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Philip Hasard Killigrew schlägt sich an Land mit den Iren herum. Die Luft ist erfüllt von einem Bleigewitter. Diesen günstigen Augenblick nützen fünf spanische Karavellen: sie versuchen durch wilden Kanonenbeschuß den Ausbruch aus der Dungarvanbai. Ihre Absicht ist es, die freie See zu gewinnen. Plötzlich ist dem Seewolf die Rückkehr zur ›Isabella von Kastilien‹ verlegt. Und wenig später sieht Capitan Romero Valdez seine große Chance, Rache für die schlimmste Niederlage in seiner Laufbahn zu nehmen: Er hat die einmalige Gelegenheit, dem Seewolf das Genick zu brechen …
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Roscoe Craig
Das Gefecht in der Dungarvanbai
Seewölfe Band 21
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE,
KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN
DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1.
Ben Brighton schrie sich die Kehle heiser. Er sah das kleine weiße Wölkchen am Bug der ersten spanischen Karavelle und wußte, daß die ›Isabella‹ es nicht mehr schaffen konnte, rechtzeitig herumzuschwenken, um den Feind mit der Steuerbordseite in Stücke zu blasen. Die Eisenkugel aus dem Fünfpfünderbuggeschütz der spanischen Karavelle traf die Kante des Schanzkleides zwischen der zweiten und dritten Kanone. Holz splitterte. Ein armlanger Balken löste sich und hieb den Segelmacher Lewis Pattern von den Beinen. Die Kugel war leicht abgelenkt worden. Sie riß einem von Norris’ Soldaten die rechte Schulter mitsamt dem Arm weg. Blut färbte die Jacke seiner entsetzten Kameraden rot. „Hinlegen!“ brüllte Captain ›Black‹ John Norris. Die Soldaten warfen sich auf die Decksplanken. Das Schreien des tödlich Verwundeten erstarb. Einer der Soldaten übergab sich. Endlich hatten Jim Maloney und Carter es geschafft, das Großmarssegel zu setzen. Der Nordwind fing sich in dem Segeltuch und drückte die am Heckanker liegende ›Isabella‹ gegen das ablaufende Wasser quer zur Fahrrinne. »Feuer!« schrie Ben Brighton. Ferris Tucker und Al Conroy hielten ihre Lunt en in die Zündlöcher. Donnernd entluden sich die beiden ersten Geschütze. Die hölzernen Räder der Lafetten rumpelten über die Decksplanken, bis die Kanonen von den starken Brooktauen abgefangen wurden. Pulverqualm breitete sich in der Kuhl aus. Die Soldaten begannen zu husten und rieben sich die tränenden Augen. Die Männer an den Geschützen schienen den Qualm nicht zu spüren. Smoky und Pete Ballie sprangen zur Seite, damit Ferris Tucker auch die nächsten Kanonen abfeuern konnte.
Sie hörten den Schrei von Be n Brighton. Ferris Tuckers Kopf ruckte herum. Er sah den Triumph in den Augen Bens. Er lief auf das Quarterdeck zu, weil es ihm zu lange dauerte, bis der Wind den Pulverdampf davongeweht hatte. Ferris Tucker starrte zu den spanischen Karavellen hinüber. Der kleine Besanmast auf der Poop der ersten Karavelle war nach Lee über Bord gegangen. Die lange Rahe mit dem Lateinersegel schwamm auf der Wasseroberfläche und wirkte wie ein Treibanker. Ferris kniff die Augen zusammen. Tatsächlich! Sie hatten dem Spanier außerdem zwei mächtige Löcher ins Achterschiff in Höhe der Wasserlinie geschlagen! Auf der Poop der Karavelle wimmelte es plötzlich von Spaniern. Sie hieben wie die Irren auf die Wanten und Spieren ein, die ihrem Schiff die Bewegungsfreiheit raubten. Ferris warf einen kurzen Blick zu Al Conroy hinüber, dessen Gesicht vom Pulverdampf geschwärzt war. Er nickte, als er Conroys fragenden Blick sah. Sekunden später donnerten die letzten beiden Steuerbordkanonen der ›Isabella‹ auf. Diesmal konnte Ferris Tucker den Flug der Kugeln verfolgen. Al Conroy hatte eine flache Flugbahn gewählt. Das Ziel lag jetzt breit vor ihnen. Es war auf dreihundert Yards praktisch nicht zu verfehlen. Beide Kugeln rasierten über das Vorderdeck. Eine von ihnen krachte gegen das Buggeschütz. Die Brooktaue brachen. Ferris konnte beobachten, wie die schwere Kanone alles aus dem Weg feuerte, was ihr im Weg stand. Drei Männer wurden mitgerissen und an der Bordwand zerquetscht. Der Wind trug ihre Todesschreie davon, als die Kanone die Bordwand durchbrach und ins Meer klatschte. Die andere Kugel hatte den Großmast getroffen. Er wankte heftig, doch noch wurde er von den Wanten gehalten. Die mächtige Rah mit dem Dreieckssegel löste sich plötzlich vom Mast und blieb schlackernd und schlagend waagerecht stehen.
Die ersten Spanier sprangen einfach über Bord. Andere ließen die beiden Boote zu Wasser. Ferris hörte förmlich das Gurgeln, mit dem das Wasser der Dungarvanbai in das Achterschiff der Karavelle strömte. Sie lag schon ziemlich tief, und plötzlich neigte sie sich nach Lee. Der Wind trieb abgerissene Schreie zur ›Isabella‹ herüber. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Ferris Tucker, ob die Männer dabei waren, die Kanonen wieder zu laden. Der Kutscher, Pete Ballie, Smoky und Lewis Pattern hatten zwei der Geschütze schon wieder feuerbereit. Lewis Pattern, der Segelmacher, hatte noch etwas glasige Augen, aber er verrichtete seine Arbeit automatisch. Ab und zu strich seine fleischige Hand über den runden Bauch und über die Brust, wo ihn der Balken getroffen hatte, der von der Kugel des Spaniers aus dem Schanzkleid gebrochen worden war. Ferris Tucker hörte die Stimme Ben Brightons über sich. »Gut gemacht, Ferris«, sagte Ben zufrieden. »So werden wir einen nach dem anderen in die Hölle blasen, wenn sie es wagen sollten, an unseren Kanonen vorbeizusegeln.« Ben wußte so gut wie Ferris Tucker, daß die Spanier nicht den Hauch einer Chance hatten, unversehrt aus der Dungarvanbai auszulaufen. Die Einfahrt in die Bai war längst nicht so breit, wie sie aussah. An der nördlichen Seite, an der die ›Isabella‹ Anker geworfen hatte, ragten bei Ebbe scharfkantige Klippen über die Wasseroberfläche. Jetzt waren sie noch fast ein Yard unter Wasser, aber an den Schaumkronen, die sich dort auf der Wasseroberfläche bildeten, war zu erkennen, daß es selbst für die Karavellen mit ihrem geringen Tiefgang unmöglich war, dort den Zugang zum offenen Meer zu suchen. An der südlichen Seite lag dicht unter dem Wasser eine gefährliche Sandbank, die mit ihrem saugenden und treibenden Grund ein Schiff nicht mehr losließ, wenn es erst einmal aufgelaufen war.
Die Fahrrinne hatte höchstens eine Breite von hundert Yards, und die wurde von den Kanonen der drei englischen Galeonen abgedeckt. Noch hatten die ›Santa Cruz‹ von John Thomas und die ›Marygold‹ Francis Drakes nicht einzugreifen brauchen. Sie hatten wie die ›Isabella‹ an Bug- und Heckanker in der Strömung des auslaufenden Wassers in der Einfahrt der Dungarvanbai gelegen und auf die spanischen Karavellen gewartet, die ihre Waffen für die irischen Aufständischen geleichtert hatten. Jetzt hatten die beiden Galeonen ihre Buganker ebenfalls aufgeholt und schwenkten, vom Nordwind getrieben, mit ihren Steuerbordbreitseiten zu den Karavellen herum. »Alle Geschütze feuerbereit!« rief Al Conroy zum Quarterdeck hinauf. Ben Brighton schaute zur havarierten Karavelle hinüber. Noch zögerte er, den Feuerbefehl zu geben, denn er wartete, daß sich die zweite Karavelle an dem manövrierunfähigen Schiff vorbeischob. Doch der Spanier schien es mit der Angst gekriegt zu haben. Er versuchte anzuluven, gab das Manöver aber wieder auf und fiel statt dessen ab. Die Spanier waren viel zu langsam. Ben Brighton konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sah, wie der Bug der zweiten Karavelle auf das quer in der Fahrrinne treibende Schiff zusteuerte und sich mit einem fürchterlichen Bersten und Krachen mittschiffs in die erste Karavelle bohrte. Die Männer auf der ›Isabella‹ brüllten vor Begeisterung. »Der Captain scheint noch vor kurzem auf einer Galeere Dienst getan zu haben!« rief Ferris Tucker zum Quarterdeck hinauf. »Das war ein blitzsauberer Rammstoß!« Der Großmast des havarierten Schiffes knickte ab wie ein dürrer Zweig. Er krachte auf das Vorschiff der zweiten Karavelle und zerschmetterte den kleinen Fockmast, der Fock
und Focktoppsegel trug. Taue, Wanten, Fallen und Schoten samt den Spieren beider Masten bildeten ein undurchdringliches Knäuel. Ineinander verbissen wie zwei Bulldoggen trieben die Karavellen weiter - direkt auf die Sandbank am südlichen Ufer der Dungarvanbai zu. Plötzlich hatte Ben Brighton den Blick frei auf die folgenden Karavellen, die in Kiellinie versucht hatten, das freie Meer zu erreichen. Er wollte gerade den Befehl zum Feuern geben, als die vorderste der letzten drei Karavellen eine wilde Halse fuhr und - gefolgt von den beiden anderen - zurück in die Bai lief. Ben war nicht sicher, ob sie auf diese Entfernung einen sicheren Schuß würden anbringen können, und so verzichtete er darauf, Kugeln und Pulver zu vergeuden. Immer schneller trieben die ineinander verzahnten Karavellen auf die Sandbank zu. Das Großsegel der ersten bedeckte das Durcheinander auf dem Vorschiff der zweiten Karavelle. Die Schreie verwundeter Spanier waren jetzt deutlich zu hören. Der Captain auf dem Achterschiff des zweiten Schiffes brüllte einen Befehl nach dem anderen. Seine Hand wies hinüber zur ›Santa Cruz‹, deren Kanonenschlünde nur darauf zu warten schienen, bis die Karavellen ihnen vor die Mündungen liefen. Panik brach unter den Spaniern aus. Alles, was noch zwei gesunde Beine hatte, warf sich einfach über Bord. Einige schafften es nicht mehr. Die Luft erzitterte, als die Culverinen und Demi-Culverinen der ›Santa Cruz‹ ihre tödlichen Grüße zu den havarierten Karavellen hinüber schickte. Nur die Hälfte des Eisens traf ins Ziel, doch die Wirkung war auch so ungeheuer. Wie von einer riesigen Faust waren plötzlich sämtliche noch stehenden Masten wegrasiert. Die Spieren und heruntersausenden Blöcke erschlugen die Seeleute, die es nicht mehr geschafft hatten, von Bord zu springen. Andere wurden von dem Musketenfeuer, das von der ›Santa Cruz‹ und der ›Marygold‹ über die Decks der Karavellen peitschte, umgerissen.
Mit einem Ruck kamen die ineinander verzahnten Schiffsrümpfe zum Stillstand. Sie waren auf die Sandbank aufgelaufen. Der Bug der zweiten Karavelle schob sich mit ungeheurer Gewalt weiter in den Rumpf der ersten. Holz knirschte und barst. Der voll Wasser gelaufene Rumpf der ersten Karavelle kenterte und brach in zwei Teile. Im aufgewirbelten Wasser schwammen angsterfüllte Männer auf das Ufer zu. Ein Boot mit ein paar besonnenen Spaniern wurde zur zweiten Karavelle gepullt. Dort nahm es Verwundete auf und brachte sie ans Ufer. Die Spanier gaben die beiden Wracks auf. Sie wußten, daß sich die Schiffsrümpfe mit dem ablaufenden Wasser tief in den Sand wühlen würden. Das Boot, in dem die Verwundeten transportiert worden waren, wurde noch einmal zur zweiten Karavelle zurückgepullt. Allem Anschein nach wollten die Spanier Waffen, Munition und Proviant bergen. Ben Brighton blickte zur ›Santa Cruz‹ hinüber. Die Kanonen, die auf die beiden Wracks zeigten, waren sicher schon wieder geladen. Aber Kapitän Thomas feuerte nicht mehr. Auch die Soldaten auf der ›Santa Cruz‹ und der ›Marygold‹ hatten ihr Musketenfeuer eingestellt. Ben Brighton tauchte in der Kuhl auf. Die Soldaten hatten sich um ›Black‹ John Norris geschart. Sie waren alle noch ziemlich blaß um die Nasen. Der Tod ihres Kameraden hatte sie ziemlich mitgenommen. Mit knappen Befehlen setzte Norris seine Leute in Trab. Zwei von ihnen ließen sich von Lewis Pattern ein Stück Segeltuch geben, in das sie den Toten einwickelten. »Ich wollte, es hätte diesen Hundesohn Burton erwischt«, murmelte Norris. »Vielleicht ist Ihr Wunsch schon in Erfüllung gegangen«, erwiderte Ben Brighton leise. Er dachte an den Kanonendonner, der am Morgen vom untersten Zipfel der Bai zu ihnen herübergeschallt war. Wahrscheinlich hatten die
Geschütze der spanischen Karavellen den Kampf eröffnet, als Burton mit seinen Leuten am Landeplatz erschienen war und angegriffen hatte. Kurz darauf hatten sie die gewaltige Detonation in den Hügeln südlich von Dungarvan vernommen. Vermutlich war das der Seewolf gewesen. Ben hoffte, daß ihm sein Vorhaben, die Waffen und die Munition der Iren in die Luft zu sprengen, gelungen war. Gegen Mitternacht waren Drake und Thomas mit ihren beiden Galeonen in die Bai eingelaufen. Francis Drake und auch ›Black‹ John Norris hatten getobt, als Ben ihnen Burtons Alleingang berichtete. Hasards Entschluß, zu retten, was zu retten war und das Versteck der Iren zu finden und zu zerstören, fand ihre volle Zustimmung. Noch vor dem Morgengrauen waren die drei Galeonen gefechtsklar gewesen und hatten die Einfahrt zur Bai blockiert. Sie hatten sich hintereinander gestaffelt in die Fahrrinne gelegt, und zwar mit dem Bug zur See, so daß die spanischen Karavellen - wenn überhaupt - nur hintereinander durchbrechen konnten. Kurz bevor die Karavellen im Westen der Bai aufgetaucht waren, hatte Ben Brighton die Schüsse am südlichen Ufer gehört. Jim Maloney hatte vom Großmars aus erkennen können, daß ein paar Männer - vermutlich Hasard und die anderen von der ›Isabella‹ - in ein Scharmützel mit angreifenden Iren verwickelt waren. Ben hoffte, daß Hasard und die sieben Seeleute von der ›Isabella‹ den Kamp f lebend überstanden hatten. »Wenn ich diesen Burton zu fassen kriege, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um!« Captain Norris’ Wut war immer noch nicht verraucht. Mit zusammengepreßten Lippen beobachtete er die Seeleute, die das Deck der ›Isabella‹ vom Blut des gefallenen Soldaten säuberten, nachdem sie die Kanonen wieder feuerbereit gemacht hatten.
Ben Brighton war bereit, ›Black‹ John Norris bei diesem Unternehmen tatkräftig zur Seite zu stehen. Wenn er daran dachte, daß die Sturheit Burtons Hasard, Dan O’Flynn, Blacky, Batuti und die anderen in Lebensgefahr gebracht hatte, quoll ihm die Galle über. Sie hätten diesen Kerl schon in Plymouth über Bord werfen sollen, wie Batuti es vorgeschlagen hatte. Dann wäre ihnen allerhand Ärger erspart geblieben. Die Soldaten hatten ihren Kameraden in die Leinwand eingewickelt. Mit ein paar Stichen hatte Lewis Pattern das Segeltuch zusammengenäht. Sicher würden sie bald Gelegenheit finden, den Toten irgendwo an Land zu begraben. Ben Brighton ging mit Captain Norris aufs Quarterdeck. Der Captain war während der Nacht mit fünfundzwanzig Männern von der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ auf die ›Isabella‹ übergewechselt, da Hasards Galeone durch den Landeinsatz von sieben Leuten der Besatzung sowieso schon genug geschwächt war. Während Norris die Spanier beobachtete, die ihr Boot mit allen möglichen Sachen beluden, die sie aus dem Rumpf der zweiten Karavelle holten, glitt Ben Brightons Blick hinüber zur Südküste der Bai. Er wußte, daß so leicht niemand in der Lage war, den Seewo lf im Kampf zu besiegen, aber er wäre bedeutend ruhiger gewesen, wenn er Hasard und die anderen erst wieder an Bord hatte.
2. Philip Hasard Killigrew preßte die Lippen aufeinander. Der letzte Geschützdonner war verrollt, und die beiden ineinander verkeilten Rümpfe der zerschossenen Karavellen waren auf die Sandbank aufgelaufen. Wenn Hasard sich zu diesem Zeitpunkt auf der ›Isabella‹ befunden hätte, wäre er jetzt genauso zufrieden gewesen, wie
es Ben Brighton sicher war. Für Hasard hatte sich die Lage indessen sehr zu seinen Ungunsten entwickelt. Eins war klar: Francis Drake konnte keine Rücksicht darauf nehmen, daß sich noch einige Männer der ›Isabella‹ an Land befanden. Er mußte seinen Auftrag, die Karavellen in der Dungarvanbai einzuschließen, ausführen ganz gleich, ob ein paar Männer dabei ihr Leben ließen. Hasards Blicke glitten zwischen der Sandbank, auf der die zerschossenen Karavellen festsaßen, und den restlichen drei spanischen Schiffen hin und her. Die drei Karavellen, die rechtzeitig gehalst hatten, um den tödlichen Kugeln der englischen Galeonen zu entgehen, kämpften sich mit halbem Wind gegen das ablaufende Wasser westwärts zurück in die Bai. Sie standen jetzt auf gleicher Höhe mit Hasard, und obwohl sie das Boot, das in einer Sandkuhle lag, nicht sehen konnten, hatte Hasard kein gutes Gefühl. Er blickte wieder zur Sandbank hinüber. Die Spanier hatten eine Menge Männer verloren, aber die, die sich an Land hatten retten können, genügten vollauf, um Hasard und seine sieben Männer in die Hölle zu jagen. »Warum schießen sie die Kerle nicht zusammen?« fragte Matt Davies wütend. »Die holen sich in aller Ruhe ihre Waffen von Bord, mit denen sie uns nachher massakrieren werden!« Er spuckte in den Sand und hieb mit dem blitzenden Haken, der mit einer Ledermanschette am Stumpf seines rechten Unterarms befestigt war, durch die Luft. »Vielleicht wissen sie nicht, daß wir noch hier hocken«, sagte Hasard ruhig. Sie durften nicht die Nerven verlieren. Irgendeine Möglichkeit mußte es geben, den Spaniern zu entgehen und zurück auf die ›Isabella‹ zu gelangen. »Wenn die beiden Lecks im Boot dicht sind, segeln wir zur ›Isabella‹ rüber«, sagte Dan O’Flynn. »Die Spanier haben die Hosen gestrichen voll. Die sind froh, wenn wir sie nicht angreifen.«
Die Männer begannen zu grinsen. Hasard war dem Bürschchen dankbar. Mit seiner großkotzigen Bemerkung hafte er die Männer beruhigt. Im Grunde hatte das Bürschchen ja auch recht. Wie oft waren sie in der letzten Zeit in brenzlige Situationen geraten! Und sie hatten noch jedesma l einen Ausweg gefunden. Hasard sah, wie die ersten Spanier von den zusammengeschossenen Karavellen das Ufer erreichten und sich zusammenrotteten. Sie warteten auf das Boot, das zum zweitenmal von den Karavellen zurück zum Ufer gepullt wurde. Hasard konnte erkennen, wie die Spanier Waffen und Pulverfässer ausluden, und ein leichter Schauer kroch ihm über den Rücken, als er daran dachte, daß die Spanier diese Pulverfässer zu ihnen herüberschleudern konnten. Die winzige Bucht, in der sie hockten, war von Fels en und Geröll umgeben. Die Stellung war gut, um ein paar mit Musketen und blanken Waffen angreifende Männer abzuwehren - gegen Pulverladungen waren sie hier nicht geschützt. Im Gegenteil. In der engen Bucht würde es sie alle erwischen. Und wenn es ihnen gelang, mit dem lecken Boot zu entfliehen, würden die Kanonen der spanischen Karavellen sie in Fetzen schießen. Hasard sah, wie Gary Andrews, der hinter einem Felsen hockte und die Küste westwärts ihres Standpunktes beobachtete, zusammenzuckte. Bevor Andrews seinen Warnschrei ausstoßen konnte, wußte Hasard, was die Stunde geschlagen hatte. Zuviel war an diesem Tag in der Dungarvanbai geschehen. Die Iren, die an dieser Ecke der grünen Insel schon immer rebellisch gewesen waren, fühlten sich bis aufs Blut gereizt. Nachdem am Morgen ihr Waffenlager in die Luft gesprengt worden war, kochten sie vor Wut. Die Arbeit von drei Jahren war damit zum Teufel. Jetzt konnten sie wieder von vorn anfangen.
Außerdem hatten sie im Morgengrauen Blut geleckt, als es ihnen gelunge n war, Burtons Truppe zu massakrieren. »Wie viele sind es?« fragte Hasard und packte seine Muskete fester. »Mindestens zwei Dutzend«, sagte Gary Andrews schrill. »Sie rennen genau auf unsere Bucht zu. Sie müssen wissen, daß wir hier stecken.« »Dreh nicht durch, Gary«, sagte Hasard. »Nimm deine Muskete und warte, bis ich den Befehl zum Schießen gebe. Und ziel ruhig, verstanden? Jeder Schuß muß sitzen!« Alle nickten, obwohl Hasard nur Gary Andrews angesprochen hatte. Hasard blickte auf die beiden gefesselten Männer, die unterhalb eines vorhängenden Felsens lagen. Einen Moment dachte er daran, Burton und seinen Profos loszubinden, damit sie an ihrer Seite gegen die Iren kämpfen konnten. Er schüttelte den Kopf. Das Risiko, daß Burton ihm in den Rücken schießen würde, war zu groß. Der Haß in den Augen des Gefesselten sagte Hasard genug. Sie hörten schon das Gebrüll der heranlaufenden Iren. Hasard warf noch schnell einen Blick zur Sandbank hinüber. Die Spanier von den zerstörten Karavellen hatten sich bereits auf den Weg gemacht, um über Land zu den anderen Karavellen zu gelangen. Die drei restlichen Karavellen hatten beigedreht. Ein paar Männer auf den Achterdecks starrten herüber. Auf einer Ka ravelle wurde ein Boot zu Wasser gelassen. Hasard fluchte leise. Das ha tte ihnen noch gefehlt! Jetzt wurden sie von drei Seiten angegriffen. Und jede dieser Gruppen war ihnen überlegen! Er fand keine Zeit mehr, sich einen Schlachtplan zu überlegen. Wie die Brandung von auflaufendem Wasser fielen die Iren über ihre Bucht her. Hasard wartete, bis er das Weiße in den Augen der ersten Iren
sehen konnte. Dann schrie er seinen Befehl zum Feuern hinaus. Acht Musketen krachten auf einmal. Pulverdampf stieg auf und nahm den Männern der ›Isabella‹ für einen Moment die Sicht. Nur am Schreien der Verwundeten hörten sie, daß die meisten Kugeln getroffen hatten. Sie bückten sich und rissen die anderen Musketen vom Boden hoch. Die Iren hatten den Schrecken über das erste, höllisch genau gezielte Feuer noch nicht überwunden, als die zweite Salve wieder sieben Männer von den Beinen riß. Diesmal sah Hasard die Iren zusammenbrechen. Ich möchte doch wissen, wer vorbeigeschossen hat, dachte er grimmig. Ein Grinsen verzog sein Gesicht, als der achte Mann in die Knie ging und langsam mit dem Gesicht in den hellen Sand fiel. Die Verwirrung unter den Iren war vollkommen. Im Morgengrauen hatten sie einem Trupp Engländer das Fürchten beigebracht und anschließend einen nach dem anderen getötet, ohne selbst nennenswerte Verluste hinnehmen zu müssen. Jetzt lagen sechzehn von ihnen tot oder verwundet am Boden, ohne daß sie einen ihrer Gegner zu Gesicht gekriegt hatten. Hasard erkannte seine Chance. Die Spanier waren noch weit entfernt. Das Boot hatte gerade erst abgelegt. »Los, Männer!« brüllte er aus Leibeskräften. »Zeigt es den rothaarigen Affen, wie ein Engländer kämpfen kann! Jagt sie in ihre Höhlen zurück!« Stenmark, Batuti und Matt Davies schienen auf diesen Befehl nur gewartet zu haben. Sie sprangen hinter der Felsbarriere auf und hechteten mit einem Satz darüber. Hasard, Dan O’Flynn und Blacky waren nur einen halben Schritt hinter ihnen. Gary Andrews hatte seine Muskete am Lauf gepackt und schwenkte sie wild über dem Kopf. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ein heiliger Zorn schien ihn gepackt zu haben. Er schwang sich von dem Felsen, hinter dem er gehockt hatte und griff die entsetzten Iren von der Seite an. Hinter sich hörte er Tom
Smith keuchen, der mit weit vorgestrecktem Entermesser auf die Iren losstürmte. Diese Crew war aus anderem Holz geschnitzt als die Engländer, die im Morgengrauen wie die Schafe zur Schlachtbank marschiert waren. Die Iren registrierten es in ihrer dumpfen Benommenheit. Aber Iren waren keine Feiglinge, und statt Fersengeld zu geben, wie es für sie am besten gewesen wäre, stellten sie sich dem fürchterlichen Feind entgegen und kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Sie hatten den Ruf des jungen schwarzen Hünen vernommen, daß sie den Iren zeigen wollten, wie ein Engländer kämpft. Engländer? Dieses schwarze Ungeheuer mit den bleckenden Zähnen, das gutturale Schreie ausstieß, und dieser blonde Riese, der etwas brüllte, das sich wie »Heja« anhörte, sollten Engländer sein? Teufel waren das, die der finstersten Tiefe der Hölle entsprungen waren! Die Iren warfen sich diesen Teufeln entgegen. Noch waren sie in der Übermacht. Sie wichen dem schwarzen Ungeheuer aus und warfen sich zu dritt auf Hasard, der einem von ihnen die Glocke seines Degens ins Gesicht stieß. Der Mann schrie auf. Aus einer klaffenden Wunde lief das Blut und verlieh seinem verzerrten Gesicht den Ausdruck eines Wahnsinnigen. Hasard konnte den Messerstichen des zweiten Iren nur durch eine blitzschnelle Körperdrehung entgehen. Der Mann stolperte an ihm vorbei und lief genau in die vorgereckte Enterpike Dan O’Flynns. Der Ire krümmte sich zusammen. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei. Er brachte nur ein Gurgeln heraus, und als Dan die Waffe aus seinem Körper riß, fiel er zur Seite. In seinen Augen war schon kein Leben mehr. Den dritten Iren schleuderte Hasard mit einem Fußtritt beiseite. Neben sich hörte er einen wilden Schrei. Er drehte sich um. Trotz der bedrohlichen Situation konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Batutis Gesicht war vor Enttäuschung verzerrt. Die verdammten Iren, gegen die er kämpfen wollte, wiche n ihm aus! Jetzt rannte er hinter zwei Kerlen her, die ihre Waffen weggeworfen hatten und ihr Heil in der Flucht suchten. Plötzlich stand Gary Andrews vor ihnen. Die schwere Muskete sauste durch die Luft und mähte den einen Iren um. Der rothaarige Mann vollführte einen Salto, klatschte mit dem Bauch in den Sand und streckte alle viere von sich. Gary wollte schon ausholen, um dem nächsten den Schaft der Muskete ebenfalls um die Ohren zu schlagen, doch da brüllte Batuti ihn wütend an: »Nix hauen! Das sein mein Mann! Du suchen dir selber einen!« Mit offenem Mund stand Gary Andrews da und beobachtete, wie Batuti sich den zweiten Iren schnappte und ihn durch die Mangel drehte, bis er besinnungslos neben dem anderen lag. Batuti rieb sich zufrieden die Hände. Seine Augen glänzten, als er sich umdrehte und auf das Getümmel blickte, das immer noch vor der kleinen Bucht tobte. Stenmark hielt zwei Iren, die nicht viel kleiner waren als er selbst, am Genick und knallte ihre Köpfe zusammen. Mit einem Seufzer legten sich die beiden Männer schlafen. »Vorsicht, Stenmark!« die helle Stimme Dan O’Flynns kippte über. Der blonde Schwede zuckte zusammen und wirbelte herum. Pfeifend zerteilte ein Säbel dicht neben seiner Schulter die Luft. Stenmark packte zu. Er kriegte den Säbelarm zu fassen und drehte ihn herum. Der Ire heulte auf. Er wollte mit der anderen Faust zuschlagen, doch Stenmark stieß ihm den Ellenbogen zwischen die Zähne. Der Säbel fiel in den Sand. Der Schwede ließ den heulenden Iren los und bückte sich nach dem Säbel. Doch wenn er geglaubt hatte, der Ire würde sich jetzt zur Flucht wenden, hatte er sich getäuscht. Wie ein Berserker griff der gedrungene Mann an. Sein Gesicht war rot, vor Wut verzerrt. Seine Faust öffnete sich. Stenmark sah einen
Schleier auf sich zufliegen, und zu spät erkannte er, daß der Ire ihm Sand entgegenschleuderte. Er wollte die Augen zukneifen, doch er schaffte es nicht mehr. Wie Feuer begannen seine Augen zu brennen. Er sah nichts mehr. Instinktiv stieß er den Säbel vor, aber er traf nur Luft. Er hörte ein Keuchen und dann einen fürchterlichen Schrei. Wie ein Wilder hieb er weiter mit dem Säbel um sich. Nur langsam begann sich der Schleier vor seinen Augen auszulösen. »Willst du mir unbedingt die Rübe absäbeln?« schrie Dan O’Flynn. »Halt endlich das Brotmesser still, verdammt noch mal, damit ich mir meine Pike wiederholen kann!« Stenmark erstarrte. Er wischte sich mit der linken Hand über die Augen. Verschwommen sah er den Iren vor sich im Sand liegen. In seiner Brust steckte die abgekürzte Pike Dan O’Flynns. Das Bürschchen mußte seine fürchterliche Waffe dem Iren entgegengeschleudert haben. Der eiserne Haken hatte sich tief in den Brustkorb des Mannes gebohrt. Blut sickerte in den Sand und färbte ihn dunkel. Als Dan bemerkte, daß Stenmark wieder sehen konnte, ging er außerhalb der Reichweite des Säbels um den Schweden herum und holte sich seine Pike zurück. Dann blickte er sich nach dem nächsten Gegner um. Batuti hatte sich den letzten Iren geschnappt und schleuderte ihn gegen einen Felsen. Leblos sank der Mann zu Boden. Matt Davies und Blacky hielten die Iren, die inzwischen wieder zur Besinnung gekommen waren, in Schach. Der blitzende Haken an Matts rechtem Arm schien die rothaarigen Kerle besonders zu beeindrucken. Obwohl ihnen die Wut über die Niederlage in den Gesichtern geschrieben stand, wagten sie nicht, sich zu rühren. »Jagt die Kerle davon«, sagte Hasard gepreßt »Sie sollen ihre Verwundeten mitnehmen.« Er drehte sich um und schwang sich wieder über die Felsbarriere, hinter der immer noch Burton und sein Profos gefesselt lagen.
