26. 8. 2002
Carnacki the Ghost Finder Nr. 3 "Das pfeifende Zimmer" von William Hope Hodgson Übersetzung aus dem Englisc...
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26. 8. 2002
Carnacki the Ghost Finder Nr. 3 "Das pfeifende Zimmer" von William Hope Hodgson Übersetzung aus dem Englischen von Martin Clauß
sagen – bis zu diesem Moment bin seht ihr mich durch und durch ratlos. Ich bin mitten in einen der ungewöhnlichsten Spukfälle getappt, die ich je erlebte. Hört zu! Die letzten Wochen habe ich auf Schloß Iastrae verbracht, etwa zwanzig Meilen nordöstlich von Galway. Ich hatte vor ungefähr einem Monat einen Brief von einem Mr. Sid K. Tassoc erhalten, der das Anwesen offenbar erst seit kurzem besaß und erst bei seinem Einzug bemerkte, welches eigentümliche Gut er da erworben hatte. Als ich dort eintraf, erwartete er mich am Bahnhof mit einer Ausflugskutsche und fuhr mich zum Schloß hinauf, das er übrigens seine „Hütte“ nannte. Ich erfuhr, daß er dort mit seinem jüngeren Bruder und einem anderen Amerikaner hauste, der zur Hälfte sein Diener, zur Hälfte sein Freund zu sein schien. Anscheinend hatten alle Bediensteten den
Carnacki schüttelte mir seine freundliche Faust entgegen, als ich mit Verspätung eintraf. Dann öffnete er die Tür in sein Eßzimmer und geleitete uns vier – Hessop, Arkright, Taylor und mich – zum Abendessen hinein. Wir speisten gut, wie immer, und Carnacki verhielt sich während des Essens sehr still, wie wir das ebenfalls so gewohnt waren. Am Ende nahmen wir unsere Weingläser und die Zigarren mit an unsere vertrauten Plätze, und Carnacki – der es sich in seinem großen Sessel bequem gemacht hatte – begann ohne Vorrede: „Ich komme gerade wieder aus Irland zurück. Und ich dachte mir, ihr Burschen wärt vielleicht begierig darauf, meine Neuigkeiten zu hören. Ich glaube auch, ich werde klarer sehen, nachdem ich alles in seiner Abfolge erzählt habe. Eines muß ich euch allerdings gleich zu Beginn 2
Ort geschlossen verlassen, und nun versorgten sie sich selbst, mit der Unterstützung einer Tagesaushilfe. Die drei hatten eine Mahlzeit improvisiert, und Tassoc erzählte mir alles über das Problem, während wir zu Tisch saßen. Es ist eine höchst sonderbare Angelegenheit und unterscheidet sich von allem, womit ich bislang zu tun hatte; obwohl der Fall mit dem Summen auch recht merkwürdig war. Tassoc begann mitten in der Geschichte. ‚Wir haben einen Raum in dieser Hütte’, sagte er, ‚der hat ein richtig höllisches Pfeifen im Leib; eine Art Spuk. Das Getöse beginnt aus heiterem Himmel; man kann nie sagen, wann; und es dauert so lange, bis man es mit der Angst zu tun bekommt. Die ganzen Hausangestellten sind weg, wie Sie wissen. Es ist kein normales Pfeifen, und der Wind ist es auch nicht. Warten Sie,
bis Sie es selbst hören.’ ‚Wir tragen alle Waffen’, sagte der Jüngste und klatschte auf seine Manteltasche. ‚Ist es so schlimm?’ meinte ich, und der ältere Junge nickte. ‚Das klingt vielleicht feige’, erwiderte er, ‚aber warten Sie nur ab, bis Sie es gehört haben. Manchmal denke ich, es kommt aus der Hölle, und dann glaube ich wieder, jemand spielt mir einen Streich.’ ‚Wozu?’ fragte ich. ‚Was hätte man davon?’ ‚Sie wollen sagen’, meinte Tassoc, ‚daß die Leute meistens einen guten Grund haben, um solche ausgefuchsten Streiche zu spielen. Ich sag’ Ihnen was. Es gibt eine Frau in dieser Provinz, sie heißt Miss Donnehue, und sie wird meine Frau werden, heute in zwei Monaten. Sie ist schöner als es Gottes Wille ist, und soweit ich sehe, habe ich meinen Schädel da in ein Nest voll irischer Hornissen 3
gesteckt. Gut und gerne zwanzig junge Iren machen ihr in den letzten zwei Jahren den Hof, und nun, wo ich daherkomme und sie alle aussteche, sind sie ziemlich sauer. Fangen Sie jetzt an zu begreifen?’ ‚Durchaus’, sagte ich. ‚In gewisser Weise; aber mir ist nicht klar, wie all das mit diesem Zimmer zusammenhängt.’ ‚Ganz einfach’, sagte er. ‚Als ich mit Miss Donnehue alles klarmachte, sah ich mich nach einer Bleibe um und kaufte diese kleine Hütte hier. Später erzählte ich ihr – eines Abends beim Dinner –, daß ich vorhatte, mich hier oben niederzulassen. Sie fragte mich, ob ich keine Angst vor dem pfeifenden Zimmer hätte. Ich antwortete, das Zimmer sei wohl eine Gratiszugabe, denn ich hatte nichts davon gehört. Einige ihrer männlichen Freunde waren anwesend, und ich sah, wie ein Grinsen die Runde machte. Nach einigem Herumfragen fand
