Gruselspannung pur!
Das Rattenheer der Gräfin Lidja
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Sie kamen kurz vor Mitt...
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Gruselspannung pur!
Das Rattenheer der Gräfin Lidja
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Sie kamen kurz vor Mitternacht. Dreißig Männer, mit Dreschflegeln, Messern und Äxten bewaffnet. Einige hatten Armbrüste und Steinschloßpistolen mitgebracht. Fackelschein beleuchtete die ernsten Gesichter. Mühsam stiegen die Männer den schmalen Weg zwischen den Bäumen empor. Schwer atmend blieben sie am Waldrand stehen und schauten zu der Burg hinauf, die sich kaum von dem wolkenverhangenen Nachthimmel abhob. Die Männer waren fest entschlossen, das Land von der grauenhaften Heimsuchung zu befreien… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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Der Schmied Georg Weidlich erreichte als erster die Burgmauer. Er rückte den Köcher mit den Armbrustbolzen am Gürtel zurecht. Schweiß glänzte auf seinem Gesicht. Pater Wenzel blieb neben ihm stehen. Er hatte grobe Hosen über seinen schwarzen Talar gezogen und die Ärmel hochgewickelt. Seine schmalen Hände umklammerten ein hölzernes Kruzifix und ein Schwert. Für die Männer gab es kein Halten mehr. Nur noch wenige Schritte trennten sie von dem Burgtor. Doch sie wurden enttäuscht. Das Eichentor war fest verschlossen und durch ein Fallgitter gesichert. »Verfluchte Satansbrut!« schimpfte Georg. »Mäßige dich in deiner Ausdrucksweise, Georg«, tadelte der Pater. »Verzeihung, Hochwürden. Aber wenn ich doch recht hab…« Pater Wenzel lehnte sich gegen das Fallgitter. »Hier kommen wir nicht durch und ohne Leitern nicht über die Mauer. Es muß aber einen Weg geben…« »Den gibt es auch«, meldete sich Ignaz Stiegl, der Apotheker, zu Wort. Der schmächtige Brillenträger war gleichzeitig der Dorfschreiber und galt als gelehrter Mann. »Durch die Kapelle!« rief er. »Von der Sakristei aus gelangt man in die Burg. Das steht zumindest in der Chronik.« Bald hatten sie die kleine Kapelle unweit der Burgmauer erreicht. Zaghaft legte Ignaz seine Hand auf die schmiedeeiserne Klinke. Leise knarrend öffnete sich die Kapellentür. Die Männer drängten in das Gotteshaus. Die blakenden Fackellichter tanzten an den Wänden und erhellten Bilder, die den Leidensweg Christi darstellten. Der Apotheker Ignaz führte die Schar um den Altar herum und durch eine niedrige Pforte. Über eine Wendeltreppe gelangten sie in das Kellergewölbe. In der Mitte standen zwei Steinsarkophage. Wandnischen bargen die Grabkammern von Burggeistlichen. Der Schmied beleuchtete einen Sarkophag. Adelbert Dohna zu Grafenstein lautete die Inschrift. Der andere Sarg barg die sterblichen Überreste von Gräfin Elsbejta. »Wen wundert's, daß die Schweden den Gräflichen kein Leid zufügen konnten, wenn es hier wirklich einen Geheimgang gibt«, sinnierte er.
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»Weil dieser Teufelsbrut eh niemand beikommen kann!« brummte der Schmied. »Aber damit ist jetzt Schluß! Wir werden es diesem Höllengesindel zeigen!« Pater Wenzel riß den Schmied herum. »Mir scheint, Schmied, daß du dieser traurigen Pflicht gar noch Vergnügen abringst!« fauchte er. »Schäme dich. Das, was wir zu tun, geschieht zum Wohle unserer Kinder und im Sinne des Herrn. Und nicht aus Spaß an der Freud!« »Schhh!« machte der Apotheker. »Ich hab den Durchgang gefunden! Aufgeht's, Kameraden. Und seid auf der Hut!« Pater Wenzel stellte sich neben dem Durchgang auf. »Nehmt die Mützen ab, ich werde euch segnen.« Der Schmied ließ auf sich warten. »Zuerst muß ich nachschauen, was in den Särgen ist!« Er legte Fackel und Armbrust auf der Platte des ersten Steinsarges ab und stemmte sich mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen. Knirschend gab die schwere Steinplatte nach. Der bullige Schmied leuchtete nun in das Innere des Sarkophags. Wenzel trat neben ihn und sah den teilweise zu Staub zerfallenen Grafen Adelbert. Der Schmied eilte zum zweiten Sarg. »Muß das sein, Georg? Dort wirst du auch nur Staub und Knochen vorfinden. Laß den Toten die ewige Ruh.« Der Geistliche war nicht sehr begeistert über die Sargöffnung. »Ich will sicher sein, Hochwürden! Nur dann weiß ich, ob die Brut wirklich vernichtet ist!« Georg mußte sämtliche Kräfte einsetzen, um den Sargdeckel zu bewegen. Unendlich langsam glitt die Steinplatte zurück. Langsam hob der Schmied die Fackel. Beugte sich vor und leuchtete in den Sarkophag. Er starrte in das bleiche Gesicht einer schönen Frau! Gräfin Elsbejta, die vor fast zweihundert Jahren verstorben war, lag in dem Sarg, als ob sie schliefe. Georg hob den Kopf. Seine fassungslosen Blicke trafen sich mit denen des Paters. Im selben Augenblick öffneten sich die Augen der Toten. Ihre Hand schoß nach oben, und die schlanken Finger mit den langen Nägeln schlossen sich wie die Backen einer Bärenfalle um Georgs Hals…
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* Ignaz Stiegl und seine Begleiter erreichten eine Eichentür, die sich leicht aufdrücken ließ. Dahinter schraubte sich eine Wendeltreppe in die Höhe. Leise stiegen die Männer die Stufen empor. Apotheker Ignaz Stiegl schwitzte. Seit dem Aufstieg durch den Bergwald zitterte er am ganzen Leib. Der Heilkundige war kein Kämpfer, hatte aber nicht zurückstehen wollen, als sich die Dorfbewohner zu diesem Schritt entschlossen hatten. Die Treppe führte zu einem dunklen Korridor. Im zuckenden Fackelschein konnte man an den Wänden die Ahnengalerie bewundern. »Wo sind Georg und Pater Wenzel?« fragte Ignaz flüsternd seinen Hintermann. Der zuckte mit den Schultern. »Werden wohl noch in der Sakristei sein. Mach voran, Ignaz, die Zeit drängt!« Zögernd setzte der Apotheker einen Schritt in den Korridor. Er hatte Angst! Der Hintermann versetzte ihm einen Stoß in den Rücken. »Mach schon, Ignaz! Wir wollen nicht die ganze Nacht hierzubringen!« Der schlotternde Apotheker schob seine Brille zurecht und leuchtete in den Korridor hinein. Während er die unfreundlichen Gesichter der porträtierten Ahnen betrachtete, hatten Pater Wenzel und der Schmied ganz andere Sorgen. Die Fingernägel der untoten Gräfin zogen blutige Furchen durch Georgs Hals. Sie wand sich in dem Steinsarg und packte mit der linken Hand zu, um sich nach oben zu ziehen. Weit war ihr Mund aufgerissen. Ein Fauchen drang aus ihrer Kehle. Der Schmied verzog angewidert das Gesicht, als ihn nach Moder und Fäulnis stinkender Atem traf. Dann erst sah er die beiden langen, spitzen Eckzähne, die aus dem Oberkiefer der Untoten ragten! Verzweifelt versuchte der Schmied, sich aus dem Klammergriff zu befreien. Er hatte Bärenkräfte, aber gegen dieses Schattenwesen kam er nicht an. Georg pflanzte seine Faust mitten in das bleiche Antlitz der Gegnerin. Das Nasenbein knirschte. Normalerweise hätte Blut spritzen müssen, doch das war nicht der Fall. Die Nase verformte sich nicht mal. Die Untote fauchte nur und verstärkte ihren Griff. 5
Langsam erhob sie sich aus dem Steinsarg, und ihre gebleckten Zähne näherten sich Georgs Hals. Das war der Moment, in dem Pater Wenzel nach vorn hechtete und sein Schwert tief in den Rücken der Wiedergängerin bohrte! Die Untote erstarrte. Elsbejta senkte den Blick, starrte auf die vorn austretende Schwertspitze und fauchte Pater Wenzel an. Der hielt ihr sein Kruzifix unter die Nase. Einen Moment lang schien es, als könne sie den Anblick des Kreuzes nicht ertragen. Dann warf sie den Kopf zurück und lachte kreischend! Kruzifix und Schwert schienen sie nicht weiter zu kümmern. Pater Wenzel wühlte deshalb in dem Leinenbeutel, den er am Gürtel trug. Er brachte ein bunt bemaltes Steingutfläschchen zum Vorschein, entkorkte es und senkte den Flaschenhals tief in den Rachen der Blutsaugerin. »Apanage, Satanas - Fahr aus, Satan!« rief er dabei. Zuerst war nur ein ersticktes Gurgeln zu vernehmen, als sich das Weihwasser in den Schlund der Wiedergängerin ergoß. Ihr Griff lockerte sich. Georg taumelte weg und rieb sich den schmerzenden Hals. Der Pater wich ebenfalls zurück und beobachtete fasziniert die Wirkung des Weihwassers. Beißender, schwefliger Rauch drang aus Mund, Ohren und Augen der Vampirin. Sie rang beide Arme. Die Finger öffneten und schlossen sich, als wollten sie sich an einen unsichtbaren Strohhalm klammern. Dann schrie die Vampir-Gräfin. Aber so durchdringend, daß der Schrei zu den Männern in der Burg vordrang und ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Pater Wenzel zerrte das Schwert frei. Holte weit aus und ließ die Klinge durch die Luft sirren. Der eine Hieb reichte, um das Schattenwesen zu enthaupten. Schwarzes Dämonenblut spritzte aus dem Halsstumpf und besudelte Kleidung und Gesichter der beiden Männer. Wenzel packte den Schmied an der Schulter. »Rasch, Georg! Wir müssen den anderen beistehen. Der Herr ist mit uns. Laß uns unsere Aufgabe vollenden!« Georg erwachte wie aus einem bösen Traum, stieß seine Fackel gegen den zerfallenden Leib der Vampirin und setzte das Nachthemd in Brand. Hell loderten die Flammen aus dem Sarkophag, als die beiden Männer durch den Verbindungsgang jagten. 6
Und sie kamen keinen Augenblick zu spät. Denn in seinen Gemächern hatte auch Graf Randolf den Todesschrei seiner Ahnin vernommen und war auf den Korridor gestürzt, wo er sich den Häschern gegenübersah. Er stieß ein wütendes Fauchen aus. Ignaz Stiegl hob abwehrend den Arm und wollte zurückweichen, wurde aber von den anderen Männern aufgehalten. »Da ist er!« schrie einer. »Nieder mit ihm! Räuchern wir die Brut aus!« Augenblicklich herrschte Tumult auf der Treppe und im Korridor. Wieder wurde der Apotheker nach vorn gestoßen. Direkt vor den Burgherrn. »Was willst du, Unwürdiger?« herrschte der den Apotheker Ignaz Stiegl an. Stiegl fischte ein Kruzifix aus der Tasche und hielt es dem Graf entgegen. »Apanage, Satanas!« sagte er die Formel, die ihm der Pater beigebracht hatte. Der Graf reagierte unwirsch. »Menschlein, glaubst du wirklich, mir mit solchem Firlefanz Angst machen zu können? Du hast keine Ahnung, wie groß meine Macht ist!« Die kalten Finger des Grafen legten sich um Ignaz Stiegls Hand und das Kruzifix. Drückten zu. Dem Apotheker traten die Tränen in die Augen, als seine Finger zerquetscht wurden. Das verbogene Kruzifix fiel zu Boden. Die Häscher waren schockiert. Der Graf hatte dem Kreuz getrotzt! Ignaz Stiegl sank in die Knie. »Bitte untertänigst um Vergebung, Euer Gnaden!« murmelte er. Der Burgherr fletschte die Zähne. Seine ausgeprägten Vampirhauer schimmerten matt. »Du wirst der erste sein, Apotheker! Bald wirst du vom ewigen Durst nach Blut erfüllt sein!« Der Schmied wollte das nicht hinnehmen. Schimpfend bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Der Vampirgraf hob den Kopf. Er war eine imposante Gestalt. Hochgewachsen. In Rüschenhemd und roten Samthosen. Mit straff zurückgekämmtem und pechschwarzem Haar. »Noch ein Unwürdiger, der es wagt, sich dem Willen seines Landesherrn zu widersetzen?« fragte er drohend. »Ich gehorche nur einem, Herrn«, erwiderte Georg. »Und der schickt dich in die Hölle!« Er hob die Armbrust und drückte ab. 7
Der Bolzen bohrte sich tief in die Brust des Grafen. Das störte ihn nicht, im Gegensatz zu den Fackeln der Angreifer. Der Graf hob den Apotheker hoch und warf ihn den Häschern entgegen. Wirbelte herum, hetzte durch den Korridor und verschwand in einem Saal. »Ihm nach!« trieb Pater Wenzel seine Mitstreiter an. »Er darf uns nicht entkommen!« Die Männer folgten dem Vampir in den Rittersaal. Außer dem Burgherrn befanden sich zwei Frauen in dem Saal, Gräfin Sophija und ihre Tochter Lidja. Am anderen Ende des Rittersaals stieß der Graf eine Tür auf. Georg schoß einen Bolzen ab und verfehlte den Kopf des Grafen nur knapp. Die Häscher drängten in den Raum und schwangen ihre Waffen. »Geh!« zischte Sophija ihrer Tochter zu und stellte sich den Angreifern. Sie hieben auf die Gräfin ein. Erfolglos. Sophija dagegen schlug einen der Bauern mit einem einzigen Hieb zu Boden! Pater Wenzel hielt das Kruzifix hoch und drohte mit dem Schwert. Mit einer lässigen Armbewegung packte sie ihn an der Kehle und biß ihm in den Hals. »Jetzt gehörst du zu uns, Pfaffe!« Der Armbrustbolzen traf Sophija am Kopf. Sie wußte, wenn sie Wenzel jetzt den Vampirkuß gab, verlor sie nur unnötig Zeit. Sie ließ von dem Pater ab und wollte Graf Randolf und ihrer Tochter folgen. Es gelang ihr nicht mehr. Einer der Männer hob seine Steinschloßpistole und drückte ab. Die Kugel riß ein Loch in den Leib der Blutsaugerin und warf sie gegen die Wand. Dann kamen die Häscher über sie! Sophija wurde der Kopf abgetrennt, bevor man sie dem Kaminfeuer übergab. Pater Wenzel trieb die Männer zur Eile an. Der Graf und seine Tochter durften nicht entkommen. In einem Seitentrakt der Burg spürte man sie auf, als sie eben in einem schmalen Durchlaß verschwinden wollten. Ein Pistolenschuß dröhnte durch das Gewölbe. Die Kugel galt Graf Randolf. Lidja schrie wütend und stieß ihren Vater den Verfolgern in die Arme. Für sie war es nur noch wichtig, ihre eigene Haut zu retten.
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Ohne sich weiter um das Schicksal des Grafen zu kümmern, setzte sie ihre Flucht fort. Aber Pater Wenzel war ihr dicht auf den Fersen. »Du entkommst uns nicht!« brüllte er. »Eure Schreckensherrschaft hat ein Ende!« Lidja lachte nur. Ihre grazile Gestalt mit dem wehenden Haar wirkte wie eine Geistererscheinung. Sie erreichte eine Plattform, die auf einen Söller führte. Wenzel schnitt ihr den Rückweg ab. Drohend schwang er Fackel und Schwert. »Deine Flucht ist zu Ende, Blutsaugerin!« »Du irrst dich, Pfaffe!« Sie stieß einen schrillen Pfiff aus und wandte sich den Zinnen zu. Wenzel wollte nach vorn stürzen, um sie aufzuhalten. Doch da bewegte sich der Boden! Wenzel kämpfte um sein Gleichgewicht. Unzählige Spinnen, Käfer und Schlangen krochen nun aus den Mauerritzen. Das Getier warf sich auf Wenzel. Verbiß sich in seiner Kleidung und zwang ihn in die Knie. Der Gottesmann schlug um sich, doch bald war er vollständig mit Ungeziefer bedeckt. Da beobachtete er, wie sich Lidja vom Söller schwang! Dann kriegte der Pater Hilfe. Endlich. Seine Freunde verjagten das Ungeziefer. »Sie ist entkommen!« rief Wenzel heiser. »Sucht sie!« Die Männer rannten durch die Grafenburg und legten Feuer. Wenzel taumelte in den Burghof und wankte zum Brunnen. Schaute in die Tiefe und direkt in das bleiche Gesicht der Grafentochter! »Dort unten! Sie ist im Brunnen!« rief er. Er ließ sich an einem Seil hinab und entdeckte einen Gang in der Brunnenwand. Zusammen mit dem Schmied folgte er der Grafentochter und stellte sie in einem Gewölbe. Sofort schoß Georg seine letzten beiden Bolzen ab und legte dann Feuer. Im Nu verwandelte sich der Raum in eine Flammenhölle. Schmied und Pater kehrten in den Burghof zurück. Teilnahmslos beobachteten die Männer, wie die Burg der Grafen Dohna zu Grafenstein ein Raub der Flammen wurde. In dieser Juninacht Anno Domini 1679 hatten sie das Böse für immer aus dem Land vertrieben. Davon waren sie fest überzeugt. 9
* Der olivfarbene Geländewagen schoß mit aufheulendem Motor auf die Hauptstraße. Das Fahrzeug holperte über Straßenbahnschienen. Die Reifen radierten an einem Bordstein entlang. Hinter dem Geländewagen jagte ein grauer Skoda mit blinkendem Blaulicht über die Fahrbahn. Auf den Türen und der Motorhaube prangte in dicken Lettern die Aufschrift POLICIE. Ein schwarzer BMW folgte dichtauf. Der Geländewagenchauffeur trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch und lachte schrill, als der Wagen einen Satz nach vorn machte. »Wo fahren wir hin?« brüllte Wlado Jatzek. Er saß auf dem Beifahrersitz und klammerte sich an einem Haltegriff fest. »Ins Gebirge. Dort kriegen sie uns nie!« Miroslaw Kollicka lachte wieder schrill. »Miro, mir wird schlecht! Such uns lieber ein Versteck in der Stadt!« Die Frauenstimme kam vom Rücksitz. Miro warf einen raschen Blick in den Rückspiegel und sah das bleiche Gesicht des zwanzigjährigen Mädchens. »Stell dich nicht so an, Dunja! Reiß dich zusammen, wir haben es bald geschafft. Wenn die Kleine Zicken macht, dann knall ihr eine!« Dunja musterte das Mädchen verächtlich. Nur der hatten sie es zu verdanken, daß ihnen die Bullen im Nacken saßen. Der Streifenwagen holte auf. »Scheiße!« brüllte Miro. »Die Kerle hängen an uns wie eine vollgeschissene Windel!« »Kannst du sie nicht endlich abhängen? Diese blöde Sirene nervt!« Wlado hieb mit der Faust auf das Armaturenbrett. »Immer mit der Ruhe, Alter! Der Bulle ist gut, aber Miro ist besser. Paß mal auf!« Urplötzlich riß Miro das Steuer nach rechts und rammte den Schaltknüppel in einen niederen Gang. Der Motor heulte, gequält auf. Die Reifen quietschten schrill und qualmten, als sich der Geländewagen seitlich weiterschlitterte. Für den Fahrer des Streifenwagen sah es so aus, als würde er jeden Augenblick das Fluchtfahrzeug rammen. Er stieg mit aller
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Kraft auf die Bremse. »Spinnst du?« brüllte Wlado und hielt sich fest. Der Geländewagen holperte über die Begrenzung des Straßenbahngleises, hob sich in die Luft und flog über den Schienenstrang, um im nächsten Moment auf die Gegenfahrbahn zu prallen. Miro jubelte lauthals und hieb sich auf die Schenkel. »Macht mir das mal nach, Freunde!« Als Geisterfahrer raste er auf der rechten Fahrspur aus dem Ort. Der Fahrer des Streifenwagens wagte ebenfalls Miros riskantes Manöver. Doch der Skoda war für solche Kunststücke nicht geschaffen. Er prallte gegen die Begrenzung, überschlug sich und krachte auf das Dach. »Streifenwagen 21 verunglückt«, murmelte der Fahrer des nachfolgenden BMW in sein Handmikro. Mit an Bord Tessa Hayden. »Erbitte Rettungswagen. Wagen fährt Richtung Jeschken. Koperni übernimmt die Verfolgung. Ende.« Der Fall hatte eine Entwicklung genommen, die Tessa überhaupt nicht gefiel. Die tschechischen Kollegen hatten seit geraumer Zeit Probleme mit einem Menschenhändlerring, der Bordelle mit »Frischfleisch« versorgte. Die Fahnderin hatte im Rotlichtmilieu recherchiert und die Spur zu Kollicka entdeckt. Einige Verhaftungen waren bereits erfolgt, doch der Zugriff auf Kollicka und Jatzek mißlang. Heftig und aus vielen Rohren hatten sie um sich geschossen. »Jetzt geht's in die Berge!« zischte Tessa. »Vollgas, Mann!« »Bittä sährr, Frau Kommissar. Beffell ist Beffell und muß beffolgt werden! Hob nur müssen denken, Jeschusch, wo's ist fir a Deifelsweib die Frau Kommissar aus Deutschland!« imitierte er den braven Soldaten Schweijk, doch Tessa war nicht zum Lachen. Sie dachte an ihren Freund Mark Hellmann, der in Hamburg eine Erotikmesse besuchte, um darüber eine Story zu schreiben. Wenn das mal gutging! Die quakende Stimme aus dem Lautsprecher des Funkgeräts riß Tessa aus ihren Gedanken. »Was ist?« fragte Tessa, »Hat man sie aufgestöbert?« »Ein Förster hat den Geländewagen gesehen. In der Nähe von Gabstejn.« »Makabrer Name für einen Ort. Hoffentlich ist das keine Geisterstadt.« 11
Koperni lachte. »Ganz und gar nicht. Der Ort hieß früher Grafenstein. Aber seit die Burg der Grafensteiner zerfallen ist, hat sich der Name nach und nach geändert. Trotzdem, eine recht einsame Gegend hat sich Kollicka ausgesucht. Möchte wissen, was er dort oben will.« »Vielleicht hat er dort Freunde.« Koperni setzte weitere Instruktionen über Funk ab. Sofort trafen Polizeibeamte aus den Nachbarorten Vorbereitungen, das Dorf Grabsteijn abzuriegeln. Die Straße wurde immer schlechter. Der Wagen holperte durch Schlaglöcher. Tessa stieß sich den Kopf an der Wagendecke. Der Wagen schoß über eine Anhöhe, kam hart auf dem Asphalt auf und rollte einen Abhang hinunter. Tessa rollte mit den Augen. Dem Tschechen schien die ganze Chose auch noch Spaß zu machen! Schlagartig trat er auf die Bremse, als ein uniformierter Polizist im Scheinwerferlicht des BMW auftauchte. Tessa schob ihre Hand unter die Jacke. Der Griff ihrer SIG Sauer fühlte sich kühl an. Sie hörte das Dröhnen des Motors, das Knirschen von losem Gestein. Und wußte, daß etwas nicht stimmte. »Vorsicht!« brüllte sie und duckte sich instinktiv. Der Geländewagen kam von rechts oben. Die Räder trafen das Dach des BMW. Die Frontscheibe des BMW splitterte. Der Wagen geriet außer Kontrolle. Schoß nach vorn, verpaßte die nächste Wegbiegung. Tessa schrie unwillkürlich, als sich der Wagen nach vorn neigte. »Raus!« brüllte Koperni und stieß die Fahrertür auf. Fast gleichzeitig ließen sich die beiden Kripoleute aus dem Wagen fallen und blieben auf dem Abhang liegen. Ein häßliches knirschendes Geräusch war zu hören. Danach war alles still. Aber nur einen Moment lang. Whuummpp! Mit Grausen beobachtete Tessa, wie weiter unten am Hang der BMW in Flammen aufging. Nur knapp waren sie mit dem Leben davongekommen. *
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»Sie verstecken sich bestimmt in der Ruine«, vermutete der Tscheche. »Dann müssen wir klettern…« Auf allen vieren krabbelten die beiden Beamten den Hang hoch, suchten den besten Weg zwischen Felsen und Gestrüpp, Im schwachen Mondlicht zeichnete sich ein zerfallenes Gebäude ab. Dahinter erhob sich die Burgmauer. Tessa bewegte sich auf das kleine Gebäude zu. Auf dem Giebel waren die Überreste eines Steinkreuzes zu erkennen. Neben dem dunklen Rechteck des Eingangs blieb sie stehen und zog ihre Pistole. »Wer zuerst?« »Du hast die Ehre. Wenn du möchtest.« Tessa tauchte entschlossen in dem Gebäude unter. Unter ihren Stiefeln spürte sie zerbrochene Ziegel, Mauerreste, Sand. Trockenes Laub raschelte. Koperni kam an ihre Seite. »Das ist die alte Kapelle. Als kleiner Junge war ich einmal hier. Es gibt einen Durchgang zur Burg. Und nicht weit entfernt befinden sich Kalkhöhlen im Berg.« Sie schlichen eine schmale Wendeltreppe hinunter und gelangten in eine Grabkammer. Zwei Sarkophage zeichneten sich in der Dunkelheit ab. Tessa bekam eine Gänsehaut. »Wenn uns jetzt Graf Dracula begegnet, schreie ich«, flüsterte sie. Koperni ließ seine Hand über den vorderen Steinsarg gleiten. »Hier liegen Graf Adelbert und Gräfin Elsbejta, Dohna zu Grafenstein beerdigt. Steht jedenfalls auf den Särgen. Allerdings…« »Was?« »Eine alte Legende besagt, daß es hier vor langer Zeit Vampire gegeben haben soll. Ein dummer Aberglaube.« Tessa fühlte ein Kribbeln in ihrem Nacken, Früher hatte sie nie an übernatürliche Dinge geglaubt, aber seit sie mit Mark zusammen war, hatte sich ihre Meinung grundlegend geändert. Hastig folgte sie Koperni in den Burghof. Sie durchsuchten die Ruine, fanden aber nirgends eine Spur der Flüchtigen. Enttäuscht lehnte sich Tessa an den Brunnenrand. »Und was jetzt?« Koperni überlegte angestrengt. Plötzlich schob er Tessa beiseite und starrte in den Brunnenschacht. »Der Sage nach soll sich in der Brunnenwand ein Geheimgang befunden haben…«
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Hoffnung glomm in Tessas braunen Augen auf. Mit Hilfe ihres Feuerzeugs hatten sie bald den Geheimgang gefunden. Sie folgten ihm durch mehrere Windungen, bis sie vor sich schwachen Lichtschein bemerkten. Und den gellenden Schrei einer Frau hörten! »Ich hau dich in Stücke, du Miststück!« brüllte Wlado und hob den Arm. In der Hand hielt er einen nietenbesetzten Gürtel. Vor ihm kauerte das Mädchen, das Tessa auf die Fährte der Zuhälter gebracht hatte. Ihr Gesicht zeigte Spuren von Schlägen. Dunja hielt die Kleine eisern fest. »Ich weiß nicht, was du vorhast, Dicker. Aber ich hab was dagegen!« Tessas Stimme ließ Wlado herumwirbeln. Er grinste dümmlich und ließ den Gürtel über seinem Kopf wirbeln. Gleichzeitig zog er ein Messer und schleuderte es aus dem Handgelenk. Tessa tauchte zur Seite weg und feuerte. Die Kugeln drangen in Wlados massigen Körper. Mit einem verdutzten Gesichtsausdruck stolperte er rückwärts und setzte sich hart auf den Hosenboden. Dunja bemerkte, daß Tessa aus dem Gleichgewicht gekommen war, sprang vor und schubste sie brutal gegen die Wand. Dunja schnappte sich Wlados Pistole und verzog sich. Miro gelang es, Tessa zu entwaffnen. Er grinste Koperni an, der neben dem weinenden Mädchen kniete. »Weg mit der Kanone, Bulle!« Der Kripomann legte seine Pistole nieder und warf die Fackel zu Tessa hinüber. Miro konzentrierte sich ganz auf Koperni. Und das war sein Fehler. Die Fahnderin prügelte die Fackel dem Zuhälter Miro zwischen die Beine. Der brüllte auf. Tessa trat ihm dann die Waffe aus der Hand, fing sie auf und jagte hinter Dunja her. Die Tschechin gab nicht auf. Sie schoß auf der Flucht. Querschläger jaulten durch den Stollen. Doch Tessa ließ sich nicht abschrecken. Als Dunja sich verschossen hatte, wurde sie von Tessa verhaftet. »Gehen wir.« Als Dunja erneut angriff, gebrauchte Tessa einen abgebrochenen Stalaktiten als Keule. Das Aus für Dunja? Nein. Die warf sich mit ihrem ganzen Körpergewicht gegen die Kommissarin.
