Ein Schuß krachte, ein Colt fiel, eine Maulschelle klatschte, ein Glas zersplitterte auf dem Boden, und Hunting-Dog sch...
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Ein Schuß krachte, ein Colt fiel, eine Maulschelle klatschte, ein Glas zersplitterte auf dem Boden, und Hunting-Dog schlug mit einem mächtigen Plumps auf die Erde! Im Zelt herrschte Totenstille. Deutlich hörte man das heftige Atmen von Menschen. Ruhig saß Old Joe wieder auf seinem Stuhl, aber die Adleraugen verfolgten jede Bewegung des auf der Erde liegenden Hunting-Dog. Plötzlich kam wieder Bewegung in den am Boden Liegenden. Dann schnellte er auf, von den Augen sah man überhaupt nichts mehr, so rasch war nun auch die linke Backe geschwollen. Mit einem tierischen Schrei, das große Marblemesser in der Rechten, stürzte sich Hunting-Dog auf Old Joe. Doch er kam nicht weit! Wie von Zaubermacht ergriffen, fühlte Hunting-Dog das Messer aus seiner Hand gewunden und sich selbst im Bogen durch die Luft fliegen und über den ersten Tisch, an dem Banditen saßen, weg zu Boden schmettern, daß er für Minuten sich nicht bewegen und regen konnte. Immer noch herrschte Totenstille! Auch Black Devil saß wie gebannt und blickte stumm vor Staunen auf die lange, dürre, breitschultrige Gestalt, die sich nur Sekunden erhoben und dann wieder in aller Ruhe auf seinen Platz gesetzt hatte. Langsam erhob sich Black Devil und wollte auf den Tisch des Alten zuschreiten, da knallte ein Colt, die Kugel riß Old Joes Hut vom Kopf. Dann aber blitzte es aus der Mündung der Reiterpistole des Alten, und wie ein Donner rollte der Widerhall durch das Zelt. Der laute Aufschrei Hunting-Dogs und das verwunderte Ah-Schreien der übrigen riß den Kopf Black Devils zurück. Er sah Hunting-Dog von einem Bein auf das andere springen und mit schmerzverzerrten Zügen auf die blutenden Finger seiner Rechten schauen. Da riß dem Banditenboß die Geduld. Mit vor Wut schnaubender Stimme brüllte er: »Jetzt aber Schluß mit der
Spielerei! Nun wird Ruhe gehalten, Alter, sonst bekommst du es mit mir zu tun!« Damit schritt er zu dem Tisch hin, an dem Old Joe saß, blieb dicht vor ihm stehen und schaute grimmig auf die lange, dürre und trotzdem herkulische Gestalt, die soeben ihr Schnapsglas geleert und um ein neues gerufen hatte. Old Joe blickte gelangweilt in das Zelt, ohne von Black Devil, dem Banditenboß, Notiz zu nehmen. Black Devil konnte sich nicht mehr halten. Vor Wut kam ihm schon der Schaum von den Lippen, und heftig stieß er mit der Faust gegen die Brust des Alten: »Mit dir habe ich jetzt zu reden!« schäumte es über die Lippen Black Devils, »und mir hast du jetzt Antwort zu geben, wenn ich mit dir spreche! Hast du mich verstanden. Ich bin der Herr hier und auch für dich der Boß, der zu respektieren ist!« In aller Seelenruhe klopfte Old Joe die Stelle seines Wamses ab, wo die Faust des Banditen ihn berührt hatte. Dann erst schaute er Black Devil ins Gesicht und sagte mit fester Stimme: »Ach, du willst dich mit mir unterhalten? Dann mußt du aber hübsch höflich sein! Ich hörte vorhin so etwas wie Herr! Das wußte ich allerdings noch nicht, daß in Gods own land, in Gottes eigenem Land, ein coloured man, ein Farbiger, über Weiße Herr ist! Gods thunder! Das muß ich mir merken!« Dann aber hob sich seine Stimme zu einem gefährlichen Donnerton, als er fortfuhr: »Nur möchte ich es diesem coloured man nicht raten, sich auch über mich als Herr zu dünken, das würde ihm bestimmt nicht gut bekommen!« Damit erhob er sich, gab den drei Cowboys, die mit ihm am Tisch saßen, die Hand, sagte etwas von frischer Luft, winkte der Wirtin mit der Hand und zeigte auf ein haselnußgroßes Nugget, das er auf den Tisch gelegt hatte, und verschwand. Es dauerte noch einige Minuten, ehe Black Devil aus seinem Staunen wieder zu sich kam, dann aber war er mit einem Satz hoch, brüllte seinen Leuten zu: »Er muß umgelegt werden!«
und stürmte hinaus. Auch die Banditen rannten hinter ihm her, doch sie hätten sich die Augen aus dem Kopf schauen können, sie fanden keine Spur mehr von Old Joe. Die noch immer an ihren Tischen hockenden Cowboys hörten draußen das Rasen Black Devils und das Fluchen der ganzen Bande, dann ein eiliges Davongaloppieren vieler Pferde und Ruhe. Als letzter verließ wankend Hunting-Dog das Zelt. Die trotz allem mitleidige Wirtin hatte ihm einen Notverband angelegt und ihm geraten, sofort zu Doktor Sartor zu gehen, daß er ihn ordentlich auch wegen des geschwollenen Gesichts verarzte. Gerade hatte die Wirtin zu den wieder dem Schanktisch näher gerückten Cowboys seufzend gesagt: »Kinder, Kinder, ist das ein Pack! Was soll ich als einzelne Frau ohne Schutz gegen diese Bande machen! Wir alle können in diesem Nest trotz aller Arbeit nie auf einen grünen Zweig kommen, solange das schwarze Scheusal uns so unter seiner Knute hält! Hätte der Alte nur mit dem Black Devil aufgeräumt...« Da hörte man etwas in dem Verschlag hinter der Theke rumoren, daß alle Blicke sich entsetzt dorthin wandten und die Wirtin sich gegen das Flaschenregal lehnte. Sie war der Annahme, von einem aus der Bande belauscht worden zu sein. Man hörte das Aufschreien einer Frau und eine tiefe, beruhigende Männerstimme, dann hob sich ein Zipfel des Vorhanges, und darunter her lugte der Kopf Old Joes, der vorsichtig ins Zelt schaute, um sofort ganz zum Vorschein zu kommen. Alle atmeten erleichtert auf, als er jetzt neben der Wirtin stand und mit lächelndem Mund ihr sagte: »Beruhige dich, meine Tochter! Ich hörte schon deine Klage. Verlaß dich darauf: Der Alte, aber auch Grisly-Jim und sein Freund StutterCurly werden bald zum letzten Spurt ansetzen und euch allen die so nötige Ruhe verschaffen. Doch jetzt, Boys, wollen wir uns wie anständige Menschen verhalten und in Ruhe uns einen
genehmigen.« * Jimmy, der rothaarige Boy, hatte sich sofort beim Erscheinen der Rande aus dem Zelt gestohlen. Er fürchtete mit Recht, daß einer der Bande ihn erkennen würde. Um sich nicht von dem Alten aufhalten zu lassen, der ihn vielleicht gehindert haben würde, seinen Plan auszuführen, hatte er es vorgezogen, sich heimlich zu verdrücken. Eine vermeintliche Verfolgung von Old Joe zu verhindern, war er schnell in eine Speisebaracke gegangen und erholte sich erstmal mit einem tüchtigen Frühstück. Hier kam er auch endlich dazu, seine Fünfzigdollarnote zu wechseln. Lange betrachtete der schwarze Kellner die Banknote und dann den Boy und wieder die Banknote, ging zum Wirt und zeigte sie ihm. Der aber lachte, und Jimmy hörte, wie er sagte: »Wenn alle Dinge so echt sind wie das Geld, dann stände es besser auf dieser Welt. Ne, Bob, wechsele sie ihm ruhig!« Sofort nach dem Essen verließ auch Jimmy das Lokal und ging zum Mietstall, um sein Pferd zu holen. Der als Stallbursche tätige Mestize, den er um Auskunft gefragt hatte, natürlich ohne den Namen »Big Horn« zu nennen, zeigte ihm den rechten Weg. Er kam auch an der Stelle vorbei, wo Hunderte von Arbeitern mit der Sprengung und anderen Arbeiten an einem großen Tunnel beschäftigt waren. Hier sah er auch Tob Baxter und Fritz Burker, die schon kräftig mit am Werk waren. Man hatte Arbeitskräfte nötig und nahm jeden nur halbwegs Tauglichen an. Auch sie sahen ihn, und Fritz Burker kam zu ihm, ihm verstohlen die Hand zu drücken und heimlich ihm Glück auf den Weg zu wünschen. Für Burker war es bestimmt eine bittere Pille, nicht mitreiten zu dürfen, aber seine Vernunft gab Grisly-Jim recht, und so beschied er sich. Unter den Arbeitern hatte er eine
ganze Anzahl früherer Kameraden wiedergefunden, die mit ihm früher in den Goldclaims gearbeitet hatten und ebenso wie er von Black Devil und seiner Bande beraubt und auseinandergejagt worden waren. Er hatte auch sofort mit der von Grisly-Jim vorgeschlagenen Propaganda begonnen. Aber auch der alte Baxter hatte viele Bekannte hier gefunden, und die Saat, die beide auf Grisly-Jims Rat auswarfen, keimte in diesem Arbeiterhaufen sehr schnell. Die Gemüter waren erregt. In einigen Tagen sollte die Wahl eines neuen Obmanns stattfinden, und schon arbeiteten die Agenten Black Devils wieder mit Volldampf, um den von dem schwarzen Teufel benannten Kandidaten durch die Wahl auf diesen für die Bande so wichtigen Posten zu bringen. Bisher hatte sich die Mehrzahl der Arbeiter nicht weiter um diese Sache gekümmert, und der schwarze Boß der Bande hatte den ihm genehmen Mann ohne weiteres auf den Posten gestellt. Wenn auch nicht der letzte Obmann bei dem Krawall umgekommen wäre, hätte doch die Neuwahl stattfinden müssen, da seine Zeit abgelaufen war. Diesmal aber wollte die Bahnbaugesellschaft eine echte Wahl durchgeführt sehen, denn auch sie wußte von dem Einfluß, den Black Devil durch den Obmann innerhalb ihres Unternehmens ausübte. Aber auch der schwarze Teufel hatte Wind von dieser Einstellung der Gesellschaft bekommen und demnach seine Minen angelegt. Vor vierzehn Tagen waren neben dem alten Obmann noch drei andere, teils von der Gesellschaft, teils von einer Arbeitergruppe, die nicht mit dem bisherigen Obmann einverstanden war, aufgestellt worden. Doch schon drei Tage danach waren alle sang- und klanglos verschwunden. Ja, in den letzten Tagen war es so schlimm geworden, daß, wenn schon ein Arbeiter nur davon sprach, daß außer dem alten Obmann noch andere kandidieren müßten, dieser Mann entweder bei der Arbeit tödlich verunglückte oder aber man fand ihn mit einem runden Loch im Körper irgendwo draußen liegen.
Das war auch einer der wichtigsten Gründe, warum die Gesellschaft ihre fähigsten Sicherungsagenten, Grisly-Jim und Stutter-Curly, hierhin in geheimer Mission entsandt hatte. Dies alles hatte Grisly-Jim den dreien im Zelt erzählt, als er ihnen den Rat erteilte, mitzuwirken, selbst sich unter die Arbeiter zu mischen und in dem Sinne gegen den schwarzen Teufel zu kämpfen. Das alles überdachte der rothaarige Jimmy, während er in nicht zu schneller Gangart, er wollte sein Pferd nicht zu sehr ermüden, jetzt in die Richtung des großen Felsplateaus ritt. Der Nachmittag war schon ziemlich weit vorgeschritten, als er endlich auf der Gebirgsplatte war. Wie eine riesige Steinplatte sah der Boden aus. Vollkommen flach streckte sich das Gelände meilenweit aus, und in der Ferne erblickte Jimmy auch das Felsmassiv, aus dessen Mitte sich wie ein riesiger, breiter Kirchturm die dunkle Spitze des Big Horn aufstellte. »Ob ich es noch vor Abend schaffe?« fragte sich Jimmy und ließ sein Tier schärfer ausgreifen. In der Mitte der Felsplatte erhoben sich einige Felskegel, deren höchster nicht mehr als zwanzig Meter war. Aus der Ferne hatten sie ausgesehen, als wären sie Häuser einer kleinen Ortschaft, die sich um eine Art Moschee gelagert hatten. Zuerst hatte Jimmy gestutzt und gemeint, er hätte sich verirrt, denn Old Joe hatte ihm nichts von einer Ortschaft auf dem Plateau erzählt. Aber nachdem er genauer hingeschaut hatte, sah er seinen Irrtum ein und ritt darauf zu. Der ewige Wind, der auf dieser Felsplatte herrschte, hatte ein Art von Düne rund um den Bergkegel gefegt. Verwundert betrachtete Jimmy das Gebilde von hellem Sand auf dem dunkelgrauen Felsboden. Da sah er deutlich frischen Pferdemist, der bestimmt noch keine Stunde alt war, gleich am Anfang des Dünengürtels liegen. Jetzt sah er auch noch nicht wieder zugewehte Hufeindrücke von zwei Pferden und da noch zwei. Das eine Paar kam aus den Kegeln heraus, das andere
führte hinein. Jimmy hielt sein Tier an und betrachtete nachdenklich die Spuren. Er stellte fest, daß das herauskommende Paar nur etwas jünger als das hineinführende war, daß aber die Größe sich merklich unterschied. Also waren es vier Pferde gewesen, zwei, die gekommen, und zwei, die fortgegangen waren. Das Leben hatte den Boy schon früh hellsichtig gemacht. Vorsichtig ritt er auf der Spur weiter, bis der harte Felsboden keine Fährte mehr zeigte. Er glitt aus dem Sattel, nahm sein Pferd am Kopfstück und führte es zwischen den Bergkegeln hin, die sich als versteinerte Lava herausstellten. Vor Tausenden von Jahren mußte hier eine Eruption die Massen herausgeschleudert haben, und wieder Tausende von Jahre hatten zur Abkühlung und Zernagung durch Witterungseinflüsse gedient, daß sich eine Menge von Grotten gebildet hatte. Vorsichtig ging Jimmy mit seinem Tier von Grotte zu Grotte, keine Höhle überschlug er. Da stutzte er. Seitwärts von ihm wieherte ein Pferd. Er ließ sein Tier stehen und huschte zu der Stelle hin, von wo das Geräusch gekommen war. In einer Grotte, die dem Anschein nach, da ziemlich Dung auf dem Boden lag, häufig als Pferdestall benutzt worden sein mußte, standen zwei aufgeschirrte Tiere, die neugierig ihre Köpfe zu ihm wandten. Von Menschen keine Spur. Wieder überlegte der Boy, und über sein Gesicht ging ein verschmitztes Lächeln. Schnell untersuchte er eine etwas davon entfernte Höhle, deren Eingang von der als Pferdestall dienenden Grotte abgewandt lag, hobbelte sein Tier kurz an und schlüpfte wieder hinaus. Wo aber steckten die Reiter? Er schlich sich durch das Labyrinth der zwischen den einzelnen Kegeln führenden Pfade, es waren keine eigentlichen Wege, wenn man auch die Spuren von Menschen hin und wieder traf. Plötzlich hörte er Stimmen in seiner Nähe, die von oben herunterschallten. Er schaute in
die Höhe, konnte aber nichts als Kanten und Risse in der rauhen Oberfläche des Gesteins finden, dann aber sah er eine Spalte, die in das Innere des Kegels führte. Behutsam schritt er in die Spalte, und jetzt hörte er so deutlich, als stände er neben der Person, die sprach. Vor seinen Augen lagen in das Gestein gehauene Stufen. Es zuckte Jimmy in allen Gliedern, sofort die Stufen hinaufzuschleichen und zu sehen, wer da oben wäre. Schon stand er auf dem ersten Tritt, da hörte er über sich zwei Stimmen, die gleichzeitig etwas riefen, was er nicht verstehen konnte. Dann fuhr eine der Stimmen fort: »Wer hätte das gedacht! Da muß bestimmt etwas Besonderes vorgefallen sein! Bin gespannt, ob sie hierherkommen oder sofort in das Hauptlager reiten.« Die andere Stimme mischte sich jetzt ein: »Nein, Jacky! Sieh da! Ein Mann reitet allein zum Hauptlager, und die fünf anderen kommen hierher! Heissa! Das gibt noch mal eine fidele Nacht und nicht wieder wie das letzte Mal, als es so kotlangweilig war. Ob sie auch tüchtig zu saufen haben?« »Mensch, daß du auch ewig an so etwas denken mußt! Darum vertiert ihr hier auch alle, und der Boß unterstützt das nur und hält euch dadurch in seiner Gewalt! Eine Sünde und Schande, daß meiner Mutter Sohn einem Nigger gehorchen soll, daß ein verfluchter Schwarzer sich über Weiße erheben darf, ohne von ihnen gelyncht zu werden!« »Sei schon still, Jacky! Du bist eben ein Südländer und der Sohn eines Sklavenhalters, dir liegt die Abneigung gegen die Schwarzen im Blut. Ist es nicht gleich, ob ein Mensch nun eine weiße oder schwarze Haut über seinen Knochenbau gezogen bekommen hat? Zugeben mußt du schon, daß Black Devil an Köpfchen keinem Weißen nachsteht! Wie managt er jetzt wieder die Sache mit den Eisenbahnsklaven! Rechne nach, wieviel bei den Tausenden von Arbeitern der Tribut von einem halben Dollar, den sie von jeder Löhnung abgezogen
bekommen, für jeden von uns ausmacht! Natürlich ahnen sie nicht, daß das in die Gemeinschaftskasse abgeführte Geld an uns weitergeht. Siehst du, dafür dürfen ruhig einige von den Querköpfen, die sich dem entgegenstellen wollen, verschwinden. Das mit dem Obmann war ein feiner Plan, und ich bin ganz auf der Seite Black Devils, daß wir den beibehalten, solange wenigstens, wie er arbeitet, wie der Boß es will.« »Ich gebe zu, daß man so billig an Geld kommen kann. Was aber haben wir davon? Hast du dir das schon mal überlegt? Was für Geschäfte macht er denn mit uns? Nichts bleibt übrig als ein paar lumpige Dollars, das andere verschlingt alles die Verpflegung und Bewaffnung! Dann aber auch seine Grausamkeit! Ich habe bestimmt keine zarten Nerven, aber was ich in den paar Monaten schon alles erlebt habe, geht über das Erträgliche selbst für mich hinaus. Doch ich muß hinunter und den Brüdern als Lotse dienen, wir haben ja umlogiert.« Jimmy hörte noch, wie der andere sagte: »Gut, daß dich kein anderer gehört hat, sonst wärest du auch reif. Aber warte, ich komme mit, denn die Sicht währt sowieso nicht mehr lange, dann beginnt ja unsere Nachtruhe.« Jimmy hatte eben noch Zeit, sich in den Hintergrund der Spalte zurückzuziehen, als die beiden schon eiligst die Stufen herunterkamen. Sie waren so hastig, daß sie keinen Blick umherwarfen. Jimmy beglückwünschte sich, welch ein Glück er gehabt haben mußte, daß er sich den Bergkegeln ungesehen hatte nähern können. Aber kaum waren sie aus der Spalte hinaus und ihre Fußtritte verhallt, da sprang Jimmy die Stufen hinan. Es war höher, als er vermutet hatte. Der Hohlraum, durch den die Stufen hinaufführten, es waren deren zwanzig, mußte so akustisch wirken, daß die Töne, die oben gesprochen wurden, in Wellen hinunterklangen. Jetzt stand Jimmy auf der obersten Stufe und staunte. Das
Innere der Kegelspitze, es war die Moschee, wie er sie beim ersten Blick genannt hatte, war eine runde Höhlung, Man hatte die Außenwand nach zwei Seiten mit schießschartenähnlichen Schlitzen versehen, die als Ausguck dienten. Während Jimmy sich alles eingehend betrachtete, mußte er immer daran denken, welch großes Glück er gehabt hatte, durch welchen Umstand oder Zufall auch immer, daß er ungesehen bis hierher gelangt war. Denn es war unmöglich, wenn die Wächter nur halbwegs ihrer Aufgabe nachkamen, sich über das Felsplateau zu wagen, ohne von hier oben gesehen zu werden. Also, schloß Jimmy seinen Gedankengang, kann man nur in der Dunkelheit, das heißt bei Nacht, den Ritt zum Hauptlager am Big Horn ausführen, denn sonst wäre es Selbstmord. Die fünf gesichteten Reiter mußten bereits angekommen sein, denn Jimmy konnte nichts mehr von ihnen erblicken. Für einen Augenblick ließ er sich auf der vor den Schießscharten angebrachten Steinbank nieder und überlegte sich seine Situation. Wollte er ungesehen zum Big Horn kommen, mußte er schon heute nacht aufbrechen. Die Richtung hatte er sich gemerkt. Er schlich die Stufen wieder hinunter. Lauschend blieb er am Ausgang der Spalte stehen. Doch nichts war zu hören. Aber wohin mußte er sich nun wenden? War er aus dieser oder aus jener Schlucht gekommen? Noch stand er überlegend da, da hörte er links von sich Stimmengewirr. Er schlich dem Klang der Stimmen näher, bog um die Ecke und prallte erschreckt zurück. Vor ihm in einer Höhle saßen die Männer beisammen. Er war so nahe bei ihnen, daß er die einzelnen Stimmen deutlich unterscheiden konnte. »Am besten hätte der Boß sie sofort gekillt, dann wären sie uns nicht länger zur Last gefallen«, hörte er einen Älteren reden. »Die drei Männer mehr oder weniger! Was er sich überhaupt von denen verspricht. In drei Tagen soll das große Meeting sein. Darum mußten wir heute hier herausreiten und
sie zum letzten Male fragen, ob sie dem Boß zur Verfügung stehen oder nach wie vor auf ihrem Standpunkt, uns entgegen zu arbeiten, beharren wollen. Also, Jacky und Bill, holt die drei mal her!« Der rothaarige Jimmy hatte gerade noch Zeit, sich in eine finstere Ecke zwischen zwei Felsblöcke zu werfen, da vernahm er schon, wie die Fußtritte zweier Menschen an ihm vorbeieilten. Schon nach kurzer Zeit kamen sie zurück und waren jetzt zu fünft. Jimmy zählte die Köpfe. Wieder sprach die erste Stimme: »Burton, Gibys und Dayton, ich soll euch heute zum letzten Male fragen: Wollt ihr mit uns gemeinsame Sache machen?« Sofort fiel eine tiefe Stimme ein: »Meinetwegen spare deinen ganzen Sermon! Ich werde nie etwas mit Verbrechern gemein haben, so wahr ich Dayton heiße! Das ist aber wirklich mein letztes Wort!« »Ich habe es dem Drecknigger oft genug ins Gesicht gesagt, daß er bei mir nie landen wird. Meinetwegen soll er mich umbringen! Das läßt ihm Jerom Gibys sagen, weiter nichts.« »Und ich, Will Burton, habe nichts anderes zu sagen! Damit Schluß!« »Dann muß ich euch etwas anderes erzählen!« hörte Jimmy die erste Stimme wieder sprechen. »In einer halben Stunde brechen wir auf! Wir bringen euch an einen wunderbaren Ort. Ihr, als Fachleute, kennt ja den Ausdruck Coyot. In solch eine Sprengkammer befördern wir euch. Sie ist fix und fertig geladen und mit den anderen Coyoten am Tunnel verbunden. Die zehn Sprengkammern sind heute fertig geworden, mit einer ordentlichen Ladung Dynamit versehen und untereinander mit der Zündschnur schon verbunden. Ihr kommt in die letzte. Wenn ihr also noch immer auf eurem blöden Standpunkt besteht, werden euch eure Kumpel, ohne selbst etwas davon zu wissen, in die Luft sprengen. Drei Tage habt ihr noch Zeit zum Überlegen. Kurz vor dem Meeting ist die Sprengung. Und nun,
