OTTO ZIER ER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖRUNG Unter di...
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OTTO ZIER ER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖRUNG Unter diesem Titel erscheint demnädist der Doppelband 27/28 der neuen Weltgesdiidite. Der Doppelband behandelt das 16. Jahrhundert n. Chr. Die Einheit des Abendlandes und der Christenheit zerbricht. Der Riß verästelt sich über Europa und setzt sich bis in das kleinste Dorf, bis in die Famiiien fort. Die Gedanken der Gewissensfreiheit, der evangelischen Gleichheit der Menschen, die Losiösung der Wissenschaften von derTheo'ogie. die Abwendung der meisten Fürsten von kirchlichen Einiliissen und die wachsende Rebellion der Massen gegen die bisherige, schwer erschütterte Ordnung bestimmen das Bild der Übergangszeit. Die „gläserne Kuppel" des Mittelalters ist niedergestürzt.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausg abe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Otto Zierer
Aufstieg und Niedergang 1453
VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN
Byzantinische Trachten: Kaiserin, Kaiser, Kanzler, Krieger, Priester, Dienerin. Hofdame, Palastwache
Seit Jahrtausenden sind die Meerengen zwischen Mittelländischem und Schwarzem Meer eine Schlagader des Welthandels, die kürzeste und günstigste Verbindung der Schwarzmeer-Länder und des-Vorderen Orients mit dem gewaltigen Markte der Mittelmeerländer. Als am 29. Mai 1453 — ein halbes Jahrtausend vor unseren Tagen — die beherrschende Stadt Byzanz-Konstantinopel und mit ihr der letzte Pfeiler des Oströmischen Reiches, in die Hände der türkischen Eroberer fiel, hatte dieses Ereignis weithinwirkende Bedeutung. Auch diese Tragödie — an der Schwelle der Neuzeit — trug zum Heraufkommen einer neuen Epoche in der Menschheitsgeschichte bei. Von frühem Beginn, blühender Größe und tragischem Schicksal des „Goldenen Byzanz" berichtet dieser Lesebogen.
* An Jen M.eerengen, in sagenhafter V o r z e i t . . . Es war eine Landschaft der Sage. Luft der Morgenfrühe der Menschheit strich über eine Meerflut, in der sich Tritonen und Nereiden über der Wassertiefe, dem gläsernen Palaste des Poseidon, tummelten, strich über eine Erde, deren Haine von böcksfüßigen Satyrn, deren Quellen von Nymphen und Naturgottheiten belebt waren. Im blauen Himmel aber thronten in einem Schloß von Wolken die Lichtgötter des Olymp.
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Unaufhörlich strömten die „süßen Wasser von Europa" aus dem „Goldenen Hörn" in das smaragdene Grün der Meerengen. Kühngeschweifte Schiffe mit singenden Ruderern zogen vorbei, Sagenhelden blickten zu den weißschimmernden Felsklippen, zu den sanften Waldhängen hinüber. Da segelten die ,Argonauten' — raderte Jason, das „Goldene Vlies" zu holen; da sang Herakles als Gefährte des Jason dröhnend seine überströmende Lebensfreude in den Wind, der vom Schwarzen Meere stetig hereinwehte. Später sahen die Felsen am Bosporus die Flotte des Achill vorüberrauschen, als die Helden sich die Langeweile des Belagerungskampfes vor Troja durch kühne Raubfahrten kürzten. Und eines frühen Tages stand fern über dem Marmarameer der Brandschein des sterbenden Troja. Held Äneas und seine Freunde ließen die Küste Dardaniens hinter sich und fuhren aus, Dido in Karthago zu besuchen und eine Stadt zu gründen, die spätere Geschlechter Rom nennen würden. Auch Odysseus verließ die Gestade an den Meerengen —nicht ahnend, daß ihn zehnjährige Irrfahrt und eine kummervolle Heimkehr erwarteten. Es war der Himmel der Götter, der sich über die Meerstraße zwischen Asien und Europa wölbte. Die Schatten der Helden kamen und gingen, der AHherrscher Tod deckte den Schleier über die Zeit der Heroen, das Leben führte neue Geschlechter herauf. M egara, im H e r b s t d e s J a h r e s 668 v. C h r . Einer der führenden Männer aus der dorischen Stadt Megara, die nahe bei Athen am Golf von Salamis liegt und durch ihren ausgedehnten Seehandel bekannt ist, spricht vor dem auf dem Ratsplatz versammelten Volke. Handelsreisen haben den Kaufmann ostwärts geführt: durch die Dardanellen ins Marmarameer und zu der engsten Stelle des Meeres, an der Asien sich Europa entgegenneigt. „Freunde!" sagt er, „es gibt keinen zweiten Ort auf der Erdscheibe, der günstiger für eine Stadtgründung wäre, als jener, den ich vorschlage: eine Bucht verzweigt sich gleich einem Hirschgeweih tief ins Land; nur fünf Stadien breit ist der Meeresarm, von dem sich der Golf — gleich einem Goldenen Stierhorn — trennt. Die Wasser sind tief und eine Strömung sorgt dafür, daß keine gefährlichen Bänke den Ankergrund schmälern. Reich ist der Platz. Rings um eine steil vorspringende Halbinsel tummeln sich Thunfische und 3
Delphine so zahlreich, daß wir sie mit bloßen Händen gefangen haben. Auf einer Klippe ragt ein winziges Raubnest auf; die wilden Thraker nennen es Burg des Byzas. Zu Füßen dieser Feste halten die Barbaren des Nordens, die reichen Kaufleute des nahen Asiens und die Hellenen, deren Schiffe die Meerstraße ziehen, Markt. Laßt uns, Freunde, diese Burg zerstören und eine Kolonie anlegen — es wird ebenso sein, als hängten wir Reusen in einen goldenen Strom!" Der Kriegsheld und Kaufmann spricht noch viele und farbenfrohe Worte auf der Agora seiner Stadt. Von ihrer finsteren Felshöhe blickt Burg Karia auf die wogende Volksmenge herab und vernimmt den Beschluß der Bürger. Sie schwören beim Heiligtum der Staidtgöttin Demeter, ihre überzählige Jungmannschaft auszusenden, auf daß sie zu Ehre und Nutzen Megaras eine Tochterstadt an den Meerengen gründe. B u r g d e s B y z a s , i m JMai d e s J a k r e s 667 v . C h r . Sie sind mit 40 Trieren gelandet. In jener tiefverzweigten Bucht, die sie ,Chrysokleras' — Goldenes Hörn — nennen, liegen die hochbordigen, bemalten Dreiruderer vor den Ankersteinen oder an den Eichen des Gestades vertäut. Sie haben mit rasch gezimmerten Sturmböcken und Rammbalken die Palisaden der thrakischen Burg durchstoßen und sind wie zürnende Götter über die geringe Besatzung gekommen. Erschlagen oder vertrieben sind die Barbaren, rauchend lastet das gestürzte Gebälk auf den Trümmern der Burg. Hellenische Krieger mit erzgetriebenen Helmen, blinkenden Arm- und Beinschienen und kunstreichen Brustpanzern besetzen das Felsplateau, das wie eine natürliche Bastion in die grünen Wasser vorspringt. Aus den Schiffen zerrt man brüllende Rinder, Schafe und kräftige Rosse; Hausrat, Ackergerät und bemalte Tongefäße mit öl, Wein und Getreide stapeln sich am Strand. Die Jungmannschaft hat begonnen, Balken für den Hausbau zu behauen und Schilf für die Dächer zu sammeln. Die Priester kommen und weihen den Ort. In feierlicher Prozession tragen sie die Bilder der Götter rings um den künftigen Siedlungsplatz. Ein Ochsengespann, das eine Pflugschar zieht, folgt; die Furche umgrenzt den Weihebezirk: innerhalb dieser ,Bannmeile' darf es niemals Bluttat und Gewalt geben, sie gehört einzig dem frommen Bürgersinn. Die Krieger in ihren Rüstungen, Weiber und Kinder in schneeweißen, losen Ge4
Das östliche Mittelmeer wändern säumen den heiligen Hain auf der höchsten Kuppe des Hügels. Hier stellen die Träger die Götterbilder ab, die sie aus der griechischen Heimat herübergebracht: die Erdgöttin Demeter, das mächtige Haupt des Himmelsvaters Zeus, den geheimnisvollen, wiedergeborenen Dionysos und die liebliche Aphrodite. Am heiligen Stein dampft das Blut der Opfertiere, kerzengerade steigt der Rauch zum wolkenlosen Himmel, und glückverheißend segelt ein Zug Kraniche aus dem geweihten Norden herüber. Froh über die guten Vorzeichen jubelt das Jungvolk. Der Führer der Auswanderer schleudert mit gewaltigem Wurf den Speer in die aufstiebende Erde — andeutend, daß die Siedlung ,speergewonnenes Land' sei. Und er spricht zuerst den Namen aus, den die Tochterstadt Megaras, die Stadt an der Meerenge, künftig führen soll: B y z a n t i o n . . .
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Die neue Stadt blüht dank ihrer beherrschenden Lage bald empor. Der Ruf des trefflichen Marktes am Schnittpunkt so vieler Verkehrswege geht durch 5
die Griechenwelt. Leute aus Korinth, aus dem kargen Böotien und Kaufleute aus dem üppigen Milet bitten um Aufnahme in die junge Gemeinde und erhalten das Niederlassungsrecht — freilich wird keiner der Fremden in die Reihen der stimmberechtigten Bürgerschaft aufgenommen. Ein Jahrhundert später besitzt Byzantion Mauern, und seine Tempeldächer ruhen nicht mehr auf geschälten und bemalten Baumstämmen, sondern auf steinernen Dorersäulen. Seine Agora ist mit marmornen Standbildern geschmückt, vor denen frommer Sinn die ölflammen in Brand hält. Das Land rings um den Golf gehorcht den Bürgern von Byzanz, die durch den Schwarzmeerhandel reich und mächtig geworden sind.
• Im Osten aber ist indessen das Weltreich der Perser emporgewachsen, hat, aus Persiens Bergen hervorstoßend, die älteren Staatswesen in Babylonien und Ägypten überrannt und endlich auch die Griechenstädte Kleinasiens unterworfen. Im Jahre 515 v. Chr. geschieht es, daß der persische Großkönig Dareios Hystaspis an den Meerengen erscheint, Byzanz niederzwingt und persische Besatzung in die Burg auf dem Felsen legt. Den Leuten von Byzanz bleibt nichts anderes übrig, als mit Weib und Kind und dem beweglichen Teil ihrer Habe zu fliehen. Sie retten sich in eine unzugängliche Gegend am Schwarzen Meer. Es folgen die Perserkriege Großgriechenlands, es steigt der Siegestag von Salamis herauf. An diesem 20. September des Jahres 480 v. Chr. — als die Hellenen die persische Flotte vernichten — wird auch die Freiheit von Byzanz wiedergeboren. 478 v. Chr. erscheint die Flotte des Griechen Pausanias vor Byzanz, verjagt die persische Besatzung und führt die Flüchtlinge in ihre Heimatstadt zurück.
