Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 568 Das Sternenuniversum
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 568 Das Sternenuniversum
Das Rätsel der Wasserwelt von Arndt Ellmer Das Atlan Team auf Aqua II Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den September des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff Tausende von Lichtjahren zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe. So kam es erst unlängst zu schweren Kämpfen, als die Solaner mit der Landschaft im Nichts und dem Schalter konfrontiert wurden, der im Auftrag von Hidden-X handelte. Dann, nach dem Ende der LiN, erfolgt der Hyperenergiestoß, der die SOL in das »Sternenuniversum« versetzt – und dort stößt man auf DAS RÄTSEL
DER WASSERWELT …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide fliegt zum Aqua-System. Breiskoll, Federspiel, Sanny, Argan U und Nockemann - Das Atlan-Team auf Erkundungsmission. Breckcrown Hayes - High Sideryt der SOL. Fallund Kormant - Ein junger Rebell. Tautilla Fassyn - Bewahrerin der Nuun.
1. Das Sternenuniversum! Die mit Ausnahme einiger freien Zonen gleichmäßig über dieses fremde Universum verteilten Sterne funkelten wie alle Sterne, die sie kannte. Und dennoch war der Eindruck, den sie empfing, nicht derselbe. Die Bildschirme zeigten ein ausdrucksloses, beinahe gespenstisches Bild voller Bedrohlichkeit. Es wirkte nicht natürlich. Deborah Kerron krallte ihre Hände in die weichen Polster des Sessels, daß die Fingerknöchel weiß hervortraten. Etwas in ihr verkrampfte sich. Die Astronomin und Kybernetikerin zuckte zusammen. Wieder warf sie einen eindringlichen Blick auf die Bildschirme, dann richtete sie sich mit einem entschlossenen Ruck auf. Nein, sie durfte sich nicht irre machen lassen. Es war höchstens eine Frage der Zeit, dann würde sich eine Antwort finden lassen, warum es das Sternenuniversum gab. Die unzähligen, bisher aufgestellten Theorien schwirrten in ihrem Kopf herum wie ein Bienenschwarm, vermengten sich mit dem, was sie herausgefunden hatten, seit die SOL in das Sternenuniversum geschleudert worden war. Deborah begann in der kleinen Zentrale des Observatoriums umherzugehen. Sie forschte in ihren Gedanken, ob sie sich zu sehr mit diesem Problem befaßte und andere, wichtige Dinge vergaß. Ließ sie sich von den wirklichen Problemen ablenken?
Die Astronomin glaubte es nicht. Längst gab es keine Schwierigkeiten mehr in der SOL. Die durch Atlan angerichteten Schäden waren beseitigt, und andere Reibungspunkte waren verschwunden, seit Breckcrown Hayes High Sideryt geworden war. Er hatte den Namen für das fremde Universum geprägt, das sich so grundsätzlich von jenem unterschied, das sie kannten. Es war nicht der Wechsel in eine fremde Zone, der Deborah durcheinanderbrachte. Sie war eine Solanerin und kannte nichts anderes als den Aufenthalt zwischen den Sternen und Galaxien. Immer wieder boten sich ihr dieselben Bilder, Sterne mit Planeten und Monden, an denen sie grußlos vorbeiflogen, Galaxien mit ihren Spiralarmen und ihren Kugelhaufen im Halo, irreguläre Gebilde wie Flatterfeld oder Kugelgalaxien wie Pers-Mohandot. Deborah spürte etwas, was sie nicht in die wissenschaftliche Sprache kleiden konnte. Das Sternenuniversum glich einer Wüste. Und dennoch besaß dieses Universum Leben. Sie hatten ein Volk namens Crux entdeckt, auf einer Giftgaswelt unter einer blauen Riesensonne, die von zwölf Trabanten begleitet wurde. Die Crux nannten den Planeten »die Welt«. Es deutete darauf hin, daß dieses Volk außer seiner Welt nichts anders kannte, keine fremden Planeten und Rassen. Es betrieb keine interstellare Raumfahrt, nur den Besuch und die Erforschung seiner Monde. Für Deborah Kerron bedeutete dies ein unvorstellbares Verhalten. Früher hatte sie sich überhaupt nicht vorstellen können, daß es auf Planeten umfangreiche Zivilisationen geben könnte. Erst im Lauf der Zeit, während der Abenteuer der SOL, hatte sie erkennen müssen, daß es genug bodengebundene Zivilisationen gab, die auf solchen Sternbegleitern lebten. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Eingangstür und riß sie aus ihren Gedanken. Ein Solaner mit merkwürdig starren Augen betrat die Zentrale und schritt zielbewußt auf Deborah zu. Dicht vor ihr blieb er stehen. Er verbreitete Kälte. »Was gibt es?« fragte sie und zog die Stirn in Falten.
»Das Hyperskop ist fertiggestellt und kann montiert werden«, erklärte der Solaner mit schnarrender Stimme. »Kommst du?« Deborah nickte. Sie folgte dem Solaner hinüber in die Kuppel. Er war ein Roboter, der letzte jener achtzigtausend, die sich auf der Landschaft im Nichts aufgehalten hatten. Sie waren nach ihrer Rückkehr in der SOL eingemottet worden, bis sie oder ihre Einzelteile wieder benötigt wurden. Nur dieser eine war noch aktiv. Deborah beobachtete die Montage des Hyperskops und meldete den Vollzug an die Zentrale der SZ-1. Dann strich sie das Oberteil ihrer Kombination glatt und ging hinüber, um am großen Elektronenteleskop weitere Beobachtungen durchzuführen. Vielleicht gelang es ihr doch noch, etwas zu finden, das sie weiterbrachte. Sie wußte, daß es nur eine Hoffnung war. Mehr als bisher würden sie kaum entdecken, zumindest nicht in dem Teil des fremden Universums, in dem die SOL unverändert stand.
* SOL-City, der Lebensbereich des Atlan-Teams, lag in der Nähe der Hauptzentrale des Mittelteils und der Klause des High Sideryt. SOL-City bestand aus einem zwanzig Meter langen Korridor, in dem links und rechts die Zugänge zu den Unterkünften und den Gemeinschaftsräumen lagen. In der Mitte gab es den Konferenzraum, von dem aus auch SENECA angerufen werden konnte. Dieser Raum war jetzt überfüllt. Neben Atlan, Bjo Breiskoll, Federspiel, Sanny, Argan U und Hage Nockemann hatten sich sämtliche Stabsspezialisten eingefunden, die zur Verfügung standen, darunter Gallatan Herts als Kommandant der Hauptzentrale, Wajsto Kölsch als Kommandant der SZ-1 und Solania von Terra als Kommandantin der SZ-2. Vorlan und Uster
Brick, die beiden Chefpiloten des Mittelteils, nahmen ebenfalls an der anberaumten Besprechung teil. Die Gruppe wartete auf das Erscheinen des Mannes, der sie hierher gebeten hatte. Immer wieder streiften fragende Blicke den Arkoniden, der sich in leisem Gespräch mit Bjo Breiskoll befand und nicht auf die Anwesenden achtete. Endlich trat der Mann ein, dem sie die größte Achtung von allen zollten. Er schob die große, etwas zu breit geratene Gestalt zur Tür herein. Manchmal erinnerte er in seinem Gang und seinen Gesten an Chart Deccon, und sie fragten sich, warum ihnen das früher nie aufgefallen war. Aber damals war er ein unbekannter Techniker gewesen, der sich emporgearbeitet hatte. Das von den SOL-Würmern zernarbte Gesicht des High Sideryt musterte sie schweigend. Es verlieh ihm das Aussehen eines alten Mannes mit unbestimmbarem Alter, was durch die kurz geschnittenen, weißgrauen Haare noch hervorgehoben wurde. Dabei war Hayes 43 Jahre alt, ein junger Mann. Der High Sideryt grüßte und trat zu Atlan. Sie reichten sich die Hand. »Ich habe euch hergebeten, weil Atlan einen Vorschlag hat«, eröffnete Breckcrown Hayes. »Wir sollten ihn uns anhören.« Beifallsgemurmel kam auf, und Lyta Kunduran sagte: »Es wird wirklich Zeit, daß etwas geschieht. Mit Däumchendrehen kommen wir nicht weiter!« Seit vier Wochen befanden sie sich im Sternenuniversum, und seit vierzehn Tagen gab es keine neuen Erkenntnisse. In dieser Zeit hatte die SOL ihren Standort nicht verändert. 180.000 Lichtjahre lagen zwischen ihr und dem System der gelben Sonne Aqua, weitere 68.000 Lichtjahre entfernt hing die blaue Riesensonne Question mit ihrem Planeten im Raum, der von dem Kreuzer URANIA besucht worden war. Atlan lächelte leicht, als er sich an seine Gäste und die Mitglieder seines Teams wandte. Nur Joscan Hellmut fehlte im Augenblick.
»Es liegt an der Methode, nach der wir bisher verfahren«, erklärte er. »Mit Däumchendrehen hat das nichts zu tun.« Sie hatten in den zwei Wochen weitere Erkundungsschiffe ausgeschickt, aber diese hatten keine neuen Ergebnisse gebracht. Es gab in dem von ihren Meßgeräten erreichbaren Teil des Sternenuniversums nur drei Sonnen mit Planeten. Aqua hatte zwei Begleiter, Aqua I und Aqua II, die Giftgaswelt Questions war Jupiter II genannt worden. Daneben existierte ein vierter Planet, der jedoch ein toter Gesteinsbrocken war und keine Bedeutung besaß. Alle vier waren Extremwelten ohne jedes Anzeichen von Normalität. »Das Ungewöhnliche unserer Umgebung erfordert ungewöhnliche Maßnahmen«, fuhr Atlan fort. »Als einziges Ziel unserer Bemühungen bleibt dabei nur das Aqua-System übrig, die beiden Planeten mit ihrer unnatürlichen Erscheinungsform. Dorthin sollten wir uns wenden!« Das Planetensystem der Sonne Aqua war ihnen bei der ersten Erkundung nach ihrer Ankunft im Sternenuniversum aufgefallen. Die beiden Planeten hatten mit 24,4 Lichtminuten den gleichen Abstand zu Aqua. Sie standen in ewiger Opposition zueinander auf der gleichen Umlaufbahn und brauchten für einen Umlauf 448,23 Jahre. Sie bildeten absolut geometrische Kugeln, die nur aus Wasser bestanden. Gesteinskerne oder Metallkerne schien es bei ihnen nicht zu geben. Sie waren so ungewöhnlich wie das Universum, in dem sie sich bewegten. Sie bildeten im Augenblick die einzige Möglichkeit, etwas über das fremde Universum herauszufinden, in das das Schiff verschlagen worden war. Atlan war ungeduldig, sie merkten es an seiner Stimme und seinen Augen. Seine Pläne drohten zu scheitern, Hidden-X hatte die SOL in ein fremdes Universum geschleudert und das Schiff und den Arkoniden damit unendlich weit von der Erfüllung seines Zieles entfernt. Die SOL war isoliert trotz ihrer unbeschränkten Bewegungsfreiheit, die sie besaß. Das machte es fast von selbst erforderlich, daß ein Weg gesucht
werden mußte, wie sie diesen Kosmos verlassen und in ihren eigenen zurückkehren konnten. Und dazu brauchten die Solaner und die Schiffsführung weitere nützliche Hinweise über die Beschaffenheit des Sternenuniversums. »Auf Jupiter II haben wir die Crux kennengelernt«, sagte Solania von Terra, die sich früher Brooklyn genannt hatte. »Vielleicht treffen wir auf den beiden Wasserwelten Meereslebewesen, eine Wasserzivilisation.« Atlan schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »ich glaube es nicht. Es ist unwahrscheinlich. Die Voraussetzungen für Leben in diesem Universum sind sehr gering. Jupiter II ist eine Ausnahme, und die Crux wissen nichts von dem, was sie umgibt. Sie besitzen keinerlei Kenntnis über dieses Universum.« Ihn interessierten im Augenblick nur Spuren, die ihn aus der Gefangenschaft des Sternenuniversums herausführen. Er wußte, daß es eine Möglichkeit gab; es hatte auch eine gegeben, die SOL hierherzubringen. »Wir haben nicht viel Zeit«, fügte er hinzu. »Es eilt nicht«, meinte Vorlan Brick, der mit einem Meter sechsundachtzig genau so groß wie Breckcrown Hayes war. »Wir fühlen uns wohl. Von den Gegebenheiten für unser Schiff her gesehen, unterscheidet sich das Sternenuniversum nicht vom Heimatuniversum, und wir …« »Du irrst«, unterbrach der High Sideryt ihn. »Die Buhrlos haben festgestellt, daß es nichts gibt, was sie draußen mit E-kick auflädt. Das ist ein kleiner Unterschied, aber es braucht nicht der einzige zu sein. Vielleicht finden wir noch weitere davon, die zusammen ein vollständiges Bild vom Sternenuniversum geben. Wir sollten Aqua anfliegen, wie Atlan es vorgeschlagen hat.« Nach kurzem Überlegen waren sie einstimmig dafür. Sie erklärten sich bereit, Atlan in jeder Beziehung zu unterstützen. Der Arkonide rechnete nicht damit, daß das Unternehmen mehr
als nur den Wert eines Forschungsprojekts haben würde. Es war fraglich, ob man ausgerechnet auf oder in den Wasserplaneten die ersehnten Hinweise finden würde. Dennoch blieb ein Fünkchen Hoffnung. Die Solaner vertrauten darauf, daß Atlan Erfolg hatte, wenn er etwas unternahm. Ihm und dem High Sideryt sprachen sie die meiste Erfahrung und das größte Wissen in diesen Dingen zu. Die Mitglieder der Schiffsführung verließen den kleinen Konferenzraum, das Atlan-Team blieb zurück. Der Arkonide blickte zu Sanny und Argan U. »Was meint ihr?« fragte er, doch er erhielt keine Antwort. Lediglich Federspiel sagte: »Es wird ein langweiliges Unternehmen werden.«
2. »Du bist jetzt stolz auf das, was du erreicht hast! Aber denke immer daran, daß dich dieser Stolz nie dazu verleiten darf, leichtsinnig zu werden gegenüber deinem Volk. Du weißt um die Wichtigkeit deiner Arbeit. Ein Fehler im System kann zur Vernichtung der Welt führen!« Lange hallten die Worte in Fallund Kormant nach. Der junge Nuun, gerade zweiundzwanzig Jahre alt, hatte das lang ersehnte Ziel erreicht. Er hatte in den vergangenen Planetenläufen alle wichtigen technischen Bereiche seines Volkes erforscht und den Umgang damit erlernt. Jetzt war er Techniker Erster Klasse und betrat zum ersten Mal seinen Arbeitsplatz in einem der Hyperfusionskraftwerke, in denen die Energien zur Versorgung der vielen lebenswichtigen Schirme erzeugt wurden. Tokrud Sdegert hatte ihm und den zwanzig anderen Prüflingen eine lange Rede gehalten, bevor er ihnen die Zeugnisse ausgehändigt hatte. Glücklich waren sie von dannen gezogen, doch
Sdegert hatte ihm einen Wink gegeben und ihn mit sich in sein persönliches Büro genommen. Fallund Kormant rätselte, warum der Vorsitzende der Prüfungskammer ihn gesondert belehrt hatte. Er hoffte, er würde es erfahren, wenn er in wenigen Minuten mit seinen bisherigen Kameraden zusammentraf, um seine Arbeit zu beginnen. Er öffnete die Tür des Rundgebäudes und zog sie hinter sich zu. Grelles Licht empfing ihn, das von den hellen Wänden mit schmerzhafter Intensität reflektiert wurde. Er kniff die braunen Augen zusammen und suchte nach einem Orientierungsmerkmal, einem Mann oder einer Frau seines Volkes. Der Korridor war leer. Auch von den restlichen Prüflingen entdeckte er weit und breit keine Spur. Langsam schritt er in das Gebäude hinein, bis er an die nächste Tür kam, die den Korridor vor ihm begrenzte. Wieder öffnete er sie und ging hindurch. Mit einem leisen Aufschrei blieb er stehen. Keine zwanzig Meter über ihm wölbte sich hellrosa schimmernd ein Energieschirm. Fallund Kormant legte den Kopf in den Nacken und starrte eine Weile empor, stumm und entsetzt. Es konnte nicht wahr sein. Die Welt hatte sich verkleinert! Seine Lippen bebten und riefen ihn in die Wirklichkeit zurück. Er schüttelte den Kopf und blickte wieder hinauf. Die Schirme, was war nur geschehen! Hilfesuchend sah der junge Nuun sich um. Krampfhaft bemühte er sich, seiner Verwirrung Herr zu werden. Sein starker Verstand und seine Fähigkeit, alle Rätsel erst einmal in der Vergangenheit zu suchen, halfen ihm. Seine Augen wurden wieder klar, und er erkannte die Zusammenhänge. Ein Zusatzschirm! durchzuckte es ihn. Es ist gar keiner der Himmelsschirme, die uns schützen. Es ist ein kleiner Energiemantel, der sich innerhalb des Gebäudes wölbt! Sofort rief er sich sein Wissen über die Hyperfusionskraftwerke ins Gedächtnis. Sie waren die wichtigsten Anlagen des ganzen
Planeten. Es war nur logisch, daß sie über ein gesondertes Sicherheitssystem verfügten. Warum hatte man es ihnen nicht erzählt? Kormant beruhigte sich mit dem Gedanken, daß es in den Augen der Lehrer eine Selbstverständlichkeit war, die sich jeder denken konnte. Wie alle wichtigen Dinge besaßen auch die Kraftwerke ausreichend Schirme, zum Schutz von innen und außen. Er dachte an die Doppelschirme der Energieschleusen, die nach draußen führten. Die Schirme waren der Lebensinhalt seines Volkes. Alles drehte sich um sie, die restlichen Dinge des Lebens besaßen untergeordneten Rang. Die Techniker Erster Klasse sorgten für den Zustand der Schirme. Er war Techniker Erster Klasse. Fallund Kormant konzentrierte sich auf seine organischen Kommunikationsmöglichkeiten, mit denen er auf dem Land bis zu einer Entfernung von 500.000 Trockenschritten Sprache senden und empfangen konnte. Es war still um ihn, etwas, das es gar nicht geben durfte. Immer waren irgendwelche Botschaften von Mitgliedern seines Volkes unterwegs, die von allen gehört werden konnten, wenn sie sich in der Sende- oder Streurichtung aufhielten und ihre Organe aktiviert hatten. Hier war es still, Verursacher mochte der Energieschirm sein, obwohl auch er durchlässig sein mußte. Die Schirme der Welt verzerrten zwar die Botschaften, doch sie kamen an, wenn sich die Sendepartner in ausreichender Nähe befanden. Kormant schrak auf. Eine Hand hatte ihn berührt. Er fuhr herum und starrte in das Gesicht eines weiblichen Nuun. Die Frau lächelte ihm beruhigend zu, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Verwirrt?« fragte sie. »Komm!« Bewundernd blickte Fallund Kormant ihr hinterher. Sie war jung und anmutig, die enge Kleidung ließ die Proportionen ihres Körpers deutlich hervortreten. Er lauschte, ob sie sich auf den akustischen
Kontakt beschränkte, oder ihm auch auf organischer Ebene eine Botschaft zukommen ließ. Er hörte nichts. Dort, wo er vorher nur die Wand gesehen hatte, gab es einen Eingang, der jetzt offenstand. Die junge Frau führte ihn hindurch, die geheime Tür schloß sich fast geräuschlos. »Ich bin Verema Jagrafs«, lächelte sie ihm zu. »Wir freuen uns, daß du zu uns gefunden hast.« Sie deutete auf die Schar der Nuun, die in der Halle standen, die sie betreten hatten, und ihm erwartungsvoll entgegenblickten. Es waren meist ältere Angehörige seines Volkes. Sie trugen bunte Kleidung wie er auch, es gab keine besonderen Anzüge für Techniker, mit Ausnahme des Festgewands, das bei Empfängen der Bewahrerin Verwendung fand. Kormant suchte mit den Augen nach jenen Gesichtern, die er auswendig kannte. Wo waren sie, die mit ihm die Prüfungen absolviert hatten? Mußten sie sich nicht hier in dieser Station einfinden, um auf die übrigen Kraftwerke verteilt zu werden? Er stellte eine diesbezügliche Frage. »Warum hast du sie erwartet?« Verema Jagrafs schüttelte den Kopf. »Du bist der einzige deiner Gruppe, der in den Dienst der Kraftwerke berufen wurde!« Jetzt fiel es dem jungen Nuun wie Schuppen von den Augen. Die mahnenden Worte Tokrud Sdegerts fielen ihm wieder ein, und er senkte den Kopf. Er als einziger? Als er ihn wieder hob, besaßen seine Augen zuversichtlichen Glanz. Er schüttelte das kurze, dichte Kraushaar, dann erwiderte er Veremas Lächeln. Er empfing Worte von ihr, die mit den Aufgaben des Gemeinsamstaats zu tun hatten, mit dem Ziel der Erhaltung des Volkes. Es waren lautlose Worte, doch er reagierte nicht darauf. »Wann wurde diese Station erbaut?« fragte er in die Stille hinein. »Wieviel unserer wahren Vergangenheit hat sie gesehen?« Es wirkte wie ein Signal. Viele der Älteren spreizten unwillkürlich die Hände, ihre Gesichter wurden ein wenig dunkler als
gewöhnlich. Aber Antwort gab ihm keiner.