ihr anderen, macht euch fertig, wir reiten und nehmen die Gefangenen mit!« Der rote Jimmy lag mäuschenstill in seiner Ecke und grübelte nach, was es wohl mit diesen Sprengkammern auf sich hatte. Da hörte er wieder die Stimme, die er vorhin von der Spalte aus vernommen hatte. Sie fragte und gab damit dem lauschenden Boy die Antwort. »Du sprachst vorhin von einem Coyot. Was ist das eigentlich?« Darauf lachte die Stimme des Hauptsprechers und antwortete: »Das kann ich mir denken, daß so ein Greenhorn wie du davon noch nichts verstehst. Also, ein Coyot ist nicht nur ein Tier mit einem buschigen Schweif, sondern auch eine Höhle, die die Tunnelmänner vorher in den Berg treiben und dann mit viel, viel Sprengstoff laden. Diesmal sind die Coyoten besonders stark geladen, denn es gilt ein ganzes Bergmassiv in die Luft zu befördern. So hat mir der alte Burrham, der Sprengmeister, gestern abend noch genau erklärt. Zehn Coyoten sind diesmal angelegt. Jeder Coyot ist eine künstlich angelegte Höhle, die vierzig Fuß tief, zwanzig Fuß lang und ungefähr sieben Fuß hoch ist. Darunter liegen zehn Tonnen Dynamit und fünf Tonnen Schwarzpulver. Darüber werden vier Meter feste Schicht auf fein verpackten Felsbrocken und Zementboden gelegt, und dann kommt die eigentliche Höhle. Dieser große freie Raum muß da sein, sonst gäbe es nur eine einzige Explosion. Dreiviertel des Sprengstoffes kämen gar nicht zur Entladung. So aber gibt es in jedem Coyoten etwa zwölf bis fünfzehn Explosionen.« Der Mann lachte grausam auf und fuhr fort: »In einen solchen Coyot bringen wir jetzt die Burschen, und wenn du, Jacky, in einigen Tagen die Sprengung hören wirst, dann kann es durchaus möglich sein, daß von diesen drei Gentlemen selbst nicht für den ›Jüngsten Tag‹ etwas übrig sein wird! Aber jetzt dalli! Wir müssen weiter!«
Voller Spannung hatte Jimmy in seiner Ecke den Ausführungen gelauscht. Im Innern wünschte er heiß, GrislyJim und Stutter-Curly wären zugegen und befreiten die armen Teufel aus der Hand der grausamen Schurken. Aber er mußte sich zusammenreißen, seinen eigentlichen Auftrag auszuführen. Er mußte Bertel und Fred Baxter ausfindig machen oder wenigstens feststellen, was aus ihnen geworden war. Vor allen Dingen aber wollte er sich den Namen des alten Sprengmeisters, den sie Burrham genannt hatten, merken. Nach dem Fortreiten der fünf Männer mit den drei Gefangenen war es totenstill zwischen den Bergkegeln. Jimmy hörte, wie die beiden Wächter wieder in den Raum zurückkehrten und sich bald zur Ruhe legten. Es war augenblicklich stockfinster. So war er vorerst zur Untätigkeit verdammt. Bei der ägyptischen Finsternis mußte er Gefahr laufen, sich in den Schluchten zu verirren. So legte er sich einfach, so gut es ging, in seiner Ecke lang auf den Boden und war bald eingeschlafen. Plötzlich wachte er erschreckt wieder auf. Es war ihm, als leuchte ihm jemand ins Gesicht. Er fuhr auf und mußte über sich selbst lachen. Ein klarer, heller Mond stand gerade über ihm und schaute gemütlich auf ihn hernieder. Die Nacht war auf einmal taghell geworden. Ohne viel Mühe fand er jetzt den Weg zu seinem Pferd und war bald wieder auf dessen Rücken unterwegs auf das Big Horn zu. Er hatte gerade die eigentliche Felsplatte hinter sich, da schallte ihm aus einem Tal, das sich zwischen die Vorberge des Big-Horn-Massivs schob, Pferdegetrappel entgegen. Er hatte noch Zeit, sich mit seinem Tier in eine Felsbuchtung zu drücken, da tauchten zwei Reiter auf und ritten ahnungslos an ihm vorüber. Sofort schloß Jimmy, daß die beiden aus dem Hauptlager kommen mußten. Die Tagesdämmerung hatte schon eingesetzt, als Jimmy kurz vor der aufsteigenden Wand des Big Horn stand. Ein enger, dunkler Cañon schien direkt in das Innere des
Big Horn zu führen, und zahlreiche Spuren zeigten, daß Reiter vielmals den Cañon passiert haben mußten. Einen Augenblick hielt der rothaarige Boy sein Tier an, ehe er in den Cañon ritt. Dann aber sprach er sich selbst Mut zu und setzte dem Tier die Sporen an. Mit einem Satz war das Pferd im finsteren Cañon, der in vielen Krümmungen sich dahinzog. Über eine Meile war er lang. Endlich erblickte der junge Reiter wieder eine Halle. Der Cañon führte ihn bis hinter das Big Horn und mündete in ein wunderbar breites Tal, das von saftigen Gräsern bestanden war. Zahlreiche Pferde weideten hier unbeaufsichtigt. Verwundert hielt Jimmy und ließ seine Augen wachsam über das Tal gehen. Doch er sah keinen Menschen. Jimmy nahm den Sattel von seinem Pferd, hobbelte es ebenso wie die schon weidenden Tiere an und trieb es unter sie. Den Sattel aber schleppte er zur Seite und verbarg ihn zwischen Steingeröll. Ein kleiner Bach durchschnitt mit seinem schmalen Lauf das Tal und war auf einmal in den Felsen des Big Horn verschwunden. Als Jimmy noch dem Bachlauf nachstarrte, entdeckte er, daß oberhalb der Stelle, wo das Wasser in den Felsen verschwand, eine dünne Rauchsäule in den jetzt aufblauenden Himmel stieg. Erstaunt näherte sich der Boy dem Felsen. Wie eine Gemse kletterte er zu der Stelle, wo der Rauch hochstieg, mußte aber feststellen, daß der Qualm aus dem Innern der Felsen kam und kleine Spalten den Abzug darstellten. Also mußte im Innern des Berges eine Höhle sein. So stieg er wieder hinunter und ging zum Bach zurück. Nachdenklich überlegte er eine Weile und beschloß dann, durch den Bach in den Felsen zu kriechen. Vielleicht fand er dort einen Eingang. Gerade wollte er seine Kleider ablegen und hatte sich gegen einen Felsvorsprung gelegt, da verspürte er eine Erschütterung im Berg. Zu seinem Entsetzen hob sich der Vorsprung, gegen
den er soeben noch gelehnt hatte, und eine Spalte erschien in dem Felsen. Jimmy hatte sich ganz eng gegen den Berg gedrückt und hielt vor Aufregung den Atem an. Zwei Männer kamen, einer nach dem anderen, aus dem jetzt breiteren Spalt. Sie waren ganz ahnungslos und unterhielten sich zwanglos: »Verdammte blöde Kiste«, meinte der eine, »man weiß nicht mehr, woran man ist. Seit Tagen haben wir schon nichts mehr vom Boß und der ganzen Bande gehört. Deswegen habe ich Melton, dem Unterboß, eingetrichtert, daß er uns zwei mal hinausschickt, um uns umzuhören. Denn schließlich kann auch denen mal was Menschliches passieren, und wir hocken hier in der Einöde, saufen uns die Hucke voll, verprügeln uns untereinander zur Abwechslung, quälen die Gefangenen mal zum Zeitvertreib – und endlich stellt sich dann heraus, daß alles vergeblich war. Komm, wir fangen uns unsere Gäule und reiten gemütlich los! Auf jeden Fall werden wir in der Zeltstadt uns einen guten Tag machen und mal wieder andere Gesichter sehen!« Wahrscheinlich wollte er den Spalt wieder hinter sich verschließen, denn Jimmy, der, vor Erregung zitternd, hinter dem Felsbrocken lag, hörte den anderen sagen: »Laß nur auf, Dan, die Weiber wollen auch heraus. Sie kommen sofort hinter uns! Also fangen wir unsere Tiere!« Jimmy blinzelte hinter dem Felsbrocken her und sah zwei wüst aussehende Kerle, die mit wurfbereitem Lasso sich den grasenden Pferden zuwandten. Da vernahm er aus der Öffnung ein Kichern und Lachen, und dann erschienen zwei Frauen, die sofort hinter den Männern herliefen. Diesen Augenblick benutzte Jimmy, um schnell hinter dem Felsbrocken her zu schlüpfen und in der Spalte zu verschwinden. Er staunte. Der Spalt war mit dem Felsbrocken so wunderbar verschlossen, daß man, wenn man es nicht wußte, bestimmt tagelang hätte suchen können, ohne den Zugang zu entdecken. Die Spalte war so breit, daß sie wie ein Weg in das
Innere einer Höhle führte. Von dieser Höhle, die durch poröse Stellen in der Decke spärliches Licht empfing, gelangte man auf eine Art von Altane, auf die hell und klar die Sonne schien. Unter ihr floß der Bach dahin, der nur durch eine vielleicht zwei Meter dicke Felsbarriere vom Tal abgeschnitten war. Die ganze untere Südseite des Big Horn war von unzähligen Höhlen durchbrochen. Verschiedene Galerien bildeten die Aufstiegsmöglichkeiten von einer Höhle zur anderen. Wo die Galerien zu hoch auseinander lagen, waren künstliche Stufen eingehauen. Hier mußte eine ganze Anzahl Menschen hausen, denn aus mehreren der Höhlen kam Stimmenlärm, untermischt von dem Lachen der Weiber und dem Weinen kleiner Kinder. Jimmy war in eine der Höhlen geschlüpft, als er plötzlich Stimmen hörte, die sich ihm näherten. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse. Es waren zwei Frauen, die von einer der oberen Galerien kamen und sich während des Abstiegs unterhielten. Jimmy konnte nicht alles verstehen, denn es waren Mexikanerinnen, die sich in ihrer Sprache unterhielten. Vor der Höhle, in der Jimmy verborgen lag, blieben sie stehen und schwatzten eine ganze Zeitlang, dann verschwand die eine dahin, woher der Boy gekommen war, während die andere, einen Topf mit dampfendem Inhalt vorsichtig vor sich hertragend, in eine der Höhlen ging, die am Ende der Altane lag. Jimmy kroch aus dem Loch, in dem er gelegen, schaute, scharf um sich spähend, erst nach rechts und nach links und schlüpfte dann hinter der Frau her. Er war noch nicht ganz bis zur Höhle, in der die Frau verschwunden war, da hörte er den Aufschrei einer weiblichen Stimme, begleitet von dem harten Klatschen, wie wenn eine Peitsche auf nackte Haut schlägt. Wieder erfolgte ein Schrei, und Jimmy konnte sich nicht mehr zurückhalten. Mit einem Satz war er drinnen und konnte gerade den schon wieder erhobenen Arm der Frau, der eine schwere
Lederpeitsche schwang, zurückreißen, ihr einen festen Tritt in den Hintern geben, daß sie vornübergebeugt mit dem Gesicht auf den harten Felsen schlug. Ehe sie noch recht zur Besinnung kam, sauste schon der Peitschenknauf, den Jimmy ihr entrissen hatte, hart auf ihren Kopf, daß sie bewußtlos auf dem Boden lag. Dann erst sah Jimmy Bertel Burker. Aber wie sah das Mädel aus! Jimmy blieb das Herz vor Mitleid stehen. Das Gesicht von Peitschenhieben geschwollen, die Augen vom vielen Weinen rot entzündet, die Kleidung halb zerrissen, hockte die Ärmste in einer Ecke der Höhle und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Rothaarigen, der, die Peitsche noch immer in der Faust, auf sie niederblickte. Dann sagte Jimmy nur: »Bertel! Bertel Burkerl« Da stürzte ein Strom von Tränen über des Mädchens Wangen, und dazwischen fragte sie: »Jimmy Wells, bist du allein? Wo sind die anderen? Wo ist mein Vater?« Schnell erzählte Jimmy ihr das Notwendigste und sagte zum Schluß: »Bist du verwundet, daß du nicht aufstehst, oder zu schwach? Wir müssen schleunigst versuchen, hier herauszukommen, sonst sind wir alle verloren!« »Siehst du denn nicht, daß ich an Ketten liege?« Jetzt erst bemerkte Jimmy, daß das Mädchen mit den Armen und Beinen an den Felsen gekettet war. Er wollte sich bemühen, sie zu lösen, aber traurig lächelnd sagte das Mädchen: »So wirst du mich nicht freibekommen, dazu mußt du die Schlüssel haben.« Jimmy wollte sich auf die noch immer am Boden liegende Mexikanerin stürzen, aber Bertel hielt ihn zurück und erklärte: »Die hat ihn auch nicht, die hat der Unterboß, der jeden Abend kommt und die Fesseln kontrolliert. Aber bemühe dich nicht weiter. Vielleicht bist du noch zu jung, um mich ganz zu Verstehen: Ohne Fred Baxter gehe ich nicht von hier fort. Wo der aber liegt, weiß ich nicht, denn seit wir hier sind, habe ich
nichts mehr von ihm gehört.« Betrübt stand Jimmy und blickte nachdenklich vor sich hin. Sie meinte, er wäre noch zu jung, sie zu verstehen! O nein, nur zu deutlich wußte Jim, was das zu bedeuten hatte. Sie war in Fred Baxter, mit dem sie doch kaum gesprochen haben konnte, verliebt! Dem armen Jungen ging ein Stich durch sein Herz, dann aber warf er den Kopf in den Nacken, gab sich einen innerlichen Ruck und sagte: »Was machen wir denn nun? Ich sollte nur feststellen, wo du und Fred Baxter wären, und das Grisly-Jim und Stutter-Curly, den berühmten Westmännern, die meine Freunde sind«, setzte er in knabenhaftem Stolz hinzu, »melden, und jetzt sitze ich selbst hier im Hexenkessel. Allein kann ich euch beide nicht befreien, das sehe ich ein, und muß sorgen, wieder hinauszukommen...« Ein tiefer Seufzer aus der Brust der Frau, die noch immer ohne Bewußtsein lag, rief ihm ihre Anwesenheit ins Gedächtnis zurück. Da sah er, wie der Körper der Frau sich verkrampfte, sie die Augen komisch weit aufriß, sich dann verdrehte, noch einmal tief aufseufzte und sich dann streckte. Auch Bertel hatte den Vorgang mit erschreckten Augen wahrgenommen und blickte jetzt voller Entsetzen auf den wie ratlos stehenden Jimmy. Dann schaute auch er auf Bertel, und fast flüsternd kam es aus seinem Mund: »Bertel, was nun?« »Als man uns hierhergeschafft hat, habe ich am Ende dieser Terrasse gesehen, daß ein jäher finsterer Abgrund viele hundert Meter tief hinabfällt. Schleppe schnell die Leiche dorthin, stelle den Topf mit dem Essen hier in meine Nähe und lege die Peitsche dort auf den Vorsprung. Dann versuche wieder unbemerkt nach draußen zu kommen. Willst du Fred Baxter und mir auch jetzt noch helfen, kannst du es nur auf diese Weise, Ich glaube kaum, daß das Verschwinden dieser Mexikanerin besonders großes Aufsehen erregen wird. Hier gilt eben ein Menschenleben nicht viel. Hoffentlich, auf Wiedersehen, Jimmy, und einstweilen besten Dank! Grüße den
Vater!« Der Lärm aus den verschiedenen Höhlen der oberen Galerien hatte nicht aufgehört. Jimmy gelangte wieder in die Eingangshöhle zurück, deren Öffnung noch auf war. Schnell untersuchte der Boy den Mechanismus. Es war ein sinnreiches und trotzdem primitiv einfaches Rollensystem, das von einem Hebel in Betrieb gesetzt wurde. Draußen war der Hebel so versteckt angebracht, daß man lange hätte suchen müssen, um ihn zu finden. Die drei Frauen hatten anscheinend im Bach gebadet und waren noch tändelnd und spielend im Grase. Sie lagen, mit den Köpfen zu Jimmy hin und konnten ihn infolgedessen nicht sehen. Von den zwei Männern war keine Spur zu erblicken. Von den Frauen unbemerkt, gelang es dem Boy, sein Pferd zu holen und ihm den Sattel aufzulegen. Gerade saß er im Sattel und wollte im Cañon verschwinden, da hielt ihn ein plötzlicher Aufschrei einer der Frauen zurück. Alle zwei waren aufgesprungen und kamen schnell auf ihn zugelaufen. Es waren noch ziemlich junge Weiber, die sich beim Laufen anstießen und alberten. Erst als sie in der Nähe Jimmys waren, sahen sie ihren Irrtum ein, daß es kein Angehöriger der Bande war. Verdutzt blieben sie einen Augenblick lang stehen und blickten einander an. Die Jüngste schien sich am ehesten gefaßt zu haben. Sie lachte laut und schaute kokett zu Jimmy auf, indem sie sagte: »Sieh mal einer an! Da bekommen wir sogar Besuch!« Dann kicherte sie und fuhr fort: »Treten Sie näher, junger Mann! So sagt man doch wohl im Osten, wenn man lieben Besuch bekommt.« Aber auch Jimmy hatte sich wieder ganz in der Gewalt, und keck ging er auf das Spiel ein. Höflich klingend sagte er: »Gewiß, Miß, aber ich weiß augenblicklich gar nicht, wo ich mich befinde. Ich muß eilends zum Bahnbau und habe mich verirrt. Ich kam vom Rio Grande und muß den falschen Weg eingeschlagen haben. Dort der hohe Felsen ist doch gewiß das
Big Horn? Ich habe es jetzt im Osten vor mir und müßte es eigentlich im Westen haben, nicht wahr?« Da unterbrach ihn die zweite Frau: »Hast recht, mein Boy! Doch so viel Zeit wirst du dir noch gönnen müssen, mit uns ein kleines Frühstück zu halten, denn«, fügte sie mit einer schon fast drohenden Stimme zu, »wer einmal hier in diesem Tal war, den lassen wir nicht ohne weiteres wieder fort. Er muß unsere Gastfreundschaft genießen, ob er will oder nicht!« Damit wollte sie sich der Zügel des Pferdes bemächtigen. Doch gewandt ließ Jimmy sein Pferd steigen, setzte ihm die Sporen und brauste davon in den Cañon hinein. Lange noch hörte er das Geschimpfe und Gezeter der Weiber hinter sich. Er hielt den Galopp an, bis er wieder auf dem großen Felsplateau war. Er war schon in der Höhe der rechts von ihm lagernden Gruppe der Bergkegel, da sah er die zwei Reiter, die er vorher im Tal am Bach belauscht hatte. Sie mußten ihn schon früher bemerkt haben, denn sie hatten sich getrennt und wollten ihn, dem Anschein nach, in die Zange nehmen. Heftig gestikulierend ritten sie von beiden Seiten auf ihn zu, und Jimmy sah, wie beide gleichzeitig ihre Lassos fertig machten. Zuerst wollte die Angst in Jimmy hochkommen und ihm die Luft abschnüren, dann aber kam der in ihm wohnende natürliche Mut wieder hervor. Er stieß einen lauten Schrei aus und spornte dadurch sein Pferd zu äußerster Leistung an. Aber auch die zwei Banditen holten aus ihren Tieren alles heraus. Bereits eine volle Stunde jagten die Reiter, Verfolgter und Verfolger, über das Hochplateau dahin. In den letzten zwanzig Minuten hatte sich der Vorsprung Jimmys immer mehr und von Minute zu Minute schneller verringert. Der Boy hörte den Hufschlag immer deutlicher. Im rasenden Ritt überlegte er, ob es für ihn nicht besser wäre, sich einfach aus dem Sattel zu werfen und zu versuchen, die Burschen mit seinen Colts zu erledigen. Doch noch war der Gedanke nicht ganz ausgedacht,
da machte sein Pferd einen Satz in die Höhe und brach dann plötzlich zusammen. Der Reiter flog hoch im Bogen über den Hals des Tieres weg und landete kopfüber auf dem felsigen Grund, wo er regungslos liegenblieb. Jetzt waren auch die beiden Verfolger heran, von denen einer das Pferd Jimmys erschossen hatte. Den noch rauchenden Colt in der Hand, sprang er aus dem Sattel und wollte sich auf den Boy stürzen. Er kam nicht so weit. Hinter einem Felsbrocken her schaute der Lauf einer Kentuckybüchse, und ihr donnernder Schall zerriß die Stille. Der Mann, der sich auf den Boy hatte stürzen wollen, machte einen Sprung in die Höhe und fiel dann zu Boden. Der zweite Reiter hatte noch nicht einmal den richtigen Grund des lauten Knalles begriffen, da donnerte es wieder ähnlich, und mit einem mächtigen Loch in in der Brust fiel auch er seitwärts aus dem Sattel. Das Tier, des Reiters ledig, blieb wie verwundert stehen, und das andere gesellte sich seinem Stallgefährten zu. Hinter dem Felsbrocken aber erschien die lange, dürre, aber doch mit seinen außergewöhnlich breiten Schultern mächtig wirkende Gestalt Old Joes. Mit ernstem Gesicht sprang er zuerst zu dem Boy, der noch immer steif und still wie ein Brett auf der Erde lag. Man sah in den verrunzelten Zügen des alten Mannes so etwas wie einen Ausdruck von besorgter Mütterlichkeit, als er sich liebevoll über den Boy neigte. Er strich ihm mit der Hand die Haare aus der Stirn, faßte das Handgelenk und fühlte seinen Puls. Das zuerst so besorgte Gesicht Old Joes hellte sich nach der Untersuchung wieder auf. Dann erst trat er zu den Banditen hin. Beide waren tot. In der Nähe stand etwas Knüppelholz. Der Alte holte eine Axt aus seinem Seitenholfter und kappte sachgemäß einige Stäbe. Mit gewandter Hand machte er aus Lianen und den Stäben eine Tragbahre, die er geschickt mit Hilfe der Lassos der zwei Desperados zwischen dem Sattelzeug der beiden Pferde befestigte. Behutsam hob er Jimmy auf und bettete ihn
sorgsam auf die Bahre. Er faßte das linke der Tiere und marschierte mit weitausholenden Schritten zur Zeltstadt zurück. Grimmig murmelte er vor sich hin: »Der verfluchte Bengel, immer will er mit der Nase dabei sein! Konnte er nicht warten, bis ich mit ihm ging. Hätte mir das auch denken können, als er so plötzlich verschwunden war, daß er allein zum Big Horn wollte. Jetzt hat er die Bescherung.« Die Straßen der Zeltstadt lagen noch wie ausgestorben, so daß Old Joe, der alte Waldläufer, mit seiner Tragbahre zwischen den zwei Pferden beinahe unbemerkt bis zum Wirtszelt der Susanne kommen konnte. Er führte die Tiere an die Rückseite und schlüpfte selbst von hinten wieder in den Raum hinter dem eigentlichen Zelt. Susanne war gerade aufgestanden und verfärbte sich vor Schreck, als plötzlich die lange Gestalt mit dem lederfarbigen Gesicht vor ihr stand. »Aber...« entfuhr es ihr, und sie wollte sofort in ihrem Temperament auf den alten Mann losfahren und eine Schimpfkanonade abfeuern, als etwas in der Miene Old Joes sie zurückhielt. Stattdessen fragte sie beinahe ängstlich: »Ist etwas Schlimmes geschehen? Was ist los?« Aber der alte Mann beruhigte sie, legte seine Hand auf ihre Schulter, schaute ihr in die Augen und sagte dann: »Nein und ja, meine Tochter! Draußen habe ich einen armen Boy bewußtlos auf einer Tragbahre liegen. Für ihn möchte ich bitten, ihm einen Unterschlupf, wenigstens für einige Tage, zu gewähren. Sobald der Doktor ihn gesehen hat, werde ich ihn weiterschaffen...« Susanne, die Kneipenwirtin, die mit den wildesten Männern, was das Mundwerk anbelangte, fertig wurde, unterbrach ihn, die Augen voll Tränen: »Doch nicht er junge Rotkopf, der neulich bei Euch saß?« »Kein anderer! Er ist mit dem Pferde gestürzt und noch bewußtlos. Er hat kein Blut gelassen, noch ist irgendeine Wunde zu sehen. Wäre es nur so etwas, damit würde ich schon
allein fertig. Aber ich finde nichts, nur daß er noch lebt.« »Aber dann nur herein mit ihm! Legt ihn dort auf mein Bett hinter dem Vorhang. Ich weiß, niemand soll ihn hier sehen. Und außer dem Doktor, zu dem ich sofort eines der Mädchen schicken werde, wird kein Mensch ihn ohne Eure Erlaubnis zu Gesicht bekommen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.« Schnell war Jimmy in Susannes Bett gebracht, und schon nach einigen Minuten erschien Doktor Sartor. Verwundert schaute er auf die lange, dürre, aber breitschultrige Gestalt Old Joes, der ihm wortlos die Hand entgegenstreckte und sie so fest drückte, daß der auch nicht gerade schwächliche Doktor beinahe in die Knie ging. Verwundert schaute er auf den alten Mann mit dem jugendlich wirkenden Körper und den Händen, die groß und breit wie zwei mächtige Schaufeln aussahen. Er sagte nichts, der gute Doktor Sartor, schüttelte mit einem Blick auf seine noch vom Druck schmerzenden Finger den Kopf und trat zu Jimmy. Der lag immer noch mit geschlossenen Augen wie tot. Lange untersuchte der Doktor ihn, und die Augen Old Joes lagen prüfend auf allen Bewegungen des Arztes. Endlich konnte Old Joe sich nicht mehr bezwingen, mit rauher Stimme, aus der man aber doch die innere Bewegung hörte, fragte er: »Doc, was ist mit dem Kid, wird er sterben?« Da lachte der Doktor laut und entgegnete: »Yeah, old man, das wird er wohl mal wie wir alle! Aber, wie ich kalkuliere, jetzt an diesem Sturz noch nicht! Schätze, der Boy war auch übermüdet, und die Ohnmacht ist durch einen gesunden Schlaf abgelöst worden. Außer einer tüchtigen Beule am Hinterkopf, denn eine Fraktur kann ich nicht feststellen, wird er diesmal wohl nichts Ernsteres abbekommen haben. Also lassen wir ihn ruhig schlafen!« Wie ein Wachhund saß der alte Waldläufer vorn im Zelt und trank bedächtig seinen Whisky. Wenn einer hereinkam und etwas zu laut sprach, war sofort der alte Mann bei ihm und