Isaac Henry Burton zitterte vor Wut. Über sein feistes Gesicht mit den fleischigen Wangen und dem gespaltenen Kinn rann der Schweiß in Strömen. Wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit über versucht, seine Fesseln zu lösen. Die blaßblauen Augen funkelten mordlustig, als Hasard auf ihn zutrat, ihn kurz herumwälzte und die Fesseln prüfte, die sich nicht um einen Deut gelockert hatten. Hasard ging zur Felsbarriere zurück, nachdem er einen kurzen Blick auf die Bai geworfen hatte. Das Boot mit den Spaniern hatte die Hälfte der Strecke bereits geschafft. Die drei Karavellen waren vor Anker gegangen. Sie befanden sich außerhalb der Geschütze der englischen Galeonen. »Gary, Tom und Blacky bleiben draußen und beobachten die Iren«, sagte Hasard. »Ich kenne die sturen Hunde. Die geben noch nicht auf. Wenn sie merken, daß wir von den Spaniern angegriffen werden, kehren sie auf der Stelle um und fallen wieder über uns her. Nehmt euch jeder so viele Musketen und Pistolen, wie ihr tragen könnt, und sucht euch eine gute Deckung. Schießt das nächste Mal früher, damit sie nicht erst an unsere Bucht herankommen.« Die drei Männer nickten, während die anderen zurück über die Felsbarriere kletterten und ihnen die Musketen hinüberreichten. Kugeln und Pulver standen ihnen in ausreichender Menge zur Verfügung. Sie hatten sich aus dem Lager in den Drum Hills zur Genüge eingedeckt. »Binden Sie mich los, Killigrew!« kreischte Isaac Henry Burton plötzlich los. »Sie werden noch bereuen, was Sie getan haben. Ich bin ein Offizier Ihrer Majestät! Sie werden für Ihr Verbrechen am Galgen …« Er verstummte. Seine Augen quollen hervor, und er wagte kaum noch zu schlucken, denn dann hätte der spitzgefeilte Haken an der Hand von Matt Davies die Haut an seinem Hals geritzt. »Halt endlich deine große Schnauze, du widerliche Ratte«,
sagte Matt böse, »sonst legen wir dich und deinen Profos um und behaupten, die Iren hätten es getan.« Burton wurde zuerst bleich, dann traten rote Flecken auf seine schwammigen Wangen. »Die Idee ist gar nicht mal so schlecht, Matt«, sagte Dan O’Flynn. »Ich hätte nicht gedacht, daß dir so etwas einfallen würde …« Hasard hörte nicht mehr auf das Gespräch der Männer. Er schob seinen Kopf über den Felsen, der sie gegen die Bai abdeckte. Die Spanier waren schon ziemlich nah. In dem Boot saßen sechzehn Männer. Zehn davon waren Soldaten. Sie trugen Helme und Brustpanzer. Jeder von ihnen hatte eine Muskete bei sich, an ihren Hüften hingen Degen, mit denen sie verdammt gut umgehen konnten. Hasard wußte, daß diese Spanier allein keine besonders große Gefahr für ihn und seine Männer darstellten. Sie befanden sich hier in sicherer Deckung hinter Felsen und Sandwällen, während die Spanier in dem Boot wie auf einem Präsentierteller saßen. Die Musketenkugeln würden sogar die Bootswand durchschlagen. Viel mehr Sorgen bereiteten Hasard die anderen Spanier, die von den zusammengeschossenen Karavellen geflüchtet und nun auf dem Weg zurück zur Stiefelspitze - dem Landeplatz waren, um an Bord der restlichen drei Karavellen zu gelangen. Sie hatten genügend Pulver bei sich, um eine Bombe zu basteln, die Hasard und seine sieben Männer in die Luft blasen konnte. Verdammt, warum verfolgen die Galeonen die Spanier nicht? Gewiß, es war nicht leicht für die Schiffe, gegen das ablaufende Wasser die Bai hinauszusegeln, aber schließlich war ihre Bewaffnung der der Spanier weit überlegen, so daß das Risiko, selbst eine Niederlage einzustecken, ziemlich gering war. Hasard blickte zur ›Isabella‹ hinüber. Ben Brighton konnte
ihm nicht helfen. Er hatte kaum genügend Seeleute an Bord, um mit dem Schiff zu manövrieren. Aber an Bord der ›Santa Cruz‹ und der ›Marygold‹ waren genügend Leute, die ihnen zur Hilfe eilen konnten. Oder hatte Drake ihn und seine Männer bereits abgeschrieben? Hasard hatte keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken. Er konnte schon die Geräusche des Bootes hören. Die Riemen klatschten regelmäßig ins Wasser, und die gedämpfte Stimme eines Spaniers gab leise Befehle. Dann war nur noch das leise Schwappen der von den Felsen zurückgeworfenen Wellen zu hören. Hasard winkte Batuti, Matt Davies und Stenmark heran. Die Männer hatten geladene Musketen in den Fäusten. Dan O’Flynn kroch auf einen Wink Hasards hin seitlich um den Felsen herum. Er sollte die Spanier von der Seite her mit ein paar Kugeln verunsichern, wenn es ihnen gelang, in die kleine Bucht zu stürmen. Das Bürschchen grinste. In seinem Gürtel steckten vier Pistolen, und in jeder Hand hielt er eine Muskete. Jetzt fehlt nur noch das Messer quer im Mund, dachte Hasard, dann kippen die Spanier schon bei seinem Anblick aus den Stiefeln. »Zielt auf die Köpfe oder die Beine«, flüsterte er den anderen zu. »Es ist nicht sicher, ob unsere Kugeln ihre Brustpanzer durchschlagen.« Die Männer nickten. Batuti hatte die Zähne gefletscht. Er wartete wie die anderen auf den Moment, wenn der Bug des Bootes die Felsnadel passierte, die ihnen den Blick hinauf auf die Bai verwehrte. Sie durften sich nicht aufrichten, denn dann würde einer der Kapitäne auf den spanischen Karavellen sicher auf den Gedanken verfallen, ein paar Kanonen abzufeuern, ohne Rücksicht auf die eigenen Leute zu nehmen. Hasard fluchte still vor sich hin. Es war bei den Spaniern nicht anders als bei den Engländern. Wenn es um den Erfolg einer Sache ging, war es gleichgültig, wie viele Menschen dafür sterben mußten.
Hasard haßte diesen Standpunkt, aber er wußte, daß er nichts daran ändern konnte. Langsam schob sich die Bootsspitze um den Felsen, der wie ein langer Finger in die Bai ragte. Die Männer der ›Isabella‹ hatten ihre Musketen auf den Felsen gelegt und zielten sorgfältig. Sie hörten, wie Eisen gegen Felsen schlug.Wasser plätscherte, dann war wieder Stille. In Hasards Hinterkopf begann es zu kribbeln. Er spürte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Seine eisblauen Augen zuckten zu Dan hinüber, aber von dem Bürschchen war nichts zu sehen. Und dann schob sich das Boot in seiner vollen Länge um die Felsnadel. Außer den sechs Rudergasten befanden sich nur noch zwei Soldaten an Bord! Sie standen auf einer Ducht und zielten mit ihren Musketen auf die Felsen, hinter denen sich Hasard und seine Männer verbargen. Fast hätte Hasard zu lange gezögert. Er sah, wie es in den Augen der Soldaten aufblitzte. Sie hatten die Gewehrläufe und die Köpfe entdeckt, die über die Felsen schauten. Sie wollten abdrücken, doch da fauchten ihnen die Kugeln der Engländer schon entgegen. Die beiden Spanier hatten keine Chance. Die Kugeln aus Stenmarks Muskete riß dem einen das halbe Gesicht weg. Der Soldat kippte nach hinten und fiel auf einen der Rudergasten, die sich ins Boot geworfen hatten, nachdem die erste Salve aufgedonnert war. Der zweite Soldat stürzte ins Wasser. Eine Kugel hatte seinen Helm getroffen und ihn bewußtlos geschlagen. »Batuti und Matt!« schrie Hasard und sprang auf. »Kümmert euch um die Rudergasten! Los, Stenmark, wir müssen die anderen Spanier aufhalten!« Der Schwede hatte seine Muskete weggeworfen. Er hielt jetzt in jeder seiner mächtigen Pranken eine Pistole, die wie Spielzeuge aussahen. Gleichzeitig mit Hasard schwang er sich
über den Felsen, hinter dem Dan O’Flynn verschwunden war. Eine Muskete donnerte auf. Sie hörten einen gellenden Schrei, der von einem spanischen Soldaten stammen mußte. Eine helle Stimme schrie: »Arwenack!« Dann folgte der dünne Knall einer Pis tole. Mit Riesensätzen hastete Hasard und Stenmark auf die Stelle zu, an der geschossen wurde. Hasard spürte, wie ihm etwas Kaltes über den Rücken lief. Das Bürschchen kämpfte allein gegen eine Übermacht von acht spanischen Soldaten! Hasard verscheuchte die Gedanken daran, was Dan alles passieren konnte. Der leichte Nordwind wehte ihm ins Gesicht und verwandelte die Schweißtropfen auf seiner Stirn in kleine kalte Perlen, die ihn in die Haut zu stechen schienen. Hasard wich einem großen Felsbrocken aus, und dann sah er die von Felsen umrahmte kleine Bucht vor sich, in der ihr Boot lag. Wieder krachte ein Pistolenschuß. Ein Spanier, der von den Felsen hinunter auf den Strand springen wollte, warf beide Arme in die Höhe. Sein Gesicht war von einem Augenblick zum anderen blutüberströmt. Die Muskete, die er in den Händen gehalten hatte, klapperte auf die Felsen und bohrte sich dann mit dem Lauf in den hellen Sand des schmalen Strandes. Hasard blieb abrupt stehen, so daß Stenmark fast aufgelaufen wäre. Die Pistole in Hasards rechter Hand schwang hoch. Feuer und Rauch fauchten aus dem Lauf. Die Kugel riß einem Spanier das Bein unter dem Körper weg. Er stürzte zur Seite und krachte mit dem Helm auf den Lauf der Muskete, die er krampfhaft umklammert hielt. Hastig versuchte er sich aufzurichten, aber sein rechtes Bein knickte wieder ab. In seinen Augen war nichts als Angst. Den Mund weit geöffnet, starrte er auf Hasard und Stenmark, die schon wieder schossen. Gott sei Dank! dachte Hasard erleichtert. Das Bürschchen war so vernünftig gewesen, in Deckung zu bleiben. Hasard hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da tauchte der
Blondschopf hinter dem Felsen auf. Sein Gesicht war vom Kampfeseifer gerötet. Die Augen blitzten. Voller Begeisterung krähte er mit seiner Stimme, die sich überschlug: »Arwenack!« und sprang über seine Deckung. Er stürmte mit vorgereckter Pike auf die restlichen vier spanischen Soldaten zu, die sich zu Hasard und Stenmark umgewandt hatten. Der letzte Schuß von Hasard gab den Spaniern den Rest. Zwei von ihnen lagen mit blutigen Köpfen im Sand und rührten sich nicht mehr. Einer hockte mit wachsbleichem Gesicht an einem Felsen und preßte beide Hände auf den Leib. Zwischen seinen Fingern quoll dunkles Blut hervor. Der junge Bursche mit dem durchschossenen Bein hatte seine Muskete losgelassen und versuchte von den beiden großen Männern, die immer noch ihre rauchenden Pistolen in den Händen hielten, wegzukriechen. Dan O’Flynn hieb einem Spanier mit der Pike den Helm vom Kopf. »Schluß jetzt, Dan!« brüllte Hasard. »Sie haben sich ergeben!« Das Bürschchen hatte es in seinem Eifer nicht bemerkt, daß die Spanier ihren Widerstand aufgegeben hatten. Fast ein wenig enttäuscht zog er sich zu Hasard und Stenmark zurück. Hasard nickte Stenmark zu. Der Schwede schnitt sein grimmigstes Gesicht und ging auf die Spanier zu. Er nahm ihnen die Waffen ab und befahl ihnen durch Gesten, daß sie ihre Helme und Panzer abnehmen sollten. Sie gehorchten widerspruchslos. In ihren Augen las Hasard das Entsetzen über die Wildheit, mit der sie hier am Strand empfangen worden waren. Stenmark und Dan begannen die Spanier zu fesseln, auch den Jungen mit dem durchschossenen Bein. Der Mann mit dem Bauchschuß hatte ausgelitten. Als Dan ihn fesseln wollte, schaute er in zwei leere Augen. Hasard war zurückgelaufen. Hoffentlich waren Batuti und Matt mit den spanischen Rudergasten fertig geworden. Wenn
Batuti und Matt Davies auch zwei Kämpfer mit besonderen Qualitäten waren, so war eine dreifache Übermacht von spanischen Seeleuten nicht zu verachten. Hasard hatte schon oft erlebt, daß Seeleute nicht so leicht aufgaben wie Soldaten. Der Kampf mit den Naturgewalten hatte ihre Muskeln gestählt und ihren Willen darauf ausgerichtet, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Aber Batuti und Matt Davies brauchten keine Unterstützung mehr. Keuchend standen sie da, als Hasard auftauchte, um sich herum die sechs Rudergasten des spanischen Bootes. Über die Brust Batutis zog sich ein breiter Streifen. Darunter glänzte die nackte, dunkle Bauchdecke. Über dem Gürtel staute sich das Blut. Die helle Segeltuchhose sog sich damit voll und färbte sich rot. Batuti zog die Lippen in die Breite, als er Hasard auftauchen sah. Die beiden Reihen seiner makellosen Zähne leuchteten wie Perlen. Der Kratzer an der Brust schien ihm nichts auszumachen. Matt Davies schaute weniger zufrieden drein. Auf seiner Stirn prangte eine eigroße Beule. Vor ihm im Sand lag ein Mann, alle viere weit von sich gestreckt. Ein blutiger Riß verlief über seine linke Gesichtshälfte bis zum Hals hinunter. »Haut mir der Kerl doch glatt einen Riemen über die Birne, als ob mein Kopf aus Eisen sei«, sagte Matt wütend. »Aber der tut das bestimmt nicht noch mal.« »Nix schlimm«, sagte Batuti und ließ seine Zähne blitzen. »Wenn Birne kaputt, dann kriegst du Haken auf den Hals.« »Halt deine Klappe, du hinterhältiger Bastard«, sagte Matt und reckte drohend den Arm mit dem spitzgeschliffenen Eisenhaken vor. »Du hast genau gesehen, daß der Kerl von hinten mit dem Riemen auf mich losging! Ich hab dein Grinsen genau gesehen!« Batuti blickte Matt Davies treuherzig an. »Nix Grinsen«, sagte er. »Das war Schmerz wegen Streifschuß auf Brust.«
»Lüg mich nicht an, du nackter Affe!« schrie Matt, der immer wütender wurde. »Den Kratzer hast du doch gar nicht gespürt!« Hasard trat zwischen die beiden. »Laß gut sein, Matt«, sagte er lächelnd. »Ihr könnt euch darüber weiter unterhalten, wenn wir wieder an Bord der ›Isabella‹ sind. Fesselt die Spanier und bringt sie ins Boot. Wir müssen endlich sehen, daß wir hier verschwinden. Ich habe keine Lust, länger in dieser Falle zu hocken und zu warten, bis die Iren und die Spanier mit allen Männern über uns herfallen.« »Aye, aye«, sagten die beiden wie aus einem Mund. Sie suchten sich Stricke und Lederriemen, die die Spanier als Gürtel trugen, und fesselten die bewußtlosen Rudergasten. Sie gingen nicht gerade sanft mit den Männern um, aber die spürten davon wenig. Hasard hockte sich auf den Felsen, von dem aus er die Umgebung nach allen Seiten überblicken konnte. Er stöhnte leise auf, als er sah, daß die Spanier drei weitere Boote zu Wasser gelassen hatten. Wahrscheinlich sollten sie die Engländer, die dort am Ufer hockten, den Schiffbrüchigen den Weg zu den letzten drei Karavellen versperrten und wahrscheinlich für die Sprengung in den Drum Hills verantwortlich waren, endgültig in die Hölle jagen. Östlich der kleinen Bucht, in der Hasard sich mit seinen Männern verbarg, sah Hasard Bewegung im Gelände. Die schiffbrüchigen Spanier waren nicht mehr allzuweit entfernt. Jetzt fehlte nur noch, daß sich auc h die Iren in Dungarvan darauf besannen, daß es doch nicht so schwierig sein könne, einem Haufen von acht verfluchten Engländern zu einer vernünftigen Himmelfahrt zu verhelfen. Hasards sehnsüchtiger Blick glitt hinüber zu den englischen Galeonen. Was er sah, ließ sein Herz plötzlich schneller schlagen. An der Steuerbordseite der ›Marygold‹ wurde ein Boot zu Wasser gelassen! Nacheinander stiegen fünfundzwanzig
Soldaten hinein. Hasard konnte nicht erkennen, wer der letzte war. Wahrscheinlich ›Black‹ John Norris selbst. Er war bekannt dafür, daß er gefährliche Operationen gern selbst anführte. Als Hasard zurück zu den spanischen Karavellen blickte, sank seine Hoffnung wieder. Das Boot von Drakes Schiff hatte fast die doppelte Entfernung wie die spanischen zurückzulegen. Wenn auch die Iren und die Schiffbrüchigen von Land angriffen, würde Norris mit seinen Soldaten erst hier eintreffen, wenn keiner der Männer von der ›Isabella‹ mehr am Leben war. Hasards Augen verdunkelten sich, als er auf den gefesselten Burton und seinen vierschrötigen Profos sah. Diesen Kerlen hatten sie es zu verdanken, daß sie hier wie die Mäuse in der Falle hockten. Am liebsten hätte Hasard Batuti befohlen, Burton und seinen Profos in die Bai zu werfen.
3. Die schwarzen Augen des hageren Mannes auf dem Achterdeck der ›Viento del Sur‹ waren voller Haß, seit er die englische Galeone erkannt hatte, die unter dem nördlichen Ufer der Dungarvanbai ankerte. Er konnte die Augen nicht von der ›Isabella von Kastilien‹ wenden. Noch vor wenigen Woche n hatte er diese stolze Galeone geführt, und in ihrem Bauch waren dreißig Tonnen Silber verstaut gewesen, die er aus der Neuen Welt nach Spanien hatte bringen sollen. Die vergangenen Wochen würde er nie in seinem Leben vergessen. Sie waren eine einzige Kette von Demütigungen gewesen. Er hatte plötzlich keine Freunde mehr, als er endlich mit seinen Männern von den kargen Stränden der Inselgruppe der Berlengas von einem Fischerboot zurück zum Festland gebracht worden war.
Sie, die um seine Freundschaft gebuhlt hatten, als es noch hieß, daß niemandes Karriere so schnell und steil nach oben führen würde wie die von Romero Valdez, sie kannten ihn nicht mehr, sie behandelten ihn wie einen Aussätzigen. Seine Gönner bei der Casa de Contratacion hatten verbissen geschwiegen, als er um die Möglichkeit gebeten hatte, seinen Fehler wiedergutzumachen. O nein, sie hatten ihm nicht vorgeworfen, daß er sein Schiff mit der kostbaren Silberladung verloren hatte. Das war schon mehr als einem spanischen Kapitän in den letzten Jahren passiert, ohne daß es seiner Karriere viel geschadet hätte. Nein, er hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Er hatte es zugelassen, daß die Karten von der Neuen Welt, die für die Casa ein Heiligtum waren, in die Hände der Engländer fielen. Sie hatten zwei Agenten auf den schwarzhaarigen Teufel, der Philip Hasard Killigrew hieß, angesetzt, aber man hatte bisher noch nicht wieder von ihnen gehört. Romero Valdez war nun sicher, daß die Engländer auch sie gefaßt und getötet hatten. Romero Valdez hätte am liebsten ausgespuckt, als er das erstemal das Deck seines neuen Schiffes, das er befehligen sollte, betreten hatte. Eine lumpige Karavelle mit mangelhafter Bewaffnung und einer Besatzung, die nicht einmal dazu fähig war, den Lehmboden einer Bodega sauber zu fegen! Und er mußte mit ihr Waffen und Munition nach Irland karren. Er haßte diese fürchterlichen nordischen Länder, in denen es Tage gab, an denen man vor lauter Nebel nicht atmen konnte. Er haßte die wilden, rauflustigen Bewohner Irlands, die sich mit ihrem schauderhaften Bier Räusche antranken und krakeelten wie verrückte maurische Sklaven. Nur widerwillig löste Romero Valdez seinen Blick von der ›Isabella‹ und schaute hinüber zum südlichen Ufer, auf das die drei Boote zupullten, die er losgeschickt hatte, um den Überlebenden der beiden zusammengeschossenen Karavellen den Weg freizukämpfen.
Romero Valdez hatte mit Entsetzen beobachtet, wie die Männer des ersten Bootes von den Engländern niedergemacht worden waren, und er hatte plötzlich mit unerschütterlicher Sicherheit gewußt, daß der große schwarzhaarige Mann, den er für einen kurzen Augenblick gesehen hatte, dieser verfluchte Philip Hasard Killigrew war. Als er den schwarzhaarigen Teufel sah, tastete seine rechte Hand über den linken Arm, der in einem Winkel von 120 Grad stand und steif war. Die Kugel Killigrews hatte ihm das Ellbogengelenk zerschmettert, als er mit den Seekarten in einem Beiboot hatte flüchten wollen. Kreise drehten sich vor Valdez Augen. Der Haß schüttelte ihn so sehr, daß er das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen. Erst nach Minuten hatte sich der Capitan einigermaßen beruhigt. Er wußte, daß er Kuhl bleiben mußte, wenn er seine Rache vollenden wollte. Er hoffte auf das Glück, das er benötigte. Dazu gehörte vor allem, daß Capitan Antonio Zapata, der die erste Karavelle befehligt hatte, im Geschützfeuer der Engländer ums Leben gekommen war. Wenn er das Gefecht nicht überlebt hatte, dann war er, Romero Valdez, der dienstälteste Capitan des kleinen Geschwaders, und er würde alles daransetzen, die Schmach, die sein Leben zerstört hatte, zu tilgen und sich an dem Engländer zu rächen, der allein Schuld war an seinem Unglück. Er preßte die Zähne zusammen. Seine sonst bräunliche Gesichtsfarbe hatte einen olivgrünen Ton angenommen. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie die drei Boote mit seinen Leuten etwa dreihundert Schritte westlich der Stelle, an der sich die Engländer verschanzt hatten, landeten. Sein Kopf ruckte herum. Die Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, als er sah, wie sich ein einzelnes Boot von der letzten englischen Galeone löste und verzweifelt gegen den Ebbstrom angepullt wurde. Diesmal würden die Engländer den kürzeren ziehen, und
wenn der schwarzhaarige Teufel Philip Hasard Killigrew nicht mehr lebte, dann stand ihm, Romero Valdez, nichts mehr im Wege, die ›Isabella‹ zurückzuerobern und sich zu rehabilitieren.
4. Ben Brighton ging unruhig auf dem Quarterdeck der ›Isabella‹ hin und her. Seit ›Black‹ John Norris sich zur ›Marygold‹ hatte zurückpullen lassen, war seine Unruhe ständig gestiegen. Er hatte gesehen, wie sich Kapitän Drake und Kapitän Thomas etwas zugerufen hatten, doch da die ›Isabella‹ einen Abstand von einer Kabellänge von den beiden anderen Galeonen hatte, war kein Laut an seine Ohren gedrungen. Dann war ein Boot von der ›Marygold‹ zu Wasser gelassen worden. Ben hatte beobachtet, daß neben den acht Rudergasten der ›Marygold‹ fünfundzwanzig Soldaten, Edwin Carberry, der Profos der ›Marygold‹, und Captain ›Black‹ John Norris in das Boot gestiegen waren. Ben Brighton und die anderen Männer auf der ›Isabella‹ hatten aufgeatmet, als sie erkannten, daß Drake sich endlich entschlossen hatte, dem Seewolf Unterstützung zu schicken. Die Frage war, ob diese Unterstützung nicht zu spät erfolgte. Die drei spanischen Boote hatten das südliche Ufer der Bai schon fast erreicht, und Jim Maloney meldete aus dem Großmars, daß sich die schiffbrüchigen Spanier der kleinen Bucht, in der Hasard und seine Männer hockten, bis auf Musketenschußweite genähert hä tten. Ben ballte die Hände zu Fäusten, als er an Isaac Henry Burton dachte. Wenn er den Kerl in die Finger kriegte, würde er ihn eigenhändig erwürgen. Warum hatten sie dem Idioten nicht einfach einen Belegnagel über den Schädel gezogen und in das
dunkelste Loch gesperrt, bevor er sein Wahnsinnsunternehmen in die Tat umsetzen konnte? Ben schüttelte den Kopf. Jetzt war alles zu spät. Jetzt saßen Hasard und die anderen in einer tödlichen Falle. Der einzige Trost war, daß es Burton vielleicht längst erwischt ha tte. Aber dem möglichen Tod der acht Männer dort drüben wog das auch nicht auf. Ben mochte gar nicht daran denken. Ihm wurde ganz flau im Magen. Es war noch nicht lange her, seit er Philip Hasard Killigrew kennengelernt hatte. Der junge Seewolf war wie ein Orkan aus dem Bauch der ›Marygold‹ aufgetaucht und hatte in kürzester Zeit der Mannschaft und dem Kapitän bewiesen, daß er nicht nur eisenharte Fäuste, sondern auch Verstand besaß und ihn sogar anwenden konnte. Dieser Seewolf war der geborene Seefahrer. Das hatte Kapitän Drake erkannt, als er ihm die Überführung einer Prise in den Hafen von Plymouth anvertraute. Daß Hasard nicht mit demselben Schiff in Plymouth eingelaufen war, störte niemanden - im Gegenteil. Die Ladung der ›Isabella‹, die er auf der Reede von Cadiz gekapert hatte, nachdem er eiskalt wie eine Hundeschnauze in einem spanischen Flottenverband mitgesegelt war, hatte einen beträchtlich höheren Wert als die der Galeone, die Kapitän Drake ihm anvertraut hatte. Die Stimme von Ferris Tucker riß Be n Brighton aus seinen Gedanken. Ben kannte Ferris schon lange genug, um an seinem Gesichtsausdruck ablesen zu können, daß sich auch der Schiffszimmermann um Hasard sorgte. »Ich bin gespannt, was die jetzt vorhaben«, sagte Ferris. Er wies hinüber zur ›Santa Cruz‹. Ein Boot war zu Wasser gelassen worden und wurde auf die ›Isabella‹ zugepullt. Acht Seeleute saßen neben den Rudergasten darin - und ein Soldat, den Ben als Hauptmann James Courcy identifizierte, nachdem das Boot die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte.
Ben Brightons Unruhe nahm noch zu. Er krallte die Hände um die Brüstung des Quarterdecks. Er hoffte inständig, daß er mit seiner Vermutung recht hatte. Wenn man ihm weitere Seeleute und einen Mann schickte, der die Soldaten befehligte, konnte das nur bedeuten, daß sie die Anker einholen und endlich einen Angriff auf die drei spanischen Karavellen fahren sollten, um Hasard und den anderen etwas Zeit und Raum zur Flucht zu verschaffen. Ben Brighton rief seine Befehle über Deck. Jim Maloney turnte aus dem Mars herunter und lief zur Back, um den anderen zu helfen, die Fock und das Fockmarssegel zu setzen und danach den Buganker einzuholen. Das Segeltuch füllte sich gerade mit Wind, als das Boot der ›Santa Cruz‹ an Lee der ›Isabella‹ anlegte. Die Soldaten halfen Hauptmann Courcy an Bord. Die Seeleute turnten geschickt wie Affen an den Berghölzern über das Schanzkleid und bauten sich vor Ben Brighton auf, der das Quarterdeck verlassen hatte und in die Kuhl heruntergesprungen war. »Befehl von Kapitän Drake, Ben«, sagte Malloy, ein vierschrötiger Mann, der es wegen seiner Rauflust noch nicht weiter als bis zum einfachen Geschützmann gebracht hatte. »Wir sollen ankerauf gehen und Störmanöver gegen die Dons fahren. Dem Kapitän ist es gleich, ob du sie zwingst, weiter in die Bucht zurückzusegeln, oder ob du sie der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ vor die Kanonen treibst …« Ben Brighton wartete nicht ab, bis Malloy zu Ende gesprochen hatte. Seine Befehle sprudelten ihm über die Lippen. In Sekundenschnelle hatte er die Männer von der ›Santa Cruz‹ eingeteilt. »Buganker auf!« rief er. Der Bug der ›Isabella‹ wurde sofort nach Lee gedrückt, die Heckankertrosse spannte sich, tausende von winzigen Wassertropfen wurden in die Höhe geschnellt und bildeten einen dichten Schleier.
