wehrst. Du würdest dir alles nur erleichtern, wenn du endlich die Wahrheit sprichst.“ „Ich sage nichts“, zischte der Vampir. „Wie du meinst, Pietro“, brummte Adalmar. „Jetzt bist du an der Reihe, Georg. Bewege die Kristallstäbe so lange, bis du Pietros Gesicht deutlich auf dem Bildschirm hast. Dann setze deine Hypnosekräfte ein. Sie werden über die magische Kugel auf Pietro übergeleitet werden.“ Georg bewegte zuerst den rechten Kristallstab. Das Bild auf dem Schirm änderte 106
sich. Die Beine waren zu sehen. Er korrigierte es langsam. Der Bauch war zu sehen und dann erschien Pietros verzerrtes Gesicht. Er veränderte die Einstellung so, daß nun Pietros Augen den Bildschirm ausfüllten. Einen Augenblick schloß Georg die Augen und konzentrierte sich. Dann schlug er mit aller Kraft zu. Die faustgroße magische Kugel auf dem Tisch schien zu explodieren. Die Augen auf dem Bildschirm flimmerten und wurden starr. „Geschafft“, sagte Georg zufrieden. „Ich habe ihm meinen Willen aufgezwungen.“ „Gut, gut“, freute sich Adalmar und zog das Schwert zurück. „Steh auf, Pietro“, sagte Georg befehlend. Der Vampir stand auf. „Hole den Ring.“ Pietro stapfte auf einen Kasten zu, öffnete die Tür und holte eine Schmuckschatulle hervor, der er den Ring mit dem leuchtend blauen Stein entnahm. „Steck den Ring an irgendeinen Finger, Pietro.“ Der Vampir schob sich den Ring über den rechten kleinen Finger. „Wo hältst du dich versteckt, Pietro?“ „In einem Bauernhaus in der Nähe von Antrodoco“, antwortete er sofort. „Was nun, Adalmar?“ „Antrodoco ist ein kleiner Ort etwa dreißig Kilometer von L’Aquila entfernt. Wir könnten Pietro abholen, aber ich habe etwas anderes 107
vor.“ „Was?“ Adalmar zupfte wieder einmal an seinem Bart. „Es ist schwer zu erklären, aber ich werde es versuchen. Ich könnte Pietro mit einer Beschwörung herholen. Er würde im magischen Kreis auftauchen, und sein Bild würde im Landhaus erscheinen. Es besteht natürlich keine hundertprozentige Sicherheit, daß mir dieses Experiment gelingen wird, deshalb…“ „Dieses Experiment läßt du schön bleiben, Adalmar. Wir dürfen kein unnötiges Risiko eingehen.“ „Das ist es ja“, ärgerte sich Adalmar. „Dieses Experiment würde mich natürlich sehr reizen, aber ich stimme mit dir überein, daß das Risiko zu hoch ist. Befiehl Pietro, daß er das Haus nicht verlassen soll, und frage ihn, wie wir es erreichen können.“
Ralf Winter glaubte zu träumen. Es war nur ein Alptraum, nicht mehr, versuchte er sich zu beruhigen. Ich werde jeden Augenblick aufwachen und mich im Bett in meiner Wohnung in der Landwehrstraße wiederfinden. „Belüge dich nicht selber“, flüsterte er. „Es ist kein Traum. Es ist die unvorstellbare Wirklichkeit.“ Das schwarzhaarige Mädchen mit der 108
entstellten Hand hatte ihn in ein Badezimmer gebracht. Er hatte geduscht und sich rasiert. Jetzt stand er vor dem Spiegel und frisierte sich. Aus dem Nebenraum hörte er laute Stimmen, doch er verstand nichts von der Unterhaltung. Er legte den Kamm zur Seite und schlüpfte in einen blauen Frotteebademantel. Dann setzte er sich auf den Badewannenrand und überlegte. Alles hatte mit dem geheimnisvollen Auftauchen in L’Aquila begonnen. Der unheimliche vollbärtige Bursche hatte von sich behauptet, daß er ein Dämon sei. Und Ralf glaubte, daß er die Wahrheit gesprochen hat te. Und dann war er in dem laborartigen Raum erwacht, und vor ihm war ein hübsches schwarzhaariges Mädchen gestanden, das ihn für einen Mann namens Manannan mac Lir gehalten hatte. Diesen Namen kannte er. Er wurde oft in keltischen Sagen erwähnt und galt als großer Held und Magier. Und Coco Zamis hatte ihn für diese keltische Sagenfigur gehalten. Vermutlich war sie nicht ganz richtig im Kopf. Und ihre rechte Hand sah grauenvoll aus, wie ein Pranke. Und die anderen Bewohner des Schlosses, die er kennengelernt hatte, waren ihm auch unheimlich. Der schwule Bursche, der Tjalf hieß, und das rotblonde Mädchen, das Fides hieß und so seltsam durchdringende Augen besaß. Er war hier ein Gefangener, der nach Cocos Worten 109
keine Möglichkeit zum Entkommen hatte. Ralf stand auf, als die Stimmen lauter wurden. Er preßte den Kopf gegen die Tür. „Adalmar wird toben, weil du den Gefangenen befreit hast“, vernahm er eine ihm unbekannte Stimme. „Das ist mir völlig egal, Onkel“, sagte Coco. „Der Gefangene ist für mich sehr wichtig. Ich kenne ihn.“ „Wer ist er?“ „Er kann sich an nichts erinnern, aber ich bin sicher, daß er ein Bote Merlins ist.“ „Unsinn. Adalmar beobachtete ihn schon einige Zeit. Der Bursche soll über eine Fähigkeit verfügen, die Adalmar testen wollte. Du irrst dich, Coco, der junge Mann sieht deinem Bekannten wahrscheinlich ein wenig ähnlich, und in deinem geschwächten Zustand hast du Halluzinationen.“ „Nein, das stimmt nicht. Ich fühle mich ganz normal.“ „Aber die Veränderung kann jeden Augenblick wieder einsetzen. Wir können nichts dagegen unternehmen. Nimm endlich Vernunft an. Ich bringe dich in eine Zelle.“ „Das nützt auch nichts. Du hast ja gesehen, wie ich die Tür zerschmettert habe, als die fremde Macht meinen Geist beherrschte.“ „Aber es hält dich wenigstens auf. Wenn du wieder in diesen Zustand der Raserei verfällst, dann bringst du uns alle um.“ Ralf hörte atemlos zu. „Das ist schon möglich“, sagte Coco kalt. 110
„Aber ich werde euch allen keine Träne nachweinen.“ „Unser Tod würde dir nicht helfen, Coco. Sei endlich vernünftig.“ „Laß mich allein, Ingvar. Ich muß alles überdenken.“ „Ich sperre die Tür zu.“ „Mach, was du willst. Nur geh endlich.“ Ralf trat einen Schritt zurück, als er Cocos Schritte hörte. Dann wurde leise an die Tür geklopft. „Bist du schon fertig, Manannan?“ Ralf öffnete die Tür. Coco stand vor ihm. Auch sie hatte sich gewaschen und umgezogen. „Sagen Sie nicht immer Manannan zu mir“, sagte er. „Mein Name ist Ralf Winter.“ „Gut, ich nenne dich Ralf. Du kannst mich Coco rufen. Hier habe ich frische Kleider für dich.“ Ralf nahm die Kleider entgegen, trat zurück ins Badezimmer und zog sich langsam an. Die Hose war ein wenig zu kurz, und das Hemd saß ziemlich knapp. „Setz dich nieder“, sagte Coco, als er wieder ins Zimmer trat. Er blickte sich rasch im Raum um, der recht einfach möbliert war. Er setzte sich Coco gegenüber auf einen Stuhl. Das Mädchen war mit einem einfachen Pulli und Jeans bekleidet. Ihre entstellte Hand und den Arm hatte sie mit Bandagen umwickelt. 111
„Hast du Hunger? Willst du etwas zu trinken?“ Ralf schüttelte den Kopf. „Eine Zigarette wäre nicht übel“, meinte er. Sie zeigte auf die Packung auf dem Tisch, und er bediente sich. „Ich kann mir vorstellen, wie merkwürdig und unheimlich das alles für dich sein muß, Ralf“, sagte Coco. „Aber du nimmst es überraschend ruhig auf.“ „Wer bist du, Coco?“ fragte er und sog heftig an der Zigarette. „Dein Bruder hat behauptet, daß er ein Dämon sei.“ „Du würdest mich als eine Hexe bezeichnen“, antwortete sie. „Ich bin eine Außenseiterin in meiner Familie. Ich bin anders als sie. Eher ein normaler Mensch. Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich werde dich auch vor meiner Familie schützen. Nun aber zu dir, wer bist du?“ „Ralf Winter“, sagte er leise. „Zweiundzwanzig Jahre alt. Geboren in Lindau am Bodensee. Ich studiere in München Völkerkunde.“ „Leben deine Eltern noch?“ Ralf nickte. „Sie haben ein Restaurant in Lindau, das ich hätte übernehmen sollen, doch ich interessiere mich nicht für die Gastronomie. Vermutlich wird meine Schwester Renate das Lokal und die Pension einmal übernehmen.“ „Du kannst dich nicht an dein Leben als Manannan mac Lir erinnern?“ 112
Ralf grinste verzerrt und schüttelte den Kopf. „Jetzt fängst du schon wieder damit an. Ich bin nicht dieser geheimnisvolle Manannan mac Lir.“ Coco lächelte vor sich hin. „Irgendwann wirst du deine Erinnerung zurückerhalten, Ralf.“ „Ich will fort von hier“, sagte Ralf heftig und beugte sich vor. „Das kann ich mir denken, aber es ist im Augenblick unmöglich. Du mußt hier bleiben.“ „Damit dein wahnsinniger Bruder mit mir herumexperimentieren kann?“ „Adalmar wird dir kein Haar krümmen, Ralf, das verspreche ich dir.“ „Ich kann das alles nicht begreifen, aber du scheinst auf meiner Seite zu stehen. Weshalb können wir nicht zusammen von hier verschwinden?“ „Es ist nicht möglich, Ralf. Ich kann es dir nicht erklären, denn du würdest mich nicht verstehen. Ich bin in eine fürchterliche Auseinandersetzung verwickelt, die für mich tödlich ausgehen kann. Ich bin ziemlich sicher, daß du Merlins Bote bist, den er mir zur Rettung geschickt hat.“ „Du bist verrückt“, sagte Ralf scharf. „Jetzt bringst du auch noch Merlin ins Spiel.“ Coco lächelte schwach, doch dann verzerrte sich ihr Gesicht. „Es geht wieder los“, flüsterte sie. „Rasch, Ralf, geh ins Badezimmer und schließe dich ein.“ Der junge Deutsche blickte sich 113
verständnislos an. „So geh schon, bevor es zu spät ist“, flüsterte sie. „Wenn ich so einen Anfall bekomme, dann beginne ich zu toben. Geh endlich ins Badezimmer.“ Ralf stand auf. Cocos rechte Hand bewegte sich ruckartig. Die Bandagen verrutschten an ein paar Stellen, und die schuppenartige Haut war zu sehen. „So geh doch schon!“ Nun gehorchte Ralf. Noch einmal blickte er zu Coco hin, die sich zurücklehnte und die Augen schloß und leise stöhnte. Rasch zog er die Tür zu und verriegelte sie. Doch den Kopf preßte er weiterhin an die Tür. Ein paar Sekunden blieb es ruhig, dann hörte er Coco unmenschlich schreien, den Fall eines Stuhles, danach war Stille. Stirnrunzelnd lauschte er weiter, doch es blieb ruhig. Nach etwa zehn Minuten konnte er seine Neugierde nicht mehr bezähmen. Leise öffnete er die Tür und lugte ins Zimmer. Coco war nirgends zu sehen. Mutig geworden trat er ein, ging ein paar Schritte und blieb entsetzt stehen. Coco war neben dem Tisch auf den Boden gefallen. Ihr ganzes Gesicht war mit rotgelben Schuppen bedeckt, die auf der Stirn ein seltsames spiralförmiges Muster bildeten. Für einen Augenblick war Ralf wie gelähmt. Als Coco das rechte Auge öffnete und ihn ein 114
Schlangenauge anstarrte, wankte er zurück und begann zu schreien…
Nach Rieti wurde die Straße immer schmaler. Links war der über zweitausend Meter hohe Monte Terminillo zu sehen. Georg fuhr konzentriert. Die landschaftliche Schönheit der Hochebene ließ ihn völlig kalt. Er wollte nur möglichst rasch nach Antrodoco gelangen. Adalmar war höchst vergnügt. Immer wieder kicherte er vor sich hin. „Deine dämliche Kicherei macht mich nervös, Bruder“, brummte Georg. „Gönne mir doch meine Freude“, sagte Adalmar höchst zufrieden. „Ich bin stolz, daß es uns gelungen ist, Pietro Salvatoris Aufenthaltsort zu finden und ihn zu hypnotisieren.“ „Ich weiß, daß es eine Meisterleistung von dir war“, sagte Georg, „aber das habe ich dir schon mindestens zwanzigmal bestätigt. Eigentlich solltest du an die Öffentlichkeit damit gehen. Vielleicht bekommst du den Nobelpreis dafür.“ „Soweit wird es noch kommen, daß ich meine Entdeckungen an die Menschheit weitergeben werde“, knurrte Adalmar. „Du verstehst mich nicht, Bruder. Es bereitet mir einfach Freude, Entdeckungen zu machen und die verschiedenartigsten Experimente 115
durchzuführen. Das ist der Sinn meines Lebens. Und es freut mich natürlich immer wieder ganz besonders, wenn mir etwas gelingt, was von den meisten Dämonen für aussichtslos gehalten wird.“ „Ich verstehe dich sehr gut, Bruder, und ich bin auch sehr froh darüber, daß du experimentierst. Du bist sehr nützlich für unsere Familie. Und mit deinen speziellen Fähigkeiten wird es uns auch eines Tages gelingen, den Herrn der Schwarzen Familie zu stürzen und selbst die Macht in der Familie zu übernehmen. Asmodis Tage sind gezählt.“ „Kühne Worte, Georg. Aber es wird noch ein paar Jährchen dauern, bis wir den Kampf gegen ihn aufnehmen können. Ich kann dir die notwendigen Waffen für so einen Kampf liefern, aber an dir liegt es, Freunde und Verbündeten unter den anderen Sippen zu finden. Und das ist nicht so einfach.“ Georg seufzte tief auf. „Du sagst es. Unser Clan ist leider nicht sehr beliebt.“ „Daran ist nur Coco schuld.“ „Nicht nur Coco. Wir alle tragen einen Teil der Schuld. Du und ich, unsere Eltern, Geschwister und auch Onkel Ingvar und seine Kinder. Was ist eigentlich mit Ingvar los?“ „Auf diese Frage habe ich schon lange gewartet. Seit dem Kampf gegen die WinklerForcas ist er ein anderer geworden. Er ist schwach und hilflos. Seine Fähigkeiten verkümmern.“ 116
„Er hat wohl Seimars Tod noch immer nicht überwunden?“ „Du sagst es. Selmar war sein ganzer Stolz. Er war überaus begabt und hätte das Zeug in sich gehabt, eine führende Persönlichkeit innerhalb unserer Sippe zu werden. Seinen Tod wird er nie überwinden.“ „Mit Tjalf ist ja nicht viel anzufangen.“ „Er ist ein Schwächling“, sagte Adalmar verächtlich, „in jeder Beziehung. Ihn interessieren nur junge Manner. Und Cora und Fides sind zwar recht niedliche Hexen, aber ihre Fähigkeiten sind äußerst schwach aus geprägt. Aus ihnen werden niemals richtige Dämoninnen.“ „Auf unseren Bruder Volkart können wir auch nicht bauen“, stellte Georg fest. „Seit dem Tod seines Zwillingsbruders Demian ist er auch nicht mehr zu gebrauchen. Wo steckt er eigentlich?“ „Vor zehn Tagen wollte er nach Wien zurück.“ „Dort ist es aber nicht eingetroffen.“ „Um ihn mache ich mir keine Sorgen, wahrscheinlich treibt er sich irgendwo im Ostblock herum. Hast du in letzter Zeit unsere liebe Schwester Lydia gesehen?“ „Das ist auch schon ein paar Wochen her. Ich traf sie in London. Sie wird sich nie ändern, aber sie ist bei den meisten Clans recht gut angeschrieben. Sie kann für uns noch äußerst nützlich sein.“ „Was man von Coco nicht gerade behaupten 117
kann.“ „Du solltest die Meinung, die du über Coco hast, ändern, Bruder. Sie ist zwar ganz aus der Art geschlagen, aber sie steht zu unserer Familie, das darf man nicht übersehen. Ihre Fähigkeiten sind stark ausgeprägt. Sie könnte zu unserer besten Waffe im Kampf gegen Asmodi werden. Dazu ist es allerdings notwendig, daß sie am Leben bleibt.“ „Ich fürchte, daß es für sie keine Rettung geben wird, Georg.“ Georg antwortete nicht. Die Straße stieg nun steil an. Immer wieder mußte er bremsen, wenn ihm ein Traktor den Weg versperrte. „Du mußt mir sagen, wann ich abbiegen muß, Adalmar.“ „Wir haben noch Zeit. Bei Antrodoco treffen drei Bergschluchten zusammen. Du fährst durch das Dorf hindurch und mußt dahinter nach rechts abbiegen.“ Georg fuhr schweigend weiter. Endlich hatten sie den kleinen Ort erreicht. „Fahr jetzt langsamer.“ Georg fuhr durch die schmalen Gassen und musterte die Landbevölkerung mißtrauisch. „Hier sind wir richtig. Biege nun nach rechts in den schmalen Feldweg ein.“ Georg gehorchte. „Genau vor uns liegt der Monte Nuria.“ Sie kamen an einer halbverfallenen Scheune vorüber, dann tauchte ein uraltes Landhaus auf. „Da sind wir“, sagte Adalmar, und Georg 118
stieg auf die Bremse, stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Sie stiegen aus und gingen auf das Haus zu, dabei blickten sie sich aufmerksam um. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Es war ruhig, nur das Zwitschern der Vögel war zu hören. Georg öffnete die Eingangstür und betrat eine düstere Diele. Die Holzbretter ächzten unter seinen Schritten. Im Wohnzimmer fanden sie Pietro Salvatori, der an einem schweren Holztisch saß und sie stoisch anblickte. Auf dem Tisch stand ein Magnetophon und ein Mikrophon. Georg blickte den Vampir lange an. Er sah genau wie auf dem Bild aus, das durch die Gedankenströme seiner Brüder entstanden war. Nur war seine Gesichtsfarbe noch ungesunder. „Gib mir den Ring, Pietro“, befahl Georg. Der Vampir hielt ihm die rechte Hand hin, und Georg zog den Ring vom kleinen Finger. „Hast du wie vereinbart in der Zwischenzeit dein Geständnis auf Band gesprochen, Pietro?“ „Ich habe es getan.“ „Und du hast nichts ausgelassen?“ „Ich habe alles gesagt, was zu sagen war.“ „Hören wir uns mal das Band an, Adalmar?“ „Ja“, antwortete Adalmar und setzte sich an den Tisch. Er ließ das Band zurückrollen und sah den sich drehenden Spulen zu. 119
Georg steckte sich eine Zigarette an. Adalmar brachte die Bänder zum Stoppen. „Ich lasse das Band nun laufen“, sagte er und drückte auf die Play-Taste.
