Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 743
Das grüne Feuer Unter Hyptons und Ligriden
von H.G. Francis
Auf Terra schr...
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 743
Das grüne Feuer Unter Hyptons und Ligriden
von H.G. Francis
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermittelt in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das Atlan die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und die neuen Begleiter des Arkoniden sind Chipol, der junge Daila, und Mrothyr, der Rebell von Zyrph. In den elf Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die ungleichen Partner schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur Jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So ist zum Beispiel die Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gewährleistet – was sich auf den Kampf der Daila gegen ihre Unterdrücker positiv auswirken dürfte. Es bei dem bisher Erreichten zu belassen, wäre grundfalsch. Atlan weiß das – und seine Gefährten ebenfalls. Und so folgen sie verbissen selbst der kleinsten Spur des Erleuchteten und der seines mysteriösen Werkzeugs EVOLO. Zinkoyon ist eine solche Spur. Es ist eine Raumstation der Hyptons und Ligriden. Die STERNSCHNUPPE fliegt die Station an. Atlan und Mrothyr machen Maske, bevor sie Zinkoyon betreten - und sie erleben dort DAS GRÜNE FEUER…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan, Chipol und Mrothyr – Der Arkonide und seine Gefährten unter Hyptons und Ligriden. Braodyr – Ein unheimliches Wesen. Lokhortgor – Ein ligridischer Offizier. G’dhay – Ein Mitglied der Familie Sayum.
1. »Wir haben die von den Hyptons angegebenen Koordinaten erreicht«, stellte Atlan fest. »Die Informationen waren offenbar richtig. Vor uns liegt eine Raumstation.« Mrothyr, Chipol und er blickten auf die Monitorbilder, die die STERNSCHNUPPE ihnen lieferte. Im Raum schwebte eine Station, die auf den ersten Blick ein chaotisches Bild bot. Zahllose Objekte unterschiedlichster Größe und Art - vom Raumschiff bis zur Wohnkuppel - schienen systemlos zu einem Ganzen zusammengefügt worden zu sein. »Die Raumstation nennt sich Zinkoyon«, meldete die Positronik der STERNSCHNUPPE. »Entsprechende Funkinformationen sind eingegangen.« Dutzende von Raumschiffen hatten an der Station angelegt. Es war jedoch nicht zu erkennen, ob sie dort be- oder entladen wurden, da sich alle Aktivitäten innerhalb der Raumkörper abspielten. In der näheren kosmischen Umgebung befanden sich vier H-plus-Nebel. Atlan zweifelte daran, daß sie unter diesen Umständen herausfinden konnten, welcher davon als Versteck für EVOLO herhalten sollte. »Ich schlage vor, wir docken an«, sagte der Arkonide. »Wir kommen nur weiter, wenn wir in die Höhle des Löwen gehen und die Station betreten.« »Das ist die einzige Möglichkeit«, stimmte Mrothyr zu. Seine bernsteingelben Augen leuchteten in einem eigenartigen Licht. Atlan blickte ihn erstaunt an. »Was hast du?« fragte er. »Nichts«, entgegnete der Zyrpher ausweichend. »Ich bin lediglich dafür, die Station zu betreten.« »Das sagst du in einem etwas eigenartigen Ton.« »Tatsächlich?« Mrothyr legte die Fingerspitzen aneinander, und für einen kurzen Moment schien es, als leuchte ein grünes Licht zwischen seinen Händen. »Das täuscht.« Der Unsterbliche zögerte. Forschend blickte er den Freund an, doch dieser war offenbar nicht bereit, mehr zu sagen. Ein unbehagliches Gefühl beschlich den Arkoniden. Unwillkürlich blickte er auf die Monitorbilder. Gab es irgend etwas in der Weltraumstation, das eine bestimmte Saite in Mrothyr hatte anklingen lassen? Gab es womöglich so etwas wie eine gedankliche Verbindung mit einem Wesen, das sich darin verbarg? Höchst unwahrscheinlich! befand der Logiksektor. Wenn es aber doch so ist, warum verschweigt Mrothyr es? fragte Atlan sich. »Wir können es uns nicht leisten, Geheimnisse voreinander zu haben«, stellte Chipol fest. »Das ist vollkommen richtig«, entgegnete der Zyrpher. »Ich bin deiner Meinung.« Wenn er etwas vor uns verbirgt, muß er einen triftigen Grund dafür haben. Atlan wußte, daß er Mrothyr nicht entlocken konnte, was dieser nicht preisgeben wollte. »Wir machen Maske«, erklärte er daher. »Ich werde mich in einen Daila verwandeln, so daß ich als der Vater Chipols auftreten kann. Chipol wird allerdings an Bord bleiben.« »Muß das sein?« lehnte sich der junge Daila auf. »Hier ist es langweilig.« »Einer von uns muß in der STERNSCHNUPPE bleiben, und es ist am besten, wenn du das bist.« Chipol blickte Atlan unsicher an, aber dann begriff er, daß sich an dieser Entscheidung nichts mehr
ändern würde. Enttäuscht ließ er sich in einen Sessel sinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Zyrpher rückte seine grün und blau gestreifte Fellmütze zurecht. Von ihr fiel im Nacken ein breiter, orangefarbener Schwanz bis zu seinen Hüften herab. Mrothyr besaß das Charisma einer großen Persönlichkeit. Er hatte leuchtend gelbe Augen, in denen ein Feuer brannte, wie es nur Männer haben, die von ihrer Aufgabe besessen sind. Mrothyr hatte eine dunkle Haut, die in scharfem Kontrast zu den Augen stand, und er hatte ein Gebiß, das selbst Zyrpher beeindruckte. Es wäre sinnlos gewesen, ihn in einer anderen Maske als die eines Zyrphers auftreten zu lassen. Atlan überlegte, ob er ihm raten sollte, die Mütze abzulegen, doch er wußte, daß der Freund sich weigern würde, dies zu tun. Die Mütze hatte ihn auf allein Stationen seines Lebens begleitet, und sie war zum Erkennungszeichen des Freiheitskämpfers von Zyrph geworden. Atlan brauchte nicht viel zu tun, um sich in einen Daila zu verwandeln. Das wichtigste war, Kontaktlinsen anzulegen, um die roten Augen blau erscheinen zu lassen. »Gehen wir«, sagte er, als die Vorbereitungen abgeschlossen waren. Zusammen mit dem Zyrpher verließ er die STERNSCHNUPPE und betrat Zinkoyon, nachdem von dort die Bestätigung eingelaufen war, daß sie die Raumstation ohne Schutzkleidung und ohne Atemschutzgeräte betreten konnten. Durch eine leuchtend gelbe Schleuse kamen sie in einen ovalen Raum, in dem ein hochgewachsener Ligride auf sie wartete. Er hielt einen Nadelstrahler in den Händen. Eine schwach glimmende Lampe daran zeigte an, daß die Waffe entsichert war. »Also«, forderte der Ligride sie auf, »was wollt ihr hier?« Atlan gab sich erstaunt. »Das haben wir bereits per Funk durchgegeben«, erwiderte er. »Reicht das nicht?« Der Ligride hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Jetzt öffnete er zunächst die äußeren, mit feinen Schuppen besetzten Lider, und ließ dann auch die darunter liegende, weißliche Lidhaut nach unten sinken. Er hatte braune Augen, die kalt und ausdruckslos wie die eines Reptils waren. »Ich will es gern wiederholen.« Der Arkonide gab sich gelangweilt. »Wir waren im Anflug auf Cirgro, als dort eine Panik ausbrach…« »Weshalb wolltet ihr nach Cirgro?« unterbrach ihn der Ligride. Er hatte eine breite, flache Nase. Sie sah aus, als sei sie irgendwann einmal bei einer Schlägerei zertrümmert und danach nicht wieder in die rechte Form gebracht worden. Die Kinnpartie trat weit vor und verlieh ihm ein martialisches Aussehen. Er trug einen weißen Helm, der nicht nur seinen Schädel, sondern auch seinen Nacken und einen Teil seiner Schultern schützte. Aber darauf achteten Atlan und seine beiden Begleiter kaum. Sie wußten, daß Ligriden ihren Kopf stets bedeckt hielten. Der Schädel war ihre schwache Stelle, und sie hatten eine geradezu panische Angst davor, ihn zu entblößen. »Geschäfte«, erklärte der Arkonide. Er blickte auf, als sei er höchst erstaunt über diese Frage. »Das ist doch klar.« »Weiter. Was ist mit den Hyptons?« »Wir haben die beiden sterbenden Hyptons und den Stahlmann aus den Trümmern eines Raumschiffs geborgen. Die Hyptons haben vor ihrem Tod darum gebeten, daß wir sie nach Zinkoyon bringen. Was wir hiermit tun.« »Und sie haben uns eine Belohnung versprochen«, fügte Mrothyr hinzu. Er stand mit hängenden Schultern neben Atlan. Den Kopf ließ er leicht zur Seite sinken. Er tat, als habe er nicht alle fünf Sinne beisammen, und es war ihm mehr als recht, daß der Ligride auf ihn so gut wie nicht achtete. Sollte der Ligride ruhig glauben, daß er schwachsinnig war, um so besser konnte er später in der Station agieren, falls dies notwendig sein sollte.
»Eine Belohnung? Was fordert ihr?« Atlan trat einen Schritt vor. Er hob beschwörend die Hände. »Ich muß dir wohl nicht sagen, mit welchen Kosten der Raumflug verbunden ist«, begann er. »Ein Raumschiff kostet heute Unsummen. Allein der Zinsendienst kann einen an den Rand des Ruins bringen.« »Ich habe nicht vor, mich mit dir über die Finanzierung deines Raumschiffs zu unterhalten«, wies der Ligride ihn zurück. »Ich habe auch gar nicht vor, dir das alles zu schildern.« Der Arkonide lachte verständnisheischend auf. »Es ist eine lange und komplizierte Geschichte. Allein schon wie ich das nötige Eigenkapital beschafft habe, ist abendfüllend. Mein Schwager hatte nämlich seinen Anteil…« »Was fordert ihr?« donnerte der Ligride. Atlan zuckte erschrocken zusammen. Beschwichtigend hob er die Hände. »Nicht doch, nicht doch«, bat er. »Du solltest das nicht so einfach zurückweisen. Raumfahrt ist eben mit hohen Kosten verbunden. Von nichts kommt nichts. Ein Raumschiff ist eine hochkomplizierte Maschine, die nicht nur mit Anschaffungskosten, sondern viel mehr noch mit Unterhaltskosten verbunden ist, die…« Der Nadelstrahler richtete sich auf seinen Bauch. »Die Belohnung«, stammelte Mrothyr. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Sie haben uns eine Belohnung versprochen. Lan, ich habe gleich gesagt, sie halten ihr Versprechen nicht. Habe ich das gesagt oder nicht?« »Ja, ja, das hast du«, erwiderte Atlan. Er legte dem Zyrpher die Hand an den Arm. »Nun reg dich bloß nicht auf. Wir werden alles bekommen.« »Dazu müßte ich erst einmal sehen, was ihr haben wollt«, erklärte der Ligride ärgerlich. Atlan blickte ihn erstaunt an. Ein ungläubiges Lächeln spielte um seine Lippen. »Habe ich dir das noch nicht gesagt?« »Nein.« »Na so was! Tir, das ist verrückt. Jetzt sollten wir es aber sagen, was?« Der Ligride trat auf ihn zu. Er drückte ihm den Abstrahlkegel der Waffe in den Bauch und packte ihn mit der anderen Hand am Kragenaufschlag. »Wenn du glaubst, daß du dich über mich lustig machen kannst, dann hast du dich gewaltig geirrt, mein Lieber. Es würde mir überhaupt nichts ausmachen, dich über den Haufen zu schießen. Und deinen dämlichen Freund auch. Danach könnten wir uns die Hyptons aus deinem Raumschiffholen, und wir würden den Raumer auch noch kassieren. Als Abschußprämie sozusagen. Nun – wie gefällt dir das?« »Überhaupt nicht, wenn ich ehrlich sein soll.« »Was wollt ihr haben? Raus damit.« »Ein neues Antriebsaggregat für unsere alte STERNSCHNUPPE. Sie ist etwas schwach auf der Brust. Und ein bißchen Positronik braucht sie auch. Nicht viel. Es müßte nur etwa die Hälfte der Einrichtung der Zentrale ausgewechselt werden. Es könnte natürlich sein, daß man dabei noch das eine oder andere entdeckt, was auch lieber erneuert werden sollte, aber…« Der Ligride stieß Atlan von sich. »Ihr seid alle beide verrückt. Dem da sieht man es an, dir nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache. Ihr seid verrückt. So viel werden wir euch auf keinen Fall für zwei tote Hyptons geben.« Mrothyr ließ die Kinnlade sinken. Er blickte mit trüben Augen auf den Boden.
»Ich habe es gleich gesagt«, lamentierte er. »Sie zahlen nicht: Sie betrügen uns.« »Die Hyptons haben behauptet, daß es keine Schwierigkeiten geben wird«, protestierte Atlan. Er richtete sich auf, trat einen Schritt auf den Ligriden zu und hob die geballte Rechte. »Zählt das etwa nicht?« Der Ligride stieß ihn zurück. Dann öffnete er eine Tür. »Los. Geht da rein«, befahl er. Atlan schüttelte den Kopf. »Nein, wenn wir warten sollen, dann warten wir an Bord der STERNSCHNUPPE.« Der Ligride zielte auf die Stirn des Arkoniden. »Tempo«, befahl er. »Und kein Wort mehr.« Atlan und Mrothyr gehorchten. Sie gingen in einen Raum, in dem mehrere Sessel um einen Tisch herum standen. An den Wänden befanden sich einige Bildschirme, die jedoch kein Bild zeigten. Eine Wand wurde von einem Hologramm eingenommen. Es erweckte den Eindruck, als könnten sie direkt in die farbenprächtige Landschaft eines exotischen Planeten hinaustreten. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Mrothyr blieb bei seiner Rolle des Schwachsinnigen. »Sie betrügen uns. Ich habe es gesagt«, murmelte er und ging mit schlenkernden Armen auf das Hologramm zu. »Wir hätten nicht hierherfliegen dürfen.« Der Raum kippte auf das Hologramm zu. Der Boden sackte weg, und die beiden Männer rutschten in einen dunklen Spalt, bevor sie überhaupt begriffen, was geschah. Vergeblich versuchten sie, irgendwo Halt zu finden. Sie glitten in einen dunklen Schacht, stürzten in die Tiefe, wurden weich abgefangen, als der Schacht abbog, rutschten an einer Wand entlang und rollten schließlich in einen matt erleuchteten Raum, in dem allerlei Kisten und Kästen standen. »Verdammt, was soll das?« keuchte Atlan. »Die glauben doch wohl nicht, daß sie uns mit so einem dämlichen Trick hereinlegen können?« »Ich weiß nicht, was sie glauben«, entgegnete der Zyrpher. Er wich bis an eine Wand zurück. »Ich sehe nur, daß wir Schwierigkeiten haben.« Er zeigte auf vier, spinnenähnliche Insekten, die unter einem der Transportbehälter hervorkrochen. Sie hatten ein dichtes, rotes Fell, sechs Beine und zwei scharfe Fangscheren. »Das sind Krabbenbeißer«, sagte er. »Sie stammten von Zyrph. Weiß der Satan, wie sie hierher kommen. Sie sind gefährlich. Sie schießen mit kleinen Pfeilen. Ihr Gift ist absolut tödlich.« Atlan suchte nach seiner Waffe, fand jedoch nichts, was handlich genug war. Vorsichtig wich er vor den Insekten zurück. »Vielleicht greifen sie nicht an«, sagte er. »Sie sind aggressiv«, erklärte Mrothyr. »Sie haben ein ausgeprägtes Revierverhalten. Sie töten alles, was in das von ihnen beanspruchte Revier eindringt.« Unter zwei anderen Kisten kamen zwei weitere Krabbenbeißer hervor. Mrothyr schob ihnen eine Kiste in den Weg und wich dann hastig zurück. Ein winziger Pfeil schlug dicht neben dem Bein Atlans in die Wand. Im gleichen Moment glitt eine Tür zur Seite. »Kommt hier herüber«, befahl jemand mit tönender Baßstimme. Eine unsichtbare Kraft drängte die Tiere zurück bis an eine Wand und zerquetschte sie. »Hier unten lagern für mich überaus wertvolle Dinge. Glaubt ihr Dummköpfe, ich will sie wegen euch verlieren? Wagt ja nicht, noch einmal eine der Kisten zu bewegen.«
Sie traten zögernd durch die Tür in einen weiteren Lagerraum. Dieser war erheblich größer und kühler, als der andere. Stahlcontainer türmten sich bis zur Decke hoch. Vor ihnen kauerte ein etwa drei Meter hohes Wesen, das auf den ersten Blick aussah wie ein grauer, mit der Spitze nach oben zeigender Tannenzapfen. Das Wesen blickte sie mit drei Augen an. Eines befand sich dicht unter der Spitze unter einer hochgeklappten Hautfalte, das zweite war etwa einen halben Meter darunter, und das dritte leuchtete aus einer Haltfalte heraus, die sich dicht über dem Boden geöffnet hatte. Die drei Augen befanden sich nicht in einer geraden Linie von oben nach unten, sondern waren seitlich versetzt. Etwa in halber Höhe grinste ein Mund, der nahezu einen halben Meter breit war. Die Doppelreihen gelber Zähne wirkten jedoch keineswegs erheiternd auf Atlan und Mrothyr. Die Tür schloß sich hinter den beiden Männern. »Damit euch die kleinen Biester nicht doch noch töten«, erklärte das fremdartige Wesen. Zwei der drei Augen schlossen sich, und zwei andere Augen öffneten sich in Hautfalten, die etwa einen Meter davon entfernt waren. Auch der grinsende Mund verschwand. Dafür zeigten sich zwei andere eine Handbreit darüber. »Die Ligriden werden durchdrehen, wenn sie sehen, daß ihr weg seid«, verkündete das Wesen. »Sie werden sich nicht erklären können, wie ihr aus dem Raum da oben entkommen seid.« »Wer bist du?« fragte der Arkonide. »Sie werden toben. Vielleicht vernichten sie in ihrer Wut gar euer Raumschiff. Was schade wäre.« »Was willst du von uns?« erkundigte sich Mrothyr. »Warum hast du uns aus dem Raum da oben entführt?« »Könnte sein, daß die Hyptons den Ligriden die Hölle heiß machen, weil sie ihnen nicht sagen können, wo ihr geblieben seid.« Das Wesen lachte dröhnend. »Es hat keinen Sinn, dem Ding Fragen zu stellen«, bemerkte der Arkonide. »Entweder hört es uns nicht, oder es will uns nicht hören.« »Ich bin Braodyr«, stellte das seltsame Wesen sich vor. »Hallo, Braodyr«, erwiderte Atlan. »Was willst du von uns?« Die drei Augen verschwanden, und an anderer Stelle entstanden vier andere. Eines war blau, das zweite grün, das dritte gelb und das vierte rot. Sie umgaben einen etwa einen Meter breiten Mund mit zwei Reihen von kreuz und quer durcheinanderwachsenden Reißzähnen. »Ihr seid weder Hyptons noch Ligriden«, entgegnete Braodyr. »Das ist uns auch schon aufgefallen«, spöttelte Mrothyr. »Wißt ihr, daß es in Zinkoyon eine große Hypton-Traube gibt, die mit dem Erleuchteten in ständiger Verbindung steht?« Atlan und der Zyrpher blickten auf. Mit einer derartigen Bemerkung hatten sie nicht gerechnet. Sie waren sich einig, daß sie noch mehr Informationen aus diesem seltsamen Wesen herausholen mußten. »Eine Hypton-Traube?« fragte Mrothyr behutsam. »Genau das habe ich gesagt. Diese Hyptons leiten die Station, die sich Zinkoyon nennt. Nicht die Ligriden. Die haben wenig zu sagen, und das wurmt sie gewaltig.« Das Wesen glitt lautlos über den Boden bis zu einer Wand, drückte sich fest dagegen und scheuerte sich dann daran. Die Hautfalten verursachten unangenehme Geräusche. Atlan fühlte, wie es ihm dabei kalt über den Rücken lief. Braodyr machte einen zwiespältigen Eindruck auf ihn. Auf der
einen Seite war ihm dieses Wesen Sympathisch. Es gefiel ihm irgendwie, ohne daß er hätte sagen können, warum das so war. Auf der anderen Seite spürte er, daß ein Geheimnis Braodyr umgab, und daß es nicht ungefährlich war, sich mit ihm zu befassen. Es muß einen triftigen Grund dafür geben, daß Braodyr sich hier versteckt hält, stellte der Logiksektor fest. Er oder es hat Front gegen die Ligriden und die Hyptons bezogen. Braodyr kehrte an seinen alten Platz zurück, und Atlan sah, daß er tiefe Schrammen an der Wand zurückgelassen hatte. Zumindest einige seiner Hautfalten mußten ungeheuer hart sein. »Dann sind die Hyptons also die Herren von Zinkoyon«, stellte der Arkonide fest. Narr! Das hat er nicht gesagt. »Falsch«, rief Braodyr. »Du scheinst die Klugheit nicht gerade mit Löffeln gefressen zu haben. Wie kommst du darauf, daß die Hyptons hier die Herren sind?« »Du hast gesagt, daß sie bestimmen und nicht die Ligriden«, erwiderte der Arkonide. »Du scheinst nicht logisch denken zu können. Wäre ja auch ein Wunder, wenn ein Zweibeiner das könnte.« Die vier Augen verschwanden, und ein neues erschien. Auch der Mund verschwand, und dann grinsten sechs – Doppelreihen von Zähnen die beiden Männer an. Die über und über mit Falten und Schuppen bedeckte Haut Braodyrs schien Dutzende von Augen und Mündern in sich zu bergen. »Die Hyptons haben sich auch an gewisse Spielregeln zu halten.« »An welche?« fragte Mrothyr. »Sie waren es nicht, die den Standort von Zinkoyon ausgewählt haben«, erklärte Braodyr. »Der Erleuchtete hat ihnen einen Transmitter geliefert und hier postiert.« »Ich verstehe«, sagte Atlan. »Und die Hyptons haben dann diese Station um den Transmitter herumgebaut.« »Kluges Kerlchen«, spottete das fremdartige Wesen. Er seufzte tief, als habe es soeben eine schwere Arbeit abgeschlossen. »Alle Waren, die für Wrackbank bestimmt sind, werden mit Raumschiffen nach Zinkoyon gebracht und von hier aus mit dem Transmitter nach Wrackbank abgestrahlt.« »Was ist das für ein Transmitter?« fragte Atlan beiläufig, so als sei ihm die Antwort nicht besonders wichtig. »Was soll ich das Ding technisch beschreiben«, stöhnte Braodyr. »Es ist jedenfalls eine Maschine, die nach einem sowohl den Ligriden als auch den Hyptons bekannten System arbeitet. Ich komme damit klar, und ihr könntet wahrscheinlich ebenfalls damit umgehen, falls eure Köpfe nicht vollkommen leer sind.« »Das habe ich mir gedacht«, bemerkte der Arkonide. »Bleibt die Frage, welcher der vier H-plusNebel das Ziel ist. Wo ist Wrackbank?« Braodyr hatte plötzlich einen fast anderthalb Meter breiten Mund. Diesen riß er so weit auf, daß Atlan und Mrothyr seine tiefschwarze Zunge und die Mundhöhle sehen konnten. Er lachte dröhnend. »Eine dümmere Frage habe ich noch nie gehört«, brüllte er. »Wenn ich das wüßte, brauchte ich euch nicht.« »Du weißt es also nicht«, stellte der Arkonide gelassen fest. »Nein, aber ich habe versucht, es herauszufinden«, erwiderte das fremdartige Wesen. »Was hast du getan?« fragte der Zyrpher. »Das Naheliegende«, erklärte Braodyr. »Ich habe nacheinander vier Ligriden durch den Transmitter geschickt, um das Rätsel auf diese Weise zu lösen. Seitdem sind die Kerle spurlos verschwunden.«
»Und was sagen die positronischen Kontrollen des Transmitters?« forschte der Arkonide. »Hast du sie auch beobachtet, als du die Ligriden losgeschickt hast?« »Natürlich habe ich das. Glaubst du, ich bin so ein Anfänger wie du?« »Und?« »Was ist mit deinem Begleiter los?« Atlan blickte Mrothyr verblüfft an. »Der Bursche versucht immer wieder abzulenken«, bemerkte der Zyrpher erzürnt. »Wir sollten ihm das Fell über die Ohren ziehen.« »Das würde dir bestimmt nicht leichtfallen«, fauchte Braodyr ihn an. Zwei riesige Augen quollen aus dem unteren Bereich seines Körpers hervor und starrten ihn drohend an. »Was ist mit der Positronik?« fragte der Arkonide. »Nichts, du Narr«, antwortete Braodyr. »Glaubst du, ich wäre auf deine Hilfe angewiesen, wenn die Positronik mir angezeigt hätte, welcher der H-plus-Nebel der richtige ist? Bestimmt nicht.« Er wandte sich Mrothyr wieder zu. »Was ist mit ihm?« fragte er. »Er verbirgt etwas vor uns. Ein Geheimnis? Er sollte uns besser sagen, was los ist, damit es uns nicht ans Leben geht.« »Sag ihm, daß er den Mund halten soll«, forderte der Zyrpher. Er setzte sich auf den Boden, verschränkte die Arme über den Knien und legte den Kopf darauf. Braodyr begriff, daß Mrothyr seine Frage nicht beantworten würde. Er seufzte abermals, glitt zur Wand hinüber und verschwand in einer Öffnung, die sich überraschend darin auftat.