Der Buganker war noch nicht über Wasser, als Bens Befehle die Männer in den Großmast jagten. Groß- und Großmarssegel wurden gesetzt, und wenig später auch das Lateinersegel am Besan. »Heckanker auf!« Vier Männer packten die Kurbeln des Bratspills und trieben einander mit Rufen an. Es gab einen kurzen Ruck, als sich der Anker vom Meeresboden löste. Es war, als atmete die Galeone befreit auf. Ein Rauschen erfüllte die Takelage, der frische Nordwind füllte die Segel. Elegant glitt die ›Isabella‹ an den beiden anderen Galeonen vorbei und fiel weiter nach Lee ab bis vor den Wind. Bens klare Stimme schallte über das Deck. Die Männer packten die Schoten und Brassen, und die Galeone fuhr eine Halse, wie sie der Seewolf auch nicht besser hingekriegt hätte. Mit halbem Wind mußte sich die ›Isabella‹ zurück in die Bai kämpfen. Der Ebbstrom glitt an dem Rumpf der Galeone vorbei und versuchte das Schiff hinaus aufs Meer zu drücken. Doch die Kraft des Windes, der sich in den großen Segeln fing, war stärker. Die ›Isabella‹ segelte an den beiden anderen Galeonen wieder vorbei. Auf dem Achterdeck der ›Marygold‹ stand Kapitän Francis Drake, winkte ihnen zu und wünschte ihnen Glück und Erfolg bei ihrem Unternehmen. Ferris Tucker und Al Conroy hatten inzwischen die Männer für die Geschütze eingeteilt. Außer Malloy nahmen sie nur noch einen breitschultrigen, stiernackigen Mann von der Besatzung der ›Santa Cruz‹. Der Mann, der wie ein riesiger Bär wirkte, hieß Riedel. Er war ein Friese. Drake hatte ihn von einem gekenterten Fischerboot in der Nordsee gerettet, und seitdem fuhr er unter Drakes Kommando. Er redete wenig. Er war stark wie ein Ochse und konnte allein eine Fünfpfünderkanone aus ihrer Lafette heben. Alle anderen wurden für die Segel gebraucht, da Ferris
Tucker und Al Conroy mit den Männern von der ›Isabella‹ an den Kanonen eingespielt waren. Jim Maloney hatte den Bootsmannsposten von Ben Brighton eingenommen, da Ben Kommandant der ›Isabella‹ war, bis der Seewolf wieder auf dem Deck stand. Pete Ballie konnte von seinem Platz am Kolderstock nicht viel sehen. Langsam stank ihm sein Posten als Rudergänger. Früher war er mal froh gewesen, einigermaßen geschützt unter dem Quarterdeck zu stehen, wenn die Kanonen donnerten und die eisernen Grüße des Feindes in die Takelage krachten. Doch seit er mit dem Seewolf auf der ›Isabella‹ fuhr, hatte er bemerkt, daß seine ankerklüsengroßen Fäuste viel besser geeignet waren, einen Don ins Reich der Träume zu schicken, als eine Ruderpinne oder den Kolderstock zu halten. Der Kutscher hatte das Kombüsenfeuer, auf dem er vorhin noch etwas für die Männer gekocht hatte, gelöscht. Jetzt stand er neben Smoky, Lewis Pattern und Carter und fieberte dem Kampf entgegen. James Courcy befand sich neben Ben Brighton auf dem Quarterdeck und wartete, bis Ben seine Befehle an die Mannschaft gegeben hatte. »Meine Männer könnten an den Kanonen mithelfen«, sagte er schließlich. »Einige von ihnen haben an Land schon an Geschützen gestanden.« Ben nickte. Er rief etwas zu Ferris Tucker hinunter, und als der sein Okay gab, ging Hauptmann Courcy wieder hinunter in die Kuhl und teilte seine Leute ein. Sie unterstanden nun den beiden Stückmeistern der ›Isabella‹, Ferris Tucker und Al Conroy. Ferris hatte ein bißchen skeptisch dreingeblickt, aber jetzt sah er, daß sich die Landratten gar nicht ungeschickt anstellten. Zum mindesten waren sie nachher beim Gefecht als Pulverund Kugelschlepper zu gebrauchen. Die ›Isabella‹ kämpfte sich an der schmalen Einfahrt der kleinen Bucht vorbei, in der sie sich bei der Ankunft der fünf
spanischen Karavellen versteckt hatte. Danach wurde die Fahrrinne breiter, so daß die Galeone weiter an das nördliche Ufer hochluven konnte - weit genug, um die überlegene Bewaffnung der Galeone gegen die Karavellen ausspielen zu können. Ben Brighton kniff die Augen zusammen. Er beobachtete grimmig, wie die drei Boote mit den Spaniern oberhalb der kleinen Bucht, in der Hasard sich verschanzt hatte, landeten. Ein Blick zurück zur ›Marygold‹ zeigte ihm, daß das Boot mit Carberry und Hauptmann Norris noch weit davon entfernt war, in der Nähe Hasards zu landen. Er unterdrückte seine Gedanken an die eingeschlossenen Kameraden. Jetzt mußte er sich auf die vor ihm liegende Aufgabe konzentrieren. Er gab den Befehl, so hart wie möglich an das nördliche Fahrwasser zu gehen, da dort der Ebbstrom nicht so hart setzte und dem Schiffsrumpf damit Widerstand bot. Yard um Yard kämpfte sich die ›Isabella‹ in die Dungarvanbai hinein. Die drei Karavellen lagen immer noch vor Anker, aber Ben konnte schon sehen, wie man auf den Decks unruhig wurde. Wartet nur, dachte er. In ein paar Minuten werdet ihr wünschen, nie in diese verdammte Bucht gesegelt zu sein! Jim Maloney hatte einen Mann als Lotgast zum Steuerbordbug gejagt. Mit lauter Stimme rief er Ben Brighton den Abstand zu, den sie zu den gefährlichen Klippen hatten. Sie schauten jetzt teilweise schon über die Wasseroberfläche. Schäumend gischtete das Wasser um ihre scharfen Kanten. Dann wichen die Klippen plötzlich zurück. Ben Brighton lief selbst nach Steuerbord hinüber, um sich zu überzeugen, daß es völlig gefahrlos war, noch härter an den Wind zu gehen und damit den Spaniern die Breitseite zu zeigen. Er rief Pete Ballie am Kolderstock einen Befehl zu. Jim Maloney reagierte gleichzeitig. Er jagte die Männer von der ›Santa Cruz‹ an die Schoten und Brassen. Die ›Isabella‹ legte
sich noch mehr nach Backbord, und Al Conroy und Ferris Tucker zogen die Richtkeile unter den Geschützen ein wenig zurück, damit die Kugeln nicht auf halbem Weg das Wasser pflügten, statt die feindlichen Karavellen zu treffen. Die Männer an den Geschützen waren voller Unruhe. Sie fieberten dem Gefecht entgegen. Der Kutscher lief von einer Kanone zur anderen und kontrollierte die Grummets, in denen die Kugeln bereitlagen. Ansetzer, Wischer, Handspake, Zündlochbohrer und Zündlochreiniger, alles war an seinem Platz. Die kleine Klappe im Deck stand offen. Der Kutscher beugte sich hinunter. Er konnte den Schatten des Mannes sehen. Der Soldat hockte neben einer großen Kiste, in denen die Kartuschen lagen. »Alles klar da unten, Mister?« fragte der Kutscher. Der Mann murmelte etwas vor sich hin, und der Kutscher begann zu grinsen. Es war noch gar nicht lange her, da hatte er sich auch fast in die Hose gemacht, als ein Gefecht bevorstand. Und jetzt fieberte er dem Kampf entgegen. Er war versucht, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Er war doch ein ganzer Kerl. Und wenn die Seefahrt auch mit allerlei Entbehrungen und vielen Gefahren verbunden war, er würde so lange an der Seite des Seewolfs fahren, bis dieser und alle anderen Männer der ›Isabella‹ abmusterten. Zum Teufel mit dem ruhigen Job bei Sir Freemont in Plymouth! Hier an Bord der ›Isabella‹, im Kampf mit den Urgewalten der Natur und mit Englands Feinden, hatte er sich zum erstenmal als richtiger Mann gefühlt. Und dieses Gefühl, das von der Anerkennung seiner Kameraden noch gestärkt wurde, wollte er nie mehr missen. Ben Brightons Stimme schallte vom Quarterdeck. »Backbordbreitseite klar zum Feuern?« »Klar zum Feuern!« gab Ferris Tucker zurück. »Dann schick mal die ersten Grüße von uns hinüber, Ferris«, sagte Ben Brighton. Ferris Tucker zögerte einen Moment.
»Sollen wir nicht noch ein bißchen warten, Ben?« fragte er. »Die Entfernung ist noch zu groß. Ich glaube nicht, daß wir sie erwischen.« »Das macht nichts«, erwiderte Ben. »Sie sollen sehen, was sie erwartet. Sie dürfen keine Zeit mehr finden, sich einen Plan zurechtzulegen und sich abzusprechen.« »Aye, aye«, sagte Ferris Tucker nur. Ein kurzes Nicken genügte, und auch Al Conroy und Malloy waren bereit, die Geschütze abzufeuern. Als der Wind plötzlich eine Spur nachließ und die ›Isabella‹ sich aufrichtete, schrie Ferris Tucker: »Feuer!« Die Lunten setzten das Pulver in den Zündlöchern in Brand. Blitzschnell fraß es sich nach unten, traf auf die Pulverladunge n der Kartuschen und brachte sie zur Explosion. Die sechs Backbordkanonen feuerten fast gleichzeitig. Rauchwolken stiegen vor dem Schanzkleid in die Höhe und wurden sofort vom Wind zerblasen und vom Schiff weggetrieben. Die Lafettenräder polterten über die Decksplanken. Die aufgeschossenen Taue jagten kreischend durch die Geschütztaljen, bis die starken Brooktaue das Tonnengewicht der Kanonen auffingen. Der Krach ließ die Männer zurücktaumeln, aber sie hatten keine Zeit, sich zu erholen. Die heisere Stimme von Al Conroy jagte sie zurück an die Kanonen. Die feuchten Wischer fuhren in die Kanonenöffnungen, um die glimmenden Pulverreste zu entfernen. Kartuschen wurden herbeigeschleppt und mit dem Ansetzer ins Rohr gepreßt. Nachdem die Kugeln in den Rohren verschwunden waren, griffen die Männer zu den Tauen, die durch die Geschütztaljen liefen, und zerrten die Lafetten zurück zur Bordwand, bis die Mündungen der Kanonen durch die Stückpforten zeigten. Das alles hatte kaum mehr als eine Minute gedauert. Ben Brighton mußte warten, bis der Pulverdampfschleier, der zwischen der ›Isabella‹ und den drei spanischen Karavellen
lag, endgültig vom Wind zerrissen wurde. Ferris Tucker hatte recht behalten. Die Kugeln schlugen dicht vor den Karavellen ins Wasser. Große Fontänen stiegen auf und fielen wieder in sich zusammen. Ben Brighton grinste zufrieden. Die Breitseite hatte genau den Erfolg, den er erhofft hatte. An Bord der Karavellen schien die Hölle los zu sein. Männer hasteten über die Decks, und Ben konnte das Schreien der Offiziere hören. Eine knappe halbe Stunde noch, dachte Ben Brighton, dann kriegt ihr Zunder!
Ben Brighton ahnte nicht, daß er von zwei dunkelglühenden Augen beobachtet wurde. Capitan Romero Valdez war für ihn schon längst Vergangenheit. Seit sie den Capitan mit seinen Männern auf den Berlenga-Inseln ausgesetzt hatten, hatte Ben keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet. Romero Valdez dagegen hatte an nichts anderes mehr gedacht als an die Engländer, die sein Leben zerstört hatten. Noch wußte er nicht, ob Capitan Antonio Zapata beim Gefecht mit den englischen Galeonen sein Leben gelassen hatte und er, Valdez, nun der Führer der letzten drei Karavellen war. Noch durfte er nicht entscheiden, denn wenn er die Karavellen jetzt in den Kampf gegen die ›Isabella‹ führte, und Capitan Zapata lebte und mißbilligte sein eigenmächtiges Verhalten, dann hatte er zum letztenmal auf dem Achterdeck eines Schiffes gestanden. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit den anderen beiden Capitanes abzusprechen, was sie unternehmen sollten. Er preßte die Lippen aufeinander. Er wußte schon im voraus, wie sie sich entscheiden würden.
Sie scheuten die Verantwortung. Sie würden sich abwartend verhalten und den angreifenden Engländern ausweichen, bis sie Befehle von Capitan Antonio Zapata erhielten. Er hörte ihre Stimmen. Die Hälfte der Worte wurden vom Wind zerrissen, aber Romero Valdez verstand auch so, was Sie vorhatten. Sie wollten sich in die Stiefelbucht zurückziehen, in der sie ihre Ladung gelöscht hatten. Dort konnten sie mit Unterstützung durch die Iren rechnen. Capitan Valdez befahl seinen Leuten ebenfalls, den Anker zu hieven, und folgte den anderen beiden Karavellen gegen den Ebbstrom weiter in die Bucht, um den Geschützen der ›Isabella‹ zu entgehen. Romero Valdez wußte, daß seine Stunde noch schlagen würde. Er war fest entschlossen, die Dungarvanbucht nur auf dem Achterdeck der ›Isabella‹ zu verlassen. Nur eins konnte ihn daran hindern: der Tod.
5. Sie saßen in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Philip Hasard Killigrew wußte das genauso gut wie seine Männer. Doch er hatte Gefühle wie Resignation oder Verzweiflung gar nicht erst aufkommen lassen. Er hatte die Männer losgeschickt, um am Waldrand Bäume zu fällen, sie heranzuschleppen und als eine Art Brustwehr zwischen den Felsbrocken überein anderzulegen. Vor lauter Arbeit hatten sie keine Zeit, über ihre aussichtslose Lage nachzudenken. Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Gesichter, als sie Sandwälle aufwarfen und Steinbrocken verschoben. Sie waren so vertieft in ihre Arbeit gewesen, daß sie von dem Geschützdonner, der von der Bai zu ihnen herüberwehte, überrascht worden waren. Und dann war ein vielstimmiger
Jubel aus ihren Kehlen gestiegen, als sie erkannten, daß die ›Isabella‹ in die Bai eingelaufen war und die drei spanischen Karavellen beschossen hatte, die nichts Eiligeres zu tun hatten, als die Anker aufzuholen und sich weiter in die Bucht zurückzuziehen. Einen Augenblick hatte Hasard überlegt, ob er seine Männer nicht ins Boot scheuchen und mit ihnen versuchen sollte, die ›Isabella‹ zu erreichen. Aber ihm war klargewesen, daß einige von ihnen es nicht überlebt hätten. Die gelandeten Spanier waren sicher bereits auf Musketenschußweite heran, und auf dem Wasser hätten sie eine nicht zu verfehlende Zielscheibe für den Gegner gebildet. Hasard befahl, die Arbeiten an den Wällen und Brustwehren einzustellen. Er brauchte die Männer nicht mehr zu beschäftigen, um ihre Gedanken in Fesseln zu legen. Die Breitseite der ›Isabella‹ hatte ihre Moral wieder aufgerichtet. Sie waren nicht mehr von allen Seiten umzingelt. Die Kameraden auf der Galeone deckten ihren Rücken. »Gary, nimm dir eine Muskete und zwei Pistolen und sieh zu, ob du was von den Schiffbrüchigen entdecken kannst«, sagte Hasard. »Dan, du versuchst herauszufinden, wie weit die gelandeten Spanier mit ihren Vorbereitungen sind. Aber sei vorsichtig. Sie werden ihre besten Musketenschützen geschickt haben.« »Sie werden das dünne Hemd für eine Wegmarkierung halten, wenn er sich nicht bewegt«, sagte Blacky. Die Augen des Bürschchens blitzten angriffslustig. »Wenn du Fettsack kein Feigling gewesen wärst und dich bereit erklärt hättest, dich vor uns zu stellen, dann hätten wir uns die Arbeit mit den verdammten Baumstämmen sparen können«, sagte er. »Hau ab, Dan!« sagte Hasard, bevor Blacky den Fettsack verdaut hatte. Er wandte sich an Tom Smith. »Schleich dich zum Wald hinüber, Tom. Ich möchte gern wissen, wo die Iren
bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie schon aufgegeben haben.« »Aye, aye, Sir«, sagte Tom Smith und verschwand hinter der hölzernen Brustwehr. Hasards eisblaue Augen glitten über die kleine Kuhle, die sie zu einer schwer einnehmbaren Festung ausgebaut hatten. Es würde nicht leicht werden für die Spanier und Iren, sie hier auszuheben - jedenfalls nicht, ohne eine Menge Verluste hinzunehmen. Sein Blick streifte Isaac Henry Button und seinen Profos. Hasard hatte schon die ganze Zeit überlegt, ob er es wagen konnte, den Männern die Fesseln abzunehmen. Er brauchte jeden Mann, wenn ihre Stellung von drei Seiten auf einmal angegriffen wurde. Aber was nutzten zwei Männer, auf die man sich nicht verlassen konnte? Die man im Auge behalten mußte, damit sie einem nicht eine Kugel in den Rücken jagten? Hasard glaubte, einen Ausweg gefunden zu haben. Er würde die beiden Männer voneinander trennen. Wenn sie allein auf sich gestellt waren, würden sie es nicht wagen, gegen einen von ihnen vorzugehen. Seine Männer blickten ihn überrascht an, als er zu den Gefesselten ging, sich bückte und die straff gebundenen Stricke mit dem Messer durchtrennte. Dann trat Hasard einen Schritt zurück. »Aufstehen!« befahl er kalt. Isaac Henry Burton und sein bulliger Profos brauchten eine Weile, um zu begreifen, daß sie frei waren. Sie richteten sich auf und rieben ihre Handgelenke, an denen die Stricke tiefe Eindrücke hinterlassen hatten. »Matt, gib ihnen eine Muskete und eine Pistole«, sagte Hasard mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Er überhörte das empörte Murmeln seiner Männer. Er wartete, bis Matt Davies seinen Befehl ausgeführt hatte, und sagte dann zu Burton: »Sie und Ihr Profos werden mit uns
kämpfen, Captain. Diesmal gibt es kein Davonlaufen, verstanden? Wenn einer von euch beiden auch nur die geringste Bewegung macht, die uns nicht gefällt, dann seid ihr schneller tot, als ihr denken könnt. Dies ist eure letzte Chance. Wenn ihr mit uns kämpft, werden Kapitän Drake und Hauptmann Norris euch vielleicht nicht an der Rahnock aufknüpfen lassen.« Isaac Henry Burtons fleischige Wangen zitterten. Er preßte die Lippen aufeinander und sagte kein Wort. Hasard sah, wie er einen kurzen Blick zu seinem Profos hinüberwarf, um sich mit ihm zu verständigen. Sie schienen zu wissen, daß sie nur zusammen eine Chance hatten. Hasard handelte schnell. Er trat zwischen die beiden. »Captain Burton, Sie werden mit Stenmark dort hinüber gehen, um die schiffbrüchigen Spanier abzuwehren, wenn sie uns angreifen«, sagte er. Dann wandte er sich zu Blacky um. »Und du nimmst den Profos unter deine Fittiche, Blacky. Geh mit ihm hinüber zur anderen Seite. Und zeige ihm, wie ein Mann kämpft.« Blacky grinste breit. »Aye, aye!« sagte er begeistert und hieb seinem neuen Kampfgefährten die rechte Hand auf die Schulter, daß der Profos nach vorn stolperte und erst an den übereinander geschichteten Baumstämmen an der Westseite der kleinen Festung Halt fand. Das Gesicht des Profos war wutverzerrt. Seine Hand krampfte sich um den Griff der Pistole, als er sich langsam zu Blacky umdrehte. Als er aber sah, daß der grinsende Blacky die Mündung seiner Muskete genau auf seinen Kopf gerichtet hatte, wandte er sich wieder ruckartig ab und starrte über die Brustwehr in das Gewirr von Felsbrocken, zwischen denen
Dan O’Flynn verschwunden war. Das Warten begann. Es zerrte an ihren Nerven.
Hasard hatte sich zum Boot hinuntergeschlichen und sah, daß die ›Isabella‹ dicht unter der nördlichen Küste der Bucht weitersegelte. Er nickte. Ben Brighton tat genau das Richtige. Er durfte die Luvposition nicht aufgeben, denn dann waren die kleineren, aber ungemein wendigen Karavellen mit den Lateinersegeln im Vorteil und konnten ihre Unterlegenheit in der Bewaffnung ausgleichen. Hasard kniff die Augen zusammen, als er nach Osten blickte. Das Boot, das von der ›Marygold‹ zu Wasser gelassen worden war, hatte die beiden zusammengeschossenen Karavellen passiert. Aber es war immer noch weit von Hasards Stellung entfernt. Die Männer pullten wie besessen, aber gegen das ablaufende Wasser schien ihre Kraftanstrengung vergebens zu sein. Hasard schüttelte den Kopf. Die Männer würden wahrscheinlich erst zur Stelle sein, wenn der Kampf so oder so entschieden war. Geduckt lief Hasard zur Kuhle zurück, in der sich die anderen aufhielten und auf die Rückkehr der ausgesandten Späher warteten. Blacky und Stenmark ließen ihre beiden »Schützlinge« nicht aus den Augen. Burton schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Er starrte mit leeren Augen zu den Felsen hinüber, die den Blick auf die Sandband und die ineinanderverkeilten und gestrandeten Karavellen versperrten. Der Profos blieb unruhig. Blacky mußte höllisch aufpassen
und überlegte schon, Hasard zu fragen, ob es nicht besser sei, den Kerl wieder zu fesseln oder ihn gleich zu erschießen. Blacky war überzeugt, daß der Profos die erste Gelegenheit nutzen würde, einem von ihnen eine Kugel zu verpassen und stiften zu gehen. In diesem Augenblick tauchte Gary Andrews auf. Er bewegte sich ruhig. Wahrscheinlich drohte ihnen also von den Schiffbrüchigen keine Gefahr. Gary Andrews berichtete, was er gesehen hatte. »Sie sind nach Süden ausgewichen«, sagte er. »Sie haben wohl fürs erste die Nase voll vom Kämpfen. Ich nehme an, sie wollen unsere Stellung umgehen, um erst wieder hinten an die Küste zu stoßen, wo ihre Kameraden mit den Booten gelandet sind.« Hasard nickte und atmete auf. Damit hatten sie ein wenig Luft. Er konnte sich gut vorstellen, wie demoralisiert die Spanier waren, nachdem ihre Schiffe von den Kugeln der englischen Galeonen zerfetzt worden waren, ohne dem Feind auch nur den geringsten Schaden zuzufügen. Wenig später tauchte Tom Smith auf. Sein Gesicht war gerötet. Er hatte schlechtere Nachrichten als Gary Andrews. Er hatte die Iren entdeckt. Sämtliche Männer von Dungarvan mußten sich zusammengerottet haben, berichtete er. Ein Pulk von über fünfzig Männern, die mit allem, was man sich nur denken konnte, bewaffnet waren, hatten einen Weg nach Osten eingeschlagen, der sie direkt auf die Karawane der schiffbrüchigen Spanier führen mußte. Hasard fluchte unterdrückt. Wenn die Spanier die Iren trafen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als doch noch in den Kampf einzugreifen. Sie würden die Strecke zurückmarschieren, um von Osten anzugreifen, wo ihnen das felsige Gelände mehr Deckung bot als im Süden zum Wald hin. Hasard wirbelte herum, als er einen Schatten über der Brüstung im Westen fliegen sah. Er riß die Pistole, die er in der
Rechten hielt, hoch, aber er schoß nicht. Im letzten Augenblick hatte er Dan O’Flynn erkannt. »Sie kommen!« schrie das Bürschchen. Seine Worte wurden von dem Krachen einer Musketensalve übertönt. Die Männer in der Kuhl duckten sich unwillkürlich. Sie hörten, wie Blei gegen die Felsen klatschte. Einige Kugeln sirrten als Querschläger jaulend in den wolkenlosen Himmel, von dem die Dezembersonne ihre schwachen Strahlen sendete. »Verdammter Kerl!« brüllte Blacky, dem eine Kugel fast einen Scheitel gezogen hätte. »Mußtest du wieder bis zum letzten Moment warten?« »Hast du dich nach mir gesehnt, Dicker?« fragte das Bürschchen grinsend. Blackys Gesicht lief vor Wut rot an. Er wollte etwas erwidern, doch da sah er aus den Augenwinkeln, wie der Profos die Muskete herumschwenkte. Blacky stieß ihm einfach den Lauf seiner Muskete in den Leib. Der Profos knickte zusammen. Er war plötzlich grün im Gesicht. Die Augen quollen hervor. Blacky trat dem Mann in den Hintern. »Das nächstemal drücke ich ab, du hinterhältiger Schweinskopf«, sagte er grimmig. »Du sollst auf die verdammten Dons schießen, und nicht auf uns.« Der Profos fiel mit dem Gesicht auf den Felsen und schrammte sich die Nase auf. Er würgte noch immer. Keuchend blieb er liegen und wagte nicht, sich zu rühren. Hasard, Batuti und Dan O’Flynn hatten unterdessen ihre Musketen abgefeuert. Dan O’Flynn fluchte, als er sah, wie seine Kugel gegen einen Felsen prallte und wirkungslos in den Himmel stieg. Auch Hasard hatte nicht getroffen. Die Angreifer waren nicht ungestüm und blind wie die Iren, die glaubten, daß sie gegen Kugeln gefeit seien. Die Spanier schwärmten aus und huschten von Felsen zu Felsen. Aus sicherer Deckung heraus feuerten
sie ihre Schußwaffen ab, ohne sich mit dem Zielen jedoch besonders anzustrengen. Dennoch konnten Hasard und seine Männer es nicht wagen, ihre Köpfe aus der Deckung zu erheben. Eine Weile schossen die Spanier überhaupt nicht. Hasard blickte zu Stenmark und den anderen hinüber, aber von den Iren war noch nichts zu sehen. Der Profos schien seinen Widerstand aufgegeben zu haben. Er starrte gegen den Felsen, an dem er lehnte, und hatte die Lippen zusammengepreßt. »Da!« Dan O’Flynns ausgestreckter Arm wies auf ein paar huschende Gestalten, die hinter dichtem, entlaubten Gebüsch verschwanden. Wahrscheinlich sammelten sie sich dort. Wollten sie Stoßkeile bilden und die Festung der Eingeschlossenen von mehreren Seiten gleichzeitig stürmen? Wenn sie warteten, bis die Iren im Osten auftauchten, dann wurde es für Hasard und seine Männer brenzlig. Hasard wußte, daß er etwas unternehmen mußte. Er konnte nicht abwarten, bis die Spanier die günstigste Ausgangsposition eingenommen hatten. Er hörte das Raschem der trockenen Büsche, hinter denen sich die Spanier verbargen. Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Er holte Feuerstein und Stahlstift aus der Tasche und entzündete mit ein paar Funken die trockene Lunte. Bei ihren Vorräten lagen noch ein paar Fackeln, die sie benutzt hatten, als sie in das unterirdische Waffenlager bei den Drum Hills eingedrungen waren. Wenig später schlugen Flammen aus einer der Fackeln. Die Männer hatten Hasard überrascht zugeschaut, und das Bürschchen war der erste, der begriff, was Hasard plante. Er schüttelte den Kopf. »Das schaffst du nicht, Sir«, sagte er. »Das sind mindestens achtzig Yards.« Hasard hob die Schultern.
»Um was wetten wir?« fragte er. Das Bürschchen leckte sich die Lippen. »Um eine Flasche von dem Roten, den du in deinem Geheimfach auf der ›Isabella‹ hast«, antwortete er gierig. »Und wenn ich es schaffe, machst du eine Woche lang in der Kombüse klar Schiff«, sagte Hasard. Das Bürschchen zuckte zusammen. Er merkte plötzlich, daß er sich wieder mal auf etwas eingelassen hatte, bei dem er den kürzeren zog. Er sah das Grinsen der anderen und konnte nicht mehr zurück. »In Ordnung«, sagte er heiser, und seine Stimme klang nicht mehr zuversichtlich. Hasard gab Blacky und Batuti kurze Anweisungen, dann ging er geduckt ein paar Schritte zurück, nahm einen kurzen Anlauf und schleuderte die Fackel aus der Hocke heraus in einer halbhohen Flugbahn hinüber zum Gebüsch. Es schien ihm, als sei der Arm ausgekugelt. Er hatte seine ganze Kraft in diesen Wurf gelegt, denn wenn er nicht gelang, wurden ihre Chancen, den ersten Angriff abzuschlagen, noch geringer, als sie schon waren. Die Fackel zog einen Schweif von Feuer und schwarzem Qualm hinter sich her. Torkelnd flog sie hinüber zu den Spaniern und landete genau in dem trockenen Gebüsch, hinter dem die Musketiere von den spanischen Karavellen lagen. Die Männer hinter Hasard brüllten begeistert, aber Hasard brachte sie mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. Er blickte sich zu Batuti und Dan um. Das Bürschchen hatte das Kinn vorgeschoben und die Brauen zusammengezogen. Er dachte wohl schon an das schadenfrohe Gesicht des Kutschers, wenn der erfuhr, daß er jemanden hatte, der ihm eine Woche lang die Drecksarbeit abnahm. »Haltet eure Musketen bereit«, sagte Hasard. »Wenn das Gebüsch zu brennen beginnt, werden sie sich verdrücken wollen. Ihr habt nur Sekunden zum Zielen, und wenn ihr nicht
trefft, werden sie denken, daß sie uns nicht zu fürchten brauchen.« Hasard selbst hatte seine schwere Muskete auf einen Felsen gelegt und wartete. Er sah, wie das Feuer der Fackel an dem zundertrockenen Gebüsch hochleckte. Qualm stieg auf. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann nahm er den Spaniern den Atem, und ihnen blieb nichts weiter übrig, als anzugreifen oder sich zurückzuziehen. Beides sollten sie nicht ohne Verluste tun. Die Mündung von Hasards Muskete zielte auf das kurze freie Stück zwischen den Büschen und den schützenden Felsen, die die Spanier erreichen mußten, um sicher vor den Kugeln der Engländer zu sein. Hasard war sich bewußt, daß sie viel Glück für ihre Schüsse brauchten. Die Iren hatten sie zurückschlagen können, weil die sich bis nahe an die Deckung herangewagt hatten. Die Spanier waren vorsichtiger. Sie wußten, wie schwer es war, auf eine Entfernung von sechzig Yards einen laufenden Mann zu treffen. Er mußte an Shane, den alten Schmied von Arwenack, denken. Oft hatte er mit ihm über Waffen und besonders über Schußwaffen gesprochen. Shane hatte ihm erklärt, daß die Bleikugeln im Verhältnis zum Rohrdurchmesser zu klein waren und auch sein mußten, da sonst die Gefahr eines Rohrkrepierers zu groß war und es außerdem zu schwierig war, die Kugel schnell genug in den Lauf zu stopfen. Beim Abschuß schlotterte diese Kugel dann im Lauf, prallte gegen die Laufwände, geriet in Taumelbewegungen und konnte daher bei jedem Schuß eine andere Flugbahn nehmen. Dazu kam, daß an der kleineren Kugel Pulvergase im Lauf vorbeistrichen, die damit für die auf die Kugel wirkende Triebkraft ausfielen. So ergaben sich große Unterschiede bei den Anfangsgeschwindigkeiten, mit denen die Kugeln den Lauf verließen. Das alles war eben nicht zu berechnen.