sagte mit ernster Stimme: »Come on, Boy, genehmige dir auf meine Kosten einen und vielleicht noch einen, aber sei hübsch still, denn dort hinter dem Vorhang liegt ein Schwerkranker.« Meist wurde ihm auch der Wille getan. Wenn aber einer aufmuckte und sich das verbat, dann klang die Stimme des Alten schon bedrohlicher, wenn er sagte: »Dear Boy! Bis jetzt war das nur eine Bitte und gleichzeitig eine Einladung. Solltest du das aber ablehnen, dann muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß ich das, wie es bei uns im Westen Sitte ist, als Beleidigung auffasse. Ich kann aber nicht anders, ich muß jede Beleidigung mit Blut abwaschen. Schau dir diese Hände an! Verleite also mich alten Mann nicht dazu, sie nochmals auf ihre Kraft zu untersuchen.« Susanne und ihre Mädels, die sich schon nach und nach zur Bedienung der Gäste eingefunden hatten, machten wohl am Anfang eine süßsaure Miene, doch nachdem der alte Waldläufer ein haselnußgroßes Nugget als Ausgleich für die Mädchen hingeworfen hatte, war auch hier eitel Sonnenschein. Immer mehr Männer vom Bahnbau kamen voller Neugier. Es hatte sich schnell herumgesprochen, und bald waren es so viele, daß Old Joe ziemlich ratlos war. Da erschien wieder die massive Gestalt des Doktors im Zelteingang und winkte Old Joe zu sich heraus. Vorsichtig sich umblickend, teilte er ihm mit, daß er den rothaarigen Boy am liebsten bei sich in der Wohnbaracke hätte, es ginge ein Gemunkel durch die Zeltstadt, daß der schwarze Teufel wieder einmal etwas Besonderes im Schilde führte. Während sie noch zusammen sprachen, gingen drei Cowboys an ihnen vorüber ins Zelt. Sie betrachteten Old Joe von oben bis unten, und des alten Waldläufers Ohr fing gerade noch ein leise gezischtes Wort auf: »Das muß er sein!« Mit den Worten: »Ich werde ihn Euch in die Baracke bringen!« verschwand auch Old Joe wieder im Zelt und ging sofort zur Schenke, wo die drei Cowboys standen. Jetzt besah
auch der alte Waldläufer sich die Boys näher. Sie mußten einen tüchtigen Ritt hinter sich haben, denn sie waren von oben bis unten voller Staub, und ihre Augen waren von Übermüdung rot umrändert. Voller Hast schütteten sie ihren Whisky hinunter und bestellten sofort einen neuen. Da Old Joe gerade zu ihnen hinschaute, faßte der erste von ihnen Mut und sagte: »Seid Ihr der alte Mann, der kürzlich mit Kameraden von uns hier im Zelt gewesen ist, mit ihnen an einem Tisch gesessen hat, als der Black Devil mit seiner Bande hier war?« »Yeah, Boy, ich denke, ich war’s! Was aber soll das?« »Letzte Nacht sind uns aus der Fenz einhundertzwanzig beste Rinder geraubt worden. Die vier Boys der Nachtwache wurden erschossen. Der fünfte, Billy Hear, liegt schwer verwundet auf der Ranch. Er hat uns von Euch erzählt und uns gesagt, daß, wenn wir Hilfe brauchten, wir uns nur an Euch wenden sollten. Wir haben die Spur der Räuber mit den Rindern gefunden, sind aber nicht zahlreich genug, die neun Banditen, die auch zur Bande Black Devils gehören, zu überwältigen und die Rinder zurückzuholen. Die Räuber liegen mit dem Vieh keine zehn Meilen von hier in einem der Seitentäler des Blue-Rivers. Sie haben auch uns bis hierher verfolgt. Wir müssen recht bald wieder verschwinden.« Während der ganzen Zeit hatte das scharfe Auge des alten Waldläufers auf den Gesichtern der drei gelegen. Als der Sprecher fertig war, ging ein Grinsen über des alten Mannes Züge, dann sagte er: »Soso, Boys! Ihr seid nicht Männer genug? Aber Old Joe ist auch allein, was kann er euch da schon helfen?« Als er die bestürzten Gesicter der Boys sah, fuhr er fort: »Doch ich will mal sehen, was sich machen läßt. Jetzt am hellen Tage werden sie ruhig in ihrem Versteck liegen bleiben und erst gegen Abend oder in der Nacht das Vieh weitertreiben. Ich kenne die Gegend sehr gut und weiß auch, wo sie augenblicklich lagern.«
Und er beschrieb ihnen die Stelle so genau, daß sie ihn ganz verwundert betrachteten und beinahe mißtrauisch auf ihn schauten, als er ihnen haargenau die Felsecke bezeichnete, wo die Banditen lagerten. »Ich weiß aber noch mehr. Übermorgen sollen eure Rinder hier in der Zeltstadt an Spießen braten und der Horde vom Bahnbau als Festessen dienen, um Black Devils Sieg bei den Wahlen zu feiern. Ja, Boys, der schwarze Gentleman will den Leuten etwas bieten, aber es darf ihn nichts kosten! Was gelten ihm einige Menschenleben?!« Dann aber flammte das Auge Old Joes auf, und seine Stimme klang drohend, als er grollend sagte: »Aber auch hier wird wieder Ordnung kommen! Verlaßt euch darauf, und Old Joe wird ihm vielleicht auch den Festbraten versalzen!« Unwillkürlich war seine Stimme lauter geworden; alles schaute auf den alten, hageren, aber breitschultrigen Menschen, der jetzt in seiner ganzen Größe mit blitzenden Augen stand. Susanne und ihre Mädels waren ganz in seinen Anblick versunken, die drei Cowboys schauten voller Ehrfurcht zu ihm auf, da wurde plötzlich der Vorhang zum Hinterraum hochgeschlagen, und mit bleichem Gesicht lugte der rothaarige Jimmy herein. Noch hatte ihn keiner gesehen. Gerade als Old Joe die letzten Worte sprach, fiel sein Blick auf den zwischen dem Vorhang stehenden Boy. Susanne und die Mädel, die hinter dem Schanktisch lehnten, fuhren ganz erschrocken zusammen, als der alte Mann mit einem Satz über den Tisch sprang, den roten Jimmy in seine Arme faßte und ihn zurückdrängen wollte, indem er sagte: »Na, sowas! Erst tot und dann einfach wieder herumlaufen! Nein, jetzt wird erst einmal der Doktor gefragt, ob du überhaupt aufstehen darfst. Nun wird Order pariert und nicht einfach wieder davongelaufen...« Der Boy unterbrach ihn hastig: »Nein, Old Joe, ich habe keine Zeit mehr! Wie komme ich überhaupt hierhin? Aber,
Gott sei Dank, daß ich Euch hier sofort treffet Es ist höchste Zeit...« Weiter aber kam er nicht. Old Joe hatte ihn schon auf seine starken Arme genommen, rief schnell in das Hauptzelt den Cowboys zu: »Ich bin sofort wieder zurück!« und lief, den sich sträubenden Jimmy festhaltend, mit ihm in langen Sätzen über die Straße zu einer schräg dem Zelt gegenüberliegenden Baracke, deren Tür er aufriß, nicht auf die im Vorraum sitzenden Menschen achtete und in das Hinterzimmer stürmte. Er sah nichts als den Doktor, der sich gerade um jemanden kümmerte, dem er einen Verband um den Fuß wickelte. Die drei im Raum befindlichen Personen schauten verwundert auf den alten Mann, der den roten Jimmy vor den Doktor stellte und sagte: »So, Doc, hier ist unser Toter, der aber absolut wieder laufen will!« Jetzt lachten alle drei lauhals, und Curly, dem der Arzt gerade den Verband anlegte, meinte: »Do-do-nnerwet-ter, Old J-joe, da-das i-ist a-allerhand! Ein Toter, der wieder laufen kann! Was meinst du, Jim?« Doch der Boy, der rote Jimmy, bat, begleitet von dringenden Gebärden, ihn anzuhören. Der Doktor setzte ihn auf einen Stuhl, fühlte ihm erst vorsichtig den Puls und sagte dann: »Es ist, wie ich gesagt habe: Außer der starken Beule am Hinterkopf hat er nichts von dem Sturz behalten. Nun erzähle ruhig, was du auf der Leber hast.« Begierig lauschten die Männer auf des Boys Erzählung. Grisly-Jim knirschte deutlich mit den Zähnen, als Jimmy die Sache mit dem Coyoten, der Sprengkammer, erzählte. Das von den Wahlen wußten Grisly-Jim und Curly bereits von den beiden, die jetzt bei der Horde beschäftigt waren, von Fritz Burker und Tob Baxter. Alle vier lobten den roten Jimmy sehr, als er ihnen auch den Bericht vom Big Horn gab. Zum Schluß erzählte Old Joe die Geschichte der drei Cowboys und des Rinderraubes. Man stand vor einer schwierigen Lösung, denn
alle drei Punkte, der mit der Sprengkammer, der mit den beiden Gefangenen und der mit dem Rinderraub, waren gleich dringend. Old Joe erklärte, daß er sich sofort mit den drei Cowboys auf den Weg machen würde, er könne die Leute nicht im Stich lassen. Außerdem müßte der Boy noch wenigstens einen Tag ausruhen, und da auch der Doktor darauf bestand, daß Curly sich wenigstens bis morgen sein Bein mit Umschlägen kühle, beschloß man, am nächsten Morgen gemeinsam gegen die Bande vorzugehen. Bis dahin wollte Old Joe wieder zurück sein. Während sie noch in des Doktors Baracke zusammen waren, hörten sie auf einmal auf der Straße das wüste Schreien und Gejohle einer erregten Menschenmenge. Durch die Fenster sahen sie eine Anzahl Reiter, die in ihrer Mitte einen gefesselten Mann mit sich schleppten. Dem Trupp voraus ritt der Sheriff. Die vielhundertköpfige Menge zog schreiend und johlend mit. Jetzt war der Zug in der Höhe der Doktorbaracke. Plötzlich stieß Old Joe einen langen Fluch aus und wollte hinaus. GrislyJim erwischte ihn noch im letzten Augenblick und hielt ihn zurück: »Was ist los, Onkel? Was hast du draußen gesehen?« »Was ich gesehen? Das geht über meine Nerven, die ich ja sonst nicht habe! Der Mann da draußen ist einer der drei Cowboys, mit denen ich noch vorhin Whisky getrunken habe. Ich habe sie in Susannes Zelt gelassen und wollte nur den Boy nach hier bringen. Welche Teufelei mag da wieder spielen? Auch die Gesichter der Reiter, wenigstens eines Teiles, sind mir sehr bekannt. Sie gehören zur Black-Devil-Bande! Ich muß hinaus!« »Ich gehe mit!« schrie Grisly-Jim und eilte mit hinaus auf die Straße, von der jetzt deutlich der immer wiederkehrende Ruf in die Baracke schallte: »Richter Lynch! Richter Lynch!« Mit Gewalt mußte der Doktor Curly und den rothaarigen
Jimmy zurückhalten. Er schloß ihnen einfach die Türe vor der Nase zu, und die beiden schauten sich mit verblüfften Gesichtern an. Von draußen drang noch immer der Lärm von der Straße an ihr Ohr. Des Doktors Baracke stand auf der Hinterseite zur Ausgleichung des Bodens auf Pfählen oder besser Stempeln. Diese Stempel waren mit Brettern verkleidet, von denen eins losgegangen war. Während Old Joe vor der Baracke auf Jim wartete, der sein an der Hinterseite angebundenes Pferd holen wollte, hörte er auf einmal seinen Namen leise rufen. Auch Jim mußte es gehört haben, denn er blieb stehen und horchte. Der alte Mann vernahm wieder den Ruf. Jetzt wußte er, woher er kam. Mit einigen Schritten stand auch er hinter der Baracke und bückte sich zur Erde hin. Grisly-Jim sah, wie ein grimmiges Lachen in Old Joes Züge kam und mußte auch lächeln, denn auf des Alten Zuruf kam das über und über mit Dreck verschmierte Gesicht eines noch jungen Boys durch die Lücke, wo das Brett los war und schaute ängstlich zu ihm auf. Old Joe sagte: »Come on, my boy! Komm heraus, mein Junge! Bist du allein?« Darauf erschien neben dem einen noch ein anderes, ebenso beschmutztes Gesicht. Grisly-Jim staunte nur. Old Joe warf nun auch einen prüfenden Blick die Straße hinunter, dann sagte er hastig: »Kommt beide heraus. Ich mache euch das Hinterfenster auf, und ihr klettert sofort in die Baracke.« Zur Verwunderung von Curly und dem rothaarigen Jimmy wurde ihre Tür vom Doktor wieder aufgeschlossen, der eiligst ins Zimmer trat und sofort das Fenster öffnete. Bald darauf kletterten zwei junge Männer in Cowboykleidung durch das Fenster in die Baracke und schlossen es sofort wieder. Auch Grisly-Jim und Old Joe waren jetzt wieder im Raum. Old Joe drängte: »Los, Boys, erzählt, aber etwas plötzlich!« Zu den anderen gewandt, erklärte der alte Waldläufer: »Das sind die beiden Kameraden des Boys, den sie vorhin hier durch die
Straße geschleppt haben.« Der eine der Boys erzählte: »Wir standen noch immer in Susannas Zelt und warteten auf den alten Mann. Da kamen vier Männer singend und gröhlend herein. Sie schienen betrunken. Bald aber mußten wir feststellen, daß sie sich nur so benahmen. Einer von ihnen sprach uns an und meinte: ›Habt ihr nicht die Herde von Dickens Ranch in der vorigen Woche nach hier zum Schlachthof getrieben? Ich meine euch wiederzuerkennen?‹ Ahnungslos bejahten wir das, denn es stimmt auch. Er aber betrachtet uns mit halbzugekniffenen Augen, schaut sich vorsichtig um und fragt uns dann leise: ›Dann wart ihr auch noch gestern auf der Ranch?‹ Wieder bejahten wir das. ›Dann seid ihr es auch gewesen, die in der letzten Nacht das Vieh von der Weide getrieben habt!‹ Als wir das entrüstet bestritten und den wahren Sachverhalt schilderten, da zwinkerte er uns wieder zu und sagte lachend: ›Well, Boys, zu wievielen seid ihr denn durchgekommen, wenn das stimmt, was ihr behauptet?‹ Nachdem wir ihm nun sagten, daß wir drei nur entkommen waren und den vierten sterbend zurückgelassen hatten, sagte er nichts mehr, sondern ließ uns noch einen Whisky ausschenken, rief den anderen auf mexikanisch etwas zu und ging fort. Schon nach ganz kurzer Zeit kam er wieder zurück, und mit ihm erschien eine ganze Anzahl Reiter, an deren Spitze ein Mann mit dem Sheriffstern war. Mit lauter Stimme sagte der Mann, der sich vorher mit uns unterhalten hatte: ›Das sind die Burschen, die das ganze Vieh, das Black Devil für das Fest der Horde gekauft hatte, gestohlen haben. Sie haben unsere Kameraden abgeschlachtet und das Vieh versteckt. Ich klage sie des Mordes und des Raubes an!‹ Inzwischen kamen immer mehr schreiende Menschen, so daß das Zelt sie nicht mehr fassen konnte. Sie mußten schon vorher aufgewiegelt worden sein. Alle schrien sofort: ›Richter Lynch! Richter Lynch!‹ Sie hatten uns umstellt, und der Sheriff wollte uns verhaften,
da zischte uns die Wirtin, die Susanne, zu: ›Hinten hinaus.‹ Allan und mir gelang es, in einem Sprung über die Theke zu setzen, während wir hörten, daß sie den armen Ted ergriffen. Hinter dem Zelt waren noch viele Menschen. So liefen wir um unser Leben. Zuerst hielten wir uns hinter den Zelten und Baracken. Doch die Verfolger wurden immer zahlreicher. Wir wollten versuchen, zur Doktorbaracke zu kommen, liefen aber erst in die Richtung auf den Mietstall, wo unsere Pferde standen. Dadurch wurden die Verfolger irregeführt. Unbemerkt, da wir ja die Straße gemieden hatten, gelangten wir hierher, und da im Augenblick die johlende Menge mit unserem Kameraden dahergezogen kam, verkrochen wir uns unter der Baracke. Wir wußten, daß der alte Mann beim Doktor war. Den wollten wir vor allen Dingen sprechen.« Keiner der Männer hatte den Boy unterbrochen. Jetzt sagte Grisly-Jim: »Doc, du hast einen gewissen Einfluß bei der Horde. Gehe sofort zum Sheriffhaus und versuche, den Mann, wenn nicht zu befreien, dann wenigstens das Lynchen vorerst zu verhindern! Wir anderen reiten sofort los und wollen den Beweis seiner Unschuld herbeischaffen.« Trotz des Protestes von Curly und dem roten Jimmy ritten Grisly-Jim und die beiden Cowboys, einer auf Dolli, Curlys Stute, der andere auf des Doktors Pferd, hinaus auf die Straße. Old Joe war schon verschwunden. Der Doktor beeilte sich, zum Sheriffhaus zu kommen. Eine vielhundertköpfige Menge umlagerte das Sheriffhaus, als der Doktor dort ankam. Da die meisten ihn kannten, ließ man ihn bereitwilligst durch und gab ihm auch ebenso bereitwillig auf seine Fragen Antwort. Immer noch schrie die Menge: »Heraus mit dem Burschen, an den Baum mit dem Mörder und Räuber!« Als der Doktor in das Amtszimmer des Sheriffs trat, blickte der Sheriff erstaunt auf und fragte sofort: »Was ist los, Doc? Hier ist keiner krank! Man hat nicht nach Euch geschickt!«
»Das führt mich auch gar nicht hierher! Ich bin hier, um den Sheriff auf eine ungesetzliche Handlung aufmerksam zu machen! Das Wort, was ich immer noch von draußen höre, sagt mir genug! Ich protestiere nicht gegen die Festnahme des Boys, der da vor Euch steht, aber ich verlange, daß die Sache eingehend und gerecht untersucht wird...« Das Gejohle der Menge verwandelte sich in dem Augenblick zum Tumult, dann wurde die Tür aufgerissen, und von einigen seiner Bande begleitet erschien die riesige Gestalt Black Devils im Zimmer. Ohne sich weiter um die Anwesenden zu kümmern, packte er mit seiner mächtigen Faust den am ganzen Leib zitternden Cowboy und hob ihn ohne Mühe in die Luft. Einer seiner Anhänger hatte ein Fenster geöffnet, und Black Devil warf den Cowboy hoch im Bogen mitten in die tobende Menge. Dann brüllte er: »Da habt ihr ihn! Jetzt an den nächsten Ast!« Der Doktor stand wie versteinert, über des Sheriffs Züge ging ein höhnisches Grinsen, das sich aber sofort wieder verzog, denn draußen setzte eine Knallerei ein, als tobe eine richtige Schlacht. Dazwischen hörte man lautes Protestschreien. Black Devil aber war genauso erstarrt wie der Doktor und jetzt auch der Sheriff, der sich erhoben hatte und auch zum Fenster hinaus auf die tosende Menge schaute. Sie sahen nur, wie ein einzelner Reiter auf einem wunderbar goldenschimmernden Pferd, dessen silberweißer, langer Schweif seltsam vom glänzenden Fell des Tieres abstach, sich in rasenden Fluchten über die Köpfe der Menge wegsetzte, vor sich im Sattel lag der gefesselte Cowboy. Der Doktor hatte sofort Grisly-Jim erkannt und war nur erstaunt, ihn so plötzlich hier zu sehen, da er ihn doch anderswo vermutete. Die Erstarrung Black Devils löste sich in einem lästerlichen Fluch, dann stürzte er hinaus, warf die sich ihm hemmend im Wege stehenden Menschen brutal zur Seite und gelangte zu der Gruppe der Pferde, die von einem der
Banditen gehalten wurde. Ohne auf seine Begleiter zu achten, warf er sich auf sein Tier und wollte hinter dem Reiter her. Doch von dem war auch keine Spur mehr zu sehen. Soviel er auch nach einer Auskunft brüllte, kein Mensch konnte sie ihm geben. So teilte er seine anwesenden Banditen in vier Teile und schickte sie in die vier Himmelsrichtungen. Er selbst ritt mit einigen im gestreckten Galopp gen Westen. Vor dem Sheriffhaus tobte die Menge immer noch. Man konnte deutlich sehen, wie sich zwei Gruppen gebildet hatten. Die einen schrien für, die anderen gegen Black Devil, und die Zahl der Gegner des Banditenboß wuchs beinahe von Minute zu Minute. Mancher bisher offen aufgetretene Anhänger des schwarzen Teufels drückte sich schon verstohlen vom Platze weg. Immer wieder hörte man die Stimmen Fritz Burkers und des alten Tob Baxter, die nicht aufhörten, aufs neue die Schandtaten des schwarzen Teufels und seiner Hintermänner anzuprangern. Sie waren es auch gewesen, auf die Grisly-Jim in Begleitung der zwei Cowboys gestoßen war, als sie in bewußter Absicht, Stimmung gegen den Bandenführer und dem von diesem abhängenden Sheriff zu machen, zum Sheriffhaus zogen. Als sie Grisly-Jim vom persönlichen Erscheinen Black Devils erzählten, vermutete der eine neue Teufelei und schloß sich ihnen an. Die zwei Cowboys beorderte er, draußen, sofort hinter dem Tunnelbau, auf ihn zu warten. Die sich jetzt unter sich herumbalgenden zwei Parteien kümmerten ihn nicht. Er wußte die Sache bei Fritz Burker in guten Händen. Das alles sollte und mußte die Vorbereitung zu seinem großen Schlag gegen Black Devil und seine Bande sein. Schon während des Rittes hatte Grisly-Jim die Fesseln des vor ihm im Sattel liegenden Cowboys gelöst. Der saß nun hinter ihm, und für Jims Pferd, für Ali, den wunderbaren Araberwallach, war es nichts Beschwerliches, mit den beiden im Sattel im gestreckten Galopp eine ordentliche
Strecke zurückzulegen. Da beinahe alle von der Bahnbaubehörde, von der Arbeitsstätte weggelockt worden waren, begegnete ihnen beinahe niemand. Die wenigen aber, die sie vorüberreiten sahen, dachten sich nichts dabei, sondern schauten nur auf das edle Tier, das zwei Reiter auf einmal so leicht auf seinem Rücken wiegte. Die zwei Cowboys erwarteten Grisly-Jim schon an der bestimmten Stelle. Wie staunten sie, als sie den schon verloren geglaubten Ted hinter Grisly-Jim erblickten! Doch Grisly-Jim ließ ihnen nicht lange Zeit. Weiter ging es im Galopp auf das Hochplateau zu. Sie hatten es beinahe erreicht, da hörten sie hinter sich das Klappern von Hufen. Waren das schon die Verfolger? Grisly-Jim befahl, in dem seitwärts befindlichen Knüppelholz, das mit dichtem Unterholz bestanden war, in Deckung zu gehen. Sie wußten nicht, ob die heranreitenden Männer sie auch gesehen hatten. Während Ali, Grisly-Jims Pferd, sich sofort auf einen Pfiff seines Herrn hinter einem der Büsche lang hinstreckte, bedurfte es bei den zwei anderen nur dieses Beispiels, um auch sie in dieselbe Lage zu bringen. Dolli, Curlys Stute, war wohl etwas mißgelaunt, weil ihr Herr sie an einen Fremden verliehen hatte, aber sie war doch so intelligent, sofort sich neben den langjährigen Stallgenossen hinzulegen. Da mußte etwas los sein. Grisly-Jim legte die drei Cowboys in sichere Deckung an den Rand des Gehölzes. Er hatte dem befreiten Boy seine Winchester zur Verfügung gestellt, da er sonst keine Waffen mehr besaß. Er selbst schlich sich bis zu einer Felsnase, von der er einen guten Ausblick auf die sich nähernden Reiter hatte. Es waren vier Mann, und Grisly-Jim stellte beim Näherkommen fest, daß sie keine Verfolger sein konnten und sie seine Gruppe bestimmt nicht gesehen hatten, denn sie betrugen sich ganz ahnungslos.
