Bauwelt Fundamente 127
Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti ...
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Bauwelt Fundamente 127
Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hildegard Barz-Malfatti Elisabeth Blum Eduard Führ Werner Sewing Thomas Sieverts Jörn Walter
Jan Pieper
Das Labyrinthische Über die Idee des Verborgenen, Rätselhaften, Schwierigen in der Geschichte der Architektur
Bauverlag Gütersloh · Berlin
Birkhäuser Basel · Boston · Berlin
Umschlagvorderseite: Steinzeitliche Felsritzung („Vulvenbild“) in Luzzanas, Sardinien, am Eingang eines Grabes; vielleicht in Verbindung mit einem Totenkult, im Inneren des „Schoßes der Mutter Erde“. Umschlagrückseite oben: Schema einer südindischen Tempelstadt. So wie auf dem gesamten Subkontinent unentwegt Pilgerströme zu den heiligen Stätten des Landes unterwegs sind, muss man auch die indischen Städte als Ritualmaschinerien begreifen, in denen das ganze Jahr hindurch komplizierte Umschreitungen und Begehungen vorgenommen werden. Unten: Schema aller Wege, auf denen die Götter an 361 Tagen im Jahr – oft mehrmals und auf ständig wechselnden Gefährten – die Stadt umschreiten.
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. 1. Auflage Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH 1987 1. Neuauflage Birkhäuser Verlag AG 2009 Der Vertrieb über den Buchhandel erfolgt ausschließlich über den Birkhäuser Verlag. © 2009 Birkhäuser Verlag AG, Basel · Boston · Berlin, Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz und Bauverlag BV GmbH, Gütersloh, Berlin
Eine Kooperation im Rahmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media Typo und Satz: [synthese], Aachen Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN 978-3-7643-8627-6 987654321
www.birkhauser.ch
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Entstehung und Zielsetzung der Arbeit 13 – Abgrenzung gegen vorliegende Forschungen zum Labyrinthkomplex: Matthews, Santarcangeli, Kern 14 – Güntert, Kerenyi, Layard, Deedes, Ladendorf, Evans, Hocke, Conrads 15 – Der Plan der Arbeit 16
Erster Teil Das Labyrinth und das Labyrinthische 1 Die Entdeckung des Labyrinthischen. Ein Versuch über die Stadtmetaphorik des antiken Labyrinthmythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Der Mythenkreis um Theseus und die gesamtkulturelle Verfassung Griechenlands im Unterschied zum minoischen Kreta 20 – Der Städtereichtum der Insel: Homers „hekatonpolis“ 21 – Die historischen Aussagen des Labyrinthmythos, seine „stadtmetaphorischen“ Inhalte 22 – Die stadtmetaphorischen Inhalte der Etymologie des Wortes „labyrinthos“ 23 – Der Labyrinthtopos: ein Versuch des archaischen Menschen, das zivilisatorische Novum „Stadt“ in mythischen Begriffen zu fassen 26 – Die Gestaltung dieses Inhaltes mit den Mitteln des Mythos 26 – Die Charakteristik der Stadtarchitektur 29 – Die Charakteristik der städtischen Lebensform 30 – Knossos: „eurichoros“, Ilias 18, 590: „choros“ 33 – Die Begehung der Stadt und die archäologische Evidenz eines Feststraßensystems 34 – Die Charakteristik der städtischen Ökonomie 35 – Knossos als Raumsystem, das erst in der choreographierten Begehung erfaßbar wird 36 – Zusammenfassende Darstellung der metaphorischen Aussagen des Labyrinthmythos zu Architektur und Stadt 36
2 Die Formen des Labyrinthischen. Begriffsbestimmung einer architektonischen Qualität . . . . . . . . . . . . . 37 Die Labyrinthchiffre und die ihr zugrunde liegenden architektonischen Vorstellungen 38 – Die Idee der bedeutenden Mitte 40 – Die labyrinthische Abwandlung dieser Idee zum Ort
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des Tabus 40 – Anthropomorphe Architekturkonzeptionen als Ausdruck eines obskuren Inneren 41 – Der labyrinthische Weg und die unerwartete Ankunft 43 – Die Choreographie labyrinthischer Wege 44 – Das Labyrinthische als Umkehrung des architektonischen Ordnungsprinzips der Axialität 44 – Die Entwicklung dieser Idee im Umgangswesen 45 – Stadtritualismen 47 – Stadtrituale in ihrer Beziehung zu Astronomie und Astrologie 48 – Ambivalenz des Labyrinthischen zwischen kollektivem Spiel und rituellem Ernst 50 – Weitere Formen des Labyrinthischen: Das Unterirdische 52 – Das Übermenschliche 53 – Die Rätselhaftigkeit des Labyrinths 54 – Architektonische Rätsel 54 – Architekturrätsel und architektonische Mnemotechnik 56 – Emblematische Formen der Architektur 57 – Das Unbegreifliche des Labyrinthischen 57
Zweiter Teil Aspekte und Wandlungen des Labyrinthischen 1 Das Innerste: Anthropomorphe Architekturen und Raumbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Das babylonische Eingeweidearchiv 59 – Eliades anthropomorphe Deutung des Labyrinths und seiner Beziehung zur Erdmutter 59 – Erotische Kulte: Erd- und Höhlenheiligtümer als Schoß der Göttin 61 – Christliche Wallfahrtsstätten und ihre anthropomorphe Deutung: Notre Dame de Puy 63 – Grundlagen der anthropomorphen Auffassungen in der Architektur 63 – Anthropomorphe Kosmographien 64 – Anthropomorphe Geographien 66 – Anthropomorphe Stadtauffassungen 67 – Anthropomorphe Auffassungen des Hauses und seiner Teile 68 – Anthropomorphe Architekturtheorien 70 – Anthropomorphe Architekturauffassungen als Reflex der anthropologischen Grundlagen der räumlichen Wahrnehmung 71 – Etymologien der Baubegriffe 74
2 Das Verschlungene: Die Wege und Gänge der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Die Stationskirchen des mittelalterlichen Rom und ihre Plandarstellungen 77 – Bedeutung des Wortes „statio“ 79 – Funktion der Stationskirchen 82 – Sinnbildlichkeit der Stationskirchen 82 – Analogiebildungen zum römischen Modell im mittelalterlichen Städtebau 84 – Analogiebildungen im Prozessionswesen 85 – Grundlagen des mittelalterlichen Prozessionswesens 86 – Prozessionsspiel und Standortdrama als temporäre Umdeutung des Stadtraumes 87 – Techniken zur Herstellung der Szenenidentität von Stadtelementen und heiligen Stätten 89 – Das Mysterienspiel von Luzern 89 – Vermischung von Realität und
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Spiel 89 – Mittelalterliche Paraphernalienfeste, ihre Wurzeln in der Fronleichnamsprozession 91 – Ausschmückung der Prozessionen mit Umgangsriesen und mobilen Architekturen 92 – Ästhetische Qualitäten des Gigantismus im Umzugswesen 93 – „La Sortie des Géants“ in Ath 95 – Beitls Deutung des Festes als Erneuerungsritual 98 – Die Umgangsriesen als mytischer Stammvater 98
3 Das Hinwegführende: Die entwirklichte Architektur der Sacri Monti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Beziehungen der Sacri Monti zum Umzugswesen 100 – Bauschema der Sacri Monti 100 – Sacri Monti als Jerusalemsmodelle 101 – als „entwirklichte Städte“ 101 – Der Heilige Berg von Varallo 104 – Die Baugeschichte 106 – Beschreibung der Stationen 106 –Planungsprinzipien 108 – Bausymbolik 108 – Die Sacri Monti als architektonische Allegorie 110 – Ihre Beziehungen zur Stadtallegorie in den Visionen der Hildegard von Bingen 110 – Die Allegorie als Gegenstand der besonderen Bildungsmittel der Architektur 114 – Das Bild der „Stadt auf dem Berge“ 115 – Die Stadt als programmatischer Weg 116 – Die Unwirklichkeit der Allegorie und die Unwirklichkeit der Sacri Monti 118 – Die „Stadt ohne Bewohner“ 118 – Die Maßstabsreduktion der Bauten 119 – Die Guckkastenarchitektur 120 – Das illusionäre Innere 120
4 Das Mechanische: Die labyrinthische Maschinerie der Stadtrituale . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Andraes Beobachtungen zum Prozessionswesen des Alten Orients 123 – Die altorientalischen Städte als Objekte des Stadtrituals 123 – Das Maschinenhafte des Stadtrituals 124 – Entwicklung des Stadtritualismus in Südasien, seine besondere Ausprägung in Südindien 124 – Das Schema südindischer Stadtanlagen 125 – Das Schema südindischer Stadtfeste 131 – Die Paraphernalien 132 – Die Stadtanlage von Rameswaram 134 – Bauten des Prozessionswesens 135 – Stadtfeste 135 – Funktionen des Stadtrituals 138 – Das Stadtritual als Einbindung der idealtypischen Architektur in die topographischen Besonderheiten des Standortes 138 –, als Sinngebung der eigenen Welt 139 – Die Rituale der Pilger 140 – Das Stadtritual als ein System von Deutungen, das natürliche und künstliche Welt in Beziehung setzt 140 – Weitere südindische Städte, die nach ähnlichen Prinzipien angelegt sind: Sringeri und der eingebaute heilige Berg 142 – Badami und der eingebaute Baum 144 – Palni und seine Zwillingsberge 145 – Tirukalikundram und die den Berg umwallenden Adler 152 – Kalahasti und sein Luftheiligtum 153 – Zusammenfassende Darstellung des südindischen Stadtritualismus 156
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5 Das Abgründige: Die Labyrinthe der unterirdischen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Das Unterirdische in der Überlieferung der klassischen Labyrinthideen 157 – Antike Vorstellungen vom Unterirdischen 158 – Homers Nymphenhöhle der Odyssee 159 – Ihre Deutung in Porphyrius’ Schrift „De Antro Nympharum“ 159 – Die antike Idee vom Erdinneren als Ort der Erneuerung des Lebens 161 – Die frühchristliche Umdeutung des antiken Gedankengutes 162 – Die Höhlentheologie der Ostkirche 164 – Die Einsiedlerhöhlen 165 – Einsiedlerhöhlen im Bereich der römischen Kirche 165 – Michaelshöhlen 166 – Die Ambivalenz der Michaelsheiligtümer und Gregorovius’ Schilderung des Gargano 167 – Frühe naturwissenschaftliche Erklärungen der Höhlen: Gregor Reisch 169 – Anthanasius Kircher 169 – Die „Telluris Theoria Sacra“ des Thomas Burnet 169 – Ihr Einfluß auf die Gewässertheorien des 17. Jahrhunderts 171 – Metaphorische Bedeutungen der Gewässer, ihre Behandlung in Brunnen und Wasserbauten 172 – Das Kloster Megaspiläon als architektonische Umsetzung des gesamten Programms um Wasser-, Höhlen,- und Mariensymbolik 174 – Höhlen als kultischer Ort von Meditations- und Versenkungspraktiken 174 – Die Wirkung der Höhle auf menschliche Stimmungen in der Höhlenkunde des Jacques Gaffarel 175 – Gaffarels alchimistische Interpretation der Höhle 177 – Höhle und Berg als Bilder der Alchimie 178 – Die Höhlen und der Feuersteinturm von Robert Garcet 179
6 Das Übermenschliche: Die naturgeschaffene Architektur der Höhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Die Entdeckung der Insel Staffa 186 – Architektonische Beschreibungen der Fingalsgrotte auf Staffa 186 – Ihre Rezeption als „Bauwerk der Natur“ 187 – Faujas de Saint-Fonds Besuch auf Staffa, sein Bericht über den „natürlichen Palast“ 188 – Faujas Beschreibung in ihrer Beziehung zu den Ideen von Addison und Shaftsbury 189 – Die „Baumeisterin Natur“ als literarische Floskel in den Reiseberichten des achtzehnten Jahrhunderts 190 – Der Höhlentourismus der Zeit 192 – Rosenmüller/Tilesius’ Sammlung von „Beschreibungen merkwürdiger Höhlen“, 1805 192 – Die „Höhlenkathedralen“: Freiherrn von Dalems Schilderung der Höhlen von Castleton 193 – Seine mythologischen Anspielungen 194 – sein Kunsterlebnis der Höhle 196 – Marsolliers Schilderung der Höhlen von Ganges 197 – seine Bekehrung vom „Geognostiker“ zum Bewunderer der erhabenen Baukunst der Natur 200 – Der Disput um die Höhlen von Gortyns auf Kreta: Kunst oder Natur? 201 – Die Diskussion um den Kunstwert der indischen Höhlentempel 203 – Hodges Interpretation der indischen Monolith- und Höhlenanlagen als ein Sichtbarmachen der immanenten künstlerischen Qualitäten der Natur 204 – Die architektonische Sicht der Höhle in der Paläontologie 205 – Bucklands Aufmaß der fränkischen Höhlen und ihre Darstellung nach
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der Methode der Architekturzeichnung in Grundriß und Schnitt 207 – Die zivilisationskritischen Elemente in der architektonischen Sicht der Höhle 208 – Stephen Jones Beschreibung der glücklichen Welt in den unterirdischen Salinen von Wielizcka 208
7 Das Verrätselte: Emblematische Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Victor Hugos Bemerkungen über die „orphische Schrift“ der Baukunst 210 – Architektur als das „granitene Buch der Menschheit“, ihre Ablösung durch die Erfindung Gutenbergs 210 – Die Mehrdeutigkeit architektonischer Bilder 211 – Die Neigung von Renaissance und Manierismus zur Verrätselung der Architektur 211 – Beziehungen der Baukunst dieser Zeit zur Buchemblematik, ihre engere und weitere Fassung 212 – Emblematische Züge in der Architektur: Sangallos Umgestaltung von Pitigliano 213 – Baugeschichte, Topographie, typologische Besonderheiten des Entwurfs 213 – Die Piazza als Deutung der topographischen Situation 216 – Die deutenden Elemente Triumphbogen und Platane 217 – Ihre Konnotationen 218 – Die Verwendung gleicher Bildmotive in der Emblematik 220 – Konstruktionsmethoden der Sinnbildlichkeit in der Emblematik und in der emblematischen Architektur der Zeit 223 – Das Fehlen des Mottos und sein Ersatz in der emblematischen Architektur 225 – Menestriers emblematische Erfindungen 226 – Erste Züge emblematischer Architektur in der Umgestaltung von Pienza 228 – Das Bauprogramm, die Topographie, die Baugeschichte 228 – Die Orientierung der Anlage und der Schattenwurf der Fassade an den Äquinoktien 231 – Symbolik von Schattenwurf und Lichtarchitektur der Kirche 234 – Die übrigen symbolischen Formen der Architektur: Die Neunfelderdecke der Piazza, „occhio“ und „ombelico“ 235 – Der Schatten 235 – Mehrdeutigkeit und Rätselhaftigkeit des Ensembles 236
8 Die Irritation: Verkehrte Welten und gestörte Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Das Erdbeben von Lissabon (1755) und seine Wirkungen auf die Zeitgenossen 237 – Erdbebenkatastrophen des siebzehnten Jahrhunderts in Sizilien 237 – in Kalabrien 1783 238 – Die Wiederaufbaumaßnahmen des neapolitanischen Staates 239 – Die Typen der Planstädte und die systematische Störung ihres Straßennetzes 239 – Cinisi 240 – „Ironische Stadtplanungen“ 242 – Auffächerung orthogonaler Straßensysteme 242 – Zurückgenommene Aussagen der architektonischen Zeichensprache 244 – Persiflagen der Mittelpunktsymbolik 245 – Zusammenfassende Wertung der sizilianischen und kalabrischen Erdbebenstädte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts 245 – Vorläufer der Idee des „gestörten
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Grundrisses“ 246 – Die Addizione Erculea von Ferrara 246 – Sabbioneta 247 – Alvise Cornaros Projekt eines Mauergürtels rings um Venedig 248 – Die Waldpflanzungen in der Lagune 249 – Anlehnungen an den Topos des „locus amoenus“ 249 – „Verkehrte Welten“ in der Architektur des Manierismus: Die Zwergenwelt im Sockelgeschoß des Palazzo Ducale von Mantua 250 – Der Störfall als Thema manieristischer Architekturtraditionen 251 – Sizilianische Architektur des Settecento als Auseinandersetzung mit klassischen Architekturauffassungen 252 – Die Villa des Prinzen Palagonia 253 – Goethes „Spießruten des Wahnsinns“ in der Italienischen Reise 254
9 Das Vergessene: Die Architekturen der Vorzeit als Architekturrätsel der Nachwelt . . 255 Mittelalterliche Sagen um die römischen Theater: Das „Labyrinth“ von Verona 255 – Das sprechende Kolosseum 255 – Die literarische Tradition des antiquarischen Interesses 256 – Cyriacus von Ancona 256 – Die Rekonstruktion: Athanasius Kircher 257 – Der Turm zu Babel 257 – Die Stadt Ninive 258 – Das ägyptische Labyrinth 259 – Die Beziehung der Labyrinthrekonstruktion zur Gartenarchitektur der Zeit 261 – Die Übersteigerungen der Rekonstruktion im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert 261 – Quatremères Rekonstruktion des „Char Funéraire d’Alexandre“ 263 – Die archäologischen Rekonstruktionen des Fin de Siècle 264
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
Exkurse Das Labyrinth als Stadtmetapher in nachantiker Deutung und Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Territoriale Gestik in Architektur und Stadtritual altorientalischer Kulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Höhle, Berg und Turm als Sinnbilder der Alchimie . . . . . . . . . . . . . . . 315 Die Architekturtheorie des Souterrain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Die Hypnerotomachia Poliphili und der Sacro Bosco von Bomarzo . 323 10
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Nachwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
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Zur Erinnerung an William Richard Lethaby (1857–1931)
Das labyrinthische Wegesystem einer Stadt, rings um den zentralen Kultbau gelagert, aber durchbrochen von der axialen Straßenführung zur Palastburg: Delhi, die Hauptstadt des Moghulreiches
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Erster Teil Das Labyrinth und das Labyrinthische
1 Die Entdeckung des Labyrinthischen. Ein Versuch über die Stadtmetaphorik des antiken Labyrinthmythos In der Mythologie des klassischen Altertums, die an Gestalten und Stoffen doch so unendlich reich ist, findet sich merkwürdigerweise nur eine einzige Überlieferung, in der ein Bauwerk die zentrale Rolle spielt: der Sagenkreis um das berühmte Labyrinth von Knossos auf Kreta.14 Dennoch hat kaum ein anderer Gegenstand die schöpferische Phantasie in ähnlicher Weise beeinflußt wie dieser. Die antike Kunst hat ihn in unendlichen Abwandlungen in Vasenmalerei, Ornamentik und Wandgestaltung abgebildet, das Mittelalter hat ihn eschatologisch umgedeutet, die Renaissance zu einer Gartenlustbarkeit gemacht, und die psychologische Neigung unserer Tage hat schließlich ein dunkles Seelenabbild darin gefunden. Die Zeichenhaftigkeit der Labyrinthfiguren, die schon früh ornamental festgelegt wurden, die Komplexität der verschiedenen mythologischen Ideen, die sich mit dem Labyrinth verbinden, ihre Rätselhaftigkeit, Mehrdeutigkeit, ihr nie ganz aufzulösendes Geheimnis mag diese Faszination erklären. Aber nicht nur der mythische Topos beflügelte die Phantasie und Neugier, sondern ebenso die historische Realität des Labyrinthbauwerkes. Schon im Altertum begann die Suche nach den Überresten, die jedoch nie gefunden wurden. Catull (77–47 v. Chr.) und P. Papinius Statius (45–96 n. Chr.) verlegten das Labyrinth übereinstimmend nach Gortyn15, wo sich gewaltige Steinbrüche befinden, die sie für das sagenhafte Bauwerk hielten. Diodor, ein Zeitgenosse Julius Caesars, der etwa dreißig Jahre lang Europa und Asien bereiste, mutmaßt in seiner Bibliotheca Historica (König Mendes, I, 61), das Labyrinth sei schon in grauer Vorzeit mit Gewalt zerstört oder im Lauf der vielen Jahrhunderte seit Theseus von selbst verfallen. Die Steinbrüche von Gortyn erwähnt er nicht, ebensowenig wie Plinius d. Ä. (23–79 n. Chr.), der an einem verschollenen Kolossalbau festhält.16 Bei späteren Reisenden und Forschern vornehmlich der aufklärerischen Neuzeit setzte sich jedoch die Meinung durch, daß die Steinbrüche die mythenbildende Phantasie in der Weise beflügelt hätten, daß daraus das legendäre 18
Labyrinth des Minos geworden sei. So jedenfalls folgert G. P. Tournefort (1656–1708) nach ausgedehnten Wanderungen und Irrungen in den Höhlen, und spätere Reisende wie R. Pococke (1740), V. C. E. Savary (1788), C. R. Cockerell (1810), T. A. B. Spratt (1865) folgten seiner Auffassung.17 Erst Sir Arthur Evans, der von 1900 bis 1936 Knossos ausgrub, glaubte in dem verwickelten Raumsystem des Palastes das historische Labyrinth wiedergefunden zu haben. Vor allem die Reste des „Hauses der Doppelaxt“– „Labrys“, ein Gerät, über dessen Etymologie noch zu reden sein wird – und die Entdeckung einer Orchestra nordwestlich des Palastes, die an den mythischen „Tanzplatz der Ariadne“ erinnerte, schienen seine These zu bestätigen.18 Wie dem auch sei – mit Sicherheit läßt sich diese Schlußfolgerung nicht beweisen, und die Gleichsetzung des Palastes, so „labyrinthisch“ er auch sein mag, mit jenem gigantischen Bauwerk, aus dem selbst der Erbauer nur mit Flügeln entkommen konnte, und ein Sohn des Poseidon nur mit Hilfe einer List, ist von Philologen wie Archäologen gleichermaßen mit Vorbehalten aufgenommen worden.19 Vorläufig müssen wir noch davon ausgehen, daß von dem Labyrinthbau des Dädalus keine Spur auf uns gekommen ist. Dies ist in der Tat höchst verwunderlich: Wenn die Mythen, wie wir wissen, immer auch einen sei es auch noch so entfernten Reflex historischer Tatsachen überliefern, wenn die Bezeichnung „Labyrinth“ schon in der Antike für große und verwickelte Gebäude sprichwörtlich wurde, so daß etwa Herodot (um 450 v. Chr.) bei der Beschreibung des ägyptischen Zwölfgaue-Heiligtums am Mörissee20, um anschaulich zu sein, auf diesen Begriff der mythischen Überlieferung zurückgreift, dann muß es zur Entstehungszeit des Mythos ein Riesenbauwerk labyrinthischer Gestalt gegeben haben. Ein solches Bauwerk kann nicht einfach verschwinden – dafür muß es einfach zu groß gewesen sein. Selbst das ägyptische Labyrinth aus der Zeit der 12. Dynastie (2000–1800 v. Chr.) ist heute noch vorhanden, obwohl es jahrhundertelang als Steinbruch gedient hat, und man kann auch nicht davon ausgehen, daß die kretische Anlage noch nicht gefunden wurde, denn dafür ist sie in der Überlieferung zu exakt lokalisiert, und es gibt keinen Fußbreit Boden, der als möglicher Standort in Frage käme, der nicht von jeder Archäologengeneration aufs neue kritisch in Augenschein genommen worden wäre.21 Ein historisches Labyrinthbauwerk aber von solcher Größe und Komplexität, daß es der mythenbildenden Phantasie zum Stoff wurde, dessen Standort genau bekannt ist und das dennoch nicht gefunden wird, ist schlechterdings eine Unmöglichkeit – es sei denn, man ginge von völlig 19
falschen Vorstellungen darüber aus, wie das Labyrinth ausgesehen habe. Dann allerdings kann die archäologische Evidenz mit dem vorgefaßten Labyrinthmodell, das man zu finden hofft, nicht übereinstimmen. Mir scheint, daß genau hier das Problem der Existenz oder Nichtexistenz des historischen Labyrinthes begründet liegt: Die Labyrinthvorstellung, die aus Deutung und Darstellung des Labyrinthmythos gewonnen ist, klammert sich zu eng an späte Ideogramme des Labyrinthes, sie vernachlässigt gründlich dessen architektonischen Charakter und gerät damit in eine beträchtliche Distanz zu den historischen Phänomenen, die im Labyrinthtopos in mythischen Begriffen umgeformt und verarbeitet sind. Dieser Gedanke verdient es, genauer verfolgt zu werden. Lassen wir für einen Augenblick den umfangreichen Kodex gelehrtester Labyrinthstudien – Linienreflex,Todessymbol, Eingeweidetempel, Weltenbild, Tanzritual – beiseite, beschränken wir uns auf die Tatsache, daß eine Architektur ingeniöser, rätselhafter, unheimlicher und doch faszinierender Art einen – wenn nicht gar den – zentralen Gegenstand des Mythos ausmacht, und fragen wir uns: Welche architektonischen Topoi werden hier aufgegriffen und in der Eigenbegrifflichkeit des mythischen Denkens thematisiert? Die Entstehung des Mythenkreises um Theseus wird etwa um 1400 v. Chr. angesetzt22, in der Epoche also, die man als das Spätminoikum bezeichnet. Dies ist die Zeit der beginnenden ägäischen Wanderungen, die in der dorischen Eroberung gipfelt (1500 v. Chr.), die nur die ältesten, ionischen Enklaven Attikas verschonte, und in der sowohl die burgsässige Junkerkultur Mykenes als auch die stadtsässige Aristokratenkultur Kretas – ohne daß wir Genaueres wüßten – zugrunde gingen. Der Mythos spiegelt die attische Loslösung von der Tributpflicht an Kreta und die Überwindung der kretischen Seeherrschaft wider. Zweifellos gehört die neue Zeit den Mythenerzählern, aber dennoch ist allenthalben die Bewunderung der überlegenen Kultur Kretas zu spüren. Betrachten wir zunächst die Textüberlieferungen: Nur mit einer List kann der attische Heros Theseus sich der Magie des Bauwerkes auf Knossos entziehen, nur durch den Beistand der Delphine Poseidons besteht er den Zweikampf mit Minos, nur durch den Verrat der Ariadne kann er den Minotaurus im Schlafe töten. Nach der Vernichtung der Kretischen Flotte – der Manifestation der martialischen und ökonomischen Überlegenheit – zieht er zunächst in die bukolische Idylle von Delos, wo er den Frühlingsreigen oder Labyrinthtanz aufführt, dann zurück nach Athen, das man sich durchaus noch bäurisch zu denken hat – auf der 20
Akropolis hält Vater Ägäus Ausschau, und beim Anblick der schwarzen Segel stürzt er sich in das bärenbewohnte Tal darunter, wenn nicht gar gleich in die damals noch kaum einen Steinwurf weit entfernte, nach ihm benannte ägäische See, wie manche meinen.23 Mit einem Wort: Theseus kehrt zurück aus der städtischen Hochkultur Kretas, dem „Warenparadies“ der archaischen Welt24, in das viehzüchtende Attika, in eine allmählich zerfallende und zum Feudalismus sich entwickelnde Gentilgesellschaft also, wo noch Jahrhunderte später ein Homer (um 850 v. Chr.) den systematischen Weinanbau als einen Höhepunkt der Zivilisation erwähnt.25 Diesem archaischen Hellenentum muß das städtische Raffinement Kretas ungeheuerlich erschienen sein, ähnlich wie den nomadisierenden biblischen Juden das benachbarte Babel. Während man selbst in „Steinkisten“26 hauste, die man euphorisch „megaron“ („das Geräumige“) nannte, umgeben von Helotenbehausungen, die sich jeder literarischen wie archäologischen Evidenz entziehen, gab es auf Kreta große Städte, in denen jedermann in seinen festen – und eigenen – vier Wänden wohnte. Und es war nicht nur Knossos mit dem Beinamen nisos makaron („Insel der Seligen“)27, das diese Bewunderung abnötigte, sondern die Stadtkultur der gesamten Insel, die noch bei Homer Hekatonpolis (die „Hundertstädtereiche“)28 heißt. Der in die Theseussage eingebettete Labyrinthmythos ist also nichts anderes als die Rezeption der Stadt durch die nicht-städtische Welt der indogermanischen Gentilgesellschaften: Theseus gewissermaßen als Exponent jener ungehobelten Barbaren, die vor Zeiten ihre Stammsitze nördlich der Donau verließen, um jenseits der ägäischen See – und später auch östlich des Indus – auf Kulturen zu stoßen, die ihnen Bewunderung abnötigen, Barbaren allerdings, die nicht plumpe Rohlinge waren, sondern noch offen zu staunen und zu lernen. Wir haben Mühe, uns den gewaltigen Eindruck zu vergegenwärtigen, den diese frühen Städte auf den archaischen Menschen gemacht haben müssen. Große Bauten und Paläste kannten schon die ägyptische Welt und das Zweistromland, vor allem Tempel von solchen Ausmaßen, daß sie noch Jahrhunderte später einem Manne wie Herodot seine ganze technische Intelligenz abverlangten29, Bauten, die er dennoch allzuoft fehldeutete. So kann auch der Palast in Knossos nicht die absolute Ungeheuerlichkeit dargestellt haben, auch wenn er eine Fläche von mehr als 2 ha bedeckte und teilweise viergeschossig war. Allein das Ramesseum in Theben (1304– 1238 v. Chr.) war etwa um die Hälfte ausgedehnter30 und der archaischen Welt nicht minder bekannt, von den Tempelgroßbauten Mesopotamiens ganz zu schweigen. Aber wirkliche Großstädte gab es dort nicht. Ägyp21
1 Plan von Knossos nach den Grabungsberichten von Sir Arthur Evans. Die Stadt war eine der volkreichsten Siedlungen des Altertums; zusammen mit den abseits gelegenen Hafenvierteln beherbergte sie etwa 100.000 Menschen.
tische und mesopotamische Städte lebten von der Autarkie der Tempelgroßwirtschaft, während die kretischen Städte expandierende Exportmanufakturen von Fertigwaren entwickelt hatten, die einen ganz anderen Wachstumsfaktor ermöglichten. Sir Arthur Evans schätzt die Gesamtbevölkerung von Knossos und des Hafens auf etwa 100 000 Einwohner.31 Dies allerdings erklärt, daß der Dichter der Ilias noch aus der kollektiven Erinnerung seiner Zeit von den „volkdurchwimmelten Städten“ Kretas sprechen kann32, denn dergleichen hatte das Altertum zuvor nicht gesehen. Es gibt also guten Grund anzunehmen, daß die historische Grundlage des Labyrinthmythos nicht ein einzelnes gigantisches Bauwerk labyrinthischer Anlage ist, sondern eben jene „volkdurchwimmelten“ Städte, die den Hirtenvölkern natürlich „labyrinthisch“ erscheinen mußten, in deren Mitte sie wohl kaum etwas anderes vermuten konnten als ein stier22
köpfiges menschenfressendes Ungeheuer, die aber nichtsdestoweniger als höchstes Zeugnis menschlicher Arbeit und Erfindung überwältigend gewirkt haben müssen. Mit dieser „stadtmetaphorischen“ Deutung der Historizität des Labyrinthmythos, die allerdings nicht seine symbolischen Qualitäten und seine sonstigen metaphorischen Bedeutungsebenen betrifft, lösen sich zahlreiche Widersprüche sowohl der philologischen wie auch der archäologischen Evidenz als eigentlich gegenstandslos auf. Denn all diese verschiedenen Deutungen, die in ihren spezifischen Aspekten unvereinbar sind, wenn sie ein bestimmtes Gebäude meinen und dieses auf die Funktion Urgehäuse, Tanzplatz, Opferstätte, Verlies usw. festlegen wollen, lassen sich sehr wohl miteinander verbinden, wenn sie als Akzentverschiebungen in der Betrachtung eines gemeinsamen Topos gesehen werden; dieser gemeinsame Topos ist nicht ein Einzelbauwerk, das, wenn man die Überlieferung wörtlich nimmt, nur dem Reich der Fabel zugewiesen werden könnte, sondern das grundlegend neue architektonische Ereignis der Stadt, das hier zum ersten Mal ins Bewußtsein des abendländischen Menschen tritt. So betrachtet löst sich als erstes das archäologische Rätsel um die Unauffindbarkeit eines gigantischen Wirrgebäudes: Es ist bereits hundertfach gefunden worden, nicht in dem minoischen Palast, der als historischer Kern des mythischen Riesenbauwerks gar nicht die architektonische Masse gehabt hätte33, von seiner räumlichen Komplexität ganz zu schweigen, sondern in der Stadt Knossos selbst, in dieser archaischen Großstadt auf einer Insel am Rande der barbarischen Welt, wenn nicht überhaupt kategorisch in der städtischen Zivilisation Kretas, die den bäurischen Festländern wahrhaftig als ein mythischer Raum erschienen sein muß, in dem Götter und Menschen einander begegnen. Wenn man das Labyrinth somit als eine Begriffsform des mythischen Denkens versteht, in der das zivilisatorische Ereignis der Stadtbildung faßbar und mitteilbar wird, dann stellt sich auch der alte Philologenstreit um die Bedeutung der Bezeichnung „labyrinthos“ in neuem Lichte dar. Einig ist man sich wohl darin, daß ein Wort mit der Endung –„inthos“ nicht griechischen Ursprungs sein kann, daß es also entlehnt ist, wahrscheinlich von jener Kultur, die auch den so bezeichneten Baugedanken geboren hat. Aber dann gehen die Meinungen hauptsächlich in zwei Richtungen auseinander, einmal dahin, daß „Labyrinthos“ Haus der „Labrys“, der Doppelaxt also, bedeute, zum anderen, daß ein vorgriechisches „laura“ mit der Bedeutung „Steinbrüche“ sich darin verberge.34 Aus die23
2 Nebeneinanderstellung von kretischer Doppelaxt (oben) und den bis heute gebräuchlichen zweischneidigen Steinmetzwerkzeugen: Spitzhammer (e), Kröneleisen (i), Flächhammer (1), Bossierhammer (m)
3 Tontäfelchen mit der Darstellung von Wohnhäusern aus Werkstein. In der minoischen Spätzeit werden selbst klassische Holzbauteile aus Werkstein gearbeitet.
sen etymologischen Schlüssen folgert dann die eine Schule, daß es sich bei dem legendären Labyrinth um einen ausgedehnten Steinbruch gehandelt haben müsse, die andere, daß darunter ein labyrinthischer Kultbau der heiligen Doppelaxt zu verstehen sei. Zum Beweis werden einmal die schon erwähnten kretischen Steinbrüche angeführt, ein andermal die zahlreichen Doppelaxtfunde im Palast von Knossos, die zweifellos kultischen Zwecken gedient haben, vor allem auch das „Grab der Doppeläxte“, das Evans ausgegraben hat, ein höchst bemerkenswertes Bauwerk, das sowohl im Gesamtplan als auch in den einzelnen Grabkammern die Form von Doppeläxten nachahmt, und das wahrscheinlich als Mausoleum für gigantische Vergrößerungen des Axtemblems gedient hat. Nach allem was ich weiter oben zur Deutung des Labyrinthes als Stadtmetapher vorausgeschickt habe, versteht es sich von selbst, daß mir beide Interpretationen als zu eng erscheinen müssen. Und es gibt gute Gründe, auch philologischer Natur, gegen diese engen Auslegungen. Schon Güntert hat in seiner sehr gründlichen sprachwissenschaftlichen Untersuchung zum Labyrinth (1932) nachgewiesen, daß der philologische Disput um Doppelaxt oder Steinbruch eigentlich gegenstandlos ist, denn beide Ableitungen verweisen auf ein gemeinsames, ursprünglicheres Sinnfeld: „künstlich gewonnener Stein, Steinbau“35, oder auch „gepflasterte Straße“36. Bei der enormen Bedeutung, die der Begriff Labyrinth in späterer Zeit gewonnen hat, bei all seinen Assoziationen von Komplexi24
tät, Riesenhaftigkeit und Großartigkeit, aber auch latenter Bedrohung, kann es sich bei diesem Steinbau nicht um eine architektonische Struktur mehr oder minder eindrucksvoller Solitärs gehandelt haben, sondern nur um einen Steinbau, der in seiner Art bis dahin einzigartig war, eben um die steinernen Städte, die Generationen in ameisenhaftem Fleiß errichtet hatten, so überaus kompliziert, daß sie als Ganzes nicht mehr zu fassen waren, visuell überhaupt nicht, und begrifflich nur noch in ähnlich komplexen Modellfiguren. Es will absolut nicht einleuchten, daß unter diesen Umständen die Steinbrüche – wie ausgedehnt auch immer – den historischen Kern des Labyrinth-Topos abgeben sollen, und nicht die steinernen Städte selbst, die eigentlichen Artefakte, zu deren Errichtung die Steinbrüche nicht mehr als notwendige Arbeitsschritte waren. Steinbau war ja in Kreta ubiquitär: Wir wissen aus Ausgrabungsbefunden, daß nicht nur der Palast aus behauenem Stein errichtet war, sondern die gesamte Stadt. Selbst einfache Stadthäuser waren im Erdgeschoß aus „fast zyklopischen Blöcken errichtet“, während das Obergeschoß aus kleineren Werksteinen gefügt war.37 Auch dies war einzigartig in der alten Welt und unterschied die kretischen Städte grundlegend von der ägyptischen Stadtarchitektur, in der steinmetzmäßig behauener Stein oder Bruchstein dem Sakralbau vorbehalten blieb. Und es ist sicher eine weitere Überlegung wert, ob diese ungeheuere Entwicklung, die der Steinbau mit dem zivilisatorischen Sprung zur Stadtkultur Kretas erfuhr, nicht wesentlich zur Entfaltung des rätselhaften Kultes der Doppelaxt beigetragen hat. Denn diese „Labrys“ ist ja nicht in erster Linie das Attribut einer lokalen Sonderform des Zeus, Labraundos genannt – Schutzheiliger einer Phyle von Mylasa, der sachlich mit dem Labyrinth kaum in Verbindung zu bringen ist – 38, sondern darin verbirgt sich nichts anderes als der Flächhammer der Steinmetzen, ein Werkzeug, das noch heute in Gebrauch ist. Mit diesem Werkzeug, das wie alle Steinmetzwerkzeuge bis auf den heutigen Tag zweischneidig und symmetrisch geformt ist, wurden die Millionen von Steinen behauen und aneinandergefügt, wurden jene Städte errichtet, mit der sich die kretische Kultur in so prägnanter Weise von der des Festlandes und der der übrigen archaischen Hochkulturen unterscheidet. Was nimmt es da wunder, daß eben dieses Werkzeug der Arbeit so vieler Generationen in narzißtischer Selbstbespiegelung, aber auch in heiliger Ehrfurcht vor dem ererbten, immer weiter fortgeführten Werk zum wichtigsten Kultobjekt erhoben wurde? Die Kulturgeschichte ist reich an parallelen Vorgängen, wenn wir an securis und fasces, an Beil und Rutenbündel denken, die als Zeichen 25
der römischen Exekutivgewalt noch fortbestanden, als diese längst schon bürokratisch geübt wurde, oder – ganz anders, aber durchaus vergleichbar, an den Holzpflug des indischen Bauern, dessen traditionelle Bauart als so geheiligt gilt, daß daran noch heute die Einführung moderner Stahlpflüge scheitert.39 Wenn diese Darstellung der historischen Koinzidenz des mythischen Labyrinthtopos und der Konfrontation der wandernden Stämme Griechenlands mit der überlegenen Stadtkultur Kretas ebenso wie die Skizze der durchaus stadtbezogen zu fassenden Etymologie des Labyrinthbegriffes gleichermaßen darauf hindeuten, daß hier das mythische Denken einen Begriff von der Stadt zu gewinnen versucht, so müssen wir nun unser Augenmerk darauf richten, wie dies geschieht, wie der Mythos die Stadt typologisch faßt. Für alle Deutungen des minoischen Labyrinthes sind wir ausschließlich auf die attische Sage angewiesen, die nirgends zusammenhängend überliefert ist, sondern lediglich in den Erwähnungen der Historiographen und den allegorischen Anspielungen antiker Dichter auf uns gekommen ist. Diese attische Quelle ist durch und durch von der historischen Auseinandersetzung mit der kretischen Vormachtstellung geprägt und deshalb stark negativ eingefärbt. Dies gilt nicht nur für die Mitteilung über die Tributpflicht, die im Mythos zum periodischen Menschenopfer geworden ist, nicht nur für die diffamierende Darstellung des Königs Minos, etwa in der Periboia-Affäre, sondern auch für die architektonische Szene, in der dies alles spielt, für das Labyrinth also. Man wird daher an der insgesamt sehr negativen Darstellung einiges als attische Propaganda beiseite lassen können, die zudem so durchsichtig gewesen sein muß, daß eine andere, wahrscheinlich hellenisch-kretische Überlieferung, die Philochoros (gest. 261 v. Chr.) und Eusebius (265–340 n. Chr.) noch gekannt und benutzt haben, ihre Schilderung vorab mit der Bemerkung beginnen mußte, das Labyrinth sei „nichts Schlimmes“ gewesen.40 Die späteren Deutungen, die allein auf der attischen Quelle fußen und uneingedenk der historischen Entstehungsumstände der Überlieferung das Labyrinth ausschließlich als diabolische Falle interpretieren, übersteigern den polemischen Tenor ihrer Quelle auf Kosten der in Wirklichkeit sehr komplexen Aussagen. Vielleicht hat Oswald Spengler recht, wenn er diesen Konflikt zwischen Festland und Kreta nicht nur politisch deutet, sondern psychologisch, als eine Erscheinung, die wir nicht verstehen werden, „wenn wir den Abgrund der Gegensätze nicht ermessen, der zwischen beiden Seelen liegt. Die Menschen von damals müssen ihn tief gefühlt, aber kaum 26
,erkannt‘ haben. Ich sehe es vor mir: das ehrfürchtige Hinaufschauen der Bergbewohner von Tiryns und Mykene zu der unerreichten Geistigkeit der Lebensgewohnheiten in Knossos; die Verachtung mit welcher dessen gepflegte Bevölkerung auf jene Häuptlinge und ihr Gefolge herabblickte; und doch wieder ein heimliches Gefühl von Überlegenheit bei diesen gesunden Barbaren, wie es jeder germanische Soldat den greisenhaften Würdenträgern Roms gegenüber hatte.“41 Eine ähnliche Ambivalenz spiegelt auch der Mythos von der Stadt des Minotaurus, die als zugleich großartig und erschreckend geschildert wird. Die Schilderung läßt die zweifache Absicht erkennen, einmal die Stadt als Kulturzustand und Lebensform, dann aber auch als Raumgefüge und als architektonische Struktur zu beschreiben. Was wird nun hierzu mitgeteilt, wie wird es geordnet, wie ist das Prinzip der Verknüpfung und Reihung angelegt, das aus dem stetigen Fluß der Eindrücke des Stadtlebens bestimmte Gestaltungen, Gebilde mit festen Umrissen und Eigenschaften herausgelöst hat, so daß man von einer mythischen Begriffsbildung sprechen kann?42 Der Ursprung des Labyrinthes wird dem Dädalus zugesprochen, dem UrArchitekten und Artifex Maximus, der schon in Athen als Künstler und Baumeister hochberühmt gewesen war, der aber mit diesem Werk seinem Schaffen die Krone aufsetzte. Es ist bezeichnend, daß der Mythos ihn dazu in die Ferne ziehen läßt, denn in der attischen Heimat gab es noch keine Städte zu bauen. Allerdings klebt an diesem Werk im Exil von Anfang an der Ruch eines bedeutsamen Mordes – Dädalus hatte seinen Neffen Thalos aus Eifersucht auf dessen Erfindergeist von der Akropolis gestürzt – und man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß die städtebauliche Tat als Werk des Baumeisters in seiner Vermessenheit verstanden werden soll, die durch das paricidium noch eine besondere Wendung als Bruch mit der Sitte des Stammes erfährt, denn Thalos war Dädalus’ Schwestersohn, also der mütterlichen Linie zugeordnet und damit Träger und Hüter der Tradition.43 Jedenfalls gehört die Sympathie der Überlieferung der Unschuld des Thalos, der Töpferscheibe, Säge und Zirkel erfand, Handwerkszeug also, das in der kulturellen Situation der griechischen Stämme den unmittelbaren Fortschritt bedeutete, und nicht dem Städtebauer im Dienste einer schon hochentwickelten urbanen Ökonomie. Der Name Dädalus (Daidalos) ist abgeleitet von „daidallein“, d. i. „kunstvoll arbeiten“, was als Name des Urvaters aller Künste sicher nicht nur einfache Kunstfertigkeit meint, sondern die Fähigkeit zum Außergewöhnlichen bedeuten will. In der Tat vollbringt der Meister nach seiner 27
Flucht aus Athen fast nur noch Phantastisches: Zunächst schafft er die künstliche Kuh, in der sich Pasiphae vom Stier des Poseidon begatten läßt, dann das Labyrinth und schließlich die Fluggeräte, mit denen er und sein Sohn aus Kreta fliehen, und im neuerlichen sizilianischen Exil begeht er dann das Ungeheuerliche: Er kocht den Minos. Dies mag vieles bedeuten, sicher aber auch eines: So wie Theseus den emblematischen Inbegriff der kretischen Staatsform, den Minotaurus, im Zweikampf erschlägt, so vernichtet Dädalus in Minos das „Mondwesen“44, als Träger des kretischen matrilinearen Rechtssystems, aber nicht indem er ihn physisch zerstört, sondern ihn mit siedendem Wasser malträtiert, so als sei er wie der Naturzustand der Nahrung, die des Kochens bedarf, der rohe Stoff des alten Rechts, dessen Bestimmung es sein soll, in Attika zwar umgewälzt, aber auch vollendet zu werden.45 Bezeichnenderweise wird Minos nach seiner Ermordung von Zeus zum Richter des Totenreiches eingesetzt, sein Recht also den Schatten der Vergangenheit zugeordnet, zugleich aber auch in Ehren gehalten, so daß Neues daraus entstehen kann. Schillernd und vielschichtig wie die Gestalt des Erbauers ist auch das Bauwerk selbst. Auch seine Geschichte beginnt mit einer Schande; Pasiphae, durch einen Fluch des Poseidon von widernatürlicher Lust gepackt, vereinigt sich mit seinem aus der Tiefe des Meeres aufsteigenden weißen Stier, und aus dieser Verbindung stammt der Minotaurus. Bachofen sieht in dieser Episode ein Zeichen für die allmählich Gestalt gewinnende Erkenntnis der befruchtenden Funktion des Phallus und eine Vorankündigung des vom Festland herkommenden Vaterrechts.46 Im kretischen Mythos überwiegt aber noch der Geschmack des Tabufrevels, und der stierköpfige Sproß gilt zunächst einmal als Monstrum. Minos befragt ein Orakel, wie die Schande zu verbergen sei und erhält den Rat, sich von Daidalos „eine Zuflucht in Knossos bauen zu lassen“, in der er zusammen mit Pasiphae und dem Minotaurus seine restlichen Jahre verbringen könne.47 Dädalus errichtet daraufhin das Labyrinth, von dessen architektonischer Struktur nun zu reden sein wird. Alle Überlieferungen stimmen darin überein, daß es sich um ein Baugefüge höchster Komplexität und Künstlichkeit gehandelt habe, das von Schwellen und verwirrenden Merkzeichen gegliedert war48, über ein höchst verwickeltes und ausgedehntes Wegesystem erschlossen wurde, das ausnahmslos auf eine bedeutende Mitte hin orientiert war. So ausgedehnt und kompliziert dieses Baugefüge auch gewesen sein mag, es wird uns als labyrinthisch geschildert, keinesfalls aber als chaotisch. Im Gegenteil, es wird uns ein Raumsystem sui generis vorgeführt, strukturiert nach Ordnungsprinzipien eigener Art, 28
und so mehrdeutig und widersprüchlich der Mythos auch in jenen Teilen bleibt, die sich auf den städtischen Kulturzustand und auf die Neuordnung der matrilinearen Rechtstradition beziehen, in der Beschreibung der architektonischen Ordnungsprinzipien des Labyrinthes ist er sehr klar und bestimmt. Diese Ordnungsprinzipien betreffen das architektonische Problem der Gliederung und Gestaltung eines Raumsystems, das sich um eine bedeutsame Mitte organisiert, aber so ausgedehnt ist, daß es als Ganzes visuell nicht mehr erfaßt werden kann. Denn dies war ja die Novität und auch das architektonische Problem der kretischen Großstädte, den Mittelpunkt ihrer gesamten Welt – den Palast in Knossos, der ja als Herrensitz, Kultstätte, Festplatz und bürokratischer Apparat nebst ausgedehnter Ökonomien nicht weniger bedeutsam war als etwa die Zentren der mesopotamischen Städte – mit architektonischen Mitteln ebenso sinnfällig darzustellen und erfahrbar zu machen wie diese, ohne dabei in eine der gesamten kretischen Kulturverfassung so fern stehende Zikkurat-Monumentalität zu verfallen. Und zweifellos ist das labyrinthische Ordnungsprinzip mit seinen endlosen, aber letztlich – man möchte sagen: endlich und in dramatischer Erfüllung – doch zur Mitte führenden Wegen dazu ein geeignetes städtebauliches System, eine der beiden Möglichkeiten, die sich überhaupt denken lassen. Die andere wäre der architektonische Kanon der Orientierungen und Axialitäten, wie sie die Barocke der verschiedensten Kulturen hervorgebracht haben. Dies also ist das architektonische Thema des Labyrinthes, es ist es geblieben, gleich welche Form und Größe es in späteren Jahrhunderten gewann, und hier, im kretischen Mythos, wird es begriffen als räumliches Charak-
4 Einwegelabyrinth mit sieben Windungen
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teristikum der archaischen Großstadt. Die Mitte dieses ausgedehnten Komplexes ist hier nicht als in sich ruhender Weltennabel verstanden, als Omphalos etwa, wie in der Delphischen Idylle, sondern dem dynamischen Wesen der Stadt gemäß als pulsierendes, schlingendes und speiendes Zentrum, das im stierköpfigen Minotaurus seine monströse Verkörperung gefunden hat. Nun wird man wohl kaum fehlgehen, wenn man die Monstrosität dieser Vorstellung als attische Propaganda sieht, die in dem großen Inneren der von ihr mit einer Mischung aus Abscheu und Bewunderung betrachteten städtischen Zivilisation kaum etwas anderes als ein Monstrum sehen konnte. Aber die Sage vom allesverschlingenden Stiermenschen als Vierungsherrscher des gewaltigen Baues dürfte auch eine historische Wurzel haben, die dann viel weniger monströs zu deuten ist. Hier scheint die Stiermaske der minoischen Glanzzeit nachzuwirken, die Amtsmaske der kretischen Herrscher, die sie im Staatszeremoniell und vor allem auf der herrschaftsbestätigenden jährlichen Rundreise durch die drei Reichsteile trugen. In dieser Stiermaske ließen sie sich durch die Hierogamie mit den Mondpriesterinnen der Provinzheiligtümer als Resident des knossischen Labyrinths – und das will heißen: als Inhaber der Zentralgewalt – legitimieren. Erklärt sich die Stierköpfigkeit somit als Sinnbild der kretischen Staatsverfassung, das in dieser Eigenschaft an die Seite des Labyrinths als Sinnbild der städtischen Kulturverfassung zu stellen wäre, so mag auch der alles verschlingende Charakter des Bauwerkes und seines Tyrannis Absconditus nicht länger rätselhaft bleiben. Die kretische Ökonomie war in einer für das Altertum einmaligen Weise zentralisiert und von der Palastbürokratie gesteuert. Hier flossen nicht nur Zehntsteuer, Tribut und Handelsoktroi zusammen, die gesamte Produktivität des Landes wurde hier erst gesammelt, registriert und dann umverteilt. Jeder Ballen Wolle, jeder Scheffel Korn, jede Fertigware, jedes Handelsgut, alles was man irgendwo im Reich produzierte oder erwirtschaftete, wurde zunächst eingezogen und dann als Ration den Erzeugern wieder zugeteilt oder über den Palastapparat auf den Exportmarkt gebracht.49 In einer Kultur, die in Bildern denkt, muß ein solcher Vorgang sehr bald plastische Anschaulichkeit gewonnen haben, eben in der Idee eines Bauwerks, aus dessen Tiefe nichts wieder auftaucht und aus dessen Wirrgängen niemand zurückkehrt, da ein Ungeheuer in seinem Innersten sich alles einverleibt, eine frühe Variante des Bildes vom „Moloch Stadt“50. In diesem übertragenen Sinne ist auch die wohl moralisierend gemeinte Wendung des 30
Labyrinthmythos zu sehen, die den Dädalus selbst im Labyrinth enden läßt: Sein Machwerk soll dem Vermessenen zum Verhängnis werden, und nur durch seine schon übermenschliche Fähigkeit, die noch vorstellbare, wahrscheinliche Großtat der labyrinthischen Stadt durch die schon phantastische Erfindung des Fluggeräts noch zu überbieten, gelingt es ihm, sich zu entziehen. Nun enthält der Labyrinthmythos einen Passus, der Komplexität und Irrgartenideen andeutet und sich nicht auf die Ambivalenz der städtischen Lebensform bezieht, sondern eindeutig auf die labyrinthische Baugestalt, die Geschichte vom Ariadnefaden nämlich. Ohne dieses Hilfsmittel wäre es Thesus ja kaum gelungen, sich durch die Windungen hindurch – und zurückzufinden. Zunächst scheint dieses Motiv einer Deutung des Labyrinths als Stadtmetapher entgegenzustehen, da sich ein solcher Faden ja ohne weiteres in einem engen, winkligen Zwinger vorstellen läßt, aber nur noch mit Mühe in einer ausgedehnten Stadtanlage. Aber betrachten wir zunächst die verschiedenen Bemühungen um eine Erklärung. Da die klassischen Ikonographen zum Wollknäuel der Ariadne schweigen, da auch die Etymologie nicht recht weiterhelfen will und auch historisches Material nicht zu einer Deutung verhilft, wurde hier schon früh der anthropologischen Methode nachgegangen. Kerenyi verweist auf den Seilgebrauch bei den delischen Tänzen und auf eine italie-
5 Südfranzösischer Fastnachtstanz: ein Gruppentanz, bei dem sich die Reihe der Tänzer nach Art der französischen Kirchenlabyrinthe formiert
6 Baskischer „Schneckentanz“, bei dem sich Einzeltänzer (M und D) in mehreren Windungen im Innern der Tanzkette bewegen
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7 Links: Englisches Rasenlabyrinth („Troy-Town“) bei Pimperne. Rechts: Französische Kathedrallabyrinthe; Reims (oben), Saint Omer (Mitte), Poitiers (unten)
nische Tanzart, die bezeichnenderweise „tratta“ heißt (Ziehen am Führungsseil).51 Winter52 und Benndorf53 und, schon früher, Krause54 ziehen die Trujaspiele zur Erklärung heran. Eilmann55macht auf die enge Verbindung aufmerksam, die allenthalben zwischen Daidalos, der Spirale und dem Faden besteht, und die in der Geschichte des Fadens, den er mit Hilfe einer Ameise durch die Windungen einer Tritonmuschel zieht, ihre eigene literarische Bearbeitung erfahren hat. Wie dies alles aber zu verknüpfen sei, bleibt unentschieden, jedoch überwiegt die Neigung, den Faden der Ariadne mit einem von Dädalus gestifteten Labyrinthtanz in Verbindung zu bringen. Kerenyi sieht im Fadenmotiv eine Bestätigung seiner Theorie, daß das Labyrinth als dual aufgebautes Unterweltsmodell angelegt sei, das im Tanz als Abstieg in den Tod und Aufstieg zum Leben nachgeahmt wurde. Der Labyrinthtanz drehte sich nämlich einmal in links-, dann wieder in rechtsgewundenen Spiralen56, wobei der dem Sonnenlauf folgende 32
Umgang mit dem umschrittenen Objekt auf der rechten Seite hier, wie in anderen Kulturen auch57, als Lebensrichtung zu verstehen ist, der gegenläufige aber als Todesrichtung. Der Gebrauch von Seilen bei solchen Umgangstänzen ist durch inschriftliche Rechnungen über Feste zu Ehren der Artemis Britomartis und der Persephone belegt, Feste also, die Geburts- und Todesgöttinnen feiern.58 Nach der Fülle des vorliegenden Materials kann an dem Zusammenhang zwischen Labyrinth und Umgangstanzfiguren kaum gezweifelt werden.59 Damit tut sich aber ein neues Problem der Labyrinthdeutung auf, da ja in einem labyrinthischen Bauwerk, das die Überlieferung einstimmig als verwinkelt und unübersichtlich schildert, ein komplizierter Reigentanz schlechterdings nicht vorstellbar ist. Man ist deshalb darauf verfallen, sich den Reigen auf einem Tanzplatz vor dem Eingang zu einem kultischen Unterweltlabyrinth vorzustellen.60 Zum Beweis werden jene berühmten Verse der Ilias aufgeführt, die die Zierarbeiten auf dem Schilde des Achilles beschreiben, und die in Vossens Übertragung lauten (Il. XVIII, 590): „Ein Reigen auch schlang der hinkende Feuerbeherrscher, Jenem gleich, wie vordem in der weitbewohneten Knossos, Dädalus künstlich ersann der lockigen Ariadne.“ Für „Reigen“ steht im Original „choros“, ein mehrdeutiger Begriff, der sowohl Tanz als auch Tanzplatz bedeuten kann, also jeder Interpretation willfährig ist, sodaß man nicht mit Bestimmtheit folgern kann: „Das Labyrinth (…) muß man sich als einen Tanzplatz nach Art der nordischen Trojaburgen denken.“61 Ob man sich nun für die lokale Auffassung von „choros“ entscheidet oder für die aktionistische, in beiden schwingt eine Bedeutung des gefaßten, umgrenzten, gestalteten Raumes mit. Denn choros in seiner Bedeutung als Tanzplatz bedeutet nicht einfach eine freie, ebene Fläche, sondern den „umgrenzten Tanzplatz“62 und choros als Tanz ist per definitionem eine „choreographierte“ eben den Raum beschreibende Bewegung, eine Raumgestaltung, wenn auch ephemerer Natur. Deshalb auch bei Homer so häufig das in diese Richtung zielende „Eurichoros“ als Epitheton von Städten.63 Und dies alles scheint mir nun darauf hinzudeuten, daß sich der Vergleich in der Ilias auf einen ausgedehnten Umzug bezieht, nicht auf einen wie auch immer gearteten labyrinthischen Tanzplatz, sondern auf eine tanzähnliche Begehung der gesamten Stadt Knossos, die uns der Dichter ja ausdrücklich als „weitbewohnet“ schildert.64 Damit ließe sich auch diese Stelle in der Übersetzung 33
8 Priester tragen einen Würdenträger auf der Lade. Eine der wenigen minoischen Darstellungen, die auf die Existenz von Paraphernalienfesten in Knossos schließen lassen.
von „choros“, die als Reigentanz oder Tanzplatz rätselhaft und nicht ohne Widersprüchlichkeit bleibt, ohne Zwang für eine stadtmetaphorische Deutung heranziehen. Festliche Begehungen des Stadtraumes sind uns aus der Antike ja zahlreich überliefert65, ihre Erhebung zum Stadtritual berichtet Herodot schon in seinen ägyptischen Büchern66, und man könnte aus der gesamten Kulturgeschichte unübersehbares Vergleichsmaterial heranziehen. Ja, es scheint, daß bis in die Epoche des absolutistischen Städtebaues die periodische Begehung des Stadtraumes als ein ebenso wesentliches Merkmal städtischer Kultur erachtet wurde, wie dies heute noch in den Städten der hinduistisch beeinflußten Welt der Fall ist, wo man geradezu von einem peripatetischen Stadtbegriff sprechen kann. In den Versen der Ilias liefert uns Homer somit den eigentlichen Schlüssel zum Verständnis des Labyrinths. Gemeint ist „die weitbewohnete“ Knossos, ein komplexes Raumsystem, dessen ästhetische Struktur erst in der Begehung erfahrbar wird, eine Labyrinthfigur, die sich in der choreographierten Bewegung erschließt. In diesem Lichte gewinnt auch das Motiv des Ariadnefadens schärfere Konturen. Es ist nicht nur eine Anspielung auf die denkbare historische Realität eines Seiles, das die Tänzer beim Labyrinthtanz hielten, sondern der mythische Begriff für die ästhetische Struktur des Labyrinths, und dies in mehrfachem Sinn. Zunächst ist das Wollknäuel, das Dädalus als Erbauer und Durchschauer des Labyrinths der Ariadne übergibt, ein Modell des Labyrinths von unmittelbar anschaulichem Charakter, fast schon ein Architekturmodell. 34
Wie die Windungen des labyrinthischen Wegesystems schließlich zum Zentrum führen, so wickelt sich auch der Faden in allen Richtungen und vielen Lagen um seinen Anfang in der Mitte. Dann aber ist der Faden, abgerollt und, wie der Mythos ausdrücklich erwähnt, am Türsturz befestigt und in der Mitte zu Ende – der sichtbar gemachte Weg durch die Stationen des Labyrinths.67 In diesem Weg, der die markanten Punkte des räumlichen Systems berührt, erschließt sich dessen ästhetische Struktur als ein Spiel mit den räumlichen Dichotomien Zentralität und Peripherität, Axialität und Windung, Orientierung und Desorientierung. Der abgerollte Faden ist der zweidimensionale choreographische Plan des Labyrinths, der im Knäuel aufgerollte dessen dreidimensionales Modell. In der mythischen Anschauungsform gibt es kein Detail, sei es auch noch so geringfügig, das nicht in irgendeiner Weise in der Beschreibung des Gesamttopos bedeutsam wäre. So liefert uns die Bemerkung, daß das Knäuel der Ariadne aus Wolle sei, einen letzten bedeutsamen Hinweis darauf, wie dieser Schlüssel zum Labyrinth nicht nur seine architektonische Struktur, sondern auch einen weiteren historischen Zusammenhang eröffnet.68 Wolle ist die Opfergabe des Omphalossteines in Delphi, den Rhea dem Kronos anstelle des Zeuskindes zum Verschlingen gab und den er zusammen mit seinen schon verschluckten Kindern Poseidon, Demeter, Hestia und Hades später wieder erbrach. Der Sage nach stellte Zeus den Stein später beim Delphischen Orakel auf, wo er den Mittelpunkt der Welt kennzeichnet. Diese Verbindung der Stadt mit der Weltmittelpunktsidee, die uns als „Romgedanke“ in der Geschichte wieder begegnet, mag hier mitschwingen, jedoch tritt eine andere Assoziation prägnanter hervor. Man war lange im Ungewissen, auf welcher materiellen Grundlage die üppige Stadtkultur Kretas beruhte, mit welchen Gegenwerten der exzessive Import dieser frühen Wohlstandsgesellschaft bezahlt wurde, denn die Insel besitzt keinerlei Edelmetallvorkommen, die den Reichtum der Schmuck- und Schatzfunde erklären könnten. Die Entzifferung der in Linear-B-Schrift gefaßten Tontäfelchen – Lagerverzeichnisse des Palastes aus dem Jahr seiner Zerstörung – hat dieses Geheimnis wenigstens teilweise gelüftet. Unter den Aufzeichnungen fand sich ein Schafszensus über einen Bestand von 100 000 Tieren, über Schurergebnisse verschiedener Herden sowie das Inventar eines zentralen Wollagers in Knossos. Offensichtlich besaß der Palast ein Wollmonopol, und dieser Reichtum, den ja keine archäologische Ausgrabung zutage fördern kann, war die vielleicht wichtigste Grundlage dieser städtischen Zivilisation.69 Der Wollfaden im 35
Labyrinth ist dann die räumlich anschauliche Formung einer an sich abstrakten Tatsache, ein poetisches Wissen um die ökonomische Seele der Stadt. Und poetisch erscheint auch die Geste, mit der Ariadne, die kretische Königstochter und Trägerin des Matrilineats, dem attischen Theseus, dem die Zukunft gehört, das Wollknäuel reicht – den Schlüssel zu einer städtischen Welt, die auf Kreta bald den Eroberern anheimfällt, aber nur, um auf dem Festland ihre eigentliche Vervollkommnung zu erfahren. Die Interpretation des antiken Labyrinthmythos als einer Metapher städtischer Architektur und städtischer Zivilisation vermag die verschiedensten Bilder und Assoziationen der antiken Erzählung, die sonst willkürlich und oft unbegreiflich aneinandergereiht scheinen, auf ihren gemeinsamen Begriff zu bringen. Darin liegt ihre Berechtigung. Sie will nicht die bekannten Deutungen ersetzen, sondern diese um eine zusätzliche und unbedingt notwendige Dimension erweitern, die eben die architektonische Betrachtung, die trotz der zentralen und handlungsbestimmenden architektonischen Topoi des Mythos bisher zu wenig berücksichtigt geblieben ist, in den Mittelpunkt rückt. In dieser notwendigen Erweiterung des Blickwinkels erschließt sich der antike Mythos als eine Folge fundamentaler Aussagen über die architektonische Gestalt der Stadt, deren ästhetische Qualitäten hier ganz neu, noch mit dem Staunen der ersten Beobachtung gesehen werden, die aber zugleich, der Intention des mythischen Erzählers gemäß, ins Allgemeine gewendet – man könnte sagen: „theoretisiert“ – werden, wäre dieser Begriff den Formen des mythischen Denkens nicht gänzlich unangemessen. Als das ganz Neue der Stadt sieht der Mythos ein schillerndes Spektrum von bisher unbekannten architektonischen Eigenschaften, die immer zugleich großartig und abschreckend, unheimlich aber doch faszinierend sind, Schönheiten, die zugleich anziehen und abstoßen. Im Ablauf der Erzählung, die die oft konträren Beobachtungen logisch miteinander zu verbinden vermag, stellen sich die heterogenen Einzelheiten als unterschiedliche Aspekte eines zusammengehörigen Ganzen dar. Der Mythos sieht das alte architektonische Thema der bedeutenden Mitte hier in ein räumliches System eingearbeitet, das kaum noch zu überschauen ist. Er erkennt eine alles regierende Vernunft am Werk, deren Sitz und Ursprung sich dem unmittelbar sinnlichen Zugriff entzieht und die er deshalb im Obskuren, Unterirdischen, Unzugänglichen walten läßt. Er schildert ein Gesamtbauwerk, das übermenschlich zu sein scheint, von äußerst komplexer architektonischer Gestalt, und er begreift, daß dieses Raumsystem sich nur noch als Abfolge einzelner Stätten, im Bewegungs36
ablauf erkennen läßt. Schon entdeckt er im mechanischen Lebensrhythmus der großen Stadt die Anfänge des Unpersönlichen, Unmenschlichen, vielleicht auch im Stadtritual und Staatszeremoniell die rituelle Überhöhung des Mechanischen. Dies alles scheint ihm fremd und unbegreiflich, ein einziges Rätsel, so daß er selbst seine Schilderung in rätselhafte Bilder kleidet. Und zum ersten Mal ist die Architektur hier eine „verkehrte Welt“: Das Labyrinth ist ein Haus, das nicht mehr birgt und beschützt, sondern bedroht; die Stadt, für die die Metapher steht, ist nicht mehr nur ein Segen, sondern zugleich ein Fluch. In diesen erzählerischen Details der Labyrinthgeschichte, im Verschlungenen, Schwierigen, Rätselhaften, Unterirdischen, Anthropomorphen, in all den Eigenschaften, mit denen der antike Mythos auf die Stadt verweist, wurde zum ersten Mal eine architektonische Qualität gesehen, die das architektonische Denken immer wieder beschäftigt, oft verwirrt, aber insgesamt doch auf faszinierende Bahnen gebracht hat: Der Mythos des Labyrinths, der in metaphorischen Bildern die Stadt beschreibt, ist zugleich die Entdeckung des Labyrinthischen in der Architektur. 2 Die Formen des Labyrinthischen. Begriffsbestimmung einer architektonischen Qualität Der Sagenkreis um Theseus und den Minotaurus, um Dädalus und das Labyrinth ist ein erstes Zeugnis des Nachdenkens über Architektur. In den Begriffen des Mythos reflektiert das noch ganz von Wanderung und Landnahme geprägte archaische Bewußtsein der attischen Stämme das zivilisatorische Novum „Stadt“, mit dem es im minoischen Kreta zum ersten Mal konfrontiert wird, und zugleich entdeckt es dessen architektonische Besonderheit, die ästhetische Qualität des Labyrinthischen. Diese Qualität gilt es nun schärfer zu umreißen, ein nicht ganz einfaches Unterfangen, denn ,,das Labyrinthische“ entzieht sich, ungeachtet der sprichwörtlichen und umgangssprachlichen Geläufigkeit, einsilbiger Definition. Es ist vielmehr ein schillerndes Phänomen, das sich in vielschichtigen und vielfältigen Erscheinungsformen präsentiert, deren Bedeutung häufig im Dunkeln bleibt. Jeder Versuch, das Labyrinthische von seinen möglichen Inhalten und Bedeutungen, Gesten und Mitteilungen her zu fassen, muß sehr bald an seine Grenzen stoßen: Als „architektonische Sprache“ gleicht das Architekturpanorama des Labyrinthischen eher der „krim-gotischen“ Poesie, jenem literarischen Artefakt aus erfundenen Wörtern ohne 37
ablauf erkennen läßt. Schon entdeckt er im mechanischen Lebensrhythmus der großen Stadt die Anfänge des Unpersönlichen, Unmenschlichen, vielleicht auch im Stadtritual und Staatszeremoniell die rituelle Überhöhung des Mechanischen. Dies alles scheint ihm fremd und unbegreiflich, ein einziges Rätsel, so daß er selbst seine Schilderung in rätselhafte Bilder kleidet. Und zum ersten Mal ist die Architektur hier eine „verkehrte Welt“: Das Labyrinth ist ein Haus, das nicht mehr birgt und beschützt, sondern bedroht; die Stadt, für die die Metapher steht, ist nicht mehr nur ein Segen, sondern zugleich ein Fluch. In diesen erzählerischen Details der Labyrinthgeschichte, im Verschlungenen, Schwierigen, Rätselhaften, Unterirdischen, Anthropomorphen, in all den Eigenschaften, mit denen der antike Mythos auf die Stadt verweist, wurde zum ersten Mal eine architektonische Qualität gesehen, die das architektonische Denken immer wieder beschäftigt, oft verwirrt, aber insgesamt doch auf faszinierende Bahnen gebracht hat: Der Mythos des Labyrinths, der in metaphorischen Bildern die Stadt beschreibt, ist zugleich die Entdeckung des Labyrinthischen in der Architektur. 2 Die Formen des Labyrinthischen. Begriffsbestimmung einer architektonischen Qualität Der Sagenkreis um Theseus und den Minotaurus, um Dädalus und das Labyrinth ist ein erstes Zeugnis des Nachdenkens über Architektur. In den Begriffen des Mythos reflektiert das noch ganz von Wanderung und Landnahme geprägte archaische Bewußtsein der attischen Stämme das zivilisatorische Novum „Stadt“, mit dem es im minoischen Kreta zum ersten Mal konfrontiert wird, und zugleich entdeckt es dessen architektonische Besonderheit, die ästhetische Qualität des Labyrinthischen. Diese Qualität gilt es nun schärfer zu umreißen, ein nicht ganz einfaches Unterfangen, denn ,,das Labyrinthische“ entzieht sich, ungeachtet der sprichwörtlichen und umgangssprachlichen Geläufigkeit, einsilbiger Definition. Es ist vielmehr ein schillerndes Phänomen, das sich in vielschichtigen und vielfältigen Erscheinungsformen präsentiert, deren Bedeutung häufig im Dunkeln bleibt. Jeder Versuch, das Labyrinthische von seinen möglichen Inhalten und Bedeutungen, Gesten und Mitteilungen her zu fassen, muß sehr bald an seine Grenzen stoßen: Als „architektonische Sprache“ gleicht das Architekturpanorama des Labyrinthischen eher der „krim-gotischen“ Poesie, jenem literarischen Artefakt aus erfundenen Wörtern ohne 37
Bedeutung, die aber dessenungeachtet nach den Gesetzen der Sprache, nach Rhythmus, Syntax und Intonation zu einem nichts aussagenden, aber dennoch strukturierten Ganzen verbunden sind.70 Deshalb scheint ein ikonographischer Zugang, der die Bedeutung der verschiedenen labyrinthischen Phänomene vorerst beiseite läßt, am ehesten eine Chance zu haben, das Labyrinthische als architektonische Qualität zu fassen.71 Wir haben uns damit eine zweifache Aufgabe gestellt. Zunächst geht es darum, die Konturen einer „Ikonographie des Labyrinthischen“ abzustecken, also die architektonischen Manifestationen dieser Qualität zu dokumentieren. Als zweites wäre dann ihre innere Zusammengehörigkeit darzulegen, die konzeptionelle Grundlage des Labyrinthischen, die die vielfältigen, divergierenden, zum Teil konträren ikonographischen Details als Einzelaspekte eines in sich geschlossenen gedanklichen Komplexes ausweist. Wir wollen hierbei von den Topoi des antiken Mythos ausgehen, denn dieser liefert uns bereits die Stichworte einer Begriffsbestimmung des Labyrinthischen, dessen zeitspezifischen Aspekten und Wandlungen unser Interesse in den folgenden Einzeluntersuchungen gelten wird. Wenn wir den Labyrinthmythos als ein fundamentales, uranfängliches „Parere su l’Architettura“ lesen, so enthält bereits die narrative Grundstruktur, die Stadt und Architektur als den ikonographischen Ort des Labyrinthischen schildert, eine erste Feststellung: Das Labyrinthische ist eine architektonische Qualität. Dies ist für den gesamten Verlauf unserer Betrachtung von außerordentlicher Bedeutung, denn es grenzt das Labyrinthische als architektonische Qualität gegen Inhaltlichkeit und Bildhaftigkeit der Labyrinthchiffre ab.72 Das Labyrinthische kann nur in den architekturspezifischen Kategorien von Raum, Ort und Weg existieren; es transportiert seine Assoziationen, Bedeutungen und Inhalte über räumliche Phänomene, über das architektonische Erlebnis also, über ganzheitliche, körperliche, haptische Erfahrungen und niemals nur über das lediglich visuell zugängliche Bild der Labyrinthchiffre. Labyrinthisch ist das Abbild des Labyrinths nur im übertragenen Sinne, so etwa die klassische Labyrinthchiffre: Sie hat einen Eingang und eine Mitte, sie ist äußerlich geometrisch regelmäßig, innerlich vielgliedrig, oft von einer Kreuzfigur viergeteilt, sie ist also aus Elementen aufgebaut, die aus Alltagssituationen bekannt sind. Diese Elemente erschließen sich in einer Abfolge als Stationen eines Weges, denn man „geht“ mit den Augen durch die Figur hindurch, vom Eingang unausweichlich zur Mitte, gleichgültig, ob es sich um ein einwegiges Umgangslabyrinth oder um ein mehrwegiges Irrgangssystem handelt. Und im „Durchschreiten“ der Laby38
rinthfigur erkennt man, daß diese wenigen Grundelemente sich nicht an einem einfachen Schrittmuster aufreihen, sondern zu einer Figur zusammengefügt sind, die zu höchster Komplexität neigt. Diese gewissermaßen „architektonische Erfahrung“ einer zweidimensionalen Figur macht zu einem nicht geringen Teil die Faszination der Labyrinthchiffre aus: Zwar existiert sie lediglich als graphische Realität, als „Linienreflex einer mythologischen Idee“73, aber man „liest“ sie als Raumsystem, als Abstraktum einer Architektur, größer als der Mensch, der man sich nicht entziehen kann, weil man sich in ihr bewegen muß. Noch als kleinmaßstäbliches Abbild hat die Labyrinthfigur diese Macht der Architektur, den Menschen ganz in sich aufzunehmen, ihn mit ihren Fenstern und Türen zu umrahmen, ihn zu bergen oder auszusetzen, ihn auf Gängen und Wegen zu führen oder ihn in ihren Räumen ruhen zu lassen, denn das Auge, das die Windungen des Labyrinths abtastet und darin Eingang, Schwelle, Wände und Kammern erkennt, tut dies als imaginärer Besucher. Nun vermag auch die perspektivische Illusion der Malerei den Betrachter ins Bild „hineinzuführen“, manchmal gar in anderere Räume zu erheben, wie dies die barocke Deckenmalerei so virtuos beherrscht, aber Zweck und Mittel sind dort grundverschieden. Die Perspektive schafft eine Raumillusion, das Labyrinth ist ein Raumgleichnis. Im perspektivischen Bild wird in der Regel eine konkrete, einmalige Situation dar-
9 Jericholabyrinthe: Magische Wege – am siebten Tag, nach siebenfacher Umwallung, beim siebten Stoß der Posaune – stürzen die Mauern. Handschrift des 9. Jh., Badische Landesbibliothek Karlsruhe
10 Römische Stadtlabyrinthe: alltägliche Wege und Totenwege. Pompeji, Villa des Diomedes
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gestellt, im Labyrinth dagegen ein Grundtypus der räumlichen Ordnung – eben des Labyrinthischen –, der die Elementarien jedes räumlichen Systems assoziiert, die Schwellen, Grenzen und Mitten, die er in der Grundform des räumlichen Erlebens, dem Durchschreiten, anschaulich und doch tiefgründig miteinander verbindet. Diese Eigenart der Labyrinthchiffre verdient alle Aufmerksamkeit, bedeutet sie doch nichts weniger, als daß eine Figur, um die sich die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Inhalte ranken können, dennoch als Architekturmetapher eine Eindeutigkeit besitzt, die darauf beruht, daß sich in ihr elementare Grundformen jeder räumlichen Ordnung wiedererkennen lassen, die in der Natur des Raumes selbst vorgegeben und deshalb nicht willkürlich zu verändern sind. Als Architekturmetapher unterliegt auch die Labyrinthfigur diesen Gesetzmäßigkeiten; wäre sie eine reine Kunstform, die nur die nichtarchitektonischen Inhalte des Topos darzustellen hätte – Vorstellungen von Leben und Tod, kosmologische Phantasien, den Fruchtbarkeits- und Frühlingsreigen, ihre unterschiedlichen phantastischen Assoziationen –, so hätte sie alle Freiheit. Wir haben mit diesen Bemerkungen über die Labyrinthchiffre neben dem architektonischen bereits ein weiteres Wesensmerkmal des Labyrinthischen angesprochen: die Notwendigkeit einer räumlichen Hierarchie, die durch privilegierte Räume, Orte und Schwellen abgesteckt wird und ohne die ein Raumsystem nicht als labyrinthisch erfahren werden kann. Der Mythos konzentriert seine diesbezüglichen Beobachtungen ganz auf die Idealform des privilegierten Ortes: auf die bedeutende Mitte im Innersten eines ausgedehnten räumlichen Gefüges, die es auf labyrinthischem Wege zu erreichen gilt. Nun ist die Idee einer räumlichen Hierarchie um eine wie auch immer bedeutende Mitte eine archetypische Vorstellung, die in zahllosen architektonischen Bildern ihre bekannten Ausbildungen erfahren hat; Lethaby hat diese architektonische Vorstellungswelt unter dem weitgefaßten Thema At the Centre of the Earth untersucht.74 Die Symbolik des Mittelpunktes verweist nicht eo ipso schon auf labyrinthische Gedankenkreise. Schon der Labyrinthmythos selbst trifft hier eine wichtige Unterscheidung. Er berichtet von mehreren Zentren, jedoch ist das Zentrum des Labyrinths insofern ein ganz besonderes, als es den Minotaurus und damit Obskures, Makelhaftes, Unaussprechliches beherbergt. Dies ist eine ganz andere Mittelpunktsidee, als sie Hugo von Hofmannsthal unter der Überschrift Der Kaiser von China spricht in Verse gesetzt hat: 40
„In der Mitte aller Dinge / Wohne ich, der Sohn des Himmels. / Meine Frauen, meine Bäume, / Meine Tiere, meine Teiche / Schließt die erste Mauer ein. (…) Stumm vor meinen Rasenbänken, / Grünen Schemeln meiner Füße, / Gehen gleichgeteilte Ströme / Osten-, west- und süd- und nordwärts, / Meinen Garten zu bewässern, / Der die weite Erde ist. (…) Meine Edlen wie die Sterne, / Wohnen rings um mich, sie haben / Namen, die ich ihnen gab, / Namen nach der einen Stunde, / Da mir einer näher kam, / Frauen, die ich ihnen schenkte, / Und den Scharen ihrer Kinder, Allen Edlen dieser Erde / Schuf ich Auge, Wuchs und Lippen, / Wie der Gärtner an den Blumen. / Aber zwischen äußern Mauern / Wohnen Völker meiner Krieger, / Völker meiner Ackerbauer. / Neue Mauern und dann wieder / Jene unterworfnen Völker, / Völker immer dumpfern Blutes, / Bis ans Meer, die letzte Mauer, / Die mein Reich und mich umgibt.“75 Hofmannsthal macht sich hier die Betrachtung aus der Perspektive des Mittelpunktes der Hierarchie zu eigen, der die Verschachtelung als Visualisierung der von der Person des Kaisers ausgehenden lebens- und ordnungsstiftenden Macht begreift. Unter anderem Blickwinkel kann sich das gleiche Zentrum jedoch ganz anders darstellen und in den Gedankenkreis des Labyrinthischen rücken. Es erscheint als „Verbotene Stadt“, in deren Innerem eine Agrar- und Militärbürokratie am Werk ist, die sich der beobachtenden Vernunft entzieht, die hinter tabuisierten Toren und undurchdringlichen Mauern rational nicht nachvollziehbar, aber spürbar am Werk ist, die also als ein unheimliches Zentrum erscheint, wie eben auch der attische Mythos, der die minoische Zivilisation von außen her sieht, die unüberschaubare Stadt und ihren vielkammerigen Palast als Sitz des Unmenschlichen, Monströsen, halb Animalischen begreift. Folgen wir dieser Anschauung, so wären dem Labyrinthischen all jene Mittelpunkte zuzurechnen, die unheimlich, tabubelastet und nicht dem Geistigen, Strahlenden, sondern dem Dunkeln, Animalischen anzugehören scheinen. Der Blick von außen auf ein Inneres, in das man nicht einzudringen wagt, ist die ureigene Perspektive anthropomorpher Architekturauffassung. Die klassischen anthropomorphen Architekturkonzeptionen, vor allem jene, die sich auf das Raumsystem Stadt beziehen, begreifen den gebauten Raum als die architektonische Übersetzung der physischen Realität eines spürbaren, fühlbaren, pulsierenden körperlichen Innenlebens, das existen41
11 Filaretes Burgen im Zentrum von Labyrinthen: schwierige Wege
ziell präsent ist, sich jedoch einfacher empirischer Beobachtung entzieht, als ein tabuisiertes Innerstes, in das man nicht eindringen kann, darf oder will. So wird verständlich, daß das universale architektonische Thema der „Verbotenen Stadt“ in den verschiedensten Kulturen anthropomorph gedeutet wird. Die Gründung Pekings, der „Verbotenen Stadt“ par excellence, wird anthropomorph als das Erschlagen und Niederwerfen des Chaosgiganten durch den Gelben Kaiser als den Kulturheroen Chinas gedacht. Unter den Heiligen Städten Indiens wohnt ein Vastu Purusha, ein „Geist des Raumes“, der mit dem Gesicht nach unten die Stadtfläche bedeckt, und anthropomorph verstanden werden auch die Ritualzonen der Kotoko-Städte um den Tschad-See, die ausschließlich dem Staatsritual des Stadtfürsten vorbehalten waren.76 Zugleich gehören ihre Zentren als obskurer Focus ausgedehnter, unbetretbarer und für den Außenstehenden unüberschaubarer räumlicher Systeme in den Zusammenhang des Labyrinthischen und seiner in den Windungen verborgenen Mitten. Noch in einem anderen Zusammenhang ist die bedeutende Mitte nicht schlechthin ein Zentrum einer räumlichen Hierarchie, sondern zugleich eine 42
Ausdrucksform des Labyrinthischen. Wenn man in der Begegnung Theseus – Minotaurus, einer der vielen möglichen Deutungen des Mythos zufolge, nach langem Weg zur Mitte die Begegnung mit den unbewußten Seiten der eigenen Existenz sieht, dann wären in einer architektonischen Ikonographie des Labyrinthischen auch alle jene Orte im Zentrum der Selbstsuche und Selbstfindung zu nennen, die am Ende des Weges den Betrachter verbaliter vor den Spiegel oder – im übertragenen Sinne – zu sich selbst führen. Kern hat dies in seinen Labirinti ausgeführt: Der „Simbolismo del Centro“ erscheint dort als durchgehendes Thema von Botticellis „Città con sette cinte di mura“ bis hin zu jener merkwürdigen Konstruktion Leonardos aus acht übermannshohen Spiegeln, die wie ein Oktogon zusammengefügt sind, so daß sich ein Mensch in der Mitte niedersetzen und sich selbst in jeder Richtung und ins Unendliche hinausgespiegelt betrachten kann.77 Man wird in dieser Spiegelkammer mehr sehen müssen als nur ein technisches Gerät zur Befriedigung der physikalischen Neugier, nämlich ein „optisches Labyrinth“, das in der unendlichen Projektion der eigenen Physiognomie, auf dem schier endlosen Weg seiner Spiegelungen den Betrachter auf einer langen visuellen und buchstäblich reflexiven Reise zu sich selbst zu führen vermag – eine Reise, die auch mit ganz anderen Vehikeln angetreten werden kann und durch entlegene Provinzen der physischen und psychischen Welt zu führen vermag, bis zu jener unerwarteten Ankunft, die Novalis in den Paralipomena zu den Lehrlingen von Sais angedeutet hat: „Einem gelang es – er hob den Schleier der Göttin zu Sais – Aber was sah er? Er sah – Wunder des Wunders, sich selbst.“78 Nehmen wir dies als Stichwort einer weiteren Dimension des labyrinthischen Mittelpunktsgedankens: Die Mitte des Labyrinthischen ist die Mitte der überraschenden Ankunft, und das architektonische Mittel ihrer Hervorhebung ist der lange und verschlungene Weg. Das Labyrinthische erscheint somit als eine Methode zur architektonischen Ordnung ausgedehnter Bausysteme mittels der beiden Elemente Weg und Ziel. Das Labyrinthische ist also eine Ordnungskategorie der Architektur. „Labyrinthisch“ und „chaotisch“, zwei Begriffe, die umgangssprachlich so häufig verwechselt werden, sind deshalb nicht nur begrifflich weit voneinander entfernt, sie schließen geradezu einander aus. Wenn wir in einem in anderer Hinsicht hochinteressanten Aufsatz über die Mutation des Labyrinths in sein Gegenbild lesen: „Das Unübersehbare, Nicht-lesbare, Nicht-nach-einem-Prinzip-geordnete, also chaotisch Erscheinende provoziert zu allen Zeiten ein Bedürfnis, es ,in Ordnung‘ zu bringen, ihm ein Prinzip einzuverleiben“79, so ist dies ein solches Mißverständnis. Denn 43
das Labyrinth definiert sich über ein Prinzip, über den verschlungenen Weg, der schließlich zur Mitte führt, es ist von Anfang an „in Ordnung gebracht“, eben in die „labyrinthische Ordnung“. Dies aber ist kein Paradoxon, denn labyrinthische Ordnung meint die Zentrierung eines ausgedehnten Raumsystems über einen verschlungenen, künstlich und kunstvoll verlängerten Weg. Der Weg, das sei hier eingeschoben, ist ebenfalls nicht irgendwie zufällig verlängert und verschlungen, sondern in seinen Windungen nach Maß und Zahl wohl überlegt. Dies wird etwa in den Windungen der Gartenlabyrinthe deutlich; sofern es sich um Einweglabyrinthe handelt, folgen sie häufig der klassischen Labyrinthchiffre, die durch eine gleichmäßig variierte Umgangsfolge von wechselweise rechts- und linksläufigen Bewegungen im Verhältnis von vier zu drei charakterisiert ist. Die Weglängen variieren ebenfalls nach einem festen Schema um das Heckenkreuz im Zentrum.80 Auch die Irrganglabyrinthe variieren dieses Schema der nach festem Rhythmus wechselnden Richtungs- und Weglängenänderungen. Besonders poetisch ist dieser Gedanke des künstlich, nicht aber willkürlich verlängerten Weges zur Mitte im „Great Maze“ von Hampton Court formuliert, dessen Schlüsselweg mit seinen Wechseln der Schrittfolge der höfischen Contredanse folgt: links-rechts-rechts/links-links-links. Wer nach diesem Schrittmuster, vom Eingang aus gezählt, bei jeder Abzweigung seinen Weg wählte, gelangte auf künstlich verlängertem, aber eben auch im Irrgarten richtigen Weg zum Zentrum. Wir sehen also in der labyrinthischen Architektur eine Sonderform des Typus der mittenorientierten Architektur vor uns, deren Besonderheit darin besteht, daß sie sich nicht der visuellen Akzente und Zentrierungsmethoden der Barocke bedient, der Achsen, Visten, Perspektiven oder der monumentalen Überhöhung, sondern der „peripathetischen“, des langen, hin und her, aber schließlich doch zum Ziele führenden Weges. Epochen, die ihre Gedanken in Ideogrammen niederschreiben, waren deshalb labyrinthische Windungen gern Ausdrucksmittel für zentrierte Räume. Die ägyptische Mäanderhieroglyphe mag hier für diese Gedankenverbindung stehen; sie bedeutet „Palast“, also einen klassischen mittenorientierten Bautyp.81 Das Labyrinthische als Ordnungskategorie des architektonischen Raumes ist also gewissermaßen die Umkehrung der Axialität und ihrer Derivate. Es steht damit nicht in absolutem Gegensatz zu den klassischen architektonischen Kunstgriffen; in Labyrinth und axialer Raumordnung erkennen wir vielmehr zwei komplementäre Ausdrucksformen des elementaren Bemühens um die Errichtung räumlicher Ordnung und Lesbarkeit. Die44
12 Skizze des Gartenlabyrinths von Hampton Court bei London. Der Schlüssel entspricht dem Schrittmuster eines höfischen Schreittanzes: links, rechts, rechts, links, links, links.
sem Aspekt des Labyrinthischen sind alle jene Erscheinungsformen der Architektur zuzurechnen, die räumliche Ordnungen und Beziehungen über ein verschlungenes Wegesystem herstellen. Das Verschlungene ist geradezu ein Grundthema des Labyrinthischen. Große räumliche Systeme, vor allem Städte, die in vielen aufeinanderfolgenden Planungsphasen gewachsen sind, besitzen in ihren zahllosen, ineinander verwobenen Wegen und Gängen immer Qualitäten des Verschlungenen, insofern auch des Labyrinthischen. Aber man würde den Begriff bis zur Aussagelosigkeit erweitern, wenn man dies alles zugleich als labyrinthisch bezeichnen wollte. In den Kontext des Labyrinthischen gehören jedoch unbedingt jene Praktiken, die das Verschlungene der Wege und Gänge der Stadt sichtbar machen, also zum Beispiel die komplizierten mittelalterlichen Prozessions- und Umgangsspiele, die einzelne der ineinander verschlungenen Bewegungen des städtischen Wegesystems im prozessionalen Ablauf hervorheben und in Beziehung zu einzelnen Zonen und Monumenten der Stadt setzen. Oder auch, umgekehrt, jene Umschreitungspraktiken, die in einem unübersichtlichen Stadtgebilde durch abgezirkelte Bewegungen ein nach Maß und Zahl geordnetes Bezugssystem errichten, etwa die Pilgerwege zwischen den Stationskirchen des mittelalterlichen Roms, die Sixtus V. folgerichtig im barocken Sinn in das System seiner Achsen einbezogen und damit visualisiert hat. Von den mittelalterlichen Umgangspraktiken sind es nur wenige Schritte 45
13 Die Mitte als Thema der Architektur: die Achse. San Gregorio da Sassola. Barocke Stadterweiterung durch eine einzeilige axiale Anlage, die in einem ovalen Torplatz endet. Erst durch diese Maßnahme wird der aus dem Mittelalter stammende Feudalsitz (dunkel schraffiert) zum Zentrum der Gesamtanlage.
14 Isometrie der Achse
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15 Längsschnitte außen (oben) und innen (unten)
bis zur Stilisierung des labyrinthischen Weges in flächendeckenden Tänzen und Ritualen, bei denen das Bewegungsmoment präzis nach einer in Raum und Zeit weitgespannten Choreographie festgelegt ist. Neben die Architektur, die mit ihren Wegen und Orten den Handlungsrahmen und die Bezugspunkte der Umgangsspiele festlegt, treten bei einer solchen Stilisierung gleichgewichtig die bewegungsspezifischen Elemente von Tanz und Ritual, die Geometrie abgezirkelter Bewegungen und Tanzfiguren und das exakte Zeitmaß der Bewegungsabläufe. Individualität und Besonderheit des architektonischen Ortes als Referenz des Umganges wird damit zugunsten einer dominierenden Mechanik des Gesamtablaufes aufgegeben. Mit höchster Konsequenz ausgebildete Formen dieser Tendenz sind aus Kulturen bekannt, in denen die darstellenden Künste traditionell ein größeres Gewicht haben als die bildenden und bauenden, in denen Tanz und Spiel gegenüber Bild und Monument die dominierende Rolle als künstlerisches Ausdrucksmittel zufällt. Vor allem aus Polynesien sind Labyrinthtänze bekannt, die sich nach einer präzisen Zeiteinteilung über mehrere Tage erstrecken und bei denen einzelne Gruppen von Tänzern die Funktionen übernehmen, die gewöhnlich einem Gebäude zukommen. In solchen Tanzabläufen werden höchst komplexe räumliche Gebilde geschaffen, die den labyrinthischen Architekturen der städtebauenden Kulturen in ihrem „architektonischen“ Raffinement in keiner Weise nachstehen, die aber dennoch ephemer bleiben.82 Im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa wurde eine solche Entwicklung nur sehr bedingt vollzogen; Ansätze sind etwa in den sehr formalisierten Trionfi und Entrées Solennelles des 16. Jahrhunderts oder im späteren höfischen Zeremoniell zu erkennen, vielleicht auch in marginalen Erscheinungen, wie dem choreographierten Ablauf des Festmahles 47
16 Ägyptisches Ideogramm mit der Bedeutung „Haus“, „Palast“: ein Mensch im Zentrum gewundener Wege.
zum Abschluß der Krönungsfeierlichkeiten der deutschen Könige im Aachener Rathaus, bei dem sich das zeremonielle Umhertragen der Speisen um eine geometrisch festgelegte Tischordnung der weltlichen und geistlichen Würdenträger drehte.83 Dagegen hat das archaische Europa entwickelte Stadtrituale durchaus gekannt; schon der Labyrinthmythos berichtet von umfangreichen Tanzspielen. Die heimkehrenden Griechen führten auf der Insel Delos den Kranichtanz auf, mit dem sie der Tradition nach die Erinnerung an ihre Erlebnisse im Labyrinth wachhielten84, oder der, nach einer anderen Überlieferung, die labyrinthische Architektur selbst darstellen sollte.85 Möglicherweise ist dieser Tanz jedoch auch als Nachahmung der sehr aufwendigen Stadtrituale zu verstehen, die man gerade auf Kreta kennengelernt hatte und in deren Verlauf die verschiedenen Zonen der Stadt Knossos zeremoniell begangen wurden. Archäologische Grabungen haben umfangreiches Material zutage gefördert, das auf die Verwendung aufwendiger Paraphernalien bei diesen Umgängen schließen läßt. So legen das Profil und der sorgfältig gefügte Unterbau der „Via Sacra“ zwischen den beiden Palästen der Innenstadt nahe, daß hier große Kultbilder, vielleicht auf Prozessionswagen, mitgeführt wurden.86 Knossos teilt diese architektonische Besonderheit mit den übrigen Städten der frühen Hochkulturen. In Assur, Babylon und Hattusa wurden ebenfalls aufwendige Prozessionsstraßen freigelegt, und hier fließen auch die schriftlichen Quellen so reichlich, daß wir Genaueres über Zeit und Ablauf dieser Rituale wissen.87 Die genau choreographierten Prozessionswege und Umgänge wechselten im Jahresablauf, und die Bewegungsmuster folgten damit dem jahreszeitlichen Wechsel der Gestirnskonstellationen. Im Stadtritual stellt die Gemeinschaft die wichtigsten Ereignisse des individuellen und kollektiven Lebens dar, die rituelle Inszenierung und Erneuerung des Grün48
17 Die Prozessionsstraße in Knossos, von Evans „Königstraße“ genannt; sie verbindet den „Großen Palast“ und den „Kleinen Palast“.
18 Rekonstruktion des sogenannten „Prozessionsfrieses“, der den Umzug von Priestern mit Weihegaben darstellt
19 Die „Royal Road“ ist die einzige befestigte Straße in Knossos. Sie ist so solide ausgeführt, daß auch schwere Wagen darauf bewegt werden können.
20 Die Lage der minoischen Feststraße im Debris. In römischer Zeit wurde darüber ein gepflasterter Fußweg angelegt.
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dungsereignisses, den Übergang von Individuen und einzelnen Gruppen von einer Lebensphase in eine andere, von einer gesellschaftlichen Aufgabe zur nächsten, und vor allem den Beginn oder das Ende der lebenswichtigen agrarischen Zyklen. Die festliegenden Wechsel der Gestirnskonstellationen bestimmen den Tag und die Stunde dieser Ereignisse; zugleich sind sie mit ihren zyklischen Wiederholungen das Urbild solcher in Bewegungsabläufe eingebundenen Vorgänge. Möglicherweise trifft deshalb jene Deutung des Labyrinthkomplexes einen wahren Sachverhalt, die in der Figur und ihren gewundenen Wegen eine räumliche Nachahmung der Bewegung der Himmelskörper erkennen will.88 Wichtiger jedoch als die Ableitung des Stadtrituals als Nachahmung der Gestirnsbewegungen, als dumpfe Wiederholung von vage als lebensbestimmend erkannten Vorgängen, ist seine offensichtliche Nähe zu den Grundannahmen der Astrologie. Die Astrologie schafft eine Reihe von systematischen Abgrenzungen am Himmel, um für Planeten und Sternbilder das jeweilige Maß ihrer Kraft oder Schwäche feststellen zu können. Sie strukturiert also den zunächst amorphen Raum des Sternenhimmels zu einem räumlichen System aus Tierkreis, Planetenhäusern, Bezirken, Dekanen usw. Den einzelnen Gestirnen weist sie sodann Eigenschaften zu und leitet daraus die Bedeutung von Ereignissen ab, die unter diesen Konstellationen geschehen.89 Das Stadtritual nimmt ebenfalls systematische Abgrenzungen im Raum der Stadt vor, indem es ein System von bedeutenden oder numinosen, unreinen oder tabuisierten Zonen und Plätzen errichtet, die im Lauf der Umschreitungen besucht oder besonders gemieden werden. Es selektiert Orte, die aufgrund ihrer natürlichen Beschaffenheit als Baum, Berg oder Quelle aus der Umgebung hervorgehoben sind, über natürliche Kräfte zu verfügen scheinen, oder als Tempel oder Schrein Sitz übernatürlicher Mächte sind und bindet an diese Orte die Ereignisse des individuellen und kollektiven Lebens. Es weist ihnen damit die Bedeutungen zu, die den Zielen, Schwellen, Grenzen und Haltepunkten der ritualisierten Bewegungsabläufe anhaften. Gewissermaßen ist also das Stadtritual eine in den Nahbereich übertragene Sinngebung, wie sie die Astrologie in den Konstellationen sieht. Die Stationen erhöhen oder erniedrigen die festlichen, spielerischen oder kultischen Handlungen, die an ihnen vorgenommen werden, ähnlich wie die Häuser, Bezirke, Dekane, Erhöhungen und Erniedrigungen eine Reihe fester Beziehungen zwischen den Planeten und den Tierkreiszeichen herstellen, die für die Deutung der Konstellationen wesentlich sind. So gewinnen die räumlichen Gesten des Stadtrituals 50
21 Diagrammatische Darstellung der Interpretation des Labyrinths als Sinnbild der jahreszeitlichen Abläufe am Sternenhimmel (nach Kern). Links: die Sonnenbahnen zwischen Sommer- und Wintersonnenwende. Rechts: das Labyrinth als Abbild der Planetensphären.
22 Deutung des Labyrinths als Sonnenlauf (H. Wirth): Die Kreisbögen versinnbildlichen den Tageslauf, die Windungen dagegen den Nachtlauf der Sonne.