Hasards Augen begannen langsam zu tränen. Immer wieder blies Hasard gegen das Ende der Lunte, die zwischen den Klemmbacken des Hahns festgesetzt war, damit die Glut hell und heiß blieb. Wenn die Spanier nicht gleich ihre Stellung verließen, mußte er die Lunte nachschieben. Er klopfte noch einmal leicht gegen die Unterseite der Muskete, damit ein wenig vom Zündkraut in den Zündkanal rieselte und die Pulverladung schneller und sicherer zur Explosion brachte. Dann war es soweit. Die Spanier hatten den Zeitpunkt abgewartet, als ein Windstoß die dunklen Rauchschwaden zu den Felsen hinüberwehten und den Engländern die Sicht nahmen. Hasard sah nur verschwommene Umrisse von Gestalten. Er drückte ab. Das glühende Luntenende stieß auf die Zündpfanne nieder. Das Zündkraut flammte auf, und nur Sekundenbruchteile später brachte es die Pulverladung zur Explosion. Die heißen Gase trieben die Bleikugeln aus dem Lauf. Fast gleichzeitig mit Hasard hatten auch Batuti und Dan O’Flynn geschossen. Ein weiterer Windstoß zerriß den Qualm, und die Sicht auf die Spanier war wieder klar. Drei Soldaten waren zusammengebrochen. Zwei von ihnen lagen ausgestreckt auf dem Boden. Der dritte versuchte auf allen vieren die schützende Deckung der Felsen zu erreichen. Er schaffte es nicht. Zwei Yards vor den Felsen richtete er sich plötzlich auf. Ein Kamerad versuchte noch, ihn in die Deckung zu ziehen, aber er kippte zur anderen Seite und schlug mit dem Gesicht in den Sand. Hasard atmete auf. Sie hatten den Dons gezeigt, wie gefährlich es für sie sein würde, die Engländer in ihrer Festung anzugreifen. Außerdem hoffte Hasard, daß die Spanier schnell die Lust verloren, denn sie waren schließlich nur nach Irland gesegelt, um Waffen und Munition zu den Rebellen zu bringen
- nicht, um zu kämpfen. Hasard zuckte zusammen, als er das Gebrüll vernahm. Diese irischen Dickschädel! Sie waren durch nichts und niemanden zu bremsen. Wenn sie sich einmal entschlossen hatten, für irgend etwas zu kämpfen, dann taten sie es bis zum Ende, und es war ihnen egal, ob dabei die ganze Insel in die Luft flog. Matt Davies und Gary Andrews, Tom Smith und der Schwede Stenmark feuerten ihre Musketen ab. Die Kugeln schlugen Lücken in die Angriffsfront der Iren, aber sie erschütterten sie nicht. Die Männer der ›Isabella‹ warfen die Musketen weg und hoben die geladenen, die neben ihnen am Felsen lehnten, auf. Mit blitzschnellen Griffen war die glühende Lunte an den Hahn geklemmt und stieß in das Zündkraut auf der Pfanne, nachdem die Männer Ziel genommen hatten. Wieder brachen vier Iren zusammen. Unbeirrt rannten die anderen schreiend weiter. Die Spanier von den zerstörten Karavellen hielten sich im Hintergrund. Die paar, die Musketen bei sich hatten, waren stehengeblieben und hatten ihre Stützgabeln in den Boden gerammt. Ihre Kugeln flogen gefährlich dicht über die Engländer hinweg. Hasard schickte Batuti und Dan zur anderen Seite, um den Angriff der Iren zurückzuschlagen. Er glaubte nicht, daß die Spanier auf dieser Seite so schnell ihren Schock überwanden. Er selbst hatte die erste Muskete bereits wieder geladen. Sorgfältig zielte er auf einen der Spanier, die hinter den angreifenden Iren standen und auf die Engländer schossen. Die Entfernung war mehr als einhundertfünfzig Yards, und wenn er auch nicht traf, so hoffte sich Hasard von dem Schuß zumindest eine moralische Wirkung. Hasard war selbst überrascht, als der Schütze, den er ins Visier genommen hatte, wie von einer unsichtbaren Faust zurückgeschleudert wurde. Die anderen Spanier ließen ihre Musketen fallen und rannten zurück, um sich hinter ein paar
Felsbrocken zu verbergen. Vor der Deckung im Osten der kleinen Festung sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Mehr als ein Dutzend Männer lagen dort in ihrem Blut. Die meisten von ihnen waren tot. Einer wälzte sich schreiend hin und her. Beide Hände hatte er auf den Leib gepreßt. Ein anderer hockte bewegungslos im Sand und starrte auf seinen linken Arm, an dem ihm die Hand fehlte. Eine Kugel, die sich an einem Felsen plattgeschlagen hatte, hatte sie ihm abgerissen. Das Abwehrfeuer der Engländer war so mörderisch, daß der Angriff der Iren ins Stocken geriet. Sie erkannten, daß sie keinem der Engländer auch nur eine Verwundung beigebracht hatten, selbst aber um mehr als die Hälfte reduziert worden waren. Die ersten von ihnen kehrten um. Und als zwei weitere von Pistolenkugeln zu Boden gestreckt wurden, brach die Angriffsfront auseinander. Die Iren flüchteten nach allen Seiten. Nur einer von ihnen schien nicht zu bemerken, daß seine Kampfgefährten aufgegeben hatten. Es war ein Riese. Seine wild vom Kopf abstehenden Haare waren feuerrot. Sein verzerrtes Gesicht war von einer Kugel aufgerissen worden. Blut lief aus der breiten Wunde, die von der Nase über die rechte Wange bis zur Schläfe hochlief. Der Mann brüllte wie ein Berserker und schwang eine Axt über dem Kopf. Die Männer hinter der Deckung blickten sich gegenseitig an. Niemand hielt noch eine geladene Waffe in der Hand. Stenmark ruckte zu dem Angreifer herum und hob die Hand mit dem Messer, aber in diesem Augenblick schwang sich Batuti mit einem gewaltigen Satz über die Deckung. Er stieß einen Kampfruf aus, der jedem das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen - nur nicht dem Iren, der nichts mehr von seiner Umwelt wahrzunehmen schien. Er sah nur noch die Engländer, die sich hinter den Felsen verkrochen und seine Freunde abgeschlachtet hatten.
Als er den schwarzen Schatten sah, der über die Deckung sprang und sich ihm entgegenwarf, blieb er abrupt stehen. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er den schwarzen Mann an. Einen Moment schien er zu überlegen, was er mit diesem Mann anfangen sollte. Ein Engländer war das mit Sicherheit nicht. Aber er kämpfte für sie, und das gab den Ausschlag. Der Ire brüllte auf und ließ die Axt durch die Luft sausen. Batuti riß im letzten Moment den achtzehn Fuß langen Spieß nach vorn, fing den Axthieb ab und stieß dem Iren die stumpfe Seite der Pike in den Leib. Der rothaarige Riese brüllte wie ein Ochse. Er krümmte sich zusammen, aber er ließ seine Axt nicht los. Ehe er sich wieder aufrichten konnte, war Batuti bei ihm und hieb ihm die Pike um die Ohren. Holz splitterte. Der Langspieß hatte die Belastung nicht ausgehalten. Der Ire schüttelte nur einen kurzen Moment den Kopf, dann drehte er sich zu Batuti um. Ein Grollen stieg aus seiner mächtigen Brust, als er den Arm mit der Axt hob und auf Batuti zustampfte. Blitzschnell pfiff die messerscharfe Schneide der Axt durch die Luft und hätte Batutis Schädel gespalten, wenn er nicht im letzten Augenblick zur Seite gesprungen wäre. Noch im Ausweichen stieß er die abgebrochene Pike vor. Das zersplitterte Holz bohrte sich in den Hals des Riesen. Brüllend ging der Ire zu Boden. Er hatte die Axt fallen lassen und griff sich mit beiden Händen an den Hals, um die Pike herauszuziehen. Mit übermenschlicher Anstrengung schaffte er es, Blut schoß aus der Wunde und lief ihm über die schweißglänzende Brust. Sein mächtiger Körper zitterte, als er sich taumelnd erhob. Seine Lippen bewegten sich, aber er brachte kein Wort hervor. Seine Arme streckten sich nach vorn, um Batuti zu packen, aber sie erreichten ihn nicht. In den Augen des Iren stand das Wissen, daß er geschlagen war. Ohnmächtige Wut verzerrte sein Gesicht. Mit ungeheurer
Willenskraft zwang er seinen Körper, einen Schritt vorwärts zu tun, doch die Beine gehorchten ihm plötzlich nicht mehr. Sie knickten ihm unter dem Leib weg. Der Boden erzitterte, als der Ire in den Staub schlug. Batuti wich langsam zurück. Bewunderung stand in seinen Augen. Dieser Ire war ein Kämpfer gewesen, und nur mit seiner Wendigkeit hatte Batuti es geschafft, ihn zu schlagen. Etwas zischte haarscharf an seiner linken Seite vorbei. Matt Davies brüllte ihm eine Warnung zu. Schüsse peitschten auf und schlugen gegen die Deckung der Engländer. Hinter einem Felsband stürmten acht Iren hervor. Wahrscheinlich wollten sie diesen schwarzhäutigen Teufel töten, der ihren stärksten Mann zur Strecke gebracht hatte. Batuti warf sich herum. Acht Iren waren auch für ihn zuvie l. Kopfüber hechtete er sich an Stenmark vorbei in die Kuhle, die ihm Deckung bot. Mit einer katzenhaften Bewegung war er wieder auf den Beinen. Er warf einen kurzen Blick zu Hasard und Blacky hinüber, aber an der Seite schien sich immer noch nichts zu tun. Batuti warf sich herum. Stenmark schleuderte gerade sein Messer. Es blieb in der Brust eines Iren stecken, der mit weit aufgerissenen Augen noch ein paar Schritte nach vorn torkelte und mit blutüberströmten Oberkörper auf der Deckung der Engländer liegenblieb. Eine Kugel, die die Spanier aus weiter Entfernung abgegeben hatten, traf ihn in den Hinterkopf. Isaac Henry Burton, der dicht daneben hinter der Felsdeckung hockte, beugte sich zur Seite und erbrach sich. Ein Tritt von Stenmark in den Hintern warf ihn gegen den Felsen. Stenmark beugte sich zu ihm hinunter, zerrte ihn am Kragen hoch und knurrte ihn an: »Kämpfen, Mister, nicht kotzen!« Der Schwede wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick schwang sich einer der Iren brüllend über die Deckung. Da Stenmark den Captain gerade gepackt hielt,
benutzte er ihn als Wurfgeschoß. Burton kreischte. Er flog durch die Luft und prallte gegen den Iren, der gerade sein Beil auf Gary Andrews Hinterkopf sausen lassen wollte. Die beiden Männer gingen zu Boden. Die hervorquellenden Augen Burtons konnten sich nicht vo n der blitzenden Schneide des Beiles abwenden, das der Ire immer noch in der Hand hielt. Burton quiekte wie ein angestochenes Schwein. Wahrscheinlich sah er sich schon mit gespaltenem Schädel in seinem eigenen Blut liegen. Doch der Ire schaffte es nicht mehr, mit seiner mörderischen Waffe einen von den Verteidigern zu töten. Die kurze Pike von Dan O’Flynn schoß vor und bohrte sich in seine Brust. Mit einem leisen Seufzer sackte der Ire zusammen. Als Burton ihn von sich herunterwälzte, waren seine Augen bereits gebrochen. Burton kroch davon. Zitternd blieb er neben einem Felsen hocken und schaute nur zu, wie die anderen die letzten Iren in die Flucht schlugen.
Hasard war in das Triumphgeschrei seiner Männer nicht eingestimmt. Er glaubte nicht daran, daß der Sieg, den sie errungen hatten, endgültig war. Die Iren und die Spanier hatten sich zurückgezogen, doch sie würden noch einmal kämpfen, dessen war er sich sicher. Hasard hatte das Grollen der Kanonen in der Dungarvanbai gehört. Von den drei spanischen Karavellen war nichts mehr zu sehen. Sie hatten sich in die Stiefelbucht bei Dungarvan zurückgezogen, wo sie auch ihre Ladungen gelöscht hatten. Die ›Isabella‹ segelte auf die Mündung des Colligan zu. Wahrscheinlich wollte Ben Brighton den Karavellen den Weg
zurück in die Bai versperren. Hasard nickte unwillkürlich. Natürlich war das richtig, aber andererseits fühlten sich die Spanier in die Enge getrieben und würden verbissen kämpfen, um sich aus dieser Falle zu befreien. Und als erstes würden Hasard und seine Männer es zu spüren kriegen, wenn die Spanier um sich schlugen wie gejagte Raubtiere, die um ihr Leben kämpften. Hasard besah sich seine Männer. Niemand von ihnen hatte bisher eine schwere Verletzung hinnehmen müssen. Matt Davies eigroße Beule auf der Stirn leuchtete jetzt in allen Farben. Stenmark hatte einen Streifschuß am rechten Oberarm, der ihn aber nicht behinderte. Tom Smith hatte ihm ein Tuch um die Wunde gebunden. Am schlimmsten sah Batuti aus, aber das Blut, das seine Arme und seinen Oberkörper besudelte, stammte nicht von ihm selbst, sondern von dem riesigen Iren, der ihn mit der Axt hatte ins Jenseits befördern wollen. Isaac Henry Burton war grün im Gesicht. Hasard nahm an, daß er sich nicht nur übergeben, sondern auch noch in die Hose gemacht hatte. Er schüttelte den Kopf. Der Captain war zwar ein bornierter Affe, aber daß er bei einem Kampf derart die Fassung verlieren würde, hätte er niemals geglaubt. Vielleicht setzte ihm auch noch die Tatsache zu, daß seine sämtlichen Soldaten von den Iren massakriert worden waren, weil er sie in die Falle geführt hatte. So oder so, Burton war erledigt. Wenn er Glück hatte, wurde er mit Schimpf und Schande davongejagt. Hasard glaubte jedoch, daß Norris und Kapitän Drake in ihrer Eigenschaft als oberste Dienstherren ihn wahrscheinlich an der nächsten Rah aufhängen ließen. Wenn Hasard an die fünfzig Soldaten dachte, die Burton praktisch zur Schlachtbank geführt hatte, so war die Strafe angemessen. Aber es war nicht seine Sache, zu entscheiden, was mit Burton geschah. Er drehte den Kopf, als Blacky und Dan O’Flynn zu flüstern
begannen. »Du spinnst«, sagte Blacky. »Ich sehe nichts.« »Das glaube ich dir«, erwiderte das Bürschchen bissig. »Du kannst ja noch nicht mal auf eine Entfernung von zwei Yards eine Ratte vo n einem Kaninchen unterscheiden.« »Werd nicht immer gleich frech, du Rotzbengel«, sagte Blacky brummig. »Ich weiß, daß du gute Augen hast. Sag mir wenigstens, welchen Stein du meinst.« Dan wies mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf ein paar Büsche, die etwa fünfzig Yards entfernt waren. Vor ihnen lag ein größerer Felsbrocken. »Siehst du?« fragte das Bürschchen hastig. »Jetzt hat er sich wieder bewegt!« Hasard blieb hinter Dan O’Flynn stehen und kniff die Augen zusammen. Es dauerte eine Weile, dann erkannte auch er. daß dieser Stein nicht auf seinem Platz liegen blieb. Stück für Stück wurde er näher an die provisorische Festung der Engländer herangeschoben. »Du meinst, das sei gar kein Stein, sondern ein Spanier?« fragte Blacky verwundert. »Oouh!« machte Dan und faßte sich an die Stirn. »Du hast wohl auch vergessen, ›hier‹ zu schreien, als der liebe Gott den Verstand verteilt hat, wie? Der Stein ist ein Stein, aber dahinter kriecht ein Spanier auf uns zu, und der will uns bestimmt nicht Wein servieren!« »Das hättest du ja auch gleich sagen können«, meinte er brummend. Hasard mischte sich in der Gespräch der beiden ein. »Wir müssen ihn von dort verjagen, bevor er noch näher herankriecht«, sagte er. »Vielleicht hat sie mein Fackelwurf auf eine Idee gebracht. Es sollte mich nicht wundern, wenn der Kerl hinter dem Stein eine Bombe bei sich hat, mit der er uns in die Luft jagen will.« »Schießen nutzt nichts«, sagte Dan. »Der Stein ist zu groß.
Ich hab von dem Kerl bisher nicht mal den großen Zeh gesehen.« Sie drehten sich um, als sie das Knistern von Flammen hörten. Batuti grinste sie an. Er hielt eine brennende Fackel in der Hand. »Du mit mir wetten, Dan?« fragte er feixend. »Ich treffen Mann hinter großes Stein, und du übernehmen zwei Hundewachen für Batuti.« Das Bürschchen wurde wütend. »Wirf schon, verdammt noch mal! Wenn die Wetterei weitergeht, kann ich die ›Isabella‹ ganz allein nach Plymouth zurücksegeln.« Batuti schleuderte die Fackel hoch in die Luft. Es sah so aus, als würde sie den Stein überfliegen, doch sie blieb plötzlich in der Luft stehen und fiel wie ein Stein hinunter. Sie hörten einen erschrockenen Ausruf. Über dem Felsen zeigte sich die Rundung eines Hinterteils. Diesmal hatte Blacky genug gesehen. Seine Muskete spuckte Feuer und Blei. Der Spanier schrie wie am Spieß. Die Kugel hatte eine Schmarre über seinen Hintern gerissen. Wie ein Wiesel schoß er hinter dem Stein hervor, und bevor ihn jemand vor der Mündung hatte, war er hinter einer anderen Deckung verschwunden. Blacky nickte zufrieden. »Der wird ein paar Tage nicht mehr richtig sitzen …« Eine Detonation riß ihm die letzten Worte von den Lippen. Der Stein, hinter dem sich der Spanier verborgen hatte, wurde ein Stück in die Luft geschleudert. Dreck und Staub wirbelten auf. Ein großer Trichter blieb dort zurück, wo eben noch der Stein gelegen hatte. Hasard lief ein Schauer über den Rücken, als er daran dachte, was diese Sprengladung hier in ihrer Festung hätte anrichten können. Batutis Fackel mußte sie entzündet haben. Die Explosion schien ein Signal für die Spanier gewesen zu
sein. Vielleicht hatten sie keinen Einblick in das Gelände vor der Festung der Engländer und hatten geglaubt, der Bombenanschlag sei gelungen - vielleicht aber nahmen sie auch nur an, die Explosion hätte Verwirrung unter den Eingeschlossenen gestiftet. Jedenfalls griffen sie an. Sie waren auch jetzt vorsichtig. Das blinde Anrennen der Iren hatte ihnen gezeigt, wie vernichtend die Engländer zurückschlagen konnten. Wie Schatten huschten die Spanier von Deckung zu Deckung. Die Kugeln der Engländer fauchten an ihnen vorbei. Dann passierte das, womit Hasard schon die ganze Zeit gerechnet hatte. Eine Bombe flog durch die Luft und landete mitten in der Kuhle. Die Zündschnur war nur noch fingerlang. Gary Andrews reagierte als erster. Mit einem Hechtsprung warf er sich auf die Bombe. Im ersten Augenblick dachte Hasard, Gary wollte die Bombe mit seinem Leib abdecken, um seine Kameraden zu retten, doch dann packte Garys Hand nach der Lunte, riß die Bo mbe daran hoch und schleuderte sie weit über die aus Holzstämmen errichtete Brustwehr. Mitten in der Luft explodierte die Bombe. Sie war noch nicht weit genug von der Deckung entfernt. Hasard vermeinte die Glut zu spüren, die über die Kuhle fauchte. Noch einmal waren sie davongekommen. Aber was geschah, wenn die Spanier ein paar Bomben zugleich warfen? Sie mußten das Gelände im Westen von den Spaniern säubern. Hasard winkte Matt Davies, Batuti und Stenmark zu sich heran. Er sah den erstaunten Ausdruck in den Augen des Schweden und begriff sofo rt. Er warf sich einfach zur Seite. Er spürte den Windhauch, den der Lauf der Muskete verursachte, als sie dicht an seiner Schulter vorbeisauste. Ein schwerer Körper streifte ihn und klatschte neben ihm in den Sand. Der Profos!
Der bullige Mann war mit der Schnelligkeit einer Katze wieder auf den Beinen. Seine blutunterlaufenen Augen starrten Hasard haßerfüllt an. »Ich bring dich um!« stieß er hervor. Seine Rechte hatte die Muskete losgelassen und riß nun ein Messer aus dem Stiefel, das Hasards Männer übersehen hatten, als sie den Profos fesselten. Hasard wich dem ersten Stoß geschmeidig aus. Seine Hände zuckten vor, um den Messerarm zu packen, doch der Profos war herumgewirbelt. Er sah, wie mehrere Pistolenläufe auf ihn gerichtet waren. In seinen Augen stand plötzlich eine hündische Angst. Blacky hatte sich bis auf zwei Yards an ihn herangeschlichen, doch der Profos hatte ihn im letzten Moment gesehen. Wild brüllend warf er sich auf Blacky, hieb ihm die mächtige Faust mitten ins Gesicht und sprang auf die Felsbarriere. Bevor die anderen reagieren konnten, war der Profos verschwunden. Dan O’Flynn lehnte sich gegen die Felsen und zog die Muskete an die Schulter. Hasard trat neben ihn und drückte den Lauf beiseite. »Das wird nicht nötig sein«, sagte er hart. Der Profos schrie sich die Seele aus dem Leib. »Nicht schießen!« brüllte er immer wieder und fuchtelte dabei wild mit den Armen. »Nicht schie …« Die Musketensalve der Spanier riß ihm das letzte Wort von den Lippen. Der Körper des Profoses wurde von den Einschüssen geschüttelt. Taumelnd setzte er seinen Weg zu den Spaniern fort. Die Männer in der Kuhle konnten die blutigen Löcher sehen, die die großen Musketenkugeln der Spanier beim Austritt aus seinem Rücken gerissen hatten. Die nächste Salve mähte den Profos förmlich um. Er wurde einen halben Yard in die Luft gehoben und krachte dann schwer auf den Rücken. Seine Arme hatten sich verkrampft und zeigten in den wolkenlosen Himmel, als wollten sie dort
um Hilfe flehen. »Dieses verdammte Schwein«, schrie Matt Davies. »Das hat er nun davon.« Hasard wandte sich ab. Sie hatten an diesem Tag schon soviel vom Tod und von Blut gesehen, daß ihn das Schicksal dieses Mannes eigentlich nicht mehr berühren dürfte. Dennoch hatte er Mitleid mit diesem Mann. Sein Haß auf Isaac Henry Burton hatte neue Nahrung gefunden. Der Profos war der letzte Mann der Truppe, die Burton bei diesem Unternehmen in den Tod gehetzt hatte. Burton schien den haßerfüllten Blick Hasards als Drohung aufzufassen. Er drehte durch. Stenmark wollte ihn noch am Kragen packen, doch der Captain war um Sekundenbruchteile schneller. Ein Bein hatte er schon über die Holzstämme geschwungen, als Stenmark ihn wieder einholte, ihn am Hosenboden zu fassen kriegte und mit einem Ruck in die Kuhle zurückriß. Laut klatschte seine Pranke in das Gesicht Burtons. »Kämpfen«, sagte der Schwede knurrend, »nicht türmen!« Er stieß den schlotternden Captain zu Boden. »Sie greifen wieder an!« Die schrille Stimme von Dan O’Flynn ließ sie alle zusammenzucken. Mit wenigen Sätzen waren sie bei ihren geladenen Musketen, rissen sie hoch und schickten den Iren und Spaniern die ersten tödlichen Grüße hinüber. Diesmal erfolgte der Angriff von allen Seiten. Hasard konnte in dem Qualm, der nur langsam vom Nordwind aus der Kuhle geblasen wurde, nur noch flach atmen. Der Pulverdampf biß in den Augen und kratzte im Hals. Wieder brachen die Spanier und Iren im mörderischen Abwehrfeuer zusammen, doch während die Spanier voller Entsetzen kehrtmachten und das Weite suchten, schienen die Iren diesmal alles auf eine Karte setzen zu wollen. Batuti hatte jetzt seinen Bogen in der Hand und sandte den
rothaarigen Berserkern einen Pfeil nach dem anderen entgegen. Tom Smith hatte ein Feuer entzündet, hielt die letzten Fackeln in die Flammen und warf sie den Angreifern entgegen. Hasard und Dan liefen zur Ostseite hinüber. Stenmark schwang eine Muskete, die er am Lauf gepackt hatte, über dem Kopf. Er hieb einen Iren, der sich über die Brüstung schwingen wollte, von den Beinen. Auf dieser Seite waren auch noch Spanier unter den Angreifern. Das Beispiel der Iren hatte sie wahrscheinlich mitgerissen. Plötzlich waren zwei von ihnen in der Kuhle. Sie landeten dicht neben Captain Isaac Henry Burton, der sich zusammenkauerte und die Hände über dem Nacken verschränkte. Der eine Spanier riß seine Pistole hoch, um dem Schweden in den Rücken zu schießen. Etwas Blitzendes zuckte durch die Luft. Der stählerne Haken an Matt Davies’ rechten Arm krachte in das Gesicht des Spaniers und riß ihn zu Boden. Die Pistole krachte, aber die Kugel fauchte wirkungslos in den Himmel. Das Gesicht des Spaniers war blutüberströmt. Er wälzte sich auf dem Boden und rollte gegen Burton, der zu schreien begann. Der andere Spanier war mit einem Degen bewaffnet. Das Bürschchen hatte sich ihm mit der verkürzten Pike entgegengeworfen. Geschickt wich Dan den Hieben und Stichen des Spaniers aus. Er sah nur den Arm mit der scharfen Klinge, die seinem Leben ein Ende setzen konnte, wenn er auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagierte. Dan wirbelte seine Pike, als sei das Ding ein Eßbesteck. Grotesk hüpfte der Spanier vor ihm herum. Als seine Chance da war, nutzte Dan sie eiskalt. Die Pike stieß vor. Das spitze Stahlstück riß den rechten Arm des Spaniers auf. Mit einem Schrei ließ der Mann den Degen fallen. Er drehte sich um und sah den blutbefleckten riesigen Schweden vor sich. Es schien,
als hätte er den Teufel gesehen. Er warf sich zurück und lief genau in die Pike, die Dan immer noch in der vorgestreckten Faust hielt. Röchelnd brach der Spanier zusammen. Dan riß die Pike aus dem Leib des Mannes. Der Spanier schrie nicht mehr. Seine Augen waren weit aufgerissen und starrten in den Himmel. Es war kein Leben mehr in ihnen. Dan O’Flynn spürte, wie er mit dem stumpfen Ende der Pike gegen irgend etwas stieß, das hinter ihm war. Er drehte sich um. Im ersten Moment sah er nichts, aber dann entdeckte er Tom Smith, der im Sand der Kuhle hockte. Der Schwede lenkte ihn wieder ab. »Schmeiß deinen Mann über die Brüstung!« rief er. »Er liegt uns hier nur im Weg!« Dan schleifte den Spanier an dem wimmernden Burton vorbei und stemmte ihn über die Baumstämme. Stenmark hieb gerade dem letzten Iren eine Muskete um die Ohren, daß er nicht mehr wußte, wo vorn und hinten war. Selig grinsend zog der Ire in Richtung der Bai davon und lallte unverständliche Laute vor sich hin. Die plötzliche Ruhe war für die Männer der ›Isabella‹ wie ein Schock. Ein paar von ihnen zuckten regelrecht zusammen und blickten sich mißtrauisch um. Aber außer den Kameraden war niemand zu sehen. Hasard stand keuchend hinter der Felsbarriere. Er war genauso verdreckt wie die anderen. Er sah die pulvergeschwärzten Gesichter seiner Männer, ihre verschwitzten Oberkörper und die schmutzstarrende Kleidung. Es war ein verlorener Haufen, der hier verbissen ums Überleben gekämpft hatte. Sie sahen fast nicht mehr wie Menschen aus, aber in ihren Augen konnte Hasard den ungebrochenen Willen lesen, weiterzukämpfen, bis kein Funken Leben mehr in ihnen war. Tom Smith, der auf dem Boden gehockt hatte, erhob sich
taumelnd. Er rieb sich das rechte Auge, das langsam anschwoll. Wütend starrte er Dan O’Flynn an. »Verdammt noch mal«, sagte er heiser. »Wenn du das nächstemal einen Spanier mit deiner Pike aufspießt, dann paß gefälligst auf, daß du dabei nicht deine eigenen Leute umbringst, du Idiot!« Das Bürschchen schaute verblüfft vom geschwollenen Auge Toms zum Ende seiner Pike. Er machte ein ziemlich dämliches Gesicht. »Hab ich ja schon immer gesagt«, meinte Blacky, »es ist viel gefährlicher, wenn er auf unserer Seite kämpft.« Stenmark begann dröhnend zu lachen, und einer nach dem anderen fiel ein. Selbst das Bürschchen, das im ersten Augenblick wütend werden wollte, begann zu grinsen. Ja, sie konnten noch lachen. Sie verdrängten damit die Gedanken an das fürchterliche Gemetze l, das sie den Iren und Spaniern hatten liefern müssen, um selbst zu überleben.