Als die Männer bis auf hundert Meter herangekommen waren und Jim ihre Gesichter schon deutlich ausmachen konnte, erkannte er sofort den alten Burrham, den Sprengmeister, der unter ihnen war. Plötzlich bogen die Reiter nach links ein, wo ein Gebirgstal das vom Tunnelbau betroffene Felsmassiv vom Hochplateau trennte. Ein Lächeln der Befriedigung huschte über Jims Züge. Er mußte verstanden haben, was die Männer in dieser Gegend wollten. Schnell lief er zu den Cowboys zurück und befahl ihnen, ruhig mit den Pferden liegen zu bleiben und auf seine Rückkehr zu warten. Dann lief er mit weitausholenden Schritten die Anhöhe hinunter und entschwand auch im Tal, in das die Reiter eingebogen waren. Es war ein ziemlicher Dauerlauf, den Grisly-Jim bewältigen mußte. Die Pferde hatten einen schnellen Trab gemacht, und doch verlor er sie nicht aus den Augen. Hin und wieder mußte er sich auch noch zur Seite werfen, wenn einer der Reiter, bewußt oder unbewußt, das mußte Jim noch raten, sich umschaute. Dann wandten sich die Reiter wieder nach links, und nun ging es bergauf, daß die Pferde im Schritt gehen mußten. Da ringsum weder Baum noch Strauch Deckung boten, mußte Grisly-Jim jede Felsenecke, jede Kante benutzen, um sich von ihr geschützt, für die Reiter unsichtbar, ihnen doch immer mehr zu nähern. Nach einem Aufstieg von vielleicht zweihundert Metern sprangen die Männer aus den Sätteln, ließen die Pferde stehen, einer von ihnen nahm ein Felleisen und kletterte mit den anderen wieder höher. Nach weiteren hundert Metern sah Grisly-Jim sie auf einmal, einen hinter dem anderen, verschwinden. Er wartete hinter einem Felsvorsprung, bis der letzte verschwunden war, erst dann stieg auch er weiter. Jetzt stand auch er an einem Abgrund und lugte vorsichtig über den Rand hinunter. Da sah er in Abständen von einigen Metern die Männer klettern. Der Abstieg war nicht gefährlich.
Künstlich in den Berg getriebene Stufen erleichterten das Hinunterklettern. Die Stufen waren noch ziemlich neu, sie verrieten, daß erst in letzter Zeit hier gearbeitet worden war. Wieder lugte Grisly-Jim vorsichtig über den Rand und zog dann aber schnell seinen Kopf wieder zurück. Er hatte dem alten Sprengmeister geradewegs in die Augen geblickt und befürchtete schon, von ihm entdeckt worden zu sein, da belehrte ihn aber ein Zuruf, daß er sich geirrt hatte. Der alte Burrham hatte scheinbar etwas vergessen und rief dem letzten, der noch nicht so weit vom Abgrund entfernt war, etwas zu. Der begann denn auch sofort wieder mit dem Aufstieg, und Grisly-Jim mußte in aller Schnelligkeit zurück und hinter dem Felsvorsprung von vorhin erneut in Deckung gehen. Gespannt verfolgte er jede Bewegung des Mannes, bereit, ihm sofort an die Kehle zu springen, falls er nur etwas von ihm bemerkt haben sollte. Doch der Mann ging gemächlich und ahnungslos zu den Pferden zurück, hantierte dort an einem der Mantelsäcke und holte eine Rolle Zündschnur heraus. So beladen, kehrte er in aller Gemütsruhe wieder zum Abgrund zurück. Sofort war auch Jim wieder dort. Von den anderen Männern war nichts mehr zu sehen, nur der letzte turnte mit seiner Rolle Zündschnur in der Wand des Abgrundes. Doch weiter unten bemerkte Jim frisches Steingeröll, das aus mehreren Löchern herausgebuddelt worden war. Aufmerksam verfolgte Grisly-Jim den Mann, bis er ihn in eins der Löcher verschwinden sah. Ohne lange zu überlegen, schwang sich Jim über den Abgrundrand und kletterte hinunter bis dort, wo er den letzten der Männer hatte verschwinden sehen. Nur ein finsteres, mannshohes Loch gähnte ihm entgegen. Es war wie ein Stollen, der schräg abfallend in den Berg getrieben worden war. Noch hörte er das Hallen der Schritte des Mannes aus dem Gang heraufschallen. Doch sehen konnte er nichts. Noch einmal sah er nach seinen Waffen, dann betrat er
vorsichtig den Stollen. Er tastete rechts und links die Wände ab und stellte fest, daß sie so roh, wie sie gesprengt worden waren, hinunter in den Berg führten. Sie waren nicht glatt, diese Wände. Manchmal waren richtige Nischen entstanden. Wohl fünfzig Meter fiel der Stollen schräg in einem Winkel von vielleicht sechzig Grad nach unten ab. Plötzlich stieß GrislyJim mit dem Kopf gegen eine vorstehende Felsecke. Hier bog der Stollen nach rechts, um nach einigen Schritten wieder nach links zu verlaufen. Hier blieb er an der Ecke stehen, denn vor ihm öffnete sich ein weiter Raum, der vom Schein einiger Pechfackeln erhellt war. Stimmen drangen an sein Ohr, und nach einigem Horchen konnte er auch die einzelnen Wörter verstehen. Das mußte die Sprengkammer zehn sein, wie ihm der rote Jimmy erklärt hatte, der Raum, wohin die Banditen auf Befehl des schwarzen Teufels die drei Vertrauensleute der Bahnbaubehörde gebracht hatten. Im Schein der Fackeln sah Grisly-Jim, der sich auf Händen und Füßen näher an die Kammer gerobbt hatte, die vier Männer von vorhin und dazu noch drei Gestalten, die gefesselt auf der Erde lagen. Er erblickte auch den alten Sprengmeister Burrham, der mit verkniffener Miene, man sah ihm deutlich die Unlust an seinem Werk an, die Zündschnur verlegte. Grisly-Jim hatte gerade noch Zeit, sich zur Seite zu werfen und sich in einer schmalen Nische, die sofort neben dem Eingang war, zusammenzukrümmen, da bückte sich der alte Burrham schon an der anderen Gangseite zur Erde und ging dann den Stollen aufwärts, die Rolle mit der Zündschnur Fuß für Fuß hinter sich abwickelnd, weiter. Er hatte Jim nicht bemerkt. Jetzt waren die drei mit den Gefangenen allein. Sofort, nachdem er sich vergewissert hatte, daß der alte Burrham ihn nicht mehr hören konnte, begann einer der Männer, ein Kerl mit einem wüsten schwarzen Vollbart im Gesicht, aus dem die
Augen wie glühende Kohlen leuchteten, mit einer Stimme, die den Gewohnheitssäufer verriet, zu reden: »Jetzt wollen wir noch einmal, und zwar ist es diesmal bestimmt das letzte Mal, mit euch Kattun reden! Das läßt euch Black Devil durch mich sagen: Morgen mittag ist die letzte Versammlung kurz vor der Wahl. Ihr sollt dort aus freien Stücken erscheinen und euer Wort dafür einlegen, daß Hunter zum neuen Obmann gewählt wird. Tut ihr das und weiter nichts, dann erhält jeder von euch sofort eintausend Dollar in bar und kann frei gehen, wohin er will. Im anderen Falle, also wenn ihr bei eurer Weigerung bleibt, geht ihr pünktlich um drei Uhr morgen nachmittag hier in der Sprengkammer zu Grunde. Wie, das könnt ihr euch selbst ausmalen. Denkt an die Tonnen Sprengstoff und an die Tonnen Schwarzpulver, auf denen ihr hier liegt! Ihr seid alle vom Fach und wißt, daß ich die Wahrheit sage. Wollt ihr freiwillig in unserem Sinne bei der Versammlung die paar Worte sprechen oder nicht?« Sofort kam es wie aus einem Munde: »Ich nicht! Ich nicht! Ich nicht!« Weiter sagte keiner der Männer auch nur einen Ton. Eine ganze Zeitlang herrschte Schweigen. Es war so still im Raum, daß Grisly-Jim deutlich das Atmen der Männer hören konnte. Dann sprach wieder der mit der versoffenen Stimme: »Dann hört weiter gut zu! Das ist eure letzte Mahlzeit, die ihr bekommt. Mehr braucht ihr nämlich nicht. Eure letzte Chance aber habt ihr noch morgen früh. Kurz nach Tagesanbruch wird Black Devil selbst nochmals kommen, ehe der Eingang vermauert und verschüttet wird, dann geht ihr entweder freiwillig mit ihm, oder ihr werdet lebendig begraben, bis der Coyot und ihr mit ihm in die Luft geht. Für uns bleibt nichts mehr zu sagen.« Keiner der Männer würdigte ihn auch nur eines Tones. Zwei der Begleiter des Schwarzbartes verlöschten ihre Pechfackeln, während er selbst seine Fackel noch brennen ließ. Der
aufmerksam lauernde Grisly-Jim sah, wie sie die Fackeln an einer der Seitenwände hinlegten und dann vor dem seine brennende Fackel hochhaltenden Schwarzbart die Sprengkammer verließen. Dieser Umstand kam dem in seiner Nische wieder zusammengekrümmt liegenden Grisly-Jim zustatten, denn wäre der Bandit mit der Fackel als erster hinausgegangen, dann würde der Lichtschein bestimmt auch in die Vertiefung gefallen sein. So aber fingen die Körper der beiden Vorschreitenden den größten Teil des Lichtes ab und ließen die Nische in Dunkelheit. Deutlich hörte Grisly-Jim, der sich noch immer mucksmäuschenstill verhielt, wie sich die Schritte der drei entfernten. Dann richtete er sich behutsam auf und verharrte noch eine ganze Zeitlang ruhig. Da begann einer der drei Gefangenen zu sprechen: »Was meint ihr, Dayton und Gibbys, wird es sich lohnen, daß wir uns opfern? Wenn ich so über alles nachdenke, werde ich immer wankelmütiger. Was haben wir davon? Im anderen Falle nehme ich eben mein Weib und meine Kinder und ziehe mit den tausend Dollar einfach von hier fort. Ich glaube kaum, daß auch nur ein Mann von all denen, für die wir uns opfern wollen, nur einen Cent für die Unsrigen übrig haben...« Das spöttisch grelle Auflachen des einen seiner Mitgefangenen ließ ihn verstummen, und dessen Stimme fuhr fort: »Nein, Burton, sei doch kein Tölpel! Glaubst du denn wirklich, daß dieses schwarze Scheusal sein Wort halten wird? Sieh doch mal! Kann er, selbst wenn wir ihm zu Willen sein werden, uns überhaupt leben lassen? Für ihn würden wir immer eine Gefahr bilden! Solange er Nutzen von uns hat, sind wir unseres Lebens sicher. Treten wir in seine Bande, wie er es uns schon früher angeboten hat, dann werden wir bei unserer Einstellung keine frohe Minute mehr haben. Verlaß dich darauf, tun wir ihm den Gefallen und legen morgen das Wort für den von ihm vorgeschlagenen Obmann ein, dann wird als
zweites die alte Forderung kommen, Mitglied seiner Bande zu werden. Da wir aber nicht gewillt sind, das zu tun, sind wir tote Männer! Ich für meinen Teil werde ihm nicht zu Gefallen sein! Der Himmel möge sich meiner Familie annehmen, das ist für mich das Einzige!« Sofort fiel eine neue Stimme bekräftigend ein: »Das ist auch mein Standpunkt, und dabei bleibe ich!« Grisly-Jim blieb noch eine Weile still liegen. Gerade wollte er sich erheben, da begann die erste Stimme wieder: »Ja, Dayton, ja, Gibbys, ihr beide habt voll und ganz recht! Der Gedanke an mein Weib und meine Kinder hat mich für eine Minute schwach gemacht. Doch verzeiht mir, auch für mich wird nichts anderes in Frage kommen! Aber nun wollen wir etwas essen, die Hunde haben uns die letzten vierundzwanzig Stunden hungern lassen...« Jäh brach er ab. Grisly-Jim hatte sich erhoben und dabei ein Geräusch gemacht. Sofort war wieder Stille. Grisly-Jim tastete sich in den Raum, und während er nach den Fackeln suchte, sagte er: »Einen Augenblick, Meshurs, ich werde euch zu eurer Mahlzeit Licht machen!« Kein Wort kam von den Männern. Grisly-Jim hörte nur den stoßweisen Atem der Gefangenen. Mit einem Wachshölzchen entzündete er eine der Fackeln und hielt sie über seinen Kopf. Der ganze Raum war erhellt, und vor allem war sein Gesicht klar beleuchtet. Er sah die weit aufgerissenen Augen der drei Männer voller Staunen, vermischt mit Angst, auf seinem Gesicht ruhen. Aber sie sprachen noch immer nicht. Da begann er von sich aus: »Habt keine Angst! Schon als der Schwarzbart euch die Bedingungen Black Devils übermittelte, lag ich hier in eurer Nähe. Ich weiß nicht, ob einer von euch mich schon früher gesehen hat. Ich bin einer der Eisenbahnsicherungsagenten und...« Weiter kam er nicht, denn Burton, daß er es war, hörte Grisly-Jim an der Stimme, rief voller Verwunderung, aber auch
Freude: »By God! Grisly-Jim!« Die andern hatten sich nun auch von ihrem Erstaunen erholt und riefen, nein, schrien: »Wahrhaftig, Grisly-Jim!« Da lachte Jim und fuhr fort: »Also, mit eurem In-die-LuftFliegen, wird es nun wohl nichts, das ist euch doch schon von vornherein klar, nicht wahr? Ich habe nun nicht lange Zeit, aber immerhin doch so lange, bis ihr euer Essen bei Licht verzehrt haben werdet. Macht nicht so entsetzte Gesichter! Ihr meintet natürlich, ich würde euch sofort losschneiden und in die Freiheit befördern! Gewiß, das könnt ihr auch haben! Vorerst aber möchte ich etwas mit euch besprechen! Wenn ihr mich gehört haben werdet, könnt ihr selbst bestimmen, was ich machen soll! Erst aber hört mich an! Ihr selbst habt mir durch euer Verhalten dem schwarzen Halunken und seiner Bande gegenüber gezeigt, wie ihr zu deren Taten steht. Euer Bestreben geht doch auch dahin, daß den Banditen das Handwerk gelegt und die Leute am Bahnbau ungehindert und nur für ihre eigene Tasche arbeiten können. Ihr selbst wißt es noch besser als ich, wie teils aus Furcht, teils aus Gewinnsucht ein großer Teil der Arbeiter auf Seiten der Halunken ist. Wieder eine ganze Anzahl ist direkt Masse und läuft als solche hinter dem großen Haufen her. Nun überlegt gut! Um endlich Ordnung in den ganzen Haufen zu bekommen, muß Black Devil und seine ganze Bande vernichtet werden. Dazu sollt ihr mir helfen. Am liebsten würde ich morgen früh den schwarzen Teufel hier abfangen und an eurer Stelle mit dem Coyoten in die Luft gehen lassen. Aber ich habe ihn nötig, um die gesamte Arbeiterschaft überzeugend auf unsere Seite zu bringen. Es würde ein Durcheinander und eine Legendenbildung werden, wenn er hier so sang- und klanglos verschwindet. Folgendes ist mein Plan...« Er entwickelte vor ihnen seinen Kriegsplan, und die Augen der drei Männer sagten ihm schon, daß sie ihn verstanden und ihm auch zu Willen sein wollten. Sie verzehrten jetzt voller
Gemütsruhe das ihnen hingestellte Essen und duldeten auch, daß er ihre Handschellen, die mit einem Schlüssel um ihre Hand- und Fußgelenke gelegt waren, ruhig weiter um ihre Glieder ließ. Nachdem er die Fackel wieder gelöscht hatte und bereits im Stollen war, riefen sie ihm mit fröhlicher Stimme ein herzliches Wiedersehen nach. Bald stand er wieder am Stolleneingang und schaute ins helle Tageslicht. Von den Männern sah er keine Spur. Schnell war er oben und stellte fest, daß alle, auch der alte Sprengmeister, wieder davongeritten waren. Wieder setzte sich Grisly-Jim in Trab, und bald war er in Sicht des Krüppelholzes, wo er die drei Cowboys mit den Pferden zurückgelassen hatte. Sie waren ganz aufgeregt, als er plötzlich vor ihnen stand und lächelnd in ihre aufgeregten Gesichter schaute. Ehe sie noch sprechen konnten, hatte er bereits von ihren Mienen abgelesen, daß sie etwas Besonderes erlebt hatten. So war es auch. Sofort begann einer, es war Allan: »Wir hatten schon die heiligste Angst um dich, und hättest du uns nicht befohlen, dir unter keinen Umständen nachzukommen, wir wären längst auf der Suche nach dir gewesen. So große Greenhorns sind wir auch nicht, daß wir keine Spuren lesen können. Denke dir, es ist noch keine Stunde her, da sahen wir auf einmal sechs Banditen direkt auf uns zureiten. Wir glauben uns schon von ihnen entdeckt, da machen sie dort unten an der Talecke, wo wir dich vorher hatten verschwinden sehen, Rast. Während Rob hier bei den Pferden blieb, beschlichen wir beide, Ted und ich, den Haufen. Sie lagerten so sorglos, daß wir aufrecht uns durch die Büsche hätten schleichen können, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Wir waren aber vorsichtig und krochen an sie heran. Vor Staunen hätten wir am liebsten aufgeschrien, denn bei ihnen lagen, verschnürt wie zwei Pakete, dein Kamerad Curly und der Boy mit den roten Haaren. Wie wir aus den Reden ersehen
konnten, denn auch Curly hielt den Mund nicht, hat der Doktor durch sein Einsetzen für Ted im Sheriffhaus sich verdächtig gemacht. Auf der Suche nach dir und Ted ist der Trupp auch in die Doktorbaracke geraten und hat die beiden dort überrumpelt. Da Black Devil mit einem anderen Trupp noch unterwegs ist, hat der Unterführer, der die Truppe befehligt, es als besser erachtet, sie nicht sofort zu töten, sondern bis nach dem morgigen Siegesfest, wie der Kerl lachend sagte, sie in ein Verließ namens Bergkegel zu bringen. Dort muß ein ständiger Doppelposten sein, dem sie anvertraut werden. Curly hat die Kerle aber richtig aufgezogen, daß wir öfter das Lachen verbeißen mußten, um nicht aufzufallen. Nun aber warteten wir wirklich voller Angst und Bangen auf dich, denn es ist doch klar, daß wir die beiden nicht in der Hand der Banditen lassen können. Nicht wahr, wir reiten sofort hinterher?« Doch zu der Cowboys Erstaunen warf Jim sich neben Ali, seinem Pferd, hin, verschränkte seine Arme unter dem Kopf und schaute blinzelnd eine ganze Zeitlang in die Sonne. Die Boys konnten sich sein Verhalten nicht erklären und schwiegen ihrerseits, aber ziemlich betreten. Auf einmal schnellte Jim auf und setzte sich auf seinen Hintern. Verschmitzt lächelnd blickte er dann von einem der Boys zum anderen und sagte dann: »Seht mal, bei allem, was man auch unternimmt, muß man sich Zeit lassen. Wäre ich nicht durch eine andere Sache vorhin verhindert worden, wären wir bestimmt mit den Banditen zusammengestoßen und hätten ganz gewiß dadurch bedeutenden Schaden angerichtet. Ursprünglich wollte ich mit euch dreien gerade zu den Bergkegeln hin, den Doppelposten überwältigen und euch an dessen Stelle für einige Tage hinstellen. Jetzt aber ist es für uns viel günstiger geworden. Wir warten getrost, bis die Banditen wieder zurück sein werden, erst dann reiten wir los. Einer von euch bezieht dort oben am
Rande des Hochplateaus Posten. Stündlich wird gewechselt. Sieht der Posten die Banditen, kommt er sofort zu uns und sagt uns Bescheid! Lost selbst aus, wer die erste Wache macht! Ich schlafe.« Grisly-Jim hatte vielleicht schon zwei Stunden geschlafen, da warf sich jemand neben ihn und rüttelte ihn aufgeregt wach. Er war sofort auf und fragte: »Was ist los?« »Sie kommen! Es sind genau wieder sechs. Sie reiten ziemlich forsch!« Es verging aber eine gute Stunde, ehe der Trupp oben am Rande des Hochplateaus erschien. Sie waren richtig sorglos und riefen sich während des Reitens allerlei Unsinn zu. Doch kaum waren sie außer Sicht, sprang Grisly-Jim auf, pfiff seinem Tier, das gleichzeitig mit der Stute Dolli aufsprang und dadurch auch das andere Tier, das sich genau so wie die beiden anderen verhalten hatte, auf die Beine brachte. Wieder setzte sich Ted, der befreite Cowboy, hinter Grisly-Jim in den Sattel, und fort ging es über das Hochplateau auf die in der Ferne schon sichtbaren Bergkegel zu. Grisly-Jim wußte ja aus des roten Jimmys Erzählung, daß ihr Anreiten von oben sehr wahrscheinlich schon früh bemerkt werden würde, aber er vertraute seinem Glück und ritt in einem durch bis zum Fuße des ersten Kegels, geleitet von den sichtbar vor ihnen herlaufenden Spuren. Er hatte richtig kalkuliert. Dadurch, daß er sich nicht zu vorsichtig herangewagt hatte, waren die beiden Wächter am Ausguck in der Annahme, es handle sich wieder um ihre eigenen Leute, bestärkt worden und hatten keinerlei Abwehrmaßnahmen getroffen. Ganz gemütlich kamen sie die Stufen in der Spalte herunter und wollten zur Begrüßung der Kameraden ihnen entgegengehen, da liefen sie Grisly-Jim in die Arme, der sie mit zwei Schlägen seiner Jagdhiebe für eine Zeit ins Traumland schickte. Als die Cowboys zu ihm stießen, waren sie sichtlich betrübt, daß sie nichts mehr zu tun hatten.