ich heraus, daß in den letzten zwanzig Jahren eine Reihe von Leuten dieses Anwesen gekauft hatten. Und nach einer kurzen Probezeit erschien es immer wieder auf dem Markt. Die Burschen fingen an, mich zu reizen, und boten mir an, nach dem Essen eine Wette abzuschließen, daß ich es keine sechs Monate an diesem Ort aushalten würde. Ich warf Miss Donnehue mehrmals einen Blick zu, um sicherzugehen, daß ich die Pointe dieses Palavers nicht verpaßte; aber ich merkte, daß sie es überhaupt nicht lustig fand. Zum Teil, nehme ich an, weil die Männer mich mit einer Menge Spott bedachten, und zum Teil, weil sie tatsächlich an ein Körnchen Wahrheit in dieser Geschichte vom Pfeifenden Zimmer glaubte. Nach dem Dinner jedenfalls gab ich mein Bestes, um es den anderen heimzuzahlen. Ich akzeptierte jede ihrer Wetten und legte sie darauf fest. Ich 4
gehe davon aus, daß einige von ihnen ziemlich verstimmt sein werden, außer ich verliere, was ich nicht vorhabe. Also, das ist praktisch die ganze Story.’ ‚Nicht ganz’, warf ich ein. ‚Bis jetzt weiß ich nur, daß Sie ein Schloß mit einem Raum gekauft haben, der merkwürdig ist, und daß Sie ein paar Wetten abgeschlossen haben. Ich habe auch mitbekommen, daß Ihre Bediensteten es mit der Angst zu tun bekommen und ihr Heil in der Flucht gesuchthaben. Erzählen Sie mir bitte etwas über das Pfeifen.’ ‚Das?’ sagte Tassoc. ‚Das fing in der zweiten Nacht an. Ich hatte mir den Raum ganz genau angesehen, bei Tageslicht, wie Sie verstehen werden, weil mir das Gerede oben in Arlestrae, bei Miss Donnehue, zu denken gegeben hat. Aber er sieht so gewöhnlich aus wie die meisten anderen Räume im alten Flügel, ein bißchen einsamer vielleicht. Das kann
aber von dem Gerede kommen, verstehen Sie? Das Pfeifen begann gegen zehn Uhr, in der zweiten Nacht, wie ich schon sagte. Tom und ich waren in der Bibliothek, als wir ein ausgesprochen seltsames Pfeifen hörten, aus dem östlichen Flur – das Zimmer ist im Ostflügel, wissen Sie. „Das ist der verdammte Geist!“ sag’ ich zu Tom, und wir schnappen uns die Lampen vom Tisch weg und gehen rauf, um uns das anzusehen. Ich sag’ Ihnen, während wir noch den Flur hochlaufen, krieg’ ich Schmetterlinge in den Bauch, so verflixt komisch klang das. Es war eine Art Melodie, irgendwie, aber eher so, als würde der Teufel oder irgend etwas Vermaledeites Sie auslachen und sich von hinten an Sie heranschleichen. So fühlt sich das an. Als wir die Tür erreichten, warteten wir nicht lange, sondern stießen sie auf; und dann, das sage ich Ihnen, kam dieser Ton 5
wie ein Schlag ins Gesicht. Tom sagt, ihm ging es genauso – er fühlte sich irgendwie verdattert und überrascht. Wir sahen uns im ganzen Zimmer um und wurden bald so kribbelig, daß wir einfach rauszischten, und ich schloß die Tür ab. Wir kamen runter, ziemlich von der Rolle. Dann fanden wir wieder zu uns und waren überzeugt davon, daß man uns ganz schön drangekriegt hatte. Wir bewaffneten uns also mit Stöcken und durchstreiften das Gelände, weil wir dachten, eine Handvoll dieser verdammten Iren hätten uns einen Geisterspuk aufgebunden. Aber da war keine Seele. Wir gingen zurück ins Haus, sahen überall nach und statteten schließlich dem Zimmer einen weiteren Besuch ab. Wir liefen gleich wieder raus und verschlossen die Tür zum zweiten Mal. Ich weiß nicht, wie ich es in Worte packen soll; aber ich hatte das Gefühl,
daß uns etwas enorm Gefährliches gegenüberstand. Seither, wissen Sie, tragen wir die Waffen bei uns. Freilich stellten wir am nächsten Tag den Raum auf den Kopf, und das ganze Häuschen dazu; wir jagten sogar auf dem Grundstück herum, aber da gab’s nichts Ungewöhnliches aufzuspüren. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich denken soll, außer daß der vernünftige Teil von mir sagt, es muß ein Plan dieser wilden Iren sein, mich das Muffesausen zu lehren.’ ‚Seither irgend etwas unternommen?’ fragte ich. ‚Jau’, sagte er. ‚Die Tür des Zimmers bei Nacht von außen beobachtet, auf dem Grundstück herumgestreift, die Wände und den Fußboden abgeklopft. Wir haben alles getan, was uns einfiel; und es fängt an, uns auf die Nerven zu gehen; also haben wir Sie gerufen.’ Mittlerweile hatten wir unser Mahl beendet. Als wir uns vom Tisch erhoben, 6
rief Tassoc plötzlich: ‚Scht! Hört!’ Wir verstummten sofort und lauschten. Dann vernahm ich es, ein außergewöhnliches heulendes Pfeifen, monströs und unmenschlich, das von weither aus dem Flur zu meiner Rechten kam. ‚Gott im Himmel!’ rief Tassoc. ‚Und dabei ist es noch nicht mal richtig dunkel! Schnappt euch die Kerzen da, beide, und hinter mir her.’ In wenigen Augenblicken waren wir alle zur Tür hinaus und rannten die Stufen empor. Tassoc bog in einen langen Korridor ein, und wir folgten, während wir unsere Kerzen so gut wie möglich abschirmten. Der Ton schien den gesamten Gang zu erfüllen, als wir uns näherten, bis ich den Eindruck hatte, die gesamte Luft erbebe unter der Kraft einer ungebändigten gewaltigen Macht – das Gefühl eines echten, sagen wir, Hauchs von Monstrosität um uns herum.
