JAN MAYEN SERIE BAND 5
Das gleißende Band
von
FREDER VAN HOLK
UTOPIA-VERLAG BACKNANG
Verzeichnis der Hauptpersone...
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JAN MAYEN SERIE BAND 5
Das gleißende Band
von
FREDER VAN HOLK
UTOPIA-VERLAG BACKNANG
Verzeichnis der Hauptpersonen: Jan Mayen, der Herr der Atomkraft Don Rafael Larra, sein Begleiter Bunny, sein Diener Birlow, ein Kraftfahrer Jürg Steppler, Kunstflieger James Spencer, Bergingenieur Prof. Pine, ein Gangsterführer
Ort der Handlung: Australien Zeitpunkt der Handlung: Die nahe Zukunft Alle Rechte, auch das der Übersetzung und Verfilmung, vorbehalten. Unbefugter Nachdruck wird strafrechtlich verfolgt. Umschlagzeichnung von Werbeatelier Oecker.
Druck: K. & H. Greiser, Rastatt. Printed in Germany 1950 Scan by Brrazo 12/2005
„Ho, Vorsicht! Lauf Schwarzer, wir sind noch nicht am Ziel!“ Jan Mayen riß den stolpernden Hengst hoch und gab ihm einen aufmunternden Klaps auf den Hals. Eine Weile lief denn das Pferd auch schneller, aber bald fiel es wieder in den müden Trott der Erschöpfung. Die Hufe setzten unsicher zwischen den spitzen Geröllbrocken auf, die Gelenke wollten sich nicht straffen, der Kopf hing tief unter der überfallenden Mähne. Der Hengst war fertig. Stundenlang hatte er so scharf und so toll ausgegriffen, wie es seine Muskeln und Sehnen hergaben, bis tief in die Dunkelheit hinein, immer an den steinigen Nordhängen der Mac-Donnell-Kette entlang nach Osten. Ein paar Stunden hatte Jan Mayen ihm Ruhe gegönnt, dann hatte er sich wieder in den Sattel geschwungen. Gemäßigter, aber immer scharf im Tempo, hatte der berggewohnte Hengst den ganzen Tag lang seine Pflicht getan, bis Dunkelheit und Erschöpfung eine Grenze setzten. Und dann hatte der Ritt mit dem neuen Tag wieder begonnen. 5
Bald zwei Tage und keinen Schluck Wasser für Roß und Mann, kaum ein Maul voll dürrer Mulgasblätter für das Pferd und nicht eine trockene Rinde für den Mann. Dazu unaufhörlich eine stechende Hitze, steile Creeks und schwierige Schluchten, die Zeit und Kraft fraßen. Auch Jan Mayen war erschöpft. Die Zunge klebte ihm fast am Gaumen, der ganze Körper war wie ausgedörrt. Er fühlte sich zerschlagen und grenzenlos müde, die flimmernde Luft und die Sonne, die auf Millionen Glimmerund Quarzplättchen wie auf einem edelsteinbesetzten Felde gleißte, gaukelten ihm verlockende Seenflächen vor, wenn er verloren vor sich hinstarrte. Aber vorwärts, nur vorwärts. Stuart konnte nicht mehr weit sein. Und irgendwo hinter ihm beeilten sich einige Männer, um ihn noch vor Stuart abzufangen. Zwei Tagesritte hinter seinem Rücken, im Westen, lag das Tal, in dem das goldene Band gleißte, die Goldader, die er entdeckt hatte. Dort warteten jetzt Don Rafael und Bunny, seine beiden Begleiter, daß er von Adelaide mit einem Flugzeug zurückkommen würde, um das Gold zu bergen. Peter, der Aranta, den sie am Eingang der Schlucht bei den Pferden gelassen hatten, wartete nicht mehr. Ihn hatten die Banditen, deren Anführer sich großartig als Professor Pine bezeichnete, erschossen. Jan Mayen blickte, wie so oft schon, zurück. Näherten sich die Verfolger? Nein, es war nichts zu sehen, vielleicht nahmen sie auch einen anderen Weg. In der weglosen Einöde geht jeder seinen eigenen Weg. Ein Glück, daß er noch hatte durchbrechen können, 6
bevor die Leute die Klamm abgeriegelt hatten. Sie waren auseinandergestiebt wie erschreckende Hasen, aber dann hatten sie hinter ihm hergesetzt. Pah, er war von ihnen freigekommen. Aber – der Weg nach Adelaide war weit und schwierig. Bis dahin boten sich noch manche Möglichkeiten für Leute, die es selbst unter andern Umständen mit dem Gesetz nicht so genau nahmen. Wer wollte ihnen etwas verwehren in einem Lande, das einen einzigen Polizisten für einige hunderttausend Quadratkilometer besitzt? Man mußte schon auf sich selber stehen. Das Kinn Jan Mayens schob sich vor, seine Augen verloren den trüben Schimmer. Er würde es schon schaffen. Nach Adelaide mußte er nun einmal, um dort die Fundstelle eintragen zu lassen. Dort befand sich das nächste Landamt der Bundesregierung. Und außerdem galt es, ein Flugzeug zu erwerben, denn nur mit einem Flugzeug war das Gold aus dem Tal herauszuholen, in das nur eine ganz enge, lange Klamm führte. Nach Adelaide. Wenn nur Wenigstens erst einmal Stuart oder die etwas nördlich liegende Telegraphenstation AliceSprings in Sicht käme. Der Hengst hob den Kopf, blähte die Nüstern und griff schneller aus. Witterte er Wasser! Jan Mayen blickte suchend voraus. Dort schnitt wieder einer der Creeks ein, wie viele andere zuvor schon durch einen Streifen Skrub weithin kenntlich. Dieser dichte Skrub mit seinen trockenen Kottonbüschen und den etwas höheren Mulgabäumen war es, der die Creeks vor allem so unangenehm machte. Man mußte sich durch den sperrigen Busch hindurch7
kämpfen und nahm manchen Stoß und manchen Riß mit, ganz abgesehen vom Zeitverlust. Der Hengst beeilte sich auch im Skrub, so daß sich Jan Mayen ganz flach auf den Rücken des Tieres pressen mußte, um nicht von einem Ast heruntergeholt zu werden. Da war schon das sandige Bett mit einem schmalen Streifen Galeriewald in der Mitte. Und da tauchten Menschen auf. Eingeborene, wilde Arantas. Sie zeigten keine feindlichen Absichten, sondern wichen zur Seite, als das Pferd mit ziehenden Schritten auf sie zustelzte, breitbeinig zum Stand kam und das Maul in die trübe Pfütze versenkte, die den Grund eines Sandloches ausfüllte. Jan Mayen glitt aus dem Sattel, beugte sich über das Wasserloch und holte sich in der gehöhlten Hand etwas von dem kostbaren Naß herauf. Viel brachte er nicht über seine Lippen, dann schüttelte er sich. Das Wasser war brackig, salzhaltig wie fast alles Wasser in solchen Löchern. Die Eingeborenen und die Pferde tranken nichts anderes, aber ihm als Landfremdem bedeutete es nur Verschärfung des Durstes, wenn er davon trank. Er wandte sich den Eingeborenen zu, die mit ihren breitnasigen, flachstirnigen Gesichtern ausdruckslos auf ihm starrten. Es waren fünf Männer, drei Frauen und dazu zwei Kinder, die auf den Hüften ihrer Mütter hingen. Die Männer besaßen große, kräftige Körper – einer maß annähernd zwei Meter – an denen die hohen, sehnigen Beine auffielen. Die Frauen waren klein und schmächtig. 8
Bekleidet war niemand von diesen Eingeborenen, nicht einmal andeutungsweise. Den Frauen hingen die Haare halblang in wirrer Unordnung um den Kopf, die Männer trugen sie aufgesteckt. Eine Behausung schienen die Leute nicht zu besitzen. Das einzige, was an Zivilisation erinnerte, waren meterlange, dünne Stöcke in den Händen der Frauen und die Waffen der Männer. Jan Mayen hatte während seines bisherigen Aufenthaltes im Lande genügend erfahren, um Bescheid zu wissen. Die Stöcke waren Grabstöcke, mit denen Eidechsen aus ihren Löchern gejagt wurden. Das meterlange, beiderseits zugespitzte und in der Mitte ausgehöhlte Holz, das die Männer trugen, war eine Schleuder, mit der der über drei Meter lange Speer abgeworfen wurde. Neben dieser Großwaffe besaßen sie noch kurze Speere mit Quarzspitzen und Bumerangs. Jan Mayen riß den Hengst vom Wasserloch zurück, das ohnehin fast leer war, dann blickte er wieder auf die Arantas, nickte ihnen freundlich zu und fragte: „Stuart? Wo ist Stuart!“ Einer der Männer trat vor. „Ganz kleiner Weg“, radebrechte er in Pidgin-Englisch und wies dabei voraus. „Berg – wenig Berg – Telegraph.“ „Wie lange brauche ich noch?“ Der Aranta grinste verlegen. „Kleiner Weg – nicht Mob.“ Jan Mayen entnahm daraus, daß sich die Station in geringer Entfernung bereits jenseits des nächsten Hügels befand. Der Aranta konnte schlecht genauere Angaben 9
machen. Die Eingeborenen dachten nicht in Entfernungen, Zeiten und Zahlen. Sie zählten bis zwei oder drei, was darüber war, galt ihnen als Mob, als Masse. Jan Mayen nickte wieder so freundlich wie möglich und schwang sich in den Sattel. Er saß schon oben, als ihm der Aranta eine Hand hinaufreckte, in der es von weißen Maden wimmelte. „Hunger?“ Jan Mayen spürte ein Grausen und schüttelte heftig den Kopf, dann ritt er los. Es war ein bißchen viel verlangt, diese Maden in den Mund zu stecken und zu essen, die die Eingeborenen mit viel Geschick aus den Bäumen herausholten. Aber das Angebot verdiente trotzdem alle Anerkennung, denn den Arantas galten diese Maden als Leckerbissen, die sie roh und ohne Zutaten genossen. *
* *
Jenseits des Hügels lagen in einer flachen Senke die hellen, sauberen Gebäude der Telegraphenstation Alice-Springs. Sie war ziemlich umfangreich, denn sie diente gleichzeitig als Verstärkerstation und war daher von mehreren Beamten besetzt, die mit ihren Familien hier lebten. Die Ankunft Jan Mayens erregte Aufsehen. Während er vom Pferde stieg, kam der Stationsleiter, ein gewisser Mr. Philip, mit einem andern Beamten aus dem Haupthaus gestürzt. Philip blickte einigermaßen entsetzt auf den Jüngling, dessen zerfetzte, stellenweise blutige Kleidung den 10
anstrengenden Ritt ebenso verriet wie das verschrammte, verstaubte Gesicht mit den scharf sich abzeichnenden Backenknochen. „Mein Gott“, rief er halblaut, das sind Sie doch, Mister Mayen! Wo kommen Sie her?“ Jan Mayen lächelte mühsam, während er ihm die Hand hinstreckte. „Aus dem Gebirge. Ich habe einen scharfen Ritt hinter mir. Können Sie ein Telegramm aufnehmen?“ „Natürlich, aber – wollen Sie nicht erst etwas zu sich nehmen? Sie sehen gerade so aus, als ob Sie seit Tagen nichts getrunken und gegessen hätten. Und Ihr Pferd ist ja ziemlich herunter.“ Jan Mayen schüttelte den Kopf. „Das Telegramm. Ich will dann sofort nach Stuart weiter.“ „Na, na“, winkte Philip ab, „auf dem Pferd nicht. Barton, versorgen Sie das Pferd und machen Sie mein eigenes fertig. Hallo, Jenny ein Gast, der dringend etwas essen und trinken muß!“ Jan Mayen ließ sich in den Stationsraum hineinführen. Dort ließ er sich einige Belehrungen geben und setzte dann das Kabel an seine Großmutter, Myfrouw van Leeuwen in Amsterdam, auf, durch das er um die Überweisung von Geld bat, ohne die wahren Gründe zu verraten. Dann kam die Frau des Stationsleiters und brachte ihm zu essen und zu trinken. Eine halbe Stunde lang hielt sich Jan Mayen in der Station auf, dann ritt er auf dem frischen Pferd weiter, nach Stuart hinein. 11
