1. „Hernán Cortés" - die verschnörkelten, vormals so stolzen Lettern, die den Namen des Entdeckers und Eroberers von Ne...
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1. „Hernán Cortés" - die verschnörkelten, vormals so stolzen Lettern, die den Namen des Entdeckers und Eroberers von Neuspanien bildeten, waren jetzt angekratzt und lädiert wie der verblassende Ruhm jenes Mannes. Die ersten drei Buchstaben des Vornamens am Heck des Schiffes
waren kaum noch zu lesen, und dem „Cortés" fehlte das „s" am Ende bereits zu einem so großen Teil, daß auch dieses nicht mehr zu entziffern war. Nicht besser war es um die gleichen Schriftzüge bestellt, die den Backbord- und Steuerbordbug der dreimastigen Galeone zierten. Doch wenn es nur das gewesen wäre!
4 Die einst vollgetakelte Galeone Seite standen auf dem Deck des verfügte jetzt nur noch über das Schiffes die Überlebenden eines hölGroßsegel und die Fock, aber auch lischen Törns, denen das Grauen undie wiesen große Löcher und Risse auslöschlich in die Gesichter geprägt auf. Alle anderen Segel, auch die war. Auf der anderen Seite lächelte Blinde, waren durch heftige Stürme das zauberhafte Antlitz eines himmvernichtet worden. Und dieser Rest lischen Paradieses auf Erden. von Rigg bot einen so erbärmlichen Langgestreckt zog sich die Bucht Anblick, daß jedem Seemann dabei dahin, über dem Saum ihres geklamm ums Herz werden mußte. Das schwungenen weißen Sandstrandes laufende und stehende Gut befand wiegten sich die Wipfel von Palmen sich in einem heillosen Durcheinan- im Wind. Ein Dufthauch und eine der, es hätte dringend klariert wer- Aura des Friedens schienen diesem den müssen. Schier unentwirrbar Platz anzuhaften. Von kristallener hing es an Deck hinunter. Der frische Klarheit war das Wasser, in dem Wind aus Nordosten sang in den Par- man Fische und anderes Meeresgedunen, den Schoten, Brassen und tier mit bloßem Auge erkennen Fallen, und die Blöcke und Rahen konnte. Eine milde Brandung leckte stimmten eine knarrende Begleitung mit verhaltenem Rauschen gegen zu dem leisen, höhnischen Lied an. das Ufer. Der Rumpf des Schiffes war ebenKeine Untiefen gab es in dieser falls ramponiert und wies hier und Bucht, keine tückischen Riffe und da Lecks auf, die niemand mehr voll- keine einzige Sandbank, die der ständig zu reparieren imstande war. Fahrt der „Hernán Cortés" ein jähes Denn die Mannschaft war arg de- Ende bereiten konnten. Hier öffnete zimiert. Nur noch fünf Männer be- sich ein natürlicher Hafen, in dem fanden sich an Bord, und von diesen zwanzig, dreißig oder noch mehr Sehatte einer die Augen für alle Ewig- gelschiffe dieser Größe Platz finden keit geschlossen. Vor knapp einer konnten. Stunde war sein letzter schwacher Eine Stätte der Beschaulichkeit, Lebensfunke erloschen. doch auf dem Schiff lauerte immer Ein wahres Bild des Jammers war noch das Verderben. Die drei Männer auf der Kuhl - Sediese „Hernán Cortés" also, ein Schiff, das nur ein Phantast noch als rafin, Joaquin und Domingo - hatseetüchtig zu bezeichnen gewagt ten ihr trauriges Werk soeben beenhätte. Ein dahingleitendes Wrack, det. Sie hatten den Leichnam ihres dessen elender Anblick in diesem Kameraden Esteban in weißes SeMoment nur durch die Schönheit der geltuch eingenäht. Jetzt bückten sie sich, hievten den schlaffen Körper Insel gemildert wurde. Mitten in die Bucht dieser Insel ein wenig hoch und betteten ihn auf trieb die „Hernán Cortés". Die Bucht eine große Planke. Sie hoben die schloß sich langsam mit ihrem Ufer Bahre mit dem Toten auf und trugen um sie, griff nach ihr, schien ein Auf- sie langsam zum Steuerbordschanzfangbecken und die endgültige Stät- kleid. Es bereitete ihnen Mühe. Ihre letzten Kräfte drohten sie jeden Aute der Ruhe für sie zu sein. Offenbar war es die ausgleichende genblick zu verlassen. Als sie die Kante der Planke, auf Gerechtigkeit der Natur, die hier ihre Hand im Spiel hatte. Auf der einen der die Füße des Toten ruhten, auf
5 der Handleiste des Schanzkleides absetzten und verhielten, sagte Serafin: „Wartet hier auf mich." Er ließ die Planke los und wandte sich ab, ein großer, von den gnadenlosen Härten der langen Reise gebeugter Mann mit dichtem, schwarzem Bart. Joaquin blickte ihn aus seinen wie im Fieber geweiteten Augen an. „Madre de Dios, wohin willst du denn - ausgerechnet jetzt?" „Ich will ihn holen." „Ihn?" Domingos Züge verzerrten sich zu einer haßerfüllten Grimasse. „Verflucht soll er sein. Die Hölle soll ihn verschlingen. Er hat hier nichts zu suchen." „Doch", sagte Serafin erstaunlich ruhig. „Er wird das letzte Gebet für den armen Esteban sprechen. Es ist seine Pflicht als Kapitän dieses Schiffes." „Der Capitán." Joaquin sprach das Wort voll Verachtung aus. „Ich sage, wir brauchen ihn nicht mehr. Wir können auf ihn verzichten. Er ist weder in der Lage, sinnvolle Befehle zu erteilen noch Gebete aufzusagen. Der Wahnsinn hat seinen Geist umnachtet." „Nicht ganz", erwiderte Serafin, der noch über die meisten Energien verfügte. „Oder vielleicht tut er auch nur so, als sei er nicht mehr bei Verstand. Das würde ihm die Verantwortung abnehmen und wäre allzu bequem." Er wandte sich um, ging über die verschmutzten Planken der Kuhl auf das Achterdecksschott zu, öffnete es und betrat den düsteren Gang, der vor die Tür der Kapitänskammer führte. Dicht vor dem Allerheiligsten von Don Mariano José de Larra verharrte er einen Atemzug lang, dann stieß er die Tür auf, ohne vorher anzuklopfen. Das Pult des Kapitäns war eine ge-
wichtige Konstruktion aus massivem Nußbaumholz, mit vielen Intarsien und gedrechselten Beinen. Es beherrschte das Zentrum der Kammer, der Blick jedes Eintretenden mußte unweigerlich von ihm angezogen werden. Don Mariano saß hinter dem Pult wie Serafin es nicht anders erwartet hatte. Eben noch hatte der Kapitän sich tief über seine Aufzeichnungen gebeugt, jetzt aber sah er jäh auf und fixierte den Eindringling feindselig und zurechtweisend. Serfain ließ die Tür offenstehen. Langsam näherte er sich dem Pult. Er wich Don Marianos Blick nicht aus, sondern begegnete ihm ohne Furcht. Der Kapitän war ein hagerer, nicht übermäßig großer Mann Ende der Vierzig, mit scharfgeschnittenen, adlerhaften Zügen. Sein Haupthaar hatte er auf See völlig eingebüßt. Es hatte sich, wie Serafin wußte, bei ihm bereits mit zweiunddreißig, dreiunddreißig Jahren fast völlig gelichtet. An heißen Tagen verzichtete Don Mariano auf seine Perücke, weil er sie als unerträglich, ja unästhetisch empfand. So hatte er sie auch an diesem Morgen nicht angelegt. Aber auch ohne sie büßte er nichts von seinem respekteinflößenden Äußeren ein. Er war immer noch eine Autoritätsperson. Doch Serafin hatte die Kammer unter dem festen Vorsatz betreten, diese Autorität zu brechen und in die Knie zu zwingen. Jetzt und hier. Don Mariano José de Larras Augen glänzten ein wenig, aber es war nichts Flackerndes in seinem Blick. Nur seine Mundwinkel zuckten leicht. Wieder, wie so oft während der letzten Tage, fragte Serafin sich, ob er wirklich schwachsinnig geworden oder doch noch im vollen Besitz sei-
6 ner geistigen Kräfte war. „Was fällt dir ein, einfach so einzutreten?" fuhr Don Mariano ihn an. Seine Stimme klang brüchig nach all den Entbehrungen, aber sie hatte nichts von ihrer Kälte verloren. „Du weißt genau, daß das nicht einmal einem Offizier dieses Schiffes zusteht, geschweige denn einem Decksmann." „Es gibt keine Offiziere mehr", sagte Serafin. „Und die Chusma, das gemeine Schiffsvolk, wie Sie es nennen, ist auf drei Mann zusammengeschrumpft. Es ist sinnlos, noch Ordnung und Disziplin aufrechterhalten zu wollen." „Wie ist dein Name?" „Serafin." „Serafin, Señor!" schrie Don Mariano. „Den Señor Captitán hast du vergessen, du Hund, und ich werde dich deshalb und dafür, daß du das Anklopfen vergessen hast, auspeitschen lassen." Er fuhr hoch. „Verschwinde! Ich will dich hier nicht mehr sehen!" Serafin trat noch einen Schritt auf ihn zu. „Ich bleibe. Und wenn du bis heute nicht weißt, wer Serafin ist, Mariano José de Larra, dann lernst du ihn jetzt kennen." „Du hast mich in meiner wichtigsten Arbeit gestört!" brüllte der Kapitän ihn an. „Scher dich weg! Fort, oder ich ..." Serafin hatte nur einen raschen Blick auf das aufgeklappte Buch geworfen, das auf der polierten Platte des Pultes lag. Jetzt sah er wieder dem glatzköpfigen Mann in die Augen und schnitt ihm das Wort mitten im Satz ab. „Das verdammte Logbuch! Du und deine elenden Niederschriften, de Larra! Dein Buch ist die Bibel des Satans, und dein Fanatismus und dein Wahn haben uns alle in die Verdammnis gestürzt!"
„Wie sprichst du mit mir, du Bastard?" „So, wie wir alle schon lange mit dir hätten reden sollen", erwiderte Serafin. „Lange, bevor der Skorbut und das Gelbfieber unsere Kameraden wie die Fliegen sterben ließen." „Ich verbiete dir ..." „Nein! Ich lasse mir von dir keine Befehle mehr erteilen, Satanskapitän! Santanás, so haben wir dich getauft, und von jetzt an werden wir dich herumkommandieren - wir, Serafin, Joaquin und Domingo." „Meuterei", stieß Don Mariano keuchend aus. „So weit ist es also auf diesem Schiff gekommen. Die offene Rebellion ist ausgebrochen, die Revolte der Narren." Er griff mit der rechten Hand zur Radschloßpistole. Ein Ruck, und er hatte sie aus seinem Gurt gerissen, hob sie hoch und versuchte, sie auf Serafin in Anschlag zu bringen und gleichzeitig den Hahn zu spannen. Deutlich sah Serafin, wie die Hand des Kapitäns bebte. Serafin brauchte sich nur noch vorzubeugen, um den hageren Glatzkopf zu packen. Über das kostbare Nußbaumholzpult hinweg schossen seine Arme, seine Hände griffen nach beiden Gelenken des Kapitäns. Er zerrte sie hoch und hielt sie fest. Die Radschloßpistole zielte jetzt auf die Balkendecke. Don Mariano brüllte auf. Er trachtete, wenigstens den linken Arm loszureißen und mit der Faust nach dem Aufsässigen zu schlagen, aber Serafin blockierte jeden Widerstand. Der Griff seiner Fäuste glich einer eisernen Umklammerung. „Schluß mit dem Widerstand, de Larra. Drück ab, wenn du willst. Deine Kugel wird keinen Schaden anrichten." „Dafür wirst du mir büßen!"
7 Don Mariano José de Larra win„Ergibst du dich jetzt freiwillig?" kelte plötzlich sein linkes Bein an. Er „Laß mich los! Laß mich los!" hatte genügend Abstand vom Kapi„Du hast mich immer noch nicht tänspult, um das Knie hochziehen zu verstanden", sagte Seraf in, und dann können. Mit aller ihm noch zur Verschrie er ihm ins Gesicht: „Bist du fügung stehenden Kraft drückte er verrückt? Sag mir, ob du Teufel gegen die Kante des Möbels. Es kippwirklich durchgedreht bist oder ob te um und stürzte Serafin entgegen. du nur so tust!" Das Logbuch und alle anderen „Ich bin der letzte Mann, den du in Utensilien wie der Federkiel und das deinem Leben beleidigt hast, Ba- Tintenfäßchen zu Boden. Das stard, denn ich werde dich töten", Pult drohte mitfielen seiner Kante genau keuchte Don Mariano. auf Serafins nackte Füße zu kra„Wirf die Pistole weg!" befahl Se- chen. Serafin stieß einen Fluch aus rafín. und wich zurück. Er mußte Don Ma„Niemals!" riano notgedrungen dabei loslassen. „Ich befehle es dir! Ich führe von Der Kapitän gab einen triumphiejetzt an das Kommando, und du bist renden Laut von sich. Seine beiden nur noch ein dreckiger kleiner Arme waren frei. Bevor der Deckshund!" schwarzbärtige Mann wieder zufas„Lieber sterbe ich!" sen konnte, senkte er die Pistole, ziel„Jawohl", stieß Serafin grimmig te auf den Kopf des dreisten Widerhervor. „Aber bevor du verreckst, sachers und krümmte seinen Zeigebegleitest du mich auf die Kuhl. Dort finger um den Abzug. wirst du unserem armen Freund Don Marianos Augen waren in Esteban den letzten Segen erteilen, diesem Moment weit aufgerissen, denn du bist der einzige hier an Bord, sein Blick starr auf Serafins Gesicht der sich mit den Gebeten und allem, gerichtet. Ein höhnisches Lächeln was dazugehört, auskennt." verzerrte seine Lippen. „Werft den Kerl so in die Bucht." „So stirbt ein verfluchter MeuteSerafins dunkle Augen waren rer!" schrie er. plötzlich von einem tödlichen FunDann drückte er ab. Der Schuß keln erfüllt. „Esteban hat ein Be- brach donnernd in dem niedrigen gräbnis mit allen seemännischen Eh- Raum. Die Feuerlanze, die auf Seraren verdient, denn er war ein guter fins Haupt zustach, war in dicken Kamerad. Du wirst eine Rede halten, weißen Qualm gebettet. de Larra, wie du auch die Totenmes* se für die anderen armen Teufel gehalten hast, die wir den Haien zum Fraß überlassen mußten." Der Seewolf hatte die große Land„Es war nicht meine Schuld, daß sie karte ausgebreitet und ihre vier Ekstarben." ken mit Gegenständen beschwert, „Du hättest unseren Kurs besser damit sie sich nicht wieder zusambestimmen und festlegen müssen!" menrollen konnte: mit einer Rad„Hätte ich auch die Stürme weg- schloßpistole und einer Miqueletkehren können?" schloßpistole aus seiner privaten „Laß die Pistole los", forderte Sera- Sammlung, mit dem goldenen Kreuz fin noch einmal. „Oder soll ich sie dir des Malteserordens, das ihm seinermit Gewalt abnehmen?"
8 „Nur wir?" Sein Bruder lachte verzeit auf Malta geschenkt worden war, und mit einem großen smaragd- ächtlich auf. „Da täuschst du dich besetzten Armreif, der von den Chib- aber. Wenn du beispielsweise Arwecha-Indianern in Neu-Granada nack einen Federkiel oder einen Pinsel in die Pfote drückst und ihn mit stammte. Tusche und Farben spielen läßt, malt Die Karte lag auf dem Boden von Hasards Kammer ausgebreitet, weil er dir auch was Schönes auf." sie für das Pult zu groß war. Der See„Aber nichts Richtiges." wolf hatte sich auf dem Rand seiner „Nichts Konkretes", berichtigte Koje niedergelassen und einen Lade- Philip junior. stock zur Hand genommen. „Und Arwenack ist ein Affe, kein Philip junior und Hasard junior, Vogel", sagte Hasard junior stördie Zwillinge, hatten sich links und risch. „Vielleicht kann er wirklich rechts der Landkarte auf die Plan- ein Bild zusammenschmieren - bloß ken gekauert. Sie gaben sich Mühe, fliegen kann er nicht." ihre ganze Aufmerksamkeit den „Hör mal", fuhr sein Bruder ihn an. Eintragungen auf der Karte zu wid- „Du lernst gleich das Fliegen, wenn men. Philips Interesse galt zwar eher ich dich nämlich ..." den Pistolen und dem wunderschöDer Seewolf klopfte zweimal mit nen goldenen Malteserkreuz, aber er dem Ende des Ladestocks auf die hütete sich, damit herumzuspielen. Planken. „Ruhe", sagte er. „Wir Er wußte genau, daß er in dem Fall schweifen vom Thema ab. Ich bitte sofort mit dem Ladestock was auf die mir mehr Disziplin beim ErdkundeFinger kriegte. unterricht aus." „Dad", sagte Hasard junior in die„Ja, Dad", murmelte Philip junior. sem Augenblick. „Du hast diese Kar„Aye, Sir", sagte auch Hasard jute wirklich ganz allein gezeichnet?" nior. „Ja, das habe ich euch doch vorhin Der Seewolf musterte sie streng. Er schon erklärt." mußte sich selbst zur Ruhe zwingen „Aber wie kann man die Welt auf was ihm allerdings nicht immer so ein Blatt Papier malen, wenn man leichtfiel. Das Lehrmeistern wollte kein Vogel ist und sie aus der Luft gelernt sein, und man brauchte dazu betrachten kann?" fragte Philip. eine wahre Engelsgeduld. Die ZwilDer Seewolf atmete tief durch. Er linge waren zwar keine Dummköpfe, holte zu einer Antwort aus, aber Ha- ganz im Gegenteil. Wenn sie an eisard junior meinte: nem Stoff interessiert waren - zum „Die halbe Welt, wolltest du wohl Beispiel an der Waffen- oder Manösagen." vrier- oder Segelkunde —, dann konnte Philip schnitt eine Grimasse. man über ihre rasche Auffassungs„Meinetwegen. Vielleicht ist es ja gabe nur staunen. Wenn ein Gebiet auch nur ein Drittel der Welt, das sie jedoch langweilte, konnten sie hier dargestellt ist. Das ist aber völlig sich verflixt bockbeinig anstellen. unwichtig. Ich meine was anderes." In den vergangenen Monaten hatte „Ein Vogel kann zwar fliegen und Siri-Tong es weitgehend übernomhat auch gute Augen", warf Hasard men, die Zwillinge zu unterrichten, junior ein. „Aber zeichnen kann er und sie hatte dabei sehr viel Genicht. Das können nur wir Men- schick und Ehrgeiz bewiesen. Dank dieser Fähigkeiten hatte sie gute Erschen."
9 folge erzielt. Die Brüder Philip und Hasard sprachen jetzt gutes Englisch, waren auch der spanischen Sprache mächtig - von den letzten Feinheiten abgesehen - und konnten schreiben, lesen, rechnen, zeichnen und basteln. Ja, und schwimmen und schießen und kreuz und quer durch die Takelage der „Isabella VIII." hangeln konnten sie auch. Aber Siri-Tong, die Rote Korsarin, war jetzt nicht mehr an Bord der „Isabella". Sie war mit der „Albion", einer englischen Crew und Stückgut zum Ausbau der Schlangen-Insel in die Karibik unterwegs. Philip Hasard Killigrew aber hatte von Bora-Bora aus wieder westlichen Kurs genommen, wie er es schon von Tahiti aus getan hatte. Auch er hätte quer durch die Südsee und durch die Magellan-Straße oder ums Kap der Stürme herum bis in die Karibik fahren können, aber es widersprach seinen Plänen. Denn er empfand sich nach wie vor nicht nur als Korsar Ihrer Majestät, der Königin von England, sondern auch als Entdecker. Er hatte als erster die sagenhafte, vielgesuchte Nordwestpassage durchfahren. Danach war er zu den Hawaii-Inseln zurückgekehrt, die er schon einmal vor Jahren besucht hatte, und jetzt war er im Begriff, ein bisher kaum befahrenes und erforschtes Seegebiet zu ergründen. Der genaue Verlauf der Nordwestpassage und die Hawaii-Inseln, von denen außer ihnen und Thomas Federmann sonst kein weißer Mann wußte, waren auf der selbst angefertigten Karte eingezeichnet. Hasard hütete die Rolle wie einen wertvollen, geheimnisvollen Schatz und hielt sie sonst ständig unter Verschluß. Außer ihm wußten nur seine Männer der „Isabella" über die Karte Be-
scheid - und natürlich Siri-Tong. Geographisch reichte die Skizze von der Neuen Welt bis nach Cathay, also Asien, wobei Hasard beim Zeichnen des nördlichen Teils von Amerika noch viele weiße Flecken hatte aussparen müssen. Im wesentlichen hatte er nur Bacalaos, Labrador und die große Bucht der Häuptlinge wiedergeben können. Auf der Westseite des Kontinents hatte er recht vage die Lage von Neu-Albion eingetragen und im Süden davon dann präziser Neuspanien, Panama, Porto Bello, Nombre de Dios und den ganzen südlichen Bereich des riesigen Erdteils mit Neu-Granada, dem Amazonas-Gebiet und allen anderen. von Spanien und Portugal besetzten Ländern bis hinunter nach Patagonien und Feuerland. In Nordamerika - ja, auch dort gab es noch vieles genauer zu erkunden. Und in der Südsee, die sich weitläufig zwischen Amerika und Cathay erstreckte, hoben sich ebenfalls etliche weiße Stellen aus dem Kartenbild hervor. Der Seewolf hatte sich fest vorgenommen, die Skizze zu vervollkommnen. Überdies wollte er eine zweite große Karte malen, die die andere Hälfte der Erdkugel zeigte - von Asien über Indien und Afrika bis hin zur Alten Welt und dem vertrauten, stürmischen Atlantik. „Die Welt ist rund", sagte er zu seinen Söhnen. „Ich habe euch bereits am Beispiel eines Apfels gezeigt, wie man sich die kartographischen Bilder zu denken hat. Man schält den Apfel, faltet die Schale auseinander und breitet sie auf einer Fläche aus." Philip junior nickte jetzt eifrig. „Ja, natürlich. Ich glaube, man kann das gleiche auch mit der Rinde einer Brotfrucht tun. Soll ich den Kutscher fragen, ob er uns eine Brotfrucht
10 wir schon gar nichts verraten. Wir gibt?" Er wollte aufstehen, aber sein Va- haben es Zegú, dem König von Hater bedeutete ihm durch eine Gebär- waii, Thomas Federmann und all den anderen Freunden auf dem Archipel de, sitzen zu bleiben. versprochen. Wir wollen nicht, daß „Haha!" rief Hasard junior. „Du das Paradies zerstört wird und dort suchst ja bloß nach einem Vorwand, Glücksritter, Schnapphähne und um dich verdrücken zu können, PhilSchlagetots landen." ip. Aber daraus wird nichts." „Das hatte ich ganz vergessen", „Frühere Entdecker haben die neuen Küsten so gut wie möglich sagte Hasard junior etwas kleinlaut. Sein Vater senkte den Ladestock, vermessen", fuhr der Seewolf fort. „Man hat eine Einteilung der gesam- der zu einer Muskete gehörte, auf die ten Erde in Längen- und Breiten- Karte. „Zurück zu unserer Aufgabe. kreise geschaffen, so daß alle Karten Ich wollte euch auseinandersetzen, von den Ländern und Ozeanen gera- wo wir uns befinden und welche Seede in der jüngsten Zeit besser und region wir als nächste erkunden." Er einheitlicher geworden sind. Es gibt tippte mit dem Ende des Stocks auf sogar einen Atlas von der Welt, und eine der vielen weißen Zonen, die ich habe mich in den wichtigsten sich hier mitten aus dem hellblau gePunkten natürlich an die Vorlagen malten Stillen Ozean erhoben. „Hier gehalten, die ich hier in der Kammer sind wir - mehr als tausend Meilen westlich von Tahiti, Bora-Bora und aufbewahre." Sein Sohn Philip wies auf die Rarotonga. Was erwartet uns? Wir Nordwestpassage. „Aber davon wissen es nicht. Gibt es hier überkonnten die anderen Seefahrer und haupt Inseln oder nur die Weite des Kartenmaler doch nichts wissen, Meeres? Bald werden wir es erfahren, und dann sind wir entweder um Dad!" ein Abenteuer reicher, oder aber wir „Sie haben ihre Phantasie schießen lassen und die abenteuerlichsten müssen eine Enttäuschung hinnehDarstellungen von der Passage ge- men." liefert", sagte der Seewolf. „Sie waPhilip junior wies auf die südlicheren samt und sonders falsch." ren Breiten. „Und was liegt dort, „Dann könntest du ja eine neue Dad?" Der Seewolf hob die Schultern und Karte veröffentlichen - vielleicht im Auftrag der Königin", stieß Hasard ließ sie wieder sinken. „Auch darjunior aus und richtete sich dabei über lassen sich nur Theorien aufauf. „Es wäre dein gutes Recht, Dad. stellen. Es gibt die tollsten VermuDu könntest sogar einen eigenen At- tungen. Viele Leute behaupten, daß las herausgeben. Was hältst du von sich dort unten ein weiterer Kontinent befinde. Nein, keine Eiswüste, der Idee?" „Langsam, langsam", bremste der sondern ein wohltemperiertes ,SüdSeewolf lächelnd seinen Eifer. „Ich land' mit seltsamen Menschen und glaube, jetzt hast du zuviel Phanta- Tieren darauf, wie sie noch keiner sie. Ich werde über deinen Vorschlag gesehen hat." nachdenken, aber ich schätze, es ist „Hört sich ja wirklich wie ein Märbesser, wenn wir dieses Material nie- chen an", sagte Hasard junior. mandem zugänglich machen. Von „Eher unheimlich, meine ich", erder Lage der Hawaii-Inseln dürfen klärte Philip junior.