Er befahl ihnen, zuerst die beiden Wächter zu binden und dann mit ihm auf die Suche nach Curly und dem roten Jimmy zu gehen. Alles Rufen nützte nichts. So sehr sie auch lauschten, sie bekamen keine Antwort. Vergebens stöberten sie durch die Taleinschnitte zwischen den einzelnen Kegeln, ließen keine der Höhlen ununtersucht, aber sie fanden nichts. Die ganze Zeit hatte sich Dolli, Curlys Stute, eigenartig benommen. Sie schnaubte durch die Nüstern und versuchte immer wieder, die ihr angelegte Hobbel von den Vorderbeinen zu streifen. Endlich fiel es Grisly-Jim auf, er griff sich an den Kopf und sagte dann lachend: »Wir haben den besten Spürhund, wenn es sich um Curly handelt, bei uns und benutzen ihn nicht! Komm her, mein Tier! Jetzt erst habe ich dich verstanden!« Sobald die Hobbel entfernt waren, lief Dolli zu einem der äußeren Berge. Die Männer konnten kaum folgen. Vor einem engen Taleinschnitt blieb das Tier plötzlich stehen, drei Pfiffe ertönten, und Dolli warf sich sofort hin, preßte den Kopf auf die Erde und verharrte reglos in dieser Stellung. Die Cowboys, die gut wußten, daß es sich um einen Dressurakt handelte, staunten nicht wenig, da sie Curly nicht sahen. Aber nur Curly konnte die Pfiffe ausgestoßen haben. Auch Grisly-Jim stand vor einem Rätsel. Wohl sah er vor sich einige Risse im Felsen, doch die schienen nicht tief zu verlaufen. Da hörte er Curlys Stimme, die ihm zurief: »Gib acht, Jim! Arbeite nicht von außen an dem Felsen! Gehe etwa dreißig Meter durch den ersten Einschnitt links, dann wirst du zwei Stufen sehen. Da klettere hinauf bis zur dritten Höhle. Von dort wirst du schon zu mir kommen!« Schnell befolgte Grisly-Jim den Rat. Er kletterte die beiden in den Fels getriebenen Stufen hoch und stand vor der ersten Höhle, die er aber, von einer anderen Seite kommend, schon vorher untersucht hatte. Jetzt kletterte er höher an der zweiten vorbei und sah nun auch die dritte. Beim ersten Hineinblicken
sah er nichts weiter als die Höhlendecke und die rauhen Wände, dann aber entdeckte er an der innersten Seite einen von der Natur gebildeten Gang, in den er auch sofort, die Beine voran, kroch. Schon nach fünf Schritten erweiterte sich der Gang, daß Jim aufrecht gehen konnte. Er konnte genügend sehen, denn ein dämmeriges Licht kam irgendwoher und erhellte den Gang. Nach weiteren zehn Schritten kam er in eine Art Kammer, wo er die beiden, Curly und den rothaarigen Jimmy, gefesselt liegen sah. Curly hatte ihn sofort gesehen und rief ihm zu: »Jim, Jim! Die haben uns in eine richtige Mausefalle gesteckt. Sieh nur, wie fein die Hunde das ausgeklügelt haben! Wenn wir nur eine halbe Umdrehung des Körpers machten, würde dieses ganze Felstrumm auf uns stürzen und uns zu Brei zermalmen. Auch von außen würde, wie sie uns höhnisch erklärten, eine geringe Erschütterung des Felsens genügen, um dasselbe zu verursachen. Deswegen pfiff ich auch Dolli, denn hätte die versucht, mit den Vorderbeinen auch nur zu scharren, dann wäre die ganze Kiste zusammengebrochen. Die dort lose aufeinandergefügten Steine halten den ganzen Felstrumm. Du mußt erst den Quader, der da abseits steht, genau hier drunterschieben, dann erst ist die Sicherung fertig.« Eiligst hatte Grisly-Jim, ehe Curly noch ausgesprochen, den mächtigen Quader, der auf Rollen mit Absperrbremsen lief, untergeschoben. Da wälzte sich auch Curly schon drunter fort, und der rothaarige Boy wagte erst jetzt zu sprechen: »Ha, das war eine Qual! Ich bin auf der einen Seite schon ganz lahm, denn ich konnte mich auch nicht um einen Zentimeter bewegen aus Angst, die ganze Kiste ins Wackeln zu bringen. Uff! Ist das ein anderes Gefühl!« Die zwei Wächter wurden jetzt in die Höhle geschafft. Als einer der Cowboys vorschlug, die Burschen genauso in die Falle zu stecken, sagte Grisly-Jim: »Nein, dann würde ich sie lieber erschießen, denn das bedeutet einen vielfachen Tod.
Unmenschlich soll man auch dem ärgsten Feind gegenüber nicht sein!« Es kostete noch einen harten Kampf, um Curly zu bewegen, mit Jimmy die Nacht über dort zu bleiben. Auch er wollte unbedingt mit Grisly-Jim und den beiden Cowboys wieder zur Zeltstadt zurückreiten, um von dort zu versuchen, den Banditen die geraubte Rinderherde wieder abzujagen. Hätte aber Grisly Jim geahnt, was sein eigenwilliger Freund und Kamerad inzwischen ausgeheckt hatte, er würde ihn bestimmt mitgenommen haben. Schon als Grisly-Jim und die beiden Cowboys abritten, und die Zurückbleibenden oben vom Ausguck ihnen nachblickten, lachte Curly erst still vor sich hin, und dann meinte er: »So, Jimmy, mein Boy, wir wollen dem lieben Grisly-Jim nicht alle Kastanien allein aus. dem Feuer holen lassen! Du warst ja schon mal am Big Horn! Was wird das ein Spaß sein, wenn wir morgen bei der großen Wahlversammlung mit Bertel Burker und Fred Baxter auf der Bildfläche erscheinen!« Dann winkte er vergnügt hinter den Davonreitenden her. * Es war schon tiefe Nacht, als Grisly-Jim und die beiden Cowboys wieder vor der Doktorbaracke anlangten. Vorsichtig, um kein Aufheben zu erregen, hatten sie die Zeltstadt umritten und kamen von hinten an die Baracke heran. Obschon in den verschiedensten Baracken und Kneipzelten noch wüster Betrieb herrschte, wunderten sie sich nicht wenig, daß auch im Innern der Doktorbaracke noch Licht war. Grisly-Jim klopfte an das Hinterfenster, und sofort erschien des Doktors Gesicht am Fenster, um es dann schnell zu öffnen und erstaunt zu fragen: »Wer ist denn da? Ah, Grisly-Jim! Kommt schnell herein, wir warten schon lange!« Im Hinterraum, aus dem die Banditen Curly und Jimmy
geholt hatten, saßen Fritz Burker, Tob Baxter und Burrham, der alte Sprengmeister. Der alte Mann sah richtig verfallen aus. Er hatte in seiner Ratlosigkeit nicht gewußt wohin. Erst durch das Gerede der Leute, die von dem mannhaften Eintreten des Doktors erzählt hatten, war ihm der Gedanke gekommen, sich dem Doktor anzuvertrauen. Der Doktor selbst aber befand sich auch in gedrückter Stimmung. Er war von einem Krankenbesuch nach Hause gekommen und fand seine beiden Patienten ausgeflogen. Nichts verriet ihm, wohin sie gegangen waren. Den ganzen Nachmittag über hatte er gewartet und war dann gegen Abend durch die verschiedensten Kneipen gegangen und hatte sich vorsichtig nach den beiden erkundigt. Doch nirgendwo konnte er auch nur die geringste Aufklärung bekommen. Als nun auch noch Fritz Burker und Tob Baxter erschienen, um einer Verabredung mit Grisly-Jim nachzukommen, wuchs seine Unruhe immer mehr. Was sollte es nun morgen geben? Burker und Baxter hatten prächtig vorgearbeitet, aber es mußte doch etwas Außerordentliches geschehen, um den Druck Black Devils, der natürlich durch seine Leute auch mächtig hatte wühlen lassen, von der Masse abzuschütteln. Zum Schluß war nun auch noch der alte Sprengmeister mit seiner Not zum Doktor gekommen und hatte dadurch dessen Unruhe noch mehr gesteigert. So fiel es allen wie ein Alp von der Brust, als der Doktor den Namen von Grisly-Jim ausrief. Schnell berichteten Burker und Baxter von ihrer Tätigkeit, aber auch von ihren Befürchtungen. Wie sie erfahren hatten, würde Black Devil, der etwas Besonderes vorzuhaben schien, persönlich erscheinen, um dadurch den Gang der Wahl zu beeinflussen. Doch Grisly-Jim war gar nicht überrascht, sondern sagte ganz einfach: »Dann werden auch wir persönlich erscheinen, um im gegebenen Augenblick, und sei es mit Gewalt, einzugreifen.« Die ganze Zeit über hatte der alte Burrham in sich
versunken gesessen und nicht gewagt, auch nur einmal GrislyJim anzuschauen. Als Grisly-Jim jetzt gesprochen hatte, stand er plötzlich auf, trat vor Jim hin und sagte mit fester Stimme: »Ich muß jetzt mit dem Sicherungsagenten meiner Gesellschaft reden und etwas bekennen! Seit einiger Zeit hat auch mich Black Devil in seinen Krallen, aus denen ich mich aber freimachen will! Durch Drohungen, mich und meine Familie auszulöschen, habe ich mich breitschlagen lassen. Jetzt bin ich schon in einem schweren Verbrechen verstrickt und möchte das Schlimmste verhindern. Natürlich nehme ich alle Folgen auf mich, aber ich kann nicht mehr schlafen, ehe ich nicht alles bekannt habe...« Grisly-Jim klopfte dem Mann auf die Schulter und schaute ihn lächelnd an, indem er sagte: »Yeah, Burrham, Ihr habt mir dadurch einen Stein von der Seele genommen! Ich hatte schon angefangen, an Euch und Eurer Redlichkeit zu zweifeln. Wenn Ihr aber meint, Ihr müßtet mir mit Eurem Geständnis etwas Neues erzählen, so irrt Ihr gewaltig...« Während Jim sprach, war der alte Mann mit entsetzten, weit aufgerissenen Augen von Grisly-Jim fortgetreten, seine Lippen zitterten und bewegten sich, aber kein Ton kam aus seinem Mund. Grisly-Jim fuhr fort: »Ihr wolltet mir erzählen, daß Ihr den Banditen die zehnte Sprengkammer gezeigt und zur Unterbringung der Gefangenen überlassen habt! Ich weiß das und mehr! Aber verlaßt Euch darauf: Das Verbrechen wird nicht vollendet, dafür stehe ich, Grisly-Jim!« Der alte Mann, der jetzt am ganzen Leibe zitterte, erhob jetzt wie flehend seine Hände und bat: »Mein Gott, woher wißt Ihr das alles? Nein, Ihr könnt noch nicht alles wissen, drum hört mich weiter an! Die Sprengung soll morgen nachmittag nach vollzogener Wahl stattfinden. Wohl hatte mir Black Devil selbst versprochen, die Gefangenen würden unter keinen Umständen bei der Sprengung noch in der Kammer sein, aber
ich traue ihm nicht. Heute habe ich die Zündschnur verlegt. Bei der Sprengung gehen nur neun Kammern hoch, die zehnte nicht mehr, denn ich habe an einer versteckten Stelle die Leitung unterbrochen, um das geplante Verbrechen von vornherein zu verhindern. Mein Verbrechen ist schon so groß genug, denn ich habe gewußt, daß man meine Arbeitskollegen der Freiheit beraubt und sie zu erpressen versucht hat. Ich will aber noch weiteres tun. Morgen will ich auf öffentlichem Platz allen bekennen, was ich gemacht habe. Ich weiß, daß das meinen Tod bedeutet. Doch ich werde als Sühne alle Folgen auf mich nehmen.« Mit ernsten Gesichtern hatten die Anwesenden dem alten Manne gelauscht. Wieder klopfte Grisly-Jim ihm auf die Schulter, als er sagte: »Ich verlange etwas anderes von Euch, Burrham. Ihr geht morgen früh unverzüglich hin und repariert die unterbrochene Leitung. Der Coyot zehn muß mit in die Luft gehen. Verstanden? Ich will es so, denn das gehört zu meinem Plan. Beunruhigt Euch nicht! Von wo aus soll die Auslösung der Explosionen erfolgen?« »Vom Versammlungsplatz aus! Die Drähte werden morgen von mir bis dahin geleitet werden. So hat Black Devil es angeordnet.« »Dann wird es so gemacht! Ihr aber steht sofort neben der elektrischen Auslösung, damit ich jederzeit weiß, wo sie sich befindet.« Dann wandte er sich an die übrigen: »Ihr aber sorgt dafür, daß morgen alle Leute, deren ihr sicher seid, wohlbewaffnet auf dem Platz erscheinen. Tunlichst stellen sich je zwei Mann neben einen der bekannten Banditen, damit, wenn wir zum Schlage kommen, die ganze Bande auf einmal unschädlich gemacht wird. Black Devil kommt auf mein Konto! Um ihn braucht sich niemand zu kümmern! So, jetzt muß ich reiten! Vielleicht seht ihr mich nicht mehr vor der Wahl! Goodbye!« Als Grisly-Jim draußen wieder Ali bestieg, zeigten sich im
Osten schon die ersten Silberstreifen der Morgendämmerung. Die zwei Cowboys konnten das Tempo Grisly-Jims nicht beibehalten, und manchmal mußte er unterwegs anhalten, um ihnen nicht ganz aus den Augen zu kommen. Noch immer lag die graue Dämmerung zwischen den Felsen, als sie von der Ferne ein Schießen hörten. Grisly-Jim hielt sein Pferd an und lauschte. Manchmal fielen mehrere Schüsse kurz nacheinander, dann war wieder Pause, die in Abständen von einigen Minuten durch einen donnerähnlichen Knall unterbrochen wurde. Nachdem Grisly-Jim einige Zeit gelauscht hatte, stand ein Lächeln in seinem Gesicht – und zu den Cowboys gewandt meinte er: »Das war Old Joes Donnerbüchse, die da gesprochen hat. Der Alte scheint schwer an der Arbeit und vielleicht ebenso schwer in der Klemme zu sitzen. Los, wir wollen uns beeilen und ihm helfen!« Ohne auf die Cowboys Rücksicht zu nehmen, sauste GrislyJim auf Ali wie der Sturmwind davon. Gerade bog er im schnellsten Galopp um eine Talecke, da pfiffen schon die Kugeln um seinen Kopf. Ali bremste im vollen Lauf, stieg hoch und wandte sich, um eiligst wieder hinter die schützende Talecke zu kommen. Eine Kugel hatte die linke Hinterbacke getroffen und das goldglänzende Fell mit einem blutroten Strich durchzogen. Inzwischen waren die Cowboys auch herangekommen. Grisly-Jim ließ sie halten und kroch selbst wieder zur Talecke, wo vorhin die ersten Kugeln gegen ihn geschickt worden waren. Augenblicklich war alles ruhig. Jim lag bereits eine ganze Weile fest an den Fels gepreßt im hohen Gras und spähte aufmerksam in den Talkessel, in dem er in ungefähr hundert Meter Entfernung weidende Rinder sah. Von hohen Felswänden eingefaßt, die beinahe wie glattgeschliffen steil gen Himmel ragten, lag vor seinen Augen ein halbrunder Kessel. Der mit saftigen Kräutern gut bestandene Boden zeigte keinerlei Erhebungen. Nur vereinzelte
große Felsblöcke lagen hier und dort. So sehr auch Grisly-Jim sein Auge anstrengte, er konnte keinen der Schützen entdecken. Er winkte die zurückgebliebenen Cowboys zu sich. Sofort robbten die zwei Boys zu ihm hin. Dann befahl er, scharf nach vorn achtzugeben und sobald sich auch nur der Zipfel eines Menschen sehen ließe, ihn aufs Korn zu nehmen und zu feuern. Vor allen Dingen aber sich genau zu merken, wo die einzelnen Schützen lägen. Daraufhin kroch er selbst behutsam einige Schritte in den Kessel hinein, sprang dann plötzlich auf und lag sofort wieder auf der Erde, wo er sich schnellstens in Zickzackkurven zur Ecke zurückwand. Sofort bei seinem In-die-Höhe-Springen fielen sechs Schüsse, und die Kugeln schlugen rechts und links von ihm ein, doch keine hatte ihn erwischt. Als Echo fielen ebenfalls sechs Schüsse aus den Büchsen der Cowboys, aber auch sie hatten anscheinend keinen Treffer. Als Grisly-Jim wieder bei ihnen lag, konnten sie ihm aber genau erklären, hinter welchen Felsbrocken die Feinde verborgen lagen. Da fiel von der linken Seite der Kesselwand ein Schuß mit mächtigem Knall und rief ein donnerähnliches Echo hervor. Gleichzeitig sahen Jim und die Cowboys, wie hinter einem der Felsblöcke ein Körper aufschnellte, die Arme hoch in die Luft reckte und dann zur Seite niederschlug. Die mächtige Stimme Old Joes hallte durch den Kessel, und die Wände warfen das Echo zurück: »Gib acht, Jim! Wir haben sie in der Zange. Sie können weder vor noch zurück! Ergebt euch, ihr Halunken!« Aber nur ein mehrfaches Hohngelächter, das schauerlich von den Wänden zurückhallte, kam als Antwort. Plötzlich bemerkte Jim, wie die Herde in Bewegung kam. Erst bewegte sie sich langsam, dann immer schneller und schließlich stürmte sie im Galopp auf den Kesselausgang zu, wo Grisly-Jim und die Cowboys lagen. Jim rief den anderen zu: »Achtung! Eine Stampede! Die Hunde wollen mit dem Vieh gleichzeitig ausbrechen! Aus dem
Weg und aufgepaßt!« Da stürmte schon die ganze Herde heran. Die Schwänze steil in die Luft gestellt, die weiten Kuhaugen voller Angst aufgerissen, die Nüstern aufgebläht und dampfend stürmten die erregten Tiere auf den Ausgang zu. Jetzt knallte wieder die Donnerbüchse Old Joes zweimal hintereinander, und jedes Mal folgte der Todesschrei eines Menschen, der selbst das Getrappel und Gestampfe der Tiere übertönte. Eng gegen die Felswände gepreßt, die beiden Cowboys links, Grisly-Jim rechts, erwarteten sie, den wurfbereiten Lasso in der einen, den Colt in der anderen Hand die heranstürmenden Tiere. Jetzt waren sie bei ihnen, und dann standen die Männer gegen die Felswände gelehnt mitten zwischen den sich an der Enge zusammendrängenden Rindern. Sie hatten alle Kraft aufzuwenden, nicht von dem Strudel gepackt und mitgerissen zu werden. Die Cowboys halfen einander. Drohte der eine zu Boden gerissen zu werden, faßte der andere zu. Jim selbst verlor für einen Augenblick den Halt, doch es gelang ihm noch im letzten Augenblick, sich wieder aufzuraffen. Aber die Lücke, wo er gestanden, bot seinen Beinen keinen Platz mehr, und nur um sich zu retten, packte er die Hörner eines Tieres und schwang sich, schon halb mitgerissen, auf den Rücken. Im Galopp jagte das jetzt noch mehr erschreckte Tier mit ihm davon. Hinter sich hörte Grisly-Jim mehrere Schüsse. Als die Tiere das offene Tal erreicht hatten, aber immer noch weiterstürmten, warf sich Grisly-Jim vom Rücken wieder herunter, geriet noch zwischen die Rinder, deren Hufe ihn wohl noch streiften, aber nicht ernstlich verletzten. Sofort sprang er wieder auf seine Füße und sah gerade noch, wie zwei Banditen, die sich an die Schwänze zweier Tiere gehängt hatten, halb rennend und halb geschleift die wilde Jagd mitmachten. Zweimal sprach sein Colt, und beide Tiere, jetzt von der Last befreit, stürmten erleichtert mit den andern weiter.
