Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 230
Das Psycho-Komplott Der Unheimliche beherrscht ihren
Geist - Arkoniden werden zu...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 230
Das Psycho-Komplott Der Unheimliche beherrscht ihren
Geist - Arkoniden werden zu
Marionetten
von Dirk Hess
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, die in ihrer Habgier und Korruption das Gemeinwohl völlig au ßer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba naschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits mehrmals erfolg reich zum Einsatz gelangte. Aber Gonozal, der ehemalige Imperator, ist im wahrsten Sinne des Wortes nur ein lebender Toter, eine Marionette ohne Geist und Seele, der selbst die Wunderheiler von Perpandron kein echtes Leben mehr einzuhauchen vermögen. Und da die Heiler sich weigern, Gonozal wieder freizugeben, kämpft Atlan um die Rückkehr seines Vaters zur ISCHTAR. Atlan gewinnt den Kampf – doch er verliert ihn zugleich, denn so bestimmen es der Unheimliche und DAS PSYCHO-KOMPLOTT …
Das Psycho-Komplott
3
Die Hautpersonen des Romans:
Cari Toblon, Urson Macton und Chari-Ton-Bol - Besatzungsmitglieder der VALTRICTON.
Sarissa del Monotos - Eine junge Frau übt Blutrache.
Kars Parghir - »Mittler« der Goltein-Heiler.
Solthoron - Ein Goltein-Schüler.
Zarcov Ma-Anlaan - Ein Boß der SENTENZA.
1. Man hat mich gerufen, und ich bin ge kommen. Ich soll töten, und ich werde töten. Das ist meine Aufgabe. Ich werde das Opfer ver nichten, wenn es sich am sichersten fühlt. Ich töte, weil ich mächtig bin. Kein ande rer besitzt meine Fähigkeiten. Ich habe die Kunst des Tötens zu einer nie gekannten Perfektion entwickelt. Meine Vorbereitungen sind abgeschlossen. Alles gleicht den Vorbe reitungen zu einem überragenden Kunst werk. Ich kenne das Opfer und seine Gesell schaft. Ich kenne auch die außerordentliche Situation meines Opfers. Es gab Augenblicke, in denen ich das Opfer bewunderte. Das sind tragische Situa tionen im Leben eines Künstlers. Mitleid ist eine Tugend der Schwachen. Deshalb werde ich mein Opfer mit der Hartnäckigkeit eines Jägers zur Strecke bringen. Ich will die Todesangst in seinen Augen sehen. Ich will seine letzten Sekunden in das Finale meines selbstgeschaffenen Dramas einbeziehen. Was wißt ihr Narren schon vom Tod? Der Tod ist die Erlösung und Befreiung von allen Schmerzen. Was ihr fürchtet, ist die Ungewißheit, was nach diesem schmerz haften Einschnitt kommen wird. In Wahrheit fürchtet ihr nicht den Tod, sondern die Vor stellung des Todes. Ich bin der Tod, und ich besitze die Macht über die Sterblichen.
* In den Abendstunden staute sich der Ver kehr auf den energiestabilisierten Hochbah
nen des Vergnügungsbezirks Hocton-Mur. Der riesige Trichterbau war das Ziel zahlrei cher Raumsoldaten und Schiffskommandan ten. In farbenprächtigen Gleitern fädelten sie sich in den Verkehrsstrom ein. »Die zentrale Verkehrspositronik von Hocton-Mur gibt bekannt, daß sämtliche Einstellmöglichkeiten für Besucher besetzt sind. Es wird empfohlen, die Ausweichstati on Bartron zu benutzen. Für die Zeitabstän de zwischen der Video-Ansprache Seiner Erhabenheit, Imperator Orbanaschol III. und den Kommentaren des Obersten Flotten kommandos, ist eine künstliche Beregnung sämtlicher Parks angeordnet worden. Die Besucher werden gebeten, ihre Fahrzeuge nicht zu verlassen und die Trichteretagen aufzusuchen …« Cari Toblon schlug auf die Aktivierungs taste des Regionalfunks. »Wenn wir schon mal ausspannen wol len!« Seine beiden Begleiter nickten. Sie beug ten sich in den weichen Polstern des Gleiters vor. Ihre Uniformen glänzten im Licht der Energiebahnen. Ihre Gesichter wirkten hart und zeigten die Kompromißlosigkeit von Kämpfern, die sich in den Raumschlachten gegen die wasserstoffatmenden Maahks be währt hatten. Urson Macton und Chari-Ton-Bol hatten eine Woche Urlaub. Endlich hatten sie die engen Gänge und Hangars der VALTRIC TON verlassen können. Das Schlachtschiff hatte ihnen seit drei Jahren die Heimat erset zen müssen. »War eine verdammt lange Zeit, daß wir nicht mehr auf Arkon I waren, was?« Toblon nickte seinem Freund Urson Mac ton zu. »Wird sich allerhand geändert haben. Mit
4 Neuigkeiten wurden wir ja wirklich nicht ausreichend versorgt. Ob die Mädchen im Belcantro immer noch so hübsch sind?« Chari-Ton-Bol kicherte. »Wenn ich an die blauhäutige Tänzerin von Zalak III denke, wird mir ganz weich in den Knien.« »Du wirst, doch bei jedem Weib schwach«, meinte Macton lachend. »Bei den Methans hast du mehr Geschick gezeigt als bei weiblichen Wesen.« Chari-Ton-Bol bekam auf einmal glanzlo se Augen. Er starrte aus dem Seitenfenster des geräumigen Gleiters. Er schien die wun derbare Parklandschaft nicht wahrzuneh men, die tief unter ihnen von bunten Strah lerbatterien ausgeleuchtet wurden. Er schien auch nicht auf den Trichterbau Hocton-Mur zu achten, der in Fahrtrichtung immer grö ßer wurde. Ein gequältes Stöhnen entrang sich seiner Kehle. »Er hat schon wieder diese merkwürdigen Anwandlungen«, meinte Toblon. »Wir sollten ihm einen Behandlungsplatz bei den Goltein-Heilern verschaffen.« In Urson Mactons Stimme hatte ein höh nischer Ton mitgeschwungen. Ein arkonidi scher Raumsoldat durfte sich keine Blöße geben. Gleichgültig, welche mörderischen Erlebnisse er gehabt hatte. »Goltein-Heiler sind etwas für die Super reichen«, ergänzte Urson Macton. »Der ar me Chari-Ton-Bol dürfte niemals die Sum me für eine einzige Sitzung bei einem Golt ein-Heiler aufbringen können. Wir müssen uns selbst helfen. Wenn ich mich betrachte, so ist mir das bisher ausgezeichnet gelun gen. Die Kämpfe im Tricoron-Sektor waren entsetzlich. Aber wir haben sie gewonnen. Nicht eine einzige Schiffseinheit dieser ver dammten Maahks kam bis zu den bewohn ten Welten durch. Ich finde, wir können stolz auf uns sein.« Chari-Ton-Bol achtete nicht auf die Wor te seiner Kameraden. Das kurzgeschnittene Silberhaar hing ihm wirr in die Stirn. Salzi ges Augensekret lief ihm über die Wangen.
Dirk Hess Ein Zeichen, daß er stark erregt war. Vor seinem geistigen Auge erschienen die Glutbälle explodierender Raumschiffe. Die Sterne verblaßten vor den grellen Plasma bällen. Längst vergessene Kommandos gell ten in seinen Ohren. Druckabfall in Deck III. Unbewußt tastete Chari-Ton-Bol nach dem Magnetverschluß seines Raumanzugs. Aber er trug keinen Raumanzug, denn er be fand sich in einem Gleiter, der das Vergnü gungszentrum Hocton-Mur auf Arkon I an steuerte. Angriffsformation auf Maahk-Einheit im Gelbsektor. Chari-Ton-Bols Hände verkrallten sich im Stoff des Schalensessels. Er glaubte, das Zi schen der Luftversorgungsanlage zu hören. Druckabfall in Deck III. Ein Mann kam nicht mehr rechtzeitig in seinen Druckanzug. Die explosive Dekompression riß ihm die Lungen aus dem Leib. Niemand konnte ihm helfen. Währenddessen schleuderten die Impuls geschütze ihre tödlichen Gluten durchs All. Treffer im Gelbsektor! Chari-Ton-Bol schrie triumphierend auf. »Das reicht«, knirschte Urson Macton. »Der Kerl verdirbt uns den ganzen Abend.« Bevor Chari-Ton-Bol reagieren konnte, hatte ihm der Arkonide einen Faustschlag versetzt. Chari-Ton-Bol sackte wimmernd im Schalensessel zusammen. Die schreckli che Vision von der letzten Raumschlacht zerplatzte in das Netzwerk unzähliger Frag mente. Jedes dieser Fragmente erzählte im Unterbewußtsein des Raumsoldaten seine ei gene Geschichte. Und diese Geschichten waren voll von Blutvergießen und selbstlo sen Einsätzen. »Schluck das hier!« Urson Macton schob seinem Kameraden eine Beruhigungskapsel zwischen die Zäh ne. Chari-Ton-Bol schluckte sie wider spruchslos herunter. Er spürte, wie sich die Gelatineschicht auflöste und den Wirkstoff in seinen Kreislauf abgab. Die Erinnerungen waren auf einmal nicht mehr so mächtig. Sie
Das Psycho-Komplott wurden wieder in das Unterbewußtsein ab gedrängt. Eine unnatürliche Leichtigkeit er griff Besitz von dem Raumsoldaten. »Wann sind wir da?« fragte ChariTon-Bol, als sei überhaupt nichts geschehen. »Du hast dich schnell wieder gefangen, alter Junge«, spöttelte Urson Macton, wurde aber rasch wieder ernst. »Ohne den kleinen Seelentröster hättest du uns den Abend ver dorben. Wir bekommen jeden Augenblick den Abstellplatz zugewiesen. Wenn wir in die Vergnügungssalons gehen, will ich mei nen Spaß haben. Hast du verstanden?« Chari-Ton-Bol nickte gleichmütig. Die Beruhigungskapsel hatte ihn in eine Art Dämmerzustand versetzt. Er war mit sich und der Welt im Einklang. Jetzt gab es nichts mehr, was sein Dasein überschattete. »Wenn du noch mal verrückt spielst, mel de ich dich dem neuen Kommandanten«, warf Toblon ein. »Du weißt, was das für dich bedeutet. Du wirst degradiert und ver lierst den Anspruch auf Altersversorgung. Ich rate dir dringend, in Zukunft besser auf deine Gefühle aufzupassen.« Der Gleiter verließ die energiestabilisierte Hochstraße und schwenkte zu den plattform ähnlichen Ausbuchtungen des riesigen Trichterbaus ab. Es waren nur noch wenige Fahrzeuge vor ihnen. Die Verkehrspositro nik regelte den Andrang der Besucherfahr zeuge vorbildlich. Auf Arkon I wurde nahe zu alles positronisch geregelt. Das Wetter, der Verkehr und die Versorgungsprobleme. »Wir haben einen Mordsspaß verdient«, meinte Toblon. »Ich will endlich mal wieder so richtig über die Stränge schlagen. Beim alten Kommandanten war das anders …« Urson Macton unterbrach seinen Begleiter barsch. »Wir dürfen den Namen des alten Kommandanten nicht mehr erwähnen. Du weißt, daß wir dafür bestraft werden kön nen,« Toblon nickte. Seit die Untersuchungs kommission die VALTRICTON verlassen hatte, war alles ganz anders geworden. Ihr neuer Kommandant, Nedo Teclon, hatte sämtliche Erinnerungsstücke seines Vorgän
5 gers entfernen lassen. »Ob der Alte wirklich mit den Maahks paktieren wollte?« Urson Macton schüttelte den Kopf. Vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild des alten Kommandanten auf. Sie hatten fünf Jahre unter seinem Kommando gedient. Abagur del Monotos gehörte zu jenen Adli gen, die noch unter dem alten Imperator Go nozal VII. gegen die Maahks gekämpft hat ten. Es war ein offenes Geheimnis, daß del Monotos nicht mit den Maßnahmen des neuen Imperators einverstanden war. Del Mono tos nannte Orbanaschol III. verächtlich einen Usurpator und Diktator. »Wahrscheinlich hat Teclon das Gerücht von del Monotos' angeblicher Untreue be wußt in die Welt gesetzt, um schneller sein Kommandantenpatent zu erhalten«, vermu tete Toblon. »Das solltest du für dich behalten. Abagur del Monotos existiert nicht mehr. Ich möch te jetzt nicht in der Haut seiner Angehörigen stecken. Orbanaschol hat ihr Vermögen ein ziehen lassen. Außerdem verloren sie sämtli che Adelsrechte.« »Ich bin froh, daß wir bei der Affäre heil über die Runden gekommen sind«, fügte To blon hinzu. »Weil wir den alten Kommandanten ver raten haben«, sagte Chari-Ton-Bol heftig. »Fängst du schon wieder an?« »Wir sollten ihn im Gleiter lassen«, stieß Urson Macton wütend hervor. »Aber viel leicht pumpen sie ihn im Vergnügungssalon voll Psychodrogen. Das bringt ihn garantiert auf andere Gedanken.«
* Urson Macton, Cari Toblon und ChariTon-Bol wurden seit der Landung der VAL TRICTON nicht mehr aus den Augen gelas sen. Ihr unbekannter Verfolger hatte einen Minispion in ihren Gleiter plaziert. Er kann te jedes Wort ihrer Unterhaltung, und er wußte, welches Ziel sie hatten. Urson Macton warf einen amüsierten
6 Blick auf die Zarltoner, die vor dem Tor des Belcantro-Etablissements standen. Die Män ner trugen enganliegende Kombinationen aus einer glitzernden Kunstfaser. In ihren breiten Gürteln steckten leichte Nadler. Die Gesichter der beiden Posten wirkten unbe teiligt. Sie hatten ihre Arme vor den breiten Brustkörben verschränkt. »Mit so einem will ich keinen DagorKampf austragen«, meinte Urson Macton grinsend. »Kann ich dir nicht verdenken. Die bei den sind Könner auf dem Gebiet. Wetten, daß sie täglich mindestens drei Stunden üben müssen!« »Vier Stunden«, stieß der eine Zarltoner kehlig hervor. »Die SENTENZA gibt sich nicht mit halben Sachen ab.« Urson Macton musterte den Zarltoner. »SENTENZA … was soll das sein?« frag te er, obwohl er es natürlich wußte. Der Zarltoner lächelte verständnisvoll. Hier erschienen tagtäglich die merkwürdig sten Gestalten aus allen Teilen des Großen Imperiums. Wer gegen die Maahks ge kämpft hatte, wußte oft nicht mehr, was zu Hause los war. In wenigen Jahren konnte sich vieles verändert haben. »Die SENTENZA«, begann der Zarltoner salbungsvoll, »ist eine Organisation, die für den reibungslosen Ablauf sämtlicher Ver gnügungen auf Arkon I sorgt. Ihr werdet schon noch dahinterkommen, was das für euch im einzelnen bedeutet.« »Wir können für unser Vergnügen selbst sorgen«, meinte Toblon herablassend. »Das glauben wir euch gern«, entgegnete der Zarltoner, dessen Rechte beunruhigend nahe am Kolben seines Nadlers lag. »Aber, wie mein Kamerad schon erwähnte, jetzt kontrolliert die SENTENZA den Amüsier betrieb. Gegen eine geringe Gebühr be kommt jeder die Garantie, daß die Nacht sei nen Wünschen gemäß verläuft.« »Und wenn wir nicht zahlen?« Der Zarltoner grinste überlegen. »Dann könnte euch etwas zustoßen. Ein Verkehrs unfall, verdorbene Speisen, eine Überdosis
Dirk Hess an Seelentröstern, falsch programmierte Ge fühls-Androiden, ein Weib mit Krallen …« »Hör auf«, preßte Urson Macton wütend hervor. »Wir zahlen, das ist klar. Es hat sich wirklich eine Menge hier verändert.« »Ihr gewöhnt euch noch daran.« Der Zarltoner deutete auf den silbernen Kasten am Eingang des Belcantro. Die schmalen Schlitze zum Einschieben der Ma gnet-Kreditkarten waren nicht zu übersehen. Dort wurden die Beträge für die »Schutzgebühr« abgebucht und später durch die positronische Buchungsmaschinerie von ihrem Sold einbehalten. Nachdem die Raumsoldaten ihre Kredit karten aus dem Schlitz der Maschine gezo gen hatten, schwang vor ihnen die breite Glastür beiseite. Laute Musik, Stimmenge wirr und Lachen schallten ihnen entgegen. Verdeckte Sprühmechanismen umnebelten sie mit Wolken irgendeines kostbaren Par füms. Es war ein Duft, der sie jede Vorsicht vergessen ließ. Sie gaben sich dem bunten Treiben willig hin. Eine zierliche Kolonialarkonidin verbeug te sich vor den Raumsoldaten. »Darf ich den Herren eine Erfrischung an bieten?« Sie streckte ihnen ein Tablett mit mehre ren Gläsern entgegen. Die Getränke waren verschiedenfarbig. Irgendeine Substanz löste sich in ihnen auf. »Auf dein Wohl, Toblon!« Die Raumsoldaten prosteten sich zu. Wenn sie jetzt einer auf ihre Erlebnisse im All angesprochen hätte, wären sie sicherlich aus der Haut gefahren. Sie waren hergekom men, um diese Erlebnisse zu vergessen. Urson Macton deutete auf die schlanken Tänzerinnen, die über das indirekt beleuch tete Karree huschten. Die jungen Arkonidin nen waren außergewöhnlich hübsch. Ihre Bewegungen waren grazil und gut einstu diert. Es war nichts Gewöhnliches oder Las zives an ihnen. Sie wirkten ungemein natür lich. »Genau das Richtige für uns!« Toblon schnalzte anerkennend mit der
Das Psycho-Komplott Zunge. Im gleichen Augenblick wechselte die Beleuchtung. Lichtblitze flammten auf und pulsierten im Rhythmus der tanzenden Mädchen. Ihre schlanken Körper wurden wie Schemen im Lichtgewitter sichtbar. Ihre Bewegungen erschienen ruckhaft und ver setzt während der Lichtsequenzen. Der Tanz wurde dadurch wie in Zeitlupe sichtbar. Gebannt starrten die Raumsoldaten in das Geflimmer. »Phantastisch … wirklich märchenhaft!« Sie vergaßen alles um sich herum. Und so kam es, daß sie Chari-Ton-Bols Verschwin den erst viel später bemerkten. Doch da war es für den Raumsoldaten schon zu spät.
* Aus der angrenzenden Nische ertönte hei seres Lachen. Ein älterer Arkonide ließ sich berauschende Gewürze servieren. Die leicht bekleidete Matrone kitzelte ihn fortwährend mit einer Vogelfeder. Das brachte den Alten dazu, die bereits inhalierten Gewürzschwa den wieder auszustoßen. Er verbrauchte auf diese Weise eine weitaus größere Menge an Rauchgewürzen. Das schlug sich in der Bi lanz des Belcantro zu Buche. Chari-Ton-Bol ließ den Magnetverschluß seiner Uniformjacke aufschnappen. »Mir wird heiß«, sagte er. »Das ist nichts Außergewöhnliches«, er klärte die Rothaarige. »Ein Mann darf sich ruhig eingestehen, daß ihn die Anwesenheit einer schönen Frau nervös macht.« Chari-Ton-Bol wurde immer unsicherer. Das Lachen des alten Arkoniden in der be nachbarten Vergnügungsnische störte ihn. »Können wir nicht woanders hingehen?« »Warum?« meinte die hübsche Arkoni din, die sich seiner angenommen hatte. »Hier ist es gemütlich. Niemand stört uns. Ich bestelle uns etwas zu Trinken.« Chari-Ton-Bol wußte sofort, daß sie ihre Haare gefärbt hatte. Keine Arkonidin besaß rote Haare. Dabei war es nicht leicht, die sil berblonden Haare einer Arkonidin derart rot zu färben.
7 »Ich konnte einen anständigen Schluck vertragen. Aber wollen wir nicht zuerst zu den Tierschaukämpfen gehen?« Die Rothaarige lächelte verständnisvoll. »Wenn Sie den Maahks genauso ausgewi chen wären, wie Sie jetzt mir ausweichen, säßen Sie bestimmt nicht hier.« Die Augen der Frau leuchteten geheim nisvoll. Chari-Ton-Bol wurde das Gefühl nicht los, daß mit ihr etwas nicht stimmte. Er fragte sich erneut, weshalb sie ihn angespro chen hatte. Er wirkte nicht gerade wie die Verkörperung eines siegreichen Raumsolda ten, der mit seinen Einsätzen gegen die Maahks prahlen konnte. Im Gegenteil: seine Erinnerungen an das Gemetzel im TricoronSystem ließen sich nur schwer unterdrücken. Chari-Ton-Bol machte den Eindruck, als würde er ständig einen inneren Kampf aus fechten. »Wie heißen Sie?« fragte er die Rothaari ge unverhofft. »Namen sind Schall und Rauch. Warum nehmen Sie mich nicht so, wie ich bin?« Chari-Ton-Bol haßte die unpersönlichen Begegnungen, auf die Raumsoldaten wäh rend ihres knapp bemessenen Urlaubs ange wiesen waren. Er wollte den Namen seiner Begleiterin unbedingt erfahren. »Ich würde Sie gern mit Ihrem Namen an sprechen!« Sie blickte ihn verheißungsvoll an. Mit ei ner koketten Bewegung warf sie eine Sträh ne ihres wunderbaren Haares in den Nacken. Das Material ihres knappen Schurzes kni sterte. »Sarissa«, antwortete sie. »Nennen Sie mich einfach Sarissa.« Chari-Ton-Bol erstarrte mitten in der Be wegung. Er stellte das Glas mit dem Getränk auf die Lehnenkonsole seines Polsters. Plötzlich drehte sich ihm alles vor den Au gen. »Genügt meine bloße Anwesenheit, um Sie aus der Fassung zu bringen?« »Nein … das ist es nicht, Sarissa!« Er sprach ihren Namen gedehnt aus. »Es ist wirklich ein seltener Name. Er gefällt mir.«
8 Sarissa kniff die Augen zusammen. Ir gendwie hatte der Raumsoldat plötzlich das Gefühl, sie würde ein teuflisches Spiel mit ihm treiben. Aber dafür gab es keinerlei An haltspunkte. Es gab viele Arkonidinnen, die sich im Dienst der SENTENZA Kreditkar ten verdienten. Aber es gab nur wenige, die Sarissa hießen. Chari-Ton-Bol kannte eine Sarissa, aber die könnte unmöglich mit die ser Rothaarigen identisch sein. Warum eigentlich nicht, mußte ChariTon-Bol auf einmal denken. Das Alter könn te stimmen. Ebenso die Größe und der Wuchs. »Haben Sie auch einen Nachnamen, Sa rissa?« »Nein!« Die Antwort klang entschieden. »Wenn ich im Belcantro bin, habe ich grundsätzlich keinen Nachnamen. Aber wes halb fragen Sie mich danach?« »Ach …«, begann Chari-Ton-Bol unsi cher. »Es bedeutet gar nichts. Vergessen Sie meine Frage.« Er trank sein Glas mit einem Zug leer. Das prickelnde Getränk entfaltete sofort sei ne betäubende Wirkung. Und Betäubung war das einzige, was der Raumsoldat im Belcantro suchte. Er sah die schimmernden Lichter des Laufgangs vor sich. Sie flacker ten wie riesengroße Schemen und wurden ständig von vorübergehenden Besuchern un terbrochen. Die lachenden Arkoniden ver schwanden in der Weite des Tanzsaals. Chari-Ton-Bol schloß die Augen. Er konnte es nicht verhindern, daß die Erinne rung an seinen alten Kommandanten erneut erwachte. Abagur del Monotos war tot. Und er – Chari-Ton-Bol – war schuld am Tod dieses verdienten Mannes! Die ganze Besat zung der VALTRICTON hatte ihren Kom mandanten verraten. »Trinken Sie! Ich habe ein neues Glas kommen lassen.« Chari-Ton-Bol griff gierig danach. Sekun denlang berührte er Sarissas Handgelenk. Ih re Haut fühlte sich eiskalt an. Er setzte das Glas an seine Lippen und sah die junge Ar konidin nachdenklich an.
