Geister-
Krimi � Nr. 39 � 39
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Geister-
Krimi � Nr. 39 � 39
Gerald Morphy �
Das Phantom, das � aus den Sümpfen � kam � 2 �
Gab es keine Rettung mehr? Ich hatte in der Karibik mit Devisen-Termingeschäften ein paar schnelle Dollars gemacht. Meinen neu erworbenen Reichtum wußte ich nicht besser anzulegen, als meine Freunde mit einem Ausflug in die Südsee zu erfreuen. Daß ich mir damit zu meinem fünfzigsten Geburtstag ganz nebenbei einen uralten Traum meiner Kindheit zu erfüllen gedachte, versteht sich von selbst. Wir arbeiteten die Reiseroute aus. Danach mußten wir von meiner Heimatstadt Vancouver nach Sydney fliegen, und dort ein Wasserflugzeug chartern. Das sollte uns an unseren Bestimmungsort bringen, ein möglichst abgelegenes Fleckchen. Wir wollten nicht in eines dieser überfüllten Touristenparadiese, darüber waren wir uns von Anfang an einig. Wir entschieden uns für das Savage, Island. Sein einheimischer Name lautet Niue. Dieser winzige Landfetzen liegt auf halbem Wege zwischen den Cook- und den Tonga-Inseln. Wie wir auf dieses verrückte Ziel verfielen? Ich verband meiner Freundin Sheila Globe, einem kurvenreichen Filmsternchen, in einer übermütigen Laune die Augen und bat sie, auf irgendeinen Punkt der ausgebreiteten Landkarte zu zeigen. Da dieses Wunderwerk der Topographie weit mehr Blau als Grün zeigte, landeten wir unter dem Gelächter aller Partygäste ein Dutzend Mal im Pazifik, ehe Sheilas sorgfältig manikürter Fingernagel das unbewohnte Atoll herauspickte, dessen Bezeichnung uns an Menschenfresser und Steinzeit gemahnte. Wir erfuhren aus berufenem Munde, daß wir uns gründlich geirrt hatten. Sam Akron, Geographielehrer am College, ergriff das Wort: »Freunde, wir werden märchenhafte zehn Tage verbringen«, schwärmte er. »Es gibt dort weder Schlangen noch Mosquitos, auch keine sonstigen Störenfriede nur weißen Strand, das Blau 3 �
des Ozeans und Palmen, die sich im Winde wiegen, dazu bunte Schmetterlinge.« Wir brachten einen Toast auf Sheila Globe aus, die sich mit einem gekonnten Augenaufschlag und einem reizenden Lächeln bedankte. Ich übernahm es, alle Formalitäten zu erledigen, da ich über die meiste freie Zeit verfügte. Dann redeten wir uns die Köpfe heiß über das, was wir für diese befristete Robinsonade mitzunehmen gedachten. Susi Olsen, die Frau meines Freundes Sven, wollte unbedingt einen Kühlschrank dabei haben. Dieser Wunsch wurde sofort abgelehnt. Ihr Mann, ein blonder Riese aus Skandinavien, schlug statt dessen vor, ein paar Kisten Bier einzupacken. Sie wurden schließlich zu Gunsten anderer hochprozentiger Getränke wieder gestrichen. Sam Akron ergänzte die Vorratsliste um einige praktische Dinge wie Werkzeuge und Angelgerät. Ich bestand auf meinem japanischen Jagdgewehr und mindestens einhundert Schrotpatronen, die unter dem Lamento der fünfköpfigen Gegenpartei auf ganze zwanzig zusammenschmolzen. Lydia Akron, die Frau des Schulmeisters, machte einen erstaunlichen Vorschlag, der bei meiner Freundin Sheila Heiterkeit auslöste: Sie meinte, wir sollten die mitzuführenden Textilien auf ein Maß beschränken, das der Abgeschiedenheit des Ortes angemessen sei. Sam Akron, der Naturbursche, errötete für sie mit. Irgendwie wurden wir uns einig und verschmähten im ersten Überschwang sogar die Hauszelte. Selten wohl haben sechs erwachsene Menschen ein Unternehmen so leichtfertig aufgezogen wie wir. Wenn wir nur annähernd geahnt hätten, was auf uns zukam, hätten wir das winter4 �
lich kalte Kanada unserem Südseeidyll mit tausend Freuden vorgezogen. So aber war das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten. Schon sechs Wochen später reisten wir nach Australien. Dort war alles vorbereitet. Wir luden unser Gepäck um. Jedem waren zwei Koffer zugestanden worden, die außer persönlicher Habe auch Dinge von allgemeinem Nutzen enthielten. Ich hatte in letzter Sekunde noch sechs Macheten eingekauft. Unser Pilot hieß Hal Studebaker, ein schlaksiger – kahlköpfiger Profi, der kein Wort darüber verlor, daß er uns für spleenig hielt. Wir zahlten und er flog. Das war sein Job. Unterwegs taute der zurückhaltende Typ sogar auf und gab einige dürre Erklärungen ab über die Inselgruppen, die wir passierten, Stecknadelköpfe in einem schier unendlichen Meer. Immerhin erfuhren wir, daß wir uns eine günstige Jahreszeit ausgesucht hätten. Gegen Abend kreisten wir über unserem wahr gewordenen Traum von der Südsee. Der Anblick war märchenhaft. Wir hatten allen Grund, stolz zu sein. Sheila Globe, weil sie die Insel ausgesucht hatte. Ich, Earl Warren, weil ich die Reise organisiert hatte. Sam Akron schließlich, weil wir nun alle mit eigenen Augen feststellen durften, daß seine Geographiekenntnisse dem Niveau eines Collegeprofessors angemessen waren. Hal Studebaker flog ein paar Runden und ging vorsichtig tiefer. Unverwandt suchte er nach einem geeigneten Landeplatz. Er überzeugte sich, daß eine Lagune hinter dem Korallenriff groß genug war. Die Landung verlief glatt. Ich hatte es nicht anders erwartet. Ohnehin zog ich das Flugzeug einem Schiff vor. Ich wäre nie auf die Idee verfallen, dieser 5 �
Insel etwa in einer Hochseeyacht einen Besuch abzustatten. Meine navigatorischen Kenntnisse hätten gerade für ein paar Runden auf dem Eriesee ausgereicht. Auf einer längeren Seereise wäre ich außerdem vor Langeweile gestorben. Wir beeilten uns, noch vor Anbruch der Dunkelheit die Ladung zu löschen. Wir trugen das Gepäck durch seichtes, warmes Wasser. Sheila Globe erfuhr zu ihrer Erleichterung, daß es in Lagunen niemals Haie gab. Dennoch ließ sie sich lieber von mir an Land tragen. Ich legte sie in den feinen weißen Sand. Sven Olsen, übrigens von Beruf Biologe an einem Institut in Vancouver, ergriff feierlich von dem Eiland Besitz in unser aller Namen. Tatsächlich gehört Savage-Island zu Neuseeland. Aber das störte unseren jugendlichen Entdecker nicht. Hal Studebaker stand unterdessen auf dem breiten Fahrgestell seiner brandneuen Maschine, die mit Zusatztanks ausgerüstet war. Ich lud ihn ein, die Nacht bei uns zu verbringen, aber er winkte ab. Er wollte nach Suva auf die Fidschi-Inseln, wo sein Bruder eine Kopra-Fabrik besaß. Ich muß sagen, wir schauten alle mit recht gemischten Gefühlen zu, als das Wasserflugzeug abhob, eine Schleife flog und im sich dunkler färbenden Himmel verschwand. Es war unsere letzte Verbindung zur Zivilisation. Wir mußten uns gewaltsam daran erinnern, daß wir es ja nicht anders gewollt hatten und daß unser Leben auf der Trauminsel nicht länger als zehn Tage dauern würde. Für diese Zeitspanne hatten wir reichlich Proviant. Unser Trinkwasser würde für die ersten achtundvierzig Stunden ausreichen. Danach stand uns eine von Sven Olsen konstruierte Meerwasser-Entsalzungsanlage zur Verfügung, deren Herstellungskosten vermutlich in keinem Verhältnis zu ihrer Ergiebigkeit stehen würden. Als Notlö6 �
sung mochten die zahlreichen Kokosnüsse herhalten, die wir überall am Strand entdeckten. Die rotblonde Lydia Akron bestand in ihrer praktischen Art darauf, zunächst einen geeigneten Lagerplatz ausfindig zu machen. Sie wurde überstimmt. Wir wollten in Schlafsäcken am weißen Strand nächtigen und dadurch kostbare Zeit gewinnen für eine ausgelassene Party, die dem Anlass angemessen schien. Sam Akron, der in der Armee gedient hatte und die Heeresdienstvorschrift über das Leben im freien Felde noch im Kopf zu haben schien, hob in Windeseile eine brauchbare Feuerstelle aus. Bald loderten Flammen in den samtblauen Abendhimmel. Eine leichte Brise brachte ein wenig Abkühlung. In der Nähe unserer gestapelten Vorräte hinter uns die grandiose Kulisse einer noch unberührten Insel mit üppiger tropischer Vegetation, vor uns die rollende Dünung des Pazifiks, die sich weißsprühend an Korallenriffen brach becherten wir einen zünftigen Willkommenstrunk, grillten in Alufolie die ersten Steaks und genossen die Stille der Natur, die uns friedlich stimmte wie neugeborene Lämmer. Später wanderte Sven mit seiner grazilen Frau Susi, die gut einen Kopf kleiner als er war, den Strand entlang. Sheila Globe bettete ihren hervorragend frisierten Kopf an meiner Brust. Während ich lang gestreckt im Sand lag, hatte ich Gelegenheit, ihr klassisches Profil zu bewundern. Sam und Lydia Akron diskutierten mit Leidenschaft die Frage, ob wir morgen auf der Insel Wasser entdecken würden, ob es eine reichhaltige Fauna geben könnte und ob wir die ersten Menschen seien, die auf diesem paradiesischen Eiland lebten. Zumindest die letzte Frage wurde schnell mit »Nein« beantwortet. 7 �
Das französische Atomversuchsgelände war nicht allzu weit entfernt. Vermutlich würden wir sogar auf Spuren von Besatzungsmitgliedern stoßen, die lange Wartezeiten während der Absperrung gerne durch kurze Abstecher auf die Inseln auflockerten. Und dann ganz unvermittelt drang dieser Urlaut an unsere Ohren. Das war ein Lallen und Stöhnen, ein Blubbern und Zischen, daß es uns kalt den Rücken herunterlief. Die Olsens kamen im Laufschritt mit allen Zeichen des Entsetzens zu uns. Sie mochten der Quelle dieser infernalischen Geräusche noch näher gewesen sein. Sie behaupteten, ein Brechen und Knacken im Unterholz wahrgenommen zu haben, das nur von einem größeren Tier herrühren könne. Ich dachte sofort an die Riesenwarane der Komodos oder an die urweltlichen Drachen der Galapagos, Tierarten, wie sie vor Jahrmillionen bereits die Erde bevölkert haben mochten, und die es heute noch gibt. »Unsinn!« wies mich der Biologe unserer Gruppe, Sven Olsen, zurecht. Sein gereizter Ton verriet, wie stark auch seine Nerven von den unheimlichen Geräuschen des nächtlichen Dschungels strapaziert wurden. Es gehörte allerhand dazu, ehe ein besonnener Mann wie er die Kontrolle über sich verlor. Zu allem Überfluss wurde das Filmsternchen Sheila Globe hysterisch. Sie flüchtete sich schluchzend in meine Arme und bat mich, per Funk oder sonst wie unsere Chartermaschine zurückzuholen. Niemand antwortete der kurvenreichen Blondine. Sam Akron packte einen brennenden Ast. Ich hielt mein Gewehr schussbereit. Der Collegeprofessor beschämte uns alle. Die Fackel hoch über den Kopf erhoben, marschierte er langsam auf die grüne Wand aus Tropengewächsen zu, die nur wenige Yards hinter den 8 �
Strandpalmen in den samtblauen Nachthimmel aufragte. Lydia Akron mahnte uns zur Vorsicht, eine überflüssige Warnung angesichts des Zeitlupentempos, in dem wir uns an den unheimlichen Störenfried herantasteten. Das Höllenkonzert dauerte noch immer an. Fast schien es, als bekomme der einsame Rufer Antwort. Wer aber mochte uns auf dieser einsamen Insel Gesellschaft leisten? Eine Frage, die für uns lebenswichtig sein konnte. Ich schaute kurz zu Sam Akron hinüber. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. Er biss die Zähne zusammen, während er in den Dschungel eindrang. Er schlüpfte durch die feuchten Blätter, die ihn verschluckten. Ich folgte ihm auf dem Fuß. Da ich hinter dem gewiß nicht kleinen Sam Akron marschierte, konnte ich nicht viel sehen. Die lodernde Fackel verbreitete unter dem Blätterdach ein ungewisses Licht. Zuckende Reflexe verhalfen trügerischen bunten Blüten zu einem gespenstischen Eigenleben. Karmesinrote Stempel von erstaunlicher Länge schossen wie blutende Zungen aus weit aufgerissenen Trichterkelchen. Hinzu kam dieser eindringliche Geruch nach feuchtem Humus und Pilzen, der den Urwald erfüllte. Nichts blieb hier von der Lieblichkeit des offenen Strandes. Verwesung und Moder drang an unsere Nasen. Phosphoreszierende Leuchtinsekten aller Größen schwirrten durch die Luft. Irgendwo flatterte ängstlich ein Vogel, aufgeschreckt und zugleich geblendet durch unsere Fackel. Da war es wieder, dieses Kollern und Ächzen, dieses Prusten und Schnaufen. Zweige knickten unter der Last eines schweren Körpers. Unförmige Füße zertrampelten hüfthohe Farnkräuter. Ich brachte den Finger an den Abzug meiner Waffe. Das Schussfeld war gleich Null. Immerhin mochte das Schrot 9 �
auf geringe Distanz, wenn es noch nicht streute, sondern wie eine geballte Ladung in den unbekannten, unheimlichen Gegner fetzte, der uns beschlich und belauerte, seine Wirkung nicht verfehlen. Pausenlos beschäftigte sich meine Phantasie mit den Spukgestalten sämtlicher Romane, die ich gelesen hatte, und mit den Erfindungen aller Filme, die mich erschreckt hatten. Ausgeschlossen, daß es auf dieser Insel in der Südsee Menschenaffen gab. Es konnte nicht King-Kong sein, der uns bedrohte. Andererseits stammten die Laute, die unsere Trommelfelle marterten, kaum aus einer menschlichen Kehle. Vom Strand her erklangen ängstliche Stimmen. Zu lange schon dauerte unsere nächtliche Expedition. Besonders Lydia Akron sorgte sich um ihren Mann, dessen Fackel langsam niederbrannte. Wir kehrten schneller zurück, als uns lieb sein konnte. Urplötzlich erstarrte Sam Akron. Er mußte etwas gesehen haben, was ihm die Haare zu Berge trieb… * Abgehetzt lag Sam Akron im weichen Sand des Strandes und schnappte hechelnd nach Luft. Nicht allein die überstürzte Flucht aus dem Dschungel an das rettende Ufer der Insel konnte ihn so mitgenommen haben. Da spiegelte sich auf seinem schweißnassen Gesicht ein fassungsloses Staunen und Grauen, eine panische Angst vor einer unbekannten Gefahr. Vergeblich bestürmte mich der Rest unserer anfangs so fröhlichen Gesellschaft. Ich konnte nichts zur Aufklärung der unheimlichen Geräusche beitragen. Ich hatte nichts erkennen können. Sam Akron war an der Spitze marschiert und hatte mir die Sicht verdeckt. Und dann waren wir davongestürzt wie von Furien 10 �
verfolgt. Keiner von uns war ein ausgesprochener Hasenfuß. Aber als mein Freund mit allen Zeichen des Entsetzens kehrtgemacht hatte, war ich, ohne zu überlegen, seinem Beispiel gefolgt. Wir gaben uns den verrücktesten Vermutungen hin. Zwischendurch lauschten wir angespannt, ob sich im Dschungel etwas rührte. Aber wir hörten nichts. Lautlos segelten Fledermäuse vor dem Kupfermond. Diese Geschöpfe der Urnacht verstärkten noch den Eindruck des Unheimlichen. Vergeblich schalten wir uns selbst Narren. Wir hatten Camps auf Borneo und in Ostafrika hinter uns. Wir waren ausnahmslos weitgereist und welterfahren. Wir hatten in Kanada gejagt und in Afrika lange und beschwerliche Safaris hinter uns gebracht. Sven Olsen hatte mit einem französischen Kamerateam an einem legendären Marsch quer durch Neuguinea teilgenommen. Wir ließen uns also keineswegs leicht ins Bockshorn jagen. Und doch spürten wir instinktiv, daß dort, im dampfenden Urwald, etwas lauerte, was schlimmer war als alles, was je ein Mensch zu Gesicht bekommen hatte. Wir kannten keine Einzelheiten die konnte uns nur Sam Akron liefern. Sam aber inzwischen wieder zu Atem gekommen schüttelte wie betäubt den Kopf. Hilflos spielten seine Finger mit dem feinen Sand. »Zehn Tage«, murmelte er. »Bis dahin sind wir alle erledigt.« »Warum?« fragte ich herausfordernd. »Wir sind nicht unbewaffnet. Ich habe Gott sei Dank mein Schrotgewehr dabei. Wir besitzen Macheten. Das ist eine Nahkampfwaffe, die nicht zu unterschätzen ist. Was, zum Teufel, hast du wirklich gesehen?« Noch brannte das Feuer. Sheila Globe, sonst nicht mit allzu starken sozialen Bindungen gesegnet und jeder Gemeinschaftsarbeit abhold, eher darauf aus, bedient zu werden, als andere zu versorgen, schleppte neues Brennmaterial heran. Trockene Baumwurzeln und Treibgut, das 11 �
die Wellen an Land geworfen hatten. »Rede endlich. Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, was uns blüht«, bedrängte ich Sam. »Mir fehlen einfach die Worte«, gestand der Collegeprofessor seufzend und schüttelte verzweifelt den Kopf. Wir alle kannten Sam lange genug. Er hatte uns immer imponiert durch seine besondere Fähigkeit, Probleme zu analysieren und Schwieriges in einfache Worte zu kleiden. Wenn er die Waffen streckte, mußte es allerdings etwas auf dieser Insel geben, was sich der Vorstellungskraft jedes Menschen entzog. »War es ein Tier?« flüsterte Sheila Globe, die sehr dekorativ in einem bunten Sommerkleidchen am Strand hockte. Ihr imposanter Ausschnitt und ihre aufreizende Erscheinung hätten mich zu anderer Zeit auf ganz andere Gedanken gebracht, als auf die, die mir jetzt durch den Kopf schossen. Ich kramte aus meinem Gedächtnis alle Fabelwesen und Monster, alle Bestien und Mörder heraus, die ich kannte, angefangen vom Wolfsmenschen über die Vampire bis, zu den leichenfressenden Ghouls. »Lasst mir Zeit«, bat Sam Akron, der bei jeder Vermutung, die wir äußerten, gelangweilt abwinkte. »Vielleicht ist es sogar besser, wenn ich gar nichts verrate. Ihr werdet früh genug erschrecken. Unsere Tage sind gezählt. Wir haben diese hübsche Insel in Ferienstimmung besucht und haben nicht geahnt, daß uns hier der Tod in seiner abstoßendsten Gestalt begegnen würde.« »O Sam«, schluchzte Lydia, »mach es nicht noch schlimmer.« Sie klammerte sich an ihren Mann. Wir erstarrten. Fassungslos lauschten wir dem Höllenkonzert, das unsere Ohren marterte. Der Chor hatte sich vervielfacht. Sam Akron mochte eines dieser rätselhaften Wesen zu Gesicht bekommen haben, jetzt handelte es sich mindestens um ein Dutzend. Sie 12 �
verständigten sich durch unbeschreibliche Laute. Sie schienen einen Halbkreis zu bilden eine Treiberkette. Wir waren das begehrte Wild, das zusammengedrängt am schmalen Strand einer traumhaft schönen Südseeinsel hockte, auf der wir zehn tolle Tage hatten verbringen wollen. Ich zweifelte in diesem Augenblick nicht mehr daran, daß ich mir und meinen Freunden ahnungslos eine Fahrkarte in den Tod gelöst hatte. Zehn Tage in der Nachbarschaft dieser unbekannten Bestien, die offenbar darauf warteten, uns den Garaus zu machen, konnten wir nicht überleben. Daß es sich um Tiere handelte, davon war ich inzwischen überzeugt. Diese Laute, die aus dem dampfenden Dschungel drangen, hatten nichts menschenähnliches. »Weißt du, Sam, du hast kein Recht, uns die Wahrheit vorzuenthalten«, beschwor ich meinen Freund. Sven Olsen unterstützte mich: »Das sind keine Tiere«, vermutete der Skandinavier. Er mußte es wissen. Schließlich hatte er lange genug Biologie studiert. Ich fühlte mich gleich besser. Gegen zweibeinige Lebewesen, Menschen, auch wenn sie auf noch so niedriger Entwicklungsstufe standen, wollte ich mich wohl zur Wehr setzen. San Akron stand auf. Er kämpfte sichtlich mit sich. Mitleidig schaute er auf seine Frau. Dann gab er sich einen Ruck. »Was ich gesehen habe, ist ein Wesen, das weder Fisch noch Fleisch, weder Mensch noch Tier ist«, berichtete der Lehrer. »Das Wesen hat keine Haut. Es ist durchsichtig wie Glas. Widerlich, wie genau man die inneren Organe erkennen kann.« »Das gibt es nicht. Deine Phantasie spielt dir einen bösen Streich«, widersprach Sven Olsen. Wäre dieses Höllenkonzert nicht gewesen, der Skandinavier 13 �
hätte Sam Akron als Lügenbold abgestempelt. »Das Vieh war etwa so groß«, berichtete Sam Akron weiter. Danach hatte das Ding kaum die Größe eines Pygmäen. Wir lachten zum ersten Mal. Denn Sam behauptete, das Fabelwesen habe ihn teils an eine Qualle, teils an einen riesigen gläsernen Frosch erinnert, es habe aber eindeutig menschliche Züge besessen. »Das gibt es nicht«, wiederholte jetzt auch Sheila Globe. »Morgen sehen wir uns die Insel an. Wenn diese Viecher wirklich gefährlich wären, hätten sie schon einen Angriff gewagt.« »Vielleicht sind sie lichtempfindlich und können nur im Halbdunkel des Urwaldes existieren«, gab Susi Olsen zu bedenken. »Oder sie vertragen keinen sandigen Untergrund«, nickte Lydia Akron. »Irgend etwas muß ihre Angriffslust zügeln, sonst hätten sie sich längst bemerkbar gemacht.« »Am Ende ist alles nicht so schlimm«, tröstete Sheila Globe sich und uns. Sie war eine unverbesserliche Optimistin. Eine Stunde war vergangen, ohne daß etwas Bedrohliches geschehen war. Zwar lehnte jeder von uns es kategorisch ab, sein Leben auf einem neuen Erkundungsgang zu riskieren, aber wir beruhigten uns langsam. Unter Umständen stellte sich alles bei Tageslicht als harmlos heraus. Es war totenstill geworden hinter der grünen Wand, einem Geflecht aus schlanken Palmenstämmen, hüfthohen Farnkräutern und zahllosen Lianen, die wunderschöne Blütenkelche trieben. Wir versammelten uns am Feuer. An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Wir mixten ein paar Drinks, rauchten und unterhielten uns leise. Aus Vorsicht saß niemand mit dem Rücken zum Dschungel. Dazu waren wir zu mißtrauisch und zu aufgewühlt durch diese unerwartete Unterbrechung eines Insellebens, das wir uns vor 14 �
Antritt der Reise in den glühendsten Farben ausgemalt hatten. Lydia Akron hatte sich vor der Abreise bemüht, original-polynesische Rezepte ausfindig zu machen, in denen viel von Palmblättern und heißen Steinen, Sandgruben und gedünstetem Schweinefleisch die Rede war. Alles Dinge, die uns hier zur Verfügung standen. Ich hatte extra eine Schweinehälfte mitbringen lassen. Sie war sauber in Styropor eingehüllt und hatte uns auf Savage-Island als Festschmaus des ersten Abends, gewissermaßen zur Feier unserer glücklichen Landung dienen sollen. Jetzt verspürte niemand Appetit auf eine derartige Mahlzeit. Sven Olsen schlug vor, das Schwein zu opfern. Er drückte sich tatsächlich so aus und wurde prompt von den Frauen mißverstanden, die kugelrunde Augen bekamen. Lydia Akron murmelte etwas von lächerlichem Fetischismus. Susi Olsen behauptete, sie sei nicht abergläubisch. Sheila Globe erinnerte sich an Schwarze Magie und Eingeborenenriten, die wir nicht beherrschten und auch nicht beherrschen wollten. Wir drei Männer, ausnahmslos erfahrene Großwildjäger, lachten gutmütig. Wir hatten bei Svens Worten nie an etwas anderes gedacht als an den Vorschlag, das blutige Fleisch gewissermaßen als Köder auszulegen, um festzustellen, ob wir es mit Fleischoder Pflanzenfressern zu tun hatten. Das war nämlich ein sehr gewichtiger Unterschied. Gehörte unser unheimlicher Gegner zur ersten Gruppe, konnten wir uns auf einiges gefaßt machen. Er würde auch einen von uns nicht verschmähen. Also schnitten wir die feste weiße Verpackung auf, nahmen eine riesige Fleischportion und warfen sie weit vom Feuer entfernt in Richtung Dschungel, dem wir uns aus triftigem Grund nicht zu nähern wagten. Eine unheimliche stumme Drohung ging aus von dieser Zone der Insel, die alle, die Südseeinseln nur von Postkarten kennen und nicht unseren Schrecken erlebt hat15 �
ten, vielleicht übertrieben finden würden. Wir waren mit sehr romantischen und kitschigen Vorstellungen losgezogen, die jetzt auf das brutalste widerlegt wurden. Wenn das unbekannte Wesen wittern konnte, durfte ihm der gewaltige Fleischbrocken nicht lange verborgen bleiben. Außerdem konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren, als würde jeder unserer Schritte und jede unserer Handbewegung von dämonischen, tückischen Augen verfolgt und überwacht. Wir fühlten uns wie Verurteilte, die ständig durch den Spion der Kerkertür beobachtet wurden. Schweigend zog ich mich mit Sven zum Lagerfeuer zurück. Sam Akron hatte jede Mitwirkung abgelehnt. Ihm steckte der Schreck noch in den Knochen. Er war unfähig, irgend etwas zu unternehmen und schien nur noch auf den Tod, von dem er sehnlichst hoffte, daß er schnell und schmerzlos sei, zu warten. Ich versuchte, das Ruder mit Macht herumzuwerfen, ehe Sam Akrons entsetzlicher Fatalismus uns ansteckte und lähmte. Der Collegeprofessor ging auf keines meiner Argumente ein. Es gelang mir auch nicht, den Rest der Gruppe durch Spott und Scherz davon zu überzeugen, daß wir keiner ernsten Gefahr ausgesetzt seien. Alle hockten am Campfeuer, dessen Helligkeit uns beruhigte. Wir starrten auf den Klumpen Fleisch, der im hellen Sand lag wie ein dunkles Viereck. Sheila Globe mixte uns Getränke, damit wir auf andere Gedanken kämen, wie sie meinte. In Wirklichkeit war sie es wohl selbst, die einen tüchtigen Schuß Bourbon brauchte. Ich hatte sie schon lange im Verdacht, mehr Alkohol zu trinken, als ihr gut tat. Nach ihrem letzten Film lagen kaum neue Angebote vor. Sheila hatte mit Freuden meine Einladung angenommen, mich auf eine Reise in die Südsee zu begleiten. 16 �
Dabei kannten wir uns knapp drei Tage. Ich befand mich in dem Alter, da man auf eine Eroberung wieder stolz zu werden beginnt. Mein ruheloser Verstand ließ dennoch nicht zu, lange auf einer rosaroten Wolke zu schweben. Ich wußte letzten Endes ganz genau, daß ich in Sheilas Augen nur interessant geworden war, weil sich mein geschäftlicher Erfolg herumgesprochen hatte, und weil die Schöne gerade eine Flaute durchmachte. Sie kannte keinen Filmgewaltigen mehr, der für ihre Karriere etwas tun wollte. Da war eben die zweite Garnitur dran: Reiche Kaufleute, die so etwas wie bürgerliche Sicherheit bieten konnten. »Da passiert gar nichts«, schmollte Sheila, die zusehends kecker wurde, was nicht ihrem Mut, sondern der wohltuenden Wirkung des Whiskys zuzuschreiben war. Sheila Globe kannte vermutlich nicht die gewaltige Geduld des Jägers, der auf dem Anstand sitzt. Wir hatten das so oft durchexerziert, daß es uns in Fleisch und Blut übergegangen war. Der Köder wartete und wir auch. Welches Wild würde sich zeigen? Welcher Anblick würde uns überraschen? »Da könnt ihr mal sehen, was ihr für Träumer seid«, klagte Sheila Globe und stieß mich unternehmungslustig an. »Den ganzen Abend habt ihr uns verdorben mit eurer Spinnerei.« Ich antwortete nicht. Ich nahm ihr das Glas weg. »Sag doch was, Earl«, bedrängte Sheila mich ungeduldig. »Ich habe nie gewußt, wie langweilig du sein kannst.« Sheila, die schnell und hastig getrunken hatte, zog ihre leichten Schuhe von den Füßen und schleuderte sie in den Urwald. »Kommt heraus, ihr Feiglinge«, rief sie aufreizend, »glotzt nicht so blöd. Laßt euch sehen.« Sheila stand auf. Ich packte sie am Handgelenk, aber sie machte sich frei, ehe ich es verhindern konnte. Barfuss, mit aufgelöstem Haar, das ihre 17 �
Schultern umgab, rannte sie in Richtung Dschungel. »Bleib hier, um Gottes willen, bleib sofort stehen«, kreischte Sam Akron wie von Sinnen. Er schien um Sheilas Leben zu fürchten, eine Tatsache, die ihn unverzüglich in den Augen seiner Ehefrau verdächtig machte. Lydia Akron hatte Sam schon länger im Verdacht, daß er mich um meine nicht sonderlich intelligente, aber reizende Freundin beneidete. Sheila lachte trunken und eilte weiter. Sie breitete die Arme aus und rief in unsere Richtung: »Rettet mich! Wo bleiben die weißen und schwarzen Ritter? Hilft mir denn keiner?« Das Mädchen ließ sich bedenkenlos in den Sand sinken, etwa einen Yard vom Rand des Urwaldes entfernt, der still und tot den Strand begrenzte. Ich legte einen erstaunlichen Spurt hin. Kurz bevor ich Sheila erreichte, schrie sie entsetzlich auf. Eine Urgewalt riß sie mit in den grünen Schlund des Waldes, ohne daß wir jemanden bemerkt hatten. Es war wie ein Vakuum, das sich auftat und sein Opfer verschlang. Sheilas fürchterlicher Schrei ging schnell in ein schmerzliches Wimmern über und erstarb schlagartig. Ich lauschte dem scheußlichen Geräusch brechender Knochen. Aus dem undurchdringlichen Unterholz erklang ein Schlürfen und Schmatzen, ein Kauen und Schlingen. Ich wich zitternd zurück. Ich rannte zurück zum Feuer, wo sich meine Gefährten aufhielten. Sie klammerten sich aneinander und starrten aus weit aufgerissenen Augen auf die Stelle, an der sie Sheila zuletzt gesehen hatten. Wütend nahm ich meine Schrotflinte auf, die nutzlos am Boden lag. Ich zielte grob und feuerte die erste Patrone ab. Das Schrot fetzte in das Blätterdach. 18 �
Teile von Ästen wirbelten durch die Luft. Eine zerstörte Blüte segelte zu Boden wie ein verwundeter Vogel. Ich lief näher heran, schoß noch einmal und lud beide Läufe nach. Dabei wußte ich nicht einmal, ob ich getroffen hatte. Kein Schmerzensschrei antwortete meinem brutalen Angriff. Um in den Urwald einzudringen, war ich offen gestanden zu feige. Ich verschob dieses Unternehmen auf den kommenden Tag. Mutlos ließ ich die Waffe sinken. Ich wandte mich ab und kehrte mit hängendem Kopf zu meinen Freunden zurück. Unser Ausflug in die Südsee hatte ein blutiges Opfer gekostet. Ein Mensch war gestorben. Denn daß Sheila Globe noch am Leben sein könnte, wagte niemand zu behaupten. Blaß und übernächtigt schauten wir uns an. Würden wir den nächsten Morgen erleben? Und wie? * Am Horizont zeigte sich der erste Silberstreif. Schlanke Kokospalmen wiegten sich im Wind. Die dunkle Masse des Dschungels gliederte sich mit zunehmender Helligkeit auf. Einzelheiten traten klar zu Tage. »Der Köder ist verschwunden«, meldete Sven Olsen fassungslos. Wir alle hatten es längst aufgegeben, den Fleischbrocken weiter zu beobachten. Wir hatten am Boden gekauert, im kühlen Sand, eingeschläfert vom gleichmäßigen Rauschen der Brandung, die sich am Korallenriff brach, das die Insellagune begrenzte und gegen das offene Meer abschirmte. Wir hatten lange vergeblich versucht, die Augen offen zu halten, waren eingenickt, wieder aufgeschreckt und wieder rückfällig geworden. Die bleischwere Müdigkeit hatte bisweilen die Furcht vor unse19 �
rem ungewissen Schicksal überwogen. Jetzt hockten wir da wie Schiffbrüchige, verkatert, hungrig und zermürbt von der endlosen Nachtwache. Ich kam steifbeinig hoch und starrte aus roten entzündeten Augen auf den Platz, an dem wir den Schweinebraten deponiert hatten. Die Stelle war leer. Was uns noch mehr erstaunte, war die Tatsache, daß es weder Fuß- noch Schleifspuren gab. Der Köder schien sich in Luft aufgelöst zu haben. »Gibt es eigentlich Landquallen?« erkundigte sich Sam Akron plötzlich bei dem Biologen unserer Gruppe. Sven Olsen lächelte ungläubig. Er weigerte sich, die Frage ernst zu nehmen. »Das Vieh war durchsichtig. Es schien aus einer graugrünen gallertartigen Masse zu bestehen«, erklärte der Lehrer. »Ich kann mich nicht erinnern, nur ein einziges Haar entdeckt zu haben.« »Aber doch Knochen?« meinte Sven Olsen. »Eben nicht«, versicherte unser Augenzeuge. Kopfschüttelnd resignierte der Skandinavier. Olsen war zu vorsichtig, um Akron direkt zu widersprechen, meinte aber, ein solches Fabelwesen gebe es nicht. Und ein Knochengerüst sei für einen Landbewohner dieser Größe unerlässlich. »Wir sollten jetzt wirklich einmal genauer suchen«, schlug ich vor. »Bei Tageslicht laufen wir nicht so schnell in einen Hinterhalt. Wer kommt mit?« Ich schaute nur in verlegene Gesichter. Die Frauen kamen für diesen Stoßtrupp ohnehin nicht in Frage. Ihre eigenen Männer wollten sie dieser Gefahr nicht ausliefern. Schließlich wurde demokratisch abgestimmt und beschlossen, daß allein der Strand sicher sei. »Wir müssen sehen, daß wir die zehn Tage heil überstehen«, forderte Sam Akron. »Die Nächte werden sicher schlimm genug. 20 �
Bei Dunkelheit geht dieses Monster auf Beute aus. Bald wird der Hunger es auf die Strandzone treiben.« »Male nicht den Teufel an die Wand«, bat Sven Olsen erschrocken. Seine Frau Susi schaute ängstlich auf den Sprecher. Die Nerven aller Beteiligten waren papierdünn geworden nach dieser einen einzigen Nacht. Was mußte sich da erst morgen abspielen? Oder übermorgen? Wenn uns überhaupt eine solche Galgenfrist vergönnt war. Vielleicht war uns Sheila Globe nur ein Stück voraus gegangen, ein winziges Stück? Ich mochte diesen Gedanken nicht zu Ende spinnen. Ich zog es vor, etwas zu unternehmen, anstatt untätig im Sand zu hocken und das Ende zu erwarten. Zumal die Temperaturen stiegen. Im Augenblick machte eine kühle Seebrise den Aufenthalt angenehm. Aber in der Mittagshitze würde der Strand kochen. Sven Olsen stimmte mir zu und schlug vor, ein Sonnensegel zu errichten. Er lehnte es strikt ab, dieses Strandasyl zu verlassen, das wir dem Zufall verdankten. »Mich bringen keine zehn Pferde in den Urwald. Weder am Tag noch nachts«, meinte der blonde Riese. »Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Ich kenne meine Grenzen. Ich unternehme nichts und hoffe nur, daß der Moloch das respektiert.« »Ich fühle mich für Sheila verantwortlich«, widersprach ich heftig. »Ich habe sie hierher gebracht. Wenn ich sie schon nicht wieder mit zurücknehmen kann, so will ich wenigstens ihr bedauernswertes Schicksal klären. Ich weiß nicht, ob sie Verwandte hat, aber jemand könnte mich fragen, ob ich und was ich unternommen habe, um sie zu retten. Ich gehe notfalls eben allein.« »Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Earl«, meinte Susi Olsen. »Du kannst nicht verlangen, daß wir uns auf dieses Wagnis einlassen. Du bist Junggeselle. 21 �
Wir sind jeweils für den anderen verantwortlich so, wie du glaubst, für Sheila verantwortlich zu sein. Sei uns bitte nicht böse. Wenn du glaubst, du müsstest Sheilas Weg nachgehen –, tue es. Wir ziehen es vor, hier zu warten, bis das Flugzeug uns abholt. Inzwischen werden wir versuchen, mit irgendeinem Schiff Kontakt zu bekommen, auch wenn die Chance noch so klein erscheint. Wozu haben wir die Walkie-Talkies mitgenommen? Es kann auf jeden Fall nichts verderben. Was du mit deinem Eindringen in den Dschungel entfesselst, weiß keiner. Ich wünsche und bete, daß du gesund zurückkehrst.« Susi Olsen, eine prächtige, patente Frau, hatte ich noch nie so ernst gesehen. Sie hatte dunkle, sehr ausdrucksvolle Augen. Ihr Haar trug sie ziemlich straff zurückgekämmt. Das konnte sie sich bei ihrem Madonnengesicht leisten, es stand ihr gut. Susi Olsen war knapp einen Kopf kleiner als ich. Ich schüttelte allen stumm die Hand. Sam und Sven vermieden es, mich anzuschauen. Lydia Akron beschwor mich mit Tränen in den Augen zu bleiben und die weitere Entwicklung ruhig und gefaßt abzuwarten. Ich könne gar nichts ausrichten so allein und nur mit dieser lächerlichen Schrotflinte. »Ich zähle nicht allein darauf«, entgegnete ich, nahm die Machete in die Hand und ging auf den Urwald zu, der im gleißenden Sonnenlicht bei guter Sicht einen wesentlich harmloseren Eindruck machte als im gespenstischen Mondlicht, wenn Fledermäuse und Flughunde lautlos wie Schemen durch die Luft segelten. Ich begann meine Suche dort, wo ich Sheila Globe zum letztenmal gesehen hatte. Der Punkt war nicht zu verfehlen. Ein Fetzen ihres bunten Sommerkleides markierte die Stelle. Ich schluckte trocken. Nach allen Seiten sichernd, drang ich in die Treibhausatmo22 �
sphäre des üppigen Dschungels ein, in dem Leben und Sterben dichter beieinander standen als anderswo. Spinnen huschten erschreckt unter Blätterdächer. Irgendwo trillerte ein Vogel, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Zu viele Schlupfwinkel gab es in diesem Gewirr von Pflanzen, die tropfnass aus einem Humusboden schossen, der nach Moder und Fäulnis stank. Ich bahnte mir mit der Machete einen Pfad und säuberte im Umkreis von zwei Yards den Boden, um weitere Spuren zu suchen. Was immer Sheila Globe geschnappt haben mochte, es mußte doch eine Fährte hinterlassen, wenn es von dieser Welt war. Aber so angestrengt ich auch umherspähte, ich fand nichts. Keinen Fußabdruck, keine Zeichen eines noch so bizarr gestalteten Lebewesens, das diese Insel unsicher machte. Da war nur ein eigenartiger Geruch, der mich stutzen ließ. Überall entdeckte ich Schrotkörner, die ich in blinder Wut in den Wald gejagt hatte. Es gab nicht eine Schweißspur. Hatte ich nicht getroffen? Woher kam dieser unerklärliche Gestank? Er war ätzend und unangenehm. Ich entdeckte auf manchen Blättern ein schleimiges Sekret, das nicht von den Pflanzen selbst stammen konnte. Ich fand nur eine Erklärung: Meine Schrotkugeln hatten eines der Fabelwesen erwischt, über deren Aussehen uns Sam Akron absichtlich so Wenig verraten hatte. Mit der Spitze der Machete entnahm ich eine Probe. Ich kehrte zum Camp zurück. Sven Olsen arbeitete mit nacktem Oberkörper. Er hatte eine Konservendose geleert und benutzte sie als Behelfsschaufel, um einen Sandwall zu errichten. Er hatte sich bereits knietief in den 23 �
Boden gegraben und türmte unermüdlich den ausgehobenen Sand auf. Sam Akron mühte sich ab, eine Wolldecke mit vier Befestigungsschnüren zu versehen, für jeden Zipfel eine, offenbar das Dach für die lächerliche Kinderburg, die sie bauten. »Stellt euch nicht so albern an«, grinste ich. »Ich war im Dschungel, und der Teufel hat mich nicht geholt.« »Aber du stinkst wie der Satan«, mäkelte Lydia Akron. Sie ordnete gerade unsere Vorräte, legte eine Liste an und stellte einen Speiseplan auf. Susi Olsen half ihr dabei. Meine Nase hatte mich also nicht getäuscht. Die Probe, die ich gesichert hatte, wirkte auf andere so abstoßend wie auf mich. »Was ist das?« fragte ich den Skandinavier. Er schaute mich an, als zweifele er an meinem Verstand. »Woher soll ich das wissen?« erwiderte er scharf. »Ich dachte, du suchst Sheila. Das ist sie jedenfalls nicht.« »Dort, wo sie verschwunden ist, habe ich dieses Zeug von den Blättern geschabt. Vielleicht stammt es von diesem gläsernen Frosch, von dem Sam erzählt hat. Kannst du die Masse nicht untersuchen?« »Dazu fehlen mir alle Hilfsmittel«, lehnte Sven Olsen achselzuckend ab. »Außerdem habe ich besseres zu tun, als die Rätsel des Dschungels zu klären. Ich bin nicht aufgrund eines Forschungsauftrages hier. Ich will nur überleben. Mehr nicht. Wie ein Schiffbrüchiger, ein Verirrter, ein Unglücklicher, der sich irgendwie über einen gewissen Zeitraum bringen muß, ehe Rettung naht.« »Na schön«, resignierte ich. »Mich interessieren unsere unheimlichen Nachbarn jedenfalls noch. Ebenso das Schicksal Sheilas. Ich mache weiter. Und wenn ich die ganze Insel durchstreifen muß.« »Viel Vergnügen«, meinte Sven trocken. 24 �
»Achte darauf, daß du nicht von der Dunkelheit überrascht wirst«, warnte Sam. »Was mich betrifft, bin ich nicht bereit, nur einen Fuß in den Dschungel zu setzen. Egal, was passiert.« »Wenn du uns wenigstens deinen unbekannten Freund genauer schildern würdest«, erwiderte ich gereizt. »Damit man sich eine Vorstellung machen kann. Du läßt uns einfach im dunkeln tappen.« »Wenn dein Arzt eine unheilbare Krankheit feststellt, wird er es dir unverzüglich mitteilen?« konterte Sam. »Na, siehst du. Ich sehe mich in der gleichen Lage. Es gilt die Nerven zu behalten. Wir versuchen uns zu schützen, so gut es geht. Mehr können wir nicht machen. Das ist besser, als die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, bis uns dieses Ungeheuer holt.« »Ich denke, es sind mehrere«, spottete ich. »Ich habe nur eins gesehen. Ich glaube nur an das, was ich mit eigenen Augen erblicke«, stellte Sam fest. »Und nun tue uns einen Gefallen: Hau mit dieser bestialisch stinkenden Probe ab«, bat Lydia. »Das ist wirklich nicht zu ertragen«, pflichtete ihr Susi bei. Ich zog mich ein wenig zurück und ging vor allem aus der Windrichtung. Ich setzte mich in den Sand und berührte die übel riechende Masse mit dem Finger. Sie fühlte sich an wie Gelee. Die oberste Schicht, obgleich durchsichtig, war fest wie eine Haut. Wahrscheinlich war das völlige Fehlen jeder Farbe darauf zurückzuführen, daß der Körper des unbekannten Wesens keine Pigmente besaß. Ein wenig erinnerte mich diese feste Schicht über dem glasigen Zellgewebe an die erste Haut, die sich über einer Brandblase bildet. »Hast du eine Spur von der unglücklichen Sheila entdeckt, Earl?« erkundigte sich Lydia, die inzwischen einen breitkrempigen Strohhut trug. Die Sonne besaß schon jetzt unheimliche 25 �
Kraft, dabei war es noch lange nicht Mittag. Sven hatte sich ein Taschentuch so geknotet, wie wir es als Kinder zu tun pflegten. Er arbeitete verbissen an seiner Burg. Wahrscheinlich ging er davon aus, daß unser unheimlicher Nachbar Sand verabscheute. Wenn man bedachte, wie seine Haut konstruiert war, konnte man das verstehen. Ich konnte nicht einmal Poren entdecken. Ein Mensch aber bezieht einen großen Teil des benötigten Sauerstoffs durch die Haut. In diesem wichtigen Punkt unterschied sich der Moloch, der Sheila geholt hatte, wesentlich von uns. »Was ist mit Sheila?« erkundigte sich Susi und unterbrach damit meine Überlegungen. »Ich habe nichts gesehen, was darauf schließt, daß sie getötet wurde«, erklärte ich. »Kein Blut, keine Knochenreste. Nichts!« »Vielleicht wurde sie in die Höhle des Ungeheuers verschleppt«, mutmaßte Lydia, die der armen Sheila offenbar alles gönnte. »Er wird sie als Göttin verehren. Sie hatte so herrliches blondes Haar, dessen Farbe sie allerdings ihrem ausgezeichneten Friseur verdankte. Aber was weiß dieses Dschungelwesen von moderner Haarpflege.« »Zumal er selbst keine Haare hat«, versuchte Sven zu witzeln und der Bemerkung Lydias die peinliche Spitze zu nehmen. Sam sagte gar nichts. Er bekam einen roten Kopf und arbeitete verbissen weiter. Er war nicht zu beneiden um diese Frau. Lydia hatte mit ihrem losen Mundwerk seiner Karriere mehr als einmal geschadet. Wir alle wußten, daß sie den armen Sam fest im Griff hatte. Ich stellte fest, daß meine Probe sich zunehmend veränderte. Der Gestank war noch intensiver geworden. Die grelle Sonne laugte das Zeug aus. Es trocknete und zerfiel zu Staub. Ich blies die Reste von der Machetenklinge. »Sonne kann unser Freund also nicht vertragen«, kombinierte 26 �
ich. »Damit haben wir eine zweite Waffe gegen ihn. Sonne und Sand. Das ist es. Wie können wir uns das zunutze machen? Auf jeden Fall ist es uns möglich, tagsüber ungefährdet die Insel zu durchstreifen.« »Das Monster wird sich bis zum Anbruch der Dunkelheit in einer Höhle verbergen«, ergänzte Susi aufgeregt meine Theorie. »Demnach müssen wir uns nur nachts auf diesen Sandstreifen hier zurückziehen. Earl hat recht. Wir sollten gemeinsam nach Sheila suchen. Wir können es wagen.« »Erst machen wir unsere Arbeit fertig«, befahl Sven unwirsch. »Die letzte Nacht hat mir gereicht. Lange halten wir es ohne Schlaf nicht aus. Wir brauchen unsere Kraft für die folgenden neun Tage, bis uns Hal Studebaker mit seinem Wasserflugzeug erlöst.« »Es zählen nur die acht Nächte, die uns bleiben«, korrigierte ich. »Tagsüber sind wir sicher wie in Abrahams Schoß. Ich werde die Zeit nützen. Ich gehe gleich los.« Diesmal hatte ich keinen aufgefordert, mich zu begleiten. Insgeheim hatte ich gehofft, jemand würde sich aufraffen. Allein fühlte man sich doch unsicher. Langsam ging ich über den Strand. Meine Füße versanken im feinen Sand. Ich trug Ledersandalen. Niemand von uns hatte festes Schuhwerk mit, da wir Sam Akrons Behauptung vertraut hatten, es gebe auf Savage-Island keine giftigen Schlangen. Ich tauchte in den dampfenden Dschungel ein, noch immer allein. Ich bahnte mir stellenweise mit der Machete einen Weg. Einmal traf ich auf Bananenstauden, die irgend jemand gepflanzt haben mußte, der vor uns das Eiland betreten hatte. Die Pflanzen waren verwildert, die Früchte degeneriert. Sie waren kleiner als alles, was unter dieser Bezeichnung in den Läden Kanadas verkauft wurde, schmeckten aber nicht schlecht, 27 �
wie ich feststellte. Für jemanden, der sich von den Landesvorräten ernähren mußte und Allesfresser war, zum Beispiel ein Mensch, bot die Insel genügend Nahrung. Ich stieß auf Palmengruppen, deren Mark genießbar war. Palmenherzen waren in Vancouver eine gesuchte Spezialität und wurden in Konserven angeboten. Mehrmals flatterten Fruchttauben vor mir auf, große, kräftige Vögel, die das ganze Jahr über Junge aufzogen. Das Klima erlaubte es, Es gibt nichts Nahrhafteres, als ein fettes Täubchen kurz vor dem Flügge werden. Ameisen, Skorpione oder Stechmücken konnte ich nirgends entdecken. Das hatte uns Sam auch versprochen. Er behielt in diesem Punkt recht und hatte sich wohl an Hand von Spezialliteratur mit der polynesischen Inselwelt vertraut gemacht, als unser Plan Gestalt angenommen hatte. Meine Sinne waren gespannt. Ich achtete auf jedes Geräusch. Ein abstreichender Vogel, ein brechender Ast alles ließ mich zusammenfahren. Ich fühlte mich wie, in einer besonders aufregenden Gespensterbahn. Alles, was wir uns über unseren unheimlichen Nachbarn zusammengereimt hatten, war schiere Theorie. Wenn unser Gedankengebäude nicht trug, sondern wie ein Kartenhaus zusammenstürzte, wenn die Praxis es belastete, konnte mich das mein Leben kosten. Auf Hilfe durfte ich nicht hoffen. Ich hatte mich bereits zwei Meilen vom Lager entfernt. Meine Schreie hätten keinen meiner Gefährten alarmiert Und selbst wenn, so wären Sam und Sven wahrscheinlich nicht gekommen. Zu sehr standen wir noch unter dem entsetzlichen Eindruck der ersten Nacht, die so tragisch mit dem Verschwinden Sheilas geendet hatte. Ich war schweißgebadet. Zwar trug ich ein leichtes Leinenhemd, aber in der Schwüle des Urwaldes bedeutete jede Bewegung eine unsagbare Qual. Selbst wenn ich mich irgendwo hin28 �
gelegt und nicht mehr gerührt hätte, wäre der Schweiß in Sturzbächen an meinem Körper herunter gelaufen. Auf den wenigen Lichtungen, die ich passierte, war es noch schlimmer. Dort knallte die Sonne erbarmungslos herunter. Kein schützendes Blätterdach fing die Strahlen ab. Eine Hitzeglocke stand über diesen freien Flächen, auf denen Felsen kahl und nackt zu Tage traten. Dort gedieh nur hartstengeliges Gras, das mir bis zur Hüfte reichte. Ich war jedes Mal froh, wenn ich einen solchen Marterstreifen hinter mir hatte und wieder in der Waschküche des jahrhundertealten Dschungels untertauchte. Eine Fährte in der grünen Hölle zu verfolgen, wäre vermutlich einem ausgebildeten Spurenhund schwer gefallen. Für einen Menschen war es ganz und gar unmöglich. Nicht mit einer feinen Nase ausgestattet, sondern mehr auf Auge und Ohr angewiesen, sah er sich hilflos einer Vegetation gegenüber, die in ihrer kraftstrotzenden Fülle jede Lücke schnell schloß und so unübersichtlich war, daß ich nur inständig hoffte, unser unbekannter; Feind verdöse tatsächlich die Tageshitze in einem Versteck. Ich wäre ahnungslos in jede Falle getappt. Ich hätte niemanden mehr sehen können, der sich mehr als drei Schritte von mir entfernt aufhielt. Zu dicht war das Unterholz. Ich ruderte durch das Pflanzenmeer wie ein Ertrinkender. Obgleich nicht gerade Unsportlich, zitterte meine Hand, die die Machete unaufhörlich führte, bald so, daß ich darauf verzichten wollte, mir mit der blanken Klinge eine Bahn zu brechen. Ich versuchte, mich einfach durch das verfilzte Gestrüpp von Farnkräutern und Lianen, Büschen und Dornenhecken zu zwängen, trampelte möglichst viele Pflanzen zu Boden, steckte aber sehr schnell auf. Da gab es Säfte, die wie Wolfsmilch aus hohlen Stängeln quollen und mich übel riechend und klebrig überzogen. Dornen angelten nach meiner Kleidung. Eine Art Brennnessel, aber mit 29 �
bunten Blättern, ätzte meine Haut. Die Folge waren bösartige Quaddeln, die entsetzlich juckten und groß wie Brandblasen wurden. Ich hütete mich, die Pickel aufzukratzen. Eine Infektion in diesem Klima konnte den Tod bedeuten. Ich arbeitete wie zu Beginn meiner Expedition mit dem Haumesser. Wenn ich erschöpft war, legte ich eine Pause ein. Das gab mir jedes Mal Gelegenheit, mich neu zu orientieren. Wenn Sheila nicht tot, sondern vom Fabelwesen verschleppt worden war, konnte ich sie wohl kaum auf der gebirgigen Hälfte der Insel finden. Vorausgesetzt, auch unsere zweite Vermutung traf zu und das Monster hauste in einem sicheren Versteck, so mußte ich den Unterschlupf im sumpfigen Abschnitt von Savage-Island aufspüren. Ich bestieg einen Baum, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Dazu stellte ich das Gewehr an den Stamm eines Urwaldriesen und legte die Machete daneben. Risse in der dicken Borke, tiefhängende Äste und Lianen gaben mir Halt, während ich mich vorsichtig hinaufhangelte. Nach schweißtreibender Kletterei erreichte ich die gewaltige Krone. Ich schob mich auf einem dicken waagerechten Ast weit nach vorn, um freies Blickfeld zu bekommen. Ich passierte eine Höhlung, in die bequem meine Faust gepaßt hätte und überlegte gerade, ob ich dem schwankenden Ast weiter vertrauen durfte, als ein Schwarm Feuerfliegen mit drohendem Summen angriff. Die Tiere, von deren Existenz auch Sam nichts erwähnt hatte und die vermutlich der Grund waren, daß niemand auf Niue siedelte, glaubten ihr bedrohtes Nest schützen zu müssen. Ich schrie auf. Mit einem Mal trug ich eine kribbelnde, beißende, stechende, juckende Maske vor dem Gesicht. Eingehüllt in einen schwarzro30 �
ten Schwarm dieser entsetzlichen Quälgeister, deren Stiche leicht die Intensität von Hornissen erreichten, gut zwölf Meter über der Erde, trat ich den Rückzug an. Blind vor Schmerz schlug ich um mich und forderte die Angreifer zu immer neuen Attacken heraus. Schlimmer hätte es mir nicht ergehen können, wenn ich mich in einem Waldameisenhaufen zur Ruhe begeben hätte. Die Feuerfliegen drangen mir selbst in die Nase ein, hingen in Trauben an meinem Mund und zerstachen mir die Lippen. Als ich schrie, benutzten sie die Gelegenheit, um in meinen Mund zu schlüpfen. Der Schmerz war unerträglich und drohte mir die Besinnung zu rauben. Ich ruderte mit den Armen, spuckte und hustete. Dann verlor ich den Halt. Kopfüber schoß ich in die Tiefe, immer noch gepeinigt von den unermüdlichen Verfolgern. Ich krachte auf einen tiefer hängenden Ast, drehte mich um die Längsachse und landete auf dem gottlob recht nachgiebigen Urwaldboden. Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Fußknöchel. Gleichzeitig trieben mich die Feuerfliegen zur Eile an. Ich vergaß Gewehr und Machete. Ich wollte nur meinen Peinigern entrinnen. Auf allen vieren, nicht mehr in der Lage, aufrecht zu gehen, geschweige denn zu laufen, rettete ich mich aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Ich hielt nicht eher inne, bis ich glaubte, auch den letzten hartnäckigen Verfolger abgeschüttelt zu haben. Stöhnend hockte ich im Dschungel. Mein Gesicht mochte einem Streuselkuchen ähnlich sehen. Vorsichtig tastete ich über zahllose Buckel und Schwellungen. Meine Zunge fuhr prüfend über die Unebenheiten des zerstochenen Mundes. Ich keuchte vor Erschöpfung. Ich weiß nicht, wie lange ich an diesem Morgen im Urwald hockte, um meine Wunden zu lecken und den Schock des 31 �
Absturzes zu überwinden, der immerhin noch glimpflich abgelaufen war. Schließlich untersuchte ich meinen Knöchel. Nichts schien gebrochen zu sein. Aber die Schwellung war gewaltig und bereits verfärbt. Ich konnte nicht mehr richtig auftreten. Da suchte ich mir zwei bruchfeste Äste. Ich krabbelte lange auf allen vieren herum, bis ich zwei brauchbare Krücken gefunden hatte. Ich richtete mich langsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf, stützte mich auf die armdicken Stangen, deren Astgabeln unter meine Achseln griffen. Ich versuchte, meinen verletzten Fuß soweit wie möglich zu entlasten und hinkte in Richtung Camp, das ich in fast unerreichbarer Ferne am Strand der Insel wußte. Ein Blick auf die Uhr belehrte mich, daß mir noch sechs Stunden blieben, bis nach kurzer Dämmerung die Tropennacht hereinbrechen würde. Ich lieferte also dem unbekannten Monster ein Rennen auf Leben und Tod. Meine Geschwindigkeit war dabei die einer Schildkröte. Nach drei Stunden konnte ich nicht einmal die Hälfte der Distanz geschafft haben, wenn mich mein Orientierungsvermögen nicht täuschte. Immerhin hatte ich hier und da Kennzeichen hinterlassen, Markierungen, die verhindern sollten, daß ich nicht wieder aus der grünen Hölle zurückfand. Ich zählte die Lichtungen mit, die ich passierte. Ich war erst bei Nummer zwei. Unbarmherzig jagte ich meinen erschöpften Körper vorwärts, getrieben und beseelt von dem unbeugsamen Willen, allen Unkenrufen zum Trotz meine Waghalsigkeit nicht mit dem Leben zu bezahlen. Zum ersten Mal packte mich die Angst, als ich feststellte, daß die Sonne an Kraft verlor. Das war ein Alarmzeichen. Ich warf die Krücken fort. 32 �
Im Dschungel machte sich Zwielicht breit, lange, bevor es Nacht wurde. Die schwächeren Sonnenstrahlen wurden besser vom Blättergewirr abgeschirmt. Die Schatten wurden länger. Ich hinkte, warf mich nach vorn und belastete meinen verstauchten Knöchel so wenig wie möglich. Mehrmals kam ich zu Fall. Mühsam zwang ich mich, auf den richtigen Weg zu achten. Manchmal kamen mir Bedenken. Wenn ich im Kreis marschierte, war ich verloren. Dann begegnete ich womöglich dem Scheusal, das Sams Nerven so belastet hatte, daß er nicht einmal darüber sprechen mochte, früher, als mir lieb sein konnte. Ich biss die Zähne zusammen. Hätte ich auf dem Hinweg weniger sorgfältig mit dem Haumesser gearbeitet, so wäre ich jetzt überhaupt nicht mehr vorwärts gekommen. Mit meinem Fuß konnte ich nur schwer Hindernissen ausweichen. Ich jagte, so schnell ich vermochte, dem rettenden Strand entgegen und horchte bereits auf die widerlichen Geräusche, die uns damals das Nahen des Ungeheuers angezeigt hatten. Mit der Dunkelheit vervielfachte sich die Angst. Ich hatte es nicht geschafft. Mir blieb mindestens noch eine Meile. Ich konnte unser Camp nicht mehr erreichen. Verzweifelt legte ich eine Rast ein. Ich befand mich auf der letzten Lichtung meines Weges, hatte den Pfad mehr ertastet als gesehen, aber niemals verloren. Jetzt erst schien ich mit meinem Latein am Ende. Die Nacht hatte mich überrascht. In der Dunkelheit erwachte das unheimliche Wesen, das Sheila entführt hatte. Ich war also der nächste. Verzweifelt suchte ich einen Ausweg aus meiner bedrohlichen Lage. Sollte ich einfach weiterziehen? Vielleicht kreuzte ich überhaupt nicht den Pfad des Verderben bringenden Molochs. 33 �
Konnte das Vieh mich hören, sehen, riechen? War die Wahrscheinlichkeit, daß wir zwei uns auf dieser immerhin mehrere Quadratmeilen großen Insel verfehlten, nicht ziemlich hoch? Die Qual der Wahl wurde mir auf atemberaubende Weise abgenommen. Urplötzlich wurde es im Dschungel lebendig. Zweige brachen unter dem Ansturm schwerer Körper. Krachend knickten die Farnstengel. Dann ertönten diese Urlaute, die uns in der ersten Nacht bereits gemartert hatten. Da war ein Seufzen und Fauchen um mich, ein Gurgeln und Stöhnen, als riefen die Seelen der Verdammten um Hilfe. Ich wurde systematisch eingekreist. Regungslos hockte ich in der Lichtburg meiner Zuflucht, einer etwa dreißig Schritt breiten Graszone, die vom Mond gespenstisch ausgeleuchtet wurde. Aber es gab hier keinen Sand. Nur Steine und hartstengeliges Gras, selbst nach unseren dürftigen Überlegungen kein zuverlässiger Schutz gegen das Unheimliche, das aus dem Schoß des Dschungels kroch, um mich zu verschlingen. Eine Bewegung am Rande des Urwaldes ließ mich aufschrecken. Ein massiger Körper schob sich aus dem Unterholz, fast so breit wie hoch. Ich konnte keinen Hals erkennen. Der Froschkopf saß direkt auf dem plumpen Rumpf. Ein breites Maul klaffte. Wieder erklang dieses Zischen und Balzen, dieses Stöhnen und Gurgeln Laute, die offenbar der Verständigung dienen sollten. Denn rings um mich schallte es Antwort. Ich war eingeschlossen. Die Jäger hatten mich gestellt. Noch konnte ich keine Einzelheiten erkennen. Aber schon zitterten mir die Knie. Ich war unbewaffnet, wehrlos, verletzt, eine leichte Beute für das Rudel. Sie kamen näher. 34 �
Zuerst pirschte sich der Bursche heran, den ich am Rand des Dschungels bemerkt hatte. Er ging nicht, er floß. Genau das war der richtige Ausdruck für seine Art von Fortbewegung. Denn seine Beine schienen verkümmert. Die Distanz zu meinem Verfolger betrug jetzt noch zwanzig Schritt. Ich tastete nach einem Stein, mit dem ich diesem Fabelwesen Schmerz zufügen konnte, in dem Bestreben, mein Fell so teuer wie möglich zu verkaufen. Ich lag flach auf dem Boden, wagte kaum zu atmen und spähte durch das Gewirr der Halme. Ich spürte den durchdringenden bestialischen Gestank, der schon der Probe anhaftete, die ich meinen Gefährten gezeigt hatte. Es war ein Gemisch aus Moschus- und Fischgeruch. Das Vieh vor mir zeigte seine Zähne – gewaltige Hauer, die verrieten, daß Fleisch seine Nahrung war. Spitz wie Nadeln ragten die Eckzähne aus dem Froschmaul. Rötlich schillernde Glotzaugen peilten unruhig in die Runde. Verkümmerte Hände mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern, zuckten unaufhörlich, schlossen und öffneten sich gierig, bereit, die Beute zu packen und zu zerteilen. Hinter mir, seitlich und überall, wurden die Stimmen der abstoßenden Kreaturen laut, für die es keinen Namen gab, die mir unbekannt waren und doch von dieser Welt. Sie besaßen keine Sprache. Sie verständigten sich durch eine Art Quaken und Zischen, Röcheln und Schnaufen. Ich erkannte plötzlich, warum. Einer meiner Verfolger mußte einen Vogel aufgescheucht haben, vielleicht einen Bodenbrüter. Das Tier zirkelte ängstlich über der Lichtung. Die Schwingen vor dem hellen Hintergrund waren durchsichtig. Mit kräftigen Flügelschlägen versuchte sich der Vogel in Sicherheit zu bringen. Auch er schien von Angst beseelt vor diesen unheimlichen Jägern, die keine Beute ver35 �
schmähten. Die Bestie vor mir warf den plumpen Kopf in den Nacken. Der Vogel mochte etwa einen halben Meter entfernt sein. Aus dem Schlund der schleimigen Kreatur schnellte eine überlange Zunge, die den Vogel erwischte. Er klebte fest, wurde eingerollt und in den Schlund gerissen. Schmatzend schloß sich das unersättliche Maul. Ein widerliches Schluckgeräusch war noch zu vernehmen, und schon suchten trübe Stielaugen nach neuer Beute. Das Vieh wandte sich mir zu… * Aufatmend beendete Sven Olsen seine Arbeit. Das schützende Sonnendach stand und war groß genug, um noch die Vorräte aufzunehmen. Vier Menschen hatten außerdem Platz. Die beiden Ehepaare begaben sich zur Ruhe. Sam Akron hatte das Netz eingeholt, in dem er den Alkohol aufbewahrte und ins Wasser gehängt hatte, um Gin, Bourbon und Wodka wenigstens einigermaßen zu kühlen. »Wir sollten etwas kochen, um bei Kräften zu bleiben«, schlug der Skandinavier vor. Niemand verriet Lust, diesen Job zu übernehmen. So unterblieb das Einnehmen einer warmen Mahlzeit. »Was Earl jetzt wohl macht«, überlegte Lydia Akron. Sie trug einen Bikini. »Er tappt durch den Dschungel und hofft, Sheila zu finden«, seufzte Sam Akron. »Wahrscheinlich muß er sie im Bauch dieses Ungeheuers suchen, das uns begegnet ist.« »Gibt es irgendeine vernünftige Erklärung für das, was Sam gesehen hat?« wandte sich Susi an ihren Mann Sven. Der Biologe schüttelte den Kopf. 36 �
»Mutationen brauchen Hunderte von Jahren. In der Lehre von der Vererbung gibt es zwar die wunderlichsten Sprünge, Fehlentwicklungen, Atavismen und Degenerationen, aber ein solches Monster, wie Sam es gesehen hat, ist damit nicht zu erklären.« »Vielleicht hat jemand verbrecherische Experimente unternommen und die furchtbaren Produkte seiner Forschungswut auf diesem verlassenen Eiland ausgesetzt«, mutmaßte Susi. »Der berühmte verrückte Professor«, lachte Sam. »Nein, das hat keinen Zweck und führt uns in die Sackgasse. Mit logischer Erklärung ist es nicht getan. Das Wesen existiert, und wir müssen uns damit abfinden. Wir haben einfach mit dem Moloch zu rechnen.« »Wenigstens hier sind wir sicher«, seufzte Lydia. In diesem Augenblick ließ ein Rauschen die Ruhenden aufschrecken. Das ungewohnte Geräusch kam aus der Richtung des Meeres. Susi Olsen schrie auf. Aus dem Wasser tauchte ein gewaltiger Buckel auf, der, eine ungeheure Welle erzeugte. Sieben enorme Längskiele zogen sich über den dunkelbraunen, gelblich gefleckten Rücken. Zahllose Knochenplatten, die mosaikförmig aneinanderlagen, waren von einer derben, lederartigen Haut überzogen. Das Untier hielt auf die Insel zu, passierte eine Lücke im Sperrgürtel der Korallenriffe und geriet in das seichtere Wasser der Lagune. Der Panzer hob sich gut zwei Meter aus dem Wasser, ohne daß seine Ränder sichtbar geworden wären. Die vier am Strand wandten sich zur Flucht, sie ließen alles im Stich. Sie rannten durch den heißen Sand, um in den Dschungel zu entkommen, der ihnen wenige. Augenblicke vorher noch so unheimlich gewesen war, daß sie es abgelehnt hatten, ihn zu betreten. Aber die wesentlich akutere Bedrohung aus dem Meer ließ sie jeden Vorsatz umwerfen und betäubte die Angst vor 37 �
dem Ungewissen. In sicherer Deckung blieb Sven Olsen stehen. »Ich würde auf eine Lederschildkröte tippen, die bis zu zwei Meter lang wird«, murmelte der Fachmann. »Dabei erreicht sie maximal ein Gewicht von zehn Zentnern. Solche Exemplare sind bekannt. Aber ein solches Monstrum hätte ich nicht für möglich gehalten.« »Sind die Biester gefährlich?« erkundigte sich Lydia zitternd. »Sie leben für gewöhnlich von Fischen und wirbellosen Meerestieren wie Krabben, Schnecken, Muscheln und Quallen. Außerdem weiden sie Algen und Seegras«, gab Sven Auskunft. »Auf dieser verfluchten Insel ist nichts normal«, knurrte Sam Akron erbittert. »Sheila hat mit sicherem Instinkt die Hölle ausgesucht, die wir in unserer Naivität für das Paradies hielten. Wer denkt bei dem Wort ›Südsee‹ auch an solche abnormen Wesen, die hier offenbar die Regel darstellen. Ich jedenfalls nicht! Ich dachte an Palmen, an blauen Himmel, an nette Mädchen in Grasröcken mit Blumen im Haar.« »Still!« warnte Sven Olsen. Langsam schob sich das Ungeheuer an Land. Es hatte tatsächlich die Form einer Schildkröte, war aber groß wie ein Panzerwagen. Der mächtige Leib auf plumpen säulenartigen Stümpfen zog eine unübersehbare Furche in den Ufersand. Ruckweise schob sich das Riesentier mit den für eine Fortbewegung auf dem Land völlig ungeeigneten Flossen weiter. »Das Gewicht des Rückenpanzers lastete dabei auf der Lunge«, erklärte Sven. »Deshalb legt sie immer wieder Pausen ein und stemmt die zentnerschwere Last des Körpers mit den Vorderflossen hoch. Nur so kann sich die Lunge ausdehnen und wieder mit Luft füllen.« Der Skandinavier sprach sehr leise, als fürchte er, das Ungeheuer auf sich aufmerksam zu machen. 38 �
Fassungslos starrten alle auf das mächtige Tier, dessen Kopf ständig pendelte. Das Riesenmaul klaffte. Die Kiefernränder waren nicht glatt, sondern gezähnt und wirkten wie zwei Häckselmesser. Die dicke wulstige Zunge rotierte. »Warum verläßt sie das Meer?« wollte Lydia wissen. »Sicher nicht zur Eiablage«, warnte Sven. »Dieses Monstrum ist nicht mehr fortpflanzungsfähig. Ich bezweifle, daß es mehr als dieses eine Exemplar gibt.« Unaufhaltsam näherte sich das Ungetüm dem Dschungelrand. »Wir müssen hier weg«, schrie Susi Olsen. »Schnell, ehe es zu spät ist. Kommt doch endlich.« Sie hatte ihre Worte lauter als beabsichtigt gesagt. Die Riesenschildkröte schien aufmerksam geworden zu sein. Augen wie Suppentassen schielten nach der vermeintlichen Beute. Eine stumpfe Nase nahm Witterung auf. Das Vieh steigerte sein Tempo. In einem für diesen Koloss unwahrscheinlichen Tempo jagte der Meeresbewohner auf den Urwald zu und schlug die Zeugen des Anmarsches in die Flucht. Die vier stürzten blind vor Schrecken durch das Unterholz. Geräusche in ihrem Rücken spornten sie zu größter Geschwindigkeit an, ließen sie in Panik verfallen. Schreiend rannten sie auseinander und suchten ihr Heil in unorganisierter Flucht. Hinter ihnen erklang ein bösartiges Zischen. Holz splitterte. Das gepanzerte Ungeheuer walzte Palmen nieder wie Strohhalme, knickte armdicke Äste und marschierte hinter seinen Opfern her, daß der Boden dröhnte. Lydia Akron floh schreiend. Zweige peitschten ihr Gesicht. Der Bikini schützte ihren Körper nur unvollkommen. Aber sie achtete nicht auf die Schmerzen, die ihr von verholzten Farnen und Dornenranken zugefügt wurden. 39 �
Die Angst saß ihr im Nacken. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund hatte das hornige Scheusal sie als Beute auserkoren. Lydia schrie wie noch nie in ihrem Leben. Sie kam lange nicht so schnell vorwärts, wie sie gewünscht hätte. Das Gestrüpp machte ihr mehr zu schaffen als dem schwergewichtigen Verfolger. Lydias geringfügiger Vorsprung schmolz zusammen. Ihre Frisur hatte sich aufgelöst. Rotblonde Haare wehten um ihren schmalen Kopf. Ihr Gesicht war eine Maske aus Angst und Verzweiflung Der geöffnete Mund schnappte gierig nach frischer Luft. Aber der Brodem des Dschungels, feucht und heiß, gewährte keine Erleichterung. Die stickige Luft stach in den Lungen. Barfuss eilte Lydia durch das Unterholz, fast wahnsinnig vor Angst, allein, längst getrennt von ihren Gefährten. Mehrmals stürzte sie. Ihr Körper war gezeichnet durch Kratzer und Striemen. Brennnesseln geißelten sie. Längst hatte sie jede Orientierung verloren. Sie wußte nicht mehr, wo der Strand lag. Sie war nur von dem einen Wunsch beseelt, so schnell wie möglich so viele Yards wie nötig zwischen sich und das hechelnde Ungetüm zu bringen. Das Gelände wurde sumpfig. Der Boden, ohnehin weich wie ein persischer Teppich, begann zu zittern. Die Füße der Fliehenden sanken tiefer ein. Faulige Brühe spritzte hoch. Der unsichere Grund war bedeckt von einem grünen Schleier aus Algen, der trügerisch Schlammlöcher verdeckte, die Lydia fast zum Verhängnis wurden. Lydia schluchzte verzweifelt. Sie war am Ende ihrer Kraft. Ihre Beine zitterten und knickten immer häufiger ein. Erschöpft lehnte sie sich an den schlanken Stamm einer Sumpfzypresse. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Ungeheuer, 40 �
das unaufhaltsam näher kam, jedes Hindernis mit Urgewalt überwindend. Noch einmal raffte sich Lydia auf. Angstgepeitscht wagte sie sich tiefer in das Sumpfgelände. Sie sprang und watete von Insel zu Insel, oft bis zu den Knien im stinkenden Morast versinkend. Brodelnd umklammerte der tückische Grund die Beine der Laufenden, suchte dem nachstehenden Ungetüm die Beute streitig zu machen. Dann endete die Flucht jäh an einem Meer aus Wasserpflanzen, die aus tiefschwarzer Brühe rankten. Es gab nicht eine Spur von festem Boden mehr. Lydia wagte das Äußerste. Sie setzte sich rittlings auf einen halbvermoderten Baumstamm, der nackt und kahl, von bräunlicher Farbe auf dem Sumpf lag. Abgestorbene Äste ragten wie mahnende Finger in den Tropenhimmel, der blau und unschuldig über dem Blätterdach der Zypressen stand. Lydia schob sich mit baumelnden Beinen vorwärts. Schlamm schloß sich geräuschvoll hinter ihren Füßen, die durch den Modder furchten. Nach zwanzig Yards war auch dieser Weg zu Ende. Nichts ging mehr. Lydia durfte froh sein, daß der Baumriese sie trug und nicht mit ihr in der grünen Fläche versank, die sie umgab. Das Brechen und Knacken von Stämmen verriet die Ankunft des gepanzerten Unwesens. Ein breitmäuliger Kopf mit rotem Schlund schob sich durch das Pflanzenmeer. Die Zunge spielte in Vorfreude auf den Happen, der in Gestalt der wehrlosen Frau auf dem Baumstamm ausharrte, endlich eingeholt und gestellt. Der Panzer, der wie ein Steinklotz aufragte, schob sich vor. Schaufeln, hinter denen Lydia sich hätte verstecken können, brachten den tonnenschweren Leib näher. Der Boden gab nach. 41 �
Der Koloss sank tief ein. Die grüne Algendecke glitt auseinander. Verzweifelt arbeiteten die Vorderflossen. Sie schaufelten den Schlamm bergeweise zurück, nur, um das Riesenvieh dem Tod näher zu bringen. Nichts vermochte in diesen Sekunden das Ungeheuer von der Beute abzulenken. Die tückischen Augen peilten immer noch hungrig, obgleich der Kopf nur noch mit Mühe über der Oberfläche des Sumpfes blieb. Langsam rückte die Riesenschildkröte näher. Das zahnlose Maul mit den gefährlichen Kiefern, die wie Sägeblätter aussahen, klaffte. Heißer Atem schlug der schreienden Lydia entgegen. Gleichzeitig ertönte ein mörderisches Schnarren heiser, tollwütig, drohend… * Ich war entdeckt. Es gab keine Rettung mehr vor diesen unheimlichen Jägern, die mich eingekreist hatten. Auch hinter mir ertönte dieses schleifende Geräusch, das den Tod ankündete. Von dort näherten sich die Gesellen dieses Fabelwesens, das wahrhaftig an einen gläsernen Frosch erinnerte. Sam Akron hatte recht gehabt. Man sah die inneren Organe deutlich. In dem mächtigen unförmigen Leib aus Gelee pulsierten rote Lungenflügel, ein robuster Magen zog sich zusammen und dehnte sich wieder aus, in rhythmischen Konvulsionen. Ich begriff, warum dieses Untier keine Beine mehr brauchte. Es konnte wegen seines unnatürlichen Gewichtes nicht hüpfen. Daher waren offenbar die Beine verkümmert. Da hatte es aus der Not eine Tugend gemacht und eine völlig neue Art der Fortbewegung geschaffen: Es zog sich zusammen, machte einen Buckel und streckte sich wieder. Etwa wie eine Raupe. Dabei kam ihm 42 �
das fehlende Knochengerüst zustatten. Töne wurden durch einen puterroten Kehlsack erzeugt, der schwer und faltig von dem ungeheuren Doppelkinn herabbaumelte und sich blähte, wenn Luft hineingepumpt wurde. Zusätzlich zur Lunge verfügte das Monster über Kiemenbüschel, die wie Federschmuck beiderseits des massigen Schädels standen. Der Kopf war höher als breit. Zum Nacken hin stieg er helmartig an. Er hatte ein fast keilförmiges Aussehen. Die dicken Lider der kegelförmigen Augen waren miteinander verwachsen bis auf eine winzige Pupillenöffnung an der Spitze. Dadurch wurde zwar das Blickfeld eingeengt, gleichzeitig aber die Sehschärfe gefördert. Außerdem arbeiteten die Glubschaugen unabhängig voneinander. Die Pupillen waren von einem wässrigen Blau. Ihr Basiliskenblick ließ mich erschauern. Völlig instinktiv duckte ich mich ins Gras, als könnte ich meinen Jägern noch entkommen. Ich starrte wie gebannt auf die extrem lange Zunge, die in Ruhestellung wie eine Uhrfeder eingerollt in dem klobigen Maul getragen wurde und wohl um mehr als die eigene Körperlänge herausschnellen konnte. An der Zungenspitze, die klobig verdickt und vorne etwas eingekerbt war, mündeten wahrscheinlich Schleimdrüsen, die ein klebriges Sekret absonderten. Darin blieben die Opfer hängen. So war Sheila Globe verschwunden. Auch der Köder, den wir ausgelegt hatten. Das erklärte, warum wir keine Schleifspuren gesehen hatten. Die Opfer wurden eingerollt und entweder ganz oder in Stücken verschluckt. Die wild wuchernden Reißzähne ermöglichten es, die Nahrung zu zerteilen. Offenbar hatte das Untier Sheila zu einem versteckten Platz geschleppt, um sie in Ruhe verzehren zu können. Jetzt kam die Reihe an mich! 43 �
Mein Körper verkrampfte sich vor Angst. Ich preßte die Ellenbogen an die Seiten, machte mich möglichst schmal, ohne das bewußt zu registrieren. Irgendwie kam ich dabei an die Schachtel Tropenstreichhölzer, die ich mit mir trug. Ein ungeheurer Gedanke schoß durch mein Hirn. Ohne Rücksicht auf die Gefahr richtete ich mich auf, kniete am Boden, umgeben von den Bestien, die regungslos verharrten, als ich mich so völlig deckungslos präsentierte, bereit, von ihren teuflischen Zungen, festgenagelt und eingeholt zu werden. Mit bebenden Händen riß ich die Schachtel auf und entzündete das erste Streichholz. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Blind vor Angst hielt ich die winzige Flamme, die jede Sekunde verlöschen konnte, an einen Büschel strohtrockenen Grases. Ich entfesselte ein Inferno. Fauchend breitet sich der Brand aus, griff um sich. Der leichte Wind faßte nach. Eine Feuersäule raste meinen Verfolgern entgegen. Schon der Anblick des offenen Feuers schien zu genügen. Auch die, die nicht direkt bedroht waren, wandten sich zur Flucht. Sträucher und Büsche standen in Flammen. Hell loderten Bäume wie Fackeln in der Nacht. Prasselnd fraß sich die Feuersbrunst über die Lichtung, bis der regennasse Urwald den Vormarsch stoppte. Ich hatte plötzlich gute Sicht nach allen Seiten. Bis auf wenige Inseln war aller Pflanzenwuchs vernichtet. Verkohlte Grasbüschel trieben durch die Luft. Der Boden war heiß. Ich hütete mich, mein Asyl zu verlassen. Im Dschungel lauerten die Bestien, in letzter Sekunde um die sichere Beute geprellt. Ihr enttäuschtes Knurren und Glucksen schallte bis zu mir herüber. Dann trieb der Hunger die Meute weiter. Die brechenden Geräusche im Unterholz verrieten mir, daß die 44 �
Horde sich in Richtung Strand entfernte. Ich wußte, daß ich mich trotzdem nicht vom Fleck rühren durfte. Ich konnte es nicht riskieren, den Molochen ein zweites Mal zu begegnen. Ich hatte nicht mehr die Nerven dazu. Ich hätte unter anderen Umständen vielleicht versucht, das Rudel zu umgehen, den sicheren Strand zu erreichen und auf ihm entlang zu wandern, bis ich auf meine Gefährten stieß. Erschöpft verwarf ich den Gedanken wieder und beschloß, meine Hoffnung auf den kommenden Tag zu setzen, wenn sich die Ungeheuer zurückgezogen hatten und die Herrschaft der Sonne sie zwang, die verletzlichen Körper in einem schattigen Versteck zu verbergen. Ich warf mich zu Boden und rauchte eine Zigarette an. Sam Akron hatte recht gehabt, diese widerlichen Wesen in Gegenwart der ohnehin ängstlichen Frauen nicht genauer zu beschreiben. Diese Geschöpfe wirkten in ihrer weit verbreiteten, wesentlich kleineren Ausgabe als normale Frösche bereits für viele erschreckend wie würde erst der Anblick dieser Riesenausgaben auf die Ahnungslosen wirken? Ich machte mir ernstlich Vorwürfe, meine Freunde zu einem solchen Unternehmen überredet zu haben. Ganz sicher hatte ich nichts von dem gewollt, was bis jetzt vorgefallen war. Trotzdem fühlte ich mich nicht ganz frei von Schuld. Ohne mich und meine leichtsinnige Einladung wären weder die Olsens noch Akrons darauf verfallen, sich eine Reise in die Südsee zu leisten. An alles hatten wir vor der Reise gedacht, selbst an eine eingehende ärztliche Untersuchung, an einen umfassenden Lehrgang für Erste Hilfe und an eine ausgezeichnete Hausapotheke. Sämtliche Zähne hatten wir uns prüfen und wo nötig, überholen lassen, um nicht während der zehn Tage auf der abgelegenen Insel an Zahnschmerzen zu leiden. 45 �
Ich lachte bitter auf. Solche Bagatellen als einziger Wermutstropfen im Kelch der Freude wären uns heute fast willkommen, nach allem, was wir gesehen und erlebt hatten. Unsere Expedition schien unter einem Unstern zu stehen. Für einen von uns war sie bereits tödlich verlaufen. Sheila Globe würde nie wieder in einem ihrer sentimentalen Heimatfilme mitwirken oder, was ihr wesentlich besser zu Gesicht stand, weil sie dabei den Mund nicht zu öffnen brauchte, in einem der Porno-Filme, die in schwarzen Ateliers für den Export nach Nahost gedreht wurden. Sheila Globe hatte ein solches Ende nicht verdient. Ich lag auf der abgebrannten Lichtung. Qualm und Staub wurden von ruhelosem Wind umhergetrieben. Brandgeruch stieg mir noch immer in die Nase. Ich konnte nur hoffen, daß diese Viecher nicht zurückkehrten. Vielleicht hatten meine Freunde wieder ein Stück Schweinefleisch geopfert, um die Bestien von sich selbst abzulenken. Dann hatte ich eine reelle Chance, unbeschadet dieses Abenteuer zu überstehen und gesund an den Strand zurückzukehren, den ich nie wieder verlassen würde, wie ich mir schwor. Für Sheila kam jede Hilfe zu spät. Soviel hatte ich begriffen. Im Busch, ziemlich weit weg, brüllten wilde Rinder. Sie waren wohl Nachkommen entlaufener Haustiere, die von Schiffsbesatzungen als lebender Proviant mitgeführt wurden und bisweilen ihren Schlachtern rechtzeitig entkamen, die auf ihrer Route sämtliche Inseln anzusteuern pflegten, um im Namen ihrer jeweiligen Majestäten von ihnen feierlich Besitz zu ergreifen. Die Piraten der Weltmeere hatten auf diese Weise ganze Inselgruppen mit Schweinen und Hunden, Katzen und Ratten bevölkert und die Fauna auf sehr zweifelhafte Art bereichert. Da natürliche Feinde meist fehlten, waren die Rinder, zum Beispiel auf den Galapagos, schnell zu einer Plage geworden. 46 �
Hier, auf Savage-Island, wurden sie wohl ziemlich kurz gehalten. Erst jetzt konnte ich mir nämlich erklären, wie sich diese Riesentiere, die mich bedroht hatten, am Leben erhielten, wenn nicht gerade ein paar verrückte Kanadier zu Besuch kamen. Ich schluckte trocken. Durst quälte mich auf meiner verschmorten Rettungsinsel. Schlimmer noch als der Hunger, der in meinen Eingeweiden wühlte. Ich hatte lange keinen Bissen mehr zwischen die Zähne bekommen. Was mich aber wirklich peinigte, war der Gedanke, bis zum Sonnenaufgang noch ohne Wasser bleiben zu müssen. Der beschwerliche Rückmarsch würde mich in meinem üblen Zustand wohl einige Stunden kosten. Mein Fuß war schlimmer geworden. Er sah entsetzlich aus. Ich hätte ihn gern gekühlt. Aber wo, in dieser grünen Hölle, gab es Wasser? Und wenn ich es fand, wer sagte mir, daß ich dabei nicht wieder diesen Ungeheuern in die Quere kam? Ich zog es vor, mein Schicksal mit Geduld zu tragen. Mein Gewehr und meine Machete mußte ich verloren geben. Niemals würde ich es wagen, deswegen noch einmal diesen verdammten Urwald zu betreten, der voller tödlicher Überraschungen und monströser Ungereimtheiten steckte. Mein Bedarf an Abenteuern war gedeckt. * Lydia Akron hockte mit weit aufgerissenen Augen auf ihrem Zufluchtsort, auf der Spitze des weit in den Sumpf hinausragenden abgestorbenen Baumstammes. Sie beobachtete den Koloss, der in immer größeren Abständen den Schädel aus dem Morast hob. Vergeblich suchten die gewaltigen Vorderflossen den ungeheuren Leib hochzustemmen. Die Riesenschildkröte kämpfte mit Luftmangel. Schlamm 47 �
spritzte weit umher, eine eklige lauwarme Modderbrühe, die Lydia überschüttete. Das Untier warf sich im Todeskampf nach vorn. Gewaltige Kiefer klafften. Fauliger Atem wehte Lydia entgegen. Sie hörte selbst nicht, wie sie schrie. Fassungslos verfolgte Lydia das angestrengte Bemühen des Tieres, die nahe Beute doch noch zu erreichen. Dann kamen die Flossen zur Ruhe. Sie zitterten nur noch leicht und kraftlos. Der gewaltige Schädel mit den tückischen Augen versank tiefer im Sumpf. Buntschillernde Luftblasen stiegen auf und zerplatzten an der Oberfläche. Noch einmal schaufelten die hinteren Flossen einen Wall von Dreck und Schmutz nach rückwärts. Der Riesenleib verschwand im nachgiebigen Morast. Schließlich ragte allein der ungeheure gepanzerte Buckel heraus. Lydia beruhigte sich allmählich. Sie wartete eine Weile, um sicher zu gehen, daß die Bestie wirklich ungefährlich war. Schließlich wagte sie sich in Richtung Land. Sie lag bäuchlings auf dem Stamm und zog sich nach vorn. Sie benutzte die Riesenschildkröte als Zwischenstation und erreichte festen Boden. Zitternd vor Erschöpfung richtete sie sich auf. Sie versuchte, sich notdürftig zu säubern. Dann wankte sie ziel- und planlos durch den Urwald, kämpfte sich mühsam voran und blieb immer wieder stehen, um die Namen ihrer Gefährten zu rufen. Vergeblich lauschte die verängstigte Frau auf Antwort. Jeden Augenblick gewärtig, neue, schrecklichere Lebewesen zu sehen, noch scheußlicheren Ausgeburten der Hölle zu begegnen, versuchte Lydia sich zu orientieren. Sie war so kopflos durch den Dschungel gestürzt, auf der Flucht vor ihrem schwergewichtigen Verfolger, daß sie beim besten Willen nicht mehr zu sagen vermochte, wo der Strand lag. 48 �
Endlos und undurchdringlich breitete sich das üppige Pflanzenmeer aus, gleichgültig gegenüber den Nöten derjenigen, die sich in ihm verloren. Es herrschte Totenstille. Die tickende Uhr an ihrem Handgelenk genügte bereits, um Lydia nervös zu machen. Sie hasste dieses erschöpfte Schweigen der Natur. Bruthitze lag über dem dampfenden Dschungel. Eine Wolke von Gerüchen stieg in die empfindliche Nase Lydias. Da war etwas von dem feisten Wuchern scheußlicher Schlinggewächse in der Luft, dazu Humusduft und der Gestank modernder Pilze. »Sam«, kreischte Lydia, »Sam, wo bist du?« Nie hatte sich Lydia mehr nach der Gesellschaft ihres Mannes gesehnt als in diesem Augenblick. Lydia war die Tochter eines Dozenten, der viel für Sam getan hatte, als er noch Student war. Aus diesem Grund vielleicht hatte sich Sam später verpflichtet gefühlt, Lydia, die älteste Tochter seines Mentors, zu ehelichen. Der überglückliche Vater hatte den Brautleuten ein Haus mit der gesamten Einrichtung geschenkt. Für Sam hatte er einen einträglichen Posten am College gefunden. Der bequeme Sam hatte das alles genossen. In einem Alter, in dem andere noch ihre Existenz aufbauen mußten, war er bereits versorgt. Lydia war dabei keineswegs hässlich. Das, was ihre Gegenwart unangenehm machte, war ihre Art, andere mit Absicht vor den Kopf zu stoßen und zu demütigen. Sobald sie niemanden mehr fand, der das grausame Spiel mitmachte, war Sam selbst dran. Mit der Zeit war Sam das einzige Opfer geblieben. Wir anderen hatten uns rechtzeitig zurückgezogen. Er aber fand den Absprung nicht, ein Mann, der ewig an falschen Skrupeln litt. Er beklagte sich nicht einmal. Kurz vor Weihnachten, als er bereits sechs Jahre verheiratet war, raffte er sich zwar zu einem gewis49 �
sen Widerstand auf, aber Lydia holte ihn mit dem Hinweis zurück, sie sehe Mutterfreuden entgegen. Sam, der Esel, fiel darauf herein. Mittlerweile hing er fest im Spinnennetz, rettungslos verloren. Nach meiner Rückkehr aus der Karibik hatte ich mich seiner erbarmt und das Ehepaar eingeladen, in der Annahme, ein Tapetenwechsel würde ihren Beziehungen nur dienlich sein. Vermutlich hatte ich Lydia unterschätzt. Aber auch Sam. Anstatt im sicheren Versteck zu warten, gab sich der Einfaltspinsel zu erkennen. Er lief seiner Angetrauten sogar noch entgegen. Sie verständigten sich durch Rufe, bis sie sich begegneten, abgerissen, erschöpft, völlig erledigt. »Wo sind die anderen?« fragte Lydia verzweifelt, »Keine Ahnung«, murmelte Sam verlegen. »Sie haben mich abgehängt. Sven und Susi wurden auf einmal verdammt schnell. Ich habe dich gesucht. Ich bin der Spur dieses Monstrums gefolgt und so auf dich gestoßen. Wie bist du entwischt?« Lydia holte tief Luft. »Es hat sich alles von allein erledigt«, antwortete sie schnippisch. »Ich bin noch einmal davongekommen. Schade, nicht wahr?« »Wie kannst du so etwas sagen, Lydia«, erschrak Sam. »Du kannst mich nicht täuschen«, fauchte die Frau. »Ich ahne deine Gedanken. Du wärest doch froh gewesen, wenn es mich erledigt hätte. Aber ich werde überleben. Dir zum Trotz.« Die überstandene Angst machte Lydia boshaft und ungerecht. »Ich habe dich immer vor diesem Earl Warren gewarnt, Sam«, keifte sie erregt. »Der mit seinen verrückten Einfällen. Am Ende wußte er sogar, welchen Gefahren er uns aussetzt. Denn er hat sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Vermutlich hat er Sheila 50 �
getroffen. Die beiden lachen sich jetzt kaputt über uns. Lass uns verschwinden. Ich will zurück an den Strand. Dort ist es immerhin erträglicher als in dieser grünen Waschküche.« Lydia blickte sich ratlos um. »Nun sag schon, wo wir entlang müssen, Sam«, forderte die rotblonde Frau herrisch. »Ich dachte, du wärest Soldat gewesen. Habt ihr euch da ebenso hilflos benommen?« »Ich habe keine Erfahrung mit dem Dschungel«, verteidigte sich Sam lahm. »Wenn wir unterwegs waren, auf der Jagd, Earl und ich, hatten wir immer einen eingeborenen Führer bei uns, der sich auskannte und uns die Arbeit abnahm.« Lydia lachte gellend auf. »Ohne seinen großspurigen Freund Earl ist er verloren, der arme Sam«, kicherte die Frau hysterisch. »Los, unternimm etwas, du Waschlappen. Ich habe keine Lust, hier zu krepieren.« »Ich glaube, wir müssen da entlang«, murmelte Sam. Er ging einfach los. Lydia lief ihm nach. Sie hatte Angst, daß er auf Nimmerwiedersehen verschwinden könnte. Sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. Nach einer halben Stunde mußte Sam eingestehen, daß sie sich verirrt hatten. Er hielt inne. »Wir hätten einfach der Spur folgen müssen, die von der Riesenschildkröte stammt«, überlegte Sam unsicher. »Dann wären wir längst am Strand. Es ist mein Fehler.« Lydias Gesicht verzerrte sich vor Wut. Wortlos holte sie aus und schlug ihrem Mann ins Gesicht. »Was bist du ohne andere?« zischte sie böse. »Du Trottel! Du wärest ohne meinen Vater vielleicht Hausmeister am College geworden! Du würdest ohne mich noch diese geschmacklosen karierten Jacken tragen und die unpassenden Hemden. Gibt es denn nichts, was du aus eigener Kraft vollbringst?« 51 �
Sam schwieg. Er stand da wie ein begossener Pudel. Er wußte aus bitterer Erfahrung, daß er mit Lydia nicht reden konnte, wenn sie in diesem Erregungszustand war. »Wir versuchen es noch einmal«, schlug Sam vor und lächelte krampfhaft. Er wollte so etwas wie Zuversicht ausstrahlen. Aber es gelang ihm nicht. Langsam beruhigte sich, Lydia. Ihre gallenbittere Laune, ihre Gereiztheit und Angriffslust schlug urplötzlich um in Melancholie, in Verzweiflung und Selbstmitleid. Sam versuchte seine Frau zu trösten. Er legte den Arm um sie. Aber sie schüttelte seine Hand ab, als wäre es eine giftige Spinne. Dann rannte Lydia einfach los. Sam folgte ihr. Obgleich nicht sonderlich sportlich er hatte früher ganz passabel Tennis gespielt, aber Lydia hatte es ihm abgewöhnt – und mittlerweile ein wenig fett geworden, vermochte Sam doch mühelos das Tempo zu halten, das seine Frau anschlug. Lydia war noch zu erschöpft von der vorausgegangen Hetzjagd. Eine Stunde später hatten sie das Meer immer noch nicht gefunden. Sie steckten eher tiefer im Dschungel, von dessen Ausdehnung sich Lydia völlig falsche Vorstellungen gemacht hatte. Sie warf sich auf die Erde und heulte wie ein Schlosshund. Denn bald würde die Nacht hereinbrechen. Und mit der Dunkelheit erwachten die schrecklichen Wesen, die diese Insel beherrschten… * Sven und Susi Olsen bewiesen eine glücklichere Hand. Ihr � 52 �
Fluchtweg führte sie in den gebirgigen Teil der Insel. Sie orientierten sich schon frühzeitig an einem blanken Felsvorsprung, der aus dem grünen Dschungel ragte wie eine menschliche Nase. Sven fiel rechtzeitig in Schritt, um mit seinen Kräften hauszuhalten. Keine Sekunde ließ er seine Frau aus den Augen. Sie hatten sich an den Händen gefaßt. »Die arme Lydia«, meinte Susi bedauernd. »Ob sie dem gepanzerten Ungetüm entronnen ist?« »Ich will es nicht hoffen Sam zuliebe«, spottete Sven. »Wenn ich dich nicht besser kennen würde, müßte ich dir jetzt böse sein«, schmollte Susi. »Lydia hat auch ihre guten Seiten.« »Die zeigt sie Sam aber nicht«, konterte der blonde Skandinavier. »Du darfst nicht vergessen, daß Lydia schon früh ihre Mutter verloren hat und von ihrem Vater schrecklich verhätschelt wurde. Sie hat ihn terrorisiert und machte es eben mit Sam genauso«, erklärte Susi energisch. Sven grinste. »Übernimm dich nicht«, warnte er. »Schließlich hast du gerade ein einziges Semester Psychologie studiert.« »Um schleunigst auf dich hereinzufallen«, lächelte die Frau. »Das Klügste, was du tun konntest«, meinte Sven bescheiden. Jetzt, da die unmittelbare Gefahr gebannt schien, wurde er förmlich übermütig. »Ich habe dem Jungen Eingeborenenspeere versprochen für seine Sammlung«, erinnerte sich Sven Olsen. »Und der Kleinen wolltest du Kaurimuscheln mitbringen«, ergänzte seine Frau. »Was die Kinder wohl jetzt machen?« »Ich hoffe, es geht ihnen besser als uns.« »Ich muß immer an die Kinder denken«, flüsterte Susi. »Wir dürfen nicht auf dieser verdammten Insel umkommen. Wir hät53 �
ten von Anfang an vernünftiger sein müssen. Wenigstens ich. Du bist ja ein unverbesserlicher Abenteurer.« »Ich bringe uns durch«, versprach Sven entschlossen. Tröstend nahm er seine Frau in die Arme und küsste sie. »Ich erinnere mich, daß auch deine Augen aufleuchteten, als Earl den Trip in die Südsee vorschlug«, meinte Sven ruhig. »Wer träumt nicht sein Leben lang von einer solchen Reise«, erwiderte Susi. »Wir können niemanden dafür verantwortlich machen, daß es so gekommen ist. Das hat keiner gewollt. Earl war ehrlich davon überzeugt, uns etwas Einmaliges zu bieten.« »Das hat er auch«, bemerkte Sven sarkastisch. »Wenngleich auf eine ganz andere Art, als er vielleicht vorgehabt hat.« »Wo er jetzt wohl steckt?« »Unkraut vergeht nicht. Earl ist zäh wie Hosenleder. Wahrscheinlich hockt er am Strand und wundert sich, daß wir das Camp aufgegeben haben. Er wird die Spuren am Strand lesen und begreifen. Dann wird er ein Feuer anzünden, um uns den Weg zu weisen.« »Du willst wirklich zurück?« »Nein«, entschied Sven. »Ich suche uns einen sicheren Unterschlupf. Wir warten, bis unsere Zeit auf dieser verdammten Insel abgelaufen ist. Unterdessen ernähren wir uns von dem, was wir hier vorfinden. Es wird schon klappen. Schlechter als in meiner Studentenzeit wird es uns schon nicht ergehen. Mögen die anderen sich bis dahin mit diesen gläsernen Fröschen herumschlagen wir überwintern im Dschungel. Die restlichen Tage bekommen wir irgendwie herum. Möglicherweise sind wir die einzigen, die mit heiler Haut dem Inferno entrinnen. Ich verspreche dir, daß ich uns durchbringe.« Sven schaute sich suchend um. Das Gelände hinter der Felsnase stieg stetig an. Hier und da lugte nackter grauer Stein aus dem gelbbraunen Grasbewuchs. 54 �
In etwa einer Meile ragte ein Bergkegel auf, nach Form und Beschaffenheit wohl ein erloschener Vulkan. »Du denkst an eine Höhle?« vermutete Susi. »Ich suche eine Höhle, die uns vor der Sonnenglut schützt«, bestätigte Sven. »Sie muß so geschützt liegen, daß keiner dieser Fabelwesen uns angreifen kann. Komm, wir ziehen los.« Sie wanderten mit ruhigen, weit ausgreifenden Schritten ihrem Ziel entgegen. Daß Sven keine Schuhe trug, machte ihm in diesem Gebiet ziemlich zu schaffen. Bald bluteten seine Füße und hinterließen eine deutliche Fährte. Sven biss die Zähne zusammen und marschierte eisern weiter. Er war ein hochgewachsener hagerer Mann von knapp vierzig Jahren. Er trug sein blondes Haar ziemlich lang. Um sein Kinn rankte sich ein Vollbart, der ihm sehr gut zu Gesicht stand. Niemand sah diesem Mann an, daß er für gewöhnlich vor Mikrobenkulturen hockte und nüchterne Forschungsarbeit betrieb. Leichtfüßig hielt Susi mit ihrem wesentlich größeren Mann Schritt. Vertrauensvoll folgte sie ihm. Sven hatte sie noch niemals enttäuscht. Wenn es eine Lösung gab, würde er sie finden. Er behielt immer einen klaren Kopf. Susi war dreißig Jahre alt und hatte es verstanden, trotz ihrer zwei Kinder die schlanke Mädchenfigur vergangener Tage zu behalten. Sie trieb viel Sport, ging jeden Tag in das Schwimmbad, ritt leidenschaftlich gern und verbrachte die Wochenenden mit der Familie meist irgendwo in den ausgedehnten Wäldern Kanadas. Trotz ihres Lebens in der Großstadt Vancouver hatte sie nie die Verbindung zur Natur verloren. Sie fand sich in die veränderten Lebensbedingungen auf Savage-Island schneller als jeder andere aus der Gruppe. Die beiden stießen auf ein felsiges Plateau, das wie ein Grabmal aufragte. Es lag so geschützt, daß alle vier Seiten eine 55 �
gewisse Sicherheit boten. Der Aufstieg war schwer. »Für die Geschöpfe, die uns im Urwald bedroht haben, ist es unmöglich, eine solche Wand zu nehmen«, versicherte Sven, froh, ein Versteck gefunden zu haben, das in etwa seinen Vorstellungen entsprach. »Die Bestien sind nicht dazu geschaffen, Bäume oder sonst irgend etwas zu erklimmen. Dazu sind sie zu schwer und unbeholfen. Dort oben kann uns nicht viel passieren. Komm, wir versuchen es.« Sven half seiner Frau, die ziemlich glatte Wand, die etwa fünf bis sechs Meter aufragte, zu bewältigen. Nur winzige Felsspalten und Vorsprünge gewährten einen unsicheren Halt. Man durfte kein völlig ungeübter Kletterer sein, um das letzte Stück zu schaffen. Nach einer halben Stunde schweißtreibender Arbeit hatten sie es geschafft und schauten sich ihren Zufluchtsort genauer an. Der Felssockel war etwa zwanzig Schritt lang und sieben breit, bildete also ein großes Rechteck im Schatten des Vulkankegels. Der Wind hatte Asche herangetragen. Gras hatte sich angesiedelt. In größeren Vertiefungen, wo es Erde geben mochte, fristeten kümmerliche Bäume ihr Dasein. Sie bildeten an einem Ende des Plateaus ein ziemlich dichtes Verhau. »Eine Höhle gibt es nicht«, bedauerte Sven. »Aber wir können uns aus Zweigen ein Schutzdach bauen.« »Was wollen wir mehr?« lachte Susi. »Wenn wir jetzt noch Nahrung finden und etwas, um unseren Durst zu löschen, sind wir obenauf. Dann leben wir wie die ersten Menschen im Paradies.« Sven verzog das Gesicht. »Du hättest recht, wenn die Begleitumstände nicht so schrecklich wären. Unter diesen Bedingungen werden wir den Aufenthalt auf Niue niemals genießen. Ich mache mir Sorgen um die anderen.« 56 �
»Schon«, nickte Susi nachdenklich. »Aber was können wir tun? In dieser Hölle muß jeder sehen, daß er allein überlebt. Wenn noch mehr unserer Leidensgefährten den Weg zu diesem Versteck finden, bin ich froh. Wir können niemandem entgegengehen.« »Das hatte ich allerdings nicht vor«, stellte Sven Olsen fest. »Aber ich kann und werde Rauchzeichen geben. Gut, daß ich mir damals das Rauchen nicht abgewöhnt habe. Sonst trüge ich jetzt sicher keine Streichhölzer bei mir.« Sven trug eine blaue verwaschene Drillichhose und ein weißes Unterhemd. Das mochte am Tage reichen. In der Nacht, wenn Wind aufkam, würde er es schwer haben. Sie schritten die paar Quadratmeter ab, die ihnen geblieben waren. Dabei entdeckte Sven die Reste einer alten Laubhütte in dem Miniaturwald. Sie waren durch Tropenregen aufgeweicht und durch Sonne wieder ausgedörrt und schon ziemlich verfault. Irgend jemand hatte biegsame Äste in den Boden geklemmt und gerammt, die freistehenden Enden zusammen gebogen und durch mehrere Lianen verbunden. Breite Palmblätter bildeten ein mittlerweile schadhaftes Dach. Eine einfache Hecke aus Dornen verschloss den Zugang. Sven räumte das Hindernis vorsichtig zur Seite. »Vielleicht können wir das Ding noch gebrauchen. Jedenfalls sollten wir versuchen, es auszubessern. Wir sparen eine Menge Arbeit«, schlug der Skandinavier vor. Er drang in die Notunterkunft ein. Sven, der lange Kerl, mußte sich bücken, um durch die Eingangsöffnung schlüpfen zu können. Im Inneren herrschte ein geheimnisvolles Halbdunkel. Reste eines Lagerfeuers waren das erste, was Sven entdeckte. Langsam richtete er sich auf. Er schaute sich in dem kreisrunden Bauwerk mit einem Durch57 �
messer von etwa acht Schritt genauer um. Er bemerkte einen Haufen Knochen in einer Ecke, halb verdeckt durch Lumpen und Unrat, eine Bastmatte und einige Werkzeuge. Mit dem nackten Fuß trat Sven das Bündel auseinander. Spinnen stoben auf langen haarigen Beinen von dannen. Sven prallte zurück. Zwei Totenschädel starrten ihn aus dem Halbdunkel an. »Susi, hier haben zwei Menschen gelebt!« rief Sven erstaunt. Kaurimuscheln verrieten, daß es sich um Eingeborene handeln mußte. Die Beckenknochen verrieten Sven, daß hier ein Mann und eine Frau gestorben waren. Offenbar auf natürliche Art. Es gab keine Verletzungen, die an den Schädeln oder sonstigen Teilen des Skeletts sichtbar waren. Sven hatte alles sorgfältig herausgepult und zusammengesetzt wie ein Puzzlespiel. Er entdeckte bei der Gelegenheit auch zwei Speere, Fischernetze und Gräten. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Susi, die ihrem Mann mit der gebührenden Vorsicht gefolgt war. Sven fand ein paar alte Zeitungen. Auf dem Rand war etwas geschrieben. Jemand hatte mit seinem eigenen Blut Eintragungen gemacht. Sven nahm die Notizen und ging vor die Hütte, um sie besser entziffern zu können. Er las langsam: Siebzehnter Mai neunzehnhundertsechsundfünfzig. Wir sind das Ehepaar Matete und Kiro von den Tongainseln. Ein Sturm hat uns verschlagen. Wir sind hier gestrandet. Als wir wieder aufbrechen wollten, kam ein Feuersturm und zerstörte unser Boot. Es regnete Asche. Im Osten sah ich einen Feuerblitz und einen riesigen Pilz. Wir sind sehr krank. Unsere Knochen sind weich geworden. Wir haben viele Geschwüre. Matete schläft fast den ganzen Tag. Wir sind matt und können nicht 58 �
mehr essen. Mir fallen die Haare aus. Ich glaube, wir müssen auf dieser verfluchten Insel sterben. »Eingeborene, die schreiben können?« fragte Susi skeptisch. »Es gibt seit Jahrhunderten Missionsschulen«, gab Sven zu bedenken. »Was meint der Schreiber mit dem riesigen Pilz?« Svens Gesicht erhellte sich schlagartig. »Das war ein französischer Atomversuch. Die armen Leute wußten davon nichts. Sie sind während des Sturms durch die Absperrung geschlüpft, ohnehin ohne Orientierung gewesen und hier gelandet. Sie waren zu weit fort, um sofort getötet zu werden, aber zu nahe, um nicht radioaktiv verseucht zu werden. Das erklärt alles.« »Die Strahlen haben auch die Erbanlagen der hier lebenden Tiere zerstört und verändert«, nickte Susi. »So entstanden diese entsetzlichen Monster, von denen es auf Savage-Island wimmelt.« Susi dachte angestrengt nach. »Aber die Schildkröte paßt nicht ins Bild«, meinte sie. »Sie ist kein Landbewohner. Wer weiß, wo sie sich zur Zeit der Atomexplosion aufgehalten hat.« »Ganz einfach«, kombinierte Sven. »Sie steckte als Embryo in einem Ei, das in einer Sandmulde auf Savage-Island lag und darauf wartete, von der Sonne ausgebrütet zu werden. Schildkröten vermehren sich auf diese Art. Das ganze Gelege wurde verseucht. Die meisten Keime sind abgestorben. Eine oder zwei mögen, weil sie widerstandsfähiger als die anderen waren, überlebt haben. Sie haben sich auf diese bizarre Art verändert durch die einfallenden radioaktiven Niederschläge. Das ist es.« »Ein Verbrechen!« stellte Susi empört fest. Sven zuckte nur mit der Achsel. »Atomkraft kann auch friedlich genutzt werden«, meinte er. 59 �
»Zudem hat natürlich niemand damit gerechnet, daß auf Niue zwei Menschen gestrandet sind. Ahnungslos haben die Franzosen gezündet.« »Warum haben sich die beiden Polynesier nicht ein Floß gebaut oder ein leichtes Kanu? Es gibt Bäume genug auf SavageIsland. Sie hatten auch einige Werkzeuge, wie du siehst.« »Du vergisst die Wirkung der Strahlen«, gab Sven zurück. »Je nach Dosis stirbt der Mensch sofort oder nach Jahren des Siechtums. Denke an Nagasaki und Hiroshima.« »Die armen Kerle«, seufzte Susi und betrachtete das, was einst zwei Menschen gewesen waren, voller Mitleid. »Könnte uns ein ähnliches Schicksal blühen?« fragte die zierliche dunkelhaarige Frau schaudernd. Sven schüttelte energisch den Kopf. »Als wir Vancouver verließen, waren keine Versuche angekündigt«, meinte er. »Die Verantwortlichen gehen jetzt viel vorsichtiger ans Werk. Früher wurde einfach munter drauflos experimentiert.« »Dann brauchen wir also nur die acht Nächte auszuhalten, bis wir gerettet werden«, stellte Susi erleichtert fest. Sie schaute auf die Reste ihrer unglücklichen Vorgänger, die sich aus tragischen Gründen hierher zurückgezogen hatten. »Lass uns alles sauber machen und die armen Personen anständig begraben«, schlug Sven vor. »Dann bessern wir das Dach aus. Ich muß Kokosnüsse holen, damit wir zu essen und zu trinken haben. Etwas anderes gibt es hier nicht. Wir müssen uns beeilen, damit mich unterwegs nicht die Dunkelheit überrascht. Die Nacht am Strand war scheußlich. Hier, im Urwald, würde sie entsetzlich werden.« *
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Dunkelheit senkte sich über das einsame Atoll, ein paar hundert Seemeilen östlich der Tonga-Inseln. Die schlanken Kokospalmen wiegten sich im Wind. Im Unterholz schillerten die märchenhaften Blüten der Bougainvilles. Der helle Schaumkranz über dem Riff, das die Brandung brach, färbte sich dunkelviolett. Nach einem Hitze flirrenden Tropentag erwachte das Leben auf der Insel im Südpazifik. Wollhandkrabben und Palmdiebe jagten im Zick-Zack über den weißen Sandstrand. Aus den Untiefen aber erhob sich Amphimix, das schlammtriefende Ungeheuer. Wie eine Riesenqualle floß das monströse Lebewesen über den Boden. Es schien keinen Körper zu besitzen, keine festbleibende Gestalt, sondern nur eine glasige, gallertartige, graugrüne Masse in einem durchsichtigen Plastiksack aus einer Haut, die rauh war wie Sandpapier. Am froschähnlichen Kopf saßen zwei Stielaugen von wässrigem Blau, mit gelblicher Nickhaut. Der kahle Schädel war von Schuppen und eitrigen Beulen übersät. Die Füße waren verkümmert. An ihre Stelle traten zwei gewaltige Schwimmflossen mit hornigen Endkrallen. Aus dem unförmigen Leib, in Höhe des Brustbeines, ragten breite Hände, die an verstümmelten Gliedmaßen saßen. Zwischen sechs fingerähnlichen Gebilden spannte sich die Schwimmhaut. Amphimix gewann schwerfällig Raum. Hässliche Glotzaugen rotierten und spähten unabhängig voneinander nach Beute. Das Maul blieb ständig halb geöffnet, zahnlos, mit den schwammigen Resten einstiger Knochen. Wie eine Sprungfeder war die endlose Zunge eingerollt. Aus den Lefzen rann ständig ein milchig weißes Sekret. Amphimix besaß breite Nasenlöcher, die verschließbar waren wie die eines Krokodils. Damit nahm das Wesen Witterung auf. Rudimente verkrüppelter Ohren spielten und lauschten nach 61 �
allen Seiten. Ständig auf Beute aus, ließ das leise Piepsen, das aus immergrünen Zweigen eines niedrigen Kisuarabaumes herüberdrang, die Aufmerksamkeit des Molochs wachsen. Amphimix hielt ruckartig. Er ortete das Angriffsziel wie ein Roboter. Die fleckige Zunge schoß gierig hin und her. Dann griff Amphimix an. Den Kopf in den Nacken geworfen, schob sich das Untier näher. Der Leib veränderte ständig seine Form. Mal wurde er kreisrund, mal wieder streckte er sich unglaublich, erinnerte an die Fortbewegungstechnik einer Raupe. Vor dem schlanken Baumstamm stoppte Amphimix abrupt. Sein bulliger Kopf mit den abstoßenden Geschwüren berührte das Holz. Die heftige Erschütterung warnte die Beute. Ein bunter Vogel strich ab, segelte klagend vor dem Kupfermond. Schwarze Schwingen flatterten ängstlich. Amphimix schmatzte in ungezügelter Vorfreude. Nackte Vogeljunge gehörten für ihn zu den Leckerbissen. Er schob sich an das kugelrunde Nest aus Kokosfasern heran, das unter einem schützenden Palmblatt klebte. Ahnungslos sperrten die Jungen, noch blind, ihre Schnäbel auf. Amphimix schnellte seine Zunge heraus. Sie klatschte wie eine Peitsche ins Zielgebiet. Der erste Vogel blieb an der Spitze kleben, wurde aus dem Nest gerissen und in rasender Fahrt eingerollt. Das Froschmaul, breit und unersättlich, schloß sich geräuschvoll. Ein befriedigtes Schlucken beschloß das nächtliche Drama. Der Bissen war ein Tropfen auf den heißen Stein. Amphimix bewältigte ganz andere Brocken mühelos. Schon schoß die klebrige Fangschnur wieder heraus. In Windeseile leerte Amphimix das Vogelnest. Mit der ersten Mahlzeit dieser Nacht in seinem unförmigen Bauch dämmerte hinter der flachen Stirn die Erinnerung an 62 �
andere Beute auf. Ein sehnsüchtiges Winseln drang aus der Brust des Untieres. Der schwammige Körper krümmte sich. Geifer spritzte aus dem Maul, das sich automatisch öffnete und schloß. Das Ungeheuer gab sich einen Ruck, machte kehrt. Überleben war alles für diese Kreatur und das Nahrungsangebot auf der öden Insel gering. Rinder gab es genügend, aber sie waren zu wachsam und zu flink. Amphimix verschmähte auch Aas nicht. Sein gewaltiger Körper brauchte viel Nahrung. Längst hatte er die Fressgewohnheiten seiner Ahnen modifiziert. Er nahm alles. Die Tage verbrachte das Rudel im Sumpf, um der grellen Sonne zu entgehen. Die Hitze hätte sie ausgetrocknet. Nachts brach die Horde auf zu hechelnden gierigen Beutezügen. Da wanderten selbst borstige Palolowürmer in Mägen, die sich nie zu füllen schienen. Sie wurden verdaut in Eingeweiden, in denen ständig der Hunger wütete. Amphimix pumpte Luft in den faltigen Kehlsack. Weit hallte sein Jagdruf über die stille Insel. Aus dem nahen Sumpf erscholl Antwort. Die brummenden Laute erinnerten an das hallende Konzert von Ochsenfröschen. Amphimix zog los. Und schon wurde es lebendig inmitten der üppigen Vegetation, die die Insel bedeckte. Breite grüne Blätter wurden niedergewalzt, bogen sich unter der Last schleimiger Körper. Farnstengel splitterten. Aufgeregte Laute brabbelnd zog das unheimliche Aufgebot durch den regennassen Urwald, marschierte dem Strand entgegen. Nicht einmal verloren die Ungeheuer die Spur ihres Hordenführers. Das Tempo blieb bescheiden, aber unaufhaltsam zogen die entarteten Kolosse ihrem Ziel entgegen. Es gab nichts, was sie auf63 �
halten konnte. Geschickt bewältigten sie alle Hindernisse. Sie bildeten eine lose Treiberkette. Es war inzwischen dunkel geworden. Die Bestien erreichten nach langem Marsch den Strand. Klobige Schädel schoben sich durch das Buschwerk. Trübe Pupillen richteten sich auf den einsamen Mann. Ekliges Sekret tropfte von gierigen Lefzen. Unruhig zuckten ihre Mäuler… * Ich verbrachte eine ungemütliche Nacht. Inmitten des abgebrannten Feldes hockte ich mit meinem verletzten Fuß, ohne Proviant. Der Geruch des verbrannten Grases marterte meine Nase. Die erlebten Schrecken ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Nur zu knapp war ich diesen rätselhaften Ungeheuern entronnen, die auf mich Jagd gemacht hatten. Zum ersten Mal hatte ich sie so deutlich und noch weitaus besser gesehen als vor mir Sam Akron bei unserem ersten Vorstoß in den Waldgürtel von Savage-Island. Ich mußte ihm recht geben. Der Anblick war fast unbeschreiblich. Die Tiere wirkten nicht nur durch die außergewöhnliche Größe furchteinflößend. Ihr abstoßendes Äußeres ließ einen die Luft anhalten. Der Anblick dieser entarteten Geschöpfe ging, einem durch Mark und Bein. Ich fand keinen Schlaf. Aufgewühlt durch die eigenen Erlebnisse, in Sorge um meine Gefährten, erwartete ich den Morgen. Nie habe ich die Sonne begeisterter begrüßt als an jenem Tag. Ich wußte, daß uns das Tageslicht eine neue Atempause bescherte. Relativ sicher konnte ich den Dschungel durchstreifen, sobald diese Geschöpfe der Nacht sich in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen hatten. 64 �
Ich machte mich ungeduldig auf den langen Marsch an die Küste. Mein Fuß machte mir noch allerhand Schwierigkeiten. Er war eher schlimmer geworden als besser und schmerzte bei jeder Bewegung. Ich war ziemlich angeschlagen. Mit zusammengebissenen Zähnen arbeitete ich mich vorwärts. Ich erreichte den Strand nach mehr als zwei Stunden. Die Hitze war bereits unerträglich. Ich hinkte über den Streifen feinen goldgelben Sandes zum Meer. Lange kühlte ich meinen verletzten Fuß. Dann versuchte ich mich zu orientieren. War ich vor oder hinter dem Camp? Menschenleer dehnte sich der Strand vor meinen Blicken aus. Ich war allein. Die Einsamkeit war niederdrückend. Ich verspürte Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft. Ich hätte selbst die bissige Lydia Akron freudig begrüßt. Der Gedanke, die vor mir liegenden Tage allein auf dieser Insel verbringen zu müssen, erschreckte mich zutiefst. Ich entschied mich, nach rechts zu gehen, um auf meine Leidensgenossen zu stoßen, von denen ich annahm, daß sie am Strand ausgeharrt hatten. Zu der Zeit wußte ich ja noch nicht, was sie mir später in allen Einzelheiten berichteten. Mein Tempo blieb nach wie vor gering. Hinzu kam die Hitze des Tropentages. Durst quälte mich. Wasser gab es genug – soweit das Auge reichte. Aber es war völlig ungenießbar. Nach einem endlosen Marsch, der mich an die Grenze meiner körperlichen Kraft brachte, sichtete ich das Lager, ein Häufchen von durcheinander gewürfelten Proviantkisten und Ausrüstungsgegenständen. Svens Sonnensegel hatte sich teilweise losgerissen und flatterte wie die Fahne der endgültigen Niederlage im frischen Seewind. Ich entdeckte kein Leben im Camp. Meine Unruhe stieg. Ich begann schneller vorwärtszuhinken, 65 �
möglichst das verstauchte Fußgelenk dabei entlastend. Das verlieh meinem Gang natürlich eine unfreiwillige Komik. Ich mochte wohl ziemlich unbeholfen und stark angeschlagen wirken, wie ich da einsam und verlassen am leeren Strand unserer Trauminsel entlangzog. Meine Fußspuren im unberührten Sand verliefen reichlich ungerade und verrieten etwas von der Anstrengung, die mich jeder Schritt gekostet hatte. Niemals ist es mir bewusster geworden als in diesen Stunden, daß der aufrechte Gang des Menschen, dieses Voreinandersetzen eines Fußes nach dem anderen, im Grunde nichts ist als ein ständig hinausgeschobenes Fallen. Schon von weitem begann ich zu rufen, dann zu schreien. Angst schnürte mir die Kehle zu. Waren alle meine Freunde diesen Bestien zum Opfer gefallen? Hatte ich als einziger das nächtliche Inferno überlebt? Verzweiflung packte mich. Wenn ich an die Zeit dachte, die ich noch heil zu überstehen hatte, wußte ich nicht, wie das ausgehen würde. Ob mich diese kannibalischen Bestien erwischten oder ob ich vor Angst und Sorge verrückt wurde, war mir schon bald gleichgültig. Jedenfalls sah ich meine Chancen schwinden, dieses unbedachte Abenteuer heil zu überstehen. Der Mensch braucht Gesellschaft. Allein kann er nicht existieren. Schon gar nicht unter den Bedingungen, die wir auf Niue angetroffen hatten. Ein Nebenmann gab einem in der Stunde der Gefahr wenigstens ein wenn auch trügerisches Gefühl der Sicherheit. Atemlos erreichte ich das aufgegebene Camp. Was ich zu entdecken fürchtete, fand ich allerdings nicht. Es gab keine Spuren, die darauf hinwiesen, daß meine Gefährten getötet worden waren. Die breite Furche, die aus der Lagune kam und in den Dschungel führte, konnte ich mir nicht erklären. Vergeblich rief ich die Namen meiner Freunde. 66 �
Keine Antwort kam aus dem Dschungel, der still und friedlich vor mir lag. Entsetzt sank ich am Strand zusammen. Später zwang mich der Hunger, den Proviant, der jetzt reichlich vorhanden war, anzubrechen. Ich öffnete eine Büchse Cornedbeef und aß das Zeug mit einem Löffel, den ich aus dem umhergestreuten Gepäck gefischt hatte. Es schmeckte mir nicht, aber ich zwang mich zum Essen. Später mixte ich etwas Trinkwasser mit dem reichlich vorhandenen Alkohol und schüttete ein paar Gläser in mich hinein. Mechanisch begann ich, das Durcheinander um mich her zu ordnen. Ich räumte auf. Unterdessen dachte ich ernsthaft daran, wieder in den Dschungel zu laufen, um die Verschwundenen zu suchen. Aber mit meinem verletzten Fuß traute ich mir weitere Märsche nicht zu. Und nichts fürchtete ich mehr, als abermals von der Dunkelheit im Urwald überrascht zu werden. Einmal war ich mit knapper Not diesen Bestien entronnen. Ich legte keinen Wert darauf, mein Glück noch einmal auf die Probe zu stellen. Daher entschied ich mich am Ende dafür, am Strand auszuharren und darauf zu hoffen, daß sich die Versprengten hier sammelten. Es wurde Mittag. Niemand ließ sich blicken. Die Stille um mich her war bedrückend. Dies war erst der Anfang. In wenigen Tagen würde ich damit anfangen, mit mir selbst zu reden. Aus lauter Langeweile hatte ich einen Riesenhaufen Brennholz zusammengetragen. Ich wollte nachts Signale geben können an meine Begleiter, von denen ich immer noch hoffte, sie hätten sich bloß verirrt, aufgeschreckt von irgend etwas, das sie gezwungen hatte, den Strand zu verlassen. Natürlich ahnte ich damals nicht, wie nahe ich mit dieser Vermutung der Wahrheit kam. Das Brennmaterial, das ich zusammengetragen hatte, war teil67 �
weise nass. Aber bis ich den Stoß anzuzünden gedachte, würde die Sonne ihre hilfreiche Arbeit beendet haben. Ich unterhielt mich mittlerweile damit, die Brandung am Riff zu beobachten. Ich konnte den Anblick dieser stumpfsinnigen grünen Hölle nicht mehr ertragen, die sich verlassen und gleichgültig am Strand entlangzog und ihn begrenzte, in einem Ausmaß, dessen Betrachtung das Gefühl der Verlorenheit in mir stärkte und verdoppelte. Dann entdeckte ich das Schiff. Es war eine abgetakelte Hochseeyacht oder ein umgebauter kleiner Kutter, So genau konnte ich es nicht erkennen. Ich sah gerade die Masten und den Schiffskörper, der sich hob und senkte, etwa zwei Meilen vor der Küste von Savage-Island. In fliegender Eile rannte ich zu meinem Scheiterhaufen. Zitternde Hände rissen das erste Streichholz an. Natürlich klappte es nicht. Das nasse Holz erstickte jede Flamme. In blinder Verzweiflung nahm ich hochprozentigen Strohrum, den wir mitführten, und schüttete ihn über das Holz, ehe mir einfiel, daß wir auch Brennspiritus dabei hatten, um Grillen zu können. Und da war ja auch Holzkohle! Meine Angst, diese Gelegenheit zu verpassen, hatte mir einen bösen Streich gespielt. Jetzt klappte es vorzüglich. Eine träge, immer dichter werdende Rauchfahne stieg auf in einen wolkenlosen blauen Tropenhimmel. Ich beobachtete den Kahn, der querab zur Insel lief. Er zog stur seines Weges, winzig wie ein Kinderspielzeug. Offenbar wurde das Schiff durch starke Motoren getrieben. Ich konnte nicht einen Fetzen Segeltuch erkennen. Ich stand am Strand, hinter mir das qualmende Feuer, das reichlich mit Nahrung versorgt war, und starrte dem Schiff nach, das keine Anstalten traf, beizudrehen. Hatte mich die Besatzung nicht bemerkt? Schliefen die Kerle 68 �
am helllichten Tag? War ihnen mein Schicksal gleichgültig? Wenn das Schiff zur Flotte der Kopraboote zählte, die Inseln anliefen, die weit außerhalb der normalen Schifffahrtswege lagen, konnte ich allerdings damit rechnen, eine Niete gezogen zu haben. Auf diesen Seelenverkäufern herrschte ein erschreckender Erwerbssinn. Eine Rettungsaktion kostete Zeit, und Zeit kostete Geld. Enttäuscht wandte ich mich ab. Man hatte mich nicht bemerkt oder wollte es nicht. Das niederschmetternde Ergebnis blieb sich gleich. Eine Riesenchance, schon vor der Zeit diese Insel des Grauens zu verlassen, war an der Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit einer Schiffsbesatzung gescheitert. Ich mußte mich damit abfinden, meine restliche Zeit abzusitzen. Meine Bitte um Begnadigung war unbarmherzig abgelehnt worden. Verzweifelt sprach ich dem Alkohol mehr zu, als mir gut tat Ich mußte bald in den Schatten flüchten. Ich stellte das Sonnendach wieder her, hockte auf einer Kiste mit Gemüsekonserven und starrte finster vor mich hin. Ich rauchte Kette. Vergeblich grübelte ich über eine Möglichkeit nach, diesem gefährlichen Gefängnis zu entrinnen. Wieder verfiel ich auf den Gedanken, über das Wasser zu flüchten. Ein Floß mußte her! Ich gab vorzeitig auf. Das Unternehmen wäre allein wegen meiner miserablen handwerklichen Fähigkeiten misslungen. Außerdem traute ich der Wasserwüste vor mir noch weniger als dieser verfluchten Insel. Im Grunde war es schon beinahe gleichgültig, ob man einem der fleischfressenden Frösche zum Opfer fiel oder dem zähnestarrenden Rachen eines menschenfressenden Hais. Die Überraschung war um so größer, als sich um eine vorsprin69 �
gende Landzunge ein Schiffskörper schob, von dem ich annahm, daß es sich nur um das Boot handeln könne, das ich versucht hatte, auf mich aufmerksam zu machen. Nichts erschien mir im Leben schöner als dieser verwahrloste, verdreckte Kutter, der mit Motorkraft herantuckerte und eine Einfahrt in die Lagune suchte. An der Reling stand ein braungebrannter Mann mit nacktem Oberkörper, Strohsandalen und weißer Kapitänsmütze. Er rief dem Schwarzen am Ruder ständig seine Befehle zu. Die beiden waren wohl die einzigen Menschen an Bord. Das Schiff hieß ›Madeleine‹. * Die ›Madeleine‹ hatte zu viel Tiefgang, um in die Lagune eindringen zu können. Sie drehte bei Der Braungebrannte ließ den Anker fallen. Ein Beiboot konnte ich nirgends entdecken. Ich war bereit, hinüberzuschwimmen und watete bereits ins Wasser, als der Skipper mir zuwinkte, ich solle bleiben, wo ich war. Er sprang selbst über Bord, kraulte zum Riff und kletterte vorsichtig über die messerscharfen Korallen. Seine lange weiße Hose und die Segelschuhe hatte er anbehalten. Nur die Kapitänsmütze war an Bord geblieben. Ich mußte neidlos zugeben, daß ich die Lagune in der Rekordzeit nicht hinter mich gebracht hätte. Im Nu erreichte mein unbekannter Retter flaches Wasser, und wir konnten uns bekannt machen. Er hieß Robert Morris und stammte aus Brisbane, Australien. Trotz des französischen Namens seines Schiffes konnten wir uns also ausgezeichnet verständigen und trafen nicht, wie befürchtet, auf Sprachschwierigkeiten. 70 �
Robert Morris, ein mittelgroßer sehniger Mann, befand sich auf einer Kreuzfahrt durch die Südsee. Er hatte von seinem Vater, der im Krieg gegen die Japaner das berühmte »Inselspringen« mitgemacht hatte, so viele verlockende Geschichten gehört, daß es ihn nicht länger bei seinem Job als Fernfahrer gehalten hatte. Das Schiff hatte er nach langem Feilschen von einem heimwehkranken Franzosen auf Tahiti gekauft. Mutterseelenallein, nur von einem schwarzen Matrosen begleitet, legte Morris Seemeile um Seemeile zurück, rettete sich vor Stürmen in den nächsten Hafen oder zur nächsten Insel und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich berichtete ihm, wie ich auf Niue gelandet war. Er grinste verständnisvoll. Bewundernd betrachtete er unser reichhaltiges Depot. Ich entschuldigte mich für meine Unhöflichkeit. Ich bot ihm einen Bourbon an. Kaum hatte der scharfäugige Wilde, der sich dem Australier angeschlossen hatte, weil er auch nichts besseres vorhatte, den Whisky bemerkt, da warf er sich ins Wasser und kam schleunigst herüber. Pongo, wie ihn Morris getauft hatte, weil der wirkliche Name des Burschen unaussprechlich war, grinste breit und schüttelte mir ausgiebig die Hand. Pongo sah genauso aus, wie wir uns einen Insulaner vorgestellt hatten. Sein kräftiges Gebiss strahlte in einem tiefschwarzen Gesicht mit verwegenem Mund und ziemlich breiter Nase. Seine Frisur bestand aus schwarzem gesträubtem Haar, das trotz der Länge nach allen Seiten abstand und erinnerte mich an die bekannte Figur eines berühmten Kinderbuches. Inmitten der krausen Wolle saß ein Schildpattkamm. Pongo, ein Modellathlet, trug nur einen bunten Lendenschurz. Wir prosteten uns zu. »Zeit habe ich genug. Ich will nicht drängen«, meinte Morris. 71 �
»Aber wo sind die anderen, von denen Sie gesprochen haben?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. Morris kniff die Augen zusammen. Er betrachtete mich aufmerksam. »Hören Sie, Mr. Warren«, meinte der Australier. »Ich will in nichts hineingezogen werden, was mir Schwierigkeiten bereiten würde. Dann wäre es nämlich um meine Freiheit geschehen. Und das ist das einzige, was ich nicht verlieren möchte.« »Was meinen Sie, Morris?« fragte ich. »Na, vielleicht stimmt Ihre Geschichte gar nicht. Klingt etwas phantastisch. Vielleicht sind Sie doch ein Schiffbrüchiger und hausen wer weiß wie lange auf Savage-Island. In der Zwischenzeit das soll häufiger vorgekommen sein haben Sie aus Nahrungsmangel Ihre Gefährten verspeist.« »Habe sie gekocht und in sauber etikettierte Konservenbüchsen verstaut«, führte ich seine Theorie sarkastisch weiter. Robert Morris grinste und kratzte sich hinter dem Ohr. »Niemand, der allein auf der Insel lebt, hätte so ausgezeichneten Whisky lange ungeschoren gelassen«, räumte der Skipper ein. Ich füllte sein Glas. Pongo, der längst ausgetrunken hatte, leckte sich die Lippen. Am liebsten hätte er vermutlich aus einem Kochgeschirr getrunken. »Na, Sie werden jedenfalls zugeben, daß alles ein wenig komisch auf jemanden wirkt, der hier neu eintrifft. Hat es etwa Streit zwischen Ihnen und Ihren Begleitern gegeben?« wagte der Australier einen neuen Vorstoß. »Hat man Sie ausgesetzt?« »Keineswegs. Es ist alles genauso, wie ich es berichtet habe«, versicherte ich. »Dann würden wir also Ihre Gefährten hier auf der Insel finden?« stellte Morris fest. 72 �
Wir hatten uns mittlerweile unter das Sonnensegel geflüchtet. Hier gab es wenigstens Schatten. Außerdem konnte ich mich setzen, um meinen verstauchten Fuß zu schonen. Ich nickte. »Dann werde ich losziehen und Ihre Leute suchen«, erklärte Robert Morris entschlossen. »Wir können unmöglich hier verschwinden, ohne uns überzeugt zu haben, ob nicht noch mehr Passagiere auf uns warten.« »Wenn Sie das tun würden, Mr. Morris«, versprach ich erleichtert, »gebe ich Ihnen einen Blankoscheck. Die Summe dürfen Sie nach unserer Rettung selbst ausfüllen. Sehen Sie, ich fühle mich verantwortlich für das Missgeschick, das den Beteiligten mit dieser Südseereise widerfahren ist.« »Vor allem bin ich neugierig auf Ihre Fabelwesen«, meinte der Australier. »Ehe ich die nicht gesehen habe, glaube ich Ihnen kein Wort. Ich lasse Sie mit Pongo hier. Er wird Sie beschützen.« Der Schwarze, wohl eher als Wache gedacht, damit ich nicht heimlich mit der »Madeleine« verschwand, feixte freundlich. Er schwenkte sein Glas. Inzwischen holte Robert Morris seine Waffen. Er hatte eine Maschinenpistole dabei mit vier Wechselmagazinen. »Nicht auf jeder Insel gibt es eine Polizeistation«, erklärte der Weltenbummler. »Notfalls muß man sich selbst schützen können. Daher bin ich bis an die Zähne bewaffnet. Daß ich allerdings mit meiner Spritze noch mal auf Froschjagd gehen würde, habe ich mir nicht träumen lassen.« Mein unerwarteter Besucher nahm die ganze Geschichte ziemlich auf die leichte Schulter. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich war sicher, daß ihm die folgende Nacht gewaltig die Augen öffnen würde. Robert Morris verabschiedete sich durch ein Winken mit der Hand, schulterte die Maschinenpistole und drang in den 73 �
Dschungel ein, unbesorgt, leichtherzig. Der Melanesier stieß mich ständig mit seinem leeren Glas an, bis ich begriff, daß er darauf aus war, sich sinnlos zu betrinken. Ich lehnte weitere Drinks ab. Der unheimliche bärenstarke Mann, der außerdem mit einem Karabiner bewaffnet war, wurde sichtlich böse und fletschte die Zähne. Er überschüttete mich mit einem Schwall von Worten, die englisch klangen, die ich aber nur schwer verstehen konnte. Ich besann mich darauf, daß die Eingeborenen dieser Breiten eine Art Pidgin-Englisch sprachen, das stark mit den Worten ihrer Heimat angereichert war. Für den Begriff »Essen«, einer ihnen sehr zusagenden Beschäftigung, benutzten sie zum Beispiel das polynesische Wort ›Kai-Kai‹. Arbeit hieß natürlich ›work‹, weil es ein Fremdwort war für diese Kinder einer Natur, die ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Ich ließ mich nicht einschüchtern. Pongo drohte mir mehrmals, mich zu erschießen, ehe er sich beruhigte. Er wollte schlafen. Wie er erklärte, gab es auf der »Madeleine« eine äußerst bequeme Hängematte, die ihm Robert Morris geschenkt hatte. Also zog er sich dorthin zurück. Mit einer Hand hielt er das Gewehr über dem Krauskopf, während er auf das Boot zu schwamm. Geschickt enterte er über die Reling. Ich begab mich ebenfalls zur Ruhe. Jetzt, mit dem Schiff vor der Nase, das mich evakuieren würde, auch, wenn Robert Morris keinen meiner unglücklichen Reisegefährten entdecken konnte, fühlte ich mich einigermaßen sicher. Außerdem hatte ich nach einer schlaflosen Nacht eine Menge aufzuholen. Ich schlief schnell ein. Mich plagten wüste Angstträume. Einmal sah ich, wie Sheila Globe vor meinen Augen von Kannibalen in Stücke gerissen wurde. Dann wieder war sie eingekreist von einer 74 �
Meute der scheußlichen Ungeheuer, die uns das Leben auf Savage-Island zur Qual machten. Riesige Mäuler klafften und schnappten gierig nach der Beute. Sie rissen ganze Fetzen aus Sheilas blutendem Körper und zermalmten krachend Knochen. Ein Donnern unterbrach das kannibalische Fest. Erst der Regen weckte mich. Wie üblich hatte ich in meinem Traum Wahn und Wirklichkeit vermengt. Das Donnern war echt. Eine Gewitterfront war aufgezogen. Eine schweflig gelbe Sonne standen einem dunklen Meer von Wolken. Es regnete. Es goss in Strömen. Wind war aufgekommen. Er blies landeinwärts. Längst warf er immer wieder die ›Madeleine‹ gegen das Riff. Pongo schlief ungerührt seinen Rausch aus. Blitze zündeten. Sie züngelten über den Himmel. In ihrem Leuchten erkannte ich das Schiff, das an seiner Ankerkette zerrte und auf der tosenden See tanzte wie ein leichter Korken. Später, in der Finsternis, hörte ich einen entsetzlichen Schlag. Holz splitterte. Wahrscheinlich war die ›Madeleine‹ auf das Riff geschleudert worden. Ich konnte in der nachtschwarzen See nichts mehr von der ›Madeleine‹ entdecken. War sie gesunken? Würde Robert Morris bei einem solchen Unwetter umkehren? Und wenn, fand er sich auf der unbekannten Insel zurecht? Was war mit diesen Bestien? Waren sie jetzt nicht in ihrem Element? Würden sie angreifen? Oder blieben sie ihrer Gewohnheit treu, nur nachts auf Beute auszugehen? Klatschnass hockte ich unter dem Segeltuch, das die aus einem enthemmten Himmel stürzenden Wasserfluten nur unvollkommen abschirmen konnte. Die ersten Teile unserer Ausrüstung machten sich selbständig und wurden weggeschwemmt. Apathisch schaute ich zu. 75 �
Ich rührte keinen Finger, um das eine oder andere zu bergen. Wenn das Schiff unterging, war meine Hoffnung auf eine vorzeitige Rettung zerstört. Mir war ohnehin alles gleichgültig. Ich brachte nicht mehr die Kraft auf, die Enttäuschung zu überwinden. Daran, daß ich das Eintreffen Hal Studebakers mit einem Wasserflugzeug noch erleben könnte, wagte ich nicht mehr zu glauben. Ich gab mich selbst auf und war am Ende meiner seelischen Kräfte. Ich saß im Regen und starrte auf die Lagune, die sich von einem klaren friedlichen Wasserstreifen in eine unruhige, stark bewegte Fläche gewandelt hatte, deren Wellen sich mit ziemlicher Wucht und Verbissenheit auf dem schmalen Sandufer totliefen. Manchmal umspülte ein besonders starker Guss meine Füße. Eine dreiviertel Stunde später war alles vorbei! Der Himmel klarte auf. Das ebenso kurze wie heftige Tropengewitter war weiter gezogen. Die verschwunden geglaubte ›Madeleine‹ lag noch an ihrem Platz. Allerdings mit starker Schlagseite. Pongo, der in die Kajüte geflüchtet war, tauchte auf. Er stand an der Reling, winkte aufgeregt und brüllte irgend etwas, was ich wegen der starken Brandungsgeräusche nicht verstehen konnte. Immerhin begriff ich, daß er versuchte, mich an Bord zu holen. Ich warf die Wolldecke ab, die ich mir um die Schultern gelegt hatte und humpelte ins Wasser. Ich verließ mich, solange es ging, auf meine Füße. Dann begann ich zu schwimmen. Dies hier waren andere Wellen, als die in meinem Swimmingpool. Ich hatte schwer zu kämpfen und bewunderte Robert Morris, der die Strecke zweimal ohne sichtliche Mühe bewältigt hatte, doppelt. Pongo half mir schließlich an Bord. 76 �
Er hatte Mühe, sich auf dem schrägen Deck zu halten. Nur die Korallen hinderten die ›Madeleine‹ daran, unterzugehen und in der blauen Tiefe des Pazifiks zu versinken. Der Stern war fest zwischen zwei Zacken eingeklemmt. Lange konnte er der Belastung nicht mehr standhalten. Pongo zimmerte in Windeseile ein Floß, auf das wir alles verluden, was uns wertvoll erschien. Händeringend beteuerte der Schwarze immer wieder, ihn treffe keine Schuld. Ich pflichtete ihm bei. Wir legten ab, bereit, das Schiff aufzugeben. Zwei Bretter dienten uns als Paddel, mit denen wir unser plumpes Fahrzeug durch die Lagune an das rettende Ufer brachten. Als wir es geschafft hatten und uns umdrehten, lag die »Madeleine« noch immer da, als sei nichts geschehen. Ich verstand aber zu wenig von diesen Dingen. Mochte schließlich Robert Morris entscheiden, was zu geschehen hatte. Aber wo steckte der Skipper? * »Nein!« gellte es aus Lydia Akrons Mund. Sie wich zitternd zurück. Abwehrend streckte sie die bebenden Hände aus. Sie waren aus Bequemlichkeit einem alten Trampelpfad gefolgt, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, woher er stammen könnte. Sie waren es leid, blind durch unwegsamen Dschungel zu tappen. Ein Pfad mußte schließlich irgendwo anfangen und irgendwo enden. Im günstigsten Fall sogar am Strand, den die beiden Versprengten suchten, um wieder auf ihre Gefährten zu stoßen. Dieser Pfad endete für Lydia nach einem scharfen Knick vor den Reißern einer der Bestien, denen schon Sam am ersten 77 �
Abend begegnet war. Das Vieh hatte ganz ruhig in einem Busch gehockt und auf die ahnungslosen Opfer gelauert, die ihm entgegenbogen. Jetzt gab es kein Ausweichen mehr. Blitzschnell zuckte die gefleckte Zunge heraus. Wie eine Peitschenschnur traf sie den Hals Lydias, die voller Ekel aufschrie. Mit unwiderstehlicher Gewalt wurde die entsetzte Frau dem riesigen Froschmaul entgegengerissen. Zwei tückische Augen blitzten Zufrieden auf. »Sam!« kreischte Lydia. Kurze Stummelarme umschlangen sie. Elfenbeinerne Hauer ritzten ihren Hals an, während die unangenehm klebrige Zunge die Beute noch immer gefesselt hielt. Lydia ging zu Boden. Ein schwerer schleimiger Körper schob sich über sie. Schmatzend trank das widerliche Maul das austretende Blut. Mit seinem Gewicht drückte die Bestie das Opfer auf die Erde und berauschte sich an der Flüssigkeit, die rot und reichlich aus der angeritzten Halsschlagader schoß. Lydias Sträuben erlahmte. Ihre gellenden Hilfeschreie gingen in ein kraftloses Wimmern über. Sam hatte die Flucht ergriffen. Er hatte Angst, verfolgt zu werden oder in eine andere teuflische Falle zu rennen und war überzeugt, daß noch mehr dieser Monstren im Unterholz lauerten. Sam benutzte den einzigen Ausweg, der ihm geblieben zu sein schien. Er kletterte auf einen Baum. Ziemlich ungeschickt arbeitete sich der Mann den Stamm hinauf, bis er eine angemessene Höhe erreicht hatte und sich einigermaßen sicher fühlen konnte. Blätter und Zweige verdeckten ihm gnädig einen großen Teil dessen, was sich unter ihm, auf dem Wildwechsel der blutrünsti78 �
gen Moloche abspielte. Sam mußte das Schreien und Flehen seiner Frau mitanhören, dazu das gierige Schmatzen des Ungeheuers. Er zitterte, als habe es ihn selbst erwischt. Schließlich verstopfte er sich mit den Fingern die Ohren, weil er die Geräusche nicht mehr ertragen konnte. Sam heulte in hilfloser Wut. Gegen diese Bestien war kein Kraut gewachsen. Gab es überhaupt eine Waffe, um sie auszuschalten? Sam mußte lange warten, bis dort unten Ruhe eintrat. Er wagte nicht, seinen hohen Zufluchtsort zu verlassen. Die schreckliche Begegnung hatte ihm jeden Schneid abgekauft. Später zogen noch mehr der Ungeheuer unter dem Baum durch, auf dem Sam hockte. Er zählte bis zu vierzehn Stück Die Meute beteiligte sich an der Mahlzeit, die ihnen der Zufall beschert hatte, nachdem sie bei mir abgeblitzt waren und Sven nicht erwischt hatten. Das war ein Schlingen und Schmatzen, ein Knurren und Winseln, daß es Sam speiübel wurde. Nach Stunden erst wurde es still. Nichts verriet, ob das unheimliche Rudel weitergezogen war. Vergeblich lauschte Sam. Sam machte es sich auf einem breiten Ast bequem, entschlossen, nicht vor Sonnenaufgang auf die Erde zurückzukehren. »Du mußt das alles nicht so tragisch nehmen«, beruhigte er sich selbst. »Es gibt schreckliche Verkehrsunfälle. Es gibt Kriege. Es gibt Verbrechen. Man kann auf mehrere scheußliche Arten sein Leben verlieren, ohne selbst Schuld zu tragen.« Sam erschrak vor dem Klang seiner eigenen brüchigen Stimme, er hatte zu sich selbst laut gesprochen. Seine Zähne schlugen wie in Fieberschauern aufeinander. Der Mond beleuchtete die Szene mit dem einsamen Mann. Das Ganze wirkte wie ein Scherenschnitt: Der von Lianen überwucherte Ast und darauf die zusammengesunkene Gestalt von 79 �
Sam. Pausenlos machte sich Sam Vorwürfe. Er zermarterte sein Hirn, Wie er das Unglück hätte vermeiden können. Es gab immer nur eine Antwort: Er hätte mit Lydia in Vancouver bleiben müssen. Aber war nicht gerade Lydia von dem Vorschlag begeistert gewesen, zehn üppige Tage auf einer Tropeninsel zu verbringen? Sie hatte sich wie ein Kind gefreut. Niemand hatte ahnen können, welch böse Wendung die Ereignisse auf Savage-Island nehmen würden. Keiner hatte etwas derartiges gewollt. Die Moloche hatten ein zweites Opfer gefunden. Wer würde überhaupt am Ende noch übrig bleiben? Die Wahrscheinlichkeit, daß Hal Studebaker zur verabredeten Stunde über einer leeren Insel kreisen würde, ratlos und verblüfft, wurde immer größer. Sam, zur Bewegungslosigkeit verdammt, begann, Gedichte aus seiner Schulzeit zu rezitieren. Er lenkte sich bewußt ab. Er durfte nicht an das Schreckliche denken, das Lydia widerfahren war. Er wurde sich klar darüber, daß er sie nicht mehr geliebt hatte, vielleicht hatte er sie sogar gehasst. Trotzdem wäre es ihm nie eingefallen, ihr Böses zu wünschen. Sam verbrachte eine Nacht, die noch widerwärtiger war als die, die ich hinter mich bringen mußte. Seine Glieder waren steif, als der erste Lichtstreifen am Horizont den neuen Tag ankündigte. Regen hatte ihn bis auf die Haut durchnäßt, Wind ihn erschauern lassen, Sturm fast von dem Ast geweht jetzt trocknete ihn die Sonne wieder. Er genoß die ersten wärmenden Strahlen. Er dehnte und streckte sich. Mit der flachen Hand schabte Sam über die Bartstoppeln an seinem Kinn. Früher hatte er sich zweimal am Tag rasiert. Wie lange war das eigentlich her? Sams Zeitgefühl war durcheinander geraten. Er lachte irre. 80 �
Vorsichtig machte er sich an den Abstieg. Er wußte nicht, wo er sich befand. Er hatte selbst von seinem höher gelegenen Ausguck nicht feststellen können, in welche Richtung er marschieren mußte, um den Strand zu erreichen. Ein endloses Meer grüner Baumwipfel hatte ihn umgeben. Nur weiter im Osten war der Bewuchs spärlicher geworden. Dort ragte hier und da nacktes Gestein aus dem Boden. Es gab wohl auch den Kegelberg eines erloschenen Vulkans. Erstarrte Lavaströme an seinen Flanken waren deutlich auszumachen. Sam hatte beschlossen, dem Pfad zu folgen. Am helllichten Tag drohte ihm keine Gefahr. Sam mußte noch eine harte Probe bestehen, als es galt, sich an dem vorbeizudrücken, was einst seine Frau gewesen war. In einem Umkreis von mehreren Metern war der Boden zerstampft und zerwühlt. Stofffetzen hingen in den umstehenden Büschen. Knochenreste säumten den Trampelpfad. Sam schloß die Augen und setzte seinen Weg blind fort. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Als er sicher sein durfte, daß alles vorüber war, öffnete er die Augen vorsichtig, um sich besser zurechtzufinden. Hungrig und müde, getrieben von dem brennenden Wunsch, Anschluss an den Rest der Gruppe zu finden, fiel Sam in einen leichten Trab. Er rannte, bis die heiße Luft in seinen Lungen stach wie mit tausend Nadeln. Schweißüberströmt legte er eine Rast ein. Sein Atem ging rasselnd. Er sah ein, daß er einen kühlen Kopf bewahren mußte, wollte er je wieder herausfinden aus diesem Irrgarten. Er ging wesentlich ruhiger an den nächsten Abschnitt heran. Er versuchte, sich markante Punkte einzuprägen, um nicht etwa im Kreis zu laufen, wußte aber nicht mehr, welchen Weg er einschlagen sollte, als der Pfad, dem er solange gefolgt war, in ein 81 �
Gewirr von anderen Wegen einmündete. Aufs Geratewohl ging Sam weiter und verlief sich gründlich. Bis zum Nachmittag irrte er durch die Wildnis. Angst würgte ihn. Eine weitere Nacht im Dschungel glaubte er nicht überleben zu können. Die Geräusche der sich voll schlagenden Untiere hafteten noch in seinem Gedächtnis und nötigten ihm grauenhafte Vorstellungen auf. Wiederholt versuchte Sam, sich durch Rufen bemerkbar zu machen, getrieben von der vagen Hoffnung, er könne Sven oder Susi oder mich treffen. Später, als er sich fast aufgegeben hatte und den Tränen nahe war, als er am Rande des Zusammenbruchs durch die grüne Hölle schwankte, mobilisierte ein Geräusch seine letzten Kraftreserven. Er hörte das Brechen eines Astes, und kurz darauf vernahm er Schritte. Gerade wollte er sich irgendwo verkriechen, da hörte er einen kernigen Fluch. Jemand war über eine Baumwurzel gestolpert. Die Stimme war für Sam fremd, aber wenigstens handelte es sich bei dem Neuankömmling um einen Menschen. Sam machte sich bemerkbar. So traf er Robert Morris, der seine schussbereite Maschinenpistole erleichtert sinken ließ. Sam stammelte und gab seiner Freude Ausdruck, zumal der Skipper ihm auf den ersten Blick Vertrauen einflößte. Der Australier lauschte unbewegt dem Bericht Sams, während er sich eine Zigarette drehte. Zum ersten Mal fand der Skipper die Geschichte bestätigt, die ich ihm bereits erzählt hatte. Er sah sich genötigt, umzudenken. Er mußte damit rechnen, daß diese beutegierigen Fabelwesen existierten. Er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht sofort einen Angriffsplan parat gehabt hätte. »Da entlang, sagten Sie?« vergewisserte sich Robert Morris. Sam nickte und schluckte krampfhaft. Sein Adamsapfel hüpfte. 82 �
Er mußte an die Leichenreste denken, die dort hinten auf dem Pfad lagen. Er legte keinen Wert darauf, umzukehren. Andererseits plagte ihn die Angst, allein weiterzumüssen. Er fürchtete, sich wieder zu verlaufen. »Kommen Sie schon mit!« forderte der Australier ihn auf. »Eine Begrüßung mit dem da überleben auch eure Wunderviecher nicht.« Der Skipper klopfte unternehmungslustig gegen die Schulterstütze seiner Waffe. Sam lächelte schwach. Er glaubte, nichts könne diese Kolosse aufhalten, wenn sie ihre gut zweihundert Pfund Lebendgewicht in Trab brachten und voller Wut angriffen. Er hatte sie zweimal in Aktion gesehen. Dazu kam die gefährliche Zunge, die kleinere Tiere mühelos transportierte und größere mindestens so lange festhielt, bis die Bestien ihre Reißzähne in das Fleisch der Beute schlagen konnten. Ein erwachsener Mensch vermochte mit Leichtigkeit seinen Kopf in die gefräßigen Mäuler der Moloche zu schieben und noch einen guten Teil seines Oberkörpers dazu. Unterwegs fragte der Australier Sam nach allen Regeln der Kunst aus. Er teilte einen Riegel Schokolade mit dem Ausgehungerten. Dann ließ er Sam aus seiner Feldflasche trinken. Sam war die Dankbarkeit in Person, wie immer, wenn andere etwas für ihn taten, was selbstverständlich war. Mit dieser merkwürdigen Verhaltensweise hatte er schon Lydia verdorben. Die beiden Männer kamen gut voran. Der Australier marschierte selbstsicher und ohne jedes Zeichen von Furcht vor Sam her. War das gesundes Selbstvertrauen oder nur Leichtsinn? Sam gab sich Mühe, seinen neuen Bekannten auf die Gefährlichkeit ihrer Expedition aufmerksam zu machen. Aber Morris 83 �
lachte nur. »Ich habe die richtige Medizin dabei«, versicherte er. In seinem Gürtel steckten die Reservemagazine. Das Gelände fiel weiter ab. Die Unglücksstelle mit Lydias Überresten brachten sie schnell hinter sich. Selbst der Australier, sicherlich kein zartbesaiteter Bursche, wurde ein wenig blaß um die Nasenspitze, als er die verheerenden Spuren sah. Plötzlich bückte er sich, hob etwas vom Boden auf und betrachtete es nachdenklich. Er reichte es Sam. Es handelte sich um den Anhänger, der Lydia gehört hatte, ein goldenes Herz mit einem Rubin. Es konnte aufgeklappt werden. Darinnen hatte Lydia zunächst ein Bild Sams getragen, später eine Aufnahme ihres Vaters, der ihr mehr imponiert hatte. »Danke«, murmelte Sam und schob das Schmuckstück in die Tasche. Der Skipper schlug ihm auf die Schulter. »Weiter, alter Junge«, befahl Robert Morris aufmunternd. »Wir müssen es vor Einbruch der Nacht schaffen. Wenn wir diese Kreaturen erledigt haben, können wir unbesorgt den Rückmarsch antreten.« »Zuerst müssen wir sie finden«, meinte Sam zaghaft. »Keine Angst. Wer Augen im Kopf hat, kann die Spur nicht verlieren«, grinste der Skipper. »Ich richte mich nach den Abdrücken der Hornkrallen, von denen Sie gesprochen haben. Da ist ein Irrtum ausgeschlossen. Kein anderes Tier kann eine solche Fährte legen.« Morris beschleunigte sein Tempo. Sam hatte alle Mühe, Schritt zu halten. Immer häufiger bat er um die Feldflasche. Morris war im Grunde trotz allen Draufgängertums ein gutmütiger Bursche, der niemandem eine Bitte abschlagen konnte. Sie mochten etwa zwei Stunden marschiert sein, als sie an 84 �
einen ausgedehnten Sumpf gelangten. Gewaltige Zypressen waren untereinander durch ein Netz von Lianen verbunden, die einen hängenden Garten bildeten. Lange Moosflechten hingen von tropfnassen Zweigen. Die Böschung des Schlammpfuhls stieg ziemlich steil auf. Es gab unzählige Auswaschungen und natürliche Höhlen, die ziemlich tief in die Erde reichten. Man konnte genau unterscheiden, welche leer und welche befahren waren. Robert Morris zog eine Taschenlampe. »Halten Sie das!« befahl er kurzangebunden. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. Der bestialische Gestank eines Aasfressers drang aus der rabenschwarzen Nacht der großräumigen Höhle. Die Ankunft der beiden Männer schien bemerkt worden zu sein. Ein warnendes heiseres Schnarren erklang, höchstes Alarmzeichen des gereizten Untieres, das jederzeit zum Angriff übergehen konnte. Nur die ungewohnte Stunde und die Angst vor dem Tageslicht ließ den Moloch wahrscheinlich zögern. Die Taschenlampe in Sams schweißnasser Hand zitterte. Der Lichtkegel tanzte über feuchte lehmige Wände. Dann richtete er sich auf einen grotesken Körper. Die Stielaugen des Ungeheuers schimmerten rötlich. Fast augenblicklich feuerte der Australier, japste die erste Garbe aus der Maschinenpistole in die dunkle Höhle. Mit deutlichem ›Plopp‹ versanken die Projektile in einer teigigen, gallertartigen Masse, wurden aufgesogen wie von einem Schwamm. Es gab einfach keine sichtbaren Wunden. Angestrengt achtete der Australier darauf, daß das Reptil nicht seine gefährliche Zunge abschnellte. Er schoß vorwiegend auf 85 �
den Kopf des Untieres. Nach dem dritten Feuerstoß zeigte sich die erste Wirkung. Aus den abstoßenden Augen sickerte eine gelbliche Flüssigkeit. Ein milchiges Sekret trat aus den Mundwinkeln. Das Riesenvieh seufzte und erschlaffte plötzlich. Die verstümmelten Ärmchen zitterten, die Schwimmhaut zwischen den Zehen der kurzen Beine entfaltete sich im Todeskampf. Die Zunge verlor jede Spannung, entrollte sich schlapp von selbst. Der Körper des Tieres bebte. Noch einmal schoß Robert Morris. Er gab seinem Widersacher den Rest. Die schwammige Substanz dieses rätselhaft aufgeblähten Wesens spritzte übel riechend umher. Mit steinernem Gesicht schwenkte der Skipper die MP. Beißender Pulverdampf zog in Schwaden aus der Höhle, in deren Eingang Morris kniete, um sein Werk vollenden zu können. Schließlich stand er auf und wechselte das Magazin. »Das war Nummer Eins«, meinte er zufrieden. »Wenn Sie für jedes dieser Viecher so viel Munition brauchen, haben Sie sich bald verschossen«, gab Sam zu bedenken. Seine Stimme war nicht sehr fest. »Handgranaten brauchten wir«, nickte der Australier. »Und Dynamit. Dann könnten wir diese Ungetüme ausräuchern.« Sam schaute besorgt nach dem Stand der Sonne. »Wir müssen uns beeilen«, warnte er eindringlich. * »Wir sollten so viel von dem, was an Bord ist, bergen, wie wir erwischen können, ehe die ›Made86 �
leine‹ sinkt«, schlug ich vor. »Wozu?« fragte Pongo und schüttelte den Krauskopf. »Warum müßt ihr Weißen immer an das Zeug denken, das euch gehört? Verschenkt es. Dann habt ihr eure Ruhe.« Er warf sich in den Sand, rupfte einen Grashalm aus und kaute darauf herum. Er war die Fleisch gewordene Personifizierung des Fatalismus. Außerdem erinnerte mich der Anblick an ein Gedicht von Lenau, das von drei Zigeunern handelte, die das Leben auch ziemlich auf die leichte Schulter nahmen. Ich hatte das Poem auswendig lernen müssen, als ich zur Schule ging. Soviel ich weiß, hält sich aber heute niemand mehr mit solchem Schnickschnack auf. »Wir müssen vielleicht länger auf der Insel bleiben«, seufzte ich. »Was wird, wenn Hal Studebaker, der Pilot, nicht kommen kann, weil es das Wetter nicht erlaubt?« »Dann warten wir ein paar Tage länger«, zuckte Pongo die breiten Schultern, die von dem Fett glänzten, mit dem er seinen ganzen Körper eingerieben hatte. Der Bursche legte eine Ruhe an den Tag, um die ich ihn nur beneiden konnte. Von Kindesbeinen an im Einklang mit der Natur, die ihn umgab, scheute der Melanesier weder Einsamkeit noch Hunger noch Krankheit. Er wußte anscheinend um die Kunst des Überlebens. Wenn Dämonen ihm Krankheit brachten, gab es Mittel, diese Verderber zu beschwören, zu bannen, zu beschwichtigen. Pongo war nicht bereit, mir zu helfen. Er fand es der Mühe nicht wert. Die Schätze, die auf der ›Madeleine‹ noch zu finden waren, mochten mit ihr untergehen. Sie zu besitzen, war gut. Sich dafür anzustrengen, war schlecht. Pongo hatte sich ein für allemal entschieden. Er liebäugelte mit unseren Alkoholvorräten. Den Nachmittag verbrachte ich damit, zwischen dem Wrack 87 �
und dem Strand hin und her zu pendeln. Ich montierte sogar den lila Vorhangstoff in der Kapitänskajüte ab. Am Ufer türmte sich der Kram, den ich für wertvoll und geeignet hielt, um unser Dasein auf der Savage-Island zu verschönen. Pongo hatte sich eine Flasche Bacardi-Rum geschnappt und trank still und unauffällig, lachte bisweilen verschmitzt, wenn ich abgehetzt wieder eine Fuhre brachte. Ich bildete mir ein, der Gewalt der Wellen ein Rennen liefern zu müssen. Ich nahm an, die ›Madeleine‹ sei gänzlich verloren und stehe kurz vor dem endgültigen Untergang. »Bist du zufrieden?« gluckste Pongo und zeigte seine makellosen Zähne. Er hielt sein Gewehr im Arm. »Nein. Aber ich kann nicht mehr«, erwiderte ich. Ich legte mich unter das Sonnensegel. Die Sonne stand ziemlich tief. Ich holte meine Kamera aus dem Seesack und schoß ein paar Aufnahmen. Dazu war ich in der Hetze und dem Tumult der vergangenen Tage nicht gekommen. Pongo beobachtete mich mit der Sicherheit eines Menschen, der viel Zeit hat und dem seine Gelassenheit über alles geht. »Du nimmst die Insel mit?« fragte er. »Warum bleibst du nicht hier, wenn sie dir gefällt?« Ich erklärte ihm, was wir durchgemacht hatten. Pongo lächelte ungläubig. »Ich bin kein ganz junger Mann mehr und habe nie das gesehen, was du mir beschreibst«, meinte er ruhig. »Ich habe auch nie davon gehört. Selbst Shamito, unser Medizinmann, weiß nichts davon. Ich glaube dir nicht. Du hattest zuviel getrunken.« Ich gab mir nicht die Mühe, ihn zu überzeugen. Schließlich würden das diese Bestien selbst besorgen, bald nach Sonnenuntergang. Ich traf jedenfalls meine Vorbereitungen. 88 �
Wir hatten die verdorbenen Reste der Schweinehälfte vergraben. Ich markierte die Stelle, um sie in der Dämmerung besser finden zu können. Vielleicht konnte ich die Fresser damit besänftigen und sie davon abhalten, gegen ihre Gewohnheit auf den Sandstreifen der Insel zu kommen und uns zu verschlingen: Hier gab es keine Möglichkeit, sie durch Feuer zurückzutreiben. Beim Stichwort Feuer zuckte ein grandioser Einfall durch mein Hirn. Es gab ganze Fässer von Treibstoff auf der ›Madeleine‹. Wenn ich das Zeug herüberholte, konnten wir uns damit verteidigen. Die ersten geleerten Flaschen konnten wir in Molotow-Cocktails umwandeln. Plötzlich sah ich eine reiche Palette von Möglichkeiten, unser Leben so tapfer wie möglich zu verteidigen. Ich ging mit Feuereifer ans Werk. Pongo, der mich als dauernde Störung seines süßen Nichtstuns empfand, tippte sich ungeniert an die flache Stirn. Ich aber ruhte nicht eher, als bis sich vierzehn Fässer am Strand stapelten, alles, was ich dem Laderaum der ›Madeleine‹ soweit er nicht schon unter Wasser stand hatte entreißen können. Es begann zu dämmern. In den Tropen bricht danach sehr schnell die Nacht herein. Ich begann, mir Sorgen um den Australier zu machen. Fast schien es, als verschlinge diese grüne Hölle jeden meiner Gefährten. Meine Befürchtungen wurden auf eine sehr angenehme Weise zerstreut. Robert Morris und mit ihm Sam Akron kamen im Dauerlauf, erschöpft, atemlos, aber gesund. »Wo ist Lydia?« fragte ich Sam sofort. Er schluckte und schaute mich stumm an. In seinen Augen las ich alles. 89 �
Ich drückte ihm wortlos die Hand. Sam schien mir dankbar zu sein, daß ich auf Beileidsbeteuerungen verzichtete. Er wußte, wie wir über Lydia als Ehefrau gedacht hatten. Von Morris, der seine Selbstgedrehten Zigaretten rauchte und von Pongo mit Alkohol versorgt worden war, erfuhr ich, daß unsere ungewöhnlichen Feinde schwer mit herkömmlichen Waffen zu schlagen waren. Wir hatten offensichtlich nicht genügend Munition, um das ganze Rudel töten zu können. Ich machte den rettenden Gegenvorschlag. Robert Morris nickte langsam. »Das ginge!« meinte er. »Vor Feuer hat jedes Lebewesen Angst. Morgen früh brechen wir auf und räuchern den Schlupfwinkel der Bestien aus. Bei Tag sind sie träge und fast hilflos, wenn man nicht zu tief in ihre Höhlen eindringt, die sich weit unter der Uferböschung entlangziehen. Der Bau besteht aus einem leicht angeschrägten Gang und einer birnenförmigen Höhle am Ende, in dem das Vieh die helle Tageszeit verdöst.« Der Australier schnippte seine Zigarettenkippe steil in die Luft, daß die Funken stoben. »Das mit dem Schiff tut mir leid«, murmelte ich, als ich seinen Blick auffing. »Ich werde den Schaden selbstverständlich ersetzen.« »Nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erwiderte Morris. »Sie brauchen sich nicht verpflichtet zu fühlen. Ich habe mir längst Pongos Lebensphilosophie angeeignet: Besitze ich ein Boot gut. Habe ich keins – auch gut. Er gewinnt jeder Sache die Schokoladenseite ab.« Wir prosteten uns zu. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, wir besäßen eine wirkliche Chance, unsere Zeit auf dieser Insel ohne weitere Verluste 90 �
abzubüßen. Wobei wir Sven und Susi bereits mit abgeschrieben hatten. Wir wußten zu dem damaligen Zeitpunkt natürlich nicht, daß sie sich auf das Fels-Plateau gerettet hatten. Wir bereiteten ein gutes Dutzend dieser Molotow-Cocktails vor, deren Rezept ich in Vancouver in einer Studentenzeitschrift gelesen hatte. Sam, der bei den Pionieren gedient hatte, machte mich auf einen schwerwiegenden Fehler aufmerksam. Wir durften nicht nur das schwere Dieselöl benutzen, sondern auch leichter brennbare Flüssigkeit. Da wir kein Benzin zur Verfügung hatten, tränkten wir die Stofflappen, die als Lunten in den Flaschenhals gestopft wurden, mit dem Spiritus, den wir für unser Grillfeuer in ausreichender Menge mitgebracht hatten. Die Wurfgeschosse legten wir auf den Sandwall, den wir Sven verdankten und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Das heißt, nur Sam und ich lauschten mit nervöser Spannung auf jedes Geräusch im Dschungel. Pongo und der Australier erzählten sich Witze. Sie waren ein fröhliches Gespann und seit mehreren Monaten zusammen. Die beiden Lebenskünstler vertrieben sich die Zeit mit einem ordentlichen Schluck. Pongos Gelassenheit konnte ich noch am ehesten verstehen. Er war diesen scheußlichen Ausgeburten einer pervertierten Natur noch nicht begegnet und glaubte nicht an sie. Morris dagegen hatte sich bis in eine der Höhlen der menschenfressenden Moloche vorgewagt und eines dieser Exemplare getötet. Er wußte, wie schwer dieser Gegner zu bezwingen war. Aber es schien ihn nicht im geringsten zu stören. Jedenfalls verriet er keine Angst. Er war wohl eine Klasse mutiger als wir alle, die wir in Panik verfallen waren, nachdem wir die unheimliche Nachbarschaft dieser Kreaturen bemerkt hatten. Ich begann, Robert Morris zu bewundern. Sam ging es nicht anders. Er las seinem neuen Kampfgefährten jeden Wunsch von den Augen ab. Wahrscheinlich war Robert 91 �
Morris so, wie Sam Akron immer gern gewesen wäre. Gegen zweiundzwanzig Uhr, eine Stunde nach Eintritt der Nacht, wurde es in unserer Nähe im dampfenden Regenwald lebendig. Gespannt beobachteten wir den Rand des Urwaldes. Wir lagen alle auf dem Bauch. Selbst Pongo hatte sich dazu durchgerungen, die Anstrengung der dazu notwendigen Bewegungen auf sich zu nehmen. Er stieß mehrmals hörbar auf, als er in die Bauchlage geriet und lachte unbekümmert. »Luft im Bauch nicht gut«, meinte er und trank aus der Flasche. Er nahm einen gehörigen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Gleich darauf wurde er aschgrau im Gesicht. Ein hässlicher Schädel schob sich durch die Zweige eines blühenden Busches. Eine Feuerzunge schnellte aus einem fauchenden Rachen, ohne uns jedoch zu erreichen. Der Tod ihres Gefährten ließ diese Unholde nicht ruhen. Sie schienen aggressiver als je zuvor und sannen auf Rache. Oder, um es weniger vermenschlicht auszudrücken: Sie spürten die Gefahr, die jetzt von uns ausging, instinktiv und versuchten, unserem geplanten Angriff zuvorzukommen. Sie wollten uns vernichten, ehe wir ein zweitesmal in ihrem Zufluchtsort auftauchten, wenn es Tag war und die Sonne mit ihrer ungeheuren Kraft die nackten, haarlosen Wesen in ihren unterirdischen Höhlen festhielt, jedem Angreifer fast wehrlos ausgeliefert. Die Bestien schienen alle Kräfte auf den Strand konzentriert zu haben. Die Horde schob und drängte sich durch das Unterholz und suchte ruhelos nach einer Möglichkeit, an uns heranzukommen, ohne den für sie gefährlichen Sandstreifen betreten zu müssen. Ich erinnerte mich an eine Affenherde in Japan, die ihre natürliche Scheu vor Wasser überwunden hatte und mittlerweile unbe92 �
kümmerte Bäder im offenen Meer wagte. Wenn sich diese Kolosse zu einem solchen Schritt entschlossen, waren wir verloren. Wir warfen die Reste der Schweinehälfte, die bereits den süßlichen Geruch der Fäulnis verströmten, in Richtung Dschungel, gewissermaßen, um die Aufmerksamkeit der gierigen Moloche von uns abzulenken und ihren ersten Hunger zu stillen. Vielleicht reagierten sie mit vollem Bauch gelassener auf unseren Anblick. Pongo riß die Augen ungläubig auf, als die knallroten Zungen aus stinkenden Mäulern herausschnellten und die Fleischbrocken mit unglaublicher Geschwindigkeit einholten. Das anschließende Geräusch des Schluckens war fürchterlich anzuhören und trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Sam ging es nicht besser. Ich sah seine Hände zittern. Selbst Morris verzog angewidert das Gesicht. Pongo war nicht mehr zu halten. Er sprang auf, rannte zum Meer und warf sich in das Wasser, um zur »Madeleine« hinüberzuschwimmen, die ihm bei aller Zerbrechlichkeit sicherer erschien als der Aufenthalt an diesem Strand, der ganz offensichtlich von Geistern und Dämonen beherrscht war und ein schlechtes Tabu. Robert Morris benötigte die ganze Kraft seiner natürlichen Autorität, um den Schwarzen zur Umkehr zu bewegen. Zitternd wie Espenlaub, mit einem sehr ungesunden Teint, kehrte der Insulaner Zurück. »Das Teufel, Mister«, radebrechte Pongo, der, wenn er wollte, auch ein leidliches Englisch sprach. »Pongo nix armes Schwein, kai-kai für Satan Luzifer. Tier mit Zunge wie Peitsche verhext.« »Wir müssen ihm schleunigst beweisen, daß wir in der Lage sind, selbst dem Teufel ein Haar aus dem Bart zu zupfen«, meinte der Australier und langte nach einem Molotow-Cocktail. 93 �
Er prüfte die Lunte, feuchtete sie noch einmal gut durch und zündete den Lappen an. Morris kniete am Strand und hatte seine Maschinenpistole zur Seite gelegt. Er holte aus und schleuderte das Brandgeschoß dorthin, wo eine Bewegung die Anwesenheit eines der Untiere verriet. Die Flasche knallte gegen den Stamm einer Kokospalme und splitterte hörbar. Der Inhalt entzündete sich am Fidibus und spritzte brennend nach allen Seiten. Reste, die am Baum kleben geblieben waren, erleuchteten den Rand des Dschungels. Morris hatte ausgezeichnet getroffen. Auf eine erbärmliche Weise jammernd und röchelnd wälzte sich eines der rätselhaften Geschöpfe am Boden. Der Glaskörper schien in Flammen zu stehen. Wir erkannten deutlich die inneren Organe wie auf einem Röntgenschirm. Das plumpe Wesen, wässrig wie eine Qualle, winselte in den höchsten Tönen und schoß wie eine Fackel durch den Urwald. Das Tier verbreitete einen entsetzlichen Gestank. Der Rest der Bande aber zeigte keine Furcht. Drohend bleckten sie die gefährlichen Mäuler und entblößten die beiden Reißzähne. Weißes Sekret tropfte aus den Mundwinkeln. Es schleuderte weit umher, wenn die bulligen Froschschädel unwillig geschüttelt wurden. Ein Höllenkonzert erklang. Stimmen in jeder Höhenlage brummten, murrten, knurrten, blubberten und zischten. Flache, paddelartige Gliedmaßen klatschten unwillig auf den weichen Humusboden des Urwaldes. Es klang, als trommelte eine Schar von Menschenfressern im Busch die, Stammesgenossen zusammen. Zischend verdampfte Zellflüssigkeit. Das riesige Wesen, das gut die Größe eines ausgewachsenen Menschen erreichte, schien zu schrumpfen. Hände mit Schwimmhäuten zuckten in grässlichem Schmerz durch die Luft. Die Füße mit den hornigen End94 �
krallen zerfurchten den Humusboden des Urwaldes. Das Vieh verdampfte unter der Wirkung der Brandbombe. Ermutigt vom Erfolg des Australiers begannen wir ein regelloses Bombardement, an dem sich selbst Sam und Pongo beteiligten. Die Hälfte unserer Geschosse mochte das Ziel verfehlen. Es gehörte eine gewisse Geschicklichkeit und Übung dazu, die schweren Behälter auf diese Entfernung genau ins Ziel zu bringen. Hier und da hatten wir Erfolg. Die wilde Meute wich zurück vor dem Hagel von Brandflaschen. Der Rückzug artete in eine überstürzte Flucht aus, als wir übermütig nachsetzten. Zum ersten Mal seit unserem Zusammentreffen mit diesen Monstern befanden wir uns auf der Siegerstraße. Das Gefühl war unbeschreiblich. Wir hatten genug Treibstoff, um noch hundert dieser MolotowCocktails herzustellen. Und so viele dieser merkwürdigen Geschöpfe gab es gar nicht auf Savage-Island. Ich rechnete mit etwa dreißig Bestien, nicht mehr. »Wir werden Wachen aufstellen, falls sie zurückkehren«, meinte Robert Morris zufrieden. »Morgen gehen wir los und statten ihnen einen Gegenbesuch ab. Wir räuchern sie aus.« Sam tanzte vor Freude. Alle Angst fiel von ihm ab. Er gebärdete sich wie toll. Unter welchen Depressionen mußte er gelitten haben! Er hatte die Hölle bereits in diesem Leben hinter sich gebracht. Ich konnte meinen Freund nicht davor zurückhalten, sich ausgiebig an unseren Alkoholvorräten zu vergreifen. Er, der sonst nach dem zweiten Glas ergeben wie ein Hund seine Frau angeschaut hatte, trank jetzt direkt aus der Flasche und schüttete ausgerechnet einen starken Slibowitz in sich hinein wie Wasser. Bald war Sam betrunken und fluchte wie ein serbischer Trossknecht. 95 �
Pongo, der sich still und mit Würde vollaufen ließ, schaute ihn verwundert an und hatte Gelegenheit, seinen Wortschatz auf nicht sehr feine Weise beträchtlich zu vergrößern. Zum Schluß erklärte mir Sam mit schwerer Zunge, was er alles für Lydia getan hatte. Dann bekam er das heulende Elend. Er lag im Sand und flennte. Erschöpft schlief er schließlich ein. Ich übernahm seine Wache mit. Ich wartete auf den Morgen. Die Stunde der Abrechnung mit den Bestien, die unseren Aufenthalt hier zu einem lebensgefährlichen Abenteuer gemacht hatten, stand bevor. Nur teilte ich die Zuversicht meiner Gefährten nicht ganz. * Bevor es Nacht war, hatten Sven und Susi Olsen alle Arbeiten erledigt, die sie sich vorgenommen hatten. Ihre unglücklichen Vorgänger ruhten in einem flachen Grab, über das Sven schwere Steine aufgetürmt hatte. Susi hatte mit viel Geschick das Dach der Blätterhütte ausgebessert mit dem Material, das Sven heranschleppte. Von diesen kurzen Ausflügen in den Dschungel hatte er gleich Kokosnüsse mitgebracht und das weiche Herz essbarer Palmschösslinge. Die ständige Kletterei hatte ihm außerdem eine Menge Schrammen an Armen und Beinen eingebracht. Er war ziemlich erschöpft. Mit einer rostigen Hacke, die er unter dem Plunder gefunden hatte, bearbeitete Sven die Nüsse, kappte ihre Spitzen und bohrte sie mit einem harten, einigermaßen spitzen Holzstück an. Sie tranken ausgiebig die klare Milch, die allerdings nicht sonderlich schmeckte. Sie war zu süß. Das weiße, recht harte Fruchtfleisch pollten sie mit den Fingern aus der Schale und aßen es. 96 �
Sven schichtete die leeren Nusshälften auf, anstatt sie wegzuwerfen. Susi verspottete ihn deswegen und meinte, er treibe die Sparsamkeit zu weit. Schon wenig später mußte sie ihre Ansicht revidieren. Es begann zu regnen. Sven fing Wasser mit den Schalen auf und legte einen gehörigen Vorrat an, der sie für eine Weile unabhängig machte von der süßlichen Kokosmilch. Nach dem Gewitter, in dessen Verlauf ihre Hütte die Bewährungsprobe glänzend bestand, suchte Sven Brennmaterial zusammen, das unter der mit doppelter Kraft wieder aufgetauchten Sonne schnell trocken wurde wie Zunder. Gegen Abend hörten die beiden aus westlicher Richtung Schüsse. Die Geschoßgarben rissen nicht ab. Sven hörte fast vier Feuerstöße einer automatischen Waffe und tippte sofort auf eine Maschinenpistole. Eine solche Waffe hatte aber niemand aus Vancouver mitgebracht. Das konnte nur bedeuten, daß Fremde auf Savage-Island eingetroffen waren. Etwa Hal Studebaker? »Ein Flugzeug hätten wir nicht übersehen«, schüttelte Susi den Kopf. »Da muß ein Schiff gelandet sein. Wahrscheinlich gelten die Schüsse uns. Wir müssen uns melden. Wir werden gesucht, sonst fahren die Leute ohne uns ab.« Nachdenklich strich sich Sven den Bart. Langsam schüttelte er den Kopf. »Das sind keine Signale. Da wird gezielt und mit ziemlicher Erbitterung geschossen. Wahrscheinlich auf diese Bestien, die den Urwald in der Nacht unsicher machen.« »Das würde bedeuten, daß wir stark genug sind für einen Gegenangriff. Wer immer dort den Kampf aufgenommen hat er wagt es, in die Höhlen des Molochs einzudringen und diesen Viechern den Garaus zu machen«, rief Susi aufgeregt. »Sollen 97 �
wir hin?« Sven schüttelte den Kopf. »Das Risiko ist zu groß. Wenn die Dunkelheit hereinbricht und nur eines dieser monströsen Lebewesen übrig geblieben ist, erleben wir die Hölle«, meinte der blonde Riese. »Ich gehe auf Nummer Sicher. Wir bleiben hier, bis das Flugzeug eintrifft. Also noch sieben Tage. Wir dürfen niemals die Geduld verlieren. Wir sollten uns von vornherein darauf einrichten, daß wir die ganze Zeit hier absitzen müssen. Sonst machen wir uns selbst verrückt.« Sven stand auf. Er entzündete den Scheiterhaufen. Bald schlugen Flammen hoch, die Sven mit feuchtem Holz dämpfte. Mit ein paar Zweigen deckte er die aufsteigende Rauchfahne ab, gab sie frei und hielt den Ast mit seinem dichten Blätterwerk wieder über das glosende Reisig. So entstanden regelrechte Rauchzeichen, die in bestimmten Abständen in den Abendhimmel pufften. »Sicher werden wir nicht viel Erfolg haben«, meinte Sven skeptisch. »Aber mehr können wir nicht tun. Wenn es der Zufall will, erfahren die anderen so, daß wir noch leben.« Er arbeitete angestrengt bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dann legte er nur noch trockenes Brennmaterial nach. Die Flammen auf dem Berg züngelten in einen weichen samtblauen Himmel. Sterne funkelten darin. Das Kreuz des Südens leuchtete mit einer unglaublichen Intensität und stand ruhig und kalt über den Köpfen der beiden Menschen, die verloren im Dschungel von Savage-Island hockten. Sven und Susi Olsen saßen vor dem wärmenden Feuer und unterhielten sich leise. Später gingen sie in der winzigen Hütte zur Ruhe. Sie streckten sich auf das Lager aus weichen Blättern und kuschelten sich aneinander. »Ich wollte immer mit dir allein sein auf einer einsamen Insel«, 98 �
flüsterte Susi. »Das bist du ja jetzt«, lächelte Sven. »Die Umstände gefallen mir dabei nicht«, seufzte die Frau. »Ich habe es mir alles ganz anders vorgestellt.« Susi ruhte auf dem Rücken und hatte das Bein angewinkelt. Sven lag mit dem Gesicht zu ihr und umschlang ihre Taille. Er war längst eingeschlafen. Seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten ihn. Susi war wieder einmal auf ihre Träume angewiesen, in denen immer alles glatt ging. Da gab es nur gutes Wetter, grüne Wiesen, bunte und äußerst harmlose Urwaldtiere. Sie stand in dem weißen Abendkleid, das sie in einem Schaufenster in Vancouver entdeckt und immer noch nicht bekommen hatte an einem märchenhaft weißen Strand. Sie war umgeben von reizenden, nett aussehenden und freundlichen Menschen, die mit der Gelassenheit der Satten ein üppiges Büffet plünderten, auf dem Kaviar und Hummer zu appetitlichen Alltagsgerichten aufgebaut waren. Im Hintergrund erklang leise Musik. Lampions erhellten die Szene. Das Meer im Vordergrund war kitschig blau wie auf einer Postkarte. Sven trug ganz gegen seine sonstige Gewohnheit ein weißes Dinnerjackett mit einem schwarzen Querbinder. Er führte Susi nicht zu dem alten Ford, den sie in Wirklichkeit besaßen, sondern zu einem nagelneuen Cadillac. Über solch angenehme Vorstellungen schlief auch Susi ein. * Früh am Morgen brachen wir auf. Selbst Sam hatte sich uns angeschlossen. Er trug wie alle anderen ein gewaltiges Gepäck. Außer Fässern, die an armdicken Stangen befestigt waren und von jeweils zwei Mann getragen wurden, hatten wir uns Netze 99 �
mit Molotow-Cocktails umgehängt. Die Flaschen schepperten leise bei jedem Schritt. Pongo hatte verzweifelt versucht, uns davon zurückzuhalten, die Alkoholvorräte einfach zu vernichten. Er hatte eine Menge in Töpfen aufgefangen und für sich gerettet. Aber der größte Teil war doch im Sand des Ufers versickert und hatte eine unerträgliche Dunstwolke aufsteigen lassen. Jetzt wollten wir unseren Angriffsplan in die Tat umsetzen. Wir beeilten uns. Sicher war nicht jede der Höhlen so leicht zugänglich wie die, in der Robert Morris das erste Untier erlegt hatte. Auch diesmal mochte er nicht auf seine Maschinenpistole verzichten und hatte sich so eine weitere Last aufgebürdet. Er zeigte im Gegensatz zu Sam keine Ermüdungserscheinungen. Im Gegenteil, er beschwor uns, das Tempo zu steigern. Der Anmarsch durfte trotz der Behinderung durch die Treibstoffbehälter nicht mehr als zwei Stunden in Anspruch nehmen. Sonst gab es keine Gewähr, daß wir die Moloche alle erledigten. Was uns blühte, wenn einige überlebten, während wir noch im dunklen Dschungel steckten, konnten wir uns alle ausmalen. Wir legten uns mächtig ins Zeug und kamen tüchtig voran. In Rekordzeit erreichten wir den Platz, an dem Lydia auf so schreckliche Weise ihr Leben eingebüßt hatte. Robert Morris bewies einen erstaunlichen Orientierungssinn. Er führte uns, ohne lange zu überlegen, die richtigen Wege, fand mit sicherem Instinkt den ausgedehnten Sumpf, der fast die ganze westliche Hälfte der Insel einnahm. Das war ein natürliches Reservat für die Bestien, die wir auszurotten gedachten und die unter so merkwürdigen Umständen ihr Leben auf SavageIsland fristeten. Hätte es hier weniger Rinder gegeben, die verwildert und angriffslustig die Savannen unsicher machten die Natur hätte 100 �
längst den Fehler korrigiert, den sie durch das Entstehen der Riesenmolochen begangen hatte. Wir traten aus dem Schatten der Bäume ins grelle Sonnenlicht. Erleichtert warfen wir unsere Last ab. Ich sah diesen Ort zum ersten Mal. Bizarre Sumpfpflanzen mit gewaltigen Blättern schossen aus einer grünbraunen Pampe, die wie Pudding in einer überdimensionalen Schüssel das Betreten des Morastes zu einem lebensgefährlichen Abenteuer werden ließ. Die Ufer mit der steil aufragenden Böschung waren teilweise glitschig. Zahllose Spuren verrieten die Anwesenheit von Tieren, die in keinem Zoologiebuch zu finden waren. Ich entdeckte die ersten Höhlen. Sam machte mich auf weitere aufmerksam. Wo immer Platz genug war, hatten sich die Riesenfrösche in den Hang gegraben, um tagsüber vor Hitze und Sonne gefeit zu sein. Sie hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Zugänge zu tarnen. Warum auch? Wer konnte ihnen auf dieser Insel gefährlich werden? Sie selbst waren die Herren von Savage-Island. Wo sie auftauchten, verbreiteten sie Panik. Sie waren gefährlicher als ein Rudel Raubkatzen. Und beinahe unverwundbar. Wenn man nicht gerade die inneren Organe verletzte, verschmerzten sie die grässlichsten Wunden, weil sich ihr merkwürdiger gallertartiger Körper nach jedem Stich und nach jeder Schussverletzung wieder schloß. Blutverlust brauchten sie nicht zu befürchten. Was sie in ihren Adern hatten, war eine helle Zellflüssigkeit von unbekannter Zusammensetzung. Wir hatten lange über dieses Phänomen nachgedacht, Theorien aufgestellt und wieder verworfen. Wir kamen zu keinem Resultat. 101 �
Zu dem Zeitpunkt gingen wir nämlich noch davon aus, daß diese Monster auf natürliche Weise entstanden waren und nicht durch den Einfluß radioaktiver Strahlen in den Erbanlagen geschädigt und ummodelliert. Diese verblüffende nahe liegende Lösung teilte uns Sven Olsen erst später mit. Robert Morris ließ uns nicht lange verschnaufen. Er hatte auf eine unauffällige, natürliche Art das Kommando übernommen. Niemand machte ihm die Führung streitig. Er war genau der richtige Mann, um dieses verwegene Unternehmen zu einem für uns glücklichen Abschluß zu bringen. Er teilte uns in zwei Gruppen ein. Wir hatten die Aufgabe, Brandflaschen in die Höhlen zu werfen. Sobald das Untier aufgescheucht war und sich zeigte, setzte das Bombardement der zweiten Gruppe ein. Der Australier wollte das Ganze mit der Maschinenpistole in der Hand überwachen. Wagte doch einer der Moloche sich in Todesangst ins Freie, so wollte Morris ihm den Fangschuss verpassen. Wir sahen uns unschlüssig an. Jetzt, wo die Stunde des Handelns gekommen war und einer den Anfang machen mußte, ließen wir gerne dem Nebenmann den Vortritt. Sams Gesicht bekam einen Stich ins Grüne. Pongo verfärbte sich. Sein Teint spielte ins Aschgraue. Verlegen kratzte er seine Papua-Bombe. Seinen nackten Zeh bohrte er in eine Schlammkuhle. Da übernahm ich es, den ersten Vorstoß zu wagen. Ich mußte mich förmlich dazu zwingen. Ich nahm den ersten der vorbereiteten Molotow-Cocktails. Behutsam näherte ich mich dem dunklen Eingang. Es herrschte eine erwartungsvolle Stille. Ich glaubte fast, die anderen könnten mein Herz klopfen hören. 102 �
Ich zündete die aus der grünlichen Flasche herausragende Lunte an und sprang gebückt nach vorn. Ich drang in den stinkenden Bau der Bestie ein. Ich hatte nicht viel Platz, um auszuholen. Dadurch würde ich nicht sehr viel Schwung holen können. Ich mußte also möglichst nahe heran, sollte mein Vorstoß den gewünschten Erfolg bringen. Ich glaube, ich war einer Ohnmacht nahe. Ich war auf das ungewisse Licht des brennenden Lappens angewiesen. In dem Gang roch es nach feuchtem Erdreich. Der Boden war ziemlich glitschig. Die Luft, abgestanden, legte sich schwer auf die Brust. Ich drang etwa zwei Meter tief in die Höhle ein. Mein Schatten fiel riesengroß auf die lehmigen Wände der Behausung. Das gackernde Licht in meiner verkrampften Hand entriss das Untier der Finsternis. Ich sah vor mir in einer Entfernung von etwa drei Metern den farblosen Moloch, einen glasigen Klumpen mit breitem Maul und jetzt geschlossenen Augen. Das Vieh ruhte auf dem Bauch. Es sah aus, als habe es sich zum Sprung geduckt. Wenn es mich tatsächlich bemerkte, war ich verloren. Mit aller Kraft warf ich die Brandbombe. Ich zielte dabei auf einen grauen Stein in der Nähe des Molochs. Denn an dem weichen Lehm wäre das Geschoß niemals zersprungen. Es klappte ausgezeichnet. Während ich mich zur Flucht gewandt hatte und die Röhre mit eingezogenem Kopf entlangrannte, was die Beine hergaben, hörte ich hinter mir das Splittern von Glas. Der Tunnel wurde taghell erleuchtet. Ich erreichte gerade den Eingang, warf mich zur Seite, überschlug mich und kam mit verzerrtem Gesicht auf die Knie. Keine Sekunde zu früh hatte ich die enge Röhre verlassen. 103 �
Nach einem entsetzlichen Schnarren und Rasseln kam das Riesenvieh mit erstaunlichem Tempo angeschossen, übersät von zahllosen Flecken brennenden Dieselöls. Das Untier stoppte hart, als es ins Sonnenlicht geriet. Die Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. Das gewaltige Maul mit den beiden Reißern kläffte. Stinkiger Atem wehte uns entgegen. Sam warf seine Brandflasche. Pongo erwachte aus seiner Erstarrung. Er folgte dem Beispiel seines Kampfgefährten, aber seine Ladung zündete nicht. Aufheulend wich die Bestie zurück. Vergeblich versuchten die verstümmelten breiten Vorderbeine das brennende Öl abzustreifen. Das Zeug klebte an den Schwimmhäuten fest. Der Moloch bäumte sich schmerzgepeinigt auf. Dann ging er in seiner Verzweiflung zum Gegenangriff über. Wahnsinnig vor Wut, blubbernd und zischend, geifernd und grunzend, kam der Koloss heraus und nahm mich aufs Korn. Vor Schreck war ich unfähig, mich zu rühren. Robert Morris rettete die Situation. Seine MP ratterte los. Gleich der erste Feuerstoß lag voll im Ziel. Die Projektile pfiffen an meinem Kopf vorbei und bohrten sich mit einem leisen ›Plopp‹ in den Riesenkörper des Molochs. Farblose Sehnen, fast unsichtbare Adern rissen. Die Kugeln durchbohrten den Verdauungstrakt. Zwei erwischten das gut sichtbare, pulsierende Herz, sie zerrissen es förmlich. Die Zunge, die auf mich zuschoss, verhielt mitten in der Bewegung. Das Vieh erstarrte. Seufzend fiel es zurück. Die verkümmerten Gliedmaßen zuckten und streckten sich. Der ungeheure Kopf mit dem gefährlichen Rachen kippte zur Seite. Wir hatten den ersten unserer Feinde besiegt. Noch immer schmorte und kohlte der Kadaver. Es war, als 104 �
habe der Moloch ein Feuerhemd übergestreift. Der Brandgeruch war noch unerträglicher als der Gestank in der Höhle. Die Sonne tat ein übriges. Der plumpe Körper schien auszutrocknen. Er schrumpfte zusehends. Die wässrige Zellflüssigkeit verdampfte. Was blieb, war ein Haufen weißen Puders, der vom Wind davongetragen wurde und auf die trügerische Fläche des Sumpfes hinauswehte. Ich atmete erleichtert auf. Sam wischte sich den Schweiß von der hohen Stirn. Pongo murmelte Beschwörungsformeln. Er bat seine Ahnen und alle guten Geister um Hilfe, flehte ihren Schutz auf sich herab. Nur Morris behielt die Ruhe. »Das klappte noch nicht ganz«, tadelte er unerbittlich. »Wenn ich jedes Mal eingreifen muß, habe ich bald keine Munition mehr.« »Und die Molotow-Cocktails reichen auch nicht«, klagte Sam. »Wir dürfen pro Vieh nur zwei benutzen, solange wir nicht genau wissen, wie viele wir auszuräuchern haben von diesen Untieren.« »Die anderen werden aufgeschreckt worden sein«, wimmerte Pongo. Er schlug das Kreuzzeichen. »Darauf können wir keine Rücksicht nehmen«, entschied Robert Morris. »Vorwärts. Der Nächste!« Er stieß mit der Stiefelspitze den Berg Messinghülsen an, der sich neben ihm auftürmte. Beißender Pulverrauch lag in der Luft. »Soll ich wieder…?« fragte ich zögernd. Der Australier nickte und grinste breit. Der nächste Gang war nur drei Schritte entfernt. Unmöglich, 105 �
daß dieser Höhlenbewohner nicht bemerkt hatte, was seinem Nachbarn widerfahren war. Wie tief schlummerten die nächtlichen Räuber eigentlich? Wir wußten viel zu wenig über unsere Feinde. Ich mußte meinen ganzen Mut aufbieten, um den gefährlichen Gang ein zweitesmal antreten zu können. Ich ging ausgesprochen behutsam zu Werke. Vergeblich versuchte ich, das Dunkel der Erdröhre zu erforschen, ehe ich eindrang. Meine Nase meldete mir mehr als mein Auge. Zu hören war absolut nichts. Ich lief in die Falle. Das Vieh mußte genau hinter dem Höhleneingang, wo noch Schatten herrschte, auf mich gewartet haben. Eine rötliche Zunge schoß heraus. Ich erhielt einen heftigen Schlag gegen die Schulter, der mich fast umwarf. Vermutlich hatte der Moloch schlecht gezielt. Reflexartig reagierte ich. Meine Hand schoß nach vorn. Die Brandflasche flog mir voraus. Sie zündete auf der Stelle. Gleichzeitig wurde ich eingeholt, hilflos wie eine Fliege. Ich schoß durch die Luft, raste hinein in das jetzt lichterloh brennende Inferno. Schmerzenslaute drangen an mein Ohr. Ich prallte gegen die schleimigen Lippen des Untiers, das mich wohl längst vergessen hatte und sich im Todeskampf wälzte. Ich fiel zu Boden. Mit übermenschlicher Anstrengung befreite ich mich von der klebrigen Fessel und stürzte schreiend ins Freie. Meine Gefährten, die mich verloren glaubten, jubelten auf, während ich mit zitternden Knien zusammensank. Meine Hände flogen. Pongo wollte mir auf die Beine helfen. Morris lauerte mit gespannter Aufmerksamkeit darauf, ob die Bestie angriff und hielt seine Maschinenpistole schussbereit. 106 �
Sam übertraf sich selbst! Mit dem Mut der Verzweiflung stürzte er sich in den Kampf, den Molly hoch über dem Kopf. Er schleuderte die Brandflasche in die Höhle. Er traf voll. Der Moloch verwandelte sich in eine Fackel. Der Australier brauchte nicht mehr einzugreifen. Danach bekamen wir Oberwasser. Wir erledigten noch ein halbes Dutzend dieser Bestien. Wir arbeiteten verbissen und immer routinierter. In besonders hartnäckigen Fällen ließen wir Dieselöl in die Höhle laufen und zündeten es an. Wir kämpften uns vorwärts wie ein Stoßtrupp in einem feindlichen Grabensystem. Unsere Vorräte gingen langsam zur Neige. Robert Morris mußte wiederholt eingreifen. Er war jedes Mal der Retter in höchster Not. Jetzt verfügte er noch über ein einziges Magazin. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Prüfend schaute er zur Sonne. Er machte ein skeptisches Gesicht. In der unterirdischen Siedlung brach Panik aus. Ein höllisches Konzert empfing uns, sobald wir vor einer neuen Höhle auftauchten. Der Bewohner war längst gewarnt. Der eine oder andere wagte bereits einen Ausfall, wenn wir uns gerade anschickten, ihn zu verarzten. Dann mußte jedes Mal der Australier ihn mit der MP abfangen. Er hatte längst auf Einzelfeuer umgeschaltet. Immerhin war unser Angriff nicht erfolglos. Mit diesem Gedanken trösteten wir uns. Längst hatten wir eingesehen, daß wir unsere Arbeit nicht beenden konnten. Wir beeilten uns. So unterlief uns ein folgenschwerer Fehler. Pongo wagte sich zu weit vor, weil schon die dritte Flasche nicht gezündet hatte. Der Melanesier geriet in die Fänge einer Bestie, die ihn in ihre 107 �
Höhle riß. Das Tier war unverletzt und im Vollbesitz der Kräfte. Der Schwarze hatte keine Chance. Das Ungeheuer riß das Opfer erbarmungslos an sich. Wir sahen im Eingang der Höhle zappelnde Arme und Beine. Ein gewaltiger Schädel flog unwillig hin und her. Das Untier schüttelte die strampelnde Beute zurecht, betäubte Pongo, ehe wir eingreifen konnten. Auch der Australier konnte nicht schießen, ohne Pongo zu treffen. Und schon lag die mordgierige Bestie über dem Schwarzen und trank schmatzend sein Blut. Außer mir vor Wut zerschlug ich einen der Molotow-Cocktails auf einem langen armdicken Ast. Ich rannte mit meiner Fackel geradewegs in den Gegner hinein. Ruckartig hob sich der plumpe Schädel mit dem breiten blutverschmierten Maul. Tückische Augen blitzten mich an. Ich stieß den brennenden Ast zwischen die Augen des Ungeheuers. Die Spitze bohrte sich zischend in den qualligen Schädel. Der Moloch heulte auf, fuhr zurück, kratzte geblendet mit beiden Vorderpfoten durch die Visage. Im Schmerz krampften sich seine hornigen Krallen in die Augäpfel. Leere Höhlen blieben zurück. Zwei blitzschnell geworfene Flaschen beendeten die Qual des gefährlichen Geschöpfes. Sam hatte wieder einmal hervorragend getroffen. Wir zogen Pongo ins Freie. Mir genügte ein Blick, um festzustellen, daß ihn keine Macht der Erde mehr retten konnte. Bei jedem Herzschlag pulste Blut in einer schrecklichen Fontäne aus der zerrissenen Ader. Wir konnten die Wunde nicht genügend fest verbinden, sonst hätten wir Pongo erwürgen müssen. Verzweifelt preßte der Australier die Daumen auf die aufgerissenen Stellen am Hals. 108 �
Pongo starb. »Jetzt habe ich die Nase voll«, resignierte Robert Morris. Wir selbst sahen zum Fürchten aus. Schlammtriefend und erschöpft hockten wir am Boden. Erst jetzt fanden wir Zeit, unsere Müdigkeit bewußt zu registrieren. Sam heulte vor Erschöpfung. Ich hatte ihn nie anders gesehen als korrekt gekleidet. Selbst in seiner Freizeit trug er Hosen mit messerscharfen Bügelfalten, wechselte täglich und wenn es sein mußte, noch häufiger, das Oberhemd und vergriff sich niemals in der Farbe seiner Socken. Jetzt erinnerte er mehr an einen heruntergekommenen Landstreicher. Seine Kleidung war zerfetzt. Auf seinen Schuhen machte sich eine dicke grünliche Schlammschicht breit. Sein Gesicht war eine Maske aus Schweiß und Dreck. Er hatte Brandblasen auf der Stirn. Die Augenbrauen waren angesengt. Eigentlich sahen wir alle nicht besser aus. Und jetzt hatte es Pongo erwischt! »Wir hauen ab«, meinte der Australier erschüttert. »Und die restlichen Viecher?« fragte ich ungläubig. »Mir persönlich ist es egal, ob ich von einem Moloch verspeist werde oder von sechs.« »Wenn es Ihnen Spaß macht, fahren Sie ruhig fort«, konterte Robert Morris eiskalt. »Ich ziehe mich zurück. Ich begrabe Pongo am Strand. Ich lasse ihn doch nicht hier als Aas für diese Bestien zurück. Das hätte er nicht verdient.« Der Australier nahm seinen Freund auf. Er legte sich den schweren Körper über die Schulter, richtete sich mit einiger Anstrengung auf und marschierte davon, ohne sich um uns zu kümmern. »Und du?« fragte ich Sam. Er wich meinem Blick aus. 109 �
»Allein können wir nichts machen«, murmelte mein Freund. »Er hat doch die Maschinenpistole mitgenommen. Es gibt keinen Feuerschutz mehr. Das ist mir viel zu gefährlich. Vielleicht haben wir den Rest des Rudels so verängstigt, daß sich die Bestien nicht mehr aus ihren Höhlen trauen.« »Verschwinde!« zischte ich böse. »Uns bleiben noch ganze vier Höhlen. Ich mache allein weiter.« »Vier Höhlen, die wir entdeckt haben«, warnte Sam eindringlich. »Wer sagt dir, daß es nicht noch mehr gibt? Es hat wirklich keinen Zweck. Bald wird es dunkel, was machst du dann?« »Ich hasse halbe Sachen«, schrie ich aufgebracht. Solange diese scheußlichen Nachbarn existierten, konnten wir keine Ruhe finden auf Savage-Island. Jede Nacht hätten wir um unser Leben bangen müssen. Und hatten diese blutgierigen Moloche nicht schon genug Opfer geholt? Erst Sheila und Lydia jetzt auch noch Pongo, den Melanesier. Sam versuchte mich doch noch zu überzeugen. Ich blieb standhaft. Schweigend musterte ich die Vorräte, die mir geblieben waren: Ein halbvolles Fass mit Treibstoff und zwei Dutzend Flaschen. Das mochte genügen. Sam drehte sich plötzlich um und lief davon. Er konnte gar nicht schnell genug Anschluss an den Australier gewinnen. Ich aber machte allein weiter. Vorsichtig erkundete ich das Terrain. Mir durfte kein Fehler unterlaufen. Es gab keine Rettung. Niemand half mir. Der kleinste Schnitzer würde das unerbittliche Ende für mich bedeuten. Unter überhängenden Luftwurzeln, ziemlich weit vom Rest der unterirdischen Siedlung, fand ich einen Gang, der an Größe alles übertraf, was mir bis jetzt zu Gesicht bekommen hatten. Im Eingang bemerkte, ich Knochenreste. 110 �
In den leeren Augenhöhlen eines Totenschädels hatte eine Spinne ihr Nest gewoben. Ein heiseres Gebrüll empfing mich. * Sven und Susi schreckten auf, als sie in ihrer Nähe das wohlbekannte Blubbern und Zischen hörten, das in vorhergegangenen Nächten das Nahen der großen plumpen Bestien angekündigt hatte. Der Skandinavier rannte zum niedergebrannten Feuer und fachte es an. Er riß einen brennenden Ast aus der Glut und wanderte am Rande seines hohen Zufluchtsortes entlang. Vergeblich versuchte er den zu entdecken, der diese scheußlichen Geräusche verursachte. Der dunkle Urwald hütete sein Geheimnis. »Was ist das?« flüsterte Susi ängstlich. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind es unsere rätselhaften Freunde, die uns einen Besuch abstatten wollen«, erwiderte Sven so ruhig wie möglich. Er hoffte auf die steilen Wände, die jeden Angreifer zurückhalten und abschrecken mußten. Wenn es aber trotzdem einem gelang, das Felsplateau zu erklimmen, gab es keine Rettung mehr. »Lege mehr Holz auf«, bat Sven seine Frau. »Eine andere Waffe haben wir nicht. Wir müssen unheimlich aufpassen. Sobald sich eines der schleimigen Ungeheuer über den Rand unserer natürlichen Festung schiebt, stoßen wir zu. Feuer fürchtet jedes Lebewesen.« Das Ehepaar patrouillierte besorgt auf und ab. Dann ertönte ein leises Scharren an der Felswand. Susi Olsen stieß einen gellenden Schrei aus. Sven lief zu ihr. Er leuchtete in die Tiefe. Sie sahen einen Menschen, der sich müh111 �
sam in die Höhe stemmte, mit angstgepeitschtem Gesicht, die Haare wirr im Gesicht. Schürfwunden entstellten ihn. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm herunter. Sven erkannte mich ziemlich spät. Da hatte ich es fast schon geschafft. Mit letzter Kraft schob ich meine Hände über den Rand des Plateaus. Meine Fingernägel waren abgebrochen. Ich war zu erschöpft, um nur eine Silbe herauszubringen. Sven kniete erschüttert nieder, griff mir unter die Arme und zog mich in Sicherheit. Ich kollerte auf den Rücken und streckte alle viere von mir. Mein Atem ging rasselnd. Ich brachte kein vernünftiges Wort zustande. Da gab ich auf. Ich lag ruhig da und wartete darauf, daß meine Kräfte zurückkehrten, die ich in einem mörderischen Wettlauf mit dem Tod quer durch die Insel verzehrt und aufgebraucht hatte. Sven wartete geduldig. Susi brachte mir Wasser und Kokosmilch. Sie stützte meinen Kopf, während sie mir die Flüssigkeit eintröpfelte. Meine Lippen glühten. Sie waren aufgesprungen. »Euer Feuer hat mir den Weg gewiesen«, stieß ich schließlich hervor. »Ich bin nur gerannt und habe auf das Feuer geschaut. Es war entsetzlich, sage ich euch.« Mühsam kam ich hoch. Meinen Oberkörper stützte ich auf die Ellenbogen. Keinen trockenen Faden hatte ich am Leib. Jeder Knochen schmerzte. Ich fühlte mich wie gerädert. Meine Muskeln waren verkrampft von der Anstrengung des wahnsinnigen Laufes, gehetzt von den Überlebenden aus dem Sumpf, die mich verfolgt hatten, sobald es dunkel geworden war. »Was war los?« erkundigte sich Susi neugierig. »Am Strand ist ein Boot gelandet, mit einem Australier und einem Schwarzen an Bord, Abenteurern, die durch mein Signal112 �
feuer angelockt worden waren«, berichtete ich. Langsam kam ich hoch. Ich war noch zu schwach, um aufzustehen. »Wir hatten euch verloren gegeben«, staunte ich. »Dabei habt ihr einen weitaus besseren Zufluchtsort gefunden als wir.« Ich schaute mich um. Dann berichtete ich ausführlich von unserem tollkühnen Unternehmen im Sumpf von Savage-Island. Sven schließlich führte mir seine erstaunliche Theorie von der Entstehung dieser Ungeheuer aus. »Wenn Froschlaich radioaktiv verseucht wurde, konnten die ausschlüpfenden Kaulquappen, die das Inferno überlebt hatten, sich durchaus auf diese absonderliche Art entwickeln«, meinte Sven abschließend. »Außer den Nerven wurde sicher auch der Hormonhaushalt gestört. Es kam zu diesem Riesenwuchs. Die Tiere mußten größere und nahrhaftere Beute machen als gewohnt. Sie vergriffen sich erst an größeren Tieren, schließlich sogar an eingegangenen Rindern und stellten am Ende auch den gesunden nach. Ihr Jagdinstinkt entwickelte sich. Wir waren für diese seltsamen Geschöpfe nichts als nahrhafte Brocken auf der Speisekarte.« »Inzwischen haben sie uns hassen gelernt«, warnte ich. »Die Überlebenden des Massakers wollen uns vernichten. Sie erinnerten mich an zornige Hornissen. Sie haben mich mit einer ungeahnten und bewunderungswürdigen Schnelligkeit und beispielloser Ausdauer durch den Dschungel gehetzt. Manchmal waren sie mir so nahe, daß ich keinen Cent für mein Leben geben mochte. Es müssen noch etwa drei bis vier von diesen Urtieren existieren. Darunter ein besonders ekelhaftes Exemplar, das so verbissen gekämpft hat, daß ich nicht einmal merkte, wie die Zeit verrann.« »Du bist tatsächlich allein im Sumpf geblieben?« 113 �
Susi schaute mich aufmerksam an. Es spiegelte sich nicht nur Bewunderung in ihrem ausdrucksvollen Gesicht. Wahrscheinlich hielt sie mich sogar für übergeschnappt. »Ich weiß, daß ich leichtsinnig war«, räumte ich ein. »Aber du mußt das verstehen. Ich habe Pongo sterben sehen auf eine gräßliche, auf eine fürchterliche Art und Weise. Er verblutete uns unter den Händen. Da hat mich diese kalte unbezähmbare Wut gepackt. Ich wäre mit bloßen Händen auf diese Bestien losgegangen. Sie haben unseren geplanten Badeurlaub auf SavageIsland in ein lebensgefährliches Abenteuer verfälscht. Sie haben Lydia und Sheila geholt.« »Das kannst du ihnen wohl kaum übel nehmen«, rückte Sven die Dinge wieder ins Lot. »Es sind Tiere. Sie folgen ihrem Instinkt.« »Im Grunde sind wir an ihrem Entstehen selbst schuld«, fügte Susi hinzu. »Ohne Atomversuche wären diese Moloche nicht entstanden. Es scheint so, als wären uns hier und da bereits die Dinge ein wenig entglitten.« »Das zeichnet sich auch auf anderen Gebieten ab«, nickte Sven ruhig. »Vielleicht nicht so spektakulär wie hier auf Niue, aber immerhin. Es ist höchste Zeit, sich zu besinnen.« Ärgerlich winkte ich ab. »Ich bin kein Philosoph«, protestierte ich »Ich will überleben. Diese Moloche müssen weg, eher haben wir keine ruhige Minute.« Wie als Bestätigung erklang unter uns, im nächtlichen Dschungel, ein warnendes grollendes Brüllen. Knackende Geräusche und wippende Zweige bei völliger Windstille verrieten, daß wir eingekreist wurden. Die Bestien hatten unseren Zufluchtsort entdeckt. Wahrscheinlich hatten sie meine Spur gewittert. Jetzt saßen wir in der Falle. Erschreckt flüchtete Susi zu ihrem Mann. 114 �
»Ich bringe euch eben unablässig Pech«, meinte ich resignierend. »Alles, was ihr hier durchzumachen habt, verdankt ihr mir.« »Sheila hat den Ort ausgesucht, und auch sie ohne böse Absicht«, entschuldigte mich Susi. »Niemand ist verantwortlich zu machen«, belehrte uns Sven in seiner gelassenen, überlegenen Art. »Wir haben das nicht gewollt. Es ist ohne unser Dazutun gekommen.« Wir schwiegen und lauschten auf die Geräusche rings um unsere natürliche Festung, die vom Feind eingeschlossen worden war. Diese widerlichen Laute, mit denen sich die Riesenfrösche verständigten, rissen niemals ab. Wir glaubten vier verschiedene Stimmen zu unterscheiden. Aber wir waren nicht sicher. Ich erkannte nur eines der Organe wieder. Es gehörte dem Exemplar, dem ich zuletzt zu Leibe gerückt war, einem besonders wilden und kräftigen Vertreter seiner entarteten Rasse. »Hier kommen sie nie herauf«, beruhigte mich Sven. Ich zitterte bei dem bloßen Gedanken daran, noch einmal Auge in Auge einem der Moloche gegenüberzutreten. Meine Nerven waren verschlissen worden durch die stundenlange Anspannung unseres Kampfes im Sumpfgebiet, der nur mit einem Teilerfolg geendet hatte. Die vier, die wir nicht erwischt hatten, würden uns die Hölle heißmachen, solange wir auf Savage-Island gefangen saßen. »Wenn wir hier herauskommen und von unseren Abenteuern erzählen«, meinte ich leise, »wird uns kein Mensch glauben.« »Doch«, versicherte Sven. »Dafür verbürge ich mich mit meinem Namen als Wissenschaftler. Aber weißt du, was dann geschehen wird? Eine Kommission kommt nach Savage-Island. Alle wollen mitreden: Wissenschaftler, Militärs, Politiker. Sie werden sich überzeugen, daß wir recht hatten. Sie werden eines 115 �
der Exemplare töten, vermessen, untersuchen, sezieren. Sie werden genau herausbekommen, warum diese abartige Entwicklung so und nicht anders verlaufen ist. Ein Bericht wird geschrieben. Nur Eingeweihte dürfen ihn lesen. Und schließlich deckt man alles mit dem Mantel der Liebe zu, weil man keinen Staat vor den Kopf stoßen will. Außerdem hat nicht nur Frankreich solche verbrecherischen Versuche gestartet. Alle sitzen im gleichen Boot.« Selten hatte ich den so gelassenen Sven in Rage erlebt. Dies war eine der wenigen Ausnahmen. Er ereiferte sich zusehends und unterstrich seine Anklage mit lebhaften Gesten. Und doch wußten wir, daß er nichts ändern würde. »Sollte ich jemals mit heiler Haut hier herauskommen«, versprach ich, »werde ich die Geschichte von Savage-Island aufschreiben.« »Sie werden dein Manuskript beschlagnahmen«, lachte Sven bitter. »Es wäre nicht das erste Mal, daß die Wahrheit der Zensur zum Opfer fällt. Was nicht paßt, wird totgeschwiegen.« »So einfach ist das?« fragte Susi empört. Sven schnaufte. Ich kramte in meiner Hosentasche und entdeckte eine fast zerknautschte Zigarettenpackung. Ein paar Glimmstengel waren abgebrochen. Ich bot Sven einen an. Wir rauchten schweigend. Susi schürte das Feuer. »Wenn wir aber bezeugen, was Earl schreibt und das Manuskript auf eigene Kosten veröffentlichen«, überlegte Svens Frau, »kann doch niemand etwas dagegen tun.« »Die finden schon einen Dreh«, versicherte Sven grimmig. »Die ganze Episode bekommt eben den Charakter eines staatsgefährdenden Geheimnisses und basta! Wenn wir trotzdem damit an die Öffentlichkeit treten, wird man uns bestrafen und mundtot 116 �
machen. Man wird uns als unglaubwürdig hinstellen und unseren Verstand anzweifeln.« »Und warum das alles?« forschte ich. »Weil Gleiches in jedem Land der Erde passieren kann. Wir vergiften uns pausenlos selbst mit Chemikalien und Abfallprodukten. Wir finanzieren unseren eigenen Tod. Wir begehen den ganz bewussten Selbstmord. Am Ende gibt es vielleicht Mücken, die gegen jede Art von Toxinen immun sind. Wir kennen diese Art von Resistenz bereits bei der Anophelesmücke, die Malaria überträgt. Diese Viecher brauchen nur die Entwicklung zu durchlaufen, die unsere blutgierigen Freunde da unten durchgemacht haben. Dann gibt es eines Tages Mücken so groß wie Hubschrauber. Ein einziger Stich tötet einen Menschen!« »Das wäre die Herrschaft der Insekten«, stöhnte Susi. »Wenn ich ein Zyniker wäre, würde ich behaupten, der Mensch bereitet sich genau den Untergang selbst, den er verdient hat«, seufzte Sven. »Leider bin ich nicht skrupellos genug, um so zu denken. Ich kann es mir auch nicht leisten. Ich habe schließlich Kinder.« »Also werden wir kämpfen«, schlug ich vor. »Mit dem Material, das wir hier auf Savage-Island gefunden haben. Wir sind dazu verpflichtet. Savage-Island ist nur der Anfang. Ähnliche Fehlentwicklungen können überall auftreten. Es brauchen nicht einmal diese mordgierigen Moloche zu sein auch in der Welt des Mikrokosmos gibt es gefährliche Lebewesen. Stell dir mal vor, Mikrobenkulturen geraten außer Kontrolle.« »Was für eine Kontrolle meinst du?« fragte Sven scharf. »Wir sind doch schon soweit, daß ein Wissenschaftler über unsichtbare Grenzen hinausstoßen muß, um Neues zu finden. Und verdammt noch mal, das versuchen sie täglich, in allen Laboratorien der Welt, diese Karrieremacher und Ehrgeizlinge. Wer fragt denn schon nach einem Sinn? Was neu ist, ist auch gut. Viel117 �
leicht läßt sich später ein rechtschaffener Zweck konstruieren. Aber zunächst wird einmal wild drauflos geforscht und experimentiert.« »Das sagst du ein Wissenschaftler? wunderte ich mich. »Eben darum! Ich weiß, wovon ich rede«, stöhnte Sven. »Vergesst das«, versuchte Susi zu vermitteln. »Wartet erst einmal ab, ob wir es überhaupt schaffen. Noch sind wir nicht in Sicherheit. In Vancouver werden wir es schon fertig bringen, mit unserer Geschichte die Öffentlichkeit zu warnen.« Ich schnippte den Stummel meiner Zigarette über den Rand des Plateaus. Ein Funkenregen sprühte durch die Nacht. Aus der Tiefe erklang ein dumpfes Grollen. Die Belagerung war noch nicht aufgehoben. Noch saßen wir in der Falle. Unser einziger Schutz war die mangelhafte Fähigkeit der großen Tiere, zu klettern. Sonst hätte uns nichts vor ihren Klauen und Zähnen gerettet, vor ihren widerlichen Zungen, die sie wie Pfeile abschossen. Die Situation war grotesk. Mein Geld hatte uns in diese Lage gebracht. Ohne den schnellen und mühelosen Gewinn wäre ich nie auf die Idee gekommen, meinen Freunden einen Aufenthalt in der Südsee zu finanzieren. Wenn das alles war, was bei einer solchen Transaktion herauskam, mochte Geld scheffeln, wer lustig war. Ich würde jeden Cent investieren, einer noch ahnungslosen Menschheit die Augen zu öffnen. Keiner von uns würde wieder der gleiche sein, als der er hier angekommen war. Wenige Tage auf dieser abgeschiedenen Insel hatten uns alle grundlegend gewandelt. Unser Leben würde sich ändern. Sam würde allein bleiben, wenn er es nicht vorzog, nach Ablauf einer angemessenen Frist wieder zu heiraten. Sven würde nie wieder vergessen, nach den wesentlichen 118 �
Zusammenhängen und wirklichen Zielsetzungen seiner Forschungstätigkeit zu fragen. Er bildete nicht mehr ein bewusstloses und nur nützliches Glied in der Kette wissenschaftlicher Arbeiter, die nicht mehr sicher waren, ob das Endprodukt eine Waschmaschine, eine Atombombe, ein Hustenbonbon oder ein Insektizid war. Er hatte seine Verantwortung erkannt. Und ich hatte eine Aufgabe entdeckt, die vielleicht eine Spur sinnvoller war als bloßes Geldverdienen. Ich mußte als Warnung und Abschreckung meine Erlebnisse zu Papier bringen, für einen gelernten Kaufmann aus dem Bankfach eine nicht eben leichte Aufgabe. Aber sie mußte bewältigt werden. Ich war es den Toten von Savage-Island schuldig. Der reizenden Sheila Globe, der bedauernswerten Lydia Akron, dem unschuldigen Melanesier Pongo. Ihr Tod bekam nur einen Sinn, wenn er anderen eine Warnung war. Und dafür wollte ich sorgen, wenn es für mich noch eine Zukunft gab. * Wir schreckten auf. Ein ungewöhnliches Geräusch hatte uns geweckt. Ich brauchte ein paar Sekunden, ehe ich begriff. Sven lag vor der Laubhütte, in der Sven und Susi sich von den Aufregungen erholten. Ich hörte deutlich das leise Platschen nackter breiter Füße auf steinigem Untergrund. Am Horizont zeigte sich der erste Lichtstreif, der den Morgen ankündigte. Wir aber würden ihn nicht mehr erleben. Denn Amphimix hatte es geschafft. Er hatte in stundenlanger, zäher Arbeit die steile Wand bewältigt. Irgendwo, von uns nicht 119 �
bedacht, mußte es eine Stelle geben, die selbst diesem Ungeheuer den Aufstieg erlaubte. Jetzt schob er sich blutgierig und beutelüstern über das Felsplateau. Mein gurgelnder Alarmschrei riß die Ahnungslosen aus dem Schlaf. Das Feuer war niedergebrannt. Es gab keine Gegenwehr mehr gegen den schlammbedeckten Unhold. Wir waren unbewaffnet, wehrlos, eine leichte Beute für gierige, mit Schwimmhäuten ausgestattete Krallen, für nadelspitze Hauer, die über wulstige Lefzen ragten. Wir wichen zurück. Knurrend und zischend, blubbernd und schnarrend folgte uns der schleimige Unhold, noch erschöpft von der Anstrengung des unglaublichen Aufstiegs, der ihm wesentlich schwerer gefallen sein mußte als alles, was er je unternommen hatte. Jetzt näherte sich Amphimix in seiner merkwürdigen Art, den schweren glasigen Körper vorwärtszuschieben. Die verstümmelten Gliedmaßen gaben wenig Unterstützung. Nutzlos baumelten die kurzen Ärmchen mit den Schwimmhäuten herunter, gefährliche Waffen nur im Nahkampf, aber für jede Art der Fortbewegung selbst für das Schwimmen wenig geeignet, weil sie in keinem Verhältnis zu dem massigen, qualligen Körper standen. Lauernd versuchte uns die Bestie in die Enge zu treiben. Wir versuchten, ständig mindestens drei Meter zwischen ihn und uns zu legen, um aus dem Gefahrenbereich der klebrigen Zunge zu bleiben. Der schüttere Baumbestand auf dem Plateau kam uns dabei gut zustatten. Achtlos walzte Amphimix die Hütte nieder. Unaufhaltsam schob sich das Monstrum näher. »Klettere hinunter, Susi!« brüllte Sven verzweifelt. »Nein!« schrie ich atemlos, den sicheren Tod vor Augen. »Dies hier ist nicht der einzige Angreifer. Die anderen lauern am Fuß 120 �
des Felssockels. Es hat keinen Zweck.« »Sie können nicht alle Seiten absperren«, brüllte Sven und brachte geschickt das glimmende Campfeuer zwischen sich und das Vieh, das ihn bedrohte. »Seile dich ab. Du hast eine gute Chance, den Strand heil zu erreichen.« Susi gehorchte. Sie verschwand in der Tiefe, während Sven um sein Leben kämpfte. Das Ungeheuer hatte es in erster Linie auf ihn abgesehen, während es die erste Zeit mal den einen, dann den anderen verfolgt und so seine Kräfte verzettelt hatte. Was mochte das Ungeheuer dazu getrieben haben, sich mühsam in diese Höhe hinaufzuquälen? War es allein der Hunger die Gier nach frischer, lebender Jagdbeute gewesen? Oder glomm irgendwo in diesem plumpen, unförmigen Schädel mit dem wenig entwickelten Gehirn der Gedanke und die Erinnerung an den Tod der Horde? Wollte das Vieh Rache nehmen für die, die wir getötet hatten und für die eigene scheußliche Existenz, die wir, die Menschen, verschuldeten? Unter anderen Umständen hätten wir diesen Koloss auf Savage-Island nur im Taschenformat angetroffen, einen guten kleinen Kerl, der sich mit Fliegen und Mückenlarven als Speise begnügte. Allenfalls für Wesen dieser Größenordnung wäre er eine Gefahr gewesen, während höchstens unsere Frauen sich geweigert hätten, den glitschigen Burschen in die Hand zu nehmen. Jetzt griff er die Krone der Schöpfung an, langsam zwar, aber unaufhaltsam. Er legte es darauf an, die zu fressen, denen er seine entsetzliche Existenz verdankte. Eine erschreckende Konsequenz lag in dem Tun des entarteten Geschöpfes, das stinkend, hechelnd und mordgierig Sven bedrängte. Ich kam an das Feuer und riß einen Ast aus der Glut, der noch 121 �
nicht völlig verkohlt war. Funken stoben durch die scheidende Nacht, die unsere letzte sein sollte. Ich stieß mit der kümmerlichen Fackel in den massigen Rücken des Ungeheuers, das jaulend herumfuhr. Mit knapper Not verfehlte mich das verdammte Maul. Dann traf mich die herausgeschleuderte Zunge zwischen den Schulterblättern wie eine Riesenfaust. Ich hatte nicht bedacht, daß ich nicht mehr aus der Gefahrenzone kommen würde. Jetzt bekam ich die Quittung für meinen Fehler. Ich sperrte mich vergeblich. Verzweifelt krallte ich mich in jede Unebenheit des Bodens. Unbarmherzig holte mich der Moloch ein, langsam, mit sadistischer Freude an meiner Todesangst. Ein befriedigtes Grunzen entfloh dem abstoßenden Maul mit den beiden fingerlangen Hauern in den Mundwinkeln. Sven bemühte sich nach Kräften, das Untier abzulenken. Aber kein Scheinangriff, kein Steinwurf lenkte den Moloch von seiner blutigen Arbeit ab, die mit meinem Tod enden mußte. Irre vor Angst schlug ich um mich. Schon stupsten mich schleimige Lippen an, packten mich hornige Klauen, feucht und kalt. Da stieg die Sonne empor. Sie ritt auf den Wellen, ein feuriger Ball, der zögernd seine Strahlenfinger aussandte. Ebenso schnell wie es Nacht wurde in den Tropen, kehrte der Tag zurück. Gerade verschwand die Fessel der klebrigen Zunge, riß das Vieh sein Fischmaul auf, um seine tödlichen Hauer in meinen Hals zu graben, da gelang es mir noch einmal, zu entkommen. Ohne Rücksicht auf meinen Fuß, dessen Verletzung ich ausgeheilt glaubte und der sich just in diesem Augenblick unangenehm bemerkbar machte, stürzte ich davon, sicher, daß mich diese schreckliche Peitschenzunge wieder zurückholen würde. 122 �
Ich machte mich so klein wie möglich, wollte geduckt aus der Ziellinie laufen und kam zu Fall. Ich kegelte herum und lag wehrlos auf dem Rücken. Und Amphimix walzte auf mich zu, um sein Werk zu vollenden. Ich rutschte rücklings über den steinigen Boden, stieß um mich und schrie sinnloses Zeug in meiner Angst. Die Sonne blendete mich bereits. Ich hatte mich herumgewälzt, um nach einem Halt zu greifen. Ich wollte mich festklammern. Amphimix nahm den Kopf herunter. Die entsetzliche Zunge wippte im scheußlichen Maul. Tückische Augen visierten mich an. Ich rollte mich zusammen wie ein frierender Hund und rutschte in Todesangst über den Boden. Da blieb das Ungeheuer ruckartig stehen. Die Kraft der Sonne wurde übermächtig. Ein weißer Dunst stieg auf von der graugrünen gallertartigen Masse dieses ungelenken Körpers. Die Haut schrumpfte und warf erste Runzeln und Falten. Sämtliche Organe in dem gläsernen Körper schienen sich einzuengen von der unerträglichen Sonneneinwirkung. Amphimix zerfloss. Er verdampfte. Zellflüssigkeit verbreitete einen fauligen infernalischen Gestank. Das Gesicht mit den tückischen Augen verlor die Form. Die Gestalt löste sich auf, keine drei Schritt vor mir. Amphimix sank immer schneller in sich zusammen. Er wand sich stumm in tödlicher Qual. Seine verkümmerten Gliedmaßen zuckten hilfesuchend umher. Später fanden wir noch zwei mörderische Reißzähne, die hornigen Endkrallen der Schwimmhäute und Knochenreste eines Beutetieres, das die Bestie mit Haut und Haar verschlungen 123 �
haben mußte. � *
Ihr phänomenaler Ortssinn wurde Susi fast zum Verhängnis. Sie steuerte so genau unser Camp am Strand an, daß sie bald einem der Unholde vor das gefräßige Maul gelaufen wäre. Sie hatte ja nicht mehr damit gerechnet, einer der Bestien zu begegnen. Sie vermutete sie alle in unmittelbarer Nachbarschaft des Felsplateaus. Aber offenbar hatte sich die kleine Gruppe der Überlebenden geteilt. Zwei der Kolosse waren den gewohnten Weg gezogen, zum Strand, nachdem sie vergeblich versucht hatten, die Felswand zusammen mit Amphimix zu bewältigen. Gewohnt, vom Jagdruf ihres Anführers geweckt und von seinem Befehl vor der aufsteigenden Sonne gewarnt zu werden, waren sie nicht fähig, jetzt allein zu entscheiden. Ehe es tagte, hockten zwei der Moloche im Dschungel und hätten Susi Olsen fast abgefangen. In letzter Sekunde erkannte Susi die tödliche Gefahr. Sie wich geistesgegenwärtig aus und erreichte den Strand an einer anderen Stelle. Sie passierte atemlos ein frisches Grab mit einem primitiven Holzkreuz. Als Querleiste diente eine Planke der »Madeleine«, deren kümmerliche Reste noch im Korallenriff hingen. Mit irgendeinem spitzen Gegenstand hatte Robert Morris den Namen seines dunkelhäutigen Begleiters in das Holz geritzt. Dann hatte er sich stumm unter das Sonnensegel gehockt und sich mit einer wütenden Verbissenheit den Alkoholvorräten gewidmet. Sam saß stumm dabei. Er fürchtete, er werde am Ende der einzige Überlebende der 124 �
fröhlichen Gesellschaft bleiben, die vor wenigen Tagen unternehmungslustig und voller Optimismus auf Savage-Island gelandet war. Als Susi auftauchte, sprang Sam Akron wie elektrisiert auf. Seine Freude kannte keine Grenzen. Er umschlang die Freundin und schwenkte sie übermütig im Kreis, bis sich Susi mit einiger Anstrengung freimachen konnte. Sie berichtete von der üblen Lage, in der sie uns zurückgelassen hatte. Sie hatte Mühe, sich der Tränen zu erwehren. »Ich habe gleich gesagt, Earl Warren hätte mit uns umkehren sollen«, brummte Robert Morris undeutlich. Der Alkohol lähmte seine Zunge. Schwankend erhob er sich, lüftete seine weiße Kapitänsmütze, die er von Bord der »Madeleine« gerettet hatte und stellte sich vor. »Können wir denn nichts tun?« rief Susi verzweifelt. »Ich fürchte, dazu ist es zu spät, Madam«, meinte der Australier. Er ließ sich in den Sand fallen. »Am besten, Sie probieren es damit!« lallte er und hielt Susi einen Kochtopf entgegen, randvoll mit Bourbon gefüllt war. Unwillig wehrte Susi ab. Sam tat alles, um sie zu trösten. Er kochte Kaffee. Wasser gab es wieder genug. Sam hatte es aus Meerwasser gewonnen. Svens Konstruktion arbeitete auf Wärmebasis, die tagsüber durch die Sonne, nachts durch ein Feuer geliefert wurde. Sam Akron öffnete ein paar Konserven. »Du mußt essen«, bat der Collegelehrer. »Das Leben geht weiter. Denke an die Kinder. Wenigstens du mußt gesund zurückkehren.« Mechanisch tat ihm Susi Olsen den Gefallen. Dabei lauschte sie immer auf die Geräusche in ihrem Rücken. Sie kannte all diese Töne nur zu gut. Das waren die Ungeheuer, die Savage-Island 125 �
zur Hölle werden ließen. Später, als die Sonne aufging, verbreitete sich ein so widerlicher Gestank, daß selbst Robert Morris aufschreckte. Er ging dem Geruch nach und kehrte nach wenigen Minuten zurück. »Das sind unsere unheimlichen Freunde«, meldete der Australier. »Die Sonne hat uns die Vernichtungsarbeit abgenommen. Wir haben nichts mehr zu befürchten. Wir können in aller Ruhe auf das versprochene Flugzeug warten. Wir sind gerettet.« »Wenn es keine mehr auf Savage-Island gibt. Ich meine keine von diesen Bestien«, seufzte Sam Akron. Die Müdigkeit zeichnete sein Gesicht. Tröstend legte er seinen Arm um Susi Olsen. »Können wir nicht wenigstens am Tage hingehen und nachschauen?« bettelte Susi. »Ich ertrage diese Ungewissheit nicht länger. Ich will wissen, was aus Sven geworden ist.« »Besser nicht«, mischte sich Robert Morris ein. »Ich komme mit«, versicherte Sam. »Warte, ich fülle zwei Feldflaschen. Dann ziehen wir in den Busch und suchen das Felsplateau.« »Wozu?« winkte Robert Morris trunken ab. »Lass' fahren dahin. Nach mir die Sintflut!« Später wollte er sich doch nicht ausschließen und bestand darauf, Susi Olsen auf der Suchaktion zu begleiten. »Sie sollten sich ausschlafen«, forderte die Frau, die fürchtete, der Australier könne nur eine Belastung sein auf denn beschwerlichen Marsch durch den Dschungel. »Auch gut«, gab plötzlich Morris überraschend nach. Er hatte uns als erster bemerkt. »Und Sie sollten sich auch ein bißchen aufs Ohr legen, Mistreß«, fügte der Australier augenzwinkernd hinzu. Da entdeckte uns Sam. Wir schlichen müde und erschöpft über den märchenhaft schö126 �
nen Strand von Niue. Jubelnd rannte Susi ihrem Mann entgegen und flog ihm um den Hals. »Hallo, Sam«, brummte ich. Ich nahm den Topf mit Bourbon entgegen, den mir Robert Morris reichte und trank wie ein Verdurstender. Ich hatte allerhand hinunterzuspülen. Da war ein sehr bitterer Geschmack auf meiner Zunge. Wir ruhten uns gehörig aus, kochten regelmäßig eine Mahlzeit am Tag, tranken viel und kamen gut mit unserem Proviant aus. Denn unsere Reisegesellschaft war arg zusammengeschmolzen. Die Gründe dafür erörterten wir in den folgenden Tagen nicht. Zu frisch waren noch die Wunden… Hal Studebaker kam pünktlich und erlöste uns von dem Ort, den wir für das Paradies gehalten hatten. Auf Savage-Island liegt dieser begehrte Ort jedenfalls nicht. Dafür habe ich Zeugen. ENDE
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