* Fallund Kormant war ein bißchen größer als die übrigen Mitglieder seines Volkes, das sich durch eine braune Haut und schwarze, gekräuselte Haare auszeichnete. Die Ohren waren groß, ragten spitz nach oben bis über den Kopf hinaus. Sie waren die organischen Antennen, mit denen ungesprochene Worte empfangen werden konnten. Entsprechend übernahm auch der Kehlkopf zweierlei Funktionen, indem er als Sender unhörbarer und Entwickler akustisch verständlicher Laute diente. Sender und Empfänger konnten in ihrer Leistung variiert werden. Der Techniker Erster Klasse verlernte es schnell, sich innerhalb der Hyperfusionsanlage auf nicht-akustischer Ebene zu verständigen. Die Schutzschirme ließen nichts von außen durch, und die Techniker und Technikerinnen vermieden es, sich gedanklich zu unterhalten. Das Sicherheitssystem unterband es, und alle akustisch gesprochenen Worte mußten als Arbeitsnachweis benutzt werden. Kormant durchmaß den kleinen Saal den man ihm zugeteilt hatte, mit langen Schritten. Er war ab sofort für die Energiewandler zuständig, jene technisch hochkomplizierten Maschinen, die die von den Kraftstationen erzeugten Energien umwandelten und hinauf in die Projektionstürme schickten, die sich wie ein dichtes Muster über den gesamten Planeten hinzogen. Die Türme waren die empfindlichsten Teile der Anlagen, ihre Beaufsichtigung wurde nur alterfahrenen Nuun anvertraut. Fallund notierte sich die Energiewerte der über zweihundert Umwandler und las sie laut vor. Es war der erste Teil seiner Arbeit. Regelmäßig mußte er laut berichten. Vergaß er es für mehr als eine Stunde, sich laut bemerkbar zu machen, reagierten die
Überwachungsanlagen und gaben Alarm. Der Techniker Erster Klasse legte den Notizblock weg und setzte sich an den Rechner, mit dem der Energieverbrauch für die nahe Zukunft vorausberechnet wurde. Die Wasserkrafttechniker schickten über die offizielle Funkbrücke die Mitteilung, daß der dünnste Teil des »Grünen Mantels«, mit einem Durchmesser von 181.000 Trockenschritten in zwei Stunden über dem Bereich ankommen würde, in dem sich auch sein Hyperfusionskraftwerk befand. Gegenüber dem dicksten Teil mit 234.000 Trockenschritten ließ sich dabei fast ein Viertel Energie sparen, und Kormant bezog das sofort in seine Berechnungen mit ein. Er programmierte die Automatik, die die Energie in dem erwähnten Zeitraum drosseln würde. Wie lange sich die Einsparung durchführen ließ, hing von einer weiteren Meldung der Wassertechniker ab. Fallund Kormant verspürte in sich das Bedürfnis, schnell zur Tür zu gehen und diese zu öffnen. Fast unbewußt aktivierte er seinen nichtakustischen Empfänger. Darf ich eintreten? vernahm er. Bitte komm herein! erwiderte er überrascht. Es war Verema Jagrafs. Mit zierlichen Schritten eilte sie zu ihm, während er sich erhob und ihr den einzigen Platz anbot, den der kleine Saal aufwies. »Du willst dich nach meinem Befinden erkundigen?« forschte er. »Ich sehe, du bist mit deiner Arbeit bereits fertig!« wich sie aus, und er hatte den Verdacht, daß sie wegen eines fest umrissenen Anliegens zu ihm gekommen war. »Ja«, sagte er froh, »ich werde den Gemeinschaftskessel aufsuchen. Bisher bin ich nicht dazu gekommen, mich mit den Mitarbeitern der Station näher bekannt zu machen.« Sie lächelte ihn wieder an wie bei ihrer ersten Begegnung. Es erregte ihn, obwohl er es nicht zeigte. Verema wollte etwas von ihm. »Wir könnten uns in unserer Freizeit einmal treffen«, schlug er vor, die Arme von vorn auf die Lehnen des Sessels gestützt. Ihr
Gesicht befand sich ganz nah vor ihm. »Ich möchte mir dir schlafen, Fallund!« hauchte die junge Nuun. Er richtete sich überrascht auf. »Wir kennen uns doch gar nicht!« rief er, aber es war ein unglücklicher Rückzug. In Wirklichkeit wußte er, daß er sie wollte. »Heute abend? Bei mir?« Er nickte rasch. Ehe er eine Antwort geben konnte, schlüpfte sie an seinem Körper entlang aus dem Sessel zur Tür. Wie ein Schatten verschwand sie, und der Techniker überlegte, ob ihm die Phantasie einen Streich gespielt hatte. Schließlich raffte er sich auf und verließ seinen Arbeitsplatz. Er suchte den Gemeinschaftskessel auf. Fallund Kormant verspürte ein flaues Gefühl im Magen. Die junge Frau hatte ihn völlig überrumpelt. Er suchte ihre Beweggründe zu erkennen und redete sich ein, daß es die Angst war, die sie getrieben hatte und die allen Nuun anhaftete, die auf der Welt lebten. Kormant kannte die Gerüchte, die in der Bevölkerung die Runde machten und trotz intensiver Überwachung durch die Ordnungsmacht nicht ausgerottet werden konnten. Gerüchte über eine andere Vergangenheit des Volkes, über ein anderes Leben. Nebelhaft tauchte der Begriff »Retter« in seinen Gedanken auf, doch er konnte nichts damit anfangen. Sicher hing er mit der Gefahr zusammen, in der sein Volk lebte. Aber war ihr Versteck nicht gut genug, die Sicherheit durch den »Grünen Mantel«, und die staatliche Flotte nicht groß genug, um die Zeit bis zum Ende aller Existenz zu überdauern oder bis zu ihrer »Befreiung«? Manchmal begann Fallund Kormant Zweifel zu hegen an der Richtigkeit des Systems, in dem sein Volk lebte. Gelenkt durch die Bewahrerin oder den Bewahrer lebte es sorgenfrei und doch in der Angst, die eng mit einer Gefahr aus der Vergangenheit verknüpft war, wie ein klettenähnliches Wassergewächs mit dem Untergrund. Wer war der »Feind«, den nur die Bewahrerin kennen konnte? Die hohe Technik ermöglichte es, daß die Welt, geschützt war, nach innen wie nach außen. Der »Grüne Mantel« war ein
Tarnmantel, wie er besser nicht sein konnte. Kormant war einer der vielen Verantwortlichen für die Sicherheit nach innen. Solange er seine Aufgabe ohne Fehler erfüllte, konnte es zu keiner Katastrophe kommen. Dann würden all die vielen Energiekuppeln und ihre Verbindungstunnel erhalten bleiben, die die Oberfläche des Planeten als riesige Blasen bedeckten und ihm das Aussehen eines mit Geschwüren übersäten Körpers gaben. Fallund Kormant hatte noch nie mit einem Nuun über seine Gedanken gesprochen. Er hütete sich, denn die Ordnungshüter verfolgten alle mit unerbittlicher Härte, die die gegebenen Zustände nicht akzeptierten. Fragesteller galten als Unruhestifter und Aufrührer, wenn sie in der Vergangenheit des Volkes bohrten, um ihre Neugier zu befriedigen. Der Techniker Erster Klasse befaßte sich seit langem mit den Schleiern, die über der Vergangenheit lagen, und den Gerüchten. Jugendlicher Eifer und Neugier hatten ihn dazu veranlaßt, inzwischen war es mehr. Er trug alles zusammen, was er an Gedanken und Äußerungen in Erfahrung bringen konnte. Sein organischer Empfänger war meist aktiviert und wartete darauf, daß er durch Zufall Brauchbares erfuhr. Verema Jagrafs, durfte er mit ihr darüber sprechen, wenn sie zusammen waren? Plötzlich fieberte er dem Abend entgegen. Er hoffte, daß sie sein Vertrauen verdiente. Er betrat den Gemeinschaftskessel und grüßte laut. Fünf Männer hielten sich darin auf. Er setzte sich zu ihnen an den Tisch und nickte ihnen freundlich zu. Die Männer, zwei von ihnen besaßen weiße Haare, musterten ihn noch eingehender als bei seiner Einführung. Ihre Augen schienen ihn durchbohren zu wollen. Nach einer Weile räusperte sich einer von ihnen. »Du befaßt dich mit unserer Vergangenheit?« fragte er. »Woher willst du das wissen?« begehrte Fallund Kormant auf.
»Du hast von der wahren Vergangenheit unseres Volkes gesprochen«, sagte der Mann. Er führte die Aufsicht über die Kraftstationen 1 bis 80. »Was stellst du dir darunter vor?« »Seid ihr Spitzel?« fragte Kormant schnell, doch die fünf Männer schüttelten die Köpfe. »Wir sind nicht durch Zufall allein hier«, sagte der Sprecher. »Auch uns bewegen diese Gedanken.« Fallund Kormant schloß die Augen und dachte überstürzt nach. Wenn die Männer die Wahrheit sagten, konnte er von ihnen Dinge erfahren, die er vielleicht noch nicht wußte. Er öffnete den Mund und sprach. In kurzen Sätzen legte er ihnen seine Gedanken dar, immer darauf achtend, daß sie sich nicht über ihre organischen Sender unterhielten. »Du hast recht, wenn du dir diese Gedanken machst«, sagte der Sprecher schließlich. »Es soll eine Untergrundbewegung geben, die sich ›Licht der inneren Quelle‹ nennt. Ein Gerücht sagt, daß es ihr Ziel ist, die Herrschaft der Bewahrerin zu brechen und ihr Geheimnis dem ganzen Volk zugänglich zu machen. Sie nennen es ›Geheimnis des Volkes‹ und bringen damit zum Ausdruck, daß alle ein Recht darauf haben, es zu wissen.« »Woher weißt du das alles?« Fallund hatte sich erhoben. »Du sprichst, als gehörtest du zu dieser Bewegung!« »Ich weiß von nichts«, erklärte der Nuun. »Aber wenn du Glück hast, kannst du mit der Bewegung Kontakt aufnehmen. Du mußt nur die Augen offenhalten!« Dabei warf er einen bezeichnenden Blick zur gegenüberliegenden Wand, aber der Techniker Erster Klasse konnte damit nichts anfangen. Überhastet verließ er den Gemeinschaftskessel wieder und schritt nachdenklich den Korridor entlang zu seinem Arbeitsplatz. Zwei Lichtteile würde es noch dauern, bis seine Ablösung erschien. Fallund Kormant wurde sich erst jetzt richtig bewußt, wie tölpelhaft er sich verhalten hatte. Er betrat seinen Saal und setzte
sich in den Sessel, prüfte die Automatik. Wiederholt lauschte er auf Schritte, die ihm anzeigten, daß die Ordnungshüter kamen. Nichts geschah, alles blieb ruhig. Hatte er einen Fehler gemacht? Er wurde sich bewußt, wie schnell er sich die Vertrauensstellung verscherzen konnte, wenn seine Ansichten bekannt wurden. Er war der einzige seiner Gruppe gewesen, der zu den Hyperfusionskraftwerken geschickt worden war. Kormant stützte den Kopf in die Hände und schloß die Augen. Hadern hatte keinen Sinn. Schon lange reifte der Entschluß ihn ihm, Licht in das Dunkel zu bringen. Gerüchte entstanden nicht aus dem Nichts, ein wahrer Kern haftete ihnen immer an. Es stimmte nicht alles in ihrer Welt, auf der sie lebten. Jemand mußte einen Anfang machen. Dieser Jemand bin ich, redete er sich ein. Ich muß das »Licht der inneren Quelle« finden. Fallund Kormant blickte in die Zukunft und sah, daß er sich damit gegen die bestehende Ordnung des Staates und seiner Bewahrerin stellte. Solange er es heimlich tat, ging es gut. Sobald er aber gezwungen war, an die Öffentlichkeit zu treten, war es sein Untergang. Der Techniker sah aber auch noch etwas anderes. Es war Verema Jagrafs, und sie lächelte ihm verführerisch zu. Da vergaß Fallund Kormant für den Rest des Tages seine dumpfen Gedanken und freute sich allein auf den bevorstehenden Abend.
3. Die SOL machte einen Sprung und kam in unmittelbarer Nähe des Aqua-Systems aus dem Hyperraum. Auf den Bildschirmen leuchtete der Stern Aqua als teuflisches Auge. Er war eine rote Riesensonne mit mäßiger Oberflächentemperatur, die über 4 000
Grad nicht hinausging. Atlan errechnete seinen Durchmesser mit dem Dreifachen des Durchmessers der irdischen Sonne, was für einen Roten Riesen der Spektralklasse K 3 ungewöhnlich groß war. Auch hier zeigte sich deutlich, daß sie im Sternenuniversum nicht mit den herkömmlichen Maßstäben arbeiten konnten. Kosmologie und Kosmogonie stimmten nicht mit ihrem Wissen überein, und es wirkte sich bis in das kleinste Detail aus. Atlan stand neben Breckcrown Hayes in der Zentrale des Mittelteils und beobachtete, wie Vorlan und Uster Brick das Schiff nahe an den einen der beiden Wasserplaneten heransteuerten und in 10.500 Kilometern Höhe in eine Parkellipse einschwenkten. Direktmessungen liefen an und bestätigten die Werte, die sie bereits aus großer Entfernung erhalten hatten. Aqua I und Aqua II waren völlig identisch. Die Wasserkugeln besaßen einen Durchmesser von 48.400 Kilometern, umgeben von einer sehr dünnen Atmosphäre mit fast zwölf Prozent Sauerstoff. In Notfällen wäre sie gerade noch atembar gewesen. Da also sollen wir landen, dachte der Arkonide und musterte die grüne Kugel von Aqua I. Der zweite Planet war ihrem Gesichtsfeld entschwunden, als sie sich genähert hatten. Er stand hinter der Sonne. Landen ist der falsche Ausdruck, meldete sich der Extrasinn. »Es ist eine wissenschaftliche Unmöglichkeit«, wandte Hage Nockemann sich an den Arkoniden. »Beide Planeten besitzen keine Abplattungen an den Polen. Pole sind überhaupt nicht feststellbar. Selbst wenn unsere Geräte keine Eigenrotation feststellen, existieren die Gravitationskräfte der Sonne, die die Kugeln verformen müßten. Gezeiten würden sichtbar sein!« »Ein Rätsel, wir werden es lösen«, erwiderte Atlan, ohne die Augen vom Panoramaschirm zu nehmen. Es war nicht das erste Rätsel, dem er in seinem langen Leben begegnet war. Viele hatte er gelöst. Vergiß nicht, es ist ein Rätsel, das Hidden-X dir aufgegeben haben
könnte! Atlan kniff die Augen zusammen. Er war erregt, der Gedanke an den Gegner ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Anfangs hatte er geglaubt, einen Rückweg zu finden, aber von dem durch Hidden-X ausgelösten Sturz in das fremde Universum waren nicht einmal Restenergien geblieben, die ein Hinweis hätten sein können. Es gab Solaner, die bereits davon sprachen, daß sie für immer im Sternenuniversum isoliert sein würden. »Unsinn«, zischte Atlan und holte sich verwunderte Blicke von Hayes und Nockemann ein. »Wir werden den Weg finden, und wenn wir wochen- und monatelang von einem Stern zum anderen fliegen müssen!« Ein kleiner Körper, von einem kurzhaarigen lindgrünen Pelz bedeckt, tauchte neben ihm auf. Aus einem haarlosen, bronzeschimmernden Kopf sahen ihn kugelige Augen mit hellblauen Pupillen freundlich an. Sanny trug einen dünnen Fellumhang, der mit einer verzierten Spange über ihrer linken Schulter zusammengehalten war. Zusätzlich hatte sich die Molaatin eine der lindgrünen Bordkombinationen über die rechte Schulter gehängt. Ihren Gürtel mit mehreren kleinen Lederbeuteln für Nahrungsmittel und persönliche Kleinigkeiten hielt sie in der Hand. Sanny galt als Paramathematikerin. Selbst schwierigste hyperphysikalische Berechnungen führte sie schneller als ein Computer durch. Jetzt griff sie mit der freien Hand nach Atlan und verzog ihren Mund zu einem breiten Lächeln. »Dieser Kosmos ist voller Wunder«, meinte sie mit heller Stimme. »Es gibt so vieles darin zu berechnen.« Atlan beugte sich zu ihr herab. »Was meinst du damit?« fragte er. »Kannst du etwa einen Ausweg berechnen?« »Nein, aber wir sind auf der richtigen Spur.« Breckcrown Hayes hatte sich umgewandt und betrachtete Sanny
erwartungsvoll. Als sie aber nichts mehr sagte, widmete er sich wieder der Beobachtung der Instrumente. Gallatan Herts stiefelte heran und blickte Atlan herausfordernd an. »Es hat sich herumgesprochen, was du vorhast«, eröffnete er dem Arkoniden. »Willst du das Ergebnis hören?« Er streckte seinen etwas zu klein geratenen Körper und machte ein wichtiges Gesicht. »Es haben sich Freiwillige für den Ausflug zur Wasserwelt gemeldet«, fuhr er fort, wobei er jedes Wort einzeln betonte. »Über dreihundert Freiwillige!« Alle in der Zentrale horchten auf. Atlan sagte: »Ich freue mich darüber, aber es geht nicht. Ich will keinen Solaner dazu bewegen, daß er sein Schiff verläßt. Nur das Atlan-Team wird fliegen!« Der High Sideryt senkte den Kopf. Er hatte es nicht anders erwartet. Atlan kannte die Einstellung der Solaner zu Planeten inzwischen genug, daß er sie bei seinen Handlungen berücksichtigte. Dennoch war Hayes überrascht, daß sich so viele Neugierige fanden, die unbedingt einen Ausflug mitmachen wollten. Breckcrown Hayes warf einen verständnisvollen Blick auf den Arkoniden. »Gallatan«, sagte er, »sorge dafür, daß sie ihre Bewerbung zurückziehen. Niemand weiß, was es im Innern der Wasserwelt gibt. Mach ihnen klar, daß es sich um einen Planeten handelt, auch wenn er aus Wasser besteht!« Und zu Atlan meinte er: »Die Solaner unterstützen dich, wo es geht!« Der Arkonide lächelte wissend. Es hätte der Erwähnung nicht bedurft. Vor ein paar Monaten hätte er sich nicht träumen lassen, daß sich die Verhältnisse an Bord so schnell normalisieren würden. Solaner, Extras, die Schläfer und er als Beauftragter der Kosmokraten, sie zogen alle an einem Strick.