11 und räumt auf." „Hast du etwa Angst?" „Bill, du Stint!" röhrte draußen auf „Ich? Vor was denn?" Hasard junior grinste. „Vor dem Deck eine zweite Stimme los. „Ich Südland und seinen Ungeheuern. will schwer hoffen, daß du dich nicht Dad, werden wir dort eines Tages getäuscht hast! Sonst besuche ich dich nämlich im Großmars und biege landen?" „Ich kann es versuchen", antworte- dir deinen Kieker zurecht, du triefte der Seewolf. „Aber ich will euch äugige Seegurke!" „Und das war Mister Carberry, unnichts versprechen. Wir haben noch eine lange Reise vor uns, die sicher- ser Profos", sagte Hasard junior und lich noch manche Überraschung für mußte lachen. uns bereithält. Vielleicht sind wir noch heilfroh, wenn wir es über2. haupt bis nach Kalimantan und Malakka hinauf schaffen." Serafin handelte gedankenschnell. „Kalimantan, brrr", äußerte sich Das geschnitzte, verzierte KapiPhilip junior. „Dort bist du doch schon mal mit deiner Crew gewesen. tänspult war ihm glücklicherweise nicht auf die nackten Füße gefallen. Dort hausen die Kopfjäger." „Aha", sagte sein Vater. „Manch- Er konnte sich frei bewegen. Er ließ mal paßt du in der Erdkundestunde sich nach rechts fallen, als das teure Möbelstück auf die Planken gedonalso doch richtig auf." „Ja, wenn's spannend wird!" rief nert war, sah die Pistole in Don Mariano José de Larras Hand hochHasard junior begeistert aus. Von draußen, wie aus weiter Fer- schwingen, landete auf der Schulter ne, erklang plötzlich ein Ruf. „Deck, und überrollte sich katzengewandt, Deck, Land ho - Steuerbord vor- als die Waffe losbrüllte und ihre Laaus! Wir haben eine Insel vor uns, dung ausspuckte. Heiß strich die Kugel über Serafins wenn mich nicht alles täuscht!" „Das ist Bill, unser Moses", sagte Hüfte. Er glaubte schon, doch getrofder Seewolf und stand auf. „Na, dann fen worden zu sein, aber dann raste sehen wir uns die fremde Insel doch die Feuerzunge über ihn weg, und mal an. Der Unterricht ist vorläufig das Geschoß blieb mit einem dumpbeendet. Rollt die Karte zusammen fen Laut in der gegenüberliegenden
12 Kammerwand stecken. Keinen gründlich mit dir ab, du HöllenbraSchmerz verspürte Seraf in in seinem ten. Madre de Dios, was für eine erLeib, und so sprang er im Pulver- bärmliche Kreatur du doch bist. Du qualm, der sich durch den Raum zitterst ja, Capitán." wälzte, rasch wieder auf. Joaquin und Domingo hatten die Er war so flink wieder auf den Bei- Kammer durch die offene Tür betrenen, wie er es sich selbst nicht zuge- ten. traut hätte. „Was ist passiert?" rief Joaquin Mit der nächsten Bewegung erschrocken. „Wir haben den Schuß brachte er sich Don Mariano näher. gehört und ..." Er wollte ihn wutentbrannt packen, „Töten wollte er mich", sagte Seradoch der Glatzkopf entschlüpfte sei- fin zornig. „Aber das zahle ich ihm nem harten Griff mit einem Laut des heim." Entsetzens. Domingo schob sich näher heran, Don Mariano stürzte zur Tür, die wandte dem Kapitän sein blasses, auf die Heckgalerie der „Hernán abgezehrtes Gesicht zu und ballte die Cortés" hinausführte, riß sie auf und Hände zu Fäusten. „Die Stunde der wollte sich durch einen Sprung über Abrechnung ist gekommen, de Lardie Reling ins Wasser der Bucht ret- ra. Wir schleifen dich jetzt aufs Deck ten. Er hatte jetzt erkannt, mit was und knüpfen dich an der Großrah für einem Kerl er es zu tun hatte, und auf. Dort kannst du dich zu Tode wußte, daß er Serafin gründlich un- zappeln und ein letztes Mal der arterschätzt hatte. Die Meuterei war men Seele gedenken, die durch deine nicht mehr aufzuhalten. Die anderen Schuld gestorben sind." beiden Überlebenden, deren Schritte „Nein", stammelte der Glatzkopf. sich jetzt trappelnd im Mittelgang „Das dürft ihr nicht. Ihr versündigt des Achterkastells näherten, standen euch. Man wird uns aus Manila einen garantiert auf Serafins Seite - und Verband nachschicken. Vielleicht ist er, Don Mariano, war verraten und er schon unterwegs. Man wird euch verkauft. hetzen, stellen und aburteilen - für Serafin hetzte dem Kapitän nach. das, was ihr mir antut." Mitten auf der Heckgalerie kriegte „Schweig!" schrie Joaquin. Er war er ihn zu fassen. Er packte seine ein mittelgroßer, bis auf die Knochen Schultern, riß ihn zu sich herum, abgemagerter Mann mit langen Arstieß einen mörderischen Fluch aus men und großen Händen. Diese Hänund hieb ihm die Pistole aus der de bewegte er jetzt so drohend, als Hand, die Don Mariano auf seinen wollte er Don Mariano damit erwürKopf niedersausen lassen wollte. gen. „Warum hören wir uns sein GeDann hielt er ihn an beiden Armen fest und zerrte ihn in die Kapitäns- jammer noch länger an?" sagte Domingo. „Besorgen wir es ihm." kammer zurück. „Drecksack", sagte er, „Hurensohn! „Er hat noch ein Messer im Gurt Das wirst du noch bitter bereuen." stecken", sagte Serafin. „Nehmt es „Töte mich!" schrie der Kapitän ihm ab, damit er nicht auf die Idee der Galeone. „Ich werde dir zeigen, verfällt, sich noch einmal loszureißen und damit ein Unheil anzurichwie ein Edelmann stirbt!" „Gar nichts wirst du", versetzte Se- ten." rafin grimmig. „Zuerst rechnen wir Joaquin trat hinter de Larra und
zog ihm das Messer, eine lange Waffe mit reich verziertem Heft, aus dem Gurt. „Domingo, geh zum Waffenschrank und nimm für jeden von uns eine Pistole und eine Muskete heraus", ordnete Seraf in an. „Sieh nach, ob sie geladen sind. Wenn nicht, weißt du, was du zu tun hast." Domingo befolgte die Anweisung seines Kameraden. Er zog die Holztüren des großen Schrankes auf und ließ seinen Blick über das kleine Arsenal wertvoller Rad-, Miquelet-, Schnapphahn- und Steinschloßwaffen wandern. Sorgfältig wählte er drei Pistolen und drei Musketen aus. Er prüfte sie der Reihe nach und sagte: „Sie sind geladen." Serafin sah dem Kapitän kalt in die Augen. „Für alle Fälle, was? Du hattest uns ja wohlweislich alle Waffen abgenommen und auch das Depot im Vorschiff verriegelt. Weil du ahntest, was passieren würde. Aber dann war ich doch zu schnell für dich, Satanás, und du warst zu sehr in dein höllisches Logbuch vertieft, nicht wahr?" Don Mariano José de Larra schwieg. Domingo verteilte die Waffen. Serafin ließ den Kapitän los, richtete aber sofort seine Pistole auf ihn und spannte den Hahn. Das Knacken nahm sich überlaut in der Totenstille aus, die jetzt im Raum lastete. „Keinen Fluchtversuch", sagte Serafin. „Du gehst vor mir her, de Larra, und wir begeben uns alle vier auf die Kuhl, um das zu tun, was ich dir eben gesagt habe - um Esteban die letzte Ehre zu erweisen. Joaquin und Domingo, ihr geht hinter mir her. Joaquin!" „Ich höre, Serafin." „Nimm das Logbuch mit. Es ist verflucht, und ich will es vernichten."
13 „Sehr gut. Und er? Halten wir nachher Bordgericht über ihn?" „Das können wir uns ersparen", erwiderte Serafin. „Oder hat einer von euch etwas zu seiner Verteidigung vorzutragen?" Joaquin und Domingo schüttelten die Köpfe. Serafin winkte dem Kapitän der „Hernán Cortés" mit der Pistole zu. Dieser setzte sich in Richtung Achterdecksgang in Bewegung. Serafin folgte ihm mit der Pistole in der rechten Hand und der Muskete in der linken und war bereit, sofort zu schießen, falls de Larra fortzulaufen wagte. Sie schritten durch den Gang. Hohl hallten die von ihren Fußsohlen hervorgerufenen Laute von den Wänden wider. De Larra sah das helle Viereck des offenen Schotts vor sich und spielte mit dem Gedanken, sich zu ducken und loszurennen. War es nicht besser, im ungünstigsten Fall durch eine Kugel in den Rücken oder in den Hinterkopf ins Jenseits befördert zu werden, statt an der Rahnock auf gehängt zu werden? Gewiß war es das. Aber Don Mariano hatte plötzlich nicht mehr den Mut, das Schicksal herauszufordern. Er fühlte, wie seine Knie weich wurden. Die Strapazen und all die düsteren Erlebnisse der langen Seereise hatten auch ihn angegriffen, sowohl körperlich als auch seelisch. Er spürte die Schwäche stärker denn je zuvor und hatte groteskerweise plötzlich das Bedürfnis, sich auszuruhen, nur noch auszuruhen. Er trat ins Licht des Tages hinaus und kniff unwillkürlich die Augen zusammen. Wie grell die Sonne doch war. Er blinzelte ein paarmal, dann öffnete er die Lider wieder und spähte
14 unter dem Liek des Großsegels hindurch zum Strand der unbekannten Insel hinüber. Der weiße Sand und die schlanken Palmen waren mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Rasch war der Abstand zu den rettenden Gestaden geschrumpft, und jetzt hatte die Dreimast-Galeone fast den Platz erreicht, an dem sie ankern konnte. Kein Mensch war auf dem langgestreckten Strand zu erkennen. War die Insel unbewohnt? Oder hatten sich die Wilden in dem Dickicht jenseits der Palmen versteckt und beobachteten sie? Lauerte dort drüben Freund oder Feind? Es hatte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Don Mariano war stehengeblieben. Nicht weit von der Kuhlgräting und der Planke mit dem Toten darauf entfernt drehte er sich zu den drei anderen um. „Männer", sagte er so ruhig und gefaßt wie möglich. „Ich appelliere an euer Gewissen. Überlegt euch noch einmal, was ihr tut. Wenn ihr sofort die Waffeh fortlegt und mich um Verzeihung bittet, will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und eure schimpfliche Tat vergessen. Dazu bin ich wirklich bereit. Wir können von neuem Freundschaft schließen und von vorn beginnen, ganz von vorn. Noch haben wir die Möglichkeit dazu." Domingo lachte leise und verächtlich auf. Joaquin sagte: „Compadres, er hat wirklich den Verstand verloren. Er muß irre sein, denn sonst würde er nicht so krank daherreden." „Augenblick", sagte Serafin. „Hören wir uns an, was er uns vorzuschlagen hat. De Larra — Señor Capitán. Angenommen, wir gehen auf deinen Vorschlag ein ..."
„Du spinnst wohl", zischte Domingo. „Warte. Angenommen, wir tun es, Capitán. Was geschieht dann?" „Dann gehen wir an Land und sehen uns nach frischem Proviant und nach einer Süßwasserquelle um", sagte Don Mariano José de Larra. Er fühlte Hoffnung in sich aufsteigen, und seine Knie zitterten plötzlich nicht mehr. „Dann stärken wir uns und verbringen einige geruhsame Tage auf diesem Eiland. Anschließend setzen wir unser Schiff instand und rüsten es mit Beharrlichkeit so weit aus, daß ..." „Daß wir wieder in See gehen können?" „Ja." „Um Kurs auf die Philippinen zu nehmen?" De Larra zögerte etwas, erwiderte aber schließlich: „Ja, wir segeln zurück nach Manila. Ich schwöre es euch - bei allem, was mir heilig ist." Serafins Pistolenhand zuckte plötzlich vor. Er stieß dem Kapitän den Lauf vor die Brust, und de Larra taumelte zurück. Die Kuhlgräting stoppte ihn, die Kante traf seine Kniekehlen. Er setzte sich auf das Holzgitter und blickte die drei Männer in einer Mischung aus Verblüffung und Entsetzen an. „Du lügst!" schrie Serafin. „Uns legst du nicht herein! Nichts ist dir mehr heilig, Satanás, deswegen kannst du alles auf deinen Eid nehmen, alles! Du hast nur dein wahnwitziges Ziel vor Augen. Weiter nach Süden segeln und an der Küste des Südlandes vor Anker gehen - das willst du!" „Nein", flüsterte Don Mariano. „Joaquin", sagte Serafin. „Lies die letzten Eintragungen aus dem Logbuch vor. Na los, du kannst doch lesen."
Joaquin steckte seine Pistole weg, hob das Logbuch und schlug die Seite mit den jüngsten Aufzeichnungen auf. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen, spröden Lippen, murmelte etwas Unverständliches und las dann vor. „ ... so scheinen wir am Ende unserer Irrfahrt angelangt zu sein. Der Teufel hat sich an Bord dieses Schiffes geschlichen, unser Schicksal scheint besiegelt zu sein. Und doch gebe ich nicht auf. Wir werden neue Kraft und neuen Mut schöpfen, die Lecks abdichten, das Rigg ausbessern und das laufende und stehende Gut klarieren. Danach werden wir wieder auslaufen und auf südlichen Kurs gehen. Mit unnachgiebiger Härte werde ich die ,Hernán Cortés' vorantreiben, denn ich weiß es: Ich bin dazu ausersehen, das Traumland im Süden zu entdecken und als erster zivilisierter Mensch meinen Fuß auf sein Ufer zu setzen. Dieser Gedanke erhält mich aufrecht, er ist mein Lebensfunke." Joaquin klappte das Buch zu und sah Don Mariano voll Haß an. Serafin sagte: „Du hast einen schwerwiegenden Fehler begangen, Satanás. Du warst zu gründlich mit deinem dreimal verdammten Tagebuch. Deine eigenen Worte strafen deine scheinheiligen Behauptungen von eben Lügen. Du verrätst dich selbst. Und uns kannst du nicht länger betrügen und hinters Licht führen. Du mußt für deinen Wahn büßen. Du mußt sterben." „Es ist die Gerechtigkeit des Himmels, die das verlangt", murmelte Domingo. „Und jetzt vorwärts", forderte Joaquin den Glatzkopf auf. In unmißverständlicher Geste richtete er die Pistole auf Don Mariano. Der degradierte Kapitän erhob
15 sich von der Kuhlgräting. So langsam, als schreite er schon zu seiner Hinrichtung, ging er zu dem in Segeltuch eingenähten Toten hinüber. Als der Schuß vorhin unten in der Kapitänskammer gefallen war, hatten Joaquin und Domingo die Planke mit dem Leichnam ihres Kameraden Esteban sehr schnell losgelassen, und sie war recht unsanft auf den Planken der Küul gelandet, so daß die Gestalt des Toten darauf verrutscht war und sich ein wenig verkrümmt hätte. Serafin gab seinen beiden Kameraden einen Wink, und sie verstanden die Gebärde sofort. Während Serafin den Kapitän weiterhin scharf im Auge behielt und die Pistole ständig auf ihn richtete, bückten sich Domingo und Joaquin nach dem Toten und rückten dessen Körper auf der Planke zurecht. Dann hoben sie die improvisierte Bahre wieder auf, senkten das Fußende auf die Handleiste des Schanzkleides und blickten Don Mariano fordernd an. De Larra nahm am Kopfende der Bahre Aufstellung, schlug mit der rechten Hand das Zeichen des Kreuzes und sagte: „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarme dich." Auch Serafin, Joaquin und Domingo bekreuzigten sich. Serafins Blick fiel plötzlich auf das Logbuch. Joaquin hatte es sich halb in den Hosenbund geschoben, um die Hände frei zu haben und das Gewicht des toten Esteban halten zu können. Es bereitete ihm wie seinem Landsmann Domingo ohnehin erhebliche Mühe, die Last hochzustemmen und bis zum Ende des Zeremoniells festzuhalten. Beiden stand der Schweiß in kleinen Perlen auf der Stirn. Serafin griff nach dem Buch und
16 zog es Joaquin aus dem Hosenbund. Mit einer schwungvollen Handbewegung beförderte er Don Marianos Aufzeichnungen außenbords. Es plätscherte ein wenig in Lee der Galeone, und damit war das Buch im Wasser der Bucht verschwunden. „Die Schriften des Teufels stören das Ritual", sagte Seraf in. „Weiter, de Larra, weiter." Drohend hob er seine Pistole noch ein Stück an. Die Mündung wies jetzt auf die Schläfe Don Marianos. Don Mariano fühlte unbändigen Zorn und Haß in sich aufsteigen. Alle anderen Empfindungen verblaßten, der Anflug von Schwäche war vorbei, er fürchtete die Pistole Serafins nicht mehr. „Heiliger und gerechter Gott", sagte er noch. „Wir beugen uns vor dir an diesem Sterbebett. Verleihe diesem unserem Entschlafenen die ewige Ruhe. Durch Jesum Christum, deinen lieben Sohn, unsern Herrn." „Amen", sagten die drei Decksmänner. Don Mariano packte das Kopfende der Planke und riß es mit ungeahnter, urwüchsiger Kraft hoch. Mit einem scharrenden Laut glitt der Körper des Toten von der Planke. Don Mariano duckte sich, unterlief sie, rammte Domingo, der links von ihm stand, seinen Ellenbogen in den Magen und schlüpfte an ihm vorbei. Serafin stieß einen mörderischen Fluch aus. Er zielte auf den Kapitän, aber Domingo befand sich in der Schußrichtung. Joaquin hielt noch die Planke fest und schaute entgeistert dem Toten nach, der jetzt an der Bordwand hinunterfiel und mit einem lauten Klatschen in die Fluten tauchte. Don Mariano José de Larra war am Steuerbordschanzkleid der Kuhl und flankte darüber weg. Domingo
stolperte und fiel auf die Planken, und Serafin hatte jetzt das Schußfeld auf den Flüchtenden frei. Der Schwarzbart drückte ab, aber im Krachen des Schusses und im Hochpuffen des Pulverqualms sah er Don Marianos Gestalt in einer huschenden Bewegung jenseits des Schanzkleides verschwinden. „Ich habe ihn verfehlt!" brüllte er. „Tötet ihn", keuchte Domingo, der sich gerade aufrappelte. „Tötet diesen Hundesohn." Joaquin hatte die Planke losgelassen. Sie gewann das Übergewicht nach außenbords und rutschte über die Leiste des Schanzkleides. Joaquin riß die Pistole aus dem Gurt, beugte sich außenbords und sah die Planke ins Wasser schlagen. Er sah auch die Stelle, an der Don Mariano soeben eingetaucht war, und konnte dessen Gestalt noch in den klaren Fluten erkennen. Er visierte sie über den Lauf seiner Pistole an. „Ich gebe dir den Rest", sagte er mit verbissener Miene. 3. Die „Isabella VIII." steuerte das südliche Ufer der Insel auf Kurs Westnordwest an. Mit Steuerbordhalsen und auf Backbordbug liegend rauschte sie mit etwa fünfeinhalb Knoten Fahrt genau auf eine herzförmig geschwungene Bucht zu, die Bill, der Ausguck, von seinem Posten im Großmars aus entdeckt hatte. Alle Männer befanden sich jetzt an Oberdeck. Hasard, Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, die O'Flynns und der Profos hatten die Back geentert, um das fremde Eiland besser betrachten zu können. Sie richteten ihre Spektive auf den weißen Strand und die dahinterliegende Vegetation
und suchten nach Spuren menschlichen und tierischen Lebens. Die Zwillinge Philip und Hasard verließen in diesem Augenblick das Achterkastell. Sie hatten in der Kapitänskammer aufgeräumt, wie ihr Vater es ihnen befohlen hatte, und eilten jetzt quer über die Kuhl zur Back, um sich zu den Männern zu gesellen. „Fallt bloß nicht auf die Nase!" rief Matt Davies ihnen nach. „Das lohnt sich nämlich nicht." „Eben", pflichtete Sam Roskill ihm bei. „Jedenfalls nicht als Einsatz für den Anblick der dämlichen Insel." „Ist ja doch bloß eine Insel wie jede andere", meinte nun auch Stenmark, der Schwede. „Was soll die schon Besonderes zu bieten haben?" „Wilde Tiere und Kannibalen vielleicht", brummte Bob Grey. „Steht dir danach der Sinn?" „Nein." Stenmark grinste säuerlich. „Eher nach ein paar glutäugigen Amazonen." „Wißt ihr noch, damals, am Amazonas", begann jetzt Jeff Bowie. „Könnt ihr euch daran noch erinnern? Mann, wie haben wir da gelebt! Wie die Maden im Speck." „Hör auf, du übertreibst", sagte Sam Roskill. „Denk bloß mal an das Klima und das viele Ungeziefer zurück, das uns dort piesackte. Da ist hier die Luft schon viel besser." „Ich pfeif auf die Luft, wenn die Weiber fehlen!" rief der Schwede. „Man müßte mal wieder so richtig lostoben, sage ich. Nach Herzenslust, mit Ausgang bis zum Wecken!" Er warf einen Blick über das Schanzkleid, und seine Mundwinkel sackten nach unten. „Aber ich seh's schon kommen", fügte er verdrossen hinzu. „Außer ein paar Affen und Bananen finden wir dort ja doch nichts vor." „Vielleicht ein paar schöne Brot-
17 früchte", meinte Matt Davies grinsend. „He, das war doch was!" „Du kannst dir die Scheiß-Brotfrüchte sonstwohin stecken", sagte Stenmark. Auf der Back schnitt der Profos im selben Moment eine Grimasse, die um keinen Deut zuversichtlicher war als die von Stenmark. In der Optik des Kiekers, den Carberry vor seinem rechten Auge hielt, nahm sich die Inselwelt grün, üppig und friedlich aus, aber dieses Bild war nicht dazu angetan, seine Stimmung auch nur ein bißchen zu heben. „Hol's der Henker", sagte er und senkte das Spektiv. „Auf der Insel ist nichts los. Da liegt der Hund begraben, meine ich. Sir, darf man erfahren, was wir dort wollen?" „Ed, wir wollen in erster Linie unseren Forschergeist befriedigen", erklärte Ferris Tucker. „Wir können die Insel vermessen und fremdartige Pflanzen sammeln. Ist das nichts?" „Du krummbeiniger alter Holzwurm", sagte der Profos. „Du sollst nicht so kariert quatschen, ich kann das nicht leiden. Außerdem habe ich Hasard gefragt, nicht dich." „Ja, das stimmt", meinte nun der Seewolf, indem er ihnen einen raschen Seitenblick zuwarf. „Mister Tucker, sei nicht so vorlaut." „Nein, Sir. Ich meine - jawohl, Sir." „Und nun zu deiner Bemerkung, Ed. Es könnte sein, daß wir wirklich nur ein paar Früchte und eßbares Waldgemüse einsammeln und nach einer Quelle suchen, um unsere Trinkwasservorräte zu erneuern. Das könnte alles sein." „Sir, ich ..." „Hast du was dagegen?" „Nein", erwiderte der Profos. Verdammt, warum hatte er seinen Mund nicht halten können? Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück, jetzt