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Eng umschlungen rollten die beiden Frauen über den Sockel, fielen auf der anderen Seite hinunter und stürzten sie in den bodenlosen Schacht… * Sie war neunzehn, nannte sich Sybill und war der aufsteigende Stern am deutschen Erotikhimmel. Sie reichte mir gerade mal bis zum Oberarm, hatte kurzes, strohblondes Haar, strahlend blaue Augen, eine Stupsnase und ein verführerisches Lächeln für diejenigen übrig, die sich von ihrer Wahnsinnsoberweite losreißen konnten? Und ich als Fahrer hatte sowieso keine Zeit, dieses sündige Geschöpf näher zu betrachten, da konnte sie ihren kurzen Rock noch so hoch schieben. Wir saßen in meinem stahlblauen BMW und rollten auf der A 24 Richtung Oranienburg. Dort wohnte das hübsche Kind nämlich. Ich hatte sie auf der Erotikmesse aufgegabelt. Das heißt, sie hatte sich wie eine Klette an mich gehängt und mich in ihr Hotel abgeschleppt. Blöd war nur, daß sie keinen Alkohol vertrug. Nach dem zweiten Glas Prickelwasser war sie kichernd aus den Pumps gestiegen, hatte sich die Klamotten runtergerissen und flach hingelegt. Aus den Kenwood-Boxen drang die Stimme der Sängerin Juliette, die ihre Coverversion der Ballade »The last Unicorn« sang. »I'm a-li-i-i-ve!« trällerte Sybill lautstark den Refrain mit. »Dein Siegelring gefällt mir tierisch, Mark, Süßer«, säuselte sie und ließ die Hüften kreisen. »Wenn du ihn mir schenkst, kannst du alles mit mir machen.« Wollte ich doch gar nicht. Tessa hatte ich versprochen, endlich treu zu bleiben, und so schwer fiel mir das jetzt auch nicht. Sybills Gehabe wirkte nämlich schmierig und abstoßend. Mein Blick fiel auf den Siegelring, den ich an meiner rechten Hand trug. Das Schmuckstück war mir im Kampf gegen die Hölle ein unverzichtbares Hilfsmittel. Ich hatte ihn an einem Lederband um den Hals getragen, als ich 1980 in Weimar aufgegriffen worden war. Ich hatte keine Erinnerung an meine Vergangenheit. Der Kripomann Ulrich Hellmann und seine Frau Lydia hatten mich, den damals Zehnjährigen, adoptiert und mir aufgrund der Initialen M und N, die auf meinem Ring eingraviert waren, die 15
Vornamen Markus Nikolaus gegeben. Inzwischen hatte ich jedoch den Mann kennengelernt, der den Ring hergestellt hatte und für dessen Namen die Initialen standen. Es war Michel de Notre Dame. Nostradamus. (Siehe MH 31!) In der Zwischenzeit hatte sich der große Seher als wertvoller Verbündeter erwiesen und mich davor bewahrt, zum Teufelsdiener zu werden. Dabei hatte er selbst sehr viel Kraft verloren. (Siehe MH51!) »Diese Autobahn hat's in sich«, flüsterte Sybill betont, während sie mit dem Rock ihren besonders erhitzten Körperpartien Kühlung zufächelte. »Lauter wilde Raser sind hier unterwegs.« »Du bist ganz schön von dir überzeugt, Blondie.« Sie legte beide Hände auf ihre Brüste und räkelte sich. »Ich bin mir meiner Qualitäten bewußt. Und nenn mich nicht Blondie. Das klingt wie Dummchen.« »An der nächsten Raststätte machen wir Pause, Blondie.« »Wieso?« »Ich muß tanken.« »Was hältst du davon, wenn wir uns ein lauschiges Plätzchen suchen, Mark? Wir könnten uns eine Kleinigkeit zu Essen besorgen und picknicken. Nur wir beide. Ganz allein. Und ohne diese störenden Klamotten.« »Sollten wir damit nicht noch etwas warten?« »Wo ich gestern nacht das Beste verpaßt habe? Das kommt nicht in die Tüte, Süßer. Und laß dir bloß nicht einfallen, mir wieder Schampus einzutrichtern. Das war ganz schön fies. Man könnte meinen, du willst nichts von mir.« Sie zog einen Flunsch. Ich verdrehte die Augen. »Das versteh ich aber nicht«, griff sie das Gespräch wieder auf. »Ich bin doch nicht häßlich, oder?« Sie legte beide Füße auf das Armaturenbrett, bäumte sich auf und zog mit einem Ruck das TShirt nach oben. »Die können sich doch sehen lassen.« »Bist du verrückt geworden?« herrschte ich die Blondine an. »Die Leute drehen durch, wenn sie dich so sehen!« »Sollen sie doch auch.« Raststätte Stolpe. Ich tankte voll, während sich Sybill die Beine vertrat. Dabei geizte sie nicht mit ihren Reizen. Im Nu hatte sich auf einem Rasenstück unweit der Tankstelle eine Männerschar um sich versammelt. Einige ihrer Verehrer kannten ihre Filme und verlangten lautstark, Haut zu sehen. 16
Ich besorgte in der Gaststätte zwei Kaffee. Als ich mit den Plastikbechern nach draußen kam, zog sich Sybill wieder an. Mit den Worten »So ein Bad in der Menge ist herrlich«, begrüßte sie mich. »Für dich vielleicht. Aber sie dir mal an, was du bei den Kerlen angerichtet hast. - Da fällt mir nur noch das Lied von Fritz Klein ein, dem mit dem Extrabein…« »Spaßverderber. - Autsch, das Zeug ist ja heiß!« Sybill war eingeschnappt und ignorierte mich auf der Fahrt nach Berlin. »Paß auf!« brach sie dann das Schweigen, als wir uns dem Kreuz Wittstock näherten. »Gleich kommt die Stelle, wo es vor kurzem die beiden von Gute Zeiten, Schlechte Zeiten erwischt hat.« Ich erinnerte mich an die Schlagzeilen. Die beiden Soapstars waren bei dem Unfall nur knapp dem Tod entronnen. Ihr Wagen war auf unerklärliche Weise von der Fahrbahn abgekommen, hatte sich überschlagen und Feuer gefangen. Aber warum sollte ausgerechnet mir das gleiche Schicksal bevorstehen? Die Antwort auf diese Frage bekam ich Augenblicke später, als mir das Lenkrad aus den Händen gerissen wurde! Ich kurbelte am Steuer, aber es hatte ein merkwürdiges Eigenleben. Der BMW schlingerte. Ich wollte gegenlenken, aber meine Bemühungen waren vergeblich. Mit knapp hundertfünfzig Sachen wurde mein Wagen von unsichtbaren Mächten gesteuert! »Halt an!« schrie Sybill spitz. »Ich will aussteigen! Halt sofort den verdammten Wagen an! Ich will nicht sterben!« Sie weinte hysterisch und trommelte mit beiden Fäusten auf mich ein, bevor sie ihr Gesicht in den Händen verbarg. Wie eine Flipperkugel sauste der BMW nach links, verfehlte die Leitplanke nur knapp und wischte schräg über die Straße, Seltsamerweise war hinter uns kein ärgerliches Hupen, kein Reifenquietschen zu hören. Wir schienen allein auf der Autobahn zu sein! Urplötzlich tauchte die Nebelwand vor uns auf. Mein Ring erwärmte sich, begann zu vibrieren. Die Tachonadel kletterte weiter. Die Wand veränderte sich. Sie wurde zu einem riesigen Schädel. Und wir rasten direkt in das weit aufgerissenen Maul! 17
* Instinktiv streckte Tessa die Arme vor, krümmte die Finger zu Krallen. Ertastete einen Felsvorsprung und klammerte sich fest. Der Ruck riß ihr beinahe die Arme aus den Schultergelenken. »Du hättest aufgeben sollen, Mädchen. Sieh dir an, in was für eine Scheiß Lage du uns gebracht hast!« Die Tschechin murmelte etwas in ihrer Muttersprache. Sie klammerte sich an Tessas Beinen fest. »Ich verstehe kein Tschechisch!« rief die Fahnderin. »Ich weiß nur eins: Ich will hier raus!« Dunja rutschte ein paar Zentimeter tiefer. Sie schrie gellend und klammerte sich fester an Tessas Beine. Angsterfüllt schaute sie in den pechschwarzen Abgrund. »Ich kann mich - nicht mehr - lange halten!« Tessa suchte nach einer Stütze. Mit Dunjas zusätzlichem Gewicht war das schier unmöglich. Doch Tessa gelang das Unmögliche. Sie preßte ihren Körper eng an die Felswand und fand einen schmalen Vorsprung, kaum eine Hand breit. Vorsichtig zog sie die Beine an und stützte sich auf dem Vorsprung ab. Sie konnte nun aufrecht stehen und reckte sich. Ihre Hände erreichten den Rand des Abgrunds. »Versuch an mir emporzuklettern!« Die Tschechin verstand nicht. Vorsichtig löste Tessa die rechte Hand vom Rand des Abgrunds und machte Dunja in Zeichensprache verständlich, was sie tun sollte. Das Mädchen nickte und faßte nach Tessas Hosengürtel. Das schien zu klappen. Was Tessa dann aber bei einem Blick nach oben sah, ließ ihr den Atem stocken. Ihr Herz pochte wie wild. Über dem Rand des Abgrunds lauerten eine spitze Schnauze und zwei listige, blutunterlaufene Knopfaugen. »O nein, ich hasse diese Viecher!« tönte Tessa. »Warum nicht ein Wolf? Oder Schlangen, Käfer oder Fledermäuse? Warum immer Ratten?«
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Sie hatte eine Heidenangst vor den Nagern. Mit Schaudern erinnerte sie sich an ihr Abenteuer in der Kanalisation von Weimar, wo sie beinahe einer Flut von Ratten zum Opfer gefallen war. (Siehe MH38!) Es schien, als könnte die Ratte jedes Wort verstehen. Das riesige Tier balancierte dicht am Rand des Abgrunds entlang. Jeden Moment würden die Pfoten Tessas Hand erreichen. Würden sie berühren… »Was habe ich nur verbrochen?« fragte sich die Fahnderin laut. »Irgendwas muß ich falsch gemacht haben, daß ich derart gestraft werde!« Die Ratte drehte ihren Kopf so, daß Tessa das Gebiß mit den scharfen Nagezähnen sehen konnte. »Sie grinst!« hauchte Tessa. »Ich glaub's nicht! Das Drecksvieh grinst mich an!« Das Maul öffnete sich. Geifer troff zu Tessa herab. Im nächsten Augenblick senkten sich die Zähne tief in ihren Handrücken! »Aaaahh!!« Das Tier biß erneut zu. Tessa spürte, wie das warme, klebrige Blut über ihre Hand rann. Ihr Griff löste sich vom Felsrand. »Nein! Nein, verdammt!« Als sie ihre blutende Hand zurückzog, schoß Tessas Rechte nach oben, klammerte sich an dem Vorsprung fest, den sie bei ihrem Sturz ergriffen hatte. Doch durch die hastige Bewegung verloren ihre Füße den Halt am Felsvorsprung. Baumelten über dem dunklen Abgrund. Tessa starrte zu dem Nager hoch. Der lange Rattenschwanz peitschte ihr Gesicht. Sie spürte, wie Dunjas Hände von ihren Beinen abglitten. Schaute nach unten. Sah das Entsetzen, den Schock, das Begreifen im Gesicht der jungen Tschechin. Wie in Zeitlupe glitt Dunja an ihr hinunter. Bekam ihren Schuh zu fassen. »Halt dich fest, Mädchen! Es dauert nicht mehr lange!« Den Schuh hatte sie in der Hand, aber der löste sich, und mit ihm sauste Dunja in die Tiefe! Tessa schloß die Augen. Dunjas gellender Schrei schmerzte in ihren Ohren. Keine Zeit für Tränen rannen über ihre Wangen. Die Berührung kam ohne Vorwarnung. Diese verfluchte Ratte will mir den Rest geben! »Hast du noch nicht genug? Willst du
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mich auch noch fertigmachen, du Mistvieh?« Tessas Stimme brach sich an den Felswänden. Kopernis Finger schlossen sich um Tessas Handgelenk. Unendlich langsam zog sie der Kollege nach oben. »Dunja?« fragte er. »Da hattest du zwei Minuten eher auftauchen müssen.« Beide schauten in die Tiefe. »Was ist mit deiner Hand passiert?« fragte Stepan Koperni, als sie die Höhle verließen. »Du wirst es nicht glauben. Eine Ratte hat mich gebissen. Das Vieh war schuld, daß Dunja abgestürzt ist.« »Komisch. Ich habe keine Ratte gesehen.« »Groß wie eine Katze war sie. Ein Riesenvieh.« Stepan schüttelte nur den Kopf. »Ach was, vergiß es. Es ist bloß, weil ich diese Viecher nicht ausstehen kann. Hoffentlich bleibt keine Narbe zurück.« Besorgt betrachtete Tessa die Wunde. »Kein sehr schönes Andenken an unser Land«, meinte Stepan. »Laß es mich wieder wettmachen. Darf ich dich zum Abendessen einladen?« »Du darfst.« Hätte sich Tessa noch einmal umgesehen, wäre ihr die große Ratte nicht entgangen, die sich in einer Felsnische bewegte. Mit einer Geschwindigkeit, die man dem massigen Tier nicht zugetraut hätte, kletterte es auf einen Tropfstein und schwang sich behende auf den Steinsockel. Die Knopfaugen schauten in eine Öffnung, die nur einen knappen Blick in das Innere des Sockels zuließ. In der Dunkelheit zeichnete sich schwach ein Teil eines bleichen Gesichts ab! Die Ratte senkte ihre blutbesudelte Schnauze in die Öffnung. Mehrere Tropfen von Tessa Haydens Blut lösten sich aus den Schnurrbarthaaren und von den Lefzen des Nagers und fielen auf das reglose Gesicht. Direkt zwischen runzlige, leicht geöffnete Lippen und in eine tiefe, dunkle Augenhöhle. Befriedigt wandte sich die Ratte ab, suchte sich ein stilles Plätzchen und putzte sich. Ihre Aufgabe war erledigt.
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* Das Candelight-Dinner wurde von einem Ober gestört, der an den Tisch trat und Koperni etwas zuflüsterte. »Du entschuldigst mich?« Der Kripomann schob seinen Stuhl zurück. »Ein wichtiger Anruf.« Die Fahnderin nippte von dem Wein. Ein fruchtiger, schwerer Tropfen. Sie mußte aufpassen, daß er ihr nicht zu Kopf stieg. Sonst nutzte der Kollege womöglich die Situation aus. Die Bißwunde an ihrer linken Hand hatte schlimmer ausgesehen, als sie in Wirklichkeit war. Nachdem die Wunde desinfiziert worden war, blieb nur noch eine Schramme zurück, die bestimmt rasch heilen würde. »Nun werden wir wohl ein paar Gänge auslassen«, sagte der Kollege, als er zum Tisch zurückkehrte. »Laß mich raten. Meine Dienststelle in Weimar hat mich zurückbeordert.« »Falsch. Meine Dienststelle war am Apparat. Wir sind auf einen Ableger von Kollickas Schmuggelring gestoßen. Miroslaw hat einen Vetter. Pavel Kollicka. Betreibt eine unscheinbare Im- und Exportfirma in Deutschland.« »Und die dient als Verteilerstelle für die angeworbenen Mädchen, die man in diesem Geschäft als Frischfleisch bezeichnet.« »In etwa. Pavel verkauft die Mädchen offenbar übers Internet. Da brauchen wir viel Glück, um die gesamte Organisation zu zerschlagen!« »Dieser menschenverachtende Aasgeier!« zischte Tessa. »Er sitzt bestimmt in irgendeinem Nest und verscherbelt die Mädchen vom Wohnzimmersessel aus.« »Volltreffer! In Miroslaws Wohnung haben wir Unterlagen gefunden, die nach Saalfeld führen.« Tessa hob das Weinglas. »Essen beendet. Es lebe die Fahndung! Dann muß ich jetzt telefonieren.« Mit dem Handy klappte es nicht. Aber dann mit der altbewährten Technik. »Chef? Hier Tessa. Hör mal, wir haben die Bande ausgehoben. Aber es gibt noch einen Ableger. Scheint ein ziemlich dicker Fisch
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zu sein, der bei uns drüben rumschwimmt. Mädchenhandel per Internet. Eine Riesensauerei.« »Das heißt also, du bleibst am Ball?« »Ja, Pit. Wo ich schon mal an der Sache dran bin.« »Die Kollegen haben mir berichtet, was passiert ist. Und jetzt willst du schon wieder Kopf und Kragen riskieren?« »Alles halb so schlimm. Du kennst mich doch.« »Eben drum.« »Wenn Mark zurück ist und nach dir fragt, werde ich ihm haarklein berichten, daß du wieder mit dem Kopf durch die Wand willst. Kann ich von hier aus etwas tun?« »Klar. Es geht um einen gewissen Pavel Kollicka. Betreibt in Saalfeld einen Im- und Exporthandel. Über den Knaben muß was rauszukriegen sein…« Das Wasser der Neiße floß träge dahin. Manchmal plätscherte es leise. Die Nacht war lau, fast windstill. Als sie die Hälfte des Uferweges hinter sich gebracht hatten, kam schlagartig Wind auf. Der Wind erreichte Sturmstärke. Und dann näherte sich der Schleier. Er schien vom Sturm über die Wiese zum Weg getrieben zu werden. Wie ein breiter Teppich bedeckte er das Gras. Tessas Augen verengten sich. Etwas an diesem Schleier störte sie. Etwas war merkwürdig. Sie schaffte noch wenige Schritte, dann lief es ihr eiskalt über den Rücken. Der Schleier bedeckte die Hälfte der Uferwiese, als Tessa die funkelnden Knopfaugen sah. Einige leuchteten rot. Das, was sich ihr in Riesensätzen näherte, war kein Schleier und auch kein Teppich. Es waren - Ratten! Ein Heer von Ratten! Tessa schrie gellend und begann zu rennen. Und wußte doch, daß die verhaßten Nager sie einholen und überrennen würden. Schon jetzt spürte sie die scharfen Zähne in ihrem Fleisch, spürte das Blut aus den Wunden fließen. Der Rattenteppich teilte sich. Sie kamen nun von zwei Seiten, schnitten ihr den Weg ab und kreisten sie ein. Stepan Koperni sprang zwischen die Tiere und trat um sich. Hoch wirbelten die Nager durch die Luft. Einige landeten im Fluß, würden von dort aber wieder ans Ufer gelangen. 22
Die Nager drängten Tessa zum Fluß ab. Die Fahnderin sah bald nur noch einen Ausweg. Sie würde schwimmend das andere Ufer erreichen müssen. Doch dieses Vorhaben wurde vereitelt. Denn über dem Fluß flimmerte die Nachtluft und verdichtete sich. Und auf dem Wasser zeichneten sich die Umrisse eines Dreimastschoners ab! Fast lautlos glitt das Schiff dahin. Die Aufbauten knarrten. Undeutlich waren Matrosen an Bord zu erkennen. Einige kletterten in die Wanten, machten sich an den Segeln zu schaffen. Doch sie waren nur schemenhafte Gestalten. Ihre Gesichter waren kaum auszumachen. Dafür sah Tessa am Heck eine Frau in leuchtend weißem Gewand stehen! Sie war schön. Hatte langes, schwarzes Haar. Ihr Gesicht war bleich. Der stechende Blick ihrer dunklen Augen schien Tessa durchbohren zu wollen. Die Unbekannte hob die rechte Hand und winkte ihr. Komm, Schwester! Komm zu mir! Du gehörst an meine Seite! Der Gedankenbefehl hallte in Tessas Kopf auf. Die Stimme hatte lockend geklungen. Einen Augenblick lang war sie versucht, zum Schiff zu schwimmen. Doch etwas in ihrem Innern hielt sie zurück. Die weiße Frauengestalt streckte ihr den Arm entgegen. Warum zögerst du? Komm zu mir! Tessa war von unbändigem Verlangen erfüllt. Vergessen waren die furchterregenden Ratten, die Angst. Nur eines zählte noch: Sie mußte auf den Schoner und lief zum Fluß. »Tessa! Hilf mir! Wo willst du hin? Aaaahhh!!« Stepan Kopernis Schrei durchbrach die mentale Barriere, die von der weißen Frau ausging. Tessa wirbelte herum. Und sah, wie der Kollege taumelte. Er war über und über mit Ratten »behängt«. Die Nager zerrten ihn zu Boden. Er brach in die Knie und kroch auf allen vieren weiter. Vergiß ihn! Er ist nicht wichtig! Komm zu mir! Wir gehören zusammen, Schwester! Tessa wollte sich von dem Kollegen abwenden, doch der Tscheche erkannte ihre Absicht. Er zog seine Pistole und warf sie der Fahnderin zu. »Schieß!« brüllte er. »Schieß auf das Schiff!« 23
Sie fing die Pistole, drehte sich um und hob die Waffe auf. Sie war sich ihrer Handlungen nicht bewußt. Noch stand sie unter dem Bann der weißen Frau. Aber Stepan Kopernis Schreie verfehlten ihre Wirkung nicht. Brachen den Gedankenbann. Sie schrie wild, als sie feuerte. Alles in ihr bäumte sich gegen die Lockungen der weißen Frau auf. Die Kugeln trafen die Segel, die Masten, das Holz der Aufbauten und die weiße Frauengestalt. Geräuschlos drangen die Geschosse in das Holz, in die schemenhaften Matrosen und in den Körper der Schwarzhaarigen ein. Kein Blut floß. Die Luft um den Schoner herum flirrte. Die Umrisse des Schiffes zerfaserten. Lautlos, wie es gekommen war, verschwand das Geisterschiff. Und mit ihm das wehmütige, bleiche Gesicht der weißgekleideten Frau. »Jesus, Maria und Josef!« stieß Koperni hervor, nahm alle Kraft zusammen und raste an Tessa vorbei zum Fluß. Sein Körper sah aus, als sei er in einen lebenden Pelz gehüllt worden. Mit einem gewaltigen Satz stürzte sich der Tscheche in den Fluß und versank in den Fluten. Tessa hechtete hinterher. In dem trüben, dunklen Wasser war kaum etwas zu erkennen. Zwei, drei dunkle Körper zuckten auf sie zu! Trafen sie im Gesicht und am Kopf. Ein Rattenschwanz strich über ihre Stirn. Tessa schrie. Ihre Stimme war nur ein dumpfes Gurgeln. Sie fuchtelte mit den Armen wild herum, bekam ein Pelztier zu fassen, hielt das wuselnde Etwas dicht vor ihr Gesicht. Starrte direkt in die kleinen Augen und sah das grinsende Maul mit den Nagezähnen! Tessa schleuderte die Ratte von sich, krümmte sich zusammen. Verspürte den Drang, sich übergeben zu müssen. Und wußte doch, daß es unmöglich war. Schwarze Schleier waberten vor ihren Augen. Stepan! Ich muß Stepan finden! schrie es in ihrem Hirn. Eine neue Rolle vorwärts, zwei, drei Schwimmstöße. Ein Schatten, dicht vor ihr. Und dann tauchte sein bleiches, angstverzerrtes Gesicht aus der Dunkelheit.
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Sie packte den Kollegen am Hemdkragen und strebte mit kräftigen Beinstößen nach oben. Ihr Kopf durchstieß die Oberfläche. Tief saugte sie die Nachtluft in die Lungen. Neben ihr schoß Stepan aus dem Wasser. Prustend und hustend spuckte er die Brühe aus. Nebeneinander schwammen sie ans Ufer. »Was, zum Teufel, war das denn?« fragte der Tscheche. »Ich habe noch nie ein solches Schiff hier gesehen.« Tessa antwortete nicht. Aber sie wußte, daß sich in Stepans Frage ein Teil der Antwort verbarg. Sie war sicher, daß sie das Auftauchen des Schoners, den Angriff der Ratten und ihr unfreiwilliges Bad dem Teufel zu verdanken hatte. »Schade um das Kleid«, meinte sie ausweichend. Stepan lachte. »Wieso? Du siehst hinreißend aus.« Tessa schaute an sich hinab. Das Kleid klebte wie eine zweite Haut an ihr. Deutlich zeichneten sich die Konturen ihres Körpers unter dem Stoff ab. Beide brachen in befreiendes Gelächter aus. * Es war totenstill. »Wo sind wir?« fragte Sybill. »Was geht hier eigentlich ab?« Ihre Stimme klang seltsam verzerrt. Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich genau wußte, was hier geschah. Dieses Nebelgesicht war schwarzmagischen Ursprungs, wie die Reaktion meines Rings verriet. Aber Sybill hätte mir das nie und nimmer geglaubt. Ringsum waberten die Schwaden. Furchterregende Visagen lösten sich aus der Milchsuppe, sausten auf uns zu und verschwanden, bevor sie gegen die Scheiben klatschten. Sybill schrie beim Anblick der grauenhaften Fratzen. Der Rachen, in dem wir uns befanden, wirkte wie ein Tunnel und schien kein Ende nehmen zu wollen. Ich überlegte fieberhaft, wie ich uns aus dieser prekären Lage herausmanövrieren konnte. Ich tastete nach meiner Pistole. Laß es sein, Menschlein! Es nützt dir nichts!
