Band 60 der Fernseh-Serie Raumpatrouille Horst Hoffmann
Das Planeten-Monstrum
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Band 60 der Fernseh-Serie Raumpatrouille Horst Hoffmann
Das Planeten-Monstrum
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Fast könnte es scheinen, als hätte sich die Erdregierung mit der Tatsache abgefunden, daß das Bermuda-Dreieck faktisch der Brückenkopf einer fremden Macht auf der Erde ist. Aber dem ist nicht so. Die Anstrengungen, hinter das Rätsel der über dem Bermuda-Dreieck hängenden Drohung zu kommen, werden nur mit größerer Vorsicht als zuvor unternommen. Gleichlaufend bemüht sich die Regierung der Erde, die Verleumdungen zu widerlegen, die die Regierung von Aureola in Umlauf gesetzt hat, und den Frieden zwischen den von Menschen bewohnten Planeten der 900-Parsek-Raumkugel zu erhalten. Der Zwang, sich keine Hegemonialbestrebungen unterschieben zu lassen, war auch der Grund für die Entscheidung der Erdregierung, nicht massiv einzugreifen, als der Notruf von Makoma sie erreichte. Nur eine kleine Einsatzgruppe durfte den Menschen auf Makoma zu Hilfe kommen – und dafür kam niemand anderes in Frage als die ORION-Crew. Die Raumfahrer der ORION flogen nach Makoma – und gerieten sofort nach der Landung in den Beschuß von Amokläufern. Sie forschten nach und stellten fest, daß für den Amoklauf zahlreicher Makomaner eine Schiffsladung schwarzer Spiegel verantwortlich war, die von makomanischen Raumfahrern den Eingeborenen auf dem Planeten Gaithor im offenen Sternhaufen NGC 188 gestohlen worden waren. Bei ihrem Besuch auf Gaithor erfuhr die ORION-Crew von den Eingeborenen, daß die magischen Spiegel, die es überall auf Gaithor gibt, ein Geschenk der Uminiden an die HeloUminds – so nennen sich die Eingeborenen – waren und niemals Unheil angerichtet hatten. Die von makomanischen Raumfahrern gestohlenen Spiegel seien jedoch tabu gewesen. Zweifellos aber haben die magischen Spiegel nichts mit dem Rudraja oder dem Varunja zu tun. Nachdem einige Helo-Uminds der ORION-Crew geholfen haben, die Amokwelle auf Makoma zu beenden, kehren die Raumfahrer zur Erde zurück. Aber schon bald zeigt sich, daß das Abenteuer mit den Magischen Spiegeln nicht nur ein unbedeutendes Zwischenspiel war – und außerhalb der 900Parsek-Raumkugel erscheint DAS PLANETEN-MONSTRUM ...
Die Hauptpersonen des Romans: Mahab – Eine Amöbe wird zum Planeten-Monstrum. Ganeshda und Karttikay – Mahabs Schöpfer. Admiral Kailoff – Kommandant einer Aureolaner-Flotte. Cliff McLane – Der ORION-Kommandant verliert sein Schiff. Helga, Atan, Arlene, Hasso und Mario – Mitglieder der ORIONCrew. Norma Russell – Assistentin des GSD.
Vorgeschichte Mahabs Werden Karttikay sah von seinen Aufzeichnungen auf, als das akustische Signal das Kopplungsmanöver an das Raumlaboratorium ankündigte. Der Wissenschaftler erhob sich schwerfällig und trat vor die Projektionsscheibe. Wie immer, wenn Karttikay die riesige Kugel aus Stahl, Glas und Plastik auf sich zukommen sah, beschleunigte sich der Schlag seiner beiden Herzen. Das Bewußtsein, daß im Innern der Kugel Hunderte von Technikern und Wissenschaftlern der Yamana an einem Projekt arbeiteten, das in der langen Geschichte seines Volkes ohne Beispiel war, löste jedesmal eine starke Euphorie aus. Karttikay übernahm selbst die Steuerung seines Gleiters. Er war vier Tage lang auf Yama gewesen und hatte mit den Vertretern der Regierung über weitere finanzielle Unterstützung für das Projekt verhandelt. Karttikay kehrte mit guten Nachrichten zum Labor zurück, und er konnte es kaum erwarten, sie Ganeshda und den anderen mitzuteilen. Wie weit mochte die Entwicklung des Superplas-
mas in diesen langen Tagen fortgeschritten sein? Was würde Ganeshda ihm heute mitteilen können? Die Spannung steigerte sich ins Unerträgliche, als der Gleiter an einer Schleuse des Raumlabors verankert wurde. Karttikay wartete, bis eine blaue Signallampe aufleuchtete, die die Isolierung bestätigte. Der Raumgleiter war nun ein Teil der Station. Der Wissenschaftler durchquerte lange, ovale Gänge und ließ sich von Lifts in die oberen Etagen tragen. Überall begegneten ihm Yamana und grüßten ihn begeistert. Dann stand er endlich vor dem roten Schott, das einen der drei Zugänge zur inneren Kugelzelle des Laboratoriums darstellte. Karttikay identifizierte sich und trat ein. Hinter ihm schloß sich das Schott. Ganeshda erwartete ihn allein in seinem Beobachtungsraum. Nach der kurzen, aber herzlichen Begrüßung berichtete der Wissenschaftler, der von hier aus Stunde für Stunde die Entwicklung des Plasmas beobachtete und sorgsam jede Veränderung im Evolutionsprozeß verzeichnete. Karttikay hatte einen Blick auf die Projektionsfläche geworfen, die Mahab, wie sie ihre Schöpfung genannt hatten, in seiner Nährlösung zeigte. Das Plasma glich einer riesigen Amöbe. »Es verläuft alles in unserem Sinn«, verkündete Ganeshda. Der Yaman stand vor der Projektionsplatte, die ein Beobachtungsfenster zum Plasmaraum ersetzte. Sein massiger Körper verdeckte einen Teil des Bildes. Wie alle Yamana war er etwa drei Meter groß und ausgesprochen dickleibig. Auf dem humanoiden Körper saß ein Kopf, der eine gewisse Ähnlichkeit
mit dem eines Elefanten hatte. Dieser Eindruck wurde vor allem durch den bis auf die Brust reichenden Rüssel hervorgerufen. Ansonsten hatten die Yamana fast menschliche Ohren, und ein ausgeprägtes Kaugebiß. Die Ähnlichkeit mit irdischen Elefanten erschöpfte sich also in dem dünnen Rüssel, an dessen Ende drei fingerähnliche, knochenlose Auswüchse saßen, die Greifwerkzeuge darstellten. »Er ist gewachsen«, stellte Karttikay fest, »schneller gewachsen, als wir annahmen.« »Nicht nur das«, sagte Ganeshda mit vor Erregung bebendem Rüssel. »Mahab hat den vielleicht wichtigsten Schritt in seiner Entwicklung bereits getan, während du auf Yama warst. Mahab hat zu denken begonnen, Karttikay!« Karttikays Herzen begannen wieder, heftig in der mächtigen Brust zu schlagen. »Aber das bedeutet den Abschluß der ersten Phase – und damit ...« »Mahabs Geburt, Karttikay! Von nun an ist er unser Partner. Die weitere Evolution des Plasmas wird nicht mehr einseitig von uns gesteuert werden, sondern in einer Art Rückkopplung vor sich gehen.« »Aber das ist nicht programmgemäß, Ganeshda. Wir erwarteten diesen Schritt erst später, Wochen später ...« Ganeshda winkte ab. Mehr als Karttikay, der für die materiellen Voraussetzungen des Experiments verantwortlich war, fühlte sich Ganeshda mit dem Plasmawesen verbunden. Durch geistige Konzentration hatte er das Plasma zum bewußten Leben erweckt. »Sieh es dir an«, forderte der Wissenschaftler sei-
nen Kollegen auf. »Ein Superplasma, das durch die Synthese von DN- und RN-Säuren auf rein geistiger Ebene entstand, jedem normalen Protoplasma überlegen – wirklich ein Superplasma. Eines Tages werden wir über genügend dieser Wesen verfügen, um unsere konventionellen Elektronengehirne vollkommen ersetzen zu können. Es wird ein neuer Schritt vorwärts für unser Volk werden, Karttikay! Und es ist unser Werk, Karttikay!« Karttikay trat vor die Projektionsscheibe und betrachtete lange das dunkle, veränderliche Gebilde in der Nährlösung, in die zahlreiche Kabelstränge und antennenförmige Sensoren hineinreichten. »Er denkt«, überlegte der Wissenschaftler laut. »Hast du wahrnehmen können, was Mahab denkt?« »Ich gab fast meine gesamte mentale Energie in das Plasma«, erwiderte Ganeshda. »Seine Gedanken sind den meinen verwandt. Ich erfasse sie wie meine eigenen. Es sind allerdings vorläufig nur Gefühle. Mahab hat begriffen, daß er ist und lebt. Das ist vorläufig alles.« Karttikay antwortete nicht. Die anfängliche Euphorie wurde plötzlich von etwas anderem überschattet. Der Wissenschaftler ertappte sich dabei, daß er Angst vor dem hatte, was geschehen würde, wenn Mahab sich seiner selbst bewußt und eine eigene Identität entwickeln würde. Er sagte nichts davon zu Ganeshda. Es hätte keinen Zweck gehabt, denn Ganeshda steckte so tief in dem Projekt, daß er für derartige Überlegungen nicht aufnahmefähig war. Nur zwei Wochen später bereute Karttikay seine Unentschlossenheit.
Mahabs Wachsen Die Alarmsirenen gellten durch das Labor. Karttikay wurde aus dem Schlaf gerissen. Auf den Korridoren rannten Techniker und Wissenschaftler in Richtung der inneren Kugelzelle. Karttikay kleidete sich an und folgte ihnen. Vor dem roten Schott stauten sich die Yamana. Karttikay war der erste, der das zum Betreten der inneren Schale berechtigende ID-Muster aufwies. Er beruhigte die Yamana und trat allein durch das Schott. Karttikay erreichte Ganeshdas Kontrollkabine, ohne auf einen einzigen der wachhabenden Techniker zu stoßen. Die innere Kugelzelle wirkte wie ausgestorben. Ganeshda lag bewußtlos über einem Kontrollpult. Karttikay wollte sich über seinen Kollegen beugen, als sein Blick auf die Projektionsplatte fiel. Dem Wissenschaftler stockte der Atem. Anstelle der Nährflüssigkeit, die normalerweise den gesamten Zuchtraum ausfüllte, sah er nur noch eine dunkle Masse, die den ganzen Schirm überzog. Plötzlich hörte er ein Knistern, und die Platte erlosch für einige Sekunden. Dann begann sie zu flakkern und zeigte wieder das graue Wabern, bis sie endgültig schwarz wurde. Ganeshda stöhnte und bewegte sich. Sofort war Karttikay bei ihm und stützte den Freund. Ganeshda sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Sein Rüssel begann heftig zu schlingern, dann stieß der Wissenschaftler einen markerschütternden Schrei aus. Ganeshda tobte in seinem Sitz umher, und Karttikay hatte große Mühe, ihn zu beruhigen.
»Was ist geschehen? Ich muß es wissen! Die Sensoren haben Alarm für das ganze Labor gegeben!« Ganeshda sah ihn aus irren Augen an. »Es ist ...« »Was ist, Ganeshda, ich muß es wissen!« »Mahab ... er wächst ... er ...« Karttikays Blick haftete auf dem Mund des Kollegen. Plötzlich wurde der Wissenschaftler von grauenhaften Visionen geplagt. Er sah ein außer Kontrolle geratenes Monstrum, das die Station verschlang und sich vergrößerte, in den Weltraum vorstieß und langsam auf die Oberfläche Yamas hinabsank ... »Mahab hat einen Evolutionssprung getan, Karttikay ... Mahab hat begonnen ...« »Ja, Ganeshda, was tut Mahab? Du mußt es sagen! Das mußt ...« Aber der Wissenschaftler hatte bereits wieder das Bewußtsein verloren. Ein neuer Alarm schrillte durch die innere Kugelzelle. Auf allen Bildschirmen stand die Aufforderung zum sofortigen Verlassen des Innenkomplexes. Karttikay packte den schweren Körper Ganeshdas und hob ihn auf seine Schulter. Als er mit ihm auf den nach außen führenden Gang trat, erstarrte der Yaman. Eine der Isolierungswände, die den Zuchtraum mit der Nährlösung und dem Plasma isolierte, begann sich aufzulösen! Zwanzig Zentimeter dicker, hochverdichteter Plaststahl, der sich in zahlreichen Tests als absolut unzerstörbar erwiesen hatte. Einige Sekunden lang war Karttikay unfähig, sich zu bewegen. Er starrte auf den kleinen Punkt in der IsoWand, der sich schnell vergrößerte und zu einem Loch
wurde. Eine zähe, breiige Masse quoll daraus hervor. Mahab! Karttikay begann zu rennen, fort von dem, was sich mit vehementer Gewalt den Weg nach außen bahnte. Er erreichte das rote Schott. Die Sekunden bis zur Akzeptierung durch die ID-Kontrolle wurden zu Minuten. Endlich öffnete es sich. Karttikay stürmte nach draußen. Zwei Techniker nahmen ihm den bewußtlosen Ganeshda ab und kümmerten sich um den Wissenschaftler. Karttikay spürte einen stechenden Schmerz in der Brust und brach zusammen. * Mahab war erwacht. Am Anfang war die Synthese. Unter Ganeshdas geistigem Einfluß verbanden sich die DN- und RN-Säuren, die Grundsteine jeden Lebens, und schufen das Plasma. Noch ruhte das neue Wesen. Ganeshdas geistige Substanz strahlte unablässig auf das Plasma herab und befruchtete das neue Leben. Lange Wochen schwebte das Plasma in der Nährlösung, nahm sie begierig auf und wuchs. Dann kam das Bewußtsein. Mahab begann zu denken. Es war eine neue Welt voller Wunder und Geheimnisse. Die erste Mutation erfolgte. Mahab wollte mehr über das wissen, was ihn umgab. Es entstand eine Wechselbeziehung zu jenem Bewußtsein, das unablässig mit ihm korrespondierte, ohne daß eine wirkliche Verständigung in Mahabs Sinn zustande kam. Es war zu fremd. Das Plasma wuchs heran und wurde zum Superplasma,
in dem die Zellkerne zwar normalerweise bestimmte Positionen zueinander einnahmen, sich aber verändern konnten. Es gab nach innen hin keine Trennwände in Mahab, während er nach außen durch eine Art Membran abgeschlossen war. Die Zellkerne schwammen im Gesamtplasma in einer durch die genetische Programmierung genau festgelegten Anordnung. Mahab wuchs und lernte. Bald begnügte sich das Wesen nicht mehr mit den Informationen, die es durch das korrespondierende Bewußtsein erhielt. Mahab dehnte sich aus. Die zweite Mutation erfolgte. Die Nährlösung war erschöpft, und Mahab begann, sich alle Substanzen, die er zum Stoffwechsel und zum weiteren Wachstum benötigte, aus seiner Umgebung zu besorgen. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um organische oder anorganische Stoffe handelte. Das Superplasma griff die Wände seiner Welt an und drang nach außen. Das Monstrum entstand ... Mahabs Verbannung Karttikay und Ganeshda befanden sich in einer Kabine eines der vierzehn Schiffe, die das Raumlabor mit Mahab zu dem Planeten »bugsierten«, der in aller Eile für die Aufnahme des Plasmawesens präpariert worden war. Auf einem kleinen Monitor konnten sie den Flug des Verbands verfolgen. Ganeshda stand auf und tippte ein paar Tasten an der Wahlkonsole, bis der Schirm nur die glänzende Kugel des Raumlaboratoriums zeigte. An einigen Stellen war die Außenhülle aufgebrochen und von dunklen Plasmafladen überzogen.
»Mahab«, flüsterte der Yaman. »Mußte es soweit kommen, Karttikay?« Der Angesprochene fuhr mit den stämmigen Armen durch die Luft und bemühte sich, seinen Rüssel unter Kontrolle zu bringen, der beim Anblick der Station heftig zu beben begonnen hatte. »Wir hätten es voraussehen müssen, daß sich ein Bewußtsein entwickeln würde – und der Wunsch nach Expansion ...« Ganeshda zitterte vor Aufregung. »Dort fliegt das fähigste Gehirn, das jemals geschaffen wurde. Vielleicht das fähigste Gehirn des ganzen Universums, Karttikay. Wir haben es geschaffen. Vielleicht machen wir einen nie mehr gutzumachenden Fehler, wenn wir Mahab töten.« »Wir töten ihn nicht«, widersprach der andere Yaman. »Das Plasma wird lediglich mitsamt seinem neuen Planeten aus unserem Raumsektor entfernt.« »Du weißt ebensogut wie ich, daß das einem Todesurteil gleichkommt, Karttikay! Wenn die neun Kunstsonnen ihr Plasma verbraucht haben, wird Mahab kein Licht und keine Wärme mehr erhalten und zugrunde gehen. Wir begehen ein Verbrechen!« Karttikay wartete ab, bis Ganeshda sich beruhigt hatte. Der Wissenschaftler machte furchtbare Qualen durch. Er mußte zusehen, wie sein Geschöpf – und damit ein Teil von ihm – in den Tod geführt wurde. »Es ist ein Monstrum, Ganeshda! Mahab ist uns allen längst weit überlegen und nicht mehr zu kontrollieren. Er vereint in sich die quantitative und qualitative Denkfähigkeit und Denkgeschwindigkeit unserer größten Elektronengehirne, aber er besitzt eine Intuition, ein Bewußtsein. Eines Tages würde Mahab die
Yamana unter seine Kontrolle bringen. Sein Expansionsdrang ist unbegrenzt!« »Das glaube ich nicht, Karttikay.« »Unsere fähigsten Computer sind zu diesem Ergebnis gekommen, Ganeshda. Du kannst dich nicht länger vor der Wahrheit verschließen. Es ist nicht unsere und nicht Mahabs Schuld, daß ein allesverschlingendes Monstrum aus ihm geworden ist. Und Mahab wird weiterwachsen und neue Mutationen durchmachen, wenn wir nicht ...« Karttikay sprach nicht aus, als er Ganeshdas Blick bemerkte. Der Wissenschaftler wußte, daß er sich selbst etwas einzureden versuchte. Tief in seinem Innern fühlte er genau wie Ganeshda. Ihr Schicksal war mit dem des Plasmas verbunden ... * Nach fünf Tagen waren sie am Ziel. Der Planet wurde von neun künstlichen Sonnen aus hochverdichtetem Plasma umgeben, die von den Yamana im Weltraum »verankert« worden waren, so daß sie jede Bewegung des Planeten mitmachen konnten, ohne daß das Gefüge instabil würde. In absehbarer Zeit würden diese neun Plasmoide sich verbraucht haben und erlöschen. Das, so sah es der Plan vor, würde zum Absterben des Superplasmas führen. Es war eine Welt ohne Leben mit einer Schwerkraft von 1,37 g. In einem technischen Kraftakt hatten die Schiffe der Yamana ihn aus seiner Umlaufbahn um eine kleine, gelbe Sonne gerissen und in den interstellaren Raum manövriert.
Die vierzehn Begleitschiffe des Raumlabors, das jeden Augenblick auseinanderzubrechen drohte, gingen in eine Warteposition. Dann griffen ihre Gravitationsfeldprojektoren erneut nach dem Labor und ließen es behutsam auf die Oberfläche des Ödplaneten hinabsinken. Die große Kugel setzte weich auf. Die Schiffe zogen sich weit in den Weltraum zurück, ihre Aufgabe war erledigt. Karttikay und Ganeshda baten den Koordinator des Verbands, an Bord eines fernflugtauglichen Raumgleiters noch ein paar Tage in Beobachtungsposition bleiben zu dürfen, während die Schiffe nach Yama zurückkehrten. Der Koordinator hatte Verständnis für die beiden Wissenschaftler und willigte ein. Man vereinbarte, daß sie bis zum Eintreffen der Flotte von Spezialschiffen, die den Planeten beschleunigen und auf seinen endgültigen Kurs bringen würden, in einem Orbit blieben und dann mit der Flotte nach Yama zurückkehren sollten. Der Verband verschwand im Hyperraum und ließ den Raumgleiter mit Karttikay und Ganeshda allein zurück. Nur wenige Stunden später fiel das Raumlabor auf der Planetenoberfläche in sich zusammen. Dunkelgraue Fladen drangen nach allen Seiten hin aus dem Wrack und tasteten sich vorsichtig ins Freie. Mahab war nach außen hin ein abgeschlossener Organismus und benötigte außer Licht und Wärme keine speziellen Umweltbedingungen. Innerhalb kurzer Zeit hatten sich die letzten Überreste des Labors in der dunklen Masse aufgelöst. Mahab hatte in weniger als zehn Stunden seine Masse verdoppelt. »Die Substanz des Raumlabors reicht nicht aus, um
diese plötzliche Expansion zu ermöglichen«, stellte Karttikay an Bord des Gleiters fest. »Er greift bereits den Planeten an.« Ganeshda schwieg und betrachtete fasziniert die Projektionsplatten, die ihnen ein solch genaues Bild übertrugen, als befände sich der Gleiter nur in wenigen Kilometern Höhe über Mahab. »Er wird sich über die ganze Welt ausbreiten, bis es nur noch ihn gibt«, sagte Ganeshda mit bebender Stimme. »Ein Lebewesen, wie es im Universum kein zweites gibt. Es darf nicht sterben!« Noch einmal versuchte Karttikay, den Standpunkt Yamas zu verteidigen. »Ein allesfressendes Ungeheuer, Ganeshda! Es wird sich nicht mit dem Planeten zufriedengeben. Sollte eines Tages einmal ein Raumschiff auf diese Welt verschlagen werden und wie durch ein Wunder wieder in den Weltraum entkommen, dann gnade uns die Allmächtige Einheit! Nur ein winziges Stück des Plasmas genügt, um Mahab zu anderen Welten zu tragen, die nicht unbewohnt sind wie diese hier. Und wenn es Mahab gelänge, seine Ableger in den Weltraum zu schleudern, wenn er durch eine neue Mutation von Licht und Wärme der Sonnen unabhängig werden würde ...« Ganeshda antwortete nicht. Am nächsten Tag hatte sich Mahabs Masse vervierfacht. Jetzt bildete er bereits einen kleinen See aus Superplasma. Mahab drang mit atemberaubender Schnelligkeit immer weiter in die Ebenen des Planeten vor und schloß ganze Berge ein, die nun wie Inseln aus dem Plasma ragten. Noch einen Tag bis zur Ankunft der Flotte!
Karttikay und Ganeshda erlebten ihr Erscheinen nicht mehr. Der Gleiter verließ seinen Orbit. Die Wissenschaftler taten alles, um das Fluggerät unter Kontrolle zu bringen, aber sie sanken unaufhörlich auf den Planeten hinab – genau auf das Plasma zu. Es gab für sie keinen Zweifel daran, wer für ihren Absturz verantwortlich war. Sie sanken in die Masse, die sich langsam über dem Gleiter schloß. Die Wände begannen, sich aufzulösen, aber Karttikay und Ganeshda empfanden plötzlich keine Furcht mehr. Sie spürten, wie eine weit überlegene Kraft sie in sich aufnahm. * Mahab wuchs weiter, bis seine Masse den gesamten Planeten umspannte. Immer neue selbstprogrammierte Mutationen erfolgten. Mahab erhielt die Fähigkeit, in die RaumZeit-Struktur einzuwirken. Bis zu ihrer Beherrschung war es nur noch ein kleiner Schritt. Der Informationsaustausch innerhalb des Plasmas erfolgte in Nullzeit. Als Nebenprodukt seiner neuen Fähigkeiten lernte Mahab, die Kunstsonnen am Himmel seiner Welt zu steuern und ihre verbrauchte Materie durch interstellares Plasma zu ersetzen. Von den Schiffen der Yamana auf ein Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, raste der Planet durch den interstellaren Raum, während Mahab mutierte und wuchs. Eines Tages würde eine andere Welt oder ein Raumschiff seinen Weg durch die Unendlichkeit kreuzen. Mahab war zum Planetenmonstrum geworden. Doch bis zur ersten Begegnung mit anderen Intelligenzen sollten viele tausend Jahre vergehen ...