Dirk Hess »Sie sind eine ungewöhnliche Frau, Saris sa. Ich würde zu gern Ihren Nachnamen er fahren … und wenn es das letzte wäre, was ich in diesem Leben erfahren sollte.« Jetzt verzog sie den Mund zu einem dia bolischen Lächeln. Ihre Augenbrauen stell ten sich etwas auf, und das rote Haar um rahmte das Oval ihres blassen Gesichts wie ein Gewebe aus Spinnfäden. Ihre Augen versprühten ein überirdisches Leuchten. »Vielleicht ist es tatsächlich das letzte, was Sie in Ihrem erbärmlichen Leben hören werden.« Ihre Lippen hatten sich kaum bewegt, und doch hatte er ihre Worte ganz deutlich ver standen. »Welches Spiel treiben Sie mit mir, Saris sa?« Sie berührte sein Glas. »Trinken Sie, Chari-Ton-Bol … trinken Sie, und Sie werden von Ihren Leiden erlöst sein. Ein schlechtes Gewissen kann schlim mer als ein eiterndes Geschwür sein.« »Woher kennen Sie meinen Namen, Sa rissa? Ich habe mich Ihnen nicht vorge stellt.« »Das tun hier die wenigsten!« Sie lachte und drängte ihn erneut, den In halt des Glases auszutrinken. Als er es tat, entspannte sich ihre Haltung. Sie war auf einmal gelöst und weniger hart als zuvor. Chari-Ton-Bol glaubte, den mädchenhaften Zug an ihr zu entdecken, den er mit einer an deren Sarissa in Verbindung gebracht hatte. »Sie haben mir noch nicht gesagt, woher Sie meinen Namen kennen.« Sarissa machte eine gelangweilte Geste. Sie sah ihm tief in die Augen. ChariTon-Bol hatte erneut das unbestimmte Ge fühl, Sarissa wäre von einem bösen Geist besessen. Das Leuchten in ihren Augen wur de stärker. Es brannte sich tief in sein Inner stes ein. Er hätte schwören können, daß in Sarissa etwas Fremdes, Bedrohliches exi stierte. Plötzlich zuckte er zusammen. Ein ste chender Schmerz raste durch seine Glieder. Er preßte beide Hände vor den Leib und
Das Psycho-Komplott sackte langsam in sich zusammen. »Sarissa … was haben Sie in das Getränk getan?« Er erbrach sich. Roter Schaum stand auf seinen Lippen. Die Schmerzwellen folgten immer rascher aufeinander. Er kam noch einmal hoch und machte ein paar taumelnde Schritte, dann brach er erneut zusammen. Das lärmende Treiben des Belcantro verhall te vor seinem ersterbenden Bewußtsein. Jetzt existierten nur er und das Mädchen. »Sarissa!« Sie stand neben ihm und drehte ihn mit dem Fuß herum. In ihrer Geste lag soviel Geringschätzung, daß der Raumsoldat un willkürlich aufschreien mußte. »Ja … Chari-Ton-Bol! Was wollen Sie noch von mir?« »Warum … haben Sie das getan?« Sie lachte. Im Treiben des Belcantro brauchte sie nicht zu befürchten, daß jemand auf sie aufmerksam wurde. Man würde den toten Raumsoldaten aller Wahrscheinlich keit nach erst am kommenden Tag finden, wenn die Säuberungsroboter durch die Ni schen schwebten. »Warum haben Sie das getan?« Sie beugte sich zu ihm herunter. Er konn te ihr Gesicht deutlich erkennen. Sie sah ihn nur an, und er wußte, weshalb er sterben mußte. Das Wissen, und die Tatsache, daß er seinen Tod nicht mehr verhindern konnte, machten ihn rasend. Er schrie laut auf. Doch sein Schrei verhallte ungehört. »Sarissa del Monotos … ich hätte es wis sen müssen!« Das waren Chari-Ton-Bols letzte Worte. Sein Blick wurde starr, und er lag mit dem Gesicht auf den weichen Polstern, als sie ihn später fanden.
* Urson Macton und Cari Toblon wurden von den jungen Burschen unsanft ins Freie befördert. Draußen wehte eine erfrischende Brise. Die Wetterpositronik hatte eine kurze Regenperiode eingeleitet. Draußen standen
9 künstliche Wolken über den weitläufigen Kunstparks. Leichte Schauer berührten auch die Ränder des Trichtergebäudes, auf dem sie jetzt standen. »Wo steckt Chari-Ton-Bol?« wollte Urson Macton wissen. »Laß mich … mit dem zufrieden«, lallte Cari Toblon. »Der verdirbt uns doch bloß die gute Laune.« »Zum Teufel mit unserer guten Laune. Ich fühle mich noch gar nicht müde. Ich könnte eine ganze Maahk-Einheit auseinan dernehmen. Man gebe mir einen Schlacht kreuzer, und ich zerschlage die verdammten Methans!« Die beiden Raumsoldaten torkelten zu den Hangars der Gleiter hinunter. Sie über gaben dem Roboter ihre Kreditkarten und warteten ungeduldig darauf, daß er die Park gebühr abbuchte. »Was unternehmen wir jetzt?« Urson Macton war voller Tatendrang. Sein Gesicht war gerötet, was auf die über reichlich genossenen Getränke zurückzufüh ren war. »Wir fliegen zum Transmitter und buchen Arkon III …« Cari Toblon warf sich in die Brust. »Die Welt des Krieges ist genau das Rich tige für uns. Wir hätten nach der Landung der VALTRICTON gar nicht erst nach Ar kon I kommen sollen. Die Vergnügungszen tren hinter dem Raumhafen sind allemal bes ser als das jämmerliche Belcantro.« Urson Mactor kratzte sich am Kinn. Er mußte seinem Kameraden zustimmen. Die Vergnügungszentren von Arkon III hatten in jüngster Zeit einen unerhörten Aufschwung genommen. Seit auf der dritten Welt des Heimatsystems der Arkoniden das Robotge hirn errichtet wurde, lebten dort viele Po sitronikspezialisten. Diese Männer suchten in ihrer Freizeit Abwechslung und Vergnü gen. Diesem Bedürfnis wurde natürlich ent sprochen. Ein kalter Hauch ließ Urson Macton zu sammenschrecken. Unmittelbar vor ihm rag te die transparente Sichtkuppel ihres Gleiters
10 auf. »Was war das, Toblon?« »Nichts … die Abschirmung gegen den Platzregen ist defekt.« Plötzlich zuckte Urson Macton erneut zu sammen. Hinter ihm raschelte etwas. Er drehte sich auf dem Absatz herum und er kannte den Körper einer schlanken Arkoni din. Die Gestalt hob sich scherenschnittartig vor den Leuchtreklametafeln ab. »He … sieh dir das an, Toblon! Die hat's auf uns abgesehen.« Das kehlige Lachen der Raumsoldaten wurde von einer schneidenden Stimme un terbrochen. »Ihr sucht doch euren Freund, nicht wahr?« »Ganz recht! Woher wissen Sie das? Was geht Sie das überhaupt an?« Cari Toblon machte ein paar Schritte rückwärts, um die Fremde besser erkennen zu können. Aber sie blieb im Schatten. Jetzt nestelte sie an ihrem Gürtel und holte etwas hervor. »Habt ihr euch gut amüsiert?« fragte die Arkonidin. »Wenn Sie uns begleiten, werden wir uns bestimmt besser als im Belcantro amüsie ren«, konterte Urson Macton. »Da muß ich euch enttäuschen. Ich werde euch nicht begleiten, denn ich ziehe es vor, noch ein Weilchen zu leben!« Cari Toblon mußte schlucken. Die Arko nidin schien eine merkwürdige Art von Hu mor zu benützen. Der Raumsoldat war auf einmal wütend. Er stampfte mit dem Fuß auf und ging langsam auf die Fremde zu. Seine Haltung drückte die Entschlossenheit des Draufgängers aus. Jetzt verließ die junge Arkonidin den Schatten der schmalen Überdachung. Hinter ihr vollführten die Leuchtreklametafeln einen farbenprächtigen Reigen. Wie durch Zauberhand lag der kurzläufige Blaster in ihrer Rechten. Ein höhnisches Lächeln um spielte ihre vollen Lippen. »Was … was soll das?« stammelte To blon entsetzt. »Stecken Sie das Ding weg.
Dirk Hess Es könnte losgehen.« »Das wird es auch. Ihr werdet jetzt euren Freund ins Jenseits begleiten.« Cari Toblon drehte sich zu seinem Freund um. Urson stand wie angewurzelt vor dem Gleiter. Außer ihnen befand sich niemand im Freien. Sie waren der Fremden wehrlos ausgeliefert. »Was haben wir Ihnen getan?« »Dasselbe fragte mich Chari-Ton-Bol vorhin auch. Er wußte es, nachdem er mich erkannt hatte.« »Dann sagen Sie uns, wie Sie heißen! Wir haben die Schutzgebühr an die SENTENZA entrichtet. Machen Sie uns also keinen un nötigen Ärger.« Die Rothaarige lachte. Ihre schlanke Ge stalt schien sich zu straffen. Sie sah die bei den Raumsoldaten kurz an. Als sie erkannte, daß Toblon nach einer Deckung suchte, hob sie die Mündung ihres Blasters etwas an. »Das hat keinen Sinn, mein Freund! Be vor Sie auch nur einen Schritt getan haben, sind Sie ein toter Mann. Sie wollten meinen Namen wissen. Den Gefallen tue ich Ihnen gern, denn es ist der letzte, den ich Ihnen er weisen kann. Ich heiße Sarissa del Mono tos.« Die Raumsoldaten sahen sich entsetzt an. Schlagartig wurde Ihnen bewußt, daß sie den Trichterbau nicht mehr lebend verlassen würden. Wenn die Rothaarige tatsächlich Sarissa del Monotos war, dann mußten sie jetzt für ihren feigen Verrat büßen, der ei nem hervorragender! Raumfahrer das Leben gekostet hatte. Urson Macton streckte seine Hand aus. Er wollte etwas sagen, doch die grelle Glut des Blasters erstickte jedes Wort in seiner Keh le. Sie umhüllte ihn und verbrannte ihn in Sekundenschnelle zu Asche. Cari Toblon starb auf dieselbe Weise. Sarissa del Monotos drehte sich langsam um. Sie senkte die Rechte. Der Blaster schi en auf einmal zentnerschwer zu sein. »Ich habe sie getötet. Das waren die er sten, die am Tode meines Vaters schuld wa ren. Bist du zufrieden mit mir?«
Das Psycho-Komplott Aber es kam keine Antwort. Und wenn es eine Antwort auf ihre Frage gab, so konnte sie nur in ihrem Innersten beantwortet wer den. Sie hatte drei kaltblütige Morde began gen. Dennoch fühlte sie eine ungeheure Er leichterung in sich. Sie hatte die Befehle der geheimnisvollen Stimme in ihrem Innern be folgt. Regenschauer benetzten ihr Gesicht. Plötzlich erlosch der strahlende Glanz ihrer Augen. Es ließ sich nicht mit Sicherheit sa gen, ob ihr Tränen oder Regentropfen über die Wangen liefen. Ein kalter Hauch hüllte sie ein. Fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Jegliches Gefühl schien in ihr erstorben zu sein. Die Kontrollen des Gleiters leuchteten auf. Das Fahrzeug ruckte an und schoß über die Kante des Trichtergebäudes hinaus. Sa rissa del Monotos war allein mit sich – und dem Fremden in ihrem Innersten.
2. Die Schule der Goltein-Heiler lag in einer kunstvoll angelegten Parklandschaft. Schwungvolle Täler wechselten sich mit schmalen Felserhebungen ab. Die schlanken Trichterbauten hoben sich deutlich vom saf tigen Grün der Bäume ab. Der Bezirk erin nerte an die Landschaft des Planeten Perpan dron, auf dem vollausgebildete Goltein-Hei ler ihrer, geheimnisvollen Tätigkeit nachgin gen. Kleine Wasserläufe schimmerten durch die Baumgruppen hindurch. Die steinernen Beckenumrandungen waren mit Skulpturen und mystischen Zeichen verziert. Auf den kiesbestreuten Wegen kamen die Goltein-Schüler langsam näher. Sie senkten die Köpfe, als Kars Parghir aus dem Wald trat. Parghir war ein Arkonide mittleren Al ters. Er trug die gelbe Robe des »Mittlers« und war der ranghöchste Goltein-Heiler auf Arkon I. Sein Wort war Gesetz, und es gab keinen Goltein-Schüler, der ihn nicht verehrt hätte. Kars Parghir hatte seinen Kopf kahlge schoren. Von den Brauen bis zur Stirn und
11 seitlich von den Schläfen zogen sich astro nomische Symbole über die glattrasierte Haut. Seine Schüler würden erst nach den ri tuellen Prüfungen diesem Beispiel folgen. Jetzt trugen sie die Haare noch schulterlang, wie es auf Arkon Mode war. Wenn Kars Parghir sprach, beschrieben seine Hände imaginäre Linien in der Luft. Seine Gesten wirkten würdevoll und verlie hen ihm den Eindruck überlegener Reife. Parghir achtete mit großer Strenge auf die Einhaltung der rituellen Handlungen. Wäh rend der Schulungszeiten wechselten sich Meditationen und praktische Übungen ab. Die knapp bemessenen Pausen wurden mit Diskussionen ausgefüllt. Ein Goltein-Schüler lebte während seiner Ausbildung wie ein Mönch. »Folgt mir in die Halle des Weisen Man tar!« Die blauen Umhänge der Schüler raschel ten verhalten. Kies knirschte unter ihren Schritten. Sie trugen nur einfache Ledersan dalen. »Ihr dürft eintreten!« Sie verteilten sich in der großen Halle, de ren Rückwand transparent war und einen Ausblick auf den Wald gestatteten. Das sanfte Wiegen der Bäume bildete eine beru higende Kulisse. »Setzt euch!« Das Rascheln der Umhänge verlor sich in der Weite des Kuppelsaals. Als ein uralter Arkonide den Raum betrat, ging ein ehr fürchtiges Raunen durch die Reihen der Schüler. Die jungen Männer verneigten sich vor dem Alten. Sie hockten mit übergeschla genen Beinen auf dem nackten Steinfußbo den. Der Alte nickte Kars Parghir bedächtig zu, dann schlug er gegen einen großen Gong. Der Hall brach sich dumpf an den ge wölbten Wänden und ebbte langsam ab. »Ihr seid hier zusammengekommen, weil für euch ein entscheidender Lebensabschnitt zu Ende gegangen ist«, begann Kars Parghir seine feierliche Ansprache. »Ihr habt die Fa stenzeit ohne Murren überstanden, und ihr
12 habt die Mysterien der Goltein-Heiler willig über euch ergehen lassen. Es gibt nur weni ge Arkoniden, die dieses Stadium erreichten. Viele gaben auf halber Strecke auf. Noch mehr hielten den geistigen Strapazen der er sten Goltein-Übernahme nicht stand. Ihr könnt stolz auf das Erreichte sein …« »Ich beglückwünsche euch«, unterbrach der alte Arkonide den »Mittler«. »In euren strahlenden Augen erkenne ich meine eigene Jugend wieder. Es war ein erfülltes Leben, das ich im Auftrag der Goltein-Schule füh ren durfte. Mehrmals war es mir vergönnt, die kranken Bewußtseinsanteile meiner Pati enten auf den Planeten Perpandron zu brin gen. Ich wünsche euch ebenfalls ein erfülltes und erfolgreiches Leben als Goltein-Heiler.« Die Schüler applaudierten dem alten Mei ster. Dann setzte Kars Parghir seine Anspra che fort. »Aber ich muß euch warnen! Manche von euch werden das Erbe von Perpandron nach lässig behandeln. Sie werden das Mysterium der Goltein-Heiler für Unwürdige anwen den. Hütet euch davor! Vergeudet eure Kräf te nicht für Unwürdige!« Ein junger Arkonide sprang auf. Die an deren runzelten die Stirn. Solthoron war für seine eigenwillige Art bekannt. Dennoch be saß er eine starke Persönlichkeit. Der alte Mantar hatte ihm eine große Zukunft als Goltein-Heiler vorausgesagt. Das war auch der Grund, weshalb er sich auf ein Rededu ell mit dem »Mittler« einlassen konnte. Kein anderer hätte das gewagt. »Sind die einfachen Raumsoldaten, Be amten und Techniker etwa unwürdig, die Segnungen der Goltein-Schule zu erfahren?« Solthoron beugte sich etwas vor. Seine Rechte war fordernd ausgestreckt, und er hatte den Seidenschal seines Umhangs lässig darüber geschwungen. »Darüber haben wir schon oft diskutiert«, wich Kars Parghir aus. »Was nützt das Sprechen über eine Sache, wenn keine Konsequenzen gezogen wer den?« »Das ist nicht der richtige Ort für ein
Dirk Hess Streitgespräch!« Solthoron lächelte. Aber das war nur Fas sade. In seinem Innersten tobte Zorn über die geheuchelte Überlegenheit des »Mittlers«. »Für mich ist jeder Arkonide gleich«, stieß Solthoron entschlossen hervor. »Ich würde einen Regierungsbeamten genauso behandeln wie einen einfachen Raumsolda ten. Jeder hat das Recht auf seelische Ge sundheit. Denn jeder trägt seinen Teil zur Erhaltung des Imperiums bei. Es ist voll kommen gleichgültig, ob er dabei einen Re gierungsposten oder einen Platz am Fließ band innehat.« Kars Parghir verzog verächtlich die Lip pen. Aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Er durfte vor seinen Schülern das Gesicht nicht verlieren. Er mußte weiterhin die Exklusivität der Goltein-Schule predi gen. »Imperatoren ließen sich von uns behan deln«, meinte Karls Parghir gedehnt. »Unsere Lehre läßt sich nicht für die Massen anwenden. Das würde eine Verwässerung unserer uralten Grundsätze zur Folge haben. Ich habe Ihnen schon oft vor Augen gehal ten, daß ein hoher Regierungsbeamter, ein Adliger oder gar ein Imperator die weitaus größte Verantwortung trägt. Ein Raumsol dat, ein Techniker oder ein Händler ist nur für seinen kleinen, lächerlichen Bereich ver antwortlich:« »Lächerlich«, meinte Solthoron verächt lich. Kars Parghir überging den Zwischenruf. »Ich halte es für unnötig, noch weitere Worte darüber zu verlieren. Außerdem, wird Solthoron sehr bald die Gelegenheit erhal ten, sein Können unter Beweis zu stellen. Ich bin wirklich gespannt, ob er dann immer noch so große Töne schwingen wird. Wer einmal die Bürde all jener negativen, krank haften Geistesanteile seiner Patienten ge spürt hat, wird nur noch von dem einen Ge danken getrieben werden, diese Geistesan teile so rasch wie möglich wieder loszuwer den. Und das ist bekanntlich nur auf dem
Das Psycho-Komplott Planeten Perpandron möglich.« Solthoron wollte sich nicht so einfach ab speisen lassen. »Gestatten Sie mir noch einen Hinweis, ehrwürdiger Mittler.« Solthoron wartete nicht erst auf den Einwand Parghirs, sondern fuhr rasch fort: »In den letzten Wochen neh men die Gewaltverbrechen auf Arkon I in beunruhigendem Maße zu. Ich möchte die sen Zustand nicht auf die politischen Ver hältnisse abwälzen. Aber es ist sicher kein Zufall, daß unter der Herrschaft seiner Erha benheit, Orbanaschol III. Korruption und Denunziation an der Tagesordnung sind.« Solthorons Altersgenossen tuschelten er regt miteinander. Bisher hatte keiner von ih nen so offen Kritik am Imperator geübt. »Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen, Solthoron!« Kars Parghir ging überhaupt nicht auf seinen rebellischen Schüler ein. »Sie werden sich jetzt darauf konzentrieren, den ersten Patienten zu heilen. Fügen Sie sich unserer Ordnung, oder suchen Sie sich einen anderen Wirkungskreis. Es steht Ihnen jederzeit frei, das Studium abzubrechen.« Karls Parghir hatte Solthoron unmißver ständlich zu verstehen gegeben, daß er sich unterordnen mußte. Kritik am Imperator war verpönt. Ebenfalls wurde keinerlei Diskussi on über die ehernen Grundsätze der GolteinSchule zugelassen. Solthoron preßte die Lippen zusammen. Er wußte genau, daß in der arkonidischen Gesellschaft vieles nicht stimmte. Seit dem plötzlichen Tod des alten Imperators Gono zal hatte sich die Kluft zwischen Adligen und einfachen Bürgern noch mehr vertieft. Orbanaschol hatte den alten Geheimbund SENTENZA wieder aufleben lassen. Seit dem waren Korruption und Verbrechen an der Tagesordnung. Solthoron hatte sich geschworen, seine Fähigkeiten als Goltein-Heiler in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Er wollte die Welt ändern. Wenn es nötig war, sogar ge gen den Willen seiner Lehrer. Solthoron war der festen Überzeugung, daß ein Goltein-Hei ler auch die kranken Anteile einer ganzen
13 Bevölkerungsgruppe eliminieren konnte. »Bereiten Sie sich auf ein Gespräch mit Ihrem ersten Patienten vor, Solthoron«, sag te der »Mittler«. »Sie werden den Mann in einer Stunde empfangen.«
* Solthoron hatte den dicken Arkoniden von dem Augenblick an beobachtet, als er mit seinem protzigen Schweber auf dem Trichtergebäude des Schulungssaals gelan det war. Der Patient ging schleppend zum Perso nenlift hinüber. Solthoron veränderte die Bildschirmeinstellung. Sekunden später hat te er das feiste Gesicht des Arkoniden auf dem Schirm. Dicke Tränensäcke hingen un ter den kleinen Augen. Die Lippen waren wulstig, und ein Speichelfaden lief ihm übers Kinn. Ein Windstoß zerzauste die fett glänzenden Haare. Solthoron verspürte sofort Widerwillen und fast körperliche Abneigung gegen die sen Mann. Aber er mußte seine wahren Ge fühle verbergen. Vom Ausgang der Behand lung hing zuviel für ihn ab. Natürlich hat Kars Parghir diesen Kerl ganz bewußt für mich ausgesucht, schoß es dem jungen Goltein-Schüler durch den Kopf. Er will erreichen, daß ich durchdrehe. Dann kann er mich von der Schule verwei sen. Solthoron ballte seine Rechte zur Faust. Er schlug auf den Aktivierungsknopf der Bildschirmanlage. Das Flimmern erlosch, und Solthoron schwang sich auf seinem Schalensessel herum. Angespannt erwartete er seinen ersten Patienten. Man ließ die Schüler normalerweise nicht unvorbereitet auf einen Patienten los. Die erste GolteinBehandlung wurde durch einen GolteinWeisen unterstützt. Solthoron hatte erwartet, der weise Mantar würde ihn einweisen. Das hat mir Parghir eingebrockt, schoß es dem wartenden Schüler durch den Kopf. Er hätte mir wenigstens die persönlichen Daten des Mannes geben können.
14 Die Tür zum Behandlungsraum glitt zi schend in die Wandnische. Der dicke Arko nide stolperte herein und warf sich in den erstbesten Schalensessel. Er holte schnau fend Luft. Sein Blick wanderte unstet hin und her. »Solthoron, wenn ich mich nicht täu sche!« »Zu Ihren Diensten!« Der Dicke riß den Magnetverschluß sei ner Jacke auf und entblößte seine weiße, speckige Brust. Entsetzt erblickte Solthoron das Schlangensymbol. »Sehen Sie sich die Tätowierung genau an!« »Sie … gehören zur SENTENZA?« Der Dicke nickte befriedigt. Er genoß die offensichtliche Verwirrung des jungen Golt ein-Schülers. »Ich bin Zarcov Ma-Anlaan. Sie haben sicher schon von mir gehört.« Solthoron war überrascht. Er hatte zwar damit gerechnet, eine einflußreiche Persön lichkeit behandeln zu müssen, nicht aber einen Vertreter der zwielichtigen SENTEN ZA-Organisation. Zarcov Ma-Anlaan war Clan-Oberhaupt der SENTENZA auf Arkon I. Man sagte ihm eine teuflische Gerissen heit nach. Wenn es um gewinnträchtige Ge schäfte ging, pflegte Ma-Anlaan buchstäb lich über Leichen zu gehen. Solthoron spielte einen Augenblick lang mit dem Gedanken, die Behandlung erst gar nicht anzufangen. Damit wäre jedoch sein Ausschluß aus der Goltein-Schule sicher ge wesen. Es blieb ihm gar nichts anderes üb rig, als persönliche Momente zurückzustel len und Ma-Anlaan zu behandeln. »Sie konnten Ihre Probleme bisher allein lösen«, begann Solthoron das therapeutische Gespräch. »Wie kommt es, daß gerade Sie den Weg zur Goltein-Schule fanden?« Ma-Anlaan faltete seine feisten Hände vor dem Bauch. Er leckte sich mit der dicken Zunge über die Lippen und meinte schnau fend: »Ich bin reich, mein junger Freund! Reicher, als ihr Quacksalber euch das vor stellen könnt. Warum sollte ich meine Pro bleme allein lösen, wenn das andere für
Dirk Hess mich tun können?« Solthorons Miene wurde eisig. Er biß die Zähne zusammen. Er durfte sich nicht an merken lassen, daß er seinen Patienten zu tiefst verabscheute. Sekunden später hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Nennen Sie mir ihr vordringlichstes Pro blem, Ma-Anlaan!« »Meine Probleme sind finanzieller Natur …« »Dann benötigen Sie keinen Goltein-Hei ler«, warf Solthoron sofort ein. »Ein Finanz berater wäre Ihnen dienlicher. Erwarten Sie von mir keine Auskunft über den gegenwär tigen Stand der arkonidischen Rohstoffbör se. Ich kann Ihnen auch nichts über den Handel mit Gewürzdrogen, Androiden oder Seelentröstern sagen. Das ist Ihr Fachgebiet. Ich kann nur Ihre kranke Seele behandeln. Alles andere bleibt Ihnen überlassen.« Ma-Anlaan beugte sich schnaufend vor. Sein Gesicht nahm eine rötliche Färbung an, und die Schläfenadern traten reliefartig her vor. »Ist das alles, was Sie mir zu bieten ha ben? Ich werde mich über Sie beschweren. Ich zahle Ihnen keine einzige Magnetein heit!« Solthoron beschwichtigte den Mann so fort. »Sie haben mich leider unterbrochen, Ma-Anlaan. Auch finanzielle Probleme ent stehen durch seelische Schwierigkeiten. Ein nervöser, streßgeplagter Händler erleidet Verluste. Ein ausgeglichener, seelisch stabi ler Typ dagegen wird mit den meisten Schwierigkeiten spielend fertig.« »Da verraten Sie mir nichts Neues, Solt horon.« Ma-Anlaan schien wieder halbwegs beru higt zu sein. Solthoron lenkte jetzt das Ge spräch auf die Goltein-Behandlung. Ob er wollte oder nicht, er mußte diesem unsym pathischen Burschen helfen. »Kommen wir also zum Dreipunkte-Plan der Goltein-Therapie«, begann Solthoron. »Punkt eins beinhaltet das Gespräch, in dem sich Goltein-Heiler und Patient näherkom men sollen. Ich muß Ihre persönliche Lage
Das Psycho-Komplott genau kennen, um dann in der zweiten Be handlungsphase die Verbindung zwischen meiner und Ihrer Seele herstellen zu können. Punkt drei – also die Endphase – betrifft die Übernahme Ihrer schlechten Geistesanteile.« »Und was geschieht mit meinen schlech ten Eigenschaften?« wollte Ma-Anlaan ki chernd wissen. »Das mag Ihnen im Moment merkwürdig vorkommen, aber ich werde Sie von jegli chem quälenden Ballast befreien, MaAnlaan. Ihre Sorgen, Ihre Nöte und Ihre ne gativen Geistesanteile gehen auf mich über. Meine Ausbildung befähigt mich zu einer problemlosen Verarbeitung dieser Übernah me.« Ma-Anlaan schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich habe schon eine Menge über euch Goltein-Heiler gehört. Ihr verlangt ganz schön viel für die Behandlung. Deshalb hielt ich das Ganze für einen geschäftstüchtigen Trick, um bei den Adligen kräftig abzusah nen. Aber jetzt brauche ich dringend Hilfe. Ich kenne keinen, der mir beistehen könnte. Ich muß das Risiko eingehen, mich Ihnen anzuvertrauen!« »Sie sprachen von finanziellen Proble men, Ma-Anlaan.« »Ja«, stieß der Dicke hervor. »Mir gehört der Amüsierbetrieb von Hocton-Mur. Mit Hilfe der SENTENZA konnte ich den Be trieb perfekt aufbauen. Aber jetzt droht mir der geschäftliche Ruin. Ich weiß mir keinen Rat mehr …« »Lästige Konkurrenten?« unterbrach Solt horon den Redefluß seines Patienten. »Oder vielleicht Clan-Streitigkeiten?« »Nichts dergleichen. Ich habe genügend Killer an der Hand, um jeden Konkurrenten aus dem Felde schlagen zu können. Außer dem sind die Gesetze der SENTENZA ver dammt hart. Kein anderes Clan-Mitglied würde es wagen, sich in die Geschäfte eines anderen SENTENZA-Mannes einzumi schen.« »Was ist es dann, was Ihnen zu schaffen macht?«
15 Solthoron konnte sich nicht vorstellen, daß dieser verschlagene, hart am Rande der Legalität arbeitende Arkonide seine ge schäftlichen Angelegenheiten nicht mehr lö sen konnte. »Die geheimnisvollen Morde«, stieß Ma-Anlaan hervor. »Die Morde ruinie ren mir das Geschäft. Und die Liebe. Ich ha be einfach den Boden unter den Füßen ver loren.«
* »Die Morde«, wiederholte Solthoron ge dehnt. Er war plötzlich wie umgewandelt. Das Schicksal seines Patienten interessierte ihn auf einmal. Er hatte natürlich auch schon von den seltsamen Mordfällen gehört, die die arkonidische Öffentlichkeit beunruhig ten. Wenn er Zarcov Ma-Anlaan heilte, löste er womöglich auch die Mordserie. Das hätte seine umstrittene Theorie bestätigt, wonach seelische Probleme gleichzeitig auch gesell schaftliche Probleme waren. Solthoron hatte darüber häufig Streitgespräche geführt, die jedoch zu nichts geführt hatten, weil Kars Parghir sie schließlich verbot. »Wie können die Mordfälle Ihnen das Ge schäft ruinieren?« »Kommen Sie gern in ein Vergnügungs viertel, in dem laufend Besucher umgebracht werden?« reagierte Ma-Anlaan mit einer Gegenfrage. »Die Frage kann ich Ihnen nicht beant worten. Ich halte nichts von; diesen zweifel haften Vergnügungen.« »Ich stehe von einem Rätsel, Solthoron. Irgendwie verfolgt mich das Pech. Die Mor de passieren immer in meiner unmittelbaren Umgebung. Ich kann mir das selbst nicht er klären. Meine Zarltoner haben alles unter sucht. Der Imperator hat sogar mehrere Spe zialisten dafür abgestellt. Es nutzte über haupt nichts. Gestern starben wieder drei Raumsoldaten im Belcantro.« Solthoron stützte den Kopf in die Rechte. Er verstand immer noch nicht, warum sich Ma-Anlaan an einen Goltein-Heiler wandte.