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Die Stimme dröhnte in meinen Ohren. Ich bemerkte Sybills verwirrten Blick. Auch sie mußte die unheimliche Stimme vernommen haben. »Wer bist du?« rief ich. Ein dröhnendes Gelächter antwortete mir. Du scheinst keine Angst zu haben, Kerlchen! Das wird sich bald ändern. Ich bin Ragnuwir! »Der Name sagt mir nichts! Was willst du?« Dir meine Macht beweisen. Bevor ich dich töte. Wie all die anderen, die meine Macht angezweifelt haben und in ihren stinkenden Eisenkarren gestorben sind! Kaum waren die Worte des Unsichtbaren verklungen, verbreiterte sich der Tunnel vor uns. Die Nebelwände traten zurück. Feuerschein durchdrang die Schleier. Ein bizarres Bild bot sich uns. Wir sahen Autos, die sich ineinander verkeilt hatten. Einige der Fahrzeuge hatten Feuer gefangen. Blutende, schreiende Menschen liefen händeringend herum oder krochen aus den Trümmern. Die Szenerie veränderte sich. Vor uns erstreckte sich die Autobahn. Wagen rasten auf zwei Fahrbahnen dahin, gerieten ohne ersichtlichen Grund ins Schleudern. Krachten ineinander, ohne daß die Reisenden auch nur eine Chance gehabt hätten, mit fahrerischem Können die Situation zu beherrschen. Wieder ein Crash! Ich hörte nur Schreie. Kein Aufprallgeräusch, kein Knirschen von Blech, kein Splittern von Glas. Wieder veränderte sich die Umgebung. Die Autobahn war verschwunden. Vor uns lag eine Stadt. Es war, als stünden wir auf einem Hügel und schauten auf den Ort hinunter. Eine kopfsteingepflasterte Straße, die sich verwinkelt zwischen Fachwerkhäusern dahinzog. Etwas bewegte sich zwischen den Häusern, bedeckte das Straßenpflaster. Ein dunkler Strom ergoß sich durch die Stadt. Ich kniff die Augen zusammen. Nein, das war kein Wasser. Ich beugte mich vor, stierte angestrengt durch die Frontscheibe. Sah einen Mann am Ende der Straße auftauchen. Er trug helle Leinenhosen und Reitstiefel. In der rechten Hand hielt er ein Schwert und hieb auf den sich rasch nähernden Strom ein. Leiber flogen durch die Luft. Blut spritzte. Rasend schnell näherten wir uns dem Ort des seltsamen Kampfes. Ein 26
pelzbesetzter Körper sauste heran und klatschte gegen die Windschutzscheibe. Blut verschmierte das Glas. Ich erkannte die spitze Schnauze, das weit aufgerissene Maul mit den scharfen Zähnen und den langen Schwanz, der gegen die Scheibe peitschte. Sybill kreischte hysterisch. Die Ratte schien mich anzugrinsen, bevor sie auf die Motorhaube rutschte und vom Wagen fiel. Auch ich hob abwehrend die Arme, als uns ein wahrer Hagel aus Rattenleibern entgegenschoß. Doch die Tiere prallten nicht auf dem Wagen auf. Die Scheibe war sauber. Wir befanden uns wieder auf der Autobahn. »Hat dir mein kleines Schauspiel gefallen, Mark Hellmann?« Ich zerquetschte einen Fluch zwischen den Lippen und hieb frustriert auf das Lenkrad. Hier saß ich und war der Spiellaune eines unsichtbaren Dämons ausgeliefert! »Du gehörst zu mir. Endlich habe ich meinen Traumprinzen gefunden!« Die Stimme war leicht rauchig und voller Sinnlichkeit. Sie hatte etwas Verführerisches. Heiß und kalt lief es mir über den Rücken. Langsam wandte ich mich zu Sybill um. Doch das blonde Filmsternchen saß nicht mehr neben mir. Dafür sah ich mich einer bildhübschen, zierlichen Frau gegenüber, die mich offen anlächelte. Die Blicke aus ihren dunklen Augen hatten etwas Hypnotisierendes. Das lange, pechschwarze Haar fiel über ihre schmalen Schultern. Unter dem dünnen Stoff ihres weißen Gewandes zeichneten sich die verführerischen Rundungen ihres Körpers ab. Sie legte ihre schmale Hand auf meinen Schenkel. »Küß mich«, hauchte sie, öffnete den Mund und entblößte dabei die beiden langen Eckzähne. Vampirhauer! Ich fuhr zurück. Das Lächeln verschwand von den Lippen der Blutsaugerin. »Du entgehst mir nicht, mein Prinz! Und das Mädchen, dem ich meine Rückkehr zu verdanken habe, ebenfalls nicht!« Ich riß abwehrend die rechte Hand hoch. Mein Siegelring sandte einen grellen Lichtsstrahl aus. Die dämonischer Ausstrahlung der Wiedergängerin war ungeheuer stark. 27
Ich konnte den Ring nicht als Waffe gegen Dämonen einsetzen, aber er konnte mir wertvolle Zeit verschaffen. Ich richtete den gleißenden Lichtstrahl in den aufgerissenen Mund der Blutsaugerin und ließ ihn langsam nach oben wandern. Die Untote schrie gellend, als das Licht sie traf. Ich malte weißmagische Zeichen auf ihre bleiche Stirn. Sie fuchtelte mit den Armen und wand sich unter Qualen in ihrem Sitz. Ich legte meine Linke um ihren Hals, zog die Pistole und preßte die Mündung zwischen ihre Augen. »Fahr zur Hölle, Blutsaugerin!« zischte ich. »Was tust du?« fragte die blonde Sybill und starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an. Schweiß stand auf meiner Stirn. Ich hielt Sybills schlanken Hals fest umklammert, zielte weiterhin mit der Pistole auf sie. »Tu es nicht. Bitte!« Na los, drück ab! Ich, Ragnuwir, gebiete es dir! In meinem Kopf schwirrten die Gedanken. Sybills schreckverzerrtes Gesicht vermischte sich mit dem bleichen, verführerischen Antlitz der Vampirin. Die spitzen Eckzähne funkelten… * »Nicht, Mark!« Plötzlich drang die dritte Stimme zu mir durch. Es war die helle, freundliche Stimme eines kleinen Mädchens! Ein Ruck ging durch meinen Körper. Ich legte den Kopf schief und lauschte angestrengt. Wahrscheinlich hatte ich mir die Stimme nur eingebildet. »Laß sie in Ruhe, Mark! Du darfst Ragnuwirs Befehl nicht gehorchen! Du bist der Träger des Rings und darfst kein unschuldiges Leben vernichten!« Ich kam mir vor wie in jenen blöden Witzen, in denen ein Engelchen und ein Teufelchen auf der Schulter des Sünders sitzen und ihn von seinem Vorhaben abbringen beziehungsweise ihn dazu ermutigen. Wie gingen diese Geschichten meistens aus? Richtig, Teufelchen und Engelchen verkloppten sich, und der Sünder war so schlau wie zuvor.
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Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sich ein Kind mit einem mächtigen Dämon anlegen würde. Und doch schien gerade das der Fall zu sein, denn auf Ragnuwirs wütendes Brüllen antwortete helles Kinderlachen. Meine Unentschlossenheit machte sich in einem wilden Schrei Luft. »Laßt mich!« brüllte ich. »Ihr macht mich total kirre!« Töte sie! Du bist der Kämpfer des Rings! Du mußt die Blutsaugerin vernichten! Schweiß rann in meine Augen. Wieder sah ich das gebleckte Vampirgebiß vor mir. Ich holte tief Luft, wartete auf den Einwand des Kindes, hörte jedoch nichts. Ich verstärkte den Druck der Waffe. »Du erinnerst dich an mich, großer Bruder. Ich habe schon einige Male zu dir gesprochen. Du darfst dieses Mädchen nicht töten. Sie ist nicht die Untote, als die sie dir erscheint!« Mißtrauisch musterte ich Sybill. Sie hatte die Augen geschlossen, erwartete jeden Augenblick den tödlichen Schuß. Sie lügt! Drück ab! »Habe ich dich jemals belogen, Mark?« In der Tat erinnerte ich mich an die Stimme meiner kleinen Schwester, die schon einige Male aus längst vergangener Zeit zu mir gesprochen hatte. Ich wußte nicht, wie mein Schwesterherz aussah, wußte so gut wie nichts über unsere gemeinsame Vergangenheit. Aber ich war sicher, daß ich ihr vertrauen konnte. Ein scharfer Schmerz durchzuckte meinen Schädel. Die dämonischen Gedankenbefehle fochten einen Kampf gegen die Worte meiner Schwester. Und verloren. Ich schwenkte unter Aufwendung aller Kraft die Waffe zur Seite. Keuchend nahm ich die Hand von Sybills Hals. Meine Finger zeichneten sich als rote Striemen auf der Haut ab. Verflucht seist du, Menschlein! Ich werde dich in die tiefste Hölle schicken! Ich spürte, wie der Wagen ohne mein Zutun beschleunigte. Die Nebelwände des Tunnels zerfaserten. Die Sicht wurde klar. Vor uns zog sich das breite Band der A 24 dahin. Der BMW wurde immer schneller. Ich sah Bremsspuren auf dem Asphalt. Spuren von tragischen Unfällen, die erst kürzlich geschehen waren. Ich trat auf die Bremse. Doch der Wagen raste weiter. Ich zerrte an der Handbremse. Keine Wirkung. Und dann stand sie da! Mitten auf der Fahrbahn!
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Ich erkannte die schlanke Figur in Jeans und knappem Top. Das modisch geschnittene, braune Kurzhaar. Dieses hübsche Gesicht mit den rehbraunen Augen. Es war Tessa Hayden! »Geh weg!« brüllte ich und betätigte die Lichthupe. Tessa bewegte sich nicht. »Zur Seite!« Ich fuchtelte mit den Armen, als ob sie die Bewegung hätte sehen können. »Bitte geh!« Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. »Geh doch…!« Ich war am Ende. Die Frau, die ich liebte, würde sterben, und zwar durch mich! Unter höhnischem Gelächter gab mir Ragnuwir die Kontrolle über den Wagen zurück. Der Dämon kostete seinen Triumph aus. Ich würde Tessa höchstpersönlich töten und konnte nichts dagegen tun! Selbst wenn ich jetzt eine Vollbremsung hinlegte, würde ich sie erwischen. Tessa war verloren! Und doch mußte ich es versuchen. Ich bremste scharf. Pneus kreischten. Der Wagen schlingerte. »Gib Gas!« rief meine Schwester mit heller Stimme. »Bist du verrückt geworden? Das ist Tessa, verdammt!« »Vertrau mir!« Zwei Worte nur. Aber sie gaben mir die Sicherheit zurück. Ich heulte wie ein Schloßhund, als ich das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. »Tesss!!« brüllte ich. Riesengroß stand sie vor dem Wagen, streckte mir abwehrend die Hände entgegen und schrie vor Angst. Kein Aufprall! Der BMW raste durch Tessa hindurch. Ihr Körper zerfaserte. Ich schickte einen Blick zum Himmel. »Danke, Schwesterherz«, flüsterte ich und lenkte den Wagen auf die rechte Spur. Doch es war noch nicht vorbei. Ragnuwirs Gestalt materialisierte sich über der Autobahn. Er war schrecklich anzusehen. Fast nackt, mit muskulösen 0-Beinen, einem Schmerbauch, riesigen Händen. Langes, strähniges Haar hing ihm auf die Schultern. Er hatte ein narbenübersätes Gesicht, Schlitzaugen, eine mehrfach geteilte Knubbelnase und ein Maul, in dem faulige Zahnstummel emporragten. Der Dämon schwang eine mächtige Streitaxt und ein Schwert. Ragnuwir blies die Backen auf und schickte seinen Atem wie eine Sturmbö zu uns herüber. Der Wagen wurde von der
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Fahrbahn gedrängt, rollte über die Standspur und ins Gras. Holpernd näherten wir uns einem Graben. Ich bot sämtliche Fahrkünste auf und brachte den BMW schließlich neben dem Graben zum Stehen. »Jetzt reicht's! Verdammte Dämonenbrut!« Wütend sprang ich aus dem Wagen. Ragnuwir trampelte heran. Diesmal war er auch für die anderen Verkehrsteilnehmer sichtbar geworden. Reifen quietschten, ein Wagen drehte sich und schlitterte über die Fahrbahn; ein nachfolgendes Fahrzeug erwischte ihn am Heck. Beide Wagen kamen auf der Standspur zum Stehen. Ich lief auf den Dämon zu und feuerte, während seine Streitaxt auf mich niedersauste. Meine Silberkugeln drangen in seine breite Brust, in das offene Maul und prallten vom Axtblatt ab. Brachten den Hieb aus der Richtung. Die Axt verfehlte mich nur knapp, aber immerhin, und bohrte sich in den Boden. Ragnuwir war sicherlich ein mächtiger Dämon, den ich mit Silberkugeln nicht so einfach vernichten konnte. Aber das geweihte Silber bereitete ihm Schmerzen. Schwarzes Dämonenblut quoll aus den Schußwunden. »Du bist stark!« dröhnte er. »Ich hätte auf das hören sollen, was man sich in Mephistos Reich über dich erzählt.« Ragnuwir hustete gequält. »Diesmal schenke ich dir dein erbärmliches Leben, Hellmann. Doch wir werden uns wiedersehen. Du wirst wieder diesen Weg entlangfahren, und dann werde ich dich zerreißen!« »Du nimmst dein Maul ziemlich voll, Dämon. Mal sehen, ob wir dir nicht für eine Weile die Lust am Herumgeistern nehmen können!« Ich sprang auf ihn zu, zog dabei mit dem Lichtstrahl des Rings einen leuchtenden Doppelkreis um ihn und malte keltische und weißmagische Symbole in den Rand. Quer durch die Fläche und zwischen Ragnuwirs Beinen schrieb ich die Runen für den Befehl Banne! Der Dämon brüllte auf. Er sank in dem Kreis auf die Knie. Flehte und bettelte um seine Freiheit. »Du hast lange genug diese Gegend tyrannisiert, Dämon. Du wirst jetzt zusehen, wie die Menschen, die du als Opfer ausersehen hast, unangefochten an dir vorbeifahren.«
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»Niemals, Mark Hellmann! Vor ungezählten Jahren erbat mein Volk, die Wenden, meine Hilfe, um den Menschen dieser Gegend heimzuzahlen, daß man die Wenden einst von hier vertrieb. Leider hatte ich nicht mit dem Mut und der Entschlossenheit der Wittstocker gerechnet. Sie haben zwei Stadttore gemauert. Eines davon führte mich geradewegs in eine tödliche Falle. Sie verscharrten mich auf jenem Feldweg, der in die Stadt führte. Heute führt diese Straße darüber. Tausende und Abertausende Karren und Wagen rollten über mein Grab hinweg. Aber die Menschenwürmer werden für ihre Schmach bezahlen. Bis in ewige Zeiten. Mephistos unermeßlicher Güte habe ich es zu verdanken, daß ich Vergeltung üben darf. Diese Straße wird noch viele Opfer fordern.« »Nicht, wenn ich es verhindern kann.« Ich trat dicht an den Bannkreis heran und hob die Pistole. »Geh zum Teufel!« sagte ich und wartete, bis er in jäher Wut seines Schwertes gedachte. Als er die Klinge hob, drückte ich ab. Sein Kopf ruckte nach hinten, als die Silbergeschosse in seinen Hals drangen. Er stampfte schreiend auf der Stelle, denn den Bannkreis konnte er ja nicht verlassen. Ich duckte mich unter seinen Schwerthieben und trat gegen die Streitaxt. Das Axtblatt riß Grassoden heraus, als es zur Seite wegkippte. Kraftvoll schwang ich die Axt und spaltete mit einem gewaltigen Hieb Ragnuwirs Brust. Schrill klang sein Schrei in meinen Ohren. Er ließ das Schwert fallen und streckte die muskelbepackten Arme nach mir aus, kriegte mich aber nicht zu packen. Langsam sank er in sich zusammen und blieb innerhalb des Bannkreises zusammengekrümmt liegen. Ich ging zum Wagen und wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Du hast großartig gekämpft, Mark«, hörte ich das Lob meiner Schwester. »Aber du hast keine Zeit, dich auf deinen Lorbeeren auszuruhen. Eine wichtige Aufgabe wartet auf dich.« »Seit wann bekomme ich meine Aufträge von dir?« fragte ich lachend. »Zufall. Es geht um viele Menschenleben. Du mußt rasch handeln.«
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»Wenn Mephisto eine Schweinerei ausheckt, muß ich ihn bremsen. Wo hat er diesmal zugeschlagen?« »Das Böse hat im Osten seinen Ursprung genommen, im Böhmenland. Jetzt ist es hier. Dort, wo einst viele Soldaten durch den kleinen Kaiser mit der komischen Locke ihr Leben lassen mußten, wirst du auf ein Heer treffen. Mehr weiß ich nicht. Paß auf dich auf, Mark. Wir treffen uns wieder!« Ihre Stimme wurde schwach, klang wie aus weiter Ferne. »Warte!« rief ich. »Kannst du mir nicht mehr Anhaltspunkte geben?« »Keine - Zeit - mehr! Beeil dich. Tessa…!« Mein Puls beschleunigte sich. Hatte ich mich verhört, oder hatte meine Schwester wirklich Tessas Namen erwähnt, bevor sie in ihre Zeit zurückgekehrt war. »Sag mal, bist du ein Bulle oder so was?« fragte Sybill, als ich den Wagen wieder auf die Fahrbahn lenkte. »Wegen der Pistole und so.« Ich grinste, und mein Blick fiel auf den Bannkreis, in dem ich Ragnuwir zurückgelassen hatte. Der Dämon war spurlos verschwunden. Auch seine Waffen waren nicht zurückgeblieben. Der leuchtende Kreis würde in wenigen Minuten ebenfalls nicht mehr zu sehen sein. Aber es gab keine Asche- oder Staubspuren. Keine Anzeichen für einen Auflösungsprozeß. Ich nahm mir vor, schnellstmöglich dafür zu sorgen, daß Ragnuwir nie mehr tödliche Unfälle verursachen konnte. Dabei würde mir mein Vater, Ulrich Hellmann, helfen können. Als Mitglied der Liga, einer weltweiten Vereinigung von Parapsychologen und Okkultisten, mußte er erreichen, daß entweder das Verrätertor von Wittstock eingerissen wurde oder weißmagische Bannformeln am Tor selbst und zu beiden Seiten der Autobahn angebracht wurden. Vielleicht war der Dämon dadurch zu bannen. * Sarah Wüdt und Hanno Kaiser spazierten Hand in Hand über die Saalewiesen. Die beiden jungen Leute hatten einen anstrengenden Tag hinter sich. Die blonde Sarah absolvierte eine 33
Ausbildung als Verkäuferin in einem Modehaus und langweilte sich in ihrem Job, während Hanno kurz vor dem Abschluß seiner Lehre als Kfz-Mechaniker stand. Sie hatten sich erst vor sechs Wochen kennengelernt. Sarah war etwas rundlich um die Hüften und hatte nicht nur unter ihren Figurproblemen zu leiden gehabt, sondern auch unter der Aussicht, als alte Jungfer ihr Leben beschließen zu müssen. Hanno war wie ein rettender Engel in ihr Leben getreten. Der schlaksige Rotschopf war ungemein schüchtern gewesen, hatte sich dann aber doch getraut. »Ich könnte ewig so mit dir Spazierengehen, Hanno«, seufzte Sarah und schaute in den dunklen Abendhimmel. Nur wenige Spaziergänger waren am Flußufer unterwegs. »Was hindert dich daran? Wir lassen die Maloche bleiben und wandern bis ans Ende der Welt! Wenn wir Geld brauchen, nehmen wir Jobs an und schlafen, wo es uns gefällt!« Der Rotschopf sprang mit ausgebreiteten Armen um Sarah herum. Sarah kicherte. »Ich hab gar nicht gewußt, daß du romantisch bist. Aber mal im Ernst, würdest du meinetwegen wirklich alles hinschmeißen?« »Klaro. Glaubst du, ich will bis zur Rente im Motoröl baden?« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte Hanno. Einsam standen sie am Ufer der Saale, ganz mit sich und ihren Gefühlen beschäftigt. Das leise Plätschern des Wassers und das ebenso leise Knarren von Holz entging ihnen. In diesem Moment begann auf dem Fluß die Luft zu flimmern. Dumpfe Schritte waren zu hören. Kommandos wurden gerufen. Sarah hatte während des Kusses die Augen geschlossen. Hanno ließ seine Hand unter Sarahs Sweatshirt gleiten und streichelte ihre sehnsuchtsvolle Brüste. Eine Kette rasselte. Etwas platschte ins Wasser. Sarah drehte sich abrupt zur Seite. »Was hast du? Magst du das nicht?« fragte Hanno stockend. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Fasziniert starrte sie an ihm vorbei. »He, Erde an Sarah! Bitte kommen! Was ist denn? Hast du einen Wassermann gesehen?« »Nee, aber ein Geisterschiff.« Hanno drehte sich verwirrt um und riß die Augen auf. Staunend betrachtete er den Dreimast-Schoner, der in Ufernähe ankerte.
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Einige Geistermatrosen schoben eine breite Plankenbrücke zum Ufer. »Ich glaub, ich spinne!« murmelte Hanno fasziniert. Aber das Schauspiel hielt eine weitere Überraschung bereit. Ein helles Wiehern war zu hören, dann vernahm das Liebespaar Hufgetrappel. Und sah, wie eine pechschwarze Kutsche von vier Rappen über die Behelfsbrücke zum Ufer gezogen wurde. Ein schemenhafter Kutscher ließ die Peitsche knallen und trieb die Pferde mit heiseren Schreien an. Der Kopfputz aus schwarzen Federn zitterte bei jedem Schritt der Pferde. Das Gefährt näherte sich rasch. Sarah und Hanno sahen den feurigen Atem und die rotglühenden Augen der Pferde und spürten, wie ihnen eine Gänsehaut über den Rücken und die Arme kroch. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu! Ohne ein Wort zu verlieren, wandten sie sich um und begannen zu rennen. Die Karosse folgte den beiden. Als Sarah und Hanno den Rand des Parkplatzes am Turm erreichten, atmeten sie auf. Hanno stützte sich an einem geparkten Wagen ab und keuchte. Schweiß rann über seine Stirn. Auch Sarahs Gesicht war verschwitzt. Das Mädchen bemerkte die Bewegung zwischen den Fahrzeugen zuerst. »Hanno, wir müssen hier weg!« „Verständnislos schaute der Rotschopf zu ihr hinüber. Im selben Augenblick ertönte ein schrilles Fiepen. Ein pelziger Körper schwang sich auf eine Motorhaube und von dort durch die Luft. Landete schwer auf Hannos Schulter. Spitze Zähne blitzten kurz auf und senkten sich dann tief in den Nacken des Jungen. Sarah hatte erkannt, welche Bestie ihren Freund attackierte. Es war eine Ratte! Aber sie hatte die Größe einer Katze! Die Knopfaugen stierten Sarah angriffslustig an. Der Rotschopf schrie gellend. Die Bestie in seinem Nacken hob den Kopf, die Schnurrbarthaare zitterten. Sofort senkte sich die Schnauze wieder, und die Zähne hackten in Hannos Hals. Sein Schrei ging in ein Gurgeln über, als er sein eigenes Blut in der Kehle spürte. Hilfesuchend fuchtelte er mit den Armen. Sarah kreischte gellend. »Hilfe! Warum hilft uns denn niemand? Hilfe!« Weitere Nager wuselten zwischen Hannos Beinen herum, verbissen sich in seiner Hose, krabbelten an seinem Körper hoch. 35
Sarahs Stimme versagte. Die Blondine wirbelte herum, riß sich die Plateausandalen von den Füßen und hetzte barfuß den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie mußte Hilfe holen. Hinter ihr brach Hanno in die Knie. Sein Körper war über und über mit Rattenleibern bedeckt. Die Tiere gruben ihre Zähne tief in sein Gesicht und seinen Körper. Sarah hetzte weiter. Direkt auf die schwarze Kutsche zu. Aber das bemerkte sie erst, als sie dicht vor dem Gefährt stand. Sarah war nicht wählerisch. Wer auch immer in dieser Kutsche saß, er würde ihr helfen müssen. Vielleicht konnte man sie zur Polizei bringen. »Helfen Sie mir! Bitte, Sie müssen mich mitnehmen! Ich muß Hilfe holen!« stieß die Blondine hervor, als sie sich erschöpft und zitternd am Wagenschlag festklammerte und durch das Fenster in das Innere der Kutsche schaute. Eine bildschöne junge Frau in blütenweißem Gewand, mit bleichem Gesicht und pechschwarzen Haaren streckte Sarah freundlich eine kalkweiße Hand entgegen. »Steig ein, mein Kind. Hier bist du in Sicherheit.« »Bitte - die Ratten. Wir müssen uns beeilen! Zur Polizei, schnell!« sprudelte es aus Sarah hervor. Sie riß den Wagenschlag auf. Als sie in die Kutsche steigen wollte, fiel ihr Blick auf ein strahlend weißes Gebiß und die beiden verlängerten Eckzähne. Sarah kannte Vampire nur aus alten Gruselfilmen. Bei dem Gedanken, eine waschechte Blutsaugerin vor sich zu haben, schreckte sie zurück. Schlagartig wich das Lächeln aus dem Gesicht der Untoten. Sie packte Sarah am Haar und zerrte sie in die Kutsche. Der Wagenschlag fiel ins Schloß. Sarah hörte die heiseren Schreie des Kutschers und das Knallen der Peitsche. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Sarah verlor das Gleichgewicht und fiel in die Lederpolster der Sitzbank. Die Karosse beschrieb eine weite Schleife. Durch das Fenster in der Rückwand sah Sarah ihren Freund, der von den Ratten überrannt wurde. »Hanno! Neeiin!!« kreischte Sarah und streckte den Arm aus dem Fenster. Und während die Ratten ihr grausiges Werk beendeten, beugte sich die Wiedergängerin vor und riß den Mund 36
auf. Sarah spürte die eiskalten Finger der Blutgräfin auf ihrer Haut, den stechenden Schmerz in ihrem Hals und erstarrte. Sie hörte das Saugen und Schmatzen, ehe sich abgrundtiefe Schwärze über sie senkte. Ratternd verschwand die Kutsche in der Nacht. Auch die Nager ließen von ihrem Opfer ab und tauchten in der Dunkelheit unter. In der Kutsche genoß Gräfin Lidja Dohna von Grafenstein ihr erstes Opfer seit zwei Jahrhunderten in vollen Zügen. Weitere sollten folgen… * Ich hatte mich nicht lange in Oranienburg aufgehalten. Sybill setzte zwar sämtliche Verführungskünste ein, aber ich blieb standhaft. Ich mußte unentwegt an Tessa denken, die sich wahrscheinlich in Gefahr befand. Nichts und niemand konnte mich davon abhalten, meinem Schatz beizustehen. Mein Handy dudelte. Ich meldete mich knapp. Jeder Anruf konnte mir eine Hiobsbotschaft von Tessa bringen. »Der Niklaus läßt den roten Mantel ganz leise sinken auf den Boden, wenn er noch lang so stehn bleibt, erfriert er sich die Ho…« dichtete Pit Langenbach spontan einen Spottvers auf meinen Namen und wurde kurz vor dem Höhepunkt von mir unterbrochen. »Das Grausen schüttelt mich mitnichten, hör ich den Langenbach schlecht dichten…« »Wieso mit Nichten? Hast du welche?« »Nö.« »Immer noch in den Armen der Pornomietzen?« rief er gegen das Dröhnen eines Hubschraubermotors an. »Ich rausche bereits gen Heimat. Was gibt's?« »Wo bist du genau?« »Hinter Berlin. Kurz vor der Raststätte Potsdam-Süd.« »Dann warte dort. Wir holen dich mit dem Hubschrauber ab.« »Was ist los? Brennt Weimar oder was?« »Es geht um Tessa. Ende.« Ich parkte den Wagen wie vereinbart. Warten. Schauen. Neugierde. Angst um Tessa. Eine halbe Stunde später kam der Heli.