Tassoc schloß die Tür auf, versetzte ihr einen Stoß mit dem Fuß, sprang zurück und zog seinen Revolver. Als die Tür auflog, schlug uns der Ton entgegen, mit einer Wirkung, die man jemandem unmöglich beschreiben kann, der ihn nicht selbst gehört hat – mit einer gewissen, grauenvollen persönlichen Note darin, als schaukle und knarze das Zimmer voll irrsinniger, widerwärtiger Freude im Takt seines eigenen abscheulichen Flötens und Pfeifens und Heulens. Dazustehen und zu lauschen bedeutete zu verstehen. Es war, als zeige euch jemand die Öffnung eines gewaltigen Abgrundes und sagte: ‚Das ist die Hölle.’ Und ihr wißt, daß er die Wahrheit spricht. Könnt ihr es ein klein wenig nachempfinden? Ich machte einen Schritt zurück ins Zimmer, hielt die Kerze über meinen Kopf und sah mich eilig um. Tassoc und sein Bruder stellten sich neben mich, der 7
Mann verharrte hinter mir, und wir alle hielten unsere Kerzen empor. Ich war taub von dem schrillen, flötenden Heulen des Pfeifens; und dann schien etwas mit klarer Stimme zu mir zu sagen: ‚Verschwindet von hier – schnell! Schnell! Schnell!’ Wie ihr Burschen wißt, ignoriere ich dergleichen niemals. Manchmal mögen es nur die Nerven sein, doch ihr werdet euch erinnern, daß mich genau eine solche Warnung damals rettete, im Fall des ‚Grauen Hundes’ und bei den Experimenten des ‚Gelben Fingers’, sowie bei vielen anderen Gelegenheiten. Ich wandte mich ruckartig zu den anderen um. ‚Raus!’ sagte ich. ‚Um Himmels Willen, raus hier, schnell!’ Und in einem einzigen Augenblick hatte ich sie draußen im Flur. Ein außergewöhnliches Kreischen mischte sich in das grauenvolle Pfeifen, und dann, wie ein Donnerschlag,
herrschte vollkommene Stille. Ich warf die Tür zu und verschloß sie. Mit dem Schlüssel in der Hand betrachtete ich die anderen. Sie waren tüchtig weiß geworden, und ich kann mir vorstellen, daß ich nicht anders aussah. Da standen wir für einen Moment, schweigend. ‚Gehen wir hier weg, trinken wir einen Whisky’, meinte Tassoc schließlich mit einer Stimme, die beiläufig klingen sollte; und er führte uns zurück. Ich war der hinterste Mann, und wir sahen alle immer wieder über unsere Schultern. Kaum waren wir unten, ließ Tassoc die Flasche herumgehen. Er trank selbst einen Schluck und knallte sein Glas auf den Tisch. Dann setzte er sich mit einem dumpfen Schlag nieder. ‚Das ist großartig, sowas im Haus bei sich zu haben, hab’ ich recht?’ meinte er, und anschließend: ‚Was in aller Welt hat Sie dazu getrieben, uns alle rauszuscheuchen, Carnacki?’ 8
‚Etwas schien mir zu raten, sofort zu verschwinden’, sagte ich. ‚Klingt ein wenig nach dummem Aberglauben, ich weiß; aber wenn man sich mit solchen Dingen anlegt, muß man auf seltsame Eingebungen achtgeben und das Risiko eingehen, ausgelacht zu werden.’ Ich erzählte ihm von der Angelegenheit mit dem ‚Grauen Hund’, und er nickte ausgiebig dazu. ‚Freilich’, sagte ich, ‚mag das alles nur das Versteckspiel Ihrer Möchtegernrivalen sein; aber obwohl ich meinen Geist für alles offenhalte, habe ich persönlich den Eindruck, daß der Sache etwas Unheimliches und Bedrohliches anhaftet.’ Wir unterhielten uns noch geraume Zeit, bevor Tassoc Billiard vorschlug, das wir dann eher halbherzig auch spielten. Währenddessen spitzten wir die Ohren und hörten uns nach Geräuschen um, doch es gab keine, und später, nach dem Kaffee, schlug er vor, früh schlafen zu
gehen und das Zimmer am nächsten Morgen gründlich abzuklopfen. Mein Schlafzimmer lag im neueren Teil des Schlosses, und die Tür führte in die Gemäldegallerie. Am östlichen Ende der Galerie war der Eingang zum Korridor des Ostflügels; dieser war von der Galerie durch zwei alte und schwere Eichentüren abgetrennt, die sich neben den moderneren Türen der einzelnen Räume merkwürdig und kurios ausnahmen. Als ich auf mein Zimmer kam, ging ich nicht zu Bett, sondern begann meinen Instrumentenkoffer auszupacken, dessen Schlüssel ich bei mir getragen hatte. Mir lag im Sinn, augenblicklich vorbereitende Schritte zur Inspektion des seltsamen Pfeifens einzuleiten. Bald darauf, als sich Stille über das Schloß gesenkt hatte, schlüpfte ich aus meinem Zimmer und hinüber zum Eingang des großen Korridors. Ich öffnete eine der niedrigen, plumpen Türen und 9
schleuderte den Strahl meiner Taschenlampe den Flur hinab. Er war leer, und ich durchschritt die Tür und schloß das Eichenportal hinter mir. Dann lief ich durch den großen Flur, den Revolver griffbereit und mein Licht abwechselnd nach vorn und nach hinten richtend. Ich hatte mir einen ‚Schutzgürtel’ aus Knoblauch um den Hals gehängt. Sein Geruch erfüllte den Korridor und schien mir Sicherheit zu geben; denn wie ihr wißt, stellt er einen hervorragenden Schutz dar gegen die üblicheren AeiiriiAusformungen von halb-körperlichem Charakter, von denen ich annahm, sie könnten für das Pfeifen verantwortlich zeichnen; allerdings war ich in diesem Stadium meiner Untersuchung auch darauf eingestellt, eine völlig natürliche Ursache dafür zu finden; denn es ist erstaunlich, welche enorme Zahl von Fällen schlußendlich nichts Paranormales