16 Die Aufklärung der Mordserie war Sache der Polizei. »Haben Sie persönliche Feinde?« fragte Solthoron. »Mehr als Sie Finger an den Händen ha ben.« »Ich meine nicht die kleinen Geschäfts partner, die Sie übers Ohr gehauen haben. Ich denke vielmehr an Männer, deren Leben Sie ruiniert haben.« Ma-Anlaan wollte aufbrausen, doch Solt horon drückte ihn beruhigend in den Scha lensessel zurück. Er hörte sich die Schimpf tirade seines Patienten geduldig an. »Was fällt Ihnen ein, Solthoron«, stieß der Dicke hervor. »Ich bin Ihnen keine Rechen schaft über meine Geschäfte schuldig. Ich verbitte mir diesen Ton. Ich verlange eine Entschuldigung von Ihnen.« Solthoron mußte sich beherrschen. Jetzt kamen ihm die Meditationsübungen zugute. Er atmete tief durch und sah seinen Patien ten ernst an. »Es tut mir leid, Ma-Anlaan. Ihre ge schäftlichen Praktiken gehen mich wirklich nichts an. Aber jede noch so geringe Klei nigkeit kann für die Lösung Ihres Problems wichtig sein. Sie sehen sich außerstande, weiterhin so erfolgreich wie bisher zu sein. Sie sind nervös. Sie wirken unsicher und krank …« »Deshalb verlange ich ja auch die Golt ein-Behandlung!« »Gewiß! Aber die Behandlung ist nur dann erfolgreich, wenn Sie alle Karten auf decken. Fangen wir also noch einmal von vorne an. Bringen Sie die Mordserie in ir gendeinen Zusammenhang mit Ihren Ge schäften?« »Nein … unmöglich!« »Trauen Sie einem anderen SENTENZAClan die Morde zu?« »Nein! Das habe ich vorhin schon einmal gesagt. Die SENTENZA hält zusammen. Kein Clan schadet dem anderen …« »Warum klärt die SENTENZA die Mord serie nicht auf?« Für einen Augenblick schwieg Ma-
Dirk Hess Anlaan. Solthoron hatte mit seiner knapp hingeworfenen Frage einen wunden Punkt berührt. Insgeheim fürchtete Ma-Anlaan In trigen von Seiten seiner Clan-Partner. Das bewirkte seine Unsicherheit und zermürbte ihn seelisch. »Jeder Clan ist für seine Geschäfte selbst verantwortlich. Kein anderer Clan redet ihm da rein«, meinte Ma-Anlaan stockend. Solthoron erfaßte instinktiv, daß zwischen den Clans einiges nicht in Ordnung war. Es war für einzelne Clan-Vertreter viel zu ver lockend, die Macht über einen anderen Ge schäftsbereich an sich zu reißen. Die SENTENZA existierte seit den Grün dungsjahren des arkonidischen Imperiums. Schon damals, vor vielen tausend Jahren, hatten sich die wichtigsten Familien des Im periums zusammengeschlossen, um gegen erfolgreiche Kolonisten einen wirtschaftlich starken Block zu bilden. Die Methoden die ser Clans waren alles andere als zimperlich gewesen. Wer nicht parierte, wurde erbar mungslos aus dem Weg geräumt. Trotzdem besaß dieser Bund eherne Ge setze. SENTENZA-Mitglieder durften Nicht-Mitglieder nach Strich und Faden be trügen. Mitglieder untereinander pflegten die Grundsätze einer durch Treu und Glau ben fest miteinander verbundenen Familie. Und Familienstreitigkeiten wurden bekannt lich in den »eigenen vier Wänden« berei nigt. Während der Regierungszeit von Gonozal VII. war die SENTENZA in die Illegalität getrieben worden. Gonozal VII. hatte den schwunghaften Handel mit Rauschdrogen verboten. Durch eine Gesetzesreform mach te der Imperator die Geschäfte der SEN TENZA nahezu vollkommen unmöglich. Erst sein Nachfolger Orbanaschol III. beleb te die einzelnen Clans wieder. Man munkel te davon, Orbanaschol III. wollte sich zum alleinigen Herrn über die SENTENZA auf schwingen. Aber das waren Gerüchte, für die jede Bestätigung fehlte. »Sie können die Mordserie, also nicht mit persönlichen Ereignissen in Verbindung
Das Psycho-Komplott bringen?« begann Solthoron das Gespräch erneut. »Ist das ein Verhör?« »Im Gegenteil, Ma-Anlaan! Ich will den Dingen auf die Spur kommen, die Sie see lisch belasten. Also noch einmal … Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen sich und den geheimnisvollen Morden?« »Nein … unmöglich!« »Vielleicht sollte ich meine Frage präzi sieren«, setzte Solthoron wieder an. »Können Sie mir sagen, ob der erste Mord dieser Serie mit einer Veränderung in Ihrem persönlichen Bereich zusammenfällt? Den ken Sie bitte scharf nach!« »Beim besten Willen, Solthoron … mir fällt dazu nichts ein!« Solthoron dachte kurz nach. Auf seiner Stirn bildeten sich steile Falten. Er berührte konzentriert die Schläfen und rekapitulierte alles bisher Gehörte. »Als ich Sie vorhin nach Ihren vordringli chen Problemen fragte, nannten Sie mir zwei Dinge …« »Ja?« machte Ma-Anlaan begriffsstutzig. »Sie nannten die Mordserie und die Lie be!« Ma-Anlaan schluckte. Er war nicht darauf vorbereitet, jetzt so direkt darauf angespro chen zu werden. Solthoron wußte sofort, daß ihm der Arkonide etwas verschweigen woll te. »Ist es so außergewöhnlich, daß sich ein Clan-Vertreter verliebt?« bohrte der GolteinSchüler weiter. Er konnte sich, ehrlich ge sagt, auch nicht vorstellen, daß dieser häßli che, ungemein feiste Mann Liebe empfand oder empfing. Liebe war etwas viel zu Zer brechliches, um von diesem Monstrum er lebt zu werden. Solthoron ahnte instinktiv, daß Ma-Anlaan unter seinem abstoßenden Äußeren litt. Solange er erfolgreich gewesen war, ließ sich das geschickt vertuschen. Aber jetzt wurde er damit um so stärker kon frontiert. Ma-Anlaan war häßlich und grob. Welche Frau hätte ihn als Partner akzeptiert? Solthoron wollte diese Frage unbedingt be antwortet wissen.
17 »Erzählen Sie mir mehr über die Frau!« »Sie … war einfach da und gestand mir ihre Sympathie«, stammelte der Dicke, fast so, als könnte er es immer noch nicht glau ben, daß ihm eine Frau ihre Zuneigung ge schenkt hatte. »Wann war das genau?« »Vor drei Monaten. Mir ist, als wäre es erst vor wenigen Stunden gewesen.« Solthoron überlegte kurz und meinte dann lakonisch: »Vor drei Monaten wurde der er ste Ermordete in Hocton-Mur gefunden.« Ma-Anlaan sprang mit einer Schnelligkeit vom Schalensessel auf, die ihm Solthoron eigentlich nicht zugetraut hatte. Der Mann griff mit seinen Wurstfingern haltlos in die Luft. Er keuchte, und Schweißperlen liefen ihm in den Jackenausschnitt. »Das stimmt! Bei allen Göttern … warum ist mir das vorher nicht aufgefallen? Ich er innere mich noch ganz genau daran. Sie war auch dabei, als die Spurensicherung sämtli che Ausgänge abriegelte. Die Infrarot-Ro boter suchten nach Spuren. Es wurde nichts außer acht gelassen. Trotzdem fand man kei ne Spur vom Mörder. Es war wie verhext.« »Das war nach dem Mord«, sagte Soltho ron. »Kannten Sie die Frau schon vor dem Mord?« Ma-Anlaan brauchte nicht lange zu über legen. »Ja, am Abend vorher streikte mein Glei ter. Ich mußte dringend zu einer wichtigen geschäftlichen Besprechung. Zu diesem Zeitpunkt staute sich der Gleiterverkehr auf den Hochstraßen. Ich mußte in wenigen Mi nuten starten, sonst hätte die Positronik mich nicht mehr in den fließenden Verkehr einfä deln können …« »Ich verstehe«, meinte Solthoron. »Und da hat Ihnen diese Frau einen funktionierenden Gleiter angeboten.« »Stimmt haargenau! Sie begleitete mich zur Versammlung … und verbrachte den Abend mit mir. Es war wunderbar. Sie müs sen es mir glauben. Ich war wie von Sin nen.« Solthoron nickte. Er war sicher, daß er ei
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Dirk Hess
ne Spur gefunden hatte. »Und wie hieß die Frau?« Ma-Anlaan runzelte erstaunt die Brauen. Sein Gesicht drückte Ratlosigkeit aus. »Ich … weiß es nicht! Sie hat sich mir nicht vorgestellt. Sie war einfach da, und ich habe auch nicht danach gefragt. Ich war froh, daß sie da war.« »Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, fügte Solthoron ironisch hinzu. »Ich bin sicher, daß Sie diese mysteriöse Frau demnächst nach ihrem Namen fragen werden, nicht wahr?«
3. Ihr Blick war verschleiert. Aber es waren keine Tränen, die den Blick trübten. Es war vielmehr ein Schleier, der wie ein Geheim nis über dem Geschehen lag. Die Zusam menhänge klärten sich nur langsam. Es war, als müßte man sich durch einen zähflüssigen Brei kämpfen, um endlich die ganze Wahr heit des Dramas zu erfassen. Die Maahks bombardierten die arkonidi schen Einheiten im Tricoron-Sektor. Nur drei Lichtmonate davon entfernt bangten ar konidische Kolonisten um ihr Leben. Die Tricoron-Welten waren schlecht ausgerüstet. Aus eigener Kraft konnten die Siedler den Angriff der Methans nicht abwehren. Ihre ganze Hoffnung klammerte sich an die VALTRICTON und die anderen Schlacht schiffe. Glutbälle zerrissen die Schwärze des Alls. Die Schirmfelder der VALTRICTON überzogen sich mit einem Netzwerk fein verästelter Energieadern. »Höhere Schirmfeldleistung«, schrie Aba gur del Monotos in das Mikrophon des In terkoms. Die Anzeigeinstrumente auf dem abgeschrägten Schaltpult vollführten einen Höllenreigen. Die Skala der Schirmfeldan zeige verschob sich immer mehr in den ro ten Bereich. »Belastung zu fünfundneunzig Prozent«, plärrte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Warum existiert der Maahk immer
noch?« bellte Kommandant del Monotos. Auf dem Bildschirm der Schiffskommuni kation erschien das schweißüberströmte Ge sicht des Waffenspezialisten. »Die Impulsgeschütze funktionieren nicht mehr!« »Was? Wiederholen Sie das noch einmal, Chari-Ton-Bol!« Der Arkonide wies auf die Instrumenten anzeige und bestätigte seine Meldung an hand der abgelesenen Daten. »Wir haben doch Raumtorpedos an Bord! Damit können wir die Maahks eine Zeitlang hinhalten.« »Wie lauten Ihre Befehle, Kommandant?« Abagur del Monotos brauchte nicht lange zu überlegen. Er sah, wie sich der Zeiger der Schirmfeldanzeige dem roten Warnpunkt näherte. Ihm blieben höchstens noch ein paar Minuten, dann hatten die Maahks sein Raumschiff vernichtet. »Sämtliche Raumtorpedos in die Ab schußschächte! Ich wiederhole … sämtliche Raumtorpedos in die Abschußschächte. Konzentriertes Sperrfeuer auf die MaahkEinheit im Grün-Sektor.« Chari-Ton-Bol, wollte etwas entgegnen. Doch der Waffenspezialist kam nicht mehr zu Wort. Ein mächtiger Ruck ging durch die Raumschiffszelle. Die Lichter flackerten. Ir gendwo schrie ein Mann. Knallend lösten sich die Abdeckplatten mehrerer Schaltkon solen. »Treffer in der unteren Polschleuse!« Warnsirenen gellten durch das Schiff. Die ersten Deckschleusen schlossen sich auto matisch. »Druckabfall in Deck III!« Aus dem Schacht der Luftumwälzanlage drangen beißende Dämpfe. Ein Kabelstrang schmorte. »Schirmfelder weiter verstärken«, schrie Abagur del Monotos. »Sämtliche Energiesy steme umschalten. Notbeleuchtung ein!« Für ein paar Sekunden verstummte das Heulen der Warnanlagen. Aus dem untersten Deck wurden die ersten Todesfälle gemel det. Mehrere Raumsoldaten der VALTRIC
Das Psycho-Komplott TON waren nicht rechtzeitig in die Druckan züge gekommen. »Sind die Raumtorpedos feuerbereit?« Im Lautsprecher knackte es. Das Knistern überanspruchten Materials war unüberhör bar. Wenn jetzt kein Wunder geschah, war die VALTRICTON verloren. Und mit ihr über dreihundert tapfere Raumsoldaten, die ihrem Kommandanten Abagur del Monotos bedingungslos folgten. Jedenfalls waren sie ihm bis zu diesem Augenblick bedingungslos gefolgt. »Wir sollten den Maahks Verhandlungen anbieten«, wandte sich Urson Macton an den Kommandanten. »Verhandlungen«, brauste Abagur del Monotos auf. »Die Methans verhandeln nicht. Sie töten uns, wenn wir unsere Schutzschirme abschalten. Die Bestien war ten nur darauf, daß wir uns eine Blöße ge ben.« »Dann bitten Sie die SENTENZA um Hil fe«, stieß Urson Macton hervor. Sekundenlang schwieg der Kommandant. Er zog die Augenlider zu schmalen Schlit zen zusammen. Auf den Bildschirmen ver änderte das maahksche Großkampf schiff die Position. Es drehte sich um die eigene Achse, so daß die Abstrahlmündungen der schweren Geschütze deutlich sichtbar wur den. »Angriffsformation auf Maahk-Einheit im Gelbsektor«, schrie Abagur del Monotos, ohne lange zu überlegen. Die Begleitschiffe der VALTRICTON än derten den Kurs. »Bevor ich die SENTENZA um Hilfe bit te, muß schon ein Wunder geschehen«, preßte der Kommandant hervor. »Ich verbit te mir eine Einmischung in meine Angele genheiten. Mit Verbrechern paktiere ich nicht.« Urson Macton drehte sich abrupt um. Er verließ die Zentrale und kehrte in die zentra le Funküberwachung zurück, wo er eigent lich seinen Dienst zu versehen hatte. Für einen Augenblick hatte Abagur de Monotos einen ungeheuerlichen Verdacht.
19 Er hatte die Wartung sämtlicher Impulsge schütze persönlich überwacht. Beim Start war alles in Ordnung gewesen. Das War tungskommando hatte die Justierungskristalle ausgewechselt und sämtliche Energiezu leitungen ausgetauscht. Ein Versagen der Geschütze war somit theoretisch undenkbar. Sabotage, schoß es dem Kommandanten durch den Kopf. Man schätzte ihn im Obersten Flotten kommando als untadeligen Offizier. Aber man hätte ihn lieber heute als morgen von seinem Kommando entbunden. Es war ein offenes Geheimnis, daß Abagur del Monotos nicht mit den Maßnahmen des Imperators einverstanden war. Del Monotos war ein Anhänger des toten Imperators Gonozal VII. Del Monotos hatte es nur seinen Siegen gegen die Maahks zu verdanken, daß man ihn noch nicht aus dem Verkehr gezogen hatte. Man wird mich für das Versagen der Im pulsgeschütze verantwortlich machen, dach te Abagur del Monotos. Wenn die Maahks die Tricoron-Planeten vernichten, werde ich dafür büßen müssen. Die nicht funktionie renden Geschütze sind ein willkommener Anlaß für meine Gegner, mich politisch und gesellschaftlich unmöglich zu machen. »Die Maahks nehmen uns erneut unter Beschuß«, tönte es aus dem Zentralelaut sprecher. Die Stimme des Polbeobachters war äu ßerst erregt. An Bord der VALTRICTON herrschte eine mörderische Stimmung. – Seit das Schlachtschiff keine Fahrt mehr machte, wurde sämtliche Energie in die Schutzschir me geleitet. »Wenn sie uns unter Punktbeschuß neh men, sind wir endgültig erledigt«, schrie Urson Macton. Der Funkspezialist hatte sich eigenmächtig in das Bordkommunikations netz eingeschaltet. Das widersprach der mi litärischen Ordnung. »Gehen Sie aus der Leitung, Urson Mac ton«, rief Abagur del Monotos in das Mikro phon. Jeder an Bord konnte das Gespräch mitverfolgen. »Sie stehen ab sofort unter Ar
20 rest.« Heiseres Lachen war die Antwort darauf. Del Monotos wußte, daß ihn jetzt nur noch der Sieg über die Maahks retten konnte. »Raumtorpedos – Feuer frei!« Die Waffentechniker reagierten sofort. Im gleichen Augenblick erzitterte der Zentrale fußboden. Auf den Bildschirmen erschienen fünfzig winzige, silbern schimmernde Ob jekte, die mit irrsinniger Geschwindigkeit auf die Maahk-Einheiten zurasten. Abagur del Monotos hielt den Atem an. Jetzt würde sich das Ringen um den Trico ron-Sektor entscheiden. Aber es geschah überhaupt nichts. Die Raumtorpedos verglühten in den Schutz schirmen der maahkschen Großkampfschif fe. »Das … das ist Sabotage«, keuchte del Monotos. Salziges Augensekret lief ihm über die Wangen. Er schlug donnernd auf die Taste des Interkoms. »Sämtliche Deck offiziere in die Zentrale kommen!« Plötzlich ging auf dem Panoramabild schirm eine Sonne auf. Geblendet schloß Abagur die Augen. Die Sichtblenden scho ben sich mit mehreren Sekunden Verspätung vor die Objektivfassungen. Die Maahks hat ten wieder ein Begleitschiff der VALTRIC TON vernichtet. Schweratmend stützte sich der Komman dant auf die geschwungene Schaltkonsole. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Jemand hatte die Raumtorpedos ent schärft. Das war glasklar. Aber wer war da für verantwortlich? Ein Besatzungsmitglied kam schwerlich dafür in Betracht. Oder viel leicht doch? Aber wer konnte so selbstmörderisch han deln? Der Attentäter mußte damit rechnen, daß die Maahks nach dem Start der ent schärften Torpedos mit aller Gewalt zu schlügen. Der Verräter wäre genauso wie al le anderen Besatzungsmitglieder in den Im pulsgluten umgekommen. Zischend öffnete sich das Zentraleschott. Abagur drehte sich um. Er erstarrte mitten in der Bewegung, denn die flimmernden Ab-
Dirk Hess strahlmündungen von drei Blastern richteten sich auf seinen Kopf. Die Männer trugen ge schlossene Druckanzüge. »Toblon … Chari-Ton-Bol, Urson Mac ton! Was soll das heißen?« »Sie sind die längste Zeit Kommandant gewesen.« Abagur del Monotos mußte schlucken. Die Feststellung seiner Untergebenen war so ungeheuerlich gewesen, daß er Sekunden brauchte, um sie in ihrer ganzen Tragweite zu verkraften. »Noch habe ich das Kommando über die VALTRICTON! Waffen herunter, oder ich stelle euch vor ein Kriegsgericht.« Die drei Bewaffneten lachten hämisch. »Passen Sie auf, del Monotos, daß Sie nicht vor das Kriegsgericht des Obersten Flottenkommandos gestellt werden!« »Ihr habt die Impulsgeschütze betriebsun tauglich gemacht …« »Den Kampf erledigt jemand anders für uns«, stieß Urson Macton grinsend hervor. »Sehen Sie doch auf den Bildschirm, del Monotos.« In genau diesem Augenblick zerrissen Flammenspeere die Schwarze des Univer sums. Machtvolle Impulsstrahlen näherten sich mit Lichtgeschwindigkeit den MaahkRaumschiffen. Sie trafen auf die gegneri schen Schutzschirme und durchschlugen sie. Das ganze ging so schnell, daß del Monotos kaum zum Luftholen kam. Sekundenbruch teile später trieben die nachglühenden Trüm merfragmente der maahkschen Großkampf schiffe durchs All. »Wir haben Verstärkung bekommen«, stieß Abagur del Monotos hervor. »Irrtum, mein Lieber!« meinte Urson Macton. »Ich habe die SENTENZA um Hil fe gebeten, weil Sie unfähig sind, ein Raum schiff zu führen. Wie ich vorhin schon sagte … Sie sind die längste Zeit Kommandant der VALTRICTON gewesen. Sie werden diesen Platz jetzt einer fähigeren Persönlich keit überlassen. Sie haben ausgespielt, del Monotos!« Die drei Blastermündungen funkelten
Das Psycho-Komplott den. Kommandanten tückisch wie VogerAugen an. Unter den transparenten Scheiben der Druckanzüge beobachteten ihn drei Au genpaare. Während das Schiff der SENTEN ZA Kurs auf die VALTRICTON nahm, vollzog sich in der Zentrale des Schlacht schiffs der letzte Akt eines intrigenreichen Dramas. »Neiiin!« Die Stimme gehörte einer jungen Frau. Die Gestalten der drei Verräter verzerrten sich. Geisterhafte Nebel verdrängten die Vi sion. Es war der Schleier der Zeit, der die Zusammenhänge undeutlich werden ließ. Die Figuren wurden durchsichtig und lösten sich langsam auf. Sie bewegten sich noch, aber ihre Bewegungen wurden immer lang samer, bis sie plötzlich erstarrten. »Nein … Vater! Nein … du darfst nicht sterben!« Die junge Frau wälzte sich unruhig hin und her. Als sie gegen die Konsole ihres Vi deogeräts stieß, wurde sie schlagartig wach. Ich habe wieder geträumt, stellte sie schweratmend fest. Es ist immer wieder der selbe Traum. Wie oft werde ich das noch er leben müssen? Über die Decke des runden Zimmers gei sterten beruhigende Schemen. Die Illusions maschine diente normalerweise dazu, eine besonders anheimelnde Atmosphäre zu schaffen. Sie hatte tagelang nicht schlafen können. Denn sie fürchtete sich vor dem Einschlafen. Sie hatte Angst, daß jene Alp träume wiederkommen könnten, die sie an den Tod ihres geliebten Vaters erinnern wür den. Kurzentschlossen stand sie auf. Sie tippte eine kurze Symbolkette in die Selektronik ihrer automatischen Nahrungsversorgung. Wenig später öffnete sich neben ihrer pneu matischen Liege eine kleine Klappe. Auf dem Kunststofftablett stand ein Glas mit ei ner köstlichen Erfrischung. Sie kam sich wie ausgedörrt vor. Ihr Hals war trocken und schmerzte. Gierig langte sie nach dem Glas, dessen Ränder beschlagen waren. Prickelnd zerplatzten kleine Luftbläschen an der Ober
21 fläche. Vergiß deinen Plan nicht! In dreißig Mi nuten trifft sich der neue Kommandant der VALTRICTON mit den Bordoffizieren.