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»Liefer den Wagen möglichst in einem Stück bei mir ab, Kollege!« brüllte ich dem Uniformierten zu, der ausstieg und dessen Platz ich einnahm. Der Helicopter hob ab. Viele Augen schauten uns nach. »Sag schon, was ist los mit Tessa?« »Du weißt, daß sie nach Tschechien abkommandiert wurde, nicht wahr?« Ich nickte. »Sie ist wieder hier. In Saalfeld. Dort sollen Komplizen der tschechischen Gangsterbande sitzen.« »Ja und?« »Offenbar hat sich Tessa bei den Tschechen nicht nur mit Gangstern angelegt, sondern auch mit Freund Mephisto. Jedenfalls glaubt das unser tschechischer Kollege Koperni.« Ich schloß gequält die Augen. Die Warnungen meiner Geisterschwester hatten sich also bewahrheitet. »Kennst du Einzelheiten?« fragte ich. »Tessa und der Kollege sind einem Geisterschiff begegnet und wurden von einer Horde Ratten angegriffen. Sie sind gerade noch mit heiler Haut davongekommen. Tessa wurde übrigens von einer Ratte in die Hand gebissen.« »Und nach allem, was geschehen ist, läßt du sie weitermachen?« brauste ich auf. »Daß sie sich mit Verbrechern rumschlägt, beunruhigt mich zwar, aber ich kann damit leben. Aber wenn Mephisto seine Pratzen im Spiel hat, sind ihre Alleingänge noch gefährlicher!« »Sie hat darauf bestanden«, verteidigte sich der Hauptkommissar. »Du kennst sie doch. Wenn sie sich in einen Fall verbissen hat, läßt sie nicht mehr locker.« »Ja, ich weiß.« Wir flogen nicht nach Weimar, sondern in die Nähe von Zittau. Der Helicopter setzte uns bei der Zittauer Kripo ab, die uns einen Wagen zur Verfügung stellte. In einem Dorfgasthof an der deutsch-tschechischen Grenze warteten wir. Wir waren die einzigen Gäste. Die Wirtin brachte uns tschechisches Bier. »Hunger?« fragte Pit und rieb sich den Schaum von seinem buschigen Schnauzbart. »Ist mir vergangen.« »Nun nimm's nicht so krumm, Mark! Ich kann Tessa nicht wie ein kostbares Schmuckstück unter Verschluß halten. Sie ist nun 38
mal Polizistin, und die Gefahr ist ihr Job. Wenn sich Mephisto in den Kopf setzt, sie zur Zielscheibe seiner Bosheiten zu machen, kannst nicht mal du was dagegen unternehmen!« Er hatte recht. Aber es ging mir verdammt noch mal gegen die Hutschnur, daß meine Freunde immer wieder in meinen Kampf gegen die Hölle verwickelt wurden. Ein Wagen hielt vor dem Gasthof. Ein hochgewachsener Enddreißiger mit blondem Schnauzbart und kurzen, blonden Haaren, betrat die Gaststube und gesellte sich zu uns. Fit erhob sich und machte mich mit Stepan Koperni bekannt. Der Tscheche setzte sich und bestellte eine neue Runde. Pit und sein Kollege sprachen über Warfen, bis das Bier gebracht wurde. »Können wir dann mal zum Wesentlichen kommen?« forderte ich wütend. »Es geht um Tessa!« »Sie sollten sich beruhigen, Mark«, riet Koperni und prostete mir zu. »Hektik und Aufregung tun den Ermittlungen nicht gut.« »Es geht hier um meine Freundin und nicht um ein böhmisches Bier, das schal werden könnte!« »Ich habe großen Respekt vor Tessa. Sie hat mir das Leben gerettet.« Betretenes Schweigen breitete sich aus. »Pit erklärte mir, daß Sie so etwas wie ein Experte auf dem Gebiet des Übersinnlichen sind«, brach der Tscheche endlich das Schweigen. Ich nickte stumm. »Nun, Sie wissen, daß in den Ländern im Osten der Aberglaube eine lange Tradition hat. Die Alten, besonders in den Bergdörfern, glauben heute noch an Werwölfe, Hexen, Berggeister und Vampire.« Er hob seinen Arm, um eine neue Runde zu bestellen. Ich legte die flache Hand auf mein Glas. »Für mich nicht, danke. Können wir jetzt endlich zum Punkt kommen?« forderte ich ungeduldig. Der Tscheche nickte. »Sie wissen, daß Tessa mir zur Unterstützung in den Ermittlungen gegen einen Menschhändlerring zur Seite gestellt wurde. Als wir die Bande zerschlugen, flüchteten die Anführer in eine Burgruine in der Nähe des Bergdorfes Gabstejn.«
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Ich zuckte mit den Achseln. Der Fall interessierte mich nicht die Bohne. Mir ging es um Tessa und um die dämonische Gefahr, die ihr drohte. »Diese Burg wurde früher vom Geschlecht der Grafen Dohna zu Grafenstein bewohnt. Dieser Familie sagte man nach, daß sie Blutsauger waren. Vampire. Im Jahre 1679 wurde die Burg von beherzten Männern überfallen und die Familie ausgelöscht.« »Dann ist ja alles bestens. Wo liegt die Gefahr für Tessa?« unterbrach ich. Koperni holte tief Atem. »Als wir die Bandenführer stellten, drang Tessa bis in eine der umliegenden Kalkhöhlen vor und wurde dort von einer riesigen Ratte gebissen. Ich hatte das Tier nicht zu Gesicht bekommen. Am darauffolgenden Abend gingen wir essen. Zum Abschied.« »Sie scheinen sich ja mächtig um meine Freundin bemüht zu haben. Und? Waren Sie mit der Entwicklung des Abends zufrieden?« Der Tscheche überging meinen Zynismus. »Auf dem Rückweg in die Stadt tauchte auf der Neiße ein Geisterschiff auf. An Deck stand eine weißgekleidete Frau, die Tessa in ihre Gewalt bringen wollte, während ich von Ratten angegriffen wurde. Es war ein Meer von Ratten.« Ich musterte den Tschechen aus zusammengekniffenen Augen. Die Geschichte nahm eine Wendung, die mir überhaupt nicht gefiel. »Tessa war drauf und dran, der weißen Frau auf das Schiff zu folgen. Doch als ich um Hilfe schrie, fiel der Bann von ihr ab. Sie rettete mich vor dem Ertrinken. Am nächsten Tag reiste sie nach Deutschland. In Saalfeld soll ein Zweig des Reichenberger Verbrecherrings operieren. Tessa hat sich in den Kopf gesetzt, ihn zu zerschlagen.« »Tess macht eben keine halben Sachen«, meinte ich. »Wir reden hier von fast alltäglicher Polizeiarbeit. Wo ist der übersinnliche Aspekt des Falles?« »Nach Tessas Abreise habe ich den Schlupfwinkel der Bande auf Burg Grafenstein und in der Kalkhöhle untersuchen lassen. Dabei fanden wir eine Art natürlichen Steinsarg, tief im Kalk eingebettet. Er war leer. Doch im Sarg stießen wir auf einige kleine Blutstropfen. Dies erinnerte mich an die Ratte, die Tessa
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gebissen hatte. Das war ganz in der Nähe dieses Sarkophags gewesen.« »Moment«, unterbrach ich ihn. »Sie vermuten, daß jemand in dem Sarg gelegen hatte und mit Tessas Blut erweckt wurde?« Koperni nickte. »Ich bin keineswegs ein abergläubischer Spinner, Mark. Aber das Auftauchen des Geisterschiffes hatte nur den Zweck, Tessa an Bord zu nehmen. Und wenn damals, vor über dreihundert Jahren, nicht alle Dohnas vernichtet worden sind, hätten wir eine Erklärung, wer in dem Steinsarg gelegen haben könnte.« »Können Sie die weiße Frau beschreiben?« »Ich weiß nur, daß sie noch sehr jung ist. Zierlich, mit langem, schwarzen Haar. Mehr habe ich nicht erkennen können. Ich war mit den Ratten beschäftigt.« »Wenn es sich bei der Frau auf dem Schiff wirklich um eine Vampirin handelt und sie durch Tessas Blut erweckt wurde, ist es wahrscheinlich, daß sie es auf Tessa abgesehen hat«, überlegte ich halblaut. »Und ihr nach Deutschland folgt«, setzte Pit meine Überlegungen fort. »Richtig. Um sie zu einer Art Blutsschwester zu machen. Aber davon dürfte Tessa im Augenblick nichts ahnen.« Ich erinnerte mich an den Vorfall auf der A 24, als sich Sybill kurzfristig in eine Vampirin verwandelt hatte. Sollte das die Warnung sein, die mir meine kleine Schwester hatte zukommen lassen wollen? Ich war fast überzeugt davon. »Dann sollten wir uns beeilen und dieser Blutsaugerin zuvorkommen. Willst du dir noch die Höhle ansehen?« fragte Pit. Er spielte auf meinen Siegelring an. Mit ihm konnte ich feststellen, ob unserer Theorie zutraf und tatsächlich eine Untote in dem Steinsarg gelegen hatte. Der Ring würde die dämonische Ausstrahlung anzeigen, selbst wenn sie schwach war. »Ich glaube, das können wir uns schenken«, wehrte ich ab. »Versuche Tessa über Handy zu erreichen. Und dann nichts wie ab nach Saalfeld!« Pits Versuch, Tessa anzurufen, schlug fehl. Keine Verbindung. »Sehen's? Bei uns in Behmen ham so wos nur die Verbrecher. Aber die sind auch nicht zu erreichen. Saubären, mieserablige«, versuchte Koperni in tiefstem Böhmisch die Stimmung aufzulockern. 41
Ich mußte nun doch grinsen und reichte dem Tschechen die Hand. »Ich hatte vorhin eine Stinkwut. Nichts für ungut.« »Schon vergessen.« Als wir den Gasthof verließen, dudelte Pits Handy. Er lauschte, machte ein paar trockene Bemerkungen und steckte das Gerät ein. »Wir kommen zu spät«, meinte er. Ich spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich. »Ist was mit Tess?« »Die Saalfelder Kollegen haben die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Er wurde übel zugerichtet. Laut Gerichtsmedizin stammen die Bißwunden von Ratten. Aber es kommt noch schlimmer. Seine Freundin ist spurlos verschwunden.« »Jesus, Maria und Josef«, murmelte Koperni. Dem war nichts hinzuzufügen. * Auf den Betrachter machte das aus Klinkersteinen erbaute Einfamilienhaus einen eher unscheinbaren Eindruck. Die Fenster waren sauber und mit blütenweisen Gardinen geschmückt. Eine gepflegte Rasenfläche erstreckte sich sowohl vor als auch hinter dem Haus. Neben dem Gebäude befand sich eine Doppelgarage. Das Haus nahm eine Sonderstellung unter den übrigen Gebäuden in der Georg-Weerth-Straße im Saalfelder Ortsteil Garnsdorf ein. Es war erst vor eineinhalb Jahren gebaut worden, und man sah, daß hier jemand Geld hatte. Auch bei der Einrichtung war nicht gespart worden. Die Wohnräume im Erdgeschoß waren nobel ausgestattet, mit kostbaren Perserteppichen ausgelegt und mit zahlreichen wertvollen Antiquitäten und Gemälden verschönert. Der Keller wich völlig von der Norm ab. Einige Räume waren zu Gefängniszellen umfunktioniert worden. Es gab ein Foto- und Filmatelier, eine Folterkammer und eine Schwimmhalle. In einem Liegestuhl am Rand des Schwimmbeckens lag ein wohlbeleibter Mann und schaukelte ein Longdrink-Glas auf seiner Wampe. Neben ihm kauerten zwei halbnackte Tangamädchen und streichelten seinen rosigen, kaum behaarten Körper. Pavel Kollicka war Ende Vierzig und genoß das Leben in vollen Zügen. In seinem Haus veranstaltete er häufig freizügige Parties, 42
wobei er sehr viel Wert darauf legte, daß immer genügend hübsche, willige Mädchen für seine Gäste bereitstanden. Mit Mädchenhandel, Pornofilmen, Drogengeschäften, Waffenschieberei und Raubkopien verdiente Pavel sein Geld. Er schreckte vor nichts zurück. »Mischa!« brüllte er durch die Schwimmhalle. Ein glatzköpfiger Kleiderschrank löste sich am anderen Ende des Beckens aus den Umarmungen einer Blondine und wandte sich seinem Brötchengeber zu. »Sind die Filme für Boston im Kasten?« Der Glatzkopf nickte. »Klar, Chef. Wir haben sie heute morgen geschnitten. Soll ich eine E-Mail in die Staaten schicken und den Versand in die Wege leiten?« Kollicka grunzte zufrieden. »Schlag noch ein paar Tausender drauf. Das tut den Amis bestimmt nicht weh. Danach kannst du ein paar Runden im Pool drehen.« Mischa verließ die Schwimmhalle. Kollicka winkte der üppigen Blondine. Sie lief leichtfüssig um den Pool herum, blieb am Beckenrand stehen und schälte sich mit einem aufreizenden Lächeln aus ihrem Bikini. Kollicka ließ seine rosige Zunge über die Lippen gleiten. Er genoß jede Bewegung der nackten Blondine, die sich vor ihm auf dem Kachelboden räkelte. Niemand bemerkte die pechschwarze Kutsche, die sich fast lautlos dem Haus näherte. Wie ein riesiger Schatten rollte sie durch die Nacht. Der Kutscher lenkte die Karosse durch den Garten vor die Panoramascheiben der Schwimmhalle. Schnaubend scharrten die Rappen mit den Vorderhufen und bliesen feurigen Atem durch die Nüstern. »Alles erledigt, Chef«, meldete Mischa, als er in die Schwimmhalle zurückkehrte. Sein Blick galt der Blondine, die er jetzt auch gerne vernascht hätte. »In Ordnung. Mix dir einen Drink und such dir eines der Mädels aus. Und leg eine andere CD auf! Das Katzengejammer ist ja unerträglich!« Der Glatzkopf schritt zur Bar, mixte sich einen Cocktail und wählte eine CD mit Soul-Musik aus. Die rhythmischen Klänge erfüllten den Raum. Mischa schritt zu den Fenstern, wo über niedrigen Heizkörpern Sitzbänke angebracht waren. Hier wollte er seine Kleidung 43
ablegen, in den Pool tauchen und sich dann eine von den willigen Schönheiten schnappen. Es blieb bei dem Vorsatz. Als sich Mischa bückte, um den Drink auf der Bank abzusetzen, preßte sich das bleiche Gesicht eines Mädchens von außen gegen die Scheibe! Vor Schreck wich Mischa zurück. Das Glas entglitt seiner Hand und zerschellte auf den Fliesen. »Was hast du denn, zum Teufel?« brüllte Kollicka, der solche Störungen überhaupt nicht schätzte. »Sieh dir diese Sauerei an! Wisch es weg! Sofort!« »Hast du das Gesicht gesehen, Boß?« rief der Glatzkopf. »Spinnst du? Ich hab nur dich gesehen, wie du meine Schwimmhalle versaut hast!« Mischa schluckte und deutete zum Fenster. Er beugte sich vor, um durch die Scheibe in den Garten zu schauen. Es schien alles ruhig. Das bleiche Gesicht jedenfalls war verschwunden. Der Bodyguard schalt sich einen Einfaltspinsel und setzte sich mißmutig in Bewegung, um Eimer und Putzlappen zu holen. Da knallte die bleiche Fratze wieder gegen die Scheibe. Diesmal war der Mund weit aufgerissen und ließ die spitzen Vampirzähne deutlich erkennen. Mischa stieß einen Schrei aus, warf sich nach vorn und riß ein Schränkchen auf. Er zog eine Maschinenpistole und richtete sie auf die Scheibe. »Bist du jetzt übergeschnappt?« brüllte Kollicka. Mischa schüttelte den Kopf. Schweiß glänzte auf seinem kahlen Schädel, Tränen kullerten über seine Wangen. »Pijavica!« stieß er hervor, deutete auf die Fenster und wiederholte: »Pijavica!« »Was faselst du da? Es gibt keine Blutsauger! Das sind doch Ammenmärchen! Ich glaube, ich muß mich nach einem anderen Assistenten umsehen!« Mischa war völlig aus dem Häuschen. Er raste zu seinem Boß, drückte ihm die Pistole in die Hand und verriegelte die zweiflügelige Eingangstür der Halle. Dann wandte er sich wieder den Fenstern zu. Kollicka winkte seine Tangamiezen beiseite und drehte sich so, daß er die Tür im Auge behalten konnte. Er kippte den Rest seines Longdrinks in einem Zug hinunter. »Weißt du, Mischa, ich komme mir reichlich blöd vor. Da lasse ich mich von deiner Scheiß Angst anstecken und verkrieche mich wie eine widerliche
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kleine Kellerassel vor etwas, das es gar nicht gibt. Blutsauger, daß ich nicht lache!« »Aber es gibt sie, Boß! Draußen, im Garten!« Mischa entdeckte nun auch die schwarze Karosse. Mit einem Schrei fuhr er zurück. »Und die Kutsche ist auch da, Chef! Mit vier Pferden. Wie in den alten Geschichten. Glaub mir, da draußen ist eine Blutsaugerin!« »Quatsch! Du siehst eine altmodische Kutsche und ein geschminktes Weibsbild und hast die Hosen voll, Mann! Die werden es nicht wagen, hier reinzukommen. Und falls doch, empfangen wir sie gebührend und drehen einen Film mit deinen Blutsäugerinnen in der Hauptrolle. Das wird der erste echte Horror-Porno und bringt bestimmt eine Menge Kohle!« Jemand rüttelte an der Tür. Der Glatzkopf schrie und wich zum Beckenrand zurück. Pavel Kollicka richtete die Pistole auf die Tür. Das Rütteln hörte auf. »Ruf den Sicherheitsdienst an. Die sollen sich um die Sache kümmern. Wozu bezahl ich diesen Hosenscheißern einen Haufen Geld?« Mischa ging zu einem Wandtelefon, tippte eine Nummer und sprach hastig in den Hörer. Urplötzlich splitterte die dicke Scheibe. Ein faustgroßes Loch erschien, ein Arm schoß hindurch. Eine eiskalte Hand drückte Mischas Finger zusammen und zerbröselte den Telefonhörer. Der Glatzkopf starrte fassungslos auf die Plastikteilchen in seiner Hand, dann richtete er die MPi auf das Fenster und feuerte. Das Splittern der Scheibe und die Schüsse klangen ohrenbetäubend. Die Kugeln ließen das dicke Glas zerplatzen, rammten in Sarah Wilds Körper und stießen sie nach hinten. Die Vampirin wurde von den Beinen gerissen. Mischa feuerte schreiend, bis das Magazin leer war. Hastig schob er einen neuen Streifen in den Magazinschacht. Er sah, wie zwei uniformierte Männer einer privaten Wachund Schließgesellschaft über den Rasen hetzten. Sie hielten Revolver und Handschellen in den Händen. Langsam richtete sich die durchsiebte Vampirin auf und fauchte. Für Mischa wurde ein Alptraum Wirklichkeit. Wie in Zeitlupe verfolgte er das Geschehen.
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Die Vampirin packte einen Wachmann an der Kehle und stieß ihn gegen die Kutsche. Sein Kollege blieb wie vom Blitz getroffen stehen und hob den Revolver. Sarah Wildt ignorierte ihn und beugte sich zu dem Mann an der Kutsche nieder. Gleich darauf schaute sie auf und leckte über ihre blutverschmierten Lippen. Von ihrem Kinn tropfte Blut. Der zweite Wachmann erholte sich von seinem Schreck. Er trat vor und hob die Waffe. Sarah sprang hoch, packte ihn am Hals und brach ihm mit einem kurzen Ruck das Genick. Als Sarah ihm das blutverschmierte Gesicht zuwandte, wandte sich Mischa mit Grausen ab. Wie von Geisterhand öffnete sich die Tür der Schwimmhalle. Eine weißgekleidete Schönheit betrat den Raum. »Wer sind Sie?« stieß Pavel hilflos hervor. »Und was wollen Sie in meinem Haus? Sie sind hier unerlaubt eingedrungen.« »Ich bin Gräfin Lidja Dohna von Grafenstein«, stellte sich die Frau in Weiß vor. »Deine Gebieterin.« Pavel lachte schrill. »Der Witz ist gut! Hast du gehört, Mischa? Die Kleine will mir Befehle erteilen! Dabei bin ich es, der hier das Sagen hat!« Die Gräfin neigte den Kopf. »Ich weiß, was dir gefällt, Pavel. Du kriegst es, doch dafür wirst du mir gehorchen!« Sie streifte langsam ihr Gewand ab. Setzte sich nackt auf seinen Schoß und schmiegte ihren eiskalten Körper an ihn. Kollicka grinste breit. »Was sagst du dazu, Mischa? Das Weib meint es wirklich ernst!« Mischa konnte nichts mehr sagen. Starr vor Schreck schaute er zu, wie die nackte Gräfin seinem Boß den Kopf verdrehte. Entschlossen hob er die MPi, kam jedoch nicht mehr zum Schuß. Hinter ihm stellte sich Sarah Wildt auf die Zehenspitzen und hieb ihre Hauer in seine Halsschlagader. Mischa zog den Stecher durch. Die Geschoßgarbe stanzte Löcher in die Decke. Neonlampen zerplatzten. Mit taumelnden Schritten wankte er nach hinten, verlor das Gleichgewicht und stürzte zusammen mit der Vampirin ins Schwimmbecken. Der ungleiche Kampf setzte sich unter Wasser fort. Mischa gelang es, sich aus Sarahs Umklammerung zu befreien und eine Leiter zu erreichen, über die er aus dem Becken steigen konnte.
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Als er sich an den stählernen Seitenholmen hochzog, schoß Sarah aus dem Wasser und zerrte ihn zurück in die Fluten. Endlich erkannte Kollicka den Ernst der Lage. Er stieß die Blutgräfin von sich, hievte sich aus dem Liegestuhl und richtete die Pistole auf Lidja. »Ich brauche einen Platz, wo ich mich verbergen kann«, sagte die Gräfin ruhig. »Du wirst mir helfen. Und du wirst mich mit Blut versorgen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Dann, Pavel, wirst du unerschöpfliche Macht erhalten.« »Da pfeif ich drauf!« Der dicke Tscheche feuerte. Die Kugeln hieben in Lidjas schönen Körper, doch kein Blut strömte aus den Wunden. Sie lächelte immer noch, ging weiter auf ihn zu, und ihre Augen glitzerten dabei rot und gefährlich. Der Dicke wirbelte herum und trat die Flucht an. Vor seiner Nase schlossen sich die Türflügel mit einem Knall. Verzweifelt rüttelte Pavel an den Türgriffen, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. »Das war dumm, Pavel. Du solltest endlich einsehen, daß du dich zu fügen hast!« Kollicka fuhr herum. Lidjas schmale Hand schoß vor und packte ihn an der Kehle. Die zierlichen Finger schnürten ihm mühelos die Luft ab. »Gehorche, Pavel!« säuselte Lidja eindringlich. »Gehorche und bleibe am Leben. Weigere dich, und du wirst die Schmerzen, die du deinen Opfern zufügst, hundertfach am eigenen Leib verspüren!« Kollicka wußte, wann er verloren hatte. Er zappelte in Lidjas Griff, konnte sich aber ihrem zwingenden Blick nicht entziehen. Langsam öffnete sich seine Hand. Die Pistole klapperte zu Boden. Befriedigt ließ Lidja den Dicken los und wandte sich der nackten Blondine zu, die kurz zuvor für Kollicka gestrippt hatte. Sie zog den Kopf der Blonden nach hinten und biß ihr in den Hals. Labte sich genießerisch an ihrem Blut. Lidja blühte sichtlich auf. Die dunklen Schatten verschwanden aus ihrem Gesicht. Die Haut glättete sich zusehends, das Haar glänzte wieder. Die Wiedergängerin ließ von ihrem Opfer ab und ging zur Tür. Mit einem Satz tauchte Sarah Wildt aus dem Schwimmbecken auf und folgte ihrer Herrin.
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Wenig später rollte die Kutsche wieder durch die Nacht. Diesmal saß Pavel Kollicka neben den Blutsaugern und zeigte ihnen den Weg zu dem Unterschlupf, den er für sie auserkoren hatte. * Tessa Hayden hatte sich im Hotel Am Hohen Schwarm einquartiert. Das Haus lag direkt neben dem Wahrzeichen der Stadt Saalfeld, der Burgruine Hoher Schwarm. Im Jahre 1300 erbaut, hatte der Hohe Schwarm als stolze Burg und gräfliche Residenz über die Stadt gewacht, doch nach dem großen Brand im Jahre 1517 war sie zur Ruine zerfallen. Tessa fühlte sich in der unmittelbaren Nachbarschaft der Burgruine wohl, obwohl sie erst vor ein paar Monaten in der Ruine der Burg Frankenstein gegen die Blutbestien gekämpft hatte. (Siehe MH 28!) Komisch, wieso muß ich gerade jetzt an die Blutsauger denken? ging es ihr durch den Kopf, bevor sie sich auf den Weg zur Kripo machte. Tessa hielt sich nicht lange mit einem Rundgang durch den historischen Stadtkern auf. An einem Kiosk fiel ihr eine Schlagzeile in einem Boulevardblatt auf. BLUTTAT ERSCHÜTTERT SAALFELD! Tessa wollte schon vorbeigehen, machte dann jedoch kehrt und kaufte die Zeitung. Stirnrunzelnd las sie den Bericht über die Leiche eines jungen Mannes, die in der Nähe des Saaltors, des historischen Torturms, aufgefunden worden war. Der Gerichtsmedizin zufolge war der Mann offenbar von Ratten zerfleischt worden. Tessa fröstelte. Wenn das so weitergeht, verfolgen mich die Viecher noch im Schlaf. Sie faltete die Zeitung zusammen und setzte ihren Weg fort. Hauptkommissar Schmiedle paßte nicht in das Bild eines Kriminalbeamten. Er war Anfang Fünfzig, hatte schütteres, bereits ergrautes Haar und einen dünnen Schnurrbart. Das gestreifte Hemd mit dem weißen Kragen, die hellgraue Wollweste und die geblümte Fliege ließen ihn eher wie einen Studienrat erscheinen. »Ja, Grüß Gottle, Frau Kollegin«, begrüßte er Tessa in breitestem Schwäbisch. »Die Kollegen in Weimar habet Sie schon avisiert. Nehmet Sie Platz, Frau Kollegin. Öas ischt aber eine 48
Überraschung, daß so ein Sonnenschein meinen tristen Büroalltag erhellt!« Die Fahnderin grinste. Der Hauptkommissar war offensichtlich ein Charmeur alter Schule. Eilfertig rückte er ihr einen schlichten Stuhl vor dem Schreibtisch zurecht. »Die Schwaben sind ein zielstrebiges Volk, hab ich mir sagen lassen«, meinte Tessa. »Aber daß sie jetzt schon unsere Polizeidirektionen im tiefsten Osten infiltrieren, war mir neu.« »O, da gibt es mehr Landsleute von mir, als Sie denket, Frau Kollegin.« Schmiedle lehnte sich lächelnd zurück. Tessa akzeptierte dankend eine Tasse Kaffee. Schmiedle wurde ernst. »Was führt Sie zu mir, Frau Kollegin?« »Pavel Kollicka.« Tessa warf die Zeitung auf den Schreibtisch. Schmiedle verschluckte sich an seinem Kaffee. »Wollet Sie mir die gute Laune verderben, Frau Kollegin. Den Namen hör ich gar nicht gern.« Er deutete auf die Zeitung. »Und ich verstehe nicht, was der Tscheche mit diesem Mord zu tun haben soll.« Tessa berichtete von der Zerschlagung des Verbrecherrings in Reichenberg und dem Angriff der Ratten auf Stepan Koperni. »Ich komme also hierher, um den deutschen Zweig der Organisation abzuschneiden, und fast zeitgleich wird ein Mann von Ratten zerfleischt. Ein bißchen viel Zufall, finden Sie nicht?« »Ich bitte Sie, Frau Hayden. Noch steht überhaupt nicht fest, ob der Tote von Nagetieren angefallen wurde. Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Überleget Sie mal, wie viele Ratten nötig wären, um einen Menschen derart zuzurichten. Und bedenket Sie - es gibt keine Zeugen! Können Sie sich vorstellen, daß ein Mann von. einer Horde Ratten angefallen wird und wie am Spieß schreit, ohne daß jemand aufmerksam wird?« Was ich mit Mark schon erlebt habe, geht weit über Ihre Vorstellungskraft hinaus, mein Freund! Schmiedle deutete Tessas Schweigen als Zustimmung. »Na, sehet Sie. Und ich weiß immer noch nicht, was Kollicka mit dem Vorfall hier zu tun haben soll.« »Ich kann es Ihnen nicht erklären, Kollege. Es ist nur ein Gefühl, und darauf konnte ich mich bis jetzt immer verlassen.« »Hm.« Schmiedle schüttelte den Kopf. »Ihre Theorie kauft Ihnen kein Staatsanwalt ab, Frau Hayden. Was glaubet Sie, wie lang ich schon hinter dem Kollicka her bin? Der Kerl ist aalglatt.