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eine durch und durch ambivalente Bedeutung. Sie sind festliches Ereignis, kollektives Spiel und ritueller Ernst zugleich – sie tragen ein Element der astralen Mechanik in das städtische Leben hinein, die auch hier ähnlich lebensbestimmend wirkt, wie die zyklischen Läufe der Gestirne im System der Astrologie. Mit diesen verwickelten Beziehungen zwischen komplexen Bewegungsabläufen um räumlich bedeutende, numinose oder unheimliche, tabuisierte, obskure oder freundliche Schwellen, Grenzen, Mitten und Ränder haben wir die Grundelemente des Labyrinthischen beschrieben. Alle übrigen Aspekte dieses Komplexes sind Erscheinungen, die sich um diese grundlegende Größen des Labyrinthischen als architektonische Kategorie lagern. Dies gilt vor allem für einzelne Wandlungen des Labyrinthischen, deren Grundgedanken wir uns nunmehr zuwenden wollen. Die Obskurität der labyrinthischen Mittelpunktsideen hat schon früh die Urform des Verborgenen und Abgründigen wichtig werden lassen: das Unterirdische. Der antike Mythos weiß noch nichts von einem unterirdischen Labyrinth, aber seit Diodorus ist das Unterirdische ein feststehender Topos des Labyrinthischen. Es sind zunächst die Ideen um das Labyrinth als um einen Ort, der dem Schattenreich verwandt ist, der eine Gegenwelt zur hellen oberirdischen Welt der Lebenden darstellt, die in den Abgründen des Unterirdischen ihr natürliches Vorbild finden; die Dunkelheit des Erdinnern, die es zum dauernden menschlichen Aufenthalt ungeeignet macht, die vorherrschende Richtung des Hinabsteigens, die gegen die Vertikalität als dominierende Identifikationslinie des Menschen gerichtet ist, die Kühle des Gesteins, die der Körperwärme feind ist und die kristallinen und mineralischen Gebilde der Erdformationen, die dem uns fremdesten der drei Naturreiche angehören – dies alles setzt die unterirdische Welt in ausgesprochenen Gegensatz zum Lebensraum des Menschen. Eine mythische Begriffswelt, die sich in Bildern und bildhaften Vorstellungen zu artikulieren sucht, mußte in diesen natürlichen Gegebenheiten eine geeignete Metapher zur Formulierung des ganz anderen, des Unmenschlichen sehen. Zugleich gilt das Unterirdische aber auch als Ursprungsort lebensbestimmender Kräfte und als bewahrender Schoß der Urformen materieller und geistiger Güter und Künste des Menschen. In den Abgründen des Erdinnern finden sich nach alter Tradition die ersten menschlichen Wohnungen, die noch ganz der Architektur der höhlenbauenden Tiere nachempfunden waren.90 Hier liegen die ersten Kultstätten, noch ganz im Bann der numi52
nosen Kräfte des Erdinnern, wo die Metalle wachsen, wo der Glanz der Mineralien den Keim des Lichtes birgt und wo das Wasser die Essenz allen Lebens aus der Tiefe hervorbringt. Diese Ideen wirken bis ins 18. Jahrhundert hinein; sie haben die französische Architekturtheorie des Souterrains als Ursprung der Baukunst maßgeblich geprägt und wirken nachhaltig noch in den Schriften Schinkels über das Sakrale in der Architektur.91 Und vor allem haben sie jene phantasievollen Architekturen am Rande der Baugeschichte hervorgebracht, die Quellen und Höhleneingänge fassen, die als Solitärs im Inneren großer Naturhöhlen oder in mächtigen Erdspalten stehen, oder die als künstliche Höhlen – als negative Architektur – aus dem gewachsenen Fels herausgearbeitet sind und die zu den faszinierendsten Architekturformen des Labyrinthischen gerechnet werden müssen. Die unterirdische Welt gehört noch mit einem weiteren Aspekt in den Kontext des Labyrinthischen: als übermenschliche, nicht von Menschenhand geschaffene Architektur gigantischen Ausmaßes. Der antike Mythos schildert das Labyrinth als gigantisches Bauwerk, seinem Erbauer spricht er übermenschliche Fähigkeiten zu. Jahrhundertelang galt Dädalus als der göttergleiche Erzbaumeister, dessen Werk nachfolgenden Generationen unerreichbares Ideal bleiben mußte. Sein Name wurde beschworen, wann immer es galt, eine architektonische Leistung als absolute Großartigkeit darzustellen und solange das allgemeine ästhetische Empfinden in den Werken der menschlichen Kunst und des menschlichen Verstandes die Schöpfungen eines höheren Könnens erblickte, das auch die Schöpfungen der Natur in den Schatten zu stellen vermochte. Aus diesem Selbstverständnis heraus schnitten etwa die Baumeister der Kathedralen zu Reims und Amiens ihre Namen und Schattenrisse in die Platten der mächtigen Fußbodenlabyrinthe des Langhauses. Erst als der Supremat der menschlichen Fähigkeiten in der Kunst angezweifelt wurde, als man in der Naturschönheit weitaus Größeres zu erblicken begann, wird auch der Erzbaumeister Dädalus von seinem Sockel gestoßen, und an seine Stelle tritt die Natur selbst als Schöpferin der höchsten Kunst. Das achtzehnte Jahrhundert beginnt die natürliche Welt als Kunstwerk zu lesen, in den Gebirgen gewaltige Skulpturen und in den Färbungen von Wald, Wasser und Wiese eine unnachahmliche Palette zu erblicken. Die frühe Reiseliteratur dieser Zeit, die zudem im Erlebnis der zutiefst beeindruckenden und nun zum ersten Mal weiten Kreisen möglichen Begegnung mit den Tropen verfaßt wurde, ist ein schillerndes Zeugnis dieser Wahrnehmung der Natur als Kunst.92 Die 53
Natur als Baumeisterin entdeckte man zuerst in den bizarren Formationen der großen Höhlensysteme Mitteleuropas und in den Basaltkavernen der Hebrideninseln. Schon um die Wende vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert kam es in diesen Gegenden zu einem regelrechten Höhlentourismus, der nicht ohne Auswirkungen auf das Architekturverständnis der Zeit und in bestimmten Erscheinungen auch darüber hinaus bleiben sollte. Hier entstand eine architektonische Sehweise der gigantischen Formationen der Natur, mit der bald ein Hang zu architektonischer Megalomanie einhergehen sollte, auch eine „natürliche“ topographische Auffassung von Architektur selbst. Das Konzept gewaltiger Solitärs auf der Stadtfläche, das der Klassizismus hervorbrachte und das er weniger in seiner Baupraxis als in seinen Visionen und imaginären Veduten formulierte, ist ein erstes Ergebnis dieser Umkehrung des architektonischen Sehens. Von hier aus führt ein zwar gewundener, aber deutlich genug erkennbarer Weg zum architektonischen Denken des Expressionismus und zu Bruno Tauts „Alpiner Architektur“. Wenn wir diese Erscheinungen dem Labyrinthischen zurechnen, so sicherlich in einem eher marginalen Sinne. In den Kern der labyrinthischen Ideen führt uns jedoch wieder der nächste Aspekt des Labyrinthischen: die verrätselte Architektur. Alle Versionen des Labyrinthmythos stimmen darin überein, daß das Labyrinth nicht nur ein schwierig zu durchschreitendes Bauwerk ist, sondern noch dazu rätselhaft, und dies sowohl in der Funktion als auch in seinen architektonischen Aussagen. Über die Funktion kann man in verschiedener Beziehung mutmaßen, jedoch ist zumindest eine im Mythos ausdrücklich erwähnt. Mit dem Minotaurus sollte die Schande der Pasiphae verborgen werden, und wir haben gesehen, daß – ins Allgemeine gewendet – das Verbergen die dem Labyrinthischen gemäße ganz besondere Form der architektonischen Fassung darstellt. Die Bedeutung der architektonischen Gestik des Labyrinths dagegen, seine vielfältigen, kunstvoll ineinandergelegten Windungen, sein komplexes Kompositionsschema aus Achsenkreuz, Mitte und Umgängen ist ein echtes Rätsel. Wie jedes Rätsel ist auch das Labyrinth aus einzelnen Elementen zusammengesetzt, die, jedes für sich, einen richtigen Hinweis auf die Lösung enthalten, zusammengenommen aber in die Irre führen. Die „Lösung“ des Labyrinthrätsels ist die Entschlüsselung seiner architektonischen Aussage. In Analogie zum Rätselspruch, der mit seinen Wortkomponenten auf die Lösung hinweist, sie aber in der Mehrdeutigkeit 54
seiner Komposition verrätselt, weisen auch die Einzelelemente des Labyrinthrätsels auf einen verborgenen gemeinsamen Sinn, dem die Gesamtkonzeption entgegensteht. Als architektonische Formulierung des Rätselhaften bedient sich das Labyrinth, wie jedes Architekturrätsel, architektonischer Bild- und Bauelemente; in der Labyrinthchiffre sind sie auf einen Blick erkennbar, im Labyrinthbauwerk und in jeder anderen Form labyrinthisch verrätselter Architektur würden sie sich erst in architekturspezifischen Wahrnehmungsformen, vor allem im Durchschreiten erschließen. Für das legendäre Labyrinth als den Urtyp des Architekturrätsels gibt es mehrere Auflösungen, wie dies die verschiedenen Labyrinthdeutungen belegen. So ergibt sich die Lösung „Kultbau“, wenn man das Labyrinth als eine real existente Architektur versteht, die im Mythos gewissermaßen maßstäblich beschrieben wird, während man die Passagen über die Taten und Schicksale der mythischen Gestalten als metaphorische Umschreibung kultischer Handlungen sieht, und wenn man beides gegen die Gesamtstruktur des Mythos liest, die auf die Irrealität der Architektur abzielt, dargestellt etwa in der Unmöglichkeit des Entfliehens, die einer Maßstäblichkeit des Bauwerks geradezu entgegenarbeitet. Die Lösung „Stadt“ gewinnt man, wenn die Figuren und Handlungen als historische Gestalten und Geschehnisse gedeutet werden, wenn auch das Labyrinth als reale Architektur, wenngleich als unmaßstäbliches Modell verstanden wird, in dem Riesenhaftes und Winziges gleichsam inventarisch erfaßt ist, wenn man die Hinweise auf übernatürliche Eigenschaften als poetische Überhöhungen städtischer Phänomene begreift. Zur Lösung „Unterwelt“ gelangt man, wenn das Labyrinthbauwerk metaphorisch gedeutet wird, nicht als Architektur, sondern als bildhafte Fassung eines Daseinszustandes, wenn man in allen Handlungen und Gestalten die Figuren und Ereignisse eines Lebensweges erkennt und wenn man diese Betrachtungsweise gegen alle Tendenzen des Mythos durchhält, die von realer Architektur sprechen. Auch die übrigen Theorien zum Labyrinth, die Thesen vom kosmologischen Modell oder vom Weg der Initiation etwa, lassen sich als solche Lösungen des Labyrinthrätsels deuten, die dadurch gewonnen wurden, daß die Hinweise einzelner Erzählungs- und Bildelemente gegen die anderslaufende Fassung des Gesamten zu einer sinnvollen Aussage verknüpft wurden. Aus dem Gesagten ergibt sich nun, daß das Rätsel labyrinthischer Architektur eine verklausulierte Form der architektonischen Aussage ist, gewis55
sermaßen ihre Umkehrung, ihr Gegenstück. Wiederum zeigt sich also das Labyrinthische als Umkehrung geläufiger architektonischer Formen. Wie es schon im Zusammenhang des allgemeinen architektonischen Phänomens der Etablierung räumlicher Hierarchien das Prinzip der Hervorhebung des Wichtigen durch Axialität und direkten Zugang umkehrte und die gleiche Intention in der künstlichen Verlängerung des Weges verwirklichte, so kleidet es hier ein anderes Grundanliegen des künstlerischen Bauens, die Artikulation einer gewichtigen Mitteilung in eindeutiger architektonischer Geste, in deren Umkehrung, in die Verrätselung. Die Baugeschichte kennt vielfältige Formen der architektonischen Verrätselung, die indessen nie ohne besonderen Grund vorgenommen wurde. Ein wichtiger Grund muß in der didaktischen Absicht gesehen werden, über die Entschlüsselung eines Rätsels seinen Bedeutungsgehalt sich fester einzuprägen. Wir berühren hier das Gebiet der Mnemotechnik, die mit dem Wiederaufleben der antiken Kunst in der Renaissance wiederentdeckt und für architektonische Programme sehr wichtig wurde. Die Theater- und Fassadenentwürfe etwa, die Robert Fludd in seiner Ars Memoriae abgebildet hat, zeigen, wie ein architektonisches Ensemble als ein rätselhaftes Ganzes begriffen wurde, zu dessen Entschlüsselung die geringsten Details, die Rustizierung des Mauerwerks, die Störung der Symmetrie durch eine Scheintür, selbst die Färbung und Wahl des Materials einen Hinweis geben konnten. In der Entschlüsselung solcher Architekturbilder, die entweder real vor ihm standen, oder die er sich in seiner Vorstellung eingeprägt hatte, erinnerte der Redner Passagen und Pointen langer Reden, entwickelte der Philosoph seine Thesen, erläuterte der Prediger die Wahrheiten des Glaubens.93 In der Institutio Oratoria beschreibt Quintilian, wie der Schüler der Rhetorik durch die Basiliken wandert, ihre Räume und Bauteile, dann ihren plastischen Schmuck mit einzelnen Passagen seiner Rede besetzt, wie die Ordnung des Gesamtbaues ihm hilft, den roten Faden zu bewahren, wie er also seine Gedanken dem Gebäude anvertraut. Während er seine Rede hält, wiederholt er diese Wanderung im Geiste.94 Uns mögen Quintilians Notizen ein Hinweis darauf sein, daß sich die Bedeutung der Architektur und vor allem das in einem labyrinthischen Bauwerk verborgene Architekturrätsel im Abschreiten und über das Durchwandern seiner Räume erschließt. In der Baugeschichte ist das Rätselhafte immer eine Unterströmung geblieben, die gegenüber der in erster Linie angestrebten Klarheit und Eindeutigkeit der architektonischen Aussage in allen Epochen des künst56
lerischen Bauens eher marginal erscheint. Daß sie dennoch gewichtig sein konnte, zeigt das erwähnte Nebeneinander von rätselhaften Maß- und Zahlenordnungen und der allgemein verständlichen Allegorese der Bildprogramme gotischer Architektur. Beherrschend jedoch wird das Architekturrätsel anstelle der eindeutigen architektonischen Aussage im Manierismus, in der Epoche, die auch in den anderen Künsten eine besondere Neigung zum Rätselhaften entwickelte, etwa in der graphisch-literarischen Mischform der Emblematik. Von hier aus sind offensichtlich Anregungen für die Baukunst ausgegangen, die nunmehr mit ihren Mitteln emblematische Beziehungen zwischen einzelnen Architekturen und Stadt- und Landschaftselementen herstellte, in der Absicht, den Scharfsinn des Betrachters herauszufordern, ihn den Zusammenhang von Architektur und Umgebung als emblematisches Bild lesen zu lassen, unter dessen Rätselhaftigkeit sich ein tieferer Sinn verbirgt. Und wieder besteht die Besonderheit dieser emblematischen Architekturrätsel darin, daß sie den Betrachter physisch miteinbeziehen, daß sie sich erst im Abschreiten erklären, wie sich ja schon der legendäre Prototyp labyrinthischer Architektur, das Labyrinth des Dädalus, im Abschreiten eines bestimmten Weges erschloß und sein Rätsel löste. Dies sind in den Grundzügen die Umrisse des Labyrinthischen; wir werden nun seine wichtigsten architektonischen Gestaltungen nachvollziehen und uns dabei den unterschiedlichsten Epochen der Baugeschichte zuwenden, in denen einzelne Gedanken und Aspekte dieser architektonischen Vorstellung besonders wirksam wurden. Ein letztes Moment des Labyrinthischen ist abschließend noch zu erwähnen. Es findet sich bereits erwähnt in der Nichtgreifbarkeit des Labyrinthbauwerks, das einer legendären Vorzeit angehört, nie gefunden wurde und doch existiert haben muß; das riesig groß war und doch als materielle Realität vollständig vergessen wurde, dagegen als architektonische Idee immer lebendig blieb, um so lebendiger, je weiter die physische Existenz des Labyrinths unter den Grabungswerkzeugen der Archäologen zerbröckelte. Der Labyrinthmythos selbst impliziert hier bereits den Topos des Vergessenen, die versunkene Architektur der Vorzeit als Architekturrätsel der Nachwelt, die eine beständige Anregung und Herausforderung der architektonischen Spekulation geblieben ist: das Vergessene als Fiktion des architektonischen Denkens, das die rekonstruierende Phantasie, aber auch die visionäre Kreativität in Gang hält. Die Spannweite der hier Tätigen reicht von dem Visionär Piranesi, der in diesem Medium seine imaginären Architekturen ansiedelt, bis zu einem 57
ausgesprochenen Projektarchitekten wie Soane, der in Gandys Auftragsbild „The Bank of England in Ruins“ die versunkene Größe als Metapher für den Glanz seines Hauptwerkes beschwört.95 Der materiell nicht greifbare Aspekt des Labyrinthischen, der doch bedeutender ist als seine mögliche architektonische Realität, ist vielleicht die faszinierendste Form dieser architektonischen Vorstellung.
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Zweiter Teil Aspekte und Wandlungen des Labyrinthischen
1 Das Innerste: Anthropomorphe Architekturen und Raumbegriffe Zu den sicherlich rätselhaftesten Labyrinthdarstellungen der frühen Kulturen gehört jene Sammlung von Tontäfelchen, die als das „babylonische Eingeweidearchiv“ bekannt geworden ist. Ganze Reihen von Labyrinthfiguren werden durch die keilschriftlichen Begleittexte als Eingeweide beschrieben; man hat daraus geschlossen, daß es sich bei dem „Eingeweidearchiv“ um systematische Aufzeichnungen der Eingeweideschau einer Kultstätte handelt, die etwa aus der Zeit um 1000 v. Chr. stammen muß.96 Eine dieser Tafeln zeigt ein Labyrinth mit der Beischrift „ekal tirani“, „Palast der Eingeweide“, und diese Bezeichnung hat zu verschiedenen Deutungen Anlaß gegeben. Kerenyi sieht hierin eine Bestätigung seiner Theorie, daß das Labyrinth ein Metonym für „Unterwelt“ und „Jenseits“ sei, in dem das Innere des Körpers, ähnlich unheimlich, unzugänglich, aber gleichwohl präsent und das Lebensgefühl nachhaltig bestimmend wie das Totenreich mit diesem gleichgesetzt wird. Der „Eingeweidemensch“ der Unterwelt des Gilgamesch-Epos ist ihm eine weitere Wandlung dieses mythischen Gedankens.97 Andere sahen in der anthropomorphen Benennung des Labyrinths weniger ein Bild des jenseitigen Totenreiches, als vor allem des sich im Diesseits ständig und orgiastisch erneuernden Lebens: Die „Palastpforte“, von der in den Beischriften wiederholt die Rede ist, galt ihnen als Vulva und Vagina und die Windungen der Labyrinthfigur als Unergründlichkeit des Mutterschoßes, der Abstieg ins Labyrinth als erotisches Symbol für die sexuelle Vereinigung.98 Der eher zum Geistigen neigende Kerenyi hat sich heftig gegen diese ganz „aus dem Fleische geborene“ Vorstellung gewehrt99, doch sind solche Gedanken wohl untrennbar mit dem Labyrinthtopos verbunden. Eliade hat in ganz anderem Zusammenhang in einer Studie über die Erdmutter auf die enge Beziehung zwischen der Labyrinthidee und Initationsritualen, die den Beginn der ehelichen Gemeinschaft kennzeichnen, hingewiesen.100 Selbst in der allgemeinsten Form der Labyrinthvorstellung, bei 59
23 Das Innere des Menschen als Labyrinth nach Francesco Segalas Musterentwürfen für Gartenlabyrinthe
24 Steinzeitliche Felsritzung („Vulvenbild“) in Luzzanas, Sardinien, am Eingang eines Grabes; vielleicht in Verbindung mit einem Totenkult, im Inneren des „Schoßes der Mutter Erde“.
25 Etruskische Ritzzeichnung auf einer Vase ca. 620 v. Chr. (bekannt als „Tragliatella-Vase“), die das Trojaspiel darstellt und das Labyrinth mit erotischen Praktiken in Verbindung bringt.
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26 Anthropomorphe Deutung der Stadt Suchindram in Südindien: Die weibliche Stadtgottheit, repräsentiert durch vier Tempel in den Himmelsrichtungen, geht mit dem männlichen Shiva-Tempel im Zentrum schwanger.
rituellen Praktiken oder kultischen Handlungen, die mit dem Labyrinth nicht einmal mehr den Namen, wohl aber das choreographische Grundmuster des Eintretens in einen Raum magischer Qualität und sein Durchschreiten auf gewundenem Weg gemein haben, ist sehr oft eine deutlich sexuelle Assoziationsebene nicht zu übersehen. Im indischen Kulturraum ist sie im Pilgerritual der hinduistischen Wallfahrtsorte vor allem zu jenen, die ikonographisch mit der Großen Mutter oder der männlichen Potenz zusammenhängen, offensichtlich, und häufig wird sie auch in der Gestik des Kults beim Betreten oder Verlassen des großen Inneren des Tempels bewußt angesprochen. Wenn in der kleine südindischen Tempelstadt Suchindram im Markali Utsava am Abend die Hauptgötter den Tempel verlassen, sind Tausende von Bauern und Bäuerinnen aus den umliegenden Dörfern zusammengeströmt, um dem Ereignis beizuwohnen. Die Männer und die alten Frauen mit den Kindern stehen im Hintergrund, 61
27 Schema des Pilgerweges in Notre Dame de Puy (Reisetagebuchaufzeichnungen). Die eigenartige Führung des Hauptweges über die Treppe, die unter der gesamten Länge des Schiffes hindurchführt und unmittelbar vor dem Hochaltar in den Kirchenraum einmündet, suggerierte eine merkwürdige anthropomorphe Deutung der Anlage: Nach einem Sprichwort der Jakobspilger „betritt man Unsere Liebe Frau von Puy durch den Bauchnabel und gelangt durch die Ohren hinaus“.
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aber die jungen Landweiber drängen sich zu Hunderten vor dem Eingang, und wenn der Fackelzug mit den geputzten Prozessionsbildern der Götter über die Schwelle schreitet, strecken sie alle zusammen die Zunge aus dem Mund und beginnen zu heulen – erst leise und dann immer stärker: ein ekstatisches, schrilles Zungentrillern, als seien sie alle vom Liebesrausch erfaßt. Dieser orgiastische und unzweideutig erotische Habitus, der hier die Epiphanie der Götter begleitet, ist keineswegs auf den erdnahen Hinduismus beschränkt. Er findet sich auch im sehr viel prüderen christlichen Raum, wenn auch meist sublimiert und immer in lokalen Traditionen, in denen die römische Kirche ja so manches ihrer Lehre fernstehende Gedankengut tolerierte. Auch hier ist es die Wallfahrtspraxis, die in ihrer Verbindung von Marienkult und den Ritualen des Umschreitens und Hinabsteigens zahlreiche Anknüpfungspunkte für die alte Labyrinthvorstellung von der mystischen Rückkehr in den Schoß der Großen Mutter bot: In Notre Dame de Puy ist die alte Wallfahrtskirche auf dem Gipfel eines steilen Felsens inmitten der Stadt angelegt. Als der Bau im 12. Jahrhundert wegen der erheblich gewachsenen Pilgerzahlen – Le Puy war eine beliebte Station der Jakobswallfahrt – nach Westen hin erweitert werden sollte, bot das schmale Gipfelplateau nicht mehr genügend Raum, so daß man das gesamte Langhaus auf eine Unterkonstruktion aus gewaltigen Pfeilern stellen mußte. Zwischen diesen Pfeilern führt eine enorme Treppenflucht empor, die unmittelbar vor dem Haupttor endet. Der Pilger betritt die Kirche also über die Treppe von unten her, umschreitet das Gnadenbild im Chor und die übrigen Andachtstätten im Langhaus und verläßt den Bau dann auf vorgeschriebenem Weg durch die Tore in den Seitenschiffen. Im Pilgerführer heißt es erklärend zu dieser Wegeführung: „ce que faisait dire, qu’on entrait a Notre Dame de Puy par le nombril et qu’on en sortait par les oreilles“, eine plastische Interpretation des Kirchenbaues als Leib und Schloß der Muttergottes. Wie auch immer man diese Vorstellungen deuten möchte, ob als spirituelle Rückkehr zu den Ursprüngen, im Sinne Kerenyis, oder als greifbare archetypische Erinnerung an pränatale Existenz und als Assoziation der sexuellen Erfahrung körperlicher Vereinigung – festzuhalten bleibt, daß hier, ebenso wie schon in den Labyrinthbeischriften und -darstellungen des babylonischen Eingeweidearchivs, ein Bauwerk – und mit dem Labyrinth sogar die archetypische Chiffre des Architektonischen – anthropomorph aufgefaßt wird. Damit stehen wir einer der faszinierendsten Erscheinungen architektonischen Denkens gegenüber: der anthropomor63
28 Das anthropomorphe Weltbild der Jaina: die Weltenfrau, die die sieben Kontinente der Erde als kreisförmige Scheibe in ihrem Leib trägt
29 Das anthropomorphe Weltbild der Ägypter
phen Auffassung der verschiedensten räumlichen Phänomene. Denn die anthropomorphe Vorstellung beschränkt sich keineswegs auf Gebäude, sondern umfaßt Räume jeder Größe, realer oder vorgestellter. So finden wir in den verschiedensten Kulturen den Gedanken der anthropomorphen Gestalt des Kosmos. Die anthropomorphen Kosmologien der Antike gehen vermutlich auf ein ägyptisches Vorbild zurück.101 Dieses ist in dem hermetischen Traktat „Köre Kosmon“ – „die Weltenjungfrau“ – überliefert, in dem es heißt: „Auf die Frage ihres Sohnes Horus, warum die außerhalb des heiligen Ägypten wohnenden Menschen nicht so begabt seien, wie die Ägypter, antwortet seine Mutter Isis: „Die (nach ägyptischer Vorstellung als männlich vorgestellte Gottheit) Erde liegt im Mittelpunkt des Alls wie ein Mensch, der zum Himmel emporschaut und ist in ebenso viele Teile geteilt, wie ein Mensch Glieder hat, nämlich sieben. Ihr Haupt liegt gegen Süden, ihre rechte Schulter gegen Osten, ihre linke gegen Westen; unter dem Bären (also im Norden) die Füße, und 64
rechte unter dem Schwanz, der linke unter dem Kopf des Bären, die Schenkel in dem Teil, der nach dem Bären (d. h. im Süden) kommt, die Mitte aber heißt „Kardia“, das Herz, und dort liegt Ägypten … Das Volk der Mitte, die Ägypter, ist allen Völkern an Verstand überlegen, da es die Gegend des Herzens bewohnt, denn das Herz in der Mitte des Körpers ist nach altägyptischer Anschauung des Sitz der Seele und des Verstandes.“102 Ganz ähnlich argumentiert auch der sogenannte hippokratische Hebdomatiker, der das anthropomorphe Weltbild der Ionier beschreibt (erhalten im arabischen Kommentar des Pseudo-Galenus und in zwei lateinischen Fassungen). Auch dort ist die bekannte Welt menschengestaltig; Kopf und Gesicht bedeckt der Peloponnes, der Isthmus den Hals, Ägypten und das ägyptische Meer den Oberleib, lonien das Zwerchfell, Pontus Euxinus und Palus Maeotis Unterleib und Mastdarm, der Hellespont die Schenkel und die beiden Bospori die Füße.103 Da nach griechischer Auffassung das Zwerchfell beim Menschen der Sitz von Verstand und Gemüt war, beansprucht der ionische Kosmograph den positiven Einfluß der Energien der Weltenseele für seine Stammesgenossen, wenn er Ionien in das Zwerchfell der anthropomorphen Welt verlegt. Es ließen sich nun zahlreiche anthropomorphe Kosmologien beschreiben, die alle das gleiche Motiv des besonderen Volkes im Herzen des Kosmischen Riesen kennzeichnet. Aus der alten Welt sind sie besonders aus den indischen Kulturen überliefert, wie etwa die Kosmographie der Jaina mit ihrer „Weltenfrau“ oder verschiedene brahmanische Kosmologien, die zyklisch gedacht sind als Eingehen des Universums in den Leib des großen Vishnu am Ende eines Weltzeitalters und als Emanation am Morgen eines neuen. Sehr zahlreich begegnen anthropomorphe Kosmologien auch bei den Naturvölkern aller Kulturräume; Baumann hat ihnen in seinen Ethnologischen Studien zur Bisexualität in Ritus und Mythos ein ganzes Kapitel gewidmet.104 Man hat wiederholt versucht, diese Vorstellungen als reine Analogien zu erklären, sie als charakteristische Leistung primitiven Denkens herabzusetzen, das etwa Graebner mit den wenigen Worten auf den Begriff bringen wollte: „Erweiterung der Erfahrung“ – er bezieht sich dabei auf anthropomorphe Züge im Weltbild der Tasmanier – „erfolgt im Wesentlichen aufgrund von Assoziationsvorgängen, bei denen das Kausalbedürfnis eine große Rolle spielt, während die Leichtigkeit ihres Zustandekommens auf eine geringere Wirksamkeit der Substanzkategorie deutet.105“ Solche Schlußfolgerungen durchziehen die gesamte Literatur zur anthropomorphen 65
Kosmologie. Indessen bedürfen sie an entscheidender Stelle einer Umkehrung: Nicht weil die Erde von sich aus ist wie der Mensch – die Berge und Hügel wie die Rundungen des Körpers, die Bäume und der Bewuchs wie das Haar, der Wind wie der Atem, das Innere der Erde heiß und pulsierend wie das Innere des Leibes –, werden die Kosmologien anthropomorph gedacht, wird ein Weltbild analog zum menschlichen Körper aufgebaut. Sondern: Wenn der Mensch den Raum betrachtet, gestaltet, ordnet, benennt, dann bedient er sich begrifflicher Kategorien – räumlicher Sonderungen, Orientationen, Maß- und Zahlbegriffe –, die er an seinem Körper herangebildet hat, und indem er dies bemerkt und reflektiert, faßt er seine Erkenntnis dieses Phänomens – und sein Erstaunen – bildhaft in einer anthropomorphen Konstruktion zusammen. Die jeweils besonderen Einzelheiten der anthropomorphen Kosmologien lassen die Grundzüge der räumlichen Anschauungen in unterschiedlichen Bildern, aber vergleichbar in der Vermittlungsabsicht, deutlich genug hervortreten. Bevor wir diesen Gedanken weiter entwickeln, sind jedoch die anthropomorphen Vorstellungen anderer räumlicher Phänomene in den Umrissen darzustellen, denn das Gesagte gilt nicht nur für die Kosmologien. Bis in die römische Zeit blieben anthropomorphe Vorstellungen in der Geographie lebendig, die besonders die spezifischen Eigenarten einzelner Landschaften betrafen. Meistens wurden dabei mythische Ereignisse, Verwandlungen einzelner Götter oder ganzer Göttergruppen in Berge, Täler und Ebenen herangezogen, um topographische oder andere naturräumliche Besonderheiten anthropomorph zu deuten. So galt die Kargheit Attikas im Vergleich zum benachbarten Helikon als natürlicher Ausdruck der Charaktereigenschaft des Kithairon, der Vater und Mutter umgebracht hatte und dafür in die attische Bergwelt verwandelt wurde. Auf den höchsten Gipfeln des Kithairon hausen die Erinnyen, während sein Bruder Helikon, sanft und wohlwollend, sich in die idyllische Landschaft verwandelte, die die Musen zu ihrem Wohnsitz nahmen.106 Ähnlich wurde auch die Insel Sizilien, die im Altertum so fruchtbar war, daß die Römer sie als Kornkammer ansahen und ihr den Beinamen „nutrix plebis Romanae“ verliehen, als Manifestation der Demeter angesehen, die in den Mythen hier ihren Lieblingsaufenhalt hat.107 Solche Vorstellungen sind heute noch in den traditionellen Kulturen Südasiens wirksam, wo nahezu jede Landschaft als Manifestation einer Gottheit gilt, deren Leib an bestimmten Stellen – meist an den Grenzen einer Region – an die Oberfläche tritt und dort in besonderen Schwellheiligtümern verehrt wird. 66
Im indischen Raum gelten auch einzelne Städte als Verkörperung lokaler Gottheiten, deren physische Gestalt ebenfalls durch Tempel, Schreine oder heilige Steine im Stadtgebiet abgesteckt ist. Auch dies hat eine vielleicht weniger ausgeprägte, aber dennoch unübersehbare Parallele im Stadtverständnis der Antike, die vor allem die Stadtgründung mit dem physischen Erscheinen des Numinosen in Verbindung zu bringen liebte. So wird von der Gründung Trojas berichtet, daß Athene ein von ihr gefertigtes Palladium zusammen mit der Pleiade Elektra aus Zorn über deren Weihefrevel auf die Erde schleuderte. Beide stürzten genau auf die Stelle, die der Stadtgründer Ilos gerade mit dem Pflug als Standort des zukünftigen Troja umrissen hatte. Daraufhin riet ihm Apollon: „Behüte die vom Himmel gefallene Göttin, und du wirst die Stadt behüten: denn wo immer sie geht, trägt sie dein Reich.“ Und Ilos weihte das Stadtheiligtum der Elektra und dem Palladium.108
30 Dietterlins in der vitruvianischen Tradition stehende anthropomorphe Begründung der Säulenordnungen. Hier die Tuscana, benannt nach dem Riesen Tuscanus, „so einem groben Bauern gleichet“
31 Borrominis Zeichnung für die anthropomorphe Gestaltung einer Tür, die die danteske Umschrift trägt: „Lasciate Ogni Pensiero O voi che’ Entrate“
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32 Zwei Seiten aus Athanasius Kirchers „Arca Noe“, wo er die „Proportionen des menschlichen Körpers mit denen der Arche vergleicht“ (so die Überschrift): Wenn man die Länge der Arche – die nach der Schrift 300 Ellen bei der Breite von 50 Ellen maß – gleich A–B oder C–D setzt, so entspricht ihre Breite dem Schultermaß E–F, das ebenfalls ein Sechstel der Körperlänge ausmacht.
Sehr viel länger als dieser Gedankenkreis um Stadt oder Landschaft als göttliche Verkörperungen ist die Vorstellung vom anthropomorphen Charakter des Hauses und seiner Teile lebendig geblieben. Noch 1927 schreibt Paul Valéry in seinem Buch Eupalinos oder Über die Architektur in Nachbildung eines Platonischen Dialoges: „Und höre Phaidros (…), der kleine Tempel, den ich einige Schritte von hier für Hermes gebaut habe, wenn du wüßtest, was er für mich bedeutet! Wo der Vorübergehende nichts sieht als eine elegante Kapelle – eine Kleinigkeit: vier Säulen in sehr einfachem Stil – da habe ich die Erinnerung an einen lichten Tag meines Lebens untergebracht. Oh süße Verwandlung! Dieser zarte Tempel, niemand ahnt es, ist das mathematische Bildnis eines Mädchens von Korinth, das ich glücklich geliebt habe. Er wiederholt getreu die besonderen Verhältnisse ihres Körpers. Er lebt für mich! Er gibt mir zurück, was ich ihm gegeben habe (…).“109 68
33 Die Ableitung des Proportionssystems der spätgotischen Klosterkirche von Batalha in Portugal (beendet 1416) aus den Maßen des menschlichen Körpers in der architekturtheoretisch bemerkenswerten Einleitung von James Cavanha Murphy zu Sousa Coutinhos „Plans of the church of Batalha“ (London 1795). Murphy liefert dort eine Erklärung des Gotischen Stils aus der römischen und ägyptischen Gräbersymbolik.
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Diese Vorstellung vom anthropomorphen Charakter der Architektur hat die klassischen Theoretiker auf das intensivste beschäftigt. Vitruv ist in dieser Hinsicht noch vielfach vage, zumindest wenn es um die Gesamtheit eines Bauwerkes geht. Lediglich die Proportionalität der Bauglieder, die Übereinstimmung der Teile mit dem Ganzen begründet er mit der Notwendigkeit der Analogie zum menschlichen Körper.110 Die Theoretiker der Renaissance sind jedoch viel bestimmter. Nicht nur sind uns viele Skizzen und Pläne überliefert, in die die idealen Umrisse der menschlichen Gestalt hineingezeichnet sind, sondern der anthropomorphe Charakter der Architektur wird auch ausführlich theoretisiert. Vor allem Alberti betont immer wieder: „Wir nehmen ein Gebäude wie einen Körper wahr“111; oder: „Die Alten haben uns darüber belehrt, (…) daß ein Gebäude wie ein Lebewesen ist.“112 Alberti geht auch insofern über die reine Analogie hinaus, als er aus der Ordnung des Körpers bestimmte Gestaltungsprinzipien ableitet, wie etwa das Prinzip, Säulen und Ecken nur in gerader Zahl zu entwerfen, da auch die Natur die stützenden Glieder des Körpers nach der geraden Zahl gebildet habe. Die Öffnungen für Türen, Fenster usw. jedoch sollen nach der ungeraden Zahl angeordnet werden, wie es auch die Natur mit den Öffnungen des Körpers eingerichtet habe.113 Wir wissen aus zahlreichen Quellen, daß diese Gedanken nicht nur die Theoretiker der Renaissance bewegten, sondern daß sie durchaus Gemeingut des Gebildeten waren, der den Raum in anthropomorphen Bildern dachte und auffaßte. So hat Pius II. eine Schilderung seines berühmten Kirchenneubaues in seinem Geburtsort Corsignano, später Pienza, hinterlassen, die ganz aus diesen Bildern lebt: Den Grundriß des Chores mit seinem Kapellenkranz vergleicht er mit einem gekrönten Haupt, die Fassade mit ihrem Okulusfenster über dem Hauptportal mit einem „weit offenen Auge nacht Art der Zyklopen“.114 Die Gesamtanlage mit ihren lichtdurchfluteten Fenstern, auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin als Hallenkirche errichtet, lobt er als besonders schön, und er gebraucht dabei einen Ausdruck, der im Lateinischen die natürliche Schönheit bezeichnet: „venustas“, im Unterschied zu „concinnitas“, das die eigentliche Kunstschönheit des „Zusammengefügten“ meint.115 Schließlich seien noch die offensichtlichen Anthropomorphismen in jenen Teilen und Gliedern erwähnt, die die Stützfunktion übernehmen, die anthropomorphe Bildung von Säulen als Karyatiden, Koren, Atlanten der antiken Baukunst oder auch als einfache mit Gesichtern geschmückte Holzpfosten, wie sie in der nordischen Holzarchitektur vorkommen. 70
Darüber hinaus waren sich die Alten des prinzipiell anthropomorphen Charakters der Stützelemente – als eine am eigenen Leibe erfahrene, sich der Schwerkraft entgegenstemmende Konstituente der menschlichen Gestalt – auch ohne solche direkte Übertragungen bewußt. Vitruv leitet die Eigenarten der Säulenordnungen dadurch her, daß er die dorische Ordnung als die dem nackten männlichen Körper nachgebildete preist, während ihm die jonische als die nach dem bekleideten und geschmückten weiblichen Körper gebildete gilt.116 Was bedeuten nun diese seltsamen, auf den ersten Blick so bizarr anmutenden Vorstellungen von der anthropomorphen Gestalt der toten Steine? Wenn wir das gesamte Spektrum dieser Vorstellungen, die hier ja nur kurz berührt wurden und die von der größten makrokosmisch vorgestellten Konstruktion bis zum unscheinbaren architektonischen Detail reichen, auf einen gemeinsamen Nenner bringen wollen, so bleibt die lapidare Feststellung, daß es sich bei all dem um Körper im Raum handelt. Diese Körperlichkeit der beschriebenen Phänomene legte schon sehr früh den simplen Schluß nahe, daß hier ein einfaches Analogiedenken vorherrscht, daß der Mensch die unmittelbare Erfahrung des eigenen
34 Der menschliche Körper als Mikrokosmos: einzelne Körperteile in ihrer Beziehung zu den Tierkreiszeichen, 13. Jh. (links: Staatsbibliothek München; rechts: Nationalbibliothek Wien)
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35 Die Mitte als Thema kosmologischer Spekulation und ihre Kennzeichnung durch „Omphalos“-(„Nabel“) Steine, nach Roscher Oben links: Der Omphalosstein von Delphi in einer Reliefdarstellung der Dresdener Dreifußbasis: Apollon und Herakles, den Dreifuß raubend: zwischen ihnen der Omphalos Oben rechts: Mittelalterliche Radkarte mit Jerusalem im Zentrum der Welt Unten links: Omphalos aus Kalkstein, gefunden in Delphi beim Thesaurus von Syrakus Unten Mitte: Marmoromphalos mit Netzwerk Unten rechts: Omphalos als Figurensockel
Körpers auf die Anschauung alles Körperlichen übertrug, daß er dies alles, selbst noch im Entferntesten und Idealsten, nach seinem eigenen Bild und Gleichnis schuf. Allein auch diese Vorstellung von der reinen Abbildhaftigkeit des architektonischen und räumlichen Denkens bedarf wiederum an entscheidender Stelle einer Umkehrung, wie wir es schon 72
im Zusammenhang der anthropomorphen Züge kosmologischer Spekulation sahen. Dies wird deutlich an den Widersprüchen, die allen Abbildtheorien immanent sind, auch wenn diese so geistvoll vorgetragen werden wie etwa bei Wölfflin.“ 117 Wenn die simple Übertragung des Körperlichen das Ziel allen räumlichen Gestaltens und vor allem der Architektur sein soll, dann muß man fragen, warum dann die Umwege über Proportionssysteme, über Ableitungen von Säulenordnungen, über die vage Assoziation von Körperöffnung und Leibeshöhlung in Tür, Fenster und Kuppelraum über Jahrtausende hinweg beschritten wurden und warum nicht zu allen Zeiten eine „architecture parlante“ errichtet wurde, wie sie etwa Lequeu erdacht hat, der einen Kuhstall eben in Gestalt einer Kuh entwarf. Auch wenn die Abbildhaftigkeit auf bestimmte geometrische Eigenarten des Körpers reduziert wird, wird der Widerspruch zwar gemildert, bleibt aber präsent: Zu zahlreich sind die Beispiele der Architektur, die absolut nicht symmetrisch angelegt sind und doch dem menschlichen Bedürfnis entsprechen, sich mit ihr in einem sehr wörtlichen – eben anthropomorphen – Sinne zu identifizieren; man denke nur an die Architektur der Haussa im westlichen Afrika oder an die Klosterarchitektur der lamaistischen Welt; oder an die meisten traditionellen Architekturen auch in den bäuerlichen Siedlungsgebieten Europas. Wenn wir die einfache Abbildhaftigkeit nicht als hinreichende Erklärung akzeptieren wollen, müssen wir die Frage nach der Bedeutung der anthropomorphen Vorstellung des Raumes ganz neu stellen. Sie klärt sich überraschend, wenn sie noch einmal an einer der extremsten Entwicklungen der Vorstellung geprüft wird: an den beschriebenen anthropomorph konstruierten Kosmologien. Rufen wir uns deren offensichtliches Anliegen in Erinnerung: Die kosmologischen und geographischen Spekulationen der alten Welt und der Naturvölker gaben mit der idealen Ansiedlung des eigenen Stammes im mutmaßlichen Seelenort des kosmischen Riesen der Vorstellung Ausdruck, daß der eigene Siedlungsraum das Zentrum der Welt oder zumindest ihres besseren Teiles sei. Dies ist natürlich zu einem nicht unerheblichen Teil als propagandistische Begründung für eine zivilisatorische Mission als auserwähltes Volk inmitten der Barbarenwelt zu denken, und in diesem Sinne sind dergleichen Gedanken auch von Roscher in seinen verschiedenen Omphalosstudien gedeutet worden.“8 Aber die anthropomorphen Weltbilder haben eine sehr viel grundlegendere Bedeutung, die über ihre „tagespolitische“ Funktion hinausweist. Sie thematisieren in ihrer Mythe vom Lebensbereich des Erzählervolkes im Herzen des raumumfassenden Weltriesen eine Grundtatsache jeder räum73
lichen Anschauung: daß diese sich immer auf den frei verschieblichen Standort des Betrachters bezieht, jede räumliche Wahrnehmung also von einer subjektiven Mitte ausgeht und hieran ihre Kategorien bildet. Die anthropomorphe Vorstellung der idealen Räume, ein „Elementargedanke“ in bezug auf räumliche Gefüge bei allen Völkern, verweist also auf eine grundlegende Anschauung im Allgemeinen: In ihnen lebt ein archaisches Wissen um den anthropomorphen Charakter unserer räumlichen Begriffsbildung fort. Daß unsere räumliche Begriffsbildung dazu neigt, sich anthropomorph zu entwickeln, erhellt vor allem aus der Sprache, die in der Etymologie der Raum- und Baubegriffe ebenfalls dieses archaische Wissen um die anthropomorphe Natur des räumlichen Denkens bewahrt hat. Offensichtlich anthropomorpher Natur sind zahlreiche Bauausdrücke, die wir umgangssprachlich benutzen; wir sprechen von „Baukörper“, von „Geschoß“, von „Fundamentsohlen“, von „einhüftigen“ oder „mehrhüftigen“ Anlagen. Wir brauchen in diesen Ausdrücken nicht mehr zu vermuten, als sie uns offensichtlich und unmittelbar zu sein scheinen: rein anschauliche Analogien, an denen die Sprache ja überhaupt so unendlich reich ist. Solche anschaulichen Analogien verbergen sich häufig auch hinter der Etymologie solcher Wörter, die uns zu reinen Fachausdrücken geworden sind, die aber ursprünglich Mehrfachbedeutungen in allen Bereich des Körperlichen hatten. So stammt „Giebel“ aus mhd. „gebel“, ahd. „gebal“, „Schädel, Kopf“ und ist verwandt mit gr. „kephalos“ und idg. „ghebala“, „Kopf“. Im „First“ verbirgt sich ein vorgermanisches „persti“, verwandt mit sanskr. „prstha“, „Rücken“. Unser „Fenster“ ist ein lateinisches Lehnwort, das ältere germanische Wörter verdrängte, wie got. „augadauro“, „Augentür“ oder anord. „vindauga“, „Windauge“, das im engl. „window“ fortlebt. Die „Schwelle“ ist urverwandt mit lat. „solea“, „Sohle“, in der ursprünglichen Bedeutung „Trittfläche, Unterseite des Fußes“. Im „Schuppen“ steckt das bayr. und allemann. Wort für „Schopf“, das hier ein Gebäude mit haarähnlichem Ried- oder. Strohdach im Unterschied zum Ziegeldach bezeichnet. „Gewölbe“, „Wölbung“ oder „wölben“ schließlich gehen auf die germ. Wurzel „hwelp“ zurück, dem idg. „guelp“, gr. „kolpos“, also „Busen“ entspricht. Dann hat die Sprache zahlreiche Erinnerungen an spezifisch menschliche, körperliche und sinnliche Qualitäten bewahrt. Unser „wohnen“ leitet sich ab aus der idg. Wurzel „wen“, die mit verschiedenen Wörtern für Lustempfindungen verbunden ist, eine Bedeutung auf die auch der Name „Venus“ anspielt und deren Verwandtschaft mit idg. „van“, „lieben“, oder 74
sanskr. „vanas“, „Lust“, nicht zu übersehen ist. „Bauen“ verweist auf das gleiche Wortfeld mit einerseits got. „bauan“, „bewohnen“, dann aber mit der vorgerm. Wurzel „bhu“, auf die Bedeutungen „sein, werden, zeugen“, die auch in sankr. „bhuti“, „Dasein“, oder „bhumi“, „Erde“, nachwirken. „Stube“, ursprünglich die Bezeichnung für „geheiztes Zimmer“, hat Parallelen in ndl., ndd. „stoven“, „warm sein“, oder in frz. „étuver“ und ital. „stufare“, beides Wörter, die mit Bedeutungen wie „blähen, dämpfen, heiß atmen“ auf Körperlichkeit und Leibeswärme anspielen. Aus diesem Bereich körperlicher Lebendigkeit stammt auch „Pflaster“, entlehnt aus gr.-lat. „emplastron“ mit der dort noch ausschließlichen Bedeutung „Wundpflaster“. In der gebräuchlichen Verwendung als „Pflasterdecke“ von Hof oder Straße scheint eine alte chthonische Furcht vor der körperlichen Verletzung der tellurischen Mächte durch die Baugrube nachzuwirken, die mit dem „Wundpflaster“ der kunstvoll hergestellten Oberfläche geheilt wird.“9 Schließlich sei noch auf eine weitere Gruppe von Wörtern aus dem Bereich des Siedelns, Bauens und Wohnens verwiesen, die ebenfalls in diesem sehr weit gefaßten Sinne als anthropomorph gelten können, indem sie nämlich ursprünglich eine Kultivierung der Körperlichkeit bedeuten. Dies sind vor allem jene Bezeichnungen, die auf Schmuck und Kleidung hinweisen. Unser „Dach“ geht auf die Wurzel „teg“, „bedecken“, zurück und ist somit verwandt mit lat. „toga“. Noch deutlicher ist die Anspielung auf die Kleidung in dem Wort „Tünche“, aus ahd. „tunihon“, „bekleiden“, wiederum verwandt mit lat. „tunica’’, „Hülle“. Schließlich bedeutet auch Garten ursprünglich soviel wie Einfriedung und geht damit auf die Wurzel „gerd“ zurück, aus der auch „Gürtel“ und „umgürten“ entstanden sind. Und die „Wand“ gehört zu einer Sippe, die das Wortfeld „winden“ und „umwickeln“ abdeckt, vielleicht eine Assoziation des germanischen Mantels, der im Unterschied zu den übrigen Kleidungsstücken, nicht genäht, sondern aus einem Stück gewebt war. Die Sprache birgt aber auch ein ganz elementares Wissen um die Grundlagen der räumlichen Anschauung, das ganz grundsätzlich über diese offensichtlichen oder verborgenen oder auch bereits transponierten Analogien zum menschlichen Körper hinausweist. In der Etymologie zahlreicher architektonischer und räumlicher Bezeichnungen hat sich eine Reflexion des räumlichen Begreifens selbst miterhalten, ein Wissen darum, daß der Raum nicht ein einfach objektiv Gegebenes ist, sondern erst in unserer Begriffsbildung faßbare und bedeutsame Gestalt gewinnt. Dies wird überraschend deutlich an rein technischen Bezeichnungen ein75
zelner Bauteile, die nicht aus ihrer konstruktiven Funktion, sondern aus ihrer Bedeutung als Element der Raumbildung abgeleitet sind. Der Balken des Zimmermanns, in dem man doch kaum etwas anderes vermuten würde als ein rein konstruktives Bauglied, leitet seine Bezeichnung nicht etwa aus dem handwerksgerecht aufgeschlagenen Gebinde her, sondern aus nord. „balkr“, was so viel wie „Scheidelinie“ bedeutet. Auch die Maß- und Zahlbegriffe verweisen auf ähnliche Zusammenhänge.120 Hier zeichnet sich in der Sprache schemenhaft ein archaisches Raumbewußtsein ab, dem ganz offensichtlich präsent war, daß in solchen Unterscheidungen zunächst räumlicher Natur die Grundlage jeder Begriffsbildung zu sehen ist und damit letztlich der Grund jeder Kulturenentwicklung. Dies gilt auch für die Anlage der materiellen Kultur, deren instrumentelle Voraussetzung das Werkzeug ist. Wie Ernst Kapp in seiner Philosophie der Technik dargelegt hat, ist jedes Werkzeug „einerseits (…) im weiteren Sinne des Wortes Mittel der Erhöhung der Sinnestätigkeit, die einzige Möglichkeit um über die unmittelbare oberflächliche Wahrnehmung der Dinge hinauszugelangen, andererseits steht es als Werk der Tätigkeit von Hirn und Hand so wesentlich in innerster Verwandtschaft mit dem Menschen selbst, daß er in der Schöpfung seiner Hand ein Etwas von seinem Sein, seine im Stoff verkörperte Vorstellungswelt, ein Spiegel- und Nachbild seines Inneren, kurz, einen Teil von sich vor seine Augen gestellt erblickt (…)“121 So ist das Werkzeug die Konsequenz eines klaren Begriffs der körperlichen Gliederung und ihrer Funktionen, die sich in der Entwicklung des Werkzeuges mit zunehmender Schärfe formuliert und somit auf das menschliche Selbstverständnis zurückwirkt, eines Begriffes unserer selbst also, der sich letztlich an der menschlichen Körperlichkeit als unserem elementarsten räumlichen Besitz heranbildet. In dieser Hinsicht beruht die materielle Kultur ebenso wie die geistige in ihrem tiefsten Grund auf der unterscheidenden Wahrnehmung räumlicher und körperlicher Struktur und jener damit erst denkbaren praktischen Konsequenz in all ihren Erscheinungen, die Kapp „Organprojektion“ nennt. In ihren sich entwickelnden Formen schafft sie die Vielfalt künstlicher Räume, an denen sich das kulturelle Selbstverständnis immer differenzierter bildet, den eigentlichen Kulturraum also aus Bau, Siedlung und Kulturlandschaft. Die Architekturetymologien der Sprache haben somit in ihren interessantesten Formen Züge eines archaischen Wissens darum bewahrt, daß der Raum einerseits ein Ergebnis der menschlichen Kulturfähigkeit ist, diese aber ihrerseits an den Raum zu ihrer Anlage und Entwicklung gebunden 76
ist. So jedenfalls klingt es in gedrängtester Form in der Etymologie des Wortes „Zimmer“ an: Umgewandelt aus lat. „domus“, das aus dem Wurzelverb gr. „demo“ abgeleitet ist, dem auch „demas“, der „Körperbau“, entstammt – der Körperbau, an dem sich die wichtigsten Begriffe unserer räumlichen und sozialen Sonderungen entwickeln. Gleichzeitig aber ist „Zimmer“ über „domus“ urverwandt mit lat. „domare“, „zähmen“, und so wirkt hier noch die Vorstellung nach, daß im künstlich geschaffenen Raum eine ähnliche kulturelle Tat vollbracht ist, wie sie die Domestikation des Tieres für die menschliche Gesellschaft bedeutet, daß beides grundlegende Schritte auf dem Wege des Menschen zur Kontrolle seiner natürlichen Umwelt sind, die erst möglich wurden als praktische Konsequenz der im tiefsten Sinne anthropomorph angelegten Grundlagen erst des räumlichen Unterscheidens, dann des Denkens im Allgemeinen. Andere Etymologien weisen in die gleiche Richtung: „Gemach“ stammt von ahd., adj. „gimah“, „zusammen passend“, ein Hinweis also auf die Fähigkeit der Unterscheidung, auf die Zuordnung des Gleichen, und hierauf beruht die im Mittelhochdeutschen geläufige substantivische Verwendung des Wortes als „Ruhe, Bequemlichkeit, Wohlbehagen“, Zustände also, die aus dem geordnet Zusammengefügten hervorgehen.122 Damit hat uns die Etymologie der Bau- und Raumbegriffe unversehens von der rein dokumentarischen Beschreibung ihres so häufig anthropomorphen Charakters auf eine sehr viel allgemeinere und zugleich grundsätzlichere Ebene unserer Betrachtung geführt; sie hat uns nun auch jene Begründung der anthropomorphen Prägungen bestätigt, die wir schon vorweggenommen hatten: Die anthropomorphe Färbung der Architekturetymologien ist – ebenso wie die anthropomorphen Konstruktionen zur Kosmologie, die anthropomorphen Deutungen einzelner Bauwerke oder Räume, nicht zuletzt auch des Labyrinths – zu verstehen als sinnbildliche Aussage über den anthropomorphen Charakter der räumlichen Begriffsbildung selbst, die aus der Reflexion der menschlichen Körperlichkeit ihre Kategorien entwickelt. 2 Das Verschlungene: Die Wege und Gänge der Stadt Im Jahre 1575 veröffentlichte Antoine Lefréry sein berühmtes Werk Vedute delle sette chiese di Roma. Dieses Buch enthält einen perspektivischen Plan, der nach Art der Pilgerkarten gezeichnet ist und nur die Bau77
ist. So jedenfalls klingt es in gedrängtester Form in der Etymologie des Wortes „Zimmer“ an: Umgewandelt aus lat. „domus“, das aus dem Wurzelverb gr. „demo“ abgeleitet ist, dem auch „demas“, der „Körperbau“, entstammt – der Körperbau, an dem sich die wichtigsten Begriffe unserer räumlichen und sozialen Sonderungen entwickeln. Gleichzeitig aber ist „Zimmer“ über „domus“ urverwandt mit lat. „domare“, „zähmen“, und so wirkt hier noch die Vorstellung nach, daß im künstlich geschaffenen Raum eine ähnliche kulturelle Tat vollbracht ist, wie sie die Domestikation des Tieres für die menschliche Gesellschaft bedeutet, daß beides grundlegende Schritte auf dem Wege des Menschen zur Kontrolle seiner natürlichen Umwelt sind, die erst möglich wurden als praktische Konsequenz der im tiefsten Sinne anthropomorph angelegten Grundlagen erst des räumlichen Unterscheidens, dann des Denkens im Allgemeinen. Andere Etymologien weisen in die gleiche Richtung: „Gemach“ stammt von ahd., adj. „gimah“, „zusammen passend“, ein Hinweis also auf die Fähigkeit der Unterscheidung, auf die Zuordnung des Gleichen, und hierauf beruht die im Mittelhochdeutschen geläufige substantivische Verwendung des Wortes als „Ruhe, Bequemlichkeit, Wohlbehagen“, Zustände also, die aus dem geordnet Zusammengefügten hervorgehen.122 Damit hat uns die Etymologie der Bau- und Raumbegriffe unversehens von der rein dokumentarischen Beschreibung ihres so häufig anthropomorphen Charakters auf eine sehr viel allgemeinere und zugleich grundsätzlichere Ebene unserer Betrachtung geführt; sie hat uns nun auch jene Begründung der anthropomorphen Prägungen bestätigt, die wir schon vorweggenommen hatten: Die anthropomorphe Färbung der Architekturetymologien ist – ebenso wie die anthropomorphen Konstruktionen zur Kosmologie, die anthropomorphen Deutungen einzelner Bauwerke oder Räume, nicht zuletzt auch des Labyrinths – zu verstehen als sinnbildliche Aussage über den anthropomorphen Charakter der räumlichen Begriffsbildung selbst, die aus der Reflexion der menschlichen Körperlichkeit ihre Kategorien entwickelt. 2 Das Verschlungene: Die Wege und Gänge der Stadt Im Jahre 1575 veröffentlichte Antoine Lefréry sein berühmtes Werk Vedute delle sette chiese di Roma. Dieses Buch enthält einen perspektivischen Plan, der nach Art der Pilgerkarten gezeichnet ist und nur die Bau77
ten und Elemente der Stadt zeigt, die für Pilger und deren Verständnis der Heiligen Stadt von Bedeutung sind: den Verlauf der Stadtmauern, die Lage der Sieben Hauptkirchen, die nach alter Tradition in einer bestimmten Abfolge an einem Tage besucht werden, ihre Titelheiligen und die Wege – dargestellt als unterschiedlich große Pilgerströme – ,die sie miteinander verbinden‘.123 Lefrérys Plan verdient unser besonderes Interesse, da er wenige Jahre vor der Amtseinführung Papst Sixtus’ V.124 gezeichnet wurde, der das Gesicht der Stadt mit großartigen axialen Planungen über den alten Pilgerwegen nachhaltiger veränderte als je ein Papst vor ihm. In gewisser Weise zeigt der Plan den letzten Glanz des mittelalterlichen Rom, vor allem aber mit großer Deutlichkeit den Begriff und die Vorstellung, die sich diese jenseitsgewandte Epoche von der Heiligen Stadt gemacht hatte: Die Mauer grenzt ein Territorium ab, das durch seine Kirchen in besonderem Maße geheiligt ist, und diese selbst werden aufgefaßt als die Stationen des Weges, auf dem die Christengemeinde ihrer Heilsbestimmung entgegen unterwegs ist. Die Kirchen als Stationen sind die wichtigsten Elemente in diesem Gefüge des mittelalterlichen Rom, wichtiger als die Quartiere und öffentlichen Plätze, auf denen sich das Volk zu seinen weltlichen Geschäften versammelt, und wichtiger auch als die Straßen zwischen den Kirchen, die eigentlich nur Weg oder Strecke sind, ohne architektonisch besonders gestaltet zu sein. Mit den Planungen Sixtus’ wird dies grundlegend anders: Die Pilgerwege werden axial angelegt und mit architektonisch anspruchsvollen Fassaden gefaßt. Der städtische Raum ist nun nicht länger nur Weg, sondern wird als gleichwertig mit den religiösen Bauten angesehen und in gleicher Weise monumental behandelt.125 Damit wird auch architektonisch eine Entwicklungsphase römischer Stadtgeschichte abgeschlossen, die von wesentlich anderen Stadtvorstellungen geprägt war, von einem Stadtbegriff, den man „mittelalterlich“ nennen möchte, da er in dieser Epoche die wichtigsten Erscheinungen der Stadtkultur beiderseits der Alpen prägte. Wir müssen hier nach den Wurzeln dieses mittelalterlichen Stadtbegriffs fragen, sowie nach den Denkformen, die dem Stadtmodell, das uns auf dem Romplan des Antoine Lefréry so klar entgegentritt, eine so erstaunliche, das ganze Abendland umfassende Verbreitung gestatteten. Die Pilgerkarte von Rom, ihre Darstellungsform und ihre Terminologie, ist uns dabei eine wertvolle Hilfe. Einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis dieses Stadtbegriffs liefert die kirchenamtliche Bezeichnung der sieben römischen Weihekirchen als 78
36 Lefrérys Romplan mit den sieben Stationskirchen (1575). Die Stadt ist reduziert auf die Titularkirchen, die Mauern, die Engelsburg und den kontinuierlichen Strom der Pilger.
„Ecclesiae Stationales“, die seit dem siebten Jahrhundert üblich ist.126 Die Vokabel „Statio“ gehört zum ältesten kirchenamtlichen Sprachstamm, und es scheint, daß sie aus der römischen Militärsprache übernommen wurde.127 Bei Tertullian finden sich zahlreiche Nachweise für eine analoge Verwendung des militärischen „statio“ in der Bedeutung „Posten, zugewiesener Platz“, wenn etwa von Lebensaltern, Lebensabschnitten oder Aufgaben der christlichen Lebensführung die Rede ist.128 Der Prozeß der Umdeutung des militärischen Fachausdruckes im christlichen Sinne mit der Bedeutung „Station auf dem Lebensweg durch diese Welt“ scheint also um 200 n. Chr. bereits abgeschlossen zu sein. In dieser Bedeutung wird der Begriff auf die im vierten Jahrhundert – als Auswirkung der Toleranzedikte von 311, 312 und 313 – entstehende Prozessionspraxis übertragen, später auch auf die Wallfahrtspraxis, die in Rom seit dem siebten Jahrhundert nachgewiesen ist. Diese Gebräuche der „Stationen, 79
37 Sixtus V. auf einem zeitgenössischen Blatt für Rompilger, umgeben von seinen wichtigsten Bauten und Stadtplanungsmaßnahmen
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Prozessionen und Wallfahrten“, die nach traditioneller kirchlicher Auffassung „eigentlich nur ein Ganzes ausmachen“,129 haben als „außerordentliche heilige Handlungen“130 vor allem die pastorale Funktion, dem Gläubigen in analogen Handlungen die Nachfolge Christi nahezubringen. Zugleich boten sie eine Möglichkeit, antik-römische Kultformen im christlichen Sinne umzudeuten. Denn so wie die Vokabel aus der römischen Amtssprache übernommen und christlich umgedeutet ist, so ist auch die Vorstellung, die sich an eine „Statio“ als an einen im besonderen Maße heiligen Ort knüpft, der antiken Gedankenwelt entlehnt und mit christlichen Anschauungen in Einklang gebracht. Ohne eine gewisse Kasuistik ist dies nicht möglich, und die offizielle Lehre der Kirche hat sich immer sehr schwer getan, die Kritik an der Verehrung heiliger Orte, Dinge oder Menschen zu entkräften. Denn im christlichen Verständnis kann es zunächst keinen Ort geben, der heiliger wäre als jeder beliebige andere. „Heilig“ im christlichen Sinne ist allem eine Qualität des nichtstofflichen Gottes, und Heiligkeit kann deshalb keiner Sache und keinem Wesen anhaften. Im christlichen Sprachgebrauch wird heilig in bezug auf Orte oder Sachen deshalb ausschließlich in analogem Sinne angewendet, in Erinnerung an Überlieferungen, wonach an den so bezeichneten Orten Dinge geschehen sind, die für die Heilsgeschichte von Bedeutung waren, daß dort Menschen begraben liegen, die ihr Leben für die Sache des Christentums gelassen haben, oder daß dort Dinge aufbewahrt werden, die mit wichtigen Begebenheiten aus dem Leben solcher Menschen oder aus der Heilsgeschichte zusammenhängen.131 Rom als erste Stadt der Christenheit war besonders reich an solchen Orten, jedoch wurden seit frühester Zeit sieben als besonders wichtig und im obengenannten Sinne für so heilig betrachtet, daß man die sieben Weihekirchen über ihnen errichtete: die Gräber der Apostel Petrus und Paulus, der erste offizielle Sitz des römischen Bischofs im Lateran, später als Basilika Johannes dem Täufer geweiht, die Gräber der Märtyrer Laurentius und Sebastian, der Aufbewahrungsort der Kreuzreliquie und die Marienkirche S. Maria Maggiore an einem Ort, den die Madonna in einer Vision Papst Liberius’ 352 selbst bestimmt hatte und wo später die Krippenreliquie aufgestellt wurde. Diese Stätten sind also mit der Menschwerdung und der Erlösungstat Christi verbunden, mit der Gründung der Kirche als Institution und mit dem Märtyrertod von Heiligen, die aus den vier Ecken der römischen Welt stammten – Petrus aus Palestina, Paulus aus Kleinasien, Sebastian aus Gallien, Laurentius aus Spanien – und die stellvertretend für das Zeugnis des Christentums in allen Teilen des Abendlandes stehen. 81
Der Romwallfahrt zu den sieben Kirchen lag ursprünglich die pastorale Absicht zugrunde – und so lautete auch noch ihre offizielle Begründung in späteren Zeiten, als die Ablaßgewinnung längst zum eigentlichen Ziel der Pilger geworden war –, im Besuch der heiligen Stätten diese drei Inhalte, die Heilsgeschichte, die Mittlerrolle der Kirche und die persönliche Nachfolge Christi zu verinnerlichen. Am historischen Ort der Stadt Rom bot sich die Möglichkeit, diesen Entwicklungsgang als tatsächlich abzuschreitenden Weg von einer historischen Stätte zur anderen nachzuvollziehen. Die Stadt selbst und vor allem ihre sieben Hauptkirchen sollten Sinnbilder sein für den Weg, der der Menschheit insgesamt wie auch jedem einzelnen Individuum zu gehen bestimmt war. Wenn dies auch die doktrinäre Grundlage der Romwallfahrt und des Instituts der Sieben Stationskirchen ist, so ist es der christlichen Tradition doch nicht gelungen, das Fortleben älterer Vorstellungen, die sich mit der Heiligkeit eines Ortes aus vorchristlicher Zeit verbanden, gänzlich zu verhindern. Selbst die kirchliche Sprache hat noch Reste solcher Vorstellungen bewahrt. So heißt die Romwallfahrt offiziell „ad limina Apostolorum“, zu den „Schwellen der Apostel“, und hier schimmert deutlich die antike Auffassung durch, daß das Grab das Haus der Toten sei, dem als Ort besondere Verehrung gebührt. Das lateinische „Sacrum“ geht auf „sancire“ zurück, „abgrenzen“, und hier wie in den hebräischen Begriffen des alten Testamentes und in den griechischen Äquivalenten der Septuaginta liegt etymologisch ein Wortfeld zugrunde, das als Wesen der Heiligkeit „das Ausgesonderte“ begreift132, den privilegierten „temenos“ innerhalb der gewöhnlichen Welt. Man könnte zahlreiche weitere Beispiele für die undeutliche Grenzziehung zwischen christlichen und antik-heidnischen Auffassungen der – je nach Leseart mehr magischen, am Ort oder mehr transzendentalen, an der Idee haftenden – Heiligkeit anführen, in unserem Zusammenhang bleibt jedoch vor allem eines festzuhalten: Für die Entwicklung der mittelalterlichen Stadtvorstellungen sollte die Sinnbildlichkeit der Stadt Rom als ein System von Stationen, die besondere Ereignisse des Heilsplanes oder eine besondere Präsenz des Göttlichen repräsentieren und die es in Analogie zu einem idealen Lebensweg reflektierend abzuschreiten gilt, besonders fruchtbar werden. In gleicher Weise konnte und sollte jede mittelalterliche Stadt durch ihr Baugefüge sinnbildlich wirken, und Rom lieferte dazu gewissermaßen das kanonische Modell. Braunfels berichtet, daß in Florenz, Lucca, Pisa und anderen toskanischen Städten die Kirchen und ihre Weihetitel so im Stadtgebiet verteilt lagen, daß das Arrangement mit den sieben Kirchen Roms 82
38 Die Stationskirchen Roms, dargestellt durch die Heiligen ihrer Weihetitel und verbunden durch die Pilgerwege
39 Das antike Rom auf dem Plan von Etienne Dupérac als eine Sammlung isolierter Einzelbauten, Ausschnitt. Hier: die Zone an der Via Campana (1574)
40 Die Vorwegnahme der „selektiven“ Rezeption des antiken Rom in den idealisierten Darstellungen von Marco Fabio Calvo. Links: Die Roma Quadrata; rechts: Rom zur Zeit von Servius Tullius
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vergleichbar war.133 Große Kirchen, für die sich keine römischen Entsprechungen finden, werden von den Chronisten nicht genannt.134 Köln heißt seit dem frühen Mittelalter das deutsche Rom, und noch im 18. Jahrhundert ist diese Auffassung so lebendig, daß ein anonymer Kanoniker eine Laudatio auf die Kölner Mirabilien und Prozessionen mit dem Titel Supplicatio vulgo Processio Romana ad septem principales et interiacentes Ecclesias civitatis Coloniensis etc. verfaßt.135 Es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen; wir beschränken uns hier auf diese knappen Hinweise, da eine umfangreiche Literatur zu diesem Komplex vorliegt.136 Ein anderes Modell für die analoge Bildung städtischer Strukturen, das schon in ottonischer Zeit gern von den Stadtgründern nördlich der Alpen verwendet wurde, ist das Idealbild Jerusalems und seiner heiligen Stätten. Mittelalterlicher Tradition nach ist der Grundriß Jerusalems kreisrund und von einem Achsenkreuz in den vier Himmelsrichtungen geteilt. Plandarstellungen dieser Art aus dem frühen Mittelalter sind sehr zahlreich.137 Diese räumliche Qualität suchte man durch Anlage von Kirchen oder Klöstern in den vier Hauptgegenden rings um die Stadt nachzuahmen – so in ottonischer Zeit in Hildesheim, Aachen und Paderborn. Herzog verzeichnet eine ganze Liste solcher Planungen nördlich der Alpen.138 Bis ins 18. Jahrhundert hinein sind solche Vorstellungen lebendig und sogar noch offen für die Entwicklung, wie die späte städtebauliche Einführung des Kreuzweges mit vierzehn Stationen in Analogie zur Via Dolorosa Jerusalems deutlich zeigt.139
41 Der Kreuzweg in Jerusalem vom Haus des Pilatus über die einzelnen Stationen der Via Dolorosa zum Heiligen Grab
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Auch hier wollen wir es im Hinblick auf das reiche, leicht zugängliche Schrifttum bei diesem Hinweis belassen und uns nun den praktischen Konsequenzen zuwenden, die solche Vorstellungen für das alltägliche und festliche Leben in den mittelalterlichen Städten gehabt haben mußte. Rom und Jerusalem waren Pilgerziele der gesamten Christenheit; der Strom der Pilger auf den Wegen zwischen den heiligen Stätten floß unaufhörlich, ohne Beziehung zum Rhythmus des städtischen Lebens und unter einer nur geringen Berücksichtigung des kirchlichen Kalenders. Die Pilger waren Fremde in diesen Städten, die die heiligen Wege allein, in der Masse der Wallfahrer oder in Gruppen abschritten. Jeder einzelne erschloß sich den sinnbildlichen Charakter der Sieben Kirchen oder der Stationen Jerusalems für sich allein und nahm diese Erfahrung als privates Erlebnis mit nach Hause. Mit der Analogiebildung so vieler mittelalterlicher Städte nach dem Modell Roms oder Jerusalems in der Verteilung der Titularkirchen oder Wegestationen waren gewissermaßen die Fixpunkte in diesem rituellen Bewegungssystem gesetzt und kanonisch begründet, und bei getreuer Kopie der geheiligten Vorbilder hätte man im zeremoniellen Abschreiten der Stationen nun die religiöse Pflicht oder Freiheit eines jeden einzelnen Gläubigen sehen können. Indessen legte es die Gewohnheit des städtischen Mittelalters, in kollektiven Kategorien zu denken, nahe, die Abwicklung dieses Rituals nun nicht der Neigung des Einzelnen zu überlassen, sondern es in der Gemeinschaft festlich zu begehen. Dazu jedoch bedurfte es der Einordnung dieser Übung in den Festkalender der Kirche und der Anknüpfung an bestehende liturgische Formen. Solche Anknüpfungspunkte boten die in den Bischofsstädten von jeher bedeutenden Prozessionen zu den Mauern und um die Mauern, die vor allem am Palmsonntag zu ausgedehnten „Jerusalemsprozessionen“ erweitert werden konnten. Aus Siena besitzen wir eine detaillierte Beschreibung aus dem Jahre 1213.140 Noch früher lassen sich in vielen Städten Bittprozessionen an den drei Tagen der Rogationes vor Christi Himmelfahrt nachweisen, die im fünften Jahrhundert in Frankreich entstanden und die seit dem zehnten Jahrhundert in der ganzen westlichen Christenheit zu beobachten sind.141 Die Rogationsprozessionen umwallten die Stadt, während an Christi Himmelfahrt in alter byzantinischer Tradition Bischof und Volk die Titularkirchen besuchten.142 Aber diese städtebaulichen und prozessionalen Analogien zu den beiden Zentren der Christenheit, zu Rom und Jerusalem, sind nicht die einzigen und nicht einmal die spektakulärsten Übertragungen der alten römischen 85
C B
A
42 Bühnenpläne für Mysterienspiele im Kircheninneren als Vor- und Frühform des Umzugswesens Links: Donaueschingen, A enthält die Hölle und den Garten Getsemane, B die Orte der Verurteilung und Folter Christi, C Orte der Erlösung und den Himmel (19. Jh.). Mitte: Die Wege der Drei Könige in der Abteikirche von Fleury (19. Jh.). Rechts: Idealplan für das Kirchenspiel „Darstellung Maria im Tempel“ von Philippe de Mézière (14. Jh.) mit zwei sehr hohen Podestbühnen
Idee der christlichen Stadt als sinnbildlicher Stationsweg, dessen Bedeutung sich im kollektiven Abschreiten erschließt und dem eine pastorale Funktion im Leben der Gemeinde zufällt. Sehr viel wichtiger wurde die Verlegung und gleichzeitige Ausschmückung der prozessionalen Elemente der Liturgie des Kirchenjahres aus dem Inneren der Kirche in den städtischen Raum, die Entwicklung dieser Ansätze zu einer außergewöhnlichen reichen Praxis des Prozessionspiels und des Standortdramas, das die wichtigsten Themen der Heilsgeschichte auf geeigneten Plätzen und in den geeigneten Bauten der Stadt inszenierte und damit für jedermann verständlich verkündete: „Für jeden Bürger dieser Stadt ist hier sein Heiliges Land, liegen hier die Stationen auf dem Wege, der ihn zu seiner Bestimmung bringen soll.“ Damit erwirbt die Stadt jene für die mittelalterlichen Jahrhunderte charakteristische Qualität eines kolossalen Kultbaus, die nicht nur ihr architektonisches Gefüge prägt, sondern auch ihr ritualisiertes öffentliches Leben rechtfertigt. Prozessionale Elemente enthalten vor allem die Osterliturgie und der Weihnachtsfestkreis. In der Osterliturgie muß schon früh 86
die Emmausszene zu dramatischen Einlagen bei der Feier des Festes verleitet haben: Gruppen von Sprechern führten innerhalb der Kirche die Szene bildlich vor.143 Ähnliches gilt für den Gang der Frauen zum Grabe. Jedoch blieben diese prozessionalen Elemente immer auf den Kirchenraum beschränkt. Ganz anders verhält es sich mit der Liturgie des Weihnachtsfestkreises. Auch hier werden z. B. die Szenen der Drei Könige und des Herodes zunächst innerhalb der Kirche theatralisch ausgeschmückt, wie es beispielsweise für die Zeit vor 1300 für Limoges und Besançon belegt ist.144 Um 1300 jedoch wird dieses Spiel in die Stadt verlegt, und man kann vielerorts die typische Entwicklung zum Prozessionsspiel oder zum Standortdrama beobachten.145 Eine erste Überlieferung einer Entwicklung dieser Art kennen wir aus Mailand: „Die Könige reiten unter großem Pomp durch die Straßen. Ein Stern wird an einem Faden vor ihnen hergezogen. Bei den Säulen des Heiligen Laurentius sitzt Herodes mit seinen Schreibern und Gelehrten (…). Die Könige fragen, wo der Heiland geboren sei, und nach vielem Bücherwälzen erhalten sie Auskunft. Von neuem setzen sie sich in Bewegung, wieder wird der Stern vorangezogen. Wieder ist der eigentliche Zug von Menschen und Tieren ein Hauptspektakel. Schließlich gelangen sie zur Eustorgiuskirche, wo am Hauptaltar die Krippe aufgestellt ist. Die Heilige Jungfrau hält das Christuskind, Ochs und Esel sind zur Stelle. Die Könige bringen ihre Gaben dar, im Schlaf befiehlt ihnen der Engel die Rückkehr auf einem anderen Wege, und sie ziehen demgemäß zum Römischen Tor hinaus (…).“146 Diese knappe Nachricht gibt uns trotz ihrer Kürze einen guten Einblick in den Prozeß der Gleichsetzung von biblischen Szenen mit topographischen und architektonischen Elementen der Stadt. Die Könige kommen als Fremde; sie ziehen von außen durch ein Tor in die Stadt hinein und verlassen es wieder durch ein anderes. Dazwischen spielt sich die für die Heilsgeschichte wichtige Szene der Anbetung der Könige und die Rettung Jesu vor den Mordknechten des Herodes ab. Die Säulen des Laurentius, an denen Herodes auftritt, stehen in einer antiken Kolonnade von sechzehn korinthischen Säulen, die in den Vorhof der Laurentiuskirche eingebaut wurden – offentsichtlich werden in dieser Zeit (um 1300) antike Ruinen und Spolien vor allem mit antikem Heidentum und unchristlicher Tyrannenwillkür in Verbindung gebracht. Die Krippenszene dagegen wird in einer der Hauptkirchen der Stadt vorgeführt.147 87
Ähnliche Nachrichten haben wir aus Freiburg in der Schweiz und aus anderen Städten des deutschen Sprachraumes148: Die vorhandenen stadträumlichen und topographischen Elemente werden mit den Architekturen und Szenen des Evangeliums gleichgesetzt und im Verlauf der liturgischen Spiele von allem Volk gemeinsam besucht, während Gruppen von Schauspielern den Inhalt der entsprechenden biblischen Handlung darstellen. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß in solchen Praktiken die Stadt als ein Sinnbild gedeutet wird, mit dessen Hilfe abstrakte theologische Konstruktionen, wie etwa das Konzept eines notwendigerweise schwierigen, aber insgesamt sinnvollen Lebensweges vermittelt werden. Der Gedanke, daß der Einzelne nicht ziellos durchs Leben treibt, sondern einer übergeordneten Bestimmung entgegengeht, über bestimmte Etappen und Stationen, an denen er sich bewähren muß, wird so in die bildhafte, anschauliche Sprache der Zeit übersetzt, an konkreten, sinnlich erfahrbaren Situationen der Stadt festgemacht, nicht so sehr in der Absicht, dieses Konzept kausal abzuleiten oder rational zu untermauern, sondern, um es in der Alltagswelt, im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft zu verankern. In solche Formen gebracht, wird auch das Unbegreifliche der Idee eines göttlichen Heilsplanes, in dem jeder einzelne seinen Platz und seine Aufgabe hat, zu einem selbstverständlichen Teil des Lebens, wird es dem Alltag des städtischen Raumes ständig gegenwärtig eingebettet und damit zugleich handhabbar. Eine Begründung geoffenbarter Wahrheiten scheint dieser Zeit im Allgemeinen noch unnötig, dagegen ist ihr deren Vermittlung ein großes Anliegen und auch ein ständiges Problem, wie die immer wieder mit Heftigkeit ausbrechenden kaum, noch zu fassenden religiösen Hysterien des Mittelalters belegen.149 Abgesehen von diesen Lehr- und Vermittlungsfunktionen hat die Gleichsetzung städtischer Situationen mit den Städten der Heilsgeschichte und ihre rituelle Umwallung im Festkalender des Jahres noch eine zweite, in unserem Zusammenhang wichtigere Bedeutung. In diesen Praktiken wird ja nicht nur die Stadt zur Darstellung christlicher Auffassungen herangezogen; zugleich werden, umgekehrt, feststehende Bilder aus der religiösen, biblischen Vorstellungswelt dazu gebraucht, die scheinbar beziehungslos im städtischen Raum nebeneinander liegenden architektonischen Elemente aufeinander zu beziehen und einer umfassenden Vorstellung zuzuordnen – einer Vorstellung, die den Inbegriff von Sinn und Ordnung dieser Welt verkörpert. Sichtbar wird diese Vorstellung weniger in der baulichen Dominanz einzelner Elemente, sondern vor allem in den 88
Wegebeziehungen, die im Verlauf der Prozessionsspiele nach einem präzis formulierten Programm im Zusammenhang abgeschritten und damit sichtbar und faßbar gemacht werden. So wird im Prozessions- und Umzugswesen der mittelalterlichen Stadt mit den Gestaltungsmitteln der Choreographie erreicht, was spätere Jahrhunderte immer ausschließlicher mit der Anlage axialer Blickbeziehungen zwischen den Dominanten des Stadtraumes anstrebten – die Ordnung der städtischen Elemente nach einer umfassenden, sinngebenden Vorstellung, ohne die bis in die jüngste Vergangenheit keine Stadtgesellschaft leben konnte, ohne die wahrscheinlich niemals eine Stadtgesellschaft wird leben können, wenngleich die Einsicht in diese Tatsache erst kommen mag, wenn es zu spät ist. Der Gedanke der Szenenidentität von städtischen Räumen und Elementen mit den heilsgeschichtlich bedeutenden biblischen Stätten, an den wir diese Überlegungen anschlossen, kommt zu besonderer Entfaltung in den Mysterienspielen, die sich im Hochmittelalter aus der Passionsliturgie zu entwickeln beginnen. Der theatergeschichtlich interessante Vorgang dieser Entwicklung ist in den einschlägigen Werken von Chambers, Sengpiel oder Michael beschrieben150 und kann hier übergangen werden. Stattdessen muß unser Augenmerk der Technik dieser Identitätsherstellung und den ästhetischen Absichten gelten, die sich mit der Inszenierung der Mysterienspiele im städtischen Raum verbinden. Besonders interessant ist für uns deshalb das Mysterienspiel von Luzern, da sich hier genaue szenographische Angaben nebst zweier Szenenpläne aus dem Jahre 1583 erhalten haben. Die Spiele erstreckten sich über zwei Tage und dauerten jeweils zwölf Stunden. Ihr zentrales Thema war die Leidensgeschichte Jesu, die in allen Einzelheiten aufgeführt wurde; um diesen Kern gruppierten sich die wichtigsten Szenen des Alten und Neuen Testamentes: Paradies und Sündenfall, Moses auf dem Sinai, die Zeugnisse der Propheten, die Taufe im Jordan, dazwischen Szenen der Verdammung in der Hölle und der Läuterung im Purgatorium. Ort der Aufführung blieb jahrhundertelang der Weinmarkt im Herzen der Stadt, ein rechteckiger Platz, auf den an den Schmalseiten je zwei Straßen münden, der allseitig von prächtigen drei bis viergeschossigen Häusern umschlossen ist und auf dessen westlicher Hälfte ein großer gotischer Brunnen steht. Die östliche Platzwand bildete ein besonders prächtiger Bau, das Haus zur Sonne, dessen Fassade durch mehrere Erker gegliedert ist, die während des Spieles für geeignete Auftritte genutzt werden konnten. Im Verlauf des Spieles wurden vor allem solche Szenen besonders breit angelegt, die geeignet waren, die Grenzen zwischen Spiel und Realität zu 89
43 Der Spielplan von 1583 für das Luzerner Passionsspiel Links: Der erste Spieltag. Für die Taufe im Jordan ist ein eigener Wasserlauf konstruiert, der aus dem Brunnen auf dem Weinmarkt gespeist wird. Die Fassade des „Hauses zur Sonne“ dient als Kulisse; die Erker sind Schauplatz der Ereignisse im Himmel. Rechts: Für die Ereignisse der Leidensgeschichte wird die Platzmitte freigehalten. Die Hölle ist in einem maskenverkleideten Bauwerk in einer Seitenstraße untergebracht (unten links).
verwischen; so etwa, wenn für die Taufe Jesu im Jordan ein Bach über den Weinmarkt geleitet wurde, der sein Wasser aus dem höher gelegenen Brunnen auf dem Neuplatz bezog. Auch die verschiedenen biblischen Festessen, etwa die Hochzeit zu Kanaa oder das Gastmal des Herodes, wurden in aller Üppigkeit gefeiert, notwendigerweise, da die Spieler ja mehr als zwölf Stunden auf der Szene waren. Dabei ging es häufig so gargantuesk zu, daß der Rat den unmäßigen Suff während des Spiels unter Strafe stellen mußte.151 Diese Vermischung von Realität und Spiel wurde auch bei der Wahl der Szenen und Staffagen angestrebt. Alle positiv besetzten Requisiten und Kulissen wurden durch Umdeutung und leichte Umbauten der vorhandenen städtischen Elemente hergestellt: Die Mitte des Platzes wurde zum Tal Hebron, die Fassade des Hauses zur Sonne mit ihrem dreieckigen 90
Giebelfeld zum Berg Sinai, in ihren Erkern erschienen Gottvater und die Engel, der Heilige Geist wurde von hier aus herabgelassen. Besonders sinnbildlich ist die Verwendung des Brunnens am Platzrand: Er wird zum Felsen, aus dem Moses für das dürstende Volk Wasser schlug. Alle negativ besetzten Kulissen wurden dagegen eigens als hölzerne Gestelle aufgeschlagen, wie die Hölle in einer Nebenstraße, oder das verlorene Paradies mit dem Ort des Sündenfalls, das nur kurz, für die Dauer der Szene, als hölzerne Einfriedung am Platzrand aufgeschlagen wird, Elemente, die man auf Dauer nicht in der Stadt wissen möchte. Zu Beginn (und am Ende) eines jeden Spieltages fand ein Umzug vom Spielplatz zur Petrikirche statt, der Ratskirche, in der eine Abordnung des Stadtrates die Spieler formell in ihre Rollen einsetzte. In diesem Akt wird besonders deutlich, daß man die Spiele als zentrales Ereignis im Leben der Stadtgemeinschaft verstand und in ihnen ganz bewußt eine Selbstdarstellung der Bürgerschaft in ihrer positiven und negativen Verwicklung mit den prototypisch aufgefaßten biblischen Heilsereignissen sah. Die Mysterienspiele erfreuten sich während des gesamten Mittelalters großer Beliebtheit, vor allem im englischen und deutschen Sprachraum, und in einigen Gemeinden der Alpenländer konnten sie sich bis in die Gegenwart erhalten.152 Gleichzeitig erlebt aber auch das Prozessionswesen einen enormen Aufschwung und entwickelt eigene, in unserem Zusammenhang sehr interessante Stadt- und raumbezogene Formen, denen wir uns jetzt zuwenden wollen. Diese Entwicklung hängt mit der Einführung des Fronleichnamsfestes auf dem Konzil von Vienne (1311) zusammen, dessen ausdrücklicher Zweck es war, zur Bekämpfung der Häresie Berengars das Sakrament in der Öffentlichkeit zu zeigen und außerhalb des Kirchenraumes verehren zu lassen.153 Das Fronleichnamsfest ist heute „das einzige, das sich nicht auf das Kirchengebäude oder eine ihm gleichzusetzende Kultstätte beschränkt, sondern durch feierliche, prächtige Prozessionen die Aufmerksamkeit der ganzen Bevölkerung in Anspruch nimmt. Das heißt, eigentlich ist der ganze Prozessionsweg die Kultstätte: der Glaube zieht durch die Straßen. Die Prozession umfaßt das Gebiet, das sie durchschreitet, und sie will einen möglichst großen Bereich umfassen.“154 Diese raumumschließende Funktion der Fronleichnamsprozession führt schon im 13. Jahrhundert zu der Praxis, bei den Toren der Stadt in den vier Himmelsrichtungen Altäre zu errichten und dort je ein Evangelium zu lesen, etwa in Fulda, wo am ersten Altar „nach Matthäus in der Richtung nach Osten die Abstammung Jesu gesungen wird. Am zweiten nach 91
Süden das Evangelium des Markus, wo es Johannes den Täufer behandelt. Am dritten nach Westen die Verkündigung an Zacharias aus dem Evangelium des Lukas, und am vierten nach Norden der Anfang des Johannesevangeliums“.155 Anders in der Reihenfolge, aber identisch in der Grundstruktur und in der „weltumfassenwollenden Tendenz“156 sind die Prozessionen in Bamberg, Rottenburg oder München oder in zahlreichen anderen Städten, deren Fronleichnamsfeste Mitterwieser untersucht hat.157 Seit 1316 mußte, auf ausdrückliche Anordnung von Papst Johannes XXII., das Sakrament in einer Monstranz unter dem Baldachin getragen werden. Damit waren von Anfang an die Wurzeln zu einem Paraphernalienfest gesetzt, die bald üppig ausschlagen sollten. Zunächst hören wir von Prophetengruppen, die vor dem Allerheiligsten herziehen und in Versen jene Prophezeihungen aufsagen, die die spätere Transsubstantiationslehre der Kirche vorwegnehmen.158 Bald folgen andere alttestamentarische Szenen, die auf die Menschwerdung Christi hinweisen sollen, wie etwa monumentale Darstellungen des Stammbaumes Jesu, oder David und Goliath, die nach der Exegese des Heiligen Augustinus versinnbildlichen sollen, daß in David Christus mit einem einzigen Wurf (mit dem die ganze neue Lehre enthaltenden Gebot der Nächstenliebe) von fünf Steinen (das sind die fünf Bücher Moses, die den Dekalog enthalten) das Böse in Gestalt Goliaths überwunden hat.159 Dreierlei sollte für die weitere szenische Ausgestaltung der Fronleichnamsprozession wichtig werden: die Tatsache, daß mit dem Baldachin ein bewegliches architektonisches Element eingeführt wurde; daß Szenen mitgeführt wurden, die selbst nicht beweglich waren und deshalb getragen werden mußten, wie der Stammbaum Jesse; und schließlich, daß die biblische Tradition den alttestamentanschen Gestalten neben dem sprichwörtlichen „biblischen Alter“ auch enorme Leibesgröße zugesteht. Was lag näher, als diese Vorgaben in phantastischer Weise auszuschmücken? Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ist es üblich, die biblischen Gestalten auf Stelzen laufen zu lassen und sie so als übergroß aus dem Zug des Volkes herausragen zu lassen.160 Neben Goliath und den Propheten tauchen bald weitere Riesengestalten auf; in Flandern gehören zur Fronleichnamsprozession um 1500 in der Regel die Figuren des Heiligen Georg mit seinem Drachen, der Erzengel Michael, oft mit dem Teufel, Christophorus mit dem Gotteskind auf den Schultern und gelegentlich noch die Heiligen Sebastian und Antonius.161 Zugleich führt die Ausgestaltung der WurzelJesse-Motive mit Baumkonstruktionen, die zu schwer sind, um noch 92
44 Grundriß des Weinmarktes. Die Masse der Zuschauer stand auf der linken (westlichen) Platzhälfte.
getragen werden zu können, zur Einführung von Wagen, die in der Prozession gezogen werden, und damit ist der entscheidende Schritt zur Entwicklung mobiler Architekturen getan. Andere Motive, die nach einer architektonischen Szene verlangen, folgen, wie die Verkündigung oder die Weihnachtsszene im Stall zu Bethlehem. In Löwen gehören 1594 solche mobilen Architekturen zu den wichtigsten Ausstattungsstücken der Prozession.162 Mit der Einführung mobiler Architekturen gewinnt das religiöse Prozessionswesen eine ganz neue Qualität. War bis dahin der Umzug vor allem ein Weg, um die sinnbildliche Bedeutung einzelner Elemente der Stadt hervorzuheben, sie in einen lehrhaften, im Abschreiten nachzuvollziehenden Zusammenhang zu stellen, so steht nunmehr die Freude am Bewegungsspiel der Prozession im Vordergrund. Zwar soll sie noch immer belehren, weniger über sinnbildliche Qualitäten der Stadt, als vielmehr unmittelbar über die Bedeutung der auf dem Wagen dargestellten Szenen, aber vor allem soll sie gefallen und überraschen: Gegenüber den inhaltlichen Aussagen hat der architektonische Effekt eindeutig den Vorrang. Betrachtet man einen der Umzugswagen genauer, etwa den Verkündigungswagen aus Löwen, so ist das Bemühen unverkennbar, in diesen Konstruktionen wahrhaftig architektonische Dimensionen zu erreichen: 93
Die Wagen müssen groß sein, um als mobile Architektur zu erscheinen. Ebenso ist eine besonders auffällige Akribie in der Kopie architektonischer Bauteile zu beobachten. Alle Konstruktionen aus dem Wagenbau werden vermieden und stattdessen Bauweisen in Stein genauestens nachgeahmt. Säulen werden kanneliert, Kapitelle und Architrave sorgfältig nach architektonischen Vorbildern gearbeitet; die Oberfläche wird mit feinem Stuckgips überzogen, so daß man darauf farbige Marmorimitationen auftragen kann. Zugleich wird alles getan, um den Fuhrwerkcharakter zugunsten des architektonischen Eindrucks zu vertuschen; Fahrwerk und Deichsel werden mit weit herunterreichenden Volants verhängt, und die Zugpferde sind an Ketten und Seilen lose vorgespannt. Die Steuerung und Bremsung muß deshalb über eine Mechanik am hinteren Ende des Wagens erfolgen. Solche Details zeigen deutlich, worauf es hier ankommt: Hier wird mit der Faszination des Widerspruches gespielt, daß eine Struktur, die in allen ihren Elementen eindeutig als Architektur behandelt ist, sich bewegt und umherzieht, daß architektonische Formen, die allenthalben in der einfachen Erfahrungswelt absolute Stabilität und Unbeweglichkeit signalisieren, plötzlich in Bewegung durch die Straßen wandern. Hier wird an die heimliche Liebe zu verkehrten Welten appelliert, die auch dem Märchen und der Fabel eignet: Die Kirche geht ums Dorf.163 Zweifellos kennzeichnen solche Entwicklungen den Höhepunkt des Prozessionswesens, wohl weniger seiner pastoralen Bedeutung, aber um so mehr seiner Eigengesetzlichkeit als Bewegungsspiel im architektonischen
45 Die Rückwirkung des mittelalterlichen Umzugswesens auf die Vorstellung vom festlichen Leben in der Antike: Renaissancedarstellung eines römischen Triumphzuges, bei dem die eroberten Berge und Städte – als Modelle und mobile Architekturen – mitgeführt werden
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Raum. Muß es wundern, daß sie den Säuberungen der Gegenreformation oder den Säkularisierungsbestrebungen der Aufklärung zum Opfer fielen? Weder eine ganz am Heilsnutzen orientierte puristische Religionsauffassung noch ein jedem Spielerischen und Zweckfreien feindlich gesonnener Rationalismus konnte solchen Formen der öffentlichen Lust am Fabulieren Raum lassen. Die Verordnungen Josefs von Osterreich gegen den „kirchlichen Flitterstaat“ (1781) machten selbst dem besonders entwickelten Umzugswesen in den österreichischen Niederlanden ein Ende.164 Lediglich eine Form der Umzugspraxis konnte sich trotz aller Verbote und prozessionsfeindlichen Tendenzen der Aufklärung halten: die Umzüge der sogenannten Umgangsriesen in Brabant. Wenngleich ihre Bedeutung gegenüber den bisher erwähnten prozessionalen Formen eher regionaler Art ist, so stellte sie doch eine besonders bemerkenswerte, die charakteristischen Züge noch einmal deutlich hervorhebende Entwicklung des mittelalterlichen Prozessionswesens dar, weshalb sie in diesem Zusammenhang behandelt werden muß. Die Umzüge der Riesen sind in den küstennahen Provinzen Belgiens, des nördlichen Frankreich und der südlichen Niederlande bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts nachgewiesen, dürften jedoch erheblich älter sein.165 Anlaß dieser Prozession ist das Kirchweihfest, das traditionell in den Monaten Juni bis August, also in der Jahresmitte um die Sommersonnenwende, gefeiert wird. Dabei werden säulenartig aufgerichtete Gestellfiguren, deren Äußeres demjenigen riesenhafter Menschen gleicht, durch die Stadt getragen. Die meisten dieser Figuren tragen biblische oder historische Namen, die als Synonyme für Riesenhaftigkeit anzusehen sind: Goliath, Gayant, Childenc, Reuze-Papa. Dramatische Handlungen in den Umzügen gehören zu den jüngeren Entwicklungen dieser Feste; ursprünglich war das bloße Aufführen der Riesen das einzige Ziel. Dabei folgt der Umzugsweg in der Regel den ältesten Grenzen der Stadt, entweder in Form einer Stadtumwallung, wie zum Beispiel in Douai, wo Beitl nachweisen konnte, daß der Umgangsriese über dem früheren Verlauf der Stadtmauer getragen wird.166 Oder das gesamte Stadtgebiet wird begangen, wie etwa heute noch in Ath, wo der Riese Goliath vom heute außerhalb der alten Mauern liegenden ersten Siedlungskern um die älteste Kirche St. Julien zur Neustadt des 13. Jahrhunderts getragen wird, dort zunächst das ursprüngliche Stadtgebiet innerhalb der ersten Befestigung umschreitet und dann die weitere Ausdehnung der Stadt bis ins 17. Jahrhundert auf der heutigen Hauptstraße durchquert.167 Im Lauf der Jahrhunderte werden dem ursprünglichen Riesen noch weitere Riesenfiguren 95
46 Die Umzugsriesen (Stich aus dem 19. Jh.)
47 Ambiorix auf einer alten Postkarte
48 Unterkonstruktion von Mme. Victoire
49 Mademoiselle Victoire
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50 Madame Goliath
51 Samson
52 Der Adler
53 Goliath
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zugestellt: In Ath ziehen heute neben Goliath (Höhe 4 m, Gewicht 120 kg) noch Madame Goliath (3, 75 m, 105 kg), Samson (4, 30 m, 90 kg), Ambiorix (3, 75 m, 129 kg), der Adler (Länge 4, 45 m, Höhe 3, 30 m, Gewicht 117 kg), Mademoiselle Victoire (4, 45 m, 118 kg) und das gewaltige Cheval Bayard (6, 30 m, 600 kg) durch die Straßen, außerdem mehrere mobile Architekturen aus dem 19. Jahrhundert. Der Riesenumgang in der Stadt übt einen eigenartigen Reiz auf die Zuschauer aus: Die Architektur der Stadt Ath wie auch der übrigen Städte im Verbreitungsgebiet der Umgangsriesen ist flämisch geprägt, die Häuser sind zierlich, kleinteilig und niedrig, selten mehr als zwei Geschosse hoch. Wenn die riesigen Figuren durch die Straßen ziehen, denen die Traufen der Häuser gerade bis zu den Schultern reichen, und wenn sie dazu noch tanzen, wie es in Ath besonderer Brauch ist, so wirkt die gesamte Stadt wie eine Puppenstube. Es ist, als seien urzeitliche Gestalten aus der Zeit der Riesen und Giganten in die Welt zurückgekehrt, um sich am Werk der Menschen zu ergötzen.