2. »Gibt es etwas, was du mir sagen solltest?« fragte der Arkonide behutsam, nachdem einige Minuten verstrichen waren und der Zyrpher schweigend auf dem Boden verharrt hatte. Mrothyr hob den Kopf und blickte ihn an. »Es gibt ein Wort bei uns, das den Göttern zugeschrieben wird«, erwiderte er. »Es fordert: Man soll das grüne Feuer nicht stören, wenn ein Mann schweigt.« Atlan ließ sich nun ebenfalls auf den Boden sinken. »Tut mir leid, aber damit kann ich nichts anfangen.« Mrothyr hob die Hände und hielt ihm die offenen Handflächen entgegen. Es war nichts Ungewöhnliches daran. Als er die Hände jetzt jedoch gegeneinander drehte, so daß Handfläche gegen Handfläche gerichtet war, erschien ein schwaches, grünes Leuchten zwischen ihnen. Er brachte die Hände näher zueinander, und es leuchtete grüner und intensiver zwischen ihnen, bis schließlich gar eine Flamme aufstieg. »Was hat das zu bedeuten, Mrothyr?« Der Zyrpher ließ die Hände sinken. Er blickte den Arkoniden mit flammenden Augen an, und plötzlich hatte Atlan das Gefühl, an einen Abgrund geraten zu sein. Mrothyr schien sich völlig verändert zu haben, und alle positiven Seiten an ihm schienen erloschen zu sein. Der Arkonide glaubte, unmittelbaren Einblick in das Böse selbst zu bekommen. Du Narr! tadelte das Extrahirn. Wie konntest du ihn so herausfordern? Er hat dich gewarnt. Er hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, Mrothyr«, sagte er. »Ich werde nicht weiter fragen.« Die Tür öffnete sich, und Braodyr glitt herein. Aus den Hautfalten seines grauen Körpers schossen zwei muskulöse Arme hervor, und zwei absolut menschlich aussehende Hände streckten sich dem Zyrpher entgegen, als wollten sie ihn am Hals packen. Doch wenige Zentimeter von diesem entfernt verharrten sie in der Luft und sanken dann langsam herunter. »Laß ihn in Ruhe«, forderte Atlan. »Das brauchst du mir nicht zu sagen«, fauchte Braodyr ihn an. »Ich wäre gar nicht in der Lage, ihm etwas zu tun. Hast du diese Augen gesehen? Sie können einen umbringen. Dieser Bursche ist böse, sage ich dir, abgrundtief böse. Wir sollten uns so schnell wie möglich von ihm trennen.« »Da bin ich anderer Ansicht.« »Warum sagt er uns nicht, was er vor uns verbirgt?« »Das ist allein seine Sache. Wir haben dich nicht gebeten, uns aus dem Raum da oben zu entführen.« Braodyr glitt zur Seite bis an die Wand, wo er sich erneut rieb. »Du hast versucht, herauszufinden, wohin die Waren mit dem Transmitter gebracht werden«, faßte Atlan zusammen. »Du bist also kein Freund der Ligriden und der Hyptons, sondern ihr Gegner. Das haben wir schon einmal miteinander gemein. Wir sollten uns überlegen, was wir aus dieser Gemeinsamkeit gewinnen können. Doch zunächst einige Fragen. Was willst du auf Wrackbank? Was suchst du dort? Den Erleuchteten?« »Kein Kommentar.« »Kannst du mich zum Transmitter führen?«
»Was willst du da?« »Ich möchte mir den Transmitter ansehen. Vielleicht finde ich heraus, was dir nicht gelungen ist. Es muß feststellbar sein, wohin er sendet.« Dicht unter dem höchsten Punkt seines Körpers klappten fünf Schuppen hoch, und fünf leuchtend grüne Augen erschienen. Darunter zog sich ein grinsender Mund in die Breite. »Ich kann dich hinführen, und ich kann dir helfen. Vielleicht hast du mehr Glück als ich. Vorher aber solltest du mit dem Jungen sprechen, der noch in deinem Raumschiff ist.« »Was weißt du von dem Jungen in der STERNSCHNUPPE?« fragte Mrothyr. »Nichts«, gestand das seltsame Wesen. »Ich weiß lediglich, daß er da ist, und ich kann euch dazu verhelfen, mit ihm zu reden. Genau das solltet ihr tun.« Die Tür zum Nebenraum öffnete sich. Er zog die Arme unter die Hautfalten seines Körpers zurück und eilte hinaus, ohne daß Atlan und der Zyrpher erkennen konnten, wie er sich voranbewegte. Füße jedenfalls waren nicht zu sehen. Er führte die beiden Männer in einen Raum, in dem ein chaotisches Durcheinander herrschte. Zahllose Kisten und Kästen stapelten sich zu wahren Türmen, die bis unter die Decke reichten. In einer Ecke befand sich ein Ruhelager aus übereinandergelegten Pelzen. Daneben waren allerlei Geräte an der Wand befestigt – darunter ein Bildkommunikator. »Wenn wir von hier aus mit Chipol sprechen, hört man uns ab«, bemerkte der Arkonide. »Dann dauert es wahrscheinlich nur noch ein oder zwei Minuten, bis die Ligriden hier sind.« Braodyr stöhnte gequält. »Niemand hört uns ab! Es ist ein Kreuz mit dir! Du scheinst von deiner minderen Intelligenz auf andere zu schließen.« »Jetzt hat er es dir aber gegeben«, lästerte Mrothyr, der plötzlich wie verwandelt war. Von dem Mystischen, das ihn eben noch umgeben hatte, war nichts mehr zu spüren. Braodyr schaltete die Geräte ein, und wenig später erschien das Gesicht Chipols auf dem Bildschirm. Erstaunt blickte der Daila den Arkoniden an. »Was ist passiert?« fragte er. »Die Ligriden suchen euch. Sie haben mir gedroht, falls ich ihnen nicht helfe, und sie haben die STERNSCHNUPPE mit einem Fesselfeld umgeben.« »Und darauf hast du hoffentlich entsprechend reagiert«, entgegnete der Unsterbliche. Chipol lächelte übermütig. »Und ob ich das habe. Die STERNSCHNUPPE hat starke Defensivfelder aufgebaut. Wir können nicht starten, aber es kann auch niemand an Bord kommen, den wir nicht haben wollen.« »Ausgezeichnet«, lobte Atlan. »Wir melden uns später noch einmal.« Braodyr schaltete ab. Er fuhr zwei Arme aus und rieb sich die Hände. »Die Ligriden sind sauer«, freute er sich. »Sie kochen vor Wut. Etwas Besseres hätte nicht passieren können.« In diesem Moment jaulten die Lautsprecher auf. »Die Ligriden haben das Gespräch abgehört«, stammelte Braodyr. Er blickte Atlan an, als habe er diesen nie zuvor gesehen. »Wie konntest du das wissen?« »Was tun wir?« fragte Mrothyr. »Stellen wir uns, oder laufen wir vor ihnen weg?« »Wir haben keinen Grund, vor ihnen zu fliehen«, entgegnete der Arkonide. Braodyr griff nach seinem Arm.
»Wenn ihr jemals herausfinden wollt, wo Wrackbank ist, dann müßt ihr euch gegen sie stellen«, beschwor er ihn. Er glitt zu einer Schalttafel hinüber und legte einige Hebel um, drückte mehrere Knöpfe und schob zwei Regler nach oben. Im gleichen Moment begann der Raum sich zu bewegen. Atlan und der Zyrpher hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Braodyr preßte sich grinsend an den Boden und nahm einige weitere Schaltungen vor. »Das wird sie durcheinanderbringen«, verkündete er. »Sie werden vergeblich suchen, wo wir eben noch waren.« Der Raum sank wie eine Liftkabine in die Tiefe, hielt dann mit einem Ruck und schob sich zur Seite. Lautes Klicken und Scharren, Quietschen und Klirren zeigte an, daß er sich an anderen Metallkörpern vorbeischob. Dann wurde es wieder leise. Braodyr lachte dröhnend. »Sie finden uns nie«, rief er. »Sie sind Narren, denen die Phantasie fehlt.« Irgend etwas rastete ein, und der Raum kam zur Ruhe. Braodyr schaltete die Bildschirme ein. »Alles in Ordnung«, stellte er fest und lachte erneut. »Wir haben eine ganz andere Seite von Zinkoyon erreicht. Hier vermutet uns niemand.« »Und was jetzt?« fragte Mrothyr. »Nichts weiter«, erwiderte das bizarre Wesen. »Wir legen eine Ruhepause ein.« »Du scheinst etwas vergessen zu haben«, bemerkte Atlan. »Und das wäre?« Der Arkonide blickte ihn schweigend an. Braodyr schloß seine Augen und öffnete einige andere an anderer Stelle. Er versuchte, den Unsterblichen mit diesem Spiel zu verwirren. Atlan erkannte, daß sich unter den Hautfalten und -schuppen Braodyrs nicht zahllose Augen verbargen, sondern daß er diese ständig neu schuf, ebenso wie die ewig grinsenden Münder. »Also schön«, gab das Wesen seufzend nach. »Ich wollte dich zum Transmitter führen. Kein Problem. Es ist nicht weit von hier. Nach meinen Berechnungen brauchen wir nur noch etwa hundert Meter zu gehen.« Eine Tür öffnete sich, und Braodyr führte die beiden Männer über einen unbeleuchteten Gang und durch mehrere kleine Räume bis zu einem Verteiler, von dem mehrere Schotte abzweigten. Zögernd blieb er stehen. »Jetzt weiß ich nicht genau, wie es weitergeht«, sagte er. »Laßt mich überlegen.« »Aber nicht zu lange«, forderte der Zyrpher. »Außerdem solltest du darüber nachdenken, ob du uns Waffen besorgen kannst. Mir wäre erheblich wohler, wenn ich einen Energiestrahler hätte.« »Neue Technik, eh?« entgegnete Braodyr. Mrothyr blickte ihn erstaunt an. »Woher weißt du, daß ein Strahler ›neue Technik‹ für mich ist?« fragte er. »Du bist ein Zyrpher, richtig? Aha. Soweit ich weiß, schießt man auf Zyrph noch immer mit Pfeil und Bogen. Alles, was ein bißchen höher entwickelt ist, gehört zu den neuen Dingen, die euch so faszinieren.« In diesen Worten wurde die Verachtung deutlich, die Braodyr offenbar für die Zyrpher empfand. Mrothyr schien sie nicht bemerkt zu haben. »Weiter«, sagte Braodyr. »Wieso vertrödeln wir hier eigentlich unsere Zeit?« Er fuhr herum, als sich eine Tür hinter ihm öffnete. Zwei Ligriden kamen herein. Sie hielten schußbereite Waffen in den Händen. In diesem Moment berührte Braodyr eine Taste neben einer
anderen Tür, und diese glitt zur Seite. Atlan schrie entsetzt auf. Er spürte den Druckabfall, und er blickte durch die sich öffnende Tür in den Weltraum hinaus. Die beiden Ligriden stürzten zu Boden. Braodyr packte sie mit beiden Armen und schleuderte sie in den Weltraum hinaus. Die beiden Toten entfernten sich rasch. Atlan war wie gelähmt. Er beobachtete, wie ihre Körper in das Nichts hinausglitten und dann im Dunkel verschwanden. Unwillkürlich legte er eine Hand an den Hals, aber er spürte keinen weiteren Druckabfall. Er befand sich im Vakuum, trug keinen Schutzanzug und lebte dennoch. Auch Mrothyr starb nicht an den Folgen des Druckabfalls. Nur die beiden Ligriden waren ihm zum Opfer gefallen. Braodyr drückte die Taste erneut, und das Schott schloß sich. Rasch baute sich der normale Druck wieder auf. Der Zyrpher würgte. Er wich bis an die Wand zurück und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Du hättest mich töten können«, sagte er zu Braodyr. »Warum hast du es nicht getan?« »Dafür ist es noch zu früh«, entgegnete das seltsame Wesen. Es schnaufte laut, klappte einige Schuppen hoch und blickte die beiden Männer mit Augen an, deren Farben ständig wechselten. Damit versuchte er, sie abzulenken. Doch es gelang ihm nicht. »Du kannst dich und uns gegen das Vakuum abschirmen«, bemerkte der Arkonide. »Eine erstaunliche Fähigkeit. Kannst du in den Weltraum hinausgehen und dich dort einige Zeit lang halten?« »Nein«, erwiderte Braodyr. »Ich kann überhaupt nicht gehen. Fragen stellst du!« Er öffnete eine andere Tür und glitt in einen Gang hinein. »Los. Beeilt euch«, rief er. »Glaubt ihr vielleicht, die Ligriden merken nicht, daß ihnen zwei Leute fehlen?« »Du hättest ihnen die Waffen abnehmen können«, sagte Mrothyr, während sie dem grauen, faltigen Wesen folgten, das sich wie ein drei Meter hoher Hautkegel durch den Gang schob. »Das wäre etwas kompliziert gewesen«, wehrte Braodyr ab. »Außerdem – was wollt ihr mit Waffen? Ihr habt doch mich.« Mrothyr schimpfte leise vor sich hin. Ab und zu blickte er Atlan an, der ungewöhnlich blaß war. Der Arkonide spürte die Nachwirkungen des Schocks, den er erlitten hatte, als er plötzlich im Vakuum gewesen war. Er versuchte, sich darüber klar zu werden, ob es wirklich so gewesen war, wie er es gesehen hatte, oder ob er das Opfer einer Halluzination gewesen war. Vielleicht hatte Braodyr ihnen nur vorgegaukelt, daß zwei Ligriden erschienen waren? Du weißt, daß es wirklich geschehen ist, mahnte ihn der Logiksektor. Finde dich endlich damit ab und achte auf das, was jetzt geschieht. Er beschleunigte seine Schritte, um zu Mrothyr und Braodyr aufzuschließen. Zusammen mit ihnen betrat er eine Liftkabine und sank darin nach unten. »Wir sind gleich da«, verkündete Braodyr. »Der Lift bringt uns bis unmittelbar an den Transmitter heran. Dann werden wir ja sehen, ob die Gelegenheit günstig ist. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit für dich.« Sie schwiegen, bis der Lift zum Stehen kam. Dann traten sie in eine weite Lagerhalle hinaus, in der sich die Waren bis unter die Decke stapelten. Roboter und fremdartige Wesen arbeiteten hier. Sie nahmen Waren in Empfang, die über Antigrav-Gleiter hereinkamen, lagerten sie ein oder führten sie direkt dem riesigen Transmitter zu, der im Hintergrund der Halle stand. Es war ein Gerät, das aus vier mächtigen Torbögen bestand. Zwischen ihnen baute sich in schneller Folge das schimmernde
Transportfeld auf, in dem die Waren abgestrahlt wurden. »Glaubst du, daß wir es unter diesen Umständen riskieren können, uns den Transmitter anzusehen?« fragte Atlan. »Unter welchen Umständen denn sonst?« erwiderte Braodyr unwirsch. »Glaubst du, du kannst irgend etwas ausrichten, wenn hier kein Betrieb ist? Das bilden die Ligriden sich offenbar auch ein, denn während der Pausen bewachen sie den Transmitter hundertmal besser als während der Betriebszeit. Sie glauben, daß sich niemand an den Transmitter heranwagt, wenn soviel Betrieb ist.« Unter den Arbeitern befanden sich auch mehrere Zyrpher und andere humanoide Gestalten. Atlan und Mrothyr griffen sich einige Warenpakete und schulterten sie, um sie zu einem anderen Stapel zu schleppen. Braodyr zögerte, machte es dann jedoch ebenso. Als sie die Waren abgelegt hatten, nahmen sie andere Transportgüter und trugen sie in Richtung Transmitter. Vier Ligriden kamen ihnen entgegen. »Nach rechts«, wisperte der Arkonide. Er zog eine Antigravplattform zu sich heran, belud sie rasch und schob sie dann nach rechts davon. Mrothyr und Braodyr gingen dahinter in Deckung. Dann waren die Ligriden auch schon heran. Sie redeten leise miteinander, wichen der Plattform aus und entfernten sich, ohne Verdacht geschöpft zu haben. Mrothyr wäre fast mit einem Zyrpher zusammengeprallt. Er war versucht, mit dem Mann zu reden, verzichtete jedoch darauf, als Atlan ihm einen mahnenden Stoß in den Rücken versetzte. »Durch nichts ablenken lassen«, flüsterte der Arkonide. »Weiter.« Sie arbeiteten sich voran, ohne Aufsehen zu erregen. Wenig später gelang es ihnen, an zwei ligridischen Posten vorbeizukommen, die allerdings nicht besonders aufmerksam waren. Selbst eine so ungewöhnliche Erscheinung die Braodyr erregte hier kein Aufsehen. Die Ligriden fühlen sich sicher, erkannte das Extrahirn. Sie sind selbst durch den Alarm nicht aufmerksam geworden. Dann trennten sie nur noch etwa hundert Meter von dem Transmitter, der bis zu einer Höhe von etwa vierzig Metern aufragte. Ein Strom von Waren ergoß sich in ihn. Ständig leuchtete das rote Transportfeld auf, und die darin abgelegten Waren verschwanden. Kaum war das Transportfeld erloschen, als sich auch schon Roboter und Arbeiter unterschiedlichster Art mit weiteren Waren in das Quadrat zwischen den vier Torbögen begaben, um dort weitere Transportbehälter abzustellen. Undenkbar, daß nicht festzustellen ist, wohin diese Sachen abgestrahlt werden, erklärte der Logiksektor. Der Transmitter muß auf stets die gleiche Gegenstation ausgerichtet sein, und die kosmischen Koordinaten dieser Gegenstation müssen in der Steuerleitzentrale des Transmitters ausgewiesen werden. Die Steuerleitzentrale befand sich etwa vierzig Meter neben dem Transmitter in einer Nische der Halle. Sie wurde von einem Ligriden bewacht, der einen gelben Schutzhelm trug. Der Mann saß an einem Schaltpult, das etwa sieben Meter lang war. Zahllose Farbsymbole leuchteten darauf. Atlan stutzte. Warum war diese Anlage so umfangreich? Warum so kompliziert? Transmitter waren die Erzeugnisse einer hochentwickelten Technik. Nur wenige Völker hatten eine solche Technik hervorgebracht. Das waren die Völker, die die Fähigkeit hatten, über mehr als vier Dimensionen hinauszudenken. Sie aber hatten gleichzeitig auch eine Positronik entwickelt, die alle Steuerprozesse mühelos bewältigte. Transmitter, die von dieser Positronik überwacht und geschaltet wurden, waren unendlich viel leistungsfähiger und sicherer als andere, die von Menschen überwacht wurden. Es ist nichts als ein Bluff, stellte der Logiksektor fest. Ein Trugbild, mit dem Neugierige getäuscht
werden sollen. Unter dem Schaltpult verbirgt sich die Positronik, die in Wahrheit alles überwacht und regelt. Es konnte nicht anders sein. Atlan bemerkte einen Ligriden, der, etwa zehn Meter von ihm entfernt zwischen zwei Containern stand. Der Mann wandte ihm den Rücken zu. Er näherte sich ihm lautlos, setzte unmittelbar hinter ihm eine Kiste ab und drängte ihn dann tiefer in den Spalt zwischen den Containern. Der Ligride blickte ihn entsetzt an. Atlan riß ihm den Helm vom Kopf und fällte ihn mit einem einzigen Hieb gegen den Schädel. »Nicht schlecht«, lobte Braodyr, der ihm gefolgt war. »Und was kommt jetzt?« Atlan stülpte sich den Helm über den Kopf, streifte dem Ligriden die Uniformjacke ab und zog sich diese selbst über. Dann nahm er die Waffe des Ligriden in die Hand. »Los. Versteckt ihn hier irgendwo und sorgt dafür, daß er uns nicht stören kann«, sagte der Arkonide. »Ich brauche nur ein paar Minuten.« Er überquerte einen Gang und betrat dann die Schaltzentrale. Der Ligride am Pult blickte kaum auf. Er schien damit gerechnet zu haben, daß jemand zu ihm kam. »Alles in Ordnung«, erklärte er gelangweilt. Atlan blickte durch die Panzerplastscheibe in die Halle. Niemand schien zu ihnen hinzusehen. Er legte dem Ligriden von hinten die Hände um den Hals und drückte kräftig zu. Gleichzeitig riß er ihn aus dem Sessel und warf ihn auf den Boden. Der Ligride verlor augenblicklich das Bewußtsein. Atlan setzte sich ans Pult. Er spähte in die Halle hinaus. Niemand war aufmerksam geworden. Jetzt begann er damit, das Schaltpult zu untersuchen, und er fand schon bald bestätigt, daß es nichts als eine Attrappe war. Zugleich kam er zu dem Schluß, daß diese mit allerlei Fallen gespickt war. Vorsicht! warnte der Logiksektor. Wenn du den falschen Knopf drückst, löst du einen Alarm aus. Er untersuchte die Anlage und entdeckte schon bald die ersten Fallen. Er konnte sie umgehen und schließlich eine Deckplatte ablösen. Darunter war die Positronik verborgen, welche die Arbeit tatsächlich leistete. Aus, erkannte das Extrahirn. Hier kommst du nicht mehr weiter. Die positronische Schaltung war mehrfach abgesichert und versiegelt. Er konnte die Daten über die Empfangsstation, die sicherlich irgendwo in der Positronik gespeichert waren, nicht entnehmen, ohne einen Alarm auszulösen. Er erhob sich und verließ den Steuerraum. Er hatte keine Chance, die Daten zu ermitteln, denn er brauchte wenigstens eine Stunde Zeit, um zum Ziel zu kommen. Die würde ihm jedoch auf keinen Fall bleiben, wenn er erst einmal einen Alarm ausgelöst hatte. Er kehrte zu Mrothyr und Braodyr zurück, streifte die ligridische Jacke ab und legte den Helm beiseite. »Ergebnis gleich null«, meldete er. »Die Daten sind zu gut abgesichert.« »Gibt es nur diese eine Möglichkeit?« fragte Mrothyr. »Kann man es nicht auch mit einer anderen Positronik versuchen?« »Nein, ausgeschlossen«, erwiderte der Arkonide. »Du kennst dich mit der ›neuen Technik‹ aus, du mußt es wissen.« »Er weiß es«, polterte Braodyr. »Verlaß dich drauf. Kommt. Wir ziehen uns zurück. Es wird Zeit.«
Er zeigte zu einigen Ligriden hinüber, die unruhig zwischen einigen Warenstapeln hin und her liefen. Man war offenbar aufmerksam geworden. Wieder mischten sie sich unter die Arbeiter und entfernten sich allmählich vom Transmitter. Währenddessen kamen immer mehr Ligriden in die Halle, und plötzlich schrillten die Alarmsirenen. Mrothyr ließ die Kiste fallen, die er gerade auf der Schulter trug, und folgte Braodyr und Atlan zu einer Tür. Unbemerkt schlüpften sie hindurch. Der Zyrpher legte Atlan die Hand auf den Arm. »Ich muß dir noch etwas sagen«, wisperte er. »Was gibt es denn, Mrothyr?« »Braodyr hat den Ligriden erschlagen, dem du den Helm abgenommen hast«, eröffnete der Zyrpher ihm. »Es war unnötig. Aber er hat es getan.« Die Tür schloß sich hinter ihnen. Braodyr hatte einen Vorsprung von fast zwanzig Metern vor ihnen. »Er ist gefährlich«, wisperte Mrothyr. »Viel gefährlicher, als du ahnst.« Er hob die Hände, und für einen kurzen Moment sah Atlan eine grüne Flamme zwischen ihnen auflodern. »Er muß ein Priester des grünen Feuers sein«, fuhr der Zyrpher fort. »Einem Wesen wie ihm darf man nicht vertrauen. Er wird uns sofort verraten, wenn es ihm nützt. Priester wie er haben nur ein Ziel. Sie wollen das grüne Feuer bewahren.« »Was ist das grüne Feuer?« fragte der Arkonide eindringlich. »Ich werde dir später erzählen, was ich weiß«, versprach Mrothyr. »Jetzt ist nicht die Gelegenheit dazu.« Sie folgten dem geheimnisvollen Braodyr bis in sein Versteck. »Sie werden uns nicht finden«, erklärte dieser. »Legen wir also eine Ruhepause ein. Sie wird uns allen guttun.« Mrothyr setzte sich auf den Boden. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, zog die Beine hoch an den Körper, legte die Arme über die Knie und ließ den Kopf auf die Arme sinken. Es sah aus, als ob er schliefe. Doch er schlief nicht. Seine Gedanken gingen zurück nach Zyrph. Er dachte daran, was geschehen war, als er mit siebzehn zum ersten Mal das grüne Feuer gesehen hatte.