18 mußte er zu seiner Meinung stehen. Brautschau - freut euch lieber." „Ich wollte nur sagen, äh - also, ich „Hurra!" rief Matt Davies, aber er finde, wir haben in der letzten Zeit verstummte sofort wieder, denn die verdammt viele Inseln abgeklappert. anderen musterten ihn feindselig. Das ist alles." „Mister Carberry!" rief der Kut„Ed, ich habe euch allen meine scher zur Back hinauf. „Werden wir Karte gezeigt", sagte der Seewolf ge- auf der Insel auch Brotfrüchte finduldig. „Wir befinden uns auf einem den?" Kurs, auf dem wir noch hundert oder „Ach Gott, das wäre zu schön", sagtausend Eilande dieser Art anlaufen te Dan O'Flynn hinter Carberrys können. Ich weiß, daß viele von euch Rücken. Er konnte sich sein Lachen das Wort Insel schon nicht mehr hö- kaum noch verkneifen. ren können, aber trotzdem bleibt es „Meine lieben Freunde", gab der dabei: Wir kundschaften jeden Flek- Profos zur Antwort. „Wenn ihr ken Erde aus, der in Sicht kommt - glaubt, daß ihr euren Profos verund damit basta!" schaukeln könnt, werde ich jedem „Aye, aye, Sir. Ich bitte um Verzei- Großmaul unter euch mit so einem hung, Sir." Brotdingsbums den vorlauten Ra„In Ordnung", sagte Hasard. „Ge- chen stopfen." Er grinste so freundrade du als Profos solltest der Crew lich wie ein hungriger Hai. mit gutem Beispiel vorangehen. Sorg Die Männer konnten jetzt nicht gefälligst dafür, daß die Männer bei mehr an sich halten. Sie lachten aus guter Laune bleiben und nicht mür- vollem Hals - und es klang beinah risch werden." wie ein Jubel zu Ehren des Profos'. „Wird besorgt." Carberry steckte „Na bitte", sagte Carberry grunseinen Kieker weg, drehte sich auf zend. „Ich weiß, wie man die Stimdem Stiefelabsatz um und trat an die mung aufrechterhält. Der Profos hintere Querbalustrade der Back, die kann alles, wenn er nur will." den Abschluß zur Kuhl hin bildete. Die Entfernung zu der Insel war Er bemühte sich, seine Miene so hei- auf etwa eine halbe Meile zusamter und strahlend aussehen zu lassen mengeschrumpft, und der Seewolf wie der azurblaue Himmel, der sich drehte sich plötzlich um und sagte: über der „Isabella", der fremden In- „Mal Ruhe dahinten. Da war ein Gesel und der ganzen Südsee spannte, räusch." und hielt eine kurze Ansprache an „Sir!" rief nun auch Bill, der Moses, die Crew, die erwartungsvoll zu ihm hoch über ihren Köpfen. „Ich habe aufschaute. einen Laut gehört. Klang wie ein „Leute, schnappt euch Pützen und Schuß. Und das kam von der Insel." Kübel und haltet euch zum Land„Was? Wie?" Carberry hob vergang bereit", begann er. „Jawohl, wir dutzt den Kopf. „Wieso hab ich davon werden dieser großartigen Insel ei- nichts gehört? He, Bill, du Lorbaß, nen Besuch abstatten und uns ein drück dich gefälligst deutlicher aus. wenig umsehen. Wir werden Zitro- Was für ein Schuß war das, zum Teunen und Apfelsinen sammeln, falls es fel?" welche gibt, Ananas, Tomaten, süße „Ein Pistolen- oder MusketenKartoffeln, Kokosnüsse, Bananen schuß!" und Maniok, verstanden? Nun glotzt „So. Ist ja nicht so schlimm wie ein aber trotzdem mich nicht an wie die Walrosse auf Kanonenböller,
19 schlimm genug", brummelte Carberry. „War das etwa die Begrüßungssalve für uns?" „Kaum", meinte der Seewolf. „Ich kann nirgends Pulverrauch erkennen, geschweige denn den Schützen. Vielleicht ist der Schuß gar nicht am Südufer, sondern woanders auf der Insel gefallen. Wie auch immer, wir müssen auf der Hut sein. Was folgert ihr aus diesem Schuß?" „Erstens", erwiderte Old O'Flynn, „ist die Insel nicht unbewohnt, wie wir im ersten Moment wohl alle angenommen haben." „Zweitens: Die Bewohner der Insel sind mit Pistolen oder Musketen bewaffnet", fügte Big Old Shane hinzu. „Mann, ich bewundere euren Scharfsinn", sagte der Profos. „Ben", sagte der Seewolf zu seinem Ersten und Bootsmann. „Wir behalten unseren Kurs bei, aber wenn wir die Bucht erreicht haben, halten wir so viel Distanz zum Ufer, daß man kein Zielschießen auf uns veranstalten kann." „Aye, Sir", sagte Ben Brighton. „Ed!" rief der Seewolf. „Laß gefechtsklar machen!" Carberry zeigte verstanden, fuhr wieder zur Crew herum und brüllte los: „Klar Schiff zum Gefecht, ihr Rübenschweine, habt ihr nicht gehört? Hoch mit den Stückpforten und raus mit den Stücken, aber ein bißchen dalli, wenn ich bitten darf, Gentlemen! He, Mister Davies, du plattfüßige Wildsau, was fummelst du da mit den zwei Holzkübeln rum? Bist du nicht mehr ganz echt, oder was ist los?" „Mister Carberry", entgegnete Matt Davies mit der größten Gelassenheit. „Ich bereite mich befehlsgemäß auf die Landung und das Einsammeln von Grünzeug vor." „Aber jetzt gilt der neue Befehl!"
brüllte Carberry, und sein Narbengesicht lief bedenklich rot an. „Schwenk dich, Mister, und pack bei den Culverinen mit an! Oder muß ich dir erst einen Marsch trompeten?" Matt hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und lief zwischen Jeff Bowie und Bob Grey hindurch auf den 17pfünder zu, der ihm am nächsten stand. Mit beispielhafter Geschwindigkeit zog er die Stückpforte auf, riß die Persenning von der Culverine, löste die Zurrings und brachte die bereits fertig geladene Kanone durch geschicktes Hantieren mit den Tauen in Feuerstellung. Hinter seinem Rücken liefen die anderen Männer auf und ab und begaben sich auf ihre Gefechtsstationen. Plötzlich herrschte hektische Betriebsamkeit, und das ganze Gefrotzel und Gemurre von vorher war vergessen. 4. Das Logbuch, dachte Kapitän Don Mariano José de Larra, während er ins Wasser der Inselbucht stürzte und Zoll um Zoll tiefer tauchte, mein teures, kostbares Logbuch! Er riß die Augen auf und suchte nach dem Buch. Ihm war plötzlich so weinerlich zumute wie einem Kind, dem man sein einziges Spielzeug weggenommen hatte. Er strampelte mit den Beinen, bewegte rudernd die Arme und kämpfte gegen den Auftrieb an. Das Buch würde tiefer und tiefer sinken, wenn er sich nicht beeilte, es wiederzufinden, soviel war gewiß. Über sich gewahrte er plötzlich zwei drohende Schatten. Verzweifelt drehte er sich im kristallklaren, erstaunlich kühlen Wasser. Er öffnete fast den Mund und schluckte Flüs-
20 sigkeit, so erschrak er über den An- um? War er denn wirklich der Verblick, der sich etwa drei Fuß schräg brecher, als den ihn seine letzten drei Männer beschimpft hatten? Hatte er über ihm seinen Augen bot. Der in Segeltuch gehüllte Leich- sich wirklich so falsch verhalten? nam drehte sich schwerfällig in den Hätte er etwa - wie sie immer wieFluten und schien geradewegs auf der von ihm verlangt hatten - schon ihn, Don Mariano, zuzusinken. Dem bei den ersten unerwarteten Schwietoten Esteban folgte die Planke, auf rigkeiten der Fahrt nach einer Insel, der er eben noch gelegen hatte. Das einer geschützten Bucht suchen solNaß bot ihr weniger Widerstand, sie len, statt den Südkurs weiterzuverwar schneller und überholte den To- folgen? Aber das hätte bedeutet, daß ten. er seinem erhofften Ziel so fern geDon Mariano vollführte eine blieben wäre, wie Manila und die schnelle Bewegung und tat mehrere Philippinen vom spanischen HeiSchwimmzüge, um sich aus der Nähe matland entfernt lagen. Nie wieder hätten ihn seine Bedes Leichnams und seiner Bahre zu bringen. In einer spukhaften Vision fehlsgeber auf eine so wichtige Reise glaubte er schon zu sehen, wie das geschickt, nie wieder hätte es eine Segeltuch sich öffnete und den starr solche Chance für ihn gegeben, zum ren Toten freigab, wie Esteban die Kommandanten aufzusteigen. Arme ausbreitete und mit verEr sah das Logbuch. krampften Fingern nach seinem KaPlötzlich trieb es dicht vor ihm, pitän griff, um ihn zu würgen. und er brauchte nur noch mit beiden De Larra schauderte zusammen. Händen zuzugreifen und es an sich Esteban war an Skorbut und völli- zu reißen. Er stopfte es sich in den ger Entkräftung gestorben. Als es an Hemdausschnitt und preßte es gegen Bord der „Hernán Cortés" noch Pro- seinen Oberkörper. Auch dies war viant gegeben hatte, war die Ernäh- wieder ein Wink des Himmels. Die rung zu einseitig gewesen. Dann, in Güte des Allmächtigen ist unendlich, den Wochen plan- und zielloser dachte de Larra, das Logbuch und Fahrt zwischen Stürmen, falschen ich, wir sind zwei unzertrennliche Hoffnungen und Verzweiflung, hat- Freunde. Er kehrte mit heftigen Arm- und te der Hunger die Mannschaft gegeißelt, und schließlich hatte sich ein Beinstößen an die Wasseroberfläche neuer, ebenso heimtückischer wie zurück. Seine Atemluft wurde jetzt grausamer Feind an Bord der Galeo- knapp. Das Hemd und die Hose, die ne eingestellt: das Gelbfieber. Es sich mit Wasser vollgesogen hatten, hatte die Besatzung weiter dezi- behinderten ihn und zerrten an seimiert, und nur die Widerstandsfä- nem Leib, als wollten sie ihn wieder higsten hatten allem Unheil bis zu- zurück in die Tiefe ziehen. Serafin war in den wenigen Auletzt zu trotzen vermocht. Daß er, Don Mariano, zu diesen genblicken, die seit dem VerschwinStarken gehörte, hatte er bislang als den des Kapitäns von Bord der Galeone vergangen waren, zu Joaquin einen Wink des Himmels gewertet. Jetzt aber schien sich alles ins Ge- hinübergehastet und drängte ihn genteil umzukehren. Er war am Le- jetzt: „So schieß doch endlich. Drück , ben geblieben, aber das Dasein war ab. Auf was wartest du noch?" zur Qual und Folter geworden. War"...Ich will ihn voll treffen, nicht nur
21 verwunden", sagte Joaquin gepreßt. Schwitzend korrigierte er immer wieder die Haltung der Pistole, denn Don Marianos Gestalt im Wasser war ein verschwommenes, fließendes Etwas, das man nicht so leicht ins Visier kriegen konnte. Außerdem gaukelten die Lichtreflexe auf den Wellen Joaquins Augen glitzernde Bilder vor. Don Mariano tauchte auf. Japsend schöpfte er Luft. „Jetzt", fuhr Serafin seinen Kameraden an. „Jetzt, jetzt! Besorg es ihm." „Er ist schon zu weit entfernt", ließ sich Domingo hinter ihnen vernehmen. Er hatte zur Muskete gegriffen. Joaquin krümmte seinen Zeigefinger um den Abzug, und der Waffenhahn schnappte zu. Funken sprühten auf der Pfanne des Steinschlosses. Dumpf wummerte die Pistole in seiner Faust auf, ruckte ein wenig und entließ ihre Ladung. De Larra bewegte sich zuckend, als er den Schuß hinter sich krachen hörte. Er warf sich im Wasser herum. Ganz dicht neben ihm, höchstens zwei Handspannen entfernt, fuhr die Pistolenkugel ins Wasser und peitschte eine kleine Fontäne hoch. Dann verlor sie sich wirkungslos in den Tiefen. Don Marianos Finger schlugen gegen etwas Hartes. Verwundert nahm er zur Kenntnis, daß er gegen die Planke geprallt war. Sie war nur ein Stück gesunken, nicht tiefer als er, und dann hatte die Auftriebskraft des Wassers die Oberhand über das Holz gewonnen und sie nach oben mitgenommen. Er klammerte sich an der Planke fest. Es schauderte ihn bei dem Gedanken daran, daß auf dieser Planke eben noch der Leichnam gelegen
hatte, der jetzt auf den Grund der Bucht sank, aber er wußte auch, daß das Holz ihm die einzige Chance bot, rasch und sicher bis zum Ufer der Insel zu gelangen. So hielt er sich mit beiden Händen fest, schob seinen Oberkörper über die Planke und schlug, halb auf seinem Hilfsfloß liegend, wild mit den Beinen auf und ab. Um seine Füße herum begann das Wasser zu schäumen. De Larra trieb vorwärts. Die Distanz zwischen ihm und dem Schiff wuchs. Serafin, Joaquin und Domingo legten die Läufe ihrer Musketen auf die Handleiste des Steuerbordschanzkleides und zielten, so gut es bei den leicht schlingernden Bewegungen der Galeone möglich war. „Madre de Dios", sagte Serafin. „Der Hund entwischt uns noch. Was sind wir doch bloß für Versager. Zum Teufel, gebt Feuer!" Domingo drückte als erster ab. Aber er hatte zu hastig gezielt, seine Kugel lag zu kurz und stob weit hinter dem flüchtigen Kapitän in die Fluten. Serafin und Joaquin schossen gleichzeitig. Ihre Schultern fingen den Rückstoß der Waffen ab, sie verharrten in Schußposition, sprangen nicht auf und rührten sich um keinen Zoll vom Fleck. Sie warteten darauf, daß sich der Qualm verzog. „He", sagte Serafin plötzlich. „Siehst du, was ich sehe, Joaquin?" „Ja. Die Planke treibt im Wasser, und der Bastard ist weg." „Er ist tot!" rief Domingo. „Jetzt hat er also doch seine gerechte Strafe erhalten!" Serafin erhob sich langsam. „Augenblick, nicht so voreilig. Da stimmt irgendwas nicht. Selbst wenn wir ihn erwischt haben, kann er doch nicht
22 so plötzlich verschwunden sein ..." „Beim Donner", keuchte Joaquin. Unwillkürlich griff er nach Serafins Arm. Serafin schüttelte die Hand ab, die sich um seinen Unterarm zusammenkrallte. Dann fluchte er lästerlich - und Domingo fiel mit ein. Alle drei sahen sie jetzt, was geschehen war. Don Mariano José de Larra war von zäherer Kondition, als sie angenommen hatten. Geistesgegenwärtig war er getaucht, als die Musketen zu krachen begonnen hatten. Er hatte sich einfach von der Planke gleiten lassen, den Kopf unter Wasser genommen und war unter seinem Behelfsfloß hindurchgeschwommen. Jetzt, nachdem die drei Todfeinde ihre Waffen leer gefeuert hatten, schob er sich wieder hoch und packte das treibende Holz von der anderen Seite. Er zog es zu sich heran, hing sich erneut daran und setzte seinen Fluchtweg fort. Serafin, Joaquin und Domingo blickten völlig entgeistert auf den Wasserquirl, der von de Larras Beinen verursacht wurde. Der Glatzkopf bewegte sich in einer Richtung davon, die im spitzen Winkel zum Kurs der Galeone lag. „Domingo", stieß Serafin aus, „rauf aufs Achterdeck! Laß den Kolderstock los. Wir fallen ab und segeln ihm nach. Wir erwischen ihn noch, bevor er das Ufer erreicht. Santa Madre, wir müssen ihn pakken!" Domingo schüttelte den Kopf. „Auf diese Weise schaffen wir es bestimmt nicht. Wir laufen gleich auf Grund, wenn wir nicht schleunigst beidrehen." Joaquin war ebenfalls aufgestanden und blickte ins Wasser. Deutlich
war jetzt der sandige Grund zu erkennen. Er stieg jäh an und breitete sich als eine einzige, gefährliche Bank vor dem nahen Ufer aus. Bunte Seeanemonen und tiefgrüne Algen fächerten in der Strömung hin und her. Ein dicker, roter Fisch, aufgeblasen wie ein Wasserschlauch aus Ziegenleder, glitt behäbig zwischen den Gewächsen und den fest im Grund verwurzelten Tieren dahin und schien nichts Böses zu ahnen. „Rasch", sagte Joaquin entsetzt. „Rasch, Domingo." Und Domingo rannte los. Er stürzte auf den Steuerbordniedergang zu, der die Kuhl mit dem Achterdeck verband, nahm ihn mit zwei großen Schritten, hastete auf den Kolderstock zu und löste die Laschings, die er selbst kurz vorher auf Befehl Don Marianos angebracht hatte. Mit aller Macht drückte er den Kolderstock herum. Serafin hatte eingesehen, daß seine Kameraden recht hatten. Er fuhr mit Joaquin zusammen herum, und beide liefen sie zu den Geitauen des Großsegels und der Fock, die genauso wirr aufs Deck herabhingen wie die Schoten und Brassen. Hand über Hand holten sie sie durch und geiten die letzten Segel der „Hernán Cortés" auf. Schnell verlor die Galeone an Fahrt. Ihr Vorschiff schwenkte herum, bis der Bug mit den brüchigen Schriftzügen nach Südost wies, und dann noch ein klein bißchen weiter, bis der Dreimaster fast mit seinem Vorsteven im Nordostwind lag. Serafin und Joaquin ließen den Buganker an seiner Trosse ausrauschen. Er sank nicht weit, der schwere Stockanker, schon nach fünf oder sechs Faden hielt er in der Abwärtsbewegung inne, neigte sich zur Seite und blieb zwischen den Anemonen
23 und pullen zur Insel hinüber?" fragte Joaquin. „Ja. Vorher bewaffnen wir uns aber bis an die Zähne." „Dann hole ich wohl doch lieber die restlichen Waffen aus der Kammer des Kapitäns - und den Schlüssel fürs Depot", sagte Domingo. Er drehte sich um und hastete zum offenen Achterdecksschott. Serafin und Joaquin wandten sich der Jolle zu, die auf der Steuerbordseite der Kuhl lag, und lösten ihre Zurrings. Sie arbeiteten mit verbissenem Eifer. Don Mariano José de Larra hatte unterdessen die Palmen erreicht, die
und Algen liegen. Serafin, Joaquin und Domingo blickten über das Schanzkleid nach unten und konnten den Anker klar erkennen. Die „Hernán Cortés" lag keine halbe Kabellänge vom Strand der Insel entfernt und hob und senkte sich leicht in der schwachen Dünung. „Wir haben verdammtes Glück gehabt", sagte Serafin. „Por Dios, wir hätten tatsächlich gleich mit dem Kiel auf Grund gesessen. Domingo, ich danke dir." Domingo wies mit der ausgestreckten Hand zum Ufer. „De Larra, dieser Lump, ist durch die Brandung hindurch. Seht doch! Er läßt die Planke los und kriecht an Land." „Er steht auf", sagte Joaquin. „Aber - er humpelt ja. Oder täusche ich mich?" Serafin grinste plötzlich. „Nein. Ich sehe auch, daß er hinkt wie ein lahmer Hund. Ganz fehlgegangen sind unsere Musketenkugeln also nicht. Geschieht ihm recht, diesem elenden Leuteschinder. Schmerzen leiden soll er, ich wünsche es ihm - und er wird sich noch wünschen, lieber tot zu sein, denn wir werden ihn jagen, quer über die Insel, wenn es sein den Strand der weiten Bucht im Sümuß." den säumten. Er blieb stehen, legte „Serafin", sagte Domingo. „Warum seine Hand auf einen der hohen, laden wir nicht schnell eins der Ge- leicht gebogenen Stämme und blickschütze und senden ihm einen Schuß te über seine rechte Schulter zurück nach, der es in sich hat, der ihn in zur „Hernán Cortés". Stücke reißt? Der Schlüssel zum Mein Schiff, dachte er, in den HänPulver- und Waffendepot befindet den dieser blutrünstigen Halunken! sich doch in seiner Kammer." Sie würden so leicht nicht von ihm Serafin deutete auf den davon- ablassen, das wußte er genau. Sie wankenden Glatzkopf. „Selbst wenn würden landen, was hier am Strand wir sehr schnell mit dem Laden sind, ein Kinderspiel war, würden ihn er wird im Gebüsch untertauchen, verfolgen, wie ein flüchtiges Stück ehe wir die Kanone abfeuern kön- Wild hetzen und ihm schließlich den nen. Nein, das hat keinen Zweck. Wir Fangschuß verpassen. müssen anders verfahren." Aber ihr kriegt mich nicht, dachte „Wir fieren eins der Beiboote ab er haßerfüllt, nicht Don Mariano, der
24 hundert Listen ersinnen und euch und sein Tun registrierten, bemerkte tausend Fallen stellen wird. Drei er nicht. Galgenstricke wie ihr können einen Er nahm an, daß die Insel unbeKapitän von Format nicht töten. wohnt sei. Dann setzten wieder die Schmerzen in seinem rechten Bein ein. Er verzerrte das Gesicht, bückte sich 5. und untersuchte die Wunde. Seine Hose war durch die Kugel aufgerisBeigedreht lag die „Isabella" in der sen worden, und auf der Wade zeich- herzförmigen Bucht an der Südseite nete sich eine blutige Schramme ab. der Insel. Ungefähr eine Kabellänge Es war nur ein Streifer, aber er tat Abstand dehnte sich zwischen ihr höllisch weh. Voll Entsetzen malte de und dem sandigen Ufer aus. Das war Larra sich plötzlich aus, was gesche- nach Hasards Überzeugung genau hen wäre, wenn Haie in der Nähe ge- die richtige Entfernung, um vor eiwesen wären und das im Wasser aus- nem jähen Überfall geschützt zu strömende Blut gewittert hätten. sein. Er schluckte ein paarmal heftig, Eine Kabellänge, das waren zweidann humpelte er weiter. Wie er die hundert Yards. Ein Gegner mußte Blessur verbinden sollte, wußte er schon über sehr gute Kanonen vernicht. Sein Hemd war naß. Selbst fügen, um die schlanke Galeone vom wenn er es in Fetzen riß, konnte er Ufer aus zu treffen. Er mußte Culvedie Wunde nicht ordentlich damit rinen oder Demi-Culverinen haben, umwickeln, und das Salzwasser, mit die so lange Rohre hatten wie die 17dem der Stoff durchweicht war, pfünder der „Isabella", um auf ein würde nur wieder heftig in dem Riß paar sichere Treffer hoffen zu könbrennen. nen. Daß ein Angreifer sich mit derEr konnte nur darauf hoffen, daß art guten Geschützen im Dickicht der Blutfluß früher oder später auf- der Insel verschanzt hatte, hielt der hörte und die Verletzung verschorf- Seewolf für ausgeschlossen. te. Gewiß, auf der Azoren-Insel Sao Er hatte nichts, kein Hilfsmittel, Miguel hatten sie sich einmal mit keine Waffe. Nur das Logbuch. Freibeutern herumschlagen müssen, Mit dem Buch, seinem kostbarsten die an den Hängen einer Bucht KaSchatz, unter dem Hemd schlüpfte er nonen aufgestellt hatten. Aber daß in das Inseldickicht. Raschelnd es etwas Ähnliches hier unten, tief in schlugen die kleinen Zweige und die der Südsee, gab, bezweifelte er. Blätter hinter seinem Rücken zuEr stand mit seinen Männern am sammen. Backbordschanzkleid der Kuhl und Hier, so hoffte er, würde er sich vor beobachtete das Ufer durch das seinen Verfolgern in hervorragender Spektiv. Weise verbergen können. Eben waren wieder vier Schüsse Er ahnte nicht, daß er bereits seit gefallen, die sie hatten aufhorchen seiner Flucht vom Schiff aufmerk- lassen. sam aus dem Gebüsch heraus beob„Das war im Inneren der Insel", achtet worden war. Die Augenpaare, vermutete Ben Brighton. „Ich möchdie sorgsam zwischen den Blättern te zu gern wissen, was da los ist." versteckt auf ihn gerichtet waren „Da scheint ja ein ganzes Regiment
