Countdown zur Apokalypse SF-Roman von
Ewald Fehlau
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Countdown zur Apokalypse SF-Roman von
Ewald Fehlau
Ein Verzeichnis sämtlicher bisher erschienenen und lieferbaren REN DHARK-Titel und -Produkte finden Sie auf den Seiten 191 und 192.
Vorwort
l. Auflage HJB Verlag & Shop e.K. Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Bestellungen und Abonnements: 02631-354832 02631-356100 Buchhaltung: 0 26 31 - 35 48 34 Fax:02631-356102 www.ren-dhark.de © REN DHARK: Brand Erben Herausgeber: Hajo F. Breuer Titelbild: Swen Papenbrock Druck und Bindung: Westermann Druck Zwickau GmbH © 2000 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930515-96-2
Der von Kurt Brand erdachte Kosmos seines Helden REN DHARK wird größer und größer. Denn 30 Jahre nach dem vorzeitigen Ende der Serie sind wir endlich in der Lage, sie ganz im Sinne ihres Schöpfers weiterzuschreiben. Während ich diese Zeilen verfasse, legen die Autoren gerade letzte Hand an ihre Texte für den ersten neuen REN DHARK-Band seit 30 Jahren. In rund zwei Monaten werden Sie das erste Buch des Drakhon-Zyklus mit dem Titel Das Geheimnis der Mysterious in Händen halten. Aber so, wie die Zukunftswelt Ren Dharks immer größer und komplexer wird, werden behutsam neue Figuren und neue Handlungsstränge in die Serie eingeführt werden müssen. Besonders wichtig erscheint es uns, die aktuelle Situation auf der Erde des Jahres 2057 ein wenig näher zu beleuchten. Den Anfang machte Ewald Fehlau mit dem RD-Sonderband Der Todesbefehl, der vor wenigen Wochen erschien. Darin wurde geschildert, wie ein Verräter in der Galaktischen Sicherheitsorganisation (GSO) die Abwesenheit von Ren Dhark und GSO-Chef Bernd Eylers dazu ausnutzen wollte, um die Macht auf der Erde an sich zu reißen. Zu diesem Zweck verbündete sich Fred Darnelle - so der Name des Verräters - mit den auf die Erde eingesickerten nicht umgeschalteten Robonen und einem Vorauskommando der Tel, das im Auftrag des zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschalteten Kluis den Boden für eine Invasion vorbereiten sollte. Doch die Verbündeten des Verräters begingen einen entscheidenden Fehler, als sie im nordafrikanischen Taudeni ein Massaker unter Zivilisten und Soldaten anrichteten. Das rief General John
Martell auf den Plan. Der schickte seinen besten Mann nach Afrika. Doch dieser Mann war eine Frau: Colonel Harriet Stowes. Es gelang ihr, Kontakt zum Cahia von Timbuktu aufzunehmen, der mit den Tel verbündet war. Da erhielt Wer Tor Drang, der Leiter des Vorauskommandos, eine schreckliche Nachricht von Cromar, seiner Heimatwelt. Lapidar wurde ihm mitgeteilt, daß zwei Reebomben auf die Erde gebracht wurden. Eine ging an die Robonen, die andere an die Verräter in der GSO. Ree, von den Menschen Vario genannt, würde bei Zündung die Lufthülle der Erde unweigerlich verbrennen. Milliarden Menschen wären zum Tode verurteilt. Der Wer hielt dieses Vorgehen für unverantwortlich. Er desertierte und beschloß, mit den Menschen um Harriet Stowes zusammenzuarbeiten. Doch selbst nach der optimistischsten Einschätzung hatte die Menschheit nur noch eine Gnadenfrist von sieben Tagen. In dieser Zeit müssen die beiden Variobomben gefunden und entschärft sein, oder Terra verwandelt sich in eine Gluthölle. Was nun geschieht, schildert das vorliegende Buch. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit noch auf Band 16 der regulären RD-Buchreihe richten. Er erscheint gemeinsam mit diesem Band unter dem Titel Die Straße zu den Sternen. Damit ist die Buchausgabe der Heftserie REN DHARK abgeschlossen - aber das Abenteuer geht weiter... Giesenkirchen, in den letzten Tagen des zweiten Jahrtausends Hajo F. Breuer
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16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 18.07 Uhr Ortszeit Timbuktu Terminal Zweieinhalb Minuten und ein Satz aus dem Munde eines übereifrigen jungen Mannes genügten, um auf dem Timbuktu Terminal ein Inferno zu entfesseln. Die große Halle glich nun einer Hölle. Das Geschrei der Menge, eine Mischung aus Angst und Empörung, wurde nur vom Belfern der Handfeuerwaffen übertönt. In Panik suchten Passagiere und Besucher Schutz, während sich andere hochaufgerichtet als lebender Schutzwall zwischen die Fliehenden und die Männer der GSO stellten. *
Tor Drang, Wer dritten Ranges, Kommandeur der Tel-Streitkräfte, Vorauskommando Terra, hatte das drohende Unheil bereits auf dem Linienflug KT 238 Kairo-Timbuktu heraufziehen sehen. Kurz nach dem Start, als er von der Bordtoilette an seinen Platz zurückkehrte. Das war die Krönung des heutigen Tages. Konnte es noch schlimmer kommen? Zuerst die Hiobsbotschaften von Cromar, der Heimatwelt der Tel. Das Hauptquartier hatte ihm lapidar mitgeteilt, daß man den Verbündeten zwei Reebomben, den Terranern als Vario bekannt, übergeben hatte. Sozusagen als Beweis des gegenseitigen Vertrauens. »Ich fürchte nicht die Danaer, sondern ihre Geschenke«, murmelte Tor grimmig. Der Tel-General hatte viel Zeit in der Bibliothek seines Freundes Sidi Mohammed verbracht, daher 5
kannte er sich in der terranischen Geschichte und den Überlieferungen dieser noch jungen Rasse ziemlich gut aus. Der Imperiale Generalstab hoffte, daß wenigstens eine der beiden Parteien die Variobombe benutzte, weil man ihnen die wahre Wirkung dieser Waffe verschwiegen hatte. Einmal ausgelöst, brachte das Ree die völlige Vernichtung einer von Milliarden intelligenter Lebewesen bevölkerten Welt. Tor kannte aber auch die Skrupellosigkeit seiner menschlichen Verbündeten. Entweder der Verräter in den Reihen der Galaktischen Sicherheitsorganisation oder die »Wahren Menschen« würden die Variobombe einsetzen. Der Verräter, um mit ihrer Hilfe die Herrschaft über Terra zu erpressen - die nicht umgeschalteten Robonen, um die Erde zu vernichten. Der Generalstab würde auf jeden Fall sein Ziel erreichen, so wie es der Kluis mit seiner erbarmungslosen Logik kalkuliert hatte. Und das Hauptquartier hatte ihn gleichzeitig angewiesen, beide Parteien in die Handhabung der Waffe einzuweisen. Versüßt wurde dieser Befehl mit der Ernennung zum Wer dritten Ranges, was etwa einem terranischen Zwei-Sterne-General entsprach. Für Tor war es die zweite Beförderung, seit er mit seinem inzwischen stark geschrumpften Regiment auf Terra eingesickert war. Die erste konnte er noch nachvollziehen, weil er dadurch der ranghöchste Tel auf Terra war und ihm somit auch der Tel-Geheimdienst unterstand. Aber nur nominell. In Wahrheit machten diese Fanatiker, was sie für richtig hielten. Nur in Timbuktu hatte er sie einigermaßen unter Kontrolle. Die letzte Beförderung war absolut unverdient. Tor Drang besaß weder das erforderliche Dienstalter noch die Erfahrung, um für so einen Posten überhaupt in Erwägung gezogen zu werden. Seine Erfahrung bei der Führung größerer Truppenverbände war gleich null, wenn man von Barnikko III absah, wo er drei Tage lang eine Division mehr recht als schlecht kommandiert hatte. Nicht weil er dafür qualifiziert war, sondern weil eine Rakete im Hauptquartier einschlug, als gerade eine Besprechung aller Kommandeure statt6
fand. Er war der einzige überlebende Wer. Aus diesem Grunde empfand er das Postskriptum mit den Glückwünschen zur längst überfälligen Beförderung als blanken Hohn. Cromar hatte seinen Tod und den seiner Soldaten eingeplant. Sozusagen als Bauernopfer. Tor Drang hätte diesen Befehl ausgeführt, wenn er einen militärischen Sinn ergeben hätte. Aber der Tel hatte lange genug unter Menschen gelebt und wußte, wie ihre Reaktion auf die Vernichtung ihrer Heimatwelt aussehen würde. Die bisherigen Zusammenstöße an der Grenze zwischen den Einflußgebieten würden sich von Plänkeleien und Scharmützeln zu einem echten Raumkrieg auswachsen. Doch die Terraner würden ihn nicht mehr führen, um Welten zu besetzen oder zu befreien, sondern nur noch mit dem einen Ziel kämpfen, alle Planeten zu vernichten, auf denen Tel lebten. Das gegenseitige Abschlachten würde erst ein Ende finden, wenn eine der beiden Rassen ausgelöscht war. Daher war Tor Drang entschlossen, dieses Höllenkarussel erst gar nicht in Bewegung zu setzen. Sein Kurzbesuch in Kairo hatte nur dazu gedient, Zeit zu schinden. Das war ihm gelungen, das nächste Treffen mit Martin Concord, seinem Verbindungsmann zu den »Wahren Menschen«, konnte nun erst in drei oder vier Tagen stattfinden. Ein Erfolg, der nun durch diesen schlaksigen jungen Mann vier Reihen vor ihm zunichte gemacht wurde. Irgendwie hatte dieser Kerl Verdacht geschöpft, daß Tor Drang nicht das war, wofür er sich ausgab. Ob er ahnte, daß er es mit einem Tel zu tun hatte, glaubte er allerdings nicht. Aber spätestens in Timbuktu würde Tors Geheimnis herauskommen. Zum Glück hatte sich dieser Warren Timmons durch sein übertrieben unauffälliges Verhalten im Jett selbst verraten. Dadurch blieben Drang und seinen Begleitern knappe drei Stunden, um eine sich möglicherweise anbahnende Katastrophe zu verhindern. 7
Nach einem kurzen Gespräch mit dem Chefsteward hatte ihm einer der Leibwächter seines Freundes Sidi Mohammed wenig später glaubhaft versichert, daß während dieses Fluges keine Möglichkeit bestand, ihren Gebieter zu benachrichtigen. Obwohl der Arm des Cahia von Timbuktu weit reichte, besaß sein Einfluß dennoch gewisse Grenzen. Vor allen Dingen dann, wenn ein gewisser Dr. Warren Timmons im Cockpit des Linienjetts auftauchte, sich als GSO-Agent auswies und dann über Vipho von der Leitzentrale Afrika bewaffnete Unterstützung anforderte, die Spione auf dem Terminal festnehmen sollten. Außerdem hatte er kraft seines Amtes die Besatzung verpflichtet, keinerlei Nachrichten mehr abzusetzen. Wer die Spione wären, hatte er den beiden Piloten leider nicht verraten. Von der Funkverbindung abgesehen würde die Kabinencrew den Angehörigen des Cahia natürlich jeden Wunsch erfüllen. Den Rest der Flugzeit von Kairo nach Timbuktu verbrachten Tor Drang und seine Begleiter damit, alle möglichen Varianten vom gewaltsamen Durchbruch bis zur fatalistischen Fügung in ihr Schicksal durchzusprechen und ihr Verhalten darauf abzustimmen. Ein zeitraubendes Unterfangen, weil seine ansonsten so wirksame Tarnung als Mohammedanerin verhinderte, daß er sich zu offensichtlich mit seinen Begleitern unterhielt. Das war für eine Frau aus dem Haushalt des Cahia unschicklich und hätte nur Aufmerksamkeit unter den anderen islamischen Passagieren erregt. Schließlich kamen sie nach Rücksprache mit dem Chefsteward zu einer Einigung. Gegen alle sonstigen Gepflogenheiten würde die kleine Gruppe nicht als erste, sondern als letzte den Jett verlassen. Der Chefsteward würde sich persönlich die Ehre geben, die hohen Gäste durch die Schleuse zu geleiten. Den meisten Menschen würde gar nicht auffallen, daß sich die Gruppe um ein Mitglied verstärkt hatte, das sich etwas im Hintergrund halten würde. Das neue Mitglied wäre in diesem Falle Tor Drang, während eine Mitreisende an seiner Stelle unter dem Umhang steckte. Der Chefsteward und die Frau hatten sofort eingewilligt, denn die 8
Chance, auf diese Weise nicht nur dem Cahia dienen zu dürfen, sondern dabei auch noch die verhaßte GSO auszutricksen, wollten sich beide auf keinen Fall entgehen lassen. Und ganz nebenbei hofften sie natürlich auch, daß Sidi Mohammed ihre Dienste nicht vergessen würde. Trotzdem verließ Tor Drang in Timbuktu die Maschine mit sehr gemischten Gefühlen. Seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich in Luft aufgelöst zu haben, denn weder waren Polizisten in den Jett gekommen, um die Verhaftung vorzunehmen, noch hatten am Flugsteig GSO-Leute auf sie gewartet. Tors Hoffnung wuchs, daß mit den Spionen nicht er und seine Begleitung gemeint war, sondern irgendwelche anderen Passagiere. Wenn sie bisher nicht verhaftet worden waren, dann wohl nie mehr. Denn so dumm konnte nun wirklich kein Mitarbeiter der GSOLeitzentrale Afrika sein, daß er die Festnahme eines Mitglieds aus dem Haushalt Sidi Mohammeds in aller Öffentlichkeit vornahm. Doch Tor Drangs Hoffnung zerstob wie Staub im Wind, als der junge Mann aus dem Jett in Begleitung einiger uniformierter GSOWachen mit gezogenen Schockern auf sie zutrat. Und nicht nur Tor und seine Begleitung waren vor Überraschung einen Augenblick wie gelähmt, als sie den laut und deutlich ausgesprochenen Befehl an die GSO-Wachen hörten. »Nehmt dieser Person den Schleier ab. Ich möchte sehen, welches Gesicht sich dahinter verbirgt!«
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*
16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 17.25 Uhr Bordzeit Linienflug KT 238 Kairo-Timbuktu Der Mittagsjett von Kairo nach Timbuktu war nur mäßig besetzt. Das war für Dr. Warren Timmons auch nicht verwunderlich, denn wer in diesen Zeiten in ein Krisengebiet reiste, besaß dafür triftige Gründe. So wie er. Der schlaksige 25jährige war auf dem Wege nach Timbuktu, um in der GSO-Leitzentrale Afrika seinen Dienst als Leiter der Unterabteilung Regionale Information/Sahelzone anzutreten. Warrens Freude darüber, daß er zu den wenigen Absolventen der GSOAkademie gehörte, die kurz nach ihrem Abschluß auf einen leitenden Posten abkommandiert wurden - und das sogar in ein Krisengebiet hielt sich allerdings in Grenzen. Die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen verbrachten die ersten Jahre bei der GSO mehr oder weniger als bessere Laufburschen, bevor man sie von der Leine ließ. Also hätte Timmons eigentlich froh sein müssen, doch die Umstände sprachen dagegen. Als ihm die Versetzungspapiere ausgehändigt wurden, hatte es ihn zum einen überrascht, daß man gerade ihm diesen Job gegeben hatte, obwohl doch zweifellos geeignetere Leute dafür zur Verfügung stehen mußten. Hatten seine Vorgesetzten diesen Posten in der Leitzentrale Afrika nun als erste Stufe einer steilen Karriere für Warren ausgesucht, oder wollte man ihn unbedingt mit einem Neuling besetzen? Wenn ja - warum? Diese Zweifel nagten verständlicherweise beträchtlich am Selbstbewußtsein des jungen Mannes. Warren Timmons hatte die sehr knappe Zeit bis zum Reiseantritt 10
genutzt, um sich so gut es ging mit den Vorgängen in Afrika vertraut zu machen. Leider hatte er dabei keine Gelegenheit gehabt, die Datenbanken der Zentrale abzufragen. Der schwarze Kontinent hatte unter der Giant-Invasion am meisten gelitten. Besonders die Bewässerungsanlagen des Saharaprojekts hatten schweren Schaden genommen. Daher flössen auch große Summen in die Sahararegion der Sahelzone. Vor rund fünfzig Jahren war die Menschheit Gott sei Dank endlich auf den Trichter gekommen, daß sie auf dem besten Wege war, sich selber in die Luft zu blasen, wie es sein Geschichtsdo-zent bissig kommentiert hatte. In einem der seltenen Anfälle wirklich staatsmännischer Größe hatte man Nägel mit Köpfen gemacht und die Welt politisch und wirtschaftlich neu geordnet. Wie man dabei vorgegangen war, sah man am besten am Beispiel Afrikas. In der Mitte des letzten Jahrhunderts war der Schwarze Kontinent eine explosive Mischung aus unabhängigen Ländern und Kolonien, deren Grenzen ohne Rücksicht auf die Völkerschaften und geographischen Bedingungen willkürlich gezogen worden waren. Mit dem Bleistift auf Landkarten, die zum Teil noch mit weißen Flecken übersät waren. Um das Saharaprojekt überhaupt in Angriff nehmen zu können, mußten die alten Grenzen und Abhängigkeiten fallen. Es war eine Sisyphusarbeit. Die ehemaligen Kolonialmächte waren leicht zu überzeugen, die einheimischen Führer dagegen schwerer, denn sie mochten nicht so schnell auf den Einfluß verzichten, den sie nur ihren früheren Herren verdankten. Die Neuordnung gelang einigermaßen zufriedenstellend, weil man für den Übergang von vornherein kleinere Korrekturen eingeplant waren. Änderungen, deren Notwendigkeit erst die Zeit zeigen würde. Der Kontinent war nun in Zonen und Regionen gegliedert, wobei die Grenzen allein von kulturellen Gemeinsamkeiten, Unterschieden oder rein geographischen Voraussetzungen bestimmt wurden. 11
Die Muahedin-Zone (ein alter islamischer Begriff aus dem 13. Jahrhundert) mit den Regionen Marokko, Algier, Tunis und Tripolis umfaßte den größten Teil der ehemaligen französischen Kolonien und Besitzungen. Muahedin grenzte im Osten an die selbständige Region Ägypten. Man hatte die beiden Gebiete wegen der kulturellen Unterschiede nicht zusammengefaßt. Zur Sahelzone gehörten die Regionen Mauretanien, Sahara, Sudan und Abessinien. Also alle Gebiete, die früher zur Region Sudan gezählt wurden. Die Landschaften mit überwiegend tropischen Regenwäldern und schwarzafrikanischer Bevölkerung bildeten nun Kongo-Guinea. Ostafrika einschließlich Sansibar hieß jetzt Tagabar - eine Zusammensetzung aus Tansania, Uganda und Sansibar. Die Zangengeburt bei der Neuordnung war der südliche Teil des Kontinents gewesen. Sanfter Druck politischer und wirtschaftlicher Art hatten schließlich über den neu erwachten schwarzen Rassismus obsiegt und zur Bildung von Kapland (Südafrika plus Rhodesien) und Namwana (Namibia plus Botswana) geführt. In den fünfzig seitdem vergangenen Jahren war aus dem skeptischen, von gegenseitigen Vorurteilen geprägten Nebeneinander ein friedliches Miteinander geworden. Eine umfassende Alphabetisierungskampagne und Umformung des Bildungswesen in ganz Afrika erleichterte das Zusammenwachsen der neuen Regionen. Von frühester Jugend an erlernten nun alle Kinder die Weltsprache Angloter und ihre Heimatsprache gleichberechtigt nebeneinander. Das sorgte dafür, daß die vielen hundert verschiedenen Sprachen und Dialekte als Verständigungsbarriere ausgedient hatten, ohne daß die kulturelle Identität dadurch verlorenging. Die Regionen verwalteten sich selbst. Wenn sie in Zonen zusammengefaßt waren, diente diese Einteilung nur dazu, um regionenübergreifende Probleme gemeinsam zu meistern. Gegenwärtig gab es nur im Sahel nennenswert größere Probleme als in den anderen Teilen des Kontinents. In Sahara, der größten 12
Region der Zone, schien alles drunter und drüber zu gehen. Die Hinweise auf Korruption, Machtmißbrauch und Inkompetenz vieler Behörden waren unübersehbar. Das Taudeni-Massaker und die daraus resultierenden Terroranschläge hatten die Situation zusätzlich verschärft. Von einer zielgerichteten Strategie zur Lösung der Krise war weit und breit nichts zu erkennen. Aber das hatte nicht viel zu bedeuten. Die Galaktische Sicherheitsorganisation pflegte ihre Pläne nicht vor der Öffentlichkeit auszubreiten. Aber sie war schon bei der Arbeit. Vielleicht war das der Grund für die überhastet wirkende Entscheidung, Dr. Warren Timmons einzusetzen. Sein Vorgänger war ermordet worden. Von einheimischen Attentätern, wie es hieß. Aber dieser Alex Bulwer war der Leiter einer Abteilung, die sich ausschließlich mit der Ausweitung neuer Informationen aus der Sahelzone befaßte. Schwerlich eine Hauptzielscheibe für Terroristen. Nein, die suchten sich andere Opfer aus. Nicht solche niederen Chargen wie die bisher in Timbuktu und der Region Sahara getöteten Mitarbeiter der GSO. Es sei denn, alle Ermordeten hätten irgendwie mit den Ereignissen zu tun gehabt. Das aber hielt Warren für unwahrscheinlich. Schließlich gehörten sie ja zur GSO! Dennoch würde er sich die in den letzten Tagen eingegangenen Daten einmal daraufhin anschauen, ob Bulwer an Informationen gekommen war, von denen er nicht ahnte oder erkannte, welche Brisanz sie besaßen. Vielleicht hatte man ihn aus Angst, er könne die Daten weitergeben, beseitigt. Zum anderen wunderte sich Timmons, wieso die verschwundenen Soldaten des Raumkorps immer noch ungehindert ihr Unwesen treiben konnten. Es standen genügend Satelliten zur Verfügung, um jede Bewegung am Boden zu überwachen. Drei oder gar vier Transporter konnten ihnen nicht entgehen. Ebenso fragte er sich, weshalb man diesen Cahia mit Samthandschuhen anpackte, obwohl er doch zweifellos eine nicht unbedeutende Rolle in diesem Spiel spielte. 13
Diese ganzen Überlegungen gedachte Timmons an Ort und Stelle energisch weiterzuverfolgen, denn in ihm wuchs in diesem Augenblick die Gewißheit, daß man ihn nur nach Timbuktu abgestellt hatte, um mit eisernem Besen den Augiasstall auszumisten. Das Wissen tröstete ihn über die nicht zu verleugnende Tatsache hinweg, daß mit diesem Job sein weiterer Weg in der GSO vorgezeichnet war. Egal ob er seinen ersten Einsatz gut oder schlecht erledigte, er war durch ihn für immer zum Schreibtischtäter verdammt und würde nie im Außendienst Verwendung finden. Wo er doch gerade in den Außendienstkursen die besten Noten erzielt seiner Ausbildung hatte. Aber noch war nicht aller Tage Abend. Warum sollte er, Dr. Warren Timmons, nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Wer wollte schon einen Abteilungsleiter der GSO daran hindern, auf Reisen die Pflichten und Rechte eines Feldagenten wahrzunehmen, wenn er sich dafür qualifiziert hatte? Der Beweis für seine Fähigkeiten als Feldagent saß vier Sitzreihen hinter ihm. Sobald der Linienjett in zweieinhalb Stunden landete, würde er die Verdächtigen noch im Terminal von Timbuktu verhaften lassen. Dieses Exempel mußte statuiert werden, um der Bevölkerung zu zeigen, wie konsequent die GSO ihre Aufgaben wahrnahm. Warren Timmons blickte sich vorsichtig um und warf einen unauffälligen Blick auf die schwarzverhüllte Gestalt, die, von Leibwächtern abgeschirmt, ganz allein in der letzten Reihe der Ersten Klasse saß. Diese angebliche »Frau« war in Wirklichkeit ein Mann. Daran zweifelte er keine Sekunde mehr, seit der Jett zu seinem fast 4.000 km langen Flug von Kairo, der Hauptstadt der Region Ägypten, nach Timbuktu, dem politischen Zentrum der Sahararegion, gestartet war. Als dieses wandelnde Zelt kurz nach dem Start auf dem Weg zur Bordtoilette seine Sitzreihe passierte, hatten sich seine Vorstellungen kurz mit dem Gedanken beschäftigt, ob die Frau unter dem 14
dichten Stoff alt und häßlich war, jung und schön und ob sie vielleicht eines dieser dünnen Haremskostüme trug, wie er sie aus alten Filmen kannte. Doch dann war Timmons etwas aufgefallen. Die Person unter dem Umhang bewegte sich für einen kurzen Augenblick nicht wie eine Frau, sondern wie ein Mann, bevor sie diesen Fehler bemerkte und korrigierte. Warren Timmons brauchte nicht lange, um seine Entscheidung zu treffen. Entschlossen hatte er sich erhoben und auf den Weg ins Cockpit gemacht. Der Chefsteward gewährte ihm allerdings erst Einsicht in die Passagierliste, nachdem Timmons seinen Dienstausweis präsentiert und ernsthafte Konsequenzen für die Fluglinie angedroht hatte. Daß die verdächtige Person zum Haushalt des Cahia gehörte, überraschte ihn kaum, bewies das doch, daß seine Überlegungen nicht ganz aus der Luft gegriffen waren. Der Pilot zollte der GSO sofort den gebührenden Respekt und gab seine Befehle an die Leitzentrale weiter. Die nächsten Stunden waren für Dr. Warren Timmons die längsten seines Lebens. Sie endeten erst, als über den Bordlautsprecher die langersehnte Ankündigung des Jett-Kapitäns kam, daß man in wenigen Minuten Timbuktu erreichen würde, gepaart mit der Aufforderung an die Passagiere, die Uhren um zwei Stunden auf Ortszeit zurückzustellen. Als der Jett zum Stillstand kam, blickte Timmons auf die Uhr. Es war genau 17.53 Ortszeit. Er war als erster auf dem Flugsteig. Sein GSO-Ausweis verscheuchte alle Männer des Terminal-Sicherheitsdienstes in den Hintergrund. Er blickte sich suchend in der großen Halle um. Seine Augen leuchteten auf, als er den Sergeant der uniformierten GSO-Sicherheitstruppe mit seinen Leuten sah. Timmons' Arm schoß in die Höhe und vollführte eine kreisende Bewegung über dem Kopf, die beim Militär und allen ähnlich ausgebildeten Einheit »Sammeln« bedeutete. Natürlich setzten sich 15
die Männer daraufhin sofort zu ihm hin in Bewegung. Timmons genoß das Gefühl, Befehlsgewalt auszuüben *
16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 18.00 Uhr Ortszeit Timbuktu Terminal »Sergeant Gaston Leroux, Sicherheitstruppe GSO-Leitzentrale Afrika, meldet sich wie befohlen, Sir!« Sergeant Leroux' Stimme klang bedeutend lauter als üblich. In seiner Dienstzeit bei der GSO hatte der kleine, zähe Franzose schnell gemerkt, wie sehr gerade die jungen Bleistiftstemmer in der Galaktischen Sicherheitsorganisation dieses militärische Getue liebten. Es mußte das mangelnde Selbstbewußtsein ungeheuer stärken. Dabei war es doch scheißegal, ob man nur nickte oder lauthals »Verstanden, Sir!« brüllte. Leroux musterte sein Gegenüber unauffällig. Der Ersatz für diesen Bulwer kam ohne Zweifel frisch von der Akademie. Er machte auf den ersten Blick einen fähigen, einsatzfreudigen und etwas übereifrigen Eindruck. Deshalb wohl auch der Aufmarsch im Terminal, wo man doch die Festnahme durch zivile Einsatzteams bedeutend unauffälliger in der Maschine hätte vornehmen können. Ob er sich in seiner Einschätzung getäuscht hatte, würde Gaston gleich erfahren, wenn man ihm die Namen der zu verhaftenden Personen nannte. Doch Mr. Timmons machte keinerlei Anstalten dazu, sondern blickte einfach nur in Richtung der Sicherheitsschleusen am Flugsteig und musterte die ankommenden Reisenden. »Wohl falscher Alarm, Leute«, sagte Leroux leise zu seinen Männern, als er die Leibwächter des Cahia und die schwarzver16
hüllte Gestalt sah. »Die da verlassen die Maschine immer als erste oder letzte. Danach kommt keiner mehr! Können wir abrücken, Sir?« fragte er den Unterabteilungsleiter vorsichtig. »Nein, Sergeant! Der Spion ist gerade durch die Schleuse gekommen. Sie werden dieses wandelnde Zelt auffordern, den Schleier zu entfernen und dann die ganze Gruppe an Ort und Stelle festnehmen!« Sergeant Gaston Leroux starrte den Mann, der ihm diesen Befehl erteilt hatte, entgeistert an. »Sir, die Frau und ihre Begleiter gehören zum Haushalt des Cahia«, stammelte er mehr als verblüfft und sah Timmons an, als habe der den Verstand verloren. »Wir können sie nicht einfach so festnehmen!« Leroux wartete einen Augenblick auf eine Reaktion, und als keine kam, unternahm er einen neuen Anlauf, wobei er versuchte, seiner Stimme einen überzeugend klingenden Ton zu verleihen. »Bei allem schuldigen Respekt, Sir! Bitte überlegen Sie sich das noch einmal! Die Stimmung hier vor Ort ist schon explosiv genug! Eine Verhaftung dieser Art heizt die Lage nur noch an! Sie riskieren damit ein Überkochen des Volkszorns! Wenn Sie mich fragen sollten, würde ich Ihnen bei der gegenwärtigen Lage dringend davon abraten, die Verhaftung hier im Terminal durchzuführen!« »Ich frage Sie aber nicht um Ihren Rat, Sergeant! Sie befolgen gefälligst Ihre Befehle! Und nun Schluß mit der Diskussion, basta!« Gaston Leroux spürte förmlich die Nervosität seiner Leute. Genau wie er wußten sie, welchen Aufruhr allein schon die Aufforderung an die verschleierte Mohammedanerin hervorrufen würde, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu enthüllen, geschweige denn, sie und ihre Begleiter festzunehmen. Die Bevölkerung würde das nicht nur als Affront gegen ihren Glauben, sondern auch gegen den Cahia betrachten und dementsprechend darauf reagieren. Ihm blieb keine Wahl, wenn er das Unheil verhindern wollte. Auch wenn es ihn den Job kosten würde. Vielleicht brachte dieser ver17
zweifelte Schritt Timmons zur Vernunft. »Nein, Sir! Diesen Wahnsinn mache ich nicht mit!« *
Dr. Warren Timmons blickte überrascht auf den Sergeanten. Das war glatte Insubordination. Wie konnte dieser kleine Unteroffizier es wagen, einen eindeutigen Befehl zu verweigern? Das konnte, durfte er auf keinen Fall dulden, wenn er seine Autorität nicht von Anfang an untergraben lassen wollte. »Sie sind vorläufig festgenommen, Sergeant! Händigen Sie Ihre Waffe einem der Männer aus!« sagte er mit fester Stimme. Er deutete auf einen der GSO-Leute. »Sie bleiben bei dem Festgenommenen! Die anderen mir nach!« Warren drehte sich einfach um und marschierte los. Dadurch ließ er den Leuten keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Wie erwartet erklang nach einem kurzen Zögern hinter ihm das Geräusch von Stiefeln. Timmons lächelte zufrieden. Seine Autorität war wiederhergestellt. Ebenso erfreute es ihn, wie respektvoll ihm die Menschen Platz machten und dann stehenblieben, um zu sehen, wem dieser Aufzug galt. Timmons gab das Halt-Kommando und blockierte so den Weg der kleinen Gruppe, die nun anhalten mußte, ob sie wollte oder nicht. Dann sprach er die Worte, die er sich während des Fluges ausgedacht hatte. »Sicherheitskontrolle! Nehmt dieser Person den Schleier ab. Ich möchte sehen, welches Gesicht sich darunter verbirgt!« Nicht nur die Gesichter der Begleiter der angeblichen »Frau« wurden bleich, sondern auch die aller Umstehenden. Doch Warren Timmons bekam davon nichts mit. Er hielt seinen abwartenden Blick fest auf die Gestalt vor ihm gerichtet. Als diese nicht reagierte, beschloß der GSO-Mann, selbst zur 18
Tat zu schreiten. Seine Rechte schoß vor, krallte sich in den schwarzen Stoff, ein kräftiger Ruck und... Warren Timmons starrte mit großen Augen in das Gesicht - einer jungen Frau! Er war so überrascht, daß ihm die tödliche Stille um ihn herum überhaupt nicht auffiel. »Ich habe mich...« Weiter kam der Unterabteilungsleiter der GSO mit seiner Entschuldigung nicht. Mit einem Schrei der Empörung und lange unterdrückter Wut entlud sich der aufgestaute Volkszorn, froh darüber, endlich ein Ventil gefunden zu haben. Wie eine Dampfwalze bewegte sich die Menge auf Timmons und die Wachleute zu, um sie unter sich zu begraben. »FEUER!« brüllte Timmons, von Panik erfüllt. Die Männer der Sicherheitstruppe wirbelten herum und zogen blindlings die Abzüge ihrer Waffen durch. Zum Glück für alle Betroffenen waren die Mündungen der Schocker über die Köpfe der Menge gerichtet, so daß kein Mensch zu schaden kam. Doch aufhalten ließ sich die Menge dadurch nicht. Langsam und drohend näherte sie sich den GSO-Leuten. Timmons hatte seine Panik überwunden. »Noch einmal über die Köpfe halten! FEUER!« Diesmal brachte das Surren der Paraschocker die Menge zwar noch nicht zum Stehen, verzögerte aber deutlich ihren Vorwärtsdrang. »Dies ist eine GSO-Operation!« brüllte Timmons. »Bitte verlassen Sie sofort den Terminal! Zwingen Sie uns nicht, das Feuer gezielt zu eröffnen!« Die Situation stand auf des Messers Schneide. Eine falsche Reaktion, und sie kippte um. »Sergeant Leroux!« Timmons' Stimme schwang sich durch die Halle. »Schocker auf Vollast! Eröffnen Sie das Feuer nach ei19
genem Ermessen!« »Verstanden, Sir!« reagierte der Unteroffizier sofort, obwohl er ja eigentlich festgenommen war. Aber was tat man nicht alles, um das Leben seiner Männer zu retten? Die Antwort in ihrem Rücken erzielte den gewünschten Effekt bei der Menge. Die Möglichkeit, in ein Kreuzfeuer zu geraten, dämpfte den Mut der Menschentraube. Sie begann sich langsam zu zerstreuen. Erleichtert atmete nicht nur Warren auf. Auch seine Leute waren froh, daß diese gefährliche Krise gemeistert war. Warren Timmons erinnerte sich an sein ursprüngliches Vorhaben und drehte sich um. Der Platz hinter ihm war leer. Offensichtlich hatten die Frau samt Begleitung die Gunst der Stunde genutzt und sich verdrückt. Warren Timmons' Gedanken rasten. Diese Flucht war der endgültige Beweis, daß etwas mit den Leuten des Cahia nicht in Ordnung war. Sie hatten irgendwie herausgefunden, daß er hinter das Geheimnis des als Frau verkleideten Mannes gekommen war, und einen Gegenplan ausgeheckt. Die Chance, die Identität des Unbekannten festzustellen, war nun vertan. Durch eigenes Verschulden gründlich vermasselt. Er würde seinen Vorgesetzten einiges zu erklären haben. Das warf kein gutes Licht auf ihn. Er konnte heilfroh sein, wenn man ihn nicht in Schimpf und Schande davonjagte. Und er mußte sich unbedingt bei Leroux entschuldigen. Der Sergeant hatte wirklich alles menschenmögliche versucht, ihn vor dieser bodenlosen Dummheit zu bewahren. Er wandte sich wieder um und ließ seinen Blick durch die große Halle schweifen. Die Männer des Cahia hatten sich unter die Menge gemischt und verschwanden gerade in Richtung eines Nebenausganges. Sollten sie ruhig. Er hatte für heute die Nase gestrichen voll. »Abrücken! Ich fahre mit zur Zentrale und erstatte sofort Bericht über dieses Desaster«, befahl er. »Wo steht der Transporter?« »Folgen Sie uns einfach, Sir«, erwiderte einer der Männer, und 20
ohne besondere Aufforderung setzte sich die kleine Gruppe in Zweierreihe in Bewegung. Es war wirklich reiner Zufall, daß das angeschlagene Tempo etwas zügiger als gewöhnlich war, genauso zufällig, wie auch der Transporter auf einem Platz abgestellt worden war, den man auf schnellstem Wege durch einen bestimmten Nebenausgang erreichte. Und zwar genau jenen, den sich auch die Männer des Cahia als Rückzugsweg auserkoren hatten. Als Timmons das erkannte, war es zu spät. Denn einer der Leibwächter warf einen Blick über die Schulter und bemerkte die GSO-Gruppe hinter ihm. Timmons blieb stehen, schloß die Augen und hoffte inbrünstig, daß dieser Kelch an ihm vorüberginge. Vielleicht hätte ein Gebet geholfen, denn Hoffen allein reichte in dieser Situation bei weitem nicht aus. Der Leibwächter zog auf der Stelle eine Schnellfeuerpistole und schoß in die Luft, wobei er laut schrie: »Die GSO will den Cahia verhaften!« Und diesmal war das Chaos perfekt. Die Menge, die bereits zur Hälfte den Terminal verlassen hatte, geriet in Unordnung. Der größere Teil der Menschen schloß sich zu einer undurchdringlichen Mauer zusammen, während der andere hinter jeder nur denkbaren Möglichkeit Deckung suchte. Timmons blickte auf den Wall vor ihm und erschauderte. Diese Menschen würden sich lieber töten lassen, als den Weg freizugeben. Wer dieses Potential für seine Zwecke ausnutzte, könnte spielend leicht in ganz Nordafrika einen Bürgerkrieg entfesseln. »Was schlagen Sie vor, Sergeant Leroux?« fragte Timmons den Unteroffizier neben sich. »Wir biegen ab zum Hauptausgang, so, als sei das schon immer unsere Absicht gewesen! Aber ganz, ganz langsam, Sir!« »Danke, Sergeant«, antwortete Timmons. Er zögerte einen Moment bevor er weitersprach. 21
»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Sergeant. Sie hatten recht und ich unrecht. Ich werde das in meinem Bericht lobend erwähnen!« * 16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 13.15 Uhr Ortszeit Stadtpalast des Cahia von Timbuktu Die Stirnwand des großen, unterirdischen Gewölbes bot gerade Platz für einen riesigen Bildschirm, der von kleineren und mittelgroßen umrahmt wurde. Das Großdisplay gab die gesamte Sahelzone wider, die mittleren die vier Regionen, während die kleineren Details zeigten. Der violette Kreis bezeichnete Alnura, den Ort, wo die nicht umgeschalteten Robonen als Soldaten getarnt an diesem »hellen« Tag zugeschlagen hatten. An den Terminals vor der Wand saßen Einheimische in Uniformen der Leibwache des Cahia von Timbuktu und gaben die Daten ein, die über ein älteres Datentransfermodul an der rechten Seitenwand hereinströmten. Und nach jeder Eingabe erschien auf den Displays ein weiterer roter Pfeil, über dem jeweils eine Uhrzeit stand. »Eine schöne Zentrale haben Sie sich da zugelegt, Sidi Mohammed. Sie haben damit meinen Traum erfüllt, einmal einen TelKommandostand in Funktion zu sehen! Wirklich, ein beeindrukkender Anblick. Ich denke, er genügt meinen bescheidenen Ansprüchen!« Chief-Mastersergeant Erwin Kulawski atmete tief durch, wandte sich von der Stirnwand ab und sah seine fünf Begleiter lächelnd an. Doch nur sein Mund lächelte. Seine Augen blickten todernst. »Hervorragende logistische Leistung, bei der Länge der Nachschublinien. Der Einfall, die Meldungen über das Festnetz nach 22
hier zu übertragen, übrigens auch. Zu viele Anrufe aus der gesamten Zone an Ihre Adresse würden nur die unnötige Aufmerksamkeit der GSO wecken!« Erwin Kulawski wirkte auf den ersten Blick wie ein Rausschmeißer oder Preisboxer. Doch dieser Eindruck täuschte. Hinter dem grobschlächtigen Gesicht verbarg sich ein analytischer Verstand, gepaart mit einem sehr subtilen Humor. Eine Mischung, die bei seinen Vorgesetzten nicht immer Anklang fand. Das hatte mehrere Gründe, dienstlicher und privater Natur. Kulawskis größte Schwierigkeiten ließen sich auf sein Äußeres zurückführen, weil kaum jemand hinter dem Preisboxergesicht einen scharfen Verstand vermutete. Er hätte sich diese Probleme ersparen können, wenn er das Offizierspatent auf Kriegszeit angenommen hätte, das beim Kommandierenden General für ihn in der Schreibtischschublade bereitlag. Kulawski war aber lieber Chief-Mastersergeant, als ein Lieutenant-Colonel, hinter dessen Rücken man munkelte, er verdanke die Ernennung nicht seinen Fähigkeiten, sondern nur der Protektion John Martells. Erwin Kulawski sah seine Vorgesetzte an. »Welche Schritte schlagen Sie für den heutigen Tag vor, Madam, Sir?« *
Colonel Harriet Stowes, Stabschefin des erst vor einem halben Jahr ins Leben gerufenen Raumkorps, eine dunkelblonde Frau mit Kurzhaarschnitt, hatte ihren Blick nicht von den Tel-Geräten nehmen können. Hier hatte sie die Chance, die Technik der Schwarzen Weißen unter Einsatzbedingungen zu testen. Eine unschätzbare Gelegenheit... für spätere Zeiten! Die Tel beherrschten ein Imperium von weit über 10.000 Planeten, das sich in Richtung der von Menschen besiedelten Welten ausdehnte. 23
Irgendwann mußten die beiden Rassen sich auf eine Abgrenzung ihrer Interessensphären einigen, wollten sie einen heißen Raumkrieg verhindern. Rein militärisch gesehen bedeutete Terra momentan keine echte Gefahr für das Telin-Imperium, aber wenn die Menschheit weiter mit dem jetzigen atemberaubenden Tempo ins Universum vorstieß, würde sich das in einigen Jahrzehnten ändern. Aus diesem Grunde bereiteten sich die »Schwarzen Weißen«, wie die Tel wegen ihrer nordischen Gesichtszüge und schwarzer Hautfarbe auch genannt wurden, auf den unausweichlichen Zusammenstoß vor. Eine geeinte Menschheit brauchte sich davor nicht zu fürchten. Doch die Giant-Invasion hatte außer wirtschaftlichen auch politische Schäden hinterlassen. Während der Schreckenszeit hatte die zentrale Regierung aufgehört zu funktionieren, deshalb mußte das fast fünfzigjährige Band der Einigkeit neu geknüpft und das alte Vertrauen in die Weltregierung wiederhergestellt werden. Das gestaltete sich schwieriger als man gedacht hatte, denn viele Politiker stellten nun ihr eigenes Land in den Mittelpunkt ihrer Interessen und nicht mehr die Erde als gemeinsame Heimat. Und das, obwohl die Menschheit mit Ren Dhark, dem Commander der Planeten, einen Mann an ihre Spitze gewählt hatte, der bei allen Völkerschaften vom Nordkap bis nach Feuerland bekannt und beliebt war. Diese Uneinigkeit wollten die nicht umgeschalteten Robonen ausnutzen, um Terra unter ihre Herrschaft zu bringen oder die Menschen zu vernichten. Weit gefährlicher als die sogenannten »Wahren Menschen« war aber der Verräter in der Führungsriege der GSO. Über seine Ziele war man sich im unklaren, doch man glaubte, daß er sich zum Herrn der Welt aufschwingen wollte. Der Verräter und die »Wahren Menschen« besaßen nun jeweils eine Variobombe. Diese teuflische Erfindung der Tel veränderte das energetische Gleichgewicht gasförmiger Stoffe auf subatoma24
rer Basis. Das führte dazu, daß Gase, die vom Vario angeregt wurden, sich immer weiter aufheizten, bis sie verbrannten. Gleichzeitig übertrug sich der Vorgang auf alle anderen Gase, die mit den vom Vario angeregten in Kontakt kamen. Auf diese Weise konnte die Besatzung eines Raumschiffs ausgeschaltet werden, indem man ihre Atemluft verbrannte. Aber das Vario war auch in der Lage, die gesamte Lufthülle eines Planeten in eine Feuerlohe zu verwandeln. Es brauchte zwar etwas mehr Zeit dafür als für ein Raumschiff - aber einmal ausgelöst, war der Prozeß nicht mehr umkehrbar. Hier in dem Gewölbe unterhalb des Stadtpalastes des Cahia von Timbuktu war das vorläufige Hauptquartier der wenigen Tel und Menschen, die den Untergang der Erde verhindern wollten. Harriet Stowes blickte auf die große Uhr an der Stirnwand über den Displays. 13.15 Uhr Ortszeit! Wenn die Details abgeklärt waren, würde man die Uhren aller an dem Einsatz beteiligten Einheiten auf eine gemeinsame Zeit umstellen, damit wegen der unterschiedlichen Zeitzonen keine Mißverständnisse aufkamen. »General Martell ist noch nicht über die gesicherte Verbindung erreichbar, Erwin. Wir müssen uns noch etwa eine Stunde gedulden. Doch ich zöge es vor, wenn General Drang bei dem Gespräch anwesend ist. Es könnte uns unnötige Rückfragen ersparen. Zeit ist im Augenblick unser kostbarstes Gut. Wenden wir uns daher dem Robonenproblem zu. Sie erwähnten vorhin etwas von dem Netz der tausend Augen, Hoheit! Ich nehme an, daß diese Pfeile damit zu tun haben! Kann man jetzt schon etwas Ordnung in das Chaos bringen, oder müssen wir warten, bis alle Meldungen hereingekommen sind?« *
Der Angesprochene wurde brutal aus seinen Gedanken gerissen. 25
So dauerte es einige Sekunden, bevor er reagierte. Sidi Mohammed el Bakhai, der Cahia von Timbuktu, ein hochgewachsener, vollbärtiger Mann, entstammte der Familie, die seit über zwei Jahrhunderten in dieser Region eine wichtige Rolle einnahm, selbst als dieser Teil der Welt noch von der französischen Kolonialmacht beherrscht wurde. Sidi Mohammeds Familie hatte zu den ersten Opfern der GiantInvasoren gezählt. Mohammed und seine Mutter überlebten nur, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt in einem Zeltlager der Tuaregs aufgehalten hatten, um an der Trauerfeier für seinen Großvater teilzunehmen. Mohammeds Mutter, das einzige Kind des einflußreichsten Tuareghäuptlings, hatte in ihrem Ehevertrag aushandeln lassen, daß der älteste Sohn sowohl auf sein Erbe als Cahia vorbereitet wurde als auch auf die Aufgabe als zukünftiges Oberhaupt des Wüstenvolkes, das sich seine kriegerische Natur im SaharaReservat bewahrt hatte. Sidi Mohammeds Vater und Großvater nahmen diese Aufgabe mehr als ernst und machten ihn zu einem Mann, der schon in jungen Jahren in beiden Welten von Freund und Feind respektiert wurde. Aus diesem Grunde hatte Sidi Mohammed keinerlei Schwierigkeiten, in den Wirren der Zeit nach der Invasion mit Hilfe der ihm treu ergebenen Stammeskrieger eine gewisse Ordnung in der Region Sahara aufrechtzuerhalten. Sidi Mohammed war einer der ersten, der seine Macht wieder an die Zentralgewalt abgetreten hatte, weil er fest davon überzeugt war, daß sich nur eine geeinte Menschheit erfolgreich gegen Feinde aus dem All zur Wehr setzen konnte. Doch seine in Ren Dharks Weltregierung gesetzten Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt. Zwar waren hohe Summen in die Sahelzone geflossen, aber nur sehr wenig davon hatte die eigentlichen Ziele erreicht. Der größte Teil war in dunklen Kanälen versickert, ohne daß Behörden, Militär oder gar die GSO energisch eingeschritten wären. 26
Daher hatte Sidi Mohammed lange überlegt, wie er der Sahelzone mehr politisches Gewicht verschaffen konnte. Als ihm dann ein hochrangiges Mitglied der GSO einen Vorschlag in diese Richtung gemacht hatte, hatte er in ein Bündnis eingewilligt. Eine fast an Unabhängigkeit grenzende Autonomie für den Sahel innerhalb des politischen Systems, wenn er dem Unbekannten helfen würde, Unruhe in der Region zu schüren, damit in Alamo Gordo eine Regierung an die Macht käme, die endlich für Recht und Gesetz auf der ganzen Welt sorgen könnte. Erst nach dem Taudeni-Massaker wurde Sidi Mohammed bewußt, daß er einen Pakt mit dem Scheitan geschlossen hatte. Und nun war er mit der Frau, deren Mann zu töten er geholfen hatte, hier unten in seiner geheimen Kommandozentrale, um dem drohenden Unheil Einhalt zu gebieten. »Besser wäre es schon, Lady Bedford-Carter, aber vielleicht ergeben sich noch einige Hinweise«, entgegnete er und ging zu einem der Uniformierten an den Terminals. »Beweise Colonel Stowes einmal, daß du genauso gut bist, wie das Militär, Hadi, wenn nicht sogar besser!« »Wie du befiehlst, Cahia!« Hadi, ein Tuareg etwa im Alter Sidi Mohammeds, ließ seine Finger über die Konsole tanzen. Sekunden später war der Schirm blank. Dann erschienen im Zehnsekundentakt auf dem Display ein Netz aus roten Linien, von denen einige blinkten, bevor sie wieder verblaßten. Zum Schluß baute sich ein Bild auf, das alle Linien zeigte, die durch den violetten Kreis führten oder ihn tangierten. »Bei den Blinkenden sind noch nicht alle Meldungen eingetroffen, Gebieter«, erklärte Hadi. »Und jetzt eliminiere ich die Bewegungen des Militärs im Sahel bis auf die um Alnura, vor und nach dem Überfall!« Harriet Stowes und Erwin Kulawski hoben unisono die Augenbrauen, doch bevor sie fragen konnten, gab der Cahia schon die Antwort. 27