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Wir kommen nicht an ihn ran. Und auch mit Hilfe des Toten da können wir ihm keinen Strick drehen.« »Was haben Sie über Kollicka herausgefunden?« Schmiedle legte die Fingerspitzen aneinander. »Nach außen hin betreibt er einen seriösen Im- und Export. Doch es gibt Hinweise, daß er seine Finger in so ziemlich jedem schmutzigen Geschäft hat, das sich ihm bietet. Er schwimmt in Geld, feiert lockere Parties, spendet hier und da für wohltätige Zwecke…« »Und trotzdem hat er Dreck am Stecken. Die Aussagen der Tschechen sind eindeutig. Sogar sein Vetter Miro hat gegen ihn ausgesagt. Das dürfte ja wohl genügen, um ihn festzunageln.« »Für die Tschechen vielleicht. Aber nicht für unseren Staatsanwalt, Frau Hayden. Da müssen schon richtige Beweise her.« Tessa fauchte. »Ich hab nicht mein Leben riskiert, damit ein Parasit wie Kollicka weiter ungestraft das Leben unschuldiger Mädchen zerstören darf. Ich sehe mich in Kollickas Haus um. Auch ohne Durchsuchungsbefehl.« »Das könnte gefährlich werden, Frau Kollegin«, meinte Schmiedle ernst. »Disziplinärmaßnahmen drohen.« »Aber es muß was getan werden!« »Sieht so aus, als war heut der richtige Tag dafür. Heilig's Blechle!« Tessa ließ sich das Aktenmaterial bringen, das die Abteilung Organisiertes Verbrechen über Pavel Kollicka zusammengetragen hatte. In der Gesellschaft des schwäbischen Hauptkommissars fühlte sie sich ausgesprochen wohl. Und Schmiedle schien es insgeheim auch zu gefallen, daß sich in der Angelegenheit Kollicka endlich etwas tat. Nach dem Essen in der Polizeikantine lud der Schwabe Tessa zu einem kurzen Stadtrundgang ein. »Hier hat man neulich den Jungen gefunden«, erklärte Schmiedle und führte die Fahnderin zu dem Parkplatz, auf dem Hanno Kaiser ein schreckliches Ende gefunden hatte. An einigen Stellen zeugten Blutspuren von den grauenvollen Ereignissen. Nachdenklich schaute Tessa über die Saale. Ruhig und friedlich lag der Fluß. Nichts deutete darauf hin, daß vor wenigen Stunden ein Geisterschiff an dieser Stelle angelegt hatte.
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Mit einem Espresso im Cafe am Markt beschloß der Hauptkommissar seine Stadtführung. »Sie haben sich offensichtlich gut im Sachsenland eingelebt«, meinte Tessa. »Na ja, es ist mit dem Ländle nicht zu vergleichen. Aber ich hätt's schlechter treffen können.« Tessa trank ihren Espresso aus. »Wo treffe ich Sie und Ihre Männer?« »Ich bringe niemanden mit.« »In Ihrem Alter noch Extratouren? Denken Sie an Ihre Rente, Herr Kollege.« »Wozu auf den Schmied warten, wenn der Schmiedle schon da ist? Nach der Devise hab ich immer gehandelt. Meine Jungs werden sich im Hintergrund halten. Zu zweit sind wir viel beweglicher. Und unauffälliger.« Kurz vor Mitternacht schob sich Schmiedle ein letztes Pfefferminzbonbon in den Mund und nickte Tessa zu. Sie saßen in einem dunkelblauen Ford Mondeo. Nur der schwache Schein einer Straßenlaterne erhellte ihre Gesichter, die im Schatten der Sonnenblenden lagen. Leise drückten sie die Türen auf, huschten über eine kleine Rasenfläche und verschwanden im Schatten von Büschen und Bäumen. Augenblicke später tauchten sie am Rand des englischen Rasens hinter dem Haus auf. »Wo gehen wir rein?« flüsterte Schmiedle. »Wir versuchen es dort vorn, bei den Panoramafenstern. Sieht aus wie eine Schwimmhalle. Wenn's dort nicht klappt, gehen wir von zwei Seiten um das Haus.« Der Hauptkommissar tastete nach seiner Pistole und nickte. »Packen wir's!« Sie jagten geduckt über den Rasen. Drückten sich zwischen den Fenstern der Schwimmhalle an die Wand. Vorsichtig spähte Tessa um die Ecke und bedeutete Schmiedle, daß alles in Ordnung war. Langsam glitten sie an den Fenstern vorbei. Und erreichten die zerschossene Scheibe. Die Schwimmhalle lag im Dunkeln. Alles war still. Tessa ging in die Hocke und untersuchte den Boden. Glasscherben lagen auf den Fliesen. Behutsam schob Tessa die Splitter zur Seite.
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Wenig später standen die beiden Ermittler am Beckenrand. Sie hasteten zur Tür der Schwimmhalle. Ein Türflügel war nur angelehnt. »Fast wie eine Einladung«, flüsterte der Schwabe. Tessa pflichtete ihm bei. Kollicka verwendete äußerste Sorgfalt darauf, seine Spuren zu verwischen. Die zertrümmerte Scheibe und die angelehnte Tür paßten nicht zu ihm. Irgendwas war hier oberfaul. Aber Tessa hätte nicht sagen können, was es war. Sie untersuchten die Räume im Kellergeschoß. Sahen die Zellen und das Filmstudio. Tessa schaltete ein Filmsichtgerät ein. Angewidert wandte sie nach den ersten paar Szenen den Kopf ab. »Bei uns in Schwaben geht der Kerle net mehr als Schwein durch. Das ist schon eine kapitale Wildsau! Heilig's Blechle aber auch! Und ich hab gedacht, ich hätt' schon alles gesehen.« Schmiedle schaltete den Apparat ab. Sie untersuchten die Räume im Erdgeschoß. Im Wohnzimmer und in Kollickas Arbeitszimmer sowie in der Küche herrschte eine verheerende Unordnung. Lebensmittel waren auf dem Boden verstreut. Tessa hielt den Schwaben zurück, als er die Küche betreten wollte. Sie hatte eine Bewegung neben dem Kühlschrank bemerkt. Im Lichtstrahl ihrer Bleistiftlampe sahen sie die fette Ratte, die zwischen verstreuten Küchenabfällen herumsauste und innehielt, als das Licht sie traf. Lauernd hob das Tier den spitzen Kopf und stierte die unerwünschten Besucher herausfordernd an. »Kollicka ist ein Ordnungsfanatiker. Ich verstehe nicht, wieso er in einem solchen Saustall haust!« Schmiedle kehrte ins Arbeitszimmer zurück. Hier waren Papiere auf dem Boden verstreut. Umgekippte Longdrink-Gläser lagen auf dem Schreibtisch. Zigarrenasche und -stummel hatten häßliche Flecken auf dem teuren Perser hinterlassen. Die beiden Ermittler durchsuchten den Schreibtisch, Aktenschränke, ein Ordnerregal. Und wurden fündig. »Bingo!« meinte Tessa, als sie ihrem Begleiter über die Schulter blickte. Schmiedle hielt eine Aufstellung in der Hand, auf der ein Teil der geschäftlichen Transaktionen verzeichnet war, die der Tscheche in den vergangenen Monaten abgewickelt hatte.
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»Jetzt zieh ich dem Hammel das Fell über die Ohren!« verkündete der Schwabe. Und er irrte sich gewaltig. Das Deckenlicht flammte auf. Jemand klatschte in die Hände. »Kompliment, Herrschaften. Mir war klar, daß ihr irgendwann mal auf den Gedanken kommen würdet, hier einzubrechen. Aber daß es so bald schon geschehen, würde hätte ich nicht gedacht. Sie können die Liste weglegen, Herrschaften. Sie ist wertlos für Sie. Die Spuren sämtlicher Transaktionen wurden beseitigt. Einschließlich möglicher Zeugen.« Tessa wirbelte herum und stand dem dicken Pavel Kollicka gegenüber. Doch wie sah der Tscheche aus? Er war total verwahrlost. Unrasiert. Am Mund waren Spuren vergangener Mahlzeiten zu erkennen. Das schmutzige Hemd war bis zum Bauchnabel geöffnet. Die verdreckte Jogginghose ging bestenfalls noch als Putzlappen durch. Das feiste Grinsen des Dicken brachte Tessa auf eine Idee, die ihr ganz und gar nicht gefiel. »Es war eine Falle, Schmiedle. Und wir sind hineingetappt. Die Liste war ein Köder.« »Sie verblüffen mich zusehends, meine Liebe. Leider haben Sie einen Begleiter mitgebracht. Aber das macht nichts. Wir werden eine angemessene Verwendung für ihn finden.« Kollicka klatschte laut. Durch eine verborgene Tür neben dem Kamin traten drei Männer, die Uniformen eines Sicherheitsdienstes trugen. Sie richteten ihre Waffen auf Tessa und Schmiedle. »In den Keller mit ihnen«, befahl Kollicka. »Die Gräfin wird entzückt sein.« In Tessas Kopf rasten die Gedanken. Welche Gräfin? Was faselt der Kerl denn da? Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Stepan Koperni, dessen Körper von Ratten übersät war. Ein Geisterschiff, an dessen Heck eine weißgekleidete Frau stand und ihr, Tessa, winkte. Die Ratte in der Küche. Die weiße Frau! Ob das die ominöse Gräfin ist? Und wenn ja, was will sie ausgerechnet von mir? Ohne Gegenwehr ließen sich die beiden Beamten in den Keller führen. Die Wachmänner öffneten eine Tür, die Tessa und Schmiedle zuvor entgangen war. Sie führte in einen Folterkeller! 53
Tessa sah einen Pranger, eine Streckbank, Ketten, Peitschen, Flaschenzüge, sogar einen Käfig mit Handschellen am Gitter. Ein Wachmann kam gerade vorbei, als Tessa explodierte. Sie rammte einem der Wachmänner ihren Fuß in den Bauch. Während er sich schmerzerfüllt japsend zusammenkrümmte und in die Knie brach, trat die Fahnderin ihrem zweiten Gegner die Waffe aus der Hand, packte ihn am Hals und zerrte ihn nach vorn. Rasch wickelte sie eine glitzernde Stahlkette um seinen Hals und zog den Flaschenzug stramm. Röchelnd versuchte der Wachmann, sich aus der improvisierten Schlinge zu befreien. Schmiedle griff ein, versetzte dem dritten Gegner einen rechten Haken, riß ihm die Beine unter dem Leib weg und brachte ihn zu Fall. Der Schwabe zerrte den Wachmann mit sich, legte ihn in den Pranger und schloß Hand- und Halsfesseln. Zuckend lag der Gegner in dem mittelalterlichen Folterinstrument und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Mit einem Handkantenschlag schickte Tessa ihren ersten Gegner ins Reich der Träume. Dann schloß sie die Tür der Folterkammer ab. »Ich schlage vor, wir verziehen uns«, meinte Schmiedle. »Einverstanden. Aber wir kommen wieder.« Sie traten den Rückzug durch die Schwimmhalle an. Und erstarrten, als sie die Halle betraten. Vor ihnen standen drei Frauen und lächelten sie an. Zwei von ihnen trugen Tangahöschen. Die dritte, eine üppige Blondine, war nackt. Sie alle waren bleich. Die Augen lagen tief in den Höhlen. »Kriminalpolizei!« rief Schmiedle im Befehlston. »Geben Sie den Weg frei!« Die Frauen reagierten anders als erwartet. Sie öffneten den Mund und fauchten. Und zeigten ihre Vampirhauer. »Du liebes Herrgöttle von Biberach«, entfuhr es dem Schwaben. »Angreifen, Schmiedle!« zischte Tessa. »Wir müssen sie aus dem Weg räumen!« Sie zog die Pistole und feuerte auf die drei Vampirinnen. Die beiden Kripobeamten stürmten vor. Schmiedle widerstrebte es, einer Frau Gewalt anzutun, aber hier hatte er keine Wahl. Es war reiner Selbsterhaltungstrieb. Er feuerte und hieb auf die
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Blutsaugerinnen ein, stieß ihre wohlgeformten, eiskalten Körper zur Seite. Eine Vampirin klatschte ins Wasser. Dann hatten die beiden Beamten das' Becken umrundet und näherten sich dem zerschossenen Fenster. Dicht gefolgt von den beiden Dämoninnen. Mit einem gewaltigen Satz schnellte sich eine breitschultrige, muskulöse Gestalt aus dem Becken, packte Schmiedle und zerrte ihn mit sich. Tessa starrte einen Augenblick in das haßverzerrte, bleiche Gesicht des Glatzkopfs, dann war er mit dem Schwaben verschwunden. »Gegen dich hab ich keine Chancen, King Kong«, murmelte Tessa und versetzte einer Blutsaugerin einen Karatetritt, der sie über den Beckenrand beförderte. Während Tessa mit der nackten Blondine rang und ihr die Pistole zwischen die Vampirzähne rammte, klangen dumpfe Schüsse aus dem Becken. Schmiedle feuerte unter Wasser auf die Vampire! Sekunden später tauchte er prustend auf. »Helfen Sie mir raus, Tessa!« rief er. Neben ihm tauchte die Blondine, die durch Tessas Kugel den halben Schädel verloren hatte, ins Wasser. Die Fahnderin reichte Schmiedle ihre Hand und zog ihn aus dem Becken. Keuchend und schwitzend hasteten die beiden über den Rasen. Sie mußten so rasch wie möglich den Wagen erreichen. »Ich rufe meine Jungs!« stieß Schmiedle hervor. »Dem Tschechen heizen wir ein.« »Gegen Vampire hilft nur geweihtes Silber, Weihwasser oder ein Eichenpflock…« Hinter ihnen wieherten Pferde. Tessa wirbelte herum. Eine pechschwarze, von vier Rappen gezogene Kutsche näherte sich in rasendem Tempo. Auf dem Kutschbock saß der glatzköpfige Muskelprotz und bleckt die Vampirzähne. Hell leuchtete sein bleiches Gesicht in der Dunkelheit. Es wurde ein hartes Rennen, aber Tessa und Schmiedle schafften es. Sie warfen sich in den Ford. Die Kutsche war dicht hinter ihnen. Tessa rammte ein neues Magazin in ihre Waffe.
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Schmiedle fummelte mit zitternden Fingern den Zündschlüssel ins Schloß. »Tempo!« brüllte Tessa und richtete die Waffe auf die Heckscheibe, um auf die heranjagende Kutsche zu feuern. Ein lautes Wiehern, ein Knirschen, ein Knall! Das vorderste Zugpferd war gegen die offene Fahrertür gerannt, hatte sie abgerissen. Haarscharf ratterte die Kutsche am Mondeo vorbei. Wendete und jagte wieder auf sie zu. Schmiedle ließ den Motor aufheulen. Die Reifen drehten auf dem Asphalt durch, qualmten. Der Wagen schoß vor und krachte frontal gegen die Kutsche. Mit verbeultem Blech und dampfendem Kühler jagte Schmiedle den Wagen durch die stillen Straßen, raste Richtung Innenstadt. »Sie folgen uns! Schneller!« rief Tessa. Die Kutsche hatte keinen Schaden genommen. Sie holte auf. Der Hauptkommissar jagte die Sonneberger Straße entlang Richtung Saale. Am Oberen Tor riß er das Steuer nach links, schlitterte in die Obere Straße und knallte gegen eine gußeiserne Straßenbegrenzung. »Raus!« brüllte er. »Wir flüchten zu Fuß weiter!« Ihre Schritte hallten durch die verwinkelten Straßen der Altstadt. Immer wieder blickten sie sich gehetzt um, bis sie den Marktplatz erreichten und sich keuchend an einer Sitzbank abstützten. Tessa sah die Kutsche zuerst, die dann an dem Mondeo vorbei und über das Kopfsteinpflaster holperte. Am Rande des Marktplatzes verhielt' der Kutscher die Pferde. Tessa hob die Pistole. Der Wagonschlag öffnete sich. Ein bleiches, molliges Mädchen sprang aus der Kutsche, drehte sich um und reichte jemandem die Hand. Und dann stand sie vor ihnen. Bildschön, schwarzhaarig, ganz in Weiß gekleidet. »Willkommen, Schwester!« begrüßte sie die Fahnderin. »Es freut mich, daß du meinem Ruf gefolgt bist. Du wirst mit mir kommen. Gemeinsam werden wir in den nächsten Tagen die Stadt beherrschen. Und danach das ganze Land. Du gehörst zu mir. Dein Blut ist mein Blut. Dein Leben ist mein Leben. Komm!«
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Tessa schrie wild und feuerte, obwohl sie wußte, daß ihre Kugeln wirkungslos waren. Die Frau in Weiß fauchte wütend. »Warum sträubst du dich? Du wirst deinem Schicksal nicht entgehen, Tessä Hayden! Ich habe das Land beherrscht, in dem deine Jugendfreunde leben. Es ist unser Schicksal, daß dein Blut in meinen Adern fließt. Nun werden wir gemeinsam deine Heimat und mein Heimatland beherrschen!« Tessa wich zurück. »Geh zur Hölle, Blutsaugerin!« Schmiedle stellte sich schützend vor die Fähnderin. »Was willst du, Wicht? Du wagst es, mir, Gräfin Lidja Dohna zu Grafenstein zu trotzen? Nun, wir werden sehen, wie weit dein Mut geht, Menschen wurm!« Die Gräfin hob beide Arme und ließ sie blitzschnell sinken. Mit einem Mal kam kalter Sturmwind auf, der den beiden Polizisten arg zusetzte. Sie hörten das Getrappel, das rasch lauter an. Ein breiter Schatten huschte rasch durch die Gassen, direkt auf sie zu. Tessas Augen weiteten sich. Sie wußte, was auf sie zukam. »Hau ab, Kollege!« schrie sie. »Sie reißen dich in Stücke!« Schmiedle verstand nicht, bis er die vorderste Reihe des anstürmenden Rattenheeres sah. Und in die rotglühenden Augen der katzengroßen Ratte starrte. Augen, die einen furchtbaren Tod verhießen… * Ich hatte über Handy meinen Vater in Weimar angerufen. »Na, wie war's auf der Messe?« fragte er zur Begrüßung. »Es ist wirklich wunderbar, daß mich jeder an diese blöde Sexmesse erinnert«, maulte ich. »Was willst du hören? Daß ich im Schlaf nur noch wippende Busen sehe und mindestens ein halbes Dutzend Sexsternchen vernascht habe?« »Hast du?« »Die Damen waren anderweitig beschäftigt. Eine hab ich nach Hause gefahren und mich dabei mit einem Dämon angelegt. Übrigens, mein Schwesterlein hat sich wieder mal gemeldet. Und deswegen rufe ich dich an.« Nach einer Begegnung mit Mephistos Schergen vor zehn Jahren, bei der er von seinem Urahn Balthasar Höllemann schwer verletzt 57
worden war, hatte sich Ulrich Hellmann vom aktiven Polizeidienst zurückgezogen. (Siehe MH 51!) Die Ereignisse jener schicksalhaften Nacht, bei denen mein Vater eine Versteifung an der linken Hand und am rechten Bein davongetragen hatte, waren mir erst seit kurzem bekannt. In den vergangenen Jahren hatte sich Vater der Parapsychologie gewidmet. Die Bücherregale in seinem Arbeitszimmer bogen sich unter den OkkultismusWälzern. Mein Vater war ganz Ohr. Ich schilderte ihm meine Vermutung, daß Tessa im Begriff war, in den Bann einer tschechischen Vampirgräfin zu geraten. »Du sagst, die Gräfin hat Tschechien verlassen?« »Aller Wahrscheinlichkeit nach. Ich schätze, sie ist bereits in Saalfeld oder der näheren Umgebung und für den Tod eines jungen Mannes verantwortlich.« »Hat sie ihn ausgesaugt?« »Nein. Die Polizei geht davon aus, daß er von Ratten zerfleischt wurde.« Ich zögerte. »Da fällt mir ein, als mich dieser Dämon auf der Autobahn angegriffen hat, habe ich auch Ratten gesehen. Und einen Mann, der mit einem Schwert gegen sie gekämpft hat. Dürfte ungefähr in meinem Alter gewesen sein. Er trug Kleidung aus dem achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert. Und Schwesterchen hat einen kleinen Kaiser mit einer komischen Locke erwähnt. Damit dürfte Napoleon gemeint sein. Ich weiß noch nicht, wie das alles zusammenhängt, aber primär geht es um Tessa.« »Nun, es ist wohl davon auszugehen, daß Tessas Blut die Vampirin zum Leben erweckt hat. Wegen der Verbindung zu Napoleon forsche ich nach. Hast du noch Einzelheiten über die Gräfin?« »Nur, daß sie ziemlich jung sein soll und ganz in Weiß gekleidet ist.« »Das ist dürftig. Aber irgendwas wird sich schon finden lassen.« »Gut. Wir fliegen nach Saalfeld. Ich kann nur hoffen, daß wir nicht zu spät kommen.« »Viel Glück, Junge. Bring Tessa heil zurück. Du weißt, wieviel sie deiner Mutter und mir bedeutet.« »Nicht nur euch, Vater. Bis bald.« »Bist du soweit?« fragte Pit. »Klar. Aber ich habe meinen Einsatzkoffer nicht dabei.« 58
Pit strahlte bis über beide Ohren. »Wozu hat Pit Langenbach einen Schlüssel zu deiner Wohnung?« »Ich habe dir keinen gegeben.« Pit zog ein Einbrecherbesteck aus der Tasche. »Ein Profi hat für jedes Schloß den passenden Schlüssel.« Ich verabschiedete mich von Stepan Koperni. Auch Pit drückte ihm die Hand. Der Tscheche wünschte uns Glück. Im Heli entnahm ich dem Koffer alles, was man zur Bekämpfung von Vampiren brauchte. Magazine mit geweihten Silberkugeln, meinen armenischen Silberdolch, Weihwasserphiolen, Kruzifixe aus geweihtem Rosenholz und einen Rosenkranz. Ich teilte die Munition, das Weihwasser und die Holzkreuze zwischen uns auf. Über Funk kündigten wir unsere Ankunft bei der Saalfelder Kripo an und wurden zum Krankenhaus verwiesen, auf dessen Heliport wir landeten. Ein junger Kommissar wartete mit einem Dienstwagen auf uns. »Wohin darf ich Sie bringen, Herr Hauptkommissar?« »Abteilung Organisiertes Verbrechen. Ich nehme an, Kommissarin Hayden hat sich dort gemeldet.« Dann ein kurzes Telefonat. Der Beamte nickte und fuhr los. Als wir uns der Innenstadt näherten, schaute er zu Pit am Beifahrersitz. »Ich wurde gerade darüber informiert, daß Kommissarin Hayden zusammen mit Hauptkommissar Schmiedle im Einsatz ist.« Pit drehte sich zu mir um. »Hast du gehört? Dein Herzblatt riskiert mal wieder Kopf und Kragen. Diese Extratouren müssen aufhören, verdammt! Die kann was erleben!« Wir rollten durch eine ruhige Straße, als der Fahrer plötzlich eine Vollbremsung hinlegte. »Mist! Diese Viecher werden immer unberechenbarer. Habt ihr das gesehen?« Ich hatte mir durch den Ruck den Kopf gestoßen. »Was sollen wir gesehen haben?« fragte ich sauer. »Na, die Ratte! Ein Riesenvieh. Lief quer vor mir über die Straße.« Pit und ich wechselten bedeutsame Blicke. »Wo ist sie langgelaufen?« Der Fahrer deutete nach links. »Und wo kommt man da hin?« »Zum Marktplatz.« 59
Ich hieb auf die Lehne des Fahrersitzes. »Worauf warten Sie noch, Mann! Zum Marktplatz!« Wir rasten durch die nächtliche Stadt. Der Fahrer trieb den Wagen durch enge Straßen, schlitterte mit kreischenden Reifen um scharfe Kurve und wurden durch eine weitere Vollbremsung beinahe aus den Sitzen gelupft. »Meine Güte. Das wird ja immer schlimmer. Da kommen wir nie durch!« Die Stimme des Fahrers war nur noch ein Flüstern. Vor uns erstreckte sich eine Flut zuckender, wuselnder Leiber. Ratten! Inmitten des Rattenstroms bemerkte ich eine schwarze Kutsche und eine weißgekleidete Frauengestalt. Weiter vorn, am Marktplatz, erkannte ich Tessa und einen mir unbekannten Mann, die sich den Nagern entgegenstellten. Gleichzeitig erwärmte sich mein Siegelring und begann zu strahlen! Ich schwang mich aus dem Wagen, riß den Silberdolch aus dem Gürtel und rannte nach vorn. Undeutlich sah ich, wie sich die ersten Nager auf Tessa und ihren Begleiter stürzten. »Teesssaaa!« brüllte ich und sprang mit einem gewaltigen Satz zwischen die Tiere. * Schmiedle eröffnete das Feuer, als sich die ersten Ratten vom Boden abstießen. Seine Kugeln fetzten in die pelzigen Leiber und trieben die Nager zwischen ihre nachstürmenden Artgenossen. Die getroffenen Tiere wurden einfach überrannt und waren nicht in der Lage, den Strom der Nager aufzuhalten. Auch Tessa feuerte, doch es war ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie konnten dem Ansturm der Ratten nicht standhalten. Die Fahnderin stieß einen spitzen Schrei aus, schlug und trat um sich. Übelkeit stieg in ihr hoch. Sie zitterte am ganzen Leib. Schmiedle spürte die scharfen Nagezähne durch seine Kleidung und seine Haut dringen. Die Tiere bissen sich an ihm fest, krabbelten immer höher. Versuchten, seinen Hals und das Gesicht zu erreichen. 60
Der Hauptkommissar taumelte. Im Nu war er mit pelzigen Leibern bedeckt. Er schützte sein Gesicht und den Hals mit den Händen. Schmerzhaft bohrten sich Rattenzähne in seine Handrücken. Er fiel auf die Knie. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihn die Ratten zu Fall gebracht hatten. Sie würden ihn bis auf die Knochen abnagen. »Teesssaaa!!« Der Schrei schallte über den Platz. Das ist Mark! Hoffnung keimte in Tessa auf. »Halten Sie durch, Schmiedle! Hilfe ist da!« Schmiedle reagierte nicht. Er bekam auch nicht mit, wie hinter ihm und Tessa die Luft flimmerte. Ein grelles Leuchten glitt über den Marktplatz. Mit einem Mal wimmelte es auf dem Platz von Menschen. Es waren schemenhafte Gestalten, die von einem jungen Mann mit kurzen Haaren angeführt wurden. Ein Lächeln spielte um die Mundwinkel. Er trug ein blütenweißes Rüschenhemd, beige Leinenhosen, eine breite, bordeauxrote Schärpe. Die polierten Stiefel reichten ihm bis zum Knie. Der Mann schwang ein Schwert über dem Kopf. »Zuumm Aanngriff!!« brüllte er. »Gebt es diesem Geschmeiß, Soldaten!« Tessa bemerkte, wie die Ratten sie nach vorn drängten. Sie sollen mich zur Kutsche bringen! erkannte sie die Absicht der Nager. Das Angriffsgeschrei der Soldaten nahm sie nur am Rande war. Sie sah die strahlende Gestalt des jungen Recken, der säbelschwingend den Ratten entgegenstürzte. Die scharfe Klinge wütete furchtbar unter den Nagern. Schemenhafte Soldaten warfen sich mit Säbeln und Bajonetten auf die Tiere. Tessa konnte nur wenige Einzelheiten erkennen. Hier und da einen Reiterstiefel. Dort den Teil einer Uniform. Einen Helm. Einen Tornister. Sie versuchte, Schmiedle zu helfen, doch die blutdurstigen Ratten sprangen nun auch sie an. Schüsse peitschten auf. Mark feuerte auf die Ratten, um sich einen Weg zu ihr zu bahnen.
