Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 729
Der Omirgos-Kristall Der Handel mit den Weyngolen
von Hans Kneifel
Auf Ter...
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 729
Der Omirgos-Kristall Der Handel mit den Weyngolen
von Hans Kneifel
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Nach den dramatischen Ereignissen um das Pre-Lo, das vom Erleuchteten, Atlans altem Feind aus Alkordoom, ausgeschickt wurde, um den Arkoniden zur Strecke zu bringen, hat dieser neue Probleme zu bewältigen. Da ist vor allem die Sache mit Colemayn, dem Weltraumtramp, der sich zur größten Überraschung als Fartuloon, der alte Lehrmeister Atlans, des Kristallprinzen, entpuppt. Eine weitere Riesenüberraschung bereitet DER OMIRGOS-KRISTALL…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide auf der Suche nach Guray. Chipol und Mrothyr – Atlans Begleiter in der STERNSCHNUPPE. Colemayn/Fartuloon – Der Calurier setzt sich ab. Shann und Shyzz-Korm – Anführer der Weyngolen.
1. Hoffentlich werde ich so alt, wie ich mich fühle. Ich habe niemals das Abenteuer gesucht, aber es hat mich stets gefunden. Es gibt so viele Dinge in meinem Leben, die ich bereute, ehe ich sie wagte – und ich riskierte sie trotzdem. Mir scheint, daß ein guter Teil meiner skeptischen Überlegungen zum Thema Atlan drohende Wirklichkeit wird. Schließlich war Fartuloon der Erzieher des jungen Atlan. Das ist schon eine geraume Weile her, salopp ausgedrückt. Aber Colemayn, der selbst unter den Folgen allzu aufreibender kosmischer Reisen leidet, kann nicht der Ratgeber eines knapp 12.000 Jahre alten Atlan sein. Die Lage ist ernst und arm an fröhlich stimmenden Zwischenfällen. (Aus Colemayns Sternentagebuch) * Ich hatte mich schon wieder in einen dunklen Winkel zurückgezogen, in diesem Fall in ein gemütliches Kabinchen der tüchtigen STERNSCHNUPPE. Wieder hatte die rätselhafte Krankheit zugeschlagen. Die Frist seit dem letzten Anfall war kurz gewesen. Ich lag im Halbdunkel, fühlte mich elend und versuchte, mit den Medikamenten der STERNSCHNUPPE-Medorobots eine Besserung herbeizuführen. Weder das Skarg noch der Kristallbrocken schienen mir heute zu helfen. Die STERNSCHNUPPE war wieder unterwegs. Sie flog ohne Ziel durch Manam-Turu. Ein Ziel würde sich nach kurzer Zeit finden, trotz oder gerade wegen der überstandenen Abenteuer mit dem rätselvollen Pre-Lo. Der Summer ertönte, das Schott öffnete sich. Ich erkannte die hochgewachsene Gestalt des Arkoniden. »Wie fühlst du dich, Bauchaufschneider?« fragte er in echter Besorgnis. Ich hörte aus seiner Stimme klar heraus, daß auch er keineswegs in Spitzenform war. »Miserabel«, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß. »Und wie ist selbst das werte Befinden, Kristallprinz?« Er lachte gequält. »Ich versuche immer noch herauszufinden, was mich ärgert und belastet. Ich bin deswegen unruhiger als wegen dieser Anfälle von Unzufriedenheit und Melancholie selbst. Und weißt du inzwischen, was deine Krankheit hervorruft?« »Ich habe nur eine einzige plausible Erklärung«, antwortete ich. »Es ist das Geflecht der Nachwirkungen des viel zu schnellen, kräftezehrenden Sprunges nach Manam-Turu.« Das Sprechen schmerzte. Der Kopf schmerzte. Jeder einzelne Muskel tat weh. Ich kannte jede verdammte Einzelheit dieser Anfalle. Also sagte ich: »Das ist die Wahrheit, Atlan. Es gibt keinen Virus, keinen anderen Hinweis. Es war dieses Transfer. Es ist sinnlos, mich zu fragen.« Ich hoffte, trotz meiner Schwäche genügend Entschlußkraft in meine Stimme gelegt zu haben. Natürlich glaubte mir Atlan nicht. * Fast wütend dröhnte der Logiksektor:
Colemayn ist Fartuloon! Das ist absolut sicher, Atlan! Deine Zweifel sind sinnlos. Inzwischen hatten Fartuloon und ich so oft über die ferne Vergangenheit gesprochen, so viele gemeinsame Erinnerungen ausgetauscht, daß jeder Zweifel tatsächlich auszuschalten war. Fartuloons Erinnerungen waren ebenso perfekt und genau wie meine. Ich konnte meinem fotografischen Gedächtnis voll vertrauen. Aber es blieben noch viele Fragen offen. Sie alle waren in der jüngsten Vergangenheit angesiedelt. Dort befleißigte sich Fartuloon-Colemayn einer sehr großen Zurückhaltung. Ich meinte: »Daß wir dir baldige Genesung wünschen, ist klar. Wenn du etwas von uns brauchst, mache dich bitte sofort bemerkbar. Wir hoffen natürlich, daß du bald wieder umherspringst wie eine Gazelle.« Er murmelte etwas Unverständliches und drehte sich zur Wand. Ich schloß leise das Schott und ging in den Zentralraum zurück. Ich selbst fühlte mich nicht nur niedergeschlagen, sondern meine Gesundheit schien überdies nicht die beste zu sein. Eigentlich hätte der Zellschwingungsaktivator mich völlig kurieren sollen; aber ein Teil des Giftes jener seltsamen Blüte auf Kraupper schien noch immer in meinem Körper zu kreisen. Aber war dieses Gift auch für meine Niedergeschlagenheit verantwortlich? Ich blieb vor den Pulten und Bildschirmen stehen und fragte laut: »Wohin fliegen wir eigentlich?« Die STERNSCHNUPPE zögerte mit der Antwort, dann aber sagte das Schiff: »Ich höre den Hyperfunk ab. Hunderte verschiedene Sprüche, die ich zu analysieren versuche. Ich scheine eine interessante Spur gefunden zu haben.« »Du meldest dich, wenn du einen Anhaltspunkt hast?« »Ohne Verzögerung.« Ich setzte mich und ließ Rückenteil und Fußstütze des Sessels ausfahren. Wieder einmal war die Lage ziemlich undurchsichtig und bot keine Möglichkeit zu entschlossenem, vielversprechendem Handeln. Guray, jener vermeintliche Schutzpatron der Piraten, war also doch schwerlich eine mythologische Gestalt. Nach dem Zusammentreffen mit seinen rätselhaften Abgesandten hätte ich, von der Meinung der dailanischen Mutanten unterstützt, die Suche nach ihm anfangen müssen. »Diese Daila!« stöhnte ich. Dieser Problemkreis trug ebenfalls zu meiner schlechten Verfassung bei, das ahnte ich. »Sie sind derart mit sich und ihrer Gegenwart beschäftigt, mit dem Neuen Konzil ganz besonders. Sie sind mir keine Hilfe. Abgesehen von Chipol.« Als wichtige Verbündete schieden sie für mich aus. Mein Kampf gegen den Erleuchteten war und blieb wohl eine einsame Sache. Dennoch war jeder Verbündete wichtig und wertvoll. Wo sollte ich Helfer finden? Die Piraten! sagte kurz der Logiksektor. Es war ein Hinweis, der äußerste Beachtung erforderte. Die Absicht dieser Gruppe konnte sein, daß sie sich mit dem Erleuchteten gegen das Neue Konzil verbündeten. Aber das war für mich, als wolle man einen Brand mit Öl löschen. Die unbekannte Macht, die hinter den Piraten stand, hatte unter Umständen ganz andere Absichten. Also auch hier: Unsicherheit auf der ganzen Linie. Die Suche nach Guray hätte schon durchgeführt werden können, denn ich hatte drei gute Freunde und die unersetzliche STERNSCHNUPPE, aber von diesem Ziel war ich abgelenkt worden – die letzten Abenteuer waren schuld daran. Funksprüche schwirren durch die Galaxis wie Mücken im Schilf, ließ sich STERNSCHNUPPE unvermittelt hören.
»Du wirst überraschend lyrisch«, teilte ich dem Raumschiff mit. »Hast du die Metaphern im Hyperfunkverkehr aufgefischt?« »Nein. Ich finde nichts Brauchbares – bisher.« »Weitermachen, werteste Freundin«, sagte ich und dachte an Anima. Dann fiel mir wieder Colemayn ein, der den Rebellen Mrothyr auf überzeugende Weise gesundgepflegt hatte. Colemayn, der Fartuloon war, mein geheimnisvoller Lehrmeister. Was nützte es im gegenwärtigen Kampf, wenn wir die Erlebnisse aus der fernen Vergangenheit austauschten und uns gegenseitig versicherten, wie gut unser Gedächtnis sei? Zu viele Fragen blieben offen. Sie veränderten zwar nicht die kleinste Einzelheit unserer augenblicklichen Lage, aber sie belasteten das Verhältnis zwischen Fartuloon und mir. Das wußte Fartuloon so gut wie ich. Aber zwei kranke, geschwächte Männer… warum sollten wir uns streiten? Ich schob meine Hand unter das Hemd und berührte den Zellaktivator. Er hing körperwarm an meinem Hals. Warum konnte er mir nicht helfen, die letzten Nachwirkungen des Giftes zu überwinden? »Schiff? Mrothyr und Chipol? Schlafen sie?« »Sie befinden sich in ihren Kabinen«, erwiderte das Schiff. »Aber ich scheine eine Spur gefunden zu haben.« »Sprich!« »Ich weiß damit nichts Rechtes anzufangen. Ich habe eine Störung im Hyperfunkverkehr angemessen. Sie war nur kurz, zeigte dafür ein eigentümliches Muster.« »Du hast schon zweimal solche Störungen registriert.« »Zutreffend. Cairon und Mutanten-Treffpunkt.« Ich überlegte kurz. Beim Anflug auf den Treffpunkt der Mutanten war die Störung gleich mehrmals hintereinander aufgetreten. Es stand irgend ein System hinter diesen Unterbrechungen. Jetzt schon wieder! »Ist es denkbar«, fragte ich, »daß es sich bei den vermeintlichen Störungen um ein Signal handeln kann?« »Durchaus möglich.« »Dann versuche, herauszufinden, woher das Signal oder die Störung kam. Damit hast du auch schon unser Flugziel gefunden.« »Verstanden, Atlan.« Signal oder nicht. Um eine Störung zu verursachen, brauchte es eine starke Energiequelle. Diese wiederum würde sich aufspüren lassen. Besonders mit den hervorragenden Geräten des Raumschiffs. Ich ging in die Pantry und mischte mir einen großen Becher voller aufmunternder Getränke. Sie würden auch nicht viel helfen, aber den Durst stillten sie sicherlich. In den Arbeitsprozeß des Schiffes konnte ich nicht einmal durch gezielte Hinweise eingreifen. Die STERNSCHNUPPE war in diesem Punkt ebenso schwer zu durchschauen wie die Kosmokraten. Aber das Signal war vermutlich derartig verschlüsselt oder auf bestimmte Empfänger abgestellt, daß wir die Bedeutung nicht verstehen würden. Falls wir es doch verstanden, so handelte es sich um einen Glücksfall. Eine gewisse Erregung machte sich bemerkbar. Ich versuchte, sie zu beherrschen, denn wir waren schon zu oft enttäuscht und in nahezu tödliche Fallen gelockt worden. Stammte dieses Signal auf eine geheimnisvolle Weise von Guray? Eine Mitteilung an seine
Gesandten? Alles war denkbar, vieles war möglich. Diese Gesandten sahen wie Lasquen aus, aber es waren keine Lasquen. Vielleicht hatte ich schon auf Cairon ein solches Rätselwesen getroffen, ohne es wirklich zu erkennen. Chossoph, der unechte Nomade. Unschlüssig hob ich die Schultern. Chossoph hatte die Hyptons angegriffen und war dann mit einem Raumschiff geflüchtet. War er tatsächlich ein »Pirat«, obwohl er ganz im Gegensatz zu den Piraten als Einzelkämpfer aufgetreten war? Auch hatten die Piraten über Chossoph nichts aussagen können, nichts anderes, als ich selbst feststellte oder mutmaßte. Mitten in meine Überlegungen meldete sich das Schiff. »Ich habe eine grobe Messung durchführen können. Die folgenden Berechnungen lassen erkennen, aus welcher Richtung die Unterbrechungen oder Störung ausgestrahlt wurde.« »Fein!« sagte ich ohne rechte Begeisterung. »Nichts wie hin!« »Im Lauf des weiteren Fluges werde ich vielleicht schärfere Ausrechnungen vornehmen können.« »Das wäre extrem hilfreich«, murmelte ich. Wieviel Mühe das Schiff aufwandte, und auf welche Weise es das genauere Ziel herausfand, war mir ziemlich gleichgültig. Ich war nicht optimistisch, was diese neue Spur betraf. Wahrscheinlich würde sie sich wieder als unbrauchbar erweisen oder bestenfalls ein weiteres winziges Mosaiksteinchen des Gesamtbilds ergeben. Nach einer Stunde, die ich in einem Dämmerschlaf verbrachte, schreckte mich die Stimme des Raumschiffs wieder auf. »Atlan! Bist du wach?« »Leidlich.« »Neue Informationen.« »Ich höre.« »Die Störung stammt mit einiger Sicherheit von einem Raumschiffssender. Ich glaube, daß er zerstört wurde. Aber das ist unsicher. Jedenfalls liegt voraus der Planet Weyngol. Diese Bezeichnung fand ich in meinen Speichern.« »Gut.« »Dort sollte sich ein Raumschiff befinden, höchstwahrscheinlich ein Wrack oder ein beschädigtes Schiff. Ich werde diesen Planeten ansteuern.« »Benachrichtige mich«, sagte ich. »Und dann kannst du mir mitteilen, was vor der Landung zu beachten ist, und was du über die Planetarier weißt.« »Ich weiß nichts. Der Planet ist als für deinen Metabolismus geeignet klassifiziert.« »Also auch für Fartuloon, Mrothyr und Chipol«, murmelte ich. Ich gähnte, schloß die Augen und streckte mich aus. Rücksichtsvoll drosselte die STERNSCHNUPPE die Beleuchtungsstärke. Ich fühlte mich nicht eine Spur besser. Die Depressionen wollten nicht vergehen. Immerhin schlief ich tief und fest.
2. Weyngol schien eine unberührte, junge Welt zu sein. Der Planet hing auf dem riesigen Teppich der Sterne wie eine riesige Kugel. Wir waren mit der Sonne im Rücken auf diese Welt zugeflogen. Ihr Bild füllte die riesigen Schirme: schneeweiße Wolken, Dunst über dem dunkelblauen Wasser der Ozeane und Seen, die verschiedenen Farben der Landmassen. Eis glitzerte auf den Gipfeln eines Gebirgszugs, der sich schräg über diese Hemisphäre zog und an beiden Enden aus dem Meer auftauchte und wieder im Wasser verschwand. Auf den ersten Blick waren keinerlei technische Aktivitäten zu erkennen. Die Abbildungen von zwei Nebenmonitoren schalteten sich auf andere Linsensysteme. Vergrößerungen glitten langsam vor unseren Augen vorbei. »Direkt unter uns, etwa im ersten oberen Drittel des Kontinents mit den fingerartigen Ausläufern, mußte ein bewegungsloses Raumschiff liegen. Jedenfalls habe ich dort eine größere Metallmasse orten können«, erklärte übergangslos die STERNSCHNUPPE. »Kam von dort das Störsignal?« fragte Chipol aufmerksam. »Genau dorther. Es gibt keine anderen Energiequellen.« Die stark vergrößerten Bilder, über die hin und wieder die Schleier von Wolken drifteten, ließen nichts erkennen. Es gab keine auffallenden Straßen oder größere Bauwerke. Wir sahen nichts, so sehr wir uns auch anstrengten. Fartuloon war aus seiner Kabine gekommen, saß zusammengekrümmt auf dem Rand eines schweren Sessels und blickte mit blutunterlaufenen Augen auf die Schirme. »Keine Gefahr für uns?« murmelte er. »Ich kann nichts feststellen«, erklärte das Raumschiff. Weyngol wirkte auf jeden von uns vieren ungefährlich. Der Planet schien unbewohnt zu sein; zumindest konnten wir einigermaßen sicher sein, daß uns nicht ein heißer Empfang mit Hochenergiewaffen bereitet wurde. Ich entschloß mich, nachdem ich das Für und Wider lange genug geprüft hatte, den Befehl zu erteilen. »STERNSCHNUPPE! Leite einen vorsichtigen Landeanflug ein, und wenn es möglich ist, bleib in der Nähe des Wracks, in einer geschützten Position selbstverständlich.« »Überlasse mir die Auswahl.« »Mit erheblicher Skepsis«, sagte ich. »Ein Teil unserer Landeversuche endete, wie erinnerlich, halbwegs im Desaster.« »Das ist niemals auszuschließen«, schloß die STERNSCHNUPPE und setzte sich in Bewegung. Mrothyr näherte sich dem hakennasigen Sternentramp und legte ihm kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. Er schob seine auffällige Mütze ins Genick und fragte mitfühlend: »Dir geht es nicht besonders, wie?« Schweigend schüttelte Fartuloon den Kopf. »Es wird schon wieder«, murmelte er nach einer Weile. »Es dauert erfahrungsgemäß ein paar Tage.« Das Schiff näherte sich der Tagseite des Planeten mit ungewohnter Vorsicht und Langsamkeit. Wir konnten sicher sein, daß die STERNSCHNUPPE aus vorangegangenen Pannen und Gefahren gelernt hatte. Sämtliche Systeme, mit deren Hilfe Informationen über die Planetenoberfläche eingeholt werden konnten, wurden zweifellos eingesetzt. Trotzdem war es möglich, daß wir etwas
übersahen. Jetzt tauchte der erste Sonnenreflex auf dem großen Metallkörper des fremden Schiffes funkelnd die Bäume der näheren Umgebung in grelles Licht. Die Einzelheiten des Fremdkörpers wurden schärfer und deutlicher. »Offensichtlich ein Wrack«, sagte Chipol unschlüssig. »Ein Typ, den ich nicht erkenne.« Das Wrack lag am Ende einer fast geraden Schleifspur. Bäume waren zerbrochen, entwurzelt und nach beiden Seiten der Spur gewirbelt worden. Einige Trümmerstücke des Schiffes waren wahllos verstreut. Für eine Notlandung war das Gelände denkbar ungeeignet. »Es ist ziemlich deformiert«, brummte Mrothyr. Die STERNSCHNUPPE zog eine weite Schleife. Wir konnten das fremde Wrack in allen Einzelheiten begutachten. Keiner von uns vermochte ein Zeichen für Überlebende zu erkennen; keine Spuren, keine Notquartiere, nicht ein einziges Feuer. Der Zyrpher entblößte sein Raubtiergebiß und sagte knapp: »Die Notlandung… erst vor kurzer Zeit.« »Woher weißt du das?« fragte Chipol zurück. »Schau die Bruchstellen der Bäume und den Boden an.« Die angesprochenen Spuren waren eindeutig. Das aufgerissene Erdreich, aus dem eine Reihe scharfer Felsen herausgerissen worden war, schien noch feucht zu sein. Die Bruchstellen der gesplitterten und zerfetzten Baumstämme sahen weiß und frisch aus. »Richtig«, meinte ich. Der Logiksektor flüsterte eindringlich: Landung? Notlandung? Absturz oder vorhergegangene Kämpfe im Weltraum? »Niemand hat überlebt«, knurrte Fartuloon. »Trotzdem müssen wir hinaus.« Das fremde Schiff war zwischen langgestreckten Hügelketten zu Boden gegangen. Hinter den bewachsenen und wegelosen Hügeln erhoben sich kahle, fast weiße Felsen. Zwischen ihnen flogen große, saurierähnliche Geschöpfe in engen Kreisen. »Es kann sein, daß sie sich im Schiff verschanzt haben«, wandte ich ein. Die Erregung über diesen rätselhaften Fund ließ mich für wenige Zeit meine Niedergeschlagenheit vergessen. Sie begleitete mich seit den Erlebnissen auf Kraupper, diesem Planeten der Chaoten. »Etwas Neues?« fragte der Daila aufgeregt. Die Außenhülle des Wracks war stark deformiert. Die Form schien annähernd spindelförmig gewesen zu sein, mit einigen Finnen und gitterförmigen Trägerelementen oder Auslegern. Ich erkannte einige runde Löcher, deren Ränder geschwärzt, aufgebogen und ausgeglüht waren. Das Schiff war mit Gewalt hierher geschleudert worden; es war von Strahlen oder Geschossen zum Absturz gezwungen worden. »Nichts festzustellen«, erklärte das Raumschiff und umkreiste das Wrack in geringerer Höhe und in einer Spirale, die sich verengte. Noch mehr Spuren eines harten, rücksichtslosen Kampfes tauchten auf. Zwei Schleusen zeigten sich. Sie schienen unversehrt zu sein und standen weit offen. Trotz dieser erstaunlichen Feststellung konnte uns selbst die stärkste Vergrößerung keine Fußspuren vor den Schleusen zeigen. »Wo willst du landen?« wollte Mrothyr wissen. »In der Senke zwischen den pyramidenförmigen Felsbrocken«, hatte sich die STERNSCHNUPPE entschlossen. »Einverstanden«, nickte ich. Es gab keinen besseren Platz. Der Landeplatz war vom Wrack etwa fünfhundert Meter weit entfernt.