Ich, Pietro, aus dem Clan der Salvatori, schwöre bei den Schutzgeistern unserer Familie, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sprechen werde. Coco Zamis habe ich auf dem Schloß ihres Patenonkels Cyrano von Behemoth kennengelernt. Das war vor über sieben Jahren. Ich sollte von Cyrano und seiner Geliebten Fandra in die Grundregeln der Schwarzen Magie eingeführt werden. Das geschah auf Wunsch meiner Eltern und einer speziellen Vereinbarung mit Cyrano. Außer einigen Slaven befanden sich noch Coco Zamis und ihre Schwester Vera zur Ausbildung auf dem Schloß. Mit Vera verstand ich mich ausgezeichnet, Coco stand ich damals gleichgültig gegenüber, und Cyrano und Sandra haßte ich aus tiefster Seele. Ich war ein schlechter Schüler. Die Zauberformeln konnte ich mir einfach nicht merken. Eines Tages beschlossen Vera und ich, Coco einen Streich zu spielen. Wir wußten, daß sie sich mit einem Jungen namens Rupert Schwinger heimlich am Seeufer traf. 120
Wir überraschten die beiden, und ich sprang den Jungen an und wollte ihm das Blut aussaugen, als er mir ein silbernes Kreuz hinhielt, dessen Ausstrahlung mich beinahe besinnungslos machte. Vera war in der Zwischenzeit auf Coco losgegangen und hatte sie ins Wasser gezogen und ihren Kopf unter Wasser gedrückt. Sie beeinflußte Rupert so, daß er völlig willenlos wurde und ins Wasser stapfte. Sie wollte ihn ertrinken lassen. Doch Coco gelang es, Vera zu überwältigen und den Jungen zu retten. Dann suchte sie sich einen Holzpflock und kniete neben mir nieder. Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, spürte ich die Spitze des Pfahles an meinem Herzen. „Vampire pfählt man“, hörte ich sie sagen. Dann griff sie nach einem Stein und schlug gegen den Pfahl, der meine Brust ritzte. „Nicht!“ brüllte ich. „Du stirbst, du Scheusal!“ keuchte sie und holte wieder zu einem Hieb aus. Bevor sie jedoch zuschlagen konnte, erschien ihr Patenonkel und rettete mir das Leben. Damals habe ich mir geschworen, daß ich mich rächen würde. Ich wußte, daß ich Coco eines Tages töten würde. Drei endlos lange Jahre mußte ich auf Cyranos Schloß bleiben. Mehrmals versuchte ich sie zu töten, doch es gelang mir nicht. Mit 121
ihren stark ausgeprägten magischen Fähigkeiten war ich kein Gegner für sie. Ich kehrte dann zu meiner Familie nach Rom zurück, doch immer noch verfolgte mich der Gedanke an Rache ob der Schmach, die mir Coco zugefügt hatte. Doch es ergab sich keine Gelegenheit, an sie heranzukommen. Vor ein paar Wochen hatte ich sie völlig unerwartet in England auf Schloß Bodiam getroffen. Ich sagte ihr, daß ich es nicht vergessen hatte, was sie mir angetan hatte. Und ich sagte ihr, daß ich mich rächen werde. Meine Drohung ließ sie aber völlig kalt. Ich schäumte vor Wut und dachte Tag und Nacht daran, wie ich sie töten könnte. Doch ich wußte, daß ich allein dazu nicht fähig war. Ich konnte ihr nur eine offizielle Kampfansage übermitteln, aber dazu war ich zu schwach. Ich spielte eine Zeitlang mit den Gedanken, sie heimtückisch zu überfallen und zu töten, aber das Risiko war zu groß, da es dabei möglicherweise zu einem Kampf zwischen meiner Sippe und dem Zamis-Clan gekommen wäre. Aber vor zehn Tagen trat eine überraschende Wendung ein. Ich saß in der Bibliothek in meinem Haus in der Via del Corso und las, als ich plötzlich einen Windhauch spürte. Ich legte das Buch zur Seite und erstarrte. Aus dem Nichts materialisierte ein Dämon! Eine fremdartige dämonische Ausstrahlung ging von ihm aus, wie ich sie vorher noch nie 122
bemerkt hatte. Er war groß und breitschultrig und überaus elegant gekleidet. Sein Haar war lang und sorgfältig gepflegt, sein Gesicht tief braun und überaus männlich. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich mir gegenüber auf einen Stuhl. „Wer bist du?“ fragte ich. „Nenne mich Triton“, sagte er mit tiefer Stimme. „Was führt dich zu mir, Triton?“ „Gemeinsame Interessen.“ Ich blickte ihn erstaunt an. „Coco Zamis“, sagte er und grinste teuflisch. „Wir lieben sie beide nicht besonders. Bist du noch immer an ihrem Tod interessiert, Pietro Salvatori?“ „Natürlich“, sagte ich eifrig. „Ich kann dir eine Waffe verschaffen, mit der du ihr einen grauenvollen Tod bereiten kannst.“ „Das hört sich recht verlockend an“, meinte ich. „Was ist es für eine Waffe?“ „Ein Ring mit einem hübschen blauen Stein“, antwortete Triton. „Ein ganz spezieller Ring, der den Keim des Todes in sich trägt. Coco wird nach Venedig kommen, um diesen Ring zu suchen. Sie wird ihn auch finden, aber es wird der falsche sein. Ich werde die Ringe vertauschen. Sie wird fürchterliche Schmerzen erdulden müssen, der Ring wird mit ihrem Körper verschmelzen und sie in ein Monster verwandeln.“ 123
Nun erwachte mein Mißtrauen. „Das hört sich alles recht interessant an, fremder Dämon, aber wozu brauchst du mich dabei?“ „Gut überlegt, Verbündeter“, sagte er schmunzelnd. „Du spielst eine ganz wichtige Rolle bei der ganzen Angelegenheit. Ohne dich ist die Waffe nicht wirksam.“ „Kannst du mir das näher erklären, Triton.“ „Gern. Der Ring, den ich dir geben werde, ist auf magische Art mit dem vergifteten Ring verbunden, den Coco erhalten wird. Dein Ring ist praktisch der Sender, und ihr Ring ist der Empfänger. So weit ist alles klar?“ Ich nickte zustimmend. „Der Ring, den ich dir gebe, kann aber nur von einer Person aktiviert werden, die Coco aus tiefstem Herzen haßt. Du mußt deine Haßund Wutgefühle auf den Ring übertragen. Dadurch wirst du ihn aktivieren, und er wird die Kräfte zu Coco weiterleiten, ihren Ring aktiv werden lassen und die schädlichen Kräfte freisetzen, die sie vernichten werden.“ „Hm, das hört sich wunderbar an.“ „Es ist auch wunderbar. Und du gehst keinerlei Risiko ein. Du übermittelst Coco eine Kampfansage und versteckst dich in einem einsamen Haus. Keinem Mitglied deiner Sippe verrätst du, wo du dich versteckt hältst. Du tauchst erst wieder auf, wenn Coco tot ist.“ Ich überlegte kurz. Dieser Dämon schien mir da tatsächlich eine Waffe zu liefern, von der 124
ich nur träumen hatte können. „Und welches Interesse hast du an ihrem Tod, Triton? Weshalb kannst du nicht die Haßgefühle ihr gegenüber entwickeln?“ „Ich habe einen Auftrag von meinem Gebieter erhalten: Coco Zamis zu töten. Mir persönlich ist diese Coco völlig gleichgültig. Ich habe sie nie zuvor gesehen, und werde sie vermutlich auch nie sehen. Ich kann ihr ge genüber keine Haßgefühle entwickeln, verstehst du?“ „Ich verstehe.“ „Du gehst absolut kein Risiko ein, Pietro Salvatori. Setz dich mit Asmodi in Verbindung. Er wird sicherlich der Kampfansage zustimmen, denn auch er hegt keine freundschaftlichen Gefühle Coco gegenüber.“ „Ist vielleicht Asmodi dein Auftraggeber?“ platzte ich hervor. Er lächelte. „Du erwartest doch nicht ernsthaft, daß ich dir auf diese Frage eine Antwort gebe.“ Das hatte ich auch nicht erwartet. Wir wurden uns bald einig. Er zerstreute alle meine Bedenken, und ich willigte schließlich in den Plan ein. Als er gegangen war, setzte ich mich mit Zakum in Verbindung, der meinen Wunsch an Asmodi weiterleitete. Ein paar Stunden später bekam ich dann von Zakum den Bescheid, daß Asmodi der Kampfansage zugestimmt hatte. Als Schiedsrichter wurde Skarabäus Toth 125
bestimmt. Der Rest ist rasch erzählt. Ich ließ Coco beobachten, doch sie bemerkte, daß sie beobachtet wurde. Das störte mich freilich nicht, denn von Triton bekam ich den genauen Zeitpunkt mitgeteilt, wo ich sie treffen und ihr die Kampfansage übermitteln konnte. Ich verständigte Skarabäus Toth und fuhr nach Venedig, wo ich Coco die Kampfansage im Beisein von Toth überbrachte. Dann fuhr ich in das einsame Haus Antrodoco. Ich war kaum dort angekommen, als auch schon Triton erschien, mir den Ring übergab und Instruktionen erteilte, was ich zu tun hatte. Er sagte mir auch, daß Coco eine Woche lang spurlos verschwunden sein würde, und ich erst nach einer Woche mit der Aktivierung des Ringes beginnen sollte, was ich dann auch tat. Ich steckte den Ring an meinem rechten Ringfinger und konzentrierte mich ganz auf meinen Haß auf Coco, Ich spürte eine unglaublich starke Ausstrahlung, die vom Ring ausging und mich fast bewußtlos machte. Es wurden Kräfte frei, für die ich keine Erklärung hatte. Anfangs spürte ich ein eigenartiges Prickeln in meiner Hand. Ein Zeichen, daß die Kräfte des Ringes wirksam wurden. Als das Prickeln aufhörte, nahm ich den Ring ab. Von Triton wußte ich, daß nun der körperliche Ver fall und die grauenvollen Veränderungen Cocos nicht mehr aufzuhalten waren. Meine 126
Rache hatte sich erfüllt. Ich mußte nun nur noch warten, bis ich die Nachricht von Cocos Tod erhielt. Das ist mein Geständnis. Ich bezeuge nochmals, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesprochen habe.