»Ich konnte Professor Ben Akiba, den Leiter der hiesigen Sternwarte, nicht davon abbringen, mir die Hilfe seines Instituts zur Verfügung zu stellen. Das Observatorium verfügt zu Forschungszwecken über Geräte, mit denen die Sendungen der Luftraumüberwachung von Militär und GSO empfangen werden können!« Eine halbe Minute war der Schirm blank, dann füllte sich das Bild erneut. Breite blaue Linien überlagerten nun die dünneren roten, wobei nur wenige nicht verdeckte übrigblieben, von denen aber nur drei blinkten. »Jetzt die geraffte zeitliche Abfolge zehn Minuten vor dem Überfall bis zum Eintreffen des alarmierten Militärs, mein Gebieter!« Das Bild brach wieder zusammen. Dann zeigte sich ein blaues Dreieck oberhalb Alnuras auf dem Display, wanderte auf das Dorf zu, verlangsamte seine Geschwindigkeit beim Überflug und schwenkte kurz dahinter nach Osten ab. »Die Luftpatrouille der Regulären auf dem Rückflug zu ihrem Standort, Gebieter«, erklärte Hadi. Während das blaue Dreieck nach rechts verschwand, erschienen tief im Süden wie aus dem Nichts drei blinkende rote in einer Kettenformation und nahmen direkten Kurs auf Alnura. Nördlich des Ortes wendete die Formation, überflog Alnura mehrmals und nahm wieder direkten Kurs nach Süden. »Jetzt die Antwort des Militärs auf den Überfall! Es hat seine Alarmpläne gründlich überarbeitet. Achte bitte auch auf die Routinepatrouillen, Cahia!« Aus allen vier Himmelsrichtungen erschienen blaue Dreiecke, die auf Alnura zujagten, aber die Angreifer natürlich verpassen mußten. Überall auf dem Display änderten blaue Dreiecke ihren Kurs und bewegten sich nun konzentrisch auf den Ort des heimtückischen Überfalls zu. Nach menschlichen Ermessen konnten die Mörder nicht durch die Maschen dieses Netzes 28
schlüpfen. Aber sie taten es. Gebannt sahen die Anwesenden zu, wie die roten Dreiecke sich genau zwischen zwei blauen hindurchbewegten. »Wie groß ist der Abstand beim Vorbeiflug, Cahia?« warf Kulawski ein. »Sichtweite oder Ortungsbereich?« »Hadi?« »Knapp außer Sichtweite, doch noch innerhalb der Reichweite ihrer bordeigenen Geräte, Gebieter! Also robonischer Ortungsschutz, wie schon vermutet.« »Damit haben wir endlich einen Hinweis auf das Versteck dieser Mörderbande! Woher stammt die letzte Meldung?« »Einen Augenblick Geduld, Gebieter.« Die drei roten Dreiecke wanderten weiter nach Süden und verschwanden dann spurlos vom Display. »Das müßte ungefähr bei Gaura sein, Gebieter! Eine der wenigen Ortschaften, deren Meldung noch aussteht!« »Wir brauchen dringend die Informationen von dort, Hadi! Sie sollen durchgeben, was sie haben!« Sidi Mohammed wandte sich vom Display ab. »Wenn die Robonen in Gaura gesichtet wurden, sind sie in die Meraia eingeflogen, aber nicht mehr herausgekommen, denn dann hätte man das aus den Nachbarregionen gemeldet. Falls nicht...« Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn jeder in dem Gewölbe wußte, was das bedeutete. Noch galt die Übereinkunft zwischen Tel und »Wahren Menschen«. Also würden Morgen und Übermorgen erneut Unschuldige sterben müssen, bevor das Netz der tausend Augen vielleicht verwertbarere Ergebnisse bringen konnte. »Und selbst wenn wir wissen, daß die Mörder in der Meraia sind, haben wir immer noch nicht das Versteck! Das sind Tausende Quadratkilometer Wüste!« murmelte Sidi Mohammed leicht entmutigt. »Wie soll man sie dort nur aufstöbern?« »Phase Zwo b, Cahia«, beantwortete Harriet Stowes den Stoß29
seufzer des Fürsten. Alle im Raum, bis auf Hadi, der aufgeregt in ein Handvipho sprach, drehten sich zu der Obristin um und starrten sie verwirrt an. »Ein Zitat aus einer Unterhaltung mit General Martell!« sagte sie erklärend. »Erste Phase, Deckung nehmen, zweite, warten bis der böse Feind seine Deckung verläßt, dann mit allen Kräften zuschlagen. Und wenn der Gegner sich partout nicht zeigen will, muß man ihn eben hervorlocken!« »Also eine Variante der berühmten Stahlhelmhochhaltemasche aus den uralten Kriegsfilmen, Colonel«, stellte Kulawski fest. »Könnte klappen! Doch bevor wir uns darauf verlassen, sollten wir uns besser eine andere Methode überlegen!« »Was gibt es da noch zu überlegen, Chief? Der Cahia wird diese Bestien zwingen, ihre Höhle zu verlassen...« Mary Strong, die ehemalige GSO-Agentin, hatte bisher nur mit halbem Ohr zugehört und über den heutigen Tag nachgedacht. Über das, was war, und das, was noch kommen könnte. Sie kannte die unterirdische Kommandozentrale schon seit Tagen. Auch das Netz, in dessen Schlingen die Robonen nun zappelten, schließlich war ihr der blumige Name dafür eingefallen. Dazu einige kleine, aber wichtige Details, die die Aufgabe der vielen beteiligten Menschen vereinfachten. Woher sollten Mohammed, Larr und Tor sich auch so genau in Geheimdienstmethoden auskennen? Der Chief und diese Obristin waren offensichtlich in ihrem Metier besser als beim Touristen spielen. Die beiden würden ein gutes Gespann abgeben, wenn sie erst einmal richtig aufeinander eingespielt waren. Dieser Rausschmeißer dachte schnell und, was selten war, auch äußerst methodisch. Das konnte sie seinen Antworten entnehmen. Colonel Stowes dagegen dachte noch schneller, aber... wie sollte sie es ausdrücken, ohne der Frau Unrecht zu tun? Ja genau, das war der Unterschied zwischen ihnen. Als Schachspieler würden sie zwei grundsätzlich verschiedene Spielauffassungen verkörpern. 30
Vom Typ her packte der Chief das Spiel methodisch an. Bereits seine Eröffnung, auch wenn sie ein Standardzug war, basierte auf einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan, in den schon die voraussichtlichen Reaktionen des Gegners einkalkuliert waren. Passierten dennoch Fehler, so wurden sie im Verlauf des Spiels korrigiert. Nichts blieb dem Zufall überlassen, selbst einer seiner Bauern, der einsam, verloren und scheinbar ungefährlich am Spielfeldrand sein Schattendasein fristete, konnte sich plötzlich zur entscheidenden Figur entwickeln. Der Chief siegte, weil er seine Gegner ausmanövrierte, sie langsam und unaufhaltsam in eine derart ausweglose Lage brachte, daß sie die Waffen streckten. Die Obristin verkörperte nach Marys Einschätzung die gegensätzliche Einstellung. Sie kam beim Blitzschach voll zum Tragen, weil man dort binnen weniger Sekunden ziehen mußte, oder man hatte verloren. Colonel Stowes zog es vor, den Gegner zu packen, sobald sie ihn zu fassen bekam. Sie suchte die Entscheidung bereits in der Anfangsphase: den Feind so vernichtend zu schlagen, daß ihm weiterer Widerstand sinnlos erschien. Bei dieser Art Vorgehen konnte sich der kleinste Fehler verhängnisvoll auswirken, weil keine Zeit mehr blieb, ihn zu korrigieren. Deshalb gehörten dazu nicht nur ein brillanter Verstand, sondern auch ein gewisser Instinkt und jede Menge Einfallsreichtum, sowie ungeheures Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die der Truppe. Vielleicht war Colonel Stowes auch deshalb der Blitzschachtyp, weil es dabei kein Remis, kein Unentschieden gab, sondern nur Sieg, Niederlage oder ein Patt, die beiderseitige Unfähigkeit, den Gegner zu besiegen. Auf einen Krieg übertragen bedeutete das nicht unbedingt, daß die Vorgehensweise des Chiefs weniger Blutzoll forderte. Eher war das Gegenteil der Fall. In dem einen Falle starben viele Soldaten in den frühen Entscheidungsschlachten und es herrschte sehr 31
schnell wieder Frieden. Im anderen zogen sich das Sterben und die Leiden über Wochen, Monate oder Jahre hin. Mary Strong war sich nicht sicher, welche Methode der anderen vorzuziehen war. Aber sie war sich sicher, daß ihr ein Gegner wie der Chief lieber wäre. Bei ihm bestand wenigstens noch die Hoffnung auf ein Wunder, denn er wollte einfach nur gewinnen. Die Obristin dagegen kämpfte nicht, um den Gegner zu besiegen, sondern um ihn zu vernichten. Und bei dem unvermeidbaren Gespräch über das Taudeni-Massaker und den Tod von Captain Yalef hatte sie Angst vor der Reaktion der Obristin. Sie würde bei den Verantwortlichen für den Tod ihres Lebensgefährten kein Erbarmen kennen. Was aber würde dann aus Mohammed und seinen Plänen? Er bekam nur eine Chance, sie zu verwirklichen, wenn er mit Glanz und Gloria aus der Bredouille herauskam. Mary würde alles unternehmen, damit seine Träume in Erfüllung gingen. In diesem Zusammenhang schössen ihr die Worte des Chiefs durch den Kopf. »Ich würde es Miß Strong bald sagen, Cahia, denn viel Zeit bleibt Ihnen beiden möglicherweise nicht mehr.« Meinte er vielleicht das, was sie nie zu hoffen gewagt hatte? Von diesem Augenblick an war ihr kein einziges Wort in dem Raum entgangen. Und sie wußte, was Chief Kulawski nur angedeutet hatte, bevor er oder ein anderer im Raum es aussprach. »... entweder mit einem Köder, den die Mörderbrut einfach nicht verschmähen kann, oder sie werden so gereizt, daß sie rasend vor Wut blindlings zuschlagen!« Bevor Mary noch ihren nächsten Vorschlag vorbringen konnte, meldete sich Hadi. »Ich habe den Ortsvorsteher von Gaura erreicht, Gebieter. Er möchte mit dem Cahia sprechen.« Auf dem Großdisplay bog nun die rote Linie im rechten Winkel nach Westen ab. Das Blinken erstarb. Dieser Kurs galt nun als bestätigte Information. 32
Hadi zoomte das Bild hoch und unterlegte es mit der 3D-Karte, damit auch topographische Einzelheiten erkennbar wurden. Jetzt begann das Werk der Spezialisten, die anhand der vorhandenen Daten herausfinden sollten, welche Fragen vor Ort noch geklärt werden mußten. Das Versteck der Robonen lag irgendwo in der Wüste Meraia. Ihre Schlußfolgerungen oder auch Befürchtungen hatten sich bestätigt. Aller Augen folgten dem Cahia, als er hinüber zur Stirnwand ging, bevor Hadi ihm das Handvipho bringen konnte. Sie ahnten, daß der Dorfvorsteher gute Gründe für seinen Wunsch haben mußte. Sie konnten nicht hören, was der Vorsteher sagte, aber am Zusammenzucken Sidi Mohammeds merkten sie, daß es wohl keine gute Nachricht war. »Ich weiß, daß es den Kummer der Familien nicht lindern wird, aber sage ihnen, daß ich ihre Trauer teile.« Dann sagte er etwas, das nur die Rechtgläubigen in der Zentrale verstanden. Sie nickten zustimmend, als Mohammed den 45. Vers der 35. Sure zitierte. Jene Stelle, in der es hieß, daß allein der Allbarmherzige weiß, wann ein Mensch abberufen wird. Und er schloß: »Ali, Hassan und Amina bleiben nicht nur von ihren Angehörigen unvergessen, sondern sie werden eingehen in das Gedenken aller Menschen, weil sie geholfen haben, die Iblis in ihre Schranken zu weisen. Gepriesen sei der Herr der Majestät und Gnade.« Sidi Mohammed drehte sich um. Seine Augen verrieten, wie sehr ihn die Nachricht getroffen hatte. »Zwei Knaben, acht und neun Jahre, und Amina, eine junge Frau, starben für diese Information. Drei weitere Leben, für die ich beim Allgerechten Rechenschaft ablegen muß!« »Kein Mensch darf sich seiner Verantwortung entziehen, Cahia!« erwiderte Mary auf die Selbstvorwürfe Sidi Mohammeds. »Weder Ihr, Hoheit, noch ich. Wir wissen nun, wo wir nach den 33
Robonen suchen müssen. Aber wir wissen noch nicht wo der Verräter steckt! Ich könnte ihn aus der Reserve locken, wenn ich den Lockvogel spiele.« »Nein! Ich verbiete es dir!« »Dazu hast du...« Das Öffnen der Gewölbetür verhinderte, daß zwischen Mary Strong und Sidi Mohammed ein hitziges Wortgefecht entbrannte, weil keiner der beiden die wahren Motive für sein Verhalten vor dem anderen preisgeben wollte. Auf der Schwelle erschien Jassir, der hakennasige Anführer der Leibwache. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sprach Bände. Nahmen denn an diesem Tage die schlechten Botschaften kein Ende? »Der Zenträlsensor von Telstar steht zu deiner Verfügung, Gebieter. Er wird sofort hierhergeschafft. Doch ich möchte dich bitten, einen Besucher unter deinem Dach willkommen zu heißen. Ich habe ihm in deinem Namen Gastrecht angeboten!« Sidi Mohammed nickte zustimmend. Er wußte, daß Jassir ihm treu ergeben war und nur so handelte, wenn es im Sinne seines Gebieters war. »Kenne ich ihn, Jassir?« »Ich glaube nicht, Cahia! Er gehörte zu den Männern, die gestern bei dem Zwischenfall am Tor dabei waren!« »Einer von der Timbuktu-Miliz?« »Nein, Gebieter! Es ist dieser Rothaarige, der ihnen in Taudeni geholfen hat! Er tauchte vor Telstar-Enterprises auf, als deine Befehle ausgeführt wurden. Ich hielt es für besser, ihn einzuladen!« »Deine Entscheidung ist meine, Jassir«, stimmte Sidi Mohammed zu. Bei dem Sachwert »Rothaariger« zuckten Harriet Stowes und Kulawski zusammen. Beide ahnten sofort, wer der neue Gast war. Seine Anwesenheit an einem der Brennpunkte des Geschehens räumte die letzten Zweifel über die beruflichen Fähigkeiten des Reporters von Terra-Press aus - wenn sie denn überhaupt bestan34
den hatten. Sie blickten sich an und erkannten, daß sie den gleichen Gedanken hatten. Bert Stranger besaß außer seiner Spürnase noch andere Qualitäten, die hier jetzt dringender benötigt wurden denn je. »Hoheit?« »Ja, Colonel Stowes?« »Das Schicksal geht oft seltsame Wege! Sprechen Sie mit dem Mann, weihen Sie ihn in alles ein, und nach dem Gespräch werden Sie nicht nur Jassir aus vollem Herzen Ihre Dankbarkeit beweisen!« »Kennen Sie ihn?« »Kennen ist nicht das richtige Wort, Hoheit! Ein Mann, dem General Martell volles Vertrauen schenkt und der zu den wenigen echten Freunden von Bernd Eylers und vielleicht sogar des Commanders der Planeten zählt, wäre ein unschätzbarer Verbündeter für unsere Sache.« »Martell vertraut ihm?« »Uneingeschränkt, Hoheit!« *
Bert Stranger fühlte sich absolut unwohl in seiner Haut. Der kleine, dicke, ja kugelrunde rothaarige Reporter saß eingeklemmt zwischen zwei grimmig aussehenden Männern im Fond eines Bodenfahrzeugs. Die einzige Hoffnung, die er noch besaß, setzte er in Hakennases Worte. »Darf ich Sie für einige Tage einladen, Gast meines Gebieters zu sein? Er wird Ihnen dann alles erklären! Wenn Sie mir bitte folgen würden. Im Wagen wartet es sich bequemer!« Aber wenn er gelogen hatte, konnte sich der Reporter seine Zukunft so richtig ausmalen. Und es waren keine angenehmen Bilder, die ihm vorschwebten, als die kleine Kolonne die Innenstadt von Timbuktu durchquerte. 35
Die Männer des Cahia hatten ganze Arbeit bei Telstar-Enterprises geleistet. Nach etwa fünfzehn Minuten begannen sie, Material aus dem Gebäude zu schleppen und in den Kofferräumen der drei Bodenfahrzeuge zu verstauen, während Hakennase zu den Menschen sprach, die sofort wilde Drohungen ausstießen. Stranger konnte es zwar nicht verstehen, aber Mimik und Gestik waren unmißverständlich. Er erkannte gleichfalls, daß Hakennase danach Mühe hatte, die Menge von einem Sturm auf das Gebäude abzuhalten. In der Zwischenzeit hatte die Feuerwehr sich auf ihren bevorstehenden Einsatz vorbereitet, den Bürgersteig vor dem Gebäude abgesperrt, Schläuche ausgerollt und an Hydranten angeschlossen, die Drehleiter ausgefahren und bemannt, bereit, einen Brand zu löschen, der noch gar nicht ausgebrochen war. Wenig später schlugen die ersten Flammen aus dem Haus, doch die Feuerwehr beschränkte ihren Einsatz darauf, zu verhindern, daß die Flammen auf die Nebengebäude übergriffen. Dabei achteten die Wehrmänner sorgfältig darauf, daß auch ja nicht der Eindruck entstehen könnte, daß sie den Brand etwa löschen wollten. »Was haben Sie den Menschen erzählt, Mister, wenn man fragen darf?« hatte Bert Stranger Hakennase gefragt, als sie unter dem Beifall der Menge den Schauplatz verlassen hatten. Hakennase hatte ihn prüfend gemustert, bevor er sich entschied, Stranger einer Antwort zu würdigen. »Nur, daß die Bewohner Feinde meines Gebieters sind, die Gefahr über alle Gläubigen gebracht haben. Und daß es die heilige Pflicht des Cahia war, sie zu richten!« Stranger hatte sich seine Überraschung darüber nicht anmerken lassen. Die Macht im Lande besaßen die regionalen Behörden nur, weil Sidi Mohammed freiwillig darauf verzichtet hatte. Ein Wort von ihm, und die Bevölkerung würde ihn wieder begeistert als ihren Führer feiern. Die Kolonne erreichte die Straße, an der der Stadtpalast lag, stoppte kurz vor dem sich sofort öffnendem Gittertor und fuhr 36
dann weiter bis zum Eingang des Palastgebäudes, wo sie anhielt. Als Stranger das Fahrzeug verließ, spürte er die angespannte Atmosphäre, die über dem gesamten Anwesen lag. Gestern war sie ganz anders gewesen, trotz der gefährlichen Situation am Tor. Während der Reporter Hakennase durch die Halle folgte, versuchte er, sich die Nachrichtensendungen ins Gedächtnis zu rufen, die er sich vor dem Frühstück ohne großes Interesse angeschaut hatte. Aber weltbewegende Neuigkeiten hatte man in ihnen nicht verkündet. Meldungen aus Timbuktu waren nicht länger der Aufhänger der Sendungen, sondern rangierten unter ferner liefen. Genau wie die kleine Meldung, daß sich der Erste Stellvertretende Direktor der GSO wegen einer Blinddarmreizung ins Krankenhaus begeben hatte und die Leitung der Amtsgeschäfte nun kommissarisch vom Koordinator für GSO-Aktivitäten wahrgenommen wurde. Die Nachricht war so unbedeutend, daß man den Namen Fred Darnelle nicht einmal erwähnt hatte! Diese Meldungen konnten nicht die Ursache für das soeben Erlebte sein! Was immer auch vorgefallen war, es mußte wirklich schwerwiegender Natur sein, denn es hatte den Cahia gezwungen, derart massiv gegen Telstar vorzugehen. Die Lage in Timbuktu wurde von Sekunde zu Sekunde verwirrender, selbst für einen abgebrühten Reporter wie Bert Stranger. Ein Raum, ringsum mit halbhohen Bänken und kleinen, hockerähnlichen Tischchen ausgestattet, war das Ziel seines Führers. »Ich lasse Sie jetzt allein, um den Cahia zu benachrichtigen. Wenn Sie Mokka oder Tee möchten, genügt ein Läuten!« Hakennase zeigte auf quastenbewehrte Bänder, die in regelmäßigen Abständen die Wände zierten. »Mein Gebieter wird Ihnen alles erklären, sobald er sich freimachen kann. Und wie ich schon erwähnte, Mister, Sie weilen als Gast unter diesem Dach!« Die Tür schloß sich hinter Hakennase, und der Reporter war al37
lein in einem Raum, dessen geöffnete Türen in den Park führten. Dieser Beweis, daß Hakennase die Wahrheit sagte, und die Tatsache, daß man ihn nicht gefilzt hatte, ließen Strangers Sorgen um sein Leben schwinden. Im islamischen Kulturkreis war auch im 21. Jahrhundert das Gastrecht noch heilig. So lange er dieses Recht nicht mißbrauchte, war er hier so sicher wie in Abrahams Schoß! Bert Stranger ließ sich auf eine der Wandbänke plumpsen, streckte die Beine von sich und beschloß, die Probe aufs Exempel zu machen. Er zog an einem der Bänder und wettete mit sich selber, wer wohl zuerst den Raum betreten würde, eine wunderschöne arabische Dienerin oder der Hausherr. Dann harrte der Starreporter von TerraPress der Dinge, die da kommen mochten. *
Bert Strangers Geduld wurde nicht lange auf die Probe gestellt. Schon nach wenigen Minuten näherten sich unüberhörbar mehrere Personen dem Raum. Erleichtert sank der Reporter wieder auf die Bank zurück, als er am Klang der Schritte erkannte, daß auch Frauen unter den Ankömmlingen sein mußten. Er setzte seine beste Unschuldsmiene auf und sah mit seinem Babyblick zur Tür. Allerdings beschloß er, seinen Gastgeber nicht sofort mit einer flapsigen Bemerkung zu vergrätzen. Doch dann fiel dem schlagfertigen Reporter wirklich nichts ein, als er die Frau erkannte, die er als erste zu Gesicht bekam. Colonel Harriet Stowes in ihrer Hauptrolle als Lady Margaret Bedford-Carter! An ihren Fersen klebte ein Pärchen in orientalischen Gewändern. Der Mann war offensichtlich der Cahia. Die Rolle der Weißblonden, die ihn aus intelligenten Augen über einen dünnen Gesichtsschleier hinweg mißtrauisch musterte, konnte er nicht einordnen. Der Kleiderschrank und die Kleine neben ihm 38
gehörten aber offensichtlich zu der britischen Dampflok. Doch der Anblick der Frau, die das Ende der Gruppe bildete, stürzte Bert in Verwirrung. Eine waschechte Tel in einer ihm unbekannten Felduniform. Strangers Reporterherz begann wie rasend zu schlagen. Das könnte die Story aller Storys sein, doch gleichzeitig flüsterte in seinem Hinterkopf eine Stimme, die ihm zwar völlig recht gab, aber gleichzeitig auch versicherte, daß er diese Geschichte niemals veröffentlichen könnte, würde oder gar wollte. Knapp 45 Minuten später war aus der Einflüsterung Erkenntnis geworden. Nach seinem jetzigen Wissensstand hatte er vorerst jegliches Interesse an einer Publikation der Story aller Storys verloren. Zuerst hatte sich Bert Stranger zurückgehalten und nur gelauscht, ohne etwas vom eigenen Wissen preiszugeben. Doch die rückhaltlose Offenheit seiner Gegenüber, gepaart mit seinen Informationen, ergaben ein Schreckensszenario, wie es schlimmer nicht hätte sein können. Also hatte auch er seine Karten offengelegt und wirklich kein As mehr im Ärmel zurückgehalten, es sei denn, er hätte eines durch Zufall vergessen. Jetzt lagen alle ihre Trümpfe auf dem Tisch. Sie mußten nur in der richtigen Reihenfolge ausgespielt werden, dann hatte man vielleicht Erfolg. Sein Kopf dröhnte zwar immer noch wie eine Kesselpauke. Doch allmählich fiel es ihm nicht mehr so schwer wie noch vor wenigen Minuten, seine Gedanken auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Schreckensmeldungen hatten sein Gehirn wie eine Tsunami überrollt, die erst jetzt ein wenig abebbte. Er brauchte dringend eine Pause, um Abstand zu gewinnen.
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16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 17.55 Ortszeit Stadtpalast des Cahia, Timbuktu Bert Stranger sah sich im Kreis seiner neuen Bundesgenossen um. Er hätte sich nie im Leben träumen lassen, daß er gemeinsam mit Kommißköpfen, einem einheimischen Edelmann, der damit rechnen mußte, als Hochverräter angeklagt zu werden, einer ehemaligen GSO-Agentin und zwei Tel-Offizieren gegen die Allmacht der Galaktischen Sicherheitsorganisation und die haßerfüllten Robonen antreten würde. Allerdings waren noch einige Fragen offen. Harriet Stowes hatte versucht, John Martell über die veränderte Situation zu informieren. Doch der General war unterwegs, um irgendein Museum in Nebraska zu eröffnen, untergebracht in der wichtigsten Kommandozentrale aus dem sogenannten Kalten Krieg, jener Übergangszeit, in der das »Gleichgewicht des Schreckens« einen unfreiwilligen Frieden zwischen den Großmächten garantiert hatte. »General zu sein ist manchmal die reinste Hölle«, sinnierte Bert Stranger, denn auch Bänderdurchschneiden mit dem sich daran anschließenden kleinen Imbiß - Kaviar und Champagner - gehörte zu den Pflichten eines Kommandierenden Generals von Terra Command. Harriet Stowes hatte für ihren Anruf die vereinbarte Methode benutzt. Einfach und für kurze Zeit relativ sicher, obwohl die GSO Martell abhören dürfte. Einer der abgesprochen Wege wurde nur für die Kontaktaufnahme benutzt, der andere, um dann ungestört Ta-cheles reden zu können. Kulawski hatte ihm erklärt, daß die Galaktische Sicherheitsor40
ganisation grundsätzlich die gesamte Kommunikation auf der Erde überwachte. Natürlich krochen heute keine Geheimagenten mehr in feuchten Kabel schachten herum oder erklommen Telefonmasten, um Leitungen anzuzapfen. Diese Methoden konnten jedoch bald schon wieder zum Einsatz kommen, weil man nach den bitteren Erfahrungen während der Giant-Invasion wieder verstärkt auf die überregionalen Festnetzverbindungen zurückgriff. Moderne Überwachungsanlagen reagierten auf festgelegte Stichworte wie Namen, Begriffe usw. Erst wenn diese fielen, filterten die Geräte das Gespräch heraus und zeichneten es auf. Das galt auch, wenn Stimmen verzerrt oder Zerhacker benutzt wurden, sowie Anrufe zu ungewöhnlichen Zeiten kamen. Also meldete sich Harriet Stowes nicht nach Feierabend in der Wohnung des Generals oder wenn Martell im Dienstwagen unterwegs war. Sie meldete sich zu den normalen Bürozeiten als Lady Margaret Bedford-Carter, die im Auftrag ihres Vaters anrief, der gerne vom General etwas über T-XXX wissen wollte, das nicht in den offiziellen Berichten auftauchte oder auftauchen durfte. Wenn die GSO Verdacht schöpfen sollte, den Anruf zurückverfolgte und den in solchen Fällen üblichen »Sony, da habe ich mich wohl verwählt!«-Kontrollanruf bei der betreffenden Nummer tätigte, meldete sich eine kultivierte Stimme mit unverwechselbaren Oxforddialekt: »James Digby, Privatsekretär des 16. Earl of Bedford. Wie darf Ich Ihnen behilflich sein?« Harriets Vater war ein weltbekannter Militärhistoriker und besaß aus seiner Dienstzeit her ein Privileg, um daß ihn alle Offiziere britischer Herkunft beneideten. Wenn, wie immer noch unter ihnen üblich, ein Toast auf das Herrscherhaus ausgebracht wurde, blieb er demonstrativ sitzen. Ein Recht seines Regiments, daß in mehr als 300 Jahren zur Pflicht geworden war. Wer dagegen verstieß, wurde mit Schimpf und Schande des Offizierskorps verwiesen, sein Namen aus der Stammliste des Regimentes gestrichen. Da der Earl die Ereignisse in dem unterirdischen Stützpunkt tatsächlich militärhistorisch aufarbeitete, verlieh das den Anrufen 41
bei Martell absolute Glaubwürdigkeit. Bedford-Carter und T-XXX waren für Martell das Signal, mit Colonel Stowes Kontakt aufzunehmen. Lady Margaret bedeutete schnellstens. Auch die Rückmeldung lief über den nur zu diesem Zweck benutzten Apparat in Bedford Hall. Am Tag nahm James das Gespräch an und leitete es via Satellit über London, Kapstadt und Kairo an Harriet weiter. Zu den anderen Zeiten besorgte ein Automat die Arbeit. Falls das Gespräch abgehört wurde, entging den Lauschern, daß einer der Teilnehmer nicht aus England das Gespräch führte, sondern aus Timbuktu. Diese Verbindung ließ sich zwar theoretisch bis zum Ziel weiterverfolgen, aber da mehrere Satelliten benutzt wurden, wäre dazu ein gewaltiger Aufwand erforderlich gewesen. Die Gespräche selbst blieben unverfänglich, weil in dem Wust der Fakten die eigentliche Nachricht nur von Eingeweihten erkennbar war. Den Code kannten nur Harriet Stowes und Martell. Das, was die GSO nicht wissen durfte, lief über die Geheimnummer einer der vielen Bedford'schen Stadtwohnungen in London. Von dort ging es über das bewußte Vipho in Bedford Hall weiter an Harriet. Carlotta Santinis Getreue arbeiteten inzwischen mit Hochdruck an einer technischen Möglichkeit, mit der man die GSO bei der Militärkommunikation austricksen konnte. Wahrscheinlich würde aber das Parlament entsprechende Gesetze beschließen müssen ähnlich jenen, die einen Machtmißbrauch des Militärs verhindern sollten. Bert Stranger hatte zum einen keinen Zweifel, daß General Martell alles in die Waagschale werfen würde, was er aufbieten konnte. Doch durch den, wie er nun annahm, von Darnelle provozierten Konflikt mit der GSO waren seine Machtmittel begrenzt, weil der General nicht mehr wissen konnte, wer ihm noch die Stange hielt. 42
Zum anderen konnte sich Stranger auch nicht vorstellen, daß die quasi desertierten Tel Terra alle ihre militärischen und technischen Geheimnisse ohne Vorbehalte überlassen würden. Kewir Larr Drawls Beiträge zum gegenseitigen Austausch von Informationen hatten dem Reporter bewiesen, daß sie zwar die perfiden Befehle zur Vernichtung eines ganzen Planeten aus Gewissensgründen verweigerte, aber ihre Rasse niemals verraten würde. Das galt wohl auch für Tor Drang, das noch fehlende Mitglied der Gruppe. Der Tel-General wurde jeden Augenblick mit Neuigkeiten über Martin Concord erwartet. Man wollte dann beim Abendessen noch einmal kurz die mitgebrachten Informationen besprechen, bevor man in der Kommandozentrale den ersten gemeinsamen Kriegsrat abhielt, bei dem Strategie und Taktik festgelegt sowie die erforderlichen Schritte eingeleitet werden sollten. Die vergangenen Stunden bis zu dieser Zusammenkunft hatte man damit verbracht, sich im Palast häuslich einzurichten, die vorhandenen Informationen für sich allein zu verarbeiten oder andere Dinge zu erledigen, die unaufschiebbar waren - jedoch vor allem, um die letzten offenstehenden Fragen, Mißverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten untereinander aus der Welt zu schaffen, soweit es eben möglich war. Denn von nun an durfte kein Sand mehr ins Getriebe geraten. *
Die Obristin unterdrückte ihre wahren Gefühle gut. Aber wer genauer hinsah, erkannte die Mischung aus Trauer, Wut und Hilflosigkeit hinter ihrer gelassenen Miene. Harriet Stowes wußte, daß die Robonen ihren Lebensgefährten Captain Clark Yalef ermordet hatten. Und sie wußte, daß der Cahia und die Tel mitschuldig an seinem Tode waren. Von ihrem Gespräch mit Mohammed, Larr und Tor über die näheren Umstände hing der Erfolg eines Teil des Unternehmens ab. Wenn Harriet dabei zerbrach, dann auf Wiedersehen Erde. 43
Beim Kriegsrat wollte Bert Stranger vorschlagen, daß Harriet und Larr Drawl sich der »Wahren Menschen« annahmen. Als ausgebildete Stabsoffiziere waren beide hervorragend dazu geeignet, diese rein militärische Aktion optimal zu planen und durchzuführen. Vielleicht verhinderte die Zusammenarbeit sogar, daß Harriets ohnmächtiger Zorn in blinden Haß umschlug. Die Entlarvung des Verräters bliebe dann zum größten Teil Aufgabe der anderen. Über das Wie würde man sich schon einig. Bert hatte in dieser Hinsicht äußerst interessante Vorschläge parat. Zieht euch wann an, Freunde beim Militär und GSO, denn ihr habt mich jetzt wirklich wütend gemacht, dachte er grinsend. Dann wandte der Reporter seine Aufmerksamkeit wieder dem Tel-General Tor Drang zu. Stranger war wirklich begierig darauf, mit diesem Fremden zu reden. Sich so lange auf der Heimatwelt eines potentiellen Gegners unerkannt zu behaupten, war eine persönliche Leistung, die er neidlos anerkannte. Bestimmt erhielt er bei dem Gespräch einige Hinweise auf die Lücken im irdischen Sicherheitssystem, die er dann seinem Bernd Eylers brühwarm unter seine Nase reiben würde, wenn der von dem Treffen mit Ren Dhark zur Erde zurückkehrte. Falls es sie dann noch gab. Verdammt, man müßte sich auch mal was einfallen lassen, daß nicht alle Gedanken ständig um die gleichen Themen kreisten. Auch das beste Gehirn brauchte eine schöpferische Pause. *
Hadi und ein hochgewachsener Tel in normaler Kleidung betraten gemeinsam gegen 18.30 Uhr das Gemach. Doch ihre Gesichter zeigten, daß die Neuigkeiten, die sie mitbrachten, wenig gemeinsam hatten. Hadi strahlte wie ein Honigkuchenpferd, während die Miene des Tel beim Anblick der vielen unbekannten Gesichter von Niederge44
schlagenheit in Überraschung umschlug. »Entschuldige, Tor, wenn ich dich erst später mit den anderen bekannt mache. Ich denke, wir hören uns zuerst die guten Nachrichten an«, sagte der Cahia verständnisheischend, während er sich geschmeidig erhob und auf die beiden zuging. »Was läßt deine Augen so strahlen wie die Sonne, Hadi? Hat sich die Tochter deiner Schwiegermutter bei dir gemeldet?« Hadi grinste, als ihn sein Gebieter mit der alten Umschreibung für die Ehefrau aufzog, und reagierte dementsprechend. »Würde mein Gebieter endlich daran denken, sich um eine eigene Schwiegermutter zu bemühen, dann würde es in Timbuktu niemals Nacht, Cahia! Das Freitagsgebet wäre der geeignete Ort dafür. Man vermißt dich dort schon.« Sidi Mohammed lachte schallend über diese versteckte Mahnung an seine Pflichten als Cahia und klopfte dem Mann freundschaftlich auf die Schulter. »Überlegenswert, Hadi, allein schon, um nicht mehr von Fatmes Neugier verfolgt zur werden«, lachte Mohammed. »Grüße sie von mir! Aber weshalb hast du wirklich deinen Kerker verlassen?« »Wir haben den Code von Telstar-Enterprises geknackt. Alle ihre kleinen Geheimnisse stehen uns nun zur Verfügung. Dank der Hinweise Kewir Drawls konnten wir auch die Spuren der bewußten Lieferungen verfolgen. Sie erreichten am 13. August über Melbourne kommend Timbuktu. Eine Kiste wurde via Kapstadt sofort an eine Deckadresse in Alamo Gordo verfrachtet. Die zweite ging am 14. per Landtransport nach Walata. An wen sie dort ausgeliefert werden sollte, war offenbar mündlich abgesprochen. Ich habe bereits die erforderlichen Schritte eingeleitet. Vielleicht erinnert sich dort einer an den Telstar-Transporter. Der zweite Grund ist dieser Concord. Er hat den nächsten Jett nach London verpaßt, weil er zu lange auf Tor gewartet hatte. Concord hat sich erkundigt, ob er mit der nächsten Maschine noch rechtzeitig zum Start eines Langstreckenraumers auf Cent Field eintreffen würde. Doch sein Ticket war ohne Transitvermerk zum eigentli45
chen Raumhafen, Cahia! Also verläßt er die Erde auf andere Weise! Aber wir konnten einen Ägypter überzeugen, seinen Platz mit einem deiner Leute zu tauschen!« »Ich danke dir und deinen Männern, Hadi!« Hadi verneigte sich und ging zur Tür. Über sein Gesicht glitt ein Grinsen, als hinter seinem Rücken eine heitere Stimme ertönte. »Lebt deine Mutter eigentlich noch, Mary?« hatte Bert Stranger mit unschuldigem Blick gefragt. *
»Die positiven Ergebnisse der Kairoreise hat uns mein Jugendfreund schon verraten - deine sind wohl nicht so gut, Tor? Aber bevor du beginnst, möchte ich dich mit unseren neuen Kampfgefährten bekannt machen.« Sidi Mohammed stellte dem Tel-General die Frauen und Männer der Reihe nach vor, wobei Harriet den Schluß bildete. »Wer Tor Drang, das ist Colonel Harriet Stowes, Stabschefin des Raumkorps. Sie hat ein persönliches Interesse an den bedauerlichen Vorgängen in Taudeni! Ihr Lebensgefährte war der Chef der 3. Kompanie. Larr und ich hielten es für besser, wenn du bei der Aussprache darüber anwesend wärst. Deshalb ist die Sache auch noch nicht ausführlich diskutiert worden. Nach dem Essen wäre dafür ein ausgezeichneter Zeitpunkt!« Tor Drang und Harriet Stowes reichten sich zögernd die Hände und musterten sich abwartend. Beide wußten, daß das kommende Gespräch alles andere als erfreulich würde. Dann suchte sich der Wer einen freien Platz und begann mit seinem Bericht über die Erlebnisse auf seiner Reise. *
»... der augenblicklich in die Luft feuerte. Sofort entstand eine menschliche Barrikade zwischen uns und den GSO-Leuten. Da46
durch konnten wir uns ungestört absetzen. Dieser Timmons wird bestimmt seinen Verdacht melden, Mohammed. Und die GSO wird die Sache weiterverfolgen! Ausgerechnet in dieser verzweifelten Situation!« Tor Drang blickte sich in der Runde um. Alle Mienen wirkten ebenso niedergeschlagen wie seine. Nur der Reporter schien äußerst zufrieden zu sein. »Etwas Besseres konnte uns gar nicht passieren!« meldete sich Stranger zu Wort. »Damit schaffen wir uns die hiesige GSO für eine Weile vom Hals!« Die meisten Gesichter nahmen einen entgeisterten Ausdruck an. Nur Harriet Stowes und Erwin Kulawski begriffen sofort. »Natürlich, Bert! Angriff ist die beste Verteidigung!« »Sidi, du mußt dich sofort bei der GSO-Zentrale melden, und Mr. Baxter verlangen, um dich über diese unglaubliche Verletzung deiner Privatsphäre zu beschweren. Du verzichtest großmütig auf eine Entschuldigung, weil du nur zu gut verstehst, daß es bei der immensen Arbeit, die die GSO in dieser aufgeheizten Stimmung leisten muß, auch einmal zu bedauerlichen Irrtümern kommen kann. Und dann, wenn Baxter so richtig zufrieden mit diesem glimpflichen Ausgang ist, bestehst du auf einer Entschuldigung bei der Bevölkerung für diese die öffentliche Sicherheit gefährdende Mißachtung der regionalen religiösen Gebräuche!« Sidi Mohammed nickte lächelnd. »Zähnefletschend und mit den Augen rollend, um meiner Empörung so richtig Ausdruck zu verleihen!« »Doch was, wenn diese GSO-Kreatur nicht darauf eingeht?« wandte Mary Strong mit unüberhörbarer Verachtung in der Summe ein. »Das wird er, weil er keine Wahl hat. Inzwischen weiß er nämlich wie die meisten Einwohner von Timbuktu, was in der Halle geschah, als der Leibwächter den Cahia ins Spiel brachte. Jetzt warten alle gespannt auf irgendeine Reaktion von Sidi Mohammed oder der GSO! Nein, Mary, er wird zähneknirschend eine Erklä47
rung abgeben. Und dann kann er öffentlich nicht mehr gegen den Cahia vorgehen. Damit beschränken sich seine Unternehmungen auf verdeckte Operationen. Damit läßt sich leichter leben!« beruhigte Erwin die Ex-Agentin. »Um sicherzugehen, fehlt nur noch ein kleiner Denkanstoß«, mischte sich Harriet Stowes ein. »Vielleicht der nebenbei eingeschobene Hinweis - Hadi hat mich auf diese Idee gebracht - daß sich Sidi Mohammed entschlossen hat, morgen beim Freitagsgebet die Predigt zu halten!« »Bei Allah, das gefällt mir. Baxter muß etwas tun, was er nicht tun will, und er weiß, daß ich es weiß! Einverstanden! Beginnt schon einmal mit dem Mahl! Ich muß erst zwei Gespräche führen!« »Drei, Cahia! Drei!« Alle blickten den Reporter verblüfft an. »Wer soll denn der Dritte sein, Bert?« fragte Sidi Mohammed leicht verunsichert. »Mary, wie war noch mal die Nummer deiner Mutter?« Alle im Raum bis auf den Cahia und Mary bemühten sich, ihr Schmunzeln zu unterdrücken. Knallend schlug die Tür hinter Sidi Mohammed zu, während Mary den unschuldig grinsenden Reporter mit ihren Blicken durchbohrte. »Man wird doch noch mal fragen dürfen? Oder ist das etwa verboten?« *
Dieses Thema wurde im Verlauf des Abendessens nicht mehr erwähnt. Vor allem der, von dem man erwartete oder befürchtete, daß er es zur Sprache bringen würde, lenkte die Unterhaltung nach der Rückkehr des Cahia auf unverfänglichere Inhalte. Bert Stranger berichtete in seiner schnoddrigen Art von seinen Abenteuern als Reporter, Erwin Kulawski trug Anekdoten aus sei48
ner Rekrutenzeit bei, die Harriet Stowes durch Episoden von der Offiziersschule ergänzte, während Sharon Kilmer von den Tücken des Verwaltungsdienstes zu berichten wußte. Und die Gesprächsbeiträge von Larr Drawl und Tor Drang bewiesen auf eindrucksvolle Art, daß anscheinend eine Krankheit alle denkenden Wesen im Universum gleichermaßen heimsuchte und wohl auch unausrottbar blieb: der alltägliche Wahnsinn bei Militär und Bürokratie. Nach einer Weile ließ Bert Stranger nur noch die anderen reden, er hatte sein Ziel erreicht. Für eine leider viel zu kurze Zeit waren die unglückseligen Umstände dieser Zusammenkunft in Vergessenheit geraten. *
16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 19.15 Uhr Ortszeit Timbuktu, GSO-Leitzentrale Afrika, Büro Dienststellenleiter Charles Baxter der Dritte blickte mit mühsam unterdrücktem Haß auf das dunkelhäutige, vollbärtige Gesicht auf dem Bildschirm des Tischviphos. »Meinen Dank dafür, daß Sie soviel Verständnis gezeigt haben. Salam, Mr. Baxter!« erklang eine sonore Stimme aus dem Lautsprecher. Der oberste GSO-Chef von Afrika wartete, bis der Schirm auf seinem Schreibtisch verblaßte und das Vipho sich von allein ausschaltete. Dann erst ließ der dickliche Mann seinem ohnmächtigen Zorn freien Lauf. In kurzen Abständen, allein bedingt durch die Zeit, die er benötigte, sich einen Gegenstand zu schnappen, auszuholen und dann mit voller Kraft zu werfen, fanden einige zerbrechliche Einrich49
tungsgegenstände seines Büros ein nicht vorhergesehenes, unrühmliches Ende. »Diesen Bastard von Halbnigger bringe ich um«, fluchte Baxter lauthals, und seine Stimme war alles andere als einschläfernd. Die Tür zu seinem Allerheiligsten öffnete sich, ohne daß geklopft worden wäre, und seine Sekretärin erschien auf der Schwelle. »Was geschieht mit der Adeeso...« Dann sah die Frau die Bescherung und staunte ihn an, als wäre er das achte Weltwunder. »Oh mein Gott, die schönen Blumen«, jammerte sie entsetzt. »Und Ihr Hochzeitsbild ist auch kaputt! Bitte beruhigen Sie sich doch, Mr. Baxter!« Ihr Gejammer brachte Baxter III. zur Vernunft. »Schon gut, Pia, ich habe nur für einen Augenblick die Beherrschung verloren!« versuchte er seinen Ausrutscher zu überspielen. »Der heutige Tag hat mich zuviel Nerven gekostet!« Die unattraktive Frau - B axters Gattin suchte seine Sekretärinnen immer höchstpersönlich aus - nickte verständnisvoll. »Das kann ich gut nachvollziehen. Erst der Überfall auf Alnura, dann der Brand bei Telstar, dazu dieser Zwischenfall am Terminal, bei dem es zum Glück nicht zu einem Blutbad kam und obendrein noch die Beschwerde des Cahia. Ich hätte schon viel früher die Beherrschung verloren, Mr. Baxter!« »Danke, Pia! Aber mir hätte das wirklich nicht passieren dürfen. Ich bitte nochmals um Entschuldigung für meine Entgleisung. Der Müll kann warten bis morgen. Verbuchen Sie die Rechnung als Kontaktpflege mit Kongo-Guinea und dann machen Sie Feierabend, bevor Ihr Überstundenkonto unser Budget überschreitet. Was ich noch erledigen muß, geht auch ohne Ihre Hilfe! Und bitte kein Wort über diesen Zwischenfall!« In den Augen der Sekretärin erschien für einen Lidschlag ein undeutbarer Ausdruck, bevor sie die Tür wieder schloß. Baxter brauchte einige Zeit, bis er verstand. Er hatte Pia mit sei50
ner Bemerkung abgrundtief verletzt. Auch ohne seinen Hinweis wäre kein Wort über ihre Lippen gekommen. Er würde eine andere Sekretärin anfordern müssen. Eine beleidigte Leberwurst im Vorzimmer leistete keine gute Arbeit. Baxter wartete fünf Minuten, bis er absolut sicher sein konnte, daß die Frau ihren Platz im Vorzimmer verlassen hatte. Bei seinem nächsten Gespräch konnte er keine Störungen oder Zeugen gebrauchen. Trotzdem sah er vorsichtshalber noch einmal im Vorzimmer nach, bevor er eine Nummer aus dem Kopf anwählte. Fast unmittelbar darauf wurde Baxter von einer bildhübschen Blondine angelächelt, die mit honigweicher Stimme flötete: »Vorzimmer von Mr. Fred Daraelle, Zweiter Stellvertretender Direktor, Koordinator GSO-Aktivitäten und... und mit...« Baxter lächelte gezwungen, als die Blondine bei ihrer wohl sorgfältig einstudierten korrekten Aufzählung aller Titel ihres Chefs ins Stocken geriet, weil der seit gestern geltende Zusatz sich wohl nicht so schnell in ihr Gedächtnis eingegraben hatte. So eine Schönheit mit wirklich angemessenem IQ würde sein eigenes Vorzimmer nie verschönern, dem war seine holde Angetraute vor. »... der kommissarischen Führung der Galaktischen Sicherheitsorganisation betraut!« Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte. Und mit der Routine eines Räderwerks spulte sie die nächsten Sätze herunter. »Guten Tag, Mr. Charles Baxter der Dritte. Ich verbinde Sie sofort mit dem Herrn Zweiten Stellvertretenden Direktor.« Das Gesicht der Blondine wich dem Emblem der GSO, und eine scheußlich klingende Hymne leitete die Wartezeit ein, mit der Darnelle alle Anrufer beglückte, ausgenommen natürlich jene, die in der Hackordnung über ihm rangierten. Charles Baxter III. war noch kein sehr großes Licht in der Hierarchie, daher richtete er sich auf eine längere Wartezeit ein. Es überraschte ihn tatsächlich, daß ihn sein Chef noch vor der Wie51
derholung der Hymne aus diesem Martyrium erlöste und deutete das als Beweis für seinen kommenden Aufstieg. »Hallo, Baxter«, begrüßte ihn Darnelle leutselig und starrte ihn aus eisblauen Augen forschend an. »Sie haben es gut! Gleich ist für Sie schon Feierabend, während ich von der Arbeit erdrückt werde, die meine neuen Pflichten mir aufbürden! Aber für Sie, Charles, nehme ich mir immer Zeit. Was gibt's denn zu berichten aus Timbuktu?« Baxter wußte, was sein Vorgesetzter nun von ihm erwartete und brachte artig seine Freude über dessen Aufstieg zum Ausdruck, bevor er auf den eigentlichen Grund seines Anrufes kam. Baxter, der die Detailverliebtheit Darnelles zur Genüge kannte, begann mit den verschiedenen Ereignissen, wobei er auch Routinebelichte einfließen ließ, wie die Meldung eines Hotelportiers, daß eine britische Lady Carter-Bedford vom Cahia eingeladen wurde und ein Tourist nicht von einem Stadtbummel zurückkehrte, bevor er den Inhalt seines letzten Gespräches wiedergab. »... deshalb habe ich, Ihr Einverständnis voraussetzend, dieser unverschämten Aufforderung erst einmal zähneknirschend zugestimmt. Die Erklärung zu diesem Zeitpunkt abzulehnen erschien mir unpassend. Massu bereitet eine umfangreiche Aktion im Ahaggar vor, die wohl in der Nacht auf Samstag anlaufen dürfte. Bei einem Vorgehen gegen den Cahia hätte ich das Militär informieren müssen. Deshalb möchte ich vorschlagen, daß unsere Verbündeten die Arbeit übernehmen und seinen Palast dem Erdboden gleichmachen. Das befreit uns von dieser nicht mehr benötigten Landplage und schiebt alle Schuld Massu in die Schuhe, Sir«, beendete Baxter seinen Bericht. Darnelle hatte ihm ohne erkennbare Gefühlsregung zugehört, doch jetzt verzog sich sein schmallippiger Mund zu einem Lächeln. Zu gern hätte Baxter gewußt, was im Augenblick hinter der hohen Stirn vor sich ging. »Ein schöner Gedanke, Charles, aber es wäre noch schöner, wenn unsere Freunde dabei auf die Tuareg stoßen könnten. Das 52
wären dann drei auf einen Streich. Doch wenn man das Beste nicht haben kann und sich mit dem Zweitbesten nicht zufrieden geben will, bleibt nur noch die Improvisation. Suchen Sie sich die besten Leute Ihrer Sicherheitstruppe aus und postieren sie in den Nebenstraßen rund um den Palast. Informieren Sie den Cahia, daß alles nur seinem Schutz dient. Wenn der Angriff im vollen Gange ist, greifen Sie ein und vernichten die verräterischen Soldaten bis auf den letzten Mann. Zu Ihrem größten Bedauern konnten Sie das Leben des Cahia nicht mehr retten!« Baxter lachte hämisch auf. »Ja... wenn das Militär nicht diese unsinnige Operation unternommen hätte, dann hätten diese Schlächter ihren heimtückischen Angriff nie gewagt«, spann er den Faden weiter. »Und der Kommandierende General...« - er vergaß zu erwähnen, daß er mit dem KG besondere Pläne hatte - »... wird das Kriegsrecht ausrufen müssen, um den Aufruhr zu unterdrücken!« Baxter machte eine ganz kurze Pause, damit ihm Darnelle nicht in die Parade fahren konnte, und fuhr im schmeichelnden Tonfall fort: »Ein phantastischer Plan, Mr. Darnelle! Warum bin ich nur nicht selbst darauf gekommen?« »Das frage ich mich auch, Baxter!« Dann war der Bildschirm pechschwarz Charles Baxter III. hatte plötzlich einen schalen Geschmack im Mund. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich von diesem Gespräch erholt hatte und sich auf den Weg nach Hause machte. Für heute reichte es ihm wirklich.