in sich trägt. Zusätzlich zu der Halskette hatte ich mir den Knoblauch locker in die Ohren gesteckt, und da ich nicht vorhatte, länger als einige Minuten in dem Raum zu verweilen, hoffte ich, sicher zu sein. Als ich nach der Tür griff und mit der Hand in meiner Tasche nach dem Schlüssel kramte, fühlte ich meinen Mut nachlassen. Aber ich würde nicht umkehren, falls es sich vermeiden ließ. Ich schloß die Tür auf und drehte den Griff. Dann versetzte ich der Tür einen scharfen Stoß mit dem Fuß, wie Tassoc es getan hatte, und zog meinen Revolver, obwohl ich nicht wirklich damit rechnete, ihn benützen zu müssen. Mit der Lampe leuchtete ich den ganzen Raum ab und betrat ihn schließlich mit dem widerwärtigen Gefühl, der lauernden Gefahr ins Messer zu laufen. Da stand ich einige Minuten lang, abwartend, und nichts geschah. Der leere 10
Raum präsentierte sich mir von einer Ecke zu anderen. Und dann, wißt ihr, fiel mir auf, daß das Zimmer mit einer abscheulichen Stille gefüllt war; versteht ihr? Eine Art absichtlichen Schweigens, ebenso ekelhaft wie jedes einzelne dieser scheußlichen Geräusche, die diese Mächte zu schaffen vermögen. Entsinnt ihr euch, was ich euch über die Angelegenheit des ‚Stillen Gartens’ berichtet habe? Dieser Raum hier wies exakt dieselbe bösartige Stille auf – die bestialische Stille eines Wesens, das dich beobachtet und doch selbst nicht zu sehen ist, und das denkt, es hat dich in der Falle. Oh, ich erkannte es sofort und riß den oberen Teil von meiner Laterne herunter, um das Licht im ganzen Zimmer zu haben. Dann machte ich mich wie wütend an die Arbeit und behielt dabei meine Umgebung im Auge. Ich versiegelte die beiden Fenster mit menschlichen Haaren,
einmal quer darüber und dann jeden einzelnen Rahmen. Während ich arbeitete, stahl sich eine seltsame, kaum fühlbare Spannung in die Atmosphäre des Ortes, und die Stille schien, falls ihr versteht, was ich meine, noch dichter zu werden. Ich begriff, daß ich ohne ‚Vollschutz’ hier nichts zu suchen hatte; denn ich war mittlerweile fast sicher, es handelte sich nicht nur um eine AeiiriiAktivität, sondern um eine der schlimmsten Formen, wie etwa die Saiitii; ähnlich diesem Fall vom ‚Grunzenden Mann’, wenn ihr euch erinnern könnt. Ich stellte das Fenster fertig und eilte zum großen offenen Kamin hinüber. Ein gigantisches Ding, mit merkwürdigen ‚Galgeneisen’, wie man sie wohl nennt, die von der Rückseite des Bogens hervorwachsen. Ich versiegelte die Öffnung mit sieben menschlichen Haaren – das siebte kreuzte die anderen sechs. Dann, als ich eben zum Ende kam, 11
schwoll im Zimmer ein tiefes, spöttisches Pfeifen an. Ein kaltes, nervöses Prickeln lief mein Rückgrat hinauf und von hinten über meine Stirn. Der grauenhafte Ton füllte den Raum als ein außerordentlich groteskes Zerrbild menschlichen Pfeifens, zu gewaltig für das eines Menschen – als ob ein zyklopisches, monströses Etwas sanft diese Töne produzierte. Während ich den letzten Augenblick damit beschäftigt war, das letzte Siegel festzudrücken, hatte ich keinen Zweifel mehr, es mit einem dieser seltenen und furchtbaren Fälle zu tun zu haben, bei denen das Unbelebte die Funktionen des Belebten nachahmte. Ich griff nach meiner Lampe und huschte schnell zur Tür, sah dabei über die Schulter und harrte des zu Erwartenden. Es kam, als ich eben meine Hand auf den Türgriff legte – ein Quietschen voll unglaublicher, bösartiger Wut, das sich durch das tiefe Heulen des Pfeifens bohrte. Ich stürzte
hinaus, knallte die Tür zu und war in recht eigenartiger Stimmung; denn es war höllisch knapp gewesen... ‚Es gybt da keynen Schutz durch heyl’ge Obhuth, wenn das Ungethuem die Macht habe, durch Holz und Steyn zu sprechen.’ So lautet der Abschnitt im Sigsand MS., und ich habe den Beweis in der Angelegenheit mit der ‚Nickenden Tür’ erbracht. Gegen diese speziellen Monster gibt es keinen Schutz, außer vielleicht für einen kurzen Zeitraum; denn es kann sich in dem schützenden Material, das man benutzt, materialisieren, und es verfügt über die Kraft, sich ‚mytten im Penthakel’ zu formen, wenn auch nicht sofort. Gewiß bleibt noch die Möglichkeit der Unbekannten Letzten Linie des Saaamaaa-Rituals; doch diese ist zu unsicher, um sich darauf zu verlassen, und das Risiko ist zu entsetzlich; zumal selbst dieses nicht vermag, einen für mehr als ‚vielleicht fynf Schlaege des 12
Hertzens’ zu schützen, wie das Sigsand berichtet. Im Zimmer herrschte nun ein beständiges, meditatives, heulendes Pfeifen; doch es verklang bald, und die folgende Stille schien noch bedrohlicher; denn in der Stille liegt die Ahnung des verborgenen Bösen. Nach kurzem versiegelte ich die Tür mit gekreuzten Haaren und ging rasch den großen Korridor hinab und zu Bett. Lange Zeit lag ich wach, doch schließlich fand ich ein wenig Schlaf. Gegen zwei Uhr allerdings weckte mich das flötende Pfeifen des Raumes, das mich selbst durch die geschlossenen Türen erreichte. Der Ton war markerschütternd und schien durch das gesamte Haus zu pulsieren. Als ob (an diesen Gedanken erinnere ich mich) ein monströser Riese am Ende des großen Ganges mit sich selbst einen irren Karneval feierte.