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»Elender!« brüllte die Frau in Weiß. »Du wagst es, dich erneut einzumischen? So wie damals, als wir uns schon einmal gegenüberstanden!« Fasziniert beobachtete Tessa, wie sich der strahlende Recke vor der weißen Frau verbeugte und sein Schwert zum Gruß hob. »Sie wird auch diesmal kein Glück haben«, erwiderte er in der dritten Person. So haben sie doch vor Jahrhunderten geredet, fiel Tessa ein. »Aaahh, du hättest damals schon zur Hölle fahren sollen, Wurm!« Die zierliche Frauengestalt ballte die Fäuste und stampfte auf dem Boden auf wie ein zorniges Kind. Der Recke zuckte mit den schmalen Schultern und drosch weiter auf die Nager ein. »Bringt sie mir!« brüllte die weiße Frau. »Ich will sie haben!« Tessa erhielt einen heftigen Stoß. Die Ratten drängten sie nach vorn. »Nein! Laßt mich! Ich will nicht!« schrie die Fahnderin. Sie klammerte sich an der Sitzbank fest. Die weiße Frau streckte ihr die Arme entgegen. Komm zu mir! Wir gehören zusammen! Der Gedankenbefehl füllte ihren Kopf aus. Ein Ruck ging durch Tessas Körper. Langsam löste sich ihr Griff von der Bank. Undeutlich hörte sie Mark schreien. Und auch der unbekannte Recke rief. Er wirbelte herum, sprang über die Ratten hinweg und war mit wenigen Sätzen bei Tessa. Legte seinen Arm um sie. »Sie braucht keine Angst zu haben! Ihr wird nichts geschehen!« Tessa wachte für einen Moment aus ihrer Trance auf. »Schmiedle. Helfen Sie ihm!« Der Recke hieb auf die Ratten ein, die den Hauptkommissar bedeckten. Zuckend fielen die Leiber von dem Polizisten ab. Blutend und stöhnend wälzte er sich auf dem Boden. »Paß auf - dich auf - Madie!« Laß dich nicht von diesem falschen Hund verleiten! Befreie dich aus seinen Armen! Komm zu mir! Tessa wehrte sich gegen die Umarmung des Recken. Ihr gesamtes Denken war von Lidjas Gedankenbefehl beeinflußt. »Bitte vielmals um Verzeihung, aber Sie wird es verstehen.« Der Recke versetzte Tessa einen Fausthieb gegen die Schläfe. Als sie gegen seine Brust sackte, drehte er sich im Kreis und löste sich langsam auf. 62
Hauptkommissar Schmiedle schaute verwirrt zu, wie sich Tessa und der Lockenkopf in Luft auflösten. Eine gnädige Ohnmacht erlöste ihn von dem erneuten Ansturm der Nager. * Ich kämpfte. Die Rattenleiber vergingen unter meinem Silberdolch. Weihwasser brannte Löcher in die Pelze. Es war wie damals, als ich in der Berliner Charite mit dämonischen Nagern konfrontiert worden war. (Siehe MH 21!) Ich hatte ungefähr die Hälfte des Weges zu Tessa zurückgelegt, als ich die schemenhaften Soldaten bemerkte, die vom Marktplatz her gegen die Ratten vorgingen. Wo kamen diese Geistergestalten so plötzlich her? Ich fand keine Erklärung für das Phänomen. Aber mir fiel der strahlende Lockenkopf auf, der den Geistersoldaten voranschritt und unter den Ratten aufräumte. Das war der Mann, den ich in der Nebelwand auf der A 24 gesehen hatte! Mit neuem Feuereifer kämpfte ich mich durch das Rattenheer. Aber es war hoffnungslos. Erledigte ich eines der dämonischen Tiere, nahmen sofort zehn andere seinen Platz ein. Schon hingen die ersten Tiere an mir. Blut schoß aus unzähligen Bißwunden, vermischte sich mit meinem Schweiß. Verbissen kämpfte ich weiter. Ich gab nicht klein bei und wußte, daß Pit in einer ähnlichen Lage war. Auch er mußte bereits zahlreiche Bißwunden abbekommen haben. Aber auch er würde weitermachen. Bis zum bitteren Ende. Während ich mich durch den Strom der Nager drängte, sah ich, wie der Lockenkopf meine Tessa in den Arm nahm und ihr gleich darauf einen Schlag verpaßte. »Verdammter Mistkerl!« brüllte ich und riß meine Pistole hoch. Aber ich konnte nicht feuern, aus Angst, Tessa zu treffen. Der Lockenkopf neigte lächelnd sein Haupt und war im nächsten Augenblick verschwunden. Und Tessa mit ihm! »Nein, verdammt! Nein!« brüllte ich und legte einen Zahn zu. Ich passierte die Kutsche, arbeitete mich mechanisch nach vorn. 63
»Du kommst zu spät, Wurm. Sie hat sich meinem Einfluß entzogen. Aber ihr werdet mit dieser Stadt dafür büßen, daß ihr mich von meinem Ziel abbringen wolltet!« Zornentbrannt wirbelte ich zu der Frau in Weiß herum. »Wer bist du?« brüllte ich. »Hier steht Mark Hellmann, der Kämpfer des Rings! Nenn mir deinen Namen, verdammte Höllenbrut!« »Noch ein Recke, der mir trotzt? Noch ein strahlender Prinz, der sich seiner Sache gewiß ist? Nun, ich bin Gräfin Lidja Dohna zu Grafenstein. Merke dir den Namen gut, Mark Hellmann! Es wird mir ein Vergnügen sein, dich leiden zu sehen und um Gnade winseln zu hören!« Die Gräfin bleckte lachend ihr Vampirgebiß, schwang sich in die Kutsche. Die Karosse wendete und ratterte davon. Wie auf ein unhörbares Kommando zogen sich die Ratten zurück. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Und auch die Geistersoldaten lösten sich in Luft auf. Bald standen Pit und ich allein auf der Straße. Auf dem Marktplatz lag eine reglose Gestalt. Ich rannte zu dem blutüberströmten Mann. Pit rief über Handy einen Krankenwagen. Ich tätschelte die Wangen des Mannes. »Können Sie mich hören?« fragte ich. Der Verletzte stöhnte. »Das ist Hauptkommissar Schmiedle«, erklärte der Fahrer, der hinter mir auftauchte. Pit kauerte neben mir. Das Opfer sah furchtbar aus. Die Ratten hatten seinen Händen und seinem Körper übel mitgespielt. Mein Ring leuchtete noch ziemlich stark. Ich schrieb mit dem Lichtstrahl die Rune für das Wort Heilung quer über Schmiedles Körper und versah auch Pit und mich mit dem magischen Befehl. Von fern war das Martinshorn des Krankenwagens zu hören. Ich ließ mich enttäuscht auf die Bank sinken. »Wenn ich nur wüßte, wer der Geisterkerl war, der Tessa mitgenommen hat. Und wo sie jetzt sind.« Pit legte mir die Hand auf die Schulter. »Vielleicht findest du morgen einen Hinweis in der Stadtchronik.« »Ich kann nicht so lange warten, verdammt! Ich kann nicht die halbe Nacht tatenlos rumsitzen.« »Ich wollte, ich könnte dir helfen, Mark.«
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Schweigend sahen wir den Sanitätern zu, wie sie Schmiedle in die Ambulanz verfrachteten. Ich zog das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer meines Vaters. Es dauerte nicht lange, bis sich Ulrich meldete. »Ich dachte mir, daß du es bist«, meinte er. »Was gibt's Neues?« »Dieser Lockenkopf, den ich in der Vision des Autobahndämons sah, hat Tessa entführt. Ich habe keinen blassen Schimmer, wer er ist oder wo er sich aufhält.« »Ich kann dir vielleicht helfen. Es ist zwar nur eine vage Vermutung, aber besser als nichts. Du weißt, daß deine Schwester einen Ort erwähnt hat, an dem viele Männer durch die Schuld Napoleons gestorben sind. Also, in der Nähe von Saalfeld kam es am 10. Oktober 1806 zu einer Schlacht zwischen preußischen und französischen Truppen. Die Preußen wurden vernichtend geschlagen. Die Beschreibung des Lockenkopfes, der Tessa mitgenommen hat, paßt auf den Preußenprinz Louis Ferdinand.« »Wie sicher sind diese Angaben?« »Historisch belegt. Aber Napoleons Truppen waren damals in ganz Sachsen stationiert, bis runter zur böhmischen Grenze. Das Scharmützel, von dem deine Schwester sprach, kann überall stattgefunden haben.« Ich überlegte kurz. »Es ist der einzige konkrete Hinweis, den wir haben. Ich versuch's.« »Ich suche inzwischen weiter. Wenn du keinen Erfolg hast, wirst du ja sicher morgen früh zu erreichen sein.« Mit schleppenden Schritten überquerte ich den Marktplatz, kniete unter einem Baum in der Nähe des Rathauses nieder und aktivierte den Siegelring an dem siebenzackigen Mal auf meiner Brust. Der Ring sandte einen grellen Lichtstrahl aus. Ich schrieb Tessas Namen und die Rune für das Wort Suche! auf den Boden. Nach wenigen Sekunden war auf dem Boden die Zahl 1806 zu lesen. Treffer. Nun schrieb ich mit dem Lichtstrahl die Rune für das Wort Reise daneben und konzentrierte mich auf Tessa, den Lockenkopf und die Jahreszahl.
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Wie durch einen Schleier sah ich Pit auf mich zustürzen und wild mit den Armen fuchteln. Er wollte mich wohl begleiten, aber dafür war es zu spät. Himmlische Klänge erfüllten die Luft. Spektralfarben flossen vor meinen Augen ineinander. Der stilisierte Drache auf meinem Ring wuchs ins Unermeßliche und riß den Rachen auf, um mich zu verschlingen. Kopfüber stürzte ich in den Schacht, der mich durch Raum und Zeit führen sollte… * Blinzelnd schaute sich Tessa um. Stöhnend rieb sie sich den schmerzenden Nacken. Ihr Blick fiel auf hohe, weißgetünchte, mit Stuck verzierte Wände. Zahlreiche Gemälde waren zu sehen, teilweise in Goldrahmen. Die Künstler hatte großen Wert auf Details gelegt. Man sah Jagdszenen, Familien beim Picknick und badende Schönheiten. »Ich hoffe, Ihr gefällt es hier. Nun, ich fühle mich hier ausgesprochen wohl. Schade, daß ich diesen Ort so bald verlassen muß.« Tessa kannte die wohlmodulierte Stimme. Sie erinnerte sich an den gutaussehenden Recken, der ihr auf dem Saalfelder Marktplatz beigestanden hatte. »Wo bin ich?« fragte sie leise. Sie lag auf einem wertvollen blauen Sofa. »Im ovalen Zimmer. So jedenfalls nenne ich es.« Tessa drehte sich um. Hinter einem verzierten Schreibtisch und neben einem hochlehnigen, roten Polsterstuhl stand er. Die Fahnderin wälzte sich vom Sofa. »Wer sind Sie?« Der Lockenkopf verneigte sich und trat vor. Jetzt erst bemerkte Tessa, daß er sich in Schale geworfen hatte. Er trug jetzt weiße Leinenhosen, eine goldene Schärpe, ein Säbelgehänge und einen tiefblauen Frack mit Stehkragen und goldenen Schulterlitzen. An der linken Brust prangte ein strahlender Stern, in dessen Mitte der Preußische Adler seine Schwingen ausbreitete. »Louis Ferdinand. Prinz von Preußen«, stellte er sich vor. »Ups!« Tessa schluckte und versuchte einen Hofknicks. Der Prinz schmunzelte. »Und mit wem habe ich die Ehre?« »Tessa Hayden. Kommissarin bei der Weimarer Kripo.« 66
Louis Ferdinand runzelte die Stirn. »Kommissarin? Ein seltsamer Titel für eine schöne Frau. Sie stammt also aus der Dichterstadt?« »Ja. Ich bin dort bei der Polizei.« Der Prinz hob eine Augenbraue. »Eine Agentin? Fürwahr, ich muß mich glücklich schätzen, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich hätte nie gedacht, daß die Geheimpolizei solch hübsche Wesen in ihren Reihen hat.« Er räusperte sich. »Ist Sie durstig? Verspürt Sie Hunger? Ich lasse Ihr die köstlichsten Speisen kommen.« »Danke, Hoheit.« Der Titel kam Tessa nur schwer über die Lippen. »Und das hier ist wohl Ihr Schloß?« Der Prinz schüttelte lächelnd den Kopf. »Leider nein. Es ist das Residenzschloß der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. Ich habe hier für die Dauer des Feldzuges Quartier bezogen.« »Befinden wir uns im Krieg?« »Nun, zumindest Bonaparte denkt, daß wir Krieg haben. Ich bin hier, um seinen Vormarsch gen Böhmen aufzuhalten.« Es wurde an die Tür geklopft. »Entree!« rief der Prinz. Ein kleines Männchen mit schütterem Haar und schmalem Gesicht betrat den Raum. Auch er trug eine Uniform, an der zahlreiche Orden prangten. Der Besucher verneigte sich und trat zu dem Prinzen, um ihm etwas zuzuflüstern. »Es ist gut.« Louis Ferdinand drehte sich zu Tessa um. »Darf ich Ihr Generaladjutant von Nostitz vorstellen? Er wird dafür sorgen, daß es Ihr an nichts mangelt. Mich muß Sie jetzt leider entschuldigen. Ich höre gerade, daß meine Avantgarde eingetroffen ist. Ich muß die Einrichtung des Heerlagers beaufsichtigen.« Der Generaladjutant verneigte sich vor Tessa. Sie bestellte etwas zu essen und Kaffee. Es dauerte nicht lange, bis von Nostitz das Gewünschte bringen ließ. »Was, bitte, ist eine Avantgarde?« fragte Tessa, während sie kräftig zulangte. »Verzeihung. Ich vergaß, daß Sie wohl von Militärbelangen keine Ahnung hat. Eine Avantgarde ist eine Heereseinheit, die aus zwölf Bataillons und fünfzehn Eskadronen besteht. In diesem Falle befehligt Seine Hoheit die Truppen des Fürsten von Hohenlohe.« »Wann wird es zum Kampf kommen?«
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Von Nostitz räusperte sich. »Ich hatte gehofft, daß wir überhaupt nicht ins Feld ziehen müssen. Aber es sieht so aus, als würden wir morgen auf die Franzosen treffen.« »Sie machen sich Sorgen um den Prinzen«, stellte Tessa fest. Von Nostitz nickte. »Er ist zu jung, um ein Heer zu führen. Und Bonapartes Männer sind unnachgiebig. Der Korse treibt seine Armee wie einen Keil durch unser Land. Unaufhaltsam. Ich befürchte das Schlimmste, Madame.« »Ich habe Louis kämpfen sehen. Er ist tapfer. Es wird schon schiefgehen.« Der Generaladjutant schaute Tessa eigentümlich an. »Ich hoffe, daß gerade ds nicht geschieht. Seltsam, Sie wünscht Seiner Hoheit nur das Beste, aber Sie pflegt es merkwürdig auszudrücken. Sie möge mich nun entschuldigen.« Tessa beendete ihre Mahlzeit und spazierte durch das Schloß. Es war ein Prachtbau, ein Raum war prunkvoller als der Nächste. Die Exkursion nahm einige Stunden in Anspruch. Tessa merkte nicht, wie die Zeit verging. Schließlich erreichte sie einen Seitentrakt und hörte gedämpfte Stimmen. Sie gelangte zu einer Tür, die nur angelehnt war. Vorsichtig stieß sie den Türflügel auf. Vor ihr lag eine Kammer, in der ein Tisch das einzige Mobiliar bildete. Um den Tisch herum war mit Kreide ein Pentagramm auf den Parkettboden gemalt worden. Blakende Kerzen standen auf der Tischplatte. Dazwischen lag ein dicker, aufgeschlagener Foliant, aus dem Prinz Louis Ferdinand mit fester Stimme vorlas. Es waren Beschwörungsformeln! Der Prinz befaßt sich mit Schwarzer Magie! schoß es Tessa durch den Kopf. Auch das noch! Wenn mir schon mal ein Kerl gefällt, muß er gleich irgendwas mit der Hölle zu tun haben! Von den Kerzenflammen gingen Rauchsäulen aus, die sich vor dem Tisch zu einer dichten Wolke vereinigten. Die Rauchfahne zerplatzte und gab den Blick auf eine Gestalt frei, die Tessa nur zu gut kannte. Sie war zierlich, trug langes, schwarzes Haar und ein schneeweißes Kleid. Sie lächelte den Preußenprinz verführerisch an, winkte ihm und verschwand. Dafür sah man nun Kampfgetümmel. Soldaten sanken unter Musketenkugeln und Bajonettstichen zu Boden. Dazwischen hielt 68
sich der Prinz auf seinem Roß. Seine Uniform und das Gesicht waren mit Blut bespritzt. Die Körper der Soldaten auf dem Schlachtfeld verwandelten sich in Ratten, ein gewaltiges Rattenheer, das sich auf den Preußenprinz zuwälzte. Louis Ferdinand stieß einen wilden Schrei aus und wich zurück. Auch Tess schrie beim Anblick der Nager. Louis Ferdinand wirbelte herum und starrte zornig zur Tür. Die Fahnderin machte auf dem Absatz kehrt und rannte den Korridor entlang. Zurück zu dem ovalen Zimmer. »Sie hat mein kleines Geheimnis also gelüftet«, meinte der Prinz, als er wenig später den Saal betrat. »Sie sind ein Schwarzkünstler! Glauben Sie im Ernst, Sie könnten mit Ihrer Magie den Verlauf der morgigen Schlacht beeinflussen?« brauste Tessa auf. Louis Ferdinand lächelte. »Weiß Sie, daß Sie entzückend aussieht, wenn Sie wütend ist?« »Ich pfeife auf Ihre Komplimente, Louis. Außerdem sülzt mir mein Freund Mark andauernd ähnliche Dinge ins Ohr. Wenn er hier wäre, würde er Ihnen die Leviten lesen und sich einen Dreck darum scheren, ob Sie eine Hoheit sind oder nicht!« »Ah, das ist der blonde Hüne, den ich sah, als ich Ihr zu Hilfe eilte.« »Richtig. Mark Hellmann. Der Träger des Rings.« Louis Ferdinand nickte. »Ich habe von ihm gehört. Er wird in alten Schriften erwähnt. Er ist ein Auserwählter. Ein Streiter für das Gute. Man schreibt ihm große Taten zu.« Er schenkte sich aus einer Karaffe Rotwein in ein Kristallglas. »Sie sollte mit mir auf den morgigen Sieg der Preußischen Armeen anstoßen.« Er nahm einen tiefen Schluck. »Der Träger des Rings. Es gibt ihn also tatsächlich«, sinnierte er. Tessa ging nicht auf die Worte des Prinzen ein. »Weiß Ihr Volk, daß Sie sich mit Schwarzer Magie beschäftigen, Louis?« »Was faselt Sie da?« brauste er auf. »Sie verkennt mich! Auch ich setze mich für das Gute ein. Frage Sie von Nostitz. Er weiß als einziger Bescheid.« Tatsächlich bestätigte der Generaladjutant wenig später die Angaben des Prinzen. Tessa errötete vor Verlegenheit, trat zu Louis Ferdinand und reichte ihm die Hand. »Verzeihen Sie, Louis. Hoheit.« 69
Der Preuße strahlte über das ganze Gesicht. Er umarmte Tessa, strich ihr über das Haar und drückte sie an seine Brust. »Ich wünschte, Sie wäre in meiner Zeit aufgewachsen, und wir hätten uns unter angenehmeren Umständen kennengelernt. - Ich hoffe, Ihr Geliebter wird die Rattenbrut vernichten und die weiße Frau bekämpfen«, meinte der Prinz zu vorgerückter Stunde. »Ich werde mich morgen in die Schlacht begeben und Bonaparte in seine Schranken verweisen. Danach bringe ich Sie zurück, meine Liebe.« »Verbindlichsten Dank, mein Prinz.« Louis Ferdinand küßte sie leidenschaftlich. Er legte den Kopf zurück und blickte träumerisch zur Decke. »Ach, wenn doch diese Nacht nie enden wollte«, meinte er. »Deine Worte klingen lieblich wie aus dem Munde eines Engels, Tessa. Ich wünschte, du könntest immer bei mir bleiben.« Sanft strich ihre Hand über seine Wange. »Es soll nicht sein, Louis. Du mußt dich damit abfinden.« »Ich kann nicht in Worte kleiden, was ich für dich empfinde.« »Ich weiß.« Louis Ferdinand küßte ihre Handfläche, bevor er seine Lippen erneut über ihren Hals nach oben wandern ließ. Für einen Moment sah es so aus, als würde sie seinem Drängen nachgeben und sich im Feuer der Leidenschaft verlieren, doch sie löste sich von, ihm. »Du solltest jetzt schlafen, mein Prinz. Ein schwerer Tag steht dir bevor.« »Wünsch mir Glück, Tessa.« »Meine Gedanken werden bei dir sein.« Er geleitete sie zu dem Schlafgemach, das er für sie hatte herrichten lassen, und zog sich dann in das ovale Zimmer zurück. Hier setzte er sich an ein Klavier und spielte zur Ablenkung, vielleicht auch aus Angst. Der Raum wurde nur von zwei schweren Kerzenleuchtern erhellt. Das Gesicht des Prinzen lag im Schatten. Niemand sah die Tränen in seinen Augen schimmern. »Du spielst wunderschön«, klang eine weibliche Stimme von der Tür her. Der Kopf des Prinzen ruckte herum. Da stand sie. Wunderschön. Dem Prinzen stockte der Atem. Er unterbrach sein Spiel. Seine Blicke glitten über ihren Körper. »Du bist noch schöner, als ich es mir hätte erträumen können«, flüsterte er. 70
Sie ließ sich auf seinem Schoß nieder. Legte die Arme um seinen Hals und küßte ihn leidenschaftlich. Louis Ferdinand riß die Augen auf. Ihre Lippen waren eiskalt! Der Prinz wehrte sich heftig, stieß sie von sich und wich zurück. »Von Nostitz!« brüllte er aus Leibeskräften. Der Generaladjutant stürzte in den Raum. »Hoheit?« »Sieht Er sie?« fragte der Prinz und deutete auf die Nackte. Flimmernde Luft umgab sie. Ihre Gestalt veränderte sich. Wurde zierlicher. Jugendlicher. Vor dem Prinzen stand eine bildschöne Frau mit schwarzem Haar, in ein weißes Gewand gehüllt. »Verzeihung, Hoheit. Ich sehe niemanden.« Diskretion war das oberste Gebot des Generaladjutanten. »Aber Er muß sie sehen!« Die Frau in Weiß ließ ihr Kleid nach unten gleiten. Splitternackt stand sie nun vor dem Prinzen. Er starrte auf ihren jungen, festen Körper, der so anders war als Tessas braungebrannte, wohlgeformte Gestalt. »Bin ich nicht begehrenswerter als das Mädchen, dessen Herz du erobern willst?« gurrte die Schwarzhaarige. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre kalte Brust. »Ich bin aus dem fernen Böhmen gekommen, um dir zu gefallen, mein Prinz. Und um dir die Nacht vor deiner größten Prüfung zu versüßen. Nimm mich!« Hastig zog er die Hand zurück. »Niemals! Weiche von mir!« »Ziere dich nicht, mein Prinz. Ich werde mich mit dir vereinen, dir das ewige Leben spenden und dir helfen, die Schlacht zu gewinnen. Danach werden wir gemeinsam in deinem Reich herrschen und es zu einem riesigen Königreich ausbauen.« Sie beugte sich vor und öffnete den Mund. »Küß mich!« hauchte sie und entblößte die Vampirzähne. Der Preuße starrte wie gebannt auf ihre Lippen. Er neigte den Kopf zur Seite und erwartete den Kuß der Wiedergängerin. »Louis!« Tessas Stimme ließ ihn erschrocken hochfahren. Die Fahnderin stand in der Tür, hatte geahnt, daß hier so was ablief. »Hinweg, Verruchte!« brüllte der wachgerüttelte Prinz, stieß die Wiedergängerin von sich und eilte an Tessas Seite. »Laß Er sie festnehmen, von Nostitz! Diese Frau soll im Kerker schmachten, bis ich zurückkehre, um Gericht zu halten.« 71
Gräfin Lidja streifte ihr Gewand über. »Das wirst du mir büßen, Prinz. Und du auch, Luder! Elendig sollst du auf dem Schlachtfeld verrecken, zerfressen von meiner Armee. Diese Stadt wird noch in dieser Nacht noch meinen Zorn spüren!« »Halte Er sie auf, von Nostitz!« befahl der Prinz, als Lidja mit gehässigem Lachen an ihm vorbeirannte. Der Generaladjutant folgte ihr. Auch Louis Ferdinand schnappte sich einen Kerzenleuchter und jagte durch die dunklen Korridore, hinter der Wiedergängerin her. Auf einer Galerie verschwand sie. Der Prinz untersuchte die Wand. Es gab keine Tür, durch die Lidja hätte flüchten können… Vom Schloßhof und vom Heerlager erschollen Schmerzens- und Angstschreie. Louis Ferdinand hetzte zum Fenster und schaute verwirrt in die Nacht. »Die Ratten!« hauchte Tessa. »Ihre Armee sind die Ratten!« Mit einem ganz und gar nicht königlichen Fluch auf den Lippen schnappte sich Louis Ferdinand ein Schwert, das in einem besonderen Behälter aufbewahrt wurde und ganz in schwarzen Samt geschlagen war, und hetzte zur Tür. Wenig später folgte ihm Tessa nach draußen. Sie hatte sich eilig angekleidet und mit einem Säbel bewaffnet. Vom Schloßhof aus sah sie das Heerlager in heller Aufregung. Die Soldaten stürzten in die Stadt. Ihre Schritte hallten auf dem Kopfsteinpflaster. Auch aus der Stadt waren Schreie zu hören. Tessa nahm von Nostitz ein Fernglas aus der Hand und ließ ihren Blick den Soldaten folgen. Sie entdeckte blutüberströmte Körper mehrerer Einwohner, die in den verwinkelten Straßen lagen. Der Strom der dämonischen Nager ergoß sich zwischen den Fachwerkhäusern. Die Tiere fielen jeden Menschen an, der sich ihnen in den Weg stellte. Und dann tauchte Prinz Louis Ferdinand in Tessas Sichtkreis auf. Tapfer stand er vor seinen Soldaten, stellte sich den anstürmenden Ratten entgegen und ließ sein Schwert zwischen die Nager fahren. Die Szene ähnelte dem Kampf, den der Prinz auf dem Saalfelder Marktplatz gefochten hatte, um Tessa zu helfen. Weit hinten aber, am Rande des Rattenheeres, stand die Blutgräfin aus Böhmen und lachte aus vollem Hals…
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* Der Hieb traf mich zwischen den Schulterblättern und stieß mich zwischen die Tische. Männer spritzen von den Holzbänken hoch und grölten wütend. Ich stemmte mich hoch und bekam einen Schwall Rotwein mitten ins Gesicht. Ein derber Fußtritt warf mich auf den Rücken. Bevor ich zu einer Gegenwehr fähig war, preßte sich eine Stiefelsohle gegen meine Kehle. »Was treibt Er sich nächtens auf der Straße herum wie Diebsgesindel und Räuberpack?« brummte eine Baßstimme. »Er will bestimmt seinem Herrn und Vaterland dienen. Burschen, die so gebaut sind wie Er, können wir immer gut gebrauchen. Wo die Schlacht kurz bevorsteht. Erhebe Er sich, aber hübsch artig, sonst wird Er ins Heerlager kriechen müssen.« »Was ist los?« fragte ich verwirrt. »Welches Heerlager?« Eine grobe Faust packte mich am Kragen und zerrte mich hoch. Ich wurde gegen den Schanktisch gestoßen. Eine Pergamentrolle wurde vor mir auseinandergerollt. »Es fehlt nur noch Sein Name. Unterschreibe Er hier, aber flott!« Ein Gänsekiel wurde mir zwischen die Finger gedrückt. Die Schrift auf dem Pergament verschwamm vor meinen Augen. Ich schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Blick zu bekommen. Offenbar deutete man mein Kopfschütteln als Weigerung, denn ich kassierte einen weiteren Hieb in den Rücken. Stahlharte Finger krallten sich in meinen Nacken. »Du hast den Obristen gehört! Schreib deinen Namen hin, Kerl, oder es geht dir schlecht!« Ich kritzelte meine Unterschrift auf das Pergament. Es wurde mir sofort entzogen. »Mark Hellmann«, las der Obrist laut vor. »Das ist also Sein Name! Ich werde ihn mir merken. Nun trinke er einen Humpen Wein auf das Wohl Seiner Hoheit, des Prinzen Louis Ferdinand. Danach komme er ins Heerlager, um sich einzukleiden. Ich rate Ihm, mich nicht allzu lange warten zu lassen. Wenn ich Ihn holen muß, wird Er es bitter bereuen!« Die Hand entfernte sich aus meinem Nacken. Ich drehte mich um und sah den Obristen, einen feisten Menschen in Uniform, zusammen mit einem baumlangen Muskelprotz und zwei Soldaten die Schenke verlassen. 73
Kurz zuvor war ich auf einer Wiese am Rande der Stadt gelandet. Ohne zu wissen, wo ich mich befand, hatte ich mir von einer Wäscheleine Hemd und Hose geklaut und war in den Ort gegangen. Über den Dächern der Fachwerkhäuser erhob sich ein Schloß. Ich hatte mich in die erstbeste Schenke gewagt, aus der ich grölende Männerstimmen vernommen hatte. Und dort mußte ich dem Obristen aufgefallen sein. »Nimm's nicht schwer, Kamerad. Die meisten von uns hat's erwischt. Wir lassen uns vollaufen, bevor wir für König und Vaterland sterben sollen.« Ich betrachtete den unrasierten, stiernackigen Kerl an meiner Seite, der einen Humpen Wein vor mich hinschob. »Wieso werdet ihr sterben?« »Du bist wohl nicht von hier, was? Hast keine Ahnung von Politik, wie? Ist auch egal. Ich hab mich bis gestern auch nicht für die Staatsgeschäfte interessiert. Es ist besser, nicht zu wissen, warum und für wen man sein Leben wegwirft.« »Nun mach schon das Maul auf, Bursche! Wieso sollen wir drauf gehen?« Er blinzelte mich an und putzte sich mit dem Ärmel seines schmierigen Jankers die Nase. »Der Franzose kommt. Napoleons Armee steht vor den Toren der Stadt. Man munkelt, daß es morgen zur Schlacht kommt. Und gegen die Franzosen können wir unmöglich bestehen. Sie sind wie die Tiere. Schlachten alles ab, was ihnen im Weg ist. Ich könnte dir Greuelgeschichten erzählen, Kamerad, da würde dir die Lust auf den Wein vergehen.« Napoleons Armee! »Welchen Tag schreiben wir heute?« »Bist wohl auf den Kopf gefallen, was? Heut ist der 9. Oktober Anno Domini 1806. Und den 10. wird man auf deinen Grabstein schreiben. Als deinen Todestag.« Der Stiernackige drehte sich um. »Als unser aller Todestag! Auf das Leben, Kameraden! Sauft! Der König bezahlt!« Ich verlor allmählich die Geduld. Packte den Sprücheklopfer am Kragen und zog ihn zu mir herum. »Wo finde ich Prinz Louis Ferdinand?« Atemlose Stille folgte meinen Worten. Das Großmaul stierte mich an, als hätte ich vollkommen den Verstand verloren. Die Männer an den Tischen warteten auf seine Reaktion. Der Wirt vergaß, seine Zinnbecher zu polieren. 74
»Du willst den Prinzen sprechen? Warum nicht gleich den König? Als wenn's was Alltägliches war, mit dem Prinzen zu plauschen!« Die Männer grölten. »Wir gehen alle beim Prinzen ein und aus, Kamerad. Spielen Tarock mit ihm. Jeden Mittwoch. Und bescheißen ihn dabei kräftig!« Ich schüttelte den Stiernackigen. »Spuck's endlich aus, Mann, oder du brauchst keine Schlacht mehr, um ins Gras zu beißen!« »Oben, im Schloß«, murmelte er. »Aber du kannst dir die Mühe sparen, Mark Hellmann. Morgen wird uns der Prinz in den Kampf führen. Mit etwas Glück bist du direkt in seiner Nähe und kannst mit ihm reden.« Ich stieß den Kerl gegen den Schanktisch und bahnte mir einen Weg ins Freie. Mit weit ausgreifenden Schritten wandte ich mich dem Schloßberg zu. »He, warte, Mark!« Der Sprücheklopfer hetzte mir hinterdrein. »Ich bin Gustav. Erlaube, daß ich mich dir anschließe. Wer wagemutig genug ist, zum Prinzen vorzudringen, wird den Angriff der Franzosen überleben.« Ich hatte nichts gegen seine Begleitung einzuwenden. Erhielt mich auf, als wir den Fuß der Anhöhe erreicht hatten. »In diesen Fetzen kommen wir nicht mal bis in den Schloßhof. Laß uns ins Heerlager gehen und unsere Uniform anziehen.« Keine üble Idee. Eine halbe Stunde später trugen wir die rotweiße Uniform der Hohenlohschen Soldaten. »Platz!« rief ich den Wachen am Schloßtor zu. »Eilige Depesche für Seine Exzellenz.« Die Wachtposten kreuzten ihre Musketen. »Übergebe Er uns die Depesche. Wir leiten sie an Generaldjutant von Nostitz weiter!« »Kamerad, die Nachricht ist von Generalmajor von Tauentzien und von äußerster Dringlichkeit. Die morgige Strategie Seiner Exzellenz hängt davon ab. Und damit unser aller Leben, Kamerad!« Zögernd gaben die Wachtposten den Weg in den Schloßhof frei. Doch wir bekamen keine Gelegenheit mehr, in das Gebäude vorzudringen. Gellende Schreie drangen vom Heerlager herauf. Kampfgeräusehe waren zu hören. Aus dem Schloß jagten etliche Soldaten in voller Montur, allen voran Prinz Louis Ferdinand von Preußen!