* Sarissa del Monotos handelte wie unter einem inneren Zwang. Sie schob das leere Glas in den Abfallbe hälter und öffnete die Wandschranktür. Vor ihr lag ein kleiner Nadler. Die Spezialmuni tion hatte sie sich neulich auf dem Schwar zen Markt besorgt. Ich werde dich nicht enttäuschen, sagte sie zu sich selbst. Es kommt nicht darauf an, daß du mich zufriedenstellt, meldete sich der Fremde in ihrem Innersten. Wichtig ist einzig und al lein, daß du deine persönliche Rache voll ziehst. Sarissa schob die kleinen Geschosse in den Griff ihres Nadlers. Sie enthielten ein Nervengift, das in seiner teuflischen Perfek tion nicht zu übertreffen war. Der Wirkstoff lähmte sein Opfer ähnlich wie ein Paralysa tortreffer. Doch das war auch das einzige, was ihn mit der Wirkungsweise einer Ener giewaffe vergleichen ließ. Paralysetreffer lähmten das Opfer nur kurzfristig. Dieses Nervengift leitete eine organische Kettenre aktion ein. Das Opfer mußte völlig hand lungsunfähig und bei vollem Bewußtsein miterleben, wie es sich körperlich zersetzte. Sarissa empfand für einen kurzen Augen blick Skrupel. Sie war eine Frau. Das Töten war ihr zu wider. Es gab Augenblicke, in denen solche Gefühle überwogen. Dann kamen die Alp träume und erinnerten sie an das Ende ihres Vaters. Die Verräter der VALTRICTON hatten ihn auf dem Gewissen. Bis jetzt hatte sie an sechs Männern die Rache vollzogen. Vier waren schwerverletzt mit dem Leben davongekommen. Zehn von knapp neunzig Besatzungsmitgliedern, die sie töten wollte. Der Fremde in ihrem Innersten löschte sämtliche Bedenken aus.
22 Der Tod ist für viele eine Erlösung. Ja, das war die Philosophie des Fremden. Sarissa hatte sich oft gefragt, ob sie nicht unter Halluzinationen litt. Ob ihr das Unter bewußtsein Handlungen diktierte, die sie normalerweise strikt abgelehnt hätte. Aber sie fühlte sich weder krank noch verrückt. Vielleicht entschuldige ich die Morde mit diesem imaginären Fremden in meinem Be wußtsein, schoß es ihr durch den Kopf. Nein, Sarissa … du bist so normal wie je de andere Arkonidin auch. Die Impulse des unheimlichen Fremden wurden stärker und drängender. Sie wollte sich dagegen wehren, doch sie gab ihren gei stigen Widerstand schnell wieder auf. Der Alptraum vom Ende ihres Vaters hatte ihre ganze Kraft verbraucht. Ich existiere wirklich. Zwar anders, als du es dir jemals vorstellen kannst … aber ich existiere. Du darfst dich glücklich schät zen, daß ich dich an meiner Erfahrung teil haben lasse. Ich stifte dich nicht zum Töten an. Das wäre vermessen. Aber ich gebe dir so etwas wie Unterricht … »Unterricht zum Töten«, schrie Sarissa unbeherrscht. So könnte man es nennen, kamen die Im pulse des Fremden. Sarissa hatte erneut das Gefühl, dieser Fremde wäre ein Teil ihrer selbst. Sie konnte sich gegen seine Anwesenheit genauso we nig wehren, wie man sich gegen seine eige nen Gedanken wehren kann. Ich habe nur das aktiviert und ausgebil det, was längst in dir steckte. Du hättest auch ohne mich versucht, die Besatzung der VALTRICTON auszulöschen. Doch ohne mich wärest du nicht so erfolgreich gewe sen. Warum bist du dann überhaupt in mir, formulierte Sarissa mühsam beherrscht ihre Gedankenfrage an den Fremden. Bist du ein Gott oder ein Dämon? In ihrem Innersten war homerisches La chen. Sie preßte beide Hände gegen die Schläfen. »Hör auf … ich bitte dich, hör endlich
Dirk Hess auf!« Das Lachen verstummte. Aber Sarissa wußte, daß der Fremde in ihrem Bewußtsein steckte und jede ihrer Gefühlsregungen regi strierte. Nein, ich bin weder Gott noch Dämon. Man bezeichnete mich vor Äonen zwar so, aber ich bin keines von beiden. Weshalb quälst du mich dann, gab Sarissa in Gedanken an den Fremden zurück. Wa rum hast du mich ausgesucht? Du bist mein Testfall, kam die ungeheuer liche Antwort des Fremden.
* Nedo Teclon hatte nach Abagur del Mo notos' Tod das Kommando über die VAL TRICTON übernommen. Er war zwar noch jung, aber die Neigung zur Fettleibigkeit war unverkennbar. Es war kaum zu überse hen, daß er unter seiner Raumfahrerkombi nation ein Korsett trug. Teclon wollte sich mit seinen Bordoffizie ren in der Halle des Parliin-Turms treffen. Sarissa konnte sich vorstellen, was die Männer dort zu besprechen hatten. Die To desfälle hatten sie natürlich aufgeschreckt. Teclon hatte den Landurlaub sämtlicher Be satzungsmitglieder mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Ob er Verdacht geschöpft hatte? Sarissa hatte die Rotfärbung ihrer schul terlangen Haare längst wieder entfernt. Jetzt verbarg sie ihre Haarfülle unter einer silber nen Kappe. Ihre Schminke verlieh ihr ganz andere Gesichtszüge. Selbst, wenn ihr jetzt ein Bekannter begegnet wäre, er hätte sie nicht wiedererkannt. Aus den Antigravschächten kamen zahl reiche Besucher. Vielstimmiges Gemurmel erfüllte den weitläufiges Saal, über dem ein achthundert Meter hoher Turm emporragte. Die Spitze verschwand in der stählernen Bläue des Himmels von Arkon. »Identitätskontrolle«, schnarrte die me chanische Stimme eines Wachroboters. »Halten Sie Ihre ID-Karten bereit. Bitte ge
Das Psycho-Komplott ben Sie auf alle Fragen Antwort. Bitte halten Sie Ihre ID-Karten bereit!« Sarissa spürte, wie ihre Augendrüsen ver stärkt Sekret erzeugten. Sie wurde nervös, doch die Anwesenheit des Fremden beruhigte sie rasch wieder. Nedo Teclon verschwand gerade in einem aufwärts gepolten Antigravschacht. Es war offensichtlich, daß der Arkonide sich in der hektischen Betriebsamkeit des ParliinTurms am sichersten fühlte. Der Besucher strom riß nicht ab. In den Aussichtsterrassen gab es genügend Wachroboter, die bei Zwi schenfällen sofort eingreifen würden. Sarissa war unentschlossen. Die Kontroll roboter machten sie nervös. »Keine Beunruhigung! Die Kontrolle er folgt rein routinemäßig.« Sarissa wußte, daß dies nicht stimmte. Sie kannte den Grund für die Robotkontrolle. Sie überlegte, ob sie sich jetzt nicht sofort nach draußen absetzen sollte. Die Roboter verteilten sich bereits im Raum. Ihre dunkel brünierten Körper reflektierten das Licht der Deckenstrahler. Nein, das würde auffallen, erkannte Saris sa. Mehrere Roboter hielten die Ein- und Ausgänge im Beobachtungsbereich ihrer Optiken. Ihr Gleiter befand sich in einer langen Warteschlange. Es hätte ein paar Minuten gedauert, bis sie die Startfreigabe erhalten hätte. Die Zeit hätte den Robotern für eine ausführliche Personenkontrolle genügt. »Ihre ID-Karte bitte!« Ein Roboter war bei einem älteren Paar angelangt. Die beiden standen unmittelbar vor Sarissa. »Was ist passiert?« fragte der alte Arkoni de, als er seine ID-Karte in die Tasterelek tronik des Roboters schob. »Routinemäßige Personenkontrolle«, schnarrte der Roboter lakonisch und wandte sich Sarissa zu. Sarissa spürte plötzlich ein höllisches Brennen unter ihrer rechten Achsel. Dort hatte sie den schmalen Nadler unter einem Abschirmpflaster verborgen. Bei den übli
23 chen Maßnahmen einer Routinekontrolle würde die Waffe unentdeckt bleiben. Das Abschirmpflaster simulierte ganz normale Hautpartien. Die Tasterechos des Roboters wurden von der versteckten Waffe abge lenkt. »Ihre ID-Karte bitte!« Wenn sie etwas merken, durchzuckte es Sarissa, geben sie sich mit der Personenkon trolle nicht zufrieden. Man wird ausführli chere Auskünfte über die Zentralpositronik einholen. Dort existiert die Akte meiner Fa milie. Für einen geübten Kriminalisten dürf te es nicht schwer sein, die Mordserie mit mir und dem Tod meines Vaters in Verbin dung zu bringen. »Ihre ID-Karte bitte«, wiederholte der Ro boter seine Aufforderung. Hastig löste Sarissa die dünne Kunststoff platte aus ihrer Gürtelöse. Sie sah sich lang sam um. Der Besucherstrom bewegte sich langsam auf die Antigravschächte zu. »Carmygna Calvaro?« »Das stimmt«, antwortete Sarissa be herrscht. Sie wußte, daß die ID-Karte einer jungen Tänzerin gehört hatte. Carmygna Calvaro hatte Ärger mit der SENTENZA be kommen. In der Hoffnung, mit den Gästen des Belcantro eigene Geschäfte abschließen zu können, hatte sie einen schwunghaften Handel mit Seelentröstern organisiert. Die Quittung für ihr eigenmächtiges Vorgehen hatte sie in Form einer Sprengkapsel erhal ten. Ihr Gleiter war mitten über einer abgele genen Parklandschaft desintegriert worden. Offiziell existierte Carmygna Calvaro noch. Die ID-Karte, deren eingeprägtes Zell schwingungsmuster bis auf geringe Abwei chungen mit der Zellschwingungsfrequenz von Sarissa übereinstimmte, stammte aus Zarcov Ma-Anlaans Tresor. »Ich danke Ihnen. Sie können passieren.« Der Roboter gab Sarissa die kleine IDFolie zurück. Die junge Arkonidin atmete erleichtert auf und ging schnurstracks zu ei nem der aufwärts gepolten Antigravschächte hinüber.
24
Dirk Hess
* Das Schreien der eingekerkerten Bestien war nicht zu hören. »Gefallen Ihnen die Tiere?« Der geschminkte Impresario verneigte sich vor Sarissa. Mit einer galanten Geste deutete er auf die Wand mit den Käfigen. Die einzelnen Abteile waren etwa fünfzehn Quadratmeter groß. Sie enthielten eine voll automatisch geregelte Ökologie, die genau der Natur des Heimatplaneten der eingeker kerten Bestien entsprach. »Ich habe die Fangexpedition selbst gelei tet«, prahlte der schlanke Arkonide, der sei ne Wangen mit Goldstaub bepudert hatte. Seine langen Wimpern schimmerten metal lisch. Er trug die gefleckte Kombination ei nes Tierfangexperten. »Das ist ein PlasmaTornodo. Ein besonders seltenes Exemplar von Forynth. Ich büßte zwei meiner besten Männer bei der Jagd nach dem Tornodo ein.« Sarissa lächelte interessiert. Sie betrachte te das unförmige, quallenähnliche Tier, das hinter einer dicken Panzerplastscheibe kau erte. Der Körper war mit einer dicken Ele fantenhaut überzogen. An seiner Unterseite scharrten Greifklauen im Boden. Ein tückisch leuchtender Augenring umspannte die Kopfzone der Bestie. »Ganz eindrucksvoll! Haben Sie diese Tiere wirklich selbst eingefangen?« Der Impresario fühlte sich geschmeichelt. Er warf sich demonstrativ in die Brust. Mit tels eines kleinen Duftzerstäubers verbreitete er exotische Wohlgerüche. »Man muß ausdauernd und mutig sein, wenn man solche seltene Exemplare nach Arkon bringen will …« Sarissa ließ das Geschwätz des Mannes geduldig über sich ergehen Sie blickte äu ßerlich interessiert auf die bizarren Kreatu ren und ließ den Blick dabei über die an grenzenden Besucherterrassen schweifen. Dort hockten Nedo Teclon und acht Offizie re beisammen. Sie ließen sich von Robotern
mit Erfrischungsgetränken versorgen. Von ihren Sitzplätzen aus hatten sie einen ausge zeichneten Blick auf die viele hundert Meter unter ihnen liegende Parklandschaft. Sarissa fragte sich, ob diese Männer den wunderbaren Ausblick tatsächlich genießen konnten. Sie benahmen sich äußerst merk würdig. Teclon nestelte an seinem Blaster, den er quer vor sich im Gürtel stecken hatte. Ein anderer Mann machte mit dem Daumen die Geste des Halsabschneidens. »Der Vogerabkömmling ist besonders ge fährlich«, erklärte der Impresario und deute te auf einen breiten Käfig. Im Abteil lief ein vier Meter langes Raubtier hin und her. Sein Fell war pechschwarz. Zwei grünlich fun kelnde Augen standen auf der Stirn und starrten die Besucher gierig an. Der lange Schweif peitschte rhythmisch auf den Bo den. Sarissa kannte das Tier. Es unterschied sich von seinen zahmen Artgenossen, die fast jeden arkonidischen Haushalt bevölker ten, hauptsächlich durch seine Größe und die achtzehigen Krallen. Zwischen den Kral len lagen Giftdrüsen, die jeden Pranken schlag tödlich enden ließen. Es gab kein Me dikament, das eine solche Verletzung ausku rieren konnte. »Füttern Sie den Voger persönlich?« Der Impresario schüttelte den Kopf. »Das überlassen wir lieber unserer Futterpositro nik. Sehen Sie her! Im Käfig der KarzRiesenschlange ist es gerade soweit.« Sarissa erblickte an der Decke des Käfig abteils eine Klappe, die sich beiseiteschob. Mehrere schleimige Brocken fielen heraus, dann schloß sich das Loch wieder. Im glei chen Augenblick erfüllte eine mächtige Staubwolke den Käfig. Die zehn Meter lan ge Schlange schnellte ihren schlanken Kör per aus dem Sand hoch und packte blitz schnell einen Nahrungsbrocken. Als sich die Staubwolken wieder gelegt hatten, war die Schlange verschwunden. Sie lag unter den erwärmten Sandmassen. »Kein sehr freundliches Exemplar«, stell te Sarissa fest. »Ich möchte nicht erleben,
Das Psycho-Komplott daß es sich aus dem Käfig befreit.« »Das ist vollkommen unmöglich«, erklär te der Impresario salbungsvoll. »Ich kann Sie wirklich beruhigen. Bisher konnte noch kein einziges Tier entkommen. Sogar der Plasma-Tornodo schaffte es nicht, die Pan zerplastscheiben zu durchschmelzen.« »Zu durchschmelzen?« Sarissa stellte sich absichtlich unwissend. »Ja … der Tornodo besitzt ein Körperse kret, mit dem er sogar Stahlplatten zersetzen kann. Seine Körperflüssigkeiten lösen natür lich auch jeden arkonidischen Körper in Se kundenschnelle auf. Das erledigt er sozusa gen im Handumdrehen.« Der Impresario wußte, daß sich die Besu cher gern gruselten. Deshalb erfand er auch immer wieder neue Geschichten über seine Tiere, die er hier oben im Parliin-Turm zur Schau stellte. »Sie kommen also selbst nicht mehr mit den Tieren in Kontakt«, meinte Sarissa nachdenklich. »Stimmt genau!« »Und wenn ein technischer Defekt die Nahrungsmittelversorgung unterbricht?« »Dann haben wir immer noch die Not schaltung, die für einen Zeitraum von drei Tagen einsatzfähig ist. Sie sehen also, wir haben an alles gedacht,« Sarissa wurde langsam ungeduldig. Sie sah, wie Nedo Teclon in der Besucherterras se aufstand. Sie konnte unmöglich ihren Nadler ziehen und den Mann vor aller Au gen töten. Sie wäre nicht weit gekommen. »Ich glaube Ihnen einfach nicht, daß bis her alles reibungslos abgelaufen sein soll«, sagte Sarissa gedehnt. Der Impresario runzelte die Stirn. Er fühl te sich in seiner Ehre gekränkt. Wenn er sei nen Besuchern den Anblick seltener Tiergat tungen bot und dazu immer die passenden Geschichten parat hatte, erwartete er mehr Respekt. »Sie sind nur schwer zufriedenzustellen!« Sarissa lächelte hochmütig. »Da könnten Sie recht haben. Ich gebe mich nicht mit dem Gewöhnlichen zufrie
25 den. Ich möchte alles über diese Anlage wis sen.« Der Impresario holte tief Luft. Dann deu tete er auf eine schmale Tastatur oberhalb der Sichtscheiben. Eine Lichterkette zeigte die Funktionsbereitschaft der Anlage an. »Sollte wider Erwarten einmal die Pan zerplastabschirmung brüchig werden, so tre ten diese Strahlungsfronten in Aktion. Kein Tier käme lebend über den Käfigrand hin aus.« »Und wenn man die Sicherungen abschal tet?« Der Impresario holte tief Luft. »Sie sind sehr hartnäckig. Man konnte meinen, Sie verfolgen eine ganz bestimmte Absicht. Aber meine Aufgabe ist es, die Be sucher in jeder Hinsicht zufriedenzustellen Kommen Sie her!« Sarissa machte einen Schritt auf den Mann zu. Sie spürte seinen parfümierten Atem ganz dicht neben sich. »Hier … damit schaltet man die Sicher heitsanlagen ab!« Sarissa hatte erreicht, was sie wollte. Sie konnte die komplizierten Anlagen mit einem Daumendruck desaktivieren. Der Impresario schien ihre Heiterkeit nicht recht deuten zu können. Er machte ein ratloses Gesicht. »Eigentlich hätte ich Ihnen das nicht ver raten dürfen …« »Machen Sie sich keine Gedanken dar über.« Sarissa legte ihm die Rechte auf die Schulter. Der Mann wollte ihr ausweichen, aber seine Abwehrreaktion kam viel zu spät. Sarissa packte blitzschnell zu. Durch einen Dagor-Griff lähmte sie das Zentralnervensy stem des Arkoniden. Der Körper des Mannes fiel schwer zu Boden.
* Als sich die Panzerplastscheibe wie in Zeitlupe nach oben bewegte, drang das hei sere Brüllen des Vogerabkömmlings nach draußen. Der Gang erbebte unter den Urlau ten der hungrigen Bestie.
26 »Nedo Teclon!« Sekunden verharrte der Voger unent schlossen. Die Stimme der jungen Arkonidin irritierte das Tier. »Der Augenblick meiner Räche ist ge kommen! Sieh mich an!« Hinter einer schmalen Gangabschirmung stand Sarissa del Monotos. Sie hielt den Nadler in der Rechten. Ihre Augen glühten in einem unheimlichen Feuer. Nur zwanzig Meter von ihr entfernt spran gen die Offiziere und Nedo Teclon auf. Ei ner stieß einen Bedienungsroboter beiseite. Er fingerte nach seinem Blaster. Im gleichen Augenblick gab es einen zischenden Laut. Das Nadlergeschoß bohrte sich in den Handrücken des Mannes. Schreiend ließ er den Blaster fallen und sackte in sich zusam men. Jetzt machte der Voger einen Riesensatz. Die schwarze Bestie landete im Gang zwi schen Sarissa und Teclon. Der Zugang zur Aussichtsterrasse stand offen. Das Tier küm merte sich überhaupt nicht um die junge Ar konidin. Es schien instinktiv erkannt zu ha ben, daß die Gangabschirmung undurch dringlich war. »Wer sind Sie? Was wollen Sie von uns? Drücken Sie sofort die Alarmtaste … die Bestie wird uns zerfleischen!« Statt einer Antwort ließ Sarissa den zwei ten Käfig öffnen. Vor dem Plasma-Tornodo schob sich die Panzerplastscheibe hoch. Das Tier preßte sich ungeduldig gegen die Lücke, veränderte seinen Körper und drang elastisch durch die bereits entstandene Öffnung nach draußen. Aus seinem runden Quallenkörper ruckten dünne, insektenhaft anmutende Sprungbei ne. Bei jeder Bewegung hinterließ der Tor nodo dampfende Schmelzflecke auf dem Bodenbelag des Ganges. »Warum, lassen Sie die Bestien frei?« »Weil ich euch den Tod geschworen ha be! Es war nicht leicht, euch auf die Spur zu kommen!« Der Voger sprang noch einmal und lande te genau zwischen den entsetzt aufschreien-
Dirk Hess den Arkoniden. Der Körper der Bestie riß zwei Männer zu Boden. Ihr Stöhnen ging im Knurren des Riesenvogers unter. Nedo Te clon brachte sich durch einen Sprung hinter die Polster in Sicherheit. Ein Bedienungsro boter rettete ihm vorerst das Leben. Die Hornkrallen des Vogers schrammten über den Metallkörper und hinterließen eine feuchtglänzende Giftspur. »Sie kommen hier nicht mehr lebend raus«, schrie Teclon panikerfüllt. Sarissa quittierte den Ausruf mit einem höhnischen Lachen. »Ich werde euer Ende miterleben. Daran kann mich keiner mehr hindern.« »Nein … die Wachroboter werden die Aussichtsterrasse abschirmen. Sie sterben mit uns zusammen!« Solange Sarissa hinter der Gangabschir mung stand, konnte ihr nichts passieren. Es sei denn, Teclon konnte den Blaster errei chen, der wenige Meter neben ihm auf dem Boden lag. Er hatte die Waffe durch seinen Sprung verloren. »Was haben Sie davon?« fragte Teclon. Er wollte die Frau von sich ablenken. »Ich räche mich an euch elenden Schur ken!« »Ich kenne Sie nicht«, rief Teclon. Er mußte blitzschnell den Standort wechseln. Der Riesenvoger wandte sich ihm erneut zu. »Das mag sein, Teclon! Sie kennen mich nicht, weil ich eine Maske trage. Aber mei nen Namen kennen Sie dafür um so besser.« Teclon machte einen Satz nach rechts. Er versetzte einem Polster einen Stoß mit bei den Füßen. Das weiche Rollenpolster lande te genau vor dem Voger und hinderte die Bestie am Sprung. Teclon fixierte den am Boden liegenden Blaster und griff zu. Ohne zu zielen, drückte er ab. Der Glutstrahl schmolz sich durch das Polster und erwischte den Voger am Rücken. Die Bestie schnellte brüllend hoch und schlug mit den Tatzen nach seinem Gegner. Bevor Teclon den Voger endgültig töten konnte, war der Plasma-Tornodo herange
Das Psycho-Komplott kommen. Ein verletzter Begleiter Teclons verlor die Nerven. Er sah, wie sich der Tor nodo aufrichtete. Der mächtige, von leder häutigen Wülsten umgebene Körper stand inmitten einer Dampfwolke die von den Bo denverätzungen herrührte. »Nein … das Biest darf uns nicht zerset zen!« »Aus der Schußlinie«, schrie Teclon un beherrscht. Der Glutstrahl streifte den Arkoniden und traf den Tornodo. Doch er tötete die Bestie nicht. Durch die Verletzung zu noch größe rer Wut angestachelt, schwang sich der Tor nodo auf Teclon. »Das dürfen Sie nicht zulassen!« Sarissa blieb erbarmungslos. »Als mein Vater um Gnade bettelte, habt ihr kalt schnäuzig abgedrückt! Sie dürfen von mir nichts anderes erwarten, Teclon!« Der Arkonide konnte den Tornodo noch einmal abschütteln. In seiner Panik rannte er auf die Panoramafensterfront zu. Er wollte sich in die Tiefe stürzen, denn er kannte die grauenhafte Wirkung der Tornodo-Sekrete. Schreiend trommelte er mit den Fäusten ge gen das glasähnliche Material. Doch die transparente Fläche bog sich unter seinen Schlägen nur unbedeutend durch. »Ich wußte, daß Sie als Feigling sterben würden, Teclon!« Sarissa löste mit der Linken den Druck knopf ihrer Kombination. Ein zierlicher Me daillonanhänger fiel heraus, und im Licht der Deckenbeleuchtung schimmerte ein rechteckiger, kaum daumengroßer Gegen stand. Das Ding war glattpoliert und besaß zwei magnetstabilisierte Öffnungen. Als Teclon den winzigen Gegenstand er blickte, schrie er entsetzt auf. »Sarissa del Monotos … die Tochter des alten Kommandanten der VALTRICTON!« Teclon wußte jetzt, wer die Mörderin war und was sie zu ihrem wahnwitzigen Treiben angestachelt hatte. Die junge Frau wollte ih ren Vater rächen. An ihrer Medaillonkette hing der Magnetschlüssel der VALTRIC TON. Nur ein Raumschiffskommandant be
27 saß ein solches Exemplar. Damit ließen sich sämtliche Sperren ein- oder ausschalten. »Sarissa … Sie sind die Mörderin! Das … das ist doch Wahnsinn. Wie können Sie sich nur dazu hinreißen lassen?« Sarissa zielte auf den Tornodo, der sich gerade über einen toten Raumsoldaten hin wegwälzte. Die Bestie sollte Nedo Teclon nicht sofort erledigen. Sie wollte erst sicher gehen, daß der Arkonide dieselben Todes qualen ausstand, die ihr Vater erlitten hatte. Jetzt tötete der Voger zwei andere Offi ziere. Teclon verfolgte das Treiben der Be stie mit tränenden Augen. Er stand mit dem Rücken an der Panoramascheibe. Links von ihm wütete der Plasma-Tornodo. Nur noch ein paar Sekunden, und das Tier würde ihn anspringen. »Sarissa! Ich beschwöre Sie …« Teclon sah noch einmal das Aufblitzen des Magnetschlüssels, den Sarissa um den Hals trug, dann wurde es dunkel um ihn. Er nahm den Anblick des Schlüssels mit in die Ewigkeit hinüber. Der Plasma-Tornodo riß ihn kraftvoll zu Boden. Das Tier schien sei ne Rückenwunde überhaupt nicht wahrzu nehmen. Es bohrte seine dornenbewehrten Sprungbeine tief in das Fleisch des Arkoni den. Dann begann die ausfließende Säure zu wirken. Und mit Nedo Teclon starben auch die anderen Arkoniden, die ihn begleitet hatten. Das Treffen im Parliin-Turm hatte sich als Weg ins Jenseits erwiesen. Auch der Tierim presario überstand das Inferno nicht. Als die Alarmsirenen aufheulten, sprang Sarissa del Monotos in den nächstbesten Antigrav schacht. Ihre raffinierte Maske erleichterte ihr die Flucht. Selbst wenn man später die Videoplatten der automatischen Beobach tung auf Personen überprüft hätte, wäre Sa rissas Identität verborgen geblieben. Leben de Zeugen des Vorfalls gab es nicht, und die Toten würden für immer schweigen. Das je denfalls nahm der Unheimliche in Sarissa an. Er war mit seiner Schülerin zufrieden. Doch er sollte sehr bald erkennen, daß es den perfekten Mord nicht gab.