• Und wieder geht ein Jahrhundert dahin. Byzanz ist Mitglied des großen griechischen Schutz- und Trutzbundes geworden, es kämpft im Peloponnesischen Krieg auf Seiten Athens, Ein Menschenalter nach dem Ende dieses dreißigjährigen Krieges der Griechenwelt, segelt der Thebaner Epaminondas mit seinem Heer vor die Mauern des stolzen Byzanz und bestürmt sie vergeblich. Die Stadt versteht ihre Freiheit zu wahren und behauptet sie auch, als der zornwütige Philipp von Makedonien seine Phalanx vor die Tore führt. Philipps Sohn aber ist Alexander der Große . . . *
B y z a n z , i m A p r i l 334 v . C h r . Der König hat Botschaft gesandt und die Byzantiner zur Unterwerfung aufgefordert. Als Hegemon aller Griechen ist Alexander von Makedonien ausgezogen, den Rache- und Eroberungszug wider das Perserreich zu führen. Stürmisch verlaufen die Volksversammlungen auf der Agora von Byzanz, ehe man dem Rate der Stadt aufträgt, den makedonischen Truppen die Tore zu öffnen. Das Wort dar Kaufleute hat den Ausschlag gegeben. Von der Eroberung 6
w e i t e r T e i l e Asiens durch A l e x a n d e r v e r s p r e c h e n sie sich das g r o ß e Geschäft, v o n d e m sie nicht ausgeschlossen sein w o l l e n . So sind T ä n i e n — b u n t e B a n d e r — um die S ä u l e n d e r T e m p e l geschlungen, B l u m e n g e w i n d e b l ü h e n auf d e m S t e i n g e b ä l k d e r V e r sammlungshäuser, und Jungfrauen, Epheben und gewappnete Männ e r s ä u m e n die F e l s e n s t r a ß e , die v o m H a f e n h e r a u f f ü h r t : B y z a n z e r w a r t e t den Besuch des j u n g e n K ö n i g s . Als die Schiffe an d e r B i e g u n g des g r ü n e n Golfes a u f t a u c h e n , g e f ü h r t v o n d e m Admiralsschiff, b r a u s t d e r J u b e l r u f d e r B ü r g e r v o n d e n H ö h e n d e r M a u e r , O p f e r f e u e r f l a m m e n auf. L a n g s a m g l e i t e t die g e w a l t i g e T r i e r e n ä h e r , P u r p u r t ü c h e r w e h e n v o n i b r e m Heck, das g r o ß e , schiefgestellte Segel ist v o n f e i n s t e m , p h ö n i k i s c h e m Scharlach. Auf d e r B ü h n e a m B u g s t e h t , e i n e r Galionsfigur gleich, der Makedonenherrscher. D i e g o l d e n e S o n n e des F r ü h l i n g s s p i e l t auf d e m g e t r i e b e n e n B i l d e des M e d u s e n h a u p t e s , das s e i n e n B r u s t p a n z e r s c h m ü c k t , E d e l s t e i n e b l i n k e n auf d e r Scheide seines k u r z e n S c h w e r t e s , u n d k ü h n w ö l b t sich d e r B o g e n des P h r y g i e r h e l m e s ü b e r d e n r o t b l o n d e n L o c k e n . Reglos s t a r r t A l e x a n d e r d e m U f e r e n t g e g e n . D e r W i n d b e r ü h r t sanft die p u r p u r n e n F a l t e n seines M a n t e l s Als die T r i e r e m i t k l a t s c h e n d e n R u d e r r e i h e n d e r E i n f a h r t z u m G o l d e n e n H ö r n z u s t r e b t , e r k e n n e n die B y z a n t i n e r das A n t l i t z des wie ein H a l b g o t t V e r e h r t e n . E s ist das A n t l i t z des A b e n t e u e r s , das i h n e n b e g e g n e t . V i e l e b e u g e n sich, alle a b e r s e h e n , d a ß e s w i r k l i c h ein K ö n i g ist, d e r zu ihnen kommt. A l e x a n d e r d e r G r o ß e ist a u f g e b r o c h e n u n d b e t r i t t , e h e e r nach Asien g e h t , u m ein W e l t r e i c h z u e r o b e r n , die S t a d t a n d e n M e e r e n g e n .
* Im Mai desselben Jahres, in dem er Byzanz besucht hat, schlägt Alexander die Schlacht am Granikus. Der Schall des unerhörten asiatischen Abenteuers verliert sich für die Ohren der Byzantiner bald in sagenhaften Fernen. Kleinasien wird erobert, Syrien, Ägypten, Mesopotamien und endlich Baktrien. Dann hört die Griechenwelt, daß der Göttersohn Alexander die Tore der Märchenlande im Osten aufgestoßen habe, daß er nach Indien gezogen sei. Der Handel an den Meerengen blüht. Viele Schiffe mit Nachschub für die kämpfende Armee, viele Karawanen mit Beutegütern aus Innerasien kreuzen den Markt von Byzanz. Doch eines Tages kommt die Schreckensbotschaft: Alexander der Große ist zu Babylon einem Fieber erlegen. Der Kampf der Nachfolger flammt auf. Das Weltreich der Hellenen zerfällt in Schollen, wie der Spiegel eines Sees bei Eisgang. Byzanz überdauert dieses stürmische Jahrhundert im Schutz seiner einzigartigen Lage und seiner festen Mauern. Bald liegen Seleukiden, bald Makedonier
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r vor seinen Toren; im Jahre 279 v. Chr. brechen wilde Gallierstämme über das Balkangebirge und bedrängen die Stadt.
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Als Rom, die neue Weltmacht im Westen emporsteigt, haben die Kaufherren von Byzanz ein sicheres Gefühl für den Sieger der Zukunft. Sie verbünden sich frühzeitig mit der römischen Ordnungsmacht und sichern sich ihre Privilegien in einer Zeit, da Rom noch Bundesgenossen im Osten sucht. Die Stadt an den Meerengen wird freies Gemeinwesen mit römischem Bürgerrecht. Da sie an einer der neugebauten Römerstiaßen liegt, die sich wie steinerne Bänder um die Provinzen des Imperiums schlingen, fließt auch der Handel Roms seinen Märkten zu.
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Jahrhunderte strömen dahin wie der säubernde Strom, der aus dem Goldenen Hörn zum Bosporus zieht. In den Tagen, da man vom Umsichgreifen einer neuen Religion — der Christianer — vernimmt, beginnt sich der Handel der Stadt Byzanz bis zu den legendären Ländern des Fernen Ostens auszuweiten. Von China herkommend, ziehen Karawanen durch die Dsungarei, durch Turkestan — vorüber an den Märchenstädten Samarkand und Buchara — ins Perserreich. Von dort aber treibt ein Teil der Warenzüge bis zum Strand des Goldenen Horns: Seide, Porzellan, Gold, Elfenbein, indische Perlen, Gewürze von den Molukken und edle Steine vom Ural oder aus Ceylon.
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Auch die Größe Roms neigt sich dem Abend entgegen. Zu Ausgang des 2. nachchristlichen Jahrhunderts jagen sich die Katastrophen: unter Marc Aurel bricht die Pest über die Römer- und Griechenwelt herein, Erdbeben folgen, Hungersnöte entvölkern die Grenzprovinzen, und die Unruhe unter den Barbaren, die gleich Wölfen den Kulturkreis römischer Ordnung umlagern, verstärkt sich. Der Perser greift wütender an; Korruption, Sittenverfall, soziale Spannung, religiöse Unrast und wirtschaftliche Erschütterung wühlen wie Krankheiten im Innern des Imperiums. Byzanz wird eine kleine, unbedeutende Stadt. Die zunehmende Gefährdung des Imperiums läßt keine neue Blüte zu. Handel und Schiffahrt schleppen sich nur müde dahin. Barbarische Völkerschaften, die über die Donaugrenze brechen, bedrohen das flackernde Lebenslicht der Siedlung an den Meerengen. Dann leuchtet am Anfang des 4. Jahrhunderts wieder die Hoffnung auf. Kaiser Konstantin von Trier siegt im Kampf der Gegenkaiser an der Milvischen Brücke vor Rom, er beendet die Verfolgung der Christen und zimmert den neuen Reichsbau. s Die neue Welthauptstadt — Roma nova — wird, entsprechend der veränderten Bedeutung der Reichsteile, nach dem Osten verlegt. Es gibt keinen günstigeren Platz als jenen Golf an den Meerengen, den schon die Leute aus Megara vor tausend Jahren für ihre Stadtgründung erwählt haben: der Platz von Byzanz. Im Jahre 326 findet die Grundsteinlegung der neuen Ringmauer statt. Mit den Mitteln eines Weltimperiums wird der Bau von Palästen, Tempeln, Kirchen und öffentlichen Gebäuden in Angriff genommen. Der Befehl des Kaisers und reichlich erteilte Privilegien führen Bewohner aus allen Teilen des Imperiums
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an den neuen Platz, Kunstsdiätze aus Griechenland und Kleinasien werden rücksichtslos abgebaut und zum Schmucke der Hauptstadt verwendet. Viele altrömische Senatorengeschlechter und Patrizierfamilien siedeln aus Rom nach den Meerengen über; erhalten sie doch hier die Vorrechte wieder, die einstmals Rom zu vergeben hatte. Vier Jahre baut das Imperium seine neue Zentrale. Dann endlich ist" es so weit, daß der Kaiser aus Nicomedia übersiedelt und die Stadt in seine Obhut nimmt.