3. Mrothyr erwachte, als das Schiff plötzlich schwankte. Im ersten Augenblick dachte er, es sei gegen ein Riff gelaufen, doch dann wußte er, daß etwas geschehen sein mußte, was noch viel bedeutungsvoller war. Er blickte zu seinem Vater hinüber, der in der Koje neben ihm lag und schlief. Er hatte nichts bemerkt, und seine Mutter, die einige Meter entfernt von ihnen ruhte, ebenfalls nicht. Mrothyr stieg aus dem Bett. Nur mit einer Hose und einem Hemd bekleidet verließ er die Kabine und trat auf einen Gang hinaus. Von hier aus führte eine schmale Treppe zum Deck des Schiffes hinauf. Er hörte, wie Holz und Takelage in Wind und Wellen arbeiteten, aber er achtete nicht darauf. Ein eigenartiger Geruch drang ihm in die Nase und rief Widerwillen hervor. »Was ist los?« fragte eine helle Stimme neben ihm. Er fuhr herum. »Bethanrty – warum schläfst du nicht?« wisperte er. »Ich weiß nicht«, antwortete das junge Mädchen. »Irgend etwas hat mich geweckt.« Sie blickte ihn mit großen, ängstlichen Augen an. Bethanrty hatte langes, feuerrotes Haar und sinnlich aufgeworfene Lippen. Sie trug nur einen dünnen Hosenanzug über der nackten Haut. Ihre weiblichen Formen zeichneten sich weich darunter ab. Er war versucht, das Mädchen in seine Arme zu ziehen und alles andere zu vergessen. Als er jedoch die Arme nach ihr ausstreckte, drückte sie ihn sanft zurück. »Bitte nicht, Mrothyr«, hauchte sie. »Ich habe Angst.« Von Deck her ertönte ein erstickter Schrei. Mrothyr zuckte zusammen. Er eilte geduckt die Treppe hoch und blickte auf das Deck hinaus. Bethanrty war ihm gefolgt. Sie krallte entsetzt ihre Finger in seinen Arm, als sie den Kapitän sah. Kapitän Gorshkhan war als einziger an Deck. Er stand am Ruder und hielt sich mit beiden Händen daran fest. Grüne Flammen umzüngelten ihn von Kopf bis Fuß, und seine Augen leuchteten wie grüne, glühende Kohlen. Sein Haar flatterte ebenfalls grün im Wind, aber es löste sich von seinem Schädel, und die Haarfetzen flogen zuckend davon und verschwanden im Dunkel. Eigenartige Schreie – wie von einem großen Vogel - übertönten das Rauschen der Wellen. »Mrothyr, was ist das? Was ist mit ihm?« stammelte Bethanrty. »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Es muß das grüne Feuer sein, das Prhoum verpestet hat«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Alle reden davon, daß die Leute von Prhoum an der grünen Pest sterben.« »Bethanrty, wir sind über fünfhundert Kilometer von der Küste von Prhoum entfernt«, gab er zu bedenken. »Es kann nicht sein.« Er erinnerte sich an alles, was er von dem geheimnisvollen grünen Feuer oder der grünen Pest gehört hatte. Erschreckende Nachrichten waren von dem kleinen Inselkontinent Prhoum gekommen. In ihnen hatte es geheißen, daß die Bevölkerung von ursprünglich zehntausend auf nur noch etwa tausend abgesunken sei, und daß von diesen viele zu fliehen versuchten. Der grüne Drache, von dem in den alten Sagen und Legenden der Volksstämme von Prhoum die Rede war, sollte aus einem Bergwerk hervorgekommen sein und sich im Drachentempel von Prhoum eingenistet haben. Von dort aus sollte er seine Schreckensherrschaft ausüben. Doch bis jetzt hatte Mrothyr diesen Gerüchten keinen Glauben geschenkt, und auch seine Eltern hatten das nicht getan. Sie hatten genügend damit zu tun gehabt, sich gegen die Machenschaften der
großen Handelsorganisationen zu behaupten, die mehr und mehr die Macht über den Planeten Zyrph an sich gerissen und damit Elend und Verarmung über weite Teile der Bevölkerung gebracht hatten. Doch jetzt wußte Mrothyr nicht mehr, was er von diesen Gerüchten halten sollte. Er hatte noch nie einen Menschen oder überhaupt irgend etwas gesehen, das in einem grünen Feuer verbrannte. Mit dem Gedanken an Feuer verband sich für ihn hauptsächlich die Farbe Rot. Der Kapitän warf die Arme in die Höhe. Er öffnete den Mund und schrie wie in höchsten Qualen. Dann wurde das Grün der Flammen noch intensiver, und er brach auf den Planken des Schiffes zusammen. Sein Körper löste sich auf. Grüne Glutstücke wehten über das Wasser hinaus. Wieder hallten jene seltsamen Schreie über das Meer, die von einem großen Vogel zu stammen schienen. »Was ist das?« fragte Bethanrty furchtsam. »Mrothyr, so etwas habe ich noch nie gehört.« Das Ruder drehte sich wie rasend, und das Schiff legte sich quer zum Wind. Dann schlug es krachend gegen ein Hindernis im Wasser. Mrothyr und das Mädchen verloren den Halt. Sie wirbelten über das Deck, stürzten auf die Planken, rafften sich auf und versuchten sich am Mast festzuhalten, stürzten erneut, rollten über Deck und fielen dann in eine aufgesprungene Ladeluke. Sie kamen weich auf, da das Schiff mit Getreidesäcken beladen war. Sie konnten sich jedoch nicht wieder aufrichten, denn ein weiterer Stoß traf das Schiff, und die Ladung verrutschte. Einige Säcke rollten über die beiden jungen Zyrpher und begruben sie unter sich. Bethanrty klammerte sich an Mrothyr. »Ruhig«, sagte er mühsam. »Es wird alles gut werden.« Vergeblich versuchte er, sich zu befreien, während das Schiff wieder und wieder von harten Stößen getroffen wurde und beängstigend in den Wanten krachte. Teile der Takelage zerrissen und flogen davon, und während ein unheimliches Heulen von See kam, wurde es heller und heller. Es leuchtete grün wie das Feuer, das den Kapitän verbrannt hatte. Mrothyr und das Mädchen blickten mit ängstlich geweiteten Augen durch das Luk nach oben. Sie sahen Teile des Mastes und der Takelage, und alles färbte sich grün. »Wir verbrennen«, stammelte Bethanrty. »Wir müssen sterben.« »Nein«, flüsterte er. »Sei ganz ruhig. Ich weiß nicht, was da oben ist, aber ich bin sicher, es verschwindet bald wieder.« »Ich will raus.« »Nein, wir bleiben hier.« Sie wehrte sich und versuchte, freizukommen, aber er hielt sie fest. »Sei still«, bat er. »Wahrscheinlich sind wir hier unten sicherer als sonstwo. Niemand vermutet uns hier.« Sie vernahmen Schritte und die Schreie der Männer und Frauen an Bord. Grüne Funken sprühten über das Deck hinweg, und das Heulen wurde lauter. Dann aber wurde es plötzlich still, und das grüne Leuchten verschwand. »Es ist vorbei«, sagte er. Es wurde drückend heiß, und ein intensiver, unangenehmer Geruch breitete sich aus. Die beiden Zyrpher verloren das Bewußtsein. * Mrothyr und das Mädchen wußten nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie schließlich aus der
Ohnmacht erwachten, sich befreiten und an Deck gingen. Das Schiff lag schräg auf Grund, kaum fünfzig Meter von einem feinen Sandstrand entfernt. Es war fast windstill, und das Wasser war ruhig. Die beiden jungen Zyrpher eilten voller Angst zu den Kabinen ihrer Eltern, fanden jedoch niemanden mehr vor. Sie waren allein auf dem Schiff, das vor der Küste von Prhoum auf Grund gelaufen war. Daß sie sich vor Prhoum befanden, daran zweifelte keiner von ihnen, denn am Ufer wuchsen Dutzende von doppelstämmigen Affenbäumen, und die gab es nur auf dem Inselkontinent Prhoum. Mrothyr erfaßte sofort, weshalb man diesen Bäumen diesen Namen gegeben hatte, denn sie sahen tatsächlich aus wie riesige Affen, die krummbeinig am Ufer standen. Die beiden aus der Erde emporragenden Wurzeln vereinigten sich in einer Höhe von etwa zwei Metern zu einem Stamm. Von diesem hingen sechs bis acht dicke Äste herunter, die aus der Ferne aussahen wie Arme. Auf dem Wipfel eines jeden Affenbaums wuchs eine blaue, kugelförmige Blüte, die man mit einiger Phantasie als Kopf ansehen konnte. »Es sieht tatsächlich aus, als hätte sich hier eine Horde von Affen am Ufer zusammengerottet«, sagte Bethanrty. »Ich hätte nie gedacht, daß ich diese Bäume einmal mit eigenen Augen sehen würde.« »Wo sind unsere Eltern?« fragte Mrothyr. »Wo ist die Besatzung? Ob sie alle von Bord entführt haben? Und warum?« »Jemand wollte die Ladung stehlen«, erwiderte sie. »Nein, das glaube ich nicht«, entgegnete er. » Die ist noch da. Man hat nichts mitgenommen. Auch den großen Stromgenerator, den mein Vater entwickelt hat, haben sie nicht angefaßt. Ich dachte es ging um ihn, weil er für die Energiewirtschaft so außerordentlich wichtig ist. Aber das war ein Irrtum. Es fehlen nur die Menschen.« »Und uns haben sie übersehen, weil wir unter den Säcken begraben waren.« Mrothyr ging zum Ruder. Erschauernd sah er auf die Brandflecken, die das grüne Feuer zurückgelassen hatten, als der Kapitän in Flammen aufgegangen war. »Was ist hier passiert?« murmelte er, ohne eine Antwort von dem Mädchen zu erwarten. »Ich kann mir das nicht erklären.« »Es war die grüne Pest«, erwiderte sie. »Jetzt ist mir alles klar. Das Schiff ist weit vom Kurs abgewichen. Es ist der Küste von Prhoum zu nahe gekommen, und da hat uns die grüne Pest erfaßt. Wir haben ihren grünen Atem gesehen.« Er lachte zornig auf. »Und was ist die grüne Pest?« fragte er. »Pest – das klingt nach Krankheit. Ich kenne aber keine Krankheit, die Menschen entführt.« Sie durchsuchten das Schiff noch einmal von oben bis unten, entdeckten jedoch nichts, was ihnen weitergeholfen hätte. Bethanrty blieb ständig bei Mrothyr. Sie hatte Angst, allein zu bleiben und achtete ängstlich darauf, daß er nie weiter als zwei oder drei Schritte von ihr entfernt war. Mrothyr dachte an seine Eltern. Er war in höchster Sorge um sie. Ein inniges Gefühl hatte ihn stets mit ihnen verbunden, und niemand auf der Welt hatte ihm mehr bedeutet als sie. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht bei ihnen gewesen war, als das grüne Licht über das Schiff gekommen war, obwohl er wußte, daß er ihnen nicht hätte helfen können, und daß es seine Aufgabe gewesen war, Bethanrty zu beschützen. Seine Eltern hätten nichts anderes von ihm erwartet. Doch jetzt wollte er nicht länger untätig bleiben. Er war entschlossen, ihnen zu folgen, wohin auch immer sie gegangen waren. Seine Eltern waren von gewissenlosen Geschäftemachern in die Enge getrieben worden. In ihrer Not hatten sie alle Kräfte mobilisiert, das Restvermögen aufgelöst und ein Handelsgeschäft
eingeleitet, das nicht nur Rettung vor dem Ruin versprach, sondern auch die Energieprobleme von Zyrph verringern konnte. Sie hatten sich nach allen möglichen Seiten hin abgesichert, um nicht betrogen zu werden, und doch waren sie verraten worden. Das Schiff war vom vereinbarten Kurs abgewichen, und damit hatte irgend jemand anderen in die Hände gespielt, die vom Kontinent Prhoum aus operierten. Mrothyr glaubte nicht an übernatürliche Kräfte oder ungreifbare Dinge. Dazu war er zu sehr Realist. Haß kam in ihm auf. Das Schiff war nicht auf offener See gesunken. Ein glücklicher Umstand hatte es in allem Unglück an die Küste von Prhoum geführt. Falls seine Eltern noch lebten, mußten sie ebenfalls auf diesem Kontinent sein. Irgendwann würde ein Bergungskommando erscheinen und die Ladung stehlen. Daran zweifelte Mrothyr nicht. Welche Pläne auch immer jene geheimnisvollen Kräfte haben mochten, die sich hinter dem grünen Feuer verbargen – die Ladung würden sie sich ganz sicher nicht entgehen lassen. »Woran denkst du?« fragte Bethanrty. »An meine Eltern«, erwiderte er. Sie erschrak, als sie seine Augen sah. »Du willst sie rächen!« »Rächen kann man nur jemanden, der schon tot ist, und ich glaube nicht, daß man sie getötet hat. Man hat sie verschleppt.« »Aber wohin?« Er deutete zum Ufer hinüber. »Nach Prhoum. Wohin sonst? Hast du nicht selbst gesagt, daß es Gerüchte über Prhoum gibt? Über die grüne Pest?« Sie erschauerte vor Furcht. »Wir haben wohl keine andere Wahl, nicht?« »Nein. Die haben wir nicht. Wir müssen an Land gehen. Wir müssen zum Drachentempel von Prhoum.« »Nein. Das nicht«, stöhnte sie. »Ich bin sicher, daß alles Übel vom Drachentempel ausgeht«, entgegnete er. »Und ich werde dorthin gehen. Du kannst dich hier irgendwo in der Wildnis verstecken. Die wilden Tiere, Hunger und Durst werden dich schon nach einigen Tagen zur Vernunft bringen.« »Du bist ein Scheusal.« Er lächelte, zog sie an sich und küßte sie sanft auf die Wange. »Ich möchte dich beschützen«, sagte er, »aber ich will mich nicht mit dir verkriechen und darauf warten, daß unsere Feinde uns umbringen. Sie rechnen nicht damit, daß noch jemand an Bord ist, den sie nicht entdeckt haben. Sie wissen nichts von uns. Und das ist unser Vorteil. Ich gedenke, ihn zu nutzen.« »Wir müssen nach Waffen suchen«, sagte sie ergeben. »Ich glaube, in der Kapitänskajüte habe ich welche gesehen.« Sie eilten unter Deck und fanden tatsächlich eine leichte Armbrust und dreißig Stahlpfeile dazu. In einer Schublade lag eine Pistole für Explosivgeschosse, doch diese Waffe war nutzlos für sie, weil sie keine Munition dafür hatten. Sie steckten sich noch zwei Messer ein und packten Proviant zusammen. Dann gingen sie von Bord. Sie stiegen in ein Rettungsboot, fuhren damit an den Strand
und stießen das Boot dann in die Strömung zurück, von der es hinweggeschwemmt wurde. »Wenn jemand kommt, um die Ladung wegzuholen«, sagte Mrothyr, »dann erkennt er jedenfalls nicht auf den ersten Blick, daß noch jemand an Bord war und sich in Sicherheit gebracht hat.« * »Das ist er«, sagte Mrothyr einige Stunden später, als Bethanrty und er eine Paßhöhe erreicht hatten, von der aus sie ein weites, dichtbewaldetes Tal sehen konnten. »Der Drachentempel.« Tief unter ihnen erhob sich auf einem Bergkegel ein Bauwerk aus mächtigen Steinquadern. Auf zahllosen Masten flatterten farbenprächtige Flaggen, doch sie konnten den düsteren Gesamteindruck nicht verwischen, den der Bau auf die beiden jungen Zyrpher machte. An sechs Ecken des Tempels erhoben sich mächtige Türme, die wie Drachenköpfe aussahen. Die Fenster einiger Türme leuchteten im Widerschein der tiefstehenden Sonne wie glühende Augen. »Warte hier auf mich«, sagte er. »Ich gehe ein Stück voraus und komme dann gleich wieder. Ich möchte nicht, daß wir irgendwelchen Wachen in die Arme laufen.« Er reichte ihr die Armbrust, nachdem er die Waffe gespannt hatte, und legte einen Pfeil ein. »Für den Notfall«, lächelte er. »Aber schieß nicht auf mich, wenn ich komme.« »Keine Angst.« Sie schmiegte sich an ihn und drückte ihre Wange gegen die seine. Dann gab sie ihn frei. Er eilte davon und drehte sich nur noch einmal kurz um. Sie winkte ihm zu. Mrothyr entdeckte wenig später einen Pfad, der steil in die Tiefe führte. Von einem Felsen aus konnte er ihn fast auf seiner ganzen Länge einsehen. Niemand hielt sich darauf auf. Der Pfad führte zumeist durch dichtes Unterholz und lag nur an wenigen Stellen so frei, daß man ihn von dem Tempel aus einsehen konnte. Es hätte den jungen Zyrpher nicht überrascht, wenn an einigen markanten Stellen Wachen gestanden hätten. Doch das war nicht der Fall. Offenbar fühlte man sich im Tempel so sicher, daß man Wachen nicht für nötig hielt. »Ihr werdet euch noch wundern«, sagte er. Plötzlich ertönte ein schriller Schrei. Erschrocken fuhr er herum. Das war Bethanrty gewesen. Sie war in Gefahr. Er stürzte sich ins Unterholz und arbeitete sich in rasender Eile den Berg hoch. Für eine Wegstrecke, für die er zuvor fast eine halbe Stunde gebraucht hatte, benötigte er nun kaum fünf Minuten. Schwer atmend erreichte er die Paßhöhe. Er sah Bethanrty. Sie stand zwischen den Felsen und hielt die Armbrust mit beiden Händen quer vor den Oberschenkeln. Ihr Hosenanzug wies einen Riß auf, der von der Schulter bis zu den Hüften reichte. Blut sickerte aus der Schulter. Das rote Haar war zerzaust wie nach einem heftigen Kampf. »Bethanrty«, rief er. »Was ist passiert?« Sie blickte ihn mit angstgeweiteten Augen an. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie brachte keinen Ton hervor. Mrothyr begriff, daß sie unter Schock stand. Er drehte sich um, und dann sah er, was sie so erschreckt hatte. Es war ein kleines Tier, wie er noch nie eines gesehen hatte. Es war etwa 60 Zentimeter groß und fast ebenso breit, und es hatte einen langhaarigen, olivgrünen Pelz, vier kurze, dicke Beine und zwei kurze Arme, die in hornigen Krallenhänden endeten. Mrothyr zählte sieben Finger. Die beiden großen, kohlschwarzen Augen waren ohne Leben. Das Wesen sah auf den ersten Blick geradezu poussierlich aus, aber der junge Zyrpher ahnte, daß es das nicht war. Es hatte Bethanrty nicht nur maßlos erschreckt, sondern auch mit seinen Krallen verletzt.
Der Pfeil war dem Tier in die Brust gedrungen und hatte offenbar das Herz durchschlagen. Er ging wieder zu Bethanrty und nahm ihr die Armbrust ab. »Nun sag schon, was passiert ist«, bat er und zog sie in seine Arme. Beruhigend streichelte er ihr den Rücken, und er fühlte, wie sich ihr innerer Krampf löste. »Es war schrecklich, Mrothyr«, stammelte sie. »Das Wesen war plötzlich da. Es sprang über den Felsen dort hinweg.« Sie zeigte auf einen Felsen, der etwa drei Meter hoch war. »Über den?« fragte er verwundert. »Bist du sicher?« »Ja, es konnte wirklich so hoch springen. Es schrie mir zu, ich solle verschwinden.« Mrothyr schob das Mädchen von sich. »Es ist kein Tier?« fragte er. »Es hat wirklich gesprochen?« »Nein, es ist kein Tier. Es hat den Befehl wiederholt, aber ich konnte mich nicht bewegen. Da wurde es wütend und hat den Baum dort durchtrennt. Mit einem Schlag und mit der bloßen Hand.« Sie zeigte auf einen zersplitterten Baum. Der Stamm war etwa acht Zentimeter dick. Mrothyr konnte sich noch nicht einmal vorstellen, daß jemand kräftig genug war, einen solchen Stamm mit Hilfe einer Axt mit einem Schlag zu durchtrennen. Und dieses Wesen sollte es mit der bloßen Hand getan haben? »Das Wesen sprang in die Höhe. Einfach so. Mindestens drei Meter hoch. Und es schrie, es würde mich töten, wenn ich nicht gehe. Da habe ich geschossen. Es merkte sofort, was ich wollte, und es sprang auf mich zu. Aber der Pfeil war schneller.« Mrothyr schüttelte fassungslos den Kopf. Er ging zu dem grünen Wesen hinüber und untersuchte es erneut. Bisher hatte er lediglich bei Insekten vier Beine gesehen, nicht aber bei einem so großen Lebewesen. Und er hatte noch nie von einem Lebewesen gehört, das sieben Finger hatte. »Was ist das?« fragte Bethanrty. »Ein Dämon?« »Ich glaube nicht, daß man einen Dämon mit einem Pfeil töten kann«, erwiderte er. »Aber was ist es dann? Du weißt, daß ich eine Menge von Biologie verstehe. Dieses Geschöpf ist mit nichts anderem verwandt, was es auf unserem Planeten gibt.« »Eine Mutation vielleicht?« »Das ist natürlich möglich, aber daran glaube ich nicht.« Er setzte sich ins Gras, weil er plötzlich das Gefühl hatte, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können. »Du hast von den Gerüchten gehört, daß Wesen von den Sternen nach Zyrph gekommen sind?« fragte er. Sie lächelte, da sie diesen Gedanken zunächst gar zu abwegig fand, doch ihr Lächeln erlosch sehr schnell. »Ich habe davon gehört, aber ich habe es wirklich nur für ein albernes Gerücht gehalten.« »Man redet davon, daß diese Fremden Geschäfte mit uns machen, und daß deshalb viele Wirtschaftsbereiche in den Ruin getrieben worden sind. Wenn wirklich Fremde von den Sternen gekommen sind, dann würde dies auch erklären, daß neue Techniken aufgetaucht sind, die es bisher noch nicht gab.« »Dann sind diese Fremden für das grüne Feuer verantwortlich?« Mrothyr sprang auf.