54 Die Abfolge der Riesen, Wagen und Gruppen im Umzug von Ath im 18. Jh.
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In solchen Vorstellungen dürfte wohl auch der Ursprung des ersten, einzelnen Umgangsriesen und seines Zuges durch die Stadt zu vermuten sein. Man wird Beitl zustimmen können, wenn er in dieser Figur die volkstümliche Wiederkehr des mythischen Riesen sieht, der in grauer Vorzeit die Stadt gegründet hat und nun einmal jährlich um die Jahresmitte zurückkehrt, um sie in einem Rituale der Erneuerung symbolisch noch einmal abzustecken. Für diese Praxis kennt die Kulturgeschichte zahlreiche verwandte Beispiele, die eine enorme Vorstellungsbreite umfassen, vom mythischen Schöpfer eines Territoriums, der in zyklischen Abfolgen seinen Schöpfungsakt symbolisch wiederholen muß, um dessen Fortbestand zu sichern, bis zum mythischen Stadtherren, der in jährlichem rituellen Umschreiten des Stadtgebietes seinen Herrschaftsanspruch erneuert.168 Im Volk hat sich das Bewußtsein um diese Zusammenhänge in einem volkstümlichen Namen erhalten, den viele Riesen neben ihrer offiziellen Bezeichnung tragen. Sie heißen „Grand Papa“ – im Umgangsriesen wird der „Großvater“ erkannt, als dessen Kinder sich alle aus der Stadt Gebürtigen betrachten.169 Zugleich läßt sich diese Auffassung in Einklang mit dem kirchlichen Zusammenhang bringen, in den die Umgangsriesen bis zur Säkularisation eingebettet waren. Die Kirchweih ist im christlichen Verständnis die eigentliche Gründung der Stadt als einer menschlichen Gemeinschaft mit gemeinsamer Basis und gemeinsamem Ziel, die in ihrem Fest sehr leicht vorchristliche Gründungs- und Erneuerungsrituale übernehmen konnte, die zugleich ausgesprochen gemeinschaftsbetonende Rituale waren und die die Riesenfigur als Sinnbild der Stadtgemeinschaft ansahen, als Palladium.170 Diese Verwandtschaft der Vorstellungen mag auch der Grund dafür sein, daß die Umgangsriesen die Säkularisation überlebten, daß sich selbst heute noch immer wieder solche Traditionen neu bilden.171 Ihr archaischer Gestus spricht so unmittelbar zum Volk der Stadt, zu den Kindern des mythischen Erzvaters, daß sie auch ohne christliche Begründung auskommen. 3 Das Hinwegführende: Die entwirklichte Architektur der Sacri Monti Die Tendenzen des mittelalterlichen Prozessionswesens, die Stadt in einen transitorischen Raum zu verwandeln, der ausschließlich durch die Haltepunkte der ritualisierten Bewegungsabläufe bestimmt wird, mußten ihre Grenzen in den funktionalen Notwendigkeiten des städtischen Systems 99
In solchen Vorstellungen dürfte wohl auch der Ursprung des ersten, einzelnen Umgangsriesen und seines Zuges durch die Stadt zu vermuten sein. Man wird Beitl zustimmen können, wenn er in dieser Figur die volkstümliche Wiederkehr des mythischen Riesen sieht, der in grauer Vorzeit die Stadt gegründet hat und nun einmal jährlich um die Jahresmitte zurückkehrt, um sie in einem Rituale der Erneuerung symbolisch noch einmal abzustecken. Für diese Praxis kennt die Kulturgeschichte zahlreiche verwandte Beispiele, die eine enorme Vorstellungsbreite umfassen, vom mythischen Schöpfer eines Territoriums, der in zyklischen Abfolgen seinen Schöpfungsakt symbolisch wiederholen muß, um dessen Fortbestand zu sichern, bis zum mythischen Stadtherren, der in jährlichem rituellen Umschreiten des Stadtgebietes seinen Herrschaftsanspruch erneuert.168 Im Volk hat sich das Bewußtsein um diese Zusammenhänge in einem volkstümlichen Namen erhalten, den viele Riesen neben ihrer offiziellen Bezeichnung tragen. Sie heißen „Grand Papa“ – im Umgangsriesen wird der „Großvater“ erkannt, als dessen Kinder sich alle aus der Stadt Gebürtigen betrachten.169 Zugleich läßt sich diese Auffassung in Einklang mit dem kirchlichen Zusammenhang bringen, in den die Umgangsriesen bis zur Säkularisation eingebettet waren. Die Kirchweih ist im christlichen Verständnis die eigentliche Gründung der Stadt als einer menschlichen Gemeinschaft mit gemeinsamer Basis und gemeinsamem Ziel, die in ihrem Fest sehr leicht vorchristliche Gründungs- und Erneuerungsrituale übernehmen konnte, die zugleich ausgesprochen gemeinschaftsbetonende Rituale waren und die die Riesenfigur als Sinnbild der Stadtgemeinschaft ansahen, als Palladium.170 Diese Verwandtschaft der Vorstellungen mag auch der Grund dafür sein, daß die Umgangsriesen die Säkularisation überlebten, daß sich selbst heute noch immer wieder solche Traditionen neu bilden.171 Ihr archaischer Gestus spricht so unmittelbar zum Volk der Stadt, zu den Kindern des mythischen Erzvaters, daß sie auch ohne christliche Begründung auskommen. 3 Das Hinwegführende: Die entwirklichte Architektur der Sacri Monti Die Tendenzen des mittelalterlichen Prozessionswesens, die Stadt in einen transitorischen Raum zu verwandeln, der ausschließlich durch die Haltepunkte der ritualisierten Bewegungsabläufe bestimmt wird, mußten ihre Grenzen in den funktionalen Notwendigkeiten des städtischen Systems 99
finden, das den Einrichtungen der Produktion und des Warenaustausches eine zumindest im Alltäglichen ebenso wichtige architektonische Gestalt zuweist. Indessen blieb der Gedanke, im Abschreiten eines Stationsweges die ideale Figur des himmlischen Jerusalem oder eines der anderen Stereotypen der mittelalterlichen Bilderwelt nachzuvollziehen so nachhaltig wirksam, daß gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Oberitalien „Städte“ oder besser „Stadtmodelle“ in Form von Stationwegen gebaut wurden, die sogenannten „Sacri Monti“. In diesen „Städten“ fehlen alle Einrichtungen, die dem Wohnen und Wirtschaften dienen; ihr räumliches System aus Straßen, Plätzen und Gebäuden reduziert sich auf die Elemente, die im mittelalterlichen Verständnis das Wesen der Stadt ausmachen, eben die Stationen der Umschreitungen als Evokation der heiligen Stätten. Die „Sacri Monti“ sind nach einem immer wiederkehrenden architektonischen Schema gebaut: Ein in seiner natürlichen Formation besonders hervorragender Berg, immer inmitten eines großartigen Landschaftspanoramas gelegen, wird mit einer heiligen Landschaft gleichgesetzt, entweder mit dem Heiligen Land der Bibel oder – allerdings seltener – mit den Landschaften, die durch das Wirken der Heiligen ausgezeichnet sind. Durch dieses Land führt ein labyrinthisch gewundener, oft mühsamer Weg zum Gipfel. Am Wegrand stehen in lockerer Folge Kapellen, die einzelne Stätten der heiligen Landschaft versinnbildlichen. Diese Kapellen kann man nicht betreten, sondern nur von einem Vorraum oder Portikus aus durch kunstvolle Gitterfenster in sie hineinblicken; in ihrem Innern sind aus lebensgroßen, realistisch gearbeiteten Terrakottafiguren Episoden dargestellt, die sich an der Stätte, die die Kapelle repräsentiert, abgespielt haben. Dabei ist alles in Architektur und Plastik auf höchste Illusion angelegt: Die Figuren sind mit echten Stoffen bekleidet, das Licht durch geschickt angeordnete Laternen und Oberlichter so geführt, daß es die Szene zu beleben scheint, der Hintergrund setzt in meisterhafter Illusionsmalerei die Szene in eine imaginäre Landschaft fort. Kapellenfolge und Wegeführung sind nach einem umfassenden, vorweg bedachten didaktischen Programm geordnet, wobei monumentale Tore die Abfolge in Abschnitte gliedern. Der erste Abschnitt visualisiert immer die Ursachen der menschlichen Erbärmlichkeit: Sündenfall und Verirrungen des Volkes im Alten Testament. Dann folgen Szenen aus dem Erlösungswerk Christi, entweder aus der Heilsgeschichte des Neuen Testamentes oder aus der Geschichte seines Wirkens durch die Kirche und ihre Glieder. Der Sacro Monte von Orta zum Beispiel thematisiert in dieser Absicht die Geschichte des Franziskanerordens. Am Ende des Weges folgt ein Aus100
55 Schrägluftaufnahme der Gipfelgruppe („Piazza Sacra“) des Sacro Monte von Varallo
blick auf die Verheißung im Jenseits, häufig mit einer Kirche, die Maria Himmelfahrt geweiht ist, in Anspielung auf die kirchliche Lehrmeinung, daß Maria als Mutter Gottes bereits die leibliche Aufnahme in den Himmel erfahren habe, die den Gerechten erst am Tage des Jüngsten Gerichtes bestimmt sei. Kernstück der Anlage ist also immer eine modellhafte Nachbildung der biblischen Stätten Jerusalems, der Straßen, Plätze und Paläste, in denen sich die wichtigsten Ereignisse der Heilsgeschichte abgespielt haben, und daran schließt sich der Komplex der Hauptkirche mit ihren Kapellen an, die als Sinnbild des himmlischen Jerusalem zu verstehen ist. Die Sacri Monti sind somit getreue architektonische Übertragungen der alten Idee, daß die Stadt ein Abbild des himmlischen Jerusalem sein solle, sowohl in ihrer physischen Gestalt als auch in ihrer moralischen Qualität, als Gemeinschaft der Christenmenschen, die ihrer eschatologischen Bestimmung entgegengeht. Man hat diese Projektion der visionären Gedankenfigur in die architektonische und urbane Realität der mittelalterlichen Städte sehr zu Recht eine „Entwirklichung der Stadt“ genannt. Dieses Bild entwirklicht die Stadt auf 101
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Adam und Eva Verkündigung Maria bei Elisabeth Der erste Traum Josephs Ankunft der Hl. Drei Könige Christi Geburt Anbetung der Hirten Beschneidung Der zweite Traum Josephs Flucht nach Ägypten Ermordung der unschuldigen Kinder Taufe Christi im Jordan Versuchung Christi in der Wüste Jesus bei der Samariterin Die Heilung des Gelähmten Der Jüngling von Naim Die Verklärung auf dem Berg Tabor Die Erweckung des Lazarus Der Einzug in Jerusalem Das letzte Abendmahl Jesus am Ölberg Die schlafenden Jünger Die Gefangennahme Christus vor Annas Christus vor Kaiphas Die Reue Petri Jesus steht zum ersten Mal vor Pilatus Christus vor Herodes Jesus steht zum zweiten Mal vor Pilatus Die Geißelung Die Dornenkrönung Christus und der Hauptmann Ecce Homo Pilatus wäscht sich die Hände Jesus wird zum Tode verurteilt Der Zug zum Kalvarienberg Jesus wird ans Kreuz geschlagen Aufrichtung des Kreuzes Kreuzabnahme Pietà La Sindone Altar des Hl. Franziskus Das Heilige Grab
56 Situationsplan des Sacro Monte von Varallo, heutiger Zustand
zweifache Weise, einerseits, indem es ideell ihrer eigenen Realität voranund entgegengestellt wird, andererseits, indem diese so „abstrahierte“ Stadt auf andere Gegenstände bezogen wird, auf moralische, religiöse und historische Sachverhalte, die sie heilsplanmäßig deuten und erschließen soll.172 So wird jede mittelalterliche Stadt unabhängig von ihrer topographischen, historischen und architektonischen Besonderheit in Analogie zu diesem idealen Stadtmuster wahrgenommen und damit zugleich in ihren 102
57 Inneres der Adam-und-Eva-Kapelle am Fuß des Berges: realistisch aus Terrakotta gebildete lebensgroße Figuren und eine eher phantastische als exotische Fauna und Flora
konkreten architektonischen Situationen und Erscheinungen zu einer Metapher jener heilsgeschichtlichen Inhalte, die mit der biblischen Vision des himmlischen Jerusalem angedeutet werden. Die Sacri Monti sind die einzigen Architekturen, bei denen im nachmittelalterlichen Fortwirken dieser Idee eine wortwörtliche Übersetzung in die räumlichen Realitäten versucht wurde: Als ausschließlich transitorische Räume, die dennoch aus den städtebaulichen Grundmustern von Straße, Platz und Repräsentationsarchitekturen gebildet sind, stellen sie den Idealtyp der „entwirklichten Stadt“ dar. Die Bauaufgabe der Sacri Monti entwickelte sich aus dem mittelalterlichen Wallfahrtswesen, vor allem aus dem Wallfahrtskult um die heiligen Stätten Palästinas, der im Zeitalter der Kreuzzüge (1096–1254) enorm popularisiert worden war. Die Kreuzzüge brachten gewaltige Volksmassen nach Palästina – allein das Heer Konrads des Dritten (1147) zählte 140 000 geharnischte Reiter173 – und verliehen damit der seit dem Ende des vierten Jahrhunderts (Peregrinatio Etheriae) bezeugten Jerusalemswallfahrt eine ganz neue Dimension. Sie erst etablierten im Bewußtsein der Massen den Besuch der Heiligen Stätten als stehende religiöse Praxis und führten zu einer enormen Verbreitung von Heilig-Grab-Imitationen und 103
Passionsheiligtümern im gesamten Abendland, die von den Gläubigen aufgesucht wurden174, die nicht selbst ins Heilige Land reisen konnten. Zwei charakteristische Bautypen der mittelalterlichen Sakralarchitektur – Chorumgang und Krypta – sind ohne diese Form der volkstümlichen Religiosität wohl kaum denkbar175, und sie belegen eindrucksvoll, wie sehr es im Hochmittelalter ein Lebensziel des frommen Christenmenschen geworden war, die heiligen Stätten oder zumindest ersatzweise deren vielfältige Imitationen zu besuchen.176 Damit war der Boden bereitet, dem Eifer der Pilger komplette Imitationen Jerusalems und seiner heiligen Stätten zu errichten. Die Kreuzzüge hatten den Besuch des Heiligen Landes zu einer Massenbewegung gemacht, die in dieser Form nach dem Ende des siebten Kreuzzuges (1254) nicht andauern konnte, auch wenn mit der Mammeluken- und späteren Osmanenherrschaft (1517) geordnete Verhältnisse in Jerusalem einkehrten, die den Pilgerverkehr förderten. Als Ziel und Quelle der Volksreligiosität lagen sie zu weit abseits von den Kernländern christlicher Kultur. Zugleich schien jedoch die planmäßige Errichtung von Imitationen einen Weg zu einer Wallfahrtspraxis zu weisen, die auch weiterhin den Massen offenstehen würde. Es bedurfte lediglich einer geeigneten Trägerschaft, die die Errichtung solcher „Ersatz-Jerusalems“ organisieren und verbreiten konnte. Diese Trägerschaft übernahm der 1221 in seiner Regel bestätigte Orden der Franziskanermönche, der sein wichtigstes Tätigkeitsfeld in der inneren und äußeren Mission sah. In der Absicht, die allgemeine Volksfrömmigkeit zu heben, ist seine Geschichte auf das Innigste mit dem spätmittelalterlichen Wallfahrtswesen verbunden. Ja, die Gründung zahlreicher neuer Wallfahrtsziele an Stätten, in denen einer der Brüder der mystischen Gemeinschaft sein Erlebnis der religiösen Verzückung gefunden hatte, der spätere Ausbau solcher Heiligtümer mit Kirche, Kloster, Pilgerweg und Stationskapellen, läßt den Franziskanerorden als die eigentlich treibende Kraft hinter dem vom 13. bis zum 16. Jahrhundert immer neue Formen und Außmaße annehmenden Wallfahrtswesen erscheinen.177 Der erste Franziskanermönch, der das Bedürfnis der Zeit nach einem leicht zugänglichen Ersatz für die heiligen Stätten erkannt hatte, war P. Bernardino Caimi. Er gründete 1493 den Heiligen Berg von Varallo. Zahlreiche weitere Anlagen wurden während des gesamten 16. und im frühen 17. Jahrhundert in Oberitalien errichtet; etwa ein Dutzend hat sich bis heute erhalten.178 104
58 Das Eingangstor zum Sacro Monte am Fuß des Berges
59 Die Piazza Santa im heutigen Zustand
60 Das Haus des Herodes, ein im Maßstab reduziertes „Zitat“ städtischer Repräsentationsarchitektur. Rechts und links gibt die „Piazza Civile“ den Blick in die Landschaft frei, ebenfalls ein Charakteristikum der städtischen Architektur dieser Zeit.
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Varallo blieb Ideal und Vorbild aller späteren Sacri Monti, und Caimi gebührt das Verdienst, nicht nur die erste Architektur dieser Art geschaffen, sondern zugleich das verbindliche architektonische Programm dieses Bautyps entwickelt zu haben. Allerdings hat er die Fertigstellung des Sacro Monte von Varallo nicht mehr erlebt, und es gelang ihm auch nicht, seine Vorstellungen in aller Konsequenz in die Wirklichkeit umzusetzen. Bei seinem Tode hinterließ er eine wie zufällig entstandene Abfolge von Kapellen, die das ursprüngliche Konzept einer geordneten Abfolge und vor allem den intendierten metaphorischen Charakter der „Città di Gerusalemme“ kaum noch erkennen ließen.179 Bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts blieb das Projekt in diesem Zustand liegen. 1565 jedoch erteilte der Bischof von Mailand180 dem Genueser Architekten Galeazzo Alessi den Auftrag, den Sacro Monte völlig neu zu ordnen und nach einem kohärenten architektonischen Konzept zu gestalten. Es ist bezeichnend, daß der Auftrag an Alessi fiel und nicht an den Mailänder Architekten Perregrini, der in der Regel die größeren bischöflichen Projekte bearbeitete. Darin spiegelt sich die Auffassung des Auftraggebers, daß es sich bei der Neuordnung des Sacro Monte weniger um die architektonische Aufgabe des Entwurfs neuer Kapellen handelte als vor allem um ein städtebauliches Projekt bedeutender Qualität. Denn Alessi hatte sich in erster Linie als Stadtplaner einen Namen gemacht und galt als Meister im Umgang mit schwierigen topographischen Verhältnissen, wie sie für Genua charakteristisch sind181 und wie sie auch bei den Sacri Monti zu bewältigen waren. Alessi teilte den gesamten Sacro Monte in drei Zonen: Man betritt die Anlage durch ein monumentales Tor mit der Aufschrift: „HAEC NOVA HYERUSALEM VITAM SUMMO(SQUE) LABORES ATQ(E) REPEMPTORIS OMNIA GESTA REFERT.“182 Gleich dahinter steht die Kapelle Adam und Evas, die in hervorragender plastischer Darstellung das Paradies mit den ersten Menschen beim Sündenfall zeigt, umgeben von zahlreichen Tieren und phantastischen Pflanzen. Dann folgen vierunddreißig Kapellen, die Szenen aus dem Alten Testament und – in streng chronologischer Abfolge – die Heilsgeschichte des Neuen Testaments bis zum Einzug Jesu in Jerusalem abbilden. Diese Kapellen liegen locker gruppiert ohne erkennbare räumliche Bezüge in einem ausgedehnten Park am Fuß des Berges bis weit den Hang hinauf. Die letzte Kapelle in dieser Reihe zeigt Jesus mit der Samariterin am Brunnen vor dem Stadttor, im Hintergrund die Silhouette Jerusalems. Von dieser Kapelle führt dann der Weg durch eine enge Öffnung in einem Mauerviereck, das in seinem Innern einen quadratischen Platz umschließt: den „piazzale“ oder die „piazza civile“ der „Città 106
di Gerusalemme“; tatsächlich fühlt man sich mit einem Male aus dem weiten Park draußen in die Enge einer Stadt versetzt. An den vier Seiten des „piazzale“ stehen Gebäude wie „Abbreviaturen oberitaliemscher Renaissance-Palazzi und Stadthäuser“183. Sie enthalten drastische Darstellungen des behördlichen Unrechts, das Jesus in seiner Passion widerfuhr: die Vorführung vor den Hohepriestern Annas und Kaiphas, vor Herodes sowie die Szene vor dem römischen Statthalter Pilatus. Die einzelnen Gebäude sind mit ihren Loggien axial aufeinander bezogen, wie dies für die Repräsentationsarchitektur des Cinquecento charakteristisch ist, und so wird mit einfachen architektonischen Mitteln trotz geringer Baumasse der Eindruck einer architektonisch in Pose gesetzten Obrigkeit erzeugt. In merkwürdigem Gegensatz zu diesem bewußt städtischen, nach innen weisenden Gehabe der Architektur sind die Ecken der „piazza civile“ freigelassen, so daß der Blick an den Fassaden vorbei frei in das großartige Panorama des Valsesia schweifen kann. Man mag hierin, in bewußter Parallelität zum Modellcharakter der Architektur, eine „Abbreviatur“ des bevorzugten städtebaulichen Themas der Epoche sehen: die Öffnung der Stadt zur Landschaft.184 Von der „piazza civile“ führt ein Tor, das durch eine aufgemalte (heute verblichene) Schaufassade als die „porta aurea“ (ursprünglich das Osttor des Tempels) gekennzeichnet ist, auf einen zweiten Platz, der von der Fassade der Himmelfahrtskirche beherrscht wird und ringsum von Kapellen mit Darstellungen der Passionsgeschichte umgeben ist. Dieser Platz wird, in Abgrenzung zur „piazza civile“, „piazza sacra“ genannt; er ist ringsum völlig gegen die Landschaft abgeschlossen und ganz mit einer umlaufenden Arkade gefaßt. Alessi hat die Fertigstellung dieser Anlage nicht mehr erlebt; sie wurde auch nicht nach seinen Plänen ausgeführt. Im Projekt des Libro dei Misteri185, der glücklicherweise erhaltenen Sammlung seiner Entwürfe, hatte der Architekt hier ein geometrisch exaktes Oktogon vorgesehen; in verschiedenen Bauphasen, die sich bis etwa 1650 hinzogen, wurde das ursprüngliche Konzept jedoch zu einem polygonalen Platz abgewandelt. In dieser Form hat sich die „piazza sacra“ bis heute erhalten.186 Beide Plätze zusammen repräsentieren die „Città di Gerusalemme“, einmal als Ort menschlicher Schuld und des „Übermutes der Ämter“, dann als Stätte der Erlösungstat Christi. Die dritte Zone liegt abseits der eigentlichen „Stadtanlage“. Hier stehen die Kapellen, die eine Vorwegnahme des Jenseits darstellen, wie die Verklärung auf dem Berg Tabor, aber auch Darstellungen von Fegefeuer und Hölle. Die architektonisch interessantesten Kapellen, vor allem ein 107
61 Die Adam-und-Eva-Kapelle in Ansicht, Schnitt und Grundriß. Von den Figuren sind im Grundriß nur die Fußabdrücke abgebildet.
„Inferno“, in das der Pilger nach Art eines „Anatomischen Theaters“ von oben hineinschauen konnte, sind allerdings nur aus dem Libro dei Misteri bekannt; sie wurden leider nie gebaut.187 Alessi hat diese Zonen mit zwei Wegeführungen verbunden. Der erste Weg führte durch das gesamte Programm und läßt den Pilger in einer metaphorischen Via Dolorosa die gesamte Leidensgeschichte der Menschheit bis zu ihrer Erlösungsverheißung abschreiten. Der zweite ist erheblich kürzer, berührt nur die wichtigsten Stätten und führt unmittelbar zur Auferstehungskirche. Dieser Weg heißt „Strada della Madonna“, und Samuel Butler – der den Kult und die Deutung des Sacro Monte noch in der lebendigen Pilgertradition als Augenzeuge miterlebte – bemerkt darüber, daß er die „Abkürzung darstelle, die die Jungfrau Maria nahm, als sie nach der Auferstehung Christi in den Himmel aufgenommen wurde.“188 Wie schon die Aufschrift auf der Porta Maggiore andeutet, ist die „Nova Hierosolyma“ das Kernstück der ganzen Anlage, der Stationsweg durch den Park hat nur vorbereitenden Charakter. Von hier aus erschließt sich die Bausymbolik des gesamten Komplexes. Wie schon Reinle richtig bemerkt, ist die Architektur auf dem Berge nicht in der Absicht zur Kopie, sondern zur „Evokation“ der Heiligen Stätte errichtet.189 Sie soll eine Wirklichkeit beschwören, die sie selbst nicht wiedergibt, wohl aber vorstellt: Der Sacro Monte hat als Ganzes, aber auch mit einzelnen Zonen und Architekturteilen verweisenden Charakter. Jeder Bereich, jede Architektur und der sich durch sie hinziehende Weg tragen eigene 108
62 Die Piazza Santa auf der Spitze des Berges nach den Entwürfen Alessis: eine ringsum geschlossene, streng geometrische Anlage (kreisförmiger Platz in einer oktogonalen Umbauung)
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Botschaften, zunächst eine unmittelbare, narrative, die sich über die plastischen Gruppen im Innern der Kapellen erschließt, dann eine symbolische, die über die Beziehung der Einzelarchitekturen und über den im Weg sich erschließenden Gesamtplan der Anlage vermittelt wird. Der darstellende und sprechende Part der Architektur, der bei allen anderen Typen der Baukunst immer nur ein sekundärer Zweck ist, wird hier zur eigentlichen Funktion einer „entwirklichten“ Stadt. Es ist, als ob hier die „Nova Hierosolyma“ als architektonische Allegorie aufträte, als ob hier also eine literarische Form in Architektur gesetzt wäre. Als literarischer Topos hat die Stadtallegorie ja eine ehrwürdige Traditon; auf spätantikem Sprachgebrauch fußend190, findet sie Eingang in das Neue Testament und gelangt von dort in die Schriften der Kirchenväter, wofür etwa die Citates des Augustinus oder die patristischen Bibelauslegungen stehen mögen.191 In besonders ausgeführter Form findet sich die Stadtallegorie in den Visionen der Hildegard von Bingen. Dort ist sie in einen Zusammenhang gestellt, der für das allegorische Stadtverständnis im mittelalterlichen
63 Zwei Kapellen mit unterirdischen Höllen, die nach Art eines anatomischen Theaters angelegt sind (nicht erhalten bzw. nicht ausgeführt)
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Denken von höchstem Interesse ist. Liebeschütz hat das Weltbild, das sich in diesen Visionen darstellt, ausführlich beschrieben und auf seine Voraussetzungen hin untersucht. In der Einleitung zu seinem Werk bemerkt er: „Die erste große Vision der Hildegard, ,Scivias‘ (Wisse die Wege) benannt, beginnt in ihrem ersten Teil mit einer lockeren Reihe von Visionen; jede von ihnen fängt zunächst mit einer Beschreibung des Geschauten an, um dann mit den Worten einer göttlichen Stimme eine Deutung für das Ganze und seine Einzelheiten zu bieten. (…) Wir sehen in diesem ersten Teil der Sciviasschrift den Sündensturz des Adam als weltenverwandelndes Urereignis, die Welt als Abbild des so entstanden Zustandes, die natürlichen Schicksalsmöglichkeiten für die Einzelseele zwischen Himmel und Hölle. Die Synagoge, das Abbild des Alten Bundes, erscheint als erster vorläufiger Versuch im Großen, mit der Sünde fertigzuwerden, und zum Schluß kommen die neun Engelchöre als Symbol höherer Erkenntnis. Das alles ist gefaßt als eine Theologie der Bilder, auch das Übersinnliche wird nicht in dialektischer Entwicklung verfolgt oder unausgesprochen
64 Alessis Gesamtplan für das Projekt des Sacro Monte di Varallo (ca. 1565)
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gelassen, sondern in seinem Wesen durch ein bestimmtes umschriebenes Bild vor Augen gestellt (…).“192 „Der zweite Teil der Sciviasschrift enthält als Kernstück vier aufeinanderfolgende Visionen, welche die Heilskräfte der Kirche als Sakramentsvermittlerin an den Einzelmenschen zeigen (…).“193 „Beschäftigt sich so der ganze zweite Teil der Sciviasschrift mit der Schicksalswendung, die die Kirche in ihrem stets gleichbleibenden Wesen durch ihre Gaben dem Einzelmenschen zu geben vermag, so handelt der dritte von den Gestalten, unter denen das ewige Gottesreich auf Erden erschien. Die Gestalt, in der diese Visionenreihe ihren Gedankengehalt bringt, ist die ummauerte Stadt Gottes. Sie erscheint zuerst als Ganzes und wird in den folgenden Visionen von allen Seiten ihrer Mannigfaltigkeit gezeigt. Bauteile und Personifikationen von Tugenden aus Moral und Glaubensleben bilden dabei die Szenen der Visionen; die Figuren halten ihrem Wesen entsprechende Reden. Die Beziehung der Säulen und Türme auf Wendepunkte der Heilsgeschichte, die Benennung der Personen und die Ausdeutung ihrer Reden
65 Alessis erste Skizze für die Kapellengruppe auf dem Gipfel (ca. 1576)
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erfolgt dann nach der Bildbeschreibung durch die göttliche Stimme, die der Seherin alles erklärt (…).“194 Im Einzelnen ist die Stadt Gottes der Hildegard als ummauertes Viereck gedacht, das mit den Ecken in die Vier Himmelsrichtungen weist; hier ruhen die Väter, die dem Alten Bund angehören und die im Besitz der Wahrheit lebten, soweit sie ihnen als noch nicht Erlösten zuteil werden konnte. Im Innern sehen wir dann in wechselnden Gesichtern Säulen und Türme, deren Architekturformen Glaubensinhalte verkörpern: an der Nordecke der Mauer eine dreikantige stahlfarbene Säule, die die drei Offenbarungsstufen – Gesetz, Evangelium, Kirchenlehre – darstellt. Die Mauer vom Nord- zum Westpunkt ist dreifach; hier wird der Aufbau des israelitischen Volkes abgebildet. Die innere Mauer hat zahlreiche Bögen und Wölbungen, in denen Menschenköpfe erscheinen, die die Träger des geistigen Lehramtes des Alten Bundes sind. An der Südwestecke ragt die Säule der Menschwerdung auf. Hier steigen über eine Leiter die Tugenden herab, die über die Menschwerdung Christi auf die Erde gelangen konnten. Ganz in der Nähe steht der Turm der Kirche; er ist unfertig, da der Plan Gottes unter den Menschen noch nicht zur Vollendung gelangt ist, aber dennoch ragt er hoch hinauf ins Unendliche, da die Kirche ein Werk der göttlichen Weisheit ist. Am Ende der Visionenreihe steht der Sohn Gottes auf der Ostecke der Mauer, als Mahnredner bereitet er den Jüngsten Tag vor, der mit der Umwandlung der natürlichen Elemente mit der Auferstehung der Toten, die in die verklärte Gottesstadt eingehen, in der zwölften Vision geschildert wird.195
66 Architekturallegorie der Hildegard von Bingen: die Stadt Gottes (Wiesbaden, Landesbibliothek, Cod. minor. Hildegardis, Bl. 130v)
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Die Parallelität der Erscheinungen zu dem, was bisher über die Mysterien der Sacri Monti gesagt wurde, ist verblüffend. Die Visionen der Sciviasschrift lesen sich in der Tat wie ein Programm für die Heiligen Berge: Hier wie dort finden wir eine Theologie der Bilder, hier wie dort eine durch und durch gleichgeartete Lehrabsicht, die sich lediglich in einem anderen Medium darstellt, bei Hildegard in sprachlichen, hier in gebauten Bildern. Selbst die Abfolge der einzelnen Teile der Sciviasschrift scheint sich in Varallo zu wiederholen: die Kapellen im Park, die noch halb der Natur angehören und Szenen bergen, die die unerlöste Menschheit und die Grundlegung des Erlösungswerkes betreffen; der Weg, den jeder Mensch gehen muß, der aber vorgezeichnet ist in einem Heilsplan, der die ganze Menschheit betrifft; das Neue Jerusalem des Gottesreiches, das sich in den Institutionen des Alten Bunds bei aller Unvollkommenheit bereits ankündigt, das mit der Einsetzung der Sakramente und ihrer Verwaltung durch die Kirche in greifbare Nähe rückt, als Wirklichkeit aber erst am Ende der Pilgerfahrt auf den Gerechten wartet. Es ist fraglich, ob man hier einen direkten Zusammenhang im Sinne einer Beeinflussung vermuten kann, wenngleich die Schriften der deutschen Mystikerin den Franziskanern, deren Ordensgründung selbst in der Mystik des Franz von Assisi wurzelt und die während des gesamten Mittelalters in theologischer Gegenposition zu den scholastisch orientierten Dominikanern verharrten, durchaus bekannt gewesen sein dürften. Selbst wenn man einen so unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Sacri Monti und den Sciviasschriften nicht annehmen will, muß man doch davon ausgehen, daß die Grundgedanken zum allgemeinen Schatz bildhaften Denkens der Epoche gehörten. Liebeschütz hat nachgewiesen, daß Hildegard keineswegs das so ganz außergewöhnliche Phänomen war, wie dies die Apologeten ihrer Heiligkeit verbreiteten, sondern daß sie sehr wohl das traditionelle Bildungsgut ihrer Zeit aufgenommen hat und daß gerade in ihren Stadtallegonrien Motive verarbeitet sind, die von der Spätantike bis weit in die Neuzeit hineinwirkten.196 Wenn wir als Ergebnis dieser Abschweifung über die Gedankenwelt, die den Sacri Monti zugrunde liegt, festhalten wollen, daß wir es bei den Heiligen Bergen mit einem im Ganzen wie in seinen Teilen allegorischen Komplex zu tun haben, so müssen wir uns nun fragen, wie das „Allegorische“ hier mit den besonderen Bildungsmitteln der Architektur erreicht wird. Diese Frage wird vor allem darauf hinauslaufen, wie die einzelen Teile und Gestalten dieser architektonischen Allegorie ohne die erklärende Stimme Gottes, die Hildegard in ihre Visionen einführte, auskommen 114
können, wie sie sich also mit hinreichender Eindeutigkeit im Einzelnen wie im Gesamten erklären. Wir haben festgestellt, daß die Sacri Monti zunächst eine Stadt repräsentieren, die geographisch und historisch konkret zu fassen ist: die Stadt Jerusalem. Ihrem allegorischen Charakter gemäß meinen diese konkreten Architekturen jedoch darüber hinaus die „Abstraktion“ dieser Stadt, nämlich das himmlische Jerusalem als Inbegriff der Vollendung des Heilplanes und der Stufen zu seiner Verwirklichung. Dieser allgemeine Grundgedanke wird im architektonischen System der Sacri Monti zunächst mit dem räumlichen Gesamtplan der Anlage vermittelt. Ein erster Hinweis ist die betont exponierte Lage der „Stadt auf dem Berg“, ein Bild, das schon in den Gleichnissen des Neuen Testaments immer wieder als Zeichen der Verheißung beschworen wird.197 Die biblische Tradition ist hier im Einklang mit Anschauungen, die zum Gemeingut der Alten Welt und der asiatischen und der afrikanischen Hochkulturen gehören.198 Hohe Berge besitzen die Qualität „sprechender Topographie“, sie führen hinweg aus dem Tiefland der Menschen in eine höhere Welt, die die religiöse Phantasie von jeher den Göttern zugesprochen hat. Die Stadt
67 Kapelle der unschuldigen Kinder. Ansicht und Schnitt
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auf dem Gipfel des Berges, das architektonische Gefäß der menschlichen Gemeinschaft auf einer Höhe, die schon halb in die Gefilde der Seligen ragt, ist ein archaisches Bild für die Hoffnung der menschlichen Existenz und Sozietät über das Erdendasein hinaus. Der Weg den Berg hinauf, ein Emporsteigen durch die räumliche Hierarchie vom Niederen zum Höheren, ist deshalb ein unmittelbar positiv besetztes Bild, im Unterschied zu der ambivalenten Vorstellung, die das Hinabsteigen in Höhlen und Grotten, ins Innere der Mutter Erde oder die Unterwelt begleitet, eine Vorstellung, von der ebenfalls noch ausführlich zu sprechen sein wird. Der Pilgerweg, der am Fuß des Sacro Monte beginnt und sich verschlungen den Berg hinauf windet bis zur monumentalen Gruppe auf dem Gipfel, macht sich das positive Bild des Hohen Berges zunutze und deutet es zugleich, sowohl in der thematischen Abfolge seiner Stationen als auch in der architektonischen Sprache seiner Räume. Die thematische Reihe beginnt mit der Emanation der Zeit aus der Ewigkeit, mit Schöpfung und Sündenfall und der daran anschließenden, in ungeheuren Zeiträumen all-
68 Die Imitation der Imitation: das Haus Mariens als Architekturzitat der Casa Santa von Loreto
116
69 Die Bethlehemischen Stätten als Höhlen im Inneren des Berges
mählich Gestalt gewinnenden Geschichte des Alten Bundes. Darauf folgt in gedrängter Fülle das Szenarium des Neuen Testaments, mit dem das Wirken der Kirche und die dem Pilger vertraute Geschichte des Abendlandes einsetzen. Am Ende der Reihe steht ein Blick in die jenseitige Verheißung, und hier werden die Pilger gleichsam biographisch mit der Ewigkeit konfrontiert, mit der Perspektive, die ihr eigenes Leben in den allgemeinen Heilsplan einbezieht. Die thematische Abfolge ist also so angelegt, daß sie aus der Ewigkeit durch die Zeit in die Ewigkeit führt, ein Schema, das wir aus der theologischen Kommentarliteratur der Zeit als feststehende literarische Form kennen, als eine Betrachtungsweise, „die die Grundlage leitet, Zeitereignisse sub specie aeterni ans Licht zu stellen.“199 Was dort nun allerdings als rhetorische Figur begegnet, ist hier in die Eigengesetzlichkeit der Architektur transportiert, indem es als Weg erlebbar wird. Die thematische Abfolge der Wegstationen hat ihre Entsprechung in der räumlichen Abfolge der Architekturszenen. Die Kapellen der Schöpfungsgeschichte und der Ereignisse des Alten Bundes liegen in einem Waldstück, das sich bis an die Bauten des Neuen Jerusalem hinaufzieht. Hier spricht die Natur noch stärker als die Architektur, und die Kapellen scheinen mehr eine Ausschmückung des Waldes zu sein, so daß das Ganze wie ein heiliger Hain wirkt, wie die Kultstätte einer Naturreligion. Die „piazza civile“ der „Città di Gerusalemme“ mit den Palastimitationen, die die weltlichen Institutionen Jerusalems und deren Anteil an der Erlösungsgeschichte darstellen, ist als Quadrat angelegt. Über die offenen Ecken kann man noch in das freie Naturpanorama hinausblicken. Die „piazza religiosa“ schließlich, die mit den Kapellen der Sakramenteinsetzung die Fortdauer der Erlösungstat thematisiert, ist ringsum geschlossen und ganz auf die monumentale Fassade der Himmelfahrtskirche orientiert; wie erwähnt, sollte sie ursprünglich einen oktogonalen Grundriß erhalten. Bei seinem Weg von der Porta Maggiore zur Himmelfahrtskirche durchschreitet der Pilger also eine architektonische Raumfolge, die von der Dominanz der Natur über die Verbindung von Architektur und Natur der quadratischen „piazza civile“ zur reinen Kunstform der Architektur der geschlossenen „piazza religiosa“ führt, die zudem mit ihrem geplanten oktogonalen Grundriß – dem Kreis verwandt und somit auf ihren eigenen Mittelpunkt gerichtet – auch geometrisch ganz nach innen gekehrt ist. Offensichtlich spielt in dieser Abfolge die Auffassung mit, daß die Sequenz von der „reinen Natur“ zur „reinen Architektur“, von Natürlichkeit zu Künstlichkeit geeignet ist, das Fortschreiten vom Körperlich-Erdgebunde117
nen zum Geistigen oder vom Existenziellen zum Essentiellen auszudrükken. So wie also zunächst die traditionelle Deutung natürlicher Formationen im Gesamtkonzept des Sacro Monte zur „sprechenden Topographie“ wurde, so ist hier eine überlieferte Auffassung vom Wesen der Geometrie ein wichtiges Ausdrucksmittel dieser „sprechenden Architektur“. Wenn damit hinreichend erörtert ist, daß man die Jerusalemsarchitektur im thematischen und topographischen Kontext des Sacro Monte als architektonische Allegorie der „Nova Hierosolyma“ zu sehen hat, so muß nun untersucht werden, wie ein wichtiges ästhetisches Charakteristikum der Allegorie – ihre Unwirklichkeit – wiederum mit architekturimmanenten Mitteln erreicht wird. Denn die Allegorie als Personifikation abstrakter Begriffe – besonders deutlich etwa in Arcimboldos, aus den charakteristischen Erzeugnissen der Herbstmonate komponierter anthropomorpher Fassung dieser Jahreszeit – hat ja immer etwas zugleich Realistisches, insofern es den Inhalt betrifft, und zugleich etwas Unwirkliches in der handelnden Menschengestalt der dargestellten Abstraktion. So muß auch hier gefragt werden, wie die Wirklichkeit der „Città di Gerusalemme“, die die Bauten als architektonische Wiedergabe der Heiligen Stadt ja haben könnten, so entwirklicht wird, daß sie auch dem von geographischem Wissen unbelasteten Pilger keinesfalls etwa als getreue Kopie des historischen Jerusalem erscheinen kann, sondern unmittelbar als Allegorie, eben als Abstraktion in Gestalt einer Stadt verstanden wird. Die offensichtliche und für den ästhetischen Plan vielleicht wichtigste Entwirklichung ist die Tatsache, daß bei der Wiedergabe des heiligen Jersualem die Stadt in Stationen aufgelöst wird; sie wird als ein Weg mit bemerkenswerten Stätten aufgefaßt, eine Methode, die bis heute dem Prinzip des Reiseführers zugrunde liegt, das hier aber nicht in eine existierende Situation projiziert, sondern realiter gebaut und in Architektur gesetzt wird. In ähnlicher Weise sahen wir ja schon die Choreographie der mittelalterlichen Stadtrituale, die nicht die räumlich, sondern kultisch wichtigen Punkte der Stadt mit Prozessionswegen verbinden und so der realen Struktur der Stadt eine zweite, eigene Realität unterlegen, als eine Form der Entwirklichung, die für die mittelalterliche Stadtauffassung charakteristisch ist. Zweifellos wird mit der realen Umsetzung dieser Abstraktion in ein räumliches, visuell wahrnehmbares und körperlich zu durchdringendes Gefüge, in einen „gebauten Reiseführer“, jedoch eine ganz neue Dimension erreicht. Es gibt im abendländischen Kulturkreis nur eine einzige Parallele für diese „Stadt ohne Menschen“, die ausschließlich in ihren Kirchen und 118
heiligen Stätten existiert: die Ruinen von Paläochora auf Ägina. Die Stadt wurde mehrfach (1537 und 1654) zerstört und um 1800 endgültig von ihren Bewohnern verlassen; die Kirchen – etwa zwanzig an der Zahl – blieben aus Pietät erhalten und wurden auch weiterhin als Gotteshäuser benutzt. Während die Ruinen der Häuser und Profanbauten allmählich verfielen, so daß von ihnen heute nichts mehr zu sehen ist, ragen die einsamen Kirchen ohne ihre Pfarreien, ihre Straßen und Plätze aus dem Berg empor, und die Atmosphäre ist besonders unwirklich, wenn an ihren Patronatsfesten das Volk zusammenströmt und in langen Reihen über die zerfallenen Wohnplätze seiner Ahnen hinwegzieht.200 Was in Paläochora aus den Zufällen der Geschichte entstand, eine Stadt, die nur noch in ihren Kirchen lebt, und was sich dort als frommer Vergangenheitskult äußert, ist in den Sacri Monti in eine Zukunftsvision gewendet. In diesem Sinne bekommt auch die Berglage noch einmal eine hintergründige Bedeutung; man erinnert sich an den Ezechiel-Kommentar des Heiligen Gregor, der diesen Zusammenhang in einer Bemerkung über die Vision des himmlischen Jerusalem klar ausspricht: „Darüber erhob sich ein hoher Berg, gewissermaßen wie der Bau einer Stadt, der sich der Purpurröte entgegenstreckt! Es ist bemerkenswert, daß es nicht heißt ‚darüber erhob sich der Bau einer Stadt‘, sondern ‚gewissermaßen wieder Bau einer Stadt‘, was besagen soll, daß nicht von der materiellen sondern der geistigen Stadt die Rede ist.“201 Sind dies die Mittel der Topographie und der Architektur, die der Gesamtanlage jene Unwirklichkeit verleihen, die der Allegorie eignet, so gilt unsere Aufmerksamkeit nun den architektonischen Kunstgriffen, die in gleicher Absicht die einzelnen Kapellen aus der Gewohnheit des Alltags entheben. Am interessantesten sind zwei Maßnahmen, die die Kapellen betreffen, die am ehesten für eine partielle Kopie des historischen Jerusalem gehalten werden könnten, die vier Palazzi mit den Gerichtsszenen. Zunächst war es Alessi wichtig, einen eindeutigen Code für die weltliche Repräsentationsarchitektur herzustellen. Deshalb sind die Bauwerke nach außen hin zweigeschossig angelegt, obwohl sie, von ihrer tatsächlichen Größe her, genau wie die übrigen Kapellen am Weg durch den Park oder an der piazza religiosa, durchaus eingeschossig hätten sein können. Darüber hinaus sind sie mit repräsentativen Architekturelementen, wie vorgelagertem Portikus und einer Loggia im Obergeschoß, ausgestattet. Die zweite Maßnahme jedoch läuft dieser realistischen Tendenz zuwider: Der Maßstab der Architektur und der einzelnen Gebäudeteile ist merklich verklei119
nert, so daß sie eher als Modell wirken, eine Besonderheit, die ihren verweisenden, stellvertretenden Charakter mit einfachsten Mitteln und dennoch unmißverständlich hervorhebt.202 Zugleich wird hier in psychologisch höchst geschickter Weise von der Verkleinerung Gebrauch gemacht, die unsere atavistische Hinwendung zu allem Niedlichen und Puppenhaften anspricht, so daß selbst diese Kapellen, die das behördliche Unrecht an der Person Jesu thematisieren, im Bewußtsein der Pilger noch positiv besetzt erscheinen, so daß er sie als Notwendigkeit auf dem Weg zur Erlösung der Menschheit leichter akzeptieren kann. Die übrigen Kapellen sind ebenfalls mit einem Geschick auf die Grenze zwischen Realität und Irrealität gesetzt, das Alessi als einen der großen Meister illusionärer Architektur und Kunst ausweist. Als Grundprinzip begegnet hier immer wieder die Absicht, im Innern der Kapelle Szenen höchster Illusion entstehen zu lassen, mit Figuren, die unter der Lichtführung scheinbar lebendig werden, mit echten Kleidern, die sich im Luftzug bewegen, mit Beobachtungspunkten, die so gelegt sind, daß der Betrachter mitten in der Gruppe steht oder auf seinem Weg durch die Kapelle einmal vor der Gruppe läuft, einmal ihr nacheilt, eine Absicht also, die Realität und Schein im Innern immer wieder vermischt, während im Äußeren die Illusion der Szene drinnen mit allen Mitteln bewußt gemacht und eben als solche entwirklicht wird. Wenn man sich etwa einer Kapelle von außen nähert, so bereitet die Architektur mit ihren geringen Abmessungen, mit optischen Korrekturen ihres Maßstabs und mit ihren glatten öffnungslosen Außenflächen auf einen engen und dunklen Innenraum vor. Im Innern jedoch wird dieser Maßstab völlig gesprengt, durch Panoramen, die die plastische Szenerie in illusionärer Malerei fortführen, durch aufgesetzte Laternen, die mit ihrem gebündelten Lichteinfall jedes Gefühl für die tatsächlichen Dimensionen zunichte machen. Diese enorme Diskrepanz zwischen einem Inneren von illusionärer Weite und einem Äußeren, das mit jedem architektonischen Detail auf das absolute Gegenteil, auf Solidität und bescheidene Abmessung und einfache Ausführung bedacht ist, scheint mir eine der wichtigsten Leistungen dieser Illusionsarchitektur zu sein: Sie will täuschen, aber nicht betrügen. Deshalb sind alle Elemente, die das Guckkastenprinzip betonen, architektonisch besonders liebevoll behandelt. Dies gilt vor allem für die Schaugitter, die immer sehr kunstvoll gearbeitet sind, auch wenn sie nur sehr kleine Abmessungen haben. In Orta sind die vergitterten, hundertfach abgewandelten Öffnungen in den Kapellentüren so klein, daß man das Gefühl hat, durch Schlüssellöcher ins Innere zu blicken. 120
70 Die Kreuzabnahme, gesehen durch die „Schlüssellochperspektive“ der Kapellentür, die das Gefühl vermittelt, als stünde man selbst inmitten der Gruppe
Eine letzte Eigenart der Sacri Monti, die in gleicher Weise als „Desillusionierung der Illusion“ zu sehen ist, bleibt noch zu bemerken. Abgesehen von der Gruppe um den Piazzale Civile, der sich an Vorbildern der großen Architektur der Zeit orientiert, ist der Stil der Kapellen und Architekturen des Sacro Monte von Varese eher lokal eingefärbt. Man hat sogar von einem „Gerusalemme valligiana“ gesprochen. 203 Das Äußere der Stadt und ihrer Kapellen bleibt in vertrauten Formen, in ihrem Inneren leuchtet eine exotische Wirklichkeit auf, deren Lehrinhalt dem Pilger auf seinem alltäglichen Weg weiterhelfen soll; das Alltägliche wird mit dem Übernatürlichen in Verbindung gebracht. Diese Bemerkung gilt für die Sacri Monti als Ganzes, und hierin dürfte auch der Grund dafür zu suchen sein, daß sie als Stadtallegorie konzipiert sind: Der gewohnte Lebensraum steht für ein komplexes Bild von Diesseits und Jenseits, das in seinen einzelnen Aspekten in den Kapellen in Szene gesetzt ist. Damit haben wir die architektonischen und konzeptionellen Besonderheiten umrissen, die die eigen121
71–74 Eine Serie von Kapellentüren mit kunstvoll gearbeiteten Gucköffnungen, die den Blick so führen, daß die Wirkung der Illusionsarchitektur im Inneren voll zur Geltung kommt
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artige Gattung der Sacri Monti als einen fernen Nachklang der Labyrinthideen erscheinen lassen: der verschlungene Weg zu einem geheimnisvollen Ziel, verstanden als Metapher des eigenen Lebens; die Evokation der Stadt als Metapher menschlicher Sozietät; die Gesamtfigur des Grundrisses, die in Stationen klar geordnet und zugleich verrätselt ist – dies alles taucht in der Architektur der Sacri Monti wieder auf. In dem allmählich aufsteigenden Weg vom naturwilden Park hinauf zur geometrisch klaren, künstlichen Architektur auf der Spitze des Berges, in den Kapellen mit ihren realistischen Szenen der Heilsereignisse, die doch zugleich als Schein einer nur sinnblidlich in Erinnerung gerufenen Wirklichkeit gekennzeichnet sind, in dem alten Labyrinththema des Weges aus der Ewigkeit durch die Zeit in die Ewigkeit; hier, in christlicher Deutung und in stadtallegorischer Gestalt, finden die Elemente des klassischen Labyrinthgedankens ihre meisterhaft in Szene gesetzte Entsprechung. 4 Das Mechanische: Die labyrinthische Maschinerie der Stadtrituale Als Walter Andrae 1941 seinen klassischen Aufsatz Alte Feststraßen im Nahen Osten verfaßte204, eröffnete er damit ein ganz neues Verständnis der Architektur der frühen Hochkulturen. Die monumentalen Architekturen und die häufig nach abstrakten geometrischen Schemata konstruierten Stadtanlagen, auf die die Archäologie bis dahin ihr Hauptaugenmerk gerichtet hatte, erschienen plötzlich als nur eine Seite der städtischen Architektur, deren andere ein außerordentlich entwickeltes Prozessions- und Umschreitungswesen war. Ja, es schien, als sei die Architektur dieser Städte mit ihren komplizierten Systemen aus Achsen, Stufentempeln und Stationsbauten eigentlich nur ein Vorwand für die Maschinerie der kultischen Bewegungsabläufe, für das eigentliche Anliegen der frühen Städtebauer. Das Prozessionswesen des Alten Orients hat seine Wurzeln in der sumerischen Auffassung von der Heiligkeit bestimmter Flecken, an denen sich die Gottheit des Himmels mit der Erde vermählt, in einer „territorialen“ Auffassung von Heiligkeit also. Aus dieser grundlegenden Anschauung konnte sich eine territoriale Religiosität entwickeln, die nach territorialen Gesten ihrer Ausübung im Kult verlangt, eben nach raumgreifenden Ritualen, die sich um die numinose Stelle drehen. 123
artige Gattung der Sacri Monti als einen fernen Nachklang der Labyrinthideen erscheinen lassen: der verschlungene Weg zu einem geheimnisvollen Ziel, verstanden als Metapher des eigenen Lebens; die Evokation der Stadt als Metapher menschlicher Sozietät; die Gesamtfigur des Grundrisses, die in Stationen klar geordnet und zugleich verrätselt ist – dies alles taucht in der Architektur der Sacri Monti wieder auf. In dem allmählich aufsteigenden Weg vom naturwilden Park hinauf zur geometrisch klaren, künstlichen Architektur auf der Spitze des Berges, in den Kapellen mit ihren realistischen Szenen der Heilsereignisse, die doch zugleich als Schein einer nur sinnblidlich in Erinnerung gerufenen Wirklichkeit gekennzeichnet sind, in dem alten Labyrinththema des Weges aus der Ewigkeit durch die Zeit in die Ewigkeit; hier, in christlicher Deutung und in stadtallegorischer Gestalt, finden die Elemente des klassischen Labyrinthgedankens ihre meisterhaft in Szene gesetzte Entsprechung. 4 Das Mechanische: Die labyrinthische Maschinerie der Stadtrituale Als Walter Andrae 1941 seinen klassischen Aufsatz Alte Feststraßen im Nahen Osten verfaßte204, eröffnete er damit ein ganz neues Verständnis der Architektur der frühen Hochkulturen. Die monumentalen Architekturen und die häufig nach abstrakten geometrischen Schemata konstruierten Stadtanlagen, auf die die Archäologie bis dahin ihr Hauptaugenmerk gerichtet hatte, erschienen plötzlich als nur eine Seite der städtischen Architektur, deren andere ein außerordentlich entwickeltes Prozessions- und Umschreitungswesen war. Ja, es schien, als sei die Architektur dieser Städte mit ihren komplizierten Systemen aus Achsen, Stufentempeln und Stationsbauten eigentlich nur ein Vorwand für die Maschinerie der kultischen Bewegungsabläufe, für das eigentliche Anliegen der frühen Städtebauer. Das Prozessionswesen des Alten Orients hat seine Wurzeln in der sumerischen Auffassung von der Heiligkeit bestimmter Flecken, an denen sich die Gottheit des Himmels mit der Erde vermählt, in einer „territorialen“ Auffassung von Heiligkeit also. Aus dieser grundlegenden Anschauung konnte sich eine territoriale Religiosität entwickeln, die nach territorialen Gesten ihrer Ausübung im Kult verlangt, eben nach raumgreifenden Ritualen, die sich um die numinose Stelle drehen. 123
Wir wissen wenig über diese frühen Rituale, aber das Bild, das Andrae aus den verfügbaren schriftlichen Quellen und den archäologischen Funden entworfen hat, ist außerordentlich faszinierend. Das städtebauliche Grundgerüst der frühen Städte bestand aus gewaltigen Prozessionsachsen mit Ziel- und Nebenbauten. Um diese Fixpunkte drehte sich ein mit maschinenhafter Präzision ablaufendes Umzugswesen, das feststehenden choreographischen Regeln folgte und auch in der Zeit durch die immer wiederkehrenden astronomischen Ereignisse festgeschrieben war. Über die atmosphärischen Eigenarten dieser Feste können wir nur rätseln. Waren sie vom Geschmack des Unausweichlichen, Schicksalhaften gekennzeichnet, wie es ihre Verbindung zu den mechanischen Abläufen der astralen Vorgänge, die ja nach alter Auffassung lebensbestimmend waren, vermuten läßt? Oder waren sie eher Freudenfeste, wie es ihr Charakter als großes kollektives Ereignis nahelegt, vielleicht sogar ein kollektiver Rausch? Möglicherweise waren sie beides, ein wahrhaft labyrinthisches Phänomen also, ambivalent und beständig auf der Grenze von Freudentaumel und Massenhysterie, von faszinierendem Schauspiel und erdrückendem prozessionalen Formalismus. In der europäischen Stadtgeschichte wurden diese Ansätze der frühen Hochkulturen nur sehr bedingt weiterentwickelt. Die erwähnten Erscheinungen des mittelalterlichen Prozessionswesens sind wohl eher als Parallelen zu verstehen, die zudem in Geschmack und Gestus auf ganz andere gedankliche Zusammenhänge verweisen. Dagegen entwickelte sich der Stadtritualismus am östlichen Rande der mesopotamischen Einflußzone weiter, in Indien trieb er seine üppigsten Blüten; schon Andrae hat diesen Zusammenhang bemerkt.205 Vor allem hat sich in Indien, insbesondere im Süden, der Stadtritualismus bis heute lebendig erhalten, und aus diesem Grunde ist das Fest- und Prozessionswesen der Inder für uns besonders interessant. Wir können hier das Phänomen der Massenfeste in seiner ganzen Ambivalenz dokumentarisch fassen, über die die archäologischen Zeugnisse der frühen Hochkulturen schweigen müssen. Und wir können hier teilnehmend beobachten, daß das kultische Festwesen im städtischen Raum trotz seiner oft ernsten und strengen religiösen Bedeutung, trotz seiner unübersehbaren Verbindung zur astrologischen Auswegslosigkeit ein überwiegend freudiges Geschehen ist, daß es jene Elemente des städtischen Lebens enthält, die wir in unserer eigenen städtischen Realität als schmerzlichen Verlust vermissen müssen: den gesamten Komplex spielerischer Umgangsformen mit Architekturen und Räumen, die Bühnenfunktionen der Stadt als Instrument kollektiver 124
und individueller Selbstdarstellung, die städtischen Grenzfunktionen als kollektiver Tummelplatz, als „begehbare Plastik“, als Ort der Phantasie. Und schließlich begegnen wir hier dem höchst interessanten Phänomen, daß das Stadtritual die idealtypische Architektur der indischen Tempelstädte, die im gesamten Süden des indischen Subkontinentes nach dem gleichen Schema gebaut sind, an die einmaligen topographischen, kleinräumigen Gegebenheiten und Besonderheiten des Standortes bindet, daß es also die Starre der idealen Architektur, die aus dem abstrakten Ordnungsgedanken der überregionalen klassischen Kultur hervorgegangen ist, mit dem erdnahen Genius loci aussöhnt. Wir wollen uns mit unseren Studien auf das südliche Indien beschränken, das die hier angedeuteten Zusammenhänge am klarsten erkennen läßt. Im dravidischen Raum Südindiens liegen etwa dreißig Stadtanlagen, die sehr weitgehend jenem idealtypischen Schema folgen, das der Gegenstand der endlosen Umschreitungen und labyrinthischen Begehungen ist: Die meisten Städte liegen an einem Fluß, wobei die Lage auf dem rechten Ufer bevorzugt wird. Dort finden sich die auch in Nordindien üblichen Ghats (Uferterrassen), unterschieden in solche, die der Verbrennung der Toten – nach Brahmanen und Nicht-Brahmanen getrennt – dienen, und solche, an denen Pilger und Stadtbewohner ihre rituellen Waschungen vornehmen. Der Umriß der Stadt nähert sich Rechteck oder Quadrat, sofern dies die historische Entwicklung und die topographischen Bedingungen zugelassen haben, und das Ganze ist ungefähr nach den vier Himmelsrichtungen orientiert. Im Zentrum der Stadt liegt der Tempelkomplex, der auch bei unregelmäßigen Stadtanlagen aus orientierten, rechteckigen Grundelementen aufgebaut ist. Sein Haupteingang liegt, der Blickrichtung des Kultbildes entsprechend, im Osten. Um den Tempel schließen sich in konzentrisch ineinanderliegenden Straßenzügen die einzelnen Wohnviertel, ebenfalls, wenn möglich, orientiert. In den kleineren Städten, in denen der Tempel noch weitgehend das Wirtschaftsleben beherrscht, sind diese Viertel von jeweils nur einer Kastengruppe (Varna) bewohnt. Dann liegen, der sozialen Hierarchie entsprechend, die Viertel der Brahmanen direkt an der äußeren Umfassungsmauer des Tempels, die der anderen Kasten je nach ihrer sozialen Stellung weiter nach außen. Häufig läßt sich eine solche Gliederung am Zuschnitt der Grundstücke ablesen; die größte Parzellentiefe findet man im Zentrum, also genau dort, wo in den modernen Industriestädten der kleinste Parzellenzuschnitt anzutreffen ist. Der Haustyp bleibt in allen Vierteln prinzipiell der gleiche: ein ein- bis zweigeschossiges 125
75 Umschreitung einer Landschaft: Girnar Das Girnar-Massiv ist ein erloschener Vulkan, in dessen Mitte sich ein fünfgipfliger Berg erhebt. Auf jedem Gipfel liegt ein Hindutempel, und auf einem Plateau auf halber Höhe liegt eine Tempelstadt der Jaina, die nur tagsüber belebt ist, nachts aber verlassen wird. In dem Talkessel des ehemaligen Kraters leben zahlreiche Einsiedler. Einmal im Jahr, um die Zeit des ersten Vollmondes nach dem Monsun, wird diese gesamte heilige Landschaft von einer großen Volksmenge umschritten. Der Umzug dauert vier Tage, und in den vier Himmelsrichtungen des Kessels werden Übernachtungslager aufgeschlagen, in denen ein umfangreicher Troß für das leibliche Wohlergehen der Menge sorgt.
76 Umschreitung eines Berges mit Kolossalstatue: Sravana Belgola Die Statue ist aus dem gewachsenen Fels des Gipfels gemeißelt und anstatt der Cella in ein Tempelgeviert eingebaut, das allerdings kaum bis an die Knie des Kolosses hinaufreicht. Der Berg zählt zu den fünf heiligsten Stätten der Jaina; er wird von den Pilgern umwallt und anschließend bestiegen. Alle zwölf Jahre wird der Koloß in Analogie zur Salbung der kleinen Kultbilder im Tempel mit großen Mengen Salböl übergössen: Ein Stück Landschaft wird hier wie die Gottheit geehrt.
Hofhaus, mit Lauben an der Straßenseite, daran anschließend der Familienschrein und die Repräsentationsräume, dann – immer über eingeschlossene Höfchen oder Dachaufbauten belichtet – die Privaträume der Familie, bis hin zu den Küchen und Wirtschaftsräumen an der 126
Rückseite des Grundstücks, wo man in der Regel über einen Hintereingang auf eine Andienungsgasse mit offenem Kanal gelangt. Die Parzellen sind also nahezu vollständig überbaut. Der Tempel im Zentrum ist eine Stadt für sich. Gewöhnlich besteht er aus mehreren, von hohen zinnenbekrönten Mauern umgebenen konzentrischen Ringen (Prakramas); meistens sind es drei, doch können es bei größeren Anlagen bis zu sieben sein. Hier liegen alle Einrichtungen, die für den Betrieb des Tempels und die Durchführung des aufwendigen Tempelrituals notwendig sind. Im ersten Prakrama (von innen nach außen gezählt) liegt der Schrein der Hauptgottheit (Vimana), mit der Cella (Mulasthana) im Zentrum. Rings um die Cella führt eine gedeckte Passage für die Pradakshina, die rituelle Umschreitung des Kultbildes. Neben dem Bild der Hauptgottheit enthält die Cella die Metallfiguren der Prozessionsbilder. Im zweiten Prakrama steht, unmittelbar vor dem Eingang des ersten, der Flaggenmast, auf dem an Festtagen die Insignien der Gottheit gehißt werden. Dann liegen hier in unterschiedlicher Anordnung das Vahana Mandapa – das Schatzhaus und der Pavillon, in dem die verschiedenen Fahrzeuge des Gottes stehen –, das Seillager für die Trossen der Tempelwagen, das Mandapa des Tempelelefanten und bei großen Tempeln auch die Ställe der heiligen Kühe und die Speicher für die Tempelvorräte. Im dritten Prakrama liegt einer der spektakulärsten Nebenbauten des Tempels, die „Halle der Tausend Pfeiler“, in der sich die ganze Motivfülle der indischen Plastik entfaltet. Ferner liegen hier der Tempelteich, der für das Baderitual der Fußabdrücke der Gottheit an bestimmten Festen gebraucht wird, dann kleinere Mandapas, die alle zu unterschiedlichen Anlässen, aber meist nur ein einziges Mal im Jahr, die Götter aufnehmen, und schließlich ein abgeschlossener Bezirk, ein eigener Tempel im Tempel, der dem Kult der Gefährtin des Hauptgottes dient. Vom Tempel aus führen lange Achsen in den vier Himmelsrichtungen durch die Stadt und oft ins Umland hinaus. Über ihnen erheben sich große Tortürme (Gopuras), die ganz mit figürlichem Schmuck überzogen sind. Einem bemerkenswerten Entwurfsprinzip folgend, das schon den ersten europäischen Reisenden als ausgesprochener Gegensatz zu den ästhetischen Traditionen des Abendlandes erschien, nehmen sie von innen nach außen an Höhe beträchtlich zu. Dies hängt damit zusammen, daß viele Tempelstädte um ursprünglich kleine Dorfschreine gewachsen sind, die in ihrem Nimbus als heiliger Ort respektiert und trotz der reichen Bautätigkeit ringsum unangetastet blieben. 127
77 Schema einer südindischen Tempelstadt. So wie auf dem gesamten Subkontinent unentwegt Pilgerströme zu den heiligen Stätten des Landes unterwegs sind, sind auch die indischen Städte Ritualmaschinerien, in denen das ganze Jahr hindurch komplizierte Umschreitungen und Begehungen vorgenommen werden. Das Schema zeigt die „rituelle Infrastruktur", die für diese endlosen Bewegungsabläufe im Stadtraum notwendig ist: 1 Schrein des Haupttempels, 2 Flaggenmast, 3 Schuppen der Tempelwagen, 4 Ökonomie, 5 Halle der 1000 Pfeiler, 6 Tempelteich, 7 Schrein der weiblichen Gottheit, 8 Pavillon zum Besteigen der fahrenden Tempel, 9 Teich für das Floßfest, 10 Tempel eines „verwandten Gottes", 11 Leichentor, 12 Verbrennungsplatz, 13 Badeterrassen am Fluß
78 Ansicht der Stadt Srirangam, die diesem Schema bis ins Detail entspricht
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79 Plan von Srirangam, auf einer Insel im Kaveri gelegen. Der Kaveri ist der „Ganges des Südens“.
Alle Prakramas können von den vier Himmelsrichtungen aus betreten werden, mit Ausnahme des Tempelinnersten, das nur aus der Blickrichtung des Kultbildes, in der Regel also von Osten, zugänglich ist. Die Anordnung von Bauten, deren Notwendigkeit im Tempelritual begründet ist, beschränkt sich jedoch nicht auf den Tempelbezirk allein, sondern erstreckt sich über die ganze Stadt. An allen wichtigen Punkten der Stadt finden sich Mandapas, in denen die Prozessionsgottheit bei bestimmten Festen aufgestellt wird. Besonders auffallend sind die RathaMandapas, zweigeschossige Pavillons, auf deren obere Ebene eine lange Freitreppe hinaufführt. Von hier aus wird während der großen Wagenfeste das Kultbild auf den Tempelwagen gesetzt, und hier bleiben die Wagen das Jahr über aufgestellt, bis sie das nächste Mal gebraucht werden. Aus all dem wird deutlich, daß die Architektur der Tempel, einzelner städtischer Bauten, ja, sogar Grundrißmerkmale der Stadt, wie Straßenführung und Blocksystem, auf das engste mit den großen Festen verknüpft sind. 129
80 Kleiner Tempelwagen an einem mehrgeschossigen „Besteigungspavillon“, der mit einem Tempel auf der Dachterrasse bekrönt ist
81 Bei kleinen Festen reisen die Götter auf Laden, die nach Tieren, Pflanzen oder Figuren der indischen Mythologie gebildet sind.
82 Schema aller Wege, auf denen die Götter an 361 Tagen im Jahr – oft mehrmals und auf ständig wechselnden Gefährten – die Stadt umschreiten. An diesen Umzügen sind während der neun Hauptfeste (Dauer 7 bis 11 Tage) große Volksmassen beteiligt.
83 Schema des verwickelten Wegesystems der Pilger, die neun Badeteiche im Umland der Stadt besuchen und dabei mehrfach die Stadt umschreiten, allerdings außerhalb der Mauern und in der Regel allein
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84 Die Elefanten des Tempels, die den Umzügen vorausziehen, werden mit den Insignien der Tempelgottheit bemalt.
85 Schematischer Aufbau der Mittelgruppe eines indischen Umzuges, ohne die Volksmenge: 1 Elefant, 2 Schranke, 3 Trommler, 4 Zeremonialschirme, 5 Bläser, 6 Wächter, 7 Lade, 8 Fackeln in Muschelform, 9 Fakkeln in Radform, 10 Ölträger, 11 Baldachin, 12 Messingschirm, 13 Brahmanen, die Veden rezitierend
Eine südindische Stadt feiert im Jahresablauf in der Regel acht große Stadtfeste, die jeweils neun oder elf Tage dauern und bis zu fünfundzwanzig Umzüge, Prozessionen, Mysterienspiele und ähnliche Straßenvorgänge umfassen. Das Hauptereignis des Festes fällt in der Regel auf den Vollmondtag des Festmonats. Bei aller Fülle und Variation der Ereignisse folgen die Feste doch einem sehr einfachen Grundschema. Ein südindischer Tempel hat immer zwei 131
Idole; das eine ist gewöhnlich eine große steinerne Skulptur, die in der Cella fest installiert ist, das andere ein kleines, aus fünf Metallen gegossenes Figürchen. Meistens ist es im Sockel der Hauptfigur untergebracht oder in einem Schrein in deren unmittelbarer Nähe; an Festtagen jedoch wird es herausgenommen, geschmückt und durch die Stadt getragen. Hier nun entfaltet sich der ganze Ideenreichtum der Inder in der Variation eines einfachen Themas. Zunächst kann man die Stadtfeste nach ihrem Handlungscharakter in zwei Gruppen scheiden, in solche, die überwiegend aus theatralischen Aufführungen – Mysterienspielen, magischen Handlungen, Tänzen u. a. – bestehen, die also rein darstellenden Charakter vor der zuschauenden Volksmasse haben, und in solche, die primär Umschreitungen, Prozessionen, Umzüge zum Inhalt haben, womit natürlich eine stärkere aktive Beteiligung des Volkes verbunden ist. Dann hat jedes Fest seinen eigenen Raum. Einige beschränken sich ausschließlich auf den eigenen Tempelbereich, andere auf bestimmte Straßen, und die größten Feste dehnen sich sogar auf das Umland der Stadt aus mit Flurprozessionen, die mehrere Tage dauern können. Eine weitere Variation liegt in den verschiedenen Vehikeln, in denen das Idol transportiert wird. Neben den klassischen Reisechaisen der indischen Rajas, den Palankins, Sänften und Baldachinen, wird eine große Zahl verschiedener Laden benutzt, die auf überlebensgroße, hölzerne, vergoldete oder bemalte Tragetiere montiert sind. Diese Gerätschaften heißen Vahanas, und etwa zehn bis zwölf Männer sind nötig, um sie zu tragen. An den Höhepunkten der Hauptfeste wird das Idol auf besonders große Vahanas gesetzt: auf einen der hölzernen Tempelwagen (Ratha), von denen eine größere Stadt drei besitzt, oder in einen schwimmenden Pavillon, der bei Nacht dreimal um den Lustteich der Stadt bewegt wird, wobei man sich langer Staken bedient. Der dafür notwendige Teich, ein größeres, stufengefaßtes Wasserbecken mit einer künstlichen Insel in der Mitte, der meist vor den Toren der Stadt liegt und an seiner rot-weißen Streifenbemalung zu erkennen ist, ist also ein weiteres Bauwerk, das nur in dem erwähnten Zusammenhang des Stadtrituals „funktional“ ist. Schließlich sei noch auf ein Grundrißmerkmal der Tempelstädte Tamil Nadus hingewiesen, das ebenfalls vor diesem Hintergrund zu sehen ist. Alle Tempelstädte haben ein Wagenfest und dafür eine eigene, manchmal sogar drei „Wagenstraßen“. Sie sind schon rein äußerlich daran zu erkennen, daß keine elektrischen Leitungen über sie hinwegführen. Besonders verblüffend aber ist ein Detail, das in den vier Ecken des Wagenstraßenquadrats ins Auge fällt. Dort findet sich nämlich eine 132
86 Schemaskizze des Floßes für die Wasserfeste: ein schwimmender Tempel
87 Konstruktionsprinzip der Tempelwagen, die in einer Blockbautechnik aus gebeilten Stämmen des Madhuka-Baumes errichtet werden
88 Bauaufnahme eines südindischen Tempelwagens, ohne den temporären Aufbau
89 Der Wagen wird für das Fest vorbereitet: Aus vorgefertigten Elementen wird auf der obersten Plattform ein Pavillon errichtet und mit applizierten Tuchen und Volants behängt.
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enge, blinde Gasse, die in manchen Fällen sogar bis an die Stadtmauer geführt ist. Sie wird während des Großen Wagenfestes benötigt, um bei den schwierigen Eckmanövern genügend Raum für die Menschenmassen zu lassen, die die Seile ziehen – ein anschauliches Beispiel dafür, wie sehr die Lust am Spiel hier über den Funktionalismus des technokratischen Städtebaues triumphiert.206 Eine Stadt, die in nahezu allen Einzelheiten diesem Schema folgt, darüber hinaus die charakteristischen topographischen Elemente des Standortes mit in die Architektur einbezieht, ist Rameswaram in Südindien, auf einer langgestreckten Insel im Golf von Manaar, nahe der Südspitze des Subkontinents gelegen. Die Insel wird im Zusammenhang mit einigen Episoden des Ramayana erwähnt und diese Tatsache, verbunden mit der exponierten Lage nahe beim Zusammentreffen zweier Ozeane, ließ hier schon früh einen bedeutenden Pilgerverkehr entstehen. Während die Insel als Ganzes wegen ihres muschelförmigen Umrisses dem Vishnu heilig ist – die Muschel ist eines seiner beiden wichtigsten Embleme – und als eine seiner Vier Residenzen in den „Vier Ecken Indiens“ gilt,207 ist Rameswaram selbst dem Shiva geweiht. Hierzu berichtet das Rameswaram Mahatmya: „Als Rama auf der Suche nach Sita mit seinem Heer auf die Insel übersetzen wollte, versuchte er durch lange Askese das Meer dazu zu bewegen, sich zu teilen und den Übergang frei zu geben, so daß sie trockenen Fußes hinüber gelangen könnten. Durch Ramas Askese arg bedrängt, erschien das Meer in Person vor ihm und beschwor ihn, nichts zu verlangen, was den Naturgesetzen widerspräche, sondern lieber eine gigantische Brücke über die Meeresenge zu schlagen. So geschah es, und Nala, ein Sohn des Weltarchitekten Visvakarman, baute die Brücke. Rama beschloß, an dieser Stelle einen Linga – ein phallisches Kultobjekt – zu Ehren Shivas zu errichten; der Tag wurde auf einen glückverheißenden Mittwoch, am zehnten Tag der hellen Hälfte des Jyaishta (Jyaishta Shukla 10) festgesetzt, an dem der Mond im Zeichen Hasta (Spica) und die Sonne im Sternbild des Stieres stand. Hanuman wurde zum Himalaya geschickt, um vom Kailasa einen Linga zu holen. Da Shiva die Herausgabe des Linga verweigerte, begann Hanuman zu seinen Füßen Buße zu tun, während Rama am anderen Ende Indiens wartete. Als die glückverheißende Stunde der Installation des Lingas näherrückte, beschloß Rama, sie nicht verstreichen zu lassen, sondern einen Linga aus Sand am Strand des Meeres zu errichten. Kurz darauf kam Hanuman, der inzwischen einen Linga von Shiva erhalten hatte und installierte ihn ein wenig landeinwärts, dort wo heute 134
der Tempel steht. Seither werden beide Lingas verehrt, zuerst der steinerne Linga, den Hanuman vom Kailasa gebracht hatte, und dann der Sandlinga, der für den Augenblick am Strand geformt wird.“208 Der Tempel, in seinem heutigen Zustand im 17. Jahrhundert abgeschlossen, ist eines der mächtigsten Bauwerke Indiens209, berühmt vor allem wegen seiner gewaltigen Korridore, die hier in drei ineinanderliegenden Gevierten angeordnet sind. In allen vier Himmelsrichtungen führen axiale Straßenzüge ins Umland; im Osten und Süden treffen sie schon bald auf das Meer, im Norden auf einen Bewässerungsteich am Stadtrand, aber im Westen führt die Straße nahezu geradlinig bis zum anderen Ende der Insel. Der Haupteingang liegt, der Blickrichtung des Kultbildes entsprechend, im Osten, obwohl die Masse der Pilger sich der Stadt von Westen nähert. Die Ostachse ist um ca. 10 Grad nach Norden verdreht, was dem Sonnenaufgangspunkt am Tage der Gründungszeremonie (Installationszeremonie) entsprechen dürfte.210 Im Inneren der Stadt gliedert sich nach diesem Gerüst die Verteilung der Kasten: Die Brahmanen wohnen rings um die Tempelmauern, südlich davon am Strand einige Fischer, nördlich am Stadtrand die Gruppe der Conar (Milchbauern), und an der Westachse sind verschiedene Händlerkasten ansässig. In den Quartieren südlich der Westachse leben Vellala, eine Kaste von Kleinbauern. Im Vorfeld der Stadt liegen drei wichtige Bauten, die eine Art rituelle Bannlinie um das bebaute Gebiet abstecken, denn bis hierher reichen die Prozessionen und Umschreitungen: im Nordwesten der Ramapadam Mandapa auf einem sandigen Hügel inmitten eines weiten Ödlandes, im Westen der Tank für das Floßfest und ca. 8 km im Südosten an der Straße nach Danushkodi der Shri Kodana Rama Tempel. Dieses System von orientierten Achsen, ineinanderliegenden Mauervierecken und Ringstraßen, hierarchisch angeordneten Wohnquartieren und weit draußen liegenden Vorfeldbauten mit dem Schrein des Tempels im Zentrum und der Tirtha – dem Badeplatz – am Strand des Meeres als zweitem rituell wichtigen Punkt bildet nun das räumliche Gefüge, in dem sich die Vorgänge des Stadtrituals bewegen. Wir können hier unterscheiden zwischen kleinen Stadtfesten, großen Stadtfesten und außergewöhnlichen Umzügen, die die ganze östliche Hälfte der Insel umfassen. Hier soll nur von solchen Ritualen die Rede sein, die sich auf den städtischen Raum beziehen; die zahllosen Umschreitungen im Tempel, gewissermaßen in der innersten Kammer des gesamten Raumsystems, die täg135
90 Plan von Rameswaram, auf einer Insel nahe der Südspitze Indiens gelegen. Die räumliche Organisation entspricht weitgehend dem in Abb. 77 gezeigten Schema.
91 Rameswaram gehört zu einem größeren räumlichen Gefüge, das von den Pilgern im Zusammenhang abgeschritten wird: Die Stadt liegt in einer der „vier Ecken“ des Subkontinents.
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92 Das wichtigste Kultobjekt in Rameswaram ist ein nur für den Augenblick aus dem Sand des Meeresstrandes geformtes Lingam (das phallische Symbol Shivas).
93 Die Bewegungsabläufe und Umschreitungen in Rameswaram, Tagebuchaufzeichnung vom 17. 1. 1978. Die Begehung der gesamten Insel während des Ramalinga Pratishta Festes, einmal jährlich (Juni/Juli)
lich mehrmals ablaufen, können wir hier außer acht lassen. Die kleinen Stadtfeste finden einmal im Monat statt: Subrahmanya – ein Sohn Shivas – wird auf einer silbernen Pfauenlade einmal um das Wagenstraßengeviert längs der Tempelmauern getragen.211 Dreimal jährlich finden große Feste statt, die zehn oder siebzehn Tage lang dauern. Das erste ist das Fest der Vermählung des Hauptgottes mit seiner Gefährtin, das ThirukalyanamFest, das im Tamil Monat Adi (Juli/August) gefeiert wird. Dabei werden die Prozessionsbilder der Hauptgottheiten auf wechselnden Laden täglich zweimal auf der Wagenstraße um die Tempelmauern geführt. Zusätzlich wird das Stadtgebiet an folgenden Tagen begangen: Am sechsten Tag wird die Ostachse abgeschritten, und die Kultbilder werden am Strand verehrt; am achten Tag werden die fünf Tempelwagen gezogen; am zwölften Tag wird die Westachse abgeschritten, und am siebzehnten Tag zieht die Prozession nach Norden zum Ramapadam Mandapa auf dem Hügel vor der Stadt. Im Monat Tai (Januar/Februar) werden ebenfalls zehn Tage lang die Götter zweimal täglich um die Stadt geführt, und in der Neumondnacht werden sie auf einem fackelbeleuchteten Zeremonialfloß dreimal um den 137
Teich im Westen der Stadt gerudert. Das dritte Fest (Mahashivaratri) findet im Monat Masi (Februar/März) statt und verläuft ähnlich wie das Thirukalyanam-Fest mit Prozessionen zu den rituell markanten Punkten im Osten, Norden und Westen der Stadt. Man sieht, die Hauptfeste stecken das rituelle Terrain der Tempelstadt ab. Dies wird besonders deutlich, wenn bei bestimmten Gestirnskonstellationen – Ardhodayam und Mahodayam –, die nur einmal in mehreren Jahren vorkommen, die fünf Prozessionsbilder der Hauptgottheiten eine Reise in den Südosten der Insel zum Kodanda Rama-Tempel unternehmen und dem Gott dieses Tempels ihre Visite abstatten, der stellvertretend für sie zweimal im Jahr die äußerste Südostspitze bei Danushkodi besucht.212 Alle diese raumgreifenden Prozessionen sind gemeinschaftliche Ereignisse, bei denen große Volksmengen über Land ziehen, die die Wagen durch die Straßen bewegen oder den Rand des Teiches säumen, auf dem das Tempelfloß kreist, während gleichzeitig Böllerschüsse und Feuerwerk abgebrannt werden. Dies gilt nicht in gleichem Maße für die gewöhnlichen Umschreitungen, bei denen die Götter nur in Begleitung ihrer Priester unterwegs sind und an denen das Volk nur Anteil nimmt, indem es die Straße vor der Schwelle des Hauses mit Linienlabyrinthen aus Reispulver schmückt. Aber die raumgreifenden Rituale sind große kollektive Ereignisse, und dies nicht ohne Grund: Sie wollen der gesamten Bevölkerung etwas über die Eigenart ihrer Stadt erzählen. Denn wenn man das Geschehen im Zusammenhang betrachtet, so muß man feststellen, daß die rigide Architektur eine Aussage über das ideal und geometrisch geordnete Universum formulieren will, während die Prozessionen auf die einmalige, besondere Ordnung des Nahbereichs verweisen, indem sie ein Bezugssystem zwischen der gebauten, künstlich geformten und idealen Architektur der Stadt und den natürlichen, topographisch vorgegebenen Elementen des Standortes herstellen.213 Betrachten wir diesen Zusammenhang im einzelnen. Rameswaram ist wie jede indische Stadt nach Prinzipien gebaut, die nicht aus der Einmaligkeit der Umgebung abgeleitet sind, sondern festliegenden, tradierten Vorstellungen davon entsprechen, wie eine Stadt geordnet zu sein hat, wie die sozialen Gruppen zusammen wohnen sollen, wie die architektonischen Dominanten und die untergeordneten Elemente ineinander zu setzen sind. Diese Vorstellungen sind nicht lokal, sondern dem gesamten Kulturraum gemein; sie sind Ideen im ursprünglichen Sinne des Wortes und wollen so ideal wie möglich verwirklicht werden, wie dies in der Architektur Rameswarams ja in der 138
Tat geschehen ist. Zugleich aber steht diese Stadt nicht irgendwo, sondern an einem konkreten Ort, noch dazu auf der topographisch so ausgeprägten Formation einer Insel, und auch dies ist für ihre Bewohner nicht weniger bedeutungsvoll als die Tatsache, daß die Architektur nicht die Ausgeburt der Konfusion, sondern Ergebnis kulturspezifischer Vorstellungen von Ordnung und Schönheit ist. Während die große Architektur der Stadt die Beziehung zur Ideenwelt der indischen Kultur herstellt, zu einer „geistigen Heimat“ also, muß ein zweites System architektonischer Gesten und Verweise eingeführt werden, das sie in die lokale Topographie einbindet, das die Besonderheit des Ortes faßt und hervorhebt, wenn sie auch konkret stofflich und anschaulich „Heimat“ ihrer Bewohner sein will. Hier nun schlägt das Stadtritual mit seinen Bauten und Stationen und vor allem mit seinen Wegeführungen die Brücke, indem diese Elemente so um den rigide ausgelegten Kernbereich der Stadt angeordnet sind, daß sie die natürlichen Gegebenheiten des Umlandes fassen und hervorheben: Der Ramapadam Mandapa als Nordpunkt des Systems liegt auf einem Hügel. Von hier aus hat man einen weiten Blick über die Insel, und nur hier wird man gewahr, daß man sich auf einem Fleckchen Land befindet, das allseitig von Wassern – von den sehr stürmischen Wassern des Indischen Ozeans – umschlossen ist. Der Strandabschnitt im Osten der Achse, zugleich der östliche Grenzpunkt des rituellen Umlandes, liegt im Bogen einer Bucht, beidseitig von Landzungen flankiert, die die Wucht der Wellen brechen. Die eigentliche Tirtha ist zudem noch durch eine Felsreihe geschützt, die unmittelbar südlich des Strandes aus dem Sand hervorragt: Hier also ist das Wasser vom Land umschlossen, in seinem freundlichen Aspekt. Der Haltepunkt im Süden dagegen liegt auf einem schmalen Sporn zwischen den Fluten, ein Streifen Land, der die Wucht beider Monsune voll zu spüren bekommt. Und im Westen vor der langen Achse ins Innere der Insel schließlich liegt der Teich für das Floßfest: Wasser in seiner domestizierten Form, das dem freudigsten und farbenfrohesten Ereignis des ganzen Jahres als Festplatz dient. So macht das Stadtritual die Insel zu seinem Thema und die Stadt damit zugleich zu deren Mittelpunkt, und so bekommt beides seinen Sinn. Die rigide Architektur, ganz das Produkt des Kalküls, hat an solcher Stelle offensichtlich Berechtigung, und die Insel ist nicht länger ein zufällig den Wellen preisgegebenes Stück Land, sondern ein bewohnter Ort, in dessen Mittelpunkt eines der großen Zentren indischer Kultur seinen Platz gefunden hat. 139
So erklärt es sich, daß die weit in den Raum der Insel ausgreifenden Rituale große kollektive Ereignisse sein müssen, denn indem sie diese Zusammenhänge sichtbar und erfahrbar machen, indem der Zug der Menschenmassen zu den vier typischen Situationen der Insel nicht nur eine Spur im Sand der Dünen, sondern auch im Rhythmus des Kalenders jedes Einzelnen hinterläßt, sind sie so etwas wie eine Sinngebung der eigenen Umwelt. Sie wird den allgemeinen Ideen zugeordnet, die sich mit der klar bezeichneten räumlichen Ordnung der Stadt verbinden. Dies sind die Rituale der Seßhaften, die in Rameswaram wohnen. Ihre Umschreitungen und Begehungen, ihre Feste und Spiele zielen auf das Ganze; sie gehen aus vom Gerüst der Stadt, von ihren Mauerringen und raumgreifenden Achsen, und sie besuchen die topographischen Extreme ihrer Insel, die sie als deren naturräumliche Fortsetzung deuten. In ihren Handlungen sind sie als Kollektiv organisiert, und sie folgen streng den festliegenden Zeiten des Kalenders. Ganz anders die Pilger, die in Scharen durch die Stadt schwärmen. Zwar erweisen auch sie dem Tempel Reverenz – wenn sie über die Achse von Westen einziehen, werden sie ihn einmal umschreiten, ihn dann von Osten betreten und innen die verschiedenen wunscherfüllenden Schreine besuchen – aber ansonsten interessiert sie weder der Festkalender noch die Architektur, und am wenigsten die Insel. Ihre Bewegungen folgen einem ganz eigenen Zyklus, unkoordiniert zum Geschehen in Stadt und Tempel, geradezu ataktisch ziehen sie hindurch, nur mit dem einen täglichen Fixpunkt: Bei Sonnenaufgang gilt es am Strand ein Bad zu nehmen und an dieser so immens heiligen Stätte, wie sie auf dem mit heiligen Stätten so übersäten Subkontinent kaum noch ein zweites Mal zu finden ist, einen kleinen Linga aus Sand zu errichten und einen Brahmin darüber die heiligen Verse sprechen zu lassen. In diesem Augenblick, wenn die Sonne aus dem Meer steigt, ist für die Pilger der kleine, kaum geformte Sandhügel, den die Flut in wenigen Stunden hinwegwaschen wird, wichtiger als der gewaltige Tempel und die in seinem Rhythmus atmende Stadt. Wenden wir diese Beobachtungen ins Allgemeine: Wir sehen in Rameswaram ein vielfältiges Wechselspiel zwischen der eigenartigen Topographie der Insel nahe beim Zusammentreffen zweier Ozeane, der eine legendäre Tradition numinose Qualität – an einem geschützten Strand bei Sonnenaufgang – zuspricht, zwischen der rigiden, monumentalen und ideal angelegten Architektur der Stadt und zwei gegenläufig entwickelten Formen der rituellen Bespielung dieser räumlichen Systeme, dem kollektiven zyklischen Stadtritual der seßhaften 140
94 Sringeri (südwestliches Indien), eine Stadt mit „eingebautem Berg“. Dieser heilige, von einer Ringstraße umschlossene Bezirk wird von der axialen Hauptstraße tangiert, die vom Eingangstor zu Tempel und Uferterrassen am Fluß führt. Das rituelle Umland der Stadt wird durch Schreine in den vier Himmelsrichtungen abgesteckt.
95 Von besonderer Heiligkeit sind auch die Fische von Sringeri, die sich in der Biegung des Flusses bei den Uferterrassen so dicht drängen, daß das Wasser zu leben scheint.
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Bevölkerung, das die Stadt in ihr Umland einbindet, und den antizyklischen, individuellen und nicht koordinierten Handlungen der Pilger, die vor allem die numinose Stelle am Meer beschwören. Wir beobachten also, um es auf den Begriff zu bringen, ein vielschichtiges, bedeutsames, zeitlich und räumlich differenziertes Beziehungssystem zwischen den Menschen und ihren beiden Umwelten, der architektonischen, künstlichen und der naturräumlichen. Dieses Beziehungssystem ist es, was auch in den übrigen indischen Städten, die es hier zu betrachten gilt, interessieren soll. Während in Rameswaram die Architektur eingebettet ist in die Natur, in die Topographie der Insel, deren Mittelpunkt die Stadt darstellt, kann es auch umgekehrt sein: Ein Naturelement wird ganz in die Architektur einbezogen, eingebaut oder vom System der Stadt umschlossen. Eine sehr schöne Anlage dieser Art ist der Wallfahrtsort Sringeri im bewaldeten Bergland der Western Ghats (Kadur District, Karnataka). Dort liegt über einer Biegung der Thungabhadra, ein kleiner, aber sehr steiler kegelförmiger Hügel, Sringa-Giri genannt, der im Ramayana als Geburtsort des Asketen Rishya Sringa erwähnt wird. Auf seinem Gipfel wurde schon früh ein Shiva-Tempel errichtet, dessen Alter legendär ist und der einen regen Pilgerbetrieb anzog. Um den Fuß des Hügels wuchs deshalb eine ringförmige kleine Stadt, die den heiligen Ort in der Mitte
96 Die Uferterrassen unterhalb des Tempels mit den heiligen Fischen.
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völlig umschließt. Im achten Jahrhundert gründete der große shivaitische Reformer Sankara Acharya hier sein berühmtes Kloster unmittelbar am Steilufer der Thungabhadra, und damit entstand das städtische System, das sich bis heute unverändert erhalten hat: Von den Uferterrassen des Flusses und der Plattform des Haupttempels führt eine Achse nach Norden, an dem heiligen Berg des Risha Sringa und seiner ringförmigen Umbauung vorbei. Diese Achse ist an beiden Enden durch große Torbauten abgeschlossen, und auf diesem Abschnitt werden viermal jährlich im Rahmen mehrtägiger Feste die Tempelwagen hinund herbewegt.214 Am Nordende der Achse, unmittelbar hinter dem Tor und gewissermaßen als Pendant zu den Uferterrassen jenseits des Tempels im Süden, erhebt sich ein kleiner Hügel, der einen der vier Schreine trägt, die das rituelle Umfeld – bezogen auf den Ufertempel als Mittelpunkt – abstecken.215 Auch die übrigen Prozessionen und Stadtrituale sind auf die Achse beschränkt, einmal im Jahr jedoch, während Dussera, wird ein kleiner Wagen mit dem Kultbild des Haupttempels um den Berg gezogen. Das Stadtritual unterstreicht also die Geometrie des Stadtplanes, die mit der axialen Beziehung zwischen Wasser, Tempel, Torbauten und Berg einerseits und der ringförmigen Umschließung des exzentrisch gelegenen ursprünglichen Bergheiligtums andererseits vorgegeben ist. Große Umlandprozessionen wie in Rameswaram finden nicht statt, da hier nicht die Stadtanlage mit außerhalb gelegenen topographischen Elementen in Beziehung gesetzt werden mußte, sondern diese selbst Teil des architektonischen Systems sind. Ähnlich dagegen wie in Rameswaram sind auch hier die Pilgerströme nicht auf das räumliche System der Stadt bezogen, sondern ausschließlich auf die beiden numinosen Orte: auf den Gipfel, auf dem vorzeiten der große Asket geboren wurde, und auf die Stelle am Fluß, an dem einst Sankara eine Kobra beobachtete, die einen schwangeren Frosch mit ihrem gespreizten Schild vor den Strahlen der Sonne schützte. Deshalb gründete er hier sein Kloster, und deshalb werden bis heute die Wassertiere an dieser Biegung des Flusses heilig gehalten, vor allem eine Spezies karpfengroßer schwarzer Fische, die hier so zahlreich sind, daß man ihre Rücken dicht an dicht aus dem Wasser ragen sieht. Der Fluß ist an dieser Stelle buchstäblich lebendig, und dieses merkwürdige Bild trägt nicht weniger zu der eigenartigen Atmosphäre des Ortes bei als der ganz in die Stadt eingebaute Berg und die Achse, auf der die Tempelwagen wie in einem Kindertraum hin und her bewegt werden. 143
Eingebaute Naturelemente wie in Sringeri gibt es auch in anderen Städten Indiens, allerdings sind solche architektonisch gefaßten Berge selten. Aber Wasser wird, wo immer es im städtischen Raum vorkommt, von einem besonderen Bautyp gefaßt, von den sogenannten Ghats (Uferterrassen). Besonders bemerkenswert ist die Stadtanlage von Pushkar in Rajasthan, wo ein kleiner, dem Brahma geweihter See inmitten der Wüste rings von Bebauung umschlossen ist.216 Auch in Badami, der alten Chalukya Residenz, ist ein Stauweiher in die Stadtanlage miteinbezogen. Ein kunstvoll gebauter, terrassierter Damm sperrt ein enges, von Steilwänden gefaßtes Tal. Auf der einen Seite liegt die Stadt, von einem orientierten Achsenkreuz in vier Quartiere geteilt, auf der anderen die Wasserfläche. Wo die Querachse auf den Damm trifft, findet sich eine platzartige Ausweitung, über der sich ein oben auf der Dammkrone errichteter Tempel erhebt. Hoch oben in den Steilwänden rings um den Stauweiher liegen ausgedehnte Höhlentempel und Höhlenklöster monastischer Gemeinschaften in einer augenfälligen topographischen Kontrastsituation, so daß man meinen könnte, hier habe sich eine „Stadt Gottes“, geschmückt mit allen Assoziationen des Wassers und der roten Felsen, bewußt gegen die Stadt in der Ebene gesetzt. Von der Höhe der Klöster ist das rigide Achsenkreuz der Hauptstraßen deutlich wahrzunehmen, und man erkennt, daß bei ihrem Schnittpunkt zwei niedrige Tempel liegen. Davor steht in einer Ausweitung ein großer Tamarindenbaum – der einzige Baum in der ganzen Stadt. Auch hier handelt es sich um ein architektonisch gefaßtes Naturelement, das im Mittelpunkt der Stadt noch einmal die Bedeutung hervorhebt, die die indische Architektur ihrer Beziehung zur Natur beimißt, sei es, indem sie besondere Sinnverbindungen zu ihrer naturräumlichen Umgebung herstellt, sei es, daß sie einzelne Wässer, Pflanzen, Steine, ja sogar Tiere wie in Sringeri in ihren innersten Gefäßen trägt. Badami lehrt uns noch eine weitere Absicht dieser Architektur zu verstehen. Das räumliche Gefüge dieser Städte ist oft starr und monumental, ja, in den Tempelstädten des Südens sogar erdrückend. In Badami gehört das orientierte Achsenkreuz zu diesem Repertoire, wenngleich es eines der weniger zwingenden Mittel ist, ein Gerüst von architektonischen Strukturen zu errichten, die, weitgehend einem überlokalen gesamtindischen Ideal angenähert, von den verschiedenen Ereignissen des Stadtrituals überspielt und mit der Besonderheit des Standortes in Verbindung gebracht werden. Aber in diesen Gerüsten aus monumentalen, geometrischen Großformen nisten zahlreiche architektonische Eigenheiten, die 144
sich erst bei genauerem Hinsehen zeigen und die doch dem Stadtbewohner nicht weniger wichtig sind als das idealtypische Schema. Häufig sind im Straßenpflaster Steine angeordnet, ohne Bezug zur Geometrie des Stadtplanes, die der Einzelne zu kritischen oder Schwellensituationen seines Lebens aufsucht, um hier zu opfern, sie zu schmücken oder auch nur um sich hier mit seinesgleichen zu treffen.217 Auch die erwähnten Bäume können solche Funktionen haben.218 In Badami ist der Kreuzungspunkt der beiden Hauptstraßen solch eine architektonische Marginalie, die aber gerade in ihrer Unscheinbarkeit symptomatisch ist. Die Nord-Süd-Achse ist mit großen, diagonal verlegten Steinplatten gepflastert, die auf der OstWest-Achse orthogonal verlegt sind. Im Schnittpunkt des Achsenkreuzes ist das Mittelgeviert der Straßen mit einem Rahmen aus kleinen quadratischen Platten ausgegrenzt, das wiederum mit kleineren, diagonal verlegten Steinen gepflastert ist. Man sieht, diese Architektur kennt nicht nur die große Geste, sondern auch das hautnahe, unscheinbare Objekt, und in vielen Städten, besonders in jenen, die absolut regelmäßig gebaut sind, hat man den Eindruck, daß dort geradezu ein „Winkel- und Eckenfetischismus“ um die zahllosen Einschlüsse, Taschen und plastischen Objekte in Hauswand und Straßenpflaster getrieben wird, der, unbekümmert um die Starre der geometrischen Großform, seine Blüten treibt. Kehren wir zurück zu unserem Ausgangspunkt, zu der Frage, wie die indischen Ritualstädte sich um ihre prima causa lagern, um den ursprünglich numinosen Ort, oder wie sie sich neben ihm entwickeln, oder wie sie sich inmitten der insgesamt segenspendenden und sagenumwobenen Landschaft einnisten, und wie dann das Stadtritual zwischen der idealtypischen, schematischen Architektur und dem genius loci vermittelt. In der Nähe von Madurai, im Vorfeld der Stadt Palni, liegen zwei eigenartig geformte Berge unmittelbar nebeneinander; der eine ist rund und gleichmäßig geformt „wie der Rücken eines Elephanten“, der andere, etwas kleiner, ebenfalls rund und gleichmäßig, aber auf seinem Gipfel trägt er zwei zylindrische Steine. Darüber weiß die Legende folgendes zu berichten: Der Weise Agastya – einer der fabelhaften Autoren des Rig Veda und vor allem der Kulturheros des Dravidenlandes – hatte lange Zeit bei zwei Hügeln am Fuße des heiligen Kailasa im Himalaya zugebracht. Als er schließlich nach Südindien zurückkehren wollte, befahl er seinem dienstbaren Geist, dem Dämonen Edumban, die beiden Hügel an ein Joch („Kavadi“) zu binden und ins Land der Tamilen zu bringen. Edumban tat, wie ihm geheißen, doch als er die Hügel emporhob, stellte er fest, daß der eine etwas kleiner und deshalb leichter war. Zum Aus145
gleich legte er zwei große zylindrische Steine auf seinen Gipfel und machte sich auf den Weg. Als er lange gewandert war, wollte er sich eine Pause gönnen, und er setzte die beiden Berge auf die Erde. Dies war in der Nähe von Palni. Inzwischen war Subramanyan ein Sohn Shivas (auch Kartikeya oder Murugan genannt) – am Ort erschienen, der gerade eine Wette mit seinem elephantenköpfigen Halbbruder Ganesh verloren hatte und deshalb vor Kummer und Zorn fast verging. In seinem Gram bestieg er den einen der Berge, die Edumban nebeneinander niedergesetzt hatte, um sich oben auf dem Gipfel von der Welt zurückzuziehen. Als der Dämon seinen Weg fortsetzen wollte und versuchte, das Joch mit den Bergen wieder auf seine Schultern zu schwingen, mußte er feststellen, daß er sie nicht mehr von der Stelle bewegen konnte. Da bemerkte er, daß
97–101 Schematischer Plan von Badami, nördliches Karnataka. Die Stadt liegt wie ein Riegel vor einem Stausee, der rings von nahezu senkrecht abfallenden Felswänden umschlossen ist. In den Felsen hoch über dem Wasser liegen die ausgedehnten Höhlenbauten verschiedener Klostergemeinschaften aus unterschiedlichen Epochen. Die weltliche Stadt in der Ebene und die geistliche Stadt in den Felsen sind durch einen Stufendeich voneinander getrennt.
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Die Stadt in der Ebene ist als eine „Anlage mit eingebautem Baum“ konzipiert: Neben der Kreuzung der beiden Hauptstraßen im Vorhof des Stadttempels steht ein gewaltiger Tamarindenbaum (1), der einzige Baum im öffentlichen Raum (Mitte rechts). Die Bedeutung dieser Mitte wird noch durch die unterschiedliche Pflasterung der beiden Achsen unterstrichen: Die Nord-SüdAchse ist diagonal, die Ost-West-Achse orthogonal gepflastert, während der Kreuzungspunkt selbst durch Kleinpflaster abgesetzt ist (unten rechts).
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102 Plan von Palni, Südindien. Stadt und Wallfahrtsort liegen ca. 2 km voneinander entfernt, sind aber durch gemeinsame Umschreitungsrituale miteinander verbunden. Ziel der Pilger sind zwei ungleich große, aber ähnliche Berge südlich der Stadt. Der eine der beiden Zwillingsberge trägt einen großen Tempel, der andere ist völlig unbebaut; beide werden umschritten, der Tempelberg allerdings mit allen Paraphernalien und im Kollektiv zu den heiligen Zeiten, der andere von den Pilgern allein.
