Das Ritual Version: v1.0
Sydney, Salem Enterprises Steuart Goldenberg erstarrte, als jemand lautlos in den scharf ge ...
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Das Ritual Version: v1.0
Sydney, Salem Enterprises Steuart Goldenberg erstarrte, als jemand lautlos in den scharf ge bündelten Reizstrahl trat, der auf das gläserne Bassin gerichtet war, und dabei keinen Schatten warf. »Ich hoffe, ich habe dich erschreckt!« kam es kalt über dunkle Lippen. »Ich liebe diesen gehetzten Ausdruck auf deinem sonst so abgeklärten Gesicht, Professor!« Auf Goldenbergs Stirn glitzerten plötzlich Schweißperlen. Er verkrampfte, als der Untote sich penetrant an ihn drängte, in den Behälter mit dem Nährbrei wies und in klirrendem Ton sagte: »Es ist schon erstaunlich groß geworden! Ich wußte ja, daß ich mich auf dich verlassen kann, Steuart! Dein hübsches Töchterchen und deine hinreißend verdorbene Frau werden es dir ewig danken …«
Was bisher geschah Ein Korridor unter der Wüstenstadt Uruk führt in vergangene Epochen, die bedeutsam für die Vampire waren. Hier erfahren Luther und Romano von einer »Dunklen Arche«, auf der die Vampire die Sintflut überlebten. Als die beiden beim Bau der Arche umkom men, werden sie ans Ende der Zeit versetzt. Felidae langt in Uruk an, wo das LICHT sie zum Wächter über den Korridor macht und ihr eine Vision schickt: Landru wird noch vor Lilith hier eintreffen und deren Missi on gefährden! Als Ablenkungsmanöver soll Lilith den Nexius befreien! Fast gelingt es; nur knapp kann Landru den Ausbruch verhindern. Lilith begibt sich unterdessen in die Türkei, wo sie ein eiförmiges Gebilde bergen soll: die Agrippa. Sie findet sie im »Dunklen Dom« – und stößt auf die bislang unerweckten Kelchhüter, denen auch Landru angehörte: die Vampire, die damals die Sintflut überleb ten! Mit der Agrippa will Lilith das LICHT erpressen, doch als sie es versucht, wird Beth vom LICHT versklavt. Sie formt ein Abbild von Lilith und schaltet deren Willen aus. Wie Marionetten werden die beiden nach Uruk dirigiert, wo Liliths Diener – die Opfer, die ihren Keim tragen – auf sie warten. Sie öffnet den Korridor und findet Felidaes Über reste. Im Herz der Vampirin ist noch Blut; Lilith füllt es in den Lilienkelch. Und während ihre Diener im Gang verschwinden, trinkt sie daraus. Als Folge büßt Lilith ihre menschliche Seite ein, und als Beth aus der Beeinflussung des LICHTS erwacht … bringt die ehemalige Freundin sie kaltblütig um! Nun will sie selbst den Korridor betreten – aber Soldaten sind auf die Aktivitäten bei der Ausgra bungsstätte aufmerksam geworden und stürmen die Anlage! Das Wächterwesen tötet viele, doch die Männer können die Agrippa rauben und zerren auch die verletzte Lilith mit sich. Noch während der Fahrt zum Militärlager flieht Lilith. Aber sie kann nicht verhin dern, daß man die Agrippa öffnet. Ein Dämon, auf dessen Haut Schriftzeichen in ständi ger Bewegung sind, entsteigt dem Ei. Da keiner der Männer in der Lage ist, »von ihm zu lesen«, wütet er schrecklich unter ihnen. Erst in Lilith erkennt er seine Meisterin und zieht sich wieder in die Agrippa zurück. Inzwischen ist auch Landru mit dem Schlangenstab, einem Relikt aus der Dunklen Ar che, in Uruk angekommen. Er beobachtet Lilith, als sie nun zur Ausgrabungsstätte zu rückgeht, und folgt ihr in den Korridor. Doch Lilith wird unterwegs durch ein Tor gezogen, das in eine Welt aus Affen menschen und Fabelwesen führt – ein »Müllplatz der Schöpfung«. Als sie wieder in den Korridor zurückkehrt, hat Landru sie überholt …
Die Hauptpersonen des Romans Lilith Eden – Tochter eines Menschen und einer Vampirin. 98 Jahre lag sie schlafend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist vor der Zeit erwacht. Nun kämpft sie gegen die Vampire, die in ihr einen Bastard sehen, bis sie sich ihrer Bestimmung bewußt wird. Der Symbiont – Ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, obwohl es fast jede Form annehmen kann. Der Symbiont er nährt sich von Vampirblut. Landru – Mächtigster der alten Vampire. 268 Jahre jagte er dem Li lienkelch nach, dem Unheiligtum der Vampire, der ihm damals von Felidae gestohlen wurde. Felidae – Vampirin im Auftrag einer geheimnisvollen Macht. Sie verfolgt einen Plan, der die Welt der Menschen und Vampire verän dern wird. Duncan Luther & George Romano – Zwei Tote, die Liliths Keim in sich tragen. Sie haben einen Korridor in Uruk/Irak freigelegt. An seinem jenseitigen Ende soll sich Liliths Bestimmung erfüllen. Die Vampire – Noch kennt niemand ihre wahre Herkunft, doch sie leben seit Urzeiten neben den Menschen in Sippen zusammen. Um einen neuen Vampir zu schaffen, muß ein Menschenkind schwarzes Blut aus dem Lilienkelch trinken. Der Kodex verbietet Vampiren, sich gegenseitig umzubringen. Die Dienerkreaturen – Tötet ein Vampir einen Menschen mit sei nem Biß, wird dieser ihm nicht ebenbürtig, sondern eine Kreatur, die dem Vampir bedingungslos gehorcht. Ihrerseits kann eine Die nerkreatur den Vampirkeim nicht weitergeben.
Deine hinreißend verdorbene Frau … Der Wissenschaftler erzitterte. »Wie – geht es Margret und meiner Tochter?« fragte er mit einem pelzigen Gefühl um den Gaumen. Der Mann mit dem wild-charismatischen Auftreten eines gewis senlosen Tieres drehte Goldenberg sein Gesicht zu und formte ein abartiges und in seiner Absicht niederträchtiges Lächeln. »Margret? Prächtig! Ihr mangelt es an absolut nichts. Ich kümmere mich persönlich um ihre Bedürfnisse, und manchmal erscheint sie mir in allen Belangen beinahe unnatürlich genügsam.« In Heraks Au gen glomm es flüchtig auf. »War sie so auch bei dir? Hast du sie klein gehalten und so erzogen? Wie anders wäre es zu erklären, daß sie um den geringsten Beweis von Zuneigung bettelt? Hätte ich nur mehr Zeit …« Er verstummte. Steuart Goldenberg ballte die Fäuste in den Taschen seines Kittels. Für eine Sekunde stellte sich vor, wie es wäre, den Schaft einer Klin ge zu umschließen, die Hand emporzureißen und damit Heraks straffen Hals wie ein hart gespanntes Tau zu durchtrennen … Natürlich tat er es nicht. Es war auch unwahrscheinlich, daß dem gefühllosen Peiniger da mit beizukommen gewesen wäre. Und selbst wenn: Heraks Ende – oder auch nur die versuchte Atta cke auf ihn – hätte den unweigerlichen Untergang von Goldenbergs ganzer Familie nach sich gezogen – einschließlich ihm selbst! Diesbezüglich hatte Herak nie irgendwelche Zweifel gelassen, und an Personen, die ihn gerächt hätten, gab es keinen Mangel. Dies war nur ein Labor von Salem Enterprises, auch wenn Goldenberg dar über, welche Forschungen in den anderen Räumlichkeiten betrieben wurden, nur spekulieren konnte, solange er selbst in totaler Isolation
arbeitete. Er hatte nie eine Wahl gehabt, ob er sich für Salem engagieren wollte. Ein düsterer Besucher aus Heraks Umfeld hatte den Wissen schaftler eines Tages – vor nunmehr fast acht Monaten – privat auf gesucht und ihm eine berufliche Chance angepriesen, die er nicht ablehnen könne. Die Stimme des Besuchers hatte etwas Einschmei chelndes besessen, dennoch war Goldenberg eher empört über sein dreistes Auftreten gewesen. Ziemlich unfreundlich hatte er ihm die Tür gewiesen … … und damit hatte der eigentliche Alptraum erst begonnen. Zwei Tage später war seine Tochter Debra nicht von der High School heimgekommen, und Margret hatte ihn am frühen Abend völlig verzweifelt im Institut angerufen, wo er üblicherweise Über stunden machte. Als er voller Sorge daheim angekommen war, hatte seine Frau ihn puppenhaft starr in Gesellschaft eines elegant geklei deten Mannes im Wohnzimmer erwartet. Goldenberg hatte den Fremden für einen Polizisten gehalten. Bis er erfuhr, daß es sich um den Kidnapper seiner Tochter handelte … Das war seine erste Begegnung mit Herak gewesen, bei der ihm dieser unmißverständlich eröffnet hatte: »Normalerweise werben wir Leute, an denen uns gelegen ist, subtiler an. Leider sprichst du auf unserer Hypnose nicht an und läßt uns daher keine andere Wahl, als unsanftere Methoden anzuwenden. Ich bin aber zuversicht lich, daß dies deiner Leistungsfähigkeit keinen Abbruch tun wird. Wir werden gut miteinander auskommen – solange du dein Dasein durch Fortschritte in der Aufgabe, die ich dir stellen werde, rechtfer tigst …« Seitdem diente Steuart Goldenberg diesem Mann. Daß er nicht nur skrupellos war, sondern überhaupt kein Mensch, hatte er erst erfah ren, als Herak ihn zum erstenmal mit einer anderen unheimlichen Lebensform konfrontiert hatte. In den Wochen und Monaten danach
war diese Lebensform Goldenberg allerdings vertrauter geworden, als Herak es jemals werden konnte. »Es wächst exakt nach Plan«, bemühte sich der Wissenschaftler um einen Themawechsel. Dabei blickte er in das Bassin, das nicht nur die zähe Nährlösung enthielt, sondern in dem auch das Bizarre schwamm, um das es Herak ging. »Das reicht mir nicht.« Heraks beinahe beiläufiger Ton trog. »Schon vor geraumer Zeit hast du dich damit gebrüstet, den kom pletten Zellaufbau dieses gefräßigen Dings entschlüsselt zu haben. Wann sehe ich endlich einen Nutzen? Verlasse ich mich am Ende auf das falsche Genie?« Goldenberg erzitterte. »Nein«, versicherte er mit belegter Stimme. »Nein!« Er räusperte. »Nur noch ein paar … Tage, und es wird seine in den Genen gespeicherte Endmasse erreicht haben. Dann …« »Dann?« »Dann müssen wir mit der vorsichtigen Umstellung beginnen.« Herak wußte, wovon die Rede war. Die Umstellung von dem Nahrungsmittel, das Liliths Symbiont bevorzugte (schwarzes Vam pirblut) auf eines, das Heraks Absicht, die er mit seinem künftigen Symbionten verband, nicht von vornherein vereitelte … »Ein paar Tage?« Er schürzte die Lippen. »Das, liebster Steuart, klingt gut. Ich denke, zur Feier des Tages darfst du ein wenig mit deiner Margret plaudern – zu deiner Motivation. Wer weiß, viel leicht dürft ihr schon früher wieder zusammenkommen als gedacht … Freust du dich?« Goldenberg versuchte das Kratzen in seinem Hals durch Schlu cken zu beseitigen. »Was ist mit Debra?«, fragte er. »Debra?« Herak knetete freudig erregt seine Finger. »Mit DebraTäubchen werde ich plaudern, während du dich um deine Margret
kümmerst!« Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ festen Schrittes das Labor, dessen Tür sich automatisch vor ihm öffnete und ebenso hermetisch wieder hinter ihm schloß. Für Goldenberg hatte sich nichts geändert. Nach wie vor war er ein Gefangener. Der Gefangene eines Unholds, der nun unterwegs zur siebzehn jährigen Tochter des Wissenschaftlers war …
* »Ich würde versuchen, ihn zu töten, wenn es eine Lösung wäre!« »Steuart!« Goldenberg erforschte Margrets Mimik und fand Anzeichen, die den Ernst von Heraks Anspielungen bestätigten. Trotz der langen Gefangenschaft wirkte seine Frau nicht wirklich desillusioniert, nicht einmal – was natürlich gewesen wäre – abgestumpft. Ihr Teint hatte noch nie frischer gewirkt, ihre rehbraunen Augen waren nie leuchtender gewesen. Sie war vierzig, aber immer noch so attraktiv wie an dem Tag, als Goldenberg um ihre Hand angehalten hatte. Daß sie die Haare jetzt kürzer trug, brachte ihr apartes Gesicht und den sinnlichen Mund nur noch mehr zur Geltung. Ich liebe sie, dachte Goldenberg gequält. Aber ich werde sie ewig has sen, wenn sich herausstellen sollte, daß … »Wie weit bist du mit deiner Arbeit?« fragte sie. »Er wird uns frei lassen und eine hohe Summe zahlen als Entschädigung für deine Leistung und die Zeit, die uns gestohlen wurde – das hat er verspro chen!« Goldenberg starrte auf die Scheibe des Monitors, auf der Margrets
Gesicht in der Totalen abgebildet war. In den acht Monaten der Ein kerkerung waren sie einander nicht ein einziges Mal persönlich be gegnet. Goldenberg wußte nicht einmal, ob sich Margret in diesem Gebäudekomplex, in dieser Stadt oder Hunderte Meilen entfernt aufhielt. Seine Frau hätte es ihm sagen können, aber sie schwieg mit Hinweis darauf, daß es ihr verboten worden sei, diese Frage zu be antworten. »Das hat er mich auch gefragt«, sagte Goldenberg in bitterem Ton. »Wie weit deine Anstrengungen gediehen sind?« »Ja!« »Und?« Er wurde den Eindruck nicht los, daß sie für ihn fragte – für Herak. »Es wird noch dauern.« Margrets Miene blieb unerschütterlich. »Wie lange?« Goldenberg gestand sich ein, daß er nicht mehr die Bindung zu ihr empfand, die früher dagewesen war. Und das lag an ihr. An der kühlen Distanz, an der unnatürlichen Beherrschtheit, mit der sie ihr eigenes und das Schicksal ihrer Angehörigen ertrug! »Mindestens ein paar Tage – vielleicht länger«, wiederholte er die Lüge, die er schon Herak aufgetischt hatte. Aus Angst. Goldenberg wußte nicht, was passieren würde, wenn seine Aufga be zu Heraks vollster Zufriedenheit erfüllt war. Aber nur ein Narr konnte glauben, daß ein Krimineller von solcher Potenz seine Opfer am Ende für ihre Kooperation belohnen würde. Viel wahrscheinlicher war, daß er sie, nachdem sie nutzlos geworden waren, beseitigen würde. Eiskalt, wie es Heraks Natur war.
Darum zögerte Goldenberg zu verraten, daß die Arbeit längst ge tan war. Was jetzt noch ausstand, war tatsächlich nur die erwähnte ›Umstellung‹. Als Margret schwieg, fragte Goldenberg aus einem spontanen Be dürfnis heraus: »Siehst du ihn oft?« »Wen?« »Herak natürlich!« »Es geht. Er bleibt nie lange …« Das einzige Wort, das ihrem Tonfall zufolge noch in ihrem Satz fehlte, war ›leider‹ … In Goldenbergs Kehle bildete sich ein Kloß wie ein Korken. »Er macht Anspielungen, was dich betrifft!« sagte er und bemühte sich vergeblich, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. Margret lächelte nachsichtig. »Er will dir wehtun. Das müßtest du doch längst erkannt haben!« »Vielleicht … Läßt er dich in Ruhe? Läßt er Debra in Ruhe?« »Natürlich!« »Woher weißt du das so sicher?« »Weil ich wissen müßte, wenn er mich –« »Ich rede auch von Debra!« »Ich sehe sie täglich. Sie würde mir es sagen, wenn er ihr etwas zu leide täte. Außerdem – würde ich es spüren.« Goldenberg senkte kurz den Blick. Seine Zweifel waren trotz der Bestimmtheit, mit der Margret sie zu entkräften versuchte, nicht be seitigt. Ich bringe ihn um, wenn er mir das antut! Egal, was weiter pas siert: Wenn Margret seine Verfehlungen deckt, bringe ich ihn um – und damit uns alle …! »Warum darf ich Debra nie sehen, nicht einmal sprechen?«
»Er hat es verboten …« Sie redete, als zitierte sie ein satanisches Gesetz. Goldenberg rieb sich über den Mund. »Als er vorhin ging, drohte er, sich um Debra ›zu kümmern‹. Er nannte sie ›Debra-Täubchen‹! Ich …« »Komm zu dir!« unterbrach ihn Margret ungehalten. »Vergeude deine Energie nicht auf Eifersüchteleien! Es ist seine Art, dich auf diese Weise unter Druck zu setzen – wann kapierst du das endlich? Beende deine Arbeit, und wir sind frei! Mit dem Geld, das wir erhal ten, können wir sonstwohin ziehen und dort ein neues Leben begin nen! Ich schwöre dir, daß er mich nie angefaßt hat – und auch nicht Debra! Wenn er bei uns ist, verhält er sich absolut diskret und an ständig. Der Käfig, in dem er uns hält, ist golden – aber deshalb bleibt es immer noch ein Käfig. Nur du hast die Möglichkeit, die Tür hinaus zu öffnen … Tu es! Streng dich noch mehr an! Bislang habe ich die Starke gespielt, aber in mir drin sieht es anders aus …« Sie vergrub schluchzend das Gesicht in den Händen, und ehe Gol denberg die Veränderung richtig begriff, verschwand ihr Bild aus dem Monitor. Aus dem Lautsprecher drang lautes Rauschen, und auf dem Schirm wirbelte Grieß. Er konnte nicht sagen, woher es kam, aber sekundenlang hatte er das entsetzliche Gefühl, daß dieser Anblick ihm angenehmer war als der vorherige … Schaudernd wandte er sich ab.
* Herak schaltete die Computersimulation und den integrierten Sprachvokoder aus.