1. Cliff McLane lag im Schatten eines großen Sonnensegels auf einer bequemen Liege und starrte gedankenverloren vor sich hin. Er genoß das Faulenzen in vollen Zügen. Aber wie alle Dinge, hatte auch das Nichtstun seine zwei Seiten. Das Unangenehme war, daß man über das nachzudenken begann, was während der Einsätze zwangsläufig verdrängt wurde. Und die Crew hatte in den letzten Wochen und Monaten viel erlebt, das jetzt auf den Commander eindrang. Arlene trat aus dem großen Bungalow, der ihnen für die Zeit ihres »Urlaubs« von Minister Basil Astiriakos, dem Sohn des steinreichen Reeders Kelos Astiriakos, zur Verfügung gestellt worden war. McLane war froh gewesen, einmal für kurze Zeit völlig abschalten zu können. Jetzt merkte er, daß dies ein Ding der Unmöglichkeit war – selbst am Strand der italienischen Riviera. »Der Herr Kommandant grübeln?« fragte Arlene mit spitzbübischem Lächeln und reichte Cliff ein Glas mit einer exotisch aussehenden Flüssigkeit. »Das wird dich auf andere Gedanken bringen, Liebling. Ich wette, du überlegst dir, ob du nicht für das Amt des Regierungschefs kandidieren sollst, stimmt's?« »Wahrlich ein berauschender Gedanke«, meinte Cliff und richtete sich auf. »Kein Hader mehr mit den hochverehrten Vorgesetzten, keine überflüssigen Funkstörungen mehr, keine Kastanien, die aus dem Feuer zu holen wären – nein, Schatz, ich fürchte, das würden meine Nerven nicht aushalten.«
»Schade, ich sah mich schon als First Lady an der Seite des Herrn Ministerpräsidenten.« Cliff bedachte sie mit einem seltsamen Blick. »Dann würde ich doch vorschlagen, daß du selbst kandidierst.« »Um mich mit gewissen respektlosen und dauernd eigenmächtig handelnden Raumfahrern herumzuschlagen? Das halten wieder meine Nerven nicht aus.« Cliff nahm einen Schluck aus dem Glas und bekam sogleich einen Hustenanfall. »Was hast du schon wieder zusammengebraut? Dagegen ist Archer's tears der reinste Himbeersaft!« »Ich sagte doch, es würde dich schnell auf andere Gedanken bringen. Also, großer Mann – heraus mit der Sprache, dich bedrückt doch etwas.« »Fürwahr, Arlene ...« Er nahm einen zweiten Schluck und nickte nun anerkennend. »Manchmal«, begann er dann, »habe ich das Gefühl, als ob wir in einem winzigen Boot über einen unendlichen Ozean segelten, dessen Wogen jeden Augenblick über uns zusammenschlagen können.« »Du denkst an das Rudraja und das Varunja?« »Unter anderem, Liebes. Mittlerweile gehört es fast zur Tagesordnung, daß wir mit der Hinterlassenschaft dieser Mächte und ihres furchtbaren Krieges konfrontiert werden. Aber der Kosmos ist voll von Geheimnissen, wie unsere Erlebnisse mit den schwarzen Spiegeln bewiesen haben. Wir sind von Kräften umgeben, deren Macht wir nicht einmal ahnen können. Ich frage mich, was aus den mysteriösen Uminiden geworden ist. Was wir zu sehen bekommen, ist nur die winzige Spitze des Eisbergs. Wenn
ich daran denke, daß wir vor fast siebzig Jahren ahnungslos durch den Weltraum flogen und uns für die Krone der Schöpfung hielten, während überall um uns herum Mächte schlummerten, die wir nicht einmal annähernd zu begreifen vermögen ...« Cliff war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er erst jetzt merkte, daß seine Gefährtin im Bungalow verschwunden war. Wenig später war sie mit zwei neu gefüllten Gläsern zurück. Cliffs Blicke glitten bewundernd über ihren vollkommenen Körper, der nur mit einem knappen Slip bedeckt war. Sie reichte ihm sein Glas. »Wenn das nicht hilft, kandidiere ich tatsächlich für das Amt des Ministerpräsidenten. Vorsicht, Cliff ...« McLane trank das Glas in einem Zug leer. Seine Miene veränderte sich. »Das Zeug ist gut, Liebes. Sehr gut sogar.« Er musterte Arlene erneut. Die Müdigkeit war auf einmal wie weggeblasen. »Sagtest du nicht, es sollte mich auf andere Gedanken bringen, Göttin der Nacht?« »Das schon, aber nicht unbedingt auf diese Gedanken, Cliff McLane – es ist heller Tag.« »Und wenn schon!« * Die übrigen Mitglieder der Crew vertrieben sich die Zeit des Nichtstuns ebenfalls auf ihre Weise. Die ORION IX lag in der Werft und wurde generalüberholt, aber die Crew hatte die Order erhalten, sich zur Verfügung zu halten.
So kam es, daß die ORION-Mannschaft fast jeden Abend im Starlight-Casino anzutreffen war. An diesem Abend war das nicht anders. »Es wird Zeit, daß endlich wieder einmal jemand kräftig auf den Tisch haut!« verkündete Mario de Monti mit grimmiger Miene und leerte ein großes Glas Archer's tears. Hasso sah Helga und Atan bezeichnend an und zwinkerte ihnen zu. »Ich frage mich, was unseren Chefkybernetiker so aggressiv gemacht hat.« »Außerdem ist er voll wie eine Strandhaubitze«, kommentierte Atan. »Was mag es nur sein?« Mario schenkte ihnen einen finsteren Blick und brummte eine Verwünschung vor sich hin. »Sollte es damit zusammenhängen, daß Han ihm den beabsichtigten Kurzurlaub auf Vortha versagt hat? Am Ende hat er Liebeskummer!« Mario bekam einen hochroten Kopf und tippte sich gegen die Stirn. »Astrogatoren sollten ganz ruhig hinter ihrem Zauberpult sitzen und gefälligst den Mund halten, wenn erwachsene Menschen sich unterhalten«, fuhr er Atan Shubashi an. »Oho!« meldete sich Helga Legrelle. »Immerhin akzeptiert er uns beide als erwachsene Menschen, Hasso. Ich fürchte fast, es ist wirklich die Liebe ...« Mario rülpste und winkte lässig ab. »Liebe! Was versteht ihr schon von Liebe! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß Han mich daran hindern kann, mit Erethreja zusammen zu sein? Im Geiste sind wir vereint.«
Atan wollte zu einem Kommentar ansetzen, aber Hasso trat ihm mit der Stiefelspitze leicht gegen das Schienbein und brachte ihn zum Schweigen. »Du meinst also, Mario, daß Erethreja allgegenwärtig und immer bei dir ist – im Geiste. Mit anderen Worten ausgedrückt: du stehst unter dem Pantoffel.« Helga und Atan konnten nicht mehr an sich halten, und Marios Flüche gingen in ihrem schallenden Gelächter unter. Von den Nachbartischen kamen die ersten Beschwerderufe. »Ausgerechnet ich!« empörte sich der Kybernetiker, als sie sich endlich beruhigt hatten. »Ich mache euch allen noch etwas vor, was die Frauen angeht. Meinem Charme hat noch keine widerstehen können. Wenn ich wollte ...« »Ja?« fragte Atan scheinheilig. »Wenn du wolltest? Was dann?« Mario kniff die Augen zusammen und grinste überlegen. »Ihr glaubt, daß der gute alte Mario sich von euch provozieren läßt, wie? Aber da habt ihr euch getäuscht. Alles, was ich heute abend brauche, ist eine neue Flasche Archer's tears.« »Eine gute Idee«, stimmte Helga zu. »Du bist sowieso an der Reihe, die nächste Runde auszugeben.« »Ausbeuter«, murmelte Mario und drehte sich um. Dann schrie er aus voller Kehle: »He, Wirt! Bedienung!« Hasso und Helga stießen sich an. Atan hielt sich nur mit Mühe ernst. »Vielleicht sollten wir nach Hause gehen und uns schlafen legen«, schlug Helga vor. »Zuviel Alkohol bekommt offenbar nicht jedem.«
»Meinst du mich?« »Wen sonst, Mario? Fünf Gläser sind genug. Du bist ja schon derartig betrunken, daß du vergißt, wo wir sind. In diesem Raum gibt es seit vielen Jahren keine menschliche Bedienung mehr, die auf dein Schreien hört. Auf diese Weise bekommen wir höchstens wieder einmal Lokalverbot.« »Was ist das für eine Zeit«, stöhnte Mario, »wo nicht einmal ihr mehr einen ... kleinen Spaß versteht. Also schön, ich werde jetzt meine Kreditkarte in diesen verdammten Schlitz stecken und ...« Er tastete über die Taschen seiner Ausgehkombination und erschrak. »Meine Kreditkarte! Ich muß sie vergessen haben ...« »Soso, vergessen«, sagte Hasso. »Ich fürchte, liebe Freunde, dann werden wir ohne unseren hochverehrten Kybernetiker weiterfeiern müssen.« »Mach keine üblen Scherze, Hasso! Du brauchst mir nur ein paar Kreditpunkte zu borgen. Die abgebuchten Punkte von deiner Karte bekommst du zurück, Ehrenwort!« Der Bordingenieur gab nach und ließ die nächste Runde kommen. Nach einem guten Schluck besserte sich Marios Laune schlagartig. »Also macht euch keine Sorgen um mich«, sagte er in weltmännischer Manier. »Wenn ich wollte, könnte ich jede Biene in diesem sterilen Schuppen erobern.« Hasso starrte angestrengt zum Eingang des Casinos hinüber, den die anderen drei von ihren Plätzen aus nicht sehen konnten. »Jede, Mario?« »Jede!« dröhnte es im Brustton der Überzeugung.
»Da kommt schon eine, tolle Figur und ein entzükkendes Gesicht. Aber ich glaube kaum, daß die auf dich reagieren würde.« Atan und Helga hatten sich mittlerweile umgedreht und die eben eingetretene Frau erkannt. Mario ging prompt in die Falle. »Das werden wir sehen. Aber ich weise darauf hin, daß es sich lediglich um eine Demonstration meiner Fähigkeiten handelt! Nicht, daß jemand auf den Gedanken käme, ich wäre meiner Erethreja untreu geworden!« »Selbstverständlich, Mario!« »Dann los, wo bleibt das schöne Kind?« »Sie wird gleich hier sein«, klärte Hasso den Gefährten auf. »Du kennst sie übrigens. Sie ist beim GSD und heißt Norma Russell ...« Mario starrte ihn an wie einen Geist. »Norma ... doch nicht etwa die Norma Russell, die wir kennenlernten, als die Invasion aus dem Meer anlief?« »Doch, Mario. Sie kommt übrigens auf unsere Nische zu.« »Laß mich 'raus, Atan!« zischte Mario dem kleinen Astrogator zu, der neben ihm saß. Ehe Atan reagieren konnte, hatte er sich an ihm vorbeigedrängt und verschwand in Richtung der Toiletten. »Hat man Töne?« fragte Helga. »Ich glaube, er hat Angst vor ihr.« »Nicht vor ihr, vor sich selbst. Auf den BiminiInseln hatte sie sich ganz offensichtlich in ihn verliebt, und Mario sah sich in der verzweifelten Lage, nicht so zu können, wie er wollte. Er liebt Erethreja wirklich.«
Norma Russell hatte die Nische erreicht und begrüßte die Raumfahrer mit einem herzlichen Lächeln. Die GSD-Assistentin war etwa dreißig Jahre alt und äußerst attraktiv. Normas Gesicht wurde von schulterlangem, silberblau gefärbtem Haar umrahmt. »Was hat er denn?« fragte sie und sah Mario nach. »Ach, wissen Sie – es hat ihn umgeworfen, als wir ihm Ihre Ankunft ankündigten.« Die GSD-Assistentin schmunzelte. »Dann wird er sich freuen, wenn er erfährt, daß ich Sie auf Ihrem nächsten Flug begleiten werde.« Hasso, Atan und Helga sahen sich fragend an. »Setzen Sie sich, Norma«, forderte Atan die GSDAssistentin auf. »Was für ein Flug?« »Ich habe keine Ahnung. Katsuro teilte mir mit, daß er die Absicht hätte, mich Ihnen zuzuteilen – mehr nicht. Allerdings ist es nicht allzu schwer, das Ziel zu erraten, wenn man bedenkt, daß der GSD sich zur Zeit fast ausschließlich mit dem Problem Aureola beschäftigt.« * Zwischenspiel Das größte Geheimnis der Rebellen von Aureola war die »Operation Panflöte«. Nicht einmal die aureolanische Bevölkerung wußte etwas über das Projekt, denn man konnte sich leicht ausrechnen, daß die Erde fähige Agenten auf die Kolonialwelt angesetzt hatte. Seit der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Auftauchen des »Killersatelliten« war der Bruch endgültig. Unablässig starteten aureolanische Schiffe in den Welt-
raum. Irgendwo zwischen den Sternen hatten Forschungsschiffe etwas gefunden, wollten die Gerüchte wissen, das einmal als furchtbare Waffe im unvermeidbar scheinenden Krieg gegen die Erde eingesetzt werden sollte. Worum es sich handelte, wußten nur einige hundert Eingeweihte und die Besatzungen der Schiffe, die Aureola verlassen hatten, um die Vorbereitungen für die »Operation Panflöte« zu treffen. Es mußte sich um etwas Ungeheuerliches handeln – etwas, dem die Erde trotz ihrer hohen militärischen Überlegenheit nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte. Die aureolanische Raumflotte entwickelte immer hektischere Aktivität, und die Nachrichten, die von den eingeschleusten GSD-Assistenten zur Erde gelangten, waren mehr als vage ... * »Die ORION-Crew meldet sich zum Dienst zurück, Admiralin de Ruyter!« Cliff Allistair McLane hatte die Hand zum Gruß erhoben und versuchte zu salutieren. Leandra de Ruyter unterdrückte ein Schmunzeln und erwiderte den Gruß. »Zur Kenntnis genommen, Oberst McLane! Rühren!« Cliff stieß grinsend die Luft aus und nickte anerkennend. »Sie haben diese alten Filme also auch gesehen, Chefin, Kompliment.« Die Admiralin und Chefin der Terrestrischen Raum-Aufklärungs-Verbände kurz T.R.A.V. genannt, lächelte und forderte die Crew auf, sich zu setzen.
»Ich sehe Ihren Kybernetiker nicht, Cliff.« »Das ist verständlich. Sie können ihn nicht sehen, weil er ...«, Cliff suchte nach dem geeigneten Wort, »... weil er heute morgen etwas unpäßlich ist.« »Unpäßlich, ich verstehe, Sie wollen sagen, er hat gestern abend wieder einmal voll zugelangt.« »So kann man es ausdrücken«, meldete sich Hasso Sigbjörnson. »Mario hat gewisse Probleme.« »Ich nehme an«, sagte Cliff McLane lauernd, »unsere hochverehrte Chefin hat uns nicht kommen lassen, um Marios Seelenverfassung zu diskutieren ...« »Ihre Auffassungsgabe verblüfft mich immer wieder, Cliff. Aber natürlich haben Sie recht. In wenigen Minuten werden Han Tsu-Gol und Tunaka Katsuro eintreffen. Bis dahin wollte ich mit ihnen über das reden, was Sie auf Gaithor erlebt haben. Wir sind brennend an der Herkunft dieser schwarzen Spiegel interessiert.« »Katsuro kommt«, flüsterte Atan seinem Commander zu. »Die Russell hatte also keine Witze gemacht.« McLane winkte ab. »Ich glaubte, alles drehte sich in diesen Tagen um Aureola und die bevorstehenden Wahlen ...« »Eben nicht alles, Cliff. Wir bekommen hier im Flottenhauptquartier nicht allzuviel von dem Rummel mit.« »Mir behagt der Wunsch der Bevölkerung nach einer Technokratie nicht besonders, Admiralin.« Leandra de Ruyter zuckte mit den Schultern. »Die Bevölkerung wünscht es. Sie hat die Nachwirkungen des Fluidum Pax überstanden und will selbst ihre Regierung wählen.«
»Ein verständliches Begehren«, gab Cliff zu. »Aber die Form dieser Regierung macht mir Sorgen.« »Die Leute wollen eine Personenwahl. Sie glauben, daß das Parteiensystem nicht so leistungsfähig sein kann wie eine humane Technokratie. Ich halte die Forderung, daß sich die Kandidaten selbst bewerben, sich einer Durchleuchtung durch TECOM unterziehen und sich dann der Öffentlichkeit vorstellen sollen, für durchaus akzeptabel. Auf diese Weise können die Bürger sich ein Bild machen und denjenigen wählen, der nicht nur die besten Gedanken zu Politik und Wirtschaft äußert, sondern bewiesen hat, daß er eine umfassende wissenschaftliche Ausbildung besitzt und sich dementsprechend in der Praxis bewährt hat. Was gibt es dagegen einzuwenden, Cliff?« »Der Begriff ›Humane Technokratie‹ ist mir zu verschwommen.« »Eine Regierungsform, bei der die gewaltigen Apparate von Wirtschaft, Raumfahrt und Verteidigung von Fachleuten mit Hilfe von TECOM verwaltet werden und bei der es keine Eingriffe in die Intimsphäre gibt, sondern eine freie Entfaltung der Individuen. Regierungsmitglieder, die sich nicht bewähren, können unverzüglich abgelöst werden, so daß eine laufende Regeneration stattfindet. Ich halte das für besser als eine Regierung, die von einer Partei gestellt wird, die in erster Linie das Ziel ihrer Wiederwahl verfolgt.« »Zugegeben, Chefin, das hört sich alles sehr schön an.« »Warten Sie's ab, Cliff. Die Bevölkerung will es, von ihr geht die Forderung aus. Ist das nicht Beweis für ein wiedererwachtes politisches Bewußtsein, das
zeigt, daß die Menschen nicht mehr ohne weiteres bereit sind, falschen Propheten zu folgen, wie es früher oft genug der Fall war? Die Leute sind mündig geworden.« »Sie redet schon wie eine Politikerin«, scherzte Hasso. »Vielleicht hat sie sich entschlossen, sich zur Wahl zu stellen.« »Reden Sie keinen Unsinn, Hasso, das hielten meine Nerven nicht aus.« Cliff und Arlene grinsten sich an. »Das haben wir vor kurzem schon einmal gehört«, sagte Arlene auf eine entsprechende Frage. »Also erzählen Sie von den schwarzen Spiegeln, Cliff.« McLane seufzte und berichtete über ihr letztes Abenteuer. Er führte aus, wie die plötzlich aufgetauchten schwarzen Spiegel, die die Besatzung eines privaten Forschungsschiffs auf dem Planeten Gaithor den Helo-Uminds, einer intelligenten Eingeborenenrasse, entwendet und nach der Kolonialwelt Makoma gebracht hatten, Makoma in ein Chaos gestürzt hatten. Erst nach großen Schwierigkeiten war es gelungen, mit Hilfe der Helo-Uminds die Gefahr zu bannen. »Ich habe lange mit dem Gedanken gespielt, Sie mit der ORION IX nach Gaithor zu schicken, um weitere Nachforschungen nach der Herkunft der Spiegel anzustellen.« »Die elegante Art und Weise, jemanden auf Eis zu legen«, kommentierte McLane die Eröffnung der Admiralin. »Daß dieses Kreuz an Ihnen vorübergeht, verdanken Sie Tunaka Katsuro. Er hat einen anderen Auftrag für Sie.«
»Welchen Auftrag?« »Fragen Sie ihn selbst«, empfahl Leandra de Ruyter und deutete zur Tür. * Zehn Minuten später wußten die Raumfahrer, daß die ORION IX, frisch aus der Werft zurück, startbereit in der Basis 104 stand und auf sie wartete. Ihr Auftrag lautete schlicht und einfach, gemeinsam mit einem starken Verband der TerrestrischenRaum-Aufklärungs-Verbände in den von Aureola beherrschten Raumsektor zu fliegen und sich dort auf die Lauer zu legen. Die terrestrischen Schiffe sollten die Flottenbewegungen der Aureolaner beobachten und vor allem versuchen, etwas über die geheimnisvolle »Operation Panflöte« in Erfahrung zu bringen, über die die auf Aureola verstreuten GSD-Assistenten bisher nur vage Vermutungen äußern konnten, die allesamt von TECOM verworfen wurden. Aureola plante einen Schlag gegen die Erde – zu dieser Überzeugung waren Katsuro und Han Tsu-Gol übereinstimmend gekommen. Admiralin Leandra de Ruyter hatte ihre volle Unterstützung zugesagt. »Der langweiligste Auftrag unserer Laufbahn«, brummte Atan Shubashi verärgert. »Ein Auftrag, bei dem Sie einmal keinen Unfug anstellen können«, korrigierte Han Tsu-Gol lächelnd.
2. Aureola war der siebte Planet der Sonne Alderamin. Die Entfernung zur Erde betrug etwa fünfzig Lichtjahre. Aureola hatte anderthalbfache Erdgröße, eine Schwerkraft von 1,36 g und eine Atmosphäre mit dem doppelten Luftdruck wie die der Erde. Auch das Klima stellte harte Anforderungen an die Kolonisten und hatte im Lauf der Jahrhunderte die Menschen auf Aureola geprägt. Im ständigen Kampf gegen die Umwelt hatten sie gelernt, nicht nur durch Härte und Willenskraft den Planeten unter ihre Gewalt zu bringen – sie hatten auch gelernt, hart gegen sich selbst zu sein und diese Härte von anderen zu verlangen. Die Aureolaner hatten sich zu einer kämpferischen, stolzen Rasse entwickelt, die sich dazu berufen fühlte, alle Menschen unter ihrer Führung in einem straff organisierten Imperium zu vereinen. Es kam immer öfter zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit anderen, benachbarten Kolonialwelten, und es konnte nicht ausbleiben, daß man auf Terra auf die Entwicklung aufmerksam wurde, die sich im Raumsektor Aureolas zusammenbraute. Das Auftauchen des »Killersatelliten« über Laguna führte zur offenen Konfrontation zwischen Terra und Aureola, als die Aureolaner versuchten, durch Intrigenspinnerei die Kolonialwelten gegen die Erde aufzubringen. Und nun, so schien es, holten die Rebellen zum großen Schlag aus. *
Die ORION IX stand etwa ein Lichtjahr von Alderamin entfernt im interstellaren Raum auf Lauschposition. Sie war nur eines von über hundert terrestrischen Schiffen, die rings um das System herum postiert waren. Auch sie hatte alle Systeme – außer dem Lebenserhaltungssystem und der passiven Ortung – ausgeschaltet, um eine Ortung durch die Aureolaner zu vermeiden. »Langweiliger war selbst unsere Strafversetzung zum Patrouillendienst nicht«, brummte Atan Shubashi vor sich hin. Er saß zurückgelehnt in seinem Sessel und hatte die Füße auf das Astrogatorenpult gelegt. Seit zwei Tagen befand sich das Raumschiff auf der ihm zugewiesenen Position im Überwachungsgürtel. Zwei Tage, ohne daß die Passiv-Ortung auch nur das geringste aufgefangen hatte. Cliff McLane gähnte ungeniert und sah sich nach ihrem Gast um. »Wenn ich mich recht erinnere, meldeten Ihre Kollegen vom GSD hektische Aktivitäten der aureolanischen Flotte in diesem ganzen Sektor. Bisher haben wir davon nicht viel merken können.« »Vielleicht nützen Sie die Zeit zur Meditation – wie Ihr Kybernetiker ...« Aus Marios Ecke kam ein unverständliches Gemurmel. »Nehmen Sie ihm das nicht übel, Norma«, bat Helga Legrelle. »Es ist seine ganz spezielle Art, jemandem seine Zuneigung zu beweisen.« »Ich frage mich immer noch, was Katsuro dazu bewogen hat, Sie an Bord der ORION zu schicken,
Norma. Einen Aufpasser brauchen wir bei diesem langweiligen Auftrag ja wohl kaum. Also nehme ich an, daß Sie wieder einmal den heißen Draht zum GSD darstellen sollen – in diesem Fall zu den auf Aureola tätigen Agenten.« »Wenn es sein muß ja. Wenn Sie's genau wissen wollen: ich habe Katsuro selbst gebeten, mitfliegen zu dürfen.« Die Crew sah sich überrascht an. »Das verstehe ich nicht, Norma. Jeder Mensch weiß, daß nur ein Verrückter auf die Idee kommen würde, freiwillig an einem Einsatz der bösen Buben der Raumflotte teilzunehmen. Wissen Sie nicht, was man sich in der Flottenbasis über uns erzählt?« »Hören Sie auf, Cliff. Sie hatten versprochen, mich mitzunehmen – damals bei der Invasion der Tanks. Und versprochen ist versprochen. Ich nahm mir vor, einen Einsatz auf der ORION IX mitzufliegen, deshalb bin ich jetzt hier. Natürlich hätte Katsuro Ihnen auf jeden Fall einen GSD-Verbindungsmann mitgegeben ...« »Da sind Sie uns schon lieber«, stellte Cliff grinsend fest. »Sehen Sie. Das war der Grund, und gewisse Herren sollten sich bloß nicht einbilden, ich wäre ihretwegen an Bord!« Das saß. Mario kam hinter seinen Instrumenten hervor und machte seiner Entrüstung mit einer Reihe von Flüchen Luft, bevor er im Lift verschwand, um, wie er sagte, Hasso einen Besuch im Maschinenleitstand abzustatten. »Meint er das im Ernst, was er eben gesagt hat?« fragte Norma verwirrt.