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16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 15.15 Ortszeit Nebraska, Nordamerika, Historisches Monument Omaha Generalleutnant John Martell, ein hochgewachsener, drahtiger Mann, blickte unauffällig auf seine Uhr. Nur die graumelierten Haare und die Falten um die Augen verrieten das wahre Alter des Kommandierenden Generals, in dessen Händen die planetare Verteidigung der Heimatwelt lag. Terra Command (TC) unterstanden alle auf Terra und im erdnahen Weltraum stationierten Truppen und militärischen Einrichtungen, einschließlich der Ausbildungszentren, Werften, Reparaturdocks, stationären Anlagen und alle Einheiten der Terranischen Flotte (TF), die zur eigentlichen Verteidigung der Erde abkommandiert waren. Wobei sich die Kommandogewalt Martells nur auf die Einbindung dieser Raumschiffsverbände in das gemeinsam erarbeitete Verteidigungskonzept beschränkte. Wie die Admirale der TF-TDF (Terra Defence Forces) ihre jeweiligen Kampfaufträge lösten, ob sie den Angreifer diesseits der Marsumlaufbahn abfingen, erst mit Unterstützung der Orbitalen Festungen stoppten oder unter dem massiven Feuerschutz der planetaren Batterien fochten, blieb ihnen überlassen, solange sie ihre Hauptaufgabe, die Verteidigung der Erde, dabei nicht aus den Augen verloren. Das brauchte nicht besonders betont zu werden, denn jede Frau und jeder Mann auf den Schiffen war sich bewußt, daß ihre Raumer den allerletzten Sperriegel zwischen der Erde und angreifenden Raumschiffen bildeten. John Martell hakte diesen Tag als verschwendete Zeit ab, denn wenn er seinen Schreibtisch wieder sah, war lange Dienstschluß. 54
Na ja, wenigstens war der Besuch zu den Eröffnungsfeierlichkeiten hier eine kleine Erholung vom Krieg der Paragraphenreiter in Alamo Gordo und lenkte ihn etwas von seinen Problemen in Afrika und mit der GSO ab. Eine Angelegenheit allerdings mußte er wenn möglich vor seiner Rückkehr hier an Ort und Stelle regeln. Sein Büro hatte ihm eine Nachricht von Lady Margaret BedfordCarter übermittelt. Das war nach dem mit Colonel Stowes vereinbarten Code die Bitte, schnellstmöglich Kontakt mit ihr aufzunehmen. Wo gab es hier eine gesicherte Verbindung? Die gesamte Anlage mit der Kommandozentrale hatte in Martell sentimentale Erinnerungen an T-XXX geweckt. Das Einfahren in den Berg, die langen Gänge und hohen Gewölbe ähnelten sich auf verblüffende Weise. Allerdings unterschied sich die technische Einrichtung gewaltig. Diese besaß nur noch musealen Wert. Über eine Stunde lang hatte sich der General von der Galerie die Vorführung der Fernmeldetruppen anschauen müssen, bevor zum bei solchen Gelegenheiten üblichen kleinen Imbiß gebeten wurde. Soldaten der Fernmeldetruppen von Terra Command in nach Originalvorbildern geschneiderten Uniformen demonstrierten vor geladenen Gästen und der Presse die Abläufe bei einem simulierten Raketenangriff auf den nordamerikanischen Kontinent. Die Demonstration fand in einem Tunnelsystem nahe Omaha im sogenannten Weizengürtel statt. Dieser Name hatte auch 2057 seine Bedeutung nicht verloren, denn noch immer gehörte der »Corn Belt« zu den fruchtbarsten Landschaften der Vereinigten Staaten. Hier, im Staate Nebraska, hatte man in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein riesiges Labyrinth in den fruchtbaren Boden gegraben, um das Herz des Strategischen Bomberkommandos vor einem Atomschlag zu schützen. Im Strategie Air Command (SAC) liefen damals nicht nur die Daten von Norad (North American Air Defense), der amerikanischen und kanadischen Luftverteidigung ein, sondern auch die der gewaltigen Radaranlagen auf der ganzen Welt und der Horchbojen, die die Marine in den Meeren rund um den potentiellen Feind ausgelegt hatte. 55
Der Kommandierende General des SAC gebot über ein gewaltiges Arsenal an Waffen. Von Interkontinentalraketen, entweder in unterirdischen Silos oder auf Atomunterseebooten stationiert, über Kurz- und Mittelstreckenraketen in den überseeischen Standorten ihrer Streitkräfte bis zu einer Armada B-52, riesiger Langstreckenbomber, von denen jeder atomare Bomben oder Raketen mit sich trug, die mehr Vernichtungskraft besaßen als alle Bomben und Granaten des II. Weltkrieges zusammen. Um genauer zu sein: Die Waffen des SAC konnten den Feind insgesamt mindestens vierzigmal vernichten, wobei der Westen bei seinem Gegner im Osten nur mit einen »Overkill« von dreißig rechnete. Deshalb wagte keine der beiden Seiten einen Angriff, denn beim Gleichgewicht des Schreckens hatte sich das alte Motto des Wilden Westen auf perfide Weise umgekehrt: Wer zuerst schoß, starb als zweiter. Hier in der Halle, die vom Aufbau her einem kleinen Theater ähnelte, wobei an die Stelle der Bühne ein riesiger Bildschirm trat, war die Entscheidung über Untergang oder Weiterbestand eines ganzen Planeten gefällt worden. Der erleuchtete Bildschirm dominierte den Saal, und die Menschen im Halbdunkel wirkten wie kleine Puppen. Martell konnte sich gut in die Emotionen dieser Menschen hineinversetzen, weil er zu Beginn der Giant-Invasion einen vergleichbaren Stützpunkt, den inzwischen legendären T-XXX, kommandiert hatte. Um das ganze Räderwerk der Militärmaschinerie nicht bei jedem ungemeldeten Flugkörper sofort auf Vollast laufen zu lassen, gab es vier Alarmstufen mit steigender Bedeutung: Blau, Gelb, Grün und Rot. Wurde ein unbekanntes Objekt von den Radarschirmen erfaßt und an das SAC gemeldet, galt Alarmstufe Blau, die mit der ersten Stufe der Bereitschaft gekoppelt war. Abfangjäger stiegen auf und hielten auf den unbekannten Flugkörper zu, um ihn zu identifizieren. Gleichzeitig wurden die ersten 56
Startvorbereitungen für die Interkontinentalraketen eingeleitet, auf den Fliegerhorsten eilten die Besatzungen der B-52-Bomber zu ihren Maschinen, tankten sie auf und beluden sie mit A-Waffen. Die bereits in der Luft befindlichen Bomberstaffeln nahmen Kurs auf eine sich täglich ändernde Sicherheitslinie außerhalb des Hoheitsgebietes des Gegners. Dort kreisten die Maschinen solange, bis sie den Befehl zum Überschreiten dieser Linie erhielten oder bei Entwarnung wieder abdrehten. Ließen sich die ungemeldeten Flugkörper nicht sofort eindeutig identifizieren oder traten andere Verdachtsmomente für einen Überraschungsangriff auf, drehte sich die Spirale eine Umdrehung höher. Über Gelb und Grün bis Rot, verbunden jeweils mit den nächsten Stufen der Mobilisierung des Militärapparates. Bei Alarmstufe Rot standen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten praktisch am Rande des Krieges, und nur zwei Buchstaben trennten die Welt vom Untergang. Es hätte ein einfaches »Go« vom Präsidenten der Vereinigten Staaten an das SAC genügt, um den amerikanischen Raketeneinheiten, Atom-U-Booten und Langstreckenbombern den Befehl zum Abschuß ihrer Vernichtungswaffen bzw. zum Überschreiten der Sicherheitslinie zu geben. Martell wußte, daß in jener Zeit monatlich mindestens fünf Mal »Blau« ausgelöst wurde. Über die anderen Stufen gab es keine gesicherten Daten. Zur Alarmstufe Rot sollte es außer bei der berühmt-berüchtigten Kubakrise anno 1962 angeblich nie gekommen sein. Aber genau das bezweifelte der General stark, denn als alter Militär wußte er, wie oft gerade im Krisenfall Männer und Technik versagen konnten. Während die Simulation vor seinen Augen ablief, hatte sich der kriegserfahrene Soldat mehrmals gefragt, wie oft die Menschheit tatsächlich nur um Haaresbreite an der Vernichtung vorbeigeschrammt war. Allerdings ging ihm auch der Gedanke durch den Kopf, was vor sechs Jahren beim Überfall der Giants mit den Invasoren geschehen wäre, wenn die Entwicklung der Waffen mit 57
den Fortschritten der Wissenschaft Schritt gehalten hätte. »Warum hat mich Carlotta eigentlich hergebeten, Jock?« flüsterte Martell seinem Adjutanten zu, während er seinen leeren Champagnerkelch gegen einen gefüllten vertauschte und mit seinem Kopf in Richtung der drei Kamerateams deutete, die sich gerade mit ihren Geräten auf den Weg zu den Aufzügen machten. »Um eine neue Attraktion für das Publikum einzuweihen, hätte doch der zuständige Kommandierende General völlig ausgereicht. Selbst meine Anwesenheit hat nicht besonders viele Presseleute angelockt!« Der angesprochene Captain an seiner Seite wartete, bis die weiß uniformierte Ordonnanz außer Hörweite war, bevor er antwortete. »Das hat mir Generalmajor Santini auch nicht verraten, Sir«, flüsterte er zurück, während seine Augen wohlgefällig die wirklich prächtig geformte Rückseite einer jungen Sergeantin der Fernmeldetruppen musterten. »Sie sagte nur, daß Ihre Anwesenheit unbedingt erforderlich sei!« »Mama Carlotta wird mir ihre Gründe schon verraten«, erwiderte Martell lächelnd und hob sein Glas, um der Gattin irgendeines Fernmeldefuzzys, dessen Namen er schon längst wieder vergessen hatte, zuzuprosten. »Das wird sie nicht, John, wenn du nicht bald damit aufhörst, diese gräßliche Wortschöpfung jenes Stinktiers von Reporter zu benutzen!« Die angenehm rauhe Altstimme gehörte einer vollbusigen Matrone mit mütterlichem Gesicht und lebhaften Augen, die sich ihnen unbemerkt von der Seite genähert hatte. Die beiden goldenen Sterne auf den Schulterklappen und die Waffenfarbe wiesen sie als Generalmajor der Fernmeldetruppe aus. Martell drehte sich langsam um und grinste die Generalin lausbübisch an. »Gönne mir doch das kleine Vergnügen, Carlotta, es gibt ja sonst kaum noch etwas zum Lachen!« »Wenn es so schlimm ist, John, dann werde ich mal eines auf 58
dein griesgrämiges Gesicht zaubern! Was denkst du denn, warum ich dich eingeladen habe?« »Wie ich jetzt vermuten darf, nicht, um deinem Museum durch meine Anwesenheit zu mehr Besuchern zu verhelfen, Carlotta.« »Die Einladung war die beste Lösung, um dich unauffällig unter dem immer wachsamen Auge der GSO aus Alamo Gordo wegzulocken. Die Pressefritzen, einer der Kameramänner übrigens als Geheimer enttarnt, haben sich vom Acker gemacht und werden genau über das berichten, was du und sie gesehen haben: eine historische Demonstration für die Besucher!« Generalmajor Carlotta Santini grinste ihren Befehlshaber verschwörerisch an, dann fügte sie erläuternd hinzu: »Zeige deinem Gegner, was er zu sehen erwartet und verberge deine wahren Absichten hinter dem, was er sieht. Sun-Tsu, John!« Martell zwinkerte ihr zu. »Was?!? Du schmökerst nicht nur in Kochbüchern herum?« »Wieso? Gibt es denn noch andere, John?« Leise lachend folgten John Martell und Jock Brewer der Frau, die zielstrebig das Podest vor der Bühne ansteuerte. Doch anstatt es zu erklimmen, ging sie zu einer kleinen Tür, deren Umrisse in den Stahlwänden der unterirdischen Anlage kaum erkennbar waren. Carlotta Santini öffnete einen unauffälligen Kasten an der Wand mit einem Schlüssel, und eine altmodische Tastatur wurde sichtbar. Sie gab einen komplizierten Code ein. Es dauerte etwas, dann schwang eine fast meterdicke Panzertür langsam nach innen und gab den Blick auf einen Raum frei, der wie ein genaues Spiegelbild des Saales in ihrem Rücken wirkte. Doch die Ausstattung des Raumes war allermodernste Technik des Jahres 2057. Angefangen von den Uniformen der Techniker und Soldaten über die Geräte bis hin zu dem wandhohen Display an der Stirnfläche. Allerdings ließ der unübersehbare Kabelsalat einiges von der Hektik erahnen, die hier geherrscht haben mußte. »Meine Offiziere, der General. Unteroffiziere und Mannschaf59
ten: ACHTUNG!« Die Stimme der Generalin unterbrach sämtliche Tätigkeiten. Die Offiziere grüßten, während die anderen Uniformierten in Habacht gingen, jedem Gedienten auch als Grundstellung bekannt. Ein älterer Mann kam auf die Neuankömmlinge zu, schlug zakkig die Hacken zusammen, legte schneidig die Hand an die Schläfe und erstattete eine klare Meldung: »Melde provisorischen Ausweichgefechtsstand von Terra Command mit neun Offizieren, vierundzwanzig Unteroffizieren und zwölf Mannschaften nachrichtentechnisch einsatzbereit. Befehlshabender Offizier Kommunikation, Colonel Sam Füller, Fernmeldetruppen, Sir!« Martell erwiderte die Ehrenbezeugung und hielt wie der Colonel die Hand grüßend am Mützenschirm. Die Meldung verriet dem General, daß hier für drei Schichten Personal zur Verfügung stand. Jetzt fehlte nur noch das rein militärische Stabspersonal, damit der Gefechtsstand voll funktionsfähig war. Am liebsten hätte er dieses militärische Zeremoniell abgewürgt, doch er wußte, wie wichtig manche Untergebene es nahmen. Zum Glück erstattete ihm nicht Kulawski diese Meldung. Das Schlitzohr kannte seinen Widerwillen gegen diese Sitte und hätte die Meldung mühelos auf fünf Minuten ausgedehnt, in denen Martell auch noch die Seriennummer des kleinsten Sensors erfahren hätte, welche Soldaten bei seiner Aufstellung beteiligt gewesen waren und welcher Offizier dabei die Aufsicht geführt hatte. Der Gedanke an seinen ehemaligen Sergeanten brachte Martell auf den Anruf von Harriet. Hier war die Lösung für dieses Problem. »Danke, Colonel! Lassen Sie weitermachen!« Martell wandte sich der Generalin zu, um ihr mit einem kleinen Plausch seine Dankbarkeit zu beweisen. Auf die fünf Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an. »Wie hast du das geschafft, hier draußen einen kompletten Gefechtsstand einzurichten, Carlotta? Und dieser Bastard Darnelle 60
ahnt wirklich nichts davon?« Die italienische Matrone lächelte verschmitzt. »Nicht das geringste, John! Die Rekonstruktion dieser Anlage wurde schon vor gut einem Jahr gebilligt. Wir bekamen sogar Mittel dafür bewilligt, weil man glaubt, dieses Demonstrationsobjekt sei lehrreich für Schulklassen. Der Rest war ein Kinderspiel! Hier ein bestimmtes Gerät als defekt melden, dort ein anderes, Personal von X nach Y versetzen und dann weiter nach Z. Jeder einzelne Vorgang brav zur Kenntnisnahme an die GSO, um dort im Ozean der Routinemeldungen für immer zu verschwinden. Bürokratenseelen vergessen immer, daß wir Soldaten nicht ganz so unerfahren mit ihren kleinen Spielchen sind, wie sie meinen. Das ist der Beweis! Hier pinkelt uns keiner an den Karren!« »Gute Arbeit, Carlotta! Dann machen wir mal die Probe aufs Exempel! Gibt's hier einen Raum, wo ich ungestört mit Timbuktu reden kann?« »Selbstverständlich hat unser geliebter Kommandierender General sein eigenes Büro. Zwar noch spartanisch, aber wir arbeiten daran! Kommt mit.« Die Generalin geleitete John und seinen Adjutanten durch einen langen Gang, der auf beiden Seiten in unregelmäßigen Abständen mit Türen bestückt war. Vor einer der letzten in der Reihe blieb sie stehen. »Dahinter liegt dein Büro, John! Ich warte bei den anderen! Und du wirst staunen!« John öffnete und betrat ein kleines Vorzimmer, dessen Einrichtung aus Antiquitäten bestand, abgesehen von einem Suprasensor, Tischvipho und einem großen Lagedisplay an der nackten Felswand. Martell zog sich einen Stuhl heran, ließ sich vorsichtig darauf nieder, tippte die ihm wohlbekannte Nummer ein und wartete ungeduldig darauf, daß Harriets Gesicht auf dem Bildschirm erschien. Doch statt seiner Stabschefin starrte dem General das Gesicht 61
eines dunkelhäutigen Mannes entgegen, das sich bei seinem Anblick freundlich lächelnd verzog. Martells Hand zuckte vor, um die Verbindung zu unterbrechen. Gedanken über das Platzen der Geheimmission schössen ihm durch den Kopf, doch sein Instinkt ließ ihn innehalten. »General Martell, wie ich vermute. Colonel Stowes befindet sich in einer privaten Besprechung mit dem Cahia und Wer Drang. Sie möchten statt ihrer mit dem Chief und Mr. Stranger vorliebnehmen. Sie werden gleich ungestört mit Ihnen reden können, Sir!« Aus dem Hintergrund vernahm John eine sattsam bekannte Stimme. »Hast du das Gesicht des alten Eisenfressers gesehen, Erwin? Dieser Ausdruck von Verwirrung, einfach köstlich! Wer zuerst, du oder ich?« *
16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs Kurz nach 22.00 Uhr Ortszeit Stadtpalast des Cahia in Timbuktu Einmal mußte auch die anregendste Unterhaltung ein Ende nehmen und dem Ernst des Leben weichen. Ein Blick in die Runde verriet Bert Stranger, daß diese paar Stunden nicht verschwendet waren. Sie hatten gereicht, sich ein wenig persönlich näherzukommen. Er wertete das als bedeutenden Erfolg, weil alle ganz vergessen hatten, wo sie waren und weshalb sie hier waren. Es wurde Zeit, sich wieder um die Rettung der Welt zu kümmern. Stranger wartete auf die nächste kurze Pause und warf nebenbei ein: »Martell ist langsam überfällig, Harriet, meinst du nicht auch?« 62
Die Obristin nickte. »Ob ich es noch mal probieren soll?« »Besser nicht. Zweimal am Tage anrufen ist einmal zuviel. Er wird sich schon melden! Was kannst du ihm erzählen, was Erwin und ich nicht auch wissen?« Harriet überlegte einen Augenblick, dann nickte sie verstehend. »Danke, Bert, für diese Chance, daß wir uns aussprechen können! Aber benimm dich bei Martell!« Der Reporter setzte seine Unschuldsmiene auf und blickte treuherzig in die Runde. »Lady Bedford! Sie zweifeln doch nicht etwa an meinen exzellenten Umgangsformen?« Harriet verzichtete auf eine Antwort und blickte den Chief-Mastersergeant an. »Wir brauchen unsere Dienstanzüge und Felduniformen, Erwin. Frage ihn, wie weit wir mit den Sonderbefehlen gehen können. Und wie von jetzt an Verbindung gehalten werden soll.« Dann richtete sich Harriet auf, sah Larr, Tor und Sidi Mohammed gefaßt an: »Wo können wir ungestört reden?« »In meinem Arbeitszimmer, Colonel Stowes!« Sidi Mohammed wurde wieder formell. »Dann wollen wir es hinter uns bringen!« Mit leicht hängenden Schultern folgte Harriet den beiden Tel und dem Cahia aus dem Raum. Bert wartete, bis sich die Tür hinter dem Quartett geschlossen hatte. »Nun zum traurigen Rest von uns! Mary, sei so nett und rede mit Hadi! Meinst du, er hätte etwas dagegen, uns allein mit Martell sprechen zu lassen?« Die Ex-Agentin schüttelte den Kopf. »Nein, Bert. Hadi weiß, worum es geht und wird wohl keine Einwände dagegen haben!« »Dein Wort in Gottes Ohr«, grinste Stranger. »Wenn es länger als eine Stunde mit dem Kommißkopf dauern sollte, tut mir bitte 63
den Gefallen und schickt mir Harriet zu Hilfe.« Marys Augen blitzten kurz auf. »Danke, Bert. Ich wußte gar nicht, daß du so einfühlsam sein kannst! In sechzig Minuten, versprochen.« Der Reporter antwortete nicht darauf, sondern erhob sich und nickte Kulawski auffordernd zu. Dann machten sie sich auf den Weg zum Lagezentrum. *
Das Arbeitszimmer des Cahia von Timbuktu war ein großer Raum im Erdgeschoß. Die Wände mit prachtvollen Teppichen und kostbaren Waffen geschmückt. Dominiert wurde der Raum von einem großen Schreibtisch aus Ebenholz und der Sitzgruppe davor im marokkanischen Stil. Wäre nicht der moderne Suprasensor auf dem Schreibtisch gewesen, hätte man sich in die Vergangenheit zurückversetzt gefühlt. Sidi Mohammed machte eine einladende Geste. »Möchten Sie nicht lieber Platz nehmen, Colonel Stowes? Es sind keine angenehmen Nachrichten, die ich Ihnen mitteilen muß!« Harriet winkte ab. »Ich bleibe lieber stehen, Hoheit! Bitte beginnen Sie! Ich möchte endlich die Hintergründe über Clarks Tod erfahren.« Die übrigen drei ließen sich auf den dicken, runden Lederpolstern nieder. Dann sah Sidi Mohammed die junge Frau vor ihnen an und fragte sich, ob alle Worte die er sich im Laufe des Tages zurechtgelegt hatte, ausreichten, die Trauer der jungen Frau zu mildern. Mit leiser, aber fester Stimme begann Sidi Mohammed kurz und knapp von seinen Motiven zu berichten, die zu den Ereignissen in Taudeni geführt hatten. »... doch als der Zeitpunkt heranrückte, begann eine Verkettung unglückseliger Ereignisse, die ich in meiner Verblendung als Zu64
fälle abtat. Erst als Larr von ihrem Einsatz berichtete, wuchsen sich meine Zweifel zum Verdacht aus. Der Puppenspieler war selbst bloß eine Marionette. Ja, ich habe den Tod von Menschen ins Kalkül gezogen, einschließlich den meiner Anhänger. Doch derartigen Massakern hätte ich nie zugestimmt. Sobald ich von den nicht umgeschalteten Robonen erfuhr, beschäftigte mich nur noch der Gedanke, wie ich den unvermeidlichen Schaden begrenzen konnte, bis diese Gefahr gebannt war. Bei Allah, ich trauere um jeden Menschen, der durch meine Entscheidungen sein Leben verlor. Sie mögen mir das und den Tod ihres Lebensgefährten vielleicht eines Tages verzeihen können, aber ich mir nicht.« Harriet Stowes hatte schweigend und mit einem Gesicht, das aus weißem Marmor gemeißelt schien, zugehört. Die Verzweiflung in ihr wuchs langsam an. Clark mußte sterben, weil Sidi Mohammed aus dem Wunsch heraus, den Menschen im Sahel zu helfen, so gehandelt hatte. Sollte sie ihn deshalb hassen? Der Cahia hatte seinen Worten Taten folgen lassen, wie die Ereignisse nach Taudeni bewiesen. Das sprach dafür, daß er die Entwicklung in diese Richtung nicht gewollt hatte. Dennoch blieb er für den Tod vieler Menschen, einschließlich dem von Clark, verantwortlich. Auch als der Cahia geendet hatte, antwortete Harriet nicht, sondern sah jetzt die beiden an, die sie seit dem Betreten des Raumes keines Blickes mehr gewürdigt hatte. Larr Drawl erhob sich unter dem Blick dieser fragenden Augen und begann ihren Teil des Gesprächs so, als erstatte sie ihrem Vorgesetzten Meldung. Ihre Stimme klang kühl und leidenschaftslos. »Eine Einheit des Vorauskommandos Terra der Tel-Streitkräfte unter dem Befehl von Kewir Larr Drawl erhielt den Auftrag, die gefallenen terranischen Soldaten in Taudeni zu bergen und das Schlachtfeld aufzuräumen. Als die Truppe auftragsgemäß ihren Einsatzort erreichte, fand sie einhunderteinundfünzig Tote vor. Elf unweit der Gebäude, die 65
anderen auf dem Rastplatz unterhalb der Station. Dienstgrad und Namen der Gefallenen konnte nicht mehr festgestellt werden, da man sie nicht nur ihrer Uniformen, sondern auch aller Gegenstände beraubt hatte, die eine unmittelbare Identifizierung an Ort und Stelle gestattet hätten. Der Feldarzt erstellte auf Befehl des kommandierenden Offiziers eine Liste der Todesursachen, um sie nach Rückkehr von diesem Einsatz dem Kommandeur des Vorauskommandos Terra zu übergeben. Die Männer und Frauen der 3. Kompanie des 1. Leichten Raumlanderegiments wurden nach Einbruch der Dunkelheit mit allen militärischen Ehren bestattet, wie sie die Dienstvorschrift der Tel-Streitkräfte für Gefallene im Kampfeinsatz vorsieht. Die Koordinaten der Gräber wurden aufgenommen, damit sie zu gegebener Zeit den terranischen Behörden übergeben werden können. Nach Erfüllung ihres Auftrags kehrte die Einheit zu ihrer Basis zurück.« Bevor Harriet Stowes dazu noch etwas sagen konnte, ergriff Tor Drang das Wort. »Colonel, ich bin Berufssoldat, Sie sind Berufssoldat und Captain Yalef war es auch. Wir betreiben das Kriegshandwerk, und dieser Beruf bringt nun mal das Risiko des eigenen Todes mit sich. Wir alle wußten es, als wir unsere Eide schworen. Wir haben manche mehr, manche weniger - gelernt, mit dieser Tatsache zu leben. Nur deshalb habe ich zugestimmt, daß Sie alle Einzelheiten über den Einsatz meiner Soldaten erfahren und nicht mit den sonst üblichen hohlen Phrasen der Militärbürokratie abgespeist werden. Als Profi sollten Sie mit der vollen Wahrheit fertig werden können. Ich bedaure, daß gute Soldaten auf diese Weise ihr Leben verlieren mußten. Bis die GSO ihre falschen Daten in das Kommunikationsnetz einspeiste, verhielt sich die 3. Kompanie so, wie man es von guten Soldaten erwarten kann. Ich teile Ihre Trauer über den persönlichen Verlust, Colonel
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Stowes, auch wenn sich das von einem Wer der Tel befremdend anhören mag. Doch bedenken Sie trotz Ihres Kummers, welches Privileg Sie und die Verwandten der Gefallenen genießen werden. Sie wissen wenigstens wann und wo Ihre Angehörigen starben und können sie in heimatlicher Erde bestatten. Etwas, worum viele Sie beneiden würden. Aber auch ohne das Ree, das Sie und uns letztlich zusammenführte, wäre der Mord an diesen Frauen und Männern nicht ungesühnt geblieben. Das können Sie mir, Larr und dem Cahia glauben, selbst wenn die Umstände gegen uns sprechen.« Fast eine halbe Minute herrschte gespenstisches Schweigen in dem Zimmer. Dann endlich reagierte Harriet Stowes. »Wo ist Clark bestattet, Larr? Haben wir noch Zeit, sein Grab aufzusuchen?« Die Frage überraschte die drei Anwesenden sichtlich, weil sie mit allem anderen gerechnet hatten, nur nicht damit. »Was habt Ihr denn erwartet? Daß ich eine Szene mache und wilde Rachedrohungen ausstoße? An wem hier soll ich mich denn rächen? An zwei Tel-Offizieren, die das getan haben, was ich an deren Stelle auch getan hätte? Oder am Cahia von Timbuktu? Clark ist tot, und nichts auf dieser Welt kann ihn wieder lebendig machen. Wir liebten unseren Beruf und kannten die Risiken, die er birgt. Jetzt ist das eingetreten, wovor wir beiden immer die Augen verschlossen haben. Es wäre nicht in Clarks Sinne, wenn ich aus Kummer über seinen Tod meine Pflichten vernachlässigen würde. Wenn wir die nächsten Tage überstehen, bleibt mir ein Leben lang Zeit zur Trauer! Aber ich möchte wenigstens einmal an Clarks Grab gestanden haben, falls die Erde zum Feuerofen wird!« Larr Drawl nickte. »Ich kann dich jederzeit hinbringen, wenn Mohammed uns einen Schweber zur Verfügung stellt!« »Morgen, während ich in der Moschee bin, wäre die günstigste Gelegenheit. Ihr könnt meinen schnellen Privatschweber haben, sobald wir aus Gaura zurück sind. Aber ihr fliegt nur in Begleitung meiner Leibwächter!« 67
»Sollen wir dich eine Weile alleinlassen, Harriet?« fragte Larr Drawl leise. »Nein, Arbeit ist für mich im Augenblick die beste Medizin. Laßt uns ins Lagezentrum gehen, damit Tor und Mohammed die Einzelheiten der Zusammenarbeit mit Martell abklären. Da sind sicher noch einige Fragen offen, die von höherer Stelle abgesegnet werden müssen. Danach entwerfen wir Pläne, wie wir die Mörder zur Strecke bringen. Damit lösen wir zwei Probleme auf einmal«, sagte Harriet leise. »Und wenn wir später den Verräter aufspüren, werde ich die Truppe anführen, die ihn zur Strecke bringt! Wer sich mir dabei in den Weg stellt, den fege ich zur Seite wie einen lästigen Straßenköter!« Sie drehte sich um und verließ den Raum. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ die drei erschauern. *
John Martell hatte den ersten Schock schnell überwunden, als ihm Stranger in seiner schnoddrigen Art verkündete, daß der General sich auf den Weltuntergang binnen sieben Tage einstellen müsse. Und der einzige Weg, das noch zu verhindern, bestünde in der bedingungslosen Zusammenarbeit mit den Tel und dem Cahia von Timbuktu. Was ihm der Reporter und sein ehemaliger Zugsergeant dann noch verkündeten, konnte ihn nicht mehr erschüttern, sondern war nur noch zusätzliche Information, die er für seine Entscheidungen brauchte. Und jetzt war eine von ihnen gereift. General Martell grinste trotz der bescheidenen Lage äußerst niederträchtig. Bert Stranger sah den alten Isegrim lächeln und fragte sich, was der Kommißkopp ausgeheckt hatte. Als der General zu reden begann, fragte er sich nur noch, was dieser Unsinn eigentlich bedeuten sollte. »Mr. Stranger, würden Sie sich bitte erheben.« Er tat Martell den Gefallen. 68
»Bert Stranger, hiermit ziehe ich Sie bis auf Widerruf zu den bewaffneten Streitkräften der Erde ein. Kraft meiner Vollmachten treten Sie den Dienst als Presseoffizier im Rang eines Majors auf Kriegszeit bei Terra Command mit sofortiger Wirkung an. Chief, belehren Sie den Major über die Kriegsrechtsartikel und lassen ihn von Colonel Stowes vereidigen! Und jetzt mein erster Befehl: Nutzen Sie Ihre Verbindungen, um eine Pressekampagne zu organisieren, die den Fuchs aus seinem Bau scheucht. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, entlasse ich Sie in genau sieben Tagen aus dem Dienst!« »He, Erwin, der General spinnt! Der kann mich doch nicht so mir nichts dir nichts zum Major machen?! Darf der das überhaupt?« Kulawski lachte schallend, als er Strangers verwirrte Miene sah. Der Alte hatte den Reporter gerade zu den Soldaten eingezogen. De facto war er jetzt Soldat und fiel unter das Militärgesetz. De jure aber erst nach der Vereidigung. »Der darf das, Bert. Und er hat es getan! Willkommen beim Militär!« Bert Stranger schüttelte sich bei dem Gedanken, und Martell schmunzelte unendlich zufrieden. »Und jetzt, Major Stranger«, Martell ließ den Dienstgrad des Reporters genießerisch auf der Zunge zergehen, »möchte ich mit Harriet, dem Cahia und dem Tel-General reden! Schaffen Sie sie mir schnellstens her!« »Erwin, ist Major höher als Chief?« »Ja, Bert. Natürlich! Weshalb fragst du?« »Damit du die drei holst, Erwin! Ich bin schließlich jetzt Major!« Martell lachte. »Sie begreifen schnell, Stranger! Passen Sie aber auf, Erwin kann ein gemeiner Hurenbock sein!«
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General John Martell dachte schon längst nicht mehr, daß dieser Besuch in der alten SAC-Zentrale vertane Zeit war. Schon kurz nach Beginn der Unterhaltung hatte er Carlotta Santini holen lassen, damit er Zeugen für diese unglaublichen Enthüllungen besaß. Santini und Brewer schrieben seitdem auf ihren Memoboards mit. Außerdem lief natürlich die vollautomatische Aufzeichnung. Jedes Wort war wichtig. Einen Augenblick erwog Martell auch, selber nach Timbuktu zu reisen, doch er verwarf diesen Gedanken sofort. Außer ihm besaß kein Kommandierender General der Streitkräfte soviel persönliche Reputation bei der Flotte, um die Admiralität davon zu überzeugen, daß diese Tartarenmeldung kein Schachzug in seinem Krieg mit Darnelle war. »Was ich vor Tagen auf dem Golfplatz gesagt habe, gilt nicht mehr, Carlotta! Setze alle verfügbaren Leute auf die Kommunikation zwischen der GSO-Zentrale und ganz Afrika an. Wenn es Ersatzcodes für das Militärnetz gibt, sollen alle von uns direkt benötigten Satelliten darauf umgestellt werden. Bei den anderen bleibt alles beim alten. Außerdem will ich, daß deine Leute sich darauf vorbereiten, blitzschnell ein Reserve-Satellitennetz über Afrika zu installieren. Ich möchte nämlich die anderen außer Betrieb setzen lassen, wenn es die Situation erfordern sollte.« Ohne sich weiter um Santinis Reaktion zu kümmern, fuhr der General fort. »Jock, Sie setzen sich mit dem Büro in Verbindung. Man soll mir für morgen 11.00 einen offiziellen Termin bei Trawisheim beschaffen. Ich werde mit Daniels dort antanzen. Rufen Sie über den kleinen Dienstweg den Chef von Henners Wachkompanie an, geben Sie ihm diese Nummer und sagen Sie ihm, der Alte muß den Boß unbedingt privat sprechen! Zusätzlich will ich, daß für alle Einheiten des planetaren Schutzschirms einschließlich der fliegenden Verbände inner- und außerhalb Alarmstufe Ilb ausgerufen wird, damit ihnen außer Trawisheim und mir niemand mehr Be70
fehle erteilen kann. Bereiten Sie eine Konferenzschaltung mit Carter, Brigone, Pellier und Hassel vor. Sagen Sie ihnen nur, daß für sie Stufe lila in Kraft gesetzt ist. Und ich benötige eine Verbindung zu Togo von den Terra Defence Forces. Er soll sich mit seinem Stab bereithalten. Erledigen Sie das schnellstens, Jock, dann kommen Sie sofort wieder her. Ach ja, ich brauche Kaffee! Heiß und stark!« *
Bei den terranischen Streitkräften gab es insgesamt fünf unterschiedliche Bereitschaftsgrade. Bei Stufe I lief der normale Tagdienst weiter, nur daß Waffen und Gerät auf Vordermann gebracht wurden. Bei Stufe IIa wurde Urlaubssperre verhängt, und die Truppe durfte einen festgelegten Bezirk im Umkreis der Unterkünfte nicht verlassen. Stufe IIb bedeutete absolute Ausgangssperre, und die Truppe wartete abrufbereit auf den Befehl zum Ausrücken. Ging die Truppe kurz hinter der eigenen Grenze in Stellung, und durfte feindliches Feuer nur auf ausdrücklichen Befehl erwidern, befand sie sich in Stufe IIIa. Schließlich IIIb. Die Stufe bedeutete Kriegszustand. Die Truppe besetzte die Grenzen und eröffnete das Feuer nach eigenem Ermessen. Normalerweise folgte eine Stufe auf die andere, doch konnte die Reihenfolge wie in diesem Falle je nach Gefahrenlage jederzeit übersprungen werden. *
Natürlich hatte man im Lagezentrum in Timbuktu alles mitbekommen, ausgenommen Harriet und ihre drei Begleiter, die gerade erst wieder in den Kommunikationsraum gekommen waren. 71
Der General starrte in die Aufnahmelinse des Tischviphos, doch man sah deutlich, daß er in diesem Moment ganz woanders war. Dann blitzten Martells Augen auf, als sein Blick auf dem Paar in den fremden Kampfanzügen haften blieb. »Das Ree oder die Robonen, Wer Drang?« fragte Martell den Tel-General kurz. »Das Ree, General«, kam die ebenso knappe Erwiderung. »Aber die Schlächter wären dennoch nicht unbehelligt davonkommen!« Sie sahen Martell zustimmend nicken. »Das dachte ich mir schon, Wer! Aber nun zum Geschäft. Was erwarten Sie von mir?« »Freien Abzug aller Tel zu einem Ziel meiner Wahl. Alle bezieht sich auf Soldaten, Geheimdienstangehörige und sämtliche Gefallenen. Außerdem wird eine der Reebomben mir übergeben und die andere vernichtet.« »Wozu die Bombe?« Diese Antwort bedeutete die Annahme der Bedingungen durch Martell »Ich möchte nicht, daß das Geheimnis des Ree in die Hände Terras fällt. Die zweite Waffe brauche ich zu Abschreckung, um mich und meine zukünftigen Verbündeten vor der Auslöschung durch Ree zu bewahren«, erklärte Tor ruhig. »Also gibt es Rebellenwelten«, sagte Martell mehr zu sich selbst. »Und eigentlich benötigen wir die zweite Bombe auch nicht.« Dann sprach Martell den Tel wieder direkt an. »Und was erhalten wir außer der Warnung noch von Ihnen?« »Volle Unterstützung bei allen Bodenoperationen durch die Tel und den Cahia sowie Hilfe bei der Ausschaltung unseres Agentennetzes auf Terra und den anderen Planeten Ihres Heimatsystems!« lautete das Angebot des Tel. »Einverstanden, Wer Drang«, stimmte Martell ohne Zögern zu. »Das ist mehr als fair. Wie schnell kann ich die Daten haben?« »Wir können sie übertragen, oder ziehen Sie einen Kurier vor, General?« antwortete Tor Drang. 72
»Übertragung. Dazu noch sämtliche Daten über die Bewegungen der Robonen. Vielleicht können unsere Leute noch mehr herausholen«, kam die Entgegnung wie aus der Pistole geschossen. »Nun zum Stand der Dinge. Harriet, wie sehen die Pläne für Morgen aus?« Harriet Stowes überlegte kurz, bevor sie zur Antwort ansetzte. »Erwin und der Cahia brechen sehr früh nach Gaura auf, um vor Ort gebührende Maßnahmen zu treffen, damit wir die Robonen bis zu ihrem Versteck zurückverfolgen können. Damit niemand Verdacht schöpft, wird am Samstag das Beobachternetz dennoch in der gesamten Zone aktiviert. Gegen Mittag predigt Sidi Mohammed beim Freitagsgebet. Die anderen halten hier unten die Stellung, während ich und Larr Clarks Grab einen Besuch abstatten. Danach...« »Sie wissen, wo die Gräber sind, Harriet?« unterbrach Martell sie mitten im Satz und man sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Ja, General! Die Tel haben die Gefallenen mit militärischen Ehren bestattet«, sagte sie mit belegter Stimme. »Dann werden Sie sich bis auf weiteres von den Gräbern fernhalten, Harriet. Das ist ein Befehl«, sagte Martell harsch. »Ich werde Ihnen auch sofort die Gründe nennen. Samstag früh wird nämlich der Starreporter von Terra-Press den Hohen Kommissar von Löwenstern höchstpersönlich an diese Stelle führen, um zu beweisen, daß Militär und GSO in Timbuktu die falschen Frauen und Männer verdächtigt hat. Das hat nicht nur den Vorteil, daß die meisten Regierungsstellen in Timbuktu und Alamo Gordo wegen des Wochenendes nur eingeschränkt handlungsfähig sind, sondern auch, daß die Stabschefin höchstpersönlich nach Afrika kommen kann, ohne Verdacht zu erregen. Dann können Sie Ihre Dienststellung, versehen mit einer Sondervollmacht ausspielen, um an die letzten Beweise über den Verrat in Timbuktu zu gelangen. Vereidigen Sie Stranger und sprechen Sie die Einzelheiten mit ihm und Erwin ab. Max informiere ich selbst. Er wird dann auf Strangers Anruf warten. Bis Terra Command eine sichere Verbindung in73
stalliert hat, melden Sie sich hier in Omaha. Ich bleibe bis dahin bei der alten Methode! Ich wünsche Ihnen für Morgen viel Erfolg. Auf bald!« Dann war die Verbindung unterbrochen. Und auf beiden Seiten des Atlantiks brach in den jeweiligen Kommandozentralen ein Gewimmel wie in einem Ameisenhaufen aus. Etwaige Beobachter hätten nur sehr schwer das ausgeklügelte System hinter dem Chaos erkennen können. *
Während der gerade vereidigte Major Bert Stranger die Redaktion von Terra-Press anrief, damit die Aufmacher über seinen ersten Bericht auch ganz bestimmt in der Frühausgabe zu lesen waren und ins weltweite Infonetz eingespeist wurden, starrten die anderen wie gebannt auf das große Display, auf dem eine Simulation sich scheinbar immer wieder wiederholte. Doch das stimmte nicht. Wie die irdischen Lagesimulatoren waren ihre Tel-Gegenstücke mit den Standardprozeduren der jeweiligen Vorschriften zur Gefechtsführung gefüttert worden. Die ersten Simulationen liefen rein nach Tel-Bedingungen ab. Dann erst begann Hadi, Harriets und Erwins Anregungen, die auf terranischen Vorstellungen von Strategie und Taktik beruhten, einzuspeisen. Sie machten nur einmal eine kurze Pause, weil Strangers wütende Stimme alle anderen Geräusche übertönte. »Das ist mir scheißegal, Chef! Entweder bekomme ich diese Schlagzeilen: >Wer gab den Todesbefehl von Taudeni? Was verschweigt die GSO-Leitzentrale Afrika? Wußten drei Soldaten mehr als sie durften? Terra-Press nennt Roß und Reiter. Das sensationelle Interview in Timbuktu mit dem Cahia und einer GSOAgentin lüftet das Geheimnis von Taudeni!< oder... Schön, wenn Terra-Press nicht will, dann gehe ich eben zur Konkurrenz! ... Ach, ja? ... Danke, warum nicht gleich so? Also auf bald!« Der Reporter lehnte sich zurück und grinste die Zuhörer zufrie74
den an. »Die Gesichter von Darnelle und Baxter möchte ich sehen, wenn man ihnen diese schönen Neuigkeiten präsentiert!« Sidi Mohammeds Gesicht wurde vor Zorn noch dunkler, als es von Natur aus schon war. »Damit bringst Du nicht nur uns, sondern auch Mary in Gefahr! Ich lasse nicht zu, daß ihr etwas zustößt!« »Ich kann allein entscheiden, was gut für mich ist, Mohammed. Bert ist meinem eigenen Vorschlag nur zuvorgekommen. Du mußt Kontakt mit dem Unbekannten aufnehmen und ihm von meiner geglückten Flucht berichten. Wenn wir vorher Omaha benachrichtigen, können die Fernmeldeleute vielleicht den Anruf verfolgen. Das ist mir jedes Risiko wert!« »Aber mir nicht! Ich befehle dir...« »Du befiehlst mir gar nichts«, fauchte Mary Strong, und ihre grünen Augen sprühten vor Zorn. »Ich bin nicht deine Frau, der du vielleicht etwas befehlen kannst!« »Dann werde ich das ändern!« Der Cahia schnappte sich Mary, warf sich die überraschte Frau über die Schulter und stapfte mir ihr aus dem Raum. Als sich die Tür knallend hinter den beiden geschlossen hatte, verdrehte Bert Stranger die Augen und seufzte laut: »Endlich hat sich die Frage nach der Schwiegermutter erübrigt.« Larr Drawl lachte leise. »Und wie verzweifelt sich die ausgebildete Nahkämpferin gewehrt hat, war schon wirklich beeindruk-kend!« Aus dem Hintergrund übertönte Hadis aufgeregte Stimme das leise Gelächter im Gewölbe: »Es ist soweit, Fatme! Sidi wird sie heiraten, wie ich es dir gesagt habe. Aber verrate es noch nicht weiter!« Diesmal war das Gelächter noch lauter. »Wetten, daß jetzt die Viphorechnung deines Haushalts eine ungeahnte Höhe erreicht, Hadi?« grinste Erwin. »Aber nun zurück an die Arbeit! Welche Tuaregsippen sind im Augenblick nahe genug 75
an der Meraia oder dort unterwegs, und wer von ihnen könnte am Samstagmorgen in Position sein?« »Wann erscheinen deine Texte im Kommunikationsnetz, Bert?« fragte Harriet Stowes. »Wenn er sein Wort gehalten hat, müßten sie schon im Weltnetz abrufbar sein! Klink dich doch mal rein und sieh unter TerraPress.News.publ. nach, Hadi!« Knapp dreißig Sekunden später erschienen die Aufreißer auf einem der vielen kleineren Displays. Und es war kein Jota daran geändert worden. »Wir sollten Jassir über diese Entwicklungen informieren. Er soll die Sicherheitsvorkehrungen noch verstärken«, sagte Erwin nachdenklich. »Diese Nacht und Morgen erwarte ich noch keinen Ärger, aber ab Samstag rechne ich verstärkt damit! Vorsicht ist schließlich die Mutter der Porzellankiste!« »Nimm du das in die Hand, Erwin«, befahl Harriet Stowes. »Larr und ich checken mit Hadi noch die Standorte der Tuareg durch und setzen alle in Frage kommenden Sippen in Marsch! Dann machen wir Schluß für heute. In den nächsten Tagen wird Schlaf Mangelware sein.« Alle nickten zustimmend, und knapp dreißig Minuten später war der unterirdische Raum leer bis auf die beiden Männer des Cahia, die über Nacht dort die Stellung hielten. *
17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf Sahara-Reservat, Lager der Aulemmi-Tuareg 00.15 Ortszeit Die meisten Menschen im Lager der Aulemmi, des Tuaregstammes, der vor mehreren Jahrhunderten die Stadt Timbuktu 76