Ich erhob mich, setzte mich auf die Kante des Bettes und fragte mich, ob ich den Flur hinabgehen und einen Blick auf das Siegel werfen sollte; plötzlich pochte jemand an meine Tür, und Tassoc kam herein, die Kleider über seinem Pyjama. ‚Ich dachte mir, es hat sie bestimmt geweckt, also kam ich, um mit Ihnen zu reden’, erklärte er. ‚Ich jedenfalls kann kein Auge zutun. Wunderschön! Nicht wahr?’ ‚Außerordentlich’, meinte ich und warf ihm mein Zigarettenetui zu. Er zündete sich eine Zigarette an, und wir saßen da und redeten über eine Stunde lang; während dieser gesamten Zeit hielt der Lärm vom Ende des Korridors an. Unvermittelt stand Tassoc auf. ‚Nehmen wir unsere Waffen und sehen wir uns dieses Vieh genauer an’, sagte er und wandte sich zur Tür. ‚Nein!’ rief ich. ‚Um Himmels Willen – 13
NEIN! Noch kann ich nichts Genaues sagen, aber ich gehe davon aus, daß das Zimmer so gefährlich ist, wie wir es uns nur vorstellen können.’ ‚Ein Spuk – ein echter Spuk?’ fragte er scharf und ohne jedes Anzeichen seines früheren Spottes. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich eine solche Frage natürlich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten könne, daß ich aber hoffe, bald eine Stellungnahme abgeben zu können. Dann hielt ich ihm einen kleinen Vortag über die Falsche Wiederverstofflichung der Lebenskraft durch das Unbelebt-Träge. Er begann zu begreifen, in welch spezieller Weise das Zimmer eine Gefahr darstellen konnte, falls es tatsächlich einer solchen Manifestation unterworfen war. Etwa eine Stunde später endete das Pfeifen recht jäh, und Tassoc begab sich wieder zu Bett. Auch ich legte mich wieder hin und fand schließlich noch ein
wenig Schlaf. Am Morgen kehrte ich zu dem Raum zurück. Die Siegel auf der Tür fand ich intakt vor. Dann trat ich ein. Die Siegel auf den Fenstern und die Haare waren in Ordnung, doch das siebte Haar über dem Kamin war zerrissen. Das gab mir zu denken. Ich wußte, daß es möglicherweise einfach gerissen war, weil ich es zu stark gespannt hatte; doch andererseits mochte es ebensogut von etwas anderem beschädigt worden sein. Allerdings war es kaum möglich, daß ein Mensch sich zwischen den sechs intakten Haaren durchgezwängt hatte; denn niemand hätte sie jemals wahrgenommen, hätte er den Raum auf diesem Weg betreten, und wäre einfach hindurchgelaufen, ohne etwas davon zu bemerken. Ich entfernte die anderen Haare und die Siegel. Dann sah ich den Kamin hinauf. Er stieg gerade nach oben, und 14
ich konnte den blauen Himmel an seinem Ende erkennen. Es war ein großer, offener Feuerabzug, frei von jeglichen Hinweisen auf Verstecke oder Nischen. Freilich traute ich einer solch oberflächlichen Untersuchung nicht, und nach dem Frühstück zog ich meinen Overall über, kletterte den ganzen Weg hinauf und klopfte die Wände ab; doch ich fand nichts. Wieder unten angekommen, nahm ich mir den gesamten Raum vor – den Fußboden, die Decke, die Wände. Ich teilte alles in Quadrate von sechs Inch Seitenlänge ein und klopfte es mit Hammer und Sondiergerät ab. Nichts Ungewöhnliches war zu entdecken. Im Anschluß daran begann ich eine dreiwöchige Inspektion des ganzen Schlosses, in derselben gründlichen Weise. Ich ging noch weiter; nachts, wenn das Pfeifen begann, unternahm ich Versuche mit dem Mikrophon. Versteht
ihr, wenn das Pfeifen mechanischen Ursprungs war, würde diese Methode mir die Arbeitsweise der Maschinerie verraten können, falls eine solche in den Wänden verborgen war. Das war eine hochmoderne Versuchsanordnung, wie ihr zugeben müßt. Natürlich glaubte ich nicht wirklich, daß einige von Tassocs Rivalen eine mechanische Appartur errichtet hatten; aber ich hielt es für möglich, daß vor vielen Jahren ein Gerät eingebaut worden war, welches das Pfeifen erzeugte, vielleicht mit der Absicht, den Raum von neugierigen Blicken freizuhalten. Versteht ihr, was ich meine? Dann war es auch denkbar, daß jemand das Geheimnis der Maschinerie kannte und sein Wissen dazu einsetzte, Tassoc diesen diabolischen Streich zu spielen. Die MikrophonVersuche an den Wänden hätten mir so etwas gewiß enthüllt; aber in diesem Schloß gab es keine derartigen Apparate, 15
so daß ich jetzt praktisch keinen Zweifel mehr hatte, daß ich es mit einem echten Fall dessen zu tun hatte, was landläufig als ‚Spuk’ bezeichnet wird. Die ganze Zeit über – jede Nacht, und manchmal beinahe die ganze Nacht hindurch – blieb das dröhnende Pfeifen unerträglich. Es war, als sei ein intelligentes Etwas gewahr, daß Schritte gegen es unternommen wurden, und es flöte und heule in wilder, spöttischer Verachtung. Ich sage euch, es war so außergewöhnlich wie es furchtbar war. Wieder und wieder ging ich hinüber – auf Zehenspitzen in Strümpfen – zu der versiegelten Tür (denn ich hielt den Raum stets versiegelt). Ich ging zu verschiedenen nächtlichen Stunden hinüber, und oftmals schien das Pfeifen im Inneren eine brutale, heimtückische Note zu bekommen, als nehme mich das halb-belebte Monstrum durch die geschlossene Tür wahr. Die ganze Zeit
über war der Korridor von dem Kreischen, Flöten und Pfeifen erfüllt, und ich fühlte mich mächtig verloren, der ich mich da auf eines der Geheimnisse der Hölle einließ. Jeden Morgen betrat ich den Raum und untersuchte die unterschiedlichen Haare und Siegel. Wißt ihr, nach der ersten Woche hatte ich die gesamten Wände mit parallel verlaufenden Haaren bedeckt, und die Decke ebenso, doch auf dem Fußboden, der aus poliertem Stein war, hatte ich kleine, farblose Hostien aufgestellt, mit der klebrigen Seite nach oben. Jede Hostie war nummeriert, und sie waren nach einem festen Plan angeordnet, damit ich später die exakte Bewegung jedes lebenden Wesens nachvollziehen konnte, das über diesen Fußboden ging. Ihr werdet verstehen, daß kein materielles Wesen dieses Zimmer in irgend einer Weise betreten konnte, ohne 16