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Wir folgten der Schar auf dem Fuß. Stürzten den Abhang hinunter und gelangten in das Feldlager, wo helle Aufregung herrschte. Der Prinz achtete nicht weiter darauf, sondern rannte zur Stadt. Und hier sah ich den Grund für die Aufregung. »Heilige Mutter Gottes!« stieß Gustav hervor, als er der dämonischen Rattenflut ansichtig wurde. Auch mir sträubten sich die Nackenhaare. Ohne Zögern gab der Prinz das Zeichen zum Angriff und warf sich den anstürmenden Nagern entgegen. Eine unsichtbare Macht trieb die Ratten vorwärts. Die Todesschreie der Soldaten gellten mir in den Ohren. Ich nahm meinen Tornister ab, reichte Gustav mein Gewehr und zerrte den Prinz zurück. »So kommen wir den Viechern nicht bei, Hoheit!« rief ich. »Wir müssen uns zurückziehen.« »Niemals!« brüllte er. »Ich gebe nicht klein bei vor dieser böhmischen Gräfin!« Mein Blick fiel über den Rattenteppich und erfaßte die Frau in Weiß. Sie stand weit hinter den Nagern und lachte triumphierend. »Wir haben keine Wahl, Hoheit! Zurück!« Ich zog ihn mit mir. Die Soldaten, die ihn begleitet hatten, waren rettungslos verloren. Ich mußte mir etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Sonst stand der Prinz am nächsten Morgen mit einer Handvoll Leute gegen eine zigtausendfache Übermacht der Franzosen. Fieberhaft suchte ich nach einer Möglichkeit, die Rattenbrut aufzuhalten. Im Prinzip gab es nur zwei Möglichkeiten: Feuer und Wasser. Setzte ich Feuer ein, bestand die Gefahr, die Stadt in Schutt und Asche zu legen und trotzdem nichts zu erreichen. Ich schaute, mich um, entdeckte einen Brunnen ganz in der Nähe. Und dieser wurde vermutlich von der Saale gespeist, die ganz in der Nähe floß. »Komm mit, Gustav!« befahl ich und rannte zum Brunnen. Der Stiernackige folgte mir auf dem Fuß, warf Tornister und Gewehre ab und half mir, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Ich wies ihn an, den Inhalt des schweren Wassereimers über die Straße zu schütten. Bald glänzte das Kopfsteinpflaster. Ich ließ Gustav eine regelrechte Wasserspur vom Brunnen zu den Ratten legen.
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Der Prinz beobachtete mich aufmerksam, Er konnte sich keinen Reim auf meine Aktion machen. Ich preßte den Siegelring gegen mein Hexenmal. Der Lichtstrahl des Rings wurde zu einem gleißenden Laserstrahl. Erschrocken wichen Gustav und der Prinz zurück. Ich schrieb die Runen für Flut und geweihtes Wasser auf das nasse Pflaster und eilte zum Brunnen. Ein dumpfes Grollen erklang fast im selben Augenblick. Der Brunnensockel vibrierte. Ich konnte mich eben noch mit einem Sprung in Sicherheit bringen, als das Wasser wie ein Geysir aus dem Brunnen schoß! Mein Plan funktionierte! Eine Flutwelle brach aus dem Brunnen hervor und ergoß sich in die Stadt. Da es sich um geweihtes Wasser handelte, wirkte es vernichtend auf die dämonischen Ratten. Die Gefahr war gebannt. Doch als ich über die zappelnden, verendenden Nager hinwegblickte, war von Gräfin Lidja nichts mehr zu sehen. Gustav trat an meine Seite und beobachtete kopfschüttelnd, wie die Rattenbrut vernichtet wurde. »Laß uns gehen, Kamerad«, meinte er. »Ich hab zwar keine Ahnung, wie du es angestellt hast, die Viecher zu besiegen, aber das ist auch egal. Die Kameraden werden dich als Held feiern. Los, komm! Der Wein wartet!« Ich wollte eigentlich ins Schloß und Tessa herausholen, aber man ließ mir keine Gelegenheit dazu. Ich wurde von den Soldaten mitgezerrt und mußte mich feiern lassen. * Die Morgennebel wallten über den Feldern bei dem kleinen Dorf Wöhlsdorf, vor den Toren von Saalfeld. Schon früh hatte man die Truppen in Marsch gesetzt. In der kalten Morgenluft standen wir nun schweißgebadet in Kampfformation und warteten auf den Gegner. Und das Zeichen zum Angriff. Ich ließ meine Blicke über die wild zusammengewürfelte Armee gleiten, die zu einem Großteil aus zwangsrekrutierten Männern bestand. Und mittendrin stand ich, Mark Hellmann, aus dem Weimar des 20. Jahrhunderts, und war im Begriff, mich mit Napoleons Truppen herumzuschlagen. 77
Prinz Louis Ferdinand, in seiner Uniform, trabte hoch zu Roß heran. Neben ihm ritt Georg Wilhelm Freiherr von Valentini, der Kommandeur des Berliner Jägerregiments. Auch seine Uniformbrust war mit vielen blitzenden Orden behängt. Die beiden Männer besprachen leise ihre Strategie. Weit voraus bemerkte ich eine dunkle Linie, unterbrochen von Leuchtfeuern. Die französische Armee rückte an! »Jetzt wird's ernst, Gustav! Halte dich immer dicht bei mir«, raunte ich meinem Kameraden zu. »Irgendwie werden wir diesen Mist überstehen.« Gegen neun Uhr kam das Signal zum Angriff in Form eines Trommelwirbels. Der Himmel war düster. Kein Sonnenstrahl drang durch die Wolkendecke. Wir rückten in mehreren langgezogenen Reihen vor. Die Bajonette waren aufgepflanzt. Flankiert wurden wir von der Kavallerie und den Füsilieren. Kanonendonner war zu hören. Rauchschwaden stiegen von den Feldgeschützen auf. Dann hörte ich das Pfeifen der Geschosse. Erde spritzte auf. Soldaten schrien und wurden durch die Luft geschleudert oder in Stücke gerissen. Ich duckte mich zur Seite weg, als ob ich damit das drohende Unheil abwenden könnte. Die Reihen der Soldaten auf beiden Seiten lichteten sich. Allerdings waren die Verluste auf unserer Seite größer. Wir besaßen nur drei Haubitzen. Jetzt war das Fußvolk an der Reihe. Schüsse peitschten. Soldaten brachen zusammen. Wir rückten nach. Eine Kugel sauste an mir vorbei. Ich schoß dem gegnerischen Schützen ins Bein. Für ihn war der Krieg vorbei. Ich kam mir verloren vor. Ich nahm an einem furchtbaren Gemetzel teil, mußte töten und verwunden, obwohl ich es nicht wollte. Schreiend stürmten die Franzosen heran. Ein wilder Kampf Mann gegen Mann entbrannte. Ich hieb mit dem Gewehr wild um mich. Schickte die Franzosen mit Karatetritten zu Boden. Bald war meine weiße Uniform in Blut 78
getränkt. Männer schrien vor Schmerzen. Schüsse peitschten. Säbel klirrten. Husaren drangen auf uns ein und hieben vom Pferd aus nach unseren Köpfen. Ich holte einen Franzmann aus dem Sattel, schwang mich auf das Pferd und hatte nun eine bessere Kampfposition. Gustav tauchte an meiner Seite auf und grinste. Er war meinem Beispiel gefolgt. Wie die Berserker stürzten wir den Franzosen entgegen, lieferten ihnen einen erbitterten Kampf. Es wurde zum Rückzug geblasen. Die Truppen sammelten sich. Ein neuer Angriff… Irgendwann entdeckte ich weit vor mir den Preußenprinz. »Sieh mal, Gustav, er kommt zu nah an den Feind!« rief ich. »Wir müssen ihm zu Hilfe eilen!« Mit einem wilden Schrei trieb Gustav sein Pferd an. Wir fanden uns mitten im wildesten Schlachtengetümmel wieder. Der Prinz und Freiherr von Valentini fochten um ihr Leben, als Gustav und ich dazustießen. Wir verschafften den beiden Feldherren etwas Luft. »Er muß Mark Hellmann sein!« rief der Prinz. »Seine Freundin hat mir viel von Ihm erzählt. Ich bin froh, daß Er an meiner Seite kämpft!« Ich erwiderte nichts, sondern blockte einen Hieb ab, der für ihn bestimmt war. Von rechts stürmte ein einsamer Reiter heran, tief über den Hals des Pferdes gebeugt. Er trieb sein Tier zwischen den Kämpfenden hindurch, stieß sie zur Seite und gelangte bis zum Prinzen. »Die weiße Frau, Louis!« brüllte der Reiter. »Sie ist hier!« Ich hätte die Stimme unter Tausenden erkannt. »Tessa!« rief ich. Urplötzlich schien die Zeit stillzustehen. Ich nahm das Schlachtengetümmel nur noch wie durch einen Schleier wahr. Die Wogen der Soldaten brandeten zurück. Und dazwischen schritt sie. Gräfin Lidja Dohna zu Grafenstein! Sie berührte hin und wieder einen Soldaten, der daraufhin mit gebrochenem Hals zu Boden stürzte. »Nun, Prinz, ich habe dir versprochen, daß wir uns wiedersehen. Du wirst sterben, mein Bester.« Sie lächelte kalt. »Du hast die Wahl, ob du das ewige Leben an meiner Seite weiterführen oder
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auf dem Schlachtfeld sterben willst! Entscheide dich rasch, Prinz!« Louis Ferdinand galoppierte auf sie zu. Sie fauchte ihn wütend an. Er zog ihr die Klinge seines Säbels quer über die Brust. Das Gewand zerfetzte. Halbnackt stand sie vor ihm. Der Preußenprinz erkannte, daß er die Vampirin nicht verletzt hatte. Er warf den Säbel weg und zog ein blitzendes Schwert aus einer Scheide, die am Sattel befestigt war. »Stirb, Satansbrut!« brüllte er und ließ die Klinge niedersausen. Es war dieselbe Waffe, mit der er gegen die dämonischen Ratten vorgegangen war. Sie drang tief in den Leib der Blutgräfin. Erschrocken starrte sie den Prinz an. Schwarzes Dämonenblut quoll zwischen ihren Fingern hervor. »Du hast mich verletzt!« murmelte sie ungläubig. »Dies ist dein Ende, Teufelin!« Der Prinz griff erneut an. Gräfin Lidja sprang hoch und verwandelte sich im Sprung in eine riesige Ratte. Dämonenblut sprühte aus ihrem Maul. Jagte vor dem Pferd des Prinzen über das Feld und setzte zum Sprung. Ihr Ziel war Tessa! Meine Freundin, die schreckerstarrt im Sattel saß und die Riesenratte nicht aus den Augen ließ. Ich ließ den Lichtstrahl meines Rings über die Klinge meines Säbels gleiten und verwandelte ihn in eine weißmagische Waffe. Mit einem wilden Schrei trieb ich mein Pferd vorwärts. Und wußte doch, daß ich zu spät kommen würde. Wie in Zeitlupe sah ich Tessas Ende nahen. Die Ratte sprang. Tessa schrie und riß die Arme zur Abwehr hoch. Mein Pferd machte einen Satz nach vorn. Doch Louis Ferdinand war schneller als ich. Sein Körper befand sich zwischen Tessa und der Ratte. Das Teufelsvieh prallte gegen ihn, riß ihn aus dem Sattel. Er rollte über den Boden. Die Ratte verwandelte sich wieder in Gräfin Lidja. Sie kniete neben dem Prinzen, der sein Schwert verloren hatte. »Zeit, dein ewiges Leben in der Dunkelheit zu beginnen, mein Prinz!« fauchte sie und bleckte die Zähne, um sie ihm in den Hals zu treiben. Im selben Augenblick traf sie mein Säbelhieb.
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Durch einen Trittfehler meines Pferdes erwischte ich nicht ihren Hals, sondern ihren Rücken. Tief drang die Schneide ein. Sie fuhr herum, fauchte und bohrte meinem Pferd ihre Krallen in die Brust. Mit heiserem Röcheln sank es zu Boden. Mit einem Satz war ich aus dem Sattel. Lidja brüllte wütend, drehte sich im Kreis und rief schwarzmagische Beschwörungsformeln. Bevor ich sie erneut angreifen konnte, löste sie sich in Luft auf. Und damit war die Unterbrechung der Schlacht vorbei. Ich half dem Prinz auf die Beine. Die beiden Armeen prallten wieder aufeinander. Louis Ferdinand hob sein Schwert auf, lächelte mich an und grüßte Tessa, indem er die Klinge vor sein Gesicht hob und einen Kuß andeutete. Zu spät bemerkte ich den heranjagenden Husar. »Vorsicht, Hoheit!« brüllte Gustav und ritt dem Angreifer entgegen. Sein Säbel traf den Husar in die Brust. Doch die Klinge des Franzosen drang dem Prinz in den Rücken. Das Lächeln fror auf dem Gesicht des Preußen ein. Er sank in die Knie. Wie der Blitz war Tessa aus dem Sattel und fing ihn auf. Ein dünner Blutfaden lief an seinem Mundwinkel entlang. »Ich werde nicht mehr - um dich - werben können«, flüsterte er. Sein Blick suchte mich. »Es gibt keine bessere Frau - für dich, Mark Hellmann…« Seine Augen brachen. Er bäumte sich in Tessas Armen auf. Prinz Louis Ferdinand von Preußen war tot. Auf dem Schlachtfeld der Ehre gefallen. In einem sinnlosen Krieg, der nur als Auftakt für die vernichtende Völkerschlacht bei Leipzig zu werten war, in der die große preußische Armee von einem kleinen Franzosenkaiser völlig aufgerieben wurde. »Du warst ein Held, mein Prinz. Und bist gestorben wie ein Held«, flüsterte Tessa. Tränen strömten über ihr Gesicht, als sie einen Kuß auf seine Lippen drückte. Freiherr von Valentini gesellte sich zu uns. »Der Prinz ist tot!« rief ich. »Gustav hier hat ihn heldenhaft verteidigt! Würdigt ihn gebührend!« Die Zeit zur automatischen Rückkehr war gekommen; ich spürte es, nahm Tessa in den Arm, und sah noch, wie von Valentini gemeinsam mit Gustav den Leichnam des Prinzen barg. Mein 81
großmäuliger Freund würde fortan hoffentlich ein besseres Leben führen. Dann verschwamm alles vor meinen Augen, und der tiefe Schacht des Raum-Zeit-Gefüges nahm uns auf… * Der Boden unter mir fühlte sich kalt an. Ebenso wie die Luft ringsum. Anders, als erwartet, beendeten wir unsere Rückreise in einem Haus und nicht auf dem Saalfelder Marktplatz. Nackt auf dem Marktplatz, das wäre ja auch ein Ding gewesen! Ein Dicker hielt mir eine Pistole vor die Nase. »Kollicka«, flüsterte Tessa. »Er steckt mit Vampiren unter einer Decke.« Auf den Gedanken hätte ich selbst kommen können, denn mein Ring zeigte dämonische Ausstrahlung an. »So sieht man sich wieder, meine Liebe«, quiekte Kollicka. »Ich bin entzückt, daß Sie Ihren Freund gleich mitgebracht haben.« Er schnickte mit den Fingern. Drei Frauen traten aus dem Schatten. Die eine wollte sich sofort über mich hermachen. Ihre Haut war eiskalt! »Nimm deine Griffel von meinem Freund!« brüllte Tessa. »Ich kratz dir die Augen aus, du Kanaille!« Ihr Geschrei machte die beiden Tangamädchen aufmerksam. Sie grinsten, bleckten scharfe Vampirzähne, krümmten die Finger zu Krallen und huschten auf Tessa zu. Ich fröstelte. »Meine« Blondine leckte sich über die Lippen, ließ ihre kalten Finger über meinen Körper gleiten. »Du gefällst mir«, gurrte sie. »Wir beide werden viel Spaß miteinander haben. Vergiß dieses dürre Klappergestell da hinten. An mir ist doch viel mehr dran, oder?« Sie unterstrich ihre Worte, indem sie mir ihre vollen Brüste entgegenhob. »Du wirst mich lieben. Und dann wirst du für immer mein.« Ich sah die langen Eckzähne funkeln. »Küß mich!« forderte sie und näherte ihren Mund meinen Lippen. Ich hörte Tessa schreien. Sie war in arger Bedrängnis. Ich stieß die Blutsaugerin von mir und schubste sie gegen die Wand. Als ich mich um Tessa kümmern wollte, stürzte sich die Blonde fauchend auf mich. Ich konterte mit einem Karatehieb, 82
der sie zur Seite fegte. Dabei entging mir nicht, wie die beiden Tangamiezen Tessa verschleppten. Zu einer schwarzen Kutsche! Ich sprang ihnen in den Weg, doch sie stießen mich einfach zur Seite. Ich hatte noch an den Nachwirkungen meiner Zeitreise zu knabbern, deswegen waren meine Reflexe nicht die besten. Und nackt war ich auch. Ich rappelte mich dennoch auf und wollte den Untoten nachhetzen, als die blonde Vampirin wieder angriff. Diesmal standen abgrundtiefer Haß und grenzenloser Blutdurst in ihrem Gesicht geschrieben. Von Leidenschaft keine Spur. »Das darfst du nicht!« quiekte Kollicka schrill, doch die Blonde ignorierte ihn. Hilfe kam von unerwarteter Seite. Eine breitschultrige Gestalt fegte heran, warf sich zwischen mich und die Wiedergängerin. Sie wischte mit. ihren Krallenfingern durch die Luft, wollten dem Neuankömmling das Gesicht zerkratzen. Er brach ihr kurzerhand die Finger. Doch kein Schmerzenslaut kam über ihre Lippen. »Hau ab, Mark!« brüllte Tessa. »Er gehört dazu!« Aber es war bereits zu spät. Ich sah die Gestalt des dunkelgekleideten Glatzkopfs auf mich zusausen, spürte seine kalten Pranken und einen gewaltigen Schmerz zwischen Hals und Schulterblättern. Jetzt ende ich also doch noch als Vampirfutter! ging es mir durch den Kopf. Dann wurde es schwarz vor meinen Augen. * »Siehst du? Ich kriege immer, was ich will.« Ich vernahm die sinnliche Stimme gedämpft, wie durch einen Wattebausch. In meinen Ohren rauschte es, und mein Kopf dröhnte. Aber niemand erhörte meinen Wunsch und befreite mich von meinen Kopfschmerzen. Endlich wußte ich, wo ich mich befand. Kerzenschein erhellte meine Umgebung, einen riesigen Höhlenraum. Bizarre Felswände. Ein Teich. Fahlgelbe Tropfsteine. Eine zerklüftete Höhlendecke. Ich entdeckte die pechschwarze Kutsche, vor der vier Rappen angespannt waren und ungeduldig mit den Hufen scharrten. 83
Und einen Sockel, auf der eine Art Thron stand. Ein aus Schiefergestein geformter Sessel. Auf ihm saß Gräfin Lidja. Die schwarzhaarige Schönheit wandte mir ihr bleiches Gesicht zu. Hinter ihrem Sessel standen meine Entführer, der breitschultrige Glatzkopf und die drei Vampirmädchen. Etwas abseits entdeckte ich Pavel Kollicka. »Du gefällst mir«, sagte die Vampirin. »Meine Blutschwester Tessa hat eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Du bist doch Tessas Mann, nicht wahr?« Ich räusperte mich. Die Gräfin stammte aus einer Zeit, in der es die Ehe ohne Trauschein nicht gab. Man war entweder verheiratet, oder man war es nicht. »Sicher.« Ich nickte. »Wo ist sie?« »In Sicherheit. Noch in dieser Nacht werde ich das Band zwischen ihr und mir festigen.« Ein Lächeln umspielte die Lippen der Blutgräfin. »Und ich habe beschlossen, auch dich an meine Seite zu holen. Selten habe ich solch einen gutaussehenden Mann getroffen. Ihre Blicke saugten sich gierig an meinen Blößen fest. Du fielst mir schon auf, als du auf dem Marktplatz in Saalfeld gegen meine kleinen Lieblinge gekämpft hast. Eigentlich sollte ich dir für diese Unverfrorenheit den Hals umdrehen, aber wie ich schon sagte - du bist ein selten schönes Exemplar von Mann. Der alte König hat ja das Zeitliche; er hätte sicherlich einen vortrefflichen Vampirkönig abgegeben. Aber egal, jetzt hab ich ja dich.« »Ich bin froh, daß er nicht zum Vampirkönig wurde, sonst hätte ich ihn ebenfalls in die Hölle schicken müssen.« Lidja hob eine fein geschwungene Augenbraue. »Du drohst mir, Mark Hellmann?« »Das war keine Drohung, Lidja. Es war ein Versprechen. Du hättest in deiner Heimat bleiben sollen. Dein Fehler war, daß du Tessas Weg gekreuzt hast.« »Vergiß sie! Die Kleine wird meine Blutschwester, und danach empfindet sie nichts mehr für dich. Ich als ihre Gebieterin habe das Vorrecht, mir meinen Mann zu wählen. Und ich wähle dich!« »Ich bin nicht einverstanden, Lidja. Ich empfinde nur Abscheu für dich.« Sie kam zu mir. Ihr Hüftschwung war verführerisch. Als sie dicht vor mir stand, streifte sie ihr Gewand ab. Nun waren wir beide nackt. 84
Ihr Körper war atemberaubend. Mein Blick saugte sich förmlich an ihren rosigen Brustspitzen fest. Ich spürte, wie mir das Blut in die Lenden schoß. Sie beugte sich zu mir nieder. Ihr Körper berührte mich. Trotz der Kälte, die von ihr ausging, stieg heißes Verlangen in mir auf. Männer funktionieren halt wie Wäscheschleudern. Kaum unter Strom drehen sie durch. »Ich bin schöner als Tessa. Du wirst in meinen Armen die Erfüllung finden, Mark.« Sie streichelte mich sanft. »Ich will dich!« Ihre Hand glitt über meine Brust und weiter tief in den Süden. Ich hielt den Atem an. »Küß mich, Mark! Ich will deine Wärme spüren. Deine Leidenschaft!« »Tu's nicht, Mark!« Tessas Schrei drang zu mir vor. Sie schrie und tobte. Undeutlich war sie ihm Fenster der Kutschtür zu erkennen. Aber ihre Worte waren ohne Bedeutung für mich. Ich stemmte mich hoch und hob Lidja mein Gesicht entgegen. Sehnte mich nach der Berührung ihrer Lippen. Es gab im Augenblick nichts Schöneres für mich, als mich mit dieser Frau zu vereinigen! Nur noch wenige Millimeter trennten unsere Lippen. Ich roch ihren fauligen Atem, doch er störte mich nicht. Meine Hände glitten über ihre Hüften. Ich wollte ihre Brüste umfassen. Ihr Haar war im Weg. Wie ein Vorhang lag es über ihren Brüsten. Ich hob die Hand, um es zur Seite zu streifen, da schrie Lidja gellend auf! Ihr Kopf ruckte nach hinten. Angst schimmerte in ihren dunklen Augen. Verwirrt blinzelte ich sie an. Erwachte aus ihrem Bann und sah, was ihr Unbehagen bereitete. Mein Ring! Als ich ihr Haar hatte beiseite streifen wollen, hatte der Lichtstrahl Lidjas Gesicht getroffen und einen dunklen Striemen hinterlassen. »Was ist das?« brüllte die Gräfin. »Nimm es weg! Wirf es in den See! Weg damit!« Ich grinste und sprang auf die Beine. Ließ den Lichtstrahl über Lidjas Konper wandern. Sie wand sich und wich zurück. »Weg damit!« befahl sie erneut und hob abwehrend die Arme vor das Gesicht. »Nimm es ihm ab, Mischa!«