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Dirk Hess
4. Die Goltein-Schüler verneigten sich ehr erbietig vor dem »Mittler«. Der Raum war schmucklos und nüchtern. Auf der einen Seite befand sich eine dreidi mensionale Abbildung vom Planeten Per pandron. Auf der anderen Seite ragte ein Schaltpult aus der Wand, über dem sich ein breiter Bildschirm wölbte. Kars Parghir diskutierte mit seihen Schü lern die ersten praktischen Erfahrungen mit ihren Patienten. Dabei machte er sich stän dig Notizen. Einige der Patienten würde er selbst zu Ende behandeln. Das Honorar da für floß in die Kassen der Goltein-Schule. »Und wie sind Sie mit Ihrer Behandlung vorangekommen, Solthoron?« Der »Mittler« blickte den Schüler erwar tungsvoll an. Die astronomischen Symbole auf seinem haarlosen Schädel schimmerten im Licht. Parghir raffte den weiten Ärmel seiner gelben Robe etwas zusammen. »Ich konnte soeben die erste Behand lungsphase abschließen«, begann Solthoron seihen Bericht. »Mein Patient leidet unter geschäftlichen Einbußen. Er besitzt nicht mehr genügend psychische Widerstands kraft, um das Problem selbst zu lösen. Er ist hinterhältig, egoistisch und brutal. Bisher hat er alle Probleme von seinen Untergebe nen lösen lassen. Jetzt ist er durch äußere Einflüsse in die Lage gekommen, seine Schwierigkeiten entweder selbst zu meistern oder unterzugehen. Der Patient wurde durch die rätselhafte Mordserie unmittelbar betrof fen …« »Das gehört nicht zur Sache«, unterbrach Kars Parghir seinen Schüler. »Wie oft soll ich Ihnen noch erklären, daß der gesell schaftliche Hintergrund für die GolteinBehandlung überhaupt keine Rolle spielt. Anscheinend haben die strengen Exerzitien und Meditationsübungen nicht den ge wünschten Erfolg gehabt. Sie: sind neugie rig, Solthoron!« »Das stimmt nicht!«
Im Raum herrschte auf einmal eisiges Schweigen. Die Schüler wagten kaum zu at men. Solthoron hatte gegen die grundlegen de Regel verstoßen: Er hatte dem »Mittler« widersprochen. »Ich streite mich nicht mit Ihnen herum, Solthoron. Wenn Sie Ihre Eigenarten nicht bald ablegen, ist Ihre Karriere als GolteinHeiler beendet, bevor sie überhaupt erst be ginnen konnte. Ich brauche Ihnen wohl nicht noch einmal erklären, daß die Einmischung in die privaten Belange unserer Patienten unnötig ist. Das Ritual der Alten und die strengen Meditationsübungen verliehen uns die Gabe, direkt Kontakt mit den Seelen un serer Anvertrauten aufzunehmen. Wir ver senken uns in die krankhaften Bereiche der Patienten und übernehmen die quälenden Bewußtseinsanteile. Wir müssen stark genug sein, um diese Belastung aushalten zu kön nen. Die negativen Bewußtseinsanteile wer den euch bis an den Rand eurer Belastbar keit bringen. Ihr werdet unbeschreibliche in nere Kämpfe austragen. Wer sich dem nicht gewachsen fühlt, soll so ehrlich sein und sei ne Schwäche zugeben. Später ist es dafür zu spät …« Das Summen der Videophon-Anlage un terbrach Parghirs Redefluß. Der »Mittler« drehte sich um und ging an das kleine Schaltpult heran. Er drückte die Sprechtaste, dann belebte sich der Bild schirm. Sekunden später erschien der Ober körper eines jungen Raumsoldaten auf der Bildschirmfläche. »Ja, bitte?« Parghir fühlte sich gestört. Er gab seinen Ärger deutlich zu erkennen. »Dringende Hyperfunkmeldung aus dem Teifconth-System …« »Warum sagen Sie das nicht sofort?« Parghir schwang den Schalensessel aus der Wandmulde und setzte sich vor den Bild schirm. Er hatte schon länger auf ein Ge spräch mit dem Weisen von Perpandron ge wartet. In kurzer Zeit würden die ersten Goltein-Schüler ins Teifconth-System star ten. Es war unerläßlich, vorher einige wich
Das Psycho-Komplott tige Dinge zu klären. »Ich stelle die Verbindung her«, sagte der Raumsoldat, der in der zentralen HyperfunkLeitstelle die Ferngespräche vermittelte. Auf dem Bildschirm erschienen verwir rende Farbenspiele. Der Lautsprecher über trug klirrende Geräusche, die immer dann auftraten, wenn mehrfach verstärkte Hyper funksendungen durch den Regelkreis der Positronik liefen. Schließlich stabilisierte sich das Bild. Ein Goltein-Heiler erschien in Lebensgröße auf dem Bildschirm. »Ehrwürdiger Klemir-Theron«, flüsterte Kars Parghir ergriffen. Die Augen des Goltein-Heilers waren un gewöhnlich groß und strahlend. Seine Stim me klang etwas rollend, was aber durch die unvermeidbare Verzerrung durch den Laut sprecher hervorgerufen wurde. Seine Robe war leuchtend blau, und die Symbole auf seinem Schädel waren deutlich zu erkennen. »Ich grüße den Mittler Kars Parghir und seine Schüler. Unsere Seelen sind viele tau send Lichtjahre voneinander getrennt, doch das eherne Gesetz von Perpandron hat uns zu einer festen Einheit zusammengeschmie det. Zeit und Raum können uns nicht tren nen, das Erbe der Weisen besteht in uns fort. Ich verneige mich vor euch, denn eines Ta ges wird einer von euch meinen Platz auf Perpandron einnehmen.« Klemir-Theron verneigte sich. Damit war seine Höflichkeitsübung beendet. Das Ritual der Goltein-Heiler verlangte es. »Welchen Grund haben Sie, ehrwürdiger Klemir-Theron?« »Ich brauche Ihre Hilfe, Kars Parghir«, kam die Stimme des Goltein-Heilers aus dem Lautsprecher. »Wir erhielten Besuch von fremden Raumfahrern. Die Männer ba ten um Hilfe. Wir waren natürlich alles an dere als erfreut darüber, denn unsere außer gewöhnlichen Fähigkeiten stehen im Dienst der arkonidischen Oberschicht. Wir können uns nicht mit jedem beliebigen Raumfahrer abgeben.« »Das dürfte nicht das eigentliche Problem sein«, drängte Kars Parghir zum Kern des
29 plötzlichen Hyperfunk-Anrufs hin. »Ist es auch nicht. Der Patient, den uns die fremden Raumfahrer brachten, spricht nicht auf unsere Behandlungsmethode an.« »Was?« machte Kars Parghir. »Das gibt es nicht. Jeder Arkonide kann von uns be handelt werden.« Solthoron lächelte. Der »Mittler« hatte so eben seinen Standpunkt vertreten. Im Grun de konnte jeder Arkonide von den GolteinHeilern profitieren. Es war vermessen und dünkelhaft, nur Vertretern der arkonidischen Oberschicht zu helfen. Solthoron war auf den weiteren Verlauf des Gesprächs ge spannt. Jetzt veränderte sich die Bildschirmein stellung. Klemir-Theron brachte einen hage ren Arkoniden ins Bild. Der Fremde stand etwas abseits. Zwei Goltein-Heiler waren bei ihm. Einer verdeckte das Gesicht des Mannes, doch alle Anwesenden erkannten, daß der Mann eine gewisse Würde ausstrahl te. »Das ist der Patient«, sagte Klemir-The ron und deutete auf den Schweigsamen. »Er kann nicht sprechen. Er muß von uns geführt werden. Und doch scheint er alles um sich herum wahrnehmen zu können. Er verfolgt unsere Behandlung mit wachen Sinnen.« »Aber weshalb versagt unsere Methode dann bei ihm?« wollte Kars Parghir wissen. »Die seelische Vereinigung gelingt nicht!« »Dann besitzt der Patient dieselben Fähig keiten wie wir. Er kann einen Willensblock bilden und das Eindringen in seine seeli schen Bereiche verhindern.« Das Hyperfunkgespräch, das über viele tausend Lichtjahre hinweg geführt wurde, näherte sich dem Kernpunkt des Problems. Durch eine Armbewegung holte KlemirTheron den schweigsamen Arkoniden zu sich heran. Interessiert verfolgte Kars Parg hir das Geschehen auf dem Bildschirm. »Nein, er kann keinen Willensblock auf bauen«, erklärte Klemir-Theron. »Es sieht nicht so aus, als würde er überhaupt noch einen Willen besitzen. Dieser Mann hat alles
30 verloren, was ihn zu einem vollwertigen Mitglied der arkonidischen Gesellschaft macht. Er ist hilflos wie eine Puppe. Laßt euch von seiner Würde und den edlen Ge sichtszügen nicht täuschen, dieser Mann ist behandlungsunfähig.« »Ich will ihn genau betrachten«, verlangte Kars Parghir und ging näher an den Bild schirm heran. Auf Perpandron führte Klemir-Theron den schweigenden Arkoniden dicht unter die Aufnahmeoptik. Der Mann bewegte sich wie ein Schlafwandler. Seine Beine hoben und senkten sich ruckhaft. Er wäre weitergegan gen und gegen die Wand geprallt, wenn ihn Klemir-Theron nicht festgehalten hätte. Jetzt füllte er den Aufnahmebereich der Bild schirmoptik voll aus. Langsam hob er den Kopf. Seine Augen starrten ins Leere, und sein geschminkter Mund öffnete sich bei jedem Atemzug. »Unheimlich«, stieß Kars Parghir hervor. »So was ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Ich möchte wis sen, was diesem Mann zugestoßen ist.« »Deshalb stellte ich die Hyperfunkverbin dung zwischen uns her«, kam Klemir-The rons Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich wollte Sie bitten, Nachforschungen in Ihrer Datenbank oder in den offiziellen Unterla gen des Kristallpalasts anzustellen.« Plötzlich kniff Kars Parghir die Augen zu sammen. Hatte er sich eben getäuscht, oder hatte der schweigsame Arkonide auf Perpan dron tatsächlich eine Reaktion gezeigt? Wenn dem so war, dann kannte der Mann den Kristallpalast, von dem er eben gespro chen hatte. Kars Parghir behielt diese Ver mutung für sich. Er war fest entschlossen, das Geheimnis zu enträtseln, das diesen Mann umgab. »Vielleicht hilft Ihnen das weiter«, melde te sich Klemir-Theron erneut. »Einer der Männer, die diesen Mann bei uns abliefer ten, sah ihm zum Verwechseln ähnlich. Er war lediglich viel jünger. Man hätte ihn für den Sohn dieses Patienten halten können.« »Und wo hält sich der junge Raumfahrer
Dirk Hess jetzt auf?« »Keine Ahnung«, antwortete Klemir-The ron und drängte den Schweigsamen etwas zur Seite, so daß er wieder auf dem Bild schirm erschien. »Er und seine Begleiter sind in der Ebene von Perpandron ver schwunden. Unsere Beobachtungsleiter ha ben den Kontakt mit ihnen verloren. Wir hoffen aber, daß sie sie bald finden.« Kars Parghir schwieg. Er biß sich auf die Lippen. Eine seltsame Unruhe erfaßte ihn. Die Ereignisse auf Perpandron waren brisan ter, als Klemir-Theron es ahnen konnte. Parghir kannte das Gesicht des Alten. Er hatte es oft auf Videoaufzeichnungen gese hen. Dieser Mann hatte vor langer Zeit die Hilfe der Goltein-Heiler beansprucht. Das war zu einer Zeit gewesen, als er sich noch als Schüler um die Unterweisung durch den Weisen Mantar beworben hatte. Kars Parg hirs Verdacht verdichtete sich schlagartig zur Überzeugung: Der schweigsame Arkoni de auf Perpandron konnte niemand anders als Gonozal VII. sein. Doch Gonozal VII. war tot. Umgekom men bei einem Jagdunfall auf dem Planeten Erskomier. So jedenfalls lautete die offiziel le Erklärung. Es gab verschiedene Versio nen. Die einen behaupteten, Orbanaschol III. hätte seinen Vorgänger durch ein Attentat aus dem Weg räumen lassen. Andere wie derum glaubten, Gonozal VII. wäre aus dem Imperium geflohen, um irgendwo in der Ga laxis eine schlagkräftige Kampftruppe her anzubilden, mit der er eines Tages den arko nidischen Thron zurückerobern wollte. Keiner dieser Aussagen konnte das merk würdige Verhalten des schweigsamen Arko niden auf Perpandron richtig erklären helfen. Vorausgesetzt, dieser Mann war tatsächlich mit Gonozal VII. identisch, so mußte ihn ein furchtbares Schicksal getroffen haben. »Haben Sie etwas?« fragte Klemir-The ron. »Sie wirken auf einmal so nachdenk lich.« »Es ist nichts. Der Anblick des Patienten deprimiert mich. Es ist erschütternd, in wel chem Zustand er sich befindet. Noch furcht
Das Psycho-Komplott barer finde ich die Tatsache, daß wir ihm nicht helfen können.« »Das ist grausam«, wiederholte KlemirTheron. »Ich werde alles unternehmen, um die Vergangenheit dieses Mannes zu durch leuchten«, erklärte Kars Parghir dem Golt ein-Heiler auf Perpandron. »Sobald ich die ersten greifbaren Hinweise erhalten habe, melde ich mich über die Hyperfunkleitung. Ich werde meine besten Schüler mit den Nachforschungen beauftragen. Sollten diese Untersuchungen etwas Zeit in Anspruch nehmen, so bitte ich den ehrwürdigen Kle mir-Theron um Nachsicht.« Die beiden Goltein-Heiler verneigten sich vor den Bildschirm-Optiken, dann wurde die Hyperfunkverbindung zwischen Perpandron und Arkon I unterbrochen. Kars Parghir drehte sich kurzentschlossen um. Seine Schüler blickten ihn erwartungs voll an. Es kam selten vor, daß ihre Unter weisungen durch aktuelle Ereignisse unter brochen wurden. »Solthoron«, rief Kars Parghir. »Ja, ehrwürdiger Mittler?« »Sie unterbrechen die Behandlung Ihres Patienten. Da ich weiß, wie sehr Sie an aktu ellen Ereignissen interessiert sind, werde ich Sie mit den vorhin erwähnten Nachfor schungen beauftragen.« Solthoron lächelte wissend. Er hatte die Absicht des »Mittlers« sofort durchschaut. Kars Parghir konnte sich darauf verlassen, daß er mit allen Kräften seine Nachfor schungen in den arkonidischen Archiven be treiben würde. Solthoron war der einzige von allen Schülern, der sich für eine Einbe ziehung aktueller Ereignisse in die GolteinBehandlung stark machte. Jetzt drückte Kars Parghir einige Tasten auf dem geschwungenen Schaltpult. Auf ei ner Anzeigetafel flammten Digitalanzeigen auf. Der »Mittler« ließ den Speicherkristall mit der automatisch aufgezeichneten Hyper funksendung abspulen. Dann drückte er die Stopptaste. Im gleichen Augenblick löste sich aus einem schmalen Schlitz an der Un
31 terseite des Schaltpults eine Bildfolie. »Hier haben Sie ein Bild des Patienten«, sagte Kars Parghir und reichte Solthoron die Folie herüber. »Da Sie das Hyperfunkge spräch mitverfolgen konnten, brauche ich Ihnen keine besonderen Instruktionen zu ge ben. Sie fahren sofort mit der Rohrbahn zum Personenarchiv. Dort werden Sie die ersten Erkundigungen über den Mann einholen. Sollten Sie dabei auf einen wichtigen Hin weis stoßen, erwarte ich Ihre persönliche Nachricht. Sie werden mit keinem anderen Arkoniden darüber sprechen!« Das hatte wie ein Befehl geklungen. »Ich werde mich an Ihre Weisungen hal ten, ehrwürdiger Mittler.« Solthoron verneigte sich vor Kars Parghir und steckte die Bildfolie in die Seitentasche seines blauen Umhangs. Dann wandte er sich kurz seinen Mitschülern zu. Sie benei deten ihn offensichtlich um den Spezialauf trag. Die meisten von ihnen hatten das Ge lände der Goltein-Schule seit drei Jahren nicht mehr verlassen. Solthoron verließ schweigend den Raum, um sich in die tiefer gelegenen Etagen zu begeben. Die Rohrbahnstation der GolteinSchule lag tausend Meter unter der Oberflä che des Goltein-Bezirks.
5. Solthoron fiel mit seinem blauen Umhang nicht weiter auf. Phantastische Kostüme und bizarre Gestalten bevölkerten den Warte raum der Rohrbahnweiche. Neben Arkoni den waren zahlreiche Kolonialvölker vertre ten. Zarltoner betrachteten sich eine Leucht anzeige der Rohrbahnfahrpläne. Zierliche Hermaphroditen aus dem Corodoc-Sektor des Großen Imperiums spielten mit einem kleinen Voger, dessen Pelz zartrosa einge färbt worden war. Solthoron atmete tief durch. Obwohl die Luft hier unten mehrfach gereinigt und mit Duftstoffen versehen war, schien sie ihm köstlich und frisch zu sein. In ihm war das Gefühl der Freiheit, das ein Gefangener
32 nach jahrelanger Einkerkerung empfand. Die halbtransparenten Abdeckhauben der Videophon-Kabinen standen etwas abseits von den rollenden Gehsteigen. Solthoron fragte sich ernstlich, ob er jetzt Kontakt mit Zarcov Ma-Anlaan aufnehmen sollte. Gleichzeitig überlegte er sich Ausreden, mit denen er seinen langen Aufenthalt im »Personenarchiv« vor Kars Parghir rechtfer tigen wollte. Der plötzliche Abstecher in die Außenwelt hatte ihn schlagartig in die Lage versetzt, mehr als jemals zuvor über die per sönlichen Verhältnisse seines Patienten in Erfahrung bringen zu können. Kurzentschlossen steuerte der GolteinSchüler eine Videophon-Kabine an. Er tipp te die Kodenummer von Zarcov Ma-Anlaan in die Tastatur, und wenig später erschien das Gesicht einer hübschen Arkonidin auf dem Bildschirm. Ein Androide, erkannte Solthoron sofort an den metallisch schimmernden Pupillen der Schönen. »Anschluß Zarcov Ma-Anlaan«, ertönte die melodische Stimme des Androiden aus dem Empfängerlautsprecher. »Mein Meister ist zur Zeit nicht erreichbar. Ihr Anruf soll dennoch nicht umsonst gewesen sein. Sie haben die Möglichkeit, eine kurze Nachricht zu hinterlassen, die aufgezeichnet und später abgehört wird. Bitte nennen Sie zuerst Ihren Namen und dann den Grund für Ihren Anruf …« Solthoron unterbrach den Redefluß des Androiden. »Ich bin der Goltein-Schüler Solthoron. Ich muß dringend mit Zarcov Ma-Anlaan sprechen.« »Einen Augenblick bitte! Ich werde Ihre Angaben überprüfen.« Der Androide senkte den Kopf. Solthoron erkannte, daß der Roboter die programmier ten Unterlagen Ma-Anlaans durchging. Se kundenbruchteile darauf meldete sich der Androide erneut. Sein Lächeln war genauso einprogrammiert wie die Daten über Soltho ron selbst. »Ihre Angaben stimmen. Vor zwei Stun-
Dirk Hess den wollte mein Meister Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Sein Anruf wurde von der Golt ein-Schule zurückgewiesen. Falls Sie sich wider Erwarten melden sollten, bat er mich um Kontaktverbindung. Bitte bleiben Sie am Apparat.« Das Gesicht des Androiden verschwand von der Mattscheibe. Bunte Farbenspiele geisterten über die Bildfläche. Solthoron trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was konnte Zarcov Ma-Anlaan beunruhigt haben? »Solthoron!« »Ja?« Der Goltein-Schüler drehte sich um. Auf dem Bildschirm des Videophons war das schwitzende, rötlich verfärbte Ge sicht Zarcov Ma-Anlaans erschienen. »Was ist passiert?« »Der Mörder hat wieder zugeschlagen. Ich weiß mir einfach keinen Rat mehr, Solt horon. Der Wahnsinnige hat einen wichtigen Geschäftspartner der SENTENZA erwischt. Ein furchtbares Gemetzel auf dem ParliinTurm. Unbeschreiblich, was der Wahnsinni ge dort angerichtet hat.« »Was kann ich in dieser Angelegenheit für Sie tun?« fragte Solthoron bewußt desin teressiert. »Kommen Sie in die Tasca! Ich bitte Sie inständig darum. Ich ertrage den Anblick der Toten nicht. Sie müssen mir helfen, Soltho ron. Bitte kommen Sie sofort. Ich erwarte Sie.« Solthoron nickte kurz und unterbrach die Videophon-Verbindung.
* Der Zarltoner trug einen schweren Blaster in der Gürteltasche. Die durchtrainierten Muskeln seines Brustkorbs zeichneten sich deutlich auf der enganliegenden Weste ab. »Zarcov Ma-Anlaan erwartet Sie bereits.« Vor Solthoron glitt eine schwere Stahltür auf. Dahinter erstreckte sich ein weitläufiger Gang, in dessen Mitte ein Personenbeförde rungsband lag. »Sie können passieren!«
Das Psycho-Komplott Hinter Solthoron schloß sich die Tür. Das Beförderungsband ruckte an und trug ihn rasch durch den Gang. Die Tasca wurde von der SENTENZA kontrolliert. In enger Zu sammenarbeit mit den Sicherheitsorganen wurden tief unter der planetaren Oberfläche von Arkon I logistische und kriminologische Forschungen betrieben. Das Beförderungsband hielt ruckend an. Solthoron durchschritt eine energetische Schleuse, dessen Paralysatorfeld für einen kurzen Augenblick erlosch. Dicht hinter Solthoron schloß sich das Energiefeld wie der. »Solthoron«, rief Ma-Anlaan und kam freudestrahlend auf den Goltein-Schüler zu. Mehrere Uniformierte blieben im Hinter grund des großzügig angelegten Laboratori ums. Ein Ara-Wissenschaftler beugte sich gerade über ein positronisches Vergröße rungsgerät. »Ich bin gespannt, welchen Sinn meine Anwesenheit in diesem Laboratorium haben soll.« »Wie ich schon mehrmals andeutete«, gab der schwitzende Arkonide zu, »ich brauche Ihren Rat. Sie haben mir bestätigt, daß mei ne Probleme durch die Aufklärung der Mordserie gelöst werden können.« Solthoron nickte. Er ging langsam an den breiten Kunststofftischen vorbei. Technische Apparaturen beherrschten die Szene. An den Wänden hingen Bildschirme. Weiter hinten wölbte sich die Programmtafel einer lei stungsfähigen Positronik vor. Als Solthoron die Überreste der Mordop fer erblickte, konnte er ein Gefühl des Ekels und der Abscheu nicht unterdrücken. »Grauenhaft, nicht wahr?« Solthoron zwang sich dazu, die sterbli chen Überreste der Raumfahrer anzusehen. Sämtliche Kombinationsreste waren von ih nen entfernt worden. Einige Körper waren größtenteils aufgelöst worden. Man hatte sie so auf die Tische plaziert, daß eine Rekon struktion ihres früheren Aussehens möglich war. Von einem Mann war nur der Kopf üb riggeblieben.