Die Zentrale erschallte vom Lachen der Crew. Arlene trat schließlich an Normas Seite und legte ihr einen Arm auf die Schulter. »Es wird noch lange dauern, bis Sie uns verstehen, Norma, aber ärgern Sie sich nicht, Sie machen schon riesige Fortschritte.« »Ruhe!« schrie Atan plötzlich. »Ich habe ein Schiff auf den Schirmen, einen Aureolaner ...« * Aller Spaß war plötzlich vergessen. Mario stand bereits wieder an seinem Platz. Binnen weniger Sekunden war die ORION-Crew wieder zu einer funktionsfähigen Einheit geworden. Da die ORION auf Passiv-Ortung angewiesen war, konnten die Raumfahrer das aureolanische Schiff nicht sehen. Wenn Atan davon sprach, ein Schiff auf den Schirmen zu haben, dann meinte er damit die georteten Triebwerks-Emissionen, die charakteristisch für einen großen aureolanischen Raumer waren. »Es verläßt das System«, rief Cliff. »Wir nehmen die Verfolgung auf!« »Zu spät, Cliff«, meldete Hasso vom Maschinenleitstand. »Sie sind bereits kurz vor dem Eintritt in den Hyperraum. Das schaffen wir nicht mehr. Wir verraten uns höchstens.« »Verdammt, du hast recht, Hasso.« »Wir müssen warten. Beim nächstenmal sind wir vorgewarnt.« Die Crew gab sich wieder diversen Beschäftigungen hin. Cliff und Arlene zogen sich für ein paar Stunden in Cliffs Kabine zurück.
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, sagte der Commander, als sie auf einer breiten Liege lagen und den weichen Klängen eines Simultankonzerts lauschten. »Es wird etwas geschehen – schon bald.« »Du entwickelst dich zum Propheten, Liebling. Auf Ganymed lachte ich noch heimlich über deine Prophezeiungen; hinterher verging es mir, als der Mharut an Bord der TOPSCORE erwachte.« »Irgend etwas vollkommen Fremdartiges kommt auf uns zu, Arlene, ich spüre es, aber frage nicht, wie ich dazu komme ...« »Vielleicht wirfst du einen Blick in deinen Zauberspiegel«, sagte sie scherzhaft. Cliff richtete sich abrupt auf. »Der Spiegel – an ihn habe ich gar nicht mehr gedacht.« Er zerrte eine große Tasche aus einer Wandnische und holte den schwarzen Spiegel hervor, den er von Gaithor mitgenommen hatte. »Sie sind mir immer noch unheimlich«, flüsterte Arlene und rückte ein Stück zur Seite, damit sie nicht in die spiegelnde Fläche zu sehen brauchte. Cliff starrte auf die Spiegelplatte. Zunächst sah er nur sich, wie er sich kannte. Dann plötzlich veränderte sich das Bild. Aus Cliffs Gesicht wurde eine verzerrte Grimasse, bis sich die Züge erneut stabilisiert hatten. Ein Fremder schaute Cliff McLane an. Der Commander spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er legte den Spiegel schnell zur Seite. »Was war los, Liebling? Hast du einen Einfluß gespürt?« »Nicht das, was du vermutest, Arlene. Es war wie-
der eines der fremden Gesichter, aber irgendwie nicht nur fremd, sondern ...« Cliff zuckte die Schultern, als er keine Worte fand. Er steckte den Spiegel in die Tasche zurück. »Eines Tages werden wir auch dieses Geheimnis lüften. Bis dahin sollten wir ...« Der Alarm schnitt ihm das Wort ab. Noch im gleichen Augenblick begann die Schiffszelle kaum merklich zu zittern, als die Maschinen anliefen. »Das kann nur bedeuten, daß sie einen Aureolaner geortet haben und verfolgen. Komm mit, Mädchen, der Tanz geht los!« * »Achtung, Cliff!« rief Atan, als der Commander in Begleitung von Arlene N'Mayogaa die Zentrale betrat. »Wir gehen gleich in den Hyperraum. Diesmal entkommt er uns nicht!« »Alle Achtung«, lobte der Kommandant. »Allerdings werden unsere aureolanischen Freunde jetzt auf uns aufmerksam. Sie werden schlußfolgern, daß weitere terrestrische Schiffe auf Lauschposition liegen.« »Das wußten sie sowieso«, widersprach Helga. »Sie wußten lediglich nicht, wo sich die Spione befinden – und das wissen sie nun ebensowenig.« »Gut gedacht, Helga-Mädchen.« »Der Aureolaner geht in den Hyperraum!« rief Atan. »Achtung!« Im nächsten Augenblick hatte auch die ORION IX das normale Raum-Zeit-Kontinuum verlassen. Sämtliche Systeme arbeiteten nun wieder. Sie brauchten
sich nicht mehr zu verstecken, und eine Entdeckung durch das weit vor ihnen fliegende Schiff war unwahrscheinlich. »Kurs, Atan?« »Einen Augenblick, Cliff, die Rechner arbeiten noch.« Eine Minute später wußten die Raumfahrer, daß das aureolanische Schiff in Richtung von NGC 2158 flog, ein etwa 16 000 Lichtjahre von der Erde entferntes Sternsystem. Die Crew richtete sich auf einen langen Flug ein. Um so überraschter war sie, als der Aureolaner bereits nach »nur« 3412 Lichtjahren in den Normalraum zurückkehrte. Die ORION IX vollzog das Manöver mit und flog in sicher erscheinendem Abstand hinter dem Raumer her. Aber das Schiff hatte plötzlich jede Bedeutung für die ORION verloren. Auf der zentralen Bildplatte zeigte sich ein wahrhaft unglaubliches Bild. »Was ist das?« fragte Arlene leise, fast ehrfürchtig. Sie erhielt keine Antwort. Alle Monitoren in der Zentrale zeigten jetzt das gleiche Motiv. »Ein Planet«, brachte Cliff schließlich hervor. »Ein Planet mitten im interstellaren Raum – und Miniatursonnen, die ihn wie eine Schale umgeben. Entfernung, Atan?« »Nur fünf Lichttage, und da ist noch etwas. Der Planet bewegt sich mit etwa einem Viertel Lichtgeschwindigkeit durch den Weltraum. Moment – jetzt fange ich Echos auf. Bei dem Planeten müssen sich zahlreiche Raumschiffe befinden, ich messe ihre Energie-Emissionen an.«
»Laß mich dreimal raten, wessen Schiffe das sind.« Der Anblick hatte etwas Majestätisches an sich. Ein von Kunstsonnen umgebener Wanderplanet, der mit unvorstellbarer Geschwindigkeit den Weltraum durchstreifte. Arlene stand neben Cliff. Sie sahen sich an, und beide hatten sie den gleichen Gedanken. Was hatte Cliff gesagt, in seiner Kabine? Irgend etwas vollkommen Fremdartiges kommt auf uns zu ... Sie wußten nicht, was da durch den Weltraum trieb, aber eines war von vornherein klar für alle: Der Planet war nicht von allein auf diese Geschwindigkeit beschleunigt worden, und die Miniatursonnen waren nicht von allein entstanden. Die Aureolaner waren nicht in der Lage, eine solche Leistung zu vollbringen. Aber wer hatte dann den Planeten auf die Wanderschaft geschickt? Und noch wichtiger: Was war so besonders an ihm, daß die Aureolaner sich dermaßen intensiv um ihn kümmerten? »Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen«, verkündete Cliff, »daß das, was dort vorne vorgeht, etwas mit der geheimnisvollen ›Operation Panflöte‹ zu tun hat.« »Kaum, Cliff«, meldete sich Hasso vom Maschinenleitstand her. »Ich frage mich nur, welche Teufelei die Burschen damit vorhaben.« »Wenn er den jetzigen Kurs unverändert beibehält, wird der Planet in zirka einem Monat an der roten Riesensonne dort vorne«, Atan zeigte auf die Bildplatte, »vorbeifliegen und in etwa eintausendneunhundert Jahren an die Grenze unserer 900-ParsekRaumkugel gelangt sein.«
»Ich fühle mich unangenehm an den Irrläufer erinnert, den unsere lieben Freunde, die Frogs, vor vielen Jahren ins Sonnensystem lenkten, um die Erde zu vernichten«, erklärte Helga. Cliff nickte. »Diesen Gedanken hatte ich auch, aber das hier ... Ich kann es nicht erklären, aber das dort draußen ist etwas vollkommen anderes ...« »Achtung!« rief Atan. »Starker Energieausbruch bei der roten Riesensonne!« Voller Spannung verfolgten die Raumfahrer die auf Bildplatte und Monitoren eingeblendeten Zahlenwerte. Nach wenigen Minuten war klar, daß der Energieausbruch nicht natürlichen Ursprungs war. »Was soll das nun wieder?« fragte Norma Russell. »Der Wanderplanet dürfte kaum dafür verantwortlich sein, bleiben also die Aureolaner übrig«, vermutete Hasso. »Sie planen eine riesige Teufelei, aber was? Die Erde muß sofort informiert werden, Cliff!« »Immer langsam, Atan. Wir würden uns verraten, und das nützt uns im Augenblick wenig, im Gegenteil. Wenn wir einen Hyperfunkspruch absetzen und eine Flotte von der Erde erscheint, wird es, wie ich die Aureolaner kenne, die größte Raumschlacht geben, die sich Menschen jemals untereinander geliefert haben. So aber können wir beobachten und vielleicht etwas Wichtiges herausfinden.« »Sie kümmern sich rührend um den Wanderer«, überlegte Hasso Sigbjörnson. »Außerdem führen sie Experimente mit dem roten Riesen durch, an dem der Kurs des Planeten vorbeiführen wird.« »Du hast eine Idee, Hasso, 'raus damit!«
»Es ist eine Überlegung, Cliff, nicht mehr. Stellt euch vor, daß genau zu jenem Zeitpunkt, an dem der Planet an der Sonne vorbeifliegt, eine Energieentladung des eben beobachteten Ausmaßes – oder eine noch stärkere – stattfindet. Durch das Einbringen einer genau berechneten Menge Materie in die Sonne könnte man diese Reaktion des Sterns auslösen. Wenn die Aureolaner noch dazu die Möglichkeit hätten, den Energieausbruch in eine Richtung zu steuern ...« »Ich beginne zu verstehen«, sagte Atan. »Der gerade zu diesem Zeitpunkt vorbeiziehende Planet könnte von seinem Kurs abgebracht werden, also seine Flugrichtung ändern, und eventuell sogar beschleunigt werden!« »Genau«, sagte Hasso. »Vielleicht führen die Aureolaner gerade einige Experimente durch, die ihnen Berechnungsunterlagen liefern sollen.« Eine Weile herrschte Schweigen in der Zentrale der ORION IX. Alle Augen waren auf die Übertragungsschirme gerichtet. »Wir sollten vorsichtig mit unseren Spekulationen sein«, meinte Cliff schließlich. »Vielleicht hast du recht, Hasso. Vielleicht verhält sich alles aber auch ganz anders, als wir annehmen.« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Aureola über derartige technische Mittel verfügt«, sagte Helga. Aber die Funkerin täuschte sich.
3. Es waren insgesamt zweihundertdreißig schwere Einheiten der aureolanischen Raumflotte, die bei dem Wanderplaneten und dem roten Riesen stationiert waren. Das Flaggschiff des Verbands war die ZERBERUS unter Admiral Kailoff. In der Kommandozentrale der ZERBERUS liefen alle Fäden zusammen. Dementsprechend hektisch ging es hier zu. Laufend trafen Meldungen der einzelnen Abteilungen ein – Zwischenberichte der Wissenschaftler in den bei der Sonne stationierten Schiffen, die eifrig dabei waren, die Reaktion der Sonne zu analysieren und in Relation zu der Masse zu bringen, die den Energieausbruch verursacht hatte. Außerdem meldeten sich in regelmäßigen Abständen die Schiffe über dem Wanderplaneten. Vier Stunden nach dem Beginn des Energieausbruchs lagen die exakten Ergebnisse vor. Der Leiter der Wissenschaftler, die den Ablauf des Experiments verfolgt und ausgewertet hatten, meldete sich und erschien auf einem Bildschirm vor Admiral Kailoffs Platz. »Berichten Sie, Professor Turkar!« Der Wissenschaftler breitete eine Reihe von Folien vor sich aus und holte tief Luft. »Die Ergebnisse des Tests sind absolut zufriedenstellend, Admiral. Die Stärke der Reaktion in Relation zur in die Sonne gesteuerten Planetoidenmasse entspricht vollkommen unseren im voraus errechneten Werten. Wir können jetzt ohne weiteres die Masse festlegen, die benötigt wird, um den Planeten auf den
gewünschten Kurs und die gewünschte Geschwindigkeit zu bringen. Wenn auch der zweite Teil der Testreihe erfolgreich verläuft und die Energieabgabe in eine bestimmte Richtung gelenkt werden kann, so können wir bereits jetzt davon ausgehen, daß der Wanderplanet nach dem Vorbeiflug Kurs auf das Alderamin-System nehmen und eine Geschwindigkeit von siebzig Prozent Licht haben wird.« »Ausgezeichnet, Professor«, sagte Kailoff. »Dann haben wir genügend Zeit, in aller Ruhe die zweite Phase der ›Operation Panflöte‹ vorzubereiten. Bis der Wanderer die Sonne erreicht hat, durch die wir ihn auf Hyperraumgeschwindigkeit bringen werden, vergeht noch eine Reihe von Jahren. Die Sonne ist immerhin achtzehn Lichtjahre entfernt.« »Eine lange Zeit«, bemerkte der Wissenschaftler. »Wir haben gelernt, auf lange Sicht zu planen. Eine der Stärken unseres Volkes ist die Geduld, Turkar. Auch sie wird dazu beitragen, daß wir eines Tages die Herrschaft der Erde stürzen. Terra rechnet mit einem schnellen Schlag. Unsere Freunde zerbrechen sich ihre dekadenten Köpfe über unsere Operation, von der sie glauben, daß wir bereits morgen mit einer Superwaffe über ihren Welten auftauchen werden. Sie rechnen mit einer kurzfristigen Aktion, Professor, und werden im Lauf der Zeit ihre Vorsicht vergessen.« »Falls sie nicht vorher herausfinden, was sich hinter dem Projekt verbirgt«, gab Turkar zu bedenken. Admiral Kailoff winkte ab. »Es gibt nur wenige Eingeweihte auf Aureola, absolut zuverlässige Männer und Frauen, die man ohne ihr Wissen gründlich durchleuchtete, ehe sie infor-
miert wurden. Und was die Besatzungen der Schiffe in diesem Raumsektor angeht, so brauchen Sie sich auch keine Sorgen zu machen. Die Mannschaften, ja sogar die Kommandanten, erfahren ihr Ziel erst, wenn sie bereits im Hyperraum sind. Nachdem sie ihre Arbeiten hier beendet haben, werden sie einer Gehirnwäsche unterzogen und fliegen ahnungslos nach Aureola zurück.« »Sie haben an alles gedacht, Admiral.« »Wir können uns keine Gefühle leisten, Professor. Unser Überlebenskampf auf Aureola hat uns hart gemacht, und das ist der Grundstein unserer Entwicklung zur Elite der Menschheit.« Turkar nickte heftig. »Noch eine Frage, Admiral. Werde auch ich nach Beendigung der Tests ...?« »Auch Sie, Professor. Auch Ihnen wird die Erinnerung genommen. Es ist das beste für Sie und das beste für Aureola.« Die Zweifel im Gesicht des Wissenschaftlers verschwanden und machten einer festen Entschlossenheit Platz. »Für Aureola und das Imperium!« rief er pathetisch aus und grüßte. Der Admiral erwiderte den Gruß. Kailoff lächelte mit zusammengekniffenen Brauen, als das Bild des Wissenschaftlers vom Monitor verschwand. Auf Turkar war Verlaß, wie auf jeden Aureolaner, der sich für die Flotte qualifiziert hatte. Vielleicht war die »Operation Panflöte« der Grundstein für den künftigen Glanz Aureolas. Mit ihrer Hilfe sollte es endlich gelingen, die Vormachtstellung der Erde zu brechen. Der Wanderplanet würde mit siebzig Prozent Licht-
geschwindigkeit in Richtung Aureola rasen, wenn er die rote Riesensonne passiert hatte. Auf der zweiten Station seiner »Entführung« würde er auf Hyperraumgeschwindigkeit beschleunigt werden, um in der Nähe von Alderamin in den Normalraum zurückzufallen. Natürlich ließe sich das Auftauchen des Wanderers dann nicht mehr länger geheimhalten, aber für die Erde würde es bereits zu spät sein. Admiral Kailoff haßte die Menschen der Ursprungswelt nicht – aber sie standen Aureolas Plänen im Weg. Die Erde selbst zwang die Aureolaner zum Kampf – wenn es sein mußte, zum offenen Kampf. Die Kommandanten einiger neu zum Verband gestoßener Einheiten, gerade von Aureola eingetroffen, meldeten sich und erbaten Befehle und die Einweisung in den Pulk der Schiffe. Der Funkoffizier schaltete die Anrufe auf ein Zeichen Kailoffs hin auf den Monitor vor dem Kommandantensessel. Kailoff teilte den Raumern ihre Positionen zu und unterrichtete sie über Details ihrer Aufgaben. Das letzte aus dem Hyperraum gekommene Schiff war der Schwere Kreuzer JANUS. Der Kommandant wartete nicht ab, bis Kailoff seine Befehle gab, sondern sagte nach der knappen Begrüßung: »Es sieht so aus, als ob uns ein fremdes Raumschiff bis hierher verfolgte, Admiral. Jedenfalls orteten wir minimale Reflexe eines Schiffes – jeweils kurz vor und kurz nach dem Hyperraumflug. Danach verschwanden die Emissionen. Wenn wir tatsächlich verfolgt wurden, dann liegt der Unbekannte jetzt auf Lauschposition irgendwo in unserer Nähe.«
Admiral Kailoff schwieg eine Weile. Dann nickte er grimmig. »Wir erwarteten, daß sie Beobachtungsschiffe in unser System schicken würden. Irgendwann mußte eines von ihnen eines unserer Schiffe orten. Ich erwartete jedoch nicht, daß sie so tollkühn sein würden, uns zu folgen. Allmählich erwachen sie aus ihrem Dämmerschlaf, aber uns soll's nur recht sein. Sie halten sich für sehr klug und überlegen, die Herren von der Erde. Aber wir werden dem Spion einen gebührenden Empfang bereiten. Wer so neugierig ist, daß er einem Schiff in den Hyperraum folgt, wird auch genauer wissen wollen, was es mit dem Wanderplaneten auf sich hat. Es ist gut, Kommandant, ich werde mich an Sie erinnern, wenn Sie recht hatten.« Das Gesicht des Aureolaners verschwand vom Bildschirm. Admiral Kailoff trommelte einen Rhythmus auf die Lehne seines Kommandosessels und dachte nach. Dann drehte er sich um und rief drei der in der riesigen Kommandozentrale versammelten Offiziere zu sich. Er erklärte ihnen kurz den Sachverhalt. »Wir werden den Schnüfflern zeigen, was Aureola vermag. Wir bauen eine Falle auf, hören Sie gut zu ...« * »Der Computer hat eine hohe Wahrscheinlichkeit für Hassos Spekulation errechnet«, meldete sich Mario de Monti zum erstenmal nach vielen Stunden des beleidigten Schweigens, »68,51 Prozent!« »Wenn wir diese – vermutete – Operation einmal isoliert betrachten«, meinte Cliff, »so dürften die Au-
reolaner durchaus in der Lage sein, eine große Masse, etwa einen Planetoiden, vielleicht sogar einen ganzen Planeten, in die Sonne zu steuern. Dieser Raumsektor liegt weitab von Alderamin, und sie brauchen keine Rücksicht auf regionale Katastrophen zu nehmen, die die Folge ihres Gewaltakts sein könnten. Wir wissen wenig über die technischen Entwicklungen, die in den letzten Jahrzehnten auf Aureola stattgefunden haben, sollten aber zumindest davon ausgehen, daß sie über annähernd die gleichen Möglichkeiten verfügen wie die Erde.« »Einverstanden, Cliff, aber was kommt dann? Eine Beschleunigung allein ergibt keinen Sinn.« »Vielleicht doch, wenn der Planet auf einen ganz bestimmten Kurs gebracht wird ...« »Was willst du andeuten?« fragte Atan. »Ich habe keine Ahnung, wie weit ein gezielter Energieausbruch der Sonne den Wanderer beschleunigen kann. Wenn wir vom Schlimmsten ausgehen, bis zur für einen Hyperraumeintritt nötigen Geschwindigkeit. Irgendwo wird der Planet wieder in den Normalraum zurückfallen. Und wenn wir weiterhin annehmen, daß der neue Kurs genau auf das Zentrum unserer Raumkugel zielt ...« »Mein Gott«, stöhnte Norma Russell. »Solange wir nichts Genaues wissen, können wir nur Spekulationen anstellen.« »Und was verstehst du unter etwas Genauem?« wollte Helga Legrelle wissen. Arlene, die sich bisher über die Bildplatte gebeugt und den Blick nicht von dem Wanderplaneten genommen hatte, richtete sich auf und antwortete an McLanes Stelle.