Adalmar betätigte die Stop-Taste. Georg drückte wütend seine Zigarette aus. „Pietro Salvatori hat die Regeln der Kampfansage ganz eindeutig verletzt“, stellte Adalmar fest. „Coco darf ihn nun nicht töten“, knurrte Georg verbittert. „Wir müssen diesen abscheulichen Skarabäus Toth verständigen. Asmodi muß über Pietro Salvatori richten.“ „Und dabei wird Coco als Zeugin auftreten müssen“, sagte Adalmar leise. „Und alle werden sehen, in welchem Zustand sie sich befindet“, fauchte Georg. „Das wird sich nicht vermeiden lassen“, meinte Adalmar und untersuchte den Ring. „Wir könnten natürlich das Band verschwinden lassen, Pietro nach Castello della Malizia bringen, ihn dort pfählen und den Leichnam von Toth abholen lassen.“ „Gegen diese Möglichkeit bin ich“, sagte Adalmar fest und legte den Ring auf den Tisch. „Das bringt uns nichts ein. Wir müssen wieder einmal der Schwarzen Familie einen Beweis für unsere Fähigkeit liefern. Und dazu 127
eignet sich dieser Fall großartig. Alle werden rätseln, wie es uns gelungen ist, Pietro aufzuspüren. Das ist eine prächtige Gelegenheit, den anderen Sippen zu zeigen, wie gefährlich es ist, sich gegen uns zu stellen.“ Georg überlegte kurz, dann nickte er. „Du hast recht, Bruder. Diese Gelegenheit ist zu schön. Wir dürfen sie uns nicht entgehen lassen.“ „Außerdem steht ja dann die Frage im Raum, in wessen Auftrag dieser Triton gehandelt hat. Das Band wird beim Tribunal vorgespielt werden. Und zweifellos werden einige vermuten, daß er in Asmodis Auftrag handelte. Das kommt uns doch sehr gelegen!“ „Daran habe ich gar nicht gedacht. Das ist ja eine herrliche Gelegenheit, um Asmodi ins schiefe Licht zu bringen. Wir werden noch ein paar Gerüchte ausstreuen, die diesen Eindruck verstärken sollen. Wer hätte gedacht, daß diese Kampfansage noch so nützlich für uns werden könnte?“ „Die einzige, die darunter leidet, ist Coco“, meinte Adalmar, „aber um sie können wir uns da nicht kümmern. Sollte sie tatsächlich sterben, dann stirbt sie wenigstens für eine gute Sache. Und das ist mehr, als die meisten Dämonen in ihrem Leben erreichen können.“ Georg stand auf. „Du nimmst das Band an dich. Wir fahren vorerst einmal nach L’Aquila. Von dort aus setze ich mich dann mit Vater und Onkel Ingvar in Verbindung. Wir müssen 128
unsere nächsten Schritte ganz genau absprechen. Los, Pietro Salvatori, steh auf und folge mir!“
Coco stand langsam auf und blickte sich verwirrt um. Ihr Blick fiel auf Ralf Winter, der vor der Badezimmertür stand und sie entsetzt anglotzte. „Dich kenne ich“, sagte Coco mit zischender Stimme. Ralf trat einen Schritt zurück. Der Anblick ihres entstellten Gesichtes war kaum zu ertragen. Besonders gespenstisch wirkten die zwei verschiedenen Augen, das eine normal, das andere ein starres Schlangenauge mit unbeweglicher Pupille. „Bleib stehen!“ sagte Ralf heftig. „Jetzt erinnere ich mich“, zischte Coco weiter. „Wir sind uns schon einmal begegnet. Das war in einer anderen Zeit und in einem anderen Land.“ Langsam kam sie näher. Ralf sprang zwei Schritte zurück und verschwand im Badezimmer. Er schlug die Tür zu, verriegelte sie und blieb keuchend stehen. Er sah, wie sich die Türklinke bewegte, und wich weiter zurück. „Jetzt weiß ich, wer du bist“, hörte er Cocos Stimme. „Du bist Manannan mac Lir, der kühne keltische Magier, mit dem ich so viele schöne Stunden verbrachte. Öffne die Tür, 129
Liebster.“ Doch Ralf dachte nicht daran, die Tür zu öffnen. Coco klopfte an die Tür. „Öffne, Manannan. Wir haben uns viel zu erzählen. Wie geht es Pwyll? Was machen Finn und Oisin? Komm zu mir, Manannan.“ Jetzt ist sie total übergeschnappt, dachte Ralf. Wieder klopfte sie an der Tür. „Bitte, Manannan, öffne die Tür. Ich bin es, deine geliebte Caillech.“ Ich kann nicht ewig hierbleiben, dachte Ralf, doch er hatte begreiflicherweise wenig Lust, allein mit der wahnsinnig gewordenen Frau zu sein. Ihr Klopfen wurde immer heftiger. Schließlich öffnete er die Tür, und Coco warf sich in seine Arme. Ihm wurde fast übel, als sie das beschuppte Gesicht an seine Schulter legte. Ihre Arme drückten ihm so stark die Brust zusammen, daß er glaubte, in einen Schraubstock eingespannt zu sein. „Laß mich los, Coco“, keuchte er. „Du brichst mir ja die Rippen.“ Sie ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und blickte ihn lächelnd an. Das Lächeln ihres fischartigen Mundes ließ ihr Gesicht noch häßlicher erscheinen. „Iph bin so glücklich, daß du bei mir bist, Manannan“, flüsterte sie zischend. Verrückten läßt man ihren Willen, dachte Ralf und ließ sich widerstandslos von Coco zur 130
Couch ziehen. „Wie ist es dir seit unserer Trennung ergangen, Manannan?“ Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wenn sie mich für diesen irischen Krieger hält, dann spiele ich eben diese Rolle. „Ich erlebte viele Abenteuer“, sagte er. „Hat dich Merlin zu mir gesandt?“ fragte sie rasch. Ralf zögerte. „Ich verstehe“, sagte sie, bevor er noch antworten konnte, „du darfst darüber nicht sprechen. Warst du bei Rhiannon und Pwyll? Wie geht es ihrem Sohn Pryderi?“ „Es geht ihm prächtig“, sagte Ralf stockend. „Rhiannon und Pwyll lassen dich herzlich grüßen.“ „Ich würde sie gern besuchen, aber das ist nicht so einfach. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich zu ihnen gelangen kann. Da war ein Schacht – ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Der Zeitschacht.“ Ralf rückte etwas von ihr ab. Erleichtert blickte er auf, als die Zimmertür geöffnet wurde und ein weißhaariger Mann eintrat. Sein Gesicht blieb unbewegt. Nur seinen grünen Augen merkte man die Überraschung an. „Wer bist du, Weißhaariger?“ fragte Coco. „Ich bin dein Onkel Ingvar“, sagte der Dämon ruhig und kam auf Coco zu. „Ich habe keinen Onkel“, entgegnete Coco 131
mißtrauisch. Unauffällig tippte sich Ralf mit dem Mittelfinger auf die Stirn, und Ingvar nickte ihm verstehend zu. „Georg hat angerufen“, sprach Ingvar weiter. „Sie haben Pietro Salvatori gefangen genommen und nach L’Aquila gebracht.“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, der du behauptest, mein Onkel zu sein. Ich kenne keinen Georg, und auch von Pietro Salvatori habe ich nie etwas gehört.“ „Du hast dein Gedächtnis verloren, Coco.“ „Nein, das ist nicht wahr. Ich kann mich tadellos erinnern. Ich bin Caillech vom Stamm der Lir. Eine Hexe, die von Catbath ausgebildet wurde. Manannan wird es dir bestätigen.“ „Dein Zustand ist ernster, als ich befürchtet habe“, brummte Ingvar und blickte sie finster an. „Du bist aber nicht verrückt, das würde ich merken. Versuche dich zu erinnern. Du bist Coco Zamis!“ „Du irrst“, sagte Coco verärgert. „Ich bin Caillech.“ Ingvar seufzte. „Sieh dir mal deine Hände an, Mädchen.“ Coco starrte ihre Hände an. „Was ist mit ihnen?“ fragte sie. „Sie sind wie immer.“ Die linke Hand war normal, aber mit Schuppen bedeckt, während die rechte noch immer zur unförmigen Pranke verformt war. „Geh ins Badezimmer und sieh mal in den Spiegel.“ 132
„Weshalb soll ich das tun, Ingvar?“ „Tu es!“ sagte er scharf. Kopfschüttelnd stand sie auf und verschwand im Badezimmer. „Wurde sie gewalttätig?“ fragte Ingvar leise. „Nein. Sie glaubt, daß sie im alten Irland gelebt hat. Sie stellte mir einige seltsame Fragen und…“ Coco kam wieder aus dem Badezimmer. „Kannst du mir sagen, weshalb ich in den Spiegel blicken mußte, Ingvar? Ich sehe so wie immer aus.“ „Und das Schlangenauge?“ „Schlangenauge?“ „Dein rechtes Auge ist zu einem Schlangenauge geworden.“ Coco lachte. „Das soll wohl ein dummer Scherz sein.“ „Und was ist mit den Schuppen und deiner verformten rechten Hand?“ „Ich sehe keine Schuppen, und meine rechte Hand ist ganz normal.“ Coco hob ihre rechte Hand und strich mit der linken darüber. „Ganz normal, wie ich es gesagt habe.“ Ingvar und Ralf wechselten einen raschen Blick. „Sie sieht sich ganz normal“, flüsterte Ralf. „So kommen wir nicht weiter“, knurrte Ingvar. „Versuche dich zu erinnern, Coco.“ „Ich muß es nicht versuchen, denn ich kann mich an alles erinnern. Da war der Kampf gegen Elcmar. Manannan besiegte ihn. Dann 133
ritten wir nach…“ „Hör damit auf!“ brüllte Ingvar mit zornbebender Stimme. Coco blickte ihn erstaunt an. „Du bist eine Hexe der Schwarzen Familie. Pietro Salvatori hat einen Zauber angewandt, der dich verändert. Du mußt dich erinnern, Coco.“ Sie zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich verstehe kein Wort, Ingvar.“ „Ich gebe es auf“, sagte Ingvar mit versagender Stimme. „In einer Stunde kommt dein Bruder Adalmar. Soll er sich mit dir herumärgern.“ Ingvar drehte sich um und stapfte auf die Tür zu. „Warten Sie, Ingvar“, sagte Ralf rasch. „Ich komme mit.“ „Nein, du bleibst bei mir, Manannan“, sagte Coco rasch und griff nach Ralfs rechter Hand. Der Junge versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien, doch sie verstärkte den Druck ihrer Hand, und er stöhnte gequält auf. „Bleiben Sie ruhig bei ihr“, sagte Ingvar. Er schlug die Tür hinter sich zu und schloß ab. „Dieser Ingvar gefällt mir gar nicht“, sagte Coco. „Ich bin froh, daß er gegangen ist. Kennst du ihn?“. „Nein“, flüsterte Ralf mit versagender Stimme. Seine Nerven waren zum Zerreißen angespannt, am liebsten hätte er losgebrüllt. „Vergessen wir ihn“, zischte Coco und schmiegte sich an Ralf. „Wir haben uns viel zu 134
erzählen.“ Ralf schauderte. Ihr Körper war hart und kalt wie ein Eisblock. Da steht mir ja noch einiges bevor, dachte er entsetzt, als sie zärtlich ihre Arme um seinen Nacken schlagen und ihre eiskalten fischmaulartigen Lippen auf die seinen preßte…
Asmodi, Fürst der Finsternis und Oberhaupt der Schwarzen Familie, hatte sich in sein Hauptquartier auf der Teufelsinsel zurückgezogen, die im Mittelmeer lag und von deren Existenz nur wenige Dämonen wußten. Mit Vorliebe saß er in der unterirdisch gelegenen Halle, die etwa fünfzig Meter lang und zwanzig Meter breit war. Der Boden bestand aus spiegelglatt geschliffenem Marmor, die eine Wand in ihrer ganzen Länge von fünfzig Metern aus dickem Panzerglas, hinter der eine exotisch anmutende Unterwasserlandschaft zu sehen war, in der sich eines von Asmodis Lieblingsgeschöpfen befand: der unersättliche Moloch. In der Halle standen moderne Couchtische, und breite, daunengefüllte Ledersessel. Er verfügte über die Fähigkeit, jede beliebige Gestalt anzunehmen. Wie seine wirkliche Gestalt war, wußten nur ganz wenige Dämonen. Valiora wußte, wie Asmodi aussah, sie war 135
eine seiner engsten Vertrauten. Das hübsche Mädchen mit den glutvollen dunklen Augen war nackt und drängte ihre vollen Brüste Asmodi entgegen, der ihren Rücken sanft koste und sie enger an sich zog. „Ich bin so glücklich, daß ich endlich wieder einmal bei dir sein darf“, flüsterte sie. Asmodi hatte sie 1789 auf Haiti kennengelernt. Damals war seine Position als Führer der Schwarzen Familie noch höchst umstritten gewesen, denn erst im Jahr 1713 hatte er sich selbst zum Herrn der Finsternis ernannt, nachdem er seinen Vorgänger ausgeschaltet hatte. Damals war Vali sechzehn Jahre alt gewesen. Ein bildhübsches Mädchen mit üppigen, festen Brüsten und langen Beinen. Ihr Vater war ein reicher französischer Plantagenbesitzer und ihre Mutter eine Negerin, die auf Haiti geboren war. Vali war von der uralten Zauberin Mamaloi Jorubiana erzogen worden und verfügte über starke verborgene magische Fähigkeiten. Asmodi machte sie zu seiner Geliebten und erfreute sich an ihren Neigungen, die ganz den seinen entsprachen. In ihren Armen fand er eine nie gekannte Zufriedenheit. Asmodi weckte die in ihr schlummernden Fähigkeiten und weihte sie in seine Pläne ein. Später feierte er mit ihr eine Dämonenhochzeit, bei der er ihr einen Teil seines Körpers überließ, der von da ab untrennbar mit dem ihren verbunden war. Sie konnte nun seine Gestalt 136
annehmen, und er konnte sich jederzeit mit ihr in Verbindung setzen und ihr Ratschläge erteilen, egal an welchem Punkt der Erde er sich aufhielt. Asmodi drängte das Mädchen auf die Couch und legte sich halb auf sie. Vali begann sinnlich zu stöhnen. Doch bevor er sich mit ihr vereinen konnte, leuchtete eine der magischen Kugeln auf dem Tischchen auf. Böse fauchend richtete er sich auf und griff nach der Kugel, die glutrot leuchtete und in seiner Hand zu pulsieren begann. „Ich rufe dich, Asmodi, edler Herr. Ich, Skarabäus Toth, rufe dich.“ Asmodi drückte die Kugel zusammen. „Melde dich später, Toth.“ „Es ist wichtig, Asmodi.“ Die Augen des Herrn der Finsternis glühten nun feuerrot. „Was gibt es, Toth?“ „Michael Zamis hat sich vor wenigen Minuten mit mir in Verbindung gesetzt. Er wirft den Salvatoris einen eklatanten Bruch der Kampfansage gegen Coco Zamis vor. Nach den Gesetzen der Familie bittet er dich, ein Tribunal abzuhalten.“ „Dieser Bitte muß ich entsprechen. Wann soll es stattfinden?“ „Noch diese Nacht. Auf der Isola Polvese.“ „Ich werde um Mitternacht erscheinen. Du triffst alle notwendigen Vorbereitungen, Toth. Verständige auch Zakum. Er soll ebenfalls hinkommen. Und ein paar Zeugen von 137
verschiedenen Sippen sollen am Tribunal teilnehmen.“ „Ich werde alles zu deiner Zufriedenheit durchführen, edler Herr.“ „Was ist mit Coco? Ist sie hoffentlich tot?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete Toth. „Das Zamis-Oberhaupt beantwortete meine diesbezügliche Frage nicht. Es ist ihnen gelungen, Pietro gefangen zu nehmen, und er hat ein Geständnis abgelegt, aus dem her vorgeht, daß er die Hilfe eines Dämons in Anspruch genommen hat, der nicht seiner Sippe angehört. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Regeln.“ „Das wird sich alles beim Tribunal herausstellen.“ Wütend schleuderte Asmodi die Kugel auf den Tisch. Sein Zorn legte sich etwas, als Vali ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn zärtlich zu liebkosen begann. „Weshalb bist du so wütend, Asmodi?“ „Mit dieser Zamis-Sippe gibt es nur Ärger. Sie sind mir schon seit langer Zeit im Weg, doch bis jetzt habe ich noch keine Möglichkeit gefunden, sie zu vernichten.“ „Diese Coco hat sich dir doch verweigert?“ „Ja“, antwortete Asmodi wutschäumend. „Ich hätte sie damals töten sollen, dann hätte ich mir vieles erspart.“ „Die Zamis-Sippe hat dir aber auch geholfen.“ „Das ist auch richtig, deshalb sind mir ja die 138
Hände gebunden. Ich kann nichts offen gegen sie unternehmen, da sie mir ihre Treue versichert haben. Doch ich bin sicher, daß sie meinen Sturz im Auge haben. Aber ich kann ihnen nichts beweisen.“ „Beruhige dich, Asmodi. Entspanne dich. Wir werden einen Weg finden, wie wir diese dir unliebsame Sippe vernichten können. Komm zu mir, Geliebter.“ Asmodis Hände glitten über ihren aufreizenden Körper. Langsam legte sich seine Wut, und als er sich mit ihr vereinte, existierte nur noch sie für ihn…
„Du siehst ziemlich verstört aus, Onkel“, sagte Adalmar, der vor wenigen Minuten im Castello eingetroffen war. „Ich bin es auch, Adalmar.“ „Was ist geschehen?“ „Coco ist aus der Zelle ausgebrochen.“ „Das ist böse. Wo steckt sie jetzt?“ „Ich erzähle dir alles der Reihe nach, Adalmar. Coco betrat dein Labor und befreite einen der Gefangenen.“ „Das wird sie mir büßen“, fauchte Adalmar voller Wut. „Sie hält diesen Ralf Winter für einen keltischen Magier. Aber es kommt noch schlimmer. Sie hat sich nun in ein Schlangenmonster verwandelt und ihre Erinnerung verloren. Sie selbst sieht nicht, 139
daß ihr Körper entstellt ist, und sie glaubt, eine irische Hexe namens Caillech zu sein.“ „Das sind höchst unerfreuliche Nachrichten, Onkel. Wo steckt Coco?“ „In einem Zimmer im ersten Stock. Ralf Winter ist bei ihr, von dem sie nicht getrennt werden will.“ „Führe mich zu ihr.“ Adalmar berichtete Ingvar in Stichworten, wie es ihm und Georg gelungen war, Pietro Salvatori aufzuspüren und ihn gefangenzunehmen. „Hier sind wir“, sagte Ingvar und zeigte auf eine Tür. Adalmar sperrte auf und trat ein. Ralf sah ihn entsetzt an. „Das ist der Mann, der mich gefangengenommen hat“, sagte der junge Deutsche. Cocos normales Augen funkelte ihren Bruder böse an. Adalmar schluckte kurz, der Anblick seiner entstellten Schwester erschütterte ihn. „Erkennst du mich, Coco?“ fragte Adalmar. „Ich habe dich nie zuvor gesehen“, antwortete Coco. „Ich bin dein Bruder Adalmar!“ „Schon wieder eine unsinnige Behauptung. Ich habe keinen Bruder!“ „Sie ist nicht verrückt“, sagte Adalmar leise und schritt auf Coco zu. Vor ihr blieb er stehen und holte den Ring hervor, den Pietro von Triton erhalten hatte. 140
„Steck dir diesen Ring auf den linken Ringfinger, Coco.“ „Und warum soll ich das tun?“ „Frage nicht. Gehorche!“ „Ich denke nicht daran. Und sag nicht immer Coco zu mir. Ich heiße Caillech!“ Adalmar konzentrierte sich auf Cocos gesundes Auge und versuchte ihr seinen Willen aufzuzwingen. Seine Hypnosefähigkeiten waren nicht besonders stark ausgeprägt, und es wunderte ihn auch nicht, daß er Coco nicht beeinflussen konnte. „Ich will dir helfen, Caillech“, sagte Adalmar sanft. „Wenn du den Ring ansteckst, wird deine Erinnerung zurückkehren.“ „Wie oft muß ich noch sagen, daß ich mich an alles erinnern kann?“ „Hm, dann kannst du dich auch erinnern, wie du hierher gekommen bist?“ Coco zögerte einen Augenblick. „Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.“ „Dann gehorche, Caillech.“ „Es ist doch unwichtig, wie ich in dieses Schloß gelangt bin“, zischte Coco. „Außerdem traue ich dir nicht, Adalmar.“ Adalmar überlegte kurz. Seine Behauptung, daß sich Coco wieder an alles erinnern würde, sobald sie den zweiten Ring trug, war durch nichts zu beweisen. Der Dämon hoffte aber, daß der echte und richtige Ring die Wirkung des vergifteten Ringes aufheben würde. Er kam noch einen Schritt näher, und dann bewegte er sich blitzschnell. Den Ring preßte 141
er gegen Cocos Stirn, und mit der rechten Hand umklammerte er die Pranke. Coco schrie gellend auf, als der Ring ihre Stirn berührte. „Helft mir!“ schrie Adalmar. „Haltet sie fest.“ Ingvar kam ihm zu Hilfe. Er packte Cocos linken Arm und drehte ihn auf den Rücken. Coco versuchte ihre Pranke frei zu bekommen, doch nun griff auch Ralf ein, der mit beiden Händen Cocos rechten Unterarm umklammerte. „Laßt mich los!“ schrie Coco. Verzweifelt versuchte sie sich loszureißen. Sie strampelte mit den Beinen. Wild schlug sie mit dem Kopf hin und her, doch Adalmar preßte noch immer den Ring an ihre Stirn. Langsam wurden ihre Bewegungen schwächer. Die Schuppen auf der Stirn schienen zu zerschmelzen. Das seltsame Muster löste sich langsam auf. „Es scheint zu wirken“, keuchte Adalmar und strich nun mit dem blauen Stein über ihre Nase und die Wange. Überall dort, wo der Stein die Schuppenhaut berührte, rannen die Schuppen zusammen und lösten sich schließlich auf. Coco schloß die Augen, und ihre Gegenwehr erstarb. Ihre Brust hob sich langsamer, dann durchlief ein kurzes Zittern ihren Leib, und er wurde steif. „Ihr könnt sie loslassen“, sagte Adalmar und strich weiterhin mit dem blauen Stein über Cocos Gesicht. „Entkleidet sie!“ 142
Während Ralf und Ingvar sie entkleideten, arbeitete Adalmar verbissen weiter. „Ihr Körper ist nicht an allen Stellen mit Schuppen bedeckt“, wunderte sich Ingvar, als Coco nackt war. Der Rumpf und die Beine waren schuppenfrei. Adalmar benötigte eine halbe Stunde, bis Coco völlig schuppenfrei war. Ihr rechter Unterarm war aber noch immer geschwollen, und die Hand blieb weiterhin verformt. Adalmar warf eine Decke über die Bewußtlose und steckte den Ring an ihren linken Ringfinger. „Jetzt müssen wir warten, ob die Gegenwirkung des Ringes anhält“, sagte Adalmar und wandte sich Ralf zu. „Sie halten sich überraschend tapfer, Winter. Für Sie muß das doch alles ziemlich unheimlich sein.“ „Das kann man wohl sagen“, flüsterte Ralf. „Was haben Sie mit mir vor?“ „Eine gute Frage, auf die ich Ihnen keine Antwort geben kann. Für Experimente habe ich im Augenblick keine Zeit. Und Sie scheinen einen beruhigenden Einfluß auf Coco auszuüben. Sehen Sie mich nicht so entsetzt an. Ich habe nie die Absicht gehabt, Sie zu töten. Im Moment sind Sie völlig sicher.“ Ralf beruhigte sich etwas. Ihm kam alles noch immer völlig unglaublich und unverständlich vor.