Als letzte kamen drei Pferde, die, wohl auch von dem Strudel mitgerissen, verwirrt mit der Herde gerannt waren. Aber ein Pfiff aus Grisly-Jims Mund ließ Ali aufhorchen und dann sofort kehrtmachen und zu seinem Herrn zurücktraben. Aber auch die beiden anderen Pferde, von Alis Beispiel angesteckt, folgten ihm treulich, als Jim, wieder im Sattel sitzend, zum Kessel zurückritt. Schon von weitem sah er die lange, dürre, aber breitschultrige Gestalt Old Joes. Er stand bei den Cowboys und redete auf sie ein. Als er Grisly-Jim mit den Pferden zurückkommen sah, lachte er auf, seine hellen Adleraugen blitzten, und Jim hörte, wie er sagte: »Was habe ich euch gesagt?! Da kommt er und bringt selbst euer verlorengegangenes Gut, eure Pferde, um die ihr schon getrauert habt, zurück. Ja, Sohn meiner Schwester, die Viehräuber und Menschenmörder sind erledigt bis auf diese zwei. Sie hätten uns weniger Arbeit gemacht, wenn auch sie mit ihrem Blut die von ihnen begangenen Schandtaten abgewaschen hätten. Aber wir wollen immer noch menschlich sein. Man weiß ja nie im voraus, was aus ihnen noch wird. Ihre Gesichter zwar lassen mir in der Hinsicht nicht viel Hoffnung! Aber soll sich der Henker mit ihnen befassen! Das ist nichts für Old Joe!« Old Joe, der nie ein Pferd bestieg, sondern alles, auch die weitesten Strecken, zu Fuß zurücklegte, war jetzt nicht dazu zu bewegen, sich hinter Grisly-Jim auf Alis Rücken zu schwingen. Es war manchmal unbegreiflich, in welch kurzer Zeit der alte Waldläufer mit seinen weitausholenden Schritten die weitesten Strecken hinter sich brachte. So sagte er auch jetzt, indem er neben Grisly-Jims Pferd schritt: »Reitet nur ohne Rücksicht auf mich, damit ihr möglichst schnell das Vieh wieder einholt, sonst hetzt es sich ab, bis es im selben Tempo auf der Dirkingsranch ankommt. Dann aber habt ihr mehr als die Hälfte verloren.«
Damit schritt der Alte fort, erkletterte einen Berg und war bald ihren Blicken entzogen. Die beiden gefangenen Banditen, die auf je ein Pferd gebunden worden waren, nahm Grisly-Jim in seine Obhut. Die beiden Cowboys setzten sich auf GrislyJims Rat sofort auf die Spur der Rinderherde. Während des Rittes überlegte Grisly-Jim, wo er am besten die ihm jetzt auch sehr lästigen Gefangenen unterbringen konnte. Mit in die Zeltstadt, nicht einmal mit in die Umgebung der Stadt durfte er sie bringen, denn die Banditen würden bestimmt die ganze Gegend abschirmen. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er hatte gerade auf die ihn umgebenden Berge geschaut und sah darunter einen, der ihm für seine Zwecke geeignet erschien. Er hielt sofort sein Tier an, band die Gefangenen von den Pferden, nachdem er diese etwas abseits geführt hatte, wo Graswuchs stand und sie gehobbelt weiden konnten. Die Felswände des einige hundert Meter hohen Berges waren ziemlich glatt, für jeden gewöhnlichen Menschen beinahe unbesteigbar, nicht so für Grisly-Jim. In vielleicht hundert Meter Höhe sah er auf der dem allgemeinen Weg abgekehrten Seite eine Art von Galerie. Dort hinauf wollte er. Mit interessierten Augen sahen die Gefangenen die Vorbereitungen Grisly-Jims. Er sagte ihnen lächelnd: »Ihr seid mir heute etwas lästig, ihr wißt ja auch, daß heute in der Zeltstadt großes Volksfest ist Dabei können sie euch nicht gebrauchen. Deswegen und weil ich euch nicht frei herumlaufen lassen darf, habe ich euch einen sicheren Aufenthalt für ein, zwei Tage ausgesucht. Etwas Durst und Hunger könnt ihr schon wegen eurer Missetaten gern auf euch nehmen. Doch jetzt los!« Während seiner Rede hatte er schon den einen, die Arme und Beine fest verschnürt, sich auf den Rücken gebunden. Mit entsetzten Augen sah der erste Gefangene, wie Grisly-Jim sich anschickte, die steile Wand zu besteigen. Er schrie vor Schrecken auf: »Du verfluchter Schinder, was hast du mit mir
vor? Wohin willst du mich schleppen? Kille mich doch sofort hier unten, dann ist das für mich und für dich viel einfacher! Aber diese Quälerei!« Grisly-Jim war noch keine zwanzig Meter hoch gestiegen, als der auf dem Rücken hängende Gefangene laut zu schreien und rufen begann. Da sagte Jim und kletterte ruhig dabei weiter: »Wenn ich jetzt nur noch einen Ton aus deinem Mund höre, lege ich dir einen Knebel an, und zwar nicht nur für jetzt, sondern für die Zeit, die du in luftiger Höhe verbringen wirst! Und du weißt, was Grisly-Jim verspricht, das hält er auch.« Danach hörte Jim nichts mehr. Als er aber auf der Galerie ankam und den Mann vom Rücken nahm, mußte er feststellen, daß er das Bewußtsein verloren hatte. Mitleidig schaute GrislyJim auf den Menschen, und kopfschüttelnd meinte er zu sich selbst: »Mord und Totschlag machen ihnen nichts aus, das ist für sie wie das Schnapssaufen, aber etwas Schwindelgefühl reißt sie gleich von den Beinen.« Als er wieder unten war und sich dem zweiten näherte, wollte auch der zu schreien und zu toben beginnen. Aber Jim sagte ihm dasselbe, und auch er schwieg wie sein Kumpel. Wieder kraxelte Jim hoch, und als sie oben ankamen und er den Mann vom Rücken gebunden hatte, schaute er mit verglasten Augen wie ein Halbtoter zu dem Westmann auf und sagte dann: »Du bist kein Mensch, du stehst mit dem Satan im Bunde, denn sonst könntest du nicht eine so schauerliche Wand mit Händen und Füßen besteigen. Lieber möchte ich tot und begraben sein, als noch einmal auf deinem Rücken die Tour mitzumachen...« Jim unterbrach ihn lachend und meinte: »Ich habe gut gemerkt, daß dir dein Herz in die Hosen gegangen ist, denn du verbreitest einen satanischen Gestank! Du wirst jetzt Zeit haben, dich ordentlich austrocknen zu lassen, um wieder sauber zu werden. Denke aber daran, daß das, was du erduldest, nicht
einmal einen kleinen Bruchteil von dem ausmacht, was du durch deine Schandtaten über so viele Menschen gebracht hast.« Ehe er sie hinauftransportierte, hatte er ihnen alle Waffen abgenommen. Jetzt löste er ihre Fesseln, aber keiner von ihnen machte auch nur den Versuch, den absteigenden Grisly-Jim durch Steinwurf zu bedrohen. Der Transport hatte ihn immerhin zwei Stunden gekostet, und so mußte sich Grisly-Jim beeilen, in die Zeltstadt zu kommen. Sein Ali griff tüchtig aus. Bald befand er sich in der Nähe der Stadt, da sah er vor sich eine Gruppe von fünf Reitern, die dasselbe Ziel zu haben schienen. Vorsichtig, wie er immer war, wollte er sie jetzt noch nicht überholen, denn ehe er zum letzten Anstieg vor der Stadt kam, mußte er durch einen engen Felspaß, durch den gerade nur ein Reiter passieren konnte. Hier war ein Durchbruch für den Bahnbau gesprengt worden. Die Gleise lagen bereits und machten den Weg schwer gangbar. Durch die Enge war aber auch der Blick gehemmt, ein idealer Platz für einen Überfall. Hatten die fünf Reiter ihn bemerkt und waren sie ihm feindlich gesonnen, dann war es lebensgefährlich für ihn, den Durchritt zu wagen. Er schimpfte mit sich selbst, daß er nicht den zwar weiteren, aber übersichtlicheren Weg über den Felskamm genommen hatte. Aber die Zeit drängte. Er hielt kurz vor der Enge und beobachtete sein Pferd. Aus Alis Benehmen konnte er meistens schließen, ob eine unmittelbare Gefahr drohte. Doch Ali tänzelte ungeduldig und wollte vorwärts, wie Grisly-Jim meinte. So trabte er bis genau zum Eingang in den Engpaß, um dann aber in vollem Galopp die nur hundert Meter lange Gefahrenstelle hinter sich zu bringen. Eng an den Hals des Pferdes geschmiegt, sauste Jim los. Noch hatte er nicht die Hälfte der Strecke hinter sich, da hörte er das Donnern einer Steinlawine, die in rasender Fahrt
herunterprasselte. Einzelne Steine trafen noch die Hinterhand seines Tieres, Sekunden später ging der ganze Steinschlag zu Tal. Alis Galopp war mehr ein Fliegen. Da knallten vor ihm Büchsen, und die Kugeln schlugen gegen die Felswand. Plötzlich sank Grisly-Jim aus dem Sattel. Erst schwebte er noch einige Sekunden zwischen dem weitergaloppierenden Pferd und der Erde, um dann aber ganz den Halt zu verlieren und auf den Boden zu fallen, wo er regungslos liegenblieb. Ali aber sauste unbekümmert weiter. Grisly-Jim lag wie tot auf der Erde. Es dauerte einige Minuten, dann hörte man aus der linken Felsenwand einen dünnen Steinschlag. Bald darauf erschienen zwei Männer, die vorsichtig auf den am Boden liegenden Mann schauten. Doch er regte sich nicht. Jetzt erst sprangen die beiden fast gleichzeitig ab und wollten sich auf den Toten stürzen. Einer suchte dem anderen zuvorzukommen, um ihn als erster zu fleddern. Da schnellte der Tote auf, zwei haargenau plazierte Kinnhaken ließen beide beinahe gleichzeitig zu Boden gehen. Noch stand Grisly-Jim und betrachtete grimmig die beiden Banditen zu seinen Füßen, da kamen im Galopp drei Reiter von vorn, wohin Ali vor kurzem verschwunden war. Die Enge des Durchbruchs erlaubte kein Nebeneinanderreiten. Ehe sie recht wußten, wie ihnen geschah, warfen drei Coltschüsse die drei Reiter aus dem Sattel. Im selben Augenblick drehte Jim sich um, sah das Aufblitzen eines Colts und schoß den vom Boden aus feuernden Banditen eine Kugel durch die Stirn. Die plötzliche Wendung hatte Grisly-Jim gerettet. Da fühlte er seine Beine umfaßt und sich selbst zu Boden gerissen. Über ihm blitzte das Marblemesser des letzten der fünf. Wie eine Schlange umschlangen seine Beine den sich auf ihn wälzenden Mann. Es gelang ihm nicht mehr, die Hand des Angreifers zu packen, er konnte nur seinen Kopf zur Seite reißen und entging dadurch dem tödlichen Stich, den der Bandit gegen seine Gurgel führte. Grisly-Jims beide Fäuste
trafen mit voller Wucht das Gesicht des über ihm Liegenden. Dessen Kopf schnellte zurück, und im gleichen Augenblick packte der jetzt oben liegende Jim den Banditen bei der Schulter und schmetterte zweimal mit voller Kraft den Kerl hintenüber, daß der Schädel krachte. Auch er war tot. Aufatmend erhob sich Jim, warf noch einen Blick über die Toten und schritt dann weiter dem Ausgang des Engpasses zu. Dort stieß er zwei scharfe Pfiffe aus, und bald hörte er das Herangaloppieren seines treuen Tieres. Grisly-Jim tätschelte Alis Hals liebevoll und sagte: »Ich hatte dich wieder einmal nicht verstanden, mein Bester! Durch dein Tänzeln wolltest du mir sagen, daß es höchste Zeit war. Es war aber noch Zeit genug, nicht mehr! Doch jetzt wollen wir weiter.« Das Tier wieherte leise auf und schmiegte das feine Köpfchen eng an Grisly-Jims Schulter. Ein Bröckchen Zucker nahm es mit erneutem dankbarem Wiehern aus Jims Hand und schleckte es behaglich. Jetzt war Grisly-Jim am Fuße der letzten Steigung vor der Zeltstadt angekommen. Um Ali nicht zu sehr anzustrengen, ließ er im gemütlichen Schritt die Höhe erklettern. Plötzlich stutzte er, ließ es sich aber nicht anmerken, sondern schwang sich aus dem Sattel und tat, als wollte er seinem Tier den Aufstieg erleichtern, indem er ihm zur Seite schritt. An einer Stelle, wo der Wegrand etwas abfiel und ein Geröll von Stein und Fels wie ein Wall aufgetürmt lag, machte er auf einmal einen Satz seitwärts und hatte einen Menschen am Hals. Ein meckerndes Lachen scholl ihm entgegen, und erstaunt schaute er in die Augen Old Joes. Natürlich ließ er ihn gleich wieder los, und der Alte, immer noch meckernd, sagte: »Morgen, mein Boy! Das hättest du noch nicht erwartet. Aber Old Joe kennt seine Berge und weiß seine Pfade, die einen Zweibeiner schneller als einen Vierbeiner an sein Ziel bringen. Doch ich hörte unterwegs das Gespräch von fünf Rowdies, die sich verschworen hatten, dich, meiner Schwester Sohn, in der
neuen Enge, die dieser Schienenstrang durch meine Berge gerissen, zu erledigen. Ich selbst konnte ihnen nicht zu Leibe, außerdem wußte ich, daß du die andere Straße benutzen würdest ...« Das helle Lachen Grisly-Jims unterbrach ihn. Ungehalten schaute Old Joe seinen Neffen an, und seine Miene hellte sich auch noch nicht auf, nachdem ihm Jim sein Abenteuer mit den fünf Banditen geschildert hatte. Er murmelte nur grob: »Natürlich, das Kücken ist immer klüger als die Henne, bis es in der Jauche liegt!« Dann aber fuhr er in ernstem Ton fort: »Ich an deiner Stelle würde nicht alles so leicht nehmen! Was ich vermutete, bewahrheitet sich. Black Devil läßt die Zeltstadt im großen Umkreis gegen dich abschirmen. Deinen Freund denkt er kaltgestellt zu haben, und nun will er bis nach der Wahl auch dich unbedingt fernhalten. So wird es mich nicht wundern, wenn du noch mehr Überraschungen erlebst, ehe du an Ort und Stelle bist. Ich gehe jetzt hier links hinauf und werde bestimmt in einer knappen Stunde sicher und unbehelligt an meinem Ziel sein. Du aber, gehemmt durch deinen Vierbeiner, wirst mehr Schwierigkeiten haben. Ich sagte dir schon so oft, gewöhne dir das Laufen an, das ist immer das sicherste!« Weiter sagte er nichts mehr, sondern schritt, ohne sich noch einmal umzublicken, von dem Wege fort und war bald GrislyJims Augen entzogen. Jim ging zu Ali zurück, schwang sich wieder in den Sattel und ritt, das vor ihm liegende Terrain scharf unter Beobachtung haltend, zur Zeltstadt hinauf. Schon konnte er die einzelnen Zelte und Baracken unterscheiden, da sah er eine Art von Zirkuswagen aus einer der Zeltstraßen auf den Hauptweg, auf dem er ritt, einbiegen. Dem Wagen voraus schritt nur ein Mädchen in mexikanischer Tracht. Neugierig betrachtete Grisly-Jim den Wohnwagen und wunderte sich im stillen, warum die Leute gerade heute die Stadt verlassen wollten, da es für sie doch unbedingt ein Tag
des Verdienens werden mußte. Der Wagen war mittlerweile mit ihm in gleicher Höhe, und Grisly-Jim mußte, um ihn passieren zu lassen, ein wenig mit seinem Pferd zur Seite ausweichen. Gerade war er wieder hinter dem Wagen auf die Straße gekommen, da knallten mehrere Schüsse hinter ihm auf. Schon beim ersten Schuß hatte Ali sich in einem rasenden Galopp nach vorne geworfen. Die im Wagen befindlichen Banditen sahen sofort die Wirkung ihrer Schüsse: Der Reiter flog aus dem Sattel und wurde von dem galoppierenden Pferd, den linken Fuß noch im Steigbügel, über die Erde geschleift. Als das wie rasend weitergaloppierende Tier, den Mann noch immer mit sich ziehend, zwischen den ersten Baracken verschwunden war, hielt der Zirkuswagen, drei Kerle sprangen heraus, tanzten mit dem jungen Ding in mexikanischer Tracht einen Cakewalk und wendeten das Gefährt. Einer der Männer nahm jetzt die Zügel, das Mädchen und die zwei anderen verkrochen sich wieder im Innern, und ab ging es wie die Extrapost zum Städtchen zurück. Kaum aber war Ali aus der Sicht des Wagens, da hielt ein Pfiff Grisly-Jims ihn an. Sofort hielt das kluge Tier, der Reiter schwang sich unverletzt wieder in den Sattel und lenkte das Pferd hinter die Zelte und Baracken her ungesehen zur Wohnung des Doktors, in dessen Stall Reiter und Pferd verschwanden. Schon nach zehn Minuten lugte Jim vorsichtig aus der Stalltür und huschte dann zur Hinterseite der Doktorbaracke. Das grinsende Gesicht des Doktors sah Grisly-Jim entgegen. Schnell war das Fenster geöffnet, und Jim schwang sich elastisch in den Raum. In aller Eile erzählte Jim dem Arzt seine letzten Erlebnisse. Auf den Einwand des Doktors, man würde doch jetzt Nachforschungen nach ihm oder wenigstens nach dem Verbleib des Pferdes anstellen, lachte Jim auf und sagte: »Ja, Doc, wo ist das verdammte Tier nur hingekommen?«
»Wie, wo hingekommen? In meinen Stall natürlich! Ich sah dich doch mit ihm hineingehen! Und zaubern kannst auch du nicht!« »Dann gehe du und überzeuge dich!« Der Doktor eilte hinaus und in den Stall, um schon nach einigen Minuten wieder zurückzukommen und lachend zu sagen: »Verflucht fein, Jim! Wenn ich es nicht wüßte, da ich ja nicht an Zauberei glaube, dann würde ich schwören: Nein, Ali ist nicht in meinem Stall. In meinem Stall steht der Schimmel des Oberingenieurs wie schon so oft. Das hast du verdammt fein fertiggebracht, allerhand Hochachtung! Doch, sieh da!« Der Doktor zeigte mit dem Kopf auf das Fenster hin. Beide Männer lugten vorsichtig, ohne sich selbst sehen zu lassen, durch das Hinterfenster und sahen dort einen Mann heranschlendern, der seine Augen emsig in die Runde gehen ließ. Wie zufällig gelangte er auch in die Nähe der Stalltür, schnell warf er noch einen Blick auf die Wohnbaracke zu und huschte dann durch die auf einen Spalt breit geöffnete Tür in den Stall. Schon nach einigen Minuten erschien er wieder, genauso vorsichtig wie vorher, warf einen spähenden Blick auf das hintere Barackenfenster und schlenderte dann pfeifend zur Straße hin. Die ihn immer noch beobachtenden Männer sahen, wie er dort sofort in schnellem Schritt in der Richtung des berüchtigten Zeltes »Bei Marry« verschwand. Noch saßen der Arzt und Grisly-Jim zusammen und berieten, was wohl nachher beim Auftakt zur Wahl zu unternehmen sein würde, da klopfte es vorn an der Barackentür. Vor dem öffnenden Doktor stand die lange, dürre, aber breitschultrige Gestalt mit dem ledernen Gesicht des Old Joe. »Na, nichts Neues, Doc? Wie geht es meinem rothaarigen Schlingel, hat der Boy sich jetzt genügend ausgeschlafen?« Der Doktor lotste Old Joe in das Hinterzimmer, wo er gar nicht überrascht Grisly-Jim nur mit einem kurzen Kopfnicken
begrüßte und dann seine Augen suchend im Raum umhergehen ließ. Dann sagte er langsam und etwas wie Angst lag in seinem Ton: »Na, wo ist der Schlingel und wo ist Curly?« Nachdem aber Grisly-Jim ihnen das Abenteuer der beiden erzählt und ihre Unterbringung zwischen den Bergkegeln geschildert hatte, war er beruhigt. Ohne viel Worte zu machen, zog er seine Hose hoch, schnallte seinen Waffengurt, der gleichzeitig als Leibriemen diente, enger und wollte zur Tür hinaus. Der Doktor und Grisly-Jim sprangen fast gleichzeitig auf ihn zu. Der eine faßte seinen rechten, der andere seinen linken Arm und zwangen ihn so, noch im Raum zu bleiben. Erst wollte er sie ungebärdig abschütteln, indem er sagte: »Ich muß unbedingt nach dem Kid sehen, denn unter Curlys Aufsicht ist er mir nicht sicher genug. Gott weiß, was sie da wieder anstellen!« Aber nachdem ihm die beiden Männer gesagt hatten, daß sie die beiden zusammen mit dem dritten Cowboy jeden Augenblick zurückerwarteten, ließ er sich auf einem der Stühle nieder und hörte von nun an aufmerksam zu, als Grisly-Jim ihm seinen Plan auseinanderlegte. Grisly-Jim schloß: »Und so, Onkel, wirst du es selbst einsehen, daß wir dich heute hier unbedingt nötig haben. Ich hätte gern, wenn du versuchtest, an die Burschen ›Bei Marry‹ heranzukommen und wenn nicht dort, dann anderswo, nach dem Stand der Dinge zu horchen. Ich selbst will mich vorerst nicht sehen und die Gegner sich in Sicherheit wiegen lassen.« Natürlich war Old Joe unter diesen Umständen sofort bereit, Grisly-Jims Wunsch zu erfüllen. Er rieb sich schon im voraus, vergnügt vor sich hinmeckernd, die Hände und strich dann wohlgefällig mit der Hand durch seinen Bart. Mit seinen langen Beinen, die Stelzen glichen, ging er, nachdem er die Doktorbaracke verlassen hatte, die Hauptstraße der Zeltstadt hinab. Die Straße belebte sich mehr und mehr.
Das bevorstehende Ereignis hatte aus der ganzen Umgebung die Leute herangelockt. Ranchers und ihre Familien nebst den Cowboys kamen von nah und fern. Die meisten Arbeiter der Bahnbauhorde waren schon unterwegs. Aus allen Kneipen schallte der Lärm der Zechenden bis hinaus auf die Straße. Weiber und Kinder drängten sich trotz der noch frühen Stunde vor den Buden der Schausteller und Süßwarenkrämer. Einige Karussells ließen ihre Drehorgeln in eintönigen Melodien in die sie umlagernde Menge johlen. Alles war in bewegter, wenn nicht festlicher Stimmung. Gemütlich, sich an dem Leben und Treiben der Menge erfreuend, stelzte Old Joe in bester Laune den Weg wieder zurück. Blieb auch der eine oder andere stehen und blickte der seltsamen Figur in seiner noch seltsameren Bekleidung und behängt mit nach ihrer Meinung vorsintflutlichen Waffen etwas belustigt nach und machte seinen Nebenmann auf ihn aufmerksam, im großen und ganzen blieb er doch ziemlich unbemerkt in der jetzt die Straße auf und ab brodelnden Menge. Vor dem Kneipenzelt »Bei Marry« blieb er einen Augenblick stehen, schaute nochmals kurz die Straße hinauf und hinab, trat dann aber schnell in das Zelt. Hier wogte Kopf an Kopf. Keine Nische war mehr frei, sogar die Tanzfläche war mit großen Holztischen und ebensolchen Bänken besetzt. Es kostete Old Joe Mühe, sich hier einen Platz zu erobern. Anstelle der sonst üblichen Mädchenbedienung hantierten heute nur wild aussehende Männer. Sie setzten vor jeden Gast ein großes Schnapsglas und gossen es ohne weiteres voll Whisky. Die Flasche hatten sie immer bei sich. So geschah es auch mit Old Joe. Wohl zögerte der Kerl, der ihn bediente, einen Augenblick und schaute wie prüfend auf den langen, alten Mann, dann aber setzte er das Glas hart vor Old Joe hin und goß es bis an den Rand voll. Ohne ein Wort zu sagen, ging er dann zum nächsten und so weiter.
