LARRY LASH
Das alte Fort WESTERN
INDRA-VERLAG
CA S T R 0 P - R A U X E L 1
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LARRY LASH
Das alte Fort WESTERN
INDRA-VERLAG
CA S T R 0 P - R A U X E L 1
Alleinvertrieb VERLAGS-UNION GmbH & Co. KG. - 62 WIESBADEN
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Es gab keinen Zweifel mehr, der fremde Tramp roch stark nach Schafen. Dieser Geruch war etwas, was die vier Männer immer stärker erregte. Rod Drake - so hieß der heruntergekommene Mann, der zu Fuß vom alten Fort in die Rinderstadt getrampt war - wurde plötzlich hart an der Schulter herum gerissen, so daß er in das bleiche, zuckende Gesicht Joe Staffards hineinschaute. Im nächsten Augenblick sauste die Faust des kräftigen Burschen auf Rods Gesicht zu. Sie streifte jedoch nur die Wange und traf nicht voll. Schneller als die Faust kam, hatte Rod seinen Kopf aus der Schlagrichtung gebracht und sich mit einer jähen Drehung von dem haltenden linken Arm des Schmiedes losgerissen. In diesem Augenblick zeigte sich Rod Drakes Reaktionsschnelligkeit zum ersten Mal. Das weitere Geschehen ging in einem Wirbel unter. Alle vier Burschen griffen nun zur gleichen Zeit an. Den vier Männern schien es ein leichtes, dem Tramp die richtige Lektion zu geben. Der abgezehrte Fremde schien ihnen für wenige Minuten eine Menge Spaß zu garantieren. Er sollte Prügel bekommen und dann wie ein fortgejagter Hund von dannen ziehen.
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1. Sie hatten die Rechnung jedoch ohne Rod Drake gemacht. In dem Augenblick, als er herumgerissen wurde, wußte er Bescheid. Auch hier waren es Unvernunft, Haß und Niedertracht, die selbst erwachsene Männer zu Narren ihrer eigenen, nicht mehr kontrollierbaren Gefühle machen. Wieder einmal mußte Rod Drake erkennen, wie wenig dazu gehörte, aus zivilisierten Menschen brutale Wesen zu machen. Für Rod war es nichts Neues, und es zeigte, daß er weit über sein Alter, durch bittere Erfahrung gereift, hinausgewachsen war. Daß er noch denken konnte, bewies, wie eiskalt es in ihm aussah, bevor ihn der Selbsterhaltungstrieb wie eine mächtige Woge erfaßte und gegen seinen Gegner schleuderte. So mager Rod auch aussah, es zeigte sich, daß sein Körper durchtrainiert war, daß eine Fähigkeit und Härte in ihm wohnten, daß er im Wirbel des Kampfes die Schläge, die er hinnehmen mußte, kaum spürte. Der Schmied Joe Staffard sprang mit einem gellenden Schrei aus dem Gemenge, in dem der aufwirbelnde Staub kaum erkennen ließ, was sich dort wirklich abspielte. Beide Hände hielt er vor das Gesicht. Er schrie und rannte dabei herum, als sei er bereits in der Hölle. Später sollte sich herausstellen, daß sein Nasenbein gebrochen war und der Doc seine Kunst anwenden mußte. Im Augenblick hockte sich Joe Staffard nieder und hielt sein Gesicht mit den Handflächen verdeckt. Die harten Schläge des Tramps waren mehr gewesen, als er vertragen konnte. Sie hatten ihn plötzlich nüchtern gemacht und eingeschüchtert, daß er in seiner Benommenheit nur den Wunsch hatte, sich lang hinzuwerfen. Der Kampf seiner Partner interessierte ihn -4-
nicht mehr. Er hatte genug mit sich selbst zu tun. Die Härte des Tramps aber hatte nicht nur ihn erschüttert, sie machte auch die anderen Gegner benommen. Nachdem ihr Anführer, der stärkste Mann ihrer Gruppe, ausfiel, fühlten auch sie sich nicht mehr so sicher. Der blonde George Gobel flüchtete plötzlich, als das rinnende Blut einer klaffenden Augenbrauenverletzung ihm die Sicht nahm. Er taumelte zurück aus dem Kreis der Kämpfenden und fiel über den am Boden hockenden Joe Staffard. Als er sich aufrichtete und sich das Blut aus den Augen wischte, sah er, wie Eddie Durante in die Knie brach und John Holden bewegungslos am Boden lag. Er sah den jungen Tramp, dessen Kleider nun völlig zerrissen waren, mit halbnacktem Oberkörper, an dem das Hemd in Fetzen flatterte, aufrecht, ein wenig breitbeinig stehend, mit blitzenden Augen in die Runde blicken. Sein Mund war halb geöffnet, daß man seine starken, schneeweißen Zähne sehen konnte. In seinem staubbedeckten Gesicht hatten Schweißfurchen eigenartige Rinnsale gegraben. Das Geheul weiterer Angreifer trieb George Gobel dazu, sich endgültig in die Hocke aufzurichten. Obwohl er von Schmerzen halb betäubt war, hatte er doch den Wunsch, zuzusehen, wie der Tramp jetzt niedergeschmettert würde. Ein Triumphgefühl löste seinen Groll über die erlittenen Schläge, die er und seine Partner hatten hinnehmen müssen. Fliehen würde der Tramp nicht können, dazu war er selbst zu sehr mitgenommen. Der Kampf hatte auch ihm stark zugesetzt. Vom Hunger und von der gewaltigen Anstrengung war er selbst dem Umfallen nahe. Er schaute mit weit aufgerissenen Augen dorthin, wo die Meute sich bisher untätig gehalten hatte. Jetzt kamen sie alle wie eine Woge herangestürmt. -5-
Rod Drake machte nicht einmal den Versuch zu fliehen. Sicherlich wäre er auch nicht weit gekommen. Es wäre ein zweckloses Beginnen gewesen. Er stand immer noch aufrecht, wie einer, der sich einer tödlichen Flut entgegenstemmen wollte, bevor er in ihr untergehen mußte. In diesem Augenblick schämte sich George Gobel. Ja, er schämte sich, daß Haßgefühle ihn leiteten, verstärkt durch die Niederlage, die er erlitten hatte. Wie eine heiße Welle überflutete es ihn. Er zog den Colt aus dem Halfter. Das war gerade noch rechtzeitig genug, bevor die neuen Gegner den Tramp erreicht hatten. Vom Boden her gellte seine Stimme: „Schluß damit! Niemand rührt ihn an!“ Sein Warnschuß stoppte die Meute. Der Schuß erschreckte die neuen Angreifer, weckte den am Boden liegenden Holden aus der Ohnmacht. Auch Eddie Durante wurde durch den Schuß gestoppt, der sich von seiner Niederlage erholt hatte und erneut angreifen wollte. George Gobel erhob sich mit der schußbereiten Waffe, die er auf die Meute gerichtet hielt. Er schluckte und wischte sich mit dem Handrücken über sein blutbeschmiertes Gesicht. „Er hat fair gekämpft“, sagte er heiser. „Ich dulde nicht, daß er weiter belästigt wird. Wir fingen das Spiel an und haben verloren! Das genügt! Joe und ich brauchen den Doc, und der Fremde hat ein Recht, in die Stadt zu. kommen. Er steht unter meinem Schutz.“ „Laßt den Fremden in Ruhe“, meldete sich die Baßstimme eines Mannes, an dessen Westenaufschlag der Marshalstern blitzte. Er bahnte sich eine Gasse durch die Menschen. „Ich habe alles beobachtet. Niemand ist berechtigt, einem Mann den Eintritt in unsere freie Stadt -6-
zu sperren. Macht Platz, Leute! Geht zurück an eure Arbeit!“ Der Marshal kam zu George Gobel, der sich wenige Schritte neben den jungen Tramp gestellt hatte, und sagte nur für George Gobel verständlich: „Das war fair von dir, George, aber es macht dich auch nicht beliebter. Steck die Waffe ein, mein Junge. Man sollte glauben, daß du, Joe, Eddie und John längst aus den Flegeljahren heraus seid. Langsam solltet ihr euch daran gewöhnen, euch wie Erwachsene zu benehmen. Um diesen jungen Mann kümmere ich mich selbst.“ Nach diesen Worten wandte er sich Rod zu, packte dessen Schultern und sah ihm fest in die Augen. Rod wich dem Blick nicht aus. Er zuckte nicht mit der Wimper. Dann sagte er: „Der Doc wird sich um Joe und George kümmern müssen. Du hast hart zugeschlagen, mein Junge. Es hätte sehr bitter für dich werden können. Versuche so etwas nie wieder! Wenn wir auch sehr großzügig in Wyoming sind, so mußt du doch wissen, daß Tramps hier keine Chance haben. Tramps mit Schafgeruch in den Kleidern fordern Gewalttätigkeiten heraus. In dieser Stadt ist die letzte Begegnung mit den Schafzüchtern aus dem Nachbardistrikt noch nicht vergessen. Nun folge mir!“ Rod kam der Aufforderung wortlos nach. Er fühlte die haßerfüllten Blicke der Männer auf sich brennen, aber er spürte auch, daß einer aus den Zuschauern, obwohl arg gezeichnet, ihn mit Achtung ansah - der blonde George Gobel, der durch sein Eingreifen wer weiß was verhindert hatte. Unwillkürlich begegneten sich ihre Blicke. In den Augen des Gegners war der Haß verschwunden, doch um so mehr brannte er in Joe Staffard, -7-
John Holden und Eddie Durante. Es war ein Haß, der nicht so schnell verlöschen würde. „Es ist wohl überall so“, sagte Rod Drake vor sich hin. Sein Begleiter hatte es gehört und sah Rod überrascht an. „Was willst du damit sagen, Junge?“ Rod zuckte die Schultern und schritt neben dem Marshal weiter, der nicht einmal verwundert zu sein schien, daß er keine Antwort bekam. Plötzlich sagte er, vom Thema abweichend: „Du bist wohl deinen Eltern davongelaufen?“ Rods Schultern strafften sich. „Ich bin einundzwanzig Jahre alt, Marshal“, erwiderte er dann. „Mich können Sie nicht mehr zurückschicken. Und was das Davonlaufen betrifft - ich bin bereits seit meinem dreizehnten Lebensjahr unterwegs.“ „Großer Vater, ist das möglich? Ist dir klar, was du deinen Eltern zugefügt, was du ihnen für Sorgen und Kummer bereitet hast? Hat man dich denn in all den Jahren nicht erwischt und zurückgeschickt?“ „Man hat das viermal getan, doch nicht zu meinen Eltern“, erwiderte Rod. „Beide sind tot. Meinen Vater habe ich nicht gekannt und auch nie seinen Namen von meiner Mutter gehört. Er ließ sie sitzen, wie man so sagt. Meine Mutter arbeitete für uns beide und starb, als ich acht Jahre alt war, an einem schlimmen Husten. Der Bruder meiner Mutter übernahm meine Erziehung. Bald wußte ich, daß er in mir das Wesen meines Vaters haßt. Ich ertrug es lange genug, zu lange. Jetzt bin ich alt genug, um mich nicht mehr vor ihm zu fürchten.“ „Das klingt so, als wärst du zurückgekommen? Ich ahne nun auch, wer du bist - Rod Drake.“ 2. -8-
Wenig später saßen sich der Marshal und Rod Drake im Office gegenüber. Die Frau des Marshals hatte Rod Essen gebracht. Rod aß schweigend und heißhungrig. Charles Knox, der Marshal, beobachtete ihn dabei, doch das störte Rod nicht im geringsten. Acht Jahre hatte Marshal Knox Rod nicht gesehen. Er konnte sich nur an einen Jungen erinnern, dessen Leidensweg die Gemüter der Leute in der Umgebung beschäftigt hatte, der dann doch in Vergessenheit geriet. Doch der Mann, bei dem der Junge gewesen war und der dem Jungen das Leben zur Hölle gemacht hatte, dieser Mann war groß und mächtig. Viel zu groß und mächtig, denn vor Jim Waco beugten sich die Leute, schauten zu ihm auf, verfluchten und verwünschten ihn heimlich, aber sie standen alle unter dem Druck seiner Macht. Es wagte niemand, sich gegen Jim Waco zu stellen. Daran mußte der Marshal denken, als er in das staubige, hart entschlossene Gesicht seines jungen Gastes schaute. „Was willst du tun, Rod?“ fragte Knox, als sich Rod eine Atempause gönnte, „zur Strick-Ranch deines Onkels zurückkehren?“ „Niemand wird mich dort willkommen heißen, Marshal“, erwiderte ihm Rod. „Ich werde so wenig willkommen sein wie einst meine Mutter, als sie mich unter dem Herzen trug und Zuflucht bei ihrem Bruder Jim suchte. Sie muß schwer gelitten haben. Irgend etwas stand zwischen ihr und meinem Onkel. Vielleicht mein Vater, ich weiß es nicht.“ Er hob nachdenklich die Schultern und aß weiter. Marshal Knox hätte ihm bestätigen können, wie sehr seine Mutter damals gelitten hatte, doch er schwieg. Er wollte nicht noch mehr Groll und Haß in dem jungen -9-
Mann nähren. „Du hättest nicht zurückkommen sollen, Rod“, sagte Knox, wobei er seine Stummelpfeife anzündete und sich in seinem Ohrensessel zurücklegte, als wollte er sich entspannen. „Du bist bestimmt weit her umgekommen, irgendwo hättest du dir einen festen Platz suchen müssen!“ „Ich war in Texas, in Montana, im Westen und Osten“, erwiderte der junge Mann, ohne aufzuschauen. „Doch nirgendwo ist der Himmel so blau wie in Wyoming, nirgendwo findet man die schönen Hügelketten, Täler, Flüsse, den Wald und die weiten Ebenen mit den Wildblumen von so leuchtender Pracht, daß man im Traum daran erinnert wird. Im Sommer und Winter, zu jeder Jahreszeit habe ich an Wyoming gedacht, und es zog mich magisch heim. Jetzt bin ich da...“ „In einer kleinen staubigen Rinderstadt, nicht besser und nicht schöner als tausend andere auch.“ „Sie vergessen das alte Fort, Marshal“, unterbrach ihn Rod mit einer düster schwingenden Stimme, daß es dem Marshal kalt über den Rücken rann und er augenblicklich nach den vielen Jahren daran erinnert wurde, daß beim letzten Ausbruchsversuch des jungen Rod im Gemäuer des alten Fort Jim Waco den eigenen Neffen schwer zusammengeschlagen hatte. Nur durch einen Zufall hatte man den Jungen am anderen Tag gefunden. Man hatte ihn zum Doc schaffen und lange in Behandlung lassen müssen. Es war ein Wunder, daß nach dem entsetzlichen Vorfall im alten Fort der junge Mann kein Krüppel geblieben war, sondern, gut gewachsen, sich zu einem richtigen Mann entwickelt hatte. Tief in ihm aber mußte ein Feuer brennen, ein düsteres, schwelendes Feuer, das - 10 -
im alten Fort angefacht wurde und auch noch nicht zum Verlöschen gekommen war. Damals war Knox noch nicht Marshal gewesen. Seit einem Jahr erst befand er sich im Amt. Er witterte Schwierigkeiten. Erregt kaute er auf seiner Stummelpfeife, und noch während er nach einer Möglichkeit suchte, wie er diese Situation meistern wollte, trat seine Frau durch die Nebentür in das Zimmer herein. Sie trug über ihrem Arm ein Kleiderbündel. Stillschweigend schob sie Schüsseln und Teller beiseite und breitete die Sachen vor Rod aus. „Ich denke, daß dir das passen wird“, sagte sie zu ihm. „Hier ist Seife, ein Handtuch und draußen ist der Brunnen. Wasch dich und kleide dich um, mein Junge, dann werden wir weitersehen.“ Ähnliches war Rod wohl nie widerfahren. Er atmete schwer. Er schaute in das mütterlich gute Gesicht der Frau hinein, dann in das des Marshals. „Es gehörte unserem Sohn Tim“, sagte Knox mit spröder, rauh klingender Stimme. „Tim war so alt wie du, als er vor drei Jahren erschossen wurde. Er ritt für die Strick-Ranch deines Onkels als Grenzlandreiter. Man sagt, daß es Schafhirten getan haben sollen.“ Er sprach nicht weiter, so als hätte die Erinnerung ihn überwältigt. Nein, er teilte dem Jungen nicht mit, daß er selbst nicht an den Überfall der Schafhirten glaubte und daß er nur den Marshalstern angenommen hatte, um Licht in das mysteriöse Dunkel des Todes seines Sohnes zu bringen. Nein, das konnte er seinem jungen Besucher nicht sagen, auch nicht, daß er eine Abneigung gegen Jim Waco, den Strick-Rancher, hatte. „Wenn du bleiben willst, Rod“, sagte er nach einer kleinen Pause des Nachdenkens, „kann ich dich irgendwo in der Stadt unterbringen. Du - 11 -
suchst doch Arbeit, oder?“ „Ja“, erwiderte Rod entschlossen. „In den letzten verflossenen Monaten hatte ich Pech. Ich bekam hin und wieder an Treibherdencamps zu essen. Manchmal durfte ich eine Strecke mitkommen, doch ich blieb der Tramp und wurde nicht warm bei den Crews. Ich zog es vor, still und heimlich wieder zu verschwinden. Ich durchwanderte Ödland und Durststrecken, und oft arbeitete ich den ganzen Tag für eine einzige Mahlzeit. Bei den Schwarzfußindianern lebte ich den Winter über. In Goldsuchercamps schuftete ich als Minenarbeiter. Doch überall bekam ich nur die Antwort, ich wäre zu jung, zu unerfahren. Später allerdings schien ich manchen zu erfahren und gefürchtet. Ich wurde ein einsamer Wolf, der keine Ruhe fand. Ich hatte ein Pferd, eine gute Ausrüstung und Waffen. All das verlor ich nach einer Schießerei. Alles ging drauf, mußte verkauft werden, um die Arztrechnung zu bezahlen. Bald war ich ein Tramp, und als Tramp kam ich heim.“ Das Ehepaar schaute sich an. Keiner entgegnete etwas. Die Stille im Raum wurde drückend. Es gab keinen Zweifel. Acht bittere Jahre hatten Rod Drake ihre Siegel aufgedrückt. In seinem Gesicht zeichneten sich blasse Narbenlinien ab, doch daß das nur gering war gegenüber dem, was sein Körper bot, sahen die Eheleute später, als Rod sich mit halbnacktem Oberkörper draußen auf dem Hof wusch. Sein muskulöser Rücken zeigte weiße gezackte Narbenlinien, die wie ein Flechtwerk über den Rücken liefen. „Mein Gott, Mann, was hat man diesem Jungen getan“, flüsterte die Marshalsfrau bei diesem Anblick durch die Fenster erschreckt und entsetzt zu ihrem Gatten. - 12 -
„Er hat Lassonarben auf dem Handrücken wie ein alter Weidereiter. Doch seine Rückennarben, Frau, hat er einer Rinderpeitsche zuzuschreiben.“ „Wer war der Unmensch?“ „Der Halbbruder seiner Mutter, Jim Waco. Damals fanden wir Rod halbtot, und niemand glaubte daran, daß er wieder gesund werden würde. Wir fanden ihn im alten Fort. Das alte Gemäuer dort auf dem Hügel muß ihm Tage und Wochen, Monate und Jahre wie ein Ort der Hölle vorgekommen sein. Jim hatte ihn im alten Fort aufgestöbert. Der Junge muß dort irgend etwas gesucht haben. Doch niemand weiß, was. Er selbst schweigt wie ein Grab.“ „Er kam auch heute vom alten Fort, Mann“, sagte die Marshalsfrau. „Ja . . . und dann stürzte sich das Rudel auf ihn. Er überstand es erstaunlich gut, aber es wäre zum Schluß doch sehr schlimm für ihn geworden, wenn nicht George Gobel ihm fair beigestanden hätte. Ausgerechnet ein Stricklandreiter.“ „Was wirst du tun?“ „Warum fragst du danach, Frau?*' „Jim Waco wird sich gegen dich stellen, wenn du Rod Drake unter deine Fittiche nimmst. Charles, was wirst du tun?“ Der Marshal zuckte die Schultern und sah durch das Fenster irgendwohin in die weite Ferne. Seine Frau legte ihm fest die Hand auf die Schultern. „Du wirst dich um ihn kümmern, nicht wahr? Du wirst nicht zulassen, daß „ „Nein, Frau“, erwiderte der Marshal. „Ich werde nichts Ungesetzliches zulassen. Es wird sich jemand finden, der Rod aufnimmt und ihm Arbeit gibt. Mehr kann ich vorerst nicht tun. Sicherlich wird Jim Waco bald - 13 -
herausfinden, daß sein Neffe im Lande ist. Es kann nicht verborgen bleiben.“ „Was wird geschehen?“ „Die Zukunft wird es entscheiden, Frau. Der Haß Jim Wacos ist wie glühende Lava. Wer sich zu nah wagt, verbrennt. Besonders aber haßt er Rod Drake. Ich frage mich, warum Jim immer wieder im alten Fortgemäuer herumschnüffelt. Ich habe ihn dabei einige Male beobachten können.“ „Es muß ein furchtbarer Haß sein, den Jim Waco in sich trägt, ein unnatürlicher Haß, der sich sogar gegen ein Kind richten konnte. Ich begreife das nicht, Mann.“ Später, als Rod gewaschen und neu eingekleidet zurückkam, war er kaum noch wiederzuerkennen. Die Kleidung des verstorbenen Tims paßte, als wäre sie für Rod angefertigt worden. Die Frau des Marshals hatte inzwischen auch noch gut erhaltene Stiefel für Rod hereingebracht, dazu einen Waffengurt, in dem zwei 45er Colts steckten. Es war eigenartig, wie bleich Rod wurde, als man ihm die Sachen aufdrängte. Es schien, als ob er erst seinen Stolz bezwingen mußte. Seine Hände zitterten, als sie sich auf den Elfenbeinkolben der 45er Waffen legten. „Damit es keine bösen Überraschungen gibt, Rod“, sagte der Marshal, der eine ganze Weile vorher die Mainstreet beobachtet hatte. „Du hast dir schon eine Menge Feinde geschaffen. Noch wissen sie nicht, wer du bist, und halten dich für einen lästigen Typ. Ich weiß nicht, was besser ist: für einen Tramp gehalten oder als Jim Wacos Neffe angesehen zu werden. Beides ist übel auf seine Art, beides wird deine Lage nicht sonderlich bessern. Wenn du wirklich arbeiten willst, wenn es dir ernst damit ist, ein neues Leben zu beginnen, so bringe - 14 -
ich dich zu Benny Lind hinaus. Erinnerst du dich noch an ihn?“ „Ist es der Kleinrancher im Grenzgebiet?“ „Benny ist nicht mehr Rinderzüchter“, entgegnete der Marshal. „Jim Waco sorgte dafür, daß er keinen Kredit mehr bekam und nicht nur die Bank, sondern auch die Storehalter ihn kaltstellten. Benny steckte nicht auf. Er stellte sich auf die Schafzucht um.“ „Ein Schafzüchter im Rindergebiet?“ „So sieht es aus, doch Benny Linds Weidegründe taugten für Rinder nicht, sie waren zu mager. Schafe jedoch gedeihen ausgezeichnet. Benny sorgt dafür, daß seine Schafe die Nachbarweiden nicht verderben. Seine Weiden liegen so günstig, daß die Errichtung einiger Zäune an den Ausfallstellen genügte. Benny Lind ist der erste Rancher im County, der einsah, daß Rinderzucht auf den mageren Weiden in den Bankrott führen mußte. Nicht alle Kleinrancher denken so weit, wenn auch allen klar ist, daß nur die Weidegebiete der Strick-Ranch fett genug für Rinder sind, versuchen sie dennoch im Rennen zu bleiben, mit dem Erfolg, daß der Strick-Ranchboß einige Kleinranches aufkaufen und weitere Gebiete erobern konnte.“ „Mit anderen Worten, Marshal, Jim Waco tut alles, um noch mächtiger, noch größer zu werden? Waco schreckt vor nichts zurück?“ „So ist es, daß man ihm nichts Ungesetzliches nachweisen kann“, sagte der Marshal. „Er ist aalglatt und hält alle unter Druck, selbst die Menschen in der Stadt. Auch hier hat er festen Fuß gefaßt. Er unterhält ein Grundstücksbüro, mehrere Saloons und Frachtwagenlinien, er kontrolliert das Vergnügungsviertel, die Einund Ausfuhr und hat seine Leute auf der Rinderverlade- 15 -
station. Es gibt keinen tüchtigeren Mann als ihn. Er ist der ungekrönte König.“ „Stellte sich ihm niemand entgegen?“ „Nicht in den letzten acht Jahren“, erwiderte der Marshal. „Vor dieser Zeit gab es einen Mann ... aber das ist lange her, und es interessiert dich auch nicht, oder ...?“ „Jeder Mann, der sich gegen Jim Waco stellte, interessiert mich, Marshal!“ „Also gut, der Mann hieß Dan Riffey. Er war im Kriege Captain bei der Südarmee. Man sagt, daß er einer angesehenen Pflanzerfamilie entstammte, also aus einem der Herrengeschlechter kam, die Paläste im griechischen Stil bauten, in einem unerhörten Luxus lebten, eine Unmenge Sklaven hielten und die unermeßlich reich waren und ihresgleichen weit und breit suchten.“ „Ich habe die Paläste gesehen, manche stehen noch, viele wurden im Kriege zerstört, Marshal. Doch von der einstigen Herrlichkeit des Südens blieben nur die Großranches in Texas bestehen.“ „So weit warst du im Süden, Rod? Was trieb dich dorthin?“ wollte der Marshal wissen. Er sah seinen jungen Gast scharf an, doch der zuckte nur die Schultern, und so blieb dem Marshal nichts weiter übrig, als in seiner Erzählung fortzufahren, obwohl er den warnenden Blick seiner Frau bemerkte. „Niemandem ist bekannt, welcher Wind Captain Riffey nach Wyoming verschlug. Man vermutete, daß der verlorene Krieg, persönliche Umstände und Schwierigkeiten ihn dazu veranlaßt haben konnten, seine Heimat zu verlassen. Jedenfalls tauchte er vor zwölf Jahren in Begleitung Jim Wacos hier auf. Damals hatte Jim Waco nicht einen Penny in der Tasche. Er galt als Captain Dan Riffeys Verwalter. Jedenfalls hatte er freie - 16 -
Hand in allem, und Dan Riffey war viel unterwegs, Wochen und Monate. Eines Tages, als Riffey zurückkam, lernte er deine Mutter kennen. Jim hatte seine Halbschwester nach Wyoming kommen lassen, auf die prächtige Ranch, die Captain Riffey finanzierte. Monate später kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Jim und dem Captain. Jim wurde dabei schwer verwundet. Riffey aber verließ die Ranch. Er wurde von diesem Zeitpunkt an nie mehr gesehen. Das ist eigentlich alles, mein Junge, keine große Geschichte.“ „Keine große Geschichte“, wiederholte Rod die Worte des Marshals. „Immerhin handelt sie von meinem Vater“, sagte er nachdenklich. Marshal Knox trieb es aus dem Sessel in die Höhe. Er riß die Augen weit auf und ließ sich dann wieder mit einem Seufzer zurück in den Sessel fallen. Seine Frau drehte sich plötzlich um. Ihr Blick ließ nicht von Rod ab. „Du weißt es also?“ sagte sie mit einer mütterlichen, sanft schwingenden Stimme, bei deren Klang Rods Inneres seltsam angerührt wurde. „Wer sagte es dir, Junge?“ fragte der Marshal. „Niemand, dem Jim Waco dafür nachstellen könnte, Marshal. Meine Mutter sagte es mir auf dem Sterbebett. So jung ich war, ich habe es wie ein Vermächtnis in meinem Herzen getragen. Ich habe den Namen nicht vergessen. Ich brach auf, um den Mann zu suchen, der meine Mutter im Stich ließ. Ich fand ihn nicht, und je länger ich suchte, um so mehr wurde mir klar, daß ich kein Recht hatte, an der Vergangenheit zu rütteln. Mutter konnte mir nicht sagen, ob er sie heiraten wollte Denn als sie starb, war ich viel zu jung, um alles zu begreifen, jedoch alt genug, um einen Namen zu behalten. Den Namen meines Vaters. Ich weiß nicht, ob ich ihn hasse, - 17 -
ob ich ihn liebe, ob er mir gleichgültig wurde. Ich weiß nicht, was dazu beitrug, daß sich meine Gefühle wandelten. Vielleicht der Haß meines Onkels, der in mir Dan Riffey sah. Oft genug hat er es mich spüren lassen. Meine Mutter konnte mir nicht helfen, sie starb zu früh, und mein Vater war fort, ohne eine Spur zu hinterlassen. Vielleicht wurde er von Jim Wacos Helfern nach der Auseinandersetzung mit Jim aus dem Sattel geholt. Vielleicht war es gar nicht seine Absicht, meine Mutter im Stich zu lassen. Aber alles sind nur Vermutungen, die viele angestellt haben in jener Zeit. Vermutungen, die auch mir zugetragen wurden. Ich wollte sicher gehen. Darum brach ich aus, und Jim wußte genau, weshalb. Er zeigte es mir in gnadenloser Art. Doch ich brach wieder und wieder aus. Trotz der scharfen Bewachung und der Strafen. Ich habe nach dem Grab meines Vaters gesucht und fand es nicht. Ich habe gehofft, daß er lebte und im Süden wäre. Es war eine trügerische Hoffnung.“ Rod brach ab. Man sah deutlich, wie sehr es ihn innerlich erregte und daß er nur mit Mühe Fassung bewahrte. Er schrak zusammen, als Marshal Knox fast beiläufig fragte: „Welches Geheimnis liegt in dem Gemäuer des alten Forts?“ Kaum hatte er ausgesprochen, als sich Rods Gesichtsfarbe veränderte und es in seinen Augen blitzte, „Tut mir leid, Marshal... das geht nur Jim und mich an, niemanden sonst auf der Welt!“ Die Frau des Marshals mischte sich nun ein. „Wenn du es dir nicht vom Herzen reden willst, es zwingt dich niemand dazu, Rod. Behalte dein Geheimnis nur, denn jeder hat wohl eins. Mein Mann und ich werden es respektieren und nicht mehr danach fragen. Doch eines möchte ich gerne wissen: Willst du für Benny Lind reiten? Oder stört es dich, daß er nach Schafen - 18 -