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Ich hörte Stimmen, die aus unendlicher Ferne zu mir drangen, langsam lauter wurden und nach und nach einen Sinn ergaben. Adalmar und Ralf unterhielten sich. Dann war auch Ingvars Stimme zu hören. Es dauerte einige Zeit, bis ich mich an alles erinnern konnte, was in den vergangenen Stunden geschehen war. Einiges davon war mir nicht ganz verständlich. Für einige Zeit hatte ich mein Gedächtnis verloren gehabt. Ich wollte mich bewegen, doch mein Körper war noch immer gelähmt. Aber ich bemühte mich weiter, und einige Zeit danach gelang es mir, die Augen zu öffnen. „Sie ist aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht“, sagte Ingvar. „Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Adalmar. „Vielleicht reagiert sie wieder verrückt und geht auf uns los.“ Ich bewegte die Lippen. „Keine Angst“, flüsterte ich. „Ich bin wieder normal.“ „Hoffentlich stimmt das auch“, brummte Adalmar und beugte sich über mich. „Hast du Schmerzen?“ „Nein“, antwortete ich fast unhörbar. „Ich fühle mich nur sehr schwach, und jede Bewegung fällt mir schwer.“ Langsam richtete ich mich auf, fiel aber sofort wieder zurück auf die Couch. „Bleib liegen, Coco“, sagte mein Bruder. „Habt ihr Pietro gefunden?“ erkundigte ich mich. 144
„Ja. Es gelang uns, seinen Aufenthaltsort festzustellen, und Georg hypnotisierte ihn. Wir haben ihn nach L’Aquila gebracht. Georg verständigt im Augenblick Skarabäus Toth, denn Pietro hat die Kampfregel verletzt. Er hat sich fremder Hilfe bedient.“ „Das habe ich vermutet, denn er wäre niemals fähig gewesen, mich aus eigener Kraft mit diesem unheimlichen Zauber zu belegen. Wer hat ihm geholfen?“ „Ein Dämon, der sich Triton nennt. Hast du schon mal diesen Namen gehört?“ „Ein Triton ist mir nur aus der griechischen Mythologie bekannt. Er ist eine Meeresgottheit, dessen Oberkörper menschlich ist, während sein Unterleib fischar tig ist. Aber von einem Dämon dieses Namens habe ich nie gehört.“ „Dieser Triton hat den Ring vertauscht. Du bekamst einen vergifteten Ring. Den richtigen Ring übergab Triton Pietro Salvatori, der seine ganzen Haßgefühle auf den Ring überleitete.“ Ich schloß die Augen. Der Ring konnte nur im Jahr 1535 vertauscht worden sein. „Dieser Triton wußte auch, daß du eine Woche spurlos verschwunden sein würdest“, sprach Adalmar weiter. Woher konnte Triton gewußt haben, daß ich erst eine Woche nach der Kampfansage zurück in die Gegenwart kommen würde? Das war ein spontaner Entschluß von mir gewesen… „Wie sah dieser Triton aus?“ 145
„Pietro beschrieb ihn als einen breitschultrigen Mann, der sehr männlich aussah. Eine fremdartige dämonische Ausstrahlung ging von ihm aus, wie er sie zu vor noch nie gespürt hatte.“ Das half mir auch nicht weiter. „Was geschieht jetzt weiter, Adalmar?“ „Das wird uns Georg sagen, sobald er von Skarabäus Toth Asmodis Entscheidung erhalten hat.“ Jeder Gedanke fiel mir schwer. Ich wollte nur eines: schlafen. „Ich habe den richtigen Ring mitgebracht und ihn dir an den linken Zeigefinger gesteckt. Der Ring scheint die schädlichen Kräfte aufzuhalten, denn er…“ Mehr hörte ich nicht mehr, denn ich fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst ein paar Stunden später erwachte. Ich schlug die Augen auf und gähnte. Cora saß neben der Couch. Sie legte eine Illustrierte zur Seite und blickte mich forschend an. „Du hast wie eine Tote geschlafen, Coco. Wie fühlst du dich?“ „Recht gut“, sagte ich und schlug die Decke zur Seite. Mein rechter Unterarm war nicht mehr so stark geschwollen, und auch die Pranke schien geschrumpft zu sein. Die spitzen Krallen waren nicht mehr zu sehen. „Georg hat sich gemeldet. Das Tribunal findet noch diese Nacht statt. Asmodi wird um 146
Mitternacht erscheinen und über Pietro Salvatori richten.“ „Muß ich daran teilnehmen?“ Cora nickte. „Das habe ich befürchtet“, sagte ich verärgert. „Wo findet das Tribunal statt?“ „Auf der Isola Polvese im Lago Trasimeno. Du und Georg, ihr müßt erscheinen. Georg wird als Ankläger auftreten, während du ja nur als Zeugin gegen Pietro aussagen mußt.“ „Ich kenne die Regeln“, sagte ich und stand auf. „Ich gehe baden. Sei so freundlich und beschaffe mir in der Zwischenzeit etwas zu essen. Wo steckt Ralf Winter?“ „Im Nebenzimmer. Er schläft.“ Ich trat ins Badezimmer und ließ Wasser in die Badewanne rinnen. Dann sah ich mir die beiden Ringe an, die für mich völlig gleich wirkten. Den richtigen Ring konnte ich vom Finger ziehen, während der vergiftete noch immer mit meinem Fleisch untrennbar verbunden war. Eine Viertelstunde blieb ich in der Badewanne. Dann trocknete ich mich ab und kleidete mich an. Die nächste halbe Stunde war ich damit beschäftigt, meinen Heißhunger zu stillen. „In einer Stunde bringt dich Adalmar nach L’Aquila. Von dort aus fahrt ihr nach Amatrice, wo sich ein Tor der Dämonen befindet, durch das ihr direkt zur Isola Polvese gelangt.“ Liebend gern hätte ich mich davor gedrückt, an dem Tribunal teilzunehmen. Ich haßte alle 147
derartigen unmenschlichen Sitten. Aber mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte daran teilnehmen. Nun erinnerte ich mich wieder an Ralf Winter. Ich war sicher, daß er etwas mit Merlin zu tun hatte. Seine Ähnlichkeit mit Manannan mac Lir konnte kein Zufall sein. Ich wollte, daß er in meiner Nähe bleibt. Aber auf die Insel zum Tribunal konnte ich ihn keinesfalls mitnehmen. Hier im Castillo wollte ich ihn aber keinesfalls lassen. „Dir scheint es ja wieder recht gut zu gehen“, meinte Adalmar, als er ins Zimmer trat und auf mich zuging. „Cora hat dir schon alles erzählt?“ Ich nickte, und er nahm mir gegenüber Platz. „Deine Hand scheint langsam wieder normal zu werden. Hast du Schmerzen?“ „Nein, ich fühle mich ausgezeichnet.“ „Du hast großes Glück gehabt, Coco. Ich hatte nicht geglaubt, daß du deine unheimliche Veränderung überleben wirst.“ „Ich auch nicht“, sagte ich leise. „Aber ich werde mich rächen. Dieser Triton wird dafür büßen müssen.“ „Wie willst du ihn finden?“ „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich will vorerst einmal das Tribunal abwarten, vielleicht kommt dabei etwas zur Sprache, was mir weiterhilft.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen. Pietro hat alles gestanden, was er wußte.“ 148
„Ich werde mich ein wenig umhören, vielleicht kennt irgend jemand diesen Triton.“ „Das wäre vielleicht möglich, kommt mir aber unwahrscheinlich vor.“ „Ralf Winter nehme ich nach L’Aquila mit, Adalmar.“ „Er gehört mir“, sagte Adalmar scharf. „Ich habe ihn gefangengenommen, und ich brauche ihn zu meinem Experiment.“ „Das interessiert mich nicht. Für dein Experiment ist er außerdem wertlos geworden, da ich ihn beeinflußt habe.“ „Das glaube ich dir nicht.“ „Es ist aber so. Ich weckte ihn aus dem magischen Tief schlaf und hypnotisierte ihn“, log ich. Adalmar blickte mich finster an. „Du bist ein undankbares Geschöpf. Immerhin verdankst du es mir, daß du noch am Leben bist.“ „Dafür danke ich dir recht herzlich, Bruder, aber ich will dich daran erinnern, daß du es im Interesse unserer Familie getan hast. Ich bin für dich völlig unwichtig. Ich bin auch sicher, daß du mir bei der Suche nach Triton nicht helfen wirst.“ „Da bin ich nicht so sicher“, sagte er vorsichtig. „Darüber muß ich noch mit Georg sprechen. Es wäre für uns äußerst interessant zu erfahren, in welchem Auftrag dieser Triton gehandelt hat. Möglicherweise wurde er von Asmodi beauftragt.“ „Das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor“, entgegnete ich kopfschüttelnd. „Aber 149
darum geht es im Moment gar nicht. Wir sind vom Thema abgekommen. Ich beanspruche die Verfügung über Ralf Winter!“ „Und mit welchem Recht willst du ihn haben?“ fragte er wütend. „Mit dem Recht des Stärkeren, Bruder.“ „Das ist ungeheuer, Schwester. Du würdest wegen dieses armseligen Sterblichen mit mir kämpfen?“ „Ja, das würde ich tun.“ „Du bist nicht mehr normal. Ich denke nicht daran, wegen dieses Würstchens mit dir zu kämpfen. Nimm ihn dir und werde seelig mit ihm.“ „Danke für deine Großzügigkeit“, sagte ich spöttisch und stand rasch auf. Ralf Winter war bereits angezogen und blickte mich interessiert an. „Wir fahren in etwa einer Stunde los.“ „Und wohin geht die Reise?“ „Nach L’Aquila.“ „Mit dieser Stadt verbinden mich nicht gerade angenehme Erinnerungen, Coco.“ „Keine Angst, es wird dir nichts geschehen. Ich bringe dich in Sicherheit. In ein paar Tagen bist du wieder zu Hause.“ „Zu Hause“, sagte er und lächelte schwach. „Das scheint alles so endlos lange her zu sein, dabei sind es nur wenige Tage, seit ich aus München fort bin. Aber vieles hat sich geändert. Du bist in einen unheimlichen Kampf verwickelt, von dem ich nur eine undeutliche Vorstellung habe.“ 150
„Ich werde dir alles erklären, sobald du in Sicherheit bist.“
Während der Fahrt nach L’Aquila wurde kein Wort gesprochen. Ralf saß im Fond des weißen Mercedes, während ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Alle paar Minuten tastete ich mit der linken Hand über die rechte, die sich nun ziemlich rasch veränderte und normal wurde. Doch den unheimlichen Ring konnte ich noch immer nicht vom Finger ziehen. Mit der Normalisierung meiner Hand gewann ich auch meine Selbstsicherheit zurück. Der Signatstern war noch immer tot, und ich wußte, daß ich meine Fähigkeiten noch nicht zurückerhalten hatte. Das bereitete mir einige Sorgen. Meine Gedanken kreisten um den Dämon, der Pietro als Waffe gegen mich eingesetzt hatte. Wer war dieser Triton? In wessen Auftrag handelte er? Alles Fragen, auf die ich keine Antwort wußte. Aber eine Vermutung drängte sich mir auf. Vielleicht war er im Auftrag jener dunklen Mächte unterwegs, die Merlin gefangengenommen hatten? Möglicherweise hatten sie erfahren, daß ich Merlin helfen wollte und setzten nun alles daran, daß ich getötet wurde. Und je länger ich darüber nachdachte, um so wahrscheinlicher erschien 151
mir diese Mutmaßung. Und wenn das zutraf, dann mußte ich äußerst vorsichtig sein, denn Triton konnte jederzeit wieder einen Anschlag auf mich vorbereiten. Es war bereits dunkel, als wir die ersten Häuser L’Aquilas erreichten. Wir schwiegen noch immer, als Adalmar in die Via Garibaldi einbog. Vor dem prunkvollen Palazzo Trinci blieb er stehen und konzentrierte sich kurz auf das schmiedeeiserne Tor, das aufschwang und den Blick auf das Gebäude freigab. Alle Fenster waren dunkel. Adalmar fuhr in den Garten, und hinter dem Wagen schloß sich das Tor wie von Geisterhänden bewegt. Vor dem Palazzo bremste er ab, und wir stiegen aus. Georg kam uns entgegen. Er blickte mich prüfend an, dann warf er Ralf einen gleichgültigen Blick zu. „Wir haben noch fast zwei Stunden Zeit, bis wir nach Amatrice fahren müssen“, sagte Georg. „Du kannst es dir in der Zwischenzeit bequem machen, Coco. Such dir ein passendes Zimmer aus. Celia wird deine Wünsche erfüllen.“ Ich blickte Adalmar und Georg nach, die in einem Zimmer verschwanden. „Komm mit, Ralf“, sagte ich, und wir gingen in den großen, saalartigen Raum. Ich suchte nach dem Lichtschalter, fand ihn und drückte ihn nieder. Die Deckenbeleuchtung flammte auf. Ich schloß die Tür und schritt auf den großen achteckigen Tisch zu, als ich ein 152
spöttisches Kichern schräg hinter mir hörte, das mich herumwirbeln ließ. „Du hast dir Zeit gelassen, Coco“, sagte Oirbsen, der auf einem Stuhl saß und mich angrinste. Völlig verdattert blickte ich Merlins Boten an. Mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht, daß er im Haus meines Onkels auftauchen könnte. „Mach den Mund zu, Coco“, sagte er kichernd. „Mit mir hast du wohl nicht gerechnet, was?“ „Das kannst du wirklich sagen. Hast du von Merlin eine Botschaft erhalten?“ Er blickte an mir vorbei auf Ralf Winter. „Wer ist der hübsche Bursche?“ „Ralf Winter“, antwortete ich. „Ich bin Oirbsen“, stellte sich der Gnom vor. Wie üblich war er mit einem Frack bekleidet. Er liftete kurz den Zylinder, den er trug und stülpte ihn sich tiefer auf den Kopf. Sein häßliches Nußknackergesicht wurde plötzlich ernst. „Komm schon, Oirbsen“, sagte ich drängend. „Was hast du mir zu sagen?“ „Nicht viel. Merlin läßt dir ausrichten, daß du dir keine Sorgen machen sollst. Im Augenblick läuft alles ganz nach seinen Vorstellungen. Du sollst aber vorsichtig sein. Diese Nacht soll irgend etwas Fürchterliches geschehen.“ „Kannst du mir das nicht näher erklären, Oirbsen?“ „Ich weiß nicht, was geschehen wird. Aber 153
du schwebst in großer Gefahr. Es hat irgend etwas mit dem Ring zu tun. Hm, ich sehe, daß du zwei gleiche Ringe trägst. Die Wirkung der Ringe wird aufgehoben. Aber es ist möglich, daß einer der Ringe stärker als der andere wird.“ „Das weiß ich selbst“, sagte ich verärgert. „Sonst hast du mir nichts zu sagen?“ „Du sollst dich vor einem Kerl namens Triton hüten. Er plant Böses mit dir.“ „Das weiß ich bereits. Du hast mir nichts Neues mitgeteilt. Es kann doch nicht alles sein, was du mir von Merlin zu sagen hast?“ „Tut mir leid, Coco, aber mehr ist es nicht. Die Verbindung war sehr schlecht. Ich verstand Merlin nur sehr undeutlich, und dann konnte ich ihn überhaupt nicht mehr verstehen. Vielleicht gelingt es ihm aber bald, sich wieder mit mir zu verständigen.“ Ich blickte den seltsamen Gnom enttäuscht an, der vom Stuhl glitt. „Tja, dann wünsche ich dir einen vergnüglichen Abend, Coco“, sagte er und trat auf die Tür zu. „Warte, Oirbsen!“ rief ich, doch plötzlich war er verschwunden. „Wer war denn dieser ungewöhnliche Zeitgenosse?“ fragte Ralf erschüttert. „Das versuche ich schon seit ein paar Wochen zu ergründen“, antwortete ich und ließ mich verbittert auf einen Stuhl fallen. „Ich lernte ihn erst vor kurzer Zeit kennen. Mir gegenüber gab er sich als Vertrauter und Bote 154