Unablässig kontrollierten wir jedes Bild, jede Vergrößerung und alles, was wir aus dem Zentralraum erkennen konnten. Alles, was sich uns in Bewegung zeigte, waren Tiere und Pflanzen, die sich in einem leichten Wind wiegten. Mir schien diese Szenerie, obwohl sie voller Ruhe war, ein wenig gespenstisch zu sein. Das fremde Schiff war in einen Kampf verwickelt worden und notgelandet oder abgestürzt. Vermutlich nicht abgestürzt, sondern mit letzter Kraft hart aufgeschlagen. Sonst wären die Zerstörungen weitaus größer geworden. Wir sahen keine Anzeichen für Energieausbrüche, die im Inneren es Wracks stattgefunden hatten. Es war denkbar, daß der Gegner des Schiffes irgendwo wartete und lauerte. Draußen im Sonnensystem oder in einem Versteck auf dem Planeten selbst. Daß die STERNSCHNUPPE in diesem Fall den Angreifer nicht entdecken konnte, war durchaus möglich. »Ich habe von einer Besatzung nicht die geringste Spur finden können«, sagte die STERNSCHNUPPE, ehe sie die Landestützen ausfuhr und ganz dicht neben einer Reihe von Bäumen mit ausladenden Ästen sanft aufsetzte. Auf einem Kontrollbord las ich die Werte der Atemluft außerhalb des Schiffes ab. Sie waren vergleichsweise ausgezeichnet; ihr Sauerstoffgehalt war höher als die Norm für Lebewesen unserer Art. Ich lehnte mich an die Rückfront eines Sessels und zwang mich mit aller Kraft dazu, einige klare Entscheidungen zu treffen. Schließlich war ich der Verantwortliche. Meine Gedanken liefen langsam ab, mein Verstand arbeitete zäh wie Sirup. »Freunde«, sagte ich, ohne die Augen von den vielen Bildschirmen zu nehmen, »wir bewaffnen uns. Funkgeräte anstecken, Messer in die Stiefel und so weiter. Vielleicht sollten wir ein Aufzeichnungsgerät mitnehmen. Euch brauche ich nicht zu erzählen, wie viele Gefahren auf fremden Planeten lauern können.« »Nein. Wir sind die lebenden Beweise dafür«, schnappte Chipol. Ich wußte noch immer nicht genau, ob er mir leid tun sollte, oder ob er endlich die Bestätigung dafür fand, daß ein abenteuerliches Leben jeder anderen Form des Daseins vorzuziehen war. »Die Temperatur scheint angenehm zu sein«, knurrte Fartuloon, der sich seine gelbe Pudelmütze mit der roten Quaste aufsetzte und den breiten Gürtel mit der Strahlwaffe und den kantigen Behältern der Energiemagazine umschnallte. »Das bringt uns auch nicht mehr um«, schnarrte ich. Colemayn-Fartuloon und ich schienen im Moment das attraktivste Team dieses Weltall-Sektors zu sein – schmerzgeplagt, kaum zurechnungsfähig und lahm. Ich konnte mich selbst nicht recht leiden. Ungewohnter Zustand. Nicht für mich, kommentierte der Logiksektor. Nacheinander verließen wir das Schiff über die ausgefahrene Rampe. Keiner von uns sprach. Wir atmeten in tiefen Zügen die kühle, sauerstoffreiche Luft Weyngols ein. Wenigstens mich befiel so etwas wie eine vorsichtige Variante von Höhenrausch. Nach fünfzig Schritten begann ich mich schon besser zu fühlen. Ich winkelte den Arm ab, drückte einen Knopf des Minikoms und sagte: »STERNSCHNUPPE! Schließe die Schleuse. Nötigenfalls mußt du die Schutzschirmprojektoren aktivieren.« »Ich bin bereit. Sollte ich einen Grund dafür erkennen, sind sie innerhalb ganz kurzer Zeit aufgebaut.« »Gut. Immerhin befinden wir uns in gefährlicher Nachbarschaft eines Raumschiffs, das abgeschossen wurde. Richte dich nach den Erkenntnissen, die wir von Kraupper mitnahmen. Die Situation ist fast identisch!« »Genau das«, kam es aus dem winzigen Lautsprecher, »habe ich eben berechnet und analysiert.«
»Alles klar«, gab ich zurück. Chipol und der Zyprher gingen voraus. Chipol sicherte mit gezogener Waffe nach rechts, Mrothyr nach links. Hinter ihnen schlurfte mein alter Lehrer und Ausbilder. Seinen Rucksack hatte er im Schiff gelassen. Ich bewunderte ihn, weil er trotz seines Zustands mit uns ging. In dem hohen Gras, durchsetzt mit Büschen, Ranken und seltsamen, farnwedelartigen Gewächsen, gab es keinerlei Spuren. Nicht einmal einen Tierpfad. Wir bahnten uns einen Weg durch die raschelnde Mauer aus gelben Stengeln, Blättern und Halmen. Vor uns ragte die grausilberne, von Einschüssen übersäte Wandung des anderen Schiffes in die Höhe. Auch meine Hand lag auf dem Kolben der entsicherten Waffe. Als ich das Multifunktionsgerät ans Ohr hielt, hörte ich die nächste Nachricht des Schiffes. »Schleuse geschlossen. Einstieg durch Schutzfeld gesichert. Keine ungewöhnlichen Beobachtungen.« »Gut so.« Von vorn rief Chipol in heller Aufregung: »Merkwürdig. Das fremde Schiff riecht nicht nach Brand oder Asche.« »Aber es riecht stark nach dem Holz und der frischen Erde«, fügte Mrothyr laut hinzu. Wir stapften weiter. Hin und wieder sirrte Fartuloons Waffe in ungewöhnlich kurzen Intervallen auf. Mit einem haarfeinen Energiestrahl säbelte er durch die Gewächse und kappte sie dicht über dem Boden. Wir hinterließen eine schmale Gasse zwischen der STERNSCHNUPPE und dem Wrack. Ich versuchte, von unserem Standort aus irgend etwas zu erkennen, das auf die Herkunft oder den Namen des Fremdlings hindeutete. Das Wrack war ungefähr hundertzwanzig Meter lang, der Durchmesser uns gegenüber in der Mitte war nicht geringer als schätzungsweise dreißig Meter oder eine Kleinigkeit mehr. Am Rand der breiten Furche, zwischen den Trümmern der Bäume und den aufgeschürften Steinen und Felsbrocken, blieben wir auf dem weichen Erdwall stehen. Keine dreißig Schritte vor uns war die offene Schleuse, vom Boden drei Meter entfernt, mit herausgerissener Schleusentür und von einem Stück der Trägerkonstruktion halb eingekeilt. »Kein Kunststück, die Schleuse zu entern«, grollte Mrothyr und schwenkte seinen Handscheinwerfer. Ich hörte nur halb hin, atmete tief die kühle Luft ein und ließ meine Augen über die verschiedenen Einzelheiten der Umgebung gleiten. »Warum kletterst du nicht hinein?« forderte ihn Fartuloon auf, ging langsam über die feuchte Erde und hinterließ eine überaus deutliche Trittspur. Für uns war dies ein Beweis, daß die Überlebenden dieses Absturzes das Schiff an dieser Stelle keinesfalls verlassen haben konnten. »Kein Problem. Bleibt ihr draußen?« fragte Chipol und winkte dem Zyrpher. »Vorläufig. Wir haben keine Ei’ le«, meinte ich. Sie halfen sich gegenseitig, über die Sprossen und Verbindungen der verdrehten und verkanteten Konstruktion zum unteren Rand der Schleuse zu klettern. Immer wieder schlugen Teile ihrer Ausrüstung gegen das stumpfe Metall und erzeugten glockenähnliche Geräusche, die durch die Stille der Umgebung hallten und einzelne Tiere aufscheuchten. Ich hoffte, daß es nur Tiere waren und keine vernunftbegabten Planetarier. Dennoch hatten wir uns mit Translatoren ausgerüstet. Aus der großen Schleuse, durch deren Öffnungen ohne weiteres größere Lasten transportiert werden konnten, riefen Chipol und Mrothyr herunter, daß sie ungehindert Eingang ins Innere des Wracks hatten. Alles sei dunkel, sie sahen keine Toten oder besonders starke Zerstörungen. »Ich komme nach«, rief ich.
Hügel, Wälder und Felsnadeln, das schier undurchdringliche Gestrüpp dazwischen, am Himmel die treibenden Wolken von schneeweißer Farbe im dunklen Blau – die Ruhe und die Schönheit dieses Teiles von Weyngol machten auf mich einen irritierenden Eindruck. Irgend etwas war hier nicht echt. Ich sah den tanzenden Mückenschwärmen zu, den hurtig dahinschießenden kleinen Vögeln, den majestätisch kreisenden Echsenwesen in größerer Höhe und den rotwildartigen Gestalten, die sich in steilen Sprüngen aus dem Meer der raschelnden Halme schnellten. Als aus dem Schiffsinnern verworrene Geräusche drangen, streckte ich die Hand aus und zog Fartuloon in die Höhe. »Komm!« sagte ich. »Ich helfe dir. Geht’s noch immer nicht besser?« »Ich glaube, das ist der Höhepunkt«, stöhnte er. »Wenn nur dieser furchtbare Kopfschmerz nicht wäre.« Als wir uns über die ersten Gerüstverstrebungen stemmten, murmelte Fartuloon: »Ich bin für dich wie eine Fußfessel mit einer schweren Eisenkugel daran. Ich hätte dir noch nicht sagen sollen, daß ich Fartuloon bin. Du zwingst dich ständig, auf mich Rücksicht zu nehmen.« »Unsinn!« sagte ich und schob ihn drei unregelmäßige Sprossen weiter hinauf. »Deine Schwäche vergeht, und bald sind wir beide wieder so gut wie das Team vergangener Zeiten.« »Vergangene Zeiten?« ächzte Fartuloon und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. »Sie kommen niemals zurück.« »Warte es ab.« Zitternd und schwer atmend blieben wir auf der schräghängenden Unterkante des Schleusenraums sitzen. Deutlich sahen wir unseren Pfad und dahinter die diskusförmige Konstruktion der gelandeten STERNSCHNUPPE. »Was hältst du von der Angelegenheit?« fragte ich ihn. Er zögerte mit der Antwort. »Rätselhaft«, sagte er. »In ein paar Stunden kann ich dir vielleicht mehr sagen.« Nicht einmal seine ironischen Sprüche verwendete er! Jedes Wort schien er mühsam aus sich herauszuzwingen. »In einigen Stunden bin ich selbst ein bißchen klüger«, antwortete ich und glaubte, in der Nähe unseres Raumschiffs eine undeutliche Bewegung erkannt zu haben. Ich schaute schärfer hin. Binsenähnliche Gewächse schwankten. Ein Tier mit großen, nach vorn gekrümmten Hörnern sprang aus dem Gebüsch zwischen den Landestützen und rannte im Zickzack über den von uns getretenen Pfad. Durch ein metallisches Echo verstärkt kam aus einem dunklen Korridor der auffordernde Ruf des Zyrphers. »Atlan! Cole… Fartuloon!« »Hier!« gab ich zurück. »Kommt sofort hierher. Schnell! Es ist wichtig!« Es klang aufgeregt und erschrocken. Ich stand auf und packte Fartuloon am Gürtel. Unsere Scheinwerfer flammten auf, als wir die Schleuse verließen und uns in einen kurzen Korridor hineinwagten, an dessen Seite dicke Bündel verschiedenfarbiger Kabel oder Röhren verliefen. Ich entdeckte einige Schalterfelder, die etwa in Hüfthöhe verliefen. Ich versuchte, jeden einzelnen Schalter zu betätigen; es gab klickende Geräusche, aber nichts geschah. Durch den Tunnel, dessen Boden glatt und sauber war, wischten die Lichtkegel der Scheinwerfer. Vor uns erscholl das Murmeln einer seltsamen Unterhaltung zwischen dem Daila und dem Zyrpher. »Was mögen sie gefunden haben?« rätselte Fartuloon.
»Sicher niemand von der Besatzung«, sagte ich. Wir hatten unsere Scheinwerferstrahlen nach rechts und links in einige abzweigende Stollen und Gänge gerichtet. Irgendwelche Lademaschinen, Greifer, Platten und Projektoren waren zu erkennen, abgenutzt, aber technisch ausgezeichnet gewartet - nicht die geringste Spur von Überlebenden, Raumfahrern in Schutzanzügen, irgendwelchen bewohnten Kajüten – nichts! Wir betraten den Laderaum. Oder einen von mehreren Laderäumen. An beiden Seiten des Eingangs standen Chipol und Mrothyr, richteten die grellen Lichtstrahlen auf die beiden Flügel der Laderaumtore. Sie waren gewaltsam aus den Angeln gebrochen und lagen genau vor uns. »Von der Besatzung keine Spur«, sagte ich. Jedes Geräusch hallte von den Wänden und Trageelementen zurück. »Aber viele andere Hinweise. Hier.« Aus der stauberfüllten Finsternis der riesigen Kammer leuchteten funkelnd alle nur denkbaren Formen, Kurven, Kreise und Windungen aus edlen Metallen, blitzenden Steinen und ungewöhnlichen anderen Materialien. Der Daila stotterte fast, als er meinte: »Die Leute aus dem Schiff müssen unzählige Tempel ausgeräumt haben. Jetzt wird die Sache interessant.« »Kunstgegenstände! Tonnen davon!« brummte ich. Es war ein einzigartiger Eindruck; in den Laderäumen, die ganz ohne Zweifel aufgebrochen worden waren, lagerten Hunderte von völlig unbekannten, nie gesehenen Kunstgegenständen. Sicherlich hatten viele von ihnen in Tempeln oder Weihestätten ihren Platz gehabt. »Das müssen wir uns näher ansehen«, sagte Fartuloon. Er ging näher an die ersten Krüge, Vasen und die Standbilder namenloser Götzen heran. Überall flammte der warme Farbton schwerer Goldverzierungen im Licht der Scheinwerfer auf. Der Kehle des Zyrphers entrang sich, als er eine dreimal mannshohe Säule entdeckte, die aus einer Reihe übereinander schwebender Gesichter bestand, ein langgezogenes Stöhnen der Bewunderung. »Jeder Pirat würde den Verstand verlieren. Unschätzbare Werte.« »Aus allen Teilen der Galaxis zusammengetragen«, murmelte ich. Verschiedene Überlegungen drängten sich uns allen auf. Eine Wahrscheinlichkeit war: die Besatzung des Raumschiffs (wo war sie wirklich?) hatte auf verschiedenen Planeten Tempel, Kunstgalerien oder Museen geplündert. Daraufhin wurde das Schiff ohne Namen gejagt, die Verfolger beschossen das Raumschiff und zwangen es dadurch, hier notzulanden. Warum waren dann aber die Verfolger nicht hier gelandet und hatten die gestohlenen Kunstwerke in ihr eigenes Schiff geladen und waren abgeflogen? Im Lauf von rund drei oder zwei Tagen – denn vor dieser Zeit mußte das Schiff sich hier in das Erdreich und den Waldstreifen gebohrt haben – wäre dazu reichlich Zeit gewesen. Warnend mischte sich der Logiksektor ein. Eine zusätzliche Seltsamkeit. Achte darauf, Atlan! Euer Fund ist womöglich gefährlicher, als wir ahnen. »Richtig«, knurrte ich. Eine Welle neuer Kraft begann mich zu durchströmen. Langsam ging ich zwischen den vordersten Gegenständen hin und her und betrachtete sie im harten, schattenreichen Licht unserer Geräte. »Eines scheint mir nach kurzer Prüfung als sicher«, sagte ich. »Die Sachen sind aus allen Teilen von Manam-Turu zusammengestohlen. Zu welchem Zweck? Die sorgfältige Art der Aufbewahrung deutet darauf hin, daß es nicht nur einfache Plünderung war.«
»Wir sollten das Wrack sehr genau untersuchen, falls uns dazu genügend Zeit bleibt«, wandte Fartuloon ein. »Einverstanden«, gab Chipol zurück. Viele Gegenstände waren zwar in Kästen und Kisten verpackt und notdürftig von federndem Füllmaterial umgeben. Ausnahmslos waren aber die Behältnisse nicht verschlossen. Sie standen neben- und übereinander, als beabsichtigten die Fremden, sie einem Interessenten vorzuführen. Breite Gurte und Tauwerk, an speziellen Ösen und Verbindungen festgehakt, hielten die Kisten und die einzelnen Kunstwerke erschütterungsfrei fest. Chipol fuhr sich durch sein dichtes dunkles Haar und faßte unbewußt unsere Gedanken zusammen. »Solange wir mit niemandem sprechen, der zu der Schiffsbesatzung gehört, können wir dieses Geheimnis nicht entschlüsseln. Los, sehen wir uns weiter um.« Ebenfalls mehr instinktiv versuchte er, eine Art Führungsrolle zu übernehmen. Unsere Entschlußunfähigkeit lähmte auch ihn. Er handelte aus einer beginnenden Verzweiflung heraus. »Gehen wir weiter. Habt ihr einen zweiten Laderaum gefunden, oder vielleicht noch mehrere?« fragte ich. »Ja. Dort entlang.« Seltsame Augen starrten uns hinterher, umgeben von echten und metallenen Federn. Münder mit riesigen Zähnen schienen uns verschlingen zu wollen. Klauen, Finger und Krallen in allen erstarrten Formen der Bewegung griffen nach den Eindringlingen. Wir bewegten uns langsam entlang einer glatten Metallwand auf das nächste offene Tor zu. Es war nur mäßig beschädigt, hing aber noch schief in den Zuhaltungen. Ein zweiter, weitaus kleinerer Laderaum öffnete sich uns und zeigte im Licht unserer vier schweren Lampen, daß mindestens die Hälfte des Kubikinhalts des Raumes von Beutestücken erfüllt war. Mrothyr sagte schroff: »Die unbekannten Piraten-Raumfahrer waren erstens rasend eifrig, zweitens sind sie offensichtlich dennoch behutsam und fachkundig vorgegangen bei ihren Raubzügen.« »Stimmt«, unterstützte ihn Fartuloon. »Ich habe auch keine wesentlichen Zerstörungen sehen können.« »Seltsam. Außerordentlich kurios«, sagte ich. Hier waren säulenartige Dinge ebenso sorgfältig in Verschalungen gebettet und mit zahlreichen Gurten verschiedener Farbe und mit unterschiedlicher Breite gegen die Wände und Träger abgesichert. »Säulen! Gottheiten, groß und schlank, voller Gold und aus anscheinend kostbaren Steinen…«, schilderte Chipol, was er sah. Im Scheinwerferlicht blinkten seine Fingernägel silbrig und weiß, eine auffallende Einzelheit in dieser Dunkelheit. Etwa drei Dutzend dieser Säulen waren vor uns an drei Wänden aufgebaut. »Überdies haben die Plünderer auch noch schwere Werkzeuge zur Verfügung gehabt«, sagte ich. »Oder will mir jemand von euch weismachen, daß sie diese tonnenschweren Dinger auf den Schultern davongeschleppt und vorher mit Muskelkraft aus den Verankerungen gerissen haben, ohne daß die Decke zusammenstürzte?« »Atlan hat recht«, entschied Fartuloon knurrend. Was hatten wir wirklich gefunden? Es war ganz sicher das Ergebnis einer langen, mit einiger Sicherheit auch wohlüberlegten Beuteunternehmung. Die Diebe waren nach Plan vorgegangen. Darauf deutete auch der Umstand hin, daß einzelne Laderäume für höchst unterschiedlich ausgesuchte Beutestücke präpariert worden waren.