riecht?“ „Nein, ganz, und gar nicht, Madam!“ erwiderte Rod impulsiv. „Es kommt nicht mehr darauf an, was die Leute über mich denken. Der Schafsgeruch liegt noch von meiner Winterbeschäftigung in meiner Nase, warum sollte ich das plötzlich ändern?“ „Rod, in diesem Lande tut sich was. Die Anzeichen können dir nicht entgangen sein.“ „Ich habe sie bemerkt, Madam“, erwiderte der junge Mann ernst. „Vor einem Tramp verhüllt man nichts. Ein Tramp sieht mehr als ein Reiter mit einem Orden am Westenaufschlag. Ein Tramp ist in den Augen der anderen zu unwichtig, als daß er großen Schaden anrichten könnte.“ „Nicht mehr, du hast ihnen eine Lektion gegeben, Rod. Gib auf dich acht! Mein Sohn Tim hatte über diesen Rat gelacht. Hätte er ihn befolgt, wäre er vielleicht noch am Leben.“ Sie wandte sich ab. In ihren Augen schimmerten Tränen. Langsam ging sie aus dem Räum und schloß die Tür hinter sich. „Ich reite mit dir hinaus zu Benny Lind“, sagte der Marshal nach einer drückenden Schweigepause, Rod nickte. Beide erhoben sich. Und während sie durch die Hintertür zum Stall gingen, dachte Rod: Dieser Marshal ist so einsam wie du. Er will das Risiko eingehen, mich zu beschützen. Er ahnt nicht, wie gut ich mit einem 45er umgehen kann. Er hält mich für zu jung, als daß ich tiefer in ihn hinein blicken könnte. Irgendein Stachel sitzt in ihm und fordert ihn zum Widerstand gegen den großmächtigen Ranchboß der Strick-Ranch heraus. Der Tod seines Sohnes oder andere persönliche Gründe mögen damit zusammenhängen. Er - 19 -
steht auf einsamem Posten, und das weiß nicht nur er, sondern auch seine Frau. Es ist eine großartige Frau, die ihren Mann nicht daran hindert, seinen Weg zu gehen. Letzten Endes muß sie damit rechnen, daß die große Macht der Strick-Ranch ihn zermalmen könnte, und doch, sie ist bereit. - Jetzt dachte Rod zum erstenmal darüber nach, was diese für viele unerwünschte Heimkehr ihm wohl bescheren würde. Er fragte sich, ob er wirklich groß und stark genug war, um sich furchtlos seinem Onkel gegenüberzustellen und ihm ins Gesicht zu blicken In den vergangenen Jahren war Rod immer mehr seinem Vater ähnlich geworden. Sein Anblick mußte in Jim Waco Gefühle aufwühlen und Erinnerungen heraufbeschwören, die ihn den Anblick des Neffen kaum ertragen lassen würden. Rod dachte daran, und seine Kehle zog sich eng. Marshal Knox, der im Stall vor einer der Boxen stehen geblieben war, wandte sich an Rod, wobei er auf einen hochgebauten Falben deutete. „Schau dir Rebell ruhig an!“ „Marshal, nur ein Südstaatler kann sein Pferd so nennen.“ „Ich bin aus dem Süden“, erwiderte der Marshal, ohne weiter auf die Bemerkung des jungen Mannes einzugehen. „Rebell stammt aus dem besten texanischen Gestüt. Er hat meinem Sohn Tim gehört. Wenn du ihn reiten kannst, gehört er dir. Er hat bisher keinen Fremden länger als eine Minute auf seinem Rücken geduldet. Willst du es versuchen?“ Rods Augen flammten auf, doch dann schüttelte er den Kopf. „Ich stehe bereits tief in Ihrer Schuld, Marshal. Nein danke!“ „Sprich nicht von Schuld, Rod. Dein Vater war im - 20 -
Kriege mein Vorgesetzter. Bei Appomatox schlug er mich aus einer feindlichen Kavallerieabteilung heraus. Ein andermal, als mein Pferd in einem Moor einbrach, befreite er mich unter Einsatz des eigenen Lebens aus der Todesgefahr. Er hat nicht einmal zugelassen, daß ich mich bedankte, sondern sagte mir: Das hätten Sie für mich ebenfalls getan, es ist in Ordnung. Nur für ihn mochte es so sein, nicht für mich. Wenn du Rebell reiten kannst, gehört er dir. Versuche es!“ Er zwirbelte seine Schnurrbartenden dabei in die Höhe und sah Rod mit zusammengekniffenen Augen an. „Eine Frage, Marshal, kamen Sie zusammen mit meinem Vater in dieses Land?“ „Nein“, erwiderte Knox. ,,Er hatte es nicht gerne, daß sein ehemaliger Master-Sergeant und einige ehemalige Soldaten seiner Abteilung ihm nach Wyoming folgen. Er hatte nichts für diese Anhänglichkeit übrig und hat uns allen deutlich zu verstehen gegeben, daß wir uns eher auf dem Mond als in seiner Nähe festsetzen sollten. Ich weiß heute noch nicht, ob er spaßte oder ob er es ernst meinte. Ich werde es auch wohl niemals erfahren. Also los, Rod, hole Rebell aus der Box!“ Für einen Moment sah es aus, als wollte Rebell die Kehrseite herumwerfen und die Hinterhufe gegen Rod abfeuern, doch im letzten Moment mußte die Witterung des verstorbenen Tim aus Rods Kleidung den Falben getroffen haben. Überrascht hob sich der stark geäderte, feingezeichnete Kopf des Tieres mit den großen schwarzen Samtaugen. Weit blähten sich die rosafarbenen Nüstern auf, und Rod tat etwas, was dem Marshal einen Pfiff entlockte. Rod blies dem Falben den eigenen Atem in die Nüstern hinein und redete dann mit sanften Worten auf das Tier ein. - 21 -
„Tim tat es ähnlich so“, sagte er anerkennend. „Tim war der beste Broncobuster im Lande.“ Marshal Knox wurde noch größer, als er sah, wie Rebell die Hand Rods auf dem Hals duldete, sich nicht einmal bewegte, als der junge Mann um das Tier herumging. Rebell ließ sich die Hufe einzeln hochheben. Rod betrachtete die Eisen, betrachtete das Fell. In seinen Augen leuchtete die helle Freude. „Ich versuche es, Marshal“, sagte er und legte dem Tier Sattel und Zaumzeug an. 3. Zweimal wurde er abgeworfen. Doch er gab nicht auf und versuchte es immer wieder. Aus vielen Augen beobachtete die Stadt den Kampf zwischen Mensch und Pferd. Rods neue Kleidung sah nach dem dritten Versuch bereits so mitgenommen aus wie der junge Mann, der in ihr steckte. Marshal Knox stand abseits und sah sich das harte Spiel sehr nachdenklich an. Als beim drittenmal Rod auf dem Falben geduldet wurde, wußte er, daß Rod jetzt die Herrschaft über Rebell gewonnen hatte und der große Wallach ihn als Herrn anerkannte. Sein Blick glitt von Rod zum Fenster hinüber, wo seine Frau mit bleichem Gesicht stand. By gosh, ihre Gedanken waren für ihn zu leicht zu lesen. Sie sorgte sich sehr. Sie hatte Angst vor Jim Waco und befürchtete, daß ihr Mann sich auf verlorenen Posten gestellt hatte. Ihr Blick suchte den ihres Mannes. Dabei öffnete sie das Fenster, und er, von diesem Blick wie magnetisch angezogen, trat näher zu ihr „Darling, lange genug stand ich abseits. Es ist an der - 22 -
Zeit, sich zu erinnern.“ „Charles, ich habe es immer gefühlt, ich war darauf vorbereitet. Es wird sehr schwer werden!“ Sie machte ihm keine Vorwürfe. Von dem Augenblick an, als der junge Rod Drake fest im Sattel des Falben saß, schien der Marshal die letzten Hemmungen abgeschüttelt zu haben und wie umgewandelt zu sein. Das erkannte sie deutlich genug und lächelte ihm zu. Auch er lächelte, wandte sich aber gleich an Rod und sagte : „Nun, reiten wir?“ Rod nickte. Seine Stimme klang rauh, als er erwiderte: „Marshal, ich kam mit leeren Händen“. „Sprich nicht von Dank, Rod“, unterbrach Marshal Knox mit spröder Stimme. „Vielleicht bin ich nicht so selbstlos, wie es dir scheinen mag. Reiten wir!“ Zu seiner Frau gewandt sagte er: „Gegen Mitternacht kann ich zurück sein, Darling.“ Er wartete keine Antwort ab, schwang sich in den Sattel seines Rehbraunen, langte sich die Zügel und ritt an. Rod folgte auf dem Falben. „Ich war dabei, als das Land erobert wurde“, hörte Rod den Marshal sagen, wobei sich die Augenlider des Mannes zu schmalen Schlitzen zusammenzogen „Vor uns war dein Vater mit einer großen Treibherde gezogen. Jim Waco war sein erster Vormann. Seine Mannschaft war über hundert Reiter stark. Hinzu kamen die Hilfskräfte, eine über zweitausend Kopf starke Longhornherde und eine riesige Pferderemuda. Gleich einem Eroberer kam Captain Riffey ins Land. Stampeden, reißende Flüsse, Durststrecken, Indianerüberfälle und andere Schwierigkeiten taten sich auf Er hatte zwar Verluste, und ein Teil seiner Männer blieb auf der Strecke, aber er schaffte es! Er erreichte sein Ziel.“ - 23 -
„Aber er kümmerte sich zu wenig um das Erreichte, Marshal!“ „Das war sein Fehler, Rod“, entgegnete der Marshal. „Dein Vater hatte zu große Pläne. Er wollte eine große Stadt aufbauen und der Zivilisation alle Wege ins Land öffnen. Nur aus diesem Grunde war er viel unterwegs, glaubte er doch die Strick-Ranch in den guten Händen seines Vormanns Jim Waco. Er war es, der die Frachtlinien aufbaute, die Landbüros ins Leben rief, all das schuf, was Waco später mühelos übernahm. Wenn du den Namen deines Vaters tragen würdest, mein Junge, könntest du deine Hände nach einem großen Erbe ausstrecken.“ „So aber bin ich nur ein namenloser Tramp“, unterbrach ihn Rod mit rauhklingender Stimme, aus der man den tiefen Groll vergangener bitterer Jahre heraushörte. Marshal Knox warf einen prüfenden Blick auf seinen Schützling. Er glich in der Tat seinem Vater, dem Captain Riffey, so sehr, daß Marshal Knox sich in die Zeit der Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd zurückversetzt glaubte. Damals hatte Captain Riffey wie ein Zwillingsbruder Rod Drakes ausgesehen. Wie sehr mußte die Ähnlichkeit erst auf Jim Waco wirken? Um die Biegung der Mainstreet brausten in Staubnebel gehüllt Reiter heran Bevor Marshal Knox noch sagen konnte „Aufgepaßt, Rod, die Strick-Ranch-Crew!“ stürmten die laut lärmenden Cowboys schon auf sie zu. Rod sah sie rechtzeitig. Es waren etwa ein Dutzend Reiter, die im Nebel des von den Pferdehufen aufgewirbelten Staubes sichtbar wurden und großspurig daherstürmten, angeführt von einem Schimmelreiter, einem besonders geschmei- 24 -
digen Burschen. Sicherlich wäre es ein leichtes gewesen, den johlenden, whiskyberauschten Reitern auszuweichen, wenn diese Kavalkade nicht die ganze Straßenbreite ausgefüllt hätte. So aber Marshal Knox trieb seinem Rehbraunen die Sporen in die Flanken, so daß das Tier einen erschreckten Satz zur Seite bis auf den zernarbten Plankensteig machte, was von einem wildbösartigen Gelächter der Kavalkade quittiert wurde. Rods Falbe jedoch, den Rod ebenso aus der Gefahrenzone herauslenken wollte, reagierte nicht darauf. Das Pferd, noch nicht allzu sehr mit seinem Herrn vertraut und lange Zeit nicht mehr unter einem Sattel gegangen, wieherte schrill auf, daß es sich anhörte wie ein Fanfarenstoß. Es bäumte sich wie unter einem übermächtigen explosiven Druck gewaltig auf und stürmte wie von einer Sehne abgeschnellt gegen den Schimmelreiter. Der mächtige Falbe rammte den viel leichteren und kleineren Schimmel so sehr, daß der Vorreiter, von der Wucht des Zusammenpralls aus dem Sattel gehoben, in hohem Bogen durch die Luft geschleudert wurde, genau wie Rod, der beim Zusammenprall die Herrschaft über den Falben verlor und impulsiv die Zügel losließ und die Stiefel aus den Bügeln bekam. Die Übung des Einreitens wilder Mustangs hatte Rod geschmeidig gemacht. Es gelang ihm, sich so zu drehen, daß er gleich wieder auf den Beinen stand. Sein Falbe hatte den Schimmel umgerissen und stürmte durch die Reiterkavalkade, die die Pferde zur Seite riß, so daß sie sich mit Schnauben und Prusten auf die Hinterhufe stellten und wild die Augen rollten. Ein Cowboypferd steilte so nahe bei Rod auf, daß die schlagenden Vorderhufe nur eine Handbreite von seinem Kopf entfernt durch - 25 -
die Luft hieben. Rod schnellte vor, dem Mann entgegen, der ebenfalls aus dem Sattel fiel und sich nun schnell aus dem Staub der Fahrbahn erhob und mit böse verkniffenen Augen zu ihm herübersah. Das Gelächter war verstummt. Wütendes Geschimpfe, Flüche und Gebrüll wurden von einem tödlichen Schweigen abgelöst. Der Trupp hatte die Pferde gebändigt und gestoppt, so daß die hochgewirbelte gelbe Staubwolke sich senkte. In diesem Augenblick schaute Rod in das Gesicht des Schimmelreiters hinein. Es war ein junges, hübsches Gesicht, in dem nur die ein wenig zu eng stehenden Augen von wäßrig blauer Farbe störten. Diese Augen erkannte Rod gleich wieder und so auch den jungen Mann, der, geduckt wie ein gestellter Puma, ihm gegenüberstand. Ihre Blicke begegneten sich, doch der andere schien Rod nicht zu erkennen. „Schlagt ihn zusammen!“ hörte er die kreischende Stimme des Schimmelreiters. Bei diesen Worten rasten auch schon die Hände des jungen Mannes zu den Coltkolben, die er tiefgeschnallt trug. Doch Rod war schneller, viel schneller! Es war, als löste diese Handlung eine Blitzreaktion bei ihm aus. Zum Glück hatte er seine 45er nicht beim Sturz vom Pferde verloren. Sie waren so schnell in seinen Händen und mit der Mündung auf den Schimmelreiter gerichtet, daß es wie Zauberei aussah, und der Schimmelreiter mitten im Ziehen wie gelähmt innehielt. „Du hast mich nie schlagen können, Jubal“, sagte er scharf, „nimm die Hände von den Kolben, nimm sie hoch, Jubal! Schleppe nie wieder zwei Eisen mit dir herum, die Aufforderung zum Tanz ist zu groß!“ Sicherlich war nicht nur Marshal Knox, der bereits eingreifen wollte, von der Schnelligkeit des Ziehens - 26 -
überrascht, noch mehr schien die Kavalkade betroffen zu sein. Doch zweifelsohne war Jubal Waco derjenige, den es am meisten traf. In seinem Gesicht zuckte es. Er ließ die Revolverkolben los. Er wurde grau im Gesicht, wobei sich seine Augen weit öffneten. Er warf seiner Mannschaft einen fragenden Blick zu. Doch keiner der Cowboys konnte ihm helfen. Sie sahen nur, daß der junge Ranchersohn sehr in der Klemme war. Sie sahen das harte Aufblitzen in den Augen seines Gegners und mochten erkennen, daß sie einen besonderen Mann vor sich hatten, einen Mann, der sich nicht einfach zusammenschlagen ließ. Sie mochten erkennen, daß der Gegner des Ranchersohns hart und rauh genug war, um zu schießen. So wagte es niemand, zum Colt zu greifen, zumal auch Marshal Knox von der anderen Straßenseite her, wo er sein Pferd auf den Gehplanken hatte, laut rief: „Versucht es nicht, Gents!“ Nun, für Jubal war das Einmischen des Marshals bitter, doch noch bitterer wurde es für ihn, als einer seiner eigenen Reiter, der bisher unbemerkt im Hintergrund gestanden hatte — George Gobel war es, mit dem Rod schon eine Auseinandersetzung hatte - laut sagte: „Er kam als Tramp, Jubal. Der Marshal nahm ihn unter seinen Schutz und hat ihn neu eingekleidet und ihm zu essen gegeben. Frage den Marshal, zu wem er je so großmütig war Frage ihn nach dem Namen, Jubal, und wohin er seinen Schützling bringen will!“ Marshal Knox ergriff das Wort und sagte zu Gobel gewandt. „Ich hatte dich für einen fairen Burschen gehalten, für einen Mann, der einmal große Schritte macht. Aber das scheint mir übertrieben zu sein. Du bist - 27 -
so wie die Gegner, die Rod Drake wie eine Hundemeute anfielen, rachsüchtig und unüberlegt!“ „Ich reite für die Strick-Ranch! Ich vertrete die Interessen der Ranch. Ich bin ein Cowboy und habe jetzt genug gesehen. Für einen revolverschwingenden Tramp habe ich keine Sympathien.“ Gobel machte eine verächtliche Handbewegung. Sicherlich hatte er nicht gesehen, daß Jubal zuerst zu den Eisen gegriffen hatte. Er wollte noch weitersprechen, doch die Veränderung, die mit Jubal bei der Nennung des Namens Rod Drake vor sich ging, fiel nicht nur ihm, sondern auch den anderen Raubreitern der Strick-Ranch auf. Es war, als sehe Jubal weder die vom Marshal angelüftete Waffe noch die seines Gegners, die auf ihn gerichtet war Er wiederholte den Namen mit heiser schwingender Stimme. „Rod Drake“, so als wollte er einem besonderen Klang nachlauschen. Dann wandte er sich ungeachtet der auf ihn gerichteten Mündung ab und ging zu seinem Schimmel, der sich bereits ungeschädigt aus dem Staub erhoben hatte, zog die Bauchriemen zurecht und schwang sich in den Sattel. „Wir haben uns nie leiden können, du und ich“, sagte er zu Rod, der seinen 45er ins Halfter zurückschob. „Ich wollte immer größer und stärker sein.“ „Aber das schafftest du nicht, Jubal!“ erwiderte Rod kalt. Jubal nickte. „Nein, obwohl wir gleich alt sind. Ich gebe zu, ich erreichte dich nicht.“ „Obwohl dein Vater alles tat, um dir diesen Vorsprung zu ermöglichen.“ „Er tat alles“, erwiderte Jubal Waco heiser „Jeder andere wäre an deiner Stelle daran zerbrochen, nur du - 28 -
anscheinend nicht. Hast du daraus keine Lehre gezogen? Du bist hier nicht erwünscht, Rod. Was willst du hier?“ „Zu dem Grab meiner Mutter, Jubal'', war die frostige Erwiderung, „in die Augen deines Vaters schauen und ihm einige Fragen vorlegen.“ „Er wird dir keine beantworten, Rod“, antwortete Jubal Waco. „Gibst du immer noch nicht auf? „ „Warum sollte ich?“ „Dann tust du mir leid. Ich vergesse nicht, daß du mir zweimal das Leben gerettet hast. Nur weil ich dir etwas schulde, sage ich es dir. Dad wird dich stellen und auslöschen. Niemand kommt gegen ihn an.“ „Doch ein Stück vergilbtes Papier, nach dem er und ich im alten Fort jahrelang suchten, die Ehrenurkunde meiner Mutter. Sage deinem Vater, daß ich sie fand, zusammen mit einigen anderen sehr wichtigen Papieren.“ Jubal Waco erbleichte. Schweiß trat auf seine Stirn. Er beugte sich weit im Sattel vor und sah Rod mit großen Augen an. „Jetzt begreife ich immer mehr, Rod!“ kam es keuchend über seine Lippen. „Aber glaubst du, daß es Dad in die Knie zwingt?“ „Vielleicht, es wird sich herausstellen. Jedenfalls hatte er seine Stiefschwester jahrelang so in der Gewalt, daß sie nicht wagte, von ihrer Eheschließung mit Captain Riffey zu berichten. Sie starb, und dein Vater ließ alle Welt in dem Glauben, daß ich ein unehelich geborener Sohn Riffeys sei. Er log aller Welt vor, daß er rechtmäßig Riffeys Besitz bekommen hat. Die Wirklichkeit sah anders aus. Die letzten geschriebenen Zeilen bei den Papieren berichten davon, daß Captain Dan Riffey schwerverwundet und mit letzter Kraft sich in das Gemäuer des alten Forts schleppte und hoch die Kraft - 29 -
fand, die Papiere und den letzten Brief, den er schrieb, zu verstecken, bevor er starb. Dein Vater hatte ihn an zwei Revolverleute ausgeliefert. Ihre Namen sind mir bekannt. Ich hole sie mir, denn sie sind noch heute bei der Mannschaft. Sie haben ihm keine Chance gegeben. Und nicht einmal nach dem Tode bekam er die Chance eines christlichen Begräbnisses. Dein Vater ließ ihn irgendwo verscharren. Niemand sollte wissen, was mit Captain Riffey geschah. Das alte Fort bewahrte sein Geheimnis und ließ es seinen Sohn entdecken. Das Schicksal wollte es, daß dieses Geheimnis nicht in die verkehrten Hände kam.“ Nicht ein Mann der Kavalkade rührte sich. Es war so, als ob die ungeheure Wucht der Anklage sie in den Sätteln regungslos machte und bannte. Marshal Knox hielt fester denn je seine Waffe umklammert. Er zuckte zusammen, als Jubal Waco an ihn die Frage stellte. „Haben Sie in die Papiere einsehen können, Marshal? Stimmt das, was Rod Drake uns auftischt? Ungeheuerlich, er sagt es mir in aller Öffentlichkeit und greift nach einem Riesenreich. Marshal Knox, beantworten Sie mir eine Frage!“ Knox hatte keine Urkunden, kein Papier zu sehen bekommen. Er war so erschüttert wie Jubal Waco, und er sagte wahrheitsgemäß: „Es tut mir leid. Rod Drake hat mich nicht in die Papiere einsehen lassen, Jubal Waco. Sicherlich wird er es bald nachholen, und dann wird das Gesetz die Sache übernehmen und durchfechten. Was immer auch dabei entschieden wird, es wäre besser für deinen Vater, wenn er sich mit Rod Drake ins Einvernehmen setzte und ihn anhören würde, sobald ein Treffpunkt und ein Termin - 30 -
ausgemacht würden. Es spricht für Rod Drake, daß er nicht gleich mit einer Stampede beginnen will, sondern es menschlich versucht. Für deinen Vater wäre es besser, wenn er diese Chance wahrnehmen würde.“ Jubal Waco gab keine Antwort. Sein Blick war fest auf Rod Drake gerichtet. Jeder Zuschauer konnte feststellen, daß die beiden in der Statur gewissen Ähnlichkeiten hatten, sonst sich sehr voneinander unterschieden. Ihre Blicke ließen sich nicht los. „Reiten wir“, befahl Jubal Waco seiner Mannschaft. Die Aufforderung genügte. Zusammen mit Jubal und der Mannschaft zog sich auch George Gobel zurück. Marshal Knox rief der Mannschaft noch nach: „Damit es keine Unklarheiten gibt, Rod Drake steht unter dem Schutz des Gesetzes.“ Nicht ein Mann aus dem Rudel antwortete. In düsterem Schweigen entfernten sich die Männer, und das Hufgeklapper ihrer Pferde hallte über die Mainstreet. Der Marshal und Rod setzten ihren unterbrochenen Ritt weiter fort. Als die Stadt hinter ihnen lag und sie Bügel an Bügel durch das hohe Präriegras ritten, wandte sich Marshal Knox an seinen jungen Begleiter: „Wenn es nur ein Trick von dir war, Rod, dann verstehe und begreife ich nicht, daß du auf meine Frage, was dich so sehr an das alte Fort bindet, dich ablehnend verhalten hast. Nur Jim und dich ginge es etwas an, hast du mir geantwortet. Nun, Jubal Waco ist nicht Jim Waco. Was veranlaßte dich dazu, die Karten so früh auf zu decken?“ Die Augen des Marshals richteten sich fest auf Rod, und als Rod nicht sofort antwortete, fuhr Knox weiter fort: „Glaubst du, mit einem Donnerschlag deinen Gegner warnen zu müssen? Glaubst du, daß diese Methode Jim Waco verleiten könnte, Fehler zu begehen? - 31 -
Oder hast du am Ende wirklich keinen Trick versucht und die reine Wahrheit gesagt?“ „Es war die Wahrheit, Marshal“, entgegnete Rod nachdenklich. „In diesem Falle, Rod, hättest du mir die Unterlagen vorlegen müssen!“ „Hätte das Jim Waco beeindruckt, Marshal?“ fragte Rod mit einem spöttischen Beiklang in der Stimme. „Glauben Sie wirklich, Marshal, daß ein so großer Mann wie Jim Waco glatt zu schlagen ist?“ „Nein, Rod! Ich habe am wenigsten Grund, so etwas zu glauben“, erklärte Marshal Knox bitter, womit er seine eigene Schwäche eingestand. „Solange mein Sohn lebte und für die Strick-Ranch ritt, waren mir die Hände gebunden. Ich hatte eine Binde vor den Augen, die mir jäh mit dem tragischen Tod meines Sohnes abgenommen wurde. Ich begann nachzudenken, und dabei fiel mir manches auf. Doch wenn ich zufassen wollte, glitt mir der große Mann durch das Fangnetz. Es war einfach nicht an ihn heranzukommen. Welche Fährte auch nach furchtbarer Tat zur Strick-Ranch zeigte, sie verwischte sich, wenn man sich der Ranch näherte.“ „Seien Sie froh darüber, Marshal“, unterbrach ihn Rod, „denn im anderen Falle hätten Sie schon längst einen Platz einige Handbreit unter der Erde.“ „Rod Drake, wenn du das so genau weißt, warum nur hast du dann die Karten offen auf den Tisch gelegt? In den nächsten Tagen wird die Hölle um dich herum sein, Rod!“ „Sie ist um alle Menschen. Niemand macht darin eine Ausnahme“, antwortete Rod. Überrascht hob Marshal Knox den Kopf. Mit schmal gezogenen Augenbrauen sah er seinen Begleiter an, doch - 32 -
Rod sah stur geradeaus in das Land hinein, in das wogende grüne Meer des Grases, das von bunten Blumenteppichen unterbrochen wurde, von Hügeln und Bodenwellen und kleinen parkähnlichen Wäldern durchbrochen war. Es war ein gewaltiges Land, ein Land, das einem Mann das Herz schneller und höher schlagen lassen konnte. Es war weit in der Runde einzusehen, so daß man die ziehenden, grasenden Rinderherden zwischen den Creeks, die wie blaue, gekrümmte Bänder das Land teilten, mit den winzig klein wirkenden Weidereitern erkennen konnte. In der glasklaren Luft rückten die Entfernungen näher. Doch alle Schönheiten der Natur konnten den Marshal heute nicht in Stimmung bringen. Die düsteren Worte seines jungen Begleiters, daß jeder Mensch sich mitten durch eine Hölle bewegte, erinnerten ihn daran, daß in der Tat in diesem Land der Kampf gegen die dunklen Mächte immer noch im Gange war Rinder- und Schafzüchter, Siedler und Farmer bekämpften sich. Der große Jim Waco hatte bisher mit Erfolg dem Vordringen der Siedler Einhalt geboten. Seine rauhen Methoden hatten jedes Siedeln unmöglich gemacht. Keinem Farmer und Siedler nützte freies Regierungsland, wenn Herden darüber getrieben und es durch Rinderstampeden verwüstet wurde, wenn die Saat gerade aufging. Unwillkürlich fragte sich Marshal Knox, ob es richtig war den jungen Mann zu den Linds zu bringen. Jetzt, wo Rod Drake auf eine recht drastische Art die wahren Hintergründe bloßgelegt und Jim Waco offen als Schuft und Schurken hingestellt, ihn somit herausgefordert hatte. Marshal Knox betrachtete das ernste Gesicht Rods. „Woran denkst du, Rod?“ fragte Marshal Knox mit heiser schwingender Stimme. - 33 -
„Daß mein Auftauchen bei einem Schafzüchter erneut das Land in eine Krise stürzen kann“, sagte er ruhig und fest wie ein Mann, der aus bösen Erfahrungen und hartem Lebenskampf weit über sein Alter gereift, die Situation durchdacht hat. „Vielleicht macht Lind nicht mit!“ „Wie kommst du darauf, Rod?“ „Er könnte weitsichtiger sein, als manch anderer, Marshal, und sich selbst keinen Kummer schaffen wollen!“ Marshal Knox richtete sich im Sattel auf. Eine Zeitlang sagte er nichts. Doch dann erwiderte er hart. „Mein lieber Rod, es gibt außer Jim Waco und einigen Kerlen seiner rauhen Mannschaft noch andere Männer, die aus Texas stammen. Einer davon ist Benny Lind. Ich glaube nicht, daß er vor Schwierigkeiten zurückscheut, nur weil sie von einem Rinderzüchter kommen könnten. Schließlich war auch Benny einmal Rindermann. Schließlich gehört auch er zu den Leuten, die dem Druck der Rinderleute nachgaben und umlernen mußten. Aber nicht nur Benny Lind gab seinen Cowboyberuf auf, es werden immer mehr Leute dem Drang und Zug der Zeit entsprechend umsatteln. Aus Cowboys werden Siedler, Farmer und Städter Das Gesetz wird sich immer tiefer verankern und die Schwachen und Kranken schützen.“ „Solange es aber nicht so ist, Marshal, sollte ein Mann darauf achten, daß seine Eisen locker im Halfter sitzen“, erwiderte Rod.