Merlins aus.“ „Langsam, aber sicher werde ich verrückt werden“, sagte Ralf. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr.“ „Das kann ich mir gut denken“, sagte ich brummend, „denn mir geht es nicht anders.“ „Willst du mir nicht endlich ein paar Erklärungen abgeben, Coco?“ Ich erzählte ihm einiges über meine Familie und mich, und er hörte fasziniert zu. Dann berichtete ich ihm von meiner ersten Begegnung mit Oirbsen und von den Aufträgen, die ich von Merlin erhalten hatte. Ich sollte sieben Siegel beschaffen, mit deren Hilfe ich ihn dann befreien konnte. Drei hatte ich bereits an mich gebracht: den Signatstern, den Zeitreifen und den Ring. „Und welche Rolle spiele ich in diesen unverständlichen Ereignissen?“ fragte Ralf. „Das weiß ich nicht“, antwortete ich. „Aber ich glaube nicht an solche Zufälle. Du wurdest von meinem Bruder gefangengenommen und auf das Schloß gebracht, gerade zu einem Zeitpunkt, als auch ich dorthin kam. Und da ist die Ähnlichkeit mit Manannan mac Lir. Das kann kein Zufall sein. Ich bin sicher, daß du eine wichtige Rolle spielen wirst.“ „Darauf kann ich liebend gern verzichten“, murrte er. Wir unterhielten uns noch eine halbe Stunde, dann mußte ich ihn in ein Zimmer einsperren. Meine Brüder bestanden darauf, und mir war das auch ganz recht, denn ich befürchtete, 155
daß er sonst unternommen hätte.
einen
Fluchtversuch
Ein paar Minuten nach dreiundzwanzig Uhr brachen wir auf. Adalmar führte Pietro Salvatori zum Wagen. Der Vampir sah mich an, erkannte mich aber nicht. Georg hatte gute Arbeit geleistet und ihn total willenlos gemacht. Pietro Salvatori war mir gleichgültig. Ich konnte ihn nicht hassen, denn er war von einem mächtigen Dämon verführt worden. Er war nur ein Werkzeug, nicht mehr. Wäre es nicht Pietro gewesen, dann hätte Triton sicherlich einen anderen gefunden, der mir nach dem Leben trachtete. Es gab ja ziemlich viele Mitglieder in der Schwarzen Familie, die mich liebend gern tot gesehen hätten. „Gibt es bei dem Tribunal irgendwelche Vorschriften, auf die ich besonders achten muß?“ erkundigte ich mich. „Nein“, antwortete Georg. „Ich werde Pietros Geständnis vorspielen, und Asmodi wird einige Fragen an dich und den Vampir richten. Dann wird er sein Urteil fällen.“ „Wer nimmt außer den unmittelbar Betroffenen am Tribunal teil?“ „Skarabäus Toth und Zakum kommen ganz sicher“, sagte Adalmar. „Und einige Abgesandte von anderen Clans nehmen als Zeugen daran teil. Es kommen einige recht 156
mächtige Familien-Oberhäupter.“ Mein Unbehagen steigerte sich mit jeder Minute. Die Worte Oirbsens gingen mir nicht aus den Sinn. Irgend etwas Schreckliches würde während des Tribunals geschehen. Aber was konnte das sein? Und wie konnte ich mich dagegen schützen? Wieder einmal versuchte ich den Signatstern zu aktivieren, und wieder hatte ich keinen Erfolg damit. Der Stein blieb tot. Ich schloß die Augen und lehnte mich bequem im Sitz zurück. Ich entspannte mich und versetzte mich in einen tranceartigen Zustand, der meine Nerven entspannen sollte. Nun hörte ich nicht einmal mehr das Moto rengeräusch. Ich befand mich in einer Oase der Ruhe und Entspanntheit. Doch mit einemmal glaubte ich eine Stimme in meinem Kopf zu hören. Sie sprach Wörter einer Sprache, die ich nicht verstand. Immer lauter wurde die Stimme. „Hörst du mich, Coco?“ verstand ich nun die Stimme, und ich wußte, daß sie Merlin gehörte, der zu mir sprach. „Ja, ich höre dich, Merlin“, dachte ich. „Ich bin glücklich, daß die Kontaktaufnahme gelungen ist“, sprach der Magier weiter. „Ich habe nur wenig Zeit, die Verbindung kann jeden Augenblick wieder abreißen. Hör mir gut zu, Coco. Du hast ein Bild des Schlangengeschöpfes aus der Vergangenheit mitgenommen. Außerdem ein jetonartiges Plättchen. Beide Gegenstände sind äußerst 157
wichtig für dich. Sie werden dir als Waffen im Kampf gegen Triton dienen. Der Dämon kann jede beliebige Gestalt annehmen. Er wurde von den Höllenhunden, die mich gefangen halten, auf dich gehetzt.“ „Wie kann ich den Dämon erkennen?“ „Ein Bildzauber in Verbindung mit dem Plättchen. Schreibe den Namen Triton auf das Bild und…“ Die Stimme war kaum mehr zu hören. „…dann nehme einen… und danach…“ „Merlin? Merlin, ich höre dich nicht mehr!“ Der Kontakt mit dem Magier war abgerissen. Immerhin hatte er mir einen Hinweis auf meinen Gegner gegeben, der mir vielleicht helfen konnte. Ich löste mich aus dem tranceartigen Zustand und blickte auf die Straße. Ein paar Autos kamen uns entgegen. Es war eine sternenklare Nacht. Weit und breit war keine Wolke zu sehen. „Hast du das Bild des Schlangemonsters bei dir, Adalmar?“ fragte ich. „Ja, ich habe es eingesteckt.“ „Und das Plättchen?“ „Das habe ich auch dabei. Ich bin noch nicht dazu gekommen, diese Gegenstände zu untersuchen.“ „Gib sie mir.“ Adalmar zögerte einen Augenblick, dann holte er sie hervor und reichte sie mir. „Weshalb willst du sie zurückhaben?“ „Eine Vermutung, nicht mehr. Vielleicht kann mir dieses Bild im Kampf gegen Triton 158
weiterhelfen.“ „Du weißt mehr, als du uns sagen willst. Raus mit der Sprache!“ „Tut mir leid, ich darf nichts sagen.“ Ich strich das Bild glatt, das aus einem mir unbekannten Material gefertigt war. Das Plättchen, in dem unverständliche Zeichen eingeritzt waren, fühlte sich angenehm warm an. Ich öffnete meine Handtasche und nahm ein Fläschchen mit magischer Tinte heraus. Quer über das Bild schrieb ich: TRITON. Ein paar Sekunden leuchtete mir der Name glutrot entgegen, dann erloschen die Buchstaben. Ich schob das Bild und das Plättchen in eine Seitentasche und schloß die Handtasche. „Weshalb hast du Triton auf das Bild geschrieben?“ erkundigte sich Adalmar. „Eine Eingebung, nicht mehr.“ „Ich glaube dir kein Wort, Coco.“ Ich zuckte mit den Schultern und versetzte mich wieder in den tranceartigen Zustand. „Merlin!“ dachte ich immer wieder. „Merlin.“ Als ich schon die Hoffnung aufgeben wollte, eine Verbindung mit dem Magier zu bekommen, vernahm ich seine Stimme wieder in meinem Kopf. Sie war fast unverständlich. Rasch erteilte er mir einige Anweisungen. Auf meine Frage, wie es möglich war, daß wir in Gedankenkontakt treten konnten, verweigerte er die Antwort. Ich dachte ein paar Minuten nach. 159
Skarabäus Toth war kurz nach Einbruch der Dunkelheit auf der Isola Polvese eingetroffen. Er war ein uralter Dämon, der im Mittelalter ziemlich mächtig gewesen war, sich dann Asmodi angeschlossen hatte und seither nur noch als Schiedsrichter fungierte. Er verfolgte seine Interessen weiterhin, nur war die Zeit noch nicht reif, um sie zu verwirklichen. Doch er hatte Zeit, alle Zeit der Welt. Toth war groß und dürr wie der wandelnde Tod. Die Haut war runzelig und gelb – wie mumifiziert. Seine Stimme klang wie das Rascheln verwelkter Blätter. Forschend blickte sich der alte Dämon um. Dieser Teil der Insel war von einer magischen Glocke umgeben, die verhindern sollte, daß normale Menschen den Tribunalplatz der Schwarzen Familie betreten und entweihen konnten. Vom Ufer aus war dieser Platz nicht zu sehen. Einige hohe Bäume schirmten ihn hermetisch vor neugierigen Blicken ab. Der Sandboden war hart und jeder Zollbreit blutbefleckt. Hier hatten unzählige Menschen und Dämonen ihr Leben gelassen. Eine unwirkliche Stille lag über der Landschaft. Kein Geräusch war zu hören. Alle Tiere mieden diesen Platz. Zufrieden, daß alles in Ordnung war, ging Toth langsam auf einen kleinen Hügel zu, der von gewaltigen Monolithen umgeben war, die 160
magische Symbole aufwiesen. Vor dem riesigen schwarzen Opferstein blieb Toth stehen, und seine Augen schienen zu glühen. Vor seinem geistigen Auge sah er die Dämonen, die hier auf diesem Stein hingerichtet worden waren. Es schien ihm, als würde er ihre Todesschreie hören. Ein paar Minuten schwelgte er in den Erinnerungen, dann wandte er sich ab und ging auf ein kleines Gebäude zu, das fensterlos war. Unter seinem magischen Blick öffnete sich die Tür, und er trat ein. Im Hausinneren gab es alle möglichen Möbelstücke und magischen Gegenstände, wie sie für die verschiedensten Feiern, Tribunale und Sabbate verwendet wurden. Für ein Tribunal war nur ein Stuhl notwendig. Er wählte ein besonders schönes Stück aus, das bequem gepolstert war und eine hohe Rückenlehne auf wies, die mit grauenvollen Dämonenfratzen verziert war. Der Stuhl schwebte ins Freie und flog auf den kleinen Hügel zu. Unweit des Opfersteines ging er zu Boden. Dann wählte Toth dreizehn Dreibeine aus, die er mit magischen Kräutern und Kohlen anfüllte. Diese Dreibeine stellte er vor die Monolithen. Um den Stuhl zog er mit einem kleinen Stäbchen einen Kreis, in den er ein farbloses Pulver streute. Damit hatte er die Vorbereitungen für das Tribunal abgeschlossen. 161
Gemächlich ließ er sich vor einem Monolithen nieder und lehnte den Rücken dagegen. Er versank in ein dumpfes Brüten, aus den ihn ein lauter Knall riß. Mitten auf dem Platz materialisierte Zakum, einer von Asmodis engsten Vertrauten und sein Archivar, der über alle Sippen der Schwarzen Familien Unterlagen sammelte. Das Verhältnis zwischen Toth und Zakum war äußerst kühl. Sie mißtrauten einander. Beide waren Einzelgänger, über die nicht viel bekannt war. Wie üblich war Zakum mit einem togaähnlichen Umhang bekleidet, der ihm ein lächerliches Aussehen gab. Er war mittelgroß, seine Haut war grau und verrunzelt. Dünne Arme und dürre Beine, dazu spinnenartige Finger. Sein Gesicht war eine abstoßend häßli che Teufelsfratze. „Du kommst früh, Zakum“, sagte Toth mit raschelnder Stimme. „Ich wollte mich rechtzeitig überzeugen, daß alles vorbereitet ist.“ „Das ist meine Aufgabe“, sagte Toth scharf. „Kümmere du dich um deine Angelegenheiten.“ Zakum kam langsam auf Toth zu und blieb geduckt vor ihm stehen. „Wir sollten uns mal unterhalten, Toth.“ „Ich wüßte nicht, worüber wir beide sprechen sollten.“ „Vielleicht über Asmodi?“ „Ich bin ein einfaches Mitglied der Schwarzen 162
Familie, das als Schiedsrichter fungiert. Ich muß objektiv sein. Über das Oberhaupt der Schwarzen Familie spreche ich nicht.“ Zakum kicherte höhnisch. „Ich weiß einiges über dich, Toth“, sagte er rasch. „Du hast mir nachspioniert?“ „Nein, aber du weißt, daß ich für Asmodi ein umfangreiches Archiv über alle Dämonen anlege. Und dabei bin ich auf einige recht interessante Dinge gestoßen. Im zwölften Jahrhundert warst du ein mächtiger Hexer. Damals nanntest du dich Baphomet.“ Toth antwortete nicht. „Du lebtest damals in der Nähe der Burg Laufen, Toth. Und gelegentlich erscheinst du bei der jetzigen Burgherrin, der Dämonin Arisa Bodin. Ich bin sicher, daß du irgend etwas vorhast, Toth. Aber was?“ „Arisa ist eine alte Freundin“, sagte Toth abweisend. Zakum lachte zynisch. „Mich kannst du nicht täuschen, Toth. Aber keine Angst, ich habe Asmodi nichts von meiner Entdeckung gesagt. Vielleicht werde ich einmal deine Hilfe benötigen. Vielleicht schon bald.“ „Was hast du vor, Zakum?“ „Ich habe nichts vor, aber ich glaube, daß innerhalb der Familie immer mehr Dämonen gegen Asmodi eingestellt sind. Irgendwann wird es zu einem Kampf gegen ihn kommen, und dann wird sich herausstellen, ob du auf der richtigen Seite kämpfst.“ 163
„Ich halte mich aus solchen Auseinandersetzungen heraus“, raschelte Toth. „Immerhin schon etwas. Bleibe ruhig neutral, Toth. Irgendwann wirst du aber doch eine Entscheidung treffen müssen.“ „Deine Worte gefallen mir überhaupt nicht, Zakum. Verschone mich in Zukunft mit solchen Andeutungen. Noch ist Asmodi der Herr der Finsternis.“ Zakum drehte sich ruckartig um und ging auf das Haus zu. Toth blickte ihm nachdenklich nach. Asmodis Stellung als Oberhaupt der Schwarzen Familie war nicht sehr stark gefestigt. Viele Dämonensippen waren mit seiner Regentschaft unzufrieden. Er herrschte nun schon über zweihundertfünfzig Jahre, und in diesen Jahren war die Familie immer schwächer geworden. Immer mehr Dämonen wünschten einen stärkeren Führer. Irgendwann würden sich einige Clans abspre chen und den Kampf gegen Asmodi aufnehmen. Aber das würde noch einige Jahre dauern, bis es soweit war. Toth stand auf, als der erste Abgesandte einer Sippe eintraf, der als Zeuge am Tribunal teilnehmen sollte. Rasch ging er auf das Dämonentor zu. Eine hochgewachsene Gestalt trat hervor und drehte sich zu Toth um. Es war Alex d’Arcy, der Vertreter einer der mächtigsten französischen Dämonenfamilien, die Asmodi bedingungslos ergeben war. 164
Toth verbeugte sich, und Alex d’Arcy nickte ihm flüchtig zu. „Sind schon andere Zeugen eingetroffen, Toth?“ „Du bist der erste, Herr. Außer mir ist noch Zakum da. Er ist beim Haus.“ Toth wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Dämonentor zu, durch das ein gasförmiges Gebilde schwebte und langsam Gestalt annahm. Roy Lendon, das Oberhaupt einer der mächtigsten amerikanischen Sippen, war eingetroffen und nahm seine wirkliche Dämonengestalt an. Er war ein verkrüppelter Zwerg, der affenartig lange Arme hatte. Der riesige eiförmige Kopf war fast so groß wie der Leib. Das Gesicht schien sich ständig zu ändern. Mal befand sich die Nase auf der Stirn, dann wieder auf dem Kinn, dann auf einer der Wangen. Auch die Augen wechselten ständig ihre Stellung. Derzeit befand sich ein Auge auf der linken Wange, während das andere auf der Stirn zu sehen war. Das unheimliche Monster stieß ein durchdringendes Kichern aus, winkte Toth kurz zu und stapfte auf den Opferstein zu. Immer mehr Dämonen trafen ein. Einige sahen wie Menschen aus, doch die meisten waren abscheuliche Monster, die noch auf ihre grauenvolle Erscheinung stolz waren. Der Großteil der Zeugen gehörte Clans an, die hinter Asmodi standen. Einige wenige, wie der rotgesichtige Magier Red Jong, waren mit der 165
Zamis-Sippe befreundet. Schließlich erschien auch Lorenzo Salvatori, der von seiner Sippe als Verteidiger seines Bruders Pietro bestimmt worden war. Er war ein farblos wirkender Vampir, dessen Augen blutunterlaufen waren, die Toth bösartig anstarrten. „Sind die Hund der Zamis-Sippe schon eingetroffen?“ fragte er mit dumpfer Stimme. „Nein, sie sind noch nicht gekommen.“ „Ich werde hier auf sie warten.“ „Das ist verboten. Du mußt zum Opferstein gehen, Lorenzo Salvatori.“ Der Vampir fletschte die scharfen Zähne, ballte die Hände und verschwand zwischen den Monolithen. Nun waren bereits alle mit Ausnahme der Zamis’ und Pietro Salvatoris erschienen. Und natürlich fehlte noch Asmodi, der aber erst um Mitternacht erscheinen würde. Toth blickte zu Lorenzo hin, der neben dem Opferstein stehen geblieben war. Nach den Gesetzen des Tribunals durfte er mit keinen der anwesenden Zeugen sprechen.