zu liegen", brummte der Profos. „Aber die Burschen feuern nicht auf uns, soviel steht fest. Sonst hätten wir ihre Kugeln ins Wasser spritzen sehen." „Es waren Pistolen und Musketen", meinte Shane. „He, Donegal, du alter Hellseher, hast du keine Eingebung, die dir verrät, wer da so unverfroren durch die Gegend ballert?" „Nein", gab der alte O'Flynn gallig zurück. „Aber ich bezweifle, daß es Eingeborene sind. Ich meine eher, wir sind auf ein Piratennest gestoßen." „Und wo liegen die Schiffe dieser Piraten?" wollte Carberry wissen. „Ich sehe hier keine Kähne, verdammt noch mal, aber ich hab auch noch keine Seeräuber erlebt, die mit ihren Hintern auf dem Trockenen sitzen." „Vielleicht liegt ihr Versteck auf der anderen Seite der Insel", sagte der Seewolf. „Dann gibt es noch eine Möglichkeit. Weiße Galgenvögel könnten die Wilden der Insel irgendwie aufgewiegelt und ihnen Waffen gegeben haben." „Oder Piraten oder Sklavenjäger haben ein Dorf überfallen und veranstalten dort ein Blutbad", bemerkte der alte O'Flynn düster. „Hol's der Teufel. Dabei dachten wir, endlich mal wieder ein friedliches Plätzchen gefunden zu haben, wo sich's gut verweilen läßt." „Fiert die Jolle ab", befahl Hasard. „Wir landen und unternehmen einen kleinen Streif zug, um nach der Ursache der Schüsse zu forschen. Shane, Ed, Blacky, Dan, Gary und Al, ihr begleitet mich. Los, wir haben schon zuviel Zeit verloren. Beeilen wir uns." Das Beiboot hing schon außenbords und wartete nur darauf, zu Wasser gelassen zu werden. Big Old
25 Shane, der Profos, Blacky und Dan O'Flynn griffen nach den Tauen und fierten es behutsam an der Bordwand ab. Dann schwangen sie ihre Beine über das Schanzkleid, und enterten an der Jakobsleiter ab, die dort vorher von Bob Grey und Batuti, dem Gambia-Mann, belegt worden war. Gary Andrews und AI Conroy folgten den vier Kameraden. AI hatte sich ein paar Flaschenbomben eingesteckt, Sonderanfertigungen aus der Hexenküche Conroy-Tucker, die beim Marschieren zwar ein wenig behinderten, sich sonst aber als sehr nützlich erweisen konnten. Hasard wandte sich den an Bord zurückbleibenden Kameraden zu, ehe auch er abenterte. Die Zwillinge warfen ihm zwar sehr sehnsüchtige Blicke zu, aber er übersah sie absichtlich. Natürlich wollten sie mit an Land. Sie ließen keine Gelegenheit aus, um ihn darum zu bitten, aber er wollte sie bei einem Stoßtrupp nicht dabeihaben. Natürlich behandelte er sie wie Besatzungsmitglieder und nicht wie zerbrechliche Geschöpfe, die jeder Gefahr ferngehalten werden mußten, aber ihrem Dienstgrad nach waren sie immer noch Schiffsjungen, und einen unerfahrenen Moses setzte man nicht leichtsinnig eventuellen Gefahren aus. Das wäre unverantwortlich gewesen. „Ben", sagte der Seewolf. „Du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando auf der ,Isabella'. Haltet euch gefechtsbereit und überwacht die Insel. Wenn ich das vereinbarte Signal gebe, rundet ihr die Insel im Westen." Ben nickte. „Aye, Sir. Ein Handzeichen, solange wir euch noch sehen können. Zwei Schüsse mit dem Radschloß-Drehling, wenn ihr im Ur-
26 wald verschwunden seid." „Ja. Wenn wir noch auf dem Strand dieser Bucht angegriffen werden, gebt ihr uns Feuerschutz, so gut ihr könnt. Verstärkung fordere ich nur im äußersten Notfall an. Ich will, daß unser Schiff voll gefechts- und manövrierfähig bleibt, dafür reichen fünfzehn Mann Restbesatzung gerade eben aus." „Siebzehn Mann, Dad!" rief Hasard junior. „Du hast uns nicht mitgezählt, Sir." „Sechzehn Mann", korrigierte Batuti grinsend. „Ihr seid nur zwei halbe Portionen, kleine Killigrews." „Ach, rutsch uns doch den Buckel runter", sagte Philip junior. Er fügte aber nichts hinzu, denn die Augenbrauen des schwarzen Herkules zogen sich drohend zusammen. Der Seewolf ging von Bord, und wenig später legte die Jolle von der Bordwand der „Isabella" ab. Hasard saß als Bootsführer auf der achteren Ducht und hatte die Ruderpinne übernommen. Shane, der Profos, Dan O'Flynn, Blacky, Gary Andrews und Al Conroy hatten die Riemen gepackt und pullten kraftvoll an. Binnen kurzer Zeit hatte die Jolle die seichte Uferbrandung erreicht, schaukelte sich hindurch und lief auf den breiten weißen Sandstrand zu. Der Rumpf schob sich auf den Sand. Die Männer erhoben sich von den Duchten, kletterten ins flache Wasser, legten die Hände an den Dollbord und zerrten das Boot noch ein Stück weiter auf den Strand. Sie vergewisserten sich, daß es nicht abgetrieben werden konnte, dann schulterten sie ihre Musketen, rückten die Waffengurte zurecht und begannen den Marsch. Hasard hatte sich an die Spitze seines kleinen Trupps gesetzt. Unablässig schweifte sein Blick hin und her.
Er sah, daß die Palmen der Insel Kokospalmen waren. Arwenack, der Schimpanse, würde sich über die braunen Nüsse mit dem saftigen Fleisch und der süßen Milch freuen. Bunte Papageien flatterten zwischen den Wipfeln der Palmen hin und her. Carberry hatte sie auch bemerkt. Er stieß einen grunzenden Laut aus, dessen nähere Bedeutung nur er kannte, und sagte: „Gut. Sehr gut. Hier könnte ich Sir John, diese gerupfte Nebelkrähe, ohne weiteres aussetzen. Hier hat er Gesellschaft. Langeweile oder Heimweh kriegt er hier bestimmt nicht." Dan O'Flynn brachte sich durch einen Schritt neben ihn und sah ihn überrascht von der Seite an. „Wie? Du willst den armen Vogel loswerden? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, Ed. Mein Gott, so ein hilfloses Tierchen wie Sir John ..." „Hilfloses Tierchen? Daß ich nicht lache! Das Mistvieh ärgert mich von früh bis spät, und du nimmst das Rabenaas auch noch in Schutz." „Aber Papageien sind nun mal so, Ed." „Ja? Aber ich wußte nicht, daß das Vieh soviel Unheil anrichtet. Hätte ich's gewußt, hätte ich ihn damals am Amazonas gar nicht erst aufgegabelt. Und er tanzt ja nicht nur mir auf der Nase herum. Frag doch mal den Kutscher, was dieser verlauste Zwerghahn letzte Nacht wieder in der Kombüse angestellt hat." „Hat er an einer Brotfrucht geknabbert?" fragte Dan amüsiert. „Wer? Der Kutscher?" erkundigte sich Big Old Shane von achtern. „Stopft der Kutscher, dieser Lümmel, sich neuerdings heimlich den Rand voll? Na, das wird ja immer schöner ..." „Ihr könnt mich mal, ihr Kanalratten", sagte der Profos mit finsterer
Miene. „Aber hör mal, Mister O'Flynn, ich will dir den Papagei gern schenken, wenn er dir so gut gefällt." „Oh? Nein, danke, ich ..." „Siehst du, jetzt kneifst du, du Stint. Das hab ich mir gedacht. Wer sich weiter mit dem Vogelbiest abplagen muß, bin ich. Ihr anderen habt gut reden." Dan senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. „Ed, du weißt ja nicht, was mir so zu denken gibt. Ich meine, was das Aussetzen von Sir John betrifft." „Nun?" „Auf dieser namenlosen Insel hier könnte es doch Wilde geben, die zum Frühstück kleine Papageien verschlingen. Einfach so. Als Leckerbissen, meine ich." Carberry schnitt eine hämische Grimasse. „Und deswegen fliegen hier auch so viele Papageien in der Gegend rum, was? Mann, Mister O'Flynn, ich hätte große Lust, dich..." „Ruhe dahinten", sagte der Seewolf gedämpft. Er war stehengeblieben und wies auf einen Punkt im Dickicht, der schätzungsweise zwanzig Yards von ihnen entfernt lag. „Ich habe da eine Bewegung gesehen. Los, wir schwärmen aus und pirschen uns von verschiedenen Seiten an." Die Männer trennten sich sofort voneinander und huschten über den Strand. Sie hatten die Musketen von den Schultern genommen und die Hähne gespannt. Plötzlich waren alle ihre Sinne wach. Seit sie auf der Insel gelandet waren, war kein einziger Schuß mehr gefallen. Aber die Ruhe, die sich jetzt ausgebreitet hatte, stimmte eher bedenklich. Wer oder was hatte sich dort im Gebüsch geregt?
27 Carberry hielt sich ganz rechts, schlug einen ziemlich großen Bogen und schlich dann aus östlicher Richtung auf das Dickicht zu. Er benutzte den Stamm einer Kokospalme als Deckung, verharrte einen Moment, spähte ins Gesträuch und lenkte seinen Blick dann weiter nach links, um nach den Kameraden Ausschau zu halten. Hasard war vor dem dichten, undurchdringlich wirkenden Gestrüpp und schob sich soeben hinein. Die anderen schickten sich an, seinem Beispiel zu folgen. Der Profos glitt in geduckter Haltung auf das Dickicht zu, hob seine linke Hand und griff in die Blätter. In der Rechten hielt er die Muskete. Er war bereit, sofort zu feuern, falls sich jemand auf ihn stürzte. Aber es zeigte sich niemand. Carberry drang in das Buschwerk ein und bahnte sich einen Weg. Ein seltsam betörender Duft stieg in seine Nase, die Luft wurde heiß, feucht und stickig. Der Busch hatte seine ganz besondere Ausstrahlung, eine Atmosphäre, die einen unvorbereiteten Eindringling sofort gefangensetzte. Mir wird ganz blümerant zumute, dachte Carberry, Hölle, was ist das bloß für ein verdammter Ort? Den Punkt, den Hasard durch seinen Fingerzeig näher bezeichnet hatte, hatte sich der Profos genau gemerkt. Daran orientierte er sich jetzt. Er steuerte geradewegs auf diesen Platz im Dickicht zu und konnte das Prasseln und Knacken hören, mit dem auch die Kameraden sich der Stelle näherten. Unvermittelt blieb er stehen. War da nicht wieder etwas gewesen - diesmal rechts vor ihm? Carberry schob sein Rammkinn noch etwas weiter vor und beschloß, der Sa-
28 che augenblicklich auf den Grund zu gehen. Er änderte seine Marschrichtung und hielt mit neuem Kurs auf das Knacken und Knistern zu, das er gar nicht weit von sich entfernt bemerkt hatte. Er hielt die Muskete jetzt mit beiden Fäusten und brachte sie in Anschlag. Ja, vor ihm rumorte es jetzt wieder im Unterholz herum. Derjenige, der sich dort verborgen hielt, schien sich überhaupt keine Mühe zu geben, die Geräusche auch nur ansatzweise zu dämpfen. Da mahlte und stampfte, raschelte und schmatzte es, und irgend etwas schien mit einem rupfenden Laut aus dem Boden gerissen zu werden. Das hörte sich an, als würde morsches Segeltuch zerrissen. Gleich darauf knackte es wieder, als würden Knochen zerbrochen. Carberry lief ein Schauer über den Rücken, eiskalt und unangenehm prickelnd. Er ärgerte sich darüber, aber er vermochte sich dessen nicht zu erwehren. Hölle, dachte er, Hölle und Teufel, was geht hier vor? Werden hier Leichen zerpflückt? Sind wir unter die Kannibalen geraten? fragte er sich. All die schaurigen Geschichten, die Old O'Flynn immer wieder zum besten gab, fielen dem Profos wieder ein, und er entsann sich auch der Erlebnisse, die sie unter Kopfjägern und Menschenfressern gehabt hatten. Aber er wäre nicht Edwin Carberry, der Profos der „Isabella", gewesen, wenn er sich jetzt hätte einschüchtern lassen. Grimmig rückte er weiter vor. Was immer vor ihm sein mochte, alles Grauen dieser Welt, eine Streitmacht von wüsten Wilden, ein beißendes, reißendes Rudel
schrecklicher Kerle - er würde es mit ihnen aufnehmen. Oh, er würde ihnen schon zeigen, daß da, wo der Profos hinlangte, kein Gras mehr wuchs. Auch kein Dickicht wie dieses mehr. Jetzt war er dicht vor den Geräuschen, die keinen Augenblick ausgesetzt hatten. Er teilte die Zweige und die schweren, lappigen Blätter mit dem Lauf der Muskete, und dann sah er es. Wuchtig erhob es sich aus dem Dikkicht. Ein brauner Buckel, riesig und drohend, begleitet von den abscheulichen Lauten, wälzte sich genau auf ihn, Ed Carberry, zu. Dann zuckte ein gräßlicher Kopf hoch, pendelte träge vor dem Profos hin und her und schien mit einem zahnlosen Greisenmaul nach ihm schnappen zu wollen. Es war das Antlitz aller Dämonen der Hölle, das Carberry da aus trüben Augen unter halb geschlossenen, ledrigen Lidern anglotzte. Ein Ungeheuer, dachte der Profos, ein Monstrum des Leibhaftigen. Er hob die Muskete höher, zielte auf den häßlichen Kopf und wollte schon abdrücken, da dämmerte es ihm endlich. * Der Seewolf hatte die Stelle, an der er vorher die Bewegung wahrgenommen hatte, fast erreicht, da hörte er ein paar feine Geräusche, die ihm verrieten: Jemand oder etwas war im Begriff, sich davonzustehlen. Er beschleunigte seine Schritte. Zweige und Blätter schlugen ihm gegen den Leib und auch ins Gesicht. Das Dickicht war mannshoch, und es nutzte ihm nichts, sich voll aufzurichten. Er konnte seinen Kopf nicht darüberheben. Tückische Wurzeln schoben sich
29 aus dem Untergrund hervor und brachten ihn zum Straucheln. Einmal fiel er fast der Länge nach hin und konnte sich nur im letzten Moment durch heftige Armbewegungen davor bewahren. Es war eine beschwerliche Jagd voller Gefahren, und er konnte nicht sehen, was zum Greifen nah vor ihm lag. Alles war dem Zufall überlassen, aber der konnte tödlich sein. Im stillen fluchte Hasard vor sich hin. Was wurde auf dieser Insel gespielt? Wer versteckte sich hier vor ihnen? Die Antwort auf seine Fragen erhielt er wenigstens zum Teil, als er weiter vorstürmte und die Gestalt einholte, die sich vor ihm wieselflink durchs Gestrüpp bewegte. Er hatte einen mittelgroßen, braunhäutigen Mann vor sich, der einen Rock aus geflochtenen Gräsern und einen eigentümlichen bunten Kopfputz trug. Zwei Waffen trug dieser Eingeborene bei sich: ein Messer und einen Speer. Beide waren, soweit der Seewolf erkennen konnte, aus Holz und Knochen gearbeitet. Metallteile hatten sie nicht. Hasard war neben dem Fremden und packte seinen Arm. Er erwartete, daß der Mann zu ihm herumfuhr und ihn angriff. Er bereitete sich darauf vor, einen seiner bewährten Hiebe anzuwenden und ihm das Messer und den Speer aus den Fäusten zu schlagen, aber es kam alles ganz anders. Der Eingeborene blieb schwer atmend stehen. Er wehrte sich nicht. Er stand einfach nur da und keuchte und hielt seinen Blick geradeaus gerichtet. Hasard verharrte neben ihm, beugte sich etwas vor und fragte ihn: „Kannst du mich verstehen?" Er sagte es zweimal, einmal auf englisch
und einmal auf spanisch, aber der braunhäutige Mann verriet durch kein Wort, durch keine Geste, ob er begriffen hatte oder nicht. Erst jetzt wandte er langsam den Kopf. Hasard musterte sein breites, dunkles Gesicht. Am meisten fielen ihm die großen schwarzen Augen auf, denn in diesen Augen flackerte die Angst. „Ich will dir nichts tun", sagte der Seewolf ruhig. „Ich bin dein Freund, verstehst du?" Er legte die Hand auf die Brust, ließ den Arm des Fremden los und wiederholte: „Ich - Freund. Freund." Um es ihm noch deutlicher zu machen, legte er den RadschloßDrehling, die Reiterpistole und seinen Degen auf dem Boden ab. Shane, Blacky, Dan, Gary und Al waren jetzt ebenfalls heran und betrachteten den fremden Mann in einer Mischung aus Interesse und Argwohn. Sie traten vorsichtig aus dem Gesträuch und umringten ihn. Der Eingeborene sandte ihnen ein paar huschende Blicke zu, und Hasard konnte deutlich verfolgen, wie seine Angst wuchs. Plötzlich fiel der braunhäutige Polynesier vor ihm auf die Knie und stammelte etwas in einer Sprache, die singend und vokalreich klang, von der aber weder der Seewolf noch seine Männer auch nur eine Silbe verstanden. Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Steh auf. Ich bin genauso ein Mensch wie du, nicht stärker, nicht besser und nicht schlechter als du. Steh auf." „Pago Pago", stieß der Polynesier hervor und schaute fast flehend zu Hasard auf. „Pago Pago, Pago Pago." „Pago?" Big Old Shane kratzte in seinem grauen Bartgestrüpp herum. „Moment. Pagar, das ist ein spani-
30 sches Wort und heißt ,zahlen'. Pago, „Wenn Ed was zugestoßen ist, haben das bedeutet: ,Ich zahle'. Ho, was will wir nichts zu lachen. Hölle, hoffenter uns denn bezahlen, der Knabe?" lich ist er nicht in eine Falle getappt." „Er will sich wohl freikaufen", „He, ho!" ertönte jetzt jedoch die meinte Gary Andrews. Stimme des Profos'. „Hierher, Ha„Unsinn", sagte Dan O'Flynn. „In sard, he, Leute, seht euch das an! Ich den polynesischen Sprachen gibt es hab auch was gefunden!" eine Menge Ausdrücke, die sich so Die Männer atmeten auf. ähnlich anhören wie Begriffe aus „Los, gehen wir hin und sehen wir dem Spanischen. Sie haben aber eine uns an, was er entdeckt hat", sagte ganz andere Bedeutung. Thomas Fe- Hasard. „Unser neuer Freund hier dermann hat es uns- doch lang und wird uns wohl begleiten." Er wandte breit erklärt, erinnert ihr euch sich dem Polynesier zu und bedeutenicht?" te ihm durch einige klare Gebärden, „Doch, schon", entgegnete Blacky. daß er sich erheben und mit ihnen „Also, den Thomas Federmann gehen solle. könnten wir jetzt gut brauchen. Als Der braunhäutige Mann stand Dolmetscher." auch wirklich auf. Er verbeugte sich „Vielleicht würde nicht einmal er aber mehrfach vor dem Seewolf und verstehen, was dieser Mann uns er- den anderen Männern der „Isabella". klären will", sagte der Seewolf. „Ich Dann hob er höchst untertänig Hakann mir vorstellen, daß es auf den sards Waffen vom Boden auf und Inseln der Südsee unzählige ver- händigte sie ihm aus. schiedene Sprachgruppen gibt, so „Der hält uns für Gottheiten oder daß sogar die Eingeborenen ver- so was Ähnliches", sagte Dan schiedener Herkunft nicht mitein- O'Flynn. „Wahrscheinlich ist hier ander reden können." noch nie ein weißer Mann gelandet. „Also, dann hilft hier nur das Ge- Das ist doch irgendwie ein historistikulieren etwas", meinte Al Con- scher Augenblick, nicht wahr?" roy. „Feindlich scheint er uns nicht „Ja", erwiderte Hasard. „Und ich gesinnt zu sein, der gute Junge. Mit kann nur darüber staunen, wie etwas Geduld können wir ihm ja sanftmütig und friedfertig dieser wohl auseinandersetzen, was wir Mann ist. Stell dir vor, wir wären Pivon ihm erfahren wollen und ..." raten gewesen und wären gleich „Halt!" sagte Shane. „Wo steckt ei- über ihn hergefallen, um ihn als Geisel zu nehmen. Eine Welt wäre in ihm gentlich der Profos?" Hasard blickte zu ihm hinüber. zusammengebrochen. Wieviel wird „Ich dachte, der wäre bei euch. Wo doch durch Feindseligkeit, Mißtrauen, Beutegier und andere niedrige habt ihr ihn zuletzt gesehen?" „Vorm Dickicht", erwiderte Dan Gefühle zerstört." O'Flynn. Der Seewolf hängte sich seinen „Ed!" rief der Seewolf. „Ed, wo, zum Radschloß-Drehling am LederrieTeufel, steckst du? Komm her, wir men über die Schulter, nickte dem haben jemanden aufgestöbert..." Polynesier aufmunternd zu und ging „Profos, du bist doch wohl nicht mit ihm durch das Gestrüpp auf den verlorengegangen, was?" sagte Big Platz zu, an dem der Profos sich zu Old Shane. befinden schien. „Hör auf", wies Hasard ihn zurecht. Wenig später sahen die Männer ih-
ren Profos, und sie verhielten erst einmal ihren Schritt, um die einzigartige Szene in sich aufzunehmen: Carberry stand im Dickicht neben einer riesigen Schildkröte, die geruhsam Gras und kleine Pflanzen fraß, und klopfte ihr freundschaftlich auf den Panzer. Die Muskete, die er fast abgefeuert hätte, hatte er sich umgehängt. „Seht euch diesen Kameraden an", sagte er. „So ein Prachtexemplar habe ich seit den Galapagos-Inseln nicht mehr gesehen. Ich glaube, es krauchen noch mehr solche Biester hier im Gebüsch herum." Der Polynesier lachte und sprach wieder ein paar Sätze, die keiner verstand. „Jetzt wissen wir immer noch nicht, was es mit den Schüssen auf sich hatte", sagte der Seewolf. „Aber vielleicht kann unser Freund uns weiterhelfen." Carberry betrachtete den braunhäutigen Fremden, von dem sie noch nicht einmal den Namen erfahren hatten, über den gewaltigen Rücken der Riesenschildkröte hinweg. Er hörte den Mann reden und fragte sich, warum es auf der Welt so viele Sprachen und ein so heilloses Durcheinander geben mußte, daß keiner mit seinem Nachbarn klarkam. „Pago Pago", sagte der Polynesier und deutete in den Inselwald. „Pago Pago." 6. Don Mariano José de Larra war auf einer Lichtung mitten im Urwald angelangt und ließ sich in ihrem grasbewachsenen Zentrum nieder. Das Gras war trocken, denn die Sonne wärmte mit ihren Strahlen den Untergrund.