Die Stimmung stieg von Minute zu Minute. Immer mehr Leute drängten sich herein. Hätte jemand seinen Hut verloren, er wäre bestimmt nicht bis zur Erde gekommen. Von der Bar her rief jetzt eine mächtige Stimme: »Wer hier keinen Platz bekommt, kann ruhig in die nächste Kneipe gehen. Überall ist heute alles frei! In der ganzen Stadt könnt ihr Gäste Black Devils sein!« Darauf stieg der Lärm noch mehr, und als erst vereinzelte Stimmen zu brüllen begannen: »Cheerio für Black Devil und seinen Mann Dick Hunton!« brauste es dann im ganzen Zelt auf: »Cheerio für Black Devil und Dick Hunton! Unsere Stimme für Dick Hunton!« Ruhig saß Old Joe zwischen den Lärmenden und beobachtete nur. Dabei sah er auf einmal, daß in einer der Nischen vier Männer sich auch nicht an dem Schreien beteiligten. Eifrig redeten sie aufeinander ein. Plötzlich drängte sich ein wüst aussehender Kerl vom Eingang her durch die Menge. Old Joe hatte ihn sofort wiedererkannt. Das war einer der Burschen, die damals mit Black Devil in Susannas Kneipenzelt gesessen hatten. Er sah, wie der Mann umherspähte und dann sich einen Weg zu der Nische bahnte, wo die vier Männer saßen. Ganz ruhig erhob sich Old Joe und suchte sich möglichst unauffällig derselben Nische zu nähern. Fast gleichzeitig mit dem Mann gelangte auch er dahin und stellte sich mit dem Rücken gegen die Absperrwand. Trotz des Lärmes ringsum war es ihm möglich, fast jedes Wort zu verstehen. »Wir sind zurück! Black Devil hat sein Hauptquartier im ›Kakadu‹ aufgeschlagen. Ich soll bei euch hören, ob ihr etwas Neues von den Rindern wißt? Sie sollten doch schon längst hier sein! Wo ist Grisly-Jim geblieben? Wer hat ihn erledigt und wo? Wißt ihr etwas Genaues?« Sofort sprachen mehrere auf einmal und alle durcheinander, so daß der Zuletztgekommene dazwischenfuhr: »Benehmt euch
doch nicht wie die Kinder! Einer, der etwas weiß, soll allein sprechen! Du, Rudy!« »Von den Rindern wissen auch wir noch nichts, vermuten aber nichts Gutes, da sie immer noch nicht hier sind. Von den ausgeschickten Trupps sind alle bis auf einen wieder zurück. Sie haben nichts entdecken können. Dieser eine aber war in die Richtung geritten, aus der uns vom Wachtposten das Signal kam, daß Grisly-Jim ganz allein auf dem Wege nach hier war. Also vermuteten wir das Schlimmste und fuhren ihm mit dem Wohnwagen, wie Black Devil es gewollt hatte, entgegen. Und wir hatten Glück und erwischten ihn so, daß er für immer das Aufstehen vergessen hat. Aber seine Leiche und sein Tier, das ihn mit fortschleppte, haben wir bis jetzt noch nicht gefunden. Aber Leute sind noch unterwegs, jede Spur zu untersuchen. Wir haben mit unseren eigenen Augen gesehen, wie er gefallen ist.« »Fein! Das wird den Boß beruhigen. Aber ich soll euch noch einmal einschärfen und ihr könnt es an alle weitergeben: Keiner der Mitglieder der Bande soll sich heute früh besaufen, das könnt ihr ein andermal besorgen. Jeder soll beizeiten auf dem Platz sein und sich unauffällig unter die Menge mischen. Ist ein zu großer Gegenschreier dazwischen, darf vorerst kein Colt, sondern nur das Messer sprechen, dann aber gründlich! Wenn etwas Neues kommt, bringt einer von euch die Nachricht unauffällig zum ›Kakadu‹. Vorläufig soll noch nicht laut werden, daß der Boß schon hier ist.« Old Joe hatte gerade noch Zeit, sich wegzuschieben, bevor der Mann sich umwandte und dem Ausgang zustrebte. Kurz vor dem blauen Vorhang hörte er gerade, wie Old Joe mit ernster Stimme einen Cowboy fragte: »Boy, hast du nicht einen großen hellblonden Jungen gesehen, den sie Grisly-Jim nennen? Ich soll ihn hier erwarten und kann ihn nicht finden.« Der Cowboy sperrte Mund und Nase auf und schaute auf Old Joe wie auf einen Geist. Was der ihn gefragt, kam dem
Jungen wie chinesisch vor. Der bereits an ihnen vorbeigegangene Bandit konnte sich nicht verbeißen, er mußte Old Joe eine Antwort geben: »Doch, Alter, ich kenne ihn besser, ich kannte ihn. Er hat mir einen schönen Gruß an dich aufgetragen. Er hat keine Zeit mehr und mußte auf große Reise gehen. Aber tröste dich! Sei Black Devils Gast wie alle anderen und versaufe deinen Kummer. Heute herrscht hier Burgfrieden, sonst hätte ich mit dir abgerechnet von wegen dem letzten Male! Aber besser ist es für dich, schleunigst zu verschwinden, denn nicht alle könnten so denken wie ich! Und du hast bei vielen noch etwas im Salz!« Old Joe hatte ihn ruhig reden lassen und schaute ihm nur mit seinen scharfen Adleraugen ernst ins Gesicht. Dann sagte er einfach, beinahe wie zu sich selbst: »Soso, also der Boy ist abgereist! Hm, hm! Aber er wird schon seine Gründe gehabt haben, der Boy! Und von wegen Black Devils Gast? Na, na, Old Joe weiß immer noch schwarz von weiß zu unterscheiden, und wenn er trinken will, kann er auch bezahlen! Sonst aber, danke!« Damit schob er sich ruhig an dem Banditen vorbei, der die Zähne zusammenbiß und wütend hinter ihm herschaute. Dann aber übermannte ihn die Wut; der wegwerfende Blick, den der Alte ihm zuwarf, ehe er hinter dem blauen Vorhang verschwand, raubte ihm die Besinnung. Im Nu hatte er das Messer in der Faust, riß nun seinerseits den Vorhang hoch und wollte von hinten den ruhig vor ihm hergehenden Alten erstechen; da fühlte er sein Handgelenk gepackt, ein Schmerz durchfuhr seinen Körper, daß er mit einem Wehlaut die Waffe fallen ließ. Deutlich, aber nur für ihn vernehmbar, zischte Old Joe ihm zu: »Du selbst sprachst vom Burgfrieden! Vergiß ihn heute wenigstens nicht, denn sonst könnte auch ich ihn vergessen!« Dann stelzte der Alte ganz ruhig seines Weges, ohne sich auch nur für eine Sekunde nach dem ihm verdutzt und wütend
nachstarrenden Banditen umzuschauen. Nochmals schritt er die Straße auf und ab, schaute mal hier, mal dort hinein, aber von den auch von ihm gekannten Vertrauensleuten fand er keinen als Gast Black Devils. In seinem Innern sah es allerdings nicht so ruhig aus. Wenn er überall die grölende, schreiende Menge, von Black Devils Alkohol betrunken, erblickte, mußte er sich gestehen, daß es ein wirklich satanischer Plan war, den der schwarze Teufel sich ausgedacht hatte. Wie würde Grisly-Jim damit fertig werden? Daß dem schwarzen Satan das ganze Gelage nichts kostete, war ihm klar, das mußten die Kneipen auf das Banditenkonto »Tribut« buchen. Von Sorgen schwer, die aber kein Mensch seinem trotz allem fröhlichen Gesichtsausdruck anmerken konnte, schritt er mit ruhigen, langen Schritten durch die lachende und lärmende Menge. Er ließ die Doktorbaracke links liegen und ging zur Stadt hinaus. Erst draußen wandte er sich und gelangte dann, einen großen Bogen schlagend, wieder von hinten beim Doktor an. An dem geöffneten Hinterfenster kam ihm der Schwall gedämpfter Stimmen entgegen. Mit einem Schwung saß er auf dem Fensterbrett und schaute vergnügt grinsend auf die ihn anstarrenden Gesichter. Außer dem Doktor und Grisly-Jim waren Fritz Burker, Tob Baxter und noch sechs andere, ihm nur von Ansehen bekannte Vertrauenspersonen in dem kleinen Raum. Er unterbrach das Schweigen, das sein plötzliches Erscheinen verursacht hatte, indem er sagte: »Wirklich sorglos, Meshurs, wie ihr euch benehmt! Man sollte gar nicht meinen, es mit dem Hauptquartier der Gegenpartei zu tun zu haben. Eine nette geballte Ladung mit einem Schwung in das Zimmer und alles andere wäre überflüssig! Ob das andere Hauptquartier genauso harmlos dahockt? Ich glaube kaum!« Er berichtete dann in seiner Art über die Eindrücke und das hier und dort Aufgeschnappte. Burker und die anderen
Vertrauensleute erzählten von ihren Vorbereitungen. Inzwischen hatte sich die Hauptstraße immer mehr belebt. Gruppenweise kamen die Leute vom Bahnbau singend und lachend in die Stadt. Schon lagerte eine dichte Volksmenge in der Nähe des Sheriffhauses, das am Rande einer sanft ansteigenden Halde lag. Vor dem Haus selbst waren ein großes Podium für eine Musikkapelle und daneben eine Tribüne für die Redner aufgebaut. Transparente mit den verschiedensten Sprüchen flatterten von Mast zu Mast. Girlanden schmückten die umliegenden Baracken und Zelte gaben dem Ganzen das Gepräge eines Volksfestes. Überall prangte in schreienden Lettern nur ein Name, der Name des, wie alle wußten, von Black Devil begünstigten Kandidaten: Dick Hunton. In der Nacht hatte man in aller Heimlichkeit noch ein anderes Plakat angebracht, auf dem aufgefordert wurde, seine Stimme dem Kandidaten der Vereinigung für Ordnung und Sauberkeit, James Dayton, zu geben. Doch schon im Morgengrauen waren sie von den Anhängern Black Devils restlos entfernt worden. Dafür baumelten an mehreren Galgen Strohpuppen mit den Namen der sogenannten Feinde des Volkes: James Dayton, Grisly-Jim und Stutter-Curly. Sofort nach Mittag füllte sich der Hang mit den Wählern und ihrem Anhang. Der von Black Devil überall umsonst verabreichte Alkohol hatte schon seine Wirkung getan. Bereits flammten hier und dort Streitigkeiten auf, die oft nur mit Mühe und Not geschlichtet werden konnten. Wohl war vom Sheriff durch Plakataushang bekanntgegeben worden, daß keiner der Wähler mit irgendeiner Waffe versehen auf dem Wahlplatz erscheinen dürfe, aber was hatte so ein Aushang für dieses wilde Volk schon zu bedeuten? Von den überall verteilten Banditen hatte sich keiner daran gestört, und die von der Gegenpartei mußten schon aus Selbsterhaltungstrieb mit, wenn auch verborgenen, Waffen zum Versammlungsplatz kommen.
Als die Stadt sich beinahe entvölkert hatte und der als Versammlungsplatz gewählte Hang dicht besetzt war, der Sheriff auf der für Ehrengäste erbauten Tribüne mit seiner Familie und seinen Untersheriffs Platz genommen hatte, erschien mit einem Stab von zehn schwerbewaffneten Banditen hoch zu Roß in reicher und daher bunter mexikanischer Tracht wie ein Mohrenfürst der schwarze Teufel. Speckig glänzte das feiste schwarze Gesicht des Banditen und blickte voller Hohn auf die sich wie toll gebärdende Menge. Angestachelt vom genossenen Alkohol und den aufreizenden Reden der unter der Menge verteilten Banditen, brüllten sie beim Erscheinen des Black Devil Hochrufe in allen Sprachen und Tönen. Vereinzelt kamen aber auch Protestrufe: »Was soll das? Was will der Nigger hier? Platz nur für die Horde! Fort mit dem Banditenzeug!« Der Sheriff kam von seinem Platz und begrüßte feierlich den Banditenboß und lud ihn zu sich auf die Ehrentribüne. Schon war die erste Balgerei im Gange. Old Joe stand ganz am Anfang der Halde unter der Menge. Sein Kopf ragte hoch über die anderen hinaus. Auf ihn fiel sofort der Blick des Negers. Und hohnlachend rief der Alte mit seiner mächtigen Donnerstimme, die das übrige Geschrei übertönte: »Was will der Mameluk hier? Der Sheriff müßte ihn festnehmen! Auf, Leute! Hier habt ihr ihn! Richter Lynch! Richter Lynch!« Auf einen Wink des Sheriffs begann die Musikkapelle mit einem ohrenzerreißenden Tusch der Bläser, daß die Stimme des Alten kaum noch zu hören war. Im selben Augenblick warfen sich drei Banditen auf ihn und wollten ihn überwältigen. Doch keiner von den dreien kam auch nur dazu, ihn mit der Hand zu berühren. Von seinen Fäusten getroffen, die wie Hämmer auf die Schädel niederfuhren, sanken sie bewußtlos zur Erde. Man hätte sie unter den Füßen zertreten, wenn nicht andere hinzugesprungen wären und sie aus der
Menge getragen haben würden. Bestimmt wäre schon jetzt der Krawall entstanden, wenn nicht der Deutsche, wie man ihn allgemein nannte, Fritz Burker, mit einem Satz auf der Rednertribüne erschienen wäre und mit lauter Stimme gerufen hätte: »Ruhe, Ruhe! Wir wollen doch wählen! In Freiheit wählen! Wir...« Hinter ihm war der Sheriff aufgetaucht und zerrte ihn herab. Dadurch war augenblicklich etwas Ruhe eingetreten, denn alles verfolgte mit Spannung den Vorgang auf der Rednertribüne. Anstelle Fritz Burkers stand jetzt der Sheriff: »Leute von Silverhorn! Die Wahl heute geht nur die Männer vom FriscoSouthern-Bahnbau an! Nur sie haben ihre Stimmen abzugeben. Nur ein Kandidat ist aufgestellt, und damit ist die Wahl ganz einfach. Sie erfolgt durch Akklamation! Der Kandidat ist Hunton! Wer für Hunton ist, der...« Ein wüstes Schreien setzte ein. Heftige Protestrufe zeigten, daß nicht alle, und zwar ein großer Teil, damit einverstanden waren. Es bewies aber auch, daß die Zahl der Anhänger Black Devils stark gesunken war. Das Gesicht Black Devils hatte sich vom tiefen Schwarz in ein schmutziges Grau verwandelt, die Wut hatte ihn so gepackt, daß er die Zähne fletschte. Ein Mann machte sich Bahn durch die Menge und sprang auf die Rednertribüne. Es war der allgemein von Freund und Feind geachtete Doktor Sartor. Mit weithin schallender Stimme rief er: »Mitbürger, auch ich gehöre durch meinen Beruf, der euch allen schon häufig zugute kam, zur Horde vom Bahnbau. Nicht daß ich an dieser Wahl teilnehmen will, nein, ich möchte euch nur raten, Ruhe und Ordnung zu bewahren! Dem Sheriff, als dem Hüter dieser Ruhe und Ordnung aber, möchte ich nur den Rat erteilen, auch für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Aus diesem Grunde stehe ich hier, aus diesem Grunde protestiere ich gegen seinen Vorschlag! Es sind noch andere Kandidaten! So schlage ich vor: Erst alle Kandidaten reden lassen!«
Händeklatschen und wüstes Schreien kam als Antwort aus der Menge. Jetzt ging sogar der Neger, Black Devil, mit gewichtiger Miene auf die Rednertribüne, drückte den verdutzten Sheriff, der gerade wieder reden wollte, hinunter und sagte mit seiner fettigen, vom Saufen heiseren Stimme: »Leute vom Bahnbau, ihr kennt mich alle! Ihr wißt, wie sehr ich auf euer Wohl bedacht war und bin. Heute und morgen habt ihr in allen Kneipen freien Verzehr!« Ein wüstes Gelächter und höhnisches Schreien antworteten ihm. Er aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fuhr fort, nachdem es wieder etwas stiller geworden war: »Der Doktor hat euch schon gesagt, wie es gemacht werden müßte! Das ist auch ganz meine Meinung. Ich weiß – und euer Hohnlachen verrät es mir: Einige Aufwiegler unter euch, neue und unzufriedene Elemente, haben versucht, Zwietracht unter euch auszusäen! Euer Gegenkandidat ist James Dayton! Nicht meine Leute, nein, diese Aufwiegler haben in der Nacht die für ihn werbenden Plakate entfernt, sie haben auch, um euch zu verhetzen, die Galgen mit den Puppen aufgestellt...« Die Menge begann zu brüllen und zu toben, daß seine Worte nicht weiter zu vernehmen waren. An verschiedenen Stellen kam es zu Schlägereien. Aber nach und nach, da man den Neger immer noch auf der Rednertribüne stehen sah, legte sich der Lärm wieder, und Black Devil konnte weiterreden: »James Dayton ist der Gegenkandidat! Man hat mich und meine Leute beschuldigt, ihn mit Gewalt fortgeschafft oder getötet zu haben!« Wieder schrie es aus der Menge: »Hast du auch, du Lump! Wo ist denn James Dayton? Wo sind die anderen?« »Auf die Frage habe ich gewartet!« rief der schwarze Teufel. »Das zu beweisen, daß alles gelogen war, stehe ich jetzt hier! Ich habe keine Mühe gescheut, die Männer, die ihr eure Gegenkandidaten nennt, herbeizuschaffen! Sie hatten sich freiwillig verdrückt, sie fühlten sich der Aufgabe nicht
gewachsen und zogen es vor, sich anderweitig Arbeit zu verschaffen, um später ihre Familien nachkommen zu lassen!« Er machte eine Pause und stellte mit Befriedigung fest, daß er wieder Oberwasser gewann. Dann fuhr er fort: »Ja, schaut nur ungläubig, ich erzähle euch keine Märchen. Ich zeige sie euch leibhaftig!« Mit lauter Stimme rief er: »Dayton, Gibbys und Burton! Kommt, los, zeigt euch diesen Ungläubigen!« Wieder erhob sich ein Schreien und ein Hohngelächter, das aber sofort einem tödlichen Schweigen wich, als der Kopf des ersten der Aufgerufenen an der Rednertribüne erschien und die beiden anderen ihm folgten. Selbst die Söhne und Töchter der Genannten stießen laute Überraschungsrufe aus, Weiberstimmen klangen jubelnd auf, und eine frohe Bewegung ging durch die Menge. Vereinzelte Rufe, die bald ein Echo fanden, brandeten auf: »Hurra für Black Devil! Nieder mit seinen Feinden!« Auf des schwarzen Teufels Gesicht stand heller Triumph. Voller Dünkel warf er sich in die Brust und rief: »Wo sind jetzt meine Feinde? Wer hat euch belogen? Kann ich etwas besser beweisen? Leider ist der, der mich seit langer Zeit verfolgt und angeschwärzt hat, heute nicht zur Stelle, daß ich ihn öffentlich zur Rechenschaft ziehen kann! Er nennt sich zwar Hüter der Ordnung und Gerechtigkeit! Wäre er ein Mann und bereit, mit seinem Leben für sein Wort einzustehen, ich träte ihm entgegen und würde mein Leben in einem Zweikampf auf Sieg und Tod furchtlos zu jeder Bedingung in die Waagschale werfen!« Ein an Wahnsinn grenzendes Toben der Begeisterung setzte ein. Hüte flogen in die Luft, Colts knallten Freudenschüsse ab, die Menge raste. Black Devil stand wie ein prahlender Pfau und blickte stolz in die Runde, dann erhob er seinen Arm, das Zeichen, daß er weiterreden wollte: »Das wäre auch für euch, ihr tapferen Männer von Silverhorn und der Horde, ein würdiges
Schauspiel gewesen. Es hätte euch gezeigt, wo die wahre Gerechtigkeit herrscht. Nicht bei den Schnüfflern, den Polizisten, das will ich hier behaupten und hätte es auch bewiesen, wenn er, der sich meinen Feind nennt, den Mut gehabt hätte, hier zu erscheinen! Da er aber nicht hier ist, wollen wir...« Oben auf der Halde hinter der Menge erschien plötzlich eine einzelne Gestalt. Noch hatte keiner sie gesehen. Einen Augenblick stand sie still. Black Devil fuhr fort: »... uns nicht weiter mit dem großschnäuzigen Grisly-Jim und seinem stotternden Freund befassen und zur...« In dem Augenblick rief eine alles überschallende Stimme: »Wer will etwas von Grisly-Jim? Wer zweifelt an Grisly-Jims Kampfesmut? Hier steht Grisly-Jim!« Eine lähmende Stille hatte sich über die ganze Halde gelegt, alle Köpfe fuhren wie von einem Strick gezogen herum und starrten auf die herkulische Gestalt, die sich jetzt Bahn brach, um nach vorn zur Tribüne zu kommen. Bereitwilligst machte man Platz. Da aber war auch der Bann gebrochen. Besonders die Cowboys, die in beträchtlicher Anzahl erschienen waren, begannen mit Hochrufen und Händeklatschen, und die Menge, wie immer, kargte auch nicht mit jubelnden Zurufen. Wie ein Götze stand der schwarze Teufel noch immer steif auf der Rednertribüne und schaute mit verzerrter Miene, als sähe er einen Geist, auf den mit schnellen Schritten sich nähernden Grisly-Jim. Aber auch die Banditen, die unter der Menge verteilt waren, glotzten voller Unruhe auf den Westmann. In Grisly-Jims Miene stand ein ruhiges Lächeln, als er sich elastisch auf die Ehrentribünen schwang und mit einem Schritt neben der Rednertribüne war. Sofort rief er: »Ich hörte etwas von Zweikampf! Du, feiger Kojote«, dabei spie er in die Richtung Black Devils, »wagtest es, das Wort Gerechtigkeit in den Mund zu nehmen. Du faseltest etwas vom Sieg der Gerechtigkeit, für den du dein schmutziges Leben wagen
wolltest! Um aber der Menge zu zeigen, wo die Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit stehen, werde ich mich dir stellen und ein unparteiisches Kollegium, gebildet aus vier Männern, zwei von deiner Seite und zwei von der meinigen, sollen die Bedingungen festlegen. Dann mag Gott entscheiden! Für mich sollen sprechen: Doktor Sartor und Old Joe, den ich da unten sehe. Wähle du die deinen! Das ist das letzte Wort, das ich an dich vergeude!« Noch immer stand Black Devil und starrte, ohne ein Wort zu sagen, auf den verschwunden geglaubten. Erst ein Anruf des Sheriffs weckte ihn auf. »Schießt ihn doch nieder, diesen verdammten Schnüffler!« Aber da setzte ein Toben wie aus der Hölle ein. Die Menge fühlte die Gefahr, daß ihr eine Sensation verloren gehen könnte, und Stimmen schrien: »Wir zerreißen jeden, der nur an einen Schießprügel rührt!« Der Sheriff war bleich geworden und wollte sich verdrücken. Doch er kam nicht einmal dazu, von der Tribüne zu springen. Vier handfeste Männer hatten ihn schon gepackt, und die Stimme Fritz Burkers rief: »Nein, Sheriff von Black Devils Gnaden, mit dir rechnen wir nach dem Gottesurteil ab.« Das Wort Gottesurteil wurde von der Menge aufgegriffen und von allen Seiten wiederholt. Unmerklich für die Menge hatte sich aber auch in ihr selbst eine Verschiebung vollzogen. Überall, wo bekannte Banditen standen, tauchten nach und nach zwei, drei handfeste Boys auf, die sich neben oder hinter ihnen aufpflanzten. Voller Erwartung wurden die Zuschauer unruhig und begannen zu rufen: »Vorwärts! Vorwärts!« Aber auch in Black Devil war wieder Leben gekommen. Mit vor Wut verzerrter Miene, daß man nur noch das Weiße in seinen Augen, die wild in seinem Kopfe rollten, sehen konnte, rief er: »Ja, du sollst mit mir kämpfen! Zerreißen werde ich dich! Los! Dan und du, Nils«, er wandte sich an zwei der Kerls, die sich in seiner Nähe aufgepflanzt hatten, »wählt für
mich die Waffe!« Die vier Männer, der Doktor, Old Joe und die Banditen Dan und Nils, hatten es leicht, denn für alle vernehmbar hatte Grisly-Jim seinen Sekundanten zugerufen: »Laßt sie nur wählen! Nehmt alles an, was sie euch vorschlagen mögen! Meinetwegen kann der Nigger nehmen, was er will, und wenn ich mit bloßen Händen gegen ihn antrete!« Jubelnder Beifall folgte diesen Worten. Immer mehr Schmährufe wurden gegen Black Devil laut. Da rief Doktor Sartor von der Rednertribüne herab: »Das Marblemesser ist gewählt!« Wieder stieg ein Beifallsbrüllen aus der sensationsgierigen Menge auf. Der Doktor rief weiter: »Die Kämpfer sind bis auf die Hosen nackt! Gekämpft wird auf Leben und Tod! Nur das Messer und die Faust sind erlaubt!« Die Musiker mußten ihr Podium räumen. Sie packten schnell ihre Instrumente ein und brachten sie in Sicherheit. Man konnte nie wissen, was sich noch ereignen würde. Die beiden Kämpfer hatten sich bereits der Oberkleider entledigt, sie standen bei ihren Sekundanten, die beratend auf sie einredeten. Dann sprangen die beiden beinahe gleichzeitig auf die Bretter des Podiums. Ein spontaner Beifall stieg aus der Menge auf, als die beiden herrlich gebauten Gestalten nackt vor ihnen standen. Sie waren von gleicher Größe. Beide hatten mächtig breite Schultern, nur Grisly-Jim wirkte durch seine schmalen Hüften zarter. Bei beiden aber waren die Muskeln an Arm und Bein, Brust und Rücken wie eiserne Wülste. Jims weißer Körper schien nochmal so hell gegen das tiefe Schwarz des anderen. Doktor Sartor reichte Grisly-Jim sein Messer, während Dan es seinem Boß gab. Atemlose Stille lag über der ganzen Halde, und man meinte das Atmen der zweitausendköpfigen Zuschauermenge zu hören. Doch plötzlich hob Grisly-Jim seinen Arm hoch und rief