»… in mir drin sieht es anders aus …«, hatte er ›Margret‹ zuletzt in billiger Effekthascherei aufschluchzen lassen. »Wie hat dir das gefallen, Margret-Täubchen?« wandte er sich an das Original, an dem die Parameter für die Rechnerkomposition ein gemessen worden waren. »Hättest du ihm selbst netter beibringen können, was für ein Idiot er ist?« Margret schwieg. Um sie antworten zu lassen, hätte er das Com puterprogramm erneut hochfahren müssen. Goldenbergs Frau saß in sittsamer Pose auf einer Ledercouch. Sie trug ein blitzsauberes Kleid, aber ihr Teint hatte trotz der aufwendi gen Konservierungsmaßnahmen gelitten. Weil die Augen immer ein Problem darstellten, waren sie das einzig Künstliche an Margret. Aber die eingesetzten Glaskörper trafen sehr schön den originalen früheren Farbton … Herak blieb vor der Toten stehen und streichelte ihre kühle, von einer wirksamen Tinktur durchtränkte Haut. »Nur wenn dein Mann wüßte, welchen Aufwand ich betreibe, um ihn bei Laune zu halten, könnte er ermessen, wie wichtig mir das Resultat seiner Arbeit tat sächlich ist! Ich kenne niemanden außer ihm, der den Code des Frag ments überhaupt geknackt und es zum Wachsen gebracht hätte! Die einzige, die ähnlich genial veranlagt ist und noch in Frage käme, hat dafür keine Zeit. Brescia-Täubchen pfuscht gerade der lückenhaften Schöpfung ins Handwerk – und, das muß man ihr lassen, sie tut es gekonnt …« Herak gab Margret einen letzten Klaps auf die wie lackiert und et was spröde wirkende Wange. Dann verließ er das eigens für sie ein gerichtete Refugium. Sein nächster Weg führte ihn zu einer weiteren Goldenberg, Debra mit Namen und im Gegensatz zu ihrer Mama noch überaus leben dig.
Noch …
* VERGANGENHEIT Nachdem der unglaubliche Korridor ihn ausgespien hatte, fühlte sich Landru schier überwältigt von der Nacht, die ihn umgab. Von der Luft, die er einsog und die eine schwindelerregende Frische be saß – zugleich aber ebenso fremd, ebenso abstoßend war wie alles um ihn herum! Wo – bin ich? Wie geschieht mir …? Landrus Blicke bohrten sich in die Nacht, und vielleicht zitterte er auch, weil seine Augen diese Finsternis akzeptierten und nicht auf hellten, wie es längst hätte geschehen müssen … Er war fast blind, fühlte sich erdrückt von diesem Gebirge aus Schwärze, in dem kaum ein Stern leuchtete und auch kein Mond! Kein sichtbarer Mond, versuchte er sich zu beruhigen. Doch eine untrügliche Ahnung sagte ihm, daß es keinen Mond gab …! Nirgends über dieser Welt! Und er begriff, daß es falsch war, sich zu fragen, wo er sich auf hielt. Richtiger mußte es heißen: WANN BIN ICH? Landru drehte sich um seine eigene Achse, und dabei war ihm, als würde er gegen die Eigenrotation der Erde ankämpfen. Er lauschte. Die Stille war von einer fast greifbaren Dichte. Nur von weither aus der Dunkelheit glaubte der ehemalige Kelchhüter etwas zu hö
ren, das er aber nicht einordnen konnte. Mit aller Anstrengung versuchte er seine Emotionen in den Griff zu bekommen. Etwas in ihm hatte sich verändert. Auf dem Weg durch jenen unmöglichen Korridor, in dem Kelchkinder ihre Ge schichten erzählten, die endeten, als das Ritual der Taufe sie umge bracht hatte … Wenigstens diesen ›Stimmen‹ war er entronnen. Aber er hatte einen schlechten Tausch gemacht, denn nun krümmte er sich unter Blicken! Von überall aus dem hohen, dunklen, öden Himmel schien er be obachtet und – schlimmer noch – beurteilt zu werden! Landru ging in die Hocke. Er legte die Arme auf die Knie, senkte den Kopf – und spähte, verstohlen wie ein getretener Hund, von un ten herauf zum Firmament, in dem es tatsächlich nur ein paar rare Sterne gab, keine einzige vertraute Konstellation. Als hätte der Kor ridor ihn auf einem fremden Planeten einer außergalaktischen Son ne, fern der Erde, ausgespien … Wo waren die Stufen, über die er aus dem Stollen heraus zur Oberfläche gehetzt war? Landru streckte die Arme aus und tastete über den Sand, der noch die Hitze eines zurückliegenden Tages ausstrahlte. (Offenbar war die Sonne gerade erst versunken.) Dabei merkte er, wie sich seine Augen ganz allmählich mit der Finsternis arrangierten, ohne wirk lich sehen zu lernen. Aber wenigstens verlor die Nacht ein wenig von ihrer furchterregenden Dimension. Als er ein magisches Feuer entzündete, erschien es ihm, als täte er etwas Verbotenes – als verletze er ein Tabu. Trotzdem tat er es. Aus seinen Fingerspitzen zuckten verästelte Blitze und züngelten wie die Neuronen eines Gehirns über den körnigen Boden – so schwach, daß er es kaum glauben mochte. Sie erhellten gerade ein
paar wenige Schritte im Umkreis – und zeigten trotzdem unmißver ständlich, daß die Treppe, die ihn aus dem Bauch der Erde heraus geführt hatte, verschwunden war. Die Stufen, die er – noch in Wolfsgestalt – genommen hatte, exis tierten nicht mehr! Erneut hatte Landru das Gefühl eines Schwindels oder Sogs, und er kämpfte um sein Gleichgewicht. Was ist aus mir geworden? dachte er, denn er erkannte sich wirklich nicht wieder. So wie er jetzt hier kauerte, bot er kein besseres Bild als die, die er immer verachtet hatte. Menschen! Noch eine kurze Zeit hielt er das Feuer aufrecht, das von seinen Kräften zehrte. Dann kam der Moment, da er glaubte, der Boden, den er damit be rührte, hole zu einem zerschmetternden Gegenschlag aus – und Landru beendete das armseliges Spektakel fast panisch. Er ließ sich nach vorn auf die Knie fallen und bewegte sich vor wärts, während seine gespreizten Finger den warmen Boden durch pflügten, immer noch auf der Suche nach den steinernen Stufen, die er heraufgehetzt war. Er traf auf etwas Spitzes, das schmerzhaft seine Haut ritzte und ihm ins Fleisch drang. Die Opferschlange, die er sich um den Hals gehängt hatte, bevor er in die Wolfsgestalt wechselte! Landru hielt inne. Ein qualvoller Seufzer verließ seine Kehle. Vor seinem geistigen Auge stiegen Bilder empor. Szenen eines Blutvergießens, durch die ses Artefakt in der Hand Hoher Wesen verursacht … Der Vampir kippte vornüber. Er hatte den Eindruck, als bohrten sich die Zähne des Schlangenstabs beim Sturz tiefer in sein Fleisch
… … aber auch, als verschmähten sie das, was sich darunter befand … Was sich dort träge durch die Adern wälzte … (Meiner Ersten Kinder Blut …) Landru zitterte wie Espenlaub. Wo war der Korridor geblieben? Er wollte in ihn zurückkriechen! Wie in den Bauch der Mutter, die ihn … Er schrie erstickt auf und grub das Gesicht in den Boden. Er ballte die Fäuste und trommelte auf die ihn täuschende und betrügende Erde … Plötzlich fühlte er etwas Hartes – und sofort griff er nach diesem Halt, nach dem auch sein Verstand gierte. Da! Direkt vor ihm lag der Beginn der Treppe; ihre oberste Stufe, die er im magischen Licht übersehen hatte … Das einzige, was eine immer noch ungebrochene Kraft ausstrahlte, war die Opferschlange an dem Band um seinen Hals. Landru selbst war wie ausgehöhlt, als hätte der Marsch durch den unterirdischen Korridor ihn alle Kraft gekostet. In diesen Momenten wünschte er sich, Creannas Balg nie hierher gefolgt zu sein. Aber nur Lilith wußte, wo der dunkle Gral der Vampire geblieben war – jenes lilienförmige, magische Gefäß, ohne das kein Fortpflan zungsritual mehr durchgeführt werden konnte. Ohne das es nie wieder vampirischen Nachwuchs geben würde; höchstens stupide Diener, die der Keim aus Menschen formte, wenn man es zuließ … Wo war Lilith? Verursachte sie dieses ferne, schwer definierbare Geräusch? Sie war den Korridor vorausgeeilt. Er hatte sie gespürt. Aber dann
war der Kontakt abrupt abgebrochen(als Lilith in Thuuls Welt wech selte, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt noch immer aufhält; siehe VAMPIRA 48), und er hatte nur noch den anderen erfühlt. Den Er weckten. Duncan Luther … Während Landrus Fingernägel über den Stein schabten, dessen Glätte und Geometrie keinen Zweifel ließen, daß es sich um den Be ginn der Treppe handelte, stritten seine Wünsche und Ängste hefti ger denn je miteinander. Er wollte zurück – dorthin, wo er sich auskannte! Aber er wollte auch Lilith finden, sie besiegen und den Lilienkelch zurückerringen! Letzteres konnte er nur hier! Nur an diesem unbe schreiblich fremden, feindseligen Ort! Und dann war da auch noch sein … Hunger. Seine elende Schwäche, in der die Angst einen fruchtbaren Nähr boden fand. Angst, wie er sie nie zuvor empfunden hatte und vor der es kein Entrinnen zu geben schien … Landru richtete sich auf. Weit riß er den Kopf in den Nacken und starrte in diesen fast lee ren Himmel, von dem die wenigen Sterne wie Augen zu ihm herab starrten und ihn zu fragen schienen, was er selbst nicht (nicht mehr) wußte: WER BIST DU? Seine beiden Hände tasteten über die nackte Haut dorthin, wo das Artefakt auflag. Als könnte es ihm helfen, die Antwort nach seiner Identität zu fin den, krümmten sich Landrus Finger um den Schaft des Stabes. Mehr als eine Hand fand keinen Platz. Die andere bog er um die Faust, die den schuppig-rauhen Griff hielt. Wer bin ich?
Etwas aus dem Metall der Schlange bohrte sich in seinen Handbal len und von dort aus weiter, tiefer in seinen Leib! Etwas, das ihm bekannt vorkam – und Erinnerungen weckte …
* In der tizianroten Abenddämmerung sieht Uruk wie der Wohnort seltsa mer Tiere aus … Ich stehe, für die Menschen unsichtbar, auf dem Dach unseres weißen Tempels: Ich, ein Gott … »Ein Gott!« ICH – WAR – EIN – Landru wurde beinahe ohnmächtig, als sich das verschüttete Streiflicht seines verborgenen Wesens wie eine Vulkaneruption aus den Fesseln befreite, die ihn seit dem Tag des erbarmungslosen Blut vergießens an Bord der Arche geknebelt hatten! Es war nur ein flüchtige Impression, aber sie hinterließ ein tief gläubiges Gefühl, daß es dieses ›Vorleben‹ vor seinem Amt als Hü ter gegeben hatte! Hohe Wesen. Anum, Ischtar, Ea, Sin, Schamasch … Landru mit Na men …! Damals, vor der Flut … Landru kippte haltlos nach hinten und wälzte sich am Boden. Sein Verstand geriet in einen Strudel, in den Treibsand der Zeit … Sand, der durch ein Stundenglas von kosmischer Größe zu rinnen schien – und ihn durch das Nadelöhr in seiner Mitte entführen woll te … Entführt hatte! Er begriff plötzlich, daß er durch einen Korridor der Zeit gewan
dert war. Dies hier war graue, vielleicht menschen- und vampirleere Ver gangenheit! Eine Zeit, in der seine Augen in der Nacht versagten – und seine Magie aufs Lächerlichste reduziert war! Wie sollte er in dieser Verfassung Lilith besiegen? Oder war sie ebenso hilflos geworden wie er? Ebenso … hungrig …? Dürstend! Das Ding in seiner Hand (eines von insgesamt drei Objekten, die Anum an Bord der Arche brachte*) strahlte elektrisierende Schock wellen durch sein Gehirn. Sekundenlang fühlte sich Landru wie in arktisches Eis gegossen. Als läge er erstarrt unter der Kruste von Jahrtausenden, in die er sich hineingewühlt hatte. Mit jedem unwis senden Schritt mehr, den er in den von Felidae bewachten Korridor getan hatte. Ein Fossil schon dort, wo er aufgebrochen war! Die Opferschlange steckte immer noch in seiner Faust. Er ließ sie nicht los – und sie gab ihn nicht frei! So schonungslos, wie sie den wahnsinnigen Gedanken, ein GOTT zu sein, freigelegt hatte, schrie sie ihm jetzt aus seinen Eingeweiden zu, was er seinem Körper schuldig war! Und welchen Blutzoll er der Schlange – wie damals in der Arche – zu entrichten hatte … Blut. Wo sollte er diesen Stoff hier finden? Desorientiert richtete er sich auf. Kehrte dem Korridor den Rücken. Wandte sich in die einzige Richtung, aus der er immer noch Geräusche zu hören glaubte. Den Stab in seiner Hand interessierte nicht, ob dort Lilith oder ein beliebiges anderes Geschöpf wartete. *Lilienkelch, Opferschlange und Agrippa; siehe VAMPIRA 44
Die Schlange interessierte nur der beseelte Nektar, und Landru hegte den beunruhigenden Verdacht, daß ihr selbst dessen Farbe völlig egal war …
* Als sich sein Verstand wieder etwas aufgeklart hatte, begriff er, daß es ihn nicht nur auf ein Geräusch zuzog, sondern auch dorthin, wo seine Wahrnehmung meinte, Duncan Luther geortet zu haben. Landru stolperte durch den Sand. Durch eine Wüste, die jener am anderen Ende des Korridors ähnelte und doch vollkommen anders war. Hier gab es viele Dinge, die die Nacht verhüllte. Nicht nur Ödnis, sondern … Laute, die ihn selbst erschreckten, lösten sich aus Landrus Brust. Sie mußten ihn verraten, aber es gelang ihm nicht, sie zu unterbin den. Sein Körper wehrte sich. Gegen die Drähte, die aus dem Schaft des Schlangenstabs bis hinein in sein Gedärm wucherten. Und er wehrte sich gegen die saugende Schwäche, die ihn zu Fall bringen wollte. Die Augen des Himmels folgten ihm überall hin. Noch immer schienen sie nicht zu wissen, was sie von ihm zu halten hatten. Viel leicht war das sein Glück. Das Geräusch – die Summe einer Vielzahl von Klängen, wie sich jetzt herausstellte – wurde lauter. Steckten Lilith oder Duncan dahinter? Oder beide? Landru versuchte die Schwärze zu durchdringen. Details zu erha schen. Es war nicht möglich. Sein eigener Körper produzierte einen die
Sinne betäubenden Lärm und Schmerz. Die Stimme des Hungers übertönte alles … … und zugleich wuchs mit jedem Schritt die Zuversicht des Vam pirs, sich dem einzigen Ort zu nähern, an dem er den ihn zermür benden Durst stillen konnte. Den eigenen und den der Schlange … Im Gehen spannte er jeden Muskel seines Körpers an, der ihm fremd geworden war, seit Erinnerungen an sein Vorleben durch die Hemisphären seines Hirns krochen. Ein ›Gott‹ … Uruk … Hohe Män ner und Frauen, die mit der Zeit spielten – und mit den Menschen … Die den Pflock nicht zu fürchten hatten und nicht die Vergänglichkeit … MÄCHTIGE, die sich nicht fortpflanzten, weil nichts in der Lage schien, sie zu töten … Ein fataler Irrtum. ETWAS war dazu imstande gewesen. Etwas wahrhaft … Göttli ches … Übelkeit würgte Landru, als er begriff, daß diese Selbstüberschät zung mit dazu beigetragen hatte, die Ära der Hohen Wesen zu been den. Die Herrschaft der Ersten Kinder … Wessen Kinder? Wußte Lilith es? Oder war Lilith zumindest hierher unterwegs, um es herauszufinden? Wenn ja, konnte es für sie nur eine Triebfeder geben: Sie wollte seinem Volk schaden! Es vernichten! Aber das würde er nicht zulassen! Der zunächst ebenflächige Boden unter seinen Füßen wies eine plötzliche Steigung auf. Landru ließ sich auf alle viere hinab und kroch vorsichtig höher. Der Boden war hier nachgiebiger und rutschte immer wieder unter ihm weg. Schließlich erreichte er die höchste Stelle, und als er sich hier auf die Knie aufrichtete, traf ihn etwas gegen die Brust.
Aus der Finsternis heraus flog … Sand! Obwohl er sicher war, nicht absichtlich beworfen worden zu sein, sank Landru reflexartig zu Boden. In der Dunkelheit vor ihm schwebte eine Drohung, eine unbere chenbare Gefahr, denn obgleich unsichtbar, erahnte der Vampir die Gestalten, die sich dort zu schaffen machten. Ein Eindruck, der um so bizarrer wurde, da sich Landru vergeb lich mühte, angestrengtes Keuchen oder auch nur normale Atemzü ge zu vernehmen. Vor ihm herrschte gespenstisches Schweigen. Unheimlich selbst für ein Wesen wie ihn, das die Gabe verloren hatte, im Dunkeln zu sehen. Doch was er weder sah noch hörte, das konnte er mit seinen ver bleibenden vampirischen Sinnen immerhin riechen: Blut! Da war Blut in der Schwärze vor ihm. In dieser schrecklichen, von Augen wimmelnden Nacht. HOL ES DIR! lockte ihn das Artefakt, die hinderliche Vorsicht über Bord zu werfen. HOL ES FÜR UNS …! Er kam sich jämmerlich vor, als er sich diesem Ansinnen verwei gerte. Jämmerlich feige. NEIN! bedeutete er dem Ding in seiner Faust. FAHRE HERAUS MIR AUS! Der Stab gehorchte – widerstrebend. Trotzdem kostete Landru es als Erfolg aus. Es tat seinem Ego gut, noch Gewalt über quasi tote Materie zu haben … Unter allen Umständen wollte er erst auskundschaften, was sich da vor ihm abspielte. Wenigstens bis der Morgen graute und er wieder sehen konnte wie ein gemeiner Mensch, wollte er abwarten. Dann
konnte er verläßlicher abwägen, ob er es mit einer unbezwingbaren Übermacht zu tun hatte – oder mit Kräften, denen er gewachsen war. Falls hier je ein Morgen graute … Und falls ihn diejenigen, die um ihn herum waren, so lange in Ruhe ließen …
* GEGENWART Die nahezu schattenlose Helligkeit und die klinische Sterilität des Raumes standen in fast höhnischem Gegensatz zu Debra Golden bergs Innerstem. Tief in ihr war jeder Funke ihres früheren Wesens verloschen, er stickt und verschlungen von trostloser Schwärze. Und alles Reine in ihr war beschmutzt, auf ekelhafteste Weise besudelt worden. In acht grauenhaft langen Monaten. Ihr eigenes Zeitgefühl hatte die Siebzehnjährige längst verloren. Es lag tief begraben unter den Trümmern ihrer Seele. Doch ihr Peiniger rechnete die schon erlittene Qual bei jedem seiner Besuche perfide in Wochen, Tage und Stunden um. Und jede einzelne Begegnung mit ihm verlängerte das Leiden um eine Ewigkeit … … und ließ die Zahl der Narben auf ihrer Haut wachsen. Licht, das von überall herkam, hatte Debras Schatten gefressen. An seine Stelle waren Spiegelbilder getreten, die dem Mädchen auf Schritt und Tritt folgten. Milchig und verwaschen glitten sie über die wie lackiert wirkenden Wände und den Boden. Und so erinnerte jeder Blick das Mädchen an das, was ihr angetan wurde.