Adalmar begleitete uns bis zur Höhle, in der sich das sogenannte „Tor der Dämonen“ befand, durch das wir direkt auf die Isola Polvese gelangen konnten. Diese magischen Tore gibt es überall auf der Erde; sie sind nur den Dämonen bekannt und funktionieren 166
ähnlich wie die in SF-Romanen beschriebenen Materietransmitter. „Ich werde das Tribunal in einer Kristallkugel verfolgen“, sagte Adalmar. „Sollte es notwendig sein, dann kann ich jederzeit eingreifen. Aber ich hoffe, daß alles glatt verlaufen wird.“ Ich war mir da nicht so sicher. Merlins Botschaft hatte mich mißtrauisch gemacht. Georg trat als erster in die Höhle, dann folgte ihm Pietro. Als ich die Höhle betrat, waren die beiden nicht mehr zu sehen. Ich schritt auf die flimmernde schwarze Öffnung zu und trat hinein. Auf der anderen Seite des Dä monentores, das auf der kleinen Insel im Lago Trasimeno lag, kam ich heraus. Die Ausstrahlung des Bösen ließ mich taumeln. Diese unbeschreibliche Bösartigkeit ging vom Boden, von den Monolithen, vom Opferstein und von den versammelten Dämonen aus. Ich atmete tief durch und blickte mich um. Vor den hohen Monolithen standen Dreibeine, denen ein betäubender Duft entstieg, und die auch den Ort des Tribunals erleuchteten. Skarabäus Toth nickte mir flüchtig zu, dann legte er seine rechte Hand auf Pietros Schulter und geleitete den Hypnotisierten zum Opferstein. „Die Salvatoris haben Lorenzo zum Verteidiger Pietros bestimmt“, raunte mir Georg zu. „Nach den Gesetzen des Tribunals 167
dürfen wir bis zum Erscheinen Asmodis mit niemanden außer mit Toth sprechen.“ Langsam gewöhnte ich mich an die grauenvolle Ausstrahlung, die wie eine Glocke über diesem Teil der Insel hing. Dann blickte ich forschend zu der Gruppe Dämonen hinüber, die unweit des kleinen Hauses standen und sich flüsternd unterhielten. Einige der Dämonen kannte ich. Doch die meisten waren mir völlig unbekannt. Red Jong war ein Freund meines Vaters, ihn hatte ich vor ein paar Monaten kennengelernt. Betty Danet und Roger Shattuk waren mir vor ein paar Wochen auf Bodiam Castle vorgestellt worden. Roy Lendon erkannte ich nach der Beschreibung, und Alex d’Arcy hatte ich einmal ganz kurz auf einer Party gesehen. Und Zakum, der enge Vertraute Asmodis, war mir nur zu gut bekannt. „Wer ist der Werwolf, der neben Betty Danet steht?“ fragte ich. „Björn Elfström“, antwortete Georg. „Ein schwedischer Clan.“ „Ein Ghoul ist auch anwesend“, sagte ich schaudernd. „Kennst du ihn?“ Georg nickte. „Sebbo Mouthino.“ Dieses grauenvolle Ungeheuer, das sich von Menschenfleisch ernährte, blickte mit rotgelben Augen zu uns herüber. Schaudernd wandte ich mich ab. „Was geschieht nun?“ erkundigte ich mich. „Toth wird uns holen und uns unsere Plätze zuweisen. Wir müssen dann unsere Kleider 168
ablegen, und er wird uns nach verborgenen Waffen untersuchen.“ „Muß ich den Signatstern ablegen?“ „Nein, das ist nicht notwendig. Amulette und Talismane zählen nicht zu den magischen Waffen, nach denen Toth suchen wird.“ Die Rauchschwaden, die den Dreibeinen entstiegen, wurden immer dichter, und der Geruch wurde schärfer. „Kommt mit, Georg und Coco Zamis!“ sagte Toth. Der Hügel mit dem Opferstein war in magisches Licht getaucht. Die Monolithen schienen von innen her zu leuchten, und die geheimnisvollen magischen Zeichen flackerten auf und nieder. „Legt eure Kleider ab“, befahl Toth. Ich gehorchte. Die Schwellung meines rechten Unterarms war verschwunden, und meine rechte Hand war nun schon fast normal. Rasch schlüpfte ich aus den Kleidern und ließ sie einfach zu Boden fallen. Wir traten in den Kreis der hohen Steine, und Toth führte uns links um den Opferstein herum. Etwa zehn Meter vor dem mit grauenvollen Fratzen bedeckten Stuhl, blieben wir stehen. Toths Hände glitten über meinen Körper, dann untersuchte er meinen Bruder. Ich preßte die Lippen zusammen, als mein Blick auf Lorenzo Salvatori fiel, der mich mit gefletschten Zähnen haßerfüllt anblickte. Neben ihm stand Pietro. Sein Gesicht war leer 169
und der Blick seiner Augen tot. Nach und nach gesellten sich die anderen Dämonen zu uns, die sich im Halbkreis um den Opfertisch aufstellten. Zakum ging an mir vorbei und stellte sich neben dem Stuhl auf. Auf der anderen Seite nahm Skarabäus Toth Platz. Die Flammen in den Dreibeinen begannen zu flackern. Ein geheimnisvoller Wind war aufgekommen, der an meinem Haar zerrte und Funken in den nachtschwarzen Himmel riß. Ich wußte, daß Asmodi theatralische Auftritte schätzte. Das war etwas für naive Gemüter, die er damit vielleicht beeindrucken konnte. Ich persönlich hielt von so einem Hokuspokus überhaupt nichts. Der Herr der Finsternis konnte jede Gestalt annehmen, doch mit Vorliebe erschien er als Teufel. Der Wind wurde stärker, und die Erde bebte. Schwefelgeruch hing in der Luft, und ein armstarker Blitz schoß auf den Stuhl zu und explodierte. Geblendet schloß ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, flimmerte alles sekundenlang, und undeutlich nahm ich die düstere Gestalt wahr, die auf dem Stuhl Platz genommen hatte. Einfallslos hatte Asmodi tatsächlich die Gestalt des Teufels gewählt, und er sah genauso aus, wie sich einfältige Gemüter den Satan vorstellen. Sein kraftvoller Körper war mit schwarzen Haaren bedeckt, nur in der Mitte der Brust 170
befand sich ein glutrotes Dreieck, das wie fluoreszierende Farbe leuchtete. Aus der Stirn wuchsen zwei gekrümmte Hörner. Das Gesicht war formlos, Nase und Mund fehlten, nur zwei glühend rote Augen waren zu sehen. Asmodi hob die Hände, und langsam erschien in seinem weißen Gesicht ein breiter Mund, den er verächtlich verzog. Seine im wahrsten Sinn des Wortes brennenden Augen waren einen Augenblick auf mich gerichtet, dann blickte er der Reihe nach die anderen an. „Hiermit erkläre ich das Tribunal für eröffnet!“ sagte Asmodi mit dröhnender Stimme. Skarabäus Toth trat vor. Er neigte den Kopf und hob die Arme hoch. „Nach den Gesetzen der Familie erklärte Pietro Salvatori der Hexe Coco Zamis den Kampf“, begann er mit seiner unangenehmen Stimme zu sprechen. „Der Kampfansage hast du, Asmodi, Herrscher über uns Dämonen, zugestimmt. Ich wurde als Schiedsrichter von dir bestimmt, und ich war vor neun Tagen in Venedig dabei, als Pietro Salvatori die Kampfansage Coco übermittelte. Es handelt sich um eine Ansage ohne Sippenhaftung, was bedeutet, daß alle Mitglieder der Sippen der Kampfparteien helfen dürfen, aber nicht die Hilfe von anderen Clans oder Einzeldämonen in Anspruch nehmen dürfen. Und gegen diese Bestimmungen soll nach Angaben der ZamisSippe Pietro Salvatori verstoßen haben. Pietro 171
Salvatori soll sich fremder Hilfe bedient haben.“ Skarabäus Toth trat zwei Schritte zur Seite. „Welche Beweise für eure Behauptung, daß Pietro Salvatori die Gesetze der Kampfansage mißachtet hat, könnt ihr vorlegen, ZamisSippe?“ wandte sich Asmodi an Georg und mich. „Ein Geständnis von Pietro Salvatori, edler Herr“, antwortete Georg mit fester Stimme. „Er hat das Geständnis auf Band gesprochen.“ „Hast du das Geständnis mitgebracht, Georg Zamis?“ „Ja, ich habe es mitgenommen, Herr.“ „Dann werden wir es uns anhören.“ Georg bückte sich, griff nach der Tragetasche und holte ein kleines Magnetophon hervor. „Stell das Gerät auf den Opfertisch“, befahl Asmodi, „damit alle gut zuhören können.“ Mein Bruder gehorchte. Er drückte die PlayTaste nieder, und Pietro Salvatoris Stimme war nun zu hören. „Ich, Pietro, aus dem Clan der Salvatori, schwöre bei den Schutzgeistern unserer Familie, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sprechen werde.“ Neugierig hörte ich zu. Ich hatte Pietros Geständnis noch nicht gehört. Als er von der Zeit sprach, die er und ich auf dem Schloß meines Patenonkels verbracht hatten, krampfte sich alles in mir zusammen. An diese schrecklichen Jahre wurde ich nur 172
höchst ungern erinnert. Interessant wurde es aber erst, als er von seiner Begegnung mit Triton sprach. Ein Raunen ging durch die Reihe der Zeugen. Als Pietro vom Ring mit dem blauen Stein zu sprechen begann, musterte mich Asmodi und blickte auf meine Hände. Das Raunen wurde lauter, als Pietro sagte: „Ist vielleicht Asmodi dein Auftraggeber?“ „Ruhe!“ brüllte Asmodi mit überschnappender Stimme. Augenblicklich waren alle still. Das Band drehte sich weiter. „Das ist mein Geständnis“, sagte Pietro abschließend. „Ich bezeuge nochmals, daß ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesprochen habe.“ „Das war ja überaus aufschlußreich“, sagte Asmodi. „Ein eindeutiger Verstoß gegen die Regeln. Was sagst du zur Verteidigung dieses Bruders, Lorenzo Salvatori?“ „Ich behaupte, daß die Zamis-Sippe meinen Bruder mit magischen Kräften beeinflußt und ihm dieses Geständnis gezwungen hat.“ „Eine kühne Behauptung, Lorenzo Salvatori. Kannst du mir einen Beweis für deine Feststellung liefern?“ Der Vampir blickte mich kurz an, dann sah er wieder Asmodi an. „Der Beweis ist Coco“, sagte Lorenzo mit schriller Stimme. „Ich merke keinerlei Veränderungen an ihr!“ „Das scheint richtig zu sein“, brummte 173
Asmodi und fixierte mich wieder. „Wir konnten die Veränderungen rückgängig machen“, sagte Georg rasch. Asmodi brummte zweifelnd vor sich hin. „Hast du schon einmal von einem Dämon namens Triton gehört, Zakum?“ „Nein, noch nie, Herr.“ „Behauptung steht gegen Behauptung“, knurrte Asmodi und beugte sich vor. „Ich brauche weitere Beweise.“ „Ich kann sie dir liefern, Herr“, sagte Georg und trat einen Schritt vorwärts. „Sprich, sprich, Georg Zamis.“ „Ich werde Pietro Salvatori aus dem Bann befreien, mit dem ich ihn belegt habe, und du selbst kannst ihn verhören.“ „Das ist eine Möglichkeit. Irgendwelche Einwendungen?“ „Ich protestiere dagegen, Herr!“ schrie Lorenzo. „Und mit welcher Begründung?“ „Die Zamis-Sippe hat meinem Bruder vermutlich eine falsche Erinnerung eingepflanzt.“ „Das werde ich merken, falls sie das tatsächlich getan haben“, fauchte Asmodi. „Soll ich den Bann von Pietro Salvatori lösen, Herr?“ fragte Georg. „Ja, tue es.“ Mein Bruder ging an Asmodi vorbei auf Pietro zu und blieb vor ihm stehen. Er legte ihm beide Hände auf die Schultern und blickte ihm ein paar Sekunden lang in die Augen. Ein 174
Zittern durchlief den Körper des Vampirs, dann fiel die Lähmung von ihm ab. Völlig verwirrt blickte er sich um. Er taumelte einen Schritt zurück, als er Asmodi erblickte. Dann sah er mich an, und seine Augen weiteten sich. „Coco Zamis ist nicht verändert!“ brüllte er mit überschnappender Stimme. „Ich wurde betrogen, ich wurde…“ Er brach ab, und biß die Zähne zusammen. „Komm zu mir her, Pietro Salvatori“, befahl Asmodi. Pietro gehorchte. Zitternd kam er auf Asmodi zu und blieb etwa zwei Meter von ihm entfernt stehen. „Sieh mich an, Pietro Salvatori!“ Der Vampir blickte in die roten Augen, die sich rollend bewegten. „Du wirst nun die Wahrheit sprechen, Pietro Salvatori. Wie wolltest du Coco töten?“ „Ich bekam einen Ring“, antwortete Pietro leise. Georg blickte mich kurz an, dann seufzte er erleichtert. „Von wem hast du diesen Ring bekommen, Pietro Salvatori?“ „Von einem Dämon, der sich Triton nannte.“ Einige der Zeugen schrien durcheinander. „Und was solltest du tun, Pietro Salvatori.“ „Ich sollte mich auf den Ring konzentrieren und durch ihn meine Haßgefühle hindurch leiten. Dadurch würden die Kräfte im falschen Ring frei werden, die Coco vernichten sollten.“ 175
„Dreh dich um, Pietro Salvatori. Sieh Coco Zamis an. Sie ist völlig unverletzt.“ Pietro drehte sich langsam um. Sein Gesicht war zu einer abstoßenden Fratze verzogen. „Der Zauber hat nicht gewirkt, Pietro Salvatori. Triton hat dich betrogen!“ „Nein!“ heulte Pietro auf. „Ich habe deutlich gespürt, daß sich der Ring veränderte. Es wurden unheimliche Kräfte frei. Aber jetzt trägt sie beide Ringe. Das hebt die Wirkung auf.“ „Welcher der beiden Ringe ist derjenige, den du bekommen hast?“ fragte Asmodi. „Ich kann es nicht erkennen, sie sehen beide gleich aus.“ „Geh zu Coco Zamis, Pietro Salvatori, und sieh dir die Ringe genau an.“ Pietro stapfte auf mich zu. „Ich erhebe dagegen Einspruch, edler Herr“, schaltete sich Georg rasch ein. „Diesen Einspruch lehne ich ab“, sagte Asmodi. „Coco Zamis, strecke deine Hände Pietro Salvatori entgegen.“ Der Vampir blieb schwankend vor mir stehen. Sein fauliger Atem schlug mir entgegen. „Nein, ich erhebe nochmals Einspruch dagegen. Ich…“ „Ich hasse dich, Coco!“ brüllte Pietro und sprang mich an. Er schlug mir die geballte rechte Hand ans Kinn und griff mit der linken Hand blitzschnell nach meiner rechten Hand. Sein Finger 176
berührte den vergifteten Ring, und seine aufgestauten Haßgefühle wurden auf mich übertragen. Vor meinen Augen wurde es schwarz. Ich taumelte und spürte, wie sich seine Hand um meine Finger preßte. „Du sollst sterben, Coco Zamis!“ brüllte er und ließ sich einfach auf mich fallen. Ein stechender Schmerz durchraste meine rechte Hand und pflanzte sich rasend schnell durch meinen ganzen Körper fort. Ich hörte mich selbst brüllen, dann brach ich bewußtlos zusammen.