»Gut«, rief Atlan. »Wir brechen auf, sobald Argan U sich meldet!« Er musterte die anwesenden Mitglieder seines Teams. Sie warteten auf den Puschyden, der sich um das Fahrzeug kümmerte.
* Die Arbeiten gingen voran. Sie hatten zusätzlich acht Schutzschirmprojektoren installiert, aber das war wohl noch nicht genug. Die 17 Männer erhielten den Befehl, weitere vier Geräte an Bord zu bringen. Sie schafften sie per Transmitter bis in den Hangar, von da bewegten sie sie auf Antigravplattformen weiter bis in die Maschinensektoren der Space-Jet. Die Männer schwitzten. Ihre Kombinationen waren verschmutzt, Werkzeuge und kleine Maschinen lagen verstreut umher, zwischen den Maschinenblöcken stand ein Roboter und wartete auf den nächsten Auftrag. »Zum Konverter mit dem Kerl!« schimpfte Glomis Herva, der die Gruppe leitete. »Am liebsten würde ich alles liegen und stehen lassen!« Er warf einen wütenden Blick in den Hintergrund der Halle, wo sich die Person seines Zorns aufhielt. Es war ein kleiner, orange geschuppter Bär, nicht größer als 1,50 Meter. Mit seinen kurzen Armen und Beinen wirkte er possierlich, was durch die großen traurigen Augen noch verstärkt wurde. Der Bär sah sie kommen. Eilig hüpfte er heran und umkreiste sie. »Schön! Recht schön und nicht fallen lassen!« sagte er in akzentbehaftetem Interkosmo. Dann lachte er und deutete in die Halle hinein. Clomis Herva schnappte nach Luft. Sein Nebenmann stieß ihn an und zog ihn von der Antigravplattform weg. »Sei still!« zischte er. »Laß dir nur nicht einfallen, einen Streit vom Zaum zu brechen! Der High Sideryt wird es dir nicht danken!«
Glomis Herva streifte die Hand des anderen ab und setzte sich in Richtung des Bären in Bewegung. Nein, er wollte sich nicht streiten, nur seinem Unmut Luft machen. Und er wußte auch schon, wie er es anzustellen hatte. Er holte den Extra ein und baute sich vor ihm auf. »Hör mir mal zu, mein Freund«, schnaufte er. »Wenn du uns nicht von Anfang an sagen kannst, was wir zu tun haben, dann fühlen wir uns verschaukelt. Und das haben wir nicht so gern!« »Keine Aufregung«, meinte der Extra. »Die Arbeit wird heute beendet.« »Ja, das hoffe ich doch sehr, daß wir heute noch fertig werden«, meinte Glomis ein wenig versöhnlicher. Er brachte es nicht übers Herz, dem Kleinen böse zu sein. Unter den treuherzigen Augen verrauchte sein Zorn schnell. »Welche Aggregate benötigst du noch?« erkundigte er sich, aber Argan U schüttelte den Kopf, wie er es den Solanern in den Jahren abgeschaut hatte, die er sich schon auf ihrem Schiff befand. »Keine weiteren«, antwortete der Puschyde. Herva entfernte sich und kehrte zu seiner Gruppe zurück. »Ich glaube, wir haben es bald geschafft«, flüsterte er. Sie verankerten den letzten Projektor und schlossen ihn an die interne Energieversorgung der Space-Jet an. Dann räumten sie ihr Werkzeug auf und schickten den Roboter weg, der die Anschlüsse an die Hochenergietransformatoren durchgeführt hatte.
* Sie tauften die Space-Jet auf den Namen POLYP. Bjo Breiskoll war auf den Gedanken gekommen. Tatsächlich hatten sie nichts anderes vor, als wie ein gieriges Ungeheuer in den Planetenozean einzutauchen und ihre Tentakel und Fühler, die Antennen und Spiegel ihrer Ortungsgeräte auszustrecken auf der Suche nach einer
Beute. Atlan hatte zusätzlich Impulsverstärker anbringen lassen, obwohl die Kapazitäten der Jet auch auf einer Wasserwelt ausgereicht hätten. Die Vorsicht war es, die den Arkoniden zu übertrieben anmutenden Maßnahmen verleitete. Alles im System der Sonne Aqua war so unnatürlich, daß nur ein höchst leichtsinniger Mensch es ohne Hintergedanken hingenommen hätte. Sie waren zu sechst. Joscan Hellmut war in der SOL unabkömmlich, sie hatten ihn erst kurz vor Betreten der POLYP über den Interkom erreicht. Atlan, Bjo, Federspiel, Sanny, Argan U vom Planeten Cur-Cur U und Hage. Atlan, Bjo und Federspiel hatten die drei Sessel an den Steuerpulten eingenommen, während die beiden Extras links und rechts neben dem Podest standen, auf dem die Sessel montiert waren. Über ihnen wölbte sich die Sichtkuppel aus widerstandsfähigem Plastolyt. Hage Nockemann stand auf der gegenüberliegenden Seite neben seinem Sitz an den Waffenkontrollen. Gelangweilt beobachtete er, wie die Anzeigen immer wieder aufleuchteten. Alle Waffensysteme waren außer Betrieb. Sie benötigten sie sowieso nicht. Atlan aktivierte sämtliche Systeme, die Space-Jet war startbereit. Dennoch zögerte der Arkonide mit der Ausführung. Er schien auf etwas zu warten. Der Bildschirm erhellte sich, das braune Gesicht Vorlan Bricks tauchte auf. Die wulstigen Lippen dominierten, die Augen bildeten spitzbübische Falten. »Fertig?« fragte er kurz. Atlan nickte. »Gut«, sagte der Zwilling. »Wir schicken die Sonden los.« Das Bild wechselte, sie verfolgten, wie die Sonden den Bauch der SOL verließen und sich auf verschiedenen Bahnen entfernten. Zwei kleine Ausschnitte am unteren Rand des Schirms zeigten, was die Kameras der zehn Meter durchmessenden Forschungssonden aufnahmen.
Die von Aqua mit rotem Schimmer überzogenen Kugeln verblaßten rasch, bis sie von dem Optikschirm verschwanden. Die Kameraübertragung jedoch hielt an, und Atlan hatte beide Bilder auf den Monitoren der Energieortung. Die orangerote Riesensonne und Aqua I wanderten in das Blickfeld. Die zweite Sonde beschleunigte und schlug eine hohe Bahn um den Stern ein, die auf seine entgegengesetzte Seite zu dem zweiten Wasserplaneten führte. »Warum nennen wir die Kugeln eigentlich Wasserwelten?« fragte Bjo plötzlich. Die Haare seiner Büschel im Gesicht hatten sich vor Spannung aufgerichtet. »Darunter verstehen wir doch etwas anderes!« Tatsächlich besaßen sie keine Vergleichsmöglichkeit. Eine Wasserwelt im geläufigen Sinn war ein Planet, der zu großen Teilen oder vollständig von Wasser bedeckt war, über dem sich aber eine dichte Lufthülle befand. Beides traf hier nicht zu. Es konnte kein Gesteinskern geortet werden, obwohl Wasser die Ortung zwar beeinträchtigte, aber nicht unmöglich machte. Die Atmosphäre fehlte in der üblichen Ausprägung ebenfalls. Bjo wunderte sich nicht, daß er auf seine Frage keine Antwort erhielt. Noch hatte niemand ein neues Wort für die Erscheinung gefunden, sie begnügten sich mit der Feststellung, daß es einfach Wasser war, Aqua oder Hydros, zwei in Interkosmo völlig fremdartige Begriffe, die aus der alten terranischen Zeit stammten. Sonde 1 umrundete Aqua I zunächst mehrmals, als warte sie darauf, daß auch Sonde 2 ihr Ziel erreichte. Dann tauchte sie in den Wassermantel ein, nachdem sie die dünne Lufthülle ohne Schwierigkeiten durchdrungen hatte. Gespannt beobachtete das Atlan-Team die Werte, die sie übertrug. Es war gewöhnliches Wasser mit den üblichen Spuren anderer Elemente. Immer tiefer drang die Sonde ein, bis sie fast den rechnerischen Mittelpunkt des Wasserballs erreicht hatte. Dann erst schlugen die Orter aus.
»Ein Kern aus einer hochverdichteten Eisen-Nickel-Legierung!« rief Bjo Breiskoll aus. »Mit 11 Kilometer Durchmesser! Schwache hyperenergetische Strahlung!« Mit einem Mal waren sie alle hellwach. Aufmerksam musterten sie die Anzeigen, dann brach der Kontakt plötzlich ab. Atlan funkte die Sonde an, doch er erhielt keine Antwort mehr. Aus der SOL ging die Mitteilung ein, daß Sonde 1 verloren war. Sie reagierte nicht auf den Rückholimpuls und folgte auch nicht der Programmierung, die für eine automatische Rückkehr sorgte. »Also doch, ein Planetenkern!« stellte Federspiel fest. »Ein winzig kleiner!« »Zu klein, um ihn als Kernstück des Planeten bezeichnen zu können«, erwiderte Atlan. »Seine Gravitationskräfte sind zu gering, um die Wasserschicht zusammenhalten zu können.« Die Ortungsergebnisse paßten ganz zu den bisherigen Erfahrungen, die sie im Sternenuniversum gemacht hatten. Atlan war überzeugt, daß sie auch bei Aqua II mit einem ähnlichen Ergebnis rechnen mußten. Inzwischen hatte die zweite Sonde Aqua II erreicht und näherte sich der Wasseroberfläche. Sie berührte sie, und im selben Augenblick erlosch das Kamerabild. Die Verbindung war unterbrochen. Auch die übrigen Geräte zeigten nichts mehr an. Die Meldung aus der Hauptzentrale der SOL wiederholte sich. Die Sonde war unwiderruflich verloren. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, hörten sie Hage Nockemanns Stimme hinter ihrem Rücken. Argan U richtete seine großen Augen auf den Wissenschaftler und eilte zu ihm hinüber. Tapsig umrundete er ihn. »Das kann sein«, begann er, doch Atlan schnitt ihm das Wort ab. »Sanny«, stieß er hervor, »kannst du etwas herausfinden?« Die kleine Molaatin schloß für einige Sekunden die Augen. Als sie sie öffnete und Atlan ansah, lächelte sie wieder. »Der Vorgang hat einen künstlichen Ursprung«, sagte sie leise,
doch Federspiel schüttelte den Kopf. »Es widerspricht allem, was wir bisher herausgefunden haben!« stellte er fest. »Was tun wir?« Atlan wechselte ein paar kurze Worte mit Breckcrown Hayes, dann unterbrach er die Bildfunkverbindung zur SOL für kurze Zeit. »Ich möchte eure Meinung wissen«, erklärte er. »Wir haben uns entschlossen, die beiden Wasserkugeln zu erforschen«, sagte Bjo gleichmütig. »Fangen wir damit an. Wir wissen ungefähr, was uns erwartet!« Atlan schaltete an den Kontrollen. Das Hangartor fuhr auf, und er steuerte die POLYP langsam hinaus in den Weltraum. Dann zog er sie mit aufheulenden Triebwerken vom Mutterschiff weg, der gegenüberliegenden Seite des Planetensystems zu. Nach einer kurzen Linearetappe tauchte die POLYP unmittelbar über Aqua II auf und bremste mit Höchstwerten ab. »Also dann«, sagte Atlan und steuerte die Jet der Wasserkugel entgegen. »Wer hatte gesagt, daß es ein langweiliges Unternehmen werden würde?« Federspiel errötete leicht. Er antwortete nicht, starrte nur auf den Bildschirm, der völlig grün war und an mehreren Stellen das sich im Wasser spiegelnde rote Sonnenlicht zeigte. Irgendwie drohend, empfand er.
4. Als sie die Gebäudeecke erreichte, hörten sie den Lärm. Sie bogen ab, und Veremas Hand krallte sich in seinen Unterarm. Hastig blieben sie stehen und beobachteten den Vorgang auf der Straße. Eine Gruppe Ordnungshüter war damit beschäftigt, eine größere Versammlung Nuun aufzulösen und die Teilnehmer auseinanderzutreiben. Sie setzten ihre Elektrostäbe ein und verteilten schmerzhafte Stöße nach allen Seiten.
Geschrei lag über der Straße, und das Jaulen einer Sirene näherte sich. »Weg hier!« stöhnte Fallund Kormant und zog Verema in die entgegengesetzte Richtung. Seit zwanzig Lichtzeiten und Dunkelzeiten teilte er ihre Wohnung. Er war zu ihr gezogen, da sie über mehr Raum verfügte als er. Seine eigene Wohnung war bereits wieder belegt. Wohnraum war knapp auf der Welt mit ihren 1,8 Milliarden Bewohnern. Der Elektrowagen näherte sich mit lautem Summen und schwenkte in die Straße ein. Er trug einen Kastenaufbau mit vergitterten Fenstern, in dem Gefangene abtransportiert wurden. Jemand brüllte den Namen der Untergrundbewegung. »Sie bringen sie zur Bewahrerin«, stieß Verema Jagrafs hervor. »Dabei haben diese Leute nichts mit der Bewegung zu tun!« »Licht der inneren Quelle!« Verema gehörte dazu. In langen Nächten hatten sie sich einander anvertraut, und jetzt befanden sie sich auf dem Weg zu einem der Mittelsmänner, um den Ort des nächsten Treffens zu erfahren. Die Straße hinter ihnen wimmelte von braunen Gestalten in bunten Kleidern, mit weiten, geschlitzten Hosen und engen Hemden. Dazwischen leuchteten die gelben Uniformen der Ordnungshüter. In dem Kasten des Elektrowagens begann es laut zu rumpeln. Die beiden jungen Nuun verschwanden in einer Seitengasse. Sie machten einen Umweg von über einer halben Stunde, dann hatten sie ihr Ziel erreicht. Verema betrat einen hell erleuchteten Hausflur und klopfte in abwechselndem Rhythmus gegen die Wand. Kurz darauf erlosch das Licht. Ein Kratzer war zu hören, aus dem Fußboden tauchte ein Licht auf. Durch eine verborgene Luke sagte eine männliche Stimme: »Es ist alles in Ordnung. Ihr könnt herunterkommen!« Sie stiegen eine winzige Treppe hinab in die Tiefe, und über ihnen rastete die Luke ein. Licht flammte auf.