Unter anderem angetan wurde … Haarfeine Striemen ließen ihren Körper aussehen wie in ein Spin nennetz gehüllt. Manche der ›Fäden‹ schienen dunkler, andere hel ler, und einige waren kaum noch zu erkennen – die Narben jener Wunden, die ihr ganz am Anfang ihres Martyriums zugefügt wor den und inzwischen fast verheilt waren. Dabei schmerzten die Verletzungen nicht einmal wirklich. Zumin dest war der Schmerz nicht von der Art, wie Debra ihn bis vor acht Monaten gekannt hatte. Dieser neue Schmerz brannte sich nicht über Nerven in ihr Bewußtsein. Er benutzte andere Wege. Nie endende Wege … Nie endend wie das Entsetzen, das ihren Geist beugte, ohne ihn zu brechen. Leider ohne ihn zu brechen. Denn so konnte Debra nicht aufhören, sich selbst zu geißeln. Mit tausend Fragen, die immer in einer einzigen gipfelten. Warum tat man ihr das an? Eine Antwort, die nur neue Fragen in sich barg, hatte sie oft genug erhalten. »Du bist für etwas Großes auserkoren, Debra-Täubchen.« Einen grausigen Moment lang glaubte das üppige Mädchen, die Worte wären ihr direkt ins Ohr geflüstert worden. Als wäre er wie aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht. Und mit vagem Staunen registrierte sie, daß sie in Anbetracht dieser bloßen Möglichkeit nicht einmal wirklich erschrak. Sie war sogar fast sicher, daß er es gekonnt hätte. Es gab so vieles, was ihm möglich war und was Debra bislang für unmöglich gehalten hatte.
Wärme kroch plötzlich über ihre milchweiße Haut. Sie sah hin und entdeckte – Blut. Kleine rote Perlen traten hervor und liefen wie an hauchzarten, dunklen Schnüren ihren Körper hinab. Die frischesten ihrer Narben waren aufgebrochen. Hatten dem ›Druck‹ des Schauderns, das ihre Haut zusammenzog, nicht stand gehalten. Schritte. Draußen. Provozierend langsam, aber bewußt hart und unüberhörbar ge setzt. Vor der fugenlos schließenden Tür verstummten sie. Doch es dauerte fast eine Minute, sechzig Ewigkeiten, in denen all der schon durchlebte Schrecken in Debra wieder erstand – – bis neuer hinzukam.
* Steuart Goldenberg ›spielte auf Zeit‹. Wohl wissend, daß er auf die se Weise sein Leiden – und vor allem das seiner Familie! – nur ver längerte. Zugleich schob er damit aber etwas hinaus: das Ende. Das Ende seiner Arbeit würde ihrem eigenen Ende gleichbedeu tend sein. Herak, dieses Monstrum, das eine Laune des Teufels in menschli che Gestalt gezwungen hatte, würde sie alle töten, wenn Goldenberg getan und vollendet hatte, was von ihm verlangt wurde. Töten – oder ihnen Schlimmeres antun. Der Professor war überzeugt, daß Herak viele Dinge kannte, die sehr viel schlimmer als der Tod waren. Einige davon erprobte er
vielleicht schon jetzt an Margret und Debra. Und damit traf er Steuart Goldenberg tausendfach härter als mit allem, was er ihm selbst hätte zufügen können. Er hatte sich geirrt. Es war in allererster Linie sein eigenes Leid, das er verlängerte, indem er Herak über den wahren Stand der Ent wicklung im Unklaren ließ. Deine hinreißend verdorbene Frau … Goldenberg entlud alles, was sich in ihm aufgestaut hatte, in ei nem Schrei. Mit Debra-Täubchen werde ich plaudern … Mit einer zorn- und zugleich schmerzgeladenen Armbewegung fegte er Papiere und Schreibgerät vom Schreibtisch. Nur um sich nach einer Weile, in der er einfach nur dastand und starrte, zu bücken und es wieder aufzusammeln. Er hatte längst noch nicht alles aufgelesen, als die Gegenstände vor seinen Augen zu verschwimmen begannen. Als säße er plötzlich selbst in dem nährbreigefüllten Bassin und sähe durch die dicke Flüssigkeit und das Glas hinaus. Doch so war es natürlich nicht. Und die wahre Erklärung war viel einfacher. Und sehr vertraut. Denn Steuart Goldenberg weinte nicht zum erstenmal in diesen elenden acht Monaten. Mühsam unterdrückte er ein Schluchzen und rappelte sich hoch. Achtlos legte er ein paar Sachen zurück auf den Schreibtisch und wandte sich dann dem zu, woran Herak soviel lag. Diesem – Ding. Diesem – Lebewesen? Obwohl er es längst wußte, mehr noch selbst bewiesen hatte, daß dieses Gebilde tatsächlich lebte, weigerte sich etwas tief in ihm, es auch zu glauben. Weil es nichts aus seinem bisherigen Leben, seinen
Forschungen und Studien gab, in dem sich solcher Glaube hätte ver ankern lassen. Was ihm die Arbeit, zu der er verdammt war, zusätzlich erschwer te. Dennoch hatte er sie erledigt. Mehr zu Heraks Zufriedenheit, als dieser ahnte. Denn im Grunde war Goldenberg schon am Ziel. Von der Umstellung abgesehen. Aber die würde kaum mehr als ein Kinderspiel sein im Vergleich zu dem, was er bisher geleistet hatte. Es war eigentlich nicht mehr gewesen als ein faustgroßes Stück Schwärze, das Herak ihm überlassen hatte – zusammen mit der sehr konkreten Vorstellung, was Goldenberg aus dem Fragment ›züch ten‹ sollte. Herak hatte nicht weniger als ein Wunder verlangt. Ein Wunder, das allen bekannten Naturgesetzen widersprach. Goldenberg hatte es vollbracht. Indem er – wie er selbst mutmaßte – wohl auf ein paar unbekannte Naturgesetze zurückgegriffen hatte … Das ›Wunder‹ schwebte vor ihm in dem Glasbassin. Und selbst Goldenberg, der seit acht Monaten Stunde um Stunde damit zu tun hatte, fiel es schwer, beschreibende Worte dafür zu finden. Was zu einem großen Teil daran lag, daß sich das Ding jeder Be schreibung entzog, indem es fortwährend seine Form änderte. In der einen Sekunde glich es einer tief schwarzen Wolke, in der nächsten wurde es zu etwas Flachem, das wie ein bizarrer Rochen durch die breiige Flüssigkeit trieb; und wieder einen Herzschlag später verästelte sich das widernatürliche Wesen in Hunderte oder Tausende feiner und feinster Tentakel, die wie suchend über die Glaswandung tasteten …
Dem ›Einfallsreichtum‹ dieses Dings schienen keine Grenzen ge setzt. Es überraschte seinen ›Schöpfer‹ wieder und wieder mit neu en, noch bizarreren Gestalten … So lange jedenfalls, wie Goldenberg es zuließ. Denn seine Arbeit wäre nicht wirklich erfolgreich gewesen, wenn er das Wesen nicht unter Kontrolle gehabt hätte. Kontrolle … Der Begriff spukte durch Goldenbergs Kopf, als wartete er nur darauf, genutzt zu werden. Benutzt. Kontrolle. Das bedeutete, daß ihm das Wesen – der Symbiont, wie Herak ihn zu nennen pflegte – zu willen sein mußte. Er hatte – im Rahmen der Möglichkeiten – zu tun, was Goldenberg ihm ›befahl‹. Und er konnte mit dem Ding tun, was er wollte. Weil er die Kontrolle hatte … Goldenberg konnte förmlich spüren, daß er den Ansatz einer Idee, eines Plans in Händen hielt. Aber es war ihm nicht möglich, ihn wei terzuverfolgen. »Systematisch«, murmelte Goldenberg sich selbst zu. »Gehe syste matisch vor. Analysiere. Trage die bekannten Fakten zusammen und ordne sie …« Welche Fakten lagen ihm vor? Goldenberg konzentrierte sich und kam einmal mehr zu dem Schluß, daß er längst zuviel wußte, als daß Herak ihn am Leben lassen konnte. »Reiß dich zusammen«, herrschte der Professor sein gläsernes Spiegelbild auf der Bassinwandung an, als er spürte, wie die Angst wieder in ihm hochkroch und jede Faser seines Körpers vibrieren ließ. »Rekapituliere.« Steuart Goldenberg nickte seinem Ebenbild auf
dem Glas aufmunternd zu. »Der Symbiont ernährt sich von schwarzem Blut, wie Herak und seinesgleichen es in sich tragen. Grund: unbekannt. Herak will eine Nahrungsumstellung des Symbionten, weil er ihn ungefährdet nut zen möchte. Wofür? Als Waffe oder Tarnung im weitesten Sinne. Die Möglichkeit zur Umstellung ist genetisch verankert. Es bedarf nur noch der Initialisierung und der neuen Nahrung – Menschen blut. Herak wird den Symbionten benutzen, wenn ich ihm sage, daß es soweit ist. Wenn ich es ihm sage …« Dieser Teil seiner Überlegung beschäftigte Goldenberg noch eine Weile, bis er weiteres Wissen abspulte, laut aufsagte, als könnte er es sich nur so wirklich in Erinnerung rufen. Schließlich begann er von vorn, brachte die einzelnen Kenntnisse in neue Reihenfolgen, in der Hoffnung, daß sie plötzlich zusammenpassen und die Lösung erge ben mochten. Als der Erfolg – oder auch nur ein Silberstreif am Horizont – wei ter auf sich warten ließen, weil immer wieder Lücken in den Überle gungen klafften, nahm Goldenberg vor dem Computer Platz und hielt alle Gedanken schriftlich fest. Auf dem Bildschirm ordnete er dann die Fragmente neu und wie der neu – bis ihm ein spitzer Schrei entfuhr, über den er so sehr er schrak, daß er sich unwillkürlich die Hand vor den Mund schlug. Die Lösung – er saß direkt davor. Der Computer! Der Rechner war mit anderen vernetzt. Mit etwas Geschick und Glück mußte es möglich sein, tiefer in das Laborsystem vorzudrin gen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen sich womöglich die Löcher zwischen den ihm bekannten Fakten füllen ließen. Immerhin erhielt er, Goldenberg, auf diesem Wege oft genug In formationen und Anweisungen von draußen, von außerhalb seines
Laborkerkers, wenn sie ihm nicht persönlich durch Herak oder einen seiner Vasallen übermittelt wurden. Dieser hereinführende Weg mußte sich zurückverfolgen lassen. Und wenn er die richtige Abzweigung nicht verpaßte … Goldenbergs Finger begannen über die Tastatur zu wirbeln; sein Blick hing wie gebannt auf dem Monitor, auf dem verschiedene Dar stellungen einander ablösten. Professor Steuart Goldenberg durchwühlte elektronische Daten banken, tauchte ein in die Geheimnisse von Salem Enterprises, lüftete so manche – – und läutete den Untergang einer Rasse ein.
* »Beim Lamm wird verweilen der Wolf … Kalb und Löwe mästen sich gemeinsam … Kuh und Bärin freunden sich an … Der Säugling spielt am Schlupfloch der Otter, nach dem Jungen der Viper greift das Kind mit der Hand.« (Is 11)
* VERGANGENHEIT
Der Morgen kroch – grau wie der Tod, der aus Landrus Augen grinste – über die Sanddünen, die vereinzelten Felserhebungen und die mehr an Steppe als an Wüste erinnernden vereinzelten Farbtup fer. Und in den ›Krater‹, in dessen Nähe sich der Vampir verbarg. Im Dunkeln hatte er sich davon entfernt, aber nun zog es ihn mit Macht dorthin zurück. Er wollte in Erfahrung bringen, was er dort während der langen Nacht als grauenhafte Bedrohung empfunden hatte. Irritiert blieb er stehen. In einiger Entfernung, gen Norden hin, war über Gebirgsschroffen Bewegung am Himmel entstanden. Als er die Augen zusammenkniff, erkannte Landru einen Schwarm aus größeren und kleineren Vögeln: Bussarde, Adler, Stör che, Raben, Sperber und Milane tummelten sich ohne Scheu vorein ander in den Lüften. Als gäbe es keine Rivalitäten. Als existiere das Gesetz der Natur nicht, daß der Stärkere sich vom Schwächeren nähren durfte … … wie auch Landrus Rasse es praktizierte. Im Umschauen drängte sich ihm der Verdacht auf, daß er sich gar nicht von Uruk fortbewegt hatte – obwohl er stunden- oder sogar ta gelang durch den Korridor geschritten war! Was die geologische Prägung der Umgebung anging, hätte dies immer noch die Nähe Warkas sein können. Was jedoch völlig fehlte, waren die Anzeichen der Zerstörung durch die irakische Armee, waren menschliche Bauten generell – oder auch nur die Ruinen. Alles hier wirkte – sah man von der Sandverwerfung ab, zu der es Landrus Blicke immer wieder hinzog – geradezu jungfräulich in sei ner Unberührtheit. Hie und da blühte inmitten von Sand eine Lilie, ein Affodill oder ein Jujuberstrauch. Oder es gab kopfkissengroße
Polster von Beifuß und niedrigeren Gräsern, als wollten sie dazu einladen, sich niederzulegen, um im Schatten einer Akazie zu ver weilen. Nein, dachte Landru beklommen. Uruk ist das nicht. Uruk ist über wiegend Wüste, sengende Sonne, glühender Fels! Hier aber keimt Leben, dem selbst widrige Umstände nichts anzuhaben scheinen … Er erhob sich und streckte die Glieder, die von der kühl geworde nen Nacht durchfroren waren. Eine Nacht, in der er kein Auge zugetan hatte, weil er immer wie der dorthin zu starren versuchte, von wo die scharrenden Grabge räusche kamen. Die Opferschlange baumelte wieder vor seiner Brust. Er war nicht bereit, sich von ihr zu trennen – aber auch nicht, sie erneut in die Hand zu nehmen, um sich von ihr traktieren zu lassen. Daß sein Durst noch immer ungestillt war, wußte er selbst; er brauchte nicht daran erinnert zu werden. Und mit Sicherheit wollte er zu seinem eigenen nicht auch noch den Durst der Schlange leiden … Vorsichtig schlich er zu der Bodenverwerfung zurück – und fand schon im ersten vagen Licht bestätigt, daß er während der Nacht gut beraten gewesen war, nicht der Stimme des Artefakts zu folgen. Wäre er dem Drängen nachgekommen und in die Mulde gestiegen, hätte er diesen Sonnenaufgang höchstwahrscheinlich bereits nicht mehr erlebt …! Denn dort unten in der Senke war etwas, wovor auch Landru sich hüten mußte. In seiner gegenwärtigen Verfassung hätte er ihm nichts – gar nichts – entgegensetzen können …
*
Die Gestalten waren bemüht, etwas auszugraben – oder zumindest in Umrissen freizulegen, ohne daß es Indizien gab, was dies sein könnte. Im ersten Moment hätte Landru ohnehin keinen Gedanken dafür übrig gehabt. Seine Blicke hingen an den schattenhaften Wesen, de ren Aussehen pures Grauen weckte. Ihre Körper sahen aus, als wäre ihre nackte Haut mit Quecksilber bedampft worden. Oder mit einem anderen hauchdünnen Lack, der nun selbst Mund, Augen und die Genitalien überzog! Ihre Haare waren verschwunden. Wie glatt modellierte, dabei aber ungeheuer agile Puppen wirkten sie; Geschöpfe, die sich mit der Präzision von Uhrwerken bewegten, ohne auch nur einmal in ihrem Tun zu stocken. Abscheu schnürte Landru die Kehle eng. Sie trugen … Symbionten! Dieselben Ungeheuer, wie Lilith eines besaß – und wie vor langer Zeit ihre Mutter Creanna es getragen hatte, um ihn zu vernichten …!* Lange hatte er nicht zu ergründen vermocht, was es mit diesem rätselhaften Mimikrystoff auf sich hatte, woher er kam und warum er seinen Feinden diente. Da aber auch Felidae ein solches Mons trum am Leib getragen hatte, mußte er davon ausgehen, daß es der selben Quelle entsprang, die auch den Plan zu Liliths Zeugung er sonnen hatte. Jene Verbrechen gegen das GESETZ. Die Paarung von Vampir und Mensch … Was anderes als ein Wechselbalg hätte daraus entstehen können? Landru kappte den Gedankenfluß wie ein straff gespanntes Tau. Je *siehe VAMPIRA 15: ›Ich, Creanna‹
länger er hier lag und dem Treiben in der Grube zusah, desto wahr scheinlicher wurde es, daß die Symbiontenträger ihn bemerkten. Ein Schauder durchrann sein Fleisch, als er sich wieder angestarrt fühlte. Ruckartig drehte er sich um. Aber da war niemand. Weder hinter noch über ihm in der Luft. Selbst der Vogelschwarm war verschwunden. Landru versuchte seine Gefühle im Zaum zu halten. Es fiel ihm schwerer als je etwas anderes zuvor. Wieder schweifte sein Blick zu dem guten Dutzend komplett um mantelter Gestalten, die unbeirrt fortfuhren, mit Händen und zu sammengeknoteten Tüchern (Reste konventioneller Kleidung?) Sand beiseite zu schaffen. Sand, der etwas zu bedecken schien, an das sie mit aller Vehemenz heranwollten … Während die ersten Strahlen der Sonne über seine Haut zu krie chen begannen, schloß Landru die Augen und konzentrierte sich. Und rief. Mit Macht bündelte er seine Gedanken auf den einzigen, den er seit Betreten des Korridors nie mehr aus seiner Wahrnehmung ver loren hatte. Auf Duncan Luther …
* Zombies, dachte Duncan Luther. Wir sind alle … Zombies. Er wußte nicht, was aus seiner Seele geworden war. Ob es über haupt noch etwas gab, das diesen Namen verdiente. Ob die anderen eine besaßen.