Mr. Hogart, der Inhaber des Store, bei dem Jan Mayen vor seinem Zug in die Berge gewohnt hatte, staunte nicht schlecht. Man sah ihm an, daß eine Menge Fragen in ihm rumorten. „Wo haben Sie denn Ihre beiden Begleiter!“ erkundigte er sich vor allen Dingen. „Sie sind im Gebirge geblieben“, erwiderte Jan Mayen. „Bitte, fragen Sie nicht weiter, ich kann Ihnen die Geschichte jetzt nicht erzählen. Die beiden sind jedenfalls gesund. Ich muß dringend nach Adelaide auf dem schnellsten Wege. Bitte, sagen Sie mir, welche Möglichkeiten es augenblicklich gibt.“ Hogart hob vorsichtig die Schultern. „Die Post geht erst in vierzehn Tagen nach Süden.“ „Solange kann ich nicht warten.“ „Dann wäre höchstens, daß Sie sich an Birlow anschließen. Birlow fährt eine Lorry auf eigene Rechnung. Er will morgen früh aufbrechen, allerdings nur bis Charlotte Waters. Er würde Sie sicher bis dahin mitnehmen. Sie müßten dann sehen, wie Sie weiterkommen.“ „Heute fährt er nicht mehr?“ „Ausgeschlossen, er ist noch nicht einmal mit seinen Angelegenheiten fertig. Vor morgen früh wird es nichts.“ Jan Mayen lehnte sich schwer gegen den Ladentisch. „Würden Sie bitte mit ihm sprechen und alles regeln? Ich bin ziemlich müde und möchte morgen früh frisch sein.“ „Aber selbstverständlich“, nickte Hogart. „Das kann ich 12
alles erledigen. Kommen Sie, die Schlafstelle ist frei. Ich werde Ihnen noch etwas zu essen bringen.“ Als er zehn Minuten später mit Fleisch und Brot die Kammer wieder betrat, schlief Jan Mayen schon tief und fest. Dafür fühlte er sich am nächsten Morgen frisch und völlig ausgeruht, nur brachte er gewaltigen Hunger und Durst aus dem Schlafe mit. Während er sich sättigte, berichtete ihm Hogart, daß Birlow sich freue, einen Mitfahrer zu bekommen. Der Wagen sei fertig, wenn Jan Mayen soweit sei, solle er sich im Pub melden. Jan Mayen fand tatsächlich vor dem Gasthaus den fahrtbereiten Wagen, einen kleineren Lastwagen, bei dem alles mehr auf Sicherheit und Festigkeit als auf Bequemlichkeit gearbeitet war. Im Schankzimmer des Pub lernte Jan Mayen Birlow kennen, einen jüngeren Mann, der bei aller Verwegenheit seiner Mienen einen recht ordentlichen und zuverlässigen Eindruck machte. „Freut mich“, schüttelte er Jan Mayen die Hand. „Von mir aus kann die Fahrt losgehen. Sie wissen, daß ich Sie nur bis Charlotte Waters bringen kann?“ „Ja.“ „Sollte eigentlich noch ein paar Leute mitnehmen“, erzählte Birlow, „aber ich habe abgelehnt. Es wurde zuviel. Ich glaube, sie sind mit Springer einig geworden.“ Jan Mayen horchte peinlich überrascht auf. „Leute des Professors?“ 13
„Hm, ein Professor Pine war dabei, außerdem noch zwei andere.“ Das war eine wenig erfreuliche Nachricht. Die Verfolger hatten also Stuart ebenfalls erreicht. „Wieso sind sie mit Springer einig geworden?“ „Nun, sie wollten ebenfalls dringend nach Adelaide. Weil ich sie nicht mitnehmen konnte, empfahl ich ihnen, sich an Springer zu wenden. Der hat noch einen ganz neuen Lorry in seinem Schuppen stehen, mit dem er in der nächsten Zeit die Strecke nach Barrow-Creek hinauf erschließen wollte. Ich hörte, daß sie ihm den Wagen abgekauft hätten.“ „Sind sie schon fort?“ „Noch nicht, aber sie wollten ebenfalls heute morgen aufbrechen.“ Jan Mayen blickte nachdenklich vor sich hin, dann sagte er langsam: „Unter diesen Umständen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß zwischen mir und jenen Leuten Feindschaft besteht. Jeder von uns hat ein großes Interesse, zuerst Adelaide zu erreichen. Es kann sein, daß man mich mit allen möglichen Mitteln zu hindern suchen wird, daß also unsere Fahrt nicht ungefährlich werden kann.“ Birlow zwinkerte. „Wem sagen Sie das? Ich habe mir schon so etwas gedacht, weil sich die Leute so genau nach Ihren Absichten erkundigten. Glauben Sie etwa, daß ich mich vor einer Reiberei fürchte! Außerdem – wenn ich einmal eine Stunde Vorsprung und ein bißchen Glück habe, so holt uns niemand mehr ein. Also machen Sie sich keine Gedanken darüber und kommen Sie.“ 14
Jan Mayen verließ hinter ihm den Gastraum. Als er zur Tür des Pub hinaustrat, kreuzte mit ganz unbegründeter Hast ein Mann seinen Weg und rempelte ihn heftig an. Das geschah mit Absicht. Jan Mayen brauchte nicht erst in das Gesicht des andern zu blicken, um zu wissen, daß der Mann zu den Begleitern des Professors gehörte. Es war einer der Miner, die sich der Professor angeworben hatte, ein vierschrötiger, starker Kerl mit Bulldoggengesicht, Und die Absicht war klar. Eine Reiberei, dann eine kleine Schlägerei zuungunsten Jan Mayens, damit war der Vorsprung des Professors gründlich gesichert. Jan Mayen begnügte sich mit einem erstaunten Blick und einer unwilligen Bemerkung, aber der andere führte seinen Plan durch. Er begann unverzüglich mörderisch zu fluchen und zu behaupten, Jan Mayen habe ihn gestoßen. Dabei begann er aber auch schon wieder zu drängeln und zu stoßen. Jan Mayen wich abermals aus. „Lassen Sie den Unfug!“ sagte er scharf. Die Antwort bestand in einem Fausthieb, der mit voller Wucht geführt wurde. Jan Mayen bog gerade noch rechtzeitig den Kopf ab, dann duckte er sich zusammen und schmetterte seine Faust gegen die Kinnspitze des Rüpels. Der Schlag saß gut, aber der Gegner war hart. Er taumelte gegen den Türpfosten zurück, kam aber gleich wieder vor, brüllte, er sei angegriffen worden, und drang von neuem auf Jan Mayen ein. Der ließ ihn einige Schläge in die Luft hämmern, dann legte er sein Körpergewicht im günstigen Augenblick hinter seine Faust und rannte diese 15
dem andern in den Magen, worauf der Angreifer zusammenknickte und stöhnend zu Boden ging. „Das ist ein verbrecherischer Überfall!“ rief eine scharfe Stimme. Jan Mayen fuhr herum. Da rannten einige Leute heran, aber nur wenige Schritte hinter ihm stand der Professor mit seinem andern Begleiter und griff gerade nach seiner Pistole, offenbar um den mißglückten Versuch unter dem Schein des Rechts zum Erfolg zu bringen. Die Hand Jan Mayens flog zur Hüfte, aber bevor noch Entscheidendes geschehen konnte, mahnte eine kühle, harte Stimme: „Hände weg von den Waffen, meine Herren, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun!“ Wieder zuckte Jan Mayen herum. Da stand an der Ecke des Pub der Polizeisergeant des Bezirks, Mr. Stoker. In seiner Rechten lag die schwere Dienstpistole. Seine Lippen waren zu einem spöttischen Lächeln verzogen. „Sehr nett von Ihnen, Herr Professor“, sagte er, während er herantrat, „daß Sie durch einen schnellen Schuß die Welt von Übeltätern befreien wollen. Es muß Sie außerordentlich befriedigen, meine Stelle zu vertreten, zumal Sie damit Ihren eigenen Mann schützen und einen lästigen Widersacher beseitigen können. Leider kann ich mich nicht erinnern, Sie vereidigt zu haben. Deshalb ist es besser, Sie ziehen die Pistole nicht gegen einen Menschen, selbst wenn Sie es noch so gern tun würden.“ Der Professor verbarg nur schlecht seine Wut. „Ich hielt mich für verpflichtet, diesen gemeinen 16
Überfall…“ „Ganz recht“, nickte Stoker, „es war ein gemeiner Überfall. Nur ist Mister Mayen derjenige, der überfallen wurde. Ich habe nämlich die ganze Szene von Anfang an beobachtet, weil mir irgendwer was geflüstert hatte. Verstanden, Herr Professor? Wenn Sie mich heute nachmittag besuchen, will ich Ihnen gern die einschlägigen gesetzlichen Grundlagen, nach denen solche Überfälle gerichtet werden, klarlegen.“ „Ich verbitte mir Ihre Unterstellungen“, zischte der Professor. „Außerdem fahre ich nachher nach Adelaide ab.“ Stoker hob die Brauen. „So, so, soll mir auch recht sein. Seien Sie aber vorsichtig und sorgen Sie dafür, daß Sie beweisen können, nicht in die Nähe Mister Mayens gekommen zu sein. Sollte Mister Mayen etwa nicht in Adelaide eintreffen, so könnte man einige peinliche Fragen an Sie stellen!“ Der Professor lachte höhnisch auf. „Ich werde mich über Sie beschweren. Sie haben kein Recht zu solchen Drohungen.“ Damit drehte er sich ab und ging davon. Stoker wandte sich zwinkernd an Jan Mayen. „Seinen Schreck hat er weg. Aber seien Sie vorsichtig. Bis Adelaide ist weit und ein Polizist ist nicht gleich wieder zur Hand.“ „Ich danke Ihnen“, erwiderte Jan Mayen. „Das nächste Mal werde ich gleich zur Waffe greifen.“ „Kein schlechter Einfall“, nickte Stoker. „Wäre schade 17