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Der Glatzkopf sprang hinter dem Schiefersessel hervor und warf sich mir entgegen. Ich empfing ihn mit einem Karatetritt, der ihn von den Beinen holte. Lidja raffte ihr Gewand zusammen und flüchtete zu dem Sockel, wo sie wieder ihren Platz auf dem Thron einnahm. »Holt Tessa! Ich will den Bund mit ihr beschließen!« »Das wirst du nicht, Blutsaugerin!« brüllte ich und stürzte zu ihr hin. Ich erreichte sie nicht. Der Glatzkopf war schneller. »Pack ihn, Mischa!« hörte ich Pavel Kollicka rufen. »Zeig es diesem Ignoranten. Zwing ihn in die Knie, damit er den Kuß der Herrin empfangen kann!« Harte Fäuste packten mich. Wir rollten über den Boden. Der Kampf führte zum Rand des Höhlensees. Mischas Pranken legten sich um meinen Hals. Drückten meinen Kopf nach hinten, auf das Wasser zu. Ich sah, wie man Tessa zum Sockel schleifte. Lidja stand vor ihrem Sessel und hatte die Arme ausgebreitet, um sie zu empfangen. Ihr Vampirgebiß war zum Schwesternkuß bereit. Mein Kopf tauchte unter. Ich nahm meine gesamte Kraft zusammen, packte Mischa in einer Beinschere, rollte mich herum und kam auf dem Vampir zu liegen. Schritte näherten sich. Ich drehte mühsam den Kopf, sah Kollicka neben mir auftauchen und einen schweren Tropfstein wie eine Keule schwingen. Mischas Pranken zerrten mich nach unten, auf sein geblecktes Vampirgebiß zu. Über mir pfiff der Stalaktit in Kollickas Händen durch die Luft. Ich war geliefert! Und es gab keine Hoffnung mehr für Tessa… * Die Fahnderin hing wehrlos im Griff der beiden Tangamiezen. Die Gräfin drückte Tessas Kopf zur Seite. »Es ist gleich vorbei, Schwester«, hauchte sie. Sie öffnete weit den Mund. Die spitzen Eckzähne senkten sich auf Tessa straffen Hals, unter dessen Haut das Blut in ihrer Halsschlagader pulsierte. Die Fahnderin bäumte sich auf, doch der Griff der Blutsaugerinnen war unnachgiebig. 86
Es gab kein Entrinnen. Das war der Augenblick, in dem ich Mischa schlagartig losließ, auf ihm erschlaffte und mich zur Seite rollte. Noch hielt er meinen Hals umklammert, aber sein Gesicht verzerrte sich vor Schreck, als er den Tropfstein auf sich niedersausen sah. Die Steinkeule zermalmte seine Nase. Sein Griff lockerte sich. Wie von der Sehne geschnellt, schoß ich hoch. Mein gestreckter Fuß traf den dicken Tschechen zwischen den Beinen. Er stieß einen schrillen Schrei aus, preßte beide Hände gegen den Unterleib und hüpfte in der Höhle herum wie ein Känguruh mit Hämorrhoiden. Ich bekam den Tropfstein zu fassen und jagte auf die Blutgräfin zu. Dabei rammte ich die Keule einem Tangamädchen in den Leib, das mich aufhalten wollte. Die Vampirhauer berührten bereits Tessas Hals, würden jeden Moment die Haut durchbohren. Während meines Studiums war ich aktiver Zehnkämpfer gewesen und hatte dabei auch beachtliche Erfolge im Speer- und Hammerwurf erzielt. Ich setzte alles auf eine Karte. Der Tropfstein sirrte durch die Höhle, drehte sich um die eigene Achse und knallte Lidja mit der Breitseite an die Stirn. Die Wiedergängerin wurde von Tessa weggerissen und nach hinten geschleudert. Sie fiel gegen ihren Sessel und schüttelte wütend den Kopf. Tessa befreite sich mit heftigen Tritten aus dem Griff des zweiten Tangamädchens und jagte in weiten Sätzen durch die Höhle. Die Gräfin schrie ihre Wut hinaus. Ihr Gesicht war zu einer widerwärtigen Fratze entstellt. »Haltet sie!« donnerte ihr Befehl durch die Höhle. Warum sollte sie sich selbst bemühen, wenn sie dafür ihre Lakaien hatte? Ich wollte dem grausamen Spiel ein Ende setzen. Die Blutgräfin hatte lange genug ihr Unwesen getrieben. Ich hob die Steinkeule auf und sprang auf die Wiedergängerin zu. Ein molliges, blondes Mädchen stellte sich mir in den Weg. Ihre Krallen packten meine Haare und furchten schmerzhaft über meinen Hals. Hinter mir hörte ich Tessa schreien. Ich rammte der molligen Blutsaugerin die Spitze meiner Keule zwischen die Hauer und wandte den Kopf. 87
Tessa war in die Klauen des Glatzkopfs geraten. Und Pavel Kollicka stand daneben und kicherte höhnisch. Die mollige Vampirin hielt eisern an mir fest. Ich wollte Tessa zu Hilfe eilen, hatte jedoch auch die Pflicht, Gräfin Lidja in die Hölle zu schicken. Es war zum Haare raufen! Wütend knirschte ich mit den Zähnen. Meine Kiefer preßten sich schmerzhaft aufeinander. Unsägliche Wut packte mich. Wut, die aus der Erkenntnis geboren war, daß ich diesen Kampf wohl verlieren würde. Ich drosch auf die mollige Wiedergängerin ein, trieb sie auf Lidja zu. Hinter mir hörte ich Tessa laut stöhnen und gleich darauf ein Plätschern. Ich wirbelte zur Seite und sah befriedigt, daß meine Freundin ihre Karatekünste aufgeboten hatte, um Mischa in den Höhlensee zu befördern. Mit etwas Glück herrschte in den eiskalten Fluten eine Strömung. Fließendes Wasser war für Vampire tödlich! Die Mollige griff wieder an. Ich drehte die Keule herum. Krachend prallten wir zusammen. Ein erschrockener Laut löste sich aus ihrer Kehle. Sie starrte mich verständnislos an, taumelte zur Seite weg. Zog mir dabei die Steinkeule aus den Händen. Das breite Ende des Tropfsteins ragte aus ihrem Bauch. Die Spitze hatte sich vollständig in ihren Leib gebohrt. Langsam sank sie in die Knie, senkte den Kopf und verharrte in dieser Stellung. »Und jetzt zu uns beiden, Lidja!« rief ich. Die Blutgräfin lachte schrill und hob die Arme. Deutete auf die Kutsche. »Du bist stark, Mark Hellmann. Doch du kennst meine Macht noch nicht!« Die Rappen wieherten. Die Kutsche setzte sich in Bewegung und rumpelte in einen Stollengang, der offenbar aus der Höhle führte. Während ich der Kutsche mit den Blicken folgte, bemerkte ich, wie Mischa aus dem Höhlensee auftauchte. »Paß auf, Tessa!« brüllte ich. Die Fahnderin, die sich mit Pavel Kollicka beschäftigt hatte, reagierte sofort. Sie zerrte den Dicken herum und warf ihn gegen Mischa. Der Glatzkopf fegte Kollicka mit einem wütenden Fauchen zur Seite, als hätte er eine Strohpuppe vor sich.
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Er befand sich mitten im Sprung, seine Krallen waren vorgestreckt, um Tessas Hals zu umklammern, als der peitschende Knall durch die Höhle hallte. Mischas Bewegungen froren ein. Es schien, als sei er schlagartig zu Stein geworden. Seine Krallenfinger waren nur noch wenige Zentimeter von Tessas Hals entfernt. Unendlich langsam sackte er in die Knie. Sein fratzenhaftes Gesicht entspannte sich. Er fiel nach hinten und blieb reglos liegen. »Mark! Tessa! Seid ihr in Ordnung?« vernahm ich erleichtert die Stimme meines Kumpels Pit Langenbach. Zusammen mit Hauptkommissar Schmiedle kam er in die Höhle gelaufen. »Die Gräfin ist mit der Kutsche weg, Mark. Wir konnten sie nicht aufhalten!« »Irrtum. Die Kutsche war leer. Lidja ist…« Ich verstummte. Die Gräfin stand nicht wie vermutet hinter mir, sondern hatte sich klammheimlich aus dem Staub gemacht. Dieses Aas! Aber ich würde sie kriegen! Pit reichte Schmiedle seine Pistole, in der sich noch einige Silberkugeln befanden. Der Saalfelder Kripomann ging entschlossen gegen die Vampire vor, erlöste die vier Blutsaugerinnen von ihrem untoten Dasein. Sie alle waren noch nicht lange genug mit dem Vampirvirus infiziert gewesen und zerfielen nicht zu Staub. Doch ein friedlicher, fast glücklicher Ausdruck trat auf ihre Gesichter, und die Vampirhauer bildeten sich zurück. Pit erzählte in kurzen Worten, wie er seinen schwäbischen Kollegen aus dem Krankenhaus geholt und mit ihm einen Schlachtplan ausgearbeitet hatte. Sie hatten nochmals Kollickas Haus nach einem Hinweis auf das Versteck der Vampire durchsucht. Schließlich war Schmiedle der Gedanke gekommen, daß die Feengrotten, jene bizarren Schieferhöhlen am Rande von Saalfeld, ein geradezu ideales Versteck darstellten. Ich nahm erst mal Tessa in die Arme. Zitternd lag sie an meiner Brust. »Ihr steht da wie Adam und Eva.« Pit lachte. »Mark, wolltest du diese teuflische Weiber vernaschen?« »Quatschkopf! Besorg uns mal lieber was zum Anziehen!« Dazu kam es nicht mehr.
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Dann eine andere Stimme. »Ihr werdet diese Grotte nicht lebend verlassen! Nur Tessa, meine Blutschwester, wird auf mich warten. Ich hätte dich zu gern für immer an meiner Seite gehabt, Mark. Schade, es hat nicht sollen sein!« Tapsende Schritte ertönten, Tessas Augen weiteten sich. »O nein. Nicht schon wieder«, seufzte sie. Ich wußte, was sie meinte. »Sie hetzt jetzt ihre Ratten auf uns!« Es war zu spät. Im Nu waren wir von den Rattenviechern umzingelt. Es gab nur einen Ausweg, und der war mehr als gefährlich. »Mir nach!« brüllte ich und rannte zwischen den Rattenleibern hindurch. Sie sprangen an mir hoch. Ihre Krallen fügten mir blutende Striemen zu. Nagezähne verbissen sich in meiner Haut. Ich hechtete in die kalten Fluten des Höhlensees! Meine Freunde taten es mir nach. Mißmutig beäugten uns die Ratten vom Ufer aus. Ins Wasser würden sich nur wenige wagen. Und so lange wollte ich nicht warten. Erst im hinteren Drittel des Sees spürte ich die Strömung. Ich folgte ihr mit kräftigen Schwimmstößen, ließ mich zeitweilig treiben. Die Felsdecke senkte sich bis fast zur Wasseroberfläche. Ich holte tief Luft und tauchte. Meine Hände fanden Halt an den zerklüfteten Felsen unter Wasser. Ich zog mich hastig voran und hoffte, daß meine Freunde meinem Beispiel folgten. Der Unterwasserstollen schien kein Ende nehmen zu wollen, doch plötzlich trat die Felsdecke zurück. Keuchend und prustend durchstieß mein Kopf die Wasseroberfläche. Neben mir tauchte Tessa auf. Ich küßte sie. War überglücklich, sie zu sehen. Die beiden Kripomänner folgten wenig später. Wir halfen ihnen auf die Beine und führten sie auf einen Höhlengang, der mit Seilen gesichert war. Wir befanden uns in der sogenannten Gralsburg, der schönsten der Feengrotten. Hier, wo die Felsformationen an eine Burg erinnerten und sich unzählige Brautpaare das Ja-Wort gegeben hatten, führte unser Weg in die Freiheit. Draußen empfing uns grelles Scheinwerferlicht. Ich kniff geblendet die Augen zusammen. Er kannte Einsatzfahrzeuge der Polizei, einen Hubschrauber, eine kleine Streitmacht Uniformierter 90
und ein metallenes Ungetüm, das wie ein Mittelding aus einem Bulldozer und einem Panzer aussah. Pit schien wieder ganz der Alte zu sein. Er hustete ein letztes Mal, ließ dann seine Stimme erschallen und rief den Einsatzleiter zu sich. Sofort wurde das Metallmonster in Stellung gebracht. Und zwar an dem Höhleneingang, durch den Pit und Schmiedle eingedrungen waren. Er befand sich etliche Meter weiter links, auf einer Anhöhe. Für Unbefugte war hier der Zutritt verboten. Eine hübsche Polizeibeamtin versorgte mich mit meiner Kleidung, die auf dem Marktplatz zurückgeblieben war. Puterrot wurde sie, und auch ich reagierte. Auf Männerart. Packte aber rasch alles ein. Ich erhielt von Tessa einen Rippenstoß, der mich sofort in die rauhe Gegenwart zurückbeförderte. Auch sie hatte was zum Überziehen erhalten. Am Höhleneingang erschienen die ersten Ratten. Sie schienen gespürt zu haben, daß wir hier auf sie warteten. Pit hob den Arm. Das Kanonenrohr richtete sich auf den Eingang. Das Rattenheer wälzte sich aus der Höhle wie ein gigantischer Lavastrom. Pit senkte den Arm. Ein Strahl weißen Schaums schoß aus der Kanone und besprühte die Nager, trieb sie zurück. Die Tiere fielen völlig verwirrt durcheinander. »Löschschaum«, erklärte Pit. »Wird bei Großbränden eingesetzt. Die Kapazität ist zwar begrenzt, aber ich hoffe, wir können uns die Viecher vom Leib halten.« »Feuer einstellen!« befahl ich und sprang auf die Maschine. Mit dem Lichtstrahl meines Rings schrieb ich eine Vernichtungsrune auf den Behälter. »Leg los! Ich muß da aber noch mal dahinein!« »Bist du lebensmüde? Die Biester werden dich in Stücke reißen!« »Es muß sein!« Die Schaumkanone trat in Aktion. Der Schaum fraß sich in die Reihen der Nager und machte ihnen in wenigen Augenblicken den Garaus. Stinkender Qualm stieg auf. Jene Tiere, die nicht unter dämonischem Einfluß standen, erstickten oder erfroren in den Schaummassen. Geduckt lief ich in die Höhle, fand den Sockel mit dem Steinthron und rannte hinauf. Bald hatte ich Lidjas Fluchtweg entdeckt. Er war nur kurz, führte über natürliche Stufen in eine 91
schmale, unwegsame Grotte, durch einen niedrigen Stollen und eine Art Kamin nach oben. Ich fand mich in einem Waldstück wieder. Der kleine Höhlenausgang war durch dornige Büsche getarnt worden. Schwach zeichnete sich ein schmaler Pfad zwischen den Büschen ab. Ich folgte ihm und kam an den Rand einer Böschung, konnte weit unter mir den hell erleuchteten Vorplatz und die Polizisten sehen. Aber ich entdeckte auch das schmale Band eines Wegs, der sich durch den Wald schlängelte. Diesen Weg hatte die Blutgräfin wohl genommen. Ich rannte durch den Wald, so schnell ich konnte. Holte alles aus mir heraus. Wenn ich die Gräfin richtig eingeschätzt hatte, war sie noch nicht weit entfernt. Ich rechnete damit, daß sie von hier aus hatte zusehen wollen, wie wir von den Ratten vernichtet wurden. Der Waldweg führte in einer weiten Schleife um den Hügel herum, und das war mein Vorteil. Ich konnte gehörig abkürzen. Als ich den Gipfel erreicht hatte, hörte ich das Rattern und Rumpeln der Karosse. Und dann sah ich sie! Lidja selbst saß auf dem Kutschbock, trieb die Pferde zu halsbrecherischem Tempo an. Ich jagte den Abhang hinunter, rutschte beinahe über den Rand der Böschung auf den Waldweg und konnte mich gerade noch an einem Baumstamm festhalten. Ich wäre direkt vor die Hufe der Pferde gefallen und von ihnen zertrampelt oder von den Rädern der Kutsche zermalmt worden. So aber wartete ich keuchend den richtigen Moment ab und sprang! * Hart prallte ich auf dem Wagendach auf. Lidja schaute nach hinten und schrie wütend. Aber ich hatte genug mit mir selbst, zu tun. Durch den Schwung rollte ich seitlich vom Kutschdach. Ich konnte mich eben noch an einer Laterne festhalten. Lang ausgestreckt hing ich am Heck der Kutsche. Meine Beine berührten den Boden. Ich zog sie an, um mir nicht die Füße zu brechen.
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Keuchend holte ich Schwung, stieß mit den Füßen gegen die Rückwand der Kutsche und stützte mich ab. Zog mich hoch und benutzte das kleine Fenster in der Wand als Trittstufe. Endlich lag ich wieder auf dem Wagendach. Aber Lidja hatte damit gerechnet. Das Gefährt schlingerte gefährlich. Ich mußte mich mit beiden Händen am Rand festhalten, um nicht heruntergeschleudert zu werden. »Gib auf, Lidja! Du kommst nicht weit! Diesmal nicht!« rief ich. Sie ließ die Peitsche knallen und hieb auch nach mir. Ich biß die Zähne zusammen, als die Peitschenschnur meinen Rücken traf. Die Karosse rollte auf dem Feengrottenweg entlang Richtung Süden. Er verlief parallel zur Bundesstraße. Dichter Wald und ein schmaler Flußlauf begrenzten ihn. Die Wiedergängerin verließ den Kutschbock. Sie hätte sicherlich Tiergestalt annehmen können, aber sie wollte ihren Triumph voll auskosten. Indem sie mich mit ihrem Vampirkuß tötete! Sie krabbelte auf dem Wagendach auf mich zu. Ich grub meine Hand in die Hosentasche und begegnete ihrem Angriff vorbereitet. Ihr bleiches Gesicht leuchtete in der Dunkelheit. Ihre Zähne waren gefletscht. Ich warf ihr blitzschnell den Rosenkranz, den ich in der Tasche gefunden hatte, über den Kopf. Sie schrie. Das Kreuz am Ende der Perlenkette mußte ihr Unbehagen bereiten. Sie krallte ihre Finger in die Kette und zerrte daran. Ich rammte ihr die Faust ins Gesicht. Der Schlag warf sie auf den Rücken. Durch das Schlingern des Wagens verlor ich jedoch selbst das Gleichgewicht und kam auf Lidja zu liegen. Jetzt gewann sie die Oberhand. Die Perlenkette riß. Das kleine Kreuz traf mein Gesicht und prallte an meiner Stirn ab. Lidjas Finger schlossen sich um meine Kehle. »Niemand kann der Kraft der Hölle widerstehen! Auch du nicht, Mark Hellmann!« Sie zerrte mich hoch und zu sich herab. »Empfange meinen Kuß!« Mit den Armen schützte ich mein Gesicht. Meine Muskeln stießen gegen Lidjas Mund, verhinderten, daß sie ihre Zähne in meinen Hals graben konnte.
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»Du kannst den Teufel knutschen, aber nicht mich, Satansweib!« zischte ich, packte mit beiden Händen zu und riß ihren Kopf zur Seite. Wir rollten über das Kutschdach. Verzweifelt bemühte sich Lidja, auf dem Wagen zu bleiben. Ein derber Schlag traf mich an der Stirn. Ich sah Sterne. Ein weiterer Hieb warf mich auf die andere Seite des Dachs. Wir rangen miteinander. Das Gefährt schlingerte. Während des Zweikampfes bemerkte ich, wie die Kutsche nach rechts abschwenkte. Sie holperte auf einem Feldweg durch den Wald und jagte am Ufer des Bachlaufes dahin. Lidja warf sich auf mich. Ich wollte sie wegstoßen und berührte dabei ihre Brust. »Bedenke, was dir entgeht, Mark Hellmann!« meinte sie verführerisch. »Du hattest niemals eine schönere Frau. Jetzt ist die Gelegenheit. Nimm mich. Hier und jetzt. Du wirst es nicht bereuen.« Die Kälte ihres Körpers drang durch meine Kleidung. In der Tat, dieses Wesen war betörend schön, dennoch rollte ich mich herum. Wir stemmten uns beide auf den Ellbogen hoch. Ich zog ein Kruzifix aus geweihtem Rosenholz aus der Gesäßtasche und hielt es ihr entgegen. Ihre kalten Finger entwanden mir mit Leichtigkeit das Kreuz. Verächtlich holte sie aus, um es wegzuschleudern. Im nächsten Moment schrie sie gellend und hob abwehrend einen Arm. Was ist denn jetzt? fragte ich mich. Einen Augenblick, bevor der Aufprall kam, sah ich den Baumstamm, der quer über dem Weg lag. Ein Überbleibsel des letzten Gewittersturms. Ein furchtbarer Krach, splitterndes Holz, schrill wiehernde Pferde. Die Wucht des Aufpralls hob uns vom Dach des Wagens, ließ uns durch die Luft fliegen und gegen Baumstämme prallen. Benommen rappelte ich mich auf, schaute mich nach der Wiedergängerin um. Ich entdeckte ihr helles Kleid im Bach. Sie richtete sich auf. Brach zusammen und kam erneut hoch. »Hilf mir!« röchelte sie. »Bitte, Mark Hellmann! Ich werde dich fürstlich belohnen! Laß mich nicht jämmerlich ersaufen!«
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Fließendes Wasser! Lidja würde einen furchtbaren Tod sterben. Sie tat mir sogar ein wenig leid. »Ruhe sanft, Lidja«, murmelte ich. »Aber diesmal für immer.« Ein Ruck ging durch ihren Körper. Ich Augen weiteten sich. Der Mund öffnete sich zu einem gellenden Schrei. Schwarzes Blut sprudelte aus der Wunde. »Mark…!« hauchte die Untote und streckte mir flehend den Arm entgegen, während ihr schönes Gesicht bereits zerfiel. Ich wandte mich ab und ging langsam den Weg zurück, den wir gekommen waren. * »Heilig's Blechle«, deklamierte Hauptkommissar Schmiedle. »Das war der brisanteste Fall meiner ganzen Laufbahn. Der Schmiedle kämpft gegen Vampire. Das darf man keinem erzählen.« »Was ist mit Kollicka?« fragte ich. »Die Ratten haben ihre Wut an ihm ausgelassen. Er war ziemlich ramponiert, als wir ihn aus dem Höhlensee gefischt haben. Liegt auf der Intensivstation«, erklärte Tessa. »Wenn sie ihn durchkriegen, wird er in den Knast umziehen müssen.« Bei den Feengrotten gab es nichts mehr für uns zu tun. In Saalfeld quartierte ich mich bei Tessa im Hotel Am Hohen Schwarm ein und fiel erschöpft auf das Bett. Hauptkommissar Schmiedle hatte es sich nicht nehmen lassen, uns für den Abend zu sich einzuladen, um unseren Sieg zu feiern und sich für seine Lebensrettung zu bedanken. Er wollte uns mit hausgemachten schwäbischen Spezialitäten verwöhnen und dazu auch noch seinen geliebten Trollinger kredenzen. Aber bis dahin hatte ich Zeit genug, mich von den durchstandenen Strapazen zu erholen. Kaum hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, trat Tessa an mein Bett. Sie trug nur ein dünnes T-Shirt. Sonst nichts. Ihr Anblick verschlug mir den Atem. Rasch hängte sie das „Bitte nicht stören - Schild“ an die Tür und kam zurück. »Hallo, mein Prinz! Du bist ja fix und fertig. Komm mit, eine Dusche wird dich wieder auf die Beine bringen.« 95
»Nein, danke. Ich bin viel zu erledigt, um mit dir eine neue Stellung auszuprobieren.« »Tsk, tsk - was du immer denkst. Eine altbekannte tut's doch auch.« Sie zog midn ins Bad und streifte mir die Boxershorts ab. Sie hatte recht. Die Dusche belebte. Mich und ihn! Ich spürte ihre harten Brustspitzen an meinem Rücken. »Fast wärst du ihr verfallen, mein Prinz. Mit Haut und Haaren.« »Quatsch. Ich verliebe mich nicht in Dämoninnen.« »Aber Stielaugen hast du schon gekriegt. Und sie bei deinem Anblick auch. Dauernd hat sie den da angestarrt.« Bei dieser Bemerkung gab sie meinem kleinen Freund einen Klaps. »Kaum ist er im Hellen, da kommt der kleine Mann auch schon groß raus.« Ich drehte mich um und küßte sie lange. Ihr nackter Körper schmiegte sich an mich. Ich spürte ihre Wärme und die samtweiche Haut unter meinen Händen und wußte, daß es keine Frau gab, die ich mehr mochte als Tessa.
ENDE
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