K o n s t a n t i n o p e l , am 11. JVi.ai 33o Der Erzpalast ,Chalke' — so benannt nach den Bronzeziegeln seiner Vorgebäude und nach den großen Erztoren — öffnet um die dritte Tagesstunde seine Pforten. Tubabläser schmettern und verkünden den Auftritt des Kaisers. Der weite Platz, der vor dem Palastviertel auf der Höhe des Felsenplateaus liegt, ist von endlosen Säulengängen flankiert, eine zehntausendköpfige Menge bedeckt ihn, die Gesimse der Paläste, die Vorsprünge der strahlend schönen Tempel und Kirchen sind mit Menschen bestanden. Von der den Toren gegenüberliegenden Seite, wo die kolossalen Mauern des Hippodroms aufsteigen, schauen Kopf an Kopf die Legionäre herab, die alle Galerien des Riesenzirkus besetzt haben. Wie Sturmwind braust der Jubelruf über die neugeborene Stadt: ,Ave Caesar!' rufen die Römer, ,Evoe Basileus!' antworten die Griechen. Unter den Pylonen des Erzpalastes erscheint der weiß-goldene Baldachin, den zwei Praefekten und zwei Bischöfe tragen. Kaiser Konstantin der Große schreitet, in Wolken Weihrauchs gehüllt, inmitten seiner Leibwache von ,Palatini\ Er trägt die violettpurpurne Dalmatika, ein schweres, mit Goldfäden und Perlen besticktes Prunkgewand, brokatene Schuhe und über dem mit Purpur leicht gefärbten Antlitz auf ergrauendem Haar die schneeweiße Stirnbinde des Herrschers. Ihm folgen in rotgesäumten Togen die Senatoren, die Minister und Generale, Bischöfe in Mitra und Dalmatika, heidnische Tempelpriester in seltsamen Kleidungen, begleitet von den Symbolen ihrer Götter. Die Marschblöcke von ,Degenmännern' und germanischen Gardisten, alle in vergoldeten Rüstungen, schließen sich an. Auf dem Platz sind die Banner der Gilden und Bruderschaften versammelt, tausendstimmig dröhnt der Zuruf und übertönt den silbernen Klang der Tuben. So bewegt sich der Festzug langsam das Spalier der Legionäre 9
entlang, Adlerstandarten senken sich, das Reichsbanner mit dem Christusmonogramm weht vor der Eingangshalle der neuen Hauptkirche, die der ,heiligen Weisheit' geweiht ist und ,Hagia Sophia' (die Ältere) genannt wird. Neben der Basilika öffnet sich der Blick von der Hochstadt über den gewaltigen Bauplatz der Stadt. Der Kaiser blickt hinab auf das Geschachtel der entstehenden Plätze und Straßen, auf die halbfertigen Häuserzeilen, aus denen wie Hochseeschiffe unter Fischerbooten die Blöcke der Senatorenpaläste, der Basiliken und Tempel aufstreben. Ferne öffnet sich die Halbinsel zum Festland. Dort drüben wächst die Konstantinische Mauer mit Türmen und Toren aus der Erde. Die Menschenflut schlägt wie Brandung an den Säulenreihen hin, zahllose, klassische Standbilder — zusammengeholt aus zehn Provinzen — ragen auf, Brunnen plätschern, die von titanischen Aquädukten gespeist werden. Der Festzug verschwindet im Atrium der Hagia Sophia. Selbst diese Riesensäulen, die das steinerne Gebälk der Vorhalle tragen, sind Raub: sie stammen von den Tempeln zu Ephesus und Berytos. Wie Bernstein leuchtet der Syenit, rot glüht der Porphyr und grün schimmert der kostbare Malachit. * Als der Kaiser die Schwelle der Kirche überschreitet, rauschen Choräle auf. Bunt blühen die Fresken und Mosaiken an den Wänden, das Zederngebälk glüht von goldenen Kassetten und am Altar steigen blaue Schwaden von Weihrauch empor. Der neuernannte Hofbischof — der sich seiner überragenden Stellung entsprechend Patriarch nennt — spricht den Segen über den Kaiser und sein Gefolge. Doch Konstantin nimmt ihm den Wedel mit dem heiligen Wasser aus der Greisenhand, er wendet sich zum AHare und besprengt feierlich die vier Himmelrichtungen. In die Stille des großen Raumes spricht er: „Ich weihe dich, Stadt des Konstantin — Konstantino-polis!"
*
Tag für Tag strömen die „Süßen Wasser von Europa" ins Goldene Hörn. Viele tausend Tage steigen aus den Wassern des Marmarameeres. Der Völkersturm bricht los. Goten und Hunnen erscheinen vor den Mauern des Kaisers Konstantin. 395 n. Chr. wird das Reich geteilt, Kaiser Theodosius bestätigt Konstantinopel als Sitz der Regierung im neugegründeten Oströmischen Reich, sein Enkel Theodosius II. umgibt die Stadt mit größeren und weiter gespannten Mauern. Der Patriarch von Konstantinopel erhebt als Reichsbischof den Anspruch auf den Vorrang vor dem Papst, dem Bischof von Rom. Konzile finden statt, Kirchentrennung gespenstert durch den zerfallenden Reichsbau. Immer steht Ost gegen 10
K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z . l.Die ältere Sophienkirche; 2. Standbild Justinians; 3. Schlangensäule; 4. Verbrannte Säule Konstantins; 5. Grab des letzten byzant. Kaisers; 6. Griech. Patriarchat; 7. Zeughaus; 8. Christus-Turm; 9. Karischer Palast; 10. Kaiserpalast; 11. Hippodrom; 12. Justinianspalast und Kaiserhafen West. Im Jahre 476 endet das Weströmische Kaisertum, auf den Trümmern des Westimperiums entstehen Germanenstaaten. Der Kaiser des Ostens — der Herr von Konstantinopel — übernimmt die Aufgabe, die Rechte des Imperiums zu wahren. Aber die alte Welt ist nicht mehr zu retten. Goten und Franken, Vandalen und Langobarden kämpfen um
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die Reste des Westreiches, von Osten droht das Neupersische Reich, droht die Invasion der Hunnen; über die Donaugrenze fluten Avaren, Slawen und Bulgaren. In den Märchenpalästen von Konstantinopel aber hausen Verrat, Intrige, Mord. Und dennoch wohnt dieser Stadt eine unerschöpfliche Kraft inne. Der Osten hat sich vom Westen getrennt, kirchlich, kulturell, politisch. Griechischorientalischer Geist bestimmt die Stadt an den Meerengen; mehr und mehr tritt der römische Zug im Charakter Konstantinopels zurück, stärker erwacht die uralte Weisheit der Hellenen. Im 7. Jahrhundert bricht aus den arabischen Wüsten der Sturm der Nomaden auf; Mohammed entzündet die Feuer Allahs, der Islam beginnt seinen Siegeszuy und zerschlägt die oströmische Herrschaft über Ägypten, Afrika, Syrien und Armenien. Dann stoßen die fanatisierten Scharen der Araber nach Kleinasien vor. Der Kampf um das Herz des Rest-Imperiums — um Konstantinopel und die Meerengen — hebt an. 622 hat die Stadt einem Doppelangriff der Avaren und Slawen von Europa und der Perser von Asien her getrotzt, 674/78 stehen die Araber erstmals vor ihren Toren. * K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z , a m a5. JMLai 6 7 8 Seit m e h r als v i e r J a h r e n liegt Kalif M u a w i j a a m asiatischen U f e r d e r M e e r e n g e n , seine Schiffe k a p e r n die griechischen G a l e e r e n u n d b l o c k i e r e n die Z u f u h r e n K o n s t a n t i n o p e l s . V o r w e n i g e n M o n a t e n h a t d e r S o h n des K a l i f e n , J e s i d , ein K o r p s auf d e n D a r d a n e l l e n g e l a n d e t u n d die E i n s c h l i e ß u n g d e r S t a d t auch v o n d e r L a n d s e i t e her begonnen. K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z w e i ß , d a ß e s d i e s m a l u m das n a c k t e D a sein g e h t . E s s t e h t wie ein E c k t u r m E u r o p a s , ein W ä c h t e r a n d e r östlichen P f o r t e des A b e n d l a n d e s . D i e s m a l v e r t r a u e n die G r i e c h e n nicht n u r auf die U n e r s t e i g b a r k e i t i h r e r B e f e s t i g u n g e n u n d auf die S t ä r k e i h r e r M e e r b a s t i o n e n , sie h a b e n eine , W u n d e r w a f f e ' e n t w i c k e l t , die b e i m e n t s c h e i d e n d e n G e n e r a l a n g r i f f e i n g e s e t z t w e r d e n soll. D a s u r a l t e , weise Geschlecht d e r H e l l e n e n , aus d e m die e r s t e n N a t u r f o r s c h e r , die e r s t e n T e c h n i k e r u n d I n g e n i e u r e des A b e n d l a n d e s h e r v o r g e g a n g e n sind, v e r t e i d i g t sich i n s e i n e r g e f a h r v o l l s t e n S t u n d e m i t d e n W a f f e n , die d e r Geist schafft. K a l l i n i k o s , ein C h e m i k e r u n d I n g e n i e u r , h a t g e h e i m n i s v o l l e B o m b e n e n t w i c k e l t , die das g r i e c h i s c h e F e u e r ' i n sich b e r g e n .
* E s geschieht a m 2 5 . M a i , d a ß die F l o t t e des K a l i f e n h i n t e r d e n I n s e l n v o n D e m o n e s i h e r v o r s t ö ß t , sich f ä c h e r f ö r m i g e n t f a l t e t u n d m i t t a u s e n d K i e l e n , ein G e w i r r v o n b u n t e n Segeln, a u s g r e i f e n d e n 12
R u d e r n u n d s c h ä u m e n d e n S c h n ä b e l n , g e g e n die M e e r f r o n t v o n K o n s t a n t i n o p e l h e r a n l ä u f t . Z e h n t a u s e n d e v o n K r i e g e r n aller R a s s e n d r ä n g e n sich h i n t e r d e n S c h a n z v e r k l e i d u n g e n d e r K r e u z e r , B a l u s t e r s t e h e n auf d e n V o r d e r k a s t e l l e n u n d w e r f e n Geschosse, R a m m b a l k e n d u r c h s c h n e i d e n die g r ü n e F l u t . W ä h r e n d d e r t a u s e n d f a c h e Schrei d e r A n g r e i f e r n ä h e r h e r a n schwillt, s t e h e n die griechischen V e r t e i d i g e r hoch ü b e r d e n T e r r a s s e n d e r K a i s e r s t a d t auf d e n T ü r m e n u n d M a u e r n . E i n e g r o ß e Z a h l v o n S c h l e u d e r g e s c h ü t z e n ist zwischen J u s t i n i a n p a l a s t u n d B u k o l e o n p a l a s t — an d e r S p i t z e d e r v o r s p r i n g e n d e n b e l s e n h a l b i n s e l — aufg e b a u t . W i e ein AValid wächst d i e F l o t t e M u a w i j a s aus d e n F l u t e n e m p o r , schon b e g i n n e n die v o r d e r s t e n Schiffe die B a l l i s t e r s p i e l e n zu l a s s e n . D a flammt das S i g n a l v o n d e r P l a t t f o r m des K a i s e r p a l a s t e s . A u g e n blicke s p ä t e r e r ö f f n e n H u n d e r t e v o n W u r f m a s c h i n e n das B o m b a r d e m e n t gegen die A r a b e r . R a u s c h e n d f l i e g e n k u g e l i g e T o n b e h ä l t e r durch die L u f t , ein Schrei w e h t ü b e r die d i c h t g e d r ä n g t e n V e r d e c k s der Angreifer. K u r z v o r d e m A u f s c h l a g v e r w a n d e l n sich die Geschosse i n f e u r i g e B ä l l e , e x p l o d i e r e n m i t s c h a r f e m K n a l l u n d ü b e r g i e ß e n die Schiffe m i t z u c k e n d e m , bläulich w a b e r n d e m F e u e r . E s t r o p f t v o n Segeln u n d R a h e n , f r i ß t sich b l a u l o h e n d ü b e r P l a n k e n u n d S c h a n z e n , ergreift M e n s c h e n u n d erlischt nicht e i n m a l auf d e m W a s s e r . A l l e V e r s u c h e z u löschen sind n u t z l o s , das u n z e r s t ö r b a r e F e u e r d e r G r i e c h e n h ü l l t die F l o t t e des K a l i f e n i n R a u c h u n d G l u t . D u r c h die g o l d g l ü h e n d e n W ä n d e des B r a n d e s z i e h e n die F e u e r t ö p f e des K a l l i n i k o s i h r e B a h n . D e r A n g r i f f b r i c h t i n e i n e r W o l k e v o n W e h g e s c h r e i u n d E n t s e t z e n z u s a m m e n , die Schiffe f l i e h e n . K o n s t a n t i n o p e l - B y z a n z ist g e r e t t e t .