drum, wenn mir niemand mehr meine Fragen beantworten könnte, die mir früher oder später einfallen werden. Wenn ich nicht das Empfinden hätte, daß ich dem Professor keinen größeren Gefallen tun kann, als Sie aufzuhalten, würden sie mir vielleicht jetzt schon einfallen. Aber wie ich Ihnen schon vor Tagen einmal sagte – nirgends hat das Gesetz weniger, aber um so längere Arme wie in diesem Lande. Fahren Sie los!“ Drei Minuten später rasselte die Lorry aus Stuart hinaus. Durch das Heavy Tree Gap mit seinen steilen Wänden ging es mit voller Geschwindigkeit durch, weil man hier den tiefen Sand durch Reisig und Spinifex befestigt hatte. Aber auch später blieb das Tempo recht bemerkenswert. Birlow erwies sieh als verwegener, umsichtiger und sehr geschickter Fahrer, der aus seinem rumpelnden, polternden Wagen bei jeder Gelegenheit das Beste herausholte. „Wenn wir Glück haben“, schrie er Jan Mayen zu, „erreichen wir heute noch Charlotte Waters. Wir müssen zwar bis tief in die Nacht hinein fahren, aber das wird Ihnen wohl kaum etwas ausmachen.“ „Je weiter wir kommen, um so besser“, gab Jan Mayen zurück. „Ich kann Sie auch ablösen, damit es nicht zuviel für Sie wird.“ „Wäre nicht schlecht“, stimmte Birlow zu. „Die Creeks müßte ich freilich selber fahren, sonst bleiben wir stecken, aber auf freier Strecke können Sie mich ablösen. Tut gut, wenn man mal die Augen zumachen kann.“ Durch felsige und sandige Ebene, die gelegentlich mit Spinifexgras, Porquepinebüscheln und einzelnen Bäumen 18
besetzt war, ging es nach der Station Deep Well. Sie hielten sich nicht länger auf, wie ein Händeschütteln dauerte, dann fuhren sie weiter. Unter Mittag erreichten sie Mary Well am Hugh River. Auch hier hielten sie sich nicht auf. Jan Mayen aß von dem Mitgenommenen während der Fahrt, ebenso hielt es Birlow, nachdem er das Steuer abgegeben hatte. Ein Stück hinter Mary Well, nachdem der Hugh River gekreuzt worden war, übernahm nämlich Jan Mayen das Steuer. Birlow klopfte ihm voll Anerkennung auf die Schulter, als er merkte, wie Jan Mayen fuhr. „Der geborene Lorryfahrer“, schrie er ihm zu. „Wir werden Charlotte Waters schaffen. Der Professor wird uns nicht einholen!“ Darin irrte er sieh aber beträchtlich. Auf halbem Wege nach Engoondina-Station, die auch den Namen Horse Shoe Bend führte, als die sandigen Hügel der Depot Hills vor ihnen auftauchten, entdeckten sie hinter sich den andern Wagen. „Teufel nochmal, sie holen auf“, stellte Birlow fest. „Na ja, Kunststück, mit einem neuen Wagen gegen meine Klappermühle. Die können glatt dreißig in der Stunde mehr machen als wir. Aber einen guten Fahrer müssen sie haben, sonst würde ihnen der Wagen nichts nützen.“ „Daß sie uns gefunden haben?“ „Wir haben ja eine Spur gelegt, an die sie sich bloß zu halten brauchten. In einer Viertelstunde müssen wir am Finke-Creek den Übergang nehmen, dann haben sie uns.“ „Übernehmen Sie das Steuer, ich will auf den Wagen hinauf und ihnen die Gewehrmündung zeigen.“ 19
Birlow drückte ihn entschieden zurück. „Das werden Sie nicht tun. Wir rufen dadurch erst einen Zwischenfall hervor. Es ist im Gegenteil besser, wenn Sie bis an den Creek fahren und nichts dergleichen tun. Ich glaube nicht, daß die Leute die Frechheit besitzen, uns mir nichts, dir nichts anzugreifen.“ „Sie unterschätzen die Männer“, warnte Jan Mayen, blieb aber wohl oder übel am Steuer, da Birlow entschieden ablehnte, es zu übernehmen. Der andere Wagen holte stark auf. Der Boden war, abgesehen von etwas Sand, recht günstig, so daß sich die stärkere Motorkraft geltend machte. „In fünf Minuten haben sie uns“, murrte Birlow. „Wäre es nicht überhaupt besser, wenn wir sie zuerst an den Creek heranließen?“ „Bestimmt. Es wird für uns ungefährlicher sein, wenn wir uns auf freiem Gelände überholen lassen.“ „Dann biegen Sie rechts aus der Richtung und drosseln Sie.“ Jan Mayen verringerte die Geschwindigkeit bedeutend und bog ab. Er konnte die Verfolger nicht beobachten, weil er auf den Weg zu achten hatte. Dafür hängte sich Birlow gelegentlich hinaus und berichtete. „Tausend Meter. Sie werden langsamer. Jetzt legen sie wieder zu. Sie werden vorbeirasseln, wir haben bald hundert Meter Abstand von der Richtung.“ Eine kleine Weile verging, dann hastete er: „Donnerwetter, ich glaube, sie biegen ebenfalls ab. Sie 20
sind schon auf hundert Meter heran. Jetzt kommen sie direkt auf uns zu.“ Jan Mayen drosselte nunmehr das Gas und trat rücksichtslos in die Bremsen. Es wurde Zeit, sich zur Wehr zu setzen. „Verrückt“, murmelte Birlow. „Schätze, es ist doch besser, wenn…“ Er ruckte auf, statt weiterer Worte kam ein tiefes Stöhnen über seine Lippen. Fast gleichzeitig hörte Jan Mayen einen scharfen Knall. Da warf er sieh im Nu auf der andern Seite aus dem Wagen hinaus und nahm Deckung. Der andere Wagen kurvte eben in scharfem Tempo heran, eine Folge von mehreren Schüssen peitschte in das Führerhäuschen hinein. Jan Mayen wurde durch einen Holzsplitter gestreift, sonst blieb er unverletzt. Er feuerte zurück, doch die Leute deckten sich gut und der Wagen gewann schnell Abstand. Hundert Meter entfernt verschwand er hinter einem Sandhügel. Unmittelbar darauf brach das Motorgeräusch ab. Jan Mayen klappte in fieberhafter Eile die Rückwand des Wagens herunter und schob sich oben eine Barrikade zusammen. Es war klar, was die Kerle beabsichtigten. Sie wollten aus sicherer Deckung heraus den Wagen zerschießen und sich damit den Vorsprung sichern. Wahrscheinlich hatten sie auch die Absicht, Jan Mayen zu treffen, denn sie mußten ja den Zeugen beseitigen. Es konnten Tage und Wochen vergehen, bevor jemand durch diese Gegend kam, sie konnten ihr Werk also in aller Ruhe vollenden. Die einzige Möglichkeit zur Rettung bestand 21
darin, sich gut zu decken und kaltblütig zu schießen. Da zischte es schon vorbei. Über den Kamm des Sandhügels wurden zwei Kisten geschoben, die sicher mit Sand gefüllt worden waren. Jan Mayen lächelte grimmig in sich hinein. Auch gut, dann mußte er eben versuchen, in den schmalen Spalt zwischen den Kisten hineinzutreffen. Letzten Endes wurde das ein Geduldspiel, bei dem die besseren Nerven entschieden. Nur – was brachte die Nacht und was geschah, wenn jene auf den Einfall kamen, von zwei Seiten her anzugreifen? *
* *
Weit im Nordwesten, zwischen dem Ljirkalira und dem Gipfel des Ndabara, also zwischen dem Durchbruch des Ormiston-River und dem Mount Razorback, schnitt eine schmale Schlucht in das Gebirge hinein. Sie war so eng, als sei sie von einer Säge eingeschnitten worden. Bis auf durchschnittlich zwei Meter näherten sich die dreihundert Meter hohen Wände und schufen einen lichtlosen, düsteren Grund, in dem eiskaltes Wasser über zahllose Klippen und sperrende Felsblöcke rauschte. Wo die Schlucht auf die Kammlinie stieß, erweiterte sie sich zu einem fast runden Kessel von annähernd fünfhundert Metern Durchmesser, zu einem kreisförmigen Tal, das von hohen Wänden umgrenzt wurde und keinen 22
anderen Zugang als die Klamm besaß. Im Grunde dieses Tales hatte die launische Natur ein kleines Paradies geschaffen – nicht das einzige in diesem seltsamen, widerspruchsvollen Erdteil Australien. Aus einem erdgeschichtlichen Abschnitt, in dem die Bodendecke dieses Landes noch hundert Meter höher lag und riesige Palmenwälder trug, hatten sich in diesem angeschlossenen Tal hochstämmige Palmen gehalten. Sie bildeten einen wundervollen Säulenhain am Rande des klaren, seeartigen Gewässers, das aus verborgenen Quellen gespeist wurde und durch die Schlucht seinen Abfluß fand. Außer den Palmen gab es aber auch weißstämmige Gumtrees und starke Eukalyptusbäume, die sich an den aufsteigenden Wänden entlang in den blühenden Busch zogen, der als farbenprächtige, duftende Hecke gegen die andere Talwand anstieß. Die Mitte, die sich zu einem niedrigen Hügel aufwölbte, war mit hohem, saftigen Gras bedeckt, durch das ein Rudel Känguruhs seine Bahnen gezogen hatte. In diesem Tal hatte Jan Mayen seine beiden Begleiter Don Rafael und Bunny zurückgelassen. Die beiden gingen vor allem an eine gründliche Durchsuchung des Tales, nachdem Jan Mayen in der Schlucht verschwunden war. Das nahm nicht übermäßig viel Zeit in Anspruch, denn die wichtigsten Feststellungen hatten sie schon am Vortage gemacht. Es gab frisches Süßwasser, Palmen, Känguruhs und allerlei kleines Getier, so daß sie nicht umkommen konnten. Von Raubtieren und Schlangen war nichts zu spüren, selbst die unvermeidlichen Mücken und Fliegen hatten den Weg in das Tal nicht gefunden. Die baumbestandene Seite des Tales war völlig 23
übersichtlich, den Busch konnten sie ohnehin nicht zentimeterweise absuchen. So standen sie denn verhältnismäßig schnell wieder dort, von wo sie ausgegangen waren, an der Goldader. Da sprang dicht am Boden eine Klippe, eine schmale Felsbank aus der anstehenden Wand heraus. Der Fels war grau und hartkörnig, mit Quarz und Glimmer durchsetzt wie dieses ganze Gebirge, aber auf der Klippe lag eine dicke Schicht des gelben Edelmetalls fast einen halben Meter hoch und einen Meter tief. Das war das offene, freie Ende der Goldader, die sich von der Klippe aus in den Felsen hineinzog, aber immer als gleißendes Band von wechselnder Stärke sichtbar blieb, bis sie in der Nähe des Schluchtbeginns abriß. „Ob sie so tief bleibt?“ warf Bunny während der Untersuchung eine Frage auf, in der wieder die leise Erregung des Goldfiebers lag. Don Rafael hob gleichmütig die Schultern. „Das läßt sich schwer sagen. Ich glaube es nicht, denn sehen Sie, hier drückt sie sich schon zusammen, bevor sie noch in den Felsen hineingeht. Aber selbst wenn sie nur zehn Zentimeter tief ist, bleibt es eine außergewöhnliche Ader.“ „Zehn Zentimeter?“ maulte Bunny. „Dabei kommen wir nicht auf unsere Kosten.“ „Machen Sie sich nicht lächerlich“, verwies Don Rafael. „Einige Dutzend Tonnen Gold stecken hier auf alle Fälle drin, und die Tonne Gold bringt ihre hunderttausend Pfund.“ 24