Sie befanden sich in einem kleinen Zimmer, in dem es eine einzige Tür gab. Sie war angelehnt. Ein kleiner, ebenfalls junger Nuun stand vor ihnen. Er trug den Meisterschurz eines Energietechnikers, eine besondere Auszeichnung, und Fallund Kormant versank vor Ehrfurcht fast in dem weichen Belag des Untergrunds. Verema reichte dem Mann die Hand. »Das ist Fallund Kormant!« sagte sie. »Ich habe dir von ihm erzählt!« Der Nuun nickte dem Techniker Erster Klasse schweigend zu. Er führte seine Gäste durch die Tür in einen gemütlich eingerichteten Raum und bot ihnen zwei Sessel an. »Ich heiße Jolans Begond«, stellte er sich Fallund vor. »Es ist mein richtiger Name. Doch wird es dir nicht gelingen, meine Anwesenheit in diesem Zimmer zu beweisen!« »Aber er ist kein …!« begehrte Verema auf. Begond unterbrach sie energisch. »Wer sagt mir, daß er kein Spion der Ordnungsmacht ist?« fragte er scharf. »Vielleicht ohne sein Wissen?« Verema sprang auf. »Ich kenne seine Vergangenheit und seine Gedanken. Er ist in Ordnung!« schrillte sie. Ihre Augen blitzten. Jolans Begond hob nichtssagend die Hände und umrundete die beiden Sessel, plötzlich hielt er einen Elektrostab in den Händen. »Die Versammlung muß darüber entscheiden«, verkündete er. »Ich kann es nicht!« Mit dem Stab deutete er auf die junge Frau. »Dir werde ich den Ort nennen, aber du mußt ihn vor ihm verschweigen. Führe ihn, ohne ihm zu sagen, wohin er geht. Früh genug wird er es wissen.« Er beugte sich zu ihr nieder und flüsterte ihr ins Ohr. Fallund verstand die Worte nicht, und er kam sich vor wie einer, der nicht dazugehörte oder abgelehnt worden war. Für einen kurzen Augenblick keimte sogar Eifersucht in ihm auf, weil die beiden ein
Geheimnis hatten, das sie nicht mit ihm zu teilen bereit waren. Dann aber hatte er sich wieder in der Hand. Er sah ein, daß die Sicherheitsvorkehrungen der Untergrundbewegung nicht groß genug sein konnten. »Beeilt euch jetzt«, sagte Begond. »Ich darf hier unten nicht zu lange Energie verbrauchen, sonst fällt es auf.« Sie erhoben sich und kehrten auf demselben Weg ins Freie zurück, den sie gekommen waren. Weit und breit war niemand zu sehen, die Stadt glich einem Totenhügel. Das Ergebnis des Einsatzes der Ordnungshüter. Wie viele ahnungslose Männer und Frauen mochten sie gefangengenommen haben? Ein schriller Schrei gellte durch die Stadt. Er kam aus der Richtung eines der großen Plätze. Unwillkürlich verhielten sie den Schritt und lauschten aufmerksam. Plötzlich stand ein Ordnungshüter vor ihnen und leuchtete sie mit seiner Lampe an. Sein Energiestab hing stumpf an seinem Gürtel. »Geht nach Hause!« forderte er sie auf. »Macht einen Umweg. Teilnehmen könnt ihr sowieso nicht mehr!« Er ging weiter und wandte sich einige Male nach ihnen um, ob sie seiner Anweisung folgten. »Eine Versammlung der Angstpriester«, flüsterte Fallund. »Ich habe davon gehört. Sie sollen das Hitzeritual durchführen.« Er hatte kein Verständnis für diese Rituale, die meist unter Anwesenheit der Bewahrerin gepflegt wurden. Sie hatten keinen Sinn, nahmen nicht die Angst von dem Volk. Sie brachten es lediglich fertig, die Teilnehmenden für ein paar kurze Augenblicke in dem Traum zu wiegen, in Sicherheit zu sein und ohne Angst vor dem Feind leben zu können. Das Erwachen hinterher war fürchterlich. Fallund und Verema erreichten ihre Wohnung und ließen sich auf ihre gemeinsame Liegestatt sinken. Die junge Nuun lauschte auf seine organische Stimme, und er begann zu sprechen. Warum er mit den Zuständen des Lebenssystems nicht zufrieden
w
ar und wer ihn zuerst mit so ketzerischen Gedanken zusammengebracht hatte. Sein Interesse für das »Licht der inneren Quelle«, war eine zwingende Weiterentwicklung. Was ist die Quelle? fragte er stumm. Welche Bedeutung hat sie, wo befindet sie sich? Ich weiß es auch nicht. Nur wenige scheinen es zu ahnen, erhielt er zur Antwort. Die Mitglieder der Bewegung sind sich nicht darüber im Klaren. Ich werde es herausfinden! Fallund nahm sich vor, den Kontakt zu den Aufrührern zu festigen und seinen Weg zu gehen. In der Zeit seines Zusammenseins mit Verema war er sich bereits über vieles klar geworden. Nicht die Angst war in seinen Augen das Hauptproblem des Volkes, die Furcht, eines Tages könnte ihnen der »Grüne Mantel« auf den Kopf fallen und sie ersticken. Was die Bewahrerin und die Ordnungsmacht aus dieser Angst machten, das bildete den Kernpunkt seines Unmuts. Er wußte um die Gerüchte, daß viele, die von den Ordnungshütern in den Palast der Bewahrerin gebracht worden waren, nie mehr den Rückweg zu ihrem Volk gefunden hatten. »Meinen Zweifel an der Bewahrerin und dem System, nach dem wir leben, werden immer größer«, sagte er. »Wo wird es enden?« »Es gibt eine Vision, die vor meinen Augen steht, wenn ich darüber nachdenke«, erklang Veremas Stimme dicht neben seinem Ohr. »Kannst du dir vorstellen, eines Tages den ›Grünen Mantel‹ zu durchstoßen und nach ›draußen‹ zu blicken?« Kormant konnte es nicht. »Draußen ist das Nichts«, meinte er.
* Die Marod-Plantage lag mitten zwischen zwei benachbarten Städten und bildete eigentlich nur eine weitläufige Erweiterung des
verbindenden Energietunnels. Dennoch wurde sie von zwei ineinander übergehenden Energieschirmen gebildet, die wie überall den Planetenboden berührten und ein Stück in diesem versanken. Fallund ließ seine Augen an dem flirrenden Vorhang schützender Energie emporwandern bis zu der Stelle, wo sich ein dunkler Schatten entlangschob, verschwommen in den Umrissen, aber immer noch heller als die Dunkelheit, die ihre Welt von allen Seiten einschloß. Er hing dort, wo der leuchtende Energiesteg endete, der kaum fünfhundert Trockenschritte von dem Ort entfernt begann, an dem er sich aufhielt. Das Schiff operierte in unmittelbarer Nähe des Schirms, ohne mit ihm und seinen vernichtenden Energien in Berührung zu kommen. Es trieb in seine Richtung, schwenkte dann ab und verschwand im »Grünen Mantel«, der schwarz und ohne Licht war. Nur wenig von der Helligkeit der Kunstsonne drang nach draußen und ließ die wirkliche grüne Farbe erkennen. Fallund stieß Verema an. »Sind wir entdeckt worden?« fragte er leise. »Ist das Treffen verraten worden?« Sie waren sofort bei ihrem Eintreffen angewiesen worden, sich nur auf akustischer Ebene zu unterhalten, der Sicherheit wegen. Die Zugänge zu den verbindenden Energietunnels waren bewacht, jeden Augenblick konnten Nuun vorbeikommen, die auf dem Weg zwischen den beiden Städten waren. »Die Schiffe bewegen sich oft in der umittelbaren Nähe der Schirme«, sagte die junge Frau. »Über den Städten sieht man sie nur wegen der Gebäude nicht so oft. Die Bewahrerin hat ihnen größere Ausflüge untersagt.« Flogen sie zu weit hinaus, bestand die Gefahr, daß sie entdeckt wurden, entdeckt von dem unheimlichen »Feind«. Jeder Nuun kannte das System der Sicherheitsvorschriften in- und auswendig. Das Volk lebte mit ihnen und mit jenen, die über ihre Einhaltung wachten. Die Ordnungsmacht hatte ihre Augen überall. Sie sind die Verwalter der Angst, dachte Fallund.
»Der Feind, er wird nie wiederkehren«, sagte der Techniker Erster Klasse spontan. »Unsere Befürchtungen sind unnötig!« Wie gern hätte er daran geglaubt, was er sagte. Auch er war in der Angst erzogen worden, auch in ihm herrschte das Bedürfnis vor, sich so klein wie möglich zu machen, damit er nicht entdeckt wurde. Dabei war er ein Riese unter den Mitgliedern seines Volkes. Überall fiel er auf. Ein unterdrückter Ruf des Alten ließ ihn seine Aufmerksamkeit auf die Anwesenden richten. Über fünfzig Personen hatten sich eingefunden, Männer und Frauen. Vergebens hielt Fallund nach den fünf Älteren Ausschau, die mit ihm im Hyperfusionskraftwerk arbeiteten und im Gemeinschaftskessel mit ihm gesprochen hatten. Sie waren nicht dabei. In engen Kreisen lagerten die Nuun um den alten, runzligen Mann, der in ein schmutzigweißes Gewand gekleidet war, das seine dürren Knochen ein wenig verdeckte. Er war der Anführer der Gruppe und bezeichnete sich als Träger des »Lichts der inneren Quelle«. Die Augen des Alten wanderten über die Gesichter, blieben an Fallund Kormant hängen. Er starrte ihn an, schweigend und mit Ausdauer. »Du bist neu«, stellte er nach fast einem Viertel Lichtteil fest. »Verema bringt dich.« Seine Stimme klang näselnd und zeugte von Mißtrauen. Kormant bestätigte schweigend. An seiner Stelle ergriff Verema Jagrafs das Wort. »Seine Ziele sind unsere Ziele«, erklärte sie. »Seit langer Zeit ist er den Gerüchten auf der Spur, die über die Vergangenheit im Umlauf sind. Er hat sich viele Gedanken dazu gemacht.« Der Alte Nuun hielt sich zweifelnd die spitzen Ohren zu. »Wir wollen es von ihm selbst hören«, sagte er. Fallund Kormant erhob sich, aber der Alte zischte: »Zu Boden, sofort! Wir dürfen nicht unnötig auf uns aufmerksam machen!«
Sie lagerten am Rand zwischen zwei Marod-Feldern, und einige Nuun waren ständig damit beschäftigt, auf organische Warnungen der Wächter zu lauschen, die an den Energietunnels postiert waren. Wie ein Blitz sackte der Techniker Erster Klasse in sich zusammen. Er tat den Mund auf und umriß seine Gedanken. »Nur ihr könnt mir weiterhelfen, wenn ihr mir die Fragen beantwortet, die ich noch habe. Wo ist die ›Innere Quelle‹ zu finden, was ist sie?« Betretenes Schweigen herrschte. Schließlich sagte der Alte: »Wir wissen es nicht. Wir müssen sie zuerst suchen. Dazu brauchen wir eine Streitmacht, die sich des Palasts und der Bewahrerin bemächtigt.« Fallund Kormants Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an. »Wie wollt ihr das Licht finden, wenn ihr nicht einmal die Quelle kennt?« rief er aus. »Was nützt euch die Bewahrerin, wenn die Ordnungsmacht gegen euch steht? Wie könnt ihr der Bewahrerin das Wissen um das Geheimnis des Volkes entreißen, wenn sie es nicht freiwillig preisgibt?« »Er ist ein Spion!« murmelte jemand, doch Verema brachte ihn zum Schweigen. »Wir müssen dem Volk die Angst nehmen«, beharrte der alte Nuun. »Mit Gewalt?« »Gewalt gegen Gewalt«, dozierte eine der Frauen, die in seiner Nähe saßen. »Das System muß vernichtet werden. Es ist erstarrt. Ja, wenn Perester Fassyn noch da wäre, der frühere Bewahrer! Von ihm sagt man, daß er ein offenes Ohr für das Volk hatte.« Perester Fassyn war der Vorgänger der jetzigen Bewahrerin gewesen. Man munkelte, daß er ihr Vater gewesen und auf unbekannte Weise verschollen war. »Die andere Vergangenheit, sie muß erhellt werden«, stimmten die Nuun zu. »,Retter' kann kein Hirngespinst sein. Es muß ihn geben. Den zweiten Planeten, den noch nie jemand gesehen hat.«
Der Name zuckte durch Fallunds Gehirn. Er kannte den Begriff, hörte jetzt, daß es sich um einen Planeten handeln sollte. Ein Planet wie die Welt? Ein Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Lag der Planet außerhalb des »Grünen Mantels«, der ihre Welt schützte? »Ein Planet im Nichts«, flüsterte er Verema zu. »Ist das überhaupt möglich? Ist er dem ›Feind‹ bekannt?« »Höre mich an«, wandte er sich an den Träger. »Wenn es eine Möglichkeit gibt, den Weg über ›Retter‹ zu wählen, würdet ihr dann warten, bis sich ein friedlicher Weg findet, um an das Ziel zu gelangen?« »Wir können nicht an das Ziel gelangen, denn wir sind zu wenige, die mit ihrem Leben dafür einstehen. Wir müssen warten.« Er schien gar nicht daran zu denken, daß jeder Tag die Gefahr einer Entdeckung durch die Ordnungsmacht vergrößerte, doch sollte er schnell eines Besseren belehrt werden. Plötzlich war ein Alarmruf in ihren Ohren. Er wurde auf organischer Ebene abgegeben und riß sie empor. Er kam nicht aus der Nähe der Energietunnels, sondern vom Rand ihrer Gruppe. Dort, wo der Weg an den Feldern entlangführte, hatte sich unbemerkt ein Stück des Bodens geöffnet, und spie Ordnungshüter aus. Mit jedem Augenblick wurden es mehr, und sie griffen sofort an. Ihre Elektrostäbe begannen zu arbeiten. »Verrat!« gellte eine Stimme. »Laß ihn nicht entkommen!« Instinktiv spürte Fallund, daß er gemeint war. Er riß Verema mit sich empor, aber sie kreisten ihn trotz der drohenden Gefahr ein. Verema wurde von ihm getrennt, er verlor sie aus den Augen. Der Techniker Erster Klasse vergaß ebenfalls jede Rücksicht. Mit Händen und Füßen wehrte er sich gegen die Angreifer aus den Reihen der Untergrundbewegung. Seine Größe kam ihm zugute, und es gelang ihnen nicht, ihn zu Boden zu ringen. Statt dessen wurde ihre Zahl immer weniger. Die Ordnungshüter drangen vor. Für kurze Augenblicke kam Verema in sein Gesichtsfeld. Sie
blutete am Arm, und zwei Ordnungshüter drangen auf sie ein. »Flieh!« kreischte sie auf. Dann brach sie unter den elektrischen Schlägen zusammen. Noch etwas anderes sah Fallund Kormant. Aus dem Loch im Boden stieg eine Maschine, ein mechanischer Nuun mit tödlichen Waffen. Ein Roboter der Bewahrerin. Mit einem Ruck riß Kormant sich los und hechtete in das Marodfeld hinein. Er achtete nicht darauf, daß er eine deutlich sichtbare Spur der Zerstörung in den Pflanzen hinterließ. Er floh, und es gab nur eine Möglichkeit für ihn, zu entkommen, wenn er schnell genug war. Der Techniker Erster Klasse hörte, wie die letzten Rufe der Aufrührer verstummten. Laute Kommandos erschallten. Irgendwo klang das Getrampel von Stiefeln auf. Ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb für ihn. Der Roboter und die Gelbuniformierten würden es nicht wagen, das kostbare Feld weiter zu zerstören, nur um ihn zu fangen. Sie würden es einkreisen und warten, bis er irgendwo zum Vorschein kam. Also mußte er schneller sein als sie. Immer wieder erblickte er zwischen den Mannshöhe erreichenden Pflanzen den Energiesteg, der nach oben zum Schirm führte. Die Entfernung zu ihm schrumpfte immer mehr zusammen, er schätzte sie auf noch dreihundert Trockenschritte. Rings um ihn schienen die Stimmen der Ordnungshüter zu sein, dazwischen klang immer wieder das Schnarren des Roboters auf, der ihnen offensichtlich Anweisungen gab. Verfolgte er seinen Weg mit Hilfe empfindlicher Sensoren? Fallund verschwendete keinen Gedanken daran. Vor ihm endete das Feld. Ein kurzes Stück freies Gelände wurde sichtbar, er spurtete los und duckte sich, so gut es ging. Irgendwo hinter sich hörte er einen Ruf. Es war das gefährlichste Stück, der Roboter konnte auf ihn zielen,
ohne die wertvollen Pflanzen beschädigen zu müssen. Jeden Augenblick rechnete er damit, getroffen zu werden. Wie durch ein Wunder schaffte es der Techniker Erster Klasse. Er stand plötzlich vor dem Gitter, das den Steg gegen die Felder abschloß, und öffnete die Sicherung. Im Kraftwerk arbeiteten sie mit denselben Mechanismen, er hatte keine Schwierigkeiten damit. Er riß es auf und schob sich nach vorn. Das Gitter schnellte zurück und rastete ein. In diesem Augenblick peitschte der erste Schuß einer Waffe durch das Gelände und schlug ganz in der Nähe ein. Wieder klangen Kommandos auf. Eine Stimme brüllte: »Nicht schießen. Ihr dürft den Steg nicht treffen!« Fallund Kormant eilte den stufenlosen Steg empor, ein knapp einen Trockenschritt breites Band, das freitragend zu der Technischen Kabine emporführte und sich mit ihr um einen gemeinsamen Mittelpunkt drehte, den der Sockel des Gitters am unteren Ende bildete. Kaum ein Zehntel Lichtteil benötigte er für den Aufstieg, dann hatte er das obere Ende des Steges erreicht, und weit unter ihm tobten die Uniformierten herum, und die Stimme des Roboters dröhnte zu ihm herauf. »Energiesteg abschalten!« schnarrte er unaufhörlich. »Energiesteg abschalten!« Doch in der Technischen Kabine rührte sich nichts. Verema! Fallund blieb an der Brüstung der Kabine stehen und hielt sich fest. Er starrte hinab, suchte mit den Augen nach seiner Gefährtin, doch er sah sie nirgends. Die Ordnungshüter hatten bereits alle weggeschafft in das Loch hinein, aus dem sie gekommen waren. Sie arbeiten mit allen Mitteln! stellte er fest. Sie besitzen unterirdische Gänge. Für die Zukunft sollte es ihm eine Warnung sein. Die Technische Kabine war gewissermaßen das Fahrzeug, das die künstliche Sonne zog, die einen Durchmesser von 44
Trockenschrittten besaß und an einer kreisförmigen Energieschiene hing. In ihrem Innern spielten sich Fusionsprozesse ungeheuren Ausmaßes ab, die es erforderlich machten, daß jede Sonne nach zehn bis zwölf Planetenläufen ausgewechselt werden mußte. Ein schwieriges Unterfangen, bei dem die jeweilige Kuppel evakuiert und isoliert werden mußte. Fallund wußte, daß diese Sonne noch einige Läufe vor sich hätte, während denen sie unzählige Male ihre Kreisbahn unter der Kuppel beschrieb, in jeder Lichtzeit einmal. Und ein Planetenlauf zählte viele Zehntausende Lichtzeiten. Er streckte die Hand aus und stieß die Tür der Kabine auf. Erst jetzt wurde er sich der Konsequenzen richtig bewußt, die der Vorfall nach sich zog. Sie hatten ihn erkannt, sein Name stand auf den Schwarzen Listen. Überall würden die Ordnungshüter auf ihn lauern. Wo sollte er noch Zuflucht finden? Der Weg, den er betreten hatte, er mußte ihn zu Ende gehen oder aufgeben. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Von der Seite der Kabine her näherte sich eine Gestalt. »Jolans Begond!« rief er aus. »Wir haben die Notschleuse erreicht. Du mußt sofort aussteigen!« sagte der Mann mit dem Meisterschurz. »Komm!« »Wohin?« fragte Fallund verwirrt. »Nach draußen«, flüsterte Begond. »In den ›Grünen Mantel‹. Es ist die einzige Möglichkeit!« Er zerrte ihn in den Hintergrund der gondelähnlichen Kabine, die leicht schwankte. Er stellte den Rundspiegel ein, dann öffnete er eine kleine Schiebetür. »Siehst du sie?« fragte er. Kormant nickte hastig. Er hatte begriffen, was der andere vorhatte. Fast in greifbarer Nähe flimmerte der Doppelschirm einer kleinen Schleuse. Sie maß höchstens einen Trockenschritt im Durchmesser und reichte für ihn aus.