»Es sieht verdammt danach aus.« Er griff nach der Hand des Mädchens und zog sie mit. »Weg hier, Bethanrty. Ganz gleich, was das für ein Wesen ist, es ist sicherlich nicht allein. Und wenn die anderen sehen, daß wir es getötet haben, werden sie versuchen, sich zu rächen.« Sie begriff, und das Blut wich aus ihren Wangen. Sie wurde aschgrau. Ängstlich rannte sie mit ihm durch das Unterholz zu dem Pfad hinüber. Sie flüchtete mit ihm ins Tal, und es dauerte nicht lange, bis sie ein eigenartig schrilles Geschrei hinter sich hörten. Es bestätigte ihnen, daß Mrothyr recht hatte mit seinen Befürchtungen. So fremdartig das Geschrei auch war, sie hörten doch Trauer, Haß und Wut heraus. Sie blieben stehen und preßten sich gegen die Felsen. »Keine Mutation. Kein Einzelwesen. Es sind Fremde«, sagte Mrothyr. Einige Minuten vergingen, und sie wollten bereits weitergehen, da schwebte eine silbrig schimmernde Maschine lautlos über sie hinweg. Sie war etwa zehn Meter lang, hatte einen völlig glatten Boden und eine gläserne Kuppel. Darunter waren die Gestalten von wenigstens zwanzig dieser fremden, grünen Wesen zu erkennen. Sie hätten sie ganz sicher entdeckt, wenn sie sich aus ihrem Versteck gelöst hätten und weitergelaufen wären. Wie benommen beobachteten sie die Maschine, die zum Drachentempel hinüberflog. Sie konnten sich nicht erklären, daß diese fliegen konnte, da weder ein Motorengeräusch zu vernehmen war noch Flügel vorhanden waren. »Es sieht aus, als wäre es von jeglicher Schwerkraft befreit«, staunte sie, ohne zu ahnen, daß sie damit ins Schwarze getroffen hatte. Mrothyr hob die Armbrust. Er zielte auf die Maschine, ließ die Waffe dann jedoch wieder sinken. Er sah ein, daß er die fremdartigen Wesen nicht angreifen durfte, bevor er wußte, ob er mit seiner Waffe überhaupt etwas gegen sie ausrichten konnte. Die Maschine flog zum Tempel hinüber und landete in einem der Innenhöfe. »Was tun wir jetzt?« fragte Bethanrty. »Wir gehen zum Tempel«, erwiderte er. »Unsere Eltern sind dort und ich möchte wissen, was diese Fremden mit ihnen gemacht haben.«
4. Ein Schrei hallte durch das Tal. Er ließ Mrothyr und das Mädchen entsetzt zusammenfahren. Instinktiv suchten sie hinter einigen Büschen Schutz. Dann hörten sie es rauschen, und ein Schatten glitt über sie hinweg. Während Bethanrty sich furchtsam zusammenkauerte und das Gesicht in den Händen vergrub, blickte Mrothyr nach oben. Er sah ein gewaltiges Flugwesen über sich hinweggleiten. Scharfe Krallen fuhren durch das Laubwerk über ihm und verfehlten ihn nur, weil er sich nun endlich ebenso verhielt wie das Mädchen und sich auf den Boden warf. Verstört richtete er sich danach auf und folgte dem Wesen mit seinen Blicken. Sein Herz schlug wie rasend in der Brust, und er spannte die Armbrust, ohne sich dessen bewußt zu werden. »Bethanrty, sieh dir das an«, rief er und zog das Mädchen hoch. »Der grüne Drache von Prhoum«, stammelte sie. »Vielleicht«, erwiderte er. »Vielleicht auch nicht.« »Ich sehe doch, was ich sehe«, sagte sie heftig. »Außerdem ist das der Drachentempel. Also eigentlich ist es kein Wunder, daß dieses Ungeheuer hier auftaucht.« Das Flugwesen war mittlerweile schon etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt. Mrothyr schätzte, daß es eine Spannweite von wenigstens zwanzig Metern hatte. Der Rumpfkörper war etwa zweieinhalb Meter lang, rechnete man den Kopf mit dem weit vorspringenden Schnabel nicht mit. Die Flugechse trug ein grünes Haarkleid, hatte grüne, lange Federn am Hinterkopf, und auch die Häute ihrer Flügel waren grün. »Wir sind verloren«, klagte das Mädchen. »Wir hätten nicht hierhergehen dürfen. Die Legenden werden wahr.« »Unsinn«, herrschte er sie an. »Nimm dich zusammen. Ich habe nie an diese Märchen vom Drachen geglaubt.« »Aber das ist ein Drache – oder?« Mit weit ausgebreiteten Schwingen glitt die Flugechse durch das Tal. Sie flog einen weiten Bogen, der sie früher oder später zu ihnen zurückführen würde. »Nur eines stimmt daran«, sagte Mrothyr. »Diese Flugechse ist uralt. Hast du gesehen, daß sie Risse in ihren Flügeln hat? Und ihre Haut hat graue Flecken.« »Dennoch ist es der grüne Drache. Niemand hat gesagt, daß dieses schreckliche Ungeheuer schön ist.« »Da muß ich dir recht geben. Das steht allerdings nirgendwo geschrieben«, seufzte er und drückte Bethanrty nach unten. Die Flugechse näherte sich ihnen. Jetzt sah Mrothyr, daß auch der S-förmig geschwungene Hals mit einem dichten Federkleid bedeckt war. »Er greift uns an«, rief das Mädchen. »Das wird er bereuen.« Mrothyr hob die Armbrust und zielte. »Nein«, protestierte Bethanrty. »Das darfst du nicht. Vielleicht ist es das letzte Exemplar seiner Art. Du darfst es nicht töten.« »Um so besser«, erwiderte er gelassen. »Wenn es der letzte aller Drachen ist, sind wir diese Bestien endgültig los.« »Oder es ist ein Geist.« »Wenn es ein Geist ist, wird ihm mein Pfeil kaum etwas ausmachen.«
Er schoß, und er hörte, wie der Pfeil einschlug. Die Flugechse bäumte sich wild kreischend auf. Sie flatterte heftig mit den Flügeln, schwang sich einige Meter weit in die Höhe, kämpfte sich voran und versuchte, zum Tempel hinüberzufliegen. »Ein empfindlicher Geist«, sagte Mrothyr. Er lachte lautlos. »Was ist mit dir? Warum lachst du?« fragte Bethanrty ängstlich. »Hast du den Verstand verloren?« »Nein, im Gegenteil«, erwiderte er. »Ich bin ganz sicher, daß wir es nicht mit einem Fabelwesen zu tun haben, sondern mit einer Kreatur, die ihre liebe Not hat, am Leben zu bleiben. Vielleicht haben diese grünen Wesen die Flugechse mitgebracht und lassen sie hier herumfliegen. Von Zyrph jedenfalls ist sie nicht.« »Woher willst du das wissen?« »Das fragst ausgerechnet du mich? Wer versteht denn soviel von Biologie. Du oder ich?« »Ich«, entgegnete das Mädchen beschämt. »Aber ich habe ja erst mit dem Studium begonnen. Immerhin – ich muß zugeben, daß du recht hast. Ich begreife selbst nicht, daß ich mich so habe verwirren lassen. Seit mehr als hunderttausend Jahren gibt es schon keine Echsen dieser Größe mehr auf unserem Planeten. Es wäre der Wissenschaft ganz sicher bekannt geworden, wenn auf Prhoum welche überlebt hätten. Du wirst recht haben. Die Fremden haben die Echse mitgebracht.« »Vielleicht kennen sie die Legenden, die es um Prhoum gibt, und sie lassen die Echse nur hier herumfliegen, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.« Er blickte zum Tempel hinüber. Die Flugechse versuchte zu dem Bauwerk hinaufzufliegen, schaffte es jedoch nicht. Sie stürzte plötzlich ab und verschwand zwischen den Bäumen unterhalb des Tempels. »Für uns ist es egal, ob es nun ein Geist ist oder ein Tier, das die Fremden mitgebracht haben«, fuhr sie ruhig und gefaßt fort. »Beides ist schlimm. Die Fremden werden sich an uns rächen.« »Dazu müssen sie uns erst einmal haben.« Ein eigenartiges Licht flammte in den Augen Mrothyrs auf. »Sie haben nichts auf unserem Planeten zu suchen. Diese Welt gehört uns. Wenn sie hierherkommen und uns Unfrieden bringen, dann müssen sie damit rechnen, daß wir zurückschlagen.« Sie blickte ihn an und suchte nach Worten. Er wußte, was sie sagen wollte: »Aber sie sind viel stärker als wir!« Er zog das Mädchen an sich und verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. Dann legte er den Arm um ihre Schultern und ging mit ihr weiter auf den Tempel zu. Sie kamen nur mühsam voran, und als die Dunkelheit hereinbrach, waren sie noch nicht einmal am Fuß des Berges, auf dem der Tempel errichtet worden war. Sie konnten die Stelle sehen, an der die Flugechse abgestürzt war. Grünes Feuer erhellte sie. Es raschelte in den Büschen, und Mrothyr zog das Mädchen vorsichtig zur Seite an einen Felsen heran. Er hob die Armbrust, um sofort schießen zu können, falls ein wildes Tier sie angriff. Einige Sekunden verstrichen, dann tauchte plötzlich die dunkle Gestalt eines kahlköpfigen Mannes aus dem Unterholz. Mrothyr ließ die Waffe sinken. Der Mann war so schwach, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er ging ihm entgegen. »Bleib stehen«, befahl er ihm. Der andere gehorchte, fiel dann jedoch erschöpft auf die Knie herab und sank langsam nach vorn. Er hatte drei grüne Flecken auf dem Rücken. Sie leuchteten fluoreszierend in der Dunkelheit. »Ich kann nicht mehr«, stöhnte der Mann. »Töte mich, wenn du willst.« Mrothyr sicherte die Armbrust, so daß sich nicht versehentlich ein Schuß lösen konnte.
»Das habe ich nicht vor«, erwiderte er und richtete den Mann auf. »Komm, laß dir helfen.« Für einen kurzen Moment berührte er mit seinen Händen die grün schimmernden Flächen auf dem Rücken des anderen. Danach stellte er betroffen fest, daß seine Handflächen für einige Sekunden ebenfalls grün leuchteten, als ob sie von den Flammen eines Feuers erfaßt worden wären. »Wer bist du?« fragte er. »Und woher kommst du?« »Ich bin Cathem. Ich war einer der Priester in dem Tempel, bis die Naldrynnen kamen.« »Die Naldrynnen! Das sind die Fremden«, sagte Mrothyr. »Wer sind sie, und was treiben sie hier?« Cathem versagte die Stimme. Bethanrty gab ihm etwas zu trinken und zu essen, und Mrothyr ließ ihm Zeit, sich zu erholen. »Die Naldrynnen sind überall auf unserem Planeten. Noch leben sie in Verstecken und lassen sich nicht in der Öffentlichkeit sehen, aber sie sind da. Und viele Zyrpher wissen, es. Sie machen bereits Geschäfte mit ihnen, ohne zu ahnen, daß es den Naldrynnen nur darauf ankommt, uns aller Reichtümer zu berauben«, erklärte der Priester. »Das ging aus ihren Reden hervor.« »Du konntest sie verstehen?« »Wir mußten ihre Sprache lernen. Es ging sehr schnell. Maschinen haben uns dabei geholfen.« »Also gut«, erwiderte Mrothyr. »Du sagtest, sie sind überall auf unserer Welt, und sie wollen unsere Reichtümer.« »Und die werden sie bekommen.« Der Priester richtete sich ächzend auf. »Viele Zyrpher sind zu selbstsüchtig. Sie jagen den Reichtümern nach und lassen sich auf Geschäfte mit den Fremden ein. Dabei ist ihnen egal, was aus unserem Planeten wird. Sie würden dem Teufel ihre Seele verkaufen, wenn sie sich einen Gewinn davon versprechen würden. Die Naldrynnen triumphieren bereits. Ich habe sie bei ihren Gesprächen belauscht. Sie sind sicher, daß Zyrph für sie das beste Geschäft aller Zeiten werden wird, und es stört sie nicht im geringsten, daß Zyrph eine lebensfeindliche Wüste sein wird, wenn sie in einigen Jahren wieder abziehen.« »Ist das wirklich wahr?« fragte Mrothyr bestürzt. »Und du glaubst, wir Zyrpher sind so dumm, daß wir auf die Fremden hereinfallen?« »Es müßte schon ein Wunder geschehen, wenn wir die Katastrophe noch abwenden wollen.« »Dann sind diese Grünen da oben im Tempel Händler?« fragte Bethanrty. »Nein, die da oben sind die Bewahrer des Drachen. Es sind Priester, so wie ich einer bin.« »Bewahrer des Drachen«, sagte Mrothyr. »Sie haben also die Aufgabe, sich um diese Flugechse zu kümmern, die sie nach Zyrph gebracht haben.« »Woher weißt du das?« »Ich vermute es nur.« »Es ist richtig. Der Drache ist nicht von Prhoum, aber sie wollen, daß wir glauben, es wäre der Drache unserer Legenden.« Mrothyr deutete auf die grün leuchtenden Flächen auf dem Rücken des Priesters. »Was ist das?« fragte er. »Ich weiß es nicht. Ich glaube, es ist eine Kraft, die von dem Drachen ausgeht. Die Naldrynnen haben viele Gefangene gemacht. Die meisten von ihnen verbrennen in grünem Feuer. Sie gehen über in den Leib des Drachen.« Mrothyr glaubte dem Priester nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, daß diese Flugechse irgend etwas in sich aufnahm, was aus dem geheimnisvollen grünen Feuer kam. Er zweifelte jedoch nicht daran, daß die Sekte der Drachenbewahrer ihre Gefangenen der Echse opferte. Er drückte Bethanrty
die Armbrust in die Hand. »Ich muß mir das aus der Nähe ansehen«, sagte er zu ihr. »Am besten bleibst du hier. Ich bin bald zurück.« Sie blickte ihn gefaßt an. Auch sie wollte wissen, was oben bei dem Drachen geschah, doch sie sah ein, daß einer von ihnen bei dem Priester bleiben mußte, und daß es besser war, wenn sie dies war. Mrothyr wollte bereits losgehen, doch er zögerte. »Ich habe noch eine Frage«, sagte er zu dem Priester. »Man sagt, daß ein großer Teil der Bevölkerung von Prhoum verschwunden ist.« »Ja«, bemerkte das Mädchen. »Das habe ich auch gehört.« »Haben die Naldrynnen sie dem Drachen geopfert?« fragte Mrothyr. »Nein, das haben sie nicht«, erwiderte der Priester. Er lehnte sich erschöpft an einen Baumstamm. »Die Naldrynnen haben viele Bergwerke errichtet. Die Gefangenen müssen dort arbeiten, und sie dürfen vorläufig auch nicht wieder nach oben kommen. Sie könnten ja verraten, was die Naldrynnen hier tun.« »Woher weißt du das?« fragte Bethanrty. »Ich habe gehört, wie die Fremden darüber gesprochen haben. Zwei reiche Zyrpher helfen ihnen, Prhoum auszuplündern.« Mrothyr nickte. »Ich habe mir bereits so etwas gedacht«, sagte er. Dann hob er grüßend die Hand und wandte sich ab. »Sei vorsichtig«, mahnte sie ihn. »Du ebenfalls.« Lautlos eilte er davon. Er bewegte sich so geschickt im Unterholz, daß sie kein Laub rascheln hörte. Mrothyr gingen die Worte des Priesters nicht aus dem Kopf. Die Naldrynnen schickten ihre Gefangenen in das grüne Feuer. Wieder sah er das Bild des Kapitäns vor sich, der in dem grünen Feuer vergangen war. In ohnmächtigem Zorn ballte er die Fäuste. Er war entschlossen, sich gegen die Naldrynnen zu wehren. Er würde sich nicht von ihnen ausbeuten lassen und dazu beitragen, daß Zyrph in eine Wüste verwandelt wurde. Die Bewahrer des Drachen bildeten offenbar nur eine kleine Gruppe, die sich vor allem um das Wohlergehen des Drachen zu kümmern hatte. Ihr hatte er mit seinem Schuß auf die Echse bereits einen empfindlichen Schlag beigebracht. Doch das genügte noch nicht. Die Flugechse durfte nicht überleben. Sie mußte sterben. Wenn sie eine wichtige Rolle in dem Plan der Naldrynnen spielte, dann mußte ihr Tod die Strategie der Fremden empfindlich stören. Jetzt wußte er, daß die Naldrynnen schuld daran waren, daß seine Familie ihr gesamtes Vermögen verloren hatte. Wenn seine Eltern tot waren, so trugen die Naldrynnen die Verantwortung dafür. Er lief schneller, weil er sich sagte, daß es auf jede Minute ankam. Vielleicht wurden seine Eltern gerade jetzt zum Drachen geführt, um ihm als Opfer dargebracht zu werden? Er stolperte über eine Baumwurzel und fiel der Länge nach hin. Als er sich aufrichten wollte, konnte er durch eine Lücke im Unterholz ein grünes Leuchten sehen. Er blieb liegen. »Beherrsche dich«, mahnte er sich selbst. »Du wärst ihnen beinahe in die Arme gelaufen.« Er wartete. Etwa zwei Minuten verstrichen, dann schoben sich zwei Naldrynnen durch das Unterholz. Sie waren etwa einen Meter groß und damit deutlich größer als jenes Wesen, das Bethanrty getötet hatte. Mrothyr begriff, daß es sich bei diesen Naldrynnen um Erwachsene handelte, während jenes oben am Paß ein Kind gewesen war. Bestürzt senkte er den Kopf und
drückte das Gesicht ins Gras. Er haßte die Naldrynnen, konnte sie jedoch verstehen, wenn sie nun erbittert nach dem Todesschützen suchten. »Das haben wir nicht gewollt«, flüsterte er. »Wir konnten nicht wissen, daß es ein Kind ist.« Er erhob sich und eilte geduckt weiter. Er schob sich an einigen Felsbrocken vorbei und konnte dann endlich die Flugechse sehen. Zehn Naldrynnen waren dabei, sie auf eine Metallplatte zu heben, die zu seinem Erstaunen frei in der Luft schwebte. Die Echse war von einem grünen Schimmer umgeben, so als ob sie von innen heraus leuchtete, und sie schien von Minute zu Minute an Kraft zu verlieren. Die Naldrynnen haben noch gar nicht gemerkt, daß sie am Hals verletzt ist, erkannte er verblüfft. Sie haben die Wunde nicht gesehen. Die Fremden waren erregt. Sie redeten heftig gestikulierend miteinander, und für Mrothyr hörte es sich so an, als ob sie sich gegenseitig beschimpften. Unübersehbar war, daß der Zustand der Flugechse sie aufs höchste beunruhigte. Endlich hatten die Naldrynnen die Echse auf die Plattform gelegt. Diese setzte sich nun in Bewegung und schwebte – wie von Geisterhänden getragen – auf den Tempel zu, dessen Tore sich geöffnet hatten. Die Naldrynnen rannten hinter der Plattform her und achteten nun nicht mehr auf ihre Umgebung. Sie bemerkten nicht, daß Mrothyr ihnen folgte. Der junge Zyrpher nutzte jede Deckung, die sich ihm bot. Immer wieder blickte er zurück, um sich zu vergewissern, daß kein Naldrynne in seinen Rücken geriet. Er erreichte das Haupttor des Tempels unmittelbar nach den Naldrynnen, die jetzt noch lauter schrien als zuvor. Der Grund dafür war, daß sich der Zustand der Flugechse wiederum verschlechtert hatte. Das geheimnisvolle Wesen hatte den Schnabel geöffnet. Es loderte grün daraus hervor, und gleichzeitig löste sich die Haut der Flügel auf und zerfiel zu Staub. Mrothyr beobachtete, daß mehrere Zyrpher herangeführt wurden, die von grünen Flammen umlodert wurden, doch bewirkten sie offenbar nicht das, was die Naldrynnen erhofft hatten. Die brennenden Gestalten brachen unmittelbar vor dem Drachen zusammen und vergingen dann unter den gleichen Erscheinungen wie der Kapitän des Schiffes. Die Echse aber erholte sich nicht. Mrothyr drückte sich neben dem Tor in eine Nische. Er spürte eine Tür in seinem Rücken, und als einige Naldrynnen sich ihm näherten, um das Tor zu schließen, drückte er seine Hände dagegen. Die Tür gab nach, und er schlüpfte hindurch. Eine Steintreppe führte nach oben. Er eilte sie hinauf und kam zu einer Brüstung, die an der Seite der Halle entlangführte. Wenige Meter unter ihm lag die Flugechse auf der Platte. Er sah, daß weitere Männer und Frauen seines Volkes herangeführt wurden und in dem geheimnisvollen grünen Feuer vergingen. Vereinzelten zuckten grüne Blitze von den Opfern zu der Echse hinüber. Dann fuhr diese zusammen, als würde sie von Geschossen getroffen, doch sie erholte sich nicht. Mrothyr fiel auf, daß die Blitze an ihrem Hals entlangstrichen, dann jedoch abgelenkt wurden. Es ist der Stahlpfeil! schoß es ihm durch den Kopf. Er steckt in ihrem Hals und lenkt den Energiestrom ab. Die Halle, in der er sich befand, hatte einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern, und sie war wenigstens zehn Meter hoch. Die Wände waren mit kunstvoll bearbeiteten Metallplatten verziert. Aus einer Tür ihm gegenüber traten immer mehr Naldrynnen hervor. Die grünen Gestalten drängten sich klagend um die Flugechse, doch keiner dieser Fremden kam auf den Gedanken, den Hals dieses Wesens zu untersuchen. Mrothyr erschauerte. Die Halle war erfüllt von einer Aura des Bösen. Er fühlte sich von ihr abgestoßen und wäre am liebsten geflüchtet. Allein der Gedanke an seine Eltern hielt ihn zurück. Darüber hinaus wollte er jedoch auch wissen, ob die Flugechse wirklich verendete. Er war sicher, daß es die Schreie dieses Wesens gewesen waren, die Bethanrty und er auf See gehört
hatten, als das Schiff überfallen worden war. Diese Echse hatte wahrscheinlich das Schiff umkreist, und auf geheimnisvolle Weise hatte sie den Kapitän in Energie verwandelt, um diese Energie dann in sich aufzunehmen. Es ist ein Geschöpf der Hölle, dachte er voller Abscheu. Und das grüne Feuer ist das Feuer der Hölle. Mrothyr hatte plötzlich das Gefühl, daß jemand hinter ihm war. Er drehte sich um und richtete sich erschrocken auf. Etwa zehn Meter von ihm entfernt war ein Naldrynne durch eine Tür auf die Brüstung herausgetreten. Der Fremde trug mehrere Ketten aus einem schimmernden Metall um den Hals, und er hielt eine Waffe in der Hand. Noch aber richtete er diese nicht auf ihn. Er schien ebenso überrascht zu sein wie der junge Zyrpher. Mrothyr reagierte blitzschnell. Er griff nach seinem Messer und schleuderte es auf den Naldrynnen. Mit großen Augen blickte der Fremde auf das Messer in seiner Brust, und er schien erst jetzt zu begreifen. Er richtete die Waffe auf Mrothyr. Der wartete darauf, daß der Naldrynne zusammenbrechen würde, doch es schien, als habe das Messer kein lebenswichtiges Organ getroffen. Endlich erfaßte Mrothyr, daß er handeln mußte. Er stürzte sich auf den Fremden, und er erreichte ihn, bevor dieser seine Waffe auslösen konnte. Er schlug sie ihm zur Seite, und sie fiel polternd auf den Boden. Dann zuckte die Faust des kleinen Wesens auf ihn zu. Mrothyr versuchte auszuweichen, doch das gelang ihm nur zum Teil. Er verspürte einen Schlag, als ob ein Dampfhammer ihn getroffen hätte, und er flog mehrere Meter weit zurück. Krachend landete er auf dem Boden und blieb benommen liegen. Wie durch einen Schleier sah er den Naldrynnen, der die rechte Hand zum Kopf hob und seine sieben Finger dabei zu einer Keilspitze zusammenlegte. Er begriff. Der Grüne wollte ihm die Finger in die Brust stoßen und ihn damit töten. Er warf sich zur Seite und entging dem Angriff. Der Naldrynne stürzte neben Mrothyr auf den Boden und hieb wütend nach ihm. Seine Krallenhand traf ihn am Oberschenkel und brachte ihm eine Schramme bei. Mrothyr rollte sich über den Boden. Er war halbwegs betäubt vor Schmerzen und Entsetzen. Jetzt wollte er seinem Gegner nur noch entkommen. Er wußte, daß der Naldrynne ihm kräftemäßig weit überlegen war. Doch als er sah, wie der Fremde aufsprang und zu einem erneuten Angriff auf ihn ansetzte, richtete er sich ebenfalls auf und blieb an der Brüstung stehen. Er hörte die Schreie der anderen Naldrynnen und blickte flüchtig nach unten. Zu seiner Überraschung hatte man dort noch nicht bemerkt, was auf der Brüstung geschah. Die Grünen drängten sich laut klagend um die Flugechse. Mrothyr wandte sich seinem Gegner wieder zu, und er sah, daß dieser wankte. Stöhnend zog der Naldrynne sich das Messer aus der Wunde. Er ließ es fallen, beugte sich nach vorn und griff an, aber er bewegte sich nicht mehr so schnell und elegant wie zuvor. Mrothyr wich geschickt zur Seite aus, sah die Krallenhände an sich vorbeifliegen und warf sich dann gegen das fremdartige Wesen. Er prallte mit seiner Schulter gegen dessen Seite und stieß es über die Brüstung. Es schlug unmittelbar neben dem Kopf der Flugechse auf der Plattform auf und blieb liegen. Jetzt endlich wurden die anderen Naldrynnen aufmerksam. Die meisten von ihnen stießen schrille Schreie aus. Einer schnellte sich aus dem Stand heraus bis zur Brüstung hoch, konnte sich dort jedoch nicht halten, weil Mrothyr ihn mit einen Faustschlag zurückschleuderte. Bevor weitere Naldrynnen ihn angreifen konnten, drehte der junge Zyrpher sich um und flüchtete durch die Tür, durch die der mit Ketten geschmückte Grüne auf die Brüstung herausgekommen war. Er schlug die Tür hinter sich zu und hastete eine Steintreppe hoch, an deren Ende sich eine Eisentür befand. Diese ließ sich überraschend leicht öffnen. Er schloß sie hinter sich, sah, daß sie mit einem mächtigen Eisenriegel versehen war, und ließ diesen einrasten. Im nächsten Moment prallte ein schwerer Körper gegen die Tür und erschüttert sie. Mrothyr lachte leise.