31 Don Mariano untersuchte wieder die Fleischwunde an seinem rechten Bein. Zufrieden stellte er fest, daß die Blutung aufgehört hatte. Das Salzwasser mußte die Blessur im übrigen ausreichend desinfiziert haben, so daß er sich jetzt nicht weiter darum zu kümmern brauchte. Sie schmerzte noch ein wenig, aber es war auszuhalten. Das Logbuch zog er aus seinem Hemdausschnitt und legte es vorsichtig, als bestünde es aus zerbrechlichem, wertvollem Material, auf den Boden. Das Buch war vom Wasser durchweicht, und er wagte nicht, darin zu blättern, ehe die Sonne es nicht wenigstens ein bißchen getrocknet hatte. So wartete der Kapitän der „Hernán Cortés" ab, sonnte sich selbst und ließ die nasse Kleidung auf seinem Leib trocknen. Immer wieder hielt er nach allen Seiten Ausschau und lauschte verdächtigen Geräuschen, die aus dem Busch an seine Ohren drangen. Aber außer dem Waldgetier schien sich vorläufig niemand in seiner Nähe zu befinden. Er hoffte inständig, daß sich Serafin, Domingo und Joaquin im Dikkicht verirrten oder von Tieren angefallen und zerrissen wurden. Er wünschte ihnen die schrecklichsten Todesarten an den Leib. Aber gleichzeitig sagte er sich auch, daß sie wohl so unbehelligt wie er bis ins Innere der Insel vordringen würden, und er mußte sich höllisch vorsehen, daß sie ihn nicht faßten. Alles in allem wäre er wohl besser weitergelaufen, statt diese Rast einzulegen. Doch da war das Logbuch. Seine ganze Besorgnis konzentrierte sich darauf. Wie durch ein Wunder hatte er es noch aus der Bucht retten
32 können, aber war die Schrift noch zu lesen? Hatte die Nässe nicht alles weggewischt, ausgelöscht, vernichtet? Er mußte sich Gewißheit verschaffen. Behutsam griff er wieder nach dem Buch, klappte die Einbanddekkel auseinander und begann, die Seiten voneinander zu lösen. Er stöhnte auf, als er die ersten beiden Blätter getrennt hatte und sah, daß die Schrift fast völlig verlaufen war. Also doch, dachte er, es gibt keine Hoffnung mehr. Dann aber beugte er sich über seine Aufzeichnungen und konstatierte bei einer etwas genaueren Prüfung, daß ungefähr die Hälfte aller Wörter zumindest noch zu entziffern war. Seine Augen begannen zu glänzen. Um seine Mundwinkel herum war ein Zucken, und plötzlich kicherte er vor sich hin und schlug die Hände zusammen - glücklich wie ein Kind, das sein schönstes Spielzeug wiedergefunden hat. Er konnte sich den Sinn der Eintragungen noch zusammenreimen, es waren ja seine eigenen Worte. Sobald das Logbuch völlig durchgetrocknet war, konnte er versuchen, sich Federkiel und Tinte zu beschaffen und die Schriftzüge wieder zu vervollständigen. Er leckte sich die Lippen, lächelte und blätterte weiter. Bald stellte er zu seinem Entzücken fest, daß die meisten Seiten in der Mitte des Bandes fast unversehrt waren. Und genau hier befanden sich die wichtigsten Daten. Hier hatte Don Mariano zwischen den Stürmen und dem Dahinsiechen seiner Mannschaft und allem anderen Unheil seine Theorie über die geographische Position des gesuchten Südlandes dargelegt.
Er schwor sich, daß er von dieser seiner Theorie nicht ablassen würde. Sie war sein geistiges Eigentum, niemand konnte sie ihm nehmen. Er konnte von Glück sagen, daß das Buch im Wasser nicht aufgeklappt war. Durch den Druck, den der Einband auf die Seiten ausgeübt hatte, war das Buch zugeblieben. Daß die Schrift so gut standgehalten hatte, mußte auch der „Tinta de China", der chinesischen Tinte, zu verdanken sein, die Don Mariano stets für seine Niederschriften benutzt hatte. Vor Begeisterung darüber wäre er fast in lauten Jubel ausgebrochen. Aber dann bezwang er sich. Serafín, Joaquin und Domingo - vielleicht befanden sie sich schon in der Nähe, hatten seine Spur aufgenommen und pirschten ihm nach. Hören würden sie ihn, wenn er auch nur einen Laut von sich gab. Er legte das Logbuch wieder aus den Händen. Dann erstarrte er mitten in der Bewegung, mit der er seinen Oberkörper aufrichten wollte. Ungläubig und entsetzt zugleich blickte er auf die beiden Gestalten, die sich ihm geräuschlos genähert hatten. Es waren zwei braunhäutige Männer. Sie trugen beide merkwürdige Röcke, waren barfuß und hatten nackte, muskulöse Brustpartien. Ihre Köpfe waren durch eigentümliche Hüte aus Leder, Gras und Federn gekrönt. Sie mußten Meister im Anschleichen sein. Was de Larra außerdem noch registrierte, war die große Neugierde, mit der sie ihn musterten. Keine fünf Schritte standen sie von ihm entfernt und beäugten ihn wie eine wundersame Erscheinung. Er nahm fest an, daß sie jetzt über ihn herfallen würden, aber erstaunlicherweise taten sie nichts dergleichen.
Band 200 erschien als Jubiläumsband und als geglückte Überraschung für unsere Leser mit der ersten Ausgabe der Seemanns-Kiste und dem ersten Seewölfe-Forum. Über das äußerst positive Echo haben wir uns sehr gefreut, und wir glauben auch, daß Forum wie Seemanns-Kiste der richtige Weg sind, um einen wirklich engen und für beide Teile nützlichen Kontakt zwischen Lesern und Redaktion herzustellen. Natürlich werden wir uns auch weiterhin mit aller Kraft bemühen, unseren Lesern in der Seemanns-Kiste interessante Informationen über große Zeit der Segelschiffe anzubieten. Aus diesem Grund, und auch, um systematisch vorzugehen, bringt die Seemannskiste diesmal die Rißzeichnung einer Galeone um 1590. Zugleich wird diese Rißzeichnung viele immer wieder an uns gerichtete Leserfragen nach der Einrichtung und nach den Details der Schiffe zur Zeit der Seewölfe beantworten. Unsere Bitte: Wo immer Fragen dieser Art auftauchen, sei es beim Lesen, sei es aus anderen Gründen, bitte schreiben Sie uns. Wir werden unser möglichstes tun, alle Fragen eingehend zu beantworten. Und wir haben auch die entsprechenden Fachleute, alte Seebären, die die Meere und Segelschiffe nicht nur vom Hörensagen kennen, um diese Fragen zu beantworten. Ganz sicher sind diese Mitarbeiter auch einer der Gründe des Erfolges unserer Seewölfe, denn unsere Autoren, die die Abenteuer der Seewölfe in immer neuen Romanen schildern, sind keine Landratten, sie haben selber schwere Stürme abgewettert, sie wissen aus
eigener Erfahrung, wie sich das Leben auf See abspielt. C P , S 10, 5060 Bergisch Gladbach, schreibt uns folgenden Brief: Ich finde die Seewölfe sehr spannend, aber ganz schlimm ist, daß man sich immer höllisch beeilen muß, wenn man am Kiosk überhaupt noch einen Band erwischen will. Besteht eigentlich nicht die Möglichkeit, die Seewölfe zu abonnieren? Sehr gut finde ich auch, daß jetzt zusätzlich jeden Monat ein SeewölfeTaschenbuch gibt. Auch wenn das eine ganz andere Geschichte ist, die mit den Seewölfen der Heft-Serie gar nichts zu tun hat. Allerdings sind 4,80 DM für mich ein ziemlich harter Brocken, den mein Taschengeld gar nicht so leicht verdaut. Trotzdem, weiter so! Lieber C P , herzlichen Dank für Deinen Brief, die Frage nach dem Abonnement werden wir schleunigst klären, es liegen bereits mehrere Anfragen vor, Du erhälst dann Nachricht von uns. In den Seewölfe-Taschenbüchern haben wir nach langem und gründlichem Überlegen die Geschichte von Howard Bonty gebracht, dem Jungen, der auf einen Ostindienfahrer verschleppt wird und auf der „Black Devil" seine abenteuerliche Laufbahn in den Diensten der Ostindien Company beginnt. Auch in den Seewölfe-Taschenbüchern halten wir noch eine Menge Überraschungen für unsere Leser bereit. Für heute grüßt Sie herzlich Ihre Seewölfe-Redaktion und die Seewölfe-Autoren.
36 Sie haben Messer und Speere, dachte er, und damit können sie dich aufspießen. Du kannst dich nicht einmal wehren. Du hast keine Waffe. Nur, deine bloßen Hände. Seine verkrampfte Haltung lokkerte sich ein wenig. Langsam erhob er sich. Nutze ihre Verblüffung aus, sagte er sich, sie haben wahrscheinlich noch nie einen weißen Mann gesehen. Das ist deine Chance. Er hob das Logbuch wieder vom Boden auf, hielt es mit beiden Händen fest und ging langsam, sehr langsam, auf sie zu. Auch jetzt trafen sie keine Anstalten, ihn anzugreifen. Plötzlich konnte er wieder lächeln. Vorsichtig trat er dicht vor sie hin und streckte ihnen das Buch entgegen. Das wirkte wie eine freundschaftliche Geste, etwa so, als böte er ihnen ein Geschenk an. Sie waren jung. Nicht älter als zwanzig Jahre, schätzte er. Jeder von ihnen konnte ihn mit bloßen Händen niederringen, denn sie waren gut genährt und stark und strotzten vor Gesundheit, während er in seinem abgemagerten Zustand den Eindruck erwecken mußte, als hielte er sich gerade noch mit letzter Kraft auf den Beinen. „Nehmt es hin", sagte er lockend. „Nun nehmt schon und seht es euch an. Ihr wißt doch bestimmt nicht, was ein Buch ist. Versteht ihr mich überhaupt? Nein, ihr versteht mich nicht. Ihr seid wilde Primitivlinge, die durch das Gebüsch kriechen und wie die Affen auf Bäume klettern." Die beiden Polynesier warfen sich verwunderte Blicke zu. und tuschelten miteinander. Don Mariano hielt dem einen das Logbuch direkt vors Gesicht, und der Insulaner ließ sei-
nen Speer zu Boden fallen und griff nach dem für ihn fremdartigen, rätselhaften Ding. Er hielt es kaum in den Händen, da riß de Larra sein Bein hoch und trat mit aller Wucht zu. Der Eingeborene stöhnte auf und krümmte sich zusammen. Er stolperte zurück und prallte gegen seinen verdutzten Stammesbruder, der ihm nicht mehr ausweichen konnte. Don Mariano José de Larra bückte sich schnell nach dem Speer, nahm ihn auf und drehte ihn so, daß die Knochenspitze auf die Leiber der Eingeborenen wies. Der junge Mann mit dem Logbuch in den Händen stürzte zu Boden. Er riß seinen Kameraden fast mit um. Dieser hob seinen Speer, und sein vorher so freundliches Gesicht verwandelte sich in eine starre Maske des Hasses. Auch aus Don Marianos Zügen war das Lächeln gewichen. Er sprang vor und stach mit dem Speer zu, ehe ihn der Polynesier abwehren konnte. Der Spanier zog den Speer wieder zurück und stieß noch einmal zu. Mit grimmiger Genugtuung sah er, wie der Dunkelhäutige auf den Rücken fiel und sich zusammenkrümmte. Don Mariano wandte sich dem liegenden Mann zu. Dieser griff zum Messer. Aber ehe er es aus dem Bund seines Rockes gezogen hatte, sauste der Speer auch auf ihn nieder. Immer wieder stach der glatzköpfige Spanier zu. Er war wie von Sinnen. In seinen Augen glommen der Haß und die Rachsucht, und er bildete sich in diesem Moment ein, Serafín, Joaquin und Domingo vor sich zu haben. Als sich der junge Eingeborene nicht mehr regte und nur noch ein schlaffes, lebloses Bündel zu de Lar-
37 ras Füßen war, ließ er endlich von ihm ab. Er bückte sich und nahm dem Toten zuerst das Logbuch und dann das Messer ab. Interessiert untersuchte er das Messer. Es war ganz aus Hartholz geschnitzt und erstaunlich scharf. Don Mariano entledigte auch den anderen Toten seiner Waffen, dann verließ er die Lichtung. Er bereitete sich nicht die Mühe, die Leichen zu vergraben oder wenigstens im Dikkicht zu verstecken. Diesen Aufwand hatten sie seiner Ansicht nach nicht verdient. Für ihn waren sie wertlose Kreaturen, die keine Daseinsberechtigung hatten - Plunder. Kichernd verschwand er im Gebüsch. Satanás, so hatten ihn die Männer der „Hernán Cortés" getauft. Sie hätten keinen treffenderen Beinamen für ihn erfinden können. * Der Seewolf hatte nur kurz das Dickicht verlassen und mit seinen Armen zu Ben Brighton und den anderen an Bord der „Isabella" hinübersignalisiert, daß alles in Ordnung wäre. Ben hatte zurückgewinkt, und so setzten Hasard und sein Trupp jetzt unter der Führung des Eingeborenen ihren Inspektionsgang durch das Innere der Insel fort. Ben und die Crew hatten derweil das Vergnügen, durch ihre Kieker die stummen Giganten zu beobachten, die nach und nach aus dem Gebüsch hervorkrochen und den Strand bevölkerten. Mit schier unglaublicher Langsamkeit bewegten sich die Riesenschildkröten dahin. Sie waren durch die Fremden ir ihrer Mahlzeit gestört worden und suchten sich beleidigt einen ruhige-
ren Platz. Hasard und seine sechs Männer wunderten sich nicht, als sie schon nach einem kurzen Marsch durch das dichte Gestrüpp auf einen Pfad stießen. Natürlich hatten die Polynesier, die auf der Insel lebten, Wege geschaffen, um sich mühelos von einem Platz zum anderen bewegen zu können. Der braunhäutige Mann lächelte, deutete in nördlicher Richtung den Pfad entlang und sagte noch einmal: „Pago Pago." Hasard fragte ihn: „Ist das der Name der Insel?" Er breitete die Arme aus und vollführte eine ausschweifende Gebärde. „Dies alles - ist das Pago Pago?" Der Eingeborene schüttelte den Kopf. „Tutuila." Hasard wies auf den Pfad, auf das Dickicht, auf die Palmen und die sanften Hügel, die zum Zentrum der Insel hin emporragten. „Das ist also Tutuila?" Ihr neugewonnener Freund nickte und sagte etwas, das wie eine Bestätigung klang. „Nicken und Kopfschütteln scheinen bei den Leuten hier das gleiche zu bedeuten wie bei uns", stellte Blackj fest. „Das ist ja schon mal was." Der Seewolf blickte sich zu seinen Begleitern um. „Wir wissen jetzt, daß die Insel Tutuila heißt. Pago Pago ist vielleicht das Dorf in den Hügeln, in dem sein Stamm lebt." Er drehte sich wieder zu dem Polynesier um, sah ihn an und tippte mit der Hand auf seine Brust. „Ich - Hasard. Ha-sard." „Ha-sard", formulierte der Insulaner schwerfällig. Er lachte, nickte und tippte ebenfalls mit der Hand auf die nackte Brust. „Otalu. O-talu." „Otalu", wiederholte der Seewolf. „Na bitte, jetzt wissen wir also auch,
38 wie unser Freund heißt," Carberry beugte sich etwas vor, grinste Otalu an und fragte: „Otalu, Kamerad, verrate uns, was das für Schüsse waren, die wir vorhin gehört haben. Schüsse, verstehst du?" Er ahmte das Krachen einer Pistole nach, so gut er konnte, und ignorierte dabei Dan O'Flynns Lächeln. Otalu legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete den Profos aufmerksam. „Sieht so eine Gottheit aus, scheint er sich zu fragen", meinte Big Old Shane. „Ich an seiner Stelle hätte da auch meine Zweifel. Ed, du bringst uns noch in Teufels Küche mit deinem Gesicht." „Mann, das taugt ja noch nicht mal für einen Halbgott", sagte Dan. „Euch vergeht das blöde Geschwafel gleich - wenn ich nämlich wie der Teufel mitten zwischen euch fahre und euch die Haut in Streifen von euren verdammten Affenärschen ziehe", drohte der Profos, ohne sich umzudrehen. „Ruhe", sagte Hasard. Er griff nach Otalus Schulter, zeigte mit der anderen Hand wieder auf den Pfad und forderte den Eingeborenen auf: „Führ uns nach Pago Pago. Dort sehen wir weiter." Otalu schien es begriffen zu haben und marschierte voran. Hasard, Carberry, Shane, Dan, Blacky, Gary und Al folgten ihm. Bald mußten sie sich anstrengen, um mithalten zu können, denn ihr Führer verfiel ins Laufen und steuerte leichtfüßig den Hang hinauf, an dem sich jetzt der Weg hochschlängelte. Hasard nahm an, daß es wohl noch einige Zeit dauern würde, bis sie das Dorf des Polynesiers erreichten, aber er hatte sich getäuscht. Plötzlich wickelte sich alles sehr schnell ab. Braune Gestalten traten links und
rechts des Pfades aus dem Gebüsch. Neugierig, aber nicht mißtrauisch sahen sie die Weißen an und lauschten dem Wortschwall, mit dem Otalu sie überschüttete. Es waren sechs junge Männer, alle so groß wie Otalu und genauso freundlich in ihrem Gebaren wie er. Die Polynesier schienen bis auf wenige Ausnahmen wirklich ein friedliebender und ausgeglichener Menschentyp zu sein. Sie verfügten über eine beneidenswert fröhliche Natur. Nichts schien ihre Liebenswürdigkeit erschüttern zu können. Sie waren die Bewohner des Paradieses auf Erden. Aber die Stille und Herzlichkeit des Paradieses schienen bereits gestört worden zu sein.- durch die Pistolen- und Musketenschüsse. Hasard dachte unausgesetzt daran. Er konnte jetzt kaum noch erwarten, mehr über die Ursache dieses Feuerwechsels zu erfahren. Das Dorf war mit einemmal da, wie aus dem Wald hervorgewachsen. Eine große Lichtung des tropischen Waldes öffnete sich vor den Seewölfen. Hasard stellte fest, daß sie die Kuppe des Hügels erreicht haben mußten. Die Lichtung war ein säuberlich gerodetes Plateau. Gut drei Dutzend verschieden großer Hütten aus Holz und Mattengeflecht erhoben sich von dem Grund. Zwischen diesen Hütten, die auf den ersten Blick einen sehr ordentlichen Eindruck erweckten, liefen Männer, Frauen und Kinder auf die Fremden zu. Hasard und seine Männer sahen nur lächelnde Gesichter, empfanden Heiterkeit und Gastfreundschaft und hatten das Gefühl, an einem wunderbaren Traum teilzuhaben, als ein Schwarm Mädchen bunte Blumen auf dem Weg vor ihnen aus-
39 streute. Die Mädchen lachten, deuteten Verbeugungen an und winkten den sieben Männern zu, als wären sie Verwandte, die man schon seit langer Zeit im Dorf erwartete. „Entzückend", sagte Dan O'Flynn. „Besser konnte es ja gar nicht kommen." „Nun seht euch diese Mädchen an!" rief Al Conroy. „Himmel, Sir, wie sollen wir die Begrüßung nur erwidern? Dürfen wir mal anfassen oder..." „Untersteht euch", sagte der Seewolf. „Reißt euch gefälligst zusammen. Der erste, der die Gebote der Disziplin vergißt, kriegt es mit mir zu tun." „Aye, Sir", versetzte Al. „Wir benehmen uns anständig, darauf kannst du dich verlassen." Ihr Weg endete vor der geräumigsten Hütte des Dorfes Pago Pago, denn vor dem Eingang empfing sie ein weißhaariger alter Mann. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und eine würdige Haltung eingenommen. Das dunkelrote Tuch, das er sich als Gewand um den Körper geschlungen hatte, hob ihn aus der Menge der Dorfbewohner hervor und schien ihn als den Häuptling auszuzeichnen. Otalu blieb vor diesem Greis stehen, verneigte sich vor ihm und drehte sich anschließend zu seinen sieben Begleitern um. Er deutete auf den Alten und sagte: „Maguro." Hasard trat neben Otalu, legte die rechte Hand auf die Brust und verbeugte sich leicht. „Maguro, die Männer der ,Isabella' grüßen dich. Wir sind als Freunde hier und danken dir und deinem Stamm für die freundliche Aufnahme auf Tutuila." Er sagte es auf spanisch, weil er annahm, daß der Häuptling diese Sprache am be-.