»Cliff will damit sagen, daß er des Wartens überdrüssig ist und dieser Neun-Sonnen-Welt einen kleinen Besuch abstatten möchte. Er wird keine Ruhe finden, solange er nicht weiß, was die Aureolaner da unter ihre Fittiche genommen haben. Stimmt's, großer Kommandant?« »Könnte ich dir jemals widersprechen, liebste Arlene?« Norma Russell meldete sich zu Wort. Sie bewegte sich mit solch einer Selbstverständlichkeit unter den Raumfahrern, als gehörte sie seit Jahren zur Crew. Nur Marios Ecke bei den Rechnern mied sie. »Ich möchte mich nicht einmischen, Leute, aber ich habe das Gefühl, daß ein gewisser hoher Politiker der Erde, der sich im Augenblick noch der Illusion hingibt, die ORION IX endlich einmal an einem ruhigen Örtchen zu wissen, wo sie kein Unheil anrichten kann, sehr bald ein bitteres Erwachen erleben wird ...« »Na und?« fragte Mario mürrisch. »Politiker sollten nicht immer schlafen.« Atan stöhnte laut. »Wenn wir das hier hinter uns haben, sollten wir tatsächlich mit ihm zu einem guten Psychoanalytiker gehen.« »Seltsam«, meinte Norma, »auf Bimini machte er noch einen ganz normalen Eindruck ...« »Es ist Ihre Gegenwart, Norma, glauben Sie mir«, erklärte Cliff augenzwinkernd. Zu Mario gewandt, fügte er hinzu: »Es gibt Männer, die eben nicht wissen, wie man sich einer Dame gegenüber zu verhalten hat.« »Rutscht mir den Buckel 'runter«, brummte der
Kybernetiker und widmete sich ganz den Rechnern. »Im Ernst«, sagte Cliff, »die Aureolaner hätten nichts davon, sich soviel Mühe mit einem unbedeutenden Wanderplaneten zu machen. Trotz ihrer Kriegslust halte ich sie nicht für fähig, Milliarden Menschenleben zu vernichten, indem sie einen Planeten in die Raumkugel steuern, der die Erde zerschmettern soll, wie es weiland die Frogs versuchten. Es muß etwas anderes dahinterstecken. Der Planet muß ungeheuer wertvoll für sie sein, aber warum? Außerdem bringt niemand Kunstsonnen über einem toten Himmelskörper an.« »Du glaubst, daß dort etwas lebt – auf einer Wanderung durch den Raum zwischen den Sternen?« »Ich habe keine Ahnung, Helga. Um das herauszufinden, müssen wir näher heran, so dicht wie möglich.« »Sollten wir nicht lieber vorher die Chefin von unserer Absicht unterrichten?« fragte Helga. »Sie würde uns unverzüglich zurückbeordern! Hat jemand in diesem Raum Interesse an einer neuen Warteposition im Raumsektor Alderamin?« Cliff sah sich in der Zentrale um. Mario stand schräg hinter einer Konsole und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Die anderen starrten McLane an, als erwarteten sie von ihm eine Entscheidung. Da wurde es der GSD-Assistentin zu bunt. »Sie hatten recht, als Sie vorhin sagten, ich würde Sie noch lange nicht genug kennen. Bisher war ich der Ansicht, es bei der ORION-Crew mit ein paar tolldreisten Draufgängern zu tun zu haben. Ich habe mich getäuscht. Man braucht nur jeden einzelnen von
ihnen anzusehen, um zu wissen, daß Sie alle am liebsten schon jetzt dort unten – auf dem Wanderplaneten wären. Was ist also? Fliegen wir hin oder nicht?« Hasso stieß laut die Luft aus, was selbst über die Bordlautsprecher deutlich zu hören war. »Hol's der Teufel, Cliff«, brachte Atan schließlich hervor. »Die Frau paßt zu uns! Wir sollten die Chefin fragen, ob wir sie nicht dem GSD abwerben können!« »Da mußt du wohl eher unseren Kybernetiker fragen«, lächelte der Commander. »Meine Hochachtung vor Ihnen steigert sich ins Unermeßliche, Norma. Natürlich haben Sie recht in dem, was Sie sagen. Aber eigentlich hatten wir uns tatsächlich vorgenommen, wenigstens einmal unseren Vorgesetzten eine Freude zu machen und brav zu sein.« »Wenn Sie jetzt einen Hyperfunkspruch absetzen, haben wir in wenigen Minuten die Aureolaner auf dem Hals. Außerdem ist es fraglich, ob sich gerade eines unserer Schiffe in der Reichweite des Senders befindet, das den Spruch weiterleiten könnte. Also – immer noch Skrupel?« Cliff grinste und drehte sich nach den anderen um. »Atan? Hasso? Alles bereit?« »Es kann losgehen!« riefen beide wie im Chor. * Die ORION IX beschleunigte mit Maximalwerten. Nach kurzem Hyperraumflug würde der Schnelle Kreuzer dicht über dem Wanderplaneten herauskommen – unter dem Sperrgürtel der Aureolaner. Jedenfalls dachte die Crew das. Arlene und Cliff standen allein am Getränkespen-
der, während das Schiff sich der Eintauchgeschwindigkeit näherte. »Was erwartest du, Cliff?« Der Commander nippte an seinem Becher und zuckte dann die Schultern. »Ich weiß es nicht, Mädchen.« »Wer immer die Kunstsonnen einmal installiert haben mag – er tat es, um Leben auf dem Planeten zu ermöglichen. Was machen deine Ahnungen?« »Als ich das Bild des Wanderplaneten auf der Bildplatte auftauchen sah, lief es mir kalt den Rücken hinunter, Arlene«, antwortete Cliff ausweichend. »Die Aureolaner werden uns bereits jetzt auf den Ortungsschirmen haben«, murmelte sie. Cliff winkte ab. »Mit denen nehmen wir's auf. Bevor sie ihre Schiffe in Bewegung gesetzt haben, sind wir längst wieder verschwunden. Wir haben den Überraschungseffekt auf unserer Seite.« Selbst, wenn Cliff seinen Irrtum noch rechtzeitig erkannt hätte, wäre es zu spät zur Umkehr gewesen, denn in diesem Augenblick tauchte die ORION IX in den Hyperraum ein. *
MAHAB Im Lauf seiner Wanderung hatte das Superplasma viele tausend Lichtjahre zurückgelegt, ohne daß es zu einem Kontakt mit anderem kosmischen Leben kam. Ungezählte Mutationssprünge hatten Mahab verändert, und die Entwicklung war noch lange nicht zu Ende. Vielleicht würde das Plasma niemals zur Ruhe kommen. Mahab hatte neue Fähigkeiten entwickelt. Die Jahrtausende hatten sein Bewußtsein geformt, aber Mahab spürte, daß er nicht vollkommen war. Er konnte es nicht sein, solange er einsam durch den Weltraum zog. Im Lauf der Zeit war eines in den Mittelpunkt von Mahabs Denken und Fühlen getreten: Der Hunger nach anderem Leben. Und dann kam der Zeitpunkt, an dem Mahab die Fremden spürte. Das Superplasma wartete und streckte seine Fühler aus ... * Die ORION IX landete mitten in der Falle der Aureolaner. Im gleichen Augenblick, als die Außenschirme wieder das Bild des normalen Weltraums zeigten, fuhren die ersten Strahlbahnen aus den aureolanischen Schiffsgeschützen heran. Bevor jemand die Schutzschirme aktivieren konnte, wurde das Schiff von schweren Treffern erschüttert und geriet heftig ins Schlingern. Die Schiffszelle bebte, und für Sekunden fiel das Licht aus. Als die Notstromaggregate zu arbeiten begannen, standen die Schirme und fingen zwei weitere Strahlschüsse auf.
»Verdammt!« schrie Cliff. »Sie haben gewußt, daß wir kommen würden, sie waren vorbereitet. Wir sind Idioten gewesen – Hasso, weg hier mit Volldampf!« »Es geht nicht, Cliff! Der Antrieb ist im Eimer! Wir bringen höchstens noch eine Notlandung zustande!« Wieder flackerte das Licht, dann arbeiteten die Normalstromaggregate wieder. »Feuere aus allen Geschützen, Hasso, ich versuche, die ORION in Sicherheit zu bringen.« »Das ist Wahnsinn, Cliff! Der Antrieb gibt nichts mehr her. Wir werden höchstens ...« Seine weiteren Worte gingen in dem Chaos unter, das mit dem nächsten Feuerschlag der Aureolaner über die ORION hereinbrach. Der Schutzschirm war überlastet, als immer mehr gegnerische Schiffe schossen. »Der ganze Verband zieht sich um uns herum zusammen«, rief Atan beschwörend. »Wir müssen versuchen, auf dem Planeten zu landen und uns in Sicherheit zu bringen, bevor uns die ORION um die Ohren fliegt, Cliff! Diesmal hat es uns wirklich erwischt!« McLane stand unschlüssig vor dem Kommandopult, während die Schutzschirme jeden Augenblick zusammenzubrechen drohten. Seine Hand bewegte sich langsam auf den Fahrthebel zu. Die ORION IX erhielt einen weiteren Treffer und wurde um die eigene Achse geschleudert. Als sie sich wieder stabilisiert hatte, stand anstelle des Weltraums die Oberfläche des Wanderplaneten plastisch auf der Bildplatte. »Nein!« stöhnte Cliff und riß die Hand zurück. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Arlene sprang schnell hinzu und stützte ihn.
»Cliff!« schrie Hasso außer sich. »Mein Gott, tut doch etwas, oder sie schießen uns ab!« Plötzlich kam Mario de Monti hinter seinen Rechnern hervor und drängte sich ans Kommandopult. Er stieß Cliff zur Seite und übernahm die Steuerung. Die ORION IX fiel wie ein Stein auf die Oberfläche des Planeten hinab. Fast im gleichen Augenblick stellten die Aureolaner den Beschuß ein. »Weg hier, Mario«, stöhnte Cliff und versuchte, den Kybernetiker von den Kontrollen fortzudrängen. »Wir dürfen nicht landen!« Aber Mario stieß ihn zurück. »Das ... das ist Meuterei«, brachte McLane atemlos hervor. »Und wenn schon. Irgendwo wird's bestimmt einen Paragraphen geben, der das Eingreifen der Mannschaft bei geistiger Umnachtung des Kommandanten rechtfertigt.« Cliff ließ sich kraftlos in den erstbesten Sessel fallen und beobachtete, wie der Kybernetiker das Schiff auf die Oberfläche des Planeten hinabsteuerte. Die Aureolaner hatten noch keinen einzigen Schuß abgegeben, seitdem die ORION IX ihre Position verlassen hatte. Warum? »Was ist das?« rief Arlene erschreckt aus, als sie einen Blick auf die Bildplatte warf. »Der Planet ... er lebt, Mario! Eine einzige schwarze Masse!« »Als ob ich das nicht selbst sähe«, fluchte der Kybernetiker. »Aber es gibt Inseln – ich steuere das Schiff dorthin, auf das kleine Massiv.« Mario zeigte auf eine aus drei Teilen bestehende Inselgruppe schräg unter ihnen.
»Was steckt noch in den Maschinen, Hasso?« »Du mußt die ORION abfangen, bevor die Fallgeschwindigkeit zu groß wird. Wir können von Glück reden, wenn dir eine halbwegs passable Notlandung glückt.« »Auf das Schiff brauchen wir keine Rücksicht mehr zu nehmen, die ORION IX dürfte hiermit zu den Akten gelegt werden.« »Wir nehmen die LANCETs!« rief Atan. »Zu spät. Haltet euch fest, es geht los!« Die Planetenoberfläche kam rasend schnell näher. Mario und Hasso arbeiteten wie besessen, um den Fall des Schiffes abzufangen und noch die Inselgruppe zu erreichen. Es sah aus, als ob die schwarze Masse, die diese Welt von einem Horizont zum anderen überzog, Tentakel ausbildete und der ORION entgegenschickte. Die Insel tauchte auf. Das Schiff raste viel zu schnell darauf zu! Noch wenige hundert Meter. Doch bevor der Aufprall erfolgte, griff etwas nach den Gehirnen der Menschen und drang in ihr Bewußtsein. Die Raumfahrer rannten schreiend durch die Zentrale und fielen wie leblos zu Boden. Mit einer Ausnahme.
4. Admiral Kailoffs Blick verriet Befriedigung, aber auch Bedauern. »Das wird ihnen eine Lehre sein«, sagte er laut. In Gedanken fügte er hinzu: Eine bittere Lehre, für Terra und für uns. Die Evolution der Menschheit im Sinn Aureolas forderte ihre Opfer – auf beiden Seiten. Aureola hatte einen harten Menschentypus geprägt, aber die Aureolaner waren keine mordlüsternen Bestien. Der Kampf ums Überleben hatte eine Philosophie der Härte entstehen lassen, aber aus diesem Geist hatte sich ein gefährlicher Übermut entwickelt. Die Aureolaner standen zwar mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit, doch in gewisser Hinsicht hatten sie das Gefühl für die Gefahr verloren. Nur so war ihr Vorhaben zu erklären, den Wanderplaneten in eine Umlaufbahn um Alderamin zu versetzen, um ihn später gegen Terra einzusetzen. Die ersten Forschungen hatten ergeben, daß der Planet lebte. Und diese ersten Resultate waren der Anlaß zur »Operation Panflöte« gewesen. Ein Leben von vollkommener Fremdartigkeit, das über bisher noch unbekannte Fähigkeiten verfügte. Ohne Zweifel war es monströs und gefährlich. Wie gefährlich es war und wie es am besten gegen die Erde einzusetzen war, das sollten weitere Untersuchungen ergeben. Auf die Idee, daß es dann bereits zu spät sein konnte, kamen die Aureolaner nicht, und es war nicht einmal ihre Schuld, denn das, was sich über der Oberfläche des Wanderers ausgebreitet hatte, war so fremdartig,
daß kein menschliches Gehirn es jemals würde begreifen können. Admiral Kailoff wußte nur soviel, daß das terrestrische Schiff keine Chance hatte, selbst wenn ihm eine Notlandung gelang. Der Flottenverband ordnete sich wieder. Vorläufig nahm alles wieder seinen gewohnten Gang, und weder Admiral Kailoff noch sonstwer an Bord der Aureola-Schiffe ahnte, welche Folgen der Abschuß haben würde – für sie alle. * Han Tsu-Gol sagte kein Wort, als Tunaka Katsuro ihm berichtete, daß eines der im Raumsektor Alderamin stationierten Schiffe zurückgekehrt war. Er unterbrach den GSD-Direktor erst, als die Sprache auf das Verschwinden eines der auf Lauschposition liegenden Kreuzer kam. »Einen Augenblick, Katsuro-san. Der Kommandant der SPHINX berichtete also, daß er die Emissionen eines aureolanischen und wenig später eines verfolgenden terrestrischen Schiffes ortete?« »So ist es, und zwar ...« »Lassen Sie mich raten«, bat der Asiate. »Es sind sechs Raumfahrer, dazu kommt eine GSDAssistentin. Das Schiff ist uns allen bestens bekannt und trägt den stolzen Namen ORION IX.« Katsuro nickte nur. »Ich hätte es wissen müssen«, murmelte der Ministerpräsident. »Ein Tiger läßt sich nicht einsperren – im Gegenteil, er wird um so hungriger, je länger man ihm die Jagd verwehrt.«
»Vor allem, wenn der Tiger Cliff Allistair McLane heißt«, stimmte Katsuro zu. »Vielleicht ist das wieder einmal der Hunger des Tigers nach Abenteuern, vielleicht der Trotz, sich nicht einfangen zu lassen, aber wir sollten sicher gehen.« »Ich glaube nicht, daß McLane ohne Grund seine Position verließ«, versuchte Katsuro die ORIONCrew zu verteidigen. »Bemühen Sie sich nicht, Katsuro-san«, sagte Han Tsu-Gol mit wissendem Lächeln. »Niemand weiß so gut wie ich, was wir an der ORION haben, aber sagen Sie das den Burschen um Himmels willen nicht weiter. Wenn McLane auf eigene Faust handelt, brennt es irgendwo im Weltraum lichterloh. Ich werde die gesamte Flotte in Alarmbereitschaft versetzen lassen.« * Mario de Monti spürte als erstes die Schmerzen im Kopf. Es war, als ob tausend feine Nadeln von außen in das Gehirn gestoßen wurden. Marios Hände tasteten nach den Lehnen des Sessels, aber sie fanden nur harten, kalten Stein. Irgend etwas kam rasend schnell auf ihn zu, etwas Dunkles und Erschreckendes, dann bizarre Felsen ... Marios Bewußtsein kehrte zurück. Etwas Kaltes kroch über seine Stirn, rann die Wangen herunter ... Der Raumfahrer stieß einen Schrei aus und fuhr in die Höhe. Zwei Hände legten sich auf seine Schultern und drängten ihn zurück. Es dauerte eine Weile, bis Mario die Augen aufschlug. Er blickte in ein bekanntes Gesicht, aber es dauerte
wiederum eine Zeitlang, bis er erkannte, wen er vor sich hatte. »Norma«, flüsterte er. »Wie kommen Sie ... wo sind wir? Ich ...« Plötzlich setzte die Erinnerung wieder voll ein – schlagartig und schmerzhaft. »Die anderen – wo sind sie, Norma? Leben sie? Wir stürzten ab, ich konnte die ORION nicht mehr abfangen.« »Es geht ihnen gut, Mario, machen Sie sich keine Sorgen. Ohne Sie wären wir mit Sicherheit jetzt alle tot. Sie haben uns gerettet, obwohl Sie wahrscheinlich nicht viel dafür konnten.« Mario war viel zu verwirrt, um den Spott aus Normas Worten herauszuhören. Er richtete sich wieder auf und sah sich um. »Prost Mahlzeit!« stieß er aus, als er das Wrack der ORION IX sah. »Das hätten wir wieder einmal fein hingekriegt.« »Immerhin leben wir«, stellte die GSD-Assistentin mit einem Lächeln fest. »Ja, wir leben. Aber wir sitzen auf einer Felseninsel inmitten eines schwarzen Ozeans. Weiß der Teufel, was für ein Brei das ist. Er ist unheimlich, Norma, spüren Sie nichts?« Die Frau schüttelte den Kopf. »Wir beide allein auf einer einsamen Insel«, überlegte Mario laut. »Eigentlich ein ganz akzeptables Schicksal, wenn da nicht noch ...« »Wenn was nicht wäre?« Der Kybernetiker winkte ab. »Vergessen Sie's. Wo sind die anderen?« Norma Russell half Mario, aufzustehen und führte
ihn hinter eine scharfkantige Felserhebung, wo der Rest der Crew in einer Art Mulde lag. Atan brachte ein Grinsen zustande und winkte. Mario fühlte sich wieder stark genug auf den Beinen, um auf einen der Felsen zu steigen, von wo aus er einen großen Teil der »Insel« übersehen konnte. Das Klettern machte Mühe, denn die Schwerkraft auf dem Wanderplaneten war bedeutend größer als auf der Erde. »Wie ist die Luft da oben?« fragte Atan. Mario sah sich um. »Fels – nichts als Fels. Die Insel dürfte kaum größer sein als fünfhundert Meter im Durchmesser, grob geschätzt. Einen guten Teil davon bedeckt die ORION IX, und überall um uns herum ist dieser schwarze Brei.« Cliff kam auf die Beine und gesellte sich zu Mario. »Das gibt es nicht«, murmelte er nach einer Weile. »Das ist absolut unmöglich.« »Was ist unmöglich?« »Daß wir atmen! Der Planet besitzt eine Sauerstoffatmosphäre! Nach den Bildern zu urteilen, die wir aus dem Weltraum sahen, sieht es aber überall so aus wie hier. Keine Pflanzen, die den Sauerstoff produzieren – keine Photosynthese, es kann gar keine Atmosphäre geben!« »Es gibt sie, Cliff, vielleicht wird sie von dem Plasma produziert ...« McLane fuhr herum und starrte den Kybernetiker entgeistert an. »Plasma! Wie kommst du auf den Gedanken, daß wir es mit einem Plasma zu tun haben?« »Keine Ahnung, Cliff. Es ist mir so herausge-
rutscht, du mußt nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaage legen.« Die beiden Raumfahrer versuchten, etwas in der wogenden dunklen Masse zu erkennen, die nur etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt die Felsen heraufzuklettern versuchte, aber immer wieder in den Ozean zurücksank. Erst jetzt, nachdem der Schock sich gelegt hatte, wurde ihnen vollkommen bewußt, wie exotisch ihre Umgebung war. Es war nicht nur der zähflüssige, schwarze Ozean, der sie von einem Horizont bis zum anderen umgab. Am Himmel standen die Kunstsonnen und tauchten die »Landschaft« zeitweise in alle Farben des Spektrums. Von Raumschiffen war nichts zu sehen. Das Felsriff ragte etwa einhundert Meter hoch aus dem, was Mario intuitiv als Plasma bezeichnet hatte. Die Ufer waren steil. An den meisten Stellen ragte das Felsmassiv fast senkrecht in die Höhe. »Ich komme mir vor wie in einem psychedelischen Traum«, gestand Cliff. »Das Licht ist anders als alles, was wir bisher kennengelernt haben. Ich muß an diese neuen Casinos denken, wo man von allen Seiten her angestrahlt wird und nach zwei Stunden benommen aus dem Raum kommt. Wir sitzen hier fest, Mario.« Der Kybernetiker sah wieder hinüber zum Wrack ihres Raumschiffs. »Unsere schöne ORION IX ...« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Cliff – das mit der Meuterei war doch nicht ernst gemeint, oder? Du hättest dich sehen müssen, du warst vollkommen weggetreten – geistig, meine ich ...«
»Du hast das einzig Richtige getan, Mario. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Alles in mir sträubte sich dagegen, die ORION auf den Planeten hinabzusteuern, als ob mich etwas warnen wollte. Als ich dann die Oberfläche aus der Nähe sah, war es ganz aus.« »Es ging uns wohl allen so«, meinte Mario. »Ich habe es auch gespürt, nur war ich nicht der Kommandant, auf dessen Schultern die ganze Verantwortung ruhte. Erst als ich am Kommandopult stand, spürte ich diese Welle von Impulsen. Ich sprach nicht darüber, um euch nicht noch mehr zu beunruhigen ...« »Du hast überhaupt reichlich wenig gesprochen Mario.« Cliff nahm den Arm des Kybernetikers und drehte ihn so, daß er sehen konnte, wie Norma sich mit bewundernswerter Fürsorge um die noch angeschlagene Crew kümmerte. Arlene war mittlerweile auch auf den Beinen und half ihr, so gut es ging. »Das ist wohl eine der großartigsten Frauen, die ich in meiner Laufbahn kennengelernt habe«, sagte Cliff leise. »Hast du dich überhaupt schon einmal gefragt, wie wir aus dem Schiff gekommen sind, Mario?« »Du meinst – sie hat uns ...?« Cliff nickte. »Während wir alle ohne Bewußtsein waren, trug sie uns einzeln aus dem Wrack. Sieh dir die ORION IX an, dann weißt du, weshalb!« Mario folgte Cliffs ausgestreckter Hand. »Lieber Himmel! Sie kann jeden Augenblick in das Plasma kippen!« Cliffs Miene wirkte versteinert. »Ja, Mario, und vorher müssen wir noch einmal an Bord.«
»Bist du verrückt geworden? Das ist glatter Selbstmord!« »Wir müssen versuchen, das Hyperfunkgerät in Betrieb zu setzen und einen Spruch abzusetzen, oder hast du die Absicht, deinen Lebensabend auf dieser Welt zu verbringen?« Mario stöhnte und schüttelte grimmig den Kopf. Er starrte auf das Wrack, das zwischen zwei Felsreihen hing und jedesmal, wenn eine der von der dunklen Masse ausgebildeten Zungen nach ihm griff, heftig zu wippen begann. Er drehte sich abrupt um und preßte die Fäuste gegen die Schläfen. »Ich kann nicht lange hinsehen, Cliff. Es ist unheimlich! Dieses Zeug lebt!« * Nach einer halben Stunde hatten sämtliche Mitglieder der Crew den Schock überwunden. Sie saßen im Kreis zwischen einigen schroffen Felserhebungen und versuchten, sich ein Bild ihrer Situation zu machen. »Es war kein normaler Schock«, erklärte Cliff. »Es war nicht die Angst vor dem drohenden Absturz, die uns den Verstand raubte. Ich bin sicher, daß wir einer Attacke parapsychischer Impulse zum Opfer fielen. Daß die ORION IX gerade noch die winzige Felsinsel traf, war Glück, nichts weiter.« Mario reagierte nicht. Normalerweise hätte er jetzt begonnen, seine navigatorischen Leistungen ins rechte Licht zu rücken, aber er saß nur schweigend da und warf dann und wann verstohlene Blicke zu
Norma hinüber. Das schlechte Gewissen war ihm deutlich anzusehen. Aber nicht nur der Kybernetiker hatte Gewissensbisse. »Wir hätten doch einen Hyperfunkspruch abstrahlen sollen«, sagte Helga Legrelle. »Als wir die Lauschposition verließen, um uns den Wanderplaneten genauer anzusehen, war klar, daß die Aureolaner uns orten würden. Die Gefahr, uns dadurch zu verraten, war also nicht mehr gegeben. Wir hätten die Erde davor warnen können, einen Flottenverband hierherzuschicken. Das war ein unnötiges Risiko, Cliff.« »Du hast recht, Helga-Mädchen. Aber jetzt ist es zu spät zur Reue. Wir sitzen hier fest und können nur hoffen, daß wir das Versäumte noch nachholen können, bevor unsere liebe alte ORION IX in das Plasma stürzt.« »Plasma?« fragte Hasso. Cliff und Mario wechselten einen schnellen Blick. »Es wirkt auf mich wie eine einzige, riesige Amöbe, die vielleicht den ganzen Planeten umspannt. Vergeßt nicht, welche Überlegungen wir vom Weltraum aus anstellten. Und daß hier etwas lebt, dürften unsere jüngsten Erfahrungen«, Cliff machte eine vielsagende Bewegung mit der Hand zum Kopf, »bestätigen. Das letzte, das wir bewußt wahrnahmen, war immerhin, daß der schwarze Ozean Fühler ausbildete, die scheinbar nach uns greifen wollten.« »Du meinst«, fragte Hasso, »daß wir es mit einer Art Intelligentem Plasma zu tun haben? Mit einem protoplasmatischen System?« Cliff zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung, Hasso, wir müssen abwarten und versuchen, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Was alles noch rätselhafter macht, ist die Aktivität der Aureolaner über dem Planeten. Wieso verfolgten sie uns eigentlich nicht? Wieso schicken sie keine Schiffe, um uns endgültig den Rest zu geben?« »Vielleicht sind sie sich ihrer Sache sicher«, vermutete Norma Russell. »Vielleicht brauchen sie gar nicht mehr einzugreifen, weil ...« »Was, Norma? Sie waren als einzige von uns nicht von dem Schock betroffen, von dem wir annehmen müssen, daß er parapsychischer Natur war und höchstwahrscheinlich von dem Plasmaozean ausging. Was wissen Sie, Norma?« Die GSD-Assistentin sah Cliff erstaunt an. »Gar nichts, Cliff. Ich habe nichts gespürt, als Sie alle in der Zentrale umfielen. Die ORION schlug hart auf, und ich verlor ebenfalls für Minuten das Bewußtsein. Dann erkannte ich, daß wir am Ufer der Insel aufgeprallt und in Gefahr waren, in den Ozean zu stürzen. Ich trug Sie also einen nach dem anderen ins Freie – das ist alles.« »Wissen Sie wirklich nicht, weshalb ausgerechnet Sie von dem Schock verschont blieben?« »Ehrlich, Cliff – ich habe keine Ahnung!« »Also schön«, sagte Cliff, »fassen wir zusammen. Wir sitzen hier fest – inmitten eines Gebildes, das den gesamten Planeten umspannt. Die ORION IX ist ein Wrack, und ein Versuch, mit den Beibooten den freien Weltraum zu erreichen, wäre Selbstmord. Die Aureolaner hätten leichtes Spiel mit uns. Wir müssen davon ausgehen, daß diese schwarze Masse über eine gewisse Intelligenz, zumindest aber über ein Bewußt-