6. Hasard hatte bereits alles vorbereiten lassen. Ein Teil der Waffen und der Munition lagen im Boot, mit dem sie zur ›Isabella‹ hinüberpullen wollten. Sie hatten sich entschlossen, den Ausbruch zu wagen, wenn auch die Spanier von den drei unversehrten Karavellen immer noch eine Gefahr für sie darstellten. Sie mußten eben sehen, daß sie so schnell wie möglich von der Küste wegruderten, um den Musketenkugeln zu entgehen. Die Spanier, die mit dem ersten Boot in die kleine Bucht eingelaufen waren, lagen immer noch gefesselt am kleinen Sandstrand. Sie hatten während des Kampfes versucht, sich zu befreien, aber es war ihnen nicht gelungen. Zwei von ihnen hätten es vielleicht in der nächsten Stunde geschafft, doch
Stenmark zog ihre Fesseln wieder straff. Die Sonne hatte den Zenit weit überschritten und neigte sich dem Horizont zu. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie unterging. Sie mußten vor der Dämmerung ihre Festung verlassen haben, denn sonst waren sie verloren. In der Dunkelheit war die Übermacht der Iren und Spanier nicht mehr in Schach zu halten. »Beeilt euch ein bißchen!« rief Hasard. »Sonst überlegen sie es sich und stürmen noch einmal.« Dan O’Flynn hockte auf den Baumstämmen und starrte nach Osten. Die Schultern hatte er leicht hochgezogen. Hasard wartete, bis Batuti und Blacky mit Burton, der nur noch ein wimmerndes Bündel war, an ihm vorbeigingen. Dann drehte er sich zu Dan um. »Was ist los?« fragte er. »Willst du hierbleiben?« Das Bürschchen schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Irgend etwas gefällt mir nicht. Siehst du da hinten die Büsche und den verkrüppelten Baum?« Hasard blickte in die Richtung, die Dan ihm mit dem ausgestreckten Arm wies. »Ja, und?« fragte er. »Was ist daran so Besonderes?« Dan antwortete nicht. Er starrte weiter zu der Stelle hinüber. Hasard wollte etwas sagen, doch da sah auch er die Elster, die immer wieder auf den Baum zuflog und kurz davor abschwenkte und wüst zu schimpfen begann. »Wenn die Iren oder Spanier sich dort hinten mit ein paar Musketen versteckt haben, knallen sie uns ab wie Tauben, wenn wir aus der Bucht pullen«, sagte Dan. Hasard fluchte lautlos. Dan hatte recht. Sie saßen wieder einmal in der Klemme. Sie konnten weder nach Westen noch nach Osten aus der Bucht rudern. Überall lauerten die Feinde, um sie zu töten. Hasard überlegte, ob sie eine Chance hatten, wenn sie genau nach Norden auf die Bai zuhielten. Aber er schüttelte den
Kopf. Sie würden zu lange brauchen, um die dreihundert Yards, die die Musketen der Spanier reichten, hinter sich zu bringen. »Wenn noch einer mitkommt, werde ich sie euch vom Leib halten«, sagte Dan. »Wir werden uns anschleichen, sie für ein paar Minuten unter Druck setzen und dann versuchen, uns zu den Männern von der ›Marygold‹ durchzuschlagen. Sie können eigentlich nicht mehr weit sein.« Hasard blickte auf. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Die Soldaten, die Drake ihnen von der ›Marygold‹ zu Hilfe gesandt hatte, mußten schon in der Nähe sein. Vom Boot war nichts mehr zu sehen, und wenn die Iren oder die schiffbrüchigen Spanier sie in einen Kampf verwickelt hätten, mußten sie den Kampflärm gehört haben. Es schien, als hätten die Freunde von der ›Marygold‹ Hasards Gedanken gehört. Bei dem verkrüppelten Baum schoß plötzlich eine Stichflamme in die Höhe. Eine donnernde Salve aus zwei Dutzend Musketen folgte. Überall sprangen Spanier und Iren aus ihren Verstecken und begannen wie aufgescheuchte Hühner auf die kleine Festung der Eingeschlossenen zuzuren nen. Hasard brüllte den Männern unten am Boot etwas zu. Sie waren für einen Moment durcheinander. Ihre Musketen lagen bereits im Boot. Stenmark kümmerte sich nicht um die Schußwaffen. Er schnappte sich sein Entermesser und lief den kurzen Weg von der winzigen Bucht hinauf zu Hasard. Die flüchtenden Iren und Spanier waren schneller da, als Hasard gedacht hatte. Hinter ihnen tauchten die Soldaten der ›Marygold‹ auf, allen voran Carberry, der Profos, und ›Black‹ John Norris. Sie brüllten im Siegestaumel und ahnten nicht, in welche Schwierigkeiten sie Hasard mit ihrem Überraschungsangriff brachten. Wahrscheinlich hatten sie gedacht, daß sie die Iren und Spanier zwischen zwei Feuer nehmen und aufreiben
konnten. Norris blieb plötzlich stehen und hielt seine Soldaten zurück. Er schien bemerkt zu haben, daß die Eingeschlossenen nicht verteidigungsbereit waren. Aber es war zu spät. Die Iren und Spanier waren nicht mehr aufzuhalten. Die Angst saß ihnen im Nacken. Für sie gab es nur noch die Flucht nach vorn. Stenmark und Hasard kämpften wie die Berserker gegen die anbrandenden Feinde. Dem ersten Iren hieb Stenmark mit seinem Entermesser fast den rechten Arm ab. Der nächste lief in seine linke Faust und überschlug sich. Dan O’Flynn stach wie eine Wespe mit seiner Enterpike um sich, und Hasard mähte mit dem Lauf seiner Muskete gleich drei Spanier auf einmal um. Trotzdem konnten sie nicht verhindern, daß mehr als ein halbes Dutzend Feinde über die Brüstung sprangen und ohne anzuhalten zur Bucht hinabliefen. Hasard hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern, ob Batuti, Blacky, Matt Davies und die anderen mit den anstürmenden Iren und Spaniern fertig wurden. Seite an Seite mit Stenmark und Dan kämpfte er darum, daß es nicht mehr von den Feinden gelang, in ihre Festung einzudringen. Noch mindestens ein Dutzend Iren und Spanier versuchten, die Felsbarriere zu überwinden und vor den anrückenden englischen Soldaten zu fliehen. Ein Pistolenschuß krachte. Hasard spürte etwas Heißes an seinem linken Ohr vorbeifliegen. Ein blutüberströmtes Gesicht tauchte vor ihm auf. Die Augen des Mannes waren weit aufgerissen. Hasard wollte ihm den Knauf seines Degens, den er jetzt in der Hand hielt, auf den Kopf schlagen, doch da kippte der Mann schom um und blieb bewegungslos auf den Felsen liegen. Blut strömte aus seinem Rücken und färbte das zerschlissene Hemd in Sekundenschnelle rot. Und dann war Carberry heran. »Arwenack!« brüllte er aus Leibeskräften. Seine klobigen
Fäuste packten zu, rissen zwei Iren, die sich gerade auf das Bürschchen werfen wollten, von der Felsbarriere, und donnerte ihre Köpfe zusammen. »Arwenack!« schrie Dan mit überschlagender Stimme. Die letzten Angreifer verloren vollends den Verstand. Sie mußten glauben, daß sie gegen Teufel kämpften, denen auch eine Kanonenkugel nichts anhaben konnte. Sie wandten sich entsetzt ab und flüchteten mit rudernden Armen auf das Waldstück im Süden zu. Norris’ Soldaten hätten sie in aller Seelenruhe abknallen können, aber zu Hasards Erleichterung gab Norris seinen Männern den Befehl, das Feuer einzustellen. Vom Boot her ertönte noch Kampflärm. Hasard drehte sich um und lief zum Strand hinunter. Er sah, wie Batuti mit einem Knüppel auf zwei Spanier eindrang, die Äxte in den Händen hielten. Neben Hasard krachten zwei Musketen. Norris und einer seiner Soldaten hatten geschossen. Die beiden Spanier sanken getroffen zurück und klatschten ins Wasser. Hasard biß die Zähne zusammen, als er sah, was die Spanier angerichtet hatten. Beide Boote waren nicht mehr zu gebrauchen. Die Äxte der Spanier hatten riesige Löcher in die Bodenplanken gerissen. »Den Rübenschweinen haben wir es gezeigt, was, wie?« Die dröhnende Stimme von Carberry löste die Spannung. Jetzt erst konnten die Männer der ›Isabella‹ aufatmen. Sie hatten es endgültig geschafft. Mit Norris’ Soldaten im Rücken würden es die Iren und Spanier nicht mehr wagen, die kleine Bucht anzugreifen. Andererseits aber hatte Hasard kein Boot mehr, mit dem er zurück zur ›Isabella‹ pullen konnte. Hasard wollte sich an ›Black‹ John Norris wenden, um mit ihm die Lage zu beraten. Doch er sagte nichts. Norris stand vor Isaac Henry Burton, der sich taumelnd aus dem Sand erhoben hatte und versuchte, seine Kleidung einigermaßen in Ordnung zu bringen. Immer noch ging ein penetranter Gestank von ihm aus. In Norris’ Gesicht waren die
Abscheu und Verachtung zu lesen, die er für seinen Unterführer empfand. »Wo sind Ihre Männer, Burton?« fragte ›Black‹ John Norris scharf. Auf Burtons Wangen erschienen rote Flecken. Er lallte etwas, das niemand verstand. »Er hat sie alle im Dreck sitzenlassen und ist mit seinem Profos abgehauen, als sie um ihr Leben kämpften«, sagte Stenmark. »Man sollte diese stinkende Ratte ersäufen.« ›Black‹ John Norris sah aus, als wolle er sich jeden Augenblick auf Burton stürzen, doch dann wandte er sich um und ging zu Hasard hinüber, der die Szene schweigend beobachtet hatte. Stenmark schnappte Burton beim Kragen, riß ihn in die Luft und schleuderte ihn über das Boot ins Wasser. »Wenn du schon nicht ersäufst, Burton«, sagte er knurrend, »dann sorg wenigstens dafür, daß du uns mit deinem Gestank nicht die Luft verpestest.« Die Männer johlten, als Burton prustend zurück ans Ufer kroch. Norris kümmerte sich nicht mehr um seinen Unterführer. Er wandte sich an Hasard. »Kriegen wir die beiden Boote wieder hin, Mr. Killigrew?« fragte er. Hasard schüttelte den Kopf. »Unmöglich«, erwiderte er. »Dazu fehlen uns das richtige Holz, das richtige Werkzeug und vor allem Zeit. Ich will so schnell wie möglich auf die ›Isabella‹ zurück.« »Was schlagen Sie vor?« fragte Norris. Hasard schwieg einen Moment, um den Plan, der ihm durch den Kopf geschossen war, noch einmal zu durchdenken. »Sie haben die Spanier gesehen, die in drei Booten ein paar hundert Yards westlich von hier an Land gegangen sind?« fragte er. Norris nickte.
»Wir sollten mit ein paar Männern die Küste entlang mar schieren, die Boote zerstören, beziehungsweise eins für uns entwenden. Dann bleibt Ihnen das Boot der ›Marygold‹, um zu Ihrem Schiff zurückzupullen.« Norris war sofort einverstanden, doch als Hasard seine Männer zusammenrief, schüttelte Norris den Kopf. »Sie haben in den letzten Stunden genug gekämpft«, sagte er. »Dieses Unternehmen werden meine Männer und ich ausführen. Ich brauche nur einen, der sich ein bißchen in dem Gelände auskennt.« In wenigen Sekunden waren die Soldaten abmarschbereit. Carberry und Stenmark sollten sie begleiten und das eine Boot hierherpullen. Nachdem die Soldaten abgezogen waren, stellte Hasard Dan O’Flynn und Gary Andrews als Wachen aus. Er war zwar überzeugt, daß die Iren und Spanier endgü ltig genug hatten, aber sicher war sicher. Sie ruhten sich aus, und doch war das Warten für sie noch schlimmer, als wenn sie selbst mit den Soldaten gezogen wären.
Es dauerte zwei Stunden, bis ›Black‹ John Norris wieder auftauchte. Er hatte bei dem Unternehmen nicht einen Mann verloren. »Die Dons saßen schon alle in den Booten«, berichtete er. »Sie wollten gerade ablegen, als wir auftauchten und eine Musketensalve über ihre Köpfe jagten. Die meisten von ihnen sprangen über Bord. Ihr Anführer wollte zwar kämpfen, doch als er eine Kugel in der Schulter hatte, gab auch er auf. Die Kerle waren völlig demoralisiert. Sie müssen ihnen ganz schön zugesetzt haben.«
Hasard zuckte mit den Schultern. Er dachte an die Iren, die die Hauptlast des Angriffs getragen hatten. Wenn die Spanier nur entfernt so bissig und angriffslustig gewesen wären, dann wäre die Mannschaft der ›Isabella‹ jetzt bis auf die Hälfte reduziert. »Wir konnten zwei der Boote versenken«, fuhr Norris fort. »Das dritte ist mit Carberry, Stenmark und vier meiner Soldaten hierher unterwegs. Ich glaube nicht, daß Sie jetzt noch Schwierigkeiten haben werden, zu Ihrem Schiff zu gelangen. Allerdings werden Sie eine Weile rudern müssen, denn die ›Isabella‹ liegt sehr weit westlich fast vor der Mündung des Colligan.« Hasard verzog sein Gesicht. »Es wird eine Erholung für meine Männer sein, nach allem, was wir heute erlebt haben.« Es dauerte nicht lange, bis Carberry und Stenmark mit dem Boot auftauchten. Carberry war prächtiger Stimmung. Immer wieder betonte er, welch Vergnügen es ihm bereitet hätte, den »Affenärschen« und »Rübenschweinen« von der ›Isabella‹ aus der Patsche geholfen zu haben, und besonders stolz schien er darauf zu sein, daß er den Teufelsbraten und verdammten Hundesohn von Seewolf herausgepaukt hatte. Carberry wäre am liebsten bei den Männern der ›Isabella‹ geblieben, aber er wußte, daß Drake ihn an Bord der ›Marygold‹ erwartete. Carberry sollte Drake außerdem berichten, daß Hasard vorhatte, weiterhin den »Wachhund« gegenüber den drei spanischen Karavellen zu spielen und versuchen werde, sie zum Buchtausgang zu treiben. Carberry und ›Black‹ John Norris ließen Hasard Proviant und ein bißchen Trinkwasser zurück, dann marschierten sie zurück zur Landungsstelle ihres Bootes, mit dem sie zur ›Marygold‹ zurückpullen wollten. Isaac Henry Burton schlich wie ein geprügelter Hund in ihrer Mitte. Norris hatte von Hasard einen ausführlichen Bericht
über den Tod der fünfzig Soldaten und des Profoses erhalten. Keiner der Soldaten würdigte den feigen Offizier eines Blickes. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie ihn auf der Stelle erschossen. Als sie verschwunden waren, begannen die Männer der ›Isabella‹, ihre Waffen und Vorräte von den beschädigten Booten in das heile der Spanier umzuladen. Als sie fertig waren, rief Hasard Dan O’Flynn, der oben in der kleinen Festung noch Wache gehalten hatte. Die Spanier wurden von ihren Fesseln befreit. Sie unternahmen gar nicht erst den Versuch, das Blatt noch zu wenden. Sie waren waffenlos und immer noch geschockt. Sie hatten mit ansehen müssen, wie diese Engländer gegen eine Übermacht gekämpft hatten, ohne selbst auch nur einen Mann zu verlieren. Sie nahmen die Beine in die Hand und verschwanden, ehe es sich die Engländer noch anders überlegten. Sie mußten das Boot über den flachen Strand schieben, bis es im Wasser lag. Das Niedrigwasser hatte seinen Tiefststand erreicht. Sie würden bald vom auflaufenden Wasser hinüber zur ›Isabella‹ getragen werden. Hasard war froh darüber, denn wenn es sich auch keiner von seinen Männern anmerken ließ, sie waren ziemlich am Ende mit ihren Kräften. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden. Langsam senkte sich die Dunkelheit wie ein samtenes Tuch über die Bai. Hasard, der neben Stenmark auf der Ducht saß und seinen Riemen kräftig durchs Wasser zog, warf noch einen Blick in die winzige Bucht, in der sie um ihr Leben gekämpft und so viele Tote zurückgelassen hatten. Er schüttelte den Kopf. Er liebte diese grüne Insel, und er konnte verstehen, daß die Iren sich der Vorherrschaft der Engländer entledigen wollten. Doch diesmal hatte er auf der anderen Seite gestanden. Ihm war keine andere Wahl geblieben, als sie zu bekämpfen.
Als Hasard den Kopf wandte, sah er, wie die Mastspitzen der ›Isabella‹ golden funkelten. Die letzten Strahlen der Sonne rissen sie aus der Dämmerung. Hasard war froh, diesen blutigen Tag überstanden zu haben. Keiner seiner Männer war verwundet. Er dachte daran, wie viele Tote es bei den Kämpfen seines Vaters mit anderen Schiffsbesatzungen oder den Iren und Schotten ge geben hatte. Er konnte stolz auf sich sein.
7. Ben Brighton starrte sich die Augen aus. Er sah das Boot, das auf die ›Isabella‹ zuhielt, aber er konnte nicht erkennen, wer alles darin saß. Vor einer halben Stunde hatte er beobachtet, wie Carberry und ›Black‹ John Norris mit den Soldaten vom Ufer abgelegt waren, um zurück zur ›Marygold‹ zu pullen. Wenig später war das Boot, das die Soldaten von den Spaniern erobert hatten, aus der kleinen Bucht ausgelaufen. »Kannst du was erkennen?« fragte Ben Ferris Tucker, der neben ihm stand. »Nicht mehr als du«, erwiderte Ferris brummelnd. »Aber es sieht so aus, als ob das Boot von acht Rudergasten gepullt wird.« Ben Brighton seufzte. »Hoffen wir das Beste«, sagte er. Sein Blick glitt hinüber zur Stiefelbucht, in der die drei Karavellen verschwunden waren und nun wahrscheinlich unten im Süden vor Anker lagen. Er hätte die Dons am liebsten verfolgt und zusammengeschossen, aber er hatte gewußt, daß dieses Unternehmen Hasard und die anderen Männer, die an Land kämpften, in noch größere Schwierigkeiten gebracht hätte. Ben überlegte, ob er den Anker aufholen lassen sollte, um den
Boot entgegenzulaufen, aber dann ließ er es. Sie würden sich gegen das auflaufende Wasser vorkämpfen müssen. Sicher waren Hasard und die anderen zie mlich fertig, aber die halbe Stunde würde sie nicht umbringen. Je näher das Boot herankam, desto dunkler wurde es. Ben Brighton und die anderen Männer auf der ›Isabella‹ fluchten. Ihre Spannung stieg ins Unermeßliche. Der Kutscher starrte sich die Augen na ch Blacky aus, mit dem ihn eine unverbrüchliche Freundschaft verband. Ferris Tucker und Ben Brighton dachten nicht nur an Hasard. Auch Dan O’Flynn, Batuti und die anderen waren inzwischen mehr für sie geworden als nur Seeleute, die mit ihnen zusammen auf einem Schiff fuhren. Dann endlich war es soweit. Sie hörten schon das Klatschen, mit dem die Riemen ins Wasser getaucht wurden. Einer von ihnen rief den Namen »Blacky« laut durch die Nacht. Es war der Kutscher, der es nicht mehr ausgehalten hatte. Die Stimme Blackys antwortete, und der Kutscher spürte, wie ein Stein von seinem Herzen fiel. Jetzt brüllten sie alle durcheinander, bis Ferris Tucker mit seinem mächtigen Organ für Ruhe sorgte. Dann hörten sie die Stimme Hasards. »Alles in Ordnung, Männer!« rief er. »Wir sind alle wieder zurück! Die Dons und die Iren haben keinen von uns erwischt!« Der Jubel an Bord der ›Isabella‹ war unbeschreiblich. Die Männer fielen sich gegenseitig um den Hals, und selbst die Soldaten wurden in diesen Jubelstrom mit einbezogen. Dann stieß das Boot dumpf gegen die Bordwand der Galeone. Taue flogen hinunter. Pete Ballie und Carten schwangen sich über das Schanzkleid und kletterten über die Berghölzer hinunter ins Boot, um die Achter- und Vorleine einzuholen. Niemand hatte ihnen den Befehl dazu gegeben, aber sie wußten, daß Hasard und die anderen es verdient hatten, daß man ihnen die letzte Arbeit abnahm.
Viele Hände packten zu, um die Männer an Bord zu ziehen. Hasard wurde von Ferris Tucker an die Brust genommen und fest gedrückt. Dem Kutscher standen die Freudentränen in den Augen, als das grinsende Gesicht von Blacky über dem Schanzkleid auftauchte. Er schluckte zwar, als Blacky ihm die Pranke auf die Schulter schlug, aber er verbiß den Schmerz. Dan O’Flynn stand ganz gerührt an Deck, nachdem ihn alle umarmt hatten. »Männer!« brüllte Smoky. »Es ist ein Wunder geschehen! Dem Kleinen hier hat es vor Rührung die Sprache verschlagen!« Es dauerte eine Weile, ehe das Bürschchen bemerkte, daß er mit dem »Kleinen« gemeint war. »Du breitmäuliger Ochsenfrosch«, sagte er wütend. »Du kannst einem aber auch die ganze Stimmung versauen. Eben habe ich mich noch gefreut, aber jetzt wünschte ich, ich wäre noch drüben bei diesen verdammten rothaarigen Teufeln. Die haben mehr Anstand im kleinen Finger als du in deinem ganzen unförmigen Körper.« »Die Iren sind Flaschen«, sagte Smoky enttäuscht. »Sie können noch nicht mal einem mageren Furzknoten eine aufs große Maul geben.« »Wenn du meinst, du könntest das, dann versuch es doch, du rattengesichtige Miß geburt!« schrie das Bürschchen. Hasard zog Ben Brighton mit sich und stieg den Niedergang zum Quarterdeck hinauf. Es war ihm, als wäre er nach einer langen Reise nach Hause zurückgekehrt. Unten in der Kuhl hatte die Redeschlacht auf alle Mitglieder der Mannschaft übergegriffen, und die Soldaten, die alles mit anhörten, packten ihre Musketen fester. Sie erwarteten, daß die verrückten Seeleute jeden Augenblick übereinander herfallen und das ganze Schiff demolieren würden. Hasard warf einen kurzen Blick hinüber zur Nordküste. Ben hatte ziemlich dicht unter ihr Anker geworfen.
»Hol Anker auf«, sagte er zu Ben. »Es ist sicherer, wenn wir weiter von der Küste weg sind. Das auflaufende Wasser ist ziemlich stark. Wir werden Schwierigkeiten haben, wenn wir plötzlich lossegeln müssen.« »Aye, aye«, sagte Ben. Er drehte sich um und gab die Befehle an die Männer weiter, die sich immer noch stritten. Bens Stimme trieb sie auseinander. Der Streit war von einer Sekunde zur anderen vergessen. Der Anker wurde aufgeholt. Zusammen mit den Männern von der ›Santa Cruz‹ wurden die Segel gesetzt, und langsam schob sich die ›Isabella‹ von der Küste fort. Hasard spürte die Schwere in seinen Gliedern. Er wartete, bis Ben Brighton das Manöver beendet hatte und die Ankertrossen wieder vom Anker ins Wasser gerissen wurde. »Wir bleiben gefechtsklar«, sagte er. »Sieh zu, daß wir ein paar Stunden ungestört schlafen können, Ben. Ich kann kaum noch die Augen aufhalten. Stell verschärfte Wachen auf. Hämmer den Männern ein, daß die Dons in dieser Situation äußerst gefährlich sind. Sie fühlen sich in die Enge getrieben, und wenn sie um ihr Leben kämpfen müssen, werden sie nicht mehr ihren Schwanz einkneifen und davonlaufen.« Ben Brighton nickte. »Du kannst dich beruhigt hinlegen, Hasard«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß es die Spanier bei auflaufendem Wasser wagen werden, einen Ausbruchversuch zu unternehmen. Sie werden bis zum Gezeitenwechsel warten.« Hasard nickte. »Weck mich, wenn es soweit ist«, sagte er, gähnte noch einmal und verschwand dann durch die schmale Tür in den dunklen Gang, der zu seiner Kammer führte. Ben Brighton schärfte den Männern, die Wache gehen sollten, ein, daß sie die Augen offenhalten sollten. Vielleicht fiel den Spaniern noch eine Schweinerei ein, mit der niemand rechnete.
Die ›Isabella‹ lag, bedingt durch den Nordwind und das auflaufende Wasser, in einem Winkel von etwa fünfundvierzig Grad zur Windrichtung. Die Steuerbordseite war dem Eingang der Stiefelbucht zugewandt. Die Kanonen blieben gefechtsklar ausgefahren. Wenn die Spanier es wagen sollten, trotz des auflaufenden Wassers einen Ausbruch zu versuchen, so würden die scharfen Zähne der ›Isabella‹ sie in Stücke zerreißen.
8. Capitan Romeros Augen glänzten triumphierend, als er den Bericht des Bootsmannes entgegennahm. Capitan Antonio Zapata lebte nicht mehr! Eine Kugel der Engländer hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Romero Valdez hörte nicht mehr hin, was der Bootsmann ihm über den Kampf mit den Engländern an der Küste berichtete. Es interessierte ihn nicht. Er war jetzt der dienstälteste Kommandant der drei übriggebliebenen Karavellen, und er würde seine Macht dazu nutzen, die Schmach zu tilgen, die ihn seit Wochen nicht mehr ruhig schlafen ließ. Als der Bootsmann seinen Bericht beendet hatte, schickte Valdez ihn los, die anderen beiden Kommandanten zu sich an Bord zu bitten. Sein Plan stand bereits fest. Er würde nicht warten, bis die Engländer seine drei Karavellen zusammenschossen. Er würde vorher handeln. Der Haß schüttelte ihn, als er auf seinen steifen Arm blickte. Seinen verkrüppelten Arm konnte er mit einem Sieg über den schwarzhaarigen englischen Teufel nicht heilen, wohl aber seine kranke Seele. Er zog mit den Zähnen den Korken aus einer Weinflasche und schüttete sich ein Glas voll. »Warte, Engländer«, sagte er haßerfüllt. »Du wirst meine Rache spüren!« Zehn Minuten vergingen, dann saßen die beiden anderen
Kommandanten in seiner Kapitänskammer. Beide waren noch jung. Sie hatten ihre Karriere noch vor sich, denn dieser Auftrag war sozusagen eine Bewährungsprobe für sie. Niemand würde ihnen einen Vorwurf machen, wenn das Unternehmen schiefging. Verantwortlich dafür waren Antonio Zapata und er, Romero Valdez. »Meine Herren«, sagte Valdez. »Sie wissen, daß wir uns in einer aussichtslosen Lage befinden. Wir könne n im Morgengrauen beim Gezeitenwechsel einen erneuten Durchbruchsversuch unternehmen, aber unsere Chancen, das freie Meer zu erreichen, werden nicht besser sein als am heutigen Tag. Es bleibt uns nur eine Möglichkeit. Wir müssen die Galeone, die vor der Stiefelbucht auf uns lauert, in unsere Gewalt bringen. Mit diesem Schiff sind wir den Engländern überlegen.« Don Emilio de Quemada, ein junger Adeliger aus Kastilien und Kommandant der kleinsten Karavelle, blickte Valdez an und sagte: »Wir werden es schwerhaben, gegen den Strom zu segeln und den Kanonen der Galeone zu entgehen.« »Wir werden nicht gegen den Strom segeln«, sagte Valdez kalt. »Wir werden rudern. Ich werde drei Boote mit je zwanzig Männern hinübersenden. Die Engländer werden nicht glauben, daß wir noch in der Nacht zuschlagen. Wir werden die ›Isabella‹ erobern und die Engländer töten. Dann hält uns nichts mehr auf. Die beiden anderen englischen Galeonen werden das Feld kampflos räumen.« De Quemada erschrak vor dem Haß, der aus den Augen von Romero Valdez sprühte. Ein entsetzlicher Gedanke stieg in ihm auf. Er kannte wie jeder andere die Geschichte von Valdez, und als der Name ›Isabella‹ fiel, wußte er, was den Kommandanten zu diesem verzweifelten und waghalsigen Schritt bewegte. Durch einen kurzen Blick verständigte sich de Quemada mit dem anderen Kommandanten. Auch der hatte sofort begriffen, was sich in Valdez abspielte. Valdez war entschlossen, ihrer
aller Leben zu opfern, um seinen Rachedurst zu stillen. »Wir haben schon viele Männer verloren, Capitan«, sagte de Quemada leise. »Ich glaube, wir haben größere Chancen, wenn wir uns hier in der Bucht auf eine längere Verteidigung einrichten. Die Iren werden Verstärkung herbeiholen, und die Engländer werden es nicht wagen, länger in der Bucht zu verbleiben. Wir könnten …« Die Stimme von Valdez war kalt und scharf. »Sie haben meine Befehle gehört, de Quemada«, sagte er. »Sie werden das Kommando dieses Unternehmens haben, und wenn Sie es nicht erfolgreich durchführen, werde ich dafür sorgen, daß Sie wege n Feigheit vor dem Feind an einer Rah hängen, noch bevor der Morgen graut!« De Quemada preßte die Lippen zusammen und schwieg. Alles in ihm sträubte sich, den Befehl des Wahnsinnigen auszuführen, aber er wußte, daß ihm nichts anderes übrigblieb. Valdez würde seine Drohung ausführen, und niemand würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. »Sprechen Sie mit den Iren, de Quemada«, sagte Romero Valdez. »Sie werden Ihnen so viele Männer zur Verfügung stellen, wie Sie benötigen. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir es nicht schaffen, die paar Engländer zu töten. Denken Sie daran, daß keine Soldaten mehr an Bord sind. Die Iren haben sie getötet.« De Quemada sagte nichts mehr. Er war nicht davon überzeugt, daß sich keine Soldaten mehr an Bord der ›Isabella‹ befanden. Die Engländer waren sicher nicht so dumm, das am schwächsten besetzte Schiff in die Bucht zu beordern. Dem jungen Spanier blieb keine Wahl. Er würde dieses Himmelfahrtskommando unternehmen. Vielleicht hatten sie sogar Glück und konnten die Engländer überraschen. De Quemada hoffte es in seinem eigenen Interesse. Er verbeugte sich vor Romero Valdez und verließ die Kapitänskammer. Der andere junge Kommandant folgte ihm.
Valdez starrte hinter den beiden jungen Männern her. Er wußte, was sie dachten, aber es war ihm gleichgültig. Sie konnten seine Gefühle nicht verstehen. Sie wußten nicht, was es hieß, wenn einen der Haß auffraß. Sie hatten noch nicht die Demütigungen ertragen müssen, die einen starken Mann zu einem Wrack machen konnten. Er trat an die Fenster seiner Kammer und starrte hinaus auf das Wasser, das im Schein der Sterne silbrig glänzte. Er glaubte fest daran, daß es Quemada gelingen würde, die ›Isabella‹ einzunehmen. Dann war er wieder Herr über eine Galeone, und die Casa konnte nicht umhin, ihm wieder ein Kommando auf der Route zur Neuen Welt zu geben. Er hörte die leise gerufenen Befehle, die über Deck schallten. De Quemada suchte sich seine Leute zusammen. Boote wurden zu Wasser gelassen, Waffen verteilt. Fast eine halbe Stunde verging, ehe die Boote ablegten. Valdez hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war. Er stand noch immer bewegungslos am Fenster. Aus schmalen Augen blickte er hinunter zu den Booten, die am Heck der Karavelle vorbeiglitten. Die Hälfte der Männer waren Iren. Am Ruder des ersten Bootes stand Emilio de Quemada, den Kopf erhoben und das Kinn vorgestreckt. Ein Lächeln glitt über Valdez’ Züge. Der junge Mann würde seine Pflicht erfüllen und kämpfen, bis er tot war, auch wenn er davon überzeugt war, daß die Befehle, die er ausführen sollte, unsinnig waren. Romero Valdez hatte den steifen linken Arm mit der Rechten umklammert. Er murmelte ein Gebet. Es galt nicht dem Leben seiner Leute. Er betete, daß ihm die Rache an den Engländern gelang.
9.
Jim Maloney saß auf der ausgefahrenen Backbordkanone unterhalb des Quarterdecks und starrte auf die sanften Wellen, die mit einem leisen Schmatzen gegen die Bordwand schlugen. Das eintönige Geräusch wirkte einschläfernd auf ihn. Er beneidete die anderen, die unter Deck in ihren Hängematten schliefen. Er hörte ein leises Plätschern, das nicht zum eintönigen Geräusch der heranrollenden Wellen paßte. Sofort war er munter. Angestrengt starrte er in das Dunkel, das nur von einigen Sternen durchbrochen wurde. Der Himmel war bewölkt. Jim Maloney wollte Ben Brighton, der auf dem Quarterdeck stand, etwas zurufen, unterließ es dann aber. Statt dessen rutschte er von der Kanone herunter und schlich sich im Schutz des Schanzkleides zum Niedergang, der zum Quarterdeck hinaufführte. Mit lautlosen Schritten brachte er die Stufen hinter sich. Ben hatte gespürt, daß dort jemand kam. Er hielt eine Pistole in der Hand, steckte sie aber wieder weg, als er Jim erkannte. »Was …«, wollte er fragen, aber Maloney hielt den Finger auf die Lippen. Er ging dicht an Ben heran und flüsterte: »Ich hab Geräusche gehört. Es war, als würden Riemen ins Wasser getaucht.« Seine rechte wies nach Backbord hinüber. Ben Brighton lauschte. Und dann hörte er es auch. »Ich wecke Hasard«, sagte er hastig. »Hol die anderen aus ihren Matten. Alles auf Gefechtsstation. Wenn das die Dons sind, werden wir ihnen einen heißen Empfang bereiten. Schärf den Leuten ein, daß ich kein Geräusch hören möchte. Sie sollen glauben, daß alles an Bord pennt.« Jim Maloney nickte und verschwand lautlos. Ben Brighton weckte Hasard und berichtete hastig von Maloneys Entdeckung.