»Los!« Jolans Begond stieß ihn an. Ohne zu zögern, stieg Fallund auf die Brüstung hinaus und griff hinüber zu dem inneren Schirm. Augenblicklich erlosch er. Der Techniker Erster Klasse blickte zurück. Begond war ihm gefolgt. »Was …?« fragte er. »Du mußt mich bewußtlos schlagen und zurück in die Kabine werfen«, sagte er. »Ich brauche ein Alibi!« Fallund Kormant wußte, daß er keine Zeit mehr hatte. Er schleuderte seinem Retter die geballte Faust entgegen und warf ihn über die Brüstung zurück. Einen kurzen Augenblick schloß er die Augen, dann betrat er die Schleuse. Der erste Schirm schloß sich hinter ihm, der zweite, vordere wartete auf seine Berührung. Ich bin jetzt ein Vogelfreier, der Bewahrerin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, dachte er. Um mein Leben zu erhalten, muß ich tun, was die Untergrundbewegung gemeinsam nicht geschafft hat! Entsetzt stellte er fest, daß er mit dem Tod als Strafe rechnete. Wer gab ihm den Anlaß dazu? Ein Gedanke, weiter nichts? Er war daran, den schützenden Schirm zu verlassen, sich in einen Bereich vorzuwagen, in dem er dem »Feind«, ausgeliefert war. Ein »Feind«, dessen Existenz er leugnete. Dennoch überfielen ihn in diesem Augenblick Zweifel, während er seine Ohren schützend nach unten über die Gehörgänge klappte und die Nasenflügel schloß. Für einen halben Lichtteil konnte er die Luft anhalten. Draußen erwartete ihn der ungeheure Druck des Wassers. Der »Grüne Mantel«, besaß in dieser Gegend zur Zeit eine Decke von 200.000 Trockenschritten, genug, um die stärksten Panzer wie Papier zu zerquetschen. Verzerrte organische Worte kamen bei ihm an. Die Ordnungshüter hatten die Kabine betreten. Sie würden ihre Schlüsse ziehen, wenn sie ihm auch nicht folgen konnten, da die Kabine inzwischen
weitergewandert war, in sicherer Entfernung vor der heißen Kunstsonne her. Die Schiffe! brüllte es in Fallund. Sie werden dich mit den Schiffen jagen. Er mußte schwimmend eine der Stadtkuppeln erreichen. Entschlossen berührte er den äußeren Schleusenschirm, der sofort erlosch. Übergangslos warf sich ihm die Dunkelheit entgegen und preßte ihn in der Schleuse zusammen.
* BEFEHL AUSGEFÜHRT. DIE GEFANGENEN SIND DEM HÖLLENSCHLUND ÜBERGEBEN WORDEN! Tautilla Fassyn senkte bestätigend den Kopf, und der Roboter, der die Meldung gemacht hatte, zog sich zurück bis zur Hallenwand. Die Bewahrerin ruhte auf einem weichen, mit rotem Samt überzogenen Polster und nahm ein Mahl aus frischen Früchten zu sich. Nach etwa einem Lichtteil erhob sie sich und begab sich hinüber in ein angrenzendes Zimmer. Sie zog an der altmodischen Glocke neben dem Türrahmen, und eine alte Nuun mit zerfurchtem Gesicht erschien. Tautilla Fassyn zuckte mit den Augenlidern, wie jedesmal, wenn sie die alte Frau erblickte. Nein, so wollte sie im Alter nicht aussehen. Sie dachte an die Glättungspillen, die sie regelmäßig einnahm. Sie ließen die 53jährige Bewahrerin jünger erscheinen. »Ihr wünscht, Bewahrerin?« ächzte die Frau, und der Hautsack um ihren Kehlkopf zuckte auf und ab. Tautilla sprach auf organischer Basis mit ihr, aber die Alte reagierte nicht. Sie war in letzter Zeit taub geworden, konnte sich nur noch akustisch verständigen. Ein bedauernswertes Geschöpf, aber für den Dienst im Palast geeignet. Sie konnte nichts verraten, ohne es zu wollen. Was ihr über die Lippen kam, war überlegt.
»Bringe mir die Namen der Aufrührer, die verurteilt und in den Höllenschlund geschickt worden sind«, verlangte sie. Die alte Nuun eilte davon und brachte eine umfangreiche Liste, die über fünfzig Namen enthielt. Ein paar waren nachträglich durch Verhöre dazugekommen. Die Bewahrerin überflog die Namen, dann las sie sie nacheinander laut vor. Einige waren ihr bekannt. »Was ist mit dem Riesen, dem Techniker Erster Klasse?« fragte sie. »Er hat die Kuppel durch eine kleine Schleuse verlassen. Die Ordnungshüter haben ihn noch nicht gefunden.« Tautilla schleuderte die Liste von sich und warf sich in einen Sessel. »Ich hoffe für ihn, daß er tot ist!« schrie sie. »Ich könnte sonst versucht sein, an ihm ein Exempel zu statuieren. Spielt das Volk verrückt?« Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie wischte sie seufzend hinweg. »Ihr dürft euch nicht erregen. Denkt an eure Gesundheit!« sagte die Alte, doch Tautilla maß sie mit einem verächtlichen Blick. Die Nuun verstand und zog sich aus dem Zimmer zurück. Tautilla redete sich ein, daß die Ordnungsmacht noch immer nicht hart genug durchgriff. Wie konnte es geschehen, daß sich immer wieder Gruppen im Untergrund bildeten, die die bestehende Ordnung stürzen wollten? »Sie sind blind!« stieß die Bewahrerin hervor. »Sie versündigen sich an ihrem eigenen Volk!« Das Leben der Nuun stand unter dem ewigen Zeichen der Angst. Der »Feind« konnte jeden Augenblick zuschlagen, um die Reste des Volkes zu vernichten. Sie war Tautilla Fassyn, die Bewahrerin. Ihre Aufgabe war es, dies nicht zuzulassen. Die Flotte kontrollierte ständig den »Grünen Mantel«, in allen seinen Teilen, ohne sich an seine Oberfläche hinauszuwagen. Nichts geschah, es war Friede.
Jetzt hatte einer der Aufrührer den schützenden Bereich unter den Schirmen verlassen. Die Bewahrerin rief einen ihrer Roboter herbei. »Befehl an alle Suchgruppen. Kormant ist herbeizuschaffen, tot oder lebendig. Er ist eine Gefahr für unser Volk!« Sie kehrte in die Halle auf ihr Polster zurück und versank in dumpfes Brüten. Mit harter Hand hatte sie bisher die Nuun vor dem Untergang bewahrt, ein paar Ausnahmen eingerechnet, die sie zum Tod durch den Höllenschlund verurteilt hatte. Noch nie war ein solches Urteil ausgesetzt worden. Ihr Vorgänger, hatte er mehr gewußt als sie selbst? Manchmal glaubte sie es, wenn sich Zweifel in ihr festsetzten und nagten und bohrten. Es war nicht das Gewissen, solange innere Unsicherheit nicht zum Gewissen gehörte. Es war etwas anderes. Die Bewahrerin schüttelte trotzig den Kopf. Was spielte es für eine Rolle. Sie verhielt sich nicht anders als ihr Vorgänger, der nie mehr aufgetaucht war, nachdem sie das Urteil über ihn gesprochen hatte. Aus dem Höllenschlund kehrte niemand zurück. Tautilla Fassyn hatte große Sorgen. Die Zahl der Verurteilten nahm in dem Maß zu, in dem es den Mitgliedern der Ordnungsmacht nicht gelang, die schwelenden Gerüchte in der Bevölkerung zu unterdrücken. Sie malte sich aus, daß es eines Tages zu einer umfassenden Krise kommen würde. Nicht, solange ich die Bewahrerin bin, entschied sie. Warum genießen sie nicht alle das Leben mit seinen Annehmlichkeiten? Ist die Welt kein angenehmer Planet? Ist der Schutz, den wir besitzen, nicht groß genug? Durch gewaltige technische Anlagen wurde der »Grüne Mantel« kugelrund gehalten. Ungeheure Energiefelder verhinderten, daß irgendein Anzeichen vom wahren Leben darunter nach außen dringen konnte. Die Welt war nicht erkennbar. Eine schrille Sirene begann zu heulen und riß sie vom Polster empor. Mehrere Roboter traten ein, gefolgt von einem aufgeregten
Nuun. An der Wand flammte ein Bildschirm auf. »Ein fremder Gegenstand ist bei dem Versuch vernichtet worden, von außen in den ›Grünen Mantel‹ einzudringen!« sagte eine laute Stimme über die Lautsprecher. »Alle Vernichtungsanlagen einschalten!« schrie die Bewahrerin mit sich überschlagender Stimme. »Alarmbereitschaft für die Flotte! Jedes fremde Fahrzeug wird vernichtet!« Dann jedoch entschied sie plötzlich anders. »Nein, laß ein fremdes Fahrzeug durch. Es soll die Schirme erreichen. Eines, nicht eine ganze Flotte!« Der Nuun starrte sie entgeistert an, wagte aber keinen Einwand. Unser Volk braucht den Beweis, damit es wieder zur Vernunft kommt! sendete die Bewahrerin. Es ist seine letzte Chance, zu überleben. Mit einem einzelnen Schiff wurden sie leicht fertig. Nur die Waffen einer ganzen Flotte durften nicht unterschätzt werden. Und die Verteidigungs- und Schutzanlagen würden weitere Schiffe fernhalten. Die Bewahrerin schritt unruhig hin und her. Gedanken bewegten sie, die sie zutiefst verunsicherten. Wie konnte es geschehen, daß die Feinde sie fanden! Woran lag es? Die Bewahrerin hätte vieles darum gegeben, die Antwort zu wissen. So aber überwältigte sie die Verzweiflung und machte sie vorübergehend für vernünftige Gedanken unfähig. Sie gab Befehle wie ein Automat. Ihr Vorgänger, hatte er doch mehr gewußt als sie selbst? Lag die Schuld einzig und allein bei ihr?
5. »Wir dringen jetzt ein«, erklärte Atlan. Breckcrown Hayes, dessen Gesicht vom Bildschirm auf ihn herabblickte, verzog sich ein wenig. »Paßt auf!« sagte er.
Die POLYP hatte alle Schutzschirme aktiviert, die Schwerkraftneutralisatoren waren einsatzbereit. Die Mitglieder des Atlan-Teams waren auf ihren Plätzen. Atlan steuerte die Space-Jet dicht an die Wasseroberfläche von Aqua II heran, dann ließ er sie in das feuchte Medium einsinken. Augenblicklich erlosch der Funkkontakt zur SOL. Auch Bjo und Federspiel spürten die Anwesenheit der Solaner nicht mehr. Atlan drang bis in eine Tiefe von etwa fünfzig Meter in den Wasserplaneten ein. Nichts änderte sich, und er lenkte das Schiff wieder empor über die Oberfläche. Sofort erschien das Gesicht des High Sideryt auf dem Schirm. »… ist los, Atlan? Meldet euch!« hörten sie seine Stimme und erkannte sein Aufatmen, als die Verbindung wieder stand. »Es ist alles in Ordnung«, beschwichtigte der Arkonide ihn. »Das Wasser unterbricht den Kontakt, anstatt ihn nur zu verzerren. Wir konnten bisher nicht feststellen, woran es liegt.« »Kehrt um«, sagte Breckcrown Hayes, und seiner Stimme war deutlich die Besorgnis anzumerken. »Das Risiko ist zu groß!« Atlan schüttelte den Kopf. »Warte einen Augenblick!« sagte er. Er ließ sämtliche Werte aus den Speichern abrufen, kontrollierte das Eintauchen nochmals in jeder Phase durch. Es bestätigte seine Aussage. Es gab nichts Ungewöhnliches. Und doch mußte da etwas sein. »Sanny behauptet, daß sie etwas Künstliches berechnen könne. Sie weiß aber nicht, was es ist. Ihre Unsicherheit entspricht den Meßergebnissen«, teilte er Hayes mit. Der Arkonide glaubte, daß Sanny recht hatte. Die zierliche Molaatin hatte bereits auf der Landschaft im Nichts ihre Fähigkeiten bewiesen, als es ihr in immer neuen Versuchen gelungen war, Hapeldan zu berechnen, den Schalter, der sich als abtrünniger Molaate herausgestellt hatte. »Also gut«, seufzte Breckcrown Hayes. »Aber kehrt sofort um, wenn ihr in Gefahr seid oder euch bedroht fühlt. Bjo und Federspiel
sollen ihre Fähigkeiten benutzen!« Atlan verschwieg, daß die beiden in der Wasserhülle ihre Fähigkeiten nicht benutzen konnten. Zumindest nicht nach außen. Er wollte den High Sideryt und die Schiffsführung nicht noch mehr verunsichern. »Sobald wir etwas entdecken, schicken wir eine Sonde herauf«, erklärte er. »Bleibt auf Empfang!« Er blickte sich rasch um. Bjo, Federspiel, Sanny, Argan U und Hage nickten ihm zu. Sie waren einverstanden. Atlan ließ die POLYP wieder in der Wasserkugel versinken, die keinerlei Abplattungen oder Ausbeulungen aufwies. Eine mathematisch runde Kugel aus Wasser. In unserem Universum wäre sie längst aufgefallen, meldete sich sein Extrasinn. Hier ist sie nur in unseren Augen ungewöhnlich. Für das Sternenuniversum gehört sie zu den üblichen Erscheinungen. Abwarten, dachte Atlan. Er glaubte zwar nicht daran, daß sie mit einer Überraschung rechnen mußten, aber trotzdem wollte er die Augen offenhalten. Die POLYP drang in die Tiefe des Wasserplaneten vor. Alle Ortungssysteme waren in Betrieb, Abweichungen würden sofort durch akustische und optische Signale kenntlich gemacht. Gebannt folgten die sechs dem Anzeiger des Tiefenmessers, der stetig in die Höhe kletterte. Vierzig Kilometer wurden überschritten, noch immer gab es keine Veränderungen. Atlan beschleunigte die Jet ein wenig. Im Schutz ihrer Schirme durchpflügte sie das Dunkel, die Optikschirme blieben schwarz. »Es gibt kein Leben in diesem Ozean«, stellte Federspiel fest. »Keine Fische oder andere Lebewesen.« Eine tote Welt voller Rätsel. »Warten wir ab!« warf Argan U ein. Fast im selben Moment sprang Bjo aus seinem Sessel empor. Auch Federspiel rührte sich. »Ortung!« riefen beide, und gleichzeitig wies ein helles Klingeln
daraufhin, daß sich tatsächlich etwas verändert hatte. »Energieschirme!« sagte Atlan laut. »Es sind Energieschirme. Unsere Distanz zu ihnen beträgt ungefähr 150 Kilometer!« Der eigene Tiefenanzeiger stand bei 50 km. Noch war die Ortung ungenau, wurde durch den dichten Wassermantel verzerrt. Dennoch war es unverkennbar, daß sich tief unter ihnen etwas befand. »Sanny?« Hage Nockemann flüsterte es, doch die Molaatin schwieg. Sie stand neben Atlan und beobachtete die Ortungsanzeigen. »Sonde ausschleusen, Bjo!« sagte Atlan. »Informationsblock füttern. Wir benachrichtigen die SOL und dringen weiter vor.« Die Space-Jet sank weiter, überschritt die hundert KilometerMarke, dann die hundertfünfzig. Die Ortungsergebnisse wurden deutlicher, die Rasterbilder auf den Schirmen klarer. Die Teleoptik stellte bereits ein schwaches Leuchten des Wassers fest. »Es sind Hunderte von Kuppeln«, ließ Federspiel sich hören. »Seht nur, sie bedecken den gesamten Untergrund!« Jetzt kam auch die Ortung der Gesteinsschichten, und sie lieferte die Merkmale einer Planetenoberfläche. Es war unglaublich. Ein Planet, der unter einem dicken Wassermantel lag und sich gegen jede Entdeckung aus dem Weltall schützte! »Die Dicke des Wassers schwankt zwischen 181 und 234 Kilometern«, erkannte Hage Nockemann. »Auffällig ist die überall gleiche Temperatur des Ozeans von 4 Grad Celsius. Da der Planet immer nur von einer Seite durch seinen Stern erwärmt wird, könnten interne Strömungen für die gleichmäßige Wärmeverteilung verantwortlich sein.« Sie mußten mit den Schutzschirmen und den Abwehranlagen des Planeten zu tun haben. Ein Impuls traf ein, der mehrere Ortungswerte überlagerte. Ein kleiner Lichtpunkt an den Kontrollen erlosch. Die ausgeschickte
Sonde war explodiert, noch ehe sie die Wasserkugel hatte verlassen können. Gehört das alles zu den üblichen Erscheinungen in diesem Universum? dachte Atlan, doch der Extrasinn gab keine Antwort. Der Arkonide stellte keine Frage an seine Gefährten. Er wußte, daß keiner von ihnen an eine Umkehr dachte. Sie hatten eine Entdeckung gemacht, die ihnen Rätsel aufgab. Sie würden versuchen, diese Rätsel zu lösen. Atlan verkürzte den Abstand zu den Energiekuppeln auf zwanzig Kilometer. Sie hatten sie jetzt deutlich auf den Anzeigen, auch die Bildschirme lieferten einigermaßen verläßliche Werte, allerdings unterstützt durch dazugeschaltete Lichtverstärker. Ein Funkverkehr wurde nicht angemessen. Dafür machten sie unter den einzelnen Kuppeln jeweils eine starke Energiequelle aus, vermutlich Kunstsonnen. Die durch die Einflüsse der Schirme verzerrten Impulse ließen jedoch keine genauen Untersuchungen zu. »Wir scheinen noch nicht bemerkt worden zu sein«, sagte Bjo Breiskoll. »Ob es sich um eine robotische Welt handelt?« Atlan dachte an die Vernichtung der Sonde, die Aqua II angeflogen hatte. Sie war bei Berührung der Wasseroberfläche ausgefallen. Trotz dieser Gefahr hatten sie mit der Space-Jet einen neuen Versuch gewagt, mit Erfolg. Eine weitere Sonde war jetzt auf dem umgekehrten Weg zerstört worden. »Jemand beobachtet uns genau«, sagte er, während er die POLYP auf eine der Energiekuppeln hinabsteuerte, die ein wenig isoliert zwischen den anderen stand. Jetzt gelang es auch, die Energieschläuche anzumessen, die die Kuppeln miteinander verbanden. »Wir sind längst erfaßt worden, vermutlich noch außerhalb der Wasserhülle. Man hat uns absichtlich von unserem Mutterschiff getrennt.« »Es sieht nicht nach einem freundlichen Empfang aus«, bemerkte Bjo.