laut: »Ehe der Kampf beginnt, sollen aber die vorhin so plötzlich von diesem schwarzen Schakal herbeigerufenen Männer, Dayton, Gibbys und Burton, euch sagen, wo sie gewesen sind und warum sie hier erschienen sind!« »Ja, das sollen sie!« rief nun auch Black Devil. Da aber brüllte die Menge tobend: »Wir wollen jetzt nichts mehr hören! Wir wollen sehen! Kampf wollen wir, kein Kneifen!« Doch wieder rief Grisly-Jim: »Sie sollen erst reden!« Schon stand Dayton, der älteste der drei, auf der Rednerbühne und sagte so laut, daß auch der Ernsthafteste ihn verstehen konnte: »Mitarbeiter, Grisly-Jim hat recht! Ich will euch sagen, warum wir hierhergekommen sind! Black Devil hatte uns, um uns zu erpressen, in den Coyot zehn gesperrt und drohte uns in die Luft zu sprengen, wenn wir nicht hier erscheinen wollten, um Zeugnis für ihn abzulegen! Wir aber weigerten uns, und erst auf Zureden von Grisly-Jim sind wir scheinbar auf das Angebot des Banditenbosses eingegangen, um aber hier dann die Wahrheit zu bekennen...« Das Toben der Menge unterband jede weitere Äußerung. Alles brüllte wie wild: »Wir wollen nichts hören! Kämpfen, kämpfen! Weiter nichts!« Während Dayton sprach, verwandelte sich des schwarzen Teufels Gesicht in eine von Wut und Haß verzerrte Maske. Jetzt sah er richtig wie ein leibhaftiger Satan aus. Ehe Dayton noch zu Ende und die Menge zum Schreien gekommen war, machte er plötzlich mit gezücktem Messer einen Satz auf Grisly-Jim zu, der einem Tiger Ehre gemacht haben würde. Doch der war auf der Hut gewesen. Mit einer eleganten Wendung seines Oberkörpers wehrte er den Stoß ab, daß die Faust des Schwarzen in die Luft stach. Der Stoß war so heftig geführt, daß Black Devil selbst nach vorn schoß und Jim Gelegenheit gehabt hätte, ihm einfach das Messer von hinten in den Rücken zu stechen. Doch er sprang nur mit einem
eleganten Sprung zur Seite und wartete geduckt auf einen neuen Angriff. Nun begann der Schwarze nach der Art mexikanischer Messerkämpfer mit schleichenden Schritten Jim zu umkreisen. Immer schneller schlich der Schwarze. Dann wurden die Kreise enger, dann wieder weiter. Jim kannte die Art und ließ sich nicht verleiten, die Umdrehungen, wie der Gegner es wollte, mitzumachen. Fest stand er auf seinen etwas gespreizten Beinen. Aber sein Auge war überall. Urplötzlich sprang Black Devil ihn wieder von hinten an und diesmal flog sein rechter Arm, in dem er das Messer hielt, von einem Schlage Jims getroffen hoch in die Luft, daß das Messer weit in die Menge flog und dort einen Menschen leicht verwundete. Für einen Moment stand der Schwarze wie ratlos. Doch da warf auch Grisly-Jim sein Messer fort, so daß sie nun beide nur auf ihre Fäuste angewiesen waren. Ein Stöhnen der Wut entrang sich der Kehle des Schwarzen. Wieder sprang er Grisly-Jim an, und wieder war Jim nicht mehr auf der Stelle, wohin der Schwarze griff. Doch auch Black Devil war gewandt. Im Sprung drehte er sich, und seine Faust schlug schwer gegen Grisly-Jims Schläfe, daß er seitwärts taumelte. Schon wollte der Neger, wieder vorschnellend, einen schweren Haken auf Grisly-Jims Nackenpartie landen, da fuhr er wie erschüttert zurück. GrislyJim stieß seinen fürchterlichen Kampfruf aus, der an einen Grislybären erinnerte. Im gleichen Augenblick umklammerten seine Arme den gewaltigen Brustkasten des Negers, daß die Zuschauer die Köpfe schüttelten, da sie diesen Griff als nutzlos und Kinderei betrachteten. Doch dann lief ein Erschrecken durch die Menge. Alles hielt den Atem an. Mit einer Kraft, wie sie wohl der Grisly, nicht aber ein Mensch entwickeln kann, wurde der Brustkasten Black Devils so zusammengedrückt, daß das Krachen der Knochen weithin vernehmbar war. Und immer noch hielt der Druck an. Das Gesicht des Schwarzen war grau geworden, in den Augen stand die helle Angst. Hatte
er im Anfang versucht, sich auch noch mit den Füßen zu wehren, so konnte er ietzt kaum noch auf den Beinen stehen. Noch einmal kam das fürchterliche Krachen, dann quoll ein gewaltiger Blutstrom aus seinem weit geöffneten Mund, und kraftlos sank der Kopf zurück. Grisly-Jim ließ den Körper fallen, dann kam aus seinem Mund ein fürchterlicher Schrei, ein Brüllen, wie es Jäger nur aus dem Rachen eines gewaltigen Grislybären gehört hatten. Noch immer atemlos, erschüttert von dem Schauspiel, wagten die Menschen nur verstohlene Blicke auf den noch immer über seinem Opfer stehenden Grisly-Jim. Manchem kam der Gedanke: das ist kein Mensch, das ist ein wirklicher Grisly! Old Joe stieg jetzt auch auf das Podium, trat zu Jim, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Jim, meiner Schwester Sohn, komm zu dir! Noch allerhand Arbeit wartet auf uns!« Die Augen noch immer mit wilden Blicken auf den toten Verbrecher gerichtet, sagte Jim mit leiser Stimme: »Es kam wieder so über mich! Ich mußte ihn vernichten! Doch du hast recht, weiter!« Gleichzeitig war auch die Erstarrung von der Menge gewichen. Ein Toben und Rufen, ein Schießen und Balgen entstand in der Menge. Die meisten der Banditen, wenigstens die bekanntesten, waren von den sie umringenden Boys niedergeschlagen worden, ehe sie von ihren Waffen Gebrauch machen konnten. Nur vereinzelte schossen und wurden dann aber von der blindwütigen Menge buchstäblich zerrissen. Einigen Banditen gelang es trotzdem noch, zu entkommen. Sie warfen sich auf ihre Pferde und rasten davon. Doch im Interesse seiner Eisenbahngesellschaft mußte Grisly-Jim verhindern, daß die Menge auseinanderlief, ohne den Obmann gewählt zu haben. Wieder hallte seine Stimme über den Platz: »Männer der Horde! Hört noch einmal her, ehe
ihr auseinanderlauft! Ich schlage euch vor, durch Akklamation James Dayton zum Obmann zu wählen! Wer dafür ist, der hebe seine rechte Hand hoch!« Keine Hand blieb unten. Einstimmig wählten sie Dayton. Dann aber sprang einer der Cowboys vor und forderte: »Männer, was geschieht mit diesen Leuten, mit diesen hundertfachen Mördern, Räubern und Schändern? Ich sage: Richter Lynch! Wer ist dafür?« Wieder fuhren alle Hände hoch. Grisly-Jim wollte grimmig dazwischenfahren, doch die Hand Old Joes legte sich auf seinen Arm, die schon zum Colt gegriffen hatte. Eindringlich mahnte der Alte: »Still, Jim, meiner Schwester Sohn, höre auf mich und laß dir raten! Volkes Gunst ist böse Gunst, aber Volkes Stimme ist Gottes Stimme! Das sind doch keine Menschen mehr, das ist Raubzeug, das vernichtet werden muß! Sieh da!« Einem der gefangenen Banditen war es gelungen, sich frei zu machen. Er sprang plötzlich vor, riß einem in der Nähe stehenden Cowboy den Colt aus dem Halfter, schoß den Boy nieder und wollte fliehen. Aber zwanzig Hände griffen gleichzeitig zu. Das war aber auch für die sowieso erregte Menge das Signal, sich aller gefangenen Banditen zu bemächtigen. Grisly-Jim ging mit Doktor Sartor zur Baracke zurück. Old Joe war schon vorher verschwunden, wie man es an ihm gewohnt war. Grisly-Jim wunderte sich, daß weder Curly noch irgendeine Nachricht von ihm gekommen war. Sie saßen noch nicht lange beisammen, da stürmten Fritz Burker und Tob Baxter herein. Beide waren ganz aufgeregt. Sie schilderten, wie die Menge alle Banditen, selbst den schon toten Black Devil, aufgehängt hatten. Nun aber drängten beide Grisly-Jim, seinem Versprechen, auch ihre Kinder zu befreien, nachzukommen. Keine halbe Stunde später jagten Grisly-Jim, Doktor Sartor, Fritz Burker und Tob Baxter in vollem Galopp gen Westen.
Auch Grisly-Jim war jetzt wegen Curly in großer Unruhe, hatte er doch mit ihm verabredet, sich mit dem rothaarigen Jim spätestens kurz vor der Wahl in der Baracke des Doktors einzufinden. * Curly und Jimmy waren bereits vor Anbruch dieses Tages aufgebrochen, um zum Big Horn zu reiten, die beiden Gefangenen zu befreien und zur Krönung des gesamten Unternehmens mit Bertel und Fred Baxter in der Zeltstadt Silverhorn einzutreffen. Curly war der Urheber dieses Planes gewesen. Abends hatte er sich noch von Jimmy alles genauestens erzählen lassen, und er freute sich schon in Gedanken, das erstaunte Gesicht Grisly-Jims zu sehen, wenn er, nur von dem Boy begleitet, mit den Gefangenen zurückkam. Die Dämmerung lag noch über den tiefen Taleinschnitten, als sie das gewaltige Massiv des Big Horn erreichten. Im engen Cañon, der sich in vielen Krümmungen dahinzog und in das Innere des Big Horn zu führen schien, herrschte noch tiefe Nacht. Doch in dem saftigen Tal, wo immer noch die Pferde weideten, machte sich schon das wachsende Tageslicht bemerkbar. Jimmy hatte sich die Stelle im Felsen gut gemerkt, doch der Hebel, den er letzthin gesehen hatte, war nicht mehr zu finden. Wohl fand er den Spalt, den er aber ohne den Hebel nicht zum Eingang verwandeln konnte. Verzweifelt suchten sie, ob sie keine Stelle in der Felswand fänden, die es ermöglichte, die Felsen von außen zu erklettern und von oben zur Südseite zu gelangen. Aber alles war vergebens. Jetzt bedauerte Curly, daß Grisly-Jim nicht hier war, denn ihn selbst hinderte das verletzte Bein, einen solchen Aufstieg zu wagen. Ratlos schauten die beiden sich einander an. Dann leuchteten die Augen des rothaarigen Jimmy auf.
Verdutzt sah Curly, wie der Boy zum Bach hinunter rannte, dort seine Kleider abwarf, nur sein Messer zwischen die Zähne nahm und im eiskalten Wasser des Baches, dort, wo er unter den Felsen verschwand, untertauchte. Er rief ihm noch zu, aber der Boy hörte ihn nicht mehr. Aufgeregt schritt Stutter-Curly vor der Felswand, wo nach Aussage Jimmys der Eingang sein mußte, auf und ab. Schon war er halb entschlossen, der Ungewißheit ein Ende zu machen und einfach auch dorthin zu verschwinden, wo der Boy geblieben sein mußte, da vernahm er in der Felswand ein sonderbares dumpfes Rollen, eine Spalte erschien, die sich langsam verbreiterte. Erstaunt blickte Curly in das spitzbübische Lächeln des jetzt splitternackt vor ihm stehenden Jimmy. Schnell lief dieser wieder zum Bach hin und zog sich an, während er dem eiligst zu ihm gehumpelten Curly berichtete. Er war einfach unter Wasser unter die zwei Meter breite Felsbarriere weg gekrochen, da er ja von seinem ersten Besuch her wußte, daß das Wasser des Baches auch im Innern der Felsburg floß. Dann war er zur Eingangsspalte geschlichen und hatte hier auch die Ursache entdeckt, warum der Hebel nicht zu finden gewesen war. Wahrscheinlich wurde er des Nachts zur Sicherung entfernt und hing im Innern neben dem anderen Hebel, so daß der betreffende, der als erster morgens die Burg verließ, ihn wieder außerhalb anbringen konnte. Der Sicherheit halber ließen sie jetzt auch den Außenhebel drinnen hängen. Sorgfältig schlossen sie die Spalte wieder und schritten dann vorsichtig in das Innere. Bald standen sie auf der Altane. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und tauchte die ganze Altane in ein helles Licht. Doch in den Höhlen der Galerien war noch alles still. Sie schlichen über die Altane bis zur letzten Höhle. Sie stand offen, und die beiden sahen das Mädchen Bertel, noch immer gefesselt, an der Höhlenwand liegen. Ein Sonnenstrahl fiel in
sein bleiches Gesicht, und die geschlossenen Augen sowie die regelmäßigen Atemzüge verrieten, daß es noch in tiefem Schlafe lag. Jimmy warf mit einem kleinen Stein und traf des Mädchens Hand. Sofort schlug es die Augen auf, schaute verwundert in den Sonnenstrahl, wischte sich die Augen aus und erblickte erst dann die beiden an. Es zwang den Aufschrei, der ihm schon aus der Kehle wollte, wieder zurück und lächelte froh. Mit leiser Stimme flüsterte es: »Jimmy, o Jimmy! Wo ist mein Vater? Wer ist das?« »Das ist der Freund von Grisly-Jim, Curly!« kam es ebenso leise zurück. »Wir bringen dir die Freiheit!« sagte der Rothaarige und lachte verschämt. »Und Fred? Fred Baxter?« »Auch ihm! Weißt du, wo er ist?« fragte nun Curly, während Jimmy mit scharfer Zange, die er sich schon in Silverhorn verschafft hatte, die Ketten sprengte. Stolz und froh stand er jetzt vor dem Mädchen, das ihnen nochmals erklärte, nicht ohne Fred Baxter hier fortzugehen. »Sind noch viele Männer hier?« fragte nun Curly. »Das kann ich nicht mit Gewißheit sagen. Zu mir kam nur immer der Unterführer Melton, ein älterer Mann, und dann eine Frau, die mir das Essen brachte. Nachdem die erste tot ist, wurde ich von der Nachfolgerin sehr anständig behandelt. Sie muß übrigens jetzt bald mit meinem Frühstück kommen«, erklärte Bertel. In dem Augenblick hörte man auf einer der oberen Galerien das Sprechen zweier Frauenstimmen. Dann vernahm man das Aufklatschen nackter Füße, die von einer Galerie auf eine andere sprangen. Jetzt hörte man dasselbe Klatschen auf der Altane. Das Mädchen hatte auf einen Wink Curlys hin sich wieder gegen die hintere Wand gelegt, während die beiden, einer rechts, der andere links vom Eingang, lauernd standen.
Plötzlich war eine noch junge Frau in der Öffnung der Höhle. Mit ernstem Gesicht schaute sie sich prüfend um, da legte Curly ihr die eine Hand auf die Schulter, während die andere ihr den Mund zuhielt und er in drohendem Tone sagte: »Keinen Ton, mein Schatz, sonst drehe ich dir dein Hälschen ab!« Die Frau war so überrascht, daß es kaum der Drohung bedurft hätte. Nur ihre Augen blickten ängstlich fragend in des Mannes Gesicht. Der aber fuhr fort; »Es geschieht dir persönlich nichts, wenn du dich vernünftig verhältst. Wieviel Männer sind noch hier in den Höhlen?« Die Frau machte nicht einmal Anstalten, zu schreien oder fortzulaufen. Genauso leise, wie Curly gefragt hatte, kam ihre Antwort: »Nur drei! Zwei liegen oben ziemlich schwer verwundet, der dritte ist Melton, der Unterführer, der immer hier ist.« »Weißt du, wo der andere Gefangene sich befindet?« »Ja! Auf der zweiten Galerie, in der vorletzten Höhle!« »Wo ist der Unterführer jetzt?« »Das weiß ich nicht mit Bestimmtheit, aber sehr wahrscheinlich mit seiner Frau in seiner Wohnhöhle auf derselben Galerie wie der Gefangene.« Dann sah Curly, wie es in den Augen der Frau aufblitzte. Er war auf der Hut, dachte er doch, sie würde jetzt jeden Augenblick Alarm rufen. Aber er hatte sich getäuscht. Unaufgefordert und vor Haß bebend, zischte sie plötzlich: »Das ist nach Black Devil der schlimmste! Deswegen hat der schwarze Teufel ihn auch hier gelassen! Er ist der Folterknecht und holt aus jedem das heraus, was er wissen will! Jedes Mittel ist ihm recht. Die Schreie der Gemarterten haben uns oft die Ohren zerissen! Er aber und sein Weib Juanita, eine Mexikanerin, sind die reinsten Scheusale. Wir sind hier zu elf Frauen, davon sind drei Mexikanerinnen und freiwillig hier. Wir anderen acht wurden von den Banditen geraubt, nach hier
geschafft und konnten nicht mehr hier heraus. Ich bin am längsten hier, beinahe zwei Jahre. Ich glaube kaum, daß ich jemals wieder nach Hause kommen werde, nachdem sie meinen Mann vor meinen Augen erschossen haben Diese feigen Hunde...« Begütigend legte Curly seine Hand auf die Schulter der jetzt heftig schluchzenden Frau und sagte: »Und doch kommt ihr wieder von hier fort! Wir sind jetzt hier! Aber du kannst mit zu eurer Befreiung helfen! Willst du?« Die noch tränenschweren Augen der Frau strahlten jetzt Curly an, als sie mit fester Stimme leise sagte: »Alle acht würden wir gern helfen, aber wie? Wir haben keinerlei Waffen, die hat man uns wohlweislich alle fortgenommen und hält sie auch ängstlich in Gewahrsam...« »Ihr braucht keine Waffen, die haben wir! Zeige uns nur die Höhle dieses Melton, das andere werden wir dann schon machen!« In dem Augenblick rief eine krächzende Weiberstimme von einer der Galerien herunter: »Mildred, du verdammtes Aas, ich werde dir Beine machen, du Luder, dich wieder so lange mit der Gefangenen zu unterhalten, was dir ein für allemal verboten ist! Ich muß dir wieder mal die Lumpen vom Leibe reißen und dich mit der Peitsche massieren!« Es folgte noch eine Unmenge der gemeinsten Drohungen, begleitet von dem schmutzigen Lachen einer Männerstimme. Die Frau war abwechselnd blaß und wieder rot geworden. Sie wollte fort, aber Curly hielt sie fest. Die Frau bat: »Laß mich los! Sie macht ihre Drohung wahr, wie schon so oft! Ach Gott, ach Gott!« Jetzt vernahm man auch aus einer anderen Richtung zwei Stimmen, die laut lachten und dann riefen: »Das ist fein, Juanita! Immer ran! Aber nimm gleich noch ein paar andere dieser weißen Lärvchen vor, dann dauert das Vergnügen etwas länger, und man sieht wieder einige vernünftige Striemen auf
diesen verfluchten weißen Bälgern. Doch warte noch einige Minuten, wir ziehen uns eben etwas über! Hahaha!« Wieder krächzte die erste Stimme: »Da soll dich doch gleich der Leibhaftige holen! Ich komme und hole dich, du verfluchtes Biest! Wo ist die verdammte Peitsche, Pedro? – Ah, da ist sie!« Wieder hörte man das Aufklatschen nackter Füße, dann wieder und jetzt auf der Altane. Wie eine Rachegöttin erschien eine noch gar nicht so alte, aber beinahe dunkelbraune Frauensperson in der Höhlenöffnung, aus der Mildred mit blassem Gesicht gegen die Höhlenwand zurückgewichen war. Als Curly das Weib mit seinen Fäusten am Halse ergriff, konnte es auch nicht schreien. Schnell steckte er ihm den Knebel, sein Taschentuch, in den Mund, während Jimmy ihm Hände und Füße band. Die schwarzen Augen der Megäre schossen Blitze. Curly zischte nur leise: »Vorwärts, Mildred! Zeige uns die Höhle Meltons!« Energie war wieder in der Frau erwacht. Leichtfüßig ging sie vor Curly und Jimmy her. Wurde es auch Curly schwer, mit seinem Bein die Galerie zu erklettern, er biß die Zähne zusammen und gelangte gleichzeitig mit der Frau oben zur zweiten Etage, wo diese schon nach wenigen Schritten vor einer Höhlenöffnung stehenblieb und etwas ängstlich auf Curly zurückblickte. Curly, die Colts in den Händen, trat schnell in die Höhle, wo auf einer Liege ein schwarzbärtiger Mann mit dunkelbraun gebrannter Haut lag, der ganz verwundert auf den Eindringling schaute. Mit einem Schritt wollte Curly sich der Liege nähern und rief dabei: »Hände hoch! Keine Bewegung!« Da stolperte er. Er hatte nicht an sein krankes Bein gedacht, und der plötzliche Schmerz beim Auftreten ließ ihn stolpern. Im gleichen Augenblick hatte der Bandit sich hoch- und auf Curly geschnellt. Curlys Colts krachten, doch die Kugeln fehlten. Der Bandit lag über ihm, hatte schon seinen Dolch in der Hand und
wollte zustoßen, da knallte Jimmys Waffe, und mit durchschossenem Hinterkopf sank er tot zu Boden. Die Frau war nicht untätig geblieben. Sie war schon in der Nebenhöhle und hatte bereits Fred Baxter von seinen Fesseln befreit. Eine Etage tiefer hörte man jetzt ein wüstes Geschimpfe von Frauen, die in mexikanischer Sprache allerhand Verwünschungen ausstießen. Dazwischen klang ein ängstliches Weinen von kleinen Kindern. Jimmy war sofort hinuntergesprungen und wollte in die Höhle, aus der das Gezeter der Mexikanerinnen kam, dringen, da flog ihm ein Topf mit kochendem Wasser entgegen. Glücklicherweise gelang es ihm, dem heißen Wasser auszuweichen, dann war er im Innern. Vor sich sah er zwei wütende Gesichter, es waren die zwei, die er damals am Bach getroffen hatte, die dritte war Juanita gewesen. Beide Weiber drangen mit gezückten Dolchen auf ihn ein. Da knallte es zweimal, und beide Weiber sanken entseelt zu Boden. Hinter dem Rotkopf stand eine Frau mit verbissenen Zügen. Ohne Jimmy anzusehen, sagte sie: »Sie mußten zur Hölle! Die Waffe wartete schon ein Jahr!« Auch Bertel war jetzt oben bei Fred Baxter. Als Curly und Jimmy in die Höhle traten, sahen sie, wie Fred Bertel in den Armen hielt und sie küßte. Während Curly hellauf lachte, wollte Jimmy sich mit rotem Gesicht zurückziehen. Aber Bertel sprang auf ihn zu, fiel auch ihm um den Hals und küßte ihn herzhaft auf den Mund, dann rief sie: »Mein lieber Bruder Jimmy, ich danke dir ebenso wie Fred, der so standhaft geblieben ist! Sie wollten ihm sein Geheimnis entreißen, seinen ergiebigen Goldclaim, der jetzt unser Glück und unsere Zukunft ist! Denn Fred und ich sind verlobt! Dir aber verdanken wir beide unser Leben! Du wirst unser Bruder auf ewig bleiben!« Nun drängte Curly auf den Heimritt. Pferde gab es genug, um alle beritten zu machen. Die Frauen, meist Ranchersfrauen
oder Töchter, fühlten sich wohl im Sattel. Drei von ihnen mußten außerdem noch ihre kleinen Kinder mitnehmen. Gerade wollten sie in den dunklen Cañon biegen, da rief Curly ihnen eine Warnung zu. Er hatte das Galoppieren von mehreren Pferden gehört und wollte sich erst vergewissern, wer das war. Die Frauen hatten sich etwas seitwärts zurückgezogen und sahen mit ängstlicher Miene auf die am Ausgang des Cañons in Bereitschaft liegenden zwei Männer. Da stürmten zwei Pferde aus dem Cañon, zwei Blitze aus Curlys Colts – und zwei Reiter lagen tot im Gras. Die Pferde stürmten weiter. Jetzt schoß Jimmy auf zwei neu auftauchende Reiter mit demselben Resultat. Nun erschien ein einzelner. Der aber hatte frühzeitig die Gefahr erkannt, warf sein Tier auf der Hinterhand herum und jagte in den Cañon zurück. Da krachte im Cañon ein Schuß. Gespannt horchten Curly und Jimmy, die Waffen schußbereit. Jetzt schallte wieder das Herangaloppieren von Pferden an ihr Ohr. Jimmy wollte schon schießen, da aber rief Curly ihm zu: »Stop, Boy! Du willst doch nicht meinen besten Freund erschießen! Das wäre gelacht! Hallo, Jim!« In der Tat erschienen jetzt Grisly-Jim, Doktor Sartor, Fritz Burker und Tob Baxter am Ausgang des Cañons. Das war ein Wiedersehen! Grisly-Jim rief: »Ein feiner Schluß! Vernichtet sind Black Devil und seine Bande bis auf den letzten Mann!« ENDE