103 Blick auf die Silhouette der Zwillingsberge von Norden
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sich Subramanyan auf dem größeren der beiden niedergesetzt hatte. Er errichtete ihm einen Tempel auf dem Gipfel und für sich selbst ein Wachhaus auf der Hälfte des Weges, und seither ist Palni einer der sechs Wohnsitze des Subramanyan in Tamil Nadu.219 So erklärt also der Mythos die eigenartige Form der beiden ungleichen Berge, die da so dicht beieinander und so unvermittelt aus dem ebenen Land aufsteigen, daß sie unbedingt die religiöse Phantasie anregen mußten und die Existenz eines so wichtigen Heiligtums hier nicht verwundern kann. Interessant ist jedoch, mit welchen architektonischen Mitteln die Situation gefaßt wurde, wie die Stadt Palni zu den heiligen Hügeln liegt und wie das Ritual beides miteinander verbindet. Zunächst fällt auf, daß die Stadt und die beiden Berge etwa zwei Kilometer voneinander entfernt hegen. Die Stadt hat sich also unabhängig von den Wallfahrtsorten entwickelt, was damit zusammenhängen mag, daß die wichtige Handelsstraße von Dindigul nach Palghat (also vom Tamilhochland über die Pässe hinab in die Küstenebene von Kerala) hier den Shanmuga-Nadi-Fluß überquert. Im Zentrum der Stadt liegt der Tempel einer weiblichen Gottheit, Periyanaki Amma, und ihr zugeordnet ist der Tempel einer Form des Kumara, Muthukumara Swami. Beide sind von einem gemeinsamen, nach den vier Himmelsrichtungen orientierten Quadrat der Wagenstraßen umschlossen. Die beiden Berge, die den eigentlichen heiligen Ort des Palni Kshetra bezeichnen und denen alle anderen Tempel als „Ergänzungen“, wie es im Mahatmiya heißt220, zugeordnet sind, heißen Shivagiri oder Swami Malai und Shaktigiri oder Edumbagiri. Shaktigiri ist der kleinere von beiden, aber er ist durch die beiden hervorstehenden Gipfelsteine, die die Legende als die „Gewichte“ Edumbans bezeichnet, sehr viel eigenwilliger geformt. Bezeichnenderweise ist er architektonisch überhaupt nicht behandelt, sondern ganz in seinem natürlichen Zustand belassen. Lediglich ein unbefestigter Weg führt rings um seinen Fuß, und die Pilger umschreiten den Berg hier ohne alle prozessionalen Paraphernalien. Dagegen ist der zwar größere, aber topographisch weniger ausgeprägte Shivagiri auf seinem flachen Gipfel mit einem großen Tempelgeviert bekrönt. Dieses Bauwerk zeigt den ganzen Reichtum dravidischer Architektur, mit drei Prakamas und imposanten Tortürmen, und zur Gesamtheit der Anlage gehören noch ein Tempel am Bergfuß, verschiedene Stationen auf dem Pilgerweg zum Gipfel, die breit angelegte Prozessionsstraße rings um seinen Fuß mit Durga-Tempeln in den vier Himmelsrichtungen und einem Zeremonialteich im Norden. Das ganze 149
Programm einer südindischen Tempelstadt ist also hier um einen heiligen Berg organisiert. Entsprechend aufwendig ist das Ritual der Pilger; sie umschreiten oder besteigen den Berg mit Nachbildungen des legendären Joches, mit dem Edumban die Berge an ihre Stelle getragen hat. Selten sind solche Pilgerfahrten aus dem spontanen Entschluß einzelner Wallfahrer entstanden; vielmehr handelt es sich in der Regel um Gruppen, die die Berge gemeinsam und nach einem vorgeschriebenen Programm besuchen.221 Wichtig bleibt jedoch, daß beide Berge, als Teil der gleichen legendären Geschichte, Gegenstand des Pilgerrituals sind, so unterschiedlich sich dies auch am jeweiligen Objekt gestaltet. Eine Handlung ist jedoch nicht an die jahreszeitliche Pilgerfahrt bestimmter Gruppen geknüpft worden. Sie wird nach dem persönlichen Gusto einzelner Familien vorgenommen. Der Tempel ist entgegen der üblichen Kultrichtung nach Westen orientiert, das Kultbild blickt also nach Kerala, und mit dieser Region steht es in einer besonderen Beziehung: Es ist üblich, daß die neugeborenen Kinder des Küstenlandes hier vor dem Bild des Subramanyan in den Bergen ihre erste feste Nahrung erhalten, an einem Schwellenheiligtum ihres Landes also. Gegenüber den allein auf die Berge des Subramanyan bezogenen Wegen der Pilger zeigen nun die Rituale und Feste der Stadt wieder sehr deutlich das Bestreben, den städtischen Raum mit dem Prestige des mythenträchtigen Ortes zu verbinden, der zugleich auch die dominante topographische Erscheinung der Landschaft ist. Pani liegt in einer Ebene, vor der die beiden eigenartigen Berge des Subramanyan wie eine Kulisse stehen, und das Stadtritual verwebt die Fäden ihrer Geschichte mit dem Rhythmus des städtischen Alltags. Als Grundmuster ist dabei zu beobachten, daß die Rituale, die sich eigentlich um einen der städtischen Tempel drehen, auf den Schwellenbezirk der Berge ausgeweitet werden, oder daß die Stadtgottheiten an den Festen des Berggottes teilnehmen. So ist das Phanguni Fest (März/April) eigentlich ein Ereignis, das sich über zehn Tage lang ausschließlich um den Berg des Subramanyan organisiert, und dennoch sind es Volk und Götter der Stadt, die an den Ritualen teilhaben. Täglich wird der Stadtgott Muthukumaraswami zusammen mit seinen Gefährtinnen Valli und Dheivanai zweimal um den Berg getragen, und am siebten Tag wird dann der große Prozessionswagen auf der gleichen Route gezogen. Das zweite Stadtfest im Monat Tai (Januar/Februar) macht die Verbindung der schmucklosen Stadt mit den heiligen Orten in ihrem Umland besonders deutlich. Während dieses Festes, das ebenfalls zehn Tage dauert, wird der Stadtgott täglich zweimal um die Wagenstraßen geführt; am 150
siebten Tage jedoch unternimmt er einen Ausflug nach Westen dorthin, wo die Landstraße den Shanmuga-Nadhi-Fluß überquert, und am gleichen Tag wird innerhalb der Stadt der Wagen um die vier Straßen gezogen. Am zehnten Tag wird die Gottheit auf dem Tempelteich umhergefahren, und ebenfalls an diesem Tag versammeln sich die Städter, um in einer Springprozession mit Kavadis auf den Schultern den Subramanyan auf seinem Berg zu besuchen. Ein letztes Fest im Apasi (Oktober/November) ist noch zu erwähnen, wenn ausnahmsweise Subramanyan von seinem Tempel herabsteigt und selbst seinen Berg umrundet, um in den vier Himmelsrichtungen große Bildnisse der Asura-Dämonen zu vernichten. Auch an diesem Fest nehmen die Götter der Stadt auf zweifache Weise teil: Am siebten Tag heiratet der Berggott die Gefährtin des Stadtgottes, Valli, sowohl in seinem Heiligtum als auch unten in der Stadt. Und am letzten, zehnten Tag des Festes kommt die Göttin des Periyanaki-Amman-Tempels aus der Stadt und umrundet in einer großartigen Prozession abschließend den Berg des Subramanya.
104 Plan von Tirukalikundram bei Mahabalipuram, Südindien. Die Stadt liegt vor einem schluchtartigen Einschnitt, der einen Inselberg (4) vom Hauptmassiv eines Gebirgszuges trennt. Wegen der beengten topographischen Verhältnisse ist das Idealschema südindischer Tempelstädte stark in Nord-Süd-Richtung in die Länge gezogen und der Lustteich für das Floßfest auf die Ostseite der Schlucht verlegt (3). Die Heiligkeit des Ortes beruht nicht auf dem Stadttempel (1), sondern auf der Bergspitze (2), die – nach einer lokalen Legende – täglich von zwei in Adler verwandelten Asketen in der Luft umwallt wird.
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105 Blick von der Bergspitze auf den Stadttempel
Betrachten wir noch in zwei weiteren Städten Südindiens, wie das Stadtritual die idealtypische Stadtarchitektur mit der lokalen Situation verknüpft, während die Wege der Pilger unbekümmert um diese Zusammenhänge ausschließlich den numinosen Ort umschreiten. Südlich von Madras und etwa 16 km westlich von Mahabalipuram liegt Tirukalikundram, der „Heilige-Adler-Bergtempel“. Damit ist ein Heiligtum gemeint, das auf dem Gipfel eines langgestreckten Berges liegt, in dem jeden Mittag zwei wilde Adler gefüttert werden. Die Legende berichtet, daß die beiden Adler zwei von Shiva verfluchte Asketen darstellen, die seit 1500 Jahren hier Buße tun, indem sie den Turm des Bergtempels jeden Mittag mehrmals umkreisen und dann fortfliegen. Die Tatsache, daß hier zwei Vögel, die charakteristische Kultübung der Inder, die „Pradakshina“, die rituelle Umwallung des Kultobjektes, in der Luft vornehmen, verhalf dem Ort zu religiösem Ansehen in ganz Indien, so daß am Fuß des Berges eine Pilgerstadt entstehen konnte. Der heilige Berg bricht hier unvermittelt ab, um sich nach einer Lücke von nur wenigen hundert Metern ebenso unvermittelt fortzusetzen, und in diese enge 152
Kluft ist die Stadt hineingebaut. In ihrer Mitte liegt ein bedeutender Tempel mit mächtigen Gopuras, die man schon aus großer Ferne wie Nadeln in der Öffnung des Berges stehen sieht. Das Wagenstraßengeviert mit seinen Wohnquadraten ist in nordsüdlicher Richtung stark in die Länge gezogen. Es liegt auf der Westseite des Berges, während der Tempelteich für das jährliche Floßfest auf der Ostseite liegt, ganz am Ende der Achse, die vom Haupttor des Tempels durch die Kluft hindurchführt. Die Pilgerübungen sind ganz dem Berg und seinem Gipfeltempel mit den beiden Adlern gewidmet, sowie einem heiligen Teich im Inneren des Stadttempels, in dem in zwölfjährigen Zyklen wundersame Dinge geschehen – die Wasser aller heiligen Ströme Indiens fließen hier zusammen, oder es werden in dem süßen Wasser große Mengen von Seemuscheln gefunden, während gleichzeitig, wie es im Mahatmiya heißt, „Indra mit seinen Blitzen den Bergtempel salbt“.222 Die Stadt dagegen begeht ihre Rituale nach dem Tamil-Festkalender, und dabei werden an den Hauptfesten die beiden signifikanten topographischen Erscheinungen, der Berg und die Kluft, in die Umschreitungen mit einbezogen. Die zahllosen Umwallungen auf den vier Wagenstraßen führen regelmäßig über die Ostachse zum Tempelteich, wo ein eigener Mandapa steht, in dem die Prozessionsgottheit „auf der anderen Seite der Kluft“ aufgestellt wird. In besonders sinnfälliger Weise wird die topographische Situation der Kluft und der Berge in das Stadtritual des Hauptfestes im Monat Chittrai (April/Mai) mit einbezogen, das symmetrisch um die naturräumlichen Gegebenheiten angeordnet ist. Bei diesem Fest wird am neunten Tag ein spektakuläres Wagenfest mit fünf Tempelwagen inszeniert, auf denen das Kultbild die Stadt einmal auf den Wagenstraßen umkreist. Diese Vorgänge sind also ganz auf die Westseite der Berge beschränkt, während die zweite spektakuläre Umschreitung ganz auf der Ostseite abläuft, wenn nämlich die Gottheit am letzten Festtag auf einem illuminierten Floß den quadratischen Tempelteich umrundet. Am Morgen des dritten und am Abend des zehnten Tages zieht das Stadtvolk einmal um den heiligen Berg, und so wird diese Formation auch ganz direkt mit in das Stadtritual einbezogen. Während in Rameswaram, Sringeri, Palni oder Tirukalikundram eigenwillige Formationen die Präsenz verborgener Mächte angedeutet haben mögen, die die mythenbildende Phantasie der Inder in ihrem Sinne deuten konnte, ist ein solcher Ursprung für die Stadtanlage von Kalahasti nördlich von Madras, aber schon im Staat Andhra gelegen, kaum auszumachen. Der numinose Ort ist hier die Stelle, wo der sonst in einem wei153
106 Plan von Kalahasti im südlichen Andhra Pradesh. Im Tempel von Kalahasti (1) wird ein Lingam aus Luft aufbewahrt. Das Kultobjekt, das genau nach den rituellen Vorschriften der Agama verehrt, gesalbt, beweihräuchert etc. wird, ist hier also unsichtbar. Der Tempel liegt auf einer schmalen Terrasse über dem Fluß, die Stadt selbst auf einer Ebene zwischen drei ungleich großen Inselbergen. Auf dem Straßenquadrat in der Stadtmitte finden die Prozessionen der Stadtgemeinde und das jährliche Wagenfest statt, während drei Tage später gleichzeitig der nördliche und südliche Inselberg umschritten werden.
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107 Blick auf die westliche Hälfte der Stadt vom Gipfel des südlichen Berges. Im Vordergrund die Tortürme des Luftlingam-Tempels
ten Tal fließende Swarna Mukhi den Fuß eines langgestreckten felsigen Berges umspült. Dort sieht der Volksglaube die Manifestation des „Luftlinga“, eines der fünf südindischen Elementenlingas aus Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther.223 Über der traditionell festliegenden Stelle, an der ja nichts zu sehen ist, da das „Kultbild“ aus Luft besteht, erhebt sich ein prächtiger Tempel mit mehreren ineinanderliegenden Umgängen, der nur unter großen Schwierigkeiten an dem beengten Standort errichtet werden konnte. Für die Stadt selbst bot sich hier kein Raum; sie erstreckt sich deshalb über einen ebenen Landstrich im Norden, der von drei steilen Felsenbergen umstellt ist. Die Stadt wird durch das charakteristische Geviert der Wagenstraßen gegliedert, in dessen Zentrum ein kleiner, dem Vishnu geweihter Tempel liegt. Auf den drei Gipfeln ringsum liegen ebenfalls Heiligtümer, ein Schrein der Durga im Norden, des Kumara im Osten, und im Süden oberhalb des Haupttempels liegt der Schrein des Kanappa, des legendären Tempelgründers, der als erster den Luftlinga verehrt hat. 155
Diese Situation der drei Berge um die Stadt wird im Stadtritual des Hauptfestes (Shivaratri im Masi, d. h. Februar/März) aufgegriffen. Das Fest dauert in Kalahasti elf Tage, während der ersten fünf Tage umrunden die Prozessionsbilder die Stadt, morgens und abends auf der Wagenstraße. Am sechsten Tag wird tagsüber der Wagen224 gezogen, und abends findet das Floßfest statt, bei dem die Gottheit auf einem illuminierten Zeremonialfloß sechs mal den Teich rundet. Zu diesem Anlaß steigt Kumara, der Gott des östlichen Berges, herab, um dem Schauspiel auf dem Teich zu seinen Füßen beizuwohnen. An den nächsten beiden Tagen sind die Prozessionen – mit Ausnahme einer Elephantenprozession am Abend des siebten Tages rings um die Stadt – auf das Innere des Tempels beschränkt, wo das Hochzeitsfest Shivas mit seiner Gefährtin gefeiert wird. Am neunten Tag werden die beiden Berge nördlich und südlich der Stadt gleichzeitig umschritten, der nördliche von der auf dem Gipfel residierenden Durga und ihren Priestern, der südliche Kailasagiri jedoch vom Prozessionsbild des Haupttempels und einer großen Menge des Stadtvolkes. Am folgenden Tag werden die Idole zu rituellen Waschungen an den Fluß getragen, und am letzten Tag reisen sie noch einmal auf Palankins um die vier Straßen der Stadt.225 Auch im Telugu Monat Danurmasa (Dezember/Januar) finden dreißig Tage lang Prozessionen auf den vier Wagenstraßen statt. Am bedeutendsten jedoch ist eine Reise um den Kailasagiri am dritten Tag nach Sankranti, dem Tag, an dem die Sonne in das Sternbild des Steinbocks eintritt, was zugleich der Wintersonnenwende entspricht.226 Die Prozessionsbilder werden nur von einer kleinen Gruppe von Priestern begleitet, jedoch werden sie auf der anderen Seite des Berges am Koneti Raya Mandapa von einer großen Menge in Empfang genommen. Dies also ist das Thema der südindischen Ritualstädte. Die idealtypische Architektur, die in kontrastreichem Wechselspiel mit der Einmaligkeit der Situation steht, wird durch das zyklische Stadtritual zum Mittelpunkt der naturräumlichen Gegebenheiten gemacht. Zugleich wird die Starre und Monumentalität überspielt, die ihre Begründung darin findet, über der numinosen Stelle das Ideal eines geordneten Raumes zu errichten, über dem einmaligen Ort der Epiphanie, der auch den zahllosen Umschreitungen des Stadtrituals den kulturspezifischen Vorwand liefert. Dagegen konnten wir in vielen Städten beobachten, daß die Übungen des Pilgerrituals antizyklisch verlaufen, daß sie ihre Wege ganz auf die numinosen Qualitäten des Ortes, nicht auf die Architektur der Stadt lenken. Ihr Anliegen ist eine Beschwörung der Ursprünge, des Vorarchitektonischen. 156
So zweckgerichtet beides auch ursprünglich gewesen sein mag, so sehr hier auch religiöse Intentionen im Vordergrund stehen mögen, so schafft es doch in der Praxis ein vielschichtiges Beziehungssystem zwischen Mensch, Architektur und natürlicher Umwelt. Das Ritual „macht“ erst etwas aus der Stadt, aus ihren Elementen und aus der Zufälligkeit ihrer Umgebung. Der Tempel ist nicht länger irgendein Tempel, der Berg nicht länger irgendein Berg, ebensowenig wie Fluß, Stein oder Straße, die für das Stadtritual das Gerüst abgeben. Die Umschreitungen und Begehungen machen aus ihnen den Tempel, Berg oder Fluß einer bestimmten Geschichte, und damit appelliert die Gesamtheit aus Stadtarchitektur und Stadtritual an die Phantasie; sie weckt Träume, Wünsche und Vorstellungen, die in jedem Einzelnen und in der städtischen Gemeinschaft schlummern. Hier nun scheint mir die traditionelle indische Stadtvorstellung eine Dimension mit einzuschließen, die letztlich das Anliegen jeder Architektur, jeden Bauens und Siedelns sein muß: der künstlichen und natürlichen Umwelt dadurch einen Sinn zu geben, daß das Besondere einer lokalen Situation allgemeinen Begriffen zugeordnet wird, und daß die großen kulturellen Konzepte in der hautnahen Umgebung und der Eigenart eines Ortes ihren Kristallisationspunkt finden können. 5 Das Abgründige: Die Labyrinthe der unterirdischen Welt Die klassische Antike sah in dem Labyrinth des Dädalus vor allem ein legendäres Bauwerk, das sinnbildlich für eine Reihe verschiedener Inhalte stehen mochte, soweit diese in architektonischer Gestalt oder in architektonischem Rahmen zu fassen waren. Wir haben hier neben anderen Vorstellungen besonders die stadtmetaphorischen Aspekte behandelt, die uns in der vorliegenden Literatur allzu vernachlässigt schienen, aber auch dieser Ideenkreis ist wie alle anderen gegenüber der baulichen Gestalt des Labyrinths als Inbegriff höchster Kunstfertigkeit zunächst sekundär. Erst in der Spätantike tritt ein zweiter Gedanke hinzu, der das Labyrinth als einen anderen räumlichen Typus begreift und der, gegenüber den architektonischen, andere Topoi in den Vordergrund rückt: Explizit zuerst bei Claudianus um 400 n. Chr., implizit aber schon – wenn man der Schlußfolgerung von Eilmann folgen darf – bei Diodoros (um Christi Geburt) wird das Labyrinth als ein System unterirdischer Höhlen und Gänge beschrieben.227 Die dramatische Tat des Theseus wird damit aus der 157
So zweckgerichtet beides auch ursprünglich gewesen sein mag, so sehr hier auch religiöse Intentionen im Vordergrund stehen mögen, so schafft es doch in der Praxis ein vielschichtiges Beziehungssystem zwischen Mensch, Architektur und natürlicher Umwelt. Das Ritual „macht“ erst etwas aus der Stadt, aus ihren Elementen und aus der Zufälligkeit ihrer Umgebung. Der Tempel ist nicht länger irgendein Tempel, der Berg nicht länger irgendein Berg, ebensowenig wie Fluß, Stein oder Straße, die für das Stadtritual das Gerüst abgeben. Die Umschreitungen und Begehungen machen aus ihnen den Tempel, Berg oder Fluß einer bestimmten Geschichte, und damit appelliert die Gesamtheit aus Stadtarchitektur und Stadtritual an die Phantasie; sie weckt Träume, Wünsche und Vorstellungen, die in jedem Einzelnen und in der städtischen Gemeinschaft schlummern. Hier nun scheint mir die traditionelle indische Stadtvorstellung eine Dimension mit einzuschließen, die letztlich das Anliegen jeder Architektur, jeden Bauens und Siedelns sein muß: der künstlichen und natürlichen Umwelt dadurch einen Sinn zu geben, daß das Besondere einer lokalen Situation allgemeinen Begriffen zugeordnet wird, und daß die großen kulturellen Konzepte in der hautnahen Umgebung und der Eigenart eines Ortes ihren Kristallisationspunkt finden können. 5 Das Abgründige: Die Labyrinthe der unterirdischen Welt Die klassische Antike sah in dem Labyrinth des Dädalus vor allem ein legendäres Bauwerk, das sinnbildlich für eine Reihe verschiedener Inhalte stehen mochte, soweit diese in architektonischer Gestalt oder in architektonischem Rahmen zu fassen waren. Wir haben hier neben anderen Vorstellungen besonders die stadtmetaphorischen Aspekte behandelt, die uns in der vorliegenden Literatur allzu vernachlässigt schienen, aber auch dieser Ideenkreis ist wie alle anderen gegenüber der baulichen Gestalt des Labyrinths als Inbegriff höchster Kunstfertigkeit zunächst sekundär. Erst in der Spätantike tritt ein zweiter Gedanke hinzu, der das Labyrinth als einen anderen räumlichen Typus begreift und der, gegenüber den architektonischen, andere Topoi in den Vordergrund rückt: Explizit zuerst bei Claudianus um 400 n. Chr., implizit aber schon – wenn man der Schlußfolgerung von Eilmann folgen darf – bei Diodoros (um Christi Geburt) wird das Labyrinth als ein System unterirdischer Höhlen und Gänge beschrieben.227 Die dramatische Tat des Theseus wird damit aus der 157
künstlichen Kompliziertheit des legendären Bauwerkes in die Obskurität natürlicher Abgründe verlegt, und nun können alle jene Assoziationen, die sich mit dem Innern der Erde und mit ihren Grotten und Höhlen verbinden, für den Labyrinthtopos wichtig werden, während alle Gedanken, die um die Komplexität des Labyrinths als ein Werk von Menschenhand kreisen, mehr und mehr in den Hintergrund treten. Theseus wird zu einer Figur, die in die Unterwelt hinabsteigt, dort den Widersacher überwindet und als Befreier aus der Tiefe ans Licht zurückkehrt; die Parallele Theseus-Christus, die für die mittelalterlichen Labyrinthdeutungen so wichtig werden sollte, ist hier bereits angelegt. Für die Gesamtheit des Mythos ist dabei die negative Gestalt des Minotaurus nur ein Aspekt, und es ist zu fragen, wie demgegenüber das Labyrinth als unterirdisches Reich zu bewerten ist, welche Assoziationen also im antiken Verständnis weniger mit dem Bild der finsteren Unterwelt als mit dem Weg ins Innere der Erde, mit der Höhle sich eröffnen. Die antike Gedankenwelt verbindet mit diesem Motiv keineswegs an erster Stelle die Vorstellung von einem Schattenreich, wie man nach der Lektüre selbst so herausragender Werke wie Kerenyis Labyrinth-Studi-
108 Tellus-Relief von der Ara Pacis Augustae, Rom. In der Mittel Tellus, die Mutter Erde, umgeben von Feldfrüchten, Vieh und den Göttinnen der Land- und Meeresbrisen, über verschiedenen Gewässern thronend
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en228 anzunehmen geneigt ist; sie sah in ihr vor allem den Sitz lebensspendender Mächte. Dies gilt sowohl für die klassische Zeit, als auch für die Spätantike. Betrachten wir hierzu eine klassische Quelle und ihre spätantike Deutung, nämlich Homers dunkle Beschreibung der Nymphenhöhle, in der die Phäaken den heimkehrenden Odysseus niederlegen, und ihre brillante Auslegung durch Porphyrius (234– ca. 304 n. Chr.), einen Schüler Plotins. Die Stelle Homers lautet in der Übertragung von Voss: „(…) inwendig am stillen Ufer des Hafens Ruhn unangebunden die schöngebordeten Schiffe. Oben grünt am Gestad ein weitumschattender Ölbaum. Eine Grotte, nicht fern von dem Ölbaum, lieblich und dunkel, Ist den Nymphen geweiht, die man Naiaden benennet. Steinerne Krüge stehn und zweigehenkelte Urnen Innerhalb; und Bienen bereiten drinnen ihr Honig. Aber die Nymphen weben auf langen steinernen Stühlen Feiergewande, mit Purpur gefärbt, ein Wunder zu schauen. Unversiegende Quellen durchströmen sie. Zwo sind der Pforten: Eine gen Mitternacht, durch welche die Menschen hinabgehn, Mittagwärts die andre geheiligte: diese durchwandelt Nie ein sterblicher Mensch; sie ist der Unsterblichen Eingang.“229 Porphyrius deutet diese Verse Homers in seinem Werk De antro nympharum230, einer Schrift, die auch deshalb interessant ist, weil sie in einer Zeit geschrieben wurde, als die antike Philosophie gegenüber den Lehren des Christentums in Argumentationsnot geraten war und viele der klassischen Bilder und Symbole nicht mehr einfach als solche verständlich waren, sondern ausführlicher Erläuterung bedurften. So beginnt Porphyrius seine Deutung mit einer Einführung in die Höhlensymbolik der Alten. Seit ältester Zeit galten Höhlen als der Sitz unsichtbarer Mächte, da sie abgründig und dunkel sind. Zugleich aber ist es in ihrem Inneren immer feucht, und oft entspringen in ihnen Quellen oder sie sind von Wasser durchflossen. Diese Wasser sind den Najaden (Quellnymphen) geweiht, und damit erschließt sich nun eine erste Bedeutungsschicht der Nymphenhöhle des Homer: Während die Nymphen als eine Klasse untergeordneter Gottheiten ganz allgemein das lebendige Wirken und Schaffen der Natur darstellen, verkörpern die Quellnymphen die Schaffung immer neuen menschlichen Lebens in der Verbindung der sich inkarnierenden Seelen mit der stofflichen Welt. Die umherirrenden See159
len wollen sich im Blut binden, wobei Porphyrius erläutert, daß Blut Feuchtigkeit bedeutet, „die Körper wird“.231 Er verweist auf Heraklit, der lehrt, eine „trockene Seele“ sei „die klügste“, was besagen soll, daß nur die unerlösten, umherirrenden Seelen nach der Lebensfeuchtigkeit drängen.232 Nach diesen Erklärungen deuten sich nun auch die anderen Bilder Homers wie von selbst. Die steinernen Krüge sind die Knochen der sich bildenden Leiber, der Honig ist die neue Lebensessenz, und die „Feiergewande, mit Purpur gefärbt“, sind ein Sinnbild für das Fleisch der Körper, das die Nymphen „weben“. Und dies, meint Porphyrius, ist wahrhaftig „ein Wunder zu schauen“. Nun kann er auch erklären, warum die Höhle zwei Eingänge hat, von denen der eine dem Südwind, der andere dem Nordwind offensteht. Die Alten sahen in den Winden die umherirrenden Seelen, entweder auf der Suche nach neuer Stofflichkeit oder im Prozeß der Loslösung, und der Nordwind galt als der Wind der sich inkarnierenden, der Südwind dagegen als derjenige der sich befreienden See-
109 Das Innere der Nymphenhöhle von Vari am Südosthang des Hymmettos in Attika
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110 Römisches Wandbild aus dem Cubiculum der Villa des Publius Fanius Synistor zu Boscoreale bei Pompeji, das die Quellgrotte eines Gewässerheiligtums darstellt.
len.233 Dies, sagt Porphyrius, ist der offenkundige Sinn der Nymphenhöhle des Homer; ihr eigentliches Geheimnis aber will uns der Dichter im Bilde des Ölbaumes mitteilen, der oben über ihrem Abgrund steht. Der Ölbaum nämlich ist der Minerva zugeordnet, der Göttin der Weisheit, der allein das Attribut des immergrünen Baumes zukommt, den Porphyrius als Symbol der Beständigkeit und Allgegenwart versteht. Dies bedeutet nichts anderes, als daß die Höhle als Sinnbild der Welt und ihres zyklischen Lebens, als Bild des sich ständig wiederholenden und, wie man meinen könnte, sinnlosen Eingangs und Ausgangs der Seelen von der göttlichen Weisheit beherrscht wird.234 Porphyrius schließt De antro nympharum mit einer kurzen Bemerkung über die Stellung des Bildes der Nymphenhöhle im Gesamtplan der Odyssee. Nachdem die Phäaken den Schlafenden hier niedergelegt haben, ist seine Irrfahrt zu Ende, und die Götter gestatten ihm, zu Haus und Herd und Penelope zurückzukehren. So sind die zwölf Zeilen um die Höhle so etwas wie die metaphorische Wiederholung des Gesamtthemas des Epos, das ja die wechselhafte Reise eines Menschen durch die Wirrnisse des Lebens behandelt, bis er schließlich den Ort erreicht, den die Stürme und Wogen des Meeres nicht mehr erreichen können.235 Die Deutung der Nymphenhöhle der Odyssee durch Porphyrius ist uns ein nachdrücklicher Hinweis auf die Tatsache, daß das klassische Altertum mit der Höhlenvorstellung nicht ausschließlich die Ideenkreise um Tod, Unterwelt und Vergänglichkeit verband, sondern hierin den Beginn neuen Lebens erblickte und deshalb in der Höhle vor allem den Sitz der lebenserneuernden Mächte wußte. Diese Vorstellung, die bis in die Frühzeit der Antike zurückreicht und zahlreiche Parallelen schon in vorgeschichtlicher Zeit erkennen läßt236, konnte nicht ohne praktische Konsequenzen für die tatsächliche Nutzung unterirdischer Kammern und Gänge als Kultstätten bleiben; sie mußten von Natur aus als Heiligtum der lebensspendenden Gottheiten geeignet scheinen. Die Nymphen als bevorzugte Höhlenbewohnerinnen wurden schon erwähnt. Die Zahl heiliger Nymphenhöhlen in der gesamten klassischen Welt ist sehr groß; besonders bedeutend war die Nymphengrotte bei Vari in Attika, deren plastischer Schmuck, aus dem lebenden Fels gemeißelt, bis in die archaische Zeit zurückdatiert werden kann.237 Auch der Geburtsgöttin Eileithyia war eine Tropfsteinhöhle bei Amnisos auf Kreta, nicht weit von Irakleion geweiht, und es ist auch sicher kein Zufall, daß die Mythologie zahlreiche bedeutende Götter, nicht zuletzt den Göttervater Zeus, ihre frühe Kindheit in 161
Höhlen verbringen läßt, wo sie von Nymphen gehegt und von Höhlentieren gesäugt werden.238 Auch die zahlreichen Orakel des alten Griechenland unterstanden ursprünglich der Erdgöttin239, und als mit fortschreitender Entwicklung des Orakelwesens auch den Gottheiten der Vegetation und der Lüfte weissagende Kraft zugestanden wurde, blieben die bedeutendsten Orakelstätten weiterhin jene Orte, an denen man mit den Mächten der Tiefe in Verbindung treten konnte, vor allem eben Delphi, wo die phythische Priesterin vor dem Orakelspruch die aus einer Erdspalte emporsteigenden Dämpfe einatmete, und Patrai, wo Demeters Priesterinnen den ratsuchenden Kranken ihr Schicksal aus einem Spiegel weissagten, den sie zuvor in den heiligen Brunnen hinabgelassen hatten.240 Denn bei den göttlichen Bewohnern der Höhlen und der Tiefe nahm im Volksglauben nicht nur alles Leben seinen Ausgang; von ihnen konnte man auch hoffen, seinen zukünftigen Gang zu erfahren. Bezeichnenderweise wurde dieses antike Gedankengut von der frühchristlichen Welt aufgegriffen
111 G. B. Seroux d’Agincourts (1730–1814) Zusammenstellung christlicher und heidnischer Katakomben (1819). Hier spiegelt sich die zu seiner Zeit weit verbreitete Auffassung wider, daß das Souterrain die Urform des Kultbaues darstelle.
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und in christlichem Sinne umgedeutet. Es ist unklar, wie weit dies für die Bestattungspraxis in den Columbarien der Katakomben gilt, die ja nichts anderes sind als ausgedehnte unterirdische Höhlensysteme von ganz außerordentlichen Ausmaßen, und noch weniger weiß man die Frage zu beantworten, ob die christlichen Versammlungen und Kulte über den Gräbern der Märtyrer nicht auch in antiken Vorstellungen von der Macht des Erdinneren wurzeln.241 Jedenfalls war die unterirdische Zusammenkunft – nicht nur aus Sicherheitsgründen in den Jahrzehnten der Christenverfolgungen, wie häufig gesagt wird242 –, ein so charakteristisches Kennzeichen des christlichen Kultverhaltens, daß eine Quelle des dritten Jahrhunderts alle Vorwürfe gegen die Gemeinschaft in dem Satz zusammenfaßt: „Latebrosa et lucifugax natio, in publicum muta, in angulis garrula; templa ut busta despiciunt, rident sacra (…).“243 So wenig wir hier auch wissen, so sicher ist doch, daß die antiken Vorstellungen von den Kräften der Erde die frühchristliche Welt beschäftigt haben, und zwar in einem solchen Maße, daß darüber schwerwiegende theologische
112 Die ostkirchliche Idee der Höhlengeburt Christi in einer italienischen Darstellung des 13. Jh. (Rom S.Maria in Trastevere)
113 Kleine Holzkirche über einem „heiligen Stein“ bei Kössen in Tirol
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114, 115 Jesus in der Wüste (links). Die Heilige Maria, „die Ägyptische“, in der Wüste (rechts). Französische Darstellungen aus dem 14. und 15. Jh., bei denen die orientalische Wüstenlandschaft zur mitteleuropäischen Einöde, zum Wald geworden ist
Dispute aufbrachen. Eine solche Auseinandersetzung, die über Jahrhunderte nachwirkte, ist beispielsweise um die Frage der „Höhlengeburt“ Christi überliefert. Während Lukas 2, 6–7, über die räumlichen Umstände des Geburtsortes schweigt und lediglich die Krippe erwähnt, enthält schon die älteste Quelle des frühchristlichen Streites, der Dialog zwischen dem Heiligen Justinus und einem gewissen Typhon (um 160 n. Chr.), den Hinweis, es handle sich bei der Grottengeburt Christi um eine „mündliche Überlieferung“244. Auch in den neutestamentlichen Apokryphen finden sich Hinweise auf die Höhle als Geburtsort245, und aus solchen Überlieferungen entwickelte die Ostkirche „eine Theologie der Höhle, die darin gipfelte, Marias Mutterschoß mit der Berghöhle gleichzusetzen“246. Auch die Geburtskirche in Bethlehem, die sich die Lateiner, Griechen und Armenier teilen, steht über einer unterirdischen Grotte, eben jener, in der die Geburt stattgefunden haben soll.247 Für die römische Kirche blieben die Gedanken, die sich in der Höhlentheologie des Ostens oder auch in der Grottenarchitektur der Geburtskirche äußerten, zumindest dieser Form nach unannehmbar. Nicht zufällig hieß die Geburtskirche „Sta Maria de Praesepio“ – über die Tatsache der Krippe, die Lukas bezeugt, gab es keine Meinungsverschiedenheit. Aber die Theologie der Grotte und die Gleichsetzung des Marienschoßes mit der lebensspendenden Höhle enthielt für die römische Kirche 164
doch zu viele Elemente jener letzten Form antiker Höhlenvorstellung und antiker Religiosität, mit der sie sich gerade in ihrem Einflußgebiet auseinandersetzen mußte, Elemente des Mithraskultes nämlich, der besonders bei den römischen Truppen in den Kolonien verbreitet war.248 Dennoch gelangten die Vorstellungen vom lebenden und lebensspendenden Inneren der Berge, von den im christlichen Sinne umgedeuteten, segnenden und reinigenden Kräften der Tiefe, auch in den lateinischen Westen. Hier wirkte zunächst das Einsiedlerwesen vermittelnd, das das Ideal der Heiligen Antonius und Paulus in den Westen trug. An die Stelle der Wüsten des Orients, des klassischen Aufenthalts der frühchristlichen Eremiten, trat im kühlen und feuchten Norden der Wald, aber die Höhle blieb auch hier die bevorzugte Wohnstätte des Einsiedlers: die „Klause“, aus mhd. „Klüse“ mit der Bedeutung „Felsspalte, Engpaß, Kluft“249, wo „der Einsiedel zwischen Wurzeln und Kräutern und Wassern die tiefe Weisheit erlebt, daß jedes Menschenkind im Schoße der Natur geborgen ist und damit in der Hut des Allerhöchsten steht.“250 So klingt noch heute die antike Höhlenvorstellung in einer mit kirchlicher Druckerlaubnis erschienenen Schrift über das Einsiedlerwesen an. Einsiedlerhöhlen, denen der Nimbus der außergewöhnlichen Läuterungskraft, bezeugt durch übernatürliche Begebenheiten im Leben des Eremiten, anhaftete, wurden häufig zu einem Ziel der Pilgerfahrt, und damit wurden sie nicht selten zu architektonisch aufwendig gefaßten Anlagen im Inneren des Berges umgebaut. Ein solches Monument ist das „GrottaSantuario“ der Heiligen Rosalia (gest. 1160), der sizilianischen Einsiedlerin, deren über 50 m lange Tropfsteinhöhle im Monte Pellegrino bei Palermo als Kultstätte eingerichtet ist.251 Auch andere Höhlen in Italien und im Alpenraum enthalten Rosalienkapellen in Erinnerung an die Einsiedlerin. Besonders zahlreich aber sind die Grotten, die der Madonna geweiht und mit Marienkapellen oder -attributen ausgestattet sind. Nur selten handelt es sich dabei um die Stätten wunderbarer Marienerscheinungen, wie etwa die Grotten von Lourdes; oft sind es Höhlen, die in Erinnerung an die berühmten Vorbilder eingerichtet wurden. Meistens jedoch besteht überhaupt kein Bezug dieser Art, so daß man hier wohl ein unterschwelliges Fortleben der alten Vorstellung von der numinosen Macht der Höhlen sehen muß, der Welt Leben und Heil zu spenden.252 Dies ist besonders in den Grottenheiligtümern Italiens der Fall, in denen die antiken Höhlenkulte kaum verdeckt unter einer marianischen Wid165
mung fortleben. Das Quellenwasser, das in den Grotten zutage tritt, wird im Volksmund „latte di monte“ genannt, und die Marienkapellen dieser Höhlen werden von Müttern aufgesucht, die ihre Neugeborenen nicht stillen können. Scotti bezeugt diesen Brauch für die „Grotta dei Nove Casedde“ in Martina Franca (Taranto), die „Zinzulusa“ in Castellana und die „Còmoma Grande“ in Castelmorrone.253 Nächst der Widmung an die Jungfrau Maria – unter zahlreichen Beinamen – ist der Weihetitel des Erzengels Michael besonders häufig in den italienischen Höhlen- und Grottenkirchen zu finden, und in diesen Anlagen begegnet uns auch die architektonisch anspruchsvollste Ausbildung des Bautyps der Kulthöhle mit eingestellten oder vorgesetzten Architekturen. Das wohl ungewöhnlichste Monument dieser Art ist die Michaelsgrotte bei Olevano sul Tusciano bei Battipaglia, südlich von Salerno. „Der vordere Teil der Höhle bildet einen gerade in den Berg hineinführenden ,Raum‘. Ein solcher Hohlraum konnte nicht einfach als Kirche adaptiert werden, sondern nur als Standort von Sakralbauten. So sind denn schon
116 Plan des Grottenheiligtums auf dem Monte Gargano in Apulien. Die wichtigste Kultstätte im Inneren der Höhle ist das Presbyterium mit dem Michaelsaltar (10). Daneben liegt ein Marienaltar (12) vor einem Brunnen (13).
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im Frühmittelalter hintereinander nach Art eines Sacro Monte, um so mehr als das Terrain ansteigt – aufgereiht kleine Heiligtümer entstanden. In der vorderen Partie auf dem durch eine Treppe erreichbaren Podest steht die Chiesa dell’Angelo, ein gänzlich mit romanischen Fresken ausgemalter Dreiapsidensaal, nach vorn geöffnet, um vom Höhleneingang her Tageslicht zu empfangen. In einer Entfernung von etwa 170 m vom Höhleneingang folgt sodann auf erhöhtem Punkt ein winziger Kuppelbau, gänzlich in Finsternis gehüllt.“254 So wird hier die Höhle zu einem Stationsweg ins Innere der Erde, dessen symbolische Kraft die Pilger ganz unmittelbar in ihren Bann zog. Einem mittelalterlichen Bericht über den „goldenen Berg“ ist es besonders wichtig zu erwähnen, daß sich über der Höhle ein großer Wald erstreckt255, und so finden wir hier alle Elemente der Welt des Einsiedlers wieder, allerdings ins Monumentale gesteigert und als Gegenstand der kollektiven Wallfahrt: den Wald, die „Waldwüste“ des Mittelalters, als Inbegriff der unbeschränkten Lebenskraft der Natur, und tief darunter die Höhle, der verborgene Ort, an dem sich dieses Leben ständig erneuert. Es ist kein Zufall, daß diese Stätte, wie viele andere Höhlenheiligtümer auch, dem Erzengel Michael geweiht ist. Michaelsheiligtümer, Höhlen, Grotten, oder auch hoch in den Klüften der Berge, sind beinahe ebenso häufig wie Mariengrotten, und während diese – explizit in der Höhlentheologie der Ostkirche, implizit im Grottenkult der lateinischen Marienverehrung – in der Vorstellung vom Walten der segenspendenden Mächte des Erdinnern entstammen, haben jene ihren Ursprung in der Überwindung der finsteren Mächte der Tiefe. Noch für Gregor Reisch (gest. 1525) steht es in seiner Margarita Philosophica fest, daß sich im Innern der Erde nicht nur die positiven Lebensmächte der Natur bilden, sondern daß sich noch tiefer darunter, in einer vierfachen Hölle, die negativen Wesen sammeln und daß auch sie durch die Spalten und Höhlen an die Oberfläche dringen, vor allem in Gestalt giftiger Dämpfe.256 „Die Mächte der Finsternis (potentates tenebrarum) bedienen sich öfter solcher Ausdünstungen zur Schädigung des Menschen an Körper, Sinnen und Geist: Besonders, wer die Dämonen in ihren unterirdischen Höhlen aufsucht, um dort Aufschlüsse (responsa) von ihnen zu erlangen, dessen Auge und Antlitz verderben sie.“257 Der Erzengel Michael, als der biblische Überwinder der Mächte der Finsternis und der dämonischen Mächte der Tiefe, hat deshalb in den Höhlen und Klüften der Berge den Auftrag, die bösen Mächte auch in der Zeit an ihrem Ort zu halten, weshalb er bevorzugt an diesen Stätten ihres Wirkens erscheint. Es bleibt nach seinem Eingreifen die 167
positive Macht der Erde, die die Pilger lockt, und seine heiligen Stätten im Innern der Berge sind so angelegt, daß sie im Wogen der Pilgerströme, im Schein der Fackeln und Kerzen und im Wehen der Tuche und Gehänge diesen lebendigen Atem spüren lassen, diese stärkere Macht, vor der die unheimlichen Geister der Tiefe zurückweichen müssen, auch wenn sie im Verborgenen weiter präsent bleiben. Diese Ambivalenz der Michaelsheiligtümer übt eine ungeheure Faszination aus, und es bedarf schon der Feder eines Gregorovius, um sie literarisch zu fassen. In seinen Wanderjahren in Italien hat er 1874 die Michaelshöhlen auf dem Monte Gargano in Apulien besucht, auf jenem mächtigen Vorgebirge, wo am 8. Mai 493 der Erzengel Michael zum ersten Mal erschien und wo noch im gleichen Jahr die Kultstätte errichtet wurde, die zum Vorbild aller Michaelsheiligtümer des Abendlandes werden sollte.258 Gregorovius erreicht nach langer Wanderung die Pilgerstadt auf der Höhe des Berges, und schließlich blickt er in die Öffnung der Höhle: „Als wir vor ihr standen, sahen wir eine fremdartige und unbeschreibliche Szene, gleichsam ein Märchen mitten in einem erleuchteten Zauberberg. Dante würde sie für die göttliche Kommödie verwertet haben, wenn er ihr Zeuge hätte sein können. Dichte Scharen von Pilgern, vom Dämmerschein geisterhaft übergossen, bedeckten die Marmortreppe, welche aus der Kirche zur Grotte emporführt. Sie drängten sich aufwärts, oder sie standen oder sie lagen auf den Knien. Im fin-
117 Die Höhle ist so ausgedehnt, daß sie nicht mehr als einheitlicher Kirchenraum adaptiert werden konnte. Deshalb sind die einzelnen Altarbereiche durch Chorschranken abgetrennt und durch mehrere Stufen erhöht.
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steren Hintergrund der Höhle funkelten Kerzen auf dem mit Purpur gedeckten Altar, die weiße Gestalt des Erzengels bestrahlend, welcher seine Flügel zu regen schien. – Ein Priester und Chorknaben bewegten sich davor phantastisch mit Kniebeugungen hin und wieder. Der Gesang des Geistlichen hallte mit starker Stimme, und Orgelklänge fielen von unterwärts her ein. Die schattigen Gewölbe der Kirche, droben der schwarze Höhlenschlund, die aus ihm hervorquellenden Schimmer, die feierlichen Töne, die schweigende Menge des Volkes – all dieses unterirdische Wesen und Geheimnis brachte einen unsagbaren Eindruck hervor. Man hätte glauben können, als sei das ein Traum.“259 Was Gregorovius (1821–1891) hier atmosphärisch ein „unterirdisches Wesen und Geheimnis“ nennt, das ihm, dem Kind einer Generation, zu deren Lebzeiten die exakten Naturwissenschaften ihre alles erklärende Rolle eingenommen hatten, nur noch als „Traum“ faßbar scheint, war für Jahrhunderte selbstverständliche Realität, daß nämlich das Innere der Erde lebt. Selbst noch in den Fragmenten eines Novalis findet sich der bemerkenswerte und keinesfalls nur metaphorisch gemeinte Satz: „Wir leben eigentlich in einem Tiere – als parasitische Tiere. Die Konstitution dieses Tieres bestimmt die unsrige und vice versa.“260 Noch um die Wende zum 19. Jahrhundert also ist hier der alte Gedanke der Erde als Lebewesen expressis verbis formuliert; und auch die Vorstellung, daß dieses Leben als Entsprechung zum organischen Aufbau des menschlichen Körpers zu denken sei.261 Die Analogie des menschlichen Mikrokosmos und des Makrokosmos der Erde stellt sich vor allem in der Vorstellung eines unterirdischen Wasserkreislaufes dar. Schon in der Margarita Philosophica des Gregor Reisch erfährt man, daß der Bauch der Erde (venter terrae) von Hohlräumen „wie von Gedärmen“ durchzogen ist, in denen sich das Wasser durch Kondensation niederschlägt, in Quellen zutage tritt, in Flüssen dem Meer zuströmt, um vom Grunde des Meeres durch verborgene Spalten in die Höhlen und Gänge zurückzukehren, wo der Kreislauf aufs Neue beginnt.262 In besonderer Vollkommenheit hat Athanasius Kircher in seiner 1664 erschienenen Schrift Mundus Subterraneus dieses Denkmodell entwickelt263, das sowohl die theoretischen Geowissenschaften als auch die praktischen Erdbeschreibungen maßgeblich beeinflußte. Sichtbar von Kircher beeinflußt ist die 1681 erschienene Telluris Theoria Sacra von Thomas Burnet, in der der Versuch unternommen wird, die herrschenden naturwissenschaftlichen Auffassungen der Zeit mit den erdkundlichen und chronologischen Angaben der Bibel in Übereinstimmung zu bringen. 169
Burnets erdgeschichtliche Theorie, die übrigens ein ganzes Jahrhundert lang kaum ernsthaft in Zweifel gezogen wurde, ist ein faszinierendes Produkt barocken Denkens, in dem sowohl die geoffenbarten Wahrheiten der Bibel als auch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse – zum Beispiel der von Harvey 1628 entdeckte Kreislauf des Blutes – untrennbar miteinander verwoben sind.264 Diese Erdgeschichte liest sich wie eine Biographie. Ursprünglich war die Erde nach dem Willen des Schöpfers in ihrer jugendlichen Gestalt geometrisch regelmäßig gebildet. Ihre Achse stand parallel zur Umlaufbahn, und deshalb war sie eiförmig; das Land war eben, der Lauf der Flüsse geradlinig, und die Küstenlinien bildeten klar umrissene geometrische Flächen. Von den Eiskappen der Pole flossen die Ströme dem Äquator zu, wo sie ins Innere versickerten, um unterirdisch zu den Polen zurückzukehren und ihren Weg aufs Neue zu beginnen. Durch diese „Lebenstätigkeit“ alterte die Erde. Täler wurden abgetragen, Berge entstanden, die Küstenlinien wurden durch die Gezeiten zerfurcht, und am Äquator trocknete die Erdkruste allmählich aus und wurde rissig. 2000 Jahre nach der Schöpfung kam es zur Katastrophe. Die Erdschale brach am Äquator ein, das Wasser trat aus ihrem Inneren hervor, und alles Leben wurde vernichtet, so wie es die Bibel über die Sintflut berichtet. Damit wurde der Erosionsprozeß beschleunigt, und obwohl Gott den geordneten Kreislauf der Gewässer wiederherstellte, wurde doch die Gestalt der Erde noch
118, 119 Anthropomorphe Wahrnehmung von bizarren Naturformationen: Pater Martinis „menschengestaltiger Berg“ in China, in Kirchers „China Monumentis“ (1667), und der „Türkenkopf“ von Unterlaussa, Österreich, auf einer modernen Postkarte
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unregelmäßiger, und dies heißt für Burnet: noch unvollkommener, noch häßlicher. Aber das alles sei nötig gewesen, meint Burnet, um den Heilsplan zu vollenden: Zweitausend Jahre nach Christi Geburt, im „Annus Magnus“, wird die Welt verbrennen, sie wird ihre alte, regelmäßige Gestalt wiedergewinnen und nach Ablauf des Tausendjährigen Reiches wird der Schöpfer sie von ihrem irrenden Gang durch den Weltraum erlösen und in einen Fixstern verwandeln. Die Telluris Theoria Sacra schließt mit dem Satz: „So haben wir den Gang der Welt über einen Zeitraum von siebentausend Jahren verfolgt, durch verschiedene Zustände, vom dunklen Chaos zu einem hellen Stern.“265 Wenn Burnets Telluris Theoria Sacra als eine letzte Zusammenfassung der alten Gedankenwelt um die „Erde als lebendes Tier“ gelten kann, so bietet die nur wenige Jahre später (1689) erschienene Ehre des Herzogthum Crains von Johann Weihkard von Valvasor ein anschauliches Bild davon, welche Auswirkungen solche Wissenschaft auf die praktische, beschreibende Erdkunde hatte.266 Die geologischen und topographischen Passagen dieses Werkes sind durchsetzt mit anthropomorphen Bildern, die die beobachtenden Phänomene vor allem der Wasserverhältnisse in Flüssen, Seen und Grotten mit dem Konzept der sich in ihrem Inneren regenden und bewegenden Erde in Einklang bringen. So gerät Valvasor die Beschreibung des periodischen Sees im Polje von Zirknitz zur Anatomie eines unterirdischen Organismus, der Wasser aufnimmt und es über verborgene Adern in seinem Inneren auf rätselhafte Weise ausscheidet.267 Auch andere topographische Erscheinungen sieht er ganz in Übereinstimmung mit den alten Vorstellungen. Die Adelsberger Grotte, die er zum ersten Mal beschreibt, wird eine Versammlung von Fabelwesen und vorzeitlichen Gestalten, die sich hinter steinernen Larven verbergen.268 Die merkwürdigen Flußläufe im slowenischen Karst, bei denen das Wasser teils oberirdisch, teils in Tunneln fließt, sieht er als ein Verschlucken und Hervorspeien einer launischen Höhlenwelt, und die Tropfstemformationen bei St. Cantian, die einer gigantischen Weberstube mit Menschen, Tieren und Einrichtung ähneln, schildert er so, als sei hier in Umkehrung des Gedankens von der lebensspendenden Erde ein lebendiger Hausstand ins Innere gesunken und zu Stein erstarrt.269 Vor allem aber fasziniert ihn das scheinbar lebendige Hervortreten und Zurückfluten der Wasser, so als gingen sie aus dem Stoffwechsel eines Wesens in der Tiefe hervor, und folgerichtig sieht er nahezu alle Bäche und Flüsse „aus gesichtsförmigen Felsen entspringen“.270 Kircher und Burnet greifen altes Gedankengut auf und entwickeln es in Übereinstimmung mit neueren Erkenntnissen ihrer Zeit, Valvasor wendet 171
es in der praktischen Landeskunde an. In wichtigsten Teilen sind beide Werke abschließende Zusammenfassungen von Ideen, die in wenig systematischer Form, aber deshalb nicht weniger einflußreich für Jahrhunderte die Einstellung zur unterirdischen Welt bestimmt haben. Es versteht sich von selbst, daß dies auf die Entwicklung und Gestaltung solcher Architekturglieder einwirken mußte, die mit dem unterirdischen Reich ganz allgemein, insbesondere aber mit seinem Lebenselexier, dem Wasser, in Berührung traten.271 Flüsse und andere offene Gewässer haben im Abendland nie die symbolische oder metaphorische Bedeutung gewonnen, wie wir dies aus dem Orient und vor allem aus Indien kennen, wo die Architektur der Wasserbauten ausgesprochen typenbildend wirkte. Dagegen sind Brunnen und Becken immer ein zentrales Element der Bilderwelt in Märchen, Aberglauben und Volksreligiosität gewesen.272 Uns soll hier vor allem die eigentümliche Religiosität um Brunnen und Wasserbauten interessieren, da wir damit unversehens zur eingangs skizzierten Ideenwelt um Grotte und Höhle zurückkehren. Mit dem Motiv des Brunnens verbinden sich heilsgeschichtliche Vorstellungen, wie etwa die Idee des Paradiesbrunnens, dem die vier Paradiesströme entspringen, die die christliche Tradition als Sinnbild der vier Evangelien deutet. Christus selbst, als Verkünder der Lehre, die in den Evangelien niedergelegt ist, kann deshalb von den Mystikern als „Brunnen“ apostrophiert werden.273 Auf solche Vorstellungen geht die vor allem in der Toskana verbreitete spätmittelalterliche Gestaltung der öffentlichen Brunnen als Kelch zurück. Die schönsten und bekanntesten Beispiele sind aus der Frührenaissance erhalten, wie etwa der Pozzo auf der Piazza von Pienza oder vor dem Rathaus von Montepulciano.274 Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Pozzi in Venedig.275 Eigentlich handelt es sich hierbei nicht um echte Brunnen, sondern um eine Sonderform der Zisterne, bei der Regenwasser gesammelt, durch ein gegen das salzige Lagunenwasser dicht geschlossenes Sandbett gefiltert und dann über ein vier bis fünf Meter langes Brunnenrohr gezogen wird.276 Die Brunnenkränze, die frei auf der Fläche der Quartiersplätze stehen, heißen „Vera di pozzo“ und sind in der Regel wie große Kapitelle gebildet, die in ihren Formen den charakteristischen venezianischen Ordnungen folgen.277 Dies kann nur bedeuten, daß man die in die Tiefe reichende wassergefüllte Brunnenröhre als Säule verstand, und somit verbinden sich in diesem merkwürdigen architektonischen Typus zwei Ebenen christlicher Allegorese, die einmal auf die Figur 172
120–122 Indische Höhlentempel auf Elephanta bei Bombay: Orte meditativer Praktiken im Inneren der Erde. Oben Planskizze von Elephanta, Tagebuchskizze, 1967. Rechts Koloniale Umnutzung der Höhlentempel: Angloindisches Bankett zu Ehren des Prince of Wales unter den Säulen von Elephanta, 1875. Unten: Romantische Sicht der Höhlentempel auf einem Aquatintablatt der Oriental Scenery von Thomas und William Daniell, 1808.
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Christi als „fons vitae“, als Erlöser, hinweisen und zugleich auf sein Epitheton „Mittelpfeiler der Arche“, der geretteten Schöpfung.278 Ein anderer Typ des Brunnens gehört in den engeren Kreis der Mariensymbole, wofür der Pilgerbrunnen in Einsiedeln ein gutes Beispiel ist. 1748/1749 wurde über dem Becken, das auf ein Vorbild des 14. Jahrhunderts zurückgeht, ein siebensäuliger Pavillon errichtet, der an die Sieben Säulen der Weisheit in den Sprüchen Salomons erinnern soll. Am Gebälk des Baldachins findet sich eine Inschrift, die diese Bedeutung belegt: „Sapientia aedificavit sibi domum – Excidit columnas septem.“279 Marianische Brunnensymbolik und die Bedeutungen, die sich um den „sedes sapientiae“ ranken, werden hier wiederum in einem architektonischen Typus miteinander verbunden. Das gesamte Programm aus Wasser-, Höhlen- und Mariensymbolik findet sich in besonders inniger Verschmelzung bei einem Kloster in Arkadien, dem aus dem achten Jahrhundert stammenden Megaspiläon in den Bergen zwischen Korinth und Patras. Das Kloster verdankt seinen Namen („Große Höhle“) einer enormen Kluft im Inneren einer schroff aufsteigenden Felswand. Dort fand eine Hirtin namens Euphrosyne eine wundertätige Ikone, die der heilige Lukas im Inneren einer Platane vor dem Höhleneingang gemalt haben soll. Die Platane gilt seit dem Altertum als Quellenbaum, der das Wasser aus der Tiefe emporzieht; bei Ovid, Met. 10, 95 heißt sie deshalb „genialis“, das heißt ein wonniger, der Pflege des Genius oder dem Lebensgenusse dienender Baum.280 Ende des vorigen Jahrhunderts war die Platane bei Megaspiläon noch zu sehen, und Reisende berichteten: „Ihr hohler, aber frischer Stamm umschließt die Kapelle der Panagia Plataniotissa, die so geräumig ist, daß zehn Menschen darin Platz haben.“281 So begegnen hier an einem Ort, in der architektonischen Fassung von Höhle und Quellenbaum und in dem marianischen Weihetitel, die verschiedenen christlichen und antiken Vorstellungen vom lebenden und lebensspendenden Inneren der Erde in harmonischer Vereinigung. Es ist dies der Ort, auf einen weiteren Aspekt der Höhlenvorstellungen hinzuweisen. Sicherlich ist es kein Zufall, daß gerade die Klöster und Kultstätten der Ostkirche, die meditativen und kontemplativen Praktiken einen so breiten Raum einräumt, so zahlreich in Höhlen und Erdspalten hineingebaut worden sind. Eine theoretische Begründung ist mir nicht bekannt; ich möchte jedoch vermuten, daß hier die alte orientalische Vorstellung fortlebt, daß im Innern der Erde die Masse des umschließenden Gesteins auf die Energien des Adepten konzentrierend einwirkt. So jedenfalls erklärt auch Gerster die große Zahl der einzigartigen äthiopischen Felskirchen282, und 174
vieles weist darauf hin, daß auch in den übrigen Verbreitungsgebieten monolithischer und subterraner Kultstätten ähnliche Gedanken gewirkt haben, so etwa in Kappadokien, wo sich neben ausgedehnten troglodytischen Siedlungen, die noch heute bewohnt werden, auch zahlreiche monolithische Kirchen aus dem zehnten und elften Jahrhundert erhalten haben, oder auf dem Berg Athos, wo fast jede Form unterirdischer Architektur von der groben Grotte bis zum vollständigen monolithischen Bau vorkommt, und vielleicht auch in den älteren Höhlenbauten der Etrusker, Lykier und Perser.283 Die großartigsten Anlagen dieser Art befinden sich zweifellos in Indien. Sowohl Hindus als auch Buddhisten sind der Ansicht, daß die Zurückgezogenheit ins Erdinnere, wo mächtige Felsschichten die Zelle des Mönches überdecken, enorme meditative Energien freisetzt. Deshalb entstanden schon im dritten vorchristlichen Jahrhundert die ersten kultischen Höhlen, die jahrhundertelang zu immer ausgedehnteren Klosteranlagen ausgebaut wurden. Fergusson und Burgess erwähnen in ihrem klassischen Werk The Cave Temples of India (1880) über hundert solcher unterirdischer Klosterstädte, und seither sind noch zahlreiche weitere entdeckt worden.284 Daß Naturhöhlen und Höhlenarchitektur nachhaltig auf die Stimmung und Seelenlage des Menschen einzuwirken vermögen, daß sie nicht nur die Meditation fördern, sondern auch unmittelbar freudig stimmen oder das Gemüt niederdrücken können, ist ein Thema, dem sich der Theologe Jacques Gaffarel (1601–1684) lange Jahre seines Lebens gewidmet hat. Sein umfangreiches Werk, Librum de Cryptis toto Orbe celebribus (1637), ist nicht nur die erste systematische Höhlenkunde, sondern zugleich auch so etwas wie eine Anthropologie der Höhle.285 Das Buch ist leider vollständig verloren, doch kennt man seinen Inhalt aus dem ausführlichen Kommentar in Athanasius Kirchers Mundus Subterraneus sowie aus einem Bruchstück der Auflage von 1654, das in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt wird.286 Der vollständige Titel gibt das breit angelegte Programm wieder: „Die unterirdische Welt oder historische und philosophische Beschreibung sämtlicher schönster Höhlen und seltsamster Grotten der Erde, Höhlungen, Löcher, Kellerräume, geheimer Schlupfwinkel, verborgener Baue verschiedener Tiere, unbekannter Volksstämme; der Abgründe, Schluchten, wunderbarer Bergspalten; denkwürdiger Gruben, berühmter Bergwerke aller Art; unterirdischer Wohnorte, Grüfte, Katakomben, in den Fels gehauener Tempel, Schächte, außergewöhnlicher Quellen, Felsüberhänge, Zisternen, ausgehöhlter Wasserbecken und im allgemeinen aller berühmtesten Kavernen, Höhlen und Hohlräume der Welt und aller Merkwürdigkeiten, die sie enthalten.“287 175
Gaffarel teilt zunächst die Höhlen in fünf Hauptgruppen, in göttliche, menschliche, tierische, natürliche und künstliche. Zu den „göttlichen“ Höhlen zählt er die des Himmels, des Fegefeuers und der Hölle, an denen der Volksglaube und die nicht definierten Überlieferungen der Kirche festhalten. Hierher gehören auch alle unterirdischen Räume, die zu religiösen Zwecken benutzt werden (Höhlentempel, Kulthöhlen, Katakomben), die Höhlen, in denen sich Engelserscheinungen ereigneten und jene, die von „Zauberern, Hexenmeistern, Kobolden und Werwölfen“ benutzt wurden.288 Im zweiten Abschnitt werden alle Arten menschlicher Existenz aufgeführt, die nur irgend mit Höhlen in Verbindung zu bringen sind, die Höhlen der Gesetzgeber und Propheten, Kabbalisten, Philosophen, Dichter, Seher, der Besessenen, Landstreicher und Diebe. Die Höhlen der Heiligen und Einsiedler werden hier eingereiht, und dann folgen ohne Bruch die unterirdischen Welten der Riesen und Zwerge. Die tierbesiedelten Höhlen geben interessante Einblicke in den Stand der barocken Zoologie: In phantastischer Rangordnung werden die Exoten, Löwe und Tiger, die Fabelwesen und Drachen, die großen heimischen Raubtiere, Wolf und Bär, und schließlich die niedrigen Fische und Insekten als Höhlenbewohner aufgelistet. Als vierter Abschnitt folgt eine Beschreibung der Naturhöhlen; dazu gehören Eis- und Felshöhlen und vor allem auch die Höhlen des mensch-
123 Athanasius Kirchers Riesen als unterirdische Lebewesen, aus dem „Mundus Subterraneus“. Die kleinste Figur in der Reihe ist der „Homo Ordinarius“.
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lichen Körpers. Gaffarel spricht dann ausführlich über die wunderlichen Ereignisse, die in diesen Höhlen geschehen können, über ihre Fähigkeit, zu erheitern oder zum Weinen zu stimmen, munter oder schläfrig zu machen, todbringend, heilend, verjüngend oder gesundend zu wirken. Zum Schluß folgt eine Darstellung der künstlichen Höhlen: Zisternen, Wasserleitungen, Kanäle, Grüfte, Keller, Kavernen, Labyrinthe, Parkgrotten, Straßentunnel und Verließe.289 Der Abschnitt endet mit einer Systematik der Bergwerke und unterirdischen Steinbrüche, der sich eine astrologische und alchimistische Abhandlung anschließt. Mit seinen Ausführungen über Alchimie kehrt Gaffarel zu der alten Vorstellung zurück, daß im Erdinnern die Lebenskräfte verstärkt wirksam sind und hier, insbesondere in den Adern der Berge, die Metalle wachsen lassen. Bekanntlich sucht der Alchimist mit seiner Arbeit im Labor die Verwandlung der Metalle zu bewerkstelligen, die die Natur im Inneren der Gebirge selbst besorgt, dort allerdings in unendlich langen Zeiträumen. Dem wahren Alchimisten ist diese praktische Tätigkeit jedoch nur ein Mittel zu einem wesentlicheren Zweck; das eigentliche Ziel besteht darin, den Gesetzen der Natur und des Lebens auf die Spur zu kommen, denen auch der Mensch mit Physis und Psyche unterworfen ist. Das Medium dieses Vorganges der Erkenntnis ist der Ofen des Alchimisten (Athanor), in dem beschleunigt und unter den Blicken einer Anteilnahme, die sowohl beobachtende Vernunft als auch meditative Versenkung bedeutet, nachvollzogen wird, was in der Natur langsam und im Geheimen geschieht. In der alchimistischen Bildersprache, die alle Stufen des chemischen Prozesses in Symbolen und Emblemen darstellt, wird der Ofen nicht als technisches Gerät mit Füchsen und Feuerklappen abgebildet, sondern als Turm. Demgegenüber verweist das Bild eines Berges mit dem Eingang einer Höhle auf den natürlichen Ablauf der Vorgänge im Schoße der Erde. Höhle und Turm bilden also in der Nomenklatur der Alchimie ein Begriffspaar.290 In der alchimistischen Illustrationskunst werden die beiden Bilder in der Regel noch durch weitere zeichenhafte Darstellungen ergänzt, die die übrigen in der Metamorphose wirkenden Kräfte ausdeuten sollen. So gehört zum Turmbild des Athanor die Darstellung der flüchtigen Elemente, die aus ihm entweichen oder in Gestalt des Feuers in ihm wirken, und dies wird häufig durch Fahnen auf seiner Spitze oder geflügelte Wesen auf seinen Zinnen symbolisiert. Die Höhle dagegen ist aufs Engste mit den metallerzeugenden Planetengöttern besiedelt oder aber auch direkt von einer Frauengestalt bewohnt, die die fruchtbaren Kräfte der Tiefe in sich vereint. 177
Das gesamte Modell ist auf einer Miniatur der Bibliotheca Apostolica Vaticana aus dem Jahre 1480 wiedergegeben.291 Wir sehen einen Berg, in den unten eine Höhle hineinführt, während sich auf seinem Gipfel ein roter Turm erhebt, auf dem ein geflügeltes Wesen steht. Über dem Blatt steht die Bezeichnung „Monte delli Ebrei“, vielleicht eine alchimistische Usurpation der wörtlichen Bedeutung des Stammesnamens „Hebräer“, der soviel wie „die Jenseitigen“ bedeutet und der hier, in übertragenem Sinne, auf die Verwandlung des Adepten im alchimistischen Lernprozeß angewendet wird. 178
124, 125 Alchimistische Auffassung der unterirdischen Welt Links: Das Wachsen der Metalle im Inneren der Berge: Im Inneren einer Grotte sitzen musizierend die Metalle, darüber thronen die Gestaltungskräfte der Erdoberfläche, während in den Eckzwickeln die vier Elemente abgebildet sind. Aus dem „Musaeum Hermeticum“, 1627 Oben: Den gleichen Vorgang der allmählichen Bildung der Metalle will der Alchimist im Labor künstlich und schneller wiederholen: deshalb die häufige Gegenüberstellung von Höhle und Labor. Titelkupfer zu den „Opera Omnia“ des J. B. von Helmont, 1682
Aus der Höhle tritt ein bärtiger Mann, dem eine Frau nachschaut. Dieser alte Mann ist Boas („in ihm ist Kraft“), der biblische Stammesvater, der in den Berg hineingeht, um sich dort mit der Ährenleserin Ruth zu vereinigen.292 Wir haben es hier mit einer biblisch-christlichen Version des alchimistischen Themas des Läuterungs- und Wandlungsprozesses zu tun, der im alttestamentarischen Geschehen langsam beginnt, im neutestamentarischen – Turm und Engel – beschleunigt fortgeführt wird. Trotz zahlreicher ähnlicher Darstellungen dieses Gegenübers, das immer zugleich sinnbildlich und eben auch wörtlich als Nebeneinander von Labor und Bergwerk zu verstehen ist, hat sich kein Bauwerk aus der hohen Zeit der Alchimie erhalten, das einen Bautyp „Turmlabor über dem Höhleneingang“ expressis verbis belegen würde. Um so überraschender ist es, das gesamte Programm der vatikanischen Miniatur in einem modernen Bauwerk wiederzufinden, das in jahrzehntelanger Arbeit von einem ungewöhnlichen Menschen namens Robert Garcet errichtet wurde. Dabei ist Garcet in der alchimistischen Lehre überhaupt nicht zu Hause und hier zeigt sich, daß in den alchimistischen Anschauungen wie auch in allen anderen Gedankengebäuden um das lebendige Innere der Erde archetypische Vorstellungen wirken, die zwar historisch unterschiedlich ausgeprägt sind, die auch in 179
verschiedenen Epochen in unterschiedlichem Maße architektonisch zu lesen waren, im Grunde genommen aber überhistorisch sind. Noch heute vermag ein Mensch von besonderer Schaffenskraft und so ungewöhnlicher Sensibilität, wie sie Garcet zweifellos besitzt, diesen archetypischen Anschauungen wirkungsvoll Ausdruck zu verleihen. Das Lebenswerk von Robert Garcet faßt die verschiedenen Aspekte des Abgründigen der unterirdischen Welt, die wir in den einzelnen historischen Ausprägungen beobachten konnten, noch einmal abschließend zusammen und setzt ihnen in einem kolossalen Turmbauwerk über einem labyrinthischen unterirdischen Höhlensystem ein eindrucksvolles architektonisches Monument. Die bizarre Architektur steht auf einer Anhöhe über dem kleinen Ort Eben-Emael in Belgien, unweit von Lüttich. Über dem Eingang zu einer stillgelegten Feuersteinmine erhebt sich ein quadratischer, siebengeschossiger Turm von 33 Meter Höhe und 12 Meter Breite, mit vier zylindrischen Ecktürmen. Auf den Plattformen über diesen Türmen stehen gewaltige, aus Beton modellierte geflügelte Wesen, die an die Erscheinungen der Apokalypse erinnern. Durch den Kern des Bauwerkes zieht sich ein massiver, im Untergeschoß plastisch behandelter Mittelpfeiler, um den die verschiedenen Räume gruppiert sind: im Erdgeschoß Labor und Werkstatt, im Obergeschoß Wohnräume und auf zwei Ebenen die Versammlungsräume der ostbelgischen Anarchisten. Vom Untergeschoß führt eine Treppe in den Keller, von wo aus man über einen steil abwärts geneigten Gang in das Labyrinth der unterirdischen Höhlen gelangt, die sich mehrere hundert Meter weit in den Berg hinein winden.293 Diese ungewohnte Anlage aus Turm und Höhle ist auf das Engste mit der persönlichen Lebensgeschichte des Erbauers verbunden. Garcet war Schachtmeister in den Feuersteinminen bei Maastricht, wo er etwa dreißig Jahre lang unter Tage arbeitete. Nach seiner Pensionierung erhielt er von der Bergbaugesellschaft die Genehmigung, auf dem Gelände einer erschöpften Mine eine Parzelle zu erwerben und darauf seinen Turm zu errichten. Mitte der fünfziger Jahre begann er den Bau, an dem er fast zwei Jahrzehnte arbeitete, da er das ganze Unternehmen allein oder nur mit Hilfe weniger Arbeitskräfte bewältigen mußte, was für sich allein schon eine unerhörte Arbeitsleistung darstellt, da die gesamte Fassade mit Feuerstein verkleidet ist, mit einem Material also, das so hart ist, daß man es kaum bearbeiten kann. Weit eindrucksvoller jedoch als die rein manuelle Leistung ist das architektonische Konzept des Bauwerks und seine Beziehung zum 180
unterirdischen Höhlensystem, reich an archetypischer Ausdruckskraft und von einer atmosphärischen Macht, die den Besucher unwillkürlich in ihren Bann zieht. Denn diese Mauern und Höhlen sind nicht nur archetypische Bilder, die uns unmittelbar betreffen; in ihnen atmet auch das gesamte Leben des Monsieur Garcet: seine Phantasien und bildreichen Vorstellungen, seine bestechende Kunstfertigkeit im Umgang mit Stein, aber auch seine oft bedrückenden fanatisch vertretenen erdgeschichtlichen und weltanschaulichen Theorien. Der Feuerstein, den Garcet dreißig Jahre lang abgebaut hat, kommt in den tertiären Kalksteinschichten des Maestrichtien sowohl in unregelmäßig geformten Knollen als auch in Form horizontal gelagerter Platteneinschlüsse vor. Die bekannten geologischen Theorien schienen Garcet höchst widersprüchlich und unzureichend, die mannigfaltige Formation des Feuersteines zu erklären; im Laufe der Jahre entwickelte er seine eigene Vorstellung von der Bildung des harten Gesteins. Er glaubt, daß im Inneren der Erde mikroskopisch kleine Lebewesen existieren, die er „petrophages“ („Steinfresser“) nennt. Diese „petrophages“ verzehren in unendlich langen Zeiträumen das Muttergestein, und ihre Exkremente verfestigen sich zu Flint, zu einer Masse also, die sechzehn Mal härter ist als Granit. Was wir für totes Gestein halten, ist für Garcet eine enge Symbiose der „petrophages“ und kleinster mineralischer Partikel. Der erste Teil von Garcets Werk ist auf den Nachweis dieser Lebewesen gerichtet. In seinem Laboratorium im Erdgeschoß des Turmes fertigt er zahllose Steinschnitte, die er mikroskopisch untersucht, photographiert und zeichnet. Zweifellos hat Garcet im Laufe dieser Arbeit enorme geologische Kenntnisse erworben, der die Fachwelt, die ihn im übrigen belächelt, einigermaßen ratlos gegenübersteht. Ein Schlüssel zu Garcets Lebenswerk ist sicherlich seine ungewöhnlich starke assoziative Phantasie. In den photographischen Vergrößerungen seiner mikroskopischen Steinschnitte, die die Struktur der Mineralien bis weit über die Wiedergabemöglichkeiten des Filmmaterials hinaus vergrößern, sieht Garcet überall die Spuren lebendigen, organischen Wirkens im Inneren der Erde. Man ist beständig an die alchimistische Vorstellung der wachsenden Metalle und Mineralien im Schoß der Mutter Erde erinnert. Garcet ist zugleich Künstler. Die Wände seines Laboratoriums sind mit zahlreichen Gemälden, Plastiken und Modellen behängt, die den lebendigen Prozeß abbilden. Seine kolorierten, mit Tusche gezeichneten Schichtenprofile und Steinschnitte sind Darstellungen von bestechender malerischer Qualität. 181
126–130 Der Turm des Robert Garcet Eben-Emael, Ostbelgien, der die klassische alchimistische Symbolik von Turm und Höhle – wie sie auf der Vatikanischen Miniatur von 1480 dargestellt ist – in eine tatsächlich gebaute Architektur umsetzt
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Bei seiner täglichen Arbeit unter Tage stieß Garcet immer wieder auf bizarr geformte Feuersteinknollen, die ihn an rudimentäre Portraitbüsten erinnern. Er sieht in diesen Steinen die Portraitkunst eines verschollenen vorgeschichtlichen Volkes, des „Ancien Peuple“, von dem er glaubt, daß es alle Kenntnisse unserer Zeit bereits besaß und zusätzlich noch die Magie beherrschte. Die „Portraits“ sind ihm der Beweis für die überlegene Kunst des Alten Volkes, denn ein einziger Stein kann mehrere Konterfeis
127 Der Turm im Bau
128 Grundriß der unterirdischen Galerien
129 Schnitt durch den Turm
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130 Silhouette des Turmes mit den vier Wesen
enthalten; je nachdem, unter welchem Blickwinkel man die Stücke betrachtet, kann man andere „Köpfe“ und „Profile“ erkennen. Garcet verkörpert hier plötzlich die unheimliche Fähigkeit der menschlichen Imagination, sich ihre eigene Wirklichkeit zu schaffen, wie sie O. Henry in der Gestalt eines Detektivs literansierte, der in einem Tapetenflecken an der Wand eines New Yorker Hotelzimmers das Gesicht eines Mannes erkennt und der dann alle Winkel der Weltstadt solange durchstreift, bis er ihn schließlich findet.294 Garcet hat in den unterirdischen Galerien der alten Feuersteinmine ein Museum des „Ancien Peuple“ angelegt, zunächst eine Portraitsammlung, und dann baute er in den Nebenhöhlen und Kammern des labyrinthischen Systems lebensgroße Figurengruppen, die wie Dioramen gearbeitet sind und das Alte Volk bei Spiel und Arbeit, bei Magie und Kult zeigen. Während dieser Arbeiten fand er künstlich bearbeitete Feuersteine, und von da an glaubte er, eine Siedlungsstelle des „Ancien Peuple“ gefunden zu haben. Astrologische Beobachtungen bestätigten seine Vermutungen, und als er schließlich die Konturen der europäischen Landkarte studiert, als 184
er die Verbindungslinien zwischen den wichtigsten mystischen Stätten der Vergangenheit – etwa Patmos und Stonehenge – verbindet und feststellt, daß sie sich häufig im Gebiet von Eben-Emael überschneiden, wird ihm die Vermutung zur Gewißheit: Sein Turm steht auf uralter Stätte. Er erlernt die Kunst der Herstellung von Feuersteinwerkzeugen und ergänzt die Sammlung seiner Funde. Er entdeckt eine Galerie „steinzeitlicher“ Werkzeuge und Geräte, die wie das Zeughaus eines vorgeschichtlichen Gemeinwesens anmutet. Dazwischen hegen, sorgfältig numeriert und beschriftet, Fossilien und mineralogische Funde in großer Zahl, die Reste einer versunkenen Welt, von der Garcet glaubt, daß sie weiser und reifer war als die Jetztzeit, ein paläontologisches Paradies, das er in seinem Berg anschaulich rekonstruiert und das er beredt in all seinen Vorzügen zu schildern weiß: Hier im Innern der Erde wirken nicht nur die lebendigen Kräfte der Natur, die die Mineralien verwandeln, hier weht auch ein letzter Hauch des alten Wissens. Der Turm und die Höhlen des Monsieur Garcet sind bei aller Exzentrizität ein ungeheuer fesselndes Erlebnis, denn hier hat ein Mensch die Erfahrung und Mühen seines alltäglichen Arbeitslebens als Steinhauer in eine subjektiv höchst befriedigende Deutung und Sinngebung seines Lebens und aller Phänomene, die ihn umgeben, mit hineingenommen. Der jahrzehntelange, tägliche Umgang mit dem Stein ist ihm dabei Ausgang und Anhaltspunkt, sowohl in der Entwicklung seiner Weltanschauung als auch in ihrer architektonischen bildhaften Darstellung. Sein kostbar gearbeiteter Feuersteinturm ist die oberirdische Verfeinerung und künstlerische Vollendung seines groben Handwerks unter Tage. Nichts bleibt in seinem Werk reiner Gedanke. Garcet, der im handwerklichen Tun, im Steinhauen lebt, ist seine Philosophie unter der Hand zu einer kunstvoll in Stein gefügten, sinnlich erlebbaren Wirklichkeit geworden.295 Hier scheint die alchimistische Bilderwelt der Vatikanischen Miniatur des „Monte delli Ebrei“ nachgelebt zu werden. Da steht sein Turm mit den geflügelten Wesen; wo der christliche Alchimist den Engel gemalt hat, erheben sich bei Garcet die gefiederten Fabelwesen. Da ist Frau Ruth, in der Höhle, hier wie dort die unterirdische Schöpferkraft der Natur, zugleich die Wurzel allen Wissens. Und der alte Mann Boas, der in den Berg hineingeht, das ist Garcet selbst.