»Die Bewohner dieses Planeten können verschiedene Gründe haben, daß sie sich verstecken«, sagte der Galakto-Genetiker. »Vielleicht werden wir sie erfahren.« Sie hatten sich dem Schutzschirm bis auf fünf Kilometer genähert, als dieser sich an einer Stelle zu verändern begann. Er bildete eine pulsierende Verdickung, die groß genug war, die POLYP in sich aufzunehmen. »Noch immer keine Funkverbindung?« fragte Atlan. Federspiel verneinte. »Vermutlich ist sie nur unter den Kuppeln möglich«, teilte er mit. »Was machen wir? Nehmen wir die Einladung an?« Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden.
* Die POLYP setzte mitten zwischen den Hügeln auf, die von einer kleinen Kunstsonne beschienen wurden. An den Hängen weideten Tiere, die Ähnlichkeit mit Schafen und Ziegen hatten. Sie nahmen keine Notiz von dem Schiff. Atlan schlug vor, auszusteigen. Er wollte so schnell wie möglich Kontakt knüpfen. Er rechnete damit, daß die Bewohner dieser Welt ihm und der SOL helfen konnten. Zu fünft verließen sie die SpaceJet, vorsichtshalber in ihre Kampfanzüge gehüllt. Argan U blieb als Wächter in dem Boot zurück. Sie machten sich auf die Suche nach den Intelligenzen, die mit ihrer fortgeschrittenen Technik das Wunder unter dem Wasser vollbracht hatten. Der Arkonide sah zum Schirm der Kuppel empor. Die Schleuse hatte sich längst wieder verwandelt, war zu einem Teil des Schirms geworden wie zuvor. Hatte man sie gefangen gesetzt? »Gedankenimpulse sind in der Nähe«, erkannte Bjo Breiskoll und zerrte am Spezialgürtel seines Anzugs. »Es sind intelligente Wesen.« Er führte die kleine Gruppe an und ging in die Richtung, in der er
sie vermutete. Sie umrundeten einen Hügel, erblickten die Herden und die Mündung eines Energietunnels, der einen halben Kilometer entfernt war. Und sie sahen die Wesen, die auf die Tiere aufpaßten und sie über die Weiden trieben. Es handelte sich um ein weitgehend hominides Volk, das entfernt an kleingewachsene Menschen erinnerte. Ihre Durchschnittsgröße lag bei einem Meter fünfundvierzig. Ihre Haut war tiefbraun, der Kopf von schwarzem, gekräuseltem Haar bedeckt. Auffallend waren die Ohren, die nach oben spitz zuliefen und bis zu einer Handbreite über den Kopf hinausragten. Bekleidet waren sie mit bunten Stoffen, die Hosen meist seitlich geschlitzt und weit, die Hemden und Jacken eng auf den Körper gearbeitet. In den Händen hielten sie lange Stöcke. Wie alle Schäfer des Universums, stellte der Extrasinn fest. Atlan setzte sich in Richtung auf die Wesen in Bewegung. Er nestelte an seinem Translator, den er am Handgelenk trug. Die Wesen jedoch reagierten völlig unerwartet, ganz anders, als ihr hoher technischer Standard es erwarten ließ. Sie rannten ängstlich davon, als sie die Fremden gewahrten. Sie ließen ihre Herden und Stöcke im Stich und eilten in Richtung des Energietunnels. »Bjo, was ist los?« stieß der Arkonide hervor. »Sie fürchten sich. Ihre Gedanken sind von Panik bestimmt. Sie denken immerfort an einen ›Feind‹ aus ferner Vergangenheit, der sie vernichten will.« Sie konnten sich keinen Reim darauf machen und verfolgten die Entwicklung mit ratlosen Blicken. Sie wußten nicht, ob sie den Schäfern folgen oder auf eine andere Möglichkeit des Kontakts warten sollten. Sie entschieden sich schließlich für das Warten und gingen zwischen den Hügeln umher in der Hoffnung, doch noch auf Aquarianer zu treffen, wie sie die Wesen bezeichneten. Außer den Tieren fanden sie keine Lebewesen, und die Ziegenschafe kümmerten sich nicht um sie. Ab einem bestimmten
Zeitpunkt jedoch begannen sie Unruhe zu zeigen und sich ängstlich zusammenzudrängen. »Sie spüren unsere Fremdartigkeit«, vermutete Hage Nockemann. Sanny schloß die Augen und schrie plötzlich auf. »Zurück!« rief sie. »Es steht eine Katastrophe bevor!« Sie berechnete es aus dem Verhalten der Tiere. Atlan reagierte sofort. Er schloß seinen Kampfanzug. Sie taten es ihm nach, obwohl sie seine Maßnahme und Sannys Warnung nicht für erforderlich hielten. So schnell sie konnten, hasteten sie zur POLYP zurück. Atlan gab eine Warnung an Argan U durch, der die Prallfelder und Schirme der Jet einschaltete und sämtliche Andrucksneutralisatoren hochfuhr. Es war eine Sicherheitsvorkehrung, die nützlich sein konnte. Sie ahnten nicht, wie sie sie brauchten! In einer auseinandergezogenen Kette erreichten sie den Schirmbereich der POLYP, Atlan voran. Eine Strukturlücke bildete sich und verschaffte ihnen Einlaß. Aber es war fast zu spät. Der Energieschirm über dem Gelände brach zusammen. Die Kunstsonne erlosch, es wurde dunkel. Die Wassermassen stürzten mit Urgewalt auf den Boden und das Schiff herab, bereit, alles zu zerquetschen, was sich ihnen in den Weg stellte. Atlan fühlte sich von den Füßen gerissen und vorwärts gezogen. Argan U holte sie mit einem Traktorstrahl herein, während er die Lücke im Schirm schloß. Gleichzeitig erzitterte der Untergrund unter einem Schlag, der die Jet mehrere Meter in die Luft schnellen ließ. Die Außenschleuse schloß sich, Atlan und seine Begleiter rafften sich mühsam auf und eilten hinauf in die Zentrale. »Federspiel fehlt!« schrie Sanny plötzlich auf. »Wo ist er?« Argan U stand in seinem Spezialanzug über die Kontrollen gebeugt. Nur mühsam hielt er das Boot in seiner Gewalt, balancierte es mit sich ständig verändernden Schwerkraftfeldern aus. Die Maschinen im unteren Schiffsteil dröhnten unter der starken
Belastung, mehrere Sicherheitswerte wurden überschritten und zauberten rote Lichter auf die Kontrolltafeln. Argan U wandte sich um und sah zu, wie sie ihre Helme zurückklappten. Er schüttelte traurig den Kopf. »Es ist nicht ganz gelungen«, zeterte er. »Der Zugstrahl ist gerissen.« Er deutete hinaus, wo sich Finsternis ausgebreitet hatte und die Wassermassen tobten. Irgendwo trieb eine kleine, tote Sonne. »Mein Gott«, stammelte Bjo. »Sie haben einfach den Schirm abgeschaltet und die Schäfer und ihre Tiere dem Tod ausgeliefert!«
6. Vorsichtig öffnete Fallund Kormant die Augen. Um ihn herum war es düster. Undurchdringliche Schwärze lag vor ihm, nur leicht aufgelockert durch das Schimmern des Schutzschirms hinter ihm. Wie eine flammende Glocke lag die Kuppel da, versperrte ihm den Rückweg und machte ihn für kurze Zeit frei. Entschlossen stieß der junge Mann sich aus der Schleuse ab, die sich sofort hinter ihm schloß und das eingedrungene Wasser absaugte. Langsam trieb er davon, die Anpassung seines Körpers an den hohen Wasserdruck hatte reibungslos geklappt. Seit langer Zeit war es das erste Mal, daß er ohne die Zuhilfenahme eines Unterwasseranzugs den schützenden Planeten verließ, völlig ohne technische Ausrüstung. Nur die Möglichkeiten seines eigenen Körpers standen ihm zur Verfügung. Ein Körper, der nicht mehr viel wert war, wenn er seinen eigenen Beobachtungen trauen durfte. Es war ihm nicht möglich gewesen zu entscheiden, ob die Ordnungshüter ihre Gefangenen nur betäubt oder auch getötet hatten. Nein, so grausam konnte kein Nuun sein. Sie würden sie der
Bewahrerin zur Verurteilung übergeben. Fallund Kormant streckte die Arme aus. Er begann zu schwimmen. Wie ein Schiff durchstieß er den Ozean, dessen Druckverhältnisse von seinem Körper mühelos kompensiert werden konnten, solange er seine Gleichgewichtsorgane wie Ohren und Nase geschlossen hielt. Er benutzte seinen organischen Empfänger und lauschte auf Botschaften, die ihm zeigten, daß sie ein Schiff gerufen hatten, das seine Verfolgung aufnahm. Das Schiff, das sie von unten über dem Schirm gesehen hatten, wo war es? Der »Grüne Mantel« war tot. Keine Botschaft durcheilte ihn, obwohl die Reichweite der organischen Sender in ihm noch immer 3 000 bis 4000 Trockenschritte betrug. Das besagte nichts. Die Ordnungshüter waren unterwegs, um ihn zu fangen, sie näherten sich lautlos, ohne sich zu verraten. Er würde sie erst erkennen, wenn sie wenige Trockenschritte von ihm entfernt waren. Naßschritte! korrigierte er sich. Hier sind es Naßschritte. Fallund tauchte unter. Er verschwand in der Finsternis und hatte Mühe, nicht die Richtung zu verlieren. Er mußte die übernächste Stadt erreichen und seine Verfolger ablenken. Der junge Nuun glitt wie ein Pfeil durch das Wasser. Er fragte sich, warum er das alles tat, warum es die Untergrundbewegung gab. Sie übte eine gewisse Faszination auf ihn aus, wenn er auch von der Verwirrung und Unsicherheit in ihren Reihen enttäuscht war. Er verstand, daß es an einer Führungspersönlichkeit mangelte, die den Weg aufzeigte, der beschritten werden mußte. Eine Persönlichkeit, die der Tautilla Fassyns standhalten und begegnen konnte. Nur die offene Auseinandersetzung über den Sinn des derzeitigen Systems konnte eine Lösung herbeiführen. Eine Lösung, nach der es keine Angst mehr gab. War es das, was er wollte? Die Angst vor dem »Feind«, war eine Triebkraft, die nach innen
wirkte. Der Gegner von außen wirkte verbindend und einigend, doch die Zeit hatte das Bewußtsein dafür überdauert. Es verblaßte. Korlund, Korlund! Das Signal widerholte sich, und Fallund brauchte Zeit, bis er entdeckte, daß es ihm galt. Nach wenigen Bruchstücken eines Lichtteils kehrte es wieder. Der junge Nuun nahm einen Schatten vor sich wahr und wich instinktiv aus. Er ließ sich nach unten sacken, der Helligkeit einer Kuppel entgegen. Es war bereits die nächste Stadt. Der Schatten entpuppte sich als ein Stück Kunststoff, das irgend jemand verloren hatte. Möglicherweise gehörte es auch zu einem der Schiffe. Wieder empfing er das Signal. Es kam ganz aus der Nähe, und er ließ sich endgültig dem Planetenboden entgegensinken, um die Schleusen zu prüfen. Aus sicherer Entfernung beobachtete er, immer hoffend, daß sie ihn nicht mit Peilgeräten orteten. Keine Verfolger hatten sich bisher sehen lassen, sie machten sich gar nicht die Mühe. Sie wußten, daß er nach einer halben Stunde wiederzurückkehren mußte, um Luft zu schöpfen. Sie brauchten nur die Schleusen zu bewachen. Korlund! Jemand hatte zwei Teile seines Namens gewählt, um ihm ein Zeichen zu geben. Es konnte auch eine Falle sein. Druckwellen in seinem Rücken ließen ihn zurückblicken. Etwas Dunkles, Unsichtbares kam auf ihn zu. Es mußte ganz nahe sein. Die Wellen trieben ihn vor diesem Ding her. Und da sah er es. Es war eines der kleinen Erkundungsboote, wie sie an den Schiffen verankert waren. Keine zehn Naßschritte hinter ihm schälte es sich aus dem »Grünen Mantel«, und kam auf ihn zu. Gespenstisch wirkte es in seinen lautlosen Bewegungen. Fallund Kormant erreichte den Boden in der Nähe des Schirmes und schnellte sich weiter. Ein Wirbel erfaßte ihn und drückte ihn fast gegen den tödlichen Energievorhang. Er ahnte die Verdickung
mehr, als daß er sie sah, und begriff, daß er eine Schleuse vor sich hatte. Schräg über ihm kam das Boot zur Ruhe. Der junge Nuun stieß unsanft gegen die verdichtete Energie des äußeren Schirmes, der augenblicklich erlosch. Er warf sich in die Schleuse und wartete geduldig, daß das Wasser abgesaugt wurde und der Druckausgleich stattfand, damit er sich anpassen konnte. Nur kurze Zeit benötigte er dazu, denn er war jung und widerstandsfähig. Endlich war die Schleuse leer, und er konnte verschwommen ein paar Einzelheiten der Stadt wahrnehmen. Nirgends schimmerten gelbe Farben von Uniformen, aber draußen drohte noch immer das Erkundungsboot. In die Falle gegangen, dachte Fallund Kormant. Es ist aus! Er sah keine Fluchtmöglichkeit und fand sich mit dem Gedanken ab, bald der Bewahrerin gegenüberzustehen. Er mußte sie von seinen Ansichten überzeugen. Entschlossen berührte er die Innenschleuse und trat in die Stadt hinein. Weit und breit sah er keinen Nuun, aber unter dem Eingang zu dem ihm nächstliegenden Gebäude hing ein Schatten, unkenntlich. Er winkte zu ihm herüber. Korlund! vernahm der junge Mann wieder die Aufforderung. Er eilte hinüber und blieb wie angewurzelt stehen. »Du?« rief er aus. Es war einer der fünf, die ihn im Gemeinschaftskessel des Hyperfusionskraftwerkes ausgefragt hatten.
* Draver Malad zog ihn hastig in das Gebäude hinein. Im Halbdunkel hielt er an. »Wir gehören einer überregionalen Widerstandsgruppe an«, flüsterte er. »Alle fünf, die du im Gemeinschaftskessel
kennengelernt hast. Unsere Organisation arbeitet nicht mit dem Alten zusammen, hält aber Kontakte zu Mitgliedern seiner Gruppe.« »Damit ist es jetzt vorbei«, sagte Fallund Kormant. Er berichtete, wie es sich ereignet hatte. Malad senkte den Kopf. »Wir haben nicht mit so etwas gerechnet«, gab er zu. »Lediglich eine kurze Signalinformation unseres Mittelsmanns hat uns davon in Kenntnis gesetzt, was geschah. In allen näheren Kuppeln steht einer von uns bereit, dich zu empfangen. Jetzt bist du da!« »Jolans Begond!« stieß Fallund hervor. »Nur er kann es gewesen sein!« Draver Maid zog Kormant weiter, durch das Gebäude hindurch und einen Hinterausgang hinaus. Sie befanden sich in einem blühenden Garten, der von allen vier Seiten von Gebäuden begrenzt wurde. Gemüse und Blumen wuchsen hier in überreichem Maß und verströmten einen verzaubernden Duft. »Was soll jetzt geschehen?« sagte Fallund. »Wohin bringst du mich?« Malad führte ihn zu einer kleinen Buschgruppe in der Mitte der Gartenanlage. Dort legte er sich auf den Boden. »Tu es mir nach« befahl er. »Ich muß dich unbemerkt aus dieser Stadt hinausbringen.« Der Techniker Erster Klasse tat es und beobachtete, wie Malad eine vom Gras verdeckte Öffnung freilegte. Er hob ein Stück des Bodens an und zog einen Deckel weg. Eine Öffnung gähnte darunter, breit genug, um einen Nuun durchzulassen. Draver stieß ihn an und machte ihm mit dem Kopf Zeichen, hineinzusteigen. Er folgte und brachte den Deckel wieder in seine ursprüngliche Lage. Es ging eine metallene Leiter hinab, bis Fallund nach ungefähr fünfzehn Trockenschritten Boden unter den Füßen spürte. Etwas kratzte und schabte, dann flammte ein kleines Licht auf. Draver Malad hielt eine kleine Lampe in der Hand.