sten verstehen würde - wenn überhaupt. „Tutuila, aloha, keliabata alisuta mansuriamtapu o Pago Pago", erwiderte Maguro mit sanfter, wohlklingender Stimme. „Hört sich gut an, aber der Henker mag wissen, was das zu bedeuten hat", brummte der Profos. Er blickte sich um und stellte fest, daß er von ein paar bildhübschen und nur spärlich bekleideten Mädchen beobachtet wurde. Sie lachten, und er grinste schief. „Tutuila und die Bewohner von Pago Pago heißen euch willkommen", sagte der Seewolf. „Das dürfte ungefähr der Wortlaut sein. Den Rest versuche ich wieder durch die Zeichensprache zu klären." Er griff unter die Weste und zog einen kleinen Lederbeutel mit Geschenken hervor, den er vorsorglich von Bord der „Isabella" mitgenommen hatte. Es war eine kleine Auslese aus seinen Privatschätzen - keine Glasperlen oder anderer billiger Tand, wie ihn die Konquistadoren zur Verblendung der Indianer in der Neuen Welt benutzt hatten. Es handelte sich um Gold- und Silbermünzen spanischer Herkunft, einen goldenen Armreif aus Mexiko, einen Silberring und eine Brosche aus Peru, einen Smaragd aus Neu-Granada und andere wertvolle „Kleinigkeiten". Hasard überreichte den Lederbeutel dem weißhaarigen Stammeshäuptling. Maguro öffnete den Beutel und schüttete den Inhalt in seine Handfläche. Aus seiner Miene war abzulesen, daß er dieser Gabe sehr wohl den richtigen Wert beizumessen wußte. Gold, Silber und Juwelen gab es auf der Insel Tutuila wahrscheinlich nicht, aber ein tiefes, ausgeprägtes Empfinden flößte Maguro
40 das ehrfürchtige Staunen ein, das Geschenke wie diese noch bei jedem Menschen hervorgerufen hatten, dem der Seewolf begegnet war. Maguro verneigte sich vor seinem Gast. Hasard nahm den RadschloßDrehling in beide Hände und hantierte demonstrativ damit herum. „Maguro", sagte er. „Weißt du, was das ist? Habt ihr solche Waffen? Wir haben Schüsse gehört, Schüsse. Woher kamen sie?" Maguro, Otalu und die anderen Insulaner gaben überraschte Laute von sich und schüttelten die Köpfe. Hasard drehte sich zu seinen Männern um. „Wir müssen die Dinge irgendwie forcieren, sonst tappen wir noch lange im ungewissen. Meiner Meinung nach fielen die Schüsse weiter nördlich, also in der Gegend jenseits der Inselhügel. Wenn eine Gefahr droht, dann von dort." „Auf was willst du hinaus?" fragte Dan O'Flynn. „Es wäre auf jeden Fall gut, wenn Ben jetzt mit der ,Isabella' die Insel umrunden würde. Ich gebe ihm das Zeichen. Vielleicht ist dies genau das richtige Mittel, um etwas aus den Eingeborenen herauszukriegen." Er hob den Drehling, stemmte den Kolben gegen die Schulter und sandte einen Schuß in den blauen Himmel über der Lichtung. Die Insulaner wichen beim Krachen des Schusses entsetzt zurück. Hasard drehte den Waffenzylinder, spannte wieder den Hahn und drückte noch einmal ab. Donnernd jagte der zweite Schuß aus dem Lauf, und der Rauch breitete sich nach allen Seiten aus. „So, Ben und die anderen wissen jetzt Bescheid", sagte Hasard. Er blickte zu Maguro, Otalu und den anderen Männern des Stammes, die
jetzt aufgeregt durcheinanderredeten und nach Norden wiesen. „Gut", meinte er. „Ich habe mich also nicht getäuscht. Auf zum Nordufer der Insel. Ich übernehme die Führung. Die Polynesier werden uns folgen, schätze ich." Er hatte sich auch darin nicht geirrt. Eine starke Delegation von Eingeborenen schloß sich ihnen an, als sie losmarschierten und das Dorf Pago Pago verließen. 7. Serafín, Joaquin und Domingo schlichen mit gezückten Pistolen über den Pfad, den sich Don Mariano José de Larra durch das Dickicht gebahnt hatte. Sie hatten sich jeder noch eine weitere Pistole in den Gurt gesteckt und je eine Muskete umgehängt, außerdem hatten sie sich mit Säbeln, Entermessern und Dolchen ausgerüstet. Sie waren wirklich bis an die Zähne bewaffnet. Als sie auf die Lichtung gelangten, auf der der Kapitän seine kurze Rast eingelegt hatte, blieben sie wie vom Donner gerührt stehen. Verkrümmt und blutüberströmt lagen die Gestalten der beiden toten Eingeborenen im von der Sonne getrockneten Gras. Serafin fand als erster die Sprache wieder. „Dios - die Insel ist also doch bewohnt. Wer hätte das gedacht? Und die beiden Wilden da - sie sind erstochen worden." Langsam trat er auf die Toten zu. Domingo und Joaquin folgten ihm vorsichtig und sicherten nach allen Seiten. Auf der Lichtung waren sie möglichen Gegnern, die im Dickicht lauerten, wie auf einem Präsentierteller ausgesetzt. Sie fühlten sich von der Furcht vor
41 dem Ungewissen beschlichen. Ihre Nerven waren bis aufs äußerste gereizt. Serafin blieb bei den Toten stehen und beugte sich über sie. „Es ist noch nicht lange her, daß sie ermordet worden sind", murmelte er, nachdem er ihre Körper kurz mit den Fingerspitzen berührt hatte. „Ich sage euch, das kann nur unser SatansCapitán gewesen sein." „Wie hat er sie aber überwältigen können?" fragte Domingo gedämpft. „Er hat doch nicht einmal eine Waffe." „Ich habe keine Ahnung", versetzte der Schwarzbärtige dumpf. „Aber eins ist sicher. Wenn diese beiden hier Waffen bei sich gehabt haben, dann hat de Larra, dieser Hundesohn, sie ihnen abgenommen. Er weiß, daß wir ihm folgen. Und er wird natürlich versuchen, uns aus dem Hinterhalt heraus zu erledigen." „Vielleicht belauscht er uns", raunte Joaquin. „Hölle, es gäbe nichts Schlimmeres und Schimpflicheres, als einen Pfeil oder ein Messer von hinten zwischen die Rippen zu kriegen." „Ich sehe mich mal im Dickicht um", flüsterte Domingo. „Wenn ich den Hund vor den Lauf meiner Pistole kriege, schieße ich ihn nieder wie ein Tier." „Ich komme mit", sagte Joaquin. „Nein, du bleibst hier", zischte Serafin. „Hilf mir, die Toten zu bergen. Wir wollen sie wenigstens ins Gebüsch legen und etwas verstecken, damit keine Greifvögel oder Aasfresser an sie herankönnen. Nun sieh mich nicht so verdattert an. Das sind wir ihnen schuldig, wenigstens das. De Larra hat sie umgebracht, er war ihr Feind, wie er unser Feind ist und das macht uns zu ihren Verbündeten. Außerdem sind wir keine Un-
menschen wie dieser Satanás." „Sind wir das wirklich nicht?" „Compadre", sagte Serafin eindringlich. „Ich für meinen Teil spüre jedenfalls noch so was wie einen Funken von Anständigkeit und Gerechtigkeitssinn in mir. Wie das bei euch beiden aussieht, weiß ich nicht, aber es ist mir auch egal, verstehst du? So, und jetzt pack mal mit an." Joaquin willigte nur zögernd ein. Domingo tauchte unteressen mit vorgehaltener Pistole im Randgebüsch der Lichtung unter, um einen Erkundungsgang rund um den Platz herum zu unternehmen. Serafin und Joaquin hatten den ersten Toten noch nicht aufgehoben, da krachte oben in den Hügeln der Insel ein Schuß - und gleich darauf noch einer. „Zum Teufel, was hat das jetzt wieder zu bedeuten?" sagte Joaquin. Unwillkürlich griff er zur Pistole, die er in den Gurt gesteckt hatte. „War das de Larra?" „Unmöglich. Er kann von den Wilden Pfeile, Bogen, Messer, Speere oder Blasrohre erbeutet haben, aber keine Schußwaffen." Serafin blickte sich argwöhnisch nach allen Seiten um. „Die Insel scheint voll übler Überraschungen zu stecken. Vielleicht gibt es noch eine dritte Partei, die hier ihr Lager aufgeschlagen hat. Oder irgendeine weiße Bande, die die Wilden unter der Fuchtel hat und sie herumkommandiert. Wer weiß ..." „Wir müssen hier weg", drängte Joaquin plötzlich. Ihm war gar nicht mehr wohl in seiner Haut. „Kehren wir auf die ,Hernán Cortés' zurück. Dort sind wir sicherer." „Erst erledigen wir, was wir uns vorgenommen haben", sagte Serafin. „Reiß dich zusammen, Mann." „Ich will nicht sterben", sagte Joaquin gepreßt. „Nicht auf diesem
42 elenden Eiland. Ich will mit euch quer über das Meer segeln, um die halbe Welt herum - zurück nach Spanien. Das ist mein innigster Wunsch, Serafin, kannst du das nicht kapieren?" „Du wirst nicht sterben." „Versprichst du mir das?" „Ich verspreche es dir, wenn ihr mich zu eurem Anführer wählt." „Natürlich. Du bist es ja sowieso schon", sagte Joaquin leise. „Du bist jetzt der Kapitän der ,Hernán Cortés'." Das Dorf Pago Pago war auf einem mit Sorgfalt ausgewählten, geschützten Platz der Insel Tutuila errichtet worden, aber die Hügellichtung war keineswegs der höchste Punkt des Eilandes, wie Hasard und seine Männer jetzt feststellten. Maguro und Otalu, die mit dem Seewolf, an der Spitze des Trupps wanderten, führten sie über die größte Erhebung, einen schätzungsweise dreihundert Fuß hohen Berg, der den Mittelpunkt der Insel darstellte und sie wie ein stummer Wächter zu beherrschen schien. Die Vegetation auf der Bergkuppe war nicht so üppig wie unten in der Ebene, und es gab einen ausgezeichneten Aussichtspunkt, von dem aus die Seewölfe nahezu die ganze Insel überblicken konnten. Tutuila verlief in langgestreckter, eigenartig gekrümmter Form von Nordosten nach Südwesten und war an ihren Enden durch je ein spitzes, weit in die See hineinreichendes Kap begrenzt. Im Südosten war ihr ein winziges Eiland vorgelagert, das kreisrund aus dem Wasser ragte und außer einem Stück Strand und einem Büschel Palmen nichts Sehenswertes aufzuweisen schien. Carberry sagte: „Also, wenn ihr
mich fragt, sieht diese Insel wie eine zusammengequetschte Dauerwurst aus. Stimmt's?" „Ein besserer Vergleich fällt dir wohl nicht ein", meinte Hasard lächelnd. „Nein, Sir. Wirklich nicht." Dan O'Flynn war auf einen Baum mit ausladenden Ästen geklettert, die wie die Krallen eines urweltlichen Ungetüms wirkten. Er hatte den Kieker auseinandergezogen, spähte in südlicher Richtung hindurch und meldete: „Die ,Isabella' hat die herzförmige Bucht verlassen und segelt vor dem Wind nach Südwesten, um die Insel zu runden." „Gut", sagte der Seewolf, der von seinem Standort am Stamm des Baumes nicht soviel erkennen konnte wie Dan. „Und jetzt schwenk deinen Kieker mal nach Norden." „Aye, Sir." Dan befolgte den Befehl und suchte mit seinem Blick das nördliche Ufer ab. „Donnerkeil", entfuhr es ihm plötzlich. „Ich sehe eine große Bucht, eine Art natürlichen Hafen. Und mittendrin - Teufel auch, das scheint ja alles zu erklären." „Liegt dort ein Schiff?" fragte der Seewolf. „Ja. Eine Dreimast-Galeone. Sieht übel aus, der Kahn. Er scheint viel überstanden zu haben. Liegt ziemlich tief und leicht nach Steuerbord gekrängt vor Anker. Es wundert mich, wie dieser Kübel überhaupt bis hierher geraten ist." „Führt er irgendwelche Hoheitszeichen?" fragte Hasard. „Nein. Den Namen an seinem Bug kann ich nicht entziffern", erwiderte Dan O'Flynn. „Aber der Bauweise nach ist das ein spanischer oder portugiesischer Segler." „Was ja aufs selbe hinausläuft", meinte Blacky. „Spanien und Portu-
44 gal sind eine Nation, ein Herz und eine Seele. Dan, wir können den Kahn von hier aus nicht sehen, es sind zu viele Bäume davor. Sag mal, ist das deiner Meinung nach ein Kriegssegler?" „Nein, sieht nicht so aus." „Ist es ein Kauffahrteifahrer?" erkundigte sich Big Old Shane. „Hölle, was hat der hier wohl verloren? Normalerweise segeln die Dons doch im Verband." „Und ich finde es merkwürdig, daß die Dons hier herumspuken", sagte der Profos. „Damit hätte ich nicht gerechnet." „Auf Bora-Bora haben wir sie auch getroffen, die Señores", gab Gary Andrews zu bedenken. „Warum also nicht ebenfalls hier?" „Ein Taifun könnte einen ihrer Verbände auseinandergerissen und aufgerieben haben", meinte Al Conroy. „Und die Galeone ist eben an den Strand von Tutuila gespült worden. Ein Wrack, nicht wahr?" „Wie viele Kanonen hat das Schiff?" fragte der Seewolf. „An der Steuerbordseite zähle ich acht Stückpforten", erklärte Dan. Hasard runzelte die Stirn. „Sechzehn Geschütze und dann vielleicht noch ein paar kleinere Kaliber auf der Back und dem Achterdeck. Das ist viel für einen Handelsfahrer, sehr viel. Gewöhnlich geben die Dons ihren Frachtkonvois Kriegssegler als Geleitschutz mit, und die Galeonen sind entsprechend unterarmiert. Da stimmt doch was nicht, Dan." „Es ist schon ein merkwürdiges Schiff", bestätigte Dan O'Flynn. „Und es scheint sich kein Mensch an Bord zu befinden. Ich sehe jedenfalls niemanden." „Ein Geisterschiff also", sagte der Profos. „Das wird ja immer schöner. Und die Schüsse? Wer hat die abge-
geben? Neptun vielleicht oder der Wassermann?" „Wartet. Am Strand liegt eine Jolle", verkündete Dan jetzt von seinem Baum herab. „Die Besatzung ist wohl gelandet." „Und wir müssen höllisch aufpassen, denn wir wissen nicht, wie viele Männer es sind und wie sie bewaffnet sind", sagte der Seewolf. „Von jetzt an gilt es, noch mehr auf der Hut zu sein." Er wandte sich den Polynesiern zu, die das Treiben der sieben von der „Isabella" aufmerksam verfolgt hatten. „Maguro - Otalu. Haben eure Späher das fremde Schiff denn nicht gesehen? So, wie ihr auch uns entdeckt und beobachtet habt? Was ist vorgefallen, warum wurden die Schüsse abgegeben?" Er unterstrich seine Sätze durch entsprechende Gesten, aber die Männer des Stammes schüttelten nur verständnislos die Köpfe. Dann aber hatte der Seewolf die richtige Idee. Er ließ Otalu zu Dan O'Flynn auf den Baum klettern und ihn einen Blick durch den Kieker werfen. Otalu wurde sehr aufgeregt und begann mit den Händen herumzufuchteln. Er drehte sich zu seinem Häuptling um und redete auf ihn ein, mit geradezu unglaublicher Geschwindigkeit, wie es den Männern der „Isabella" erschien. Dann nahm Maguro einen kleinen Stock zur Hand und zeichnete etwas auf ein freies Stück Erde neben dem Baumstamm. Immer wieder schaute er auf und beschrieb mit seinen Händen Gebärden, die die Zeichen näher erläutern sollten. „Was heißt das? Was will er uns sagen?" fragte Carberry, der seinem Kapitän über die Schulter blickte. Hasard hatte sich neben Maguro
45 gekniet. Er überlegte, begriff schließlich und sagte zu seinen Männern: „Natürlich haben sie auch dieses Schiff längst entdeckt. Zwei Späher halten es unter ständiger Beobachtung, um dem Häuptling sofort jede Neuigkeit zu melden. Nur vier Mann scheinen sich noch an Bord des Seglers befunden zu haben, und sie haben sich untereinander beschossen." „Vielleicht eine Meuterei", meinte Shane. „Kann sein. Sie haben etwas in die Bucht geworfen, aber ich bin nicht daraus schlau geworden, was das sein könnte. Daß sie nun allerdings mit einem Beiboot gelandet sind, wußten die Eingeborenen bislang noch nicht." „Wieso nicht?" wollte Dan wissen. „Wir fragen die zwei Späher", sagte der Seewolf. „Die werden es uns wohl verraten können." Er setzte dies dem Häuptling auseinander. Maguro bestätigte durch eine Handbewegung, daß er verstanden hätte, und kurz darauf setzte sich der Trupp wieder in Bewegung. Unter Otalus Führung ging es sehr rasch den Hang des Berges hinunter. Tutuila war keine große Insel. Wegen ihrer langgestreckten Form konnte man innerhalb des Ablaufs von zwei bis drei Glasen ohne Schwierigkeiten vom Nord- zum Südufer gelangen und umgekehrt. 8. Serafín hatte mit den bloßen Händen zwei flache Gruben zwischen den dichten, stark duftenden Büschen ausgehoben, um die toten Eingeborenen hineinzubetten. Er wußte selbst nicht, warum er so handelte, aber irgendwo in seinem Bewußtsein
wurde ihm klar, daß er es aus demselben Instinkt heraus tat, der ihn auch veranlaßt hatte, für den Seemann Esteban ein Begräbnis mit allen christlichen Ehren zu fordern. „Hilf mir", zischte er jetzt Joaquin zu. „Was stehst du herum und hältst Maulaffen feil?" „Domingo ist drüben auf der anderen Seite der Lichtung und gibt uns ein Zeichen. Er scheint die Spur wiedergefunden zu haben - de Larras Fährte." „Gut. Winke zurück und erklär ihm, daß er dort auf uns warten soll. Wir sind hier gleich fertig, wenn du mit anpackst." Joaquin signalisierte mit den Händen zu dem Kameraden hinüber, dann drehte er sich um, schlüpfte zwischen die Büsche und ging dem Schwarzbärtigen zur Hand. Sie hatten den einen Leichnam in sein einfaches Grab gelegt und schickten sich an, den Körper mit Erde zu bedecken, da entstand an der südlichen Seite der Waldlichtung plötzlich Unruhe. Serafin und Joaquin schauten auf. Sie sahen die Gestalten, die aus dem Dickicht traten, und fühlten sich von eisigem Schrekken gepackt. Serafin riß seine Pistole aus dem Gurt. „Weg hier. Die führen nichts Gutes im Schilde. Außerdem werden sie glauben, daß wir die beiden Wilden umgebracht haben. Los, hauen wir ab." Er richtete sich als erster auf und hob die Pistole - und begriff im selben Moment, daß er einen Fehler begangen hatte. Lieber hätte er auf dem Boden hocken bleiben sollen, dann hätte der Seewolf ihn nicht entdeckt, jedenfalls nicht so schnell. „Da ist jemand!" rief der Seewolf seinen Begleitern zu. „Aufpassen, das ist ein Spanier!"
46 Seine Männer und die Polynesier, die den Schwarzbart im Gebüsch jetzt ebenfalls entdeckt hatten, schwärmten auseinander, hetzten über die Lichtung und am Rand der Lichtung entlang, stürzten sich in das Gesträuch und versuchten, den Fremden in eine Art Zangengriff zu nehmen. Serafin sah erst jetzt, daß es sich bei den unverhofft Aufgetauchten nicht nur um Inselbewohner handelte. Weiße waren dabei, sieben Mann und der schwarzhaarige Hüne mit den eisblauen Augen, der jetzt auf ihn losraste, hatte etwas in einer Sprache gerufen, die Serafin zumindest ihrem Klang nach einzuordnen wußte. Englisch! Von einem verdammten Engländer hatte er nichts Gutes zu erwarten. So dachte er jedenfalls. Und deshalb drückte er ab. Belfernd löste sich der Schuß aus der Pistole und raste auf Hasard zu. Joaquin hatte sich neben seinem Kameraden aufgerichtet und feuerte seine Pistole auf Ed Carberry ab. Wieder krachte es. Die Polynesier schrien auf. Hasard hatte sich fallen lassen und überrollte sich auf dem Boden der Lichtung. Rechts neben sich hatte er den Profos, der mörderisch fluchte, noch weiter rechts waren Shane, Dan, Blacky, Gary und Al, die nicht minder wüst loswetterten. Im Nu war der Teufel los. Serafin hatte gut gezielt, aber der Seewolf war auf der Hut gewesen. Im Aufblitzen der Pistole hatte er reagiert, und so stob die tödliche Kugel an ihm vorbei. Joaquin hatte schlechter gezielt. Sein Geschoß jagte um gut eine Handspanne an Carberry vorbei. Der Profos hatte sich nur ein wenig geduckt und war einen Schritt nach
rechts ausgewichen. Jetzt wandte er sich wieder dem spindeldürren Mann mit den langen Armen zu und sprang ihn an, ehe dieser die Muskete von der Schulter reißen und auf ihn anlegen konnte. Hasard rappelte sich auf und schwang hoch. Serafin war sich nicht schlüssig darüber, ob er den Fremden, der sich so unheimlich schnell und katzengewandt bewegte, erneut angreifen oder lieber die Flucht zur Nordbucht antreten sollte - und dieses Zögern war sein zweiter Fehler. Mit einem Satz war der Seewolf bei ihm und rammte ihm die Faust gegen das Brustbein. Serafin wollte sich zur Wehr setzen, aber schon raste die brettharte Faust des Gegners noch einmal auf ihn zu und knallte diesmal unter sein Kinn. Serafin brach zusammen und legte sich neben den toten Eingeborenen auf den Waldboden. Hasard sah die zwei Leichen erst jetzt. Plötzlich knallte wieder ein Schuß. Hasard fuhr herum. „Das war drüben!" schrie Blacky ihm zu. „Auf der anderen Seite der Lichtung. Da steckt noch einer von diesen Schuften!" „Ich hole ihn mir", stieß der Seewolf aus, warf sich herum und stürmte los. Quer über die Lichtung steuerte er auf den Platz zu, an dem sich der Heckenschütze, dem Pulverqualm nach zu urteilen, der aus dem Dickicht aufstieg, versteckt halten mußte. Hasard wußte, daß der Mann ihn jetzt kaltblütig niederstrecken konnte. Wahrscheinlich hatte er noch mehr Schußwaffen. Auch seine beiden Kumpane waren ja bis an die Zähne bewaffnet. Aber der Schuß, den dieser Bursche abgegeben hatte, war wir-
kungslos über die Lichtung gepfiffen und irgendwo im Gebüsch verpufft, soviel hatte der Seewolf beobachtet. Also war er ein miserabler Schütze. Hasard schlug Haken und lief im Zickzack auf den Busch zu. Seinen Radschloß-Drehling hatte er auf der Lichtung liegenlassen, denn bei dem blitzschnellen Angriff auf den Schwarzbart hätte der Sechsschüsser ihn nur behindert. Im Laufen zog er jetzt jedoch seine Doppelläufige, um ebenfalls feuern zu können, falls ihm die nächste Kugel aus dem Gestrüpp entgegenblaffte. Aber der Gegner verhielt sich anders. Er trat die Flucht an und verholte sich, ohne sich erst zu zeigen. Hasard hörte, wie es im Dickicht knackte und raschelte, und die Laute entfernten sich ziemlich rasch. Hasard gelangte an den Rand der Lichtung, war mit einem Sprung im Gebüsch und nahm die Verfolgung auf. Zwischen den Zweigen und Blättern glaubte er die Gestalt eines Mannes zu sehen. Der Kerl schien ein zerrissenes Hemd auf dem Leib zu tragen und eine Pistole in der Faust zu halten. Wenn er eine Muskete gehabt hatte, dann hatte er wohl sie auf die Gegner abgefeuert und danach im Gesträuch liegenlassen. Jetzt stürmte er durch das Buschwerk davon, als säßen ihm tausend Teufel der Hölle im Nacken. Dich kriege ich, dachte Hasard wütend, und wenn ich dich über ganz Tutuila hetzen muß. Er hatte ständig das Bild der beiden blutüberströmten toten Polynesier vor Augen. * Domingo wagte nicht, stehenzu-
47 bleiben und sich umzudrehen. Er wußte, daß der Schwarzhaarige ihm auf den Fersen saß, und er fürchtete diesen Mann so sehr, daß er glaubte, ihn weder durch einen Schuß aus der Pistole noch durch irgendeine andere Abwehrhandlung ausschalten zu können. Wer immer dieser Kerl war - er, Domingo, hatte gesehen, wie er Serafin zusammengeschlagen hatte. Dieser schwarzhaarige Teufel war ein erfahrener Kämpfer, mit dem es keiner von ihnen aufnehmen konnte, zumal sie alle drei ausgemergelt und ausgelaugt waren und erst einmal eine Woche lang ordentlich essen mußten, um halbwegs wieder zu Kräften zu gelangen. Wahnsinn, dachte Domingo, während er dahinstürmte, wir hätten es nicht mit ihnen aufnehmen dürfen. Niemals! Aber jetzt war es geschehen, und sein einziges Heil konnte nur noch in der Flucht liegen. Er lief so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gelaufen war. Ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte, wußte er nicht, aber darum kümmerte er sich nicht weiter. Denn er war sicher: Selbst wenn er die Nordbucht erreichte, konnte er die Jolle nie und nimmer aus eigener Kraft ins Wasser schieben, um mit ihr zurück zur „Hernán Cortés" zu pullen. Und er würde es auch nicht fertigbringen, weit genug in die Bucht hinauszuschwimmen. Der Schwarzhaarige würde ihn entweder erschießen oder ihm im Wasser nachstellen, ihn dort packen und zuschlagen. Es gab also nur eine Möglichkeit: im Wald unterzutauchen und sich irgendwo zu verstecken. Domingo lief und lief und trachtete, etwas mehr Abstand zwischen sich und den Ver-
48 folger zu legen, den er hinter sich durch das Dickicht brechen hörte. Er keuchte. Sein Atem ging laut und unregelmäßig, er spürte ein heftiges Kratzen in der Kehle und feine Stiche in den Körperseiten, wie von Nadeln hervorgerufen. Er hustete. Lange hältst du nicht mehr durch, sagte er sich, gleich ist es aus. Verzweiflung packte ihn. Er bog nach links ab und zwängte sich in ein großes Gebüsch mit schlanken dunkelgrünen Blättern und zauberhaft duftenden Blüten. Doch für Domingo hatte die Schönheit der Inselflora keinerlei Bedeutung, für ihn zählte nur eins: ihre Zweckmäßigkeit. Der Strauch schluckte seine Gestalt, und er hatte jetzt den Eindruck, etwas Vorsprung gewonnen zu haben. Er hastete an einem Baum vorbei, duckte sich unter einem tief hängenden Ast, richtete sich wieder auf und war froh, über keine Wurzel gestolpert zu sein. Schlauheit siegt, dachte er. Er schöpfte neue Zuversicht. Du schaffst es doch noch, triumphierte es in seinem Inneren. Er unterdrückte ein Husten. Vor ihm lichtete sich das Gestrüpp wieder ein wenig, und er gelangte jetzt schneller voran. Er hastete dahin und scherte sich den Teufel um seine Seitenstiche. Er nahm auch die Bewegung nicht wahr, die plötzlich schräg links vor ihm im Dickicht war. Erst das feine Surren nahm er wahr - und wandte überrascht den Kopf. Etwas zuckte von vorn auf ihn zu, und dieses Etwas identifizierte er noch als einen Speer; der offenbar mit voller Wucht geschleudert worden war und genau auf seine Brust zuraste.