• Wieder steigen Jahrhunderte auf und nieder gleich der feurigen Sonne, die sich aus den Wogen des Marmarameeres hebt, um in die Berge des Balkans zu sinken. Unzählige Schicksale erfüllen sich in der Stadt Konstantinopel. Die alten Paläste erleben Revolutionen, Kaiser werden erdolcht und vergiftet, Generale stürzen schwache Kaiser, Dynastien kommen und gehen. Immer mehr schmilzt die Scholle des Oströmischen Reiches zusammen. Im Westen ersteht ein neues Kaisertum, eifersüchtig abgelehnt von den Kaisern Konstantinopels, die sich als alleinige Nachfolger römischer Cäsaren fühlen. Längst haben sich die Kirchen voneinander geschieden: Papst und Patriarchen ringen um den ersten Rang. Als das Abendland zu den Kreuzzügen aufbricht und auszieht, die verlorenen Heiligtümer des Christentums in Palästina zurückzuholen, herrscht der Kaiser von Ostrom nur noch über einen Teil Kleinasicns, über Serbien, Makedonien und Griechenland. 13
Das köstlichste Kleinod des Imperiums aber — die Stadt an den Meerengen der Markt zweier Welten — ist noch immer das Herzstück des klein gewordenen Ostreichs.
* K o n s t a n t i n o p e l , am 16. Mai 1204 Auf den Spuren der Kreuzfahrer sind die Kaufleute zum Orient gezogen und haben die alte West-Oststraße des Mittelmeeres wieder geöffnet. Dort drüben an den uralten Küstenplätzen münden die Handelswege der Ferne: Karawanen bringen Gold, Elfenbein, edle Steine, Seide und andere köstliche Gewebe aus China und dem Pandschab, Indigo zum Färben der Stoffe, Perlen von den Bahreininseln, Zimt aus den Wäldern von Sumatra. Muskat, Safran, JNelken, Pfeffer und Rohrzucker aus Südindien und den Sundainseln kommen auf arabischen Dhaus und persischen Seglern zum Roten Meer, an die Gestade Palästinas und Kleinasiens. Seit alters hatte Konstantinopel das Stapelrecht für alle Waren des Orients und Asiens in Besitz. Aber Venedig, durch das Transportgeschäft für die Kreuzfahrer reich und mächtig gemacht, hat das Handelsmonopol für das Orientgeschäft an sich gerissen. Doch gibt es auch andere Seestädte, die den Osthandel schätzen, und sie beginnen sich Stützpunkte und Faktoreien entlang dem weiten Seeweg nach dem Osten zu sichern. Die Kaufherren von Byzanz-Konstantinopel verstehen es gut, die Konkurrenz der italienischen Seemächte für sich zu nutzen. Sie gewähren den Genuesern und Pisanern Niederlassungsrechte, um die allzu mächtigen mächtigen Venezianer in die Schranken zu weisen. Doch der Löwe von San Marco kämpft eifersüchtig für die Rechte Venedigs. Der Große Rat erkennt bald, daß es nutzlos ist, einzelne Genuesen und Pisaner aufzubringen. Man muß sich des Marktes selbst versichern, will man das Monopol halten: man muß Konstantionpel in die Hände bekommen. Im Jahre 1202 liegen vierzigtausend Kreuzfahrer in Venedig fest, sie wünschen die Überfahrt ins Heilige Land — doch sie sind ohne Geld. Der 97jährige Doge Enrico Dandolo hat Befehl gegeben, daß kein Schiffer an der Piazetta Venedigs die Ritter an Bord nimmt, ehe sie nicht seinen Plänen gefügig geworden sind. Von Ungeduld und Hunger bezwungen, gibt die versammelte Ritterschaft nach. Auf die Kriegsschiffe San Marcos verladen, erobern die Kreuzfahrer im Namen des venezianischen Dogen zuerst die dalmatinischen Burgen, fahren von Stützpunkt zu Stützpunkt und schließen die 14
Älteste Abbildung türkischer Krieger (15. Jhrh.) Kette venezianischer Macht von der Adria über Kreta bis in die Ägäis. Im Frühjahr 1203 führt der fast hundertjährige Enrico Dandolo sein Heer in die Meerengen und eröffnet den Sturm auf Konstantinopel.
* Mit marmornen Terrassen und schimmernden Palästen liegt die Millionenstadt im Arme des Meeres. Verloren scheint der wilde Haufen der vierzigtausend Abenteurer, die ausgezogen sind, das Grab des Herrn zu sehen und die nun im erzwungenen Dienste venezianischer Geldleute den reichsten Stapelplatz der Welt erobern sollen. Enrico Dandolo befiehlt den Generalsturm. Der Doge Venedigs führt selber die Flotte zum Stoß in das Goldene Hörn. Mit seiner Staatsgaleere sprengt er die erzene Kette, die den Hafen sperrt und landet in Galata. 15
B ü r g e r k r i e g w ä l z t sich durch die Gassen v o n K o n s t a n t i n o p e l , d i e „ L a t e i n e r " u n t e r F ü h r u n g des G r a f e n B a l d u i n v o n F l a n d e r n b r e c h e n ein, E n r i c o D a n d o l o gibt s e i n e n S c h i f f s b e s a t z u n g e n die P l ü n d e r u n g frei. U n e r s e t z l i c h e K u n s t w e r k e u n d u n s c h ä t z b a r e K l e i n o d i e n w e r d e n von den ausgehungerten F r e i b e u t e r n fortgeschafft. Das bronzene V i e r g e s p a n n , das z u r E r i n n e r u n g a n d e n Sieg v o n C h ä r o n e a ü b e r d e r K a i s e r l o g e des H i p p o d r o m s s t a n d , w i r d nach V e n e d i g t r a n s p o r t i e r t u n d s p ä t e r ü b e r d e m P o r t a l des M a r c u s d o m e s a u f g e s t e l l t . A m 16. Mai 1204 l ä u t e n die Glocken d e r t a u s e n d K i r c h e n v o n Konstantinopel zur K a i s e r k r ö n u n g : Balduin von Flandern wird h e u t e auf V o r s c h l a g E n r i c o D a n d o l o s ' die K r o n e O s t r o m s aus d e n H ä n d e n des P a t r i a r c h e n e m p f a n g e n u n d ein „ L a t e i n i s c h e s K a i s e r t u m " in Byzanz begründen. In stahlschimmernden Rüstungen, geleitet von b u n t g e w a n d e t e n K n a p p e n , die W a p p e n f a h n e n s c h w e n k e n , s t e h e n die R i t t e r F r a n k e n s , F l a n d e r n s , I t a l i e n s , als sich d e r Z u g des n e u e n K a i s e r s , g e l e i t e t v o n V e n e z i a n e r n i n P f a u e n m ä n t e l n , v o n B y z a n t i n e r n in. g o l d g e w i r k t e n Brokatgewändern zur Hagia Sophia bewegt. U m dieselbe S t u n d e , d a B a l d u i n die K r o n e K o n s t a n t i n s u n d J u s t i n i a n s auf seinen Locken f ü h l t , e n d e t i n e i n e r V o r s t a d t , n a h e d e r K o n s t a n t i n s m a u e r u n d angesichts des „Schlosses d e r S i e b e n T ü r m e " der letzte Griechenkaiser von Byzanz: Alexios D u k a s . D e r H e n k e r s t ü r z t ihn ü b e r d e n R a n d e i n e r S ä u l e , auf d e n m a n i h n gestellt h a t . A m T a g e d r a u f s t i r b t E n r i c o D a n d o l o a m Schlagfluß. Sein L e b e n ist e r f ü l l t . V e n e d i g h a t d e n M a r k t K o n s t a n t i n o p e l e r o b e r t .
• Der Große Rat zu Venedig erwägt den Gedanken, den Umzug Venedigs nach Konstantinopel zu wagen. Die Stadt San Marcos besitzt 200 000 Einwohner, aber sie herrscht über mehr als 8 Millionen eines verstreuten Seereichs. Die Macht Venedigs ruht auf seiner unangreifbaren Lage und auf der Überlegenheit seiner Flotte. Konstantinopel aber ist ein gefährlicher Brennpunkt am Rande zweier Welten. Mit einer Stimme Mehrheit wird der Plan, Venedig an die Meerengen zu verlegen, abgelehnt. Es ist ein weiser Beschluß; schon wenige Jahrzehnte später versinkt das „Lateinische Kaisertum" von Byzanz im Angriff der Griechen, die sich im Jahre 1261 ihrer alten Kaiserstadt wieder bemächtigen.