»Das ist selbst mir, bei aller Erfahrung, völlig neu«, sagt Fartuloon stockend. Er saß auf einem feinkanellierten Säulenstumpf und leuchtete mit seiner Lampe nacheinander die einzelnen Teile der prunkvoll verzierten Standbilder an. »Ein schneller Diebstahl, eine gezielte Form von Kunstraub, ja! Aber das hier ist schon die Arbeit von Professionellen.« »Mit einem Satz schaffst du Klarheit«, munterte ich den Weggefährten aus archaischen Zeiten auf. »Du bist auf der Schnellstraße der Gesundung, mein indianerhäutiger Freund.« »Stellarer Optimist!« gab er zur Antwort. Im selben Augenblick durchschnitt das scharfe Summen unserer Kombigeräte die Stille. »Atlan hier«, sagte ich. »Was ist los, STERNSCHNUPPE?« »Unsere Überlegungen, daß der Planet, zumindest in dieser Zone, frei von Intelligenzen ist, muß drastisch relativiert werden. Eine Schar von Wesen untersucht mich und versucht einzudringen. Sie sind nicht mit energetischen Werkzeugen oder Waffen ausgerüstet.« »Tatsächlich!« schrie Mrothyr erschreckt auf. »Nichts wie hin!« Vor unbewaffneten Eingeborenen brauchten wir nicht gerade Furcht zu empfinden. Ich fragte das Schiff: »Wie viele sind es?« »Schätzungsweise zwei Dutzend. Sie klettern in dem Baum herum, rütteln an den Landestützen und werden von dem Schutzschirm abgewehrt.« »Wie sehen sie aus?« Während ich die Fragen stellte und die Antworten synchron aus allen Minikomen kamen, hatten wir die Laderäume verlassen und waren schon auf dem Weg zur Schleuse. Mrothyr und der junge Daila überholten uns. »Wie aufrechtgehende Katzen ohne lange Schwänze. Sehr humanoid, aber viel schneller und raubtierähnlicher in den Bewegungen.« »Bewaffnet?« wollte Fartuloon wissen. Wir blieben nebeneinander in der Schleuse stehen und blickten hinüber zu dem silberschimmernden Diskus. Die Gestalten konnten, wir nur undeutlich erkennen. Ihre Körper waren stark farbig. Das Raumschiff erwiderte augenblicklich: »Mit Beilen, Dolchen und Pfeilen. Ich kann metallene Spitzen und Schneiden orten.« »Können sie der STERNSCHNUPPE gefährlich werden?« »Nein«, antwortete das Raumschiff. Es war eine klare Aussage. Also handelte es sich um Planetarier, mit bronzezeitlichen oder eisernen Waffen. Mit dem Wrack des Raumschiffs hatten sie also nichts zu tun. Oder verbargen sich die wirklichen Herren Weyngols an anderer Stelle? Vielleicht tief in der Planetenkruste? Fartuloon wandte sich an mich und fragte: »Wie gehen wir vor?« »Wir sollten sie fragen, was es mit diesem Wrack auf sich hat. Schließlich kann das Störsignal nur von hier gekommen – sein. Sie wissen sicher etwas darüber.« »Mehr als wir«, sagte Mrothyr. »Vermutlich berichten sie von irgendwelchen unheimlichen Naturerscheinungen«, meinte Chipol. Er zeigte seine Erregung. Für ihn war diese Mission bis jetzt ein aufregendes Abenteuer ohne allzu tiefe Bedeutung und verborgene Hintergründe. Sie würden sich später zeigen, zweifellos, aber bis jetzt war es eine Art Entdeckungsflug gewesen. »Das kann durchaus so sein«, pflichtete ihm Fartuloon lustlos bei. »Zeigen wir uns ihnen?«
»Ja, natürlich.« Sie würden ohnehin den Pfad entdeckt haben, der sich zwischen den beiden Schiffen überaus deutlich abzeichnete. Ob sie hierher kamen oder wir uns in die Nähe unseres Schiffes bewegten, blieb gleich. Nacheinander kletterten wir über die zerbeulten und geknickten Träger abwärts. Ich sprang hinunter in den lockeren Boden aus Sand, feinem Kies und fetten Lehmkrumen. Eine Gruppe von sieben Eingeborenen hatte schon unsere Spuren entdeckt und rannte springend den Pfad entlang. Wir konnten sie jetzt ganz genau sehen. Ihre Bewegungen waren ebenso katzenartig wie ihr schlanken, von einem kurzhaarigen Pelz bedeckten Körper. Die Pelze, von Punktmustern verziert, glänzten matt in allen denkbaren Farben. Die Wesen trugen an dünnen Lederschnüren wenige einfache Waffen und verschieden große Beutel. Ihre Köpfe waren tatsächlich eine Mischung zwischen Katzenschädel und bestimmten »menschlichen« Attributen. Ich zog die Waffe, schaltete den Schockprojektor ein und fragte in das Kombigerät: »Hast du ihre Sprache analysieren können, Schiff?« »Ich bearbeite dieses Problem.« »Beeile dich. Wir brauchen dich.« »Bereits verstanden.« Die sieben Katzenwesen stoben auseinander und blieben in einem Halbkreis vor uns stehen. Keiner von ihnen griff nach den Waffen. Sie betrachteten uns schweigend und mit entblößten, langen Eckzähnen. Ihre Augen waren doppelt so groß wie unsere. »Mrothyr«, sagte ich halblaut. »Achte darauf, daß sie uns nicht überfallen. Lähmstrahler, klar?« Er nickte schweigend, zog seine Waffe, hielt deren Projektorlauf aber nach unten. Ich hob beide Arme und kehrte den Planetariern die Handflächen entgegen. Sie schienen die universal gültige Geste zu verstehen. Aus ihren Kehlen kam ein leichtes Zischen. Ich vermeinte, in den Katzengesichtern ein Zeichen der Überraschung zu erkennen. Sie sahen vier Individuen vor sich, die zwar zu einer Gruppe gehörten, aber höchst unterschiedlich aussahen. Ich sprach langsam in das Mikrophon des Translators: »Wir kommen in Freundschaft. Ich bin Atlan.« Wort für Wort übersetzte ein unsichtbarer Computer im Innern der STERNSCHNUPPE meinen Text. Aus dem Lautsprecher kamen fremde Wörter in genau derjenigen Sprache, die ich mit den Katzenwesen assoziiert hatte. Rauh, kehlig, zischend, aber für meine Ohren nicht unangenehm. Einer von ihnen trat vor und sagte etwas, wartete geduldig, und wir hörten: »Ich bin Shann. Wir sind die Weyngolen. Dies ist unsere Welt. Was habt ihr hier zu suchen?« Ich nannte die Namen meiner Gefährten. Dann sprach ich weiter, sorgfältig bemüht, meine Bewegungen unter Kontrolle zu halten. Die Weyngolen sollten keinen Grund haben, uns für Aggressoren zu halten. Schon die erste Antwort hatte uns bewiesen, daß sie allein die Planetarier waren, und daß sie nichts mit dem Abschuß des namenlosen Schiffes zu tun hatten. Wieder hob Shann seine Hand. Wir konnten deutlich die Krallen erkennen, die sich aus den Endgliedern der unbepelzten Finger schoben. »Shulk«, sagte er und zeigte auf einen Mann in hellem Fell. »Das ist euer Schiff von den Sternen?« Er meinte das Wrack. Diesmal antwortete Fartuloon. Er versuchte, auf seine ruhige, aber eindringliche Art die Eingeborenen zu überzeugen. »Nein. Das kleine, harmlose Boot dort drüben, mit dem sind wir gekommen. Ein Signal wurde von diesem Schiff ausgeschickt.«
Er deutete über seine Schulter. Das Mißtrauen der Planetarier schien sich zu verstärken. »Shann bin ich«, sagte schroff ein anderer Weyngole. »Welches Signal?« Sie rückten zögernd einen oder zwei Schritte näher. Ihr Füße waren länger und muskulöser als die Endglieder von Raubkatzen. Die dreieckigen Zehenkrallen bohrten sich tief in die Erde. »Ein Signal«, erklärte Fartuloon verbindlich und mit breitem Lächeln, »das unsere und eure schönen Ohren nicht hören können. Ein sehr lautes und eindringliches, aber selbst für Katzenohren unverständliches Signal, zu hören von Stern zu Stern und in den unendlichen Weiten des nachtschwarzen Weltalls.« »Diese hier haben euch gerufen? Ich heiße Shouff. Ihr helft ihnen?« Ich schüttelte den Kopf und erklärte: »Wir kennen sie nicht. Wir landeten, gingen hierher, fanden niemanden. Wir sahen euch und wollten euch fragen. Aber ihr wart schneller. Immerhin – wir können gut miteinander sprechen.« Weder auf meine klaren Antworten noch auf Fartuloons Versuch gab es eine erkennbare Reaktion. Immer wieder blickten wir über die Schultern der Katzenwesen. Die Planetarier schienen aus den Ästen der Bäume heruntergeklettert zu sein; sie standen weitestgehend außer Sichtweite um die STERNSCHNUPPE herum. »Wir sprechen. Richtig«, sagte Shann. Ich blickte fest in seine seltsam hellen, durchdringenden Augen und fragte: »Wer ist euer Anführer?« »Ich«, sagte Shann schroff. »Jetzt.« Die Katzenwesen, die vor uns standen, stießen im selben Augenblick ein fauchendes Trillern aus. Sie sprangen in die Höhe. Aber sie griffen nicht zu ihren Dolchen und Bronzebeilen. Wir hörten scharfe, zischende Schreie über uns, versuchten seitwärts auszubrechen und sahen schemenhafte Gestalten in weiten Sätzen aus der Schleuse und von dem Gerüst springen. Dann waren sie über uns – eine viel zu große Anzahl. Je drei oder vier warfen sich zuerst von oben auf uns, rissen uns zu Boden, dann stürzten sich Shann und seine Männer von vorn über unsere Körper. Der Überfall ging blitzschnell und fast lautlos vor sich. Unsere Arme wurden zur Seite gerissen. Katzenpfoten traten auf unsere Beine. Die Weyngolen knurrten sich unverständliche Befehle zu. Bevor der Lähmstrahler seine Energie in den Boden abfeuerte, hatten zwei Krallenhände den Arm des Zyrphers gepackt und nach unten gerissen. »Was habt ihr vor?« schrie Chipol wütend. »Wir wollen keinen Streit!« rief ich. Aber die Weyngolen fesselten uns mit den dünnen Lederbändern. Die Arme wurden auf den Rücken gezogen. Wir waren absolut wehrlos. Ich rief so laut, daß es auch unser Raumschiff hören mußte: »STERNSCHNUPPE! Wir sind überfallen worden. Sie schleppen uns weg.« Ich verstand die Antwort nicht. Aber die Katzenwesen schienen genau zu wissen, was sie mit fremden Besuchern zu tun hatten. Je zwei von ihnen warfen sich einen Körper über die Schultern. Fartuloon stöhnte auf; sein Kopfschmerz machte ihm sicherlich zu schaffen. Dann stöhnte er: »Sie bringen uns weg. Aber sie werden uns nicht umbringen.« »Die Weyngolen halten uns wahrscheinlich für die Kunstdiebe«, meinte Chipol, der mit dem Kopf nach unten vom fellbedeckten Rücken Shanns hing. Bei jeder Bewegung schlug der Hinterkopf
gegen den Pfeilköcher. In einem schnellen, gleitenden Trab liefen etwa zwanzig Planetarier mit uns zunächst bis an den Rand des aufgeschürften Erdreichs, dann schräg an unserem Pfad vorbei und unter den ersten Bäumen vor den ersten Felsen entlang. »Wohin bringen sie uns?« »Frag sie doch!« »Wahrscheinlich werden sie uns zerschneiden und braten!« Ich hatte das zweifelhafte Glück, in einer Körperstellung auf den harten Schultern zu schaukeln, die mir einen klaren Ausblick nach links gestattete. Ich sah die geschmeidigen Körper, die dicken Muskeln und den makellosen Zustand des Felles. Die Weyngolen waren überaus kräftig und rannten, ohne zu keuchen. Sie drangen, ohne einen wahrnehmbaren Pfad zu hinterlassen, durch Gestrüpp und das raschelnde Halmwerk hindurch und rannten auf den Einschnitt zwischen zwei kleinen Hügeln zu. Hier zeigte sich zum erstenmal etwas Ähnliches wie ein Weg. Feiner weißer Sand knirschte unter den Schritten von zwanzig Planetariern. Wieder verständigten sich die Weyngolen mit kurzen, keuchend-zischenden Zurufen. Das war einfach! Entweder bist du noch in der Einzelkämpfer-Ausbildung, meldete sich hämisch der Logiksektor, oder dein Zustand ist wirklich ernst. Es war für die Planetarier wirklich ganz einfach gewesen. Während wir mit einer Abordnung des Stammes oder der Kriegerschar sprachen, enterte eine andere Gruppe das Wrack, über eine andere Schleuse oder die Löcher in der Hülle, und sie schlichen sich in unserem Rücken quer durchs Schiff. Sie waren es also gewesen, von denen die Türen der Laderäume aufgebrochen worden waren. Sie kannten die Schiffskorridore und hatten gesehen, daß wir – für einen Überfall einmalig günstig – unterhalb der Lastenschleuse gestanden hatten. Ahnungslos wie Anfänger. Der Logiksektor hatte völlig recht. Ich verdiente den Sarkasmus. Etwa fünfzehn Minuten lang schleppten uns die Weyngolen durch die abwechslungsreiche Umgebung. Unter den Bäumen, die auf den Hügelflanken und im feuchten Tal dazwischen standen, wuchsen irgendwelche Pflanzen. Einige weibliche Planetarier arbeiteten an den früchtetragenden Büschen. Die Frauen, die große Körbe füllten, blickten aufmerksam zu der Karawane der Jäger und Krieger herüber. Dann öffnete sich ein Einschnitt in einem grünen Berghang. Wir sahen die Stadt der Weyngolen, und ich begriff, warum die STERNSCHNUPPE diese Siedlung während des sorgsam durchgeführten Landeanflugs nicht hatte entdecken können. »Deswegen also…«, keuchte Mrothyr. Die Stadt war in der Art eines Amphitheaters in einem Dreiviertelkreis in den Bergausschnitt hineingebaut worden. Sämtliche Dächer waren begrünt; auf vielen wuchsen sogar kleinere Bäume. Alle Treppen und Rampen, die wir während des schnellen Laufes mehr oder weniger deutlich sahen, wurden von Dächern geschützt, oft sogar gegen Sicht von vorn. Man brachte uns über eine Reihe von schrägen Flächen, vorbei an einer beachtlich großen Halle voller geschnitzter Holzsäulen, über mehrere Treppen und eine überdachte Galerie in unser Gefängnis. Die Wände bestanden aus Holz, Geflecht, das mit Lehm ausgefügt und braun mit Erdfarben gestrichen war, aus kleinen Steinsäulen und Steinplatten für die Stufen und die Bodenflächen. Die Sauberkeit der großen Anlage war, soweit wir das beurteilen konnten, beachtlich. Unsere Träger lösten sich aus der Gruppe, schleppten uns eine breite Treppe hinauf und setzten uns in einem hellen, fast freundlichen Raum ab. Der Boden war von dicken, geflochtenen Strohmatten ausgefüllt.
Mit der gründlichen Schnelligkeit erfahrener Jäger nahmen sie uns jedes einzelne Stück der Ausrüstung weg und reichten es ihren Kameraden. Die anderen Weyngolen drehten und wendeten die Waffen, Armbänder, Vorratsfächer und Geräte hin und her, ohne das geringste daran zu verändern oder zu beschädigen. Die Beute wurde auf niedrige Tische im angrenzenden Raum gelegt. Dann öffneten sie die komplizierten Knoten unserer Fesseln. Nicht eine unserer zahllosen Fragen wurde beantwortet. Schließlich erklärte Shann, der bis jetzt den Befehl gehabt hatte: »Shyzz-Korm, der Horngvan, wird mit euch sprechen, wenn es an der Zeit ist.« Die breite Tür schloß sich. Sie bestand aus oberarmdicken, sorgfältig verzapften und benuteten Balken. Wir saßen auf dem weichen, gelben Stroh und fühlten uns überrumpelt und beschämt. In diesem Zusammenhang war der Hinweis Fartuloons, der uns aufmuntern und trösten wollte, auch wenig freudvoll. »Immerhin haben sie uns außerordentlich korrekt behandelt. Was hättet ihr an der Stelle der Weyngolen getan? Schließlich sind sie davon überzeugt, daß wir es waren, die ihre Götterbilder geklaut haben. Oder nicht?« Ich lehnte mich gegen die Mauer. Sie war wunderbar kühl. Ich zwang mich dazu, unsere Situation so gründlich wie möglich zu durchdenken.
3. Meine Überlegungen wurden durch einen Kommentar des Extrahirns unterbrochen: Ich denke nicht, daß ihr in unmittelbarer Lebensgefahr seid. Die STERNSCHNUPPE würde euch helfen. Von eurem Verhandlungsgeschick hängt vieles, wenn nicht alles ab! Durch die mehr als kopfgroßen Öffnungen der Tür konnten wir, jenseits des Wandelgangs, einen Teil der Stadt deutlich sehen. Sie war voller Leben. Die katzenartigen Wesen bewegten sich schnell und ohne viel Lärm. Vor den Fensteröffnungen rankten sich wahre Unmassen von Pflanzen. Die meisten schienen Nutzpflanzen zu sein. Viele Türen enthielten eingemauerte Steinbrocken jeglicher Größe, so daß auch aus einem ganz anderen Winkel die Vorderseite aller Behausungen wie ein überwucherter Felshang wirken mußte. »Die Weyngolen«, sagte ich schließlich, »haben bestimmt einen ernsthaften Grund, sich zu verstecken. Vielleicht bezieht sich ihre Vorsicht auf Angriffe oder Überfälle aus der Luft.« »Das ist auch meine Meinung«, gab der Zyrph-Rebell zurück. Er hatte beim Überfall seine seltsame Mütze verloren und zupfte gedankenvoll an seinem Haar. »Sie tarnen sich hervorragend. Viel habe ich nicht sehen können, aber es genügt. Die Bauten sind nicht neu.« Fartuloon gähnte, massierte sich die Schläfen und erklärte: »Die Stadt ist alt und organisch gewachsen. Die Bäume beispielsweise brauchen Jahrzehnte, bis sie so groß sind. Überall auf dem Planeten würden wir solche Siedlungen finden. Fliegende Feinde, so lautet das Stichwort. Und genau das sind wir in ihren Augen, auch ohne Kunstdiebstähle.« »Er hat recht«, flüsterte Chipol und nickte. Kameradschaftlich fuhr Fartuloon mit seinen Fingern durch den dichten Haarschopf des Kleinen. Der Daila blickte niedergeschlagen auf seine Stiefelspitzen. »Warten wir«, meinte ich, »bis der Chef erscheint. Möglicherweise können wir ihn überzeugen.« »Vielleicht dadurch, daß wir selbst von den verschwundenen Diebesraumfahrern bestohlen oder geschädigt worden sind!« brummte Fartuloon. Das war eine Lösung, die sich anbot. Hoffentlich glaubten uns Horngvan Shyzz-Korm und seine Krieger. Wir warteten. Fartuloon streckte sich aus und schlief. Er schnarchte geräuschvoll. Etwa gegen Mittag waren wir gelandet, nun senkte sich die Sonne hinter die Hügel jenseits der letzten Baumreihen. Schleichend verging die Zeit. Unerreichbar für uns lagen die Kommunikationsgeräte, mit denen wir die Hilfe unseres Diskusschiffs hätten herbeirufen können. Schließlich, als Hunger und Durst spürbar zugenommen hatten, als Katzenwesenkinder uns neugierig angestarrt hatten und weggescheucht worden waren, hörten wir das zischende Stimmengewirr einer größeren Menge von Individuen, die sich unserem Gefängnis näherte. Ich stand auf und blieb dicht vor der Gittertür stehen. »Es wird Zeit«, sagte Mrothyr giftig in meinem Rücken. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Der Häuptling der Siedlung kam mit größerem Gefolge. Die Weyngolen, etwa eineinhalb Dutzend, waren wiederum nur mit Dolchen und Beilen bewaffnet. Sie blieben an der Säulenreihe des Korridors stehen. Einige von ihnen hantierten mit seltsam aussehenden Feuerzeugen und Zunderbüchsen und entzündeten dickbauchige Öllampen aus Metall, die sie in sorgsam abgeschirmte Nischen zurückstellten. Ich war sicher, daß auch in der Nacht von Shyzz-Korms Dorf nicht viel mehr zu sehen war als ein schwacher Lichtschein. Die Weyngolen waren keineswegs dumm. Die Jäger hatten genau begriffen, daß eines dieser fremdartigen Geräte dazu benutzt wurde, um Sprachen zu übersetzen. Ein Katzenkrieger reichte Shyzz-Korm das Multifunktionsarmband.
Zwei andere – die Muster, Kreise und Flecken auf ihren Pelzen deuteten auf höheres Alter hin – öffneten die Gefängnistür. Das Armband war noch immer eingeschaltet. Ich nahm es aus der Hand des Kriegers entgegen. Als seine scharfgeschliffenen Krallen über das Metall kratzten, lief ein eiskaltes Rieseln über meinen Rücken. Die Härchen an meinen Unterarmen richteten sich auf. Ich drückte, hoffentlich unbemerkt, den Unterbrecherknopf und sagte, den Blick fest in die Augen meines Gegenüber gerichtet: »STERNSCHNUPPE! Wir sind Gefangene. Hör gut zu und richte dich nach den Informationen. Aber greife nur ein, wenn ich dich ausdrücklich darum bitte.« Dann schaute ich in scheinbarer. Verwunderung das Gerät an, schüttelte es, verschob einige kleine Schalter und streifte es mir schließlich über das linke Handgelenk. »Wir danken dir, Horngvan Shyzz-Korm, daß du uns endlich besuchst und unsere Erklärungen hören willst.« Shyzz-Korm war eine imponierende Gestalt. Er war einige Fingerbreit größer als ich, hatte breitere Schultern und wuchtige Muskeln. Trotz der langen gelben Zähne wirkte sein Gesicht weniger felinoid als das seiner Leute. Er hielt meinen starren Blick aus und fragte zurück: »Wer sagt dir, daß ich auf Erklärungen höre?« »Wir haben auch den Überfall deiner Jäger ruhig hingenommen«, übersetzte das Schiff, mittlerweile weitaus schneller und sicherer, und wieder fauchten und murmelten die Krieger unverständliche Worte. »Ihr seid von den Sternen gekommen? Ihr fliegt durch die Luft?« fragte der Dorfälteste. »Das ist es. Ihr fürchtet euch vor uns?« fragte ich. Meine Gefährten waren ebenso aufgestanden und warfen immer wieder sehnsüchtige Blicke auf unsere Ausrüstungsgegenstände. »Fliegende Feinde griffen uns an. Sie brannten nieder, stahlen und töteten.« »Wann fand der letzte Überfall statt?« mischte sich Fartuloon ein. »In den ersten Jahren des dritten Horngvans. Es war lange vor meiner Zeit. Es war furchtbar.« »Ich höre richtig? In ferner Vergangenheit? Vor hundert Jahren?« fragte Chipol. Die Krieger verhielten sich ruhig, obwohl sie sichtlich verwundert waren. Von uns war jeder berechtigt, zu fragen und zu antworten. Bei ihnen nur der Horngvan. »Hundert, hundertzwanzig… die Fliegenden waren ohne Erbarmen. Es gab keinen Grund, meine Leute mit violetten Strahlen zu töten und die Bäume und Häuser zu verbrennen.« »Ihr fürchtet euch vor einem mehr oder weniger legendären Feind«, stellte Chipol mit klarer Stimme fest. Sie zitterten vor ehrlicher Empörung. »Und deswegen habt ihr eure Städte so gebaut, daß niemand sie aus der Luft sehen kann. Vor kurzer Zeit kam heulend und rauchend und mit langen Flammen das halb zerstörte Schiff aus der Luft herunter. Ihr seid erschrocken und habt euch versteckt. Und dann passierten erstaunliche Dinge.« Mit halb geschlossenen Augen und nach vorn gerichteten, spitzen Ohren hörte der Anführer zu. Dann knurrte er scharf: »Dein Sohn, Mann mit weißem Kopffell?« »Main Kampfgefährte«, erwiderte ich. »Ein kluger junger Mann, dessen Heimat hinter den Sternen liegt.« »Er hat recht. So war es.« »Die Männer aus dem Schiff haben euch überfallen und bestohlen«, meinte Fartuloon mit seiner
ruhigsten, gemütlichsten Stimme. In dieser Hinsicht war er unschlagbar. Mittlerweile brannten an zahlreichen Stellen Fackeln und Kienspäne, größere und kleinere Ölflammen. »Es gibt keine fremden Eindringlinge. Und doch gibt es sie.« Ich holte tief Luft und erklärte entschlossen: »Dann jagen deine Männer und wir dieselben Fremden. Auch wir sind bestohlen worden. Unsere Tempel, unsere Museen und viele einzelne Frauen und Männer, die das Schöne lieben. Gewaltige Verluste.« »Auch ihr?« fragte Shyzz-Korm verblüfft. In den Gesichtern der Weyngolen war nur wenig Mimik möglich. Für uns war es ebenso schwer wie eine Stimmung aus dem Klang der Raubtierstimmen herauszuhören. »Wir ganz besonders. Wir verfolgten diese Räuber!« rief Chipol. Er hatte begriffen, worauf Fartuloon und ich hinauswollten. Im Kampf gegen EVOLO und das Neue Konzil, gegen die Gefahr durch den Erleuchteten und die hypnotisierenden Fledermauswesen stellten die schwer durchschaubaren Ereignisse hier also doch einen nicht unwichtigen Schritt dar, auch wenn es in Wirklichkeit ein Umweg über… Ich beendete meine Gedankenkette und nickte. Zuverlässig übersetzte die STERNSCHNUPPE. Meine Erregung wuchs zusammen mit meinem Durst und der Entschlossenheit, unsere unsichere Lage zu beenden. »Ihr verfolgt sie. Dann habt ihr auch den fliegenden Feind mit Feuerstrahlen bekämpft?« »Nein. Das waren wir nicht«, sagte ich. Wieder begannen alle Planetarier aufgeregt miteinander zu reden. »Wer war es?« »Wir wissen es nicht«, erwiderte Fartuloon. »Was ihr dort gesehen habt, ist ein Raumschiff. Ein Ding, das von Stern zu Stern fliegt. Unser Schiff, das kleine neben den Bäumen, ist auch ein Sternenboot. Ich weiß, daß andere Jäger auf den Feind geschossen haben. Sie sind wohl ebenso bestohlen worden wie ihr und wir.« »Wie kann jemand stehlen, wenn es ihn nicht gibt?« fragte ratlos der Anführer. »Wie kann ich das verstehen?« »Wir sind bestohlen worden.« »Wissen wir. Und…?« »Unsere jungen Jäger haben den Eingang dieses fliegenden Feindes gefunden. Sie sind eingedrungen. Mit ihren Waffen haben sie die Türen aufgeschlagen. Das fliegende Schiff ist leer. Es gibt keine Spuren. Wir haben keinen Dieb gesehen. Wir suchten, gingen durch die eisernen Tunnels des Sternenboots. Nichts und niemand.« Ich hob beide Hände und sagte mit großem Nachdruck: »Noch sind wir eure Gefangenen, obwohl ihr und wir«, ich deutete entsprechend auf die geflochtenen Lederschnüre auf der Brust des Anführers, »dieselben Schurken hetzen. Hunger und Durst plagen uns. Wir verstehen eure Wut – aber sie kann nicht uns gelten!« Wir begriffen schnell, was sich abgespielt hatte. In einer Zeit, da die Erinnerung an jenen ominösen Feind aus der Luft oder von den Sternen abzuflachen begann, erschien plötzlich dieser flammenund rauchspeiende Riese über dem Land. Er heulte und kreischte durch die Luft und schlug schwer auf. Obwohl dieser Fremde scheinbar ungefährlich und deutlich unbeweglich war, hatten die Weyngolen ihn mit dem Feind identifiziert. Ich war mir nicht ganz klar darüber, ob sie wirklich wußten, was ein Raumschiff war. Vermutlich kam für sie dieser Gegner aus der Welt ihrer – gestohlenen – Götter.
Sie hatten also kein lebendes Wesen entdecken können. Dieselbe Meinung hatten wir. Was ihnen im einzelnen gestohlen worden war, wußten wir noch nicht. Der Häuptling sagte nach langem, tiefem Nachdenken: »Du, Atlan, und dein Mit-Jäger, Fartuloon… ihr werdet mit uns die Unsichtbaren jagen. Die Diebe.« »Und unsere beiden Freunde?« Der vorspringende Katzenmund mit dem eindrucksvollen Gebiß verzog sich zu einem breiten, listigen Grinsen. »Sie werden uns beraten, aber von diesem Raum aus. He! Bringt zu trinken und Essen, Shann! Vielleicht lügt ihr. Vielleicht fliegt ihr weg und brennt die Stadt nieder. Vielleicht macht ihr gemeinsame Sache mit den unsichtbaren Stehlern. Wir jagen, ihr und meine Krieger. Sie warten, bis wir euch vertrauen können. Ihr seid Fremde, niemand kennt euch. Niemand wird für einen Bürgen sorgen können. Richtig?« »Wir verstehen deine Vorsicht. Du bist wirklich ein kluger und mächtiger Horngvan, Shyzz!« »Man sagt es in allen Häusern«, bestätigte er nicht ohne Selbstbewußtsein. Ich diskutierte kurz mit meinen beiden Freunden. Sie sahen das Unvermeidliche ein. »Vielleicht solltet ihr euch anstrengen«, meinte Mrothyr bekümmert. »Mir gefällt es nicht sonderlich gut, unter Katzen zu leben.« »Ich versuche den Häuptling dazu zu bringen, daß er euch die Armbänder läßt.« »Fein!« rief Chipol ironisch. »Dann können wir uns die Zeit mit Musik aus dem Schiff vertreiben.« Aber er lächelte mich tapfer an. Die Jäger brachten Tonkrüge, Becher mit hauchdünnen Wänden, Brotfladen, Früchte und mit Speck gespickten Wildbraten. Hungrig aßen wir; eine Art Bier aus vergorenen Früchten vertrieb unseren Durst. »Shyzz-Korm«, sagte ich, als ich eine entspannte Ruhe um mich herumbemerkte. »Ein Vorschlag von Jäger zu Jäger. Wir schwören bei euren Göttern. Bringt uns zu unserem Sternenboot! Uns beide. Dort schlafen wir. Im Morgengrauen kommen wir mit euch. Oder: einige deiner Jäger bewachen uns im Boot. Auch du, wenn du willst. Wir zeigen euch, wie wir die Unsichtbaren jagen werden.« »Es ist einfach«, beruhigte sich Shyzz-Korm und deutete gleichzeitig auf fünf seiner Jäger. »Lügt ihr, sterben sie.« »Gebt ihnen diese Armbänder zurück«, sagte ich bittend. »Dann können sie mit uns sprechen. Gleichzeitig kannst du mit deinen Männern sprechen… von hier aus, wenn wir im Schiff sind. Die Waffen könnt ihr behalten.« Er senkte den Kopf und stieß ein keuchendes Bellen aus. Es war die weyngolsche Version eines kräftigen Gelächters. »Unsere Boote fahren auf dem Wasser. Ihr mögt in der Luft fliegen. Aber so dumm, daß wir euch die Waffen lassen, sind wir nicht.« »Das haben wir gewußt«, gestand Fartuloon. Er war erschöpft und dem Zusammenbruch nahe. In sein Gesicht hatten sich tiefe Kerben gegraben. Die Adern unter der dunklen Haut seiner Schläfen waren ungewöhnlich dick und pochten. Mir kam zum erstenmal eine genauere Vorstellung, mit welchem Gegner wir es wirklich zu tun hatten. »Können wir gehen?« fragte ich. Die Jäger holten Fackeln und zündeten sie an den Kienspänen an. Ich ging ganz langsam auf den Tisch zu und hob mit spitzen Fingern den Handscheinwerfer hoch. Sofort fuhren die Finger der Weyngolen an die Griffe der Dolche. Ich deutete auf den Boden, schaltete ganz langsam die Lampe
ein und erzeugte einen weißen Strahl und einen Lichtkreis auf dem Strohteppich. »Das sind unsere Fackeln!« sagte ich betont beschwichtigend. »Keine Waffe.« Ich gab Fartuloon das andere Gerät und ein Armband. Voller Mißtrauen beäugten uns die Katzenwesen. Wir hätten ihnen gegenüber nicht die geringste Chance gehabt. Ich sah, wie sich ihre Muskeln zum Sprung spannten. Im helleren Licht fingen ihre Augen grünlichgelb zu leuchten an. »Geht. Bleibt bei ihnen. Vergeßt nicht, daß sie Waffen in ihrem Boot haben werden!« Der Horngvan deutete auf die breite Treppe und blickte erstaunt, als wir uns kurz, aber herzlich von den Freunden verabschiedeten. Sie würden nicht lange allein sein. Das Mißtrauen der Weyngolen war für uns jetzt das kleinere Problem. Wenn es nicht Weyngolen eines anderen Stammes waren, die aus einem unbekannten Grund ihren Artgenossen das wertvolle Zeug wegnahmen, dann konnte unser Gegner nur aus anderen Kreisen kommen. Aus einer Gruppe, deren Wirken wir schon beobachtet hatten.