Georg sprang Pietro an und riß ihn zurück. Er packte ihn und schleuderte ihn in Richtung Asmodi. Coco lag bewußtlos auf dem Rücken, und vom Stein an ihrem rechten Zeigefinger ging ein geheimnisvolles blaues Leuchten aus, das innerhalb weniger Sekunden ihren ganzen Körper einhüllte. „Das war dein Werk, Asmodi!“ schrie Georg wütend und ballte die Hände zu Fäusten. „Du hast Pietro Salvatori zu dieser Tat beeinflußt, und alle sind Zeugen dafür!“ „Mäßige deinen Ton, Georg Zamis!“ schrie Asmodi ergrimmt. „Ich habe nichts getan. Ich wollte nur wissen, ob Pietro Salvatori gegen die Gesetze der Familie verstoßen hat. Und der Beweis ist wohl eindeutig.“ 177
Pietro sank auf die Knie, und brach wimmernd zusammen. Er wußte, daß er verloren war. Lorenzo Salvatori war noch bleicher geworden, seine blutleeren Lippen bebten. Er konnte seinem Bruder nicht mehr helfen, denn das Geständnis bewies eindeutig seine Schuld. Ein paar Dämonen waren neugierig nähergekommen. Sie starrten Coco an und unterhielten sich tuschelnd miteinander. „Hört mir zu“, sagte Asmodi. „Ich verkünde nun…“ „Nicht so rasch, Asmodi!“ ließ sich Red Jong vernehmen und ging auf das Oberhaupt der Schwarzen Familie zu. „Was willst du, Red Jong?“ fragte Asmodi verärgert. „Die Art, wie du dieses Tribunal geleitet hast, ist, milde gesagt, höchst seltsam gewesen, Asmodi!“ „Willst du damit vielleicht andeuten, daß ich parteiisch war?“ „Das hast du gesagt, Asmodi. Aber auch ich finde es sehr seltsam, daß Pietro Salvatori Gelegenheit bekommen hat, sich auf Coco zu stürzen. Das hätte niemals geschehen dürfen. Du hättest es verhindern müssen. Du hast es aber nicht getan. Dafür gibt es zwei Erklä rungen, Asmodi.“ „Schweige, Red Jong!“ „Als Zeuge habe ich das Recht zu sprechen, so lange ich will, Asmodi!“ schrie der rothaarige Dämon. „Wie gesagt, es gibt zwei 178
Möglichkeiten. Die erste: du hast es ganz bewußt zugelassen, daß sich Pietro Salvatori auf Coco Zamis stürzt.“ „Das ist eine bösartige Verleumdung.“ „Und die zweite Möglichkeit, Asmodi“, sprach der Holländer ruhig weiter, „ist, daß du einfach schwach und unfähig geworden bist!“ Asmodi japste hörbar nach Luft. „Dafür könnte ich dich töten, Red Jong.“ „Das wirst du nicht wagen, Asmodi. Hier sind genügend Zeugen versammelt, und viele Hunderte weitere sehen diesem miserablen Tribunal via Kristallkugeln zu. Ich protestiere schärfstens gegen die Art, wie du dieses Tribunal durchgeführt hast. Ich werde den Verdacht nicht los, daß mit dir einiges nicht stimmt, Asmodi. Erinnere dich an Pietro Salvatoris Vermutung, daß Triton in deinem Auftrag unterwegs war.“ „Diese Vermutung ist eine ungeheuerliche Unterstellung“, tobte Asmodi. „Dieser Verdacht wird an dir kleben bleiben, Asmodi“, sprach Red Jong weiter. „Du kannst ihn nur entkräftigen, wenn du diesen geheimnisvollen Triton aufspürst und uns auslieferst. Denn erst dann werden wir wissen, wer ein so intensives Verlangen nach Cocos Tod hat!“ Georg war höchst zufrieden. Genauso hatte er sich alles vorgestellt. Es war für Asmodi ein großer Fehler gewesen, daß er den furchtlosen Red Jong als Zeugen geholt hatte. Der holländische Magier hatte schon oft bewiesen, 179
daß er ein gewissenhafter Verteidiger der Gesetze der Schwarzen Familie war. „Deine Beschuldigungen und Verdächtigungen sind einfach lächerlich, Red Jong. Das werden dir auch die anderen Zeugen bestätigen. Oder ist irgend jemand Jongs Meinung?“ Georg blickte die Dämonen an. Sie gehörten alle zu Sippen, die Asmodi hündisch ergeben waren. Nur einer trat vor: Roy Lendon. Der häßliche Zwerg war der Anführer einer überaus mächtigen Sippe, die für ihre eigenwilligen Ansichten bekannt war. „Ich schließe mich Jongs Meinung an, Asmodi.“ „Ist noch jemand dieser Meinung?“ Georg durfte dazu nichts sagen, da er ja beteiligte Partei war. Aber seine Ansicht war bekannt. „Ich verwerfe eure Anschuldigungen, Jong und Lendon“, sagte Asmodi verächtlich. „Das wird dir noch einmal leid tun, Asmodi“, knurrte Lendon, „daß du dich damit nicht näher beschäftigt hast. Und es wirft ein bezeichnendes Licht auf den Stil deiner Herrschaft.“ „Willst du dich vielleicht gegen mich auflehnen, Lendon?“ Der kleingewachsene Dämon lachte spöttisch. „Ich habe dir Treue geschworen, Asmodi, und dieser Schwur gilt, so lange ich das Oberhaupt meiner Sippe bin.“ 180
„Was willst du damit andeuten?“ „Sollte mir aber irgend etwas geschehen, Asmodi, dann wird mein ältester Sohn das Oberhaupt unserer Sippe, und er ist an den Treueschwur dir gegenüber nicht gebunden. Ich hoffe, daß war eindeutig genug.“ Roy Lendons Gestalt wurde durchscheinend und veränderte sich zu einem gasartigen Gebilde, das rasend schnell auf das Dämonentor zuschoß und darin verschwand. Handle nur weiter so, Asmodi, dachte Georg Zamis zufrieden, dann wird die Reihe deiner Feinde immer größer. Und schon bald wird die Stunde der Abrechnung kommen. Georg blickte zu Coco hin, die noch immer bewußtlos war. Ihr Körper war weiter in das intensive blaue Licht gehüllt, das vom vergifteten Ring ausging. „Hört mir nun alle zu“, sagte Asmodi und stand auf. Schweigend blickten ihn alle an. „Ich verkünde nun das Urteil, das ich über Pietro Salvatori gefällt habe.“ Asmodi blieb vor dem auf dem Boden kauernden Vampir stehen, der unter Asmodis Blick den Kopf hob und langsam aufstand. „Du hast gegen die Gesetze unserer Familie verstoßen, Pietro Salvatori!“ sagte Asmodi mit dröhnender Stimme. „Als mildernd für deine große Schuld betrachte ich den grenzenlosen Haß, den du für Coco Zamis empfindest, der dich zu diesem schändlichen Fehlverhalten getrieben hat. Ich schenke dir dein kümmerli 181
ches Leben, doch ich verurteile dich dazu, deine restlichen Tage als Ausgestoßener, als Verfemter, als Paria zu verbringen. Ich verwandle dich in einen Freak als Warnung für alle, die da glauben, gegen die uralten Ge setze unserer Familie verstoßen zu können.“ Asmodi sprang auf Pietro Salvatori zu. Von seinen Händen rasten Blitze auf den Vampir zu, hüllten ihn ein und rissen ihn näher an den Herrn der Schwarzen Familie heran. Glutrote Rauchschwaden hüllten die beiden ein. Die Luft begann zu flimmern, und für ein paar Minuten waren Asmodi und Pietro nicht zu sehen. Als die Nebelschwaden schwächer wurden, war Asmodi zu sehen, der breitbeinig über dem stand, was von Pietro Salvatori übrig geblieben war. Das unheimliche Geschöpf, in das Asmodi den Vampir verwandelt hatte, erhob sich langsam. Georg hatte schon einige Freaks gesehen, doch Pietro war einer der häßlichsten. „Dein Aussehen wird nie gleich bleiben, Pietro Salvatori!“ schrie Asmodi mit überschnappender Stimme. „Es wird sich unter dem Einfluß des Mondes und der Sterne ständig ändern. Du wirst nie wissen, wie du in der nächsten Stunde aussehen wirst. Das ist die Strafe, die alle treffen wird, die sich gegen unsere Gesetze vergehen!“ Wimmernd kroch Pietro auf seinen Bruder zu, der entsetzt vor der Mißgestalt mit den 182
viel zu kurzen Beinen und Armen zurückwich. Mit diesem Urteil wird er sich noch verhaßter gemacht haben, dachte Georg. Er hatte eigentlich erwartet, daß Asmodi den Vampir in einen eher harmlosen Freak verwandeln würde, daß aber die Strafe so grausam ausfallen würde, damit hatte er nicht gerechnet. „Töte mich, Lorenzo“, wimmerte der Freak und kroch auf seinen Bruder zu, der weiterhin zurückwich. „Töte mich, Bruder. Bitte, ich flehe dich an, erlöse mich von meinen Schmerzen! Bitte!“ Lorenzo ergriff vor der Mißgestalt die Flucht und verschwand im Dämonentor. „Schafft mir diesen Freak aus den Augen!“ schrie Asmodi. Zakum packte den Freak, lief auf das Dämonentor und stieß die wimmernde Gestalt hinein. Asmodi setzte sich auf den Stuhl. „Für dieses Urteil wirst du keinen Ruhm ernten, Asmodi“, sagte Red Jong voller Verachtung. „Geh mir aus den Augen, Red Jong!“ zischte Asmodi. In diesem Augenblick stand Coco auf, auf die niemand mehr geachtet hatte. Das blaue Leuchten, das ihren Körper einhüllte, war stärker geworden. Eine bösartige Ausstrahlung ging von ihr aus, die immer stärker wurde. Einige der Dämonen heulten gequält auf, als 183
sich die Ausstrahlung änderte. Die Ströme, die von Cocos Gehirn ausgingen, waren ganz typisch für Wahnsinnige, eine Ausstrahlung, die Dämonen überhaupt nicht vertrugen. „Coco ist verrückt geworden!“ schrie Roger Shattuk, ergriff seine Kleider und raste auf das Dämonentor zu. Einige andere Dämonen folgten ihm blitzschnell. „Hiermit erkläre ich das Tribunal für beendet“, sagte Asmodi. Nun änderte sich Cocos Aussehen. Ihr Körper schien zu wachsen, überall wuchsen Schuppen und bildeten verwirrende Muster, die sich ständig änderten. Ihr Kopf wurde schlangenartig, die Augen verschwanden. Dann bildete sich auf ihrer Stirn ein einziges riesengroßes Schlangenauge. Ihre Arme wurden tentakelförmig, und die Hände verformten sich zu riesigen Pranken mit scharfen Krallen. Mit einem unmenschlichen Aufschrei stürmte die verformte Coco auf den Herrn der Schwarzen Familie zu. Sie holte mit der rechten Pranke zum Hieb aus, als Asmodi in einer Rauchwolke verschwand. Der Hieb war so gewaltig gewesen, daß der Stuhl in tausend Stücke zersprang. Nun ergriffen auch die anderen Dämonen panikartig die Insel. Coco verfolgte sie. Auch Georg hatte das Dämonentor erreicht und sprang hinein. 184
Coco blieb stehen. Sie sah nun genauso aus wie das Schlangenmonster auf dem Bild, das sie Adalmar zurückgegeben hatte, bevor sie auf die Insel gelangt war. Coco war zu einem Monster geworden, das von fremdartigen Gedanken beherrscht wurde. Sie taumelte hin und her, hob einige der Monolithen hoch und zertrümmerte mit ihnen das kleine Haus. Wie eine Wahnsinnige raste sie nun hin und her und vernichtete alles, was ihr unter die Pranken kam. Dann, als es nichts mehr zu zerstören gab, sah sie sich verwundert um.