Luther schaufelte Sand in das Hemd, das einer der Toten getragen hatte, die nach ihm aus dem Korridor gekommen waren, getragen hatte, bevor … Ein Blitz ohne Donner zerriß diesen Gedanken. Luther dachte: Wie schön es wäre, unterscheiden zu können, ob Tag oder Nacht herrscht. Ob es warm ist oder kalt. Ob … Blitz. Er hatte alles verloren. Auch den letzten Freund: Romano. Es gab ihn noch, seinen Begleiter durch die Tore. Aber die Freund schaft gab es nicht mehr. Die zarte Pflanze, die Luther anfangs nicht für möglich gehalten hatte. Zu fremd war ihm Romano erschienen. Ein ›bewegter Toter‹. Ein Mensch, dessen Herz aufgehört hatte zu schlagen und der dennoch redete und handelte wie lebendig. Der tiefschürfende Äußerungen von sich gegeben hatte, obwohl sein Fleisch und Blut … Blitz. Luther hob die Zipfel des Hemdes und faßte sie in der Hand zu sammen. Auf diese Weise schloß sich das Tuch um den hineinge schaufelten Sand, und er konnte die Fracht hinaufschleifen zum Rand der Grube. Dort schüttete er ihn aus und kehrte zu den ande ren zurück, begann von neuem. Gedanken stoben wie die Reflektionen eines Stroboskops durch sein faulendes Gehirn. Das wieder tot war. Diesmal für immer. Was ihn umgebracht hatte, war bei ihm. War auf ihm. Und manch mal meinte er, auch in ihm. Aber genau konnte er es nicht feststel len, denn in ihm waren nur Taubheit und Leere. Kein hämmerndes Herz mehr. Kein Adrenalinstoß. Kein Brennen in der Brust …
Tot. Er war zweimal gestorben, obwohl einmal genügt hätte. Sterben war … Blitz. Seine Hände tauchten in den Sand. Scharrten ihn auf das Tuch. Um ihn herum arbeiteten die anderen. Luther hörte und sah sie nicht. Aber er wußte, daß sie da waren. Manchmal fühlte er ihre An wesenheit stärker, dann wieder schwächer, als wären es einmal mehr, dann wieder weniger … Blitz. Er erstarrte. Was noch nie geschehen war seit diesem jüngsten Tod, geschah: Er stand still. Außer der Haut auf seiner Haut kümmerte es niemanden. Luther verstand die Aufforderung, fortzufahren, seine Aufgabe zu erfüllen … Den einzigen Zweck seiner Existenz … BLITZ! Die Erstarrung löste sich. In Gedanken tauchte Luther seine Hände wieder in den Sand … … in der Realität nicht. In der Wirklichkeit stieg er bereits zum Rand der Grube hinauf. Ohne eine Last zu tragen. Mit leeren Händen. Und mit … BLI – – – Innerlich krümmte er sich unter den Schlägen des Parasiten. Unter den Befehlen, die den anderen Befehlen widersprachen. Fuß vor Fuß entfernte er sich von der Grube. Das Blitzen in seinem zerfallenden Hirn war zu einem Unwetter angeschwollen. Einem Orkan, einem Blizzard, einem …
* »Halt! Keinen Schritt weiter!« Ihn aus der Nähe zu betrachten, barg beides: Faszination und Grauen. Wie Landru auffiel, warf Luther keinen Schatten. Auch das Monstrum, das ihn umschloß, warf keinen. In der Grube wurde unverdrossen weitergearbeitet. Niemand schi en daran Anstoß zu nehmen, daß sich einer der Symbiontenträger entfernte. Obwohl es unnötig war, fragte Landru mit rauher Stimme: »Du bist … Duncan Luther?« Die Züge unter der dunklen Kruste waren ihm nur noch vage ver traut, aber allein schon der erwiesene Gehorsam identifizierte das Geschenk der indischen Sippe. Luther blieb stumm, und Landru begriff, daß er nicht antworten konnte. Offenbar ließ der ›Stoff‹, der auch seinen Mund bespannte, dies bei aller sonstigen Flexibilität nicht zu … »Nicke, wenn du mich hörst und verstehst!« Der unheimlich veränderte Mensch nickte ruckartig. Diese Bewe gung wirkte, wie auch sein Gang, mit dem er gekommen war, nicht so geschliffen und geschmeidig wie die Art, mit der er gegraben hat te. Offenbar kämpfte etwas in ihm gegen diesen neuerwachten Zwang, der die ›älteren Rechte‹ besaß. Da Landru nicht vorhersagen konnte, wie lange sein Einfluß fruch tete, stellte er die Frage, die ihm am wichtigsten war, zuerst: »Was tut ihr hier? Wenn du nicht reden kannst, schreib es vor dir in den Sand!«
Ein paar Schritte trennten sie voneinander. Landru wahrte diesen Abstand mit Bedacht, weil er nicht riskieren wollte, daß Luthers Symbiont ihn attackierte. Luther bückte sich und schrieb: GRABEN. In einer anderen Situation hätte Landru sich vielleicht über die stupide Antwort amüsiert. Doch dafür ging es ihm selbst zu schlecht – stand seine eigene Existenz zu sehr auf der Kippe. Das einzige, was er aus der lakonischen Reaktion ersah, war, daß er konkretere Fragen stellen mußte. »Wonach grabt ihr?« Luther rührte sich nicht. Er wirkte wie in der Bewegung eingefro ren, leicht nach vorn gebeugt, die Arme herabhängend, den Zeige finger einer Hand abgespreizt. Bei genauem Hinsehen war zu erken nen, daß er schwankte. Nur leicht, aber auch dies deutete daraufhin, daß er einen inneren Kampf ausfocht, dessen Ende sich nachteilig auf Landru auswirken konnte. Möglicherweise verlor er die Kon trolle über Luther schneller als erhofft. »Schreib mir auf, wonach ihr sucht!« Die einzige Reaktion war, daß Luther spürbarer zu schwanken be gann. »Weißt du nicht, wonach?« Der Finger stieß in den Boden und schrieb unter das Wort GRA BEN das Wort NEIN. Landru schluckte die Enttäuschung hinunter – und überlegte, ob es Sinn machte, den Symbionten, der Luther offenbar auch jetzt nicht unbeeinflußt antworten ließ, mit der Opferschlange anzugrei fen. Wenn es gelänge, ihn zu vertreiben … In diesem Moment kehrte ein weiteres Fragment seiner Erinne rung zurück. Er entsann sich, was aus Ischtar geworden war, als sie
diesen Mann – diesen Mann Dang-K’n! – hatte opfern wollen* … Nein, Ischtars Schicksal wollte er nicht teilen – auch wenn er nicht sicher wußte, was aus ihr geworden war, nachdem die Arche im Ararat geankert hatte … »Sind die anderen, die mit dir graben, wie du?« Luther nickte schwerfällig. Dann, dachte Landru, werde ich von ihnen noch weniger erfahren. Ihm wurde auch klar, daß er – und die Schlange – sich in der Nacht geirrt hatten. Hier war nichts, was sie beide zu sättigen ver mochte! Hier lockte kein warmes, beseeltes Blut, denn es war offen sichtlich, daß Duncan Luther endgültig in den Orcus gefahren war. Etwas – vermutlich der Symbiont – hatte ihn umgebracht, erstickt … Möglicherweise nicht einmal absichtlich, sondern weil er nichts Le bendiges anzutreffen erwartet hatte. Alle anderen waren auch tot. Die toten Diener Liliths … »Lilith!« Luthers eigentliches Schicksal ließ Landru kalt. Ob tot oder lebendig spielte nur dann eine Rolle, wenn davon abhing, ob Antworten zu bekommen waren oder nicht … »Wo ist die Brut der Hure? Wo ist Lilith?« fragte er hart. Luthers Hand suchte eine freie Stelle und schrieb: NICHT HIER. »Du lügst!« brauste Landru auf. »Sie muß hier sein!« Erst als Luther stoisch innehielt, dämmerte ihm, daß er ihn wahr scheinlich zu Unrecht der Lüge bezichtigte. Entweder er antwortete oder er schwieg. Einen Spielraum dazwischen schien es nicht zu ge ben. »Sie war vor mir! Weit vor mir! Sie müßte längst hier …« Er stock te. »War sie auch nicht hier?« NEIN. *siehe VAMPIRA 40 und 44
Landrus Hand spielte am Griff der Schlange. Als es ihm bewußt wurde, zog er sie zurück. Auf dem Weg durch den ›Korridor‹ (oder was immer es war) hatte es Stellen gegeben, die wie finstere Durchlässe ausgesehen hatten. Wohin sie führten, hatte Landru nicht untersucht, weil es ihn stärker zum Ende des Tunnels hingezogen hatte. Aber möglicherweise hatte Lilith eines dieser Tore benutzt? Dann, dachte er, hätte ich sie überholt. Und dann … … wäre es unverzeihlich gewesen, daraus kein Kapital zu schla gen! »Danke für deine Hilfe«, sagte er zu dem Geschenk der indischen Sippe, das viel von seinem ursprünglichen Wert verloren hatte, aber möglicherweise noch nicht ganz wertlos war. »Geh jetzt wieder zu den anderen! Verdiene dir ein Brot, an dem sich selbst ein Toter den Magen verderben –« Das letzte Wort kam nie über seine Lippen. Denn in diesem Moment reagierte der Symbiont auf Luthers Haut doch noch! Er blähte sich auf. Aber nur an einer Stelle! Dort, wo der Mund verdeckt wurde, wölbte er sich Landru zenti meterweit entgegen, als versuchte etwas, daraus hervorzubrechen. Der Vampir wich weiter zurück. Gebannt starrte er auf die Beule, die im nächsten Moment auseinanderplatzte und vertrocknete Lip pen freigab. Und diese Lippen sagten laut vernehmlich: »Geh! Fliehe von die sem Ort! Du hättest nie kommen dürfen! Du warst nie bestimmt, am Beginn teilzuhaben! Geh, oder ich müßte doch noch die Hand gegen dich erheben … Ja, geh! Sofort! Verkrieche dich in der Zeit. Bei GOTT,
geh …!« Jedes Wort traf ihn wie ein Hammerschlag, besonders aber eines … GOTT. (Ich bin ein …) Und dann schwindelte ihm auch von der Zärtlichkeit, mit dem der Totenmund gesprochen hatte … Etwas lief über seine Wangen, und er wollte nicht glauben, daß es Tränen waren. Wollte es nicht …
* GEGENWART Herak war weder überdurchschnittlich groß noch auffallend kräftig. Und doch füllte er den Raum mit seiner Anwesenheit. Etwas umgab ihn wie eine alles erstickende Wolke, eine fühlbare Aura aus Macht, Gewalt, Bösartigkeit und noch etwas, für das De bra kein Wort kannte, das sie aber mehr fürchtete als alles andere. Dieses andere lag in jeder Geste Heraks, in jedem Blick seiner schwarzen Augen. Und es schien ihm noch vorauszueilen, mit un sichtbaren, feuchtkalten Händen nach Debras nacktem Körper zu grabschen, wie um sie auf den Meister selbst vorzubereiten. Doch eine solche Vorbereitung war nicht nötig. Debra wußte, was auf sie zukam. Es war immer gleich. Und doch – irgendwie – jedesmal furchtbar anders … Heraks perverse Phantasie sprengte die eigenen Grenzen
stets aufs neue. Endlos hatte er in der offenen Tür verharrt. Jetzt trat er näher. Lei se fuhr die Tür hinter ihm zu. Etwas Dunkles schien mit ihm in den Raum gekommen zu sein. Als genügte seine bloße Gegenwart, dem Licht einen Teil seiner Kraft zu stehlen und den Rest der Helligkeit in etwas Graues, Schmieriges zu verwandeln. Die Sterilität des Raumes wandelte sich unter seiner Präsenz in et was widerlich Schmutziges. Und jeder Blick seiner Augen verdarb den reizvoll geschwungenen Mädchenkörper. »Lust auf ein Plauderstündchen, Debra-Täubchen?« Heraks Stimme war so erdrückend wie seine Anwesenheit. Nicht von ungefähr betonte er das Wort Lust ganz besonders. Debra wollte schreien, sich wehren. Doch sie wußte, daß es da durch nur noch schlimmer würde. Zweimal – die ersten beiden Male – hatte sie geschrien und sich gewehrt. Und in der Folge die grausamsten Stunden ihres Lebens durchgemacht. Wenn sie sich teilnahmslos auf Heraks ›Plauderstündchen‹ einließ, war es immer noch furchtbar, aber im Vergleich zu dem, was Herak ihr anzutun vermochte, wenn er in Rage geriet, doch fast erträglich. »Du blutest, Debra-Täubchen«, sagte Herak erstaunt. »Tut es weh?« »Nein«, erwiderte Debra mühsam fest. »Laß mich dir trotzdem helfen.« Herak streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger über eine der aufgeplatzten Narben auf Debras weichem Busen. So fest, daß weitere Tropfen aus der Wunde quollen. Einen nach dem anderen nahm Heraks Fingerspitze auf, bis eine große rote Per le darauf saß. Genüßlich schob er sich die Fingerkuppe zwischen die
Lippen. »Du mundest köstlich, Debra-Täubchen«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte dich bis zur Neige auskosten. Doch leider habe ich dich für anderes ausersehen. Und dazu brauchen wir dummerweise dei nen herrlichen Lebenssaft.« Sein Blick kündete von ehrlichem Bedauern. Zwei, drei Sekunden lang. Dann wandelte sich sein herbes Gesicht zur Fratze, und ebenso übergangslos brach er grundlos in hohntriefendes Gelächter aus, das an den kahlen Wänden zu einem Chor des Wahnsinns zersplitterte. Debra widerstand nur mit Mühe der Versuchung, ihre Ohren mit den Händen zu verschließen. Wer wußte schon, wozu sie Herak damit provoziert hätte? Sie mußte auch so, um Reglosigkeit schier kämpfend, mit allem rech nen. So unvermittelt, wie er begonnen hatte, hörte Herak auf zu lachen. »Du fragst dich sicher nach dem Grund meiner Belustigung, De bra-Täubchen?« Debra zwang sich, ihn nur anzusehen. »Nun, ich möchte mir den Spaß nicht verderben, indem ich ihn dir jetzt schon verrate. Aber du wirst dich darüber freuen, das kann ich dir schon jetzt versprechen. Ebenso wie dein Papa …« »Was ist mit meinem Vater?« Debra hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Die Frage war einfach aus ihr herausgeplatzt. Mit bangem Blick erwartete sie Heraks Reaktion. Doch der lächelte nur, fast milde. »Er arbeitet sehr zu meiner Zufriedenheit«, erwiderte er. »Und ge nau das erwarte ich auch von dir, Debra-Täubchen.« Mit einem ra
schen Griff öffnete er seinen Gürtel. »Knie nieder.« Debra wußte, was sie zu tun hatte. Zumindest die Eröffnung ihrer beider ›Plauderstündchen‹ verlief immer gleich. Auf allen vieren kauerte sie vor Herak, und ohne es zu sehen, wußte sie, was er tat. Es genügte zu spüren … Der Schmerz explodierte in Debra und fraß sich sengend in jeden Winkel ihres Körpers, um sich dort niederzulassen und in brüllen dem Feuer weiterzuglühen. Nach einer Weile hielt Herak inne. »Oh, wie gern würde ich aus dir trinken, Debra-Täubchen«, raunte er heiser. »Aber ich darf nur kosten. Darf dir den Keim nicht ins Blut setzen. Nur kosten …« Eine Klaue fuhr über Debras Rücken, schnitt durch Haut wie ein Skalpell. Warmes Blut trat hervor und wurde schlürfend aufgeleckt von einer Zunge, die wie feuchtes Sandpapier über ihre Haut rieb. Neue ›Fäden‹ würden ihr ›Narbengewand‹ zieren …
* Die Zeichenreihen, die für Außenstehende kryptisch anmuten muß ten, verschwanden vom Monitor und versanken in den Tiefen des Rechners. Die Auswirkungen der Änderungen zeichnete sich jedoch noch in der gleichen Sekunde auf den Skalen und kleinen Bildschir men der Apparaturen ringsum ab. Die Neueinstellung wurde zusätzlich akustisch quittiert. Einen Moment lang füllte elektronisches Fiepen das Labor, ehe wieder Stil le einkehrte. Totenstille fast.
In der doch neues Leben entstand. Brescia Lords ließ den Blick prüfend über die Anzeigen wandern, ehe sie sich dem Herzstück des Labors zuwandte. Mit einem Lä cheln, das von mehr als nur der Zufriedenheit einer Wissenschaftle rin mit dem Geleisteten kündete. Sie trat näher an den gläsernen Tank heran und legte beide Hände auf das Glas, genoß die Brutwärme, die von der körnigen, rötlichen Nährflüssigkeit darunter aufstieg, ohne sie wirklich aufnehmen zu können. Sie spürte sie nur, ohne daß das Eisige in ihr geschmolzen wäre. Das war der Preis für ihr zweites Leben. Der Tod hatte seine Kälte in Brescia Lords zurückgelassen. Doch der Preis war es wert, gezahlt zu werden. Denn der kurze Blick ins Jenseits schien Brescias Sinne noch geschärft zu haben für die letzten Geheimnisse des Todes. Und des Lebens. Den weiteren Tribut, den Brescia Lords dieser Erkenntnis zu zol len hatte, verleugnete sie vor sich selbst. Auch wenn er ihr jetzt ein mal mehr deutlich vor Augen stand – in ihrem Spiegelbild, das sich durchscheinend auf dem gläsernen Tank abzeichnete. Ein hohlwangiges, lederhäutiges Gesicht sah zu ihr empor, wie um sie mit stummem Spott zu geißeln. Brescia verschloß die Augen davor, ohne tatsächlich die Lider zu schließen. Ihr Blick galt allein dem, was in dem Tank war, was in der zähen Flüssigkeit schwamm. Selbst noch reglos, aber keineswegs tot; nur bewegt von den Im pulsen, die über Drähte und Kabel in seinen Leib flossen, und dem kaum merklichen Schwappen der geleeartigen Brühe, das von den Schläuchen herrührte, durch die Nährstoffe in den werdenden Kör per gepumpt wurden.