„Das ist ja – astronomisch“, wurde Bunny wieder heiter. „Wie lange wird es wohl dauern, bis Mister Mayen zurückkommt?“ „Vorläufig dürfte er noch nicht einmal aus der Klamm heraus sein“, versetzte Don Rafael trocken. „Ich schätze, daß wir ihn in zwei Wochen zurückerwarten können – falls alles gut geht.“ „Und wenn es nicht gut geht?“ „Dann warten wir eben vier Wochen.“ „Und dann?“ Don Rafael machte eine ärgerliche Bewegung. „Ihre Sorgen, Mann. Dann werde ich eben nach dem Rechten sehen und Sie bleiben allein hier.“ Bunny wehrte mit beiden Armen ab. „Kommt gar nicht in Frage. Schließlich lassen Sie mich auch im Stich, dann muß ich hier meine Tage beschließen. Sie wissen doch, daß ich nicht allein durch die Schlucht komme.“ „Sie können ja eine Abmagerungskur machen“, schlug Don Rafael herzlos vor. „Doch darüber können wir uns später unterhalten, vorläufig warten wir.“ Bunny nickt« bedächtig. „Hm, und was stellen wir die ganze Zeit an? Das Gold kriegen wir mit unseren Messern doch nicht los.“ „Allerdings nicht“, gab Don Rafael zu, der sich auch schon vergeblich bemüht hatte, „wir müssen schon warten, bis wir Brecheisen oder Dynamit zur Hand haben. Aber wir können mit unseren Messern inzwischen den Grashang 25
säubern. Das Flugzeug kann in dem hohen Gras schlecht landen und starten, wir müssen also vor allem Gras schneiden.“ „Mein Messer ist stumpf“, lehnte Bunny ab. „Ach so“, verstand Don Rafael. „Ich werde Ihnen mein Messer gern leihen. Außerdem ist der Felsen hart genug, um Ihr Messer daran zu schleifen.“ „Bemühen Sie sich nicht“, meinte Bunny mißvergnügter, „ich verstehe ohnehin nichts von der Landwirtschaft und weiß gar nicht, wie Gras geschnitten wird.“ „Ich auch nicht“, grinste Don Rafael, „aber ich werde es Ihnen trotzdem zeigen.“ Bunny schüttelte den Kopf. „Es hat keinen Zweck. Der Arzt hat mir solche Beschäftigung untersagt, weil ich das Reißen in der rechten Schulter habe.“ „Es gibt kein besseres Mittel gegen Reißen als Grasschneiden“, höhnte Don Rafael. „Außerdem leide ich an der gleichen Krankheit wie Sie, mein Lieber, nämlich an der Faulenzia. Sie werden sich schon bemühen müssen.“ Bunny seufzte. „Ich dachte es mir. Ich gehöre nun einmal zu den unglücklichen Menschen, die ständig ausgenützt werden. Was machen wir eigentlich, wenn uns etwa der Professor mit seiner Bande aufstöbert?“ „Schießen“, erwiderte Don Rafael kurz. „Von morgen ab halten wir die Schluchtmündung dauernd unter Bewachung. Besser ist besser.“ 26
„Ich werde die Wache übernehmen“, erbot sich Bunny eifrig. „Nett von Ihnen“, grinste Don Rafael. „Vorher würde ich aber empfehlen, daß wir unser Lager mehr an die Schlucht verlegen. Feuerholz müssen wir auch stapeln.“ „Und einen Braten schießen.“ „Natürlich.“ Nachdem sie sich sattsam aneinander gerieben hatten, gingen sie einträchtig an die Arbeit. Sie war nicht so umfangreich, daß einer von beiden in Schweiß geriet. Selbst das Grasschneiden ließ sich dank der verfügbaren Zeit so einteilen, daß sich keiner überanzustrengen brauchte. An diesem Tage begannen sie natürlich überhaupt nicht. Erst am nächsten Tag trat der kleine Arbeitsplan, den sie sich zurechtgelegt hatten, in Tätigkeit. Einer von beiden saß ständig an der Schluchtmündung in Deckung eines Felsblocks und hielt das letzte Stück der Klamm unter den Augen. Der andere säbelte inzwischen etwas im Gras herum, holte Wasser und Holz und vertrieb sich mit allerlei Beschäftigung die Zeit. Am Nachmittag des zweiten Tages hielt Bunny wieder einmal Wache. Bunny glaubte nicht recht an eine Gefahr. Einesteils war es für Verfolger in diesem Gebirge fast unmöglich, eine Spur zu finden, andernteils besaß er ein fröhliches Gemüt, das sich nicht mit Sorgen belastete. Deshalb nutzte er die Wachstunden zu einem kleinen Schläfchen im. Sitzen. Er verstand es meisterhaft, zu schlafen und dabei Haltung zu bewahren. Don Rafael, der 27
gelegentlich in Sichtnähe kam, schöpfte jedenfalls keinen Verdacht. Es entging Bunny völlig, daß sich kurz hintereinander zwei Männer durch die letzte Windung der Klamm zwängten und das schlauchartige Mündungsstück heraufkamen. Sie sahen so aus, wie eben Leute aussehen, die sich sechs Stunden durch eine höllische Schlucht mit klippigem, wasserüberstrudeltem Boden und heimtückischen Felszacken hindurchgearbeitet haben – zerrissen, zerlumpt, durchnäßt, zerschrammt und müde. Sie gingen vorsichtig und hielten ihre Revolver in der Hand, aber sie bemerkten Bunny nicht, denn sein Oberkörper war durch einen Block und seine Füße durch Gras gedeckt. Und Schnarchen gab es bei Bunny nicht, höchstens ein sanftes Röcheln. Nur wenige Schritte von Bunnys Block entfernt hielten die beiden an und überschauten das runde Tal mit seinen hohen Wänden. Auf ihren Gesichtern lag das Staunen über das Paradies, das sie vor sich sahen. Dann plötzlich entdeckte einer das gleißende Goldband, das nicht weit von der Klamm ansetzte. Das war das, was die beiden insgeheim erwartet hatten, deshalb schrieen sie auch beide fast gleichzeitig auf: „Da – dort ist es! Gold!“ Der Ausruf genügte, um Bunny aus dem Schlafe herauszureißen. Er fuhr hoch, faßte die beiden fremden Gestalten ins Auge und kreischte los: „Was fällt euch ein! Da soll doch gleich…“ Gerade rechtzeitig fiel ihm ein, daß es höchst unklug 28
war, soviel Masse zu zeigen. Er plumpste hinter den Block und drückte blind sein Gewehr ab. Die beiden Eindringlinge waren erschrocken herumgefahren, hatten ebenso instinktiv ins Blaue hineingeschossen und sausten nun zur nächsten Deckung, nämlich wieder in die Klamm hinein, Damit begingen sie einen entscheidenden Fehler. Es wäre schwer gewesen, sie wieder zu vertreiben, wenn sie an der Talwand hinter einigen Felsblöcken Zuflucht gesucht hätten. Bunny feuerte wütend hinter ihnen her, aber seine Schüsse richteten keinen Schaden mehr an. Wenig später kam Don Rafael in schnellen Sprüngen an der Talwand entlang zu ihm. „Was ist los?“ „Was soll los sein?“ entrüstete sich Bunny. „Natürlich kamen da zwei Kerle in das Tal hereinspaziert und taten so, als wären sie hier zu Haus. Aber denen habe ich Beine gemacht. Sie laufen quietschvergnügt spazieren.“ „Sie waren schon im Tal?“ „Klar, bis dorthin, bloß ein paar Meter von mir entfernt standen sie“, nickte Bunny. Don Rafael nickte vielsagend zu ihm hin. „So, so, da müssen Sie ja fest geschlafen haben, mein Lieber!“ „Ich geschlafen?“ fuhr Bunny auf, wurde aber unter dem kühlen Blick Don Rafaels schnell kleinlaut. „Na ja, hm, ein bißchen eingenickt war ich vielleicht. Die Hitze und…“ „Schluß!“ schnitt Don Rafael eisig ab. „Vorläufig ist’s 29
noch gut gegangen. Das kann ich Ihnen aber versichern – wenn Sie noch einmal auf Wache schlafen, lernen Sie mich von einer verdammt unangenehmen Seite kennen!“ Bunny schwieg klugerweise. Der Tonfall erschreckte ihn ebenso wie die Tatsache, daß der allzeit höfliche Don Rafael fluchte. In der Klamm rührte sich nichts. Nach einer Weile schob Don Rafael sein Gewehr vorsichtig um den Block herum. „Nehmen Sie Ihren Hut auf die Pistole“, sagte er dann wieder ruhig, „und schieben sie ihn langsam in die Höhe, so daß er sichtbar wird.“ Bunny befolgte die Anweisung. Fast gleichzeitig fielen zwei Schüsse, der offene, derbe Knall einer Pistole und der scharfe Schlag aus dem Gewehr Don Rafaels. An dem Felsvorsprung der Klamm schlenkerte flüchtig eine Hand vorbei, ein unbestimmter Fluch wurde laut. „Der schießt in der nächsten Zeit nur noch mit der linken Hand“, meinte Don Rafael befriedigt. „Tatsächlich getroffen?“ wunderte sich Bunny. „Donnerwetter, Sie können schießen. Aber mein Hut hat ein Loch!“ „Kaufen Sie sich einen neuen. Nochmal das gleiche!“ Bunny reckte wieder seinen Hut, aber die Schüsse blieben aus. Die beiden in der Schlucht hatten wohl keine Lust mehr, der Schießkunst Don Rafaels Ziele zu bieten. Dafür versuchten sie eine Viertelstunde später den gleichen Trick von sich aus. Um diese Zeit lag aber Don Rafael schon ein ganzes Stück seitlich und zurück. Der Versuch kostete dem Schützen in der Klamm einen langen 30
Streifen Kopfhaut, gerade soviel, wie er unbedachterweise gezeigt hatte. Außerdem war er eine ganze Zeitlang ziemlich benommen. Sonst ereignete sich bis zum Anbruch der Dunkelheit nichts weiter. Erst als die Nacht das Tal und die KlammMündung in undurchdringliche Schwärze hüllte, regte es sich auf beiden Seiten von neuem. Die beiden in der Klamm versuchten, sich behutsam einzuschleichen. Don Rafael lag jedoch unmittelbar am Talansatz und zwang die beiden durch einige Schüsse, schleunigst wieder umzukehren. Darauf folgte ein Kugelwechsel, bei dem einer nach dem Mündungsfeuer des andern schoß, ohne Schaden anzurichten. Der Rest der Nacht blieb ruhig. Auch der folgende Tag brachte keinen Zwischenfall. Die beiden Eindringlinge hatten wohl die Unmöglichkeit eingesehen, in das Tal hineinzukommen, ganz abgesehen davon, daß sie nicht tagelang in der kalten Klemme der Felsen verharren konnten. Sie waren sicher umgekehrt. Drei Tage ereignete sich nichts. Bunny und Don Rafael verbrachten ihre Tage ganz angenehm, nur mußten sie eben ständig die Schlucht unter scharfer Bewachung halten. Am vierten Tage rührte Bunny in seinen freien Stunden gerade tiefsinnig im Uferwasser des kleinen Sees herum, als ein paar Meter vor ihm ein kleiner Gegenstand scharf ins Wasser schlug. „Wer schmeißt denn hier mit Steinen?“ murrte Bunny verwundert und blickte sich um, stutzte aber dann schon über den langrollenden Knall. Eine Kleinigkeit später spritzte es abermals in seiner Nähe ein, wieder knallte es. 31