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4. Die beiden Reiter hatten die ersten Häuser der Siedlung erreicht. Lärm und Gebrüll schlug ihnen entgegen. Mitten auf der Fahrbahn hielt eine Reitergruppe. Man sah Frauen und Kinder, Männer und Greise in heller Aufregung. Niemand kümmerte sich um die Neuankömmlinge. Die Aufmerksamkeit der Menschen war auf die Reitergruppe gerichtet, die Rod und dem Marshal die Rücken zukehrte. Im Schritt bewegten diese Reiter die Pferde und trieben einen Mann vor sich her, der laut um Hilfe schrie und sich vergeblich gegen die Lassoschlinge, die ihm ein Mann übergeworfen hatte, anstemmte. Ein zweiter Reiter schlug mit einer Treiberpeitsche nach dem Gefangenen, so daß der Mann vor Schrecken und Angst in Bewegung blieb. Als Marshal Knox und Rod Drake näher herangeritten waren, sahen sie, daß der so schrecklich brüllende Mann barfuß ging. Er trug ausgefranste Hosen, eine verblaßte, abgeschabte Jacke und ging barhaupt, so daß sein langes, silberweißes Haar ihn wie eine Mähne umflatterte. Noch hatte die schreckliche Peitsche ihn weder getroffen noch gezeichnet. Sie trieb ihn nur erbarmungslos hart vorwärts. Kein Wunder, daß das erregende, nervenaufpeitschende Geschehen die Zuschauer fesselte und in Bann schlug, daß die Reiter und die Zuschauer den Marshal und Rod erst bemerkten, als die beiden ganz nahe heran waren. Marshal Knox hatte sich hoch im Sattel aufgerichtet. Schatten traten in seine Augen, sah er doch jetzt erst deutlich, wie der Mann mit der Treiberpeitsche mit unwahrscheinlicher Härte zuschlug. Ein Stolpern, ein Ausgleiten, eine falsche Bewegung nur, und schon mußte - 35 -
der Metallknaller am Ende der Peitsche mit furchtbarer Wirkung dem Gefangenen die Jacke vom Körper fetzen. Was in Marshal Knox vor sich ging, war an seinem bleichen Gesicht abzulesen. In ihm stand der Entschluß, der unwürdigen Situation sofort ein Ende zu bereiten. Der Drang in ihm war so stark, daß er nicht einmal Rods Zurückbleiben merkte. „Aufhören, sofort aufhören!“ Die laute Aufforderung des Marshals hatte zur Folge, daß der Peitschenschwinger seine Arbeit einstellte, der Reitertrupp augenblicklich die Pferde anhielt. Einige Reiter nahmen die Pferde herum, so daß der Marshal in die Gesichter der Männer blicken konnte. Sieben verwegene Kerle grinsten den Marshal höhnisch abwartend an. Es waren sieben hartgesottene Weidereiter, die, unwillig über die Störung, sich nicht lange aufhalten lassen würden. Ein bärtiger, düster blickender Kerl, der Anführer der kleinen Kavalkade, sagte trocken: „Mische dich hier nicht ein, Knox! Wir haben einen Pferdedieb gestellt, einen Schafhirten von der Lind-Crew. Er glaubte sich in der Siedlung verstecken zu können, doch wir trieben ihn auf und gaben ihm das, was ihm zusteht. Mische dich also nicht ein, Knox! Noch gelten die alten Gesetze, und auf Pferdediebstahl ...“ Er brach ab und machte eine bezeichnende Geste, die deutlich besagte, was dem Gefangenen geschehen würde. Der alte, silberhaarige Gefangene war zitternd stehen geblieben und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus der Stirn. Er atmete schwer. „Marshal!“ schrie er mit heiserer Stimme, „ich habe mit dem Pferdediebstahl nichts zu tun! Ich bin nur ein einfacher Schafhirte und wollte für die Lind-Ranch den - 36 -
Doc aus der Siedlung holen. Jemand schoß meinen Boß, Mister Benny Lind, aus dem Hinterhalt an. Kurz vor der Siedlung sah ich das Rudel Reiter hinter mir. Ich ahnte nichts Gutes und habe mich in der Siedlung verstecken wollen, aber sie holten mich aus dem Versteck und ...“ Seine Stimme brach ab. Er schluckte schwer. Mit weit geöffneten Augen sah er in die Runde, blickte seine Bedränger und die sich unruhig bewegenden Siedler im Hintergrund an. Da Marshal Knox nicht gleich antwortete, sondern nur sein Pferd gezügelt hatte und mit schmalgezogenen Augenlidern die sieben Reiter der Strick-Crew einzeln musterte, wirkte sein Schweigen auf den alten Schafhirten niederschmetternd. Der alte Mann führ mit heiserer Stimme weiter fort: „Sie können es nicht zulassen, Marshal, daß die Meute mich aus dem Leben bringt. Ich habe die reine Wahrheit gesagt. Ich wollte nur den Doc holen, doch ich kam nicht mehr dazu.“ „Er hätte ihn auch nicht angetroffen, Marshal“, meldete sich einer der Siedler aus dem Zuschauerkreis. „Der Doc ist zur Stadt geritten. Er will erst in einigen Tagen zurückkommen. Es stimmt, daß Pedro sich versteckte. Er kam aufgeregt auf meinen Hof geritten und bat um Schutz. Doch als ich von ihm hörte, wer hinter ihm her war, riet ich ihm, seine Flucht fortzusetzen. Sein Pferd war jedoch zu ausgepumpt. Er wäre damit nicht mehr weit gekommen. Ich konnte ihm auch kein frisches Pferd geben. Meine Ackerpferde sind zu lahm, um mit den Rinderpferden Schritt halten zu können. Ich riet Pedro, sich auf dem Heuboden zu verstecken, doch leider vergeblich. Zuerst packte man mich ...“ Der Siedler, dessen Gesicht zerschunden war, trat näher „Ich bin kein - 37 -
Held“, sagte er mit einem Blick auf die Reiter. „Ich hielt ihren Schlägen nicht lange stand. Sie gaben mir mehr, als ich verdauen konnte. Als ich wieder richtig zu mir kam, muß ich wohl gesprochen haben. Sie ließen von mir ab und holten sich Pedro. Was dann kam, hast du selbst gesehen, Marshal.“ Für wahr, das hatte Marshal Knox! Mit rauher Stimme forderte er die Kerle auf, sofort die Lassoschlinge zu lösen. Niemand rührte sich. Es war deutlich zu erkennen, vor wem die Siedler Furcht hatten. Der schwarzbärtige, finster blickende Kerl der Raubreiterhorde grinste noch höhnischer. „Die Sache hier geht dich nichts an, Marshal. Uns wurden einige der besten Zuchtpferde abgetrieben. Pedro ist einer der Pferdediebe. Bevor er zur Hölle fährt, wird er uns noch verraten, wer mit ihm unter einer Decke steckt. Wir haben es stets so gehalten, daß wir unsere Angelegenheiten selbst regeln. Das bleibt auch so! Kümmere dich um das, was in der Stadt vorgeht, Marshal! Du hast dort genug zu tun. Hier bist du nur im Wege. Wir haben den Befehl unseres Bosses und werden ihn auch durchführen. Wenn den Schuften nur einmal ein solcher Streit gelingt, werden sie es immer wieder versuchen.“ „Marshal, du hörst es!“ rief der rauh behandelte Siedler mit einem schrecklichen Lachen. „So war es immer schon, seit vielen Jahren! Die große Ranch kennt keine Kompromisse, sie schlägt gnadenlos zu, wenn sie sich bedroht glaubt. Sie fragt wenig danach, was uns Siedlern und Farmern dadurch zugefügt wird, wenn ihre Rinder unsere Felder zerstampfen, die Ernten und Bodenfrüchte vernichten und wir vor dem Ruin stehen. Der große Boss Waco duldet keine Eine-Kuh-Rancher, keine - 38 -
Weiterentwicklung des Landes, keinen Zustrom von Menschen, die sich hier niederlassen und siedeln wollen. Er ist groß und wird noch immer mächtiger Jeder soll sich vor ihm beugen. Zur Hölle damit! Du kannst nicht zulassen, Marshal, daß sie Pedro mitnehmen und ihr gemeines Spiel zu Ende bringen. Ich habe lange still gehalten und geduldig zugesehen, aber ich kann nun nicht länger schweigen. Es ist hoffentlich wieder ein gemeiner Trick der Strick-Ranch-Crew. Es paßte alles so schön zusammen. Benny Lind wurde aus dem Hinterhalt angeschossen. Pedro bezichtigt man des Pferdediebstahles. Vielleicht will jemand verhindern, daß dem Schafzüchterboss ärztliche Hilfe zuteil wird.“ Weiter kam der Mann nicht. Der Reiter mit der Bullpeitsche schlug zu. Das Leder mit dem schrecklichen Metallknaller pfiff durch die Luft. Aus vielen Kehlen formte sich ein Laut, der einem Stöhnen gleichkam. In diesen unheimlich klingenden Laut platzte wie ein Donnerschlag die unheimlich klingende Detonation eines Schusses hinein. Wie von unsichtbarer Hand abgeschnitten flog ein Teil der Peitschenschnur über den Kopf des Siedlers, der sich unwillkürlich geduckt hatte, doch gewiß mit seiner Reaktion zu spät gekommen wäre. Ohne Zweifel wäre der Mann voll getroffen worden. Die Kugel aber, die aus Rods 45er abgeschossen worden war, hatte es verhindert. Rods rauchender Revolver hatte sich blitzschnell auf den Peitschenschwinger gerichtet. Doch es war nicht das allein, was die Reiter irritierte, sie alle verstanden etwas vom Schießen. Jeder wußte augenblicklich, daß das kein Zufallstreffer war. Am tiefsten beeindruckte, daß die Kugel in der Bewegung und in der herrschenden Dämmerung ihr Ziel getroffen hatte. Wieder war ein vielstimmiges Stöhnen und auch ein - 39 -
gedämpftes Flüstern zu hören. Jetzt erst trat Rod Drake voll in den Vordergrund des Geschehens. Seine Stimme drang volltönend zu Nixon — so hieß der Peitschenschwinger - der wütend seinen neuen Gegner anstarrte. „Du hast dich nicht viel verändert, Nixon“, sagte Rod vom Sattel des Falben her. „Dein Jähzorn und dein unüberlegtes Handeln halten sich noch immer die Waage. Die Wahrheit hast du schon früher totzuschlagen versucht. Von wem stammt die Idee des angeblichen Pferdediebstahls? Wohl von Duadle, wie?“ Daß Rod die Namen der beiden, den des Anführers und den des Peitschenschwingers aussprach, hatte zur Folge, daß eine nervenaufpeitschende Ruhe eingetreten war, der Peitschenschwinger Nixon sich hoch in den Steigbügeln aufstellte und der schwarzbärtige Anführer Duadle die Augenlider zusammenkniff, als hätte er beim Klang der Stimme eine ganz besondere Witterung bekommen. „Zum Teufel, wer bist du eigentlich, der sich das Recht anmaßt, sich hier einzumischen!“ fauchte der fahlgesichtige Nixon böse. Noch bevor Rod antworten konnte, sagte der Anführer Duadle rauh: „Schau ihn dir genau an, Pete, schau ganz genau hin!“ „Ich sehe einen jungen Wolf, Sam“, erwiderte Nixon. „Sicherlich weiß er nicht, was dieses Einmischen für ihn bedeutet. Stecke deinen Revolver ein, Freund! Stecke ihn zurück, bevor wir dich in Stücke schießen. Die StrickCrew läßt sich von niemandem in der Welt aufhalten.“ „Etwas Ähnliches sagte heute bereits Jubal Waco zu mir“, erwiderte Rod. „Pete“, rief Duadle wütend, „versuch es nicht!“ Nixon, der trotz des auf ihn gerichteten Revolvers - 40 -
seine Waffe ziehen wollte, stoppte mitten in der Bewegung. Jetzt erst schien er etwas Wichtiges entdeckt zu haben. „Rod Drake!“ kam es heiser von seinen Lippen. Er ließ sich augenblicklich in den Sattel zurückfallen. „Man sollte es ihnen jetzt geben!“ schrie ein Siedler böse. „Los Männer, holt die Cowpuncher aus den Sätteln! Zahlen wir ihnen das zurück, was schon längst fällig ist!“ Seine Aufforderung zeigte sofort Wirkung. Jetzt erst wurde offenbar, wie sehr sich der Haß in den Unterdrückten aufgespeichert hatte, wie er nach einem Ventil suchte. Gleich zwei Mann sprangen zu Pedro und lösten ihn aus der Lassoschlinge, die seinen Oberkörper noch immer umspannt hielt. Über ein Dutzend Männer, die mit Schrotgewehren, alten Vorderladern und Pistolen bewaffnet waren, setzten sich in Bewegung. „Einen Augenblick Männer“, mischte sich Marshal Knox ein, „nicht so! Wenn ihr euren Vorsatz durchführt, stehen heute nacht alle eure Hütten in Brand. Rohe Gewalt fordert Vergeltung. Wollt ihr alles, was ihr errungen habt, aufgeben7 Wollt ihr mit euren Familien obdachlos sein, das Letzte verlieren?“ Die eindringlichen Worte des Marshals stoppten die Männer „Wir glauben Pedros Worten“, rief Miller „Die StrickRanch versucht wieder einen ihrer bösen Tricks, um sich der Männer zu entledigen, die ihnen lästig oder gefährlich werden. Sicherlich ist unter den Kerlen jemand, der Benny Lind anschoß, Marshal.“ „Nixon, Duadle, vielleicht könnt ihr euch dazu äußern?“ fragte Rod mit schneidender Schärfe. Nixon fingerte an dem Rest seiner Peitsche. Sein - 41 -
grimmiges Lächeln zeigte seine innerliche Verfassung. „Wie groß bist du geworden, Drake?“ entgegnete er rauh. „Größer als Captain Riffey etwa? Nun, so groß kannst du nicht werden, und doch zog Riffey es vor, aus dem Lande zu reiten!“ „Falsch, Nixon! Deine Kugel holte ihn aus dem Sattel, nachdem Captain Riffey schon einige Kugeln von Duadle hatte hinnehmen müssen. Captain Riffey hat nie daran gedacht, sein Recht aufzugeben und aus dem Lande zu reiten, um seinem Vormann sein Reich zu überlassen. Leider machte er einen großen Fehler. Er vertraute zu sehr Jim Waco und glaubte zu sehr daran, daß Treue, Rechtschaffenheit und Freundschaft jeden Betrug, jede Gemeinheit ausschalten könnten. Die nackte Wirklichkeit war jedoch anders. Wie sehr seid ihr eigentlich alle mit Jim Waco verbunden?“ Nixon verfärbte sich. Sein sonst schon leichenblasses Gesicht wirkte jetzt grau. Duadle saß steil aufgerichtet im Sattel und pfiff durch die Zähne. „Was du uns da in die Stiefel zu schieben suchst, mußt du erst beweisen, Drake.“ „Das kann ich jederzeit. Ihr beide, du und Nixon, seid aalglatte Verbrecher, eurem Boss tatsächlich ebenbürtig. Ihr beide wißt genau, mit welcher List, wie tückisch und gemein Jim Waco sich in den Besitz der Strick-Ranch setzte. Ihr wißt nur zu gut, daß Jim Waco nur der Vormann meines Vaters war.“ „Dein Vater. Hör, er gab dir nicht einmal seinen Namen!“ „Auch das gehörte zu eurem Spiel Er gab mir seinen Namen, aber das sollte totgeschwiegen werden. Meine Mutter hatte nach seinem Tode die Hölle auf Erden und ich einen Feind, der mich schon als Kind haßte. Mein - 42 -
Vater hat meiner Mutter die Ranch testamentarisch verschrieben, und diese Tatsache war Jim Waco bekannt. Irgendwie gelang es ihm, einen solchen Druck auf meine Mutter auszuüben, daß sie ihm die Ranch überließ. Sie starb an gebrochenem Herzen, sie starb, weil sie die Schlechtigkeit der Menschen, die ihr eigentlich nahe stehen sollten, nicht überwinden konnte. Bevor sie aber starb, informierte sie mich noch über einige Dinge. Jim Waco ahnte es und bereitete mir die Hölle auf Erden.“ Rod Drake brach ab und schaute über seinen 45er zu Nixon hin, den er noch immer vor seiner Waffe hatte. „Ich habe die Beweise“, sagt er, jedes Wort gut betonend. „Niemand kommt davon!“ Nixon hatte mit steigender Unruhe zugehört. Duadle hatte sich bedeutend besser in der Gewalt. In seinem unbewegten Gesicht zuckte kein Muskel. Er grinste widerlich. „Du tust sehr großspurig, Drake“, sagte er, als Rod schwieg. „Niemand kann uns solche Dinge sagen, ohne ungestraft davonzukommen. Du hast dein eigenes Urteil gesprochen, wir werden ...“ „Also gut, fangen wir gleich an“, wurde er von Rod unterbrochen. „Wer von euch will der erste sein?“ Das war eine glatte Herausforderung, noch dazu in einer Art ausgesprochen, die darauf hinwies, daß der junge, hagere Wolf nicht zum erstenmal eine solche Situation meisterte. Selbst Marshal Knox lief es heiß und kalt den Rücken hinunter, als er die Herausforderung aus Rods Mund hörte. Zum zweitenmal schaffte die unbeugsame Art Rod Drakes eine Situation, die heißer nicht sein konnte. Rod Drake, besser gesagt Rod Riffey, denn das war sein wirklicher Name, mußte wirklich schon sehr handfeste - 43 -
Beweise haben und eine unheimlich glatte Kugel schießen, daß er beide Gegner schon als erledigt betrachtete. Das war geradezu unheimlich, das ging an die Nerven. Vielleicht bluffte er nur, aber schließlich hatte er keine unerfahrenen Kerle vor sich, sondern bewährte Schießer, Revolvermänner, deren düsterer Ruhm schon in Texas bestand. Marshal Knox faßte sich an die Kehle. Sie war ihm zu eng geworden. Vom Augenblick seines Auftauchens an hatte Rod Drake ihn in Bewegung gehalten. Seine Aufforderung zum tödlichen Reigen jedoch kam ihm, nachdem beide Parteien sich beruhigt zu haben schienen, sehr ungelegen. „Marshal“, wandte sich Rod Drake an diesen, als hätte er seine Gedanken gelesen, „es sollte dich kümmern. Ich bin sicher, daß dir Nixon und auch Duadle eine Menge über den Tod deines Sohnes erzählen könnten. Wie wäre es damit, Nixon und Duadle?“ wandte sich Rod an die beiden. Duadles hämisches Grinsen erlosch. Nixon fingerte nicht mehr an der Peitsche. Mit einer geschmeidigen Bewegung hing er die Treiberpeitsche über das Sattelhorn. „Du bist zu weit gegangen, Rod Drake“, sagte er kehlig. „Macht Platz, Leute, gebt die Schußbahn frei! Niemand hat bisher von Pete Nixon sagen können, daß er einer Aufforderung zum Reigen aus dem Weg ging. Drake, du hast uns aufgehalten und meine Peitsche in Stücke geschossen, so etwas kann man mit mir nicht machen! „ „Um so besser“. Auf dem Gelände des alten Forts liegt jemand in einem Grab, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht ruhen konnte „ - 44 -
„Narr!“ sagte Nixon höhnisch. „Sollte ich es wirklich nicht schaffen, dann kannst du dir ausrechnen, wie weit du noch kommst!“ „Darüber solltest du dir keine Gedanken machen, Nixon. Ich beabsichtige, noch Jim Wacos persönlichen Gegner, Benny Lind, aufzusuchen“, erwiderte Rod mit unbewegtem Gesicht. Er glitt dabei aus dem Sattel Rebells und trat zur Seite. „Jim Waco, ihr beide und noch einige Kerle eures Gefolges, ihr alle seid davon überzeugt, daß ihr unschlagbar seid. Aber es gibt einige Texaner in Wyoming, die ganz anders darüber denken. Wenn diese Männer erst erfahren, auf welche Weise Jim Waco meinen Vater ausplünderte...“ Er sprach nicht weiter. Was hatte es auch für einen Sinn, diesen Männern die Gemeinheiten Jim Wacos vorzuhalten. Rod schien nicht die geringste Nervosität anzuhaften. In der Gelassenheit stand ihm auch Nixon nicht nach. „Es gibt keinen Kampf“, sagte Duadle plötzlich entschlossen zu Nixon. „Das ist ein Befehl!“ Nixon fuhr wie von einer Tarantel gestochen zu dem Bärtigen herum und sagte heiser: „Zum Teufel, Sam, das ist meine Sache!“ „Nicht mehr jetzt! Wir reiten!“ „Reiten? Das würde Feigheit gleichzusetzen sein. Ich fliehe nicht, Sam!“ erwiderte Nixon wütend. „Dann trage es ohne uns aus“, gab ihm Duadle zur Antwort. „Anscheinend sind wir der falschen Pferdediebfährte gefolgt.“ „Dieser Drake hat uns genug zu schlucken gegeben. Willst du das hinnehmen?“ „Der Zeitpunkt und die Umgebung passen mir nicht, Pete“, gab Duadle zur Antwort. Sein Blick schweifte - 45 -
dabei zu den Siedlern hin. „Außerdem möchte ich Marshal Knox nicht in Verlegenheit bringen. Es würde ihm schwer fallen, uns einen freien Abzug zu verschaffen.“ Pete Nixon starrte seinen Vormann mit flammenden Augen an, dann grinste er zu Rod hinüber. „Tut mir leid, mein Junge, aber deinen Skalp hole ich mir noch.“ Bei diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen, daß das Tier schrill aufwieherte und davon schoß. Er drehte sich nicht einmal im Sattel um, als das Pferd davonjagte, als sei der Teufel hinter ihm. Es kümmerte ihn scheinbar auch nicht, daß die Mannschaft nicht gleich folgte. „So ist es, Drake, es tut mir leid“, sagte auch Duadle, indem er sich in sichtlichem Spott vor Rod verbeugte. „Entschuldige, daß ich die Einladung zum Tanz ausschlug.“ „Duadle“, entgegnete Rod mit unheimlich ruhiger Stimme, „etwas ist mir klar geworden. Es wäre nicht richtig von mir, jetzt auf meiner Forderung zu bestehen. Später hätte ich mir Vorwürfe gemacht. Es ist gut so, verschwinde mit deiner Mannschaft!“ Duadles Augen bekamen einen stechenden Ausdruck. „Bleib am Boden, mein Junge“, sagte er unnatürlich ruhig. „Du wirst ein Riesenrinderreich nicht aus den Angeln und Jim Waco nicht aus dem Sattel heben.“ „Ich wäre mir an deiner Stelle nicht so sicher, Duadle“, erwiderte Rod spöttisch. Beide Männer warfen sich einen festen Blick zu. Dann trennten sie sich. Beide wußten, daß die Entscheidung nur hinausgezögert war, daß der Kampf auf Leben und Tod unausweichlich kommen mußte. Rod schaute hinter dem Reitertrupp drein, der sich - 46 -
rasch aus der Siedlung entfernte. Unter den Hufen ihrer Pferde wirbelte eine Staubwolke auf. Bald waren sie in der Nacht, die unaufhaltsam hereinbrach, verschwunden. „Jim Waco wird jetzt von seinem Sohn und seinen besten Freunden gewarnt. Du machst dir das Leben selbst schwer, mein Junge. Warst du so sicher, daß du den Kampf überlebt hättest?“ fragte Marshal Knox. „Jetzt nicht mehr, Marshal“, antwortete Rod. „Man muß frei von Rachegefühlen sein, um es richtig zu sehen. Ich habe mich wohl ein wenig überschätzt. Doch im Augenblick geht es nicht um mich. Fragen wir Pedro, wie und wo es seinen Boß Benny Lind erwischte.“ „Bevor wir das tun, eine Frage noch: Glaubst du, daß mein Sohn Tim, der ja für die Strick-Ranch ritt, von den eigenen Leuten aus dem Sattel geholt wurde?“ „Ja“, sägte Rod. „Wer unbequem wird, hat nicht mehr allzu lange auf der Strick-Ranch zu leben.“ „Wie sollte das im Zusammenhang mit meinem Sohn zu verstehen sein? Er war ein ruhiger, aufgeschlossener Junge, ein Kamerad und Freund denjenigen, die er gern hatte. Ich kann nicht verstehen, warum man Tim ...“ „Marshal“, unterbrach ihn Pedro, „solange es einen Scheinfrieden zwischen Schaf- und Rinderzüchtern gab, wollte ich diesen durch meine Aussage nicht stören.“ „Was willst du damit sagen, Pedro?“ fragte der Marshal den weißhaarigen Mann, der sich rasch von seinem Sehrecken erholt hatte. „Nixon hätte dir diese Frage beantworten können. Tim traf es im Grenzgebiet unserer Weide, als er Betty Lind einen Besuch abgestattet hatte. Nixon war ihm gefolgt. Tim hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl. Jedem Reiter der Strick-Ranch war es verboten, das Land der Schafzüchter zu betreten. Tim hatte sich über dieses - 47 -
Verbot hinweggesetzt. Er war jung und unerfahren und glaubte, daß er als Mensch private Gefühle haben könnte. Man sah ihn gern auf der Lind-Ranch, obgleich Benny Lind und auch Betty ihn immer wieder warnten und ihn baten, seine Besuche aufzugeben. Er schlug alle Warnungen in den Wind. Und dann geschah es!“ „Was geschah?“ Der Marshal schwang sich aus dem Sattel und faßte Pedros Schultern, zog ihn ganz nahe an sich heran. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber. Pedros Blick flackerte nicht, als er sagte: „Sein letzter Besuch brachte deinem Sohn den Tod.“ Der Marshal schluckte wie an einem unsichtbaren Knäuel. Dann bat er Pedro, alles zu erzählen. 5. Pedro berichtete. Er hatte damals die Schüsse gehört und Nixon im Davonreiten erkannt. „Ich habe mich nicht getäuscht“, versicherte er, als er dem Marshal in die Augen blickte. „Benny Lind hatte mich deinem Jungen nachgeschickt. Es tut mir leid, daß ich nur noch eines konnte, Tims Tod feststellen. Ich habe ihn quer über den Sattel seines Pferdes gelegt und ihn zur Stadt gebracht.“ „Damals aber hast du nur erwähnt, daß du ihn tot aufgefunden hast. Warum kamst du mit der Wahrheit nicht gleich heraus, Pedro?“ „Ich hatte Furcht, Marshal“, erwiderte Pedro heiser. „Die Angst in mir war stärker als alle anderen Überlegungen. Ich habe das Gefühl der Angst wie eine drückende Last mit mir herumgeschleppt, bis mir heute klar wurde, daß man mir, ob ich redete oder nicht, keine Chance lassen würde.“ „Hat Nixon dich damals gesehen, Pedro?“ fragte Rod. - 48 -
„Ich weiß es nicht“, antwortete Pedro. „Ich nahm an, daß er sich erst später ausrechnete, daß es so gewesen sein könnte. — Wir sollten aber jetzt schleunigst hier verschwinden. Es ist anzunehmen, daß die Meute mit Verstärkung bald zurückkommt.“ „Miller, auch du solltest nicht mehr hier bleiben“, gab der Marshal dem Siedler den Rat, doch Miller schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht fort. Der Zustand meiner Frau hindert mich daran, die Kinder müssen versorgt werden, sie sind noch zu klein, um sich selber helfen zu können. Nein, ich kann nicht fort.“ „Du solltest auf den Marshal hören“, sagte ein anderer Siedler. „Wir versorgen deinen Haushalt, deine Kinder und deine Frau und erledigen alles Weitere. Mach dich für einige Tage aus dem Staube. Es ist sicherlich besser so.“ „Benny Lind braucht einen Doc“, sagte Pedro. „Er ist gefährlich verwundet worden. Zwar ist Betty bei ihrem Vater, aber nur ein Doc kann wirklich helfen.“ „Ich werde ihn holen“, sagte der Marshal entschlossen. „Reite mit Rod und Miller zurück zur Ranch, Pedro. Ich hole den Doc, und wenn ich ihn mit dem Colt zu Benny Lind bringen müßte. Das könnte nicht einmal der große Waco verhindern.“ Rod führte den kleinen Trupp an. Obwohl er lange fortgewesen war, hatte sich wenig verändert. Er ritt nicht auf dem Hauptweg, den die Treckkarawanen, Maultiergespanne, die Stagecoaches und die Treibherden benutzten. Nach zwei Stunden etwa hatten die Reiter die wilde Hügelkette erreicht, die die natürliche Grenze zwischen Rinder- und Schafland bildete. Dumpfer Hufschlag, den - 49 -
der Wind ihnen zutrug, zwang sie, in Deckung zu reiten. Nach kurzer Zeit sahen sie einen großen, schnell reitenden Cowboytrupp näher kommen. Pedro, der sein Reittier neben dem Falben Rods angehalten hatte, sagte leise; „Es wird der große Jim Waco sein. Ein böser Wind hat ihn aus seiner Burg gefegt!“ Pedros schräggestellte dunkle Augen blickten Rod fragend an. Rod atmete schwer. Deutlich konnte man aus der Deckung der Büsche die nächtlichen Reiter beobachten. Es waren zwei Dutzend an der Zahl. Sie wurden von einem Rappreiter geführt, der einige Pferdelängen voraus an der Spitze des Trupps ritt. Der Reiter wirkte groß, schwer und massig im Sattel. Für einen Moment konnte Rod in das finster wirkende Gesicht des Reiters schauen. Es war sehr kantig und schien aus Basalt gemeißelt zu sein. Die buschigen Brauen und die tiefliegenden Augen gaben dem Gesicht das Gepräge eines rücksichtslosen Menschen, eines Menschen, der sich ohne Erbarmen durchsetzen würde. Nur für Sekunden hatte Rod in das ihm gut bekannte Gesicht gesehen. Dabei war es, als berühre ein Unsichtbarer sein Herz mit einer eiskalten Hand. „Sie befinden sich auf Wolfsjagd, Rod“, sagte Pedro leise mit heiserer Stimme. „Gott stehe den Menschen in der Siedlung bei.“ „Es wäre ein Fehler, wenn Jim Waco ihnen etwas zuleide tun würde. Er könnte es nicht mehr gutmachen“, antwortete Rod, doch Pedro spie zur Seite aus und sagte: „Was fragt dieser Bursche schon danach! Für alle seine Untaten findet er stichhaltige Gründe. Es ist Rinderdiebstahl oder sonst etwas an den Haaren herbeigezogenes. Der Teufel soll ihn holen! Wir hatten ihn so gut im - 50 -
Visier, es wäre leicht gewesen.“ „. ... mit ihm zusammen zur Hölle zu fahren? Nein!“ unterbrach ihn Rod. Auf Schleichwegen ritten sie weiter. Eine halbe Stunde später sahen sie die Lind-Ranch vor sich liegen. Die Witterung ihrer Pferde ließ über ein Dutzend Hunde anschlagen. Die drei hielten an und schauten zu der Ranch hin, die wie ein Fort erbaut, mit Palisaden umgeben war. Benny Lind hatte genau gewußt, warum er seine Ranch so ausgebaut hatte. Sie glich einer kleinen Festung. Innerhalb der Palisaden lagen die Schuppen, Scheunen, die Schmiede und die Mannschaftshäuser, Pferdeställe und das Ranchhaus. Alles war aus frischem Holz errichtet, doch stark und solide gebaut. Eine laute Stimme rief ihnen zu: „Wer ist da?“ Worauf Pedro antwortete: „Sam, mach das Tor auf!“ „Ist der Doc bei dir, Pedro?“ wollte der Frager wissen. „Nein!“ Ein unterdrückter Fluch wurde hörbar. Quietschend öffnete sich das Tor. In der Dunkelheit bewegten sich einige Männergestalten. Es gab keinen Zweifel, Benny Linds Schafranch war sicherlich eine der größten im Lande. Rod, Pedro und Miller schwangen sich, im Ranchhof angelangt, von den Pferden. Sofort wurden ihre Reittiere von den Schafhirten fortgeführt. Der Schäfer Sam, ein alter Mann, wandte sich an Pedro: „Es wird niederschmetternd für Betty sein, wenn sie erfährt, daß du keinen Doc mitbringst, Pedro. Dem Boß geht es gar nicht gut. Was ist passiert?“ Pedro teilte es ihm mit kurzen Worten mit. Sam hörte aufmerksam zu, und als Pedro endete, schlug er mit der - 51 -
geballten Faust wie nach einem unsichtbaren Gegner durch die Luft. „Es kann so nicht weitergehen! Lange genug haben wir uns von den hochnäsigen Kuhhirten über die Schultern anblicken lassen. Rod Drake, du stehst wahrhaftig nicht allein im Kampf gegen die Höllenmeute. Wir Schäfer wissen genau, wie man Coyoten bekämpft. Kommt ins Haus, Freunde, sicherlich will euch Benny sehen. Vielleicht rüttelt es ihn auf, wenn er dich, den Sohn von Captain Riffley, sieht.“ „Wichtiger wäre der Anblick des Doc, Sam“, unterbrach ihn Rod. „Marshal Knox wird alles daransetzen, um Benny Lind die gewünschte Hilfe zu verschaffen. Steht es sehr schlimm?“ „Schlimm genug, junger Mann“, erwiderte Sam. „Drei Kugeln erhielt Benny, eine traf ihn übler als die andere. Es ist ein Wunder, daß er noch lebt, daß er noch bei Besinnung ist. Wir haben für ihn getan, was wir konnten, doch ohne einen Doc ...“ Er machte eine fahrige Bewegung und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Betty Lind war aus dem Haus getreten und blieb auf der Veranda stehen. Ihre Augen mußten sich erst an die herrschende Dunkelheit gewöhnen. Dann sagte sie nach einer Weile mit melodisch weich klingender Stimme: „Oh, du bist zurück, Pedro?“ Sie verstummte und trat rasch näher. Miller erkannte sie ebenfalls sofort, doch Rods Anblick schien ihr klarzumachen, daß ihre Hoffnung, den Doc zu begrüßen, umsonst war. Sie zuckte zusammen. Ihre Hände fielen kraftlos herab. Man sah ihr trotz der Dunkelheit deutlich die Enttäuschung an. Sie wandte sich ab. Pedro trat rasch zu ihr und sprach auf sie ein. Er nahm ihren Arm, und indem er den anderen - 52 -
zuwinkte, führte er sie ins Haus hinein. Miller und Rod folgten. Sam blieb draußen und schloß die Tür hinter ihnen. Betty mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein. Dunkelrotes, gelocktes Haar umrahmte ihr Gesicht, das, im Nacken zu einem Knoten zusammen gefaßt, von einem Perlmuttkamm gehalten wurde und viel zu schwer zu sein schien. Ihr Gesicht war gemmenhaft geschnitten, von einer makellosen Reinheit. Schwarze lange Wimpern umgaben meergrüne Augen. Ihr Mund war so rot und so verlockend geschwungen, daß Rod sein Herz schneller schlagen hörte. Als Pedro endete, trat Betty auf Rod zu. Ein weiches Lächeln lag um ihren Mund. Ein Lächeln, das die Traurigkeit augenblicklich fortwischte und zeigte, wie tapfer sie sein konnte. „Es tut mir leid, daß ich eine so schlechte Gastgeberin bin“, sagte sie zu Rod. „Es tut mir leid, daß ich dich nicht gleich erkannte.“ „Es ging mir ebenso, Betty. Damals spielten wir als Kinder zusammen, damals war dein Vater noch Cowboy bei Waco.“ „Inzwischen hat sich vieles geändert.“ Ihr Blick suchte den seinen. Es war ein ruhiger, sanfter Blick, und wieder schlug sein Herz schneller „Ich kam zurück, Betty, um einiges zu erledigen.“ „Du warst sehr lange fort!“ Er überhörte den leisen Vorwurf in ihrer Stimme und kämpfte seine Verwirrung nieder Er sagte heiser: „Ich habe mir keinen guten Zeitpunkt gewählt, Betty. Hat Pedro dir gesagt, was mich hierher führt? „ „Ja“, antwortete sie ihm. „Mein Vater wird dich einstellen. Komm mit!“ - 53 -
Eine Tür wurde von ihr geöffnet. Er hörte sie sagen. „Dad, ich bringe dir Rod Riffey, den Sohn deines Captains. Rod will für dich arbeiten, Dad. Wirst du ihn in die Lohnliste eintragen lassen?“ Sie trat beiseite und ließ ihn ins Zimmer eintreten. Der trübe Schein einer Petroleumlampe fiel auf ein hageres, abgezehrtes Gesicht, in dem die Augen gleich Lichtern tief in den Höhlen brannten. Es war ein vom Tode gezeichnetes Gesicht. Kein Doc würde hier mehr helfen können, dachte Rod und schluckte an einem unsichtbaren Knäuel. Die Augen des aufrecht im Bett sitzenden Mannes waren fest auf ihn gerichtet. Sie waren weit offen, so als sähe der Sterbende eine Erscheinung aus einer anderen Welt. „Captain Riffey“, kam es spröde von seinen Lippen. „Captain, lange hast du auf dich warten lassen. Du kommst, um mir zu helfen. Ich wußte, daß du kommen würdest, daß man dich nicht wie einen gewöhnlich Sterbenden niederschießen kann, Captain. Du kommst zur rechten Zeit, früh genug, um meine Arbeit zu vollenden und die Ranch zu übernehmen. Es geht mit mir zu Ende, Captain.“ Wie im Fieber waren die Worte gesprochen. Sicherlich war der Kranke nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Die roten Flecken auf seinen Wangen zeigten es deutlich an. Rod spürte, wie sich die eiskalte Hand des Mädchens hastig auf seinen Handrücken preßte und hörte sie sagen: „Rod, sage ihm nicht, wer du wirklich bist. Es ist zu Ende. Laß ihn den Glauben mit hinübernehmen. Ich bitte dich, Rod! Dad hat sich so sehr das Wiedersehen mit Captain Riffey gewünscht. Er sieht deinen Vater in dir. Es kommt ihm nicht zu Bewußtsein, daß Captain Riffey nicht mehr jung sein kann. Dad stirbt!“ Ihre vor - 54 -
Erregung schwingende Schluchzlaut ab.