• Neue Zeiten zeichnen sich ab. Fliehend vor den mongolischen Reitermassen des Dschingis-Chan haben um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Türken ihre Urheimat in Turkestan verlassen, sind über den Kaukasus gewandert und haben sich in Armenien festgesetzt. Als der Mongolensturm vorüber ist, beginnen die Türken — ein Volk von Kriegern, das dem Islam anhängt und dem Welteroberung religiöser Auftrag bedeutet — den Vorstoß nach Westen. 16
Sie bedrängen das schwach gewordene Ostrom zuerst in Kleinasien, nehmen ihm bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts die asiatischen Provinzen ab, überschreiten die Dardanellen bei Gallipoli und beginnen — indem sie die Felsenbastion Konstantinopel umgehen — die Unterwerfung der europäischen Gebiete. Gegen diese Türkengefahr sammeln sich vergeblich letzte Kreuzfahrerheere aus Ungarn, Serbien und Rumänien. Unter Führung des Ungarnkönigs Siegmund wird das Heer der Christen vor Nikopolis am 28. September 1396 geschlagen und nahezu vernichtet. Türkische Streifkorps tauchen vor, den dalmatinischen Burgen Venedigs auf, selbst in den oststeirischen Tälern schweifen die wilden Reiter. Von den Städten Rumäniens, Bulgariens, Makedoniens, Serbiens und Thessaliens wehen die Roßschweife der Türken. Byzanz-Konstantinopel liegt wie eine umstürmte Insel, wie ein letzter Pfeiler des auseinandergeborstenen Römerimperiums an den Meerengen. Seit die Türken in Kleinasien und die ihnen verbündeten Mamelucken in Ägypten herrschen, ist ein Eiserner Vorhang zwischen Ost und West herabgesunken. Alle Waren aus dem Orient, die für das Leben des Abendlandes unentbehrlich geworden sind, laufen über die Häfen, die von Mohammedanern beherrscht werden. Die Sultane und die arabischen Kaufleute belegen die Färbemittel, die Gewürze, den Zucker und die Seide mit Zöllen und Aufschlägen, die mehrere hundert Prozent ihres Einkaufswertes ausmachen, sie sperren nach Belieben die Zufuhren an Edelmetallen, ohne die die europäische Wirtschaft nicht leben kann. Denn die abendländische Goldförderung ist kaum von Belang. Silber erzeugen zwar die Bergwerke bei Goslar und im Erzgebirge — doch vermögen sie kaum die Hälfte des Bedarfs zu decken. Die Münze wird knapp, das Geld steigt im Wert und die Geschäfte kommen mehr und mehr zum Erliegen. Europa aber will nicht mehr in die Zeiten des Darbens zurückfallen. Es wünscht Seide und Indigo, es fordert Zimt, Ingwer, Muskat, Pfeffer, Nelken und Rohrzucker und es braucht Gold und Silber. Darauf rechnet der Kaiser der bedrohten Stadt Konstantinopel. Als 1439 zu Florenz ein Konzil zusammentritt, reist er — Johannes Paläologus — mit dem Patriarchen von Konstantinopel in die Arno-Stadt und fleht die versammelten Fürsten des Westens an, die Meerengen und damit den letzten Markt für Orientwaren für Europa zu retten. Das Abendland stellt die Bedingung, daß sich die morgenländische Kirche wieder mit der abendländischen vereinigen müsse, Kaiser Johann Paläologus stimmt widerstrebend zu. Nachdem die Union der beiden Kirchen beschlossen ist, verspricht der Papst die Verkündigung eines neuen Kreuzzuges zur Rettung Konstantinopels.
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G o l d e n e s H ö r n b e i G a l a t a , i m H e r b s t i45i In Byzanz-Konstantinopel aber herrscht Untergangsstimmung. Jedes der nach Westen auslaufenden Schiffe ist bis zum letzten Platz von reichen und vornehmen Byzantinern belegt. Seit es klar geworden ist, daß der neue Sultan Mohammed IL den
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G e n e r a l a n g r i f f auf K o n s t a n t i n o p e l v o r b e r e i t e t , u n d d a ß k e i n e Hilfe v o m s t r e i t z e r r i s s e n e n W e s t e n z u e r w a r t e n ist, h a t die F l u c h t d e r L e u t e e i n g e s e t z t , die sich e i n e F l u c h t l e i s t e n k ö n n e n . J e t z t a b e r d r ä n g e n sich H e r r e n i n B r o k a t m ä n t e l n u n d P f a u e n j a c k e n a m K a i v o n G a l a t a , b e a u f s i c h t i g e n die V e r f r a c h t u n g i h r e r S c h ä t z e : reiche P a l a s t b e s i t z e r lassen w o h l v e r s c h l o s s e n e T r u h e n a n B o r d schaffen, a l t e G e l e h r t e , P h i l o s o p h e n , A r c h i m a n d r i t e n u n d P r o f e s s o r e n d e r H o h e n Schule s o r g e n sich u m die Verschiffung i h r e r B ü c h e r k i s t e n . W a s diese Schiffe u n t e r d e m St. G e o r g s b a n n e r G e n u a s u u n nach d e m W e s t e n t r a g e n , ist d e r l e t z t e H o r t a l t e r H e l l e n e n k u l t u r . D a s A b e n d l a n d , das h u n d e r t J a h r e v o r h e r den e r s t e n A n r u f z u r n e u e n „ H u m a n i t a s " — d e r L i e b e z u r Wissenschaft u n d K u n s t d e r A l t e n — v e r n o m m e n h a t , w i r d m i t V e r s t ä n d n i s u n d V e r g n ü g e n die klassischen Schriften i n den B ü c h e r k i s t e n d e r B y z a n t i n e r e n t d e c k e n , die i h m b i s l a n g oft n u r i n d r i t t e n u n d v i e r t e n A b s c h r i f t e n o d e r A u s z ü g e n b e k a n n t gewesen sind. D e r H u m a n i s m u s w i r d g e w a l t i g e n Auftrieb erfahren. W e n n die G a l e e r e n , w o h l b e s c h ü t z t durch die e r z e n e n S c h l ü n d e d e r Kanonen, loswerfen und langsam am Kaiserhafen vorbei dem M a r m a r a m e e r z u s t r e b e n , v e r h a r r e n die fliehenden B y z a n t i n e r noch e i n m a l schweigend a n d e r S c h a n z v e r k l e i d u n g u n d blicken mit t r ä n e n umflorten Augen zu den w e i n l a u b u m r a n k t e n , palmengeschmückten M a r m o r t e r r a s s e n d e r B o s p o r u s s c h l ö s s e r hinauf, g r ü ß e n noch e i n m a l die g o l d e n e n K u p p e l n d e r S t a d t a m M e e r , die sie für i m m e r verlassen.
# Im Herbst des Jahres 1451 beginnt Sultan Mohammed II. wenige Meilen nordwärts von Konstantinopel an der engsten Stelle der Meerengen den Bau einer Zwingburg. Rumili Hißar — Herrin Europas — nennt er die Feste. Von hier aus wird der Todesstoß gegen den letzten Pfeiler Ostroms geführt werden. Vergeblich protestiert der neue Kaiser Konstantin Paläologus — ein Mann, von dem die Chronisten sagen werden: ,Er stand keinem nach, der je den Thron der Caesaren bestiegen' — gegen den Bau der Burg. Herausfordernd ist die Antwort des Türken: Die kaiserlichen Gesandten sterben eines grausamen Todes. Wo ist Europa in dieser Stunde? Wird es seinen einzigen Brückenkopf zum Orienthandel verteidigen, wird es zusehen, wie eine asiatische Macht den Sperriegel an seinen Pforten aufsprengt? Doch das Abendland hat andere Sorgen: Im Jahre 1453 geht der mehr als hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England zu Ende. Das Land von der Loire bis zur Somme liegt verödet, preisgegeben dem Hunger und den Wölfen, durchstreift von Räubern und Plünderern. In Spanien tobt noch immer der Maurenkrieg, Italien ist in tausend kleine Herrschaften zerrissen, die sich eifersüchtig bekriegen. Das Herz des Abendlandes aber — das Deutsche Reich — wird von Fürsten regiert, die nur an Hausmacht und an den Glanz 18
ihres Namens denken. Das Polen-Litauen der Jagelionen und das kleine Königreich Ungarn haben vergeblich versucht, dem Turkensturm zu trotzen; besiegt, wurden sie nun von inneren Kämplen erschüttert. Umsonst ruft der Papst zu Kreuzfahrt und gemeinsamem Flottenaufbruch. Das reiche und seegewaltige Venedig hintertreibt jede Aktion, die den Konkurrenten, den Genuesen, zustatten kommen könnte. Seit das .Lateinische Kaisertum' gestürzt ist, hat Genua sich das Stapelrecht an den Meerengen erschlichen, die Venezianer aber sind den Byzantinern verhaßt, wie diese den Venezianern I Kleinstaaterei, Eifersucht, Uneinigkeit und Konkurrenzneid brechen den Stab über Konstantinopel — geben es schutzlos in die Hände der Türken. j>
In der verlorenen Stadt tobt der Streit der Parteien. Die orientalischen Mönche haben die Massen gegen die von Rom angebotene Union mit der abendländischen Kirche aufgerührt, Admiral Notaras ist der Führer dieser Unversöhnlichen. Konstantinopel fiebert in Aufruhr und Tumult. Aus der Millionenmasse hinter den Mauern hat der Kaiser nur 6000 Bewaffnete für die Besetzung der meilenweiten Mauern auszuheben vermocht. Der Genuese Giustiniani führt ihm weitere 3000 Soldaten von Chios zu. Das ist alles, was die Meerengen verteidigen wird. Es gibt kaum mehr eine Flotte, keine Überlegenheit der Waffentechnik. Habgierige Kaufleute haben dem Türken das Geheimnis des .Griechischen Feuers' verraten; gelockt vom Golde des Sultans haben Deutsche, Ungarn und Italiener eine türkische Artillerie aufgebaut. Wenn Asien diesmal kommt, kommt es mit den Erfindungen Europas.
