PERRY RHODAN – Extra 4 Das Andromeda-Monument Autor: Wim Vandemaan EIN LÄNGST GESCHEITERTES PROJEKT IN ANDROMEDA – UND ...
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PERRY RHODAN – Extra 4 Das Andromeda-Monument Autor: Wim Vandemaan EIN LÄNGST GESCHEITERTES PROJEKT IN ANDROMEDA – UND DER SPRUNG DURCH DIE ZEITEN, DER DIE GEGENWART BEDROHT Es ist eine Zeit der Finsternis für die Galaxis: Im Auftrag der Chaosmächte besetzt die Terminale Kolonne TRAITOR alle Schlüsselsysteme der Milchstraße. Perry Rhodan aber gelingt es, das Solsystem zu einer Festung zu machen, an der sogar hunderttausend feindliche Raumschiffe versagen. Der TERRANOVA-Schirm umgibt das ganze Sonnensystem wie eine schützende Kugel. Zusätzlich gestärkt wird der Schirm durch die mentalen Kräfte des Nukleus, einer der Menschheit wohlgesinnten Geistesmacht. Diese wiederum erhält Unterstützung durch die Menschheit selbst: An sogenannten Tankstellen spenden sie freiwillig Mentalenergie. Das Verfahren ist allerdings nicht ganz ungefährlich, sondern öffnet das Tor zu einer anderen Welt – einer Welt für DAS ANDROMEDA-MONUMENT
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Jetztzeit: August 1345 Der Feuerbrunnen an der Thora Road Der Feuerbrunnen an der Thora Road loderte in den Abend. Roya setzte sich auf die Tribüne und schaute den Flammen zu. Ein Roboter, möglicherweise auch ein Posbi, kurvte auf seinem Luftkissen herum und schob ein Antigravwägelchen vor sich her, über dem ein mattgelber Lampion pendelte. Der Roboter trug ein Käppchen in den Nationalfarben des terranischen Bundesstaates Italien auf dem Kopfteil und sang eine schmachtende Melodie. Dann plauderte er mit ein paar anderen Schaulustigen am Brunnen, verkaufte hier und da etwas und schwebte endlich vor Roya. Der Roboter bot ihr mit einem altertümelnden Akzent Speiseeis an. Signora. Signorita. Roya fuhr sich über die Stirn und wischte den Schweiß mit dem Handrücken fort, dann leckte sie kurz über die salzige Haut. Die Wetterkontrolle von Terrania City hatte den August auf heiß gestellt, heiß und schwül. Als wäre dieses Jahr 1345 NGZ nicht hitzig genug. Die Entscheidungen der Wetterbehörde waren ihr nach wie vor rätselhaft. Die Trivid-Meteorologen erklärten zwar wortreich, warum dieses oder jenes Wetter verfügt wurde, aber diese Erklärungen wirkten auf Roya immer wie die Verlautbarungen einer esoterischtechnoiden Religion. Warum ließ man nicht einfach die Erde das Wetter regulieren? Viel schlimmer als die Behörde würde sie es kaum machen. Schließlich hatte sie immer noch ein paar Jahrmillionen Jahre länger Übung im Wettermachen als die diplomierten Klimamechaniker. Oder die Wetterbehörde war mit den robotischen Eisverkäufern im Bund, mit den Fruchtjongleuren und ihren ambulanten Miniaturgärten und mit den Getränkehändlern der Stadt. Alle machten guten Umsatz, auch jetzt, spät am Abend noch.
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Ein Prallschirm lag um den Feuerbrunnen. Die durchsichtige Blase hielt die zusätzliche Hitze von den Betrachtern fern. Es war auch so heiß genug. Roya fühlte sich matt. »Signora?« »Vanille, zwei Kugeln, bitte«, bestellte sie, mehr, um den Verkäufer loszuwerden als aus Appetit. »Warum nur Vanille?«, fragte der Roboter. Er hatte seine Stimme so moduliert, dass sie zugleich enttäuscht und verheißungsvoll klang. »Ich habe Eis in einhundertvierundachtzig Geschmacksrichtungen, davon allein sechsundsechzig terranische.« Er begann mit einer Aufzählung und ließ dazu das Aroma der genannten Früchte aus einer kleinen Drüse strömen. »Hast du Eis mit Fischund Lakritzgeschmack?«, unterbrach sie ihn. »Nein. Ist mir bislang entgangen. Nach meinen Informationen gehört die Geschmacksrichtung >Fisch mit Lakritz< nicht zu den Arrangements, die von Humanoiden bevorzugt werden.« »Deine Informationen sind veraltet«, klärte sie ihn auf. »Peinlich«, gestand der Eisverkäufer ein. »Wenn du dich ein paar Minuten geduldest, synthetisiere ich dir deinen Wunsch.« »Lass gut sein. Vanille tut es auch.«, tröstete sie ihn. Der Roboter überreichte ihr eine gefüllte Waffel. Roya tippte mit dem kleinen Finger der linken Hand, in dem ihr Kreditmelder saß, in das Kreditschema, das ihr vom Maschinenwesen projiziert wurde, und begann, am Vanilleeis zu lecken. Der Roboter bedankte sich höflich, zog weiter und sang etwas, das wie »Furniculi, Furnicula« klang, fremdländisch, uralt, mediterran. Seit dem Hyperimpedanz-Schock hatte es einige Schübe von Retrodesign in der Modewelt gegeben. Whistler hatte klobige Roboter auf den Markt gebracht, die sich auf Rollen bewegten und Qualm ausstießen, als würden sie mit Dampfkraft
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betrieben. Stojj, die verhutzelte Pressesprecherin der Roboterfirma, hatte miternstem Blick in die Trividkameras verkündet: »Die Kosmokraten können die Naturgesetze so weit zusammenstauchen, wie sie wollen. Was aus dem Hause Whistler stammt, bleibt jederzeit funktional!« Ein herber Schlag für die Kosmokraten, fand Roya, zumindest für alle diejenigen unter ihnen, die terranisches Werbetrivid schauten. Sie dachte eine Weile über die Kosmokraten und die damit zusammenhängenden Gegenstände nach. Waren eigentlich die Hohen Mächte ebenfalls von der Erhöhung der Hyperimpedanz betroffen? Wenn ja: Wieso schwächten sie sich selbst? Aber wenn nein: Schwächten die Kosmokraten dann nicht dieses Universum im Kampf gegen die Chaosmächte? Mit Sicherheit war es falsch, den Hohen Mächten menschliche Motivationen und Denkweisen zu unterstellen. Wahrscheinlich hätte eine Katze oder eine Schnecke auch Probleme, die Spielzüge von zwei Schachspielern zu beurteilen oder die Figuren, die Hüdö-Spieler in einem Fünferturnier gegeneinander tanzten. Darienne Roya sah dem Flammenspiel zu. Hinter dem Brunnen erhoben sich einige Wohngebirge der Stadt, die Silhouetten dunkel, zehntausende Fenster erleuchtet. Terrania brauchte eigentlich keinen Sternenhimmel, die Stadt war ihr eigenes Firmament. Terrania hatte ja auch keinen echten Sternenhimmel mehr. Bis auf die solaren Planeten waren alle Sterne jenseits des TERRANOVA-Schirms verschwunden, und alles, was geliefert wurde, war ein künstlicher Ersatz. Kalt. Und einsam. Royas Blick glitt weiter, wie verzaubert über das Lichtermeer der niemals schlafenden Megalopolis Terrania. Manche Fassaden waren von hunderte Meter hohen, animierten Reklamen gefüllt. Auf einer Wand wurde im Stil einer PekingOper für ein China-Restaurant am Saturn
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Way geworben. Roya sah dem Spiel eine Weile zu. Hatte sie Hunger? Ja und nein. Der Tag an der Universität war nicht allzu anstrengend gewesen; sie war danach noch zum Training gegangen. Also eher nein als ja. Das Eis sättigte sie bereits. Sie blickte dem Strom der Gleiter nach, die in mehreren Etagen über dem Boden der Thora Road dahinglitten, umso schneller, je höher sie flogen. Die Thora Road war eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, die große Ost-West-Tangente im Süden der Metropole. Sie erstreckte sich über 145 Kilometer vom Handels- und Zivilhafen Atlan Port im Osten bis zum Ringwall des Terrania Space Ports im Westen, der den Raumhafen von der Stadt abschirmte. Manchmal, wenn dieser Teil der Thora Road schon im Schatten der Nacht lag, spiegelte der obere Teil der CREST Sol noch wider - oder besser der Nachbau der CREST IV, der wie sein legendäres Vorbild zweieinhalb Kilometer durchmaß und den Hafenwall hoch überragte. Doch von allen Lichtern, Laternen und grellbunten Werbeholos, die durch die Straßen vagabundierten, besaß keines eine so magische Anziehungskraft wie der Feuerbrunnen. Roya glaubte nicht, dass Sibylsko und Kriecvert, die Brunnenbauer, ihr Werk mit einer schwach hypnosuggestiv wirksamen Aura umgeben hatten, wie es manche andere Künstler taten. Das war nicht nötig. Das Feuer selbst zog die Menschen an, und nicht nur sie. Die Flammen bewegten sich langsam wie schläfrige Raubtiere. Die Gespräche um den Brunnen waren längst verstummt. Roya sah einen Haufen Unither, die mit verknäulten Rüsseln da hockten und monoton brummten; einige Menschenpärchen saßen Arm in Arm und beschnupperten sich im Schein des Brunnens; eines der Pärchen hatte die Schnupperphase abgeschlossen und ging zu weiterführenden Tätigkeiten über. Roya überlegte, ob es sich bei den brummenden Unithern um Bürger von Terrania handelte oder um Touristen, die
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von der Invasion TRAITORS überrascht worden waren und nun auf Terra festsaßen, unfreiwillige Exilanten in einer ihnen fremden Welt. Sibylsko und Kriecvert hatten auf etlichen Planeten im Einflussbereich der Liga Freier Terraner ihre Feuerbrunnen errichtet, aber der Brunnen von Terrania galt als ihr reifstes Werk. Er war kleiner als der Brunnen auf Ferrol; seine Flammen waren nicht künstlich koloriert wie auf Plophos, und er war — anders als die berühmte Flammenkarawane auf Nosmo — nicht mobil, sondern stationär. Es war ein geradezu bescheidener Feuerbrunnen, schnörkellos. Der Brunnen war seit etlichen Wochen Royas Lieblingsort in Terrania, war es schon gewesen vor ihrer Aufnahme in die Legion der Globisten. Eine Familie mit vier oder fünf Kindern tauchte auf, zwei Frauen, ein Mann. Die Kinder steckten in Blumenkleidern und dufteten nach Rosen. Die beiden Frauen trugen Glastücher vor dem Gesicht. Allen hing ein Familienamulett um den Hals, das im gleichen Takt blinkte und ihre Zusammengehörigkeit zeigte. Die Flammen des Brunnens spiegelten sich in den Glastüchern, die nur von innen durchsichtig waren. Die Kinder versuchten unter Gekreisch, den Vater zu fangen. Er wich ihren Händen aus; drehte und wendete sich wie ein Hüdö-Tänzer. Oder wie ein Torero. Toreros ... ihre Studenten hatten Roya ausgelacht, als sie ihnen erzählte, dass vor Urzeiten auf Terra Wirbeltiere im Rahmen einer sportliche Veranstaltung ermordet worden waren. »Nichts als die Wahrheit. Wer es nicht glaubt, schaut im HistNet nach.« »Damals«, hatte Feremyn bemerkt, »hätten sich die Terraner auf der Stelle den Chaosmächten angeschlossen.« »Kluger Schachzug.« Gelächter in der Runde. Roya kaute selbstversunken den letzten Rest der Waffel. Sie schmeckte leicht nach Zimt. Es war kurz vor 22 Uhr Ortszeit. Sie überlegte, ob sie noch eine Lern-Einladung
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an ihre Studenten ausschicken sollte; in manchen Nächten waren die Diskussionen sehr ergiebig. Vielleicht sollte sie noch mal zum Training. Oder auf den Friedhof gehen. Sie mochte die Stimmung dort, den Engel mit der Posaune am Ost-Eingang; die Stille unter dem Schallmantel; die wispernden Gräber. Ihr Vater hatte allerdings ein stummes Grab gewählt. Manchmal bedauerte sie es; sie sehnte sich sehr nach seiner Stimme. Nicht einmal ein Hologramm war dort eingerichtet; sein Grab bestand aus schlichter, ebener Erde. Gras. Wenn sie mit ihm sprach, war es nur ein Monolog. Als die Liga-Regierung den Schirm am 3. März 1312 NGZ zum ersten Mal aktiviert hatte, war Roya noch nicht geboren, aber ihre Mutter ging schon mit ihr schwanger, wenn auch von einem anderen Mann als dem, den Darienne Roya später und bis heute — an seinem Grab — ihren Vater nannte. Sie war geboren worden und aufgewachsen unter dem Kristallschirm. Sie hatte laufen und sprechen gelernt, unter seinem Licht war sie beschult worden und hatte zum ersten Mal mit einem jungen Mann geschlafen. Ferdinand. Auf der Wanderveranda am Haus ihres Vaters. Kristallkind. Die Kindheit war eine leuchtende Erinnerung. Sie hatte das Gefühl, als Globistin dem Kristallschirm etwas zurückzugeben, Schulden zu begleichen. Wie auf ein Stichwort baute sich wenige Meter über Straßenniveau ein Holo-Kubus auf, und Homer G. Adams erschien darin, zugleich überlebensgroß und unscheinbar, denn er stand, wie es seine Art war, ein wenig gekrümmt, als fiele es ihm schwer, den großen Schädel aufrecht zu halten, ein alter Mann. Tatsächlich war Adams der älteste lebende Terraner, etwas über 3000 Jahre alt, und Roya wusste, dass selbst unter ihren Studenten einige der Meinung waren, Homer wäre mit dem Verfasser der Odyssee identisch oder das einzige
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Führungsmitglied der LFT, dessen Vorfahren, Adam, namentlich in den Schriften des Alten Testamentes erwähnt waren. Roya lächelte. Terranische Geschichte verkam immer mehr zu einer Geheimwissenschaft. Die jetzigen Bewohner der Erde waren Nachkommen von Neueinwanderern, ihnen fehlte der Bezug zur Ära vor der Gründung der Liga. Nur die Handvoll Aborigines ragte aus der terranischen Urzeit hervor, wie Adams und Rhodan, Bull, Tifflor. Roya lächelte, als sie daran dachte, dass ihre Studenten kaum um die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Aborigine wussten, das sie mit einigem Spott auf die - O-Ton des TrividTalkers Schakoll auf Sendekanal Monggo 14 - »zellaktivierte Elite« der Menschheit anwandten: eine kulturell statische Gemeinde auf dem Kontinent Australien. Aborigines - Ureinwohner. Die, die von Anfang an da gewesen sind. Homers Rede war wie immer sachlich, präzis, beinahe mathematisch. »Wer den Schirm stärkt, stärkt die Gemeinschaft. Wer die Gemeinschaft stärkt, stärkt sich selbst.« Das klang wie eine Formel. War es wohl auch. »Wer den Schirm stärkt, schützt alle. Wer alle schützt, schützt sich selbst.« Egoismus als Treibstoff für den Gemeinsinn. Adams war ein Mann, der keine Illusionen mehr nötig hatte. Es überraschte Roya nicht, dass sich ihr Kom in genau diesem Moment meldete und das Zeichen gab. Sie wurde zum Einsatz gerufen. Also würde sie nicht mehr zum Training gehen. Sie schluckte den letzten Rest der Waffel, warf noch einen Blick auf den Feuerbrunnen und machte sich dann auf den Weg zu ihrer Heimstatt, ihrem Einsatzort. Zum Stadion der Sterne. Tiefe Vergangenheit: Die Malerin und ihr Modell Erste Sitzung
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Faktor I hatte ihn beauftragt, das kleine Sternenreich der Viuthom auszulöschen die Gleichung in diesem Sternensektor ein wenig einzukürzen, hatte er es Molat gegenüber genannt. Molat hatte den Auftrag mit einer kurzen Verbeugung entgegengenommen. Wer oder was die Viuthom waren, hatte er in einer Datenbank recherchieren müssen. Ein junges, unbedeutendes Volk an der Peripherie Karahols, der »Zweiten Insel«, wie die Tefroder ihre Heimat nannten, während ältere, in den beinahe unendlichen Sternenweiten entstandene Völker sie als Hathorjan kannten. Die Viuthom hatten vor wenigen Jahrhunderten erst den Transitionsantrieb entdeckt und bislang nicht mehr als ein Dutzend Planeten in der stellaren Nachbarschaft kolonisiert. Die Datenbank lieferte keinerlei Hinwiese darauf, womit sich die Viuthom den Zorn von Faktor I zugezogen hatte. Molat tippte auf ihre bloße Existenz. Dasein als Verbrechen; die Strafe: Tod. Faktor I wurde ohne Zweifel wahnsinnig. Die Zweite Insel hätte eine bessere Führung verdient, eine Führung, die es verstand, aus der Komplexität der überlichtschnell verkehrenden Zivilisationen Gewinn zu schlagen, eine Führung, die nicht auf restlose Kontrolle und Verödung setzte. Irgendwann würden die Völker der Insel nach einer solchen Führung rufen. Molat würde sie erhören. Bis dahin war ein Putsch gegen Faktor I aussichtslos. Molat gehorchte. Sein Gehorsam war die beste aller Tarnungen. Dass Molat persönlich an dem Feldzug gegen die Viuthom teilnahm, an ihrer Exekution, hatte einen triftigen Grund, von dem Faktor I allerdings nichts ahnte. Nach geheimdienstlichen Informationen lebte auf Bufftum, der Heimatwelt der Viuthom, einer der letzten Dye Karahols. Vielleicht sogar der letzte. Die Tefroderflotten stießen unmittelbar ins Herz des Viuthom-Sternenreiches vor; Molat hatte den amtlichen Namen des Staates längst vergessen. Seine Verbände
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zerstörten die wenigen Raumforts und sprengten die Schiffe der Viuthom aus dem Raum; sie hätten Bufftum vom Raum aus zu Asche brennen können; aber Molat befahl, Bodengruppen ausschleusen. »Bodentruppen?«, fragte Admiralin Spenentia Drugk. Molat lachte leise. »Verspüren Sie das Bedürfnis, mit mir über Militärstrategie zu diskutieren, Admiralin?« »Nein, Maghan.« »Schade. Man wird nicht dümmer, wenn man miteinander spricht.« Drugk neigte ihren Kopf mit den glutroten Haaren. »Vielleicht besprechen wir strategische Fragen nach dem Einsatz in meiner Kabine. Ich bin sicher, wir werden auf vielen Ebenen voneinander profitieren.« Drugk neigte ihren Kopf erneut, eine plötzliche Röte auf den Wangen. Eine Schlampe, die erst jetzt die Konsequenzen ihrer Nachfrage erfasst. Die Bodentruppen kämpften sich zur Burg Cudsch vor, der tausendäugigen. Die Viuthom leisteten einen ebenso heroischen wie unergiebigen Widerstand. Nichts langweilte Molat mehr als Helden. Die Tefroder griffen die Burg nicht mit großkalibrigen Strahlengeschützen aus dem Orbit an. Sie quälten sie vom Boden aus mit Nadelstichen zu Tode. Molat sah jedes einzelne ihrer kybernetischpositronischen Augen brechen. Er hörte den letzten, telepathischen Schrei, mit dem die Pseudo-Seele des Bauwerks starb Tempel und Regierungspalast, Wallfahrtsort und Bibliothek in einem, das Herzstück der Viuthom-Kultur. Trinar Molat betrat die Ruine - die Leiche der Burg - als Erster, gesichert von tief gestaffelten Schutzschirmen, umringt von einem Kordon Kampfroboter. Sie fanden den Dye - oder die Dye, wie er später begriff - dort, wo der Geheimdienst sie vermutet hatte: in einem fünfdimensionalen Stasisfeld im Archivbereich der Burg. Molat war erstaunt über die ausgereifte Ingenieurskunst dieser GefängnisApparatur. Im Vergleich zu den primitiven
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Überlichttriebwerken der Viuthom war das Fesselfeld schiere High-Tech. Das konnte keine Viathom-Technologie sein. Das war etwas anderes, Fremdes ... Ein Team der nachgerückten tefrodischen Wissenschaftler desaktivierte das Feld. Das Wesen darin sank brummend zu Boden. Es bestand aus einem Gewirr von Gliedmaßen, in dessen Mitte ein kissenförmiger Leib federte. Molat wusste kaum etwas über die Dye. Sein Schutzschirm blieb aktiviert; die tefrodischen Roboter hatten sicherheitshalber auf das Wesen angelegt. »Wer sind Sie?«, fragte das Wesen sehr leise. Es klang wie das Rascheln von trockenem Laub. »Mein Name ist Molat. Ich könnte dich töten.« »Dann töten Sie mich.« »Ich könnte dich leben lassen.« »Dann lassen Sie mich leben.« Molat lachte leise. »Ich habe gehört, dass Wesen deiner Art über eine Gabe verfügen, die mein Interesse weckt. Ihr könnt Bilder malen, die die Zukunft zeigen. Ist das ein Gerücht oder entspricht das den Tatsachen?« »Es entspricht ihnen.« Das Wesen richtete sich knisternd auf. Seine Gliedmaßen waren dürr und grau; es roch nach trockenem Holz. Der Körper - oder Kopf wies keinerlei Sinnesorgane auf. Die Stimme erklang aus einem gitterförmigen Organ an der Unterseite des Körperkissens. »Willst du für mich arbeiten, Dye?« »Mein Selbstzeichen ist Pri, Tochter und Mutter«, erwiderte das Wesen. »Ich male.« »Du wirst mich malen«, stellte Molat sicherheitshalber klar. »Ich werde dich malen, wie du sein wirst«, bestätigte Pri. »Du wirst mich Maghan nennen!«, befahl er ihr. Sie streckte eines ihrer Gliedmaßen aus; es sah aus wie ein knochendürrer. überlanger Arm; an seinem Ende bewegten sich zehn oder mehr Finger, dünn und blütenweiß, alle wiesen auf ihn. »Hast du die Burg Cudsch getötet?« Molat nickte.
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Pri reagierte nicht. Sie ist blind, erkannte er. »Ja, das habe ich«, sagte er laut. »Maghan«, sagte sie, knickte ihre Gliedmaßen ein und senkte das Körperkissen fast bis zum Boden, »ich werde Euch malen, wie Ihr sein werdet.« Die Roboter flogen einen Container in die Trümmer der Burg, richteten ihn nach den Bedürfnissen der Malerin ein und brachten ihn in Molats Flaggschiff. Die Flotte sprengte den Planeten Bufftum, da hatte sich Molat schon zwischen die Schenkel der Admiralin gelegt, genoss ihre Wärme und das Blut ihrer Lippen und zeugte einen Nachkommen mit ihr. »Trage es aus, Admiralin«, befahl er ihr, »und melde mir die Geburt!« Noch nackt verneigte sich die Admiralin vor ihm. Dann kleidete sie sich an und verließ den Raum. Irgendwo im Schiff befand sich Pri, die blinde Malerin. Molat lächelte in Gedanken daran, wie er ihr bald Modell sitzen würde. Er, der Faktor, ihr, der vielleicht letzten Dye der Zweiten Insel. Seinem Eigentum. Rhodan, als Virus betrachtet Roya forderte ein Gleitertaxi, wies sich als Globistin aus und schaute aus der Kuppel, als der Pilot den steilen Weg auf die vierte Ebene wählte. Der Boden der Thora Road blieb unter ihnen zurück. Links und rechts ragten die Gebäudezeilen weiter in den Nachthimmel. Roya blickte auf die Fassaden der Wohntürme, auf die Mosaike aus Licht und Finsternis; auf Holowände, die so taten, als öffnete sich hinter ihnen der Leerraum zwischen den Galaxien; auf die vereiste Seitenfläche eine Hochhauses, deren Schwerkraftvektor so eingestellt war, dass man auf der Fassade Schlittschuh laufen konnte. Die Thora Road war endlos lang, 145 Kilometer, und damit die zweitlängste Straße Terranias nach der Aldebaran Tangente, der großen Nord-Süd-Achse der Stadt.
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Ab und an blitzte eine freischwebende Funkboje auf, die hier oben den Verkehr regelte. Robuste, vorsintflutlich anmutende Geräte, die als Backup einsprangen, wenn das Terrania Traffic Control System Ausfälle in Teilen seines fein gesponnenen Netzes verzeichnete. Des von NATHAN gesponnenen Netzes. Solche Defizite waren in Zeiten der gestiegenen Hyperimpedanz zwar nicht an der Tagesordnung, aber auch nicht ganz selten. NATHAN, der gute Geist der Erde, musste sich psychisch amputiert vorkommen. Dement. Roya seufzte. Die Politik der Kosmokraten schlug genauso auf den Alltag durch wie die Steuerpolitik der Liga. Beide, fand Roya, folgten nicht unbedingt dem Prinzip der Menschenfreundlichkeit als ihrem Leitstern. Der Antigravkorridor über der Thora Road verlief sechzehnspurig und auf vier Ebenen. Das Taxi glitt auf der vierten, der obersten Ebene, 50 Meter über Bodenniveau. Der Gleiter flog zunächst Richtung Osten, auf den zivilen Raumhafen Atlan Port zu. Sie passierten den Rhuoshui-See auf dem weitläufigen Gelände der Universität von Terrania. An dieser Universität arbeitete Roya. Sie sah die charakteristischen Zeltdachkonstruktionen, die wie seit Äonen mehrere hundert Quadratkilometer des Komplexes überspannten. Die hellen Tücher wurden vom Boden aus beleuchtet und wirkten von hier oben wie eine neue Arche Noah unter Segeln. Bald bogen sie nordwärts auf den Admiral Hakhat Drive ein. Die Waringer-Akademie kam in Sicht, an der Roya arbeitete. Sie warf einen kurzen Blick auf den Rainbow Dome, der dank der eingespeisten Lichtquanten auch in der Nacht über dem Zentralgebäude der Akademie strahlte - und zwar seit dem 1. Dezember 1331, seit über 13 Jahren also. Sie überquerten das schwarze Band des Donghe, in dem sich die Lichter der Stadt wie Scherben einer anderen Welt spiegelten; Roya sah den Kybernetischen Turm zur Rechten flirren und flimmern und gegen die Nacht kämpfen wie ein
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Kind, das nicht schlafen wollte. Sie sah einige Kilometer später das riesenhafte V des Lemuria Museums zur Linken. Dort waren Kohorten von Wissenschaftlern damit beschäftigt, das Erbe der ersten Menschheit für die zweite zu bergen. Roya fragte sich, welche spätere Kultur sich einmal mit den Relikten der aktuellen, der zweiten Menschheit auseinandersetzen würde. Sie war müde. Ihre Lippen schmeckten nach Vanille. Der Drive richtete sich ostwärts. Sie glitten an Happytown vorbei, Terrania Underground, in der Roya einen Teil ihrer Jugend verbracht hatte. Frösche ärgern und andere Untaten... Einen Teil. Den besseren? Den besseren. Oder doch nicht. Happytown galt als Keller der Stadt, ihr Unterleib als die Niederung, als absolut zellaktivatorfreie Zone. Dann geriet im Osten bereits das Stadion der Sterne in Sicht. Als sie das hypermoderne Ensemble erreichten, war es bereits zu drei Viertel gefüllt. Zehntausende von Globisten campierten in einer Stadt aus Containern und Zelten, die die Liga rund um die Arena gebaut hatte. Die meisten der provisorischen Unterkünfte waren Hightech-Geräte, aufgeschäumte Iso-Schaummassen, die von ihren Bewohnern in jede beliebige Form geschaltet werden konnten. Roya sah einige Miniaturburgen wie aus einem orientalischen Märchen, sogar eine fast zwanzig Meter hohe Nachbildung der Stahlorchidee, wie die Solare Residenz im Volksmund genannt wurde. Die meisten Zelte waren schlichte, in allen Farben leuchtende Iglus. Hier und da standen Masten, an denen Fahnen aufgezogen waren. Das Ganze ähnelte einem Heerlager. So war es in gewisser Weise schließlich auch. Nur, dass die Einwohner der Zeltstadt die Belagerten waren und nicht die Belagerer.