»Sie müssen uns für vollkommene Idioten halten«, sagte Hasard kopfschüttelnd und sprang aus der Koje. Er brauchte sich nur die Stiefel und die Jacke überzustreifen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich ganz auszuziehen. Er war wie ein Stein in die Koje gefallen. »Je ein Mann an die Drehbassen«, sagte Hasard noch im Gang zu Ben. »Ladet die Dinger mit gehacktem Eisen, damit sie merken, daß bei uns nichts zu holen ist.« Ben Brighton huschte über das Quarterdeck und verschwand am Niedergang. Dafür tauchten James Courcy und Ferris Tucker auf. »Alle Kanonen sind feuerbereit«, flüsterte Ferris. Hasard schüttelte den Kopf. »Die Kanonen werden uns nicht viel nutzen«, gab er leise zurück. »Jeder nimmt eine Muskete. Wir warten, bis die Boote dicht genug heran sind, dann wird auf mein Kommando mit allem, was wir haben, gefeuert.« Die beiden Männer nickten und liefen zurück, um die anderen zu instruieren. Für Sekunden war die Unruhe auf dem Schiff zu spüren, dann hatten alle ihren Posten eingenommen, die ›Isabella‹ lag in gespenstischer Stille da. Die meisten Männer hatten sich auf der Backbordseite postiert, weil Maloney von dort das Geräusch gehört hatte. Auf Befehl von Ben Brighton hielten aber auch an Steuerbord ein paar Soldaten Wache. Sie waren ganz froh darüber, denn es war nicht jedermanns Sache, auf einen Feind zu warten, von dem man nicht wußte, wann und wie er zuschlagen würde. Sie hielten den Atem an. Das Plätschern war nur ab und zu zu hören. Die Dons oder die Iren, die dort heranpullten, waren vorsichtig. Noch war von den Booten nichts zu sehen. Die Wolkendecke war dichter geworden, und zur Küste hin zogen die ersten Nebelstreifen auf. Eine donnernde Musketensalve zerriß die Stille und die Dunkelheit.
Die Männer der ›Isabella‹ wurden völlig überrascht, denn die Kugeln rasten von der Steuerbordseite auf die ›Isabella‹ zu und bohrten sich in das Schanzkleid, in die Masten oder pfiffen über das Schiff hinweg. Einen Moment waren alle erstarrt. Einige rannten über Deck, um sich dem Feind an Steuerbod entgegenzuwerfen, doch die scharfe Stimme von Hasard riß sie zurück. »Jeder bleibt auf seinem Posten! Courcy, nehmen Sie die Steuerbordseite mit fünf von Ihren Männern! Aber bleiben Sie in Deckung. Schießen Sie erst, wenn Sie etwas sehen!« »Hier sind sie!« rief Dan mit überkippender Stimme. Die Köpfe der Männer ruckten wieder herum. Wie geisterhafte Schatten waren die Umrisse der beiden Boote aus der Dunkelheit aufgetaucht. Riemen peitschten das Wasser. Die Spanier brauchten jetzt nicht mehr darauf zu achten, ob ihre Ruderblätter Lärm verursachten. Ein greller Blitz zuckte vom Achterdeck durch die Nacht, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen. Ferris Tucker hatte die Drehbasse abgefeuert. Das gehackte Eisen schlug wie die Faust eines Giganten in das eine Boot, in dessen Seite plötzlich ein riesiges Loch klaffte. Das Wasser, das hineinströmte, färbte sich rot vom Blut der zerrissenen Leiber. Todesschreie gellten durch die Nacht. Das Boot sackte weg wie ein Stein. Die Männer, die den mörderischen Beschuß überlebt hatten, versuchten die Bordwand der ›Isabella‹ zu erreichen. Verzweifelt klammerten sich einige am zerfetzten Boot fest und ließen erst los, als es unter der Wasseroberfläche verschwand. Die Drehbasse auf der Back wurde abgefeuert, doch der Mann, der sie bediente, hatte zu spät geschossen. Ein letzter, mächtiger Schlag der acht Rudergasten brachte das Boot bis an den Rumpf der ›Isabella‹. Enterhaken flogen über die Schanzkleider. Augenblicklich wurden die Taue von den Männern der ›Isabella‹ mit Beilen
zerhackt. Die Soldaten versuchten ihre Musketen abzufeuern, aber alles hatte sich so blitzschnell abgespielt, daß ihnen dazu keine Gelegenheit mehr blieb. Im Nahkampf waren die schweren, unhand lichen Dinger höchstens noch als Keulen zu verwenden. James Courcy und seine fünf Soldaten an Steuerbord hatten das dritte Boot eher gesehen. Sie feuerten ihre Musketen darauf ab. Sie hörten Schreie, dann leckten Flammen aus der Dunkelheit auf sie zu. Die Angreifer schossen zurück. Zwei Soldaten kippten nach hinten. Dem einen fehlte das halbe Gesicht, der zweite kroch ein Stück übers Deck und lehnte sich keuchend gegen die Lenzpumpe. Ungläubig starrte er auf das Loch in seiner rechten Schulter, aus dem Blut lief und seine Jacke tränkte. James Courcy rief einen knappen Befehl. Fünf weitere Soldaten liefen nach Steuerbord hinüber und schossen ihre Musketen ab. Diesmal kauerten sie sich tiefer hinter das Schanzkleid. Mit eingeübten Bewegungen luden sie ihre Musketen nach und schossen eine zweite Salve auf das Boot ab, das jetzt wie ein Schatten vor einem hellen Nebelstreifen stand. Nach der dritten Salve war niemand mehr im Boot bereit, sich aufzurichten und einen Riemen aufzunehmen. Langsam trieb das Boot in die Dunkelheit davon. »Zwei Mann bleiben hier und beobachten das Boot!«, rief James Courcy. »Die anderen folgen mir!« Er stürmte mit gezogenem Degen hinüber nach Backbord, wo die ersten Spanier und Iren sich ihren Weg zum Deck hinauf gebahnt hatten. Einer der Männer von der ›Santa Cruz‹ lag ausgestreckt auf den Decksplanken. Aus seiner Brust ragte ein Entermesser, das ihm einer der Angreifer entgegengeschleudert hatte. Die Nacht wurde jetzt von Fackeln erhellt. Batuti schleuderte einige von ihnen ins Boot hinunter. Die Kleidung eines Mannes
fing Feuer. Er schrie wie am Spieß, versuchte die Flammen auszuschlagen und sprang schließlich mit einem Satz ins Wasser. Mitten im Sprung erwischte ihn eine Pistolenkugel, die blindlings abgefeuert worden war. Stenmark stand wieder an der Stelle, wo die meisten Angreifer das Deck zu besteigen versuchten. Er wütete mit seinem Entermesser in der Rechten und dem Belegnagel in der Linken wie der leibhaftige Satan. Sein Hemd war mit dem Blut der zurückgeschlagenen Angreifer befleckt, seine blonden Haare standen wirr von seinem Kopf ab. Er schrie Wörter, die niemand verstand. Hasard sah, wie Dan O’Flynn, der in den Wanten des Großmastes hing, von drei Männern bedrängt wurde. Einen konnte er mit der Pike abwehren, der zweite sackte hintenüber, als Hasards Pistolenkugel ihn in den Rücken traf. Hasard warf die Pistole weg und riß das Messer aus seinem Gürtel. »Paß auf, Dan!« brüllte er. »Arwenack!« krähte das Bürschchen. Er hatte den dritten Mann, der jetzt in seinem Rücken war, noch nicht bemerkt. Der stämmige Ire holte mit der Axt aus. Hasard hielt den Atem an. Er konnte das Messer nicht schleudern, denn Dan deckte den Iren mit seinem Körper ab. Ein Pfeil zischte durch die Luft, bohrte sich in die Seite des Iren und durchschlug den Körper. Der Ire sackte nach vorn. Das Beil fiel ihm aus der Hand und krachte Dan mit dem Stiel auf die Schulter. Das Bürschchen wirbelte herum. Er sah den schwankenden Iren, erschrack, als er den blutigen Pfeil entdeckte, der seitlich aus dem Leib herausschaute, und ließ das Want los, an das er sich geklammert hatte. Mit beiden Armen rudernd, versuchte er das Gleichgewicht zu halten. Vielleicht wäre ihm das gelungen, wenn er seine Pike losgelassen und mit der rechten Hand nach hinten
gegriffen hätte, aber Dan dachte nicht im Traum daran, sich auch nur eine Sekunde von seiner Pike zu trennen. »Arwenack!« Sein Schrei zog sich in die Länge und verstummte abrupt, als das Bürschchen mit dem Bauch aufs Wasser klatschte und sofort unterging. Sie hatten es alle gesehen. Sie glaubten, daß der Kleine schwer verwundet worden sei. Ein Wutschrei ging durch die Männer der ›Isabella‹. Mit einer Wildheit, gegen die jeder Widerstand sinnlos war, warfen sie sich auf die Spanier und Iren und trieben sie vor sich her über das Deck. In hohem Bogen flogen Verwundete und Tote ins Wasser. Batuti hatte neben Hasard als einziger bemerkt, daß Dan völlig unverletzt ins Wasser gestürzt war. Er schnappte sich ein Tau und warf Dan den Tampen zu, als er wieder auftauchte. Mit einem kurzen Ruck hievte Batuti das Bürschchen zurück an Deck. Dan fand keine Zeit, sich bei Batuti zu bedanken. Mit seinem Kampfgeschrei auf den Lippen stürzte er sich auf zwei Spanier, die Matt Davies bedrängten. Seine Pike hatte er auch im Wasser nicht losgelassen. Sie zuckte vor und bohrte sich dem einen Spanier dicht unter dem Brustpanzer in den Leib. Den anderen hatte Matt mit dem Haken am Genick gepackt und schleuderte ihn in hohem Bogen über Bord. Die Soldaten an Steuerbord schossen wieder. Die Spanier und Iren in dem dritten Boot wollten ihren Kameraden zu Hilfe eilen, aber sie konnten das Abwehrfeuer der Soldaten nicht durchbrechen. Schließlich gab der junge Spanier, der den Befehl zu haben schien, das Zeichen zum Rückzug. Das Boot trieb wieder in die Dunkelheit. Von den zwanzig Männern lebten nur noch vier. Alle anderen waren von den Musketenkugeln der Soldaten niedergestreckt worden. Stille trat ein, als Stenmark den letzten Iren über das Schanzkleid stieß. Das Boot der Angreifer, das an Backbord der ›Isabella‹ lag, brannte. Ein kurzer Befehl von Hasard
genügte. Vier Männer kletterten außenbords und stießen das brennende Boot ab, das mit dem auflaufenden Wasser rasch davontrieb. Hasard atmete auf und wischte sich über das blutverschmierte Gesicht. Wollte dieser blutige Tag denn gar kein Ende nehmen? Was veranlaßte die Spanier, mit dieser Verbissenheit anzugreifen? Wenn sie ihre Schiffe aufgaben und sich mit den Iren ins Land zurückzogen, konnten sie wenigstens ihr Leben retten. Eigentlich hatte Hasard das von den Spaniern erwartet. Irgend etwas mußte es geben, wovon Hasard nichts wußte. Er schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken. Sie mußten klar Schiff machen, denn lange dauerte es nicht mehr bis zum Gezeitenwechsel. Nach diesem nächtlichen Angriff glaubte Hasard auch, daß die Karavellen im Morgengrauen einen Durchbruchsversuch wagen würden. An Schlaf war für niemanden zu denken. Der Kutscher hatte alle Hände voll zu tun. Drei Soldaten und zwei Männer aus der Mannschaft der ›Santa Cruz‹ waren schwer verwundet. Der tote Soldat und der tote Seemann von der ›Santa Cruz‹ wurden in Segeltuch eingenäht und unter Deck gebracht. Dan O’Flynn stand in seinen klatschnassen Kleidern da und starrte die grinsenden Männer wütend an, denen die Schadenfreude aus den Augen sprang. »Der Kleine ist über Bord gefallen«, sagte Smoky kichernd. »Batuti war gerade nicht bei ihm, um ihn festzuhalten.« »Ich bin absichtlich gesprungen, du Ochse!« schrie Dan. »Da unten war schließlich mehr los als hier oben. Es kann sich ja nicht jeder unter der Back verstecken, wenn das Schiff angegriffen wird!« Das Grinsen war aus Smokys Gesicht wie weggewischt. »Was willst du damit sagen, du Giftzwerg?« fragte er grollend. Das Bürschchen hob herausfordernd den Kopf. »Nichts weiter«, sagte er angriffslustig, »nur, daß ich dich
nicht einmal während des Kampfes gesehen habe.« »Das …« Smoky blieb die Luft weg. Sein Gesicht lief rot an. Er hatte die Arme vorgestreckt, und seine mächtigen Pranken öffneten und schlossen sich. »Schafft mir diesen verleumderischen Hundesohn aus den Augen, oder ich bringe ihn um!« »Versuchs’s doch!« schrie Dan zurück. »Du bist …« Es klatschte laut. Dan O’Flynn heulte auf und riß die Rechte mit der Pike hoch. Im letzten Augenblick hielt er inne, denn er hatte erkannt, daß es Batuti gewesen war, der ihm eine Maulschelle verpaßt hatte. Es war plötzlich still auf dem Deck der ›Isabella‹. Alle starrten den riesigen Neger an, der mit verschränkten Armen vor dem überraschten und wutschnaubenden Bürschchen stand. »Du von keinen Mann sagen, er Feigling«, sagte Batuti ruhig. »Auf ›Isabella‹ nur mutige Männer, claro? Du mußt entschuldigen bei Smoky.« Dan preßte die Lippen zusammen. Trotz stand in seinen Augen. Doch dann wich er dem Blick Batutis aus und senkte den Blick. Zögernd ging er auf Smoky zu und hielt ihm die Hand hin. »Tut mir leid, Smoky«, sagte er leise. »Ich war wütend. Ich hab es nicht so gemeint.« Smoky grinste schon wieder. »Ich hab selber schuld«, erwiderte er. »Ich hätte dich nicht ärgern sollen. Ich weiß ja, daß du ein reinlicher Mensch bist und gern badest …« Seine letzten Worte gingen im Gelächter der anderen unter, und diesmal lachte Dan mit. Als sie dann wieder an der Arbeit waren, warf Dan verstohlene Blicke zu Batuti hinüber, aber der Schwarze tat so, als sei nichts geschehen.
10.
Romero Valdez stand auf dem Achterdeck seiner Karavelle und blickte hinüber in die Bai, wo einzelne Lichtblitze durch die Dunkelheit zuckten. In das dünne Krachen von Musketen mischte sich plötzlich das Donnern einer Kanone. Romero Valdez schloß die Augen. Er wußte, daß der Überfall mißlungen war. Die Engländer waren auf der Hut gewesen, sonst wäre es ihnen nicht gelungen, die Kanone abzufeuern. Er hämmerte die rechte Faust auf das Holz der Reling. Dieser verfluchte Engländer muß te mit dem Satan im Bunde sein! Sein Oberkörper begann zu zittern. Haßwellen überschwemmten ihn. Er mußte seine Rache vollenden, koste es, was es wolle. Diese irische Bucht würde er nur auf dem Achterdeck der ›Isabella‹ verlassen - oder überhaupt nicht. Mit schweren Schritten stampfte er auf die Tür zu, die zur Kapitänskammer führte. Die Männer, die auf dem Hauptdeck standen und ihn haßerfüllt anstarrten, beachtete er nicht. In seiner Kammer ließ er sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch sinken. Er mußte nachdenken. Es mußte einen Weg geben, wie er den Engländer packen konnte. Er starrte vor sich hin und fand die Antworten auf seine Fragen nicht. Er hörte den Lärm auf dem Deck der Karavelle, doch er drang nicht bis zu seinem Bewußtsein vor. Erst als eine harte Faust gegen die Tür seiner Kammer schlug, schreckte er hoch. Don Emilio de Quemada betrat die Kammer. Der milde Schein zweier Öllampen riß ihn aus der Dunkelheit. Sein Hemdwar blutdurchtränkt. Valdez sah die Schußwunden an der rechten Schulter und den blutigen Streifen am linken Arm. Langsam stand der Capitan auf. Seine schwarzen Augen starrten den jungen Spanier wütend an. De Quemada hob den Kopf. »Wir haben es nicht geschafft, Capitan«, sagte er mit fester Stimme. »Die Engländer haben uns schon erwartet. Ich
versuchte sie zu täuschen, indem ich das Feuer und die Aufmerksamkeit der Engländer auf mein Boot lenkte, aber sie mußten die anderen Boote schon gehört haben. Aus meinem Boot überlebten nur vier Männer. Die anderen waren sofort tot oder starben auf dem Weg hierher. Ich ließ das Boot um die ›Isabella‹ herumrudern. Wir suchten nach den anderen, aber wir fanden nur einen Mann. Vielleicht haben sich noch einige schwimmend ans Ufer retten können - die meisten sind jedoch tot.« Eine Weile war es still in der Kapitänskammer. In den Augen von Romero Valdez glomm ein irres Feuer. Durch die offenstehende Tür wehte ein Luftzug und brachte die Flammen der Öllampen zum Flackern. Gespenstische Schatten zuckten über die Holzwände. »Und Sie wagen es noch, vor mich hinzutreten?« Valdez’ Stimme klang wie ein eiskalter Hauch, aber sie erschreckte den jungen Spanier nicht. Stolz erhob Emilio de Quemada das Haupt, als er Valdez seine Anklage ins Gesicht schleuderte. »Ich stehe nur lebend vor Ihnen, weil ich dem Mörder dieser Männer noch einmal ins Gesicht spucken will. Ihr Tod war völlig sinnlos! Sie haben sie bedenkenlos geopfert, um Ihren Haß auf den Mann zu befriedigen, der Ihr Schiff gekapert hat! Ich kenne Ihre Geschichte, Capitan Valdez! Sie waren ein Mann, der das Glück gepachtet zu haben schien. Nicht einmal ist Ihr Schiff von Kaperern oder Piraten angegriffen worden. Und als es doch einmal geschah, haben Sie jämmerlich versagt. Sie haben allen möglichen Leuten die Schuld an Ihrem Unglück in die Schuhe geschoben. Nie haben Sie daran gedacht, die Schuld bei sich selbst zu suchen, und dennoch wissen Sie, daß Sie ein Versager sind. Sie wollen es nur nicht vor sich selbst zugeben!« Der Schrei, der sich aus der Kehle von Valdez Bahn brach, hatte nicht viel Menschliches an sich. Seine Hand fuhr hinunter
zur linken Hüfte und riß den Degen hervor. Über den Schreibtisch hinweg stieß er die Klinge in den Leib des jungen Kommandanten, der nicht die Spur einer Abwehrbewegung unternommen hatte. Fast schien es so, als hätte Emilio de Quemada diesen Tod gesucht. Anklagend ruhten seine Augen auf dem Gesicht des Capitans, doch Valdez nahm es in seinem Haß und seinem unbändigen Zorn nicht wahr. Mit einer wilden Bewegung riß er den Degen zurück. Blut spritzte über den Schreibtisch und hinterließ ein Meer von Flecken auf den ausgebreiteten Seekarten. Taumelnd versuchte de Quemada auf den Beinen zu bleiben, doch dann verschwand der anklagende Blick aus seinen Augen. Sie waren weit in die Ferne gerichtet. Der junge Spanier fiel steif wie ein Brett um. Er krachte auf den Rücken. Sein Hinterkopf schlug dumpf auf den Holzboden der Kammer. Valdez war mit ein paar Schritten neben ihm. Sein Haß drohte ihn zu zerreißen. Er hob den blutigen Degen, um noch einmal zuzustoßen, doch da merkte er, daß sich de Quemada nicht mehr bewegte. Der junge Mann war tot. »Bootsmann!« schrie Valdez mit sich überschlagender Stimme. Schritte hasteten heran. Ein Kopf schob sich in die Türfüllung. Entsetzen stand in den Augen des Bootsmannes, als er den toten Capitan der anderen Karavelle in seinem Blut liegen sah. »Schaff den Feigling und Verräter hinaus«, sagte Valdez schrill. »Ich will, daß er noch heute nacht von Bord gebracht wird. Wo ihr seinen Kadaver verscharrt, ist mir egal. Das Kommando auf der ›Milagrosa‹ übernimmt der Bootsmann. In einer Stunde will ich alle drei Karavellen gefechtsklar haben. Mit der einsetzenden Ebbe werden wir einen zweiten Durchbruchsversuch wagen. Die Dämmerung wird uns diesmal zur Seite stehen. Ich erwarte von jedem einzelnen Mann, daß er
seine Pflicht bis zum letzten Atemzug erfüllt, sonst werde ich ihn eigenhändig töten wie diesen Feigling hier. Schaff ihn mir endlich aus den Augen!« Valdez drehte sich abrupt um. Er hörte, wie der Bootsmann keuchend den Leichnam des jungen Adeligen aus der Kapitänskammer schleifte und die Tür hinter sich schloß. Mit einer wütenden Handbewegung wischte er die blutbespritzten Seekarten von der Schreibtischplatte. »Ich werde die ›Isabella‹ mit euch zurückerobern«, murmelte er vor sich hin, »oder ihr werdet alle mit mir untergehen!« Er ließ den blutigen Degen zurück in die Scheide gleiten und ging zum Fenster hinüber. Draußen auf der Bai trieb das brennende Boot der Spanier. In einer Stunde würde die Ebbe einsetzen, dann war die Zeit der Entscheidung da. In seinem haßerfüllten Hirn kristallisierte sich eine Idee heraus, die immer festere Formen annahm. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Ja, das war es! Nur so konnte er den Engländer packen und seine Rache vollenden. Unruhig lief er in seiner Kammer auf und ab. Er hörte die hastenden Schritte auf dem Deck und die Stimme des Bootsmanns, der seine Befehle an die Mannschaft weitergab. Romero Valdez konnte die Zeit nicht mehr abwarten. Schließlich verließ er die Kammer und ging aufs Achterdeck. Seine Männer erschraken, als sie ihren Capitan sahen. Er hatte sich in erschreckender Weise geändert. In den schwarzen Augen loderte ein unheilvolles Feuer. Sein Oberkörper - sonst immer gerade wie ein Ladestock - war nach vorn gebeugt. Der steife linke Arm schlenkerte hin und her, als gehöre er nicht zu seinem Körper. »Der Satan«, sagte einer der Männer voller Furcht. »Dios mio, er ist der Satan!«
11.
Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck der ›Isabella‹ und blickte wütend in die dünnen Nebelschwaden, die über die Dungarvanbai zogen und ihm den Blick in die Stiefelbucht verwehrten. Absolute Stille herrschte an Deck. Seit einer Stunde, als das erste Grau am östlichen Horizont heraufgekrochen war, stand jeder auf seinem Posten. Noch in der Nacht hatte Hasard den Anker aufholen und sich vom Nordwind näher an die Einfahrt der Stiefelbucht herantreiben lassen, damit die Karavellen nicht dicht unter dem jenseitigen Ufer im Schutz der Nebelschwaden unentdeckt durchbrechen konnten. Die Strömung des ablaufenden Wassers zerrte an der Heckankertrosse. Der Rumpf der Galeone knarrte, als wehre er sich gegen die Fesselung. Ganz oben im Großmasttopp hing Dan O’Flynn und versuchte über die niedrigen Nebelschwaden hinweg etwas zu erkennen. Er zuckte zusammen, als er für einen Sekundenbruchteil etwas Schwarzes in dem diffusen Durcheinander von Dämmerung und Nebel erkannte. Er kniff die Augen zusammen. Vielleicht war es eine Möwe, sagte er sich. Doch dann riß ein Stück in den Nebelschwaden auf. Dan erschrak. Nicht weit von der ›Isabella‹ entfernt ragten Mastspitzen aus den milchigen Fetzen, die über dem Wasser wogten. »Masten Steuerbord querab!« brüllte er aus Leibeskräften. »Höchstens eine Kabellänge entfernt!« Er hatte vergessen, daß Hasard jede Meldung nur geflüstert haben wollte. Zu groß war der Schock gewesen, daß die Spanier sich unbemerkt so dicht an ihr Schiff hatten heranschleichen können. Hasard reagierte sofort. Er unterdrückte seinen Ärger über
Dans disziplinloses Verhalten und gab mit scharfer Stimme seine Befehle. An den Steuerbordgeschützen entstand Bewegung. Die Männer von der ›Santa Cruz‹ wurden von Ben Brighton in die Wanten gejagt. Wenn die Dons schon so dicht heran waren, mußten sie jeden Augenblick bereit sein, ankerauf zu gehen und den Feind auszumanövrieren. »Bleib oben, Dan!« rief Hasard zum Großmast hinauf. Nur undeutlich konnte er die schmächtige Gestalt des Bürschchens in den Nebelfetzen erkennen. »Gib Ferris die genaue Richtung und die Entfernung an!« »Ich kann sie nicht mehr sehen!« rief Dan zurück. »Dann eben ungefähr!« Hasard verlor die Geduld. »Ferris, sobald du die Geschütze gerichtet hast, feuer drei Kanonen ab. Es ist egal, ob du triffst. Kapitän Drake und Kapitän Thomas müssen gewarnt werden!« »Aye, aye«, sagte Ferris Tucker. Er verständigte sich mit Dan und setzte dann mit dem brennenden Span das Zündkraut in Brand. Krachend entluden sich die Geschütze. Hasard horchte. Nach einer Weile meinte er das Platschen von Wasser zu hören - sonst nichts. Er fluchte unterdrückt. Dieser verdammte Nebel! Hatte es noch Zweck, hier vor Anker liegen zu bleiben? »Jetzt sehe ich sie wieder!« Dans Stimme krähte aus dem Großmast. »Verdammt, so schnell können sie doch nicht gesegelt sein!« Die Nebelschwaden rissen auf, als hätte ein riesiger Besen sie auseinandergefegt. Im Osten stieg die Sonne blutrot aus dem Meer. Hasard konnte in der Einfahrt der Dungarvanbai zwei kleine schwarze Punkte vor dem roten Ball sehen. Es mußten die ›Santa Cruz‹ und die ›Marygold‹ sein. Sein Blick schwenkte weiter nach Süden. Wie Schemen zogen eine halbe Meile von ihnen entfernt zwei spanische Karavellen aus den aufreißenden Nebelschwaden. Sie befanden
sich schon auf der Höhe der winzigen Bucht, in der Hasard und seine Männer sich verschanzt hatten. Die Spanier hatten alles auf eine Karte gesetzt. Es war höllisch gefährlich, was sie da taten. Der immer noch aus dem Norden wehende Wind konnte sie leicht zu nahe ans Ufer drücken. Nur ein paar hundert Yard hinter der kleinen felsigen Bucht begann die Sandbank, die den beiden ineinandergelaufenen Karavellen schon zum Verhängnis geworden war. Hasard überlegte, ob er den beiden Karavellen unverzüglich folgen sollte. Aber wo war die dritte? Die Bai lag jetzt klar vor ihnen. Hasard hätte die Karavelle sehen müssen, wenn sie bereits durchgebrochen wäre. Sie mußte noch in der Stiefelbucht sein. Aber warum? Aus welchem Grund war die dritte Karavelle zurückgeblieben? Wenn sie mit den beiden anderen gesegelt wäre, hätten sich die Spanier einen entscheidenden Vorteil verschafft, denn dann wären sie durch ihre Wendigkeit durchaus in der Lage gewesen, den beiden englischen Karavellen in der Einfahrt der Dungarvanbai zu entwischen. Ben Brighton tauchte am Niedergang zum Quarterdeck auf. »Willst du sie nicht verfolgen?« fragte er. »Wo ist die dritte?« gab Hasard zurück. »Ich werde das Gefühl nicht los, als ob die Dons eine Schweinerei ausgeheckt haben.« Das Warten riß an seinen Nerven. Er hielt es nicht länger aus, hier untätig herumzuliegen und zu warten, bis der unsichtbare Feind etwas unternahm. Er befahl Ben, ankerauf zu gehen und in die Bai hinauszusegeln, aus der der Nebel sich immer weiter zurückzog. Ben Hatte seine Befehle noch nicht an die Mannschaft weitergegeben, als Dans schrille Stimme vom Großmast herunterschallte. »Er hält auf uns zu! Die verfluchten Dons wollen uns
rammen!« Hasards Kopf ruckte herum. Die Nebelschwaden, die das rötliche Licht der aufgehenden Sonne reflektierte, war immer noch undurchdringlich. Dan schrie seine Positionsmeldung zum Deck hinunter. Knarrend drehte sich das Bratspill. Die schwere Ankertrosse glitt scharrend durch die Klüse unterhalb der Heckgalerie. An den Geschützen standen die Männer der ›Isabella‹ und waren bereit, das todbringende Eisen in ihren Kanonen zu den Spaniern hinüberzuschicken. Nur die Stimme von Dan O’Flynn, Ben Brighton und Jim Maloney waren zu hören. Dann fiel rauschend das Focksegel und füllte sich mit Wind. Hasard ließ den Blick nicht von der Nebelwand. Und dann sah er sie. Schemenhaft waren die Umrisse der spanischen Karavelle zu erkennen. Sie stand unter vollen Segeln. Sie hatte wie die eine zusammengeschossene Karavelle, die jetzt draußen auf der Sandbank lag, außer den drei Masten, an denen sie Lateinersegel führte, noch einen Fockmast mit viereckigem Fock- und Focktoppsegel, die sie allerdings nicht gesetzt hatten. Dan O’Flynn hatte tatsächlich recht! Der spanische Capitan mußte den Verstand verloren haben. Er hielt stur auf die langsam Fahrt aufnehmende ›Isabella‹ zu und rückte mit jedem Kreuzschlag, den er gegen den Nordwind fahren mußte, näher auf die englische Galeone zu. Obwohl die ›Isabella‹ die Luvposition innehatte, war er im Moment gegenüber der herankreuzenden Karavelle im Nachteil. Zu schnell war das Schiff der Spanier aufgetaucht. Hasard sah die viereckigen schwarzen Löcher im Bug, aus denen die Schlünde von zwei schlanken Geschützen ragten. Weißer Pulverrauch wölkte um die Mündungen, und im nächsten Augenblick schlug eine Kugel in die Takelage der
›Isabella‹. Hasard war den Kopf in den Nacken. Über ihm splitterte Holz. Die Toppstenge des Besans wirbelte durch die Luft und klatschte fast fünfzig Yards weiter ins Wasser. Im ersten Moment glaubte Hasard noch, die Kugel hätte keinen weiteren Schaden angerichtet, und wandte sich zur Kuhl, um Ben Brighton einen Befehl zuzurufen. Ein mächtiges Rauschen und Knattern riß Hasard die Worte von den Lippen. Ein gellender Warnschrei aus dem Großmast ließ ihn herumfahren. Wie ein überdimensionaler Speer schoß die Lateinerrahe vom Besan herab. Hasard hechtete mit einem gewaltigen Satz zur Seite. Dicht neben ihm krachte die schwere Stenge auf das Quarterdeck und zerschlug die Decksplanken, als bestünden sie aus dünnem Papier und nicht aus massiven Eichenbohlen. Weiter hinten auf dem Achterdeck hatte die Rahe ein Stück aus der Backbordbrüstung gerissen. Ein furchtbarer Schrei ließ Hasard das Blut in den Adern gefrieren. Mit einem Satz war er auf den Beinen und sah einen blutüberströmten Unterleib unter dem Besansegel herausragen. Die Leinwand sog sich langsam mit Blut voll und färbte sich dunkel. Hasard wandte sich mit zusammengebissenen Zähnen ab. Er dachte nicht daran, daß er jetzt ebenso wie dieser Mann unter der herabgestürzten Stenge liegen konnte. Für ihn als Kapitän dieser Galeone war in diesem Augenblick nur eins wichtig: Er mußte den Feind ausmanövrieren und ihm die Zähne zeigen, bevor es dem Spanier gelang, die Beweglichkeit der ›Isabella‹ mit ein paar weiteren gezielten Schüssen aus den Buggeschützen zu zerstören. Ben Brighton hatte die Gefahr erkannt und auch ohne Hasards Befehl das richtige Manöver eingeleitet. Er hatte noch Sekunden gewartet, und als die Karavelle wendete, um mit dem nächsten Kreuzschlag noch dichter an die englische
Galeone zu gelangen, schwenkten die Fockmast- und Grbßmastgasten die Rahen herum. Plötzlich lag die ›Isabella‹ fast parallel zur spanischen Karavelle. Der Capitan schien die Gefahr sofort erkannt zu haben, aber ehe seine Männer die nächste Wende fahren konnten, hatten Ferris Tucker, Al Conroy und Malloy von der ›Santa Cruz‹ gehandelt. Donnernd entluden sich die Steuerbordgeschütze der ›Isabella‹. Die Decksplanken erzitterten. Durch den Lärm der polternden Lafettenräder erscholl der Befehl von Hauptmann James Courcy an seine Männer, das Musketenfeuer auf die Karavelle zu eröffnen. Die ersten Musketen krachten. Während die Soldaten ihre Waffen mit eingeübten Bewegungen im Knien nachluden, schoß die nächste Reihe. Hasard schrie einen weiteren Befehl, der schon fast ausgeführt war, bevor er ihn ausgesprochen hatte. Die ›Isabella‹ fiel ab, bis sie fast hinter der Karavelle war. Die Steuerbordgeschütze der Karavelle spuckten ihr Eisen aus. Ein paar Kugeln klatschten dicht vor dem Rumpf der Galeone ins Wasser, zwei Kugeln aber trafen ihr Ziel. Hasard zuckte regelrecht zusammen, als er die dumpfen Laute hörte, mit denen die Eisenkugeln in den Rumpf der ›Isabella‹ schlugen. Dann kroch Entsetzen in Hasard hoch. Er hatte die dumpfe Explosion unter Deck gehört. Bruchteile von Sekunden später schoß eine Stichflamme durch die Gräting in der Kuhl. Das Beiboot, das über der Gräting festge zurrt war, riß sich los und krachte zur Seite. Die Männer an Deck waren sekundenlang geschockt. Jeder wartete auf die Detonation der Pulvervorräte, die die ›Isabella‹ in Stücke reißen würde. »Ferris!« brüllte Hasard durch den Lärm. »Runter unter Deck! Sieh nach, was los ist! Löscht das Feuer!« Ferris Tucker überlegte nicht lange. Sein Finger zeigte auf drei Leute der Segelcrew, und dann war er schon unter Deck
verschwunden. Hasard trieb die Männer an den Geschützen an. Die ›Isabella‹ befand sich im toten Winkel der gegnerischen Geschütze und hätte in Ruhe darauf warten können, der Karavelle mit einer weiteren Breitseite den Rest zu geben. Doch Hasard hatte etwas anderes vor. Ben Brighton blickte nur kurz auf, als Hasard den Befehl zum Anluven gab. Jeder an Bord wußte, was das zu bedeuten hatte. Hasard wollte die spanische Karavelle entern! Die Soldaten feuerten ununterbrochen, um die Spanier auf der Karavelle in Deckung des Schanzkleides zu zwingen. Ferris Tucker tauchte mit pulvergeschwärztem Gesicht am Niedergang auf. »Wir haben das Feuer unter Kontrolle«, sagte er heiser. »Eine der Kugeln hat Riedels Kartuscheneimer in die Luft geblasen. Es ist nicht viel von ihm übriggeblieben. Es sieht schlimm aus da unten.« »In Ordnung, Ferris«, sagte Hasard. »Bleib oben. Wir entern. Zeig ihnen noch einmal die Zähne, wenn wir längsseits gehen.« »Aye, aye.« Tuckers Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt. In ihm zeichnete sich die Entschlossenheit ab, so lange zu kämpfen, bis kein Leben mehr in seinem Körper war. Al Conroy war bereit. Er wartete nicht ab, bis die ›Isabella‹ genau parallel zur Karavelle lag. Er hatte die Geschütze leicht schwenken lassen und konnte daher eher feuern. Auf die kurze Entfernung war die Wirkung der Ketten- und Stangenkugeln ungeheuerlich. Conroy hatte in Deckhöhe gezielt. Zwei der Kugeln rasierten das Schanzkleid der Karavelle weg. Die Spanier, die den Kugeln und den herumschwirrenden Holzsplittern entgangen waren, wurden von den Musketenkugeln der Soldaten umgemäht. Der Lärm auf beiden Schiffen war unbeschreiblich. Während die Spanier auf der Karavelle in ihrem Blut lagen und die Verletzten sich kriechend in irgendeine Deckung retteten, schrien die
Engländer ihren Triumph über den bevorstehenden Sieg in den Morgen. Enterhaken flogen zur Karavelle hinüber. Dan O’Flynn, Jim Maloney und Batuti schwangen sich an Tauen auf das Achterdeck des Spaniers. Hasard wartete, bis die Schiffsrümpfe aneinander prallten, dann hechtete er mit einem Satz vom Achterdeck der Galeone hinüber in die Besanwanten der Karavelle. Noch hatten die Spanier den Widerstand nicht aufgegeben, obwohl sie eingesehen haben mußten, daß sie keine Chance mehr hatten, den ungleichen Kampf zu ihren Gunsten zu entscheiden. Batuti hatte sich mit dem riesigen Splitter einer Stenge bewaffnet und mähte die angreifenden Spanier damit nieder. Dan O’Flynn stach mit seiner gekürzten Pike zu wie eine Wespe. Hasard blieb gebückt stehen, nachdem er von den Wanten hinab aufs Achterdeck gesprungen war. Er hörte eine schrille Stimme, die irgendwie bekannt in seinen Ohren klang. Dann sah er ihn. Der spanische Capitan dieser Karavelle war Ro mero Valdez, der ehemalige Kommandant der ›Isabella von Kastilien‹. Mit einem Schlag wurde Hasard klar, warum diese Karavelle diesen wahnwitzigen Angriff auf die überlegene ›Isabella‹ unternommen hatte. Valdez mußte erkannt haben, daß es sein ehemaliges Schiff war, das den Spaniern den Weg aus der Dungarvanbai versperrte. Dieses Wissen hatte ihn um den Verstand gebracht. Romero Valdez hatte Hasard erkannt. Seine schwarzen Augen funkelten irr. Leicht vorgebeugt ging er auf Hasard zu. Der linke Arm schlenkerte an seiner Seite. Hasard sah, daß er steif war. Er schüttelte langsam den Kopf, um Valdez zu zeigen, daß er ihn nicht töten wollte. Doch der Capitan bemerkte es nicht. Er wollte seine Rache haben.