B y z a n z - K o n s t a n t i n o p e l , a m 18. A p r i l 1^55 Am Morgen dieses Tages wird von den Ausguckposten auf den Marmortürmen des Kaiserpalastes Bukoleon Alarm gegeben. Von der asiatischen Küsten, haben sich zahllose Segel- und Ruderschiffe gelöst und laufen zu beiden Seiten der Kette, die von der Spitze des Kaiserfelsens zum Leanderturm die Meerenge sperrt, gegen Konstantinopel aus. Ein weiter Ring schließt sich von Rumili Hißar bis Chrysopolis und zum Schloß der Sieben Türme. Der Duft von blühenden Mandel- und Pfirsichbäumen liegt über den Terrassen, bald wird er dem Pulverdampf und den Pechschwaden gewichen sein. Schon lodern die Glutpfannen der Geschützbedienungen auf den Seebastionen. In Pera wölkt der Qualm der brennenden Hütten und der Vorstadthäuser auf, die niedergelegt werden müssen, um dem Feinde keine Stützpunkte für sein Vorgehen zu bieten. Die genuesische Kolonie in Galata hat das riesige weiße Banner aufgezogen, um ihre Neutralität anzuzeigen. Gegen Mittag beginnen die Glocken der vielen Kirchen zu läuten. 19
Bald schwingt das erzene Gedröhn wie ein einziger Schrei über der Riesenstadt. Von der Landfront kommt Nachricht, daß die Vorhuten der Türken sich der Sichtweite der Mauern nähern. Die Landzunge, auf der der Kern Konstantinopels liegt, ist zwischen Blachernenpalast und dem Schloß der Sieben Türme durch die gigantischen Befestigungswerke des Kaisers Theodosius IL gesichert. Im Norden schützt der Meeresarm des Goldenen Horns, im Süden stößt die Mauer an das Marmarameer. Kaiser Konstantin Paläologus .eilt, gefolgt von Generälen und Ministern, zum Blachernenpalast, von dessen Türmen aus man das sanfte Hügelland bis zum Tal des Lykusbaches überblicken kann. Da draußen nähert sich die Masse der türkischen Armee. Der Westwind trägt das dumpfe Schlagen der Felltrommeln, das grelle Gequiek der Flöten und Dudelsäcke, das Murren und Rauschen der Marschierenden, das grelle Klirren der Zimbeln herüber. Staubfahnen, in die sich das dunkle Brandgewölk geplünderter und verwüsteter Gehöfte mengt, senken sich über das Land. Über die mit Olivenhainen bedeckten Hänge trabt die Vorhut der Ssipahi herab. Das sind Söldner, die gegen Beuteanteil dienen, und die meist ein Landgut als Lehen besitzen. „Herrlich sind die feurigen Rosse mit langen seidigen Schweifen und Mähnen, das Geschirr strahlt von Silber, Gold und Edelsteinen. Die Ssipahi seiher tragen Gewänder aus Brokat und Seide in scharlachroter, hyazinthgelher oder dunkelblauer Farbe. Ihre Waffen sind Bogen und Pfeile, ein kleiner Schild, eine leichte Lanze, ein kurzes, mit Edelsteinen verziertes Schwert und ein stählerner Streitkolben am Sattelknopf . . . " Auf den viereckigen Marmortürmen der Theodosianischen Mauer stehen die Verteidiger hinter den gezackten Schießscharten. Vorerst ist alles für sie ein Schauspiel, dem man mit viel Geschrei, mit Hohnund Spottrufen folgt. Der ungarische Geschützmeister auf dem Turme Agathon macht sich den Spaß, sein kunstvoll getriebenes Bronzerohr auf die Ssipahis zu richten. Er ist stolz auf seine wendige, durch ein Zahnsegment beweglich gemachte Feldschlange. Aber auch er feuert keinen Schuß ab, die Entfernung ist viel zu weit. Unruhe entsteht bei den griechischen Soldaten. Sie deuten ins Lykustal, aus dem nun in dichten Massen die türkische Lehensreiterei hervorquillt. In enggeschlossenen Regimentern, nach „Sandschaks", Landschaften, geordnet, reiten sie Pferd an Pferd und Sattel an Sattel. Bunte Banner wehen vor jedem Militärbezirk, ein Bei — erkenntlich an seinem riesigen Turban und dem bunten Seidenmantel — 20
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Die Hagia Sophia in Konstantinopel sprengt voran. Die Hügel und Wiesen vor den Mauern bedecken sich weithin mit immer neuen Formationen. Zwei Obergeneräle hat der Sultan ernannt: den Beilerbei von Anatolien und den von Rumeli; sie stehen im Rang eines Paschas. General Georgios weist mit der Hand in die Ebene. „Seht dort das große, gelbe Seidenbanner in der Mitte der Reiterei, Majestät!", sagt er, „seht die drei roten Roßschweife an der Querstange . .. das Zeichen des Paschas von Rumeli, der die Spitze befehligt." In unendlichen Rinnsalen strömen die Belagerungstruppen aus den Hügeln: Tscherkessen, Krim-Tartaren, Georgier aus dem Kaukasus, Kurden aus Armenien und Serben, Bulgaren, Kumenen, Makedonier und Albanesen. Im Tal entsteht in wenigen Stunden ein riesiges Lager, die weißen Flecke der Zelte bedecken die grünen Hänge, schon wühlen sich 21
Kolonnen von Fußsoldaten mit Hacke und Schaufel in die Erde und werfen Wälle auf, treiben Laufgräben gegen die Mauern vor. Von Osten herüber dröhnt dumpfes Grollen wie von einem aufziehenden Gewitter. Der Kaiser hebt lauschend das Haupt, die Besatzung auf den Mauergängen, die angsterfüllten Menschen auf den Straßen und Plätzen der Metropole horchen zur Meerfront hinüber. Die Kanonen haben zu sprechen begonnen. Die Geschütze am Kaiserhafen feuern, der Kampf um die Stadt hat seinen Anfang genommen.
* Die Elitetruppen des Sultans rücken am rechten Ufer des Lykusbaches vor und gelangen in der Mitte der Theodosianischen Mauer ins Gesichtsfeld der Verteidiger. Unter Trommel- und Zimbelklang marschieren wohlgeordnete Blocks von Fußtruppen mit weißen Pluderhosen, roten, goldbestickten Jäckchen und eisernen Spitzhelmen heran. Alle sind mit Schwertern und Lanzen, viele sogar mit Feuerwaffen und Pavesen ausgerüstet. Ihr Agha reitet auf einem reich geschirrten Roß, neben ihm werden die Banner mit dem goldenen Halbmond getragen. Es sind die gefürchteten Janitscharen. Diese Gardetruppe besteht aus einer Auslese christlicher Knaben, die meist schon im Alter von 10 bis 15 Jahren in den eroberten europäischen Provinzen, also in Serbien, Albanien, Bulgarien und Makedonien ausgehoben werden. Alle diese Völker müssen den „Knabenzius" an die Türken leisten. Die jungen Leute werden in eigenen Pagenanstalten hart, aber nicht unmenschlich erzogen und für ihre Aufgabe als Vorkämpfer geschult. Wo das Janitscharenkorps steht, ist immer der Schwerpunkt des türkischen Angriffs. Hinter den Janitscharen werden unabsehbare Trosse sichtbar: Tausende von Kamelen, beladen mit Kriegsgerät, Vorräten und Teilen von Belagerungsmaschinen füllen die Täler, dahinter taucht der Maultierzug des „Woinak-Korps" auf. Das sind bulgarische Bauern, die verpflichtet sind, dem Heere als Maultiertreiber zu folgen, 20 000 der Lasttiere drängen in das Lager. Zwei Tage dauert der Anmarsch der Truppen. Am dritten erst rollt die gefährlichste Waffe des Sultans heran: die Artillerie. Deutsche und ungarische Stückgießer und Ausbilder haben den Türken ein treffliches Artilleriekorps, die „Topdschi", aufgebaut. In vielen Wagenzügen holpern die Geschütze hinter die inzwischen errichteten Wälle, Weidenschirme und Riesenkörbe. Zwanzig und mehr Rosse ziehen die gewaltigen Bronzerohre, fünf oder sechs weitere Ladungen bringen Lafetten, Geschosse und Zubehör der Kanonen. 22
Das Lager füllt sich mit Waffenschmieden, Pionieren und Stückmeistern. Ohnmächtig sehen die Griechen zu, wie Rohr um Rohr hinter den schützenden Weidenschirmen aufgebaut, gerichtet und verkeilt wird. Doch die größte Überraschung steht noch bevor. Am 20. April, dem Tage, an dem die Einschließung Konstantinopels vollendet wird, erscheint der Sultan selbst. Umgeben von prachtvoll gekleideten Haustruppen und Janitscharenoffizieren in goldenen und ziselierten Panzern, reitet Mohammed II. ins Artillerielager gegenüber dem Tor des Heiligen Romanos. Das grüne Banner dss Propheten mit dem goldenen Halbmond knattert im Winde, die sechs Standarten der Heeresabteilungen, die Roßschweife der Paschas wehen. Großwesir und Wesire begleiten den Herrscher; der Schrei, mit dem die fanatisierten Truppen ihn begrüßen, schlägt wie eine Brandungswelle an die Mauern der Stadt. Mit furchtsamem Erstaunen sehen die Griechen hinter den Zelten und Pavesen einen seltsamen Zug auftauchen. Fünfzig Paar Ochsen schleppen eine ungeheure Kanone, hundert Arme greifen zu. das Riesengeschütz wird aufgebaut und genau auf das Tor des Heiligen Romanos gerichtet. Sultan Mohammed gibt das Zeichen zum Angriff. Sein Heer, das in unübersehbaren Massen in den Hügeln, Olivenhainen und Wiesen wartet, antwortet mit einem einzigen Schrei: „La Haha lila Ilahu!" In dem weiten Lager, auf den Hügeln und in den Ebenen erheben Hunderttausende die Arme und zeigen auf die goldene Stadt, die vor ihnen liegt wie eine Verheißung ihres Propheten. Die Beilerbeis sprengen ins Vordertreffen, die Reihen der Janitscharen warten geballt im Zentrum, und während das Heer zu marschieren beginnt, öffnet das Riesengeschütz seinen Rachen, speit unter Feuer und Rauch und höllischem Brüllen seine über tausend Pfund schwere Steinkugel gegen die Torbefestigung. Der Turm des Romanos ächzt auf, als habe ihn ein tödlicher Fausthieb getroffen. Stein bröckelt und stürzt. Im Tor klafft ein Riß. „Eis tän polin!", ruft der Sultan seinen Heerführern zu. indem er sich der griechischen Sprache bedient, „hinein in die Stadt!" Das Heer nimmt seinen Ruf auf: „Is tan bul! Is tan bul!". schreien hunderttausend Münder. Und immer wieder das schreckliche „La Illaha lila Ilahu". Von den Mauern antwortet, verwehend im Donner der Schlacht, das Kampfgeschrei der Christen: „Kyrie eleison, Kyrie eleison . . ." Unablässig hämmern die zahllosen Belagerungsmaschinen, die Widder, Ballisten und Feuerschlünde. Am furchtbarsten aber schmettert das große Geschütz am „Kanonentor". Hier toben schon in den 23
ersten Tagen verlustreiche Nahkämpfe um die aufgerissenen Breschen. Auch von See her greifen die Türken an. Das „Griechische Feuer", das einst die Araber zurücktrieb, ist kein Geheimnis mehr. Nun besitzen die Angreifer selbst diese Kupferrohre, die lange, blaue Flammenzungen speien und die das Wasser des Hafens mit Flecken brennenden Lichts erfüllen. Über 300 000 Mann und 420 Schiffe verfügt der Türke, seine Artillerie ist überlegen und zieht eine Glocke feuriger Bahnen über die Dächer der kämpfenden Metropole. Brände wüten in Pera und den übrigen Vorstädten, der braune Rauch wälzt sich erstickend in die Gassen und auf die Plätze, auf denen Frauen und Kinder betend auf den Knieen liegen. Ein Mönch hat den angsterfüllten Menschen verkündet, daß Konstantinopel so lange nicht fallen werde, als die Säule des Kaisers Konstantin aufrecht stehe. Verzweifelt leisten die Belagerten Widerstand. Sie zerstören bei Ausfällen die Wurfmaschinen der Türken, füllen Laufgräben ein und schlagen die Stürme von hohen Mauerzinnen aus zurück. Selbst der Sultan ist erstaunt über die Tapferkeit der Christen. „Niemals hätte ich geglaubt, daß die Christenhunde so große Dinge ausrichten könnten, und hätten es mir auch alle Propheten versichert", sagt er zu den Männern seiner Umgebung. Doch alle Tapferkeit nützt nichts. Unter dem Druck der Belagerten ergibt sich zuerst die Vorstadt Galata. Die Genuesische Kolonie kapituliert und trifft mit den Heiden eine günstige Vereinbarung. Gegen Auslieferung von Waffen und Geschützen sollen die Italiener Leben und Eigentum, ja, sogar gegen künftige Zinszahlung die Handelsprivilegien am Bosporus behalten dürfen. Damit ist der Krieg für die Handelsherren zu Ende, sie sorgen für die Übergabe Peras und Galatas, kaum daß sich die letzten Griechentruppen über die Schiffsbrücke auf das andere Ufer des „Goldenen Horns" retten können. Die Brücke wird verbrannt. Konstantinopel ist seitdem eine von Meer und Mauer umgrenzte Halbinsel. Da gelingt den Türken gegen Mitte Mai ein neuer gefährlicher Schlag. Auf Knüppelwegen schaffen sie eine Anzahl leichte Kriegsschiffe vom Marmarameer über Land in das „Tal der süßen Wasser von Europa" und sitzen damit im Rücken des Binnenhafens der Stadt. Was nützt jetzt noch die erzene Riesenkette, die — von gewaltigen Winden gespannt — die Einfahrt ins Goldene Hörn an der Spitze von Galata sperrt? Der tödliche Kreis ist geschlossen. Nichts vermag die Stadt mehr zu retten.