»Mein Zweitgeborenes«, flüsterte Brescia und strich mehr liebevoll denn wissenschaftlich-ehrfürchtig über das Glas. Sie wünschte sich, sie würde sich die leichte Bewegung, dieses fast nicht wahrnehmbare Strecken des Körpers in dem Tank nicht nur einbilden. Aber sie wußte, daß nur der Wunsch Vater des Gedanken war. Noch … Der Tag, an dem es sich aus eigener Kraft rühren, leben würde, war nicht mehr fern. Ihren Berechnungen zufolge konnte er nicht mehr fern sein. Im Ge genteil hätte die Entwicklung eigentlich schon weiter fortgeschritten sein müssen. Nicht zuletzt deshalb hatte Brescia die Reizströme und Impulse ein wenig verändert. Und nun wartete sie mit sorgenvoller Miene, wie sie einer ausschließlich rational denkenden und handeln den Wissenschaftlerin eigentlich nicht zustand, daß etwas geschah, sich veränderte. Doch auf einer anderen Ebene ihres Denkens wußte sie, daß Ge duld gefordert war. Neues Leben entwickelte sich nicht im Sause schritt. Auch dann nicht, wenn es in der Retorte entstand und so – fremd war wie dieses … Fremd … Der verbotene Gedanke zerstob, ehe Brescia ihn wirklich fassen konnte. Vertraut war dieses gedeihende Leben, vom Beginn seines Wer dens an ihr alleiniges Geschöpf. Und es war schöner, perfekter als das vorherige, das zerstört wor den war, als eine Fremde in das Labor eingedrungen war. Als auch sie selbst, Brescia Lords, den ›kurzen Tod‹ gefunden hatte …* *siehe VAMPIRA 23: ›Felidae‹
Die Anstrengungen, die ihr Chef unternommen hatte, um sie zu rück ins Leben zu holen, zeigten ihr, wie sehr er mit ihrer Arbeit zu frieden war. Und wenn es noch eines allerletzten Beweises bedurft hätte, daß Heraks in sie gesetzte Hoffnung berechtigt war, so lag dieser Beweis vor ihr in dem Glastank. Schön. Perfekt. Nun – fast perfekt. Die faltenlos glatte Haut war noch fahl; bleich wie ihre eigene. »Ganz die Mutter«, sagte die Wissenschaftlerin mit leichenhaft starrem Lächeln. Obwohl die Ähnlichkeiten mit der Hautfärbung auch schon auf hörten. Wenngleich noch unfertig, so waren der Körper doch schon von kräftiger Statur und die reifenden Gesichtszüge von edlem Schnitt. Wie sein Vorgänger zeigte auch dieses Geschöpf, geboren aus gene tischer Mixtur, keinerlei Geschlechtsmerkmale. Es war in der Tat ein Es – ein Neutrum. Wie Herak es gewünscht hatte. Welchen Zweck er damit verfolgte, blieb sein Geheimnis. Es interessierte Brescia nicht einmal. Nur dieser werdende Mensch als solcher war von Interesse. Mensch? Nicht zum erstenmal stolperte sie in Gedanken über diese Bezeich nung. Ohne jedoch zu stürzen oder sich auch nur länger als einen Lidschlag damit zu befassen. Ihre Zweifel erstickten ohne ihr be wußtes Zutun im Keim. Daß sie zu bewußtem Handeln in ihrem ›zweiten Leben‹ fast noch weniger fähig war als vor jenem Zwischenfall, der sie ihr erstes ge kostet hatte, dazu fehlte Brescia Lords jegliches Verständnis. Heute
war sie selbst Heraks Geschöpf, wie das Wesen im Tank das ihre war. Er mußte sich nicht mehr damit begnügen, ihren Geist zu un terjochen. Er besaß ihn. Und er ließ darin nur geschehen, was seinem Ziel dienlich war. Und was notwendig war, um Brescia-Täubchen am Leben – oder we nigstens am Handeln zu halten. Nahrungsaufnahme war eins dieser notwendigen Dinge. Trotzdem Brescia den zwingenden Impuls verspürte, der ihr be deutete, daß es an der Zeit war, etwas zu sich zu nehmen, verharrte sie noch Sekunden vor dem Glasbecken. Ihr Blick klebte förmlich an den makellosen Zügen des Geschöpfs, als fürchtete sie, daß sich ge nau in dem Moment, da sie sich abwandte, etwas Entscheidendes er eignen könnte. Eine Regung. Ein Kräuseln der noch miteinander verwachsenen Lippen viel leicht. Ein erster Lebensfunke in noch toten Augen … Schließlich widerstand Brescia dem stummen Ruf nicht länger. Sie drehte sich um und verließ das Labor. Automatisch schloß sich hinter ihr die Tür. Und schluckte die Warnsignale der Elektronik, die, einem dishar monischen Pfeifkonzert gleich, durch den Raum gellten.
* »Ich schätze, ich bin im ›Online-Supermarkt für verrückte Wissen schaftler‹ gelandet«, flüsterte Steuart Goldenberg atemlos.
Bei seinem ziellosen Umherpflügen in den Datenbanken des Sa lem-Computersystems war er auf eine mehr als nur umfangreiche Auflistung der firmeneigenen ›Lagerbestände‹ gestoßen. Und was hier auf Halde lag, davon konnte man in den allermeisten Laborato rien dieser Welt nur träumen. In Anbetracht all dieses Materials konnte es im Grunde nichts geben, was bei Salem Enterprises nicht möglich gemacht werden konnte. Wohlwollend ausgedrückt … Pessimisten, und jener Kategorie fühlte Goldenberg sich ange sichts seiner Situation eher verbunden, hätten gemutmaßt, daß schon ein Bruchteil von diesem ›Zeug‹ genügen würde, um das Pro blem der Überbevölkerung für ein paar Jahrhunderte auf die lange Bank zu schieben. Mindestens für ein paar Jahrhunderte … Hinter Steuart Goldenbergs Stirn begannen imaginäre Rädchen zu rotieren, um nach einer Weile lautlosen Sirrens fast hörbar einzuras ten. Eine Idee nahm Gestalt an, und er begann, sich von der Pessimis mus-Fraktion zu verabschieden … Es war mehr als nur fraglich, ob sein Plan gelingen konnte. Aber er war es wert, versucht zu werden. Schon deshalb, weil er die einzige Möglichkeit darstellte, die Lage grundlegend zu verändern. Vielleicht … Er brauchte dazu nur einen Bruchteil von diesem Zeug … Und er konnte ihn kriegen, obwohl er seinen Labor-Kerker nicht verlassen durfte. Schließlich bekam er alles, was er für seine Arbeit brauchte. Angeblich brauchte. Niemand schien seine Anforderungen zu überprüfen. Dazu waren die Leute, die ihn belieferten, offenbar nicht in der Lage. Wenngleich
sie wie er Wissenschaftler waren. Ein paar von ihnen kannte Gol denberg sogar von früher. Auch wenn er selbst nicht bei Salem Enterprises gearbeitet hatte, so hatte man doch ab und zu miteinander zu tun, wenn man in der gleichen Branche tätig war. Doch keiner der anderen hatte sich an ihn erinnert. Und hätte Heraks Hypnose auch bei ihm verfangen, so wären sie auch ihm noch nicht einmal bekannt vorgekommen. So sehr Goldenberg die Kollegen ob ihres geraubten Willens auch bedauerte, jetzt kamen sie ihm zugute. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn er wie gewohnt auf dem Datenweg Dinge orderte, die in keinem Zusammenhang mit seinem Projekt standen. Winzig kleine, fürchterliche Dinge … Goldenberg veränderte in der Bestandsliste auf dem Bildschirm ei nige ausgewählte Artikelbezeichnungen in unverfängliche Kenn zeichnungen. Dann wechselte er das Programm. Und bestellte den Tod …
* Wo noch kein Leben ist, kann auch der Tod nicht ernten. Doch wenn der Tod genau in jenem Moment kommt, in dem der Keim des Lebens sprießt und seine erste Blüte entfaltet, wächst und gedeiht dar aus ein Wille, der nicht zu brechen ist. Auch durch den Tod nicht … Der vertraute Strom, der durch Stränge in den fast reifen Körper floß, versiegte und wurde ersetzt durch anderes. Wo Kraft geflossen war, kam nun Verderben daher.
Bewegung geriet in die zähe Flüssigkeit, übergangslos und heftig. Als tobe ein Sturm in dem gläsernen Tank, entfesselt in einem Kampf, den ge wordenes Leben gegen das drohende Ende focht. Das Geschöpf krümmte sich; tastende Hände drückten von innen gegen das Glas, als wollten sie die Wände eines Kerkers niederreißen, weil darin kein Platz für Leben und Tod zugleich war. Gedanken entstanden, Sinne wurden geboren. Die ziellosen Bewegungen des Wesens verebbten. Der Kampf um das gerade gewonnene Sein verlagerte sich auf eine ande re Ebene. Gedanken tasteten hinaus, Sinne überwanden suchend Barrieren – und wurden fündig. Es gab Kraft da draußen, so viel Kraft, die seiner gleich war. Kraft, die es dringender brauchte als all jene, denen sie zugeführt wurde. Energie änderte ihren Fluß, strömte aus vielen Quellen an ein neues Ziel … In Brescia Lords Labor verstummte der Alarm. Anderswo jedoch …
* Ein langgezogenes Heulen wehte durch das Labor, doch Dr. Tobin Kendall sah darin keinen Grund zur Sorge. Im Gegenteil, es hätte ihm sogar höchste Wonnen bereitet, wäre er nur in der Lage gewe sen, sie zu empfinden. Doch dieser Bereich seiner Wahrnehmung war ihm verwehrt. ›Ausgeschaltet‹ hatte ihn die stoppelhaarige Nackte, die mit angezo genen Knien über ihm hockte und ihr Becken auf und ab wippen
ließ. Henna, die Vampirin, legte keinen Wert darauf, ihren Gespielen Lust zu bereiten. Sie ritt gerne allein zum Höhepunkt. Und so hatte sie auch Tobin Kendall, den ihr Herak als Sippenführer für eine Weile zur Verfügung gestellt hatte, dahingehend hypnotisiert, daß er trotz des Anblicks ihres bizarr-aufregenden Körpers nur an ›das Eine‹ dachte – an seine Arbeit nämlich. »Jaaaaa!« johlte sie wieder, während ihr Blick dorthin glitt, wo Dr. Kendalls ›Arbeit‹ ruhte – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn der fötusartig zusammengekauerte Körper, der in einem gläsernen Be hälter von Sarggröße lag, regte sich nicht, lag in der trüben Flüssig keit wie tot. Schlief dem Leben entgegen. Vielleicht. Wenn Tobin Kendall, der Leiter dieser Projektgruppe, seinen Job gut machte. »Dieser Anblick hier müßte den Lebensfunken in dir wecken«, sagte Henna mit rauchiger Stimme, nicht innehaltend, sich mit To bins steil aufgerichtetem Glied zu stimulieren, und den geschlechts losen Homunkulus nicht aus den Augen lassend. Nach einer Weile bohrte sich der Blick ihrer Augen in den Ken dalls. Wie mit unsichtbaren Fingern tastete sie durch seinen Geist und lockerte die Fessel schließlich um eine Winzigkeit. Sie wollte endlich die Hitze spüren, mit der sich der Doktor in sie verströmen würde, was sie ihm bislang verwehrt hatte. Es war, als hätte sie einen Korken entfernt. Tobin bäumte sich unter ihr auf, doch sie hielt ihn eisern nieder und fiel in sein Stöhnen mit ein, als seine Hitze auch ihr Innerstes entflammte. Mit geschlossenen Augen ließ sie die Zuckungen verebben – – und dann überschlugen sich die Ereignisse! Unversehens fand Henna sich auf dem harten Boden wieder. Dr. Kendall hatte sie abgeworfen, schneller, als selbst die Vampirin es
hatte nachvollziehen können. Doch ihr Wunsch, ihn für sein ungebührliches Handeln zu bestra fen, erstickte, kaum daß er aufgeflammt war. Tobin war von der schmalen Liege gesprungen und nackt durch das Labor gerannt. Daß die Elektronik verrückt spielte, registrierte Henna erst jetzt. Und nur langsam. Zu mächtig waren die feurigen Wellen, die ihre Sinne in lustvoller Glut badeten. An den verschiedenen Geräten und Apparaturen blinkten rote Warnlämpchen, digitale Anzeigen rasten wie in einem wahnsinnig beschleunigten Countdown, Skalenzeiger rotierten, und alles wurde begleitet von einem Fiepen wie aus einem aufgescheuchten Ratten nest … Dr. Tobin Kendall bot ein reichlich merkwürdiges Bild, wie er nackt vor dem Glastank stand, die Hände dagegengestützt, und ein mal den Homunkulus aus schreckgeweiteten Augen anstarrte und dann wieder irgendeines der ›ausgerasteten‹ Geräte. Doch Henna blieb das Lachen im Halse stecken. Zum einen aus Verwirrung. Zum anderen, weil sie – verstand! Es hätte Tobin Kendalls Worte kaum mehr bedurft. Sie bestätigten nur, was Henna bereits erkannt hatte. »Es stirbt! Mein Geschöpf … stirbt!«
* VERGANGENHEIT
Dort, wo die Fußspuren endeten, lag die in den Korridor hinabfüh rende Treppe. Unsichtbar! Verließ man sich nicht auf seinen Tast sinn, sah es so aus, als setze sich hier nur der sandige Boden fort. Wahrscheinlich wollte jemand den Zugang tarnen. Mit Magie – oder einer damit vergleichbar mächtigen Kraft … Landru war den Spuren zurückgefolgt. Wie von Sinnen war er von dort, wo der Totenmund zu ihm gesprochen hatte, geflohen. Und nun stand er hier und konnte sich nicht entschließen, einzut auchen in das Unsichtbare. Fortzugehen von diesem Ort, an dem Li lith offenbar erwartet wurde, während er sich wie ein Verstoßener fühlen mußte … Haß glomm in seinem Geist. Haß, dumpf und erstickend, wie er ihn nie zuvor empfunden hatte … Eine ganze Zeit lang stand er völlig regungslos da, leicht geduckt wie Luther vorhin – und doch aus völlig anderem Antrieb. Wie ein in die Enge getriebenes Tier. Wie das schrecklichste Tier, das die Natur je ersonnen hatte: der Mensch! Ich – bin – kein – Mensch – Was aber dann? Ein Gott? Der eigene Hohn, die eigene Häme, mit der er sich besudelte, fach te den Haß noch stärker an. Als sein Kopf dann herumruckte, als er dorthin zurückstarrte, wo her er getaumelt gekommen war und wo die Toten ihr eigenes Grab auszuheben schienen … da wußte er, daß er nicht fortgehen und sich auch nicht irgendwo verkriechen würde! Haß.
Landru wehrte sich nicht dagegen, sondern badete förmlich darin. Ein Abglanz alter Stärke und Entschlußkraft kehrte in ihn zurück. Er suchte einen herumliegenden, kopfgroßen Fels auf und verbarg die Opferschlange daneben im Sand. Im Moment hätte sie ihn nur behindert. Nur belastet. Selbst verblüfft, wie leicht er seinen Körper verwandeln konnte, ließ er sich von seinen Schwingen hoch in die Luft tragen, und es schien ihm selbstverständlich, wohin er sich wandte. Dorthin, wo er die Schar der Vögel gesichtet hatte. Wo vielleicht eine Oase – oder sonst ein Ort mit Menschen – lag. Jenseits der trennenden Berge. Menschen … die er trinken konnte …
* Währenddessen, im Korridor … Ich habe Zeit verloren. Kostbare Zeit. Doch nun bin ich wieder auf dem rechten Weg und durchbreche die Membran, die jenes Tor verschließt, durch das ich nie gelangen wollte. Die ANDERE wollte es, nicht ICH. Die andere, menschliche Lilith in mir ist nun besiegt. Endgültig. Ich lasse nichts mehr von dem, was im Korridor der Zeit wispert, an mich heran. Der Kelch ist schuld an den Geschichten der verlorenen Kinder, die mit ihm getauft wurden. Aber nun perlen sie an mir ab. ICH HÖRE NICHT MEHR ZU!
BEMÜHT EUCH NICHT! Als ich aus dem Tor breche, habe ich mich bereits verwandelt. Meine Fänge umschließen die Agrippa mit dem Runendämon. Noch einmal werde ich ihn nicht verlieren. Er ist der Schlüssel. Ohne ihn wäre meine Reise zum Anfang sinnlos … Tropfen sprühen von meinen ledrigen Schwingen, als ich sie im freien Fall entfalte. Den Boden des Korridors erreiche ich nicht. Vor her tragen mich meine Flügel. Dorthin, wo ich erwartet werde. Der Flugwind trocknet meinen Pelz. Ich denke an Thuul und an die ganze Brut einer in Ungnade gefallenen Schöpfung … Aber nur kurz, dann denke ich nur noch an das eine. An meine Pflicht. Wie nahe ich dem Ziel gewesen war, als die ANDERE mich noch einmal zum Aufenthalt zwang, wird mir erst bewußt, als ich es er reiche. Ich nehme meine wahre Gestalt an – aber mein Geist bleibt beflü gelt. Der Symbiont gleitet von mir. Ich lasse ihn gehen. Das letzte Stück Weg hat er mich noch einmal begleitet und bekleidet. Ich bin voller Euphorie. Meine Hände nehmen die Agrippa, die aussieht wie ein eiförmiger, uralter Stein aus der Kruste dieses Pla neten. Ich steige die Stufen empor, wo mich ein heller Tag erwartet und wo alles so ist, wie es mir prophezeit wurde, als ich Felidaes Blut aus dem Lilienkelch trank …
*
GEGENWART ›Richtiger‹ Nahrung entsagte Brescia Lords schon seit langem. Was ihr Körper brauchte, führte sie ihm in Pillen- und Kapselform zu. Wenn man an einem Projekt wie diesem arbeitete, war Zeit zu wert voll, um sie mit Essen zu verschwenden. Und seit ihr zweites Leben begonnen hatte, empfand sie selbst ihre ›Reduktionskost‹ fast als überflüssig … Dennoch steckte Brescia drei Tabletten in den Mund und spülte mit einem Schluck Wasser aus einem bereitstehenden Becher nach. Dann verstaute sie Packung und Becher wieder in dem Wandfach und klappte den Deckel zu. Daß draußen auf dem Gang vor dem Aufenthaltsraum etwas nicht stimmte, spürte sie, noch bevor sie die Tür geöffnet hatte. Als sie schließlich hinaustrat, wurde sie trotzdem überrascht vom Ausmaß des Chaos’, in dem sie sich unvermittelt wiederfand. Kollegen stürmten an ihr vorbei, andere standen ratlos oder auch schreiend wie festgewurzelt auf der Stelle. Stimmen in allen Laut stärken umschwirrten Brescia, und es gelang ihr nicht, den Grund des Durcheinanders herauszufinden. Schließlich wußte sie sich nicht mehr anders zu helfen und packte einen vorübereilenden Weißkittel. Sie erkannte den Kollegen Dr. To bin Kendali. Daß er unter seinem Labormantel nichts trug, verwirrte Brescia Lords nur am Rande. »Was ist passiert?« herrschte sie ihn an. Seine Augen lagen wie unter Glas, und dahinter rangen unter schiedlichste Empfindungen miteinander, von denen doch keine richtig zum Ausdruck kam. »Die Geschöpfe! Sie sterben!«
Brescia stieß Kendall von sich wie einen Aussätzigen. »Das kann nicht sein!« Die Unsicherheit des eigenen Tonfalls er schreckte sie fast im gleichen Maße wie Kendalls Worte. »Sie sterben!« schrie Tobin Kendall, stierte sie noch einen Augen blick lang an und rannte weiter. Ziellos und brüllend. »Das darf nicht sein«, zischte Brescia Lords und lief den Gang hin unter zu ihrem Projektbereich. Aus offenstehenden Türen entlang des Korridors drang der Lärm elektronischer Warnsignale. Sie be gann zu rennen. Die Tür zu ihrem Labor öffnete sich (viel zu lang sam!), nachdem sie mit zittrigen Fingern den Code ins Zahlenschloß getippt hatte. Der Raum war nicht so leer, wie sie ihn verlassen hatte. Emmerson Radcliffe stand über Konsolen gebeugt; der Blick seiner kleinen Schweinsaugen wieselte zwischen den Anzeigen und dem Glastank hin und her. Brescia drängte den dicklichen kleinen Mann ungestüm zur Seite und kontrollierte selbst die Anzeigen. »Was ist passiert?« fragte sie den Assistenten, der ihr von Herak zugeteilt war und sich im Laufe der Zeit mehr und mehr zum Klotz am Bein entwickelt hatte. Radcliffe zuckte die Schultern. »Offensichtlich sterben die Geschöpfe. Doch niemand kennt den Grund …« »Meines stirbt nicht«, stellte Brescia fest. »Die Werte haben sich verändert, sind gesunken, aber sie sind stabil.« »Noch«, unkte Radcliffe. Brescia starrte ihn an, und das Funkeln ihres Blickes brach sogar durch die trübe Schicht, die auch ihre Augen sonst verhüllte wie die all der anderen Wissenschaftler, die unter Heraks Bann standen.