Er war davon überzeugt, daß die Naldrynnen einige Zeit benötigen würden, die Tür zu öffnen. Währenddessen konnte er seinen Vorsprung ausbauen.
5. Mrothyr flüchtete durch einige Räume, durch Gänge und über Treppen bis in einen tiefer gelegenen Teil des Drachentempels, ohne weiteren Naldrynnen zu begegnen, und bald hörte er auch nicht mehr die Schreie der fremden Wesen, die ihm folgten. Sie hatten seine Spur verloren. Er stieg eine Treppe empor und fand sich dann plötzlich in der Halle wieder, in der die Flugechse auf der schwebenden Plattform lag. Sie war noch immer da, während die Naldrynnen verschwunden waren. Auch Zyrpher hielten sich nicht in der Halle auf. Mrothyr ging zögernd zu der Echse hinüber. Er sah, daß sie tot war. Unwillkürlich griff er in das dichte Fell an ihrem Hals und suchte nach, dem Schußbolzen. Er fand ihn und zog ihn mit einiger Mühe heraus. Er steckte ihn ein. Irgendwo ging eine Tür, und er flüchtete zu der Treppe zurück, die er gerade vorher heraufgekommen war. Er zog die Tür bis auf einen kleinen Spalt hinter sich zu. Dann spähte er hindurch. Etwa fünfzig Naldrynnen – Männer, Frauen und Kinder – die sich alle leuchtend grüne Bänder um die Köpfe gebunden hatten, näherten sich der toten Flugechse mit gemessenen Schritten. Ihnen war die Trauer anzusehen, die sie erfüllte. Erstaunt sah Mrothyr, daß sich der Mann, mit dem er gekämpft hatte, wieder vollkommen erholt hatte. Die Wunde auf seiner Brust war mit einem Pflaster abgedeckt worden. Mrothyr vermutete, daß dieser Mann ein Priester war. Er trug einige schwarze Tücher auf den ausgestreckten Armen, und er legte diese dem toten Flugdrachen über die gebrochenen Augen. Dabei stieß er eine Serie von schrillen Schreien aus, und die anderen Naldrynnen antworteten mit einem dumpfen Stöhnen. Das Ende der Flugechse hatte sie tief getroffen. Mrothyr fühlte Triumph in sich aufkommen. Er ahnte, daß die Naldrynnen einen Plan verfolgt hatten, in dem die Echse eine wesentliche Rolle spielte. Er wußte nicht, was für ein Plan dies gewesen war, doch ihm war klar, daß sie ihn nun nicht mehr ausführen konnten. Lautlos zog er sich zurück. Er hastete die Treppe hinunter. Die Naldrynnen sind alle in der Halle, erkannte er. Das bedeutet, daß die Gefangenen unbewacht sind. Aber wo waren die Gefangenen? Er blieb stehen, als er einen kleinen Innenhof mit einem Brunnen erreichte, und er versuchte sich daran zu erinnern, aus welcher Richtung die zyrpherischen Opfer in die Halle gekommen waren. Dann lief er durch einen schwach beleuchteten Gang bis zu einer Tür und horchte dort. Er vernahm ein undeutliches Stimmengemurmel und öffnete die Tür. Genau richtig! schoß es ihm durch den Kopf. Eine Treppe führte zu einer Gittertür hinab, und neben dieser hingen mehrere Schlüssel an der Wand. Er nahm sie herab und öffnete die Gittertür, wobei er Mühe hatte, verräterischen Lärm zu vermeiden. Er nahm die Schlüssel mit, als er weiterging, konnte dadurch eine weitere Tür ohne Zeitverlust öffnen und stand dann plötzlich in einem Gewölbe, in dem Dutzende von Männern und Frauen auf dem Boden kauerten. Er hatte die Gegangenen gefunden. Überraschenderweise reagierte kaum jemand von ihnen auf ihn. Sie schienen nicht bemerkt zu haben, daß er die Tür aufgeschlossen hatte. »Steht endlich auf«, sagte er eindringlich. »Los. Lauft nach draußen. Bringt euch in Sicherheit.« Einige der Gefangenen reagierten nun endlich. Sie sprangen auf und hasteten durch die Tür nach draußen, andere aber rührten sich nicht. Mrothyr ging zu ihnen hin, und dann stutzte er plötzlich. Er
ließ sich in die Hocke sinken. »Das kann doch nicht sein«, stöhnte er, ohne die Blicke von dem Mann zu wenden, der ihm aufgefallen war. »Du siehst aus wie der Kapitän meines Schiffes.« Mit leeren, ausdruckslosen Augen starrte sein Gegenüber ins Nichts, und es dauerte einige Zeit, bis der junge Zyrpher begriff, daß er ihn nicht wahrnahm. »Es ist der Kapitän«, sagte er zu einigen Männern, die neben ihm kauerten. »Ich verstehe das nicht. Ich habe gesehen, wie das grüne Feuer ihn verbrannt hat. Wieso ist er jetzt hier? Er müßte doch tot sein.« »Das können wir dir auch nicht erklären«, erwiderte einer der Männer. Er hatte seinen kahlen Schädel mit einem roten Tuch umwickelt. »Wir haben schon viele gesehen, die in das grüne Feuer geraten sind, und dann kamen sie später zurück – aber ohne Seele. Es ist, als ob kein Geist mehr in ihrem Körper wohnt.« Mrothyr sprang auf. Verzweifelt trieb er die Gefangenen hoch und suchte zugleich nach seinen Eltern. Er fand sie nicht. Immer wieder fragte er nach ihnen, bis sich schließlich nur noch wenige Männer und Frauen in dem Verlies aufhielten. Ihnen war allen gemein, daß sie nur noch seelenlose Hüllen zu sein schienen. Sie kauerten auf dem Boden und blickten ins Leere. »Du suchst nach deinen Eltern?« fragte eine Frau. Sie war so schwach, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und sie lehnte es ab, aus dem Tempel zu fliehen. »Ja«, erwiderte er und hockte sich neben ihr hin. Er beschrieb ihr seinen Vater und seine Mutter. »Du kennst sie?« »Ja, sie waren hier. Nur ein paar Stunden. Sie waren sehr kräftig«, erwiderte die Frau. »Ich habe gehört, daß sie ins Bergwerk gebracht werden sollten.« »In was für ein Bergwerk?« »Woher soll ich das wissen? Es gibt viele Bergwerke in Prhoum. Man hat deine Eltern herausgeholt und weggebracht. Irgendwohin. Nur die Naldrynnen können dir sagen, wohin. Vielleicht sind sie aber auch unter denjenigen, die dem Ei geweiht sind.« »Die dem Ei geweiht sind? Was für einem Ei?« Mrothyr packte die Alte unwillkürlich bei den Armen. Sie drängte ihn sanft zurück und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Du tust mir weh«, beschwerte sie sich. »Willst du mich umbringen?« »Nein, ich möchte nur meine Frage beantwortet haben. Von was für einem Ei hast du gesprochen?« »Du glaubst mir ja doch nicht. Keiner glaubt mir. Alle denken, daß ich hier oben nicht ganz richtig bin.« Sie tippte sich mit den Fingern gegen die Stirn und blickte Mrothyr ängstlich forschend an. »Du denkst es auch, nicht wahr?« »Nein, das denke ich nicht«, beteuerte er. »Erzähle mir mehr von dem Ei. Was weißt du davon. Laß nichts aus. Alles ist wichtig.« »Es ist das Ei des Bösen«, erklärte sie. »Der grüne Drache ist das heilige Wesen für die Naldrynnen. Aber es ist nicht unsterblich. Ich weiß, daß die Naldrynnen ein Ei von diesem Wesen haben. Es wird ausgebrütet werden, wenn der Drache stirbt.« »Woher weißt du das?« fragte er zweifelnd. »Ich habe es gesehen«, behauptete sie. »Erst gestern. Ich habe im Tempel gearbeitet. Da habe ich es gesehen.« Sie beschrieb Mrothyr, wo sie gewesen war. Dann schwieg sie erschöpft, und er ging nun ebenfalls hinaus. Als er wenig später an einem Fenster vorbeikam, von dem aus er nach draußen auf den
Vorplatz des Tempels blicken konnte, sah er zahlreiche Männer und Frauen, die Fackeln in den Händen trugen und in die Wildnis flüchteten. Die Naldrynnen hatten nichts bemerkt. Sie hielten sich offenbar noch immer in der Halle bei dem toten Drachen auf, der ihnen so viel bedeutet hatte. Mrothyr eilte durch die Gänge des Tempels, bis er den Raum gefunden hatte, den die Frau ihm beschrieben hatte. Es war ein langgestreckter Raum, dessen Wände mit schweren Teppichen verhängt waren. Auf diesen waren verschiedene Szenen dargestellt, deren Bedeutung Mrothyr nicht erkannte, da er zu wenig über Prhoum wußte. Er vermutete, daß es Szenen aus der Geschichte des Drachentempels waren. An der hinteren Wand stand auf einem Tisch ein Metallbehälter. Mrothyr ging zu ihm hin und untersuchte ihn. Dabei berührte er eine Leiste, die auf der Rückseite verborgen war, und die Vorderseite sprang auf. Kühle Luft strömte dem jungen Zyrpher entgegen. Die alte Frau hatte die Wahrheit gesagt. In dem Kühlbehälter lag ein fast rundes Ei. Es hatte einen Durchmesser von etwa zwanzig Zentimetern und war stahlgrau. Er streckte die Hände danach, um es herauszunehmen und zu zerschlagen. Als er es berührte, merkte er, wie kalt es war. Er wollte es anheben, konnte es jedoch nicht. Irgend etwas hielt das Ei fest. Er packte es fester und zog mit aller Kraft. Vergeblich. Das Ei rührte sich nicht von der Stelle. Mrothyr versuchte nun, es zur Seite zu rollen oder nach hinten zu schieben, hatte aber auch damit keinen Erfolg. Er wollte die Hände zurückziehen, und jetzt änderte sich doch etwas. Seine Hände überzogen sich plötzlich mit einem grünen Schimmer, der immer heller zu leuchten begann. Gleichzeitig fühlte er sich nach vorn gerissen. Ein Abgrund schien sich vor ihm aufzutun. Er meinte nur noch ein grünes, wallendes Feuer zu sehen, und namenlose Angst überfiel ihn. Er hatte das Gefühl, in eine Welt des Grauens gezerrt zu werden. Niemals zuvor in seinem Leben hatte er sich derartig gefürchtet. Ihm war kalt, und ein Gefühl des Entsetzens lähmte ihm, bis es ihm endlich gelang, sich mit aller Kraft zurückzuwerfen, sich gegen das Böse aufzubäumen und die Schleier des grünen Feuers zu zerreißen. Er rutschte aus und stürzte auf den Boden, wo er benommen sitzen blieb. So merkte er zunächst nicht, daß sich die Tür öffnete und ein Naldrynne eintrat. Erst als dieser zornig aufschrie, fuhr er erschrocken auf und drehte sich zur Tür. Er sah den Fremden, der noch nicht einmal einen halben Meter groß war. Es war ein Kind, aber aus seinen Augen schlug Mrothyr so viel Haß und Vernichtungswillen entgegen, daß er instinktiv die Arme hochriß. Dann traf ihn auch schon ein fürchterlicher Hieb und schleuderte ihn zurück. Kraftlos fielen ihm die Arme herunter, und er glaubte im ersten Moment, sie seien gebrochen. Das naldrynnische Kind setzte nach. Es schnellte sich mit einem mächtigen Satz auf ihn, um ihm die vier Füße in den Leib zu rammen. Mrothyr wälzte sich zur Seite, wurde an der Hüfte getroffen, und schlug blindlings um sich. Seine Faust prallte gegen die Brust des Fremden, und er hatte das Gefühl, gegen eine Betonwand geschlagen zu haben. Seine Hand schmerzte so sehr, daß er keinen weiteren Hieb riskieren wollte. Er sprang auf, rettete sich durch die Tür und verschloß diese hinter sich. Das naldrynnische Kind versuchte gar nicht erst, sie zu öffnen. Es stieß seine rechte Hand durch das Türblatt hindurch, und seine hornigen Krallen verfehlten nur um Zentimeter den Hals Mrothyrs. In panischem Entsetzen fuhr der Zyrpher herum und floh. Er wußte nicht, wie er sich gegen diesen weit überlegenen Gegner verteidigen sollte, und er wollte vor allem nicht gegen ein Kind kämpfen, auch wenn es viel stärker war als er. In seinem Schrecken über den mühevoll überstandenen Kampf achtete er nicht darauf, wohin er lief, und als Besonnenheit und nüchterne Überlegung schließlich zurückkehrten, wußte er nicht mehr, wo er war. Er befand sich in einem Kuppelraum, dessen Decke mit einem Sternenhimmel verziert war. Hier war er nie zuvor gewesen.
Es wird Zeit, daß ich den Tempel verlasse, dachte er. Allerhöchste Zeit. Hier kann ich doch nichts mehr ausrichten. Er öffnete eine Tür und fuhr erschrocken zurück. Vor ihm stand das riesige Fluggerät, das Bethanrty und er auf dem Weg zum Tempel beobachtet hatten. Die gläserne Kuppel glänzte im Licht einiger elektrischer Lampen. Mrothyr wollte sich erst zurückziehen, doch dann siegte die Neugierde, und er näherte sich der Maschine. Dabei stellte er fest, daß sich niemand sonst in dem Raum aufhielt. Die Naldrynnen fühlten sich trotz aller Zwischenfälle immer noch so sicher, daß sie das Fluggerät nicht bewachten. Sie hatten noch nicht einmal die Türen geschlossen. Sie halten uns für so primitiv, daß sie meinen, wir wagen uns nicht an ihre Maschinen heran, dachte Mrothyr. Aber sie haben sich getäuscht. Wir können uns noch lange nicht mit ihrer Technik messen, aber deshalb ist diese doch nicht mehr für uns als Technik! Er stieg in die Maschine, die von ihrer ganzen Konzeption her für Naldrynnen angelegt war. Daher war der Innenraum so niedrig, daß er sich nur kriechend darin bewegen konnte. Doch das schreckte ihn nicht ab. Er überlegte, ob er mit dieser Maschine fliehen konnte, verwarf diesen Gedanken jedoch sogleich wieder. Wer mit so einer Maschine umgehen wollte, brauchte eine Ausbildung. Und die besaß er nicht. Doch er konnte immerhin versuchen, dieses Gerät so zu beschädigen, daß die Naldrynnen Bethanrty und ihn nicht so ohne weiteres verfolgen konnten. Daher untersuchte er das Steuerpult, entdeckte daran jedoch nichts, was sich leicht zerstören ließ, und was ihm zugleich bedeutungsvoll genug erschien. Erst als es ihm gelang, eine Verkleidungsplatte zu entfernen, sah er ein Gewirr von Drähten, und er riß sie bündelweise heraus. Er steckte die Kabel unter seine Bluse und befestigte die Platte danach wieder, so daß sein Zerstörungswerk nicht auf den ersten Blick zu erkennen war. Dann zog er sich aus der Maschine zurück. Er vernahm die schrillen Stimmen der Naldrynnen. Sie schienen aus allen Richtungen zu kommen. Sie suchen dich, erkannte er. Sie wissen, daß du das Ei gesehen hast. Jetzt werden sie dich jagen. An der Rückseite des Raumes befand sich eine große Tür. Durch diese war die Maschine hereingekommen. Mrothyr öffnete sie und trat ins Dunkel hinaus. Er war jedoch noch keine fünf Schritte weit gegangen, als ein Scheinwerfer aufleuchtete und ihn in helles Licht tauchte. Er fintierte und tat, als wolle er nach rechts fliehen, wandte sich dann aber nach links und flüchtete hinter einige Felsen, bevor der Lichtstrahl ihn erneut einfangen konnte. Er arbeitete sich hastig voran, wobei er sich klar darüber war, daß die Naldrynnen nun bald, in großer Zahl hier erscheinen würden. Ich muß mich verstecken, wo sie mich nicht vermuten, erkannte er. Und dann wußte er auch schon, wohin er sich wenden mußte. Während es um ihn herum im Tempel zu heulen und zu pfeifen begann, während die Naldrynnen sich gegenseitig anfeuerten, lief er zu der Tür, durch die er schon einmal in den Tempel gelangt war. Sie war unverschlossen, und er konnte ungehindert eintreten. Der tote Drache lag noch immer auf der Plattform, und diese schwebte nach wie vor über dem Boden, ohne daß Mrothyr erkennen konnte, was sie trug. Er eilte zu ihr hin und untersuchte sie. Dabei entdeckte er zwei kleine Hebel an ihrer Vorderseite. Kurzentschlossen schob er das tote Reptil von der Platte herunter und stieg selbst hinauf. Dann drückte er den linken der beiden Hebel vorsichtig nach vorn. Die Plattform stieg sanft in die Höhe, bis er den Hebel wieder zurückzog. Danach versuchte er den rechten Schalter, und die Plattform glitt lautlos nach vorn. Er stieg von der Maschine herunter und stemmte sich dagegen. Sie setzte ihm erstaunlich viel Widerstand entgegen, ließ sich aber schließlich doch herumdrehen, so daß die beiden Schalter nunmehr auf die Tür zeigten. Er hörte die Stimmen mehrerer Naldrynnen, sprang wieder auf die
Platte und wartete. Wenig später öffnete sich die Tür. Mrothyr stieß den Hebel nach vorn und hielt sich mit der anderen Hand an der Vorderkante fest. Er fürchtete, heruntergeworfen zu werden, doch während er selbst keinerlei Beschleunigung verspürte, schoß die Platte nach vorn, prallte gegen die sich öffnende Tür und stieß sie ganz auf. Dann jagte sie an mehreren Naldrynnen vorbei in die Dunkelheit hinaus. Die Fremden waren so überrascht, daß sie lediglich schrien, aber nicht auf ihn schossen. Erst als er schon fast hundert Meter vom Tempel entfernt war, zuckte ein gleißend heller Energiestrahl durch die Nacht, verfehlte ihn jedoch weit. Als der nächste Schuß fiel, war er bereits in Sicherheit. * Bethanrty schrie erschrocken auf, als Mrothyr sich plötzlich mit der schwebenden Plattform aus der Dunkelheit herabsenkte. Er entdeckte sie erst, nachdem er fast eine Stunde lang gesucht hatte, und das auch nur, weil er die grünen Flecken auf dem Rücken Cathems durch das Laubwerk leuchten sah. »Ich bin es«, rief der junge Zyrpher rasch. »Keine Angst. Es ist alles in Ordnung.« »Du kannst mit dem Ding fliegen?« fragte sie voller Bewunderung. »Das ist Teufelswerk«, stieß Cathem keuchend aus. »Ich will nichts damit zu tun haben.« Er wandte sich um und flüchtete. Mrothyr wollte ihn erst zurückrufen, doch dann ließ er ihn laufen. »Es ist vielleicht ganz gut so«, sagte er. »Wir haben genug mit uns selbst zu tun.« »Was ist beim Tempel los?« fragte sie. »Seit einer Stunde lärmen die Fremden. Ich habe gesehen, daß es blitzte, aber wir haben gar kein Gewitter.« »Es sind die Waffen der Fremden. Sie haben geschossen«, berichtete er und erzählte ihr dann in groben Zügen, was geschehen war. Dabei konnte er sie dazu überreden, zu ihm auf die Plattform zu steigen. Er ließ diese in die Höhe schweben und beschleunigte vorsichtig, so daß sie sich allmählich vom Tempel entfernten. Er wäre gern schneller geflogen, wagte jedoch nicht, mit der Platte zu experimentieren, weil er fürchtete, die Kontrolle über sie zu verlieren. »Glaubst du nicht, daß sie uns verfolgen werden?« fragte sie, als sie alles erfahren hatte. »Dazu müssen sie uns erst einmal finden. Und vorläufig haben sie keine Maschine, mit der sie fliegen können.« »Aber es sind nicht die einzigen Naldrynnen auf Zyrph. Außer ihnen gibt es noch viele andere, und die werden kommen und uns jagen.« Trotz der Dunkelheit konnte er genügend sehen, um die Plattform aus dem Tal heraus und über die Berge zu lenken, und die Sicht besserte sich noch erheblich, als der Mond aufging. Mrothyr flog stets in niedriger Höhe, weil er kein unnötiges Risiko eingehen wollte. Als sie ein Hochtal mit einem kleinen See erreichten, landete der junge Zyrpher, und sie stiegen von der Platte herab. Sie konnten über eine Felsbarriere hinweg auf eine weite Ebene hinabsehen. An einigen Stellen zeigten Lichterketten an, wo das Land besiedelt war. Etwa fünf Kilometer von ihnen entfernt befand sich der Förderturm eines Bergwerks. »Morgen sehen wir uns dort unten um«, sagte er. »Falls wir die Gelegenheit dazu haben«, gab sie zu bedenken. »Wir haben den Naldrynnen diese Platte weggenommen. Glaubst du, daß sie es sich gefallen lassen?« »Es wird sie ärgern«, erwiderte er. »Aber sie haben unsere Spur verloren. Das ist unser Vorteil.« »Die Fremden haben eine ganz andere Technik als wir«, sagte sie. »Ich bin sicher, daß sie auch die
Mittel haben, uns zu finden, solange wir diese Platte haben. Wir sollten uns möglichst bald von ihr trennen.«
6. Die schrille Stimme eines Naldrynnen schreckte Mrothyr am nächsten Morgen aus dem Schlaf auf. Unwillkürlich griff er nach seinem Gürtel, doch die Hand glitt ins Leere. Er hatte keine Waffe. Die Armbrust lag auf der Plattform, und von dort kam auch die Stimme des Grünen. »Was ist das?« fragte Bethanrty ängstlich. Mrothyr ging zur Plattform und nahm die Armbrust an sich. Jetzt erst bemerkte er, daß die naldrynnische Stimme aus der Plattform kam. »Sprechfunk«, erklärte er. »Du weißt, daß es das bei uns auch schon gibt. Aber dies ist eine Neue Technik. Viel besser als das, was wir haben. Es ist jedoch nichts, wovor wir uns fürchten müßten.« »Oh, doch«, widersprach sie energisch. Sie zog sich die Schuhe aus und ging einige Schritte in den See hinein, um sich das Gesicht und die Hände zu waschen. »Für mich ist das ein Zeichen, daß sie die Jagd auf uns eröffnet haben, und daß sie schon ziemlich genau wissen, wo wir sind. Es dauert nicht lange, bis sie hier auftauchen.« Die naldrynnische Stimme schwieg plötzlich. Mrothyr und das Mädchen blickten sich an. »Schnell«, sagte er. »Wir verschwinden.« Er nahm ihre Schuhe auf und zog sie zur Plattform. Er startete, während sie sich die Schuhe überstreifte. »Nicht so hoch«, bat sie. »Es genügt doch, wenn wir einige Meter über dem Boden sind. Falls wir abstürzen, fallen wir nicht so tief.« »Es ist ganz sicher«, behauptete er. »Wir könnten zu den Wolken hoch fliegen und brauchten doch keine Angst zu haben.« »Schön«, entgegnete sie. »Du kannst das ja irgendwann mal machen, aber bitte ohne mich.« Er lenkte die Antigravscheibe über die Felsbarriere hinweg, und er fand sich immer besser mit der, Maschine zurecht. Er konnte sie nun nicht nur geradeaus und nach oben und unten steuern, er konnte sie in jede Richtung dirigieren. Bethanrty hielt sich an der Kante der Platte fest, obwohl sie nicht ein einziges Mal in Gefahr geriet herunterzufallen. Sie spürte eine unsichtbare Kraft, die sie sicherte, aber sie vertraute ihr nicht. Mrothyr flog über die Felsbarriere hinweg, ließ die Plattform dann über eine Geröllhalde in die Tiefe gleiten und folgte einer Schneise, die in den Wald geschlagen worden war. An ihrem Ende – viele Kilometer von ihnen entfernt – erhob sich der Förderturm, und dieser war sein Ziel. Mitten in der Schneise verlief ein Gleis. Es führte in die Ebene hinein und zum Bergwerk hin. Auf bereitstehenden Loren konnte genügend Holz für den Bergbau hinuntergebracht werden. »Da sind sie«, sagte Bethanrty. Sie zeigte zu den Bergen hinüber. »Da und da. Und da drüben auch.« Im Licht der aufgehenden Sonne blitzten die gläsernen Kuppeln der naldrynnischen Flugmaschinen. »Es wäre Wahnsinn, wenn wir noch länger auf diesem Ding blieben. Der dunkle Durchgang wäre uns sicher.« Mrothyr antwortete nicht. Erstaunt blickte sie ihn an. Sie wollte etwas zu ihm sagen, aber dann brachte sie keine Silbe über die Lippen. Sie sah, daß seine Hände von einer Aura grünen Feuers umgeben waren. Es ging von seinen Handflächen aus. Er saß nach vorn gebeugt auf der fliegenden Plattform und schien das Bewußtsein verloren zu haben. »Mrothyr«, rief sie entsetzt. »Was ist mit dir?«
Er hob den Kopf und sah sie an, als ob er aus einem tiefen Traum erwache. Das grüne Feuer erlosch, und seine Hände sahen wieder völlig normal aus. »Was ist mit dir?« wiederholte sie. Er antwortete nicht, sondern lenkte die Antigravplatte nach unten zwischen die Bäume und landete. »Deine Hände waren in grünes Feuer getaucht«, stammelte sie. »Ich weiß«, antwortete er. »Ich hatte das Gefühl, sie verbrennen.« Sie erinnerte sich an die Flugkabinen, die sie gesehen hatte, und sie machte ihn darauf aufmerksam. »Wir lassen die Plattform hier, obwohl sie uns eigentlich gute Dienste leisten könnte, aber wahrscheinlich verraten wir uns durch sie.« »Was hast du vor?« fragte sie. »Wir nehmen eine Lore. Damit fahren wir zum Bergwerk. Vielleicht sind unsere Eltern dort.« Sie wollte Einwände gegen den Plan erheben, der ihr gar zu sehr auf den Zufall aufgebaut schien, doch als sie seine Augen sah, schwieg sie. Er ist anders geworden, dachte sie. Er ist erwachsener geworden, und er läßt sich nicht von seinem Plan abbringen. »Du kannst hier bleiben«, schlug er ihr vor. »Ich hole dich später ab.« »Und wenn du nicht kommst? Wohin soll ich dann? Nein, ich bleibe bei dir, und wenn der dunkle Durchgang auf uns wartet, dann werden wir beide hindurchgehen.« »Sie werden uns nicht töten«, antwortete er. »Das kannst du nicht wissen.« »Doch. Ich weiß es. Wir sind wertvoll für sie. Wir sind Arbeitskräfte, die sie ausbeuten können, und wir haben eine Energie in uns, die sie für ihr teuflisches Ei benötigen.« Er blickte auf seine Hände. »Ja, ich glaube, daß sie uns die Energie rauben, um das Ei damit zu speisen. Sie wollen, daß eine junge Echse ausschlüpft, nachdem die Flugechse tot ist.« »Ich kann mir das alles nicht so recht vorstellen«, erwiderte sie. »Aber ich habe dieses Ei ja auch nicht gesehen.« Er schulterte die Armbrust und ging mit Bethanrty zu einer Lore. Die Bremsen des einfachen Transportgefährts waren festgestellt, ließen sich aber leicht lösen. »Also dann«, sagte er und half dem Mädchen in die Lore. »Damit kommen wir schnell nach unten.« Er legte die Armbrust in die Transportwanne und löste die Bremse. Langsam setzte sich die Lore in Bewegung. »Mrothyr, paß auf«, schrie Bethanrty plötzlich. Über ihnen blitzte etwas. Dann fiel ein Schatten über sie. Mrothyr blickte nach oben. Er sah den etwa zehn Meter langen Flugkörper einer schwebenden Kabine, und er erkannte, daß ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte. Die Flugkabine glitt lediglich über sie hinweg. Die darin sitzenden Naldrynnen hatten Bethanrty und ihn noch nicht entdeckt. Das Mädchen versuchte in ihrer Angst, ihm in die Lore zu helfen, war dabei jedoch so ungeschickt, daß sie die Hand zur Seite drückte, mit der er sich festhalten wollte. Mrothyr rutschte aus und stürzte auf die Gleise. Er sprang sofort wieder auf, konnte die Lore jedoch nicht mehr erreichen. Das Mädchen versuchte, aus der Lore zu springen, glitt jedoch ebenfalls aus und fiel zurück. Mrothyr rannte hinter der immer schneller werdenden Lore her und versuchte, sie mit den Händen zu erreichen. Das Mädchen streckte ihm die Hände entgegen. Doch alle Bemühungen waren vergeblich.