Stimme
brach
mit
einem
6. „Dan“, sagte Benny Lind und gebrauchte jetzt die vertrauliche Anrede, den Vornamen Captain Riffeys und das war ein weiteres Zeichen, wie kameradschaftlich Rods Vater und Benny Lind verbunden waren - „Dan“, sagte Benny, „du hast dich zuwenig um deine Ranch gekümmert. Deine Ziele waren immer ein wenig zu hoch gesteckt, und du hast zu sehr deinem Vormann Jim Waco vertraut. Du hättest das Land nicht verlassen dürfen. Du hättest bleiben sollen! Dann wäre es nie soweit gekommen, dann hätte auch unser Land an der Weiterentwicklung teilgehabt.“ Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer, doch als seine Tochter Betty ihn bat, sich nicht allzu sehr anzustrengen, winkte er ihr ab. „Laß nur, Mädel“, sagte er mit einer Stimme, in der eine über den Dingen schwebende Ruhe schwang. „Meine Zeit hier auf dieser Weide ist zu Ende. Ich habe mir noch etwas vom Herzen zu reden, Darling. Geh, hole Onkel Sam, hole die Männer der Sippe herein, geh und beeile dich!“ Ihre Hände tasteten nach Rods Rechte und umklammerten sie fest. Rod spürte, wie sie bebte und zitterte. Dann wandte sie sich ab, ging hinaus, um den Wunsch ihres Vaters zu erfüllen. Rod war jetzt allein mit dem Sterbenden, dem dicke Kissen im Rücken das Aufrechtsitzen im Bette möglich machten. Jetzt, da Benny Lind die Decke vom Oberkörper glitt, sah er die blutdurchtränkten Verbände und erschauerte. Benny Lind bemerkte es, und wahrhaftig, er lächelte. - 55 -
„Es ist seltsam, Dan“, hörte er Benny sagen. „Nach dem Schock habe ich gebrüllt und geschrien und mir die Lippen blutig gebissen, doch jetzt wird mir immer leichter. Ich habe kaum noch Schmerzen. Sie verwehen wie mein Leben.“ Das Lächeln um seine Lippen erlosch. Unruhig sah er zur Tür hin. Rod hörte Schritte und sah dann Betty, die eine Schar Männer ins Zimmer führte, die alle ernste, besorgte Gesichter zeigten. Barhaupt traten die Männer herein, so leise, als könnte jeder laute Stiefeltritt das an einem seidenen Faden hängende Leben ihres Bosses vorzeitig beenden, jeder wußte, was geschehen würde. Der Tod war ihnen allen nicht fremd. Dennoch aber beeindruckte seine Nähe immer wieder und rührte tief im Innern seltsame Gefühle auf. „Es ist gut, daß ihr gekommen seid“, sagte Benny Lind, nachdem er jeden einzelnen genau ins Auge gefaßt hatte. „Ihr seid vollzählig bis auf Matt, der draußen sicherlich bei den Schäfern ist. Wir sind alle miteinander verwandt und bilden eine Sippe. Jeder von euch hat besondere Fähigkeiten, doch niemand ist unter euch, der die Lind-Ranch führen kann und den schwierigen Aufgaben gerecht wird. Sam, du bist jähzornig und zu explosiv, du würdest alle Mann in die Sättel holen und gegen Jim Wacos Streitmacht anreiten, um eine Entscheidung durch einen offenen Kampf zu erzwingen. Das aber wäre das Ende der Sippe und der Lind-Ranch. Du, Curly“, wandte sich Benny an einen anderen Mann, „du entschließt dich nicht rechtzeitig. Du zögerst zu lange und bist zu leicht zu beeindrucken. Von euch anderen will ich nicht sprechen, denn keiner von euch hat die Weitsicht, die jetzt zur Führung der Lind-Ranch nötig ist. Weil das so ist, habe ich mich nicht entschließen können, - 56 -
ein Testament zu machen. Ich habe immer nur auf den Tag gehofft, an dem Dan Riffey kommen wird. Mein Wunsch erfüllte sich. Dan Riffey übernimmt die Leitung der Lind-Ranch.“ Nicht einer der Männer widersprach dem Boß. Benny Lind fuhr fort: „Von nun an gelten seine Befehle, bis die Ruhe im Lande hergestellt ist.“ „Benny Lind ...“, unterbrach ihn Rod, dann machte er eine Pause. Er war versucht, den Irrtum des Sterbenden nicht für sich auszunutzen. Jetzt, wo so Wichtiges zur Entscheidung stand, sollte er dem Sterbenden die Wahrheit über sich selbst sagen. Doch Bettys Blick traf ihn, und er sah in ihrem Blick die Angst das Flehen darin, zu schweigen, um nicht die letzte Illusion ihres Vaters zu zerstören. „Wer von euch ist dagegen?“ fragte Benny Lind. Niemand meldete sich. Die Männer standen ruhig da. Nur Curly kratzte unruhig mit den Stiefeln, aber auch er schwieg. Curlys Blick traf Rod. Einen Augenblick lang sahen sich die beiden Männer an. Rod sah einen braungebrannten Mann, mit grauen, ein wenig zu eng stehenden Augen. Er spürte die versteckte Feindseligkeit des anderen. Er sah, daß Betty sie beide beobachtete und daß Curly seltsam lächelte. In Bettys Augen war offene Sorge zu lesen. „Es ist gut, daß ihr euch Dan Riffey anvertrauen wollt“, sagte Benny Lind, dessen Stimme immer leiser wurde. „Ich danke euch.“ Er winkte seiner Tochter zu. Doch bevor Betty die ihr entgegengestreckte Hand ihres Vaters ergreifen konnte, fiel diese schlaff nieder. Benny Lind schien sich aufbäumen zu wollen, doch die Kraft fehlte ihm dazu, und er fiel zurück in die Kissen. Sam trat vor, beugte sich über Benny Lind und schloß - 57 -
ihm die starrblickenden Augen mit den Worten: „So long, Boss, fare well!“ Zu der wie starr dastehenden Betty sagte er mit heiser schwingender Stimme: „Dein Vater ist auf dem großen Trail, Betty.“ Rod verließ aufgewühlt den Raum. In der Vorhalle traf er Pedro und Miller. Beide erhoben sich bei seinem Anblick aus den Sesseln. Beide mußten wohl an seinem Gesichtsausdruck erkannt haben, was geschehen war. Weder Pedro noch Miller fragten etwas. Rod ging an ihnen vorbei. Bevor er die Haustür erreichte, wurde diese aufgerissen, und ein hagerer Mann mit einer Nickelbrille auf der Nase und einer schwarzen Ledertasche, gefolgt von Marshal Knox, kam herein. „Zu spät!“ sagte Rod heiser, dabei den Marshal anschauend, dem man einen harten Ritt gleichermaßen wie dem Doc ansah. Der Doc ging an Rod vorbei und verschwand in der Wohndiele, in der sich jetzt die Sippenmitglieder der Lind-Ranch eingefunden hatten. Marshal Knox sagte währenddessen zu Rod: „Benny Linds Tod ist der Beginn eines höllischen Reigens. Jeder mochte Benny gern. Er stand den Armen bei und versorgte die Siedler mit Fleisch und Wolle. Er verhinderte Streitigkeiten und offenen Aufruhr. Daß dieser friedliebende Mann auf so hinterhältige Art ums Leben kam, ist sehr bedauerlich. Noch eins, Rod! Jubal Waco war in der Stadt. Er hat seine Anhängerschaft um sich geschart. Sicherlich will er seinem Vater beweisen, daß er stark genug ist, dich zu stellen und auszuschalten. George Gobel, Joe Staffard, der Sohn des Schmiedes, John Holden, der als Strohmann für Waco die Bank leitete, und Eddie Durante sind bei ihm. Sie brennen darauf, dir die Niederlage, die du ihnen bei deiner - 58 -
Ankunft gegeben hast, heimzuzahlen. Jubal Waco hat sich an die Spitze dieser Kerle gestellt, und während sein Vater mit den üblen Revolvermännern Nixon und Duadle mich zwangen, meinen Marshalposten niederzulegen, ließ Jubal Waco die Siedlung besetzen und drei Familien, darunter die Familie Miller, ihre Siedlerstätten räumen. Er brachte drei Prärieschoner und seine Mannschaft mit. Er zwang die Leute, ihr Heim aufzugeben und in Notquartiere nach Springs zu ziehen. Man hat es jetzt sehr eilig, aller Welt zu zeigen, wie groß die Macht der Wacos ist. Drastischer und skrupelloser als jemals zuvor geht man jetzt vor.“ Die tiefe innerliche Erregung des Marshals ließ seine Stimme schwingen, seine Rechte legte sich auf Rods Schulter. „Ich hatte keine Wahl, Rod“, sagte er. „Sie drangen in mein Haus ein und nahmen mir den Stern und meine Papiere. Nun, es erleichtert mich. Durch Waco wurde ich Marshal, durch ihn wurde ich abgesetzt. Es erleichtert mich irgendwie.“ „Wie nahm es Ihre Frau auf, Marshal?“ „Es war schon immer ihr Wunsch, daß ich den Beruf wechselte. Zum Glück gehört mir das Haus in der Stadt. Es wird mir nicht schlecht gehen. Meine Frau hilft den Siedlern. Sie hat vorerst eine Aufgabe, die sie voll und ganz erfüllen wird.“ Rod murmelte eine Entschuldigung und ließ den Marshal stehen. Erst als er draußen in der frischen Luft stand und die Tür hinter sich zugemacht hatte, atmete er freier. Es war ihm, als hätte er ersticken müssen. Eine Weile stand Rod schon so, als Sam aus dem Hause kam und zu ihm sagte: „Gratuliere, Boss!“ Es waren schlichte und einfache Worte. Sams Hand streckte sich ihm entgegen. Rod jedoch zögerte, in die - 59 -
dargebotene Hand einzuschlagen. „Benny Lind traf ein Abkommen mit Dan Riffey, und Dan Riffey ist tot, denn ich habe das Grab meines Vaters entdeckt. Es war grauenvoll, was ich entdeckte. Das Grab im alten Fort bei Springs gab mir die letzte Gewißheit.“ Er sprach nicht davon, von welcher Art diese Gewißheit war, das war auch nicht nötig. Der Schäfer Sam begriff auch so, wie es einem Manne zumute sein mußte, der in ein altes Grab geschaut hatte. „Es kommt nicht darauf an, ob dein Vorname Dan oder Rod ist, Benny hat mit hellsichtiger Fähigkeit, wie sie nur Sterbende besitzen, in dir etwas erblickt, dem wir uns aus der Sippe beugen wollen. Des Marshals Erzählung bestätigte bereits, was Benny sah: einen Kämpfer! — Diese Ranch braucht einen Kämpfer, Rod Riffey!“ Daß er Rod Riffey sagte, bewies, daß der Marshal allen das Wichtigste über ihn mitgeteilt hatte. „Komm jetzt, Rod“, sagte Sam. „Ich zeige dir die Ranch und deine Unterkunft. Beginne gleich richtig, damit es keine Zweifel mehr gibt. Für manch einen aus der Sippe ist das besser so!“ Er nannte keinen Namen, doch Rod konnte es sich selbst denken, daß innerhalb einer großen Sippe nicht alle unter einen Hut zu bringen waren und Schwierigkeiten eintreten mußten. Er folgte Sam. Rod wußte nun, daß die unsichtbare Last jetzt nicht mehr abzuschütteln war. Er trat Bennys Erbe an. Über eine Stunde machten Rod und Sam einen Rundgang. Später, als Sam ihn in sein Quartier gebracht hatte, hörte er von dem Alten, daß auch Charles Knox und Miller sich bei der Mannschaft einquartiert hatten. - 60 -
Es war auch alles getan, um Benny Linds letzten Aufenthalt auf dieser Welt so feierlich wie möglich zu gestalten. In aller Frühe wollte man den Verstorbenen beerdigen, und zwar an einer Stelle, die in den wilden Hügeln lag und die er sich schon zu Lebzeiten als letzten Aufenthalt ausgesucht hatte. Als Sam ging, sah sich Rod seinen neuen Aufenthaltsort genauer an. Es war ein mit schweren Möbeln ausgestatteter Raum. An der Wand stand ein Liegesofa, das mit braunem Leder überzogen war. Dicke Felle bedeckten den Boden. Waffen aller Art schmückten die Wände. Offensichtlich war es Benny Linds Arbeitszimmer, das man ihm zur Verfügung gestellt hatte und das von nun an sein vorläufiges Heim sein sollte. In einem offenen Regal waren Akten und Lohnlistenbücher und all das zu sehen, was in einem Ranchbüro gebraucht wurde. Rod setzte sich auf das Sofa. Ein Blick auf die Wanduhr zeigte ihm, daß es kurz vor Mitternacht war. Es war ganz still im Haus geworden, so als wollte niemand die letzte Ruhe des Verstorbenen stören. Es war eine Ruhe, die Rod unheimlich vorkam Er schrak zusammen, als an der Bürotür, die direkt ins Freie führte, geklopft wurde. „Machen Sie auf, Drake“, sagte eine heisere Stimme, „ich habe mit Ihnen zu reden.“ Warum Rod beim Klang dieser Stimme ein kalter Schauer über den Rücken rann, wußte er sich selbst nicht zu erklären. Aber er spürte, daß es wie ein Unheil durch die verschlossene Tür auf ihn zukam. Er hatte gelernt, auf seinen Warninstinkt zu achten. 7.
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Lautlos bewegte er sich zum Tisch, auf dem die Petroleumlampe brannte und schraubte die Flamme so klein, daß der Raum in tiefem Schatten versank. Natürlich mußte die Lichtveränderung auch draußen gesehen werden, doch das störte Rod nicht. Seine Vorsichtsmaßnahme war damit noch nicht beendet. Er fragte nicht, wer Einlaß begehrte, sondern huschte zur Tür. Der Schlüssel steckte im Schloß und ließ sich geräuschlos herumdrehen. Kaum war das geschehen, als auch schon die Tür aufflog, ein Mann auf die Schwelle trat und mit harter Stimme sagte: „Drake, komm heraus!“ Der Mann verstummte, denn ihm wurde die vorgehaltene Waffe aus der Hand geschlagen. Im nächsten Augenblick wurde er in den Raum hineingezogen, die Tür zugeworfen und der Schlüssel wieder herumgedreht. Das alles ging so schnell, so gekonnt, daß Curly Lind erst, als er sich vom Boden aufrichtete, begriff, daß ihn Rod überrumpelt und aus dem Dunkel heraus wie ein Panther angesprungen und ihn überwältigt hatte. Erst jetzt hatten sich Curlys Augen auf die veränderten Lichtverhältnisse eingestellt. Er blickte genau in die Mündung von Rods 45er. „Keine Bewegung“, riet ihm Rod. Curly, dessen Blick auf den am Boden liegenden Colt gerichtet war, rührte sich nicht. „Mit wem arbeitest du zusammen Curly?“ „Zum Teufel, ich „ „Wünsch dich nicht dorthin, Curly“, unterbrach ihn Rod in einer so kalten Art, daß der Eindringling zusammenzuckte. „Wer steht draußen zur Hilfe!“ „Niemand“, erwiderte Curly grinsend. „Vielleicht wollte ich nur ausprobieren, wie der neue Boß in - 62 -
bestimmten Situationen reagiert und ob Benny nicht doch einen Fehler machte und einen Mann in einen hohen Sattel hob, aus dem er nur zu schnell in den Dreck fallen könnte. Mein Auftauchen mit der Waffe in der Hand war nur ein Scherz. Vergessen wir es!“ „Tut mir leid, für eine bestimmte Art von Scherzen fehlt mir der Humor, Curly. Wenn dir jemand befahl, wichtige Papiere bei mir zu suchen, muß ich dich enttäuschen. Vielleicht sagst du mir, wie tief du bei Jubal Waco oder dessen Vater verschuldet bist. Beide hatten schon immer eine Schwäche für Kerle, die man als Spione gebrauchen und mit Hilfe des Geldes wie Marionetten in Szene setzen kann. Jetzt könntest du auspacken, Curly. Oder steht Bennys Tod zu sehr mit dir im Zusammenhang?“ Das war nur ein Versuch, Curly zu stellen, doch ein Versuch, der ins Schwarze traf und Curly trotz des auf ihn gerichteten Eisens in die Höhe schnellen ließ. Curlys Augenausdruck veränderte sich plötzlich. Er brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu fangen. Während der Zeit schaute Rod in das verzerrte, von Haß und Wut entstellte Gesicht eines Mannes, dessen Augen in wildem Feuer glühten. Während dieser kurzen Zeit mochte Curly erkennen, daß Rod ihm das Blei schicken würde, sobald ein Angriff erfolgte. „Ich hasse die Fremden“, stieß Curly heiser hervor. „Ich wäre nie so gastfreundlich wie mein Vetter Benny Lind gewesen, der selbst Cowboys und Rinderzüchtern ein offenes Haus hielt. Ich hätte sie alle davongejagt, alle!“ Seine Stimme überschlug sich vor Groll. Sprungbereit stand er vor Rod, dem plötzlich ein Licht aufging. - 63 -
„Vor allem Tim Knox, Jubal Waco und Nixon hast du gehaßt und haßt sie heute noch, Curly. Du haßt jeden Mann, der mehr als einen Blick auf Betty wirft. In dir ist eine verteufelte Eifersucht, Curly. Ich begreife nun. Vielleicht war es nicht einmal Nixon, der Tim Knox niederschoß?“ „Versuche mir nicht irgend etwas anzuhängen“, erwiderte Curly. „Pedro hat es gesehen, mich kannst du nicht belasten. „ „Vielleicht bekam Nixon einen Wink. Jemand hatte ein Interesse daran, daß Nixon wild wurde und einen Nebenbuhler niederschoß, einer, der ganz genau wußte, wozu Nixon fähig ist, denn es war doch bekannt, daß Tim Knox von Betty Lind geliebt wurde.“ „Geliebt!“ Curly lachte schallend auf. „Du Narr! Betty hat ihn nie geliebt. Der arme Tim wußte es genau. Er gab sich keiner Illusion hin. Er wußte, daß er abblitzen würde wie Jubal Waco und Nixon und begnügte sich damit, sie anzuhimmeln. Für ihn bedeutete es das Glück auf Erden, wenn er nur mit ihr sprechen durfte.“ „Yea, nicht einmal das hast du Tim Knox gegönnt, Curly!“ schnitt Rod seinem ungebetenen Besucher das Wort ab. Curly grinste. „Vielleicht ist es so, vielleicht stimmt es genau, und vielleicht kam ich nur hierher, um dich zu warnen. Versuche es nicht mit Betty. Es käme dir recht zu paß, alle Männer der Sippe endgültig abzuschlagen und Boß zu bleiben. Aber du bist nicht Captain Hiffey, du nicht!“ Mit der Stiefelspitze fegte Rod die am Boden liegende Waffe seines Gegners in eine Ecke hinein. „Nein, ich bin nur sein Sohn“, entgegnete Rod mit kehlig klingender Stimme. „Und ich werde dir beweisen, - 64 -
daß du von Jim oder Jubal Waco Geld erhältst. Denke darüber nach und verschwinde.“ „Ich ... ich verschwinde nicht, nicht vor einem Erbschleicher, nicht vor dir! Du mußt mir erst einmal alles beweisen.“ „Wie du es haben willst, und ich fange sofort an“, erwiderte Rod. Er wich einen Schritt bis zum Schrank zurück und legte die Waffe hinter sich in ein Regalfach, wo sie hinter den Aktenstößen verschwand. Jetzt war er waffenlos wie sein Gegner, so dachte er wenigstens, denn er wollte fair sein. Er dachte an einen Faustkampf, doch er irrte in seiner Annahme. Sein Gegner zog ein feststehendes Bowiemesser. Ein Messer, wie es die Schäfer bei der Herde trugen, um Notschlachtungen vorzunehmen. In diesem Augenblick kam Curlys ganze tückische Verschlagenheit voll zum Ausbruch. Vielleicht wäre Rod diesem Streit aus dem Wege gegangen und hätte den Gegner mit einer Warnung davon geschickt, doch das Wort „Erbschleicher'' war zuviel gewesen. Das Bowiemesser kam auf ihn zu und streifte, als er aus wich, den Ärmel seiner Jacke, schlitzte ihn auf und schnitt bei seinem Ausweichen in die Haut, so daß das warme Blut spürbar wurde. Ungeachtet der Wunde schlug er einen Aufwärtshaken, der jedoch zum Glück für Curly nicht voll traf, doch die Wirkung hatte, daß Curly zurückwich. Rod bekam die Messerhand zu fassen. Es gelang ihm, sie so zu drehen, daß die gefährliche Stahlspitze gegen Curlys Brust zeigte und bedrohlich näher kam. Curly ließ das Messer fallen, wirbelte herum und traf Rod mit der Faust am Kopf, so daß Rod nach Atem rang. Sein Gegner war älter, schwerer und auch gewiß ein - 65 -
Mann, der in Schlägereien erfahren und nicht so leicht zu besiegen war. Curly war ein zäher Schafmann, der ganz genau wußte, wie gefährlich Rod für ihn werden konnte. Rod hatte für seine Begriffe zuviel herausgebracht. So war auch sein Kampf, mörderisch, brutal, ganz darauf abgestellt, den Gegner richtig zu erledigen. Das war etwas, womit Rod sich erst abfinden mußte: Eine gewöhnliche Niederlage würde den Gegner nicht zufrieden stellen. In diesem Moment war es Rod, als bäumte sich noch einmal alles in ihm gegen seinen tückischen Gegner auf. Sein Angriff kam so explosiv, so unerwartet für Curly, daß ihm die Deckung zerschlagen wurde und er so viel schlucken mußte, daß er in die Knie ging und zu Boden brach. Rod riß ihn in die Höhe, zwang ihn dazu, weiterzukämpfen. Obwohl er selbst erschöpft und am Ende seiner Kraft war, hatten seine Schläge wieder die volle Wirkung. Es gelang ihm, Curly zum zweiten mal von den Beinen zu schlagen. Als er Curly wieder in die Höhe reißen wollte, spürte er, daß er nicht mehr die Kraft hatte, es zu tun. Curly aber, der den klammernden Griff im Nacken spürte, keuchte mit zerschlagenen Lippen: „Laß ab, ich kann nicht mehr!“ Rod ließ sich nichts anmerken. Er stand über dem Gegner gebeugt und zwang sich dazu, nicht zu wanken und über Curly zu fallen. „Verschwinde für immer! Deine Zeit auf der LindRanch ist zu Ende! Gehe zu deinen Freunden! Jetzt weiß ich es ganz genau, wo deine Freunde zu finden sind. Doch halte dich dort nicht zu lange auf und verlaß das Land!“ Rod ließ Curly los und stolperte zur Tür, öffnete sie und machte sie weit auf. Curly hatte sich schwankend hingekniet. Ein Auge - 66 -
war ihm zugeschwollen, Flecke und Beulen entstellten sein Gesicht. Er wollte sich erheben, doch er fiel wieder zurück und fluchte. Er versuchte es nochmals, doch auch diesmal war es vergeblich. Auf allen vieren kroch er zur Tür, doch wenige Schritte davor blieb er wieder liegen und stöhnte heftig. Rod biß die Zähne zusammen und hob das Bowiemesser auf. Er warf das Messer Curly zu. „Vergiß es nicht mitzunehmen, Curly.“ Curly schüttelte den Kopf. „Wenn wir uns noch einmal begegnen, schieße ich“, sagte er. „Bilde dir nicht ein, hier im Sattel zu bleiben, ich ...“ Seine Worte gingen in einem heiseren Stöhnen unter, denn die Tür hatte sich geöffnet, und Betty Lind stand auf der Schwelle. Ihre großen Augen blickten auf Curly nieder, wanderten dann zu Rod. Hinter Betty wurden Sam, Knox und Miller sichtbar. Sie drängten sich auf die Veranda und blickten durch die offene Tür an Betty vorbei in den Raum hinein. Curly versuchte nicht mehr, auf die Tür zuzukriechen. Es gelang ihm, sich aufzuhocken, und dann lachte er ein böses, gellendes Lachen, das verrückt, teuflisch und gemein klang. „Ein Höllensohn wird euch führen!“ schrie er mit überschnappender Stimme, dann sank er ohnmächtig zusammen. Sam, Knox und Miller drängten durch die Tür, und mit ihnen war auch Betty hereingekommen. Sie verständigte sich mit Sam durch einen Blick, trat auf Rod zu und sagte: „Daß es so schnell kommen würde, haben wir alle nicht erwartet. Du brauchst nichts zu erklären, Rod. Gib mir deinen Arm. Komm, ich will dir die Wunde verbinden.“ Er ließ Betty wortlos seine Wunde betrachten. „Du darfst dich ruhig stützen, Rod“, sagte sie, als sie - 67 -
seinen Zustand richtig erkannte. „Ich bin nicht zimperlich.“ „Und ich keine alte Squaw, ich ...“ Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht, ebenso wenig wie der Versuch, sich ohne Hilfe allein fortzubewegen. Der Kampf hatte ihn völlig ausgepumpt. Während die ändern den ohnmächtigen Curly hochhoben und ihn fortschafften, zwang ihm Betty ihre Hilfe auf und führte ihn zu dem Sofa. „Es ist nur eine Schramme, Betty“, sagte er. „Meine kleine Schwäche geht gleich wieder vorüber. Halte dich nur nicht mit mir auf!“ „Es wäre an der Zeit, Rod, daß du deinen Stolz langsam vor mir ablegen würdest“, entgegnete sie ihm. „Diese Schramme hat bei dir wohl kaum eine Schwäche erzeugt. Sam wird dich weiter behandeln. Er wird es mit einer Pferdekur versuchen. Du möchtest doch nicht, daß man dich morgen im Bett antrifft?“ „Nein, das möchte ich nicht!“ „Nun, du bist und sollst der Boss bleiben, Rod“, erwiderte sie. „Ich kann verstehen, daß du dein Prestige wahren mußt, doch mir gegenüber ....“ Sie brach ab und sah ihn an. „Begreifst du denn noch immer nicht, Rod? Muß ich es dir sagen?“ „Sag es nur“, bat er. „Nun, ein Mann, sollte sich kameradschaftlich mit seiner zukünftigen Frau verbunden fühlen. Lange genug habe ich auf dich gewartet, Rod. Alle wußten, daß ich auf dich wartete. Nur du hast es vergessen! „ Er atmete schwer. „Betty, verzeih, es muß wohl so sein, daß du es mir in dieser Verfassung sagst. Ich kann dich nicht einmal in die Arme nehmen, ich kann dich nicht einmal küssen, das ist wohl die Strafe für meine - 68 -
Dummheit.“ „Ja“, sagte sie, „doch ich kann es!“ Sie beugte sich zu ihm nieder und küßte seine Lippen. Scheu und schnell richtete sie sich wieder auf. „Curly ist über dich hergefallen, nicht wahr? Daß er es so schnell tun würde, ist sonst nicht seine Art. Doch alle deine Gegner sind sehr nervös geworden, Rod. Sie nahmen sich kaum Zeit zu Überlegungen. Etwas ist an dir, was sie zu voreiligen Handlungen hinreißt, und das läßt hoffen, daß alles gut wird. Dad hat in die Zukunft geschaut“, sagte sie ruhig. Sie wartete seine Antwort nicht ab und ging. Später kam Sam. Er brachte eine Flasche Alkohol mit. „Jetzt wird es sich zeigen, wie viel du vertragen kannst, Boß“, sagte er. „Die Kur beginnt.“ „Es ist nicht die erste, Oldman“, sagte Rod. 8. Am nächsten Morgen schob Rod die Wolldecke zurück, erhob sich und kleidete sich an. Seine Jacke und das Hemd lagen säuberlich gewaschen und zusammengenäht über der Stuhllehne. Die Blutspuren waren fort. Unwillkürlich tastete er nach der Wunde am Arm. Sie war von einer dicken Kruste überzogen. Man hatte sie nicht einmal zu verbinden brauchen. Die Pferdekur des alten Sam, das spürte er jetzt, hatte eine großartige Wirkung. Er fühlte sich frisch und leicht. Später, als er sich gewaschen, angekleidet und gefrühstückt hatte, hörte er draußen Hammerschläge. Er blickte durch das Fenster und sah Männer, die einen frischgezimmerten Sarg zum Ranchhaus trugen. Oldman Sam meldetete sich eine halbe Stunde später bei ihm und sagte, daß noch Boten in der vergangenen - 69 -
Nacht fortgeritten seien, die die Kunde von Benny Linds Tod verbreitet hatten. Er sagte, daß die Beerdigung für den späten Nachmittag angesetzt worden sei und man mit vielen Besuchern zu rechnen habe, daß er alles veranlaßt hätte, um Benny Linds Beerdigung würdig zu begehen. Um zehn Uhr trafen dann auch die ersten Besucher ein. Sie kamen zu Pferde und in Gefährten unterschiedlicher Art, Siedler, Schäfer und Farmer. Aus der Stadt Springs aber kamen nur wenige Bürger. Der Sohn des Schmiedes blieb fern, so auch John Holden und der junge Bankier Eddie Durante. Bald glich die Lind-Ranch einem wirklichen Fort, in dem reger Betrieb herrschte. Der Doc war geblieben, um bei der Beerdigung dabei zu sein. Miller erkundigte sich bei den ankommenden Siedlern nach seiner Frau und den Kindern. Man konnte seine Sorge verstehen. Sie wurde gemildert durch die Auskünfte, die er erhielt. Es ging seiner Familie soweit recht gut. Dank der Hilfe Frau Knox, die sich sehr für die Ausgewiesenen in den Notquartieren einsetzte. Überall diskutierten Menschengruppen. Als sich jedoch um Schlag zwölf Uhr eine prächtige Kutsche mit vier Rappen davor der Ranch näherte, verstummten alle Gespräche. Es gab keine, schönere Kutsche im Lande und keine edleren Geschirrpferde als die vier Rappen, die vor dem mit Schnitzereien verzierten Gefährt trabten. In Ranchnähe wurden die Geschirrpferde in Schritt gezügelt. Jeder sah den massigen Neger auf dem Fahrersitz in einer goldbetreßten Phantasieuniform, der hoch aufgerichtet im Fahrersitz die Zügel handhabte. Jeder sah aber auch die Hundertschaft der Cowboykavalkade, die in Doppelreihe wie zu einer Demonstration hinter dem Wagen herritt, wie eine gewaltige Leibgarde hinter einer Königskutsche. - 70 -
Die große Cowboymannschaft hatte sich prächtig herausgeputzt und Feiertagskleidung angelegt. Sie ritt jetzt im Schritt hinter der Kutsche, und die große Staubwolke, die sie aufgewirbelt hatte, senkte sich bereits wieder zur Erde nieder. Nicht einer von ihnen war bewaffnet, dennoch machte die Kavalkade einen sehr beängstigenden Eindruck. Man spürte deutlich, daß ein großer Mann sich nicht diese Trauerfeier entgehen lassen wollte und gleichzeitig seine Macht demonstrierte. Er nutzte den Burgfrieden, den die Trauerfeier schuf, auf seine Art aus. „Das ist schamlos“, hörte Rod Betty, die neben ihm von der Veranda aus sich das Schauspiel ansah, sagen. Ihre Stimme bebte dabei, und in ihren Augen schimmerten Tränen der Empörung. Sicherlich brachte sie nur das zum Ausdruck, was mit ihr viele auf der Ranch denken mochten. Rod hielt ihre Hand. Wie es ihm zumute war beim Anblick Jim und Jubal Wacos, die beide zusammen mit einer tiefverschleierten Frau in der Kutsche saßen, wagte er nicht zum Ausdruck zu bringen. „Schließt das Tor“, befahl Rod mit lauter Stimme den Schäfern, die das Palisadentor bewachten und mit schmalgezogenen Augenlidern die Annäherung der Schar beobachteten. Rod wußte, daß er mit diesem Befehl entgegen dem ungeschriebenen Gesetz des Landes handelte. Das Schweigen der vielen Anwesenden auf der Ranch vertiefte sich, begriffen sie doch alle, was mit dem Befehl zum Ausdruck gebracht wurde; denn es war eine offene Kampfansage. Hart und konsequent war dem selbstherrlichen König ein Stop zugerufen worden. Das Tor schloß sich, als sich die prächtige Kutsche bis auf wenige Yards genähert hatte. Die schweren Riegel schoben sich davor, und die Kutsche kam zum Stehen; - 71 -