eine Menge Spuren zu hinterlassen. Doch nie wurde etwas verändert, und ich begann mich mit dem Gedanken zu befassen, eine Nacht in dem Raum zu riskieren, innerhalb des Elektrischen Pentakels. Ich wußte, daß es verrückt war, aber ich war ratlos und bereit, alles zu tun. Einmal, gegen Mitternacht, entfernte ich eines der Siegel, und der ganze Raum gab einen irren Schrei von sich und schien mit einem großen Bauch von Schatten auf mich zuzukommen, als wölbten sich die Wände mir entgegen. Das muß Einbildung gewesen sein, doch der Schrei reichte aus, mich die Tür zuknallen zu lassen, und ich schloß sie ab. Ihr kennt das Gefühl der Schwäche, das einen in solchen Momenten überkommt. Schließlich, als ich in diesen Zustand fiel, in dem ich zu allem bereit war, machte ich eine gewaltige Entdeckung. Es
war etwa gegen ein Uhr morgens, und ich umkreiste langsam im weichen Gras das Schloß. Ich befand mich im Schatten der östlichen Fassade, und weit über mir vernahm ich das widerliche, heulende Pfeifen des Zimmers, oben in der Dunkelheit des unerleuchteten Flügels. Dann, plötzlich, hörte ich nur ein Stück vor mir die Stimme eines Mannes, leise, aber voller Schadenfreude: ‚Herr im Himmel! Ihr Burschen werdet es nicht wagen, eine Frau da hineinzubringen!’ sagte die Stimme mit dem Akzent eines gebildeten Iren. Jemand setzte zu einer Antwort an, doch es folgte ein scharfer Ausruf und dann ein Durcheinander, und ich hörte eilige Schritte in alle Richtungen verschwinden. Die Männer hatten mich offenbar bemerkt. Einige Sekunden lang stand ich da und fühlte mich wie ein dummer Esel. Also steckten doch sie hinter dem Spuk! 17
Begreift, wie idiotisch ich mir vorkam? Ich hatte keinen Zweifel, daß es sich um Tassocs Rivalen handelte; dabei war ich mir bis ins innerste Mark sicher gewesen, auf einen echten, schlimmen, authentischen Fall gestoßen zu sein! Sofort jedoch kamen die Erinnerungen an Hunderte von Einzelheiten zurück, die mich wieder zweifeln ließen. Ganz gleich, ob natürlich oder übernatürlich, es gab eine Menge aufzuklären. Am nächsten Morgen berichtete ich Tassoc von meiner Entdeckung, und fünf Nächte lang hielten wir ununterbrochen Wache rund um den Ostflügel herum; doch kein einziges Mal ließ sich jemand blicken, und die ganze Zeit über heulte dieses groteske Pfeifen weit über uns in der Dunkelheit, beinahe vom Abend bis zum Morgengrauen. Am Morgen des fünften Tages erhielt ich ein Telegramm von hier, das mich mit dem nächsten Schiff zurückkehren ließ.
Ich erklärte Tassoc, daß ich nicht umhinkonnte, für ein paar Tage wegzugehen, doch ich wies ihn an, die Umgebung des Schlosses weiterhin im Auge zu behalten. Eine Sache war mir sehr wichtig, und zwar, ihm den feierlichen Schwur abzunehmen, daß er niemals zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang diesen Raum betrat. Ich machte ihm klar, daß wir noch nichts Definitives wußten, in der einen oder in der anderen Richtung; und wenn der Raum das war, wofür ich ihn zunächst gehalten hatte, war es besser für ihn zu sterben als das Zimmer nach Einbruch der Dunkelheit zu betreten. Als ich hierherkam und meine Arbeit erledigt hatte, dachte ich, ihr Burschen wärt vielleicht interessiert; ich wollte in meinem Geist ein wenig Ordnung bringen, also rief ich euch an. Morgen werde ich wieder hingehen und sollte euch etwas Außergewöhnliches zu 18
erzählen haben, sobald ich hierher zurückkehre. Übrigens, eine merkwürdige Kleinigkeit vergaß ich zu erwähnen. Ich unternahm den Versuch, eine phonographische Aufzeichnung des Pfeifens zu machen, doch es hinterließ keinerlei Eindruck auf dem Wachs. Das ist eines der Dinge, die mir zu denken geben. Ein anderer ungewöhnlicher Punkt ist, daß das Mikrophon sich weigert, den Ton zu verstärken – es übermittelt ihn noch nicht einmal, scheint ihn gar nicht wahrzunehmen und benimmt sich, als sei er nicht existent. Bis zu diesem Augenblick bin ich vollkommen ratlos darüber. Ich bin ein ganz klein wenig neugierig, ob einer eurer klugen Köpfe daraus schlau werden kann – ich kann es nicht – noch nicht.“ Er erhob sich. „Gute Nacht zusammen“, sagte er und scheuchte uns unvermittelt, doch ohne böse Absicht, in die Nacht hinaus.
Vierzehn Tage später schickte er jedem von uns eine Karte, und Sie können sich vorstellen, daß ich diesmal nicht zu spät kam. Als wir eintrafen, geleitete uns Carnacki direkt zum Dinner, und als wir fertig war, machten wir es uns bequem, und er setzte dort an, wo er geendet hatte: „Hört mir jetzt in Ruhe zu; denn ich habe euch etwas recht Phantastisches zu berichten. Ich mußte zu Fuß zum Schloß hinaufgehen, denn ich hatte sie nicht vor meiner Ankunft gewarnt. Es herrschte heller Mondschein, so daß der Spaziergang eher ein Vergnügen denn ein Ärgernis darstellte. Als ich dort eintraf, lag das ganze Gebäude in Dunkelheit, und ich ging einmal um das Schloß herum, um festzustellen, ob Tassoc oder sein Bruder Wache hielt. Doch ich konnte sie nirgendwo auftreiben und schloß daraus, daß sie die Lust verloren hatten und zu Bett gegangen waren. 19