Dann traf ihn ein Schlag, der seinen Oberkörper zu zersprengen schien. Ihm war, als würde ihm gleichzeitig auch der Kopf vom Rumpf gerissen. Er fühlte sich hochgehoben und in den blauen Himmel hinaufgezogen, der sich jetzt ein wenig blasser getönt hatte. Von irgendwoher drang ein erstickter Laut, und Domingo begriff nicht mehr, daß er selbst ihn ausgestoßen hatte. Der Tag wurde zur Nacht, erlösende Finsternis deckte allen Schmerz dieser Welt zu und tötete jede Wahrnehmung. * Hasard hatte den Mann aus den Augen verloren. Er unterdrückte einen Fluch und zerbiß ihn zwischen seinen Zähnen. Wo, zum Teufel, hatte der Kerl sich verkrochen? Als er den gequälten Laut links von sich vernahm, schlug er einen Haken und kämpfte sich durch das dichter werdende Strauchwerk. Blätter und Zweige prasselten ihm ins Gesicht, er konnte nichts sehen. Nur mühsam gelangte er voran. Zum Glück öffnete sich der Busch wieder ein wenig. Der Seewolf erblickte sofort die reglose Gestalt des Mannes mit dem zerfetzten Hemd. Keine zehn Schritte entfernt lag sie vor ihm auf dem Boden. Der Kopf lag ihm zugewandt, die Beine waren nach Süden, zu den Hügeln von Tutuila hin, ausgestreckt. Hasard hätte das Ganze für einen billigen Trick gehalten, mit dem der Spanier ihn zu überlisten trachtete, wenn nicht der Speer gewesen wäre, der aus der Brust des Mannes aufragte. Erschüttert trat er näher und kniete sich neben ihn. Blicklos waren die gebrochenen Augen des Spaniers auf
ihn gerichtet. Hasard schob die sächsische Reiterpistole in den Waffengurt und legte dem Toten die Hand auf die Lider, um sie zu schließen. Er dachte, einer der Eingeborenen hätte den Speer geschleudert. Vielleicht Otalu? Er kannte sich hervorragend im Regenwald aus und konnte dem Flüchtenden durchaus von der Lichtung aus wieselflink nachgeeilt sein. Hasard hob den Kopf, um nach dem Polynesier Ausschau zu halten. Hinter seinem Rücken war plötzlich eine schwache Bewegung, und er wollte herumfahren. Aber dazu war es bereits zu spät. Etwas bohrte sich hart zwischen seine Rippen, und eine rauhe Stimme sagte auf spanisch: „Keinen Laut, Amigo. Und rühr dich nicht vom Fleck. Nein, greife auch nicht zur Pistole. Ich nehme sie dir ab. Verstehst du mich? Ich bin sicher, daß du begriffen hast." „Ich verstehe kein Wort", sagte Hasard auf englisch. Der andere kicherte. „Inglés? Engländer? Oh, stell dich nur nicht dumm. Heb langsam die Hände hoch." In gebrochenem Englisch wiederholte er: „Hoch die Hände!" Hasard bezweifelte keinen Augenblick, daß der Kerl tatsächlich eine schußbereite Pistole in seinen Rükken gebohrt hatte - daß es kein Stock war, den er als Attrappe benutzte. Der Tote mit dem Speer in der Brust hielt nichts mehr in seinen offenen, verkrampften Händen, aber vorher hatte er eine Pistole gehabt, wie Hasard deutlich gesehen hatte. Der Seewolf biß sich auf die Unterlippe. Warum hatte er das nicht eher bemerkt? Der Fremde hinter seinem Rücken hatte den Mann umgebracht und ihm rasch die Pistole abgenommen. Und er, Philip Hasard Killi-
49 grew, hatte sich wie ein blutiger Anfänger übertölpeln lassen. Der andere griff ihm an den Waffengurt und zog erst die Doppelläufige und dann den Degen heraus. Hasard spürte, daß der Druck der Pistolenmündung etwas nachließ. Wieder erklang die heisere Stimme des Kerls. „Los, aufstehen jetzt. Und artig bleiben, Amigo. Wenn du Dummheiten anstellst, schieße ich dich nieder. Täusche dich nicht in mir. Sieh dir Domingo, diesen Lumpenhund, an. Du legst dich gleich neben ihn, wenn du irgendwelche Tricks versuchst." Hasard erhob sich. Warum erschien niemand? Wo steckten die Kameraden, wo die Insulaner? Teufel auch, hatte sich ihm denn keiner angeschlossen? „Du darfst dich umdrehen, aber laß die Hände oben", sagte der Unbekannte. Ruhig, um ihm keinen Anlaß zum Mißtrauen zu geben, wandte sich der Seewolf und und betrachtete den Kerl. Er hatte einen glatzköpfigen, hageren Mann mittleren Alters vor sich, der genauso abgerissen und elend aussah wie die drei anderen Spanier. Er war der vierte Mann vom Schiff. Was Hasard von Anfang an am meisten beunruhigte, war das gefährliche Flackern in den dunklen Augen. Dieser Mann war dem Wahnsinn sehr nahe - oder er war ihm bereits verfallen. Sein Adlergesicht hatte etwas Teuflisches, kompromißlos Grausames an sich, was Hasard vor jedem spontanen Handeln warnte. Unberechenbar war dieser Spanier. Er würde schießen, bevor er ihn anspringen und niederringen konnte. Die Doppelläufige hatte sich der Kerl in den Hosenbund geschoben, er zielte mit der von dem toten Domin-
50 go erbeuteten Pistole auf Hasards Stirn. Den Degen hatte er weggeworfen, aber in seinem Bund steckten noch zwei Hartholzmesser, wie sie die polynesier benutzten. Hasard sah auf die Messer. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Durfte er den Kerl provozieren? Er mußte es versuchen. „Du hast die beiden Späher getötet", sagte er in reinstem Kastilisch. „Du bist ein gemeiner Meuchelmörder, Don Felipe von der traurigen Gestalt." Der Glatzkopf grinste hämisch. „Sieh da, sieh da! Unser Freund kann also doch Spanisch. Ausgezeichnet sogar. Das erleichtert die Verständigung erheblich. Wir werden prächtig miteinander auskommen." „Das bezweifle ich, Don Bastardo." Der Glatzkopf duckte sich ein wenig. Tückisch und angriffsbereit funkelten jetzt seine Augen. „Paß auf, daß du dich nicht noch mal versprichst, verfluchter Engländer. Es könnten deine letzten Worte sein. Mein Name ist Don Mariano José de Larra." „Kapitän der Galeone in der Nordbucht - oder dessen, was von dem Schiff übriggeblieben ist?" „Ja. Und wer bist du?" Hasard schwieg. De Larra grinste wieder. „Mein Freund, bilde dir nicht ein, daß du mir gegenüber den Starrköpfigen spielen kannst. Ich kenne viele Mittel, um dich zum Sprechen zu bringen. Ich könnte dir in die Schulter schießen, aber das würde deine Kumpane anlocken. Ich weiß etwas Besseres. Hast du mein Arsenal gesehen? Es ist nicht ganz vollständig. Warte." Er wich einen Schritt nach rechts und bückte sich. Während er ins Gebüsch zu seinen Füßen griff, ließ er
den Seewolf keinen Moment aus den Augen. Hasard kalkulierte die Distanz, die zwischen ihnen lag, durch einen Blick. Er sagte sich, daß sie zu groß sei und er einen günstigeren Augenblick abpassen mußte, um sich auf den widerwärtigen Glatzkopf zu werfen. Don Mariano zog einen Speer aus dem Dickicht, stand wieder auf und hielt die Waffe mit der linken Hand so, daß die Spitze auf Hasards Kehle zeigte. „Auch diesen Speer habe ich den beiden braunen Affen abgenommen, die ich auf der kleinen Lichtung erledigt habe", sagte er. Er stieß die aus einem Knochen geschnitzte Spitze noch etwas weiter vor und drückte sie gegen Hasards Hals. Messerscharf war diese Spitze. Die Männer von Tutuila benutzten ihre Speere nur für die Jagd, aber natürlich waren sie auch hervorragend dafür geeignet, jemand ins Jenseits zu befördern oder ihn zu quälen, indem man ihm Zug um Zug die Haut aufritzte. Hasard verspürte einen feinen Stich und ein Brennen an seinem Hals. Er wich zurück. Don Mariano folgte ihm. „Ich stoße gleich wieder zu", drohte der Spanier. „Spiel nicht den Helden, Engländer. Und verfall bloß nicht auf den Gedanken, zu schreien. Ich steche dir in dein freches Maul, wenn du es wagst." „Ich werde nicht schreien." „Sag mir deinen Namen." „Philip Hasard Killigrew." „Killigrew? Diesen Namen habe ich schon mal gehört. Aber wo?" „Darauf kann ich dir nicht antworten." „Der Heimathafen meines Schiffes ist Manila. Nun?" „Gewiß hast du dort von mir ge-
51 hört", sagte Hasard. Ja, auf den Philippinen und insbesondere in Manila hatten die Spanier ihn sehr gut in Erinnerung, denn dort hatten er und seine Crew vor Jahren eine Vorstellung gegeben - mit Feuer, Rauch und Eisen. Ein Aufleuchten ging über de Larras Züge. „Killigrew - jetzt fällt es mir wieder ein. Du bist der Hund, den sie ,El Lobo del Mar' nennen, den Seewolf. Oh, was für einen feinen Fang habe ich da erwischt! Die schmucke Galeone da draußen - sie ist also dein Schiff." „Welche Galeone?" fragte Hasard. „Stellst du dich wieder dumm?" Der Glatzkopf kicherte. „Nein, nein, ich werde dir deswegen nicht gleich den Hals aufschlitzen. Aber sei auf der Hut. Das Blut läuft dir schon über die Brust. Es wäre doch schade um den großen Seewolf, wenn er jämmerlich verbluten würde, was? Na los, dreh dich um. Geh voraus, immer brav vor mir her." Er wies ihm mit dem Speer, den er jetzt etwas zur Seite nahm, die Richtung. „Dort entlang!" sagte er herrisch. „Immer der Nase nach. Wird's bald?" Hasard hatte keine andere Wahl. Er mußte sich umwenden und vor dem Spanier hermarschieren. Was blieb ihm anderes übrig? Er hätte sich wegen seiner Unvorsichtigkeit selbst ohrfeigen mögen, und er hörte nicht auf, sich mit Selbstvorwürfen zu überschütten, aber all das nutzte ihm jetzt nichts. In ohnmächtiger Wut schritt er durch das Dickicht, das sich jetzt mehr und mehr lichtete. Sie erreichten einen etwas erhöht liegenden Platz, von dem aus sie über das Buschwerk hinweg und zwischen den Stämmen der Palmen am Westufer hindurch auf die See blikken konnten. Hier bedeutete Don
Mariano José de Larra seinem Gefangenen, stehenzubleiben. Der Seewolf sah sein Schiff, die „Isabella". Auf Backbordbug lag sie jetzt und rundete mit Vollzeug die Insel. Sie hatte das Westkap bereits passiert und würde bald anluven, um dann mit einigen Kreuzschlägen die Nordbucht anzulaufen. „Siehst du", sagte de Larra höhnisch. „Ich bin klüger, als du gedacht hast. Bis hierher bin ich gelaufen und habe ein wenig Umschau gehalten, ehe ich die Schüsse und die Rufe hörte und die Idee hatte, in den Busch zurückzukehren, um die Ursache für den Lärm herauszufinden. Domingo lief mir in die Arme. Das war ein Wink des Himmels. Und der Herrgott, der mich während meiner ganzen Reise nie verlassen hat, hat mir auch dich in die Hände gespielt." Hasard wandte den Kopf. Erst jetzt bemerkte er, daß der Spanier etwas auf dem rechten Bein hinkte. Er hatte einen blutigen, verkrusteten Streifer an der Wade, wahrscheinlich ein Andenken an die Auseinandersetzung, die es zwischen ihm und seinen Männern auf der Dreimast-Galeone gegeben haben mußte. Don Mariano lächelte, als habe er wirklich eine himmlische Erleuchtung. „Mir ist der Name des Schiffes eingefallen, von dem man im Zusammenhang mit dem Seewolf in Manila noch heute spricht. ,Isabella' - ist das die ,Isabella'?" „Ja." „Sie gehört jetzt mir. Du weißt schon, wie ich das meine." Hasard hielt es für lächerlich, weiterhin auf stur zu schalten. „Sicher. Aber was willst du mit mir und meinem Schiff anfangen?" „Und mit deiner Mannschaft, wolltest du wohl sagen, oder?"
52 „Willst du uns nach Manila bringen?" „Keineswegs." De Larra ließ den Speer sinken, hielt Hasard weiterhin mit der Pistole Domingos in Schach, lehnte den Schaft des Speers gegen seinen rechten Arm und zog mit links das Logbuch aus dem Hemd. „Hier", sagte er. „Dies sind meine wichtigsten Aufzeichnungen. Ich habe eine Theorie entwickelt, wie man das Südland finden kann. Ich bin der Lösung nahe. Ich werde als einer der größten Entdecker, nein als der größte und beste Seefahrer überhaupt in die Geschichte eingehen. Wir, Seewolf, werden gemeinsam dorthin aufbrechen." Wieder kicherte er. „Bibel des Satans, so haben Serafin, Joaquin und Domingo, diese dreckigen Hunde, meine Niederschrift getauft. Diese Ignoranten! Ich hoffe, daß auch Serafin und Joaquin noch ins Gras beißen." Hasard schwieg erbittert und dachte daran, daß dieser innige Wunsch des Satanskapitäns sich erfüllen konnte - vielleicht in diesem Augenblick. Denn Carberry, Shane, Blacky, Dan, Gary, Al und die Insulaner hielten die beiden spanischen Decksleute ja nach wie vor für die Mörder der beiden Späher. 9. Joaquin schlug die Augen auf und sah den bulligen, bärenstarken Mann mit dem häßlichen Narbengesicht und dem wuchtigen Kinn über sich. Breitbeinig stand der Profos der „Isabella" da und wirkte auf den Spanier wie eine Statue aus Bronze, ein Götze der unabwendbaren Vergeltung. Sofort erinnerte sich Joaquin wieder an alles. Dieser Riese hatte ihm
nur einen Hieb verpaßt, und der hatte gereicht. Wie ein Baum mußte er, Joaquin, umgekippt sein. Wie lange er bewußtlos gewesen war? Er wußte es nicht, konnte es nicht einmal schätzen. Stunden konnten es aber nicht gewesen sein, denn es war immer noch hell, wenn auch der Himmel jetzt nicht mehr blau war, sondern sich eisengrau gefärbt hatte. „Serafin", stammelte Joaquin. „Domingo..." Carberry wandte den Kopf und blickte auf den Spanier hinunter, als wäre er ein kleiner, ekelhafter Wurm. „Aha. Du bist also wieder bei Sinnen", sagte er in seinem schauderhaften Spanisch. „Gut." Er beugte sich zu dem dürren, verwahrlosten Mann nieder, packte ihn mit beiden Händen am Hemd und zog ihn zu sich hoch. „Por favor", keuchte Joaquin. „Bitte, laß mich los." „Das könnte dir so passen. Mann, was bist du doch für ein Jammerbündel!" „Ich habe niemandem etwas getan. Ich ..." „So?" rief Carberry drohend aus. „Und wer hat die beiden Eingeborenen erstochen? Wer war der gemeine Hund? Verrate mir, warum ihr das getan habt, oder ich beutle dich richtig durch!" „Ich bin kein Mörder!" schrie Joaquin. „Und deine Amigos?" „Die auch nicht! Wir ..." Otalu rückte mit gezücktem Dolch näher und traf Anstalten, sich auf den Spanier zu stürzen. Er stieß Laute in seiner eigentümlichen, singenden Sprache aus, Worte der Anklage und des Hasses. Big Old Shane trat jedoch hinter ihn und hielt ihn an der Schulter zurück.
54 „Ruhig", brummte er. „Ganz ruhig. oben bis unten. „Bildest du dir ein, du Wir müssen uns zumindest anhören, könntest hier auch noch Fragen stellen? Pack lieber aus und erzähle, was was der Mann zu sagen hat." Maguro, der immer noch erschüt- sich hier abgespielt hat, oder wir tert auf der Lichtung stand, rief Ota- überlassen euch zwei Figuren den lu etwas zu, und der junge Mann zog Polynesien!." sich zurück. Er hörte jedoch nicht „Wir sind keine Mörder", stieß Joaauf, zornige Blicke auf den Spanier quin wieder hervor. zu werfen und mit seinem Hartholz„Sei still!" fuhr Serafin ihn an. Er dolch herumzufuchteln. blickte wieder zu Shane und zu CarMaguro blickte zu den Männern berry und erklärte: „Wir haben Don der „Isabella" und ihren Gefangenen Mariano José de Larra gejagt, unsehinüber. Ein Ausdruck unendlicher ren Kapitän. Der Mann hat den TeuTraurigkeit hatte von seiner Miene fel im Leib. Wir haben ihn abgesetzt Besitz ergriffen. Er verstand die und davongejagt, verstehst du?" Welt nicht mehr. „Ja. Ihr seid also Meuterer." Vier junge Männer des Stammes „Aber keine Verbrecher!" hatten die Toten geborgen und tru„Das behauptest du", sagte Carbergen sie jetzt ins Dorf Pago Pago hin- ry wild. „Aber die Fakten sprechen auf. Dort würden die Frauen und für sich. Bilde dir nur nicht ein, daß Kinder die Unglücklichen beweinen, du dich rausreden kannst." und die Männer würden gebeugten „Wir haben die Toten gefunden, Hauptes damit beginnen, das Bestat- das stimmt. Mehr aber auch nicht. De tungszeremoniell vorzubereiten. Larra hat sie umgebracht." Hart hatte das Schicksal zugeschla„Und wo steckt de Larra?" wollte gen, aber wo das Leben wich, ging Shane wissen. neues Leben weiter. „Wenn mir das bekannt wäre, dann Maguro versammelte die auf der würde ich ihn jetzt mit diesen HänLichtung zurückgebliebenen Män- den erwürgen", sagte Serafin leidenner seines Volkes um sich. Geschlos- schaftlich und hob demonstrativ seisen gesellten sie sich zu Otalu, zu ne Fäuste. Carberry, Shane, Joaquin und SeraDie Eingeborenen legten die Geste fin, der in diesem Moment ebenfalls falsch aus. Sie wurden unruhig und die Augen aufschlug. hoben ihre Waffen. Drohend rückten Serafin benahm sich gefaßter als sie näher. Joaquin. Er rieb sich mit der Hand Serafins ohnehin schon kalkweidie Brust und massierte sich das ßes Gesicht färbte sich um eine NuKinn. Dann erhob er sich. Er hatte ance bleicher. „Bitte, haltet uns die Mühe, sich auf den Beinen zu halten, Leute vom Leib. Ich schwöre euch, ein einziger Schmerz tobte durch sei- wir sind unschuldig. Wir haben die nen Kopf und seinen Oberkörper. beiden Leichen gefunden, und ich „Vorsicht", warnte Shane. „Eine wollte sie begraben. Hätte ich Narr falsche Bewegung, und du liegst wie- das doch nicht getan." der zwischen den Büschen." „Ja", sagte Joaquin mit bebender „Du sprichst Spanisch mit einem Stimme. „Das war ein Fehler von dir, fremdartigen Akzent", sagte Serafin. und jetzt sitzen wir in des Teufels „Wer bist du?" Küche. Ein feiner Anführer bist du. Big Old Shane musterte ihn von Hast du mir nicht versprochen, daß
ich nicht sterben würde?" „Männer", sagte Serafin zu Carberry und Shane. „Ich kenne euch nicht, aber ich hoffe, daß ihr ehrliche Kerle seid - Seefahrer wie wir. Ich gehöre nicht zu denen, denen ihre Religion nichts wert ist. Ich glaube an den Herrgott im Himmel, bin ein ordentlicher Christ und würde mich nie versündigen. Wenn ich sage, ich schwöre etwas, dann meine ich es ernst mit meinem Eid. Ich versichere euch noch einmal, wir haben unser Gewissen nicht mit diesem Doppelmord belastet." „Das hört sich aufrichtig an", sagte Big Old Shane nachdenklich. „So?" Der Profos sah den schwarzbärtigen Spanier wütend an. Sein Unterkiefer bewegte sich mahlend, es sah bedrohlich aus. „Aber euren Capitán wolltet ihr doch auch abmurksen, du Frosch. Hat sich da nicht auch euer Gewissen gemeldet? Wie reimt sich das zusammen?" „De Larra hat den Teufel im Leib", sagte Serafin. „Die wollen uns für dumm verkaufen", meinte Carberry. „Shane, laß dich bloß nicht aufs Kreuz legen, sonst kriegen wir beide Streit miteinander." Er wollte noch mehr sagen, aber Maguro stieß einen verblüfften Laut aus und wies aufgeregt zur gegenüberliegenden Seite der Lichtung. Dan, Blacky, Gary und Al traten aus dem Dickicht und schleppten den schlaffen Körper eines weißen Mannes auf den Platz. Blacky hatte ihm den Speer aus der Brust gezogen, als sie ihn gefunden hatten, aber die klaffende Wunde in seiner Herzgegend ließ keinen Zweifel darüber offen, daß er tot war. „Domingo", flüsterte Serafin bestürzt. „Madre de Dios, Domingo, Kamerad ..."