»Spring doch ab«, brüllte er. »Du darfst nicht länger warten.« Doch Bethanrty konnte sich nicht dazu entschließen, aus der Lore zu springen, die nun über die Gleise in die Tiefe stürzte und so schnell wurde, daß er sie nicht mehr einholen konnte. Sie griff sich hilflos an den Kopf und ließ sich dann resignierend zurücksinken. Mrothyr blieb schwer atmend stehen. Er verfolgte die Lore mit seinen Blicken, wie sie den Berghang hinabraste, bis sie in der Ferne zwischen den Bäumen verschwand. Er sah, daß eine naldrynnische Flugkabine dorthin flog, wo das Mädchen mittlerweile mit der Lore angelangt sein mußte, und er beobachtete, wie plötzlich ein sonnenheller Blitz aus der Kabine zum Boden hinabzuckte. Er rannte den Berg hinunter, während sich die Flugkabine langsam entfernte. Immer wieder hoffte er, auf den von der Seite zuführenden Gleisen eine Lore zu finden, mit der er Bethanrty hätte schneller folgen können, aber er wurde enttäuscht. Er mußte die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen, und er rannte, bis ihm der Atem knapp wurde und stechende Schmerzen in der Brust ihn zu einer Pause zwangen. Da er eine weitere Flugkabine in der Nähe bemerkte, zog er sich unter die Bäume zurück, um hier zu Atem kommen zu können. Er verfolgte, wie die Naldrynnen das Gebiet absuchten, dann aber in Richtung Bergwerk schließlich abzogen. Als die Schmerzen in der Brust abklangen, eilte er weiter, und jetzt machte er nicht eher halt, bis er vor den ausgeglühten Resten der Lore stand. Bethanrty war tot. Die Naldrynnen hatten sie erschossen, obwohl sie nicht die geringste Gefahr für sie darstellte. Noch im Tode umklammerte das Mädchen die Armbrust, die sich unter dem Einfluß der Hitze so verzogen hatte, daß sie nicht mehr zu gebrauchen war. Wie betäubt hob Mrothyr die sterblichen Reste Bethanrtys aus der Lore, hob mit Hilfe der Armbrust eine Grube am Waldrand aus, legte die Tote hinein und deckte sie mit Steinen und Erde zu. Dann blickte er in den Himmel hinauf, und der Ausdruck seiner Augen veränderte sich. »Das werdet ihr noch bereuen, Naldrynnen«, schwor er. »Dafür werdet ihr bezahlen, dafür und für alles, was ihr Zyrph antut. Ich werde kämpfen. Ich werde so lange kämpfen, bis ihr Zyrph verlassen habt.« Er verharrte mehr als eine Stunde am Grab des Madchens, bevor er sich auf den Weg zum Bergwerk machte, um seine Eltern zu suchen. * Mrothyr hob den Kopf. Er blickte Atlan an, der ebenfalls auf dem Boden saß und den Kopf an die Wand gelehnt hatte. Der Arkonide hielt die Augen geschlossen, schien jedoch nicht zu schlafen. Mrothyr dachte daran, wie er zum Freiheitskämpfer geworden war. Er hatte seine Eltern und auch die Eltern von Bethanrty nie gefunden. Atlan hob den Kopf und blickte ihn an. »Bist du in Ordnung?« fragte er. »Völlig«, erwiderte der Zyrpher. »Mir ist jedoch eines klar geworden.« »Und das wäre?« Mrothyr zeigte auf Braodyr, das Wesen, das aussah, wie ein umgestülpter, drei Meter hoher Tannenzapfen.
»Mit ihm kommen wir nicht weiter. Wir müssen zurück zu den Ligriden. Wir erreichen mehr, wenn wir Kontakt zu ihnen haben. Außerdem gefährden wir Chipol und die STERNSCHNUPPE, wenn wir uns nicht bald bei den Ligriden sehen lassen.« Atlan nickte. »Das ist auch meine Ansicht.« »Ihr werdet hier bei mir bleiben«, sagte Braodyr energisch. Er schnaufte laut, und an seiner Vorderseite öffneten sich acht Augen. »Glaubt ihr, die Ligriden helfen euch, herauszufinden, wo Wrackbank ist? Daß ich nicht lache! Sie tun alles, um zu verhindern, daß irgendjemand entdeckt, zu welchem der vier H-plus-Nebel die Waren geschickt werden.« »Mit dir kommen wir auch nicht weiter«, entgegnete der Arkonide. »Ich sage nicht, daß wir gegen dich arbeiten wollen. Ganz und gar nicht. Wir verfolgen das gleiche Ziel wie du, und wir werden dafür sorgen, daß du ebensoviel erfährst wie wir, aber wir kommen keinen Schritt weiter, wenn wir uns hier verkriechen und die Ligriden an der Nase herumfuhren.« Braodyr antwortete zunächst nicht. Seine Augen schlossen sich, und etwa fünf Minuten vergingen, bis sich zwei von ihnen wieder öffneten. Sie waren größer als zuvor. »Ihr wollt mich verraten.« »Unsinn. Was hatten wir davon? Überhaupt nichts. Aber kannst du uns einen Weg nennen, auf dem wir weiterkommen?« Wieder schwieg das seltsame Wesen mehrere Minuten lang, bis es schließlich erwiderte: »Nein!« »Die einzige Möglichkeit ist, die Positronik zu untersuchen«, stellte Atlan klar. »Dazu werden sie uns aber keine Gelegenheit geben, und wenn wir es ohne ihre Einwilligung versuchen, lösen wir einen Alarm aus. Also geht es auf diesem Weg nicht.« »Einen anderen Weg gibt es nicht.« »Es muß einen geben«, beharrte Atlan auf seinem Standpunkt, »und wir werden ihn finden.« Ihm war klar, daß sie das Versteck nicht gegen den Willen Braodyrs verlassen konnten, und er zweifelte auch nicht daran, daß dieses geheimnisvolle Wesen sie jederzeit und überall in Zinkoyon aufspüren konnte. Braodyr hatte bewiesen, daß er ganze Wohneinheiten durch die Weltraumstation fahren konnte, ohne daß die Ligriden etwas davon erfuhren. Er kannte sich hier aller Wahrscheinlichkeit nach besser aus als sie, und da er im geheimen operierte, stufte der Arkonide ihn als gefährlicher ein als sie. Braodyr schien vor allem durch seine Intelligenz allen Ligriden überlegen zu sein. »Wenn ihr Verbindung mit den Ligriden aufnehmt, müßt ihr erklären, wie ihr aus dem Raum da oben verschwunden seid«, bemerkte das fremdartige Wesen. »Das läßt sich nicht ändern. Vermutlich können wir die Ligriden sogar für uns gewinnen, wenn wir ihnen zeigten, was es mit dem Raum auf sich hat«, entgegnete Atlan. »Sie wissen nichts von mir, und sie werden auch nichts von mir erfahren«, erklärte Braodyr. »Wenn du ihnen zeigst, was es mit dem Kippraum auf sich hat, werden sie verblüfft sein und sich bei euch entschuldigen, aber sie werden niemals darauf kommen, daß ich hier bin und ihnen Schwierigkeiten mache. Also gut. Ich bin einverstanden. Ich führe euch zu einem Raum, von dem aus ihr euch melden könnt. Alles weitere überlasse ich euch!« Der gewaltige Körper erzitterte plötzlich, und ein breiter, grinsender Mund bildete sich. »Seid euch aber darüber klar, daß ich jedes Wort höre, das ihr sagt. Ich kann euch ständig abhören. Ich kann euch auf Schritt und Tritt verfolgen. Ihr werdet sehr bald feststellen, daß es unmöglich ist, mich zu betrügen, denn ich habe Zinkoyon fest im Griff. Ich bin der wahre Herr dieser Station. Und jetzt gib mir die Waffe, die du dem Ligriden abgenommen hast.
Du könntest kaum erklären, woher du sie hast.« Er nahm den Energiestrahler entgegen, öffnete eine Tür und glitt hinaus. Atlan blickte auf die Unterkante seines gewaltigen Körpers, konnte jedoch nicht erkennen, ob da Füße waren, oder wie Braodyr sich sonst voranbewegte. Mrothyr blickte ihn flüchtig an. Er lächelte. Dann ließ er die Schultern nach vorn sinken und schlenkerte mit den Armen. Seine Augen wurden ausdruckslos. Er bot das Bild eines Schwachsinnigen. So trottete er hinter dem Arkoniden her, bis Braodyr sie in eine kleine Kammer führte, in der einige Transportbehälter herumstanden. »Da ist ein Interkom«, sagte das fremdartige Wesen. »Meldet euch. Ich ziehe mich jetzt zurück. Aber ich warne euch. Wenn ihr versucht, mich zu betrügen, werde ich euch beide töten.« Die Tür schloß sich hinter ihm, und der Arkonide schaltete den Interkom ein. Unmittelbar darauf erschien das Gesicht eines Ligriden auf dem Bildschirm. Seine vier Lider gerieten in heftige Bewegung. Er drehte den Kopf zur Seite und sagte etwas, was der Arkonide nicht verstand. Dann wandte er sich ihm wieder zu. »Wo seid ihr?« fragte er heftig. »Was soll diese törichte Frage?« fuhr Atlan ihn an. »Wir sind nach Zinkoyon gekommen, weil die Hyptons uns darum gebeten haben. Wir verstehen das Spiel nicht, das ihr meint, mit uns treiben zu müssen.« »Was für ein Spiel?« fragte der Ligride verwirrt. Er blickte verstört zur Seite, stand dann auf und machte einem anderen Ligriden Platz, der einen rot-gold gestreiften Schutzhelm trug. Dieser umschloß seinen Schädel bis zum Nacken hin und ließ vorn nur die Augen und den Mund frei. Dieser Offizier nahm offenbar einen höheren Rang ein als der andere. »Ihr glaubt, uns zum Narren halten zu können«, begann der Offizier, »aber wir…« »Ihr habt uns in einen Raum geführt, an dessen Wand sich eine große Holographie befindet«, unterbrach der Arkonide ihn. »Der Boden dieses Raumes kippte plötzlich weg, und wir rutschten in die Tiefe. Wir waren beide lange bewußtlos, sonst hätten wir uns früher gemeldet.« Die Tür öffnete sich, und vier Ligriden stürzten herein. Wortlos richteten sie ihre Energiestrahler auf Atlan und Mrothyr, packten sie, wirbelten sie herum und fesselten sie blitzschnell an den Händen. »Was soll das?« stammelte der Zyrpher mit weinerlicher Stimme. »Warum tun sie das mit uns?« »Sei still, Kleiner«, sagte der Arkonide. »Das hat nichts weiter zu bedeuten.« Die Ligriden führten sie wortlos ab und brachten sie in einen anderen Raum, in dem zwölf ligridische Offiziere versammelt waren. Einer von ihnen trat ihnen entgegen. Er trug einen gold-rot gestreiften Helm, der seinen Kopf bis zum Nacken hinunter umhüllte und vorn nur die Augen und den Mund freiließ. Es war der Offizier, mit dem Atlan über Interkom gesprochen hatte. »Ich bin Lokhortgor«, stellte er sich vor. »Man hat mir erzählt, was ihr behauptet habt. Ich möchte es noch einmal hören.« Atlan schilderte bereitwillig, wie sie aus dem Raum mit der Holographie verschwunden waren, und er hatte seinen Bericht gerade beendet, als zwei Ligriden hereinkamen und dem Offizier bestätigten, daß er die Wahrheit gesagt hatte. »Wir haben den Raum darunter untersucht«, erklärte einer von ihnen. »Es stimmt. Der Boden des oberen Raumes läßt sich herunterklappen. Wer sich dann oben aufhält, rutscht in einen schrägen Schacht, in dem verschiedene Antigavgeräte untergebracht sind. Er wird hinweggerissen.« Lokhortgor blickte Atlan forschend an. »Wir haben nichts davon gewußt«, sagte er. »Wer hat euch aus dem Raum geholt? Mit wem habt ihr
gesprochen?« »Mit niemandem«, erwiderte der Arkonide. »Wir haben erwartet, daß sich uns jemand zeigen würde, aber das war ein Irrtum.« Lokhortgor wandte sich nun Mrothyr zu, obwohl der Arkonide ihn bat, dies nicht zu tun. Er erwartete, vom anscheinend schwachsinnigen Zyrpher mehr zu erfahren. Mrothyr spielte seine Rolle absolut überzeugend, so daß sich der Ligride schließlich abwandte und sich mit den Auskünften zufriedengab, die er von Atlan erhalten hatte. Er verließ den Raum zusammen mit sechs weiteren Männern und kehrte erst nach geraumer Zeit zurück. Er war sichtlich beunruhigt, und die Bemerkung Atlans, er habe die Weltraumstation doch wohl nicht ganz unter seiner Kontrolle, brachte ihn aus der Fassung. Er hat begriffen, daß er nicht Herr im eigenen Hause ist, konstatierte der Logiksektor. Mrothyr hatte sich auf einen Hocker gesetzt. Er stützte beide Arme auf den Oberschenkeln ab und wiegte den Oberkörper langsam vor und zurück. Seine Augen blickten ins Leere. Er schien überhaupt nicht zu begreifen, was geschah. Eine gute Idee des Zyrphers, lobte das Extrahirn. Die Ligriden achten immer weniger auf ihn. Früher oder später wird er einen entscheidenden Vorteil daraus ziehen. Atlan setzte sich ebenfalls. Er war froh, daß er den Kontakt mit den Ligriden wiederhergestellt hatte. Allein mit Braodyr wäre er kaum weitergekommen. Er überlegte, welche Schritte er unternehmen sollte. Es gibt nur noch eine einzige Spur, die dich nach Wrackbank oder zum Erleuchteten führen kann, bemerkte das Extrahirn. Es ist die Verbindung, die angeblich zwischen den Hyptons und dem Erleuchteten besteht. »Das ist eine geistige Verbindung«, erwiderte Atlan. »Wir haben niemanden dabei, der eine solche Verbindung anzapfen könnte.« Die Tür öffnete sich, und Lokhortgor kehrte zurück. Er blickte Atlan an. Mrothyr schien für ihn nicht vorhanden zu sein. »Wir sind nicht allein in Zinkoyon«, eröffnete er ihm. »Es sind Hyptons bei uns, und die wollen mit dir reden, Daila.« Der Arkonide erhob sich. Er hatte Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Hyptons sich von sich aus melden würden. »Und?« fragte er und blickte auf seine silbrig schimmernden Fingernägel. »Worauf warten wir?« Lokhortgor blickte ihn kühl und distanziert an. Die unteren Lider glitten unter den oberen hervor und schlossen sich bis auf einen kleinen Schlitz. Der Arkonide versuchte sich darüber klar zu werden, welche Empfindungen der Ligride hatte. Es gelang ihm nicht. Er konnte nicht sagen, ob er irritiert war, weil er – der vermeintliche Daila – über seinen Kopf hinweg mit den Hyptons verhandeln sollte, oder ob es ihm gleichgültig war. »Komm«, forderte der Ligride ihn auf. »Ich auch, Lan?« fragte Mrothyr. »Natürlich, Tir«, erwiderte der Arkonide. »Glaubst du, ich lasse dich allein?« Der Zyrpher trottete hinter ihm her, als er den Raum verließ. Seine Arme baumelten scheinbar kraftlos an seinen Seiten, und die Unterlippe sank ihm nach unten. Die Ligriden beachteten ihn nicht. Für sie schien er nicht vorhanden zu sein. Wenig später betraten Atlan und Mrothyr einen ovalen Raum, in dem sich vier Hyptons befanden. Sie hingen nicht in einer Traube von der Decke herunter, sondern standen dicht beieinander auf
einem Podest. Sie trugen weite Umhänge, unter denen sie ihre zierlichen Körper verbargen. Ihre Haut war milchig weiß. Sie hatten kleine Köpfe, die an die von Fledermäusen erinnerten, aber große, hervorquellende Augen. Diese waren nachtschwarz und verliehen den Hyptons ein sanftmütiges Aussehen. Es sind nur einige der Hyptons von Zinkoyon, stellte der Logiksektor leidenschaftslos fest. Sie halten es nicht für nötig, daß alle an dem Gespräch teilnehmen. Atlan machte sich nichts vor. Er erwartete nicht sehr viel von dieser Unterredung. Die Hyptons eröffneten das Gespräch mit ein paar belanglosen, durchaus freundlichen Bemerkungen. Sie hatten helle, nicht unangenehm klingende Stimmen. Atlan antwortete im gleichen, entgegenkommenden Ton, während Mrothyr schwieg. Der Zyrpher stand mit hängenden Schultern neben dem Arkoniden und blickte ins Leere. Er spürte eine gewisse geistige Beeinflussung, konnte sich jedoch dagegen wehren. Die Hyptons wandten sich nun den Vorgängen auf und um Cirgro zu. Sie wollten wissen, was dort im einzelnen geschehen war. Atlan konnte ihnen glaubhaft machen, daß er nichts über die Hintergründe der Ereignisse wußte – was auch den Tatsachen entsprach. »Wir danken euch für eure Mühe«, sagte schließlich einer der Hyptons, der bis dahin geschwiegen hatte. »Wir möchten euch jetzt bitten, uns die beiden Toten und die Reste des Stahlmanns zu übergeben.« Atlan war nicht beeinflußbar, und er spürte auch nicht, ob die Hyptons versuchten, ihm einen hypnotischen Befehl zu erteilen, doch er war sich darüber klar, daß die fledermausähnlichen Wesen ihre Fähigkeiten auf jeden Fall nutzten. Er tat, als beuge er sich ihrem Willen. »Wir werden euch die Toten und den Stahlmann sofort übergeben«, erwiderte er, und er schien überhaupt nicht zu bemerken, daß von einer Belohnung nicht mehr die Rede war. Mrothyr ließ die Schultern noch ein wenig weiter nach vorn sinken. Er machte darüber hinaus den Eindruck, als sei er so müde, daß er die Augen kaum noch offenhalten konnte. Ein Ligride kam herein. Er entschuldigte sich für die Störung. »Eine Forderung des Erleuchteten ist eingegangen«, meldete er. »Die Materialien aus dem Katalog 579 werden jetzt benötigt.« Atlan wußte, daß der Erleuchtete sich bestimmter Übermittlungstechniken bediente, die er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht abhören konnte. Dennoch stand für ihn fest, daß er möglichst schnell an Bord der STERNSCHNUPPE zurück mußte, um zu überprüfen, ob diese einen Hyperfunkspruch aufgefangen hatte. »Bitte, geht jetzt«, sagte einer der Hyptons. »Wir danken euch für eure Hilfe.« Atlan zögerte. Er tat, als denke er über etwas nach, drehte sich dann aber um und ging mit Mrothyr hinaus. »Bringt mich zu unserem Raumschiff«, befahl er den Ligriden, die ihn vor der Tür erwarteten. »Wir werden die toten Hyptons und den Stahlmann übergeben.« Die Ligriden ließen erkennen, daß ihnen der Tonfall des vermeintlichen Daila nicht gefiel. Sie wollten keine Anweisungen von ihm entgegennehmen. »Wir tun, was die Hyptons uns auftragen«, erwiderte einer von ihnen. »Du hast uns nichts zu befehlen.« »Natürlich, das verstehe ich«, lächelte Atlan. »Und jetzt beeilt euch. Wir müssen zur STERNSCHNUPPE. Das ist übrigens genau das, was die Hyptons auch wollen.« Die Ligriden blickten ihn ärgerlich an. Einer von ihnen hob die Faust, doch ein anderer schob ihn
besänftigend zur Seite. »Nun kommt schon«, forderte er. »Und bildet euch nur nichts darauf ein, daß ihr mit den Hyptons gesprochen habt.« »Tun wir doch nicht«, gab Atlan gelassen zurück, während Mrothyr und er zur STERNSCHNUPPE geführt wurden. »Wir wissen doch, daß die Hyptons ebensowenig Herr von Zinkoyon sind wie ihr. Auch ihnen tanzt irgendjemand auf der Nase herum, von dem sie bis vor kurzem noch nicht einmal etwas geahnt haben.« »Ordnung ist das halbe Leben«, bemerkte der Zyrpher mit schwerer Zunge. Atlan lachte. »Du hast ganz recht, Tir«, erwiderte er. »Die Ligriden versuchen, hier Ordnung zu schaffen, und ich finde es durchaus lobenswert, daß sie zumindest den guten Willen haben.« »Sei endlich still«, fuhr ihn einer der Ligriden an, »oder ich zeige dir, was ich unter Ordnung verstehe.« Sie hatten die Schleuse erreicht, durch die Atlan und Mrothyr die STERNSCHNUPPE betreten konnten. »Wir sind gleich zurück«, sagte Atlan von oben herab. »Bleibt hier und wartet.« »Wir gehen mit an Bord«, erwiderte der Ligride. »Ich rate dir, dich zurückzuhalten. Die Hyptons haben uns gebeten, die Toten und den Stahlmann zu übergeben. Genau das werden wir tun – vorausgesetzt, ihr macht uns keine Schwierigkeiten.« Die Ligriden blickten ihn zornig an. Sie waren hilflos. Sie konnten nichts gegen ihn unternehmen, weil sie sich damit gleichzeitig auch gegen die Hyptons gestellt hätten. Atlan nickte ihnen lächelnd zu und betrat zusammen mit Mrothyr die Schleuse. Der Zyrpher richtete sich aufatmend auf, als sich das Schott hinter ihnen geschlossen hatte. »Sie lassen sich provozieren«, sagte er, »aber sie haben keine Fehler gemacht.« »Dazu werden wir ihnen noch Gelegenheit geben.« Sie betraten die STERNSCHNUPPE, und Chipol kam ihnen neugierig entgegen. Er wollte alles wissen, was inzwischen geschehen war. »Später«, wehrte der Arkonide ab. »Zunächst müssen wir wissen, ob die STERNSCHNUPPE einen Hyperfunkspruch aufgefangen hat.« »Hat sie«, antwortete der Daila. »Ich habe alles notiert. Kommt mit.« Die STERNSCHNUPPE hatte tatsächlich einen Hyperfunkspruch aufgefangen, in dem von einer Materiallieferung die Rede war und in der sogar der Standort des Senders genannt wurde. »Oase«, sagte Atlan nachdenklich und ließ den Zettel sinken, auf dem Chipol alles notiert hatte. Eine Falle! warnte der Logiksektor. »Können wir den Sender anpeilen?« fragte Mrothyr. »Oder können wir errechnen, woher die Nachricht gekommen ist?« »Ja, aber das werden wir nicht tun«, erwiderte der Arkonide. »Wir würden dem Erleuchteten wahrscheinlich direkt in die Falle gehen.« Der zyrpherische Freiheitskämpfer nickte. »Natürlich«, stimmte er zu. »Ein plumpe Falle. Die Hyptons haben dafür gesorgt, daß der Bote gerade zu dem Zeitpunkt in den Raum kam, zu dem wir mit ihnen redeten. So mußten wir hören, was er zu sagen hatte. Und das wollten sie auch. Wir werden ihnen nicht in die Falle gehen.« »Und was jetzt?« fragte Chipol.