mitbegründete, hatten sich bereits schlafen gelegt. Nur im Ratszelt saßen noch die Ältesten des Stammes mit dem Häuptling zusammen, um die alltäglichen Zwistigkeiten in dem großen Lager zu regeln. »Für fünf Minuten herrsche Schweigen, dann erst werden wir einen Schiedsspruch fällen«, sagte Ibn Batutta, der älteste in der Runde. Es wurde still im Zelt, nur das traditionelle Feuer in der Mitte knisterte leise. Da unterbrach ein helles Summen die Gedankengänge der Ältesten. Alle Blicke richteten sich mißbilligend auf den Besitzer des Handviphos. Nur die Tatsache, daß er der Stellvertreter des Stammesoberhauptes war, bewahrte ihn vor dem Tadel Ibn Batuttas. Verlegen griff der Targi unter sein Tschobe und holte das Vipho hervor. »Was gibt es so bedeutendes, Hadi? Du unterbrichst eine wichtige Ratsversammlung.« Bei dem Namen Hadi richteten sich sofort alle Blicke auf den Sprecher. »Sidi hat sich endlich an seine Pflichten erinnert und eine Gemahlin erwählt, Ali. Doch es gibt eine weitere Freudenbotschaft für die Aulemmi. Am Samstagmorgen in der Dämmerung will Sidi Mohammed alle waffenfähigen Männer kampfbereit in der Meraia sehen. An den Orten, die ich dir gleich nenne. Dort werdet ihr euch verborgen halten und jede Bewegung von Militärtransportern überwachen. Und wenn Allah uns gewogen ist, werden die Krieger der Aulemmi helfen, die Dschinns...« Der laute Knall einer uralten Flinte unterbrach Hadis Worte, gefolgt von gellenden Begeisterungsschreien, die man den Greisen niemals zugetraut hätte. Nur mühsam schaffte es Ibn Batutta, die Ruhe im Zelt wiederherzustellen, während draußen der Lärm erst einsetzte. »Doch es wird keine einfache Aufgabe, Ali! Ihr dürft nur in der Dunkelheit unterwegs sein und müßt jeden Kontakt vermeiden, 77
denn niemand darf erfahren, daß Sidi Mohammed seinen Stamm zum Kampf gerufen hat. Und ihr sollt bedenken, daß es gegen Mächte geht, die Verderben über die ganze Menschheit bringen wollen.« »Hören heißt gehorchen, Hadi. Die Macht der Aulemmi wird zur Stelle sein. Richte Sidi Mohammed aus: Es herrsche jetzt doppelte Freude im Lager seines Stammes. Und nun sage Ibn Batutta alles, was wir sonst noch wissen müssen. Die Stunden der Dunkelheit dürfen nicht ungenutzt verstreichen!« Ali reichte dem Greis das Vipho und blickte dann die anderen an. »Obwohl Sidi Mohammed von allen waffenfähigen Männern sprach, meinte er damit nicht die Weisen der Aulemmi. Dir brennt genauso auf den Kampf wie alle anderen Krieger auch. Doch es geht gegen mächtige Feinde! Wenn alle gegen ihn ziehen und sterben sollten, wer wird dann die Traditionen der Aulemmi fortsetzen? Deshalb sollen die Weisen entscheiden, wer geht oder bleibt. Trefft die Wahl schnell, denn in einer Stunde brechen wir auf! Gelobt sei Allah, der Allumfassende!« Sechzig Minuten später verließ eine lange Kolonne Kamelreiter das Lager der Aulemmi und verschmolz lautlos mit der Dunkelheit. Aber es dauerte sehr lange, bis in den Zelten endlich wieder Ruhe herrschte. Denn es gab reichlich Gesprächsstoff in dieser Nacht. *
16. August 2057 Donnerstag Tag X minus sechs 18.30 Uhr Ortszeit Cent Field, Hauptquartier der Terra Defence Forces Konteradmiral Schikibo Togos Ungeduld war nur für wenige 78
Mitglieder seines fast vollständig versammelten Stabes erkennbar. Per gedrungene Japaner aus Hiroschima war innerhalb der Terranischen Flotte für seine Selbstbeherrschung bekannt. Doch jetzt stand der Befehlshaber aller Raumverbände, die der eigentlichen Verteidigung des Heimatplaneten dienten, kurz vor einem Gesichtsverlust. Seit gut zwei Stunden harrte er mit dem gesamten Stab auf den Anruf des Kommandieren Generals, der ihnen erklären wollte, weshalb auf allen Stützpunkten der TDF die Einheiten auf den Einsatzbefehl warteten. Doch General Martells Anruf ließ immer noch auf sich warten. Bisher hatte sich die Admiralität aus den Streitigkeiten zwischen Terra Command und der GSO diplomatisch herausgehalten. Aber nun hegte Togo den starken Verdacht, daß Martell ihn zu einer Entscheidung zwingen wollte, der er lieber ausweichen würde, um diesen Krieg nicht in die Reihen der Admiralität zu tragen. Doch wenn sich die Dinge weiter so zuspitzten, mußte er sich für eine Seite entscheiden. Er wußte auch schon, welcher seine Sympathien galten. Darin war er sich mit seinem Flaggoffizier Commodore Juri Nebogatow einig. In rein militärische Angelegenheiten hatte sich die GSO nicht einzumischen. Gab TC nach, war bald auch die Flotte an der Reihe. Eine Technikerin bewahrte Togo vor dem Gesichtsverlust. »Der Kommandierende General kommt rein. Ich lege ihn auf das Hauptdisplay, Sir«, verkündete ihre jugendliche Stimme. Der Admiral und sein Stab erhoben sich und grüßten. Das Gesicht des Generals wirkte erschöpft, um seinen Mund spielte ein müdes Lächeln. So mußte ein Mann aussehen, der in den letzten Stunden durch die Hölle gegangen war. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie und den Stab so lange habe warten lassen, doch nach meinem Lagevortrag werden Sie mir bestimmt verzeihen, Admiral Togo! Bitten Sie Ihren Stab, den Raum zu verlassen, ich möchte nur mit Ihnen und dem Commodore sprechen. Es ist kein Mißtrauen gegen Ihren Stab, Togo, sondern je 79
weniger Leute davon erfahren, um so sicherer ist die Geheimhaltung.« Togo brauchte den Befehl nicht zu erteilen, denn sein Stab begann sofort, den Raum zu verlassen. Dann richteten sich seine und Juris Blicke auf Martell. »Admiral Togo, Commodore Nebogatow. Die Ausrufung von IIb durch TC war keineswegs eine Demonstration meiner Machtfülle oder reines Muskelspieler gegenüber der GSO, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern diente allein dazu, Ihre Raumverbände schnellstens einsatzbereit zu machen. Von diesem Augenblick gilt für sämtliche Einheiten der TDF Alarmstufe IIIa. Tarnen Sie den Alarm als ein überraschend angesetztes Großmanöver, um das neue Verteidigungskonzept unter Ernstfallbedingungen zu testen! Vergattern Sie die Truppe in diesem Sinne. Nun zum Ernst der Lage, meine Herren! Falls folgende Informationen diesen Raum verlassen sollten, hat mir Henner Trawisheim befohlen, ein Standgericht einzuberufen und das Urteil sofort zu vollstrecken. Es befinden sich zwei Variobomben auf der Erde, eine in der Hand von nicht umgeschalteten Robonen, die andere in der Hand eines Verräters. Bei beiden Bomben besteht die Gefahr, daß sie innerhalb der nächsten sieben Tage gezündet werden. Die Frage, warum ich nicht die GSO um Unterstützung bitte, erübrigt sich. Der Verräter heißt wahrscheinlich Fred Darnelle, und er hat einen Pakt mit Sawall geschlossen. Die Verdachtsmomente sind stichhaltig, reichen auch zu einer Anklage wegen Hochverrat, aber noch fehlt das Tüpfelchen auf dem i, um eine Verurteilung zu garantieren!« Togo und Nebogatow sahen sich an. Beide kannten die Transportkapazitäten von Flotte, Handelsraumfahrt und Transmittern gut genug, um zu wissen, daß 98 % der Menschen auf der Erde zum Tode verurteilt waren, weil sie nicht evakuiert werden konnten. Von der Panik ganz zu schweigen, die das Bekanntwerden dieser Bedrohung auslösen würde. 80
»Eine sichere Quelle sagt, daß beide Parteien noch nicht wissen, wie man die Bomben zündet. Doch spätestens Montag, Dienstag beginnen die Robonen mit Experimenten, um das Vario irgendwie auszulösen. Ihre Aufgabe wird sein, mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß die Bomben auf der Erde bleiben, falls man sich entschließen sollte, sie wegzuschaffen. Spannen Sie ein Netz aus, in dem sich jedes Schiff verfängt, das unangemeldet den Planeten verläßt.« »Wie sollen wir den Abtransport der Bomben durch die Robonen verhindern, General?« fragte der Commodore. »Wir können ihre Schiffe ja nicht einmal orten!« »Da stimme ich Ihnen zu, Nebogatow«, antwortete Martell mit deutlich zufriedenerer Miene. »Doch ich kann Ihnen neue Erkenntnisse über diesen Ortungsschutz geben und auch darüber, auf welchem Wege die Robonen die Erde verlassen. Wie schon angedacht, mogeln sich ihre Schiffe im Schatten der großen Frachter oder Passagierschiffe durch den Schirm. Aber bei kleineren Objekten funktioniert anscheinend die optische Abschirmung nicht, aus welchen Gründen auch immer. Die Transporter, die die Massaker im Sahel angerichtet haben, flogen unter Ortungsschutz, doch ihre Bewegungen konnten über Sichtkontakt verfolgt werden. Weitere Hinweise, wie man den Ortungsschutz aushebeln könnte, stammen aus dem Stab von Generalmajor Santini. Sie glauben gar nicht, wie erfindungsreich man wird, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht. Etwas, das man weder orten noch sehen kann, ist dennoch als Körper vorhanden. Wenn man den zum Beispiel mit Farbe übergießt, wird er sichtbar. Oder befindet er sich in einem mit leicht radioaktiven Gas gefüllten Raum, so ließe sich der Hohlraum anmessen, an dem das Gas von dem Körper verdrängt wird. Wie das technisch machbar sein könnte, übersteigt meinen Horizont, aber Carlottas Jungs haben sich sofort darauf gestürzt. Und ich nehme nicht an, daß die Marine über schlechtere Leute verfügt.« »Darf ich meinen Technikern sagen, daß sie an der Abwehr der 81
Robonengefahr arbeiten, Sir?« Martell nickte zustimmend und sprach weiter: »Des weiteren benötige ich Ihre dicken Pötte, um kleinere Einheiten von einem Ort der Welt zum anderen verlegen zu können. Wie mein Stab mir versicherte, geht das am schnellsten mit Raumern!« »Geben Sie mir die notwendigen Daten, und die Schiffe stehen zur Verfügung, General«, warf Konteradmiral Togo ein. »Meine Kräfte reichen aber vielleicht nicht aus, um eine umfassende Blockade zu gewährleisten. Darf ich bei TF-SDF leichte Einheiten zur Unterstützung anfordern?« Man sah Martell an, wie er überlegte, bevor er antwortete. »Die Blockade braucht nicht so vollständig zu sein, Admiral. Es genügt, wenn Sie die Löcher im Schutzschirm überwachen, die für den Passagierverkehr geöffnet werden müssen. Ansonsten bringen Sie jedes Schiff auf, daß die Erde außerhalb der genehmigten Passagen verläßt. Was die Solar Defence Forces betrifft, möchte ich sie nicht gerne mit meinen Problemen behelligen, Togo! Die Admirale könnten mich etwas fragen, was ich nicht beantworten darf. Doch wenn Sie Einheiten ohne viele Erklärungen loseisen können, haben Sie meinen Segen! Soll ich noch ein paar aufmunternde Sprüche an den Stab von mir geben, oder geht es auch ohne?« »Letzteres, Sir! Hat TDF Feuererlaubnis?« »Jedes Schiff, das der Aufforderung zur Durchsuchung nicht Folge leistet, ist aufzubringen oder zu vernichten! Das gilt aber nur, wenn dabei keine Trümmer auf die Erde zurückfallen können! Bei Schiffen, die sich an Raumer anhängen, halten Sie sich noch bis Samstagmittag Timbuktuer Ortszeit zurück! Ich melde mich wieder, wenn ich mehr weiß. Viel Erfolg, Admiral Togo, Commodore Nebogatow!« Die Verbindung wurde unterbrochen. Konteradmiral Togo sah seinen Flaggoffizier an. »Martell sah sehr erschöpft aus, Juri! Dann wollen wir ihm mal seine Bürde etwas erleichtern. Geben Sie die Befehle an die Ein82
heiten raus. Ich will alles oben haben, was noch irgendwie raumtauglich ist. Sagen Sie den Werftkommandanten, daß ich auch den kleinsten Kahn, der am Samstag 06.00 noch am Boden ist, obwohl man ihn in der Zwischenzeit hätte flugfähig machen können, als persönliche Beleidigung betrachten werde. Schicken Sie den Stab rein. Ach ja, ich brauche noch die Forschungsabteilung des Waffenarsenals. Admiral Winston wird mir erklären müssen, warum diese plattfüßigen Landratten weiter sind als er und seine hochbezahlten Eierköpfe!« Commodore Nebogatow lächelte. »Ich sehe schon die alten Tage der Segelschiffahrt auf die Terranische Flotte zukommen, Admiral! Mit Fernrohren ausgestattete Matrosen halten Ausschau nach feindlichen Schiffen!« »Warum nicht, Juri?« lächelte Togo zurück. »Die Landratten hatten damit scheinbar Erfolg!« *
17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf Kurz nach Beginn der Dämmerung Gaura, Region Sahara Als sie von den beiden Kuppen, auf denen Ali, Hassan und Amina gestorben waren, nach Gaura zurückgingen, hatte Sidi Mohammed Mühe, sich zu konzentrieren. Der größte Teil seiner Gedanken weilte in seinem Palast in Timbuktu. Die Nacht war viel zu kurz gewesen, doch seine Pflichten als Cahia hatten ihn nach Gaura gerufen. Da Mohammed aus Geheimhaltungsgründen bei dieser Reise ein schlichteres Gewand trug als bei seinen sonstigen öffentlichen Auftritten, hatte ihn niemand in Gaura erkannt. Daher behandelte man ihn wie einen Normalsterblichen. Das war ganz angenehm 83
und zudem äußerst lehrreich. Plötzlich bekam er Ansichten über die Probleme des flachen Landes zu hören, die sich gewaltig von dem unterschieden, was man bisher offiziell vorgetragen hatte. Besonders über die örtliche Verwaltung. Auf dem Hinweg hatte ihm Omar Hamid einen Zettel gegeben, auf dem seine beiden Jungen aufgeschrieben hatten, was sie sich wünschten, falls etwas von der Belohnung für sie übrig bleiben sollte. Die krakelige Handschrift brachte die Erinnerung an Zeiten zurück, als er und Hadi zur Strafe Ziegen hüten mußten. Auch sie beide hatten sich aus Langeweile wunderschöne Geschichten ausgedacht, in denen sie den Stamm erretteten und großartigen Lohn dafür empfingen, wie nie wieder Ziegen hüten oder Befreiung vom Schönschreibunterricht. Sidi Mohammed wußte daher in etwa, in welche Richtung die Knabenträume gegangen sein könnten. Wenn die Gefahr gebannt war, würde er sie erfüllen und darüber nachdenken, wie er der armen Bauernfamilie helfen könnte, ohne den Stolz des einfachen Tagelöhners zu verletzen. Aber als er Saddam Maraua und Omar Hamid sagte, daß er dem Cahia persönlich den Zettel übergeben würde, hatte er in ihren Augen gelesen, daß sie seine Worte für Angeberei hielten. Die beiden und der Ortsvorsteher würden sich noch wundern. *
17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 17.30 Uhr Ortszeit Wüste Gobi Feldlager des l. Leichten Raumlanderegiments Colonel Sven Hassel, ein drahtiger, hellblonder Schwede, hielt sich im Halbschatten des großen Vordaches, so daß ihn die Truppe 84
nicht sehen konnte, und blickte auf das l. Leichte Raumlanderegiment. Soldaten, ob Frauen oder Männer, dachte er zynisch, sind schon eine merkwürdige Sorte Mensch. Auf der einen Seite knallhart und auf der anderen unglaublich sentimental. Wer ihre Mentalität kennt und sie richtig anpackt, dem fressen sie aus der Hand. Martell ist schon ein alter Fuchs! Draußen waren die gut 1.600 Frauen und Männer des Regiments im offenen Karree um den Fahnenmast, an dem drei einsame uniformierte Gestalten geduldig warteten, angetreten. Den linken Schenkel der U-förmigen Formation bildeten Stab, Stabskompanie und das I. Bataillon, II. und III. die Basis und das Ausbildungsbataillon den rechten Schenkel. Die Soldaten waren, wie es der Bereitschaftsgrad verlangte, unter Waffen zum Appellplatz geeilt, als das Signal zum Antreten gegeben wurde. Und alle fragten sich, was der Alte denn so Wichtiges zu verkünden hatte, das er außer der Reihe antreten ließ. Daß es nicht losging, sah man daran, daß die Luftkutscher mit angetreten waren. Natürlich hatten den ganzen Tag über Latrinenparolen die Runde gemacht, was die Ausrufung der Bereitschafts stufe IIIa betraf. Doch selbst die Ordonnanzen der Offizierskantine, denen man sonst schon mal einige Informationen entlocken konnte, hatten geschwiegen wie ein Grab. Dann trat die einsame Gestalt am Fahnenmast zwei Schritt vor. »Erstes Regiment... stillgestanden!« Die scharfe Stimme von Lieutenant-Colonel Isabella Fernandez, der stellvertretenden Regimentskommandeurin, unterbrach das kaum hörbare Murmeln der Soldaten. Dann herrschte Stille auf dem Appellplatz. Nur das Knattern der Fahne war zu hören. Unter dem Vordach des Stabstransporters zeigte sich der Colonel, marschierte auf seine Stellvertreterin zu und blieb drei Schritte vor ihr stehen. Wieder brachte die Stimme des weiblichen Offiziers Bewegung in das Regiment. Als sie »Zur Meldung an den Kommandeur... 85
Augen rechts!« bellte, lichteten sich sofort alle Blicke auf die beiden Offiziere. »Melde 1. Leichtes Raumlanderegiment zum Appell angetreten!« Die Soldaten, die jetzt die normale Routine erwartet hatten, daß also der Kommandeur »Rühren« befahl, wurden bitter enttäuscht. Colonel Hassel trat zwar vor sein Regiment, aber der erwartete Befehl kam nicht, statt dessen räusperte er sich mehrmals so, als habe er Mühe seine Stimme unter Kontrolle zu bringen. Und als er dann zu sprechen begann, klang seine Stimme belegt. »Ich habe die traurige Pflicht, dem Regiment mitzuteilen, daß die gesamte 3. Kompanie in Taudeni Opfer eines heimtückischen Überfalls geworden ist! Die Nachricht wird erst jetzt bekanntgegeben, damit alle Einheiten des Raumkorps zur gleichen Zeit ihrer Kameraden gedenken können!« Der Oberst drehte sich um und befahl: »Holt Flagge nieder: Halbmast!« Die beiden Soldaten neben dem Fahnenmast traten vor und begannen mit langsamen, gemessenen Bewegungen die Flagge einzuholen. Im gleichen Augenblick begann der Trompeter ein getragenes Solo zu blasen, dessen Melodie allen Altgedienten vertraut war. Als die Melodie endete, setzte die kleine Kapelle ein. Auch dieses Lied war bekannt und trieb, obwohl nicht ganz sauber gespielt oder vielleicht auch gerade deshalb, manchem Soldaten Tränen in die Augen, denn viele hatten mit der 3. Kompanie gute Kameraden verloren. Als die folgenden drei Ehrensalven verhallt waren, befahl der Colonel: »Augen geradeaus. Regiment - rühren!« Die Soldaten nahmen die geforderte lockere Haltung an und warteten nun, daß ihr Kommandeur weitere Einzelheiten bekannt gab. Und was die Frauen und Männer zu hören bekamen, entsetzte, verblüffte und erfreute sie zu gleichen Teilen. 86
Daß nicht umgeschaltete Robonen in Verbindung mit der GSO von Timbuktu das Massaker angerichtet und die Schuld der Truppe in die Schuhe geschoben hatten, entsetzte sie, daß ausgerechnet Tel ihre Kameraden geborgen und nach Tel-Zeremoniell mit militärischen Ehren bestattet hatten, verblüffte sie, doch die letzten, von einem Blatt abgelesen Befehle des Kommandeurs erfreuten sie besonders. »Auf Weisung des Kommandierenden Generals des Raumkorps unter Billigung von Terra Command ergeht folgender Befehl: Mit Wirkung vom 18. August 2057 wird eine neue 3. Kompanie des 1. Leichten Raumlanderegiments aufgestellt. Es ist der Wunsch der Kommandierenden Generale von Terra Command, des Raumkorps sowie der des Legionskommandeurs, daß diese Kompanie aus den besten Soldaten des Regimentes geformt wird. Das soll sich nicht nur auf die militärischen, sondern auch auf die menschlichen Qualifikationen beziehen, damit nie wieder ein Schatten des Makels die Ehre der Gefallenen befleckt. gez. John Martell, Generalleutnant, KG, Terra Command gez. Luigi Brigone, Generalmajor, KG, Raumkorps gez. George Pellier, Brigadegeneral, Kommandeur 1. Weltraumlegion.« Colonel Sven Hassel ließ diese Worte wirken, dann fuhr er fort. »Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Daher schlage ich vor, daß Mannschaften, Unteroffiziers- und Offizierskorps sich einigen, wer von den jeweiligen Dienstgradgruppen die 3. Kompanie bildet. Die entstandenen Lükken werden vom Ausbildungsbataillon aufgefüllt. Der KG hat mich außerdem ermächtigt, alle Beförderungen auszusprechen, die ich in diesem Falle für erforderlich halte. Wichtig ist, daß die neue Kompanie zum Frühappell faktisch kampfbereit sein muß! Und nun zu den Einsatzplänen der kommenden Tage. Einzelheiten erfahren Sie von den Unterführern. Das I. Bataillon bereitet sich geschlossen auf das Eindringen in einen vermutlich unterirdischen Robonenstützpunkt, übrigens der Mörder unserer Kamera87
den, in der Sahelzone vor. Pläne über den Stützpunkt liegen zur Zeit nicht vor. Ich hoffe, bis Samstag 12.00 Timbuktuer Zeit nähere Details zu erfahren. Das Bataillon wird mit einer Einheit des Vorauskommandos Terra der Tel-Streitkräfte in den Stützpunkt eindringen.« Ein Raunen durchlief die Reihen der Männer und Frauen. TelStreitkräfte auf der Erde? Was hatte das zu bedeuten? »Diese Soldaten sind weder Überläufer noch Verräter, sondern in diesem Kampf gegen die Robonen unsere Verbündeten. Ich erwarte, daß die Tel mit allem Respekt behandelt werden. Denn sie gehören der Einheit an, die unseren Gefallenen die militärischen Ehren erwies, obwohl sie es nicht nötig gehabt hätte. Die beiden anderen Bataillone sind für Kommandoeinsätze vorgesehen. Sie werden zugweise Zentralen des Tel-Geheimdienstes ausheben und versuchen, möglichst alle Tel gefangenzunehmen. Die Gesetze zur Behandlung von Kriegsgefangenen sind in diesem Fall besonders sorgfältig zu beachten. Wann die Einsätze stattfinden, steht noch nicht fest. Doch falls sich jemand fragen sollte, warum die Marine ihre Pötte ausgerechnet in die Wüste schickt - wundert euch nicht lange darüber, sondern schnappt eure Waffen und rennt an Bord! Denn dann geht die Post endgültig ab. Colonel Fernandez, übernehmen Sie und lassen Sie abrücken!« Sven Hassel erwiderte den Gruß seiner Stellvertreterin, machte auf der Stelle kehrt und ging zu seinem Quartier zurück. Sein zufriedenes Lächeln konnte niemand sehen, ebensowenig hörte man seine leisen Worte. »Die alte Masche hat gezogen. Die Truppe gehorcht Martell jetzt blind! Ein Glück, daß der General ein Mann mit Prinzipien ist, der seine Macht nie mißbrauchen wird!«
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17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 12.00 Ortszeit Timbuktu, Stadtpalast des Cahia »Wieviel Menschen werden wohl zum Freitagsgebet kommen, Hadi?« fragte Bert Stranger den Jugendfreund des Cahia. »Und wie viele von ihnen wissen, daß sich Mohammed eine Schwiegermutter anschaffen will und gehen nur aus diesem Grunde in die Moschee?« »Bert Stranger! Laß endlich deine dummen Scherze. Die werden durch ständige Wiederholung auch nicht besser«, beklagte sich eine zornige Frauenstimme bei dem Reporter. »Dann heirate ihn schnellstens, Mary«, flachste Stranger weiter. »Gegenüber der rechtmäßig angetrauten Frau des Cahia von Timbuktu würde ich mich niemals respektlos verhalten!« Mary Strong lachte. Dieser Kerl war einfach unverbesserlich. Bert Stranger wandte sich wieder Hadi zu. »Nun, wie hoch waren die gestrigen Viphokosten denn?« Hadi hob voller Verzweiflung die Hände. »Gigantisch, Bert! Fatme hat nicht nur ihre Freundinnen im Lager der Aulemmi angerufen, sondern auch noch einige Bekannte in der Region! Und allen hat sie brühwarm von den Haaren wie Silbermond und den Augen wie Smaragde erzählt, die den Cahia vom ersten Augenblick an verzaubert hätten!« »Ihr habt es alle gewußt?« »Natürlich, Herrin! Alle haben es gewußt, nur die beiden Hauptpersonen nicht. Mein Freund war verloren, als er dich mit dem türkisfarbenen Schleier sah, wie er mir verriet.« »Wenn das schon so verbreitet ist, Hadi, dann machen wir es offiziell. Das paßt gut in unsere Pläne. Melde dich bei Jassir, er 89
soll dem Cahia sagen, er möge in seine Rede unbedingt einbauen, daß seine Leibwächter sich auf dem Terminal nur deshalb so verhalten hätten, um die Ehre der zukünftigen Gemahlin des Cahia zu schützen! Das führt die GSO auf eine falsche Fährte und mindert das Risiko für die beiden! Hast Du etwas dagegen einzuwenden, Mary?« Stranger wartete ihr Einverständnis gar nicht ab. Sie würde allem zustimmen, was Mohammed aus der Schußlinie brachte. »Habt ihr den Hochzeitstermin heute Nacht schon festgelegt?« fragte der Reporter mit einer für Hadis Ohren unverschämten Direktheit. Doch Hadis Menschenkenntnis hatte ihm längst verraten, daß die Respektlosigkeit des Reporters nur eine Seite verbergen sollte, die der nicht gerne zeigte. »Mohammed hat die Zeremonie für den Abend im kleinen Kreis geplant, Bert!« »Gut, nein, nicht gut, Mary! Je mehr seiner Anhänger sich in Mohammeds Nähe aufhalten, desto sicherer ist sein Leben! Hätte zum Beispiel die Menge im Terminal gewußt, daß der Schleier die zukünftige Gemahlin des Cahia verbirgt, was meinst du, was geschehen wäre, Mary?« Bevor die Frau noch reagieren konnte, beantwortete Stranger seine Frage selbst. »Die Menge hätte diesen Timmons mit bloßen Händen in der Luft zerfetzt. Denn dank der unfreiwilligen Mithilfe der GSO ist Sidi Mohammed im Augenblick der einzige Mensch, dem man in der Region noch Vertrauen schenkt. Er und seine Tuaregs haben in den wirren Monaten nach der Befreiung von den Giants Recht und Ordnung einigermaßen aufrechterhalten. Dazu hat er seine Macht freiwillig abgetreten, um sich der großen Idee einer geeinten Menschheit zu unterwerfen! Und wenn er gleich in der Moschee die Regierung für abgesetzt erklären würde und das Kalifat verkündete, dann wäre er der unangefochtene Herrscher im Sahel. Doch wenn er stirbt, herrscht Bürgerkrieg! Daher tue ich alles, was ihn am Leben erhält und dich übrigens auch. Sidi macht sich mehr 90
Sorgen um dich als um sich. Genauso ergeht es seinen Männern, Mary! Hadi, würdest du dein Leben für Sidi oder Mary opfern?« »Meine Fatme würde mir die Pantoffel vor die Tür stellen, wenn durch mein Versagen Sidi Mohammed ein Leid geschähe oder gar seiner Gemahlin. Wenn Mary einmal stirbt, stirbt mein Freund 1.000 Tode, Bert! Stelle diese Frage nie einem seiner Männer, mein Freund. Du würdest ihn tödlich beleidigen.« Hadis ruhige Stimme ließ keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Worte aufkommen. Mit der Routine des guten Reporters begann Bert Stranger, eine Verlautbarung direkt in das regionale und überregionale Informationsnetz einzugeben: »Der Hof des Cahia von Timbuktu gibt bekannt: Sidi Mohammed el Bakhai, der Cahia von Timbuktu und Oberhaupt der Aulemmi, hat sich eine Gemahlin erwählt. Die Herrin seines Herzens traf am 17. August 2057 in Timbuktu ein. Die Vermählungszeremonie findet am heutigen Tage im Stadtpalast statt. Dringende politische Pflichten erfordern es, daß die offiziellen Feierlichkeiten erst am 23. August abgehalten werden können. Aus diesem Anlaß...« »Hadi, gibt es bei Euch eine Entsprechung für den Namen Mary? Und wie nennt ihr eure Armen?« »Merriem! Unter diesen Namen verehren auch wir eure Jungfrau Maria, Bert! Und >die Armen< kannst du mit >Die der Barmherzigkeit bedürfen< umschreiben.« »Danke, Hadi!« »... lädt Merriem, die großherzige Gemahlin des Cahia, alle Bürger Timbuktus, die der Barmherzigkeit bedürfen, zu einem Gastmahl auf dem großen Platz von Timbuktu ein. Möge der Segen Allahs auf dem Cahia und der Herrin seines Herzens ruhen.« Stranger schloß die Eingabe zufrieden grinsend ab. »Na, kommt das an, Hadi?« »Deine Feder ist schärfer als jedes Schwert. Wenn du nur nicht so respektlos mit der Gemahlin meines Freundes reden würdest, dann...«, antwortete Hadi ernst, aber er beendete den Satz nicht. 91
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17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 12.15 Uhr Ortszeit Timbuktu, Große Moschee Sidi Mohammed stützte sich auf das hölzerne Schwert und ließ, während er den ersten Teil seiner Predigt, die Lobpreisungen Allahs, beendete, seinen Blick durch die überfüllte Moschee schweifen. Ihm war bewußt, daß allein seine Anwesenheit der Grund für diesen Andrang war. Er würde die Gläubigen im zweiten Teil deshalb ermahnen müssen. Dann ließ er sich auf dem Hocker, der auf der Minbar, der Kanzel, stand nieder. Die kurze Pause schenkte ihm etwas Zeit, über den zweiten Teil seiner Predigt nachzudenken. Plötzlich fand er es nicht mehr so gut, daß er statt des Stabes des Predigers ein Holzschwert gewählt hatte, wie es vor Jahrhunderten üblich gewesen war. Die Gläubigen könnten diese Rückbesinnung auf die Blütezeit des Islam vielleicht falsch auslegen. Er müßte stärker an die Gerechtigkeit und den Großmut der wahrhaft Gläubigen appellieren. Sidi Mohammed erhob sich und begann zu sprechen. Der Cahia bekannte, daß er beinahe der Verlockung des Scheitans erlegen sei und durch seine Fehler Menschen ihr Leben verloren hatten. Wahre Dschinns in menschlicher Gestalt, die die Welt in Flammen setzen wollten, hätten sich mit wenigen Irregeleiteten verbündet, um Haß und Mißtrauen zwischen den Bürgern des Sahel zu säen. Diese Mächte seien verantwortlich dafür, daß nun an Stelle der früheren guten Nachbarschaft, Zwietracht herrschte. Er sprach von Loyalität der Menschen gegenüber ihren Führern und von deren Pflichten, allen zu dienen, nicht nur ihren eigenen 92
Interessen. Und er verzieh allen, die erkennen würden, daß ihre Loyalität von den Machthabern mißbraucht worden war und die auf den Weg der Wahrheit zurückkehrten. Zum Schluß forderte er alle Menschen in der Region auf, wieder in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben, weil die Saat des Bösen auf dem Boden von Achtung, Freundschaft und Gerechtigkeit keine Nahrung finden könne: »Denn Allah nennt man nicht nur den Herrn der Majestät und Gnade, sondern auch den Vergebenden!« Dann erst begann der Vorbeter mit dem eigentlichen Freitagsgebet. *
17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 13.04 Uhr Ortszeit Timbuktu, Dach des Basar-Kaufhauses N'Gwame Mengbuttus leise Flüche wollten kein Ende nehmen. Vor einer halben Stunde war der Platz noch beinahe leer gewesen. Und wie auf ein geheimes Kommando strömten plötzlich die Menschen aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Es begann mit Rinnsalen, die zu Strömen anschwollen und den Platz vor der Moschee in ein Meer von glücklich gestimmten Menschen verwandelten, die lautstark »Sidi Mohammed« skandierten. Den genauen Grund für diesen Massenauflauf konnte sich der fast pechschwarze Mann aus Guinea nicht erklären, aber es hing offensichtlich mit dem Menschen zusammen, den er im wahrsten Sinne des Wortes treffen wollte. Nicht daß die Menge Mengbuttu von seinem Plan abringen konnte. Sie war nicht einmal störend, nur lästig. Zu seinem Glück und zum Pech des Cahia hielt die Leibwache 93
die Stufen vor der Moschee frei, weil sie ihrem Gebieter wohl die Gelegenheit bieten wollte, zu seinen Anhängern zu sprechen. »Drei Worte gönne ich dir, Sidi Mohammed, dann bist du ein toter Mann«, flüsterte Mengbuttu und justierte noch einmal seine Präzisionswaffe aus Hartplastik nach. Schließlich verdankte der Söldner seinen guten Ruf der Tatsache, daß er seine Aufträge glatt und sauber mit einem Schuß erledigte. N'Gwame Mengbuttu blickte auf eine kurze, aber erfolgreiche Laufbahn als Auftragsmörder zurück. Obwohl er diesen Ausdruck nicht mochte, sondern das schlichte Wort »Problemloser« bevorzugte, entsprach es doch genau den Tatsachen. Mengbuttu beseitigte unbequeme Zeitgenossen gegen Bezahlung, ohne nach den Gründen zu fragen. Unauffällig, aber je nach Wunsch des Auftraggebers effektiv oder spektakulär, wie die heutige Liquidierung des Cahia. Diesen Job verdankte er der Tatsache, daß einer seiner früheren Kunden die Exekution sozusagen nachgeschoben hatte, weil er schon ein Problem in Timbuktu für ihn aus der Welt schaffen sollte. Doch der General war ein schwer zu erlegendes Wild. Wenn er Glück hatte, bekam er ihn um Mitternacht vor die Zieloptik. Falls sein Verbindungsmann vor Ort die aktuellen Informationen bestätigte. Eigentlich erledigte Mengbuttu niemals zwei Jobs zur gleichen Zeit oder auch nur kurz hintereinander in der gleichen Stadt. Aber diesen Hit konnte er einfach nicht ausschlagen, obwohl ihm zur Vorbereitung knapp drei Stunden reichen mußten. Das hatte den Preis noch in die Höhe getrieben, doch schließlich war man sich einig geworden. Die zehn Millionen, fünf davon im Voraus auf sein Geheimkonto, wie in diesem Gewerbe üblich, waren leichtverdientes Geld. Dank der gütigen Mithilfe der Leibwächter. Ihr Anführer besaß anscheinend keinen blassen Schimmer, wie man ein lebendes Objekt vor Anschlägen schützte. Heute sorgte man bereits im Vorfeld dafür, daß der oder die Attentäter erst gar 94
nicht die Möglichkeiten für einen Anschlag erhielten. Die sogenannten Bodyguards dieses Berbers trugen keine der Spezialbrillen, mit denen sie die Menge nach versteckten Waffen scannen konnten. Ebenso vermißte Mengbuttu die üblichen Scharfschützen auf den umliegenden Dächern und die über dem Platz kreisenden Schweber mit Polizisten. Und selbst wenn hier oben Wächter postiert worden wären, hätten sie ihm keinerlei Scherereien bereitet. Der GSO-Ausweis, auf einen seiner Decknamen ausgestellt, unter dem er auch im Hotel logierte, hätte die Sicherheitskräfte besänftigt. Eigentlich war das Papier nur dazu gedacht, ihm zu helfen, leichter an den General heranzukommen, aber auch bei diesem Hit konnte man es gut einsetzen, falls es notwendig wäre. Sollten die Posten sich nicht abwimmeln lassen, dann hatte er noch immer seine Messer im Ärmel. Dieser dickliche Mann, von dem er die Ausweise erhalten hatte, war saudumm für einen Geheimdienstler. Der Hohlkopf hatte ihm die Papiere selbst übergeben, anstatt eine niedere Charge zu schikken. Entweder hielt er es für wichtig, ihn höchstpersönlich von der Bedeutung des Auftrags zu überzeugen, oder er wollte sich auf Spesen ein teures Essen gönnen. Auf jeden Fall hatte der Kerl gegen einige Grundregeln des Handbuchs verstoßen. Sein Kontaktmann war eine Bürokratenseele, die sich gewaltig überschätzte. Der Anfänger hatte ihm ungewollt seine alte Vermutung, daß ein Großteil seiner Hits von der GSO finanziert wurde, bestätigt. Mal sehen, ob man aus diesem Wissen nicht noch Kapital schlagen konnte. Die Berber der Leibwache lebten offensichtlich noch in der tiefsten Vergangenheit, in der man seinen Gebieter mit dem eigenen Leib deckte. Sollten sie sich doch ruhig schützend vor den Cahia werfen. Das Dumdumgeschoß durchschlug mühelos einen Menschen und zerfetzte den Hintermann. Mengbuttu suchte noch einmal die umliegenden Dächer ab, und 95
als er auch jetzt keine Posten entdeckte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Moschee zu. Dort unten tat sich was. Einer dieser Leibwächter sagte etwas in ein Handvipho, den ersten modernen Gegenstand, den er bisher bei den buntkostümierten Gestalten in ihren langen Umhängen entdeckt hatte, und bildete dann mit seinen Kameraden eine Art Spalier. Das wirkte so einladend auf Mengbuttu, daß er sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen konnte. Mengbuttu schob sich näher an den Rand des Daches, legte seine Präzisionswaffe an und zielte auf die sich langsam öffnende Tür der Moschee, in der eine hochgewachsene, vollbärtige Gestalt erschien. Und während er Druckpunkt nahm, dachte er, wie dumm doch diese Leibwächter waren, daß sie ihm sein Opfer quasi wie auf dem Schießstand präsentierten. Ein Schnitt durch die Kehle bereitete der Karriere des Auftragsmörders ein jähes Ende, in dem er seine Restlebenszeit auf knapp eine Minute festsetzte. Mengbuttu besaß nicht mehr die Kraft, sich gegen die Hände zu wehren, die ihm die Waffe entwanden und ihn auf den Rücken drehten. Sein brechender Blick erkannte ein hakennasiges Gesicht, in dem zwei mitleidlose Augen funkelten. Jassir wischte seinen Krummdolch am Anzug des Attentäters sauber, bevor er ihn wieder in der Scheide verschwinden ließ. »Du hättest besser auf die Geschichten der alten Männer in deinem Kral hören sollen, wer immer du auch warst. Dann hättest du nicht vergessen, wie man den Leoparden jagt. Man bietet ihm eine scheinbare wehrlose Beute an. In seiner Mordgier übersieht der Räuber jedes Anzeichen der Gefahr und wird so selbst zum Opfer, während der Köder sein Leben behält! Hörst du Narr, wie sie meinem Gebieter zujubeln?« Diese Leibwächter waren doch nicht so einfältig, wie er geglaubt hatte, dachte N'Gwame Mengbuttu. Daß Jassir ihn schnell und gekonnt filzte, bekam der Killer schon nicht mehr mit. 96
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17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 16.00 Ortszeit Timbuktu, Stadtpalast des Cahia »Der Chief hatte recht mit seiner Vermutung, Cahia«, sagte Jassir zu Sidi Mohammed, als er ihm die Gegenstände überreicht, die er dem Attentäter abgenommen hatte. »Unsere Feinde sind nervös geworden! Dieser Killer besaß einen echten GSO-Ausweis, der erst vor knapp einer Woche ausgestellt wurde.« »Wie konntet Ihr den Cahia nur als Köder benutzen, Jassir?« fragte Mary, die sich immer noch nicht vom Schock der Nachricht erholt hatte, mit leicht bebender Stimme. »Was, wenn Ihr versagt hättet, und der Cahia wäre getötet worden?« »Beruhigt Euch, Gebieterin, der Cahia war nicht einen Augenblick in Gefahr«, sagte Jassir beschwichtigend. »Der Mann in der Tür trug nur die gleiche Kleidung wie Sidi Mohammed, um die Aufmerksamkeit für einen Augenblick abzulenken, damit ich meine Pflicht tun konnte!« »Aber wenn der Attentäter sich einen anderen Standort ausgesucht hätte?« »Auftragsmörder wählen sich immer den besten Platz für ihren Schuß aus, Herrin! Daher lag ich dort bereits auf der Lauer«, entgegnete Jassir ruhig. Die Angst um Sidis Leben war der zukünftigen Gemahlin des Cahia überdeutlich anzumerken. Dabei vergaß sie offensichtlich ganz und gar, was man ihr bei der Ausbildung zur GSO-Agentin über Personenschutz beigebracht hatte. »Mary, Jassir wacht seit meiner Collegezeit über mich. Großvater legte damals mein Leben in seine Hand und schickte ihn deshalb auf die besten Bodyguard-Institute der Erde. Aber so, wie Jassir sich in Attentäter hineinversetzen kann, läßt Zweifel in mir 97
aufkommen, ob der alte Wüstenfuchs ihn nicht zum genauen Gegenteil eines Leibwächters hat ausbilden lassen!« Auf Jassirs Gesicht erschien ein breites Grinsen, dem man aber die Wahrheit nicht entnehmen konnte. Erwin Kulawskis Lachen bewahrte den Chef der Leibwache vor einer Antwort. Der Chief bemerkte trocken: »Wer könnte einen Dieb besser fangen als ein anderer Dieb? Könnte ich die Sachen einmal sehen, Sidi Mohammed?« Er nahm die Gegenstände in Empfang und untersuchte sie kurz. »Wenn das Datum stimmt, kam dieser Henri Adeeso vermutlich nicht nach Timbuktu, um den Cahia zu töten, sondern sollte einen anderen Hit landen. Vielleicht ist er sogar unter diesem Namen irgendwo abgestiegen? Wann treffen deine Männer hier ein, Jassir?« »Sobald sie mit der gründlichen Durchsuchung seines Zimmers fertig sind, Chief«, kam die Antwort postwendend. »Es gibt nur wenige Hotels in Timbuktu, die allen Anforderungen dieser Gattung Mensch genügen! Selbstverständlich haben meine Männer dem Manager vom Interesse des Cahias an diesem speziellen Gast berichtet. Das bringt uns die Unterlagen über alle Dienstleistungen, die er in Anspruch genommen hat!« Kulawski nickte zufrieden. Jassir war wirklich verdammt gut. *
Baron Max von Löwenstein, ein etwa mittelgroßer Mann, stand am Fenster seiner Suite und starrte über die Dächer der Häuser in die Ferne. Auf seinem aristokratischem Gesicht lag ein nachdenklicher Ausdruck. Gerade hatte er sein Gespräch mit Bert Stranger beendet. Nun waren Ort und Zeitpunkt ihres morgigen Treffens abgemacht. Woher wußte der Reporter, wo man die Soldaten finden würde und daß sie von Robonen ermordet worden waren? Und weshalb beharrte Onkel John unbedingt darauf, daß die Gräber erst am Samstag geöffnet werden sollten? 98
Der Hohe Kommissar konnte sich des dumpfen Gefühles nicht erwehren, daß er schon wieder benutzt wurde. Daß es diesmal die Guten waren, beruhigte ihn etwas, doch nicht ganz. Das war das letzte Mal, daß er sich von irgendeiner Seite vor ihren Karren spannen ließ. Und nur weil dieser alte Kommißkopf seinen Sinn für Gerechtigkeit richtig einschätzte, hatte er darauf verzichtet, von seinen Vollmachten Gebrauch zu machen. Als er bei Onkel John einige Andeutungen in dieser Richtung losließ, hatte er nur ein müdes Lächeln geerntet. »Mein lieber Max, deine Vollmachten helfen dir jetzt nicht mehr. Für Raumkorps und TDF herrscht Bereitschaftsstufe IIIa. Nur Commander Dhark und Henner Trawisheim haben jetzt noch Einfluß auf meine Entscheidungen! Also tu mir den Gefallen und ruf diesen Stranger an. Den Rest erfährst du später... so oder so! Grüß die Familie von mir!« Von Löwenstern hatte sich beim TDF-Flottenstab erkundigt. Nein, von einer erhöhten Bereitschaft sei nichts bekannt. Aber daß die Flotte in voller Stärke eine Ernstfallübung durchführe, das könne man bestätigen. Daher ließe sich sicherlich auch dieses Gerücht erklären. Man wisse ja nur zu gut, wie schnell aus einer Mücke ein Elefant gemacht würde. Oder aus einem Elefanten eine Mücke, hatte der Baron für sich hinzugefügt. Diese Erkenntnis, gepaart mit Martells ominösem so oder so, bereitete von Löwenstern erhebliche Sorgen. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und ging noch einmal die Liste seiner Mitarbeiter durch, die ihn begleiten sollten. Diesmal hatte er einen pensionierten Lieutenant der New Yorker Mordkommission dabei, dem man bei Befragungen nicht so schnell ein X für ein U vormachen konnte.