33 »Wer … hat das angerichtet?« brachte Solthoron würgend hervor. »Wenn wir das wüßten«, meinte der Ara zynisch lächelnd, »dann könnten wir den Mörder jetzt zur Rechenschaft ziehen. Aber vermutlich wissen Sie bereits, daß der Mör der in diesem Fall nicht persönlich zuschlug. Er ließ lediglich die Schautiere der Aus sichtsterrasse frei. Die Biester erledigten dann den Rest.« »Ein Plasma-Tornodo hat die meisten Körper aufgelöst«, meinte Ma-Anlaan schaudernd. »Ein Wunder, daß überhaupt et was von den Männern übriggeblieben ist.« »In welcher Beziehung standen Sie zu den Opfern«, wollte Solthoron wissen. Er stellte sich so hin, daß er nicht ständig den Anblick der zerfetzten Körper vor Augen hatte. »Sie gehörten zur Besatzung der VAL TRICTON!« »Und die früheren Opfer?« »Sie waren ebenfalls Besatzungsmitglie der der VALTRICTON. Aber das ist mir nichts Neues. Das hat die Untersuchungs kommission bereits herausgefunden. Sämtli che Besatzungsmitglieder der VALTRIC TON wurden nach Arkon III zurückbeor dert. Das Schiff steht unter strengster Bewa chung.« »Haben Sie eine Vermutung, weshalb sich der Mörder nur für Männer von der VAL TRICTON interessiert?« fragte Solthoron. »Diese Frage haben wir uns ebenfalls ge stellt. Aber wir kamen dabei zu keinem greifbaren Ergebnis.« Solthoron führte ein Schnupftuch an sei nen Mund. Der stechende Geruch konservie render Chemikalien reizte seine Schleimhäu te. »Sie erwähnten bei unserem VideophonGespräch, daß der Mörder einen wichtigen Geschäftspartner von Ihnen tötete«, wandte sich Solthoron an Ma-Anlaan. Der dicke Arkonide nickte. Sein rechtes Augenlid zitterte vor Erregung. Solthoron sah, daß sich Ma-Anlaan nur schwer unter Kontrolle halten konnte. »Die Geschäfte der SENTENZA sind oft
34 kompliziert und reichen weit über die Gren zen von Arkon hinaus«, begann Ma-Anlaan. »Vor einiger Zeit bat mich der Vertreter ei nes benachbarten Clans, seinem Sohn Nedo Teclon zum Kommando über einen Schlachtkreuzer der Flotte zu verhelfen. Ich habe ausgezeichnete Verbindungen zum Obersten Flottenkommando. Immerhin ge höre ich zu den wichtigsten Verbindungsleu ten der Rüstungsindustrie. Ich kontrolliere die Waffenlieferungen. Meine Wissenschaft ler waren an der Entwicklung neuer Impuls kanonen beteiligt …« »Dann konnten Sie diesem Nedo Teclon also den Posten verschaffen?« Ma-Anlaan nickte erneut. Dann deutete er auf den präparierten Kopf, der auf dem Lab ortisch lag. »Das ist alles, was von Nedo Teclon üb rigblieb. Meine Anstrengungen waren um sonst. Ich stehe tief in der Schuld des ande ren Clans.« »Sie verschafften also Nedo Teclon das Kommando über die VALTRICTON.« Solt horons Einwand klang wie eine Feststellung. »Ja, ich ließ den alten Kommandanten der VALTRICTON beseitigen. Die Besatzung ließ sich willig dafür einspannen. Es war gar nicht schwer, zum Ziel zu kommen. Der alte Kommandant gehörte zur Reihe mißliebiger Personen. Er soll sogar Anhänger des toten Imperators Gonozal VII. gewesen sein. Ihn zu beseitigen war wirklich ein Kinderspiel. So etwas erledigt die SENTENZA im Handumdrehen.« Solthoron wunderte sich über die Offen heit Ma-Anlaans. Anscheinend war das Ver trauen des Arkoniden zu ihm größer, als er zunächst angenommen hatte. Dieser Tatbe stand erleichterte die Behandlung enorm. »Welche Vorteile brachte Ihnen diese In trige ein?« Solthoron gab sich Mühe, seine Abscheu vor Ma-Anlaans Geschäften zu verbergen. »Nun …«, begann Ma-Anlaan zögernd. »Durch Teclons Vermittlung erhielt ich den Zuschlag für die fälligen Waffenlieferungen. Ich habe ziemlich gut daran verdient.«
Dirk Hess Solthoron erkannte immer noch keine Querverbindung zwischen Ma-Anlaans Ge schäften, der Vermittlung des jungen Nedo Teclon und der mysteriösen Mordserie. Die Hintergründe dafür waren anscheinend ge nauso verworren wie Ma-Anlaans Ge schäftspraktiken. Ma-Anlaan hatte mehrmals verneint, daß ein anderer Clan für die Morde verantwort lich sein könnte. Die Gesetze der SENTEN ZA ließen das angeblich nicht zu. Da die Clan-Gesetze aber auch nur von Arkoniden gemacht worden waren und die SENTENZA tagtäglich Gesetze brach, wollte Solthoron diese Deutung nicht ganz aus den Augen verlieren. Aber hätte der andere Clan-Meister tat sächlich seinen eigenen Sohn getötet? Der Ara-Wissenschaftler unterbrach Solt horons Gedankengänge. Der nach oben spitz zulaufende Schädel des hageren Arkoni denabkömmlings schimmerte hell. Die klei nen, rötlichen Augen gingen flink hin und her. »Ich werde Ihnen jetzt ein interessantes Experiment vorführen. Vielleicht bringt uns das in dieser unappetitlichen Sache voran. Ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksam keit.« Der Ara löste vorsichtig ein Auge aus Ne do Teclons Kopf und ging damit zu den Ver suchsapparaturen hinüber.
* Das Auge Nedo Teclons wurden samt der daranhängenden Nervenbündel in Sekun denbruchteilen tiefgefroren. Die automati sche Sezieranlage löste die für das Experi ment wichtigen Teile vorsichtig ab. »Ich habe bereits bahnbrechende Ent deckungen auf dem Gebiet, der Rekonstruk tions-Analyse machen können«, dozierte der Ara. »Wie Sie wissen, sind durch die Infra rot-Fotografie Aufnahme längst vergangener Ereignisse möglich. Wir nehmen die Wär mespuren auf und rekonstruieren diese Frag mente zu einem sinnvollen Ganzen. Den
Das Psycho-Komplott noch hat diese Methode ihre Grenzen. Wir wenden sie hauptsächlich zur Personenkon trolle und bei Razzien an. Bei der Rekon struktions-Analyse gehen wir von anderen Voraussetzungen aus. Wir nehmen an, daß sich jede Art von Ereignissen bei einem Le bewesen nicht nur seelisch, sondern auch körperlich niederschlägt …« Solthoron folgte den Ausführungen des Aras mit großem Interesse. Der Wissen schaftler bestätigte nämlich mit jedem Wort Solthorons geheime Theorie. »Jedes Ereignis«, fuhr der Ara fort, »wird im Gehirn gespeichert. Das nennen wir. Er innerung. Ein Vorgang, der sich durch elek trochemische Prozesse bis ins Detail nach ahmen läßt. Erinnerungen sind chemische Veränderungen im Gehirn. Sie können je derzeit wieder abgerufen werden. Wie ver hält es sich aber bei einem Wesen, dessen Gehirn entfernt wurde?« »Es kann sich nicht mehr erinnern«, platz te Ma-Anlaan heraus. »Nicht ganz«, meinte der Ara spöttisch. »Wir haben unseren Versuchsobjekten das Gehirn entnommen. Dann konfrontierten wir sie mit Gegenständen, die ihnen einmal ge hörten. Was, glauben Sie, taten die gehirnlo sen Körper damit?« »Sie ließen sie unbeachtet!« »Nein!« Die Feststellung des Aras klang ungeheuerlich. »Nein, sie nahmen sie an sich. Andere Gegenstände, mit denen sie niemals etwas zu tun gehabt hatten, ließen sie dagegen unbeachtet. Ich glaube, daß die ser Beweis schlagend genug ist. Im Körper eines jeden Wesens gibt es so etwas wie eine Resterinnerung an Vergangenes. Diese Re sterinnerung muß in sämtlichen Körperzel len gespeichert sein. Anders lassen sich die Verhaltensweisen von Hirngeschädigten, Personen mit totaler Amnesie oder unseren Versuchsobjekten nicht erklären.« »Und was hat das Auge mit Ihrer Theorie zu tun?« wollte Solthoron wissen. »Sehr viel! Das Auge und seine Nerven gehören sozusagen zum Gehirn dazu. Die Augen stellen die Verbindung zur Außen
35 welt her. Ohne das Auge ist jedes Wesen isoliert. Der Niederschlag von Erinnerungen vollzieht sich also größtenteils über die Au gen. Dementsprechend sind die Augen Trä ger von Erinnerungsfragmenten.« »Erinnerungsfragmente woran?« »Nun, das dürfte wirklich nicht schwer zu erraten sein«, meinte der Ara und ließ seine Zuhörer einfach stehen. Er wandte sich wie der seinen Apparaten zu. Mit flinken Fin gern hantierte er an den Rändelrädern der positronischen Vergrößerungsapparatur. »Ich will versuchen, das Porträt des Mörders für Sie sichtbar zu machen.« »Das ist unmöglich«, preßte Ma-Anlaan erregt hervor. »Nicht so unmöglich, wie Sie vielleicht annehmen, Ma-Anlaan. Der Mörder war das letzte, was Nedo Teclon in seinem Leben er blickte. Also muß sich dieser Anblick tief in das Innere des Sterbenden eingeprägt haben. Ich will versuchen, diesen Anblick zu rekon struieren.« Solthoron sah Ma-Anlaan kurz an. Der Arkonide war von dieser Möglichkeit eben so fasziniert wie er selbst. »Daß wir diese Methode nicht früher an gewandt haben!« »Bisher war der Abstand zwischen Tod und Einlieferung der Körper in die Labora torien zu groß. Mit jedem Augenblick, der seit dem Tod des Opfers verstreicht, sinken die Chancen, ein einigermaßen vernünftiges Rekonstruktionsbild zu erhalten.« Der Ara ließ einen großen Wandbild schirm aufflammen. Die Mattscheibe gab ein undefinierbares Graumuster wieder. »Der Sezierautomat hat den präparierten Augenhintergrund, also einen Teil der Netz haut herausgelöst«, erklärte der AraWissenschaftler. »Das Objekt ist nur wenig größer als ein Tausendstel Millimeter. Ein Laserstrahl tastet seine Oberfläche ab und überträgt das Rasterbild in die Positronik. Dort werden die einzelnen Informationen nach einem vorher festgelegten Schema un tersucht und in Magnetimpulse umgewan delt. Diese Impulse erscheinen dann nach ei
36 nem komplizierten Verfahren auf dem Bild schirm.« Der Ara verändert wieder einige Einstel lungen. Das Bild veränderte sich langsam. Doch die merkwürdigen Schemen waren im mer noch nicht zu identifizieren. Solthoron spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Seine Spannung hatte den Höhepunkt erreicht als der Ara einen Hebel umlegte. Irgendwo summte ein Generator auf. Röt liches Licht geisterte über den Bildschirm. »Das sind die Reflexe der Laser-Ab tastung.« Plötzlich klärten sich die Schemen. Aus dem rötlichen Lichtgeflimmer schälten sich die Konturen eines winzigen Objekts. Das Ding war kaum zu erkennen. Es besaß läng liche Abmessungen. In seiner Oberfläche klafften zwei kleiner Löcher. »Was ist das?« fragten Solthoron und MaAnlaan fast gleichzeitig. »Das hat Nedo Teclon gesehen, bevor er starb«, lautete die lakonische Antwort des Aras. »Ich werde eine Objektvergrößerung einschalten. Vielleicht können wir den Ge genstand dann besser erkennen.« Die Vergrößerung erschien ruckhaft auf dem Bildschirm. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Nedo Teclon diesen Gegenstand gesehen haben soll, bevor er starb«, meinte Solthoron un gläubig. »Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen.« »Aber ich«, meldete sich ein Zarltoner von hinten. Alle drehten sich um. Die Apparate summten leise, als der hochgewachsene Ar konidenabkömmling mit schweren Schritten näherkam. »Ich habe viele Jahre in der Flotte ge dient«, sagte der Zarltoner. »Deshalb sind mir alle Dinge vertraut, die damit in Verbin dung stehen. Der Gegenstand auf dem Bild schirm ist nichts anderes als ein Raum schiffsschlüssel. Der Kommandant eines Schiffes besitzt einen solchen Magnetschlüs sel, um Teilbereiche des Schiffes zu ver schließen. Damit kann er die Besatzung am
Dirk Hess Betreten einzelner Räume hindern. Er kann damit ganz nach Belieben verfahren. Er kann mit diesem Schlüssel sogar das ganze Schiff sperren.« Solthoron dachte scharf nach, bevor er sich dazu äußerte. Stimmengewirr kam auf. Die wildesten Vermutungen wurden geäu ßert, doch niemand kam der Wirklichkeit auch nur einen Schritt näher. »Nedo Teclon war doch Kommandant über die VALTRICTON«, wandte sich Solt horon an Ma-Anlaan. »Vielleicht ist das sein Schlüssel. Er hat ihn gesehen, als er sterbend zu Boden stürzte. Diese Erklärung erscheint mir plausibler als jede andere zu sein, die ich eben von Ihnen hören konnte.« »Aber Nedo Teclon hatte den Schlüssel nicht bei sich«, warf einer von den Sicher heitsbeamten ein. »Der Bericht der Spuren sicherung liegt vor. Darin war bestimmt nicht die Rede von einem Magnetschlüssel des Kommandanten. Nedo Teclon kann ihn also nicht gesehen haben.« »Hat er aber doch«, meinte der AraWissenschaftler hartnäckig. »Ich werde die optischen Daten an das Oberste Flottenkom mando durchgeben. Dort sind sämtliche Ma gnetschlüssel registriert. Ich glaube, daß wir dort mehr darüber erfahren können.« Während der Ara mit einigen Zarltonern die Verbindung zum Obersten Flottenkom mando herstellte und sich legitimierte, ließ Solthoron seinen Blick über die Versuchsan ordnung schweifen. Die Technik war also in die innerpsychischen Bereiche des Arkoni den eingedrungen. Man konnte Erinnerun gen bildlich machen. Das war bisher nur den Goltein-Heilern vorbehalten geblieben. Solt horon war gespannt, wie Kars Parghir darauf reagieren würde. Doch vorerst durfte der »Mittler« nichts von seinen eigenmächtigen Ermittlungen erfahren. »Die Antwort vom Flottenkommando ist da!« Solthoron ruckte herum. Er sah den Zarl toner erwartungsvoll an. »Halten Sie sich fest, meine Herren«, be gann der Hüne. »Der Magnetschlüssel konn
Das Psycho-Komplott te tatsächlich identifiziert werden. Aber er gehört nicht Nedo Teclon, sondern Abagur del Monotos, dem alten Kommandanten der VALTRICTON.« Einen Augenblick lang herrschte verblüff tes Schweigen im Laboratorium. Jeder wuß te, daß ein neuer Raumschiffskommandant bei Übernahme des Schiffes sämtliche Sch lösser, Geheimkodes und Überwachungseinheiten auf sich programmieren ließ. Nedo Teclon hatte dementsprechend auch einen neuen Magnetschlüssel erhalten. Ma-Anlaan unterbrach die Stille zuerst. »Abagur del Monotos ist tot. Ich selbst habe seine Leiche gesehen. Er wurde von seinen Männern erschossen. Dadurch wurde die VALTRICTON vor der Vernichtung durch die Maahks bewahrt.« Ma-Anlaan hatte natürlich die offizielle Version des Geschehens von sich gegeben. Er verschwieg in diesem Augenblick, daß del Monotos im Grunde durch seine Intrige umgekommen war. »Wie ist es möglich, daß Nedo Teclon im Sterben den Magnetschlüssel des alten Kommandanten sehen konnte?« fragte der Ara-Wissenschaftler. »Kann mir einer von Ihnen eine plausible Antwort darauf geben? Ein Toter kann doch nicht plötzlich ins Le ben zurückkehren und die Männer von der VALTRICTON ermorden. Das ist doch völ lig ausgeschlossen.« Solthoron nickte. »Das dürfte in der Tat ausgeschlossen sein. Ich halte die Mordserie dennoch für das Resultat eines Rachefeldzugs. Kein ver nünftiger Arkonide mordet nur um des Tö tens willen. Für jeden Mord gibt es ein Mo tiv. Wenn wir es mit einer schizophrenen Persönlichkeit zu tun haben sollten, dürfte es zunächst den Anschein haben, der Mörder hätte gar kein Motiv. Doch selbst ein Ver rückter kann irgendeinen Grund für sein Handeln anführen. Selbst wenn dieser Grund in den Abgründen seines kranken Bewußt seins verborgen liegt.« »Wie kommen Sie auf Rachefeldzug, Solthoron?«
37 »Ganz einfach«, erwiderte der GolteinSchüler. »Abagur del Monotos wurde ge waltsam aus dem Weg geräumt. Die Opfer jener Mordserie waren an dem Komplott di rekt oder indirekt beteiligt.« »Und was schließen Sie daraus?« »Jemand von der Besatzung will den alten Kommandanten rächen!« Solthoron machte eine Pause, um seine Worte wirken zu las sen. »Der große Unbekannte muß Abagur del Monotos sehr eng verbunden gewesen sein. Wie hätte er sonst an den Ma gnetschlüssel des Kommandanten heran kommen können? Ich will nicht ausschlie ßen, daß der Mörder sogar in einer ver wandtschaftlichen Beziehung zu del Mono tos stand.« Zarcov Ma-Anlaan stand der Schweiß auf der Stirn. Er kaute auf einem Beruhigungs riegel und ging unruhig auf und ab. »Wir werden die Besatzung der VAL TRICTON einem Psychoverhör unterzie hen«, schlug der Ara-Wissenschaftler vor. »Wenn der Mörder zur Mannschaft gehört, wird er sich irgendwie verraten. Es gibt ge nügend Tricks, um auch den raffiniertesten Verbrecher zu durchschauen.« »Und wie soll ich mich inzwischen ver halten?« preßte Ma-Anlaan schnaufend her vor. »Der Mörder weiß bestimmt schon, daß ich die Intrige gegen del Monotos eingefä delt habe. Ich bin das nächste Opfer auf der Liste des Unheimlichen.« »Durchaus möglich«, mußte Solthoron dem Arkoniden zugestehen. »Es spricht aber nichts dafür, daß Sie wirklich das nächste Opfer sein müssen. Die Besatzung der VAL TRICTON befindet sich auf dem Raumha fen von Arkon III. Die Männer können kei nen unbeobachteten Schritt tun.« »Ich weiß nicht recht …« »Wenn es Sie beruhigt, begleite ich Sie in Ihre Wohnräume, Ma-Anlaan. Wir können unterwegs über die nächsten Phasen unserer Therapie sprechen. Ich glaube, daß Sie das auf andere Gedanken bringen wird.« Ma-Anlaan stimmte hocherfreut zu. Es beruhigte ihn zutiefst, Solthoron an seiner
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Dirk Hess
Seite zu wissen. Denn tief in seinem Inner sten wußte der Arkonide, daß der unheimli che Mörder ihn als nächsten aufs Korn neh men würde.
6. In Hocton-Mur herrschte wieder Hochbe trieb. Unzählige Unterhaltungssuchende be völkerten die farbenprächtig ausstaffierten Etagen des riesigen Trichtergebäudes. Nie mand dachte an die Mordserie. Jeder wollte seine Alltagssorgen im Trubel der Vergnü gungssalons vergessen. Aus keinem anderen Grund waren die Arkoniden hierher gekom men. Ma-Anlaan nickte einer jungen Tänzerin gönnerhaft zu. Die Kleine verbeugte sich tief. »Hier kann mir nichts passieren«, meinte Ma-Anlaan. Er schien rasch die Fassung zu rückgewonnen zu haben. »Meine Zarltoner bewachen alle Eingänge. Die Überwa chungspositronik wurde mit den Gehirnen der Wachroboter synchrongeschaltet. Jeder einzelne Gast im Hocton-Mur wird automa tisch auf Herz und Nieren überprüft.« »Ich also auch«, meinte Solthoron. In sei ner Stimme schwang leiser Spott mit. »Natürlich, Solthoron. Sie werden von der Positronik genauso registriert wie jeder an dere Gast auch.« Ma-Anlaan legte die Rechte auf das Wär meschloß seines persönlichen Liftes. Eine optische Anzeige leuchtete auf, dann öffne ten sich die schmalen Schiebetüren. Die Liftkabine war mit wertvollen Stickereien ausgestattet worden. Dultbeutel hingen in den Ecken. Während der Lift mit hoher Geschwindig keit zur letzten Etage des Trichtergebäudes emporraste, überkam den Goltein-Schüler plötzlich ein unheimliches Gefühl. Er konnte sich den Grund dafür selbst nicht erklären. Es mußte irgend etwas mit der ungewohnten Umgebung zu tun haben. Ein GolteinEingeweihter war so sensibel und überaus empfindlich, daß er sogar die psychische
Aura von erregten Personen spüren konnte, die er überhaupt nicht sah. »Was haben Sie, Solthoron?« »Ich fühle mich nicht besonders. Viel leicht sind die psychischen Ausstrahlungen in Hocton-Mur daran schuld …« »Unsinn«, entgegnete der dicke Arkonide. »Bei mir gibt es nur positive Ausstrahlun gen. Hier wird das Leben in vollen Zügen genossen.« Solthoron verzichtete auf eine Antwort. Er hätte den Dicken doch bloß beleidigt. Die zweifelhaften Vergnügungen in Hocton-Mur entsprachen wahrscheinlich nicht den Ideal vorstellungen eines Goltein-Schülers. Ruckend hielt der Lift an. Die Türhälften glitten zischend in die Wandnischen zurück. »Herrlich«, rief Solthoron aus. »Das ist einfach phantastisch.« Der Goltein-Schüler betrat den großen, kuppelüberdachten Raum. Ein kleines, be pelztes Tier huschte an ihm vorbei. Der Duft exotischer Gewächse wehte an ihm hoch. Die Blütenkelche riesiger Ziergewächse schienen sich extra für sie zu öffnen. »Das ist mein Reich«, meinte Ma-Anlaan stolz. »Das gehört mir. Hier haben nur mei ne engsten Freunde Zutritt.« Der Zierpark wurde von einer eleganten Sitzgruppe abgelöst. Ein Wasserbecken mit kleinen Fischen begrenzte die leicht erhöhte Rundung. Neben den Sesseln waren ver senkbare Bildschirme angebracht. Auch in seinem privaten Bereich wollte Ma-Anlaan nicht auf die Verbindung zu seinen Ge schäftspartnern verzichten. »Was darf ich Ihnen anbieten, Soltho ron?« Der Goltein-Schüler wehrte ab. »Jetzt nicht, Ma-Anlaan. Gestatten Sie mir einen Rundgang durch Ihren Garten?« »Gewiß. Fühlen Sie sich hier wie zu Hau se. Ich erkundige mich inzwischen bei mei nen Zarltonern nach dem Gang der Geschäf te.« Solthoron ließ die unwirkliche Umgebung voll auf seine sensible Psyche wirken. Der junge Arkonide wußte, daß er sich in fünf
Das Psycho-Komplott hundert Meter Höhe befand. Nur eine dünne Stahlplastikhaube trennte ihn von den Wol ken. Der Himmel war stahlblau. Draußen schien ein besonders starker Wind aufge kommen zu sein. Die Wolkenfelder verscho ben sich rasch. Das lautlose Gleiten faszi nierte den Goltein-Schüler ungemein. Er entdeckte immer neue Formen und Gestal ten. Gigantische Wolkentäler verschlangen die ursprünglichen Formen, leuchtender Himmel strahlte für wenige Augenblicke hindurch, dann bedeckten mächtige Streifen das Firmament. Dann waren die fremdartigen Empfindun gen wieder da. Solthoron stöhnte unter drückt auf. Die psychische Aura, die er in seinem Innersten spürte, war zutiefst brutal und gewalttätig. Der Goltein-Schüler er schauerte unter dem Ansturm jener entfes selten Empfindungen. »Ma-Anlaan … wo stecken Sie?« »Hier«, kam die Antwort. »Ich stehe vor Ihnen! Sehen Sie mich denn nicht, Soltho ron?« Der dicke Arkonide steuerte geradewegs auf die Sitzgruppe zu. Neben ihm plätscher te das Wasser des kleinen Springbrunnens. Die Zierfische sprangen über die Wasserflä che. Solthoron riß gewaltsam die Augen auf. Das Bedrohliche und Fremde beeinflußte ihn immer mehr. »Halt, Ma-Anlaan … nicht weitergehen!« »Lassen Sie den Unsinn, Solthoron! Spie len Sie nicht verrückt!« Er hat recht, sagte Solthorons innere Stimme. Meine Nerven sind überreizt. Ich bin die vielfältigen Eindrücke der Außen welt einfach nicht mehr gewöhnt. Aber trotzdem nahmen die unheimlichen Empfin dungen überhand. Solthoron konnte sich nicht dagegen wehren. Er war dazu ausge bildet worden, krankhafte Gefühlsregungen zu orten. Er war wie eine biologische Anten ne, die alles Negative und Abnorme anzog. »Nicht weitergehen, Ma-Anlaan! Ich be schwöre Sie!« Solthoron sah, wie der Arkonide unsicher
39 wurde. Schließlich blieb er dicht am Beckenrand stehen. Die Sitzreihe mit den verdeckt angebrachten Bildschirmen war zum Greifen nahe. Links wucherten die exo tischen Pflanzen. »Sagen Sie mir, was Ihr merkwürdiges Verhalten zu bedeuten hat, Solthoron! Ich finde es beschämend, wie Sie sich mir ge genüber gehen lassen. Sie sollen mich hei len. Aber was tun Sie? Sie beunruhigen mich nur noch mehr.« »Sie wollen mich nicht verstehen«, preßte Solthoron mühsam hervor. »Ich spüre eine furchtbare Bedrohung, die über diesem Raum schwebt. Es hat etwas mit der Sitz gruppe zu tun. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Rufen Sie sofort Ihre Zarltoner. Sie müssen den Raum überprüfen lassen.« »Das ist doch Unsinn. Hier ist alles ge nauso unversehrt wie sonst auch. Ich allein besitze den Schlüssel für diese Etage. Das Wärmeschloß ist auf meine Zellschwin gungsfrequenzen abgestimmt worden.« Als Ma-Anlaan sich hinsetzen wollte, hin derte Solthoron ihn daran. Der dicke Arko nide machte eine Abwehrbewegung und rutschte dabei aus. Das rettete ihm das Le ben. Denn im gleichen Augenblick schnellte ein klebriger Pflanzenarm haarscharf über ihn hinweg. Die Pflanzen veränderten sich rasend schnell. Aus dem kunstvoll angeleg ten Zierpark war auf einmal ein höllischer Dschungel aus fleischfressenden Pflanzen geworden. »Helfen Sie mir, Solthoron«, schrie MaAnlaan panikerfüllt.