»Wir müssen die toten Hyptons übergeben.« »Und dann?« Atlan seufzte unentschlossen. »Dann wird es schwierig. Mit den Toten haben wir ein Pfand in der Hand. Wenn wir es abgeben, fallen sie womöglich über uns her.« Mrothyr hob die Hände und richtete die Handflächen gegeneinander. Zwischen ihnen entstand eine schwach leuchtende, grüne Flamme. »Wir können nicht verschwinden«, erklärte er. »Noch nicht. Hier ist noch etwas zu bereinigen.« »Was meinst du?« fragte Chipol. »Ich verstehe nicht, wovon du redest.« »Es befindet sich irgend etwas in Zinkoyon«, erwiderte Atlan, ohne die Blicke von dem Zyrpher zu wenden, »und Mrothyr hat damit zu tun. Er sollte uns nun endlich sagen, was das ist.« »Später«, wehrte der Zyrpher ab. »Nein, jetzt«, forderte der Arkonide. »Du wirst versuchen, dich diesem Ding zu stellen, das sich in der Station befindet. Deshalb spielst du die Rolle eines Schwachsinnigen. Du hoffst, daß du dich früher oder später in Zinkoyon bewegen kannst, ohne aufgehalten zu werden. Und du hast bereits erste Erfolge. Die Ligriden reagieren so, wie du es willst. Sie beachten dich nicht mehr. Nun gut, du mußt wissen, was du tust. Aber wenn hier irgend etwas ist, mit dem du dich auseinandersetzen mußt, dann sollten wir wenigstens wissen, was es ist.« »Ich weiß es nicht genau«, antwortete Mrothyr. Er ließ die Hände sinken. »Vielleicht sollte ich euch erzählen, was ich erlebt habe, als ich 17 Jahre alt war.« »Wir hören«, sagte der Unsterbliche. »Also gut. Damals war ich zusammen mit meinen Eltern an Bord eines Schiffes. Mitten in der Nacht wachte ich auf und verließ die Kabine. Irgend etwas war geschehen. Ich spürte es. Ein eigenartiger Geruch lag in der Luft…«
7. »Du hast deine Eltern nie wiedergesehen?« fragte Chipol, als Mrothyr seinen Bericht beendet hatte. »Nein, nie«, entgegnete der Freiheitskämpfer. Er rückte seine Fellmütze zurecht. »Ich habe alles versucht. Ich bin in mehreren Bergwerken gewesen und habe überall nach meinen Eltern gefragt, aber sie waren verschwunden. Niemand konnte mir Auskunft geben. Ich habe mich dann ganz dem Kampf um unsere Freiheit gewidmet, aber ich habe nicht mit der Selbstsucht meiner Landsleute gerechnet, die bereit waren, für ein wenig Geld ihr eigenes Volk und im Grunde genommen sogar sich selbst zu verraten.« »Und du bist zu der Überzeugung gekommen, daß du deinen Kampf erfolgreicher mit uns austragen kannst«, ergänzte Atlan. »Das Grundübel ist der Erleuchtete. Wenn wir seine Macht brechen, stürzen wir auch die Naldrynnen.« »Genauso ist es«, bestätigte Mrothyr. »Schön und gut«, seufzte Chipol, »aber ich weiß noch immer nicht, was sich hier in Zinkoyon verbirgt, was dich so beunruhigt, und was das alles damit zu tun hat, daß du eine grüne Flamme zwischen deinen Händen erzeugen kannst.« Mrothyr lächelte. »Du sagst das so, als hätte ich eine besondere Fähigkeit, aber so ist es nicht. Seit ich dieses teuflische Ei im Drachentempel von Prhoum angefaßt habe, ist etwas in mir. Ich kann es dir nicht beschreiben. Irgend etwas von dieser Brut des Bösen ist auf mich übergegangen, und es wird hin und wieder so stark in mir, daß ich es kaum ertragen kann. Und jetzt spüre ich, daß es in dieser Weltraumstation etwas gibt, was mit diesem Gefühl in mir verwandt ist: Ich muß wissen, was es ist. Ich kann Zinkoyon nicht verlassen, bevor ich es herausgefunden habe. Es würde mir keine Ruhe lassen, und ich müßte immer wieder hierher zurückkehren, bis ich endlich weiß, was sich in Zinkoyon verbirgt.« »Und dann? Was ist, wenn du es weißt?« fragte Chipol. »Was wirst du dann tun?« Mrothyr zuckte mit den Achseln. »Ich wollte, ich könnte dir eine Antwort darauf geben, aber ich kann es nicht.« Einer der Bildschirme erhellte sich, und ein breiter, grinsender Mund erschien auf der Bildfläche. Atlan, Mrothyr und Chipol blickten sich überrascht an. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, daß sich Braodyr über Funk melden würde. »Keine Angst«, rief das fremdartige Wesen mit dröhnender Stimme, und zwei feuerrote Augen entstanden in seinen Mundwinkeln. »Niemand hört uns ab. Deshalb kann ich euch einen Tip geben, ohne fürchten zu müssen, daß die Ligriden oder die verdammten Hyptons etwas davon mitbekommen.« »Da bin ich aber gespannt«, erwiderte der Arkonide. »Was für einen Tip hast du für uns?« »In meiner Nähe befindet sich ein Mann deines Volkes.« »Ein Arkonide?« wäre es Atlan beinahe entfahren. Ein Daila, du Narr! signalisierte das Extrahirn. Du hast dich als Daila maskiert. »Ein Daila ist bei dir?« fragte der Arkonide. »Das ist allerdings eine Überraschung.« Chipol trat erregt näher. Er streckte die Hand unwillkürlich nach dem Arm Atlans aus. Seine Lippen bebten, aber er brachte kein Wort hervor. »Wenn mich nicht alles täuscht, hat der Daila in Wrackbank gearbeitet«, fuhr Braodyr fort. Sein
grinsender Mund verbreiterte sich noch etwas. Er will optimistisch und überlegen erscheinen, analysierte der Logiksektor das Bild. Er grinst dich an, als wäre er die Selbstsicherheit selbst, aber das Bild täuscht. Er ist nicht selbstsicher. Er ist im höchsten Maß verunsichert. Warum? fragte der Arkonide. Weil er mit dem Daila nicht klarkommt! Glaubst du Narr, er würde sich an dich wenden, wenn die Umstände ihn nicht dazu zwängen? Er will, daß du mit dem Daila redest und die Informationen aus ihm herausholst, die dieser ihm nicht geben will. Außerdem mißtraut er dem Daila. Er fürchtet, daß ihm Hyptons und Ligriden eine Falle stellen, um ihn aus dem Untergrund zu locken – und vielleicht tun sie dies mit dem Daila auch. Es könnte eine Falle sein, in der nicht nur er sich fangen soll. »Er hat in Wrackbank gearbeitet?« entgegnete Atlan. »Moment mal, dann müßte er uns doch eigentlich die Informationen geben können, die wir dringend benötigen.« »Ich glaube nicht«, erwiderte Braodyr und gab sich gelangweilt. »Aber du kannst es ja mal mit ihm versuchen.« Das Bild erlosch. »Ich muß zu ihm«, rief Chipol erregt. »Ich muß mit diesem Daila reden.« »Ich halte es für besser, wenn Mrothyr und ich gehen«, erwiderte der Arkonide, nachdem er kurz überlegt hatte. »Wir werden den Daila an Bord der STERNSCHNUPPE bringen. Nach dem Start habt ihr beide dann Zeit genug, euch miteinander zu befassen.« »Der Meinung bin ich ebenfalls«, fügte Mrothyr hinzu. »Atlan und mich kennen die Ligriden. Auf uns sind sie eingestellt, und so sollte es auch bleiben.« Seine Augen veränderten sich. Sie nahmen einen Ausdruck an, der Chipol erschreckte. Chipol gab nach, obwohl ihm dies nicht leichtfiel. Er half Atlan und dem Zyrpher, die beiden toten Hyptons und den Stahlmann zur Schleuse zu bringen und zog sich dann zurück. Der Arkonide öffnete das Außenschott der Schleuse. Fünf Ligriden traten ihnen entgegen. »Das hat sehr lange gedauert«, kritisierte Lokhortgor in scharf verweisendem Ton. »Darüber reden wir noch.« Er befahl den anderen Ligriden, die Toten und den Roboter aufzunehmen und wegzubringen. Dann wandte er sich an Atlan und Mrothyr, der mit hängenden Armen und ausdruckslosen Augen an der Schleusenwand lehnte. »Die Hyptons wollen noch einmal mit euch reden«, erklärte er. »Kommt mit.« Die beiden Freunde waren sicher, daß er log. Die Ligriden wollten sie nicht wegfliegen lassen, nachdem die beiden Leichname geborgen worden waren. Jetzt hatten Atlan und Mrothyr nichts mehr in den Händen, womit sie sich gegen die Kräfte des Erleuchteten hätten behaupten können. »Das habe ich erwartet«, erwiderte Atlan. »Sie werden uns die Belohnung übergeben wollen.« Der Ligride blickte ihn grinsend an. »Ja, das haben sie mir gesagt. Sie fällt allerdings etwas anders aus, als ihr erwartet habt.« Atlan und Mrothyr betraten die Weltraumstation erneut. Sie gingen vor Lokhortgor her, dessen Hand auf dem Kolben seines Multitrafs lag. Dieses Mal führte er die beiden Männer tief in die Anlage hinein, was diese jedoch keineswegs beunruhigte. Atlan war davon überzeugt, daß Braodyr Mittel und Wege finden würde, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Schließlich führte Lokhortgor sie in einen nüchtern eingerichteten Raum, in dem ein Tisch, fünf
Schalensessel und ein flacher Schrank standen. »Bleibt hier«, sagte er. »Wir führen euch gleich weiter zu den Hyptons.« Dann schloß er die Tür. Mrothyr veränderte seine Haltung nicht. Er war sich klar darüber, daß sie jederzeit beobachtet werden konnten. Doch dann fuhr er überrascht zusammen, denn plötzlich teilte sich die Wand ihm gegenüber, und Braodyr erschien. »Schnell«, rief das fremdartige Wesen. »Die Ligriden werden bald merken, was los ist.« Er hatte diese Worte kaum hervorgebracht, als sich die Tür öffnete, und zwei Ligriden hereinstürzten. Sie hielten Waffen in den Händen, kamen jedoch nicht dazu, sie auszulösen. Braodyr schoß auf sie und tötete sie. »Worauf wartet ihr?« rief er Atlan und dem Zyrpher zu. »Wollt ihr, daß noch mehr Ligriden auftauchen?« Atlan und der Freiheitskämpfer flüchteten an ihm vorbei in einen düsteren Gang hinein. Hinter ihnen fielen weitere Schüsse. Offenbar ruckten immer mehr Ligriden nach und versuchten, das Sperrfeuer Braodyrs zu durchbrechen. Mrothyr fuhr herum. Er sah, daß Braodyr eine Hand auf einem Schalter liegen hatte. Mit diesem konnte er die Öffnung in der Wand schließen, doch das tat er nicht. Er hatte einen etwa einen Meter breiten und dreißig Zentimeter hohen Mund mit mächtigen, weißen Zähnen gebildet. Mit ihm lachte er laut und dröhnend und feuerte dabei immer wieder in den Raum hinein, aus dem sie geflohen waren. »Er ist ein Killer«, sagte der Zyrpher leise. »Wir müssen vorsichtig sein. Er will, daß wir ihm helfen, herauszufinden, wo Wrackbank ist. Sobald wir das getan haben, wird er uns umbringen.« Braodyr feuerte noch einmal, dann betätigte er den Schalter, und die Wand schloß sich. Schnaufend glitt er auf Atlan und den Zyrpher zu. »Los doch, weiter«, rief er und trieb sie bis zum Ende des Ganges voran. Als sie dieses erreicht hatten, schloß er zu ihnen auf und sank zusammen mit ihnen auf einer Platte nach unten. Danach flüchteten sie durch einige Gänge bis zu einem Raum, in dem verschiedene Maschinen standen. Zwischen den Maschinenblöcken wartete die zierliche Gestalt eines Daila. Atlan trat auf den Mann aus dem Volke Chipols zu und begrüßte ihn. Der andere lächelte. »Du bist kein Daila«, stellte er fest. »Du hast dich nur so maskiert, aber das stört mich nicht. Braodyr hat mir gesagt, daß du ein Feind der Ligriden und der Hyptons bist. Das genügt mir.« »Nicht nur das«, erwiderte der Arkonide. »An Bord unseres Raumschiffs befindet sich Chipol aus dem Volk der Daila. Er gehört zur Familie Sayum.« Die Augen des Daila weiteten sich. »Aus der Familie Sayum?« rief er überrascht. »Ich gehöre zu dieser Familie.« »Das freut mich zu hören«, sagte Atlan. Er stellte Mrothyr vor. »Wir werden dich an Bord unseres Schiffes bringen, falls Braodyr keine Einwände dagegen hat.« »Die habe ich nicht«, erklärte das fremdartige Wesen. »Warum sollte ich die haben? Ich werde euch an Bord bringen, wenn ihr es wollt. Zuvor habe ich allerdings noch einige Fragen, die ich gern beantwortet hätte, und ich hoffe, daß du jetzt etwas auskunftsfreudiger bist, G’dhay.« »Ich werde euch sagen, was ihr wissen wollt«, versprach der Daila. »Das ist gut«, freute sich Braodyr. »Dann hat es sich gelohnt, daß ich Atlan und Mrothyr geholt habe.«
»Dein Name ist G’dhay«, sagte Atlan. »Woher kommst du? Oder lebst du hier in dieser Station?« »Nun, ich bin vor einiger Zeit von Wrackbank gekommen«, erwiderte der Daila. »Von Wrackbank?« Atlan hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer derartigen Auskunft. »Und was hat dich nach Zinkoyon gebracht?« »Ich bin mit Hilfe des Transmitters geflohen«, eröffnete ihm der Daila. »Das war, als einer der wenigen Rücktransporte durchgeführt wurde. Auf Wrackbank sind viele Mitglieder der Familie Sayum. Sie müssen dort arbeiten. Bisher ist nur wenigen die Flucht gelungen.« »Und du hast jetzt Angst, daß du in die Klauen des Erleuchteten zurückgetrieben wirst«, stellte Braodyr fest. »Allerdings«, gab G’dhay zu. »Vielleicht bin ich schon zu lange in Zinkoyon. Ich fühle mich nicht mehr sicher, und ich habe vor, die Station zu verlassen, sobald ich einige Aufgaben erledigt habe, die noch vor mir liegen.« »Wie lange bist du schon hier?« fragte der Zyrpher. »Schon seit neunzig Tagen«, erwiderte G’dhay, »aber erst heute bin ich mit Braodyr zusammengetroffen. Er hat mich abgefangen, als ich zum Transmitter gehen wollte.« »Du wolltest zum Transmitter?« fragte der Arkonide. »Was wolltest du dort?« »Zinkoyon hat seine Vorteile. Hier kommen Raumschiffe von vielen Planeten an und bringen die von dem Erleuchteten angeforderten Materialien. Es ist mir schon oft gelungen, Kontakt mit den Besatzungen aufzunehmen und Informationen von ihnen einzuholen, die ich dann mit Hilfe des Transmitters an die anderen Daila auf Wrackbank weiterleiten konnte. Ich habe die Nachrichten in den Sendungen versteckt.« »Vermutlich ist es dir auch schon gelungen, Nachrichten nach außen zu schmuggeln, also zu den verschiedenen Planeten, auf denen sich andere Daila aufhalten«, bemerkte Mrothyr. »Allerdings«, gestand G’dhay. »Schon oft.« Er blickte Atlan zögernd an, atmete einige Male tief durch, überlegte lange und rang sich dann dazu durch, vorbehaltlos offen zu sein. »Die Daila planen einen konzentrierten Schlag gegen Wrackbank. Dabei sollen die restlichen Sayums befreit werden. Darüber hinaus wollen wir dem Erleuchteten kräftig eins auf die Finger geben. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis es soweit ist. Bis dahin muß ich hier ausharren und die entsprechenden Vorbereitungen treffen.« »Ihr wollt dem Erleuchteten eins auswischen?« Mrothyr blickte den Daila zweifelnd an. »Dazu müßtet ihr wissen, wo ihr ihn antrefft.« »Das wissen wir«, erklärte G’dhay zur Überraschung seiner Zuhörer. »Auf Oase?« fragte Atlan, wobei er an den aufgefangenen Hyperfunkspruch dachte. »Nein, dort nicht. Oase ist eine tödliche Falle. Der Erleuchtete legt diese Spur des öfteren. Wer darauf hereinfällt und nach Oase fliegt, ist so gut wie tot. Nein, der Erleuchtete ist an einem ganz anderen Ort, den man ohne den Rat eines Wissenden oder die Anleitung des Erleuchteten selbst niemals finden kann.« Atlan spürte, daß er keine weiteren Informationen über den Aufenthaltsort des Erleuchteten erhalten würde. »Du sagtest, daß mehrere Mitglieder deiner Familie geflohen sind. Wo halten sie sich auf?« »Sie sind alle auf einem Planeten. Ich will euch die Position gern geben, wenn ihr möchtet. Wollt
ihr dorthin fliegen?« »Das werden wir sehen«, wich der Arkonide aus. »Wahrscheinlich ja.« G’dhay überlegte nicht lange. Er machte eine Notiz auf einem Zettel und reichte ihn Atlan. »Chipol wird halbwegs durchdrehen, wenn ich ihm das zeige«, erklärte der Aktivatorträger. »Er sucht schon lange nach Mitgliedern seiner Familie, von der er nun schon allzu lange getrennt ist. Wenn es nach ihm ginge, würden wir sicherlich sofort losfliegen.« Er war ein wenig skeptischer, als er sich nach außen hin gab. Es war schon recht merkwürdig, daß man ausgerechnet hier ein Mitglied der Familie Sayum traf. Er wollte nicht ausschließen, daß G’dhays Geschichte ein weiterer Versuch der Irreführung war. Daran änderte auch nichts, daß sie durch Braodyr auf ihn gestoßen waren. Dieser verfolgte seine eigenen Pläne, über die man so gut wie nichts wußte. »Ihr werdet es nicht leicht haben«, bemerkte G’dhay. »Ich habe erfahren, daß ihr die toten Hyptons und den Stahlmann übergeben habt.« »Das ist richtig.« »Die Hyptons werden euch verhören, und sie werden keine Rücksicht nehmen. Und sie werden euch vor allem nicht so ohne weiteres starten lassen.« »Ganz sicher nicht«, fügte Braodyr hinzu. »Habt ihr euch schon überlegt, wie ihr euch mit eurem Schiff in Sicherheit bringen wollt?« Atlan mußte zugeben, daß er noch keinen entsprechenden Plan hatte. »Wo ist Wrackbank?« fragte Braodyr den Daila. »Du bist der einzige von uns, der es weiß, und es wird Zeit, daß du es uns sagst.« G’dhay schüttelte hilflos den Kopf. »Du hast mich völlig falsch verstanden«, erwiderte er und wich ein wenig vor dem grauen Koloß zurück. »Ich bin mit dem Transmitter von dort gekommen, und ich gebe Nachrichten durch den Transmitter an meine Freunde auf Wrackbank, aber ich weiß nicht, in welchem der H-plus-Nebel der Planet liegt.« Braodyr fuhr seine beiden Arme aus, und er bildete nahezu zwanzig große Augen auf seiner Vorderseite. Drohend blickte er den Daila an. »Du lügst«, rief er mit hallender Stimme. »Wie kommst du darauf?« G’dhay wich bis an die Wand zurück, doch das fremdartige Lebewesen folgte ihm, packte ihn am Hals und würgte ihn. »Ich will die Wahrheit wissen«, brüllte Braodyr. »Rede endlich, oder ich erwürge dich.« »Schluß jetzt«, sagte Atlan energisch. »Laß G’dhay los.« Auf der Rückseite Braodyrs bildete sich ein lachender Mund. »Ich tue, was ich für richtig halte. Der Kerl soll reden.« Atlan und Mrothyr warfen sich auf ihn und versuchten, seine Hände von G’dhay wegzuziehen. Es gelang ihnen nicht. Braodyr war unglaublich stark, und seine Hände lagen wie Stahlklammern um den Hals des Daila. »Hör auf«, schrie der Arkonide, »oder wir werden nie mehr zusammenarbeiten.« Die Hände lösten sich, und G’dhay sank schwer atmend zu Boden. »Das war nicht nötig«, tadelte Atlan das exotische Wesen. Er ließ sich nicht davon beeindrucken,
daß es drei kopfgroße Augen ausbildete und diesen ein schwermütiges Aussehen verlieh. Braodyr hob abwehrend seine Hände. »Schon gut«, sagte er beschwichtigend. »Vergiß nur eines nicht. Wir haben das gleiche Ziel. Wir müssen herausfinden, wo Wrackbank ist, und wie wir an den Erleuchteten herankommen. Ich habe eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen, und ich habe nur den einen Wunsch, ihm die Kehle zuzudrücken – falls er so etwas wie eine Kehle hat. Ich bin der letzte Überlebende meines Volkes. Der Erleuchtete hat alle anderen töten lassen, weil wir uns ihm nicht gebeugt haben. Irgendwann werde ich ihn töten – und niemand wird mich daran hindern. Je früher dieser Zeitpunkt kommt, desto besser.« Das war eine lange Rede für Braodyr, der bis dahin so gut wie nichts über sich selbst erzählt hatte. Atlan und Mrothyr blickten sich an, und der Arkonide las Skepsis in den Augen des Zyrphers. Der Freiheitskämpfer glaubte dem fremdartigen Wesen nicht. Plötzlich jaulten aus dem Nebenraum Alarmsignale herüber. Braodyr schrie erschrocken auf und eilte hinüber. Er ließ die Verbindungstür offen, so daß Atlan und Mrothyr die vielen Geräte sehen konnten, die im Nebenraum standen. Braodyr verfügte hier über eine Reihe von Computern. An einer Monitorwand befanden sich Dutzende von kleinen Bildschirmen. Mit ihrer Hilfe konnte er Einblick in die unterschiedlichsten. Räume von Zinkoyon nehmen. »Sie sind auf dem Weg hierher«, rief das fremdartige Wesen und klappte mehrere seiner Hautfalten hoch, so daß zahllose, winzige Augen sichtbar wurden. »Man hat uns verraten. Sie konnten nichts von diesen Gängen wissen. Lauft. Bringt euch in Sicherheit. Sie sind gleich hier.« Er schob sich schnaubend an ihnen vorbei und flüchtete durch eine sich öffnende Tür in einen dunklen Gang hinaus. Atlan und Mrothyr zögerten nur kurz. Sie stellten fest, daß der Daila verschwunden war, und sie folgten Braodyr. Als sie die Tür durcheilt hatten, öffnete sich auf der anderen Seite des Raumes eine andere Tür, und mehrere Ligriden tauchten auf. Während sich das Schott hinter ihnen schloß, fielen Schüsse. Energiestrahlen schlugen dicht hinter ihnen in die Wand ein, und glutflüssiges Material sprühte auf. Ein glühend heißer Hitzeschwall fauchte über sie hinweg. »Weiter«, rief Atlan. »Wir versuchen, Braodyr auf den Fersen zu bleiben.« Sie eilten durch verschiedene Gänge, stiegen mal in einem Schacht nach oben, sanken in anderen Schächten in die Tiefe, durchquerten grell erleuchtete Bereiche oder tasteten sich mühsam durch stockdunkle Zonen. Immer aber wußten sie Braodyr vor sich, der sich wie kein anderer in Zinkoyon auskannte. Er kümmerte sich nicht um sie und schien sie vergessen zu haben. Weiter und weiter führte er sie durch die Weltraumstation. Dann aber – als sie sich bereits in Sicherheit wähnten - tauchten wie aus dem Nichts heraus Dutzende von Ligriden auf, und Braodyr stand plötzlich im Mittelpunkt eines Kampfes. Atlan und Mrothyr wollten eingreifen und ihm helfen, sahen sich aber von ihm isoliert, da weitere Ligriden zwischen ihnen und ihm auftauchten. Sie zogen sich lautlos und von den Ligriden unbemerkt in einen Seitengang zurück. Als der Zyrpher wenig später eine Tür öffnete, fuhr er erschrocken zurück und schloß sie sogleich wieder. »Wir sind direkt an der Transmitterhalle«, sagte er. »Kein Wunder, daß es hier von Ligriden wimmelt.« »Sicher nicht, aber warum ist Braodyr hierhergegangen? Er muß hier irgendwo ein Versteck haben.« Zehn Minuten später wußten sie, warum Braodyr in diesen Teil der Weltraumstation geflüchtet war. In einem Gang, durch den verschiedene Ver- und Entsorgungsrohre liefen, stießen sie plötzlich auf ein kleines Raumschiff. Es war seiner Umgebung so geschickt angepaßt, daß sie es nicht bemerkt
hätten, wenn eine Schutzkappe nicht von einer der Abstrahldüsen heruntergerutscht wäre. Danach entfernte Atlan einige Metallschalen, die zur Tarnung angebracht worden waren, und er wußte, was sie gefunden hatten. Atlan wollte das Schiff betreten, doch Mrothyr blieb stehen, und hielt ihn fest. »Nein«, bat er mit belegter Stimme. »Nicht weiter.« »Warum nicht?« fragte der Arkonide. »Mrothyr, dies ist ein kleines Raumschiff. Sieh es dir an. Es gleicht einem Torpedo, und es ist mit einer Reihe von Raketen bestückt. Mit diesem Ding könnten wir fliehen, wenn wir wollten. Ich’ bin sicher, daß wir damit eine Außenwand durchbrechen können.« »Wir können damit fliehen oder Braodyr«, entgegnete der Zyrpher. »Ein Gefühl sagt mir, daß wir das Raumschiff nicht betreten sollten.« »Ein Gefühl? Was für ein Gefühl?« Mrothyr blickte auf seine Hände. Er richtete die Handflächen gegeneinander, es veränderte sich jedoch nichts. Atlan nickte ihm beruhigend zu, ging zur Schleuse des Raumschiffs, öffnete sie und trat ein. Zögernd folgte ihm der Zyrpher ins Innere des Schiffes: »Was hast du?« fragte der Unsterbliche. »Ich habe dich noch nie so unsicher gesehen.« »Nichts weiter«, wehrte Mrothyr ab. »Es ist nur – irgend etwas stimmt nicht mit diesem Schiff.« Atlan schien sich keine Sorgen zu machen. Er ging in die Zentrale, um die technischen Einrichtungen dort zu untersuchen. Mrothyr lehnte sich hinter ihm an die Wand. Für ihn war diese Zentrale eine völlig fremde und nahezu unerschließbare Welt. Die Zyrpher verfügten über keine derartige Technik, und sie standen vielen Dingen, die für Atlan selbstverständlich waren, ratlos gegenüber. Für Mrothyr war diese Zentrale Neue Technik, mit der er nicht viel anfangen konnte. »Wozu untersuchst du dies alles?« fragte er den Arkoniden, nachdem dieser sich geraume Zeit in der Zentrale umgesehen hatte. »Du willst doch nicht mit diesem Schiff starten – oder?« Auf einem der Bildschirme erschien die Zeichnung eines bizarren Gebildes, das Mrothyr zunächst einmal überhaupt nichts sagte. Doch dann erklärte Atlan ihm, worum es ging. »Dies ist ein Lageplan für den Bereich von Zinkoyon, in dem das Raumschiff sich befindet. Wie du siehst, ist es in einem Ver- und Entsorgungsschacht versteckt, der sich wenige Meter vor dem Bug des Schiffes teilt. Dahinter befindet sich ein tiefer Einschnitt, durch den das Schiff mühelos den Weltraum erreichen kann. Ich vermute, daß Braodyr dieses Versteck angelegt hat.« »Wozu?« fragte der Zyrpher. »Um von hier aus nach Wrackbank zu kommen?« »Genau darum scheint es zu gehen. Wir wissen, daß Braodyr sich in Zinkoyon eingenistet hat, weil er herausfinden will, wo sich der Erleuchtete verbirgt. Sobald er das weiß, will er mit dem Raumschiff starten und zu dem Versteck des Erleuchteten fliegen. Dieses Raumschiff gleicht einer fliegenden Festung. Es ist mit allen nur erdenklichen Angriffswaffen ausgerüstet. Damit könnte Braodyr einen ganzen Planeten angreifen.« »Aber er weiß noch immer nicht, wo Wrackbank ist.« »Nein, das weiß er nicht. Er hat…« Atlan unterbrach sich. Überrascht blickte er auf einige Instrumente. »Was ist los?« fragte Mrothyr. »Nebenan steht der Transmitter, und er hat seine Arbeit aufgenommen.« »Das zeigen die Instrumente dir an?« »Ja – mit dieser Zackenkurve. Jedesmal wenn der Transmitter eingeschaltet wird, zeichnet sich die Kurve ab.« »Ist das Instrument nicht ganz in Ordnung?« fragte Mrothyr.