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17. August 2057 Freitag Tag X minus fünf 16.30 Ortszeit Timbuktu, Stadtpalast des Cahia In ihrem Zimmer kämpfte die Braut gegen die drei Dienerinnen, die sie für die Vermählungszeremonie ankleiden sollten. Wie die heftige Kleiderschlacht zwischen Tradition und Moderne ausging, würde man erst zu Beginn der Hochzeit erfahren. Unten im Kerker arbeitete Sharon Kilmer zur gleichen Zeit eine Liste von Nummern ab, die ihr Erwin Kulawski überreicht hatte. Der Satz »Sony, da habe ich mich wohl verwählt« hing ihr inzwischen zum Halse heraus. Harriet Stowes, Larr Drawl und Tor Drang sahen sich mit Hadi auf dem großen Wanddisplay die Wüste westlich von Garaua an. Auf eine ältere dreidimensionale Karte der Meraia hatte Hadi zusätzlich Höhenschichtlinien projiziert. Sie stammten aus der Zeit kurz nach dem Ende der Giant-Invasion, als man die Gegend neu vermessen hatte, um alle Schäden zu kartographieren. Dazu liefen auf Nebenschirmen parallel zur Darstellung auf dem Hauptdisplay ältere Dokumentationen der Gegend. Die drei Stabsoffiziere hofften, dabei vielleicht auf eine Spur der Robonen zu stoßen. Möglicherweise befanden sich in dem in Frage kommenden Teil der Wüste aufgegebene oder zerstörte Anlagen militärischer oder ziviler Natur. Oder man fand Unterschiede im Terrain, aus denen man schließen konnte, daß dort mit Hilfe eines künstlichen Daches ein Kessel getarnt wurde. Aber auch Höhlen kamen als Versteck für einen Stützpunkt in Frage. Es war ein reines Geduldspiel. Zeitraubend und anstrengend. Deshalb wurden oft Pausen eingelegt, damit die Konzentration nicht nachließ und man nicht vor Übermüdung vielleicht entschei100
dende Details übersah. Ihre leise Unterhaltung störte die anderen Männer in der Kommandozentrale nicht. Jassir, Stranger und Kulawski hatten alle Besitztümer des Auftragsmörders, N'Gwame Mengbuttu - der Name hatte sich in seinen Originalpapieren im doppelten Boden des Koffers gefunden -vor sich auf dem Tisch ausgebreitet. Dazu gehörte auch die Aufzeichnung einer kurzen Nachricht. »Der kapitale Bock benutzt heute seinen gewohnten Wechsel zur Herde erst kurz vor Mitternacht. Wenn er zur Strecke gebracht wird, kann ich die Bergziegenjagd im Ahaggar noch abblasen lassen!« Stück für Stück wurde mehrmals genauestens begutachtet und kommentiert. »Der Mann war Profi, Jassir«, bemerkte Erwin Kulawski. »Wieso konntest du ihn überhaupt erwischen?« »Weil er geldgierig war, Chief«, antwortete der Leibwächter. »Und weil es einen Fehler bei der Koordination gab.« »Wieso Koordination?« fragte Bert Stranger neugierig. »Mengbuttu bekam über die hiesige GSO den Auftrag, einen >General< zu eliminieren. Das können wir aus dem Ausweis schließen. Jeder Geheimdienst hat Leute für das Grobe. Manchmal Männer aus den eigenen Reihen, manchmal Auftragsmörder. Um das Risiko einer zufälligen Entdeckung zu mindern - denn der Zufall ist das einzige, was man nicht einkalkulieren kann - vermeiden Profis, mehr als einen Auftrag zur gleichen Zeit oder in derselben Stadt anzunehmen. Der Mordauftrag für den Cahia kam jedoch aus Alamo Gordo, kurz nach Mitternacht dortiger Zeit, das wissen wir aus den Unterlagen des Hotels. Die aufgezeichnete Nummer ist identisch mit der unseres Verräters. Deine Andeutungen müssen ihn so in Zorn versetzt haben, daß er einen Profi anheuern wollte, den er gut kannte. Der Anruf aus London hingegen kam wohl von der Anlaufstelle hier vor Ort, die fragte, ob Mengbuttu den Kontakt annehmen würde. Wenn der Verräter in Alamo Gordo etwas von dem ersten Auftrag gewußt hätte, hätte er wohl 101
jemand anders engagiert. Also wußte die eine Seite nichts von der anderen. Dennoch mußte man Mengbuttu einen Preis geboten haben, den er nicht ausschlagen konnte! Daher geriet der Killer in Zeitnot und wählte den offensichtlich günstigsten Platz, ohne sich noch groß nach Alternativen umzuschauen. Es war der, den ich auch genommen hätte!« »Dank deiner Hilfe, Jassir, kann er seinen ursprünglichen Auftrag nun auch nicht mehr erledigen. Und das bringt uns wieder zum ersten Auftraggeber, seinem mutmaßlichen Opfer und dieser Botschaft voller Panik zurück.« Bert Strangers Neugier schien in dieser Hinsicht befriedigt zu sein, denn er wandte sich sofort anderen Rätseln zu. »Ist >General< nun ein Code oder ist damit ein echter Lamettaträger gemeint, Erwin? Wie viele von den hohen Tieren treiben sich denn hier in der Gegend rum?« »Wichtige oder weniger wichtige, Bert?« »Oh, gibt's auch wichtige? Das muß ich mir merken, wo ich doch jetzt selbst Militarist bin!« Erwin Kulawski schüttelte lächelnd den Kopf. »Hier gibt es nur zwei, Massu und seinen Stabschef Harris. Die restlichen tanzen nach deren Pfeifen!« »Dann ist es Massu! Doch was ist mit der Bergziegenjagd im Ahaggar gemeint? Und was heißt abblasen lassen!« »Du meinst, der kapitale Bock ist General Massu?« mischte sich Harriet Stowes ein, die zugehört hatte, während Hadi vom Suprasensor eine weitere Flugsimulation erstellen ließ. »Angenommen, das stimmt. Dann könnte mit Wechsel und Herde sein Weg in die Kaserne gemeint sein.« »Er will dorthin, weil für Samstag eine Aktion anläuft, und zwar im Ahaggar... Jassir, du mußt sofort alle Stämme und Tors Leute vor den Truppen warnen!« »Dieses Stück Dreck in Uniform bringe ich eigenhändig um, nein, ich werfe es dem 1. Raumlande vor!« Alle wandten sich, überrascht von dem heftigen Ausbruch, dem 102
Chief-Mastersergeanten zu. »Nur ein Mensch kann das Unternehmen abblasen, wenn Massu stirbt... Harris, dieser Abschaum von Stabschef«, fluchte Kulawski laut. »Bei einem Attentat könnte er den Kriegszustand ausrufen, und bis zum Eintreffen des neuen KGs wäre er der mächtigste Mann der Sahara«, schlußfolgerte Colonel Stowes weiter. »Er hat alle Truppen unter seinem Befehl versammelt, und ich möchte wetten, der vorgesehene Ersatz für Massu ist ein Speichellecker von Darnelles Gnaden!« »Sollen wir den Hurensohn jetzt schon hochnehmen oder noch bis Morgen warten, Harriet?« fragte Kulawski, der sich wieder in der Gewalt hatte. »Den heben wir uns für später auf. Die Festnahme des Verräters würde zuviel Aufmerksamkeit erregen und unsere eigenen Pläne gefährden. Wir warten, bis wir Ergebnisse aus Gaura haben. Bis dahin können wir nur hoffen, daß sich die Truppen im Gebirge zurückhalten!« »Meine Männer sind oben gerade dabei, alle Stämme zu warnen und sie zu Ruhe und Besonnenheit aufzufordern, denn der Zorn Sidi Mohammeds würde diejenigen vom Angesicht der Erde tilgen, die die Soldaten provozierten!« »Reicht das, Jassir?« fragte Bert Stranger zweifelnd. »Sidi Mohammed ist Aulemmi, und Aulemmi ist Sidi Mohammed! Niemand in der Sahara erzürnt das Oberhaupt des mächtigsten Stammes! Und niemand beleidigt ihn oder seine Gemahlin vor seinen Getreuen! Nur das Gastrecht hält meine Männer davon ab, solche Beleidigungen auf der Stelle zu ahnden!« Bert Stranger schluckte und beteiligte sich eine Weile nicht mehr an der Diskussion, wie man dem Verräter in der GSO-Zentrale auf die Schliche kommen konnte. Man hoffte auf einen Erfolg von Sharon Kilmers Bemühungen, doch fast alle Anrufe hatten sich als Nieten erwiesen. Unter den beiden Nummern in Alamo Gordo reagierte niemand, und bei der 103
dritten meldete sich nach längerer Wartezeit die Alarmbereitschaft der GSO in Timbuktu. Man würde es Montag erneut probieren. Hoffentlich mit mehr Erfolg. Die Zeit bis dahin reichte auch aus, um im Hotel nachzufragen, mit wem der Auftragsmörder am Tag seines Eintreffens so frugal gespeist hatte. Das erinnerte die Menschen im Kellergewölbe nicht nur daran, daß es bald ein gutes Essen, sondern auch, daß es trotz der ernsten Situation eine Feier gab und man sich aus diesem Grunde noch festlich kleiden wollte. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier Kurz nach Mitternacht Timbuktu, Stadtpalast des Cahia Chief-Mastersergeant Erwin Kulawski schlürfte vorsichtig, aber genüßlich seinen Mokka - unglaublich heiß, unglaublich schwarz, unglaublich süß und unglaublich wohltuend nach diesem wahrhaft fürstlichen Essen. Es war eine gänzlich neue Erfahrung für den altgedienten Soldaten, daß man auch ohne Alkohol ausgelassen feiern konnte. Die Zeremonie war kurz und eindrucksvoll. Die Schlacht um das Brautkleid war sozusagen unentschieden ausgegangen, denn Mary Strong trug über einem modischen Hosenanzug eine Djellaba aus schwerer Seide. Mohammed war in das Gewand eines marokkanischen Fürsten gekleidet. Die beiden erklärten vor alten und neuen Freunden ihr Einverständnis zur Ehe. Der Kadi - die ehemaligen Richter waren nun aus rein religiösen Gründen zu Standesbeamten geworden - bestätigte das gegenseitige Versprechen, rezitierte die l. Sure des Koran und segnete das Paar. 104
Danach begann das Fest im Innenhof des Palastes. Es wurde viel gelacht und noch mehr gegessen. Die Pausen zwischen den Gängen des Festmahls wurden durch Tanzdarbietungen verkürzt. Es gab aber auch Unterbrechungen. Denn ab und zu mußten sich der Cahia und Mary der Bevölkerung zeigen, die auf den Straßen um den Palast ausgelassen mitfeierte. Erwin Kulawski sah nur ein Gesicht in der Menge, das keine ungetrübte Freude zur Schau stellte. Es gehörte Jassir, dem Chef der Leibwache, dessen Falkenaugen immer wieder besorgt aufblitzten. Kulawskis Neugier wurde geweckt, als einer der Leibwächter betont unauffällig an Jassir herantrat, seinem Boß etwas ins Ohr flüsterte und dann ebenso unauffällig wieder verschwand. Als sich Jassir kurze Zeit danach erhob und in den Palast schlich, folgte ihm Kulawski nur Sekunden später. Der Chief sah Jassir am Gittertor der Hauptzufahrt stehen, wo er mit einigen Männer aus der feiernden Menge sprach. Als Jassir dann auf ihn zukam, war dessen Gesicht mehr als besorgt. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er den Anführer der Leibwache. »An drei Stellen in der näheren Umgebung haben Mannschaftstransporter und Lastwagen der uniformierten GSO-Sicherheitstruppe Aufstellung bezogen, Chief! Angeblich, um den Cahia vor Übergriffen aus der Bevölkerung zu schützen! Ein mehr als durchsichtiges Manöver!« »Ob sie Sidi Mohammed verhaften wollen? B axters Racheakt für die erzwungene Entschuldigung?« »Unwahrscheinlich, Chief. Der Schutz ist nur Vorwand! Aus der ganzen Region treffen Meldungen ein, daß alle regulären Einheiten überraschend ihre Garnisonen in Richtung Sahara-Reservat verlassen haben und die Timbuktu-Miliz alarmiert wurde! Es muß eine andere Absicht hinter dem Aufmarsch stecken, denn vor seinen Anhängern braucht Sidi keinen Schutz«, antwortete Jassir be105
sorgt. »Massu hat seine Pläne also in die Tat umgesetzt und will seine ganzen Truppen im Norden und Nordosten konzentrieren, während der Rest der Region entblößt wird. Einschließlich Timbuktu«, überlegte Kulawski halblaut. »Obwohl die Stadt bisher von den Robonen ausgelassen wurde! Man sollte dennoch bessere Vorsichtsmaßnahmen treffen.« »Du kannst mir dabei behilflich sein, Chief! Laß Mohammed und die Gebieterin nichts von unserer Besorgnis merken. Sie haben sich einige Stunden des Glücks wirklich verdient! Um den Rest kümmere ich mich schon!« Kulawski mischte sich wieder unter die Gäste, doch die ursprüngliche Freude stellte sich nicht wieder ein. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier Kurz vor der Dämmerung Timbuktu, unweit des Stadtpalastes Sergeant Gaston Leroux rückte leise fluchend zur Seite, als sich die Einstiegsluke in der geschlossenen Heckklappe des sowieso schon vollen Transporters öffnete. Erst als die Gestalt keine Anstalten machte, sich in den Innenraum zu zwängen, unterzog Gaston sich der Mühe, den Mann eines Blickes zu würdigen. Mein Gott, nicht der schon wieder, dachte Gaston, als er Dr. Warren Timmons in der Uniform der GSO-Sicherheitskräfte erkannte. Hatte der Knabe denn von vorgestern die Schnauze noch immer nicht voll? Leroux und seine Männer wußten sowieso nicht so ganz genau, wozu dieser Einsatz eigentlich gut sein sollte. Die Leibwache des 106
Cahia war zahlreicher, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte, und wahrscheinlich eben so gut ausgebildet und ausgerüstet wie die uniformierten GSO-Sicherheitskräfte, wenn nicht sogar noch besser. Der Sergeant bezweifelte sogar stark, daß die Unterstützung überhaupt notwendig war. Unerwünscht war sie auf jeden Fall, denn wer läßt sich schon gern in die Karten sehen? Also war der Aufmarsch mit zwei Zügen und dem Spezialkommando offensichtlich als reine Provokation gedacht, wobei das plötzliche Ausrücken des gesamten Militärs der Region wohl nur als Vorwand diente. Es sei denn, dieser Großmufti Baxter besaß Informationen, die er nicht an den Cahia weitergegeben hatte. Vor drei Stunden hatte der Kompaniechef die beiden Züge aus ihrer Warteposition in einer Geschäftsstraße nach vorn geholt, bis in Sichtweite des Palastparks. Eine unverhohlene Provokation, denn die Transporter brauchten nur an die Mauer heranzufahren, und vom Dach der Fahrzeuge aus wäre es eine Kleinigkeit, auf das Gelände zu gelangen. Seit sie hier warteten, hatte sich jedoch nichts hinter der Mauer gerührt, und Gaston verzichtete gern auf die Ehre, sich als erster über ihre Krone zu schwingen. Die Predigt des Cahia mußte Wunder gewirkt haben, denn bis auf wenige Menschen, die die GSO-Leute argwöhnisch belauerten, hatte sich die erregte Menge zerstreut. Da der Palast in einem Bezirk von Timbuktu lag, wo die reinen Geschäftsstraßen langsam einer gemischten Bebauung wichen, belauerten hinter Fenstern immer noch wachsame Augen argwöhnisch jede Bewegung der GSO-Leute. Aus diesem Grund hing die Truppe in den Transportern herum. Leroux und die anderen Unteroffiziere hatten dafür zu sorgen, daß die Mannschaften der Reihe nach alle sechzig Minuten ihre Rauchpause erhielten und sich die Beine vertreten konnten, haargenau nach Dienstvorschrift. Daß Timmons, offensichtlich der Einsatzleiter, dafür verant107
wortlich zeichnete, war dem Sergeanten jetzt klar. Nur Frischlinge von der Akademie hielten sich an das Handbuch, weil es ihnen für ein von Gott gegebenes Gesetz erschien, von dem man keinen Schritt abweichen durfte. »Sergeant Leroux?« Wenigstens sprach der Knabe leise. »Hier, Sir!« »Könnten Sie mir bei einer Runde ums Karree etwas Gesellschaft leisten, Sarge?« Und wie höflich er geworden war! Das Desaster am Terminal zeigte offensichtlich Wirkung. Leroux trat seinen Gegenüber vor das Schienbein. »He, was soll das? Kannst du nicht aufpassen?« erklang eine unwirsche Stimme. »Bin mal mit dem Einsatzleiter draußen, Marco!« »Capisco, Gaston!« Der Sergeant schnappte sich seine Waffe, kletterte aus dem Transporter und schloß leise die Tür, um seine im Halbschlaf des altgedienten Soldaten liegenden Männer nicht zu stören. Draußen bot ihm Timmons schon eine Zigarette und Feuer an, bevor er überhaupt um Raucherlaubnis bitten konnte. »Ich bin nicht der Einsatzleiter. Mr. Baxter hat mich nur als Beobachter mitgeschickt, Sarge. Aber ich hätte gerne Ihre Meinung gehört!« Der Frischling lernte schnell, das sollte man honorieren! »Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?« »Ich mache mir Sorgen, Leroux!« Aha, die noch vertraulichere Anrede als das vorherige >Sarge<, dachte Gaston. Will er sich nur einschleimen, oder will er wirklich einen Rat? »Worüber denn, Sir?« fragte der Sergeant. »Bei diesem Einsatz stimmt etwas nicht, und mit dem Spezialkommando schon gar nicht«, kam die beunruhigt klingende Antwort. 108
Leroux' Augen weiteten sich vor Überraschung. »Doch bevor ich mir noch einmal die Finger verbrenne, wollte ich vorher mit Ihnen darüber reden, Leroux! Da gibt es einiges, was ich nicht kapiere!« Die beiden gingen langsam in Richtung des Palastes, vorbei an beiden Posten, bis zur Ecke der Gartenmauer, an der Timmons stehenblieb. Er deutete auf die beiden großen und einen kleineren Lastwagen des Spezialkommandos am Ende der Straße. »Es ergibt für mich keinen Sinn, Leroux, weshalb man nur zwei Züge von Ihrer Kompanie einsetzt und die anderen beiden in der Unterkunft läßt. Vernünftig wäre es gewesen, an jeder Ecke einen Zug zu postieren, um alles abzusichern! Und weshalb warten die da in der Zufahrtsstraße und nicht wie wir etwas mehr im Hintergrund?« Einen großen Teil dieser Fragen hatte sich der Sergeant auch schon gestellt. Doch für einen Unteroffizier war es nicht immer ratsam, mit Vorgesetzten über den Sinn oder Unsinn von Befehlen zu diskutieren. »Damit es beim Eingreifen nicht zu Behinderungen kommt, wenn von zwei Seiten Fahrzeuge auf das Tor zujagen, Sir«, meinte Leroux. »Diese Kommandos sind besser, wir halten ihnen nur den Rücken frei!« »Klingt einleuchtend. Aber so ganz zufrieden bin ich mit dieser Erklärung nicht!« Die beiden Männer setzten ihre Runde auf der gegenüberliegenden Straßenseite fort, während sich am Horizont die ersten Anzeichen der Dämmerung zeigten. Als sie das Gittertor des Palastes passiert hatten und noch etwa zwanzig Meter von den Fahrzeugen des Spezialkommandos entfernt waren, geschah es. Plötzlich wurden die Motoren angelassen und die beiden großen Laster preschten aus dem Stand in voller Fahrt los, während beim letzten die Heckklappe nach unten donnerte und die Besatzung in 109
kompletter Kampfmontur von der Ladefläche zu Boden sprang. Einer der vordersten Männer kniete sich sofort hin und feuerte seinen überschweren Handblaster ab. Im Energiestrahl der Waffe verging der obere Teil der dicken Parkmauer auf gut zwei Metern Breite. Platz genug für die Männer, um in den Garten eindringen zu können. Dr. Warren Timmons blieb wie vom Donner gerührt stehen. »Das sind ja gar keine GSO-Uniformen, Leroux«, schrie er auf, griff zum Sprechgerät und aktivierte es. Sein gellender Todesschrei wurde direkt in alle Transporter der wartenden Sicherheitskräfte übertragen. Leroux reagierte dank seiner Reflexe noch schneller als Timmons. Die Waffe glitt mit einer langgeübten Bewegung von der Schulter in seine Hände. Sergeant Leroux tötete zwei der Uniformierten, bevor er starb. Warum die beiden Züge der GSO-Sicherheitskräfte nicht dem Cahia zu Hilfe eilten, sondern fast fluchtartig abrückten, konnte nie geklärt werden, weil sich der Kompaniechef kurz nach der Ankunft in der Kaserne das Leben nahm. *
Harriet Stowes besaß einen leichten Schlaf, deshalb schreckte sie auch sofort hoch, als dumpfer Lärm an ihr Ohr drang. Sie sprang von ihrem Lager auf, lief zum Fenster und blickte in den Park. »Verdammt, der Palast wird angegriffen«, entfuhr es ihr, als sie den ersten Uniformierten an drei getöteten Leibwächtern vorbei tiefer in den Park vordrangen sah. Wie der Blitz war sie wieder am Bett und kehrte mit ihrem Handblaster zum Fenster zurück, während irgendwo Motoren aufheulten, gefolgt von einem dumpfen Bersten, Schüssen und gellenden Schreien. Mit eiskalter Überlegung eröffnete sie das Feuer auf die in den 110
Park strömenden Männer - immer auf den letzten Angreifer, damit keiner der anderen mitbekam, daß die Anzahl seiner Kameraden hinter ihm dahinschmolz. Harriet Stowes erwischte drei Männer, einer davon hatte einen überschweren Handblaster geschultert, bevor die Angreifer an der Palastwand vor ihren Schüssen in Sicherheit waren. Sie wartete noch einen Moment, ob vielleicht noch weitere Angreifer durch die Lücke nachrückten, dann rannte sie zur Tür. Als sie aus dem Zimmer stürmte, sah sie sich zwei Männern mit halberhobenen Waffen gegenüber. Einer der beiden sicherte den Gang in Richtung der Zimmerflucht des Seitenflügels, der andere wollte wohl gerade ihre Tür auftreten. Der Uniformierte war ebenso überrascht wie sie, weil er offensichtlich nicht mit einer jungen Frau in einem duftigen Neglige gerechnet hatte. Sein kurzes Zögern bei diesem ausgesprochen angenehmen Anblick kostete ihn das Leben, denn Harriet Stowes schoß sofort, als sie die Uniform erkannte. Es war ein Kampfanzug der Raumlegion. Fast gleichzeitig mit dem tiefen Surren ihres Blasters ertönte ein helleres, und der zweite Mann, der sich zu ihr hingedreht hatte, brach zusammen. »Bist du okay, Harriet?« erklang eine Stimme, die sie als die von Larr Drawl erkannte. Die Obristin bückte sich und schnappte sich den Multikarabiner des vor ihr liegenden Leichnams, bevor sie die Frage bejahte. Mit der Waffe im Hüftanschlag trat Colonel Harriet Stowes auf den Gang, bereit für den Kampf mit den »Wahren Menschen«. »War außer den beiden noch jemand in diesem Flügel, Larr?« rief sie der Tel zu, die gerade die Waffe des zweiten Toten an sich nahm. »Nein, die beiden sollten wohl ihre Kameraden gegen Überraschungen von dieser Seite sichern«, entgegnete Kewir Drawl, die bereits ihre Kampfmontur trug. »Ist dieser Karabiner wirklich so gut, wie Erwin behauptet hat?« 111
»Probieren wir's aus, wenn wir diese schweren Kaliber ins Spiel bringen!« Sich gegenseitig Deckung gebend, gingen die beiden Frauen den Korridor entlang und betraten die Galerie, die um den Innenhof führte. Dort unten war die Hölle los. Alle Wachsamkeit und Verstärkung der Posten hatte das Eindringen der Angreifer nicht verhindern können. Zwei schwere Lasttransporter hatten das doppelflügelige Portal in voller Fahrt durchbrochen, waren tief in die Palastanlage eingedrungen und erst dort zum Stehen gekommen. Der eine hatte sich in eine Wand gebohrt, der andere stand zur Hälfte im Wasserbecken. Beide würden sich aus eigener Kraft nicht mehr von der Stelle bewegen können. Der weite Innenhof hallte vom Kampflärm wider. Auf den großen Marmorplatten lagen Tote und Verwundete, Angreifer oder Verteidiger. Von überall her kreuzte sich das Feuer aus Blastern, Schockern und Feuerwaffen jeder Art. Harriet Stowes ging hinter einer der Ecksäulen der Galerie in Deckung und sah die Tel an. »Ich schieße, du machst die Zielansprache«, befahl sie der Tel. »Setze deine Waffe nur ein, wenn du uns beide verteidigen mußt!« Larr nickte kurz und sagte: »Wir beginnen links und machen es so wie du vorhin an der Mauer! Unter dem Torbogen... Mann mit Kommunikator!« Harriet Stowes sah den Uniformierten, offensichtlich einer der Anführer. »Direkt daneben Rankenornament«, bestätigte sie die Angabe. Ihr Blasterschuß zerschmolz zuerst das Gerät, bevor er den Mann auf der Stelle tötete. Jetzt begannen die beiden Frauen den Innenhof von Angreifern zu säubern. Tel und Terranerin arbeiteten wie ein eingespieltes Team zusammen.
Sie wechselten nach jedem Schuß, oder wenn Robonen blind in ihre Richtung feuerten, die Position. Sie gingen aber jeweils nur dort in Stellung, von wo aus sie die neuralgischen Punkte mit ihrem Feuer beherrschen konnten: die Treppen zum Obergeschoß und die Einfahrt zum Innenhof. Harriet Stowes schoß mit der Präzision einer Maschine. Je nach Ziel wählte sie die Feuerart, mit der sie die Gegner ausschaltete. Doch die Einstellung »Schocker« schien für sie nicht mehr zu existieren, als sie die Toten erkannte, hinter denen ein Robone Dekkung gesucht hatte, um sie beide unter Feuer zu nehmen. Es waren einige der Dienerinnen, die einfach niedergemäht worden waren, als sie ihre Unterkünfte verlassen wollten. Larr Drawl brauchte nur einmal mit ihrer Waffe einzugreifen, als mehrere Angreifer sich kämpfend aus dem oberen Männerflügel zurückzogen, um über die Treppe zu entkommen. Colonel Stowes hatte sich sofort an dem Kreuzfeuer beteiligt. Als kurz darauf Tor Drang und Erwin Kulawski mit erbeuteten Multikarabinern erschienen, wußten die beiden Frauen sofort, daß das Obergeschoß gesichert war. Der Chief-Mastersergeant blutete aus einer kleinen Wunde am Oberarm, doch der Tel-General schien unverletzt. Beide starrten entsetzt auf das Blutbad vor ihren Augen. Dann fiel Kulawskis Blick auf die beiden Transporter. »Räumt sofort das Obergeschoß! Die Robonen warten auf ihre Transportschweber, die sie ausfliegen sollen. Aber vorher werden die Schweber den Palast noch unter schweres Feuer nehmen«, rief er laut, um den Lärm zu übertönen. »Was ist mit den anderen?« fragte Larr Drawl ihren Vorgesetzten. »Sidi und Mary sind in Sicherheit, aber alle Wachen vor ihrem Gemach wurden getötet. Die beiden kamen nur mit dem Leben davon, weil die Angreifer nicht mit uns beiden gerechnet hatten!« »Quatscht nicht so lange herum! Holt die beiden, während ich und Harriet Feuerschutz geben.« 113
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Während in den Untergeschossen noch heftig gekämpft wurde, erstarb unten im Innenhof langsam die Gegenwehr der Robonen. Kulawski trieb sie nacheinander mit gezielten Feuer aus ihren Deckungen, leichte Beute für seine Chefin. Entweder zwang die Robonen die Glut der durch Blasterfeuer erhitzten Steine ins Freie oder das besorgten die glühenden Tropfen, die von der Decke fielen. Als Mary, Mohammed und die beiden Tel zurückkehrten, hatten sie drei schwerverwundete Wachen dabei. Da der Widerstand außerhalb der Gebäude gebrochen war, konnten sie, sich gegenseitig Feuerschutz gebend, das Obergeschoß räumen. Als Harriet Stowes und Erwin Kulawski als letzte die Treppe herabsprangen, schlug auch schon mit Donnergetöse eine Raketensalve in den Seitenflügel ein. Die drei Robonentransporter waren eingetroffen und hatten ihren ersten Überflug gemacht. Doch zu einem weiteren kam es nicht, denn nun waren auch Polizeijetts zur Stelle, die zwar unterbewaffnet waren, aber dieses Manko durch ihre schiere Überzahl wettmachten. Die Robonentransporter drehten umschwirrt von Jetts ab und überließen ihre Kameraden ihrem Schicksal. Hoffentlich halten sich die Jetts bei der Verfolgung zurück, dachte Kulawski pragmatisch, denn wenn sie die Robonen abschießen, finden wir ihr Versteck nie! Wenigstens nicht auf diese Weise, Die Verteidiger erhielten jetzt Verstärkung. Durch das Portal strömte eine rasende Menschenmenge, bewaffnet mit allem, was sie auf der Stelle hatte packen können, und überflutete den Innenhof. Als die Menschen den Cahia sahen, erschütterten ihre Freudenschreie die Luft, dann wandten sie sich der Aufgabe zu, für die sie herbeigeeilt waren: die Feinde ihres Cahia zu zermalmen. Sidi Mohammed und seine Freunde mußten nun die wenigen verwundeten Robonen schützen. Aber sie konnten nicht überall
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zugleich sein, als die Menge auf der Suche nach überlebenden Angreifern tiefer in den Palast eindrang. *
45 Minuten nach Beginn des Überfall lebten nur noch fünf Robonen, von denen zwei bald ihren toten Kameraden folgen würden. Sie waren unter strikter Bewachung in einem Kellergewölbe. Die anderen 61 hatten den Angriff nicht überlebt, sechs von ihnen starben allein im Gang vor der Geheimtür zum unterirdischen Lagezentrum, das von Bert Stranger, Sharon Kilmer, Hadi und noch zwei anderen Männern, die gerade ihre Schicht begonnen hatten, gehalten werden konnte. Die Feuerwehr war noch während der Kämpfe angerückt, konnte aber nicht eingreifen. Polizei und der Rote Halbmond waren erst eine halbe Stunde nach der Alarmierung eingetroffen, weil ihre Unterkünfte in anderen Stadtteilen lagen. Sie hatten sofort ihre Arbeit aufgenommen und die Feuerwehr unterstützt. Der Palast bot ein Bild des Grauens. Rauchgeschwärzte, ehemals weiße Wände, in denen ganze Stücke fehlten, waren übersät mit Einschlägen jeder Größe, Der eine Seitenflügel war eine Ruine. Nur weil sich niemand mehr in den Räumen aufgehalten hatte, war den Raketen im Obergeschoß niemand zum Opfer gefallen, aber im Erdgeschoß hatten sie Freund und Feind getötet. Überall schwelte Holz, und auf allem lastete der eigenartig süßliche Geruch des Todes. Männer und Frauen trugen die Opfer des heimtückischen Angriffs zusammen. Die »Wahren Menschen« hatten gewütet wie die Bestien, denn sie hatten fast jeden getötet, den sie finden konnten. Wenn von den Opfern eines überlebt hatte, dann nur, weil man es für tot hielt. Der nur leichtverletzte Jassir gehörte zu den wenigen, die dieses Glück besaßen. Ein verirrter Schockerschuß aus der Waffe eines hinter ihm ster115
benden Leibwächters hatte ihn gelähmt, als er sich gerade aus der Deckung erhob. Sanitäter und Ärzte arbeiteten ununterbrochen, um die wenigen Leben zu retten, die noch zu retten waren. Die Nachbarn versorgten alle Helfer und die große Menschenmenge, die nun den Palast wie einen Schutzwall umgab, mit Speisen und Getränken. Eine Stunde nach dem Überfall erschreckte erneut ein lauter Knall die Menschen der Stadt. Als sie zum Himmel schauten, hing dort ein S-Kreuzer wie ein drohender Schatten über Timbuktu... Polizeichef, Oberbürgermeister und andere hochrangige Beamte der Verwaltung trafen ein, um vor Ort ihr Mitgefühl über dieses tragische Ereignis auszudrücken und Hilfe anzubieten. Nur die Vertreter einer einzigen Behörde ließ die Menschenmenge nicht passieren. Sie mußten unverrichteter Dinge wieder abrücken und konnten Mr. Baxter außer wilden Gerüchten nur die frohe Botschaft verkünden, daß der Cahia und seine Gemahlin überlebt hatten. Leider sah der Überbringer dieser Nachrichten nicht mehr, wie das Gesicht seines Vorgesetzten sich ihn eine haß- und wutverzerrte Fratze verwandelte, kaum daß die Verbindung unterbrochen war. Erst gegen Mittag konnten sich Harriet Stowes und Erwin Kulawski in das Lagezentrum absetzen, wohin sich die beiden Tel noch vor dem Eintreffen der Polizei verdrückt hatten, während Sidi Mohammed und Mary weiter dabei halfen, das Chaos in den Griff zu bekommen.