Das machte Bunny mächtig helläugig, so daß er im Nu die beiden Leute auf dem Felsenrande des Tales entdeckte. Und dann machte es ihn schnellbeinig. Er rannte in den deckenden Schutz der Palmen hinein und sauste dann unter den Bäumen entlang zur Schluchtmündung. „Die Kerle sind auf der Höhe“, berichtete er Don Rafael, während er sich neben ihn duckte. Sie beschießen uns von oben. Um ein Haar hätten sie mir die Haut aufgeschrammt!“ „Dann schießen sie noch weit am Herzen vorbei“, spottete Don Rafael. „Ich dachte mir schon so etwas Ähnliches, als ich die Schüsse hörte. Man kann sie aber von hier aus noch nicht sehen.“ „Sie werden bald herumkommen!“ „Wieviel sind es?“ „Ich habe zwei gesehen.“ „Hm, der Professor hatte neun Mann bei sich, also dürften ein, paar in der Schlucht unterwegs sein. Trauen Sie sich zu, den Schluchteingang zu halten?“ Bunny blickte nicht ganz heiter. „Das schon, aber hier liegt man ganz ohne Deckung gegen oben.“ Don Rafael sah das glücklicherweise ein. „Richtig. Wir könnten sie ja in der Klamm abfangen, aber dann sperren sie uns möglicherweise die gegenseitige Verbindung. Ziehen wir uns also unter die Bäume zurück. Sie halten von dort aus den Schluchteingang unter Feuer, sobald sich etwas darin rührt. Ich werde versuchen, die 32
Leute oben auf dem Felsen unschädlich zu machen.“ Da schlug schon der erste Schuß herunter. Bunny und Don Rafael sprangen auf und rannten unter die Bäume. Bunny deckte sich unter und hinter einen dicken Eukalyptus und legte sein Gewehr schußbereit auf die Schlucht an, Don Rafael ging weiter und suchte sich einen günstigen Standplatz, von dem er die Leute auf der Höhe erreichen konnte, ohne die Schlucht aus den Augen zu verlieren. Er traute Bunnys Schießkunst nicht so ganz. Zwei Mann zeigten sich oben. Nachdem Don Rafael einen Schuß hinaufgejagt hatte, hüteten sie sich sehr, sich weiter sehen zu lassen. Sie brachten kleinere Felsblöcke an den Absturz und deckten sich dahinter, dann schössen sie in unregelmäßigen Abständen weiter. Schaden richteten sie nicht an, sie waren vielleicht gute Pistolenschützen, aber weniger gute Gewehrschützen. Doch Don Rafael konnte auch wenig gegen sie ausrichten, zumal er mit den Patronen sparen mußte. Es dauerte lange, bevor er eines der Gewehre zum Schweigen brachte, und selbst dann konnte er nicht sagen, ob der Mann dahinter wirklich ausgeschieden war. Inzwischen war es aber auch am Schluchtanfang munter geworden. Von dort aus knallten fleißig Schüsse zu Bunny hinüber. Die meisten wurden wohl blind gefeuert, denn Don Rafael, der ab und zu auf eine Gelegenheit an der Schlucht wartete, konnte kein Ziel erwischen. Bunny tat treu und brav seine Pflicht. Er schoß dann und wann einmal. Als die Schatten im Tal dunkelblau und dann schwarz wurden, war nichts Entscheidendes geschehen. 33
„Die Nacht hilft jedenfalls uns“, erklärte Don Rafael. „Von oben können sie nichts mehr sehen. Bis morgen früh haben wir Ruhe. Die Schluchtmündung werde ich einstweilen aus unmittelbarer Nähe überwachen. Machen Sie etwas Essen fertig, Bunny, dann legen Sie sich vorn an der Schlucht schlafen. Später können Sie mich ablösen.“ „Schlafen?“ schob Bunny vorwurfsvoll die Lippen vor. „Wer kann schlafen, wenn er aus allen Himmelsrichtungen mit Geschossen bepflastert wird?“ „Sie bestimmt“, lächelte Don Rafael und behielt damit recht, denn Bunny nutzte seine Schlafzeit gut. Im übrigen verlief die Nacht ohne Störung. Die Leute des Professors hofften auf den Tag, hofften darauf, daß ihr zweiseitiger Angriff früher oder später zum Erfolg führen würde. *
* *
Jan Mayen verteidigte unweit der Depot Hills sein Leben. Wie er erwartet hatte, nutzten seine Gegner die Nacht, Er erhielt bald Seitenfeuer und mußte sich nun nach zwei Richtungen decken und wehren. Sehen konnte er von seinen Angreifern nichts, nur das aufblitzende Mündungsfeuer verriet ihm den jeweiligen Standort. Die anderen sahen freilich auch nichts von ihm, aber die dunkle, in den Umrissen immer wahrnehmbare Masse des Wagens bot ihnen wenigstens einigermaßen Ziel. Sie platzten denn auch gründlich in den Wagen hinein, zerschossen den Benzintank und zersiebten die Kanister, so daß Jan Mayen 34
in einer Wolke von Benzin steckte. Am Morgen hatte er eine Streifwunde am Kopf und eine an der Schulter, dazu eine leichte Fleischwunde an der Hüfte. Sein Patronenvorrat war fast am Ende, der Wagen konnte nicht mehr in Fahrt gesetzt werden. Dabei fehlte Jan Mayen die Überzeugung, den andern wesentlichen Schaden beigebracht zu haben. Er ärgerte sich nun doch, daß er nicht einen überraschenden Überfall im Schutz der Dunkelheit gewagt hatte. Nun, diesen Tag würde er schon noch durchhalten, in der nächsten Nacht mußte er eben alles auf eine Karte setzen. Jan Mayen bekam nur noch Feuer von vorn. Er erwiderte es spärlich. Einmal hatte er die Genugtuung, die ihm gestern versagt geblieben worden war. Hinter den Kisten ruckte jäh ein Körper hoch und meldete einen Treffer. Langsam, unendlich langsam rollte sich die Sonne über den Himmel weg. Gegen Mittag kam das Wunder. Eine Auspuffsirene heulte wie ein Urtier auf. Im Rücken Jan Mayens, von Osten her, schoß ein dunkelgrauer Wagen heran. Es war keine Lorry, kein Lastwagen, sondern ein regelrechter Personenwagen, ein siebensitziges, starkes Ungetüm, an das einige Koffer und Kanister angeschnallt waren. Vorn saßen zwei junge Leute in kurzärmeligen, buntfarbigen Hemden. Der eine führte das Steuer, der andere hielt ein Gewehr schußbereit. Kurz vor dem Fahrzeug Jan Mayens bremste der fremde Wagen so scharf, daß sich sein Hintergestell wegdrehte. Der Mann mit dem Gewehr hängte sich heraus und schrie: 35
„Was ist denn hier los! Warum wird hier geschossen’?“ Jan Mayen schwang sieh über die Wagenwand. Er wunderte sich flüchtig, daß keine Salve aufknatterte. „Nehmen Sie Deckung!“ rief er den beiden zu. „Ich liege seit gestern gegen ein paar Leute, die mich gern treffen möchten. Sie geben ein ausgezeichnetes Ziel!“ „Wo denn!“ fragte der Fahrer. „Dort!“ wies Jan Mayen auf die Kisten. „Hoho, die nehmen wir an“, rief der andere aufgeräumt. „Vorwärts, Poll!“ Der Wagen ruckte vor. Jan Mayen begriff den verwegenen Leichtsinn gerade noch rechtzeitig genug, daß er im letzten Augenblick auf das Trittbrett springen konnte. Das Gewehr ließ er einfach fallen, dafür zog er die Pistole. Jenseits des Hügels knatterte und rumpelte es. Kein einziger Schuß fiel. Als der Wagen die Höhe gewann, sahen die drei den Lastwagen in schnell zunehmender Geschwindigkeit davonziehen. „Hinterher!“ jauchzte der Mann mit dem Gewehr. „Halt!“ bat Jan Mayen entschieden. „Ich habe einen Schwerverletzten dort unten, der braucht vor allem Hilfe.“ Der Fahrer nickte, drehte das Steuer und fuhr langsamer zurück. Birlow lag mit einer schweren Schulterwunde auf der Lorry. Jan Mayen hatte ihn ungeachtet der Gefahr hinaufgebracht und die stark blutende Wunde verbunden, soweit es das vorhandene Material und die Umstände erlaubten. Jetzt konnte in Ruhe und Sorgfalt ein ordentlicher Verband 36
angelegt werden, da die beiden Ankömmlinge Verbandzeug mit sich führten. Erst als dieses Notwendigste erledigt war, kam Jan Mayen dazu, sich mit den beiden zu unterhalten. „Ich heiße Jan Mayen“, sagte er, „und bin auf dem Wege nach Adelaide. Aus bestimmten Gründen ist es meinen Gegnern wichtig, vor mir nach Adelaide zu kommen, beziehungsweise mich mein Ziel nicht erreichen zu lassen. Sie überholten uns und schossen Mister Birlow nieder. Wenn Sie nicht gekommen wären, hätten sie mich früher oder später wohl auch erwischt.“ Der eine der beiden, ein junger, kräftiger Mann mit offenem, noch knabenhaftem und doch festem Gesicht, machte eine abwehrende Bewegung. „Machen Sie nicht den Versuch, uns zu danken. Es war selbstverständlich, daß wir nach dem Rechten sahen, als wir in einiger Entfernung die Schüsse hörten.“ „Ganz meine Meinung“, nickte der andere, der viel Ähnlichkeit mit seinem Kameraden besaß, nur daß er auf dunkel abgestimmt war. „Übrigens bin ich Jürg Steppler und das ist mein Freund James Spencer.“ „Kast und Poll“, lächelte Spencer, „weil wir so unzertrennlich sind wie die beiden Zwillingssterne.“ „Wollen Sie nach Stuart?“ erkundigte sich Jan Mayen. „Sie wundern sich über unsern Reisewagen?“ deutete Jürg Steppler den Blick Jan Mayens richtig. „Nun, man hat uns gesagt, daß wir bald steckenbleiben würden, aber bis jetzt sind wir noch immer weitergekommen. Wir wollen nämlich nach Port Darwin hinauf, so schnell wie möglich 37
sogar, um den Quer-durch-den-Kontinent-Rekord zu schlagen. Ich denke, wir schaffen es bequem.“ „Also eine Sportfahrt!“ meinte Jan Mayen nachdenklich. Er bedachte dabei, wie hilflos er neben seinem zerschossenen Wagen stand und welche Möglichkeiten dieser schnelle Personenwagen bot. „Dann ist es eigentlich nicht zu verantworten, wenn Sie sich hier länger aufhalten.“ „Darüber machen Sie sich keine Sorgen“, gab Steppler ernst zurück. „Wir bringen natürlich nun den Verwundeten erst in Sicherheit und Pflege, bevor wir unsere Fahrt fortsetzen. So wichtig ist unser Trip denn doch nicht.“ „Bestimmt nicht so wichtig wie ein Menschenleben“, stimmte Spencer bei. „Sie dürfen unsern Trip nicht so ernst nehmen. Eigentlich sind wir nur losgefahren, weil wir nichts Besseres zu tun hatten. Ich bin nämlich arbeitslos, abgebauter Bergingenieur.“ Jan Mayen blickte von ihm auf den Wagen. „Bei dem Wagen?“ „Gehört nicht mir“, grinste Spencer, „sondern Kast. Sein Vater ist ein reicher Weinbauer im Tennanbezirk, übrigens ein eingewanderter Deutscher, der sogar für seinen sechsten Sohn noch Zuschüsse übrig hat. Ich lebe von den Brosamen, die vom Tische fallen.“ „Glauben Sie ihm kein Wort“, widersprach Steppler eifrig. „Der Wagen gehört uns zu gleichen Teilen, außerdem hat er mehr Geld gespart als ich. Ich bin genau so arbeitslos wie er.“ „Jawohl“, nickte Spencer, „weil deine Gesellschaft es nicht länger dulden wollte, daß du Passagierflugzeuge zu 38