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6 Das Übermenschliche: Die Architektur der Höhle Vor der Westküste von Schottland, nicht weit von Mull in den Inneren Hebriden, liegt die kleine Insel Staffa, nur etwa 360 Hektar groß und unbewohnt, aber berühmt wegen ihrer Basaltsäulen und Höhlen. Die Basaltsäulen, aus denen die gesamte Steilküste und die Wände der Höhlen bestehen, sind eine geologische Merkwürdigkeit, hervorgerufen durch das rasche Abkühlen eines Lavastromes beim Eintritt in das Meereswasser, wodurch die plastische Masse zu riesengroßen sechseckigen Prismen erstarrt ist. Diesen merkwürdigen Gebilden verdankt die Insel ihren Namen; „staff“ ist eine alte nordgermanische Bezeichnung für „Säule“ oder „Stange“.296 Staffa war seit Anfang des 19. Jahrhunderts eines der beliebtesten Reiseziele der britischen Inseln, und vor allem eine große Höhle in den Klippen der Südküste, die „Fingalsgrotte“, stand im Ruf, ein wahres Wunderwerk der Natur zu sein. In Meyers Konversationslexikon von 1871 lesen wir unter dem Stichwort „Fingalshöhle“: „Berühmte Grotte an der Südwestküste der Hebrideninsel Staffa, eine der größten und schönsten Naturmerkwürdigkeiten Europas, dem Inneren eines großen Münsters vergleichbar (…). Die Wände bestehen aus Reihen von prächtigen, meist sechseckigen und 17 Meter hohen Basaltpfeilern, die wie nach den Gesetzen der Perspektive regelmäßig abzunehmen scheinen und ein gewaltiges, 76 Meter langes Gewölbe tragen, das aus oberen Säulenenden besteht, deren Schäfte ohne Zweifel vom Meer weggerissen worden sind (…). Die Basaltpfeiler, die dicht gedrängt das mächtige Portal der Grotte bilden, die mit Säulen bekleidete, von einer Säulendecke überwölbte Halle, die das Meer zum wogenden Estrich hat, dazu das wunderbare Farbenspiel der lichtgrünen Flut, des Rosenroths, der zarten Seegewächse, mit denen das vom Meer bespülte Gestein bewachsen ist und des dunklen Brauns der Säulenschäfte: alles zusammengenommen gewährt einen unvergleichlichen Anblick (…).“297 Die Beschreibung verrät, daß die ungewöhnliche Ähnlichkeit der natürlichen Formationen mit Elementen und Baugliedern der Architektur die besondere Faszination dieser Höhle ausmacht, so daß selbst das Meer noch bildhaft ein „Estrich“ genannt werden kann. Zugleich verdeutlicht die floskelhafte Selbstverständlichkeit, mit der hier in einem Lexikonartikel architektonische Begriffe in so großer Häufung auf Naturphänomene angewendet werden, daß diese Sehweise im letzten Drittel des 19. Jahr186
hunderts schon zur bloßen rhetorisch gemeinten Metapher erstarrt ist, während noch zu Beginn des Jahrhunderts die „künstlerischen Schöpfungen“ der Natur in einem sehr wörtlichen Sinne mit der Terminologie der Architektur belegt werden.298 In besonderem Maße gilt dies für die großen Höhlen und Grotten im Inneren der Erde, die eine beredte Theorie als eine gigantische Baukunst vormenschlicher Epochen hinzustellen weiß, die aller Kunst und Architektur weit überlegen scheint und bestenfalls als unerreichtes Vorbild anzusehen ist.299 Diese Rezeption der „Kunst der Natur“ entwickelt sich in einem allmählichen Prozeß, der das ganze 18. Jahrhundert andauert.300 Die architektonische Sicht der Höhle als eines gigantischen Bauwerkes der Natur, diese Spezifizierung einer allgemeinen ästhetischen Tendenz der Zeit also auf ein bestimmtes Naturphänomen, verbunden mit einem bestimmten Wahrnehmungsmuster, können wir jedoch sehr viel genauer in Raum und Zeit lokalisieren. Sie beginnt mit der Entdeckung der Insel Staffa durch Sir Joseph Banks, die mehr als eine geographische, vor allem eine ästhetische Entdeckung war. Als Sir Joseph Banks (1744–1820), ein bekannter englischer Botaniker und vor allem ein bedeutender Mäzen der naturwissenschaftlichen Forschung, im Jahre 1772 eine Reise nach Island vorbereitete, erzählte ihm ein Ire namens Leach von den Merkwürdigkeiten der Insel.301 Dies veranlaßte Banks, die Route durch die Hebridensee zu wählen und Staffa zu besuchen. Zwei Jahre später berichtete er in einem kurzen Aufsatz, den Thomas Pennant in seinen Tours in Scotland veröffentlichte, über den großen Eindruck, den die Basaltformationen auf ihn gemacht hatten.302 Er nimmt seinen wissenschaftlichen Bericht über die prismatischen Basaltwände der Insel zum Anlaß, über ihre Beziehung zu den Werken der Baukunst nachzudenken, und erzählt, wie er mit seinem Reisebegleiter, Uno von Troil, dem Erzbischof von Linköping, beim Anblick Staffas darüber diskutiert habe, wie doch die Natur in ihren Schöpfungen allen menschlichen Bemühungen um Erhabenheit und Größe der Kunst so unendlich überlegen sei. Dieser Bericht, in dem die ungewöhnlichen und erdgeschichtlich interessanten geologischen Formationen einer Höhle am Rande der Welt von einem der bekanntesten Naturforscher der Zeit als ein gewaltiges, in Pracht und künstlerischer Wirkung unerreichtes Bauwerk der Natur geschildert werden, traf auf offene Ohren. Er weckte in der gelehrten Welt die Neugier, selbst nach Staffa zu reisen und dieses Märchenbauwerk der Natur mit eigenen Augen zu sehen.303 Einer der ersten, der „mit der ge187
131 „Fingal’s Cave“ auf Staffa (nach Daniell); eine große, von regelmäßigen Basaltpfeilern gebildete Höhle
132 Nahsicht von Staffa, nach Daniell, 1818
spanntesten Erwartung“ den Spuren von Banks folgte, war der französische Geologe und Paläontologe Barthélemy Faujas de Saint-Fond (1741– 1819). Der Besuch der Fingalshöhle auf Staffa stellte zweifellos den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Reise dar; ausführlich berichtet er über dieses Erlebnis im zweiten Band seiner 1791 erschienenen Voyage en Angleterre. Beim Anblick dieses „natürlichen Palastes“ ruft er aus: „Wie blenden nicht die antiken Portiken unsere Augen in all der prahlerischen Pracht, von der man uns erzählt! Und wie sind wir nicht beim Anblick der Kolonnaden unserer modernen Bauten von Bewunderung ergriffen! Aber wenn man [den Palast des] Fingal gesehen hat, den die Natur selbst auf der Insel Staffa errichtet hat, dann kann man keine Vergleiche mehr ziehen und dann muß man einfach zugeben, daß dieses Stück Architektur, ausgeführt durch die Natur, bei weitem die Kolonnaden des Louvre übertrifft, oder jene von Sankt Peter zu Rom, ja selbst alles, was uns von Palmyra oder Paestum geblieben ist – alles, was der Geist, die Vornehmheit und der Geschmack der Griechen hat erfinden können.“304 Dies ist nun in der Tat eine höchst bemerkenswerte Schilderung und ästhetische Wertung, denn hier wird deutlich, daß Faujas die Formationen der Natur nicht einfach als eine Art zufälliger Architektur versteht, sondern als wirkliches architektonisches Kunstwerk begreift, das man mit den gleichen Begriffen beschreiben und ästhetisch beurteilen kann wie die Architektur von Menschenhand. Er geht sogar so weit, die Fingal’s-Höhle mit den großen Monumenten der Baukunst zu vergleichen; bei jedem einzelnen Kriterium, nach dem sich im Geschmack der Zeit die architektonische Qualität bestimmt, fällt der Vergleich zugunsten der Natur aus: „Ich habe 188
133 Abbildung der Fingalshöhle bei Faujas de Saint-Fond, 1797, einem der ersten gelehrten Reisenden, der die Höhle als ein „Bauwerk der Natur“ darstellt und in seiner Gravur entsprechenden Wert auf die tektonische Struktur der Höhlenwände legt
nirgendwo auf der Welt etwas (in diesem Zusammenhang: ein Gebäude, A.d.V.) gesehen, das diesem Werk ebenbürtig oder vergleichbar wäre, weder in der bewundernswerten Regelmäßigkeit der Säulen, oder des hoch aufragenden Gewölbes, noch in seiner einmaligen natürlichen Lage, und schon gar nicht in der Anmut seiner Einzelformen.“305 Hier sind Grundbegriffe der klassischen Architekturtheorie angesprochen: Regelmäßigkeit und Ebenmaß der Bauglieder, richtige Lage des Gesamten. Da muß Faujas sich fragen, wie die Natur ein Werk schaffen kann, das doch über die Meisterwerke der Kunst so erhaben ist, obwohl hier alle Kunst verschwendet scheint. Die traditionelle Widmung der Höhle als Wohnsitz eines mythischen Kulturheros scheint ihm die richtige Deutung: Die großen Kunstwerke der Natur entstammen jener fernen, glücklichen Zeit, als die Götter noch auf Erden wandelten, als Mensch und Natur noch in Harmonie vereinigt waren.306 189
Dies klingt nach der alten Auffassung der alles harmonisch in sich vereinigenden Mutter Natur, wie wir sie in der leibmetaphorischen Sicht der Labyrinthe der unterirdischen Welt in vielerlei Formen wirken sahen. Und doch sind die Akzente hier ganz anders gesetzt. Hier geht es nicht um ein „Miteinander wachsen“, um ein geheimes Wirken sympathischer Naturkräfte, die mehr geahnt als gewußt und nur metaphorisch zu umschreiben sind, hier ist der Gedanke ausgesprochen, daß in Natur und Kunst die gleichen Gesetze walten und die Natur deshalb als apriorische Vollendung dieser Gesetze aller Kunst von vornherein überlegen sein müsse. Einer der ersten, der solche Ideen formulierte, war der englische Essayist Joseph Addison (1672–1719), wenngleich er sich mit dem Zusammenhang von Natur und Kunst im allgemeinen befaßte, ohne besonders auf die Architektur einzugehen. Er schrieb in Nummer 144 des Spectator, den er seit 1711 herausgab: „Wenn wir die Werke der Natur und der Kunst daraufhin betrachten, in welcher Weise sie die Vorstellungskraft [imagination] zu beflügeln vermögen, so finden wir letztere sehr unzulänglich im Vergleich mit ersterer; denn wenn sie auch ebenso schön [beautiful] oder merkwürdig [strange] erscheinen mögen, so haben sie doch nichts von jener Weite [vastness] und Unermeßlichkeit [immensity], die ja gerade so sehr das Gemüt [mind] des Betrachters bewegen (…). Es ist mehr Kühnheit [im Original adjektivisch: bold] und Meisterschaft [adjektivisch: masterly] in den groben und sorglosen Strichen der Natur als in den Nettigkeiten [nice touches] und Verzierungen [embellishments] der Kunst.“307 Die gleichen Kategorien – Unermeßlichkeit, Kühnheit, Meisterschaft, Weite –, die für Addison die entscheidenden Vorzüge der „Künstlerin Natur“ ausmachen, finden wir ein Menschenalter später bei Banks und Faujas de Saint-Fond wieder, hier allerdings auf die natürliche Architektur der Höhle zugeschnitten. Die „Baumeisterin Natur“ verwirklicht mit Leichtigkeit in ihren Monumenten all jene Ideale, die der Architekt nur zu erträumen vermag; Ideale, wie sie die Architekten des 18. Jahrhunderts in ihren imaginären Veduten ja auch tatsächlich zu fassen versuchten: Die Natur allein vermag das Gigantische zu verwirklichen, ihr allein gelingt die höchste Vollkommenheit und Erhabenheit, und zugleich ist ihr Werk aller Architektur von Menschenhand darin überlegen, daß seine Ursprünge unendlich weit zurückliegen, sich im vorzeitlichen Dunkel verlieren und eben gerade dadurch die Vorstellungskraft beflügeln, wie es Addison gefordert hat. Die „Architektur“ der Natur kennt nicht die engen Gren190
zen, die Statik, Ökonomie und Arbeitskraft dem Menschenwerk setzten; sie baut vor den Augen einer langsam der Romantik entgegenwachsenden Zeit die kolossalen Paläste und Hallen im Inneren der Berge, die bis dahin der Welt der Mythen und Märchen vorbehalten waren. Als der Reisende Thomas Garnett zehn Jahre später (1802) Staffa besuchte, erschien ihm die Insel vom Boot aus als „eine unermeßliche Kathedrale“, deren ungeheures Dach von Erstaunen erregenden Pfeilern, die mit aller Regelmäßigkeit der Kunst gebildet schienen, gestützt war: „Etwas weiter hin, auf derselben Seite der Insel, erblickten wir die Fingalshöhle, eine der prachtvollsten Ansichten fürwahr, welche dem Auge nur mag gewährt werden. Sie gleicht dem Inneren eines Münsters von unermeßlichem Umfange, der jedes menschliche Kunstwerk an Regelmäßigkeit erreicht, an Größe und Erhabenheit aber unendlich hinter sich zurückläßt. Die Regelmäßigkeit ist das Einzige, was die Kunst sich rühmet, vor der Natur voraus zu haben; hier aber hat die Natur gezeigt, daß es ihr ein leichtes sei, auch in diesem Stück den Menschen in sein Nichts herabzusetzen, und seine eigene Geringfähigkeit ihm fühlbar zu machen. Es unterscheiden sich die Werke der Natur gemeiniglich durch einen Charakter von Hoheit, welcher jene gleichmäßige Stellung des Einzelnen, so die Menschen Regelmäßigkeit nennen, die aber richtiger Beschränktheit der Begriffe und Armuth der Ideen heißen könnte, verschmähet. Hier aber hat dieselbe in einer spielenden Laune ein regelmäßiges Stück Architektur aufgeführt; allein nach einem so unermeßlichen Maßstabe, daß alle Tempel, von Menschenhänden gebaut, dagegen in Nichts zusammenschrumpfen.“308 Bei Addison noch fragend und hypothetisch als Ansatz zu einer ästhetischen Theorie vorgetragen, bei Banks noch in die Form eines Dialogs mit seinem gelehrten Begleiter gekleidet, hier, bei Garnett, ist die Wahrnehmung der großen Formationen der Natur als die ursprünglichste und großartigste Kunst schon Gemeinplatz geworden. Ja, dem Reisenden ist diese architektonische Sicht der Höhle auf Staffa schon ein Beleg seiner künstlerischen Bildung geworden, denn er referiert beflissentlich: „Bedenkt man die Ähnlichkeit dieses Naturspieles mit einem menschlichen Kunstwerke, so wird es niemanden Wunder nehmen, daß solches in den Zeiten der Unwissenheit in der Tat für das Letztere ist gehalten worden. Da aber gewöhnliche Menschenkräfte viel zu ohnmächtig sein dürften, ein so kolossalisches Unternehmen auszuführen, so ward es durch die Sagen eines fantasiereichen Volkes einem Geschlechte von Riesen zugeschrieben, die solches für ihren weit gefeierten Heerführer, Fion = mac 191
Cool, das ist Fingal, den Sohn Comhalls, den Vater Ossians aufgeführt hätten. Dieser Glaube herrscht noch jetzt unter dem Volke. Als unser Dollmetscher mich mein Erstaunen über dies Naturwunder ausdrücken hörte, sagte er mir: es werde gemeiniglich für ein Werk Fion = mac Cool’s und seiner Nachfolger gehalten; er seiner Seits aber sei der Meinung, daß es von St. Columbo sei erbauet worden.“309 Man sieht Garnett lächeln und nachsichtig die ungebildete Meinung des einfachen Gemüts dahingestellt sein lassen. Die Fingalshöhle wurde schnell berühmt und das beliebte Ziel des beginnenden Tourismus zu den Naturwundern der Welt. 1818 brachte kein geringerer als William Daniell seine neun Illustrations of the Island of Staffa, in a series of views310 heraus, die einen Auszug seiner voluminösen Voyage Round Great Britain 311 bildete. Im Vorwort des Bandes begründet er diesen Entschluß damit, daß Staffa in kürzester Zeit so enorm populär geworden sei, daß er dem Publikum seine Blätter nicht bis zum Erscheinen des Gesamtwerkes vorenthalten wolle.312 Was wir hier an der Entdeckungs- und Rezeptionsgeschichte der Insel Staffa und ihrer „Höhlenkathedrale“ nachzeichnen konnten, ist keine isolierte Einzelerscheinung, sondern charakteristisch für eine erstaunliche ästhetische Neigung dieser Zeit, die monumentalen Formen der Natur als übermenschliche Kunstwerke zu begreifen. Während Berge und Felsen, selbst ganze Küstenlinien und die noch nicht mit Sicherheit als Menschenwerk identifizierten megalithischen Monumente als natürliche Skulpturen gesehen wurden, entdeckte man im Inneren der Erde, in den Höhlen und Grotten, eine gigantische unterirdische Architektur, in der sich die Natur als unnachahmliche Baumeisterin zeigt.313 An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte in ganz Europa ein Höhlentourismus ein, der Züge eines Pilgerwesens zu den natürlichen Ursprüngen der künstlerischen Schöpfung trug und dessen von architektonischen Vorstellungen getragene, assoziative Naturauffassung auch die wissenschaftlichen Forschungsreisen in die arktische und tropische Welt nachhaltig beeinflußte. Es entstand eine umfangreiche Literatur von „architektonischen“ Höhlenbeschreibungen, die der rein wissenschaftlichen deskriptiven und erklärenden Höhlenkunde um ein halbes Jahrhundert vorausgeht. 1799 veröffentlichten Rosenmüller und Tilesius den ersten Band ihrer Beschreibung merkwürdiger Höhlen, 1805 folgte ein zweiter, der die umfangreiche Sammlung von insgesamt einhundertdreizehn Berichten von Reisenden, Forschern, Naturwissenschaftlern und Abenteurern 192
abschloß.314 Diese farbig illustrierte Sammlung präsentiert sich wie ein Musterbuch der verschiedenen Formen literarischer und bildlicher Darstellungen der unterirdischen Welt aus architektonischer Sicht. Sie beginnt mit der Schilderung der berühmten englischen Höhlen von Castleton in Nord Derbyshire, die 1789 von einem Holländer namens Johann Meermann Freiherr von Dalem besucht und beschrieben wurden.315 Die Höhlen liegen unweit des Dorfes unterhalb einer Klippe, auf der sich oben die Ruinen des Peveril Castle erheben. Der geräumige, vom Tageslicht noch ausreichend erhellte vordere Teil wurde seit dem 16. Jahrhundert als Seilerei benutzt, das eigentliche Höhlensystem dagegen entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem beliebten Reiseziel, das dem Grundherrn erhebliche Einkünfte einbrachte.316 Des Freiherrn von Dalem Schilderung ist weit mehr als die Beschreibung einer Naturmerkwürdigkeit; der Weg ins Innere der Erde wird ihm zum Gleichnis einer Lebenswanderung, zunächst durch eine dunkle Unterwelt, dann aber in das unterirdische Märchenreich der Natur, wo er nie Gesehenes erblickt und aus dem er schließlich geläutert zurückkehrt. Er vermeidet es, wohl in Beherzigung des Goetheschen Wortes „Man merkt die Absicht und ist verstimmt“, dieses eigentliche Thema seiner Erzählung allzu platt auszusprechen, sondern kleidet es geschickt in eine immer
134 Die Darstellung der Reka-Höhlen in maßstäblichen Grundrissen und Schnitten
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auch sinnbildlich zu verstehende, sorgfältig geplante Abfolge seiner Eindrücke und Beobachtungen. Schon der Eingang der Höhle bereitet ihn auf die großen Ereignisse vor: „Etwas majestätischeres, als die erste Ansicht, kann man sich nicht vorstellen. Es ist, als wenn das Auge auf einmahl Erlaubniss bekäme, in das Innere der Erde einzudringen. Von Bewunderung hingerissen stand ich hier eine Weile und erstaunte über die entsetzliche Höhe des steilen Felsen, den ich vor mir erblickte, an beiden Seiten mit grünem Gebüsch bewachsen, oben die zerfallenen Mauern und Thürme eines alten Schlosses, das ehemahls auf diesem hohen Felsen stand, und unten an seinem Fuße die ungeheure Oefnung zum Eingange in die Höhle, wo alles stockfinster ist, wenn man auf einmahl aus dem hellen Sonnenlichte hinunter blickt.“317 Während er noch da steht und ihm die Ruine über der Klippe ankündigt, daß hier die Kunst des Menschen ihr Ende findet, schickt ihm die Natur unversehens einen Boten, einen „Wilden Mann“, wie ihn der Volksglaube als den Abkömmling der Elementargeister kennt, halb tierisch in seinem Äußeren zwar, aber allwissend und hilfsbereit.318 „Indem ich voll Verwunderung da stand, bemerkte ich im dunklen Eingang der Höhle einen Mann von wildem und rauhem Ansehen, der mich fragte, ob ich die Höhle besehen wollte, wobei seine harte Stimme in der Höhle einen starken Widerschall gab. Als ich dieß bejahete, fragte er mich weiter, ob ich auch über die Flüsse gesetzt seyn wollte? und bestimmte zugleich eine Kleinigkeit an Gelde, die ich dafür bezahlen müßte.“319 Bei dieser Frage wird ihm der Unheimliche zum Fährmann der klassischen Mythologie, der die Schatten der Verstorbenen über die Flüsse der Unterwelt setzt und dafür einen Obulus erhält, der nach antikem Brauch den Toten vor der Bestattung in den Mund gesteckt wurde:320 „Dieser Mann hatte mit seinem schwarzen struppigen Haar und schmutzigem zerrissenen Anzug ein so wildes Charonsmäßiges Ansehen, welches seine Stimme und seine Fragen noch vermehrten, daß die sonderbare Täuschung, in welche man beim Anblick dieser Höhle versetzt wird, schon hier ihren Anfang nahm. Da ich mich zu seiner Forderung verstanden hatte, sagte er, ich solle ihm nur dreist folgen; und wir traten nun zusammen in die lange geräumige und hohe Wölbung hinein. Zur linken Seite in der Mündung der Höhle lag ein abgehauener Stamm eines Baumes, bei welchem die Knaben des Orts spielten. Der Weg gieng anfänglich durch die nach und nach niedriger werdenden Gewölbe etwas abschüssig hinunter, so daß sich der Tag, welcher durch die Oefnung beim Eingange 194
hineinfiel, allmählich in Dämmerung verlohr. Wir giengen nun noch einige Schritte vorwärts, und welch ein Anblick war es für mich, als ich auf einmahl zu meiner rechten Seite unter dem ungeheuren Gewölbe der Höhle ein ganzes unterirdisches Dorf erblickte, wo die Einwohner, weil es Sonntag war, von ihrer Arbeit feierten und vergnügt und fröhlich mit ihren Kindern vor den Thüren ihrer niedrigen Hütten saßen. Kaum hatten wir diese kleinen Häuser hinter uns zurückgelassen, so erblickte ich hin und her zerstreut eine Menge großer Räder, worauf diese unterirdischen Bewohner der Höhle an Werkeltagen Seile verfertigten.“321 Nun wird ihm die Höhle vollends zu einem Zwischenreich: „Ich glaubte hier das Rad des Ixion und die unaufhörliche Arbeit der Danaiden zu sehen.“322 Im Weitergehen wird es dunkler, das Bild Ixions, des Stammesvaters der halb der urwüchsigen Natur angehörenden Kentauren, taucht vor ihm auf, der, auf ein feuriges Rad gefesselt, zusammen mit des Danaos sinnlos werkelnden fünfzig Töchtern, den Mörderinnen ihrer Gatten, in die Unterwelt verbannt wurde. Wie unheimlich dies alles Dalem auch scheinen mag, wie sehr ihn auch die zunehmende Dämmerung zunächst bedrückt, er vertraut sich doch seinem Führer an, und dies ist der richtige Weg: „Dies allmählige Zunehmen der Dunkelheit erweckt eine süße Melancholie, indem man den sanften Abhang der Höhle hinunter geht, als endete hier ohne Schmerz der Lebensfaden, und wandelte man nun so ruhig dem stillen Lande zu, wo keine Qual mehr ist. Endlich schloß sich das hohe Gewölbe des Felsen, wie sich der Himmel an die Erde zu schließen scheint, als wir an eine kleine Pforte kamen, wo uns eine alte Frau aus einer der Hütten zwei Lichter brachte, wovon jeder von uns eines nahm. Mein Führer öffnete nun die Pforte, welche die schwache Dämmerung vollends ausschloß, die vorher noch übrig war, und uns in das Innerste dieses nächtlichen Tempels führte, dessen Vorhof wir bis jetzt nur betreten hatten.“323 Es ist eine feierliche Welt, die er nun mit seinem Führer durchwandert, eine ernste und dunkle Unterwelt noch immer, aber eher wie ein großer und erhabener Tempel, der Ehrfurcht einflößt, ihn aber nicht länger zu ängstigen vermag wie das Schattenreich beim Eingang der Höhle. „Nachdem wir hier eine ganze Stunde, wie unter einem schwarzen mitternächtlichen Himmel, auf einem ebenen, sandigen Erdreich gewandert waren, senkte sich endlich der Felsen allmählig wieder nieder, und wir fanden uns auf einmal an einem ziemlich breiten Gewässer, das bei 195
dem Flimmern unserer Lichter, mitten in der Dunkelheit einen wunderbaren Widerschein gab. Am Ufer war ein kleiner Kahn befestigt, in welchem Stroh lag. Mein Führer hieß mich hineinsteigen, und mich ganz ausgestreckt darin niederlegen, weil in der Mitte des Flusses der Felsen beinahe das Wasser berühren würde. Als ich mich niedergelegt hatte, stieg er selbst bis über den halben Leib ins Wasser, und zog das Boot nach sich. Rund umher herrschte eine feierliche Todtenstille, und so wie das Boot fortrückte, senkte sich der Felsen wie eine dunkelgraue Wolke immer tiefer nieder, bis er endlich beinahe mein Gesicht berührte, und ich im Liegen kaum noch das Licht vor meiner Brust in die Höhe halten konnte, so daß ich in meinem Fahrzeuge, wie in einem beklemmenden Sarge lag, bis wir durch diese fürchterliche Enge hindurch kamen, und sich der Felsen auf der anderen Seite in die Höhe zog, wo mich mein Führer am gegenseitigen Ufer wieder aussetzte.“324 Jenseits des Flusses, den er in „feierlicher Todtenstille“und „wie in einem (…) Sarge“, kurz: wie den Acheron auf dem Weg ins Jenseits überquert, hat Dalem das erste Erlebnis einer ihm unbekannten, künstlerischen Fähigkeit der Natur: Er hört von fern eine wunderbare Musik. Als er näherkommt, verlieren sich die harmonischen Töne, und schließlich trifft er auf einen Wasserfall, dessen Geräusch die Natur in den Gängen und Windungen der Höhle so zu brechen vermochte, daß sie ihm als die Kunst eines Virtuosen erscheinen konnte. So sind Dalem nun Auge und Ohr für die Kunst der Natur geöffnet, die ihm schon bald ihr größtes Werk in dieser Höhle zeigt, einen prachtvollen unterirdischen Saal, dessen Architektur ihm unvergleichlich großartig scheint: „Wir setzten (…) unseren Weg längs dem Ufer des schmalen Gewässers fort, (…) bis mich mein Führer zu einer der prächtigsten Erscheinungen vorbereitete, die wir jetzt haben würden. Kaum waren wir noch einige Schritte gegangen, so traten wir in einen majestätischen Tempel mit prächtigen Bogen, die auf schönen Pfeilern ruhten, welche die Hand des künstlichsten Baumeisters gebildet zu haben schien. Dieser unterirdische Tempel, woran keine Menschenhand gelegt war, schien mir in dem Augenblick an Regelmäßigkeit, Pracht und Schönheit die herrlichsten Gebäude zu übertreffen. Voll Ehrfurcht und Staunen sah ich hier in den innern Tiefen der Natur die Majestät des Schöpfers enthüllt, die ich in dieser feierlichen Stille und in diesem heiligen Dunkel anbetete, ehe ich die Halle dieses Tempels verließ.“325 Nach diesem Abstieg ins Innere der Erde, wo die Natur sich als großartige Künstlerin und Baumeisterin zeigt, vermag Dalem die Welt neu zu 196
sehen. Er kehrt zurück, „und ehe noch mein Führer das Pförtchen eröfnete, sagte er, jetzt würde ich einen Anblick haben, der alle die vorigen an Schönheit weit übertreffen würde. Ich fand, daß er Recht hatte; denn indem er die Pforte erst halb öfnete, war es mir wirklich, als thäte ich einen Blick in Elysium, in einem solchen wunderbaren erquickenden Dämmerlichte zeigten sich alle Gegenstände. Der Tag schien allmählig anzubrechen, und Nacht und Dunkel schwanden. In der Ferne sähe man zuerst wieder den Rauch der Hütten, und dann die Hütten selber; und wie wir höher hinaufstiegen, sahen wir noch die Knaben bei dem abgehauenen Stamme spielen, bis endlich die röthlichen Purpurstreifen des Himmels durch die Oefnung der Höhle schimmerten, und gerade, indem wir hinausstiegen, die Sonne im Westen untersank.“326 Nun hat ihn die Erde wieder, und alles ist, wie es immer war: „die Knaben spielen noch“, so kurz war er nur in dem unterirdischen Reich, aber dennoch so sehr von diesen Bildern der reinsten und ursprünglichsten Kunst der Natur verändert, daß ihm der Sonnenuntergang als der Anbruch eines neuen, elyseischen Tages erscheint. Während die anspielungsreiche Sprache Dalems die Schilderung seines Weges ins Erdinnere höchst allgemein in ein diffuses „neues Weltgefühl“ einmünden läßt, ist der etwa gleichzeitig veröffentlichte Bericht einer Höhlenbefahrung durch den Franzosen Marsollier sehr viel spezifischer in der Darstellung der Wandlung, die der Forscher bei seiner unterirdischen Reise erfährt327: Hier steigt ein „Geognostiker“, wie sich die Geologen der Zeit nannten, in die Erde hinab, um die Strukturgesetze der Minerale und Kristalle zu erforschen, aber der Abstieg in die unterirdischen Paläste der Natur wird ihm förmlich zu einer Bekehrung vom nüchternen Naturwissenschaftler zum schwärmerischen Ästheten. Marsollier besucht die „Hexenhöhlen“ bei der Stadt Ganges in den Cevennen, die französisch „La Baume des Desmoiselles“ genannt werden.328 Sein Bericht beginnt mit einer Darlegung des wissenschaftlichen Interesses, das er und seine Begleiter an der unterirdischen Reise haben. Ausführlich schildert er die technischen Vorbereitungen, die sie für das Unternehmen treffen. Aber oben vor dem Höhleneingang schlägt er zum ersten Mal in seiner Schilderung einen anderen Tonfall an: „Der Platz hat eine romantische Lage; er ist ringsherum mit Bäumen, Pflanzen und wilden Weinstöcken, von denen die Trauben herabhängen, umgeben. Dieses herrliche Grün ist recht dazu geschaffen, die Rückerinnerung an die heitere Natur lebhaft zu erhalten, von der man sich trennen muß, um in die finsteren Tiefen sich hinab zu begeben.“329 197
Bedeutsame Ereignisse künden sich an; der Hund seines Begleiters bleibt heulend und knurrend „an der Öffnung des Schlundes“ zurück.330 Bald nach dem Abstieg gelangt er in eine weite Halle, die er nicht schwärmerisch genug als eine märchenhafte Architektur beschreiben kann: „In diesem zweiten Saale hat man einen überaus herrlichen Anblick. Man glaubt, besonders an der linken Seite, einen Vorhang von unermeßlicher Höhe zu erblicken, der mit Brillanten besäet ist; er wirft die schönsten Falten, und berührt unten den Boden: kurz, es ist nichts anders, als ob er von der Hand eines Künstlers aufgehängt worden wäre. Versteinerte Wasserfälle, weiß wie Email, andere gelb, scheinen in gebrochenen Wellen auf den Zuschauer nieder zu stürzen. Der erste Eindruck ist unbeschreiblich überraschend, hernach steht man erstaunt und in tiefes Anschauen versunken, stumm und gleichsam leblos. Es scheint, als wenn eine höhere Macht alles auf einmal fest gezaubert hätte, wie in den Zauberpalästen, wo zu den Zeiten der Feen die Reisenden alles prächtig fanden, ohne ein beseeltes Wesen anzutreffen. Säulen von verschiedener Art, diese halb gebrochen, andere wie Obelisken gestaltet, das Gewölbe mit Festons und Kränzen behangen; diese durchsichtig wie Glas, jene weiß wie Alabaster, Kristalle, Diamanten, mit einem Worte, die sonderbarste Sammlung von Kostbarkeiten; alles wirkt zusammen, um uns recht lebhaft an die Erzählungen von Feenpalästen zu erinnern, die in den früheren Jugendjahren so vielen Reiz haben und so gerne gehört werden.“331 Aber noch möchte er nicht mißverstanden werden, und er weist noch einmal ausdrücklich daraufhin, „daß alle diese bezaubernden Schönheiten ein Werk des sich verhärtenden oder versteinernden Tropfsteinwassers sind.“332 Die Gesellschaft steigt tiefer in den Berg hinein und findet merkwürdige Kristalle, für deren bizarre Formationen Marsollier allerhand geologische Erklärungen weiß. Aber plötzlich gelangt die Gruppe in eine Halle von ansehnlicher Größe, die wie eine gigantische zerstörte Architektur erscheint, bei deren Anblick Marsollier betroffen schweigt: „Hier erblickt man nichts, als umgekehrte, zerborstene, auf einander gehäufte und überhängende Felsen; unwiderlegliche Beweise ehemaliger gewaltiger Erschütterungen in dem Innern der Erde. Alles ist hier traurig, und man entfernt sich bald von diesem Orte, aus Furcht, daß die ungeheueren Felsstücke losbrechen, und den Zuschauer zerschmettern möchten. Doch kaum hat man sich von diesem fürchterlichen Schauplatz der Zerstörung weggewendet, so sieht man wieder andere Stellen, die nicht weniger furchtbar sind. Zuletzt befindet man sich in einem großen Amphitheater, wo man endlich mit der Furcht vertraut wird, und wo in den Gegen198
ständen, die man vor Augen hat, die Regeln der Optik und Mathematik unaufhörlich übertreten zu seyn scheinen.“ 333 Hier beginnt es den Höhlenforschern zu schwanen, daß nicht alle Kunst der Natur bloße Sinterbildung sein kann, wenn sie solche Betroffenheit auszulösen vermag: Das große Werk einer schöpferischen Phantasie scheint hier vernichtet, und die geborstenen Gewölbe scheinen ein tragisches Schicksal unter sich zu bergen. Die Spuren der Katastrophe haben den Menschen die Augen für diese Wunderwelt geöffnet, und nun beginnen sie in allem, was zuvor nur Stein und zufällige Erstarrung war, ein großartiges künstlerisches Wirken zu erblicken: „Pfeiler von einer erstaunlichen Höhe; ein Saal so groß wie eine Kirche, und eine Wölbung, deren Höhe wir mit unseren Augen, selbst da, wo wir standen, nicht erreichen konnten; unter uns steile Abgründe, deren Tiefe nicht zu schätzen war; alles versetzte uns in Staunen, und reizte unsere Neubegierde.“334 Und inmitten des Gewaltigen sehen sie nun die höchste Vollendung des feingliedrigen Kunstwerkes: „Jeder Schritt, den wir von nun an thaten, brachte uns neue Ansichten vor, die wir nicht genug bewundern konnten. Ein weisser Altar, dem besten Porzellan gleich, drei Fuß hoch, vollkommen oval, mit regelmäßigen Stufen, war der erste Gegenstand, der uns auffiel. Das Altarblatt war von blendendem Email, und die Blumenzierrathen standen übereinander, wie die Blätter einer Artischocke.“335 Die Natur scheint unbegrenzt in ihren künstlerischen Möglichkeiten, und in ästhetischer Absicht kann sie selbst ihre eigenen Gesetze außer Kraft sezten, wenn sie Säulen errichtet, „gelblich und gewunden, die an vielen Stellen, ihrer Dicke ungeachtet, durchsichtig sind“.336 Vor allem aber ist sie in ihrer Architektur so überwältigend, daß das größte Werk von Menschenhand daneben wie ein Zwergenspiel erscheint: „Der Raum, in welchem wir uns gegenwärtig befanden, ist halb so groß als die Stadt Ganges. Unsere Augen konnten weder die Höhe noch die Tiefe messen. (…) Steinmassen, so groß wie ganze Kirchengebäude; andere wie versteinerte Wasserfälle oder Wolken gebildet; Pfeiler in allen Richtungen gebrochen, mit Zweigen von Email bedeckt und mit Blumen und Zierrathen, wie kleines Zuckergebäcke geschmückt, theilten unsere Aufmerksamkeit.“337 In den Versteinerungen und Gebilden der Baukunst der Natur erblicken die Naturforscher neue Formen und Stile, die die Geschichte der Architektur noch nicht hervorgebracht hat: „Wir sahen einen Obelisken von der Höhe eines Turmes, spitzig ausgehend, ganz rund, von röthlicher Farbe und seiner ganzen Höhe nach in den schönsten Verhältnissen wie mit dem Meißel gearbeitet.“338 199
Der letzte Abschnitt von Marsolliers Bericht liest sich wie die Confessio eines naturwissenschaftlichen Eiferers, der sein Damaskus erfahren hat und im Anblick der künstlerischen Vollkommenheit der unterirdischen Natur gesteht, „daß wir außer uns gebracht wurden und im Stillen der bildenden Natur unser Opfer darbrachten.“339 „Wir nahmen in dem großen Saal eine Mahlzeit ein“, heißt es weiter, „und so viel es in einem so weiten Raum möglich war, hatten wir alles erleuchtet.“ Und wie jede Bekehrung, so hat auch diese ihr Zeichen: „Das Wasser, das wir in einem kleinen Bassin dicht bei unserer Strickleiter fanden, war seit unserer ersten Reise, wo wir es faul und salzig fanden, gut und trinkbar geworden.“340
135 Architekturformen der Natur in der Adelsberger Grotte: Gigantentreppen und Riesenportale (links), Säulenstümpfe und Kapitelle (rechts)
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So wie Marsollier oder Dalem haben auch zahlreiche andere Naturforscher und Reisende des ausgehenden 18. Jahrhunderts die unterirdischen Höhlenpaläste der Natur als eine gigantische, übermenschliche Architektur beschrieben. Im Taschenbuch und Almanach zum Geselligen Vergnügen von Becker (1796) ist die Pilatushöhle in der Schweiz dargestellt als „ein wunderbarer Felsenbau, der einige Ähnlichkeit mit einem alten Castell hat“.341 Cockburn beschreibt in seiner Swiss Scenery (1820) Lawinen und Erdrutsche als die „Meisterhand der Natur“, die im Gebirge und dessen Höhlen kühne, unwiderstehliche Ruinen schafft.342 William Daniell, der nicht nur die „architektonischen“ Ansichten von Staffa publiziert hat, sondern bald darauf ein großartiges Werk der „beseelten Natur“ herausbrachte, schildert die berühmten Grotten von Antiparos als gewaltige Höhlenarchitektur, die „dem Gemüt vielfältig Gelegenheit bietet, in das Reich der Phantasie zu reisen.“343 Besonders interessant ist eine Schilderung der Dalmatinischen Höhlen von Cassas (1802), die er mit den römischen Ruinen des Landes vergleicht, um dann zu folgern, daß die Natur „reicher und vielfältiger in ihren Konzeptionen sei, als die Phantasie des Menschen“.344 Diese Literatur der Naturforscher und Reisenden, die über die einschlägigen Merkwürdigkeiten in allen Teilen der Welt berichtet und oft mit hervorragenden, bewußt eine „architektonische“ Sicht der Höhle nahelegenden Blättern illustriert ist, dokumentiert eindrucksvoll die Bereitschaft der Zeit, die Formationen der Natur als Architektur und Kunst zu sehen, eine Bereitschaft, die so ausgeprägt ist, daß Goethe seinen malenden Begleiter G. M. Kraus auf der Harzreise (1784) ermahnen muß, „alle Felsarten nicht malerisch, sondern wie sie dem Mineralogen interessant sind“, zu zeichnen.345 Das 18. Jahrhundert entdeckte nicht nur die natürlichen Höhlen, es sah auch die von Menschenhand geschaffenen unterirdischen Anlagen mit neuen Augen. Bei vielen dieser Monumente war man sich lange nicht darüber im klaren, ob nun Mensch oder Natur die Urheber waren. So begann mit dem Bericht des französischen Reisenden G. P. de Tournefort über die ausgedehnten unterirdischen Steinbrüche bei Gortyn auf Kreta ein gelehrter Streit darüber, ob diese Höhlen nun ein Natur- oder Menschenwerk seien, oder ob man in dieser Anlage gar das legendäre Labyrinth des Minotaurus sehen müsse. Diese Frage erhitzte mehr als hundert Jahre lang die Gemüter der Reisenden. Tournefort besucht die Steinbrüche von Gortyn im Jahre 1700, da er gehört hatte, die Höhlen enthielten das klassische Labyrinth. Nach ausgedehnten Besichtigungen kommt er zu dem Schluß, 201
daß das weitläufige System zwar metaphorisch ein Labyrinth genannt werden könne, mit dem legendären Bauwerk aber keinerlei Ähnlichkeit habe und in Wirklichkeit eine natürliche Höhle sei. Sein Bericht macht deutlich, daß es bis zur Höhlenbegeisterung gegen Ende des Jahrhunderts, bis zur architektonischen Sicht der Höhle und der wortreichen Bewunderung der „Erzbaumeisterin Natur“ noch ein weiter Weg ist, wenngleich Tournefort für den Reiz der unterirdischen Welt durchaus empfänglich ist. „Die Höhle auf der Insel Candia, welche nunmehro unter dem Nahmen des Labyrinths bekannt ist, verdient vielleicht ihrer inneren Beschaffenheit wegen als bewundernswürdiges Naturwerk diesen Nahmen noch mit größerem Rechte, als das ehemalige berühmte Kunstwerk der Alten. Diese Höhle zeichnet sich aus vor allen anderen bekannten Höhlen durch die vielfältigen Wendungen ihrer unterirdischen Gänge, welche auf eine höchst verwickelte und verworrene Weise nach allen Seiten hin unter dem Hügel fortlaufen, und sich bald in diesem bald in jenem unter-
136 Die Höhlen von Gortyna in dem Plan von Sieber (1821), bei dem offen bleibt, ob es sich um ein Werk von Menschenhand – das legendäre Labyrinth – oder um ein labyrinthisches „Bauwerk der Natur“ handelt
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irdischen Saale öffnen. Wer nicht ganz genau mit dem Innern dieser Höhle bekannt ist, der findet sich nicht leicht wieder aus den Irrgängen dieses Labyrinths heraus, weil sie den Fremden nicht nur sehr oft wieder auf den alten Fleck führen, sich selbst oft durchschneiden, und aus einem Raume in den anderen leiten, sondern auch durch lange Zirkel und Schlangengänge in einem ausgebreiteten Umfange herum führen, daher aufhalten und ermüden. (…) Kein Naturforscher, der diese Höhle besucht hat, [wird] das geringste Bedenken tragen, dieselbe ihrer ausgebreiteten Irrwege und übrigen unterirdischen Schönheiten halber, für eine der merkwürdigsten und sehenswürdigsten auf dem Erdball zu halten. Daß sie aber wirklich mit dem Labyrinthe des alten Creta einerley sey, daran ist mit allem Rechte zu zweifeln. Bey all ihrer Pracht ist die Höhle auf Candia nur ein Werk der Natur, da hingegen jenes sein Daseyn der Kunst und dem arbeitsamen Fleiß der Menschen zu danken hatte.“346 Die kretischen Höhlen werden im Laufe des 18. Jahrhunderts noch häufig besucht und wechselweise als Steinbruch, Naturwerk oder Labyrinth des Minotaurus beschrieben.347 Endgültig ist die Frage nie geklärt worden, und der deutsche Reisende Sieber, der die Anlage mit gutem Grund für einen enormen Steinbruch hielt, veröffentlichte 1821 eine französische Karte, die ein hybrides System zeigt: natürliche Gänge, aus denen künstliche Kammern ausgesprengt sind, und beiden hat eine vermittelnde Hand die Namen mythologischer Figuren und Ereignisse aus dem Sagenkreis des Labyrinthes eingeschrieben.348 Ähnlich ungewiß wie der Ursprung der unterirdischen Anlagen auf Kreta war noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts die Entstehung der einzigartigen Höhlentempel und Felsenklöster in Indien. Erst das Werk von Fergusson und Burgess (1880) schaffte hier abschließende Klarheit.349 Noch 1784 vertrat der nicht unbekannte Orientalist und Arzt William Hunter vor der Society of Antiquaries in London die Ansicht, die indischen Felstempel seien lediglich Erweiterungen und Ausschmückungen natürlicher Höhlen.350 Aber selbst dies stellte nach seiner Meinung noch immer eine gewaltige Leistung dar, die nur von einem unbekannten Volk der Vergangenheit stammen konnte, das er für zahlreicher und technisch fortschrittlicher hielt als die indische Bevölkerung seiner Zeit.351 Daraus schließt er auf ein hohes Alter der Anlagen, weist auch nach, daß die in Skulptur und Malerei abgebildeten Menschen andere ethnische Merkmale besessen haben als die moderne Bevölkerung, und so führen ihn seine Gedanken zur Annahme eines fabelhaften Volkes, von dem in der 203
Geschichte jede Spur verloren ist.352 Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man die eigentümliche Faszination des Souterrains, verbunden mit der allgemeinen Begeisterung des ausgehenden 18. Jahrhunderts für die rätselhaften natürlichen und künstlichen Architekturen im Inneren der Berge als die Quellen solcher Spekulationen ansieht, die nur noch einem schon selbst mythisch gewordenen Volk die Urheberschaft zuzusprechen vermögen. Der Nimbus des Unterirdischen duldet keinen Architekten.353 Ein Zeitgenosse von Hunter, der Maler William Hodges (1744–1797), ist in dieser Hinsicht noch deutlicher. Für ihn ist die architektonische Imposanz der indischen Höhlentempel, über deren menschlichen Ursprung er keine Zweifel hegt, doch nur ein Sichtbarmachen der immanenten Qualitäten des Berges, der Erhabenheit und Großartigkeit, auch der verborgenen Schönheit, aber keiner weiteren Eigenschaft als jener, die die Natur nicht schon vorbereitet hätte. Er schreibt in seinen Travels in India, 1780– 1783, die in Europa weite Verbreitung finden, zunächst über die Faszination, die die natürlichen Formationen Höhle und Berg besitzen, und fährt dann fort: „Aufgrund dieser Eigenschaften sind Fels und Höhle gerade in den ältesten Felsentempeln immer wieder nachgeahmt worden. Ihre äußere Form und Erscheinung ist der zackige Fels, die hoch aufragende Wand und der Berg in seiner unglaublichen Ausdehnung: Wie abwechslungsreich! Und wie großartig! Ihre innere Form, ihre Öffnungen und Massen (…), ihre innere Gestalt und Struktur, die Ordnung ihrer Glieder und natürlichen Ornamente, dies alles hängt (…) ab vor allem (…) von der Natur des Berges, in dem sie sich befinden.“354 So wird alle Kunst und Architektur ein Freisetzen der natürlichen Schönheit, und gerade die ältesten Architekturen der Menschheit, die William Hodges in Indien vor sich zu sehen glaubt und die noch den wahren Wurzelgrund des künstlerischen Schaffens offen zeigen, sind ihm ein Beleg für diese Theorie. Die architektonische Sicht der Höhle, die im Laufe des 18. Jahrhunderts so ungewöhnliche Perspektiven eröffnet hatte, wie wir sie hier nachgezeichnet haben, drang zu Anfang des 19. Jahrhunderts auch in jene Wissenschaften ein, für die die Höhle eigentlich nur das Gehäuse ihres Forschungsgegenstandes darstellte, in die Paläontologie. Seit Esper im Jahre 1774 die Knochenfunde in der Gailenreuther Höhle in Franken richtig als die Reste ausgestorbener, prähistorischer Spezies gedeutet hatte, war das Interesse an diesem Aspekt der Höhlenkunde sprunghaft angestiegen. Zu den Wegbereitern einer modernen Höhlenwissenschaft wurde William Buckland (1782–1856), der als erster mit 204
archäologischen Methoden in den Höhlen arbeitete und systematische Grabungen durchführte. Ihm ging es darum, die im Kern neptunistische Schöpfungsgeschichte der Bibel und ihre erdgeschichtlich wichtigsten Ereignisse – vor allem den Sintflutbericht – mit den zu seiner Zeit an Boden gewinnenden plutonistischen Thesen der neuen Geologie in Einklang zu bringen, biographisch verständlich als das Lebensprogramm eines Mannes, der eigentlich Theologe war, aber seit 1813 in Oxford den Lehrstuhl für Mineralogie innehatte. Für Buckland waren die Höhlen
137 Die Erfindung der Höhlendarstellung nach der Methode der Architekturzeichnung in Grundriß und Schnitt durch den Paläontologen William Buckland (1823), der die Grabungstechniken der Archäologie in die Höhlenkunde einführt
138 Die Schnittflächen durch das anstehende Gestein erscheinen bei Buckland als Andeutungen von Mauerwerk aus gewaltigen Steinformaten.
139, 140 Bucklands Höhlen sind Enklaven vorzeitlicher und übermenschlicher Welten, in die seine Menschlein mühsam grabend, leuchtend und messend einzudringen suchen.
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14l–144 Die Salinen von Wieliczka bei Krakau, eine mehrgeschossige Stadt unter der Erde, die von Reisenden des 18. Jh. als ein Zauberreich aus leuchtenden Kristallen geschildert und vor allem auch als eine interirdische Idylle – frei von Krieg und Ränkespiel – gepriesen werden. Oben: Plan der oberirdischen Anlagen zum Betrieb des Schachtes, 1645
142 Schnitt durch eine Sohle, auf der sich eine mehrschiffige Kirche befindet. Nicht datiert, wahrscheinlich zwischen 1799 und 1818
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143 Schnitt durch die drei unterirdischen Geschosse der Saline – nach S.Jones, 1715 –, in der viele hundert Menschen, Männer, Frauen und Kinder friedlich beieinander lebten, während oben Krieg und Verwüstung über das Land hinweggingen (Zeichnung zwischen 1799 und 1818)
144 Plan des labyrinthischen Stollensystems der ersten Sohle, 1645
mit ihren Fossilien Einschlüsse einer versunkenen antediluvialen Welt. Nur als solche interessierten sie ihn, nicht als irgendwie geartete architektonische Phänomene wie zahlreiche seiner Zeitgenossen. Aber indem er die Ablagerungen der Sintflut in den Höhlen nachweisen und dokumentieren wollte, indem er die Schichten dieser Ablagerungen mit den Grabungsmethoden der Archäologie ans Licht brachte, stand er vor dem uralten archäologischen Problem, das Objekt – das die Grabung ja zugleich zerstört – dokumentarisch festzuhalten. Deshalb griff Buckland auf die architektonische Darstellungsmethode der maßstabsgerechten Wiedergabe der Höhle in Grundriß, Aufriß und Schnitt, wie sie seit der Renaissance in der Architekturzeichnung üblich ist, zurück und gewann so ein klares Bezugssystem für seine Funde.355 Seine „Höhlenbaupläne“ haben einen eigenartigen, fast liebenswerten Reiz. Er zeichnet sie wie die Wohnstätten vorzeitlicher, rätselhafter We207
sen. Das Muttergestein ist wie eine im Erstarren rissig gewordene Masse dargestellt, in der die Höhlen als Enklaven prähistorischer Ereignisse verkapselt sind: als Urzeiteinschlüsse, über die die Zeit hinweggegangen ist, ohne sie zu berühren, und in die die Menschlein auf seinen Zeichnungen grabend wieder eindringen.356 Mit dem vielschichtigen Komplex der Höhlenbegeisterung des 18. Jahrhunderts verband sich nicht zuletzt ein zivilisationskritisches Element, das in seiner Bedeutung kaum zu unterschätzen ist – mit der ästhetischen Wertschätzung einer allem Akademismus überlegenen Lehrmeisterin Natur ebenso wie mit den Kulturtheorien, die aus den unterirdischen Schichten der Höhlenablagerungen die Spuren eines prähistorischen, in den Mythologien der Völker überlieferten Goldenen Zeitalters zu ergraben suchten. Dies wird augenblicklich klar, wenn wir uns einer letzten Erscheinungsform des Souterrain zuwenden, über deren Ursprung aus mühseligster menschlicher Arbeit kein Zweifel besteht, dem Bergwerk nämlich, das aber diese Zeit dennoch als eine gewaltige hybride Architektur im Inneren der Erde zu sehen vermag, in der Mensch und Natur harmonisch miteinander wirken. Eines der bedeutendsten Monumente dieser Art, dessen wechselnde Interpretation und Wertschätzung in einer Serie von Karten, Schnitten und Ansichten zugleich gut dokumentiert vorliegt, ist das große Salzbergwerk von Wieliczka in Polen, 13 km südöstlich von Krakau. Das Werk ist seit 1334 fast ununterbrochen in Betrieb; das Salzlager ist fast 4 km lang und bis zu 50 m mächtig. Eine Serie von Plänen aus dem Jahre 1645 läßt erkennen, daß das Salz in drei übereinanderliegenden Sohlen abgebaut wurde. Am unteren Rand der Pläne finden sich eingesetzte Stiche, die das Leben und Treiben im Bergwerk zeigen. Hier ist der Akzent noch ganz auf den ameisenhaften Arbeitseifer gesetzt, mit dem unter Tage gebaut und gearbeitet wird, und die Dunkelheit, nur von Lichtkegeln durchbrochen, in denen die wie Heinzelmännchen gekleideten Bergleute hin und her huschen, ist dazu angetan, das quirlende, emsige Treiben noch besonders hervorzuheben.357 Wie anders dagegen zeigt ein Schnitt mit einer eingesetzten Perspektive aus der Zeit um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die gleiche Situation. Hier erstrahlt alles im hellsten Licht, und unter der Erde erblicken wir eine wohlgeordnete Stadt, mit sorgfältig gefügten Pfeilern und Gewölben, aus denen sogar der Hochaltar einer Kirche hervorleuchtet.358 Daneben knien Menschen im Gebet, etwas weiter im Berg wird gearbeitet. Alles scheint geruhsam und in Harmonie mit der überall hervortreten208
den Natur vor sich zu gehen. Das mächtige Gewölbe des Gesteins schützt den Frieden des unterirdischen Gemeinwesens gegen die Welt über den Bergen, von der der Zeichner wenig Gutes zu hoffen wagt. Was diese Zeichnungen und Schnitte des Bergwerkes assoziativ nahelegen, sprechen zeitgenössische Quellen deutlich aus. Sie schildern die Minen zunächst als ein Werk von großer Pracht, das für sich allein schon wunderbar genug wäre, zudem aber noch den Vorzug besitzt, fern der Ränke und Schrecken von Krieg, Not und Unterdrückung, die eine verdorbene Menschheit auf sich zieht, im Frieden des Erdenschoßes zu ruhen. So gelangt eine anspielungsreiche, moralisierend vorgetragene Schilderung der Salzminen in das Geschichtswerk des Engländers Stephen Jones. In seiner History of Poland (1795) ist Wieliczka eine unterirdische Wunderstadt, deren Häuser aus Edelstein gebaut zu sein scheinen, da die Salzkristalle das Licht der zahllosen Laternen so vielfältig gebrochen zurückwerfen, daß alles strahlend, hell, glitzernd und funkelnd und einfach wie im Märchen erscheint359: „Eine Welt, deren Glanz wir uns kaum vorstellen können (…). Alles ist aus dem mächtigen Salzbett ausgehauen, auch überdacht und gepflastert, so daß die Säulen, und eigentlich das ganze Werk aus reinem Kristall gearbeitet scheint.“360 Die Männer, Frauen und Kinder, die er hier unter der Erde bei Arbeit und Spiel, auf den Plätzen und in ihren Häusern betrachtet, scheinen ihm alle guter Dinge: „Sie haben wenig Kontakt mit der Erdoberfläche und viele Hundert Menschen werden hier unten geboren und verbringen hier ihr ganzes Leben.“361 So wirft Jones am Beginn seiner Geschichte Polens, die ihm eine Geschichte endloser Kriege zwischen großen, machtbesessenen und landgierigen Nachbarstaaten ist, einen Blick in dieses unterirdische Reich, das, von all dem unberührt, im Frieden mit sich selbst und mit der Natur ein einfaches Dasein lebt: „Mitten auf einer weiten unterirdischen Ebene wohnt hier ein ganzes Volk in einer unterirdischen Republik, mit Häusern, Fahrzeugen und Straßen, mit allem, was man zum Leben braucht.“362 Mensch und Natur scheinen dem Historiker in diesem unterirdischen Versteck in Harmonie vereint. Und die Natur, deren Schoß sich diese einfachen und bescheidenen Menschen anvertraut haben, bringt ihnen nicht nur den Frieden, den die habgierige Welt sonst entbehren muß, sie belohnt sie auch mit ihren Schätzen und taucht ihre einfachen Behausungen in ein kristallines Licht, daß sie verzaubert scheinen zu „Rubinen, Smaragden und Saphiren, deren Glanz das Auge kaum erträgt“.363 209
7 Das Verrätselte: Emblematische Architektur Ein scheinbar anekdotisches Ereignis in Notre Dame de Paris nimmt Victor Hugo zum Anlaß einer bemerkenswerten kulturhistorischen Reflexion über den literarischen Charakter der Architektur: In einer Kanonikerzelle des Kreuzganges von Notre Dame sitzt zu nächtlicher Stunde der Archidiakonus der Kathedrale und betrachtet das erste gedruckte Buch, das den Weg in seine Sammlung von Handschriften gefunden hat. Sein Blick gleitet vom Buch zum Fenster und weiter über die gewaltige Silhouette von Notre Dame, die sich gegen den sternenbesäten Himmel absetzt „wie eine ungeheure zweiköpfige Sphinx, die inmitten der Stadt sich niederkauert“. Eine Weile betrachtet der Archidiakonus schweigend das riesenhafte Gebäude, bis er schließlich, mit der linken auf Notre Dame weisend, die Rechte seufzend nach der Druckschrift ausstreckt, die aufgeschlagen vor ihm auf dem Tische liegt und mit einem traurigen Blick vom Buch zur Kirche vor sich hin murmelt: „Dies hier wird das da vernichten.“364 „Ceci tuera cela!“ Für Hugo sind die Jahrtausende vor der Erfindung Gutenbergs, in denen die Dichtkunst im Bänkelsang und in wenigen Handschriften ein kümmerliches, immer bedrohtes Dasein fristete, in denen es keine Literatur im Sinne des Bewahrens und Entwickelns und vor allem der Verbreitung von Gedanken gab, das eigentliche Zeitalter der Baukunst. Der beständige Stein der Architektur ist die „Bibliothek der menschlichen Weisheit“.365 Ein Bauwerk scheint ihm ein Schriftstück, die Architektur als Ganzes ist ihm das Medium der Weitergabe des Wissens und aller Kultur. „Damals wurde Baumeister, wer als Dichter geboren war. (…) So ist bis Gutenberg die Baukunst die allgemeine Weltschrift. Ihr granitenes Buch ist vom Morgenlande begonnen; Griechen und Römer haben es fortgeführt, das abendländische Mittelalter schrieb die letzte Seite (…). Die Barbaren sind über das Kolosseum gegangen, über die Pyramiden vielleicht die Sintflut. Im fünfzehnten Jahrhundert wird alles anders (…). Die Baukunst wird entthront. Auf des Orpheus steinerne Schrift folgt die bleierne Gutenbergs. Das Buch tötet den Bau.“366 Des „Orpheus steinerne Schrift“ – so sehr man diese Formulierung, mit der Victor Hugo das sibyllinische Wesen des architektonischen Ausdrucks auf den Begriff gebracht hat, auch bewundern mag, so nachdrücklich muß man doch bezweifeln, daß die letzten Seiten im „granitenen Buch“ und in der „steinernen Schrift“ der Baukunst vom abendländischen Mittelalter geschrieben wurden, insbesondere, wenn man Mehrdeutigkeit und ver210
schlüsselte Symbolik als einen Wesenszug der architektonischen Sprache ansieht. Denn erst im Laufe der Jahrhunderte nach Gutenberg, erst nach der Entwicklung des heidnischen Erbes, das die Renaissance mit der Antike wiederentdeckte und das sie im Manierismus zu geradezu bizarren Wucherungen trieb, wurde die Baukunst im eigentlichen Sinne „orphisch“. Die gotischen Kathedralen, so dunkel uns auch ihre architektonischen und plastischen Sinnbilder scheinen mögen, explizierten sich selbst, waren ihren Zeitgenossen sicher mehrdeutige, aber eben doch deutbare Vermittler des menschlichen Lebens in Zeit und Ewigkeit. Die mediaevistische Bedeutungsforschung hat uns gezeigt, daß die Allegorese dem mittelalterlichen Menschen eine fest umrissene Methode an die Hand gab, die Welt der Schöpfung und alles von Menschen Geschaffene und Geschehene als Sinnbild einer geistigen Welt zu verstehen, die durch die heiligen Schriften und die Wahrheiten der kirchlichen Tradition bereits nach Gestalt und Bestimmung ausgemessen war, die in den gewaltigen Programmen der gotischen Kathedralen in Bildern, Figuren und architektonischen Gestalten vor allem paraphrasiert wurde.367 Renaissance und Manierismus beginnen diesen Bildervorrat auszuweiten. Neben die biblischen Gestalten treten antike, neben die christlichen Zeichen und Bilder heidnische. Oft ist beides nicht mehr auseinanderzuhalten, oder die Deutungen werden frei verschieblich. Nicolaus Reusner veröffentlicht 1580 eine reich mit Holzschnitten illustrierte Anthologie der Schriften Ovids, die Picta Poesis Ovidiana368. 1581 läßt er eine zweite Veröffentlichung folgen, die dieselben Holzschnitte in derselben Abfolge enthält, nun aber mit biblischen Beischriften und in christlicher Umdeutung: Eine Darstellung pflügender Bauern und auf dem Felde arbeitender Menschen, nach Ovid das Los des Eisernen Zeitalters und mit seinen Worten als „In Seculum Aheneum et Ferreum“ betitelt, wird mit der Beischrift „Semen Ecclesiae, Sanguis piorum“369 versehen und nun als Bild der Ecclesia militans verstanden. Auch die Architektur dieser Zeit verweist mit ihren Ordnungen und Bauelementen nun nicht mehr auf ein fest gefügtes Ideengebäude, das in vielschichtigen Bildern umschrieben wird; ihre Mehrdeutigkeit gewinnt eine völlig neue Qualität: War die Mehrdeutigkeit der mittelalterlichen Baukunst aus der Absicht zu verstehen, die geistige Welt der Zeit auf verschiedenen Ebenen darzustellen, sie in verschiedenen Aspekten zu deuten und zu erklären, so tritt nun an die Stelle der Vielschichtigkeit, die doch immer wieder auf den einen umfassenden Zusammenhang verweist, Widersprüchliches und Rätselhaftes, das kein einheitliches Denkmuster mehr erkennen läßt. 211
Wir sehen, wie im Rückgriff auf antike Vorstellungen die Sinnbildlichkeit bekannter Architekturtypen entscheidend erweitert oder gar umgedeutet wird, wie etwa neben die salomonischen Säulen, als Sinnbild der von Gott fest gefügten Welt, die Säulen des Herkules als Pforte einer heidnisch unbekannten und bedrohlichen Unterwelt treten, wie die Brunnengrotte einmal christliches Zeichen des erlösenden Gnadenquells, ein andermal heidnisches Symbol sich endlos wiederholender zyklischer Lebensvorgänge sein kann, wie – in einem Wort – in diesen zeichenhaften Architekturen überhaupt nicht mehr streng nach richtiger und falscher Deutung geschieden wird, sondern anstelle einer oder auch mehrerer richtig gesetzter Erklärungen eine Fülle möglicher Fragen aufgeworfen werden: Dem Betrachter selbst ist die Auslegung der Bilder aufgegeben. Man denkt an Cassirer, der über die Beurteilung des Wertes der Dinge in der Renaissancephilosophie schreibt: „Gott ist freilich der Münzmeister, der die Münze schlägt; aber der menschliche Geist erst bestimmt, wieviel sie gilt.“ Und er zitiert Cusanus: „Wollte also Gott seinem Werke Wert verleihen, so musste er neben anderen Dingen die intellektuelle Natur erschaffen.“370 So können wir als allgemeines Charakteristikum der Architekturbilder dieser Zeit festhalten, daß sie an die Stelle der Gewißheit die Unsicherheit setzen. Neben den traditionellen christlichen Deutungen bleibt Raum für andere, selbst für solche, die einer fundamental andersartigen Weltsicht entstammen.371 Damit hat die Zeichensprache der Architektur der Einsicht der Zeit Rechnung getragen, daß – in der Terminologie des Cusanus – die „complicatio“ das Wesen der Welt präziser bezeichnet als die „explicatio“372, daß die Darstellung der Unbegreiflichkeit und Rätselhaftigkeit mehr Wahrheit in sich birgt als jede noch so scharfsinnige Erklärung. So wird die Architektur mit diesen widersprüchlich zu deutenden Bildern zu einer „gebauten Änigme“, zur verblüffenden Parallele einer literarischgraphischen Mischform, die ebenfalls zu den charakteristischen künstlerischen Entwicklungen des beginnenden Cinquecento gehört und die Cesare Ripa in seiner Iconologia eine „gemalte Änigme“ genannt hat: Er meint die Emblematik.373 Nach einer allgemein geläufigen Definiton gehört zu einem Emblem ein rätselhaftes Bild (Pictura), das nicht unbedingt in jedem Element unbegreiflich und dunkel sein muß, das aber auch für sich genommen nicht ohne weiteres verständlich sein soll, und ein ebenfalls mehrdeutiger Spruch, Motto, Lemma oder Devise genannt. Beides zusammen ergibt erst eine sinnvolle Aussage. „Pictura“ wie „Motto“ eignet ein „änigmati212
scher Charakter“374, und somit stellt die Suche nach dem nicht Ausgesprochenen einen unumgänglichen Anspruch des Emblems an seinen Betrachter dar, ein „incitamentum intellectus“.375 Diese unter Rückgriff auf die Emblemtheoretiker des 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts von der Literaturwissenschaft376 erarbeitete Definiton meint in erster Linie die Emblematik in Buchform; sie versteht unter Pictura ausschließlich das gemalte oder gestochene Bild und unter Motto oder Lemma ausdrücklich das darunter abgedruckte Wort. Andere emblematische Formen – etwa in Kunstgewerbe und Innendekoration – sind erst spät unter der Sammelbezeichnung „angewandte Emblematik“ in das Gesichtsfeld getreten377, und offensichtlich emblematische Züge der Architektur aus jenen Jahrhunderten, in denen die Emblemliteratur eine so wichtige Rolle im Geistesleben gespielt hat, sind gänzlich unbeachtet geblieben.378 Und doch scheint mir gerade in den änigmatischen Bildern und Lemmata dieser Kunst ein Schlüssel zur Rätselhaftigkeit – zum „Manieristischen“ – dieser Epoche zu liegen.379 Vor allem die Besonderheiten der emblematischen Bilderwelt, ihre latente Rätselhaftigkeit, ihre auf Ungewöhnliches und Befremdendes abzielenden kombinatorischen Regeln, ihre feststehenden und stereotyp wiederholten Motive und wichtige andere Eigenarten der emblematischen Pictura, über die noch zu reden sein wird, haben ihre unübersehbaren Parallelen in den Ausdrucksformen der zeitgenössischen Architektur. Der emblematische Zug der manieristischen Architektur begegnet in geradezu exemplarischer Ausbildung in einer zu Unrecht kaum beachteten Stadtanlage des Cinquecento, in Antonio da Sangallo des Jüngeren Umgestaltung der Grenzfestung Pitigliano in römisch Tuskien. Antonio, der seinen Zeitgenossen als der bedeutendste Baumeister der Epoche galt380, war als päpstlicher Baumeister auch verantwortlich für die militärischen Bauten des Kirchenstaates. Nach den katastrophalen Erfahrungen des Sacco di Roma wurde das Festungssystem im gesamten Patrimonium Petri ausgebaut, und vor allem die Grenzkastelle wurden mit neuitalienischen Befestigungen versehen, die der entwickelten Artilleriekriegsführung der Zeit standhalten konnten. In den vierziger Jahren des Cinquecento erhielt Sangallo von Gianfranceso Orsini, dem Stadtherrn von Pitigliano, den Auftrag, die Befestigung zu modernisieren, eine Wasserleitung zu bauen und im Zuge dieser Maßnahmen die Piazza zwischen Borgo und Kastell neu zu gestalten.381 Der Architekt nahm diesen Auftrag zum Anlaß, nicht nur die geforderten Bauten zu errichten, sondern zugleich das architektonische Gefüge im Herzen der Stadt grundlegend 213
145 Die päpstliche Grenzfestung Pitigliano in römisch Tuskien, erweitert und umgebaut von Antonio da Sangallo dem Jüngeren, ca. 1545. Ansicht von Süden
neu zu ordnen. 1545 wurden die Arbeiten abgeschlossen; im Jahr darauf starb Sangallo, so daß die großartige Raumkonzeption Pitiglianos eines der letzten Werke des Baumeisters gewesen sein dürfte.382 Sangallos Entwurf geht von den topographischen Situationen der Stadt und des Standortes aus, von entscheidender Bedeutung jedoch sind die Landschaftselemente der weiteren Umgebung. Römisch Tuskien wird von dem gleichmäßig ansteigenden Massiv des Monte Amiata beherrscht, einem lange erloschenen Vulkan, der die toskanische Tufflandschaft mit aufgebaut hat. Der Berg besteht aus einer Trachytkuppel, die auf einem mächtigen Kalksteinsockel ruht; sein Gipfel ist dicht mit Kastanien bewaldet, darunter schließt sich eine breite Zone mageren Weidelands an, die bis an die Flußtäler heranreicht. Die Niederungen selbst sind dagegen äußerst fruchtbar, eine üppige Gartenlandschaft, in der sich gelegentlich 214
146 Plan von Pitigliano, heutiger Zustand. 1 Festung, 2 Piazza, 3 Borgo
tafelbergartige Tuffsteinhügel erheben, die oben nahezu eben sind, nach allen Seiten aber steil abfallen. Auf diesen Erhebungen liegen die charakteristischen Landstädte der Toskana, Pitigliano, Sovana, Sorano, Pienza, San Quirico, aber auch große Städte wie Orvieto. Der Tuffhügel von Pitigliano ist besonders eindrucksvoll, da sein Plateau nahezu tischeben ist, während seine Seiten senkrecht abfallen. Lediglich im Osten steht der Stadtberg über eine schmale Brücke mit dem Hochplateau in Verbindung, eine hervorragende natürliche Schutzlage, die schon in prähistorischer Zeit zur Besiedlung eingeladen haben muß.383 Während die nördlichen Abhänge des Amiata zum Val d’Orcia hin bis weit hinauf üppig bewachsen sind, ist die Südflanke, an der Pitigliano liegt, völlig öde, stark verkarstet und mit undurchdringlicher macchia überzogen.384 Diese ausgeprägten Unterschiede im Landschaftsbild beiderseits des Amiata hängen mit einer geologischen Besonderheit seines Aufbaus zusammen: Die wasserführenden Kalkschichten laufen schräg unter der Trachytkuppel des Berges hindurch, so daß ein Großteil des Niederschlags, der auf der Süd- und Westseite abregnet, zur Nordseite abgeführt wird.385 Diese Eigenart der südtoskanischen Landschaft hat schon Gregorovius bemerkt. Er schreibt in den Wanderjahren: „In Tuskien, [gemeint ist die römische Toskana des Kirchenstaates,] herrscht ein vulkanisch durchris215
senes Hochland vor, mit weiten Einöden von ernster und melancholischer Natur, die geheimnisvoll erscheint. Das geschichtliche Leben ist hier meist spurlos geworden. (…) Einsame Baronaltürme ohne Namen, oder kleine Orte unhistorischen Charakters stehen hie und da schwermütig auf den Tuffhügeln.“386 Gregorovius’ Beschreibung ist wie auf Pitigliano zugeschnitten, um so mehr, als von dieser Stadt aus die ernste und melancholische Natur der Landschaft besonders ins Bewußtsein tritt: Während sich nordwärts die „vulkanisch durchrissenen“ Flanken des Amiata erheben, liegen im Süden die üppigen Gärten, Felder und Weinberge der Stadt, die sich wie ein fruchtbarer Gürtel entlang der Fiora durch die Maremma ziehen. Pitigliano liegt genau auf der Grenze zwischen beiden Welten, und neben der heiteren Gartenlandschaft über dem Tale der Meleta muß der düstere Monte Amiata wahrhaftig geheimnisvoll erscheinen. Von der Höhe des Stadtberges aus war dieser topographische Gegensatz jahrhundertelang kaum wahrzunehmen. Denn wie viele mittelalterliche Stadtgefüge kehrte sich auch Pitigliano ganz nach innen. Lediglich von den Enden der Quergassen, die zum Rande des Tafelberges führen, öffnete sich der Blick, allerdings nicht hinaus über die Weite des Plateaus, sondern hinab in die engen Täler von Lente und Meleta, denn die Gassen sind im letzten Drittel abwärts geneigt. Die Piazza des Sangallo ist zwischen Borgo und Castello quer über die gesamte Breite des Tafelberges gelegt.387 Ihre Schmalseiten sind nicht
147 Die Piazza, heutiger Zustand. Links die Brunnenwand mit dem Triumphbogen, rechts die Platane
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148 Die Piazza von Süden mit dem Bogen als tiefen Einschnitt in der kontinuierlichen Silhouette
durch eine Bebauung geschlossen, und deshalb erscheinen die Öffnungen am Ende in der Nord- und Südansicht der Stadt als ein tiefer Einschnitt in der kontinuierlich verlaufenden Silhouette. Umgekehrt blickt man von „innen“, von den Enden der Piazza, wie aus dem Fenster in die Panoramen der Landschaft, und tatsächlich heißen diese Fenster bei den Leuten auch „finestroni“, „Riesenfenster“. Diese beiden Panoramen, die mit ihrem Gegensatz von der rauhen Wildnis des Amiata im Norden und der lieblichen Gartenlandschaft über der Meleta im Süden unterschiedlicher nicht gedacht werden könnten, werden nun in ausgesprochen konträre architektonische Rahmen gesetzt und mit ganz unterschiedlichen architektonischen Attributen versehen: Vor der Wildnis der Nordseite steht ein „architektonischer Baum“, der einzige auf der Piazza, in einer steinernen Fassung und wie eingerahmt durch die Fassaden zu beiden Seiten: ein Stück domestizierter Natur vor der freien Landschaft. Die Öffnung der Piazza nach Süden dagegen ist als Brunnenwand ausgebildet; hier endet die Wasserleitung des 16. Jahrhunderts, und die drei letzten Bögen sind zu einer Toranlage ausgebaut, vor der mehrere Brunnenschalen mit wasserspeienden Masken stehen. Durch die Bögen der Brunnenwand blickt man auf die üppigen Gärten und Weinberge, die in dieser architektonischen Fassung wie der Inbegriff der Kulturlandschaft erscheinen. Der Bogen über dem Brunnen ist nun nicht nur ein einfacher Rahmen, die typologische Besonderheit des erhöhten Mittelbogens und der niedrigen Seitenbögen weist ihn viel-
149, 150 Blick von der Mitte der Piazza auf die Platane (links) und die Triumphbogenwand (rechts)
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mehr eindeutig als einen Rückgriff auf das antik-römische Triumphbogenmotiv aus. Solche Triumphbögen sind im Zusammenhang mit Wasser und Wasserleitungen seit Mitte des 16. Jahrhunderts durchaus gebräuchlich, etwa bei den römischen Brunnenbauten der Aqua Felice von Sixtus V., 1585 errichtet, oder der Aqua Paola, von Paul V., 1610. In jedem Falle symbolisieren sie den Triumph der technischen Leistung, das Wasser auf den Berg zu bringen. Hier jedoch erfährt diese allgemein geläufige Konnotation der Verbindung von Wasserleitung und Triumphbogen eine besondere Erweiterung dadurch, daß die Bögen nicht geschlossen sind, wie bei den römischen Brunnenwänden mit ihrem plastischen Schmuck, sondern offen bleiben und die Gartenlandschaft einrahmen. Der Triumphbogen ist eine Durchgangsarchitektur, die bei den römischen Anlagen den Einzug des Wassers und der in den Bogenfeldern dargestellten Gruppen aquatischer Gottheiten feiert, hier jedoch den freien Durchgang des Blicks auf die Gärten und Reben: Die Kulturlandschaft wird hier mit dem Triumphbogen in Verbindung gebracht, sie wird visuell durch die Ehrenpforte in die Stadt geführt, als derjenige Aspekt der Natur, der dem Menschen dient. In entgegengesetzter Absicht ist der Baum zu begreifen, der gegen die Wildnis der Nordseite gestellt ist. Wie die Bögen der Wasserleitung über ihre allgemeine Rahmenfunktion hinaus mit dem Rückgriff auf das Triumphbogenmotiv eine bestimmte Sinngebung dieses bildhaften Landschafts-
151 Sangallos Skizzen für Pitigliano; unten das Konzept der Gesamtanlage
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ausschnittes bedeuten, so ist auch der Baum nicht irgendein beliebiger, sondern nach Gattung und Spezies im Hinblick auf spezifische Konnotationen gewählt, die der unbestimmten Geste des exponierten, architektonischen gefaßten Einzelbaumes vor der Kulisse der wilden Landschaft eine unmißverständliche Wendung geben: Es handelt sich um eine Platane (Platanus orientalis). Die Platane war der Kulturbaum der Antike schlechthin. Er galt den Alten als Inbegriff des kultivierten Lebens, da er keine Frucht trägt, wie die Nutzbäume, sondern nur Schatten spendet. Bei Ovid heißt die Platane deshalb „genialis“, was bedeuten soll: ein „wonniger“, der Pflege des Genius oder dem Lebensgenüsse dienender Baum.388 Mit der Deutung dieser architektonischen Elemente ist der Baugedanke klar, der Sangallo bei der Umgestaltung Pitiglianos vor Augen gestanden haben muß: Die Piazza ist so gelegt und bis an den Abhang des Tafelberges geführt, daß die besondere topographische Situation, die Lage der Stadt zwischen zwei Landschaftstypen, die man aus dem Inneren zuvor gar nicht wahrnehmen konnte, mit einem Schlage sichtbar gemacht wird. Man hat auf der Piazza das Gefühl, die Stadt läge auf der Scheidelinie zwischen Natur- und Kulturlandschaft. Und diese zufällige topographische Situation wird nun durch architektonische Zeichen in den „finestroni“ mit konträren Bedeutungen belegt. Sie wird stilisiert zum Gegenüber einer guten, uns dienenden und gefallenden Natur, der wir eine Ehrenpforte errichten möchten, und einer schlechten, uns latent bedrohenden Natur, die hier mit der beinahe beschwörenden Geste des domestizierten Baumes ferngehalten werden soll. Der heutige Zustand des Ensembles ist das Ergebnis der Veränderung mehrerer Jahrhunderte und entspricht in den Details sicherlich nicht mehr dem Original des Cinquecento. Dagegen ist die räumliche Situation, die Öffnung der piazza – des „loco eminente“, wie es in den Skizzen des Sangallo heißt – gegen die beiden unterschiedlichen Landschaftspanoramen unverändert geblieben. Auch die deutenden Elemente – Triumphbogen, Platane – entsprechen zumindest dem Geiste nach der ursprünglichen Architektursymbolik. So ist der heutige Triumphbogen im 18. Jahrhundert erneuert und dabei wahrscheinlich verändert worden. Ein Triumphbogen über einem „siebenstrahligen Brunnen“ ist auch für das Jahr 1645 bezeugt.389 Über die architektonische Gestalt von Sangallos Brunnen, der ebenfalls vor den Endbogen der Wasserleitung gestanden haben muß, besteht jedoch Ungewißheit390 – lediglich die Existenz rahmender Bögen ist als technische Notwendigkeit mit Sicherheit anzunehmen. 219
Genaueres wissen wir dagegen über den ursprünglichen Zustand der Nordseite. Anstelle der Platane, die im Zuge einer Verbreiterung der Piazza unter Leopold II. (bis 1847 Großherzog der Toskana) gepflanzt wurde391, befand sich ein Garten, der als „versunkener Garten“ unter dem Niveau der Piazza in Sangallos stadtseitiges Glacis eingelassen war. Das Wasser des siebenstrahligen Brunnens der Südseite wurde unter der Piazza in ein Fischbecken geführt und von dort in einem offenen Kanal durch den Garten zum finestrone der Nordseite.392 So ist der Gedanke der „domestizierten Natur“ in Gestalt des versunkenen Gartens ursprünglich noch expliziter formuliert gewesen, um so mehr als in diesem Motiv noch andere Bedeutungsebenen angesprochen sind, die im Topos des „locus amoenus“ ihren literarischen Niederschlag gefunden haben.393 Wenn wir in diesem Nebeneinander isolierter Architekturelemente, einzelner Naturzitate und sorgfältig in die Komposition einbezogener ausschnitthafter Landschaftspanoramen „emblematische Züge“ erkennen, so müssen wir nun im Einzelen darlegen, worin das spezifisch
152, 153 Die Verwendung ähnlicher Zeichen in der Emblemliteratur der Zeit. Links der „Baum in der Enge“ (Rollenhagen, 1613), und rechts der Triumphbogen, „offen für die bessere Sache“ (Zincgreff, 1619)
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154–157 Emblematische Sinnbilder, die in Sangallos „emblematischer Architektur“ assoziiert werden. Links oben: Öder Berg und liebliches Tal (Camerarius, 1590); rechts oben: der versunkene Garten in den Bastionen (Saavedra, 1640); links unten: das große Fenster, „finestrone“, das das Licht einläßt, den Sturm aber abhält (Visscher, 1620); rechts unten: die Welt als Emblem Gottes (Beze, 1580).
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„Emblematische“ dieser Architektur besteht. Zunächst sei bemerkt, daß die architektonischen Elemente, die hier additiv nebeneinander gesetzt sind und als Ganzes eine Reihe von Sinnbezügen darstellen, zum klassischen Repertoire der Emblemliteratur des 16. und frühen 17. Jahrhunderts gehören. Das Motiv des Triumphbogens für die bessere Sache, das bessere Prinzip, oder wie in Pitigliano für den besseren Aspekt der Natur findet sich in der Emblematum Ethico-Politicorum Centuria (1619) des Julius Wilhelm Zincgreff. Dort ist ein Triumphtor am Ende eines städtischen Platzes abgebildet, darüber der Sinnspruch: „Meliori Pervia Causae“ („Offen für die bessere Sache“). Auf dem Bogen selbst ist die Inschrift zu lesen: „Tandem bona causa triumphat“ („Am Ende triumphiert das Gute“).394 Die Sinnbildlichkeit des Fensters, durch das man im allgemeinen hindurchsehen, aber nicht hindurchgehen kann, ganz wie bei den finestroni der Piazza, ist in Roemer-Visschers Zinne-Poppen abgebildet: „Licht en Dicht“ steht darüber, das Licht läßt es ins Zimmer fallen, aber den Wind hält es fern, und erklärend heißt es dann: „Manches tugendhafte Herz hält die Stürme der Welt von sich, aber es verschließt sich nicht dem Licht von Gottes Wort.“395 Der öde Berg und das fruchtbare Tal, die in Pitigliano so ausdrucksvoll gegeneinanderstehen, sind ein besonders beliebtes Motiv der Emblemliteratur. In der Symbolorum et Emblematum ex Re Herbaria Desumtorum Centuria (1590) des Joachim Camerarius liest man unter einer entsprechenden Abbildung: „Den Demütigen gewährt er Gnade. Das Hohe fällt durch seine Felder, durch seine Tugend erhebt sich das Niedrige. Das zeigen Dir der unfruchtbare Berg und das liebliche Tal.“396 Bei Camerarius findet sich auch die Platane als Emblem, das „Umbra Tantum“ überschrieben ist und auf den Luxuscharakter des Baumes anspielt: „Umbram non fructum Platanus dat.“ Allerdings ist diese Eigenschaft hier nicht im antiken Sinne positiv gewertet, sondern moralisierend umgedeutet, wenn es weiter heißt: „Si quoque multis, vana alios specie ludere saepe placet.“397 Wie alle Sinnbilder der Emblematik lassen auch die Bäume andere Auslegungen zu, ja, die Mehrdeutigkeit ihrer tradierten Bedeutungen scheint ein wichtiges Stimulans der emblematischen Kunst gewesen zu sein: Die Emblemata des Alciatus, die 1530 als erstes Werk der neuen Literaturgattung erschienen, enthalten ein in sich geschlossenes Kapitel mit vierzehn Baum-Emblemen, die auf die verschiedenste Art und Weise gedeutet werden können.398 Bei Gabriel Rollenhagen (1613) erscheint der architektonisch gefaßte Baum als Sinnbild der zu Höherem bestimmten Natur. Über 222
einen Baum, der durch ein Holzgerüst in die Höhe wächst, heißt es dort: „Per Angusta ad Agusta“.399 Der „versunkene Garten“, ein ständig wiederkehrendes Motiv der Architektur der Renaissance und des Manierismus400, begegnet erst in der emblematischen Literatur des Barock, in Diego de Saavedra Fajardos Idea de un principe politico christiano (1640). Dort ist ein gepflegter Garten in die Bastionen einer Befestigungsanlage eingelassen, was ein „Lernen in Freude“ (Deleitando Ensena) bedeuten soll.401 Die abgebildeten Gartenanlagen in den Bastionen erinnern stark an die hängenden Gärten des Palazzo Farnese in Caprarola. In Saavedras Werk sind mehrere Berg-Embleme abgebildet, die die Mehrdeutigkeit und latente Rätselhaftigkeit der emblematischen Pictura illustrieren.402 Auch in Pitigliano ist der Berg ja nicht nur ein Abbild der Natur in ihrer Menschenferne, sondern zugleich ein Ausdruck des Hohen, Erhabenen und Unerreichbaren, wie überhaupt die Mehrdeutigkeit des architektonischen Ensembles ein sicher beabsichtigter Effekt der räumlichen Kompositon gewesen sein dürfte. Damit kommen wir zu den eigentlich emblematischen Zügen von Pitigliano, zu den emblematischen Kompositionsmethoden, die hier entscheidend gewirkt haben. Der Blick auf die Emblemliteratur der Zeit, in der Absicht, dort das Vorhandensein der gleichen Bilder und Motive aufzuzeigen, ist nicht als ein Versuch zu verstehen, im Sinne kunst- oder literaturhistorischer Ableitung eine direkte Beeinflussung der Architektur durch die literarische Gattung nachzuweisen. Es ging lediglich darum, darzustellen, daß offensichtlich die gleichen Bildmotive in beiden Kunstgattungen als mehrdeutige Sinnbilder Verwendung finden. Dies muß in einer Zeit, die im Bilde zu denken gewohnt war und die im Bilde ihre Werte und Normen formulierte, nicht unbedingt erstaunen. Bemerkenswert ist jedoch, daß die Konstruktionsmethoden der Sinnbildlichkeit im Medium der Architektur genau dem emblematischen Prinzip entsprechen. Die wenigen hier besprochenen Embleme lassen diese Prinzipien sehr gut erkennen. So ist es der Emblematik eigentümlich, daß sie in der Pictura Bildelemente miteinander kombiniert, deren Zusammenstellung verblüfft oder gar befremdet, dunkel oder rätselhaft erscheint. Dies geschieht dadurch, daß die einzelnen Elemente des Bildes aus ihrem natürlichen Zusammenhang gerissen werden, daß sie isoliert, eingerahmt oder additiv nebeneinander gestellt werden: Aus dem Landschaftszusammenhang von Tälern und Höhen wird im Emblem „Humilibus dat gratiam“ des Camerarius der Typus des trockenen Ber223
ges und der Typus des üppigen Tales; beides ist in der Pictura ohne Hintergrund und Tiefe nebeneinandergestellt. Aus dem Baum in seinem natürlichen Lebensraum wird bei Alciatus der Typus des Baumes, eine in einem Exemplar „botanisch“ abgebildete Spezies, der bestimmte bedeutsame Eigenschaften hinterlegt werden. An die Stelle des Besonderen und Einmaligen tritt also das Allgemeine, das Typische einer Sache oder einer Idee. Das Prinzip der Herauslösung des Objekts aus dem Kontinuum der Erscheinungen, das die natürliche Welt der Dinge kennzeichnet, findet sich auch in der emblematischen Abbildung der menschlichen Körperteile, die dann häufig vor einem perspektivisch dargestellten Hintergrund schweben. Auch ihnen sind bestimmte, allerdings nicht eindeutige festgeschriebene Bedeutungen beigelegt, und auch hier soll das makabre Bild der in ihre einzelnen Elemente zerlegten menschlichen Anatomie – eine besonders drastische Form des Befremdlichen – zum Rätseln und Nachsinnen anregen, ein „incitamentum intellectus“ darstellen.403 Das neugierige Nachdenken wird besonders durch die ungewöhnliche Verbindung von Architektur- und Naturelementen herausgefordert, die sich in der abgebildeten Form kaum in der Wirklichkeit finden, etwa der Garten in den Festungswerken oder der Baum im Gerüst. Häufig werden die unbeweglichen Architekturelemente dadurch belebt und beseelt, daß Vorgänge, die sich in ihnen abspielen, durch Aktionslinien und Kraftfelder angedeutet werden: In Roemer-Visschers „Licht en Dicht“ scheint die Sonne in einzelen Strahlen und bläst der Wind in sichtbaren Wellen. In Pitigliano begegnen die emblematischen Bildprinzipien in architektonischer Umformung, aber mit gleichen Intentionen und in sehr ähnlicher Sinnbildlichkeit. So werden mit der einzelnen Platane, mit dem früheren „versunkenen Garten“, mit dem freistehenden Triumphbogen einzelne Architekturelemente aus dem räumlichen Kontinuum der Stadt herausgenommen, isoliert und unvermittelt einander gegenübergestellt. Die „finestroni“ an den Enden der Piazza isolieren ganz im Sinne von Camerarius’ Gegenüberstellung von „mons sterilis“ und „vallis amoena“ einzelne Ausschnitte der Landschaft. Aus dem Panorama wird das Landschaftsbild, das architektonisch gerahmte Motiv. Zugleich werden die Architekturen der „finestroni“ scheinbar belebt, nicht durch sichtbare Aktionslinien, wie in der Pictura, sondern durch die architektonischen Mittel des in den Brunnen strömenden Wassers und des in die steinerne Öffnung eingestellten lebenden Baumes. 224
Auch die kombinatiorische Bildtechnik der Emblematik finden wir in dieser emblematischen Architektur wieder, als ein Nebeneinander und sinnfälliges Gegenüber einzelner Elemente und Baugestalten, selbst ganze Landschaftsteile, die mit architektonischen Mitteln zu Bildelementen gemacht werden: Das Zufällige der Topographie wird zum Typischen, gar zum Archetypischen, wenn man an die so tief in unserer Vorstellungswelt verwurzelte Formel von der „Stadt auf dem Berge“ denkt.404 Eines allerdings fehlt in dieser emblematischen Architektur: das Motto, der erklärende oder verrätselnde Sinnspruch. Zwar ist mit der beginnenden Renaissance eine deutliche Vorliebe für die Verbindung von Architektur und Schrift zu erkennen, wie dies schon die römische Antike liebte – man denke etwa an die Capella Ruccellai von Alberti, oder auch an seine Fassade für Santa Maria Novella –, aber die Regel ist doch, daß die emblematischen Elemente der Architektur nicht beschriftet sind.405 Damit stellt sich die Frage, ob der Begriff des Emblematischen, der im engeren Sinne nur für die Verbindung von Wort und Bild gelten kann, nicht zu weit gefaßt ist, wenn man diese Architektur „emblematisch“ nennt. Diese Frage ist sicher berechtigt. Aber dagegen muß man die Frage setzen, ob die enge literaturwissenschaftliche Definiton, die von einem Emblem erst sprechen will, wenn die drei Elemente, Pictura (rätselhaft), Motto (ebenfalls rätselhaft) und Subscriptio (erklärender Text) vollständig vorhanden sind, angesichts der Vielfalt der emblematischen Erscheinungen wirklich gerechtfertigt ist. Selbst ein Großteil der Buchemblematik des 16. Jahrhunderts dürfte dann nicht unter dieser Bezeichnung geführt werden, etwa die Emblemata des Alciati, bei dem das „Motto“ in der Regel nur eine Benennung der abgebildeten Sache ist, ohne sie zu verrätseln, wie es die Schuldefinition fordert. Und häufig ist das Motto auch gänzlich weggelassen: Selbst in der hochbarocken Emblemkunst, auf die sich die enge Definition vor allem zu beziehen scheint, gibt es ganze Emblemsequenzen ohne Beischrift, etwa im Treppenhaus, Vestibül und Marmorsaal von Pommersfelden.406 Überhaupt scheinen die Theoretiker der Zeit den Emblembegriff sehr viel freier und weiter gefaßt zu haben als die moderne Wissenschaft. Dies geht vor allem aus den „historischen“ Ableitungen hervor, mit denen zahlreiche Emblemtraktate beginnen. Harsdörfer verlegt die Anfänge der Emblematik in den Garten des Paradieses: Der Baum der Erkenntnis vertritt die Stelle der Pictura, „Du sollst nicht davon essen“ wird zum Motto.407 Und ein anderer Theoretiker, der französische Jesuit Menestrier, weitet den Emblembegriff dahingehend aus, daß er sagt: „Die Welt ist ein Emblem der Gottheit.“408 225
Menestrier spricht in diesem Zusammenhang auch von „emblematischen Erfindungen“. Das sind jene „sinnreichen Inschriften, die sich auf Sonnenuhren, Brunnen, Kaminen, Gartentoren und öffentlichen Einrichtungen finden, wo sie uns dadurch moralische Lehren erteilen, daß wir die Eigenschaften der Sonne, des Schattens und der Stunden, das Verfließen des Wassers, der Flüchtigkeit des Rauches und des Feuers und der Vergänglichkeit der Blumen in Beziehung setzen zur Kürze des Lebens, der Schnelligkeit der Zeit und der Führung der Sitten und der bürgerlichen Handlungen“.409 Man sieht, wie die Dinge selbst, wie die Naturelemente, aber auch die Gestaltungen der Architektur, dem Emblemtheoretiker an die Stelle der emblematischen Pictura treten können – ganz im Sinne des Alciatus also, der im Rückblick auf das Werk, mit dem er das erste Kapitel der Emblemliteratur aufschlug, im Vollbewußtsein seiner historischen Leistung bemerkt: „Worte bezeichnen etwas, Dinge werden bezeichnet. Dennoch bezeichnen auch Dinge mitunter etwas, wie die Hieroglyphica bei Horus und Chaeremon, zum Zeugnis dessen auch wir ein Büchlein verfaßten, dessen Titel ,Emblemata‘ ist.“410 Hier wird deutlich, daß bei Alciatus die Pictura eindeutig Priorität gegenüber dem Motto genießt.411 Menestriers „historische“ Ableitung der Emblematik verdient besonderes Interesse. Wie schon bei Harsdörfer (1643) werden die Anfänge der Emblematik in den Ereignissen der biblischen Geschichte gesehen. Die Bibel selbst ist ihm ein Buch emblematischer Bilder, deren Sinn aus der Gesamtheit der Schrift erhellt; er erwähnt den Wagen Hesekiels (Hes. 3, 13), den Koloß auf tönernen Füßen (Dan. 2) und die Gesichter Jeremiae (Jer. 1, 11. 13) als biblische Embleme.412 Das zweite Gesicht des Jeremias enthält eine verblüffende Parallele zu den emblematischen Bildelementen und ihrer architektonischen Verknüpfung in der eben beschriebenen manieristischen Stadtanlage von Pitigliano. Die biblischen Verse lauten: „Und es geschah des Herrn Wort zum andern mal zu mir und sprach: Jeremia, was siehest du? Ich sprach: Ich sehe einen heißen, siedenden Topf von Mitternacht her. Und der Herr sprach zu mir: Von Mitternacht wird das Unglück ausbrechen über alle, die im Lande wohnen.“413 Der Norden gilt auch in Pitigliano als unglücksbringend; der „heiße, siedende Topf“ des Gesichts gleicht der bedrohlichen Nachbarschaft des vulkanischen Monte Amiata, und der „wackre Stab“, von dem im ersten Gesicht des Jeremias die Rede ist414, erinnert an die Platane im nördlichen „finestrone“, das gesamte Bildprogramm des Gesichtes also in semantischer Verschiebung, gewissermaßen in einer anderen Tonart. Daß die Architektur auf die emblematischen Bilder der Bibel anzuspielen vermag, wurde schon 226
im Zusammenhang mit der Vorstellung von der „Stadt auf dem Berge“ (Math. 5, 14) erwähnt. Ob es sich dabei um ein absichtliches Zitat handelt oder um eine archetypische Verwandtschaft, sei hier dahingestellt. Aber nicht nur die Verwandtschaft der Bilder ist offensichtlich. Auch die fünf emblematischen Regeln, die Paolo Giovio 1555 als literarischen Leitfaden aufgestellt hat, werden von der emblematischen Architektur häufig sehr viel genauer beachtet als von der Buchemblematik. Es herrscht das „rechte Verhältnis zwischen Körper und Seele“, ihre Bilder sind dunkel, aber nicht unbegreiflich, ihr Schmuck sind kosmische, tierische und pflanzliche Zeichen, menschliche Figuren kommen nicht vor, und ihre Aussage ist wahrhaftig „in einer fremden Sprache“ abgefaßt.415 Zudem könnte man argumentieren, daß die Architektur ganz eigene Ausdrucksmittel besitzt, das Motto zu ersetzen, etwa die volkstümlichen Benennungen der emblematischen Elemente (finestrone, occhio, ombelicio), die mit klaren Werten und Bedeutungen belegten Funktionen der Gebäude, ihre literarisch feststehenden Konnotationen, die Insignien, Wappen und andere explizierende Elemente usw. Aber dies hieße, die Argumentation auf die Spitze treiben zu wollen. Zweifellos handelt es sich bei der hier beschriebenen „emblematischen“ Architektur nicht um die wortwörtliche Umsetzung der Buchemblematik in den Stein der Baukunst, sondern um eine Architektur, die emblematische Züge trägt. Diese treten allerdings deutlich genug hervor: sie sind für die Architektur dieser Zeit ausgesprochen charakteristisch. Wenn wir den Emblembegriff auf diese Architektur ausgedehnt wissen wollen, dann wegen dieser offensichtlich „emblematischen“ Züge, wegen der bemerkenswerten Isolation einzelner Bauelemente und Baugestalten, wegen der ausschnitthaften Präsentation architektonischer und landschaftlicher Motive, wegen der latenten Rätselhaftigkeit des Ambientes, das mit verblüffenden und befremdenden Kompositionen zur Betrachtung der Bilder reizt, ohne sie zu explizieren, wegen einer kombinatorischen Technik der Sinnbildlichkeit also, die man nur mit der Bezeichnung „emblematisch“ auf den Begriff bringen kann. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil die Bilder und Vorstellungen, die dieses emblematische Nebeneinander architektonischer und architektonisch gefaßter Elemente suggeriert, unbestimmt, aber doch deutlich genug über das eigentlich Architektonische hinaus auf den menschlichen Standort in der natürlichen, künstlichen und geistigen Welt verweisen, der in den architektonischen Bildern reflektiert werden soll. Dies kommt der Intention der Buchemblematik, im „Miteinander von Pictura und Motto eine Maxime für menschliches Handeln zu setzen“416, schon sehr nahe. 227
Die Architektur des Manierismus ist reich an vergleichbaren Erscheinungen, und Pitigliano steht mit seiner emblematischen Architektur keineswegs allein. Abgesehen von einer ausgesprochenen Vorliebe der Zeit, Ungewöhnliches und Befremdendes in der Architektur zusammenzustellen, wofür etwa die Maskentür an Zuccaris Haus stehen mag, finden sich emblematische Elemente vor allem in der städtebaulichen Zuordnung einzelner Architekturen und in der von funktionalen Zwängen weitgehend befreiten Garten- und Villenarchitektur. Hier wäre etwa das Wassersystem der Villa Lante in Bagnaia (1566–1578) zu nennen, das mit seinem Lauf vom Selvatico zum Boschetto die Parkelemente aus Architektur und Bewuchs, die das Zusammenwirken von Natur und Kunst verkörpern, zueinander in Verbindung setzt.417 Auch ein anderes Werk von Vignola, das Raumsystem um den Palazzo Farnese in Caprarola, behandelt mit der Abfolge Stadt-Achse-Treppe-Palast-Gärten-Wald ein ähnliches Thema, das ebenfalls Prinzipien der Sinnbildlichkeit folgt, wie sie aus der Emblematik geläufig sind. Selbst im Werk Palladios, der ja von den Zeitströmungen des Manierismus kaum berührt scheint, sind die Beziehungen zwischen Villenbauten und umliegenden Landschaftselementen deutlich von emblematischen Zügen geprägt.418 In der Architektur lassen sich emblematische Züge schon mehr als ein halbes Jahrhundert vor Alciatus ausmachen. Von Leon Battista Albertis Capella Ruccellai war schon die Rede, doch ist ein anderes architektonisches Ereignis der Zeit in dieser Hinsicht noch weitaus bemerkenswerter: die Stadtanlage von Pienza, auf halbem Weg zwischen Florenz und Rom gelegen. 1459 beauftragte der im Jahr zuvor aus dem Konklave als Pius II. hervorgegangene Enea Silvio Piccolomini den Architekten Bernardino Gamberelli, genannt Rossellino, seinen Geburtsort Corsignano zu einer Idealstadt im Sinne der Zeit umzubauen. Das Programm umfaßt alle wichtigen Elemente städtischer Architektur: eine Domkirche an der zentralen Piazza, daneben Paläste für den Papst, den Bischof und die Stadtverwaltung sowie Befestigungsanlagen mit zwei Toren und Torplätzen, die eher als architektonische Metaphern des Städtischen denn als militärische Notwendigkeit zu verstehen sind. Am 29. August 1462 sind die Arbeiten soweit fortgeschritten, daß Pius mit einer Messe am Hochaltar die neue Kirche weihen kann.419 Als der Papst 1464 stirbt, ist das Programm in allen wichtigen Teilen verwirklicht. Im gleichen Jahr stirbt auch Rossellino, und alle Bauarbeiten werden eingestellt; der Ort sinkt nach nur fünfjähriger Bauzeit, die das Dorf in eines der komplettesten städtischen Ensembles der Renaissance verwandelte, wieder in seine frühere 228
Bedeutungslosigkeit zurück. So konnte sich die großartige Architektur unbeachtet von den wechselnden Moden der Jahrhunderte bis in unsere Zeit unverändert erhalten.420 Das Kernstück der Umbaumaßnahmen ist die zentrale Piazza. Um den Platz gruppieren sich vier wichtige Gebäude mit ganz unterschiedlichen Fassaden, die so geschickt aufeinander bezogen sind, daß man von einem „städtischen Innenraum“, von einem „Palast mit offener Decke“ gesprochen hat.421 Entscheidend sind hier perspektivische Kunstgriffe, etwa die in neun Feldern über die Piazza gelegten Tra-
158 Schnitte, oben durch die Hauptstraße mit Blick auf die Kirchenfassade, unten durch Piazza und Kirchenschiff
159 Blick auf die Piazza mit der Kirche und dem Palazzo Piccolomini
160 Plan von Pienza. Kirche, Piazza und der Verlauf der Hauptstraße sind hervorgehoben.
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161 Von der Piazza aus führt der Blick rechts und links an der Kirche vorbei in die Landschaft.
162 Blick an der Kirche vorbei in die Landschaft des Val d’Orcia und auf das Massiv des Amiata.
163 Blick in die Landschaft vom Palazzo Piccolomini aus über den Giardino Secreto hinweg. Vom Garten aus zeigt sich das Panorama nur durch die „Schlüssellochperspektive“ in der bewachsenen Gartenmauer.
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vertinstreifen, die die heterogenen Elemente räumlich zusammenfassen, oder der zur Front des Domes sich erweiternde trapezförmige Grundriß, der – wie später bei Michelangelos Piazza di Campidoglio oder Berninis Piazzaretta – der Perspektive entgegenwirkt und eine Fassade an der breiteren Seite kleiner erscheinen läßt, als sie in Wirklichkeit ist. Von der Piazza aus öffnet sich rechts und links der Kirche der Blick auf die Landschaft des Monte Amiata, der hier, nach Norden, seine fruchtbaren Felder und Wiesenhänge präsentiert. Um diesen Blick zu ermöglichen, wurde die übliche Ostung der Kirche aufgegeben, der Bau mit dem Chor nach Süden gedreht und so weit über den Abhang des Stadtberges hinaus verschoben, daß vor der Fassade genügend Platz für die Piazza verfügbar blieb. Diese Maßnahme bedeutete einen erheblichen technischen Aufwand, der trotz der Eile beim Bau in Kauf genommen wurde422; man mag dies als einen Hinweis darauf verstehen, wie wichtig dem päpstlichen Bauherren die Öffnung der Stadt zur Landschaft gewesen sein muß.423 Enea, der sich gern „Freund der Wälder“ nennen ließ und es liebte, noch in hohem Alter mit den Kardinalen der Kurie in der römischen Campagna zu picknicken424, hat es meisterhaft verstanden, seine ganz im Geschmack der Zeit liegende Natur- und Landschaftsnähe in dieser Architektur zum Ausdruck zu bringen. Damit ist die ungewöhnliche Orientierung der Kirche aber nur unzureichend erklärt, und wesentliche andere Aspekte der Stadtanlage sind bei der Fixierung der kunsthistorischen Literatur auf ein angeblich schon „protoromantisches“ Naturverständnis der beginnenden Renaissance gänzlich übersehen worden. Die Kirche ist nämlich so gedreht, daß an den Äquinoktien beim höchsten Sonnenstand der Schatten der Fassade auf die Neunfelderdecke der Piazza fällt und diese gänzlich ausfüllt: Die seitlichen Begrenzungslinien fallen mit den Schmalseiten der Neunfelderdecke zusammen, die Traufpunkte bilden sich auf den äußeren Drittelpunkten der Travertinteilung ab, der Giebel auf der Mitte der Längsseite und die Spitze des Campanile auf der nordöstlichen Ecke. Die Anlage ist also im Kern ein Kalenderbau, der als eine kolossale Sonnenuhr den Lauf der Zeit und den Wechsel von Licht und Schatten abbildet und damit – wie die „emblematischen Erfindungen“ Menestriers – alle hierher gehörenden Assoziationen von der Flüchtigkeit der Zeit, der Vergänglichkeit des Lebens und der zyklischen Erneuerung des Seins ins Gedächtnis ruft.425 Daß dies die bestimmende Absicht der Orientierung, wenn nicht gar der grundlegende Baugedanke der Stadtanlage überhaupt gewesen sein dürfte, 231
164–170 Der Schattenwurf der Fassade auf der Piazza mittags an den Äquinoktien und seine Bedeutung. Oben: Der Schatten vom Palazzo Pubblico aus gesehen.
165 Das Rundfenster der Fassade („Occhio“): „Das Auge, das sieht“
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166 Das Augenemblem des Horapollo (1551), das das allessehende Auge Gottes darstellt
167 Skizze des Schattenwurfs
168 Der Schatten, von der Marktgasse aus gesehen
169 Das Totenemblem des Horapollo: die herausgenommenen Augen
170 Der Nabelstein („Ombelico“) der Piazza, „Das Auge, das nicht sieht“
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legen zahlreiche architektionische Details, ikonologische Besonderheiten und vereinzelte Äußerungen des päpstlichen Bauherren geradezu zwingend nahe.426 Ein erster Hinweis ist die Forderung Eneas, den Dom von Pienza als Hallenkirche zu errichten, in Bauformen also, die in Italien äußerst ungewöhnlich sind.427 Der Papst begründet diesen Wunsch damit, daß der Typus der Hallenkirche einen lichtdurchfluteten Innenraum und größere Fensterflächen ermöglicht, so daß man beim Betreten der Kirche den Eindruck gewinnen könnte, man betrete „ein Haus aus Glas und nicht aus Stein“.428 Die Kirche sollte also schon vom Bautyp her ein Symbol des Hellen, Lichten, Strahlenden sein. Dem entspricht auch der Weihetitel „Maria Himmelfahrt“. Die traditionelle christliche Ikonographie hat Maria besonders zahlreiche Beinamen gegeben, die Licht und Helligkeit symbolisieren, etwa „Astrum maris“, „Aurora consurgens“, „Electa ut sol“, „Fenestra coeli“ oder „Ianua Coeli“429. Mit der Einengung des Weihetitels auf das Ereignis der Himmelfahrt wird diese allgemeine Mariensymbolik nachdrücklich unterstrichen, denn nach der Tradition der christlichen Kunst ist die Darstellung dieses Motives mit der malerischen Steigerung von Beleuchtungseffekten verbunden, nicht zuletzt dadurch, daß Himmelfahrtstafeln oft vor der realen Lichtquelle aufgestellt wurden.430 In der Fassade, die als eine Collage aus „architektonischen Antiken“ vor den ganz und gar mittelalterlichen Kirchenbau gestellt ist, wird die Lichtsymbolik noch einmal aufgegriffen, wenn Rossellino in das mittlere Feld seines „eigenartig variierten Triumphbogenschemas“431 ein Rundfenster setzt, das nicht nur die Konnotationen des Zeitenlaufs der früheren italienischen „rotae“ mit sich trägt, sondern insbesondere als ein Sinnbild des Auges und somit wiederum des Klaren, Hellen, Sehenden gelten kann.432 In der Tat nennt schon der Bauherr dieses Fenster ein „Auge“, und dies ist bis heute die volkstümliche Bezeichnung geblieben: „occhio“.433 In der Emblematik ist das Auge das Symbol der Gottheit, wohl in Anlehnung an eine bei Horapoll überlieferte Bedeutung der entsprechenden Hieroglyphen434, und in ähnlicher Absicht verwendet Alberti das Zeichen auf seiner berühmten Medaille mit der Aufschrift „Quid Tum“435. In der christlichen Ikonographie tauchen ähnliche Vorstellungen auf, wenn die Synagoga mit verbundenen Augen dargestellt wird, die Ecclesia dagegen mit klarem Blick. So möchte man auch im Occhio der Fassade das Auge des Cusanus erkennen, „das alles sieht“, dem das „nicht Sehende“ gegenübersteht. In der Tat hat die Lichtwelt der Kirche ihre konträre Entsprechung in der Teilung der Piazza, auf die der Schatten fällt, die Dunkelheit mit all 234
ihren Assoziationen von Unwissenheit, aber auch Unbegreiflichkeit, Unheimlichkeit und Tod. In der Mitte der Neunfelderdecke der Piazza ist ein Steinring eingelassen, dessen Durchmesser genau dem des „Occhio“ entspricht, und auch das Maß von der Mitte des Steinringes bis zum Fuß der Fassade ist identisch mit der Höhe des Rundfensters über der Piazza. Diese Maßentsprechungen deuten an, daß es sich bei den beiden auch formal ähnlichen Elementen um zwei aufeinander bezogene Architekturteile handelt, allerdings um eine Beziehung des Gegensätzlichen.436 Auch die volkstümliche Benennung des Steinringes deutet daraufhin: „ombelico“, „Nabel“, der im Gegensatz zum Auge, dem Sinnbild des hellen, durchdringenden Verstandes, als Sitz und Ausdruck der meditativen Kräfte und des dunklen Unbewußten gelten kann.437 In der antiken Tradition ist der Nabel („omphalos“) mit den chthonischen Kulten verbunden, vor allem mit den Orakelstätten, die ursprünglich alle mit der Erdmutter in mythologischer Verbindung standen.438 Die „Omphalossteine“, die sich in mehreren Orakeln erhalten haben, gelten als Opfersteine chthonischer Blutgüsse, die von prähellenischen Erdkulten übernommen wurden.439 Auf heidnisch-antike Tradition deutet auch die Neunfelderteilung der Piazza, mit der der Schatten der Kirchenfassade zusammenfällt. Die Zahl Neun gehört in den Zusammenhang orphischer Mysterien und all jener Kulte, die mit antiken Unterweltsvorstellungen verbunden waren. So gliederte sich der antike Totenkult in enneadische Fristen von neun Tagen, neun Wochen, neun Monaten, neun Jahren, nach denen bestimmte Ritualdienste an den Verstorbenen vorgenommen werden mußten.440 Wie zahlreiche andere Elemente wurde auch diese antik-heidnische Zahlensymbolik von der christlichen Welt übernommen und in die christliche Auffassung der Höllen, Straf- und Läuterungsorte übernommen. Nach christlicher Tradition stieg Christus in den vierzig Tagen zwischen seinem Kreuzestod und der Auferstehung in eine Unterwelt aus neun Höllen hinab, und noch in Dantes Höllenfahrt ist von einem neunfachen Inferno die Rede.441 Die Neun ist also über die christlichen Jahrhunderte hinweg die Zahl des Schattenreiches geblieben, und von einer „Renaissance“ kann man im Zusammenhang der dunklen Zahlensymbolik nur insofern sprechen, als mit den antikisierenden Neigungen der Zeit auch die orphischen Ursprünge des Ganzen wieder in den Gesichtskreis treten.442 Bleibt die Schattenwelt, die mit den mystischen Zahlen und Zeichen der Piazza beschworen werden soll bis hierher noch ein spekulatives Konstrukt, das eigentlich nur für den Initiierten eine greifbare Realität besitzt, 235
so tritt sie nun mit dem Schattenwurf der Fassade auf die Neunfelderdecke sinnfällig in den Gesichtskreis eines jeden, der Augen hat zu sehen. Denn der Schatten, seit der Antike Metonym für Tod, Vergehen und Unterwelt443, behielt auch im literarischen Gebrauch des Mittelalters weiterhin diese Bedeutung bei, einmal, weil die literarischen Floskeln der Bibel in der antiken Tradition stehen – man denke etwa an die ersten Verse des Johannesevangeliums –, dann aber auch, weil der Gegensatz von Licht und Schatten eine so archaische und existentielle Erfahrung darstellt, daß ihm eine eigene, unmittelbar aus sich heraus sprechende symbolische Bedeutung eigen ist.444 Im Interesse dieser Sinnfälligkeit des Gegensatzes von Licht und Schatten, auf den das gesamte bautypologische, ikonographische und ikonologische Programm der Anlage in zahlreichen Varianten anspielt, wurde die Kirche also mit dem Chor nach Süden gedreht und so weit über den Abhang geschoben, daß der Schattenwurf im täglichen und jahreszeitlichen Wechsel auf der Neunfelderdecke hin und her wandern kann, um sich mittags an den Äquinoktien deckungsgleich auf der symbolischen Teilung abzubilden.445 In der Sinnfälligkeit des Schattenwurfs und in den zahlreichen „orphischen“ Umdeutungen der Architektur und ihrer Elemente finden wir also eine vielschichtige Paraphrase auf die immanente Widersprüchlichkeit der Welt. Aufgelöst oder auch nur erklärt freilich wird hier nichts; die „Zeichen“ – die Neun, „occhio“ und „ombelico“, das „gläserne Haus“ der Kirche und der flüchtige Schatten der Piazza – lassen jeweils bestimmte Deutungen möglich scheinen, ohne sie zwingend nahezulegen. Deutungen etwa im Sinne mittelalterlicher Lichtmetaphysik, wie sie Dionysius der Karthäuser als „letzter Philosoph des Mittelalters“ formuliert hat446, oder Deutungen nach der zeitgenössischen Philosophie des Cusanus, der mit seiner Formel von der „Coincidentia Oppositorum“ eine christliche Antwort darauf fand, wie man sich die Auflösung dieses Gegensatzes zu denken habe447, oder eben auch im Sinne antik-heidnischer Vorstellung, die an die Stelle der jenseitigen Unendlichkeit des Cusanus, in der die Gegensätze von Leben und Tod zusammenfallen, eine durchaus diesseitige setzte, ein Wiedereingehen in die Natur, den Wunsch des Ovid: „Molliter Ossa Cubent.“448 In dieser Mehrdeutigkeit bleibt das architektonische Ensemble rätselhaft. Hier kündigt sich mit der beginnenden Renaissance eine architektonische Gestik an, die der explizierenden des Mittelalters fremd ist, die für den Manierismus jedoch bestimmend werden sollte. Ein Rätseln und Sinnen 236
über mögliche Bedeutungen der architektonischen Zeichen ist das eigentliche Ziel dieser Baukunst; dies scheint wichtiger als eine eindeutige Antwort. Auch in dieser Hinsicht müssen wir in Pienza eines der bedeutendsten architektonischen Zeugnisse der Renaissance sehen, den Vorboten einer architektonischen Strömung, die wir „emblematisch“ nannten. 8 Die Irritation: Verkehrte Welten und gestörte Ordnungen Augenzeugen des großen Erdbebens von Lissabon, das 1755 die Stadt heimsuchte und zu zwei Dritteln zerstörte, haben berichtet, daß das Furchtbare der Naturkatastrophe weniger die einstürzenden Häuser im Augenblick der Zerstörung gewesen seien, als die Ereignisse, die dem unmittelbar vorangingen, die Momente des panischen Schreckens, als sekundenlang die Häuser aufstanden, als die Bäume sich wie lebende Wesen in der Windstille schüttelten, als die Kirchtürme wie Grashalme schwankten und in der ganzen Stadt die Glocken von selber zu läuten begannen. Diese schreckliche Erfahrung, die man den eigenen Sinnen nicht mehr glauben mochte, in der die Ordnung der Dinge, wenn auch nur für den Augenblick des Schreckens, aber wie zu einem diabolischen Spiel aufgehoben schien, hat die Überlebenden zutiefst verwirrt. Noch Jahre später griff mancher zur Feder, um diese Verstörung literarisch zu bewältigen. Goethe registrierte ein „außerordentliches Weltereignis“ und wurde davon „nicht wenig betroffen“. Im ersten Buch von Dichtung und Wahrheit liest man: „Gott, der Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.“449 Katastrophale Erdbeben erschütterten im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts auch den Süden Italiens; in Sizilien zählte man allein fünfundzwanzig. Besonders schwer waren dort die Beben von 1631, 1634, 1646, 1669 und 1693, und zahlreiche sizilianische Landstädte mußten neu errichtet werden. Das 17. Jahrhundert war zugleich eine Epoche verstärkter Anstrengungen zur Wiederbesiedelung des flachen Landes, das durch größere Landflucht237
über mögliche Bedeutungen der architektonischen Zeichen ist das eigentliche Ziel dieser Baukunst; dies scheint wichtiger als eine eindeutige Antwort. Auch in dieser Hinsicht müssen wir in Pienza eines der bedeutendsten architektonischen Zeugnisse der Renaissance sehen, den Vorboten einer architektonischen Strömung, die wir „emblematisch“ nannten. 8 Die Irritation: Verkehrte Welten und gestörte Ordnungen Augenzeugen des großen Erdbebens von Lissabon, das 1755 die Stadt heimsuchte und zu zwei Dritteln zerstörte, haben berichtet, daß das Furchtbare der Naturkatastrophe weniger die einstürzenden Häuser im Augenblick der Zerstörung gewesen seien, als die Ereignisse, die dem unmittelbar vorangingen, die Momente des panischen Schreckens, als sekundenlang die Häuser aufstanden, als die Bäume sich wie lebende Wesen in der Windstille schüttelten, als die Kirchtürme wie Grashalme schwankten und in der ganzen Stadt die Glocken von selber zu läuten begannen. Diese schreckliche Erfahrung, die man den eigenen Sinnen nicht mehr glauben mochte, in der die Ordnung der Dinge, wenn auch nur für den Augenblick des Schreckens, aber wie zu einem diabolischen Spiel aufgehoben schien, hat die Überlebenden zutiefst verwirrt. Noch Jahre später griff mancher zur Feder, um diese Verstörung literarisch zu bewältigen. Goethe registrierte ein „außerordentliches Weltereignis“ und wurde davon „nicht wenig betroffen“. Im ersten Buch von Dichtung und Wahrheit liest man: „Gott, der Schöpfer und Erhalter des Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.“449 Katastrophale Erdbeben erschütterten im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts auch den Süden Italiens; in Sizilien zählte man allein fünfundzwanzig. Besonders schwer waren dort die Beben von 1631, 1634, 1646, 1669 und 1693, und zahlreiche sizilianische Landstädte mußten neu errichtet werden. Das 17. Jahrhundert war zugleich eine Epoche verstärkter Anstrengungen zur Wiederbesiedelung des flachen Landes, das durch größere Landflucht237
bewegungen im 16. Jahrhundert zu veröden drohte, und so kann man hier im Städtebau von einer regelrechten „Gründerzeit“ sprechen, in der die katastrophenbedingten spontanen Wiederaufbauprogramme und eine langfristig angelegte Besiedlungspolitik Hand in Hand arbeiteten.450 Auch Kalabrien ist seit ältester Zeit Schauplatz gewaltiger Erdstöße gewesen. Eines der fürchterlichsten Beben ereignete sich 1783; es begann im Februar und erstreckte sich über vier Jahre. Etwa vierhundert Städte und Dörfer wurden zerstört, über hundert Berge stürzten herab, dämmten Flüsse und Seen und veränderten die Landschaft. Mehr als sechzigtausend Menschen kamen ums Leben.451 Vor allem im Norden des Landes waren die Zerstörungen so furchtbar, daß auch in den städtischen Zentren die örtlichen Ressourcen nicht mehr ausreichten, den Wieder-
171–173 Sizilianische und kalabrische Erdbebenstädte des 17. und 18. Jh., bei denen die Plangeometrie planmäßig gestört ist. Oben: Die Landarbeiterstädte Terrasini (links, 16. Jh.) und Cinisi (rechts, 1623). Lage in der sizilianischen Landschaft, westlich von Palermo
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aufbau zu tragen, und der neapolitanische Staat mußte Planung und Rekonstruktion in die Hand nehmen. Neben zahllosen kleinen Siedlungen wurden allein sechzehn Städte von Grund auf neu und meistens auch an neuen Standorten errichtet. Man bediente sich dabei langgestreckter Schachbrettsysteme, die in ihrem starren Schematismus erschrecken; in dieser Größenordnung hatte es eine solche Rigidität im Städtebau noch nicht gegeben, und vergleichbare formale Entwicklungen finden sich nur in den schon zu Anfang und im Laufe des 16. Jahrhunderts in Sizilien entstandenen Neugründungen. Trotz der langen Zeitspanne von mehr als einhundertundfünzig Jahren, in der diese Erdbebenstädte errichtet wurden, weisen sie verblüffende Gemeinsamkeiten auf. Nicht, daß sie alle nach einem einheitlichen Plan
172 Cinisi. Das Straßensystem aus scheinbar parallelen Gassen ist zum Rande hin leicht aufgefächert.
173 Altavilla Milicia, südöstlich von Palermo, 1632. Das orthogonale Raster der Straßen wird an seinem südlichen Rand von einem unregelmäßigen Fächer gekreuzt.
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errichtet wären, im Gegenteil, jedes dieser Schachbretter ist anders gegliedert, orientiert und proportioniert. Höchst erstaunlich aber ist die Tatsache, daß bei allen die geometrischen Muster an entscheidender Stelle bewußt durchbrochen, gestört oder gar aufgelöst werden. Dieser durchgehende Zug der so unterschiedlichen geometrischen Figuren, der in den städtebaulichen Moden beider Jahrhunderte ohne eindeutige Parallele ist, kann kaum schlüssig erklärt werden. Er mag mit dem tragischen Bauanlaß zusammenhängen, so als habe man mit der Störung des geometrischen Ordnungsprinzips des Grundrisses eine Erinnerung daran wachhalten wollen, daß diese Städte selbst ihre Entstehung einer plötzlichen Störung der tellurischen Massen verdanken, dem katastrophalen Augenblick, als für Sekunden die Berge und Täler aus ihrem Gleichgewicht rückten. Ein frühes Beispiel dieses Siedlungstyps ist die Landarbeiterstadt Cinisi, westlich von Palermo, die schon 1623 gegründet wurde.452 Hier existierte bereits ein älterer Ortskern mit Markt und Kirche, der nach Nordwesten zum Meer hin durch ein System paralleler Straßen erweitert wurde. Die Straßen begrenzen schmale und ungewöhnlich lange Baublocks, die mit einem einheitlichen Haustyp von zwei Geschossen ohne Innenhof vollständig überbaut sind. Da es sich um eine Siedlung von Klassengleichen handelt, ohne bürgerliche Mittelschicht und ohne die sonst bei solchen Anlagen üblichen Wohnsitze der Grundherrschaft, ist das Grundrißgefüge nicht weiter hierarchisiert. Es wurde lediglich versucht, die Masse der Bevölkerung in der Nähe von Kirche, Markt und Stadtverwaltung anzusiedeln, und deshalb findet sich hier die größte Zahl der eng nebeneinanderliegenden Straßen, während sie nach Nordwesten längs der Hauptachse der Neugründung, kontinuierlich abgemindert wird. Im Kern ist also das Siedlungssystem äußerst einfach, und man möchte hierin das Motiv erblicken, die Planung als Notmaßnahme auf das absolut notwendige Minimum zu reduzieren, wenn nicht die Struktur der parallelen Gassen im Bereich westlich der Hauptachse künstlich verkompliziert wäre. Hier nämlich sind die Straßen nicht länger parallel nebeneinandergelegt, sondern zum Meer hin leicht aufgefächert, so als habe das sorgfältig aufgebaute System aus schmalen Straßenstreifen an seinem unteren Ende einen leichten Stoß erhalten. Für diese Veränderung der geometrischen Rigidität gibt es keinen praktischen Grund. Nur mit beträchtlichem vermessungstechnischem Aufwand ist eine solche gleichmäßige Auffächerung der Straßenzüge im Gelände zu erreichen, und zugleich schließt die Gleichmäßigkeit einen bloß zufälligen Vermessungs240
fehler aus: Es handelt sich um eine bewußte Störung der im übrigen mit äußerster Strenge durchgehaltenen Plangeometrie. Ähnliches läßt sich in zahlreichen anderen Neugründungen der Zeit in Sizilien und Kalabrien beobachten, etwa in Terrasini, gleich in der Nachbarschaft von Cinisi gelegen. Der Ort wurde schon im 16. Jahrhundert gegründet, aber bis ins 18. Jahrhundert hinein durch neue Viertel erweitert, deren Bevölkerung aus den Erdbebengebieten zuwanderte.453 Die ursprüngliche Gründung und alle Erweiterungen sind nach dem gleichen System der parallelen Gassen und überlangen Baublocks angelegt, wie in Cinisi, aber jede Erweiterung ist gegenüber dem Schema der vorangehenden leicht versetzt, so daß die subtilen Störungen der Geometrie hier ver174, 175 Oppido Mamertina, 1783 im Bergland von Aspromonte, Kalabrien, wiederaufgebaut; Planausschnitt (Gesamtplan s. rechts). Die regelmäßig geschnittenen Baublöcke werden von schräg und unregelmäßig verlaufenden Gassen und Hofsystemen geteilt.