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18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 15.00 Ortszeit Südwestabfall des Ahaggar-Massivs, mobiles Hauptquartier von General Massu Das mobile Hauptquartier des Kommandierenden Generals aller Militäreinheiten der Region Sahara besaß fast Bataillonsstärke. Den Mittelpunkt bildete ein großer Transportschweber, der als taktisches Lagezentrum diente. An der Stirnwand das übliche Großdisplay, davor ein trapezförmiger langer Tisch, damit der Stab freie Sicht auf den Taktikschirm hatte, aber was dort zu sehen war, interessierte momentan niemanden. Der Kommandierende General starrte in nur mühsam unterdrückter Verzweiflung auf die Lage. Dabei hatte alles doch so gut begonnen. Die ersten Meldungen, die von der Operation »Kehrbesen« hereinkamen, klangen äußerst positiv. Die Truppen hielten ihren Zeitplan ein und kamen weiter zügig voran, was ihn jetzt nicht mehr überraschte. Die erste Hiobsbotschaft des Tages erreichte das Hauptquartier gegen acht Uhr. Im Morgengrauen hatte ein Überfall auf den Stadtpalast des Cahia stattgefunden. Zuerst am Boden, dann aus der Luft. Von Männern, die in Kampfanzügen der Raumlegion mit als GSO-Fahrzeugen getarnten Lasttransportern in den Palast eingedrungen waren und ein wahres Blutbad angerichtet hatten. Die drei Schweber trugen natürlich die Embleme der langgesuchten 3. Kompanie. Nach nur einem Angriff waren sie vor den Polizeijetts in westlicher Richtung geflohen. Bei ihrer Flucht hatten sie die Verfolger abgeschossen wie die Tauben. Zwei der Transporter 117
waren leicht beschädigt entkommen, der dritte nach einem Volltreffer in der Luft explodiert. Wie viele Menschenleben und Verwundete der Überfall gekostet hatte, war noch völlig offen. Die Angaben der Krankenhäuser und Behörden widersprachen sich. Gott sei dank war dem Cahia und seiner Gemahlin nichts geschehen. Pierre Massu wußte, daß ihm noch einige schwere Gänge bevorstanden - falls er überhaupt noch die Chance dazu bekam. Operation »Kehrbesen« lief aus zwei Gründen dennoch weiter. Einerseits standen nun die Chancen besser, daß man die Mörder bei ihrer Rückkehr ins Versteck stellen konnte. Doch der Hauptgrund war ein Gespräch mit dem Stabschef von Terra Command. Generalmajor Bill Carter bestand auf dem Fortgang der Operation, weil sein Chef der Meinung war, daß das Zusammenziehen der Truppe in dieser Situation von ungeheurer Bedeutung für TC sei. Statt dessen zeigten sich die Tuaregs so kooperativ wie nie zuvor und begrüßten die Soldaten überall mit Tee und Gebäck. Und zwar beides in solchen Mengen, daß man darauf schließen konnte, daß sie der Aufmarsch in keiner Weise überrascht hatte. Obwohl es noch niemand ausgesprochen hatte, hing das Wort »Verrat« wie ein Damoklesschwert im Raum. Von den Deserteuren hatte man keine Spur gefunden. Den Grund kannten alle im Raum, und Massu hatte die Diskussionen darüber unterbinden müssen. Gegen 13 Uhr hatte sich Max von Löwenstern von einem Ort etwa einen halben Tagesritt von Taudeni entfernt im Hauptquartier gemeldet. Der Hohe Kommissar hatte das, was Massu nicht gelungen war, geschafft. Er fand die Deserteure. Die ganze Kompanie, in zwei Massengräbern. Trotzdem ließ der General »Kehrbesen« weiterlaufen. Irgendwie hoffte er immer noch, daß die Truppe auf das Versteck dieser Mörderbande stieß, die in der Tarnung als Raumlandesoldaten die Greueltaten verübt hatte. 118
Als dann für 15 Uhr eine Konferenzschaltung mit General Martell angemeldet wurde, schien der Kelch der Schicksalsschläge für Massu bis zur Neige gefüllt zu sein. Die letzte Viertelstunde hatte er damit verbracht, sich die Abschiedsrede an seinen Stab bereits in Gedanken zurechtzulegen. Denn er konnte sich nur einen Grund vorstellen, aus dem Martell mit ihm sprechen wollte. Staff-Sergeantin Betty Taylor blickte auf den kleinen Bildschirm vor ihr. Sie und die anderen Nachrichtentechniker saßen in einem mit dem Transporter verbundenen Vorzelt. Auf der Konsole ihres Viphos blinkte es erneut. Das Licht zeigte an, daß das Gespräch über das Militärnetz hereinkam. Sie drückte auf den Knopf und meldete sich, ohne auf den Schirm zu blicken: »Lagezentrum Hauptquartier, Staff-Sergeantin Taylor!« »Sie haben eine angenehme Stimme, Kindchen. Möchten Sie zu TC versetzt werden?« Schon wieder so ein Macho, der sich an jeden Soldatenrock ranmacht, dachte sie, hob die Augen und wurde wegen ihrer eigenen Gedanken blutrot, denn sie blickte in das Gesicht des Kommandierenden Generals, der sie breit anlächelte. »Würden Sie mich bitte auf das Hauptdisplay legen!« Der alte Eisenfresser mußte ihren Ausdruck wohl richtig gedeutet haben, weil seine Miene für eine Sekunde einen wölfischen Ausdruck angenommen hatte. Mein Gott, der macht dich gleich auch noch fertig! Adieu Mastersergeant, bonjour Corporal, dachte sie, während sie das Gespräch weiterschaltete. *
Als John Martells grimmiges Gesicht auf dem Hauptdisplay erschien, wußte Brigadier Mike Harris, daß jetzt seine Stunde geschlagen hatte. Massu wurde abgelöst, und dann besaß er die kommissarische Befehlsgewalt über die Truppen der Region. Und die würde er auch behalten, denn er bekam seinen zweiten Stern 119
und wurde der neue KG. Daß er Zeuge der Demütigung Massus wurde, war das Salz in der Suppe. »Hallo, Pierre, Sie sehen aber mitgenommen aus! Ich wollte mich bei Ihnen melden und sagen, daß ein Teil Ihrer Schwierigkeiten gleich aus der Welt ist.« Bei dem jovialen Ton Martells versteifte sich Massu. Das Martell sich höchstpersönlich einschaltete, um Zeuge seiner Verhaftung zu werden, machte die Sache schon schlimm genug, aber das er ihn auch noch verhöhnte, war unnötig. »Ersparen Sie sich die überflüssigen Worte, General Martell«, sagte Massu gefaßt. »Bringen wir es hinter uns!« Dem großen Gesicht auf dem Display war nicht zu entnehmen, was der Generalleutnant dachte, doch seiner Antwort entnahm Harris, daß das Auslaufmodell Martell guter Laune sein mußte. »Sie können es also nicht mehr abwarten, Pierre?« Pierre Massu entschloß sich, nicht darauf zu reagieren. »Also gut, Sie lassen mir keine Wahl! Dabei hätte ich vorher noch gern etwas gemütlich mit Ihnen geplaudert!« Durch die Reihen des Stabes ging ein unterdrücktes Raunen, als der Kommandierende General von Terra Command seine offizielle Miene aufsetzte und zu sprechen begann. »Generalmajor Pierre Massu! Ich spreche Ihnen für die Planung der Operation >Kehrbesen< meine ausdrückliche Anerkennung aus. Daß sie nicht so ablief wie geplant, liegt nicht an Ihnen persönlich. Wir werden das zu gegebener Zeit mit dem Stab gemeinsam erörtern. Durch >Kehrbesen< sind alle regulären Einheiten schon im Feld zusammengezogen, daher brauchte ich den ursprünglich geplanten Befehl nicht mehr zu erteilen. Ab sofort gilt für alle an der Operation beteiligten Truppen bis zum Abrücken in die Kaserne am Montagmorgen IIIa. Ziehen Sie alle Einheiten an einem Punkt zusammen. Geben Sie den Befehl binnen einer halben Stunde heraus. Über die Gründe wird Sie dann Colonel Stowes informieren, die bereits wegen der Taudeni-Sache 120
nach Afrika in Marsch gesetzt wurde! Hat mich gefreut, mit Ihnen zureden, Pierre!« Während bei General Massu und den meisten Mitgliedern des Stabes nach diesem Gespräch eitel Sonnenschein herrschte, verbarg General Harris seine Besorgnis hinter einem gequälten Lächeln. Warum wollte Martell die ganze Truppe erst am Montag wieder in den Kasernen haben? Und wie sollte er Baxter darüber informieren? *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 20 Minuten vor dem Morgengrauen Irgendwo in der El-Hodh Wüste Ali ben Hassan, Häuptling der Aulemmi und Sachwalter Sidi Mohammeds, zügelte sein Mehari. Weit vor ihm in westlicher Richtung zogen drei kleine Punkte ihre Bahn nach Osten. »Beim Scheitan«, fluchte er halblaut. »Die Dschinns sind schon unterwegs!« Ali wandte sich zu den anderen Reitern auf ihren weißen Rennkamelen um. »Diese Dämonen brachen früher auf als wir hofften. Bei Allah! Wir kamen zu spät, um zu sehen, woher sie kommen, aber früh genug, um zu sehen, in welchen Bau sie sich verkriechen! Und dann schlägt die Stunde der Aulemmi. Bis dahin übt euch in Geduld, Brüder. Verteilt euch in Sichtweite!« Die Männer teilten sich auf. Eine Hälfte ritt weiter, um auf der anderen Seite der vermuteten Rückflugschneise Deckung zu nehmen, währen die andere ihre erschöpften Tiere auseinandertrieb. Beide Gruppen bereiteten sich auf ein langes Warten vor. Dann herrschte Ruhe im El-Hodh, wie dieser Teil der Meraia rund 500 km westlich von Timbukru und 150 km südwestlich von 121
Walata auch genannt wurde. Nur wer in der Wüste groß geworden war, ahnte instinktiv, wie trügerisch die Ruhe an dieser Stelle war... *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.11 Ortszeit Omaha, provisorischer Ausweich-Gefechtsstand TC (Nebraska) Generalleutnant John Martell blickte auf die mütterlich wirkende Frau zu seiner Rechten. »Na, Carlotta, fällt es dir nicht schwer, alle deine kleinen Lieblinge zu verlieren?« Generalmajor Carlotta Santini, die Chefin des Fernmeldewesens von TC, sah ihren direkten Vorgesetzten strahlend an. »Von der mißratenen Brut trenne ich mich gern, John! Aber wenigstens einem der Vögelchen müßte man mal in die Eingeweide schauen. Nur um nachzusehen, warum es so mißraten ist.« »Ich besorge dir eins, Carlotta«, grinste Martell. »Sag deinen Jungs, sie sollen auf der Stelle loslegen!« John wandte sich an einen Techniker. »Ich brauche eine Verbindung mit TDF-TFC, Sergeant.« Nach kurzer Zeit erschien das Symbol von Terra-Defence-Forces-Command, der Admiralität der zur Direktverteidigung der Erde bestimmten Verbände der Terranischen Flotte, auf dem Schirm. Fast augenblicklich wurde es von dem angespannt wirkenden Gesicht Admiral Schikibo Togos abgelöst. »Schön, Sie zu sehen, General Martell. Ich wollte gerade melden, daß TDF-DF voll einsatzbereit ist. Mit allem, was irgendwie noch raumtüchtig ist!« »Wie haben Sie das denn in so kurzer Zeit geschafft?« fragte 122
Martell überrascht und erstaunt zugleich. Über das Gesicht des Japaners glitt ein zufriedenes Lächeln. »Das war ganz einfach, General! Commodore Nebogatow hat an alle Reparaturwerften einen Leitfaden für Seppuku verschickt. Danach hat sich keiner mehr beschwert!« Martell grinste. Er kannte die uralte, aber schon lange nicht mehr praktizierte japanische Sitte, Selbstmord zu verüben, wenn man persönlich versagt hatte, natürlich auch. »Haben Sie vielleicht Leute in Ihrer Flotte, die sich mit Piraterie und Tontaubenschießen auskennen, Togo?« fragte er immer noch lächelnd. Der Admiral blinzelte verwirrt. »Zum Tontaubenschießen stehe ich gern zur Verfügung, aber bei dem anderen muß ich leider passen. Weshalb wollen Sie das denn wissen?« hakte er neugierig geworden nach. »Nein, Sie müssen leider auf das Vergnügen verzichten, Togo! Carlotta Santini hat mit mir gewettet, sie könnte mit ihren Leuten reibungslos die gesamte Ätherkommunikation über Afrika abwikkeln. Aber wie will ich die Wette gewinnen, wenn ich mir nicht sicher bin, ob da oben nicht doch noch etwas herumschwirrt, was da nicht hingehört?« Konteradmiral Togo erkannte augenblicklich, was Martell damit andeutete. »Ich brauche aber eine gute Stunde, um alle die schönen, teuren Täubchen wegzuputzen. Und die anderen Vögelchen werden sich dann hüten, noch einen Pieps von sich zu geben, nachdem wir sie mit unserem Besuch beehrt haben, Sir!« »Dann fröhliche Jagd, Admiral! Und General Santini würde sich freuen, wenn Sie ein oder zwei Täubchen einsammeln könnten. Sie interessiert sich ungeheuer für deren Eingeweide«, lächelte Martell. »Wir auch, General. Dürfen wir uns bedienen?« »Sehr gerne, Togo! Aber lassen Sie uns wissen, was Sie dort gefunden haben. Wir Erdlinge müssen schließlich zusammenhalten!« 123
John Martell lehnte sich zurück, ein wenig erleichtert. Die Sache lief gut an, vor allem weil Strangers Nachrichten von dem Überfall die Dinge nur beschleunigt hatten. Endlich konnte er aktiv werden, statt wie bisher nur zu reagieren. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.17 Standardzeit/Ortszeit Alamo Gordo Erdnaher Raum über Afrika Albert Carlisle war glücklich, als der Fliegerhorst, wie die militärischen Flughäfen immer noch hießen, rasend schnell immer kleiner hinter ihm wurde. Derartige Basen wurden derzeit in der ganzen Welt errichtet. Beginnend an den Orten, die am meisten durch Angriffe aus dem All gefährdet waren. Das 316. Geschwader gehörte zu den wenigen, die schon in Afrika stationiert waren, weil die Raumschiffswerften und Waffenschmieden auf den anderen Erdteilen Vorrang genossen. Nach Abschluß des Programms würde Terra von einem Netz solcher Stützpunkte überzogen sein. Besser einen Einsatz zu fliegen, als noch fast zwei Stunden im Cockpit sitzend das Ende der Alarmschicht abzuwarten, dachte der Staffelchef. Umgeben von trostlosen Panzerbetonwänden und dem kleinen Stückchen Blau über der Startbox. Ohne Chance, die Maschine verlassen zu können, auch wenn sich ein wirklich dringendes menschliches Bedürfnis anmeldete. Seit die Bereitschaft eingetreten war, schoben die Staffeln des Geschwaders abwechselnd Alarmschichten, zwei Stunden in den Cockpits, vier Stunden wachfrei. Aber auch in dieser Zeit durften sich die Crews nicht weiter als sechzig Sekunden von den Fallschächten entfernen, die zu den Maschinen führten. Das ging so 124
lange weiter, bis die Bereitschaft aufgehoben wurde oder die Stunde der Bewährung schlug. Dann hatte man nach dem Aufheulen der Sirenen und dem Aufblinken der roten Lampen noch genau 20 Sekunden Zeit, sich auf den Start vorzubereiten, bevor der Senkrechtstarter aus der Wartungsbox katapultiert wurde. Die neun Hornissen der Alphastaffel des Abfanggeschwaders 316 (Alpha, weil sie die erste von drei Staffeln insgesamt war) gingen noch beim Klettern zum Staffelwinkel über. Alberts Maschine an der Spitze des Winkels, die anderen rechts und links nach hinten gestaffelt. Die modernen zweisitzigen Abfangjäger waren mit einer Gravitationsschleuder in der Bugspitze, zwei Duststrahlern parallel zum Rumpf sowie zwei nachladbaren Raketenwerfern mit mehreren Magazinen bewaffnet. Die Maschinen konnten sowohl in der Atmosphäre als auch im Weltall operieren. Allerdings war ihre Einsatzmöglichkeit auf den planetennahen Raum beschränkt. Doch gerade für diesen Zweck waren die Hornissen konstruiert worden. Die schnellen, wendigen und stark bewaffneten Maschinen waren im Vergleich selbst zu den kleinsten Raumern unverhältnismäßig preiswert und konnten daher in großen Mengen produziert werden. Sie waren hervorragend dazu geeignet, Kleinraumer abzufangen, weil ihre überstarke Bewaffnung nur in eine Richtung konzentriert war. Angreifende Großraumer hingegen sollten sie umschwirren wie ein Schwärm Hornissen und zustechen, wo sie eine ungeschützte Stelle fanden. Zwar war so ein Stich einer Hornisse für diese Giganten nicht tödlich, doch konnten mehrere Treffer einen Raumer kampfunfähig machen, wenn nicht sogar vernichten. Deshalb hießen die Maschinen auch so wie diese gefürchteten Insekten. Geschützt wurden die Hornissen nur durch eine leichte Panzerung, ihre Wendigkeit und vor allem durch ihre große Anzahl, in der sie ihre Ziele angreifen sollten. Die vielen kleinen Maschinen 125
erschwerten die Feuerleitung des Gegners und waren wegen ihrer Wendigkeit und Winzigkeit kaum mit schweren Kalibern zu bekämpfen. Die Hornissen waren nur eines der vielen Ergebnisse terranischer Ingenieurskunst, seit die Menschheit sich wieder dazu gezwungen sah, viel Geld und Arbeitskraft in die Rüstung zu investieren. Colonel Carlisle legte einen Schalter um, und auf der rechten Seite des Kampfdisplays erschienen die neuen Einsatzbefehle. Er las sie sorgfältig durch, während sich seine Gedanken bereits mit ihrer Ausführung beschäftigten. Dann erteilte er seine Befehle mündlich. Das war beim ersten Einsatz psychologisch wirksamer als eine schlichte Datenübertragung. »Ganter Leader an Ganter Zwo bis Neun! Unser Auftrag lautet, sämtliche unbemannten Satelliten über Afrika zu vernichten! Ich wiederhole: sämtliche! Terra Command vermutet nicht gemeldete Satelliten über dem Kontinent. Diese Aufgabe übernimmt ausnahmsweise der Pilot! Die Kampfbeobachter suchen nach Satelliten, die nicht von der bordeigenen Ortung erfaßt werden. Es könnte sich um robonische Konstruktionen handeln. Laut TC müßten sie rein optisch erfaßt werden können! Wird etwas gesichtet, Position an mich melden! Hinter uns kommen noch andere Staffeln, um sich das vorzuknöpfen, was uns entgangen sein sollte. Die kümmern sich dann darum. Ich befehle für diesen Auftrag keine zentrale Feuerleitung, sondern schießt auf alles, was ihr ortet. Und vom Admiral: Viel Spaß beim Tontaubenschießen! Ende!« Das Spektakel, das als afrikanisches Tontaubengemetzel in die Militärgeschichte einging, dauerte insgesamt 21 Minuten und 47 Sekunden. Vom ersten Schuß der Alphastaffel des 316. Abfanggeschwaders um 08.29:27 bis zur Vernichtung des letzten Satelliten durch das 301. Zerstört wurden 25 gemeldete und zwei ungemeldete. Drei Satelliten waren zur Bergung vorgesehen, zwei gemeldete und ein ungemeldeter. Letzterer detonierte hoch über Taudeni, als die 126
Traktorfelder ihn an Bord des Bergungsraumers zogen. Die zehn Männer und Frauen waren die einzigen Menschenleben, die das Tontaubenschießen kostete. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.17:45 Uhr Standardzeit Bemannter GSO-Zentralsatellit Afrika Das Heulen des Alarms wurde mit einem wilden Fluch quittiert, denn der Kommandant der Ortungs- und Abhörstation wollte sich gerade einen Happen gönnen. Also ließ er Essen Essen sein und machte, daß er in die Zentrale kam. Dort herrschte hektische Aktivität. Der Terraschirm war übersät mit blauen Symbolen, die anzeigten, daß in ganz Afrika Starts durchgeführt wurden. »Was ist los?« fragte er den Ortungsspezialisten. »TDF hat nacheinander alle afrikanischen Hornissen hochgejagt, Sir«, antwortete der Mann aufgeregt. »Sieht nach Alarmstarts aus. Doch das Sol-Display zeigt nur eigene Schiffe! Ich weiß nicht, was die abfangen sollen? Außerdem sind vom Militärflughafen Cent Field mehrere Transportraumer aufgestiegen... mit Kurs auf Afrika!« Diplomingenieur Wan Lo konnte sich auch keinen Reim darauf machen. Dennoch ließ der 31jährige Kantonese vorsichtshalber diese Vorgänge über Standleitungen an die Leitzentrale Afrika und das Hauptquartier melden. Dann schauten die zehn Männer gebannt zu, wie sich fast 450 blaue Symbole über dem Atlantik zu einer Linie formierten, die sich vom Kap bis Gibraltar erstreckte, bevor sie mit dem Überflug des schwarzen Kontinents begannen. 127
Erst als der erste Satellit vom Bildschirm verschwand, erkannte Wan Lo Sinn und Zweck des Unternehmens. »Diese Mistkerle schießen alle Satelliten ab! Umschalten auf bordeigene Sender«, fluchte er. Es dauerte nur Sekunden, bis die Verbindung zu den Hauptquartieren wieder stand. Die Besatzung war so entsetzt und erzürnt über die Mißachtung der GSO, daß sie für Minuten ganz vergaß, auf die vielen anderen Displays zu achten. Erst eine kühle Stimme auf der allgemeinen Frequenz machte sie auf diese Unterlassungssünde aufmerksam. »TDF-TF MERRIMAC an GSO-Zentralsatellit Afrika! Stellen Sie sofort jegliche Kommunikation ein und machen Sie sich bereit, ein Enterkommando an Bord zu nehmen!« Auf einem Nebenschirm war das ausdruckslose Gesicht eines grauhaarigen Mannes in TF-Uniform mit dem TDF-Symbol auf der rechten Brustseite zu sehen. »Was soll der Unsinn, Captain? Dazu haben Sie kein Recht. Das ist eine GSO-Station«, fauchte der Kantonese wütend, während seine Leute durch die Direktsichtluken auf das modernste Schulschlachtschiff der Terranischen Flotte starrten, von dem gerade ein Beiboot ablegte. »Ich wiederhole mich nur ungern, Sir«, antwortete der Mann unbeeindruckt. »Aber jetzt befolgen Sie zuerst meine Anordnung. Über den Rest können wir gerne an Bord der MERRIMAC diskutieren.« Ein rosafarbener Strahl zuckte für Sekundenbruchteile aus dem Kugelrumpf des Schlachtschiffes, verfehlte die Station nur knapp und unterstrich die Worte des Kommandanten eindrucksvoll. Dipl. Ing. Wan Lo fand dieses Argument äußerst überzeugend und fügte sich ergeben in sein Schicksal. Die Zeit bis zum Eintreffen der Prisenmannschaft verbrachte er damit, so viele der streng geheimen Unterlagen und Aufzeichnungen zu vernichten, wie er nur konnte. 128
Das führte zu der einzigen Blessur unter der Besatzung des Satelliten. Sergeanten der Flotteninfanterie waren nicht unbedingt dafür bekannt, daß sie Befehlsverweigerungen durchgehen ließen, auch nicht die von Zivilisten. Zwar ging der Unteroffizier sanfter zur Sache als bei Marinepersonal - aber nur etwas, weil es sich halt um einen GSO-Mann handelte. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.29 Uhr Standardzeit Alamo Gordo, Büro des Zweiten Stellvertretenden Direktors der GSO Fred Darnelle starrte verblüfft auf den blanken Bildschirm vor sich. Mitten im Wort war Baxters Gesicht verschwunden. Fast gleichzeitig spielte auch die Kommunikationsanlage verrückt. Sämtliche Lichter flammten auf und verwandelten die Konsole in eine Lichtorgel, untermalt vom Stakkato der Summer. So melodisch jeder Ton normalerweise auch klingen mochte, wenn alle zugleich ertönten, waren sie nervenzerfetzend. Und die Nerven des Koordinators lagen mehr als blank, denn die Nachrichten Baxters waren nicht besonders ermutigend gewesen. Der Spezialist, der ihm schon so oft gute Dienste geleistet hatte, hatte bei seinem letzten Auftrag offensichtlich versagt, ebenso auch die anderen Verbündeten. Dieser Cahia mußte mit dem Teufel im Bunde sein. Darnelle nahm den seiner Meinung nach wichtigsten Anrufer zuerst an. Es war, wie nicht anders zu erwarten, der Abteilungsleiter Kommunikation. »Sir! Die Verbindungen nach Afrika sind unterbrochen. TDF hat alle Satelliten zerstört und die Zentralstation sowie sämtliche Wet129
terbeobachtungsstationen gekapert«, meldete der Mann mit empörter Stimme. »Wir müssen unbedingt etwas unternehmen!« »Was denn?« Darnelles Stimme hatte einen hysterischen Klang, der durch seine Fistelstimme noch verstärkte wurde. »Die TerraDefence-Forces steht unter IIIa. Soll ich mich vielleicht deshalb bei Martell beschweren? Oder bei Trawisheim, der sich seit Tagen immer wieder verleugnen läßt? Lassen Sie sich was einfallen, Mann! Schalten Sie meinetwegen alles auf die Notfallsysteme!« Nach diesem Gespräch ließ der Koordinator für GSO-Operationen zwei Stunden lang niemanden mehr durchstellen. Fred Darnelle mußte sich dringenderen Problemen widmen. Daß nun die Kommunikation mit Afrika über das Festnetz lief, war für ihn dabei von nebensächlicher Bedeutung. Er mußte unbedingt mit dem TelGeneral sprechen, damit er endlich erfuhr, wie die Variobombe zu zünden war. Wenn die Wissenschaftler sich mit dem Ding beschäftigten, bestand immerhin die Gefahr, daß sie es aus Versehen auslösten. Wenn das geschah, wurde jedoch der Planet zerstört, den Darnelle beherrschen wollte. Außerdem brauchte er die Tel jetzt, um die Robonen schnellstmöglich auszuschalten. Schließlich faßte er einen Entschluß und wählte in kurzen Abständen zwei Nummern in der Sahelzone - sehr zum Entzücken der Fernmelder von TC, die sich freuten, endlich auch offiziell das tun zu dürfen, was sie seit Tagen schon inoffiziell machten: Die GSO abzuhören. Nach der alten Methode in einem Kabelschacht. #
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 15.30 Ortszeit Timbuktu, Burbaki-Kaserne Chief-Mastersergeant Erwin Kulawski fühlte sich so wohl wie 130
lange nicht mehr, als der Jeep, gefolgt von einem kleinen offenen Transporter, vor dem Schlagbaum der Burbaki-Kaserne anhielt. Seit einer Dreiviertelstunde trug er wieder seine Dienstuniform. Ihm wäre der Kampfanzug lieber gewesen, denn sie waren gewissermaßen unterwegs in die Höhle des Löwen. Vor knapp einer Stunde hatten sich die beiden Bodeneinsatzfahrzeuge der REVENGE einen Weg durch die Massen auf der Zugangsstraße zum Palast des Cahia gebahnt und vor dem zertrümmerten Tor gestoppt. Dann schufen vier Flotteninfanteristen, angeführt von ihrem Unteroffizier sowie einem Oberleutnant der TDF eine Gasse durch die Menge. Die Menschen waren wohl ebenso überrascht wie Kulawski und seine Chefin. Angehörige der TF in voller Bewaffnung waren in der Tat ein außergewöhnlicher Anblick in Timbuktu. Die meisten hatten noch nicht einmal einen unbewaffneten Raummarineinfanteristen in natura gesehen. Der Offizier in seiner blütenweißen Uniform - Dienstanzug klein, Tropen - wirkte reichlich deplaziert in diesem Trümmerfeld. Er hatte den erstbesten Polizisten nach einem Colonel Stowes oder Chief Kulawski gefragt und war endlich bei Harriet gelandet. Seine Miene war köstlich, als er in der Frau mit dem verschmutzten Gesicht und dem viel zu großen Overall den gesuchten Colonel vor sich erkannte, für den man einen ausgewachsenen SKreuzer losgejagt hatte. Er grüßte wie auf dem Paradeplatz der Raumakademie, überreichte Harriet Stowes einen versiegelten Umschlag und gab dann dem Sergeanten einen kurzen Wink, bevor er sich und sein kleines Kommando zur Verfügung des Colonels stellte. Kurz darauf schleppten zwei Infanteristen große Koffer herbei. »Ihre Uniformen, Sir«, sagte der Lieutenant erklärend, um dann fortzufahren. »Brauchen Sie hier noch Hilfe? Die REVENGE stellt Ihnen gerne ihr gesamtes Sanitätspersonal zur Verfügung!« »Klären Sie das mit den Verantwortlichen ab, während der Chief und ich uns in Schale schmeißen, Lieutenant! Schätze, wir brau131
chen etwa fünfzehn Minuten.« Colonel Stowes erschien fast auf die Sekunde genau in der Ausgehuniform des Raumkorps, die im normalen Dienstablauf von höheren Offizieren im Stabsdienst getragen wurde. Dann machten sie sich auf den Weg in die Fernmeldezentrale des militärischen Hauptquartiers der Region Sahara, um dort die Kommunikationsspeicher im wahrsten Sinne des Wortes zu plündern, falls man das Gesuchte nicht freiwillig herausgab. Der Empfang an der Wache verlief so wie nicht anders zu erwarten war. Der Wachhabende überprüfte sehr sorgfältig die Papiere. Ein Colonel in Begleitung von Flotteninfanterie, die angeblich Stabschefin des Raumkorps war, erschien schon verdächtig genug. Kulawski kannte den wahren Grund für diese Sorgfalt. Der Mann wollte nur etwas Zeit schinden, damit sein Stellvertreter den Stab vor dem unangemeldeten Besuch warnen konnte. Erwin sah den Corporal nicken, worauf der Sergeant es plötzlich sehr eilig hatte, die beiden Fahrzeuge durchzuwinken. Der Schlagbaum hob sich, und sie durften passieren. Der Weg zur Fernmeldezentrale war für Militärangehörige stets leicht zu finden. Sie lag mit fast absoluter Sicherheit immer in unmittelbarer Nähe des jeweiligen Hauptquartiers. Vor dem Prachtbau aus historischen Zeiten wurden die Gäste bereits erwartet. Ein Colonel erschien und tauschte mit Harriet militärische Grüße und Namen aus, bevor er vorsichtig versuchte, herauszubekommen, was die Stabschefin des Raumkorps in Timbuktu plante. Natürlich war der Oberst nur ein Sendbote seines Herrn, des Brigadiers, der hier das Sagen hatte, bis der Kommandierende General wieder um Rat gefragt werden konnte. »Was können wir für das Raumkorps tun, Colonel Stowes?« Der Gebrauch von Dienstgrad plus Familiennamen zeigte, wie nervös der Mann war. Normalerweise sprachen sich gleichrangige Offiziere nur mit Rang oder Namen an. 132
»Ich soll im Auftrag von Terra Command die Vorgänge in Taudeni aufklären«, gab ihm Harriet Stowes bereitwillig Auskunft. »Wenn Sie mir den Weg zur Nachrichtenzentrale zeigen würden, wäre ich Ihnen dankbar!« »Ohne Genehmigung meines Vorgesetzten kann ich das nicht gestatten, Colonel«, versuchte der Offizier sich herauszuwinden. »Chief! Gehen Sie schon mit den Infanteristen in die Zentrale«, reagierte Harriet gelassen, »während ich den Colonel zu seinem Vorgesetzten begleite!« Kulawski grüßte zackig, machte kehrt, nickte dem Sergeanten auffordernd zu und machte sich auf den Weg, bevor der Offizier reagieren konnte. Den Colonel und dessen Vorgesetzten konnte er ruhig »seinem« Colonel überlassen. Mit Martells Sondervollmachten konnte Stowes sogar das Kommando über die Kaserne übernehmen, falls sie das für richtig befand. Das Fernmeldezentrum lag wie erwartet im Keller des Hauptgebäudes, gesichert durch eine Doppeltür und zwei kräftige Militärpolizisten. Die beiden Männer traten Kulawski in den Weg. »Der Zutritt ist nicht gestattet, Chief«, sagte der größere höflich, aber bestimmt. Kulawski reichte ihm bereitwillig Dienstausweis und Sonderbefehl hin, die der Militärpolizist aufmerksam studierte: »Mir schon! Ich bin Assistent der Stabschefin des Raumkorps. Wir ermitteln im Auftrag des KG von TC in Timbuktu«, sagte der Chief-Mastersergeant ruhig. »Öffnen Sie uns die Tür!« »Das ist aber kein Ausweis des Hauptquartiers«, entgegnete der Posten stur. »Unser Captain hat wortwörtlich befohlen, wir sollten Ihnen und dem Colonel jedes Hindernis aus dem Weg räumen. Die sind doch eines, Chief?« fragte der Sergeant der Flotteninfanterie erwartungsvoll, unüberhörbar darauf hoffend, die bei jedermann höchst »beliebten« Militärpolizisten ungestraft zusammenschlagen zu dürfen. 133
Kulawski beschloß, das nicht zur Kenntnis zu nehmen: »Den Sonderbefehl hat General Martell unterschrieben! Sie wissen doch hoffentlich, wer das ist?« fragte er nur. Jetzt war auch der Militärpolizist überzeugt. *
Die Augen der Männer in der Zentrale wurden vor Verwunderung so groß wie Wagenräder, als sie den Chief-Mastersergeanten und die bewaffneten Flotteninfanteristen sahen. Ein älterer Major sprang von seinem Kontrollpult auf und kam wie ein bissiger Hund auf sie losgeschossen. »Was haben Sie hier unten verloren, Chief?« sagte er, sichtlich bemüht, höflich zu bleiben. »Das weiß ich nicht eher, bis ich es gefunden habe, Sir«, erwiderte Kulawski ruhig. »Wollen Sie mich verarschen, Chief?« klang es nun leicht verärgert und gereizt. »Nein, Sir! Nicht daß ich wüßte, Sir«, entgegnete Erwin Kulawski höflich. »Wenn dieser Eindruck entstanden sein sollte, Sir, tut es mir aufrichtig leid, Sir!« Die Augen des Majors blitzten bei dieser Anhäufung des Wortes »Sir« kurz auf. »Wenn ich beim General anrufe, wird der jetzt wohl auch gerade mit einem überraschenden Besuch beehrt?« Der Major wartete Kulawskis Nicken erst gar nicht ab. »Dann geht es also um Taudeni und die beiden Toten aus dieser Abteilung?« »Wie kommen Sie denn darauf, Sir?« Kulawskis Neugier war mehr als geweckt. Der Major lachte grimmig. »Wir Fernmelder haben gar nicht so lange Leitungen, wie man uns gern nachsagt, Chief! Kaum sind die ermordeten Soldaten aufgefunden worden, ersetzt TC das von der GSO kontrollierte 134
Kommunikationsnetz durch sein eigenes, und dann tauchen Sie hier auf. Mal ganz abgesehen davon, daß am Tage des TaudeniMassakers zwei Männer meiner Abteilung eines gewaltsamen Todes starben. Sollte ich da nicht hellhörig werden?« »Haben Sie diesen Verdacht gemeldet, Sir?« »Natürlich! An den Stabschef höchstpersönlich, und der hat es dann seinem guten Freund weitergesagt«, antwortete der Major mit leicht bitterem Unterton. »Mr. Charles Baxter, wie ich vermute, und der hat nichts unternommen«, stellte Erwin sachlich fest. »Wenn Sie bereit sind, mir das eidesstattlich zu versichern, Sir, dann habe ich schon einen Teil der Antwort bekommen. Den Rest hoffe ich in den Unterlagen zu finden.« »Hegerlings Rückversicherung vermutlich«, lachte der Major auf. »Der Lieutenant war noch viel zu grün, um sich bei solch heiklen Themen abzusichern, Chief. Ich habe selbst in diesen Dateien herumgestöbert, Geburtstag, Name der Freundin, alles, was auf etwas Ungewöhnliches hinwies, aber eine Kopie der automatischen Mitschnitte des betreffenden Tages war nicht dabei!« »Sie denken auch nicht wie ein Sarge«, lächelte Kulawski zurück. »Deshalb kamen Sie nicht auf das Versteck, Sir! Aber ich bin einer, noch dazu von der Feindaufklärung! Lassen Sie mich an Ottos Platz, dann haben wir sie im Nu!« »Ich will Ihnen gerne helfen, unser allseits beliebtes Pausbäckchen an die Wand zu nageln, Chief! Kann ich Ihnen Kaffee oder etwas anderes anbieten, während Sie arbeiten?« fragte der Major jetzt äußerst zuvorkommend. »Ein gutes Bier könnte mich retten«, sagte Kulawski, dem gerade eingefallen war, wie lange er keines mehr getrunken hatte. Er bekam, was er verlangte, ebenso der Major, während die Infanteristen beide neidisch anblickten, weil sie sich mit Kaffee und Tee begnügen mußten. Jeder Rang hat eben seine Privilegien, auch wenn es manchmal nur kleine sind, dachte Kulawski. 135
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Chief-Mastersergeant und Major saßen am Arbeitsplatz des ermordeten Unteroffiziers, nachdem sie seinen Nachfolger verscheucht hatten. Auf dem Bildschirm wurden gerade alle Dateien des entsprechenden Zeitraums aufgerufen. »Otto hatte einige Vermutungen, das weiß ich aus sicherer Quelle...« Die Augen des Majors blitzten auf. »... nicht von der trinkfesten Carmilla, sondern von dem Mann, mit dem er zuletzt gesprochen hatte. Otto rechnete nicht mit seiner Ermordung. Er hat die Daten nur vorsichtshalber gebunkert, um sich vor dem Lefty zu schützen, falls der ihn vielleicht anpinkeln sollte! Also sind sie hier!« Kulawski machte eine kurze Pause. Dann fragte er: »Haben Sie es schon mal mit dem Datum versucht, Sir?« »Vorwärts, rückwärts, alle Kombinationen. Ohne Ergebnis!« »Auch das des Tages davor oder danach?« »Nein, weshalb denn?« kam die Gegenfrage. »Damit ich sie schneller zur Hand habe, wenn ich sie brauche«, meinte Erwin beim Bearbeiten der Tastatur. »Das Ändern des Datums ist überhaupt keine Schwierigkeit. Aha, da sind sie schon! Eintrag Nummer eins am Nachfolgetag!« »Verdammt, an so etwas Einfaches habe ich nicht gedacht, Chief«, entfuhr es dem Major verblüfft. »Deshalb werden auch so wenig Unteroffiziere zum Abfassen der Vorschriften herangezogen, Sir«, bemerkte Kulawski trocken. »Sie wissen doch, Sir, bei Anbruch der Nacht ist mit Dunkelheit zu rechnen et cetera...« Der Major bemühte sich nur kurz, das leise Lachen in der Zentrale zu überhören und seines zu unterdrücken, dann lachte er mit. »Sehen Sie, Major, das ist die offizielle Frequenz der GSO... jetzt wird sie gewechselt und... man glaubt's kaum, da ist auch die Nummer. Mein Gott, ist der dumm! Verschlüsselt sein Gespräch, 136
damit man es nicht abhören kann, und vergißt vor lauter Geheimniskrämerei, daß sein Gerät beim Frequenzwechsel automatisch neu anwählt.« »Die Liste der Anschlüsse bekommen Sie beim Stab, Chief«, kam die Anregung des Majors. »Soll ich Sie verbinden?« *
Die Mastersergeantin im Vorzimmer zierte sich etwas, als ein popeliger Chief sich erdreisten wollte, ihren Chef bei einem wichtigen Gespräch zu stören. Als ihr Erwin laut, deutlich und weithin hörbar klarmachte, daß er ihren General gar nicht stören, sondern nur mit seiner Vorgesetzten, der Stabschefin reden wollte, bequemte sie sich endlich. »Stowes hier. Was gibt's, Chief?« erklang die bekannte Stimme. »Hat prächtig geklappt! Ich bin fündig geworden, Madam, Sir. Als letzter Nagel zu seinem Sarg fehlt nur noch die Liste der Anschlüsse des betreffenden Tages! Wann können wir hier weg?« berichtete er knapp. »Wir sehen uns in einer Viertelstunde, Chief! Verpflichten Sie alle Anwesenden zum Schweigen!« Erwin Kulawski sah sich in der Zentrale um. »Da alle das Gespräch mitbekommen haben, weise ich nur noch auf das Militärstrafgesetzbuch hin! Ach, beinahe hätte ich es vergessen: Hat jemand unter Ihnen zufälligerweise noch Kenntnis von einer Unterredung des Stabschefs mit Baxter als Operation >Kehrbesen< beschlossen wurde?« Eine kurze Pause trat ein, bei der Kulawski glaubte, das Arbeiten der Gehirne förmlich hören zu können. Harris schien ebenfalls nicht sehr beliebt zu sein. Dann erhob sich im Hintergrund ein massiger Unteroffizier. »Mastersergeant Taylor, Chief! Meine Frau hat mir davon erzählt. Es ging um eine Ziegenjagd im Ahaggar, an der der Stabschef nicht teilnehmen könne oder so ähnlich!« 137
Das könnte der fehlende Beweis sein, dachte Kulawski. »Sind die Mittschnitte noch greifbar, Sir?« wandte er sich an den Major. Der nickte bloß, ging zum Panzerschrank und holte einen Datenspeicher heraus. »Nehmen Sie die ruhig mit, Chief«, sagte er lachend. »Wir müssen grundsätzlich zwei Kopien an getrennten Orten aufbewahren!« Kulawski bedankte sich höflich. »Ich werde meinen höheren Vorgesetzten berichten, wie außerordentlich zuvorkommend ich behandelt wurde, Sir.«
steigen. Nicht zu nahe an ihrem Versteck, aber auch nicht zu weit weg. Falls sie in unserer Nähe landen sollten, gehen wir wie folgt vor...« *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.19 Ortszeit Über der Wüste El-Hodh
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18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 08.11 Ortszeit Wüste El-Hodh Ali ben Hassan döste vor sich hin. Wie alle echten Krieger konnte er beinahe auf der Stelle in eine Art Halbschlaf fallen. Tief genug, um Kraft für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln, aber leicht genug, um bei jedem ungewohnten Geräusch sofort kampfbereit zu erwachen. Daher richtete sich Ali auch augenblicklich auf, als er die Unruhe spürte, die sich unter seinen Kriegern breitmachte. Einer der Männer huschte in geduckter Haltung auf ihn zu. »Böse Nachrichten aus Timbuktu! Die Iblis haben Mohammeds Palast überfallen. Es gab viele Tote, doch Sidi und seine Gemahlin sind unverletzt, meldet Hadi via Gaura. Von dort wird berichtet, daß nur zwei Transporter den Ort überflogen haben, beide beschädigt, einer davon zeigt eine leichte Rauchfahne!« Ali traf seine Entscheidung blitzschnell. »Dann werden sie den wohl aufgeben und in den anderen um138
Kenny hörte an den Geräuschen der Aggregate, daß ihre Maschine es nicht mehr lange machen würde. Diese verdammten Polizeijetts hatten sich selbstmörderisch auf sie gestürzt, kaum daß sie die erste Raketensalve abgefeuert hatten. Sechsundsechzig seiner Kameraden waren wahrscheinlich tot, dazu die fünfzehn in der 200 Kilometer hinter Timbuktu explodierten Maschine. Auch in seinem Transporter hatte es zwei Tote und einen Verletzten gegeben. Sein Kumpel Jeff war vom letzten Kamikazepiloten erwischt worden, bevor der Angreifer abschmierte, ohne seine ursprüngliche Absicht, den Transporter mit sich in den Tod zu reißen, verwirklichen zu können. Zum Glück war es der letzte gewesen, so daß sie nun ungehindert ihren Stützpunkt anfliegen konnten. Langsam wurde es in dieser Region zu brenzlig. Hoffentlich ließ sich Concord bald mit dem Zünder für die Bombe blicken, damit sie sich absetzen konnten. Das Geräusch der Aggregate wurde jetzt immer unregelmäßiger, und ein schneller Blick aus der Seitenluke genügte Kenny. Der Transporter verlor langsam an Höhe. Schon bald mußte sich der Pilot zur Notlandung entscheiden, wollte er nicht die Gewalt über die Maschine verlieren. Der Robone spürte, wie sich der Boden des Transporters neigte. 139
Der Pilot hatte sich also entschieden. Kenny spähte aus der Seitenluke und sah zum ersten Male seit Wochen Menschen in diesem Teil der Wüste. »He, Jock«, rief er in den Laderaum. »Da sind einige Kameltreiber unterwegs!« Der Angesprochene, ein stiernackiger Neger, kam zur Luke und sah zu der kleinen Karawane hinüber, die voraus gut erkennbar etwa einen Kilometer parallel zu ihrem Kurs ihres Weges zog. »Etwa zwanzig, fünfundzwanzig Mann«, schätzte Kenny. »Wenn die uns landen sehen, eilen sie uns bestimmt zu Hilfe, Jock!« »Dann helfen wir ihnen auch, Kenny...«, lachte der Stiernackige. »... auf den Weg in ihren Himmel!« Knapp eine Minute später setzte der Transporter scheppernd auf, schrammte über den Boden und kam endlich zum Halten. Die Robonen begannen sofort, den Laderaum auszuräumen, um die geborgenen Geräte später in die zweite Maschine umzuladen. Der vorausfliegende Transporter mußte erst einen weiten Bogen schlagen, um die Landestelle wieder zu erreichen. Er kam jetzt als kleiner Punkt über der Karawane in Sicht, der schnell größer wurde. Jock und Kenny hatten sich mit umgehängten Multikarabinern unweit der flugunfähigen Maschine als Wachen aufgebaut und sahen auf die rasch näherkommenden Reiter. Allem Anschein nach Tuaregs. Die Wüstennomaden würden erst kurz nach der Landung des Schwebers am Ort des Geschehens eintreffen. Die beiden hatten richtig geschätzt. Die Tuaregs waren noch gut 250 Meter entfernt, als die Robonen hastig mit dem Einladen begannen. »Wir gönnen ihnen noch 100 Meter die Freude, dann legen wir sie um!« Kenny deutete auf die Reiter, die wilde Schreie ausstießen, ausschwärmten und dabei altmodische Gewehre schwenkten. »Das wird der letzte Spaß in ihrem Leben!« »Paß auf, Kenny, gleich schießen sie vor Freude in die Luft«, 140
lachte Jock hämisch, »und ballern ihre Magazine leer! Gut für uns, dann können sie nicht zurückschießen!« Jocks Vermutung stimmte. Die Tuaregs feuerten ihre Gewehre ab, dabei fächerten sie immer breiter aus und beschleunigten das Tempo ihrer Meharis. »Mach dich langsam feuerbereit«, feixte Kenny, schlug sich vor lauter Spaß auf die Schenkel und deutete auf den Halbkreis der Tuaregs. »Sieh nur, Jock, jetzt brauchen wir nur auf Automatik zu stellen und durchzustreuen!« Jock riß bei Kennys Worten die Augen auf. Selbst mit Dauerfeuer konnten sie nicht mehr alle Reiter auf einmal niedermähen. Dazu waren sie schon zu weit auseinander. Überhaupt sah jetzt das Ganze nicht mehr aus wie eine freundliche Begrüßung, sondern mehr wie ein... ... Angriff! *