Asmodi tauchte in einem der Räume seines Hauses auf der Teufelsinsel auf und nahm menschenähnliche Gestalt an. Die Hörner auf seiner Stirn verschwanden. Schwer atmend stieg er die Stufen hinunter, die zur unterirdischen Halle führten. Valiora wandte ihm den Rücken zu. Sie saß vor einer großen magischen Kugel und starrte hinein. Sie drehte sich auch nicht um, als er auf sie zukam und hinter ihr stehen blieb. In der Kugel war die zu einem Schlangenmonster verwandelte Coco Zamis zu sehen. „Coco ist verrückt geworden“, sagte Asmodi. „Hast du die ganze Zeit zugesehen, Vali?“ 185
„Ja“, antwortete sie leise. „Dieses Tribunal war eine Farce, Liebster.“ „Die Gelegenheit war zu günstig. Ich wollte sie nicht ungenützt verstreichen lassen. Ich zwang Pietro Salvatori meinen Willen auf, und er reagierte genauso, wie ich es wollte.“ „Pietro ging auf Coco los und löste so diese unerklärliche Verwandlung bei ihr aus. Trotzdem war es nicht klug von dir, so zu handeln, Asmodi.“ Der Herr der Finsternis setzte sich neben das Dämonenmädchen und schlang einen Arm um sie. „Und weshalb war es nicht klug?“ „Du hast dir wieder ein paar Feinde geschaffen. Mit Roy Lendon und seinem Clan brauchst du wohl nicht mehr zu rechnen.“ „Er und die seinen sind völlig unwichtig für mich.“ „Außerdem hast du die Vorwürfe nicht entkräften können, die Red Jong aufgestellt hat. Das wird einigen Sippen zu denken geben.“ „Darum kann ich mich nicht kümmern.“ „Du bist zu eingebildet und zu überheblich geworden, Asmodi. Das ist gefährlich. Du überschätzt deine Macht.“ „Niemand wagt es, gegen mich aufzutreten. Alle fürchten mich.“ „Dessen bin ich mir nicht mehr so sicher“, sagte sie leise. „Zweifelst du etwa meine Macht an, Vali?“ fragte Asmodi verblüfft. 186
„Nein, das tue ich nicht, denn da müßte ich ja an mir selbst zu zweifeln beginnen. Aber ich fürchte, daß du nicht mehr so stark und mächtig wie zu Beginn deiner Herrschaft bist. Dein Verhalten stößt viele dir treu ergebene Dämonensippen vor den Kopf. Ich habe bereits Gerüchte gehört, daß einige Sippen an einen Kampf gegen dich denken.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen, aber ich werde in Zukunft vorsichtiger sein und überlegter handeln.“ „Das hoffe ich sehr, Asmodi.“ Er warf einen Blick in die magische Kugel, in der Coco zu sehen war, wie sie die Insel verwüstete. „Du solltest wirklich diesen Triton suchen, Liebster. Es würde deine Position stärken, wenn du ihn findest.“ „Ich werde mich morgen darum kümmern“, brummte er mißmutig. Dann sah er wieder Coco zu, die gerade das Haus zertrümmerte.
Schweißgebadet blieb Georg Zamis vor der Höhle stehen. Die anderen Dämonen rasten auf ihre Autos zu und fuhren los. Nur Red Jong blieb bei Georg. „Ich danke dir für deine Unterstürzung, Red Jong“, sagte Georg. „Du hast mir nicht zu danken, Georg. Ich tat nur das, was ich tun mußte, und das hat 187
überhaupt nichts damit zu tun, daß unsere Familien befreundet sind. Asmodi hat sich einfach falsch verhalten, und das mußte ich aussprechen.“ „Trotzdem danke ich dir. Die anderen Sippen getrauten es sich nicht zu sagen.“ „Vergiß nicht, daß sich auch Roy Lendon gegen die Art des Tribunals stellte.“ „Das werde ich ganz sicher nicht vergessen, Red Jong.“ Der holländische Magier schlüpfte in seine Kleider und zog aus der Rocktasche eine kleine magische Kugel, die unter seiner Berührung so groß wie ein Medizinball wurde. „Cocos Verwandlung ist unheimlich“, sagte Jong. „Sie stellt eine Gefahr für uns alle dar.“ Auch Georg hatte sich angekleidet und warf einen kurzen Blick in die Kristallkugel. „Sie hat sich schon zweimal in dieses Schlangenmonster verwandelt. Wir haben eine Möglichkeit, wie wir ihr helfen und vielleicht auch Asmodis Image noch mehr zerstören können.“ „Kannst du mir das etwas näher erklären, Georg?“ „Gehen wir zu Adalmar, er weiß über solche Dinge besser Bescheid.“ Georg führte Red Jong zum weißen Mercedes, und die beiden nahmen im Fond Platz. „Hallo, Red“, sagte Adalmar und starrte wieder die Kugel an, die er auf den Beifahrersitz gelegt hatte. „Asmodis Verhalten 188
muß auf die meisten Dämonen, die dem Tribunal zusahen, sehr befremdlich gewirkt haben. Unsere Rechnung ist aufgegangen.“ „Aber was ist mit Coco?“ „Hm“, brummte Adalmar und sah Red Jong durchdringend an. „Vielleicht kannst du mir helfen, Red.“ „Ich bin dazu bereit.“ „Hast du schon mal so ein Monster gesehen?“ fragte er und zeigte auf die Kugel. „Gesehen habe ich so ein Ungeheuer noch nie, aber ich habe von ihnen gehört. Sie sollen aus dem Zentrum der Erde stammen.“ Adalmar öffnete Cocos Handtasche und holte das Bild des Schlangenmonsters hervor. Er reichte es Jong, der es genau studierte. „Dieser Monster sieht genauso aus wie jenes, in das sich Coco verwandelt hat.“ „Coco ist so einem Monster begegnet. Sie erzählte mir, daß dieses Ungeheuer jede beliebige Gestalt annehmen kann. Sie schrieb mit magischer Tinte ‘Triton’ über das Bild, und sie behauptete, daß wir mit diesem Bild einen Zauber veranstalten können.“ „Sie vermutet demnach, daß Triton so ein Monster ist?“ „Das ist genau ihre Vermutung.“ „Das Material des Bildes ist mir unbekannt.“ „Mir auch. Sieh dir auch das an.“ Er überreichte Jong das merkwürdige, jetonartige Plättchen, das Coco aus der Renaissance mitgebracht hatte. Jong sah sich das Plättchen genau an. 189
„Irgendwie ist es mit dem Bild verbunden“, sagte er schließlich. „Das habe ich auch vermutet. Dieser Triton ist kein normaler Dämon, Wir wissen kaum etwas über ihn. Daher können wir ihn nicht mit normalen Mitteln herbeirufen. Aber ich habe eine Idee, die vielleicht zu verwirklichen ist.“ „Schieß los, Adalmar!“ „Wir könnten die Dämonentorhöhle betreten und einen Bildzauber veranstalten, das Bild anzünden und es durch das Tor auf die Insel schleudern.“ „Ich verstehe“, sagte Jong nachdenklich. „Du hoffst, daß dadurch Triton gezwungen wird, auf der Insel zu erscheinen. Und was soll dann geschehen?“ „Tja, da bin ich überfragt. Ich vermute aber, daß Coco auf ihn losgehen wird. Was hältst du von dieser Idee, Red?“ „Sie ist nicht übel, gar nicht übel.“ Adalmar und Red stiegen aus dem Wagen, während Georg das Bild in der Kugel weiterhin betrachtete. Sekunden später betraten die beiden die Höhle und knieten nieder. Adalmar legte das Bild des Monsters auf den Boden, dann wickelte er es um das Plättchen. „Bist du bereit, Red?“ fragte Adalmar. „Ich bin bereit.“ Die beiden Magier preßten die rechten Handflächen gegeneinander, und mit den linken Fingern berührten sie das Bild. 190
Dann flüsterten sie die uralten Zaubersprüche, die notwendig waren, um den Bildzauber zu vollenden. Es dauerte kaum zwei Minuten, bis von dem Bild ein gespenstisches Leuchten ausging. Sie bewegten nun die Finger rascher über das Bild, und eine giftgrüne Flamme schoß von ihren Fingern, hüllte das Bild ein und brachte es zum Brennen. Gleichzeitig standen die beiden auf, traten auf das Dämonentor zu und warfen das brennende Bild hindurch. „Jetzt bin ich aber gespannt, ob der Zauber Wirkung zeigt“, sagte Adalmar. „Das muß ich jetzt genau sehen“, meinte Jong und lief aus der kleinen Höhle.
Coco stieß ein grimmiges Zischen aus, als das giftgrün brennende Bild auf der Insel auftauchte. Ein Windstoß trieb es in ihre Richtung, und die Flammen loderten höher. Fauchend versuchte Coco das brennende Bild zu ergreifen, das sich langsam aufrollte, doch geschickt ihren Prankenhieben auswich. Das Plättchen fiel zu Boden, und sie stürzte sich darauf, ergriff es mit der rechten Pranke und versuchte es zusammenzudrücken. Als ihr das nicht gelang, steckte sie es zwischen ihre Lippen und biß hinein. Eine hochgewachsene Gestalt tauchte aus dem Nichts auf. Es war ein überaus elegant 191
gekleideter Mann. Sein tiefbraunes Gesicht war überaus männlich und anziehend. Das Haar trug er lang, und es war sehr gepflegt. „Gib mir sofort das Plättchen, Coco“, sagte er befehlend und streckte fordernd die rechte Hand aus. Coco wich ein paar Schritte zurück und biß weiterhin in das harte Plättchen. Der Mann folgte ihr. Das brennende Bild raste auf Coco zu, die sich duckte und mit der linken Pranke das Bild zu fangen versuchte, dabei verlor sie das Gleichgewicht, fiel auf die Knie und schluckte das Plättchen. Verzweifelt schlug Coco um sich. Sie wollte aufstehen, doch ihre fremdartigen Beine gehorchten ihr nicht mehr. Dann konnte sie auch nicht mehr die Arme bewegen, und Sekunden später war sie völlig gelähmt. Das brennende Bild umkreiste nun den Mann, der ihm immer wieder geschickt ausweichen konnte. Doch dann teilte sich das Bild und zerfiel in zwanzig unregelmäßig geformte Stücke, die gleichzeitig auf den Mann zustürzten. Einige konnte er abwehren, ein paar verfehlten ihn, doch drei berührten seinen Körper, der sich augenblicklich zu ändern begann. Die menschliche Gestalt wurde durchscheinend. Dahinter waren die Umrisse eines Schlangenmonsters zu sehen, das wie Coco Zamis aussah. Seine Kleider fingen Feuer, die er sich sofort 192
vom Leib riß. Immer mehr der brennenden Bildstücke klatschten auf seine Haut. Nun konnte er seine menschliche Gestalt nicht mehr aufrecht erhalten. Vor Wut schäumend stürzte er auf Coco zu und schlug nach ihr. Coco war noch immer gelähmt, sie konnte sich gegen seinen Angriff nicht wehren. Einer der Hiebe zerriß die Schlangehaut über ihrer Kehle, ein weiterer brachte die Haut zwischen ihren Brüsten zum Zerplatzen. Die Schlangenhaut, die sich über Cocos menschlichem Körper gebildet hatte, war nun schon an mehr als zehn Stellen aufgerissen, und sie schälte sich von ihrem Leib, machte sich selbständig und zog und krümmte sich zusammen. Jetzt kam Bewegung in Cocos Leib. Sie sprang auf, wich den gewaltigen Hieben aus und versuchte sich die Schlangenhaut über den Leib zu ziehen. Es war ein gespenstischer Anblick. Unter der Schlangenhaut kam Cocos Oberkörper zum Vorschein, dann schlüpfte sie aus den Schlangenarmen und riß sich die Haut vom Gesicht, zog sich die Haut über die Schenkel. Die von ihrem Körper gelöste Schlangenhaut schwebte wie ein Luftballon in der Luft. Unglaublich rasch schlössen sich die von Triton gerissenen Löcher in der Haut, wuchsen zusammen und bildeten ein mit Luft gefülltes Schlangenmonster, das auf Triton losging. Coco sprang ein paar Schritte zur Seite. Ihre 193
Haut schimmerte, als ob sie mit Silber überzogen wäre. Der Signatstern auf ihrer Brust erwachte zum Leben und begann sanft zu pulsieren. Die beiden Monster kämpften wild miteinander. Tritons Pranken schlugen gegen das mit Luft gefüllte Schlangenmonster, konnten es aber nicht verletzen. Coco blickte an sich herunter. Ihr Körper war nun ganz normal, von der Verformung ihrer Hand und des rechten Unterarmes war nichts mehr zu sehen. Mühelos zog sie sich den vergifteten Ring vom rechten Zeigefinger. Der blaue Stein war nicht mehr glatt, sondern wies unzählige Sprünge auf. Die Schlangenhaut, die Cocos Körper gebildet hatte, klammerte sich mit den tentakelartigen Armen und Beinen an Triton fest und drückte ihn auf den Boden nieder. Tritons Bewegungen wurden immer schwä cher. Coco kam langsam näher. „In wessen Auftrag hast du gehandelt, Triton?“ Der fremdartige Dämon antwortete nicht. Er versuchte sich noch immer aus der Umklammerung zu lösen. Coco sah den geborstenen Ring an, kam ein paar Schritte näher. Tritons starres Schlangenauge stierte sie an. Einen Augenblick noch zögerte Coco, dann beugte sie sich vor und schleuderte mit aller Kraft den Ring in das Schlangenauge. Sie 194
hatte gut getroffen. Der zerstörte Ring verschwand im Auge, und Coco sprang zurück. Tritons Gestalt wurde durchscheinend. Dann krümmte sich sein Körper zusammen, schrumpfte und bäumte sich wieder auf. Eine bestialisch stinkende Flüssigkeit entströmte seinem Leib, der in sich zusammenfiel wie ein Ballon, dem man die Luft ausließ. Es dauerte kaum eine Minute und nur noch die leere Schlangenhaut Tritons war zu sehen, über der die Haut lag, die Cocos Körper gebildet hatte. Ein paar magische Flammen rasten auf die Schlangenhäute zu, hüllten sie ein und entzündeten sie. Die wenigen magischen Lichter, die noch gebrannt hatten, fielen in sich zusammen, und es war völlig dunkel, als Coco auf das „Tor der Dämonen“ zuschritt. Sie trat hindurch und tauchte in der Höhle auf. „Gut gemacht, Coco“, hörte sie eine nur zu bekannte Stimme. „Oirbsen?“ „Erraten“, sagte der Gnom vergnügt lachend. „Wo steckst du, Oirbsen?“ „Ich will mich dir nicht zeigen, Coco. Du hast wieder einmal eine an dich gestellte Aufgabe zu Merlins vollster Zufriedenheit gelöst.“ „Wie soll ich das verstehen?“ fragte Coco mißtrauisch. „Du hast das vierte Siegel an dich gebracht.“ „Da komme ich nicht mit, Oirbsen.“ 195
„Drei der Siegel hast du schon gefunden. Den Signatstern, den Armreifen und den Ring. Und das vierte Siegel ist der magische Vlies.“ „Magischer Vlies?“ „Durch deine Veränderung hast du das vierte Siegel in dir aufgebaut. Du bist für einige Aufgaben nun ganz vorzüglich gerüstet, da deine Haut unverwundbar geworden ist.“ „Du meinst, daß ich durch die Schlangenhaut, die sich über meinem Körper gebildet hat, gegen einige Dinge immun geworden bin?“ „Erraten, Coco. Durch die Metamorphose, die dein Körper durchgemacht hat, bist du gegen verschiedene schädliche Einflüsse im centro terrae unempfindlich geworden.“ „Was soll ich nun tun?“ „Geh hinaus zu deinen Brüdern, die schon sehnsüchtig auf dich warten. Fahre nach L’Aquila zu Ralf Winter, den du unbedingt für deine nächste Aufgabe zur Rettung Merlins brauchst.“ „Wohin soll ich mit Ralf fahren?“ „Warst du schon mal am Bodensee? Dorthin sollst du fahren. Ich werde mich mit dir rechtzeitig in Verbindung setzen.“ „Oirbsen?“ fragte Coco. „Oirbsen?“ Doch sie bekam keine Antwort, der geheimnisvolle Gnom war verschwunden. Coco trat aus der Höhle, und Adalmar und Georg und Red Jong stürmten auf sie zu. „Das war eine eindrucksvolle Show, die du abgezogen hast, Coco“, sagte Adalmar 196
begeistert. „Etwas Ähnliches habe ich nie zuvor gesehen“, stellte Red Jong fest. „Du warst einfach großartig, Schwester“, freute sich Georg. Coco lächelte schwach. „Danke für die Hilfe. Ohne das brennende Bild und das Plättchen wäre ich wohl verloren gewesen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, habe ich nur eine sehr undeutliche Erinnerung an das Tribunal und den Kampf gegen Triton.“ „Ich werde dir alles genau erzählen“, sagte Georg und geleitete Coco zum Wagen. ENDE Liebe Coco-Zamis-Freunde! Durch die große Belastung unserer beiden Autoren Paul Wolf und Neal Davenport ist es leider nicht mehr möglich, die DämonenkillerAbenteuer von Coco Zamis monatlich erscheinen zu lassen. Ab der vorliegenden Nummer 58 werden Sie innerhalb der DÄMONEN-KILLER-Taschenbuch-Reihe jeden zweiten Monat ein neues Abenteuer mit Coco Zamis lesen können. Der nächste Coco-Zamis-Roman DÄMONENKILLER Nr. 60:
ist
also
Paul Wolf
Coco und der Gummitod
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