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Roya betrat das Stadion und ließ sich von den Gleitbändern zu den Plätzen tragen. Die Ränge füllten sich von allen Seiten, aber Roya glaubte nicht, dass alle 300.000 Plätze besetzt würden heute Nacht. Selbstverständlich war auch das MagellanStadion wieder im Einsatz, ja, es wurde von der Bevölkerung vorgezogen. Das Stadion der Sterne hatte sich irgendwie noch nicht durchgesetzt bei den Bürgern von Terrania. Jedenfalls nicht bei den älteren. Roya hatte die Bauphase des Stadions, die späten 90er Jahre des 13. Jahrhunderts NGZ, noch nicht miterlebt. Für sie war es immer schon da gewesen. Fachleute vom Psychologischen TANKSTELLEN-Schutz halfen den Globisten auf Wunsch, das KörperscannerNetz mit den Messgeräten überzustreifen. Die neun Komponenten des Netzes sollten ihre physischen und psychischen Reaktionen während des mentalen Einsatzes überwachen. Roya tat routiniert, als ein Mann vom PTS ihr die Kontakte an die Schläfen, in den Nacken und an die Brust heftete. Aber der Mann durchschaute sie, nickte ihr zu und sagte: »Wird schon. Rhodan selbst ist heute im Stadion. Hier im Stadion, und nicht im Magellan.« Er lächelte. Sie begriff, dass diese Meldung sie trösten oder ihr Mut geben sollte. Sie lächelte zurück. Ein Teil der Menge begann zu singen: »Wir kennen keine Gegner und haben keine Furcht ...«; das Lied wurde wahrscheinlich von einigen Vorsängern angetrieben. Roya dachte: Was für ein hohles Zeug. Wer seinen Gegner nicht kennt, wird unterliegen. Mach dich besser kundig, du Chor von Idioten! Dann ging ein Raunen durch die Menge, das Rhodan-Raunen. Roya hatte den Residenten noch nicht entdeckt, auch gar nicht nach ihm Ausschau gehalten. Die Trivid-Kameras erfassten ihn jetzt. Er stand inmitten des Spielovals an einem Pult. Optische Vergrößerungsfelder pumpten ihn auf. Die Positronik, die hier für die Bildverteilung
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zuständig war, drehte es so, dass Rhodan jeden einzelnen Globisten direkt anzublicken schien. Roya betrachtete ihn. Er war eher hager als schlank, nicht sehr groß und bei weitem nicht so athletisch wie Roya. Sie studierte die Augen des Unsterblichen, in die - oder in deren holografische Ebenbilder - sie schon oft geschaut hatte, ohne dass sie je zurückgeblickt hätten. Die Iris graublau. Sein Haare dunkelblond, in ordentlicher Unordnung, knapp geschnitten, dicht. Roya entdeckte die kleine Narbe auf Rhodans rechtem Nasenflügel, von der es hieß, sie verfärbe sich weiß, wenn Rhodan erregt sei. Heute war die Narbe blass, aber nicht weiß. Woraus man wohl schließen durfte, dass Rhodan die Ruhe selbst war. Roya betrachtete sein Gesicht weiterhin, hört kaum, was er sagte. Das war der Mann, der sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zog. Er war nicht ein Terraner, er war der Terraner. Sie stellte sich vor, wie sie auf einem exotischen Planeten irgendwo in einer unzugänglichen Galaxis landete, Andromeda. M 87. Wie sie ausstieg und den munteren Aliens zuwinkte, die das Empfangskomitee bildeten. Guten Tag, würde sie sagen, ich komme von Terra und ... Guten Tag, Perry Rhodan, würde ihr der Alien-Chor zurufen. Ich bin nicht Perry Rhodan, ich stamme nur von Terra! Es gibt noch andere Terraner? Staunen. Rhodan, der jede dritte Seite aller historischen Dossiers füllte; Rhodan, der mit einer Rakete des Atomkraftzeitalters auf dem Mond gelandet war, Crest und Thora in den Tank gepackt hatte, vom Mond nach Gruelfin durchgestartet war, unterwegs die Dritte Macht ausgerufen und auf dem Rückweg den Schwarm erledigt hatte, kurz darauf das Konzil der Sieben, dann Monos, dann das Reich Tradom. Rhodan redete immer noch. Roya spürte die Genugtuung der anderen Globisten, dass er ihnen seine Zeit widmete. Als wäre er nicht der Großhändler in Sachen Zeit,
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als stünde er nicht immer mit einem Bein in der Ewigkeit. Sie fragte sich, wie Rhodan von den Laren oder den Regenten von Tradom gesehen worden war, nachdem er ihre Imperien zerstört hatte. Wahrscheinlich als ein Virus, ein positronischer Virus, den man sich ungewollt eingefangen und der ihren Staat zersetzt hatte. Rhodan als Rechnervirus - die Vorstellung amüsierte sie. »Dass man untergeht, wenn man nicht schwimmt, wird man doch einsehen«, behauptete Rhodan gerade. Beifall von allen Seiten. Der völkerrechtlich monströse Überfall der Terminalen Kolonne als kollektiver Schwimmkurs. Roya grinste. Immerhin bewies Rhodan Understatement. Ihr Blick schweifte ab. Ein Stück neben Rhodan bauten ein paar Menschen eine Forschungs- und Messstation auf; Roya konnte sich denken, um wen es sich handelte. Das mussten ihre Kollegen von der Universität sein, aus der Abteilung für SI-Forscher. Roya kannte einige von ihnen flüchtig, hatte zwei- oder dreimal auf einem Erotischen Roulette mit dem zuständigen Leiter geschlafen. Ogus Hordal roch gut und war in Maßen lustig, hatte sich ihr aber nicht weiter eingeprägt. Hordals Forschungsgruppe beobachtete so weit wie möglich alle Aktionen, die in welcher Form auch immer mit dem Nukleus in Beziehung standen. Nicht nur Hordals Theorie nach stellte der Nukleus etwas wie ein frühes Embryonalstadium einer künftigen Superintelligenz dar. Wer weiß, vielleicht traf diese Theorie zu, und in einer fernen Zukunft, wenn die Superintelligenz ES in andere kosmische Gefilde ausgewandert war, erhoben zu einer Materiequelle, auf Exkursion ins Rote Universum, wäre die Milchstraße Teil der Mächtigkeitsballung von NUKLEUS. Ziemlich geballt sieht er ja jetzt schon aus, überlegte Roya. Was haben der Nukleus, ES, terranische Raumschiffe und Vanilleeis gemeinsam? Die Kugelform. Die Rolle der Kugel in der terranischen
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Geistesgeschichte. Ich werde gelegentlich eine Vorlesungsreihe daraus machen. Rhodan war fort, zurück in die Stahlorchidee. Zu aller Zeit hatten die Herrscher in Türmen residiert. Erhaben über den Niederungen ihrer Städte, ihrer Reiche, ihrer Imperien. Erhöht, mit einem weiten Blick. Dem Blick eines ewigen Jägers von seinem Ansitz. Roya zog die Niederungen vor. Den Keller der Stadt. Den Meeresboden der Straßen. Etwas regte sich plötzlich über ihren Köpfen, am Ereignishorizont der Nacht, und rückte langsam näher. Dann regnete es Funken. Sagte man Myriaden? Die Funkenflut floss inmitten des Stadions zusammen, konzentrierte sich zu einer trüben Kugel aus Licht. Das war das Kollektor-Korn, das ihre Mentalenergie und die der anderen Zehntausende Globisten aufsaugen und an den Nukleus weiterleiten würde, um ihn damit zu füttern. Denn das Stadion der Sterne war eine TANKSTELLE, und sie, Roya, war der Kraftstoff. Das Korn durchmaß nur wenige Zentimeter, aber das Zoom-Feld stellte es ihr in nächster Nähe vors Auge. Sie konzentrierte sich und senkte die Lider. So viele Lider senkten sich. Sie spürte, wie eine wohlige Wärme über sie kam. Nur im Nacken blieb es kühl, fast kalt, ein Luftzug. Irritiert drehte sie sich um, blickte zurück — aber da war nichts —, schaute nach vorne und sah... Heb mich auf den Drachen, Vater! ... dass sie über eine endlose Ebene ging, die von hartem Schotter bedeckt war. Roya setzte einen Fuß vor den anderen, und sie hatte nun das Gefühl, schon viele Stunden, wenn nicht Tage zu gehen. Es tat weh. Der Schotter drückte durch die Sohlen. Sie spürte die Steine lediglich, sah sie nicht, dazu war es zu finster. Der Himmel hing als eiserne Schale über der Welt, zu
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hoch und sternenlos, ein tonloser Gong. Roya kannte die Richtung, hatte sie immer schon gekannt. Weit vor ihr lag ein Schimmer über dem schwarzen Grund. Der Schimmer war honiggelb und freundlich. Dorthin musste sie. Sie lief schneller und konnte bald erste Einzelheiten ausmachen. Da stand ein Karussell, was sonst. Ein Kinderkarussell mit galoppierenden weißen Pferden und anderen, exotischeren Reittieren. Es drehte sich völlig lautlos. Alle Plätze waren frei. Die Schimmel mit dem goldenen Zaumzeug, die sich im Kreis bewegten, hoben und senkten; die handgeschnitzten, lackierten Haluter aus Ebenholz; die Marschiere-Viels mit dem hoch gereckten Energieschweif. Je näher Roya kam, desto langsamer drehte sich das Karussell. Als sie es erreicht hatte, hielt es an. Da, hinter den Halutern mit den drei leuchtenden roten Augen, kauerte der Smaragdgrüne Drache, den sie als Kind immer mit Ehrfurcht betrachtet hatte und mit dem brennenden Wunsch, auf ihm zu reiten. Nur einige der hölzernen Reitfiguren schaukelten noch ein wenig. Einige Lämpchen flackerten. Roya entdeckte das Kassenhäuschen. Es war dunkel und unbesetzt. Das schien ihr nicht richtig. Sie stieg auf die glatte Scheibe des Karussells und drängte sich an den Pferden, Halutern und Marschiere-Viels zum Häuschen durch. Die hölzernen Tiere standen eng, ihre Körper waren erhitzt und dampften. Endlich stand sie vor dem Häuschen. Sie meinte, zwei Hände mit den Fahrchips spielen zu sehen. Sie presste ihr Gesicht an die Scheibe und schirmte sie mit einer Hand ab. Der Raum dahinter war schwarz wie der Leerraum. Er war der Leerraum. »Darienne«, hörte sie seine Stimme, »bist du es? Dari?« »Pa?« »Ja. Was tust du hier, Dari?« Ich weiß es nicht, lag ihr auf der Zunge, aber sie sagte: »Ich will Karussell fahren.« »Hast du denn Geld?« »Ja, Pa. Ich arbeite. Ich bin Dozentin an der Universität von Terrania. Ich
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unterrichte im Bereich MathematischKulturelle Grenzphänomene.« Das Fenster des Kassenhäuschens wies eine ovale Öffnung auf, aus der ihr Vater nun eine Hand streckte. Die Hand war eine Knochenhand, ohne jede Spur von Fleisch oder Haut. Nackt und bleich. Sie schob einen Fahrchip in Richtung Roya. »Was hast du mit deiner Hand gemacht?«, fragte sie. »Wieso? Ist etwas damit nicht in Ordnung?« »Es ist eine Knochenhand. Nur Knochen.« Sie versuchte wieder, das Glas mit ihren Blicken zu durchdringen. »Das ist schon in Ordnung, ich bin ja tot.« »Ach so.« Roya spürte Erleichterung. Im nächsten Moment aber war der kalte Zug wieder an ihrer Schulter. Kalt? Er war eisig. Sie zog die Schultern fröstelnd hoch. Es war, als ob der Wind selbst sein Gesicht in ihr Fleisch presste; sie meinte, ein Flüstern zu hören. »Papa, lass mich aufs Karussell, ich muss weg von hier!«, flehte sie. Ihr Vater lachte unbeschwert. »Mit einem Karussell willst du fliehen? Kind, ein Karussell ist ein schlechtes Fluchtfahrzeug.« »Aber es ist das einzige, das ich habe, Vater! »Oh ja!«, bestätigte ihr Vater, »oh ja!« Sie hielt ihm den kleinen Finger hin, in dem der Kreditmelder saß. »Schnell, lies die Summe ab!« »Oh. Tut mir leid, aber wir nehmen kein Datengeld, nur Münzen. Byzantinische Münzen, weißt du. Das Karussell ist eine byzantinische Erfindung. Aus Philippopolis.« Natürlich. Wie hatte sie das vergessen können? Sie hätte gern weiter mit ihrem Vater geplaudert, seine Stimme war ein solcher Genuss, eine physische Wohltat. Aber die Kälte weitete sich aus. Der Wind nahm die Gestalt einer Hand an, einer Hand aus dampfendem Eis, und packte nach ihr, presste sich durch ihre Schulter und war ihrem Herzen schon ganz nah.
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Ihr war so kalt. Setz mich auf den Drachen, Vater!, bat sie. Ihr Herz klirrte leise, als es sich zusammenkrampfte. Dein Herz ist mein Herz, hörte sie eine Stimme. Der eisige Griff wurde fester, alles in ihr gefror. Es war, als wollte etwas sie am Herzen nach unten ziehen oder als wollte dieses Etwas sich selbst herausziehen, wie ein Ertrinkender aus den schwarzen Fluten. * Die Umrisse des Stadions zeichneten sich ab; eine menschliche Gestalt vor ihr gewann Kontur. »Wie lange?«, fragte sie. »Mein Einsatz?« »Knappe vier Stunden. Darüber gehen wir nicht«, erklärte ihr der Mann vom PTS, der ihr den Körperscanner abnahm. Die Schichtdauer jedes Globisten war auf vier Stunden begrenzt, weil sonst negative Begleiteffekte auftreten konnten wie Kreislaufbeschwerden, Depressionen oder Suchterscheinungen. Der Mann beobachtete Roya. »Alles in Ordnung mit dir?« »Haben wir der Kolonne in den Arsch getreten?« »Stundenlanges Trommelfeuer mit Potenzialwerfern, null Effekt. Wir sind Helden.« »Was sonst.« Sie stand auf und ächzte, hob ihr Haar mit beiden Händen und schüttelte es so heftig aus, als würden Dämonen darin hausen. Der PTS-Mann ließ sie noch immer nicht aus den Augen. Sie bemerkte, dass er eines der modischen, asymmetrischen Bärtchen trug, einen Büschel links vom Kinn, ein schmales Vlies diagonal über die rechte Wange. Er war jung, kaum älter als sie, vielleicht dreißig, fünfunddreißig Jahre alt. Und er probierte ein Lächeln. Roya rechnete schon damit, dass er ihr gleich ein Angebot für den Rest der Nacht machen würde, aber er fragte stattdessen: »Wie war es drüben? Du gehörst doch zu denen, die etwas sehen, wenn sie ... versinken, oder? Habe ich an deinem Wellenmuster gemerkt.«
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»He«, sagte sie, »meine Wellenmuster gehören mir!« Er nickte nur, packte den Körperscanner in einen Beutel zu den anderen und ging den nächsten Globisten betreuen. Es war nicht ihre erste Vision. Die Erinnerung an die vorherigen aber blieben vage: ein dunkles Dorf, Glockenläuten, ein gelähmter, versteinerter Engel mit einer Trompete; eine vage erotische Landschaft, in der Ferdinand, ihr erster Liebhaber, eine Rolle spielte und einige flüchtige sexuelle Bekanntschaften, die förmlich in seine Haut schlüpften. Ein Erotisches Roulett auf dem Campus der Universität. Natürlich ihr Vater. Regen. Verworrenes Zeug eben. Diesmal war es anders gewesen, beinahe körperlich verletzend. Sie rieb sich die Herzgegend. Es fühlte sich kalt an. Ob sie sich doch in die Obhut des Psychologischen TANKSTELLENSchutzes begeben sollte? Unsinn. Sie war nur müde. Sie orderte ein Gleitertaxi, stieg ein und gab das Ziel an. Es war warm im Gleiter. Bettwarm. Die Hecke Sie musste eingeschlafen sein, aber nicht tief, denn sie schreckte hoch, obwohl das Taxi ganz sanft aufsetzte. »Schon da?« »Schon hier«, korrigierte der Gleiter sie. Roya stieg aus, ziemlich irritiert. Die Flammen sprudelten aus dem Brunnen. Es saßen noch überraschend viele Zuschauer auf der Tribüne; vor dem Brunnen hatte sich eine Gruppe von Sängern aufgebaut. »Das ist nicht Sirius River City«, stellte Roya fest. »Natürlich nicht. Du wolltest zum Feuerbrunnen auf der Thora Road.« »Das habe ich gesagt?« »Aber ja. Soll ich dir die Aufzeichnung vorspielen?« Roya winkte ab. »Wird schon stimmen.« Sie schaute dem wohligen Feuer zu, stieg aus und ließ den Gleiter fliegen. Die Hitze des Tages hielt an, obwohl es längst dunkel war. Roya setzte sich auf die Tribüne.
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Jeder Angriff der Traitanks bedeutete Stress, wenn sich das auch nicht jeder eingestand. Roya wusste, dass die Bürger von Terrania danach die Nähe von Leidensgenossen suchten, im Bett und in der Haut des anderen oder auf den öffentlichen Plätzen. Sie also auch. Auf einem Podest aus Holzbrettern standen sechs oder sieben gehörnte Gestalten, groß, robust, nach nassem Fell stinkend. Sie sangen mit reinen, knabenhaft hohen Stimmen; Roya erkannte, dass ihr Lied in einer archaischen terranischen Sprache verfasst war, in Latein. Die Augen der Sänger glühten rot; sie klopften den Takt mit ihren Hufen, und aus den drei Nasenlöchern hingen langgestreckte, zierliche Zungen. An den Spitzen gabelten die Zungen sich zu fingerähnlichen Gliedern, mit denen die Sänger schnipsten. Es war ein Chor von Cheborparnern; ihr für gewöhnlich schwarzes, drahtiges Fell lag unter Metallkutten verborgen, die im Licht des Feuerbrunnens schimmerten. Allmählich unterschied Royas Gehör die Worte des gregorianischen Chorals, den der Chor in einer leicht verjazzten Variante vortrug: »Mors et vita duello conflixére mirándo; Dux vitae mórtuus, regnat vivus.« Tod und Leben kämpfen einen wunderlichen Zweikampf; des Lebens Fürst, der starb, nun herrscht er wieder lebend. Roya stand auf und stieg die Stufen der Tribüne hinab. Die Mehrzahl der Hörer waren Terraner; Roya sah nur einige Gataser und ein Knäuel Unither, die sich im Takt des Chorals wiegten. Ihre Mattigkeit war noch nicht wieder gewichen. Globisten sind Seelenspender; dachte sie. Die Seele muss sich wieder auffüllen, wie gespendetes Blut. Sie entschied, noch einige Schritte zu Fuß zu gehen. Natürlich würde sie nicht die ganze Strecke vom Feuerbrunnen und der Thora Road nach Sirius River City laufen können, das hätte einen Fußmarsch von sechzig oder siebzig Kilometer bedeutet.
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Aber sie wollte doch einige Schritte gehen, bevor sie ein Verkehrsmittel nahm. Endlich spürte sie eine kühle Brise. Eine Brise, die allerdings bald etwas Persönliches hatte, etwas Gezieltes, als pustete ihr jemand in den Nacken Sie drehte sich um. Die nächsten beiden Passanten folgten in einem Abstand von einigen Metern und hatten ihre Münder vermischt. Darienne Roya, hörte sie und erschrak. Sie dachte: Blöder Mist, es hat mich also doch erwischt. Eine Psychose mit Auditionen, Verfolgungswahn, dem ganzen Scheiß ... Sie verstand genug von Psychopathologie, um die Symptome zu deuten: Halluzinationen, Stimmenhören, das Gefühl, ausspioniert oder überwacht zu werden, der Glaube, dass geheime Botschaften an sie übermittelt würden. Dinge sehen, hören, riechen, schmecken, die andere Menschen nicht wahrnahmen. Wirrwarr. Bald würde .sie glauben, dass sie eine besondere Mission zu erfüllen hätte. Natürlich glaubte sie zu keinem Augenblick, dass sie an einer normalen Psychose litt, an einer Botenstoffkrankheit im Gehirn. Physiologische Anomalien hätte die Medoeinheit ihrer Wohnungspositronik bei einem der regelmäßigen Gesundheitschecks längst herausgefunden. Drogen konsumierte sie nicht mehr, seit sie ihre Gelegenheitsjobs in der Schimmerwelt aufgegeben hatte, also fiel auch diese Möglichkeit aus. Aber es galt mittlerweile als Tatsache, dass in einem Bruchteil der Fälle die Tätigkeit an den TANKSTELLEN physische wie psychische Auffälligkeiten hervorrufen konnte. Sie war nicht die erste Globistin, die aus einem Einsatz mit einer akuten Psychose hervorging. Ärgerlich, dass die Körperscanner und der PTS bislang nichts davon gemerkt hatten. Wahrscheinlich waren die Diagnoseraster noch nicht feinmaschig genug eingestellt. Roya überlegte, ob sie sich ein paar Stunden Stimmenhören gönnen oder sich gleich in Behandlung begeben sollte, um die seelische Schieflage beheben zu lassen.
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Doch dafür war sie zu müde. Sie würde ihre Positronik in Kenntnis setzen, sollte die über Nacht ein wenig auf sie achtgeben. Also mal hören, was die Stimmen ihr zu sagen hatten. Darienne Roya, meldete sich die Stimme wieder. So heiße ich, jaja. Ich habe aber auch nie Glück. Immer die falschen Männer, egozentrische Arschlöcher im Leben, egoistische Langweiler im Bett; und wenn ich schon mal Stimmen höre, haben sie mir nichts zu sagen als meinen Namen. Roya ging immer noch auf der Thora Road. Dort, wo die Straße auf die Monggon-West-Orbital traf, wollte sie in die Magnetbahnstation hinabsteigen und mit der Bahn nach Sirius River City zischen. Plötzlich bemerkte sie, dass neben ihr eine Hecke war. Die Hecke erreichte leicht drei Meter Höhe und bestand nur aus Grün, ein Blick durch lockeres Geäst war nicht möglich. Roya strich im Vorbeigehen mit der Hand darüber. Wie schön altmodisch. Eine Hochhecke, Büsche in der Mitte, eingerahmt von niedrigen Sträuchern. Terrania war eine Stadt mit vielen Grünflächen, Gärten, Landschaftsparks, Friedhöfen, sogar mit unzähligen Alleen, auf denen terrestrische oder aus anderen Sonnensystemen importierte Bäume die Wege flankierten. An vielen der großen Wohntürme hingen üppig bepflanzte Balkone oder schwebten ausladende Antigravveranden, manche von ihnen mit einem Teich oder einem Hain bestückt. Auf den Dächern selbst der höchsten Bauwerke prunkten Englische Gärten, Parks und Steingärten. Manche von ihnen waren über Terra hinaus berühmt wie der Glasgarten auf dem Deighton Tower an der Plejaden Road oder die Interstellare Heilkräuterarena auf dem Irmina Kotschistowa-Forschungszentrum am Alpha Centauri Circle. Die Bauwerke an der Thora Road waren jedoch nicht unbedingt für ihre gärtnerische Gestaltung bekannt. Diese Hecke hätte ihr eigentlich früher auffallen müssen. Andererseits — wann war sie zum
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letzten Mal diese Strecke zu Fuß gegangen? Roya trat zwei, drei Schritte von der Pflanzenwand zurück und legte den Kopf in den Nacken. Das Gebäude, das sich hinter der Hecke erhob, war im Vergleich zu den Wohntürmen linker und rechter Hand eher unauffällig. Roya schätzte die Höhe auf zweihundert, höchstens dreihundert Meter; der Grundriss musste, wenn das Gebäude auf der Rückseite genauso gestaltet war wie an der Front, sechseckig sein. Merkwürdig waren die Fenster, weil sie wie Schießscharten in vorsintflutlichen Burgen wirkten, schmal und hochkant gestellt, keine der typisch lichtdurchfluteten Glasfronten des modernen Terrania, nicht einmal wie die neuerdings in Mode geratenen Rosettenfenster. Als Roya weiterging, öffnete sich die Hecke zu einem Eingang; der Eingang war mit einem schmiedeeisernen Gitter verschlossen. In der Mitte des Gitters hing eine Schiefertafel, auf der ein einziges Wort geschrieben stand: ESCHER. Roya rätselte für einen Moment über die Funktion des Gebäudes. Ein Wohngebäude war es wohl nicht. Ein Büro- oder Verwaltungsgebäude? Eine Fabrik? Roya probierte ihre Überlegungen aus, aber nichts passte. Sie hatte das Gefühl, als müsste sie die treffende Bezeichnung kennen, von irgendwoher, von früher vielleicht, als läge ihr die Lösung auf der Zunge, ohne ihr einzufallen. Ärgerlich. Sie ging weiter, und ein Mann kam ihr entgegen. Natürlich war die Thora Road auch um diese Zeit, tief nach Mitternacht, noch belebt. Infolgedessen waren viele Bürger von Terrania in Gegenrichtung unterwegs. Aber nur von diesem einen hatte Roya das bestimmte Gefühl, die fast schmerzhafte Gewissheit, dass er ihr entgegenkäme. Als hielte er eine Verabredung ein, die sie vergessen hatte. Sie sah es auf den ersten Blick. Der Mann war todkrank, rettungslos verloren, Roya
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hatte die Aura des Todes nicht mehr derart deutlich gespürt wie in den letzten Stunden am Bett ihres Vaters. Er ging nicht, er kämpfte sich voran, presste und schob sich mit vorgebeugtem Oberkörper durch die Luft wie durch ein gläsernes Gelee. Aufrecht musste er etwas größer sein als Roya, irgendwas unter zwei Metern, vielleicht 1,85 oder 1,90 Meter. Aber durch seinen eingefallenen Gang reichte er ihr kaum bis zum Kinn. Das tiefschwarze Haar war ausgedünnt, vom Alter oder von einer Krankheit. Die Haut sah entfärbt aus, pergamentartig zerknittert. Er trug ein blassgrünes Kleid, einfach geschnitten, das ihm bis zu den Fußknöcheln reichte und in Hüfthöhe von einem wulstigen Gürtel gebunden war. Der Stoff war mit Zeichen versehen, die Roya nicht zuordnen konnte: Hieroglyphen, Ziffernfolgen und Gleichungen, vielleicht die technische Zeichnung einer Maschine. Von allem etwas. Seine ganze Erscheinung schien nicht hiesig. In Terrania lebten über einhundert Millionen Intelligenzwesen, überwiegend Terraner oder andere Lemurerabkömmlinge, aber auch etliche hunderttausend Fremdwesen. Jederzeit wogten Wellen und Gegenwellen von Moden und Gebräuchen durch die Stadt; niemand wunderte sich, wenn Jugendliche nach der Art der frühen Kosmischen Hansezeit gekleidet waren, technoiden Flitter wie aus den Basaren der Hamamesch trugen oder Hemden und Hosen in aphilischer Schlichtheit. Roya sah jeden Tag Neues, Ungesehenes. Aber das Kleid des Todkranken war anders: martialisch, herrisch, von einer unbestimmten Militanz. Sein Anblick fesselte Roya, sie fühlt sich zugleich abgestoßen und angezogen. Für einen Moment überlegte Roya, ob die Kleidung des Fremden aus einem der illegalen hypnosuggestiven Stoffe geschnitten war oder mit synthetischen Sexuallockstoffen getränkt, Sex-Suits, wie sie viele ältere Männer in Terrania trugen. Jedenfalls fühlte sich Roya von diesem Kleid gemeint.
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Unwillig schüttelte sie den Kopf. Bei vielen Schizophrenien empfanden sich die Kranken von allen möglichen Dingen gemeint, sie glaubten, jedes Gespräch, das Unbekannte führten, gelte ihnen; der Nachrichtensprecher im Holotrivid mache sich über sie lustig; die aufsteigenden Raumschiffe würden sie ortungstechnisch erfassen, scannen, verfolgen. Als er sie passierte - warum hatte sie angehalten? -, schaute er zur Seite und hoch in ihre Augen. Sie bemerkte, dass auch seine Iris fremdartig gefärbt war, wie eine Scheibe poliertes Messing, voller Reflexe. Und er roch. Darienne Roya!, hörte sie ihn sagen, als er einen Schritt an ihr vorüber war. Roya fuhr herum, aber der Todkranke war schon merkwürdig weit entfernt, verschwand in der Menge der Spaziergänger dieser späten Nacht. Es ist genug, entschied sie, ich werde mich in Behandlung begeben. Bei der nächsten Gelegenheit nahm sie einen Lift und fuhr in den nächsten Bahnhof der Magnettunnelbahn hinab. Sie stieg in eine Expresslinie, die unter dem Edsengol nach Norden, nach Sirius River City flitzte, wo ihr Wohnturm stand. Zuhause nahm sie den Turbolift in die 62. Etage; sie spürte, wie der Lift verzögerte, aus der Röhre heraus und in den Korridor zu ihrer Wohnung glitt. Sie stieg aus, parkte die Kabine und klatschte das Licht an. Die Schuhe schleuderte sie in die Reinigungsautomaten; die Wohnungspositronik hatte den Bodenbelag auf Gras geschaltet. Barfuß schlenderte sie zur Kontaktbox. Vier Angebote lagen vor; drei der Männer erlaubten ihr ausdrücklich, auch spät in der Nacht oder am frühen Morgen noch Antwort zu geben, und einer von ihnen, Elischa, prahlte damit, er habe sich bereits drei Tage für sie aufgehoben. »Mönchische Askese«, murmelte Roya. Sie kannte alle vier Männer von gelegentlichen gemeinsamen Nächten, aber heute war ihr nicht danach. Auf der Couch aß sie einen Happen; sie gab Anweisung, im Trivid alle Kanäle zu
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meiden, die über die Terminale Kolonne und regierungsamtliche Stellungsnahmen berichteten, und schaute eine UraltKomödie aus dem frühen 2. Jahrhundert an, eine Sitcom mit dem Titel »Die Komische Hanse«. Haha. Natürlich spielte auch eine Art Perry Rhodan mit. In der Sitcom hieß er »Pekki Radon«, hielt ständig eine Art Straußenei in der Hand und teleportierte damit hin und her und in die verrücktesten, frivolsten Situationen. Mäßig lustig. Roya schlief ein. Die Positronik schickte ihr den Hausrobot, der sie hochhob und in die Liegesenke trug. Dort entkleidete und reinigte er sie behutsam, ohne sie zu wecken. Augen auf! Am anderen Morgen erwachte sie spät; ein Hauch aus einer Bettdüse kühlte sie. Wahrscheinlich hatte sie im Schlaf stark transpiriert, und die Positronik hatte auf diese Weise den Schweiß verdunsten lassen. Aus irgendeinem Grund scheute sie davor zurück, die Medoeinheit des Wohnturmes zu konsultieren. Darienne Roya trödelte. Nach dem Frühstück betrat sie vom Wohnzimmer aus die Liftkabine und nannte ihr Ziel. Die Kabine glitt den Korridor entlang zum Verteilerschacht, fädelte sich ein und sank nach unten. Die Kabine hielt wenige Stockwerke tiefer. Royas Wohnturm war ein F-förmiges Bauwerk, knapp 500 Meter hoch; die obere der beiden mächtigen Horizontalstreben ragte 300 Meter, die untere 200 Meter waagerecht in den Raum. Die Wohnareale waren im Stamm des Gebäudes untergebracht; in den Streben befanden sich Läden, Restaurants, Büros, Hallenbäder und Sportplätze. Der Boden in der untersten Etage der Streben bestand vollständig aus Glassit; wer hier ging, hatte das Gefühl, über den Tiefen von Sirius River City und durch den Himmel zu spazieren.