Noch 200 Meter. Ali ben Hassan trieb sein Rennkamel mit gellenden Schreien zur Höchstleistung an. Die Dschinns waren auf seine Kriegslist hereingefallen, hatten sich nicht nur durch das Abschießen ihrer alten automatischen Gewehr täuschen lassen, sondern auch durch ihre Freudenschreie. Noch 190 Meter. Diese Dschinns mußten unglaublich dumm sein, wenn sie nicht wußten, daß es in der Wüste keine Freunde gab, sondern nur Feinde... Noch 180 Meter. ... und daß die Targi keinen Unterschied zwischen Fremden und Feinden machten. Beide waren eine tödliche Bedrohung. Noch 170 Meter. Ali tat so, als lüde er seine altmodische Waffe durch. Die Targi im Sahara-Reservat führten zwar die alten Traditionen fort, doch 141
das bedeutete nicht, daß sie deshalb auch an ihren alten Waffen festhielten. Noch 160 Meter. Alis Mehari hatte jetzt seine größte Geschwindigkeit erreicht. Er sah kurz nach rechts, dann nach links. Seine Krieger waren bereit. Ali heftete seinen Blick auf die beiden Dschinns vor ihm. Sie wirkten völlig ahnungslos. Auch die anderen schienen die drohende Gefahr nicht zu bemerken und beluden weiter den Transporter. Noch 150 Meter. Da, der Bullige richtete sich auf. Er hatte jetzt die Wahrheit erkannt, daß dies keine Begrüßung war, sondern ein... ... Angriff! Ali ben Hassan ließ die rechte Hand mit dem Gewehr nach unten fallen, seine linke schloß sich um den Schaft, dann flog der Kolben an die Schulter und einen Lidschlag später erblühte das Mündungsfeuer. Ali verschwendete keinen Blick mehr auf den zusammenbrechenden Bulligen, denn dieser Treffer hatte jeden Zweifel an ihren wahren Absichten beseitigt. Ali beugte sich zur Seite, um für einen Augenblick ein kleineres Ziel zu bieten, und als er sich wieder aufrichtete, sah er, wie der zweite Transporter mit einem Notstart abhob und die Dschinns am Boden im Stich ließ. Fast gleichzeitig mit ihm hatten seine Stammesbrüder das Feuer eröffnet. Mehrere von ihnen auf das Heck des fliehenden Transporters, nicht um ihn zum Absturz zu bringen, sondern nur leicht zu beschädigen. Das Feuer der restlichen Tuaregs richtete sich konzentrisch auf die etwa 18 Iblis im Zentrum des Halbkreises. Sie konnten ihre Ziele kaum verfehlen, denn die Iblis waren wie gelähmt. Ob es die Überraschung über diesen unerwarteten Angriff oder über die Flucht ihrer Kameraden war, kümmerte Ali wenig. Denn vor ihm waren die Schlächter von Taudeni, Sidi Bassem 142
und anderen Ortschaften. Sie hatten den Tod mehr als verdient. Deshalb gaben er und seine Krieger keinen Pardon. Die Dschinns wehrten sich verzweifelt, doch die Angriffswucht der Kamelreiter war nicht aufzuhalten, und bald waren die Iblis entweder tot oder kampfunfähig. Und während seine Krieger sich daran machten, die verwundeten Dschinns von ihren Leiden zu erlösen, stürmte Ali mit zwei Männern das Wrack, um den Piloten gefangenzunehmen. Der würde sie anflehen, ihnen das Versteck der Dschinns verraten zu dürfen. Ali wunderte sich kurz, als der Pilot ihnen schon im Frachtraum entgegenkam und sie über den Haufen rannte, als sei der Herr des Bösen persönlich auf seinen Fersen. Ali holte den Flüchtenden erst fünf Meter vom Transporter entfernt ein und begrub ihn mit einem Hechtsprung unter sich. Dann detonierte hinter ihm das Wrack. Ali ben Hassan starb mit der Gewißheit, daß er mitgeholfen hatte, die Anzahl der Feinde Sidi Mohammeds um fast zwanzig zu verringern, und daß durch seinen Tod der Pilot die Explosion überlebt hatte und reden konnte. *
Genau um 15.35 Uhr meldete sich Abdul Barka, auf den die Führung der Aulemmi-Krieger übergegangen war, im Lagezentrum des Cahia. Er berichtete, daß man dem letzten Iblis den Tod gewährt hatte, nachdem er die Koordinaten des Verstecks der Dschinns preisgegeben durfte. Doch der Preis für diese Information war hoch. Sidi Mohammed erbleichte, als ihm Abdul meldete, daß neun Krieger den Weg ins Paradies gefunden hätten, darunter auch Ali ben Hassan. Sein Tod hatte ermöglicht, das Leben des Piloten um Stunden zu verlängern, bevor man ihm gestattete, seine Seele dem Allerbarmer anzuvertrauen. 143
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18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 15.37 Ortszeit Timbuktu Sidi Mohammed starrte mit leerem Blick auf das große Display an der Wand. Ali ben Hassan war tot, gestorben, weil er unbedingt helfen wollte, das Versteck der Robonen herauszufinden. Ein unnötiger und sogar das Unternehmen gefährdender Versuch, denn die Aulemini sollten nur beobachten. Unnötig, weil Hadis Simulationen mit alten Karten auf dem Sensor endlich zu dem langgesuchten Ergebnis geführt hatten. Im Jahre 1970 errichteten die Franzosen in diesem Teil ihres ehemaligen Kolonialgebietes angeblich eine Bergwerksanlage zur Gewinnung und Weiterverarbeitung von Uranerzen, die sich aber nicht als rentabel erwiesen hatte. Doch die ganze Aktion diente nur als Tarnung für den Bau eines geheimen Raketenstützpunktes und einer Ausweichzentrale der Force de Frappe, der damaligen französischen atomaren Abschreckungsstreitkräfte. Geographie-, Geschichts- und Politikwissenschaftsstudenten der Universität Timbuktu hatten auf Wunsch Ben Akibas alle verfügbaren Unterlagen ihrer jeweiligen Fachschaften durchgearbeitet und waren dabei auf die gut verborgenen Querverweise gestoßen. Der alte Stützpunkt lag genau auf dem vermuteten Fluchtkurs der Robonen. Jetzt lebte dort eine Gruppe von Agrarspezialisten, die angeblich die Rekultivierung der Abraumhalden prüfen sollten. Dieser »Forschungsauftrag« bildete eine gute Tarnung, denn niemand würde hinterfragen, was die Leute wirklich trieben. Dorthin war auch die bewußte eine Kiste von Timbuktu aus wei144
tergeleitet worden. Das hatten die Nachforschungen in Walata ergeben. Die Telstar-Leute hatten sie ungeniert auf einen Transporter der Forschungsstation umgeladen, der regelmäßig Lebensmittel für die angeblich zwanzig Mann starke Besatzung abholte. Der Proviantkauf war ein gutes Alibi, denn er erklärte die Anwesenheit von Menschen in dieser abgelegenen Gegend und den Verkehr am Boden und in der Luft. Der entscheidende Hinweis, daß sich dort wirklich der Robonenstützpunkt befand, kam indes von der Wetterbeobachtungsstation A-13. Alle Besatzungen dieser Stationen hatten auf Anweisung der Enterkommandos die optischen Geräte auf das Gebiet gerichtet, soweit es von ihnen eingesehen werden konnte. Die Schneise bei Gaura lag im Bereich von A-13, und die Besatzung hatte die beiden Transporter gesichtet. Von diesem Augenblick an wurden sie nicht mehr aus den Augen gelassen, und die Landung des letzten in dem von Hadi errechneten Areal war die letzte Bestätigung. Durch den Überfall der Aulemmi bestand aber nun die Gefahr, daß die Robonen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um weitere Angriffe der Tuareg zu verhindern. Das könnte zu einem Problem bei dem geplanten Sturm auf das Versteck werden. Larr Drawl war unterwegs, um sich mit ihren Soldaten zu treffen, während Tor Drang und der Cahia auf die Rückkehrer aus der Burbaki-Kaserne warteten. Colonel Stowes wollte bei dem Angriff unbedingt dabeisein. Bei Allah, wie konntest du nur gegen meinen ausdrücklichen Willen den Überfall befehlen, Ali? Das alte Leiden der Targi, dachte Sidi Mohammed, als er sich umdrehte. Todesmutige Krieger, aber ohne jede Disziplin. Das zu ändern hatten schon andere vergeblich versucht. »Jetzt ist das Militär am Zuge, Mary«, sagte er zu seiner weißblonden Frau, die ihn besorgt anblickte. »Komm, auf uns wartet andere Arbeit!« 145
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18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 15.45 Ortszeit Timbuktu Harriet Stowes und Erwin Kulawski erreichten mit ihrer Begleitung den Stadtpalast - besser: seine Trümmer - als die Aufräumungs- und Bergungsarbeiten immer noch im Gange waren. Sidi Mohammed und ein Marineoffizier in einer ehemals weißen Uniform sprachen mit den Einsatzleitern von Feuerwehr und Katastrophendienst, die mit schwerem Gerät begonnen hatten, im ehemaligen Frauenflügel nach Überlebenden zu suchen. Die Verwundeten waren bereits zur Weiterversorgung in die Krankenhäuser abtransportiert worden. Rechts vom Gittertor lagen in einer langen Reihe die Opfer des Überfalls, beklagt von ihren Angehörigen. Die junge Gemahlin des Cahia spendete den Trauernden Trost. Auch die Medien waren bereits zur Stelle und übertrugen direkt in alle Welt. Nur wenn sie Aufnahmen von der Gemahlin des Cahia machen wollten, versperrten ihnen grimmige Leibwächter die Sicht. Kaum hatten die beiden Wagen gehalten, stürzte sich die Pressemeute auf Harriet Stowes, denn seit ihrem Interview in Alamo Gordo war die Obristin guten Reportern keine Unbekannte mehr. Doch sie bekam keine Chance, auch nur eine einzige Antwort zu geben, denn ein in fast allen körperlichen Belangen zu kurz gekommener Mann mit feuerrotem Schöpf und kräftigem Bauchumfang drängte sich durch die Menge der Reporter und baute sich neben ihr auf. »Colonel Stowes steht Ihnen im Augenblick leider nicht zur Verfügung, meine Damen und Herren von der Presse. Aber ich 146
beantworte gern alle Fragen!« »Und wer sind Sie überhaupt?« entfuhr es einer jüngeren Reporterin. »Was können Sie denn schon zur Aufhellung beitragen?« Bert Stranger fand die Situation köstlich. Er stand plötzlich auf der anderen Seite. Dann wollen wir mal den Spieß umdrehen, dachte der Starreporter von Terra-Press, und er beschloß, seine Kollegen nach allen Regeln der Kunst vorzuführen. Es ärgerte ihn schon ein wenig, daß diese Anfängerin ihn nicht kannte. »Ich bin Bert Stranger, der Informationsmanager des Cahia, werte Kollegin«, begann Bert und erntete das erwartete Gelächter seiner Berufsgenossen, bevor er bereitwillig Antwort auf alle Fragen gab. Erst als sich die Medienleute diese Pressekonferenz in aller Ruhe zu Gemüte führten, erkannten sie, daß sie auf den Arm genommen worden waren. Man hatte ihnen alles und nichts gesagt. Doch für jene, welche die Einzelheiten kannten, enthielten Strangers Antworten pures Dynamit. Und sie steigerten die Verunsicherung der Betroffenen beträchtlich. *
Harriet Stowes war dem Reporter dankbar, daß er sie und Kulawski vor der Presse gerettet hatte, denn sie mußte Martell unbedingt über die Ergebnisse ihrer Nachforschungen Bericht erstatten. Unten im Verlies wurden die beiden bereits von Tor Drang erwartet. »Ich habe gute Nachrichten! Concord kommt heute auf die Erde«, rief ihnen der Tel-General zu, kaum daß sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatten. »Er will sich morgen in Kairo mit mir treffen!« »Dann ist das Vario noch hier, Tor«, überlegte Kulawski laut. »Man müßte ihn dazu bringen, mit den anderen Robonen Kontakt aufzunehmen, damit er uns zu dem Versteck führt!« »Wir wissen, wo es liegt!« Für einen Augenblick war Harriet vor Überraschung wie ge147
lahmt, dann explodierte sie fast vor Energie. »Erwin, du rufst den General an! Er kann jetzt die Schotten dichtmachen, und er soll den Transport des I. Bataillons anleiern, damit wir es schnellstens hierhaben. Ich möchte dieses Nest im Morgengrauen ausräuchern. Mit einer Sorge weniger können wir uns viel besser um Darnelle kümmern«, rief sie auf dem Weg zum Hauptdisplay. »Wo habe ich nur meine Pfeifentasche abgelegt?« Kulawski blickte den Tel an, der kopfschüttelnd auf Harriet Stowes starrte, die sich eine der sieben Pfeifen aussuchte - mit einer Miene, als hinge von dieser Entscheidung das Schicksal des Universums ab. »Jetzt sollte man sie besser nicht mehr stören. In zwei, drei Stunden hat sie einen optimalen Angriffsplan ausgearbeitet. Je mehr die Pfeife dampft, desto klarer sind ihre Gedanken, behauptet Martell! Ich plaudere jetzt erst mal mit dem General! Wollen Sie nur dabei Gesellschaft leisten?« *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 16.13 Standardzeit Cent Field, Admiralität TDF Konteradmiral Togo lächelte hintergründig, als ihm das durchgeistigte Gesicht auf dem Bildschirm den technischen Durchbruch gemeldet hatte. »Das freut mich zu hören, Flottillenadmiral Dr. Dr. Dr. Winston«, sagte Togo süffisant und sah mit klammheimlicher Freude, wie der Eierkopf beim Aufzählen all seiner Titel zusammenzuckte. »Danke für die ausgezeichnete physikalische Begründung des Phänomens. Wann kann ich denn mit diesen Lichtgebern rechnen?« Der Wissenschaftler blickte Togo überlegend an. 148
»Wenn wir schon heute mit den Versuchen beginnen, könnte ich den Prototyp binnen einer Woche vorstellen. Falls wir die Labortests auf die absolut minimalste Zeit begrenzen dürfen, könnte die Nullserie der Rotlichtgeber in einem Monat die Vorserienreife erreicht haben, vorausgesetzt, die Ausschreibungen für die Vorproduktion sind bis dahin erfolgt und die Auftragsvergabe beschlossen, Admiral!« Schikibo Togo verschlug es die Sprache. Einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er nicht auf der Stelle das Gespräch unterbrechen sollte, doch er entschied sich dagegen. Er brauchte Zeit, damit sein Blutdruck wieder normale Werte erreichte. Und was konnte sein nächster Gesprächspartner dafür, daß ihn ein frustrierter Admiral anschnauzte? »Weshalb denn ausgerechnet Rotlichtgeber, Winston?« »Nun ja, Sir«, druckste der Leiter der Waffenforschung herum. »Weil der Feind stets rot dargestellt wird, hielten wir diese Farbe für angemessen!« »Ein einsehbarer Grund«, stimmte Togo mit vorgetäuschter Freundlichkeit zu. »Nur weil es der Tradition entspricht, verzichtet die Flotte auf grünes Licht, Admiral? Obwohl man jedem Rekruten in der Grundausbildung beibringt, daß Grün in der Dunkelheit viel weiter zu sehen ist?« Das Gesicht vor ihm wurde kreidebleich, worauf Schikibo seine Stimme nur leicht hob. »Außerdem frage mich, wieso die schlichten Gemüter der Fernmelder vor einer Stunde den Vorschlag machten, einfach die Scheiben von Scheinwerfern grün zu tönen? Null Labortests, Null Vorproduktionsphase, aber sofortiger Truppenversuch, Dr. Dr. Dr. Winston! Könnte es sein, daß die Forschungsabteilung möglicherweise in letzter Zeit den Bezug zur Realität verloren hat? Einen schönen Tag noch!« Das versaut ihm den ruhigen Tag im Labor, hoffte Togo mit einer ihm bis dato unbekannten Schadenfreude und verließ sein Büro, um im Kommandostand die weitere Entwicklung abzuwar149
ten. Terra Defence Forces hatte alles getan, was in seiner Macht stand. Nun kam es auf die Army an. *
18. August 2057 Samstag Tag X minus vier 16.25 Standardzeit Einflugschneise Schutzschirm Cent Field, TDF Zerstörer Z-375 HOTSPUR Signalmann II. Klasse Pedro Arranjuez kam sich in der geöffneten Schleuse der HOTSPUR so richtig verarscht vor. Nicht nur, weil seit vorgestern die schönen Tage vorüber waren, sondern weil er dazu auch noch diesen Stuß mitmachen mußte. Zuerst der Unsinn mit den Ferngläsern, den irgendwelche Blödmänner vom Stab ausgeheckt hatten. Nur Spinner kamen auf einen so hanebüchenen Einfall, den Einflugkorridor über Cent Field mit alten Feldstechern - weiß der Teufel, woher der Skipper die beiden Museumsstücke überhaupt hatte - überwachen zu lassen. Sie waren doch Matrosen auf einem Zerstörer und nicht auf einem Segelschiff, wo so etwas vielleicht mal überlebenswichtig gewesen sein mochte. Doch der Höhepunkt des Wahnsinns war vor einer Dreiviertelstunde erreicht worden. Der Kommunikationsoffizier hatte ihm und Nagula befohlen, die optischen Notfallsignalgeber zu aktivieren. Diese Relikte aus den Anfängen der TF waren, soweit er sich erinnern konnte, noch nie benutzt worden. Notfallsignalgeräte sollten eine Verbindung von Schiff zu Schiff ermöglichen, falls alle anderen Signaleinrichtungen ausfielen. Rein theoretisch beherrschte Arranjuez das Morsealphabet zwar noch, doch ob er es auch in der Praxis anwenden konnte, dessen war er sich nicht so sicher. 150
Knapp eine Stunde später spielten er und Nagula sowie drei weitere Paare in anderen Schleusen so eine Art Raumschiffsbeleuchter von Togos Gnaden. Mit den zweckentfremdeten Scheinwerfern, deren Abblendlamellen man entfernt hatte. Denn nichts anderes war der Signalgeber, Notfall, optisch, raumtauglich mit eigener Stromquelle. Sobald der planetenumspannende Schutzschirm für einen Passagier- oder Frachtraumer geöffnet wurde, badeten alle Zerstörer des rund um die Schneise postierten Geschwaders das Schiff und seine nähere Umgebung in grünes Licht. Es war wirklich wunderhübsch anzusehen, wie die vielen grünen Lichtfinger nach dem Schiff tasteten, auf ihm verweilten, um dann weiterzuwandern. So nahe an der Erde befanden sich noch genug Luftpartikel im Raum, um die Lichtstrahlen sichtbar zu machen auch wenn draußen praktisch Vakuum herrschte. Doch wozu diese Aktion gut sein sollte, hatte man ihnen nicht gesagt, außer, daß sie alles melden sollten, was ihnen komisch vorkam. Was zum Teufel bedeutete »komisch«? Wie unterschied es sich von »seltsam« oder »merkwürdig«? Verdammt, konnten die Offiziere sich nicht einmal verständlich ausdrücken, damit auch ein einfacher Soldat begriff, was sie eigentlich wollten? »He, Pedro, da war gerade was«, meldete sich Nagula auf der Anzugfrequenz. »Was meinst du?« »Knapp hinter dem Marsraumer«, kam die aufgeregte Antwort. »Mitten in einer Lichtbahn war gerade eine seltsame Verformung, so als ob das Licht um einen unsichtbaren Körper herumgelenkt würde!« »Verdammt, sowas gibt's doch nicht«, entfuhr es Pedro. Aber aus reiner Vorsicht meldete er die Entdeckung weiter. Knapp fünfzehn Sekunden später tasteten die Scheinwerfer des gesamten Geschwaders den Raum hinter dem landenden Passagierschiff ab. 151
Pedro, und nicht nur ihm, bot sich plötzlich ein sonderbares Bild. Im Mittelpunkt der Lichtbahnen, dort, wo sie sich eigentlich hätten kreuzen müssen, befand sich eine von grünem Licht umflossene Kugel. Der Feuerleitstand der HOTSPUR zeigte die kürzeste Reaktionszeit des Geschwaders. Der grünumflossene Ball verging ihn einer grellen Explosion, bevor er sich den grünen Lichtbahnen entziehen konnte. Und an den Stellen, wo vorher auf den Displays gähnende Leere herrschte, erschienen plötzlich auf wundersame Weise auseinandertreibende Wrackteile. Ein untrüglicher Beweis, daß der sonst so vollkommene robonische Ortungsschutz unter ganz bestimmten Bedingungen ausgehebelt werden konnte. Nachdem er den Feuerbefehl auch auf alle getarnten Schiffe, die die Erde unangemeldet durch die Schirmöffnungen verlassen wollten, erweitert hatte, tätigte Admiral Schikibo Togo einen weiteren Anruf. Er ließ es sich nicht nehmen, Admiral Dr. Dr. Dr. Winston den bestätigten Abschuß des Robonenraumers höchstpersönlich mitzuteilen. Daß die Verbindung mitten im Satz unterbrochen wurde, störte ihn ganz und gar nicht, sondern bildete vorläufig den krönenden Abschluß des Tages. *
19. August 2057 Sonntag Tag X minus drei Kurz nach Sonnenaufgang El-Hodh, unweit einer aufgegebenen Mine Die Gegend vor ihm war erfüllt vom vereinzelten Bellen automatischer Gewehre, denen das Surren von Blastern oder das 152
scharfe Krachen von Mini-Raks antwortete. Das, was dort vor sich ging, war nichts weiter als ein Geplänkel, noch nicht einmal ein Scharmützel. Es diente allein dazu, die Positionen der Posten und ihre Standorte zu überprüfen und sollte ihre Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Ziel des Angriffs ablenken. Noch drei Minuten, dann erfolgte der Frontalangriff. Danach war er an der Reihe. War es wirklich erst vier Stunden her, daß er hier eingetroffen war? Mastersergeant Kim Budra schob sich langsam und vorsichtig den Abhang hoch. Sein Ziel war aber nicht die Kuppe, sondern eine Stelle rechts unterhalb, wo sich schon eine dunkle Gestalt an den Hang preßte. Die Tatsache, daß sie sich dort postiert hatte und nicht direkt auf der Kuppe, wies auf gute Ausbildung, eine gewisse Kampferfahrung oder beides hin. Der erst gestern beförderte und zum Zugführer des II. Zuges der 3. Kompanie des 1. Leichten Raumlanderegiments ernannte Budra war reinblütiger Ghurka, ein Angehöriger jenes kämpferischen Bergvolkes, das seit Jahrhunderten für seine Tapferkeit bewundert und gefürchtet wurde. Den vergangenen Tag hatten er, seine Unterführer und die Mannschaften noch in der Wüste Gobi damit verbracht, sich gegenseitig zu beschnuppern, denn nicht nur sein Zug, sondern die gesamte Kompanie existierte erst seit dem gestrigen Morgenappell. Daß sie heute schon im Einsatz in Afrika standen, verdankten sie der Tatsache, daß die 3. Kompanie aus den besten Soldaten des 1. Raumlande bestand. Der Chef hatte sogar den Majorslehrgang als Bester absolviert und für diese Stellung auf die vorzeitige Beförderung verzichtet. Dazu kam noch, daß das Regiment seit Wochen im Feldlager diese Art von Angriffe bis zum Erbrechen geübt hatte. Budra wußte, daß es noch mit der Zusammenarbeit hapern würde, aber er war sicher, daß sich das nicht besonders negativ 153
auswirkte. Jeder seiner Männer kannte die Schwierigkeiten und wußte, daß er damit fertig werden konnte. Kim erreichte die Gestalt, die das Gelände vor ihm beobachtete. »Mastersergeant Budra, II. Zug, 3. Kompanie, 1. Raumlande«, flüsterte er. »Ich soll mich hier zur Einweisung melden!« Die Gestalt drehte sich zu ihm um, und Kims inzwischen an die Dunkelheit gewöhnten Augen blickten in eine schwarze Fläche, aus der ihm zwei Zahnreihen entgegenblitzten. Kim war für einen Augenblick verdutzt, denn sein Gegenüber trug keinen Kampfhelm. Erst als die Gestalt antwortete, dämmerte Kim die Wahrheit. »Kewir Larr Drawl«, flüsterte die Gestalt zurück, »Stabschefin des Vorauskommandos Terra, Tel-Streitkräfte! Wenn Sie zur Dritten gehören, müssen Sie wirklich gut sein, Sarge.« Kim schluckte. Das war nicht nur eine leibhaftige Tel, von denen der Kommandeur gesprochen hatte, sondern sogar eine Stabschefin, die die Feinheiten des Umgangstons in der Armee kannte. »Nun erholen Sie sich erst einmal von der Überraschung, Sarge! Einem Kewir von meinen Leuten ergeht es im Augenblick nicht viel anders. Er meldet sich gerade bei einem Chief vom Raumkorps. Jetzt fragen Sie sich bestimmt, warum Sie sich bei mir melden sollten und nicht bei ihren Kameraden, stimmt's?« Kim Budra nickte, denn das entsprach den Tatsachen. »Wir dringen von zwei Seiten in den Bau ein, um eine geheime und äußerst gefährliche Ladung zu bergen, während die Hauptmacht kräftig an den Vordertüren rüttelt«, erklärte ihm die Kewir. »Die Obristin leitet die Gesamtoperation, ein Tel-Zug geht mit Chief Kulawski rein und ich mit Ihnen, Sarge, um bestimmte Entscheidungen vor Ort treffen zu können.« »Also wir kämpfen Ihnen den Weg frei, damit Sie Ihren Job erledigen, danach halten wir die Stellung oder decken den Abtransport, Kewir«, stellte Budra sachlich fest. »Da sehe ich nur ein Problem!« 154
»Welches, Sarge?« »Wie soll ich meinen Auftrag erfolgreich durchführen, wenn mir die ganze Zeit ein hoher Offizier im Nacken sitzt? Aus einer Armee, über die ich absolut nichts weiß? Sorry, das war nicht persönlich gemeint, wirklich«, schwächte Budra seine vielleicht zu ehrlichen Worte ab, die ihm einfach so rausgerutscht waren. Die Tel lachte kehlig. »Keine Sorge, Sergeant Budra. Sie haben das Kommando. Colonels sind wirklich sehr miserable Stoßtruppführer, nicht nur bei Ihnen. Ich gebe nur Laut, wenn unser Ziel erreicht ist.« Die Frau machte ein kurze Pause, dann lachte sie wieder. »Ist schon seltsam, Sarge, wie ähnlich sich die Soldaten unserer Rassen sind, vor allem die Unteroffiziere!« »Wahrscheinlich kämpft man überall mit denselben Widrigkeiten, Sir«, grinste Budra die Tel an. »Aber jetzt brauche ich mehr Informationen. Bitte weisen Sie mich ein, damit ich den Stoßtrupp planen kann.« Die Frau zeigte ihm, soweit das überhaupt möglich war, den festgelegten Annäherungsweg im Gelände und für alle Fälle die leicht abweichende Rückzugsroute, gab Auskunft über die Feindlage, also Anzahl, Verteilung, Bewaffnung, eine grobe Skizze der unterirdischen Anlage, sowie die Kennworte und Kommunikationsunterlagen und ließ ihn dann allein zurück. *
Budra sah der Frau nach, bis sie mit der Nacht verschmolz. Dann dachte er nur noch an seinen Auftrag, legte die Bewaffnung, Feuerart und benötigte Ausrüstung fest: je Gruppe einen schweren Blaster, die dritte zusätzlich einen Raketenwerfer. Da es sich um fanatisch kämpfende Robonen handelte - Terroristen, keine Soldaten, aber nicht unerfahren im Kampf - wollte er auf Schockereinsatz ganz verzichten. Denn dabei bestand die Gefahr, daß nur teilweise gelähmte Gegner den Kampf wieder aufnehmen 155
konnten, wenn man sie passiert hatte. Wichtig war auch, eine Möglichkeit auszutüfteln, wie man den Gegner auf den ersten Blick von den eigenen Männern unterscheiden konnte, denn er trug ja die gleichen Uniformen. Blaue Armbänder wie im Manöver müßten genügen, um die eigenen Männer kenntlich zu machen. Sie brauchten außerdem Schutzmasken, Lichtquellen, Sprengstoff, sowie jede Menge Schrill-, Blend-, Nebelhandgranaten und derlei Spielzeuge mehr, die man stets dann mitnahm, wenn man seinem Gegner einen unangemeldeten Besuch abstattete. Zum Glück hatten sie genug von den Zeug mitgebracht. Nach etwa 20 Minuten machte er sich auf den Rückweg zu seinem Zug. *
Mastersergeant Kim Budra brauchte für seine Befehlsausgabe nicht viel länger als zum Festlegen der Einzelheiten. Daß diese Kewir mit ihrem Funker auch daran teilnahm, erfreute ihn mehr als es ihn störte. Die meisten hohen Tiere kümmerten sich nicht um solche »Kleinigkeiten«, aber jeder Soldat mußte die Einzelheiten des Unternehmens kennen, um eventuell beim Ausfall aller Führer den Auftrag selbständig durchführen zu können. Zum Schluß beantwortete Budra noch die unvermeidlichen Fragen und entließ den Zug mit einigen aufmunternden Bemerkungen. Dann tat er das, was alle seine Männer taten. Er versuchte, noch ein Ründchen zu schlafen. *
Die leise Stimme seines Stellvertreters hatte ihn geweckt, als die drei Gruppen bereits angetreten waren. Obwohl er sich darauf verlassen konnte, daß seine Unterführer die Soldaten bereits überprüft hatten, nahm er dennoch einige kurze Stichproben vor. 156
Natürlich war alles okay, aber sicher war sicher, schließlich ging es auch um seinen eigenen Hintern. Und den wollte er sich nicht vorzeitig wegblasen lassen, weil irgendein Idiot vergessen hatte, seine Ausrüstung so zu befestigen, daß sie nicht klappern konnte. *
Das Feuer steigerte sich. Budra starrte auf das vor ihm liegende Gelände. Das Ablenkungsmanöver der Tuaregs zeigte erste Erfolge. Die Robonen konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf die Wüstennomaden und verrieten ihre Stellungen so dem eigentlichen Angreifer. Die Robonen hatten die Tuaregs erwartet, das zeigten ihre Vorbereitungen, aber rechneten augenscheinlich nicht mit dem Angriff einer Eliteeinheit. Budra wußte, daß sich jetzt die Scharfschützen mit ihren schweren Blastern langsam in Schußposition brachten, um die Wachen auszuschalten oder niederzuhalten, wenn der Sturm begann. Eine schweißtreibende Sache, wie er selbst schon erfahren hatte. Der Sergeant hoffte nur, daß die Robonen diese geheimnisvolle Kiste weit im Innern der Anlage gelagert hatten, denn wenn sie schon zum Abtransport im Hangar stand, dann gute Nacht. Diese Kewir konnte ihn nicht für dumm verkaufen. Wenn Menschen und Tel sich gegen Robonen zusammentaten, mußte der Karren wirklich tief im Dreck stecken. Wie tief, wollte er gar nicht wissen. Budra blickte zum Horizont. Die ersten Strahlen der Sonne zeigten sich. Er hob den rechten Arm, hörte, wie seine Gruppenführer den leisen Befehl zum Fertigmachen gaben, sein Zug ausschwärmte und sich langsam den Hang hocharbeitete. Sekunden später war es soweit, die langerwarteten kleinen Punkte zeigten sich und wurden rasend schnell größer. Im gleichen Augenblick eröffneten die Scharfschützen das Feuer. 157
Der Ghurka hörte das dumpfe Surren schwerer Blaster, gefolgt von beinahe unmenschlichen Schreien. Doch das Gegenfeuer erstarb nicht, denn es gab mehr Robonen, als man mit einem Feuerschlag ausschalten konnte. Aber die Überraschung war auf Seiten der Angreifer. Kim Budra sah noch, wie die drei Transporter niedergingen. Sie sollten so aufsetzen, daß sie die Tore blockierten. Der Sergeant hob die rechte Hand, stieß sie zweimal in die Höhe und setzte sich in Bewegung. Mit einem Sprung überquerte er die Kuppe, rannte geduckt den Hang hinunter und über die freie Fläche. Sein Ziel war eine vergammelte kleine Maschinenhalle am Rande einer Abraumhalde. Als der Stützpunkt der Force de Frappe noch in Betrieb war, tarnte sie das Belüftungssystem und einen Notstollen. *
Kewir Larr Drawl hielt sich an den Vorschlag des Zugführers und blieb mit dessen Stellvertreter hinten bei der dritten Gruppe. Sie deckten den Vormarsch der anderen bis zum Eindringen in das Gebäude, bevor sie selbst loshetzen würden. Mit dem professionellen Blick des Stabsoffiziers beobachtete sie den Angriff. Die Leute waren gut. Dafür, daß diese Einheit praktisch noch nicht einmal 24 Stunden existierte, sogar außerordentlich gut. Die vielen Dreier- und Viererteams bewegten sich schnell, aber nicht zu schnell vorwärts, wobei sie in einem elastischen, sich mal zusammen-, mal auseinanderziehenden Gittermuster vorgingen. Durch das Fernglas sah Larr, daß sich diese Bewegungen fast immer nach potentiellen Deckungen hin ausrichteten, falls das Feuer auf sie eröffnet wurde. Diese Soldaten waren von erfahrenen Unteroffizieren ausgebildet worden, die wußten, worauf es im Kampf ankam. Das zeugte von der Absicht der Führung, diese Soldaten nicht verheizen zu wollen. 158
Die Angreifer erreichten die Wand des Gebäudes. Zwei Dreierteams bauten sich rechts und links der Stahltür auf, andere postierten sich unter den Fenstern, während der Rest die Ecken des Gebäudes sicherte. Der Zugführer hob die Hand, spreizte zwei Finger und deutete auf die Tür. Sofort sprangen zwei Männer der Teams vor, befestigten Sprengladungen an den Angeln der Tür und hetzten zurück in Deckung. Der Zugführer machte eine kreisende Bewegung über dem Kopf, die mit einem Fingerzeig auf die Tür endete. Sekunden später detonierten die Ladungen, gefolgt von einem durchdringend hohen Ton, als die in die Halle geworfenen Schrillgranaten losheulten. Dann drangen die beiden Gruppen fast gleichzeitig in die Halle ein. Der weit größere Teil durch die niedergebrochene Tür, der Rest durch die Fenster. Zwei Soldaten hielten dabei einen Karabiner so, daß er einem dritten als eine Art Sprungbrett dienen konnte. Dieser Mann trat auf die Waffe, und mit Schwung wurde er von den beiden anderen durch das Fenster befördert, wobei er den Sprung offensichtlich mit einer Rolle abschloß. Bisher war auf der Zugfrequenz noch kein einziges Wort gefallen. Also führte Budra nur mit Handzeichen. Larr Drawls Respekt für den »Emporkömmling« wuchs. Neben ihr schoben sich nun andere, schwer bepackte terranische Soldaten an den Rand der Kuppe. Sie würden der Gruppe Feuerschutz bis zum Gebäude geben und sofort folgen, sobald sie das Signal dazu erreichte. Der Rest der 3. Kompanie und ein Trupp Sanitäter würde dann zugweise nachrücken und Sicherungsaufgaben übernehmen. Dadurch geriet der Vormarsch der Spitze nicht ins Stocken, weil keiner der Soldaten Abzweigungen sichern oder Verwundete versorgen mußte. Der Stellvertretende Zugführer gab das Signal zum Antreten. In Begleitung ihres Funkers folgte die Tel den laufenden Terranern. Als sie keuchend die Halle erreichten, war der Mastersergeant schon dabei, die Vergitterung des Notstollens aufbrechen zu las159
sen. Noch während Larr auf den Zugführer zulief, drang das erste Dreierteam bereits in den Stollen ein. Team um Team verschwand vor ihr in der Schwärze des Tunnels, bis sie und das letzte Viererteam an der Reihe waren. Bevor sie ihr Helmvisier auf Infrarot schaltete, sah sie noch, daß der nächste Zug unter Führung des Kompaniechefs in die Halle einrückte. Dann tauchte Larr Drawl in den Stollen ein, und zu ihrer Begrüßung ertönte weit vorne ein dumpfer Knall, dem eine kurze, atemlose Stille folgte. Dann Feuerstöße. Feindkontakt, dachte die Tel und beschleunigte automatisch ihre Schritte. *
Die schwere Tür vor Sergeant Budra bebte leicht, schwankte, dann neigte sie sich langsam vor und donnerte auf den Boden. Er wartete nicht ab, bis die Staubwolke sich gelegt hatte, sondern rannte tief geduckt los, so schnell er konnte. Nach einigen Schritten machte er eine Rolle vorwärts. Gerade noch zur rechten Zeit, um einem Blasterschuß zu entgehen, der über ihn hinwegzuckte. Budras Antwort war besser gezielt. Der Robone vor ihm brach zusammen. Der Sergeant sah sich nach neuen Zielen um und fand mehr, als ihm lieb sein konnte. Die Robonen hatten hinter einer kleinen Draisine und in Nischen Deckung genommen und schössen auf die Tür, was das Zeug hielt. Hinter ihm stürmten die Frauen und Männer seines Zuges in den breiten Stollen, spritzten sofort zur Seite, um Platz für die Nachdrängenden zu lassen und nahmen den Kampf an. Daß die Männer vor ihnen die selben Uniformen trugen wie sie, spornte ihren Eifer noch an. Das Gefecht nahm ein schnelles Ende, als die schweren Blaster vorgezogen wurden. 160
Der II. Zug drang weiter vor, während hinter Budra die beiden Sanitäter kurz nach den Verwundeten sahen. Er wußte, daß sie bald wieder aufschließen würden. Keine 100 Meter weiter stieß er auf einen unterirdischen Knotenpunkt, von dem drei Stollen abzweigten. Budra ließ die Tel an die Spitze holen. Er zeigte ihr die Skizze und sagte: »Wenn Sie einverstanden sind, Sir, nehme ich den linken Stollen, obwohl er nicht direkt zum Zentraldom führt!« »Sie wollen ihnen also den Fluchtweg versperren, Sarge?« fragte Kewir Larr Drawl nach. »Nicht nur aus diesem Grund, Sir«, entfuhr es Budra. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich weiß nur, daß wir die ominöse Kiste schnellstens finden und uns aus dem Staub machen sollten!« Er erwiderte den prüfenden Blick der schwarzen Frau mit den nordischen Gesichtszügen gelassen und wartete auf ihre Antwort. »Ich habe gelernt, mich auf das Gespür der alten Hasen zu verlassen, Sarge«, meinte sie nur. »Meistens haben sie recht!« Budra ließ dem Kompaniechef melden, welchen Weg er nahm. Mehr war nicht nötig, denn er wußte, daß die anderen Stollen gegen Überraschungen von dieser Seite gleich gesichert würden. Dann setzte er sich, von einem inneren Drang getrieben, in Bewegung. Widerstand wurde ihnen nur sporadisch entgegengebracht und schnell zerschlagen, weil sich ihnen die Robonen blindlings entgegenwarfen. Nicht organisiert in Gruppen, sondern vereinzelt, anscheinend nur von dem Wunsch getrieben, möglichst viele Feinde mit in den Tod zu nehmen. Deutliche Signale einer aufkeimenden Panik. Das war für Budra ein gutes und bedrohliches Zeichen zugleich. In die Enge getriebene Menschen neigten oft zu Verzweiflungstaten. Er stieß die Hand zweimal in die Höhe, das Zeichen für Marsch, 161
Marsch und rannte los, so schnell er konnte. Daß alle anderen Mühe hatten, ihm zu folgen, kümmerte ihn nicht. Er schoß auf alles, was sich vor ihm bewegte. Kim erreichte den Zentraldom kurz vor seinen Leuten. Schwer atmend blieb er stehen, blickte sich mit schußbereiter Waffe suchend um. Das Gewölbe besaß einen Durchmesser von fast 150 und eine Höhe von zirka 30 Metern. Eine Galerie führte rund um das Gewölbe. Die Fenster und Türen gehörten wohl zu den Unterkünften und Gemeinschaftsräumen, die Reihen der unteren Gewölbe, wohl Lagerräume und Werkstätten, reichten von Einmündung zu Einmündung der großen Hauptstollen. Der Boden war mit Ausrüstungsgegenständen und Großgerät übersät, nur die Schienen und eine Art Antreteplatz waren freigeblieben. Im Bereich des Hauptzugangsstollens waren Robonen dabei, Sprengladungen an Decke und Wänden anzubringen, wohl um genügend Material für eine provisorische Barrikade abzusprengen. Ein vernünftiger Plan, denn gegen schwere Blaster halfen nur Panzerstahl, ein Schutzschirm, dicke Mauern oder rascher Stellungswechsel. Kims Blick fiel auf eine andere Gruppe Robonen, die sich hektisch mit einem seltsamen Gegenstand befaßten, der auf einem niedrigen Stahlgestell aufgebockt war. Gerade klemmte ein Robone das dicke Anschlußkabel eines veralteten Schneidlasers an den Verteilerkasten eines Generators. Mehrere solcher Laser richteten ihre Mündungen auf zwei dicke Kugeln aus einem dem Sergeanten unbekannten Material. Die Kugeln berührten sich fast. An der rechten oberen Halbkugel hatte man ein kurzes Verbindungsrohr hochgeklappt und gegen Umkippen gesichert. Jetzt begriff Budra auch den Sinn der Vorbereitungen am Hauptstollen. Man wollte kein Material für eine Barrikade gewinnen, sondern den Zugang verschütten, damit die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit nicht mehr aufgehalten werden konnten. Und de162
ren Absicht war eindeutig: Sie wollten den Inhalt dieses fremdartigen Gebildes irgendwie freisetzen, auch um den Preis ihres eigenen Lebens. Budra stellte seinen Multikarabiner auf Mini-Rak und eröffnete ohne Warnung das Dauerfeuer auf den Wissenschaftler am Verteilerkasten. »Die Leute am Stollen dürfen den Gang nicht sprengen«, schrie er laut. »Und schaltet die Robonen an den Generatoren aus!« Dann stürmte er schießend auf die Wissenschaftler zu. *
Keines der beiden befohlenen Ziele wurde erreicht. Eine donnernde Explosion erschütterte den Felsendom, und der Hauptstollen brach auf einer Länge von zwanzig Metern zusammen. Die Gewalt der Detonation fegte wie ein Tornado durch das Gewölbe, wirbelte alles durcheinander, was sich ihr in den Weg stellte. Kim Budra wurde gegen einen Kistenstapel geschleudert. Als er den Oberkörper aufrichtete, sah er in den Staubwolken Strahlen aufleuchten, die auf den beiden Kugeln ein seltsames Muster aus Blitzen erzeugten. Einige der Schneidlaser waren eingeschaltet worden Er rappelte sich mühsam hoch und wankte auf die Lichtquelle zu. Sein Blaster trennte ein Kabel nach dem anderen ab. Die Blitze auf den Kugeln erstarben. Rings um ihn herum kämpfte sein Zug den letzten robonischen Widerstand nieder. Aus den Staubwolken taumelte die Tel auf ihn zu und starrte mit grünlichem Gesicht auf das Ding. »Wie lange hat der Beschüß mit den Lasern gedauert, Sarge?« keuchte sie mit einem Hauch des Entsetzens in der Stimme. »Nicht länger als zwanzig, dreißig Sekunden... schätze ich, Sir«. Der Sergeant merkte, wie der Frau kein Stein, sondern ein gan163
zes Gebirgsmassiv von der Seele fiel. Aber er zog es vor, nicht genauer nach dem Grund ihrer Erleichterung zu fragen. »Da sind wir wohl noch mal so eben davongekommen, Sir«, stellte er sachlich fest und fügte hinzu: »Jetzt sollten wir aber machen, daß wir uns mit dem Ding da aus dem Staub machen. Wer weiß, ob die Mistkerle nicht auch noch eine Selbstzerstörungsanlage aktiviert haben.« Während einige kräftige Männer aus Rohren eine Art Sänfte für das seltsame Gerät zusammenbastelten, schirmten andere sie gegen mögliche Angriffe ab. Mit dem Abtransport der Verwundeten und Toten war bereits begonnen worden. Sobald die Sänfte fertiggestellt worden war, würden sie ihnen folgen. *
Larr Drawl war aus tiefster Seele erleichtert, daß die Hülle der Reebombe keinen Schaden genommen hatte und den Schneidstrahlen nur so kurz ausgesetzt war. Andernfalls hätten schreckliche Konsequenzen gedroht. Denn dieser Typ unterschied sich gewaltig von der Standardbombe. Das Material des Außenmantels hielt zwar direktem Laserbeschuß etwa fünf lang Minuten stand, aber schon nach zwei Minuten hatte es sich so weit erhitzt, daß man Kworreier darauf braten konnte. Beim Standardtyp wurden die beiden Bestandteile des Ree erst kurz vor dem Einsatz zusammengebaut. Allein gelagert waren sie absolut harmlos, und selbst zusammengebaut konnten sie erst mittels eines Katalysators gezündet werden. Aus Sicherheitsgründen mußten zwei Offiziere zur gleichen Zeit die Codes eingeben, um die Waffe scharf zu machen und die Zündung einzustellen. Diese Wahnsinnigen auf Cromar hatten bereits fertig montierte Bomben geliefert. Die Konstruktionsweise hatte nur vorgetäuscht, daß die Bombe noch aktiviert werden mußte. Wenn man aber eines der »ungefährlichen« Teile aufzuschneiden versuchte, wurde 164
das schon auf Cromar aktivierte Ree freigesetzt. Budra hatte Verdacht geschöpft, daß dieses »Ding« äußerst gefährlich sein mußte, aber ahnte nicht, um welche Gefahr es sich dabei handelte. Larr Drawl ließ den Fund der Bombe direkt an Harriet Stowes weitermelden und den sofortigen allgemeinen Rückzug empfehlen. Der II. Zug würde mit der Beute auf dem gleichen Weg das Objekt verlassen, auf dem er eingedrungen war. Die 3. Kompanie sollte sich bereithalten, zusätzliche Träger zu stellen. Voller Ungeduld wartete Larr dann auf den Beginn des Rückzuges. Der Sarge hatte befohlen, sich von jeder überflüssigen Ausrüstung zu befreien. Die besten Schützen sollten die Deckung des Abmarsches übernehmen, damit die anderen Männer sich beim Schleppen abwechseln konnten. Der Rückzug wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit und den wütend nachdrängenden Robonen. Männer keuchten die Stollen entlang, stolperten, fingen sich und taumelten weiter, bis sie von anderen abgelöst wurden. Der Gefechtslärm hinter ihnen spornte sie unermüdlich an und half ihnen, neue Kräfte zu schöpfen Der Abtransport ging bedeutend schneller vonstatten, als ihnen die ersten Männer der Kompanie entgegenkamen. Jetzt konnten die Träger viel öfter ausgewechselt werden. *