sein verfügt. Wir haben in Wendy und Phantom-Baby immerhin bereits zwei Lebensformen kennengelernt, die trotz ihrer Fremdartigkeit eine beträchtliche Intelligenz und bisher noch unbekannte Fähigkeiten entwickelt hatten. Im Augenblick bleibt uns zweierlei zu tun. Erstens müssen wir versuchen, den Hyperfunksender der ORION in Betrieb zu setzen, und zweitens sollten wir Proben aus dem Plasma entnehmen. Da die Bezeichnung ›Plasma‹ sich mittlerweile unter uns eingebürgert hat, schlage ich vor, daß wir es dabei belassen, bis wir mehr wissen.« »Darf ich darauf hinweisen«, meldete sich Norma zu Wort, »daß wir jeden Augenblick mit einem neuen mentalen Angriff zu rechnen haben? Außerdem bildet die Masse Wellen aus, die ohne weiteres unser Eiland überschwemmen können.« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Mädchen«, brummte Cliff. »Noch läßt es uns in Ruhe, und diese Zeit müssen wir ausnützen. Also, wer geht mit mir an Bord der ORION?« »Wenn's unbedingt sein muß«, murmelte Mario, »werde ich mich wieder einmal opfern.« Cliff wechselte einen kurzen Blick mit Norma. Die GSD-Assistentin zwinkerte. »Ich kümmere mich um das Plasma«, verkündete Helga Legrelle. »Und wer möchte mich begleiten?« Atan stöhnte und stand auf. * »Wir können die Erde nicht direkt erreichen«, sagte Mario, als sie vor dem Wrack standen. »Die Reich-
weite unseres Hyperfunksenders beträgt nicht mehr als 978 Lichtjahre, die Erde ist aber fast dreieinhalbtausend Lichtjahre entfernt. Und die Wahrscheinlichkeit, eines unserer Schiffe innerhalb der Hyperfunkreichweite anzutreffen, ist minimal. Ist das das Risiko wert, Cliff?« »Und wenn die Wahrscheinlichkeit noch so minimal wäre – es ist unsere einzige Chance, Mario! Es geht nicht mehr nur darum, unsere Vorgesetzten von dem zu unterrichten, was hier vorgeht, sondern um unser nacktes Leben. Außerdem müssen wir Vorräte aus dem Schiff holen. Selbst, wenn der Spruch von einem terrestrischen Schiff aufgefangen und sofort weitergeleitet wird, dauert es Wochen, bis wir mit Hilfe rechnen können.« »Ist dir klar, daß damit genau das heraufbeschworen würde, was wir vermeiden wollen? Eine Raumschlacht unvorstellbaren Ausmaßes!« »Das glaube ich kaum, Mario. Sie werden sich etwas einfallen lassen, wenn wir sie warnen.« Mario schüttelte den Kopf, schwieg aber. Wieder türmte sich eine Plasmasäule unter dem frei über der schwarzen Masse hängenden Teil der ORION IX auf und griff nach dem Wrack. Das Schiff wurde einige Meter emporgeschleudert und wippte wieder heftig zwischen den beiden Felsnadeln, die ihm noch Halt gaben. »Es ist Wahnsinn, Cliff!« »Halte jetzt keine Volksreden und komm! Je eher wir es hinter uns bringen, desto besser.« Die Notschleuse, durch die Norma die bewußtlosen Raumfahrer aus dem Wrack gebracht hatte, stand noch offen. Sie befand sich unmittelbar über dem lin-
ken der beiden Felsen, zwischen denen die ORION hing. »Wenn ich mir vorstelle, daß sie mit jedem einzelnen von uns dort heruntergeklettert ist ...«, murmelte Mario. Nacheinander stiegen sie über das Gestein, bis sie die Schleuse erreicht hatten. Sie trugen nur ihre leichten Kombinationen, mit Raumanzügen und Flugaggregaten hätten sie weit weniger Mühe mit dem Einstieg gehabt. Immerhin hatten sie ihre kleinen Handlampen dabei, ohne die sie kaum den Weg in der Dunkelheit gefunden hätten, die in der ORION herrschte. Sämtliche Beleuchtungsquellen waren ausgefallen. »Ich sehe schwarz, Cliff«, sagte Mario. »Wenn das Gerät nicht zerstört ist, haben wir keine Energie.« »Abwarten«, brummte Cliff. »Zumindest müssen wir Vorräte holen. Wenn wir die Hoffnung jetzt aufgeben, sind wir tatsächlich abgeschrieben. Aus eigener Kraft können wir uns nicht retten.« Cliffs bittere Worte ließen Mario endgültig verstummen. Die beiden Männer erreichten die Zentrale, nachdem sie sich über Trümmer und Leitern vorgearbeitet hatten, denn der Lift funktionierte ebensowenig wie die Beleuchtung. Nach wenigen Minuten wußten sie, daß niemals mehr ein Hyperfunkspruch die Antennen der ORION IX verlassen würde. Sie saßen endgültig fest – ohne Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. »Schrott, nichts als Schrott, das hat sie nicht verdient, unsere gute ORION IX.«
»Du hättest eben besser aufpassen sollen, Mario, dann wäre das nicht passiert ...« Mario stieß entrüstet die Luft aus. »Du weißt genau, daß ich eine Meisterleistung vollbracht habe, Cliff McLane! Und das, obwohl ich gewaltige Probleme hatte, mein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen.« Cliff lachte trocken. »Seelisches Gleichgewicht – wenn ich daran denke, daß unsere Kameraden dich hören könnten ...« »Und weißt du, woran ich denke, Cliff Allistair McLane? Daß sie uns eben nicht sehen und hören können, und daß es keine Zeugen gibt, wenn ich dir die einzige passende Antwort auf deine Provokationen verabreiche. Was glaubst du denn, was ich mitmache? Ich fühle mich fast schon wie eine Maus vor dem Speck, der zum Greifen nahe vor ihr liegt.« »Und ich fühle mich fast wie in einer Besprechung mit Han Tsu-Gol, wenn du weitere Vergleiche aus dem Tierreich produzierst.« Mario stöhnte laut. »Es ist zum Verzweifeln, wenn man dauernd gezwungen ist, auf diese Figur zu starren, vor allem, wenn sie ihre kurzen Röcke trägt, und dabei so seltsam lächelt. Cliff, ich glaube, sie ist in mich verliebt – sie war es schon auf Bimini. Was soll ich tun, Cliff?« »Ein kaltes Bad nehmen, vielleicht im Plasmaozean. Es ist eine harte Prüfung für dich, oh Freund«, Cliffs Stimme hatte plötzlich etwas Theatralisches an sich. »Du mußt der Versuchung standhalten. Nimm dir ein Beispiel an mir.« Mario schluckte hörbar. »Du auch, Cliff? Hat's dich auch gepackt?«
»Frag nicht so dumm, achte lieber auf den Weg.« Mario schwieg. Sie waren unterwegs zu einer der Vorratskammern, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen. Auf der Felsinsel würden sie keine Nahrungsmittel und kein Wasser finden. Eigentlich hatte die Stichelei nur den einen Zweck gehabt, die verzweifelte Lage für einen Moment aus ihren Gedanken zu verdrängen. Es war innerhalb der ORION-Crew mittlerweile zum bewährten Brauch geworden, ausweglose Situationen durch scheinbare Nebensächlichkeiten und Witzeleien zu überspielen. Trotzdem machten sich die Raumfahrer keinen Moment lang Illusionen. Sie waren abgeschnitten – nicht nur durch die eigene Hilflosigkeit, sondern auch durch die über dem Planeten stationierten Schiffe Aureolas. Cliff und Mario erreichten endlich die Lagerräume und stopften sich einige Plastikbeutel mit Nahrungsmitteln voll. Das meiste waren Konzentrate, wie sie auf den Schiffen der Flotte üblich waren. Daneben führte die ORION IX jedoch stets einige besondere Delikatessen für »besondere Anlässe« mit. »Die Dunkelheit geht mir auf die Nerven«, bemerkte Mario. »Außerdem bin ich das Treppensteigen nicht mehr gewohnt. Wir sollten machen, daß wir aus dem Schiff kommen, Cliff. Ich habe das Gefühl, als würden wir langsam in die Höhe gehoben ...« »Wir brauchen noch Wasser.« Wieder marschierten sie durch endlos erscheinende Gänge. Ohne die Beleuchtung kam die ORION ihnen vor wie ein Geisterschiff. Jetzt spürten sie es deutlich, wie der Boden unter ihnen sich langsam hob und senkte. Von irgendwoher drang ein ächzendes Knirschen an ihre Ohren.
»Ruhig bleiben, Mario!« »Selber ruhig bleiben.« Sie erreichten die Wassertanks und lösten ein Ventil. Da sie kein Werkzeug bei sich hatten, war es eine mühselige, umständliche Arbeit. Es dauerte fast zehn Minuten, bis die Flüssigkeit, die auf einmal so ungeheuer wertvoll geworden war, aus dem Behälter spritzte. Die Raumfahrer füllten drei Plastikbeutel und kümmerten sich nicht weiter um das ausfließende Wasser. Sie waren kaum zehn Schritte gegangen, als sie ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend spürten, als ob ein Lift aus dem Stillstand übergangslos in die Tiefe stürzte. »Wir sinken ab!« schrie Mario in aufkommender Panik. »Die ORION versinkt, Cliff.« »Still!« Sie rührten sich nicht. Plötzlich wurde die Abwärtsbewegung abrupt abgefangen, und ein schmatzender Laut drang bis ins Schiffsinnere. »Das Plasma ...« Cliff McLane fühlte, wie ihm das Grauen den Rücken emporzukriechen begann. Seine Gedanken jagten sich. Es bestand kein Zweifel mehr daran, daß das Wrack aus seinem Halt gerissen worden und in den zähflüssigen, schwarzen Ozean gestürzt war. In wenigen Minuten würden sich die Wogen dieses unbegreiflichen Etwas über ihm schließen – und über Cliff und Mario. Sie hatten nur noch eine Chance, eine einzige ... »Zu den Raumanzügen, schnell!« Mario begriff sofort. Ohne einen der wertvollen Plastikbeutel zu verlieren, rannten die Männer zum nächsten Durchstieg und kletterten keuchend hinauf zu den oberen Decks.
Minuten später trugen sie die schweren Raumanzüge mit den Flugaggregaten. »Jetzt können wir nur noch hoffen, eine Schleuse zu finden, die noch nicht vom Plasma überzogen ist.« »Das Geräusch, Cliff. Es hört sich an, als ob ... als ob irgend etwas versucht, die ORION zu verschlingen.« »Wahrscheinlich hast du sogar recht, Mario.« Cliff blieb stehen und orientierte sich, so gut es ging. »Wir müssen klettern, genau entgegengesetzt der Richtung, in der das Schiff ins Plasma ragt.« »Eine LANCET, Cliff! Wenn ich mich recht orientiere, haben wir einen Hangar vor uns. Wenn wir Glück haben ...« »... ist die Schleuse noch frei vom Plasma. Du hast recht, Mario, los!« Die Angst drohte einen Augenblick lang die Bewegungen der beiden Raumfahrer zu lähmen. Überall war jetzt das Schmatzen. Ganze Teile des Schiffes brachen auseinander, der Boden schwankte zusehends unter den Füßen der Männer. Das Entsetzen griff in Gestalt einer unfaßbaren, monströsen Lebensform nach ihnen, aber sie schafften es, den Hangar zu erreichen und zu öffnen. Als sie nach oben sahen, wußten sie, daß ihre Anstrengungen umsonst gewesen waren. In der Decke des Hangars klaffte ein unregelmäßig geformtes, etwa drei Meter durchmessendes Loch, das sich schnell vergrößerte. Überall schob sich die schwarze, gallertartige Masse in das Schiff und tropfte auf den Boden herab. *
Helga Legrelle und Atan Shubashi hatten sich an einer relativ flach abfallenden Stelle des Steilufers bis auf wenige Meter an das Plasma herangewagt. Sie befanden sich in einer kleinen Bucht, die zu beiden Seiten von hochaufragenden Felsen eingerahmt war. Eine zähflüssige, sich kräuselnde Zunge der Masse, die nun nicht mehr schwarz, sondern dunkelgrau wirkte, hatte sich in die Bucht hineingeschoben. Dann und wann bewegte sie sich leicht, aber im Vergleich zur bewegten Masse des Ozeans wirkte sie fast leblos. Von ihrem Standort aus konnten Helga und Atan das Wrack der ORION IX nicht sehen, so daß sie nicht mitverfolgen konnten, was wenige hundert Meter von ihnen entfernt geschah. Das Plasma schlug andauernd gegen die Felsen und verursachte laute, schmatzende Geräusche, die alles andere übertönten. »Es ist faszinierend – aber ebenso grauenhaft«, sagte Helga Legrelle und zeigte auf den schwarzen Ozean hinaus. Aus der tieferliegenden Perspektive wirkte die Flüssigkeit noch unheimlicher und monströser. Im Licht der Kunstsonnen am Himmel erhoben sich weit draußen auf dem Plasmameer riesige Wellen, die mindestens einhundert Meter hoch waren und manchmal bizarre Gebilde hervorbrachten. Einmal sah es so aus, als wollten die in die Höhe schießenden und langsam wieder zurücksinkenden Fontänen Raumschiffe wie die ORION nachbilden. Wie die Hüte riesiger Pilze breitete sich das aufgewühlte Plasma nach den Seiten hin aus und schien einige Sekunden lang in der Luft zu schweben, bevor es, von klatschenden Geräuschen begleitet, wieder in den Ozean zurückfiel.
»Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir es mit einer riesigen intelligenten Amöbe zu tun haben«, flüsterte Atan, als ob überall unsichtbare Lauscher versteckt wären, die seine Worte hören konnten. Es war der Ausdruck einer sich langsam breitmachenden Platzangst. Sie waren Fremdkörper, winzige Eindringlinge in einer Welt, die scheinbar keine Grenzen in sich kannte. Das wogende Etwas reflektierte das Licht der Sonnen und glänzte wieder in allen nur denkbaren Farben. »Ist dir klar, daß dieser Planet noch niemals eine wirkliche Nacht erlebt hat, solange die neun Sonnen ihn umgeben?« fragte Atan. Helga sah ihn unsicher an. »Du spielst darauf an, daß diese Konstellation nicht natürlich entstanden sein kann, oder? Irgend jemand hat irgendwann aus einem uns unbekannten Grund diese Sonnen über dem Planeten aufgehängt. Aber es gibt kein Leben auf dieser Welt – außer dem Plasma. Wenn wir uns nun fragen, weshalb man die Sonnen schuf, bleiben uns nur zwei Möglichkeiten, und eine davon ist so grauenhaft, daß ich nicht einmal daran denken mag.« »Du meinst, daß einmal eine intelligente Rasse diese Welt bewohnte und von dem Plasma, das unaufhörlich wuchs, ausgelöscht wurde?« »Hör auf, Atan!« »Es ist unwahrscheinlich, Helgalein. Denke daran, daß der Planet mit ein Viertel Licht durch das Universum rast. Welchen Nutzen hätte eine intelligente Rasse davon gehabt, die zweifellos unter dem Licht einer richtigen Sonne geboren wurde?« »Vielleicht starb ihre Sonne?«
Atan schüttelte den Kopf. »Nein, Helga. Der Planet macht mir vielmehr den Eindruck, als hätte man ihn eigens für das Plasma hergerichtet, vielleicht zu experimentellen Zwecken.« »Wer sollte so etwas gemacht haben?« »Bin ich allwissend? Es hat wenig Sinn, sich in Spekulationen zu verrennen. Eine Antwort kann uns nur dieser zähe Brei geben. Versuchen wir, eine Probe zu entnehmen. Wenn Cliff und Mario zurück sind, können wir ihnen vielleicht schon erste Untersuchungsergebnisse vorlegen.« »Untersuchungen? Womit? Mit unseren kleinen Messern?« »Es wird sich alles finden«, versuchte Atan der Funkerin Mut zu machen. »Auf geht's – ich habe ebensoviel Angst wie du.« »Ein großer Trost, fürwahr!« Sie gingen langsam auf die Plasmazunge zu. Einen Meter davor blieben sie stehen. »Es kommt wieder, Atan«, stöhnte Helga und atmete schwer. »Ich spüre es auch. Aber wir müssen stark bleiben. Nur ein kleines Stück von dem Zeug, und wir können uns wieder zurückziehen.« Helga überwand die Übelkeit und machte einen weiteren Schritt vorwärts. Irgend etwas drang in ihr Denken ein und wollte sie zurückdrängen. »Noch ein Stück, Helga! Wir entnehmen einen kleinen Teil, dann können wir sofort zurückkehren ...« Sie krochen auf dem Felsboden auf die Zunge zu. Noch wenige Zentimeter trennten sie von dem Plasma, aber es schienen Meter zu sein.
Atan hatte ein kleines Messer aus einer Tasche der Kombination gezogen und streckte langsam die Hand aus. Alles in ihm wehrte sich gegen das, was er tun mußte. Plötzlich war ihm, als ob er seine eigene Stimme hörte, obwohl er die Zähne zusammenbiß und sich nur auf den Schnitt zu konzentrieren versuchte. Warum mußt du es tun, Atan? Atan erschrak so sehr, daß er das Messer fallen ließ. Er sah nicht, wie Helga sich wie unter furchtbaren Schmerzen aufbäumte und die Hände gegen den Schädel preßte. Ich will nach Hause! Wo ist dein Zuhause? Es war seine eigene Stimme, die zu ihm sprach. Sie entstand mitten im Schädel, im Zentrum allen Denkens – und doch war da etwas anderes, das sich unterschwellig bemerkbar machte. Ich will nach Hause! Zur Erde! Was ist das, die Erde? Atan schlug die Hände vor die Augen und wälzte sich am Boden. Er sah die riesige Woge nicht, die sich aus dem Plasmaozean bildete und auf ihn und Helga zukam. Er hörte das Rauschen nicht, als sich die Woge wie ein schwarzer Baldachin über sie senkte und sie umschloß. Und er spürte nicht, wie er den Boden unter den Füßen verlor und in die Höhe gerissen wurde – in das wogende und brodelnde Meer der Schwärze ...
5. »Dort hinaus!« schrie Cliff. Das Wrack hatte sich mittlerweile noch mehr zur Seite geneigt, und die beiden Männer mußten halbwegs am glatten Material des Bodens hinaufklettern, um aus dem Hangar zu gelangen. Die Flugaggregate konnten sie in den engen Gängen nicht einsetzen. Mario hatte bereits das Schott erreicht, das den Hangar vom übrigen Schiff teilte, als Cliff ausrutschte und ein paar Meter zurück in den Hangarraum glitt. »Warte!« hörte er im Helmempfänger. »Ich komme!« »Bleib, wo du bist, Mario. Ich schaffe es allein!« Der Commander legte sich flach auf den Bauch und begann zu Mario hochzukriechen. Die Neigung des Schiffes mochte inzwischen fünfundvierzig Grad erreicht haben. Cliff rutschte ein paarmal ab, bis er endlich einen Halt fand. Im gleichen Augenblick passierte es. Ein Fladen des Plasmas tropfte von der Decke herab – genau auf die Sichtscheibe von McLanes Raumhelm. Cliff hörte Marios entsetzte Rufe, aber er verstand die Worte nicht. Ohne daß er sich dessen bewußt wurde, winkte er den Freund zurück, als er sich vom Schott lösen und ihm zu Hilfe kommen wollte. Cliff sah in ein irisierendes Etwas. Es war weder schwarz noch dunkelgrau. Es war eher wie ein Gesicht, das sich in sein Bewußtsein schieben wollte. Cliff McLane hätte später niemals erklären können, was er in diesem Moment tat, in einem Augenblick,
in dem es um ihr nacktes Leben und um Sekunden ging, in denen sie vielleicht eine Notschleuse in den Oberdecks erreichen konnten, die noch nicht vom Plasma überzogen worden war. Er rief Mario irgend etwas z u und kroch wie ein Besessener auf das Schott zu. Als er es erreicht hatte, drehte er sich auf dem Stiefelabsatz herum und rannte einen Gang entlang, der in einen Rundkorridor mündete, wo der Boden noch relativ horizontal verlief. Cliff wußte nicht, wie er es geschafft hatte. Das Plasma waberte in allen nur denkbaren Farben direkt vor seinen Augen. Er konnte selbst im Schein der Handlampe kaum etwas sehen. Außerdem spürte er, wie ein fremder Bann sich in sein Bewußtsein schleichen wollte. Doch plötzlich war er in seiner Kabine. Mit ein paar schnellen Handgriffen hatte er den schwarzen Spiegel aus der Tasche geholt und hielt ihn sich vor die Augen. Cliff sah zwei Gesichter! Zwei McLanes, die ihn anstarrten. Über seinem Ebenbild befand sich ein zweites, kleineres, das aus seiner Stirn zu wachsen schien. Während das eigentliche Gesicht Cliff unendlich ratlos ansah, erstrahlte das zweite in lebendigem Feuer. Es wollte Cliff zu etwas auffordern, aber der Commander begriff nicht, was es war. Plötzlich regte sich das Plasma auf der Helmscheibe. Es sah einen Augenblick lang so aus, als wolle es Blasen werfen. Dann begann es zu schäumen. Cliff war unfähig, sich zu rühren. Er hielt sich immer noch den Spiegel vor das Gesicht, aber er achtete nicht auf das Bild, das er lieferte.
Das Plasma auf der Helmscheibe löste sich auf! Winzige Schaumwolken stiegen von der Scheibe auf und stiegen in die Höhe. Nach nur wenigen Sekunden war Cliff von dem Plasma befreit. Wo die Schaumfetzen eine Wand berührten, blieben sie haften und verwandelten sich sofort wieder in eine zähflüssige, dunkle Schicht. Cliff kam halbwegs zu sich und richtete den Lichtkegel der Handlampe auf eines der Gebilde. Mit Entsetzen sah er, wie es sich rasch in das Material der Wand fraß und es aufzulösen begann. Cliff verließ rückwärts gehend seine Kabine, ohne den sich vergrößernden Flecken im Lichtkegel aus den Augen zu lassen. Erst als er den Korridor erreicht hatte, begann er zu rennen. Er stolperte und rutschte auf dem glatten Boden aus, fand wieder neuen Halt und arbeitete sich nach oben. Die linke Hand umklammerte den Spiegel. Den letzten Teil des Weges mußte Cliff wieder klettern. Das Schmatzen drang aus allen Richtungen an die Außenmikrophone des Raumanzugs. Wieder sah der Commander Gänge, Treppenstufen und umgestürzte Gegenstände vor sich, die sich zu einem nicht enden wollenden Alptraum vereinten. Dann endlich stand er vor Mario. Daß er sich nicht verirrt hatte, grenzte an ein Wunder. Mario erwartete ihn wortlos. Er hatte inzwischen die Plastikbeutel aufgelesen, die McLane fallen gelassen hatte, als er von dem Plasmafladen getroffen wurde. Cliff machte ein Zeichen mit der freien Hand. Er nahm Mario einige der Beutel ab und warf einen letzten Blick in den Hangar. Einen Augenblick lang kämpfte er um seine Fas-
sung. Das Plasma hatte fast die ganze Decke aufgelöst und hing in klobigen Fladen von den Rändern des Loches. Die LANCET war von einer dunklen Schicht überzogen, die im Licht der Scheinwerfer in allen Regenbogenfarben leuchtete. »Weg hier, Mario!« Der Kybernetiker folgte Cliff, ohne eine Antwort zu geben. Es war ihm deutlich anzumerken, daß er Cliffs Vorgehen nicht begriff. Und das war kein Kunststück. McLane verstand selbst nicht, was ihn dazu getrieben hatte, in einem Augenblick höchster Gefahr in seine Kabine zu laufen, um den schwarzen Spiegel zu holen. Aber der Spiegel hatte irgend etwas mit dem Plasma bewirkt! Es stellte sich als nahezu unmöglich heraus, mit dem schweren Gepäck die schräg nach oben aufragenden Gänge hochzusteigen. Immer wieder rutschten die Raumfahrer aus, halfen sich gegenseitig wieder auf die Beine und mußten nach den Beuteln greifen, die ihnen aus der Hand rutschten und sofort die Gänge hinunterrollten. Cliff hatte den Spiegel unter seinem Raumanzug verstaut. Als er zwei weitere Plastiksäcke mit Nahrungsmitteln verlor, winkte er Mario zu, daß er sich nicht darum kümmern sollte. Auch der Kybernetiker hatte nur noch etwa die Hälfte seiner Beutel. Immerhin kamen sie nun schneller vorwärts. Das Wrack lag relativ ruhig im Plasma, so daß sie nur dann und wann durch Erschütterungen hin und her geworfen wurden. Nach endlos scheinenden Minuten erreichten sie eine Notschleuse. Sie konnten die Kammer ohne Mühe öffnen.
»Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit, Mario«, keuchte Cliff. »Drücke uns die Daumen.« »Gewußt wie«, sagte de Monti ironisch. Er war immer noch beladen wie ein Weihnachtsmann. Cliff machte sich am Öffnungsmechanismus des Außenschotts zu schaffen. Noch einmal holte er tief Luft. Wenn das Plasma auch hier bereits über die Schiffshülle gekrochen war ... Das Schott fuhr zur Seite. »Mein Gott!« In Cliffs Ausruf entlud sich die ganze Spannung der letzten Minuten voller Ungewißheit. Sie blickten in den exotischen Himmel über dem Wanderplaneten. Das Plasma wogte um sie herum. Nur wenige Meter unterhalb der Schleuse ragten die Auswüchse des Ozeans an der Hülle empor. »Jetzt aber weg!« rief Mario. Beide standen nebeneinander in der Schottöffnung und aktivierten ihre Flugaggregate. Sekunden später befanden sie sich in der Luft. Als sie etwa dreißig Meter über dem Schiff waren, blickte Cliff sich um. Von der ORION IX war nicht mehr viel zu sehen. Wie die Spitze eines Eisbergs ragte nur noch jene Kante aus der dunklen Masse, aus der sie gerade entkommen waren. Alles andere steckte unter einer meterdicken Plasmaschicht. »Das war knapp, Cliff!« »Wenn ich mir vorstelle, daß wir beide noch vor Minuten auf Tauchstation in diesem schwarzen Meer waren«, sagte der Commander, »flattern mir noch nachträglich die Nerven.« Sie lösten sich von dem grauenhaften Anblick und flogen auf die Felsinsel zu. Kurz darauf standen sie
zwischen ihren staunenden Kameraden. »Ist was?« fragte Cliff. * »Ehrlich gesagt, hatten wir schon fast keine Hoffnung mehr«, gestand Arlene und schmiegte sich an Cliff. Er hatte den Raumanzug abgelegt und trug wieder die leichte Kombination. Den schwarzen Spiegel hatte er eingesteckt. Insgesamt hatten Cliff und Mario zwei Plastikbeutel voll Wasser und zwei Beutel mit Konzentraten gerettet. Da sie nicht wußten, wie lange sie auf dieser Insel auf sich selbst gestellt sein würden, mußten sie von vorneherein rationieren. Eine Rettung konnte nur noch durch den berühmten Zufall herbeigeführt werden. Von der Erde konnten sie keine Hilfe mehr erwarten. Es bestand keine Möglichkeit, über ein zufällig in der Nähe befindliches terrestrisches Schiff per Hyperfunk die Nachricht ihrer Havarie weiterzuleiten. Immerhin bestand die vage Chance, daß ein zweites Schiff seine Beobachtungsposition im AlderaminSektor verlassen und einem Aureolaner in diese Region des Weltraums folgen würde. Aber erstens war dies unwahrscheinlich, und zweitens würde der Raumer ebenso in die Falle der Aureolaner gehen wie die ORION IX. Sie mußten versuchen, sich selbst zu helfen. Da von den aureolanischen Schiffen keine Hilfe zu erwarten war, gab es nur einen Ansatzpunkt. Sie mußten herauszufinden versuchen, was es mit dem Plasma auf sich hatte. Wenn es zutraf, daß der
psionische Angriff kurz vor dem Absturz von dieser unfaßbaren Lebensform ausgegangen war, hatten sie es mit einem Machtfaktor zu tun, der darüber hinaus zweifellos über eine gewisse Intelligenz verfügte. Wenn es gelang, sich mit dem Plasma zu verständigen ... Cliff küßte Arlene und sah die Freunde der Reihe nach an. »Wo sind Helga und Atan?« »Sie gingen zum Ufer hinab, um eine Probe des Plasmas zu entnehmen«, erklärte Arlene. »Eigentlich müßten sie bald zurückkommen.« »Wir verloren sie völlig aus unseren Gedanken, als wir sahen, wie die ORION mit euch im Meer versank«, sagte Hasso. »Die beiden haben vom Ufer aus wahrscheinlich gar nichts davon mitbekommen. Es war schrecklich, Cliff. Wir sahen, wie eine riesige Plasmazunge nach dem Wrack griff und es den Halt verlor. Wir konnten nichts tun, als das Schiff immer tiefer einsank.« Der Commander nickte. Er hatte in knappen Sätzen darüber berichtet, was sie in der ORION erlebt hatten. Dabei hatte er auch erwähnt, welchen Einfluß ganz offensichtlich der Spiegel auf das Plasma gehabt hatte, das sich auf der Sichtscheibe seines Raumhelms festgesetzt hatte. »Das ist vielleicht eine Basis«, meinte Mario. »Zumindest scheinen wir mit dem Spiegel eine Abwehrwaffe zu haben.« »Das allein nützt uns nicht viel«, sagte Cliff. »Als ich die beiden Gesichter in der Spiegelfläche sah, hatte ich das Gefühl, daß ich in eine einzige große Frage blickte – es war, als ob er mir etwas mitteilen wollte ...«
»Er?« fragte Hasso. »Der andere Cliff McLane.« »Er beliebt zu scherzen«, sagte Arlene mit einem Augenzwinkern. »Jedermann weiß, daß Cliff einmalig ist.« »Mir ist nicht nach Scherzen zumute, Mädchen. Wir sollten nach unseren beiden Forschern sehen.« »Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl«, brummte Mario de Monti. »Fängst du jetzt auch schon damit an?« fragte Arlene sarkastisch. »Langsam, aber sicher, glaube ich, unter lauter Propheten zu sein.« »Wo sind sie hinabgestiegen?« fragte Cliff. »Dort vorne«, sagte Hasso und zeigte auf eine Art Rinne zwischen den schroff aufragenden Felsen. »Ich führe euch hin.« Minuten später standen sie in der kleinen Bucht. »Atan! Helga!« Sie riefen aus Leibeskräften, aber sie bekamen keine Antwort. »Verdammt!« fluchte Cliff. Er beugte sich über einen im Licht der Kunstsonnen glitzernden Gegenstand. »Eines ihrer Messer«, stellte Arlene fest. »Sie waren also hier. Sie können nicht an eine andere Stelle des Ufers gegangen sein, ohne an unserem Lagerplatz vorbeizukommen.« Arlene zeigte auf die steil aufragenden Felsen zu beiden Seiten der Bucht. Keiner der Freunde sagte ein Wort. Sie starrten erschüttert auf den Plasmaozean hinaus, jeder mit seinen eigenen, schmerzhaften Gedanken beschäftigt. Jeder der Raumfahrer von der ORION-Crew hatte sich im Lauf ihrer zahllosen Risikoeinsätze irgend-
wann einmal gefragt, wie es sein würde, wenn einer von ihnen einmal nicht mehr sein würde. Es war unvorstellbar. Aber jetzt schien es so, als ob das immerwährende Spiel mit dem Schicksal sein Opfer gefordert hätte. Helga und Atan! Cliff Allistair McLane verspürte eine nie gekannte Leere in sich. Kein Zweifel konnte daran bestehen, daß die beiden Gefährten sich nicht irgendwo auf der Insel befanden. Der einzige Weg aus dieser Bucht führte zum Lagerplatz, aber dort waren sie nicht erschienen. Ausgerechnet Helga und Atan! Cliff hatte eine Vision: die ORION auf dem Flug durch die unendlichen Tiefen des Alls, aber ohne Besatzung. Statt dessen bewegten sich schemenhafte Gestalten durch die Zentrale. Cliff erkannte Mario de Monti, Arlene und Hasso Sigbjörnson, dessen Gesicht vom Monitor auf sie herabschaute, und dessen Lippen Worte formulierten, die niemand verstand. Vier Menschen, die nicht mehr zueinander zu gehören schienen – vier Teile einer niemals mehr wiederherzustellenden Einheit. Plötzlich tauchten zwei überdimensionale Gesichter vor der Kulisse der Sterne auf. Sie verschwammen und formten sich wieder. Helga und Atan lächelten ihnen zu und schienen ihnen etwas zuzurufen, eine Aufforderung, in ihrem Sinn weiterzumachen und nicht den Mut zu verlieren. Zwei verschwommene, fast transparente Hände erschienen und winkten ihnen zu. Die ORION versank in der Ewigkeit von Raum und Zeit und setzte ihren Weg fort ... »Cliff.«
Die Gesichter verschwammen – aber das Lächeln und die Aufforderung, in ihrem Sinn ihre Aufgabe zu Ende zu führen, blieb. Ungesprochene Worte hallten in der Zentrale und allen Gängen der ORION ... »Cliff, komm zurück!« McLane kam zu sich. Er stand unmittelbar vor der gekräuselten Plasmazunge, die bereits Fühler ausbildete, die sich seinen Stiefeln näherten. »Komm her, Cliff, was ist mit dir los?« »Ich gehe ihn holen, wenn er nicht von sich aus zur Vernunft kommt«, hörte der Commander Marios Stimme. Er drehte sich um und sah, wie Mario auf ihn zulief. Er hatte sich, ohne es zu bemerken, etwa zehn Meter von den Freunden entfernt – auf das Plasma zu. Hasso, Arlene und Norma winkten ihm zu, zurückzukommen. »Bleib, wo du bist, Mario!« schrie er aus voller Lunge, um das Geräusch des gegen die Felsen klatschenden Plasmas zu übertönen. Mario gehorchte. Im gleichen Augenblick spürte Cliff wieder, wie etwas Fremdes in sein Bewußtsein einzudringen versuchte. Er hörte Arlene aufschreien und sah, wie Mario zu taumeln begann. Aber das, was sich da in ihm ausbreitete, war nicht mehr so fremdartig wie noch an Bord der ORION IX. Irgend etwas war auf seltsame, unerklärliche Weise vertraut ... Cliff zwang sich, die Schreie der Gefährten zu ignorieren, und öffnete den Verschluß seiner Kombination. Seine Hand fuhr unter das leichte Material und holte den schwarzen Spiegel hervor.
Seine Füße wurden schwer, als ob er durch einen Sumpf stapfte. Aus den Augenwinkeln heraus sah Cliff, wie die Plasmazunge sich immer weiter landeinwärts schob und seine Stiefel umschloß. Winzige Ausläufer begannen an ihm hochzukriechen. Cliff handelte instinktiv, als er langsam den Spiegel hob. Sekundenlang sah er sein eigenes Gesicht darin, das ihm etwas zuzurufen schien. Dann drehte er den Spiegel und hielt ihn dem Plasmaozean entgegen ... * Admiral Kailoff starrte den Offizier ungläubig an. »Sagen Sie das noch einmal!« Der Aureolaner zeigte keine Spur von Unsicherheit. Er holte tief Luft und erklärte mit grimmiger Miene: »Zwei unserer Schiffe sind unmittelbar hintereinander spurlos verschwunden. Wir konnten nicht die geringste Energieemission anmessen. Es ist, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätten.« »Die Aufzeichnungen!« verlangte der Admiral. Der Offizier machte auf dem Absatz kehrt und kam zwei Minuten später mit einer Plastikfolie zurück. Kailoff folgte ihm zu einer Konsolenbank. Der Offizier legte die Folie in einen Leser ein und aktivierte einen Monitor. Auf dem Bildschirm erschienen die Ortungsreflexe der aureolanischen Einheiten in einem Raumabschnitt direkt über dem Wanderplaneten. »Sechsundvierzig Schiffe«, erklärte der Offizier. »Nun passen Sie auf, Admiral.« Er tippte eine Taste nieder und drehte an einem
Regulierungsknopf, bis eine kleine Leuchtmarkierung über den Schirm wanderte. Genau zwischen zwei Reflexen, die jeweils ein aureolanisches Schiff kennzeichneten, kam die Markierung zum Stillstand. »Achten Sie nun bitte genau auf die Anzeige, Admiral«, sagte der Aureolaner. Am oberen Rand des Monitorbildes war eine digitale Zahlenreihe eingeblendet, die sich rasch der Nullanzeige näherte. »Jetzt!« Admiral Kailoff stieß einen unterdrückten Schrei aus. »Sie sind beide verschwunden – einfach weg!« »So ist es, Admiral. Wir haben keine Erklärung für das Vorkommnis.« Kailoff sah seinen Offizier finster an. »›Vorkommnis‹ nennen Sie das? Zwei Schiffe verschwinden von einer Sekunde zur anderen, und Sie reden von ›Vorkommnissen‹. Ich verlange eine exakte Analyse, und wenn Sie keine haben, dann finden Sie eine! Lassen Sie alle Möglichkeiten durchrechnen. Beziehen Sie auch die mit ein, daß wir es mit einer neuen Waffe der Terraner zu tun haben.« Der Offizier wollte widersprechen, aber Kailoff winkte barsch ab und ging zurück zum Kommandostand. Er wußte, daß sie keine Erklärung finden würden, die auch nur annähernd einleuchtete. Und an eine neue Waffe Terras glaubte er erst recht nicht. Weit und breit befand sich kein terrestrisches Schiff. Nur das abgeschossene! fuhr dem Admiral durch den Sinn, aber er verwarf den Gedanken daran, daß der Kreuzer, der jetzt irgendwo im zähflüssigen Ozean der Wanderwelt liegen mußte, etwas mit dem Verschwinden der Schiffe zu tun hatte.
Admiral Kailoff gab seinen Offizieren die Anweisung, die Arbeiten wie bisher fortzuführen und die Kommandanten der anderen Einheiten zu beruhigen. Sie konnten nur abwarten, ob der unheimliche Gegner erneut zuschlug. Kailoff hatte Angst davor, denn dann würde er sich vor eine Entscheidung gestellt sehen, die ihn bei der Wichtigkeit des Projekts für Aureola in einen schweren Gewissenskonflikt stellen mußte. Wo steckte der Gegner? Admiral Kailoff konnte nicht an einen Feind im konventionellen Sinn glauben. Außer den aureolanischen Einheiten befand sich kein Raumschiff in diesem Raumsektor. Nach dem Zwischenfall mit dem Terraner waren die Aureolaner noch vorsichtiger geworden. Aber irgend etwas hatte zwei Schiffe verschwinden lassen! Irgend etwas ... Kailoff ging zur zentralen Bildplatte und starrte gedankenverloren auf die Projektion des Wanderplaneten ...
6. Es dauerte eine Weile, bis sie sich bewußt wurden, daß sie lebten. Wie lange genau, konnte hinterher niemand von ihnen sagen – sie hatten jedes Gefühl für die Zeit verloren. Es war, als ob die Dimension Zeit zu existieren aufgehört hatte. Atan Shubashi spürte, wie die Nebel, die sich über sein Bewußtsein gelegt hatten, aufzureißen begannen. Zuerst sah er nur ein seltsam flirrendes Halbdunkel, in das sich phantastische Strukturen mischten. Erst als sie sich zu bewegen begannen, begriff er, daß es Plasma war. Plötzlich tauchte eine Gestalt vor ihm auf. Atan fühlte unbeschreibliche Erleichterung, als Helga Legrelle ihren Kopf an seine Schulter lehnte und leise zu schluchzen begann. Sie lebte! Irgend etwas Unbegreifliches war mit ihnen geschehen, geschah immer noch, aber sie lebten! Atan strich Helga durch das Haar und redete beruhigend auf sie ein. Er hatte das Gefühl, daß seine Worte zum großen Teil von einem unbekannten Hindernis verschluckt wurden. Der Astrogator der ORION sah sich nun gründlicher um. Er erschrak heftig, als sein Blick auf seine Füße fiel. Sie waren bis zu den Knöcheln in dunkelgrauem Plasma versunken, aber das Plasma griff ihn nicht an. Bei Helga war es ebenso. Atan versuchte, einen Fuß aus der Masse zu ziehen. Sie gab ohne den geringsten Widerstand nach. Atan hob den Kopf. Sie befanden sich in einem
Hohlraum, der nach allen Seiten hin von Plasma umschlossen war, das immer neue Strukturen bildete. Mindestens fünf Meter über ihnen wölbte es sich zu einer Art Baldachin auf. Durch weite Öffnungen in den Plasmawänden konnte Atan in weitere Hohlräume sehen, in denen Gebilde aus der Masse ragten, die an gewaltige, verzierte Sitzmöbel erinnerten. Atan kam ein phantastischer Gedanke. Er lauschte in sich hinein, und nun spürte er die fremde Ausstrahlung. Im Gegensatz zu vorhin hielt sich das, was sich in sein Bewußtsein geschlichen hatte, nun zurück, aber immer noch spürte Atan die Fragen. Es war keine Aggression darin – nur grenzenlose Neugier. Wer seid ihr? Atan dachte unwillkürlich an die Erde, und dabei speziell an sein Appartement, an seine Kindheit und die Flottenbasis – all jene Orte und Personen, die für ihn synonym mit dem Begriff »Heimat« waren. Im nächsten Augenblick begannen sich die Strukturen um ihn herum zu verschieben. Das Plasma zerfloß und türmte sich zu neuen Formen auf. Atan erkannte verblüfft, daß es einen ganz bestimmten Bezirk der Basis 104 nachzubilden versuchte, an den er gerade gedacht hatte. Aber das bestätigte seine Vermutung! Atan dachte intensiv an die Zentrale der ORION IX. Sofort reagierte das Plasma und schuf eine fast perfekte Kopie der Schiffszentrale. Atan hatte die Gewißheit! Es konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß das Plasma über eine große Intelligenz verfügte und jeden seiner Gedanken lesen konnte!
Er wagte einen Versuch. Wo sind wir? dachte er so intensiv wie möglich. Und tatsächlich spürte er, wie sich in seinem Bewußtsein Bilder aufzubauen versuchten. Aber so sehr sich sein geheimnisvoller Partner auch bemühte – es kam keine wirkliche Verständigung zustande. Atan begriff, daß das Plasma zwar all seine Gedanken lesen und auf recht eigenwillige Art und Weise darauf reagieren konnte, aber nicht imstande war, sich auf rein gedanklicher Basis mitzuteilen. Der Astrogator hatte nur Fetzen aufgefangen. Atan war kein Telepath, also mußte das Plasma versucht haben, die Bilder in sein Bewußtsein zu projizieren. Die Menschen waren nur passive Partner, die sich zwar mitteilen konnten, aber, wie es schien, keine Empfänger telepathischer Impulse waren. Helga hatte sich beruhigt und starrte ungläubig auf die Nachbildung der ORION-Zentrale. »Es ist gut, Helga-Mädchen«, flüsterte Atan. »Wir leben noch. Wenn das Plasma uns hätte töten wollen, hätte es das längst getan. Es ist nur neugierig und will mit uns in Kontakt treten, aber es klappt nicht.« »Wo sind wir, Atan?« »Keine Ahnung – im Plasma, aber ich weiß nicht, ob wir uns viele Meter unter der Oberfläche des schwarzen Ozeans befinden oder in einem aus dem Meer ragenden Plasmaturm.« »Wir müssen zurück, Atan. Zurück zu den anderen ...« »Ich weiß, Helga.« Der Astrogator dachte intensiv an die Felsinsel und die Freunde. Vielleicht begriff das Plasma. Atan wußte allerdings auch, daß er mit seinen menschli-
chen Sinnen möglicherweise nur begrenzt fähig war, die wirkliche Natur und die wirklichen Absichten des intelligenten Plasmas zu begreifen. Es bestand sogar die Gefahr, daß er die Reaktionen der grauen Masse vollkommen falsch interpretierte. Er spürte, daß ihr Schicksal von Umständen bestimmt wurde, auf die einzuwirken kaum in ihrer Macht stand. *
MAHAB Eine Woge psionischer Energie staute sich innerhalb allerkürzester Zeit im Superplasma auf, als es spürte, daß ein entscheidender, neuer Evolutionssprung unmittelbar bevorstand. Aus den eindringenden Impulsen der fremden Wesenheiten ging hervor, daß die Körper, die hoch über den Sonnen von Mahabs Welt umkreisten, eine Gefahr für die Wesenheiten darstellten. Mahab hatte in der kurzen Zeit des vagen Kontakts eine Art unterschwelliger Bindung zu den Impulsquellen gefunden. So stufte er die Körper am Himmel automatisch als »böse«, als »negativ« ein. Als die Ballung der Energie zu stark zu werden drohte, entlud sich ein Teil davon in den Weltraum. Der Evolutionssprung stand bevor, aber es bedurfte eines letzten Anstoßes von außen. Er erfolgte genau in dem Augenblick, als eine der Wesenheiten außerhalb des Superplasmas den Katalysator zum Vorschein brachte. * Die Wirkung, die der schwarze Spiegel auf das Plasma ausübte, überstieg alle insgeheim von Cliff gehegten Erwartungen. Die Plasmazunge begann sich zu kräuseln und fiel vom Commander ab. Die Ausläufer der schwarzen Masse, die begonnen hatten, an den Felsen emporzukriechen, sanken in sich zusammen und klatschten in den leicht wogenden Ozean zurück.
Aber das war erst der Anfang. Plötzlich begann die Oberfläche des schwarzen Ozeans aufzuschäumen. Farbige Schaumfetzen unterschiedlicher Größen lösten sich und stiegen in die Luft, wo sie wie kleine Wolken über dem Ozean schwebten. Nach wenigen Minuten war der ganze Himmel von ihnen bedeckt. Cliff starrte ungläubig auf das Bild, das sich seinen Augen bot, bis ihn irgend etwas dazu zwang, den Spiegel zu drehen und hineinzusehen. Diesmal sah er zunächst nur eine mattschwarze Fläche. Dann erschienen Bildfragmente, aber immer nur für kurze Augenblicke. Es sah aus, als ob sich Blitze in der Spiegelfläche reflektierten, um ein kurzes Bild zu werfen und sogleich wieder zu verblassen. Aber dann wurden die Bilder intensiver und hielten sich länger. In gleichem Maß fiel die Benommenheit von Cliff ab. Er war jetzt bei vollem Bewußtsein und versuchte, einen Sinn in das zu bringen, was ihm der Spiegel mitteilen wollte. Mitteilen! Es war eine Botschaft! Und Cliff wußte, daß der Spiegel nur ein Medium sein konnte. Die Konsequenz war ebenso einfach wie faszinierend. Der Plasmaozean schickte sich an, zu ihm zu sprechen! »Wenn ich nur wüßte, was es uns sagen will«, murmelte McLane. »Vielleicht war das, was wir für einen psionischen Angriff hielten, nur der Versuch, mit uns in Kontakt zu treten, den wir mißverstanden haben, weil wir nicht über die entsprechenden Sinne verfügen. Wir hätten ebensogut sterben können.«
Cliff fuhr herum und starrte Norma Russell an, die neben ihm stand und die Wolkengebilde musterte. Er wurde sich schlagartig bewußt, daß er nicht allein hier war. Cliff drehte sich um und sah erleichtert, daß die Gefährten sich von dem Schock erholt hatten, sich aber weiterhin in respektvoller Entfernung zu dem gekräuselten Plasma hielten. Wieder schien Norma seine Gedanken zu erraten. »Ihnen fehlt nichts«, sagte sie ruhig. »Sie haben alles überstanden.« Cliff sah die GSD-Assistentin aus zusammengekniffenen Augen an. »Sie?« Norma nickte. »Ich habe nichts gespürt, Cliff – wie beim erstenmal.« »Sagen Sie mir die Wahrheit, Norma. Gibt es einen anderen Grund für Ihre Zuteilung zur ORIONBesatzung als nur den Kontakt zu den GSDAssistenten auf Aureola zu halten?« Norma lächelte. »Ich sagte doch, daß ich mir in den Kopf gesetzt hatte, einmal im Leben einen Flug mit der berüchtigten ORION-Crew zu machen. Man hat selten Gelegenheit, mit solch bedeutenden Leuten wie Ihnen zusammenzutreffen. Und auf Bimini setzte ich mir in den Kopf, das beste aus unserer Zufallsbekanntschaft zu machen.« »Aus Ihnen soll ein Mensch schlau werden. Sagen Sie mir ehrlich, ob sich hinter Ihrem hübschen Kopf etwas verbirgt, das ...« »... o b ich über abnorme Fähigkeiten verfüge? Q uälen Sie sich nicht, Cliff. Achten Sie lieber auf den Spiegel.«
Jetzt waren deutliche Konturen zu erkennen, aber es dauerte wiederum einige Minuten, bis Cliff begriff, was er auf der Spiegelfläche sah. »Der Weltraum«, stieß er verblüfft aus. »Ein unbekannter Planet und eine ...« »... eine Raumstation«, vermutete Norma. »Sie haben recht ...« Als ob das Plasma auf dieses Begreifen gewartet hätte, wechselte das Bild. Der Weltraum verschwand und machte einem wallenden, blaßroten Etwas Platz, in dem etwas schwamm. »Ein Plasmaklumpen«, erkannte Cliff McLane. »Aber was ist das Rote? Sie wissen doch alles, Norma? Also ...« »Sie können sich Ihren Sarkasmus getrost sparen, großer Kommandant. Ich bin ebenso schlau wie Sie.« »Wahrlich ein Trost«, murmelte Cliff. »Was ist?« fragte Norma, als er den Kopf ruckhaft hob und die Augen wie unter Schmerzen zusammenkniff. Er schüttelte den Kopf und bedeutete ihr mit der freien Hand, zu schweigen. Als er die Augen wieder aufschlug, sah er lange in den Spiegel und nickte immer wieder. »Werde ich's noch erleben, in das große Geheimnis eingeweiht zu werden«, wollte Norma wissen. »Ich glaube, wir erleben die Entstehungsgeschichte des Plasmas mit. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, entsprechende Emotionen aufzufangen, die mit den Bildern auf dem Spiegel ein Ganzes ergäben. Sie haben natürlich nichts gespürt.« »Nein, Cliff. Ich komme mir allmählich selbst merkwürdig vor, wenn ich mir vorstelle, daß ich regelrecht gefühlskalt bin ...«
Cliff vergaß für einen kurzen Augenblick den Spiegel und das Plasma und grinste die GSD-Assistentin an. »Das kann ich mir kaum vorstellen. Es wäre eine Schande ...« »Der Spiegel, Sie Frauenkenner!« Der Plasmaklumpen in dem blaßroten Etwas war größer geworden. Plötzlich erschien ein monströses Gesicht schemenhaft auf der Spiegelfläche, ohne daß das andere Bild verschwand. »Wer ist das nun wieder?« murmelte Cliff. »Der Bursche sieht aus wie eine Mischung zwischen einem Elefanten und einem gewissen Ordonnanzoffizier aus der Wamsler-Ära.« »Ich nehme an, daß es eines der Wesen ist, das das Plasma schuf«, vermutete Norma. Auf Cliffs erstaunten Blick hin zuckte sie nur die Schultern. »Sie haben recht, Norma! Es paßt alles zusammen – die Kunstsonnen, die Bahn des Planeten durch den Weltraum, das schnell wachsende Plasma! Es muß künstlich erzeugt worden sein, und zwar von Wesen, wie wir eines auf dem Spiegel sehen. Es will uns mitteilen, wie es entstand ...« »Es kann uns nur Bilder und Eindrücke vermitteln«, meinte Norma. »Die ganze Wahrheit werden wir wohl nie erfahren.« Cliff wirkte plötzlich sehr erregt. Wieder wechselte das Bild. Das monströse Gesicht verschwand ebenso wie das blaßrote Etwas. Dafür zeigte der Spiegel jetzt unbeholfen wirkende Wesen, die schreiend durch Gänge und Korridore liefen, als ob sie vor etwas fliehen würden.