* Ma-Anlaan kam torkelnd wieder auf die Beine. Sein Gesicht war schreckensbleich. Er schien das Ganze überhaupt nicht fassen zu können. Hatte sich auf einmal alles gegen ihn verschworen? »Kriechen Sie über den Boden«, stieß Solthoron hervor. Die psychische Haßaura hielt unvermindert an. Der Goltein-Schüler glaubte sogar, einen gewissen Triumph in
40 den unheimlichen Empfindungen wahrneh men zu können. Die fleischfressende Pflanze unterschied sich rein äußerlich nur durch ihre klebrigen Tentakel von den übrigen Pflanzen. An den schlangenförmigen Enden entsprossen mächtige Scheiben, die an den Unterseiten mit Dornen besetzt waren. »Aufpassen, daß die Pflanzenscheiben Sie nicht berühren!« Ma-Anlaan reagierte auf Solthorons War nung überhaupt nicht. Er kauerte sich wie ein Kind zusammen und zitterte am ganzen Körper. Die Pflanzenarme vollführten einen gespenstischen Reigen. Sie tasteten wild in der Luft umher. Doch wie durch ein Wunder blieb Ma-Anlaan von ihnen verschont. »Tiefer auf den Boden«, schrie Solthoron erregt. Zwischen ihm und der Sitzgruppe gab es nur noch eine schmale Lücke. Solthoron konzentrierte sich auf den Arkoniden, dann warf er sich ebenfalls auf den Boden. Er kroch geschickt vorwärts und erreichte den Rand der Sitzgruppe. Dicht über ihm peitschten die Pflanzenarme blindwütig durch die Luft. »Strecken Sie mir die Hand entgegen, Ma-Anlaan!« Der dicke Arkonide rührte sich nicht. Er schluchzte wie ein hilfloses Kind. Sein Ge sicht war fleckig, Tränen liefen ihm über die feisten Wangen. Plötzlich ertönte eine durchdringende Stimme. »Jetzt wirst du sterben, Zarcov MaAnlaan …« Die Stimme kam von der Sitzgruppe. Aber dort saß niemand. Solthoron erkannte, daß die Stimme aus einem Lautsprecher kam. Dort wurde ein Speicherkristall abge spult. »Der Tod wird langsam kommen. Du wirst leiden. Dein Tod ist die gerechte Strafe für deine brutalen Intrigen …« Solthoron war entsetzt über den schnei denden Klang der Stimme. »… die Pflanzen werden dich nicht töten,
Dirk Hess Zarcov Ma-Anlaan. Sie werden dich schwä chen. Du sollst dich nicht mehr wehren kön nen, wenn du verbrennst. Du sollst genauso sterben wie dein Opfer …« Zarcov Ma-Anlaan war halb verrückt vor Angst. Er biß sich in den Handrücken, um nicht laut schreien zu müssen. Solange er am Boden kauerte, konnten ihn die Mordpflan zen nicht erreichen. Die Tentakel peitschten blindwütig über ihn hinweg. »Du solltest eigentlich später sterben, MaAnlaan«, schrillte die Stimme durch den Raum. »Du solltest das letzte Opfer sein. Leider zwingen mich die Umstände dazu, dich vorzuziehen …« Solthoron ahnte, daß der Anschlag auf den Händler unmittelbar mit den Ergebnis sen der Untersuchungskommission zusam menhing. Der geheimnisvolle Mörder hatte sämtliche Besatzungsmitglieder der VAL TRICTON aufs Korn genommen. Da das Schiff zur Zeit isoliert wurde und jedes Be satzungsmitglied unter Bewachung stand, mußte Ma-Anlaan dran glauben. Der Mörder gehört also nicht zur Besat zung der VALTRICTON, schoß es Soltho ron durch den Kopf. Im gleichen Augenblick breitete sich bei ßender Qualm aus. Die Pflanzententakel rollten sich verschmort zusammen, und MaAnlaan stieß einen gellenden Schmerzens schrei aus. »Ich verbrenne!« Solthoron überwand seine Furcht vor den teuflischen Pflanzen und rannte gebückt vor wärts. Er überwand die wenigen Meter bis zur Sitzgruppe, in einem Atemzug. Blitz schnell ergriff er den willenlosen Arkoniden am Arm. Erst jetzt sah er, daß sich die Ses sel infolge einer chemischen Reaktion in dunkelrot glühende Folterinstrumente ver wandelt hatten. »Der Wahnsinnige wollte mich bei leben digem Leib rösten«, stieß Ma-Anlaan ge quält hervor. Jetzt zuckte eine Stichflamme aus den Polstern. Rußende Ascheteilchen trieben durch die Luft. Der Qualm erschwerte den
Das Psycho-Komplott Männern das Atmen. Ma-Anlaan hustete un terdrückt. »Wir müssen hier raus!« Solthoron zerrte den dicken Arkoniden hastig mit sich. Das Gewicht des Mannes er schwerte sein Vorhaben. Ma-Anlaan knickte immer wieder in den Knien ein. In diesem Augenblick setzte die Stimme des Mörders zu einem triumphierenden La chen an. Doch bevor sie ihre letzten Erklä rungen abgeben konnte, irrlichterte eine Glutentladung durch den Kunstpark. Soltho ron kniff erschrocken die Augenlider zusam men. »Wir sind nicht allein! Vielleicht Ihre Zarltoner …« Ma-Anlaan sackte kraftlos in sich zusam men. Er schien jetzt nichts mehr um sich herum wahrzunehmen. Der Glutstrahl zuckte noch einmal auf, dann herrschte wieder Halbdunkel. Die Ses selgruppe war mitsamt des Abspielapparats verschwunden. Ein nachglühendes Loch gähnte in der Decke. Tödliches Schweigen breitete sich aus. »Zarcov«, ertönte eine weibliche Stimme. »Bist du verletzt?« Solthoron und sein schwergewichtiger Schützling taumelten aus den Qualmwolken und blieben dicht vor der Lifttür erstaunt stehen. Die junge Arkonidin war außerge wöhnlich hübsch. Ihre glatten, silberweißen Haare umrahmten die hohe Stirn. Ihr Ge sicht wurde von großen, strahlenden Augen beherrscht. Sie hielt einen Blaster schußbereit in der Rechten. »Du … hast mir das Leben gerettet«, keuchte Ma-Anlaan. »Du bist im letzten Au genblick gekommen.« Dann verlor der Händler das Bewußtsein.
* »Wer sind Sie?« fragte Solthoron die jun ge Arkonidin. Sie drehte sich langsam um. Ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
41 »Ist es so wichtig, immer den Namen ei nes anderen zu kennen? Man begegnet sich, und man verliert sich auch wieder aus den Augen. Ich bin Zarcovs Begleiterin. Das dürfte Ihnen genügen.« »Sie sind sehr schön. Sie passen nicht zu ihm«, meinte Solthoron und warf einen be deutungsvollen Blick, auf den dicken Arko niden. Zwei Mediziner kümmerten sich um ihn. Der Atem des Mannes ging schwer. Tiefe Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. »Wenn Sie meinen, ich würde besser zu einem jüngeren Mann passen, muß ich Sie enttäuschen. Die Beziehung zu einem reifen Mann ist weitaus befriedigender …« »Und lukrativer«, warf Solthoron ein. Sie überging seine ironische Bemerkung. Solthoron sah sie ernst an. Sie wich seinem Blick nicht aus. Ihre Augen schienen von ei nem geheimnisvollen Feuer erfüllt zu sein. Irgendeine elementare Kraft ging von ihnen aus. »Sie wollen Zarcov Ma-Anlaan von sei nen Problemen befreien, nicht wahr?« Solthoron nickte. Anscheinend hatte der Händler seiner Begleiterin alles über ihn und die Goltein-Schule erzählt. Das war durch aus nichts Außergewöhnliches. Die GolteinLehre stand in der arkonidischen Meinung ziemlich hoch im Kurs. Wer sich eine Golt ein-Therapie leisten konnte, gehörte zu den Oberen Zehntausend. »Beinahe wäre Sie mit Ihrem Patienten zusammen umgekommen.« »Sie haben uns das Leben gerettet! Ich muß mich bei Ihnen bedanken«, sagte Solt horon. »Sie sind doch nicht zufällig hier vor beigekommen, oder?« »Ich habe jederzeit Zutritt zu seinen Pri vaträumen.« »Der Mörder ebenfalls.« Solthoron konn te sich diese Bemerkung nicht verkneifen. Er wollte die hübsche Arkonidin aus der Re serve locken. »Das stimmt«, meinte sie ungerührt. »Aber es ist wirklich nicht schwer, die Pro grammierung der Schloßelektronik durch
42 einanderzubringen. Das hätte jeder Zarltoner erledigen können.« »Man wird Ihnen unbequeme Fragen stel len!« »Wirklich?« »Zum Beispiel, wie die fleischfressenden Pflanzen in den Kunstpark gekommen sind …« Sie unterbrach ihn lachend. »Sie scheinen eine ausgeprägte Phantasie zu besitzen. Aber das gehört wohl zu Ihrem Beruf.« Solthoron ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Die junge Arkonidin interessierte ihn immer mehr. Ihre psychische Ausstrah lung war ungemein stark. Solthoron konnte sich noch nicht erklären, wodurch diese Au ra hervorgerufen wurde. »Sie sind eine außergewöhnliche Frau …« »Danke!« »Aber das wird Sie nicht davor bewahren, Ihre Identität lüften zu müssen. Man wird sich für Ihre Vergangenheit interessieren, und man wird Sie nach Ihrem Namen fra gen.« »Davor habe ich keine Angst.« Inzwischen hatten die Mediziner ihre Ar beit beendet. Zarcov Ma-Anlaan lag auf der flachen Polsterliege. Sein Atem ging wieder gleichmäßig. »Sie behandeln ihn doch, nicht wahr?« Der Mediziner wandte sich Solthoron kol legial zu. Sein Blick war sehr ernst und drückte so etwas wie Besorgnis aus. »Ja, ich stehe kurz vor der dritten, ent scheidenden Goltein-Phase, wenn Ihnen das etwas sagt.« Der Arzt nickte. »Dann empfehle ich Ihnen, sofort damit zu beginnen. Ma-Anlaans physische Kräfte sind ebenso erschöpft wie seine geistigen Reserven. Die geringste Aufregung kann ihn töten. Da hilft ihm auch unsere medizinische Kunst nicht weiter. Es gibt nur noch eine Chance für ihn …« »Ich soll seine Probleme übernehmen!« »Ganz recht! Wenn er von allem seeli-
Dirk Hess schen Ballast befreit ist, kann sich sein Kör per regenerieren. Unsere Mittel reichen dazu nicht aus. Ich muß zugeben, daß ihr GolteinHeiler uns haushoch überlegen seid. Eure Methoden lassen sich zwar nicht exakt durch die empirischen Wissenschaften belegen, dennoch sprechen eure Heilungserfolge für sich.« Solthoron legte die blaue Robe nachdenk lich ab. Dabei löste sich der Magnetver schluß seiner Brusttasche, und die Bildfolie, die ihm Kars Parghir mitgegeben hatte, fiel auf den Boden. Die junge Arkonidin bückte sich und betrachtete erstaunt das Bild. »Ich werde Zarcov Ma-Anlaan zu Ende behandeln«, sagte Solthoron und begleitete die Mediziner zum Ausgang. Nachdem sie verschwunden waren, wandte er sich an die hübsche Arkonidin. »Wer ist das?« fragte sie und deutete auf die Bildfolie. »Das weiß ich auch nicht. Aber bestimmt niemand, den Sie kennen.« Als Solthoron die Bildfolie wieder an sich nahm, hatte er das unbestimmte Gefühl, die junge Frau würde ihn jetzt mit ganz anderen Augen betrachten. Ihre Neugier war unver hohlen. Sie warf einen letzten Blick auf das Bild und gab es ihm dann zurück. Sie kennt den Schweigsamen von Perpan dron, durchzuckte es Solthoron. Wenn ich seine Identität im Personenarchiv klären kann, werde ich vielleicht auch den Namen dieser Frau erfahren.
* Solthoron und Zarcov Ma-Anlaan waren allein. Die geschwächten Abwehrkräfte des Händlers erleichterten Solthoron die Thera pie. Der Arkonide war ausgelaugt. Seine letzten Widerstandskräfte schwanden dahin. »Sie fühlen sich jetzt ganz leicht, Zarcov Ma-Anlaan. Sie schweben auf weichen Wol ken. Sie haben keine Probleme mehr. Sie wissen nicht mehr, wo Sie sind. Sie brau chen keine Angst mehr zu haben. Sie sind
Das Psycho-Komplott vollkommen sicher …« »Ja … ich fühle mich ganz leicht. Ich schwebe.« Die Augen des fetten Händlers bekamen auf einmal einen feuchten Glanz. Solthoron wußte nicht, ob das von den Beruhigungsin jektionen herrührte, oder ob Ma-Anlaan be reits die Schwelle zur Goltein-Übernahme erreicht hatte. »Öffnen Sie sich!« verlangte Solthoron unvermittelt. Die psychische Aura des Arkoniden wur de auf einmal spürbar. Solthoron legte dem Mann beide Hände an die Schläfen. Er nahm den Schlag des fremden Herzens in sich auf. Er ließ die fremden Impulse ganz auf sich wirken. Die Aura des Mannes verdichtete sich immer mehr. Rein äußerlich war keine Veränderung zu erkennen, doch innerlich vollzog sich jetzt eine grundlegende Wand lung. Die Goltein-Therapie ließ sich weder mit dem technischen Begriff »Hypnose«, noch mit dem Zauberwort »Telepathie« umschrei ben. Es war etwas ganz anderes. Die lang wierige Ausbildung befähigte jeden GolteinHeiler, eine seelische Vereinigung mit dem Patienten einzugehen. Während dieser engen Verknüpfung von zwei Identitäten ver schmolzen die Bewußtseinsebenen völlig miteinander. Solthoron sah auf einmal nichts mehr. Er mußte die kreatürliche Angst in sich gewalt sam unterdrücken. Er hatte plötzlich das Ge fühl, von einem mächtigen Sog verschlun gen zu werden. Er sah nur noch Wirbel vor seinen Augen. Das Zimmer drehte sich im mer schneller, bis nur noch grelle Lichtrefle xe übriggeblieben waren. In seinen Ohren war ein übernatürliches Brausen. »Wir sind eins geworden, Zarcov MaAnlaan … unsere Seelen sind fest miteinan der verschmolzen.« Solthoron wußte, daß er jetzt seine ganze Willenskraft aufbringen mußte. Wenn er dem zähen Sog nachgab, würde er zusam men mit seinem Patienten scheitern. Ihre
43 Bewußtseinsinhalte würden im ewigen Dun kel einer mystischen Leere verschwinden. »Die reinigende Flamme Golteins befreit uns von allem Übel. So war es zur Zeit unse rer Väter, und so wird es auch in Zukunft sein. Das Erbe der Vergangenheit ist im Goltein wach und lebendig.« Der Sog hüllte ihre Bewußtseinsinhalte total ein. Er umgab sie wie ein schützender Kokon. Ab und zu blitzten geheimnisvolle Lichter auf. Sie kamen und verschwanden wieder. Sie wirkten auf die Seelen der bei den Männer wie ferne Sterne. Größere. Lichter blendeten sie. Langgezogene Feuer schweife unterbrachen die Dunkelheit. »Meine Seele ist stark, Zarcov MaAnlaan. Ich kann dich ertragen. Ich erkenne deine Ängste und Sorgen. Ich werde sie bei mir behalten.« Das Lichtergeflimmer wurde plötzlich von tierischen Instinkten und abscheulichen Gefühlen hinweggefegt. Das sind Zarcov Ma-Anlaans negative Bewußtseinsinhalte, erkannte Solthoron ent setzt. Sie sind drängend und bestialisch. Sie gehören einer verdorbenen Persönlichkeit, die jede Ethik über Bord geworfen hat. Solthoron wurde in Sekundenbruchteilen bewußt, wie Zarcov Ma-Anlaan seine Ge schäfte abgewickelt hatte. Immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht, hatte MaAnlaan skrupellos jeden Geschäftspartner aus dem Weg geräumt. Der Händler war für unzählige Arkoniden zum Schicksal gewor den. Der Weg, den er zurückgelegt hatte, war von Leichen gesäumt. Viele Arkoniden hatten sterben müssen, bevor Zarcov MaAnlaan Clanchef der SENTENZA werden konnte. Auch der Tod des Kommandanten Abagur del Monotos gehörte dazu. Wer MaAnlaan im Weg stand, wurde mitleidlos be seitigt. Das Geschäftsprinzip ließ keine Aus nahme zu. Dabei war es egal, ob es nur um ein paar Prozent Gewinnbeteiligung ging oder um die Übernahme eines ganzen Indu striezweigs. Solthoron empfand einen unbe schreiblichen Ekel. Sein einziger Trost be stand darin, daß Ma-Anlaan nach der erfolg
44 reichen Behandlung womöglich friedfertiger und weniger skrupellos handeln würde. Als sich die bösartigen Impulse MaAnlaans zu einem pechschwarzen, zähflüssi gen Brei verdichteten, war der Zeitpunkt zur Ablösung gekommen. »Unsere Körper werden wieder schwer. Wir spüren die Kraft der Anziehung, und wir ordnen uns allem willig unter. Wir er kennen unsere Umgebung. Wir werden wie der Solthoron und Zarcov Ma-Anlaan.« Der Körper des dicken Arkoniden er schauerte wie unter einem starken Fieberan fall. Salziges Augensekret tropfte auf die Polsterbezüge herab. Die Finger verkrampf ten sich. »Es ist vorbei«, flüsterte Solthoron er schöpft. »Sie sind von Ihren Problemen be freit, Zarcov Ma-Anlaan.« Als Solthoron aufstand, spürte er ein star kes Schwindelgefühl. Die Bürde jener ani malischen Empfindungen, die er von MaAnlaan übernommen hatte, wog doppelt schwer. Er zwang sich nachhaltig dazu, sie in ihrer Abscheulichkeit tief in sein Unterbe wußtsein abzudrängen. Diesen inneren Kampf würde er solange austragen müssen, bis er wohlbehalten auf Perpandron gelandet war. Die Goltein-Heiler würden ihn davon befreien. Das Boshafte und Schlechte des Händlers würde sich in den Weiten des Pla neten verlieren. »Sie haben mich gerettet«, sagte Zarcov Ma-Anlaan erleichtert. »Ich fühle mich wie neugeboren. Sie sind ein Meister. Wie kann ich Ihnen nur danken?« Solthoron zog die Brauen zusammen. Er wollte nicht, daß Ma-Anlaan seine Erschöp fung erkannte. »Es war meine Aufgabe, Ihnen zu helfen. Sie waren sehr tapfer, Ma-Anlaan. Ich hoffe, Sie werden die seelische Wiedergeburt nut zen. Jetzt liegt es in Ihrer Hand. Sie können ganz von vorne anfangen. Und vergessen Sie niemals, daß eine zweite GolteinBehandlung nicht möglich sein wird.« »Ich werde daran denken. Und ich werde Ihrer Schule die Hälfte meines Vermögens
Dirk Hess übereignen.« Zarcov Ma-Anlaans Augen leuchteten. In seinem Gesicht war keine Spur mehr von seiner ursprünglichen Bosheit zu erkennen. Solthoron hatte die Feuerprobe als GolteinHeiler bestanden. Doch es war fraglich, ob er mit den anderen Problemen des Händlers fertig werden würde. Der mysteriöse Rächer hatte seinen Plan noch längst nicht aufgege ben. Denn jetzt gehörte auch Solthoron zu den Opfern eines unglaublichen Komplotts.
7. Das Personenarchiv von Arkon I beinhal tete sämtliche Daten über nahezu alle arko nidischen Bürger. Die Unterlagen reichten bis zu den akonischen Unabhängigkeitskrie gen zurück. So mancher Akone, dessen Ge beine längst zu Staub zerfallen waren, war hier noch registriert. Nachdem sich die bei den Völker voneinander getrennt hatten – niemand wußte, in welche kosmischen Be reiche sich die Akonen zurückgezogen hat ten –, wurden hier nur noch arkonidische Staatsbürger registriert. Solthoron fühlte sich schwächer, als er sich hatte eingestehen wollen. Das Flackern der positronischen Anzeigeinstrumente machte ihn nervös. Tief in seinem Unterbe wußtsein regten sich die animalischen Be wußtseinsinhalte des arkonidischen Händ lers. Solthoron mußte immer wieder an die junge Arkonidin denken. Ihr hübsches Ge sicht tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Das Leuchten ihrer eindrucksvollen Augen beherrschte die Vision. »Ihre Anfrage darf auf imperiale Weisung hin nicht beantwortet werden«, dröhnte die mechanische Stimme des Selektionsautoma ten durch die Stille. Solthoron warf einen Blick auf den einge schalteten Bildschirm. Dort standen in Leuchtschrift jene Daten, die er in die Ma schine getippt hatte. Anscheinend reichten die Angaben nicht aus, um Klarheit über die
Das Psycho-Komplott Identität des schweigsamen Arkoniden auf Perpandron zu erhalten. Solthoron schob die Bildfolie, die den Ge heimnisvollen darstellte, in den Abtaster der Positronik. In Sekundenschnelle wurde das Bild in einen komplizierten Regelkreis auf genommen. Die Detailinformationen konn ten von der Automatik analysiert werden. Dann stellte Solthoron seine Anfrage noch einmal. »Wie heißt die Person? Wie lauten die persönlichen Daten?« Die Reaktion erfolgte sofort. »Ihre Anfrage darf auf imperiale Weisung hin nicht beantwortet werden. Bitte legiti mieren Sie sich!« Solthoron wurde stutzig. Die Datenbank des Personenarchivs stand jedem arkonidi schen Bürger zur Verfügung. Es kam natür lich vor, daß aus Geheimhaltungsgründen diese oder jene Person samt ihren Daten aus dem Speicher gelöscht oder gesperrt wurde, doch Solthoron konnte sich nicht vorstellen, daß der schweigsame Arkonide von Perpan dron unter diese außergewöhnliche Vor schrift fiel. »Ich bin Solthoron, Goltein-Schüler. Ich erledige den Auftrag des Mittlers Kars Parg hir. Die Anfrage nach den persönlichen Da ten des Unbekannten geht auf den Wunsch des ehrwürdigen Klemir-Theron zurück.« Über den Bildschirm der Selektionsauto matik flimmerten positronische Symbolket ten. »Ihre Angaben stimmen. Die imperiale Weisung kann in Ausnahmefällen übergan gen werden. Vertreter der Goltein-Schule haben ungehinderten Zugang zu den Daten.« »Dann bitte ich um die gewünschten An gaben.« Auf dem Bildschirm erschien das Bild ei nes jungen, intelligent wirkenden Arkoni den. Der Mann hatte eine starke Ähnlichkeit mit dem Schweigsamen von Perpandron. Ein zweites Bild wurde über das erste ge blendet. Dann wurde auch das zweite, ge löscht. Jetzt erschien der Körper eines mu mifizierten Arkoniden auf der Mattscheibe.
45 Solthoron wußte, daß von jedem Arkoni den im Laufe seines Lebens drei Bilder für die Datenbank des Personenarchivs angefer tigt wurden. Das geschah bei den routinemä ßigen Volkszählungen. Als die dritte Auf nahme von dem Mann gemacht wurde, des sen Namen Solthoron zu erfahren wünschte, war er bereits tot. Solthoron wurde schlagartig munter, als er den Namen vernahm. »Die gewünschte Person ist mit dem ver storbenen Imperator Gonozal VII. identisch. Seine Erhabenheit kam bei einem Jagdunfall auf dem Planeten Erskomier ums Leben. Die sterblichen Überreste fanden in der arkonidi schen Heldengedenkstätte KARSEHRA auf dem Planeten Hocatarr ihre letzte Ruhe.« Solthoron wischte sich über die Augen. Damit hatte er nicht gerechnet. Wenn der schweigsame Arkonide auf Perpandron tat sächlich mit dem alten Imperator identisch war, mußten ihn die fremden von den Toten auferweckt haben. Die Vorstellung war so ungeheuerlich, daß sich Solthoron fragte, ob er Kars Parghir diese Nachricht überbringen konnte. Selbst für die fortgeschrittene Technik der Arkoniden war der Tod eine endgültige Bar riere, an der sämtliche wissenschaftlichen Versuche scheiterten. Wer einmal tot war, der konnte nicht wiederbelebt werden. Kein noch so raffiniertes Mittel hätte ihm wieder Leben einhauchen können. Doch ein Rest Mißtrauen, gegenüber der amtlichen Auskunft blieb in Solthoron zu rück. Wie kam es, daß der Mann auf Perpan dron schwieg und sich wie eine Puppe be wegte? Hatte Klemir-Theron nicht behaup tet, dieser Mann hätte alles verloren, was ei ne vollwertige Existenz ausmachte? Ein To ter, der viele Jahre später ins Leben zurück gerufen wurde – falls dies überhaupt mög lich war –, könnte etwa so aussehen und sich so verhalten wie der Mann auf Perpandron. Solthoron wandte sich erneut an die Se lektionsautomatik. »Ich bitte jetzt noch um die persönlichen
46 Daten einer jungen Arkonidin.« »Bitte sprechen Sie«, ertönte die seelenlo se Stimme der Automatik. Solthoron gab eine genaue Personenbe schreibung von Zarcov Ma-Anlaans char manter Begleiterin. Er war sich jedoch nicht sicher, ob das ausreichte. »Ihre Angaben sind ungenügend.« Solthoron überlegte kurz, ob er sich damit zufriedengeben sollte. Doch er ließ nicht locker. Bevor er das Personenarchiv verließ, wollte er auch noch die Identität der jungen Arkonidin klären. »Soll Ihre Anfrage gelöscht werden?« »Nein«, rief Solthoron. »Sind die Daten sämtlicher Besatzungsmitglieder des Schlachtkreuzers VALTRICTON gespei chert?« Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Po sitronik sämtliche Unterlagen überprüft hat te. »Für welchen Zeitraum wünschen Sie die Besatzungsliste?« Solthoron konkretisierte seine Anfrage und formulierte sie neu. »Befand sich vor und nach dem Komman dowechsel, bei dem Abagur del Monotos durch Nedo Teclon abgelöst wurde, eine Frau mit an Bord?« »Nein.« Solthoron sah seine Chancen schwinden, doch noch Licht in die mysteriöse Angele genheit zu bringen. Doch plötzlich kam ihm ein verwegener Gedanke. »Ich bitte um die Unterlagen über die Fa milie del Monotos!« In wenigen Augenblicken übermittelte die Selektionsautomatik die Daten der alten Adelsfamilie. Abagur des Monotos war ein altgedienter Kämpfer gewesen. Unter Gono zal VII. war ihm die Kometenspange verlie hen worden. Sein Tod war nur kurz ver merkt worden. Er wurde mit Versagen bei entscheidenden Kampfhandlungen im Trico ron-Sektor begründet. »Gibt es noch lebende Angehörige von Abagur del Monotos?« »Nach dem gewaltsamen Tod von Abagur
Dirk Hess del Monotos beging seine Gattin Cleria Selbstmord. Abagur del Monotos wurde aus dem Adelsregister gelöscht. Seine Tochter Sarissa del Monotos stellte einen Auswande rungsantrag. Über ihren gegenwärtigen Auf enthaltsort kann nichts Genaueres gesagt werden.« Solthoron war sich ganz sicher, daß er auf der richtigen Fährte war. Er spürte, daß ihn der Jagdeifer gepackt hatte. »Blenden Sie ein Bild von Sarissa del Monotos ein!« Einen Atemzug später erschien das Por trät einer hübschen Arkonidin auf der Matt scheibe des Bildschirms. Die Aufnahme – sie war ein paar Jahre alt – stellte Sarissa del Monotos im Alter von fünfzehn Arkonjah ren dar. Solthoron pfiff überrascht durch die Zäh ne. Die Ähnlichkeit mit Zarcov Ma-Anlaans Begleiterin war nicht zu übersehen. Soltho ron schalt sich einen Narren, daß er nicht früher darauf gekommen war. Nur für einen Angehörigen von del Monotos' Familie war ein Rachefeldzug gegen die Intriganten der SENTENZA sinnvoll. Und Sarissa del Mo notos war die letzte noch lebende del Mono tos. Solthoron löschte die Bildschirmeinblen dung und unterbrach den Kontakt zur Selek tionsautomatik. Dann lief er zum nächsten Videophon-Anschluß, der unter einer lichtund schalldämmenden Haube an der Wand angebracht war. Mit fliegenden Fingern tippte er Zarcov Ma-Anlaans Kodenummer in die Tastatur. Doch es geschah nichts. Auf dem Bild schirm leuchtete das Besetztzeichen auf. Solthoron biß sich aufgeregt auf die Un terlippe. Er wußte, daß Sarissa del Monotos genau in diesem Moment zuschlagen konn te. Der Händler schwebte in höchster Le bensgefahr. Solthoron lief zu den unterirdischen Rohr bahnverbindungen. Die Fahrt mit dem Per sonenlift dauerte ihm viel zu lange. Als er in den weichen Polstern des Zuges lag, der ihn in zehn Minuten an sein Ziel brachte, ver
Das Psycho-Komplott suchte er, sich den unglaublichen Haß Saris sas vorzustellen. Es gelang ihm nicht. Er konnte nicht begreifen, daß eine junge Frau zu solchen Grausamkeiten fähig war.