4. Im flackernden Licht der Fackeln, die laut knisterten und dichte Rauchwolken ausschickten, sah ich die schwebende Beobachtungssonde unseres »Sternenboots«. Die STERNSCHNUPPE kontrollierte jeden Schritt unseres Weges. Nachdem wir die Brunnen, die Dunkelheit unter den großen Bäumen und die Reihe der offenen Ställe passiert hatten, drehten Fartuloon und ich uns gleichzeitig um. »Erstaunlich«, knurrte ich. »Ich hätte gedacht, es wäre mehr zu sehen.« Die vielen Lichter des Dorfes waren hinter Säulen, Mauern, Fensteröffnungen und dem wuchernden Gewirr der Ranken und Büsche hervorragend versteckt. »Aus der Luft, aus dem All - nichts!« sagte Fartuloon. »Ideale Tarnung. Fast so gut wie meine eigene.« Wir gingen weiter, begleitet von den Eingeborenen mit ihren Fackeln. Mit ihnen konnten wir fast nicht Schritt halten. Etwa eine halbe Stunde lang stolperten wir über jenen kaum wahrnehmbaren Pfad. Er war nicht breiter als zwei nebeneinandergelegte Hände. Dann standen wir vor unserem Raumschiff. Ich winkelte den Arm an und sagte halblaut: »STERNSCHNUPPE. Alles mitgehört? Lasse uns ins Schiff. Die Eingeborenen sind unsere Gäste.« »Verstanden«, schloß die Stimme des seltsamen Raumschiffs, nachdem zuerst die Übersetzung deutlich verstanden worden war. »Keine Tricks?« »Keine Tricks«, bestätigte ich. Ich sehnte mich nach unserem gewohnten Essen und nach den Getränken aus der Pantry. Überdies spürte ich jeden einzelnen Muskel, obwohl sich keiner von uns übermäßig angestrengt hatte. Der Schirm öffnete sich. Schweigend und mit leuchtenden Augen sahen die Weyngolen, wie sich Tiefstrahler einschalteten und geräuschlos die schweren Platten der Schleuse öffneten. »Kommt mit uns. Aber steckt vorher die Fackeln in den Sand«, forderte Fartuloon die Eingeborenen auf. »Und damit fliegt ihr durch die Luft?« fragte Shann beeindruckt. »Wartet, bis ihr drinnen seid«, meinte ich und ging die Rampe hinauf. Einzeln, zögernd, aufgeregte Blicke nach allen Richtungen werfend, folgten die Katzenwesen. Fartuloon kam zuletzt herein und sagte erschöpft: »Ein langer, schlimmer Tag. Schließe die Schleuse, schalte den Schirm ein, STERNSCHNUPPE. Ich bin in meiner Kabine zu finden, Atlan.« Schweigend nickte ich. Ich sah ihm nach, wie er mit hängenden Schultern davontappte. Nicht die geringste Ähnlichkeit hatte dieser »Colemayn« mehr mit dem Fartuloon meiner Jugendjahre als Kristallprinz. Nur in den kurzen Pausen seiner rätselhaften Krankheit fand ich starke Gemeinsamkeiten. Ich verscheuchte die düsteren Gedanken, nachdem der Logiksektor eingewendet hatte: Denke an die verstrichene Zeit, Arkonide! Jahrtausende ändern vieles! Er ist dennoch dein Lehrmeister und Freund, gleichgültig, was geschieht! Was konnte ich anderes tun? Ich zuckte die Schultern und zeigte auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten des zentralen Steuerraumes. »Nehmt Platz«, sagte ich. »Sofort wird man euch Wein bringen.«
Die Weyngolen verstanden, aber nur einer setzte sich in einen Kontursessel. Die anderen gingen in dem großen Raum hin und her, starrten die Bildschirme an, zuckten zusammen, als aus unsichtbaren Lautsprechern leise Musik ertönte. »Hier wohnt ihr?« wollte ein Jäger wissen und ließ seine Krallen behutsam über Tasten, Regler und Instrumente gleiten. »Ja. Und in vielen kleineren Kammern«, erwiderte ich, ließ ihnen große Becher voll Wein bringen und sagte schließlich: »STERNSCHNUPPE! Du mußt sicherstellen, daß unsere Freunde nicht irgendwelche gefährlichen Schaltungen versehentlich auslösen. Dunkle das Licht ab. Sage ihnen, was sie zu tun haben. Beantworte ihre Fragen.« »Du kannst dich auf mich verlassen. Was ist zu tun, wenn sie mich verlassen wollen?« »Dann öffne das Schott und den Schirm. Wecke mich, wenn nötig, kurz nach Sonnenaufgang.« »Alles klar.« Ich nahm einen großen Becher, winkte den Jägern und zog mich in meine Kabine zurück. Ich duschte, streckte mich lang aus und verschränkte die Arme im Nacken. Langsam fuhr das Schiff die Raumhelligkeit herunter. Nur noch einige Schalterfelder bildeten kleine, farbige Lichtinseln. Kühle Luft kam aus den winzigen Öffnungen der Anlage. »Wenn sich hier Fremde herumtreiben«, murmelte ich im Selbstgespräch und kämpfte gegen Müdigkeit und melancholische Stimmung an, »dann sind es die ominösen Gesandten Gurays.« Guray, der rätselhafte Schutzpatron der Piraten, würde ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den Erleuchteten sein können – unter bestimmten Umständen. Gab es ihn wirklich? Wer oder was war Guray? Aus der Feste von Quern kannten wir seine »Gesandten«. Chipol hatte seine erschreckenden und verwunderlichen Erlebnisse mit ihnen gehabt. »Immerhin: alle Beobachtungen und Erkenntnisse deuten darauf hin, daß die Gesandten unsichtbar sind. Beziehungsweise, daß niemand sie gesehen hat.« Meine Überlegungen waren als Gedankenmodell durchaus brauchbar. Vielleicht glückte es uns, mit den Gesandten in Kontakt zu kommen. Natürlich würden wir sie unter Umständen sogar gegen die Weyngolen verteidigen müssen – die Eingeborenen ließen sich nicht unbestraft bestehlen, und über ihren Kampfgeist gab es keinen Zweifel. Die Gesandten waren Gestaltänderer. Denke stets daran! fuhr der Logiksektor dazwischen. Ich grinste in der Dunkelheit und nahm einen Schluck Wein. Nur langsam entspannte ich mich. Die Wirkung der heißen und eiskalten Dusche setzte nun ein, zusammen mit der Arbeit des Zellaktivators. In letzter Konsequenz hieß das für uns, daß die Gesandten Gurays aussahen und handelten wie die Weyngolen. Sie lebten unerkannt zwischen ihnen. Möglicherweise hatten sie sich als Angehörige eines Nachbarstamms ausgegeben. Dann war es leicht für sie, die Heiligtümer gleichzeitig zu bewachen und zu stehlen. Aber wozu diese Masse von bunt durcheinandergewürfelten Reliquien, Bildnissen und Wertgegenständen? Was fing Guray damit an? Wollte er ein Museum der Kulturen von ManamTuru einrichten? Oder war er nur einfach gierig auf Gold und andere Werte? Ich spürte, wie mich die Müdigkeit in die tiefe Dunkelheit eines traumlosen Schlafes hinunterzog.
Ich wehrte mich nicht. Morgen, in weniger! Stunden, war eine bessere Zeit, schwierige Dinge zu denken und noch schwierigere zu tun. * Colemayn-Fartuloon hielt sich selbst vor dem letzten Punkt absoluter Hoffnungslosigkeit an. Der Kristall, den er an seine Brust preßte, half ihm offensichtlich nicht. Der Wein hatte nur einige der wildesten Schmerzanfälle unterdrücken können. Ausgerechnet jetzt, da er Atlan nach einer solch abenteuerlichen Irrfahrt wiedergefunden hatte, nach dem Tod Tuffelsyts, nach der gewaltigen Woge der echten, ehrlichen Wiedersehensfreude, suchte ihn dieser Zustand in niemals gekannter Brutalität heim! Fartuloon stöhnte auf. Als er damals, am Anfang seiner Suche, sein Versteck der Zeit verlassen hatte, rechnete er damit, daß er es schwer haben würde. Aber daß es so hart werden würde, konnte er nicht erwarten. Er und Atlan – das war wirklich, ohne jede Einschränkung, das ideale Team. Aber zwei Kranke ergaben noch lange nicht einen gesunden Kämpfer. Er half Atlan in diesen Tagen wohl am meisten, wenn er ruhig liegenblieb und auf seine Gesundung wartete. Selbst die Massagen, das heiße und kalte Wasser, die Vibrationen der Geräte in der Hygienezelle halfen kaum, etwas – sein Zustand besserte sich nicht. »Es war ein Fehler. Zu früh, zu überhastet…«, keuchte Fartuloon. Vor seinem inneren Auge spulten sich die wichtigsten Stationen der Vergangenheit ab und gingen nahtlos in eine Zukunftsversion über. Sie war düster und karg. Ein Schüttelfrost ließ den letzten Calurier wieder keuchen. Dann rann der Schweiß über seinen Körper und wurde von den weichen Tüchern aufgesogen. »… zu große Sprünge über zu weite Entfernungen…« Schlaf brauchte er. Langen, tiefen Schlaf, der ihn heilte und ihm vorläufiges Vergessen schenkte. Für kurze Zeit konnte er seine Zeithöhle verlassen, aber er mußte den Aufenthalt in anderen Zeiten abbrechen, sobald er den ersten Schock herannahen spürte. Fartuloon fürchtete den nächsten Morgen. In einem kochenden und eiskalten Strudel aus Vergessen, Angst, Hoffnung, Schmerz und Müdigkeit dämmerte er schließlich in die nächsten Stunden hinein. Er war schon so gut wie fest entschlossen, den Zustand zu ändern. Nur er wußte, auf welche Weise. Und selbst das war fast aussichtslos. Er kannte keinen Punkt, an dem er seine Heise mit Atlan abbrechen konnte. * Die jungen Weyngolen waren keine Rebellen. Sie fügten sich in die Regeln des Stammes. Aber wenn die alten, weißpelzigen Schamanen – die Chayons – von den Legenden und Sagen, von den verbrannten Tempeln und den vielen Getöteten erzählten, lachten auch die jungen Hirten, Bauern und Jäger, denen er, Shyzz-Korm, die Befehle gab. Aber noch gehorchten sie ihrem Horngvan. Es war zuviel über den Stamm gekommen. Zuerst der feurige nächtliche Schrecken, dann der bestohlene Tempel, schließlich das Sternenboot mit den seltsamen Fremden, die so viel
unbegreifliche Dinge taten und gefährliche Waffen hatten. »Nun gut«, sagte Shyzz-Korm und berührte den Nacken seiner Gefährtin. »In meinem Gefängnis schlafen zwei Fremde. Die anderen jagen mit uns.« »Aber wen? Wir haben kein lebendes Wesen gesehen, seit das große Metall mit Löchern herunterfiel.« »Gesehen, nicht gesehen… wo sind die Statuen, die goldenen Waffen, die Trinkgefäße?« »Gestohlen.« »Und in den eisernen Hallen dort drüben. Mit Fackeln haben sie Licht ins Dunkel gebracht. Sie haben’s gesehen. Alles.« »Und warum haben deine jungen Jäger die gestohlenen Dinge nicht wieder zurückgebracht?« »Einfach. Sie wollten sehen, wer sie stiehlt.« Wachen waren überall dort aufgestellt worden, wo es solche Kostbarkeiten gab. Boten rannten zu den Nachbarstämmen. Von dort kamen erfahrene Chayons und beschworen die Götter und ihren Zorn in den leeren Tempel. Wut und Ratlosigkeit machten die Weyngolen unsicher. Auch bei den Nachbarstämmen fehlten in den Tempeln die Kostbarkeiten. »Wer sind die Fremden?« fragte die Frau und vergrub ihre Krallen in das Haargekräusel auf seiner Brust. »Ich weiß es nicht genau.« Nach einer kurzen Pause sprach der Horngvan weiter. »Vielleicht andere Diebe. Vielleicht Verbündete. Es kann aber auch sein, daß der mit dem langen weißen Kopfpelz nicht gelogen hat. Morgen wissen wir mehr.« »Dir seid sicher, daß es nicht Diebe von anderen Städten sind?« »Das ist sicher«, antwortete er. »Mit ihren Wunderarmbändern werden die fremden Jäger euch sicherlich helfen«, schloß die Frau. Shyzz-Korm machte die Geste der Unschlüssigkeit. Er würde dafür sorgen, daß die vier Fremden zur Rechenschaft gezogen wurden – wenn sie irgend etwas mit den Diebstählen zu tun hatten.
5. Von dem Kommunikator meiner Kabine aus sprach ich mit der STERNSCHNUPPE. So gut es ging, programmierte ich ein Konzept für diesen Tag. Schließlich wußten wir, daß die Gesandten einen schwachen Punkt hatten, der sie enttarnen würde: Nach einiger Zeit mußten sie zurück zu Guray. Oder sie zogen sich an einen anderen Platz zurück, der ihnen wahrscheinlich die einzig richtigen Lebensbedingungen bot! Dachten sie selbst daran? fragte ich mich. Sie mußten doch den Zustand ihres Raumschiffs erkannt haben. Auch wenn wir das Wrack noch nicht genau untersucht hatten, war einigermaßen sicher, daß dieses Schiff kaum jemals wieder starten konnte. Der Rückweg war ihnen also abgeschnitten. Da der Hyperraumsender ausgefallen war, konnten sie auch nicht Hilfe herbeifunken. In der Feste von Quern hatte Chipol ihre Verzweiflung kennengelernt. Sie würden wohl alles tun, um von Weyngol flüchten zu können. Ohne die zusammengeraubten Kunstgegenstände! sagteder Logiksektor. Ich forderte die STERNSCHNUPPE auf, Chipol und Mrothyr von unserer Unterhaltung und all den Überlegungen zu verständigen. Ich würde ein wenig später mit ihnen sprechen. Ich mußte mich zusammenreißen! Körperlich war ich wieder einigermaßen erholt und fühlte mich den nächsten Stunden gewachsen. Ich genoß die wenigen Minuten des Alleinseins, duschte, ließ mir Essen bringen und zog mich an. Die STERNSCHNUPPE warf drei Beobachtungssonden aus und schickte sie auf ihre Bahnen. Vielleicht gelang es, die Unsichtbaren sichtbar zu machen. Technische Ausrüstung für solche Zwecke besaßen wir zur Genüge. Ich ging in die Zentrale und begrüßte die Katzenwesen. »Das Sternenboot ist offen«, sagte ich. Das Schiff hatte den Jägern Getränke und Speisen servieren lassen. Sie nickten mir zu; offensichtlich war, daß sie jede Feindseligkeit vermissen ließen. »Du hast tief geschlafen!« stellte Shann fest. »Gutes Essen!« Ich antwortete sofort: »Ein Zeichen, daß ich mich sicher fühle.« »Können wir mit Shyzz-Korm sprechen?« »Tut, wie ich es euch gezeigt habe«, sagte ich. »Gleich komme ich mit euch hinaus.« Sie scharten sich um das Funkarmband und fingen zu fauchen, zu gurren und zu zischen an. Ich ging durch den schmalen Korridor zu Fartuloons Kabine. Das Schott stand halb offen. Aus dem Innern hörte ich die schweren Atemzüge des Freundes. Das Licht wurde heller. Fartuloon saß halb angezogen auf seiner Liege und zerrte den Stiefel an seinem rechten Fuß in die Höhe. »Du gehst heute nicht mit uns!« sagte ich, als er endlich hochblickte und ich seinen Zustand erkannte. »Du wirst die Fahndung an Bord des Schiffes leiten. Bestenfalls kannst du dich auf die Rampe setzen und ein Sonnenbad nehmen.« Schon jetzt sahen wir beide ein, daß seine Krankheit ihn davon abhielt, mir zu helfen. Natürlich sorgte ich für den Freund. Aber ich sorgte mich auch um den Freund. Was sollte ich mit ihm anfangen?
»Ist vielleicht keine schlechte Idee«, stöhnte er. »Mit dem Medorobot neben mir.« »Richtig. Ich habe keinen Sinn dafür, daß du draußen zusammenbrichst«, sagte ich. »Ruhe dich aus. Das Schiff weiß genau, was zu tun ist.« »Ich bin dir wirklich eine wertvolle Hilfe«, sagte er langsam. »Angenommen. Ich bleibe hier. Viel Glück, Jäger des Unsichtbaren.« »Danke, Weltraumtramp.« Während ich wieder zur Zentrale lief, gab ich dem Schiff den Auftrag, dem Sternenwanderer zu helfen und auf ihn ganz besonders achtzugeben. Ich schloß: »Denke daran! Vielleicht wollen Unsichtbare eindringen. Du mußt das auf jeden Fall verhindern.« Die STERNSCHNUPPE war verärgert und ließ es mich spüren. »Ich besitze zumindest Spuren von praktischem Verstand. Ich bin den Weyngolen nicht in die Falle gelaufen. Ich passe auf.« »Dann ist ja alles in bester Ordnung«, erklärte ich in falscher Heiterkeit und ging zusammen mit den Jägern durch die Schleuse und hinaus in den hellen, kühlen Tag. Die Sonne befand sich irgendwo hinter den Hügeln und Bergen. Diesmal war ich geschickter ausgerüstet; meine Dolche waren bestens getarnte Hochenergiewaffen, und überdies steckten sie in den Innenfutteralen der Stiefel. »Wo willst du anfangen?« fragte Shann, der mittlerweile begriffen hatte, daß wir zwar die Hauptsprache Manam-Turus kannten, aber den Dialekt oder die eigenständige Sprache Weyngols auf rätselvolle Weise übersetzen ließen. An einem zusätzlich flimmernden Leuchtfeld erkannte ich, daß sich Chipol oder Mrothyr dazugeschaltet hatte. »Beim anderen Sternenboot? Beim Großen Eisen?« »Das habe ich vor«, sagte ich. Die Katzenwesen fieberten förmlich vor Jagdlust. »Ihr solltet viele Träger rufen und die Kostbarkeiten wieder in eure Tempel zurückschaffen.« »Sprich mit dem Horngvan!« rief Shann und zeigte auf den Häuptling, der an der Spitze von nicht weniger als drei Dutzend schwer bewaffneter Krieger auf dem Pfad einherstürmte. Ich schwenkte die beiden Handscheinwerfer und folgte in langsamem Trab den Katzenwesen, deren Schritte für mich praktisch nicht nachvollziehbare Sprünge waren. Die Luft war wunderbar frisch und roch nach Pflanzen. Der Horngvan und ich blieben voreinander stehen. »Gruß! Ich habe Wort gehalten. Hier bin ich. Mein Gefährte ist krank.« »Gruß. Ich bin zufrieden. Wird er sterben?« »Nein. Aber er kann nicht rennen und kämpfen. Er sieht uns zu und ruft, wenn es etwas gibt, das für uns Gefahr bedeutet.« Die Weyngolen sprachen aufgeregt miteinander. Endlich beschloß der Anführer genau das zu tun, was ich für sinnvoll und erfolgversprechend hielt und vorgeschlagen hatte. »Ins Große Metall. Ihr schleppt die kostbaren Dinge zurück, stapelt sie in einem Tempelraum mit Tür und Riegel. Ihr bleibt dort als Wachen. Wir wollen sehen, was in den eisernen Hallen ist. Fackeln!« »Später.« Rund vierzig Wesen waren vom Jagdeifer gepackt worden. Wir liefen auf dem Pfad hinüber zum namenlosen Wrack. Zwei Dutzend Fackeln wurden nacheinander angezündet und in der Luft gewirbelt.