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Die beiden Streben kreisten langsam und nicht ganz synchron um den Turmstamm. Wenn sie nach Osten zeigten, konnte man dem Flusslauf des Sirius River folgen; zeigten sie nach Westen, sah man den glitzernden Verkehr auf allen Etagen des Edsengol-Bogens. Roya ging eine Weile über den Glassitboden der unteren Strebe. Die Straßen von Sirius River City waren jetzt, am frühen Mittag, quirlig von Verkehr, Warenlieferungen, Geschäftigkeit. Keine Spur davon, dass sich die Stadt, das ganze Sonnensystem im Krieg befand. Unter Umständen war die Bedrohung durch die Terminale Kolonne zu übermächtig, zu ungeheuerlich, um persönlich genommen zu werden. Vielleicht war die ganze Globistenbewegung auch ein Versuch, die Front näher zu holen und das, was sich an der äußersten technischen Haut des Solsystems, am TERRANOVA-Schirm, ab- spielte, am eigenen Leibe zu verspüren und ihm so Realität zu verleihen Aber wie man hörte, zerriss sogar das feine Gewebe der Realität unter den Potenzialwerfern der Traitanks. Aus ihren Fetzen formierten sich Pararealitäten, eine Art dunkler Tagtraum des Universums. Sollte das begreifen, wer konnte. Dort unten wimmelte der Alltag. Vielleicht hofften die Bürger von Terrania, den Alltag zu ihrer Festung zu machen, zu einem Bollwerk, uneinnehmbar selbst für die Waffen Traitors, die für Roya klangen, als' wären sie die Erfindungen eines Zukunftsromanciers. Sie beendete ihren Gang und fuhr mit dem Lift nach unten. Sie bestellte kein Taxi, sondern zuckelte auf einem Laufband südwärts. Bis zu ihrer Vorlesung war noch genug Zeit. Nach einigen Kilometern überquerte sie den Sirius River und schlenderte auf den Platz der Hundertsonnenwelt. Der Platz war ein ovales Areal von über drei Kilometern Länge. In seiner Mitte erhoben sich die sechs Halbkugeln des örtlichen Plasmakommandanten, den die Bürger von Terrania als Plato kannten. Der Kommandant residierte seit dem Jahr 1304
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Neuer Galaktischer Zeitrechnung auf jenem Platz, als sein von SEELENQUELL manipulierter Fragmentraumer abgeschossen worden war. Hunderte von Posbis wuselten über den Platz und missionierten, wie Royas Studenten spöttelten. Einige Kinder spielten mit einem dutzendarmigen Posbi ein Ballspiel; Roya hörte einen Passanten mit einem anderen Roboter über psychoanalytischhinduistische Grenzfragen debattieren. Ein Posbi in atavistischem Blech-Design rollte auf seinen Ketten in Richtung Roya, hielt sich verschwörerisch eine pfannenwenderähnliche Hand vor das Sprachgitter und raunte: »He, psst, bist du wahres Leben?« »Nein«, antwortete sie und fragte zurück: »Und du?« »Das will ich meinen!« »Beweis es mir!« Der Kopf des Posbis, der einem verbeulten Kessel mit ausgestanzten Augenöffnungen glich, begann zu rauchen, pfiff und explodierte dann. Die Trümmer segelten behaglich durch die Luft und manövrierten so, dass niemand verletzt wurde. Einige Zuschauer in der Nähe, die das kurze Gespräch verfolgt hatten, lachten und klatschten Beifall. Die Trümmer des Kopfes landeten scheppernd auf dem Boden, hüpften auf den Posbi zu, kletterten über den Torso hoch bis zum Hals und setzten sich dort wieder wie ein Puzzle aus Metall zusammen. Aus dem Sprachgitter hörte Roya: »Entschuldigung. Mir raucht der Kopf. Wie lautete doch gleich die Frage?« Sie winkte ab. In der Nähe befand sich ein Magnetbahnhof; sie fuhr nach unten und nahm ihre Bahn, um einige Minuten später auf der Thora Road wieder auszusteigen. Sie musste die falsche Haltestelle gewählt haben. Verärgert schaute sie sich um. Das war nicht Universität Westwest. Sie versuchte, sich zu orientieren. Diese schmalen, nachtdunklen Hochhäuser hatte sie noch nie gesehen, die dort wie zwei überlebensgroße Dominosteine standen. Über die Fassade liefen vertikale Wellen,
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stiegen aus Bodennähe auf und wanderten nach oben. Die beiden Bauwerke waren keine Giganten, vielleicht erreichten sie zweihundert oder zweihundertfünfzig Meter Höhe; gegen ihre Nachbarn wirkten sie eher niedrig. Aber sie zogen Royas ganze Aufmerksamkeit auf sich wegen einer architektonischen Besonderheit. Etwa im oberen Fünftel der Bauwerke gabelten sie sich und bildeten ein hoch gestelltes Oval. Das Oval war mit einer Art Haut verkleidet, einem hellbraunen, schrundigen Tuch. Während Roya dastand, hoben sich die Tücher in den beiden Hochhäusern gleichzeitig und gaben jedes ein gewaltiges Auge frei. Die Iris dieser zwei Augen war messingfarben; die Pupille verengte sich zunächst rasch und weitete sich dann langsam wieder aus, als müsste sie sich an das Licht der Sonne gewöhnen. Roya stand gebannt. Eher nebenbei wurde ihr bewusst, dass sie die Gebäudezeilen links und rechts der Zwillingsgebäude durchaus kannte. Links stand wie eh und je das Handelskonsulat eines Springerkonsortiums, rechts der edle Doppelhelix-Wolkenkratzer, in dem sich die erfolgreichste ferronische Public Relation-Agentur des Sonnensystems niedergelassen hatte. Nur die Zwillinge waren neu. Über Nacht erschienen. Roya beobachtete die beiden Augen hoch über ihn Synchron wischten die mächtigen Lidlappen darüber, hoben sich erneut. Die Augen starrten in unbestimmte Ferne. Roya bemerkte, dass es selbst im Erdgeschoss keine sichtbaren Öffnungen gab, weder Fenster noch Eingang. Vor den beiden Gebäuden erstreckte sich ein begrüntes Gelände. Roya sah etwas genauer hin. Das Gelände war nicht ganz eben, sondern durchfurcht, und die Furchen waren umso tiefer, die aufgeschütteten Brocken Erdreich umso höher, je näher das Gelände an den Bauwerken lag. An der Mauer lagen die Schollen meterhoch gehäuft. Das Ganze sah aus, als hätten sich die beiden Gebäude
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über Nacht aus dem Inneren der Erde nach oben geschoben. Roya blickte zurück nach oben. Wieder fuhren die Lider hinab, hoben sich wieder. Dann senkten sich die Blicke des Augenpaars und fokussierten sich. Auf Roya. Roya zögerte nur einen Moment, dann machte sie kehrt und ging mit langen Schritten zurück in Richtung Turbolift zum Magnetbahnhof. Eine Stadt ist doch kein Palimpsest Sie fühlte sich unwohl und wies per Kom aus der Magnetbahn die Institutspositronik an, die aktuelle Sitzung mit einer Lehrkonserve zu bestreiten. Jeder Mitarbeiter der Universität hatte einige Vorlesungen, Übungen oder Seminarsitzungen vorbereitet, die er von einem holografischen Avatar halten lassen konnte. Die Institutspositronik schaltete sich mit ihrer künstlichen Intelligenz ein, wenn die Gespräche komplexer wurden und über das präparierte Material hinausgingen. Auch das Bogenschützentraining sagte sie ab. Roya fuhr fast eine Stunde ziellos durch die Unterwelt der Stadt. Als sie ausstieg, fand sie sich auf der Deneb Line wieder, in der Nähe des Residenzparks. Sie entschloss sich, eines der Bürgerzentren an der Solaren Residenz aufzusuchen. Im Park befragte sie eine Infodrohne; das Gerät schlug ihr vor, den ArchitekturPavillon im Alpenwaldterrain aufzusuchen. Roya kannte sich im Park nicht aus, normalerweise mied sie das geografische Umfeld der Aborigines. Die Drohne deutete ihr Zögern richtig und schleuste ein noch kleineres Gerät aus, das grün blinkte, in langsamem Takt »Bitte folgen« piepste und losflog. Das Lichtbällchen führte Roya durch den Park. Sie schritten durch eine Allee von Tamarinden; an einer Terrasse vorbei, auf denen immergrüne Zimtbäume standen und Zitronenbäume rosa blühten; kleine Schwebeschalen boten aufgeschnittene Orangen und Filetstücke an, die herbsüß
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dufteten. Es war alles wunderschön. Fast konnte man vergessen, dass man über ein Terrain flanierte, auf dem Zehntausende elend verreckt waren. Vor einem halben Jahrhundert war der Zentralbereich von Antares City durch den Angriff der Kosmischen Fabrik WAVE zerstört worden, das HQ Hanse und praktisch die gesamte politische Elite der LFT hatten dabei den Tod gefunden. Niemand hatte es für angemessen gehalten, diesen Stadtteil wieder aufzubauen. Stattdessen war an seiner Stelle ein Park entstanden mit einem See, über dem der neue Regierungssitz schwebte, die Solare Residenz. Roya verscheuchte die Schalen mit einem Wink. Über allem hing die Residenz und warf ihren kühlen Schatten in den Tag. Das Lichtbällchen führte Roya in ein Waldareal. Ein paar Rehe und Kängurus knusperten einträchtig nebeneinander an den Blättern. »Voilà«, flüsterte das Lichtbällchen und erlosch. Vor Roya erhob sich der Pavillon, der einer weit geöffneten Muschel ähnelte und völlig transparent war. Roya konnte schon von außen etliche der ausgestellten Holografien sehen. Sie trat ein und orientierte sich. Die Auskunftsstelle befand sich im dritten Stock. Im Vorübergehen erkannte sie etliche Gebäude Terranias wie den TLDTower und das Lemuria-Museum, aber auch historische Bauwerke wie den Eiffelturm, eine aztekische Stufenpyramide oder den Hof der Säulen aus der Stahlfestung Titan. »Kann ich dir behilflich sein?« Ein walzenförmiger Roboter war auf Raupen neben sie geglitten; sein Kopf pendelte hoch auf einem teleskopartigen Hals; er trug das Gesicht eines jungen, pausbäckigen Terraners mit goldenen Locken. Wie ein Putto, dachte Roya, eine dieser kindischen Engelsfiguren auf barocken Bildern... »Ich brauche eine Auskunft über einige Gebäude am Südrand von MonggonWest.«
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»Bitte. Hast du eine Bildaufzeichnung? Oh, dann schildere sie mir einfach.« »Das eine Gebäude ist unauffällig; es befindet sich auf der Thora Road, hinter einer Hecke; am Tor steht der Name ESCHER.« »Hier ist leider keine Auskunft verfügbar«, erklärte der Roboter mit einem zuckrigen Lächeln. Roya spürte Ärger in sich aufsteigen und atmete durch. »Das andere Gebäude befindet sich zwischen dem MehandorHandelskonsulat und einer Ferronenniederlassung, ebenfalls auf der Thora Road. Es ist ein Zwillingsturm mit einem auffälligen Aufsatz - zwei Augen.« »Zwei Augen?«, fragte der Roboter nach. »Zwei Augen, die mich - die den Betrachter fixieren.« Der Roboter pendelte mit dem Kopf. »An der Position, die du angibst, befindet sich ein einzelnes Kuppelbauwerk, der Venustouristik-Dom. Augen sind dort meines Wissens nicht installiert. Wenigstens nicht im Augenblick!« Der Roboter lachte schallend über sein Wortspiel. »Zwei Augen, wie aus Messing«, unterbrach sie ihn. »Sehen wir uns das einmal an«, schlug der Roboter von »Machen wir einen Lokaltermin?« »Bedaure, meine Aufgabe erlaubt mir das nicht und ...« »Du bist doch gewiss nicht auf einen Ortswechsel angewiesen«, bat sie ebenso zuckersüß wie sie das Aussehen des Roboters empfand. »Wie recht du hast. Ich hab gerade ein paar Kameradrohnen rübergeschickt. - Bitte warten. - Bitte warten. - So. Nein, von Augen keine Spur. Willst du selbst sehen?« Roya nickte. Ein winziger Holoprojektor in der Stirn des Roboters warf ein Bild in den Raum. Roya blickte auf das Gebäude, das ihr tatsächlich vertraut vorkam. Sie sah einen Dom, auf dessen Oberfläche sich eine Urlaubsszene abspielte: Einige Touristen betrachteten aus einem offenen Gleiter heraus, wie eine schillernde Riesenqualle auf der Oberfläche des Meers
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erschien. Das Tier musste einen Durchmesser von mehreren Kilometern haben; der Gleiter wirkte winzig dagegen; langsam trieb die Qualle auf die Rückseite des Bauwerks. Ein Schriftzug wurde im Meer sichtbar: Der Venus-Ozean - näher können die Wunder des Universums nicht liegen. »Ist das eine Live-Übertragung?«, fragte Roya nach. »Du siehst, wie das Gebäude gegenwärtig aussieht, in der Tat«, bestätigte der Roboter. »Ein Turm, wie du ihn beschreibst, existiert dort nicht.« »Aber ich habe die Türme gesehen!« »Das überrascht mich insofern, als Dinge, die nicht existieren, für gewöhnlich keine elektromagnetischen Wellen aussenden und infolgedessen unsichtbar sind«, dozierte die Maschine. Roya dachte nach. »Gut«, sagte sie dann barsch, »ich gebe dir eine genauere Beschreibung der Türme mit den Augen, und du schaust nach, ob es dieses oder ein derartiges Gebäude irgendwo in Terrania gibt oder gab oder ob etwas in dieser Form geplant ist. Hier oder auf Terra oder im Sol-System oder im Bereich der Ligawelten. Oder in Gruelfin oder am Rand der Großen Leere. Mach dich an die Arbeit.« »Kann aber ein paar Zehntelsekunden dauern«, warnte sie der Roboter gleichmütig mit seinem zuckersüßen Kunstlächeln. »Es sind auch nicht alle Daten der entsprechenden Galaxien in aktualisierter ...« »Geschenkt«, unterbrach ihn Roya. »Mach dich an die Arbeit.« »Dialogisieren und recherchieren sind zwei von zahlreichen zeitgleich bewältigbaren Funktionen. Das Ergebnis liegt längst vor. Fehlanzeige allerorten.« Es klang befriedigt. »Gibt es irgendeine vernünftige Erklärung, warum zwei Gebäude an ein und demselben Ort stehen können sollten?« »Natürlich nicht. Eine Stadt ist doch kein Pergament, das abgeschabt und neu beschriftet wird.« »Du meinst ein Palimpsest.«
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»Selbstverständlich. Dieser Terminus ist allerdings nicht als besucherfreundlich kodiert. Du stellst mithin eine Ausnahme dar.« »Mit ultraviolettem Licht kann man bei einem Palimpsest den ursprünglichen Text wieder lesbar machen«, murmelte Roya. »Gibt es eine Möglichkeit ...« »Nein«, unterbrach sie der Roboter, unwillig, wie es schien. »Wie ich bereits erklärte, ist eine Stadt eben kein Palimpsest.« »Was habe ich denn dann gesehen?« »Organische Bewusstseinsträger wie das menschliche Gehirn leiden gelegentlich unter endogen verursachten Halluzinationen; hole hierzu den Rat eines Experten im Bereich Psychopathologie ein. Die Heilchancen sind gut, soweit es meine Datenbanken zulassen, eine solche Aussage zu extrapolieren. Du kannst mir vertrauen.« »Du bist mir ein großer Trost«, sagte Roya. Das Gesicht des Roboters lächelte demütig. »Ich tue, was ich kann.« * In ihrer Wohnung schaute sie zuerst in die Kontaktbox. Es lagen nun fünf Angebote vor. Roya ließ die Lotterie entscheiden. Sie rief Elischa an; der aber ließ sich über sein Kontakthologramm entschuldigen. Sie löschte Elischas Eintrag und setzte die Lotterie erneut in Gang. Das Los fiel auf Unkas Fankor, einen ehemaligen Kollegen aus der Universität, der an die WaringerAkademie gewechselt war. Er musste einen Termin für sie umlegen, tat es und war nach einer Stunde bei ihr. »Lange nicht gesehen«, begrüßte er sie. »Hast du Pläne, irgendetwas Romantisches, oder tun wir es sofort?« Sie taten es sofort; als er sie fragte, ob sie heute besondere Wünsche hätte, bat sie: »Schließ deine Augen.« »Ich schließe meine Augen, damit du was mit mir machst?« »Nur die üblichen Verfahren, bitte, aber mit geschlossenen Augen.«
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»Was immer du dir ausdenkst«, murmelte er, schön, mit ihr verschmolzen. Viel hatte sie sich nicht versprochen, und mehr, als sie sich versprochen hatte, hielt er nicht. Gegen 18.00 Uhr - der Mond stand schmal, fast elend am Himmel über Terrania - ließ sie die Positronik herumfragen, ob ihre Studenten Zeit und Lust auf eine Seminarsitzung hatten. Die Anzahl der Zustimmungen überraschte sie. Sie legte das Treffen auf 19.00 Uhr fest; so knapp, damit ihr keine Zeit bliebe, den Feuerbrunnen anzuschauen, das Haus hinter der Hecke, die Neubauten. Eine Stadt ist doch kein Palimpsest, ermahnte sie sich. * Roya setzte sich in den Kreis ihrer Studenten. Sieben oder acht von ihnen waren persönlich anwesend; drei holografisch zugeschaltet. Die Positronik hatte deren Projektionen ein wenig blau getönt, um Roya die Unterscheidung zu erleichtern. Royas Fachgebiet waren mathematischkulturelle Grenzphänomene. Sie begann: »Bei unserem letzten Treffen haben wir uns über die Wieferich-Primzahlen unterhalten, von denen bislang nur zwei entdeckt worden sind, und über Primzahlzwillinge. Heute möchte ich mit euch über befreundete und über vollkommene Zahlen sprechen.« Sie räusperte sich. »Als man den altterranischen Philosophen Pythagoras fragte, wie er den Begriff Freund definiere, antwortete er: Einer, der ein anderes Ich ist, wie 220 und 284. Nun, wie kam er darauf? Zerlegt man 284 in ihre echten Teiler und addiert man diese, also 1 plus 2 plus 4 plus 71 plus 142, dann erhält man 220.« Die Raumpositronik projizierte die Zahlenreihe, wie Roya sie diktierte, in die Luft. »Zerlegt man wiederum die 220 in ihre echten Teiler und zählt diese zusammen, dann ergibt sich 284. Die eine Zahl ist, so Pythagoras, das Ich der
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anderen. Die 220 ist mit der 284 befreundet.« Anschließend erläuterte sie den Satz von Thabit Ibn Qurra mit seiner Eulerschen Erweiterung und ließ ihre Studenten damit einige befreundete Zahlenpaare finden. Sie kamen so rasch voran, dass Roya entschied, auch das andere Phänomen vorzustellen. »Warum hat Gott nach alten Legenden die Welt ausgerechnet in sechs Tagen erschaffen? Weil die Sechs eine vollkommene Zahl ist. Und zwar die erste vollkommene Zahl. Vollkommen oder perfekt nennt man eine Zahl, wenn sie genauso groß ist wie die Summe ihrer echten Teiler. 6 lässt sich durch 1, 2 und 3 teilen. 1 plus 2 plus 3 ist 6. Aus der mittelalterlichen Literatur sind uns Gedichte bekannt, die aus sechs mal sechs Versen bestehen. Alkuin beispielsweise ...« Während sie referierte, dachte sie: Was für eine Zahl bin denn ich? Eine defekte Zahl? Immigranten In den nächsten Tagen entdeckte Darienne Roya etliche neue Gebäude und bemerkte den Verlust anderer Neubauten, die sich demnach nur einige Stunden in der Stadt gehalten hatten. Einmal steckten in einem Gelände, auf dem bis zum Vortag eine glitzernde Einkaufspassage gestanden hatte, Hochhäuser, Hunderte Meter hoch, schräg gestellt, mit gezackten Fronten, fischbeinbleich. Wie Harpunen, aus einer anderen Welt in diese geschleudert. Wehrkirchen tauchten hier und da auf, wuchtige, stark befestigte Bauwerke mit überlangen, ultraschmalen Scharten anstelle der Fenster. Über ihren Türmen wehte eine Hunderte von Metern lange holografische Flagge, in der sich diffuse Schlachtszenen abspielten. An einem Tag dominierten marmorweiße Klötze, die von unregelmäßigen Rohrsystemen überzogen waren wie von eisernem Efeu. Aus den Riesenwürfeln stampfte und ächzte es, als kämpften monströse Maschinen um ihr Leben.
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Für einige Augenblicke war einmal die ganze ursprüngliche Bebauung von SüdGoshun verschwunden, ersetzt durch mobile Hallen, urweltlichen Schildkrötenpanzern gleich, die über eine öde Ebene krochen - Kolosse, die das Geröll einer Trümmerlandschaft ästen. In der ersten Zeit speicherte Roya alles, was sie sah, mit Bildaufzeichnungsgeräten. Sie trug die Filme zum walzenförmigen Roboter, der in der Glasmuschel im Residenzpark Dienst tat, und spielte sie ihm in dessen Holokubus vor. »Das sind hervorragend gemachte Simulationen«, lobte er und strahlte Roya mit seinem engelsgleichen Gesicht an. »Es sind keine Simulationen, Modellbauten oder sonst was«, erklärte Roya müde, »es ist die Realität.« Der Roboter lächelte gequält. »Warte ein Momentchen.« Er schickte wieder eine Drohne los und befand kurz darauf, die Wirklichkeit sei offenbar eine andere. »Es tut mir leid, Bürgerin Darienne Roya. Habe ich deine Aufmerksamkeit schon auf den exzellenten psychopathologischen Dienst der Universitätsklinik von Terrania gelenkt? Wenn du willst, verabrede ich dort einen Termin für dich.« Roya versuchte fortan, die Veränderungen einfach hinzunehmen. Sie ging stumm vorüber an den bebauten Brücken, die über sich plötzlich öffnende, abgrundtiefe Erdspalten führten; an den Pyramiden mit den steilen Stufen, von denen humanoide Körper stürzten, deren Arme und Beine wie leblose Anhängsel wirbelten. Auf dem Plateau der Pyramiden reckten blutbeschmierte Priester in Federntracht ihre Hände hoch, in denen rostrote Zellklumpen pulsierten. Roya sah turmhohe Gestänge, darin schwangen Käfige voller Kreaturen, die ... Sie ging weiter, vorüber, mit geneigtem Kopf, schloss die Augen. Das ganze Stadtbild war ins Rutschen geraten. So, dachte Roya, sollten Städte nicht sein. Städte sollten stabil sein, verlässlich, sichere Herbergen, vertrautes Terrain. Terrania verlor all diese Eigenschaften.
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Roya schien es, als ob die ganze Stadt sich immer weiter in das Spielfeld eines übernatürlichen Spiels verwandelte. Wahnsinnig gewordene Götter setzten ihre Figuren, verschoben und schlugen sie nach Regeln, die unbegreiflich waren; spielten stumm, verbissen, erbarmungslos. Andererseits wiesen die Bauwerke selbst gar nichts Göttliches auf. Alle Bauwerke entsprangen Architekturen, die - wenn sie auch in keinster Weise terranisch waren eine Art Menschenmaß wahrten. Viele hätten auf Kolonialplaneten der Menschheit stehen können, auf entlegenen Welten der Milchstraße, auf Planeten fremder Sterneninseln. Sie hätten überall stehen können. Nur nicht in Terrania. * Es war am Sonntag, dem 15. August, als die Mutation der Stadt eine andere Dimension annahm. Nach Royas Beobachtungen gab es Stadtbezirke, die sich gegen die Veränderungen resistenter zeigten als andere. Eine dieser widerstandsfähigeren Zonen war der Virgo-Boulevard. Der Boulevard tangierte Sirius River City im Norden; er führte westwärts in Richtung Ganaru und ostwärts in Richtung Crest Lake City. Roya hatte die schlichte, sachliche Eleganz des Boulevards immer gemocht. Banken, ein Whistler-Outlet, Bekleidungsgeschäfte, eine Filiale von Zarathustras Magic Carpet Restaurant, in dem man auf fliegenden Teppichen speisen konnte. Eine Agentur, die private Raumyachten für interstellare Reisen vermittelte, warb mit sensationell günstigen Sätzen. Doch seit den Angriffen TRAITORS waren private interstellare Reisen praktisch auf null zurückgegangen. Es bestand jederzeit die Gefahr eines Durchbruchs der anrennenden Traitanks, überdies das Risiko, mit seiner Raumyacht in eine Exklave der sogenannten Pararealitäten zu geraten, die im Zuge des hyperenergetischen Duells zwischen den Potenzialwerfern der Traitanks und dem
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TERRANOVA-Schirm aufgeworfen wurden. Roya hatte in den letzten Tagen immer wieder überlegt, ob das, was sie erlebte, vielleicht ein Ausläufer dieser Pararealitäten waren. Sie hatte Unkas Fankor gebeten, sich über dieses Phänomen zu informieren, und er hatte versprochen, ihr am Abend die Ergebnisse seiner Recherchen mitzuteilen. Roya flanierte. Sie blieb an der Holowelt eines Innenarchitekten stehen, in dem einige seiner Kreationen vorgeführt wurden. Der Architekt hatte offenbar nicht nur auf Terra, Venus und Ferrol gearbeitet, sondern auch für einen Haluter. Einige Betrachter lachten auf, als das HaluterDesign erschien. Im Mittelpunkt der Wohnwelt dieser vierarmigen Giganten stand ein kolossaler Kühlschrank aus blaugrauem Kristall, ein phantastischer Eispalast in Form eines romantischen europäischen Bergschlosses. Roya wandte sich ab und ging weiter. Vor ihr war ein Engpass, ein Gedränge. Etliche Menschen bewegten sich nicht mehr mit im Strom der Passanten, sondern waren stehen geblieben. Als Roya näher kam, sah sie, dass diese Leute alle alt waren, uralt sogar, greise. Letzte Haarsträhnen hingen ihnen im Nacken und über die aschfahlen Gesichter. Die Alten hielten einander im Arm, zitterten wie im Frost, stampften mit den Füßen, strauchelten, richteten sich auf. Der ganze Haufen - zehn, fünfzehn Mann trippelte im Kreis und wirkte völlig desorientiert. Roya fragte sich, warum die Drohnen, die durch die Straßen schwirrten, den Alten noch keine Polizeiambulanz zu Hilfe geschickt hatten. Vielleicht, weil sie den Zustand der Gruppe, ihre Verwirrtheit nicht deuten konnten? Aber die menschlichen Passanten hätten immerhin eingreifen können. Wahrscheinlich forderte der Stress der Belagerung doch seinen Tribut. Roya aktivierte ihr Kom und bat um medizinische Unterstützung.
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Die Alten drehten sich im Kreis, blinzelten und lallten etwas. Da Roya bei der Gruppe stehen geblieben war, dachten die anderen Passanten wohl, sie habe auch die Verantwortung für die Alten übernommen, und kümmerten sich nicht weiter um den Haufen. Da schwebte auch schon die Ambulanz heran. »Bürgerin Darienne Roya. Du hast uns angefordert. Wie können wir dir behilflich sein?« »Mir? Danke, ich komme klar. Aber ihr könntet den alten Herren helfen, zurück in ihr - ich weiß nicht, in ihre Wohnung oder in ihr Sanatorium ... «. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die alten Männer gleich gekleidet waren. Sie trugen zerschlissene Kleider, fadenscheinig, voller Moder. »Wer«, erkundigte sieh der Ambulanzroboter, der sich in Augenhöhe Royas langsam um die eigene Achse drehte, »sollte unseren Beistand brauchen, Bürgerin?« »Diese da. Die zum Beispiel!«, schrie Roya. Erst jetzt blieben einige Passanten stehen und starrten Roya an. »Fühlt sich jemand von euch unwohl, Bürgerinnen und Bürger, Gäste Terranias?«, fragte der Roboter in die Runde. Roya stand nahe davor, die Maschine zu schlagen. Sie tat es nicht. Die Leute um sie gingen weiter. Nur der Haufen Greise drehte sich, stolperte, brabbelte, schaute blind in den Himmel über der Stadt. »Ich vernehme gerade«, eröffnete ihr der Ambulanzroboter, »dass du dich kürzlich im Architektur-Pavillon über gewisse irreale Bauwerke beschwert hast. Sollte ein Zusammenhang zwischen diesen Phantombauwerken und den imaginären Hilfsbedürftigen bestehen?« Die Stimme war in Richtung Sorge moduliert. »Zieht ab«, beschied sie. »Ich wünsche dir gute Besserung, Bürgerin Darienne Roya!« Die Maschine drehte ab und zischte in den Himmel hoch. Roya trat näher an den Altmännerhaufen. Sie griff hinein und versuchte, einen von ihnen herauszuziehen, aber sofort hielten
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die anderen ihn fest, zerrten an ihm, umschlangen ihn. Ein merkwürdiges Aroma schlug ihr entgegen, ein völlig unpassender Geruch, der sie an gebackene Plätzchen erinnerte. Keiner der Alten blickte Roya an. »Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir?«, schrie sie in die Gruppe. Gleich darauf wurde sie selbst an den Schultern gefasst, umarmt. »Es ist gut, Mädchen, ist doch alles gut. Pscht, alles ist gut.« Roya schaute über ihre Schulter und fand sich in den pelzigen Armen einer Gataserin. Dann war der Ambulanzroboter wieder da, pendelte langsam vor Royas Gesicht und sagte: »Nun wäre es mir doch lieber, wir würden gemeinsam den einen oder anderen Scan vornehmen. Das übersteigt allerdings meine Bordmittel. Ich habe aber in einer nahe gelegenen Klinik einen Termin für uns beide arrangiert. Wie wär's, wollen wir?« Die Stimme mütterlich, warm und freundlich. Roya nickte. Die Gataserin ließ ihre Schultern los. Roya folgte dem Roboter in die Straßenmitte, wo eben ein weißer Gleiter mit einem roten Kreuz niederging. »Darienne Roya!«, hörte sie, als sie einstieg. Sie setzte sich und streckte den Kopf noch einmal aus der Tür. Der Haufen drehte sich immer noch. Keiner der Greise blickte in Richtung des Gleiters. Aber sie flüsterten völlig synchron: »Darienne Roya. Hilf uns. Wir finden nicht heraus. Befreie uns, Darienne Roya. Rette uns!« * Die Klinik ließ Roya nicht warten. Sie schilderte ihre Symptome. Die Untersuchungen waren gründlich und umfassend und nahmen mehr als zehn Minuten in Anspruch. »Alle Scans zeigen, dass dein zentrales Nervensystem inklusive Gehirn tadellos funktioniert«, verkündete die Diagnosepositronik. »Auch der biochemische Befund ist unauffällig. Kein Anzeichen für eine Sucht; keine durch
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deine Mitarbeit in der TANKSTELLE induzierte oder endogene Psychose. Du bist gesund.« Alles, nur das nicht!, dachte Roya. Ich will nicht gesund sein. Ich will an einer Bewusstseinsstörung leiden, an einer Paranoia, an einer ordentlichen Schizophrenie, an irgendetwas, was gut behandelbar ist. Die Positronik bemerkte ihr Zögern. »Wenn du es vorziehst, kann ich dir einen Gesprächstermin mit einem lebenden Arzt vermitteln. Gerne auch mit einem menschlichen.« Sie wehrte ab. »Das ist schon in Ordnung. Danke!« »Ich registriere, dass dich meine Diagnose nicht befriedigt. Pass auf, ich fülle dir eine Autoinfusion mit Haloperidol. Haloperidol ist ein stark wirksames, antikes Medikament, das schnell anflutet, wenn du es intravenös verabreichst. Haloperidol hat ein paar Nebenwirkungen. Es sediert dich. Du wirst müde. Du läufst ein bisschen rum wie ferngesteuert. Und es macht manchmal Schlundkrämpfe. Alles halb so wild, nimm das dagegen.« Die Einheit synthetisierte ein paar Tabletten und schweißte sie in eine Folie ein. Roya nahm die automatische Spitze und den Tablettenstreifen und steckte sich beides ich die Tasche. Sie bedankte sich. »Es war mir ein Vergnügen«, wisperte die Positronik. Zwischenruf Ich frage mich: Hast du etwas falsch gemacht, Darienne? Hast du bis zu diesem Zeitpunkt etwas übersehen? Eine Spur, einen Wink? Hast du etwas getan, was du nicht hättest tun sollen; oder etwas unterlassen, das, von heute aus betrachtet, unbedingt notwendig gewesen wäre? Ich glaube fast: nein. Im Gegenteil. In Anbetracht dessen, was dir widerfährt, hältst du dich tapfer. Du liegst ja nicht im Nest der großen Stadien, bei den Globisten, als eine von Millionen. Die Globisten haben dich nicht
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mehr gerufen, obwohl die Traitanks neue Angriffe geflogen haben und der Nukleus seine Körner ausgeteilt hat für seine metaphysischen Kollekten. Ich habe keinen Zweifel, dass die eine oder andere Positronik, mit der du zu tun hattest, an geeigneter Stelle eine Notiz hinterlegt hat, dich nach Möglichkeit von einem weiteren Einsatz zu diesem Zeitpunkt zu verschonen. Mit herzlichen Grüßen an den PTS, und dazu ein wenig positronisches Blabla. Nein, du bist nicht bei den vielen Millionen Helden deines Volkes. Du bist allein. Fliehen kannst du auch nicht. Der TERRANOVA-Schirm ist Schutz und Gefängnis zugleich. Aber selbst, wenn du fliehen könntest — ich glaube nicht, dass es dein Wunsch wäre, deine Option. Terrania ist immer noch deine Stadt. Hier hast du gelebt. Hier liegen deine Toten. So leicht gibst du nicht auf. Du kämpfst. Auch wenn du keine Ahnung hast, wogegen. Oder hast du schon eine Ahnung? Ahnst du, dass es nicht um dich allein geht. Nicht einmal nur um Terrania. Dass sehr viel mehr auf dem Spiel steht: Terra. Das Solsystem. Die Liga. Die ganze ... nein. Du ahnst nicht, was niemand ahnt: dass zwischen der terranischen Zivilisation und ihrem Untergang, ihrer vollständigen Auslöschung, ihrer Verwandlung in ein infernalisches Imperium nur noch eine einzige Person steht. Nämlich du, Darienne. Nur du. Tiefe Vergangenheit: Die Malerin und ihr Modell Zweite Sitzung Pri malte ihn. Die Staffelei war so aufgestellt, dass er keinen Einblick in die Fortschritte von Pris Arbeit erhielt. Er saß auf einer einfachen Antigravschale ohne Rückenlehne, den Oberkörper ein wenig nach vorn gebeugt, die Ellenbogen auf den gespreizten Knien, die Finger verschränkt. »Ich bin neugierig«, gestand er ihr.