Kunstflügen mißbrauchst.“ „Sie sind Flieger?“ horchte Jan Mayen. „War“, verbesserte Steppler leicht gedrückt. „Zuletzt bin ich durch die Bürotür geflogen, mit Glanz. Wenn wir uns die tausend Pfund für den Rekord holen, kaufe ich mir eine Maschine und gebe Vorstellungen damit.“ „Und wenn Sie den Rekord nicht brechen? Sie können wegen einer Panne tagelang liegen?“ Steppler hob die Schultern. „Dann gehen wir in die Berge und prospektern. Poll behauptet, er verstünde was davon. Aber – wie kommen Sie denn nun eigentlich nach Adelaide? Diese Karre hier wird wohl kaum wieder in Gang zu bringen sein.“ „Am liebsten wäre mir, Sie könnten mich zusammen mit dem Verwundeten nach Engoordina-Station mitnehmen. Ihr Wagen ist allerdings voll, es würde auch genügen, wenn Sie dort Nachricht gäben.“ „Unsinn“, wehrte Spencer entschieden ab, „Sie können nicht hier sitzenbleiben. Wir nehmen Sie natürlich mit. Die Packen schmeißen wir heraus, die können wir dann aufladen, wenn wir zurückkommen. Aber Engoordina-Station ist noch lange nicht Adelaide. Ich glaube nicht, daß Sie in Horse Shoe Bend Anschluß finden. Und Sie wollen doch eher in Adelaide sein als die andern?“ „Eben“, schloß sich Steppler an. „Wir wollen uns Ihnen natürlich nicht aufdrängen, aber wenn etwa Ihre Angelegenheit lebenswichtig ist, so würden wir Sie nach Adelaide hinunterbringen.“ Jan Mayen blickte überrascht von einem zum andern. Er 39
hatte die Blicke, die die beiden miteinander gewechselt hatten, wohl bemerkt, aber nicht geglaubt, daß sich zwei Menschen durch einen Blick über weittragende Entschlüsse einig werden konnten. Die beiden mußten sich selten gut verstehen. Wenn eine Spur von Falschheit und Unehrlichkeit in den Gesichtern gelegen hätte, wäre Jan Mayen mißtrauisch geworden. Aber diese beiden, die sich in seinem Alter befanden, wirkten so vollkommen einwandfrei und zugleich sympathisch, daß er das Angebot so aufnahm, wie es gegeben worden war. „Sie sind sehr großzügig“, gab er langsam zurück. „Was wird mit Ihrem Rekord?“ „Der läuft nicht weg“, winkte Spencer ab. „Wir fangen dann eben von vorne an. Das einzige, was wir verlieren, sind ein paar Tage. Und wegen der Benzinkosten werden wir uns schon einig werden. Verstehen Sie uns nicht falsch, wir dachten nur, wenn sich ein paar Leute auf Leben und Tod hier herumschießen, so könnte es sich um eine Angelegenheit handeln, von der mehr abhängt als das, was wir aufs Spiel setzen.“ Jan Mayen schwieg lange. Seine Gedanken gingen bereits weiter. Er wollte nach Adelaide nicht zuletzt deshalb, weil er einen hervorragenden Flieger brauchte, der zugleich so zuverlässig war, daß man ihn in das Geheimnis des Goldfundes einweihen konnte. War dieser Steppler nicht Flieger, Kunstflieger sogar? Und gab es einen Mann, dem man besser trauen konnte? Und dieser Spencer machte den gleichen guten Eindruck, außerdem konnte er als Bergingenieur wertvolle Dienste leisten. Das Schweigen begann bereits peinlich zu werden, als 40
Jan Mayen endlich den Kopf hob und die beiden ansah. „Ihr Angebot bedeutet für mich alles“, sagte er ruhig. „Ich nehme es selbstverständlich an. Aber nun muß ich mit Ihnen ausführlicher über die Angelegenheit sprechen, die auf dem Spiel steht.“ „Nicht nötig“, fuhr ihm Steppler sofort dazwischen, „Sie brauchen…“ „Doch“, beharrte Jan Mayen lächelnd, wir müssen schon darüber reden. Sie sind Flieger, Mister Steppler? Bitte, stellen Sie sich ein fast rundes Tal mit vierhundert Meter hohen senkrechten Wänden vor. Das Tal hat fünfhundert Meter Durchmesser, der Boden hat Grasnarbe und steigt nach der Mitte zu etwas an. Würden Sie sich zutrauen, mit einem starken, aber schwerbelasteten Flugzeug aus dem Tale heraus und belastet wieder hineinzukommen?“ Steppler zögerte keine Sekunde. „Gewiß, das läßt sich schaffen. Es kommt natürlich ganz auf die Maschine an.“ Jan Mayen nickte. „Gut, das entspricht meinen Erwartungen. Also ich habe im Mac-Donnell-Gebirge eine Goldader entdeckt. Sie befindet sieh in dem beschriebenen Tal. Die Ader liegt sichtbar im Felsen und könnte wahrscheinlich mit kleinen Dosen Dynamit mühelos herausgesprengt werden. Sie würden ausgezeichnet Anleitung dazu geben können, Mister Spencer.“ Spencer wollte etwas sagen, aber Jan Mayen sprach schnell weiter. „Warten Sie bitte noch. Die Ader ist sehr ergiebig. Es 41
sind bis jetzt drei Leute an ihr beteiligt, aber es würde auch noch für einen vierten Mann Platz sein. Falls Sie den vierten Anteil übernehmen würden, kämen auf jeden von Ihnen bestimmt noch Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende. Das Gold kann jedoch nur im Flugzeug aus dem Tal geschafft werden, weil es einen leidlichen Zugang nicht gibt. Ich wollte nach Adelaide, um den Fund eintragen zu lassen. Außerdem wollte ich ein Flugzeug kaufen und den Flieger, der zugleich den vierten Anteil übernehmen soll, suchen. Ich bitte Sie nunmehr, Mister Steppler, auf Ihre Rekordfahrt zu verzichten und mein Flugzeug zu übernehmen. Und Sie, Mister Spencer, bitte ich, sich uns anzuschließen und uns Ihre Berufserfahrung zur Verfügung zu stellen. Bitte, sprechen Sie sich darüber aus und sagen Sie mir dann Bescheid.“ Er wollte weggehen, aber Steppler hielt ihn fest. „Hallo, bleiben Sie nur, wir brauchen nicht erst eine Geheimkonferenz, um einen derartigen Vorschlag zu überlegen. Ich nehme an, daß Sie genau wissen, was Sie gesagt haben?“ Jan Mayen nickte. Er verstand die Erregung der beiden, die sie trotz ihrer Bemühung nicht unterdrücken konnten. „Großartig“, fuhr Steppler fort. „Sie bieten uns den Anteil an einem Goldfund. Nun, ich halte Sie nicht für einen Mann, der schlechte Witze macht, und Sie werden uns nicht für Leute halten, die von der Dummheit geprügelt werden. Wir nehmen Ihr Angebot mit Händen und Füßen an. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, daß Sie sich auf uns verlassen können!“ 42
Jan Mayen schüttelte den beiden die Hände. „Ich zweifle nicht daran, an Ihnen zwei gute und wertvolle Kameraden gewonnen zu haben. Sie erraten wohl, daß der Überfall mit dem Goldfund zusammenhängt, und daß es vielleicht noch manche Kämpfe geben wird?“ „Um so besser“, lachte Spencer. „Wenn wir auch noch was erleben können, so soll’s uns doppelt recht sein.“ Sie sprachen noch über mancherlei, dann entlasteten sie den Wagen, hoben Birlow hinein und fuhren los. Birlow wurde in Engoordina-Station zurückgelassen, weil der Weitertransport zu gefährlich erschien. Am nächsten Morgen fuhren die drei Männer nach Süden los. Das war ein anderes Fahren als im Lorry. Jeder der drei war ein ausgezeichneter Fahrer, so daß sie sich ablösen und ohne größeren Aufenthalt fahren konnten, solange leidlich Licht vorhanden war. Vor allem aber gab der Wagen bequem seine hundert Kilometer her, wenn das Gelände einigermaßen günstig war. Über Old Crown Point ging es zunächst nach Charlotte Waters. Südlich dieser Telegraphenstation überholten sie bereits den Lastwagen des Professors. Sie sahen ihn allerdings nur in der Ferne als kleinen Punkt, da sie eine andere Spur fuhren. Am gleichen Tage noch erreichten sie Oodnatta, den Endpunkt der Bahn und für die Leute aus dem Süden der Endpunkt aller Zivilisation.. Sie vertrauten sich natürlich nicht dem Zug an, der überhaupt erst in vier Tagen abgehen sollte, sondern blieben weiter im Auto. Es wurde eine tolle, aber prächtige Fahrt, die, abgesehen von einigen 43
Reifenpannen und einem gelegentlichen Steckenbleiben, keine Unfälle brachte. Jan Mayen lernte während dieser Fahrt in Steppler und Spencer zwei prachtvolle Kameraden schätzen, die bei stets unverwüstlicher Laune weder Arbeit noch Gefahr fürchteten. Zwei Tage später fuhren sie durch die weit gelagerten Vororte Adelaides mit ihren zahllosen Einfamilienhäusern, durch die Park Lands, die Vororte und City wie durch eine grüne Wand trennen, in die City, in den Mittelpunkt der Stadt hinein. Jan Mayen suchte vor allen Dingen das Landamt auf, um sich die Ausbeutungsrechte zu sichern. Der Professor konnte zwar unmöglich schon in der Stadt sein, aber es schien nicht ganz ausgeschlossen, daß er sich über den Telegraphen mit irgendwelchen Vertrauten in Verbindung setzte, obwohl er dadurch das Geheimnis so gut wie sicher preisgegeben hätte. Die Befürchtung erwies sich als unbegründet. Jan Mayen konnte seine und die Rechte seiner Kameraden eintragen lassen. Der nächste Weg führte ihn zum Telegraphenamt. Myfrouw van Leeuwen hatte die angeforderte Summe bereits angewiesen. Außer dem Geld lag ein Kabel für Jan Mayen bereit, in dem es ohne Rücksicht auf übliche Kurzformen und die hohen Kosten hieß: ‚Mein lieber Junge Ausrufezeichen ist es eine Art Komma zu den Wilden zu fahren und eine alte Frau wochenlang ohne Nachricht zu lassen Fragezeichen das Geld schicke ich dir Komma weil ich 44
annehme Komma daß du es nicht gerade an schlechte Kerle verspielen wirst Punkt wo bleibt denn eigentlich Ursula Fragezeichen Fragezeichen du hast mir aus New York geschrieben Komma daß du sie auf den Dampfer gebracht hast Komma weil sie zu mir fahren wollte Fragezeichen sie ist bis heute nicht eingetroffen Ausrufezeichen ich habe nachforschen lassen Punkt sie ist bis Southampton gekommen Komma aber dann ist sie verschwunden Komma man hat nichts weiter feststellen können Punkt was weißt du darüber Fragezeichen ich hoffe Komma, daß du dich bald um das Kind kümmern wirst Punkt ich erwarte deine Nachrichten in herzlicher Liebe deine Großmutter Antje van Leeuwen.’ Jan Mayen hörte einen Augenblick lang förmlich die alte weißhaarige Frau, wie sie mit geschwungenem Stock einem Telegraphenbeamten klarmachte, daß sie keine zerhackten Sätze ohne anständige Satzzeichen zu telegraphieren pflege, dann überwältigte ihn die Bestürzung wegen des Inhalts dieses Telegramms. Ursula van Tiel war nicht in Amsterdam angekommen? Und Barry, der sie begleitete, ebenfalls nicht? Dafür gab es nur eine Erklärung. Joe Rubbard, in dessen Auftrag der Professor hier in Australien Jan Mayen Schwierigkeiten machte, hatte seine Hand auf das junge Mädchen gelegt. Dann wurde es aber nach so vielen Wochen höchste Zeit, daß man sich um sie kümmerte. Aber – jetzt konnte er unmöglich fort. Erst mußte die Bergung des Goldes wenigstens eingeleitet worden sein. 45