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vielfältigt scheinen und ein äußerst irritierendes Gesamtbild entsteht: Hier begegnet nicht einfach die dumpfe Planlosigkeit, wie wir sie aus den anarchischen Budensammlungen von Goldgräberstädten oder Flüchtlingslagern kennen, hier herrscht auch nicht die aufs Detail gerichtete Planungslogik des sogenannten „gewachsenen“ Städtebaus, wo ein Element unter sorgfältiger Berücksichtigung von Topographie, Substanz und Verkehrslage neben das andere gesetzt wird, sondern hier ist die planende Vernunft selbst in Frage gestellt, indem jede dieser scheinbar unausweichlichen, mit äußerster Sorgfalt gegliederten, proportionierten und orientierten Stadtgeometrien die Intentionen der voraufgehenden – die jede für sich in gleichem Maße Rationalität beanspruchen – stört und damit zugleich ironisiert.454 Besonders deutlich wird dieser „diskrete Charme ironischer Stadtplanungen“ in einer kalabrischen Gründung von 1616, in Cittanova östlich von Palmi. Die Stadt wurde mehrfach nach schweren Erdbebenschäden wiederaufgebaut und schließlich nach dem Beben von 1783 mit einer geschlossenen Stadterweiterung nahezu verdoppelt.455 Der Ortskern des 17. Jahrhunderts besteht in der östlichen Hälfte aus einem System paralleler Gassen, die westlich der Kirche radial auseinanderfächern. Die neuen Viertel, die sich 1783 nach Osten vorlagern, greifen zunächst das vorhandene System auf, indem sie mit einer Doppelachse und der Orientierung von Markt, Kirche und Gassen die bestehende Richtung des Straßensystems fortführen, um dann aber unvermittelt nach Süden abzuknicken. Hier begegnen wieder die schon bekannten überlangen Baublocks, getrennt durch parallele Straßenzüge, die wiederum in der östlichen Hälfte ohne erkennbaren praktischen Grund in leichte Bewegung geraten. Das geometrische Gefüge der Gesamtanlage ist also in zweifacher Hinsicht gestört, einmal im plötzlichen Abknicken der zuerst aufgegriffenen Orientation der älteren Siedlungsteile, dann in der willkürlichen Auffächerung und Ausweitung der Gassenenden der Neustadt. Ähnliche Störungen der Grundrißgeometrie ließen sich auch in zahlreichen anderen kalabrischen und sizilianischen Städten nachweisen, etwa in Bagheria bei Palermo, wo im Zusammenhang mit den Villenbauten des 18. Jahrhunderts, von denen noch zu reden sein wird, die Orthogonalität des Siedlungsgefüges aufgebrochen wird, oder im benachbarten Casteldaccia (1737), wo ein System paralleler Straßen scheinbar willkürlich von unregelmäßig geschwungenen Längsgassen durchzogen ist. Oder sehr früh schon in Altavilla Milicia, ebenfalls südöstlich von Palermo, das ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben von 1631 gegründet wurde und 242
wo vier parallel nebeneinanderliegende Axialstraßen von einem breiten Fächer von Quererschließungen durchschnitten sind. Neben der Auffächerung orthogonaler Straßensysteme kennt die ironisierende Stadtplanung dieser Zeit noch andere Mittel, die Rigidität der Stadtgeometrie zu stören. So wurde im 1783 schwer getroffenen kalabrischen Bergland von Aspromonte die Stadt Oppida Mamertina an einem neuen Standort wieder aufgebaut. Die Ingenieure Winspeare und La Vega, die für die Planung verantwortlich zeichneten456, legten die Neugründung nach einem Schachbrettmuster an, bei dem alle Straßen in gleicher Breite ausgewiesen wurden, ohne Achsen oder andere hierarchisierende Elemente, und wo eine Differenzierung des Stadtgefüges lediglich über drei ver176, 177 Filadelfia in Kalabrien, 1783, Ausschnitt (Gesamtplan s. rechts). Die Stadtanlage ist bemerkenswert dadurch, daß sie festliegende Architekturkonventionen – hier die Hervorhebung der bedeutenden Mitte durch Repräsentationsbauten – systematisch zurücknimmt: Die vier Kirchen der Stadt liegen zwar in den diagonal an die monumentale Piazza anschließenden Blocks, aber ihre Eingänge sind ausnahmslos vom Platz abgewandt.
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schiedene Blocktypen unterschiedlicher Breite bei gleicher Länge erfolgte. Dieses durchrationalisierte System ist jedoch von einem zweiten, weit weniger regelmäßigen überlagert, nach dem die innere Blockerschließung organisiert ist. Je nach Größe werden die einzelnen Blocks von mehr oder minder gerade verlaufenden Längsgassen durchzogen, von denen eine oder mehrere Quergassen abzweigen. Trotz aller Unregelmäßigkeit ist die innere Blockerschließung jedoch keineswegs ein Zufallsprodukt oder das Ergebnis unkoordinierter individueller Bautätigkeit. Nahezu alle Längsgassen verlaufen schräg durch das orthogonale, ungefähr nach den vier Himmelsrichtungen orientierte Hauptstraßensystem, und bei aller Individualität im Detail sind sie einheitlich von Nordwest nach Südost gerichtet. Zweifellos hat dies Methode: Das Schachbrett löst sich im Inneren in wohlüberlegten Dissonanzen auf. Noch in einer anderen Hinsicht sind die kalabrischen und sizilianischen Erdbebenstädte des 17. und 18. Jahrhunderts gestört, indem sie die Aussagen der architektonischen Zeichensprache, die auch sie verwenden, systematisch zurücknehmen oder hinterfragen. Die architektonische Geste der Axialität etwa, die seit der städtebaulichen Neuorientierung der Renaissance nicht mehr nur als bedeutsame Wegeverbindung – vor allem auf rituellem Terrain – verstanden wurde, sondern immer auch als visuelle Hinführung auf ein monumentales Ziel, wird hier dieser feststehenden Bedeutung systematisch enthoben. Im größten Maßstab geschieht dies in Reggio di Calabria, das 1783 nach den Plänen des Ingenieurs Giovanni Battista Mori mit langen, nördlich und südlich ins Leere führenden Achsen von Grund auf neu errichtet wurde, aber kleinere Anlagen, wie Terranova Sappo Minulio am Nordhang des Aspromonte lassen die Absichten der Wiederaufbauarchitektur noch sehr viel deutlicher erkennen.457 Terranova wurde am 5. Februar 1783 vollständig zerstört; praktisch die gesamte Bevölkerung kam bei der Katastrophe zu Tode. Die neue Stadt, sehr viel kleiner und mit Zuwanderern aus benachbarten Orten bevölkert458, wurde in der Nähe des alten Standortes errichtet, nach Plänen, die eine Expertenkommission der Reale Accademia delle Scienze delle Belle Lettere di Napoli aufgestellt hatte. Die Neugründung besteht aus einer breiten Achse, die im Norden ein Schachbrettsystem unregelmäßigen Umrisses durchschneidet, im Süden dagegen lediglich einzeilig bebaut ist. Alle wichtigen Gebäude, wie Kirche und Municipio, liegen abseits; die Achse führt ohne jede Bezugnahme an ihnen vorbei und weist mit beiden Enden ins Leere. Sie scheint gewissermaßen die Persiflage einer Achse, um so mehr, als die flankierenden Bauten nur zwei Geschosse hoch sind 244
und ihr südliches Ende in einen unbedeutenden Feldweg mündet. Angesichts der hochgebildeten Expertenkommission, die für die Pläne verantwortlich zeichnet, kann eine solche Anlage nur als bewußte Sinnentleerung der axialen Gestik gesehen werden, als die bewußte Aufhebung tradierter Bedeutung. Abschließend sei hier noch auf eine weitere Neugründung dieser Zeit hingewiesen, die ebenfalls ein Moment der Irritation in die Planung hineinträgt, indem sie eine andere traditionelle Architektursymbolik persifliert: die Symbolik der bedeutenden Mitte. Nach klassischer Architekturauffassung ist die Mitte des städtischen Gemeinwesens der angemessene Standort wichtiger öffentlicher Gebäude. Im Idealfall – etwa der imaginären Veduten des Luciano Laurana oder des Francesco di Giorgio Martini459 – sind sie rings um einen zentralen Platz zu denken, zu dem sie sich mit dekorierter Fassade hinwenden sollen und an dem die Haupteingänge und Hauptöffnungen liegen. Eine Stadt mit einer solchen zentralen Platzanlage wurde 1783 in Mittelkalabrien gegründet: Filadelfia, nicht weit von Vibo Valentia, allerdings mit entscheidender Verschiebung aller architektonischen Akzente.460 Die Neugründung besteht aus einem Achsenkreuz breiter Straßen, die auf einen zentralen quadratischen Platz führen. Diese bedeutende Mitte der Stadt ist jedoch völlig leer und inhaltslos, ohne jeden monumentalen Einbau, wie man ihn hier erwarten würde, und auch ohne bedeutende öffentliche Gebäude in den Platzwänden. Stattdessen liegen die vier Pfarrkirchen der Stadt jeweils in den Eckblöcken, die diagonal an die Platzecken stoßen, also in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Zentrum. Hier jedoch zeigt sich die irritierende Absicht dieser sich selbst in Frage stellenden Stadtplanung besonders deutlich, denn die Kirchen markieren zwar mit ihren Türmen die vier Ecken des Platzes, aber ihre Eingänge liegen genau auf der gegenüberliegenden Seite, also nach allen vier Richtungen vom Platz weggewendet. Sie kehren der Piazza ihre Rückseiten zu! Mit diesen aufgehobenen architektonischen Bedeutungen, leeren Gesten und gestörten Ordnungen sind die kalabrischen und sizilianischen Erdbebenstädte zweifellos manieristisch zu nennen, manieristisch in einem doppelten Sinne; einerseits, indem sie, obwohl dem 18. und teilweise dem 17. Jahrhundert angehörig, deutliche Züge der Architektur des Manierismus zur Schau tragen und insofern vielleicht als provinzielle Verspätungen einer abgeschlossenen Stilepoche zu verstehen sind, andererseits, indem sie, in seltener regionaler und zeitlicher Häufung, Elemente der Irritation, der Abwertung des Tradierten, der Störung überkommener 245
Ordnungsmodelle aufweisen, die als gegenläufige – in diesem Sinne „manieristische“ – Unterströmungen von wechselnder Bedeutung immer das Gesamtbild klassischer Stile und Epochen mitbestimmen. Gemeinsamkeiten der Erdbebenstädte mit wichtigen Anlagen des Manierismus finden sich etwa schon in der Addizione Erculea von Ferrara, die zwar zeitlich noch der Renaissance angehört, die aber doch schon wichtige Elemente der manieristischen Stadtbaukunst vorwegnimmt, oder in der Neugründung von Sabbioneta, wo ebenfalls das tradierte Bedeutungsund Gestenrepertoire der klassischen Regelkunst manieristisch hinterfragt wird. Das Thema der „verkehrten Welt“, das in den kalabrischen Städten mehrfach angesprochen ist, hat seine städtebaulichen Parallelen etwa in Alvise Cornaros manieristischen Promenaden- und Befestigungsprojekten für Venedig, und eine Architektur aus verwandtem Geiste ist das Sockelgeschoß des Palazzo Ducale in Mantua. Beides wird auch in der Architekturdekoration der Zeit malerisch reflektiert, etwa im Labyrinthfresko mit dem Wasserlabyrinth, ebenfalls in Mantua.461 Die Addizione Erculea muß insofern als ein ideeller Vorläufer zahlreicher Erdbebenstädte angesprochen werden, als sich hier zum ersten Mal das Thema der leeren Mitte in einer monumental gedachten Stadtanlage findet. Das Zentrum der Neustadt, von Ercole I (1471–1505) gegründet,
178 Die Addizione Ercolea Ferrara (1492), ein Vorläufer der manienstischen Hinterfragung architektonischer Gesten: Die Mitte (2) der Neustadt ist eine bloße Straßenkreuzung, während der Hauptplatz (3) abseits liegt. Das alte Kastell der Este (1) rückt durch die Planung in die Mitte der Gesamtanlage. Links: Lage der Addizione zur Stadt.
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beschränkt sich auf eine bloße Straßenkreuzung, in der sich die beiden gleichwertigen Achsen schneiden. Zwar liegen hier einige wichtige Palastbauten, darunter der Palazzo dei Diamanti, aber die eigentlich zentralen Einrichtungen der Neustadt, die Stadtkirche und die ausgedehnte Piazza Ariostea, liegen jeweils auf der halben Länge der Ost-West-Achse; zum monumentalen Grundgedanken des Achsenkreuzes stehen sie nicht in Beziehung.462 Sabbioneta gehört zu den zahlreichen landesherrlichen Neugründungen des 16. Jahrhunderts in Oberitalien, die teils als siedlungspolitische Maßnahme, teils als städtebauliche Verherrlichung des Territorialherrn gedacht waren und deren räumliches Ordnungssystem deutliche Einflüsse der zeitgenössischen Architekturtheorien zeigt.463 Allerdings wird hier die Regelhaftigkeit des theoretischen Ideals nicht schlicht nachgebaut, sondern Gegenstand eines raffinierten Spiels, das darin besteht, das geometrisch regelmäßige System bis zur klaren Erkennbarkeit dieser städtbaulichen Absicht aufzubauen, um es dann systematisch durch blinde Gassen, versetzte Kreuzungen und abknickende Wege zu verrätseln und zu stören. Für ein solches Spiel, das die Kenntnis der geometrischen Regelhaftigkeit als den städtebaulichen Normalfall voraussetzt, kann es verschiedene Gründe geben. In Sabbioneta wollte möglicherweise der
179 Sabbioneta, ein Vorläufer der gestörten Schachbrettanlagen, 1560 von Vespasiano Gonzaga gegründet
180 Das Labyrinth der Gonzaga mit dem Wahlspruch: „Forse che si, forse che no“
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181, 182 Alvise Cornaros Projekt für die Befestigung Venedigs (1565) mit einem Wall, auf dem ein breiter Waldgürtel angepflanzt und ein „vago monticello“ angelegt werden sollte – der alte Topos der glänzenden Stadt auf der Insel in der Mitte des Meeres, umgeben von einem undurchdringlichen Walde. Unten rechts: Schemaschnitt durch die Anlage.
Stadtgründer Vespasiano Gonzaga-Colonna (1531–1591) das Labyrinth, das Familienemblem der Gonzaga, im Grundriß seiner Neugründung assoziiert wissen, „womit er das Gartenlabyrinth im Hofe des Palazzo del Te seiner mächtigen Verwandten in Mantua und damit den großen Architekten Giulio Romano listig überbieten konnte“.464 Eine ganz besondere Merkwürdigkeit unter den Stadtgründungen und Stadterneuerungen des Manierismus ist das Projekt von Alvise Cornaro zur Befestigung von Venedig mit Mauergürtel, Bastionen und Toren. Cornaro (1475–1566) aus ältestem venezianischen Adel stammend, mit reichem Landbesitz in den Euganäischen Hügeln und auf den Kykladen, ein Freund Trissinos und Serlios, ein bedeutender Mäzen, dem Künstler wie der Dichter Ruzzante oder der Architekt und Maler Falconetto ihre Existenz verdanken, war eine der Hauptfiguren des venezianischen Cinque248
cento. Sein besonderes Interesse galt der Landwirtschaft, die er ganz im antik-römischen Sinne als „heiligen Ackerbau“ verstand, und den hydraulischen Problemen der Lagune; beiden widmete er umfangreiche Traktate.465 Sein Projekt eines Mauergürtels um die Lagunenstadt legte er im Rahmen einer Schrift Sopra la regolazione dei porti vor.466 Danach sollte rings um Venedig im Abstand von 700 Metern ein Wall in der Lagune aufgeschüttet werden, der nach außen mit einer starken Mauer und neuitalienischen Bastionen geschützt war, nach innen aber von einem vierzig Meter breiten Waldgürtel begleitet wurde; an fünf Stellen sollten Tore, überspannt von eisernen Brücken, in die Lagune hinausführen. Cornaro begründet sein aufwendiges Projekt militärisch – Sicherheit bei Abwesenheit der Flotte, Verfügbarkeit von Holz auch im Belagerungsfalle –, hygienisch – der Wald sollte die Gefahren der „mal aere“ fernhalten – als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und vor allem auch ästhetisch: „si fara la città piu grande e piu bella.“467 Die Sachgründe wurden von den Zeitgenossen nicht ernst genommen, vor allem die militärischen Argumente wurden von Michele Sanmicheli entkräftet, der als Autorität in Befestigungsangelegenheiten galt und dessen Konzept einer Reihe von vorgeschobenen Einzelforts auf dem Lido und bei den Laguneneinfahrten auch seit 1543 verwirklicht wurde.468 Aber Cornaros städtebauliche Absicht, das labyrinthische Gewirr Venedigs hinter einem Waldgürtel zu verbergen, lag eher im Geschmack der Zeit: Hier wird der alte Topos des insularen, umhegten „locus amoenus“ mit dem Motiv des Bannkreises und der realen labyrinthischen Struktur der Stadt zu einer Gesamtkonstruktion verbunden, die im Wesentlichen die erdichtete Topographie von Torquato Tassos „Gerusalemme Liberata“ (1575, Erstdruck 1580) vorwegnimmt.469 Allerdings ist dieser „locus amoenus“ zwar in der Mitte der Lagune entrückt und entlegen, die „unwahrscheinlichste aller Städte“470, aber eben doch die reale, lebende Stadt mit all ihrer Mühe, Not und Alltäglichkeit und keineswegs der paradiesische Inselpark des Torquato Tasso. Gerade hierin kann man jedoch den manieristischen Zug im Entwurf Alvise Cornaros erblicken, eine Umdeutung des alten architektonisch-literarischen Motivs und die Errichtung einer „verkehrten Welt“, die an die Stelle des geheimen Ortes der Lüste und Träume das pulsierende Leben und Treiben der reichen Handelsstadt setzt – verborgen hinter einem Waldgürtel, der ohne Frage nach der literarischen Floskel vom „großen, undurchdringlichen Wald auf der Insel in der Mitte des Meeres“ gebildet ist.471 Mit dieser Verdrehung des klassischen Motivzusammenhanges, mit dieser spielerischen Konstruktion einer verkehrten Welt trägt Cornaro eine 249
183 Wasserlabyrinth; Fresco im Palazzo Ducale, Mantua (ca. 1510)
modische Neigung der Zeit in den Städtebau, der in den anderen architektonischen Künsten schon seine Artikulation gefunden hatte. Hier wäre auf die verkehrte Welt des Labyrinthfreskos im Palazzo Ducale in Mantua hinzuweisen, das ein ähnliches Thema – allerdings mit negativem Vorzeichen – behandelt, oder auf die Zwergenpaläste im Sockelgeschoß der Gabinetti Isabellani, ebenfalls eine verkehrte Welt, die Isabella d’Este (1474–1539) für ihre Hofzwerge errichten ließ: Die höfische Architektur des Palazzo Ducale, mit all ihrem Anspruch auf Ernst und glänzende Repräsentanz des Herrschens, Hofhaltens und Regierens hat ihr verkleinertes Gegenstück im Souterrain, halb schon dort, wo man das Reich der unterirdischen, halb komischen, halb mächtigen Zwerge vermutet, und dort treiben die Hofnarren und Schranzen ihr Wesen als Zerrbild des höfischen Selbstverständnisses. Man möchte sich fragen, warum gerade der Manierismus diesen Hang zum Bizarren, zur verkehrten Welt, zu allen nur denkbaren Formen gestörter Ordnungen und aufgehobener Bedeutungen kultivierte, wenn nicht die komplexen Zusammenhänge jede kausale Durchdringung von vornherein aussichtslos erscheinen ließe. Neben vielen anderen Einzelursachen ist sicherlich die generelle geistige Situation der Zeit von Bedeutung, die sich durch die allmähliche Entdeckung der astronomischen, geographischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten in ihrem tradierten Weltbild zutiefst verunsichert sah. Der maschinenartige Zusammenhang der Dinge, die Einsicht, daß alle Ereignisse eine natürliche, von unpersönlichen Gesetzen determinierte Ursache haben, zwang dazu, vor 250
allem zu den ungewöhnlichen Vorgängen, zum Aussetzen der Lebensfunktionen, zu den Erschütterungen der gesellschaftlichen Ordnungen und insbesondere zu den unerwartet wiederkehrenden Naturkatastrophen ein neues Verhältnis zu gewinnen. Das immer tiefer in das Zusammenspiel der Naturkräfte eindringende Verständnis konnte diese Ereignisse nicht länger als absichtsvolle Zeichen eines omnipotenten Gottes sehen, der das Leben und Treiben auf Erden eifernd verfolgt, der lenkend, helfend oder auch strafend in das individuelle und kollektive Geschick eingreift, sondern mußte in der Katastrophe einen Störfall der Maschinerie erblicken. Der Störfall ist absolut unberechenbar. Er hat nichts mehr mit eigenem Fehlverhalten zu tun, sondern mit ataktischen Vorgängen im Rhythmus der Naturgesetze, die man nicht durchschaut, die deshalb unheimlich erscheinen müssen und existentiell verunsichern. Zum ersten Mal tritt hier an die Stelle der konkreten Furcht vor Gottes Strafe das diffuse Lebensgefühl der Angst. Nicht, daß es von nun an das Beherrschende würde; beherrschend wird vielmehr der abrupte Wechsel zwischen Epochen zunehmender Gewißheit und plötzlichen intellektuellen Einbrüchen, plötzlichen „Momenten der Verstörung“.472 Im Manierismus werden diese Einbrüche Teil des kulturellen Gesamtbildes, sie werden in ihrem ganzen Ausmaß künstlerisch reflektiert und selbst in die räumliche Organisation von Architektur und Städtebau, in die materielle Grundlage des Alltagslebens also, hineingetragen. Damit gehören die Monumente dieser Zeit nicht länger der Tradition des „architektonischen Widerspruchs“ an, wie er sich in allen Epochen der Baugeschichte artikuliert hat und ihn Victor Hugo für Romanik und Gotik als das zeitspezifische Medium der Meinungsfreiheit charakterisiert: „Der in Stein gehauene Gedanke genießt in dieser Zeit Vorrechte, die ganz unserer Pressefreiheit entsprechen: es ist die Freiheit der Baukunst. Diese Freiheit geht sehr weit. Bisweilen zeigt ein Portal, eine Fassade, eine ganze Kirche einen Sinn, der dem Kultus fremd, der Kirche geradezu feind ist. Aber in dieser Form ist der Gedanke frei und nur in diesen Büchern, die man Gebäude nennt, schreibt man ihn offen nieder (…).“473 Mit dem Manierismus neigt sich diese Tradition des „architektonischen Widerspruchs“, der zugleich eine Tradition der gegenläufigen Unterströmung, des Außenseitertums ist, dem Ende entgegen. Denn von nun an gehört die Gegenposition gleichberechtigt zum Gesamtbild, produziert jede Klassik ihren Manierismus, stehen Figuren wie Winckelmann und Piranesi gleichberechtigt und mit wechselndem, aber gleichermaßen nachhaltigem Einfluß einander gegenüber. Während die „Klassiker“ einer 251
Epoche in ihrem Werk die Regelhaftigkeit der Welt feiern, setzen die „Manieristen“ dagegen: Der Störfall, auf den es keine Einflußmöglichkeit gibt, ist ebenso ein denkbarer Zustand der Weltmaschinerie. Zweifellos wirken die historischen Ereignisse in die Formulierung solche Standpunkte hinein, und mir scheint, daß so die ausgesprochen manieristischen Züge der sizilianischen und kalabrischen Erdbebenstädte zu verstehen sind, die in scharfem Kontrast zu den Klassizismen der Zeit stehen. Der Störfall war hier katastrophale Realität geworden; er mußte um so nachhaltiger wirken, als er rational nicht zu begreifen war. Denn die Geologie, die sich ja um das Verständnis der tellurischen Vorgänge bemüht, kann als die verspätete Wissenschaft des 18. Jahrhunderts gelten. Kirchers anthropomorphe Erdbebentheorien, sein Mundus Subterraneus und die Konstruktion des Zentralfeuers beherrschten noch immer die Diskussion. Von einer wissenschaftlichen Diskussion im modernen Sinne kann man überhaupt erst seit der Begründung von Abraham Werners (1750–1817) „neptunistischer“ Schule sprechen, der sich dann die „Plutonisten“ seines Schülers Leopold Buch (1774–1853) entgegenstellten – aber die Namen der antiken Göttergestalten als Titelbegriffe zweier Systeme mögen hier als symptomatisch dafür genommen werden, wie sehr Anthropomorphes, fast noch Mythologisches in die beginnende exakte Naturbeobachtung hineinwirkt. Die Tatsache, daß sich die Erdbebenkatastrophen auf der Höhe eines rationalistischen Zeitalters ereigneten, das sich gerade mit wirklich wissenschaftlich zu nennenden Methoden und allenthalben mit wachsendem Erfolg angeschickt hatte, die Naturgesetze zu erforschen, ein Zeitalter, das in all seinen Bemühungen immer neue Bestätigung erfuhr, muß zutiefst beunruhigend gewirkt haben. Dies muß insbesondere für Sizilien gelten, das sehr viel engere Beziehungen zu den Hochburgen von Klassizismus und Rationalismus nördlich der Alpen unterhielt als das übrige Italien. Die im besten Sinne „manieristisch“ zu nennenden Stadtanlagen des kalabrischen und sizilianischen Settecento müssen deshalb als architektonische und planerische Maßnahmen, denen sich die besten künstlerischen Kräfte des Landes verschrieben hatten, als systematische Auseinandersetzung mit den Ideen des Klassizismus verstanden werden. Als solche sind sie auch von den Klassikern der Zeit begriffen worden, deren vehementen Widerspruch sie herausforderten. Goethe, der 1787 die Villa des Prinzen Palagonia bei Palermo besuchte, ein Gebäude, das ganz aus dieser sizilianischen „manieristischen“ Tradition heraus gedacht ist, hat sich in ungewöhnlich emotionaler Form, aber sehr gründlich und aus252
184 Die Villa Palagonia bei Palermo, ein verabscheutes, aber doch gern besuchtes Ziel der deutschen Reisenden des 18. Jh., da dort die „Gesetze des Perpendikels und der Wasserwaage gestört waren“. Links die berühmte Treppe, rechts der Lageplan
führlich, mit dieser systematisch gestörten Architektur auseinandergesetzt. Seine Eintragungen unter dem 9. April 1787 in der Italienischen Reise zeigen deutlich, wie sehr ihm dieser Manierismus zuwider war, wie wichtig er aber auch diesen Angriff auf die zentralen Begriffe der Klassik genommen hat.474 Die Villa wurde nach Plänen von Tommaso Napoli um 1705 bei der Stadt Bagheria, südwestlich von Palermo begonnen, und bis zum Ende des Jahrhunderts wurde vor allem an der Zufahrt und der Innenausstattung weitergebaut.475 Bagheria hatte sich nach 1658 zu einem bevorzugten Villenstandtort palermischer Nobler entwickelt; 1769 wurde ein Generalplan aufgestellt, der das weitere Wachstum der Stadt regelte, ein Plan der gewisse Ähnlichkeiten mit den gleichzeitig oder wenig später entstandenen Erdbebenstädten aufweist. Grundlage des Stadtgefüges ist ein Achsenkreuz, das zu den wichtigsten Villenbauten und dem alten Ortskern mit Kirche und Markt hinführt. Die Siedlungsfläche ist in zahlreiche lange und schmale Baublocks aufgeteilt, die genau parallel angeordnet sind, aber wiederum – wie schon bei den ausführlich behandelten anderen Neugründungen des Settecento – durch mehrere Diagonalstraßen zerschnitten sind, die als Störfaktoren des an sich orthogonal angelegten Planschemas erscheinen müssen. Die Villa Palagonia liegt am Ostrand der Stadt; man erreicht sie über eine etwa 600 Meter lange axiale Zufahrtsstraße, die beidseitig von Mauern eingefaßt ist. Auf diesen Mauern und in gelegentlichen platzartigen Erweiterungen der Achse stehen Gruppen von grotesken Figuren, die von den Reisenden des 18. Jahrhunderts einhellig mit Abscheu und Spott beschrieben worden sind, die aber doch gleichermaßen ihre Neugier so 253
sehr gereizt haben, daß die Villa ein beliebtes Reiseziel der Zeit wurde. Die Villa selbst ist über einem ungewöhnlichen Grundriß errichtet; ihre Vorderfront ist konkav eingezogen und von zwei vorspringenden Flügelbauten begrenzt, die ein kompliziert aufgeführte Außentreppe zur Beletage einschließen. Die Treppe ist zwar aus geradlinigen Läufen zusammengesetzt, die jedoch mit so raffiniert gewählten Richtungswechseln aneinanderstoßen, daß sie selbst und die konkave Fassade im Hintergrund in den verschiedensten Schräglagen erscheinen. Dies ist zweifellos eine architektonische Parallele zur Stadtbaukunst der Erdbebenstädte. Wird dort die Orthogonalität der Plangeometrie systematisch durch Gitterverschiebungen und Schrägerschließungen gestört, so ist hier die Tektonik der Architektur das Objekt der Irritation: Die Horizontalität und Vertikalität der Bauglieder wird durch die Überschneidungen der Treppenläufe optisch durcheinandergebracht und durch schief nach der einen oder anderen Seite hinhängende Gesimse auch tatsächlich gestört. Diese Auflösung der Senkrechten und Horizontalen in einem willkürlichen Spiel hat die Reisenden, deren Geschmack von den Normen des Klassizismus bestimmt war, zutiefst provoziert. Vor allem Goethe beschreibt in drastischen Worten, wie der Künstlersinn „innerhalb dieses Tollhauses zur Verzweiflung getrieben wurde“, insbesondere eben durch die Bizarrerie der Architektur. Über die groteskten Figuren, Vasen, „musizierenden Affenchöre“ und anderes „geschnörkelte Gestein“ kann er noch spotten, dieser plastische „Unsinn des Prinzen Pallagonia“ sei „eigentlich ein nichts, welches für etwas gehalten sein will“ – „von den gemeinsten Steinhauern gepfuschte Mißbildungen“, grobe Geschmacklosigkeiten also, die man jedoch nicht weiter ernst zu nehmen habe. Aber die Architektur der schrägen Treppen, der schiefen Gesimse und der kippenden Fassade, die Aufhebung aller tektonischen Gesetze und die empfindliche Störung des klassischen Raumgefühls treibt ihm das Spiel entschieden zu weit, wird zum Inbegriff der „Spießruten des Wahnsinns“, zur „Pallagonischen Raserei“. Und mit dem ganzen Ernst, dessen ein klassisches Pathos fähig ist, bringt er die ästhetischen Absichten der Villa Pallagonia – und mit ihr der gesamten irritierenden Architektur und Stadtbaukunst des sizilianischen Settecento – dahingehend auf den Begriff, „daß das Gefühl der Wasserwaage und des Perpendikels, das uns eigentlich zu Menschen macht und der Grund aller Eurhythmie ist, in uns zerrissen und gequält wird“.476
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9 Das Vergessene: Die Architekturen der Vorzeit als Architekturrätsel der Nachwelt In einer um 800 entstandenen anonymen Handschrift Versus de Verona wird das veronesische Amphitheater als „altus laberintus magnus per circuitum“ bezeichnet, als ein hohes Labyrinth von großem Umfang477. Bei aller Ähnlichkeit, die der römische Bau mit den mittelalterlichen Vorstellungen vom Labyrinth gehabt haben mag, bei aller Unübersichtlichkeit der inneren Gänge und Gelasse der Theatersubstruktion, die vielleicht „allerlei lichtscheuem Treiben als Schlupfwinkel“ dienen mochte478 und die insofern die labyrinthischen Assoziationen des Unheimlichen, Dunklen und Verborgenen nahelegten, bedeutet die Bezeichnung des antiken Kolosses als „laberintum“ vor allem aber eines: Die ursprüngliche Zweckbestimmung des Gebäudes war schon im neunten Jahrhundert den Zeitgenossen nicht mehr geläufig. Das Labyrinth wird hier zum Synonym des architektonischen Rätsels, zur Chiffre unbegreiflicher und scheinbar widersinniger Monumentalbauten, die wie fossile Einschlüsse der grauen Vorzeit inmitten des lebendigen Stadtorganismus liegengeblieben sind. Über die stadtrömischen Theater des Mittelalters heißt es bei Fedor Schneider: „Mit verständnislosem Staunen betrachtete man die Reste der drei großen Theater. Mit dem des Balbus hatte sich der Name des Antonius verbunden: später Burg der Cencier wurde es zum Monte Cenci; den Namen des Marcellustheaters, der späteren Pierleoni-Burg, kannte man noch, hielt es aber für einen Tempel (…). Der Circus Flaminus hieß beim Volke Castellum aureum (…). Nur der Circus Maximus hieß noch circus.“479 Aus den großen Versammlungsbauten hatte das mittelalterliche Volk rätselhafte Kultbauten gemacht, Burgen, „Berge“, die legendären „Sieben Wunder Roms“. An ihre Ruinen knüpften sich die volkstümlichen Vorstellungen von der „Roma Aeterna“, die in der Weissagung des Benedict von Norcia noch mitschwingen: Rom wird nicht von den Barbaren zerstört werden, sondern durch Ungewitter, Stürme und Erdbeben allmählich vergehen480 – ein geologischer Vorgang, ein allmähliches Erodieren, Verwittern, Verkarsten der gewaltigen Stadt. Und in der Volkssage der Roma Aeterna werden die Ruinen der unbegreiflichen Bauwerke zu schlafenden, mythischen Figuren, die nächtens zu Leben erwachen und zu reden beginnen. Da spricht das Kolosseum:
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„Klein warst du, Roma, als du mich aufrichtetest, noch kleiner wirst du sein, wenn du mich einst umstürzest. So lang der Colisäus steht, wird Rom auch stehen. Und fällt der Colisäus, muß Rom untergehen. Geht Rom zugrund, geht auch die ganze Welt zugrund.“481 Aus dem Staunen über die unbegreiflichen Ruinen, die das römische Mittelalter in Mythen, Fabeln und bizarren Geschichten einkleidete, erwächst mit der Renaissance das antiquarische Interesse. Es ist ein Interesse an den Ursprüngen der römischen Architektur, und da selbst die Ruinen noch gewaltig sind, denkt man sich die Ursprünge kolossal und gigantisch: Wie die „prisca theologia“ alle spätere enthält, wie alles Wissen der Lebenden nur ein Abglanz von dem der legendären „Dreimalgroßen“ des Altertums zu sein scheint, so denkt man sich alle neue Architektur als ein unvollkommenes Nachleben des gigantischen Bauens der Vorzeit, einer Architektur, die nicht nur größer und gewaltiger war als alles bekannte, sondern auch als kunstvoller, besser und schöner angesehen werden mußte. An die Stelle der volkstümlichen Fabel, die diese Architektur mythisch überhöht, tritt mit dem antiquarischen Interesse der Renaissance eine um historische Wahrheit bemühte Suche nach den Ursprüngen, in denen man das Wesen aller Architektur beschlossen glaubt. Das Antikenbild der Renaissanceantiquare, auch der Architekten ist überwiegend literarisch. Man folgt den antiken Autoren und macht sich danach ein Bild antiker Größe. Für die Architektur wird ein Text, die Zehn Bücher des Vitruv, über den Alberti sagt, daß er „mehr verstand, als jetzt irgendeiner versteht“482, zum wichtigsten Stimulans des antiquarischen Bemühens, und zugleich ist diese Schrift absolute Autorität. Daneben setzt sich zwar die Praxis des Aufmaßes antiker Bauten durch, doch die Texte behalten den Primat. Selbst die umfangreichen zeichnerischen Dokumentationen, die etwa Cyriakus von Ancona 1441 und 1447 von seinen Reisen im Mittelmeerraum mitbrachte, sind im wesentlichen illustrierte Reiseberichte und insofern literarisch zu nennen.483 Vor allem bleiben sie ausschließlich beschreibend, ohne den Versuch zur Rekonstruktion. Beschreibend blieben auch lange die Bemühungen um die Baudenkmäler und Ruinen Roms. Seit der ständigen Rückkehr der Päpste unter Eugen IV, durch Gestalten wie Nicolaus V., Pius II., später Julius II. und Leo X. zum Mittelpunkt der Kultur der Renaissance in Italien gemacht, wird die Stadt selbst Objekt künstlerischer 256
185 Auch in der „Arca Noe“ (1675) finden sich solche Ansätze zur Rekonstruktion des Unwahrscheinlichen. Hier ein Ausschnitt aus dem Belegplan der Arche. Oben das Vorratsdeck, darunter das Deck der vierfüßigen Tiere
und gelehrter Beschäftigung, Objekt einer antiquarischen Wissenschaft, einer monumentalen Topographie.484 Noch in der literarischen Tradition, aber schon systematisch rekonstruierend und damit gedanklich das Ziel der wissenschaftlichen Archäologie vorwegnehmend, steht Athanasius Kircher. Zwei seiner wichtigsten Werke, der Turris Babel und die Arca Noe, gelten den gigantischen Architekturen der Vorzeit; in diesen prächtigen Folianten faßt er die literarischen Antiquarien gewissermaßen abschließend zusammen. In der theoretischen Begründung seiner Forschungen, in der exakten und systematischen Interpretation seiner Quellen und vor allem in seinen Darstellungsmethoden, die den Gegenstand in minuziösen Rekonstruktionszeichnungen wiedererstehen lassen, gehört Kircher aber schon der Archäologie des 18. Jahrhunderts an. Im Turris Babel werden neben dem biblischen Turm die Städte Ninive und Babylon beschrieben, ferner die Paläste der Semiramis und ihre hängenden Gärten, die Pyramiden, das ägyptische Labyrinth und die übrigen Labyrinthe. Kircher begründet sein wissenschaftliches Interesse an diesen Bauten damit, daß Architekturen von solcher Größe, Kompliziertheit und technischer Perfektion nur in grauer Vorzeit, nicht aber mehr in seiner Zeit gebaut werden könnten: Der Turm zu Babel erscheint ihm bei aller Verwerflichkeit doch als eine großartige Leistung, die nie wieder erreicht wurde. „Diese Menschen, bis dahin grob und unwissend (…), 257
konnten ein so gewaltiges Werk – das die erhabensten und vielseitigsten Geister seither nicht einmal mehr fassen können – nicht nur ersinnen, sondern tatsächlich ausführen.“485 An der Stadt Ninive beeindruckt ihn vor allem die Größe. Das ägyptische Labyrinth übersteigt schlicht die Vorstellungskraft: „Was wir über das ägyptische Labyrinth bei den ältesten Autoren lesen (…), scheint den menschlichen Glauben zu überfordern.“486 Das Kernstück des Werkes sind zweifellos die großartigen Rekonstruktionen, die allerdings einer literarischen Motivation ihre Enstehung verdanken. Kirchers Quellen, die Bibel und die antiken Autoritäten, enthalten zu den legendären Bauten der Vorzeit so fragmentarische, dunkle oder unwahrscheinliche Angaben, daß sie ohne erläuternde Skizze rätselhaft oder gar unglaubwürdig erscheinen mögen. Da die Authentizität der Quellen für Kircher ohne jede Frage feststeht, verfolgt er mit seinen Rekonstruktionen die Absicht, entweder eine schwer verständliche Beschreibung anschaulich zu machen, oder unwahrscheinlichen Angaben
186 Rekonstruktion der Stadt Niniveh, die nach den Aussagen der Bibel nur in drei Tagesreisen durchmessen werden konnte. Oben links zum Größenvergleich Bagdad
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eines biblischen Textes mit der Darstellung den Nachweis des Möglichen und damit der Zuverlässigkeit der Überlieferung zu erbringen, oder in zeichnerischen Ergänzungen die bruchstückhafte schriftliche Quelle erst verständlich zu machen. So dient seine Vogelperspektive von Ninive dazu, die kaum nachzuvollziehenden Größenangaben der biblischen Überlieferung nach Jonas III, 3, – „Ninive aber war eine große Stadt Gottes, drei Tagesreisen groß“ – so realistisch in den Plan umzusetzen, daß die Maße vorstellbar werden: „So habe ich es unternommen, den Plan der gesamten Stadt nach der Beschreibung Diodors vor den Augen des Lesers auszubreiten, daß er ihre Umrisse und Grundzüge nach Länge und Breite und Vieltürmigkeit und in ihrer ganzen beinahe unglaublichen Größe mit Leichtigkeit erkennen möge.“487 Hier also geht es um Anschaulichkeit. Seine Rekonstruktion des Turmes zu Babel dagegen dient dem Nachweis der Zuverlässigkeit der biblischen Quellen. Sowohl die Lage des Turmes in der Stadt wird in einer Gesamtübersicht sorgfältig rekonstruiert, als auch die Baugestalt des Turmes, die vor allem die technische Machbarkeit demonstrieren soll. Kircher versäumt es nicht, seiner Konstruktion Details aus der orientalischen Architektur aufzusetzen: Die oberen Geschosse sind als Spiralturm ausgebildet, und im Hintergrund erkennt man das mögliche Vorbild, den Typ des Spiralminaretts, der bis heute im Zweistromland verbreitet ist.488 Sicherlich am interessantesten ist Kirchers Plandarstellung des ägyptischen Labyrinths, zu dem die Quellen so spärlich und widersprüchlich fließen, daß die rätselhafte Überlieferung nach einer ergänzenden Rekonstruktion verlangt. Nach einer ausgedehnten Erörterung der verschiedenen Texte gelangt Kircher zu einem Gesamtkonzept, das mit den Angaben aller Autoren zu vereinbaren ist.489 Der Labyrinthkomplex ist so groß wie zwölf Städte, nach den Himmelsrichtungen orientiert und über vier Tore zugänglich, die auf eine umlaufende Säulenhalle führen. Im Zentrum der Anlage liegt das Große Labyrinth, das in seinem Inneren die Mumien der Könige birgt. Rings um dieses große Labyrinth liegen zwölf kleinere, die jeweils einer der zwölf ägyptischen Provinzen zugeordnet sind. Jedes dieser kleinen Labyrinthe ist außen quadratisch, im Inneren aber nach den lokalen Gewohnheiten unterschiedlich gegliedert. Hier hatte jeder Nomos das Bild seines Stammesgottes, und hier vollzog die Priesterschaft ihre Rituale nach den von Provinz zu Provinz verschiedenen kultischen Traditionen. Erst im Vollzug dieser Rituale war der Zugang ins Innere möglich; er stand also nur demjenigen offen, der in einem der zwölf Lokalkulte initiiert war. Dem 259
187 Kirchers Rekonstruktion des ägyptischen Labyrinths, des Zwölfgaue-Heiligtums am Möbissee. Der Zugang zum inneren, gemeinsamen Labyrinth war nur demjenigen möglich, der in den Kult – oder besser: das rituelle Abschreiten eines der zwölf umliegenden Provinzlabyrinthe – eines Nomos initiiert war.
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Nichtintiierten, der es auf die Schätze des großen Labyrinthes abgesehen hatte, legten allerlei Maschinen, Falltüren, bewegliche Statuen usw. schon beim Betreten der Anlage das Handwerk.490 Kircher schließt seine Beschreibung mit der Bemerkung: „Wer würde es heute wagen, etwas ähnliches zu versuchen: Er müßte die ganze Natur befragt haben, er müßte in der gesamten Arithmetik, Geometrie, Optik, Astronomie, Mechanik usw. erfahren sein und auch in allen verwandten Künsten eine übernatürliche Begabung besitzen.“491 Von besonderem Interesse ist der große Faltplan, den Kircher seiner Schilderung beigegeben hat. Trotz der gigantischen Dimensionen, die der Text erwähnt, läßt der Maßstab der Zeichnung eher an eine Gartenarchitektur denken. Umgeben von einer hohen Mauer, scheinen hier Idealentwürfe für Heckenlabyrinthe aneinandergereiht zu sein, in denen die Götter wie die Hermen und Skulpturen eines formalen Gartens nebeneinander aufgestellt sind. Jedes der Labyrinthe ist äußerst sorgfältig durchgezeichnet, jedes ist anders. Auf den ersten Blick scheinen alle symmetrisch geordnet zu sein, aber an entscheidender Stelle ist die Symmetrie gestört, ist das scheinbar einfache Schema verrätselt. Die Parallele zur Gartenarchitektur, die auch im Text anklingt492, ist sicher beabsichtigt, und man möchte hinter der Rekonstruktion eine Reihe von Idealentwürfen sehen, die die Praxis der Zeit beschämen sollen. Die Rekonstruktion wäre dann eine bauhistorisch verbrämte Kritik an der zeitgenössischen Architektur, eine Beschwörung der Vergangenheit als Kontrastbild zur Gegenwart. Auch dies hat antiquarische Tradition, aber erst lange nach Kircher, in den ganzheitlichen Rekonstruktionen versunkener Welten, wie sie das Fin de Siecle liebte, wird dies ein offensichtlich vordringliches Anliegen der archäologischen Arbeit. Kircher steht am Ende des primär literarischen Interesses an den Monumenten der Vergangenheit. Mit der Entdeckung von Herculaneum und Pompeji wird die archäologische Methode der Grabung, die vereinzelt schon in der Renaissance geübt wurde, zum wichtigsten Mittel, die architektonischen Zeugnisse wiederzugewinnen.493 Vor allem geht es nun nicht mehr ausschließlich darum, einzelne Funde zu machen, einzelne Kunstwerke aus dem Debris zu befreien; die Gebäude selbst und schließlich die Stadt werden Gegenstand der Grabung. Schon bald wird die Wiedergewinnung des verlorenen Zusammenhanges von visionären Rekonstruktionen überholt. Piranesis „phantastische Archäologie“, die aus den Trümmern des versunkenen Rom ein lebendiges Bild der antiken Großstadt entstehen läßt, ist der wohl am breitesten angelegte Versuch einer so 261
umfassenden Rekonstruktion, keineswegs aber der einzige. Neben ihm stehen andere, wie die Galli-Bibiena und ihr Umkreis.494 Das Kolossale der noch in ihren Ruinen gewaltigen Stadt, die Reste ihres einst pulsierenden, dekadenten, zum Untergang bestimmten Lebens, der ameisenhafte Fleiß, verbunden mit einem technischen Geschick, das selbst die Cloaca Maxima noch zum architektonischen Kunstwerk erhob, hat diese Generation von Antiquaren fasziniert: Ihr Werk ist selbst eine faszinierende künstlerische Anstrengung zur Wiedergewinnung des Labyrinthischen aus den fragmentarischen Resten. Neben der archäologischen Rekonstruktion bleibt die literarische weiter bestehen; sie wendet sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem den unglaublichen Architekturen zu, von denen die Alten gelegentlich berichten. Auch hier regiert nun die Freude am Detail, und je unwahrscheinlicher das Gefüge des Bauwerks, von dem die Texte berichten, desto kleinteiliger, genauer und damit irrealer werden die Einzelheiten entwickelt. Das Ergebnis solch absoluter Auflösungen der literarischen Rätsel ist not-
188 Perspektive des Char Funéraire
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wendigerweise reine Bizarrerie. Besonders Quatremère de Quincy tut sich hier hervor, der aller Caprice sonst so abholde Ästhet und Theoretiker. Als Krönung der phantastischen Rekonstruktion kann seine Wiederherstellung des fahrbaren Tempels gelten, mit dem der Leichnam Alexanders des Großen von Babylon nach Alexandrien überführt wurde.495 Zunächst entwickelt er in aller Breite, daß Diodorus, der eine Beschreibung dieser mobilen Architektur mitteilt, größten Wert darauf gelegt hat, daß es sich nicht um einen Wagen, sondern um ein Bauwerk gehandelt habe: Alle Einzelteile des Gefährts sind mit bautechnischen Fachausdrücken belegt. Der Aufbau wird nicht von Stangen, sondern von Säulen mit jonischen Kapitellen getragen, das Dach nennt er ein Gewölbe, und der Mittelzapfen, auf dem die ganze Konstruktion schwebend gelagert ist, heißt „Cardo“, was er nicht mit „Türangel“ übersetzt, sondern, unter Anspielung auf die römische Orientation, bewußt als Terminus Technicus beibehält.496 Hinter solchem Spiel spürt man förmlich die Lust an einer rekonstruierenden Genauigkeit, die im Detail das Bizarre sucht. So ist auch seine Darstellung des Gefährts in Grundriß, Aufriß und Schnitt, die die 1829 bereits kodifizierenden Signaturen und Einfärbungen der Ecole des Beaux Arts verwendet, ein architektonisches Spiel mit dem Darstellungsinstrumentarium der Bauzeichnung, die Immobilität suggeriert, und dem apparativen Charakter des beweglichen Objekts.497 Über solchen Details wird
189 Grundriß des Chassis
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die Rationalität der Wissenschaft zu ihrer eigenen Umkehrung, die perfekte Rekonstruktion, die der Wirklichkeit minuziös zu entsprechen vorgibt, selbst unwirklich. Quatrèmere ist sich dessen sehr wohl bewußt, denn in seinem Dictionnaire schreibt er unter dem Stichwort „Restitution“, daß bei der wissenschaftlichen Rekonstruktion „recherches“ und „un peu de divination“ (Wahrsagekunst!) ineinander übergehen.498 So werden die Architekturrätsel der vergangenen Epochen zum Vorwand für architektonische Moden, Neigungen und geheime Wünsche der Zeit. Nirgends ist dies offensichtlicher als in den gewaltigen Foliantenwerken archäologischer Rekonstruktionen, die um die Jahrhundertwende zirkulieren, etwa in dem mit kaum noch zu überbietendem Aufwand gedruckten Werk von Lepsius über die ägyptischen Altertümer. Auf diesen Blättern wird in schillernder Farbigkeit die mysteriöse Welt des alten Ägypten ausgebreitet, geheimnisumwitterte Architekturen, eingebunden in einen archaischen Ritualismus, ein üppiges städtisches Leben und eine zauberhafte Harmonie von Mensch und Tier in der fruchtbaren Stromoase des Nils.499 Dies ist der in wissenschaftliche Form gebrachte Traum des Fin de Siecle, das nach allen Regeln der Wissenschaftlichkeit abgesicherte Gegenstück zur spekulativen „Pyramidenliteratur“, das exakt und perfekt rekonstruierte Wunschbild gegenüber der eigenen durchrationalisierten Wirklichkeit der industriellen Großstadt. In diesen Traumwelten, die man beweisen konnte, feierte die Archäologie ihre größten Triumphe, in diesen Visionen gewaltiger Gemeinwesen um eine symbolische Mitte, die man auf das Genaueste ergraben und rekonstruiert, die man enträtselt hatte, um darin das Rätsel der eigenen Zeit zu erblicken: die Unbegreiflichkeit des Verschwindens der menschlichen Züge des Spielerischen und Träumerischen, des Irrationalen aus der städtischen Kultur.
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Anmerkungen 1 Zimmer, 1972, S. 244 2 Das Material zu dieser Arbeit wurde in englischer Sprache zusammengetragen. Da aufgrund eines Fakultätsbeschlusses der Fakultät für Bauwesen der RWTH Aachen vom 6. 11. 1978 die Abfassung einer Habilitationsschrift nur in deutscher Sprache möglich war, veröffentlichte ich einen Teil des Materials in englischen Fachzeitschriften unter folgenden Titeln: A Pilgrim’s Map of Benares. Notes on Codification in Hindu Carthography, in: Geojournal 3/1979; Water in Hindu Urban Architecture, in: Art and Archaeology Research Papers 15/1979; Ritual Space in India. Studies in Architectural Anthropology, London 1980; South Indian Ceremonial Chariots, in: Art and Archaeology Research Papers 16/1980; A Note on the South Indian Ceremonial Float, in: Art and Archaeology Research Papers 16/1980; Stupa Architecture of the Upper Indus Valley, in: Proceedings of the International Stupa Seminar, Heidelberg 1978 (Schriftenreihe des Südasieninstituts, Bd. 55, Wiesbaden 1980). Zugleich begann ich, statt der Übersetzung eine neue Habilitationsschrift zu einem anderen (dem vorliegenden) Thema zu verfassen. 3 Matthews, 1922 4 Santarcangeli, 1967; Kern, 1981 5 Kern, 1981, S. 243 6 Güntert, 1932 7 Kerenyi, 1950 8 Layard, 1936 und 1937 9 Deedes, 1935 10 Ladendorf, 1963, S. 796 11 Evans, 1921–1936; trotz dieser Auffassung, die Evans mehrfach geäußert hat – vgl. Conrads, 1980, S. 831 – lesen wir in Bd. 3 S. 283 der Grabungsberichte: „In the Minoian Palace Sanctuary, as actuall planned, there was nothing of these baffling and tortously secretive approaches …“ 12 Hocke, 1957 13 Conrads, 1980 14 Ranke-Graves, 1960 15 Eilmann, 1931, S. 75 16 Matthews, S. 23 17 A. a. O., S. 26 f. 18 Evans, I, 1921. 19 Vgl. z.B. die sehr viel weitergefaßte Darstellung von Curtius, 1938, S. 31 oder von Robertson, 1959, S. 8 ff. 20 Herodot, II, 148, 1971, S. 164 21 Zur Vorgeschichte der wissenschaftlichen Forschung siehe Woodward, 1949. Erster Besuch Kretas durch Schlieman 1886; erste italienische Grabung 1884; Grabungen von Evans seit 1894, systematisch seit 1899. Amerikanische Grabungen 1901 und 1905. Siehe Grabungsliste in der Encyclopaedia Britannica, 1970, Bd. 6 „Crete, Archaeology“. Vgl. auch Michalowski, 1968, S. 219 22 Ranke-Graves, 1960, I, 314, Herter, 1936, 1939, 1940, 1941, 1973 23 Ranke-Graves, 1960, I, 312 24 Evans, Bd. II, Teil II, 1921, S. 559, 564, 565
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Ilias 18, 560 Conrads, 1980, S. 831 Lübker, 1891, S. 649 Ilias 2, 649 z. B. Herodot, Historien I, 179, über den babylonischen Befestigungsbau ca. 2, 8 ha mit Nebenanlagen, errichtet 1304–1238 v. Chr. Evans, Bd. II, Teil II, 1921, S. 564 „Knossos in its great days was a centre of human habitation, to which no rival, certainly could have been found on the European side.“ S. 565: Die Bautätigkeit war so gewaltig, daß Erscheinungen von Bauholzverknappung zu beobachten sind: In der Spätzeit werden klassische Steinbauteile durch Holz ersetzt. Ilias II, 648, vgl. Evans, Bd. II, Teil II, 1921, S. 566 So schon Güntert, 1932, S. 4 Von anderen, sehr zweifelhaften Etymologien, wie den Ableitungen aus dem Ägyptischen „Lopa-Rohun“ (d.i. „Tempel in der Kanalmündung“; gemeint ist das „Labyrinth“ genannte Zwölfgaueheiligtum am Mörissee) soll hier nicht die Rede sein. Zur Etymologie des Wortfeldes vgl. neben Güntert, 1932, auch Brandenstein, 1950–1952, und Höfer, 1897 Güntert, 1932, S. 32 A. a. O., S. 5 Veltheim-Lottum, 1952, S. 105 Güntert, 1932, S. 4 Vergleichbar auch die babylonischen Gottheiten der Ziegelschablone und der Pickhacke, der Werkzeuge also, die für den Lehmziegelbau und die Erdbautechnik dieser Kultur charakteristisch sind. Siehe: Giedion 1964, S. 168; zur Doppelaxt siehe vor allem Buchholz, 1959, der den kultischen Charakter des Gerätes betont. Eilmann, 1931, S. 93 Spengler, 1923, II, S. 101 Cassirer, 1969, S. 9 f. Bachofen, 1926, S. 122 Ranke-Graves, 1960, I, S. 267 Bachofen, 1926, S. 139 A. a. O., S. 135 Ranke-Graves, 1960, 1, S. 161. Die Orakel, ursprünglich alle der Erdenmutter heilig, mußten naturgemäß das sich mit dem Mondstier ankündigende Patriarchat verbergen wollen. Ovid, Metamorphosen VIII, S. 159: … turbatque notas …, vixque ipse reverti at limen potuit: tanta est fallacia tecti.“ Killen, 1964, S. 1–15, sowie Finley, 1966, S. 317 Zur späteren „stadtmetaphorischen“ Deutung des Labyrinthes siehe Exkurs 1: Die Architektur des Labyrinths in nachantiker Deutung und Darstellung. – Die Idee vom Moloch Stadt in der späteren stadtmetaphorischen Deutung des Labyrinthes bezieht sich wohl weniger auf die Gestalt des mythischen Bauwerks, wie etwa in Ovids „Fallacia Tecti“, sondern auf die ökonomische Organisation der kretischen Herrschaftsstadt. Darüber hinaus berührt sie auch eine allgemeine Wirklichkeit der städtischen Lebensform. Wer sich ihr ausliefert, findet nicht mehr hinaus, wird für die ländliche Einfachheit untauglich, verderbt. Als literarischer Topos begegnet dieser Gedanke schon in der großen Hure Babylon der Bibel, dann immer wieder, sei es nun im Postmeister von Puschkin, dessen unschuldige Tochter in der halbseidenen Courtoiserie des glänzenden
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Petersburg zugrunde geht, oder in Brechts Gedicht „Über die Städte“, das die proletarische Entsprechung in einem nicht mehr lokalisierbaren weltstädtischen Sumpf liefert. – Man mag dergleichen im Zusammenhang mit so frühen Städten für eine Überstrapazierung der mythischen Mitteilung halten, indes ist ein Moralisieren über städtische Verderbtheit den antiken Schriftstellern durchaus geläufig. Schon Herodot, den man gewiß nicht mehr der kategorischen Stadtfeindlichkeit, wie sie noch im Layrinthmythos nachklingt, verdächtigen kann, berichtet mit sichtbar erhobenem Zeigefinder, wie den Babyloniern ihre Stadt zur Falle wurde, da sie einfach zu groß war und ihre Bevölkerung schon so denaturiert, daß sie sich auch in Zeiten der Bedrohung ausgelassenen Feiern hingab. So konnte es geschehen, daß während der Einnahme Babylons durch Dareios am 18. Dezember 522 „die Leute inmitten der Stadt noch nichts vom Eindringen der Feinde wußten, als die äußeren Stadtteile bereits in Feindeshand waren. Man feierte gerade ein Fest und war guter Dinge, bis die Kunde endlich auch zu ihnen drang.“ (Herodot, Historien, I, 191) Kerenyi, 1950, S. 39 Winter, 1929, S. 711 Benndorf, 1891, S. 53 Krause, 1893, S. 39 Eilmann, 1931, S. 72 Ilias XVIII, 590 Knuchel, 1919 Kerenyi, 1950, S. 39 Hierzu ausführlich Winter 1929; Hildburgh, 1945; Hirsch, 1962 und 1965 So z. B. Eilmann, 1931, S. 77 und, abgewandelt als rituell schützende Tanzfigur, Layard, 1936, S. 129, oder, als verwirrendes Schutzbauwerk vor einem Grabeneingang, Deedes, 1935 Winter, 1929, S. 708 vgl. Lübker, 1891, Stichwort „choros“ Ebd. Im Original „Euria“ = weitläufig, geräumig; siehe hierzu Evans, 1921, Bd. II, Teil 2, S. 578 Deubner, 1966; Nilsson, 1916; zur Darstellung vgl. Schmidt, 1908 Herodot, II, S. 58 ff.; siehe auch Otto, 1905–1908 Kerenyi, 1979, 5. 185 Wolle ist die Opfergabe des Omphalossteines in Delphi, den Rhea dem Kronos an Stelle des Zeuskindes zum Verschlingen gab und den er zusammen mit seinen schon verschluckten Kindern Poseidon, Demeter, Hestia und Hades später wieder erbrach. Der Sage nach stellte Zeus ihn später beim delphischen Orakel auf (Pausanias X, 24, 5), wo er den Mittelpunkt der Welt kennzeichnet. Vgl. Roscher, 1913. – Diese Verbindung der Stadt mit der Weltmittelpunktsidee, die uns als „Romgedanke“ in der Geschichte immer wieder begegnet – vgl. Schneider, 1925 –, mag hier mitschwingen. Killen, 1964, S. 14 zum Komplex „Knäuel-Knoten“ vgl. Coomaraswamy, 1944, S. 109–128 „Krim-gotisch“ nennt der Berliner Poet Oskar Pastior sein lyrisches Werk. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Pasolinis friulische Gedichte „La meglio gioventù“ (1954). „Pasolinis früheste Gedichte stehen in der Tradition des Hermetismus: vermutlich über diesen Weg kam er zur Poesie in friulischer Sprache. Der Reiz dieser Sprache, die auch für einen Italiener kaum verständlich ist, lag gerade in der Fremdheit. Die genaue Bedeutung der Worte trat in den Hintergrund; der asketische und zugleich sinn-
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liche Glanz dieser Poesie rührt daher, daß der – fremde – Klang im Vordergrund steht, daß die Gedichte ganz wesentlich ein Spiel mit der Sprache sind, assoziativ.“ Vgl. Hofer, K. V., Funktion des Dialekts in der italienischen Gegenwartsliteratur. Pier Paolo Pasolini, München 1971; zit. in den Nachbemerkungen S. 150 f. zu Pasolini, P.P.: „Unter freiem Himmel. Ausgewählte Gedichte“, Berlin 1982 Wir folgen hier der Methode Holländers in seiner „Ikonographie des Phantastischen“, eine ästhetische Qualität, die sich einsilbiger Definition entzieht, im Entwurf eines ikonographischen Stichwortverzeichnisses zu dokumentieren, Holländer, 1980, S. 387–403 Holländer, 1980, S. 393 Kerenyi, 1950, im Titel seiner Labyrinthstudien Lethaby, 1891, S. 71 ff. Hofmannsthal, 1958; das Gedicht stammt aus den Jahren 1897 oder 1898 Baumann, 1955, zahlreiche Belege, vor allem Kapitel V und VI; siehe auch Lebeuf, 1955, S. 26 f. und zum Gründungsmythos Pekings siehe Meyer, 1976, S. 142 Kern 1981, S. 244. Nicht zufällig auch die mittenorientierte Rekonstruktion der Gralsburg bei Boisseree, 1835; zu dieser Problematik siehe Barb, 1956 Novalis II, S. 124. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung von Evans über das „Hinführen zum Bewohner“: „On the Egyptians seals (…) human figures repeatedly occur besides or in the middle of maze patterns that must be regarded as labyrinthine plans of dwellings.“ Evans 1921, Bd. I, S. 359 Conrads, 1980, S. 831 Schema der Elemente und Wegelängen der klassischen Labyrinthchiffre:
Schema der Elemente (ohne Umgänge): Achsenkreuz mit vier „Stationen“ –„nota“
r = Uhrzeigersinn
Oben links: Das klassische Labyrinth in einem Graffito aus Pompeji Unten: Diagramm der Umgangsfolgen und Wegelängen der Umgänge (Mittlere Länge am Kreuz des Labyrinths) 81 82 83 84 85
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Abgebildet bei Deedes, 1935, S. 4 Layard, 1936, S. 123 ff. Haagen, 1873, Abbildung der Tischordnung im Tafelteil Ranke-Graves, 1960, I, S. 311 Kerenyi, 1979, II S. 187
86 Evans, 1921, II S. 572 87 Andrae, 1964 88 Wirth, 1936, 1, S. 240, Abb. 39; Herberger, 1972, siehe auch Dupuis, 1795, III, Tafel 11, sowie I, S. 448, 453, und III, 10. Theseus wird mit der Sonne identifiziert, die den Zodiak durchläuft und an 24 Stationen kulturheroische Taten vollbringt. Zur Sonne im Labyrinth auch skizzenhaft Hallmann, 1979 89 Boll u. a., 1974, S. 58 ff., vgl. zur alten Astronomie Dicks, 1970 90 Vitruv II, l, 1–7 91 Schinkel, (1804), 1979, S. 23, S. 35 92 Stafford, 1976 93 Yates, 1966, Abb. 18 in Kap. 15, „The Theatre Memory of Robert Fludd“, S. 310 ff; Blum, 1969 94 Yates, 1966, S. 38 95 Oechslin, 1981, S. 19–25 96 Kerenyi, 1950, S. 15, zitiert: Weidner, E.; Zur babylonischen Eingeweideschau, in: Orientalische Studien, I, Leipzig 1917 97 A. a. O., S. 14; vgl. auch Fox, 1938–1940, S. 381 ff. 98 Bohl, 1935, S. 18; Siehe auch Menghin 1969/1970 99 Kerenyi, 1950, S. 15 100 Eliade, 1960, S. 173 101 Roscher, 1919, S. 9 102 A. a. O., S. 9–11 103 Beschreibung bei Roscher, 1919, S. 7–8 104 Baumann, 1955, Kapitel V 105 Graebner, 1924, S. 28 106 Lübker, 1891, S. 170 107 A. a. O., S. 1111 108 Ranke-Graves, 1960, II, S. 252; nach Ovid, Fasti VI 109 Valéry, 1927, in: Schumacher, 1944, S. 302 110 Vitruv, I, 2, 4; Zur Wirkungsgeschichte siehe Brzóska, 1931 111 Alberti, im Prolog: „Nam edificium quidem corpus quodam animadvertimus“, sehr unglücklich von Theuer, 1912, S. 14, mit „Ich habe nämlich ersehen, daß ein Gebäude eine Art Körper sei“ übersetzt. 112 Alberti, IX, 5: „A pertissimis veterum admoenemur, et alibi diximus, esse veluti animal aedificium“ 113 Alberti, IX, 5, bei Theuer, 1912, S. 494 114 Heydenreich, 1936, S. 112 115 „Venustius ea res et luminosius templum reddit“, Heydenreich, 1936, S. 111. Zu den Begriffen „Venustas-Concinnitas“ siehe auch Bialostocki, 1963, S. 19 ff. 116 Vitruv.IV, 1;5 117 Wölfflin, o. J.; S. 12 ff. 118 Roscher, 1913, und 1919, S. 9, 13 119 Abbildung einer hinduistischen Erdberuhigungszeremonie, in: Nitschke, 1974, S. 765 120 Vgl. Wedepohl, 1967, zur bevorzugten Verwendung bestimmter Maße und Zahlen, auch Beseler/Roggenkamp, 1954, S. 121 ff. Zur Philosophie der Zahlen siehe Cassirer, 1964, II, 169 ff. 121 Kapp, 1877, S. 25 ff.; vgl. Cassirer, 1964, II, S. 257 ff. 122 Alle Etymologien nach Kluge, 9. Auflage, 1921
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Zahlreiche ähnliche Ansichten veröffentlicht Frutaz, 1962, Tafelband 1585 Bacon, 1968, S. 117–141 Waal, 1925, S. 184 Augusti, 1837, III, S. 323 „Secundam stationem“ nennt Tertullian die zweite Ehe, Augusti, 1837, III, S. 323 Augusti, 1837, III, S. 317. Hierher gehört auch das Problem der Umwallung in Kult, Magie und Rechtsbrauch, Knuchel, 1919, sowie das Phänomen der Wallfahrt, Roussel, 1954 Im Unterschied zu Opfern; Augusti, 1837, III, S. 316 Vgl. Stichwort „Heiligkeit“ im Handbuch theologischer Grundbegriffe, 1962, 1, S. 653 ff. Handbuch theologischer Grundbegriffe, 1962, 1, S. 653. Unter vergleichenden Gesichtspunkten ist besonders die außereuropäische Wallfahrtsarchitektur interessant, s. Speidel, 1975, Gutschow, 1977, Herdick, 1982 Braunfels, 1953, S. 131 A. a. O., S. 133 Anonymus, 1719, Titel Müller, 1961; Braunfels, 1953; Gutschow, 1977 z. B. der isländische Jerusalemsplan, die Jerusalemssignatur auf der Herefordmap usw., alle mehrfach abgebildet, so z. B. in Müller, 1961, Abb. 6 und 7 Herzog, 1964 Gutschow, 1977, S. 37 Braunfels, 1953, S. 85 Ebd. Augusti, 1837, III, S. 329 Michael 1947, S. 10. Vgl. auch Michael, 1963 und Krönig, 1979, S. 115 f. Michael, 1947, S. 10 Man unterscheidet zwischen Prozessionsspiel und Standortdrama. Das Prozessionsspiel ist ein Umzug, bei dem im Gehen eine Handlung aufgeführt wird; beim Standortdrama ziehen die Zuschauer von Station zu Station mit, wo jedesmal eine neue Gruppe von Schauspielern eine neue Handlung aufführt. Michael, 1947, S. 12 Der Dom wird erst 1386 begonnen. Liste bei Michael, 1947, S. 14 Böhme, I, 1967, zählt hierzu Veitstanz und Totentanz, S. 40, 45 Chambers, 1903; Sengpiel, 1932; Michael, 1947, 1963 Als „betrunken“ galt ein Spieler, der sich während der Aufführung „geräuschvoll erleichterte und besudelte“, Evans, 1943, S. 211 Von geradezu sprichwörtlicher Bekanntheit sind ja die Spiele von Oberammergau Berengar hatte die Transsubstantiationslehre angezweifelt. Vgl. Michael, 1947, S. 31. Anlaß der Einführung des Festes war die Vision einer Lütticher Reklusennonne, die den Mond durch einen schwarzen Strich in zwei Hälften geteilt sah und dies als das Fehlen eines Festes im Kirchjahr deutete. Das Umhertragen des Sakramentes wurde 1316 von Papst Johannes XXII ausdrücklich angeordnet. Zur Fronleichnamsprozession siehe Gebhard, 1949; Mitterwieser 1930. Sengpiel, 1932, S. 11 A. a. O., S. 17
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Ebd. vgl. Mitterwieser, 1930 Michael, 1947, S. 31 Augustinus, Sermones XXXII, Kap. 5, 6, nach Beitl, 1961, S. 109 Géants processionnels en Europe, 1981, S. 15 Meurant, 1979, S. 231 Géants processionnels en Europe, 1981, Abbildungen, S. 12, 124 Diese Beschreibung beruht auf Notizen, die ich im August 1981 während des Umzuges in Ath machen konnte. Diese Wagen stammen aus dem 19. Jahrhundert, sind aber von gleicher Bauart wie die Wagen des 16. Jahrhunderts aus Löwen; vgl. Even, zit. in Sansen, 1980, S. 12 Beitl, 1961, S. 354, 360 1378 in Ath; Beitl, 1961, S. 38 Beitl, 1961, S. 367 Sansen, 1980, S. 6, 38 Beitl, 1961, S. 369 A. a. O., S. 368 A. a. O., S. 120 Géants Processionnels en Europe, 1981, S. 114 Klotz, 1969, S. 444 Meyers Konversationslexikon, 1904, Bd. 11, S. 657 Reinle, 1976, S. 128 A. a. O., S. 100 Die Heiliggrabimitationen hielten sich weniger an die Form als an die überlieferten Maße des Originals; Reinle, 1976, S. 127 Beissel, 1976, II, S. 135 Am besten erhalten sind Varallo, Orta, Varese, Santa Maria del Soccorso, Domodossola, Graglia. Vgl. Perrone, in: Alessi, 1974, S. 29 Die Baugeschichte ist in den Einzelheiten der Auftraggeberschaft umstritten. Siehe Perrone, in: Alessi, 1974, S. 26 ff.; zur Baugeschichte der übrigen Sacri Monti s. Goldhard, 1908 Perrone, in: Alessi, 1974, S. 27 ff. „Dieses neue Jerusalem stellt die höchsten Mühen und alle Taten des Erlösers vor.“ Reinle, 1976, S. 107 Aus Perugia gebürtig und in Rom ausgebildet, dürfte Alessi die vergleichbare, zwei Jahre vor seiner Übersiedlung nach Genua (1548) fertiggestellte Umbaumaßnahme von Sangallo d.J. in Pitigliano, römisch Tuskien, gekannt haben. Siehe Einzelheiten weiter unten im Kapitel „Emblematische Architektur“. Nachdruck: Alessi, 1974 Perrone, in: Alessi, 1974, S. 38. Erste Abweichungen 1570; Alessi starb 1572. Das ursprüngliche Konzept findet sich in den Skizzen des „Libro dei Misterii“. Alessi nimmt mit diesem Entwurf den Raumtyp des Anatomischen Theaters vorweg. Das erste Anatomische Theater, wurde etwa 30 Jahre später (1594) in Padua errichtet. Siehe Rückbrod, 1977, S. 83 Butler, 1888, S. 108 Reinle, 1976, S. 107 Knopf, 1914
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191 Bezeichnend für die theoretische Begründung der Stadtallegorie ist eine Stelle im Ezechielkommentar Gregors zu Ez. II, l–5: „Super quem (mons excelsus) erat quasi aedificium civitatis vergentis ad austrum! Notandum est, quod non dicitur super quem erat aedificium, sed quasi aedificium, ut videlicet ostenderetur, quod non de corporalis, sed de spiritualis civitatis aedificio cuncta dicerentur.“ Nach Liebeschütz, 1964, S. 32, Fußnote 2 192 Liebeschütz, 1964, S. 13 193 A. a. O., S. 20 194 A. a. O., S. 22 195 Zusammenfassend nach Liebeschütz, 1964, S. 23 ff. Zur besonderen Bedeutung der Himmelsrichtungen in diesem Zusammenhang siehe Maurmann, 1976 196 Liebeschütz, 1964, S. 156 ff. Klotz sieht stadtallegorische Spuren selbst noch in der Poetik der russischen Symbolisten. Klotz, 1969, S. 463, vgl. Sedlmayr 1960 197 „Es mag die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein“. Matth. 5, 14 198 Z. B. die jenseitige Stadt des Indra auf dem Berg Meru, vgl. Kirfel, 1967; Heine-Geldern, 1930 199 Liebeschütz, 1964, S. 141, über die Dialoge Anselms von Havelberg (1135) 200 Die Kirchen habe ich 1965 vermessen, gezeichnet und beschrieben. Die Aufnahmen befinden sich am Lehrstuhl für Baugeschichte der Technischen Universität Berlin. 201 Zit. nach Liebeschütz, 1964, S. 32, Fußnote 2. Im lateinischen Text siehe Anmerkung 191. 202 Die gleiche Methode der Maßstabsreduktion als Mittel der Verfremdung findet sich bei englischen Gräbern des 19. Jahrhunderts in Indien, die in nordindischen Stilen gebaut sind; siehe Pieper, 1980, (16) 203 Perrone, in: Alessi, 1974, S. 29 204 Andrae (1941), 1964. Zum altorientalischen Stadtritual siehe Exkurs 2 „Territoriale Gestik in Architektur und Stadtritual altorientalischer Kulturen“ 205 Andrae, 1964, S. 58. Zur Rolle von Ritual und Fest für die Entwicklung der Religionen siehe Durkheim, 1912; eine spezifisch indische Begründung sieht Heimann, 1927. 206 Diese Beschreibung ist unserem Indienhandbuch, Gutschow, Pieper, 1978, S. 372–378 entnommen. Einzelheiten zur Choreographie südindischer Stadtrituale siehe Pieper, 1977 (8, 13) 207 Die drei anderen sind Dwarka, Puri und Badrinath 208 Dave, 1970, I, S. 10 ff. Zu Ramayana und Rama-Literatur der Inder siehe Baumgartner, 1894 209 Fergusson, 1862, S. 359 210 Die Schwankungen in der Orientierung indischer Städte und Tempel sind noch nicht untersucht. Neben dem Sonnenaufgangspunkt, der z. B. für die Orientierung der Stadtanlage von Suchindram maßgeblich war, könnte man an eine Orientierung nach Fixsternen denken, so daß dann die Schwankungen aus der Präzession zu erklären wären. 211 Am Krithika-Tag zwischen neun und zehn Uhr morgens 212 Ich beschreibe das Ritual hier nicht in allen Einzelheiten; dies soll einer Monographie vorbehalten bleiben, die auch das Wirtschaftsleben und die verschiedenen, mit dem Pilgerwesen verbundenen Architekturtypen behandelt. Detaillierte Beschreibungen südindischer Stadtrituale finden sich in meinen Arbeiten über Suchindram, Pieper 1980 (13) und Srirangam, Pieper, 1977 (8), 1978 (12). Sehr umfangreiches Material aus Nepal haben Gutschow, 1977, und Herdick, 1982, vorgelegt. 213 Zu den kosmologischen Ausssagen der Anlagen siehe Heine-Geldern 1930. In diesen Zusammenhang von Erinnerungsfunktionen der Stadt gehören auch die scharfsinnigen
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Betrachtungen in Halbwachs, 1967, dort im Kapitel „Das Kollektive Gedächtnis und der Raum“. 214 Die Feste sind: Sarada-Wagenfest im Magh Sudh 3; Malakamkeswara Linga-Fest am Magha Bahula, Sarada Wagenfest an Ashvida Sudh Ekadasi und das große Wagenfest des Vidya Sankara an Kartik Sudh 8. 215 Kalika im Norden, Kala Bhairava im Osten, Durga im Süden, Hanuman im Westen 216 Zum Bautyp des Ghat siehe meinen Aufsatz, Pieper, 1979 (10) 217 Eine ausgezeichnete Dokumentation solcher Systeme bei Herdick, 1982, S. 355 ff. 218 Siehe meinen Aufsatz: Pieper, 1977 (6) 219 Die fünf anderen sind 1. Tiruparankundram, 2. Tiruchendur, 3. Palani, 4. Swamimalai, 5. Tiruttani. Die Legende findet sich in einer englischen Fassung des Palni-Mahatmiya, Somalay, 1975. 220 Somalay, 1975, S. 72 221 A. a. O., S. 15 222 Kolappan, 1970 223 Die fünf Lingas stehen in folgenden Städten: Erde (Prithvi) in Kanchipur, Wasser (Appu) in Jambukesvaram, Feuer (Thejo) in Tiruvanamalai, Luft (Vaju) in Kalahasti, Äther (Aksha) in Chidambaram. 224 Der große Wagen in Kalahasti ist vor etwa 40 Jahren einem Brandanschlag zum Opfer gefallen. Seither wird ein kleiner Ersatzwagen benutzt, der von zwei Stieren gezogen wird. 225 Census of India, 1961, II, 7–B (8), S. 155 226 A. a. O., S. 107 227 Eilman, 1931, S. 74 f.; zum Komplex Höhle, Labyrinth, siehe Guenon, 1977, S. 191–199 228 Kerenyi, 1950, S. 36 229 Odyssee, XIII, 100–112 230 Porphyrius, De Antro Nympharum, Hrsg.: von Hercher, 1858; ich habe die englische Übersetzung von Taylor, 1917, benutzt 231 Porphyrius (Taylor, 1917), S. 17 232 A. a. O., S. 17 233 A. a. O., S. 29 234 A. a. O., S. 36 235 A. a. O., S. 39 236 Trimmel, 1968, S. 172 erwähnt umfangreiches Schrifttum zur urgeschichtlichen Bedeutung der Höhle 237 Trimmel, 1968, S. 174 238 A. a. O., S. 173 239 Ranke-Graves, I960, I, S. 161 240 A. a. O., S. 159 241 De Rossi, 1864; Keller, 1893 242 Siehe hierzu die Darstellung von A. Gowans in der Encyclopaedia Britannica, 1970, V. S. 58c 243 „Ein schlupfwinkliges und lichtscheues Volk; in der Öffentlichkeit stumm, in den Ecken aber geschwätzig, fliehen sie die Tempel wie die Leichenbrandstätten und verlachen die Heiligtümer (…)“, Augusti, 1837, III, S. 316 244 Cabrol, 1935, Bd. 12, S. 937 ff., Stichwort „Nativité“ 245 So im Protokoll des Jakobus, in: Hennecke, 1924 246 Bredekamp, 1981, S. 14 f.
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Plan bei Cabrol, 1935, Bd. 12, S. 942 Hinweise bei Bredekamp, 1981, S. 14; ausführlich Cumont, 1923 Kluge, 1921, S. 43, Stichwort „Klause“ Güttenberger, 1921, S. 41. Zur Waldeinöde des Mittelalters als „Wüste“ im Sinne der Bibel siehe Le Goff, 1981, S. 1176 Trimmel, 1968, S. 175 Etwa in Maria Klobenstein bei Kössen in Tirol. Siehe Trimmel, 1968, S. 174; ausführlich Scotti, 1963; allein in Italien gibt es mehr als 100 solcher Höhlenheiligtümer. Scotti, 1963, S. 233 Reinle, 1976, S. 100 Ebd. Reisch, 1503 Srbik, 1941, S. 115 Zur Baugeschichte des Santuario siehe Carletti, Otranto, 1980 Gregorovius (1877), 1967, S. 652 Novalis, (1798) 1939, S. 208 Diese Gedanken finden sich schon bei Platon und Aristoteles, vgl. Srbik, 1941, S. 114, besonders eindrucksvoll jedoch im Werk Leonardos, vgl. Bredekamp, 1981, S. 10. Novalis gibt diesen Gedanken eine romantische Wendung: „Wie wir den Pflanzenboden düngen, so düngen uns die Pflanzen den Luftboden – Die Pflanzen sind Erdenkinder – wir: Kinder des Äthers. Die Lunge ist eigentlich unser Wurzelkern. Wir leben, wenn wir atmen, und fangen unser Leben mit dem Atmen an. (Kinder des Himmels freiten die Töchter der Erde)“, Fragmente (1939), S. 212. Srbik, 1941, S. 118 Kircher, 1664/1665, erläutert in Godwin, 1979, S. 84 f. Burnet, 1681. Editio ultima (letzte, überarbeitete lateinische Fassung) London 1699; erste englische Fassung 1684; ich habe die 17. englische Ausgabe von 1759 benutzt. Siehe Haller, 1938. Elisabeth Haller hat die Theorie Burnets in lateinischer, englischer und deutscher Fassung auf die barocken Stilmerkmale untersucht und besonders seine Bildersprache eingehend behandelt. Danach tauchen Harveys Überlegungen zum Blutkreislauf immer wieder auf, wenn es darum geht, die Wasserphänomene der Erde zu beschreiben (Haller, S. 72), die, wie erwähnt, auch als Ursache des „Alterungsprozesses“ angesehen werden. Das Erdinnere ist abwechselnd „venter“ oder „uterus“ der Frau Erde, und vom Herannahen der Sintflut künden ihr immer faltigeres Gesicht, ihre spröde, rissige Haut, die tief gefurcht ist, wie bei einem alten Weibe (Burnet, 1684, S. 93). Auch die übrigen vitalen Vorgänge im Inneren und auf der Oberfläche der Erde beschreibt Burnet mit anthropomorphen Bildern und in einer Sprache, die Haller „asianisch“ nennt: Die Vulkane „rülpsen“, die Flüsse „speien“, und auch in den übrigen Beschreibungen der Vorgänge, „in visceribus terrae“, herrscht barocker Freimut. (Haller, S. 81) Valvasor, 1689; vgl. auch Binder, 1963 und Helmich, 1929–1931 Valvasor, 1684, S. 484 ff. Valvasor, 1689, S. 535 A. a. O., S. 481 A. a. O., S. 235 Wir wollen uns hier jeder Abschweifung über den mittelalterlichen Erdbau, die Kunst unterirdischer Gänge und Tunnel, Verließe und Kerker, des Minen- und Bergwesens enthalten und auch die Möglichkeiten von Gründungsritualen oder terrestrischer Ordi-
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nationen, über die man ohnehin viel zu wenig weiß – vgl. Heinsch, J.; Grundsätze vorzeitlicher Kultgeographie, in: Comptes Rendus du Congres International de Geographie, Amsterdam 1938, Section V, S. 90–108; Charpentier, L.; Les Mysteres de la Cathedrale de Chartres, Paris 1976 – außer Acht lassen, aber doch kurz auf die architektonische Behandlung des Wassers als des zentralen Elementes dieser Anschauungen eingehen. Man denke etwa an das Motiv des Jungbrunnens, an das Grimmsche Märchen vom Eisenhanns oder an die zahlreichen Legenden, die Kotouc^, 1981, zusammengetragen hat, siehe vor allem Muthmann, 1975. Entfernt gehört auch der Topos der literarischen Schatzhöhle in diesen Zusammenhang, vgl. Götze, 1922. – Diese Vorstellungen wirkten so stark, daß sie selbst in der Architekturtheorie Albertis allenthalben zum Vorschein kommen und häufig seinen eigenständigen Überlegungen vorangestellt werden. So beginnt er das zweite Kapitel des zehnten Buches, das von Brunnen- und Wasserbauten handelt, mit einer Zusammenstellung der gelehrten und volkstümlichen Meinungen über die Natur dieses Elementes. Er fragt sich mit Plutarch, „ob in einem Erdgraben das Wasser wie das Blut in einer Wunde tropfe, oder ob es eher wie die Milch in der Brust einer Amme allmählich während der Neubildung zusammenfließe“ – vgl. Alberti, X, 3, 1975 (Theuer) S. 536. An anderer Stelle spricht er die volkstümliche Vorstellung aus, daß in den Meeren deshalb so ungeheure Lebewesen mit gewaltigen Körpern zu finden seien, da sie im Wasser, „dem Grundstoff der Dinge“, leben. Alberti, X, 2, 1975, S. 532. Und sein Kapitel über Fundamente und Bodenbeschaffenheit beginnt er mit der Feststellung, daß man tunlichst vor Beginn jeder anderen Arbeit tiefe Brunnen graben solle, um einen offenen Austritt für die unterirdischen Kräfte zu schaffen. Alberti, III, 3, 1975, S. 123. Wir finden also in der Theorie Albertis sowohl die positiven als auch die negativen Assoziationen des unterirdischen Wesens, wie wir dies auch bei den späteren Naturtheoretikern feststellen konnten; vgl. auch Tigler, 1963. Reinle, 1976, S. 342 Pieper, J.; Über den Umgang mit der Natur in Architektur und Städtebau der Frührenaissance, Delft 1980(19) Ongania, 1891 Perocco/Salvadori, 1977, I, S. 270 Arslan, 1971, S. 326 ff. Vgl. die Säulensymbolik bei Hildegard von Bingen, kommentiert bei Liebeschütz, 1964, S. 23, sowie Ohly, 1977, S. 137. Zur Pfeilersymbolik – in gotischen Kirchen häufig 12 und damit Sinnbild der Apostel – ebenfalls Ohly, 1977, S. 226 „Es baute sich die Weisheit ein Haus, sie meißelte sieben Säulen“, Spr. 9, 1; Reinle, 1976, S. 343 Hehn, 1894, S. 289; vgl. auch Eccl. 24, 9: Quasi platanus exaltata sum iuxta aquam.“ Ulrichs, Reisen und Forschungen in Griechenland, zit. in Hehn, 1894, S. 285 Gerster, 1968, S. 13 Für eine knappe Zusammenstellung siehe Stierlin, 1975, S. 878 ff. Fergusson/Burgess, 1880 Gaffarellus, 1637 Pirker, 1950, S. 24–27 Übersetzung von Pirker, 1950, S. 25 Pirker, 1950, S. 26 Inhaltsangaben nach Pirker, 1950, S. 27 Siehe hierzu Exkurs 3: Höhle, Berg und Turm als Sinnbilder der Alchimie
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291 Cod. Urb. lat. 899, f. 106 v., 91, gemalt von Nicolo d’Antonio degli Agli, Abbildung 30 in Klossowski de Rola, 1974 292 Klossowski de Rola, 1974, Text zu Abb. 30 293 Eine detaillierte Beschreibung findet sich bei Lennep, 1982, S. 37–57, der mich auf Garcet aufmerksam machte und durch dessen Vermittlung ich die unterirdischen Anlagen besuchen durfte. 294 O. Henry, 1906 295 Die Weltsicht des Monsieur Garcet ist äußerst pessimistisch. Sein Turm steht an der Schwelle zu einer versunkenen, besseren Welt, in der das Gebäude mit einem 33 Meter tiefen Schacht wurzelt, der senkrecht durch den gewachsenen Fels hinabgetrieben ist, ähnlich gegründet also wie die Zikkurate des alten Mesopotamien. Wie eine Festung ist der Bau mit Eckbastionen ausgestattet, und gegen äußere Einflüsse ist er ganz mit dem harten Flintstein bekleidet. Oben stehen die vier Wesen, die sich der Bedrohung entgegenrecken, die Garcet auf eine Welt, die das alte Wissen des Ancien Peuple vergessen hat, zukommen sieht. Auf der Innenseite der Dachterrasse sind magische Zeichen und Anagramme aufgemalt, die seine Visionen beschreiben und sie zugleich formelhaft bannen. Und wie eine letzte Beschwörung, die nur noch vom Flugzeug aus zu lesen ist, steht unten im Park neben dem Turm mit großer, aus weißen Steinen gelegter Schrift: Desarmement! 296 Encylopaedia Britannica, 1970, Bd. 21, Stichwort „Staffa“ 297 Meyers Konversationslexikon 1871, Bd. 6, Stichwort „Fingalshöhle“; Hervorhebung von mir, J.P. 298 Der Artikel in Meyers Lexikon ist eine streckenweise wörtliche Zusammenfassung eines Berichts von Thomas Garnett aus dem Jahre 1802, der von Kosegarten ins Deutsche übersetzt wurde und kurz darauf im zweiten Band der Sammlung von Rosenmüller-Tilesius erschien, Rosenmüller, II, 1805, S. 323–339. Bezeichnenderweise läßt der Lexikonautor all jene Passagen weg, die als wörtliche und nicht metaphorische Beschreibung der Höhle als eine „Architektur der Natur“ zu verstehen sind. So wird bei Garnett der Vergleich der Höhle mit einem Münster noch weiter ausgeführt: „Sie gleicht dem Inneren eines Münsters von unermeßlichem Umfange, der jedes menschlicheKunstwerk an Regelmäßigkeit erreicht, an Größe und Erhabenheit aber unendlich hinter sich zurückläßt“ usw. Rosenmüller, II, 1805, S. 326. Siehe auch weiter unter Anmerkungen 304 und 306. 299 So etwa Bernardin de Saint-Pierre in seinen Etudes de la Nature, 1785, siehe Mornet 1907, S. 435 f. 300 Stafford, 1976, S. 113 f. 301 Joseph Banks ankerte im Sund von Mull gegenüber Drimnen auf Morven als ihm Leach von Staffa erzählte. Leach selber war wenige Tage zuvor zufällig beim Fischen in die Nähe der Insel geraten. Vgl. den Bericht von Garnet in Rosenmüller/Tilesius, 1799, S. 338 302 Banks, An Account of Staffa, London 1774, in: Pennant, T.; 1770–1774 303 Garnett über Faujas de Saint-Fond, in: Rosenmüller/Tilesius, 1799, II, S. 334 304 Faujas de Saint-Fond, 1797, II, S. 52: „Combien (…) les portiques des anciens ne brillent-ils point à nos yeux par la magnificence étalée dans les descriptions qu’on en a faites, et combien ne sommes-nous par saisis d’admiration en voyant les colonnades de nos edifices modernes. Mais quand on a vue FINGAL formé par la nature dans l’ile de STAFFA, il n’est plus possible d’établir de comparaison, et on est forcé de convenir que ce morceau d’architecture, executé par la nature, surpasse de beaucoup celui de la colonnade du Louvre, et celui de Saint-Pierre de Rome, et même
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que nous reste de Palmire et de Paestum, et tout ce que le génie, le luxe et le goût des grecs a pu inventer.“ – Es bleibt unklar, ob dies Faujas’ eigene Worte sind. Er selbst unterschiebt sie Banks, der sich so beim Anblick der Höhle geäußert haben soll, und beruft sich dabei auf einen Brief des Bischofs Uno von Troil, der Banks auf seiner Reise begleitet hat. Faujas de Saint-Fond, 1797, II, S. 53 So meine ich, sind etwa Faujas’ umständliche Sätze zu verstehen: „(…) je n’ai rien trouve qui approchât de celle-ci et qui puisse lui etre comparé, soit par l’admirable regularité des colonnes, par l’élévation de la voûte par les sites, par les formes, par l’élegance et la ressemblance de cet ouvrage de la nature avec les chefs-d’oeuvre de l’art, et cependant, l’art n’est pour rien ici; il ne faut donc pas être êtonne, si la tradition en an fait la demeure d’un héros (…)“. – Die Übersetzung von Rosenmüller/Tilesius, 1799, S. 323, nach Garnett, Th: Reise durch die schottischen Hochlande und einen Teil der Hebriden, Leipzig 1802, S. 227, deutsch von Kosegarten: „(…) Ähnlichkeit mit den Meisterwerken der Kunst, die gleichwohl zu deren Erbauung nicht im mindestens mitgewirkt hat“, ist sinnentstellend. Zitiert nach Stafford, 1976, S. 115 Rosenmüller/Tilesius, 1805, II, S. 326–327 A. a. O., S. 332–333 Daniell, 1818 Daniell, 1814–1825 Daniell, 1818, Vorwort, S. 11 Dieser Aspekt ist Barbara Stafford in ihrem ausgezeichneten Aufsatz „Rûde Sublime“, 1976, merkwürdigerweise entgangen. Sie beschäftigt sich nur mit den plastischen Kunstwerken der Natur. Rosenmüller/Tilesius, 1799–1805; Ritter, 1801–1806 und 1806 (1 und 2). – Neben solchen „wissenschaftlichen“ Höhlenbeschreibungen entstand gleichzeitig die literarische Gattung des „Höhlenromans“; hierzu D’Ursel, 1963 Johann Meermann Freiherr von Dalem, Nachrichten aus Großbritannien und Irland. Aus dem Holländischen, Nürnberg 1789, S. 23, abgedruckt in: Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 1–13 Dalem, in: Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 12 Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 3 Frazer, 1924, S. 467 Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 2 Pauly-Wissowa, 1975, 1, S. 1138, Stichwort „Charon“; siehe auch Rohde, 1894 Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 3 A. a. O., S. 4 Ebd. A. a. O., S. 5 A. a. O., S. 8 A. a. O., S. 11 Beschreibung der Höhle la Baume oder der Grotte des Desmoiselles a Saint Bouzile bei Ganges in den Cevennen, von Marsollier, im Recueil amusant des Voyages, Tome IX, o. J., abgedruckt in deutscher Übersetzung in Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 217–236 Am 7. Juli 1780, ein zweites Mal am 15. Juli 1780 Rosenmüller/Tilesius, 1799, I, S. 221 Ebd.
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A. a. O.,S. 223 Ebd. A. a. O., S. 225 A. a. O., S. 26 A. a. O., S. 231 Ebd. A. a. O., S. 232 Ebd. A. a. O., S. 233 A. a. O., S. 234 Beckers Taschenbuch, 1796, S. 14 Cockburn, 1820, S. 67 ff. Daniell, o. J., nach 1818, Stafford, 1976, S. 125, datiert das Werk auf 1807, aber da die Lithographien von Staffa enthalten sind, die in Daniells Veröffentlichungen von 1818 als Erstpublikation bezeichnet werden, muß „Animated Nature“ später entstanden sein. Cassas, 1802, S. 157 Goethe, 1784/1785 in dem „Granitaufsatz“, zit. nach Michel, 1982, S. 22 Tournefort, 1717, zit. nach Rosenmüller/Tilesius, 1799, 1, S. 97–99 Matthews, 1970, S. 26 ff. Sieber, 1823, Plan nicht paginiert. Die Karte wurde von einem nicht näher identifizierten französischen Bewohner der Insel gefertigt. Fergusson/Burgess, 1880 Hunter, W.; Artificial Caverns in the Neighbourhood of Bombay, 1785, abgedruckt in Rosenmüller/Tilesius, 1805, II, S. 17 ff. Rosenmüller/Tilesius, 1805, II, S. 19 Mitter, 1977, S. 143 Zum Einfluß der indischen Felsenklöster und Höhlentempel auf das architektonische Denken des 18. Jahrhunderts siehe Exkurs 4: Die Architekturtheorie des Souterrain Hodges, 1794, S. 71. – „And in the consequence of which the form and gloom of such caverns have been universally imitated in the oldest temples. Their external form and appearance is the spiry rock, the towering cliff, and the mountain in its immense extent; how various! how grand! their inner form, their breaks, and masses (…) their wonderful variety, their shape, their structure, combination of parts, and natural Ornaments, depend partly on the differences of the causes and circumstances under which they have been formed and on the nature of the mountain in which they are found.“ Buckland, 1823 Z. B. Buckland, 1823, Tafel 15 oder 27 Wieliczka, 4 Pläne aus dem Jahre 1645, aufbewahrt im Britischen Museum, Maps 144 c 25 Zwei Pläne in der Biblioteka Jagiellonska, Krakau, nicht datiert, wahrscheinlich zwischen 1799 und 1818. Abgebildet als Abb. 294 und 295 in: Rudofsky, 1977, S. 336 Jones, 1795, S. 27–33 A. a. O., S. 30 A. a. O., S. 31 A. a. O., S. 30 A. a. O., S. 32 Hugo, 1844, S. 165 „En voici un, dit l’archidiacre: Et ouvrant la fenêtre de la cellule, il designa du doigt l’immense église de Notre Dame, qui découpant sur un ciel étoilé la sil-
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houette noire de ses deux tours, de ses côtes de pierre et de sa croupe monstrueuse, semblait un enorme sphinx à deux têtes assis au milieu de la ville. L’archidiacre considéra quelque temps en silence le gigantesque édifice, puis étendant avec un soupir sa main droite vers le livre imprimé qui etait ouvert sur sa table et sa main gauche vers Notre Dame, et promenant un triste regard du livre à l’église. – Helas! dit-il, ceci tuera cela.“ Hugo, 1844, S. 165 Hugo, ceci tuera cela, übersetzt von Eppelsheimer, 1926, S. 16 ff. Ohly, 1977, S. IX, siehe auch Charpentier, 1970 und Krautheimer, 1942 Reusner, 1580; vgl. Henkel, 1930 Reusner, 1581, Emblema XXXIII Cassirer, 1974, S. 46 Waren etwa die „Salomonischen Tempelsäulen“ von der um 1230 errichteten Vorhalle des Würzburger Doms eindeutig als biblisches Zitat zu verstehen und durch die Aufschrift „Jachin“ (d. h. „Jahwe möge fest machen“) und „Booz“ (d. h. „In ihm ist Kraft“, Reinle, 1976, S. 234) ausdrücklich als solche kenntlich gemacht – Reinle, 1976, Abb. 273, S. 233 –, so trägt das gleiche Motiv bereits in der Frührenaissance deutlich antikische Züge, die an die „Säulen des Herkules“ erinnern, etwa in dem 1453/1454 von Jean Fouquet verfertigten Stundenbuch des Etienne Chevalier, mit einer Darstellung der Vermählung Mariens vor dem säulenbegleiteten Tempelportal, vgl. Reinle, 1976, S. 234. Fischer von Erlachs Karlskirche in Wien (begonnen 1716), assoziiert mit ihrem Säulenpaar einen ganzen Apparat von Bedeutungen, der von Salomons Tempel über die kaiserlichen Memorialsäulen für Traian und Marc Aurel bis zum habsburgischen Verständnis der Säulen des Herkules reicht. Reinle, 1976, S. 234. Ähnlich verhält es sich mit zahlreichen anderen Architekturmotiven: Heiliggrabimitationen, etwa in Eichstätt, ursprünglich immer eindeutig nach Bautyp, Zahlensymbolik der Abmessungen und Bauanlaß als Nachahmung der historischen Grabkirche in Jerusalem zu verstehen, werden in der Renaissance zugleich mit der Gräbersymbolik der Alten belegt. Albertis Ruceallaikapelle bei San Pancrazio (1467) ist lediglich durch den Raumtyp des eingestellten Miniaturbauwerks, durch einen pavillonartigen Aufsatz und die Beischrift (Markus XVI, 6) als Heiliggrabimitation gekennzeichnet. In der Baugestalt erinnert es eher an antik-römische Grabtypen, in den Details an antike Fassadenbekleidungen. Die Bekleidung der Kapelle ist wahrscheinlich als Antikenzitat im Sinne einer Vermittlung durch die Protorenaissance des Florentiner Baptisteriums zu vestehen. Siehe Grayson, 1979, S. 12. Die Aufschrift lautet: „JHESUM QUERITIS NAZARENUM CRUCIFIXUM. SURREXIT. NON EST HIC. ECCE LOCUS UBI POSUERUNT EUM (…)“, vgl. Heydenreich, 1961, S. 219 f. War der mittelalterliche Stadttor- und Mauerbau so sehr von der biblischen Chiffre des himmlischen Jerusalem geprägt, daß die Chronisten häufig gegen alle topographische Realität, aber in Übereinstimmung mit der Vision des Evangelisten von 12 Toren und einem quadratischen Mauergürtel berichten – wie die Florentiner Chronik des Jahres 1339; Florenz hatte damals 15 Tore und 72 Türme, vgl. Braunfels, 1953, S. 49 –, so orientiert sich der Städtebau der Renaissance an antiken Vorstellungen. Tore werden häufig als Erinnerung an das Triumphbogenmotiv gebildet (Pienza, Palermo) oder als hybride Baugestalten, wie das Hafentor in Palermo (1583), das mit seine pylonenartigen Halbbauten zugleich an die Säulen des Herkules, an die provisorischen Ehrenpforten der Trionfi und an das biblische Bild des sich öffnenden Himmels denken läßt – Abbildungen bei Reinle, 1976, S. 265; über das Hafentor bemerkt Goethe, Italienische Reise, unter dem 2. April 1787:
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„Durch die wunderbare, aus zwei ungeheuren Pfeilern bestehende Pforte, die oben nicht geschlossen sein darf, damit der Wagen der heiligen Rosalia an dem berühmten Feste durchfahren könne, führte man uns in die Stadt…“. – Schließlich erfährt auch die Brunnenarchitektur, jahrhundertelang als marianisches Symbol der „fons vitae“ oder als Sinnbild der Paradiesströme gedeutet, eine mehrdeutige heidnische Erweiterung ihres Sinngehaltes, indem Renaissance und Barock ihr die antiken Wassergottheiten beigesellen oder sie gar zu Grottenarchitekturen ausgestalten, wie etwa Berninis Obeliskenfontäne auf der Piazza Navona. Damit wird die Brunnenarchitektur Deutungen zugänglich, die auf der einen Seite die schon besprochenen antiken Quell- und Grottenverehrungen umfassen, die mit dem Obelisken auch eine Verbindung zwischen dem Wasser als Lebenssymbol und dem Ägyptischen als dem Inbegriff des Mystischen, Unerklärlichen schlechthin herstellt – siehe Iversen, 1961 –, auch als Quell der „prisca theologia“, und die dennoch offen bleibt für die traditionelle christliche Deutung im Sinne marianischer Symbolik: für die Säkularfeiern des Marienwallfahrtsortes Telgte in Westfalen entwarf Johann Conrad Schlaun 1754 einen Triumphbogen für das Gnadenbild, der den Grundgedanken von Berninis Obeliskenfontäne – Grotte Obelisk und Wasserströme – in Holz und Papier imitiert; siehe Volkhardt 1973, S. 160; über hermetische Einflüsse auf die Architektursymbolik siehe Taylor, 1972. Cassirer, 1974, S. 45 Ripa (1593), 1758–1760, zit. bei Hocke, 1978, S. 54 Freytag, in: Harms/Freytag, 1975, S. 24 Paulus Jovius stellt in seinem „Dialogo dell’imprese militare ed amoroso“ fünf Grundregeln der Emblematik auf: 1. rechtes Verhältnis zwischen Seele (= Spruch) und Körper (= abgebildeter Gegenstand); 2. nicht so dunkel, daß es absolut unverständlich wäre, aber auch nicht so klar, daß sofort verständlich; 3. schön anzusehen und mit kosmischen, tierischen und pflanzlichen Figuren geschmückt; 4. menschliche Figuren sollen nicht vorkommen; 5. der Spruch (Motto, Seele, Lemma) soll knapp und in einer fremden Sprache abgefaßt sein. Zur Emblematik allgemein siehe Henkel/Schöne, 1967; zu den Aspekten, die der architektonischen Emblematik am nächsten kommen, siehe Harms/Freytag, 1975. Siehe auch Exkurs 5: Die Hypnerotomachia Poliphili und der Sacro Bosco von Bomarzo. Penkert, 1972, S. 100–120 und 1978 Harms in der Einleitung zu Harms/Freytag, 1975, S. 9; vgl. auch Gibbons, 1966 und Höltgen, 1968 Abgesehen von Ansätzen bei Yates, 1966, Vorwort Unter Verwendung der Hugoschen Metapher von der „orphischen Schrift der Architektur“ möchte man sagen: Die Emblematik des 16. Jahrhunderts ist der „Stein von Rosette“ der manieristischen Architektur, das Dokument, in dem beide Schriften, die steinerne des Orpheus und die bleierne Gutenbergs, in Wort und Bild gleichwertig nebeneinander stehen, und dies in einer Zeit, da beide noch gleichermaßen ausdrucksfähig sind, noch nicht zu jenem kurzweiligen Spiel heruntergekommen, über das Winckelmann abfällig bemerkt: „Es erschien aber eine Zeit in der Welt, wo ein Großer Haufe der Gelehrten zur Ausrottung des guten Geschmacks sich mit einer wahrhaften Raserey empörete. Sie fanden in dem, was Natur heißt, nichts als kindi-
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sche Einfalt und hielten sich verbunden, dieselbige witziger zu machen. Junge und Alte fingen an, Devisen und Sinnbilder zu machen, nicht allein für Künstler, sondern auch für Weltweise und Gelehrte; und es konnte kaum ferner ein Gruß, ohne ein Emblema anzubringen, bestellet werden. Man suchte dergleichen Lehrreicher zu machen durch eine Umschrift desjenigen, was sie bedeuteten und was sie nicht bedeuteten. Dieses sind die Schätze, nach denen man noch itzo gräbt.“ (Zit. bei Henkel/ Schöne, 1967, S. IX) Willich/Zucker, o. J., S. 196 Zu den historischen Einzelheiten siehe Baldini, 1932, 1935, 1936, 1937 Zum Werk Sangallos siehe Clausse, 1900; Giovannoni, 1959 Pitigliano gilt als eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Toskana, vgl. Baldini, 1932, S. 15 ff. Baldini, 1932, S. 9 Abgesehen vom Oberflächenwasser, das der Fiora zufließt, vgl. Karte in: Baldini, 1932, S. 11 Gregorovius, 1967, S. 146 Die Grundzüge von Sangallos Plan für rocca und piazza sind in einer Serie von Planskizzen des Meisters zu entnehmen, die in den Uffizien, Florenz, aufbewahrt werden: Antonio da Sangallo il Giovane: Schizzi per la Rocca e per il convento di San Francesco in Pitigliano, Gabinetto Disegni e Stampe delle RR. Galleria degli Uffici, Firenze, vor allem Nr. 811 „Pianta della Rocca di Pitigliano“, publiziert als Abb. 23 in: Baldini, 1933, S. 58. Aus diesen Skizzen, die keine architektonischen Einzelheiten enthalten, geht eindeutig hervor, daß zumindest der Grundgedanke des städtebaulichen Konzepts die Lage der Piazza über der ganzen Breite des Tuffrückens und ihre Öffnung zu den unterschiedlichen Landschaftspanoramen in den Finestroni der Schmalseiten, von Sangallo selbst stammen. Eine ausführliche Diskussion der Autorschaft Sangallos an den einzelnen Maßnahmen der Befestigungen und Umbauten befindet sich in: Giovannoni, 1959, Bd. 2. Ovid, Metamorphosen, X, 95. – Siehe auch Hehn, 1894, S. 289, dort weitere Beinamen und Bedeutungen. Baldini, 1932 f., Fußnote 75 in einem Dokument, das Baukosten für eine Brunnenwand erwähnt Es liegt natürlich nahe, zu vermuten, daß bei Sangallos intensiver Beschäftigung mit dem Triumphbogenmotiv (Fassade des Palazzo del Banco di Santo Spirito sowie in zahlreichen Entwürfen, veröffentlicht in: Giovannoni 1959) die Verwendung des Triumphbogens bei der architektonischen Gestaltung der technisch ohnehin notwendigen Bögen auf der Hand lag, zumal dies genauestens den Intentionen Sangallos bei der Raumkonzeption der Platzanlage entspricht. Ich habe jedoch weder in der Literatur noch in Sangallos Planskizzen einen entsprechenden Hinweis gefunden. Leopold II, 1797–1870, aus dem Hause Habsburg-Lorena besuchte Pitigliano 1829, 1841 und 1844. Siehe Dreassi, 1977, S. 12 Die „Versunkenen Gärten“ und das Wassersystem, beliebte Elemente der Architektur des Manierismus – Villa Lante, Bagnaia – haben im Jahre 1749 noch bestanden. Dies geht aus einem Plan hervor, der sich im Archivio di Stato, Firenze, befindet: Pianta della Terra e Rocca di Pitigliano, in: Raccolta di Piante delle Principali città e fortezze del Granducato di Toscana, di Odoardo Warren. Ferner existiert eine weitere Pianta della terra e rocca di Pitigliano im Gabinetto Disegni e Stampe, Galleria degli Uffici, Firenze, Nr. 7632.