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»Ich weiß«, entgegnete sie. »Du auch?« »Nein. Nie.« Sie tauchte das Federbüschel wieder ein und balancierte die Palette aus. Das Federbüschel sog sich voll, ein Farbton zwischen Ocker und Gold. Er fragte sich, was sie mit dieser Farbe malen würde. Pri malte nicht naturalistisch, sondern futuristisch, dachte er, ja, das wäre das zutreffende Wort. Er lächelte. Pri brummte leise, selbstversunken. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann ein Wesen zuletzt gewagt hatte, sich ihm gegenüber derart gleichgültig zu zeigen. Er ließ sie gewähren und wartete geduldig. Bald darauf löste sich Pri von der Staffelei, walzte zu ihm herüber und berührte sein Gesicht. Er schloss die Augen. Es war, als ob Kinderfinger ihn streichelten. Embryonenfinger, unbegreiflich zart und weich, ungeboren, die noch keine Welt berührt hatten. Gegen seinen Willen seufzte er leise auf; so wohl war ihm. Die blinde Malerin konzentrierte sich auf seine Mundpartie. Langsam öffnete er für sie die Lippen. Sie berührte seine Zähne, sein Zahnfleisch; seine Zungenspitze. Er schluckte. Er hatte viele Frauen, und einige besaß er mehrfach. Seine Favoritin war Keehi, die schmale, schwarze, die ihre Augen abwandte im Moment des Glanzes, der Lust. Er hatte sie wieder und wieder dupliziert. Fünf oder sechs ihrer Versionen hatte er getötet, einmal sie dabei zusehen lassen. Ihr schwarzes Gesicht war grau geworden, als sie sich sterben sah. Er hatte gelacht. Abscheuliche Verbrechen. Unsägliche Lust. Multiduplikatoren waren wunderbare Spielzeuge, genau wie Menschen. Ab und an genoss er die Zerbrechlichkeit eines Knaben oder den kräftigen Körper eines Mannes. Aber die Finger Pris erregten ihn mehr als alles andere zuvor. Dabei wusste er nur intellektuell von ihrer Weiblichkeit; er sah ihr das Geschlecht
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nicht an. Sie war zu fremd. Ihr Körper ließ ihn kalt. Ihr Fingerkranz nicht. Sie ging zur Staffelei zurück und malte wieder. Einer der Spender ächzte auf seiner Liege, atmete seufzend ein. War er eingeschlafen? Das sollte er nicht. Aus Gründen, die er nicht begriff, bestand Pri darauf, dass alle Spender bei Bewusstsein blieben. Eine Art Grausamkeit? Ein geheimer Reiz? Eine Notwendigkeit? Er konnte sich nicht in die blinde Malerin einfühlen. Er strich sich über das silberne Hemd, das er auf dem bloßen Leib trug. Der Stoff seiner Uniform war warm und geschmeidig wie Schlangenhaut. »Vielleicht würdest du mich lieber nackt malen?«, überlegte er laut. Pri gab ein Geräusch von sich, das wie Regen klang, der auf Glas klopfte. Sie lachte. »Nichts könnte nackter sein als Euer Gesicht«, sagte die Malerin. Er grinste schief. Er hatte sein Gesicht lange nicht mehr gesehen. Er wusste, wie mager und scharfkantig es war. Es strahlte von Macht. Hoher Haaransatz, das volle weiße Haar strähnig in die Stirn gekämmt. Die Malerin malte. Er blickte auf seine Brust und nahm das Ei, das er an einer Kette um den Hals trug, zwischen Daumen und Zeigefinger. Es pochte fast unmerklich. Das Ei war nicht größer als ein Fingernagel, von mattem Grün, leicht und durchsichtig wie Bernstein. Im Ei befand sich das junge Krath, die Miniatur einer Menschenhand. Er hatte das Ei gekauft. Er hatte seit ewigen Zeiten nichts mehr gekauft, weil er daran gewöhnt war, Eigentümer von allem zu sein. Ein Universum stand ihm zur Verfügung. Wir haben uns alles genommen, dachte er. Wir haben schreiende Götter aus ihren finsteren Himmeln gezerrt. Wir haben die Zeit ins Joch gespannt. Das Universum ist unser Palast. Eine Lichtwelle lief durch das Ei des Krath. Er hatte keine Ahnung, wann das
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Junge schlüpfen würde. Er hatte keine Ahnung, was es sein würde. Der fremde Raumfahrer, der es ihm verkauft hatte, hatte ihm nichts sagen wollen. »Ich kann es dir nehmen. Gleich bist du tot, nicht wahr? Ich kenne deine Physiologie nicht, aber das sind schwere Verletzungen, oder? Warum sollte ich es dir bezahlen? Ich warte, gleich bist du tot, und ich bekomme es umsonst.« »Gleich bin ich tot«, hatte der fremde Astronaut aus seinem Mund und Nebenmund geflüstert, nicht mehr ganz synchron; im Auge breitete sich schon der milchige Schleier aus. »Aber es kann nicht deins werden, wenn du es nicht kaufst!« »Was soll es kosten?« »Oh. Du wirst bezahlen«, hatte das Fremdwesen gesagt, und dann - dann hatte es ihn bei seinem Namen gerufen. Namen verliehen eine besondere Macht. Er hatte später jahrelang darüber nachgedacht, woher der schiefe Astronaut seinen Namen gekannt hatte. War er Teil eines Komplotts gewesen? War sein Name dem Astronauten von höherer Stelle verraten worden? Aber es gab in der ganzen Sterneninsel nur ein einziges Wesen, das höher war als er selbst. Wie unter Schock hatte er bezahlt. Was? Womit? Er hatte es vergessen. Der Fremde war gestorben. Nicht nur an den Verletzungen, er hatte den Tod sicherheitshalber ein wenig forciert. Wochen später hatte er sich das Ei an einer Kette um den Hals gehängt. Dort wohnte es direkt über seinem Zellaktivator. Ob der Organismus des ungeschlüpften Krath davon profitierte? »Ich muss meine Palette ergänzen«, erklärte Pri. Sie legte die Tafel ab und bewegte sich auf die Liegen zu. Er meinte zu spüren, dass die Wesen, die dort lagen, verkrampften. Pri suchte sich ein halbhumanoides Geschöpf aus, dessen Schädel schmal und sichelförmig nach hinten verlängert war, am hinteren Ende in eine hypertrophe Verdickung auslief. Eiserne Spangen hielten den Kopf in
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Position - unklar, ob es Fesseln oder Stützen waren. Pri fuhr mit einem Fingerfächer über den Leib, als sondierte sie etwas. Sie entnahm den Leibern nicht immer Blut, sondern auch andere Körperflüssigkeiten. Endlich fand sie, wonach sie gesucht hatte. Sie brachte einen anderen ihrer Arme in Position über der Leibesmitte des Halbhumanoiden. Dieser Arm war halb transparent und endete in einer knochigen Kanüle. Sie stach das Ende in den Leib des Spenders und senkte es ab wie eine Sonde. Er schaute voller Interesse zu, wie das Wesen den Mund öffnete. Seine Schreie konnte er nicht hören. Ein akustisches Dämpfungsfeld lag über dem Schädel. Pri saugte die Flüssigkeit - Blut, Lymphe, Sperma oder was auch immer - ab. Es schimmerte violett. Er wusste, dass die Flüssigkeit aus dem Kanülenarm in ein faustgroßes Organ Pris floss. Ihr PsiOrgan. Dort würde es in den anderen Stoff umgewandelt, sublimiert. Dabei würde es nur seine Farbe beibehalten. Aber es würde zu einem Stoff werden mit einer unglaublichen Fähigkeit, mit einer Eigenschaft, die sich mit keinem Mittel der Technik synthetisieren ließ. Und mit diesem Stoff auf der Palette würde Pri ein Bild malen, wie es kein anderes Wesen im bekannten Universum schaffen konnte. Ein dyesches Blutbild von ihm. Ein prophetisches Portrait. Seine Zukunft. Jetztzeit: August 1345 Was wissen wir eigentlich über Pararealität? Als sie nach Hause kam, saß Unkas Fankor in ihrem Wohnzimmer und schaute eine Talkshow an. Außerdem ließ er sich von ihrem Serviceroboter bedienen und aß Brot mit Spiegelei. Sie küsste ihn flüchtig und ging in die Hygieneeinheit ihrer Wohnung. Dort entdeckte sie ein neues Glas beim Holospiegel. Eine Nacht, und sie richten ihre Zahnbürste in deinem Leben auf wie eine Standarte. Sie wusch ihr Gesicht und
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rief ihm zu: »Was hast du über Pararealitäten herausgefunden?« Er zuckte mit den Achseln. Fankor arbeitete an der Waringer-Akademie als Professor für Low-TechÜberlichttriebwerke. Er hatte sich habilitiert mit einem damals viel beachteten Beitrag zum Thema Transitionstriebwerk; aber die von ihm entwickelten Maschinen hatten sich schließlich doch als Sackgasse entpuppt. Wie so vieles nach dem HyperimpedanzSchock. Eine Technosphäre im Schockzustand ... »Wenig. Na ja! Ich habe dir zuliebe ein wenig im HistNet recherchiert. Pararealitäten sind etwas wie die Spukschlösser der Physik. Sagt dir der Name Sato Ambush etwas? Er war eine Weile im direkten Umfeld der Unsterblichen tätig, galt bei einigen sogar selbst einmal als Kandidat für einen Zellaktivator. Sein Steckenpferd war die Pararealistik als Zweig der 5DKosmologie, und wie man hört; steht sein mysteriöses Verschwinden im Jahr 1200 ebenfalls mit Pararealitäten in Verbindung.« »Das ist mal ein echtes Aufgehen in seiner Arbeit, was?«, unterbrach sie ihn, um zu sehen, wie er reagierte. Er enttäuschte sie nicht, wedelte ungeduldig mit einer Hand. »Weiter Nach der vorherrschenden Theorie ist eine Pararealität eine Art Mikrokosmos, eine Kapsel mit einer anderen Wirklichkeit darin als der, in der du und ich leben. Wahrscheinlich werden Pararealitäten durch einen intelligenten Geist initiiert und gestaltet. Sie sind gewissermaßen Kopfgeburten, Kunstwerke. In ihnen können ganz andere Naturgesetze gelten, die Zeit kann anders verlaufen, vorwärts rückwärts seitwärts, ein Hut ein Stock ein Regenschirm, völlig verrückt eben.« »Das war's?« »Ein bisschen kommt noch«, versprach Fankor. »Du bist ein Schatz«, lobte sie. »Also drei Beispiele für Pararealitäten. Erstens. In den zwanziger Jahren des fünften Jahrhunderts trafen Terraner bei
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den vier Pforten des Loolandre der Endlosen Armada auf parareale Konstrukte. Sagt dir der Diadem-Kreuzzug etwas? Er gehörte zum Prüfungsszenario für die zweite Pforte des Loolandre. Zweitens. Ende des letzten Jahrhunderts erwuchs am Rande des Brutkosmos von Goedda eine Pararealität, eine Art Spiegelwelt. Drittens. Quintatha, eine Welt in Tradom. Eine kosmische Kuriosität, ihr Erzeuger, ein Mutant namens - ich weiß nicht mehr: Rishtyn-Joffani, Jaffami oder so - ist 1311 oder 1312, wenn ich mich nicht irre, gestorben. Alles längst vergangen. HistNet eben.« »Und die Pararealitäten, die beim Beschuss des TERRANOVA-Schirms entstehen?« »Sind die wissenschaftlich bereits gesichert?« Er klang skeptisch. »Wie groß ist die Chance, dass ich auf eine Pararealität treffe?« »Wo?« »Hier, in Terrania!« Er lachte. »Du? Hier? Wohl kaum größer, als bei der Liebeslotterie Perry Rhodan zu ziehen.« Roya lächelte schief. »Ich bin mir nicht sicher, ob der Resident bei der Lotterie mitmischt. Er hat so etwas - Reines, Puristisches. Wie Vanille.« »Ich dachte immer, du magst Vanille?« »Nur, wenn ich nichts anderes kriege. Manchmal glaube ich, Rhodan nimmt die Möglichkeiten, die die terranische Kultur bietet, gar nicht mehr wahr. Er lebt noch im 20. Jahrhundert alter Zeitrechnung, und die Leute, mit denen er sich umgibt, spielen dieses 20. Jahrhundert nach, bewusst oder unbewusst.« Fankor lachte. »Manches, was sich in den Niederungen abspielt, würde Rhodan für Pararealität halten, was?« Roya lachte ein wenig mit. »Darf ich mich jetzt ein wenig mit deinen privaten Niederungen befassen? Immerhin habe ich lange genug im HistNet und im Staub der positronischen Archive gegraben.« »Seit wann staubt es dort?«
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»Virtueller Staub. Damit es menschlicher wirkt, abgestanden, schmuddelig, du weißt schon. Und nicht so überirdisch klar und heilig.« Zur Belohnung für seine Mühe schlief sie noch einmal mit ihm, war aber nicht ganz bei der Sache, überließ sich seinen Einfällen, kaute auf dem Nagel ihres kleinen Fingers, dachte nach... Frühstücken wollte er nicht bei ihr; zum Frühstück saß er gern mit seiner Frau und seinen Kindern zusammen, plauderte, plante und besprach den vor ihnen liegenden Tag. Unkas Fankor war im Herzen eben ein Familienmensch. * Als Roya eine Stunde nach Fankor aus dem Haus trat, bemerkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte, aber sie kam nicht sofort darauf, was es war. Sie ging in Richtung der Gleitbandlinien und konzentrierte sich. Sie brauchte einige Minuten, bis sie erkannte, was anders war als sonst. Die Veränderung war weder sichtbar noch hörbar, aber sinnlich ganz präsent, sie drang in ihren Körper ein. Sie presste sich die Hand über Mund und Nase, als sie endlich verstand. Normalerweise roch Terrania auf undefinierbare Weise technisch. Trotz der vielen grünen Oasen, der Parks und der ausgiebig begrünten Veranden war Terrania ein Artefakt. Sie roch undefinierbar 'nach Kunststoffen, nach Legierungen, oft nach der erhitzten Luft, die in Brisen von den Raumhäfen durch die tiefen Straßen zog. Sie roch, wie eine Stadt riechen musste; sie besaß ein Körperaroma aus Wärme, Schweiß, Stahl und Elektrizität. Aber nicht heute. Ein eigenartiger Duft hing in der Atmosphäre. Es roch nach Muskat, mehr noch: Die ganze Luft schmeckte auf der Zunge nach diesem Gewürz - scharf, offensiv und leicht säuerlich. Als sie in der Universität eine kurze Pause nutzte, um sich über Muskat zu
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informieren, fühlte sie sich für einen Augenblick erleichtert. Denn die Positronik ihres Büros trug ihr folgendes Ergebnis vor: »Muskatnuss findet als Gewürz und färbendes Extrakt Verwendung, in manchen Subkulturen kommt es auch als Rauschmittel und Aphrodisiakum zum Einsatz. In der Küche wird vorzugsweise frisch geriebene Muskatnuss verwendet, da ihr Aroma leicht flüchtig ist. Mit Muskat gewürzt werden Kartoffelgerichte, Suppen und Feingebäck, Frikadellen, Fischragout und pikanter Quark. Vergiftungserscheinungen können bei einem erwachsenen Menschen bereits dann auftreten, wenn er vier Gramm Muskatnuss zu sich genommen hat. Typische Vergiftungserscheinungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Störungen des Gleichgewichts und Rauschzustände mit Halluzinationen.« Halluzinationen. Ich habe eine Muskatvergiftung, dachte sie und lachte. Nur eine Muskatvergiftung. Aber es war zu absurd. Wer sollte sie vergiften? Und wenn doch ganz Terrania unter diesem Muskatbeschuss lag: Warum erlitt nur sie diese Visionen? Als sie sich diese Theorie als Schlagzeile bei Schakolls vorstellte, brach sie in lautes Gelächter aus, steigerte sich in einen Lachkrampf; die Zeilen sprudelten aus ihr heraus: »Chaosmächte attackieren Terra mit altem Küchengewürz. Junge KulturMathematikerin erstes Opfer. Schakoll heute Nacht im Gespräch mit der Toten.« »Soll ich deine Bemerkungen notieren, Darienne?«, bot sich die Sekretariatsfunktion ihrer Positronik an. »Chaotarch tauscht Suppenrezepte mit dem Residenten. TRAITOR verhandelt über Herausgabe von Anis, Pfefferminz und Bohnenkraut. Einrichtung der Negasphäre mit waffenfähigem Dill verhindert.« Roya konnte sich nicht daran erinnern, je so gelacht zu haben. Sie quietschte, kreischte, ließ sich auf den Boden fallen und rollte hin und her. »Darienne? Kann ich dir assistieren?«, erkundigte sich die Positronik.
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Roya zog die Autoinfusion aus der Jackentasche und presste sie sich in die rechte Armbeuge. Das Medikament fuhr mit einem Zischen ein. Danach schluckte sie die Medikamente gegen die Nebenwirkungen. Sie wartete einige Minuten. Dann veränderte sich etwas. Der Muskatgeruch verschärfte sich. Aus fernster Ferne hörte sie ein Gemurmel, eine sterbensmüde Litanei, von der sie nur zwei Worte verstand: Darienne Roya... Nichts half... Plötzlich hätte sie es lieber gesehen, wenn Traitanks mitten in Terrania gelandet wären. Sie wäre so gerne vor Mikrobestien geflohen; sie wäre so gerne mit tausenden von Bürgern in die Tiefbunker unter der Stadt eingefahren, dabei an Soldaten der Liga vorbeigelaufen, die die Zivilisten durchgewunken und zugleich schweres Geschütz gegen die Invasoren in Stellung gebracht hätten. Stattdessen erlag sie einem Angriff von Muskatschwaden. Roya lachte wieder, bis die Tränen ihr die Wangen hinabliefen. Dann beschloss sie, ihren Vater zu besuchen. Die Lebenden sind in Terrania nur eine geduldete Minderheit In Terrania lebten 100 Millionen Menschen und andere Wesen der Galaxis und ihres näheren Umfelds. Eine weit größere Menge Lebewesen war hier begraben. Die Lebenden sind in Terrania nur eine Minderheit. Viele Millionen ruhten allein in den vielstöckigen Katakomben tief unter dem Terrania Space Port, und zwar. nicht nur Flottenangehörige. Auch außerhalb der City Limits gab es weitläufige Nekropolen; über den Crest Hills stand der Totenturm, in dem Urnen und Hirnsärge aufbewahrt wurden. In den Zeiten vor dem Hyperimpedanz-Schock war einmal jährlich eine Flotte schwimmender Särge über den GoshunSee gesegelt, mit schwarzen Segeln und Kerzen bestückt, um in der Mitte des Sees
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durch einen Torbogentransmitter zu gehen und mit unbekanntem Ziel entmaterialisiert zu werden. Roya hatte diese Zeremonie immer gemocht, so, wie hunderttausend Schaulustige auch. Die berühmte Totenregatta von Terrania. Natürlich war diese Transmitterlinie längst eingestellt. Die Toten waren wieder sesshaft geworden. Die meisten Friedhöfe waren weniger exotisch, als schlichte Landschaftsparks gestaltet und in das Stadtbild integriert Obwohl Royas Vater Flottenmitglied gewesen war, lag sein Grab nicht in den TSP-Katakomben, sondern auf dem Ichtrockne-alle-Tränen-Gelände in der Nähe des Halut-Monumentes, westlich des Edsengols. Das tausend Meter durchmessende halutische Kampfraumschiff überragte alle Bäume auf dem Friedhofsgelände wie der Globus einer Dunkelwelt. Ein Marmorbogen überspannte den Friedhofseingang, auf dem Bogen saßen oder standen einige Statuen. Ganz links hockte die Silberne Kreatur der Trauer in Gestalt eines Gatasers, der seine beiden Arme so über den schalenförmigen Schädel gelegt hatte, dass sie alle vier Augen bedeckten. Die meisten Figuren waren Roya nicht bekannt; der Humanoide, dessen Oberkörper von hinten mit einem strahlenden Pfahl durchbohrt war, stellte, wie sie gelernt hatte, Siyyid Ali da Minterol dar, den Mandi einer relativ neuen, arkonidisch-islamischen Religion. Die Arkon-Mandisten hatten besonders seit dem HyperimpedanzSchock größeren Zulauf zu verzeichnen. Diese unstillbare Sehnsucht nach Erlöserfiguren ... Wirklich vertraut waren Roya nur der goldene Buddha mit seinem zeitlosen Lächeln und die geflügelte Figur mit dem Widderhorn als Blasinstrument. Roya nahm einen Gleitstuhl, der sie lautlos durch eine Allee von Eiben ans Grab ihres Vaters brachte. Roya hockte sich hin und strich sanft durch die Erdbeersträucher, die das Grab begrenzten. Bis auf diese Sträucher war das Grab unter der Linde
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schmucklos und stumm; anders als die beiden Grüfte ihm zur Seite. Das Hologramm links zeigte einen alten, kahlköpfigen Mann, der eine Mundharmonika in den Händen hielt. Rechts schaukelte ein höchstens fünfjähriger Junge auf einem Spielthron. »Hat man euch wieder angelassen?«, begrüßte Roya die beiden. »Kostet nicht viel Strom«, sagte das Bild des Alten. »Schön, dass du mal wieder hier bist, Darienne Roya. Soll ich dir etwas vorspielen?« Er klopfte die Mundharmonika aus. »Jetzt nicht, dank dir schön«, wehrte sie ab. »Meine Eltern denken, ich habe Angst, wenn sie mich ausmachen«, warf das Bild des Kindes ein. »Dabei hast du vor gar nichts Angst, nicht wahr?« »Dabei habe ich vor gar nichts Angst«, bestätigte das Hologramm und lachte fröhlich, »ich bin doch nur ein Hologramm, Darienne Roya!« »Ich habe auch keine Angst. Zumindest habe ich lange keine Angst mehr gehabt.« »Heißt das, du hast jetzt Angst, Darienne Roya?«, fragte das Hologramm nach. Roya räusperte sich. »Ich würde gerne mit meinem Vater sprechen — wärt ihr so lieb, bitte ...« »Wir machen einen Moment zu, ist recht«, sagte der Alte. »Komm, Kleiner, lassen wir sie in Ruhe plaudern.« Die beiden Hologramme erstarrten und verblassten zugleich, bis sie nur noch schemenhaft zu sehen waren. Roya schnippte eine kleine Holzbank an, die lautlos herbeitrippelte. Roya setzte sich. »Papa«, sagte sie, »mir geht es nicht gut.. Etwas stimmt nicht mit mir. Oder mit der ganzen Welt. Was davon würdest du für wahrscheinlicher halten?« Das Grab schwieg. Sie versuchte, sich Bilder ins Gedächtnis zu rufen. Wie ihr Vater ihr seine endlosen Märchen erzählt hatte, während sie auf seinem Arm lag; wie sie einschlief und wie sie hochfuhr aus ihrem Schlaf, voller Schrecken, sie könne sich in ihren
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Träumen verirren, wie er sie tröstete, ihr ins Ohr flüsterte: Ich hab dich, ich halte dich, wie er ihr das alt-akonische Amulett mit dem Klugheitssegen zur Schulregistrierung geschenkt hatte, wie ... Aber die Bilder, die sie wollte, stellten sich nicht ein; es war, als sei sie innerlich erblindet. »Es gibt schlechte Nachrichten, Pa. Ich werde wahnsinnig. Ich muss zum Arzt. Jetzt sofort. Entschuldige!« Roya erhob sich von der Bank und marschierte los. »Wir haben nicht gelauscht«, hörte sie die kindliche Stimme ihr nachrufen. »Es ist okay«, rief sie zurück; sie dachte: Ich bewege mich unter Gespenstern und übergeschnappten Maschinen. Der Gleitstuhl holte sie ein und bat sie, Platz zu nehmen. Roya setzte sich und ließ sich zum Ausgang bringen. Noch vom Stuhl aus orderte sie ein Gleitertaxi; die Zentrale bat sie um etwa viereinhalb Minuten Geduld. Sie akzeptierte die Wartezeit und ging vor dem Friedhof auf und ab. Roya hatte nie für sich geklärt, warum sie so an ihrem Vater hing, der nicht ihr biologischer Erzeuger war. Seit sie bewusst denken konnte, war ihre größte Angst gewesen, ihn zu verlieren. Und weil in diesem Universum keine Angst unerhört blieb, verlor sie ihn. Sie war alt genug gewesen, allein am Grab zu stehen, ganz vorn. Ihre Mutter hatte sich entschuldigen lassen, sie hatte auf weiß der Teufel welcher Scheißwelt in der galaktischen Eastside zu tun. Einige Kolleginnen und Kollegen aus der Flotte waren gekommen. Darienne Roya begrub ihren Vater, und mit ihm begrub sie jede Angst. Nicht, dass sie nicht manchmal Albträume hatte, aber die Welt der Träume ist eine andere als die wirkliche. Und in der Wirklichkeit war ihr das Schlimmstmögliche längst geschehen. Sie hatte keine Angst mehr. Nie mehr, vor gar nichts. Das Taxi landete mit Schwung. Im Moment, als Roya einstieg, zerriss ein lang gezogener, heller, etwas gequetschter
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Trompetenstoß die Stille der Umgebung. Roya blickte zurück und sah die Engelsfigur auf dem Eingangsbogen aus vollen Backen blasen. Es begann zu hageln. Während die Tür des Taxis schon zuglitt, fielen einige Hagelkörner in die Fahrgastkabine des Taxis. Sie waren rot wie Rubine, schmolzen rasch und zerflossen wie Blutstropfen. Wie soll ich das noch aushalten?, fragte sie. sich. »Was hältst du von dem Wetter?«, fragte sie den robotischen Taxipiloten. »Zu warm für die Jahreszeit«, antwortete er. »Und, obwohl ich nicht auf Flüssigkeiten angewiesen bin: zu trocken.« Es war ein weiter Weg zu dir, Darienne Roya! Sie kehrte zurück an den Feuerbrunnen von Sibylsko und Kriecvert auf der Thora Road. Unter den Flammenfontänen saß ein einsamer Klarinettenspieler. Roya setzte sich mit einigem Abstand zu ihm. Der Platz um den Brunnen war leerer als sonst. Genau genommen war außer Roya und dem Klarinettisten niemand da. Der Klarinettist spielte nur für den Brunnen. Wenn man länger hinsah, wurde deutlich, dass sich die Flammen im Takt der Melodie bewegten. Ein Schlangenbeschwörer für Flammen, erkannte Roya, ein Flammenbeschwörer. Aber ist das möglich? Flammen sind taub. Folgen sie nicht nur den Bewegungen, die die Klarinette macht? Roya schüttelte den Kopf, empört über den Unsinn, den sie dachte. Sie stand auf, unschlüssig, in welche Richtung sie gehen sollte. Nach Westen? Nach Osten? Sie war von den Flammen geblendet, sah nichts, kniff die Augen zusammen. Sie wartete eine Weile. Aber sie konnte immer noch nichts sehen. Endlich begriff sie, warum. Es war Nacht geworden, und die Stadt lag restlos verdunkelt. Kein Gebäude war zu sehen, kein Fenster, kein Gleiter. Selbst die sonst allgegenwärtigen wandelnden Werbehologramme waren erloschen.
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Nur der Brunnen leuchtete. Warum war die Stadt verdunkelt? Wegen der Terminalen Kolonne? Sie räusperte sich und rief dem Klarinettenspieler zu: »Sollten wir nicht den Brunnen löschen?« Der Klarinettenspieler setzte sein Instrument ab. »Weswegen?« »Wegen der Terminalen Kolonne.« »Was soll das sein?«, fragte der Musikant. In diesem Augenblick war es, als erfahre sie eine Erleuchtung. Roya bebte. Alles war falsch. Alle Theorien, die sich bislang entwickelt hatten, alle Erklärungsversuche hatten in die falsche Richtung gezielt. Sie war stillschweigend davon ausgegangen, dass der Verfall ihrer Wirklichkeit in irgendeiner Beziehung zu TRAITOR oder ihrem Einsatz als Globistin stehen müsste. Der Klarinettist hatte ihr einen entscheidenden Hinweis gegeben. Wie sangen die Globisten, angeleitet von den Animateuren in den Stadien? »Wir kennen keinen Gegner« Das hier, wusste sie mit einem Mal, hatte gar nichts mit der Kolonne zu tun. Wir kennen keinen Gegner Roya jedenfalls kannte ihren Gegner noch nicht. Dies hier war kein Angriff der Kolonne. Dies war ihr eigener Krieg. Wo hatte er angefangen? Richtig, das ESCHERGebäude und der Fremde dort. Roya riss sich vom Brunnen los. Sie ging in Richtung . der Laufbänder und wählte das schnellste Band. Wenige Minuten später war sie angekommen. Sie stand vor der Hecke, hinter der sie das ESCHER-Gebäude wusste. Roya legte die Hand ans Gitter. Das Eisen fühlte sich kalt an. Roya drückte. Sie hatte erwartet, das Tor mit einem Quietschen aufschwingen zu hören, aber es glitt in seinen Scharnieren so schwerelos und still nach innen, als wäre es bloß eine Holografie. Roya trat ein... ... und stand vor dem Tor, die Hand am Gitter. Das Eisen fühlte sich kalt an. Roya drückte. Ohne ein Geräusch, schwebend
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und widerstandslos glitt das Tor zurück, Roya trat ein... ... und stand vor dem Tor, die Hand am Gitter. Das Eisen fühlte sich kalt an. »Das ist ziemlich frustrierend, nicht wahr, Darienne Roya?« Roya sah sich um. Es war noch dunkler geworden. Ganz Terrania war in Finsternis versunken wie ein schwerer Stein in den Fluten. Nur der Feuerbrunnen flackerte fern und winzig. Die Stimme kam aus der anderen, der restlos dunklen Richtung. »Ich habe es auch schon einige Male versucht«, hörte sie. »Die Tür steht mir zwar offen, aber ich komme einfach nicht hindurch. Der Eingang ist mit dem Ausgang identisch. Ziemlich vertrackt, nicht wahr?« Roya sah einen fahlen Schein, und in diesem Schein eine Person. Obwohl er noch erstaunlich weit entfernt war, erkannte Roya ihn sofort. Es war der Alte, den sie vor einigen Tagen zum ersten Mal in der Nähe des ESCHER-Gebäudes gesehen hatte. Er näherte sich ihr wie durch einen Korridor. Sein Alter ließ nach dabei, mit jedem Schritt wurde er jünger, kräftiger, richtete er sich gerader auf. Es war, als kehrte er aus einer elenden Zukunft in seine Jugend zurück. Und die Krankheit wenn es sie je in seinem Körper gegeben hatte, war dieses Leiden nun verflogen wie ein leerer Schatten. Als er vor ihr stand, hob er eine Hand und streichelte mit den Fingerspitzen Royas Wange. »Es war ein weiter Weg zu dir, Darienne Royal« Sie betrachtete ihn. Sein Haar war schwarz, und als plötzlich Terranias Lichter wieder angingen, schimmerte es beinahe blau. Er hatte einen Oberlippenbart und einen kleinen Bart an der Kinnspitze. Die Lippen waren blassrot, voll, die Nase gerade, die Haut von einem exotischen Braun. Roya hatte Physiognomien wie diese in alten Aufzeichnungen gesehen. Der Fremde wirkte wie ein Südamerikaner aus der präastronautischen Epoche der Menschheit. Wie ein Azteke.
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Dazu passte, dass sein grünes Kleid nicht nur aufgemalte oder eingeprägte Schriftzeichen aufwies, sondern, wie sie jetzt aus der Nähe sah, Federn in die Struktur der Zeichen eingearbeitet waren. Hie und da schauten Kiele aus dem Tuch; die Federfahnen leuchteten vielfarbig. Der Fremde war von einer berauschenden Schönheit, in Royas Alter. Doch so berückend seine Schönheit war, so unnahbar wirkte er. Sie hätte nicht gewagt, ihn von sich aus zu berühren. »Was hältst du davon, wenn wir beide zusammen etwas wie einen Hintereingang zu diesem Komplex suchen? Wie heißt das Haus - das sind Schriftzeichen, nicht wahr?« Er wies auf die Schiefertafel. »Dort steht ESCHER«, las Roya ihm vor; »du kennst unsere Schrift nicht?« »Ich bin neu hier«, sagte der Fremde fröhlich und strahlte sie an. Neu?, dachte Roya. Seit der TERRANOVASchirm steht, können keine Neulinge mehr auf Terra ankommen. Oder ist er lediglich neu in der Stadt? Aber warum sollte er dann Buchstaben nicht entziffern können, die in weiten Teilen der Milchstraße gebräuchlich sind? Es sei denn, er meint mit hier die Galaxis. Unwahrscheinlich. Der Fremde zog sie an sich heran, küsste sie mit warmen Lippen auf den Mund und atmete ihren Atem ein. »Sei so gut und zeig mir deine Stadt!«, befahl er ihr. Sie schaute in seine Augen. Die Iris glänzte wie poliertes Messing. Sie sog sein Aroma ein. Ja, kein Zweifel: Er duftete nach Muskat. * Darienne Roya führte den Fremden im Gleitertaxi durch Terrania. Sie hatte den Gleiter mit einem Hintergedanken geordert. Vielleicht stellte dieser Fremde eine Gefahr dar. Sie konnte im Grunde nicht ausschließen, dass er eine Funktion in der Strategie, der Chaosmächte hatte - oder etwas wie eine Waffe der Kolonne war. Aber sie fühlte sich sicher bei ihm. Beinahe, jedenfalls.