»Und ich werde dafür sorgen, daß es so bleibt«, fauchte sie. »Wir müssen Herak finden. Schnell!« »Ich habe ihn gesehen. Vor einer Weile. Aber er ist noch nicht zu rückgekommen«, sagte Radcliffe. »Bringen Sie mich hin!« herrschte Brescia den Dicken an. »Das könnte Ärger bedeuten«, gab Radcliffe zu bedenken. »Schlimmeren Ärger als diesen hier können wir gar nicht kriegen. Los!«
* Debras Körper schien fast mit dem Boden zu verschmelzen, so we nig unterschied er sich farblich von den hellen Kacheln. Nur die dunklen Striemen, aus denen Herak wieder von ihrem Blut kostete, verliehen ihm auf morbide Weise etwas Kontrast. Das Mädchen versuchte seine Gedanken mit allem möglichen zu beschäftigen, nur nicht mit der grauenhaften Wirklichkeit. Und doch mündeten alle Anstrengungen stets nur in einem Fle hen: daß ihre Immunität gegen Hypnose, die sie von ihren Eltern ge erbt haben mußte, sich verflüchtigen möge. Daß sie endlich emp fänglich wurde für die geistige Knute ihres Peinigers, damit sie die Qual nicht länger bewußt ertragen mußte. Aber es schien fraglich, ob Herak ihr diesen Gefallen überhaupt getan hätte. Denn mindestens ebenso sehr wie ihren Körper genoß er ihr Leid. Das hatte Debra spätestens erkannt, als Herak sie zu ihrer Mutter gebracht hatte. Oder zu dem, was er aus ihrer Mutter gemacht hatte …
»Siehst du, Debra, ich war ungehorsam«, hatte Herak die Leiche Margret Goldenbergs sagen lassen. »Ständig habe ich nur gejammert und gefleht, bis der edle Herak es nicht mehr ertragen konnte. Und weil er meinen Willen nicht niederzwingen konnte, hat er ihn ein fach ausgeknipst. Nun bin ich endlich glücklich und zufrieden!« Die Krone hatte er der perversen Vorstellung aufgesetzt, indem er sein eigenes irres Lachen Debras Mutter auf die Lippen gelegt hatte … So fürchterlich der Anblick auch gewesen war, manchmal wünsch te Debra, an Stelle ihrer Mutter zu sein. Margret Goldenberg hatte es hinter sich. Debras Qual schien endlos. Oh, wenn ihr doch nur etwas eingefallen wäre, mit dem sie ihren Kerkermeister so provozieren könnte, daß er in Rage geriet und sie in seiner Wut erschlug. Aber zu groß schien ihr die Gefahr, daß sie ihn mit allem, was sie tat, nur dazu bringen würde, ihr noch Schlimmeres anzutun. Nur – was konnte noch schlimmer sein? Ewiges Leben – und Leiden? Wenn doch nur … »Herak!« Für einen Moment schien der Gerufene in seinem Mahl zu erstar ren. Dann ließ er übergangslos von Debra ab und wandte sich zur Tür. »Brescia-Täubchen, was …« Er klang nicht einmal ungehalten, sondern fast dankbar für die Ablenkung. »Ich brauche deine Hilfe. Die Zeit drängt!« »Dann laß uns keine verlieren«, erwiderte Herak, stand auf und
ging. Debra schluchzte auf. Es war vorbei. Für dieses Mal …
* VERGANGENHEIT Die Augen einer Fledermaus starrten hinab auf den Wald aus Ei chenbäumen, auf blühende Wiesen, schattige Haine, Quellen und daraus gespeiste, friedlich dahinplätschernde Bäche … … auf einen paradiesischen Ort, der sich jenseits der Berge er streckte und von gewaltiger Ausdehnung war! Langsam sank Landru tiefer. Sein erster Gedanke war: Eine Hallu zination! Ein Trugbild! Und während er sich der grün wuchernden, von mannigfaltigem Leben erfüllten Oase näherte, bestätigte sich diese Befürchtung. Denn sämtliche ultrahohen Schreie, die er dem Wald entgegen schmetterte, fuhren ungebrochen, ohne ein Echo zu erzeugen, ins Nichts! Nur flüchtig hatte Landru das Empfinden, als würden die Sonar laute von irgend etwas … abgelenkt. Als gäbe es doch einen vagen Widerstand … Knappe hundert Meter vom Rand des Waldes entfernt ging er zu Boden und verwandelte sich in seine humanoide Gestalt zurück. Unter seinen Füßen glühte Sand. Wüste.
Er hatte noch nie eine Fata Morgana gesehen, die so echt, so wirk lich ausgesehen hatte. Und nicht nur das: Er glaubte, Düfte aufzufan gen. Den Lockstoff eines ganzen Meeres von Blüten; ein Gemisch, das an Exotik und die Sinne berauschender Kraft kaum noch über boten werden konnte! Honigsüß, moschusherb, prickelnd … Er wehrte den Zauber ab, der ihn zu umgarnen suchte. Zauber, für den er nicht geschaffen war! Er sah Bewegung zwischen Strauchwerk und Bäumen … … und dann warf er sich zu Boden, weil er wieder die Blicke auf sich fühlte. Bohrender und abwägender als je zuvor! Irgend etwas in diesem Wald starrte ihn an! Möglicherweise sogar der Wald selbst – mit allem, was sich in seinen Zweigen, seinem Ge äst und hinter den saftig grünen Blättern verbarg … Alle Zuversicht schwand. Unter diesen Blicken fühlte Landru sich so unbedeutend wie eines der Sandkörner unter seinen Sohlen. Selbst der Haß, den er bleischwer im Herzen trug, schmolz darunter wie Butter in der Son ne … wenn auch nicht restlos. Wieder fühlte er seine Kräfte schwinden. So rapide, als hätte ihn tatsächlich nur ein allerletztes Aufbäumen hierher getragen … Er brauchte Blut! Die Anziehungskraft des paradiesischen Fleckens war enorm. Und das, obwohl er ihn als Betrug durchschaut zu haben meinte … Vielleicht hatte er sich geirrt. Er mußte sich geirrt haben, sonst war er erledigt. Jede Bewegung, jeder Schritt war Qual. Vergeblich versuchte er, noch einmal in seine Tiergestalt zu flüchten. Sich noch einmal von Flügeln tragen zu lassen, aber es gelang ihm nicht mehr.
Taumelnd, torkelnd, schließlich auf allen vieren versuchte er den Schatten der Bäume und die Bäume selbst zu erreichen … Schließlich trennten ihn nur noch wenige Schritte von der Grenze des Waldes. Er spürte und genoß die Kühlung eines Windhauchs, der durch die Blätter strömte und die Wüsten dürre vertrieb. Er streckte die Hand danach aus … So nah! Nur wenige Zentime ter noch! Und dann – war es vorbei! Der Wald … verschwand! Landru brüllte seine Verzweiflung in die flirrende Hitze hinein. Wälzte sich auf dem Boden – und sah, indem er sich umwandte, daß der Wald, daß die Wiesen, Blumen und Tiere (Menschen? Auch Menschen?) immer noch da waren. Aber weit, unerreichbar fern hinter ihm …! Das Verwirrende war, daß nicht die Fata Morgana ihre Position verändert hatte, sondern – er! Er befand sich plötzlich an einer gänzlich anderer Stelle der Wüs te! Wer hatte das vollbracht? Wer betrog ihn um das frische Blut? Die selbe Kraft, die sich mit zärtlicher Stimme aus Luthers Totenmund gemeldet hatte? Landru röchelte. Für Sekunden spürte er sein wahres Alter – ein Alter, um das er seinen Körper hatte betrügen können. Lange. Aber sein Geist rebellierte! Sein Verstand bekam Falten, Furchen, häßliche Flecke wie Geschwüre. Metastasen, die sich wie Sporen ausweiteten, überall Wurzel schlugen, überall Wahnsinn keimen ließen … (Ein wahnsinniger GOTT.) Landru spuckte auf die Erde, die ihn trug. Weit, weit entfernt blühte das Kraut, das ihn geheilt hätte, sprudel te der Jungbrunnen, der seine Art über die Jahrhunderte und Jahr
tausende getröstet hatte … Blut … Irgendwo dort in diesem Wald, hinter borkigen Stämmen, im schattigen Grund, wandelten Menschen! Er konnte sie fühlen. Er konnte ihre Unverdorbenheit und ihre Arglosigkeit spüren. Sie wa ren wie das Schaf, das nie den Wolf sah. Aber wie sollte er sie erreichen. Er drehte sich auf den Rücken, wollte die Augen des Himmels se hen – ein letztes Mal – und sie verfluchen … Da hielt er inne. Mitten in der Drehbewegung sah er es kommen. Es erschien eine Armlänge von ihm entfernt, und seine Augen starrten ihn an. Augen, die sagten: Ja, nimm mich! Wenn dich so sehr hungert … nimm mich! Er wußte sofort, daß es ein weiterer Betrug war. Wie die Quelle, die plötzlich neben dem Reh, das aus dem Nichts erschienen war, sprudelte. Es war ihm egal. Diese Täuschung mundete göttlich gut und machte das Sterben leicht …
* GEGENWART »Wie konnte das passieren?« fragte Herak, während er Seite an Seite mit Brescia Lords hinüber in den Forschungstrakt von Salem Enter prises lief. Radcliffe folgte ihnen schweratmend wie ein lästiges An hängsel..
»Niemand weiß es«, sagte Brescia, die Herak im Telegrammstil über die Ereignisse informiert hatte. »Wir dürfen nicht zulassen, daß mein Geschöpf stirbt. Es ist fast vollendet!« »Wir werden es nicht zulassen«, knurrte Herak. »Für einen weite ren Neuanfang bleibt keine Zeit. Die Wende steht bevor. Ich spüre es. Das Überleben meiner Rasse hängt von unserem Erfolg ab.« Brescia verstand wohl seine Worte, nicht aber deren Bedeutung. »Was können wir tun?« fragte Herak. Brescia verlangsamte ihren Schritt. Mit beiden Händen fuhr sie sich an die Schläfen. »Es … wir … müssen«, preßte sie hervor. Sie suchte und fand ›ver botenes‹ Wissen, doch sie war nicht in der Lage, es zu nutzen. Herak verstand und handelte. Er blieb stehen, packte Brescia an den Schultern und riß sie herum. Die schwarzen Wirbel in seinen Augen verstärkten sich, als sich ihre Blicke trafen und etwas von ihm auf sie überging. Das Vampirober haupt las in Brescias Gedanken, griff auf Bereiche zu, die sein Bann ihr selbst verwehrte. Und er fand die Lösung. »Selina Maddox … eine frühere Schülerin von dir … Vereinigte Staaten von Amerika …«, murmelte er, und als er alles erfahren hat te, stieß er Brescia grob von sich. Die Wissenschaftlerin taumelte ge gen die Wand und brauchte Sekunden, um sich zu sammeln. Was ihr eben widerfahren war, daran konnte sie keinen Gedanken verschwenden. Herak eilte weiter. »Was tun wir?« rief sie ihm nach. Der Vampir wandte sich nicht einmal um. »Keine Sorge. Ich übernehme die Sache. Kümmere du dich um dein Geschöpf.«
Heraks Ziel war nicht länger der Bereich, in dem die neue Rasse erschaffen wurde. Er suchte sein Büro auf und griff zum Telefon. »Homer?« fragte er, als am anderen Ende der Leitung abgenom men wurde, und fuhr dann fort. »Ich hoffe, du hast deine Verbin dungen zur Armee nicht vollends gekappt. Wir brauchen die Unter stützung des Militärs. Dringend. Du mußt ein Flugzeug besorgen, das groß genug ist, ein komplettes Forschungslabor aufzunehmen, um es nach New York zu bringen. Wie lange brauchst du, um eine solche Aktion vorzubereiten?« Er wartete die Antwort kaum ab. »Soviel Zeit bleibt uns womöglich nicht. Es muß schneller gehen!« Dann: »Gut. Ich leite hier vor Ort alles in die Wege.« Herak legte auf. Seine krallenartigen Nägel gruben sich tief in das Fleisch seiner Handballen. Dunkles Blut trat aus den sichelförmigen Wunden, die sich sofort wieder schlossen. Es mußte klappen. Wenigstens ein Kind der neuen Rasse mußte überleben. Brescias Geschöpf mochte die besten Voraussetzungen dafür haben. Mochten die anderen ruhig krepieren. Eines genügte.
* Steuart Goldenberg justierte den Reizstrahl neu, der durch das Glas hindurch auf den Symbionten gerichtet war. Er tat es nicht, weil es erforderlich gewesen wäre, sondern nur um sich zu beschäftigen. Es mochte Zufall sein, aber es kam dem Professor vor, als würde sich das schwarze Gespinst im Bassin unter der Strahlung wohlig rä keln. Aber es war unwahrscheinlich, daß das Ding zu solchem Emp finden fähig war. Andererseits – war es nicht genauso unwahr scheinlich, daß dieses Ding überhaupt lebte?
»Hier sind Ihre Sachen.« Goldenberg zuckte herum wie von einem Elektroschock getroffen. Warum mußte sich diese verdammte Tür auch so geräuschlos öff nen? Ein junger Mann in weißer Kleidung war eingetreten. Hinter sich her zog er einen kleinen Rolltisch. Auf der alufarbenen Platte stan den einige Gläser mit rubinrotem Inhalt – für die ›Umstellung‹. Ob wohl er sich nach wie vor elend fühlte, huschte bei diesem Gedan ken ein kleines Grinsen über Goldenbergs müde Züge. Und als er das unscheinbare, von einer dünnen Reifschicht überzo gene Kästchen auf dem Tisch sah, ging sogar ein Leuchten über sein Gesicht. Der Anfang war geschafft. Aber zumindest daran hatte er auch nie gezweifelt. Alles weitere war eine Frage von Glück und Geschick. »Danke. Sie können gehen. Ich melde mich, wenn ich etwas brau che«, sagte Goldenberg. Wortlos machte der junge Mann kehrt und ging hinaus. Die Tür schloß sich lautlos. Vorsichtig trat Steuart Goldenberg an den Tisch heran. Er klappte das eisige Kästchen auf, so behutsam, als könnte eine unbedachte Bewegung wecken, was darin tiefgefroren schlief. Vier frostumman telte Glasröhrchen steckten paßgenau in Kühlvorrichtungen. Harm los, unscheinbar. Und doch so tödlich … Eine Auswahl der gefährlichsten Viren dieser Welt. Die ›Umstellung‹ des Symbionten konnte beginnen.
* Obwohl er Herr der Lage war – soweit man Herr einer solchen Lage sein konnte –, spürte Herak einen Anflug von Erleichterung, als sich die Hecktüren der schweren Transporter schlossen. Das Sippenober haupt hatte die verwirrten Wissenschaftler in einem geistigen Kraftakt beruhigt und dazu gebracht, die komplette Einrichtung aus Brescia Lords’ Labor abzubauen und in die Laderäume von zwei großen Lastwagen zu bringen. Das Fahrzeug würde seine Fracht zu einem Armeeflugplatz außerhalb Sydneys bringen und dort in ein bereitstehendes Flugzeug umladen, das Homer in seiner Eigenschaft als Drei-Sterne-General organisiert hatte. Ziel: New York, USA. Dort also würde der Geburtsort der neuen Rasse liegen. Wenn es keine Schwierigkeiten gab … »Brescia-Täubchen, komm zu mir«, befahl Herak der greisenge sichtigen Wissenschaftlerin. »Was …?« Brescia verstand noch immer nicht recht, was hier ei gentlich vorging. »Henna?« Herak winkte die fast barhäuptige Vampirin zu sich. »Was ist?« fragte sie. »Ich löse meinen Bann um Brescias Geist. Du wirst sie überneh men und mit ihr nach New York fliegen. Was du wissen mußt, kann Homer dir erklären. Antworten findest du« – er tippte sanft gegen Brescias Stirn – »da drin.« Henna verzog die schmalen Lippen zu einem verwegenen Lä cheln. Herak hatte seinen Humor nicht verloren. Dennoch durfte sie den Ernst der Lage nicht unterschätzen. Und das würde sie auch nicht tun. Herak wußte, daß er sich auf sie verlassen konnte. Sonst
hätte er sie nicht mit auf die Reise geschickt. »Warum begleitest du uns nicht? Ist dir die Sache plötzlich nicht mehr wichtig genug?« argwöhnte sie mit halbgeschlossenen Augen. »Sie ist mir wichtiger denn je, meine Liebe«, erwiderte Herak. »Aber meine Anwesenheit hier ist unbedingt erforderlich. Wegen ei ner Sache, die nicht minder bedeutend ist.« Zumindest für mich, setzte er in Gedanken an Steuart Goldenberg hinzu. »Laß uns nicht noch mehr Zeit vergeuden«, sagte er, nachdem er sich selbst ins Hier und Jetzt zurückgerufen hatte. Heraks Finger schlossen sich um Brescias Kinn und drehten ihr Gesicht in seine Blickrichtung. Es war notwendig, den hypnotischen Bann zu lösen, ehe ein anderer der Alten Rasse sich ein Opfer gefü gig machte. Wer versuchte, in einen schon geknechteten Geist einzu dringen, konnte irreparablen Schaden anrichten. Was in Brescias Fall fatal gewesen wäre. Sie brauchten sie. Noch … Der stumpfe Glanz in Brescias toten Augen erlosch, doch bevor all das, was sich an ihrem Grund formierte, emporsteigen konnte, nahm Henna sich der Wissenschaftlerin an und stieß sie dann vor sich her in die Fahrerkabine des Trucks. Bevor sie selbst einstieg, winkte sie Herak zu. »Wünsch uns Glück«, rief sie. »Bei allem, was mir unheilig ist, das tue ich«, murmelte Herak. Das Oberhaupt der Sydneyer Vampire stand noch reglos in der Nacht, als die Heckleuchten des Lastwagens längst schon in der Finsternis verglommen waren.