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393 Zum „locus amoenus“ siehe Goebel, 1971, passim. Zum Gegensatz Labyrinth-Paradies, Comenius, 1970, auch Maccio, 1628 mit einem giardino secreto als Zusammenstellung marianischer Symbole. Vgl. auch Goebels jüngsten Aufsatz zum „Locus amoenus“ in: Kunstforum, Bd. 69, Köln 1984. 394 Zincgreff, 1619, Emblem Nr. 23, vgl. Henkel/Schöne, 1967, S. 1221 395 Visscher, 1620, Emblem Nr. 36; vgl. Henkel/Schöne, 1967, S. 1238 396 Camerarius, 1590, Emblem Nr. 73; Henkel/Schöne, 1967, S. 58. „Homilibus dat gratiam. Alta cadunt vitiis, virtutibus infirma surgunt. Hoc te mons sterilis, vallis amoena monet.“ 397 „Nur Schatten. Die Platane gibt Schatten, aber keine Frucht. So gefällt es manchen, die andere durch leeren Schein zum Narren halten.“ (Camerarius, 1590, Emblem Nr. 19) 398 Alciatus, (1530), 1550, p. 213 ff. 399 Rollenhagen, 1613, Emblem 85, „Durch die Enge zum Erhabenen“, vgl. Henkel/ Schöne, 1967, S. 149 400 Man denke an Pienza, die Villa Lante oder Caprarola. 401 Saavedra, 1640, Emblem Nr. 5; so die Deutung bei Henkel/Schöne, 1967, S. 1234 402 Z. B. Emblem L, XL, Saavedra, 1640 403 Vgl. etwa das emblematische Titelblatt zum Hochzeitscarmen für C. Trolle und B. Rantzau, 1660, abgebildet bei Harms/Freytag, 1975, Abb. 65; Zum Fragmentcharakter emblematischer Auslegung und der Rolle des Betrachters siehe Harms, 1973 404 Vgl. Anmerkung 197 und meine vorstehenden Ausführungen zu den Sacri Monti 405 Die intensive Beschäftigung Albertis mit beschrifteter Architektur ist bekannt. Von seinen zahlreichen Versuchen, Schrift und Architektur als Einheit zu sehen, ist besonders die Capella Rucellai (1467) zu erwähnen, s.o. Anm. 371. Sie ist durchaus als architektonisches Emblem zu verstehen, das die Erfindung des Alciatus der Sache nach schon um rund 70 Jahre vorwegnähme. In diesen Zusammenhang gehören auch andere frühe Formen beschrifteter Architektur, s. Pritchard, 1967. 406 Abgebildet bei Harms/Freytag, 1975, Abb. 90–95, 100, 101 407 Harsdörffer, 1643, zit. in Zell, 1975, S. 158 408 Zell, 1975, S. 156 409 Menestrier, 1684, Vorwort S. 13; vgl. Zell, 1975, S. 157 410 Alciatus, 1530, zit. bei Volkmann, 1923, S. 41 411 Ähnlich auch Henkel im Vorwort zu Henkel/Schöne, 1967, S. IX 412 Zell, 1975, S. 159 413 Jeremia, l, 13. 14 414 Jeremia, l, 11; Zur christlichen Baumsymbolik: Karutz, 1930; zum Komplex LabyrinthLebensbaum: Keeler, 1977 415 Giovio, 1555, vgl. Anmerkung 375 416 Freytag, 1975, S. 24 417 Norberg-Schulz, 1975, S. 276 418 Ich habe diese Beziehungen an der Villa Barbaro, der Villa Emo und der Villa Rotonda studiert. Eine auszugsweise Veröffentlichung erschien im Kunstforum Bd. 69, 1984, S.38 ff. „Über den Genius Loci. Architektonische Gestaltungen einer antik-römischen Idee“. 419 Inschrift innen über dem Occhio der Westwand 420 Zur Baugeschichte siehe: Formichi, 1978; Cataldi, 1978; Marcucci, 1978; Heydenreich, 1936 Inzwischen ist meine umfamgreiche Monographie zu Pienza erschienen: Pieper, J., Pienza: Der Entwurf einer humanistischen Weltsicht. Stuttgart 1997. 421 So sinngemäß Argan, 1969, S. 30
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422 Die Bauqualität litt dabei erheblich; die Substruktion wurde so unzureichend ausgeführt, daß Chor und Querhaus abgesunken sind. Zur Zeit sind Instandsetzungsarbeiten im Gange. 423 Lotz, 1977 424 Zu Charakter, Leben und Werk des Papstes siehe Voigt, 1856–1863, 3 Bde. 425 Die Anlage Pienzas fällt in eine Zeit, in der die Kalenderreform von höchstem Interesse war. Vgl. Nikolaus von Kues, Reparatio kalendarii, Kues, Werke II, 1967. Cusanus war ein enger Vertrauter des Bauherrn. Zur Kalenderordnung allgemein siehe Bühler, 1978. 426 Diese sind im reichen literarischen Nachlaß des Papstes erhalten, vor allem in: Piccolomini, 1584; auszugsweise Übersetzung einiger hier relevanter Stellen in: Heydenreich, 1936, S. 110 ff. 427 Durm erwähmt als „einzige bemerkenswerte Hallenkirche in Italien“ neben Pienza S. Maria Annunziata in Camerino, Ancona; Durm, 1914, S. 768 428 Heydenreich, 1936, S. 111 429 Kirschbaum, 1968–1976, Bd. 3, S. 97, Stichwort „Licht“. Zur Lichtsymbolik siehe auch Hubala, 1961, S. 83–120. 430 Z. B. Tizians „Himmelfahrt“ in der Frarikirche in Venedig 431 Heydenreich, 1936, S. 144 432 Bialostocki, 1970, S. 159–176 433 Pius spricht von einem „Kyklopenauge“; vgl. Heydenreich, 1936, S. 112 434 Emblem, S. 82, „Princeps Iustitia Advigilans“, in: Anulus 1552, vgl. Volkmann, 1923, S. 10 zu Horapollo; dort auch der Hinweis, daß das „Auge als Spiegel der Seele“ in einer „Hieroglyphic des Auges“ bei Fra Urbano Bolziano (1443–1524) belegt ist, S. 34, vgl. Iversen, 1958, 1961 (1) 435 Hier ist das Nahen des richtenden Gottes gemeint, auch dies eine Deutung, die mit der Verwendung des Occhio in Pienza durchaus intendiert sein kann. Dazu Wind: „Das ,alles sehende Auge‘, das Cusanus als experimentelle Parabel in De visione Dei einführte, hatte auch seine erschreckenden Aspekte; wohl keine Renaissance-Hieroglyphe vermittelt das Gefühl von terribilità eindringlicher als das berühmte ,geflügelte Auge‘, das Emblem Leone Battista Albertis, das auf seiner Medaille mit dem Motto ,Quid Tum erscheint“, S. 265 der deutschen Ausgabe von „Pagan Mysteries in the Renaissance (1958), Frankfurt 1981; siehe auch Pochat, 1970, S. 226. 436 Die Piazza enthält noch zahlreiche andere mensurale und numerische Entsprechungen. Siehe hierzu meine Monographie „Pienza“, Stuttgart 1997. 437 Vgl. die östliche Praxis der „Nabelschau“, die beide Energien zusammenzubringen sucht 438 Ranke-Graves, 1960, I, S. 161 439 Pauly-Wissowa, 1975, „Omphalos“, und vor allem Roscher, 1913 440 Roscher, 1919, S. 52 441 Ausführlich hierzu Hopper, 1938, sowie zur Achtzahl Dölger, 1934 442 Wind, 1958, S. 39: „Ficino referred to Orpheus as ,cuius theologiam secutus est Plato‘“; ähnlich auch Pico della Mirandola, nach Wind, 1958 443 Pauly-Wissowa, 1975, „Unterwelt“, „Hades“ 444 Siehe hierzu Troels-Lund, 1908 sowie Cassirer II, 1964, S. 120 f. 445 Über die technischen Schwierigkeiten und vor allem über die juristischen Probleme bei der Bereitstellung des Baulandes berichtet Cataldi, 1978, S. 71 f. – Es sei hier kurz darauf hingewiesen, dass dieser Effekt auch der Grund für die Aufstockung der Säu-
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len gewesen sein dürfte, die der Papst in den Commentarii erwähnt und die erst vorgenommen wurde, als die Kapitelle schon gelegt waren, und nicht, wie Heydenreich meint, eine „Italienisierung des nordischen Säulentyps“, dessen ungewöhnliche Schlankheit durch den Typ der Hallenkirche vorgegeben war. (Heydenreich, 1936, S. 134) Denn nur so konnte erreicht werden, daß der Schattenwurf an den Äquinoktien die Piazza genau ausfüllt. Maß und Teilung der Piazza konnten ja nicht mehr verändert werden, ohne das Proportionssystem, das auf der Kirchenbreite beruht, durcheinanderzubringen. Wenn man aber die „Vorzeichnung“ des Schattens nicht mehr verändern kann, dann ist dies nur noch über eine Höhenkorrektur des Schattenwerfers möglich. Diese sensible Beziehung zwischen Baukörper, Platzteilung und Schattenwurf erklärt auch, warum Pius so großen Wert auf die Unveränderbarkeit der Anlage für alle Zeiten legte, die ihm so wichtig war, daß er zu diesem Zweck eigens eine Bulle erließ. Vgl. Heydenreich, 1936, S. 138. Assunto, 1963, S. 118 In der Interpretation Cassirers, 1974, hat Cusanus als erster die zentralen Fragestellungen der Renaissancephilosophie aufgegriffen. Ovid, Tristia, III, 3–75 Goethe, Dichtung und Wahrheit, Bd. I, Teil I, vgl.Engelsing 1978, S. 61 Magnago-Lampugnani, 1978, S. 127–133 Meyers Reisebücher, 1906, S. 194 Magnago-Lampugnani, 1978, S. 127 Ebd. Magnago-Lampugnani, 1978, nennt die sizilianischen Stadtgeometrien im Untertitel „ironische Stadtplanungen“. Zur Baugeschichte siehe Maretto, 1975, S. 81 ff. Maretto, 1975, S. 131 Die Pläne von Mori sind abgebildet in: Maretto, 1975, S. 112 f. Maretto, 1975, S. 101 Abgebildet als Figur 865/868 in: Morini, 1963, S. 209 Maretto, 1975, S. 36 Vgl. Carpeggiani, 1982, S. 25 f. Zur Labyrinthsymbolik der Gonzaga auch Carpeggiani, (1974), 1977. Giovannoni, 1931, Morini, 1963, S. 215 Confurius, 1981, S. 684 Confurius, 1981, S. 689. Ausführlich zu Sabbioneta, siehe Marini, 1914 Vgl. Fiocco, 1958; Perocco/Salvadori, 1977, III, S. 1370 Auszugsweise in: Mazza, 1980, S. 140 ff. Die Zeitangabe 1565 ist offensichtlich ein Druckfehler, da Sanmicheli, der das Projekt erwähnt – vgl. Perocco/Salvadori, 1977, III, S. 1375 – bereits 1559 starb. Puppi, 1980, S. 140 Perocco/Salvadori, ffl, S. 1375 Goebel, 1971, S. 84 f. So Thomas Mann in „Tod in Venedig“ Mit dieser Verdrehung des klassischen Motivzusammenhanges trägt Cornaro einen Gedanken in die städtebauliche Diskussion der Zeit, der in anderen architektonischen Künsten schon seine Artikulation gefunden hatte. Hier wäre auf das Labyrinthfresco im Palazzo Ducale hinzuweisen, das Lorenzo Leombruno zugesprochen und etwa auf das Jahr 1510 datiert werden kann. Zum Stand der Diskussion siehe Carpeggiani, P.;
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Zwischen Symbol und Mythos. Das Labyrinth und die Gonzaga, in: Daidalos 3, März 1982, S. 25 ff. Zur Welt der Gonzaga allgemein siehe Franchini u. a., 1979, auch Gombrich, 1950, und Hartt, 1950. Das Gemälde ist dicht über dem Boden auf den Wandputz der Sala dei Cavalli aufgemalt und nur noch fragmentarisch erhalten. Es zeigt eine üppig grünende Landschaft und ein Dorf mit Windmühlen, Kirche und strohgedeckten Häusern nördlichen Charakters im Vordergrund. Im Hintergrund sieht man das Meer, aus dem gegen alle Gesetze der Natur ein Fluß mit Kaskaden ins Land hineinfließt. Nicht weit von der Küste erhebt sich ein steiler Berg, zu dessen Gipfel ein linksdrehender Spiralenweg führt; sein Fuß ist mit Mauern und Gebäuden besetzt, und rundherum im Wasser erstreckt sich ein kreisrundes Labyrinth, auf dessen verschlungenen Bahnen Segelschiffe fahren. Die Details des Freskos zeigen deutlich, daß die Stadt im Meer, deren Eigentümlichkeit und „Verkehrtheit“ sich bei dem Venezianer Cornaro durchaus mit Attributen wie „grandezza“ und „bellezza“ (so der Text zu seinem Entwurf; Puppi, 1980, S. 140) verbindet, hier im Stammsitz der rivalisierenden Gonzaga als Inbegriff der „schlimmen Verkehrtheit“ erscheint: Umgeben von einer deplazierten Landschaft, in einem Raum, in dem die Naturgesetze nicht mehr gelten, führen die verschlungenen Wege des Labyrinths zu einem Inselberg, der mit seinem linksläufigen – also in der Todesrichtung gedrehten Spiralweg – deutlich als Ort des Unterganges gekennzeichnet ist. Carpeggiani hat diese Details übersehen, und deshalb kann seine Deutung des Freskos als allegorische Darstellung Mantuas unter den Gonzaga nicht überzeugen. – Über das Zwergenwesen unter dem Palazzo Ducale in Mantua sowie zum Phänomen des Hofzwerges überhaupt siehe Ebeling, 1884. Miller, 1978, Einleitung Hugo, 1844, übersetzt in Eppelsheimer, 1926, S. 16 Goethe, Italienische Reise, 2 Bde., Hamburg 1927 Zur Baugeschichte siehe Blunt, 1972, S. 43 ff. und S. 155; dort auch Bibliographie Goethe, Werke (1927), Italienische Reise, H, S. 224 Zitiert bei Goebel, 1971, S. 85, Fußnote 37 Goebel, 1971, S. 85 Schneider, 1925, S. 63 A. a. O., S. 65 A. a. O., S. 66 Stark, 1880, S. 82 A. a. O., S. 81 A. a. O., S. 82 Kircher, 1679, S. 25 A. a. O., S. 73 A. a. O., S. 45; siehe den gänzlich anderen Zugang von Fergusson, 1851 Z. B. der Spiralturm der großen Moschee von Samarra am Tigris, vgl. Born, 1943, S. 233 Kircher, 1679, S. 81 ff., „synopsis“ In Kirchers Darstellung ist ein stadtmetaphorischer Zug der einzelnen Labyrinthe bemerkenswert: Jeder Nomos hatte hier in seinem Labyrinth und in seinen Ritualen gewissermaßen das Abstraktum der Provinzhauptstadt. Kircher, 1679, S. 77 „Dum enim ex camera in cameras (…) ex his in fana, ex fanis in colymbethas, ex his in hortos (…).“ Kircher, 1679, S. 79 1738 Grabungsbeginn in Herculaneum, 1748 in Pompeji
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494 Reudenbach, 1979, S. 43; Wilton-Ely, 1978, S. 69, S. 83; zu anderen Architekturen, die nicht gebaut wurden, siehe Ponten, 1925 495 Quatremère de Quincy, 1829 496 A. a. O., S. 8 497 Zur mobilen Architektur siehe auch Böhme, 1967, 1, S. 8; Herodot II, 63; Goethe, Italienische Reise, 2. April 1787 498 Quatremère de Quincy, 1788–1825, 111, S. 287 499 Lepsius, 1849 –1860, Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien, 963 Tafeln in 12 Bänden, Neufassung von Sethe, K.; 1–4 und Ergänzungsband, Leipzig 1897–1904
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Exkurse
Exkurs 1 Das Labyrinth als Stadtmetapher in nachantiker Deutung und Darstellung Das antike Labyrinthmotiv hat in späterer Zeit zahlreiche Umdeutungen und Neuinterpretationen erfahren, die mit den hier in den Vordergrund gestellten Qualitäten einer Metapher für die Architektur der Stadt oder für das Bauen überhaupt nur noch wenig gemein haben (hierzu ausführlich Adama van Scheltema, 1950; vgl. Hommel, 1919). Aber dennoch ist dieser stadtmetaphorische Aspekt nie ganz verloren gegangen, im Gegenteil, in einigen Epochen der Motivgeschichte des Labyrinthes, etwa der mittelalterlichen, verbindet er sich mit dem christlichen Symbolgehalt, und in anderen verraten die formalen Prinzipien der Figur und die Etymologie ihrer volkstümlichen Benennungen, daß die der Zeit geläufige Interpretation oft als vordergründige oder späte Zutat zu verstehen ist, hinter der ursprünglichere Vorstellungen deutlich faßbar bleiben (Zur Symbolik des Labyrinthes ausführlich Kern, 1981; ferner Birkhan, 1976 und 1977. Borgeaud, 1974; Cirlot, 1971; zum Volksaberglauben im Zusammenhang mit dem Labyrinth, Bächtold-Stäubli, 1927–1942). Schon in archaischer Zeit wurde das Labyrinth zum Gegenstand der dekorativen Künste (vgl. Himmelmann-Wildschütz, 1968), und schon früh gewann es dabei eine konventionalisierte Form ornamentaler Abstraktion. William Richard Lethaby gebührt das Verdienst, als erster bemerkt zu haben, daß diese konventionalisierte Labyrinthform, einmal gefunden, über eine ungewöhnlich lange Zeitspanne beibehalten wurde. “The tradition is one for the two thousand years from the Greek coin of Gnossus to Botticelli’s print in the Renaissance (…) They are absolutely related – in form and proportion, number of walls and planning of their revolutions, they are transcripts of one another or a common original.” (Lethaby 1891, S. 152 f.) Seit der Ausgrabung des homerischen Pylos (heute Epano Englianos bei Chory Phasium) können wir diesen zwei Jahrtausenden fast noch ein weiteres hinzufügen. Dort wurde 1957 ein Tontäfelchen zutage gefördert, das 287
ein Labyrinth der klassischen Form zeigt, entstanden wenig früher als 1200 v. Chr. (Ladendorf 1963, S. 762). Damit ist erwiesen, daß diese kodifizierte Form der Labyrinthdarstellung, in der man fast schon ein Ideogramm ähnlich der Frühform chinesischer Schriftzeichen vermuten möchte, nahezu gleichzeitig mit dem klassischen Labyrinthmythos entstanden ist. (Das Täfelchen fand man in einer Archivkammer des „Nestorpalastes“ zusammen mit anderen Linear-B-Dokumenten. Es ist interessant, daß das Diagramm nicht aus Kreta stammt, sondern zu vermuten, daß es über Kreta berichtete.) Die Labyrinthchiffre ist nach einem formalen Prinzip gebildet, das zweifellos architektonischen Charakter trägt: Sie ist viergeteilt, regelmäßig – rund oder quadratisch – im Umriß, vom „Eingang“ her auf eine Mitte hin ausgerichtet und in der Regel in sieben „Umgänge“ unterteilt. „Sie setzt ein Denken in Grundrissen voraus, ist als Gedankenspiel also mit der Welt der Baukunst und der Baumeister verknüpft (…)“. (Ladendorf, 1963, S. 763) Zunächst der Sinnzusammenhang des Zeichens: Die Labyrinthchiffre verweist in ihren wesentlichen Elementen auf einen Gedankenkreis, der seit ältester Zeit im Kontext der Stadt und ihrer charakteristischen räumlichen Strukturen bedeutend war. So finden wir die Vierteilung als Sinnbild der menschlichen Siedlung in den ägyptischen Hieroglyphen für Stadt und Dorf, in der „Roma quadrata“ der latinischen Zwillinge Romulus und Remus (Szabo, 1931), im römischen „templum“ der innerstädtischen Auspizien (auspicia urbana), in den Signaturen der mittelalterlichen Radkarten und schließlich in den Stadtdiagrammen der hinduistischen S. ilpa S.astras. Quadratische Umrißfiguren sind uns geläufig aus allen mythischen oder idealen Stadtdarstellungen: Die Stadt Ayodhya des Ramayana, die Stadt der Vision des Hesekiel, das himmlische Jerusalem der Apokalypse, sowie zahlreiche Idealstädte des indischen und chinesischen Kulturraumes sind quadratisch. Rund dagegen ist die Messingstadt aus 1001 Nacht, das legendäre Bagdad des Kalifen Harun-al-Raschid und die „runde Tenne“ der bewohnten Welt, die Alexander bei seinem Flug zu den Grenzen des Kosmos unter sich erblickte (Alexanderroman, 1974, S. 41, 12). Auch die sieben ineinanderliegenden Mauerringe sind eine uralte Chiffre für die mächtige Stadt des Mythos und der Sage. Herodot schildert die legendäre Mederstadt Ekbatana mit ihren siebenfachen Befestigungen, und in der Bibel wird berichtet, daß beim Schall der Posaunen die Mauern von Jericho zusammenstürzten, nachdem die Israelisten sie sechs Tage lang umschritten hatten, und am letzten siebten Tage so, „daß sie desselben einigen Tages siebenmal um die Stadt kamen“ (Josua 6, 15). 288
Über diese Zahlensymbolik nachstehend mehr. Hier sei festgehalten, daß eben diese Elemente der Labyrinthchiffre unübersehbar auf die Idee der Stadt verweisen. Wie aber steht es um die zahlreichen Konfigurationen vornehmlich des Mittelalters und der Renaissance, die ebenfalls Labyrinth genannt werden, oft genug auch mit ausdrücklichem Bezug auf die antike Sage, die aber der konventionellen Figur nur in Annäherung entsprechen? Ausgeprägte Abweichungen von der kanonischen Form finden sich zunächst bei den römischen Labyrinthen; in der Regel sind sie als Viergängesysteme ausgebildet, d. h., das Labyrinth teilt sich in vier Felder, die nacheinander abgeschritten werden, bis man schließlich ins Zentrum gelangt. Wir kennen römische Labyrinthe vornehmlich aus zwei Bausituationen, als Schwellenlabyrinthe oder als Grabschmuck. Schwellenlabyrinthe kennzeichnen den Übergang von der rauhen Außenwelt in die Privatheit des Hauses, und man mag hierin ein Anklingen magischer Abwehrdiagramme sehen, wie sie noch heute in den Schwellendekorationen (Kolam) südindischer Tradition ausgelegt werden. Solche Labyrinthe sind meistens zu klein, um abgeschritten zu werden und somit lediglich ein Zeichen, ähnlichen wie die labyrinthische Linienornamentik auf Gefäßen, Münzen, Wandmalereien usw. Große, begehbare oder zumindest leicht mit der Hand zu verfolgende Labyrinthe wurden jedoch häufig im Vestibül ausgedehnter Grabbauten angelegt, wie jenes berühmte Mosaik aus der Nekropole von Susa bei Hadrumentum (Tunis). Die vier Gänge sind hier nochmals in zwei Kammern unterteilt, deren Innere ein Viertel, die äußere dagegen drei Viertel eines Feldes einnimmt. Die gesamte Anlage bildet ein viergeteiltes Quadrat von etwa 3, 30 x 3, 30 m. Dessen Mittelfeld zeigt in Abwehrhaltung die Figur des Minotaurus, wohl schon in Erwartung des rechts in einem Schiff herannahenden Theseus, den die Aufschrift „Hic Inclusus Vitam Perdit“ schrecken soll. Der todbringende Charakter dieser Architektur wird weiter versinnbildlicht durch die gegen den Sonnengang sich drehenden Windungen des Weges, durch die klassische Todesrichtung also. Auch andere römische Monumente bringen das Labyrinth mit Tod und Unterwelt in Zusammenhang, wie jene Stele in Rom, die dem Serapis, einer hellenisierten Form des Osiris, gewidmet ist. So hat Kerenyi gerade aus der Fülle dieser Zeugnisse, literarischer wie monumentaler, das Labyrinth nachdrücklich als mit der Schattenwelt verbunden gedeutet (vgl. Kerenyi, 1950, S. 59). Man würde also die literarische wie archäologische Evidenz zwingen, wollte man in diesen steinernen Feralien ein Abbild der Stadt erkennen. Und doch: Kann es ein Zufall sein, daß die Wesenszüge, 289
in denen sich die römischen Labyrinthe von ihren griechischen Vorbildern unterscheiden, genau jene sind, die auch dem römischen Städtebau gegenüber dem griechischen seine Eigenart verleihen? Das Prinzip der Quaternation, in der man die Orientierung von Cardo und Decumanus zu erblicken glaubt, und die Betonung des Zentrums im Achsenschnittpunkt, wo man sich einen Vierungsbogen des Janus Quadrifrons wünschen möchte, beides ist in den römischen Labyrinthen so viel prägnanter herausgearbeitet als bei den griechischen. Hier begegnen plötzlich wieder der Ager quadratus und seine vier Actus, die Kunst der Limitation als die Seele der römischen Stadtarchitektur. Und in der quadratischen Platte im Zentrum des Labyrinths, geschmückt mit dem „Deus Absconditus Minotaurus“, erkennt man unschwer den lapis niger (oder lapis manalis) über der Mundus-Grube auf dem Palatin, die Romulus während der Gründung Roms aushub und die als Kultstätte der di inferi vor dem Apollontempel bis in die Kaiserzeit erhalten blieb. Diese Stadtmetaphorik der Grablabyrinthe muß sich nicht notwendigerweise auf die Stadt Rom selbst beziehen; sie kann die römische Stadt schlechthin bedeuten (vgl. Storoni Mazzolani, 1970). Denn „Urbs“ – im Unterschied zu „Oppidum“ – hießen alle jene Siedlungen, die nach dem etruskischen Ritus gegründet waren, dem auch Romulus gefolgt war: Der Gründer hob in Persona die Mundus-Grube aus und zog mit dem Pflug, vor den Ochs und Kuh gespannt waren, eine Furche entlang dem Verlauf der Mauern, die nur dort unterbrochen war, wo nach den vier Himmelsrichtungen die Stadttore liegen sollten. Wir haben Schwierigkeiten, diese archaischen, Fruchtbarkeit und Leben andeutenden Riten, vollzogen in der Gemeinschaft der Lebenden, mit dem römischen Labyrinth als der Stätte der Toten in Verbindung zu bringen. Indessen lag im römischen Denken beides nahe beieinander, ganz gewiß in der Frühzeit des römischen Königtums; und wir wissen, daß auch die Republik von diesen Traditionen nicht abließ, ja, daß sie selbst dem orientalischen Eklektizismus der späten Kaiserzeit noch immer geheiligte Erinnerung blieben. So wird überliefert, daß sich unmittelbar vor den Toren der Romulusgründung auf dem Palatin eine etruskische Nekropole erstreckte, die das genaue Gegenstück zur Stadt der Lebenden war, die „urbs prima condita“ also eine Doppelstadt von symmetrischer Gestalt war – „daß die Vorstellung ,Stadt‘ für jene Epoche eine Dualität umfaßt, die Lebende und Tote umschließt, beide Hälften mit den gleichen Denkmälern ausstattend“ (Müller, 1961; vor allem Duhn, 1926; Castagnoli, 1969). Diese historische Tatsache hat im Gründungsmythos Roms ihre 290
archetypische Gestaltung erfahren: Während Romulus die Stadt gründet, erschlägt er seinen Zwillingsbruder Remus. Ein letzter Gedanke drängt sich im Betrachten der römischen Grablabyrinthe auf, wenn wir annehmen, daß sie den Gegenbegriff der Stadt, die Stadt der Toten, der Vernichteten repräsentieren, unbelebt aber nach analogen Prinzipien gebaut. Es war römische Kriegspraxis, die eroberten und zerstörten Städte der ärgsten Gegner dem Erdboden gleichzumachen und anschließend unter den Pflug zu nehmen. Wir haben kein erhaltenes Beispiel, natürlich, sondern nur vage, dichterisch überhöhte Quellen (Hor. od. 1, 16, 20) eines solchen Vorganges. Aber wie würde man eine vernichtete Stadt so unterpflügen, daß auch der bestellte Acker noch die Stadt unter seinen Furchen verrät? Denn nur so bliebe der Triumph des Siegers dauerhaft sichtbar. Mundus, Cardo, Decumanus und Pomerium würden von der Pflugschar nicht berührt, und beginnend im Zentrum würde ein Viertel nach dem anderen gepflügt, so daß die Furchen sich nicht kreuzen, bis der Pflug schließlich zur Porta Praetoria gelangt. Und eine solche endlos lange, sich nie überschneidende Furche vom Tor über die vier Viertel bis ins Zentrum entspräche den römischen Grablabyrinthen – Stadtmetaphern zwar, nicht aber der Stadt des Romulus, sondern vielmehr derjenigen des Remus. Das römische Labyrinth lebt zunächst in der frühchristlichen Tradition fort, in der es auch die für die späte Überlieferung charakteristische eschatologische Umdeutung erfährt (Reparatus Basilika, Orleanville); aber dann gewinnt es eine grundlegend neue Gestalt, die zum ersten Mal auf dem Vorsatzblatt einer Schrift des 9. Jahrhunderts dargestellt ist: Eine kreisrunde Scheibe wird konzentrisch in zwölf Windungen eines Ganges umfahren, wobei das Wegesystem durch vier konzentrisch ineinanderliegende Ringe in vier Abschnitte gegliedert ist. Ladendorf bringt die Rundform mit der Grabeskirche in Jerusalem in Verbindung, deren Kern eine von Konstantin über dem Heiligen Grab errichtete Rotunde war, die im frühen Mittelalter mehrfach nachgeahmt wurde. Nach Palästina weist auch ein anderes Buchlabyrinth aus dem 12. Jahrhundert (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14731, fol. 82 u. 83, bei Krause 1893, S. 62), in dem ein bohnenförmiges Umgangssystem mit der Stadt Jericho verglichen wird, für die nach Hieronymus galt: „Urbs Jericho lunae fuit assimilata figurae“, und hieraus ergibt sich eine Sinnbeziehung zwischen den siebenfach umschrittenen Mauern des alttestamentarischen Jericho, dem Mond mit seinen wechselnden Phasen als Gleichnis der Unbeständigkeit, und dem Labyrinth als hin und her sich 291
schlingendes Wegesystem (vgl. Grape, 1975; zu den Buchlabyrinthen allgemein vgl. Haubrichs, 1980). Und schließlich ist hier noch eine griechische Sammelhandschrift alchimistischer Traktate aus dem 11. Jahrhundert zu erwähnen, die die Darstellung eines viergeteilten Labyrinthes des gleichen Typus enthält, mit dem Unterschied allerdings, daß man vom Eingang zunächst auf den mittleren Gang gelangt, diesen ganz abschreiten muß, um dann über den dritten, ganz innenliegenden und zum Schluß über den ersten, äußeren ins Zentrum vorzudringen (Blatt 102 d. griech. Sammelhandschrift d. Bibl. Marciana, Venedig, bei Ploss, 1970, S. 19). Das Manuskript ist mit „Labyrinth des Salomon“ überschrieben, und darunter ist wohl nicht nur die alchimistische Vorstellung von der unendlichen Existenz und Wandelbarkeit der Materie zu verstehen (Ploss, 1970, S. 18), sondern vor allem Salomons Tempel, das Urbauwerk und der Inbegriff des Bauens in der biblischen Tradition. Wenn auch die Beischrift hierzu stumm bleibt, so erklärt sich doch die eigenartige Konstruktion der Gänge, die den Weg zuerst über die mittleren, dann über den dritten und zuletzt über den ersten ins Zentrum führt, um so deutlicher. Denn in Könige I, 6–8 lesen wir: „Eine Thür aber ward an der rechten Seite mitten am Hause, daß man durch Wendelsteine hinaufging auf den Mittelgang und vom Mittelgang auf den dritten.“ Man sieht, die alchimistische Skizze entspricht genau dieser Textstelle. Es kann nicht verwundern, daß Salomons Tempel, aus edelsten Materialien und Kostbarkeiten errichtet und so kunstvoll zusammengesetzt, „daß man keinen Hammer noch Beil noch irgendein Eisenzeug beim Bauen hörete“ (Könige I, 6, 7), den Alchimisten als Sinnbild ihres eigenen Bemühens erscheinen mußte, das Gefüge der Welt und ihrer Elemente zu begreifen und die Bildung ihrer Schätze nachzuahmen, ein Bemühen, bei dem ebenfalls Hammer und Eisenzeug nicht helfen konnten. Aber nicht nur die Alchimisten, auch anderen Werkleuten war Salomons Tempel ein Symbol ihrer Kunst, vor allem den Baumeistern der großen Kathedralen, die die Tradition ihrer Bauhütten selbstbewußt von den Zidonischen Gilden herleiteten, die Salomon für den Tempelbau nach Jerusalem gebeten hatte (I Könige I, 5, 6). Damit bringt uns das alchimistische Zeichen zu einer der faszinierendsten Gestaltungen des Labyrinthtopos: zu den hochgotischen Kathedrallabyrinthen. Aus Frankreich sind solche Labyrinthe besonders zahlreich überliefert, wenn auch nur ein einziges in Chartres erhalten geblieben ist. Aber es kann als sicher gelten, daß auch die anderen großen Kirchen Labyrinthe 292
enthielten (Kern, 1981, S. 183–218); aus Amiens, St. Quentin, Reims, Bayeux, Sens, St. Bertin (in St. Omer) und Poitiers liegen uns genaue Pläne vor (Katalog bei Kern, 1981, S. 196 ff.). Die meisten dieser Labyrinthe wurden im 18. Jahrhundert auf Anordnung der Kirchenherren zerstört, da sie spielenden Kindern als Hüpfmuster dienten und dies mit einem neuen Begriff von der Heiligkeit des geweihten Ortes, der ironischerweise in der strengen aufklärerischen Scheidung von Sakralem und Profanem seine Wurzeln hat, nicht länger vereinbar schien. Höchst interessant sind die überlieferten Bezeichnungen der Figuren, die mit „Maison de Dalus“ (= Daidalos), „Maison de Dedale“ (Daedale) oder „Méandre“ auf das mythische Labyrinth der Antike anspielen, aber mit „Jerusalem“, „Chemin de Jerusalem“, „La Lieue“ oder „Ciel“ (für den Mittelstein) auf eine unabhängige christliche Tradition verweisen. Interessant ist ferner die Mitteilung des Seigneur de Caumont in seiner „Voyage d’oultremere en Jerusalem“, daß zu seiner Zeit (1485) die Bezeichnung „Cité de Troie“ ganz allgemein an die Stelle der älteren – „Labyrinth“ – getreten war (Matthews, 1970, S. 156), sowie die Bemerkung Didrons (1806–1867), daß auf dem Athos sich eine Tradition erhalten hatte, nach der die Figur der Kirchenlabyrinthe „Gefängnis Salomons“ genannt wurde (vgl. Krause, 1893, S. 96; Branner, 1962, S. 19). Dies alles deutet auf ein vielschichtiges Symbolgeflecht hin, das sich wohl kaum auf eine einzige Deutungsformel reduzieren läßt, und deshalb kann man den zahlreichen Bemühungen, dies dennoch zu wagen, nur wenig Geschmack abgewinnen (z.B. Lecocq, 1873). Die bekannten Kirchenlabyrinthe gehen bei aller Verschiedenheit in Größe, Material und Detailausbildung der Linienführung auf ein gemeinsames Schema zurück, das weitgehend mit dem alchimistischen Diagramm des Salomonischen Labyrinths oder den erwähnten Bücherlabyrinthen übereinstimmt. Alle französischen Beispiele sind so groß, daß sie begehbar sind, und natürlich liegt die Vermutung nahe, daß sie auch tatsächlich abgeschritten wurden, nicht nur von hüpfenden Kindern im Spiel, sondern von gläubigen Christen in rituellem Ernst. Wie dies aber geschehen ist, wissen wir nicht. Man hat die Labyrinthe im Sinne der christlichen Heilslehre gedeutet, als Irrungen des Menschen in dieser Welt, der nur über Verstrickung und schuldhafte Umwege zu seinem Frieden in Christo findet, man hat Bußwege darin gesehen, die reuige Sünder auf ihren Knien zurücklegten (Géruzez, J.B.; Description Historique et Statistique de la Ville de Rheims, 1817, vol. I, S. 316), man hat es 293
mit geistlichen Spielen (Ladendorf, 1963, S. 785) oder mit ins Kircheninnere gewanderten nordischen Frühjahrsreigen (Krause, 1893, S. 98) in Verbindung gebracht. Dies alles wird in unterschiedlichen Graden ihrer Nutzung und Bedeutung wahrscheinlich entsprechen, wenn auch die im Vordergrund stehende Erklärung als Weg einer Bußwallfahrt auf Knien sich dem Klischee eines weltabgewandten, lustfeindlichen Mittelalters nähert, wie es das ausgehende 19. Jahrhundert pflegte. Alle diese Interpretationen erwähnen nur ganz beiläufig, daß sich in Reims, Chartres und Amiens Darstellungen der Kathedralbaumeister an den prominentesten Stellen der Labyrinthe erhalten haben – in Amiens und Chartres auf dem Mittelstein, in Reims in den vier Nebenzentren – was mir eine Perspektive zu eröffnen scheint, die schon in der Struktur dieser Figuren angelegt ist, die in ihren eigenartigen Bezeichnungen wieder anklingt, und die durch zahlreiche Details ihrer Ausführung belegt wird, daß nämlich unabhängig von einem möglichen kultischen Zweck auch diese Kirchenlabyrinthe die Urbedeutung des Labyrinthes bewahren, die Architektur der Stadt zeichenhaft darzustellen. Der Bau der Kathedralen und der Beginn des planmäßigen, eine regelhafte Gesamtfigur anstrebenden mittelalterlichen Städtebaues fallen zeitlich zusammen, und beide unterscheiden sich grundlegend von ihren Vorläufern, der neue Kirchentyp von den romanischen Großbauten ebenso, wie die gotische Planstadt von dem frühmittelalterlichen Siedlungsgefüge aus vicus und burgum. Der geographische Raum, in dem sich dieser Umbruch vollzieht, liegt genau zwischen dem Bereich städtischer Wüstung nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches und dem Bereich fortlebender antiker Kultur, in dem Raum zwischen Seine und Rhein also, in dem zahlreiche antike Siedlungen wüst lagen, andere aber der Standortgunst wegen fortbestanden, und in dem insgesamt die Stadt als Lebensform nicht gänzlich in Vergessenheit geraten war. Der mittelalterliche Neubeginn kann hier unmittelbar auf noch vorhandenen Resten aufbauen, ohne jedoch durch ein zu mächtiges Erbe im Bauen und Denken behindert zu sein. Amiens erlebt eine neue Blüte im Ausbau seiner von den Karolingern übernommenen fiskalischen Funktion als Zollstätte (Ennen, 1972, S. 52), Chartres verdankt seinen Aufschwung der kirchlichen Organisation, die es im 11. Jahrhundert zu dem bedeutendsten Wallfahrtsort Frankreichs entwickelt (Ennen, 1972, S. 9), und Reims, in der östlichsten Tasche der französischen Königsdomäne gelegen, floriert seit der Erhebung zum Sitz eines Erzbischofs (1138) und wird Krönungsstadt der französischen Könige. 294
Diese Namen können mutatis mutandis für die gesamte Stadtregion nördlich der Alpen stehen; hier bildet sich in zahlreichen Neugründungen und Erweiterungen des 12. Jahrhunderts ein städtischer Raumtypus heraus, den man als „gotische Planstadt“ gekennzeichnet hat (Müller, 1961, S. 58, 59). „Als Hauptmerkmale der gotischen Städte fallen Vierteilung und Straßenkreuz auf. Die Quadrierung des Stadtareals beeinflußt die Organisation der Bürgerschaft, das Straßenkreuz dagegen ordnet die Baublöcke. Beide Elemente greifen ineinander, wenn auch nicht immer. Der Mauerumriß neigt in Frankreich und dem angrenzenden Süddeutschland zum Rechteck, tendiert in Mittel- bzw. Norddeutschland zu verrundeten Formen und geht im östlichen Kolonisationsgebiet zu Kreisanlagen über.“ (Müller, 1961, S. 59) Nach den Städtewüstungen der Völkerwanderung, nach den wiederholten Einfällen der Sarazenen und Normannen im westfränkischen Reich, nach der Reichsreform der Kapetinger (seit 987), die die Voraussetzung für das Wiedereinsetzen städtischer Siedlung geschaffen hatte, bedeutete diese Entwicklung, daß nun zum ersten Male wieder seit der Vernichtung der römischen Stadtkultur die Stadt als räumliche Einheit geplant und gebaut wird und damit eine ganzheitliche Gestalt erhält, die den additiven Siedlungen der kapetingischen Konsolidierungsphase noch nicht zu eigen ist. Dies äußert sich in der häufigen Planung von Laubengängen entlang der Hauptstraßen, im Bau geschlossener giebelständiger Häuserfluchten und nicht zuletzt auch im Mauerbau, auf dessen architektonische – nicht allein wehrtechnische – Begründung ja häufig genug hingewiesen worden ist (Gruber, 1952, S. 47). Und in den Stammlanden der französischen Krone, in denen zuerst die wiederhergestellte Ordnung auf französischem Boden fruchtbar werden sollte, zeigte sich diese neue Auffassung eines ganzheitlichen dreidimensionalen Stadtkörpers in der Errichtung gewaltiger Kathedralen, die den Ordnungsgedanken des quadrierten Grundrisses – und das heißt ja auch: des bedeutsamen Zentrums – in die Silhouette trugen und die man deshalb nicht zu Unrecht „Stadtkronen“ genannt hat. „Strzygowski hat mehrfach darauf hingewiesen, wie stark gerade die mittelalterliche Architektur solche Nabelpunkte heraushebt; (…) Dom und Münster als gewaltige Massen hoch über die Dächer emporstrebend, verkörperten Weltbergvorstellungen; das Stadtbild (…) spiele in kosmologischen Lichtern mit seinem Steingebirge in der Mitte.“ (Müller, 1961, S. 114 zit. Strzygowsky, J., Spuren indogermanischen Glaubens in der bildenden Kunst, Heidelberg 1936) Wir sehen also die Labyrinthe in den gotischen Kathedralen im Zuge einer zweiten europäischen Stadtwerdung 295
auftauchen, die nicht weniger überwältigend über die Zeitgenossen gekommen sein muß als die erste der Antike. Und wie diese sich im klassischen Labyrinthmythos selbst deutete, so mögen auch die Bodenlabyrinthe im Langhaus der Kathedralen, in der innersten Kammer dieses neuartigen Städtekosmos also, ihre Bauprinzipien und ihre Einordnung in den größeren Zusammenhang chiffrenhaft dargestellt haben. Vieles spricht dafür, daß dies eine mögliche Deutung ist: Die bekannten, jetzt einander ausschließenden Interpretationen als Prozessionsweg, Pönitentium, Tanzplatz, Maurersymbol oder Weltenbild ergänzen sich dann zu einem sinnvollen Ganzen, und viele bisher unbeachtete Details ihrer Zahlensymbolik und formalen Ordnung erweisen sich in ihrer Polyvalenz als Bindeglied der verschiedenen Bedeutungsebenen. Die gewaltigen Dimensionen der Planungs- und Baumaßnahmen der Gotik verlangten eine grundlegende neue Arbeitsorganisation und erforderten von der Sache her eine Autorität des Baumeisters, wie sie bis dahin nur geistliche und weltliche Obrigkeit unter Berufung auf den göttlichen Willen beansprucht hatte. Zweifellos mußte eine solche Autorität, die in dem ständischen Legitimationsgefüge nicht verankert war, auf andere Weise hergeleitet werden. So kann das Labyrinth als ikonographischer Ort der Baumeisterdarstellung als deren Gleichsetzung mit dem Erzbaumeister Daidalos verstanden werden, der der Zunft durchaus im Sinne einer Geschlechterfolge die Legitimität zur Ausübung ihrer tatsächlichen Macht verlieh. Anders als über eine solche „Erbfolge“ war dem Zeitgenossen wohl kaum eine Autorität zu erklären, die ihn mit Verpflichtung zu Hand- und Spanndienst oder zur Stiftung einer Servitude, wenn er von Stand war, durchaus persönlich betraf, und nicht nur einzelne, sondern Tausende kamen und gingen auf eines niedrigen Laienmeisters Befehl (vgl. Kaye, B., The Development of the Architectural Profession in Britain, London 1960). Die schon erwähnten Anspielungen auf die biblische Schilderung des Templum Salomonis, die die höchst bemerkenswerte Windungsfolge in den wichtigsten Labyrinthen nahelegt, zielt in eine ähnliche Richtung, allerdings nicht auf Person und Autorität der Baumeister, sondern auf die universale Gültigkeit des von ihnen verwendeten kreisgeometrischen Maßsystems. Salomons Tempel galt – wie etwa auch die biblischen Maßangaben zur Arche Noah – als von höchster Autorität bestimmtes Vorbild für Maß und Proportion. In Chartres zum Beispiel sind die sechzig Nischen am äußeren Rand des Labyrinths gleichzusetzen mit den sechzig Ellen, die das Buch der Könige als Außenlänge des Tempels wiedergibt. Und die Verbindung der Baumeister auf der Mittelplatte mit dem Laby296
rinth, das sich so als Produkt aus beiden mittelalterlichen Traditionen, der antiken wie der biblischen, erklärt, will nicht weniger heißen, als daß hier dem verbindlich niedergelegten Kanon und der durch biblische Überlieferung geheiligten Bautradition gefolgt wurde: ein Haus Gottes, wie es Salomon auf ausdrückliches Verlangen Jehovas errichtet hat, in dem nichts willkürlich erfunden worden ist, sondern sich alles aus der kanonischen Ordnung entwickelt. (Zur Bedeutung von Salomons Tempel für den mittelalterlichen Kathedralenbau siehe Ohly, 1977.) Kirchenlabyrinthe kann man lesen wie ein „jeux de lettres“ – jedes ihrer Zeichen verbindet sich in jeder Richtung mit jedem anderen zu einer sinnvollen Aussage. So tritt neben die chiffrierte Genealogie der Baumeister und die kanonische Begründung ihres kreisgeometrischen Maßsystems als dritte die Ableitung von Vierung und Mittensinnbild, die der Einordnung des Kathedralbauwerks in den Stadtraum zugrunde liegen. Auch dieses neue architektonische Prinzip der Gotik wird im Labyrinth als Verschmelzung von antiker Tradition und biblisch kanonisierter Ordnung gedeutet, als die Fortführung der Kunst der Alten in Übereinstimmung mit dem geoffenbarten Modell. Die Windungen des Labyrinthes und die zwölf Mauern des Himmlischen Jerusalem, die Vier Ecken der Welt, die Vierteilung der Stadt, des Weges und der Mittelplatte mit ihren vier Baumeistern, der Sechspaß im Zentrum und die sechs Tore des Weltmittelpunktes Jerusalem, die sechzig Ellen des Salomonischen Tempels und die sechzig Nischen des äußeren Ringes – dies alles ist hier in Übereinstimmung und Entsprechung eine unauflösliche Verbindung eingegangen, die das grundlegend Neue als Fortführung des Alten begreiflich machen will. Man ist bemüht, der eigenen Praxis eine ehrwürdige Tradition zu errichten. Daß dies als Gleichnis und Gleichsetzung geschieht, als beinahe monomanisches Bemühen um Übereinstimmungen, ist ein charakteristischer Ausdruck mittelalterlicher Eigenbegrifflichkeit, die jenen Vorstellungswelten sehr nahesteht, über die Cassirer bemerkt: „Das mythische Bewußtsein (…) ,hat‘ den Gegenstand nur, indem es von ihm überwältigt wird, es besitzt ihn nicht, indem es ihn fortschreitend für sich aufbaut, sondern es wird schlechthin von ihm besessen“ (Cassirer, 1964, II, S. 94). Und an anderer Stelle: „Es geht ihm darum, ,die Isolierung des unmittelbar Gegebenen zu überwinden – zu begreifen, wie alles Einzelne und Besondere sich zum Ganzen webt‘. Und als konkrete Ausdrücke dieser ,Ganzheit‘ erweisen sich (…) die Grundformen des Raumes und der Zeit, denen sich als dritte die Form der Zahl zugesellt, in der die Momente, die in 297
Raum und Zeit gesondert auftreten, das Moment des ,Beisammen‘ und des ,Nacheinander‘ sich wechselseitig durchdringen.“ (a. a. O., S. 101) Ganz sinnfällig geschieht dies Begreifen solcher Koinzidenz und Gleichzeitigkeit im Abschreiten des Labyrinthes, das sich somit als eindringlichste Lesart dieser Vorstellungswelt erweist: als Modell einer Praxis, die in räumlichen Gesten die reale und die vorgestellte Welt zu erfassen versucht und die in Prozessionswesen, Mysterienspielen und Maskenzug, in den rätselhaften Veits- und Totentänzen (Böhme, S. 45) und anderen Wesenszügen mittelalterlicher Stadtkultur eine reiche Entfaltung erfahren hat (vgl. Schnapper, 1963). Zweifellos lassen sich gegen diese Auffassung der Kirchenlabyrinthe als Stadtchiffren zahlreiche Argumente vorbringen. Am gewichtigsten ist wohl ein Hinweis auf das gleichzeitige, wenn nicht gar frühere Auftreten von Labyrinthanlagen, die mit der städtischen Kultur des Mittelalters absolut nichts zu tun haben, die Rasenlabyrinthe und Steinsetzungen Nordeuropas nämlich. (Zu indischen Parallelen siehe Jagor, o. J.) Solche Labyrinthe finden sich in allen germanischen Ländern, auf den britischen Inseln und im Bereich des bottnischen Meerbusens. Über ihren Gebrauch gibt es keine zuverlässigen Überlieferungen, doch steht wohl fest, daß sie mit Frühlingsfesten und -reigen in Verbindung zu bringen sind (Krause, 1893, passim). Diese Labyrinthe, die in England häufig sehr genau dem Anlageschema französischer Kathedrallabyrinthe entsprechen (z. B. Julian’s Bower in Alkborough, Lincolnshire) und im Baltikum verblüffend mit der klassischen Form übereinstimmen (z. B. Wisby), liegen außerhalb der Siedlungen auf freiem Feld, offensichtlich als Tanzplätze, die lediglich zu ihren heiligen Zeiten aufgesucht wurden. Städtisches Leben und städtisches Bauen liegt hier noch fern, selbst als ständige Einrichtung einzelner Dorfgemeinschaften sind sie kaum denkbar, sondern eher als kultische Mitte verstreuter, weit auseinanderliegender Siedlungen, in der sich eine lose verbundene Sozietät periodisch zusammenfand (Krause, S. 893). Gerade deshalb muß es umso mehr verwundern, daß diese rätselhaften Setzungen und Rasenschnitte ausnahmslos unter Benennungen bekannt sind, in denen städtische Vorstellungen anklingen, so als ob sie als ferne Erinnerung nachwirkten oder sogar aus dem bloßen Hörensagen entstanden wären. So heißen die englischen Rasenlabyrinthe „Rosamond’s Bower“, „Julian’s Bower“, „Caer Droia“, „Troy Town“, oder auch „Walls of Troy“. „Bower“ oder „Bowe“ ist vom Angelsächsischen „buan“ = Wohnen abgeleitet. In Chaucer’s Sprachgebrauch bedeutet „Bower“ so viel wie Wohnhaus, was 298
später auf „Wohnhaus des Königs“, „Privatresidenz“ eingeengt wurde (Matthews 1970, S. 165 und S. 173 f). „Rosamond“ bezieht sich auf eine Legende, nach der Henry II. (1133–1189) seine Mätresse „Fair“ Rosamond in einem Labyrinth, „Bower“ genannt, vor seiner eifersüchtigen Gattin Eleanore von Aquitanien verborgen hielt (Matthews, 1970, S. 169). Mit „Julian“ ist der Heilige Julianus gemeint, der als der Gute Herberger bekannt ist, der den müden Wanderer gastfreundlich bei sich aufnimmt (Legende in Matthews 1970, S. 174). „Caer Droia“ oder „Caer y Troian“ heißen die Rasenlabyrinthe in Wales, die die Schäfer gelegentlich auf ihren Weiden anlegten. „Caer Droia“ bedeutet „Stadt Troja“, „Caer y Troian“ „Stadt der Wendungen“. „Troy Town“ oder „Walls of Troy“ braucht nicht weiter erklärt zu werden: Wieder taucht der Name der mythischen Stadt auf, und man fragt sich, wie er mit dem welschen Schäferspiel in Verbindung gebracht werden konnte (Ableitungen siehe Krause, 1893; Winter, 1929; Matthews, 1970). Am meisten müssen jedoch die Labyrinthe des Ostseeraumes und des Murmannengebietes erstaunen, die zu ihrer Entstehungszeit weitab von jeder städtischen Zivilisation lagen, und die schon lange, bevor in diesem Gebiet Städte gebaut wurden, nach legendären Städten benannt wurden: „Ruinen von Jerusalem“, „Stadt Niniveh“, „Babylon“, „Lissabon“, „Trojaburg“ sind gebräuchliche Bezeichnungen, und es fällt auf, daß darin Anspielungen auf die sprichwörtlichen Städtezerstörungen der Überlieferung enthalten sind. Über die Bedeutung dieser Namen ist viel gerätselt worden (Krause, 1893, S. 19, 25), ohne daß man einen Schlüssel gefunden hätte. Begnügen wir uns also mit der Feststellung, die für sich ja schon einfach verblüffend ist, daß hier in so enormer räumlicher und zeitlicher Distanz von der antiken Welt der stadtmetaphorische Charakter des klassischen Labyrinthes, gebunden an die klassische Labyrinthfigur und ihre traditionelle Benennung, wieder auftaucht. Als letzter Labyrinthtyp bleibt das Gartenlabyrinth zu erwähnen, das sich in Renaissance und Barock großer Beliebtheit erfreute. Es unterscheidet sich von allen vorherigen Labyrinthfiguren dadurch, daß hier die gewundene, aber eindeutige Linienführung zum Zentrum zugunsten eines Irrgangsystems aufgegeben wurde. Dies entspricht durchaus ihrer Zweckbestimmung als Vergnügungseinrichtung höfischer Kultur, die nicht länger kosmologische Spekulation versinnbildlichen sollte, sondern einfach der Zerstreuung dient. Damit verlieren sich auch die bedeutungsschweren Namen, die auf die große Architektur der Stadt oder selbst der Welt und des Universums anspielen. Vereinzelt werden jedoch solche Erinnerungen 299
flüchtig geweckt, wenn etwa Jan Vredeman de Vries die Labyrinthe seines Gartenlehrbuches „Viridariorumque Formae“ (1583) „Ionica“ oder „Corinthia“ nennt (Vredemann, 1583, Taf. 14–27). Und ein letztes Mal taucht der Name Troja in einem Gartenlabyrinth am Kensington Palace auf, das als Festungsmodell gebaut war, an dem William III. die Belagerungskunst erlernte; es hieß „Siege of Troy“ (Matthews, 1970, S. 130). Die Formenvielfalt der Gartenlabyrinthe ist außerordentlich groß und in einer reichhaltigen Primär- und Sekundärliteratur bearbeitet (siehe auch Hempelmann, 1926; Glogau, 1941; Lerouge, 1776–1786; Mailly, 1925; Maßmann, 1844). Wir können sie hier vernachlässigen; stattdessen müssen wir uns einem anderen Problem zuwenden: Im 16. und dann besonders im frühen 17. Jahrhundert tauchen die Gartenlabyrinthe in den sogenannten „Maschinenbüchern“ auf und damit in einem Zusammenhang des theoretischen Denkens, der aufs engste mit unserer Frage nach der Bedeutung der Gartenlabyrinthe dieser Zeit verbunden ist. Stöcklein erwähnt neben ihrer Behandlung in den einschlägigen gartenkundlichen Werken der Zeit selbst entlegene Titel wie Johan Valentin Andreas „Astronomia“ (1614), und diese thematische Verbindung muß uns aufhorchen lassen (Stöcklein, 1969, S. 55). Die „Maschinenbücher“, um die es sich hier handelt, sind nicht nur technische Anleitungen zur Konstruktion neuer mechanischer Geräte, was sogar eher eines ihrer Randthemen ist, sondern sie sind breit angelegte Reflexionen des Mechanischen überhaupt, eine systematische Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Stöcklein, 1969, S. 33, Definition der Maschine). Unter „machina“ vesteht das 16. und 17. Jahrhundert nicht nur jeden Kunstgriff, jede List, Ränke oder Machenschaft bei Hof und in der Politik, nicht nur die äußeren Mittel, die solche Kunstgriffe ermöglichen, die „Maschinen“ im modernen Sinne, sondern auch die komplexen Gebilde der Natur und die Schöpfungen des Menschen, seine Organisationen, seinen Staat und seine Städte (Stöcklein, 1969, S. 33). Schon das Mittelalter sah in seinen Ziergärten ein Idealbild der natürlichen und künstlichen Welt (siehe Charageat 1955; auch Stöcklein, 1969, S. 53), der Welt vor dem Sündenfall, wie sie in den Anschauungen vom Paradies klare Konturen bewahrt hatte, und der von der Erbsünde verderbten Welt, die der Mensch mit seiner Arbeit und seiner Kunst in kleinen Schritten diesem Ideal wieder anzunähern suchte. Noch im 17. Jahrhundert war diese Vorstellung lebendig. Ein Großteil der Abhandlungen in den Maschinenbüchern, die sich mit der Gartenkunst befassen, ist der Konstruktion von Anlagen gewidmet, die die Illusion 300
des Paradiesgartens herstellen sollten: hydraulische Anlagen für die beliebten Wasserkünste, die das Bild des von reichen Wassern durchzogenen Gartens Eden oder vom Born des Lebens assoziieren sollten (Stöcklein, 1969. S. 55). Oder sie handeln von Orangerien und Gewächshäusern, deren Bau durch die entwickeltere Glasherstellungstechnik möglich geworden war (Mumford, 1934, S. 124) und die der höfischen Gesellschaft den Wunsch nach einer paradiesischen Umwelt, in der das Leben kein Ende kennt, in der es blüht und wächst, „wenn im Winter vor Frost und Kälte alles erstorben“ (Salomon de Caus über die „Herrlichen Paradies-Gärten“ der Heidelberger Anlagen, zit. n. Stöcklein, 1963, S. 54), wenigstens in der Illusion erfüllen sollten. Wenn nun im 17. Jahrhundert neben diesen seit dem Mittelalter bekannten, immer nur weiter verfeinerten geometrischen Ziergärten zunehmend Gartenlabyrinthe angelegt werden, so ist auch dies zunächst noch ganz der Vorstellung zuzuordnen, die schon für den Paradiesgarten gilt: ein Sinnbild der Welt, die der Mensch in diesem begrenzten und von ihm ganz kontrollierten Raum mit seiner Arbeit dem ursprünglichen Schöpfungszustand wieder näher bringt und von den Mängeln befreit, die der Sündenfall über sie gebracht hat. Zugleich aber bedeutet die Tatsache, daß die Formen des Kunstgartens immer häufiger in labyrinthischen Figuren und bevorzugt als Irrgang angelegt werden, auch eine Erweiterung der alten Vorstellung. Die Welt ist komplizierter geworden, die natürliche Welt, über deren komplexe Gesetze die Naturwissenschaften immer schwieriger zu fassende Zusammenhänge in Erfahrung gebracht haben, und auch die vom Menschen geschaffene Welt, seine komplizierten Organisationen, seine immer verfeinerteren Techniken zur Erwirtschaftung der Lebensgrundlagen und seine immer größeren und komplexeren Städte. Die Gartenlabyrinthe als Sinnbild der natürlichen und künstlichen Welt spiegeln diese zunehmende Verkomplizierung wider. Sie sind ein Garten, den der Mensch bestellt, zugleich aber auch eine „machina“ im umfassenden Sinne der Zeit, deren Gesetze er nur ahnt und die auch dort mit Rätseln behaftet bleibt, wo er sie zu handhaben weiß. Soweit läßt sich die Bedeutung der Gartenlabyrinthe und Irrgänge aus der Tatsache ableiten, daß sie in den bekannten Vorstellungskreis um den künstlerischen, vor allem höfischen Ziergarten eingefügt und in den Maschinenbüchern, den Theorien der Weltmechanik in Natur und Menschenwerk behandelt werden. Es gibt aber auch literarische Zeugnisse, die diesen Zusammenhang ausdrücklich belegen, indem sie auf die sich wan301
delnde stadtmetaphorische Bedeutung des Labyrinths eingehen. Einzelne Erwähnungen wollen wir hier außer acht lassen (Stöcklein, 1963, zit. mehrere Quellen S. 56) und uns einem Werk zuwenden, das das Thema in aller Breite abhandelt: Georg Stengels erbauliches Buch „Labyrinthi ab Aegyptiis positi laudes, cum Mundi a Deo conditi economiis expensae“, das 1628 in Ingolstadt erschien und dem 1630 ein zweiter Teil mit dem Titel „Labyrinthi ab Aegyptiis structi fraudes, cum Mundi a Diabolo seducti periculis collatae“ folgte. Zunächst geht Stengel ausführlich auf die Vergleichbarkeit der Welt mit dem Labyrinth ein: „Das Labyrinth ist wahrhaftig das Bild der Welt, vor allem in seinem unsicheren Ausgang und Ende, denn unsicher, wie im Labyrinth, ist in der Welt Anbeginn und Untergang.“ (Stengel, 1628, Caput I) Beide sind merkwürdige Werke ihres Schöpfers und ähneln sich in ihrer Bestimmung „Majestas, Securitas, Difficultas“ (Caput X). Auch die Seligkeit des himmlischen Paradieses als Ziel des Weges durch die Welt ist nach Stengel vorgebildet im innersten Geheimnis des ägyptischen Labyrinths: dem Thron des Königs (so Stöcklein, Zusammenfassung, 1963, S. 56). Und deshalb „können wir durch die Welt ihren Schöpfer, durch das Labyrinth aber die Welt erkennen“ (Stengel, 1628, S. 29) „– mundum hunc tamque immensam terrae coelisque machinam“ (Stengel 1628, S. 40). Dann aber geht er ausführlich auf die Ähnlichkeit des ägyptischen Labyrinths mit den legendären Städten der Bibel ein, mit Babylon und Niniveh, die man wegen ihrer hervorstechenden Merkmale „Riesenhaftigkeit, Festigkeit, Höhe, besonders auch wegen ihres Schmuckes und ihrer Zweckmäßigkeit“ loben müsse, das Labyrinth noch insbesondere wegen seiner Rätselhaftigkeit (S. 57). Dies alles aber lasse keinen Vergleich mit dem biblischen Ideal des himmlischen Jerusalem zu, von dem selbst das Labyrinth nur eine „schattenhafte“ Ahnung sei und Babylon, berühmt für seine Größe, nur ein unbedeutendes Partikel (S. 54). Am Schluß des achten Kapitels beschreibt Stengel dann das Labyrinth unter Berufung auf Plinius und Strabo noch einmal als eine über alle Vorstellung raffinierte, sichere und feste Stadt, die aber dennoch nicht von Sünde und menschlichem Elend verschont geblieben sei: „Woraus folgt, daß es auf Erden keine noch so feste Stadt geben kann, in die nicht die Schuld eindränge, keinen noch so sicheren und gut bewachten Ort, in den sich nicht Lug und Trug einschleichen könnten.“ (Cap. VIII, 4–13, S. 243) Stengel versteht das Labyrinth also in diesen Passagen als den Inbegriff der klug und sorgfältig gebauten Stadt, die sich die Menschen zu ihrer Sicherheit und zu geordneter Lebensführung gegen den Trug der Welt 302
errichten, ein Unterfangen, das scheitern muß, denn in allem Menschenwerk ist der Keim des Unheils enthalten – gerade in den so umsichtig ersonnenen Städten, wie er mit einem Seitenblick auf das biblische Schicksal Babylons und Ninivehs zu erinnern weiß, die ihren Bewohnern zum Verderben wurden. Hier klingt unüberhörbar eine negative Besetzung der Stadt durch, die auch vor ihrer halb mythischen Form – dem Labyrinth – nicht zurückgenommen wird, wenngleich Stengel diesem unvergleichlichen Werk „abwägendes Lob“ zukommen läßt, wie er schon im Titel seines Buches ankündigt. Seine Wertschätzung des Labyrinths als legendären Urbildes der Stadt ist ambivalent. Zum ersten Mal in der Deutung des Labyrinthtopos tritt dies hier in aller Klarheit und Eindeutigkeit auf; und so sehr Stengel sich auch für das Raffinement des ungeheuren Bauwerks begeistern kann, als Menschenwerk und vor allem als Ort, in dem Menschen wohnen und leben und ihren weltlichen Geschäften nachgehen – kann es nur scheitern, muß es dem Chaos verfallen. Kein Zweifel, Stengel teilt hier nicht allein seine eigene Auffassung mit, er schlägt damit einen Grundton seiner Zeit an, der zumindest beim Adel und beim Klerus ein nachhaltiges Echo gefunden haben dürfte. Wenn wir jetzt zu den Gartenanlagen mit ihren Labyrinthen und Irrgängen zurückkehren, die sich die geistlichen und weltlichen Herren bei ihren Residenzen haben anlegen lassen, so finden wir im räumlichen Gesamtzusammenhang der Elemente Stadt – Herrensitz – Garten eine frappante Entsprechung. Schon ein oberflächliches Durchblättern einer Prospektensammlung der Zeit, etwa der Topographien Merians, lehrt, daß der Fürstensitz der Angelpunkt einer symmetrisch angelegten Gesamtheit ist, als deren eine Hälfte die Stadt und als deren andere die Gruppe der Gärten anzusehen ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist „symmetrisch“ hier nicht wörtlich zu nehmen, aber es liegt eine sinnbildliche Symmetrie vor, auch bei den alten, in vielen Schüben gewachsenen Anlagen. Dies ist beispielsweise ganz deutlich in Heidelberg der Fall; der berühmte Stich aus dem Jahre 1677 ist ganz bewußt so angelegt, daß die Flächenanteile von Stadt und Gärten unbeschadet der tatsächlichen Relation in der Perspektive nahezu gleich groß erscheinen. Zweifellos ist dieser Effekt beabsichtigt, denn auch der Fluchtpunkt ist so gesetzt, daß beide Kompositionselemente als achssymmetrisch um den Schloßbau angeordnet scheinen; die Lichtführung ist so gewählt, daß die Gärten im Sonnenlicht liegen, die Stadt dagegen im Schatten bleibt. Fast möchte man meinen, der Stecher habe die 303
durch die konfessionellen Gegensätze noch gesteigerte Spannung zwischen dem Bürgertum der kleinen Stadt und dem Schloßherren mit abbilden wollen: dort die Stadt, deren selbständiger Lebensrhythmus sich dem absoluten, alles ordnenden Zugriff des Fürsten entzieht, dem Ancien Régime gleichbedeutend mit drohendem Chaos, hier die Gärten – die „Stadt ohne die plebs“ – mit abgezirkelten Wegen und Gevierten, an denen alles an seinem Platz steht, auch mehrere Labyrinthe, eines als Irrgang, also schwierig und rätselhaft, aber eben gefaßt und eingeordnet. Ein anderes ist als Einweglabyrinth angelegt, mit einem Obelisken im Zentrum, dem Symbol des alten Wissens, der geheimen Lehren des alten Ägypten, der Heimat der Erfinder und Philosophen; auch dies hat hier seinen Platz. Tatsächlich findet man in dieser und in vergleichbaren Anlagen offensichtliche räumliche Entsprechungen zu den Labyrinthideen wieder, die in der Zeit lagen und die Georg Stengel auf den Begriff des Labyrinthes als eines legendären Urbildes des idealen städtischen Lebens gebracht hat; zwar rätselhaft und undurchschaubar, aber nicht chaotisch und damit der unberechenbaren, von eigenen, dem fürstlichen Hof zutiefst fremden Gesetzen beherrschten und immer wieder erschütterten Welt der Stadt ein ambivalentes, aber doch besseres Gegenüber. In diesem Modellcharakter des Labyrinthes mag ein wichtiger Grund für die erstaunliche Verbreitung der Labyrinthe und Irrgänge in den fürstlichen Gärten Europas begründet sein (zahlreiche Handbücher, vor allem Vredeman de Vries, 1583, und Dézallier d’Argenville, 1760), denn mit einer bloßen Laune der höfischen Mode läßt sich dieses Phänomen wohl kaum erklären. Die Abneigung der Landesherren gegen ihre Residenzstädte ist ein allgemeiner Zug der Zeit (Braunfels, 1976, S. 164); sofern sie die Macht dazu besaßen, behandelten sie die Städte nach Art des französischen Gartens, indem sie Alleen und Rondelle in den Wildwuchs der bürgerlichen Quartiere schnitten (vgl. Erichsen-Firle, 1971). Fehlten dazu die Mittel, blieb nur der Schluß des Candide: „Il faut cultiver son jardin.“ Dies jedenfalls möchte man glauben, wenn man Graciáns Notiz über Madrid liest: „Es war ein musterhaftes Labyrinth und eine wahre Stätte des Minotaurus. Der große Platz war – geräumig – ohne Perspektive und Ebenmaß. Alle seine Tore waren falsch, und keines stand offen; Türme in Menge, mehr als in Babel, und sehr dem Winde ausgesetzt.“ Und dann geht es her über die großen Residenzen Europas: „Ein Babel an Wirrwarr, eine Lutetia – das heißt Paris – an Schmutz, ein Rom, was die Veränderungen, ein Palermo, was die Vulkane, ein Konstantinopel, was die Geistesumnachtung, ein London, was die Pestilenz, und ein 304
Algier, was die Gefangenschaft angeht“ (Baltasar Gracián, Criticon, 1651; zit. bei Hocke, 1978, S. 102). Die Stadt ist nicht mehr der Inbegriff des ungeteilt Positiven, wie dies für die bürgerliche Epoche städtischer Selbstbestimmung weitgehend gelten kann; und das späte Gartenlabyrinth als barocke Welt- und Stadtmetapher ist ein Irrganglabyrinth. Man kann es fassen und als Rätsel beschreiben, aber der Ausgang ist ungewiß, der Weg ins Innere nicht mehr vorherzubestimmen. Damit sind die Möglichkeiten der Labyrinthchiffre, die Stadt metaphorisch darzustellen, erschöpft. Ihre geordnete Struktur läßt noch eine ambivalente Deutung zu, mehr aber vermag sie nicht. Mit der im folgenden Jahrhundert entstehenden Industriestadt, mit den wuchernden Großstädten, die schon bald Weltstädte sind, wird das „Labyrinth Stadt“ zum Inbegriff des latenten Chaos. Die klassische Labyrinthfigur ist nicht länger geeignet, es abzubilden oder auszudeuten; als Stadtmetapher verschwindet sie aus den Künsten. Auch Architektur und Gartenkunst müssen sie vergessen: Labyrinthe aus spielerischer Neugier, aus Freude am Rätsel oder Sinnbild kann man nun nicht mehr bauen, denn sie wachsen von selbst in ganz andere Größen und sind von so bedrohlichem Ernst, daß selbst die dichterische Sprache die Umschreibung vorzieht: „Die Masse wogt in den faltigen Mäandern der alten Metropole.“ (Walter Benjamin, Charles Beaudelaire – Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, Frankfurt 1974, S. 58)
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Exkurs 2 Territoriale Gestik in Architektur und Stadtritual altorientalischer Kulturen Das Mechanische der ritualisierten Bewegungsabläufe im räumlichen Gefüge der Stadt, das wir in seiner entwickelten Form in Indien beschrieben haben und das ansatzweise auch im europäischen Prozessions- und Wallfahrtswesen beobachtet werden konnte, begegnet zum ersten Mal als charakteristischer Zug einer Kultur in den Städten des Zweistromlandes. Die Grundlagen dieses Phänomens, das Andrae 1941 beschrieben hat, sind in einigen grundlegenden Ideen der sumerischen Religionsauffassung zu suchen. In der Vorstellungswelt Sumers steht schon in der Frühzeit eine Denkfigur im Vordergrund: An einem bestimmten Ort verbindet sich die Gottheit des Himmels mit der Erde. Hier, und nur hier, findet die personale Berührung der Erde, des primär gegebenen, passiven und überall vorhandenen mit der Verkörperung desjenigen Elementes statt, das überall im Lande ihre latente Fruchtbarkeit weckt, mit dem Wasser und dem Regen, mit den Elementen des Himmels also. (Hierzu ausführlich Andrae, 1930) Wir wissen nicht mehr, wie in der Praxis die Wahl eines solchen numinosen Ortes vor sich gegangen ist, denn die topographischen Besonderheiten, die außerordentlichen Naturphänomene, die die Präsenz des Gottes suggeriert haben mögen, sind unter dem Debris der gewaltigen Heiligtümer verschwunden, die in kontinuierlichem Wachstum die lange Folge der Generationen über ihnen errichtete. Wir wissen aber, daß diese Vorstellung in Sumer so stark war, daß in der Glanzzeit der Kultur das weite agrarische Land mit solchen Bauten besetzt war, die, jeweils in Sichtweite voneinander plaziert, die Punkte markierten, an denen die Epiphanie der Himmelsgottheit die Früchte der Erde in weitem Umkreis wachsen und reifen ließ. Diese ursprünglich wohl noch magische Auffassung gewinnt eine neue Dimension, mit der allmählich wachsenden Einsicht in die astronomischen Zusammenhänge und der darin wurzelnden babylonischassyrischen Astralreligion, der Religion der „heiligen Zahlen“ und „heiligen Zeiten“. Die alten Kultstätten, am numinosen Ort gegründet, blieben in langer Tradition die Stätten der Sternbeobachtung (Borrmann und Neuwirth, 1904, S. 44; Fergusson, 1851, S. 155) und Sterndeutung und damit jener Techniken, in denen sich die Bestimmtheit des astronomischen Geschehens als Ausdruck der universellen göttlichen Macht erschließt. 306
„In der zeitlichen Regel, die über dem Lauf der Sonne, des Mondes und der Planeten waltet, stellt sich nun das eigentliche Grundphänomen des Göttlichen dar.“ (Cassirer, 1964, II, S. 139) – ja, man kann sagen: Dort, und nur dort manifestiert es sich, denn die astronomische Beobachtung ist nur als kontinuierliche Datensammlung über lange Zeiträume von einem immer gleichen Ort aus möglich. Die religionsgeschichtlichen Aspekte dieser Entwicklung können wir hier übergehen (siehe dazu: Jastrow, M., Die Religion Babyloniens und Assyriens, Gießen 1905, sowie Eliade, 1976, S. 92 ff.); festzuhalten bleibt aber, daß wir es sowohl in der frühen magisch-animistischen Form als auch in ihrer späteren astralen Erweiterung mit einer Religiosität zu tun haben, die an die einmalige, unwiderrufliche Heiligkeit des absolut festliegenden numinosen Ortes geknüpft ist, man möchte sagen: mit einer territorialen Religiosität, deren Manifestation nach territorialen Gesten verlangt. Dieser territorialen Gestik in Architektur und Kult wollen wir uns nunmehr zuwenden. Zwischen 2700 und 2600 v. Chr., zu Beginn der Mesilim-Zeit, vollzieht sich in der Baukunst Sumers ein bemerkenswerter Wandel, der sich vor allem in einer völlig veränderten Gründungstechnik der Bauten ausdrückt. Während in der Frühgeschichte Tempel einfach auf dem planierten Erdboden errichtet wurden, geht man jetzt dazu über, die Fundamente des aufgehenden Mauerwerks tief in die Erde zu setzen (Moortgat, 1967, S. 26). Die Architektur der heiligen Stätte, wie etwa der berühmte „Temple Oval“ in Chafají, wird buchstäblich mit dem gewachsenen Erdreich verzahnt, so als wolle man die Idee der ewigen Unverrückbarkeit des Bauwerks zum Ausdruck bringen. Bei den Bauten dieser Epoche finden sich zum ersten Mal auch die sogenannten „Nagelmenschen“, Gründungsfiguren aus Ton, in Form eines Pflocks, dessen Oberteil von menschlichen Büsten gebildet wird. Diese Figuren tragen die Gründungsinschrift des Tempels; man vergrub sie an den vier Ecken des Gebäudes in der Erde. Auch diese zeichenhafte Handlung im Berührungsbereich von Bauwerk und Baugrund deutet auf ein kaum noch ganz zu fassendes Gefühl für die Einmaligkeit des Ortes, der mit den Pflöcken abgesteckt, vielleicht auch magisch beschützt wird, in dem man das Bauwerk verwurzelt, wie eine Pflanze, die aus der numinosen Stelle ihre Lebenskraft beziehen soll. Dieses Bestreben, über den Fundamentbereich des Hochtempels mit den Kräften der Tiefe in Kontakt zu treten, wurde auch in späteren Epochen der babylonischen Kulturentwicklung nicht aufgegeben. Im Gegenteil, die entsprechenden architektonischen Manifestationen wurden in der Spätzeit immer monumentaler gebildet. 307
Aus neubabylonischer Zeit kennen wir enorme Postamente aus gebrannten Ziegeln, die unter dem Zentrum der Kultstätte – wie etwa unter dem Ninmach-Tempel in Babylon oder unter dem Ezida-Bezirk in Borsippa – wie eine Pfahlwurzel mehr als 10 m tief in den gewachsenen Boden hineinragen. Darunter befindet sich an tiefster Stelle eine Weihetafel (Koldewey, Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft, 15, Tafel 3, wiedergegeben bei Martiny, 1932, S. 15). In den gleichen Zusammenhang gehört eine zweite Neuerung, die die Bautätigkeit der Mesilim-Zeit von der Frühgeschichte unterscheidet, die Umgrenzung des heiligen Bezirkes mit einer hohen Umfassungsmauer, Zingel genannt. Damit wird der Tempel aus der Stadt herausgenommen und ein eigener, vom Profanen geschiedener sakraler Raum geschaffen, der der Allgemeinheit nicht mehr ohne Weiteres zugänglich ist. Hier drückt sich zweifellos ein Machtzuwachs der Priesterschaft aus, die nunmehr den Zugang zum Sitz des Gottes verwaltet, zugleich aber auch ein Bestreben, den sakralen Charakter des Tempelinneren in der Errichtung einer räumlichen Hierarchie um die Cella hervorzuheben. Die bis heute allen Sprachen unseres Kulturraumes gemeinsame Bedeutung des Begriffs „heilig“ als des „Ausgegrenzten“ wird damit begründet. Auch in dieser raumeinschließenden Architektur ist eine territoriale Geste zu sehen, die in der ursprünglichen, in der mythischen Vorzeit begründeten Numinosität der auserwählten Scholle angelegt ist. Auch sie führt mit fortschreitender Entwicklung zu immer monumentaleren Manifestationen, zunächst zur Anlegung weiterer Höfe – die in Babylonien allerdings meistens hintereinander und nicht ineinander liegen –, dann zur analogen architektonischen Gestaltung der gesamten Stadt. In neubabylonischer Zeit ist auch diese Entwicklung in ihrer Vollendung zu beobachten. Das Babylon Nebukadnezars II. (604–562) ist ein System klar gegliederter, rings um den Tempelbezirk angeordneter Viertel, die insgesamt von einem großen rechteckigen Mauergeviert umschlossen werden, um das sich wiederum der polygonale Zug der Außenmauer mit den Gärten und Vororten legt. Zu dieser geordneten und fest gegründeten Welt der Stadt kennt man nur einen Gegensatz: die Steppe, und diese Bezeichnung wird auf alles außerhalb der Mauern angewendet, gleichgültig, ob es sich um die bewässerten Gärten am Fluß handelt oder um die offene Ebene. Diese geordnete Welt der Stadt „gehört“ dem Gott, der an zentraler Stelle und an sakrosanktem Ort in ihrer Mitte wohnt, auch dies Ausdruck „territorialer Religiosität“, kleidet sie doch das Bewußtsein um die Besonderheit der städtischen Zivilisation in den Begriff des göttlichen Eigentums, als 308
dessen Resultat sie die Gegensätzlichkeit von Stadt und Steppe begreift (Andrae, 1964, S. 52). Als dritte territoriale Geste der sumerischen Baukunst ist nach der Verankerung des Kultbaues in der Tiefe des heiligen Ortes und der Abgrenzung des sakralen vom profanen Raum die Entwicklung gewaltiger, in die Höhe strebender, „raumbezeichnender“ Bauten zu sehen: die Architektur der Zikkurate. Die erste „echte“ Zikkurat, die zweifelsfrei als Stufenturm geplant wurde, und die nicht in nacheinander folgenden Ummantelungen zum Stufenturm emporwuchs, stammt aus der neusumerischen Epoche, deren Beginn man um 2150 v. Chr. ansetzt (Moortgat, 1967, S. 62). Aber auch den ersten Zikkuraten, die als einfache Hochtempel bis in die Frühgeschichte zurückreichen, war ein Höhenwachstum vorbestimmt, denn ihre Lehmbauweise aus luftgetrockneten Ziegeln verlangt nach ständiger Erneuerung. Schon in der ersten Generation mußte sie ummantelt und überbaut werden, und deshalb finden sich die ersten Stufentempel bereits ganz am Anfang der Städtewerdung. Noch in ihrem heutigen ruinösen Zustand sprechen die Zikkurate eine unmißverständliche Sprache. Wenn man auf der Spitze des Schuttberges in Ur steht und in der Ferne den Stufentempel von Eridu und El Obed liegen sieht, versteht man, daß in dieser weiten, undramatischen Landschaft Akzente gesetzt werden sollten, die die Kulturlandschaft absteckten, künstliche Berge, die sich einst aus den bewässerten Gärten erhoben und so gewaltig waren, daß man sie noch vom Rande der Wüste aus sehen konnte: Mittelpunkte der kleinen bedrohten Kulturwelten, die fürchten mußten, sich in der Weite der menschenleeren Ebenen zu verlieren, so wie es in der biblischen Sprache noch anklingt: „Wohlauf, lasset uns eine Stadt und Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen; denn wir werden vielleicht zerstreuet in alle Länder.“ (1. Mose 11, 4. „Einen Namen machen“ kann man wohl mit der Wendung „daß wir unsere Identität finden“ in die moderne Sprache bringen, wenn man bedenkt, daß Benennung im biblischen Sprachgebrauch gleichbedeutend ist mit „sich aneignen“.) Die hoch in den Himmel ragenden Zikkurate und die tief in der Erde „wurzelnden“ Mittelpunktsbauten der Tempelanlagen sind die augenfälligsten und monumentalsten Überreste eines Systems, das noch andere, weniger spektakuläre Bauten umfaßte, die seine Schwellen und Grenzen markierten. So hat man bei allen Städten der Spätzeit (neubabylonische Epoche) Festhäuser außerhalb der Stadtmauern gefunden, Nebentempel, 309
die im Stadtgebiet verteilt liegen, Tortempel bei den Stadtmauern und Prozessionsstraßen, die diese Bauten untereinander verbinden. Dies alles deutet auf ein entwickeltes Prozessionswesen hin, das sich um die architektonisch markanten Punkte des Stadtgefüges gedreht hat und das bereits ganz zu Anfang der mesopotamischen Stadtkultur existiert haben muß, wie man aus den sumerischen Bezeichnungen der für das Prozessionswesen bestimmten architektonischen Elemente schließen kann (Andrae, 1964, S. 20). Die architektonischen Reste und schriftlichen Zeugnisse sind allerdings jünger, und die eindrucksvollsten, am besten und vollständig mit allen Nebenanlagen vorhandenen Bauten stammen aus neubabylonischer Zeit (hierzu Andrae, 1952). Anhand dieser archäologischen Zeugnisse hat Walter Andrae 1941 versucht, das Prozessionswesen zu rekonstruieren (Andrae, 1964). Danach ergibt sich für die Stadt Babylon zur Zeit Nebukadnezars II. etwa folgendes Bild: Prozessionen gehören zur täglichen Kulthandlung; innerhalb des Tempels wird das Kultbild hin und her bewegt, in bestimmten Kapellen aufgestellt, um jeweils genau festgelegte Opferhandlungen entgegenzunehmen. Die Götter sind so ständig innerhalb ihrer Wohnsitze in Bewegung; oft umschreiten sie die ganze Tempelanlage, und manchmal besuchen sie andere Gottheiten, die ihnen ikonographisch nahestehen (Andrae, 1964, S. 33). An den hohen Festen treten sie ausgedehnte Reisen in verschiedene Gegenden der Stadt und häufig auch in ihr Hinterland an. Es ist nicht mehr zu rekonstruieren, um welche Feste es sich gehandelt hat; mit Sicherheit war das Neujahrsfest ein solcher Anlaß, auf Reisen zu gehen, und man kann annehmen, daß auch an den übrigen Schwellenterminen des Jahres solche raumgreifenden Umschreitungen und Begehungen stattfanden (ebd.). Dies entspräche dem bekannten Muster: Der göttliche Stadtherr wiederholt in den Umzügen nach dem Festkalender, in dem die wichtigsten astronomischen und agrarischen Daten – Solstitium, Äquinoktium, die Mondphasen, die Saat- und Erntezeiten, die Wasserverhältnisse des Flusses und die klimatischen Gegebenheiten der Jahreszeit – berücksichtigt sind, die ursprüngliche Inbesitznahme seines Territoriums, die Sicherheit und Wohlergehen gewährleistet. (Zu den Festdaten siehe: Landsberger, B., Der kultische Kalender der Babylonier und Assyrer, Leipzig 1915) Das Neujahrsfest begann noch im alten Jahr, mit siebentägigen Kulthandlungen innerhalb des Esagilatempels. Dort wurde in analogen Handlungen das kosmische Geschehen des Jahres nachvollzogen, die Götter des Umlandes versammelt (Andrae, 1964, S. 36) und auch die Hierogamie Marduks, d. h. wahrscheinlich „das Kalb der Sonne“ und 310
der Zarpanitum, auch Zerbanitu, ,,die die Saat geschaffen hat“, also die Vereinigung von den Mächten des Himmels und der Erde vollzogen. Nach Herodot I, 181, geschah dies auf der Spitze, der Zikkurat; Moortgat ist der Auffassung, daß die archäologische Evidenz diese Nachricht bestätigt (Moortgat, 1967, S. 63). Am siebten Tag zog der Stadtgott Marduk zunächst von seinem Erscheinungstempel Esagila, in dem die Prozessionsbilder aufgestellt waren, zum Euphrat hinab. Dort bestieg er ein Schiff und wurde etwa 2, 5 km flußaufwärts getreidelt, bis zur Lände des Festhauses. Von der Lände führte eine Allee aus beschnittenen Bäumen zum Festhaus – in Assur lag das Festhaus inmitten eines geometrischen Gartens (Andrae, 1964, S. 28) –, das im Unterschied zu allen anderen Tempelanlagen nicht mit einem Zingel umgeben war. (Andrae sieht hier die Absicht, den Gott inmitten der Natur- und Gartenlandschaft erscheinen zu lassen; a. a. O., S. 36.) Dort blieb der Gott vom achten bis zum elften Tag, und anschließend erfolgte der Einzug in die Stadt, zunächst zu den Hängenden Gärten, dann in die Audienzhalle des Palastes – wo das Bild des Stadtgottes möglicherweise den Platz auf dem Thron einnahm –, und schließlich ging es zurück über die großartig ausgebaute Prozessionsstraße in den Erscheinungstempel. Dabei wurden vielleicht große Wagen benutzt, die sich allerdings nicht erhalten haben und von denen auch die bildlichen und schriftlichen Quellen nichts berichten, deren Existenz jedoch die archäologische Evidenz nahelegt. (Die Prozessionsstraßen sind besonders sorgfältig gebaut und im Unterschied zum üblichen Schotter als steinerne Geleise angelegt, so daß möglicherweise schwere Tempelwagen, wie in Indien, auf ihnen bewegt wurden; Andrae, 1964, S. 33.). Andrae meint, daß in Assur die Prozessionsschiffe auf Fahrgestelle gesetzt und gezogen wurden. Fassen wir diese Nachrichten, die ähnlich auch für die übrigen neuassyrischen und neubabylonischen Zentren gelten, zusammen und reduzieren wir sie auf ihre zentralen Aussagen: Der gesamte Bewegungsablauf des Festes dreht sich um die Zikkurat, Etemenanki, das „Haus des Grundsteines des Himmels und der Erde“ (Andrae, 1964, S. 36). Dies ist der numinose Ort schlechthin, an dem das Göttliche selbst präsent ist, ohne Kultbild, in seiner unnahbaren Form also. Hier wird die Hierogamie vollzogen und damit die Niederkunft des Gottes auf die Erde angedeutet, der nunmehr in seinem Erscheinungstempel als Kultbild – in seiner verehrungsfähigen Form – wohnen kann. Dem Erscheinungstempel in der Südhälfte der Stadt entspricht in der Nordhälfte der Palast. Während der Tempel mit seinem Schrein gewissermaßen Idee und Ursprung aller welt311
lichen Ordnung umfaßt, in der Natur ebenso wie in den Einrichtungen des Menschen, ist der Palast das Gehäuse für die praktische Konsequenz dieser Ordnung, für den König und seinen Apparat, die ihren Bestand zu verwalten haben. Diesem von Nord nach Süd sich erstreckenden dualen Aufbau des inneren Kerns der städtischen Ordnung entspricht die in OstWest-Richtung angelegte Zweiteilung der Wohnbezirke in Neustadt und Altstadt; im Westen trennt der Euphrat, im Osten die Prozessionsstraße die Quartiere vom Kernbereich. Um den gesamten Komplex zieht sich das Geviert der Mauer. Diesem Ganzen der künstlich geordneten Stadt – dem Drinnen – steht die nach den natürlichen Gesetzen bewirtschaftete und gehegte Kulturlandschaft des „Draußen“ gegenüber, das die Lebensgrundlage des städtischen Gemeinwesens liefert. Im Umgangsritual des Neujahrsfestes werden diese beiden Ordnungen und ihre Einzelelemente miteinander erklärend und bestätigend in Verbindung gebracht. Nach seiner Herabkunft auf der Zikkurat verläßt der Gott zunächst die Stadt und zieht zum Festplatz draußen vor der Stadt, möglicherweise auch noch zu anderen Punkten und Stationen in den Gärten und Feldern des Umlandes. Dorthin reist er auf dem Wasser, auf dem natürlichen Verkehrsweg des Flusses. Im Hof des Festhauses residiert er mehrere Tage lang unter den künstlich beschnittenen, in geometrischen Reihen gepflanzten Bäumen und inmitten sorgfältig gepflegter Rabatten von Feldfrüchten – inmitten eines Mustergartens also, über den er stellvertretend seine lebensspendende Potenz ergießt. (Andrae deutet diesen Aufenthalt zugleich als Erneuerung der göttlichen Kraft, 1964, S. 48.) Am letzten Tag des Festes kehrt er zurück in die Stadt, zunächst in den Palast, in dem er symbolisch den König inthronisiert (a. a. O., S. 47). Dorthin reist er auf der Prozessionsstraße, dem künstlichen Verkehrsweg. Und nach dieser Erneuerungshandlung begibt er sich wieder in seinen Erscheinungstempel auf der anderen Seite der Zikkurat Etemenanki. Wir erkennen also in diesen Handlungen ein zweifaches Interesse, das sich einmal auf die räumliche Konstellation, einmal auf die Inhalte der Architektur richtet. Zum einen wird das Mysterium Tremendum des numinosen Ortes, auf dessen Hervorhebung die gesamte Architektur der Stadt angelegt ist, erst dadurch zum absoluten Zentrum, daß andere Ummantelungen, Grenzen und Schwellen – immer noch sakrosankt, aber doch nicht mehr unnahbar – um diesen Mittelpunkt angeordnet sind, die im zeremoniellen Begehen und Umschreiten als abgestuftes räumliches System sichtbar werden. Zum anderen verkörpern diese Architekturen die zentralen geistigen, ökonomischen und gesellschaftlichen Dimensio312
nen der städtischen Gemeinschaft, und das will heißen: Eine in sich geschlossene, in architektonischen Elementen symbolisch vorgestellte Welt, um den Mittelpunkt des Stufentempels angeordnet, wird in den Umgängen der Stadtfeste systematisch angeeignet und als wechselseitige Abhängigkeit ihrer Elemente gedeutet. Dies ist es, was man als territoriale Gestik im Kult bezeichnen könnte, die einer territorialen Gestik in der Architektur entspricht. Beide wurzeln in der Auffassung, daß die Präsenz des Heiligen, begriffen als eine alles Leben durchziehende Energie, an einen einmaligen, nicht austauschbaren Ort numminoser Qualität gebunden ist. Andrae konnte im Alten Orient nur das Prozessionswesen des Hauptfestes zu Neujahr in den Grundzügen rekonstruieren, aber die Fragmente belegen eindeutig, daß sie Teil eines entwickelten Stadtrituals sind, die nicht nur den ummauerten Bereich, sondern auch weite Teile des Umlandes umfaßt haben müssen. Vereinzelte keilschriftliche Texte berichten von reisenden Göttern, die Entfernungen bis zu 200 km zurücklegten, etwa wenn Enlil von Nippur Ea in Eridu besuchte (Andrae, 1964, S. 58). Ähnliches gilt für die Gesamtheit der frühen Hochkulturen; wir können es hier bei wenigen Bemerkungen bewenden lassen (vgl. Ermann, 1897). Bonnet erwähnt rituelle Umgänge in nahezu allen wichtigen ägyptischen Städten, die häufig den Charakter einer Begehung des Herrschaftsgebietes durch die Stadtgottheit tragen, wie etwa die „Umzüge um die Mauern“ in Memphis. Sehr zahlreich waren sogenannte „Ruderfahrten“, Flußprozessionen auf dem Nil zwischen rituell wichtigen Orten, bei denen Priester die Schiffe ruderten. „Ruderfahrten“ waren meist Teil ausgedehnter Landprozessionen, aber es gab auch selbständige Wasserprozessionen, wie die der Hathor-Tefnut, die nur von einer einzigen Landung unterbrochen wurde (Bonnet, Reallexikon, 1952, S. 61). Bei den Landeplätzen und an den Haltepunkten der Prozessionen errichtete man Stationsbauten – der Bautyp des Kiosk ist aus dieser Praxis hervorgegangen –, daneben gab es aber auch ephemere Stationsbauten, die sich nicht erhalten haben und die nur noch aus den Quellen bekannt sind (a. a. O., S. 376). Andrae hat in seiner Schrift über die Feststraßen im Nahen Osten auch die archäologischen und schriftlichen Dokumente aus Assur und dem Hethiterreich gesammelt. In Assur gestaltete sich das Prozessionswesen ganz nach babylonischem Vorbild. Selbst der duale Aufbau des architektonischen Systems, den wir in Babylon beobachten konnten, und die Reihenfolge der Umschreitungen wurde übernommen. In Hattusa sind die Grundzüge ebenfalls mit den babylonischen Formen identisch, 313
jedoch ist die Wegeführung anders angelegt, und das Festhaus außerhalb der Stadt ist eine natürliche Felsformation, die lediglich architektonisch gefaßt wurde (Andrae, 1964, S. 21 und Tafel II). Hier ergibt sich ein interessanter Unterschied zum babylonischen Festplatz. Während dort die Gärten der Kulturlandschaft das „Draußen“ verkörpern, ist es hier die wilde Natur der Felsenklüfte, ganz in Korrespondenz zu den typischen Formationen des städtischen Umlandes. Man sieht, das Stadtritual deutet das unmittelbar gegebene; es schafft Sinnbeziehungen innerhalb der Alltagswelt. Wir haben es bei all diesen archäologischen Relikten mit den monumentalen Zeugnissen einer kultischen Praxis zu tun, deren Kern das Prozessionswesen ist, das offensichtlich über den gesamten alten Orient verbreitet war, so sehr, daß es im Alten Testament sprichwörtlich und in der Absicht spöttischer Charakteristik des Baalskultes gebraucht werden konnte. Unter 1. Könige 18 heißt es im 26. Vers: „Und riefen an den Namen Baals, aber es war da keine Stimme noch Antwort. Und sie hinkten um den Altar, den sie gemacht hatten.“ (Baal, d. h. „Herr“, hieß bei den Kanaanäern ursprünglich jeder Gott, den man an einem bestimmten Ort wohnend und wirkend dachte. Im Alten Testament verstand man darunter hauptsächlich den Baal, d. h. den Stadtgott von Tyrus. Diese an den Ort gebundene Gottesauffassung ist mit dem jüdischen Konzept des universalen Jehova nicht zu vereinbaren, weshalb sich die Propaganda der Propheten auch vor allem gegen jede territoriale Gestik im Kult richtete.)