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Das Gleitertaxi hatte beide ohne Kommentar aufgenommen und war losgeflogen. Als wäre die Stadt sich der Feierlichkeit des Anlasses bewusst, stabilisierte sie sich und bot nichts auf als die guten, altvertrauten Gebäude. Sie flogen die Thora Road westwärts, wendeten über den Admiral Hakhat-Drive Richtung Nordosten, passierten den Rainbow Dome und den Kybernetischen Turm. »Der Komplex dort unten ist das LemuriaMuseum. Hier wird das Erbe der ersten Menschheit erforscht und für die zweite nutzbar gemacht«, zitierte Roya den üblichen Satz, der aus einer PRVerlautbarung des Museums stammen musste. »Aha«, machte der Fremde; er schien sich prächtig zu amüsieren. Sein Name war Sever Dimrat. Er fragte interessiert nach, erkundigte sich nach einzelnen Gebäuden, nach Stadtteilen und Mahnmalen: dem Crest-Memorial, dem Halut-Monument und der DolanGedenkstätte in Garnaru. Der Gleiter schwebte eine Weile über dem Monolithen, in dem die Namen der zwei Milliarden Opfer der Dolan-Angriffe eingraviert waren. »Es scheint, als gäbe es eine untergründige Verbindung zwischen den Bestien und den Menschen«, sinnierte Dimrat. »Eine für beide Seiten unglückliche Paarung.« Roya dachte an die Mikro-Bestien, die den letzten gewählten Ersten Terraner und viele andere Regierungsoberhäupter der Galaxis ermordet hatten, und nickte. Von der Dolan-Gedenkstätte aus flogen sie über die Crest-Allee auf die Solare Residenz zu. Während sie die Stahlorchidee in einem respektvollen Bogen umkreisten, eskortiert von einer winzigen Sicherheitsdrohne, erkundigte Dimrat sich nach der Regierung. Später wollte er über den Stand der Technik informiert werden und fragte, was es mit dem kristallenen Leuchten am Himmel auf sich habe. Offenbar wusste er nichts von dem TERRANOVA-Schirm, und auch
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Bezeichnungen wie Chaosmächte, Terminale Kolonne und Traitanks waren ihm kein Begriff. Er kannte nicht einmal Perry Rhodan. Er wusste nichts. Er war wie neugeboren. Roya gab ihm alle Auskünfte, um die er bat. Warum auch nicht. Alles, was sie wusste, waren frei zugängliche Informationen, die sich jedermann aus dem HistNet ziehen konnte. Schließlich war sie keine Geheimnisträgerin. Natürlich hatte auch Roya Fragen. Sever Dimrat beantwortete sie voller Vergnügen. Woher er käme? Er sei auf Schom geboren, unter der Doppelsonne Eußerdom, in einem Sternenarm in der South Side von Karahol. Er arbeite aber bereits einige Jahre auf Tikagal. Tikagal. Schom. Karahol. Ob die Namen ihr etwas sagten? Roya schüttelte den Kopf. Oder doch? »Karahol. Es kann sein, dass ich das einmal gehört habe, im historischen Seminar. Der Name klingt alt, irgendwie vorzeitig. Kommst du aus der Vergangenheit, Sever? Du bist ein Zeitreisender?« »Ich komme aus der Gegenwart«, stellte er richtig. »Und was hat dich hierher verschlagen?« Dimrat machte eine vage Geste. »Es gibt einiges, was diesen Planeten für mich so attraktiv macht. Das Leuchtfeuer am Himmel. Vielleicht wisst ihr gar nicht, wie weit es strahlt, hm? Auch wenn es von euch gar nicht als Leuchtfeuer gedacht ist.« »Und?« »Dieser Turm hinter dem Pflanzenwall.« »ESCHER.« »Du weißt, was es ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Du?« Er lächelte und küsste sie. »Ich weiß nicht, was ich alles so weiß. - Und dann natürlich du. Du hast mich angezogen. Sehr sogar. Ohne dich wäre ich nicht hier. Du bist die eigentliche Gastgeberin.« »Ich weiß nichts davon, dich eingeladen zu haben.« »Die Umstände waren ein wenig - nun, abseitig. Nicht ganz von dieser Welt. Aber
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ich habe bei dir - angeklopft. Dein Herz ist mein Herz, Darienne.« Sie erinnerte sich an die Vision, die sie während ihres letzten Einsatzes als Globistin erlebt hatte. An den eisigen Griff durch ihren Brustkorb. Sie trat einige Schritte von Dimrat zurück. »Und jetzt?«, fragte sie ihn. »Ich habe keine Unterkunft in dieser Stadt, und ich habe auch nichts, womit ich sie bezahlen könnte.« Er breitete die Arme aus und lachte fröhlich. »Lass mich bei dir schlafen«, schlug er vor. Er hatte es zärtlich gesagt, doch im Kern war auch das ein Befehl. Aber der Befehl klang zu schön, um ihn zu verweigern. Sie stellte sich dennoch abweisend. »Warum sollte ich mit dir schlafen? Denkst du, du bist der einzige Mann, der nach mir fragt?« Dimrat neigte den Kopf. »Es war so ein weiter Weg zu dir, Darienne Roya. Lass mich endlich ankommen.« Alles wird gut Als Rova erwachte, lag sie allein. Sie räkelte sich und stützte sich auf die Ellenbogen. Das Bettzeug roch nach Muskat. Ihre eignen, verschwitzten Haare rochen danach. Roya schwang ihre Beine aus dem Bett, klaubte den Slip und das BH-Shirt mit den Zehen vom Teppich auf. Dann kam ihr ein Gedanke. Sie knüllte Slip und Hemd zur Seite und ging unbekleidet in die Hygieneeinheit. »Durchchecken, bitte«, wies sie die Positronik von dort an. Aus der medizinischen Schatulle in der Wand entfaltete sich ein vielgelenkiger Roboterarm, an dessen Spitze etliche Untersuchungswerkzeuge saßen. »Guten Morgen, Darienne«, erklang eine Stimme aus der Sprachlitze. »Was kann ich für dich tun?« »Ich möchte wissen, mit wem ich letzte Nacht geschlafen habe.«
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»Befürchtest du eine Ansteckung mit einer venerischen Krankheit? Oder eine unerwünschte Befruchtung?« »Ich möchte Informationen über ihn. Wer war er, wo kommt er her, genetisch gesehen?« »Diese Informationen kennt er selbst wahrscheinlich besser als ich.« »Lass gut sein, mach nur deine Arbeit!«, wies Roya die Maschine an. »Entnimm mir etwas Sperma und sag mir, ob dieser Mann ein Mensch war. Ein Terraner. « »Welcher Bereich? Sollte ich mich auf besondere Areale konzentrieren?« »Konzentriere dich auf die Klassiker.« Sie seufzte kurz auf in Erinnerung an die lange Nacht. Rie hatte er sie genannt und Sternenhaar. Hübsch. Die Maschine führte ein schmales, körperwarmes Teststäbchen in die Vagina ein. Danach schnitt sie ein paar viel versprechende Schamhaare ab. Roya benutzte unterdessen die Toilette, stand wieder auf, schloss den Deckel und setzte sich darauf. »Immer noch nicht fertig?« »Ich musste ein paar Erkundigungen über das Rechnernetz einziehen, bis hinein ins Flottenarchiv, zu dem, nur begrenzter Zugang möglich ist«, entschuldigte sich die medizinische Einheit. »Also?«, »Das genetische Material stammt von einem maskulinen Humanoiden.« »Das war auch meine Theorie. Danke. Hast du sonst noch etwas herausgefunden?« »Dein Partner ist genetisch gesehen nicht terranisch, sondern repräsentiert einen früheren, ebenfalls lemurischen Typus. Allerdings ist er auch schon kein Lemurer mehr, sondern genetisch gesehen auf dem Weg zum Tefroder. Zum Tefroder der Jetztzeit gibt es jedoch erhebliche Differenzen. Zwischen seinen Genen und denen der Milchstraßen-Tefrodern sehe ich wieder keine enge Verwandtschaft.« »Mit einem Wort?« »Dein Tefroder stammt von irgendeiner Welt in Andromeda, wahrscheinlich aus dem südlichen Siedlungsbereich,
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zentrumsnah. Manches spricht für eine Geburt zwischen dem 19. und 17. Jahrtausend vor Christus. Hast du für die Spermien noch Verwendung, soll ich sie einfrieren?« Roya winkte ab. »Nicht nötig.« Sie verließ die Hygieneeinheit. »Auf ein Wort, Darienne«, sprach die Positronik sie unterwegs aus einem mobilen Akustikfeld an. »Ja?« »Ich möchte dich sicherheitshalber noch darüber informieren, dass dein Gast sich noch ein wenig am Terminal betätigt hat, bevor er gegangen ist. Er hat sich auch ernährt. Ich hoffe, das ist dir recht. Du warst in deiner REM-Phase, da wollte ich dich nicht wecken, zumal die Tätigkeiten deines Gastes mir unverdächtig schienen. Aber da du ihn offenbar suspekt findest ...« »Was hat er am Terminal gemacht?« »Er hat im HistNet recherchiert. Zunächst terranische Geschichte des 25. Jahrhunderts. Die Andromeda-Expedition. Die Daten über die bekannten und getöteten Meister der Insel.« »Und außerdem?« »Hyperphysik. Dakkarraum. ÜBSEFKonstante. Erwin Schrödinger und die präastronautische Quantentheorie. Kristallschirm. Schließlich das Stichwort ESCHER. Dazu keine Datenfunde.« »Mach mir Frühstück«, bat sie, »und spiel mir alle seine Zugriffe ins HistNet noch einmal vor.« * Roya aß Ei und Croissants, Bohnen, Mekket und Süßbutterreis, und sie sonnte sich in dem Gefühl, dass der Bann gebrochen war. Sie schloss die Augen und rief sich die Bilder der erleuchteten, strahlenden Stadt Terrania ins Gedächtnis, die sie in der letzten Nacht Dimrat gezeigt hatte. Kein Gebäude zu wenig, keines zu viel. Es war wie in einem Märchen. Die Prinzessin hatte den Prinzen geküsst. Alles wurde gut.
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Er war zärtlich gewesen später in der Nacht, ausdauernd, ausgehungert, einfallsreich. Natürlich hatte auch er irgendwann den Satz gesagt, den alle Männer sagten, um verwegen zu klingen: Lass dich einfach fallen. Na gut, hatte sie sich eben fallen gelassen. Die Art, wie er sie auffing, ließ keinen Grund zur Klage. Zwischendurch hatten sie sich kleine Wortgefechte geliefert. »He, lass mir Zeit zum Durchatmen. Ich bin nur ein Mensch«, hatte sie gesagt. »Jeder hat eine Schwäche.« Sie hatte sein Lächeln an ihrer Schulter gespürt. »Ich könnte etwas so Wunderbares aus dir machen.« »Ich bin nur ein Mensch«, wiederholte sie, »und ich will es auch bleiben.« »Wie schade«, hatte er gesagt und wieder begonnen, sie in den Regionen zu streicheln, die etwas Schonung verdient gehabt hätten, und noch einmal: »Wie schade.« Danach schlief sie. Alles war gut. Vielleicht würde die Prinzessin heute zum Bogenschießen gehen. Roya spannte die Muskeln, sie fühlte sich fit. Sie stellte die Reisschale auf das Schwebetablett und schubste es übermütig in Richtung der Reorganisationseinheit ihrer Küche, verschränkte die Arme im Nacken und seufzte. »Ein Tefroder also.« Dann kam ihr eine Idee. »Sag mal«, erhob sie ihre Stimme, damit die Positronik die Anfrage registrierte, »hast du im HistNet unter dem Stichwort Sever Dimrat nachgeschaut? So hieß er nämlich - falls du das nicht sowieso erlauscht hast, bei deiner Kontrolle meiner Alphawellen ...?« »Wer hieß so?«, klang die Stimme auf. Sie war auf ratlos moduliert. »Unser Tefroder.« »Tut mir leid«, sagte die Positronik, »ich verfüge zurzeit über keinen Tefroder.« »Der Tefroder, dessen Erbmaterial du heute mit deiner medizinischen Einheit analysiert hast.« »Habe ich nicht.«
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»Wenn nicht Tefroder, dann BeinaheJetztzeit-aber-nicht-mehr-LemurerTefroder oder wie dein positronischer Fachterminus dafür lautet. Dessen Samen du gefriergetrocknet aufbewahren wolltest, für schlechtere Zeiten.« »Bürgerin Darienne Roya«, gab die Positronik mit einem offiziösen Klang zurück, »ich weiß von nichts. Ich weiß von keinerlei Eiweißsubstanz eines Tefroders in meinem Verantwortungsbereich.« Und nach einer fast unmerklichen Pause fügte sie hinzu: »Du kannst mir vertrauen.« Roya stutzte und dachte ein wenig nach. Dann erkundigte sie sich: »Ist dir der Ausdruck vollkommene Zahl ein Begriff?« »Natürlich.« Roya fand selbst, es sei eine idiotische Idee, aber der Gedanke ließ sie nicht los. Sie fragte: »Nehmen wir die 6. Was ist die Summe ihrer echten Teiler 1 plus 2 plus 3?« »Fünf Komma neun neun Periode«, antwortete die Positronik. »Periode?« »Sie nähert sich der nächsten ganzen Zahl unendlich an.« »Aber sie erreicht sie nicht, diese nächste ganze Zahl? Die 6?« »Nie im Leben«, sagte die Positronik mit einer Art Triumph in der Stimme, »du kannst mir vertrauen.« Zu früh gefreut, Dari. * Die Stadt entstellte sich immer weiter. Die ganze Wirklichkeit wurde untergraben. Roya meinte, die Stollen zu spüren, die aus einer nichtigen Zeit, einer anderen Welt unter die ihre getrieben wurden. Stollen, in denen ungeheuere Sprengsätze gelagert wurden, scharf gemacht, um alles Vertraute einstürzen und vergehen zu lassen. Die Säulen der Realität wankten. Auf der Thora Road brannte der Feuerbrunnen höher und höher. Nebenan hatten neue Geschäfte eröffnet und die alten Bauwerke verdrängt: »Erste Lebensbibliothek am Ort! Lose Organe wohlfeil, werft einen unverbindlichen
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Blick in unsere Verkaufsvitrinen! Furchtlos, das ausgehärtete Röntgengelee ist strahlungsinaktiv gestellt. Dem Furchtsamen werden Gonadenpanzer kostenlos zur Verfügung gestellt!« Andere Läden boten »Ritte auf dem Schreckwurm« an: »Handzahme Tiere unvergesslich. Als Souvenir gibt es Molkexmedaillons«; andere Büros offerierten »Reisen mit der Transformkanone - großes Gaudium!« Terrania versank im Matsch und Brei einer Technosphäre, die monströs und krankhaft wucherte. Hin und wieder machte sich Roya auf den Weg zu ESCHER. Die Hecke um ESCHER stand in Flammen. Die Flammen schlugen hunderte Meter hoch, geisterhaft grün, und es sah aus, als würden sich die Leiber von schwarzen Sündern in diesen Fegefeuern winden. Bauwerke tauchten auf, platzen lautlos, Bruchstücke schwirrten herum und vergingen spurlos in immateriellen Lichterscheinungen. Roya fand nicht mehr nach Hause zurück. Die Gleitertaxis, die sie befragte, hatten noch nie etwas von Sirius River-City gehört. Eine Warnung in Richtung LFTRegierung schien auch deswegen wenig erfolgversprechend, weil sich im Residenzpark anstelle der Stahlorchidee neuerdings fünf riesige, mehrere hundert Meter durchmessende Scheiben übereinander und um eine gemeinsame Vertikalachse drehten, und zwar so, dass jede Scheibe jederzeit mit einer anderen in Berührung kam. Die Scheiben waren mit niedrigen Hütten bebaut; das metallische Kreischen war ohrenbetäubend. Eher zufällig fiel Roya auf, dass sich eine Art Gebäude von allen anderen unterschied. Die Grundstruktur dieser Gebäude war offenbar organisch; Roya hielt das beige-violette Material für eine Art Riesenpilz, dessen Äußeres borkigverholzt wirkte. Der Holzpilz erreichte Höhen zwischen zehn und fünfzehn Meter. Die Pilzstiele standen abgeschrägt und wurden von metallischen Streben gestützt; die Pilzhauben waren mit allerlei
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technischem Material besetzt, mit bläulich schimmernden Sonnenkollektoren und Parabolantennen. Komplizierte Rohrsysteme leiteten Regenwasser von den Pilzhauben zu Fässern am Fuß der Gebäude ab; möglicherweise entsorgten sie auch Abwasser und die Exkremente der Bewohnen In die Borkenhaut waren Öffnungen gebrochen von sehr unregelmäßigem Umriss; in den Öffnungen steckten vielfarbig schimmernde Scheiben, vielleicht aus Glas. Immer standen vier oder fünf solcher Häuser auf einem Haufen. Sie waren weit weniger spektakulär als die meisten der anderen Fremdkörper in Terrania. An einem Nachmittag bemerkte Roya, dass in einigen dieser gewachsenen oder gezüchteten Häuser Fenster offen standen. Aus diesen Fenstern schauten weiße Porzellangesichter. Blaue Arme, die stumpf und kegelförmig aussahen, winkten ihr zu. Roya winkte zurück und setzte ihren Weg fort. Wohin? Überall herum. »Warte«, hörte sie eine Stimme aus dem Fenster knarren. »Warte«, aus vielen anderen. Roya blieb stehen. Botschafter einer toten Welt Drei Fremde traten aus der Öffnung am Fuß des Stiels. Natürlich kannte Roya nicht alle Spezies, die in Terrania lebten, und fast jede Woche begegnete sie in den Straßen, den Geschäften oder - sogar häufiger als dort in der Universität einem Außerirdischen, dessen Nationalität sie nicht hätte benennen können. Dennoch waren ihr viele Körperbaupläne wenigstens vage bekannt. Bei diesen dreien hatte sie dagegen das sichere Gefühl, noch nie ähnliche Geschöpfe gesehen zu haben. Auf den ersten Blick wirkten die drei wie aufrecht gehende, siebenarmige Seesterne
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mit einer blauen, glatten Haut. Teile des Leibes waren in lose Tücher gehüllt. Der oberste, vertikale Strahl schien Hals und Kopf zugleich, lief spitz zu und wies keinerlei Sinnesorgane, Atem- oder Sprechöffnungen auf. Alle drei trugen unter dem einen Arm eine Haube, die weiß wie Porzellan glänzte. Sie setzten die Haube auf den obersten Arm. »Kannst du mir helfen?«, fragte einer der drei. Was sollte sie sagen? Nein, ich bin selbst fremd hie?: Und werde immer fremder ... »Wobei helfen?« »Ich vermute. Dass ich tot bin. Jedoch. Mir kommen Zweifel.« Roya schüttelte den Kopf und ging weiter. »Warte und glaube. Mir. Das ist auch für mich ein unbefriedigender Zustand«, rief ihr das Wesen hinterher. »Aber du stehst in Kontakt. Wer, wenn nicht du. Kann mir helfen!« »Ich stehe in Kontakt?« Roya musste lachen. »Ich verliere allen Kontakt. Ich löse mich auf!« »In Kontakt stehst du zu. Dem Wissenschaftler der im Katapult. Wohnt. Der mich getötet hat. Wie kann ich sein. Kontakterin?« Roya schüttelte langsam den Kopf und wandte sich den drei Fremden zu. »Ich kann euch nicht helfen. Es geht alles in Scherben. Ich weiß nichts.« »Du weißt. Alles. Du bist die Kontakterin.« Roya hatte Mühe, der Satzmelodie der Fremden etwas Sinnvolles zu entnehmen. Schwaden um Schwaden Muskatgeruch überrollten sie. »Wer seid ihr?«, fragte sie; »von woher kommt ihr?« Schweigen, das irgendwie ratlos schmeckte. Tatsächlich, ja, unter ihrer Zunge schmeckte sie die Ratlosigkeit dieses Wesen. Dieser Wesen. Roya seufzte. »Wie heißt eure Welt?« »Welt.« Sie überlegte, ob sie sich losreißen und weitergehen sollte. Oder ob die Fremden schlicht keinen Namen für ihre Welt
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hatten. »Ihr wisst nicht, wie eure Welt in meiner Sprache heißt?« »Das weiß ich nicht. Ich spreche deine Sprache nicht.« »Du sprichst doch ...«. Es war ja sinnlos. »Ich rede auf die andere Weise mit dir.« Pause. »Denn wir sind nicht gleich.« Offenbar. Roya entschied sich, die Sache ernst zu nehmen. Was hatte sie zu verlieren? Sie trat näher auf die drei Fremden zu. »Verstehe ich euch richtig? Ihr bittet mich um Hilfe, weil ihr - nicht wisst, ob ihr lebt oder tot seid? Ist das eine philosophische Frage? Oder eine Scherzfrage?« Nein. Die drei sind definitiv keine Clowns. Roya spürte, wie die drei sich konzentrierten, sie schmeckte ihr Bemühen, sich verständlich zu machen. »Ich lebe. Ich sterbe. Ich bin tot. Das ist die Reihenfolge. Immer schon. Ich lebe. Ich sterbe. Ich lebe. Das ist verwirrend. Meine Welt ist durcheinander:« Dann sind wir schon zwei... »Was ist geschehen? Erzählt mir eure Geschichte.« »Ja.«. Roya verstand nicht alles, was das Wesen ihr mitteilen wollte. Dazu fehlte ihr die Erfahrung im Umgang mit Fremdintelligenzen. Natürlich hatte sie wie jeder Bürger von Terrania immer wieder Gespräche mit fremdartigen Geschöpfen geführt; sie hatte in einem terranischtopsidischen Forschungsprojekt mitgearbeitet und einen halbjährigen Studienaufenthalt in Thorta auf Ferrol absolviert. Aber alle ihre nichtterranischen Bekannten - darunter einige Arkoniden und zwei oder drei Akonen - waren menschengleich, menschenähnlich oder mindestens in die Gemeinschaft von Terrania integriert. Diesmal hatte sie es mit einer Intelligenz zu tun, die in keiner Weise terrafiziert war. Was sie der abgehackten, andersartig schmeckenden Erzählung entnahm, war dies: Die Fremden kamen von einem Planeten unter einem merkwürdigen Trabanten.
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Roya hatte Schwierigkeit, sich die Konstellation vorzustellen: Wurde ihre Welt umkreist von einem gespaltenen Mond, von einem Doppelmond? Die Bewohner des Planeten lebten, vermehrten sich, tauschten ihre Körperbausteine, feierten und forschten, züchteten und pflegten Haussteine. Eines Nachts - sie schienen den Tag zu meiden, fühlten sich mondberufen - landete eine Schar von Metallkugeln, wohl Raumschiffe. Die Raumfahrer waren Humanoide. Sie errichteten mitten in der Heimstatt der Bewohner einen Turm. Was dann geschah, entzog sich Royas Verständnis. Ein Chaos brach aus, eine namenlose Zerrüttung fand statt - ohne dass die Humanoiden allerdings irgendeine Art von Waffen eingesetzt hätten. Jedenfalls nichts, was Roya als Waffe hätte identifizieren können. Es war eine Verheerung ohne Heer, eine Implosion der Zivilisation. Eine uralte Gewalt ging um, verdarb und vernichtete, ein Rauch von Trübsal und Kümmernis. Roya suchte nach Spuren von dem, was diese Qual, was diese Angst ausgelöst hatte, aber sie fand keinen Grund. Ja, diese Qual war grundlos, und darum war ihr jedes Wesen so rettungslos ausgeliefert. Roya fand keinen Vergleich für das, was ihr vermittelt wurde; noch nie hatte sie Ähnliches empfunden. Manchmal huschte eine leuchtende Euphorie durch das Elend, machte Lust auf noch mehr Leid, jagte die Qual auf immer neue, unbegreiflichere Höhen. Ihr wurde übel, sie fühlte sich zermürbt und wandte sich ab. »Hört auf!«, flüsterte Roya. »Dann waren ich. Alle tot«, sagte das Seesternwesen. Unsägliches Verbrechen. Roya wusste nicht, ob sie selbst diesen Gedanken dachte oder ob er ihr von dem Fremden vermittelt wurde. Aber sie hatte keinen Zweifel, dass das Urteil zutraf. Was immer diesen Geschöpfen angetan worden war, es war ein unsägliches Verbrechen. »Es tut mir sehr leid«, sagte Roya. »Ich wusste das nicht. Was soll ich tun? Wie . soll ich euch helfen?«
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»Mach, dass wir tot sind in. Frieden. Nicht widerrufen im Tod.« »Ja. Wie?« »Der mich getötet hat, der. Wird weiter töten, denn seine Maschine ist bald. Grenzenlos. Durch dich.« Der also. Der hatte diesen Völkermord in Gang gesetzt. Roya schämte sich und nickte hilflos. Hatte sie es nicht längst gewusst? Mit jeder Faser gespürt, vom ersten Augenblick an? Als er noch wie ein todkranker Greis aussah? Sever Dimrat.,. Der Fremde redete von Sever Dimrat. Von wem sonst? »Ich soll ihn aufhalten. Wie soll ich ihn finden? Ich habe keine Ahnung, wo ...« »Schnell, schnell. Nirgends. Findest du ihn und überall. Wo immer. Du bist. Ist er nah.« Wo immer ich bin. Ich habe ihn eingeschleppt. Wie eine ... Seuche. »Und was soll ich mit ihm tun? Eurer Meinung nach?« »Ihn töten.« »Das kann ich nicht. Ich kann niemanden töten. Ich bin kein - Soldat.« »Du tötest. Sieh dich um. Wie viele lebten hier? Sie sterben. Es sterben alle. Wo immer. Du bist. Du. Bist der Anfang. Vom Ende. Von allem.« Lautlos detonierten die Pilzgebäude hinter den drei Fremden. Trümmerwolken hingen in der Luft, glühten auf wie Funken, vergingen. Die Porzellanhauben der drei explodierten, die Scherben flogen in alle Richtungen, auf Roya zu, durch Roya hindurch. Die drei wurden fadenscheinig, verblassten. Roya erwachte wie aus einem Traum oder zumindest hoffte sie zu erwachen. Der Nachmittag hatte sich in tiefe Nacht verkehrt. Vor den Dächern der Hochhäuser, die sich zu beiden Seiten der Straßen türmten, hingen schwarze Matten. Die Matten riffelten sich träge im Wind. Es roch muffig. Ein metallischer Lindwurm wand sich durch die Straße, die völlig verlassen war.
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Er bog sich kreischend in seinen Scharnieren, streckte sich über seinen Leib nach hinten, als wollte er sich selbst in den Schwanz beißen, und fuhr sein Gesicht zu Roya hinunter. Seine Augen waren zwei Waffenläufe, deren Abstrahlfelder in einem düsteren Rot glommen. Dort, wo beim Menschen der Mund gesessen hätte, befand sich ein Sprachgitter. »Bürgerin Roya«, rasselte der Roboter, »was tust du noch hier? Der Kriegskarneval hat begonnen. Was tust du noch hier?« Roya empfand nichts mehr. Keine Überraschung, kein Erstaunen. Alles Gefühl war versiegt. In ihr war nichts als eine große Sachlichkeit. »Was ich hier tue? Ich stehe hier. Was sollte ich deiner Meinung nach denn tun? Du scheinst dich hier doch auszukennen. In Terrania!«, setzte sie höhnisch dazu. »Es ist Kriegskarneval in Galakto City. Zieh in die Schlacht, Roya!«, sagte der robotische Lindwurm, bog sein Haupt zurück und schlängelte sich in die Dunkelheit. »Gute Idee«, murmelte Roya. Für einen Moment überlegte sie, ob ihr eine andere Wahl bleibe: Sollte sie sich verbergen? Fliehen? Aber wo soll man sich verstecken, wohin soll man gehen, wenn die ganze Welt endet? Sie salutierte dem Wurm hinterher und schrie: »Sir, ja, Sir!« Spaziergang durch das Vorleben eines Waffenmeisters Roya irrte nicht umher, musste sich aber auch kein Ziel setzen. Es war, als hätte Terrania eine zusätzliche dritte Dimension gewonnen. Plötzlich gab es Anhöhen in der Stadt, steile Anstiege, von denen Roya sich nicht vorstellen konnte, wie jemand sie erklimmen sollte. Straßen, die wie Schalen vom Untergrund aufragten und oben ins Leere gipfelten. Daneben gab es Senken, Vertiefungen. Roya machte es sich bequem und ließ sich von den Straßen bergabführen.
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Sie verfiel in einen Laufschritt und rannte unaufhaltsam wie ein übermütiges Kind. Roya wunderte sich keinen Moment über das, was sie ganz unten, im tiefsten Loch der Welt, fand. Gemächlich rotierte dort eine flache Scheibe, eisgrau, eiskalt. Auf ihrem Rand brannte der Feuerbrunnen. Dem Brunnen genau gegenüber wucherte die Hecke, dahinter erhob sich ESCHER. Im Zentrum der Scheibe saß Dimrat auf einem Klappstuhl. »Schön, dass du mich besuchen kommst, Rie!«, begrüßte er sie. »Ich habe fest mit dir gerechnet und du enttäuschst mich nicht.« Er zog sie in die Arme und küsste sie. »Wer bist du wirklich?«. »Ich bin ein Waffenmeister!«, sagte er fröhlich. »Du bist kein Terraner, sondern Tefroder. Und du stammst nicht aus dieser Zeit. Bist du doch ein Zeitreisender? Jedenfalls musst du von sehr weit her kommen.« »Oh, meine Welt ist schon ganz nah. Schau, hier!« Dimrat stellte den Klappstuhl zur Seite und bückte sich. Inmitten der Scheibe war eine kreisrunde Falltür angebracht. Dimrat tippte eine Zeichenkombination in ein handtellergroßes Kodeschloss. Die Tür zischte leise und hob sich. »Was du hier siehst«, erklärte er, »sind nur Bilder, Illusionen, wenn du so willst. Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert, ich tue es einfach. Aber es ist im Grunde nicht so. Du darfst nicht glauben, was du siehst.« Als ob ich das noch tue. Es wurde kühl. Sie spürte einen Sog, der aus der Öffnung nach ihr griff. Stärker und stärker wurde sie an das Loch herangezogen. Dimrat umarmte sie wieder. Für einen Moment dachte Roya, er wollte sie festhalten, retten. Aber wie ein HüdöSpieler, der eine schwermütige Verteidigungsfigur tanzte, zog er Roya an den Rand der Öffnung... »Lass dich einfach fallen!« ... und darüber hinaus. Sie glitten hinab. Ein Antigravschacht?