mit ihr das große Rudel der Leibwachenreiter, denen man eine große Unruhe ansehen konnte. Sicherlich war Jim Waco ähnliches nie widerfahren. Er stand einer Situation gegenüber, wie er sie nie für möglich gehalten hatte. „Macht das Tor auf!“ hörte man seine dröhnende Stimme. „Ich kam, um einen großen Mann zu ehren, ich kam in friedlicher Absicht und um eine Pflicht zu erfüllen. Welcher Narr will mir das verweigern?“ Rod hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und war auf die Schießplattform am Tor hinaufgeklettert. Er trat offen und frei vor, so daß ihn alle sehen konnten. „Es ist mein Befehl, Jim Waco“, sagte er auf den Mann in der Kutsche niederblickend. Ihre Blicke begegneten sich. Jim Waco sprang überrascht aus den schweren Polstern seines Wagens. Er machte den Eindruck, als sähe er eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Für ihn war die Gestalt dort oben die Wiedergeburt eines Mannes, den er in ein Grab versunken glaubte. Sein Erschrecken war echt und nicht gespielt. Doch diesem Erschrecken folgte eine jähe Ernüchterung. „Was hast du hier zu befehlen?“ fragte er heiser mit einer Stimme, in der die Wut kaum noch verdeckt werden konnte. „Was, zum Teufel, willst du hier? Ich habe dich auf der Strick-Ranch erwartet, dort gehörst du hin! Lange genug hast du dich in der Welt herumgetrieben, jetzt, so schätze ich, bist du wohl vernünftig genug, um eingesehen zu haben, daß ich nur das Beste wollte.“ Es war ungeheuerlich, für Rod einfach nicht zu fassen, daß dieser Mann ihm auf eine Art kam, mit der er, bei allen Teufeln, nicht gerechnet hatte. Die verwandt- 72 -
schaftlichen Bande spielte Jim Waco also aus. Aus welchem Grund er das auch immer tat, er hatte es sich sicher vorher reiflich überlegt. Vor allem aber machte es sich gut, wie ein Vater vor den vielen Menschen den verlorenen Sohn daran zu erinnern, unter welchen Fittichen er stand. Aus diesem Grunde auch hatte, wie Rod feststellte, Jim Waco nicht einen seiner berüchtigten Revolvermänner in der Begleitung. Nixon und Durante fehlten. Sein Sohn Jubal starrte zu Rod hinauf mit einem so haßerfüllten Blick, daß die Worte seines Vaters Lügen gestraft wurden. Die verschleierte Lady im Wagen zog ihren Schleier fort. Ein bleiches, abgehärmtes Gesicht kam zum Vorschein. „Glaube nicht, was Jim sagt!“ rief sie schrill. „Er hat dich nie als einen Verwandten betrachtet, er haßt dich, wie er nur einen Menschen auf der Welt hassen kann!“ Ihre Stimme brach ab. Der große Mann hatte die Hand ausgestreckt und hielt der Frau neben sich den Mund zu. Was er auf sie einsprach, war nicht zu verstehen, doch sie riß sich los. „Rod, Jim ist so geblieben, wie er war, laß dich nicht einfangen, laß dich nicht ...“ Wieder hielt Jim Waco ihr den Mund zu, und diesmal sprach auch Jubal auf seine Mutter ein, die nie eine glückliche Ehe mit seinem Vater gehabt, immer im Schatten gelebt, immer wie eine Sklavin behandelt worden war. „Wir sollten uns an einen Tisch setzen, Rod“, sagte Jim Waco, als seine Frau sich resigniert in die Polster zurückfallen ließ und mit niedergeschlagenem Blick neben ihm saß. „Sicherlich können wir viel Böses aus der Welt schaffen. Es wäre im Sinne des verstorbenen Benny Lind.“ „Laß seinen Namen aus dem Spiel, Jim Waco!“ - 73 -
entgegnete Rod, der genau begriff, worauf Jim Waco hinauswollte. „Wir beide, Jim, kommen nie an einen Tisch, du weißt es so gut wie ich! Was du meiner Mutter angetan hast - und mir, es ist nicht fortzuwischen! Du hast mir meinen Namen stehlen wollen und mir mein Erbe genommen. Du hast meinen Vater aus der Welt schaffen lassen und meine Mutter gequält, bis sie dir gab, was du wolltest. Ich habe alle Beweise gegen dich, Jim Waco. Versuche nicht erst eine billige Ausrede! Sie würde nicht ankommen, denn zu sehr brennen noch die Peitschennarben auf meinem Rücken!“ Jim Wacos Gesicht verzog sich, so daß es zur Grimasse entstellt war. „Du hast eine gute Gelegenheit verpaßt, Rod Drake“, sagte er grollend. „Ich habe dir die Hand zur Versöhnung entgegengestreckt und hätte dir einen guten Posten auf der Ranch gegeben. Wir hätten uns aneinander gewöhnen und versuchen können, miteinander gut auszukommen.“ „Ich verzichte, Jim Waco! Eine Mörderhand schlage ich aus!“ Waco richtete sich steil auf, ebenfalls sein Sohn Jubal. Es war, als hätte beide ein Peitschenschlag getroffen. Jim Waco atmete schwer. Doch plötzlich lachte er, lachte schrill und laut, daß es einem in den Ohren gellte. „Du bist viel zu klein für mich“, sagte er, als sein Gelächter abbrach. „In wenigen Tagen wirst du froh sein, wenn du viele Meilen zwischen dich und dieses Land gebracht hast. Genau achtundvierzig Stunden Zeit gebe ich dir zu verschwinden, und jetzt laß das Tor öffnen, oder ich lasse es von meinen Reitern einreißen.“ „Jim Waco, Benny Lind hat mich zum Boss dieser Ranch gemacht. Er würde keine Ruhe finden, wenn ich seinen Mörder an seiner Totenfeier teilnehmen lassen - 74 -
wollte. Versuche es nur, mit Gewalt einzudringen, dann erledigen wir es gleich.“ Seine Rechte klatschte auf seinen 45er Kolben. Er war bewaffnet, so wie die Schäfer der Ranch. Die Männer im Ranchhof warteten nur auf seinen Befehl. Jim Waco mochte einsehen, daß er hier am Ende seiner Macht war, daß das Halt, das man ihm gebot, endgültig war. Er hatte schwere Anschuldigungen über sich ergehen lassen, ohne diesen entgegenzutreten. Die Situation wirkte sich nachteilig auf seine Mannschaft aus. Er spürte das, und sein Zorn wuchs. Trotzdem riß er sich zusammen. „Rod, ich versuche dich zu verstehen!“ sagte er, „aber es fällt mir schwer. Widerrufe deine Anschuldigungen, versuche es wie ein Mann, dich mit mir unter vier Augen auszusprechen.“ „Gerne, Jim, doch nur mit der Waffe in der Hand. Jederzeit, wann immer du es willst, an jedem Ort, der dir gefällt.“ „Junge, so kann man mit mir nicht reden!“ explodierte Waco. „Ich werde von mir hören lassen!“ Bei diesen Worten winkte er seinem Fahrer zu. Der Neger hob die Peitsche und schnalzte mit der Zunge. Die vier prächtigen Rappen im Geschirr zogen an. „Einen Augenblick, Jim, jemand möchte von dir mitgenommen werden“, sagte Rod. Jim Waco ließ sich bluffen und nochmals anhalten. „Wenn es Betty ist, nun, ich kann verstehen, daß sie von einer ausgeprägten Männerranch fort will. Ich kann sie zur Stadt mitnehmen zu ihren Verwandten!“ Jedem war bekannt, daß die Angehörigen, die Frauen, Kinder und nicht arbeitsfähigen Greise der Lind-Sippe in der Stadt lebten. Sie hatten dort ihre Wohnungen und - 75 -
kleinen Geschäfte. Sie bildeten in der Stadt eine kleine Gemeinde für sich. Hier in den wilden Hügeln der LindRanch wurde harte Männerarbeit geleistet. Es war also kein Aufenthaltsort für Frauen, Kinder und Greise, doch Jim Waco hätte sich denken können, daß alle Angehörigen der Sippe anwesend waren, um Benny Lind das letzte Geleit zu geben. Er ließ also noch einmal sein Gespann anhalten, und Rod sah deutlich Jubal Wacos hämisches Grinsen. Was in Jubal vor sich ging, interessierte ihn nicht, um so mehr Oldtimer Sam, der im Ranchhof stand und genau begriffen hatte, was Rod meinte. Dem alten Sam brauchte Rod nicht erst einen Befehl zu geben. Mit einigen anderen Schäfern, die sich auf Sams Wink in Bewegung setzten, verschwand er in Richtung der Mannschaftsgebäude. „Nur einen Moment, Jim!“ sagte Rod zu dem Wartenden. Jim Waco nickte. Vielleicht fragte er sich im stillen, ob es wirklich Betty Lind war, die er mitnehmen sollte. „Dad, sie hat sich also endlich entschlossen“, hörte er seinen Sohn Jubal mit unterdrücktem Triumph in der Stimme sagen. „So reagiert sie auf meinen Brief, den ich ihr schrieb.“ „Welchen Brief?“ wollte Jim wissen. Beide Männer sprachen so leise, daß nur die Frau in ihrer Mitte sie verstehen konnte. „Ich will es dir sagen“, mischte sie sich ein und sah ihren Mann fest an. „Jubal wirbt seit langem um Betty Lind. Jeder junge Mann, der offene Augen hat, kann an ihrer Schönheit nicht vorbei sehen. Leider hat sie ihm keine Hoffnung gemacht.“ „Schweig doch, Mutter!“ unterbrach Jubal sie erregt. - 76 -
„Was hat das schon zu besagen, daß sie Nixon einen Korb gab und freundlich zu Tim Knox war? Sie ist schlau genug, um nach dem Rechten zu greifen. Ich habe ihr geschrieben und gefragt, ob sie meine Frau werden will. Nun, jetzt wird sie mir die Antwort geben. Ich bin sicher, daß sie sich entschieden hat. Eines Tages wird sie die erste Lady im Lande sein.“ „Was ihr so wenig nützen wird wie mir, mein Junge“, nahm ihm die Mutter das Wort. „Ich hoffe nur, daß sie es nicht tut.“ Die beiden Männer sahen sich verblüfft an. Jubal Wacos Zähne knirschten aufeinander, und Jim Waco stieß einen leisen Fluch aus. „Du wirst immer schwieriger, meine Liebe“, wandte sich Jim Waco an seine Frau. „Nicht genug, daß du mit meiner verstorbenen Stiefschwester so eng befreundet warst, stellst du dich auch noch auf die Seite des Lümmels dort oben. Dir ist wohl noch nicht ganz klar, was das bedeutet?“ „Doch, Jim“, antwortete sie ihm. „Du hast Angst vor den Schatten der Vergangenheit. Sie kommen auf dich zu, und du kannst sie nicht mehr bannen. Rod gleicht seinem Vater. Du wirst zu sehr an Captain Riffey erinnert und damit auch an deine Schuld.“ „Ich kann alle Schatten bannen, meine Liebe“, erklärte er ihr rauh. In diesem Moment wurde das Palisadentor so weit geöffnet, daß die Männer, die Curly Lind auf einer Bahre heraustrugen, passieren konnten. Von der Höhe her sagte Rod: „Leider ließ sich das nicht anders machen, Jim Waco. Curly kann nicht aus eigener Kraft zu seinen Freunden reiten.“ Diesmal fluchte Waco. Sein Sohn Jubal schluckte - 77 -
schwer. Nur Missis Waco lächelte, so als wäre sie zum erstenmal im Leben mit einer Situation zufrieden. „Sie haben mich schlecht behandelt, Jim“, sagte Curly mit vor Erregung zitternder Stimme. „Die eigene Sippe hat mich verstoßen, weil sie einem Schuft die Leitung der Ranch übertrug. Sie stellten ihn ein, damit er dich vernichtet. Genau das ist es, Jim! Der Kerl soll dich aus dem Sattel werfen!“ Man sah deutlich, wie Jim Waco mit sich kämpfte. Man erkannte, wie das Böse in ihm überhand nahm. „Bleib, wo du hingehörst! Für dich ist kein Platz auf der Strick-Ranch!“ sagte er zu Curly der sich bei diesen Worten aufbäumte und totenbleich wurde. „Jim Waco, ist das dein letztes Wort?“ fragte Curry mit schriller Stimme. „Zum Teufel mit dir!“ fauchte ihn Jim Waco an. „Wenn das so ist, dann sollen es alle wissen, daß ich Geld von dir bekam, Jim Waco, daß du mich als Spion eingesetzt hast, daß ich in deinem Auftrag eine der besten Zuchtschafherden in die Schlucht treiben ließ, wo sie elendig zugrunde ging, dann . . „ Jim Waco beugte sich vor. Er riß dem Fahrer die Peitsche aus der Hand und schlug zu, doch das gefährliche Leder der Peitschenschnur, das mit dem Aufschrei Missis Wacos durch die Luft hieb, erreichte den Mann auf der Bahre nicht. Der harte, trockene Klang eines 45er Colts ertönte. Die Peitsche wurde von einer Kugel in der Mitte abgehackt, so daß das abgeschossene Ende harmlos neben Curlys Bahre zu Boden fiel, gleich einer totgeschlagenen Schlange, der man den Kopf mit einem Hieb vom Rumpf getrennt hatte. In Rods Rechter rauchte der 45er Colt. In Jim Wacos Rechter steckte der abgerissene Peitschenschaft, als sei er - 78 -
in seiner Hand erstarrt. Wieder begegneten sich die Blicke der beiden Männer, hart, fest und flammend. Es war, als hielten selbst die Reiter von Jims Leibgarde den Atem an. Langsam senkte sich Jim Wacos Hand mit dem Ende des Peitschenstiels. By gosh, er fluchte nicht, er schrie keine Herausforderung, er tippte nur seinem Fahrer so hart mit dem Ende des Peitschenstiels in den Rücken, daß der beinahe den Halt vom Bock verlor und seine Pferde sofort in Bewegung setzte. Jim Waco warf den Rest der Peitsche aus dem fahrenden Wagen heraus und ließ sich in die Polster sinken. Hinter dem Wagen ritt seine Leibgarde an. In einem Wirbel von Staub verschwand der prächtige Wagen mitsamt der großen Reiterkavalkade. „Öffnet das Tor!“ befahl Rod, der seinen 45er bereits in das Halfter zurückgesteckt hatte. „Tragt Curly in seine Unterkunft. Er bleibt, bis er genesen ist. Dann wird er reiten müssen.“ Man führte Rods Befehle aus. Niemand sprach ihn an oder hielt ihn an, als er zu seinem Quartier ging. Es war, als wichen sie scheu vor dem Mann zurück, der es gewagt hatte, vor aller Augen öffentlich dem großen Jim Waco zu trotzen und ihn zu demütigen. Betty erwartete Rod. Wortlos gab sie ihm einen ungeöffneten Brief. „Du hast dich geirrt, Darling. Er ist an dich adressiert“, wehrte Rod ab. „Aber er geht auch dich an. Jubal Waco ließ ihn durch einen Boten bringen, öffne ihn und lies!“ „Tut mir leid, Darling, ich kann es nicht.“ „Du willst nicht wissen, was er mir schreibt?“ „Nein!“ - 79 -
Sie nahm den Brief wieder zurück, und ungelesen wurde er in viele kleine Stücke gerissen. „Es wird wohl nichts Wichtiges gewesen sein“, sagte sie zu Rod mit herber Stimme. „Du hast jetzt etwas Ähnliches wie ich gemacht, Darling, das letzte Band zu der anderen Seite zerschnitten.“ „Jeder wird einmal vor die Wahl gestellt, Rod“, erwiderte sie. „Nachdem, was sich heute zutrug, gibt es gar keinen anderen Weg mehr. Du hast viel gewagt! Wenn nur einer aus der Leibgarde bewaffnet gewesen wäre und aus dem Hinterhalt auf dich geschossen hätte, dann ...“ Sie sprach nicht weiter, doch die Angst stand deutlich sichtbar in ihren Augen. „Darling, Kopf hoch“, sagte er sanft zu ihr und faßte sie beruhigend bei den Schultern, sah sie fest an. „Wir beide können aus diesem Reigen nicht herausspringen, wenn wir es uns auch noch so sehr wünschen würden. Es wäre schon schön, weit fort von hier in einer friedlicheren Welt zu leben. Wir sind beide in diese Sache hineingestellt worden und müssen jetzt durchhalten. Was sagte ich dir damals am Silvercreek, Darling?“ Ein Lächeln legte sich um ihren Mund, dann antwortete sie: „Daß du ausziehen würdest, um das Regenbogenende zu suchen. Hast du es gefunden, Rod?“ „Nein, ich bin sehr bescheiden geworden, Darling. Ich weiß jetzt, daß das Regenbogenende in unserem eigenen Herzen ist. Man muß nur tief genug in sich hineinsehen können.“ Seine Worte gaben ihr die Fassung wieder. Später dann, als Benny Linds sterbliche Hülle in einem Brettersarg auf den Wagen gehoben wurde, hatte sie sich so weit wieder in der Gewalt, daß sie den Leuten eine - 80 -
stolze Haltung zeigen konnte. Reiter und viele Wagen folgten dem langsam fahrenden Leichenwagen durch die wilden Hügel zu jenem Fleck Erde hin, den sich Benny Lind zu Lebzeiten als den letzten Ruheplatz ausgesucht hatte. Ein Großer wurde zu Grabe getragen, ein Mann von einer besonderen Art. Mit seinem Tode war die ausgleichende, immer wieder vermittelnde Kraft eines Mannes erloschen, der den Frieden um jeden Preis erhalten wollte. Ein Pionier aus Texas war Benny Lind gewesen. Er gehörte zur Garde jener Kämpfer, die im alten Fort Indianerangriffe abgewehrt, das gewaltige Land aufgeschlossen hatten. „Sein Geist wird in Wyoming lebendig bleiben“, hörte Rod aus seinen Gedanken auffahrend die Schlußworte des Predigers. Es war ihm, als hätten diese Worte ganz besonders ihm gegolten. Später, als die Trauerfeierlichkeiten vorüber waren, die letzten Gäste die Ranch verlassen hatten und die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch sich über das Land legte, stand er neben Betty Lind auf der Veranda. Sie hatte ein wollenes Tuch gegen die Nachtkälte über die Schultern geworfen. Ihr Gesicht schimmerte weiß durch die Dunkelheit. „Rod . . . wir werden Dad nie vergessen! „ „Nein, nie!“ versicherte er ihr spröde. „Komm jetzt ins Haus, Betty.“ „Ich möchte noch bleiben. Es ist so still hier. Es war niemals so still auf der Ranch. Nicht einmal die Schäferhunde machen sich bemerkbar.“ Jetzt, da Rod aufmerksam gemacht wurde, fand auch er es befremdend. Es herrschte Ruhe in den Zwingern. „Die Schäferhunde werden sich an einen anderen - 81 -
Futtermeister gewöhnen müssen. Vater versorgte sie immer selbst.“ 9. Vierundzwanzig Stunden später verließ Curly Lind die Ranch. Er wartete nicht erst, bis er wieder richtig hergestellt war. Er humpelte noch, als er am späten Abend mit einem Bündel unter dem Arm das Quartier verließ. Niemand hielt ihn auf, als er zum Stall ging und sein Pferd holte, es sattelte und aufzäumte. Die Männer auf dem Ranchhof sahen schweigend zu, wie Curly sein Bündel aufschnallte, sich mühsam in den Sattel zog und einen langen Blick in die Runde warf. Dann ritt er an und verschwand in der Nacht. Zwei Stunden später, als Rod, der über den Ranchbüchern gesessen hatte, auf die Veranda trat, um etwas frische Luft zu schöpfen, peitschte ein Schuß durch die Nacht. Eine Handbreit von Rods Kopf entfernt schlug die Gewehrkugel mit einem Klatschlaut in die Holzwand hinein. Instinktiv ließ Rod sich fallen. Noch während des Falles sah er das Mündungslicht aus dem Gewehr des Schützen erneut aufblitzen. Wieder schlug die Kugel in die Holzwand ein. Herausgerissene Holzsplitter fielen auf Rod nieder. Noch ein dritter Schuß wurde von einem der Veranda gegenüberliegenden bewaldeten Hügelkamm über den Palisadenzaun hinweg auf Rod abgefeuert. Dieser letzte Schuß war gut gezielt und schlug an der Stelle ein, an der Rod gerade noch gelegen hatte. Unbewaffnet wie Rod war, konnte er das Feuer nicht erwidern. Zu diesem Zwecke hätte ein Colt auch nur wenig getaugt. Nur eine Winchester hatte hier die richtige Reichweite. Rod, der sich nach dem Fallenlassen - 82 -
blitzschnell über die Veranda rollte, rannte bei dem dritten Schuß bereits zum Stall hin. Jetzt deckte ihn der Palisadenzaun, und der hinterhältige Schütze wußte wohl kaum, daß er sein Opfer, das er beim Heraustreten auf die Veranda gegen den Lichtschein der offenstehenden Bürotür sich deutlich abheben und fallen sah, verfehlt hatte. Wieder einmal sollten Schüsse aus dem Hinterhalt einen unbequemen Mann aus dem Leben in den Tod bringen. Zur Hölle mit allen Heckenschützen, Dunkelmännern und bezahlten Mördern! Der Blutzoll des Opfers dieses erbärmlichen Spiels war bereits zu hoch. Rod ließ sich weder durch das Auftauchen der aus dem Bunkhouse stürzenden Männer noch durch das laute Hundegebell aufhalten. Noch nie hatte Rod ein Pferd so schnell gesattelt und aufgezäumt wie den Falben Rebell. Dem Siedler Miller, der aus dem Bunkhouse gestürzt war und Rod nach der Ursache der Schüsse fragte, wurde von Rod der Colt aus der Hand gerissen, mit dem er herumfuchtelte. „He, Rod, was soll das?“ fragte Miller verwirrt. „Ist das Eisen geladen?“ wollte Rod, der sich schon in den Sattel geschwungen hatte, kurzerhand wissen. Miller nickte verwirrt, doch Rod jagte bereits mit dem Falben auf das Ranchtor zu, das die Posten ihm öffneten, so daß er ungehindert hindurchpreschen konnte. „Miller, wenn du mitmachen willst, sattle dir ein Pferd und nimm dir eine Winchester aus dem Gewehrständer!“ schrie ihm Sam zu. „Der Boß ist wie wild davon geritten. Wir müssen ihm nach! Los in den Sattel, Miller! Jemand hat einen Anschlag auf den Boß versucht. Wieder sind Heckenschützen am Werk. Diesmal reißen - 83 -
wir ihnen die Köpfe ab!“ „Rod hat sich nicht einmal die Zeit genommen, um seinen eigenen 45er zu holen“, antwortete Miller. Die Kavalkade, die Sam Augenblicke später in die Nacht führte, sah nicht einmal mehr einen Schattenumriß von Rod. Um so deutlicher hörten die Nachtreiter das wilde Schießen vor ihnen am bewaldeten Hügel. „Ausschwärmen!“ befahl Sam. „Ausschwärmen und absitzen! Rod treibt die Heckenschützen vom Hügel herunter auf uns zu.“ Daß es so war, konnte jeder am Klang der Detonationen deutlich hören. Die Schüsse krachten immer näher. Möglich war es allerdings auch, daß man Rod vor sich hertrieb. „Gebt gut acht!“ schrie Sam seinen Reitern zu, denn jetzt waren auch ihm Bedenken gekommen. „Zwingt die Pferde nieder und legt euch hinter sie. Sie mögen uns als Deckung dienen.“ Das war ein Befehl, der deutlich die Kampferfahrung Sams zeigte. Pferde und Reiter würden nach dieser Maßnahme kaum im hohen Gras zu erkennen sein. „Schießt erst, wenn ihr euch genau vergewissert habt, wen ihr vor euch habt“, riet Sam den Männern, die seine Befehle aufs Wort ausgeführt hatten. „Es darf kein Versehen geben.“ Die Schüsse auf dem Hügel waren verstummt. Dafür hörte man um so deutlicher die vom Wind getragenen Geräusche einer Stampede, die von Schafen herrührte. Für jeden Mann hinter seinem Pferd war das ein Geräusch, das er aus bitterer Erfahrung kannte. Daß es gerade jetzt hörbar wurde, war um so bitterer, da sich niemand darum kümmern konnte. „Die große Zuchtherde“, sagte Sam zu Miller, der nur - 84 -
wenige Yards von ihm entfernt hinter seinem am Boden liegenden Pferd mit der Winchester im Anschlag lag. Das klägliche Geblöke der Schafherde war ein sonderbarer, an die Nerven gehender Laut. In Intervallen wurde er, anund abschwellend, vom Winde getragen, um wie ein Spukton plötzlich zu verwehen. Sam spürte es eiskalt über den Rücken laufen, denn ähnliches hatte er erwartet, daß es jedoch so schnell und trotz der Verdoppelung der Wachen kommen würde, zeigte, wie hart Jim Waco zuschlug. Knox war bei der Hauptherde. Er hatte sich freiwillig zur Bewachung gemeldet. Als die Trauergäste und der Doc abgezogen waren, war er auf der Lind-Ranch geblieben. Der ehemalige Marshal wollte dabei sein, wenn es zur Explosion kam. Nun, er ist dabei, dachte der Alte und spürte, wie ihm ein Würgen in der Kehle aufstieg. Mit brennenden Augen starrte er in die Nacht. Er war es, der zuerst die in der Dunkelheit herankommende Silhouette, die sich kaum hinter dem schwarzen Hintergrund des bewaldeten Hügels abhob, ausmachte. Einen Augenblick später sahen die anderen den Reiter und erkannten ihn. Ihre schußbereiten Winchester wurden nicht abgefeuert. Die Finger krümmten sich nicht, um das tödliche Blei herauszufeuern. Der Mann, der vom Hügel kam, saß vornüber geneigt, hin und her schwankend im Sattel. Sein Tier ging im Schritt. Es ging ganz langsam, als wüßte es, daß bei einer harten Bewegung sein Reiter aus dem Sattel fallen würde. Das Pferd hielt von allein an, als es vor sich die Männer der Lind-Ranch gewahrte, die sich wie auf ein geheimes Kommando aus dem Grase erhoben. Ein gellendes Lachen kam von den Lippen des Reiters, ein Lachen, das durch und durch ging und plötzlich abbrach. - 85 -
„Curly“, sagte Sam mit einer Stimme, die hart wie eine Stahlsaite schwang. „Curly, du bist am Ende deines Trails! Wo ist Rod?“ Es war wirklich Curly, der sich kaum noch auf seinem Pferd halten konnte. „Euer Boss ist besser als ich. Er hat eine feine Witterung und eine verteufelt schnelle Hand. Ich hätte auf dich hören sollen, Sam.“ Curlys Stimme brach mit einem spröden Klang ab. „Ich hatte auch die Absicht fort zu reiten“, fuhr er dann wieder fort, „doch bald traf ich Nixon und Duadle. Sie gaben mir Geld, ich sollte dafür Rod ausschalten.“ „Du warst es also, Curly?“ „Ja“, gestand Curly. „Es ist mir schlecht bekommen. Ich bekam, was ich herausforderte. Zwei Kugeln erwischten mich. Ich habe nun nicht mehr lange zu leben.“ Er kippte zur Seite. Die Männer, die an sein Pferd herangetreten waren, fingen ihn auf. Er lebte noch, aber alle Kraft hatte ihn verlassen. „Bevor ich aus dieser Welt gehe, Sam ... ich habe nicht auf Benny Lind geschossen.“ Sam beugte sich über Curly, doch Curly hatte niemandem mehr etwas zu sagen. Er war tot. „Legt Curly über den Sattel!“ befahl Sam. „Suchen wir Rod.“ Man brach auf. Auf dem Hügelkamm fand man die Stelle, von der aus Curly seine niederträchtigen Schüsse abgefeuert hatte. Am Boden lagen sein Stetson und einige Patronenhülsen. Sam hob den Stetson auf und schob ihn dem Toten unter die Gepäckrolle. Niedergetretene Büsche und Hufspuren hielten die Männer beim Fährtensuchen auf, doch dann stieß man endlich auf - 86 -
Rebells Fährte. Man folgte ihr, und Sam, der an der Spitze ritt, sagte zu Miller: „Rod hat die Stampede gehört und hat sich nicht erst lange aufgehalten. Er brach den Kampf ab, als er die Schafe hörte. Es war ihm wichtiger, bei der Herde zu sein, als Curly tot zu wissen. Sicherlich glaubte er Curly nur verwundet zu haben und wollte ihm eine letzte Chance geben. Welch ein Mann! Reiten wir schneller! Wir brauchen nicht auf die Fährte zu achten. Wir wissen jetzt genau wohin er sich wandte. Das erleichtert ...“ Er sprach nur das aus, was alle anderen auch empfinden mochten. „John, du bringst Curly zurück“, wandte Sam sich an einen seiner Reiter. „Nimm Curlys Pferd am Zügel. Du bist der Jüngste.“ 10. Als John auf der Ranch eintritt, kam auch Doc Williamson. Nachdem John Betty berichtet hatte, sagte Doc Williamson: „Ich komme geradewegs aus Springs. Dort habe ich von den ausgewiesenen Siedlern erfahren, daß Jubal Waco kein Recht hatte, ihre Vertreibung vorzunehmen. Der Termin wurde von Jubal in selbstherrlicher Weise vorverlegt.“ „Was soll das heißen, Doc?“ fragte Betty gespannt. „Daß die ausgewiesenen Familien mit ihren Schulden eine Frist zur Begleichung bis morgen hatten.“ „Das heißt, daß sie sich nicht zur Wehr setzten, daß sie Jubals Eigenmächtigkeit hinnahmen?“ „Genau das, Madam!“ erwiderte der Doc. „Was für Hoffnungen hatten die Familien denn auch? Auf einen Tag früher oder später zu räumen, kam es ihnen nicht an. - 87 -
Sie waren alle zu sehr verschuldet, als daß sie protestiert hätten. Woher sollten sie das Geld auch nehmen?“ „Um Himmels willen, warum hat Miller nichts davon verlauten lassen, Doc?“ „Er will niemanden anbetteln und zur Last fallen. Es wäre nie herausgekommen, wenn sich die in den Notquartieren in der Stadt lebenden Siedlerfrauen nicht Frau Knox anvertraut hätten. Sie teilte es mir mit. Ich versuchte bei der Bürgerschaft den Betrag zur Abdeckung der Schulden auf zutreiben, doch vergeblich. Die Angst der Bürger vor der Strick-Ranch ist zu groß. Ich wurde abgewiesen. Man drohte mir sogar und versuchte, mich aufzuhalten, als ich mich entschloß, mich an Sie zu wenden, Madam.“ „Sie haben das einzig Richtige getan, Doc. Ich werde Ihnen über die gewünschte Summe einen Scheck ausschreiben. Wir werden die Schulden der Siedler übernehmen. Jubal Wacos Vorgehen ist dann offener Hausfriedensbruch. Doch schaffen Sie es, zurückzureiten, Doc?“ „Allein, Madam? Es wird Schwierigkeiten geben. Bedenken Sie, daß die Bank mit den Wacos identisch ist, daß man alles tun wird, damit die Schulden der Siedler nicht bezahlt werden können. Nur Rod hätte Aussichten, dieses hinterhältige Spiel zu zerschlagen. Rod hat jedoch anderweitig zu tun. Was machen wir nur, Madam?“ Nur einen Augenblick lang überlegte Betty Lind, dann erwiderte sie. „Wir reiten nicht allein, Doc. Nur die notwendigen Wachen bleiben zurück, alle anderen Männer kommen mit. Wenn John Holden es dennoch wagt, seine Pflicht verletzt und sich allen sichtbar auf die Seite der Wacos stellt, wird das der Bank so schaden, daß sie bald ge- 88 -