Er setzte ein Kabel an Myfrouw van Leeuwen auf, in dem er für das Geld dankte, einen ausführlichen Brief ankündigte und bat, einen fähigen Detektiv zu beauftragen, der von Rubbard aus versuchen sollte, die Spur des jungen Mädchens zu finden. Er versprach, sobald als möglich selbst zu kommen und erbat weitere Nachrichten nach Adelaide. Mehr konnte er vorläufig nicht tun, und es war herzlich wenig. Aber in dem verwunschenen Talkessel des MacDonnell-Gebirges warteten zwei Kameraden auf ihn, die sicher auch bedrängt wurden und vor allen Dingen mit seiner Rückkehr rechnen durften. Jan Mayen war noch recht bedrückt, als er Steppler und Spencer, die inzwischen verschiedenes erledigt hatten, wieder traf. Die beiden spürten seine Niedergeschlagenheit und fragten ihn danach, da sie annahmen, das Geld sei nicht eingetroffen. Jan Mayen beruhigte sie darüber und erzählte ihnen anschließend von dem, was ihn bedrückte. „Das ist böse“, meinte Steppler teilnahmsvoll, „aber Sie können ja nun nicht gut weg, wenigstens nicht gleich auf der Stelle. Später würde ich an Ihrer Stelle die Flugverbindung nehmen, damit kommen Sie ein paar Wochen schneller nach Amsterdam als mit dem Schiff.“ Jan Mayen nickte geistesabwesend. „Gewiß, aber eigentlich nützt es mir nichts, nach Amsterdam zu reisen. Es handelt sich darum, den Aufenthalt der jungen Dame zu ermitteln. Sie wird bestimmt nicht in Amsterdam sein.“ Die beiden Freunde konnten nicht viel dazu sagen, so 46
kam denn das Gespräch gleich darauf auf die näherliegenden Angelegenheiten. Diese waren so dringend und so brennend, daß Jan Mayen alle Gedanken an Ursula van Tiel zurückschieben mußte. Und in den nächsten Tagen gab es so viel zu bedenken, zu überlegen, zu regeln und vorzubereiten, daß das Bild des jungen Mädchens nur selten flüchtig mahnend in ihm aufzucken konnte. *
* *
Zwei Wochen später. Am gleißenden Band im einsamen Tal des MacDonnell-Gebirges tönten dumpf und matt die Schläge der kleinen Sprengungen, die unter Spencers Leitung fachmännisch durchgeführt wurden. Eine schwache Dynamitladung nach der andern riß eine dunkle Kerbe in die anstehende Felswand hinein, während sich gleichzeitig unten auf dem Boden die großen und kleinen Brocken des Edelmetalls häuften. Außer Spencer befanden sich Jan Mayen, Don Rafael und Bunny im Tal. Sie arbeiteten zwischen Abend und Morgen schwer und unermüdlich, und selbst Bunny machte keine Ausnahme, denn Jan Mayen wollte keine Stunde ungenützt lassen, um so schnell wie möglich freizukommen. Jürg Steppler befand sich auf seinem zweiten Flug nach Adelaide, um die zweite Tonne Gold zur Bank zu bringen. Er hatte drei von seinen Brüdern verständigt, 47
die ihm in Adelaide behilflich waren, das Gold aus dem Flugzeug in die Bank zu bringen, ohne mehr Leute aufmerksam zu machen als unbedingt nötig war. Don Rafael und Bunny hatten sich gegenseitig freudevoll auf die Schultern geklopft, als das Flugzeug über ihren Köpfen erschienen war. Sie freuten sich vor allem, daß Jan Mayen nicht irgendwo unterwegs liegengeblieben war, weniger deshalb, weil sie nun selbst Luft bekamen. Die Leute, die ins Tal eindringen wollten, hatten sie in den letzten Tagen nicht mehr wahrgenommen. Drei Tage lang war die Schießerei hin und her gegangen, dann hatten die Angreifer wohl darauf verzichtet, das Tal zu erobern. Die Männer arbeiteten. Ab und zu warf einer einen Blick nach oben. Heute mußte Steppler zurückkommen. Das erstemal war er am zweiten Tage zurück gewesen, doch diesmal wollte er schon am selben zurückkommen. Für ein Flugzeug war ja die Entfernung bis Adelaide auch nicht groß. Rund fünfzehnhundert Kilometer, das bedeutete drei bis vier Stunden Flug. Wenn man am nächsten Tage zurückfliegen wollte, so hatte man immerhin noch eine ganze Menge Zeit zum Ausladen und Schlafen. Gefahren gab es kaum auf der Strecke, solange der Motor arbeitete. Die einzige Gefahr lauerte hier an den Wänden des Tales. Aber Steppler war der geborene Kunstflieger und hatte sich eine erstklassige Maschine ausgesucht. Er drehte sich in einer halben Spirale haarscharf am Felsen entlang hinaus, daß einem der Atem stockte und zugleich das Herz vor Freude lachte. Bunny meldete als erster. „Er kommt!“ rief er aus und deutete nach oben. 48
Die Männer reckten die Körper und beschatteten die Augen. Wirklich, über dem Tal stand das Flugzeug. Man hörte jetzt auch das Schnurren des Motors. Die Maschine stand noch ziemlich hoch, aber sie ging bereits in weiter Spirale nach unten. „Warum zögert er?“ wunderte sich Spencer nach einer Weile, als das Flugzeug ein Stück über dem Tal kreiste und dann sogar quer über das Tal hinweg zog. „Eben?“ murmelte Bunny. „Er wird noch zuviel Geschwindigkeit haben“, vermutete Jan Mayen. Doch dann stutzte er und rief gedämpft: „Das ist doch überhaupt nicht unser Flugzeug?“ Jetzt sahen sie es alle. Es war eine fremde Maschine, die über dem Tal hin und her flog, als sei sich der Pilot nicht ganz schlüssig. Jetzt tauchte sie wieder über der Felskante auf. Unmittelbar darauf spritzte es wie aufprallende Steine gegen die Wand, in deren Nähe die Männer standen. Mit einem feinen Aufheulen fuhr etwas zwischen Spencer und Jan Mayen in die Erde. In das Dröhnen des Motors mischte sich ein scharfes Knattern. „Teufel, sie schießen!“ schrie Spencer überrascht auf. „Maschinengewehr!“ rief Don Rafael. „Deckung!“ Jan Mayen riß Bunny vorwärts. „In die Schluchtmündung hinein, dort haben wir Deckung!“ Die Salve riß ab, weil das Flugzeug die Schußrichtung verloren hatte. Die Männer rannten und sprangen zu der 49
engen Klamm, hinter deren vorspringenden Klippen sie durch keine Kugel erreicht werden konnten. Unterwegs griffen sie ihre Gewehre auf. Kaum hatten sie Deckung erreicht, so kam das Flugzeug schon zurück. „So eine Gemeinheit“, schimpfte Bunny, nachdem er Atem geholt hatte. „Bepflastert uns der Kerl mit einem Maschinengewehr. Das kann doch höchstens der Professor sein!“ „Wahrscheinlich“, nickte Jan Mayen. „In Adelaide haben wir ihn ja nicht wieder gesehen, aber er wird seine Pläne wohl noch nicht aufgegeben haben. Ich denke, er hat die Tage genützt, um festzustellen, was wir unternommen haben. Sicher weiß er, daß wir ein Flugzeug benutzen. „Das kann er auch von einem seiner Leute erfahren haben, von denen sich wohl dieser oder jener noch in der Nähe aufgehalten hat, als Sie ankamen“, meinte Don Rafael. „Der Weg bis Stuart ist nicht so weit, und der Telegraph arbeitet schnell.“ Der Mann im Flugzeug ratterte eine neue Salve hinaus, aber sie verspritzte an den Felswänden und richtete keinen Schaden an. „Hoffentlich ist Steppler nichts geschehen“, bedachte Jan Mayen sorgenvoll. „Dem geschieht so leicht nichts“, beruhigte Spencer. Das fremde Flugzeug kurvte immer wieder über dem Tal. „Da kann er sich totfliegen“, grinste Bunny. „Uns schadet er wenig, es ist eben höchstens um Mister Steppler.“ „Wenn er nur herunterkäme“, bemerkte Don Rafael, 50
„dann wollten wir ihm schon sein Maschinengewehr abgewöhnen.“ Fast eine Stunde verging, für die Männer wurde es sehr langweilig. Doch dann hatte sich der Pilot wohl entschlossen. Er kurvte auffallend langsam und überschritt endlich die Höhenmarke der Felskanten. Das Flugzeug drehte sich dicht an der Wand entlang in das Tal hinein. Das Maschinengewehr knatterte dabei ununterbrochen. Jetzt kam das Flugzeug in den Bereich des kleinen Sees und sackte natürlich sofort ein Stückchen ab. Entweder hatte der Pilot die Kaltluftwirkung über dem Wasser nicht berücksichtigt oder er beherrschte die Lage nicht, jedenfalls wurde die Maschine unmittelbar nach dem kurzen Ruck merklich unsicher. Sie taumelte, der Motor heulte erschreckt auf, die Tragfläche schien die Felswand zu berühren. „Er hat die Nerven verloren“, flüsterte Spencer. So mußte es sein. Das Flugzeug wurde scharf von der Felswand weggerissen, die gleichmäßige Kurve, die allein das Herunterkommen ermöglichte, riß ab. In gerader Linie schnitt die Maschine schräg nach unten. Noch einmal wurde sie von der Wand weggerissen, aber dann prallte sie hart an und schlug schwerfällig in die Tiefe. Die vier Männer fanden einen Trümmerhaufen vor, als sie die Absturzstelle erreichten. Sie hatten zwei Stunden schwer zu arbeiten, bevor sie die Insassen des Flugzeuges geborgen hatten. Vier Mann holten sie heraus, einer davon war der 51
Professor. Dieser sowie zwei andere lebten schon nicht mehr, der vierte Mann starb nach einer halben Stunde, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Wenig später erschien das Flugzeug Stepplers, das in einer sanften, spielerisch erscheinenden Kurve niederkam und sicher landete. Steppler sprang heraus, ihm folgte ein zweiter Mann, der ihm sehr ähnlich sah. „Das ist mein Bruder Gert“, stellte er vor. „Ich werde gleich erzählen, warum ich ihn mitgebracht habe. Was ist mit dem andern Flugzeug!“ Jan Mayen wies zur Felswand hin. „Dort liegt es zertrümmert, die Insassen sind tot.“ Jürg Steppler nickte. „Gut, besser sie als wir. Und nun zu meiner Eigenmächtigkeit. Wir haben gestern ohne Zwischenfall entladen. Meine Brüder berichteten mir jedoch von einem Professor, der sich ein Flugzeug gekauft und dieses heimlich mit einem Maschinengewehr ausgerüstet habe. Sie waren dem Mann zufällig auf die Spur gekommen und hatten sich dann angehängt. Nun, der Sinn der Sache war mir klar. Wir versuchten, gestern abend und heute morgen ebenfalls ein Maschinengewehr aufzutreiben, aber da war nichts zu machen. Wer weiß, woher der Professor seins bezogen hat. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Wir bekamen jedenfalls keins, sondern machten uns recht verdächtig. Mit Not und Mühe konnten wir eine Maschinenpistole auftreiben. Das war ja ein bißchen wenig gegen ein Maschinengewehr, aber immer noch besser als gar nichts. Den Rest mußte 52