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»Ich weiß nicht, was das hier ist«, flüsterte Dimrat ihr ins Ohr. »Ein Tunnel? Ein fünfdimensionales Loch? Aber in der Wandung hausen ein paar sehr merkwürdige Gestalten, die wir nicht wecken sollten.« Sie lehnte sich an seine Schulter. Dann hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen. Roya nahm zuerst das fremde Aroma dieser Welt wahr. Es duftete über und über nach Muskat. Sie begriff gleich darauf, dass sie kein irdisches Gewürz roch. Aus kleinen, metallisch spiegelnden Teichen stiegen Dämpfe auf, trieben über das Land und trugen ihr das durchdringende Aroma zu. Dimrat bemerkte ihren Blick, missdeutete ihn aber. »Ich habe diesen Gestank der Coorse-Quellen nie gemocht.« Roya und Dimrat wanderten über eine Schuttfläche, von der Roya nicht zu sagen wusste, ob es eine natürliche Landschaft war oder ein Trümmergelände. Violette Wolken hingen tief; ein silberner Regen ging am Horizont in Schwaden nieder. In der Ferne schimmerte ein Turm. Sie blieben für einen Moment stehen. »Schön, nicht wahr?«, sagte Dimrat. Roya antwortete nicht, war sich unsicher, worauf Dimrat sich bezog: die gesamte Szenerie oder nur den Turm? Sie gingen weiter. Offenbar war der Turm das Ziel. Aus dieser Distanz wirkte das Bauwerk wie der Knochenarm eines Gerippes, nach oben gereckt. Die Hand war geöffnet, die Finger - acht oder zehn krümmten sich um eine Blase aus Licht, die langsam pulsierte. Es sah aus, als halte die Hand des Turms ein strahlendes, krankes Herz im Griff. Roya bemerkte, dass Dimrat sich nicht querfeldein bewegte, sondern eine Art Straße nahm, auf der hier und da noch eine Scholle eines ursprünglichen Belags zu sehen war. Fast überall war dieser Belag aufgeplatzt, zertrümmert. Die Bruchstücke lagen durcheinander gewirbelt, die ganze Masse war von einer großen Hitze glasiert. Nach und nach gewöhnten sich Royas Augen an das violette Halbdunkel. Sie
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machte Konturen im Schutt aus, Reste von Mauerwerk, schemenhafte Grundrisse runder Bauwerke. Manchmal wehte sie ein übersüßer Duft an, der den Geruch von Muskat übertünchte und ihr den Atem verschlug. Der Weihrauch der Verwesung. Je näher sie dem Turm kamen, desto mehr Einzelheiten machte Roya aus. Zwischen den bleichen Speichen und Ellen des knöchernen Armes sah sie dürre Querstreben, die das ganze Gebilde stabilisierten oder segmentierten. In den Segmenten glomm ein schwaches grünes Licht wie in einem alten Aquarium. Es war einlanger Weg. Am Rand der Dunkelheit glaubte Roya einige eingestürzte Pilziglus zu sehen, die Dächer auf- und nebeneinander gestapelt. »Wie heißt diese Welt?«, fragte Roya einmal. »Die Ureinwohner nannten sie Varfani, glaube ich. Was in ihrer Sprache so viel heißt wie Welt. Wir nennen sie Tikagal das Testgelände.« Was, um alles in der Welt, haben Dimrat und seine Leute hier getestet? »Sind das Ruinen von euren Bauwerken?« »Nein. Es sind Relikte der Ureinwohner von Varfani, der Iofar.« Ein Mond ging auf: scharlachrot, verbeult. Er zog in großer Geschwindigkeit über den Himmel. Roya entdeckte, dass die Beule des Mondes ein kleinerer Trabant des Mondes war. Der Mond des Mondes löste sich scheinbar vom Haupttrabanten, lief ihm voraus, hielt dann wieder auf ihn zu, tauchte hinter seinem Rücken unter. Als sie den Turm endlich erreichten, war der: ungleiche Doppelmond bereits wieder unter dem Horizont verschwunden. Wie lange laufen wir schon? Warum werde ich nicht müde?, dachte Roya. »Es hat uns lange Zeit gekostet«, erklärte Dimrat. »Es ist meine Idee gewesen. Es ist mein Projekt.« »Du bist der Architekt dieses Turms?« Er machte eine zustimmende Geste. Aus der Nähe sah Roya, dass die Segmente, die sie für Aquarien gehalten hatte, tatsächlich eine Art von Behältnis
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darstellten. Schatten schwammen träge darin. Dimrat folgte ihren Blicken. »Es sind Tanks. Das Psi-Liquid darin regt uns mental an. Wir haben lange an der Synthese dieser Lösung gearbeitet. Es ist bis zu einem gewissen Grad mit Drachenmetall gesättigt. Mit Drokarnam. Ist dir das ein Begriff, Drokarnam?« Roya schüttelte den Kopf. Kannte Dimrat diese Geste? Er kannte sie. »Drokarnam ist ein starker 5-D-Strahler mit sechsdimensionaler Tastresonanz. Solange es taub ist, ist es mattsilbern, manchmal grau wie Zinn. Aber wenn es geweckt wird, schimmert es grün wie du siehst. Das Drachenmetall kann unter bestimmten Bedingungen Bewusstseinsinhalte speichern.« Roya versuchte, die Anzahl der Tanks zu überschlagen. Wenn sie nur in die Peripherie des Turms eingebaut waren, mussten es Hunderte sein. Falls die unteren Etagen des Turms auch bis in ihre Tiefen mit den Tanks gefüllt waren, waren es Tausende. Zehntausende. »Sind das Menschen, dort in den Behältern?«, fragte Roya. Dimrat blickte sie mit milder Verwunderung an. »Wir liegen darin«, erklärte er ihr. »Dort oben bin ich!« Er wies mit der Hand steil hinauf. »Was tut ihr da? Wohnt ihr dort? Liegt ihr in diesem Haus auf Eis?« Dimrat lächelte nachsichtig. »Wir sind keine Bewohner«, setzte er ihr geduldig auseinander, »und das ist kein Wohnturm. Es ist eine Waffe, Rie. Es ist das MentalKatapult. Mein Mental-Katapult. Ein Prototyp. Ich habe es im Auftrag von Trinar Molat hier errichtet und teste es.« »Du bist ein Waffeningenieur?«, fragte sie nach und überlegte, wo sie den Namen Trinar Molat schon einmal gehört hatte. Im Pädagogikum? Im historischen Unterricht? In einer Dokumentation im Trivid? »Ein Ingenieur? Viel mehr als das. Ich hin der Waffeningenieur, ich bin der Schütze und ich bin die Munition. In gewisser Weise bin ich die Waffe. Und - ich will
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mich nicht loben, aber: - Mir ist da eine mächtige Waffe geglückt.« Endlich fiel es ihr ein. »Molat - so hieß ein Meister der Insel, nicht wahr?« »Pscht!«, machte Dimrat und legte sich Zeige- und Mittelfinger über den Mund, »das gilt als Staatsgeheimnis. Nur wenige Eingeweihte kennen seine Funktion, engste Mitarbeiter.« »Und alle, die in . terranischer Geschichte ein wenig aufgepasst haben«, ergänzte Roya. Dimrat wandte sich wieder dem Turm zu, dem Mental-Katapult; offenkundig fiel es ihm schwer, den Blick abzuwenden. Ohne Roya anzublicken, forderte er sie auf: »Du müsstest nun fragen, wie sie funktioniert.« Sie zuckte mit den Achseln. »Alle Waffen haben dasselbe Prinzip: sie töten.« Dimrat lachte. »Aber es ist nicht das Was, sondern das Wie!« »Dann sag mir: wie?« »Wir haben den kristallinen Sud angeregt mit Emotionen, mit synthetischen und mit echten. In jedem humanoiden Gehirn und in den meisten Gehirnen anderer. Spezies, die ein Selbstbewusstsein entwickeln, gibt es eine Struktur, die dafür sorgt, dass alles, was die Sinne wahrnehmen, emotional eingefärbt, gewichtet und gewertet wird. Bei uns Lemurern ist es die Amygdala. Auch unsere Probanden, die Iofar, verfügen über eine analoge Struktur in ihrem Zentralnervensystem. Wir haben diese Nervenstrukturen zunächst geerntet, analysiert und nachgebaut. Anschließend wurden sie reizleitend mit dem Sud verbunden.« Roya sah mit unglaublicher Klarheit zahllose Iofar in ovalen Wannen liegen, offenbar bewusstlos. Die Seesternarme zuckten leicht. Die Wannen standen zu Achter- oder Zehnerreihen sortiert in einer langen, lichtdurchfluteten Halle. Operationslampen schwebten über den Tischen. Vielgliedrige Roboter schnitten mit Laserskalpellen in die Leibesmitte der Iofar, spreizten die Schnitte, hielten sie mit Klemminstrumenten geöffnet, türkisfarbenes Blut quoll aus der Wunde
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und wurde abgesaugt. Die Tentakel der Operationsroboter entnahmen den Leibern ein kleines Organ oder Organsegment, das wie eine blaue Kirsche mit Stiel aussah, und legten es behutsam in eine Schale aus Aluminium, in der es augenblicklich mit flüssigem Stickstoff kryokonserviert wurde. Schrankförmige Roboter auf Rollen nahmen die Schalen auf und transportierten sie ab. Die auf diese Weise ausgeschlachteten Iofar wurden - entsorgt. Waren das ihre Gedanken? War das ihr Vokabular? Oder dachte ein anderer in ihrem Geist? Roya erlebte mit, wie die geernteten Organe in die Tanks implantiert wurden. Die Flüssigkeit leuchtete grünlich auf. Roya war auf unwirkliche Art dabei, wie die Tefroder nackt in den Tank stiegen, wie ihnen der Atemtubus eingeführt wurde, ein Schlauch für die Nährstoffzufuhr, ein Schlauch ins Rektum und einer in die Blase für die Entnahme der Stoffwechselendprodukte. Dann wurden ihre Köpfe mit einer goldenen Haube gekrönt. Dimrat erklärte ihr, was sie sah, wie ein Fremdenführer durch die Hölle, stolz und voller Begeisterung über sein Werk. Roya war sich nicht sicher, ob sie alles verstand. Hier und da bezweifelte sie auch, dass Dimrat ihr alle Funktionszusammenhänge offen legte. Ihr war; als hätte er sie im Verdacht, ihr Laientum nur vorzugeben, als wäre sie nicht das Opfer, sondern eine Spionin, die ungebeten in sein Waffenlabor eingedrungen war. Soweit sie es verstand, entwickelte das geweckte Drokarnam eine Art SemiBewusstsein. Dieses Bewusstsein wurde über eine technische Prozedur mit den Bewusstseinsfragmenten der Iofar emotional angereichert und aufgeladen. Schieres, gegenstandloses Gefühl: Todesangst, reiner Hass, grenzenlose Euphorie und immer wieder jede Art von Schmerz. Schmerz ist eine Macht. Schmerz demoralisiert, demütigt, vereinsamt.
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Die Bewusstseine der eingelagerten Tefroder kontrollierten dieses emotionale Magma, bündelten und strahlten es technotelepathisch ab - wie ein Psi-Spiegel. Dimrat nannte Zahlen, Frequenzen, lachte, als Roya nichts verstand. Er sagte: »Es geht auch nicht um Zahlen und Werte, Rie. Es geht um die Angst und die Schmerzen. Sie sind der Schlüssel zu allem, die UrGefühle. Stell dir vor, was wir tun konnten! Die Sonne geht auf - und unsere Probanden erleben den Sonnenaufgang mit panischem Entsetzen, flüchten, treten einander tot! Wir konnten sie Angst vor allem empfinden lassen: vor allen Arten von Rede, vor Nachrichten, Information, Fragen! Das Ende aller Kommunikation. Furcht davor zu atmen! Und dann der Schmerz! Der Doppelmond geht auf, und die lovar krümmen sich vor Schmerzen! Ihre Brut ruft nach ihnen, und sie fallen vor Pein in Ohnmacht! Denken sie an Paarung, wird ihnen übel und sie speien aus, bis ihre Eingeweide verkrampfen. Sie haben keinen Alltag mehr. Kannst du dir vorstellen, was wir tun konnten? Wir konnten jede Bewegung mit unausdenkbarem Schmerz besetzen; oder wir konnten Schmerz mit Euphorie verknüpfen. Sie fügten sich Verletzungen zu, und je größer der Schmerz, desto phantastischer und unerhörter war der Glücksmoment, den sie empfanden. Wie sie sich verletzten! Welche Phantasie in der Erfindung von Torturen sie entwickelten! Oh, für die wenigen Wochen, die wir sie testeten, wurden sie zu Genies der Schmerzen. Aber das war noch nicht alles. Wir konnten ihnen eine unsterbliche Sehnsucht, einen wilden Appetit auf ihre eigenen Exkremente induzieren. Auf das Fleisch ihrer Brut. Auf die Haut und die Eingeweide ihrer Geliebten. Es war, als ob Götter scherzen. Neue Götter, denn wir waren auf dem besten Weg, die alten aus ihren finsteren Himmeln zu vertreiben. Wir brauchten den Platz für uns, Sternenhaar!« Er atmete tief und blickte Roya erwartungsvoll an.
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»Klingt ziemlich blöd«, gab sie grimmig Auskunft über ihre Meinung, »aber lass dir deine feierliche Stimmung nicht von mir vermiesen.« »Kannst du dir die Szenen vorstellen, die sich hier abspielten?« Roya wehrte sich dagegen, aber die Bilder drängten sich ihr wieder mit gläserner Klarheit auf, die Vision einer im emotionalen Chaos, in Schmerzensschreien und Kannibalismus untergehenden Welt. »Ihr habt diese Zivilisation vernichtet?« »Wir haben sie zunächst parzelliert, in Angstdistrikte aufgeteilt. In einigen Sektoren hat die Population keine Stunde überlebt. In anderen Sektoren haben wir die Population allmählich zerrüttet, über Wochen dahinsiechen lassen. Wir haben alle Details dokumentiert. Wir sind Forscher, Darienne. Ingenieure. Wissenschaftler. Gut, wir haben eine Waffe gebaut. Aber verstehst du, was das Wunder dieser Waffe ist, ihr Sinn und Zweck?« Sie blickte in seine strahlenden, vor Begeisterung tränenden Augen. »Erklär ihn mir.« »Jedermann hat Angst vor Waffen, in jedem Krieg, in jedem Kampf. Aber mit allen Mitteln wird diese Angst besiegt, und die Schlacht beginnt. Das Schmerz-Katapult aber ist keine Waffe, vor der man Angst hätte, das Schmerz-Katapult macht die Angst zur Waffe. Es ist genial, das siehst du doch ein, oder? Durch bloße Induktion von Angst machen wir den Gegner kampfunfähig. Niemand wird mehr gegen uns aufstehen, denn die Furcht vor uns ist unüberwindbar, die Angst in den Hirnen der Feinde ist unsere Festung. Überall, auf allen Welten werden wir dieses Katapult errichten, als ein Mahnmal unserer Macht, das jeden spüren lässt, wie unbesiegbar wir sind!« Roya nickte langsam. Sie blickte in sein Gesicht, diese Mischung aus Verlorenheit und Übermut, Begeisterung und Gnadenlosigkeit. »Aber du bist gescheitert, nicht wahr? Das Solare Imperium hat euch besiegt. Wo
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warst du mit deiner Waffe? Was ist passiert? Woran seid ihr gescheitert?« Sever Dimrat schaute auf den Turm. »Tikagal sollte Schwert und Schild des Neuen Imperiums werden. Mein Gönner zeigte sich interessiert, sogar sachkundig. Molat ist Hyperphysiker; er hat über Drokarnam und seine Anwendungsgebiete geforscht. Er besuchte die Baustelle dreimal. Das erste Mal ließ er sich über die Fortschritte unterrichten. Das zweite Mal sprach er allein mit mir. Wir saßen, wir speisten in einem Saal. Plötzlich stand er auf, kam um den Tisch, stellte sich hinter mich.« Dimrat spielte die Szene nach, trat hinter Roya und tat, was er sagte: »Er streichelte meine Wangen, so, er beugte meinen Kopf nach vorne und küsste mich in den Nacken, so, und er legte seine Hände an meine Hüften, so.« »Erspar mir die Einzelheiten.« »Er hat mich verführt. Verführt, genommen, verzaubert. Er hat mich seinen Zellaktivator spüren lassen und er hat Andeutungen gemacht: über die Einsamkeit als Meister, über seinen Wunsch, einen Weggenossen zu haben durch. die Ewigkeit. Er war ein selbstverliebter Idiot. Aber ...« »Aber?« »Aber von da an war die Arbeit am Projekt auch ein Versuch, mich würdig zu erweisen.« »Seiner würdig?« »Würdig, in den Kreis der Meister aufgenommen zu werden. Ich habe meine Anstrengungen vervielfacht. Ich habe von Tikagal aus in den Raum gegriffen, Welten angegriffen, die Lichtjahre entfernt waren. Das Mental-Katapult verhundertfachte seine Reichweite, vertausendfachte sie. Es war kein Ende abzusehen. Molat kam ein drittes Mal. Er war zufrieden. Er brachte Robottruppen mit und friedete den Bezirk um das Katapult ein. Er stationierte Forts im Ortbit. Er beorderte Flottenkontingente ins System.« »Du hattest das Gefühl, jetzt wäre er es, der sich an dich ranschmiss. Du warst geschmeichelt.«
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Dimrat lachte. »Von diesem Zeitpunkt an konspirierten wir, schmiedeten gemeinsam Pläne.« »Der Meister und sein Handlanger.« »Wer war der Meister, wer sein Handlanger? Wer brauchte wen? Das Katapult erweiterte seinen Wirkungskreis. Ich wollte wissen, wie weit es geht. Ich wollte es einfach wissen.« Dimrat ging einige Schritte auf den glimmenden Turm zu. »Ich übernahm das Kommando wieder selbst. Ich legte mich in das Tabernakel - den Tank -, ich wollte dem nächsten Zugriff meine Prägung geben. Das Katapult holte aus und schleuderte uns durch die Mentaltrasse, die das Katapult gezogen hatte. Wir waren aufgeladen mit emotionaler Antimaterie. Wir wollten sie deponieren, einsetzen, zünden. Es war sofort anders als sonst. Haltloser, unerbittlicher, selbstvergessener. Ich raste durch die Trasse, durch den hyperdimensionalen Tunnel, ich war unaufhaltsamer als eine Sturmflut. Dann prallte ich gegen die Wand.« »Eine Wand?« »Der Tunnel hörte auf, er war eine Sackgasse. Ich hatte keinen Zugriff mehr auf die Außenwelt. Das Kollektiv kehrte um. Wir suchten den Rückweg, aber der Tunnel war auch auf der anderen Seite versiegelt.« »Und?«, fragte Roya, als Dimrat schwieg. »Kein Und. Nur ein Nichts mehr. Ich brauchte - ich weiß nicht, wie lange. Die Zeit in der Mentaltrasse ist nicht vergleichbar mit der Zeit im StandardUniversum. Ich brauchte - Zeit, bis ich verstanden hatte, dass es kein Unfall war. Dass Molat bei einem seiner letzten Besuche das ganze militärische Brimborium nur angestellt hatte, um von seiner eigentlichen Tätigkeit abzulenken: der Sabotage des Mental-Katapultes.« »Der Meister, meinst du, hätte das Projekt sabotiert? Warum?« »Er hat mich - aus eigenem Antrieb, vielleicht im Auftrag von Faktor I getestet, meinen Ehrgeiz ausgelotet, und er hat ihn wohl als zu groß befunden. Wer das
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Schmerz-Katapult beherrscht, beherrscht Karahol. Für die Meister war es keine Option, selbst das Katapult zu bedienen, das heißt: im Katapult zu dienen. Andererseits wollten sie auch nicht zu den Knechten der Katapultisten werden.« »Zu deinen Knechten.« »Nein. Das wollten sie wohl nicht.« »Also legten sie euch lahm.« Vor lauter Hass leuchteten seine Augen auf. »Ja. Also legten sie uns lahm.« Vorlesung Auskünfte über die Dimrat-Zone und ihre Beziehung zur ESCHER-Aura Sever Dimrat machte eine zustimmende Geste. Roya fragte: »Was geschieht nun - mit mir?« Er rieb sich die Herzgegend. »Ich soll dir eine Vorlesung halten über Pararealität, über quantenhafte Schwebung, wahrscheinliche und unwahrscheinliche Temporal-Terrassen, ermessliche und unermessliche Universen? Tut mir leid, dazu fehlt mir das Fachwissen. Meiner ganzen Technosphäre fehlt sie. So weit waren wir noch nicht. Wir fingen doch eben erst an. Euch fehlt es übrigens auch. Ich habe versucht, mir Informationen aus euren Datenbänken zu beschaffen und ein schlüssiges Modell zu entwickeln, um mir das alles zu erklären. Tut mir leid.« »Aber du wirst doch eine Theorie haben!« Er lachte. »Ich habe etliche!« »Dann gönne mir eine. Das sollte ich dir wert sein.« Er betrachtete sie. »Das solltest du mir wert sein. Also. Die Technologie des Mental-Katapultes basiert nicht auf rein physikalischen Grundsätzen, sondern reicht in die Sphäre der Hyperphysik. Die Manipulation findet in einem Bereich des Hyperraumes statt, der in die sechste Dimension reicht, in einen Halbraum. Jedes Lebewesen verfügt über eine sechsdimensionale Energiekonstante; ihr Terraner kennt sie auch, sie heißt bei euch
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die überlagernde Sextabezugs-Frequenz oder ÜBSEF-Konstante. Das Katapult schießt aus einem Halbraum zwischen der fünften und der sechsten Dimension in diese Frequenz, bohrt sie sozusagen von unten an und dringt von dort aus ein. Diesen Halbraum zwischen der fünften und der sechsten Dimension nennt ihr Dakkarraum. Wir - das Team, mit dem ich das Katapult gebaut habe - nennen sie Dimrat-Zone. Verzeih mir diese kleine Eitelkeit. Auf irgendeine Weise muss es dem Faktor Molat gelungen sein, uns in diese Zone einzuschweißen. Wir trieben - oder treiben - in der Dimrat-Zone, ohne Zugriff auf die niederdimensionalen Realitäten. Natürlich schweben wir nicht frei in dieser Zone herum, sondern in einem limitierten Habitat, einer Art Einschnürung. Einer Röhre. Diese Röhre hat keinen festen Bezugspunkt, weder zu einem Ort noch zu einer Zeit in den niederen Dimensionen sie liegt quer zur Wirklichkeit, wenn du so willst. Wahrscheinlich wären wir bis in alle Ewigkeit so dahingetrieben. Aber dann bekam ich Kontakt, dann bekam ich einen Anker zu fassen. Es war ein absolut unwahrscheinlicher Zufall. Keine Positronik hätte diesem Ereignis eine Wahrscheinlichkeit erwähnenswert größer als Null gegeben. Möglich, dass es eine Rückkopplung gegeben hat, eine Resonanz, eine - was auch immer. Das sind doch alles nur Worte, Rie, Bilder. Mir fehlen die geeigneten Messinstrumente. Aber selbst, wenn ich sie hätte. Was würden sie mir liefern? Zahlen, Darienne, nichts als Zahlen. Und Zahlen sind wieder nichts als Bilder.« Roya ließ ihren Blick über den wulstigen Gürtel wandern, der Dimrats Kleid an der Taille zusammenband. »Darin stecken keine Instrumente?« »Instrumente?« Er lachte. »Das ist meine Rüstung, Rie. Darin steckt der Projektor für einen Individualschirm. Das energetische Milieu im Schmerz-Katapult konnte ziemlich brisant sein.«
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Er winkte ab. Dann fuhr er fort: »Ich denke heute, es war eine Überschneidung, eine Verschmierung von hyperphysikalischen Phänomenen: Euer Kristallschirm, die Aura des ESCHER-Objektes und du in deinem psionisch angeregten Mentalzustand - ihr drei habt eine Überlappungsfront gebildet. Ihr habt uns auflaufen lassen, habt die hyperphysikalische Membran der Röhre perforiert. Und wir - kamen frei. Relativ frei.« Er hob seine Hand und betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. »Noch liegt etwas wie eine Haut um mich. Eine ultradünne, hyperphysikalische Schicht, die mich von deiner Welt abhält. Aber ich werde einen Weg finden. Ich habe immer einen Weg gefunden. Auch wenn ich beim letzten Mal deine Hilfe brauchte.« Er rieb sich wieder die Herzgegend und wirkte sehr nachdenklich. Roya schwieg. »Nun frag schon!«, forderte er sie auf. »Warum ich? Es waren so viele Zehntausend im Einsatz an diesem Tag. Warum ich?« . »Du warst die Einzige, die keine Angst hatte - wir waren die Angstbringer. Wir waren das Schwert - du warst die Scheide. Es passte.« »Ein glücklicher Zufall«, spottete sie. »Vielleicht mehr.« »Etwas wie befreundete Zahlen, ja? Eine verborgene Identität?« »Spielt es eine Rolle?« Er zwinkerte ihr zu »Ich finde, die Lösung ist immer weniger erotisch als das Rätsel. Oder?« Sie zuckte mit den Achseln. »Und jetzt?« . »Ich habe keine Ahnung«, gestand er. »Die Zeiten, die Räume verschmieren sich. Vielleicht plumpse ich eines Tages voll stofflich auf die Straße Terranias. Materiell, aber tot. Materiell, aber verwest. Vielleicht zerteile ich mich, werde hier heimisch und zugleich - zugleich! - befreie ich mich in meiner Zeit aus dem Katapult, trete Molat in den Arsch oder gehe mit ihm einen Chkapat trinken. Vielleicht ...« Er zögerte.