schlossen werden muß. Keiner kann dann mehr Vertrauen in die Bank setzen und muß sich sagen, daß es ihm genauso wie den Siedlern ergehen kann. Wir kämpfen, Doc! Ich bin zwar nur eine Frau, die sich in ein hartes Männerringen nicht einschalten sollte, doch es geht nicht nur die Männer an. Ich werde das Recht nutzen, das jede US-Bürgerin hat, und Holden, sollte er sich weigern, meinen Scheck anzunehmen, öffentlich anprangern. Auf eine Frau werden nicht einmal Jim und Jubal Waco schießen lassen.“ Es wurden keine weiteren Worte mehr gewechselt. Der Doc bekam zu essen, aber ein Dutzend Reiter machten sich fertig. Zurück blieb nur eine schwache Bewachung für die Ranch. Betty ritt an der Spitze der Reiterschar in Richtung Springs durch die Nacht. Es war vier Uhr morgens, als die kleine Gruppe die Stadt erreichte. Im Vergnügungsviertel lärmte es laut Johlen, Lachen und Klaviergeklimper drang zu dem Reitertrupp hin, der in der Nähe der Bank anhielt und die Pferde an die Holme band. Einige Passanten rissen weit die Augen auf, als sie die Brandzeichen der Pferde erkannten. Der Doc sagte laut: „In wenigen Minuten weiß man über unser Kommen Bescheid. Bleibt zusammen, Männer, und achtet auf jeden Passanten. Wir gehen jetzt zur Bank. Verschafft euch dort gute Deckungen.“ Der Doc wandte sich an Betty Lind. „Für Sie, Madam, gilt das nicht. Bleiben Sie in einem Hotel. Um acht Uhr wird erst die Bank geöffnet.“ Betty erklärte mit fester Stimme: „Ich habe mich nun einmal entschlossen, den Siedlern zu ihrem Recht zu verhelfen. Ich steige jetzt nicht aus dem Sattel, um wieder hineinzuklettern, wenn die Luft rein ist.“ „Wie Sie wollen, Madam. Ich habe Sie gewarnt“, - 89 -
erwiderte Doc Williamson. Man sah ihm deutlich die Sorge an, die er sich um Betty Lind macht. Sie vertiefte sich, als man das Bankgebäude erreicht hatte und die Männer der Begleitung ausschwärmten. Alle verschafften sich gute Deckungen. Man holte leere Kisten vom benachbarten Store und baute sie vor sich auf. Kaum waren die Männer damit fertig, als ein Reitertrupp sich näherte und anhielt. „Jubal Waco“, sagte der Doc zu Betty Lind. „Man trug ihm sehr schnell die Nachricht von unserem Erscheinen zu.“ Jubal Waco hatte einen schwerbewaffneten Reitertrupp herangeführt. Bei dem Auftauchen dieses Trupps verschwanden die letzten Passanten. Der Lärm aus dem Vergnügungsviertel verstummte. Überallhin schien die Nachricht von der Besetzung der Bank gedrungen zu sein. Die Stadt schien den Atem anzuhalten. Jubal Waco trieb seinen Schimmel eine Schrittlänge vor. Nur die Unterhälfte seines Gesichtes wurde unter dem Stetson vom Mondlicht angeleuchtet. Großspurig, selbstherrlich wie immer saß er im Sattel. Hinter ihm hielt eine Raubreiterhorde, von jenen jungen Männern gebildet, die bei Rods Ankunft eine Lektion erhalten hatten. „Hallo, Doc“, sagte er pulvertrocken zu Williamson, „Sie haben sich in einen zu hohen Sattel geschwungen. Sie sitzen darin zu unsicher und werden freiwillig gleiten. Kommen Sie lieber freiwillig aus dem falschen Sattel, Doc.“ „Ich weiß nicht, Jubal Waco, was Sie eigentlich von mir wollen.“ „Verkriechen Sie sich nicht hinter der Schürze einer Frau. Schicken Sie Betty Lind fort, dann will ich es Ihnen - 90 -
deutlicher sagen“, riet Jubal Waco seinem Gegner und verbeugte sich ironisch vor Betty Lind. „Nehmen Sie Ihre Schafhirten mit, Madam“, wandte er sich an Betty. „Geben Sie ihnen den Befehl, ihre Deckungen zu verlassen, sich brav auf ihre Pferde zu schwingen und heim zu reiten.“ „Waco, gerade das werde ich nicht tun“, unterbrach ihn Betty. „Sie hätten John Holden, den Bankier, mitbringen sollen, Jubal Waco. Sobald wir mit John Holden geschäftlich ins reine gekommen sind, verlassen wir die Stadt, nicht eher. Wir bleiben und warten, bis die Bank öffnet. Niemand kann uns das verwehren. Versuchen Sie es nur, Jubal Waco! Mich bekommen Sie nicht vom Fleck, bis mein Geschäft mit der Bank abgewickelt ist. Bei mir nützen Drohungen nichts. Fangen Sie an, Waco, und Sie sind der erste Mann, der gegen eine Frau angeht. Vielleicht denken Sie darüber nach.“ Jubal Waco stieß einen unterdrückten Fluch aus. Er beugte sich über das Sattelhorn und lachte hämisch. „Vielleicht wissen Sie es nicht,Madam. Die Bank ist vorläufig geschlossen. Sie werden mit dem Doc und Ihren Schafhirten bis zum jüngsten Tag warten. Wenn Sie es so lange aushalten wollen?“ „Ich warte bis kurz nach der üblichen Bankeröffnung, Waco“, erwiderte sie fest. „Sollte die Bank nicht geöffnet werden, wird dieser Trick wenig nützen. Es gibt übergeordnete Stellen, an die man sich wenden kann. Landraub, Hausfriedensbruch, Nötigung und vieles andere mehr wird man euch zur Last legen. Es werden genug Zeugen da sein, die gegen die Wacos aussagen.“
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„Madam, es steht Ihnen frei“, entgegnete Jubal Waco. „Warten Sie, warten Sie bis Sie schwarz werden, Madam.“ Jubal Waco nahm sein Pferd herum, winkte seiner Meute und ritt mit ihnen ins Vergnügungsviertel der Stadt zurück. Der kleine Doc, dem die Nickelbrille bis auf die Nasenspitze gerutscht war, drehte sich zu Betty um und sagte: „Es muß etwas geschehen, solange Sie die Position hier besetzt halten. Ich will Holden aufsuchen. Ich sah ihn nicht bei Jubal Wacos Raubreiterhorde. Ich werde ihn finden und herbringen.“ „Nur keine Sorge, Madam“, fuhr er fort, als er ihr besorgtes Gesicht sah. „Mir geschieht nichts. Selbst der Dümmste in der Stadt weiß, daß man einen Doc nicht ersetzen kann und er ihn selbst bald benötigen könnte. Ich freue mich, daß ich mich endlich zu Handlungen aufgerafft habe. Lange genug habe ich mir die Ungerechtigkeiten angesehen und im Schatten gelebt, bis ich mich darauf besann, daß es neben meiner Pflicht als Doc auch noch eine andere gibt, die Menschenpflicht nämlich, überall zu helfen, wo man kann. Benny Lind, Knox und ich waren Captain Riffeys Kameraden. Wir alle wollen ein freies Wyoming. Ich will nicht hinter meinen Kameraden zurückstehen, Madam.“ Er wandte sich ab und ging. Er steuerte auf das Vergnügungsviertel zu, in dem der Lärm wieder aufgebrandet war. Es hielt ihn niemand auf. Die Waffe hatte er zurückgelassen. Er begann sofort im ersten Saloon. Doch dort fand er nicht den Mann, den er suchte. Im zweiten Saloon war es ungemütlicher. Hier hatte sich Jubal Waco mit seiner Raubreiterhorde niedergelassen. „Schaut nur, wer da kommt“, sagte der blonde Gobel. - 92 -
„He, Doc, niemand stellt sich gegen uns, niemand, hörst du?“ „Nein“, sagte Williamson, „ich bin taub, mein Junge.“ „Laß ihn in Ruhe, Gobel!“ forderte Staffard. „Fange keinen Streit mit ihm an, denn dann müßte ich mich gegen dich wenden, Gobel. Ohne den Doc bekomme ich meine schlechten Zähne nicht gezogen. Laß ihn in Frieden.“ „Wenn du Holden suchst, Doc, er ist nicht hier“, sagte Eddie Durante. „Du wirst ihn auf dem Mond suchen müssen.“ „Dann werde ich auf dem Mond suchen, Durante“, erwiderte Williamson. „Aus Versehen gab ich Holden nicht die richtige Medizin. Es tut mir leid, aber wenn er nicht die richtige Medizin bekommt, werdet ihr ihn gegen Mittag nur noch als Toten besuchen können. Ich suche ihn, um mein Versehen wieder gut zumachen. Jeder kann sich einmal täuschen. Es tut mir leid, daß Holden an einer Krankheit leidet, die ihn zur regelmäßigen Einnahme von Medikamenten zwingt. Ich werde wahrhaftig auf dem Mond nach ihm suchen müssen, denn ich will an seinem Tode nicht die Schuld haben.“ „He, Doc, das ist doch ein Witz!“ „Ich witzle nicht, wenn es um Tod und Leben geht, Durante“, erwiderte Doc Williamson mit ernstem Gesicht. „Holden braucht nur auf die Flasche zu schauen, die ich ihm das letzte Mal gab, und er wird bestätigen können, daß es nicht die gewohnte Medizin ist. Es wäre besser, wenn ihr mir sagen würdet, wo Holden ist.“ Alle sahen zu Jubal Waco hin. Der junge Mann schaute den Doc aus schmalgezogenen Augen böse an. Er spürte, daß man ihm in dieser Stunde die ganze Verantwortung zuschob. - 93 -
„Deine Tricks werden immer schlimmer“, sagte Jubal grollend. „Ich beginne, dich zu durchschauen. Erst bringst du Betty Lind ins Spiel, und jetzt versuchst du Holden zur Bank zu zwingen. Mich legst du armer Narr nicht hinein. Suche Holden nur! Vielleicht reitest du zur Abwechslung einmal durch die Gegend.“ „Um so schlimmer für ihn, wenn er bei den Leuten sein sollte, die die Hölle in den wilden Hügeln entfachten. Die Zeiten, um mit Gewalt eine Vormachtstellung halten zu können, sind vorbei. Niemand wird mehr die normale Entwicklung des Landes aufhalten können. Die Zeit ist reif für einen Umbruch. Es ist Holdens Pech, daß er nicht genug Rückenmark hatte, um sich gegen ein übles Ansinnen zu wehren. Er wird bitter dafür büßen müssen.“ Im nächsten Moment mußte Williamson sich ducken. Die Flasche, die Jubal Waco nach ihm geworfen hatte, zersplitterte hinter dem Doc an der Wand. Der Doc ergriff die Flucht. Es gelang ihm, durch die Schwingtür ins Freie zu flüchten. Drei Kugeln klatschten in die zufallende Tür. Die Tür hielt das Blei auf, das den Doc von den Beinen reißen sollte. Jubal Wacos ganze erbärmliche Art war jetzt zum Vorschein gekommen. Nicht nur, daß er nach einem Wehrlosen mit einer Flasche geworfen hatte, er hatte sich auch dazu hinreißen lassen, nach dem Fliehenden zu schießen. Gobel schlug Jubal die rauchende Waffe aus der Hand. Die beiden Männer standen sich jetzt mit flammenden Augen gegenüber. Für einen Moment schien es, als wollte Jubal Waco sich auf Gobel stürzen. „Mache so etwas nicht noch einmal, Gobel!“ knirschte Jubal Waco heiser und überrascht durch die Entdeckung, - 94 -
daß niemand aus der rauhen Horde Anstalten machte, ihm beizustehen. „Hebe die Waffe auf!“ Gobels Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen. „Hebe sie nur selbst auf, Jubal“, entgegnete er rauh. „Komm mit nach draußen! Tragen wir es gleich richtig aus! Auf einen bewaffneten Mann zu feuern ist etwas anderes als auf einen unbewaffneten zu schießen. Du wärst bereits tot, wenn du dem Doc ein Leid zugefügt hättest!“ „Zum Teufel, was fuhr in euch? Was ist mit euch los?“ „Er begreift es nicht, Gobel“, sagte einer der Männer rauh „Ihn haben wir als Boss anerkannt Er weiß noch nicht, daß sein Vater uns von der Lohnliste streichen kann. Der Auftritt vor der Lind-Ranch war schon übel, daß es dieses Auftrittes hier fast nicht mehr bedurft hatte. Wir haben die Nasen voll, Waco. Wir wissen jetzt, wer du wirklich bist!“ Er brach ab. Jubal Waco trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht zuckte, und seine Wangenmuskeln bewegten sich Schweiß trat auf seine Stirn. „Wir Wacos können auf euch alle verzichten, solange noch Revolvermänner wie Nixon und Duadle bei uns sind. Wir haben noch genug Reiter, um euch die Furcht ins Mark zu treiben.“ „Halte deinen Mund, Waco!“ unterbrach Gobel ihn schroff. „Je länger man dich anhört, desto übler wird es einem zumute. Staffard, hole Holden und schicke ihn zum Doc. Ich möchte Holden nicht auf dem Gewissen haben wie Jubal Waco. Dieser Bursche hat kein Gewissen. Er würde uns alle verraten, wie er es mit Holden tut. Wir wissen jetzt, welchen Weg wir reiten müssen. - 95 -
Sage das deinem Vater und seinen Revolverschwingern. Geh und reite, wenn du schon nicht mit mir kämpfen willst. Verschwinde, bevor wir dich tanzen lassen. Jetzt erst haben wir begriffen, was Rod Drake auf der StrickRanch angetan wurde. Verschwinde jetzt, und das auf Nimmerwiedersehen!“ In diesem Augenblick, als Jubal Wacos Wut sieh mit einem Fluch entladen wollte, ging abermals die Schwingtür auf. Diesmal war es eine Frau, die bei ihrem Eintritt den Schleier vom Gesicht nahm. Bei ihrem Anblick wurde Jubal Waco totenbleich und streckte abwehrend die Hände aus, ließ sie jedoch gleich wieder sinken. „Du, Mutter?“ kam es fassungslos über seine Lippen. „Was willst du hier? „Was ich hier will? Dir mitteilen, daß ich deinen Vater und die Strick-Ranch für immer verließ. Ich habe viel Unrecht ertragen müssen, doch ich hielt aus und glaubte, daß eines Tages aus der Bitternis etwas Gutes erwachsen würde, doch ich täuschte mich. Es wurde immer schlimmer. Ich habe alles versucht, was in meinem Kräften stand, um deinen Vater zu überreden. Er hörte nicht auf mich. Im Gegenteil, er nahm mir auch dich. Dein Vater und du, ihr habt euch immer weiter von mir entfernt. Ich weiß jetzt, warum dein Vater nicht anders konnte. Durch Lug und Betrug hat er sich in den Besitz der Strick-Ranch gesetzt und ein Testament von seiner Stiefschwester erzwungen, das ihn zum Erben machte. Durch die Gewalt und Rücksichtslosigkeit eroberte er die Spitze im Lande und baute seine Machtposition immer weiter aus. Er ging dabei durch den Sumpf und verlor sein Herz. Ich schrieb ihm einen Abschiedsbrief und kam hierher, um wenigstens dich vor dem Verderben zu - 96 -
retten.“ „Was soll das, Mutter, was willst du wirklich?“ „Dich auffordern, alles im Stich zu lassen und mit mir zu kommen. Die nächste Stagecoach geht in zwei Stunden. Ich habe mir gestern von Holden das von mir in die Ehe gebrachte Vermögen auszahlen lassen. Es reicht für uns beide für einen neuen Anfang.“ „Holden hat das getan, ohne erst Dads Erlaubnis einzuholen?“ „Ja, er tat es, obwohl er weiß, was es für ihn für Folgen haben kann.“ „Hört es, Männer!“ schrie Jubal Waco triumphierend, „hört den Verrat Holdens! Ihr habt euch für den falschen Mann eingesetzt!“ Er brach ab, schritt auf seine Mutter zu und packte sie hart bei der Schulter. „Du wirst nicht fort reisen, Mutter, du wirst bleiben!“ sagte er zu ihr. „Nicht einmal du könntest mich daran hindern“, sagte sie fest. „Ich ersticke, wenn ich auch nur noch einen Tag länger bleibe. Ich reise, auch ohne dich, Jubal. Ich glaubte, dich noch retten zu können, doch du steckst schon mitten in der Hölle.“ Sie machte sich von Jubals Händen frei und sah in die Runde. „Ihr alle macht euch schuldig“, sagte sie zu den Männern, die schweigend der Begegnung von Mutter und Sohn zugeschaut hatten. Ohne noch weiter etwas zu sagen, drehte sich die Frau um, schlug den Schleier vors Gesicht und ging. Jubal machte eine Bewegung, als wollte er ihr nacheilen, doch er blieb, und die Schwingtür schlug zurück. „Es wäre besser für dich, wenn du ihr Angebot annehmen würdest, Jubal“, sagte Gobel rauh. „Du hast nicht das Format deines Vaters, du bist zu weich. Du verdienst die Güte deiner Mutter nicht. Sogar sie möchtest du zusammen mit Holden an den Pranger - 97 -
stellen. Es gibt keinen größeren Schuft als dich!“ Jubal zögerte nicht mehr. Die Wut hatte die Oberhand in ihm gewonnen. Er warf sich mit hämmernden Fäusten gegen den blonden Gobel. Doch der wich aus. Jubal riß einen Tisch um, schnellte katzenhaft elastisch herum und ergriff einen Stuhl. Gobel war noch weiter zurück gewichen und beobachtete seinen Gegner in geduckter Haltung. Impulsiv hatte er seine Waffe herausgerissen. Jubal stand vor der Mündung und mußte wohl erkennen, wie dumm er gehandelt hatte. „Er hat keine Hemmungen“, sagte Staffard zu Gobel. „Eine Kugel könnte ihm nicht schaden.“ Jubal bebte am ganzen Körper. Seine Hände umklammerten die Stuhllehne. Heiser brüllte er heraus: „Versuche es ohne Colt, Gobel!“ „Nein“, sagte Gobel hart und entschlossen, „nicht bei dir. Nimm die Hände jetzt hoch, Waco. Du bist erledigt!“ Jubal zögerte. Als jedoch Gobel schoß und die Kugel nur um Millimeter an seinem Kopf vorbeistrich, ließ er die Stuhllehne los und hob langsam die Hände. „Wir haben dir zu sehr vertraut, Waco“, sagte Gobel. „Wir alle waren Narren, die zu bequem waren, um sich selbst ein Urteil zu bilden. Es hätte uns schon stutzig machen sollen, als wir hörten, wie wenig du Rod Drake dankbar warst, daß er dir einige Male das Leben rettete. Du hast im Gegenteil alles versucht, um ihn aus der Welt zu bringen. Reite nur zu deinem Vater und den Revolvermännern.“ Gobel winkte mit dem Colt. Jubal Waco setzte sich in Bewegung. Hektisch rote Flecke brannten auf seinen Wangen. Wirr blickten seine hellen Augen in die Runde. „Ich komme wieder, und dann rechnen wir ab!“ sagte er. - 98 -
Niemand achtete auf diese Drohung. Die kalte Verachtung aller kam deutlich zum Ausdruck. Seine ehemaligen Freunde öffneten ihm die Schwingtür. Gobels Waffe wurde ihm so fest in den Rücken gestoßen, daß er fast den Halt verlor. Draußen stand der Doc an eine Verandasäule gelehnt. Neben ihm stand Jubals Mutter. Beide waren nach dem Verlassen des Saloons nicht fortgegangen. Jubal Wacos Zähne knirschten hörbar zusammen. Unaufgefordert blieb er stehen. „Mit dem Doc stehst du im Bunde, Mutter?“ fragte er heiser. „Ja“, gab sie offen zu. „Ich habe ihm gesagt, wo er Holden finden kann. Holden wird geholfen und auch den Siedlern. Das Unrecht im Lande muß aufhören. Dein Vater hat dich falsch erzogen und dich mir zu früh fort genommen. Ich habe keinen Einfluß mehr auf dich, mein Junge. Wenn du jetzt nicht den festen Entschluß faßt und mit mir abreist, wirst du mit deinem Vater zusammen untergehen.“ „Untergehen?“ Er lachte gellend auf und tat, als spüre er den Coltdruck im Rücken nicht. Sein Lachen verstummte vor ihrem Blick. „Du tust mir leid, mein Junge“, hörte er seine Mutter sagen. „Du weißt nicht, daß aus dem alten Fort die Vergangenheit gegen deinen Vater aufgestanden ist. Er kann dieser Vergangenheit nicht mehr entrinnen. Dir ist noch die Möglichkeit gegeben, dir sollten jetzt die Augen aufgegangen sein. Komm jetzt mit mir! Eine Mutter hört nie auf zu hoffen. Komm jetzt mit, du hast noch eine Chance!“ Der kalte Nordwind blies über die Menschengruppe. Jubal erschauerte. Ein Schluchzen kam über seine - 99 -
Lippen. Es war ihm, als hätte ein Wärmestrahl den Eispanzer um sein Herz zum Schmelzen gebracht. Seine Stimme klang seltsam brüchig, als er sagte: „Ich komme mit dir ... Mutter „ „Es ist gut. Wir wollen beide nicht mehr zurück schauen. Gobel, überlassen Sie ihn mir“, wandte sie sich an den jungen Mann, der schweigend seine Waffe zurück ins Halfter gleiten ließ. Sie nahm Jubals Arm. So schritten beide davon, über den Fahrweg zur anderen Straßenseite hin. Jubal blickte sich um. Er ging neben seiner Mutter in eine neue Zukunft. 11. Curly hatte nach jedem Schußwechsel die Position gewechselt, so daß es Rod Drake unmöglich war, ein genaues Ziel anzuvisieren. Er konnte nur nach dem aufblitzenden Mündungslicht feuern. Dasselbe galt auch für Curly. Weder der eine noch der andere bekam seinen Gegner zu sehen. Nur das grelleuchtende Mündungslicht zwischen den Sträuchern und die Geräusche, die die Gegner verursachten, gaben Anhalts-punkte. Nach fünf Schuß, die Rod abgefeuert hatte, klickte es metallisch. Er wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Er hatte Millers Colt leergeschossen. Das bedeutete, den Kampf abzubrechen und sich vorzusehen. Rod kroch durch die Sträucher in die Richtung, wo auf dem Hügelhang Rebell an einer Buschgruppe angebunden stehen mußte. Schlangenhaft gewandt, immer wieder lauschend bewegte er sich vorwärts. Daß sein Gegner das Feuer ebenfalls eingestellt hatte, deutete er so, daß dieser ihn angestrengt suchen mußte. Es mochte sein, daß der - 100 -
Gegner das Klicken des Colts gehört hatte und sich seinen Teil dachte. Der Gegner konnte es jetzt auf einen Trick ankommen lassen, wenn er sicher war, daß Rod keine Reservepatronen hatte. Er konnte dann zur großen Jagd ausholen.. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte sich Rod. „Ich bin dem Kerl zu übereilt gekommen. Ohne Munition kann sich das Blatt jetzt drehen.“ Rod ging von der Voraussetzung aus, daß sein Gegner einer der berüchtigtsten Revolvermänner der Strick-Ranch war, also einer von der eiskalten Sorte, die Nerven aus Draht zu besitzen schienen. Auf allen vieren kriechend, bewegte er sich im Gestrüpp, riß sich an Dornen die Haut auf und blieb augenblicklich liegen, als das unheimliche Geräusch in der Nacht vom Wind getrieben zu ihm drang: das Geblöke sich in Todesnot befindender Schafe, in das sich das Gebell der Hunde von der Lind-Ranch mischte. Es traf Rod wie ein Schlag. Er schluckte schwer. Der Notlaut der Schafe ließ ihn für einen Augenblick die eigene bedrohliche Situation vergessen. Unter sich am Hügelhang hörte er Pferdeschnauben und dann den Huf schlag eines sich entfernenden Pferdes. Das konnte ein Trick seines Gegners sein, um ihn aus der Deckung zu locken. Es mochte aber auch sein, daß der Gegner beim Schußwechsel getroffen worden war und sich aus dem Staube machte. Rod spähte aus der Deckung, dann sah er den Reiter für Sekunden unter sich in der Senke und wußte, daß ein Trick ausgeschlossen war. Bei einem Trick hätte er das ohne Reiter gehende Pferd sehen müssen. Der Reiter selbst wäre versteckt in der Nähe gewesen, auf seinen Gegner lauernd wie ein Puma, der auf Beute aus war. - 101 -
Jetzt zögerte Rod keinen Augenblick mehr. So schnell er konnte und die Dornengewächse es zuließen, arbeitete er sich zu dem wartenden Rebell durch. Rod löste die Zügel vom Buschwerk, hob sich in den Sattel und ritt an. Seinem ersten Impuls, zur Ranch zurückzureiten, gab er nicht nach. Er sagte sich, daß ihm gewiß einige Reiter gefolgt waren. Der Notschrei der in Stampede gebrachten Schafherde gellte ihm noch immer in den Ohren. Es kam jetzt nicht darauf an, ob er eine Waffe hatte, die einsatzfähig war. Es kam auf die Hilfe an, die er der in Not befindlichen Herde bringen konnte. Er trieb Rebell durch die Nacht. Es ging bergauf und bergab, durch Täler und Hohlwege, immer tiefer hinein in die wilden Hügel. Es kam erschwerend hinzu, daß .das Mondlicht durch tiefhängende Wolken zurückgehalten wurde. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwarzes Tuch auf Pferd und Reiter. Rebell wurde langsamer, doch lauter, eindringlicher das Blöken der Schafe. Dazwischen klangen Schußdetonationen, Pferdehufschlag und abgerissene Wortfetzen. Es war, als würde Rebell seinen Reiter mitten in die Hölle hineintragen. Vor Rod, der schon eine Zeitlang unter den Blattbaldachinen der Bäume geritten war, öffnete sich plötzlich eine Lichtung, auf der es etwas heller wurde. Doch war es nicht hell genug, daß er die am Boden liegenden verendeten Schafe erkennen konnte, die auf der breiten Spur lagen, die die Stampede hinterlassen hatte. Rod flog beinahe aus dem Sattel, als Rebell über tote Schafe sprang und ein trompetenhaftes Wiehern ausstieß. Rod verlor den Halt im Sattel. Wie schwerelos schwebte er einen Augenblick lang über Rebell, bevor er um so fester in den Sattel zurückfiel. - 102 -
Eine helle Lichtbahn fuhr von seiner linken Schläfe nur eine Handbreit entfernt vorbei. Die harte Detonation eines Colts war so dicht neben ihm, daß ihm schier die Trommelfelle zu platzen drohten. Rod gab Rebell einen leichten Ruck nach links, so daß der Falbe mit dem anderen Pferd, das aus dem Gebüsch am Rand der kleinen Lichtung herangeschossen kam, zusammenstieß, gerade in dem Moment, als der Schütze seinen Fehlschuß korrigieren wollte und erneut feuerte. Der Flammenstrahl raste wie ein orangefarbener Strich in den Nachthimmel hinein. Rod, der die Zügel seines Falben losgelassen hatte und die Stiefel aus den Steigbügeln riß, gab sich einen Ruck und flog wie von einer Sehne geschnellt auf seinen Gegner zu, dem der Rammstoß Rebells auf seinem Pferd den Halt nahm. Rod war nur diese Chance übriggeblieben. Ohne Waffe konnte er nur so die Situation für sich entscheiden. Es war ein tollkühnes Wagnis, der Flug aus dem Sattel zu seinem Gegner hin, dessen Pferd in der Vorderhand eingeknickt war Der Schwung des Rammstoßes und Rods fester Griff rissen den Gegner mit zu Boden. Daß der Gegner dabei den Colt als Schlag-Waffe benutzte, bewies, daß er es mit einem Mann zu tun hatte, der in jeder Lage zu kämpfen verstand. Der Schlag traf zum Glück nur Rods Schulter. Beide Männer prallten hart am Boden auf, rollten übereinander vor die Hufe Rebells, so daß der Falbe abermals stieg. Rebell schlug nicht mit der Vorderhand aus, sondern wich zur Seite, so als wollte er Platz für die Kämpfenden machen. In diesem Moment zerriß die Wolkendecke, die das Mondlicht zurückgehalten hatte. Rods Gegner hatte sich frei gemacht, der Revolverarm des Mannes stieß vor. Der Schuß löste sich nicht. Der Mann, der die Waffe zum - 103 -
tödlichen Abschuß bereit hielt, riß weit die Augen auf. „Du, Rod? By Gosh, das wäre schlimm für mich geworden.“ Die Revolverhand senkte sich. Ein Stöhnen kam über seine Lippen, als würde er von einer drückenden Zentnerlast befreit. Rods Augen öffneten sich weit. Sie blickten in Charles Knox Gesicht, in das vertraute Gesicht, das vom Staub und Schweiß verschmiert, doch noch kenntlich war. Beide taumelten auf die Beine, packten sich an den Schultern und blickten sich wie aus einem bösen Traum erwachend in die Augen. Knox schluckte schwer und richtete seinen Blick auf seine Waffe. „Ich mußte dich für einen Gegner halten, Rod“, sagte er mit kehlig klingender Stimme, wobei er die leeren Patronenhülsen in seinem Colt durch frische Patronen aus seinen Waffengurtschlaufen ergänzte. „Du hast mir verteufelt arg zugesetzt, Rod. Es ist nur ein Glück, daß du nicht geschossen hast.“ „Schau dir diese Waffe an“, sagte Rod und zeigte Charles Knox seinen leergeschossenen Colt. „Allmächtiger!“ sagte Knox nur und erbleichte. „Ich habe wohl einen besonderen Glückstag bei allem Pech, das über uns und die Herde kam. Duadle und Nixon führten je eine Gruppe. Die kleine Gruppe lockte uns Schafhirten weg, die größere kam über die Herde“, berichtete Knox, der erst gar nicht Fragen abwartete. Er schien zu wissen, daß Rod darauf brannte, Näheres zu erfahren. „Man stellte es raffiniert an, und wir ließen uns bluffen. Noch während wir gegen die kleine Gruppe kämpften und arg in die Klemme gerieten, kam das Unheil über die Herde. An die hundert Schafe sind umgekommen. Die toten Tiere liegen überall auf dem - 104 -