55 Dan, Blacky, Gary und Al ließen den Leichnam auf den Boden sinken. Maguro, Otalu und die anderen Eingeborenen liefen zu ihnen hinüber und betrachteten den Speer mit der blutigen Spitze, den Blacky ihnen jetzt aushändigte. Sie schienen völlig aus dem Häuschen zu sein. Maguro ging mit dem Speer zu Shane, Carberry und den gefangenen Spaniern und wies immer wieder auf die Waffe und auf die Stelle, an der die Toten gelegen hatten. „Der Speer scheint einem der Toten gehört zu haben", sagte Big Old Shane. „Jemand hat ihn sich angeeignet und dann Domingo damit getötet." „Das beweist noch gar nichts", wandte der Profos störrisch ein. „Doch", sagte Serafin. „De Larra hat unseren Freund umgebracht. Auch diese gemeine Tat hat er auf sich geladen. Wo ist er?" „He!" rief Carberry zu den vier Kameraden hinüber. „Warum ist Hasard nicht bei euch?" „Wir haben ihn überall gesucht!" rief Dan zurück. „Konnten ihn aber nicht finden." „Vielleicht hetzt er de Larra", sagte Shane. „Das wäre eine logische Erklärung. Er hat gesehen, wie dieser Kerl Domingo ermordet hat, er war Domingo ja dicht auf den Fersen. Ja, so muß es sein." Carberry, der Joaquin immer noch festhielt, gab ein verächtliches Schnaufen von sich. „Ihr mit eurer Logik. Aber nehmen wir mal an, ihr habt recht. Dann können wir lange im Urwald rumsuchen, wir finden Hasard und diesen spanischen Drecksack bis zum Dunkelwerden nicht mehr." „Warten wir auf ein Zeichen vom Seewolf", schlug Gary Andrews vor. „Wenn er den Capitán gefaßt hat,
56 Gott, wenn sich herausstellt, daß ihr wird er sich schon melden." „Und wenn nicht?" fragte Al Con- doch gelogen habt." roy. „Was ist dann? Was nun, wenn er Hilfe braucht?" 10. Shane holte tief Luft, dann sagte er: „Hört mal zu. De Larra weiß jetzt, Mit dem sechsten Kreuzschlag seit daß seine letzten drei Leute hier auf der Insel gelandet sind. Er weiß aber dem Umrunden des Westkaps lief die auch, daß Tutuila bewohnt ist und „Isabella" in die Nordbucht von Tuein Haufen Teerjacken hier herum- tuila ein. Ben Brighton, Ferris Tukläuft, mit dem nicht gut Kirschen es- ker, Old O'Flynn und Smoky, der sen ist. Mit anderen Worten, er hat Decksälteste, standen auf der Back kapiert, daß er auf diesem Eiland und spähten zu der spanischen Ganichts werden kann, sondern bei al- leone hinüber, die bedenklich tief lem nur den kürzeren zieht. Folglich nahe dem Ufer lag. Sie suchten mit ihren Blicken noch wird er versuchen, wieder die Nordbucht zu erreichen und seinen Kahn nach den Besatzungsmitgliedern, da zu entern, der ja jetzt verlassen ist. rief Bill aus dem Großmars: „Deck! Er wird inzwischen eingesehen ha- Eine Jolle hält auf die Galeone zu. ben, daß es am ratsamsten ist, wenn Einer der beiden Männer in der Jolle ist unser Kapitän!" er mit dem alten Zuber abhaut." „Du Schlauberger", brummelte der „Verdammt, wieso können wir das Profos. „Er weiß doch ganz genau, Boot nicht sehen?" murmelte der alte daß der Eimer nicht mehr seetüchtig O'Flynn. ist." „Die Galeone versperrt uns die Sicht", entgegnete Ben Brighton. „Trotzdem wird er es versuchen." „Wir sollten auf jeden Fall mal „Nur Bill hat vom Großmars aus den nachsehen, ob er vielleicht am richtigen Blickwinkel." Er drehte Strand der Nordbucht herumspukt", sich nach achtern um und rief den pflichtete Blacky Shane bei. ,,Außer- Männern auf der Kuhl zu: „Geit auf dem haben Ben und die anderen die das Großmars- und das VormarsseInsel jetzt bald umrundet, laufen in gel!" „Aye, Sir!" die Bucht ein und erwarten von uns einen Bericht über das, was gesche„Pete!" hen ist." Pete Ballie lugte aus dem Ruder„Ich schlage vor, daß vier von uns haus und blickte Ben abwartend an. zur Bucht laufen", sagte der grau- „Ruder Backbord, Sir?" bärtige Riese. „Zwei Mann bleiben „Ruder drei Strich Backbord!" mit den Eingeborenen hier, um Ha„Aye, Sir", erwiderte Pete Ballie sard zu verständigen, falls er in der und bewegte das schwere Ruderrad Zwischenzeit hier eintrifft." unter seinen schwieligen Händen. „Gary!" rief der Profos. „Du und Ben legte den Kopf in den Nacken ich passen hier auf die beiden und schrie zu Bill, dem Moses, hinFrüchtchen auf. Das ist ein Befehl, auf: „Wer ist der andere Mann im Gary, keine Widerrede." Boot?" „Aye, Sir." „Keiner von uns, Sir. Ein Mann mit Carberry blickte zu Serafin und Glatze, Mister Brighton!" Joaquin und sagte: „Gnade euch „Das muß einer von der Drei-
mast-Galeone sein", sagte Ferris Tucker. „Wahrscheinlich hat er den Seewolf um Hilfe ersucht. Vielleicht verlangen die Dons von uns, daß wir ihren Kahn wieder flottmachen. Na, das gibt ein tüchtiges Stück Arbeit ab, Leute." „Sir", meldete sich jetzt wieder Bill. „Ich kann den Namen des Schiffes lesen - nein, nicht ganz!,... nán Corté', mehr kann ich nicht entziffern." Smoky hatte den Kieker zur Hand genommen und hob ihn vors Auge. „Der Name steht ja auch am Bug. Soweit ich erkennen kann, heißt der Kahn ,Her ...', Teufel, die Schrift ist überall abgeblättert." „ ,HernánCortés' ".sagteBenBrighton. „Sie haben ihr Schiff nach dem Eroberer Mexikos benannt. Ein Spanier also, wie wir gleich richtig vermutet haben." „Der Don bringt uns Unheil", erklärte Old O'Flynn mit finsterer Miene. „Vielleicht hat er die Pest an Bord." „Ach, hör doch auf", sagte Smoky. „Wäre Hasard vielleicht zu dem Glatzkopf in die Jolle gestiegen, wenn da eine Seuche wüten würde?" „Weg mit dem Besan und der Blinde!" rief Ben Brighton. „Smoky, steig auf die Galionsplattform runter und fang an, die Tiefe auszuloten. Wir haben ablaufendes Wasser und müssen auf Untiefen achten. Wir können nicht zu dicht ans Ufer herangehen." „In Ordnung." Smoky bewaffnete sich mit dem Senkblei und kletterte auf die Plattform hinunter. Wenig später ließ Ben auch das Großsegel und die Fock aufgeien, und die „Isabella" drehte mit dem Vorschiff in den Wind, um parallel zu der „Hernán Cortés" vor Anker zu gehen. Old O'Flynn blickte zu der Jolle, die sich jetzt hinter dem mächtigen,
57 plumpen Holzleib der spanischen Galeone hervorschob. Er erkannte, daß der Seewolf selbst pullte, und er konnte jetzt auch das Gesicht des Fremden auf der Achterducht des Bootes sehen. „Da stimmt was nicht", murmelte er immer wieder. „Ich will auf Grund laufen, wenn da nicht was faul ist. Oberfaul."
Jetzt, in der einsetzenden Abenddämmerung, wehte der Passatwind aus Nordosten nicht mehr so frisch wie am Nachmittag. Er schien fast einschlafen zu wollen. Die Ebbe zerrte an der „Isabella" und der „Hernán Cortés" und preßte die Jolle der spanischen Galeone, die bei der „Isabella" längsseits ging, gegen die Bordwand. Ben Brighton hatte eine Jakobsleiter abfieren lassen, und die beiden Männer enterten an ihren Holzsprossen auf - zuerst der Seewolf, dann der glatzköpfige Spanier. „Bereite mir keinen Ärger", hatte Don Mariano im Boot noch einmal zu Hasard gesagt. „Du wirst vor mir an Bord deines Schiffes gehen, aber du hast trotzdem keine Chance, mich auszubooten. Ich bin dicht hinter dir. Du kriegst meine Kugel in die Beine oder in den Unterleib, wenn du einen Trick versuchst." Hasard stieg Sprosse um Sprosse hoch. In seinem Geist arbeitete es, er suchte fast verzweifelt nach einem Ausweg. Seine Männer waren ans Steuerbordschanzkleid geeilt, um ihn zu begrüßen. Sie beugten sich hinüber und lächelten und winkten ihm zu Ben Brighton, Ferris Tucker, Smoky, Old O'Flynn, Batuti, der Kutscher und all die anderen.
58 Auch die Zwillinge waren da. „Alles in Ordnung, Sir?" rief Ben. „Alles in Ordnung", erwiderte der Seewolf. Schon von der Jolle aus hatte er sich umdrehen und ihnen signalisieren müssen, daß kein Grund zur Besorgnis bestünde. De Larra hatte ihn mit der Pistole dazu gezwungen - mit der doppelläufigen sächsischen Reiterpistole, die er auch jetzt in der Faust hielt. Der Seewolf kletterte über die Berghölzer und schob sich am äußeren Schanzkleid hoch. Ferris Tucker grinste und streckte ihm hilfreich die Hand entgegen. „Dad!" schrie Hasard junior plötzlich. „Der Glatzkopf hat ja eine Pistole!" „Deine Pistole, Dad!" rief Philip junior entsetzt. Ferris Tucker reagierte gedankenschnell. Er packte Hasards Hand und
riß daran, und der Seewolf sprang an Bord seines Schiffes. „In Deckung!" brüllte er. „Runter mit euch und Feuer frei auf den Don!" Im selben Augenblick krachte ein Schuß aus der Doppelläufigen, und dann geschah etwas so Entsetzliches, Ungeheuerliches, daß selbst die abgehärteten, mit allen Gefahren und Schrecken vertrauten Männer der „Isabella" die Fassung verloren. Hasard junior sank mit einem Aufschrei hinter dem Schanzkleid zusammen. Er hatte es nicht mehr geschafft, sich rechtzeitig hinter dem schützenden Holz in Sicherheit zu bringen. Don Mariano stieß einen Schrei aus und drückte noch einmal ab. Diesmal sollte es Philip junior treffen, der völlig entgeistert neben seinem Bruder stand, aber Batuti brachte sich durch einen panther-
59 haften Satz vor den Sohn des Seewolfs. Die zweite Kugel aus der Reiterpistole fuhr mit einem grellen Feuerblitz auf ihn zu, bevor er Philip mit sich auf die Planken reißen konnte. Der schwarze Herkules preßte beide Hände vor die Brust und fiel stöhnend vor Philip zu Boden. Old O'Flynn ließ seine Krücken fallen, hechtete mit einem Elan, den ihm wegen seines Holzbeins keiner zugetraut hätte, auf den Jungen zu und stieß ihn um. Philip landete bäuchlings auf den harten Planken der Kuhl. Er sah seinen Bruder blutend daliegen und fing an zu brüllen. Der Seewolf war zu geschockt, um sofort zu reagieren. Genau diese Sekunde genügte Don Mariano José de Larra, die letzten Sprossen der Jakobsleiter zu nehmen, auf die Kuhl zu springen und die Pistole Domin- ' gos aus dem Hosenbund zu reißen. Er stand neben dem Seewolf und Ferris Tucker, zielte auf Hasards Schläfe und rief mit schriller Stimme: „Keiner rührt sich! Der nächste, der krepiert, ist der Seewolf, wenn ihr nicht gehorcht!" Die Männer verharrten wie gelähmt. Totenstille breitete sich aus, unterbrochen nur von dem Stöhnen Batutis und dem Wimmern Hasard juniors. Im Großmars griff Bill, der Moses, ganz langsam zur Muskete, die er vorsorglich mit auf seinen Ausguckposten genommen hatte. Er war den Tränen nah, als er Hasard junior und den Gambia-Mann so daliegen sah, aber er zwang sich zur Ruhe. Jetzt hängt es nur noch von dir ab, ob wir uns diesen Schweinehund vom Hals schaffen oder nicht, dachte er. Seine Finger schlossen sich um den
Lauf der Muskete und zogen sie zu sich heran. De Larra blickte nicht nach oben. Er hatte sich hinter den Seewolf gebracht und ihn durch einen Wink zum Aufstehen gezwungen. Ferris Tucker, der mit seinem Kapitän gestrauchelt und hingefallen war, warf einen Blick auf den Spanier, der voll lodernden Hasses war. „Rotschopf!" brüllte Don Mariano. „Keine Bewegung, oder es knallt. Willst du, daß El Lobo del Mar verreckt, hier, auf den Planken seines eigenen Schiffes? Willst du das?" „Nein", sagte Ferris ausdruckslos. „Ich will, daß du stirbst. Und du wirst auf unendlich langsame Weise krepieren, du Bastard!" ,„Schweig!" fuhr der Glatzkopf ihn an. „Still", sagte Hasard. „Kein Wort mehr. De Larra - laß mich zu meinem Sohn. Und zu Batuti." „Das könnte dir so passen." Der Spanier preßte ihm die Mündung der Pistole gegen die Wirbelsäule. „Du bleibst hier - bei mir." „Ich bin der Feldscher auf diesem Schiff", sagte der Kutscher. „Laß mich die - die Verwundeten versorgen." „Für die kannst du nichts mehr tun!" schrie de Larra mit einem irren Licht in den Augen. „Laß sie eingehen, es ist das Beste für sie!" Bill hatte die Muskete hochgehoben. Jetzt kriegst du deine Strafe, du Satan, dachte er, genau in den Kopf kriegst du meine Kugel. „Ausguck!" De Larras Stimme überschlug sich. „Weg mit der Waffe! Herunter an Deck mit dir, wird's bald?" Bill hielt in der Bewegung inne. Verdattert ließ er die Muskete sinken. Wie hatte der Spanier bemerken können, was er vorhatte? Er hatte
60 überhaupt nicht zu ihm hochgeschaut. „Ausguck! Dein Kapitän stirbt, wenn du nicht gehorchst!" Bill empfand die schrillen Worte des Spaniers wie Peitschenhiebe. Erschüttert verließ er den Großmars und enterte in den Wanten ab. Unsicheren Schrittes bewegte er sich über Deck und steuerte auf die Männer zu. „Du nimmst ihnen jetzt die Waffen ab", befahl de Larra. „Du verstehst doch, was ich sage, oder? Ihr Hunde könnt wohl alle Spanisch, was?" „Ja", sagte Bill. „Si, Señor, heißt das!" „Si, Señor." „Trag alle Waffen zusammen und wirf sie auf einen Haufen", sagte de Larra. Ben Brighton wandte seinen entsetzten Blick von Hasard junior und Batuti ab und schaute seinem Kapitän ins Gesicht. Der Seewolf fixierte ihn. Ben hatte einen Ausdruck wie diesen noch nie in seinen Augen gelesen, aber plötzlich begriff er. Der Seewolf hatte sich entschieden. Lieber büßte er selbst sein Leben ein, als daß er es zuließ, daß die „Isabella" von diesem Wahnsinnigen übernommen wurde. Ein klarer Befehl lag in seinen harten eisblauen Augen - und er, Ben Brighton, sollte ihn ausführen. Ben zögerte nicht. Er wollte sich zwischen Philip junior und den Seewolf bringen, seine Pistole zücken und diese letzte Chance wahrnehmen. De Larra würde den Seewolf niederschießen, aber dann war er Freiwild für Ben und die Crew, dann hatte er keine Geisel mehr für seine mörderische Erpressung. Aber plötzlich verließ der Spanier seine Deckung hinter Hasards breitem Rücken. Er war bei Philip ju-
nior, ehe Ben den Jungen greifen konnte, schlang Hasards Sohn den Arm um den Hals und drückte ihm die Mündung der Pistole gegen die Schläfe. „Würdet ihr auch sein Leben aufs Spiel setzen?" schrie er. „Willst du auch ihn verlieren, Lobo del Mar? Ich habe nur den einen Schuß, aber ich nehme den Balg mit auf die Höllenreise, wenn ihr es unbedingt wollt." „Mein Gott", murmelte Ben Brighton. „Er muß es geahnt haben." „Dad", sagte Philip junior. „Dad, ich bin bereit zu sterben, wenn du es willst." „Nein", entgegnete der Seewolf, und seine Stimme klang jetzt brüchig und müde. „Nein. De Larra, wir beugen uns dem Schicksal. Du hast gewonnen. Nur laß den Kutscher, meinen Feldscher, zu Hasard junior und Batuti." „Also gut, meinetwegen", sagte Don Mariano triumphierend. „Nur zu, Feldscher, ans Werk. Bereite schon zwei Säcke aus Segeltuch vor, für alle Fälle. Man kann ja nie wissen, oder?" Er kicherte in sich hinein und hielt Philip junior in seinem Griff fest. „Sir", sagte Bill. „Dan O'Flynn, Blacky, Al Conroy und Big Old Shane sind auf dem Strand aufgetaucht. Sie winken zu uns herüber." „Sprich spanisch, du Kröte!" fuhr de Larra ihn an. Bill wiederholte, was er gesagt hatte, und der Glatzkopf lachte höhnisch. „Ach so, die vier Kerle gehören auch zu euch! Nun, auf die können wir verzichten. Die Besatzung ist groß genug, und ich will nicht allzu viele Bastarde an Bord haben, auf die ich aufpassen muß. Winkt den Narren noch mal zu, es ist das letzte Mal, daß ihr sie seht. Wir gehen
61 gleich in See. Ja, heute abend noch. Der Wind ist günstig, denn unser Ziel liegt im Süden." Er zerrte Philip junior zur Kuhlgräting, setzte ihn darauf, ließ ihn los, hielt ihn aber weiterhin in Schach. Mit der linken Hand zog er das Logbuch aus seinem Hemd hervor und wedelte damit herum. „Mein größter Schatz wird uns begleiten und uns den Weg weisen - den richtigen Kurs zum Südland! Das Logbuch des Satans läßt uns nicht im Stich!"
Hasard schloß die Augen, um den Anblick nicht mehr ertragen zu müssen. Nie hatte er sich so erbärmlich hilflos gefühlt wie an diesem Abend, hier, in der Bucht des Inselparadieses Tutuila. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit, daß ein geistig umnachteter Spanier es sein würde, der mit einem blutigen Drama allen Abenteuern und Träumen der Seewölfe ein Ende setzte. Gab es keine Hoffnung mehr? De Larras schallendes Gelächter gellte in seinen Ohren und schien nie mehr abreißen zu wollen ...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 202
Im Passat-Wind von Roy Palmer Als die schäumende Wassersäule neben dem Steuerbordbug der „Isabella" hochschoß und wieder in sich zusammenfiel, begann der Profos mörderisch zu fluchen - und Ed Carberry konnte fluchen. Aber er hatte völlig recht, sich Luft zu verschaffen, denn die beiden fremden Schiffe, die sich nach dem Schuß vor den Bug an die „Isabella"' heranpirschten, waren nichts weiter als lausige Piraten der übelsten Sorte, wild darauf, die englische Galeone auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Daß sie sich ausgerechnet die Seewölfe herausgesucht hatten, war ihr Pech . . . Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Seewolfs und seiner Crew erhalten Sie bereits in der nächsten Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler und in allen Bahnhofsbuchhandlungen.
Die seemännische Sprache von A-Z Schotklemme
Schotrah
Schotring
siehe auch Curry-Klemme. Viele der heutigen Yachtund Bootsbeschläge wurden aus der Praxis heraus von aktiven Regattaseglern erfunden - so auch die Schotklemme des Dr. Manfred Curry, der sich neben seinem Arztberuf als passionierter Regattasegler mit der Aerodynamik des Segels, mit der Taktik des Regattasegelns, aber auch mit der Verbesserung von Yacht- und Bootsbeschlägen beschäftigte - in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts. So gilt er unter anderem als der Erfinder der heutigen Schotklemme, ohne die kaum ein Regattasegler mehr auskommt. Die Klemme besteht aus zwei Bakken, die drehbar gelagert sind und sich gegeneinander pressen, wenn eine Schot hindurchgeführt wird. Die Schot kann also zwischen den beiden unter Federdruck stehenden Backen festgesetzt werden. Gelöst wird sie durch Herausreißen gegen die Zugrichtung. Eine andere Art von Schotklemmen ist die sogenannte Tauklemme - meist aus Kunststoff hergestellt -, deren innen angebrachten Rippen eine Leine oder Schot festhalten, vor allem, wenn Zug darauf steht, der die Leine oder Schot noch tiefer in die Führung preßt. Auch hier genügt ein Herausreißen, um Leine oder Schot loszuwerfen. Der Vorteil dieser Klemmen liegt darin, daß sie blitzartig in jeder beliebigen Position eine Leine oder Schot festhalten können. Genauso schnell können sie wieder gelöst werden. die untere oder auch Fußrah genannte Spiere an einem Vierkanttoppsegel (siehe dem). An der Schotrah - daher der Name - greift die Toppsegelschot an. ein offener Metallring, der unten einen Schlitz oder ein Auge zum Anschäkeln des Schotblocks hat. An den beiden Ringenden hat er Rollen aus Holz oder Kunststoff. Der Schotring wird über den Baum gestreift und dient als Angriffspunkt des Großschot. Die beiden Rollen verhindern ein Eindrücken in das Segel und gewährleisten ein besseres Aufliegen auf dem Baum. Mit einem Stropp, der Rückholleine, wird der Schotring an der Baumnock (siehe Nock) befe-
Schotstek
Schott
Schottendeck Schottensteife
stigt, so daß er nach voraus nicht verrutschen kann. Der Schotring wird etwa in Baummitte gefahren. Damit der Zug der Großschot nicht an einer einzigen Stelle des Großbaums angreift, ist es günstiger, Doppelschotringe zu benutzen. Sie sind mit einem Metallbügel fest miteinander verbunden und werden dann als Schotwagen bezeichnet. Günstig beim Schotring ist, daß er beim Reffen nicht stört. Er hat einen genügend großen Durchmesser, uro auch um einen Baum zu passen, um den das gereffte Segel gewickelt ist. Ersetzt werden heute Schotring und Schotwagen meist durch fest unter dem Baum angebrachte Beschläge (siehe Schotbügel), an denen die Schotblöcke angeschlagen werden. Nachteilig bei diesen Beschlägen ist allerdings, daß ein Reffen des Segels etwa mit dem Patentreff (siehe dem) nicht möglich ist. Knoten, um zwei ungleich starke Trossen oder Leinen zu verbinden. Er wird häufig doppelt ausgeführt, wenn der Stärkeunterschied zwischen den beiden Trossen sehr groß ist oder wenn es sich um glattes Tauwerk handelt. Üblich ist der Schotstek z. B. beim Anstecken der Wurfleine an eine Festmachertrosse oder Schlepptrosse. eine Art Scheidewand im Schiffsinneren. Die Schotten werden in Quer- und Längsschotten geteilt. Die durch die Querschotten erzielte Teilung des Schiffsinneren in eine Anzahl wasserdicht voneinander getrennter Räume dient einerseits zur Verstärkung des Querverbandes, andererseits zur Beschränkung des durch ein Leck einströmenden Wassers auf einen kleinen Teil des Schiffes. Die Längsschotten haben die gleiche Aufgabe. Entsprechend ihrer Lage sind die Schotten benannt - Vorpiekschott, Achterpiekschott, Maschinenraumschott usw. Das Vorpiekschott heißt auch Kollisionsschott und ist besonders kräftig gebaut. Auf Yachten bestehen die Schotten zumeist aus hölzernen Trennwänden, die im allgemeinen nicht wasserdicht sind. Im seemännischen Sprachgebrauch hat sich Schott auch als Bezeichnung für Tür, Durchgang eingebürgert. meistens das Hauptdeck eines Schiffes, bis zu dem alle wasserdichten Querschotten hinaufgeführt sind. Knieprofile oder Winkel an den Wänden der wasserdichten Schotten, die dazu dienen, bei Leckagen den eventuellen Wasserdruck abzufangen.