Etwa die Hälfte der Jäger rannte auf Befehl von Shyzz-Korm um das Wrack herum. Sie hatten den Befehl, jeden möglichen Eingang genau zu durchsuchen, auf Spuren zu achten und durch die andere Schleuse eindringend, sich mit uns zu treffen. Wir kletterten nacheinander über das zerbeulte Trägergerüst hinauf und halfen uns gegenseitig. Ich erklärte dem Häuptling die Handhabung des Scheinwerfers und drückte ihm das schwere Gerät in die Krallen. »Licht, das nicht heiß ist… ihr bringt wunderbare Dinge.« »Mag sein«, murmelte ich. »Denke darüber nach, was ich dir jetzt sage, Shyzz! Die Diebe, wenn sie unsichtbar sind, sehen genau, was wir tun.« »Aber unsere Speere durchbohren sie, wenn sie ein Ziel finden.« »Wenn auch die Wahrscheinlichkeit gering ist«, lächelte ich, »das ist ein stichhaltiges Argument.« Nach einigen Dutzend Schritten standen wir im ersten Laderaum. Nach einer halben Minute fingen die Jäger wild zu schreien an und deuteten auf einzelne Gegenstände. Es schienen röhrenförmige Trommeln zu sein, kostbar mit Gold, Silber, Leder und farbigen Fellstreifen verziert. »Aus dem Jagdtempel!« Der Häuptling fauchte in fast kreischendem Ton eine Reihe von Befehlen. Ich kümmerte mich um sämtliche Schotte, die ich öffnete und in die dahinterliegenden Räume hineinleuchtete. Nur unsere Spuren waren in der dünnen Schicht aus Staub und feinem Sand zu sehen, der seit dem Absturz eingedrungen war. Jeder Schalter, den ich betätigte, war tot: in diesem Teil des Wracks gab es keinerlei Energie mehr. Die Jäger legten einige Waffen ab, schleppten die Wertgegenstände aus dem Laderaum und reichten sie aus der Schleuse. Auf dem Boden bildeten andere Männer einen Kreis, der zuerst klein war, sich dann ausdehnte. Ihre Speere und Dolchspitzen wiesen nach draußen. Die Schultern der Katzenwesen berührten sich. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde auf dem Umweg über Chipols Gerät aus der Siedlung herbeigerufen. Bald herrschte eine vollkommene Verwirrung und Aufregung. Naturgötter, große Becher und Krüge, Feuerschalen und kleinere Götzenbilder aus Stein und Gold, kostbare Zeremonienwaffen und zahlreiche andere Gegenstände wurden unter der Aufsicht des Häuptlings aus dem Schiff hinausgeschleppt. Man stapelte sie innerhalb des Kreises der Wächter. Ich setzte meinen Erkundigungsvorstoß fort und berichtete ins Schiff, was ich entdeckte. Leere Korridore, gebrauchte Anlagen und Maschinen, blinde Bildschirme, überall Staub ohne Spuren, verformtes Metall und losgerissene Geräte, die schräg neben ihren Sockeln lagen – keinerlei geheimnisvolle Ausbeute! Was mich nachdenklich machte, war das Fehlen der Fußspuren. Die Gesandten Gurays konnten schwerlich geflogen sein. Du kennst erst einen Teil des Wracks, flüsterte der Logiksektor. Hinter mir wurden die Geräusche und Stimmen der Jäger undeutlicher und leiser. Ich wunderte mich nicht, daß mir niemand folgte. Von ihrem ersten Erfolg waren sie alle wie gebannt. Ich öffnete zahllose Türen und Schotten. Es gab nichts, das im Widerspruch zur Inneneinrichtung eines Schiffes dieser Größe gestanden hätte. Die Sitze entsprachen denen, die annähernd zwei Meter große humanoide Wesen benutzten. Überall hin huschte der grelle Lichtkegel meines Scheinwerfers. Ein Teil der Einrichtung schien mir bekannt, ein anderer war fremd und sah exotisch aus. Plötzlich blieb ich stehen, richtete den Lichtstrahl nach unten und sah deutlich eine Schrittspur. Sie war größer als meine eigene, die Sohlen wiesen ein Gittermuster auf und waren eigenartig
kantig, ohne deutlich abgeteilten Absatz. Ich folgte ihnen langsam und sah eine zweite Spur, die zu einem Schott führte. Mit einer schnellen Bewegung zog ich den getarnten Lähmstrahler aus dem Stiefelschaft, stellte ihn auf höchste Leistung und entsicherte ihn. Dann riß ich das Schott auf und preßte mich dicht an die Wand. Nichts geschah, nur etwas Staub wirbelte hoch. Ich leuchtete hinein und entdeckte eine Raumfahrerkabine. Es herrschte eine bemerkenswerte Unordnung. Überall lagen Tuchfetzen und kleine Geräte, deren Zweck ich nicht erkannte. Ein Raumanzug, von dessen Größe ich auf das Aussehen der Gesandten Gurays hätte schließen können, war bei meiner schnellen Suche nicht zu finden. Jetzt folgte ich den Spuren weiter ins Schiff hinein. Es wurden drei, dann vier, schließlich rissen sie ab - bis hierher war der Staub noch nicht vorgedrungen. Ich tappte weiter und befand mich schließlich in der Zentrale des Wracks. Bedächtig ließ ich den Scheinwerferkegel kreisen. Es herrschte ein ungewisses Zwielicht, denn in den Wänden und in der Decke erkannte ich breite Risse und einige Einschußlöcher, durch die Sonnenlicht hineinfiel. Fünf Sitze vor dem Zentralpult der Steuerung. Der Boden war ungepflegt. Paarweise befanden sich weitere Sitze vor den Nebenanlagen. Drei von ihnen waren aus der Verankerung gerissen worden. Viele Bildschirme waren zerstört und zeigten leere Rahmen, zackige Scherben oder aufgeschmolzene Kunststoffteile. Ich ging von Pult zu Pult und bewegte die Schalter, von denen ich annahm, sie hätten etwas mit der Energieversorgung zu tun. Nicht die kleinste Lampe schaltete sich ein. Das Schiff blieb tot; ein flugunfähiges Wrack. Ich verstärkte die Sendeenergie und berichtete meine Informationen an die Speicher der STERNSCHNUPPE. Ich erfuhr, daß es Chipol und Mrothyr gut gehe, und daß sie erhebliche Unruhe in der Siedlung bemerkt hätten. »Das sind die Folgen der Freude, daß die Weyngolen ihre Kostbarkeiten aus dem Schiff und zurück an ihre heiligen Stätten schleppen«, antwortete ich. »Wie ist der Zustand Fartuloons?« »Keineswegs begeisternd, Kristallprinz«, antwortete er mit der Stimme eines Todkranken. »Wir waren teilweise erfolgreich«, berichtete ich, um ihm eine Freude zu machen. Vielleicht half’s. Seit unserem Zusammentreffen war vielleicht eines der Wörter und Begriffe, die viel zu häufig gebraucht wurden. Auch kein gutes Zeichen für gedeihliche Zusammenarbeit. »Ich war es nicht. Was die Sonden aufnehmen, hält sich im Rahmen dessen, was du schilderst, Atlan«, meinte Fartuloon. Wieder bremste ich seinen Pessimismus. »Es ist noch früh am Tage. Abends wissen wir mehr.« »Schon gut.« Ich brach meine Suche ab und machte mich auf den Rückweg in den anderen Teil des Wracks. Hin und wieder sah ich am Ende gerader Korridore die Fackeln der Katzenwesen und das Aufblitzen der Edelmetalle und Schmucksteine. Als ich den Bereich betrat, an dem die Weyngolen die letzten Teile wegschleppten, rannten Shann und der Häuptling auf mich zu. »Vier Kammern!« riefen sie. »Zwei hier, zwei dort. Wir haben Boten zu den Nachbarstämmen geschickt. Sie rennen.« Ich nickte und schloß immer dann geblendet die Augen, wenn riesige Edelsteine die Lichtstrahlen farbenflirrend zurückwarfen und den Raum in zuckende Reflexe tauchten.
»Das heißt nichts anderes, als daß auch die benachbarten Stämme bestohlen wurden.« »Sie waren ratlos. Jetzt werden sie rasend vor Wut sein«, prophezeite Shyzz-Korm und knurrte tief in der Kehle. »Wo sind ihre Heiligtümer und so weiter?« »Die letzten bringen wir gerade hinaus. Was hast du gefunden?« Ich zog ihn aus der Reihe der schleppenden Jäger heraus und lehnte mich gegen die Wand. Sie hatten also noch Laderäume entdeckt. Da ich keinen Lärm gehört hatte, waren die Schotten offensichtlich nicht verriegelt gewesen. »Es sind nicht viele. Nicht mehr als so viele«, sagte ich und spreizte zweimal meine Hand vor seinem Gesicht. Die Katzenwesen waren siebenfingrig. »Zehn?« »Vielleicht ein paar mehr. Aber nicht viele. Sie sind ungeheuer fleißig und schnell.« Shyzz-Korm deutete auf vier Jäger, die eine Steinplatte voller silberner, edelsteinbesetzter Jagdzauber-Figuren schleppten. »Und stärker als meine Männer.« »Auch das!« Das Innere dieses fremden Raumschiffs war nicht gerade nach erstklassigen logistischen Vorstellungen erbaut. Die vielen Korridore verliefen ohne erkennbares System. Es war durchaus denkbar, daß noch weitere Laderäume vorhanden und nur noch nicht entdeckt waren. »Hör zu, Horngvan«, sagte ich drängend. »Bringt alles, was gestohlen wurde, in einen großen Raum. Er soll wenig Türen und offene Mauern haben. Dann müssen deine Männer sich abwechseln und alles bewachen. Die Unsichtbaren können durch das kleinste Loch schlüpfen.« »Ich glaube, du hast recht«, sagte der Älteste. »Ich kann mir nicht vorstellen«, rief Shann wütend fauchend, »wie es ist, wenn jemand unsichtbar ist.« »Ziemlich kompliziert«, antwortete ich. »Dazu kommt etwas anderes, Shyzz-Korm.« »Was?« grollte der Anführer und spreizte seine Krallen vor meinem Gesicht. »Diese zehn oder fünfzehn Unsichtbaren haben eine wunderähnliche Eigenschaft.« »Können sie fliegen?« »Vermutlich nicht«, entgegnete ich. »Aber sie können ihre Gestalt verändern.« Ich machte eine Pause und gab ihnen Zeit, über die Folgen nachzudenken. Dann fuhr ich fort: »Ich kann es noch nicht beweisen, Häuptling, aber du mußt daran denken, daß sie aussehen wie deine Jäger. Sie können sich also ungehindert bewegen. Man erkennt sie nicht. Natürlich werden sie sich als Angehörige der anderen Stämme ausgeben.« »Wir töten sie alle!« schrie Shann auf. »Alle!« »Vorher müßt ihr sie erst fangen!« Ich mußte innerlich lachen. Vermutlich waren die Wächter gleichzeitig die Diebe. Das würde einen gewissen Kreislauf bedeuten. Von den Beobachtungssonden sagte ich nichts, denn bisher waren sie wirkungslos gewesen. Ich machte eine Gebärde, die meine Ratlosigkeit ausdrücken sollte. Rasend schnell unterhielten sich die beiden Krieger, während die letzten Kultgegenstände aus dem Schiff geschleppt wurden.
»Natürlich kennst du jeden einzelnen deiner Jäger, Shyzz-Korm«, fragte ich. Er war empört. »Jeden!« »Dann lasse deine Heiligtümer von deinen Jägern bewachen. Von den alten, erfahrenen!« »Das brauchst du mir nicht zu raten, Fremder!« fuhr er mich an. Ich hob bedauernd die Arme. »Guter Rat ist unbezahlbar. Willst du wissen, was ich im Großen Metall gesehen habe?« Er beruhigte sich rasch wieder. Ich schilderte, was ich festgestellt hatte. Die Jäger waren erleichtert, als sie erfuhren, daß dieses Sternenboot niemals wieder würde wegfliegen können. Ich war weitaus weniger erleichtert, denn ich dachte mir, daß jenes Störsignal nicht nur uns herbeigerufen hatte, sondern logischerweise auch von anderen Schiffen und Stationen gehört worden war. Vielleicht sprach ich mit den Jägern von Weyngol tatsächlich über ihre Nachbarn und Freunde, die sich als fremde Diebe entpuppen würden. Wann? Aufweiche Weise? »Wir gehen hinaus!« befahl Shyzz-Korm. Begeistert hantierte er am Scheinwerfer. Aber er schaltete ihn immerhin aus, als wir wieder im Freien standen. Eine endlose Kette von schuftenden Jägern trug die unersetzlichen Gegenstände zurück in die Siedlung. Über uns schwebte eine Sonde und bewegte lautlos die Linsen und Detektoren. »STERNSCHNUPPE? Eine Anfrage.« Sofort war das Schiff in der Lage, klare Antworten zu geben. »Alle Informationen aufgenommen, Atlan.« »Verstanden. Wie geht’s Fartuloon?« »Eine Spur besser. Er hat kräftig gegessen. Er pfeift und singt mit leiser Stimme.« »Schön. Und jetzt zu deinen Beobachtungen.« Sie waren alle negativ. Die Sonden der STERNSCHNUPPE hatten immer wieder sämtliche Katzenwesen mit jeder vorhandenen technischen Einrichtung getestet. Infrarot, Ultraviolett, genaueste optische Beobachtung, Solarisationseffekte, Farbanalysen… das Raumschiff war, alles zusammengefaßt, nicht in der Lage, uns zu helfen. »Ich danke dir für deine Bemühungen«, sagte ich förmlich. »Ich habe eine neue Aufgabenstellung. Versuche einen Jäger zu finden, der sich mit einem der wertvollen Dinge seitwärts ins Gebüsch schlagen will. Haben wir einen solchen Dieb, haben wir einen Gesandten Gurays.« »Das ist klar. Ich ändere das System meiner Suche.« Somit waren unsere Möglichkeiten weiterhin gering. Selbstverständlich hätte das Raumschiff auch einen Anflug gemeldet, wenn sich irgendwo im Planetensystem ein anderes Schiff befunden hätte. »Ich komme mit euch. Darf ich euren Tempel sehen?« sagte ich zu Shyzz. Er nickte nur und deutete vage in die Richtung der Siedlung. Ich ging neben der langen Kette der Jäger abseits des Pfades und fragte mich verzweifelt, wie wir es anfangen konnten, die Guray-Gesandten zu enttarnen. * Ich stand vor der schweren Gittertür, scharf beobachtet von einer Handvoll junger Jäger. Mrothyr und Chipol hielten sich an den dicken Sprossen fest und wirkten, als hätten sie sich inzwischen beruhigt.
»Atlan!« drängte der hochgewachsene Zyrpher und drehte ein Büschel aus seinem Haarschopf zwischen den vier Fingern. Ein Zeichen seiner Nervosität. »Wenn diese Gesandte mit ihrem Wrack nicht mehr starten können, samt ihrer Beute, dann werden sie auf die STERNSCHNUPPE losgehen.« Ich nickte und antwortete nachdenklich: »Damit ist zu rechnen. Das Schiff hört zu. Aus diesem Grund wird auch kein Jäger mehr das Schiff betreten. Klar?« »Ich hatte schon gedacht, daß es dir nicht rechtzeitig genug einfällt«, meinte Chipol. »Uns gegenüber verhalten sich die Leute einwandfrei.« »Die STERNSCHNUPPE kann euch ohne Schwierigkeiten herausholen, wenn es hart auf hart geht«, tröstete ich ihn. »Und ich bin auch noch da.« »Sprich davon«, riet Mrothyr und zwinkerte mit seinen bernsteingelben Augen, »daß du aus irgendwelchen Gründen den Planeten verlassen willst. Diejenigen, die etwas von Raumfahrt verstehen, werden auf dich zukommen.« »Genau das habe ich überlegt«, gestand ich, »als ich vom Wrack hierher trabte.« Chipol zeigte mit Zufriedenheit das breite Gerät, das er am Handgelenk trug. »Wir sind, über alles informiert. Nimm auf uns keine Rücksicht.« »Ich sehe mir erst einmal die Tempel, an«, versprach ich. »Dort treffe ich die meisten Jäger. Vielleicht auch die Guray-Leute.« Ich grüßte die Wachen und schlenderte durch die Siedlung. Ich schätzte die Einwohnerschaft auf etwa fünfhundert Individuen. Es war zu erwarten, daß größere Abordnungen der Nachbarstämme bald eintreffen würden, um die geraubten Kunstwerke zurückzutragen. Die Kinder der Katzenwesen waren, solange sie nur wenige Jahre zählten, ganz reizend und tollten umher wie alle Kinder auf allen Welten. Aber schon ihre heranwachsenden Schwestern und Brüder waren mit leichten Arbeiten und vielen Aufgaben beschäftigt. Sie alle waren Angehörige eines Naturvolks, das über hohe handwerkliche Fähigkeiten verfügte und sich in dieser Art Leben wohl fühlte. Hundert Augenpaare verfolgten jeden meiner Schritte. Aber es gab keine feindseligen Blicke oder Gebärden. Schließlich befand ich mich auf derjenigen Ebene, die sich knapp über dem hufeisenförmigen Hof befand. Ich brauchte den Tempel nicht zu suchen; er war das säulenreiche Zentrum einer aufgeregten Menge. Vorsichtig näherte ich mich der Treppe, die zu den Paaren der steinernen Säulen hinaufführte. Überall standen aufgeregte Wachen Schulter an Schulter. Speerspitzen funkelten und richteten sich mitunter drohend auf mich. Aber es hatte sich herumgesprochen, daß ich den Weyngolen geholfen hatte. Hinter mir schwebte die kopfgroße Sonde und blinkte mit ihren Objektiven. Zwei Jäger drängten sich an mir vorbei. Sie schleppten einen halb mannsgroßen Krug und verschwanden in der Masse der Wachen zwischen den aufgestapelten Gegenständen. Eine Sensation eines jeden galaktischen Kunstmarkts! kommentierte der Logiksektor. Überall brannten, flackerten und rußten Flammen. Der Häuptling hatte die richtigen Befehle gegeben. Er war klüger, als ich vermutet hatte. Wahrscheinlich sagte er sich, daß auch unsichtbare Wesen schrien, wenn sie sich die Haut versengten. Entlang der drei massiven Tempelmauern standen Hunderte von Ölschalen, in denen lodernde Dochte schwammen. Überall waren Fackeln. Der Boden der großen, etwa vier Meter hohen Halle bestand aus feinem, kühlem Sand, von unzähligen Spuren in eine Kraterlandschaft verwandelt. Inzwischen standen auf den Steinsockeln wieder die Götterbilder. Unbeeinflußt von dem quirlenden Durcheinander, das nur wenige Zonen
verschonte, standen Wächter da, bis an die Zähne bewaffnet. Ich sah, daß die meisten Klingen frisch geschärft waren. »Ich habe deinen Rat angenommen«, schnarrte zischend eine kehlige Stimme neben mir. Ich drehte mich herum. Shyzz-Korm zeigte hierhin und dorthin. Die schmalen Eingänge in den Mauern aus kantigen Quadern wurden ebenfalls von Posten versperrt. Die Abgesandten Gurays vermögen feste Materie zu durchdringen, warnte der Extrasinn. »Ich sehe es«, antwortete ich ihm. »Ist das alles?« »Ja. Wir haben wieder zurück, was uns gehört.« Falls sich die Fremden unter die Weyngolen gemischt hatten, würden sie sich wohl köstlich amüsieren. »Dann paßt gut auf!« empfahl ich ihm. »Sind meine Freunde nun keine Gefangenen mehr?« »Noch warte ich«, sagte er entschieden. »Warum sollten wir euch mehr vertrauen als uns selbst?« »Auch ein Standpunkt«, mußte ich ihm beipflichten. Seit der Landung waren wir strenggenommen nicht einen einzigen Schritt weitergekommen. Aber ich wurde von einem undeutlichen Gefühl gewarnt. Irgend etwas tat sich innerhalb dieser seltsamen Geschehnisse, das nicht ganz ins Bild paßte. Schließlich lauerte ich darauf, daß die »gestrandeten« Fremden an einer Passage stark interessiert waren, um es pauschal auszudrücken. Die STERNSCHNUPPE war das einzige kosmische Beförderungsmittel in weitem Umkreis! Ich wanderte, kaum behindert, in dem Tempel umher und betrachtete die Götterbilder, die prächtigen Waffen, die jetzt mit vielen Lederschnüren an handfesten Mauerhaken festgezurrt wurden, die Trommeln und die nicht minder prächtigen Schlegel, zuletzt die dicht aneinandergestellten und tief in den Sand gesteckten Kostbarkeiten, die den Nachbarstämmen gehörten und ebenso scharf bewacht wurden. Die Ausdünstungen von mehr als hundert Wachen, der dumpfe Geruch der moosbedeckten Mauern und der erstickende Rauch von Fackel- und Ölflammen – es war zuviel. Schmerz begann in meinem Kopf und in den Nackenmuskeln zu pochen. Ich ging hinaus in den kühlen Schatten der mächtigen Bäume. Ich setzte mich auf einen Steinklotz, der zwischen den Wurzeln eingebettet war, lehnte mich an den glatten Stamm und streckte die Beine aus. Nach einer Weile, etwa einer halben Stunde, kamen zwei Jäger auf mich zu. Sie gehörten nicht zu den Schwerbewaffneten. Ich sah ihnen ruhig entgegen. Zuerst waren sie mißtrauisch und unschlüssig, dann wagte einer zu fragen. »Aus welchem Land kommst du, Fremder Atlan?« Ich bemühte mich, keine Aufregung zu zeigen. Aber ebenso konnte ich mich irren, wenn ich meinte, daß es sich bei diesen zwei Katzenwesen um falsche Weyngolen handelte. »Ihr kennt das Land nicht. Es liegt zwischen den Sternen. Habt ihr gehört, daß wir unser Schiff das ›Sternenboot‹ nennen?« »Die Sterne? Die kleinen Feuer in der Nacht?« »So ist es. Welten wie diese kreisen um die Sterne«, fuhr ich fort und bemühte mich, einen Tonfall beizubehalten, als ob ich unwissenden Planetariern des Wesen der Raumfahrt zu erklären versuchte. »Wie lange sind die Reisen?« »Unterschiedlich«, sagte ich. »Einmal länger, dann wieder kürzer, wie ihr zu Fuß oder in euren Kanus. Wollt ihr mitfliegen?« Sie schauten einander verblüfft an, dann stimmten sie ein kehliges Gelächter an.
»Der Horngvan würde uns töten lassen«, sagte der eine. Der rechte Nachbar bestätigte es und fragte weiter: »Sind auch die Diebe mit einem solchen Schiff gekommen? Dein Schiff ist aber unversehrt.« »Gewiß«, entgegnete ich gleichmütig. »Was soll ich euch erzählen? Wollt ihr wissen, wie schnell wir von Stern zu Stern fliegen können?« Eine Fangfrage. Sie gingen nicht in meine Falle. Unsicher traten sie von einem Fuß auf den anderen. Ich musterte sie mit äußerster Schärfe und Konzentration. Schon die Tatsache, daß sie winzige Einzelheiten der Körper ihrer Kopien übersehen hatten, würde mich überzeugen. Ich ließ meine Hand auf mein Knie fallen und stellte meinen Fuß in einen anderen Winkel. In einem Sekundenbruchteil konnte ich die Lähmwaffe ziehen und abfeuern. »Hast du viel Platz in deinem Sternenboot?« »Für ein, zwei Dutzend von euch würde es noch ausreichen«, meinte ich und grinste. »Aber ich würdet tausend Tode vor Furcht sterben. Kümmert euch lieber um die Diebe.« Ich stand auf und hoffte, daß sie meine nächsten Worte etwa so deuteten, wie ich sie meinte. »Wir vier«, sagte ich ein wenig von oben herab, »sind Raumfahrer. Das ist die ehrenvolle Bezeichnung für jene Männer, die zwischen den Sternen fliegen. Alle Weyngolen sind an ihre Welt gebunden. Sie gehören nicht zu uns. Dort, wo wir starten und landen – also uns in die Luft erheben und wieder heruntersenken -, gibt es viele wunderbare Dinge. Sonnen, Planeten, fremde Welten, Licht und ewiges Dunkel, kosmische Stürme und Monde, viele andere Sternenboote und Piraten, aber keine Katzenwesen, die sich vor uns fürchten.« Ich nickte ihnen freundlich zu und machte mich auf den Weg zum Schiff. Fartuloon brauchte wahrscheinlich meine Hilfe. * Niemand war mir gefolgt. Trotzdem war ich sicher, daß in kurzer Zeit einige Jäger vor dem Schiff warten würden. Sei es, um zu verhindern, daß ich mich mit verbotenen Waffen ausrüstete, sei es, weil sie in Wirklichkeit Fremde waren und die Möglichkeit abschätzen wollten, mit uns oder ohne uns mit der STERNSCHNUPPE zu fliehen. Das Schiff schloß hinter mir Schutzschirm und Schleuse. Ich fand Fartuloons ausgestreckt in einem waagrecht ausgefahrenen Kontursessel. Er drückte den Kristallbrocken gegen seine Brust, und seine rechte Hand hielt einen Weinbecher. Er wirkte längst nicht mehr so fahl und erschöpft wie vor sieben Stunden. »Wenn es für mich eine Möglichkeit gäbe«, murmelte er und begrüßte mich mit einem matten Schwenken des Bechers, »würde ich dich heute noch allein zurücklassen. Ich muß zurück.« Ich setzte mich ihm gegenüber. »Du willst nicht sagen, warum Fartuloon zu Colemayn wurde, nicht wahr?« »Ich kann es nicht«, sagte er in einem Tonfall und mit einem Ausdruck, die mich überzeugten, er meine es restlos ehrlich. »Ich darf es nicht, verstehst du? Alles ist Teil eines Planes, oder besser, eine Versuchs, der größer ist als du und ich zusammen.« »Und du erklärst auch nicht«, fragte ich, »welche Ziele du verfolgst?« »Ich darf nicht. Es wäre tödlich«, bestätigte er meine Vermutungen. Wieder warf er mir einen Blick voller verzweifelter Hilflosigkeit zu. Also erfuhr ich auch nicht, welche Interessen er in diesem kosmischen Spiel vertreten hatte und vertrat, in Alkordoom oder in Manam-Turu.