Hasard wehrte den ersten Angriff des Spaniers mit Leichtigkeit ab. Valdez’ Degen prallte von der Klinge des Entermessers ab. Der Capitan hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu behalten. Wutschnaubend wirbelte er herum und stach abermals zu. Er traf nur Luft. Ein kleiner Schritt zur Seite hatte Hasard genügt, den Spanier leer laufen zu lassen. Aus den Augenwinkeln sah Hasard, wie seine Männer unter der Besatzung der Karavelle aufräumten. Der Widerstand der Spanier war endgültig gebrochen. Nur Romero Valdez gab nicht auf. Er wollte sich an dem schwarzhaarigen Engländer für die Schmach rächen, die ihm in Sevilla von der Casa angetan worden war. Ein heiserer Schrei drang über seine Lippen. Der Toledodegen fauchte durch die Luft, als Hasard sich blitzschnell bückte. Mit einem einzigen Schritt war Hasard an Valdez heran und stieß ihm den Knauf des Entermessers gegen die Brust. Valdez taumelte gegen die Reling. Er wollte den linken Arm heben, um sich festzuklammern, doch er schaffte es nicht. Verzweiflung stand in seinen Augen, als er auf den steifen Arm blickte. Er ließ den Degen fallen. Hasard atmete auf. Der Capitan hatte den Kampf verloren gegeben. Das Feuer des Hasses war aus seinen dunklen Augen verschwunden. Sein Blick war ins Leere geric htet. La ngsam tastete sich seine rechte Hand zum Gürtel, aus dem der Griff eines Messers ragte. Hasard hob sein Entermesser, um einen überraschenden Angriff abwehren zu können. Er sah zu spät, was Valdez vorhatte. Er sprang auf den Capitan zu, doch der hatte sich bereits auf die Reling geschwungen. Die Rechte mit dem Messer zuckte hoch. Die blitzende Stahlklinge bohrte sich tief in die Brust des Spaniers, der ohne Ehre nicht mehr leben wollte.
Hasards Hände schossen vor, doch er erreichte den Capitan nicht mehr. Romero Valdez kippte über die Reling und klatschte ins Wasser. Eine Weile blieb Hasard wie erstarrt stehen. Dann wandte er sich zu seinen Männern um und befahl ihnen, zurück an Bord der ›Isabella‹ zu gehen. Die Karavelle hatte bereits schwere Schlagseite, und die Spieren ihrer Takelage drohten sich in den Wanten der ›Isabella‹ zu verfangen. Hasards Befehle hallten über das Deck der Galeone. Wenig später löste sich das Schiff von der schwer angeschlagenen Karavelle, die gurgelnd voll Wasser schoß und immer schneller absackte. Die Spanier, die unverletzt oder nur leicht verwundet den Kampf überstanden hatten, brachten sich in Sicherheit. Sie klammerten sich an schwimmende zerfetzte Spieren und versuchten, sie zur Küste hinüberzusteuern. Ben Brighton wies auf einen Punkt im Wasser. »Valdez«, sagte er zu Hasard. »Er lebt noch - und er scheint nicht mehr die Absicht zu haben, zu sterben.« Hasard starrte zu dem Mann hinüber, der verzweifelt versuchte, sich über Wasser zu halten und die Küste zu erreichen. Die Strömung des ablaufenden Wassers trieb ihn zur Buchteinfahrt, nur langsam näherte er sich dem Ufer. Hasard hatte nicht den Befehl gegeben, so dicht unter der Südküste der Bai zu segeln, aber er ließ Ben Brighton gewähren. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf den kleinen Punkt im Wasser, der Romero Valdez war. Als sie die Stelle passierten, an der sie sich einen Tag lang gegen eine Übermacht hatten verteidigen müssen, sah Hasard, wie Romero Valdez die felsige Küste erreicht hatte. Mit beiden Armen versuchte er, sich an einem Felsbrocken aus dem Wasser zu ziehen. Er schaffte es nicht. Ewigkeiten schienen zu vergehen, dann sah Hasard, wie der Körper des Capitans zurück ins Wasser rutschte.
Sekunden später tauchte er wieder auf, aber kein Arm rührte sich mehr, um gegen die Strömung zu kämpfen. Hasard wandte sich ab. Er wußte, daß Romero Valdez tot war. Der Haß hatte diesen Mann in den Tod getrieben. Das dumpfe Grollen von Kanonen riß Hasard aus seinen Gedanken. Er blickte nach vorn zum Buchteingang. Gege n die tiefstehende Morgensonne konnte er nicht viel erkennen, doch der Lärm sagte ihm genug. Die letzten beiden spanischen Karavellen versuchten, sich ihren Weg aus der Dungarvanbai freizukämpfen.
12. Kapitän Francis Drake auf der ›Marygold‹ und Kapitän John Thomas auf der ›Santa Cruz‹ blickten den beiden heransegelnden Karavellen in aller Seelenruhe entgegen. Sie hatten den Ausgang des Gefechtes in der Dungarvanbai beobachtet und mit Genugtuung gesehen, daß Philip Hasard Killigrew mit seiner ›Isabella‹ als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen war. Auf der ›Santa Cruz‹ herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Das Dickschiff mit seinen sechzig Kanonen lag vor Heck- und Buganker längsseits zur Buchteinfahrt - genau wie die ›Marygold‹. Kapitän Thomas hatte alle verfügbaren Männer an die Geschütze kommandiert. Er wollte mit allem zuschlagen, was sein Schiff an Vernichtungskraft zu bieten hatte. Die zwei Karavellen hielten auf die Lücke zwischen den englischen Galeonen zu. Thomas wußte, daß das nur ein Täuschungsmanöver war. Die Spanier waren nicht so dumm, sich zwischen zwei vernichtende Feuer zu wagen. Für sie gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wichen sie der stark bestückten ›Santa Cruz‹ aus, indem sie südlich von der
›Marygold‹ den Durchbruch wagten, oder sie versuchten, in Luvposition unterhalb der felsigen Nordküste der Buchtmündung das freie Meer zu erreichen. Im ersten Fall hatten sie außer den Kanonen der ›Marygold‹ einen zweiten, nicht weniger gefährlichen Feind: die Sandbank. Im zweiten Fall mußten sie den Beschuß des Dickschiffes hinnehmen. John Thomas hätte sich anstelle der Spanier für die zweite Möglichkeit entschieden, denn eine Sandbank, deren Lage man nicht einmal genau kannte, war für ihn unheimlicher als hundert Kanonen eines feindlichen Schiffes. Er warf einen Blick zurück zur Bai. Der Nebel hatte sich inzwischen fast völlig aufgelöst. Die ›Isabella‹ segelte mit vollem Zeug heran, aber es würde noch einige Zeit dauern, bis sie die Buchtmündung erreicht hatte. »Backbordgeschütze feuerbereit?« rief Kapitän Thomas seinem Bootsmann zu. »Aye aye.Sir!« Die beiden Karavellen waren hart an den Wind gegangen und segelten auf die Lücke zwischen der ›Santa Cruz‹ und der felsigen Nordküste zu. Sie liefen jetzt nebeneinander. John Thomas mußte zweimal hinblicken, bis er begriff, was dort auf den Karavellen vor sich ging. Die schlanken, schnellen Schiffe näherten sich einander, und dann flogen Taue von der ersten zur zweiten Karavelle. Sofort begannen einige Männer von der an Lee laufenden Karavelle zum anderen Schiff hinüberzuhan geln. Der Schrei eines Mannes, der den Halt verloren hatte und ins Wasser stürzte, hallte zur ›Santa Cruz‹ herüber,. John Thomas zuckte zusammen. Er hatte die Absicht der Spanier erkannt. Sie wollten die an Lee segelnde Karavelle aufgeben. Sie sollte der Kugelfang für das zweite Schiff sein. John Thomas brüllte seine Befehle über Deck. Die Segel mußten gesetzt werden. Verbissen starrte er zu den flinken Karavellen hinüber. Er wußte, daß sein Manöver zu spät
erfolgte. Er konnte weder den Heck- noch den Buganker einholen, bevor nicht alle Segel gesetzt waren. Die ›Santa Cruz‹ würde sofort von der Strömung des ablaufenden Wassers herumgeschwenkt werden und ihre günstige Schußposition verlieren. Die Taue zwischen den beiden Karavellen wurden gekappt, obwohl noch nicht alle Spanier das erste Schiff verlassen hatten. John Thomas erkannte zwei Männer auf dem Achterdeck der Karavelle, die die andere verdeckte. Ein Todeskommando, dachte John Thomas erbittert. Die Dons setzen alles auf eine Karte, um wenigstens ein Schiff heil durchzubringen. So wie es jetzt aussah, würden sie es schaffen. Weder die ›Santa Cruz‹ noch die ›Marygold‹ waren in der Lage, die Flucht der zweiten Karavelle zu verhindern. Pulverdampf wölkte an Deck der Karavelle auf und wurde sofort vom steifer werdenden Nordwind zerblasen. John Thomas duckte sich unwillkürlich, als er das Pfeifen hörte, mit dem Eisenkugeln über die ›Santa Cruz‹ hinwegzischten. Zum Glück hatten die Spanier nicht gut genug gezielt. John Thomas konnte den Befehl zum Feuern noch nicht geben. Die schweren Siebzehnpfünder auf dem Batteriedeck waren zu unbeweglich. Sie konnten erst feuern, wenn der Gegner auf gleicher Höhe war. »Prentiss soll die erste Karavelle in Deckhöhe beschießen!« rief John Thomas. »Die Neunpfünder versuchen über die erste hinwegzuschießen und die zweite zu treffen!« Der Bootsmann gab die Befehle an die Stückmeister weiter. In diesem Moment bedauerte John Thomas seine Entscheidung, Malloy auf die ›Isabella‹ geschickt zu haben. Der vierschrötige Mann war der beste Geschützführer auf der ›Santa Cruz‹. Ihm hätte John Thomas zugetraut, daß er mit den Demi-Culverinen an Deck die zweite Karavelle getroffen Hätte.
Wieder krachten die vier kleinen Geschütze der ersten Karavelle. Im Großsegel, das die Männer gerade gesetzt hatten, klaffte plötzlich ein Loch. Ein Splittern ließ John Thomas zusammenzucken. Ein Teil des Großmarses war von einer Kugel weggerissen worden. Einen Moment fürchtete der Kapitän der ›Santa Cruz‹, das Fall der Großrah würde brechen, aber die Rah blieb oben. Ein Schatten flog durch die Luft und krachte dumpf auf die Gräting in der Kuhl. Ein blutüberströmter Mann blieb mit zerschmetterten Gliedern regungslos liegen. Er mußte sich auf dem Großmars aufgehalten haben, als die Kugel eingeschlagen war. John Thomas fand keine Zeit, sich um den Toten zu kümmern. Die Spanier hatten gleich die Höhe der ›Santa Cruz‹ erreicht. Die Soldaten schossen aus ihren Musketen, doch Thomas ließ das Feuer einstellen. Die Entfernung war zu groß. Die Schüsse störten nur die eigene Mannschaft. John Thomas wußte, daß es jetzt auf Sekunden ankommen würde. Wenn die erste Breitseite des Kanonendecks die erste Karavelle voll traf, fanden die Männer der ›Santa Cruz‹ vielleicht noch Zeit, die dahintersegelnde Karavelle zu beschießen, wenn sie die Deckung durch das andere Schiff verlor. Immer dichter schoben sich die beiden Karavellen heran. Die erste segelte in einer Entfernung von etwa dreihundert Yards mit halbem Wind, während die zweite immer noch hart am Wind fuhr und auf die Klippen an der Nordküste der Bucht zuhielt Sie war schon über vierhundert Yards von der ›Santa Cruz‹ entfernt, und John Thomas hatte seine Zweifel, ob die Demi-Culverinen es schafften, die schnell segelnde Karavelle mit der ersten Breitseite zu treffen. Er hörte, wie der Stückmeister Prentiss unter Deck seinen Leuten die letzten Befehle zuschrie, dann hatte die erste Karavelle die Höhe der ›Santa Cruz‹ erreicht. Gleichzeitig mit dem Feuerbefehl von John Thomas krachten die Kanonen der
Karavelle zum drittenmal. Die ›Santa Cruz‹ erzitterte unter den Gewalten, die frei wurden, als die zwanzig Culverinen unter Deck auf einmal abgefeuert wurden. Das Krachen und Bersten von Holz ging im Lärm der Siebzehnpfünder unter. Spieren und Blöcke krachten aus der Takelage aufs Deck. Ein Mann, der nicht mehr rechtzeitig zur Seite springen konnte, wurde von einem Holzsplitter aufgespießt und förmlich auf die Gräting genagelt. Prentiss trieb seine Leute zu größter Eile an, die einzelnen Geschützführer brüllten ihren Männern Befehle zu, die umgehend ausgeführt wurden. Pulverträger hasteten geduckt über das niedrige Deck, auf dem ein unbeschreibliches Gewimmel herrschte. Es sah aus, als ginge alles durcheinander, und doch hatte jede Bewegung jedes einzelnen Mannes System. In einem Chaos aus Rauch, ohrenbetäubendem Lärm und ungeheurer Anspannung behielten die Männer der ›Santa Cruz‹ die Nerven. Sie kümmerten sich nicht um den Erfolg ihrer ersten Breitseite. Sie wußten, daß es in einem solchen Kampf nur darauf ankam, wie schnell sie ihre Geschütze wieder feuerbereit hatten. »Feuer!« brüllte Kapitän Thomas auf dem Achterdeck. Die Neunpfünder spuckten ihre Eisenkugeln in einem Inferno aus Feuer und Rauch hinüber zu dem feindlichen Schiff, das sich hinter der schwer getroffenen ersten Karavelle hervorschob. John Thomas hieb die rechte Faust auf die Quarterdeckbrüstung, als er sah, daß keine der Kugeln den Spanier erreichte. Alles zehn schlugen hohe Fontänen in den Himmel. Prentiss war die einzige Hoffnung. Vielleicht schaffte er es mit den Siebzehnpfündern, die immer größer werdende Entfernung zu überbrücken. John Thomas jagte seinen
Bootsmann mit dem Befehl unter Deck. Der Kapitän der ›Santa Cruz‹ warf einen Blick zur ersten Karavelle hinüber und nickte zufrieden. Prentiss hatte ganze Arbeit geleistet. Von den drei Masten des schnellen Schiffes stand nur noch der hintere. Und der hatte ebenfalls eine Rahe verloren. Das Deck war ein einziges Gewirr von zersplitterten Spieren, Tauen und zerfetzten Segeln. Die Breitseite der ›Santa Cruz‹ hatte aus dem wendigen Schiff ein unbewegliches Wrack gemacht, das hilflos mit dem ablaufenden Wasser ins offene Meer hinaustrieb. John Thomas wartete auf die zweite Breitseite der Unterdecksgeschütze. Als er sah, daß Prentiss nicht rechtzeitig feuern konnte, befahl er, den Buganker aufzuholen. Ein Mann gab dem Bootsmann und Prentiss Bescheid, daß die ›Santa Cruz‹ gleich vom Wind herumgetrieben würde. Prentiss solle im rechten Augenblick schießen. Aus den Augenwinkeln sah John Thomas die kleinen Pulverwolken auf der zusammengeschossenen Karavelle. Zum Teufel! dachte er. Sie haben immer noch nicht genug! Diesmal hatten die Spanier noch besser gezielt. Eine Kugel schlug mitten in der Kuhl ein und zertrümmerte das Beiboot, das sich aus der Halterung löste, gegen das Steuerbordschanzkleid rutschte und zwei Männer zerquetschte. Am Fockmast brach das Fall der Marsrah. Die Spiere mitsamt dem Segel rauschte herunter und riß ein Gewirr von Tauen mit sich. Zwei Soldaten auf der Back schauten fassungslos auf ihren Kameraden, der von einem Tau mitgerissen und wie von einem Katapult über Bord geschleudert wurde. »Anker auf!« John Thomas spürte, wie die ›Santa Cruz‹ herumschwenkte. Er ballte die Hände zu Fäusten und hoffte, daß Prentiss den richtigen Zeitpunkt erwischte. Donnernd entluden sich die zwanzig Backbordgeschütze auf den Kanonendecks. Lafettenräder polterten über die
Decksplanken. Der Wind trieb die Pulverdampfwolken durch die Stückpforten und brachte die Männer zum Husten. Prentiss fluchte und schrie seine Männer an, um seine Enttäuschung zu überwinden. Er hatte ein Gespür dafür, ob er den Feind getroffen hatte oder nicht. Obwohl er in dem dichten Qualm nichts hatte erkennen können, wußte er doch sofort, daß er die Karavelle verfehlt hatte. John Thomas starrte wütend zu dem letzten spanischen Schiff hinüber. Es war zu schnell für die Kanonen der ›Santa Cruz‹ gewesen. Die Kugeln waren ins Kielwasser der Karavelle geschlagen. John Thomas sah, daß die Demi-Culverinen wieder geladen waren. Mit heiserer Stimme befahl er, der entmasteten Karavelle den Rest zu geben, damit sie nicht mehr auf die ›Santa Cruz‹ feuern konnte. Die Kugeln sägten große Löcher in den Rumpf des spanischen Schiffes. Fast augenblicklich sackte es achtern weg. Die Männer, die den furchtbaren Beschüß überlebt hatten, sprangen von Bord und versuchten die felsige Küste zu erreichen. Das Gurgeln des Wassers, mit dem die Karavelle absoff, war bis zur ›Santa Cruz‹ herüber zu hören. John Thomas blickte nach Steuerbord hinüber. Die ›Marygold‹ stand unter vollen Segeln und hatte bereits beide Anker aufgeholt. Kapitän Drake versuchte, die schnelle Karavelle einzuholen. Thomas schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, daß die ›Marygold‹ schnell genug war, den Vorsprung der Spanier aufzuholen. Ein vielstimmiger Schrei ließ ihn herumfahren. Die ›Isabella‹ rauschte unter vollen Segeln heran und segelte dicht an der ›Santa Cruz‹ vorbei, die immer noch am Heckanker lag. Philip Hasard Killigrew winkte herüber und bedeutete Thomas, daß er die Verfolgung aufnehmen wolle.
Die ›Isabella‹ hatte noch eine winzige Chance. Die Karavelle segelte dicht unter der felsigen Nordküste, wo die Strömung des ablaufenden Wassers nicht so stark war. Hasard dagegen nutzte die Strömung voll aus. Aber John Thomas bezweifelte dennoch, daß der Seewolf den schnellen Spanier noch einholen würde.
13. Hasard hatte nicht viel mehr Hoffnung als Kapitän Thomas. Die Karavelle mit ihren drei Lateinersegeln war einfach zu schnell für die schwerfällige Galeone. Der auffrischende Nordwind drückte die ›Isabella‹, die unter vollen Segeln mit halbem Wind aufs offene Meer steuerte, auf die Steuerbordseite. Es schien, als liefen die Wellen des ablaufenden Wasser vor dem Schiff her. An Luv blieb die zerschossenen Karavelle zurück, die nur noch mit dem Vorschiff über Wasser war. Ein paar Männer versuchten verzweifelt, gegen die Strömung das rettende Ufer zu erreichen. Die ›Isabella‹ passierte die ›Santa Cruz‹ in einer Entfernung von fünfzig Yards. Hasard konnte deutlich die Einschüsse auf dem Deck und in der Takelage des Dickschiffs erkennen. Das Beiboot in der Kuhl war zerschmettert worden. Der Fockmast war in Höhe des Mars wie wegrasiert. Südlich von der ›Santa Cruz‹ segelte die ›Marygold‹ zur Irischen See hinaus. Kapitän Drake versuchte, der spanischen Karavelle den Weg abzuschneiden. Vielleicht schaffte er es, wenn die Karavelle nach Süden abdrehte, um mehr Wind in die Segel zu kriegen. Doch das hatte der Capitan der Karavelle nicht nötig. Mit seinen Lateinersegeln konnte er viel höher am Wind segeln als die rahgetakelten Galeonen. Nur wenige Männer befanden sich an Deck der ›Isabella‹.