Da ich an der Fassade des Ostflügels vorbei zurücklief, bemerkte ich das heulende Pfeifen des Zimmers, das wundersam durch die Stille der Nacht zu mir herabdrang. Ich erinnere mich – es klang tief und beständig, auf seltsame Weise gedankenverloren. Ich sah zum Fenster hinauf, das hell im Mondlicht lag, und hatte plötzlich den Einfall, eine Leiter aus den Stallungen zu holen und durch das Fenster einen Blick auf das Zimmer zu riskieren. Mit dieser Idee im Kopf suchte ich hinter dem Schloß zwischen dem Durcheinander der Aborte herum und fand schnell eine lange, verhältnismäßig leichte Leiter – obwohl sie für eine Person weißgott schwer genug war! Anfangs dachte ich, ich würde sie niemals aufrichten können. Schließlich gelang es mir sogar, die Enden sehr leise gegen die Wand zu lehnen, nur wenig unter der Fensterbank des größeren Fensters. Mit
leisen Schitten kletterte ich die Leiter hinauf. Wenig später hatte ich mein Gesicht über der Fensterbank und sah hinein, alleine mit dem Mondlicht. Freilich klang das merkwürdige Pfeifen hier lauter, doch nach wie vor erweckte es den Eindruck, als pfeife etwas vor sich hin – versteht ihr? Trotz der meditativen Ruhe in dem Ton war jedoch der furchterregende, zyklopische Klang nicht verschwunden – eine machtvolle Parodie alles Menschlichen, als lausche ich den Lippen eines Monsters mit einer menschlichen Seele. Und dann, wißt ihr, sah ich etwas. Der Fußboden in der Mitte des gewaltigen leeren Raumes wölbte sich in seinem Zentrum zu einem bizarren, weichen Hügel, der sich an seinem Gipfel in ein sich stets änderndes Loch teilte, welches zu diesem gewaltigen, sanften Heulen pulsierte. Während ich zusah, bemerkte ich bisweilen, daß die Kluft in dem 20
zerfurchten Hügel nach innen gezogen wurde, als hole er tief Luft; dann weitete er sich von neuem, warf sich auf und setzte diese unglaubliche Melodie fort. Und während ich noch wie benommen zusah, begriff ich plötzlich, daß dieses Ding lebte. Ich starrte auf zwei gewaltige schwarze Lippen, blasig und brutal, dort im fahlen Mondlicht... Abrupt beulten sie sich aus zu einem gewaltigen, vorspringenden Hügel aus Gewalt und Klang, steif und angeschwollen, massig und scharf herausgezeichnet von den Strahlen des Mondes. Schweiß lag schwer auf der enormen Oberlippe. Im selben Moment hatte das Pfeifen einen irren kreischenden Ton angenommen, der mich lähmte, wo ich stand, außerhalb des Fensters. Und im nächsten Augenblick starrte ich konsterniert auf den festen, unversehrten Fußboden des Raumes – den glatten, polierten Steinboden, von
einer Wand zur anderen; und es herrschte absolute Stille. Ihr könnt euch vorstellen, wie ich den stillen Raum fixierte, mit dem Wissen, das ich nun hatte. Ich fühlte mich wie ein vor Angst krankes Kind und wollte nur noch leise die Leiter hinabgleiten und wegrennen. Doch in exakt diesem Moment vernahm ich Tassocs Stimme, die mich aus dem Inneren des Zimmers um Hilfe rief. Mein Gott! Ich fühlte mich so benommen und hatte den vagen Eindruck, daß es trotz allem die Iren waren, die ihn dort hineingezerrt hatten und ihm nun den Garaus machten. Der Ruf um Hilfe erklang erneut, und ich zerschlug das Fenster und stürzte hinein, um ihm beizustehen. Ich hatte die wirre Vorstellung, daß der Schrei aus den Schatten des großen Kamins kam, und ich rannte hinüber, doch da war niemand. ‚Tassoc!’ schrie ich, und meine Stimme verhallte in dem großen Raum; und 21
plötzlich, blitzartig, wußte ich, daß Tassoc mich nie gerufen hatte. Ich wirbelte herum, krank vor Angst, zum Fenster, und ein furchtbares, unbändiges Pfeifen explodierte in den Raum. Zum meiner Linken hatte sich die Wand mir entgegengewölbt und bildete ein Paar riesenhafter Lippen, schwarz und durch und durch monströs, kein Yard von meinem Gesicht entfernt. Ich tastete wie von Sinnen nach meinem Revolver, nicht für dieses Ding, nein, für mich selbst, denn diese Gefahr war tausend Mal schrecklicher als der Tod. Und dann sprach jemand gut hörbar die Unbekannte Letzte Linie des SaaamaaaRituals aus. Auf der Stelle ereignete sich, was ich schon einmal erlebt hatte. Staub schien herabzufallen, unaufhörlich und eintönig, und ich wußte, daß mein Leben einen Augenblick lang an einem seidenen Faden hing, in einem kurzen, wirbelnden Strudel unsichtbarer Dinge. Dies ging
vorüber, und ich wußte, daß ich am Leben war. Meine Seele und mein Leib vermischten sich erneut, und Leben und Kraft durchflutete mich. Ich stürzte zum Fenster und warf mich kopfüber hinaus; denn ich kann euch sagen, ich hatte meine Furcht vor dem Tod abgelegt. Ich krachte die Leiter hinab, rutsche und versuchte meinen Fall abzubremsen. So erreichte ich irgendwie lebendig den Boden. Dort saß ich, im weichen, nassen Gras, übergossen von Mondlicht, und weit über mir erklang durch das zerbrochene Fenster des Raumes ein leises Pfeifen. Das ist das wesentliche. Ich war unverletzt, ging zum Vorderportal und klopfte Tassoc heraus. Als er mich einließ, führten wir ein langes Gespräch über einem guten Whisky – denn ich war vollkommen am Ende –, und ich erklärte die Vorfälle, so gut ich es vermochte. Ich teilte Tassoc mit, der Raum müsse abgerissen und jedes Bruchstück davon 22
in einem Hochofen verbrannt werden, den ich im Pentakel errichten würde. Er nickte. Es gab nichts weiter zu sagen. Schließlich ging ich zu Bett. Wir beauftragten eine kleine Armee von Leuten mit der Arbeit, und nach zehn Tagen war das hübsche Zimmer in Rauch aufgegangen, und was davon übrigblieb, war zu Kohle geworden... und rein. Als die Arbeiter die Täfelung herausbrachen, erhielt ich einen brauchbaren Hinweis darauf, wie diese grauenhafte Entwicklung ihren Anfang genommen hatte. Nach die Eichenpaneels abgenommen waren, entdeckte ich über dem großen Kamin im Mauerwerk eine schneckenförmige Verzierung aus Stein, mit einer alten Inschrift in uraltem Keltisch, daß in diesem Raum Dian Tiansav verbrannt worden war, der Hofnarr des Königs Alzof, der das Lied des Narren über König Ernore vom Siebten Schloß schrieb.