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»Ja?« Sever Dimrat lächelte versonnen. »Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Ich habe sagen hören: Die Zukunft liegt in Finsternis. Aber in der Finsternis flackert es. Terrania flackert. Ich glaube, die Stadt flackert, weil es sie nie gegeben haben wird. Meine Welt - die Welt, in der wir uns aus dem Halbraumverlies befreien, in der wir das Katapult einsetzen, zur Not auch gegen Molat und die anderen Meister der Insel wird immer wahrscheinlicher. Deine Welt dagegen wird immer unwahrscheinlicher. Denn das hier ist - war - nicht Terra, sondern Lemuria. Ich denke, ich werde die Meister verjagen; wir werden Karahol Andromeda, wie ihr die Insel nennt - in Besitz nehmen. Tikagal wird nicht meine letzte Station sein. Wir werden hierhin zurückkehren, die Bestien vernichten, Lemuria wieder in Besitz nehmen. Dein Volk wird es nie gegeben haben. Es tut mir leid.« Er streichelte Wieder ihre Wange. Es fühlte sich immer noch angenehm an. Sie schloss die Augen, und für einen Moment hatte sie die Vision von Sever Dimrats Siegeszug durch Raum und Zeit: sah das Schmerz-Katapult aufstrahlen wie eine Super-Nova, deren Licht ganz Andromeda überstrahlte. Sah tefrodische Flotten in Richtung Weltraumbahnhöfe zwischen den Galaxien starten. Sah die ersten Schiffe auf Lemuria landen, einer jungfräulich wirkenden Welt, über die nur einige Horden Steinzeitmenschen zogen ... Royas Ur-Väter. Sah, wie die Tefroder diese Horden in ein kleines Reservat brachten. »Und ich?«, fragte Roya. »Was wird aus mir, wenn meine Welt unmöglich geworden ist?« Er überlegte. »Das weiß ich nicht. Noch hängt alles in der Schwebe. Deine Welt pendelt zwischen Sein und Nichtsein.« Roya kam ein erschreckender Gedanke:. »Flackere ich schon in deinen Augen?«
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Er blickte sie an, forschend, legte seine Arme auf ihre Schultern und presste sie an sich. »Du fühlst dich fest an«, sagte er und lachte leise. »Elastisch, aber fest. Noch flackerst du nicht.« »Lass mich gehen«, bat sie ihn leise. Sie drehte sich um. Vor ihr loderte der Feuerbrunnen auf der Thora Road. Der Chor der Cheborparnern sang: »Mors et vita duello conflixére mirándo; Dux vitae mórtuus, regnat vivus.« Tod und Leben kämpfen einen wunderlichen Zweikampf; des Lebens Fürst, der starb, nun herrscht er wieder lebend. Der Ohrwurm Die Welt pendelte. Zurzeit hatte sich Terrania stabilisiert, jedenfalls was die Bausubstanz anging. Die Stadt, wie sie war, und die Stadt in Royas Erinnerung waren annähernd deckungsgleich. Nur die Zonen der äußersten Turbulenz musste sie meiden. In der Nähe des ESCHERGebäudes war alles unstet, im Fluss, vibrierte. Auch der Duft von Muskat intensivierte sich. Wenn das hier parareal ist, habe ich das perfekte Gegenmittel entdeckt: eine Nasenklemme. Roya wusste nicht, woran Dimrat im Augenblick arbeitete, welche Schritte er unternahm, sich endgültig aus der Hyperraumröhre zu befreien und sein Imperium der Schmerzen zu errichten. Roya hatte einen Ohrwurm. Immer wieder hörte sie Rhodan, wie er im Stadion der Sterne zu ihr und den anderen Globisten geredet hatte, und immer wieder sagte er den Satz: »Dass du untergehst, wenn du dich nicht wehrst, wirst du doch einsehen.« Aber diesmal leuchtete ihr der Satz ein, sie nahm ihn persönlich. Nun war es an Roya zu kämpfen. Nach der Beisetzung ihres Vaters hatte sie nicht alles zurückgegeben, was er als Angehöriger der Flotte vom Verteidigungsministerium gestellt bekommen hatte. Seine alte Handwaffe
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befand sich nach wie vor in ihrem Besitz, ein Kombistrahler mit Paralyse- und Desintegratorfunktion. Lähmen oder auflösen, gegensätzlicher konnten zwei Waffenwirkungen kaum sein. Sie hatte behauptet, ihre Mutter habe die Waffe an sich genommen und führe sie seitdem mit sich. Weil Royas Mutter sich damals irgendwo auf einer beschissenen Welt in der galaktischen Eastside aufhielt und weil wegen des erhöhten Hyperwiderstands eine Überprüfung praktisch aussichtslos schien, blieb eine entsprechende Recherche aus. Roya hatte die Waffe desaktiviert, sie wollte sie schließlich nie benutzen, nur als eine starke Erinnerung an den Mann, den sie Vater genannt hatte. Er und der Strahler, das waren für sie verknüpfte Bilder, starke Erinnerungen. Die für sich genommen unverdächtigen, wenn auch sehr stark dimensionierten Energiemagazine hatte sie in ihrer Wohnung gelassen, den Waffenkorpus selbst einem Bank-Tresor anvertraut, in ein individualschwingungsgeprägtes Prallfeld innerhalb eines terkonitummantelten, verplombten Zylinders verpackt. Sie nahm die Energiemagazine aus der Schublade ihres Schreibtischs, in der sie alle Magazine aufbewahrte, die sie für autarke Geräte im Haushalt benötigte, und verließ die Wohnung. Es war ein sonderbares Gefühl, sich durch die Normalität zu bewegen, fast schon unglaubwürdig. Sie nahm die Gleitbänder. Sie wollte nicht mitten in der Luft, in einem Gleitertaxi schweben, wenn das Pendel zurückschlug. Nach wenigen Minuten erreichte Roya die Bank, betrat nach einer Zellschwingungsanalyse das Gelass, in dem eine Rohrpost aus den Kelleretagen ihr den Zylinder brachten. Sie nahm ihn an sich und verließ das Gebäude, in dem die Überwachung zweifellos die Waffe aufgespürt und gemeldet hätte. Sie begab sich an die Gestade des Rhuoshui-Sees, öffnete die Verplombung und das Schutzfeld. Da lag sie, eine altmodische TT-67 mit Griffmulde aus
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Elastogum und Bedienfeld mit farbkodierten Skalen, eingebettet in einfache Mahagoni-Optik. Die Waffe ihres Vaters. Behutsam ließ sie die Energiemagazine einrasten, aktivierte das tödliche Gebilde. Die Statusanzeige leuchtete grün. Der Strahler wog ein Kilogramm und lag schwer und verlässlich in ihrer Hand. Standby, dachte sie. Nicht vergessen, ihn nur auf >Bereitschaft< zu stellen, sonst bläst er mir am Ende den halben Hintern weg. Sie steckte ihn in den Hosenbund. Mist. Man wird es sehen. Dann machte sie sich auf den Weg. Hatte Rhodan sich so gefühlt, wenn er alleine gegen einen übermächtigen Gegner antreten musste? Dass du untergehst, wenn du dich nicht wehrst, wirst du doch einsehen. Merkwürdigerweise fühlte sie sich Rhodan nah. Sie akzeptierte, dass er diese Stadt geprägt hatte, dass sie seine Spuren trug, wie die Spuren hunderter Millionen anderer Menschen auch. Auch sie, Roya, würde nicht spurenlos gehen, verschollen sein wie ein Wanderer in der Nacht. Die Thora Road war nicht weit entfernt. Das ESCHER-Gebäude lag keine zehn Kilometer entfernt. Sie nahm das langsamste Gleitband und wechselte mehrere Male den Träger, bis sie auf dem schnellsten fuhr. Dass du untergehst, wenn du dich nicht wehrst, wirst du doch einsehen. Roya erreichte die Hecke, die völlig normal aussah. Sie entdeckte Dimrat vor dem Gittertor. Er trug sein grünes Kleid und stand vornübergebeugt. Er hantierte offenbar am Schloss und sah sie nicht kommen. Für einen Moment lächelte Roya über das absurde Bild: Sever Dimrat als Einbrecher, der mit einem vorsintflutlichen Dietrich versuchte, das Schloss zu ESCHER zu knacken. Ohne innezuhalten zog Roya die Waffe aus dem Hosenbund und drückte das Sensorfeld, das den Passivmodus aufhob. Ihr war, als könne sie die Energie spüren,
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wie sie sich im Lauf des Strahlers aufbaute. Die maximale Schussweite lag bei etwa 500 Meter, und Roya war keine zehn Meter mehr entfernt. Ohne anzuhalten hob sie ihren linken Arm, streckte ihn aus und nahm Dimrat ins Visier. Sie schoss. Das Andromeda-Monument Ein dünner, grün glitzernder Haarriss zog sich durch die Wirklichkeit. Das grüne Glitzern schlug in das grüne Kleid. Feiner Dampf stieg auf. Der Strahl wanderte zwei Fingerbreit nach rechts, einen Fingerbreit nach unten. Lange, zwei oder drei Herzschläge lang bohrte sich der Strahl in den Leib, dann erlosch er. Der Körper schlug am Gitter an, die Beine knickten ein und rutschten nach hinten weg. Die Stadt hielt den Atem an. Kein Aufschrei eines Passanten. Kein Polizeirobot, der auf sie zuraste. »Du meinst es ernst, Rie, nicht wahr?« Jemand griff ihr von hinten ans Handgelenk, bog es um und entwand ihr den Strahler »Haltet sie fest!« Zwei Männer fassten sie, hebelten ihre Arme nach hinten und wirbelten sie herum. Roya schrie vor Schmerz auf. Vor ihr stand Sever Dimrat, umgeben von sieben oder acht Männern, die ebenfalls die chiffrierte Kleidung trugen. Aus den Augenwinkeln sah Roya, dass die beiden, die sie hielten, auch zu Dimrats Gruppe gehörten, samthäutige, schwarzhaarige Männer; lange nicht so gebrechlich wie bei ihrem ersten Auftritt als verwirrtes Greisenknäuel. »Ihr erholt euch, ja?« Dimrat lachte. »Terrania tut uns gut. Vielleicht werde ich es nachbauen lassen, irgendwo. Vielleicht setze ich dir sogar ein Denkmal darin, Rie. Ich werde es — ja, ich werde es das Andromeda-Monument. nennen. Würde dir das gefallen? Nie gewesen, aber unvergessen — Darienne Roya, die Frau aus dem Nirgendwann. Die Frau, die uns verwirklich hat.«
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Er trat einige Schritte zurück, streckte den Arm aus und zielte auf Royas Stirn. »Wie schade«, flüsterte er. Dann senkte er den Lauf der Waffe, zielte auf ihr Herz. »Wäre ebenfalls schade. Dein Herz ist mein Herz.« Dann noch tiefer, auf ihren Schoß. »Besonders schade.« Er lachte. »Ich bin ein wenig ratlos. Wohin hättest du es gern?« »Wirst du meinen Tod überleben, Sever?« »Oh, ich denke schon, ja, da bin ich zuversichtlich. Dich habe ich hinter mir. Das da«, er zeigte auf das Tor in der Hecke, »ist das letzte Portal, durch das ich gehen muss.« Er überlegte. »Willst du zusehen?« Sie zuckte mit den Achseln. Dimrat zwinkerte ihr zu, schritt an ihr vorbei auf das Tor zu. Es waren nur wenige Meter. Er hob den Strahler und begann auf das Gitter zu schießen und... ... die Welt pendelte. Roya ... ... sah... ... wie der Strahl auf das Gitter traf, sich dort wie eine Flüssigkeit in einem Gefäß sammelte, das überlief, wie die Energie zurückblubberte auf Dimrat zu, sich dabei verdünnte, endlich in den Abstrahler des Desintegrators einfloss und ihn aufglühen ließ... …Dimrat, dessen Arm unendlich langsam nach oben gerissen wurde, dessen Hand die Waffe losließ, die sich vier-, fünfmal in der Luft überschlug, mit jedem Salto langsamer wurde und dann einfach hängen blieb ... ein Sausen, ein Sturm von Passanten, von denen Tausende in einem Augenblick auf allen Seiten an ihr vorübergischteten ... zwei Männer, die sie hielten, deren Wangen einfielen, die schlagartig gebrechlich wurden; schrumpften, sie losließen, kraftlos und mit vergilbten Augen zu
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Boden sanken. Roya hörte ihren Atem, es war das einzige Geräusch auf der Welt. Sie eilte auf Dimrat zu und blieb unter der Waffe stehen, die eine Armeslänge über ihr in der Luft hing. Roya musste sich strecken. Dann hatte sie ihre Hand am Griff und pflückte den Kombistrahler aus der Luft. Sie wich einige Schritte zurück. Pendelschlag. Dimrat riss den Mund auf, entdeckte die zwei zu Boden gesunkenen Gestalten, die grau und leblos da lagen. Er schrie: »Was hast du gemacht?« Roya schoss, Dimrat warf sich zur Seite... ... der Schuss schlug in die Schiefertafel mit dem Namen ESCHER ein; das Schild zersprang wie ein Glas, in das man kochendes Wasser goss... ... und schrie: »Haltet sie doch!« Dimrats Leute — Roya hatte sie vergessen. Konnte sie auch vergessen, denn die standen da, schlaff, fröstelnd, und suchten Schutz beieinander. »Deine Männer sind müde von der langen Reise, Sever!« Nächster Schuss. Diesmal traf sie. Dimrats Individualschutzschirm funkelte. »Du Schlampe, du verfluchtes Miststück!« Tumult. Passanten kreischten, rannten zur Seite, eine Sirene heulte auf. »Bürgerin Darienne Roya. Bitte stell das Feuer ein. Du gefährdest deine Mitbürger! Du beschädigst Sachgüter.« Ein Polizeiroboter schwebte auf seinem Luftkissen in die Schussbahn. Er hatte einen Prallfeldschirm aktiviert. Roya schrie auf. »Warum kommst du jetzt, warum bist du nicht gekommen, als der da«, sie wies auf Dimrat, »mich gefährdet hat?« »Wer da?«, erkundigte sich der Roboter. »Auf wen habe ich deiner Meinung nach geschossen, du blöde Maschine?« Die Maschine erstarrte mitten in der Luft und
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sondierte die Umgebung. »Interessanter Fall ...«, sagte sie. Pendelschlag. Es war schlagartig kühler geworden. Kein Wunder, es schneite. Dicke, rote Flocken rieselten aus dem August-Himmel und deckten die Stadt ein. Roya konnte kaum zwei, drei Meter weit sehen. Schemenhafte Passanten. »Terrania tut uns gut«, rief jemand aus der Ferne. Der Schnee schluckte den Schall. »Vielleicht werde ich es nachbauen lassen, irgendwo. Vielleicht setze ich dir sogar ein Denkmal darin, Rie. Ich werde es — wo bist du? Rie!« Roya schlich sich tiefer in den Schnee, weg von ESCHER. Sie fand ein Laufband, stieg auf und glitt ostwärts. »Holt sie!«, hörte sie Dimrats gedämpften Schrei, »fangt sie ein!« Heute bei Schakolls Sie zählte die Herzschläge im Hals. Sie war außer Atem und zitterte vor Kälte. Ganz sicher hatte nichts und niemand dieses Wetter angeordnet. Offenbar verlor die Wetterkontrolle die Kontrolle. Alles entglitt jedem. Für einen Moment überlegte sie, nach Karakoto zu fahren. Dort, an der Khooloi Road, befand sich eine der größten Polizeizentralen von Terrania. Und dort, in den amtlichen Arealen der Metropole, wo die Solare Residenz schwebte, wo sich viele Botschaften befanden, kannte sie sich nicht besonders gut aus. Dort war Aborigine-Territorium, dort war sie Touristin. Außerdem: Überall in der Stadt gab es Polizeireviere. Aber was sollte die Polizei helfen? Sie hatte nicht eingegriffen, als Dimrat sie bedrohte, und hatte offenkundig Probleme damit, Dimrat und seinen Club der toten Waffeningenieure auch nur wahrzunehmen. Darüber hinaus war Roya sicher, dass alle zuständigen Positroniken über die Bürgerin Darienne Roya informiert waren und ihr einen Aufenthalt in einer Psychotherapeutischen Klinik nahe legen würden.
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Dort säße sie in der Falle. Der Schnee normalisierte sich, wurde bleicher, weiß, fiel weniger dicht. Und enthüllte sie möglichen Verfolgern. Roya verließ das Band an einem Eingang zum Magnetturbobahnhof und stieg hinunter. Sie würde nach Sirius River City fahren. * Roya atmete auf, als die Tür hinter ihr zuglitt. »Versiegeln«, wies sie die Hauspositronik an. »Bist du sicher?«, fragte das künstliche Gehirn nach. Normalerweise vertraute Roya der Haussicherung. Heute nicht. Sie nickte und hörte gleich darauf, wie das Verbundmaterial der Türfugen aufzischte und verschmolz. Die Tür würde sich nur noch auf ihren ausdrücklichen Befehl hin öffnen oder durch ein polizeiliches Überrangsignal. Roya schnippte das Trivid an. Sie sehnte sich nach einigen Minuten Normalität, nach Holo-Schrott und Langeweile. Roya setzte sich auf ihr pneumatisches Schmiegekissen und legte die Beine über Kreuz. Der Servobot reichte ihr eine Schale mit einer süßsauren Pekingsuppe. Die Suppe war heiß, Roya rührte um und sah zu, wie Pilze an die Oberfläche schwappten und wieder in der Brühe untergingen. Auf jedem zweiten Kanal liefen politische Analysen und Kommentare zur Terminalen Kolonne. Roya suchte herum und schaute einige Minuten einer Satire-Show über Drorah zu. Die Comedians wurden immer geschmackloser. Dann hielt sie für einige Minuten bei einer Diskussion zweier Kunstpositroniken mit einem rumalischen Objektartist an, der aus synthetischer Menschenhaut Skulpturen auf Ödwelten errichtete »Körper-Montgolfieren«, »Verhülltes Schweigen«, »Leibhaftige Abwesenheit«. Was der Hautartist sagte, klang immer noch klüger als das Gefasel der beiden Positroniken (»n-dimensionale Abwesenheit wovon? Von bioresonanter
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Reflexion?«). Bald verlor sie den roten Faden und schnippte weiter. Auf Monggon 14 lief die Talkshow Schakolls. Schakoll, der sein Geschlecht immer noch als Betriebsgeheimnis hütete, hatte einen Modezaren vom Mars zu Gast und einen merkurischen Sonnenforscher, der irgendwelche Details über die Leiche ARCHETIMS erforschte. Schakoll hatte sein Gesicht mit einem Mineral-Make-up in einen Spiegel verwandelt. Seine Lippen glänzten wie altes Silber. Schakoll war ein Geck. Roya wollte umschnippen, als der nächste Gast angekündigt wurde: »Begrüßen wir den erhabenen - Perry Rhodan! Schwenk der Trivid-Kamera auf die Studio-Band. Zwei Maahks in Atmosphäreanzügen griffen mit ihren Sensorhandschuhen in die Saiten einer Harfe und spielten eine antike Melodie: »Horch, was kommt von draußen rein, holla hi, holla ho, ....« Freundliches Gelächter. Schwenk auf den Bühneneingang. Rhodan betrat das Studio und winkte mit einer Hand. Er trug einen modisch weit geschnittenen, grauen Straßenanzug, einen weißen Schal locker und offen um den Hals, vergoldete Stiefel. Das Publikum applaudierte dezent. »Setz dich, Perry! Du möchtest etwas trinken?« Rhodan nickte. Grunold humpelte mit einem Glas herbei, ein korpulenter Zwerg, ein Side-Kick Schakolls, von dem niemand wusste, ob es ein Lebewesen war oder ein Androide. Rhodan nahm das Glas und trank. Der Duftzerstäuber des Kubus übermittelte das Bukett von schwerem, altem Portwein. Roya nahm an, dass Rhodan nur deswegen vom Wein trank und das Glas leerte, um zu beweisen, dass der Resident wirklich im Studio war und nicht nur holografisch an der Sendung teilnahm. Diese Botschaft verstand auch das Publikum und klatschte erneut, diesmal deutlich lauter. Roya löffelte die dampfende Suppe. Sie war müde, und es fiel ihr nicht leicht, dem Gespräch zu folgen. Es war zu abstrakt:
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ARCHETIM, Protuberanzen, die Frage, ob man aus gatasischen Pelzen Kleidung schneidern dürfe, Rhodans Schuhwerk ... Die Augen fielen ihr zu. » ... unsere Verbündeten von der Terminalen Kolonne und wir uns einig«, sagte Rhodan gerade, »dass die Teilnahme des kompletten terranischen Kriegskarnevals an der Hangay-Expedition auch im Interesse der methanatmenden Völker Hathorjans ist. Wir, als Sachwalter der Anliegen beider Sterneninseln, sind zu jeder vernünftigen Anstrengung bereit. Einzig die Teilnahme halutoider Kontingente müssen wir nach wie vor ablehnen. Es wäre eine Beleidigung unseres lemurischen Erbes. Aber wir sind zuversichtlich, die diesbezüglichen Verhandlungen bald mit einem Ergebnis abzuschließen, das beide Seiten befriedigt.« Roya stöhnte leise auf. »Deswegen verstehe ich diese allgemeine Skepsis nicht«, fuhr Rhodan gerade fort. »Solche Skepsis grenzt an Defätismus. Hierin«, er beugte sich abrupt vor und tippte Schakoll hart an die Stirn, »wohnt die Angst. Das Zögern. Die Feigheit und als ihre Frucht - der Verrat. Wer zögert, verrät. Wer zweifelt, verrät. Ich verlange Gefolgschaft!« Rhodan hatte die Stimme erhoben. Applaus brandete auf. Diesmal klang er ohrenbetäubend. »Gewiss«, stimmt Schakoll zu und winkte den Zwerg herbei, der ihm und Rhodan nachschenkte. Rhodan trank in großen Schlucken; ein Teil des Portweins sickerte ihm aus dem Mundwinkel und bildete einen schmalen roten Faden. Roya schnippte Rhodans Hologramm näher heran. Der Resident hatte frisch verkrustete Schnittwunden an den Händen und auf einer Wange; er war noch hagerer als sonst, er sah aus wie ein Aztekenherrscher. In Royas Erinnerung glänzten Leichen auf, die steile Tempelstufen hinabstürzten und eine Blutspur hinter sich herzogen; Kinder, die in Käfigen hockten, fast verhungert, zum
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Weinen gebracht, um den Regengott zu ehren. Wurden solche Tempelpyramiden nicht eben in Terrania errichtet? Hatte sie solche Bauwerke nicht heute noch gesehen? Ihre eigene Erinnerung schmeckte fremd, ihre Gedanken klangen wie Fälschungen. Eine Kameradrohne näherte sich Rhodans Gesicht; man sah seine geschlossenen Augenlider den ganzen Hologlobus füllen. Wozu diese Regie?, fragte sich Roya. Dann schlug Rhodan die Augen wieder auf. Sie glänzten wie poliertes Messing. Er entdeckte die Kameradrohne und lächelte in die Aufnahmelinse. »Oder habe ich dich je in die Irre geführt?«, fragte er. Er fragte sie. Sie direkt, sie ausschließlich. Roya spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Sie verschluckte sich an der roten Suppe und bekam einen Hustenanfall. Rhodan lächelte ihr weiterhin zu, sachlich wie ein Chirurg. »Niemals«, hörte sie Schakolls ölige Stimme aus dem Hintergrund; »wir vertrauen dir vorbehaltlos, Maghan!« Roya wollte den Kubus ausschnippen, aber er reagierte nicht. Das Publikum applaudierte frenetisch. Roya schleuderte die Suppenschale in den Hologlobus und rannte aus dem Zimmer. »Ich bring dich um!«, rief sie im Hinauslaufen. Happy People in Happytown Roya ließ auch den Medienraum versiegeln. Die Dimratsche Realität drang durch alle Ritzen ein. Roya fühlte sich in die Enge getrieben. Wohin sie sah, nur Fronten. Sie griff nach dem Strahler. Womit sollte sie Sever töten? Sein Individualschirm wehrte den Desintegratorstrahl ab; etwas Durchschlagskräftigeres besaß sie nicht. Seufzend legte sie die Waffe auf den Boden. Sie würde ihre Wohnung verlassen. Sie fühlte sich hier nicht mehr zu Hause. Im Süden von Crest Lake City liegt der Stadtteil Happytown. Früher hatten sie Roya und ihr Vater - im Eric Manoli-
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Wohnturm am Südzipfel des Kalup-Parks gewohnt. Nichts hatte Roya so sehr gemocht, wie am Abend mit ihrem Vater über die grünen Terrassen der Wohnpyramide zu wandern, den Bachlauf entlang bis hinunter zur Mühle. Der Wald hinter der Mühle schirmte die Terrasse gegen die Straße ab. Ein mechanisches Käuzchen gluckste in den Zweigen. In der Mühle aßen sie Omelett, lauschten dem Klappern des Mühlrades und schauten den Raumyachten. Tiefraumfähren und Schiffen zu, die vom Crest Lake Space Port oder vom Handelshafen Point Surfat aus in den Himmel stiegen oder von dort oben herniedersanken. An manchen Tagen erinnerten sie die aufsteigenden Raumfahrzeuge an Kohlensäureperlen in klarer Limonade; die Lautlosigkeit ihrer Fahrt gab dem Start der Raumschiffe etwas Unwirkliches. Happytown war ihr vertraut wie kein anderes Areal der Stadt. Hier glaubte sie Dimrats Leuten am ehesten zu entkommen. Würden die sie hier überhaupt finden? Roya machte sich auf den Weg und nahm ein Gleitertaxi. Nach dem Tod ihres Vaters hatte sie noch einige Monate als Teenager allein in der Wohnung im Manoli-Turm gelebt, unzugänglich für den Jugendpsychologischen Dienst der Stadt, abgeschottet von allen Erwachsenen. Roya war mit ihrer Schar Gleichaltriger durch Happytown gezogen. Ihre Lieblingsorte waren Wotans Hangar und Lokis Bunker in den Subetagen von Happytown gewesen. Roya verließ das Gleitertaxi vor der Senke zu Wotans Hangar. Der Hangar war das Herzstück des großen Vergnügungsviertels Happytown. In den fünf subplanetaren Ebenen wurde alles angeboten, was die Sinne eines Humanoiden erfreute. Es gab Revuen. Kunstausstellungen und Poetry Slams, bei denen die Autoren kleinere Körperglieder als Wetteinsatz boten; die Verlierer der Slams büßten eine Fingerkuppe ein, einen Zeh oder ein Ohr, nichts, was die Regenerationsmedizin nicht
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innerhalb einer Woche beheben konnte. Trotzdem amüsierten sich die Literaturbegeisterten bei den winzigen Amputationen enorm. Roya ging an den Lyrischen Arenen vorbei, es herrschte noch kein Betrieb. Sie ließ sich von der Menge der Schaulustigen und Kunden in Richtung Schimmerland treiben. Die Vorhänge vor dem Sehnsuchtstor bestanden aus synthetischer Haut, der linke Flügel duftete feminin, der rechte maskulin. Dahinter begann das Schimmerland. Die Schaufenster altväterlicher Bordelle wechselten mit holoerotischen Mitmachtheatern; hier wurden Reste des Simusense-Netzes in Betrieb gehalten, in denen die Süchtigen ein anderes, rundum paradiesisches Leben führten - ohne Chaosmächte, Traitanks und Dauerbombardement; hier reihten sich Drogenkneipen - Fool's Folly war gerade angesagt, aber auch High Speed und Führmichweg - an Opiumhöhlen. Als Jugendliche hatte Roya einige Male in Schimmerland gejobbt, aber die Arbeit dort gefiel ihr eigentlich nicht, selbst wenn sie vor dem Verkehr mit Kunden Träntax inhaliert hatte, eine bewusstseinserheiternde Droge, die alles Erleben auf sonderbare Weise vergoldete. Als Erbin ihres Vaters hatte sie den Verdienst außerdem nicht nötig, und so gab sie diese Beschäftigung auf. Weiter unten, auf Ebene IV, befand sich die größte Strogg-Arena Terranias. Roya hatte sie immer gehasst. Sie überlegte, ob sie heute hinab zur Strogg-Ebene sollte oder noch tiefer hinunter, in Lokis Bunker. Der Teenager Darienne war mit der Schar besonders gerne durch diese unteren Etagen gestromert, die sich unterhalb von Wotans Hangar ausbreiteten. Hier hatte sie sich vor allem von der Wasserstoffwelt angezogen gefühlt, dem Stockwerk, das auf die Lebensbedürfnisse von Maahks und artverwandten Völkern eingerichtet war. Roya und ihre Schar hatten sich Fremdweltenanzüge geliehen, die die hohe Schwerkraft und die Hitze im Wasserstoffhabitat kompensierten. Denn
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unten war die Gravitation auf 2,9 Gravo eingestellt, die Temperatur schwankte um 80 Grad Celsius. So ausgerüstet waren sie in die MaahkEtage gestiegen. Sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht, die teilweise nackten Maahks zu beobachten und zu necken. In alter Zeit hatten die Maahks als gefühlskalte Logiker und Hochleistungsgebärmaschinen gegolten. Im frühen fünften Jahrhundert NGZ wurde durch die Aktivierung ihre emotionale und künstlerische Ader geweckt. Seit diesem Evolutionssprung erwiesen sich die Maahks auf eine geradezu bizarre Art als kinderlieb. Sie standen den Übergriffen des terranischen Nachwuchses daher fast wehrlos gegenüber. Noch ein Opfer des Rhodan-Virus, dachte Roya belustigt. Unbeschwerte Tage. Happy People in Happytown Aber heute mochte sie nicht hinabsteigen. Das Wasserstoffhabitat schien ihr zu gefährlich, zu explosiv und leicht zu sabotieren durch Dimrats Truppe. Sie würde in Wotans Hangar bleiben. Roya ging über das Dach der StroggArena. Das Dach bestand aus Sicherheitsglassit und diente zugleich als Boden der darüber liegenden Etage. Hier flanierte das Publikum der Strogg-Spiele. Roya fand das Spiel immer noch widerwärtig. Die Stroggisten aller drei Teams waren mit dem Faradayschild an dem einen Arm, der Elektroschleuder am anderen ausgerüstet. Die neun Spieler jeder Mannschaft bewegten sich in einer vorzeitig anmutenden, auf unbestimmte Art makabren Holo-Landschaft, die sich im Zehnminutentakt verschob und veränderte. Hier verbargen sie sich, von hier aus trugen sie ihre Attacken vor. Zwei Teams konnten sich gegen das dritte verbünden, Teammitglieder konnten überlaufen, es gab eine Einzel- und eine Mannschaftswertung. In den Käschern der Schleudern wurden faustgroße Kugelblitze geladen, die man auf die Gegner werfen konnte. Die Schilder konnten die Ladungen auffangen und fressen; trafen
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sie, führten die schmerzhaften Elektroschocks meistens zum Tod. Natürlich wurden die Toten unmittelbar darauf und noch auf dem Spielfeld reanimiert. Das Publikum trieb einen regelrechten Kult um die Multitoten, die zehn- oder mehrfach auf dem Strogg-Feld gestorben waren. Manchmal allerdings blieben die Wiederbelebungsversuche erfolglos. Strogg — die Leichenolympiade. Eigentlich wunderte es Roya nicht, dass Dimrats Leute ausgerechnet hier auftauchten. Sie sahen nicht so siech aus wie bei ihrer ersten Begegnung, aber auch bei weitem nicht so vital wie Dimrat selbst. Deserteure aus dem Totenreich. Es waren etwa zehn Tefroder, die aus allen Richtungen auf Roya zukamen. Das Publikum applaudierte gerade einem Stroggisten, der unter zwei Blitzen zusammengesunken war. Sein Schädel klopfte auf den Boden der Arena; der Sterbende nässte ein. »Ho, ho, hoch mit ihm, macht ihn wieder lebend!«, skandierten seine Fans. »Darienne Roya«, hörte sie das Raunen der Tefroder, »hilf uns, komm mit uns, erlöse uns«. Die Tefroder bewegten sich nicht wie Menschen, bemerkte Roya, sie gruppierten sich um im Raum, als versuchten sie, ein Muster zu bilden, ein Netz, das Roya in die Mitte nahm. Sie wich aus, streckte die Arme von sich. Sahen die StroggZuschauer, was geschah? Hatten sie Augen für die Tefroder? Jetzt waren vier oder fünf Tefroder auf Armlängen heran. Sie fassten zu. Ihr Griff war lappig, klebrig, aber nicht fest. Roya entwand sich ihnen. Die Hände und Arme der Tefroder dehnten sich wie Gummi; die Münder taten sich auf, wurden rund und seufzten in einem tiefen Ton. »Ihr seid nur Gespenster!«, zischte Roya sie an. Die Tefroder ließen sie los, fröstelten, drängten sich aneinander und flüsterten in einem fort: »Du auch, Darienne Royal« Die Tefroder verflüchtigten sich, als Roya die Strogg-Ebene verließ. Roya atmete tief
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durch. Sie hatte sich durchgesetzt, wieso auch immer. Gespenst gegen Gespenst. Pararealität gegen Pararealität. Realität gegen Realität. Patt, dachte sie. Mal sehen, ob ich nicht noch was Besseres kriege als ein Patt. Zukunft ja oder nein? Roya stieg in die höheren Ebenen von Wotans Hangar. Was hatte Dimrat vor? Wo, wann, mit welchen Mitteln würde er erneut zuschlagen? Sie kam an einer Zeltkonstruktion vorbei, die in einer Einkaufspassage zwischen zwei Buden aufgeschlagen stand. Links ein VoodooShop, rechts Traumfänger aus einer Neurolasur. Das Zelt bestand aus zerschlissenem Tuch, darüber flimmerte ein Werbeholo mit etlichen defekten, erloschenen Lettern: WOLL SI ISSEN WA D UKUNFT BRNGT? MIR IST DIE ZUK EN OFFE BUCH! Im Zelt saß ein Roboter hinter einem Holztisch. Es war eine altertümliche Maschine. Sein Äußeres - seine Haut strahlte an wenigen Stellen in tiefem Kupferrot, der Rest war von Grünspan überzogen. Den Kopf bedeckte ein flammend rotes Tuch. Auf dem Tisch lag ein Kartendeck, daneben stand ein Becher aus Silber. Ganz am Rand sog ein Rauchautomat an einer dicken Zigarre, inhalierte den Rauch und führte ihn über einen durchsichtigen Schlauch in den Schädel des Roboters. Er glotzte Roya aus, seinem einzigen Auge an. »Na, Schätzchen, Willst du wissen, was dir die Zukunft bringt?« Das Zyklopenauge zwinkerte, die Plastiklippen spitzten sich. Roya musste lachen, und das Lachen tat ihr gut. Es war so normal, über so ein Angebot zu lachen. »Die Zukunft? Die könntest gerade du mir sagen?« »Worauf du einen lassen kannst, Schätzchen«, sagte der Roboter und schnalzte. Roya wandte sich ab. Dimrat würde möglicherweise...
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»Es gibt keinen Weg, nur gehen«, rief ihr der Roboter hinterher. »Wenn ich es gefunden habe, weiß ich, was ich suchte.« Roya drehte sich um und ging einige Schritte zurück. »Redest du mit mir?« »Nein«, sagte der Roboter, »ich rede mit mir. Ich führe immerzu Selbstgespräche. Auf diese Weise bilde ich mich fort und werde immer weiser.« Er gab ein mechanisches Wiehern von sich anscheinend ein Gelächter. Er zwinkerte ihr wieder zu. »Also, was ist jetzt, Zukunft ja oder nein? Stiehl mir nicht den Tag. Meine Zeit ist kostbar!« Roya winkte ab. »Schon gut. Wenn ich mich setzen darf, sag mir die Zukunft voraus.« Der Roboter drückte einen protzigen roten Knopf auf seinem Tisch, ein Hocker fuhr aus dem Boden hoch. »Setz dich und probier; ob er deinem Hintern passt.« »Passt«, sagte sie. »Und? Liest du mir jetzt aus der Hand?« »Nein. Ich lese nur aus Menschengekröse!« Wieder produzierte er das wiehernde Geräusch. »Keine Bange, Schätzchen. Nur ein Witz. Nein, ich lege dir natürlich die Karten.« Mit einem seiner Tentakel fächerte er das Deck Karten auf. Roya sah, dass die Karten uralt waren, aus Papier oder Karton gefertigt, wenn nicht sogar aus Leinen. Der Roboter drückte erneut den roten Knopf, die Karten erhoben sich schwerelos, verteilten sich über dem Tisch und begannen, sich wie in einem Strudel zu drehen. Ein Antigravfeld, vermutete Roya. Die Karten wirbelten immer schneller herum, so schnell, dass Roya kein einzelnes Bild mehr sah, nur noch verwischte Farbschlieren. Der Roboter hob einen Tentakel, stieß damit in den Wirbel, zog. eine Karte und legte sie auf den Tisch. »Storch«, sagte er. Dann zog er die nächste. »Mäuse.« Weiter. »Turm. - Kind. - Sense.« Das Antigravfeld legte die restlichen Karten in der Luft zusammen und lud den Packen auf dem Tisch ab. »Tja«, sagte der Roboter.
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»Tja was?« »Der Storch«, erklärte der Roboter, »bedeutet eine lange Reise. Veränderungen stehen ins Haus. Du wechselst den Job oder etwas in der Art. Die Mäuse heißen: Etwas nagt an dir. Etwas wird dir gestohlen. Du verlierst etwas.« Die Mäuse untertreiben. Ich verliere nicht etwas, ich verliere die ganze Welt. Er schwieg. »Und der Turm?«, fragte Roya nach. »Turm will sagen: eine Behörde, ein Amt, eine Forschungseinrichtung, du weißt schon der Elfenbeinturm der Wissenschaft. Als Personenkarte gelesen, heißt der Turm Person in leitender Stellung. Du hast eine Person in leitender Stellung kennen gelernt? Oder wirst es tun.« »Das ist ja eine frohe Kunde«, sagte Roya und versuchte einen ironischen Unterton in ihre Worte zu legen. »Kürzlich habe ich Rhodan im Stadion gesehen. Etwas in der Art?« »Nein. Etwas nicht in der Art. Jedenfalls nicht vor dem Hintergrund dieses Blattes. Turm bedeutet auch Einsamkeit. Trennung.« »Aha. Also nichts Gutes?« »Wir haben noch Kind und Sense. Das Kind steht für einen Neuanfang. Aber auch für Naivität. Und die Sense ...« »Kann ich mir denken: Sensenmann. Der Tod?« »Woher hast du denn den Unsinn? Die Sense hat die Grundbedeutung Gefahr, heißt aber auch Selbständiges Handeln. In dieser Verbindung würde ich sagen: Handele selbständig, dann steht dir ein Neuanfang bevor.« »Tja. Alles in allem: Das habe ich mir auch schon gedacht.« »Schätzchen, was erwartest du für die paar Kröten? Übrigens, da wir gerade über Geld plaudern ...« Roya seufzte und hielt ihm den kleinen Finger hin. »Zieh dein Honorar ab.« Der Roboter kassierte. Übermäßig teuer war er nicht.