Am 15. Mai bringt ein entflohener Galeerensklave, der in der Nacht von einem der Korsarenschiffe herübergeschwommen ist, die aufregende Kunde, daß sich nun doch noch in letzter Stunde eine christliche Flotte im Hafen von Negroponte zum Entsatz Konstantinopels sammle. Als Sultan Mohammed angesichts der aussichtslosen Lage der Stadt den Griechen Kapitulation mit freiem Abzug anbietet, weist Kaiser Konstantin das Angebot zurück. Der Kampf soll bis zum Ende ausgetragen werden. Die Stadt leidet bereits unter Mangel an Lebensmitteln, an Pulver und Waffen, die Reihen der Verteidiger haben sich gelichtet, Parteien bilden sich, Straßenkämpfe toben in der belagerten Stadt. Es ist "der vierzigste Tag der Belagerung, man schreibt den 29. Mai 1453. Ein stiller Tag mit wolkenlosem Himmel steigt aus den Fluten des Meeres. Kein Schuß zerreißt die lastende Lautlosigkeit, kein Kampfgeschrei weht über die Vorstädte. Die Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht. Seit Tagen haben die Türken ununterbrochen die Breschen in der Theodosianischen Mauer, besonders aber das Romanostor, beschossen. Ihre Artillerie ist unermüdlich, an vielen Stellen liegt die Mauer in Schutt, und die Verteidiger stehen nur noch auf Erdwällen. Jetzt aber schweigen die Geschütze. Die Gräben sind eingeebnet, die Laufgänge mit Faschinen überdeckt, alles deutet auf den unmittelbaren Ausbruch des Generalsturmes hin. Kaiser Konstantin Paläologus hat sich am frühen Morgen mit seinen Staatsgewändern bekleiden lassen, er trägt die violettpurpurne Dalmatika, das Diadem des Justinian, die juwelenbesetzten Brokatschuhe. Gefolgt von den Ministern, Räten, Bischöfen und Generalen begibt er sich durch den Malachitgang vom Erzpalast Chalke zur Hagia Sophia. Das ungeheure Gewölbe der Kathedrale ist von betenden Menschen erfüllt, bis auf die Plätze und Straßen wogt die erregte Menge. Lautes Schluchzen, fanatischer, entflammter Glaubenseifer, ekstatische Schreie mischen sich mit dem feierlichen Gesang der Choräle. „Jenseits aller Erscheinung! Wie anders kann ich Dich nennen? Wie soll ich Dich preisen, da Du jedem Worte unsagbar? Wie soll Dich schauen ein Sinn, da Du jedem Sinne unfaßbar? Unbekannt Du allein: denn Du schufest alle Benennungen; Unerkannt Du allein: denn Du schufest alle Gedanken . . ." 25
Zu Häupten der Tausende wölbt sich die gewaltige Kuppel der Hagia Sophia, die man oft mit dem Himmelsgewölbe verglichen hat, goldlichtüberflutet, von der Mystik ihrer Mosaiken erfüllt. „Die Kuppel umschließen mit Gold überzogene Steine, deren leuchtender Strahl, wie im Blitz sich umher ergießend Unerträglich dem menschlichen Auge, blendend herabströmt. . ." Wuchtig streben die Pfeiler nach oben, Licht bricht aus iden Rumdbogenfenstern der Höhe und entstofflicht die Wände, Säulen, Loggien, Kuppeln und Altäre. Unwirklich und fern scheint alles Geschehen . . . Tief neigt sich der Kaiser in seiner Loge, die hoch über dem Hauptaltar und entrückt den Blicken des Volkes im Dämmerlicht der Mosaiken schwebt. Auch er betet zum Lenker der Schicksale, daß er den Kelch vorübergehen lasse. „Ich rufe Dich, in goldener Ferne Thronender, Du Geheimnis in smaragdenem Licht, Zu dem unser Sehnen emporsteigt wie Rauch von Altären. Ich rufe Dich, daß Du hörest den Schrei der Gequälten Inmitten Deiner Engelschöre und Deiner tönenden Sphären . . . Aber ich beuge mich auch, denn niemand kennt Deinen Ratschluß..."' Während der Kaiser und sein Volk vor den weihrauchumhüllten Altären Hegen, dringt es wie anschwellender Donner von Westen heran. Zuerst ist es ein leises Grollen, wird dann zu einem einzigen Brausen und Rollen und setzt sich fort im Aufschrei der Zehntausende, die in der Hagia Sophia knien. Der Sturm hat begonnen!
* „Vater, nicht mein Wille, sondern der Deine geschehe!", flüstert Kaiser Konstantin Paläologus, als er sich vom samtenen Betstuhl erhebt. Dann wendet er sich an das bleiche Gefolge. Ich begebe mich auf die Wehrgänge. Der Platz des Kaisers der Griechen ist von nun an bis zum Ende bei den Truppen."
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Im türkischen Heer rufen sich die Kämpfer die Sure des Propheten zu, die da lautet: „Sie werden Konstantinopel erobern! Glücklich der Fürst, glücklich das Heer, die solches vollbringen werden!" Am „Kanonentor", beim Turme Romanos, feuert das Riesengeschütz dreimal gegen die wankende Bastion, dann brechen die Mauern in einer himmelhohen Wolke von Staub und Schutt zusammen. Fiebernd wartet das Janitscharenkorps hinter den Sturm26
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schirmen. Der Agha hebt das grüne Banner aus Chinaseide, der Roßschweif weht, Hörner und Pauken setzen ein. In endlosen Reihen stürmt es heran: geschwungene Handschars, blitzende Faustrohre, scharfe Bambuslanzen, runde Schilde und ein Meer von weißen Pluderhosen, roten Jacken, stählernen Helmen. Über diesem entfesselten Orkan weht grell der Schrei: „La Ilaha
lila Ilahu".
Schon im ersten Ansturm versinkt das Kyrie eleison der Griechen, die Woge bricht über das Romanostor in die Vorstadt Kosmidion ein; durch die breite Bresche galoppieren kurdische Reiter, schlitzäugige Tartaren auf zotteligen, schellenbehangenen Pferdchen. Der Kampf wogt von Gasse zu Gasse, von Haus zu Haus. Rasende Weiber kämpfen, Kinder werfen Ziegel von den Dächern, Mönche ringen Brust an Brust mit d»n Janitscharen. Feuer flammt aus den Fachwerkbauten, den Strohdächern der Vorstadt. Tosend nähert sich die Schlacht der Mauer Konstantins, die als letzter Wall die Innenstadt schützt. Da die Griechen die Kapitulation abgelehnt haben, hat Sultan Mohammed seinen Truppen Plünderung und das Recht der Gewalt versprochen. Derwische und Im ans haben die Gläubigen zur Raserei entflammt; sie stürzen sich wie Entfesselte auf die Stadt. Vor den alten Befestigungen der Konstantinsmauer scheint der Kampf noch einmal zum Stehen zu kommen. Aber das heisere Schreien der Scheiks und Derwische reißt die halb wahnsinnigen türkischen Scharen zu solchem Todesmut hin, daß sie den Durchbruch erzielen und wie Wölfe in die Innenstadt einbrechen. Gleichzeitig landen, vom Goldenen Hörn kommend, zweihundert mit Korsaren und maurischen Seeräubern beladene Flachboote und fallen die brennende Stadt von der Flanke an. Kaiser Konstantin Paläologus wirft sich mit seiner Palastwache nahe dem Aquädukt des Kaisers Valens den Janitscharen entgegen. Er fällt nach tapferer Gegenwehr im Straßenkampf. Die Meute ergießt sich ins Zentrum, Mord, Gewalt und Plünderung ergreifen Besitz von den Palästen des Kaiserviertels. Als die Sonne im Zenit steht, rufen die Hörnersignale zum Sammeln. Der Sultan zieht in die eroberte Stadt ein, das Schlachten zu enden. Er reitet, begleitet von seinen Paschas und Beis, durch die mit Leichen bedeckten Straßen zur Hagia Sophia. Am Mittag tritt der neue Herr der Kaiserstadt unter die mosaikflimmernde Kuppel vor den Altar, TVO noch am Morgen Konstantin Paläologus gebetet hatte. 27
Ergriffen vom Wandel des des historischen Augenblicks, schichte endet und ein neues verweilt der Sultan vor dem ewige Licht brennt.