»Mit dieser Menge an unerklärlichen Geheimnissen wird sich nur schwer ein harmonisches Verhältnis zwischen uns beiden entwickeln können«, gab ich zum Schluß zu bedenken. »Bei aller Wiedersehensfreude!« Er nickte langsam und nachdenklich. »Deswegen erwäge ich ernsthaft, bei der nächsten Gelegenheit zu verschwinden.« Er war mir fremd geworden, trotz aller Erinnerungen. Mich als jungen Kristallprinz zu sehen und sich entsprechend zu verhalten – das hatte er nur zwei oder drei Male versuchte. Meine Reaktion und seine Klugheit hatten ihn sehr schnell davon überzeugt, daß ich mittlerweile älter und erfahrener geworden war. Das alles wußte Fartuloon so gut wie ich. Er bedauerte wohl sein Erscheinen. Wenn ich alle Umstände unseres seltsamen Zustands genau betrachtete, war es auch für mich zu bedauern. Ich hatte ihn als Colemayn, den Sternentramp und Planetenwanderer kennengelernt und als Boten der Kosmokraten. Sollte ich meinen alten Lehrer einfach weggehen lassen? In diesem Zustand etwa? »Vertagen wir die Auseinandersetzung«, sagte ich matt. »Schon recht.« Ich ließ ihn allein, nachdem ich einige Minuten lang die Bilder der Schirme studiert hatte. Die Sonden lieferten Szenen aus der Siedlung und ihrer näheren Umgebung. Während viele Kinder und Frauen auf den Feldern, in den Ställen und früchtepflückend in den Ästen der Bäume arbeiteten, bewachten die Krieger ihre Kostbarkeiten. Zwei Jäger kamen mit erlegtem Wild an einer Stange zwischen sich. Schräg am Wrack vorbei näherte sich in Eilmärschen ein langer Zug Katzenwesen, der aus der Nachbarsiedlung kam. Die Pantry bereitete mir einen Imbiß. Ich aß und ging dann in das Magazin des Schiffes. Dort suchte ich einige Gegenstände aus, die ich für einen besonderen Zweck brauchte. »Was hast du vor?« fragte Fartuloon, der in der Zentrale lag und durch leise Zurufe die Suche der Sonden und das Aufnahmespektrum der Optiken steuerte. »Ich gehe zu Mrothyr und Chipol in die Siedlung. Sie sollen sich befreien können, wenn es nötig ist.« »Gut.« Ich verließ das Schiff und ging zielstrebig zur Siedlung. Obwohl ich merkte, daß ich sehr scharf beobachtet wurde, hielt mich niemand auf. Die Weyngolen hatten anderes zu tun. Die Sonne stand im Nachmittag. Der Himmel zeigte sich so gut wie wolkenlos. Die Landschaft war ein grünes, riesiges Idyll voller Ruhe und gedrängtem tierischem und pflanzlichem Leben. Alles, was die Weyngolen geschaffen hatten, fügte sich in diese Harmonie unauffällig ein. Sie waren tatsächlich ein Teil der Natur. Um so mehr müßte eigentlich das Verhalten der wenigen Gesandten Gurays auffallen. Bisher gab es keinen direkten Hinweis darauf, daß sie zu fangen waren. Mußten wir etwa wochenlang darauf warten, bis ihr Drang, zu ihrem Auftraggeber oder auf ihre Stützpunktwelt zurückzukehren, übermächtig wurde? Ich betrat den untersten Hof. Er lag völlig im Schatten der Bäume. Die Brunnen plätscherten einschläfernd. Aus dem Eingang des Tempels drangen dünne Schleier aus Rauch und heißer Luft. Überall standen Jäger. Die meisten, schienen unruhig zu sein, griffen immer wieder nach ihren Waffen und sahen sich um, als ob sie einen plötzlichen Überfall erwarteten. In einer höhlenartigen Hütte neben dem Tempel stand der Schamane der Siedlung. Er schien eine
Beschwörung vorzuhaben, denn langsam und bedächtig zog er sich für diesen Auftritt an. Felle hingen über seinen Schultern; seinen Katzenkopf zierte ein gewaltiger Aufputz aus Schnüren, Geweihenden und Bändern, antennenartigen Ruten und Metallteilen, die bei jeder Bewegung klirrten. Ich näherte mich einer Gruppe Wachen. »Der Häuptling hat nichts dagegen, wenn ich mit meinen Freunden spreche?« fragte ich. »Frage ihn. Er ist am Tempeleingang.« Ich bekam seine mürrische Erlaubnis und kletterte die vielen Stufen bis zum Gefängniskorridor hinauf. Ich hatte den günstigsten Augenblick abgepaßt. Nur ein einzelner Wächter hockte auf dem Boden und lehnte sich, die Wurfaxt in den Klauen drehend, an die Wand aus Lehmverputz und Flechtwerk. »Ich habe die Erlaubnis des Horngvan«, sagte ich. Chipol und der Zyrpher sprangen auf und kamen ans Gitter. »Sind wir endlich frei?« rief der junge Daila. Ich schüttelte den Kopf und deutete auf meinen rechten Unterarm. Ich schob meinen Körper zwischen die Gefangenen und den Wächter, der uns halb interessiert anstarrte. »Noch nicht«, antwortete ich. »Aber ich sorge dafür.« Vorsichtig ließ ich die beiden kleinen Dolche aus dem Ärmel nach vorn rutschen, bis sie meine Fingerspitzen berührten. »Ihr habt noch den Kommunikator?« »Ja. Alles andere haben die Jäger weggebracht.« »Unwichtig. Ein Schockstrahler und ein Hochenergiestrahler. Hier im Ärmel. Klar?« sagte ich schnell und so leise, daß der Posten mich unmöglich verstehen konnte. Aus dem Armbandgerät kam nur ein leises Summen. Chipol und Mrothyr begriffen sofort. »Wenn es sein muß, seid ihr schnell frei.« Unter meiner Hand glitten die beiden dolchförmigen Geräte hervor. Sie rutschten im Sichtschutz meines Körpers durch die Öffnung im Gitter der Tür. Mrothyr packte sie mit seinen vier Fingern und ließ sie verschwinden. »Verstanden«, sagte er leise. Dann fuhr er lauter fort: »Wir werden ruhig schlafen, wenn du die Diebe jagst. Helfen dir die Jäger?« »Ich weiß es noch nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Ich werde mit Shyzz-Korm sprechen.« Mrothyrs Bartstoppeln wurden länger und auffälliger. Da Bartwuchs bei seinem Volk als anstößig galt, fieberte er danach, wieder in die STERNSCHNUPPE zurückzukommen, um sich die Stoppeln zu entfernen. »Hast du schon einen Gesandten gefunden?« wollte Chipol wissen. »Zwei Jäger haben sich ein wenig auffällig für die Raumfahrt interessiert«, sagte ich. »Ob sie Fremde waren, weiß ich nicht.« »Wie willst du das feststellen?« fragte Mrothyr. »Und wann? Müssen wir wieder lange warten?« unterbrach ihn Chipol. »Woher soll ich das wissen!« brummte ich. »Aber vermutlich werde ich eine Nachtwache einlegen müssen. Am Tage, denke ich, klauen sie weniger oder gar nichts.« »Du rufst uns, wenn es soweit ist?« Unbemerkt vom Wächter hatte Chipol die beiden Waffen zwischen Wand, Boden und Strohteppich
versteckt. Ich versprach ihnen, sie sofort zu benachrichtigen, wenn sie sich selbst befreien mußten. Aber auch in diesem Punkt rechnete ich mit wenig Gefahren. »Ich werde euch verständigen. Aber sicher kämpfen die Jäger besser, wenn es nötig wird. Sie kennen ihr Gelände besser als wir. Ihr könnt mich wieder im Schiff erreichen in dieser Nacht.« »Ich wünsche einen ungestörten Schlaf«, murmelte der Zyrpher. »Sieh zu, daß die Aktion bald in Gang kommt. Es wird langweilig, Atlan.« »Sag das den kosmischen Dieben!« knurrte ich, winkte den Freunden und dem Posten zu und trat den Rückweg an. Der Horngvan hielt mich auf. Im Tempel begannen leise, dunkle Trommelschläge. Der Horngvan sagte heiser fauchend: »Ein Stamm hat seine Kostbarkeiten abgeholt. Was nun?« »Ihr solltet heute nacht vorsichtig sein. Nicht einschlafen. Es ist möglich, daß die Diebe die Dunkelheit ausnützen. Dann müßt ihr schnell und entschlossen sein, mit Speeren und vielen Fackeln.« »Weißt du mehr als ich?« zischte er beunruhigt. »Absolut nicht. Aber meine Ahnungen sind stärker«, antwortete ich ihm. »Du erkennst, daß wir mit den Stehlern keine gemeinsame Sache machen.« »Beweise es, und deine Freunde sind frei, wenn die Sonne wieder kommt.« Ich schlug ihm auf die Schulter und sagte entschieden: »Ich gebe mir größte Mühe. Du solltest einige deiner besten Jäger zu meinem Sternenboot schicken. Dort sollen sie sich verstecken. Vielleicht fangen wir einen Dieb.« Nach einigem Zögern setzte ich hinzu: »Wahrscheinlich zeigt sich aber keiner. Ihr bewacht den Tempel gut?« »Fast alle Krieger sind dort.« »Ich warte vor meinem Sternenboot.« »Ich tue, was du vorschlägst«, antwortete er. »Es wird eine unruhige Nacht, Fremder.« »Für uns alle«, bestätigte ich und machte mich auf den Weg zum Raumschiff.
6. Ein simpler Klappstuhl, ein tragbarer Bildempfänger, der auf einer kleinen Antigravscheibe stand, ein ausgeschalteter Handscheinwerfer und ein voller Becher Wein – und der größte Teil meiner Ausrüstung befand sich außerhalb der Schleuse, am unteren Ende der Rampe. Die Krankheit hatte Fartuloon gezwungen, sich in die Dunkelheit seiner Kabine zurückzuziehen. Es war seit drei Stunden tiefe Nacht. Unablässig kreisten die Sonden lautlos durch die Luft. Irgendwo unweit der Landestützen lauerten sieben erfahrene Jäger. Jeder von ihnen hatte sich im Schiff – einzeln! - einen Becher Wein abgeholt; das hatte ich bewußt gemacht, denn ich wollte den Fremden das Schiff zeigen. Alles war möglich – sogar, daß sich einige Fremde unter den Wachen befanden. »STERNSCHNUPPE«, sagte ich leise. »Offensichtlich warten die Gesandten Gurays weiterhin ungerührt die Entwicklung ab. Öffne den Schutzschirm nur für die Dauer meines Hindurchgehens. Sofort ein Bild auf meinen Schirm draußen, wenn du etwas Ungewöhnliches bemerkst.« Wenn die Fremden zu stehlen beabsichtigten, mußten sie von dem Punkt aus operieren, an dem die bewachten Schätze lagen. Dort waren die Beobachtungssonden ständig stationiert. Restlichtaufheller, Wärmestrahlung, normaloptische und Infrarotlinsen belauerten den Tempelplatz und Teile des Pfades zum Wrack. Das Schiff entschied selbst, wenn ein Alarm gegeben werden mußte. »Ich schalte die Aufnahmen mit dem Restlichtverstärker auf den Schirm«, antwortete der seltsame Organismus. »Vielleicht gelingt es, die Diebe zu entlarven.« »Schon wieder ein ›vielleicht‹«, meinte ich und gähnte. »Uns bleibt nichts anderes als das Warten. Wie schon so oft.« »Jedes Abenteuer hat irgendwann ein Ende«, erklärte ’die STERNSCHNUPPE. Ich kontrollierte die Waffen in den Stiefelschäften und ging hinaus in die Nacht. Als ich vor dem Bildgerät saß, drosselte das Schiff die Außenbeleuchtung bis auf einen Minimalwert. Vor mir stand das Bild des Tempelbezirks, dargestellt in dem seltsam halben, bläulichweißen Licht, in scharfen Schattenlinien und matten Farbtönen. Es gab um diese späte Stunde nur wenige Bewegungen. Die Fackeln und die Öllampen sandten grelle, flackernde Lichtkreise aus. Ich setzte mich bequem hin und hob den Becher an die Lippen. Zwei ertrunkene Insekten fischte ich mit dem Zeigefinger heraus. Und wieder wartete ich… Stunde um Stunde verging. Ab und zu wechselte das Bild und zeigte andere, ebenso ruhige Szenen. Kein Dieb, der mit einer Kostbarkeit in den Armen durch die Nacht rannte. Ich hatte genug Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen und zu versuchen, das Verhältnis zu Fartuloon zu klären und die Einzelheiten meines Kampfes. Auf einem langen, beschwerlichen Weg war ich nur wenige gute Schritte vorangekommen. Die Zeit verging viel zu schleppend. Ich döste hin und wieder ein, schreckte durch plötzliche Geräusche hoch und stand auf, um meine Muskeln zu strecken. In diesem Moment wisperte die Stimme des Raumschiffs: »Atlan! Sieh auf das Bild.« Ich drehte den Kopf. An der Stelle, wo der Platz in den trichterförmig verlaufenden Pfad einmündete, lief ein Katzenwesen mit langen Schritten aus der Siedlung hinaus. Er trug quer vor der Brust einen säulenförmigen goldenen Gegenstand. Schwach erkannte ich die fratzenhaften Gesichtszüge eines Götzen und breite Metallbänder. Sofort wirbelte ich herum und rief in die Schwärze der raschelnden Äste und. Büsche hinein:
»Jäger! Ein Dieb rennt auf das Große Metall zu. Er ist jetzt gerade auf dem Pfad. Hierher, einer von euch.« Sie waren wirklich schnelle, entschlossene Jägernaturen. Sechs von ihnen rannten, nachdem sie die Fackeln wieder zum Brennen gebracht hatten, davon. Wir beide warfen einen langen Blick auf den Bildschirm und verfolgten die nächsten Sätze des Diebes. »Wir fangen ihn!« stieß der Jäger hervor. »Schnell, komm mit mir.« Ich hob im Rennen den Scheinwerfer auf und spürte, während ich auf das Wrack zulief, den heißen Atem des Weyngolen in meinem Nacken. Vor uns breitete sich schwankend der große Lichtkreis auf. Die Schritte der anderen Jäger waren nicht mehr zu hören. Einige Minuten lang hasteten wir durch die Finsternis, wichen zurückschlagenden Ästen aus und bogen schließlich auf jenen Weg ein, der zur Siedlung führte. Wenige Augenblicke später hörten wir Stimmen und das Klirren von Speerschneiden. »Sie haben ihn.« Fackeln tanzten durch die Nacht. Schreie ertönten. Äste brachen, und aus der Siedlung kamen wilde, wütende Schreie. Wir duckten uns und hörten, wie ein Speer irgendwo in der Nähe ins Holz fuhr. Als wir um die Felsen sprangen, sahen wir, daß die Jäger den Dieb gestellt hatten. Aus der Siedlung kam eine weitere Schar Weyngolen, von denen die meisten ebenfalls brennende Fackeln hochhielten. Der Dieb stand im Zentrum von mindestens einem Dutzend wütender Katzenwesen. Sie drangen auf ihn ein. Speere zuckten vor und zurück. Der Dieb war wie angewurzelt und ließ jetzt die vergoldete Steinstatue fallen. Ein Wutgeheul antwortete ihm. Ich packte die Schulter eines Jägers und schob ihn hart zur Seite. Die Stimme des Horngvan dröhnte auf. »Halt! Tötet ihn nicht! Ich will ihn haben!« Ich stand unmittelbar vor dem Dieb. Natürlich sah er aus wie eine perfekte Kopie eines Weyngolen. Es war deutlich, daß ihn die Panik überwältigt hatte. Er zitterte am ganzen Körper. Ein Dutzend Speere berührten fast seine Haut. Die Jäger schrien wild durcheinander. Ich hob den Arm und schrie: »Tötet ihn nicht. Er ist kein Weyngole.« Ich fuhr ihn an: »Du bist in Wirklichkeit einer aus der Gruppe der Guray-Abgesandten. Ist es nicht so?« Er nickte nur. Kaltes Entsetzen stand in seinen Augen. Sein Rachen hatte sich zu einem lautlosen Schrei weit geöffnet. Wieder nickte er. Dann geschah etwas Erschreckendes. In dem Moment, als der Horngvan den Kreis seiner Jäger erreichte, zitterte der Gesandte Gurays noch stärker. Das farbige Fell wurde aschgrau. Er färbte sich in rasender Geschwindigkeit, von den Füßen ausgehend. Die ledernen Ausrüstungsteile fielen von seinen. Schultern und Hüften. Erschreckt wichen die Weyngolen zurück. Sie atmeten keuchend und schwiegen. »Ihr seht«, murmelte ich, nicht weniger fassungslos, »daß es kein unsichtbarer Fremder ist.« Niemand hörte mir zu. Alle starrten den Fremden an. Vor unseren Augen zerfiel der Fremde wie ein riesengroßer Sandhaufen. Er löste sich lautlos in Staub auf. »Euer Dieb ist tot«, sagte ich. »Und seine Kameraden sind noch unter euch. Einer ist der Arbeit nicht mehr gewachsen.« Ich schaltete meinen Scheinwerfer aus. Ich brauchte ihn nicht. Auf dem Pfad und im zertretenen Gras lag nur noch eine handhohe Staubschicht. Sie breitete sich auf der Statue und den Waffen des falschen Weyngolen aus.