man eben durch gutes Fliegen ausgleichen. Aber schießen konnte ich nicht auch noch, deshalb nahm ich lieber Gert mit. Leider waren wir reichlich spät dran, vielleicht auch Gott sei Dank. Jedenfalls ist die Geschichte nun auch so erledigt.“ Jan Mayen lächelte ihm zu. „Sie haben sehr umsichtig und mutig gehandelt. Ihr Bruder ist uns natürlich willkommen. Haben Sie auf dem Postamt nachgefragt!“ Jürg Steppler griff in seine Tasche. „Jawohl, ein Kabel für Sie.“ Jan Mayen trat zur Seite und brach es auf. Myfrouw van Leeuwen schickte neue Nachrichten. ‚Mein lieber Junge Ausrufezeichen du scheinst ja mit wichtigen Angelegenheiten beschäftigt zu sein Komma aber vergiß nicht Komma daß es die schönste Pflicht eines jungen Menschen ist Komma ein schutzloses Mädchen zu retten Punkt soeben erhielt ich aus Tampa in Florida ein Kabel von einem gewissen Barry Komma in dem es heißt Doppelpunkt Miß Ursula in gefährlicher Lage stop wird durch Rubbard bedroht und befindet sich in Florida stop gebt Jan Mayen Nachricht stop erwarte ihn in Tampa im Hospital Punkt ich hoffe Komma daß dir das mehr sagt als mir Punkt auf jeden Fall erwarte ich sofort deine Nachricht Komma sonst reise ich selbst nach Florida und bringe diese verdrehte Geschichte in Ordnung Punkt in herzlicher Liebe deine Großmutter Antje van Leeuwen.’ 53
Jan Mayen las das Kabel noch zum zweiten Male, dann steckte er es geistesabwesend weg. Barry lag in Tampa auf Florida im Krankenhaus und Ursula van Tiel befand sich irgendwo auf dieser nordamerikanischen Halbinsel in Bedrängnis? Jan Mayen sah das junge Mädchen vor sich und spürte einen scharfen, ziehenden Schmerz, der sich von seinem Herzen aus über den ganzen Körper ausdehnte. Wahrhaftig, es wurde Zeit, daß er sich um sie kümmerte. Er trat wieder zu den andern, reichte Don Rafael das Kabel hin und sagte zu Steppler und den andern gewandt: „Ich muß dringend fort, ein junges Mädchen braucht meine Hilfe. Wir müssen unsere Pläne ändern. Dieses Flugzeug werde ich noch mit beladen helfen, fahre aber mit ihm dann nach Adelaide. Don Rafael kann an meiner Stelle…“ „Ich fahre mit Ihnen“, fiel Don Rafael hastig ein. Der Tonfall klang so entschieden, daß Jan Mayen seinen Begleiter prüfend ansah. „Gut“, willigte er ein, „auch Don Rafael wird das Tal verlassen. Vielleicht könnten Sie, Gert Steppler, dafür hierbleiben?“ „Sicher.“ „Was zu tun ist, wissen Sie alle. Ich denke, Sie werden auch ohne uns zurechtkommen!“ „Das sicher“, nickte Jürg Steppler. „Ich freue mich, daß Sie soviel Vertrauen zu uns haben. Sie können sich auf uns verlassen. Aber – wo wollen Sie denn eigentlich hin?“ 54
„Nach Amerika, zur Halbinsel Florida.“ „Donnerwetter, Sie nehmen ein Flugzeug?“ „Ja, ich will versuchen, die Fahrt über den Stillen Ozean zu schaffen.“ „Das ist zu machen, wenn Sie auf den Fidschis und Hawaii nachtanken. Aber Sie müssen unbedingt einen zweiten Flieger mitnehmen.“ „Ich fahre ja mit“, meldete sich Don Rafael. Jan Mayen drehte sich erstaunt nach ihm um. „Können Sie denn fliegen!“ Don Rafael deutet eine Verbeugung an. „Gewiß. Langstreckenflüge sind mein besonderer Fall. Ich habe sogar schon eine Atlantiküberquerung im Alleinflug unternommen.“ Jan Mayen schüttelte den Kopf. „Sie haben eine besondere Fähigkeit, mit Talenten zu überraschen, Don Rafael. Doch um so besser.“ „Und was wird mit mir!“ fragte Bunny an. „Eigentlich wollte ich mich ja zur Ruhe setzen, aber Abwechslung ist auch kein Fehler, und mir kommt es vor, als gäbe es in Ihrer Nähe immer allerlei Abwechslung, deshalb wäre ich nicht abgeneigt, Ihnen weiterhin die Stiefel zu putzen und ähnliche Kleinigkeiten mehr.“ „Dabei hat er in der ganzen Zeit keine Schuhbürste zu sehen bekommen“, murmelte Don Rafael abfällig. „Sie bleiben“, entschied Jan Mayen, „hier werden Sie nötiger gebraucht. Wenn Sie Ihren Reichtum eine Weile genossen haben und es nicht mehr aushalten können, bleibt 55
es Ihnen ja unbenommen, sich wieder zu melden.“ So wurden noch manche notwendigen und nicht notwendigen Angelegenheiten besprochen und geregelt, dann gingen die Männer an die Arbeit. Erst begruben sie die Toten, dann beluden sie das Flugzeug. Am nächsten Morgen verließen Jan Mayen und Don Rafael hinter Jürg Steppler mit dem Flugzeug das Tal. Jan Mayen brauchte das Vertrauen, das er in Steppler und seine Kameraden gesetzt hatte, nicht zu bereuen. Sie schafften im Laufe der nächsten Wochen dank unermüdlicher Arbeit fast das gesamte, leicht zu gewinnende Gold nach Adelaide. Die Hälfte davon überwiesen sie, wie vereinbart, auf die Konten Jan Mayens und Don Rafaels, ein Viertel teilten sie unter sich auf. Von dem restlichen Viertel behielt Bunny wirklich nicht mehr als fünfzigtausend Pfund, den Rest schlug er zu dem Anteil Jan Mayens, Das war sehr großzügig und anständig von ihm. Später zeigte es sich, daß er nicht schlecht dabei gefahren war. Die Ausbeutung der Goldader wurde aufgegeben, als sich die Nachricht von dem Goldfund über das ganze Land verbreitet hatte und die Abenteurer zu strömen begannen. Irgendwer – vielleicht einer der Leute des Professors oder einer der Bankbeamten – hatte geschwatzt, worauf die Öffentlichkeit in die entsprechende Erregung geriet, Von Norden wie von Süden kamen die Lorrys mit den bunten, wilden Gestalten der Goldsucher. Es war ein Glück, daß die Mac-Donnells-Berge nicht leicht zu erreichen waren, so daß nach Bekanntwerden des Goldfundes noch Tage und Wochen vergingen, bevor sich das einsame Land mit Menschen füllte. 56
Die ersten, die sich einfanden, waren die Miners aus den Marienglasfeldern von Arltunga. Man hielt sie mit leichter Mühe eine Zeitlang vom Tal fern. Als dann jedoch die regelmäßige Arbeit durch den dauernden Zwang zur Bewachung erheblich behindert wurde, gaben Steppler und die andern das Tal auf und überließen die vorhandenen Reste den Neuankömmlingen. Die Reste genügten, um auch noch einige von diesen reich zu machen. Ein halbes Jahr später lag über den öden Weiten des Gebirges wieder die gleiche grenzenlose Einsamkeit wie zuvor. Das goldene Band gleißte nicht mehr in dem verborgenen Tal, die Goldgräber waren abgezogen. Das Land gehörte wieder den springenden Juros, den wilden Bergpferden und den streifenden Eingeborenen.
Demnächst erscheinen: Band 6: Das Urwaldschloß Band 7: Flucht aus dem Sumpf Band 8: Die künstliche Sonne
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DER HERR DER ATOMKRAFT, ist ein Deutschamerikaner, den sein Vater auf der gleichnamigen Insel im Nordmeer erziehen ließ, um um für eine besondere Aufgabe vorzubereiten. Er soll das Eis Grönlands mit Hilfe einer künstlichen Spiegelsonne auftauen und dieses Land, welches wahrscheinlich mit dem sagenhaften Thule identisch ist, so einer Besiedlung zugänglich machen. Jan Mayen ist ein Mann, den die Natur mit allen Geistesund Körperkräften reichlich ausgestattet hat. Wie er nun sein Vorhaben in die Tat umsetzt, das schildern die hundertzwanzig phantastischen Zukunftsromane dieser Heftchenreihe. Die Handlung spielt in Tagen, die der Jetztzeit um einige Jahre vorausliegen. Atomraketen, künstliche Monde, willkürliche Beeinflussung des Wetters, Übersprengstoffe, Gedankensender, Energiestrahler, künstliches Gold, die Tarnkappe, Todesstrahlen, Tiefseetaucher, Aufhebung der Schwerkraft, Weltraumstationen, künstliche Spiegelsonnen, unsichtbares Feuer, Umlenkung des Golfstromes, Wachstumsbeeinflussung und unzählige andere Probleme werden von Jan Mayen und seiner Erfinderorganisation gelöst. Dabei handelt es sich bei diesen Schilderungen nicht um törichte Voraussagen, die einen echten Techniker oder Wissenschaftler ärgerlich machen müssen, sondern um Prophezeiungen, die jeder Kritik standhalten. Der Autor dieser Heftchenreihe hat alle seine
Voraussagen bereits in den Jahren 1935–1938 gemacht und Sie werden überrascht sein, wie viele seiner „Erfindungen“ heute bereits verwirklicht sind. Erleben Sie nun in dieser Reihe zusammen mit Jan Mayen dessen unzählige Abenteuer mit verrückten Genies, geldgierigen Desperados, verschrobenen Sonderlingen und machthungrigen Politikern in allen Teilen der Welt! Jedes Heft ist ein in sich abgeschlossener Roman, aber wir sind überzeugt, daß Sie alle 120 Hefte der Reihe lesen werden, wenn Sie einmal ein einziges in die Hand bekommen. Es ist völlig unmöglich, die Abenteuer Jan Mayens zu vergessen und es ist ausgeschlossen, daß Sie sich nicht bereits auf das nächste Heft freuen, wenn Sie diese Serie begonnen haben! Jan Mayen unterhält Sie nicht nur, er bildet Sie auch in den Problemen der modernen und zukünftigen Technik unmerklich und auf angenehme Weise weiter. Die JanMayen-Serie ist die beste Heftserie, die es derzeit in Deutschland gibt. Lesen Sie eines der Hefte und Sie werden alle lesen!
Bestellungen auf Jan-Mayen-Hefte wollen Sie bitte nicht an den Verlag richten. Sie können die Hefte bei jeder Buchhandlung, jedem Zeitungsstand und jeder Papierhandlung kaufen oder bestellen. Die Hefte erscheinen nun 14tägig.