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»Warum«, fragte Roya das Maschinenwesen, »kann man die Zukunft eigentlich nicht wirklich voraussehen?« »Warum können Männer nicht treu sein?«, fragte der Roboter zurück. »Können sie nicht?« »Nein, können sie nicht. Glaub mir, Schwester, ich spreche aus Erfahrung. Und die Zukunft berechnen? Das ist, als wollte man mit einem Senkblei die Tiefe der Nacht ausloten. Wir verfügen einfach nicht über die passenden Instrumente, und wir stehen nicht an der geeigneten Position.« »Was wäre denn eine geeignete Position?« Der Roboter wieherte. »Das Ende der Zeit, Schätzchen, der Jüngste Tag.« »Darüber hinaus gibt es ja keine Zukunft mehr«, wendete Roya ein. »Darum. Vom Standpunkt des Jüngsten Tages aus betrachtet ist alles Vergangenheit, und die lässt sich erforschen. Könnte ich eine außerzeitliche Position beziehen - aber ich werde den Teufel tun und meinen lukrativen Stand hier aufgeben -, könnte ich zum Beispiel als Schöffe beim Jüngsten Gericht in die Zeiten zurückschauen, dann könnte ich dir deine Zukunft im Nachhinein voraussagen.« »Großartig«, lobte Roya. Sie dachte nach. »Heißt das, dass alles, was geschehen wird, in gewisser Hinsicht schon geschehen ist? Jedenfalls von diesem Standpunkt aus betrachtet?« Der Rauchautomat paffte eine dicke Wolke Tabakqualm aus und der Roboter verkündete: »In der Tat heißt es das.« »Wo bliebe dann die menschliche Freiheit?« »Ja, weiß der Teufel, wo die bleibt!« Die Maschine krähte und wieherte lauter als je zuvor; ihr ganzer kupferner Leib schüttelte sich. Roya hörte nicht mehr hin. Sie dachte nach: Wenn die Zukunft schon Vergangenheit ist, ist die Vergangenheit ja nur eine Form der Zukunft... »Sag einmal«, fragte sie den Roboter, »kannst du mir eine Verbindung ins HistNet schalten?«
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»Warum? Willst du jetzt deine Zukunft in der Historie nachlesen? Traust du meinen Karten nicht?« * Der Roboter hatte keinen humanoid gestalteten Unterleib, sondern fuhrwerkte auf einem Rollstuhl herum. Er führte Roya nach hinten. Der Innenraum des Zeltes war geräumiger, als es von vorne den Eindruck machte. Dort lagen auf einem Haufen etliche Positroniken und Roboter, teils ausgeschlachtet, teils vor sich hin brummend. Von einem Terminal aus ging sie ins HistNet. Das erste Stichwort, das Roya eingab, war Tikagal. Eine scheppernde Stimme trug die Fundstellen vor: »Tikagal. Tefrodische Bezeichnung für den einzigen Planeten des M-Klasse-Sterns Pritmar in der nördlichen Peripherie von Andromeda, tefrodisch Karahol, Zweite oder Große Insel.. Relikte einer Urbevölkerung unerforscht. Spärliche tefrodische Besiedlung bis ins Jahr 2407. Dann Vernichtung des Planeten durch eine Maahk-Flotte.« Roya stutzte. »Wie: vernichtet? Zerstörung der tefrodischen Siedlung?« »Restlose Zerstörung des Planeten durch Initiierung eines Kernbrandes. Kollision der Trümmer mit dem Doppelmond des Planeten.« Interessant. Die Maahks waren zu dieser Zeit noch nicht emotional aufgewertet gewesen. Nur gefühlskalte Frösche. Also konnte die Vernichtung Tikagals kein irrationaler Akt gewesen sein. Warum vernichten die Maahks eine fast unbesiedelte Randwelt? Und woher bezieht das HistNet seine Informationen über diesen Akt? »Warum weißt du etwas darüber? Haben die Maahks die Terraner von diesem Feldzug unterrichtet?« »Keine maahksche Kennung im Datensortiment.« Wenn nicht die Maahks die Terraner informiert hatten und man bei einer »restlosen Zerstörung« kaum mit
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tefrodischen Überlebenden rechnen konnte, lag eine andere Lösung nah: »Haben also Terraner die Zerstörung beobachtet? Und wenn ja: Warum hielt sich eine terranische Einheit gegen Ende des Krieges gegen die Meister der Insel in den Randzonen von Andromeda auf? Das wäre doch unsinnig. Es sei denn, die Terraner hatten Interesse an dieser Welt. Frage also: Sind terranische Verbände auf Tikagal gelandet?« »Keine Information über eine Landung terranischer Verbände zugänglich.« »Was heißt das: Liegen keine Daten vor, oder ist der Zugriff gesperrt?« »Gesperrt.« »Von wem?« »Siegel der Solaren Flotte. Sektion Wissenschaft und Datenbergung.« Demnach war es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass Mitglieder der Solaren Flotte sich ein wenig auf Tikagal umgetan hatten. Und das sicher nicht, um archäologische Schätze aus vor-tefrodischer Zeit zu heben. Roya konnte sich denken, was man damals auf dem Testgelände gesucht hatte ... »Schätzchen«, mischte sich der Wahrsageroboter ein, »gerade werde ich von irgendeiner übergeordneten ProtzPositronik gefragt, wer zum Teufel sich hier unten für Tikagal interessiert.« »Könntest du sagen: du selbst?« »Schaun wir mal ... schon. geschehen. Wenn du so lieb bist und mir noch mal deinen kleinen Finger reichst, Schätzchen.« Roya rief die Stichworte Faktor I, Mirona Thetin auf. Ein Dossier öffnete sich. Sie engte ihre Wahl ein auf das Jahr 2406 alter Zeitrechnung; Todesursache der Meisterin, Obduktion. Die Stimme im Holokubus trug vor; Roya betrachtete die Bilder und kurzen Bildsequenzen. Die Eröffnung der Leiche hatte am Todestag stattgefunden, am 24. Februar 2406 alter Zeitrechnung. Offenbar war Thetin nicht bereits an Bord der Korvette obduziert worden, die sie von Tamanium geborgen hatte, sondern erst in der medizinischen Abteilung der CREST III.
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Die Aufzeichnungen der Obduktion waren immer noch versiegelt. Offenbar hatten damals Menschen selbst die Leichenschau durchgeführt und nicht die positronischen Assistenten, denn unterzeichnet hatte das Obduktionsprotokoll ein gewisser Dr. Ralph Arthur, Chefarzt der CREST III. Im Hologramm erschien ein dürrer, missmutig dreinblickender Glatzenträger, der zum Zeitpunkt der Aufnahme fast noch in Royas Alter gewesen sein musste. Wie jung die Verantwortlichen damals waren, dachte Roya. Jung und schon in Andromeda! Heute fliegt man nicht mehr nach Andromeda. Heute kommt Andromeda zu dir Das Resultat konnte Roya sich allerdings referieren lassen. Faktor I war an den Folgen einer Verletzung durch einen primitiven Wurfspeer gestorben. Kein Strahler also, keine High-TechWaffe. Ein einfacher Speer - Roya lachte, als ihr die Symbolik dieses Todes aufging. Tod und Liebe. Atlan, der Liebhaber, hatte Thetin, die Geliebte, mit einem Speer aufgespießt - die Frau war dem Schaft des Mannes erlegen. Zeit, den Spieß umzudrehen. Roya nickte dem Roboter zum Abschied zu. »Pass auf dich auf, Schätzchen!«, rief er ihr nach. »Und denk daran - Storch und Mäuse, Sense, Turm und Kind! Lies die guten Zeichen!« Roya nickte. Sie hatte verstanden. Zeit, den Spieß umzudrehen. Zeit, nach Sherwood Forest zu gehen. Bogenbau Sherwood Forest befand sich in einer Nische auf der zweiten subplanetarischen Etage von Wotans Hangar. Roya stieg direkt vor dem Laden vom Gleitband und trat ein. Tak-Tempum stand wie üblich hinter der Theke, als hätte er nur auf sie gewartet, grinste und rief: »Sieh da, Lady Marian!« Selbst für einen Ferronen war TakTempum mit seinen eineinhalb Metern
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lichter Höhe auffallend klein. »Hallo, Bruder Tak«, begrüßte Roya ihn. Tak-Tempum, der Inhaber des »Sherwood Forest«, war kompakt, beinahe korpulent. Fast jeden seiner Stammkunden sprach er mit einem Künstlernamen an, die er der Legende um Robin Hood entnommen haben wollte. Außerdem waren nach Royas Informationen weder Unither noch Maahks unter Robin Hoods Gesellen gewesen, wie Tak-Tempum immer wieder mit Hinweis auf die Quellen behauptete: »Lest nach, go back to the roots!« Als beherrschte der Ferrone die tote Sprache Englisch. »Ich brauche einen neuen Bogen.« TakTempum schaute sie aus seinen Augen unter der Stirnwulst an. »So?« »Gib mir das Beste, was du hast, bitte.« Etwas in ihrer Stimme verriet ihm, dass sie nicht plaudern wollte. Gemeinsam suchten sie die Elemente zusammen. »Ich brauche noch einen Visierhelm. Und Pfeile. Und bitte einen eiligen Pfeil.« »So?« »Frag bitte nicht. Gib ihn mir einfach.« »Registriert oder nicht?« »Hast du einen unregistrierten?« Er nickte. »Aus alter Freundschaft, ja?« Roya wollte nicht, dass der Pfeil zurückverfolgt werden und dem Ferronen Ärger bereiten konnte. »Darf ich den Bogen hier bauen?« Tak-Tempum wies auf einen Raum hinter dem Verkaufslokal. »Du kennst dich ja aus.« Roya baute den Bogen. Es war ein Recurve-Bogen, wie er seit Jahrtausenden zu Wettkämpfen benutzt wurde. Die Griffschale war aus hartem Kirschholz; die beiden Wurfarme, aus klassischem Aluminium gegossen, blau und kalt. Die kreisrunden Löcher im Aluminium verringerten das Gewicht der Stücke. Roya steckte die Schale, den oberen und unteren Wurfarm zusammen. Sie montierte die Pfeilauflage, dann die Visierschiene und das Visierkorn auf die Schiene. Im Korn steckte die positronische Verbindung zum Visierhelm. Sie schraubte den Klicker auf, die Auszugskontrolle, die den Pfeil fixierte.
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Sie nahm sich Zeit, die Sehne zu bauen; sie rollte die Seide ab und achtete darauf, dass die Sehne dünn blieb und leicht; so wurde sie schneller und genauer. Zum Schluss verstärkte sie den mittleren Teil der Sehne, in den der Pfeil später eingenockt würde. Dann spannte sie den Bogen mit Armen, Fuß und Schenkel in einer viel geübten, tänzerischen Bewegung. Mit dem Tiller stellte sie den Bogen auf die höchstmögliche Zugkraft, 42 lbs, um die Durchschlagkraft zu erhöhen. Der Button bestand aus nicht-oxidiertem V2AMetall; als Stabilisatoren benutzte sie Karbonstäbe. Sie wählte Karbonpfeile mit einem Aluminiumkern, die Spitzen aus Stahl leicht gerundet, was ihn geschmeidiger gegen den Luftwiderstand machte; gedrehte Spin-Wings als Federn, um später den Pfeil im Flug rotieren zu lassen und seinen Flug so zu stabilisieren. Mit diesen Federn würde der Schuss auch auf 60 bis 70 Meter noch die Durchschlagskraft eines 9-MillimeterProjektils haben und tödlich sein. Zuletzt karr): der eilige Pfeil in den Köcher, das beste Stück, wie es die Schützen nur zu besonderen Zwecken einsetzten, etwa, wenn sie einen Pfeil im Flug treffen wollten. Den dreilagigen Tab aus Leder, der ihre Finger schützen sollte, steckte sie in den Gürtel. Sie legte den Armschutz zurecht, überprüfte die Ladung des Visierhelms und die Ohrenpolster, die die Außenwelt verstummen ließen. Sie hatte immer schon die Lautlosigkeit ihres Sports geliebt, gesteigert durch das Schweigen ihrer Konzentration. Sie band den Köcher um und hielt den Boden fest in der Hand. Dann bezahlte sie. Bar. Der Ferrone steckte das Geld kommentarlos in die Hosentasche. »Roya«, rief Tak ihr nach. Sie drehte sich in der Tür um. »Good bye with you! « »Du weißt, was du da sagst?« . »Aber ja!« Ein Lächeln huschte über sein blaues Gesicht: »Gott sei mit dir, Lady Marian!«
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Darienne, dreimalige Stadtmeisterin von Terrania, begab sich auf die Jagd. Zwischenruf Es geht zu Ende, ich weiß. Ich weiß auch, innerlich hast du dir das, was Rhodan im Stadion sagte, längst zu eigen gemacht: »Dass man untergeht, wenn man nicht schwimmt, wird man doch einsehen!« Ich frage mich, ob es wirklich niemanden gibt, an den du dich hättest wenden können? Keinen Beistand? Was ist, fällt mir ein, mit Rhodans Mutanten, diesem Startac Schroeder oder dem legendären Gucky? Sie hätten deinen Geist sondieren, hätten spüren können, dass du nicht wahnsinnig bist. Dass eine Realität hinter allem steckte, wenn auch eine Realität, die allzu unwahrscheinlich schien. Und doch: eine lebensbedrohliche Realität. Aber ich weiß ja, du hast dich nie anfreunden können mit dieser Clique um den Aborigine Rhodan, nicht wahr? Vielleicht warst du auch einfach zu jung, um Hilfe anzunehmen. Du bist am 31. März 1312 NGZ geboren, wenige Monate, bevor Perry Rhodan in seiner Ansprache vor dem Galaktikum in Mirkandol vor dem zu erwartenden Hyperimpedanz-Schock warnte. Jetzt bist du eben dreiunddreißig Jahre alt. So jung. Ein alter Mann wie ich hätte weniger Skrupel gehabt, um Hilfe zu bitten. Vielleicht sind alte Männer wie ich ja auch gieriger nach dem Leben, als du es bist. Du armer, verlorener Mensch. Schade um dich. Zumal die Chance verschwindend gering ist, dass jemals jemand etwas von dem erfährt, was du für deine Stadt Terrania, für die Erde, für die ganze Liga getan hast. Für die ganze Welt, um genau zu sein. Ungern sehe ich, was gleich geschehen muss. Aber ich wende meinen Blick nicht ab. Das bin ich dir schuldig, Darienne Roya. Looping
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In der geräumigen Aufzugskabine erkannten sie einige Jugendliche, kamen von der Bar herüber und baten sie um ein Autogramm. Roya zeichnete ihre Unterschrift mit dem Zeigefinger der linken Hand in die projizierten Holofelder der drei, die sie lachend abspeicherten. Die Jugendlichen stiegen aus, Roya fuhr allein hoch zum Ausgangsportal. Sie verließ Wotans Hangar und stand an der Oberfläche, geblendet von Finsternis. Sie vergaß zu atmen und starrte geradeaus. Sie drehte sich um die eigene Achse. Eben noch war sie aus dem Portal über dem Hangar getreten. Nun war das Portal fort. Nicht nur das Portal. Alles war verschwunden, Terrania existierte nicht mehr. Sie legte den Kopf in den Nacken. Auch dort war alles ausgewischt. Die Nacht war endgültig. Roya machte einige Schritte. Unter ihren Füßen nur Geröll, Schutt, manchmal scharfkantiger Schotter. Nichts, was da lag, war größer als eine Faust. Reste, Staub. Schnell hatte sie jegliche Orientierung verloren. Wo war Norden, Süden? Sie atmete tief ein. Sie wartete. Nichts geschah. Sie wollte ihr Zeitgefühl behalten. Sie horchte auf ihren Herzschlag, aber ihr Herz fühlte sich fremd an, als ob es nicht mehr ihr gehörte. Sie hielt sich am Bogen fest, dem Griff aus Kirschholz. Sie atmete tief ein. Sie wartete. In weiter Ferne tauchte ein fahler Schein auf, ein unglaublich mattes Grün. »Bürgerin Darienne Roya. Wohin darf ich dich bringen?« Sie fuhr herum. Da schwebte ein Gleitertaxi mit geöffneter Tür. »Wohin wäre denn möglich?« Ihre Stimme klang fremd. »Tja«, erwiderte das Taxi. »Ein alter Freund von mir pflegt zu sagen: Es gibt keinen Weg, nur gehen.« »Wo ist dein Freund jetzt?«
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Das Taxi schwieg für einige Sekunden. »Mir scheint, ich habe den Kontakt zu ihm verloren.« Roya stieg ein und legte den Bogen und den Löcher auf den Sitz neben sich. »Wohin also?«, fragte das Taxi. »Flieg einfach los. Wenn ich es gefunden habe, weiß ich, was ich suchte.« Das Taxi stieg einige Meter hoch und hielt wieder an. Roya schaute sich um. Da war das grüne Schimmern. »Siehst du das Licht?« Sie nahmen Fahrt auf. Das Licht kam allmählich näher. »Kannst du es vergrößern?«, bat Roya. Die Frontscheibe selektierte einen Ausschnitt und vergrößerte ihn. Roya erkannte das Mental-Katapult. »Schneller.« Das Gleitertaxi beschleunigte. Für einen Augenblick fühlte sich Roya in das Polster gedrückt. »Der Turm bewegt sich«, meldete das Taxi. »Schneller.« Tatsächlich sah Roya, dass Dimrats Waffe über die Ebene glitt, wie die Turmfigur auf dem Schachbrett. Weit hinter dem Turm sah Roya eine winzige Glut. Darauf bewegte sich der Turm zu. »Überhol ihn. Wir müssen vor ihm da sein!« Das Taxi zog am Turm vorbei, der Turm flammte auf. Die rote Glut kam rasch näher. »Flieg nicht ganz bis zum Feuerbrunnen«, wies Roya das Taxi an. »Lande — jetzt!« Der Gleiter sank in einem flachen Bogen. Roya stieg aus. Sie stand in einem vagen Dämmerlicht, in einer fahlen Lichtinsel inmitten der alles umfassenden Finsternis. Ein letztes Mal kontrollierte sie den Bogen. Dann ging sie los. Sie hatte es nicht weit. Diesmal fand sie Dimrat allein vor. Er hockte vor dem ESCHER-Tor, die Arme auf den Knien, als meditierte er. Ihren Anflug hatte er nicht bemerkt. »Sever!«, rief sie ihn an, als sie noch dreißig Meter von ihm entfernt war. Sever Dimrat stand auf und wandte sich ihr zu. Er schien zu zwinkern. Hatte er
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Schwierigkeiten, sie zu sehen? Flackerte sie in seinen Augen? Er rief: »Hallo, Rie. Wieder mal als Todesbotin unterwegs?« . Roya zog den ersten Pfeil aus dem Köcher, justierte den Visierhelm, zielte und schoss. Sie konnte dem Pfeil im Flug nicht folgen, sah nur; wie er in den Individualschirm Dimrats traf und zerbrach. »Hast du gedacht, mein Schirm hielte mechanische Gewalt nicht ab?«, fragte er verwundert. Roya arbeitete, verschoss Pfeil auf Pfeil. Dimrat blickte sie ausdruckslos an und kam langsam auf sie zu. Roya zog den letzten Pfeil aus dem Köcher, nockte ihn ein und zielte. Im Visier sah sie Dimrat lächeln. Er breitete die Arme aus, hielt an und nickte ihr zu. Gut, auch den noch, auch den letzten noch. Dann hast du getan, was du konntest, dann kannst du dich ergeben. Milde war sein Lächeln, voller Verständnis, Einverständnis. Wie gut wir uns verstehen, dachte Roya. Sie zielte genau. Sie schrie auf und schoss. Förmlich im selben Moment schlug der Pfeil am Scheitel des Individualschirms ein und prallte ab. Roya ließ den Bogen endlich fallen und fing ihn auf. Er pendelte an ihrer Seite. Die Stabilisatoren klopften ein-, zweimal auf den Boden. Ihr Köcher war leer. Dimrat nickte, setzte sich wieder in Bewegung und kam weiter auf Roya zu. Sie legte den Bogen auf die Erde, schnallte den Tab von der Hand und hob den Helm ab. Dann schaltete sie das Helmvisier aus und aktivierte damit zugleich das vorprogrammierte Signal. Dimrat hatte sie erreicht. Mit einem handtellergroßen Gerät scannte er, ob sie noch etwas bei sich trug, was als Waffe hätte dienen können. Aber jetzt war sie unbewaffnet. Er schaltete seinen Individualschirm ab. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, hielt sie auf eine Armlänge von sich und betrachtete sie.
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»Sternenhaar«, sagte er, lächelte fröhlich und schloss sie in die Arme. »Ich werde dich festhalten«, versprach er, »und dieses ganze absurde Universum wird sich verflüchtigen wie ein Fiebertraum.« Sie schwieg und schaute in seine messingfarbenen Augen. »Nun?«, fragte er. Sie nickte. »Gleich«, sagte sie. »Gleich ist es vorbei.« Er strich ihr Haar vom Ohr und flüsterte ihr zu: »Nichts ist vorbei. Alles fängt an.« Und da er sich so in ihre Augen vertiefte, wie sie sich in die seinen, sah er nicht, was hinter ihm geschah. Der eilige Pfeil war, nachdem er den Schirm Dimrats exakt dort getroffen hatte, wohin sie ihn gezielt hatte, unbeschädigt abgeprallt und weitergeflogen, steil in den Himmel. Nach etwa zwei Sekunden - und einiges mehr als einhundert Meter von Dimrat entfernt übernahm die Miniaturpositronik im Pfeilschaft die Steuerung; der winzige Motor sprang an und trieb den Pfeil höher in die Luft, ließ ihn einen Looping fliegen, viele hundert Meter hoch. Dann empfing er das Signal aus Royas Visierhelm und kehrte um. Er nahm Kurs auf die Schützin. Während der Pfeil sich senkte, legte Dimrat seine Arme um Roya. Er zog sie näher zu sich heran. Jetzt endlich umarmte auch sie ihn, drückte ihn an sich. Sehr fest, wie er erstaunt feststellte. Die Bogenschützin hatte starke Muskeln, die ihren Körper jedoch in keiner Weise deformierten. Die Positronik machte die senfkorngroßen Ladungen scharf, die hintereinander in den Schaft eingelagert waren. Dimrat lächelte ihr wieder zu, und sie lächelte zurück. »Es tut mir leid«, sagte sie. Dann durchschlug der Pfeil Dimrats Rücken, drang in ihren Brustkorb ein und explodierte im selben Moment. Die Straße trat aus dem Dämmerlicht und belebte sich. Der Feuerbrunnen prasselte. Einige Passanten blickten auf den Leib einer Frau, die unvermittelt auf dem Boden
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der Thora Road lag, so, als hätte sich plötzlich ein schmaler Durchgang zu einer anderen Welt aufgetan und diesen Leib herausgegeben. Oder als hätte diese Welt sich von dort zurückgeholt, was ihres war. Für einen Augenblick hielt die Frau ihre Arme ausgestreckt, die Hände verschränkt, so, als umfasste sie einen unsichtbaren Körper. Dann knickten die Arme ein und sanken zu Boden. Ihr Gesicht war hell, ebenmäßig, die Augenbrauen liefen wie schmale dunkle Wellen über den Augen hin. Blut sickerte aus ihrem Mund. Als nach zwei, drei Sekunden die ersten Passanten nach ihren Koms griffen, um einen Notruf abzusetzen, stoben längst Ambulanzroboter herbei, von den Drohnen alarmiert, die jederzeit durch die Straßen Terranias patrouillierten. Augenblicke später sank die erste Maschine mit ausgebreiteten Seitensegeln herab. Der Ambulanzroboter bat die Passanten mit milder Stimme darum, zurückzutreten und breitete binnen eines Lidschlags sein weißes Segel zum Sauerstoffzelt über die Frau aus. Er sondierte zugleich den Leib mit Ultraschall und Magnetresonanz, diagnostizierte, wählte die Instrumente und begann die Operation. Zwar waren die Erfolgsaussichten seiner Berechnung nach minimal, doch war er nicht der Herr über Leben und Tod, der hier zu entscheiden hatte. Er war nur der Chirurg. Tiefe Vergangenheit: Die Malerin und ihr Modell Dritte Sitzung »Wir hätten die Burg Cudsch damals nehmen können, ohne etwas an ihren Bauten zu zerstören«, erklärte Trinar Molat der Malerin. »Ja. Ich weiß. Mit dem Schmerz-Katapult, zum Beispiel.« Woher weiß die Dye davon?, fragte sich der Meister der Insel. Tastet sie meine Gedanken ab?
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»Woher weißt du vom SchmerzKatapult?«, fragte Molat. »Es hat eine breite Bresche geschlagen, Maghan. Nur wer taub ist, hat seinen Einsatz nicht bemerkt.« »Es ist eine denkwürdige Waffe, nicht wahr? Sie wäre eine Bereicherung für unser Arsenal.« »Absolut«, stimmte die Malerin zu. ' »Die meisten Waffen greifen die Materie an, was die Vernichtung des Geistes nach sich zieht. Diese Waffe greift den Geist an, die Materie lässt sie unbeschädigt. Ein interessanter Gedanke, findest du nicht? Die Materie kommt sehr gut ohne den Geist aus, aber der Geist nicht ohne Materie.« »Ein interessanter Gedanke«, stimmte Pri zu, »und vollkommen falsch.« Ihr Lachen plätscherte durch den Raum. »Nun, wir haben unsere Pläne mit dieser Waffe storniert. Es gab Komplikationen. Das Bedienungspersonal des Katapultes ertrug den Dienst nicht, litt unter Wirklichkeitsverlust, wurde größenwahnsinnig. Ich habe den Einsatz der Waffe abgebrochen und die Konstruktionsunterlagen archiviert. Ich denke, wir werden diese Technik zu gegebener Zeit vervollkommnen.« »Zu gegebener Zeit«, echote die Malerin. Für Molat klang es beinahe höhnisch. »Stimmt es eigentlich, dass du die Letzte deiner Art bist?«, fragte er. Pri antwortete nicht. »Ich hätte gerne gewusst, woher dein Volk stammt. Verfügt ihr alle über diese besondere Gabe? Oder über andere aufregende Fähigkeiten?« Auch jetzt antwortete sie nicht. Stattdessen verkündete sie: »Ich habe fertig gemalt.« Sie stakste von der Staffelei fort. »Darf ich es sehen?«, fragte Molat. Pri zögerte einen Moment: »Das Bild ist noch unterwegs. Ich glaube, es geht sehr weit. Weiter, als bisher irgendeines meiner Bilder gegangen ist. Wartet noch, Maghan. Es ist nicht zu Ende.« Molat musste innerlich lächeln. Natürlich ging es weiter, als irgendein anderes ihrer Bilder bisher gegangen war. Natürlich stieß es tiefer in die Zukunft vor.
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Pris Porträts hatten wahrscheinlich bislang ausschließlich Wesen gezeigt, deren Lebenserwartung bei einhundert, maximal zweihundert Jahren lag. Aber er war, wie jeder Meister der Insel, unsterblich. Das Bild müsste Jahrtausende. Jahrzehntausende in die Zukunft vordringen. Vielleicht fand es gar kein Ende. Vielleicht lief es in Ewigkeit. Das Bild eines unendlichen, ausweglosen Lebens. Trinar Molat erhob sich aus der Antigravschale und ging auf die Staffelei zu. Jetzt erst bemerkte er, dass die Spender allesamt den Kopf - oder was auch immer ihre primären Sinnesorgane trug – von ihren Liegen gehoben hatten und auf das Bild starrten. Molat konnte aus kaum einer Physiognomie etwas lesen; ein milchweißer Humanoide aber lächelte. Das Lächeln überraschte Molat. Aber was hatte er von den Betrachtern des Bildes erwartet? Vor Schrecken geweitete Augen? Ehrfurcht? Demut? Was erwartete er selbst auf dem Bild zu sehen? Trinar Molat als Faktor I, als unumschränkter Herrscher über die beiden Sterneninseln? Trinar Molat als Triumphator in einem außerweltlichen Palast aus Psi-Materie, jenseits des Ereignishorizontes eines Schwarzen Loches? Trinar Molat an Bord eines technisch vollendeten Raumschiffs, das außer ihm keine Besatzung trug, auf der Reise in eine traumhafte Ferne; ein ewiger Forscher, aller Macht müde? Dann stand er vor der Staffelei und betrachtete das Bild. Es wirkte überraschend abstrakt. Er brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, was er sah. Da lag ein Haufen glasartiger Bruchstücke, Scherben, weiß und blind. Eis, erkannte er endlich. Gefrorene Substanz. Der Scherbenhaufen erinnerte an die Umrisse eines Menschen. Zwischen den Fragmenten - den Trümmern einer zerbrochenen Leiche - glühte der Zellaktivator.
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Das Gesicht auf dem Bild war entzweigegangen. Aber die Angst war nicht gewichen, sondern blieb darin eingefroren. So also werde ich sterben, dachte Trinar Molat in aller Ruhe. »Lässt sich das Bild datieren?«, wollte er von der Malerin wissen. »Nein.« Er beugte sich näher und suchte nach Hinweisen, wo und wann er sterben würde. Aber der Hintergrund lag im Nebel. Trinar Molat wandte sich wortlos ab und verließ das Atelier. Im Hinausgehen gab er den Roboterposten einen Wink. Er sah noch, wie sich die Abstrahlfelder ihrer Waffenarme aktivierten, dann schloss sich das Schott hinter ihnen. Irgendwann Weiße Himmel Diesmal war der Boden weiß und weich wie ein Tuch, Darienne Royas Schritte federten, leichtfüßiger Gang. Auch der Himmel war weiß wie Leinen, wie ein alles umfassendes Segel. Das Karussell drehte sich, eine Jahrmarktsorgel sprang an. Ihr Vater hatte sich fein gemacht, er trug wie in alten Zeiten Fleisch und Haut, und darüber einen hellen Anzug. »Und?«, fragte er, »hast du diesmal etwas Kleingeld dabei? Byzantinische Münzen?« Sie schüttelte den Kopf. Er machte eine wegwerfende Handbewegung: »Ach was. Macht nichts. Ich glaube, du hast dir eine Freifahrt verdient. Komm, wir haben noch ein ganzes Stück vor uns. Einen ziemlich weiten Weg, weißt du.« »Aber ein Karussell dreht sich nur im Kreis.« »Diesmal nicht«, sagte ihr Vater. »Diesmal dreht es sich - geradeaus.« Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. Das Karussell hielt an. Da stand der Smaragdgrüne Drache genau vor ihr, er hob sie hoch wie eine Feder und setzte sie auf den Glückssattel. Als er hinter ihr saß, spürte sie seinen Atem, die gute Wärme seines Leibes.
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Das Karussell ruckte an, drehte sich, aber ihr Vater hatte recht. Auf eine unbegreifliche Art bewegte es sich vorwärts, linear. Darienne Roya sah weit vor sich eine uferlose Ebene voller Bauwerke, eine ganze Stadt, eine ungeheuer große Stadt sogar, ein stellares Byzanz. Sie sah einen Raumhafen, viele Raumhäfen, mit Raumschiffen, endlos vielen Raumschiffen aller je gesehenen, aller ungesehenen Bauarten. Sie sah Maschinen, Maschinenwelten, ganze Technosphären. Aber alles, was sie sah, machte einen verschlossenen Eindruck. Als wären diese unzähligen Maschinen, Raumschiffe, Bauwerke versiegelt, nichts als Grüfte.
Das Andromeda-Monument
»Das scheint nur so«, sagte ihr Vater. Das Karussell war fort, nur der Drache flog immer weiter. Wo war das Karussell? Sie blickte zurück. Hinter ihr war alles weiß und stumm wie Schnee. Ihr Vater wies mit einer Hand auf die Szenerie vor ihnen. »Schau«, sagte er. Darienne Roya schaute. Alles, was da war, öffnete sich. Alles sprang auf, enträtselte sich, kam ihr entgegen. »Was ist das?«, fragte sie ihren Vater voller Lust und Neugierde. Ihr Vater lachte. Wie konnte sie noch fragen? »Was das ist? Der Anfang von allem. «
ENDE