Weg, den die Stampede nahm. Sicherlich sind es noch weit mehr Tiere. Es wird sich erst bei Tageslicht herausstellen.“ „Wo sind die anderen Männer von der Lind-Ranch?“ forschte Rod. „Vier gute Männer starben“, erwiderte Knox mit schwerer Stimme. „Drei wurden verwundet. Unsere ganze Gruppe wurde auseinandergesprengt. Wir mußten die Toten und Verwundeten zurücklassen, um nur die eigene Haut zu retten. Nie vorher war ich je in einer schlimmeren Lage. Ehrlich gestanden, Rod, es war schrecklich. Man gab uns keine Chance. Die Übermacht war einfach zu groß. Ich weiß nicht, wo die Herde geblieben ist, wo die anderen Männer sich befinden. Wie irr ritt ich durch die Gegend. Was das Schlimmste ist... beinahe hätte ich dich aus der Welt gebracht.“ Er brach ab, denn Rod hörte bereits nicht mehr zu. Er schwang sich schon wieder in den Sattel Rebells. „Charles, wir müssen die Verwundeten finden. Den Toten ist nicht mehr zu helfen. Zuerst müssen die Verwundeten Hilfe haben. Reiten wir!“ Charles Knox sagte heiser: „Den gleichen Gedanken hatte ich auch, Rod. Ja, laß uns weiter suchen.“ Wenig später ritten die beiden Männer Bügel an Bügel. Schon nach wenigen Yards sagte Charles Knox: „Nimm diese Patronen, Rod. Es ist 45er Munition, gerade das richtige Futter für Millers Waffe. Es wird mir kalt und heiß bei dem Gedanken, daß du ohne Munition reitest. Du hast nicht einmal welche von mir gefordert.“ „Ich nehme sie nur an, wenn du sie entbehren kannst.“ „Dann nur zu“, erwiderte Charles Knox aufatmend. „Ich bin dir etwas schuldig. Schließlich war ich es, der das Feuer auf dich eröffnete.“ - 105 -
„Es waren nur zwei Schuß, Charles.“ Das war alles, was Rod zu dem Vorfall zu sagen hatte. Er nahm es nicht tragisch, er grübelte auch nicht darüber nach. Für ihn war der Fall erledigt und nicht mehr der Rede wert. Hier war Schlimmeres geschehen. Eine ganze Mannschaft war überrumpelt worden. Ein wilder Zorn begann sich in Rod zu regen. Er nahm die Patronen, die Charles Knox ihm anreichte. Im Weitergehen lud er seine geliehene Waffe auf. Sein Zorn vertiefte sich, als die toten Schafe sich mehrten. Bald wurde der erste tödlich getroffene Schafhirt neben seinem Pferd liegend sichtbar. Rod hielt an und betrachtete den Toten, einen noch jungen Mann. Er sah in das stille, im Tode verschlossene Gesicht. Die Augen des Toten waren blicklos. Eine große Anklage lag darin. Rod begann zu frösteln. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zusammen. Hier hatte eine Meute ohne Erbarmen gewütet, nur ein Ziel vor Augen, nämlich Leben zu zerstören. Doch gleich, ob es von Nixon oder Duadle ausging, der Mann im Hintergrund hieß Jim Waco. Noch während Rod über den Toten geneigt stand und ihm die Augen zudrückte, kam Hufschlag auf. Doch bevor die Reiter in Schußnähe waren, wurden sie an der Art, wie sie im Sattel saßen, erkannt. Es waren Schafhirten. Die beiden Männer waren leicht verwundet, wie sich später herausstellte. Sie hatten sich gegenseitig Notverbände angelegt. Sie berichteten, daß sich die Mannschaft bereits gesammelt und die Herde gefunden habe. Die große Herde war wieder einmal in die Schlucht getrieben worden. Einige Schafhirten hatte man an Lassos auf den Grund der Schlucht hinuntergelassen, um die Leiden der Tiere zu beenden. - 106 -
„Wir suchten dich, Knox“, sagte einer der Schafhirten bedrückt. „Wir suchten auch Andree, aber Andree ist tot.“ Der Sprecher schaute zu dem Toten hin, riß den Stetson vom Kopf und fuhr dann heiser fort: „Es hat meinen Bruder Andree erwischt, Boß. Drüben im Camp liegen weitere Tote. Wann reiten wir gegen die StrickRanch?“ „Nicht, bevor wieder etwas Ruhe über die Mannschaft gekommen ist“, erwiderte Rod. „Wenn eine Mannschaft die Raubreiterhorde schlagen will, muß sie einen klaren Kopf haben. Gedulde dich noch etwas!“ „Warte nicht zu lange und schiebe es nicht zu weit hinaus, Boss!“ 12. Der Morgen graute bereits, als sich die geschlagene Lind-Crew auf den Weg zur Ranch machte. Am Himmel ballten sich dunkle Wolken. Er regnete, und die niederdrückende Stimmung der Männer wuchs dadurch noch. Die Toten und Verwundeten führten sie auf Schleppschlitten, die sie vor dem Abmarsch aus Zweigen und dünnen Baumstämmen hergestellt hatten, mit sich. Die von Sam geführte Gruppe war zu ihnen gestoßen. Nur langsam kam man vorwärts. Es wurde wenig gesprochen. Jeder wußte, was die Männer in der Schlucht erlebt hatten. Es hatte dort nicht mehr viel zu retten gegeben. Man hatte eine Menge Munition verschießen müssen, bis auch das letzte jämmerliche Klagen verstummt war. Von den zweitausend Schafen war nur die kleine Herde der Ausbrecher übriggeblieben. Die Tiere hatte man eingefangen und in ein Tal getrieben, wo sie von - 107 -
zwei Schafhirten weiter zu den Zweigherden der LindRanch getrieben werden sollten. Der hinterhältige Angriff auf die Hauptherde war ohne Zweifel ein harter Schlag für die Ranch. Man würde Jahre brauchen, um sich wieder davon zu erholen. Man brauchte nur in die Augen der Männer zu sehen, um zu wissen, was sie von Jim Wacos Methoden dachten, wie sehr der Zorn in ihnen schwelte und nach einem Ausbruch nach dem alten Gesetz Auge um Auge, Zahn um Zahn drängte. Rod spürte die große Verantwortung, die er sich aufgeladen hatte, drückend auf sich lasten. Seine Entscheidungen würden jetzt ganz besondere Beachtung finden. Machte er auch nur etwas falsch, dann würde man sich über ihn hinwegsetzen und er wagte nicht zu Ende zu denken. Er fragte sich unwillkürlich, ob er bereits verloren hatte, ob ihm die Zügel bereits aus der Hand geglitten waren. Zu Charles Knox, der neben ihm außer Hörweite der anderen ritt, sagte er : „Benny Lind hat sich in mir getäuscht. Ich bin wohl auch noch zu jung, um diese Sache durchstehen zu .können. Benny hätte Sam einsetzen sollen, er kennt keine Kompromisse. Sam würde nicht zögern. Sicherlich hätte er von sich aus den Angriff gegen die andere Seite gestartet und nicht erst gewartet, bis wir die erste empfindliche Niederlage erhielten. Ich brauche mich nur im Sattel umzudrehen und in die Gesichter der Männer zu blicken. Sie erwarten den Totentanz auf Biegen und Brechen.“ „Ich glaube das auch“, entgegnete Charles Knox. „Sie alle haben in die Schlucht hineingeschaut. Das Grauen überkam sie dabei. Jetzt suchen sie nach einem Ventil, um den inneren Druck zu sprengen. „He, was ist denn das?“ Bei diesen Worten hob er sich in den Sattel, als hätte - 108 -
ihn ein Skorpion gestochen. Mit ihm sah es auch Rod und alle anderen. Der rote Glutschein, den alle gewahrt hatten, befand sich in der Richtung, in der die LindRanch liegen mußte. Ohne Zweifel war es nicht der Schein der aufgehenden Sonne. Der giftiggelbe Rand um den feuerroten Fleck an der dunklen Wolkendecke verriet eine Feuersbrunst. Allen wurde es schlagartig klar, daß die Raubreiterhorde um Dualde und Nixon sich nicht mit der Vernichtung der Zuchtherde zufrieden gegeben hatte, man hatte begonnen, alles auszulöschen. Das war mehr, als man hinnehmen konnte. Das wild klingende Gebrüll aus vielen Männerkehlen bewies die Ohnmacht, welche die Männer beim Anblick des Feuerscheins befallen hatte. Knox war mit einem heiseren Fluch in den Sattel zurückgefallen. Rod jedoch starrte auf den an der Wolkendecke sich rasch vergrößernden Fleck, den die Hölle selbst dorthin spiegelte, als hätte sie ihr dämonisches Tor weit geöffnet. Jim Waco war einer der Teufel, der daraus hervorgebrochen war. Es hämmerte wie rasend in Rods Schläfen. Ihm dröhnte der Schädel. Die Augen brannten, sein Atem ging flach. Er hatte sich weit vorgeneigt, so als könnte er das, was seine Augen sahen, nicht fassen. Es war in der Tat unfaßbar für ihn zu glauben, daß Jim Waco den Befehl gegeben haben sollte, die Lind-Ranch niederzubrennen. Mit dieser gräßlichen Tat stempelten sich Jim Waco und alle, die ihn dabei unterstützten, zu Mordbrennern und Rowdys, zu Männern ohne Gesetz. Sicherlich war dieser Gedanke in Rod noch nicht so unheimlich wie ein anderer „Betty!“ Ihr Name fetzte ihm wie ein Schrei von den Lippen. Ja, sie war es, an die er dachte, um die er sich am - 109 -
meisten sorgte, denn sie wer ja zurück geblieben. „Nur ruhig Blut, Boss“, sagte Knox, der sein Pferd ganz nahe an Rebell herangetrieben hatte. Er neigte sich zu Rod hinüber „Wenn du dich jetzt nicht beherrschen kannst, dann ist alles zum Teufel. Was Tim Waco auch immer an Schurkereien vollbringt, er hat sich selbst das Grab gegraben. Er ist zu weit gegangen und muß völlig den Verstand verloren haben. Reite jetzt auf keinen Fall allein los, du könntest in die Falle reiten. Suche dir deine Begleitung aus. Nur wenige Männer genügen, um die Toten und Verwundeten nachzubringen. Überstürze jetzt nichts, Rod, denn jetzt gilt es!“ Rod erwachte wie aus einem unheimlichen Traum. Sein Gesicht zuckte, so als könnte er die schreckliche Nervenbelastung nicht ertragen. In diesem Augenblick mochte Knox erkennen, daß man von diesem jungen Manne doch etwas zuviel verlangte. „Wenn du es wünschst, übernehme ich jetzt das Weitere“, sagte Knox. Der Jüngere schüttelte heftig den Kopf. Mit einem Schlage fiel alle Unsicherheit von ihm ab. Es war erstaunlich für Knox, eine so urplötzliche Umwandlung zu erleben. Es war, als habe der junge Mann sich zu einem anderen Menschen gewandelt, zu einem echten Kämpfer, dessen Härte nicht zu übertreffen schien. Im nächsten Augenblick nahm Rod Rebell kurz herum, so daß das Tier Front zu der Mannschaft machte. Die Männer verhielten in düsterem Schweigen. Aller Augen waren auf Rod gerichtet. Es war sonderbar, daß sich keine Panikstimmung dieser Männer bemächtigt hatte, daß sie beim Anblick des Feuerbrunstscheines die Nerven nicht verloren, daß sie im Gegenteil enger zusammenrückten, als wollten sie sich zu einer Einheit - 110 -
verschweißen, die gegen Tod und Hölle angehen würde. Die Ohnmacht, die ihnen allen bis jetzt zu schaffen gemacht hatte, war von ihnen abgefallen. Nun warteten sie auf einen Befehl. Keiner war wohl unter ihnen, der es bis zu seinem Lebensende vergessen könnte, was ihrer Sippe in dieser Nacht angetan worden war. Daß es so schlimm und böse über sie hereinbrechen würde, hatte wohl keiner von ihnen für möglich gehalten. Nun, ihre Familien lebten in Springs und waren in Sicherheit. Wie war es aber mit Betty Lind und ihren Kameraden? Unheimliche Fragen waren das, worauf es noch keine Antwort gab. „Wer folgt mir?“ fragte Rod mit heiser schwingender Stimme. „Wir haben lange genug gezögert. Einige müssen zurückbleiben, die die Toten und Verwundeten nach Springs schaffen.“ „Sie sollen zur Stadt gebracht werden?“ „Etwa zur Ranch?“ entgegnete Rod dem Sprecher rauh. „Wir können nicht mehr zur Ranch mit ihnen zurück, dort gibt es keine Unterkunft mehr. Rauchende Balken und schwelende Aschenreste taugen nichts für sie. Auch ein Aufenthalt in der Siedlung würde nur zum Schaden für die Siedler ausschlagen. Es sind schon genug Siedler zu Schaden gekommen, wir können sie in diese Sache nicht mit hineinziehen. Schafft die Toten und Verwundeten zur Stadt, dort ist Hilfe für sie. Doc Williamson befindet sich dort. Den Toten kann allerdings auch er nicht mehr helfen.“ „Dort ist aber auch Jubal Waco mit seiner rauhen Horde! Nur der Himmel weiß, ob er nicht etwas gegen unsere Familien unternommen hat.“ „Niemand von uns kann das sagen“, erwiderte Rod. „Es ist wohl so, daß jeder von uns, ob er mit mir reitet - 111 -
oder eine andere Aufgabe übernimmt, mitten durch die Hölle muß. Es bleibt niemandem etwas erspart, es sei denn, er geht eigene Wege und reitet aus dem Lande. Wer es tun will, den kann ich nicht daran hindern. Er kann sein Pferd zur Seite treiben.“ Niemand scherte aus. Es fiel keinem ein, sich feige zu drücken, sich von den anderen abzusondern. Keinen von ihnen schien das, was vor ihnen lag, zu schrecken. Die Gefühle für Gerechtigkeit waren stärker, die Sippenverbundenheit war mächtiger, als das sonst bei einer Crew üblich war. Daß der Boss nicht zur Sippe zählte, das mochte dem einen oder anderen in diesem Augenblick so recht zum Bewußtsein kommen, jetzt, da die Entscheidung gefallen war. Rod gab für sein eigenes Leben keinen Cent mehr Er ging so in der Aufgabe auf, als wäre er Benny Linds Sohn. Auch Miller, der Siedler, ritt nicht aus dem Reiterhaufen heraus, ebenso wenig wie Charles Knox. Sie schienen alle unsichtbar miteinander verbunden zu sein. Rod mußte die Leute bestimmen, die die Toten und Verwundeten nach Springs schaffen sollten. Er übertrug dem ehemaligen Marshal Knox diese Aufgabe. Außer Miller teilte er diesem Trupp noch weitere drei Männer zu. Mit dieser Einteilung waren alle einverstanden. Danach rüsteten sich die Männer, die Rod begleiten sollten, besser aus. Die Waffen und die Munition von den Gefallenen und Verwundeten wurden mit übernommen. Der Reitertrupp teilte sich. Während die eine Gruppe im Schritt durch den grauen Morgen ritt, schonte die andere ihre Pferde keineswegs. - 112 -
Näher rückte der Flammenschein, der sich an den tiefhängenden Wolken widerspiegelte. Außer dem Gebell eines Hundes war alles friedlich. Es waren keine Schußdetonationen zu hören. Ein wenig später sah man die brennende Ranch. Der große Palisadenzaun brannte und war teilweise eingesunken. Schuppen und Blockhäuser bestanden nur noch aus brennenden Trümmern, aus denen die Flammen leckten. Das große Ranchgebäude brannte lichterloh. Funken wurden vom Wind in die Höhe getrieben, Pferde und Milchrinder bewegten sich scheu vor dem brennenden Hintergrund der Ranch. Die Männer zügelten die Pferde. Einer der Männer sah plötzlich die bei den Rindern auf einem Baumstamm hockende Gestalt und rief: „Dort sitzt Pete!“ Pete gehörte zu den von Betty Lind zurückgelassenen Wächtern. Er war nicht allein, wie man später feststellte. Hinter dem Baumstamm lagen Männer, die sich jetzt aus den Decken rollten. Ihr Anblick konnte einem fast das Blut in den Adern erstarren lassen. Alle waren übel zugerichtet, nicht einem hatte man Pardon gegönnt. Pete stieß ein sonderbares Gelächter aus. „Schaut uns nur richtig an, Freunde! Wir haben alle unser Teil bekommen, so daß wir uns nicht einmal nach dem Abmarsch der Bande an die Löscharbeiten machen konnten. Wir mußten hilflos zusehen, wie das Feuer weiter und weiter um sich griff. Unsere Kraft reichte gerade aus, um die Tiere aus den Stallungen zu zwingen.“ Der alte Mann erhob sich schwer, deutete zur brennenden Ranch hin und sagte: „Es ist nichts mehr zu retten. Die Gebäude mit den Einrichtungen sind dahin.“ „Wo ist Betty?“ schnitt ihm Rod das Wort ab. „Was geschah mit ihr und den anderen?“ - 113 -
„Boss“, antwortete Pete mit sich überschlagender Stimme, „es wäre alles noch schlimmer geworden, wenn Betty Lind nicht mit dem Doc und einem Trupp Reiter zur Stadt geritten wäre. Nixon hat mir das ins Gesicht gesagt.“ Rods Angst war gewichen und hatte einer drängenden Unruhe Platz gemacht. Er wußte jetzt, daß seine Sorge um Betty umsonst gewesen war, und das erleichterte ihn. Wenn auch die Ranch vernichtet war, Menschenleben waren, wie Pete ihm jetzt berichtete, nicht zu beklagen. Die zurückgebliebenen Wächter hatten eingesehen, daß ein Kampf gegen Duadles und Nixons Übermacht nichts anderes als Selbstmord gewesen wäre. Gegen die unbewaffneten Männer hatten Nixon und Duadle sich unfair benommen und sie zusammengeschlagen. Man brauchte diesen Männern nur in die Augen zu sehen, um zu erkennen, daß sie trotz der Qualen, die sie hatten erdulden müssen, alles getan hatten, was in ihrer Macht stand. Ihre Kraft hatte nicht ausgereicht, dem Feuer Einhalt zu gebieten. Von Pete erfuhr Rod, daß die Bande ungefähr dreißig Reiter stark gewesen war. „Jim Waco muß den Verstand verloren haben“, hörte er Pete sagen. „Jetzt hat er sich offen außerhalb des Gesetzes gestellt.“ 13. Als der Morgen graute, wurde die Bank geöffnet. Bankier Holden, den man gefunden hatte, nahm von Betty Lind den Scheck, der die Schulden der ausquartierten Siedler deckte, entgegen. Um die gleiche Zeit verließ Mrs. Waco mit der Stagecoach, begleitet von ihrem Sohn, die Stadt. Schmied Staffard und Georg - 114 -
Gobel waren bereits unterwegs zur Strick-Ranch. „Wir müssen unseren Kameraden dort die Augen öffnen“, sagte Gobel. „Hoffentlich gelingt uns das, bevor die Hölle auf dieser Weide losbricht.“ „Wir liefen allzu lange mit geschlossenen Augen herum“, erwiderte Staffard. Es wurde kein Wort mehr gesprochen. Meile um Meile brachten die Hufe der Pferde sie von der Stadt fort. Als sie die Siedlung vor sich liegen sahen, erblickten sie eine große Reiterschar Sie hielten die Pferde an und warfen sich einen raschen Blick zu. „Wer könnte das sein?“ fragte Gobel erstaunt „Wir sollten es uns ansehen“, erwiderte Staffard. Sie nahmen ihre Pferde ein wenig herum und ritten auf die Siedlung zu. Kaum waren sie im Blickfeld der Reiterschar, als sich diese auf sie zu in schneller Gangart in Bewegung setzte „Was hat das zu bedeuten, George?“ fragte Staffard. „Berittene Siedler, dazu schwerbewaffnet! Wir wollen lieber erst nicht warten, bis sie in Schußnähe herangekommen sind.“ „Zum Teufel, sollen wir davon jagen und die Flucht ergreifen?“ fuhr Staffard herum. „Wir sollten ihnen sagen, daß wir nicht mehr zu Jim Wacos Raubreitern gehören und mit Jubal gebrochen haben.“ „Das kannst du ihnen besser ein anderes Mal erklären“, gab Gobel zur Antwort. „Sie werden dir keine Zeit lassen zu einer Erklärung. Los denn, zeigen wir ihnen den Rücken!“ Er nahm sein Pferd herum. Ohne eine Entgegnung abzuwarten, jagte er davon. Staffard mochte einsehen, wie recht Gobel hatte. Bügel an Bügel ritten sie dann in lang - 115 -
ausschweifendem Galopp, wobei der Reitwind ihre Stetsonkrempen auf und nieder schlug. Zwei Stunden vergingen, ohne daß die Verfolger in Schußnähe kommen konnten. „Die Kerle hinter uns wissen genau, in welcher Richtung wir reiten. Sie werden es nicht wagen, in die Strick-Ranchweide einzubrechen.“ „Der Himmel weiß, was sie wagen werden, George“, erwiderte Staffard. „In dieser Nacht muß etwas auf der Weide geschehen sein, was die Hölle öffnete. — He, was ist denn das?“ Die Siedlung war hinter ihnen versunken, ebenso die Verfolger. Dafür jedoch tauchten seitlich von ihnen dreißig schwerbewaffnete Strick-Ranchreiter aus den Büschen auf. Es konnte nur so sein, daß diese Reiterschar von den Siedlern gesichtet worden war, worauf sie die Verfolgung abgebrochen hatten. „Wir kommen wohl zur rechten Zeit!“ sagte Nixon. „Kommt nur näher, Staffard und Gobel. Wir reiten zur Siedlung und zeigen es ihnen! Kein Haus wird stehen bleiben, alles wird in Flammen aufgehen. Danach reiten wir weiter zur Stadt. Wir machen heute ein Ende mit den Schafzüchtern und Schollenbrechern, wir jagen sie mit ihrem Anhang aus dem Lande.“ „Nixon, du hast kein Recht, gegen die Siedler anzugehen. Betty Lind löste die Schulden der Siedler ein. Niemand kann gegen sie vorgehen. Es gibt keine Handhabe mehr gegen sie. Jubal hat sich zu früh in Szene gesetzt. Was er tat, ist hinfällig. Die Frist zur Begleichung der Schulden läuft erst heute mittag ab.“ Nixon und Duadle ließen den Reitertrupp anhalten und kamen ganz nahe herangeritten. Beide hatten erst ungläubig aufgehorcht, sich angesehen und waren dann in - 116 -
mitleidloses Grinsen verfallen, das, einem durch Mark und Bein ging. „Sage noch einmal, was Bankier Holden tat, Gobel.“ George Gobel wiederholte seine Ausführungen. „Gobel, niemand hat den Verräter zur Hölle geschickt?“ warf Duadle ein. „Was ist mit Jubal Waco los? Hat er das hingenommen? Was geschah eigentlich in der Stadt?“ „Der Bürgerschaftsrat trat zusammen. Sämtliche Einwohner sind bewaffnet und erwarten uns. Jubal gab auf und floh mit seiner Mutter. Die Anhänger Jubals fielen von ihm ab. Wir sind unterwegs, um dem Boss alles zu melden.“ Duadle fuhr sich mit der Hand über seinen schwarzen Bart. Seinem Gesicht sah man an, wie es in ihm arbeitete. Auch Nixon und die Männer der Reiterschar beschäftigten sich mit dieser Botschaft. „Daß Wacos Frau verschwand, ist uns bekannt, denn der Boss hat nach ihrer Abreise alle Brücken abreißen lassen. Sie muß ihm einen Brief zurückgelassen haben, der ihn schier um den Verstand brachte. Seine eigene Frau hat ihm den Sohn genommen, das wird die Hölle für Jim Waco sein.“ „Ohne seine Mutter wäre Jubal jetzt tot, Duadle“, fiel ihm Staffard ins Wort. „Sie hat ihm sozusagen zum zweiten mal das Leben geschenkt. Jubal beging einen Fehler: Er schoß auf den unbewaffneten Doc und scheute nicht davor zurück, gegen eine Frau den Kampf eröffnen zu wollen.“ „Dann hat er die falsche Begleitmannschaft gehabt, Staffard“, fiel Nixon ihm ins Wort. Das eisige Lächeln um seine Mundwinkel deutete seine Härte an. „Wie steht es mit euch beiden? Wollt ihr den Sattel wechseln?“ - 117 -
„Was soll die Frage?“ entgegnete George Gobel, wobei seine Stirn sich runzelte und seine Rechte zur Waffe zuckte. Nixon war schneller. Er hatte seinen Colt bereits angelüftet und stoppte Gobels Bewegung. „Ich habe etwas gegen Kerle von eurer Sorte, Gobel“, sagte Nixon. „Es wäre zu leicht für euch, aus dem Sattel zu steigen. Auch ihr gehört zur Strick-Ranch.“ „Zum Teufel, was soll das?“ fragte Gobel nochmals. Nixons Grinsen wurde undurchsichtiger. Über seine Waffe hinweg starrte er Gobel böse an. „In der Nacht ist bereits einiges geschehen“, sagte Nixon. „Der Tod kam über eine Schafherde und holte sich auch einige Schäfer. Das Feuer löschte die LindRanch aus. Für einen Reiter der Strick-Ranch gibt es keinen eigenen Willen. Jeder schließt sich uns an.“ „Nixon, das ist nicht möglich, denn über siebzig Reiter sind nicht mit von der Partie gewesen. Du kannst sie nicht in die Sache hineinzerren. Jeder muß sich frei entscheiden können! Das ist Cowboyrecht!“ Er verstummte vor dem gräßlichen Lachen, das Nixon und Duadle ausstießen. Sein Blick streifte von einem zum anderen und irrte auch zu der lauernden Reiterschar im Hintergrund. Der Abschaum der Menschheit hatte sich hinter die beiden Revolvermänner gestellt. Es war eine Schar, die Nixon und Duadle eigens ausgewählt hatten. „Ihr werdet nicht zur Strick-Ranch reiten“, bestimmte Duadle. „Ihr bleibt bei uns und werdet den Angriff auf die Siedlung mitmachen. Los, reiht euch ein, wir haben bereits zu viel Zeit verloren.“ Es blieb den beiden Männern keine andere Wahl. Sie brauchten nur Nixon und Duadle in die Augen zu sehen. Der Tod lauerte auf sie. Das geringste Zögern hätte das - 118 -
Blei auf sie zurasen lassen und sie aus den Sätteln gefegt. Ohne Widerrede gehorchten sie und hofften nur, daß die Siedler alles getan hatten, um diesem Angriff zu begegnen. Nixon ließ den Colt ins Halfter zurückgleiten. Sein hämisches Lächeln verstärkte nur den Groll in den beiden. „Na also!“ hörten sie ihn sagen. „Glaubt ihr auch jetzt noch, daß wir auch nur einem Strick-Ranchreiter einen freien Willen lassen? Mit dem gehörigen Druck bleiben alle im Sattel. Zum Teufel mit Jubal! Er kann von Glück sprechen, daß er uns entwischte. Für sein Versagen hätte er büßen müssen. Er hat immer zuviel freien Willen gehabt. Sein Vater hat zu sehr an ihn geglaubt. In Wirklichkeit war er ein Schwächling, ein Mann ohne Halt. Diesen Reigen führen wir auch ohne ihn zu Ende. Wir kämpfen alle aufsässigen Schollenbrecher und jeden nieder, der gegen die freie Weide ist. Wir hören erst auf, wenn dieses Land so sein wird, wie es einmal war.“ Bei diesen Worten gab er das Zeichen zum Aufbruch. Duadle und Nixon hatten nur einige der Verfolger Gobels und Staffards über eine Bodenwelle kommen sehen und wußten nicht, daß in der Siedlung jeder Mann, ob alt oder jung, mithalf, alles zur Verteidigung bereit zu machen. Auch daß der ehemalige Marshal Knox die Befehlsgewalt in der Siedlung übernahm, als ihm vom Herannahen des Reitertrupps berichtet wurde, ahnten die beiden nicht. Bisher hatte man die Siedler zu jeder Zeit, wann immer man es wollte, einschüchtern können. „Betty Lind hätte sich ihr Geld sparen können“, hörte Staffard und Gobel Duadle sagen. „Sie hätten es gleich zum Fenster hinauswerfen oder uns geben können. Wir hätten es schon richtig angelegt.“ Das Lachen aus der Reiterschar klang grob und - 119 -
gemein. Es gelang Gobel, der neben Staffard ritt, diesem zuzuflüstern: „Wir brechen aus!“ „In Ordnung“, flüsterte Staffard zurück. „Warten wir auf eine richtige Gelegenheit, dann auf zur Strick-Ranch! Wir müssen die anderen warnen und ihnen sagen, was auf sie zukommt. Vielleicht gelingt es uns noch, ihnen rechtzeitig die schwärze Binde von den Augen zu reißen.“ „Wenn es euch beiden zu wohl geht und ihr weiter tuschelt, jage ich euch eine Kugel durch den Schädel“, hörten sie Nixon sagen, der sich im Sattel umwandte. „Versucht uns nicht zu täuschen! Gebt alle auf die beiden acht“, riet er den Männern des Trupps. „Sollten diese windigen Burschen versuchen auszureißen, vergeßt, daß sie für die Strick-Ranch ritten und behandelt sie wie Schäfer.“ „Nur keine Sorge“, sagte ein bullig aussehender Mann mit Pockennarben im Gesicht. „Ich habe die beiden gleich von Anfang an ins Auge gefaßt. Meine ersten Kugeln könnten ausgerechnet diese beiden erwischen. Darum, Freunde, haltet eure Rücken schön steif. Ich hatte nie große Sympathien für junge Sprinter, die nur großspurig daherreiten und kaum Rinder treiben können. Ich werde besonders auf euch achten!“ „Sebastian“, erwiderte George Gobel, „du hast früher viel zu lange einer Bande angehört. Das schlägt immer wieder bei dir durch. Ein tüchtiger Rindermann wirst du nie!“ Sebastian knurrte nur und sagte laut zu Nixon: „Nur keine Sorge!“ Damit war für Nixon der Fall erledigt. „Von zwei Seiten greifen wir zugleich an. Wir werden sie richtig in die Zange nehmen“, riet Duadle. - 120 -
„Wir werden offen angreifen müssen, es gibt keine Deckungsmöglichkeit. Unsere Kugeln könnten uns gegenseitig Schaden zufügen“, sprach Nixon dagegen. „Ich schlage vor, die Siedlung von einer Seite richtig aufzurollen. Wenn wir uns nicht einigen können, soll die Mannschaft entscheiden.“ „Es wäre das beste“, erwiderte Duadle und gab das Zeichen zum Halt. „Ihr habt zugehört und wißt, daß wir verschiedener Meinung sind. Wer meinem Plan zustimmt, hebe die rechte Hand, wer für Nixons Plan ist, behalte die Hände unten.“ Es wurde ersichtlich, daß Nixons Plan den Männern besser gefiel. Zweiunddreißig Männer machten sich bereit, die Hölle loszulassen. Zur gleichen Zeit lauerten Gobel und Staffard auf ihre Chance. Jetzt, beim Angriff, mußte sich diese Gelegenheit ergeben. Sie würden alles auf eine Karte setzen. „Los, gebt es ihnen!“ dröhnte Duadles Stimme zu ihnen hin. „Reiten wir!“ Als erster setzte er sich mit seinem Pferd in Bewegung. Die Kavalkade ritt an und schwärmte aus der losen Traube zur Schützenkette auseinander. Yea, das war der Augenblick, den Staffard und Gobel sich gewünscht hatten. Diesen Augenblick in Schußweite der Siedlung, aus der den Reitern ein mörderisches Feuer entgegenschlug, hatten sie sich zur Flucht ausgewählt.