Jetzt sprach ich zu den unsichtbaren Gesandten des Guray. »Fremde, gebt auf. Die Weyngolen haben den längeren Atem. Es sind viel zu viele. Kommt in mein Schiff und fragt mich. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich euch helfen kann.« »Niemand wird ihnen helfen!« fuhr Shyzz-Korm auf. »Ich spreche nicht mit deinen Jägern«, sagte ich beschwichtigend. »Dieses Wesen hier ist zu Staub zerfallen. Die anderen lösen sich auch in dieser Weise auf.« »Ich hab’s gesehen!« sagte der Häuptling. »Was hast du mit den Dieben zu tun? Du und deine Freunde?« Ich bückte mich, hob die Steinstatue hoch und übergab sie dem Anführer. »Ich sagte es dir«, antwortete ich und drehte am Lautstärkeknopf des Geräts, »als wir das erstemal sprachen. Auch wir verfolgen sie. Davon, daß ich ihnen helfen will, redest du. Aber wenn sie alle zu Staub zerfallen, werden wir nicht erfahren, warum sie soviel ’gestohlen haben.« Er begriff langsam und nickte. »Stehlen sie heute nacht noch weiter?« wollte er wissen. »Das wissen die Fremden wahrscheinlich nicht einmal selbst.« Leise murmelnd und fauchend unterhielten sich die Jäger. Um uns hatte sich ein dichter Kreis gebildet. Die hinten Stehenden reckten die Hälse, um besser sehen zu können. Dreißig Fackeln brannten um uns herum. Haß und Wut lagen in der Luft. Ich sprach besänftigend auf den Stammesführer ein, der das Heiligtum einem anderen Mann gab und befahl, es in den Tempel zurückzuschaffen. »Morgen sehen wir weiter«, sagte ich. »Aufregung und Kampf sind schlechte Ratgeber.« »Du hast recht.« »Außerdem habe ich deine Jäger geweckt und ihnen das Ziel gezeigt. Frage sie, was auf dem Bild vor dem Sternenboot gesehen wurde. Ich bin müde und werde schlafen – morgen hole ich meine Freunde ab.« »Du magst schlafen«, entschied er großzügig. »Über deine gefangenen Freunde sprechen wir am Tag. Geh.« Ich bahnte mir einen Weg durch die zögernd zurückweichenden Katzenwesen und ging zurück ins Schiff. Auch ich war sicher, daß während der Nachtstunden nichts mehr geschehen würde. Die Gesandten Gurays hatten möglicherweise endlich begriffen, daß sie und ihre Mission in höchster Gefahr waren. Und daß keiner von ihnen die Suche der Jäger überleben würde. Sie werden sich wohl mit dir in Verbindung setzen, sagte der Logiksektor. Im Schiff sah ich nach Fartuloon. Er schlief tief, mit ruhigen Atemzügen. Als ich in meiner dunklen Kabine unter der leichten Decke lag, versuchte ich lange Zeit vergebens, einzuschlafen. Würde ich den Weg zur Guray erfahren? * Die drängende Stimme des Raumschiffs weckte mich auf. Als ich mich hochgestemmt hatte, sagte leise, aber in heller Aufregung eine andere Stimme: »Atlan! Antworte sofort. Hier will ein Gesandter Gurays mit dir sprechen.«
Ich erkannte Chipols Stimme. Also befand sich ein falscher Weyngole bei ihm und benützte das Kombiarmband. »Ich höre, Gesandter«, antwortete ich ebenso flüsternd. »Wir haben mit dir gesprochen. Wir haben gesehen, wie unser Kamerad starb. Wir bitten um Hilfe.« Also ließen sie endlich ihre Maskerade fallen. Ich erwiderte: »Es wird höchste Zeit. Ihr hättet es auch einfacher haben können. Hast du begriffen, wie ernst eure Lage ist? Wieviel seid ihr überhaupt?« »Fünf leben noch. Kannst du uns helfen?« »Auf welche Art Hilfe wartet ihr?« Es war ein hastiges Zwiegespräch. Trotz der Übersetzung hörte ich die Unruhe und die drängende Furcht des anderen Mannes. »Schaffe uns von diesem Planeten fort. Es ist für dein Schiff nur ein kurzer Flug.« »Wohin?« »Ein Sonnensystem, nur wenige Lichtjahre entfernt. Dort haben wir unseren Stützpunkt.« »Wann?« »Sofort. Als Gegenleistung…« »Danach wollte ich eben fragen«, unterbrach ich ihn. »Wir wissen ebenso gut wie ihr, in welcher aussichtslosen Lage ihr seid. Ich helfe euch, wenn ihr mich zu Guray bringt.« Ein erschrecktes Aufatmen folgte, dann eine Pause. »Wir haben wohl keine andere Wahl. Wir gehen auf deine Bedingungen ein. Aber vor dem Start müssen wir noch einmal ins Wrack.« »Ihr wißt, wo es liegt, ihr falschen Weyngolen.« »Nicht ohne deine Hilfe. Aus dem Wrack müssen wir einen Gegenstand mitnehmen. Er ist wichtiger als alle Schätze zusammen. Diese Wertgegenstände kannst du behalten, als weiteren Lohn für die Rettung.« »Mein Raumschiff ist nicht so groß, als daß ich sie alle einladen könnte. Überdies gibt es niemanden, der sie schleppen kann.« »Die Schätze sind unwichtig. Nur einen…«, es folgte ein unübersetzbarer Ausdruck, »… müssen wir mitnehmen. Das ist wichtiger als das Leben von uns.« »Darauf kann ich eingehen«, sagte ich. »Aber mitten in der Nacht werde ich euretwegen nicht starten. Könnt ihr meine Freunde befreien?« »Leicht. Aber wir können sie nicht schützen, weil sie durch die ganze Siedlung flüchten müssen.« »Sie schützen sich selbst. Auch ohne Hilfe.« »Morgen in der Nacht«, sagte ich. »Jeder hat genug Zeit. Ihr verratet euch nur, wenn ihr diese verdammten Götzenbilder stehlt. Unterdrückt euren zwanghaften Drang, zu stehlen.« »Es fällt uns schwer.« »In diesem Fall fällt das Sterben leicht. Sie töten euch, wenn ihr euch nicht selbst auflöst.« »Ich spreche mit den anderen. Wir versuchen, morgen abend beim Wrack zu sein.« »Dort treffen wir uns – wenn nichts dazwischenkommt.« »Einverstanden.«
»Ich will mit meinem Freund sprechen«, drängte ich. Inzwischen war ich hellwach. »Mrothyr?« Er flüsterte zurück: »Wir haben alles mitgehört, Atlan. Es kommen andere Wachen. Wir stellen uns wieder schlafend.« »Verstanden. Ende.« Jetzt war die Lage plötzlich klar geworden. Ich hatte auf diese Entwicklung gehofft, konnte aber nicht sicher sein, daß sie eintrat. Die Gesandten Gurays erkannten also, welches Schicksal sie auf Weyngol erwartete. Für uns waren noch viele Fragen zu klären, aber das konnte schließlich an Bord der STERNSCHNUPPE sicherer und schneller geklärt werden als während des Versteckspiels zwischen den Katzenwesen. Heute, in den folgenden Stunden wenigstens, würden Shyzz-Korm, seine Schamanen und ein Teil seiner Jäger tief und ruhig schlafen können. Ich spürte, wie ein Teil meiner Verkrampfung wich; auch ich verbrachte den Rest der Nacht und die ersten Stunden des neuen Tages in tiefem Schlaf. * Colemayn-Fartuloon rüttelte mich wach. Er stellte einen großen Becher Tee auf das Bord neben meiner Liege. Sofort schaltete das Raumschiff die Intensität der Beleuchtung auf einen höheren Wert. »Ehe du mir einen Vortrag hältst«, sagte er und setzte sich in den hochlehnigen Sessel, »kann ich dir sagen, daß ich über den jüngsten Stand der Dinge vom Schiff unterrichtet wurde.« Ich nippte an dem heißen, aromatischen Tee. »Dann konzentrieren wir uns also auf heute abend oder auf einen möglichen Start in der Nacht.« »Endlich!« Ich schaute Fartuloon genauer an. Er schien sich ein wenig erholt zu haben. Jedenfalls war er angezogen, und seine Hautfarbe zeigte nicht mehr die fahle Schattierung. »Dir geht es besser?« erkundigte ich mich vorsichtig. »Akzeptabel. Nur den Kautabak vermisse ich«, brummte er einigermaßen gutgelaunt. »Wirst du bis zum Start durchhalten können?« »Ich reiße mich höchstpersönlich zusammen«, versprach Fartuloon. »Und du?« Ich zuckte die Schultern und leerte den Becher. Der Tee war hervorragend. Vermutlich ging die Erholung Fartuloons mit seiner Fähigkeit einher, aus den Vorräten des Schiffes würzige Gerichte und gute Getränke zu komponieren. Er versuchte ein zögerndes Lächeln. »Ich komme zurecht, mein Freund«, antwortete ich und berührte den Schalter für den Bildschirm. Sofort sah ich die Szene vor der Schleuse in Richtung auf das Wrack. Einige Katzenwesen gingen vor dem Wrack hin und her. »Wie werden sich die Weyngolen verhalten?« fragte ich Fartuloon. »Sicher sind sie mit der Entwicklung nicht zufrieden.« »Dann sollten wir mit dem Horngvan sprechen. Er ist von vernünftigen Argumenten zu beeindrucken.« »Versuchen wir’s.« Wieder beeindruckte mich die wohltuend ruhige, unberührte und grüne Natur rund um den Landeplatz. In wenigen Jahren würde auch das Wrack bis zur Unkenntlichkeit überwuchert und
zum Teil der Hügel und Täler geworden sein. Wir grüßten mit erhobenen Armen die Jäger. Leise sagte ich zu Fartuloon: »Was können wir mit diesem Riesenmuseum im Wrack anfangen? Fällt dir dazu etwas ein?« »Nicht das geringste. Selbst der kleinste Gegenstand ist für uns Weltraumvagabunden zu groß.« »Du vertraust den Gesandten Gurays?« Er grinste und versicherte grimmig: »Nicht mehr als einen Meter weit. Sie werden alles versuchen, um uns zu übertölpeln.« »Schon wieder sind wir einer Meinung!« Wir gingen langsam auf das Wrack zu. Inzwischen gab es nicht nur Fußspuren, sondern deutlich erkennbare Pfade. Die Vegetation begann schon wieder im aufgerissenen Erdreich’ Fuß zu fassen. »Und da gibt es noch die Frage, was die Guray-Leute in dem Wrack suchen. Es muß dort etwas sein, das sehr wichtig für sie ist. Wichtiger als all das zusammengetragene Beutegut«, begann Fartuloon nachdenklich. Wir blieben stehen und beobachteten die Jäger, von denen die Schleusen bewacht wurden. »Das haben sie deutlich gesagt. Sie bringen sich selbst deswegen sogar in Gefahr«, gab ich zurück. »Das ist ihre Sache«, brummte er. »Gehen wir, und überreden wir den Anführer.« »Wozu wir viel Beredsamkeit brauchen werden.« Wachsam und neugierig sahen wir uns um. Offensichtlich hatte der seltsame Tod des Fremden bei den Planetariern eine gespaltene Reaktion hervorgerufen. Die Arbeiten, die dem täglichen Leben dienten, wurden wie immer unter Gelächter und anscheinend fröhlichen Zurufen durchgeführt. Aber alles erfolgte unter den wachsamen Blicken der Jäger, die sichtlich unruhig geblieben waren. »Ohne es zu wissen«, murmelte ich weit entfernt vom Mikrophon des Kombigeräts, »suchen sie nach fünf Fremden, die mühelos durch die Mauern ihres Tempels gehen können.« »Wir suchen sie auch, falls du dich erinnerst!« Am Brunnen blieben wir stehen. Unverändert stark war die Bewachung des Tempels. Sofort rannten zwei ältere Jäger auf uns zu. Ich erkannte Shann und Shulk, die zur Begrüßung ihre weißen Reißzähne entblößten und die Bronzeäxte hoben. »Du bist wirklich ein schneller, guter Jäger«, sagte Shann zu mir. »Ohne dich hätten wir den Fremden nicht töten können.« »Getötet wurde er von sich selbst«, sagte Fartuloon in fröhlich-belehrendem Tonfall. »Mein Freund, der große Sternenjäger hier, Atlan, hat ihn gesehen und gestellt.« »Mag sein. Ein Dieb ist tot«, stellte Shulk trocken fest. »Andere sind übrig«, sagte ich. »Der Tempel ist bewacht?« »Nur noch unsere Götter und Waffen und Beschwörungssteine sind dort. Der Stamm vom Bergsee hat sein Zeug geholt. Es ist weg. Sie bewachen’s auch, mit ihrem Leben.« »Was sagt der Horngvan? Sind meine Freunde frei?« »Fragt ihn selbst«, meinte Shann. »Dort ist er. Etwas müde, scheint es. Geht die Jagd weiter?« »Ganz sicher«, entgegnete Fartuloon. »Könnt ihr die vielen Schätze im Großen Metall brauchen?« »Fragt den Horngvan!« »Das tun wir.« Nach einem langen Blick auf dem Tempel kletterten wir die Rampe und die Stufen hinauf. Die
Bewachung des Tempels war, soweit wir das sagen konnten, lückenlos und diebessicher. Schweigend und mit verschränkten Armen wartete der Anführer auf uns. Seine Miene ließ nicht erkennen, was er dachte. Wir blieben vor ihm stehen und erklärten, was wir wollten. Entweder bluffte er, oder er dachte wirklich tief nach. »Du kannst sagen, was du willst«, meinte Fartuloon und schlug einen Ton an, wie er unter Stammesfürsten üblich zu sein schien, »aber wir haben den Schleier von vielen Geheimnissen weggerissen.« »Erst dann, wenn alle Diebe gefangen sind, sind eure Freunde frei«, antwortete Shyzz-Korm. Ich hatte diesen Entschluß fast erwartet. Noch vor Mitternacht würde die STERNSCHNUPPE starten, mit oder ohne seine Erlaubnis. »Du bist hart, Shyzz-Korm«, antwortete Fartuloon. »Und erbarmungslos. Der magische Tod des Fremden macht dich nicht nachdenklich?« Er fauchte und gab grollend zurück: »Die Welt ist voller Götter. Und die Wunder sind ebenso zahlreich. Boote kommen aus dem Himmel. Fremde verwandeln sich in Weyngol-Jäger. Es ist nicht erstaunlich, wenn Fremde zu Staub zerfallen.« Er lachte. Dann machte er eine ratlose Geste. »Es erstaunt nicht einmal meinen jüngsten Sohn, wenn aus dem grauen Staub wieder ein Stehler wird.« War das wirklich die Antwort eines Planetariers, der sein Leben mitten in der Natur führte? Wie auch immer: ich mußte akzeptieren, daß diese Ereignisse ihn nicht im geringsten beeindruckten. Ich zeigte nach oben und fragte verärgert: »Darf ich mit deinen Gefangenen sprechen?« Die versteckten Waffen schien niemand entdeckt zu haben. »Geh!« sagte er nur. Ein seltsamer Bursche, kommentierte der Logiksektor. Genau richtig für sein Völkchen. Obwohl ich dank meines perfekten Gedächtnisses nichts vergessen konnte, prägte ich mir den kürzesten Weg zum Gefängnis ein. Chipol und Mrothyr hatten von ihren Bewachern zu essen bekommen und langweilten sich. Inzwischen fing auch ich an, mich gelangweilt zu fühlen. Ich sprach die einzelnen notwendigen Schritte mit den Freunden ab, vertröstete sie auf die Nachtstunden und ging. Noch immer sprach Fartuloon mit dem Horngvan. Sie saßen jetzt am Rand des Brunnens und unterhielten sich, als würden sie sich seit Jahren kennen. »Störe ich?« fragte ich. Shyzz-Korm entging die sarkastische Bedeutung. »Keineswegs«, belehrte mich Fartuloon. »Ich habe ihm gerade erklärt, daß uns das alles nichts mehr angeht. Wir überlegen uns, ob wir gleich mit dem Sternenboot davonfliegen oder erst später, um die Grillen nicht zu stören.« »Nun gut«, meinte ich und winkte. »Ich gehe und mache das Sternenboot zum Abflug fertig.« Fartuloon winkte gönnerhaft und nickte. Ich wußte, daß er wieder eine seiner Komödien spielte. Wofür sie gut sein sollte, ahnte ich noch nicht. Als ich jetzt zum Schiff zurückging, hoffte ich ernsthaft, daß es der letzte längere Spaziergang auf diesem Planeten sein würde. Ich befand mich in einer seltsamen Stimmung, schwankend zwischen Ärger, Niedergeschlagenheit und neuer Hoffnung, als ich der STERNSCHNUPPE erklärte, aus welchen Einzelschritten sich unser Vorhaben zusammensetzte.
»In der Theorie, Atlan, hört es sich gut an. Ich habe genügend technische Möglichkeiten, euch zu helfen. Aber die Jäger des Shyzz-Korm lassen, wie du weißt, nicht mit sich spaßen.« »Das weiß ich«, war meine Antwort. »Vermutlich überstehen wir auch diesen problematischen Start.«
7. Auf dem Bildschirm, der mit dem Restlichtaufhellungs-Verstärker arbeitete, zählte ich die Gestalten rund um das Wrack. Seit zwei Stunden war tiefe Nacht. Niemand sah, was nur wir sehen konnten. »Es sind fünf«, sagte Fartuloon neben mir. »Alle anderen sind damit beschäftigt, die Diebe in einer Gruppe zu fangen.« »Ich verstehe«, antwortete ich nach kurzer Überlegung. »Du hast dem Chef der Jäger eine Horrorgeschichte erzählt.« »Eine von echtem Schrot und Korn!« bekräftigte er. Die »Jäger« versammelten sich am Heck des Wracks. Sie bewegten sich sehr langsam, denn es war stockdunkel. Die zweite Sonde zeigte uns die Aufregung, die sich rund um den Tempel und sogar in den Korridoren und überdachten Gängen abspielte. Uns alle hatte die Spannung längst gepackt. Ich beobachtete jede, auch die geringste Bewegung auf den Bildschirmen. Die STERNSCHNUPPE war startklar. Ich hob die Hand und sagte halblaut, heiser vor Aufregung: »STERNSCHNUPPE! Eine Verbindung mit Chipol.« »Sprich.« »Chipol, Mrothyr… es ist soweit. Versucht, völlig unbemerkt zu flüchten.« »Verstanden.« Fast gleichzeitig hörten wir ein kurzes, scharfes Dröhnen. Dann ein klirrendes Geräusch, das jäh abriß und in leichte, schnelle Schritte überging. Das charakteristische Fauchen des Lähmstrahlers unterbrach die Laute der schnellen Flucht unserer Freunde. Noch immer gab es in der Zone zwischen der Siedlung und dem Wrack keine einschlägige Bewegung. Nur ein paar Nachttiere waren undeutlich zu erkennen. »STERNSCHNUPPE! Neuer Landeplatz!« sagte Fartuloon, nachdem wir einen kurzen Blick gewechselt und uns zugenickt hatten. Ohne eine akustische Antwort zu geben, hob sich das Diskusschiff um einige Meter und schwebte hinüber zum Wrack. Ich hoffte, daß der gerissene alte Häuptling nicht einige Wachen derart gut versteckt hatte, daß sie uns sahen, wir aber nicht sie. Allerdings herrschte dieselbe Dunkelheit auch für die Katzenaugen der Jäger. Es dauerte nur einige Sekunden, bis das Schiff wieder mit äußerster Behutsamkeit landete. Am Rand der breiten Furche senkten sich die Landestützen wieder ins Erdreich. »Schleuse?« »Ist offen.« Fartuloon und ich hielten Scheinwerfer und brauchbare Lähmstrahler in den Händen, als wir hintereinander die Zentrale verließen und über die schmale Rampe in die Dunkelheit hinausliefen. Ich hatte noch die letzten Geräusche im Ohr, die von Mrothyr und Chipol verursacht wurden: Schritte und leise, unterdrückte Zurufe. Wieder das scharfe Sirren eines Paralysatorschusses. Es bedeutete, daß sie jemanden betäubt hatten, der die Flucht sonst verraten hätte. Als ich die Schleuse passierte, glaubte ich, das Plätschern des Wassers aus dem kleinen Lautsprecher hören zu können. Nur einige Male ließen Fartuloon und ich die Handscheinwerfer aufblitzen. Wir stolperten nicht einmal, als wir die wenigen Schritte bis zu dem verbogenen Gerüst zurücklegten. Nacheinander tauchten die Gesandten Gurays aus dem Dunkel auf. Einer schwang sich auf das
Gerüst. Jetzt müssen sie auf dem Pfad sein, flüsterte der Logiksektor. Ich hoffte, daß die STERNSCHNUPPE mich warnte. Immerhin war ein Raumschiff nicht gerade mit den Kampfmethoden von Dschungelkämpfern vertraut. Ich flüsterte: »Chipol? Seid ihr auf dem Pfad?« »Ja. Niemand hat uns aufgehalten. Aber es ist so verdammt dunkel.« »Wenn hinter euch Geheul losgeht, wird’s gefährlich. Zum Wrack, schnell!« »Ist klar.« Ich atmete auf. Fartuloon wandte sich bereits an die falschen Jäger, die uns umstanden. »Was wollt ihr von Bord holen?« fragte er. »Kommt mit. Der Laderaum ist schwer zu finden.« »Ins Schiff?« »Ja.« Nacheinander kletterten wir hinauf und halfen uns gegenseitig, bis wir in der Schleuse standen. Erst dann riskierte ich es, den Scheinwerfer auf Dauerbetrieb zu schalten. Vor mir rannten die Gesandten Gurays, und ihre Körper warfen bizarre Schatten an die Metallwände. Einer von ihnen verschwand in einem Nebengang, und plötzlich senkte sich mit rasselndem Klirren der Schiffskorridor in ganzer Breite ab. Eine schräge Rampe führte nach unten. Zwei Fremde rannten hinunter und zogen an Hebeln, die wir nicht sahen. Die beiden Scheinwerfer erzeugten direktes Licht und solches, das sich an den Wänden brach. Eine winselnde Anlage, an der die beiden Guray-Leute arbeiteten, schob eine große Doppeltür auseinander. Sie trug dichte Rahmen und schien wie ein raumfestes Schott gebaut zu sein. »Hierher!« rief ein Fremder. »Kommt näher. Es eilt.« Wir ließen uns nach unten ziehen und kamen vor dem Doppelschott an, als es sich mit einem scharfen Klicken ganz geöffnet hatte. Teile des Wracks schienen zu vibrieren und schickten metallene Echos durch die verbogene und ausgebrannte Konstruktion. Noch drei Schritte, dann zogen uns unsichtbare Arme um eine Ecke. Es wurde heller. Ein goldfarbenes Licht breitete sich aus und blendete uns schließlich. Über meiner Schulter sagte Fartuloon mit einer fast unkenntlichen Stimme, die vor freudiger Erregung beinahe brach: »Das ist nicht wahr! Ich habe ihn gefunden…« In einem würfelförmigen Raum, dessen Kantenlänge weniger als zehn Meter betrug, ruhte eine Kugel. Sie berührte den Boden, die Decke und die Wände aber nicht ganz. Ihr Durchmesser war kaum geringer als acht Meter. Ihre Oberfläche zeigte die vollkommene Struktur eines golden leuchtenden Kristalls. Ich starrte diesen Riesenkristall, der geheimnisvoll leuchtete, voller Verblüffung an. »Dieses Monstrum wollt ihr mitnehmen?« fragte ich. Fartuloon rührte sich nicht. Er starrte wie hypnotisiert auf dieses Riesenjuwel. »Deswegen haben wir euch hierher geholt«, lautete die Antwort. »Es gibt keine Möglichkeit, ihn mit unserem Schiff mitzunehmen«, erklärte ich wahrheitsgemäß. »Vielleicht in kleinen Stücken. Aber auf keinen Fall im Ganzen. Vergeßt es!« »Dann müssen wir eine andere Lösung…«
Mein Armbandgerät summte grell auf. Gleichzeitig keuchte Mrothyr: »Es wird knapp, Atlan. Sie haben uns bemerkt.« »Verstanden.« Ich stieß zwei Fremde zur Seite, warf mich herum und sprang in langen Sätzen auf die Schrägfläche hinauf. Sekunden später stand ich in der Schleuse und leuchtete die verbogenen Streben an, als ich herunterkletterte. Die letzten eineinhalb Meter ließ ich mich fallen und rollte mich im weichen Boden ab. Der Lichtstrahl stach zwischen den Landestützen der STERNSCHNUPPE hindurch zu jener Stelle hinüber, an der ich den Pfad zwischen Felsen und Bäumen vermutete. Ich traf ihn um einige Meter genau. Hinter dem Schutzschirm schaltete die STERNSCHNUPPE zu unserer besseren Orientierung einen Tiefstrahler ein. Zwei Atemzüge Zeit ließ man mir. Dann meldete sich wieder die STERNSCHNUPPE. »Die ersten Jäger haben wütend die Verfolgung aufgenommen. Gleichzeitig orte ich ein Raumschiff, das genau auf unseren Landeplatz zusteuert. Es ist im Landeanflug.« Ich fluchte und rannte meinen Freunden entgegen. Ich hielt den Arm angewinkelt und versuchte, die verworrenen Geräusche richtig zu deuten. Keuchende Atemzüge, harte, schnelle Schritte und knackende Äste waren Laute, die ich erwartete. Aber das wütende Schreien, Waffenklirren und Fauchen der Jäger vermochte ich bereits ohne den Umweg der Anlage zu hören. Sie waren dicht hinter Mrothyr und Chipol, und wahrscheinlich sahen sie nachts besser als die beiden. Ich bemühte mich, gleichzeitig mich und die Freunde zu beruhigen, und sprach laut und deutlich ins Mikro. »Chipol! Mrothyr! Ich warte am Wrack, bewaffnet. Ihr müßt mein Licht schon sehen. Die STERNSCHNUPPE ist bereit. Gebt einige Schüsse aus dem Lähmstrahler ab und laßt euch nicht nervös machen. Es sind nur noch ein paar Meter…« Mrothyr oder der Daila befolgten meinen Rat augenblicklich. Ich hörte die Geräusche der kleinen Waffe. Eine halbe Sekunde später antwortete das langgezogene, fast trillernde Wutgekreisch der Jäger. Ich sah im Lichtschein einen Pfeil schräg in der Dunkelheit aufblitzen. Dann tauchte Mrothyr auf, der Chipol am Arm gepackt hatte und ihn mit sich zerrte. Beide rannten um ihr Leben. Sie hetzten in weiten Sprüngen zwischen den Steinen hervor. Ich senkte den Scheinwerfer und strahlte ihren Weg an. »Gut so!« brüllte der Zyrpher. Noch hundertfünfzig Meter trennten sie von der angestrahlten Schleuse unseres Schiffes. Aber jetzt fühlte ich eine Reihe von langwelligen Vibrationen über uns. Das fremde Raumschiff! Als sich die Schutzschirme unseres Sternenboots voll aufgebaut hatten, überschütteten zahllose Lichtquellen des anderen Schiffes die Landschaft. Es war plötzlich in einer eng begrenzten Zone taghell geworden. Strahlen zuckten herunter und bildeten eine Art Zaun aus grellen Lichtbalken. Zuerst hielten die Fremden vermutlich meine Freunde für ihre Leute, denn das andere Schiff schwenkte zur Seite, glitt summend auf die Siedlung zu und senkte sich hinter Mrothyr, aber weit vor den Verfolgern, auf den Pfad. Ich wurde geblendet, wir alle mußten die Hände vor die Augen halten. Die Gesandten Gurays! sagte der Logiksektor fast anerkennend, auf jeden Fall verblüfft. Sie haben euch in klassischer Manier hereingelegt. »So ist es«, brummte ich widerwillig.