* »Aufmachen, Zarcov Ma-Anlaan!« Hinter der Tür rührte sich nichts. Der angrenzende Kunstpark auf dem Dach des HoctonMur-Gebäudes schien verlassen zu sein. »Wann hat Zarcov Ma-Anlaan seine Pri vaträume verlassen? Wohin ist er gegan gen?« Der baumlange Zarltoner zuckte mit den Schultern. Er machte mit dem Daumen eine leichte Bewegung zur verschlossenen Tür hin. »Zarcov Ma-Anlaan hat uns strikten Be fehl gegeben, ihn nicht zu stören. Er hat sei ne Privaträume seit zwei Stunden nicht mehr verlassen.« »Hat Ma-Anlaan Besuch von einer jungen Frau?« Solthoron spürte, wie ihm das Herz bis zum Halse schlug. Eine starke Erregung hat te sich seiner bemächtigt. Seine Augen trän ten leicht. »Ja«, meinte der Zarltoner gleichgültig. »Die junge Frau ist bei ihm. Ein Grund mehr, ihn nicht zu stören.« Jetzt explodierte Solthoron. Es kam so gut wie überhaupt nicht vor, daß ein GolteinGelehrter die Beherrschung verlor. Aber die Sturheit des wachhabenden Zarltoners reizte ihn bis zur Weißglut. »Machen Sie auf! Ma-Anlaan schwebt in Lebensgefahr. Seine Begleiterin ist für die Mordserie verantwortlich. Sie ist die Tochter von Abagur del Monotos …« »Dieser Name sagt mir überhaupt nichts.« Solthoron schlug solange gegen die Tür, bis ihm die Fäuste weh taten. Dann drehte er sich suchend um. Der Zarltoner folgte ihm mit einem gelangweil ten Blick. Anscheinend hielt er ihn für über dreht. Allein die Tatsache, daß er die Golt ein-Robe trug, hinderte ihn an einem bar
47 schen Verweis. »Solthoron!« Unbemerkt war die Tür beiseite geglitten. »Sie?« entfuhr es dem überraschten Golt ein-Schüler. »Ja, Solthoron! Ich habe hier auf Sie ge wartet. Ich wußte, daß Sie zurückkommen würden. Treten Sie doch näher.« Sarissa del Monotos hatte ein verführeri sches Lächeln aufgesetzt. Ihre Augen blitz ten in überirdischem Feuer. Sie machte eine einladende Handbewegung und wiederholte ihre Aufforderung. »Kommen Sie doch herein, Solthoron! Oder wollen Sie mich noch länger warten lassen?« Der Zarltoner machte einen Schritt auf die Tür zu. Er blickte in den angrenzenden Kunstpark, der bereits wieder aufgeräumt und neu bepflanzt worden war, nachdem ein Räumtrupp die Reste der fleischfressenden Pflanzen beseitigt hatte. »Dieser Mann machte Andeutungen, Zar cov Ma-Anlaan könnte etwas zugestoßen sein.« Sarissa lachte glockenhell. »Zarcov!« rief sie erheitert. »Wie fühlst du dich?« »Prächtig«, kam die Antwort aus dem Hintergrund. Wenig später tauchte der dicke Händler wohlbehalten auf. Er hielt ein großes Glas in der Hand und nippte daran. Der Zarltoner entschuldigte sich für die Störung, dann setzte er seinen Rundgang fort. »Kommen Sie endlich herein, Solthoron!«
* Solthoron wußte sofort, daß die Stim mung, die Zarcov Ma-Anlaan zur Schau trug, gekünstelt war. Die Heiterkeit war ge spielt, sein Lachen klang gequält. Aber viel leicht war das Ganze eine Täuschung, die ihm die überreizten Nerven spielten. Zarcov Ma-Anlaan lebte, und das war die Hauptsa che. »Sie sind Sarissa del Monotos«, stieß
48 Solthoron anklagend hervor. Sarissa schien nichts aus der Ruhe brin gen zu können. »Ich wußte, daß Sie das herausfinden würden. Von einem Goltein-Heiler sollte man mehr als von diesen hirnrissigen Unter suchungsbeamten erwarten können.« »Dann geben Sie also alles zu?« fragte Solthoron verblüfft. Sarissa del Monotos zog ein zierliches Medaillonkettchen aus dem Halsausschnitt ihrer enganliegenden Weste. Solthoron er kannte den kleinen Anhänger sofort wieder. »Der Magnetschlüssel von Abagur del Monotos. Der, erbärmliche Rest, der mir von meinem Vater geblieben ist.« Sarissa sagte das ohne Mitgefühl. Soltho ron hatte überhaupt das Empfinden, etwas unsagbar Fremdes würde aus der jungen Ar konidin sprechen. Ein Blick in ihre Augen genügte, um diesen Verdacht zu verstärken. Das Leuchten ihrer Augen wirkte jetzt unstet und flackernd. Sie ist von einem bösen Geist besessen, schoß es Solthoron durch den Kopf. »Weiß er über alles Bescheid?« fragte Solthoron und deutete auf den dicken Händ ler, der sich zwischen die Polster gelegt hat te und ein berauschendes Getränk genoß. Er schien sich für die Unterhaltung zwischen dem Goltein-Schüler und Sarissa überhaupt nicht mehr zu interessieren. »Er hört, was wir sagen«, meinte Sarissa gedehnt. »Aber er wird sich später an nichts mehr erinnern können.« »Dann haben Sie Ihre teuflischen Rache pläne aufgegeben?« »Vielleicht … vielleicht auch nicht. Das Ganze war für mich nur ein Testfall. Ich mußte meine Kräfte erproben, um das Finale glanzvoll bestehen zu können. Außerdem brauchte ich gewisse Erkundigungen für meinen Auftrag. Die habe ich jetzt bekom men. Durch Sie, Solthoron!« Ein schmerzhafter Impuls durchzuckte Solthorons Innerstes. Doch der Schmerz ebbte rasch ab und verschwand wieder. »Testfall?« meinte Solthoron aufgeregt.
Dirk Hess »Finale … Auftrag? Wovon sprechen Sie ei gentlich, Sarissa? Und was habe ich damit zu tun?« »Das werden Sie im Lauf unserer gemein samen Unternehmungen noch erfahren.« Sarissa del Monotos kam langsam auf ihn zu. Ihre Augen hefteten sich starr auf ihn. Er wollte ihnen ausweichen, doch sie folgte sei nem Blick. Ihr Leuchten brannte sich tief in sein Innerstes ein. Es war, als versuchte ein Fremder, ihn zu hypnotisieren. Solthoron besaß genügend geistige Reser ven, um diesen Angriff abschlagen zu kön nen. Panik stieg in ihm auf. Er war mit einer fanatischen Mörderin allein. Er besaß keine Waffe. Seine einzige Waffe war die GolteinFähigkeit. Doch er zweifelte, daß sie ihm im Kampf gegen Sarissa etwas nützen würde. »Warum haben Sie Zarcov Ma-Anlaan verschont?« wollte Solthoron wissen. »Weil es jetzt wichtigere Dinge für mich gibt. Ich kann keine Zeit mehr mit diesem Narren verschwenden. Ich habe ihn mit ei nem Hypnoblock versehen. Wenn wir von hier verschwunden sind, wird er sich an nichts mehr erinnern.« Solthoron fühlte sich auf einmal wie ein gefangenes Tier. Die Falle hatte zuge schnappt. Er drehte sich um und rannte auf die Tür zu. Er preßte die Handflächen gegen das Wärmeschloß, doch es rührte sich nichts. Er war gefangen. »Meine Vorbereitungen waren gründlich, Solthoron. Ohne mich kommen Sie hier nicht mehr raus. Sie müssen wissen, daß ich einen perfekten Plan entwickelt habe. Ich liebe das Perfekte. Aber das werden Sie mit der Zeit noch erkennen. Wir werden uns ausgezeichnet verstehen.« Solthoron atmete keuchend. Sarissa schi en genau zu wissen, was sie tat. Woher nahm sie die Gewißheit, das alles, nach ih ren Wünschen verlaufen würde? Sie war von irgendeiner geheimnisvollen Kraft besessen. Jetzt lächelte sie ihn spöttisch an. »Lassen Sie das, Solthoron. Das ist reine Kraftverschwendung. Sparen Sie sich das für unsere gemeinsame Reise auf. Sie sollten
Das Psycho-Komplott sich endlich in Ihr Schicksal fügen. Es hat alles keinen Zweck mehr …« »Warum töten Sie mich nicht? Auf einen Mord mehr oder weniger kommt es Ihnen doch auch nicht mehr an, oder?« »Lebend sind Sie mir nützlicher!« »Was wollen Sie von mir?« fragte Soltho ron. »Sie werden mich auf einen anderen Pla neten bringen, Solthoron.« Sachte legte sie ihm ihre Hand auf die Schulter. Von der Berührung ging etwas Elektrisierendes aus. Solthoron erschauerte. Die junge Arkonidin kam ihm immer un heimlicher vor. »Sie … Sie sind ja besessen«, stieß Solt horon hervor. Sarissa lachte erheitert. Zarcov MaAnlaan nahm von ihr keine Notiz. Er lag auf dem Polster und gab sich den bunten Träu men irgendeines Rauschmittels hin. »Ich soll besessen sein?« fragte Sarissa la chend. »Vielleicht haben Sie recht, Soltho ron. Aber es ist ganz anders, als Sie es sich jemals vorstellen können. Dämonen, wie Sie vielleicht meinen, gibt es nicht. Aber warum sollte ich Ihnen alles erklären? Wir haben noch sehr viel Zeit füreinander. Während unserer langen Reise werden Sie auch das letzte Rätsel lösen. Aber merken Sie sich eins: Sie sind wehrlos und können mir kei nerlei Widerstand leisten. Denken Sie immer daran, und Sie werden sich unnötige Schmerzen ersparen.« Erneut peitschten stechende Schmerzen durch Solthorons Bewußtsein. »Wie … wie machen Sie das«, stammelte er. Eine weitere Schmerzwelle peitschte durch seinen Körper. Sein Kopf brannte höl lisch. Es war, als würde man ihn mit glühenden Nadeln foltern. Er schrie gellend auf, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und stürzte zu Boden. »Das ist nur eine kleine Demonstration«, meinte Sarissa überlegen. »Sie wissen, was Sie beim geringsten Widerstand erwartet. Fügen Sie sich in Ihr Schicksal, und lassen
49 Sie mich gewähren. Das ist das Beste für Sie.« Solthoron kam schweratmend wieder hoch. Er taumelte bis zum Panoramafenster und stieß mit dem Gesicht gegen die Schei be. Es gab einen mörderischen Schlag, doch er reagierte überhaupt nicht auf den Schmerz. Die Schmerzwellen in seinem In nersten waren weitaus stärker. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Verzweifelt stemmte er sich, gegen die Scheibe. Draußen trieben Wolken vorbei. Das Blau des Himmels war kräftig und leuchtete in tensiv. In der Ferne schimmerten die künst lich angelegte Gebirgslandschaft des Kri stallpalasts. Dort lag der »Hügel der Wei sen«. Zahlreiche Trichterbauten erhoben sich aus dem ewig satten Grün der Parks. Solthoron wußte nicht, ob er diese zauber hafte Landschaft jemals wiedersehen würde. Tränen verschleierten seinen Blick. Es wa ren Tränen der Trauer, Tränen des Schmer zes und Tränen der Hilflosigkeit. »Wir werden jetzt eins sein, Solthoron.« Er vernahm Sarissas Worte nicht mehr. Eine grauenvolle Schmerzwelle raubte ihm das Bewußtsein. Neben ihm sackte Sarissa schreiend zusammen. Sie wurde augenblick lich wahnsinnig. Das Fremde in ihrem In nersten hatte sie zu rasch verlassen. Ihre Seelen waren zu lange miteinander vereinigt gewesen, um die abrupte Trennung noch verkraften zu können. Sarissa büßte für ihre Taten. Kein Gericht Arkons würde sie noch dafür zur Rechenschaft ziehen können. Sie war nichts weiter als eine lebende Tote. Sie war im Grunde schon in dem Augenblick gestorben, als die fremde, unheilvolle Kraft von ihr Besitz ergriffen hatte.
8. Die GOLTEIN-VII war ein sechzig Meter großes Kugelraumschiff. Kommandant Hegete Normoron gehörte zum technischen Personal der Goltein-Schu le. Er hatte lange Zeit bei der arkonidischen Flotte gedient und sich dann für den Dienst
50 in der Goltein-Schule freistellen lassen. »Erbitte Landeerlaubnis für die GOLT EIN-VII«, rief Normoron in das kleine Mi krophon des Hyperfunkgeräts. Auf dem Bildschirm stand eine große gel be Sonne. Das Teifconth-System besaß sie ben Planeten. Die vierte Welt hieß Perpan dron und stand den Goltein-Heilern zur Ver fügung. Im Empfänger knisterte es. Im gleichen Augenblick verschwand die Bildschirmein blendung. Der Oberkörper des Stellvertre ters des Obersten Goltein-Heilers schälte sich aus den Farbwirbeln. Kommandant Hegete Normoron verneigte sich leicht. »Ich grüße Sie, Ehrwürdiger!« »Ihr Besuch wurde uns bereits angekün digt, Normoron. Ich freue mich, den Schüler Solthoron kennenzulernen. Wie ich hörte, soll seine erste Behandlung erfolgreich ge wesen sein …« »Das stimmt«, meinte der Kommandant der GOLTEIN-VII. »Solthoron behandelte den Händler Zarcov Ma-Anlaan. Er befreite den Mann von schweren Depressionen. Doch schien Solthoron sich nicht an die Re geln der Goltein-Schule gehalten zu haben. Die Behandlung ging über seine Kräfte. Er muß schnellstens in Ihre Obhut kommen, Ehrwürdiger.« Der Goltein-Heiler auf dem Bildschirm nickte. Dabei wurden seine Kopftätowierun gen deutlich sichtbar. »Ja, Sie können sofort landen. Doch vor her noch eine Frage: Haben Sie auf Arkon erfahren können, um welche Person es sich bei dem schweigsamen Arkoniden handelt?« »Nein«, gab Kommandant Normoron zu. »Solthorons Nachforschungen verliefen er gebnislos. Es tut mir leid.« »Das macht nichts, wir wissen bereits über ihn Bescheid.« Während der Goltein-Heiler die Anflug koordinaten an die GOLTEIN-VII durchgab, erhob sich Solthoron von seinem Konturla ger. Er verließ die Kabine und drang in das Ausrüstungslager ein.
Dirk Hess Seine Bewegungen wirkten eckig und ge zwungen. Solthoron bewegte den Mund, ohne je doch einen Ton hervorzubringen. Er wollte sprechen, doch das war nicht nötig. Der Fremde in seinem Innersten verstand ihn auch ohne Worte. Warum zwingst du mich, diesen Weg zu gehen, dachte Solthoron verzweifelt. In sei nem Innersten war ein amüsiertes Lachen. Weil man mich gerufen hat. Willst du mich etwa auch zu schreckli chen Mordtaten anstiften, durchzuckte es Solthorons Gedanken. Nein, Solthoron. Du bist kein Testfall und kein Opfer für mich. Wenn wir am Ziel sind, werde ich dich einfach verlassen. Du mußt wissen, daß ich mein Ziel niemals auf gera dem Weg ansteuere. Ich nähere mich auf verschlungenen Wegen. Ich könnte meine Opfer einfach vernichten. Machtmittel dazu besitze ich ausreichend. Doch das würde mir keinen Spaß machen. Jeder Impuls des Fremden dröhnte wie ein Gongschlag durch sein Bewußtsein. Soltho ron wußte von dem Augenblick an, als der Fremde von Sarissa auf ihn übergewechselt war, daß er wehrlos gegen ihn war. Leg das Flugaggregat an, befahl ihm der Unheimliche. Wir werden das Raumschiff sofort nach der Landung verlassen. Solthoron schlüpfte in den leichten Druckanzug und verschloß die Magnetösen. Das kleine Flugaggregat war sofort einsatz fähig. Was willst du noch von mir, fragte Solt horon in Gedanken. Hab Geduld, Solthoron. In wenigen Stun den wirst du mein Opfer kennenlernen. Dann bist du mich für alle Zeiten los. Solthoron erschauerte, als er die unbeug same Härte seines Peinigers erkannte. Der Fremde hatte ihn planvoll übernommen, weil er wußte, er würde durch ihn nach Per pandron gelangen. Wann hast du zum ersten Mal daran ge dacht, durch mich nach Perpandron zu kom men, frage Solthoron seinen unheimlichen
Das Psycho-Komplott Gast. Erinnerst du dich an den Augenblick, in dem Sarissa das Bild Gonozals bei dir ent deckte? »Ja«, stieß Solthoron erschüttert hervor. Er erkannte schlagartig, daß der Fremde nur durch einen dummen Zufall auf ihn auf merksam geworden war. Er schien schon lange hinter Gonozal VII. oder dessen Freunde hergewesen zu sein. Der Zwischen fall in Zarcov Ma-Anlaans Privaträumen hatte ihn praktisch zur Übernahme des Golt ein-Schülers veranlaßt. Dann ist Gonozal VII. dein Opfer, formu lierte Solthoron in Gedanken eine weitere Frage. Wie kann ein Toter mein Opfer sein, erwi derte der Unheimliche orakelhaft.
* Die GOLTEIN-VII landete auf der großen Terrasse. Auf dem Landefeld herrschte große Auf regung. Zahlreiche Gleiter starteten und lan deten. Bewaffnete Kommandos liefen über das Feld. Sie kamen aus den Kuppelbauten und schienen eben erst in Gang gesetzt wor den zu sein. Solthoron stand in der oberen Schleuse, die vor ihm aufgeglitten war. Sechzig Meter unter ihm begrüßte Klemir-Theron gerade den Kommandanten und dessen Mannschaft. Kurzentschlossen aktivierte Solthoron das Fluggerät. Die Stützhalterungen seines Druckanzugs vibrierten, dann hob er sich sachte vom Schleusenboden ab. Er schaltete sofort auf Höchstgeschwindigkeit und schwang sich wie ein großer Vogel in die Lüfte empor. Die Landschaft Perpandrons huschte unter ihm vorbei. Mächtige Berge, tief eingekerb te Schluchten und schmale Waldstreifen wechselten sich ab. Solthoron verlor jedes Zeitgefühl. Der Fremde in ihm hatte seine Körperfunktion übernommen. Er schien weitaus mehr von der Navigation eines Flugaggregats zu verstehen als er.
51 Trotz der geistigen Benommenheit konnte Solthoron die Landschaft wahrnehmen. Er erblickte riesige Zeichen und Linien, die noch aus der Urzeit des Planeten stammen mußten. Lange vor den Arkoniden mußte es hier eine Rasse gegeben haben, die sich durch gigantische Bodenmalereien verewig te. Dann gab es wieder undurchdringliche Wälder, die später von ausgedehnten Step pen abgelöst wurden. Du kannst landen, pulste es in Solthorons Gedanken. Ein Blick auf die Anzeige des Energiep egels bewies ihm, daß die Hälfte des Batte rievorrats aufgebraucht worden war. Er hatte anscheinend den halben Planeten überquert. In der Ferne näherte sich die gelbe Sonne dem Horizont. Dann erblickte Solthoron mitten im Dschungel die Überreste einer uralten Stadt. Er hielt genau darauf zu. Irgendwo ertönte das Generatorengeräusch eines schweren Gleiters. Eine versunkene Stadt, erkannte Soltho ron. Was suchen wir hier? Mein Opfer, meinte der Fremde lako nisch. Dann tauchten Truppen der Goltein-Hei ler auf. Die Bewaffneten liefen am Rand des Dschungels gebückt vorwärts. Solthoron fragte sich vergeblich, was die Männer hier suchten. Anscheinend waren sie auf der Jagd. Jetzt verteilten sich mehrere Bewaffnete an einem düsteren Eingang in die unterirdi sche Stadt. Sie schienen darauf zu warten, daß ihre Beute aus der Tiefe emporklettern würde. Solthoron kam federnd auf den Boden herunter. Die Soldaten hatten ihn bis jetzt noch nicht entdeckt. Solthoron fragte sich, wie sie auf seine Anwesenheit reagieren würden. Bestimmt hatte man bereits ein Suchkommando nach ihm ausgeschickt. Die Bäume bildeten eine düstere Kulisse und Solthoron erkannte den hageren Arkoni den erst, als er unmittelbar vor ihm stand. Eisiger Schrecken durchzuckte ihn, als er in
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Dirk Hess
die leeren Augen starrte. Der Schweigsame schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen. Der Atem des Mannes ging schwer und zi schend. Er stand wie ein Schlafwandler da und suchte nach einem Weg aus dem Ge strüpp. »Gonozal VII.«, preßte Solthoron erschüt tert hervor. Er hatte ihn erst jetzt wiederer kannt. In Wirklichkeit sah der Mann noch furchtbarer aus als er ihn in Erinnerung hat te. Eine Bildfolie und die Wirklichkeit lie ßen sich einfach nicht miteinander verglei chen. Jetzt rührte sich der Fremde in Solthorons Innersten zum letzten Mal. Du hast deinen Part in diesem Spiel ge spielt. Ich verlasse dich jetzt. Solthoron spürte ganz deutlich, wie ihn das Fremde verließ. Es war ein Zerren und Gleiten. Dann löste sich die unheimliche Kraft völlig, um auf den schweigsamen Traumwandler überzugehen. Solthoron schrie laut auf und verlor die Besinnung. Nur die Tatsache, daß er durch die harte Schule der Goltein-Heiler gegangen war, verschonte ihn vor einem ähnlichen Schick sal, wie es Sarissa erlitten hatte.
* Solthoron kam erst wieder zu sich, als das große Raumschiff unmittelbar über der ver sunkenen Stadt schwebte. Stimmengewirr drang an sein Ohr. Rauchwolken zeugten von einem Kampf, der stattgefunden hatte. Er nahm die Umgebung wie durch einen Schleier hindurch wahr. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Ihm war, als hätte eine unheimliche, vampi ristische Kraft seine Gedanken ausgesaugt. Entsetzen und Schwäche drohten ihn erneut die Besinnung zu rauben. Doch er kam noch einmal hoch. Er stützte sich auf beiden Hän
den ab. Ein paar Fremde umringten den Schweig samen. Solthoron wußte, daß er den Namen des Mannes einmal gekannt hatte. Jetzt war er aus seinem Gedächtnis gelöscht worden. Ein junger Mann mit schulterlangem Silber haar begrüßte den Schweigsamen. Die bei den sahen sich trotz des Altersunterschieds sehr ähnlich. Ein nackter junger Mann be fand sich bei den Raumfahrern. Er schien bewußtlos oder tot zu sein. Solthoron verstand überhaupt nichts mehr. Trotzdem besaß er noch einen ungefähren Eindruck an das Vergangene. Er wußte, daß die Raumfahrer von einer schrecklichen Ge fahr bedroht wurden. Er wollte sie warnen, doch er wußte nicht, wie er die Gefahr be zeichnen sollte. Solthoron sah aus fiebernden Augen zu, wie die Fremden von einem Gleiter abgeholt wurden, der in der Schleuse des Schiffsgi ganten verschwand. Sein Mund formte eine unhörbare Warnung. Hütet euch vor dem Fremden! Er ist schrecklich und grausam. Gegen ihn gibt es keinen Schutz. Er ist ein Mörder … er ist der perfekteste Mörder der Galaxis. Tief in seinem Innersten glaubte Soltho ron das ironische Gelächter des Unheimli chen zu vernehmen. Doch das war eine Sin nestäuschung. Der Fremde war jetzt an Bord des Raumschiffs, das die Bezeichnung ISCHTAR trug. Solthoron sah dem Schiff nach, als es startete und im Himmel von Perpandron ver schwand.
E N D E
ENDE