Vier Stunden nach Beginn des Angriffs sah Larr Drawl das Tageslicht wieder. Sie wartete mit dem Kompaniechef und dem Sarge am Eingang des zur Sprengung vorbereiteten Notstollens auf die Schützen des zweiten Zuges, die sich immer noch kämpfend langsam zurückzogen. Endlich humpelten und taumelten zehn Soldaten heraus. Keiner
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von ihnen war unverletzt, aber alle zum Glück nur leicht. Ihr Sergeant erschien als letzter, drehte sich um und feuerte sein Mini-Rakmagazin leer. »Sie sind gut siebzig Meter hinter uns, Sir«, sagte er und brach zusammen. »Dann lauft mal schön«, befahl der Captain gelassen und drückte den Zündknopf der Sprengsteuerung. »In zwanzig Sekunden ist hier die Hölle los.« Die erschöpften Soldaten rafften noch einmal alle Kräfte zusammen und rannten los. Budra hatte sich den Sergeanten über die Schulter geworfen, während Larr Drawl und der Kompaniechef den Männern halfen, wo sie nur konnten. Auf halben Wege ertönte eine kurze, helle Detonation, der im Anschluß ein dumpfes Grummeln folgte, das bis zum Donner anschwoll. Dann begann die Erde unter ihren Füßen zu erzittern, hob und senkte sich wieder. Die kleine Gruppe wurde zu Boden geschleudert, rappelte sich mühsam hoch und taumelte den Hang hinauf, überquerte die Kuppe und brach ausgepumpt zusammen. Hilfsbereite Hände halfen denen, die stehen konnten auf die Beine. Um die anderen kümmerten sich sofort die Sanitäter. Larr Drawl stellte sich neben den Mastersergeanten und starrte mit ihm auf den Robonenstützpunkt. Dort sah man jetzt nur noch einen flachen Krater mit steil abfallendem Rand, alles andere war durch die Wucht der Explosion angehoben und beim Zurückfallen eingeebnet worden. Der Sergeant blickte sie müde an und sagte: »Ich muß mich jetzt um den Rest meines Zuges kümmern. Gott sei Dank waren die Verluste nicht so hoch! Es hätte schlimmer kommen können, nicht wahr, Sir?« Er grüßte, drehte sich um und stolperte mehr als er ging den Hang hinunter. Die Tel grüßte automatisch zurück, dann sah sie wieder auf die 166
Mulde. Ja, dachte sie erschöpft. Ja, es hätte schlimmer kommen können, Sarge, weit schlimmer! *
19. August 2057 Sonntag Tag X minus drei 17.45 Uhr Ortszeit 100 km westlich des Ahaggar-Massivs, Mobiles Hauptquartier General Massu Die aufgeregte Stimme des Kasinooffiziers erhob sich plötzlich laut und deutlich über die leise Unterhaltung im Messezelt. »Nein, Sir! Mit diesen unvorschriftsmäßigen Uniform darf ich Ihnen das Betreten der Messe nicht gestatten. Außerdem ist Unteroffizieren und Mannschaften der Zutritt verboten.« Alle Blicke richteten sich empört auf den Eingang. Der dürre Major stand sichtlich aufgebracht vor einer mittelgroßen Obristin in einer verdreckten Felddienstuniform des Raumkorps. Hinter der Frau waren ein Captain, ein Mastersergeant und ein Soldat mit dem linken Arm in der Schlinge zu erkennen. Auch deren Kampfanzüge zeigten deutliche Spuren eines Einsatzes. Und die Gesichter der drei zeigten den Ausdruck, den alle kannten, die gerade selber ein schweres Gefecht überstanden hatten. »Captain Morgan, Sergeant Budra und Soldat Campbell sind auf Befehl hier«, sagte die Obristin, und ihre Stimme hatte den Klang nur mühsam gebändigter Wut. »Sie hätten eigentlich Wichtigeres zu tun, als hier ihre kostbare Zeit zu verplempern!« »Es tut mir wirklich leid, Sir! Aber auch in diesem Fall darf ich den Zutritt nicht erlauben«, versuchte es der Major mit Vernunft. »Nur der KG kann eine Ausnahme machen!« 167
»Wie soll ich ihn fragen, wenn Sie mich nicht zu ihm vorlassen, Major?« fragte der Colonel sanft zurück. Der Angesprochene witterte Morgenluft, denn er war der felsenfesten Überzeugung, daß niemand auf der Welt diesen verdreckten Subjekten den Zutritt gestatten würde. »In der vorgeschriebenen Uniform dürfte das keine Probleme bereiten, Sir«, erwiderte er mit der ganzen Würde seines Amtes. »Außerdem bezweifle ich, daß Sie das Recht haben, derartige Befehle zu erteilen.« »Aus dem Weg, oder ich vergesse, daß Sie Offizier sind«, sagte die Frau mit ruhiger Stimme. »Ich wiederhole noch einmal: Meine Begleitung wurden genau in dieser Uniform herbefohlen!« »Wer hat das angeordnet, Colonel?« fragte der Major. »Der KG bestimmt nicht, denn dann hätte er mich davon unterrichtet!« »Ich war so frei«, mischte sich ein volltönender Bariton in den Streit ein. »Die drei Angehörigen der 3. Kompanie des 1. Raumlande sind als Stellvertreter ihrer Dienstgradgruppen auf meinen Wunsch hier, Major! Und jetzt ziehen Sie Leine, bevor ich Colonel Stowes befehle, Ihrem Zorn freie Bahn zu lassen.« Jetzt herrschte wirklich Totenstille in der Messe. Die hatte zum einen schon der Name der Einheit hervorgerufen, denn alle wußten, daß die dritte in Taudeni gestorben war. Zum anderen war es der Sprecher, eine gedrungene Gestalt mit drei Sternen auf der Schulter und der Waagschale auf den Kragenspiegeln - ein Mann, dem keiner der Anwesenden gegenüberstehen wollte, wenn der seine Pflichten ausübte. Generalleutnant Sir Rachman Taliban Khan, der höchste Richter der Militärgerichtsbarkeit. Der General scheite sich nicht um die Blicke der Offiziere, die sich sofort erhoben hatten und Front machten, als er die Messe betrat, sondern begrüßte den Colonel und seine Begleitung mit Handschlag. Dann wandte er sich zu den Offizieren um. Hinter ihm erschienen vier Mannschaften der Militärpolizei. 168
Sein lautes »Weitermachen, meine Herren« ließ zwar alle wieder Platz nehmen, doch jeder Offizier wußte, daß er nun Zeuge eines bedeutsamen Ereignisses sein würde. Aus welchen Gründen tauchte der Anglo-Afghane hier auf? Und weshalb hatte er die geheiligten Traditionen außer Kraft gesetzt und untere Ränge in die Messe eingeladen? General Taliban Khan überreichte der Obristin des Raumkorps ein amtliches Dokument, bevor er mit ihr und ihrer Begleitung auf den Tisch der Generäle zuging. Doch er setzte sich nicht zu ihnen, sondern blieb stehen, winkte die Obristin näher heran und sagte: »Ich denke, Colonel, wenn Sie das Urteil verlesen, wäre das ganz im Sinne der alten Dritten!« Die Frau antwortete nicht, sondern entfaltete das offizielle Dokument und begann es laut vorzulesen. Dir Gesicht war wie in Stein gemeißelt. Ihre Stimme klang scharf wie das Schwert der Vergeltung. »Der auf Antrag des Kommandierenden Generals, Terra Command, am 18. August 2057 zusammengetretene II. Senat des obersten Militärgerichts, zuständig für Hochverrat, hat nach Vorlage aller Beweise in geheimer Verhandlung folgenden Beschluß befaßt: Brigadegeneral Michael Harris ist in Abwesenheit der Weitergabe militärischer Geheimnisse und der Beihilfe zum Mord an Militärangehörigen für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden. Das Urteil ist am 28. August 2057 kurz nach der Morgendämmerung auf dem Rastplatz unterhalb von Taudeni durch ein Peleton des 1. Raumlanderegiments, ausgenommen der 3. Kompanie, zu vollstrecken. Die von der Verteidigung pflichtgemäß eingereichte Revision, den Schuldspruch in eine lebenslange Haftstrafe umzuwandeln, wurde vom zuständigen Kommandierenden General abgelehnt. Damit ist das Urteil vom 18. August 2057 rechtskräftig. Gezeichnet: Sir Rachman Taliban Khan, Generalleutnant und Präsident des obersten Militärgerichts.« Die Obristin räusperte sich kurz, ehe sie fortfuhr: »Dem pflichtgemäß eingereichten Gnadengesuch wurde vom Stellvertreter des 169
Commanders der Planeten stattgegeben. Brigadegeneral Michael Harris wird all seiner Ränge und Privilegien für verlustig erklärt und unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Michael Harris ist in militärischen Gewahrsam zu nehmen und nach Alamo Gordo zu überstellen, wo ihm wegen Hochverrat, Verschwörung zum Sturz der Regierung und Beihilfe zum Mord der Prozeß gemacht werden wird. Gezeichnet: John Martell, Generalleutnant, KG, Terra Command.« Colonel Harriet Stowes hob den Kopf und sah den kreidebleichen General ausdruckslos an. »Nehmen Sie diesen Mann fest«, befahl sie den Militärpolizisten mit Abscheu in der Stimme. »Ob er nun hingerichtet wird oder nicht, macht die Toten auch nicht wieder lebendig!« Sie drehte sich zu dem Richter um. »Wenn ich gewußt hätte, weshalb Sie mich herbefohlen haben, wäre ich nicht gekommen«, sagte sie anklagend. »Ich weiß, Colonel Stowes«, antwortete der General um Verständnis bittend. »Aber diese Urteilsverkündung setzt der 3. ein Denkmal!« »Ein schwacher Trost! Ich denke, sie alle hätten liebend gern darauf verzichtet, Sir!« Colonel Harriet Stowes drehte sich um und verließ ohne Gruß die Messe. *
20. August 2057 Montag Tag X minus zwei 08.30 Uhr Ortszeit Tokio, Telstar Corporation Araschi Tifune hatte es eilig. Zum ersten Mal würde er zu spät zum Unterricht erscheinen. Und die Lehrer würden seine Ent170
schuldigung, er habe bis Mitternacht gelernt und deshalb verschlafen, nicht akzeptieren. Ein Schüler der Abschlußklasse der YamatoGrundschule kam einfach nicht zu spät. Deshalb hatte er auch heute keine Zeit, sich wie jeden Montag das neue Captain Nador-Manga zu kaufen. Jetzt mußte er bis zum Nachmittag warten, bevor er die spannenden Abenteuer seines Lieblingshelden in den Händen halten konnte. Der Zeitungsstand, wo Araschi den Comic immer erwarb, befand sich direkt neben dem Gebäude der Telstar Corporation. Der Name hatte seine Phantasie geweckt. Telstar klang so geheimnisvoll nach Weltraum und Abenteuer. Doch als er das Titelbild sah, auf dem Captain Nador eine halbnackte Frau aus den Tentakeln eines Krakenmonsters rettete, kam Araschi ein verwegener Gedanke: Wenn er schon zu spät in der Schule eintraf, dann spielten einige Minuten mehr oder weniger auch keine Rolle mehr. Etwas schuldbewußt stellte sich Araschi am Ende der kleinen Schlange an. Gerade als er an der Reihe war, passierte das, wovon der Junge immer geträumt hatte. Er wurde Zeuge, wie Actionszenen zu einer Abenteuerserie abgedreht wurden, denn anders konnte er sich die Vorgänge nicht erklären. Zwei Mannschaftstransporter der Streitkräfte hielten vor dem Bürogebäude. Soldaten in voller Kampfmontur und mit heruntergeklappten Helmvisieren sprangen ab. Während einige die Bürgersteige sperrten, stürmten die anderen das Haus. Doch es sah gar nicht so dramatisch aus wie in den Serien. Sie rannten einfach nur hinein. Deshalb würde diese Szene bestimmt noch einmal wiederholt werden. Aber die Soldaten kamen nicht zurück, sondern rannten wohl einfach weiter die Treppen hoch. Auch die Geräusche, die jetzt an sein Ohr drangen, klangen ganz anders, als er sie von den Unterhaltungskanälen her kannte. Waren das wirklich Filmaufnahmen? 171
Araschi sah sich nach den Kameras oder dem Regisseur um, doch er entdeckte keine Spur irgendeines Aufnahmeteams. Erst als die Soldaten mit Handschellen gefesselte Frauen und Männer aus dem Haus brachten und auf die Transporter verluden, wurde Araschi bewußt, daß er gerade Zeuge einer Verhaftung geworden war. Doch warum das Militär und nicht die Polizei diese Aktion durchgeführt hatte, erfuhr er nie. Auch der Ort, an den man Personal und Unterlagen schaffte, blieb ein Geheimnis, das nicht einmal die stets neugierige Presse zu lüften vermochte. Wochen später hatten praktisch alle Zeugen diese Vorgänge vergessen, nur Araschi nicht. Denn jener Morgen war und blieb das beeindruckendste Erlebnis seiner Kindheit. *
Wer Tor Drang war sehr zufrieden, als er die Vollzugsmeldung aus Tokio erhielt. Bei dem Einsatz hatte es auf beiden Seiten keine Toten und Verletzten gegeben. Der Zugriff war so überraschend erfolgt, daß es außer einigen Handgreiflichkeiten zu keiner Gegenwehr gekommen war. Dabei hatte der Tel-General das Gegenteil befürchtet. Die Hinhaltetaktik nach der Liquidierung von Telstar Enterprises hatte anscheinend funktioniert. Warum denn auch nicht? Schließlich war er der Ranghöchste Tel auf der Erde und damit auch de jure Vorgesetzter des Tel-Geheimdienstnetzes. Wenn alles so ablief wie geplant, dann existierte mit Ablauf des heutigen Tages der Tel-Geheimdienst auf Terra nicht mehr. Und es war unwahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit eine neue Untergrundorganisation aufgebaut werden konnte. Hoffentlich gibt es bei den anderen Festnahmen in aller Welt keine Verletzten oder Tote, denn dieser Wahnsinn hat schon zu viele Leben gefordert, dachte er und richtete sich auf eine lange Wartezeit ein. 172
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20. August 2057 Montag Tag X minus zwei 18.45 Uhr Ortszeit GSO-Leitzentrale Afrika Timbuktu, Büro Dienststellenleiter Das vergangene Wochenende gehörte wahrlich nicht zu den angenehmsten im Leben Charles Baxter des Dritten. Die Tage hatte er, abgesehen von wenigen Unterbrechungen, in seinem Büro verbracht, die Nächte auf einer unbequemen Liege. Begonnen hatte die Misere bereits am Freitagabend mit dem Ausrücken des Militärs ins Ahaggar-Massiv, weil dieser Attentäter anscheinend gar nicht erst versucht hatte, Massu zu töten. Der Samstagmorgen war noch schlimmer. Der Überfall auf den Stadtpalast erwies sich als totales Fiasko. Alle Angreifer wurden getötet und die Transporter, die sie abholen sollten, in die Flucht geschlagen. Mohammed war kein einziges Haar gekrümmt worden. Zusätzlich bot die Aktion diesem Bastard und seiner Frau auch noch die Chance, sich bei dem dummen Volk einzuschleimen. Das bewies wieder mal, wie ungerecht diese Welt doch war! Allein der Kompaniechef der Sicherheitstruppen hatte seine Erwartungen voll erfüllt. Er besaß wenigstens noch Anstand genug, sich zu erschießen. Daß die Flotte alle Satelliten zerstörte sowie sämtliche bemannten Stationen enterte, machte den Kohl auch nicht mehr fetter, ebensowenig wie die Zerstörung des Stützpunktes seiner Verbündeten in der Wüste. Doch daß man seinen guten Freund Mike aus der Armee ausgestoßen hatte und nun wegen Verschwörung anklagen wollte, traf ihn tief. Vor allen Dingen, weil Harris viel zu viel über ihn wußte. Baxters Versuche, Fred Darnelle zu erreichen, hatten jedesmal in 173
der Warteschleife geendet. Nach fünf Minuten Hymne hatte er es aufgegeben. Vom Zweiten Stellvertretenden Direktor der GSO war also auch keine Hilfe mehr zu erwarten. Deshalb hatte Baxter den ganzen Tag über auf seine Verhaftung gewartet. Jeder Anruf ließ ihn zusammenzucken, so blank lagen seine Nerven. Er hatte Pia befohlen, alle Anrufe mit den üblichen Entschuldigungen abzuwimmeln. Doch über den Nachmittag zeichnete sich ein Hoffnungsstrahl am Horizont ab, denn es war nichts geschehen, absolut nichts. Keine örtliche Polizei, kein Befehl aus der Zentrale oder gar eine Militärstreife. Wenn sie ihn bis jetzt noch nicht verhaftet hatten, dann nur, weil sie keinen Verdacht gegen ihn hegten oder die Beweise nicht reichten. Mike schwieg also noch! Aber wenn er sang, was dann? Vielleicht komme ich sogar ungeschoren davon, wenn ich mich als Kronzeuge anbiete, überlegte Baxter kurz. Doch diesen Ausweg wollte er sich bis zum Schluß offenhalten. Er war etwas länger im Büro geblieben und würde jetzt endlich Feierabend machen, mit seiner Frau ausgehen und morgen früh sah dann die Welt schon ganz anders aus. Fröhlich pfeifend begann Charles Baxter III., seinen Schreibtisch aufzuräumen. Er war gerade dabei, das vorgeschriebene Schnellziehhalfter - er trug sonst nie im Innendienst seine Waffe - abzulegen, als sich die Tür zu seinem Büro öffnete und seine Vorzimmerdame den Kopf hereinsteckte. »Ja, Pia, was gibt's?«, fragte Charles in jetzt bester Laune. »Baron von Löwenstern möchte Sie in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, Sir«, antwortete sie mit ehrfurchtsvoller Stimme. »Die Sicherheit hat ihn ohne Anmeldung durchgelassen«, fügte sie erklärend hinzu. B axters Augen weiteten sich kurz vor Überraschung. Was mochte der Hohe Kommissar des Weltparlaments von ihm wollen? Er kümmerte sich doch hauptsächlich um Menschenrechtsverletzungen durch das Militär? 174
Nein, der Baron kam bestimmt nicht, um ihn zu verhaften! »Bitten Sie den Baron herein, Pia, und dann bringen Sie uns etwas zu trinken. Ich habe selten so hohen Besuch«, sagte er und lächelte dabei die Frau an, die er innerhalb der nächsten Tage entlassen wollte. Baxter zog rasch sein Jackett wieder an. Baron Max von Löwenstern betrat das großzügige Büro. Lächelnd kam Baxter dem schlanken Mann mit den aristokratischen Zügen entgegen und reichte ihm die Hand. »Welche Ehre, Sie hier in meinen Räumen zu sehen«, begrüßte er den Besucher mit überschwenglicher Stimme. »Ich dachte, Sie wären immer noch mit diesem gräßlichen Fund beschäftigt?« »Ja, leider bin ich das auch, Mr. Baxter.« Der Hohe Kommissar reichte ihm die Hand und sah ihn nachdenklich an. »Aber ich hoffe, bald einen Schlußstrich unter die Affäre ziehen zu können.« Charles Baxter sah von Löwenstern an. Irgendwie hatten Stimme und Worte hintergründig geklungen. Doch der Baron lächelte höflich. Da habe ich wohl zuviel hineininterpretiert, dachte der GSO-Mann. Die beiden ließen sich in den bequemen Sesseln der Besucherecke nieder und plauderten ganz allgemein über die Ereignisse der letzten Tage, ohne ein wirklich heikles Thema anzureißen. Das Gespräch wurde nur einmal kurz unterbrochen, als Pia Tee und Gebäck brachte. Doch nach einer Viertelstunde begann sich Baxter zu fragen, was von Löwenstern eigentlich mit seinem Besuch bezweckte, denn das war bisher mit keinem Wort erwähnt worden. Schließlich hielt es der Verräter nicht mehr aus. »Was führt Sie in die GSO-Leitzentrale Afrika, Hoher Kommissar?« fragte er im normalen Plauderton, als er sein Teeglas absetzte. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« Die Augenbrauen seines Gegenübers hoben sich leicht. Dann schaute er kurz auf seine Uhr, bevor er zur Antwort ansetzte. 175
»Ich denke, irgendwie schon, Mr. Baxter, aber eigentlich habe ich Sie aufgesucht, weil ich einen Übergriff von Seiten des Militärs befürchte!« Charles Baxter war vor Überraschung wie gelähmt. Das klang verdammt nach einem Hilfeersuchen an die örtliche GSO. Das war seine Chance. Sie durfte ihm nicht durch die Finger gleiten. »Haben Sie Beweise dafür?« Der Hohe Kommissar nickte. »Leider ja, Mr. Baxter! Und sie erhärten den Verdacht, daß es zu Übergriffen kommen könnte!« Im Vorzimmer erklang Pias empörte Stimme, die jedoch sofort verstummte. Baxter blickte irritiert zur Tür, überlegte kurz, ob er Pia fragen solle, wer da zu stören wagte, unterließ es aber. Dieses Gespräch war zu wichtig, um es wegen Nichtigkeiten zu unterbrechen. »Von welcher Einheit befürchten Sie denn die Übergriffe, Baron von Löwenstern?« hakte Charles nach. »Eigentlich ist es keine Einheit, sondern nur ein Mann!« »Nur ein Mann?« fragte Charles verwundert. »Und vor einem Soldaten haben Sie Angst?« »Nicht vor ihm, Mr. Baxter, sondern um ihn. Ein kleiner, aber feiner Unterschied«, antwortete ihm der Aristokrat. »Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit meinen«, entfuhr es dem GSO-Mann fast gegen seinen Willen. »Das dachte ich mir schon!« Die Stimme seines Gegenübers besaß nun einen amüsierten Klang, der ihn alarmierte. Aber bevor Baxter irgendwie reagieren konnte, beugte sich sein Besucher vor, ohne den Redefluß zu unterbrechen und tippte auf den Knopf, der die Sekretärin hereinrief. »Um es so auszudrücken, damit es auch ein schlichtes Gemüt versteht. Ich habe Angst davor, daß ein guter Soldat sich seine Karriere verbaut, weil er sich vielleicht vergessen könnte! Das allein ist der Grund, daß ich mich überhaupt mit Ihnen befasse!« Charles glaubte, sich verhört zu haben. »Ich begreife immer noch nicht was Sie meinen, Baron!?« 176
»Das ist ja eben das Problem! Sie haben es nie begriffen und werden es auch nie begreifen«, antwortete sein Gesprächspartner verächtlich, und wandte den Kopf zu der sich öffnenden Tür. »Er steht Ihnen jetzt zur Verfügung. Ich hoffe, daß es zu keinem Übergriff kommt.« Purer Fluchtinstinkt gewann Oberhand in Charles Baxter III., als im Türrahmen ein Mann erschien, der große Ähnlichkeit mit einem Preisboxer besaß. Baxter wollte aufspringen, aber der tiefe, sonst so bequeme Sessel machte seine Anstrengung zunichte. Nackte Verzweiflung ließ seine Hand zur Waffe zucken, doch auf halben Wege hielt sie inne... *
Chief-Mastersergeant Erwin Kulawski sah das blanke Entsetzen in Baxters Augen, als er mit schußbereitem Blaster das Büro betrat, ebenso die Hand, die zur Waffe zuckte. »Los, ziehen Sie schon, Mann!« knurrte er. »Damit erweisen Sie mir einen großen Dienst!« *
Bis zu diesem ansonsten gut abgeschirmten Büro vorzudringen, war für Erwin Kulawski und die 5. Kompanie der 1. Raumlande überhaupt kein Problem gewesen. Die GSO hatte ihnen sogar dabei geholfen. Natürlich nicht freiwillig, aber sehr bereitwillig. Die Leitzentrale bestand zum größten Teil aus Verwaltungspersonal, durch und durch bürokratisiert. Pünktlich die Arbeit beginnen und natürlich auch pünktlich aufhören. Schlag 18 Uhr waren die Massen aus dem Gebäude geströmt, einer Flutwelle gleich, die alles hinwegfegte, was sich ihnen entgegenstellte. Zurück blieb nur die Bereitschaft und einige wenige, die aus welchen Gründen auch immer Überstunden machten. 177
Kulawski lag mit seiner Vermutung richtig, daß Baxter unter ihnen war. Der Rest war ein Klacks. Über hundert vollausgerüstete Elitesoldaten verfehlen selten ihre Wirkung, wenn der Gegner in der Unterzahl und nur leicht bewaffnet ist. Doch das überzeugendste Argument war der Kraut. Seine Anwesenheit und sein untadeliger Ruf überzeugte den zu aussichtslosem Widerstand entschlossenen Führer der kleinen Wachmannschaft davon, daß diese Aktion im Übereinklang mit den Gesetzen stand. Auch die Vorzimmerdame hatte ihren Widerstand schnell aufgegeben, als der Baron ihr den von Trawisheim unterschriebenen Haftbefehl zeigte. Anfangs hatte sich Kulawski über den Kraut geärgert, der unbedingt bei der Verhaftung dieses Mistkerls dabeisein wollte. Doch jetzt war er ihm irgendwie dankbar. Denn der Chief hätte Baxter beim ersten Anzeichen von Widerstand abgeknallt wie einen tollwütigen Hund. Nein, dieses Individuum hatte den Tod nicht verdient. Baxter sollte leben, damit jeder Tag im Straflager ihn an seine Verbrechen erinnerte. *
»Sie dürfen jetzt zur Waffe greifen, Baxter, aber sehr vorsichtig. Eine falsche Bewegung, und ich schieße. Doch hoffen Sie nicht, daß ich ihnen einen schnellen Tod gewähre.« Kulawskis gleichmütige Stimme ließ Schweißtropfen auf B axters Stirn erscheinen. »Nein, falls ich schießen muß, sterben Sie langsam, unendlich langsam.« Baxter beugte sich vor und holte ganz langsam mit zwei Fingern seine Dienstwaffe aus dem Holster. Als er sie auf den Tisch legte, war er noch vorsichtiger. Seine Angst war fast körperlich spürbar. Kulawski hätte sich 178
nicht gewundert, wenn sich Baxter vor Furcht in die Hose gemacht hätte. »Charles Baxter, Sie sind wegen Verschwörung gegen die Regierung, Amtsmißbrauch, Anstiftung und Beihilfe zum Mord an Angehörigen des militärischen Dienstes vorläufig festgenommen. Alles, was Sie von jetzt an von sich geben, kann gegen Sie verwendet werden. Bis zur Klärung der Frage, welches Gericht für Sie zuständig ist, verbleiben Sie in militärischem Gewahrsam! Falls Sie Widerstand leisten sollten, wird von der Waffe Gebrauch macht«, sagte Kulawski mit tiefer Genugtuung. In Baxters Augen blitzte es auf. Aha, dem Knaben war wohl gerade ein kluger Einfall gekommen! *
Baxter wußte, daß er nur noch eine Chance hatte, nicht nur am Leben zu bleiben, sondern vielleicht auch einer lebenslangen Haftstrafe zu entgehen: »Ich stelle mich als Kronzeuge zur Verfügung und lege ein volles Geständnis ab!« *
Es war nicht nur die Aufforderung dieses Soldaten, an ihrem Platz zu bleiben, die Pia warten ließ, sondern auch die Ahnung, daß ihr Wissen dringend benötigt wurde. Jetzt ergab das merkwürdige Verhalten ihres Chefs in den letzten Monaten plötzlich einen Sinn. Aber der gefiel Pia ganz und gar nicht. Daher war sie auch sofort zur Stelle, als das Signal aufleuchtete. Als Pia den Raum betrat, saß ihr Chef wie ein Häufchen Elend in einem der Sessel. »Wenn Sie so nett wären und eine Konferenzschaltung mit Henner Trawisheim, General Martell, dem Generalstaatsanwalt und Bert Stranger in die Wege leiten könnten? Hier sind die Nummern, unter denen sie zu erreichen sind«, sagte der Hohe Kommissar und 179
reichte ihr einen Zettel. »Und dann halten Sie sich bitte bereit, Mr. B axters Geständnis zu Protokoll zu nehmen!« Pia empfand mit einem Male ein ungeheures Glücksgefühl, obwohl sie doch bis vor kurzem ihrem Chef gegenüber immer loyal gewesen war. *
21. August 2057 Dienstag Tag X minus eins 08.25 Ortszeit Cent Field, GSO Hauptquartier, Büro des Zweiten Stellvertretenden Direktors Fred Darnelle lachte schallend auf. Daß dieses Gelächter nahe an den Wahnsinn grenzte, merkte er nicht. Hier saß er, der Zweite Stellvertretende Direktor der GSO, die Person, die über das gewaltige Heer der GSO-Mitarbeiter und sämtlicher Machtmittel der Galaktischen Sicherheitsorganisation gebot, und niemand gehorchte ihm mehr. Nicht ein einziger. Daß die Dinge absolut aus dem Ruder gelaufen waren, hatte man ihm knapp zwanzig Minuten nach seinem Eintreffen im GSOHauptgebäude mehr als deutlich gemacht. *
Fred Darnelle traf wie üblich fünfzehn Minuten vor Dienstbeginn in seinem Büro ein. Man mußte schließlich seinen Mitarbeitern ein Vorbild in Diensteifer und Pflichtgefühl geben, auch wenn man die Nacht über vor Sorgen kaum Schlaf gefunden hatte. Doch das war das Los aller wahren Führer. Sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man einer undankbaren Welt Glück und 180
Zufriedenheit schenken konnte. Und undankbar waren sie alle. Vor allen Dingen jene, die sich in seinem Glänze sonnen wollten. Die ganzen Speichellecker von Parlamentariern, Generälen und Admirälen, die sich so bereitwillig in seine Dienste gestellt hatten. Aber jetzt, bei den ersten unbedeutenden Rückschlägen, wo waren sie da? Wieder in ihren Löchern, aus denen sie hervorgekrochen waren, um endlich einmal wirklich im Rampenlicht zu stehen, anstatt immer nur vor anderen kuschen zu müssen. Aber diese Chance hatten sie sich nun endgültig verdorben. Denn heute Schlag 12 Uhr würde er seinen letzten Trumpf ausspielen, die Karte, die alles wieder ins Lot brachte. Trawisheim, Martell und das gesamte Parlament würden zu Kreuze kriechen und ihn anflehen, ihm aus der Hand fressen zu dürfen. In vier Stunden war er der Herr der Erde. Selbst Ren Dhark und Bernd Eylers würden sich seinem Willen beugen müssen, falls sich diese in seinen Augen unreifen Knaben überhaupt noch nach Hause trauten. Und seine erste Amtshandlung würde die Verhaftung all derjenigen sein, die es gewagt hatten, ihm zu trotzen. Vor allen Dingen dieser Sturkopf von Martell, ganz zu schweigen von Sidi Mohammed in Timbuktu. Ach ja, nicht zu vergessen diese Kakerlake von Reporter. Seit Tagen verbreitete der in den Medien nichts als Lügen über ihn. In Gedanken malte sich Fred Darnelle schon aus, wie sie vor Gericht um Gnade flehen, um ihr jämmerliches Leben winseln würden. Aber das hatten sie verwirkt. Niemand stellte sich dem Retter der Menschheit ungestraft in den Weg. Mitten in seine Überlegungen, ob er sie vor die Wand stellen oder an den Galgen bringen lassen sollte, leuchtete auf der Konsole seines Tischviphos ein Licht in einem bestimmten Muster auf. Es dauerte etwas, bis Fred Darnelle das Licht bemerkte, doch 181
dann blitzten seine Augen vor Freude auf. Diesen Anruf hatte er lange erwartet. Endlich meldete sich der Tel-General, um ihm die Zündprozedur der Variobombe zu erläutern. Endlich, denn es wurde auch höchste Zeit. Wenn die Wissenschaftler im Keller erst erführen, um was es sich bei diesem merkwürdigen Gerät tatsächlich handelte, würden sie ihre Arbeiten daran vermutlich einstellen. Er hatte die Bombe von Vertrauten nach unten in den Keller bringen lassen, in dem seine Abhörspezialisten untergebracht waren. Natürlich erst, nach dem man deren Leichen entfernt hatte. Hier war sie absolut sicher untergebracht. Dafür sorgten schon die schwerbewaffneten Wachen des Gebäudes. Voller Freude nahm er den Anruf entgegen. Aber sein Triumph wich schlagartig purer Überraschung und verwandelte sein längliches Gesicht in eine haßverzerrte Grimasse. Denn statt einem Tel sah er sich einem unschuldigem Blick aus großen, blauen Babyaugen gegenüber. Das kann doch nicht wahr sein! dachte Darnelle. Er spürte Panik aufkeimen. Woher hatte der Bastard nur diese Geheimnummer? *
»Das ist aber mal eine Überraschung, nicht wahr, Mr. Darnelle?« grinste Bert Stranger und genoß den Anblick des verwirrten Mannes im fernen Alamo Gordo. Dieser Verräter hatte es nicht anders verdient. »Man war so gütig, mir diese Nummer kurzfristig zur Verfügung zu stellen. Ich möchte die günstige Gelegenheit nutzen und Sie fragen, ob Sie mir und Terra-Press für ein Exklusivinterview zur Verfügung stünden? Die Weltöffentlichkeit ist nämlich brennend daran interessiert, welcher Art Ihre Verbindung zu dem Vorauskommando Terra der Tel-Streitkräfte war, Mr. Darnelle. Stimmt die Behauptung von Wer Tor Drang, daß Sie die Tel dazu angestiftet haben, die Zivilisten in Taudeni und die Soldaten der 3. 182
Kompanie zu massakrieren und die Schuld dem Militär in die Schuhe zu schieben?« Berts unschuldiger Blick war einem unverschämten Grinsen gewichen, als er Darnelle immer blasser werden sah, bis der die Farbe eines Kalkeimers angenommen hatte. Dieser Mann stand kurz davor, die Kontrolle über sich zu verlieren. »Das ist eine unverschämte Lüge! Die Mörder waren Robonen. Die Tel sollten nur die Leichen der Solda...« Als die Verbindung mitten im Wort unterbrochen wurde, wandte sich Bert im unterirdischen Lagezentrum zu den anderen um. »Na, Freunde, war das nicht ein wunderschönes Geständnis von Mr. Geheimdienst persönlich? Mir hat es genügt. Und allen GSOLeuten im Hauptquartier wohl auch! Dank sei Mama Carlottas Kanalratten!« Das fanden die Anwesenden auch, nur bei Larr Drawl und Tor Drang regten sich Zweifel. »Wir kennen immer noch nicht das Versteck der Bombe, Bert«, sagten die beiden fast gleichzeitig. »Oh, Dir Kleinmütigen«, lachte der Reporter. »Vertraut auf Bert Stranger, denn der weiß immer, was er tut!« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wenigstens in den meisten Fällen!« *
»Nun packt mal schön alle Geräte ein, Jungs«, befahl Chief Bob Marshall halblaut. »Für heute ist Feierabend.« Dann grinste er breit. »Und ihr, Mädels, geht nach Hause und nehmt ein langes, langes Bad! Das ist ein Befehl, denn ihr stinkt fürchterlich.« Die beiden Technikerinnen der Fernmeldetruppen von Terra Command fielen in das Gelächter ein. Sie stanken wirklich. Eine Woche in engen Kabelschächten herumzukriechen blieb nicht ohne Auswirkungen. »Abgemacht, Chief! Aber Duschen allein reicht nicht aus!« 183
»Schön, dann kauft euch auf meine Kosten Parfüm«, lachte Chief Marshall. »Ob ein Liter Chanel No. 5 wohl ausreicht, Josefine?« *
Fred Darnelle saß wie erstarrt vor seinem Schreibtisch. Wie konnte er sich nur so ins Bockshorn jagen lassen? Auf einen so billigen Trick hereinzufallen, war seiner wirklich nicht würdig. Dann gewann die Vernunft in ihm wieder Oberhand. Na und? dachte er. Was zählt schon ein Viphogespräch? Wem würde ein Gericht mehr glauben? Einem miesen Reporter oder dem Zweiten Stellvertretendem Direktor der GSO? Außerdem würde es kein Verfahren gegen ihn geben! Schließlich war er bald der Herr der Welt! Darnelle beschloß, die Dinge nun zu beschleunigen. Er würde das Ultimatum vorziehen müssen. Schließlich brauchte man solchen Weicheiern nur mit der totalen Vernichtung zu drohen, dann würden sie schon nachgeben. Er stellte die Verbindung zu seiner Bürochefin her. Doch es verging etwas mehr Zeit als gewohnt, bevor ihr Gesicht auf dem Bildschirm erschien. Darnelle starrte sie verwundert an, denn sie schien offenbar dabei zu sein, das Büro zu verlassen. Aber noch mehr überraschten ihn ihre Augen. Sie waren voll abgrundtiefer Enttäuschung und Verachtung. »Was ist?« fertigte sie ihn ab. »Ich mache jetzt Feierabend!« Diesen Ton durfte er sich von einer Angestellten einfach nicht bieten lassen. »Was bilden Sie sich eigentlich ein, Mrs. Heston?« fuhr er seine Bürochefin an. »Noch bestimme ich als Ihr Vorgesetzter, wann Feierabend ist. Sie stellen mir sofort eine Verbindung mit Trawisheim her. Ich werde auf der Stelle mit ihm reden, oder Sie werden fristlos entlassen!« 184
Doch statt vor Angst über diese Drohung in Tränen auszubrechen und zu gehorchen, lachte die Frau noch hämisch. »Sie können weder mich noch jemand anderen entlassen, Mr. Darnelle«, sagte sie mit tonloser Stimme. »Und was das Gespräch mit dem Stellvertreter angeht: Mr. Trawisheim und General Martell sind bereits auf dem Weg nach hier. Ich bedaure aus tiefsten Herzen, daß ich jemals die gleiche Luft atmen mußte, die ein Mensch wie Sie in der Lunge hatte!« Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Wie von der Tarantel gestochen schoß Fred Darnelle von seinem Sessel hoch und raste aus dem Büro. Sein Vorzimmer war menschenleer, selbst sein menschlicher Anrufbeantworter, dieses blonde Dummchen, war nicht an seinem Platz. Was war nur in die Leute gefahren? Herrschte plötzlich offener Aufruhr? Er mußte herausfinden, was hier vor sich ging. Darnelle raste zurück an seinen Schreibtisch und begann, alle Abteilungen im Hause anzuwählen. Doch kaum ein Teilnehmer meldete sich. Und wenn er doch bei einigen durchkam, wurde die Verbindung sofort unterbrochen, bevor der Zweite Stellvertretende Direktor auch nur ein Wort sagen konnte - oder er bekam Ausdrücke zu hören, die mehr als beleidigend waren. Er brauchte eine Weile, bis er sich von dieser offensichtlichen Mißachtung seiner Person und seiner drei Ämter erholt hatte. Dann drückte er den Knopf, der ihn mit der Sicherheitsabteilung im Erdgeschoß verband. Der Wachhabende war ein Colonel der uniformierten GSOTruppe. »Gut, daß Sie noch in Ihrem Büro sind, Mr. Darnelle! Bleiben Sie unbedingt an Ort und Stelle, Sir. Ich schicke meine Männer zu Ihnen hoch, denn ansonsten kann ich nach dieser Sendung auf dem allgemeinen Kommunikationsband nicht mehr für Ihre persönliche Sicherheit garantieren!« 185
»Wie meinen Sie das, Colonel?« entfuhr es Darnelle. »Was für eine Sendung?« »Nun ja, Sir«, sagte der Mann sichtlich verlegen. »Jemand muß sich einen schlechten Scherz erlaubt haben und ein Interview von Ihnen eingespeist, das ohne Zweifel gefälscht war. Sie sollen mit Tel und Robonen paktiert haben! Unfaßbar, aber einige Leute glauben diesen Unsinn!« Eine Welle der Furcht schoß ihn Darnelle hoch. Diese Kakerlake hatte Verbündete hier im Haus. Dann drangen Worte an sein Ohr, die ihn in Panik versetzten. »... Außerdem haben meine Männer im neunten Kellergeschoß ein merkwürdiges Gerät gefunden. Es erschien mir wie eine Bombe, deshalb lasse ich das Ding wegschaffen, so bald hier alles geräumt ist!« Plötzlich begriff Fred Darnelle. Bei der Suche nach den Leuten, die das Gespräch mit Stranger ins Kommunikationsnetz eingespeist hatten, war die Sicherheitsabteilung auf seine Bombe gestoßen! »Wie sah das Ding denn aus, Colonel?« fragte Darnelle aufgeregt. »Zwei komische Kugeln, die durch ein kurzes Rohr miteinander verbunden waren, Sir« antwortete der Oberst. »Wollen Sie es sich einmal ansehen?« »Nein«, erwiderte Darnelle mit dem letzten Rest seiner Beherrschung und unterbrach die Verbindung. Er wußte, was der Oberst im Schild führte. Er wollte ihn hier oben im Büro festhalten, um ihn leichter verhaften zu können. Er mußte zu der Bombe, dann war er ihn Sicherheit und würde wieder die Bedingungen diktieren. Ja, das würde er. Fred Darnelle holte seine Dienstwaffe aus dem Schrank und machte sich auf den Weg zum Versteck seiner Bombe. Sie durfte nicht weggeschafft werden. Sie durfte nicht weggeschafft werden. 186
Sie durfte nicht... Bestimmt würden die Leute des Colonels am privaten A-Gravschacht der Führungsebene auf ihn warten, um ihn zu verhaften. Aber mit so einem plumpen Trick ließ sich ein Fred Darnelle nicht hereinlegen. Er benutzte einen der für das Personal freigegebenen A-Gravschächte in die Untergeschosse. Hier fiel er nicht auf. Und auf dem Weg ins neunte Untergeschoß begann etwas in Fred Darnelle zu zerbrechen, ohne daß er es bemerkte. Seine innere Anspannung wuchs von Sekunde zu Sekunde, mit der er sich dem untersten Stockwerk näherte. Endlich war der Boden erreicht. Die Korridore waren alle erleuchtet. Also waren Männer der GSO hier unten bei der Bombe. Es war seine Bombe, sie mußten ihre Finger davon lassen, sonst würde er nie zum Herrn der Welt. Der Riß in Fred Darnelles Verstand klaffte etwas weiter auf. Er begann zu rennen. Dann stand er vor der verschlossenen Tür. Mit zitternden Händen tippte er den Code ein. Die dicke Tür schwang langsam nach innen. Dort stand sie, seine Bombe... ... und niemand hatte sie ihm weggenommen! Fred Darnelle lief auf seine Bombe zu, begann sie zu streicheln. *
»Besten Dank, Mr. Darnelle, daß Sie uns zum Versteck der Bombe geführt haben,« riß ihn eine zufriedene Stimme aus seinen Träumen. »Ich habe Stranger einfach nicht glauben wollen, daß ein Mensch so dumm sein könnte!« Fred Darnelle fuhr herum und sah im Türrahmen eine hochgewachsene Gestalt stehen. Generalleutnant John Martell. Der Mann, der ihn gedemütigt 187
hatte. Fred Darnelle wollte flüchten, doch es gab kein Entrinnen. Nur sein Verstand fand den einzigen Ausweg, den es gab. Er zerbrach. Fred Darnelle hörte auf zu existieren. Zurück blieb nur eine menschliche Hülle, die sich verzweifelt an die gefährlichste Waffe des Universums klammerte und wie ein kleiner Junge zeterte, dem die Erwachsenen das Lieblingsspielzeug wegnehmen wollten. »Geht weg! Das ist meine Bombe!« *
John Martell wandte sich ab. Fred Darnelle hatte sich der irdischen Gerechtigkeit entzogen, anstatt sich ihr zu stellen. Er hatte sich aus der Verantwortung gestohlen. *
22. August 2057 Mittwoch Tag X Frühmorgens, kurz nach der Dämmerung Taudeni, Parkplatz der Wasserverteilerstation Die Strahlen der Morgensonne tauchten die Landschaft in ein goldenes Licht, tasteten sich den sanften Hang empor, verweilten einen Augenblick auf den Gebäuden der Wasserverteilerstation Taudeni und wanderten weiter, bis sie den großen Ozean im Westen erreichen würden. Doch die sechs Personen unweit des Rastplatzes hatten in diesem Moment keinen Blick für die einmalige Schönheit des Sonnenaufgangs, der den neuen Tag verkündete. Ihre Gedanken galten der Vergangenheit. Hier hatte es begon188
nen, hier sollte es enden. An diesem Ort und zu dieser Tageszeit hatten die Frau und die fünf Männer hier alles verloren, was ihnen das Leben lebenswert machte. Colonel Harriet Stowes sah von dem Abhang auf den Rastplatz hinab, wo man ihren Lebensgefährten und seine Kompanie ermordet hatte. Die Männer - Habib, Jussuf, Said, Abdul und Omar, allesamt aus dem nahen Ort Izni hatten ihre Angehörigen bei einem Massaker im Keller eines der Häuser oben verloren. Harriet hörte die Männer hinter sich beten. Sie hatte nichts mehr, woran sie noch glauben konnte. Die Mörder waren tot und die Drahtzieher der Gerechtigkeit überantwortet. Nicht alle, wie sie wußte. Sie blickte zum Himmel. Irgendwo da oben waren die desertierten Tel-Soldaten Larr Drawl und Tor Drang unterwegs zu einer Welt, die vielleicht ihre neue Heimat werden könnte. In Timbuktu würde Sidi Mohammed in absehbarer Zukunft zum Oberhaupt der noch zu bildenden autonomen Region gewählt werden. Der Anfang vom Ende der geeinten Erde. Vielleicht nicht, solange der Cahia lebte. Aber was kam nach ihm? Die Tel und der Cahia waren am Tode Clarks nicht ganz unschuldig. Nur die hohe Politik bewahrte sie vor dem Gericht. Die Tel hatten nur ihre Pflicht getan, der Cahia aus edlen Motiven heraus gehandelt. Alles verständlich, sogar verzeihlich - aber das änderte keinen Deut daran, daß Clark tot war. Bisher hatten die Anspannungen der letzten Wochen diese Tatsache in den Hintergrund gedrängt. Doch jetzt herrschte wieder Normalität. Harriet fühlte, wie einer der Männer zu ihr kam. »Wer weiß schon, warum der Allerbarmer uns diese Prüfung 189
auferlegt hat?« sagte er leise und tröstend. »Das Leben geht weiter. Bismillah!« Ja, dachte Harriet. Das Leben geht weiter, so wie die Welt sich weiterdreht. Aber es ist ein anderes Leben, in einer ganz anderen Welt! ENDE
Ren Dhark - Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für die Buchausgabe des HJB Verlages wird der SF-Klassiker neu bearbeitet, ergänzt und fortgeschrieben, denn in den Tiefen des Alls ist das Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen... Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (352 Seiten), DM29,80 Band 4 „Todeszone T-XXX" ist z. Zt. nur noch als Sonderausgabe (anderes Cover!) zum Sonderpreis von DM 19,80 lieferbar Bd. l „Sternendschungel Galaxis" Bd. 9 „Das Nor-ex greift an!" Bd. 2 „Rätsel des Ringraumers" Bd. 10 „Gehetzte Cyborgs" Bd. 3 „Zielpunkt Terra" Bd. 11 „Wunder d. bl. Planeten" Bd. 4 „Todeszone T-XXX" Bd. 12 „Die Sternenbrücke" Bd. 5 „Die Hüter des Alls" Bd. 13 „Durchbruch n. Erron-3" Bd. 6 „Botschaft aus d. Gestern" Bd. 14 „Sterbende Sterne" Bd. 7 „Im Zentrum der Galaxis" Bd. 15 „Das Echo des Alls" Bd. 8 „Die Meister des Chaos" Bd. 16 „Straße zu den Sternen" Sonderbände (192 Seiten), DM 19,80 (1) „Die Legende der Nogk" (4) „Hexenkessel Erde" (2) „Gestrandet auf Bittan" (5) „Der Todesbefehl" (3) „Wächter der Mysterious" (6) „Countdown zur Apokalypse" In Vorbereitung: Ende März 2000 erscheinen Ren Dhark - Drakhon Zyklus Band l „Das Geheimnis der Mysterious" und ein neuer Sonderband (7) Weitere Bände erscheinen im Abstand von drei Monaten
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