Die Fremden entfesselten ein Inferno. Verschiedenfarbige Glutstrahlen schlugen in den Boden. Es gab ein furchtbares Zischen, und eine riesige Rauchwolke erhob sich. Ich drehte mich um und sah, was ich erwartet hatte. Zuerst kamen fünf Gestalten aus dem Wrack, dann folgte Fartuloon als die sechste. Ohne uns zu beachten, flüchteten die Fremden. Sie sprangen mit weiten Sätzen auf ihr Raumschiff zu, das sich in eine wild feuernde Drohung aus der Nacht verwandelt hatte und alle Jäger an die alten Legenden von Tod und Untergang aus der Luft erinnerte. Die Gesandten Gurays rasten an Mrothyr und Chipol vorbei, denen ich mit größter Lautstärke zubrüllte: »Sofort ins Schiff. Dort entlang.« Der Schwung trug sie einige Meter an mir vorbei. Erschöpft stolperten sie durch die Strukturöffnung und rannten die Rampe hinauf. Zwei von uns waren in Sicherheit. Wieder begann ich lautlos zu fluchen. Die Gesandten nahmen das Geheimnis, das Guray umgab, mit sich. Sie verschwanden nacheinander in der Schleuse des anderen Schiffes. Fartuloon rief mir zu: »Ich komme gleich wieder. Ich muß hinüber ins Wrack.« Plötzlich bewegte er sich, als wäre er ein sportlich gestählter junger Mann und nicht jemand, den eine heimtückische Krankheit plagte. Er folgte den Freunden in die STERNSCHNUPPE. Die Luft wurde erschüttert durch eine schier endlose Reihe von scharfen Detonationen. Hinter den Bäumen flammten blendende weiße Lichtfluten auf. Das andere Raumschiff stieg in der gewaltigen, von farbigem Feuer durchzuckten Rauchwolke senkrecht in die Höhe. Langsam erloschen die einzelnen Gruppen der Landescheinwerfer. Dann, mit einem hellen, scharfen Summton, stieg es schräg in den Himmel. Ich konnte den Fluchtweg des Schiffes erst dann eine Zeitlang verfolgen, weil der Körper nacheinander bestimmte Gruppen von Sternen verdunkelte. Das war’s, Arkonide! sagte der Logiksektor. Ich wurde überschwemmt von Enttäuschung, verlorenen Hoffnungen und heißem Zorn. Trotzdem beherrschte ich mich so gut wie möglich und bat das Schiff mit erstickter Stimme: »Versuche, den Fluchtkurs anzumessen.« »Natürlich versuche ich es. Die Ergebnisse erfährst du später.« . Ein voller Erfolg, sagte ich 2u mir selbst. Uns bleibt ein Wrack voller unbekannter Schätze und der Zorn der Eingeborenen. Ich blickte in die Richtung der Siedlung. Es war totenstill. Ich schaltete den nutzlosen Scheinwerfer aus und ging zur Rampe. Noch standen die Schutzschirme des Diskus. Als ich fast das Ende der Rampe erreicht hatte, kam Fartuloon aus der Schleuse. Er trug seinen grünen Rucksack. Ich blieb stehen, wie vom Schlag gerührt. Dies war die Nacht der großen Überraschungen und Enthüllungen. »Fartuloon!« sagte ich gepreßt. Schwäche befiel meine Knie. Er blickte mich mit seinen treuen Augen an, und die unzähligen Runzeln seines Gesichts bildeten neue Muster, als er weitersprach. »Komm mit mir hinüber zum Wrack. Ich muß dir etwas zeigen.« Ich nickte, als er mich freundschaftlich umarmte und mit sich zog. Dann fragte ich: »Diesen… Kristall?« »Richtig. Ich weiß nicht, wie die Diebe in seinen Besitz gekommen sind.«
»Das bedeutet doch nicht etwa«, fragte ich fast stotternd, »daß du diesen Riesenbrocken kennst!« »Ich kann mich nicht erinnern, an welcher Stelle in diesem Universum ich ihn deponiert habe.« Automatisch hatte ich die Lampe wieder eingeschaltet und ging neben dem Freund und Lehrmeister zur Schleuse des Wracks. Bei jedem Schritt kamen mehr spezialisierte Erinnerungen zurück. »Du hast begriffen?« fragte er, als er die verbogenen Gestängeteile benutzte. Ich nickte. »Ein Omirgos-Kristall.« »Einer, der für meine Zwecke geeignet ist«, bestätigte Fartuloon. »Der letzte Überlebende aus dem Volk der Calurier hat so viele Kristalle an so vielen Stellen in so mancher Milchstraße deponiert. Daß einer von ihnen in die Hände der Diebe fiel, spielt keine Rolle.« Ich hatte zuerst die wahre Natur des Kristalls nicht erkannt. Mehr als zehn Jahrtausende konnten zwar meine Erinnerungen nicht auslöschen, aber sie waren irgendwo in den weitläufigen Räumen meines Gedächtnisses unter anderen Erinnerungsschichten begraben worden. Jetzt kamen sie und die Ereignisse, die sich damit verbanden, wieder ans helle Licht der klaren Gedanken und Vorstellungen. »Du willst gehen, Fartuloon?« fragte ich. Oft genug hatten wir davon und darüber gesprochen. Jetzt, einen Schritt vor der Wahrheit, lähmte mich der Schmerz des Verlusts. »Es ist das Klügste und für uns beide das Sicherste«, sagte er und ging entschlossen den Schiffskorridor entlang und über die Schrägfläche aus geriffeltem Metall. Wir traten in die Zone des goldfarbenen, warmen Lichts hinein. »Durch den Kristall?« »Er ist auf jenen stillen Winkel programmiert«, klärte mich Fartuloon auf, »den der Sternentramp sich als Schlupfloch ausgesucht hat.« Fartuloon blieb dicht vor der Wandung des Kristalls stehen und wandte sein Gesicht halb mir, halb dem Omirgos zu. »Wo dieser Schlupfwinkel ist, darfst du natürlich auch nicht sagen«, erkundigte ich mich ohne viel Hoffnung auf eine ausführliche Antwort. Er sagte: »Du solltest besser fragen, wann der Schlupfwinkel ist. Und das ist eine kaum zu beantwortende Frage.« »Sehen wir uns wieder?« Diesmal nickte er voller Ernst. »Das ist sicher.« »Wann und wo?« »Das hingegen ist sehr unsicher. Zuerst einmal muß ich meine Krankheit kurieren.« »Also Abschied für eine Ewigkeit?« »Das alles sind relative Begriffe, Worthülsen voller Erhabenheit, mit denen unsereiner nicht hantieren sollte«, wies er mich mit freundlichem Lächeln zurecht. »Warum sollte sich etwas daran ändern, daß ich hin und wieder auftauche und dir meine Gespräche und meinen Rat von zweifelhafter Güte aufdränge?« »Du willst keinen Abschied voller bewegter Gefühle?« Er packte meine Hand und zog mich mit sich. Schritt um Schritt näherten wir uns dem Kristall. Was sollte das? Hatte er vor, mich mitzunehmen in sein Zeitrefugium? Der Omirgos leuchtete grell auf.
Die glatte, gerundete Wand bot keinen Widerstand, als wir beide hindurchgingen. Gleißende Helligkeit umgab uns. Wir befanden uns plötzlich in einer ganz anderen Welt. Blitze zuckten, Finsternis schob sich von irgendwoher heran, und mir schien einige entsetzliche Sekunden lang, als befände ich mich im Zentrum eines wütenden Gewitters. Ich fühlte weder Fartuloons Hand noch meinen Griff um den Scheinwerfer. Ich war völlig desorientiert. Was geschah? Was würde mit mir (und Fartuloon-Colemayn) passieren? Wo oder wann waren wir? Wieder wurde es hell vor meinen Augen. Ich taumelte, und die Helligkeit nahm zu, blendete mich, machte mich blind. Ich stand regungslos da. Jedenfalls bewegte ich bewußt nicht den kleinsten Muskel. Dann nahm die Grelle ab: ich sah vor mir die Wandung des Riesenkristalls, der langsam seine Struktur und die Kraft seines goldenen Leuchtens verlor. Als ich wieder sehen konnte, löste sich der Omirgos-Kristall direkt vor mir zu einem Konglomerat aus kleinen Brocken auf. Sie waren farblos und glänzten nicht mehr. Das Leuchten erlosch, und auch ein winziges, strahlendes Zentrum flackerte nur noch einmal auf. Dann umgab mich die pechschwarze Finsternis des fremden Wracks. Alles war vollkommen lautlos vor sich gegangen. Ich schaltete den Scheinwerfer ein und ging in die STERNSCHNUPPE zurück. Das Schiff startete von Weyngol und entfernte sich rasch vom Planeten der Katzenwesen. Wahrscheinlich war zu den alten Legenden eine neue dazugekommen. Die geschichtlichen Beweise standen dort unten: ein Wrack ohne Namen, mit Schätzen gefüllt, die aus allen Richtungen der kosmischen Windrose zusammengetragen waren.
8. Zwei Stunden nach dem Fluchtstart von Weyngol trieb die STERNSCHNUPPE mit abgeschalteten Antriebseinheiten zwischen den Sternen. Die Bildschirme der Zentrale zeigten die mehr oder weniger vertrauten Bilder der stellaren Umgebung. Ich nahm sie wahr, aber ich befand mich in einer derart hoffnungslosen Stimmung, daß mir jede Einzelheit gleichgültig war. Der Umstand, daß wir einen weiten Schritt nach vorn gemacht hatten, wurde zum bitteren Witz: mit zwei gleichgroßen Schritten rückwärts hatten wir unseren Erfolg wieder vernichtet. Das fremde Räumst 1 uff und die Gesandten Gurays hatten uns um den verdienten Erfolg gebracht. Ohne daß ich eine Frage gestellt hatte, brach das Raumschiff das lastende Schweigen in der Zentrale. »Es ist mir nicht gelungen, die Spur des fremden Rettungsschiffs weit genug zu verfolgen.« Mrothyr, der sofort begriffen hatte, wie tief der Schmerz über den verlorenen Freund in mir saß, übernahm vorübergehend die Leitung unserer seltsamen Mission. »STERNSCHNUPPE«, sagte er, »niemand macht dir einen Vorwurf. Aber die Richtung des Fluchtstarts konntest du anmessen.« »Selbstverständlich. Diese Daten sind gespeichert.« »Damit verfügen wir wenigstens über ein Annäherungsziel«, stellte er fest. Ich hörte die Unterhaltung, merkte mir die Aussagen, aber ihre Bedeutung erreichte mich nicht. Noch nicht. Fartuloon war weggegangen, und in meiner Erinnerung klaffte eine schmale, aber tiefgehende Lücke. »Unter Umständen deckt sich die Flugbahn der unterlichtschnellen Fortbewegung«, erläuterte STERNSCHNUPPE ein wenig gestelzt, »mit dem eigentlichen Ziel.« Immerhin hatten die Gesandten Gurays davon gesprochen, daß ihre Station in einem Sonnensystem lag, das nur wenige Stellarflugstunden weit entfernt war. Ob dies alles zutraf oder nicht – mich bedrückte es nicht. Später würde ich mich wieder darum kümmern. Jetzt trauerte ich um meinen ältesten Freund. Chipol und Mrothyr verstanden meine Trauer und taten das beste, was sie in diesen Stunden vermochten: Sie sprachen mich nicht an und füllten meinen Becher mit Wein. Ich stand auf, vergaß die Vorgänge in der Zentrale und ging langsam bis zu der leeren Kabine, die Fartuloon »bewohnt« hatte. Sie war in der Tat leer. Nicht einmal der seltsame Geruch, der von seinem alten grünen Rucksack ausgegangen war, schwebte in der Luft. Die Liege war abgezogen, neue, gereinigte Laken und Kissen und Decken lagen in robotischer Eckigkeit auf der Fläche. Nicht ein Staubteilchen war vom letzten Calurier übriggeblieben. Betroffen wandte ich mich ab. Der Alkohol half nicht viel, er dämpfte meine Verzweiflung ein wenig. Hilflos hob ich die Schultern und tippte auf die Kontaktfläche. Das Kabinenlicht erlosch. Es war wie ein Zeichen. Fünfzehn, zwanzig Schritt war es bis zu meiner weitaus größeren Kabine. Ich ließ mich in den Sessel fallen und verstrickte mich tiefer und tiefer in meine düsteren Gedanken. Ich weiß nicht, wie lange ich regungslos dagesessen war. Plötzlich fiel mein Blick auf einen Gegenstand, der mitten auf der Bordplatte des Kopfteils lag. In der Dunkelheit sandte das Ding einen fahlen, bernsteinfarbenen Leuchtschimmer aus. Nimm dich zusammen. Verdränge die Betrübtheit! Schöpfe neue Kraft und stelle dich wieder deiner Aufgabe! drängte der Logiksektor unüberhörbar.
Ich griff nach dem strahlenden Gegenstand. Es war ein Kristallstück, etwa so lang wie eineinhalb Finger und eckigelliptisch. Es ähnelte stark dem riesigen Omirgos-Kristall, in dem Fartuloon verschwunden und ich für etliche Sekunden lang eingeschlossen gewesen war. Als der Kristall meine Haut berührte, als sich meine Finger um ihn schlossen, leuchtete er ebenso grell auf wie der Gigant, der im Wrack zu grauem Staub zerfallen war. Eine telepathische Botschaft ertönte. Wort für Wort grub sich eine Stimme in meine Gedanken ein. Ich glaubte, Colemayn-Fartuloon und seine charakteristische Sprechweise zu erkennen. Ich konzentrierte mich auf den Text, der förmlich in mich einsickerte. Ich habe es vorgezogen, dich nicht länger zu belasten – die vielen Gründe dafür kennst du so gut wie ich. Es sind lebenswichtige und honorige Gründe, mein Kristallprinz, der inzwischen erwachsen wurde! War es jener Kristall, den Fartuloon stets dann an seine Brust drückte, wenn er sich besonders schlecht fühlte? Ich hörte weiter zu. Mit jedem neuen Wort kehrte die Erinnerung schneller und klarer zurück. * Das seltsame Gewitter mit Dunkelheit und Blitzen tobte um uns herum. Ich erkannte Fartuloon schemenhaft neben mir. Er packte meine Hand und zog mich zu sich heran. Wir stolperten über eine weiche, nachgiebige Fläche. In einem Raumschiffswrack? Die Blitze zuckten seltener, aber sie dauerten länger. Das Innere der Gewitterwolke wurde heller und dünner. Wir stolperten aus dem Chaos hinaus. Ich hatte meinen Blick zu Boden gerichtet und sah plötzlich, daß wir über einen tiefgrünen, dichten Rasen rannten. Einige Meter voraus begann ein schmaler Weg aus weißen, rechteckigen Steinplatten. »Wo sind wir?« keuchte ich. Wir befanden uns in einer Landschaft, die aus Teilen aller denkbaren Einzelheiten zusammengesetzt, die ein Wesen unserer Art als »schön« klassifizierte. Eine Ebene, leicht gewellt, von riesigen Menhiren und dicken Sträuchern durchzogen, unter einem dunkelblauen Himmel, an dem die schneeweißen Wolken in einem auffallend schnellen Tempo vorüberzogen. Es roch nach frisch geschnittenem Gras und nach trocknenden Gewächsen. »Wir sind nicht wo, sondern wann«, sagte Fartuloon. »Schnell. Wir müssen über den Nullzeit-Pfad rennen.« Ich verstand plötzlich. Fartuloon hatte mich in einem schnellen, emotionellen Entschluß in sein Zeitversteck mitgenommen. Vielleicht wollte er den Abschied auf eine besondere Art weniger schmerzlich machen. »Schneller!« drängte er. Aus der Wolke waren wir auf ein Stück kultiviertes Gelände hinausgelaufen. Zuerst hatten wir eine Art Tor aus weißem Holz oder glattem Stein passiert; zwei engstehende, schlanke Säulen mit zwei geschwungenen, weit überstehenden Querverbindungen. Dieser Eingang sah aus wie die stilisierte Pforte zu einem Tempel auf Terra, dem Planeten Larsaf Drei, und zwar zu einer jener Tempelanlagen aus der japanischen Shogun-Zeit. Bäume, die aussahen wie Zypressen und Zedern. Weiße Riesensteinkeile. Der durchdringende
Geruch des niedrigen Buschwerks. Erinnerungen an frühe Jahre drängten sich auf. Wir rannten auf einem weißen Pfad auf ein Gebäude zu, dessen Kuppel sich sanft geschwungen aus dem tiefen Grün wölbte. Fartuloon rief: »Sieh dich nicht um. Wir haben nur wenig Zeit.« Die umgestülpte Schale des Gebäudes war zwei Bogenschuß weit von uns entfernt. Der Weg führte direkt darauf zu. Ich sah auf den Flächen zu beiden Seiten des zweifach gegabelten Fußwegs seltsame Tiere weiden. Einige von ihnen äugten aufmerksam zu den beiden dahinspurtenden Gestalten herüber. Fartuloons Rucksack sprang auf und ab, und aus seinem Innern klirrte es. Ich sah irdische Pferde in mehreren Größen und Färbungen des Fells. Riesige Rinder mit weit geschwungenem Gehörn hoben ihre langen Köpfe. Zwei Tiere, die wie schlanke, dunkelblaue Tyrannosaurier aussahen, flüchteten mit weiten Schritten ihrer überaus muskulösen Hinterläufe. Die Haut glänzte wie ölübergossenes Leder. Hundert Schritt vor dem Eingang in das Gebäude fiel das Gelände rechts scharf ab. Ich erhaschte einen langen Blick in eine Arena. Die ummauerte Fläche aus weißem Sand war nur von wenigen Sitzreihen umgeben. Eine Säulenreihe schloß dieses Amphitheater gegen die freie Landschaft ab. Hinter den Säulen sah ich einen See oder die Biegung eines breiten Flusses. »Das ist dein Versteck in der Zeit!« rief ich Fartuloon hinterher. Er rannte, als wäre er nicht eine Sekunde lang krank gewesen. »Und auf einer seltsamen, aber durchaus brauchbaren Welt«, gab er zurück, ohne daß sein Atem schwerer ging. Wir rannten und stolperten eine lange, leicht geschwungene Stufenreihe nach unten. Weit hinter den Ausläufern eines großen Waldes aus riesigen Stämmen und Kronen sah ich eine Gebirgskette. Die Gipfel waren von weißem Eis bedeckt. Die Sonnenstrahlen brachen sich strahlend daran. Summend glitt eine mächtige Stahlplatte zur Seite. Fartuloon stürmte in den darunterliegenden Raum hinein. Ich folgte ihm, noch immer so stark verwirrt, daß ich glaubte, ich wäre im Wrack der Gesandten Gurays und dort in einem verrückten Alptraum gefangen. »Hierher, Atlan!« Fartuloons Stimme erzeugte in einer riesigen Halle einige Echos. Hinter mir schloß sich der Eingang wieder. Wir standen in einer lichtdurchfluteten Halle. Ebenso wie sich die Decke nach oben wölbte, vertiefte sich der Boden wie eine flache Schüssel. Von der Decke hingen an unsichtbaren Fäden farbige Kugeln. Über einen auberginenfarbenen Teppich, der so hoch war wie kurzgeschorenes Gras, folgte ich dem Freund bis zum Mittelpunkt der Anlage. Ihr Durchmesser betrug mindestens hundertfünfzig Meter. Als ich zwischen zwei größeren Kugeln hindurchrannte, sah ich, daß es sich um ReliefNachbildungen von Planeten handelte. Ich vergaß zu fragen, als mich Fartuloon hinter eine Reihe von drei Meter hohen, jalousieförmigen Rastern winkte. »Was hast du vor?« fragte ich. Ich keuchte; Schweiß lief von meiner Stirn. »Ich habe versprochen, dir zu helfen. Hierher!« Hinter den Paravents gab es eine breite Öffnung im tiefsten Teil des Hallenbodens. Ich schaute in das Untergeschoß hinein. Nur für wenige Momente konnte ich einige transparente Kugelbehälter erkennen, in denen Gestalten lagen. Eine schlanke, dunkelhaarige Frau, ein Paar goldhäutige Kinder, ein Wesen, das halb wie ein Mensch, halb wie ein Reptil aussah. Summend schalteten sich neben mir irgendwelche Geräte ein. Fartuloon war in rasender Eile. Überdies schien er aufgeregt und sehr bemüht zu sein, keine unnütze Sekunde verstreichen zu lassen. Er packte mich an den Schultern und preßte mich gegen
schalenförmig gekrümmte Elemente einer seltsamen Maschinerie. »Irgendwann oder irgendwo, oder beides zugleich«, sagte er schnell, »wirst du einen großen Omirgos-Kristall finden. Er öffnet dir den Zugang hierher, in diese Zeit, an diesen Ort.« Gleichzeitig mit seinen letzten Worten spürte ich auf dem rechten Oberarmmuskel einen rasenden Schmerz. Es war, als ob sich hundert weißglühende Nadeln in die Haut bohren würden. Ich stieß einen Schrei des Schmerzes und Erschreckens aus. »Der Kristall wird dich durch dieses eingebrannte Zeichen identifizieren. Es genügt, wenn du dich ihm näherst und hineintrittst.« Ich rieb mir, kaum daß er mich losgelassen hatte, die Schulter. Es war nichts zu sehen; der Stoff der Jacke war unversehrt. Der Schmerz ließ rasch nach und verschwand. »Danke«, stammelte ich. »Wo finde ich die Kristalle?« »Nirgendwo und an vielen Stellen. Ich weiß es selbst nicht. Aber es kann irgendwann dein Leben retten. Tut mir leid – mehr kann ich nicht tun. Ich habe schon viel zuviel verraten.« Er zeigte in die Richtung des Ausgangs. Meine Augen glitten schnell in dem seltsamen Raum umher. Es schienen Hunderte von Planetenbildnissen zu sein, die sich langsam drehten. »Du mußt gehen. Renne um dein Leben. Es bringt dich sonst um.« Er drehte mich herum und schlug mit der flachen Hand hart zwischen meine Schulterblätter. »Los! Renne! Verlasse niemals die rechte Spur. Es ist der Nullzeit-Weg.« Ich wollte etwas sagen, drehte mich im Laufen um, wurde unwillkürlich schneller, und plötzlich schrie er aufgebracht: »Verdammt! Du begreifst nicht! Verlasse diese Ebene so schnell wie möglich!« Ich sah ein, daß er es absolut ernst meinte. Ich begann zu rennen und sah, wie vor mir die Platte aufzischte. Mit einem Sprung war ich in der Helligkeit dieser seltsamen Landschaft. Ich nahm drei und vier Stufen auf einmal und stürmte die Treppe hinauf, orientierte mich schnell und rannte, so schnell ich es konnte, über die weißen Platten des Pfades. Links von mir verlief jener Teil des Weges, auf dem wir gekommen waren. Ich begriff nichts. Später würde ich es vielleicht verstehen können. Mit jedem Schritt wurde das Tor mit den geschwungenen Giebelstreben, die wie Striche aus weißer Tusche vor dem dunklen Blau des Himmels aussahen, größer und deutlicher. Geistesabwesend bückte ich mich und hob den Handscheinwerfer auf, den ich verloren hatte. Zwei Schritte jenseits der Torlinie entstand übergangslos wieder die Gewitterwolke. Sie symbolisierte wohl etwas Ähnliches wie den Übergang zwischen zwei Zeitebenen, zwei unterschiedlichen Welten – oder etwas ganz anderes. Ich machte einige Schritte durch die blitzdurchzuckte Finsternis, rang nach Luft und stürzte vorwärts. Ich drehte mich herum und stand plötzlich wieder im Wrack. Vor mir zerfiel der Omirgos-Kristall. Und kaum, daß ich diese deutlichen Erinnerungen vor mir hatte aufziehen sehen, verschwanden sie wieder. Aber sie hatten einen soliden, erfreulichen Nebeneffekt ausgelöst. *
Zwischen meinen Fingern leuchtete und strahlte der kleine Kristallsplitter. Die Zwischenräume und die obersten Hautschichten wurden fast völlig durchlässig. Ich sah meine Fingerknochen als dunkle Schatten. Fartuloons Worte senkten sich wie warmes Öl auf meine wirbelnden Gedanken. Ich habe dich zurücklassen müssen, Atlan. Eines Tages werden wir uns wieder treffen. Ich bin es nicht, der Ort und Stunde bestimmen kann. So wie du bin auch ich ein Werkzeug übergeordneter Mächte. Jedes einzelne Wort war wie ein Stromstoß. Ich begann zu fühlen, wie mich meine hoffnungslose Niedergeschlagenheit verließ. Ein dünner Strom frischer Kräfte ergoß sich in mich. Begierig wollte ich mehr hören und empfangen. Dieser kleine Kristall, Abbild und artverwandt mit dem Riesenbrocken, wird dir helfen, deinen Zustand zu verbessern. Es ist wünschenswert, daß du die Trennung von den Kosmokraten und ihren Helfern leichter nimmst. Stell dich auf deine eigenen Füße. Ich murmelte im Selbstgespräch: »Leichter gesagt als getan, Bauchaufschneider. Aber ich bin schon auf diesem Weg.« Die Stimme des Kristalls wurde schwächer und leiser. Aber was sie sagte, war nicht weniger wichtig. Auch den Unterschied zu deinem bisherigen Leben wirst du dank der Vorfälle und meiner Ratschläge leicht erkennen und überwinden. Du mußt dich lossagen und losreißen. Lebe wohl, Freund Atlan. Vergiß die Depressionen! Spürte ich Fartuloons leises, freundschaftlich-sarkastisches Gelächter? Mich wirst du ohnehin nicht so leicht und schnell vergessen können, Atlan! Die Stimme schwieg. Das Glühen des Kristalls hörte schlagartig auf. Als ich die Finger löste und die Hand öffnete, zerfiel der Kristall auf meiner Handfläche in weißgrauen Staub, der von meinem nächsten Atemzug hochgewirbelt und von dem Luftstrom der Umwälzanlage angesogen wurde. Noch immer ein wenig ratlos, aber von neuer Hoffnung und einer deutlichen Welle der Entschlußkraft erfüllt, stand ich auf. Noch hatten wir in der STERNSCHNUPPE kein Ziel. Aber zusammen mit dem Kurs des anderen Raumschiffs und einem weiteren Versuch, aus den unzähligen Hyperraumfunksprüchen einen neuen, interessanten Hinweis herauszufischen, würde ich das Schiff auf einen erfolgversprechenden Kurs bringen. Mein erklärtes Ziel war das Zusammentreffen mit Guray, dem Schutzpatron der Piraten. ENDE
Nach Colemayn/Fartuloons jähem Verschwinden geht Atlan der Spur nach, die er auf der Welt der Weyngolen aufgenommen hatte. Die STERNSCHNUPPE bringt den Arkoniden und seine Begleiter zum Planeten der erloschenen Sonne – und dort kommt es zum Kontakt mit Guray… KONTAKT MIT GURAY – so lautet der Titel des nächsten Atlan-Romans, der von Arndt Ellmer geschrieben wurde.