*
Die Umsetzung des Plans wurde schwieriger, als Steuart Golden berg befürchtet hatte. Das lag weniger daran, daß ihm die Durchführung Probleme be reitete, als vielmehr an Heraks Besuchen. Ihm gegenüber mußte Goldenberg immer wieder neue Umschreibungen für sein Tun erfin den, die den Vampir zufriedenstellten, ohne daß er Verdacht schöpf te. Zu befriedigen schien ihn allein schon die Tatsache, daß der Nähr brei, in dem der Symbiont schwamm, nunmehr, mit menschlichen Blutkonserven angereichert, rötlich schimmerte. Herak wertete das als Zeichen für die Umstellung. Im weiteren machte Goldenberg die Erfahrung, daß ihm seine Lügen um so mehr abgenommen wurden, je hanebüchener sie waren. Manche Ausflüchte waren so phantas tisch, daß sie ihm kaum über die Lippen wollten. Aber er schaffte es, Herak hinzuhalten. Und schließlich stand der große Moment bevor. Die wahre Umstellung. Steuart Goldenberg ›impfte‹ die DNS des Symbionten. Mit dem Tod. In der Hoffnung, daß die Saat im rechten Moment aufgehen wür de …
* Herak stand im Tresorraum von Salem Enterprises und besah sich den Inhalt einer Vitrine, in der Behälter, die wie kleine kristallene Urnen aussahen, nebeneinander aufgereiht standen. Insgesamt waren es dreizehn.
Die Asche darin sah nicht im mindesten besonders aus, aber wenn Heraks Blick über die Namen glitt, die in die Behälter geritzt waren, bekamen seine Augen Glanz. Horrus, Hekate … Hora! Immer wenn ein Todesimpuls vom Sterben eines Sippenmitglieds zeugte und zum Ort seiner Vernichtung rief, wurden – falls dies möglich war – die Reste des zerfallenen Körpers eingesammelt. Et was Asche fand sich fast immer. Und für die Idee, die Herak seit langem im Kopf herumspukte, ge nügte dieses Etwas … Er seufzte, denn er hatte viele Träume. Die wichtigeren waren, endlich einen Ersatz für den verschollenen Lilienkelch zu finden, also in die Lage versetzt zu werden, Vampire aus der Retorte zu züchten (das, woran Brescia-Schätzchen arbeitete). An zweiter Stelle der Prioritäten stand die Rekonstruktion des Sym bionten-Fragments (Goldenbergs Aufgabe), das von Lilith Edens mysteriösem Begleiter abgetrennt und über Umwege in Heraks Be sitz geraten war … Aber dann gab es noch die kleineren Wünsche. Und im Fall der hier gehorteten Aschehäufchen gingen sie auf unbewältigte Konflik te zurück … Herak zitterte fast unmerklich, als seine Finger über die Urne stri chen, die Horas Namen trug. Den seines Vorgängers und des Grün ders der Sydneyer Sippe! Herak hatte zu lange im Schatten des großen Hora gestanden, um ohne schlechte Gefühle an ihn erinnert zu werden. Und sein Traum war es – nach dem Gelingen, geklonte Nachkommen zu schaffen –, Hora aus seiner Asche wieder auferstehen zu lassen! Auch als eine Art von Klon – aber einen, der ihm, Herak, zu bedingungslosem Ge horsam verpflichtet sein würde, zu geradezu hündischer Ergeben
heit …! Um Heraks dünne Lippen spielte ein sadistisches Lächeln. Er war nicht der Meinung, daß irgendein Sippenmitglied von diesem Experi ment erfahren mußte. Er würde sich Hora ganz zu seinem privaten Vergnügen halten … »Herr!« Die Stimme rief von draußen, aus seinem Büro. Herak schaltete sein Denken augenblicklich um. Er schloß die Vi trinentür und verließ den großen, begehbaren Tresor. Es war die Stimme von Sieben, die ihn gerufen hatte. Sieben gehörte zu der Security-Mannschaft, die Salem Enterprises gegen unbefugte Besucher abschotten sollte. Wie der Großteil der hier forschenden Wissenschaftler waren auch die Security-Angehö rigen keine Dienerkreaturen, sondern hypnotisch auf ihre Aufgaben eingeschworene Menschen. Sie lebten, aber ihr kritisches Denkver mögen war aus ihnen verbannt worden, und ihr Verstand bewegte sich in äußerst einfachen Bahnen. Für den Job, den sie verrichteten, brauchte Herak keine Geistes größen, sondern Menschen, deren Physis stimmte … »Was ist?« »Ich habe gerade Meldung erhalten, daß etwas vorgeht!« »Vorgeht? In den Labors?« Natürlich dachte Herak sofort an sein näheres Umfeld. An die Homunkuli, an den Symbionten, der ihn kleiden, schützen und seine Macht mehren sollte … Aber Sieben verneinte. »In der Stadt. In der Paddington Street …«
*
Die Paddington Street war ein besonderer Ort. Insbesondere das Anwesen Nummer 333, auf dem sich seit geraumer Zeit ein zwölf stöckiges Wohn- und Geschäftsgebäude erhob – inmitten einer sonst eher villengeprägten Gegend mit Parks und anderen Grünflächen. Hier hatte das Haus gestanden, in dem Lilith Eden geboren und herangewachsen war. 98 Jahre lang … Unter großen Opfern war es den Vampiren von Sydney gelungen, die seltsame Vegetation, die hier zeitweilig wucherte, zu entfernen und das Haus mit den Attrappentüren und -fenstern dem Erdboden gleichzumachen. Mit dieser Maßnahme hatten sie auch die Kraft, die unbekannte Magie, die sich hier manifestieren konnte, unschädlich machen wol len. Und als weiteren Schritt hatten sie später auf einem mit Weih wasser angerührten Betonsockel ein Hochhaus errichten lassen. Um die Einflüsse, die von diesem Grund und Boden ausgingen, ein für alle Mal zu tilgen! Fast hätte Herak geglaubt, dies sei gelungen. Doch vor einiger Zeit war es zu einem neuerlichen Zwischenfall gekommen, der zu Zweifeln Anlaß gab. Etwas hatte das Fundament an einer Stelle durchbrochen. Von unten. Und war verschwunden. Niemand wußte, um was es sich dabei gehandelt hatte. Aber He rak hatte in der Hoffnung, nie wieder darauf zu treffen, immer eine latente Bedrohung gesehen. War diese Gefahr jetzt wieder aktiv geworden? Nachdem alle Wohnungen und Geschäfte vermietet waren …? Es war nach Mitternacht, als er die Paddington Street in Siebens Begleitung erreichte. Noch bevor der Wagen hielt, sah Herak, daß tatsächlich etwas vorging.
Etwas Gespenstisches. Auch wenn er nicht die Fähigkeit besessen hätte, bei Nacht zu se hen wie bei Tag, wäre das Hochhaus auf seiner ganzen Länge für ihn sichtbar gewesen. Es sah aus, als wäre es von einer schwachleuchtenden, aber zu gleich auch absolut düsteren Aura umgeben. Zwei Minuten später stand er neben Sieben und jenem SecurityMann vor Ort, der das Phänomen nach Salem Enterprises gemeldet hatte. »Es hat vor einer Stunde angefangen«, sagte er. Auf seinem Over all stand die Zahl 21. »Was ist mit den Leuten im Haus?« fragte Herak. »Wurden sie evakuiert?« »Nein.« »Nein?« »Es war schon zu spät.« »Was heißt zu spät?« »Wir kommen nicht mehr hinein. Niemand. Wir haben bereits al les versucht.« Das bezweifelte Herak. Sein Blick glitt in die Nachbarschaft. Noch herrschte überall Ruhe. Noch schien niemandem aufgefallen zu sein, daß die Hausnummer 333 schon wieder Ausgangspunkt eines beun ruhigenden Vorgangs war … Dann fand sein Blick zum Gebäude zurück, das dunkel war und doch hell – obwohl hinter keinem (keinem!) der Fenster ein Licht brannte. »Wie viele Menschen wohnen inzwischen hier?« »Einhundertunddrei.« »Sie müßten es drinnen doch auch spüren!« sagte Herak. »Warum
kommt niemand an ein Fenster?« »Wir wissen es nicht. Das Haus sieht aus, als wäre es unbewohnt. Aber selbst das können wir nicht nachprüfen.« »Was heißt ›nicht können‹ genau?« »Die Türen und Fenster geben nicht nach. Es ist, als läge eine un sichtbare Stahlwand davor.« Wie damals, dachte Herak klamm. Als unsere Feindin ausgebrütet wurde … »Und es wurde noch kein Mensch an einem der Fenster gesichtet? Auch vor meinem Eintreffen nicht?« erkundigte er sich. Einundzwanzig schien kurz zu zögern. Dann sagte er: »Zweimal war jemand zu sehen.« »Immer derselbe?« »Nein. Verschiedene.« »Wie sahen sie aus? Beschreibe sie mir.« Einundzwanzig gehorchte. Aber Herak erkannte daraus nieman den wieder. Er wollte erneut die Stimme heben, als Sieben ihm zu vorkam. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf die Fassade hinter Herak. »Da! Dort ist jemand!« Der Vampir drehte sich um. »Ist das einer von …«, setzte er an, als er die Umrisse eines Men schen hinter einer Scheibe im dritten Stock sah. Er verstummte, als er das Gesicht erkannte. »Nein«, sagte Einundzwanzig. »Das ist schon wieder ein anderer.« Verblüfft starrte Herak dorthin, wo der Mann stand und zu ihm herabschaute. Verblüfft darüber, daß es sich um einen Aboriginal handelte … Nach einer Weile wandte sich die Gestalt einfach ab und ging dorthin, wo ihr kein Blick zu folgen vermochte.
»Haben wir an Aborigines vermietet?« fragte Herak rauh. Er wuß te selbst nicht, was ihm solches Unbehagen bereitete. »Nein. Es muß der Gast eines Mieters sein.« Vielleicht. Es war möglich, aber Herak glaubte es nicht. Dafür hat te sich der Aboriginal zu seltsam benommen. In diesem Augenblick veränderte sich die Aura um das Haus. Das Gebäude schien von Herak und den beiden Security-Männern wegzurücken … Unfug! »Was sollen wir tun?« fragte Sieben. »Die Umgebung absperren. Mich auf dem laufenden hal-« Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als das Haus vor ihm völ lig verschwand. Und dabei einen Sog entwickelte, der die beiden Menschen neben Herak an sich riß und dorthin zerrte, wo das zwölfstöckige Bauwerk wie in einer Implosion in sich zusammen fiel. Herak rettete sich nur, weil er sich sofort verwandelte. Seine Flügel stemmten sich gegen den Sturm, der ebenso schnell abflaute, wie er aufgekommen war. Alles, was sich in unmittelbarer Nähe der Grundstücksgrenze befunden hatte, war davon angezogen und fortgerissen worden. Fassungslos kehrte Herak in seine eigene Gestalt zurück und blick te auf das, was dort klaffte, wo Sekunden zuvor noch ein massives Bauwerk gestanden hatte. Wie ein Schwarzes Loch, das seine urgewaltige Anziehungskraft kurz hatte aufblitzen lassen und dann wieder verloren hatte, gähnte es ihm entgegen. Finster und von einer Dimension, die selbst Herak zurückschre cken ließ, in der seine Augen keinen Punkt fanden …
Verwirrt eilte er zum Wagen und alarmierte die Leute, die nötig waren, das Problem wenn schon nicht zu lösen, so doch wenigstens in den Griff zu bekommen. Dann kehrte er nach Salem Enterprises zurück.
* »Professor, ich bin entzückt.« Heraks Finger krochen wie knöcherne Schlangen über Golden bergs Schulter. Sein Erlebnis, von dem der Professor nichts ahnen konnte, war ihm nicht anzumerken. Der Wissenschaftler fröstelte. Nicht nur unter der Berührung, son dern auch angesichts der Möglichkeit, daß sein Plan fehlschlug. Oder sich gar ins Gegenteil verkehrte. Nicht daran denken, wies er sich selbst zurecht. Bei einer Sache wie dieser – in einer Umgebung wie dieser! – konnte womöglich ein falscher Gedanke schon ausreichen, um das Unheil heraufzube schwören. »Du hast Erstaunliches vollbracht. Ich zolle dir meine Hochach tung.« Herak deutete spöttisch eine Verbeugung an, ehe er sich wieder dem Symbionten zuwandte, der nach wie vor im Nährbrei schwamm. Als unförmiger Fladen. Das Gestaltwandeln hatte Gol denberg ihm ›ausgetrieben‹. Herak gegenüber hatte er die Reglosig keit des Symbionten als Zeichen der vollendeten Umstellung gedeu tet. »Soll ich die Flüssigkeit ablassen?« drängte der Professor und hoff te, daß er es nicht allzu auffällig tat. »Natürlich, mein Bester. Wir wollen das gute Stück doch testen,
oder?« Goldenberg legte schon Hand an das Ventil, durch das der Brei ab fließen würde, hielt dann aber doch noch einmal inne. Widerstre bend, als trüge er einen inneren Kampf aus. »Darf ich … darf ich vorher meine Familie sehen?« fragte er schließlich, zögernd und leise. Herak schlug ihm jovial auf die Schulter. »Professor, du machst meine Überraschung kaputt! Aber gut, nun kann ich sie dir ja zeigen. Gedulde dich einen Moment, ja?« Herak ging grinsend zur Tür, öffnete sie, verschwand und kam nur ein paar Sekunden zurück. Allerdings nicht allein … »Debra?« »Dad …« Der Anblick des geschundenen nackten Körpers seiner Tochter traf Steuart Goldenberg wie tausend Messerstiche. Er wünschte sich, seinem soweit gediehenen Plan zum Trotz, unter dem gewaltigen Schmerz zu sterben. Und vielleicht tat er das sogar. Unmerklich. Stückchenweise. Quälend langsam. Wortlos ging Goldenberg zu seiner Tochter und schloß sie in die Arme. Ihre Tränen waren das einzig Warme an ihr. »Was hat er dir angetan?« flüsterte Steuart Goldenberg in ihr Ohr. Die Worte entgingen Herak nicht. »Was ich ihr angetan habe, fragst du? Sollte dich nicht viel mehr in teressieren, was ich ihr antun werde? Was du deiner Tochter antun wirst?« Obwohl Heraks Bemerkungen eine fürchterliche Ahnung in ihm schürten, ließ Goldenberg seine Tochter nicht los, als er sich dem Vampir erschrocken zuwandte.
»Wie meinst du das?« »Sagte ich nicht, daß wir den Symbionten testen wollen?« fragte Herak mit aufgesetzter Verwunderung. Goldenbergs Ahnung verdichtete sich zu etwas Schmerzhaftem, zu steinernen Knoten, die jede Regung unmöglich machten. Er konnte den Vampir nur stumm anstarren. »Professor, du dachtest doch nicht etwa, ich würde dir blind ver trauen, oder?« tadelte Herak. »Wir testen den Symbionten an DebraTäubchen!«
* VERGANGENHEIT Ich trete ins Freie. Nackt, wie ich einst erschaffen wurde aus zweier lei Stoff, dem menschlichen und dem vampirischen. Aus Gut und Böse. Aus Ordnung und Chaos. Aus Licht und Schatten … Denn alles hat seinen Platz. Auch hier. Ganz besonders hier! Als ich den Rand der Grube erreiche, halten sie inne. Meine Toten. Sie graben an der richtigen Stelle. Aber nicht alle. Einige fehlen. Auf ihre schwammigen Gesichter haftet Erde. Die Sonne ist ihr Feind. Sie haben sich vor ihr verhüllt … Ich versuche mir einen Eindruck zu verschaffen, wie weit die Ar beiten gediehen sind, und ich werde nur zornig, als ich sehe, was er reicht sein könnte, wenn ich nicht selbst zu lange gezaudert, nicht
selbst zu lange versagt hätte …! Unweit von mir kriecht der Symbiont über den Sand. Er beginnt schon, sich zu teilen … Und dann erreicht mein Ruf jene, die sich noch vor der verderbli chen Sonnenkraft fürchten müssen. Sofort entsteht um mich herum Bewegung. Diejenigen, die sich eingegraben haben, erheben sich, und bald darauf kleidet auch sie, was Felidae und mir so lange diente. Es schützt und versetzt sie in die Lage, ungeachtet von Hitze und Helligkeit darin fortzufahren, die Voraussetzungen für die Zeremonie zu schaffen. Allein könnte ich es nicht vollbringen. Allein hier zu graben wäre zum Scheitern verurteilt, denn es bedarf nicht nur der Kraft, des Ge schicks und der Geduld, um erfolgreich zu sein, nein, auch Regeln müssen eingehalten werden. Totes soll erwecken, was hier schläft und träumt. Und leidet. Und was nach mir gerufen hat …
* GEGENWART »Nein!!!« Etwas fuhr in Steuart Goldenberg und riß alle Energie an sich. Nutzte Angst, Sorge und Panik, um eine Kraft zu schaffen, die ex plosionsartig durch die Muskeln tobte und das klare Denken aus schaltete. Der Professor stürzte vor, warf sich gegen den Vampir, der von dieser Reaktion überrascht wurde.
Bevor Herak sich zur Wehr setzen konnte, trieb Goldenberg ihn mit zwei, drei blitzschnellen und unglaublich kraftvollen Hieben quer durch das Labor, bis die Glaswand des Bassins ihn stoppte. Es – durfte – nicht – geschehen! Goldenberg wollte nicht zum Mörder seiner Tochter werden! Und er würde sie auf dem Gewissen haben, wenn Herak sie dem Symbionten ›zum Fraß‹ vorwarf! Nicht, weil er ihr Blut aussaugen würde, sondern weil die Saat, die für Herak bestimmt war, in Debra aufgehen würde. Ein Tod würde sie ereilen, der trotz der Kürze, in der er seinen Be rechnungen zufolge vonstatten gehen mußte, qualvoller als ein ewigkeitslanges Sterben sein würde. »Professor, das wirst du büßen!« An Heraks Stimme war kaum noch etwas Menschliches. Ebenso wenig in seinen Zügen. Sein dunkles Wesen brach sich Bahn, entstellte sein Gesicht. Und allein die Art und Weise, wie er sich zum Sprung duckte, verriet Kraft von unvorstellbarem Ausmaß. »Dad! Zur Seite!« Goldenberg gehorchte unbewußt und drehte sich noch im Aus weichen nach Debra um. »Nein! Debra, nicht!« Seine Tochter hatte einen Apparat von der Größe eines Aktenkof fers aus der Anordnung verschiedenster Gerätschaften gerissen und zum Wurf gegen Herak ausgeholt. Ein fast bemitleidenswerter Versuch, ihrem Vater zu helfen. Debra warf. Und Herak trat fast lässig zur Seite. Glas splitterte.