»Was die Ordnungsmacht kann, können wir schon lange«, sagte er. »Wir befinden uns in einem alten Kanalsystem, das es nur unter dieser Stadt gibt. Vielleicht besitzen andere Städte etwas Ähnliches, es wurde nur noch nicht entdeckt.« »Was hat es für eine Bedeutung?« fragte Fallund fassungslos. »Es kann doch nichts mit der Energieversorgung zu tun haben!« »Es muß aus alter Zeit stammen. Wir wissen es nicht«, erklärte Draver und setzte sich in Bewegung. Fallund Kormant folgte ihm nachdenklich. Seine Gedanken schweiften ab in ferne Regionen. Er stellte sich vor, daß die Kanäle aus einer Zeit stammten, von der auch die Gerüchte berichteten. Sie sahen aus wie Stollen, in denen die Nuun eine letzte Zuflucht vor dem »Feind« finden konnten. Dann waren sie vor langer Zeit bereits einmal benutzt worden. Das bedeutete aber … »In diesen Systemen muß es Hinweise auf unsere Vergangenheit geben«, sagte der junge Nuun plötzlich. »Habt ihr nichts gefunden?« Malad blieb stehen und leuchtete ihn an. Aus verkniffenen Augen musterte er ihn. »Nein«, brummte er. »Nichts außer dem Skelett eines Mannes. Er muß sich in dem unübersehbaren Labyrinth verirrt haben und jämmerlich verhungert sein.« Fallund spürte eine Gänsehaut über seinen Rücken kriechen, und er fragte sich, ob die Opfer und Gefahren, die ein jeder Aufrührer auf sich nahm, es wert waren. Bedurfte es wirklich nur eines geringen Anlasses, um von der Bewahrerin verurteilt zu werden? Immer mehr glaubte der Techniker Erster Klasse zu verstehen, daß die Mitglieder der einzelnen Untergrundgruppen es bisher falsch gemacht hatte. Sie hätten an die Öffentlichkeit treten sollen, um diese zu überzeugen. Gemeinsam wäre das Volk in der Lage gewesen, von Tautilla Fassyn oder einem ihrer Vorgänger eine Antwort auf die drängenden Fragen zu verlangen. Die Bewahrerin
enthielt das »Licht der inneren Quelle« ihrem Volk vor. Kormant blieb unvermittelt stehen. »Ich glaube, wir kommen so nicht weiter«, erklärte er. »Ich werde mich stellen und mit der Bewahrerin reden. Es kann doch nicht so schwer sein, sie zu überzeugen.« »Du bist ein Träumer«, stellte Draver Malad fest. »Du glaubst, mit Worten eine Welt bewegen zu können. Aber du mußt den Beweis antreten, daß es den ›Feind‹ nicht mehr gibt. Und dazu bleibt dir keine andere Wahl, als die Welt und den ›Grünen Mantel‹ zu verlassen. Damit setzt du unser Volk gleichzeitig der Entdeckung aus.« »Es gibt den ›Feind‹ nicht mehr«, beharrte Fallund. »Er existiert nur noch in unserer Einbildung. Du wirst es sehen, wenn wir den Wassermantel verlassen und zu jenem sagenhaften Planeten fliegen, der der zweite Planet genannt wird.« »,Retter' ist in der Tat ein wesentlicher Bestandteil der Gerüchte über unsere Vergangenheit.« Malad seufzte. »Hättest du doch recht …« Sie kamen an eine schwere Metalltür, und der ältere Nuun öffnete sie mit einem Schlüssel. Das Schloß quietschte und ächzte, gab aber nach. Sie schritten durch die Öffnung, und Malad verschloß die Tür gewissenhaft. Etliche tausend Trockenschritte legten sie zurück, dann schimmerte es in der Ferne hell. Malad schaltete die kleine Lampe aus. Der Kanal endete in einem Brunnenschacht. Es gab keine Leiter, dafür kleine Lücken in der Wand, die als Handgriffe und Fußstützen beim Aufstieg benutzt werden konnten. Zwei Trockenschritte unter dem oberen Brunnenrand hörten die Lücken auf. »Ich brauche Hilfe!« Fallund sah seinen Begleiter bittend an. »Ich benötige ein Schiff, um die Wahrheit zu finden. Kannst du mir deine Leute zur Verfügung stellen?«
Draver Malad hatte bereits begonnen emporzuklimmen. Jetzt ließ er sich mit einem Satz zu Boden zurückfallen. »Du bist verrückt!« stellte er fest. »Hast du eine Ahnung, was auf dich zukommt, wenn du das tust? Der Tod! Die Bewahrerin wird dich in den sagenhaften Höllenschlund stecken, aus dem keiner zurückkehrt!« Fallund Kormant nickte betrübt. »Als ich mich entschlossen hatte, den Anfang zu machen, wußte ich, daß es mit Gefahren verbunden sein würde«, teilte er Malad mit. »Ich begriff, daß ich mich gegen die Ordnung des Staates und seiner Bewahrerin stellte. Ich war schneller gezwungen, an die Öffentlichkeit zu treten, meinen Namen preisgegeben zu wissen, als beabsichtigt. Jetzt bin ich ein Gejagter!« Er konnte nicht mehr zurück. Aufgabe bedeutete jetzt, sich selbst untreu zu werden und ein Versprechen nicht einzulösen, das er schweigend gegeben hatte. Nur eines stimmte nicht mehr. Verema befand sich nicht mehr an seiner Seite. Kein einziges Mal seit ihrer Trennung hatte er eine organische Botschaft von ihr aufgefangen. Es machte ihn verzweifelt und ließ ihn einen Teil seiner früheren Vorsicht und Zurückhaltung vergessen. Sie stiegen empor und verließen den Brunnen. Fallund stellte erstaunt fest, daß sie sich nicht mehr in der Stadt befanden, sondern in einer weiter entfernten Kuppel, unter der Viehweiden eingerichtet waren. In der Nähe befand sich ein Energietunnel, und über diesem hingen fünf der riesigen Unterwasser-Schlachtschiffe, die den »Grünen Mantel« unablässig durchwühlten und seit Tausenden oder Zehntausenden von Planetenläufen darauf achteten, daß niemand von außen in ihn eindrang oder von innen hinaus wollte. Jedes dieser Schiffe bestand aus einem Hauptzylinder mit aufgesetztem Zentralkopf, zwei seitlich integrierten Landewalzen, die ebenfalls über Köpfe verfügten sowie einer Landeplattform, auf der Erkundungsboote verankert werden konnten. Ein Schlachtschiff
führte meistens zwei dieser Boote mit sich. Bewaffnet waren die mobilen Teile mit Minen- und Torpedowerfern sowie Energiegeschützen. Die fünf Schiffe ruhten bewegungslos im Wasser, als warteten sie auf etwas. Sie boten sich regelrecht an. Fallund Kormant hatte sich entschlossen. »Du hast mir die Flucht ermöglicht, ich danke dir dafür«, sagte er zu Draver Malad. »Du kannst zurückkehren, ich werde meinen Weg allein weitergehen!« »Du willst also tatsächlich …? Nein!« »Eines dieser Schiffe dort wird bald seinen Platz verlassen und in den Bereich des Nichts vorstoßen, der den »Grünen Mantel« von außen umgibt«, sagte der junge Nuun mit fester Stimme. »Sammelt euch und wartet auf meine Rückkehr. Ich werde dann eure Hilfe brauchen!« Als er wieder emporblickte, waren die Schiffe verschwunden.
* Das helle Singen eines unbekannten Geräts ließ die beiden Nuun her umfahren. In der Mündung des Energietunnels drängten sich gelbe Gestalten. Die Ordnungshüter hatten sie entdeckt und schossen mit einer unbekannten Waffe auf sie. Aus den Augenwinkeln heraus sah Fallund noch, wie Draver Malad ächzend zusammenbrach, dann hechtete er sich hinter die niedrigen Büsche und verschwand in der Deckung einer leichten Bodenerhebung, die den Beginn einer hügeligen Landschaft markierte, die die Kuppel ausfüllte. Überall war der teilweise abschüssige Boden mit saftigem Gras bewachsen, an den Hängen und in den Senken weideten bärtige Grubogs, aufmerksam behütet von einzelnen Nuun, die die hellblauen Farben der Schäfer auf ihrer Kleidung trugen. Fallund Kormant rannte im Zickzack zwischen den Bodenwellen
entlang. Er suchte mit den Augen nach der nächsten Schleuse, erkannte, daß sie für ihn unerreichbar war. Die Verfolger waren ihm diesmal dichter auf den Fersen als bei seiner ersten Flucht. Immer tiefer geriet er in die Hügelregion hinein, und als er nach einem fünftel Lichtteil endlich anhielt, stellte er zu seiner Verwunderung fest, daß die Gelben ihm gar nicht gefolgt waren. Im Gegenteil, es sah so aus, als ob sie sich in den Energietunnel zurückgezogen hätten, dessen vorderer Teil in einem Hügeleinschnitt sichtbar war. Dafür machte er eine andere Entdeckung, die ihn noch weiter verwirrte. Die Schäfer rannten. In weiten Sätzen eilten sie dem Energietunnel zu, warfen ihre Stäbe von sich, ließen die Tiere im Stich, die sich unruhig an den Hängen bewegten und zusammenscharten. Der junge Nuun blickte sich suchend um. Er wußte nicht, daß sich vor ihrer Ankunft unter der Weidekuppel etwas ereignet hatte, das alle seine Pläne umwerfen würde. Er eilte hinüber auf den nächsthöheren Hügel, drängte sich an ein paar Dutzend Grubogs vorbei, die ihm automatisch nachliefen. Fallund konnte nicht erkennen, was die Ursache ihres Verhaltens war. Er rief den Schäfern nach, aber sie antworteten ihm nicht. Stumm, die Augen wie hypnotisiert nach vorn gerichtet, hasteten sie zum Tunnel, erreichten ihn aber nicht mehr. Fallund Kormant wurde von der ihm folgenden Herde angerannt. Er stürzte und kollerte den Abhang hinab, blieb unten für einen Augenblick benommen liegen. Er raffte sich auf und erstarrte zur Bewegungslosigkeit. Keine fünfhundert Trockenschritte entfernt stand das »Schiff«. Es leuchtete in dunklem Farbton herüber. Der Techniker Erster Klasse wußte sofort, daß es kein Schiff seines eigenen Volkes war. Die Form war fremdartig, in jeder Einzelheit widersprach es den Vorstellungen, die ein Nuun von der Bauweise eines Schiffes besaß. Fallund Kormant zuckte wie unter einem elektrischen Schlag
zusammen. Die Erkenntnis überwältigte ihn innerhalb eines Augenblicks. Nie zuvor hatte jemand aus seinem Volk ein solches Schiff gesehen, es sei denn in ferner Vergangenheit. Die Gerüchte besagten nichts über das Aussehen der »Schiffe«, aber es gab keinen Zweifel. Das Schiff hatte die Abwehreinrichtungen und die Schutzschirme des Planeten mühelos durchdrungen. Jetzt stand es da, auf der Oberfläche, und in seiner Nähe bewegten sich kleine Gestalten mit merkwürdig steifem Gang. Fallund drohten die Sinne zu schwinden. Sein Verstand zog ihn mit aller Gewalt zu der rettenden Schleuse des Energietunnels hin, die jetzt geschlossen war und ihm keine gelben Uniformen mehr zeigte, nur die rennenden Schäfer, die noch auf Durchlaß hofften. Sein Körper aber gehorchte ihm nicht mehr. Die Füße klebten ihm am Boden, seine Knie zitterten. Es war aus! Der Traum von der Zukunft, er war vorbei. Fallund starrte aus weit aufgerissenen Augen auf das Boot, mit dem der »Feind« gekommen war. Die kleinen Gestalten, bewegten sie sich nicht auf ihn zu? Der junge Nuun spürte, wie sich in ihm alle Urängste regten, die er durch seine Vernunft verdrängt geglaubt hatte. Sie stiegen empor an die Oberfläche seines Bewußtseins und überschwemmten ihn mit einer Woge, die ihn hilflos machte und ihm die Erkenntnis vermittelte, daß er gegen die Fluten aus seinem Innern keinen Schutz besaß. Fast gleichzeitig wurde es um ihn herum dunkel. Fallund riß die Augen auf. Der Schirm und die Sonne über dem Weideland waren erloschen! Dröhnend stürzte der »Grüne Mantel« herab, verdrängte die Luft und komprimierte sie am Boden. Der junge Nuun fand gerade noch Gelegenheit, seine Ohren und Nasenflügel zu schließen und seinen Körper dem zu erwartenden Schlag anzupassen, dann hatten die Urgewalten den Boden erreicht und ließen den Planeten aufstöhnen.
Fallund wurde wie ein welkes Blatt davongerissen, und er hielt die Augen geschlossen. Wie in Todesangst aktivierte er seinen organischen Empfänger und lauschte, während sich in ihm immer mehr das Gefühl unendlicher Leichtigkeit breitmachte. Er vernahm die verwirrten Sätze der Schäfer, die sich zu orientieren versuchten. Sie jammerten um den Verlust der Tiere. Verzerrt gelangten die lautlosen Stimmen der Ordnungshüter zu ihm, die sie aufforderten, zur Schleuse am Energietunnel zu kommen, um den Weg für den Angriff frei zu machen. Angriff? Vorsichtig öffnete Fallund die Augen. Er sah den Schirm des Tunnels vor sich und steuerte darauf zu. In seiner Nähe schwammen mehrere Männer und betrachteten ihn erschreckt. Wenn wir den Feind angreifen können und ihn vernichten, wird er uns dann in Ruhe lassen? fragte Kormant sich. Er hörte, daß viele Schiffe sich näherten und in Gefechtsposition gingen. Die gesendeten Worte ihrer Besatzungen informierten ihn, nach welcher Taktik sie vorgingen. Aber es waren Zögern und Angst in ihnen, die sie hemmten. Kämpft! schrie der Techniker Erster Klasse innerlich. Wehrt euch gegen die Fremden, verjagt sie! Was konnte so ein kleines Boot wie das des »Feindes« schon gegen die Übermacht der Schlachtschiffe ausrichten. Fallund Kormant ließ sich mit den Schäfern in den Tunnel treiben, dessen Schleusenschirm sich augenblicklich wieder aufbaute. Eine Anordnung erreichte sie, daß sie die Stadt aufzusuchen hatten, da auch der Tunnel abgeschaltet würde. Angst? dachte Fallund verunsichert. Wozu haben wir Angst, wenn das alles ist, was der »Feind« zu bieten hat? Siegesgewißheit war plötzlich in ihm, aber auch der Schmerz über den eigenen Irrweg, auf dem er sich befunden hatte. Es gab den »Feind«, er hatte ihn mit eigenen Augen gesehen. Der »Feind«, war gekommen. Er hatte ihre Welt entdeckt. Das war
das eigentlich Tragische an dem Vorgang. Vielleicht bildete das kleine Boot nur eine Vorhut, die erkundete. Tautilla Fassyn hat recht, gestand er sich ein. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Fehler zuzugeben und um eine gerechte Bestrafung zu bitten.
7. »Nichts, wirklich nichts?« Die Frage klang zaghaft und bedrückt. »Nein, Sanny«, erwiderte Bjo tonlos. »Ich kann keine Gedanken Federspiels erkennen.« Die POLYP hatte mühsam abgehoben und driftete langsam über die Hügel hinweg. Ihre Besatzung suchte nach Sternfeuers Bruder und hoffte, daß er in seinem Kampfanzug das Toben der Naturgewalten überstanden hatte. Die Aquarianer hatten brutal den Schirm abgeschaltet, der die Kuppel über dem Weideland gebildet hatte. Vereinzelt kamen Echos in der Jet an, sie stammten von den Kadavern der Tiere. Atlan arbeitete mit Hage Nockemann an der Funkanlage. Sie versuchten auf allen Bereichen Kontakt mit den Bewohnern des Planeten herzustellen. Bjo steuerte die Jet hinüber zu der nächsten Energiekuppel, unter der sie die Umrisse einer Stadt ausmachten. Noch immer suchten sie nach dem in seinem Anzug gut ortbaren Federspiel, doch sie fanden ihn nicht. Es schien, als könnten sie die Mauern des Wassers nur unzureichend durchdringen. »Es ist merkwürdig, daß wir auch keine Leichen der Aquarianer finden«, sagte Bjo nach einer Weile. »Es müssen mehrere Dutzend sein, die vom Wassereinbruch überrascht worden sind.« Den Mitgliedern des Atlan-Teams war es nur durch Sannys Warnung gelungen, rechtzeitig in die Jet zurückzukehren. Lediglich Federspiel war vom Traktorstrahl nicht mehr voll erfaßt worden.
Atlan wandte sich von der Funkanlage ab und blickte die vier Solaner ernst an. »Wir dürfen nicht mehr so leichtsinnig sein«, sagte er, »wenn wir auch an unserem Ziel festhalten sollten. Die Aquarianer betrachten uns als ihre Feinde. Die Schleuse in der Kuppel war eine Falle, in die wir arglos geflogen sind.« »Du hoffst noch immer auf einen Hinweis für die Rückkehr in unser eigenes Universum?« fragte Hage. Atlan bejahte. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtete er sein ganzes Handeln. Er rechnete sich aus, daß sie nicht mehr viele Anknüpfungspunkte erhalten würden, um eine solche Spur zu finden. Vielleicht waren die Aquarianer sogar die letzte. Also mußte unter allen Umständen ein Kontakt hergestellt werden. Er machte es seinen Gefährten begreiflich, stieß jedoch auf Skepsis. Argan U meinte: »Wir sollten besser gleich zur SOL zurückkehren.« Sie konnten es nicht, solange sie Federspiel nicht gefunden hatten. Niemals wäre es ihnen eingefallen, einen Gefährten im Stich zu lassen. Sie mußten ihn suchen und notfalls befreien. Sie mußten die Aquarianer von ihren friedlichen Absichten überzeugen. Alarm schrillte durch die Space-Jet und ließ sie zusammenfahren. Ein riesiger Schatten tauchte auf, der auf den Optikschirmen zunächst wie ein schwerfälliger Fisch aussah. Sogleich aber entpuppte er sich als Schiff von gigantischen Ausmaßen. Es bestand aus drei nebeneinander liegenden Walzen, die nach vorn durch einen kugelförmigen Kopf begrenzt waren. Die Länge des Gesamtschiffes betrug 812 Meter, seine Breite 185 Meter. »Für ein Unterwasserboot ist es viel zu groß«, stellte Bjo fest und zog die POLYP schräg nach oben davon. Nach einem Blick auf die Geräte stöhnte er unterdrückt auf. Das Schiff der Aquarianer war ihnen ohne Schwierigkeiten gefolgt. In seine Schutzschirme gehüllt, raste es hinter der kleinen Space-Jet her. Mehrere Energieemissionen wurden angemessen.