Aber Cliff war mit seinen Gedanken woanders. »Das Plasma – wir scheinen uns alle getäuscht zu haben! Vielleicht ist es gar nicht feindlich. Vielleicht war alles nur ein großes Mißverständnis. Aber dann könnten Helga und Atan noch leben!« »Dort vorne«, rief Norma. »Der Ozean wölbt sich auf!« McLane sah, was sie meinte. Wenige hundert Meter vor ihnen schien sich eine riesige Blase im Plasmameer zu bilden. Er wurde abgelenkt, als der Spiegel neue Bilder übermittelte. Nun zeigte er die bereits bekannte Raumstation. Sie trieb vor der Kulisse unbekannter Sterne dahin, eskortiert von einem guten Dutzend fremdartiger Raumschiffe. Die Station schien auseinanderbrechen zu wollen. Überall waren Lecks entstanden, aus denen Plasmafladen sich über die silberglänzende Hülle schoben und sie langsam überzogen. »Jetzt verstehe ich«, flüsterte Cliff. »Deshalb flohen die Unbekannten. Das Plasma geriet in seiner Entwicklung außer Kontrolle und wuchs immer weiter. Es muß die gesamte Station ausfüllen!« »Ich muß an eine Reihe unserer alten literarischen Werke denken«, sagte Norma. »Romane und Novellen, die die schrecklichen Folgen menschlichen Eingriffs in die Schöpfung beschrieben. Eines dieser Werke, das sich bis in unsere heutige Zeit herüberrettete, hieß ›Frankenstein‹ ...« »Die Geister, die sie riefen«, brummte Cliff. Das nächste Bild: ein toter Planet, der von neun Miniatursonnen umgeben war. »Der Wanderplanet!« entfuhr es Cliff. Wieder schien das Bild seine Funktion erfüllt zu
haben und wurde vom nächsten abgelöst. Die auseinandergebrochene Station, die auf der Oberfläche der Ödwelt lag und von ausdringendem Plasma umgeben wurde. »Das war der eigentliche Anfang«, sagte Norma leise. »So sah diese Welt einmal aus. Mein Gott, Cliff, das Plasma hat alles verschlungen ...« »Jetzt begreife ich«, verkündete Cliff. »Das alles, der ganze Ozean, ist ein einziges monströses Lebewesen!« Im nächsten Augenblick fuhr er wie unter unsäglichen Schmerzen zusammen. Aber es war kein Schmerz, vielmehr spürte er grenzenlose Trauer, die auf ihn eindrang. Wieder zeigte der Spiegel den Weltraum, durch den der Planet trieb, fernab jeder lebensspendenden Sonne, nur durch die Kunstsonnen am Himmel bestrahlt. Und dann wurde er dunkel. »Atan und Helga!« schrie McLane, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Wo sind sie? Bring sie zurück!« Aber der Spiegel blieb dunkel. Schon war Cliff nahe daran, die Hoffnung aufzugeben. Wenn das Plasmawesen seine Gedanken empfing, was die wechselnden Bilder eindeutig bewiesen, mußte es seine Verzweiflung spüren ... »Dort, Cliff!« rief Norma. Hinter sich hörte der Commander einen unterdrückten Aufschrei. Er wußte, daß Arlene hinter ihm stand. Dort, wo sich die Blase aus dem Ozean gebildet hatte, entstand eine der Schaumwolken und segelte langsam auf die Insel zu, die, wie Cliff jetzt wußte,
einmal ein Berggipfel der Ödwelt gewesen sein mußte. Und auf der kompakten Wolke standen zwei Menschen! Atan und Helga! Das Gebilde schwebte knapp über sie hinweg und sank auf den Boden hinab, wo es die beiden Raumfahrer behutsam absetzte. Cliff sah noch einmal in den Spiegel, aber die Fläche blieb dunkel. Er öffnete den Brustteil seiner Kombination und verstaute ihn vorsichtig. Dann lief er zu den Kameraden. Der Jubel war unbeschreiblich. Mario und Hasso stemmten die beiden totgeglaubten Freunde in die Höhe und führten einen wahren Freudentanz auf. Sie waren wieder zusammen – und nur das zählte in diesem Augenblick.
7. Nachdem Atan und Helga über ihre Erlebnisse in der Plasmablase berichtet hatten, herrschte einige Minuten lang Schweigen. Die Raumfahrer befanden sich wieder in der Mulde, in der sie ihr provisorisches Lager errichtet hatten. »Wir sind eben unverwüstlich«, stellte Mario grinsend fest. »Uns kriegt so schnell niemand klein.« »Witzbold«, meinte Atan. »Du hättest an unserer Stelle sein sollen. Wir sind vorläufig in Sicherheit, na schön. Aber wir sitzen hier fest. Das Plasma scheint keine unmittelbare Gefahr mehr darzustellen, aber wie kommen wir zurück zur Erde? In wenigen Tagen gehen unsere Vorräte zu Ende, und dann wirst du nicht mehr deine großspurigen Sprüche klopfen.« »Das Plasma ist der Schlüssel«, erklärte Cliff. »Wir haben einen Teil seiner Fähigkeiten kennengelernt, aber ich bin sicher, daß uns noch einige Überraschungen bevorstehen.« »Was meint unser Herr Kommandant?« erkundigte sich Helga. »Wenn es in der Lage war, seine psionischen Fühler nach uns auszustrecken, als wir uns noch in der Atmosphäre befanden, ist es auch denkbar, daß es fähig ist, weit in den Raum hinauszugreifen.« »Du meinst die Aureolaner?« »Warum nicht? Machen wir uns nichts vor – wir sind verloren, wenn es uns nicht bald gelingt, jemanden auf uns aufmerksam zu machen. Der Teufel soll Aureola und seine Kriegspolitik holen. Es geht jetzt um unser Leben. Auf Hilfe von Terra können wir
nicht hoffen. Halten wir fest: das Plasma ist zumindest telepathisch und telekinetisch begabt, was eure Rückkehr beweist. Außerdem sieht es uns offenkundig nicht als Feinde an.« »Du meinst, daß wir es um Hilfe bitten sollten?« fragte Arlene, die sich an seine Seite geschmiegt hatte. »Es wäre einen Versuch wert. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß es unsere Gedanken und Gefühle empfangen kann, obwohl wir keine Telepathen sind. Wenn wir versuchen, unsere Situation zu schildern ...« »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß es die Aureolaner derart beeinflussen kann, daß sie plötzlich nichts anderes im Kopf haben, als die lieben schiffbrüchigen Terraner zu retten?« fragte Mario voller Ironie. »Ich glaube überhaupt nichts. Das Plasma wollte sich uns mitteilen, aber es scheint auch für dieses Wesen eine unüberwindliche Schranke zu existieren. Dennoch bin ich überzeugt davon, daß wir bisher nur Kostproben von dem erhielten, was es wirklich zu leisten fähig ist. Wir müssen mehr über es herausfinden.« Arlene sah den Gefährten ahnungsvoll an. »Du hast etwas vor, Cliff.« Der Commander nickte. »Ich werde noch einmal ans Ufer gehen. Wenn das Plasmawesen uns helfen will, wird es begreifen. Wir können nichts tun, gar nichts. Alles liegt jetzt bei ihm.« Die Freunde protestierten heftig, aber Cliff ließ sich von dem einmal gefaßten Entschluß nicht mehr abbringen.
»Viel Glück, Cliff!« preßte Mario de Monti hervor. »Danke, Mario, ich kann es brauchen ...« * Cliff stand allein in der Bucht und hatte den schwarzen Spiegel hervorgeholt. Er dachte einen Augenblick lang daran, welche Kultur in der Lage gewesen sein mochte, diese Artefakte zu schaffen. Der Begriff »Uminiden« spukte durch sein Gehirn. Sie wußten nichts von diesem geheimnisvollen Volk. Noch nicht! korrigierte er sich in Gedanken. Er war sicher, daß sie eines Tages auch dieses Geheimnis ergründen würden. Voraussetzung dafür war allerdings, daß sie den Weg zurück zur Erde fanden. Cliff hob den Spiegel vor sein Gesicht. Er sah sein Ebenbild, das ihn ausdruckslos anstarrte, als erwartete es, daß er die Initiative ergriffe. Dann drehte er den Spiegel und hielt ihn wieder dem Plasmaozean entgegen. Immer noch trieben die Schaumwolken über dem unendlichen, schwarzen Meer. Diesmal dauerte es länger, bis eine Reaktion erfolgte. Aber sie war anders als erwartet. Cliff wurde plötzlich völlig ruhig. Er fühlte, daß etwas auf ihn zukam, aber er hatte keine Angst. Cliff sah, wie sich eine mindestens dreihundert Meter hohe Woge auftürmte und auf ihn zukroch. Sie wurde kleiner und bildete eine Art Dach aus, das sich langsam über ihn stülpte. Eine dünne Plasmazunge schob sich in die Bucht und umspülte seine Füße. Cliff fühlte sich sanft hochgehoben. Es war, als ob er in das riesige Plasmagebilde hineinschwebte, das jetzt
wie eine zu ihm hin offene Halbkugel aussah. Dann floß die dunkle Masse zu beiden Seiten um ihn herum und schloß ihn ein. Cliff befand sich in einem ähnlichen Gebilde, wie er es aus Atans und Helgas Berichten her kannte. Der Raumfahrer hatte das Gefühl für räumliche Fortbewegung verloren. Er wußte nicht, ob er sich noch am Rand der Bucht befand oder bereits weit draußen im Ozean, ob sich die Blase, die ihn umschloß, über oder unter der Oberfläche befand. All das zählte in diesem Augenblick nicht. Cliffs Ruhe war vollkommen. Es gab nur das Plasma und ihn. Er spürte die drängenden Impulse überall um ihn herum. Es war wie ein feines, lockendes Wispern. Das Plasma wollte den Kontakt! Immer noch hielt Cliff den Spiegel in der Hand. Immer, wenn er ihn hob, verstummte das Wispern. McLane begriff, daß das Plasmawesen versuchte, sich ihm mitzuteilen, aber vor unüberwindlichen Schwierigkeiten stand. Und er begriff, daß er selbst die Initiative ergreifen mußte. Cliff hielt dem Plasma den schwarzen Spiegel entgegen und begann zu reden. Er erzählte von Anfang an, was die ORION IX in diesen Raumsektor geführt hatte und schilderte den Hintergrund der aureolanischen Aktivitäten über dem Wanderplaneten. Cliff ließ nichts aus, was zum Verständnis ihres Hierseins nötig war. Als er auf den vermeintlichen psionischen Angriff während des Absturzes zu sprechen kam, war es ihm, als ob er ein deutlich spürbares Gefühl der Trauer wahrnahm. Abschließend berichtete er über die Spekulationen,
die seine Freunde und er über die Natur des Plasmas angestellt hatten, nachdem der Spiegel die fragmentarischen Bilder übertragen hatte. Dann schwieg er und wartete. Wenn das Plasmawesen ihn verstanden hatte, war die Reihe jetzt an ihm. Und dann kamen, vorsichtig und behutsam, die Bilder. Sie erschienen nun nicht mehr auf der Fläche des schwarzen Spiegels, sondern direkt in Cliffs Gehirn ... * Cliff erlebte mit, wie das Superplasma entstand. Er war dabei, als das Leben geboren wurde und sich das Bewußtsein entwickelte. Er erfuhr, daß vor undenklichen Zeiten ein Wissenschaftler aus dem Volk der Yamana, Ganeshda, einen Teil seiner geistigen Substanz in das entstehende Plasma fließen ließ und ihm den Namen gab, mit dem es sich noch heute identifizierte: MAHAB. Cliff erlebte die Mutationssprünge mit, die sich teilweise durch eigene, bereits im allerersten Zellkern festgelegte Programmierung, und teilweise unkontrolliert ergaben. Er fühlte die Verzweiflung, die das Wesen gespürt hatte, als seine Schöpfer vor dem expandierenden Superplasma flohen und es als Monstrum zu betrachten begannen. Dann kam die bittere Stunde der Verbannung und die Integration der beiden »Väter« Mahabs, Ganeshda und Karttikay, die in das Plasma eingegangen und darin ihre Erfüllung gefunden hatten. Es entstand eine Pause, in der Cliff Zeit gegeben wurde, das soeben auf ihn eingeströmte Wissen zu verarbeiten. Dann tauchten neue Bilder auf.
Die endlose Reise durch den Raum zwischen den Sonnen, weitere Evolutionssprünge und die Fähigkeit, in begrenztem Umfang die Raum-Zeit-Struktur zu beeinflussen und kleine Eingriffe in das umgebende Kontinuum vorzunehmen. Cliff begleitete Mahab auf seiner endlosen Wanderung durch den Weltraum, nachdem das Wesen die Plasmasonnen zu steuern und ihre verbrauchte Materie zu ersetzen gelernt hatte. Im Laufe der Jahrhunderte erzeugte Mahab eine Sauerstoffatmosphäre, wie sie von seinen Schöpfern, den Yamana, geatmet worden war. Die Mutationen nahmen kein Ende, und es schien, als ob Mahab auch heute noch nicht seine endgültige Zustandsform erreicht hätte. Während der langen einsamen Reise reifte ein Wunsch heran und verdrängte alle anderen Gefühle in Mahab: das unbändige Verlangen, die Einsamkeit zu überwinden und in Kontakt mit anderem Leben zu treten. Um so schmerzlicher empfand Mahab es, daß die erste wirkliche Begegnung fast zur Katastrophe geführt hätte. Wieder verblaßten die Bilder. Cliff stand ergriffen zwischen phantasievollen Plasmawänden, die einem der zeitgenössischen terranischen Künstler alle Ehre gemacht hätten. Er spürte, daß Mahab ihm noch etwas mitteilen wollte. Jetzt, wo er seine Geschichte kannte, hoffte er, daß es etwas mit der ORION-Crew zu tun hatte. Als dann die Projektionen zurückkehrten, waren es jedoch die Schiffe Aureolas, die in Cliffs Bewußtsein Form annahmen. Zahllose Raumschiffe, die hoch über den Sonnen kreisten und den Planeten mit Ortungsstrahlen abtasteten. Mahab wußte genau über die Beobachter Bescheid, allerdings nur über das, was nach außen hin an ihrer Tätigkeit erkennbar
war. Über die Motive der Aureolaner hatte das Wesen erst durch Atans und Helgas Gedanken erfahren. Als sich durch den – wenn auch vorerst noch einseitigen – Kontakt zu den beiden Menschen ein gefährlicher energetischer Überschuß in Mahab gebildet hatte, hatte das Plasma die freigesetzten Energien in den Weltraum entladen, wo sich die Feinde der Menschen befanden. Zwei Raumschiffe verschwanden übergangslos aus dem Raum-Zeit-Kontinuum. Cliff schrak heftig zusammen. Sofort verschwanden die Bilder. »Das darfst du nicht!« rief Cliff. »Du darfst sie nicht vernichten. Es sind Menschen – Menschen wie wir!« Eine Weile herrschte Stille, dann drang eine lautlose Stimme in Cliffs Bewußtsein. Aber sie sind eure Feinde! »Sie sind Gegner, aber keine Feinde, Mahab!« Sie planen ein Verbrechen an euch und eurer Welt. Ich werde sie alle verschwinden lassen, um euch zu helfen. Cliff spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. »Du darfst es nicht, Mahab! Es sind Menschen wie wir! Du hilfst uns nicht, auch wenn du es noch so gut mit uns meinst – im Gegenteil!« Er empfand eine Woge von Unverständnis. Mahab schien nicht zu begreifen. Ich werde denken ... Damit war die seltsame Unterhaltung vorerst beendet. Cliff hatte eine schreckliche Vision. Er sah ein Aureolanerschiff nach dem anderen verschwinden, ohne daß die Besatzungen der Schiffe den geringsten Hauch einer Chance hatten. Endlich meldete sich das Superplasma wieder. Das Leben ist komplizierter, als ich es mir vorgestellt
hatte, vernahm McLane. Aber ich beginne zu begreifen. Eure Motive und Gefühle sind vielschichtig und nicht sogleich richtig zu deuten. Uns trennen Welten, aber ich glaube, daß ich verstehe. »Was wirst du also tun?« fragte Cliff. Ich werde ihnen eine Lehre erteilen, sie aber schonen. Sie werden sich verändern. Ihr dagegen werdet meine Welt bald verlassen können. Es ist schmerzhaft für mich, die ersten Freunde zu verlieren, die ich nach meiner Verbannung traf ... Cliff wollte etwas erwidern, aber er spürte, daß Mahab die Unterhaltung beendet hatte. Die Plasmastrukturen verschwammen und veränderten sich. Wieder fühlte Cliff sich hoch gehoben. Dann entstand plötzlich eine Öffnung in dem Baldachin über ihm. Das Plasma wich nach allen Seiten hin zurück und floß in den Ozean. Cliff stand wieder in der Bucht. Einige Minuten lang starrte er schweigend auf den Plasmaozean hinaus und versuchte, das eben Erlebte noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren zu lassen. Es war zu phantastisch. Aber eines wußte er nun. Sie hatten es nicht mit einem Monstrum zu tun, im Gegenteil – das Superplasma war ein hochsensibles Wesen mit Fähigkeiten, die jeder noch so hochentwickelten technischen Kultur bei weitem überlegen waren. Das mochte auch der Grund für die mysteriösen Yamana gewesen sein, Mahab »abzuschieben«. Wieder einmal hatten sie alle aufgrund menschlicher Unzulänglichkeiten, vielleicht sogar aus einer gewissen Überheblichkeit heraus, voreilig ein falsches Urteil über eine unbegreifliche Lebensform gebildet. Unter anderen Umständen hätte dies zu einer Kata-
strophe unvorstellbaren Ausmaßes führen können. Ein Irrtum von vielen. Wieviele würde es noch geben? Cliff drehte sich um und verstaute den Spiegel wieder unter der Kombination. Zwischen den Felsen warteten seine Gefährten auf ihn. Mit gesenktem Kopf schritt McLane auf sie zu. Ihn beschäftigte nur ein Gedanke. Was hatten Mahabs Andeutungen zu bedeuten? Was würde in den nächsten Stunden, vielleicht sogar schon den nächsten Minuten geschehen? Er hatte die Gruppe der Freunde fast erreicht, als Mario einen Schrei ausstieß und in den Himmel deutete. * Die Wolkenfetzen über dem Ozean fielen von einer Minute zur anderen in sich zusammen und sanken auf die Oberfläche der zähflüssigen Masse zurück. Sie vereinten sich mit dem Plasma, und der Schaum verwandelte sich in seine Ursprungsform zurück. Mahabs Oberfläche wurde spiegelglatt. Cliff war bei den anderen angelangt, aber er kam nicht dazu, ihnen von seinem Erlebnis zu berichten, denn plötzlich begann der Himmel zu flackern. Seltsame Lichterscheinungen tanzten über dem Plasmaozean. Sie erinnerten Cliff an Nordlichter. Irgend etwas geschah in diesen Augenblicken, irgend etwas, über dessen wahres Ausmaß sich nur Vermutungen anstellen ließen. Cliff war überzeugt davon, daß die Leuchterscheinungen am Himmel nur Begleiterscheinungen gravierender Ereignisse waren. Endlich fiel der Bann von den Raumfahrern ab.
Cliff erzählte, was er in der Plasmablase erlebt hatte und schilderte Mahabs Geschichte. Schließlich berichtete er über die ursprüngliche Absicht des Plasmawesens, die Aureola-Flotte verschwinden zu lassen und über die mysteriösen Andeutungen. Die Freunde diskutierten eifrig und rätselten darüber nach, was das Leuchten am Himmel zu bedeuten hatte. »Und wenn er doch ernst macht und die Aureolaner aus unserem Kontinuum katapultiert, wie er es mit den beiden Schiffen bereits tat? Was dann, Cliff?« McLane wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er wieder das Wispern in seinem Kopf spürte. Er hob die Hand. »Was ist, Cliff?« fragte Arlene besorgt. »Es kommt wieder – Mahab meldet sich ...« Einige Minuten lang stand Cliff unbewegt da und lauschte in sich hinein. Die übrigen Mitglieder der Crew und Norma Russell betrachteten ihn mit einer Mischung aus Neugierde, Faszination und Angst vor dem, was sie nicht begreifen konnten. Cliff war kein Telepath. Über welche Kräfte mußte ein Wesen verfügen, das in der Lage war, seine Gedanken in Cliffs Gehirn zu projizieren? Arlene nahm Cliffs Hand. Sie mußte an ein nicht lange Zeit zurückliegendes Abenteuer denken. Damals hatte sie sich in einer ähnlichen Situation befunden, als sie, von den Rufimpulsen Phantom-Babys angelockt, die Gedankenbilder von Wendys Ableger empfangen hatte. »Es ist vorbei«, verkündete Cliff plötzlich. Er schlug die Augen auf und wirkte einige Augenblicke lang verwirrt, fast wie in Trance.
»Du machst es vielleicht spannend, Cliff McLane, das will ich dir sagen«, sagte Helga. »Mahab hat zu dir gesprochen, oder?« Cliff nickte. »Es war eine kurze Botschaft. Mahab erklärte, daß er uns nun endlich begriffen hätte. Er teilte mir mit, daß ein aureolanisches Schiff landen, uns bergen und zur Erde zurückbringen würde.« »Das ist unmöglich«, entfuhr es Mario de Monti. »Du phantasierst, Cliff, die Strapazen haben dich überfordert!« »Rede keinen Unsinn und laß mich aussprechen. Mahab legte großen Wert darauf, daß wir in ihm nicht das Monstrum sehen wie seine Schöpfer. Sobald wir den Planeten verlassen haben, wird Mahab sich unseren Blicken entziehen, wie er es ausdrückte, und seine Reise in die Unendlichkeit fortsetzen – die Aureolaner werden ihn nicht mehr daran hindern und für ihre Zwecke mißbrauchen können. Mahab ist immer noch auf der Suche nach sich selbst. Vielleicht wird er uns und die Erde besuchen, wenn er seine endgültige Identität und Form gefunden hat.« Die Crew schwieg betroffen. Schließlich brach Hasso den Bann. »Und was heißt das alles im Klartext?« »Wir werden sehen«, sagte Cliff.