Zähe, blutdurchsetzte Flüssigkeit stürzte wasserfallartig aus dem Tank. Der Symbiont wurde herausgespült. Und mit ihm der fürchterlichste aller Alpträume …
* Obwohl das Ende nur Sekunden währte, bekam Steuart Goldenberg jedes grauenhafte Detail wie in Zeitlupe mit. Der Symbiont wuchs, kaum daß er den Boden berührt hatte. Wie eine Lache schwarzen Teers breitete er sich aus, bildete haar feine Fühler, mit denen er blindlings um sich schlug und tastete. Goldenberg sah, wie Debra davon berührt wurde und wie die schwarzen Tentakel sich in ihre milchige Haut senkten. Debras Tod begann augenblicklich. Die furchtbarsten Seuchen dieser Welt verwüsteten ihren Körper in Sekundenschnelle. Ihre Haut warf Blasen, schälte sich stinkend von faulendem Fleisch … Und zugleich spürte Goldenberg, daß mit ihm genau das gleiche geschah! Aber es war anders, als er es sich vorgestellt hatte. Tausendfach schlimmer! Und der Tod ließ auf sich warten. Das Leben in Goldenberg er losch selbst dann noch nicht, als er durch schwärendes Fleisch seine blanken Armknochen sehen konnte. Der Blick seiner wäßrig werdenden Augen trübte sich erst, als er in einer zufälligen Bewegung zu Herak hinsah. Der Symbiont hatte auch den Vampir nicht verschmäht.
Doch bevor Goldenberg erkennen konnte, was seine Züchtung mit Herak tat, kam die Finsternis. Endlich …
* VERGANGENHEIT Landru stöhnte auf, als sich seine Zähne in die volle Halsschlagader des Wildes bohrten. Obwohl er wußte, daß es unmöglich war, schi en ihn das Blut dieses aus dem Nichts erschienenen Tieres stärker zu beleben als das eines Menschen! Normalerweise besaß entseeltes Tierblut für Vampire kaum einen Nährwert. Doch jetzt gab es seinem hinfälligen Körper, wonach ihn so sehr dürstete! Landru genoß die Zuckungen des Rehs bis zuletzt. Auf dem Rücken liegend hatte er es an den Fesseln der Vorderläufe umfaßt und zu sich herabgezogen. Seither pulste der vitalisierende, warme Saft in seine Kehle, sog er an der Wunde, die er dem Tier zugefügt hatte. Erst als der Körper erschlaffte und zum Kadaver wurde, ließ er da von ab. Wieder hatte er das Verlangen, in die Weite zu schreien – diesmal nicht aus Verzweiflung, sondern aus purer Befriedigung. Was er nicht mehr für möglich gehalten hätte, war eingetreten: Sein bereits verwirkt geglaubtes Leben hatte noch einmal eine Chan ce erhalten! Er konnte erneut Anlauf nehmen, um … Um?
Sein Enthusiasmus erhielt einen Dämpfer, als ihm klar wurde, daß er nicht einmal wußte, wem er dieses Geschenk zu verdanken hatte. Er richtete sich auf. Als er das nächstemal zu dem Rehkadaver blickte, widerte es ihn vor sich selbst … Was hatte er getan? Er riß den Kopf in den Nacken. Der Himmel war leer bis auf die Sonne. Aber die Augen, die Bli cke, welche die ganze Zeit von dort oben auf herabgebrannt hatten, waren nicht mehr fühlbar. Als hätte sich der heimliche Beobachter zurückgezogen. Auch aus der Ferne, aus dem Wald, fing er keine Witterung mehr auf … Was habe ich getan? dachte er. Er wußte es nicht, aber er ahnte, daß es besser gewesen wäre, das Geschenk zu verschmähen. Daß er besser gestorben und zu Staub zerfallen wäre, als zu erle ben, was ihm jetzt bestimmt war … Jemand hatte ihn auf eine Probe gestellt. Um mehr über ihn zu er fahren. Quelle und Reh … Er hatte sich für den lebendigen Trunk entschieden. Und offenbar genügte dies, alle Blicke von ihm abzuwenden. Mit ähnlichem Ekel, wie er Landru beim Anblick des Kadavers über kommen hatte …
*
»Komm näher! Ganz nah …!« BLITZ! Duncan Luther stakste durch den Sand auf die Erlöserin zu. Er konnte sie nicht sehen, aber hören. Das fremde Leben, das sei nen Körper pechschwarz umhüllte, half ihm dabei, ihrer Stimme zu folgen. Es war anders, ganz anders als bei dem Mann, der zu ihm ge sprochen, der ihn befragt und unerwartete Macht über ihn besessen hatte … »Ja, hierher! Du brauchst keine Furcht zu haben – nicht vor mir, höchstens vor deiner Bestimmung … Aber was rede ich? Du weißt, wie du enden wirst. Alle wissen, wie sie enden werden, oder?« Er wußte es. BLITZ! Graben … Er beugte sich vor, um die Hände in den Sand … »Sieh mich an!« Ihre Stimme erinnerte ihn daran, wo er war. Nicht mehr in der Grube. Nicht mehr bei den anderen … Er hob den Kopf, doch er konnte nicht sehen … Falsch! Die Kruste über seinen Augen verformte und teilte sich. Im Zu rückfließen hob sie ihm die Lider mit nach oben. Luther brauchte kaum selbst etwas zu tun, um zu spüren, wie das Licht in seine Pupillen strömte … Aber nein, spüren war ein unzu treffendes Wort: Er nahm es zur Kenntnis. Sein totes Hirn wandelte Hell und Dunkel in Bilder um. In ihr Bild. Es verunsicherte ihn nicht im geringsten, sie nackt zu sehen, und vermutlich konnte überhaupt kein Anblick mehr die Erregungs schwelle eines Toten überschreiten …
BLITZ! Auf die Knie … Den Sand … »Ich war neugierig, was aus dir geworden ist! Offengestanden … ich hätte nicht gedacht, daß die Haut dich will!« Die Haut. Er hatte sie auch nicht gewollt. Der Symbiont war über ihn gekommen – eines Tages, als er allein hier arbeitete, weil Romano und die anderen sich vor dem Antlitz der Sonne verborgen und auf die Nacht gewartet hatten. Die kühle Nacht, die ihrem verwesenden Fleisch nicht zu sehr schadete. Später hatte der Symbiont sich geteilt und nach und nach die Hälf te der restlichen Diener ebenfalls übernommen. Bis seine Fähigkeit, sich zu dehnen, erschöpft war. BLITZ! Gra-ben … »Wie ist es passiert? Hat es dich … erstickt? Antworte!« Der flexible Panzer wich von seinem Mund. Hätte er dies schon bei der Übernahme getan, hätte er nicht sterben müssen. Denn Lu ther war der einzige der Toten gewesen, in dem die Flamme des Le bens noch geflackert hatte. Sie war erloschen, erstickt worden von der schwarz glänzenden Substanz. Wahrscheinlich war die Wahl des Symbionten sogar zufällig auf ihn gefallen. Ebensogut hätte er zu der anderen Hälfte gehören kön nen, die ihr Totenhemd erst jetzt von Lilith erhalten hatte. Und dann? Hätte sie ihn geschont? Er stellte ihr die Frage nicht, denn das hätte eigene Initiative be deutet. Doch er war nur ihr Diener. »Ja«, krächzte er, denn seine Stimmbänder waren eingetrocknet.
Die Worte, die sie zu dem Mann gesprochen hatten, kurz bevor Li lith kam, hatten daran nichts zu ändern vermocht. BLITZ! Luther stand in der Grube. Bei den anderen. Er bückte sich. Schaufelte Sand in ein Tuch, füllte es, knotete es in seiner Faust und schleppte es nach oben. Verschwommen meinte er sich zu erinnern, Lilith gegenüberge standen zu haben. Einer kühl abwägenden, ihn bis auf den Grund seiner gefesselten Seele taxierenden Lilith … War das wirklich geschehen? Oder hatte er geträumt? War nicht alles ein Traum? Waren sie nicht auf dem Weg zu einem Traum? Einer Träumerin …? – BLITZ …! –
* Ich wundere mich, daß ich keinen Durst verspüre. Vielleicht liegt es daran, daß ich mich in Thuuls Reich noch einmal sättigen konnte, vielleicht sind es aber auch die Toten, die meine Begierde dämpfen. Keiner von ihnen wird mehr von Blut durchströmt, und der einzi ge, auf den ich möglicherweise hätte hoffen können, schmeckte schon zu seinen Lebzeiten nach Tod. Eigentlich habe ich ihn befragen wollen, wer ihn damals aus dem Jenseits zurückholte und ihm auftrug, mich nach Mauretanien zu rufen.* Ich habe immer vermutet, daß Landru dahintersteckte … *siehe VAMPIRA 19: ›Wolfsmond‹
Aber nun, da ich nur die Frage hätte formulieren müssen, merke ich, wie belanglos sie geworden ist. Es gibt nur noch eine Sache von magischer, von elementarer Be deutung … Meine Finger streichen über die Agrippa. Er ist darin gefangen: der Dämon. Lebendige Runen, die sich auf meine Zunge legen und in Sprache verwandelt werden. Von Stunde zu Stunde spüre ich, wie mich die Erregung mehr packt. Ich kann nicht teilnahmslos nur der kalten Vernunft folgen. Mein eigenes Schicksal wird sich entscheiden. Das, wofür ich gelebt habe. Wofür ich manches Abenteuer und unglaubliche Hürden überwinden mußte: Landrus Nachstellungen … Die Tempel im Himalaya, wo ich in der BLUTBIBEL las … Llandrinwyth … Die Wondjinas … Die magische Pest … Feyn mit seinen Tattoos … Lazarus … Leander Satanas … Der Nexius … Ich erinnere mich nicht mehr an alles. Ich durfte/mußte in Crean nas Haut schlüpfen, in die von Felidae und die Salenas, um deren Werdegänge zu studieren. Um das Puzzle zusammenzufügen, des sen Teile über die ganze Welt verstreut lagen … Das Puzzle, das mich schließlich hierher geführt hat! Die Genialität, die hinter alledem steht, wird mir ebenso bewußt wie die Risiken, denen das Unternehmen immer ausgesetzt war. Kleinigkeiten haben darüber bestimmt, daß ich das Ende des Wegs
erreichen konnte. Schicksal … Wie wird mein Leben danach aussehen? Wie wird die Welt aussehen? Ich erzittere, denn die Agrippa in meiner Hand leuchtet auf. Ihre Schale wird transparent und zeigt mir die Fratze des eingeschlosse nen Dämons, der gegen sein Gefängnis pocht. Der darum bettelt, herausgelassen zu werden. Auch der Namenlose hat den Geschmack der Freiheit gekostet. Sie ist ein besonderes Gift … Ich erhebe mich von den Stufen, auf denen ich gesessen habe. Die gläsern gewordene Agrippa bildet schon Sprünge. Es ist das untrügliche Zeichen. Daß gefunden wurde, wonach die Toten gruben …
* GEGENWART Herak glaubte, daß sich glühende Nadeln in jede einzelne Pore sei ner Haut senken würden, als der Symbiont zu ihm kam. Er sah, was mit dem Professor und Debra-Täubchen geschah, und er wußte, spürte, daß mit ihm etwas anderes passierte. Ob es weniger schlimm war, entzog sich seiner Kenntnis. Denn bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, füllte die Schwärze des Symbionten alles um ihn – und in ihm aus. Finsternis verschlang Heraks Welt.
Und entließ ihn in eine andere …
* VERGANGENHEIT Das Ritual … Das Ding sieht aus wie ein Knochen. Und wie das Blut der Vampi re oder die neuen Häute der mich umgebenden Toten dunkel sind, so ist auch dieser … Knochen schwarz. Mit der knisternden und sich immer weiter auflösenden Agrippa in den Händen steige ich hinab zur Mitte der Senke, der tiefsten Stel le der Ausgrabung. Ich scheuche die Toten nach oben. Sie gehorchen und nehmen die Plätze ein, die ihnen gebühren. Auch Luther ist darunter. Ich erkenne ihn, weil die Symbionten struktur jede Körperkontur nachzeichnet. Er wirkt wie eine Ikone aus Diorit. Wunderschön. Meine nackten Füße berühren die freigelegte Fläche. Hie und da liegt noch etwas Sand. Dennoch erhalte ich direkten Kontakt zu dem, was wie ein Knochen aussehen mag, aber gewiß keiner ist. Es ist … eine Manifestation. Etwas aus bloßem Willen zu Stoff Ge wordenes. Etwas Ungeheuerliches, dessen bloße Nähe mich in mei nem Kern erschüttert! Und da ist auch die Rune. Eingraviert – oder hineingedacht von etwas, das sich dem Begrei fen entzieht. Ich kann die Rune lesen, weil ich dafür gemacht wurde. Sie ist
nicht die einzige, aber mit ihr vermag jede andere entblößt zu wer den. Dieses Symbol heißt: REUE. Nein, ich bereue nichts! Meine Sünden sind auch nicht weltbewe gend oder weltverändernd. Was zählt ein Menschenleben? Was zäh len hundert, tausend, eine Million Leben? In meinen Händen birst die Agrippa. Ich wüßte gern, ob der Anblick des entsteigenden Dämons jeman den dort oben am Rand des Kraters rührt. Ob … Aber ich schweife ab. Das darf nicht sein! Ich erhöhe meine Wachsamkeit. Nichts darf das RITUAL mehr ge fährden oder auch nur stören. Es gibt auch kein Zurück mehr. Alles ist bereits im Fluß. Der Runendämon blickt mich an. Sein Gesicht ist voller Schmerz. Denkt er noch an Thuuls Tod zu rück, dieser ihm verwandten Seele? Trauert er um ihn? Dieser Narr! Was immer er zu sein glaubt, es ist ein Irrtum. Er existiert nur als … … Schlüssel. Ich spreche ihn an. Ich spreche das Wort aus der Rune unter meinen Füßen. Es klingt hart, vorzeitlich, als würde ein Fels versuchen zu reden … Aber der von Runen übersäte Dämon versteht mich und weiß, was ich verlange. Er ist größer als ich, wuchtig, massig, und er hat vier Arme, die er zum Töten gebrauchen kann. Hier ist dieses Talent nicht gefragt. Die Toten sind schon tot.
Er sieht mich an – und gehorcht. Mit flirrendem Blick gräbt er die Nägel seiner Hände in seine me tallisch glänzende Haut und reißt sich den Fetzen aus dem Leib. Das Stück, das paßt. Damit bückt er sich und legt es über die identische Rune am Boden. Und damit beginnt es. Kein Tropfen Blut entströmt dem Körper, der die Agrippa ist. Und doch glaube ich, daß der Dämon an meiner Seite toben und aus der Haut fahren möchte, in die er – hier! – einst gezwängt wurde. Die abgerissene Haut am Boden lodert auf, brennt, zerfällt zu bläulicher Asche, und die Rune im Boden erlischt! REUE … Alles verändert sich. Der Himmel über mir wird dunkler. Es sieht aus, als zöge er sich zusammen. Vor Schmerz. Vor Wut. Dort oben, aber gewaltiger noch hier unten, braut sich etwas zu sammen! Die Luft faucht und zerrt an meinem Körper. Der Wind ist mal ei sig kalt, mal sonnenheiß, und er scheuert über meine Haut, als woll te er mich ausradieren! Ich wehre mich nicht dagegen. (Reue …) Ich fange Gerüche auf, die vorher nicht da waren. Dünste, die un ter mir emporzusteigen scheinen. Wie Atemzüge … Der Dämon sieht mich an. Erwartungsvoll. Bebend. Und dieses Beben, dieses Zittern, überträgt sich auf mich. Auf den Boden, auf dem ich stehe. Auf die Toten, die mit blinden Augen auf mich herabsehen. Als ich das nächstemal zu ihnen hochschaue, sind sie … nackt. Die
beiden Symbionten haben sich von ihren Körpern zurückgezogen, doch ich kann ihren Verbleib nicht ausmachen. Ich sehe den Dämon an und benenne die Runen, die auf die Toten überspringen … Der Gestank von brennendem Fleisch mischt sich mit dem Odem aus der Tiefe. Feuer verzehrt meine Diener. Mein Keim frißt sie ganz, und was dabei frei wird, fließt in mich zurück … Meine Lippen flattern. Ich stoße Schreie aus. Nein, ich BRÜLLE. Der Himmel antwortet mir, aber ich verstehe ihn nicht. Ich verstehe gar nichts mehr. Denn mein bewußtes Sein ist ausge schaltet. Ich lasse geschehen, was mit mir und um mich herum pas siert. Der Dämon löst sich nun vollständig auf. Die Runen, die noch nicht gesprochen wurden, fahren mit Urgewalt in mich ein. Es ist der Tod, der Untergang der Agrippa! Aber die Formel sitzt nun tief in meinem Hirn. Unlöschbar bis zu dem Moment, da sie über meine Zunge kommt. Was wird dann geschehen …? Über mir am Himmel zucken Blitze. Kurz erwache ich aus meiner Trance. Was habe ich getan? Ich beruhige mich. Die Stimme aus der Tiefe beruhigt mich. Ich steige aus der Senke. Die Brände sind erloschen. Ich bin allein. Aber nicht für lange. Bis hierher kann ich die seismische Gewalt spüren, die das Verbannte aus dem Mantel der Erde schält.
Eine Sturmbö schleudert mich zu Boden; wie mit Zehntausenden von Nadeln peitscht Sand auf meinen nackten Leib ein. Ich bedecke meine Augen und sehne mir den Symbionten zurück, der mich schützen könnte gegen diese Urgewalt. Aber die Symbionten – der meinige und der Felidaes – sind ver schwunden, folgen anderen Befehlen. So liege ich da und lasse mich vom Sand peitschen. Der Schmerz erleichtert mir das Warten, lenkt ab von den Bränden, die in mir lo dern … Dann – endlich – spüre ich, wie es naht. Es ist wie ein Vulkanausbruch. Wie die zeitlupenhafte Explosion einer Bombe. Und ich – stehe mitten im Zentrum. Genau dort, wo es ERWACHT … ENDE
Das Erwachen von Adrian Doyle Das Rätsel um Liliths Geburt und ihre Bestimmung wird gelüftet; die Handlungsfäden, über so viele Romane hinweg gesponnen, lau fen endlich zusammen und schließen den Kreis! Das wird auch beim Titel deutlich. Denn schon Band 1 hieß
DAS ERWACHEN Nun aber erwacht nicht Lilith Eden aus todesgleichem Schlaf, son dern jene Macht, die hinter ihrer Existenz steht und deren Geist durch das LICHT ein geheimnisvolles Ritual vorbereitet hat. Doch zu welchem Zweck? Was geschieht am Anfang der Zeit? Fragen, die in Band 50 beantwortet werden. Wer ihn versäumt, hat die Serie umsonst gelesen!