Als die Übersetzung stand, gab ich sie Tassoc. Er war höchst aufgeregt, denn er kannte die alte Geschichte und nahm mich hinab in die Bibliothek, um mir ein altes Pergament zu zeigen, das die Geschichte in größeren Einzelheiten erzählte. Später fand ich heraus, daß der Vorfall in der Gegend bekannt war, doch eher als Legende angesehen wurde denn als historisches Ereignis. Und niemand schien sich je erträumt zu haben, daß der alte Ostflügel von Schloß Iastrae identisch war mit den Überresten des Siebten Schlosses aus ferner Vergangenheit. Dem Pergament entnahm ich, daß damals in den alten Zeiten ein ziemlich übles Spiel getrieben worden war. Offenbar waren König Alzof und König Ernore Feinde von Geburts wegen, doch über die Jahre hin hatten sich auf beiden Seiten wenig mehr als ein paar kleinere Plünderungen ereignet, bis Dian Tiansay 23
das Lied des Narren über König Ernore verfaßte und es König Alzof vorsang. König Alzof schätzte es so sehr, daß er dafür eine seiner Hofdamen dem Hofnarr zur Frau gab. Bald kannten alle Menschen im Land das Lied, und so erreichte es schließlich auch König Ernore, der darüber so verärgert war, daß er seinem alten Erbfeind den Krieg erklärte und ihn und sein Schloß verbrannte. Doch Dian Tiansay, den Hofnarren, nahm er mit sich auf sein Schloß und sperrte ihn, nachdem er ihm die Zunge herausgeschnitten hatte, in den Raum des Ostflügels (der anscheinend für unangenehme Zwecke genutzt wurde). Die Frau des Narren behielt er für sich selbst, da er an ihrer Schönheit einen solchen gefressen hatte. Eines Nachts jedoch war Dian Tiansays Frau unauffindbar, und am Morgen entdeckten sie ihre Leiche in den Armen ihres Mannes. Dieser saß da und pfiff das
Lied des Narren, das er nun nicht mehr zu singen vermochte. Sie rösteten Dian Tiansay im Kamin – vermutlich an eben diesem Galgeneisen, von dem ich bereits gesprochen habe. Und bis er starb, hörte Dian Tiansay nicht auf, das Lied des Narren zu pfeifen. Später jedoch vernahm man bei Nacht des öfteren ein pfeifendes Geräusch in diesem Raum, und ‚eine Macht wuchs heran’, so daß niemand die Nacht darin zu verbringen wagte. Und es heißt, der König zog schon bald in ein anderes Schloß, da ihn das Pfeifen nervös machte. Da habt ihr die ganze Geschichte. Natürlich habe ich die Übersetzung des Pergaments nur in groben Zügen wiedergegeben. Aber es klingt alles ausgesprochen drollig, findet ihr nicht?“ „Durchaus“, meinte ich und sprach damit für alle. „Aber wie wuchs sich das Ding zu einer solch immensen Manifestation aus?“ 24
„Einer dieser Fälle, in denen ein ununterbrochener Gedanke eine spürbare Wirkung auf die unmittelbare Umgebung ausübt“, erwiderte Carnacki. „Die Entwicklung muß sich über Jahrhunderte hinweg vollzogen haben, um ein solches Monster hervorzubringen. Es handelte sich um ein reales Beispiel einer SaiitiiManifestation, die ich am besten dadurch zu erläutern vermag, indem ich sie mit einem lebendigen geistigen Pilz vergleiche, der sich in der Struktur des Äthergewebes selbst festsetzt und dadurch selbstverständlich eine wesentliche Kontrolle über die materielle Substanz darin erlangt. Es ist unmöglich, dies in wenigen Worten deutlicher auszudrücken.“ „Was zerriß das siebte Haar?“ wollte Taylor wissen. Doch Carnacki wußte es nicht. Er vertrat die Meinung, es sei vielleicht nur zu straff gespannt worden. Sie hatten
herausgefunden, daß die Männer, die vor ihm weggelaufen waren, nicht kamen, um Unheil anzurichten. Sie hatten sich lediglich herbeigeschlichen, um das Pfeifen zu hören, über das die gesamte Landbevölkerung sprach. „Eine andere Sache“, meinte Arkright. „Hast du eine Theorie, was über die Wirkung der Unbekannten Letzten Linie des Saaamaaa-Rituals entscheidet? Mir ist natürlich bekannt, daß die Unmenschlichen Priester sie in der Beschwörung von Raaaee einsetzten; aber wer benutzte sie für dich, und wie entstand sie?“ „Du solltest Harzans Monografie lesen, und meinen Nachtrag dazu über Astrale und Astarrale Koordination und Beeinflussung“, sagte Carnacki. „Es ist ein außergewöhnliches Thema, und ich kann hier nur sagen, daß die menschliche Vibration nicht von der astarralen isoliert werden kann (wie man es bei 25
Beeinflussungen der Unmenschlichen annimmt), ohne daß jene Kräfte sich unmittelbar einmischen, die die Drehung des Äußeren Kreises lenken. Mit anderen Worten, es wurde mehrfach bewiesen, daß eine unergründliche Schützende Kraft ständig zwischen der menschlichen Seele (nicht dem Körper) und den Äußeren Ungeheuern aktiv ist. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ „Ich denke schon“, erwiderte ich. „Und du glaubst, daß dieser Raum die materielle Ausformung des Hofnarren darstellt – daß seine Seele, vom Haß verzehrt, sich zu einem Monstrum verdichtete – hm?“ fragte ich. „Richtig“, sagte Carnacki und nickte. „Ich glaube, du hast meinen Gedanken ganz anschaulich zusammengefaßt. Es ist als merkwürdige Koinzidenz zu werten, daß diese Miss Donnehue vom selben König Ernore abzustammen scheint, wie ich gehört habe. Das bringt einen auf
interessante Gedanken, nicht wahr? Der Hochzeitstermin rückt näher, und der Raum erwacht zu neuem Leben. Wenn sie dieses Zimmer jemals betreten hätte... hm? ES hatte lange Zeit gewartet. Die Sünden der Väter. Ja, ich habe daran gedacht. Sie heiraten nächste Woche, und ich bin der Trauzeuge, eine Sache, die mir verhaßt ist. Und er hat auch noch alle seine Wetten gewonnen, gewissermaßen! Denkt nur, falls sie jemals diesen Raum betreten hätte. Ziemlich erschreckend, was?“ Er nickte grimmig, und wir vier nickten zurück. Dann erhob er sich, nahm uns alle mit zur Tür und warf uns freundlich hinaus auf den Straßendamm und in die frische Luft der Nacht. „Gute Nacht“, riefen wir alle zurück und suchten unsere Häuser auf. Wenn sie hätte, was dann? Wenn sie hätte... Dieser Gedanke verfolgte mich.
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