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Exkurs 3 Höhle, Berg und Turm als Sinnbilder der Alchimie Es mag erstaunen, in einem barocken erdgeschichtlichen und höhlenkundlichen Werk, wie dem 1637 erschienenen „Librum de Cryptis toto Orbe celebribus“ des Jacques Gaffarel auf eine systematische Behandlung der Alchimie zu stoßen; indessen folgt der Autor damit nur der allgemeinen Systematik seiner Zeit, und vor allem bleibt er damit seinem im Titel angekündigten Programm treu, eine „historische und philosophische Beschreibung“ der unterirdischen Welt zu liefern. Es geht ihm also vor allem um die Beziehung zwischen Höhle und Mensch, um die Bedeutung der Höhle für das Weltbild und die Naturphilosophie seiner Zeit, und in diesem Zusammenhang muß die Alchimie als die praktische, wenngleich bereits im Niedergang befindliche Naturphilosophie der Epoche unbedingt erwähnt werden. Es handelt sich also keineswegs um Willkür oder um eine bloße Marotte, wie ein Historiker der wissenschaftlichen Höhlenkunde meint: „Auch in diesem Abschnitt reitet Gaffarel sein Steckenpferd, indem er ziemlich unvermittelt auf Astrologie und Alchimie zu sprechen kommt.“ (Pirker, S. 27). Wenn die Alchimie im unermüdlichen Experiment bemüht war, auf ein praktisch nie zu erreichendes Ziel hinzuarbeiten – den „Stein der Weisen“ zu finden, der alle Verwandlungskräfte der Natur in sich vereinigt –, so steht dahinter der Gedanke, über die konkrete, experimentelle Suche nach den Gesetzen, die die Entstehung und die Metamorphose der Naturphänomene beherrschen, zur faustischen Erkenntnis dessen zu gelangen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Dies jedenfalls ist das Anliegen der geistesgeschichtlich bedeutenden Alchimie, die schon den klassischen Autoren – Artephius, Paracelsus, Kunrath – als die „wahre“ Alchimie gegenüber der „falschen“ der „Windmacher“ erschien. „Aurum nostrum non est aurum vulgi“ lautet die Maxime der spekulativen Alchimie (Jung, 1972, S. 50). Der wahre Alchimist im klassischen Verständnis gleicht dem Bergmann in Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“, über den der „Naturforscher“ sagt: „Arm wird der Bergmann geboren und arm geht er wieder dahin. Er begnügt sich zu wissen, wo die metallischen Mächte gefunden werden und sie zutage zu fördern, aber ihr blendender Glanz vermag nichts über sein lauteres Herz. Unentzündet von gefährlichem Wahnsinn, freut er sich mehr über ihre wunderlichen Bildungen und die Seltsamkeiten ihrer Herkunft als über ihren alles verheißenden Besitz.“ (Novalis, o. J., S. 52) 315
Diese Freude ist nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, denn sie wurzelt in „Wißbegier und Liebe zur Eintracht“, wie es an anderer Stelle heißt (a. a. O., S. 53). Dort, im Inneren der Erde, beobachtet er die Natur bei ihrer Schöpfungsarbeit und in ihren unendlichen Verwandlungen, in die er sich selbst einbezogen weiß. So auch der Alchimist, der zu Beginn des Werkes in den „Berg hinabsteigt, um dort die Materie zu gewinnen, mit der er sein Experiment beginnen will“ (Klossowski de Rola, 1974, S. 10). Nach alter Auffassung wachsen im Erdinneren die Metalle, indem sich die unedleren Stoffe unendlich langsam und unter den kosmischen Einflüssen der Planeten allmählich verwandeln. Dort gewinnt der Alchimist das geeignete Material, um den gleichen Vorgang künstlich und sehr viel schneller in der Retorte nachzuahmen, wobei er den Verwandlungskräften der Natur auf die Spur zu kommen hofft. Der Erdenschoß galt als unerschöpflicher Produzent der irdischen Reichtümer, in dem die Planeten die ihnen zugeordneten Metalle zeugen, die die Erde in ihren Gängen und Höhlungen austrägt und gebiert (Bredekamp, 1981, S. 16). Diese Vorgänge sind in einem reichen illustrativen Material, das den Sammlungen alchimistisch-okkulter Texte beigegeben wurde, abgebildet. So sind die Beziehungen zwischen den kosmischen Kräften und dem Wachsen der Metalle im Inneren der Erde auf einem Kupferstich des „Musaeum Hermeticum“ (1627) personifiziert dargestellt. Die Metalle sitzen musizierend in einer Grotte – man denkt an eine Entsprechung zur „Sphärenmusik“ (Bredekamp 1981, S. 17) –, während darüber die Gestaltungskräfte der Erdoberfläche (Feuer und Luft, Wasser und Erde, in der Mitte ihre harmonische Vereinigung) thronen. In den Eckzwickeln des Blattes sind die vier Elemente abgebildet, darunter die lateinische Deutung, zugleich auch der entscheidende Ratschlag an den Hermetiker: „Quae sunt in superis, haec inferibus insunt. Quod monstrat coelum, id terra frequentur habet. Ignis, Aqua et fluitans duo sunt contraria: felix, talia si iungis: Sit tibi scire satis!“ (Deutung nach Bredekamp, S. 17; Text aus Ploss, 1970, S. 81) In ähnlicher Weise, wie hier das Wachsen und die Verwandlung der Metalle im Inneren der Erde als Harmonie kosmischer Einwirkungen und ursprünglicher Fruchtbarkeit des Erdenschoßes dargestellt ist, wird auch die künstliche Nachahmung dieses Prozesses im alchimistischen Werk in Bilder und Symbole übertragen. Diese alchimistische Bildkunst ist ungeheuer faszinierend; sie läßt in der Regel sehr unterschiedliche Auslegungen zu, ohne daß dies ihre Unmittelbarkeit, die bis zur Betroffenheit reichen kann, beeinträchtigen könnte. Man muß Jung recht geben, wenn er 316
meint, daß diese Bilder ein „Schatzhaus archetypischer Gestaltungen“ seien (Jung, 1972, S. 48). Von zentraler Bedeutung für diese alchimistische Bilderwelt ist der Alchimistenofen, in den während des Werkes das „philosophische Ei“ hineingesetzt wird, das hermetische Gefäß, in dem die Verwandlung der Metalle künstlich nachvollzogen werden soll. Der Ofen heißt Athanor, ursprünglich vom arabischen „tannur“, „Ofen“, aus dem aber in Angleichung an das griechische „athanathos“ das „Gefäß der Unsterblichkeit“ wurde. Dieses Gerät ist die Kammer, die die schädlichen Einflüsse abhält, die Guten aktiviert und vor allem die sich wandelnde Materie mit Wärme versorgt, „so wie die Henne das Ei mit ihrer Körperwärme ausbrütet“ (Klossowski de Rola, 1974, S. 11). Für den Alchimisten ist der Ofen also das entscheidende Hilfsmittel, um die Materie zu verwandeln. Interessant ist nun, daß der Alchimistenofen nur selten als ein technisches Gerät mit Feuerklappen, Zügen und Schlot dargestellt wird, sondern in der Regel die Gestalt eines Turmes oder eines turmartigen Gebäudes hat, wie etwa in den zahlreichen Illustrationen des „Speculum Veritatis“, einer alchimistischen Handschrift des 17. Jahrhunderts (Klossowski de Rola, 1974, Abb. 7, auch Abb. 22–24). Dies ist zweifellos eine bewußte Anspielung auf die Bedeutung, die das Gebäude, und vor allem das feste Gebäude, wie es der Turm symbolisiert, für den Menschen besitzt. Hier geht es nicht allein um die schützende Funktion der architektonischen Hülle, vielmehr ist hier eine Parallele zur Verwandlungskraft des Athanor gemeint: Der Alchimistenofen verwandelt die Metalle so wie das Gebäude den Menschen. Als schützende Hülle hält das Gebäude die Unbilden der Witterung fern und damit die Angriffe der Krankheitsgeister, so wie es Fludd in seiner „Fortress of Health“ dargestellt hat, mit den gleichen Bildelementen, die auch die alchimistischen Ofendarstellungen auszeichnen – der Ofen also als die schützende Hülle, die zunächst die degenerierenden Einflüsse vom Veredlungsprozeß im Ei des Philosophen fernhalten soll. Dann aber wird damit auch eine Parallele zur positiven Eigenschaft des Gehäuses gezogen, in dem der Mensch gegen die Umwelt abgeschirmt studieren und laborieren kann, wo er seine geistigen Fähigkeiten hegen und entfalten und sich so erst vom Natur- zum Kulturwesen entwickeln kann. So soll auch der Ofen die Materie läutern und schließlich verwandeln. Hier wird deutlich, daß die Bilder und Denkmodelle der Alchimie nicht nur die äußere Natur und deren Metamorphosen meinen, sondern immer auch die innere Natur des Menschen mit einbeziehen. „Daß aus Fremdem 317
Eigenes, aus Anderem Unsriges werde!“, heißt es in der „Turba Philosophorum“ des Philip Morgenstern (1613) (zit. nach Ploss, 1970, S. 80). Da diese Beziehung so eng und unmittelbar ist, konnte Jung die Bilderwelt der Alchimie als ein Theater archetypischer Gestalten deuten und die königliche Kunst als Ganzes als Gegenstück zu den offiziösen Lehrmeinungen und Weltanschauungen ihrer Zeit auffassen, zu der sie sich verhalte, wie die zeitlose menschliche Seele zum historisch sich wandelnden Bewußtsein (Jung, 1972, S. 38 und S. 542). So bleibt das Bild von Turm und Höhle auch nicht auf die Alchimie beschränkt. Als archetypisches Gegenüber des Klaren, Bestimmten, kunstvoll Gefügten, das mit dem Bild des Turmes assoziiert wird, und des Dunklen, Unbestimmten, in die Erde Gegrabenen der Höhle, taucht es überall auf, wo die topographische Situation eine Architektur zum Zeichen oder zur Geste erhebt. Besonders aufschlußreich sind hier die volkstümlichen Vorstellungen, die sich um zahlreiche Höhenburgen ranken, gerade um die imposantesten und auf den höchsten Bergen errichteten Anlagen. Hier weiß die Sage oft von geheimen, unterirdischen Gängen zu berichten, die in ferne Welten oder graue Vorzeiten zurückführen oder auch nur die hohe Burg auf gewundenen Wegen durchs Innere des Berges mit einem verwunschenen Ort im Tal verbinden. (So etwa die Sage über den Desenberg bei Warburg; vgl. hierzu auch Lethaby, 1891, S. 172: „we are likely to be told in many old church and abbey in England, especially if ruined that there is a passage underground which runs from here for miles and miles it crosses under the river, and the other end is at the castles“.) So auch in Arles, dessen Amphitheater mit demjenigen in Nîmes durch einen unterirdischen Gang verbunden sein soll. So sehr scheint das Motiv des hohen Turmes auf dem Berge mit der Vorstellung eines unterirdischen labyrinthischen Pendants verflochten zu sein, daß die volkstümliche Phantasie der realen – sichtbaren – Architektur auf der Höhe eine sagenhafte – unterirdische – Höhlenwelt hinzufügt. In der Alchimie also bilden Höhle und Turm ein Bildpaar, das die natürliche Metamorphose der Stoffe im Schoß der Erde und ihre künstliche Nachahmung in der Retorte bezeichnet – ein zentraler Gedankengang der arkanen Wissenschaft also – und das sich entsprechend häufig in der alchimistischen Illustrationskunst abgebildet findet (Klossowski de Rola, 1974; Jung, 1972, sowie Kunstforum 51, 1982, S. 50; vgl. Lennep, 1982; auch auf einem Blatt des Werkes von Stephan Michelspacher, „Cabala, Spiegel der Kunst und Natur“, Tafel 3, Augsburg 1615, Abb. S. 160 in: Ploss, 1970). 318
Wenn die Alchimie in einem zentralen Bereich ihrer Bildersprache auf die architektonischen Archetypen Turm und Höhle zurückgreift, so deshalb, weil sich hier zwei bis in die Einzelheiten des Bauvorganges und des architektonischen Gestus hinein konträre Baugestalten gegenüberstehen, die aber, bei aller Gegensätzlichkeit, doch dem Medium „Architektur“ angehören, so daß jeder Unterschied zugleich auch eine Entsprechung bedeutet. So wie der Athanor im alchimistischen Verständnis dem Schoß der Erde entspricht, weil sich in ihm die gleichen Wandlungsprozesse wie in den Erzgängen der Berge vollziehen, so entspricht der Turm der Höhle in dem Grundcharakteristikum der Architektur, daß sie ihre jeweilige Besonderheit nicht als bloße Form oder als bildhaftes Zeichen darstellt, sondern als räumliches Erlebnis vermittelt: Die architektonische Eigenart des Turmes, als plastisch im Raum stehender Körper, aus einzelnen Steinen gefügt und aufgeschichtet, nach allen Seiten sich öffnend, erschließt sich genau wie die in allem gegensätzliche Architektur der Höhle, die als Hohlraum in den Berg hineingegraben ist, ganz nach innen gekehrt und nach außen abgeschlossen, über die Abfolge ihrer Räume, die wir durchschreiten und mit unserem Körper und mit unserer Psyche ausfüllen. Erst im Durchschreiten der Architektur, im Aufenthalt in ihrem Inneren, in unserer aktiven Beteiligung also, erleben wir das gegensätzliche architektonische Wesen von Höhle und Turm. So erklärt sich die Vorliebe der Alchimie für die überaus zahlreichen architektonischen Bilder und vor allem für die Archetypen Turm und Höhle nicht zuletzt aus dem eigenartigen Realitätscharakter der Architektur, sich in Form und Gestus zwar mit Bestimmtheit auszudrücken, sich aber nicht in der bloßen Betrachtung, sondern erst im Gebrauch zu erschließen. Hier sieht der Alchimist eine sinnbildliche Parallele zum Grundproblem seiner Kunst: Die mehrdeutige Bildersprache und der teils symbolische, teils technische Apparat der Alchimie liefern nur ein Instrumentarium, das belanglos bleibt, wenn der Adept nicht selbst im Experiment damit umgeht, wenn er es nicht selbst in seinem praktischen Leben nutzt und deutet.
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Exkurs 4 Die Architekturtheorie des Souterrain Als die indischen Felsarchitekturen in Europa im frühen 18. Jahrhundert bekannt wurden, hielt man sie zunächst für das Werk unbekannter vorgeschichtlicher Völker, deren zivilisatorisches Niveau als weit über dem zeitgenössischen Indien liegend angesehen wurden, so unglaublich waren die Berichte. Ihre Wirkung auf das architektonische Denken des 18. Jahrhunderts jedenfalls war enorm, und namhafte Architekturtheoretiker der Zeit, wie Quatremère de Quincy, waren so beeindruckt, daß sie eine eigene Theorie des „Souterrain“ entwickelten. Unter dem Eindruck illustrierter Reiseberichte, wie Sonnerats „Voyage aux Indes Orientales et la Chine“ (1782), und erster wissenschaftlicher Bewertungen der indischen Architektur, wie der „Comparaison de quelques anciens monuments des diverses parties de l’Asie“ (1868) des Comte de Caylus, versuchte Quatremère die Gesamtheit der asiatischen Architektur als Verfeinerungsformen unterirdischer Höhlenarchitektur zu erklären (Quatremère, 1788, Dictionnaire, Stichwort „Asiatique“, I, S. 146, wo Sonnerat und de Caylus erwähnt werden. Ausführlichere Behandlung dieser Autoren in Mitter, 1977). Es steht für ihn fest, daß das heiße Klima dieser Breiten der erste Grund für den Menschen war, sich „unterirdische Festungen gegen die brennenden Strahlen der Sonne“ zu errichten (Quatremère, 1788, I, S. 147). Das Klima sieht er auch als die Ursache für die – wie er meint – historisch einzigartige Seßhaftigkeit der indischen Völker, „seit undenklichen Zeiten durch die Sonne an die glückliche Scholle gefesselt, die sie bewohnen“ (a. a. O., S. 148), so daß sie niemals das Zelt oder den Holzbau kennenlernten, die Bauweisen also, die im System Quatremères die beiden anderen Urformen der Architektur darstellen. Zudem entdeckten sie im Inneren der Erde die Atmosphäre des Geheimnisvollen und Wunderbaren, die der asiatischen Mentalität so sehr entspricht, und diese Qualitäten konnten sie im monolithischen Höhlenbau auch ohne nennenswerte technische Einschränkungen zum eigentlichen Thema ihrer Architektur machen. Genau hierin liegt aber auch die Schwäche der asiatischen Architektur, meint Quatremère, denn gegenüber dem klassischen Vorbild der Urhütte für die Baukunst der europäischen Antike, die von Anfang an ein klares Bezugssystem von Tektonik und Dekor, von konstruktiver Notwendigkeit und künstlerischer Freiheit im Bauen einführte, ließen sich die amorphen Wände des Felsens in jede Form bringen, die die Phantasie ersinnen kann. Und die Phantasie ist bei 320
den asiatischen Völkern wiederum aus klimatischen Gründen aktiver als im gemäßigten Norden, denn unter der brennenden Sonne kann der Mensch nicht schlafen, und daher rührt der eigenartige Geschmack der Asiaten in Philosophie und Kunst, „der Enthusiasmus und die Ekstasen ihrer Dichter, die hyperbolische Sprache, die giganteske Ausdrucksweise und die übertriebenen Vergleiche (…). Daher diese pompösen Bilder, diese Verbindung völlig zusammenhangloser Gedanken, diese Monster und Chimären jeder Art, die die allegorischen Gestalten ihrer Kulte ausmachen und die unter dem Meißel der Bildhauer und dem Pinsel ihrer Maler zu immer neuem Leben entstehen. Der Geist dieses Volkes befindet sich in einem immerwährenden Traumzustand.“ (a. a. O., S. 149) Man kann sich denken, wie bei dieser Einschätzung der geistigen Welt eines nebulösen Ostens, der auch geographisch ein Irgendland bleibt und einmal „Asien“, ein andermal „Indien“ genannt wird, eine Architektur gewertet werden muß, die nach Quatremère das Ergebnis einer schrankenlosen Phantasie und einer von jeder technischen Notwendigkeit befreiten unterirdischen Höhlentechnik ist: „Frucht des Zufalls und des ersten Einfalls, den das Bedürfnis nahelegt, in der Sakralbaukunst dem Aberglauben ausgeliefert, in der Profanarchitektur den Capricen der Einbildungskraft, ein Tummelplatz der Phantasie und ein Sklave der Routine“. (ebd.) So ist das Souterrain nach Quatremère das für die Architektur am wenigsten geeignete Vorbild, vor allem bei jenen Völkern, die von der Natur mit einer besonderen Vorliebe für das Ungewöhnliche ausgestattet sind. Eine Baukunst, die aus solchen Quellen schöpft, bleibt roh und urwüchsig, bestenfalls unergründlich und vom Hauch des Geheimnisses umwittert, das die geistigen Bedürfnisse des Menschen in seinem dumpfen Kulturzustand befriedigt haben mochte, dem klaren Blick des Vernünftigen aber nicht mehr genügt. Quatremère hat hier ein Werturteil gefällt, das sicherlich ganz dem Geschmack seiner Zeit entsprach, aber zugleich für beinahe ein Jahrhundert lang die Urteilskraft fesselte. Sichtlich unter dem Eindruck dieser Meinung, schreibt Schinkel im Entwurf zu seinem architektonischen Lehrbuch über Souterrain und monolithische Architektur: „Es ist ein wesentlicher Umstand, unter welchen Bedingungen eines Volkes, unter welchen Naturumständen, in einem Volke die Baukunst zuerst begann (…). Entstehung der Höhlentempel in Indien und Oberägypten durch Versammlung roher Nationen an feierlichen Orten in der Natur zur Verehrung von Gottheiten, welche gemeinschaftliche Verehrung diese Natio321
nen zusammenhalten sollte. Ausgezeichnete Plätze in Wäldern und Gebirgen, Höhlen usw. waren am geschicktesten hierzu und man that dazu sie noch mehr auszuzeichnen durch die Kunst. Hier liegt der Grund der Höhlenbaukunst, welche nur einfache Stein- und Eisenwerkzeuge ohne Hebewerkzeuge und mechanische Vorrichtungen erforderte (…). In (die Holzbaukunst, J. P.) tritt bei ihrem Entstehen sogleich der Verstand ein und die Phantasie wird mehr gebunden. Dagegen die Höhlenbaukunst der freien Phantasie nachging, wozu die Natur stets anmuthete.“ (Schinkel, K. F., Anhang zum Lehrbuchplan von 1804, in: Peschken, G., K. F. Schinkel, Das Architektonische Lehrbuch, München 1979, S. 22–23) Vor allem mit diesen letzten Gedanken steht Schinkel erkennbar unter dem Einfluß Quatremères, wogegen der Passus über die kultische Eignung der Ursprünglichkeit der Höhle durchaus wertfrei ist. Und wenn man andere Äußerungen Schinkels zu diesem Thema in Betracht zieht, etwa seinen „Versuch über das selige Leben eines Baumeisters“ mit der Bemerkung das „Heraussuchen der Urnatur ist Aufgabe für die schöne Kunst“ (Schinkel, in: a. a. O., S. 35), so klingt in seinen Sätzen noch etwas von der alten Faszination der ursprünglichen Natur im Unterirdischen an.
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Exkurs 5 Die Hypnerotomachia Poliphili und der Sacro Bosco von Bomarzo In der emblematischen Perspektive (vgl. oben 6; Das Verrätselte) finden auch andere, bisher als bizarre Einzelerscheinung gedeutete künstlerische Ereignisse des Cinquecento ihre Plausibilität, wie die Hypnerotomachia Poliphili, jenes rätselhafte Buch des Francesco Colonna, oder der Sacro Bosco von Bomarzo, der nicht weniger rätselhafte Architekturgarten des Grafen Orsini. Die Hypnerotomachia Poliphili entstand in den gleichen Jahren, in denen Pienza erbaut wurde. (Das Manuskript lag 1467 vor, 1499 wurde es in Venedig gedruckt; Colonna [Pozzi], 1974, S. 3.) Colonna, ein venezianischer Mönch, möglicherweise aus dem berühmten römischen Geschlecht stammend (Colonna [Pozzi], 1974, S. 4; vgl. jedoch auch Goebel, 1971), schildert in seinem Buch die merkwürdigen Begebenheiten, die einem jungen Mann namens Poliphilo im Traume widerfahren. Poliphilo, der ein Mädchen mit dem Namen Polia liebt, ohne auf Gegenliebe zu stoßen, schläft an einem Maimorgen nach kummervoll durchwachter Nacht endlich ein. Im Traum durchwandert er eine öde Gegend, bis er sich schließlich ermattet niederlegt, wiederum einschläft und wiederum zu träumen beginnt. Im Traume träumend, findet er sich in einer üppig blühenden Landschaft wieder; er durchwandert ein Tal, bis vor ihm eine riesige Stufenpyramide auftaucht, deren Spitze von einem Obelisken gekrönt ist. Er besichtigt die Pyramide und einen anschließenden Säulenhof, gelangt in ein Labyrinth, wo er von einem Drachen verfolgt wird, und indem er ins Freie flüchtet, bemerkt er, daß die Architektur, die er soeben durchschritten hat, nur zur Außenwelt hin in monumentalen Bauformen in Erscheinung tritt, während sie auf der Rückseite als ein natürlicher Berghang erscheint. Die Architekturen, die in Pyramide, Säulenhof und Labyrinth zu einzelnen Gruppen zusammengefaßt sind, bergen einzelne, isoliert gesetzte Architekturfragmente, Ruinen und herabgestürzte Bauteile, sowie merkwürdige Skulpturen, die halb schon Architektur sind, halb aber noch monumentale Plastik: einen Elefanten aus schwarzem Obsidian, der auf seinem Rücken einen Obelisken trägt, ein geflügeltes Pferd, das Putten vergeblich zu besteigen versuchen, einen liegenden Koloß, der innen hohl ist und in dem Poliphilo Nachbildungen aller menschlichen Organe mit ihren möglichen Erkrankungen findet. Wie die Architekturteile sind auch diese monumentalen Zwitterwesen aus Baukunst und Plastik beschriftet, meist in griechischer oder 323
lateinischer Sprache, der Sinn der Inschriften bleibt ebenso dunkel wie derjenige der Skulpturen und Bauten. Sie verwirren eher, als sie erklären; und Poliphilo, ohne Führer in diese Welt gestellt, steht rätselnd vor dem bizarren Schauspiel. (Die Schriften sind bei Goebel, 1971, S. 45 ff wiedergegeben, ebenso die Deutungen nach Pozzi [1974]; Fierz-David, 1947, u. a.) Nach der Besichtigung der rätselhaften Ruinenstätte wandert Poliphilo nun durch eine verwunschene Landschaft, in die er auf so merkwürdige Weise gelangt ist, und der Weg führt ihn zu weiteren Architekturgruppen, zu seltsamen Bädern, Brücken und Gärten, die wie die Stationen eines zielgerichteten Vorwärtsschreitens geschildert werden, bis er das Reich der Königin Eleuterilida (= Willensfreiheit) erreicht. Die Nymphen der Königin, die die fünf Sinne verkörpern, führen ihn in ein oktogonales Bad, wo er „getauft“ wird, von dort schließlich zum Palast der Königin. Endlich bringen ihn zwei andere Nymphen, Logistica (= Vernunft) und Thelemia (= Willen), zur Grenze des benachbarten Reiches der Königin Telosia (= Ziel). Auch dieser Weg führt an Architekturgruppen vorbei, gläsernen und seidenen Gartenrondellen und an einem Wasserlabyrinth, und wiederum entdecken wir an allen Architekturgruppen rätselhafte Inschriften. Nun aber hat Poliphilo zwei Führerinnen bei sich, die sie ihm erklären. Dennoch will ihr Sinn nicht recht deutlich werden. Schließlich gelangen sie an die Grenze des Reiches, wo drei Pforten durch eine Felswand in die nächste Welt führen. In arabischer, hebräischer, griechischer und lateinischer Schrift sind sie als Pforte des jenseitigen Heils, des Glücks der Liebe und des Ruhmes dieser Welt gekennzeichnet. Zum Ärger der Logistica durchschreitet Poliphilo ohne Zögern das Tor ins Reich der Liebe. Dort empfängt ihn eine kostbar gekleidete Nymphe, in der er bald die geliebte Polia erkennen wird. Sie zeigt ihm eine Reihe von Triumphbögen, die die Siege Amors über Jupiter feiern, und geleitet ihn dann weiter in eine immer lieblicher werdende Landschaft, bis beide schließlich vor sich den Tempel der Venus erblicken. Im Inneren des Tempels, der als Inbegriff des Natürlichen, als Rundbau angelegt ist – (nach antiker Tradition strebt die Natur zu runden Formen; zum Venustempel siehe Schmidt, 1978) – gibt sich Polia als die Geliebte zu erkennen. Eine Opferzeremonie besiegelt ihr Verlöbnis. Poliphilo entbrennt in heftiger Leidenschaft, doch gelingt es Polia, sich seiner Begierde zunächst zu entziehen und ihn zum nicht fernen Gestade des Meeres zu bringen, wo sich eine uralte Nekropole erstreckt. Die antiquarischen Leidenschaften obsiegen für kurze Zeit über die Lust des Fleisches, und Poliphilo besichtigt, wie schon zu Beginn 324
seiner wunderbaren Reise, die verfallenen Gräber historischer und mythologischer Gestalten – die ersten Ruinen der Renaissance, wie Jacob Burckhardt bemerkt hat (Mitchell, C., Archaeology and Romance in Renaissance Italy, in: Jacob, E.F., Italian Renaissance Studies, London 1960, S. 482). Wieder sind die Ruinen beschriftet, hier allerdings mit klaren Sinnsprüchen. Der Besucher soll in den an dieser Stätte begrabenen fremden Schicksalen sein eigenes erkennen. So geschieht es auch Poliphilo; bei der Betrachtung eines Mosaiks, das den Raub der Proserpina darstellt, fürchtet er plötzlich, daß der Geliebten, die am Meeresufer zurückgeblieben ist, ähnliches widerfahren könnte, und Hals über Kopf stürzt er aus den verfallenen Monumenten ins Freie. Wieder vereint mit Polia, reist er über das Meer in einem Schiff Amors zur Insel Kythera, dem Wohnsitz der Venus. Diese Insel, ein Idealfall des „locus amoenus“, ist ein durch und durch architektonisches Gebilde auf kreisrundem Grundriß (Goebel, 1971, S. 57). Hier ist alles nach Maß und Zahl und geometrischen Figuren geordnet, und je weiter er ins Zentrum der Insel vordringt, desto künstlicher werden Wege, Gebäude und selbst Pflanzen. In der Mitte dieser vollständig artifiziellen Welt erhebt sich ein Amphitheater, dessen oberste Ränge von kunstvoll gezogenen architektonisch geschnitten Hecken gebildet werden. Unten in der Arena steht ein siebeneckiger Tempel mit einer Fontäne aus schwarzem Obsidian, in dem hinter einem Vorhang mit der Aufschrift „Hymen“ die Liebesgöttin badet. Poliphilo durchbohrt den Vorhang mit einem Pfeil, den er von Cupido erhalten hat, und als nun die Göttin erscheint, heftet ihr Begleiter die Liebenden mit einem zweiten Geschoß aneinander. „Hier endet der erste Teil des Buches und zugleich die Wanderung Poliphilos, deren Sinn nun deutlich ist: es handelt sich um einen über mehrere Stationen führenden Weg der Initiation ins Reich der Venus.“ (Goebel, 1971, S. 42; die hier gegebene Zusammenfassung folgt Goebel und Fierz-David, 1947.) Der zweite Teil, der sehr viel kürzer ist, erläutert in verschiedenen Binnenerzählungen die unterschiedlichen Perspektiven in Polias und Poliphilos Wanderung; er endet mit dem Erwachen der Titelfigur in der trostlosen Wirklichkeit. Mit dem Ende der Geschichte geht die Sonne auf, kurz vor Sonnenaufgang hatte sie begonnen: Die Erlebnisse des Poliphilo auf den Stationen ins Reich der Liebe umfassen also nur eine Spanne von wenigen Minuten an einem Morgen zwischen den Kalenden und den Iden des Mai 1467. 325
Es gibt zahlreiche Versuche, die Hypnerotomachia als metaphorische Beschreibung einer brennenden Liebe zur Antike, die in Polia verkörpert sein soll, zu deuten (so Julius von Schlosser u. a.; Nachweise bei Goebel, 1971), als literarische Überhöhung einer tatsächlich antiquarischen Reise durch die südliche Campagna bis hinab nach Ischia (= Kythera) (so Kretzulesco-Quaranta, 1976), als ein alchimistisches Werk, in dem man den Idealtyp einer alchimistischen Psychologie zu erkennen versucht hat (Fierz-David, 1947). Keiner dieser Versuche kann in den Konjekturen, die über die generelle Deutung des Traumgeschehens als Stationsweg einer Initiation hinausgehen, wirklich überzeugen. Der Sinn des Werkes bleibt in den Einzelheiten rätselhaft. Es ist vollständig nicht erklärbar, ebensowenig wie das vordergründige Thema des Buches, der labyrinthische Weg ins Reich der Liebe, letztlich zu begreifen ist. So mag man annehmen, daß die Rätselhaftigkeit der einzelnen Passagen Colonna ein geeignetes Mittel schien, das insgesamt deutlich herausgearbeitete Thema, die rational nicht zu durchdringende Welt des Eros zu schildern. Bemerkenswert ist, daß der Autor eine überwiegend architektonische Bilderwelt in seine Dienste nimmt und daß er Motive und Methoden verwendet, die man emblematisch nennen muß. Es begegnet wieder eine kombinatorische Technik der Sinn- und Rätselhaftigkeit; einzelne Architekturelemente werden hier isoliert und in bizarrer Zusammenschau in den Raum gesetzt. Die Beschreibungen sind von minuziöser Genauigkeit. Sie scheinen geradezu auf dem Reißbrett konstruiert, und doch läßt der stetige Wandel des Beobachtungsstandortes nur selten den Eindruck einer realen Schilderung entstehen. Der Leser scheint die Position eines Betrachters über, neben oder im Inneren eines Architekturmodells einzunehmen (Goebel, 1977, spricht hier von einer „vollkommenen Rücksichtslosigkeit gegenüber perzeptivem Realismus“, S. 54). Die Architekturen stehen in Landschaften unterschiedlichen Kultivierungsgrades, wobei sie sich selten zu Ensembles, nie aber zu geschlossenen oder auseinander hervorgehenden Räumen zusammenfügen. Es bleiben Einzelkomplexe auch in der höchst künstlichen Welt der Venusinsel; nirgends ist die Andeutung einer Stadt oder auch nur eines räumlichen Kontinuums zu sehen. Zahlreiche Architekturen bleiben selbst fragmentarisch, entweder als Ruinen oder auch nur als Reste einzelner Bauglieder, die aus dem Boden herausragen. Andere sind zwar vollständig, aber ihre Vollständigkeit ist bizarr, ebenfalls eine Folge geradezu schrankenloser Additionswut: Auf dem Turm türmt sich das Türmchen, auf der Pyramide steht der Obelisk, auf dem Kolosseum aus Stein findet sich ein zweites aus geschnittenen Hecken. 326
Selbst den Bautypen über einfachen geometrischen Grundformen, wie sie aus der Baugeschichte hinlänglich bekannt sind, versteht Colonna noch Rätsel und Merkwürdigkeiten abzugewinnen, indem er sie in jedem Kapitel aufs neue, aber mit grundlegend anderen Bedeutungen wiederkehren läßt: Der Obelisk erscheint zunächst als Sonnenzeichen auf der Pyramide, dann als Mondsymbol auf dem schwarzen Elefanten, im dritten Kapitel als dreidimensionale Hieroglyphe und schließlich als Denkmal des Augustus neben einem Grabtempel. Der polygonale Zentralbau ist zunächst Badehaus, dann Venustempel, Grabtempel und schließlich Tabernakel. Im fünften Kapitel taucht er dann in den verschiedensten Formen wieder auf, im Grundriß der Insel Kythera, in den Tempietti, im Amphitheater, in der Venusfontäne usw. (Goebel, 1971, S. 66). Diese Mehrdeutigkeit wird durch die rätselhaften Inschriften noch akzentuiert. Häufig handelt es sich um Rebuszeichen, um Scheinhieroglyphen, die Colonna getreu der Hieroglyphenmode seiner Zeit erfunden hat und die weniger etwas Bestimmtes bedeuten sollen, als eine Atmosphäre des Geheimnisses, des vergessenen Wissens, der Magie vor aller Erkenntnis, zu erzeugen geeignet sind. (Zur Hieroglyphe siehe Volkmann, 1925 und 1926; auch Iversen, 1958) Die Hieroglyphen stehen für die Welt der verlorenen Erfahrung, und in diese Welt gehören auch die immer wieder vorkommenden anthropomorphen Architekturen, die drehbaren Statuen, die scheinbar lebenden Automaten der Wasserkünste. Colonna verläßt mit seinen Beschreibungen der betretbaren, innen hohlen Kolosse, die so groß wie ganze Häuser in den Säulenhöfen liegen, endgültig die Möglichkeit der realen Architektur. Goebel spricht hier von einem „Delirium der Formenphantasie“ (1974, S. 60). Nur in der erdichteten Architektur der Literatur kann sich eine solche Formenphantasie ausleben, und deshalb ist dies der Punkt, an dem die Parallele von Colonnas Architekturbeschreibungen mit den „emblematischen Architekturen“ des zeitgenössischen Bauens endet. Die funktionalen Notwendigkeiten realer Architekturen lassen sich zwar noch mit einer kombinatorischen Technik der Sinnbildlichkeit, mit der Isolierung einzelner Elemente und mit anderen emblematischen Methoden, wie wir sie sowohl in Colonnas „Hypnerotomachia“ als auch in den Stadtanlagen von Pienza oder Pitigliano beobachten konnten, verbinden, aber für anthropomorphe Bizarrerien ist dort kein Raum. Ganz anders liegen die Dinge in der Gartenarchitektur, die ohne den Zwang der Funktion Räume und Architekturelemente frei miteinander verbinden kann. Unter der an emblematischen Erfindungen reichen Gar327
tenarchitektur des Cinquecento ragt eine Anlage heraus, in der man den Idealtyp der manieristischen Gartenkunst gesehen hat, der Sacro Bosco von Bomarzo. (Kretzulesco-Quaranta, 1976; Quaranta, 1960; Miller, 1982; Pieyre de Mandiargues, 1957; Theurillat, 1973; Recupero, 1977) Über den Ursprung des Gartens ist nichts bekannt, auch über den Bauvorgang und die Bedeutung der Anlage weiß man nichts. Fest steht lediglich, daß der Park von Vicino Orsini, dem Herzog von Bomarzo (1523–1583), angelegt wurde und daß er 1563 weitgehend fertiggestellt war (Recupero, 1977, S. 13; nach Abschluß meines Manuskripts erschien die große Monographie von Bredekamp, Horst, Vicino Orsini und der Heilige Wald von Bomarzo. Ein Fürst als Künstler und Anarchist. Worms 1985, 2 Bde.). Der Sacro Bosco liegt unterhalb der Stadtburg von Bomarzo auf einem sanften, bewaldeten Hügel am oberen Ende des Tales, das sich zum Tiber hinabsenkt. Diese Abseitslage ist charakteristisch für den Typ des „giardino secreto“, den die Zeit so sehr liebte; die architektonische Durchbildung aber ist grundlegend davon verschieden. Während der „giardino secreto“ häufig als „versunkener Garten“ mauerumfaßt oder ins Parterre hineingesenkt, in jedem Falle aber als Architektur, als regelmäßiges, künstliches Gebilde behandelt ist, haben wir es hier mit einem offenen Hain zu tun, in dem, ohne erkennbaren Plan, einzelne Skulpturen, bizarre Monsterplastiken und übergroße Architekturfragmente verteilt liegen. Bemerkenswert ist, daß die wichtigsten Figuren der „Hypnerotomachia“ und auch einige architektonische Elemente der Traumschilderung hier ebenfalls zu finden sind oder zumindest sehr verwandte Baugestalten hier wieder auftauchen. So begegnen wir wieder einem Elefanten, der hier anstelle eines Obelisken einen Turm trägt, einem Drachen, den wir aus dem Labyrinth des Poliphilo kennen, einer zweischwänzigen Sirene, wie sie im Roman auf einem Brunnen zu sehen war und einem Nymphäum, in dem bei Colonna die Nymphen rings um die nur von hinten anzuschauende Venus sitzen. Anstelle der Ruinen der „Hypnerotomachia“ liegen an verschiedenen Stellen halbversunkene Architekturteile, ein schräg im Hang verschwindender Pavillon mit einer steinernen Bank, und vor allem ein im Boden versinkendes, bedrohlich schiefstehendes Haus. Die anthropomorphen Architekturen der hohlen Kolosse haben hier ihr Pendant in einem gewaltigen Kopf mit offenem Maul, dem Orco, der in seinem Inneren ein Gartenhaus birgt. Neben diesen Monstrositäten gibt es auch einen Tempietto, der als oktogonale Kapelle mit vorgelagertem Tripteros an den Tempel der Venus erinnert. Dieser Bau ist mit seinen 328
Proportionen so vollkommen, daß man ihn Vignola zugesprochen hat (Quaranta, 1960, S. 12). Man könnte in diesen Entsprechungen eine Verwandtschaft zwischen der „Hypnerotomachia“ und dem Sacro Bosco sehen, auch eine direkte Beeinflussung, aber es wäre falsch, von einer bloßen architektonischen Nachahmung des literarischen Vorbildes zu sprechen (so Quaranta, 1960; ihre Formulierung eines „gusto polifileso“ scheint eher angemessen, S. 8). Dafür sind Skulptur und Architektur des Parks zu sehr das Produkt eines eigenständigen, sicher auch exzentrischen Kopfes. Die verstreute Lage der Monumente und Kolosse im Park ist äußerst befremdlich und scheint so ganz aus einer anderen Welt zu stammen, daß zwei bemerkenswerte Lokalüberlieferungen über den Ursprung der Anlage entstehen konnten. Das Volk spricht die rätselhaften Monumente einmal der bizarren Phantasie türkischer Kriegsgefangener zu, die sich damit auf Befehl des Herzogs die Zeit vertreiben mußten, ein andermal sieht es in den verstreuten Figuren die Reste eines uralten Schlosses, das hier lange vor der Herrschaft der Orsini gestanden haben soll (Pieyre de Mandiargues, 1957, S. 31). Die Monumente werden also mit den beiden klassischen Formeln des Fremdartigen belegt, mit dem Exotischen, das räumlich fernen Nirgendländern angehört, oder dem zeitlich Fernen des Vergessenen, Versunkenen, das vor allem Menschengedenken war. Die Architekturen und Skulpturen des Sacro Bosco sind beschriftet, nicht in einer fremden Sprache, wie es die Emblemtheoretiker fordern, dafür aber mit dunklen, unverständlichen Sprüchen, die zudem häufig fragmentatisch sind: Sprachruinen. (Zusammenstellung der Sprüche bei Kretzulesco-Quaranta, 1976, S. 275 ff.) So liest man über dem Maul des Oger, der auch den Orkus repräsentiert, die Inschrift „Ogni pensiero vo“, nach der Inschrift von Dantes Höllentor zu ergänzen als „Lasciate ogni pensiero, voi che entrate“. (Laßt jeden Gedanken fahren, die ihr hier eintretet). Nur ist an die Stelle der Danteschen speranza (der Hoffnung auf göttliche Erlösung), dem sinnenverwirrenden und von Menschenhand geschaffenen Labyrinth gemäß, hier der pensiero (der Gedanke oder die Phantasie) getreten, der keine Auflösung der manieristischen Rätselwelt mehr zu finden vermag. Nun ist aber die Formulierung der Devise positiv: „Ogni pensiero vo“, und kann, wie mit der töricht vereinfachenden Ergänzung durch den Denkmalpfleger mit ,vola‘ zu Ende gelesen werden: „Jeder Gedanke fliegt“. „Das will sagen, der Gedanke, der im Flug der Phantasie dieses Labyrinth errichtet hat und der Ordnung suchende Gedanke, der sich hier heillos verwirrt, haben den gleichen Ursprung.“ (Miller, 1982, S. 47) 329
Sowenig wie die Inschriften zu einer Deutung der Figuren und Architekturen beitragen, sowenig lässt das Ensemble einen zusammenhängenden Sinn erkennen. Eine Abfolge schrecklicher Visionen bietet sich beim Durchschreiten des Wäldchens dar, und nichts anderes ist hier angestrebt, als die Sinne des Betrachters zu verwirren und ihn seiner gewohnten Erfahrung im Umgang mit Räumen und Architekturen zu berauben. Und in dieser Absicht versteht es der Architekt des Zauberwaldes von Bomarzo meisterhaft, die Eigengesetzlichkeit der Architektur zur Erzeugung seiner Rätsel einzusetzen. Während die Rätselhaftigkeit der emblematischen Bilderwelt von vorneherein als Abbildung dem Betrachter vorliegt, in der die Gegenstände illusionär bleiben, ist der Sacro Bosco zunächst einmal eine reale Welt. Im konkreten Ambiente, durch das man hindurchgehen kann, muß auch die Sinnenverwirrung, die hier erzeugt werden soll – das Rätselhafte, Unwirkliche, Bizarre – vom konkret Erfahrbaren ausgehen. Hier entwickelt sich erst alles im Durchschreiten des Hains, wenn plötzlich Gewohntes in ungewohnter Darbietung oder Verbindung erscheint. So die Masken, wie der „orco“, die ganz den ausdrucksstarken antiken Vorbildern nachempfunden sind. Nur sind sie hier im Maßstab um ein Vielfaches größer, als Gebäude aufgefaßt, fest, unbeweglich halb im Erdreich versunken. Und natürlich kann man in das Innere hineingehen. Hier ist mit aller Sorgfalt ein ganz regelmäßiger kubischer und mit einem Gewölbe abgeschlossener Raum aus dem unregelmäßigen Körper gearbeitet, und man hat sorgfältig darauf geachtet, daß Maul und Augen von innen ganz wie normale Fenster- und Türöffnungen wirken. Das Raffinement dieses Spiels mit den Gegensätzen von organischen, körperhaften Formen und den geometrischen Kunstformen der Architektur wird besonders in der monolithischen „Möblierung“ des „orco“ offenbar. Steht man draußen vor der Maske, so scheint aus dem halbdunklen Rachen ein Gebilde wie ein monströses Zäpfchen, und man ist ganz überrascht, wenn man beim Eintreten bemerkt, daß dies der Tisch ist. Die Täuschung ist perfekt, da man beim Betreten des Rachens zunächst etwa zehn Stufen emporsteigen muß, so daß man vom Tisch erst die Untersicht hat, die – als konvex gearbeiteter Sockel mit länglicher Platte –, so geformt ist, daß der Eindruck einer zurückgebogenen Zunge mit ihren Bändern gleichkommt. Neben der Maßstabverzerrung ist in Bomarzo die Reihung und Häufung von Architekturelementen, die sonst typische Einzel- oder Doppelgebilde sind, ein virtuos beherrschtes Mittel der Bizarrerie: Pfeilerbekrönungen, 330
wie Pinienzapfen oder Eicheln, werden hier zu ganzen Alleen aufgestellt, ebenfalls im Maßstab enorm vergrößert. Desgleichen sonst einzelstehende Grenzmarkierungen wie Cippi; auch Vasen, die in der Regel einzeln gesetzt sind, stehen hier in langen Reihen. Als einzelstehende Exemplare sind sie dagegen kolossal, mehr als sechs Meter hoch. Verwirrend sind die schon erwähnten Bauten einer „verkehrten Welt“, bei der die gewohnten Gesetze von Vertikalität, Horizontalität, Schwerkraft und Gleichgewicht auf den Kopf gestellt sind: zunächst ganz harmlos in einer Laube, in der ein steinernes Kanapee unter einem Bogen ganz eben in einen steilen Hang gebaut ist, so daß man ganz gewöhnlich sitzt, es aber kaum recht glauben mag. Dann aber, als Höhepunkt dieser Kunst bei einem schiefen Haus, das sich so sehr neigt, daß man Angst hat hineinzugehen. Merkwürdig: Nicht die schiefen Böden und Decken sind das eigentlich Irritierende, sondern vor allem die Fenster, die so ungewöhnliche Ausschnitte der Welt draußen zeigen, daß einem ganz schwindelig wird. Zwischen diesen Architekturen, halb verdeckt von den Bäumen, stehen immer wieder Gruppen von Monstren, die sich zerfleischen, oder urzeitliche Kriegergestalten, die sich gegenseitig töten – wenn dies ein Garten der Sinne ist, wie man gesagt hat (Praz, 1975), dann vor allem der Schrecken und Schmerzen, die die Sinne ja auch vermitteln. Vielleicht ist es dies und damit zugleich eine Allegorie der Lebensgeschichte des Kriegsmannes Orsini. Der kleine Tempietto, als Erinnerung des Herzogs an seine Frau in vollendeten Proportionen errichtet, wirkt wie ein Trost in dieser traumatischen Welt. Oder ist auch er nichts anderes als ein raffinierter Akzent, der wohl plazierte harmonische Kontrast inmitten der Monstrosität, gewissermaßen die Umkehrung der klassischen Regel, die absolute Perfektion einer Architektur durch einen kleinen, aber bewußt gesetzten Fehler erst recht sichtbar zu machen?
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Abbildungsnachweise Die Angaben beziehen sich, soweit sich bei den einzelnen Positionen keine bibliographischen Hinweise finden, auf die in der Bibliographie genannten Quellen.
1 Evans, I, 1921, S. 559 2 Matthews, S. 33, Ebinghaus, H., Der Hochbau, Nordhausen 1936, S. 7 3 Robertson, S. 20 4 Kern, S. 60 5 Kern, S. 55 6 Kern, S. 55 7 Santarcangeli, 1967 8 Evans, 1921, S. 564 9 Kern, H., Abbild der Welt und Heiliger Bezirk. Labyrinthstädte – Stadtlabyrinthe, in: Daidalos 3, 1982, S. 20 10 Kern, 1982, S. 15 11 Carpeggiani, 1982, S. 31 12 Matthews, S. 129, Pieper 13 Tafuri, M., L’ampliamento barocco del comune di San Gregorio da Sassola, in: Quaderni dell’Istituto di Storia dell’Architettura, Serie 6, 7, 8, No. 31–48, Rom 1961, S. 369 14 Tafuri, 1961, S. 371 15 Tafuri, 1961, S. 370 16 Layard, 1936, S. 169 17 Evans, 1921, S. 575 18 Evans, 1921, S. 772 19 Evans, 1921, S. 574 20 Evans, 1921, S. 577 21 Kern, 1981, S. 15 und S. 36 22 Kern, 1981, S. 37 23 Kern, 1981, S. 520 24 Kern, 1981, S. 78 25 Kern, 1981, S. 89 26 Pieper, Plansammlung 27 Pieper, Reisetagebuch 28 Rawson, P., Tantra. Katalog der Ausstellung in der Hayward Gallery, London 1972, S. 130 29 Roscher, 1913, S. 32
348
30 Dietterlin, W., Architectura, Straßburg 1598 (Reprint Braunschweig/ Wiesbaden 1983) 31 Zander, G., Gli elementi documentari sul Sacro Bosco di Bomarzo, in: Quaderni dell’Istituto di Storia dell’Architettura, Serie 7, 8, 9, Rom 1955, S. 29 32 Kircher, 1675, S. 34 33 Murphy, J. C., Introduction to the „Plans of the Church of Batalha“ by Sousa Coutinho, London 1795 34 Rossi, P. O., Cori: Una lettura in chiave simbolica dell’Urbanistica medioevale, in: Quaderni dell’Istituto di Storia dell’Architettura, Serie 17–1, No. 97–114 (1970–1972), Rom 1975, S. 14 und S. 15 35 Roscher, 1913, Tafel VII, 2; Tafel VI, 2; Tafel IX, 4; Tafel VI, 4 36 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafel 236 37 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafel 258 38 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafel 257 39 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafel 41 40 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafeln 16/17 41 Gutschow, 1977 42 Chambers, 1903, S. 84 und Michael, 1963, S. 20 und S. 22 43 Michael, 1963, S. 46 und S. 47 44 Michael, 1963, S. 45 45 Frutaz, 1962, Bd. II, Tafel 47 46 Géants, 1981, S. 128 47 Géants, 1981, S. 150 48 Géants, 1981, S. 151 49 Géants, 1981, S. 158 50 Géants, 1981, S. 156 51 Géants, 1981, S. 156 52 Géants, 1981, S. 157 53 Géants, 1981, S. 155 54 Sansen, 1980, S. 41 55 Pieper 56 Alessi, 1565 57 Pieper 58 Pieper 59 Pieper 60 Pieper 61 Alessi, 1565 62 Alessi, 1565
63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110
Alessi, 1565 Alessi, 1565 Alessi, 1565 Liebeschütz, 1930, Tafel II Alessi, 1565 Alessi, 1565 Alessi, 1565 Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Fergusson, 1862 Pieper, Plansammlung Pieper, Reisetagebuch Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper, Reisetagebuch Pieper, Reisetagebuch Pieper Pieper Pieper, Plansammlung Gutschow, 1977 Pieper Pieper, Reisetagebuch Pieper Pieper Pieper Pieper, Plansammlung Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper, Plansammlung Pieper Pieper, Plansammlung Pieper Pieper, Plansammlung Pieper Muthmann, 1975, Tafel VII, l Muthmann, 1975, Tafel XVI, 3 Muthmann, 1975, Tafel VII, 3
111 Seroux d’Agincourt, G.B., Histoire de l’art par les monumens depuis sa décadence au IVe siècle jusqu’à son renouvellement au XVIe, Straßburg 1819, Tafel IX 112 Rudofsky, 1977, S. 28 113 Pieper 114 Le Goff, 1981, S. 1177 115 Le Goff, 1981, S. 1183 116 Pieper 117 Pieper 118 Kircher, 1665, S. 173 119 Postkarte 120 Pieper, Reisetagebuch 121 Mitter, 1977, S. 129 122 Mitter, 1977, S. 129 123 Kircher, 1665, S. 101 124 Ploss, 1970, S. 81 125 Ploss, 1970, S. 81 126 Klossowski de Rola, 1974, Abb. 29 127 Lennep, 1982, S. 39 128 Lennep, 1982, S. 41 129 Lennep, 1982, S. 41 130 Pieper 131 Daniell, 1818 132 Daniell, 1818 133 Faujas de Saint Fond, 1797, Falttafel 134 Meyers Konversationslexikon 1904–1908, Tafel Höhlen II 135 Fraipont, Les cavernes et leurs habitants, Paris 1896 136 Sieber, 1823 137 Buckland, 1823, Tafel 21 138 Buckland, 1823, Tafel 14 139 Buckland, 1823, Tafel 20 140 Buckland, 1823, Tafel 27 141 British Museum, Maps 144 c 25 142 Rudofsky, 1977, S. 336 143 Rudofsky, 1977, S. 336 144 British Museum, Maps 144 c 25 145 Pieper 146 Pieper 147 Pieper 148 Pieper 149 Pieper 150 Pieper 151 Baldini, 1932–1936 152 Rollenhagen, 1613, No. 85
349
153 154 155 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190
350
Zincgreff, 1619, No. 23 Camerarius, 1590, No. 73 Saavedra, 1640, No. 5 Visscher, 1620, No. 36 Beze, 1580, No. 41 Cataldi, 1978 Pieper Cataldi, 1978 Pieper Pieper Pieper Pieper Pieper Wind, 1958, Abb. 63 Pieper Pieper Wind, 1958, Abb. 64 Pieper Magnago-Lampugnani, 1978, S. 126 Magnago-Lampugnani, 1978, S. 117 (Titel) Magnago-Lampugnani, 1978, S. 133 Maretto, 1975, S. 129 Maretto, 1975, Plananhang Maretto, 1975, S. 171 Maretto, 1975, Plananhang Morini, 1963, S. 215 Confurius, 1981, S. 685 Confurius, 1981, S. 686 Pieper (nach Mazza, 1980) Pieper Pieper Blunt, 1972, Abb. 11 Kircher, 1675, S. 108 f. Kircher, 1679 Kircher, 1679, S. 78 Quatremère, 1829, Tafel I Quatremère, 1829, Tafel II Schlußvignette: Kircher, A. Oedipus Aegyptiacus, 1654. Das Blatt zeigt Harpocrates, den graeco-ägytischen Gott des Schweigens.
Nachwort zur Neuauflage 2009
Ein Buch, das in Teilen vor beinahe dreißig Jahren geschrieben wurde und vor mehr als zwanzig Jahren erschienen ist, konfrontiert den Autor bei der Neuauflage mit der eigenen wissenschaftlichen Frühgeschichte. Rückblickend erkennt er in der lange zurückliegenden Arbeit spätere Themen, Forschungsansätze klingen an, die später wieder aufgegriffen und in umfassenden Monographien weiterentwickelt wurden. Vor allem aber ist zu bemerken, wie hier im Frühwerk ein bestimmtes Verständnis des eigenen Faches artikuliert wurde, das sich wie ein roter Faden durch alle späteren Arbeiten zieht. Es ist dies zunächst die Einsicht, daß die Baugeschichte dazu beizutragen hat, Grundfragen der Architektur auf dem gesicherten Terrain des historischen Bauens zu klären, in einem geistigen und materiellen Umfeld also, dessen Wirkungszusammenhänge abgeschlossen sind, so daß ihre prägenden Kräfte präziser erfaßt werden können als im aktuellen Geschehen. Darin ist das Verständnis einer Baugeschichte zu erkennen, die nicht nur ein historisches Bildungsfach für Architekten und Architekturinteressierte sein will, sondern sich als historischer Beitrag zum aktuellen architektonischen Diskurs versteht, einer Baugeschichte also, die sich nicht vornehm aus den lebendigen Richtungsdebatten um grundlegende Architekturfragen heraushalten will, sondern sich einmischt, und dies weniger mit subjektiven Meinungen als mit der Faktizität der historischen Evidenz. Dieser Anspruch führte damals zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Labyrinthischen als einer grundlegenden architektonischen Kategorie, die ungeachtet ihrer umgangssprachlichen Sprichwörtlichkeit bis dahin kaum näher untersucht worden war. Problemstellungen von ähnlich grundsätzlicher Natur prägten auch meine späteren Arbeiten, wenngleich meist eingebettet in umfassend angelegte monographische Untersuchungen. Es ist dann festzustellen, daß schon dieser frühen Buchveröffentlichung über das „Labyrinthische“ ein kulturvergleichender Ansatz zugrunde liegt, wie er auch viele meiner späteren Forschungen geprägt hat. Dieser Ansatz fußt auf der Gewißheit, daß der wissenschaftliche Blick auf die Architektur uns fernstehender Kulturen die Universalität des Architekto351
nischen insgesamt schärfer hervortreten läßt als die ausschließlich eurozentrische Forschung. Vor allem aber ist schon Das Labyrinthische das Ergebnis einer baugeschichtlichen Arbeitsmethode, die immer zunächst die gebaute Architektur selbst als die wichtigste Quelle ihrer Geschichte und Bedeutung nimmt, die immer von der eigenen Feldforschung am Objekt ausgeht, dabei aber bestrebt ist, die Mikroskopie der Einzelforschung am historischen Bauwerk hin zu einer Makroskopie der materiellen und geistigen Zusammenhänge zu entwickeln. Ich habe diesem Nachwort mein Schriftenverzeichnis beigefügt, da aus der Abfolge der Titel und Themen über die Jahre hinweg faßbar wird, wie ausgehend von den frühen Arbeiten diese drei Axiome meines Baugeschichtsverständnisses – das Bemühen um Zeitgenossenschaft im Bezug der historischen Forschung auf Grundfragen des Architekturdiskurses, der kulturvergleichende Ansatz und die Verbindung der Mikroskopie der historischen Bauforschung mit der Makroskopie der architektonischen Topik und Bedeutungsforschung – mein gesamtes Œuvre bestimmt haben. Da die Neuauflage von Das Labyrinthische fast auf den Tag genau zu meinem 65. Geburtstag erscheint, ist das Buch mit diesem Anhang zudem so etwas wie eine zusammenfassende Rückschau, wie sie früher die außer Gebrauch gekommene Gattung der Festschrift leistete, die neben allem Salut ja immer auch eine Retrospektive sein wollte. Die Neuauflage erfolgt inhaltlich unverändert, bis auf die Korrektur einzelner Druckfehler und Änderungen an einigen Abbildungslegenden, die notwendig wurden, weil das Originalmaterial nicht mehr vorhanden war und durch ähnliches ersetzt werden mußte. Ich habe keinen Anlaß gesehen, einzelne Inhalte zu überarbeiten, auch wenn ich dazu zwischenzeitlich umfangreichere Arbeiten vorgelegt habe. Vor allem habe ich nach eingehender Prüfung auch keine Korrekturen an den Passagen vornehmen müssen, die von einigen Kollegen kritisch bis skeptisch, teilweise gar polemisch kommentiert wurden. Obwohl von der Kritik durchweg positiv aufgenommen, ist das Buch gelegentlich als „esoterisch“ charakterisiert worden. Man würde erwarten, daß dieser Vorwurf sich generell auf die Beschäftigung mit dem „Verborgenen, Rätselhaften, Schwierigen in der Geschichte der Architektur“ beziehen würde, wie ich Das Labyrinthische im Untertitel charakterisiert habe, tatsächlich ist aber immer nur der Abschnitt über Pienza im Kapitel 7 – Das Verrätselte: Emblematische Architektur – gemeint, wenn in diffamierender Absicht von „Esoterik“ die Rede ist. Insbesondere die dort mitgeteilten Beobachtungen zum mit352
täglichen Aequinoktialschatten der Kirchenfassade auf der Neunfelderteilung der Piazza – mit denen mir 1978 eine genuine Entdeckung gelungen ist – und seine kalendarischen Implikationen sowie die damit intendierten zeichenhaften Aussagen des Ensembles ließen für manche Kritiker meine Darstellung „in bedrohliche Nähe zum Esoterischen“ geraten. Der Vorwurf kommt aus einem Winkel der Baugeschichte, in dem das Fach als reine Sachkunde betrieben wird und wo überhaupt jede Art von architektonischer Bedeutungsforschung von vornherein verdächtig – eben „esoterisch“ – ist. Hier von Esoterik zu sprechen bedeutet jedoch, auf leichtfertige Weise ungenau mit diesem Begriff umzugehen und ihn ohne Rücksicht auf präzise Definitionen bis zu seiner Bedeutungslosigkeit auszuweiten. Esoterik meint ja vor allem die pseudowissenschaftliche Beschäftigung mit Paraphänomenen und Projektionen anstelle der empirischen Wirklichkeit, den Versuch, nicht Gewußtes und deshalb prinzipiell nicht Erklärbares zu deuten und schließlich hochkomplexe Erscheinungsformen eines Gegenstandes dem Wirken außerirdischer Mächte oder der geheimbündlerischen Präsenz eines „alten“, „verlorenen“ oder „höheren“ Wissens zuzuschreiben. Ein Hantieren mit der Kategorie des Esoterischen, das diese klaren Definitionen aus dem Blick verliert, ist in hohem Maße leichtfertig und im wissenschaftlichen Zusammenhang ganz und gar unverantwortlich. Es verwischt die scharfe und zwingende Unterscheidung zwischen dem unbedingt notwendigen rationalen Durchdringen der verschiedenen Bedeutungsebenen von Architektur als Zeichensprache und als Teil eines kulturellen Systems der Darstellung und Deutung von Welt, die ja unstrittig ist, und der irrationalen Unterstellung einer geheimen, höheren, gar jenseitigen – auf jeden Fall außerkulturellen – Wirkungsmacht in der Architektur als Produkt und Zeugnis menschlicher Kulturfähigkeit. Die Quelle dieser wissenschaftlichen Leichtfertigkeit im Umgang mit der Kategorie des Esoterischen ist eine beschränkte Sicht auf die Architektur insgesamt, die auch dem künstlerischen Bauen ausschließlich materielle Qualitäten zubilligen mag, bestenfalls gepaart mit einer diffusen Fähigkeit, Macht, Reichtum oder Transzendenz zu assoziieren, auf keinen Fall aber geeignet, geschweige denn dazu bestimmt, irgend schärfer zu fassende Ideen zu transportieren. Diese Wahrnehmung muß aus ihrem Architekturverständnis ausblenden, daß Architektur vor allem ein Kulturphänomen ist, Teil unserer kulturellen Systeme der Sinnstiftung und Selbstdeutung, die gerade in ihren komplexesten Erscheinungsformen 353
darauf angelegt sind, die sichtbare und die vorgestellte Welt nach den zeitspezifischen Begriffen von Essenz und Existenz des individuellen wie des gesellschaftlichen Lebens zu deuten. Diese kulturellen Möglichkeiten der Architektur rational zu durchdringen und wissenschaftlich zu fassen, ist nach meiner Überzeugung die eigentliche Aufgabe der Baugeschichte, die weit über die reine Sachkunde als historisches Bildungsfach für Architekten und Architekturinteressierte hinausweist. Wer das Bemühen um eine umfassende Erkenntnis des künstlerischen Bauens, das sich aus diesem Begriff der Baugeschichte notwendigerweise herleitet, als „esoterisch“ abstempelt, gibt zu erkennen, daß er einem Verständnis des Faches anhängt, das seine Aufgabe in denjenigen Gegenständen der Architektur erschöpft sieht, die sich bereits im einfachen Auf- und Abzählen erschließen. Als Vertreter einer Disziplin, die im Medium der Sprache zu ihren Erkenntnissen findet, haben wir eine besondere Sorgfaltspflicht im Umgang mit den Begriffen. Wer Das Labyrinthische liest oder irgendeine andere meiner Schriften, wird feststellen, daß sie an keiner Stelle in bedrohliche Nähe zum Esoterischen geraten, sondern daß alles darin durch die ‚drei Siebe des Sokrates‘ gegossen wurde, die da heißen: „Ist es wahr? Ist es gut? Ist es notwendig?“ Bei einer Neuauflage nach so langer Zeit muß man fragen, welche besonderen Gründe dafür sprechen, das Buch ein zweites Mal unverändert vorzulegen. Ein erster Grund ist, daß das Buch zu einer Gattung gehört, die innerhalb der Baugeschichte – aber auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen – sehr selten geworden ist. Es ist dies die Gattung „synoptischer“ Schriften, die ein sehr spezielles Einzelwissen mit den großen Fragen eines Faches zusammenzubringen suchen. Im vorliegenden Fall werden zahlreiche Einzeluntersuchungen, die vor allem auf eigenen akribischen und langjährigen Feldforschungen beruhen, zur Klärung einer grundlegenden architektonischen Kategorie – eben des Labyrinthischen – herangezogen, sowohl im Hinblick auf deren Erscheinungsformen als auch auf die möglichen Bedeutungen, die sich damit verbinden können. Diese Gattung der architekturgeschichtlichen Literatur ist deshalb so selten geworden, weil das Fach die größten methodischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte in der historischen Bauforschung gemacht hat, der sich in der Folge immer mehr Bauhistoriker verschrieben haben. Die wichtigsten Fachpublikationen sind deshalb seit längerer Zeit in diesem Bereich erschienen, die „Kontextliteratur“ dagegen, die den größeren historischen und gesell354
schaftlich relevanten Zusammenhang erschließt, ist demgegenüber ganz in den Hintergrund getreten. So beeindruckend die Resultate der historischen Bauforschung fraglos sind, so bedauerlich ist die damit einhergehende Verengung des Faches auf die ausschließlich objektbezogene Forschung. Baugeschichte ist aber ein Fach von großer gesellschaftlicher Relevanz, und es muß eine vordringliche Aufgabe des Faches bleiben, die gründliche und natürlich immer objektbezogene Forschung an den Grundfragen nach dem Sinn des Bauens zu orientieren. Dies exemplarisch in Erinnerung zu rufen, ist ein erster Grund für die Neuauflage dieses Buches. Ein zweiter Grund ist, daß vieles, was hier noch vor wenigen Jahrzehnten zusammengetragen werden konnte, heute schon nicht mehr existiert. Dies gilt insbesondere für den Totalverlust der städtischen Kultur Indiens, die zu den faszinierendsten Erscheinungen der Menschheitsgeschichte überhaupt zählte und dennoch selbst in ihren ehemaligen Rückzugsräumen des Himalaya – insbesondere im Tal von Kathmandu – trotz redlicher Bemühungen um ihre denkmalpflegerische Konservierung verschwunden ist. Ich habe schon im Vorwort zur ersten Auflage deutlich gemacht, wie viel Das Labyrinthische meinen langjährigen Forschungsaufenthalten in diesem Raum verdankt. Als ich 1967 zum ersten Mal nach Kathmandu kam, war diese Stadt noch weitgehend vorindustriell geprägt. Im unmittelbaren Erleben des festlichen und alltäglichen Lebensrhythmus dieser Stadt und der kleineren Nachbarstädte Bhaktapur und Patan habe ich begriffen, daß der architektonische Raum und die darin ablaufenden Bewegungen der Umzüge und Prozessionen zwei unbedingt zusammengehörige, sich gegenseitig bedingende Kulturphänomene sind. Dies gab den ersten Anstoß zur Arbeit an diesem Buch. Indien war für mich und für viele meiner Generation in gewisser Weise ein Nebenschauplatz von 1968, wenngleich die „Indienfahrer“ dieser Jahre der dogmatischen Mehrheit als Eskapisten oder gar als östliche Mystiker galten. Tatsächlich waren die meisten vor allem ausgemachte Individualisten und Nonkonformisten, die nicht bereit waren, die eben zurückgelassene ideologische Enge ihrer bürgerlich-christlichen Formation gegen eine neue einzutauschen. Gleichwohl waren die meisten nicht minder Kinder dieser Zeit und vom gleichen Geist geprägt. Als ich mitten im Studium nach Asien aufbrach – und schließlich ein ganzes Jahr dort blieb –, hatte ich zwei Bücher im Rucksack: Karl August Wittfogels Orientalische Despotie und Johann Wolfgang von Goethes West-Östlichen Divan. Diese beiden Antipoden aus konsequentester Rationalität marxistischer Prä355
gung und höchster Poesie der romantischen Schule haben damals meinen Blick gelenkt, und jetzt, wo ich nach so langer Zeit Das Labyrinthische noch einmal gelesen habe, finde ich die Spuren wieder, die beide Weltsichten darin hinterlassen haben. Ich danke dem Verlag und den Herausgebern, daß diese Neuauflage möglich wurde, insbesondere Ulrich Conrads, Peter Neitzke, und Elisabeth Blum, die den Anstoß dazu gegeben haben. Björn Schötten danke ich für Layout und Korrektur der Neuauflage, Birte Jungnitsch für die mühsame Fertigstellung der eingescannten Dokumente und meinem Lehrstuhl für Baugeschichte der RWTH Aachen für die zahlreichen Hilfeleistungen bei der Beschaffung der Bildvorlagen und der Druckvorbereitung. Montzen, im Januar 2009
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Schriftenverzeichnis Jan Pieper 1 Three Cities of Nepal, in: Oliver, P. (ed.) Shelter, Sign and Symbol, London 1975, S. 52– 69 2 Die Wiederentdeckung von Straße und Block, in: Frankfurter Hefte 3/1975, S. 46–52 3 Die drei Städte im Nepal-Tal, in: Bauwelt 30/1976, S. 925–935 4 Die Londoner „Coal Hole Plates“, in: Bauwelt 3/1976, S. 98–100 5 Die Anglo-Indische Station, Hindu-Stadtkultur und Kolonialstadtwesen im 19. Jahrhundert als Konfrontation östlicher und westlicher Geisteswelten. (Dissertation Aachen 1974), Band 1, Antiquitates Orientales, Bonn 1977 6 Die Klostersiedlungen der Gelben Kirche in Ladakh, in: Bauwelt 23/1977, S. 756–761 7 The Monastic Settlements of the Yellow Church in Ladakh. Central Places in a Nomadic Habitat, in: Geojournal 54/1977, S. 41–54 8 Arboreal Art and Architecture in India, in: Art and Archaeology Research Papers, 12/1977, S. 47–54 9 Ritual Movement and Architectural Space, in: Art and Archaeology Research Papers, Monograph 2, 1977, S 82–91 10 Südindische Stadtrituale: Wege zum stadtgeographischen und architekturtheoretischen Verständnis der indischen Pilgerstadt, in: Stadt und Ritual, Darmstadt 1977, S. 82–91 11 Das Museum als Stadtteil. Zur Öffentlichkeit eines öffentlichen Gebäudes, in: Frankfurter Hefte 9/1979, S. 42–52 12 A Pilgrim’s Map of Benares. Notes on Codification in Hindu Cartography, in: Geojournal 3/1979, S. 215–218 13 Water in Hindu Urban Architecture, in: Art and Archaeology Research Papers 15/1979, S. 47–56 14 Indien. Bauformen und Stadtgestalt einer beständigen Tradition (mit N. Gutschow). Dumont Kunstreiseführer, Köln 1978 15 Die Cornières der Bastide Monpazier, in: Bauwelt 13/1979, S. 526–533 16 Architekturmuseum – Architekturvermittlung, Kunstforum Bd. 38 (mit W. Grasskamp), Mainz 1980 17 Ritual Space in India. Studies in Architectural Anthropology, London 1980 18 South Indian Ceremonial Chariots, in: Art and Archaeology Research Papers 16/1980, S. 1–11 19 A Note on the South Indian Ceremonial Float, in: Art and Archaeology Research Papers 16/1980, S. 24 20 The Moffussil Environment. Elements of Colonial Architecture and Settlement in UpCountry India, in: Schriftenreihe des Südasieninstitutes der Universität Heidelberg, Heidelberg 1980, S. 77–92 21 European Tombs in the Moghul Taste. Notes on Style and Ornamentation of AngloIndian Sepulchral Architecture, in: Lotus International 26/1980, S. 90–96 22 Stupa Architecture of the Upper Indus Valley, in: Schriftenreihe des Südasieninstitutes der Universität Heidelberg, Bd. 55, Heidelberg 1980, S. 127–136 23 Windarchitektur, in: Bauwelt 35/1981, S. 1495–1501 24 Mimesis und Metamorphosen der Architektur, Exzerpte aus der Typenlehre des Quatremère de Quincy, in: Bauwelt 8/1981, S. 271–279 25 L’habitat Moffussil; Espace et architecture dans l’Inde britannique, in: urbi (Art, histoire et ethnologie des villes) VI, 1982, S. 47–56
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26 Steinerne Bäume und künstliches Astwerk. Die gotischen Theorien des James Hall (1761–1832), in: Bauwelt 10/1982, S. 328–333 (nachgedruckt in: Graefe, Rainer: Zur Geschichte des Konstruierens, Stuttgart 1989) 27 Indischrot, Indischgelb Redaktion und Konzeption von Bauwelt 28/1983 über moderne Architektur in Indien 28 The Impuls to Adorn, Studies in Traditional Indian Architecture, Bombay 1982 29 Architektonische Augenblicke, in: Holländer, H.; Thomsen, W. (Hrsg.): Augenblick und Zeitpunkt, Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und Wissenschaft, Darmstadt 1984, S. 165–174 30 Ort, Erinnerung, Architektur. Über den Genius Loci. Redaktion und Konzeption von Kunstforum 69, Köln 1984 31 Genius Loci. Architektonische Gestaltungen einer antik-römischen Idee, in: Ort, Erinnerung … (s.o. 30), Köln 1984, S. 38–59 32 Gärten der Erinnerung. Der Sacro Bosco von Bomarzo, in: Ort, Erinnerung … (s. o. 30), Köln 1984, S. 91–97 33 Die angenommene Identität. Antikenkonstruktion in der Havellandschaft des Berliner Klassizismus, in: Ort, Erinnerung … (s. o. 30), Köln 1984, S. 118–135 34 Hyderabad, A Qur’anic Paradise in Architectural Metaphors, in: Journal of the Islamic Environmental Design Research Centre, Rom 1984, S. 46–51 35 Der Berg Athos in Riesengestalt. Bedeutungen des Anthropomorphen im Werben des Baumeisters Dinokrates um die Gunst Alexander des Großen, in: Aus dem Osten des Alexanderreiches, Festschrift zum 65. Geburtstag von Klaus Fischer, Köln 1984, S. 57–65 36 Arche und Lade, Formen und Aspekte der Vorstellungen vom „Wandernden Haus“, in: Bauwelt 33/1985, S. 1278–1297 37 Zagarolo. Studien zur Architektur einer römischen Baronalstadt des Manierismus, Aachen 1987 38 Pienza. Over de omgang met de natuur in de stedebouw von de vroege Renaissance, in: Forum 30/1, 1986, S. 44–50 sowie in: Proceedings of the International Seminar „Ecology in Design“, TH Delft 13–17. 12. 1980 39 Ähnlichkeiten. Mimesis und Metamorphosen der Architektur, in: Katalog der Ausstellung in Haus Lange, Krefeld, vom 27.05.–20.07. 1986 40 Hintergründe. Bedeutungen der Architektur in der Malerei des Exotismus, in: Katalog der Ausstellung „Gemalte Architektur aus sieben Jahrhunderten: Der Traum vom Raum“ in der Kunsthalle Nürnberg vom 13. 9.–23. 11. 1986, S. 135–150, S. 393–404 41 Sezincote. Ein west-östlicher Divan, in: Daidalos 19/1986, S. 54–74 42 Pienza. Das Bühnenhaus einer humanistischen Zusammenschau der Gegensätze, in: Bauwelt 45/1986, S. 1710–1732 43 Haus Rüschhaus bei Münster von J. C. Schlaun, in: Daidalos 22/1986, S. 68–71 44 Die Piazza des Antonio da Sangallo in Pitigliano, in: Daidalos 22/1986, S. 104–107 45 Editorial Daidalos 23/1987, S. 15 46 Die Natur der Hängenden Gärten, in: Daidalos 23/1987, S. 94–109 47 Das Labyrinthische. Über die Idee des Verborgenen, Rätselhaften und Schwierigen in der Geschichte der Architektur. (Habilitationsschrift RWTH Aachen, 1983) Schriften des Deutschen Architekturmuseums zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie. Braunschweig/Wiesbaden 1987 48 Architektur des indischen Subkontinents, zusammen mit: Fischer, K.; Jansen, M.; Darmstadt 1987
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49 Drei architektonische Prospekte der Frührenaissance, in: Daidalos 25/1988, S. 42–50 50 Ein Nachtgarten in Rajasthan, in: Daidalos 27/1988, S. 112–115 51 Hanging Gardens in Princely Capitals of Rajasthan and in Renaisance Italy. Sacred Space, Earthly Paradise, Secular Ritual, in: Patrons of Art. The Mughals and the Medici, ed. by Dalu Jones, Marg 39, 1 (1988), S. 69–90 52 Architektonische Toposforschung, in: Bauwelt 3/1989, S. 78–81 53 Jerusalemskirchen. Mittelalterliche Kleinarchitekturen nach dem Modell des Heiligen Grabes, in: Bauwelt 3/1989, S. 82–101 54 Architektur wächst aus den Steinen. Metaphern der Verwandlung am Palast Pius’II. in Pienza, in: Daidalos 31/1989, S. 76–87 55 Die Idealstadt Pienza. Fünf Körper im Spiel der Geometrie. in: Planstädte der Neuzeit. Katalog der Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, S. 95–111, Karlsruhe 1990 56 Semilassos letzter Weltgang. Der Totenhain des Fürsten Pückler-Muskau in Branitz, in: Daidalos 38/1990, S. 60–79 57 Das Château de Maulnes in Burgund, in: Daidalos 41/1991, S. 38–53 58 Venedig. Ein Versuch, das Wasser durch Kunst bewohnbar zu machen, in: Stadtbauwelt 36/1991, S. 1884–1891 59 Arboreal Art and Architecture in India, in: Vatsyayan, Kapila (Hrsg.) Concepts of Space, New Delhi 1991, S. 333–341 60 Saint Didier in Asfeld-la-Ville. Ein Ziegelmanifest des Barock, in: Daidalos 43/1992, S. 62–67 61 Häuser des Narziß. Architektur nach des Menschen Bild und Gleichnis, in: Daidalos 45/1992, S. 30–47 62 Das Arkanum Pfaueninsel, in: Daidalos 46/1992, S. 78–91 63 Lo Château de Maulnes in Borgogna, in: Jones, Dalu (Hrsg.), Il teatro delle acque. Rom 1992, S. 125–139 64 Das Münstermodell in der Hand Karls des Großen. Eine spätgotische Deutung der Aachener Chorhalle als „Capella Vitrea“ (1414/1430), in: Jansen, Michael; Winands, Klaus, Festschrift für Günter Urban, Rom 1992, S. 129–150 65 Stourhead. Eine englische Aeneide. Klassisch inspirierte Orte, Wege und Veduten im Skizzenbuch von Frederik Magnus Piper (1779), in: Peter Joseph Lenné und die europäische Landschafts- und Gartenkunst im 19. Jh. (6. Greifswalder Romantikkonferenz) Greifswald 1992, S. 37–47 66 Hyderabad. Der Fall des Weltenberges, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Feuilleton vom 28.04. 1992 67 Peripherie. Ein Herausgebergespräch, in: Daidalos 50/1993, S. 24–37 68 Das gotische Schatzhaus der Reichskleinodien. Burg Karlstein bei Prag, in: Daidalos 53/1994, S. 78–81 69 Die Maschine im Interieur. Ludwig Persius’ Dampfmaschinenhaus im Babelsberger Park. in: Daidalos 53/1994, S. 104–115 70 Moffussil – das indische Hinterland. Elemente der Kolonialarchitektur und des britischen Siedlungswesens in Indien, in: Daidalos 54/1994, S. 112–123 71 Editorial Daidalos 55/1995, S. 22–23 72 „Quelltempel, Viehtränke, Waschhaus“ in der Manier von Claude-Nicolas Ledoux, in: Daidalos 55/1995, S. 56–65 73 Bagno Vignoni, in: Daidalos 55/1995, S. 66–69 74 Palladiobrücken, in: Daidalos 57/1995, S. 88–93
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75 Editorial Daidalos 58/1995, S. 20–21 76 Der Garten des Heiligen Grabes zu Görlitz, in: Daidalos 58/1995, S. 38–43 77 Im Innersten der Anfang. Der Felsenkern des Klosters Lamayuru (mit Amandus Vanquaille und Hilde Vets), in: Daidalos 58/1995, S. 72–77 78 Der Schatten Pius’II. Die Kalenderreform und die Architektur der Domkirche von Pienza, in: archithese 1. 97, Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur, S. 19–24 79 Tai Shan. Eine Säule des Weltgebäudes, in: Daidalos 63/1997, S. 78–83 80 Pienza. Der Entwurf einer humanistischen Weltsicht, Stuttgart 1997 81 Das Château de Maulnes in Burgund Dokumentation und Bauaufnahme Katalog zur Ausstellung im Suermondt-Ludwig Museum Aachen, 4.06.–29.08. 1999 82 Le Château de Maulnes en Bourgogne Catalogue d’exposition 1999, Cruzy le Châtel 83 Das Atrium, in: Bauwelt 1/2000, S. 22–23 84 Pienza – Il progetto di una visione umanistica del mondo. Stuttgart / London, 2000 85 Das Château de Maulnes in Burgund. Kat. d. Ausstellung am Lehrstuhl für Baugeschichte, RWTH, Aachen 2001 86 Wissensspeicher, Wissentempel – Bibliothek des Lehrstuhls für Baugeschichte der RWTH Aachen in: Bauwelt 27–28/2003, S. 34–36 87 Jerusalemskirchen. Mittelalterliche Kleinarchitekturen nach dem Modell des Heiligen Grabes. Kat. d. Ausstellung Brixen und Aachen 2003 88 Baugeschichte. Konzeption und Einführung von Bauwelt, 40–41/2005 zum Fach Baugeschichte an deutschsprachigen Universitäten. 89 Baugeschichte und Architekturlehre. Anmerkungen zu einer schwierigen Beziehung, in: Bauwelt 40–41/2005, S. 12–19 90 Zeichnung, Bauaufnahme, Bauforschung, in: Bauwelt 40–41/2005, S. 30–32 91 Sabloneta quadrata. Die römischen Grundlagen des Stadtplans von Sabbioneta, in: Bauwelt 40–41/2005, S. 33–45 92 Maulnes und der Manierismus in Frankreich. Beiträge des Symposiums am Lehrstuhl für Baugeschichte und Denkmalpflege der RWTH Aachen, 3.–5. Mai 2001, (Aachener Bibliothek Bd. 5), Berlin 2006 93 Das Fünfeck von Maulnes. Beziehungen und Abhängigkeiten der historischen Planmaterialien, in: Maulnes und der Manierismus in Frankreich, Berlin 2006, S. 33–67 94 Das Grottengeschoß in Maulnes, in: Maulnes und der Manierismus in Frankreich, Berlin 2006, S. 209–221 95 Der Aachener Katschhofstreit. Konzeption und Einführung von Bauwelt 42/2006 96 Der Katschhof in den Umrissen der Aachener Pfalz. Bindungen und Chancen am ersten Ort der deutschen Geschichte, in: Bauwelt 42/2006, S. 26–33 97 Das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart. Kritische Annäherung an die Peripherie der Architektur, in: Baumeister 7/2006, S. 38–53 98 Pio II e Pienza. Catalogo della Mostra, Pienza 2006, Siena 2006 99 Maulnes-en-Tonnerrois. Ein Konstrukt aus dem Geiste des Manierismus. Stuttgart, 2007 100 Die Grand Tour in Moderne und Nachmoderne. Italienerfahrung als Bildungsaufgabe in Architektur, Kunst und Kunstwissenschaft. Hrsg. der Tagungsakten des Symposions in der Villa Vigoni vom 13.–16. 10. 2005, (im Druck),Tübingen 2008 101 Tony Garnier. Das Romerlebnis und die Cité Industrielle (1901–1904), in: Die Grand Tour in Moderne und Nachmoderne, Tübingen 2008 102 Der zweite Punkt: „le toit-jardin.“ Le Corbusiers bewohnbare Dächer, in: Das Dach. Dortmunder Architekturtage 2007 Nr. 20, Dortmund 2008 S. 66–85
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103 Gropius Vitruvianus Meyeri. Klassische Maße, Module und Proportionen im Vestibül der Fagus-Werke, Alfeld, in: Bauwelt 10/2009, S. 6–11 104 Monte Imperiale. Natur und Kunst der Villa Suburbana, Stuttgart 2009 (in Vorbereitung)
Namenregister Aachen 48, 84 Acheron 196 Adam 106, 111 Addison, J. 190, 191 Adelsberg 171 Ägäus 21 Ägina 119 Agastya 145 Akropolis 20, 27 Alberti, L. B. 70, 225, 228, 234, 256 Alciatus 222, 224, 226, 228 Alessi 106, 107, 108, 119, 120 Alexander der Große 263, 288 Algier 305 Altavilla Milicia 242 Amiata 214, 215, 216, 217, 226, 231 Amiens 53, 293, 294 Amor 324, 325 Andrae, W. 121, 124, 306, 309, 310, 311, 312, 313, 314 Andreas, J. 300 Annas 107 Antiparos 201 Antonius 92, 165, 255 Apollon 67 Aqua Felice 218 Aqua Paola 218 Ariadne 19, 20, 31, 32, 33, 34, 35, 36 Arles 318 Artephius 315 Aspromonte 243, 244 Assur 48, 311, 313 Ath 95, 98 Athen 20, 27, 28 Athene 67 Athos 175, 293 Attika 20, 21, 28, 66, 161 Augustinus 92, 110 Ayodhya 288
Baal 314 Babel 21, 257, 259, 304 Babylon 48, 59, 63, 257, 263, 299, 302, 303, 306, 307, 308, 309, 310, 311, 313, 314 Bachofen, J.J. 28 Badami 144, 145 Bagdad 288 Bagheria 242, 253 Bagnaia 228 Balbus 255 Bamberg 92 Banks, J. 187, 188, 191 Battipaglia 166 Baumann, H. 65 Bayeux 293 Becker 201 Beitl, K. 95, 99 Benedict von Norcia 255 Benndorf 32 Berengar 91 Bernini 231 Besançon 87 Bethlehem 93, 164 Boas 179, 185 Bomarzo 323, 328, 330 Bonnet, H. 313 Borsippa 308 Botticelli 43, 287 Brabant 95 Braunfels, W. 82, 304 Buch, L. 252 Buckland, W. 204, 205, 207 Burgess, J. 175, 203 Burckhardt, J. 325 Burnet, T. 169, 170, 171 Butler 108
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Caesar 18 Caimi, P. B. 104, 106 Camerarius 222, 223, 224 Candia 202, 203 Cantian 171 Capella Ruccellai (Florenz) 225, 228 Caprarola 223, 228 Cassas, L. F. 201 Cassirer, E. 212, 297, 307 Casteldaccia 242 Castellana 166 Castelmorrone 166 Castleton 193 Catull 18 Caylus, Comte de 320 Cenci 255 Chaeremon 226 Chafají 307 Chambers, E. K. 89 Chartres 292, 294, 296 Chassidim 13 Chory Phasium 287 Christophorus 92 Cinsi 240, 241 Circus Flaminus 255 Circus Maximus 255 Cittanova 242 Claudianus 157 Cloaca Maxima 262 Cockburn, J. P. 201 Cockerell, C. R. 19 Colonna, F. 323, 326, 327, 328 Comhall 192 Conrads, U. 15 Cornaro, A. 246, 248, 249 Corsignano 70, 228 Cusanus, N. 212, 234, 236 Cyriakus von Ancona 256
Delphi 30, 35, 162 Demeter 35, 66, 162 Dézallier d’Argenville, A.J. 304 Dheivanai 150 Didron 293 Dindigul 149 Diodor 18, 52, 157, 259, 263 Dionysius der Karthäuser 236 Douai 95 Durga 149, 155, 156
Dädalus 19, 27, 28, 31, 32, 33, 34, 37, 53, 57, 157, 293, 296 Danaos 195 Daniell, W. 192, 201 Dante 168, 235, 329 Danushkodi 135, 138 David 92 Deedes, C. N. 15 Delos 20, 48
Falconetto 248 Faujas de Saint-Fond, B. 188, 189, 190 Fergusson, J. 175, 203, 306 Ferrara 246 Filadelfia 245 Fingal 188, 192 Fingalshöhle 186, 188, 191, 192 Fiora 216 Florenz 82, 228
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Ea 313 Eben-Emael 180, 185 Ecole des Beaux Arts 263 Edumban 145, 146, 148, 150 Eileithyia 161 Eilmann, R. 32, 157 Einsiedeln 174 Ekbatana 288 Eleanore von Aquitanien 299 Elektra 67 Eleuterilida 324 Eliade, M. 59, 307 El Obed 309 Enlil 313 Epano Englianos 287 Eridu 309, 313 Esagilatempel (Babylon) 310, 311 Esper 204 Etemenanki 311, 312 Eugen IV. 256 Eupalinos 68 Euphrat 311, 312 Euphrosyne 174 Eusebius 26 Eva 106 Evans, Sir A. 15, 19, 22, 24 Ezechiel 119
Fludd, R. 56, 317 Franz von Assisi 114 Freiburg (Schweiz) 88 Fulda 91 Gaffarel, J. 175, 176, 177, 315 Gailenreuth 204 Gandy, J. M. 58 Ganesh 146 Ganges 197, 199 Garcet, R. 179, 180, 181, 183, 184, 185 Gargano 168 Garnett, T. 191, 192 Georg 92 Gerster, G. 174 Gilgamesch 59 Giovio, P. 227 Goebel, G. 267, 324, 325, 326, 327 Goethe, J. W. 201, 237, 252, 254 Goliath 92, 95, 98 Gonzaga-Colonna, V. 248 Gortyn 18, 201 Gracián, B. 304, 305 Graebner 65 Gregor 119 Gregorovius, F. 168, 169, 215, 216 Güntert, H. 15, 24 Gutenberg, J. 210, 211 Hades 35 Hadrumentum 289 Hampton Court 44 Hanuman 134, 135 Harsdörfer, G. P. 224, 225 Harun-al-Raschid 288 Harvey, W. 170 Hathor-Tefnut 313 Hattusa 48, 313 Hebriden 54, 186 Hebron 90 Heidelberg 301, 303 Helikon 66 Henry II. 299 Heraklit 160 Herculaneum 261 Herkules 212 Hermes 68 Herodes 87, 90, 107
Herodot 19, 21, 34, 288, 311 Herzog, E. 84 Hesekiel 226, 288 Hestia 35 Hildegard von Bingen 110, 111, 113, 114 Hildesheim 84 Hocke, G. P. 15 Hodges, W. 204 Hofmannsthal, H. von 40, 41 Homer 21, 33, 34, 159, 160, 161 Horapoll 234 Horus 64, 226 Hugo, V. 210, 251 Hunter, W. 203, 204 Ilias 22, 33, 34 Ilos 67 Indra 153 Ingolstadt 302 Irakleion 161 Ischia 326 Isis 64 Ixion 195 Jaina 65 Janus Quadrifrons 290 Jehova 297 Jeremias 226 Jericho 288, 291 Jerusalem 84, 85, 100, 101, 103, 104, 106, 114, 115, 117, 118, 119, 288, 291, 292, 293, 297, 299, 302 Johannes XXII 92 Johannes der Täufer 81, 92 Jonas 259 Jones, S. 209 Jordan 89, 90 Josef von Österreich 95 Julianus 299 Julius II. 256 Jung, C. G. 315, 316, 317, 318 Jupiter 324 Justinus 164 Kailasa 134, 135, 145 Kailasagiri 156 Kaiphas 107 Kalahasti 153, 156
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Kanappa 155 Kapp, E. 76 Kensington Palace 300 Kerenyi, K. 15, 31, 32, 59, 63, 158, 289 Kern, H. 14, 15, 43, 293 Kircher, A. 169, 171, 175, 252, 257, 258, 259, 261 Kithairon 66 Knossos 15, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 33, 34, 35, 48 Köln 84 Kolosseum 210, 255, 326 Konrad III. 103 Konstantin 291 Konstantinopel 304 Korinth 174 Krakau 208 Kraus, G. M. 201 Krause, E. 32 Kreta 18, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 28, 35, 36, 37, 48, 161, 201, 203, 288 Kronos 35 Kumara 149, 155, 156 Kunrath 315 Kythera 325, 326, 327 Ladendorf, H. 15, 291 Lateran 81 Laurana, L. 245 Laurentius 81, 87 La Vega 243 Layard, J. 15 Leach, E. 187 Lefrery, A. 77, 78 Lente 216 Leo X. 256 Leonardo da Vinci 43 Leopold II. 220 Lepsius, K. R. 264 Le Puy 63 Lequeu, J. 73 Lethaby, W. R. 17, 40, 287 Liberius 81 Liebeschütz, H. 111, 114 Limoges 87 Lissabon 237, 299 Löwen 93 Logistica 324
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London 304 Lourdes 165 Louvre 188 Lucca 82 Lüttich 180 Lukas 92, 164, 174 Luzern 89 Maastricht 180 Madras 152, 153 Madrid 304 Madurai 145 Mahabalipuram 152 Mailand 87 Manaar, Golf von 134 Mantua 246, 248, 250 Marcellustheater (Rom) 255 Marduk 310, 311 Maremma 216 Markali Utsava 61 Markus 92 Marsollier 197, 198, 200, 201 Martina Franca 166 Martini, Francesco di Giorgio 245 Matthäus 91 Matthews, W. H. 14. 293, 299 Meermann Freiherr von Dalem, J. 193, 195, 196, 197, 201 Megaspiläon 174 Meleta 216, 217 Memphis 313 Menestrier, C. F. 225, 226, 231 Merian, M. 303 Michael, W. F. 89 Michael (Erzengel) 92, 166, 167, 168 Michelangelo 231 Minerva 161 Minos 15, 19, 20, 26, 28 Minotaurus 20, 27, 28, 30, 37, 40, 43, 54, 158, 201, 203, 289, 290, 304 Mithras 165 Mitterwieser, A. 92 Mörissee 19 Monte Pellegrino 165 Montepulciano 172 Moortgat, A. 307, 309, 311 Morgenstern, P. 318 Mori, G. B. 244
Moses 89, 91, 92 München 92 Mull 186 Muthukumaraswami 149, 150 Mykene 20, 27 Nala 134 Napoli, T. 253 Nebukadnezar II. 308, 310 New York 184 Nicolaus V. 256 Nil 264, 313 Nîmes 318 Ninive 257, 258, 259, 299, 302, 303 Ninmach 308 Nippur 313 Noah 296 Notre Dame (Roman) 210 Novalis (F. von Hardenberg) 43, 169, 315 Odysseus 159 O. Henry (William Sidney Porter) 184 Olevano sul Tusciano 166 Oppida Mamertina 243 Orpheus 210 Orsini, G. 213, 323, 328, 329, 331 Orta 100, 120 Orvieto 215 Ossian 192 Ovid 174, 211, 219, 236 Paderborn 84 Paestum 188 Paläochora 119 Palästina 103, 291 Palatin 290 Palazzo dei Diamanti (Ferrara) 247 Palazzo Ducale (Mantua) 246, 250 Palazzo Farnese (Caprarola) 223, 228 Palazzo del Te (Mantua) 248 Palermo 165, 240, 242, 252, 253, 304 Palghat 149 Palladio, A. 228 Palmi 242 Palmyra 188 Palni 145, 146, 149, 153 Papinius Statius 18 Paracelsus 315
Paris 304 Pasiphae 28, 54 Patmos 185 Patrai 162 Patras 174 Paul V. 218 Paulus 81, 165 Peking 42 Penelope 161 Pennant, T. 187 Periboia 26 Periyanaki Amma 149, 151 Perregrini, P. 106 Petrus 81 Phaidros 68 Philochoros 26 Piazza Ariostea (Ferrara) 247 Piccolomini, E.S. 228 Pienza 70, 172, 215, 228, 234, 237, 323, 327 Pilatus 107 Piranesi, G. B. 57, 251, 261 Pisa 82 Pitigliano 213, 214, 215, 216, 219, 222, 223, 224, 226, 228, 327 Pius II. 70, 228, 256 Platon 68 Plinius d.Ä. 18, 302 Plotin 159 Pococke, R. 19 Poitiers 293 Polia 323, 324,325, 326 Poliphilo 323, 324, 325, 328 Polynesien 47 Pommersfelden 225 Pompeji 261 Porphyrius 159, 160, 161 Poseidon 19, 20, 28, 35 Proserpina 325 Pseudo-Galenus 65 Pushkar 144 Pylos 287 Quatremère de Quincy, A. 263, 264, 320, 321, 322 Quintilian 56 Rama 134 Rameswaram 134, 138, 140, 142, 143, 153
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Ramesseum 21 Reggio di Calabria 244 Reims 53, 293, 294 Reinle, A. 108 Reisch, G. 167, 169 Remus 288, 291 Reusner, N. 211 Rhea 35 Rhein 294 Ripa, C. 212 Rishya Sringa 142 Roemer-Visscher 222, 224 Rollenhagen, G. 222 Rom 26, 27, 45, 77, 78, 79, 81, 82, 85, 188, 213, 231, 255, 256, 261, 288, 289, 290, 304 Romano, G. 248 Romulus 288, 290, 291 Rosalia 165 Rosamond 298, 299 Roscher, W. H. 73 Rosenmüller, J. C. 192 Rossellino, B. 228, 234 Rottenburg 92 Ruth 179, 185 Ruzzante 248 Saavedra Fajardos, D. de 223 Sabbioneta 246, 247 Saint-Omer 293 Saint-Quentin 293 Salerno 166 Salomon 174, 212, 292, 293, 296, 297 Sangallo d. Jüngere, A. da 213, 214, 216, 219, 220 Sankara Acharya 143 Sankt Peter (Rom) 188 Sanmicheli, M. 249 San Quirico 215 Santa Maria Maggiore (Rom) 81 Santa Maria Novella (Florenz) 225 Santarcangeli, P. 14 Savary, V. C. E. 19 Schinkel, K. F. 53, 321, 322 Schneider, F. 255 Scotti, P. 166 Sebastian 81, 92 Seine 294
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Semiramis 257 Sengpiel, O. 89 Sens 293 Serapis 289 Serlio, S. 248 Shaktigiri 149 Shanmuga-Nadi 149, 151 Shiva 134, 137, 142, 146, 152, 156 Shivagiri 149 Sieber, F. 203 Siena 85 Sinai 87, 91 Sita 134 Sixtus V. 45, 78, 218 Sizilien 66, 237, 239, 241, 252 Soane, J. 58 Sonnerat, P. 320 Sorano 215 Sovana 215 Spengler, O. 26 Spratt, T. A. B. 19 Sringa-Giri 142 Sringeri 142, 144, 153 Staffa 186, 187, 188, 191, 192, 201 Stengel, G. 302, 303, 304 Stöcklein, A. 300, 301, 302 Stonehenge 185 Strabo, W. 302 Strzygowski, J. 295 Subramanya 137, 146, 149, 150, 151 Suchindram 61 Sumer 123, 306, 307, 309, 310 Susa 289 Swarna Mukhi 155 Tasso, T. 249 Taut, B. 54 Telosia 324 Terranova Sappo Minulio 244 Terrasini 241 Tertullian 79 Thalos 27 Theben 21 Thelemia 324 Theseus 18, 20, 21, 28, 36, 37, 43, 157, 158, 289 Thungabhadra 142, 143 Tilesius, W. G. 192
Tirukalikundram 152, 153 Tiryns 27 Tournefort, G. P. de 19, 201, 202 Trissino 248 Troil, U. von 187 Troja 67, 298, 299, 300 Tschad-See 42 Tunis 289 Typhon 164 Ur 309 Val d’Orcia 215 Valéry, P. 68 Valli 150, 151 Valsesia 107 Valvasor, J. W. von 171 Varallo 104, 106, 114 Varese 121 Vari 161 Venedig 172, 246, 248, 249, 292 Venus 75, 324, 325, 326, 327, 328 Vibo Valentia 245
Vienne 91 Vignola 228, 328 Villa Lante (Bagnaia) 228 Villa Palagonia (Bagheria) 252, 253, 254 Vishnu 65, 134, 155 Visvakarman 134 Vitruv 70, 71, 256 Vredeman de Vries, J. 300, 304 Werner, A. 252 Wieliczka 208, 209 William III. 300 Winckelmann, J. J. 251 Winspeare 243 Winter, R. 32 Wölfflin, H. 73 Zacharias 92 Zarpanitum 310 Zeus 25, 28, 35, 161 Zincgreff, J. W. 222 Zirknitz 171 Zucchari, F. 196
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Bauwelt Fundamente (lieferbare Titel) 1 2 12 16 50 53 56 86 118 123 125
126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137
138 140 141 142 143
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Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts Le Corbusier, 1922 – Ausblick auf eine Architektur Le Corbusier, 1929 – Feststellungen Kevin Lynch, Das Bild der Stadt Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur Robert Venturi / Denise Scott Brown / Steven Izenour, Lernen von Las Vegas Thilo Hilpert (Hg.), Le Corbusiers „Charta von Athen“. Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe Christian Kühn, Das Schöne, das Wahre und das Richtige. Adolf Loos und das Haus Müller in Prag Thomas Sieverts, Zwischenstadt – zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land André Corboz, Die Kunst, Stadt und Land zum Sprechen zu bringen Ulrich Conrads (Hg.), Die Städte himmeloffen. Reden und Reflexionen über den Wiederaufbau des Untergegangenen und die Rückkehr des Neuen Bauens (1948 / 49) Werner Sewing, Bildregie. Architektur zwischen Retrodesign und Eventkultur Jan Pieper. Das Labyrinthische Elisabeth Blum, Schöne neue Stadt. Wie der Sicherheitswahn die urbane Welt diszipliniert Hermann Sturm, Alltag & Kult. Gottfried Semper, Richard Wagner, Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Keller Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo Angelus Eisinger, Die Stadt der Architekten Karin Wilhelm / Detlef Jessen-Klingenberg (Hg.), Formationen der Stadt. Camillo Sitte weitergelesen Michael Müller / Franz Dröge, Die ausgestellte Stadt Loïc Wacquant, Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays Florian Rötzer, Vom Wildwerden der Städte Ulrich Conrads, Zeit des Labyrinths Friedrich Naumann, Ausstellungsbriefe Berlin, Paris, Dresden, Düsseldorf 1896–1906. Anhang: Theodor Heuss – Was ist Qualität? (1951) Undine Giseke / Erika Spiegel (Hg.), Stadtlichtungen. Irritationen, Perspektiven, Strategien Erol Yildiz / Birgit Mattausch (Hg.), Urban Recycling. Migration als Großstadt-Ressource Günther Fischer, Vitruv NEU oder Was ist Architektur? Dieter Hassenpflug, Der urbane Code Chinas Elisabeth Blum / Peter Neitzke (Hg.), Dubai. Stadt aus dem Nichts