»Ich denke schon. Wie kommst du darauf?« Der Zyrpher zeigte mit den Fingern auf die Impulslinie, die auf dem Monitor erschien. »Die Linie teilt sich an ihrem Ende. Nur sehr wenig, aber sie bleibt nicht geschlossen. Darunter zeigt sich eine zweite Linie.« Der Arkonide versuchte, den vermeintlichen Fehler auszuschalten und den Monitor genauer einzustellen, doch das gelang ihm nicht. Er stutzte, nahm einige weitere Schaltungen vor und folgte dann einer Empfehlung, die das Extrahirn ihm gab. Schon bald danach wandte er sich Mrothyr wieder zu. »Es ist nicht zu glauben«, sagte er, »aber du hast mich auf eine wichtige Spur gebracht. Dieses Raumschiff zapft den Transmitter an. Jedesmal, wenn der Transmitter etwas abstrahlt, holt sich das Raumschiff einen winzigen Bruchteil der aufgewendeten fünfdimensionalen Energie.« »Wozu?« fragte Mrothyr. »Das ist eben das, was ich nicht weiß. Die Energie muß hier irgendwo im Schiff gespeichert werden, aber die Instrumente zeigen nicht an, wo das ist.« »Und das beunruhigt dich?« »Irgendwo muß die Energie schließlich bleiben. Und wenn ich mir überlege, daß dieses Raumschiff vielleicht schon seit Wochen oder Monaten jeden Transmittertransport anzapft, dann müssen mittlerweile beträchtliche Energiemengen zusammengeflossen sein. Irgendwo müssen sie geblieben sein.« »Könnte Braodyr sie in sich aufgenommen haben? Vielleicht braucht er diese Energie, um leben zu können.« »Das wäre möglich, aber ich glaube es nicht.« »Sehen wir uns ein wenig um«, schlug der Arkonide vor. »Das Schiff wird uns sein Geheimnis schon verraten.« Er ging an Mrothyr vorbei in den hinteren Bereich des Raumschiffs. Zögernd folgte ihm der Zyrpher. Als Atlan eine Tür öffnen wollte, hielt der Freiheitskämpfer ihn plötzlich zurück. »Nein«, bat er. »Nicht die Tür.« »Warum denn nicht?« wunderte sich der Arkonide. »Wenn wir wissen wollen, was mit dem Schiff los ist, müssen wir uns überall umsehen.« Er betätigte einen Schalter, und die Tür glitt zur Seite. Mrothyr schreckte stöhnend zurück. Intensives grünes Licht schlug ihm aus einem Raum entgegen, in dem ein kopfgroßes Ei auf einem Tisch lag. Das grüne Feuer ging von dem Ei aus, und es war so hell, daß es die beiden Männer blendete. Der Zyrpher brach stöhnend zusammen. Er fiel auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Atlan streckte unwillkürlich die Hände aus, um sich gegen das grüne Licht abzuschirmen. Er glaubte, ein zusammengerolltes Echsenwesen durch die leicht transparente Schale des Eis erkennen zu können. »Das ist es«, stöhnte Mrothyr. »Die Brut des Bösen. Das Ei aus dem Drachentempel von Prhoum. Jetzt weiß ich, wo die Energie geblieben ist. Dieses Ding hat sie in sich aufgenommen.« Er richtete sich mühsam auf, und er schlug die Hand Atlans zur Seite, als dieser den Schalter betätigen wollte, um die Tür zu schließen. Er beugte sich vor, als müsse er sich gegen einen Sturm stemmen, und näherte sich Schritt für Schritt dem Ei. Als er es erreichte, schwankte er, als könne er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Er hob die zu Fäusten geballten Hände und schlug sie mit aller Wucht auf das Ei. Deutlich konnte Atlan sehen, daß seine Fäuste es nicht erreichten.
Millimeter vor der Schale trafen sie auf ein unsichtbares Hindernis, so als werde das Ei von einem Prallschirm geschützt. Mrothyr schlug noch dreimal zu, dann taumelte er entkräftet zurück und fiel neben Atlan auf den Boden. Hier krümmte er sich wie unter großen Schmerzen zusammen. »Schließ die Tür«, ächzte er. »Bitte, schließ die Tür.« Atlan betätigte den Schalter. Dabei ließ er den Freund nicht aus den Augen. Beunruhigt bemerkte er, daß Mrothyr von einer grünen Aura umgeben war, die sich jedoch allmählich verflüchtigte. »Braodyr ist ein Priester des grünen Feuers?« stammelte der Zyrpher. »Ich wußte es. Er ist ein Priester des Bösen.« Er schrie plötzlich auf, und seine Beine zuckten, als ob sie von Muskelkrämpfen gepeinigt würden. Dann streckte er sich und verlor das Bewußtsein. Atlan hob ihn behutsam auf und trug ihn aus dem Raumschiff. Nachdem er sich etwa eine Viertelstunde lang um ihn bemüht hatte, kam Mrothyr wieder zu sich. Er war zunächst vollkommen verwirrt und erinnerte sich nicht an das, was geschehen war. »Da drinnen im Schiff liegt ein grün leuchtendes Ei«, erklärte der Arkonide ihm. »Du hast gesagt, es sei das Ei aus dem Drachentempel von Prhoum.« Der Zyrpher richtete sich auf und preßte die Hände vor das Gesicht. Atlan sah, daß es zwischen seinen Fingern grün leuchtete. »Ich spüre, daß die Echse bald ausschlüpfen wird«, sagte Mrothyr leise. »Wir müssen es verhindern. Sie ist ein Geschöpf des Bösen, und mit ihr würde Braodyr allzu mächtig werden. Er würde nicht nur gegen den Erleuchteten kämpfen, sondern auch gegen uns.« »Du hast versucht, das Ei zu zerschlagen«, bemerkte der Arkonide. »Leider ist es dir nicht gelungen.« »Wir müssen uns einen Energiestrahler besorgen und darauf schießen. Du hast gesagt, daß das Raumschiff voller Waffen ist. Es muß doch möglich sein, eine davon gegen das Ei zu richten.« »Das ist leider etwas anders, Mrothyr. Im Schiff gibt es nicht einen einzigen Energiestrahler, sondern nur Waffen, mit denen wir ganz Zinkoyon vernichten würden«, erwiderte der Unsterbliche. »Wir können es nicht riskieren, eine von ihnen zu zünden, solange wir hier sind.« »Dann müssen wir das Raumschiff starten und die Bomben weit draußen im Weltraum explodieren lassen.« »Es gibt eine andere Möglichkeit. Wir werden das Raumschiff mit Hilfe meiner Zeitschaltung starten. Es wird in den Weltraum hinausrasen und dort für alle Zeiten bleiben. Damit sind wir die Sorge um dieses grüne Geschöpf los. Endgültig.« »Die Echse wird das Raumschiff zu einem Planeten steuern«, gab Mrothyr zu bedenken. »Unmöglich«, erwiderte Atlan. »Das Raumschiff ist eine komplizierte Maschine, und man muß schon eine Ausbildung haben, um damit umgehen zu können. Die Echse, oder was auch immer in dem Ei verborgen ist, kann das mit Sicherheit nicht. Sie ist ein Neugeborenes, das ohne Hilfe von außen nicht überleben wird.« Mrothyr zuckte zusammen. »Ohne Hilfe von außen! Das erinnert mich an Braodyr. Er wird früher oder später hier auftauchen, wenn er den Kampf mit den Ligriden unbeschadet überstanden hat und nicht von ihnen gefangengenommen worden ist. Also sollten wir nicht warten. Das Raumschiff muß starten, bevor er zurück ist.« »Ich werde mich beeilen«, versprach der Arkonide. Er ging in die Zentrale des Raumschiffs und
blieb dort fast eine halbe Stunde. Dann kehrte er zu Mrothyr zurück. »Schnell«, drängte er. »Wir haben nicht viel Zeit.« Er verschloß die Schleuse und sicherte sie so, daß sie auf keinen Fall in wenigen Minuten von außen geöffnet werden konnte. Dann flüchtete er zusammen mit dem Zyrpher durch die Gänge bis in einen Raum, der weit genug von dem Raumschiff entfernt war. Wenig später spürten sie eine Erschütterung, und sie wußten, daß der Raumer gestartet war und Zinkoyon verlassen hatte. »Geschafft«, sagte Atlan erleichtert. Mrothyr war weniger zuversichtlich als er. »Vorausgesetzt, Braodyr ist es nicht gelungen, an Bord zu kommen«, gab er zu bedenken. »Wenn der Priester des Bösen die Echse auf einen bewohnten Planeten bringt, beginnt alles von vorn. Die Echse wird anderen die Lebensenergie nehmen, um selbst kräftiger zu werden, und sie wird Braodyr helfen, mächtig zu werden.« »Das alles wird nicht eintreten«, entgegnete Atlan. »Das Ei ist allein an Bord. Ihm wird keine Energie mehr zugeführt, und das Schiff wird sich im Nichts verlieren. Vielleicht stürzt es irgendwann in eine Sonne. Die Echse wird jedenfalls niemandem mehr helfen, Macht über andere auszuüben.« »Dann wird Braodyr einige Schwierigkeiten haben. Er muß sich mit der Sekte der Naldrynnen auseinandersetzen, die ihm das Ei anvertraut haben. Sie werden ihm den Verlust nicht verzeihen.« »Ich weiß nicht, was auf Zyrph vorgefallen ist«, erwiderte Atlan, »aber ich glaube, daß Braodyr nie mit den Naldrynnen zusammengearbeitet hat. Ich glaube vielmehr, daß er ihnen das Ei weggenommen hat, weil er darin, eine wichtige Waffe gegen den Erleuchteten sah.« »Was auch immer zwischen Braodyr und den Naldrynnen gewesen sein mag, er soll sich eine andere Waffe suchen, eine Waffe, die nicht vorher zahllose Menschen zerstört und sie zu seelenlosen Hüllen macht.« Mrothyr schien sich von dem erlittenen Schock erholt zu haben. Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, um die letzte Benommenheit zu vertreiben. Dann ließ er die Arme sinken, die Schultern drückten sich nach vorn, und seine Augen blickten ins Leere. »Wir sollten versuchen, an Bord zu kommen«, sagte er. »Ich gehe voraus. Du wirst mir in einigem Abstand folgen.« Er wartete gar nicht erst ab, was Atlan dazu zu sagen hatte. Er öffnete die Tür und trat auf den Gang hinaus. Er war erst wenige Schritte weit gekommen, als einige Ligriden um eine Biegung herumkamen und sich ihm näherten. Mit kraftlos baumelnden Armen schlurfte er auf sie zu. Sie gingen an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Keiner von ihnen warf ihm auch nur einen Blick zu. Atlan schloß die Tür. Er vernahm die Schritte der Ligriden und wartete, bis sie verklangen. Dann öffnete er die Tür erneut und blickte auf den Gang hinaus. Mrothyr war etwa fünfzig Meter von ihm entfernt, und er gab ihm ein Zeichen, daß er ihm ungefährdet folgen könne. Atlan schloß bis auf etwa zwanzig Meter zu ihm auf. Sie durchquerten eine Halle, in der verschiedene Maschinen von Robotern repariert wurden, und wiederum gab Mrothyr ihm ein Zeichen. Atlan ging hinter einem Maschinenblock in Deckung, und er beobachtete, wie der Freund in der Rolle eines Schwachsinnigen mitten durch eine Gruppe von Ligriden hindurchging. Einer der uniformierten Männer wurde aufmerksam und wollte ihn festhalten. Er ließ die bereits erhobene Hand jedoch wieder sinken und wandte sich den anderen zu. Atlan lächelte. Vielleicht solltest du es auch einmal in einer solchen Rolle versuchen, spottete das Extrahirn. Du könntest sehr echt und überzeugend wirken.
Geduckt eilte er hinter einigen Maschinenblöcken und Transportkästen durch die Halle, und da Mrothyr die Nähe der Ligriden suchte, wußte er stets, welche Bereiche er zu meiden hatte. Auf diese Weise lotste der Zyrpher ihn um die Sicherheitskräfte der Weltraumstation herum zu einem Gang, der direkt zur STERNSCHNUPPE führte. Atlan schloß bis auf wenige Schritte zu Mrothyr auf, der plötzlich stehenblieb. Vornübergebeugt stand der Zyrpher auf dem Gang, ließ die Arme an den Seiten baumeln, öffnete den Mund und blickte ins Leere. Der Arkonide zog sich in eine Nische zurück und wartete. Vier Ligriden kamen plötzlich aus einem Seitengang heraus. Ihnen folgte Braodyr, dessen wuchtiger Körper teilweise mit Brandblasen bedeckt war. Er kauerte auf einer schwebenden Antigravplatte. Er schien paralysiert zu sein, denn nichts an ihm bewegte sich, und die Ligriden wandten ihm sorglos den Rücken zu, so als wüßten sie genau, daß ihnen von ihm keine Gefahr drohte. Sie schritten an Mrothyr vorbei, als sei er nicht vorhanden. Der Freiheitskämpfer blieb stehen, als wisse er nicht, wohin er sich wenden sollte. Erst als am Ende des Ganges eine Tür ging, änderte sich seine Haltung. Er wandte sich um und trottete zu Atlan hin. »Vor der Schleuse zur STERNSCHNUPPE stehen zwei Ligriden«, murmelte er, wobei er die Rolle des Schwachsinnigen konsequent weiterführte. »Ich gehe jetzt zu ihnen und versuche, sie auszuschalten. Du könntest mir folgen, wenn ich mit ihnen fertig bin.« »Ich habe verstanden. Viel Glück«, erwiderte Atlan leise. Mrothyr drehte sich um und entfernte sich mit schlurfenden Schritten. Atlan sah, wie er um die Gangbiegung verschwand. Er verließ die Nische und folgte ihm. An der Gangbiegung blieb er stehen und blickte vorsichtig um die Ecke. Mrothyr trottete auf die beiden Ligriden zu, die leise miteinander sprachen. Einer von ihnen hob den Kopf, wandte sich dem Zyrpher zu, zuckte dann jedoch gleichgültig mit den Achseln und setzte das Gespräch fort. Bedauernd stellte der Arkonide fest, daß die beiden Wachen keine Energiestrahler bei sich trugen. Die Ligriden schienen eine derartige Bewaffnung nicht für notwendig zu halten. »He, du«, sagte einer der beiden Männer. »Wo kommst du überhaupt her?« »Was?« fragte Mrothyr. Er blieb stehen und neigte den Kopf zur Seite. »Ach, laß ihn doch in Ruhe«, forderte der andere. »Von dem erfahren wir sowieso nichts.« Die Haltung des Zyrphers straffte sich plötzlich. Seine Schultern hoben sich, die Fäuste flogen hoch, und dann stürzte er sich mit einem Schrei auf die beiden Wachen. Er warf sie zu Boden und schlug mit beiden Fäusten auf sie ein. Dabei gelang es ihm, dem einen den Schutzhelm vom Kopf zu schlagen. Polternd rollte der Helm über den Boden – direkt auf Atlan zu. Der Ligride preßte sich beide Hände gegen den kahlen Schädel und rannte hinter dem Helm her, ohne darauf zu achten, was um ihn herum geschah. Als er den Helm aufheben wollte, blickte er plötzlich auf den Fuß des Arkoniden, den dieser auf die Kopfbedeckung gestellt hatte, und er begriff. Erschrocken hob er den Kopf, und die vier Lider glitten weit zurück. »Aber, aber«, tadelte der Arkonide mit einem wohlwollenden Lächeln. »Wer geht denn heute ohne Hut?« Seine rechte Hand fuhr auf den Ligriden herab und traf ihn seitlich am Hals. Der Mann brach schlagartig zusammen und blieb auf dem Boden liegen. »Wie lange soll ich eigentlich noch auf dich warten?« fragte Mrothyr, der am Schleusenschott stand. »Willst du’ da Wurzeln schlagen?« Der andere Ligride war ebenfalls bewußtlos. Der Zyrpher hatte ihm den Helm über einen seiner Füße gestülpt. Das Schleusenschott glitt zur Seite, und wenig später betraten die beiden Männer die STERNSCHNUPPE. Chipol kam ihnen voller Ungeduld entgegen.
»Stellt euch vor«, rief er. »Ich habe mit einem Daila gesprochen. Er heißt G’dhay, und er gehört zur Familie Sayum. Er hat mir gesagt, daß er euch die Koordinaten des Planeten Areffa gegeben hat. Und er hat mir eine Zeit gegeben. Danach bleiben uns noch sieben Minuten.« »Sieben Minuten?« fragte Atlan. »G’dhay wird irgend etwas tun, damit wir freikommen. Bis jetzt liegen wir nämlich noch unter einem Fesselfeld, und die Ligriden versuchen schon eine geraume Weile, unseren Defensivschirm zu knacken.« »Hast du beobachtet, ob ein kleines Raumschiff von Zinkoyon gestartet ist?« fragte Mrothyr. »Ja – und das hat allerlei Ärger gegeben. Ein Teil der Station ist dabei zerstört worden. Die Ligriden haben sich mächtig aufgeregt. Ich habe einige ihrer Gespräche abgehört.« »Dann ist alles in Ordnung.« Der Zyrpher atmete auf. »Braodyr hat seine wichtigste Waffe verloren, und er wird sie hoffentlich nie wiederfinden.« Sieben Minuten später wurde Zinkoyon von einer schweren Explosion erschüttert, und die STERNSCHNUPPE war plötzlich frei. Sie löste sich von Zinkoyon und raste mit hoher Beschleunigung in den Raum hinaus. ENDE
Die auf Zinkoyon gesammelten Informationen waren äußerst aufschlußreich, dennoch bleiben Atlan und Mrothyr, der Rebell von Zyrph, äußerst skeptisch in bezug auf den Wahrheitsgehalt des Erfahrenen. Chipol, der junge Daila, hingegen, fiebert einem Wiedersehen entgegen. Er weiß noch nichts über die Marionetten von Areffa… DIE MARIONETTEN VON AREFFA – so lautet der Titel des nächsten Atlan-Bandes. Als Autor des Romans zeichnet Peter Griese.