8. Das aureolanische Schiff schwebte in einer Höhe von knapp zweihundert Metern über der Felseninsel. Beiboote wurden ausgeschleust und brachten die Verschollenen an Bord. »Ich werde verrückt«, flüsterte Mario den Gefährten zu, als sie die LANCETs in einem großen Hangar verließen. »Es ist die ZERBERUS, das Flaggschiff Admiral Kailoffs!« Der letzte Rest von Mißtrauen verschwand, als sie nach einigen Minuten in der Zentrale der ZERBERUS standen und sich einem sichtlich erschütterten Admiral Kailoff gegenübersahen. Auch die Offiziere und Techniker wirkten betreten. Irgend etwas mußte das seelische Gleichgewicht der Aureolaner vollkommen durcheinandergebracht haben. Cliff Allistair McLane ahnte, wer dafür verantwortlich war, hütete sich aber, etwas zu sagen. »Ich freue mich, Sie und Ihre Mannschaft wohlbehalten an Bord meines Schiffes begrüßen zu können«, brachte der Admiral hervor und reichte Cliff als erstem die Hand. Auf Kailoffs Stirn standen Schweißperlen. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich den Zwischenfall bedaure – außerdem konnte ich nicht wissen, daß wir es mit der berühmten ORION IX zu tun hatten, Oberst McLane.« »Wir bedauern es auch«, antwortete Cliff sarkastisch. »Interessieren würde mich allerdings, was Sie getan hätten, wenn Sie rechtzeitig gewußt hätten, mit wem Sie es zu tun hatten.« »Er hätte uns gewiß auf ein Plauderstündchen über
die ›Operation Panflöte‹ an Bord gebeten«, sagte Hasso mit bissigem Unterton. Admiral Kailoff schrak zusammen, als die »Operation Panflöte« erwähnt wurde, aber es war nicht mehr als ein schwacher Reflex. Der Kommandant des aureolanischen Verbands machte eine hilflose Geste. Wie alle anderen Männer und Frauen in der Zentrale, stand er unter schwerer Schockwirkung. Sie mußten ein grauenhaftes Erlebnis hinter sich haben. Ich werde ihnen eine Lehre erteilen, sie aber schonen, hatte Mahab angekündigt. »Bitte urteilen Sie nicht zu hart«, bat der Admiral. »Ich verstehe das alles nicht, aber ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um den Abschuß Ihres Schiffes wiedergutzumachen.« »Dann seien Sie so nett und bringen uns zur Erde zurück«, forderte McLane ohne lange Umschweife. Dennoch war er überrascht, als Kailoff nickte und sich anstandslos anschickte, einige der Offiziere zu sich zu rufen. In diesem Augenblick geschah jedoch etwas Unerwartetes. Eine Frau an den Ortungsgeräten schrie laut auf und gestikulierte heftig, bis die Augen sämtlicher Anwesenden auf den Monitoren hafteten. »Mahab ...« flüsterte Cliff und zog Arlene an sich, als ob er sie vor dem behüten wollte, das in diesen Minuten im Weltraum vorging. Der Wanderplanet schien transparent zu werden. Gleichzeitig sah es so aus, als wollten die Plasmasonnen erlöschen. »Mahabs Ankündigung«, sagte Cliff leise zu den Gefährten. »Er deutete an, daß er sich unseren Blicken
entziehen wollte, sobald wir gestartet waren.« »Die Aureolaner, Cliff!« rief Atan gedämpft. Der Commander löste den Blick für einen winzigen Augenblick von den Monitoren und sah hinüber zu den Offizieren, die sich um die zentrale Bildplatte gruppiert hatten. Sie waren erstarrt! »Der Planet, Cliff ...« Hassos Stimme klang fast flehend. Noch einmal stabilisierte sich Mahabs Welt, und die neun Sonnen leuchteten heller als zuvor. Dann flackerten sie ein letztesmal auf. Von einem Augenblick zum anderen war der Weltraum leer. Die ORION-Crew brauchte einige Sekunden, um das zu begreifen, was sie gesehen hatte. Ein ganzer Planet war übergangslos aus dem Universum verschwunden. Vielleicht war er im gleichen Augenblick an einer anderen Stelle wieder aufgetaucht, irgendwo in den Tiefen der Galaxis, im Raum zwischen den Sterneninseln oder in einer anderen Milchstraße – vielleicht aber befand er sich in einem anderen, unbekannten Kontinuum. Cliff McLane schüttelte den Bann ab und drehte sich um. Allmählich kam Bewegung in die Aureolaner. McLane atmete unwillkürlich auf. Trotz Mahabs Ankündigung hatte er einen Moment lang Schlimmes befürchtet. Admiral Kailoff redete mit einem Offizier und kam zur ORION-Crew zurück. Sein Gesicht drückte völlige Ratlosigkeit aus. »Was war das?« fragte er nur. »Das ist eine lange Geschichte, Admiral«, erklärte Cliff. »Aber was macht der Kurs?«
»In zwei Wochen sind wir über der Erde«, murmelte der Admiral mit gesenktem Kopf. Es war offensichtlich, daß er die Welt nicht mehr verstand. Cliff konnte nicht anders – er ging zu dem einsamen Mann und legte ihm die Hand auf die Schulter. Die ganze Crew hätte den Aureolaner für das, was er getan hatte, hassen müssen. Aber die Raumfahrer empfanden nur Mitleid. * Noch vor dem Einflug ins Sonnensystem wurde die ZERBERUS von einem starken Verband terrestrischer Schiffe empfangen und gestoppt. Erst nach längerem Gespräch zwischen Cliff McLane und Admiralin Leandra de Ruyter erhielt sie die Erlaubnis zum Weiterflug. Die Chefin der T.R.A.V. hatte Cliff die ganze Zeit des Gesprächs über seltsam forschend angeblickt, war aber nicht näher auf den Verlust der ORION IX und das unerlaubte Entfernen von der Lauschposition bei Alderamin eingegangen. »Diesmal gibt's ein Donnerwetter auf der Erde«, unkte Mario de Monti. »Norma wird ein gutes Wort für uns einlegen«, meinte Arlene und zwinkerte der GSD-Assistentin zu. Die beiden Frauen verstanden sich ausgezeichnet. »Abwarten«, sagte Cliff. »Bei der Behandlung, die ihr gewisse Mitglieder unserer glorreichen Crew angedeihen ließen ...« Der Flug ging weiter ins Sonnensystem hinein. Die terrestrischen Schiffe eskortierten die ZERBERUS, bis der Aureolaner in einen Erdorbit eingewiesen wurde. Wenige Minuten später kündigte Leandra de
Ruyter an, daß ihr Flaggschiff, die OPHIUCHUS, anlegen würde. Der Diskus erschien auf den Schirmen und wurde rasch größer. Die ORION-Crew und Norma Russell befanden sich wieder in der Zentrale der ZERBERUS. Sie hatten ihre verschlissenen Kombinationen längst gegen frische Kleidung ausgewechselt, die Admiral Kailoff ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Wieder hatte Cliff Mitleid mit dem Admiral, der wie ein gebrochener Mann wirkte. Die ganze Zeit des Fluges über hatte er sich beharrlich über das ausgeschwiegen, was ihm und seiner Besatzung – ebenso wie den Mannschaften der anderen aureolanischen Schiffe, die mittlerweile in ihr Heimatsystem zurückgekehrt waren – über dem Wanderplaneten widerfahren war. Die OPHIUCHUS legte an. Wenig später kamen Leandra de Ruyter, Han Tsu-Gol und Tunaka Katsuro an Bord, begleitet von einem Kommando schwerbewaffneter Raumsoldaten. »Wir scheinen mit jedem abgeschlossenen Einsatz beliebter zu werden«, sagte Atan. »Jetzt erscheint bereits die gesamte Prominenz unserer guten alten Erde, um uns persönlich willkommen zu heißen.« »Ich habe eher das Gefühl, daß ihnen der Sinn nach etwas ganz anderem steht«, vermutete Cliff. »Das fürchte ich auch«, ergänzte Mario. »Wenn sie sich schon extra Verstärkung mitbringen ...« Admiral Kailoff hatte sich wie zufällig zur ORIONCrew gesellt, die vor dem Zentrallift auf die Ankömmlinge wartete. Es machte fast den Eindruck, als suche er Schutz bei den Raumfahrern. Und dann erschienen die ersten Raumsoldaten im
Lift und verteilten sich über die Zentrale. Die Aureolaner blickten ängstlich in die Mündungen der Strahlwaffen und verhielten sich absolut ruhig. Leandra de Ruyter betrat die Zentrale, nach ihr erschien Han Tsu-Gol. Tunaka Katsuro bildete den Abschluß. Die Begrüßung war knapp und alles andere als herzlich. Erst als Han Tsu-Gol Admiral Kailoff zur Seite nahm und sich mit ihm und den aureolanischen Offizieren unterhielt, taute die Atmosphäre etwas auf. Leandra de Ruyter und der GSD-Direktor machten der Crew ein Zeichen. Die Raumfahrer verstanden und begaben sich in eine stille Ecke der riesigen Zentrale. »Wir hätten es wissen müssen«, sagte die Admiralin. »Man kann Sie nicht einfach zum Stillhalten zwingen, was allerdings auch nie unsere Absicht war. Sagen Sie mir eines, Cliff. Was hat Sie diesmal wieder geritten?« Natürlich hatte der Commander einen kurzen Bericht gegeben, als die ZERBERUS auf Warteposition vor dem Sonnensystem stand. Die Admiralin war also über das Schicksal der ORION IX informiert. »Das ist nicht so einfach gesagt, Chefin. Am besten reden wir bei einem guten Tropfen darüber.« Leandra de Ruyter konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Was mich anbetrifft – einverstanden, aber ich glaube, daß Han Ihnen noch einiges zu sagen haben wird. Übrigens«, sie deutete zu der Gruppe der Aureolaner hin, »was haben Sie mit den Kerlen angestellt? Sie sind ja ganz eingeschüchtert.« »Ist das ein Wunder?« fragte Cliff grinsend. »Im-
merhin mußten sie uns ganze zwei Wochen lang aushalten ...« Tunaka Katsuro hatte sich zu Norma Russell gestellt. »Nicht einmal auf unsere Leute ist Verlaß, Norma. Was haben Sie sich dabei gedacht, als Sie die neueste Eigenmächtigkeit unserer Freunde auch noch unterstützten?« »Von Unterstützung kann gar keine Rede sein«, sagte Norma mit gespielter Entrüstung. »Was würden Sie machen, wenn man Sie vor die Wahl stellte, entweder mitzufliegen oder ohne Raumanzug auszusteigen?« Nun lächelte auch Katsuro. Er zwinkerte Cliff zu. »Solche brutalen Menschen gibt es in der ORIONCrew?« »Das kann ich Ihnen sagen«, versicherte Norma mit todernstem Gesicht. »Vor allem ...« Sie sprach nicht aus, sondern drehte sich zu Mario de Monti um und machte eine bezeichnende Geste. »Da soll doch ...«, stieß der Kybernetiker hervor, verstummte aber auf ein warnendes Zeichen Cliffs hin. Han Tsu-Gol war herübergekommen und musterte die Crew mit ausdruckslosem Gesicht. »Und nun zu Ihnen, Oberst McLane!« * Der Regierungschef sah Cliff lange an, nachdem der Commander seinen Bericht beendet hatte. Außer der ORION-Crew befanden sich Tunaka Katsuro, Leandra de Ruyter, Peter Sobolew und Kyll Lennard in
dem kleinen Konferenzraum unterhalb des Carpentaria-Golfs. Schließlich schüttelte Han Tsu-Gol in gespielter Verzweiflung den Kopf und fragte: »Was soll ich nur mit Ihnen machen, Cliff? Eigentlich sollte ich Sie und Ihre Crew nach jedem eigenmächtigen Einsatz vom Flottendienst suspendieren, aber Sie machen es mir sehr schwer. Können Sie nicht zur Abwechslung einmal mit einem Mißerfolg zurückkehren?« »Ganz einfach, Han: befördern Sie uns ...« Der Asiate bemühte sich, ernst zu bleiben. »Sie sind sich Ihres Erfolges ziemlich sicher, oder? Also schön, Cliff. Sie haben die Erde wahrscheinlich wieder einmal vor einer großen Bedrohung befreit – das soll honoriert werden. Ich werde eigens für Sie und Ihre Crew einen neuen Orden schaffen lassen.« McLane versuchte, in Hans Gesicht zu lesen. Er wußte nicht, was er von dieser Eröffnung zu halten hatte. »Fehlt Ihnen etwas, Han?« fragte er schließlich. Nun trat das bekannte feine Lächeln auf das Gesicht des Regierungschefs. »Im Gegenteil, Cliff. Besondere Leistungen müssen belohnt werden. Da Ihr Bericht sich mit dem, was wir von den Aureolanern erfahren konnten, deckt, gibt es keinen Anlaß zum Zweifel. Kailoff gab übrigens unumwunden zu, daß die Aureolaner planten, das Plasmawesen nach genauerem Studium für ihre Eroberungs- und Herrschaftspläne einzusetzen – als erstes gegen die Erde.« »Sehr schön«, brummte Cliff. »Wir bekommen also einen Orden, ich bin sicher, daß Sie sich etwas Originelles einfallen lassen werden, Han.«
»Wir werden ihn mit Stolz zu tragen wissen!« verkündete Mario de Monti neben Cliff. »Aber der Haken, Han – wo ist der Haken? Ein altes Sprichwort sagt, daß nach dem Zuckerbrot meist die Peitsche kommt ...« Han Tsu-Gol und seine Minister wechselten amüsierte Blicke. »Ich verstehe Ihre Skepsis nicht ganz, Cliff«, sagte Han. »Als ob wir wegen einer simplen Eigenmächtigkeit böse auf Sie wären. Dann kämen wir ja aus dem Ärger gar nicht mehr heraus ...« »Sprach die Füchsin mit dem Teppichklopfer hinter dem Rücken, als der Fuchs betrunken nach Hause kam ...« Han verkniff sich eine Bemerkung zu Cliffs kläglichem Versuch, seine blumige Ausdrucksweise zu imitieren. »Nein, Cliff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Diesmal kommen Sie alle noch einmal ungeschoren davon. Es läßt sich allerdings nicht vermeiden ...« Die Mitglieder der Crew warfen sich vielsagende Blicke zu. »Was läßt sich nicht vermeiden, Meister der Spannung?« »Nun«, sagte Han, »da Sie kein Schiff mehr haben, wird es sich nicht vermeiden lassen, Sie für die nächste Zeit mit einem Bodenkommando zu betrauen ...« »Das ist nicht Ihr Ernst, Han!« Der Regierungschef beugte sich vor und sah Leandra de Ruyter an. »Gibt es nicht diese neue Anordnung, nach der jede Raumschiffscrew der Flottenschiffe nach einem abge-
schlossenen Einsatz ein mindestens zwanzigseitiges Protokoll zu verfassen hat?« Die Admiralin nickte mit ernstem Gesicht. »Das können Sie nicht von uns verlangen, Han!« protestierte Cliff. Aber Han Tsu-Gol winkte nur ab. »Wieviel Einsätze ist die ORION seit Inkrafttreten dieser Anordnung geflogen, ohne auch nur einen einzigen detaillierten Bericht zu verfassen, Admiralin?« »Etwa zehn bis fünfzehn, Han. Oberst McLane gab jedesmal nur eine Kopie der BordbuchMagnetaufzeichnung ab.« »Lieber wasche ich Teller im Starlight-Casino«, brummte Cliff, bevor er das verstohlene Zwinkern der Admiralin bemerkte. * Die ORION-Crew verbrachte den Abend in einer abgelegenen Ecke des Starlight-Casinos. Sie hatte zahlreiche Unterredungen mit Wissenschaftlern und Ministern hinter sich. Vor allem Kyll Lennard hatte sie nach allen Regeln der Kunst stundenlang über Mahab ausgefragt. Der Wissensdurst des Ministers für Wissenschaft und Forschung war schier unstillbar. Die Raumfahrer saßen bei den üblichen Getränken an ihrem runden Tisch und wirkten nicht sehr gesprächig. Natürlich wußten sie mittlerweile, was sie von Han Tsu-Gols Ankündigungen zu halten hatten. Sie wußten auch, daß Admiral Kailoff sich dafür verbürgt hatte, daß Aureola der Erde den Wert der von der aureolanischen Raumflotte zerstörten ORION IX ersetzen würde.
So war es nicht verwunderlich, daß die Raumfahrer im stillen bereits darauf spekulierten, in Kürze ein neues Raumschiff zu bekommen. Der Grund für die gedrückte Stimmung war ein anderer. Sie waren in Gedanken bei Mahab. Jeder der Raumfahrer fragte sich, was aus dem Plasmawesen geworden war und ob sie vielleicht tatsächlich einmal Besuch von ihm erhielten. Erst nach drei weiteren Runden geistiger Getränke löste sich die gedrückte Stimmung ein wenig. »Diese Norma«, überlegte Arlene laut. »Ich frage mich, was der wirkliche Grund dafür war, daß der GSD sie uns zuteilte ...« »Schlag dir alle Spekulationen aus dem Kopf«, sagte Cliff. »Ich habe mit Katsuro gesprochen. Sie sollte tatsächlich nur als Bindeglied zu den auf Aureola eingesetzten GSD-Assistenten fungieren. Katsuro rechnete immerhin damit, daß wir für längere Zeit auf unserer Lauschposition bleiben würden, allerdings kalkulierte er ein, daß wir uns irgendwann selbständig machen würden.« »Ein Menschenkenner«, kommentierte Atan Shubashi. »Er rechnete jedoch damit, daß wir und Aureola als ›Angriffsziel‹ für die von uns befürchteten Eigenmächtigkeiten aussuchen würden. Deshalb gab er uns Norma mit – sozusagen als Absicherung. Daß alles anders kommen würde, konnte auch er nicht ahnen.« »Aber wieso empfing sie nicht Mahabs Impulse?« fragte Helga. Cliff zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, Freunde. Ich habe Katsuro nichts davon gesagt, falls ihr das befürchtet. Sie wird es
selbst tun, wenn sie es für richtig hält, und wenn sie nicht vor der Aussicht zurückschreckt, von Hunderten von Ärzten, Psychologen und anderen Wissenschaftlern untersucht zu werden.« »Apropos Norma«, sagte Hasso. »Da kommt sie gerade. Nanu, sie setzt sich zu den Burschen da drüben ...« Mario de Monti hatte die ganze Zeit über kaum der Unterhaltung zugehört. Es war offenkundig, daß ihn etwas völlig anderes beschäftigte. Jetzt, wo Norma im Casino erschienen war, rutschte er auf seinem Sessel nervös hin und her. Norma Russell sah kurz zu den Raumfahrern herüber und winkte. Alle, außer Mario, winkten zurück. »Es ist kein Wunder«, meinte Helga, »daß sie nicht an unseren Tisch kommt. Sie hat das letztemal noch zu gut in Erinnerung.« Mario warf ihr einen giftigen Blick zu. Er kämpfte mit sich, während die anderen sich vergnügte Blicke zuwarfen. Mario entging dies natürlich nicht. »Dummes Volk!« preßte er hervor und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Dann stand er abrupt auf und ging hinüber zu der Nische, wo die GSDAssistentin zwischen vier jungen Männern, offensichtlich ebenfalls vom GSD, saß und sich angeregt zu unterhalten schien. »Jetzt bin ich gespannt«, sagte Atan. Aber selbst ihm verschlug es die Sprache, als Norma aufstand und mit Mario auf eine der Tanzplattformen stieg. *
Es hatte Mario eine gehörige Portion Überwindung gekostet, an Normas Tisch zu gehen und sie um eine »kurze Unterredung« zu bitten. Wie er ausgerechnet auf die Idee kam, sie zum Tanz aufzufordern, wurde ihm selbst niemals klar. Es gehörte einige Geschicklichkeit dazu, sich zwischen den Verrenkungen die die neuen Modetänze kennzeichneten, zu unterhalten. Norma machte es Mario insofern leicht, als sie schweigend seinen Eröffnungen zuhörte. Er erklärte ihr anhand haarsträubender Vergleiche, daß er der Vorthanier in Erethreja treu ergeben sei, und daß er sie, Norma, nur so abweisend behandelt hätte, weil er fürchtete, sich ernsthaft in sie zu verlieben. Natürlich gab er damit zu, daß er sich seiner Willensstärke, was die Treue anbelangte, nicht hundertprozentig sicher war. Als er sich seine Gewissensqualen von der Seele geredet hatte, fühlte er sich so erleichtert, daß er auch gleich damit zu prahlen begann, früher der Löwe aller Casinos in den Raumhäfen der Kolonialwelten gewesen zu sein. Norma hatte ihn reden lassen. Jetzt lächelte sie. »Da bin ich aber froh, Mario, ich glaubte schon, Sie hätten etwas gegen mich ...« »Um Himmels willen!« protestierte der Kybernetiker. »Wenn da nicht ...« Er deutete mit vielsagender Miene zur Decke des Casinos, »... wenn da nicht meine Erethreja wäre, dann hätten Sie mich schon längst von einer ganz anderen Seite kennengelernt.« »Das glaube ich Ihnen aufs Wort, Mario. Ihr Ruf kommt ja nicht von ungefähr ...« Irgendwie hatte Mario das Gefühl, daß ihre Worte nicht ganz ernst gemeint waren. Er glaubte, einen
spöttischen Unterton herauszuhören. »Ich freue mich auch«, sagte er dennoch. »So, und jetzt können wir ja wieder ...« »Moment!« rief Norma, als Mario Anstalten machte, die Tanzplattform zu verlassen. »Diesen Tanz noch – bitte. Es ist meine Lieblingsmelodie.« Mario lauschte auf die Klänge des neuen Musikstücks. Er sah, wie die anderen Paare sich aneinander schmiegten. »Lieber nicht, Norma. Diese Nostalgietänze mit Anfassen liegen mir nicht ...« »Ach was, es geht ganz einfach – eins links, zwei rechts. Passen Sie auf ...« Sie packte ihn und unterband so jeden Widerstand. Mario suchte verzweifelt nach einem Grund, aufzuhören, als er ihren wohlgeformten Körper so dicht bei sich fühlte. Die Versuchung war zu groß ... Schließlich ergab er sich in das schwere Schicksal. »Du bist ein guter Tänzer, Mario«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Du?« »Die Siezerei geht mir allmählich auf die Nerven«, meinte Norma. »Sie haben ... du hast recht«, keuchte Mario. Normas Parfüm, ihr anschmiegsamer Körper und die weiche Musik brachten ihn fast um den Verstand. Und dann war der Tanz aus. Sie standen noch einige Augenblicke dicht beieinander. Norma hob den Kopf. »Beruhigt, großer Casanova?« Mario brachte ein heiseres Lachen zustande. Wieder wußte er nicht, ob sie sich nicht doch über ihn lustig machte.
Plötzlich richtete sie sich auf ihre Zehenspitzen auf und küßte ihn. Mario konnte nicht anders – er erwiderte den Kuß. »Mach's gut, Alter«, flüsterte sie ihm zu und verschwand. Mario stand auf der Plattform wie versteinert. Dann schüttelte er den Kopf und richtete den Blick zur Decke der Kuppel. »Es mußte sein, Erethreja. Du würdest mich verstehen ...« Als Mario die Plattform verließ und zu seinen Kameraden zurückkehrte, war er wieder der selbstsichere, draufgängerische Mann, als den man ihn überall kannte. Er begrüßte Tunaka Katsuro, der sich inzwischen zur ORION-Crew gesellt hatte, und ignorierte die Blicke seiner Freunde. »Was halten Sie von ihm?« fragte Katsuro. »Wen meinen Sie?« »Hat sie ihn Ihnen nicht vorgestellt? Normas Verlobten meine ich – dort drüben am Tisch ...« *
Epilog Irgendwo in den Tiefen des unendlichen Alls trieb Mahab weiter auf seinem Weg und auf der Suche nach seiner endgültigen Zustandsform. Ein wichtiger Evolutionssprung war erfolgt, als er durch den Kontakt mit den Menschen gelernt hatte, sich anderem Leben mitzuteilen. Weitere Mutationen würden erfolgen, bevor Mahab vielleicht in einigen Jahrzehnten, vielleicht in Jahrtausenden wieder Menschen begegnen würde. Mahab wußte nicht, wie er dann aussehen und über welche Fähigkeiten er verfügen würde. Die Antwort lag vor ihm – irgendwo in der Unendlichkeit von Zeit und Raum ... ENDE