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14. Es war elf Uhr morgens, als man dem ehemaligen Marshal Knox, der mit seinen Männern die Siedlung erreicht hatte, berichtete, daß man die Verfolgung zweier Strick-Ranch-Reiter aufgegeben hatte, weil die Revolvermannschaft im Anritt war. „Was sollen wir tun, Marshal?“ Für die Siedler war Knox noch immer der Marshal. Seine Anwesenheit in der Siedlung schien den Männern eine gottgewollte Fügung zu sein. Knox und Miller hatten nicht erst auf sie einzureden brauchen, um sie aus ihrer sonstigen Gleichgültigkeit zu reißen. Jetzt, beim Herannahen der Gefahr, zeigte sich die Angst. Zweiunddreißig Raubreiter waren immerhin eine überlegene Kampfmannschaft. Es kam hinzu, daß diese Mannschaft waffenerprobt war und in gnadenloser Art zuschlug. „Zum Fliehen ist es zu spät“, sagte Knox den Siedlern. „Lange genug habt ihr euch geduckt. Heute würde kein Ducken und Hinhalten nützen, heute müßt ihr kämpfen! Als letzter Ausweg bliebe euch, alles im Stich zu lassen und aus dem Lande zu gehen. - Bringt die Toten in die große Scheune! Die Frauen und Kinder werden in Millers Haus untergebracht. Das Vieh treibt in die Stallungen. Alle Männer unterstehen meinem Kommando. Holt eure alten Büffelgewehre, die Schrotflinten und Hinterlader. Jeder, der ein Gewehr abdrücken kann, sollte mitmachen.“ „Also gut“, sagte einer der Siedler, ein alter grauhaariger Mann, „wir wissen Bescheid. Wir haben genug von der Bande, die unsere Ernten vernichtet, unsere Felder verwüstet und uns wie Sklaven behandelt. Ich - 122 -
werde nicht hinnehmen, daß sie unsere Häuser anzünden und uns davonjagen.“ „Jeremias, wenn wir die Kerle nicht aufhalten, werden sie zur Stadt weiterreiten und die Häuser der Schäfer ebenso niederbrennen und unsere Familien vertreiben. Die Hölle fuhr in diese Bande. Machen wir uns bereit!“ Die Worte wurden von einem Schafhirten gesprochen. Einer der verwundeten Hirten hat den Mann mit dem Namen Jeremias: „Jem, gib mir deine alte Büffelbüchse.“ „Ich werde dir die alte Lady geben“, antwortete Jeremias. „Hoffentlich behandelst du sie gut.“ „Ich werde sie hin und her schwenken, wie in alten Tagen, Jem“, gab der Schafhirte zurück. Dieses Zwiegespräch machte deutlich, in welch gutem Einvernehmen Siedler und Schafhirten gelebt hatten. Charles Knox gab inzwischen seine Anweisungen. Jeder spürte, daß ein erfahrener Kämpfer zugegen war. Seine Ruhe, Umsicht und Überlegungen wurden anerkannt und seine Befehle prompt ausgeführt. „Nur keine Nervosität, Leute! Je weniger ihr euch fürchtet, desto größer sind die Aussichten, die Bande zu schlagen. Sie wird von Duadle und Nixon geführt. Doch laßt euch durch die berüchtigten Namen der beiden nicht beeinflussen. Es sind auch nur Menschen und verwundbar wie jeder andere auch. Sie werden glauben, ein leichtes Spiel zu haben und offen herangestürmt kommen. Nun, sie werden sich wundern. Schießt erst, wenn sie im Feuerbereich sind, verständigt euch vorher, wer wen aufs Korn nimmt. Hilfe können wir von keiner Seite erhalten.“ Das klang nicht gerade ermutigend. Woher sollte Knox auch wissen, was sich in Springs zugetragen hatte? Niemand in der Siedlung wußte, daß Jubal Waco - 123 -
zusammen mit seiner Mutter die Stadt verlassen hatte. Wer sollte auch wissen, daß man eine Bürgerschaftsversammlung einberufen hatte, auf der Betty Lind eine flammende Ansprache gehalten hatte, mit dem Erfolg, daß auch in der Stadt eine jähe Wandlung vor sich ging, auch dort die Menschen, von Empörung erfüllt, sich bewaffneten. Man ahnte auch nicht, daß Rod mit seiner Reitergruppe die abgebrannte Lind-Ranch verlassen hatte, daß er nicht den Fehler machte, die alten Männer mitzunehmen, die ihn beim schnellen Reiten mit seiner Gruppe behindern würden. Rod hatte wohl erkannt, welche Ziele die Bande hatte, daß mit dem Überfall auf der Weide und dem Anschlag auf die Ranch noch nicht alles erledigt war. Er konnte getrost die ehemaligen Wächter der Ranch zurücklassen, um sich bei seinem schnellen Ritt nicht zu belasten. Aber das alles konnte Knox nicht wissen. Er wartete jetzt auf das Erscheinen der Bande. Alles war vorbereitet. Friedlich und still lag die Siedlung da. Jeden Augenblick konnte das Bild sich ändern, wenn die Mordbrenner erschienen und zum Sturmritt ansetzten. Noch bevor sie auftauchten, kam aus der Richtung der Stadt ein Reiter angeritten, dessen schweißbedecktes Pferd unter ihm zusammenbrach, als er die ersten Häuser der Siedlung erreicht hatte. „Tom Raylor“, sagte Miller zu Knox mit kehliger Stimme und rannte auch schon los, um den schwankenden Mann aus dem Sattel zu heben. Mit Miller hatten einige andere Männer ihre Deckungen verlassen. Sie kümmerten sich um das Pferd, das sie eilig in einen Stall zogen. Raylor wurde von Miller untergehakt und in das Haus gezogen, in dem Knox sich einquartiert hatte. „Raylor, um Gottes willen, Mann, wo kommen Sie - 124 -
her?“ fragte Knox besorgt. „Aus Springs“, erwiderte Raylor. „Miß Lind hat bei Bankier Holden die Schulden der Siedler bezahlt.“ „Raylor, wie kann das möglich sein? Jubal Waco beherrschte die Stadt. Nie und nimmer wird sich Holden in einen unpassenden Sattel gesetzt haben! Wie kann das nur möglich sein?“ „Jubal floh zusammen mit seiner Mutter“, berichtete Raylor und erzählte alles, was sich in der Stadt zugetragen hatte. Der Groll der Männer gegen die Raubreiterhorde stieg. Der Wille zum Kämpfen und Durchhalten beherrschte sie alle gleichermaßen. „Es gilt nicht nur für das Recht zu kämpfen“, sagte Knox zu den Männern, „es geht jetzt um das nackte Leben, um die Existenz! Wir haben es mit Banditen zu tun, die sich über jede gesellschaftliche Ordnung hinweggesetzt haben. Ihr wißt, was getan werden muß!“ Das düstere Schweigen, das den Worten des ehemaligen Marshals folgte, war beredter als tausend Worte. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Dann lagen die Häuser der Siedlung wie im tiefsten Frieden da. Beim Himmel! Die Raubreiterbande kam herangefegt, als sollten die Hufe ihrer Pferde die Siedlung nieder stampfen. Mit wildem Gebrüll feuerten die Reiter ihre Pferde an. Noch befand sich der wilde Reiterhaufen außerhalb des Feuerbereiches, noch wurde den Bedrängten eine Nervenprobe abverlangt, und wirklich, niemand schoß voreilig, niemand ließ sich vom Gebrüll der Angreifer hinreißen, seine Waffe in Tätigkeit zu setzen. Niemand verlor die Nerven und löste durch einen zu früh abgefeuerten Schuß eine Kettenreaktion unüberlegter, - 125 -
aus Angst und Schrecken geborener Handlungen aus. Die Verteidiger der Siedlung hielten die Nervenbelastung aus, die die anstürmende Reiterkette auslöste. Sie wurden aktiv, als die gesamte Front der Gegner die unsichtbare Feuerlinie überritten hatte. Es war, als löste ein übermächtiger Befehl das Feuer vieler Waffen zu einer einzigen Detonation aus. Aus den Deckungen der Häuser, Stallungen und Gräben, von den Flachdächern und Aufbauten flammten die tödlichen Feuerzungen, die das mörderische Blei gegen die anreitenden Gegner schlugen. Eine unsichtbare Hand schien die bisher eingehaltene Formation der feindlichen Reiter zu zerschlagen, so daß man glauben konnte, diese Hand habe einem Riesen gehört. Die anreitende Kavalkade wurde durcheinandergewirbelt, Pferde bäumten sich auf und brachen zusammen, Reiter wurden aus den Sätteln geschleudert. Reiterlose Pferde jagten mit flatternden Mähnen- und Schweifhaaren weiter, dabei schrill wiehernd. Die leeren Steigbügel pendelten hin und her. Lang hingen die Zügel herab. Pferde prallten aufeinander, Reiter behinderten sich gegenseitig. Dazwischen dröhnten Schußdetonationen auf, klatschten ins Holzwerk oder rasten irgendwohin, ohne ein Ziel zu treffen. Die Hölle war geöffnet, und mitten in sie hinein ritten die Raubreiterbanditen der Strick-Ranch. Es war zu spät für den schwarzbärtigen Vormann Duadle, seinen Reitern ein Zurück zuzurufen. Eine Kugel schlug ihm durch die Brust, und schloß ihm den Mund für immer. Zu spät war es auch für Nixon, dem wilden und höllischen Feuer zu entgehen. Er sah Duadle aus dem Sattel fallen und begriff, daß alle miteinander mitten - 126 -
hinein in das höllische Verderben geritten waren. Er wollte sein Pferd herumreißen. In diesem Augenblick trafen ihn gleich mehrere Kugeln. Sie fegten auch ihn aus dem Sattel. Doch das merkte Nixon nicht mehr. Er war tot, als er den Boden erreichte. Ebenso erging es dem pockennarbigen Sebastian, der im Kugelhagel nicht mehr auf Gobel und Staffard acht geben konnte. Er dachte nur noch an die Rettung der eigenen Haut. Gobel und Staffard, die sich vorher verständigt und ihre Pferde zurückgehalten hatten, flohen jetzt. Gobel hatte einen Streifschuß bekommen und Staffards Stetson war von einer Kugel weggerissen worden. Sie jagten im Feuerhagel zurück. Beiden saß das Grauen im Nacken. Beide wagten sich erst umzublicken, als sie sich außerhalb des Feuerbereichs befanden. Was sie sahen, verstärkte ihre Niedergeschlagenheit. Verzweifelt kämpften die Männer, denen die Pferde weggeschossen waren, hinter den einzigen Deckungen, die sie hatten, hinter den toten Pferden. Nur sehr wenige hatten gleich Staffard und Gobel aus dem tödlichen Feuer entkommen können. Diese wenigen dachten nicht mehr daran, zur Strick-Ranch zurückzureiten. „Joe, ich verliere zuviel Blut!“ schrie Gobel seinem Partner zu. „Hinter den nächsten Büschen halten wir an. Du mußt mich verbinden.“ „All right, wir werden uns nicht lange aufhalten, George“, erwiderte Staffard. „Wenn man uns packt, wird man mit uns keine Ausnahme machen.“ „Wir müssen zur Strick-Ranch und müssen unsere Kameraden über alles geschehene informieren. Niemand sonst von der Raubreiterbande wird es tun. Im Gegenteil, es wird der geschlagenen Meute nur recht sein, wenn der Tod auch über den restlichen Teil der Strickmannschaft - 127 -
kommt. Schau nur, in welcher Richtung die entkommenen Raubreiter davon reiten!“ „Sie werden nie wieder zurückkommen“, sagte Staffard und hielt hinter den nächsten Büschen an. Sie waren jetzt einige Meilen von der Siedlung entfernt. Vereinzelte Schüsse bewiesen, daß auch der restliche Widerstand bald zusammenbrechen mußte. Solange noch Schüsse aufrasten, hatte Staffard Zeit, Gobels Wunde zu verbinden. Man konnte nur hoffen, daß der Widerstand nicht zu schnell zusammenbrach, denn je härter sich die Horde noch verteidigte, desto größer würde ihr Vorsprung werden, nahmen die beiden doch an, daß die Siedler sich nicht mit einer Abfuhr begnügen würden, die sie der Bande bereitet hatten. Gobel wie auch Staffard glaubten, daß eine starke Truppe sich in der Siedlung festgesetzt hätte. Weder der eine noch der andere ahnte, daß das schnelle Feuer nur durch die bereitgestellten Waffen und die Hilfe einiger Frauen, die schnell nachluden, zustande gekommen war. Sie waren beide noch so beeindruckt, daß in ihren bleichen Gesichtern noch der Schrecken stand, als Staffard Gobel einen Verband anlegte. „Nur eine Schramme“, erklärte der Schmiedsohn seinem Kameraden. „Reiten wir weiter!“ Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick hörten beide dumpfe, trommelnde Hufschläge, die sich rasch näherten. Sie zogen ihre Pferde tiefer in die Büsche hinein, zogen die Köpfe der Tiere herunter, um sie notfalls am Schnauben und Wiehern hindern zu können. Nur wenige Augenblicke später sahen sie die schnellreitende Kavalkade über den Hügelkamm kommen. „Schäfer!“ entfuhr es Gobel. - 128 -
Staffard nickte nur. Auch er sah durch das Baumlaub des Verstecks hindurch die Reiter, die, von Rod angeführt, in Richtung der Siedlung ritten. „Zeigen wir uns ihnen“, sagte Staffard, doch Gobel unterbrach ihn rauh: „Nicht, solange die Schäfer nicht wissen, was in der Stadt geschah. Im Augenblick sind wir noch ihre Gegner, und sie werden uns auch als solche behandeln. Ich möchte mich nach dem überstandenen Schrecken im letzten Augenblick nicht noch in den Himmel oder die Hölle schicken lassen. Rod Drake hat etwas gegen mich. Ich war ein Narr, als ich mich gegen ihn stellte.“ „Wir alle sind Narren“, erklärte Staffard, und dann schwiegen sie beide. Sie beobachteten die Reiter, die geschlossen daherritten. In ihren düsteren Gesichtern war zu lesen, daß sie zu allem bereit waren. Rod führte eine Mannschaft an, die gegen Tod und Teufel zu Felde ziehen würde. Als sie weiterritten, zeigte es sich, daß beide Pferde nicht mehr so in Form waren, wie sie es gerne gehabt hätten. Die Tiere waren überbeansprucht worden. Es war etwa dreizehn Uhr, als Staffard, der sich im Sattel umgedreht hatte, eine Entdeckung machte. „Sie kommen“, sagte er mit rauher Stimme, der man die zitternde Erregung anhörte. Er machte sich keine Illusionen und wußte, daß mit ihren Pferden kein Rennen mehr zu gewinnen war. „Wir hätten es uns ersparen können, George. Es ist wie ein Witz des Schicksals, daß ausgerechnet wir beide noch gestellt werden und wie die Raubreiterbande um unser Leben kämpfen müssen. Die Verfolger haben die besseren Pferde. Halten wir an und machen wir uns bereit.“ - 129 -
„Es ist wirklich ein Witz, daß wir es austragen müssen“, antwortete Gobel. „Sie wissen, daß wir beim Angriff auf die Siedlung dabei waren. Man wird uns nicht erst die Chance geben, alles zu erklären. By Gosh, wie sehr ich Nixon und Duadle hasse!“ Sie hielten ihre müden, ausgepumpten Pferde an und schwangen sich aus den Sätteln. Dann prüften sie ihre Waffen. Es war ihnen gleichgültig, daß die Pferde zu grasen begannen und sich langsam von ihnen entfernten. Beide hatten sich zum letzten Kampf entschieden. Offen und frei, so wollten sie zum letzten Kampf antreten. Beide hatten sich damit abgefunden, daß es keine andere Möglichkeit gab und es zwecklos sein würde, zu verhandeln. Wer sollte ihnen Glauben schenken? Wer hätte ihnen die Wahrheit abgenommen? Niemand! - Nein, es lohnte sich nicht erst, den Versuch zu machen. Jetzt hieß es warten, bereit zu sein und kämpfen, wie echte Cowboys, fair und ohne Hintergedanken. Staffard betrachtete besorgt seinen Partner, der seinen blutdurchtränkten Verband abtastete und dennoch lächelte. „Nur keine Sorge“, sagte Gobel. „Ich schieße rechtshändig. Es ist ein Glück, daß der linke Arm verletzt wurde. Ich bin so wenigstens nicht benachteiligt. Aber schau nur...“ Er verstummte, als hätte der Anblick der vier Pferde ihm die Sprache verschlagen. Es waren in der Tat vier Pferde, die jetzt deutlich sichtbar wurden. Doch nur ein Reiter, der die Pferde mit einer Longe verbunden hatte. „Rod Drake ...“ „Rod Riffey“, verbesserte Gobel seinen Partner Staffard. „Er kommt allein.“ - 130 -
Es war wirklich so. Rod kam allein. Vier Pferde hatte er. Vier hochgewachsene Pferde, die ausgeruht und frisch während des Rittes von ihm gewechselt wurden, was den Reiter unheimlich schnell machte. Ja, er war allein ihrer Fährte gefolgt und kam rasch näher. Er stutzte nicht, als er die beiden Männer vor sich auftauchen sah. Er ritt bis in Schußnähe und stoppte dann keine zwanzig Yards entfernt. „Rod, wir kämpfen, wähle aus, mit wem du es zuerst versuchen willst“, sagte Staffard. „Ich habe euch einmal schlagen können“, erwiderte Rod. Seine Stimme klang ruhig. Mit schnellem Blick hatte er die Lage übersehen und gewiß manches erschaut, was ihm die Situation klärte. Hinzu kam, daß er in der Siedlung von Gobels und Staffards Haltung in der Stadt erfahren hatte. Doch das wußten die beiden nicht. Weder der eine noch der andere ahnte, daß Rod informiert war. „Mit dem 45er bin ich nicht zu schlagen. Es hat keinen Zweck, ich bin zu schnell für euch. Es wäre kein fairer Kampf.“ „Wir tun, was wir können“, sagte Gobel. „Wähle und laß es uns ausfragen.“ „Das wäre Zeitverschwendung“, unterbrach ihn Rod. „Außerdem wäre es nicht richtig, wenn ich gute Männer, nur weil sie das Pech hatten, Jim Waco zu dienen, aus dem Leben in den Tod schicken würde. Tut mir leid, Freunde, daß ich euer Angebot ausschlagen muß. Männer sind knapp, und gute Männer gibt es wenig. So long, Freunde!“ Er ritt an, vorbei an den verblüfft ihn anstarrenden beiden Männern, denen die Worte zu einer Erwiderung fehlten, die erst zu sich kamen, als er außer Hörweite war. Beide standen sie wie vom Donner gerührt. - 131 -
Staffards Lippen bebten, und Gobel war bleich und grau, als hätte er den Tod persönlich vorbeireiten sehen und den eiskalten Hauch, den er aussandte, gespürt. Staffard fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, die ihm der Wind aufgeplustert hatte, und stieß hervor: „Wer möchte jetzt in Jim Wacos Haut stecken? Doch zum Teufel, warum fiel er uns nicht an, warum behandelte er uns, als ob er Informationen aus der Stadt hätte. Das verstehe der und jener, ich kann es nicht. Er hatte eine Winchester dabei und hätte uns gefahrlos das Lebenslicht ausblasen können. Er tat es nicht, er ritt auf uns zu, in die Schußbahn, und an uns vorbei und zeigte seinen Rücken. George, fangen wir die Pferde ein und reiten wir ihm nach.“ „Gerade das wollte ich dir vorschlagen“, erwiderte Gobel, sich zusammenreißend. „Er wollte uns überholen, wollte vor uns auf der Ranch sein. Ich kann mir vorstellen, wie es ihm zumute ist, was ihn danach drängt, Jim Waco gegenüberzustehen. Es wird so sein, daß er den Schlußstrich unter alles zieht. Los, zu den Pferden!“ Es war, als begriffen sie jetzt erst so recht das Vorgefallene, als erwachten beide wie aus einem hypnotischen Schlaf. Sie liefen zu ihren grasenden Pferden, schwangen sich eilig in die Sättel und trieben die müden Pferde an. „Reiten wir, damit man Rod nicht aus Versehen von unseren Freunden eine Kugel schickt“, sagte Staffard. „Seltsam wie sich die Schicksale gleichen. Wir dachten, wir müßten kämpfen, wir sahen einen Feind in ihm. Jetzt werden unsere Freunde einen Feind in ihm sehen. Reiten wir, George! Holen wir alles aus den Pferden heraus.“ Ihre müden Pferde gaben nicht allzu viel her, und beide besaßen sie zuviel Tierliebe und Reiterinstinkt, um - 132 -
es aufs Ganze ankommen zu lassen, denn das hätte bedeutet, daß sie vorzeitig die Pferde verloren, den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen müßten, was wiederum einen erneuten Zeitausfall zur Folge gehabt hätte. Damit hätten sie nur das Gegenteil von dem erreicht, was ihr Ziel war. Wohl noch nie waren sie beide in einer ähnlichen Erregung gewesen. Beide zeigten sie verbissene Gesichter, beide atmeten auf, als endlich die gewaltige Strick-Ranch vor ihnen auftauchte. Beim Näherkommen sahen sie, daß das Ranchtor weit geöffnet war. Die Menschengruppen bewegten sich unruhig. Über eine halbe Stunde Vorsprung, so rechneten sie sich beide aus, mußte Rod vor ihnen gehabt haben. In dieser halben Stunde hatte auf der Ranch etwas stattgefunden. Das zeigte sich jetzt deutlich. Die Sorge um Rod wuchs. Doch als sie das Ranchtor passierten, sahen sie Rod bei einer Cowboygruppe stehen. Er war umringt von StrickRanchreitern, doch nicht, wie sie beide im ersten Moment glaubten, in feindlicher Absicht. Weit gefehlt! Die Männer, die Rod umstanden, hatten zwar alle ernste Gesichter, und sie hörten auf das, was Rod ihnen sagte. Aber keiner hielt seine Waffe auf ihn gerichtet. Sie beachteten nicht einmal die Neuankömmlinge. Es war so, als wüßten sie über das Erscheinen der beiden bereits Bescheid. Gobel und Staffard schwangen sich von den völlig erschöpften Pferden. Beide warfen sich einen schnellen Blick zu. Keiner von ihnen konnte es sich erklären, warum man Rod hier empfangen hatte und duldete, und mehr noch, auf ihn hörte, als hätte er ihnen etwas Besonderes zu sagen. Sie ließen ihre Pferde stehen, und Gobel fragte einen der Cowboys, der am Rand des - 133 -
Männerkreises stand, die Rod umringten: „Jonny, hat es einen Kampf gegeben?“ „Einen Kampf? Wozu einen Kampf, George?“ „Hat Rod nicht Jim Waco gestellt?“ schnappte Gobel. Jonny zuckte die Schultern. Er sah Gobel, dann Staffard an. „Vielleicht wißt ihr es nicht, Freunde. Mrs. Waco hat Jim verlassen. Sie hinterließ Jim einen Brief. In diesem Brief wird er furchtbarer, strafbarer Handlungen bezichtigt. Manches kam ans Tageslicht, wovon wir Cowboys keine Ahnung hatten.“ „Jonny, es kann kaum möglich sein, daß Jim diesen Brief herumzeigte.“ „Nein, wahrhaftig nicht. Solange er lebte, hätten wir ihn nie zu sehen bekommen. Jim ist tot!“ „Wir haben es kommen sehen“, sagte Gobel rauh. „Rod hat ihn gestellt!“ „Wie kommt ihr nur darauf? Rod hat mit der Sache nichts zu tun. Jim hat sich selbst gerichtet. Wir fanden ihn heute morgen um neun Uhr. Neben dem Toten lagen die Briefe. Durch diese Schreiben wurden uns allen die Augen geöffnet. Rod trug einen weiteren Teil dazu bei. Er berichtete uns, daß die Raubreitercrew der Ranch geschlagen wurde. Er kam zu spät, um abzurechnen. Jim hat es selbst besorgt. Und noch eins ihr beiden: Geht und verständigt euch mit eurem neuen Boss!“ „Ein neuer Boss, Jonny?“ „Sicher, Rod Riffey! So bestimmte es Jim Waco in seinem Testament. Sicherlich wird er eure Namen in der Lohnliste stehen lassen. Geht nur hin und fragt ihn, ob er euch behalten will.“ „Mir wird ganz wirr im Schädel, Jonny“, sagte Staffard heiser. „Doch ich werde nicht mehr für die - 134 -
Strick-Ranch reiten. Ich werde Rod fragen, ob er meinen Namen aus der Lohnliste streicht. Unter seiner Führung werden wir alle zu unserem Recht kommen und es wird auch wieder Siedlerland geben.“ „Sicher, eines Tages werden die Schatten aus dem alten Fort verweht sein, und dann, dann reiten wir alle in eine bessere, schönere Zukunft“, erwiderte Jonny. Es war, als hätte er mit prophetischer Hellsichtigkeit in die kommenden Jahre des Aufbaues und der großen Entwicklung hineingeschaut. Der Geist der texanischen Pioniere blieb lebendig. Sicher war es so, daß die Opfer, die gebracht wurden, niemals vergessen wurden und jedem eine Mahnung blieben. .Im Gemäuer des alten Forts wurde ein vergessenes Grab neu hergerichtet. Generationen pflegten es. Die Nachfahren Rod Riffeys und Betty Linds aber haben die Story überliefert. Sie sollte auch in uns lebendig bleiben. ENDE
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