Die meisten hatte Hasard zu Ferris Tucker aufs Zwischendeck abkommandiert. Die explodierten Kartuschen hatten allerhand Schaden angerichtet. Das kopfgroße Loch, das die Kugel der Spanier in den Rumpf der ›Isabella‹ gerissen hatte, war schon abgedichtet. Es lag jetzt unter der Wasseroberfläche, da die ›Isabella‹ über Steuerbordbug segelte. Hasard hörte das Hämmern unter Deck, doch er kümmerte sich nicht darum. Ferris Tucker würde den Schaden schon beheben, sonst hätte er sich längst gemeldet. Ben Brighton tauchte am Niedergang zum Quarterdeck auf und schwang sich hoch. Breitbeinig ging er zu Hasard hinüber, der an der Backbordreling stand und nach vorn zu der spanischen Karavelle schaute, die ihren Vorsprung vergrößert hatte. Ben schüttelte den Kopf. »Die kriegen wir nicht mehr«, sagte er. »Wir sollten lieber umkehren. Kapitän Drake fällt auch schon ab.« Hasard nickte. Er blickte zur ›Marygold‹ hinüber, die abzufallen schien, dann aber wieder zurück auf den alten Kurs gesteuert wurde. Irgend etwas mußte geschehen sein, das Drakes Entschluß, aufzugeben, geändert hatte. Hasards Kopf ruckte herum zur spanischen Karavelle. Das wendige Schiff war ebenfalls abgefallen und segelte nun mit achterlichem Wind in spitzem Winkel auf den Kurs der ›Marygold‹ zu. Der Capitan der Karavelle mußte den Verstand verloren haben. Die beiden englischen Galeonen waren drauf und dran gewesen, aufzugeben, und nun brachte sich der Spanier durch sein unverständliches Manöver selbst in tödliche Gefahr. »Alle Mann an Deck!« brüllte Ben Brighton auf einen Wink Hasards hin. »Schiff klar zum Gefecht!« Aus dem Niedergang zum unteren Deck quollen die Männer. Dan O’Flynn war der erste. Hasard schickte ihn sofort hinauf
in den Großmars. Ein Gedanke war in ihm aufgetaucht, und er wollte wissen, ob er mit seiner Vermutung recht hatte, bevor die letzten Felsen der Küste hinter der ›Isabella‹ zurückblieben und er Sicht auf die freie See hatte. Dan O’Flynn war kaum oben im Mars, als er auch schon losschrie. »Zwei Karacken stoßen von Norden auf die Karavelle zu!« Es schien, als wolle er noch etwas sagen, doch die nächsten Worte verschluckte er. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder gefangen hatte. »Das - das sind der alte Sir John und mein verdammter Alter!« Hasard nickte grimmig. Das war also der Grund, warum der spanische Capitan seinen Kurs geändert hatte. Immer näher trieb ihn der Nordwind an die ›Marygold‹ heran. Die Karavelle hatte zwar die Luvposition inne, aber ihre Bewaffnung war zu schwach, um ein Gefecht mit dem Schiff von Francis Drake zu bestehen. Der Capitan schien das eingesehen zu haben. Er luvte an und segelte hoch am Wind nach Nordost. Vielleicht hoffte er, mit diesem Manöver auch die beiden Karacken abzuschütteln, doch den alten Fuchs John Killigrew konnte er nicht täuschen. Als die Spanier merkten, daß sie in einer Falle saßen, aus der es keinen Ausweg mehr gab, griffen sie an. Hasard war selbst ein bißchen überrascht. Der Spanier ging durch den Wind auf den Backbordbug und hatte sich mit diesem blitzschnellen Manöver einen großen Vorteil verschafft. Ehe sich die beiden Karacken des alten John auf die neue Situation einstellen konnten, schlug der Spanier zu. Hasard sah die Pulverdampfwolken an Deck der Karavelle, und Sekunden später trug der Wind den Donner der kleinen Kanonen heran. Eine der beiden Karacken mußte die Ladung der sechs Vierpfünder voll nehmen. Der Großmast flog weg, als wäre er mit einem gewaltigen Säbelhieb abgetrennt worden. Für einen Moment wurde er
noch von den Wanten gehalten« doch dann kippte er nach Steuerbord, zerschmetterte das Schanzkleid und klatschte ins Wasser. Der über Bord gegangene Großmast hing noch an Wanten und Stagen und wirkte wie ein riesiger Treibanker. Mit dem Schanzkleid waren drei Geschütze ins Meer gestürzt. Die Kanonen an der Backbordseite feuerten, aber die Männer hatten sich nicht die Zeit genommen, sie neu zu richten. Die Kugeln zischten weit über die angreifende spanische Karavelle weg. Wie wild hackten die Männer des alten John Killigrew auf die Taue und Wanten ein, um den Großmast loszuwerden, der die Karacke buchstäblich lähmte. Hasard blickte hinüber zur zweiten Karacke, die sich merkwürdig zaudernd verhielt. Sie hätte schon längst über den anderen Bug gehen müssen, um der angreifenden Karavelle den Weg zur angeschlagenen Karacke abzuschneiden. Hasard grinste. Bruder Thomas Lionel Killigrew war ein Dummkopf. Wahrscheinlich wußte er sogar, was er in dieser Situation unternehmen mußte, aber er traute sich nicht, weil er Angst vor der Strafe seines Vaters hatte, wenn er etwas verkehrt machte. So war es immer gewesen. Hasard konnte seinem etwas dümmlichen Bruder nicht einmal etwas vorwerfen. Der Alte hatte selbst Schuld, wenn er jetzt mit seiner Karacke absoff, weil sein Sohn ihm nicht rechtzeitig zu Hilfe eilte. Er hatte eigenmächtiges Handeln seiner Söhne immer unterbunden. Die Quittung dafür erhielt er in diesem Augenblick. Der im Wasser treibende Großmast hatte die Karacke herumgezogen. Sie zeigte ihre volle Backbordseite dem herannahenden Feind. Von Süden kreuzte die ›Marygold‹ heran, aber sie würde den Gefechtsplatz noch später erreichen als die ›Isabella‹. Die Karacke des alten John hatte keine Chance. Der Spanier
fuhr einen schulmäßigen Angriff. Er steue rte seine Karavelle am Heck der dahintreibenden Karacke vorbei, fiel dann ab und feuerte eine volle Backbordbreitseite. Die spanischen Kanoniere hatten wieder hoch in die Takelage geschossen. Der Fockmast der Karacke knickte in halber Höhe ab. Die Rah sauste herunter und schlug krachend aufs Vorschiff. Zerfetztes Segeltuch hüllte die furchtbaren Szenen ein, die sich auf der Back abspielten. Todesschreie übertönten den nachhallenden Geschützdonner. Auch das Besansegel war in Mitleidenschaft gezogen. Nur noch Fetzen flatterten im steifen Wind, der wütend an den Wanten und Stagen des letzten Mastes zerrte. Die Männer auf der Karavelle hatten ihre Geschütze blitzschnell nachgeladen. Hasard sah, daß sich an jeder Kanone mindestens zehn Männer aufhielten. Der spanische Capitan hatte genügend Leute zur Verfügung, seit die Mannschaft der anderen Karavellen auf sein Schiff übergewechselt war. Die nächste Breitseite traf den Rumpf der Karacke und leitete den Todeskampf von John Killigrews Schiff ein. Die Löcher lagen nur dicht über der Wasseroberfläche, und da die Crew der Karacke es immer noch nicht geschafft hatte, das Schiff von dem treibenden Großmast zu befreien, neigte es sich immer mehr nach Steuerbord und soff langsam ab. Auf dem Achterdeck tobte der Alte. Hasard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er meinte zu hören, was er seinen Männern zuschrie. Sicher versprach er ihnen für diese meisterhafte Leistung eine entsprechende Belohnung in Form einer Hanfschlinge, eines abgehackten Armes oder von hundert Peitschenhieben. Im ersten Moment dachte Hasard, der Capitan der Karavelle würde nach seinem Erfolg die zweite Karacke angreifen, aber wahrscheinlich befürchtete er, in die Zange genommen zu werden, denn von Süden näherte sich mit schäumendem Bug die ›Marygold‹. Der Spanier schien das kleine Schiff von
Kapitän Drake zu kennen. Drake war bei den Dons gefürchtet wie der Satan selbst, und größere Schiffe als diese kleine Karavelle hatten bereits Reißaus genommen, wenn sie die ›Marygold‹ nur gesichtet hatten. Die Karavelle ging auf den Backbordbug. Zuerst glaubte Hasard, der Capitan wolle gegen den Wind kreuzen und nach Norden sein Heil in der Flucht suchen, doch dann sah er, daß die Karavelle mit halbem Wind zurück zur Einfahrt der Dungarvanbai segelte. Hasard ging sofort härter an den Wind. Seine eisblauen Augen begannen zu blitzen. Der spanische Capitan hatte sich verrechnet. Gegen das ablaufende Wasser war auch sein wendiges Schiff zu langsam, um der ›Isabella‹ zu entgehen. Er segelte direkt in sein Verderben. Der Capitan hatte seinen Fehler bemerkt. Vielleicht aber hatte er das Risiko eingeplant und es für das geringste gehalten. Draußen auf See hätte er gegen die herannahende ›Marygold‹ und die zweite Karacke keine Chance gehabt. Er rechnet sich gegen uns etwas aus, dachte Hasard. Er hat die Luvposition, und wenn er Glück hat, manövriert er uns mit seinem wendigen Schiff aus und kann uns eine Breitseite verpassen, ehe wir in der Lage sind, zu feuern. Die Karavelle fiel noch etwas ab. Ihr Bug zeigte jetzt genau auf den Bugspriet der hoch am Wind segelnden ›Isabella‹. Hasard preßte die Lippen zusammen. Er durfte die bevorstehende Auseinandersetzung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Der Capitan der Karavelle hatte vorhin bewiesen, daß er ein ausgezeichneter Seemann war, der sein Schiff beherrschte. Ein kleiner Fehler würde wahrscheinlich genügen, und die ›Isabella‹ mußte ihre erste Niederlage hinnehmen, seit Hasard sie befehligte. Hasard wandte sich an Ben Brighton. »Ben, schick alle Mann, die du entbehren kannst, an die Vormarsrah und die Fockrah. Auf meinen Befehl werden sie
gebraßt und sofort wieder zurückgeholt, verstanden?« »Aye, aye«, sagte Ben Brighton, der begriff, was Hasard plante. »Meinst du, der Spanier fällt darauf herein? Er scheint nicht ganz ohne zu sein.« Hasard zuckte mit den Schultern. »Wir müssen es abwarten«, sagte er. Ben Brighton verschwand vom Quarterdeck und teilte die Leute ein. Er hatte nicht viele Männer zur Verfügung. Von den acht Leuten, die von der ›Santa Cruz‹ zur Verstärkung auf die ›Isabella‹ geschickt worden waren, hatten drei ihr Leben lassen müssen. Malloy war an den Geschützen unentbehrlich, ebenso wie die meisten Männer der ›Isabella‹. Ben sprach kurz mit Hauptmann Courcy, der ihm sofort ein paar Männer zur Verfügung stellte. Sie wurden von den Seemännern an den Brassen eingewiesen, und Ben schärfte ihnen ein, daß sie blitzschnell handeln mußten, wenn der Befehl zum Brassen kam. Hasards Gesicht war zu einer starren Maske geworden. Er stand an der Backbordreling und blickte der Karavelle entgegen. Er sah den Mann auf dem Achterschiff, der den gleichen Wunsch wie er selbst hatte - zu siegen und den anderen zu vernichten. Die Sonne stand jetzt schon höher am kalten, wolkenlosen Himmel. Die Wellen reflektierten ihr Licht, das in den Augen brannte. Hasard kniff die Lider zusammen. Die beiden Schiffe waren nur noch hundert Yards voneinander entfernt. Die ›Marygold‹, Thomas Killigrews Karacke und auch die ›Santa Cruz‹ von Kapitän Thomas waren zu weit weg, um in den Kampf eingreifen zu können. Hasard wußte, um was es für die Spanier ging. Sie kämpften um ihr Leben. Sie waren der Tiger, der in der Falle saß und nur überleben konnte, wenn er sich seinen Weg freibiß. Nur noch fünfzig Yards. Hasard sah die Männer am Buggeschütz des Spaniers. Noch
feuerten sie nicht. Sie wollten alles auf eine Karte setzen und den Engländer mit der ersten Breitseite so außer Gefecht setzen, daß er ihnen nicht mehr folgen konnte. Die Karavelle fiel noch etwas ab. Wenn beide Schiffe ihren Kurs beibehielten, würden sie in einem Abstand von zehn Yards aneinander vorbeisegeln. Der Bugspriet der ›Isabella‹ war plötzlich auf gleicher Höhe mit der Karavelle. Hasard sah die drohenden Kanonenmündungen des Feindes. Männer mit grimmigen Gesichtern standen bereit, die tödlichen Eisenkugeln abzufeuern. »Ben! Brassen!« schrie Hasard. Ben Brighton brauchte den Befehl nicht zu wiederholen. Die Männer zerrten an den Brassen und rannten zurück. Die Soldaten taumelten mit ihnen. Die Fockrahen schwangen herum. Hasard hielt seinen Blick stur auf die Karavelle gerichtet. Er sah, wie der Capitan den Mund auf riß und seinen Leuten etwas zuschrie. Die lange Gaffel des vorderen Mastes begann sich zu bewegen. »Ben!« Hasards Schrei stand über dem Deck der Galeone. Ben Brighton reagierte innerhalb von Sekundenbruchteilen. Die Männer an den entgegengesetzten Brassen rissen die Rahen des Vormastes zurück. Damit hatte der Spanier nicht gerechnet. Ehe er die Karavelle wieder auf den alten Kurs bringen konnte, war die ›Isabella‹ vorbei. Der Feuerbefehl des Capitans erfolgte zu spät. Die Kugeln fauchten am Heck der ›Isabella‹ vorbei und klatschten irgendwo vor der Küste ins Wasser. Mit diesem blitzschnellen Manöver hatte Hasard die Luvposition gewonnen, und er war entschlossen, den Vorteil eiskalt zu nutzen. Er trieb die Männer an, und als die Steuerbordseite auf das Heck der Karavelle zeigte, befahl er Ferris Tucker, zu feuern.
Drei der sechs Kanonen spuckten ihre eisernen Ladungen dem Feind entgegen. Ferris Tucker, Al Conroy und Malloy von der ›Santa Cruz‹ hatten die drei Geschütze selbst abgefeuert, und alle drei trafen genau. Der Heckspiegel der Karavelle war plötzlich nur noch ein Haufen von zerborstenen Brettern. Das Ruder war halb weggerissen. Hasard konnte in die Kammer des Capitans blicken, die jetzt offen vor ihm lag. Von der Einrichtung war nicht viel übrigge blieben. Eine Kugel war über das Achterdeck rasiert und hatte fünf Männer getötet, ehe sie gegen den hinteren Mast gekracht war und ihn umgebrochen hatte. Der Mast war durch den Druck, der auf dem Dreieckssegel stand, nach vorn aufs Hauptdeck gekracht. Die Spitze schlitzte das Segel des mittleren Mastes von oben bis unten auf. Die niedersausende Gaffel begrub die dichtgedrängt stehenden Männer, die nirgendwohin fliehen konnten. Panik brach unter der Besatzung der Karavelle aus. Niemand hörte mehr auf die laute Stimme des Capitans, der seinen Männern befahl, die Geschütze feuerbereit zu halten. Die ersten sprangen bereits über Bord. Die Küste war nicht weit entfernt. Hasard sah, wie der Capitan einen der Männer, die sich aufs Schanzkleid schwangen, kaltblütig abschoß. Das brachte die anderen zur Besinnung. Innerhalb einer halben Minute waren die Geschütze besetzt. Die scharfe Stimme des Capitans wehte in Fetzen zur ›Isabella‹ hinüber. Hasard ging kein Risiko mehr ein. Die Karavelle war manövrierunfähig. Mit dem zerschossenen Ruder und den beiden unbrauchbaren hinteren Segeln konnte sie dem übermächtigen Feind nicht mehr entrinnen. Hasard ließ die ›Isabella‹ wenden, so daß sie bei halbem
Wind ihre Steuerbordbreitseite dem Heck der Karavelle zuwandte. »Diesmal dicht über der Wasserlinie!« rief Hasard Ferris Tucker zu. »Wer trifft, kriegt eine Flasche von meinem Roten!« »Aye, aye, Sir!« brüllten die Männer wie aus einem Mund. Die Kanonen donnerten, Feuer und Rauch fauchten aus ihren Mündungen. Mit pulvergeschwärzten Gesichtern starrten die Männer zur Karavelle hinüber, und als sie sahen, wie das spanische Schiff plötzlich achtern wegsackte wie ein Stein, schrien sie vor Begeisterung und fielen sich um den Hals. Die Spanier schafften es gerade noch, ein Boot auszusetzen, bevor die Karavelle gurgelnd versank. Ein Strudel bildete sich an der Stelle. Noch Minuten später schossen Holzsplitter, Blöcke und andere Teile aus der Tiefe hoch. Die Männer im Boot hatten Mühe, ein Kentern zu verhindern. Immer mehr schwimmende Männer klammerten sich am Dollbord fest, bis den Insassen nichts anderes übrigblieb, sich mit den Riemen Platz zu schaffen, um nicht selbst auch noch abzusaufen. Das Wasser wimmelte von dunklen Punkten, die sich auf die Felsenküste zubewegten. Hasard überlegte, ob er hinübersegeln sollte, um sie an Bord zu nehmen, aber als er die kleinen Schaumkronen auf den Wellen sah, wußte er, daß er das Risiko nicht eingehen konnte. Die spitzen Klippen dic ht unter der Wasseroberfläche würden den Bauch der ›Isabella‹ aufschlitzen. Soweit Hasard beobachten konnte, würden es die meisten Spanier schaffen, die Küste lebend zu erreichen. Sie würden sich zu den Iren in Dungarvan durchschlagen. Er konnte jetzt nichts mehr für sie tun. Dan O’Flynn hockte bereits wieder oben im Großmars und schrie sich die Kehle heiser. Das Bürschchen schien sich mächtig zu amüsieren.
Hasard blickte zurück zu Old Johns schwer angeschlagener Karacke. Das Schiff war derart beschädigt, daß es sich wahrscheinlich nicht mehr lange würde über Wasser halten können. Hasard kniff die Augen zusammen, aber er konnte nicht erkennen, was an Bord der Karacke los war. Das Bürschchen oben im Mars lachte aus vollem Hals. »Sie saufen ab!« schrie er vor Vergnügen. »Die beiden Alten und dieser verfluchte Sir Thomas Doughty! Hoffentlich kann der Kerl auch nicht schwimmen!« Hasard fuhr eine Halse und steuerte auf die sinkende Karacke zu. Zwei Boote waren bereits zu Wasser gelassen worden. Die Männer drängten sich an Backbord und ließen sich an Tauen hinab in die Boote gleiten. Einige sprangen einfach über Bord und kletterten aus dem Wasser in die Boote. Thomas Lionel, Hasards jüngster Bruder, der die zweite Karacke befehligte, konnte seinem Vater nicht zu Hilfe eilen, denn Francis Drake hatte seine ›Marygold‹ zwischen ihn und seinem Vater gesteuert und beigedreht. Thomas hatte versucht, Kapitän Drake mit einer wüsten Schimpfkanonade dazu zu bewegen, weiterzusegeln, doch damit war er genau an den Verkehrten geraten. Francis Drake beachtete den jüngsten Killigrew überhaupt nicht, und Thomas Lionel blieb nichts weiter übrig, als seine Karacke abfallen zu lassen und gegen den Wind zu kreuzen, um zur Karacke seines Vaters zurückzusegeln. Dabei geriet er noch der ›Santa Cruz‹ in die Quere. Kapitän Thomas dachte ebenfalls nicht daran, wegen einer Killigrew-Karacke den Kurs zu ändern. Thomas Lionel Killigrew zerplatzte vor Wut und Zorn, aber er konnte nichts tun. Er dachte an die Prügel, die der Alte ihm verabreichen würde, und am liebsten wäre er nach Süden davongesegelt. Hasard hatte das Großsegel und die Fock bergen lassen. Langsam schob sich die ›Isabella‹ auf Sir Johns Karacke zu.
Das Wasser lief bereits durch die Speigatten in die Kuhl. Lange würde es nicht mehr dauern, bis das Schiff wegsackte. Sir Thomas Doughty hielt es nicht länger auf dem Achterdeck der Karacke aus. Sein Gesicht war hochrot. Wahrscheinlich ärgerte er sich darüber, daß er nicht in eins der Boote gestiegen war. Vielleicht hatte er keine Schwäche vor Sir John zeigen wollen. Die Männer der ›Isabella‹ lachten, als Doughty ins Wasser klatschte und wie ein Frosch zu schwimmen begann. Er konnte wenigstens schwimmen. Hasard wußte von seinem Alten und von Dans Vater, daß sie sich nie der Mühe unterzogen hatten, schwimmen zu lernen. Wütend starrten sie herüber zur ›Isabella‹, und sie hätten sich eher die Zunge abgebissen, als um Hilfe zu bitten. Das erste Boot legte an Backbord der ›Isabella‹ an. Batuti, Blacky, Smoky und die anderen zogen die Männer an Bord. Matt Davies warf dem schwimmenden Doughty einen Tampen zu, zog ihn aber ein paarmal weg, bevor der ihn packen konnte. Dabei mußte der edle Sir kräftig Wasser schlucken. Schließlich wurde der prustende Mann an Bord gehievt und stand wie ein begossener Hund da. Er blickte in grinsende Gesichter, was seine Laune keineswegs verbesserte. Ruckartig drehte er sich um und stapfte auf den Niedergang zum Quarterdeck zu. Hasard tat so, als bemerke er Doughty nicht. Er blickte hinüber zur Karacke, die dreißig Yards von der ›Isabella‹ entfernt auf den Wellen dümpelte und immer schneller mit Wasser volllief. Die roten Haare von Sir John leuchteten in der Sonne wie ein Feuerkranz. Sein Gesicht war übersät mit roten Flecken, die die Wut hineingemalt hatte. »Du dreckiger Bastard!« brüllte er. »Schick das Boot endlich rüber oder du wirst meine Peitsche spüren, bis du nicht mehr weißt, ob du Männchen oder Weibchen bist!«
»Wenn du nicht ein bißchen freundlicher bist, lasse ich dich absaufen!« schrie Hasard zurück. »Das war ja eine Meisterleistung, die du da vollbracht hast! Einer müden spanischen Karavelle auf den Leim zu kriechen - und das noch aus Luvposition! Wenn das Lady Anne hört, lacht sie sich kaputt!« Sir John zerplatzte fast vor Wut. Er donnerte den Belegnagel, den er in der rechten Faust hielt, auf die Reling, daß das Holz splitterte. »Schick das Boot rüber, du Hundesohn!« Seine Stimme klang wie das Grollen eines Orkans, aber Hasard hatte die Angst davor schon lange überwunden. Er dachte an den Augenblick zurück, als er den Alten geschnappt und ins Hirschgeweih gehängt hatte. Von diesem Zeitpunkt an hatte Sir John die Macht über Hasard verloren, und Hasard hatte sich zum erstenmal in seinem Leben als freier Mensch gefühlt. »Wie wär’s, wenn du bitte sagst?« rief Hasard. »Mein Alter auch!« schrie das Bürschchen aus dem Mars. »Er soll das Maul aufmachen und seinen jüngsten Sohn ersuchen, ihn von Bord seines sinkenden, absaufenden Kahns zu holen!« »Du Sohn einer Mistgabel!« kreischte der alte O’Flynn. »Warte, bis ich dich zu fassen kriege. Ich prügle dich mit meinem Holzbein kurz und klein!« Das Bürschchen im Mars lachte sich halbtot. Er streckte seinem Alten die Zunge heraus und rief: »Schwimm doch rüber zu uns! Du kannst dich ja an deinem Holzbein festhalten!« Sir Thomas Doughty tauchte neben Hasard auf. »Sie sollten Ihrem Vater helfen, Mr. Killigrew«, sagte er. Sein Atem ging noch ein wenig heftig. Das Schwimmen hatte ihn ziemlich angestrengt. Hasard antwortete nicht. Er rief Batuti zu sich herauf aufs Quarterdeck. »Führ Sir Thomas in meine Kammer«, sagte er zu dem schwarzen Riesen. »Er soll sich ein paar trockene Sachen anziehen, sonst verkühlt er sich noch seine edlen Teile.«
Sir Thomas Doughty wandte sich wütend ab. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er diese Kränkung nicht so schnell vergessen würde. Kein Mann sollte ihn ungestraft ignorieren und ihm über einen dreckigen Nigger etwas mitteilen! Batutis weiße Zahnreihen blitzten, als er eine Verbeugung andeutete und zur Tür hinwies, die zur Kapitänskammer führte. Abrupt drehte Doughty sich um und verschwand. Er schlug Batuti die Tür einfach vor der Nase zu. Batuti blickte fragend zu Hasard zurück. »Geh hinter ihm her«, sagte Hasard laut, so daß es auch Sir Thomas Doughty hinter der Tür verstehen mußte. »Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht irgend etwas klaut, wenn wir ihn allein lassen.« Grinsend riß Batuti die Tür auf und folgte dem Edelmann. Hasard blickte wieder zur Karacke hinüber. Das Wasser gurgelte bereits in der Kuhl und ergoß sich über die Decksgräting in die unteren Decks. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis die Karacke endgültig absoff. Wenn der alte John und Dans Vater dann nicht von Bord waren, würde der Sog sie mit unwiderstehlicher Gewalt mit ins naßkalte Grab reißen. »Was ist mit dir?« rief Hasard. »Willst du wie ein anständiger Kapitän mit deinem Schiff untergehen, oder hast du die Hosen voll, weil du nicht schwimmen kannst? Spring rein ins kühle Naß! Na los, Sir Thomas sagte mir eben, daß er sich lange nicht so wohl gefühlt hat wie nach diesem Bad!« Sir John blieb die Antwort im Halse stecken. Er schleuderte seine Mütze, die er in der linken Hand gehalten hatte, auf die Decksplanken und trampelte darauf herum. Er hörte erst auf zu toben, als der alte O’Flynn ihn am Arm packte. Die Karacke sackte jetzt schnell ab. Den beiden alten Dickköpfen blieb nichts weiter übrig, als über die Reling zu klettern und ins Wasser zu springen. Es reichte bereits bis auf drei Yards an die Achterdeckreling heran.
Der alte O’Flynn klatschte mit dem Hinterteil ins Wasser. Er hatte tatsächlich sein Holzbein abgeschnallt und klammerte sich daran fest. Aber es schien ihn eher zu behindern. Sir John hatte beim Sprung die Balance verloren. Kopfüber flog er nach vorn und schlug der Länge nach aufs Wasser. Wie ein Stein sackte er weg. Wie ein Berserker begann er mit Armen und Beinen zu strampeln. Prustend wie ein Walroß tauchte er wieder auf. Seine hervorquellenden Augen zeigten keine Angst, aber unbändige Wut. Die fleischigen Finger bogen sich, als hätte er schon Hasards Hals zu fassen. Das Gelächter an Bord der ›Isabella‹ war unbeschreiblich. Selbst die Soldaten und Hauptmann James Courcy konnten sich nicht mehr zurückhalten. Zu ulkig sahen die beiden Alten aus, die mit Armen und Beinen um sich schlugen, immer wieder untergingen und das Wasser in hohem Bogen ausspuckten, das sie hatten schlucken müssen. Hasard verständigte sich durch einen kurzen Blick mit Dan oben im Mars. Das Bürschchen schwang sich aus dem Mars und lief leichtfüßig zur Rahnock auf der Backbordseite. Mit ausgebreiteten Armen flog er durch die Luft. Kurz bevor er das Wasser erreichte, nahm er die Hände nach vorn und tauchte in das eiskalte Naß, ohne viel Wasser aufspritzen zu lassen. Hasard sprang ebenfalls. Er erschauerte, als das kalte Wasser über ihm zusammenschlug. Es wurde Zeit, daß sie die Alten herauszogen. Viel länger als eine Viertelstunde konnte man es in dieser Kälte nicht aushalten. Der alte John schluckte seine Wut herunter, als Hasard ihn am Kragen packte und hinter sich her zur ›Isabella‹ hinüberzog. Hasard blickte sich erschrocken um, als er das grollende Geräusch hinter sich vernahm. Die Karacke sackte weg wie ein Stein. Eine riesige Blase stieg auf und zerplatzte mit einem lauten Knall. Dann war nichts mehr von dem Schiff zu sehen. Ein paar Holzteile schwammen noch herum, aber keines war so groß, um einen Mann zu tragen.
Das Bürschchen hatte mehr Schwierigkeiten mit seinem Alten als Hasard. Der alte O’Flynn dachte nicht mehr an seine prekäre Lage. Als er das Früchtchen von Sohn neben sich auftauchen sah, wurde er von seiner Wut überwältigt. Er hob den rechten Arm mit dem Holzbein und wollte es Dan auf den Schädel dreschen. Dabei vergaß er mit den restlichen beiden Extremitäten zu zappeln, und prompt ging er unter. Das Holzbein klatschte auf das Wasser, richtete aber keinen Schaden an, da Dan blitzschnell ausgewichen war. Seine Hand zuckte vor und kriegte den dichten Haarschopf des Alten zu fassen. Er zog ihn nicht gleich heraus. Er drückte ein bißchen dagegen, als der Alte zu strampeln begann, um wieder Luft zu schnappen. Erst nach ein paar Sekunden gab er nach und zog den Kopf hoch. Der alte O’Flynn spuckte sich die Seele aus dem Leib. Er fand keine Zeit mehr, sich um die Bestrafung seines mißratenen Nachwuchses zu kümmern. Vor seinen Augen tanzten rote Kreise. Er hatte das Gefühl, als würge er seine Eingeweide durch die Speiseröhre nach oben. Er war so fertig, daß er sogar sein Holzbein losließ, das er sonst hütete wie seine Augäpfel. Ein paar Minuten nach Hasard erreichte das Bürschchen mit seinem Alten die Bordwand der ›Isabella‹. Tampen flogen über das Schanzkleid. Smoky ließ sich herunter, packte den alten Flynn am Kragen und zog ihn hoch. Dan schwamm mit ein paar Stößen zurück und schnappte sich das Holzbein, ehe er sich ebenfalls an Bord hieven ließ. Die beiden Alten brauchten eine ganze Weile, bis sie sich erholten. Sie starrten die grinsenden Männer um sich herum wütend an, und als ihre Augen an ihren Söhnen hängenblieben, färbten sich ihre Gesichter noch dunkler. Hasard schüttelte langsam den Kopf. »Du wirst langsam alt, Sir John«, sagte er. »Erst willst du mir
meine Ladung Silber abknöpfen und läßt dich von mir reinlegen wie ein blutiger Anfänger, und dann schießt dich eine kleine Karavelle auf den Grund, die Dan und ich mit einem Ruderboot versenkt hätten.« Sir John grollte. »Freu dich nicht zu früh, du schwarzhaariger Schandfleck meiner Familie«, sagte er mit bebender Stimme. »Noch kann ich dir das Silber abknöpfen …« »Meinst du, daß du in deinem Alter die beschwerliche Reise nach London noch aushältst ?« fragte Hasard grinsend. »Das - wie - wo …« Sir John schluckte seine Wut hinunter. Aber sie war so groß, daß er sie erst in Stücke kauen mußte. »Das Silber ist längst in London«, sagte Hasard. »Ihr seid umsonst hinter uns hergesegelt und hättet euch den Weg um Irland ersparen können. Ich habe euch auslaufen sehen - von der versteckten Bucht bei den ›Fünf Fingern‹ aus.« Sir John sagte gar nichts mehr. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Es war ihm anzusehen, daß er seinen Sohn mitsamt seinem Schiff am liebsten in Stücke gehauen hätte. »Sofort gibst du mir mein Holzbein wieder, du dreckige Laus!« Der alte O’Flynn hielt sich am Schwengel der Lenzpumpe fest und fauchte seinen Sohn an. Grinsend schwang das Bürschchen das heiligste Stück seines Vaters herum. »Wenn du nicht schön bitte sagst, schmeiße ich es zurück ins Wasser«, erwiderte Dan. »Aber vorher gebe ich dir die Prügel zurück, die du mir verabreicht hast.« Der alte O’Flynn wäre lieber im Bilgewasser ersoffen, als daß er seinen Sohn um etwas gebeten hätte. Er versuchte auf einem Bein auf Dan zuzuspringen, schaffte es aber nur bis zur Nagelbank vor dem Großmast. Dan war mit einem kurzen Schritt ausgewichen. »Gib ihm sein Holzbein wieder, Dan«, sagte Hasard. »Es ist
zu spät, unsere Alten noch zu anständigen Menschen zu erziehen. Sie werden sich nicht mehr ändern.« Das Grinsen verschwand aus Dans Gesicht. Jetzt wurde auch er wütend. »Er soll mir wenigstens versprechen, daß er mir das Holzbein nicht mehr über den Buckel zieht, wenn ich ihm den Rücken zukehre«, sagte er trotzig. »Und was nutzt das?« fragte Hasard. »Nach dem, was du mir über deinen Alten erzählt hast, wird er das Versprechen doch nicht halten.« Dan schwieg eine Weile. Dann nickte er. Er hielt seinem Alten das Holzbein entgegen, wich aber sofort einen Schritt zurück, als der ihm das Holzbein aus den Händen riß. Es sah so aus, als wolle sich der alte O’Flynn auf seinen Sohn stürzen, doch da unterbrach eine kräftige Stimme ihren Streit. Hasard lief aufs Quarterdeck und blickte zur ›Marygold‹ hinüber. Kapitän Drake stand auf dem Achterdeck und gab den Befehl, daß alle Schiffe in die versteckte Bucht zurücksegeln sollten, in der sie sich vor zwei Tagen hatten treffen wollen. Hasards Befehle hallten über das Deck. Das Großsegel und die Fock wurden wieder gesetzt. Mit halbem Wind lief die ›Isabella‹ hinter der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ her und kämpfte sich gegen das ablaufende Wasser zurück in die Bai. Die Karacke seines Bruders Thomas Lionel folgte ihnen. Hasard wußte, daß ihre Mission noch nicht zu Ende war. In den geheimen Berichten war von mehreren spanischen Waffentransporten die Rede gewesen. Den ersten hatten sie vernichten können - der nächste aber konnte ihnen überlegen sein.
ENDE
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 22
Im Kugelhagel von William Garnett
Nur ein Soldat hat den sinnlosen Angriff des verrückten Hauptmanns Isaac Henry Burton auf den Landeplatz der fünf spanischen Karavellen in der Dungarvanbai überlebt: Jake Tinkler, ein einfacher Soldat. Er weiß als einziger, welches Schicksal Philip Hasard Killigrew und den drei englischen Galaonen droht - aber Tinkler ist mit seinen Kräften am Ende. Er kann den Seewolf nicht mehr warnen. Und wenige Stunden später tobt über Dungarvan die Hölle. Hasard muß die schlimmste Niederlage seines Lebens einstecken …