Schicksals, erschüttert von der Größe in dem eine zweitausendjährige GeBlatt der Historie aufgeschlagen wird, christlichen Altar, vor dem noch das
* I s t a n b u l , nach d e m 3o. A l a i 1^53 Unter den Wenigen, die aus der Katastrophe entkommen sind, befindet sich der kühne Genuese Giovanni Giustinniani. Nach zahlreichen Abenteuern erreicht er das rettende Chios und bringt der zu spät ausgelaufenen Christenflotte die Nachricht vom Fall der Meerengen. Noch am Tage seines Einzuges in der Stadt läßt Sultan Mohammed IL alle hohen Beamten, Offiziere und Geistlichen, die in Gefangenschaft geraten sind, auf einem öffentlichen Platz niederstoßen. Tausende der Einwohner gehen in die Sklavelei, sie enden ihr Dasein in Harems, Bergwerken, auf Galeerenbänken oder auf den Landgütern der türkischen Lehensreiter. Dann begibt sich der Sultan nach Adrianopel zurück, um die Wiederherstellung der zerstörten Stadt und ihrer Befestigungen abzuwarten. Konstantinopel wird künftig Istanbul („Hinein in die Stadt!") heißen. Die Hagia Sophia wird nach einigen Umbauten Hauptmoschee der Mohammedaner. Da der Islam die bildhafte Darstellung Gottes und seiner Heiligen verbietet, werden die herrlichen Mosaiken weiß übertüncht, die Gebetsrichtung nach Mekka wird dadurch erreicht, daß man das Gebetspult des Vorlesers in einer Nische zwischen Mittel- und Südfenster der Apsis anbringt. An einem der großen südöstlichen Pfeiler wird die Kanzel für die Freitagspredigt angebaut und ihr gegenüber die mit goldenen Gittern geschmückte Sultansloge. Für den fehlenden Schmuck schaffen türkische Goldschmiede gewaltige runde Schilde, die in Goldbuchstaben die Namen Mohammeds und der Kalifen tragen. Allahs Name hängt in riesenhafter Schrift in der Mitte der Kuppel. Auch das Äußere der „Hagia Sophia" ändert sich durch angebaute Schulen, Mausoleen und durch eine Anzahl schlanker Minaretts, von deren Umgang aus der Gebetsrufer nun über die veränderte Stadt den Ruhm Allahs verkündet. Bald wachsen Moscheen und neue Paläste, bald sammelt sich neues Volk: Griechen, Türken, Araber, Slawen. Eine kleine genuesische Handelsniederlassung entsteht. Der 28
Mohammed IL, der Eroberer von Byzanz S u l t a n selbst r e s i d i e r t i n d e m w i e d e r h e r g e s t e l l t e n B l a c h e r n e n p a l a s t von F a n a r . ^ Der Fall der Metropole an den Meerengen hat weithinreichende Folgen. Mit Konstantinopel geht der letzte Rest des einstigen Mittelmeerreiches der Römer unter. Die Austreibung vieler gebildeter und gelehrter Griechen nach dem Westen bringt aber auch den Humanismus des Abendlandes zu höchster Blüte. Für die Weltwirtschaft bedeutet die Eroberung der Meerengen durch eine asiatische Macht einen entscheidenden Schlag. Von dem Tage an, der seine größte Feindin und Konkurrentin stürzt, krankt auch Venedig dahin. Da der .Eiserne Vorhang' zwischen Morgen- und Abendland herabgesunken ist, ist der Westen gänzlich vom Zwischenhandel der Türken abhängig geworden. Bald nimmt der Handel — von der Peitsche der Not getrieben — andere BahnenEr sucht sich westwärts den Ausweg nach Amerika und südostwärts die Seestraße nach Indien. Die Mittelmeerkultur wird zum Nebenschauplatz; das „Mittelmeer der Neuzeit" — der Atlantik — rückt ins Zentrum. Die Länder der Westküste: Spanien, Portugal, Frankreich und England steigen herauf und lösen die Macht und Bedeutung Genuas, Pisas und Venedigs ab. Das Deutsche Reich wird vom Herzen eines Erdteils plötzlich zum Randgebiet ohne ausreichende Weltmeerküste und büßt an Bedeutung ein. Der Türke aber dringt nun in Europa immer weiter voran. Bald beherrscht er Griechenland, den Balkan und Dalmatien und bereitet sich zum Angriff auf die Mitte Europas vor. Die Aufgabe der Abwehr geht von den Griechen und Südslawen auf Ungarn, Polen und Österreich über.
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Nicht nur die Bevölkerung der neuen Grenzprovinzen leidet unter der Veränderung der Lage. Bald gibt es niemanden mehr im Abendlande, der nicht den Fall Konstantinopels bedauern würde. Die Preise für Orientwaren — Gewürze, Zucker, Färbemittel — steigen, der Zufluß an Edelmetallen aus dem Osten hört auf und mit der Geldverknappung greift die Lähmunq der Wirtschaft weiter um sich. Der Türke wird für Jahrhunderte zum Albdruck Europas. Aber er ist es auch, der zuletzt Portugiesen und Spanier auf die gefahrvolle Hochseefahrt treibt und die alte Welt nötiqt, sich der neuen — Amerika — zu vermählen. Die Ereignisse des Jahres 1453 zwingen das Abendland, den Gesichtskreis bis zum Fernen Osten zu erweitern und durch Kühnheit, Erfindergeist und erhöhte Anstrengung zu ersetzen, was Trägheit, Neid und Uneinigkeit verlorengehen ließen.
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B egri tts er K I är un gen Achill, griech. Sagenheld, dessen Taten im Kampf gegen Troja Homer verherrlicht hat. Ägäis, Äoäisches Meer, benannt nach dem sagenhaften König Äqis; Meeresteil des Mittelländischen Meeres zwischen der Balkanhalbinsel und Kleinasien. Agha, früher hoher türkischer Offizier. Agora, Versammlungs- und Marktplatz griechischer Städte. Äneas, Sagengestalt des Trojanischen Krieges, als Ahnherr Roms angesehen; Nationalheld der Römer. Aquädukt, gemauerte Wasserleitung, führte das Trinkwasser der antiken Städte oft aus fernen Gebirgen heran, überquerte die Täler in Brückenform. Aphrodite, griech. Göttin der Schönheit und Liebe, Tochter des Zeus. Argonauten, sagenhafte Gefährten des Jason auf dem Schiffe Argo, mit dem sie ausfuhren, das „Goldene Vlies" fein wundersames goldenes Widderfell) aus dem Drachenhain von Kolchis am Schwarzen Meer zu holen. Atrium, Eingangs-, Vorhalle. Bailiste, Ballister, armbrustartiges Wurfgeschütz. Bei, hoher türkischer Beamter. Dardanellen, Meerenge zwischen Agäischem und Marmarameer, nach der • antiken Stadt Dardanos benannt (antiker Name Hellespont). Demeter, griech. Göttin des Ackersegens. Dhau, türk. Küstenfahrzeug mit lateinischem Segel, das über die ganze Länge gespannt war. Dido, die sagenhafte Gründerin von Karthago und Geliebte des Äneas. Dionvsos, griech. Gott des Wachstums und des Weines, Sohn des Zeus. Derwische, mohammedanische Bettelmönche. Epheben, die Jünglinge Griechenlands. Galionsfigur, Figur am „Galion", dem Vorbau am Bug von Seglern. Gilden, genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Kaufleuten einer mittelalterlichen Stadt. Goldenes Hörn, Hafenbucht von Byzanz-Konstantinopel. Goldenes Vlies, s. Argonauten.
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Griechisches Feuer, eine im 7. Jahrh. n. Chr. in Konstantinopel erfundene, im einzelnen nicht mehr genau bekannte Mischung, die in Bomben gefüllt und mit Schleudergeschützen verschossen wurde und auch auf dem Wasser brannte; fand Verwendung im Seekampf und bei Belagerungen. Handschar, etwa 1 m lange türk. Hiebwaffe. Hagia Sophia, die der „heiligen Weisheit" (hagia sophia) geweihte Hauptkirche von Konstantinopel, um 330 von Konstantin d. Gr. erbaut, 532 abgebrannt, von Kaiser Justinian neuerbaut und 537 neu geweiht; mit riesiger Kuppel (32 m); seit 1453 Moschee, heute Museum. Hegemon = Heerführer. Hellenen = Griechen. Herakles = Herkules, griech.-röm. Sagenheld, mit übermenschlichen Kräftep begabt, Sohn des Zeus, Halbgott. Hippodrom = Pferderennbahn, Sportarena von Byzanz, soll mehrere hundeittausend Menschen gefaßt haben. Imam, moham. Fürstentitel; auch Vorbeter in der Moschee. Jason, Führer der (s.) Argonauten. Minarett, Turm der Moschee; von seiner Höhe ertönt mehrmals am Tage der Gebetsruf zu Allah. Medusa, in der griech. Sage schreckliches Ungeheuer, Schreckbild. Nereiden, Wasserjungfrauen. Nymphen, niedere Naturgottheiten. Odysseus, Held des trojanischen Krieges; seine Irrfahrten und Heimkehr beschreibt Homer in der „Odyssee". Pavesen, mannshohe Schilde, wurden mit der Spitze in die Erde gerammt, bildeten eine Schildreihe und durchgehende Schutzwand. Poseidon, griech. Gott der Meere und Gewässer. San Marco (Sankt Markus), Dom von Venedig; Schutzheiliger der Stadt. Seleukiden, nach dem Feldherrn Alexanders d. Gr. benanntes Herrschergeschlecht; gründete ein Reich im Vorderen Orient, das zeitweise bis nach Indien reichte. Triere, Dreiruderer; griech. Galeere, deren Ruderknechte in drei Decks übereinandersaßen und drei Reihen Ruder bewegten. Tritonen, Meer- und Flußgottheiten. Trojanischer Krieg, benannt nach der homerischen Darstellung des Feldzugs der Griechen gegen Troja zur Befreiung der von dem trojanischen Königssohn Paris geraubten Helena, der Gattin des Königs von Sparta; in der historischen Beschreibung Sage; historischer Kern sind die kriegerischen Wanderzüge der Griechen um 1200 v. Chr. kreuz und quer über die Ägäis. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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