»Ausweichen!« schrie Atlan. »Wir werden beschossen!« Mehrere torpedoähnliche Geschosse rasten heran, von den beiden außen liegenden Walzen züngelten Energiefinger nach der Jet. Bjo belastete die Triebwerke auf das Höchste. Er durfte ihre Leistungsgrenzen nicht überschreiten, da die Kraftstationen die Energie dann den Schutzschirmen entzogen hätten. Noch schützten diese vor den heranrasenden Geschossen. Ein Knattern und Rauschen drang aus den Lautsprechern, die mit der Funkanlage gekoppelt waren. Es kam auf UKW herein und klang verzerrt. Atlan schaltete sofort die Translatoren dazwischen und wartete ungeduldig auf die ersten Ergebnisse. Inzwischen sank die POLYP erneut der Stadt unter ihr entgegen. Bjo Breiskoll brachte sie ganz in die Nähe des Energieschirms, und die Aquarianer reagierten sofort. Sie stellten den Beschuß ein, denn sie wollten ihre Heimat nicht gefährden. Wütende Schreie drangen aus den Lautsprechern, die ersten Worte waren von den Translatoren erkannt und übersetzt worden. Es waren eindeutig Zeichen der Wut und der Angst, die darin zum Ausdruck kamen, vermischt mit Absichtsäußerungen, den »Feind« zu vernichten. Die Aquarianer waren wie blind in ihrer Absicht. Hage Nockemann stand hinter Atlan und sah ihm über die Schulter, wie der Arkonide die Bandspeicherung zurücklaufen ließ und eine zweite Auswertung durch die Translatoren vornahm. Dann begann er, die Justierung der Empfangsantennen zu verändern. »Ein fürchterliches Durcheinander«, murmelte er. »Es scheint, als besäße jeder einzelne Aquarianer in diesem Schiff eine eigene Sendeanlage mit mehreren Mikrofonen. Alles schreit durcheinander, und doch treten bei der Schiffsführung keine Schwierigkeiten im Verständnis auf. Was ist da los?« Fledermäuse!, sagte der Extrasinn. Es erinnert dich an Fledermäuse! Der Gedanke war zu phantastisch. Aber war es tatsächlich ausgeschlossen, daß sich die Bewohner der Unterwasserwelt mit
organischen Sendern im Ultrakurzwellenbereich unterhielten? Die Ortung zeigte, daß sich fünf weitere Schiffe derselben Bauart näherten. Bjo zog es vor, die Flucht zu ergreifen. Er flog das Boot über der Kuppel entlang auf die andere Seite der Stadt, aber auch dort waren sie nicht in Sicherheit. Von allen Seiten näherten sich plötzlich die Unterwasserschiffe. Wie alte Schlachtschiffe! dachte Atlan. Das Durcheinander im UKW-Bereich hatte noch zugenommen. Mit Ausnahme weniger, verzerrter Impulse kamen sie alle aus den Fahrzeugen der Wesen. Die Jet setzte sich ein Stück ab und entfernte sich von der Stadt in eine Region, in der es mehrere Schluchten in der Oberfläche des Planeten gab. Breiskoll ortete teilweise Tiefen bis zu dreißig Kilometern, ein ideales Versteck für die kleine POLYP. Er steuerte die Jet hinab und ließ sie auf den Grund einer der Schluchten sinken. »Wir sind vorläufig in Sicherheit«, sagte er erleichtert. Das Durcheinander in den Lautsprechern war verstummt, die Felsen ließen keine Funkimpulse durch. Das Atlan-Team wußte, daß es hier nicht ewig bleiben konnte. Irgendwann mußte es wieder an die Planetenoberfläche zurückkehren und sich auf die Suche nach Federspiel machen. Der Solaner war spurlos verschwunden. Sie hofften nur, daß er die Katastrophe überlebt hatte. »Wir sollten uns um Federspiel kümmern und uns dann verziehen«, schlug Hage Nockemann vor. »Die Aquarianer lassen nicht mit sich reden. Sie benehmen sich wie Verrückte. Die Angst macht sie blind.« Atlan glaubte nicht, daß es allein die Angst war. Andere, wesentliche Gesichtspunkte mußten eine Rolle spielen, die sie nicht kannten. Dennoch, der Kontakt war gefährlich. Du begehst erneut den Fehler, daß du dich auf deine Erfahrung verläßt, meldete sich sein Extrasinn wieder. Du besitzt keine Erfahrung für das Sternenuniversum. Deine Taktik muß hier versagen. Finde Federspiel und
ziehe dich zurück. Atlan warf trotzig den Kopf zurück. Es war möglich, daß er die Gefahr für sein Leben und das seiner Begleiter unterschätzte, aber es gab etwas anderes, das ihn trieb. Der Arkonide erkannte in diesem Augenblick ganz klar, daß er die Aufgabe der Kosmokraten an die oberste Stelle seines Handelns gesetzt hatte. Sie zu erfüllen, bedeutete für ihn, möglichst schnell in das eigene Universum zurückzukehren. Vor Erregung traten dem Arkoniden Tränen in die Augen, und er wischte sie weg. Nur die eine Möglichkeit gab es. Alles andere war feige Flucht. »Wir müssen ihnen die Angst nehmen, Hage«, sagte er. »Das ist alles, was wir tun können.« Sie blickten ihn fragend an. Sie erwarteten, daß er ihnen mitteilte, wie er das anstellen wollte. Aber das wußte der Arkonide im Augenblick selbst nicht. So blieb nur das Warten. Warten darauf, daß sich die Schlachtschiffe der Aquarianer zurückzogen, oder daß sie die Jet in ihrem Versteck entdeckten.
* Als sie den Angriff erkannten, war es fast zu spät. Ein ovales Boot glitt die Schlucht entlang auf sie zu, von der anderen Seite näherte sich ein zweites. Der Form nach waren es unverkennbar zwei Bugköpfe eines der großen Schiffe. Sie eröffneten sofort das Feuer auf die POLYP. Atlan ordnete den Rückzug an, aber er war nicht mehr möglich. Ein Durchstart nach oben wurde durch ein drittes Boot des Gegners vereitelt. Die Schutzschirme der Space-Jet glühten im konzentrierten Beschuß auf. Bjo, der noch immer die Steuerung bediente, schaltete
alle zwölf zusätzlichen Schutzschirmprojektoren ein. Dennoch stiegen die Belastungswerte an verschiedenen Stellen der Schirme beträchtlich an. »Punktbeschuß!« zischte er. »Sie versuchen den Schirm zu knacken.« Noch immer zögerte Atlan. Erst, als Hage mit den Händen nach den Kontrollen der Bordgeschütze griff, kam Leben in ihn. Zusammen mit dem Galakto-Genetiker bediente er die Impulskanonen und jagte eine Salve nach der anderen hinaus. Sie konzentrierten sich ebenfalls auf fest umrissene Ziele, und was sie nie erwartet hätten, trat ein. Die drei Schiffsspitzen zogen sich fluchtartig zurück, verschwanden in den Tiefen der Schlucht und entzogen sich damit der Ortung. »Das ist die richtige Gelegenheit zur Flucht«, bemerkte Nockemann, doch Atlan warf ihm einen zornigen Blick zu. »Bjo, wir tauchen auf«, sagte er mit fester Stimme. Die POLYP verließ den Grund der Schlucht und kehrte an die Oberfläche des Planeten Aqua II zurück. Sofort stürzten sich die riesigen Schiffe auf sie. Atlan tauschte mit Breiskoll. Er übernahm die Steuerung und jagte die Jet über die Schutzschirme der Städte hinweg, legte etliche tausend Kilometer auf diese Weise zurück. Immer waren die Schlachtschiffe in seiner Nähe, und nie wagten sie, auf ihn zu zielen, da sie die Energieschirme getroffen hätten. Wenn sie auf unsere Funkanrufe nicht eingehen, drehe ich den Spieß um. Es muß zu einer Verhandlung und Aussprache kommen, überlegte Atlan. Ich werde auf die Schirme schießen und den Gegner dadurch zum Rückzug zwingen. Der Gedanke war übereilt. Er wollte es in Wirklichkeit gar nicht. Noch immer handelte er in dem Gedanken, daß ein friedlicher Kontakt zu den Aquarianern möglich war. Dann machte er eine Entdeckung, die ihn bedenklich stimmte.
Vier der riesigen Schiffe teilten sich. Unter hellen Blitzen sprengten sie die Außenwalzen ab, die Bugköpfe der Mittelwalzen lösten sich ebenfalls, und von einer Plattform stiegen mehrere kleine Boote auf, die nur wenig größer waren als die Jet. Pfeilschnell schossen sie heran und versuchten, die POLYP von den Kuppelschirmen abzudrängen. Auch die kleineren Walzen entwickelten eine beachtliche Geschwindigkeit. Sie umzingelten die dahinrasende Space-Jet und schirmten sie kugelförmig ab. »Sollen wir noch immer verhandeln?« schrie Nockemann erbost. »Warum sagt Sanny nichts?« Die Molaatin antwortete nicht, starr saß sie in einem Sessel und blickte hin und her. Endlich schien Atlan zu begreifen, daß längeres Zaudern keinen Sinn mehr hatte. Er gab Feuerbefehl und steuerte in einem waghalsigen Manöver eine noch gebliebene Lücke an. Hartgeschosse und Strahlen prasselten auf die POLYP ein, aber noch hielten die Schutzschirme. Dafür gelang Bjo wie durch ein Wunder ein Treffer. Eine der kleinen Walzen brach plötzlich auseinander. Explosionen waren zu erkennen, Teile des Schiffes taumelten nach allen Seiten auseinander. Aquarianer waren zu erkennen, die zunächst hilflos wie Puppen umhertrieben, dann jedoch mit kräftigen Schwimmbewegungen das Weite suchten. »Seht nur!« rief Sanny. »Sie können unter den hohen Druckverhältnissen existieren!« Die braunen Wesen wurden durch das Wasser nicht zerquetscht, dann waren auch die Schäfer nicht getötet worden. Die Aquarianer waren nicht brutal und gewissenlos, wie es geschienen hatte. Der Verlust des Schiffes ließ die Wesen kurze Zeit zaudern. Atlan nutzte es aus und entkam der Umklammerung. Wieder befand sich die Space-Jet auf der Flucht, strebte der nächsten Stadt entgegen. Nur ein einziges der Riesenschiffe legte sich ihr in den Weg, und es brachte den Untergang, ohne daß sie es ahnten.
Schräg über dem Schirm der Stadt kam es zur Entscheidung. Das Schlachtschiff feuerte aus allen Rohren, hüllte die POLYP in einen Kegel aus vernichtender Energie, der ihr stetig folgte, wohin sie auch auswich. »Du mußt das Geschütz am Kegel hinter dem Mittelkopf treffen«, sagte Sanny plötzlich. »Dort sind Minen gelagert. Damit kannst du das Schiff zerstören!« Atlan nickte grimmig, und Bjo und Hage justierten ihre Geschütze. Mit einem Mal ließ Breiskoll die Arme sinken. »Federspiel ist dort drüben!« stöhnte er. »Nicht schießen!« rief Atlan schnell. Ein gewaltiger Schlag erschütterte die Space-Jet. Sie hörten, wie die Schirme zusammenbrachen und die Kraftstationen explodierten. Atlan schloß krachend seinen Helm. Die POLYP brach auseinander und zog ihnen den Boden unter den Füßen weg. Wie Papier wurden sie davongeschleudert, und die Schwärze des Ozeans hüllte sie ein.
* Das erste, was Atlan wieder registrierte, war das schrille Heulen seines Andrucksneutralisators. Er riß die Augen auf und versuchte, die Gürtelanzeige zu erkennen. Lange machte das Gerät die Belastung nicht mehr mit. Erst jetzt stellte er fest, daß er sich nicht hilflos taumelnd durch das Wasser bewegte, sondern gezogen wurde. Er schaltete den Helmscheinwerfer ein und leuchtete. Er steckte in einem grobmaschigen, geräumigen Netz. »Bjo, Sanny?« fragte er über den Helmfunk. Sofort erhielt er Antwort. Auch Nockemann und Argan U meldeten sich. Keiner war verletzt, aber sie sprachen nicht viel. Wie der Arkonide hingen sie in den Netzen und wurden von
Aquarianern zu dem Schlachtschiff gezogen. Durch eine mindestens zwanzig Meter messende Schleuse wurden sie in das Innere geholt und auf dem Boden abgelegt. Dann wartete man, bis das Wasser abgepumpt und normale Druckverhältnisse hergestellt waren. Licht flammte auf, das Heulen der Andrucksneutralisatoren erstarb. Aus neugierigen Augen beobachteten die Solaner, wie die Wesen von Aqua II die Nasenflügel öffneten und ihre Ohren nach oben klappten. Sie waren angepaßte Wesen, die sich im Wasser bewegen konnten wie an Land. Atlan kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, ob es auch Ansätze von Kiemen gab. Er fand keine, die Aquarianer waren also keine direkten Nachkommen von Wasserbewohnern. Es wäre unlogisch, sagte der Extrasinn. Sie sind Landlebewesen, die ihren Planeten unter einem Wassermantel verborgen haben! Ein Versteck! Diese Wesen hatten Angst, wie Bjo herausgefunden hatte. »Bjo, was kannst du erfahren?« fragte er und beobachtete, wie sie Sanny aus dem Netz zogen und ihr den Schutzanzug abnahmen. Nur das Armband mit dem Translator durfte sie behalten. Dann machten sich die Aquarianer über Argan U und die übrigen Mitglieder des Teams her. »Sie sind verwirrt«, erklärte Breiskoll. »Sie können nichts mit der Verschiedenartigkeit unseres Aussehens anfangen. Dennoch glauben sie, daß wir der ›Feind‹ sind, vor dem sie sich fürchten. Sie bekommen noch mehr Angst, je länger sie uns ansehen. Sie glauben, daß der ›Feind‹ viele Gesichter hat. Einer denkt gerade daran, daß er auch die Gestalt eines der Ihren annehmen könnte.« »Also keine rosigen Aussichten«, stellte Atlan fest. Er erhielt keine Antwort mehr, denn die Aquarianer hatten Breiskoll inzwischen den Helm abgenommen und zerrten an seinem Gürtel. Nach wenigen Minuten standen sie wehrlos in ihren Bordkombinationen da. Nur die Translatorbänder waren ihnen geblieben.
Atlan trat auf die kleinen, braunen Gestalten zu, aber diese wichen sofort vor ihm zurück und hoben kleine, blinkende Stücke, die unschwer als Waffen zu identifizieren waren. Der Arkonide schaltete seinen Translator ein. »Wir kommen in Frieden!« sagte er. »Wir sind nicht der ›Feind‹, vor dem ihr euch fürchtet!« »Es hat keinen Sinn, deine Worte kommen nicht bei ihnen an«, rief Bjo ihm zu. »Ihr Entsetzen ist zu groß. Sie glauben, nie wieder in Frieden leben zu können.« Atlan und Hage versuchten es noch zweimal, ohne jeden Erfolg. Sie wurden von den Aquarianern umringt und durch das innere Schleusentor in einen Korridor geführt bis zu einem Raum, der eine dreifach gesichert Tür besaß. Sie traten hindurch und sahen sich Federspiel gegenüber, der ihnen mutlos entgegenblickte. »Nein, langweilig ist unser Ausflug nach Aqua II überhaupt nicht«, sagte der Bruder Sternfeuers, dessen Körper zusammen mit dem von Cpt'Carch in todesähnlicher Starre auf der SOL ruhte. Seine Worte klangen in dieser Situation wie Galgenhumor, doch sie konnten sie nicht aufheitern. Er erzählte ihnen, wie sie ihn aufgefischt hatten. »Hast du etwas herausgefunden?« fragte Atlan. »Hast du Kontakt zu ihnen gehabt?« Federspiel verneinte. Er hatte es oft versucht, aber die Aussichtslosigkeit bald eingesehen. »Dieses Volk leidet unter einem Trauma, das von Generation zu Generation überliefert wird«, sagte er. »Es wird nicht geringer, eher stärker. Wir können nichts dagegen tun.« Vorwurfsvolle Augen sahen Atlan an. Der Arkonide senkte den Kopf. Es war seine Schuld, daß es so gekommen war. Er hatte bis zuletzt geglaubt, daß eine friedliche Verständigung mit diesen Wesen möglich sein müßte. Er hatte sich geirrt. Das Unternehmen war mißlungen. Sie traten zu einem Bullauge und verfolgten, wie sich das Schiff
einer Schleuse näherte und sie durchquerte. Es verließ das feuchte Element und senkte sich auf Antigravpolstern auf den festen Untergrund der Stadt. Hohe Gebäude und schimmernde Türme waren zu erkennen. Dann jedoch legte sich ein Verschluß auf das Bullauge und nahm ihnen die Sicht. Kurz darauf wurden sie abgeholt. Annähernd fünfzig in schreiend gelbe Uniformen gekleidete Aquarianer führten sie aus dem Schiff hinaus in die Stadt. Dabei drohten sie mit ihren Waffen und achteten immer darauf, daß sie ihren Gefangenen nicht zu nahe kamen. Zu Fuß legten sie eine Strecke von über fünf Kilometern zurück, die sie regelrecht getrieben wurden. Die Mitglieder des Atlan-Teams musterten die Stadt und ihre Bewohner mit unverhohlenem Interesse. Sie betrachteten die Bauwerke, die funktionell durchdacht waren und den Aquarianern mit Sicherheit einen hohen Lebensstandard garantierten. Überhaupt machte dieses Volk den Eindruck, als bewege es sich seit langem auf den Höhen einer technischen Zivilisation, die erstaunlich war. Legte man allerdings die Umstände zugrunde, unter denen sie ihre Kultur aufgebaut hatten, dann erschien die Entwicklung doch eher zwangsläufig und nicht unbedingt progressiv. Vor langer Zeit einmal mußte dieses Volk ohne Angst gelebt haben. Der »Feind« konnte nicht seit Beginn des Sternenuniversums existieren. Atlan erblickte ein paar Gesichter der kleinen Wesen, die Pygmäen ähnelten. In ihren Augen glänzte eine Angst, die unnatürlich war, die ihn an den Ausdruck von Wahnsinn erinnerte. Er schloß zu Breiskoll auf. »Noch immer nichts?« fragte der Arkonide. »Seit wir die Stadt betreten haben, herrschte in den Gedanken der Aquarianer Panikstimmung vor. Die Ordnungshüter haben Anweisung, uns so schnell wie möglich zum Palast zu bringen«, teilte Breiskoll mit. »Und da ist noch etwas. In dieser Stadt gibt es ein Tabu. Es dürfen nur akustische Mitteilungen ausgetauscht werden, keine organischen.«
Atlan dachte an die vielen durcheinanderlaufenden Sendungen im UKW-Bereich. Die Aquarianer besaßen also die Fähigkeit, sich auf zwei Ebenen zu verständigen. Er teilte seine Gedanken den anderen mit. »Alles schön und gut«, ereiferte sich Nockemann. »Uns nützt es überhaupt nichts. Wir sind nämlich auf dem Weg zum Schafott!«
8. Die Ordnungshüter nahmen Fallund Kormant schweigend in Empfang und führten ihn zu einem Elektrowagen, der alsbald davonraste. Durch die vergitterten Fenster erkannte der junge Nuun, daß sie die Stadt durch einen anderen Tunnel verließen und jenen Bereich des Planeten ansteuerten, in dem sich der Palast der Bewahrerin befand. Tautilla Fassyn residierte wie alle ihre Vorgänger in einer eigens erbauten Herrscherstadt, in der alle Nuun für die Erhaltung und Lenkung des Staates arbeiteten. Die Zentrale der Ordnungsmacht befand sich hier in den spitzen Gebäuden, und mitten zwischen ihnen lag wie eine Festung der Palast. Drei Lichtteile benötigte das Fahrzeug, bis es sein Ziel erreicht hatte. In dieser Zeit grübelte Fallund über den Irrweg, den er beschritten hatte. Immer wieder fragte er nach Verema, ließ seine Worte hinausschweifen in die Städte. Manchmal erhielt er zurückhaltende Antwort, aber etwas Konkretes konnte ihm keiner sagen. Niemand wagte es, denn die Ordnungshüter empfingen ihre Worte ja ebenfalls. Ab und zu verstand Fallund Bruchstücke von dem, was draußen im »Grünen Mantel« vor sich ging. Das kleine Boot des »Feindes« war ein harter Brocken. Es kämpfte wie der Teufel, und viele der Nuun in den Schlachtschiffen verloren nach und nach den Mut. Sie verrichteten ihre Arbeit teilnahmslos. Und dann, plötzlich, brachen die Botschaften im Äther ab. Der
Wagen hatte die Stadt der Bewahrerin erreicht. Der verstärkte Schutzschirm ließ keine Worte durch, und die Bewohner der Stadt rührten sich nicht. Sie gehorchten den Sicherheitsbestimmungen, indem sie von ihren organischen Sendern und Empfängern keinen Gebrauch machten. Fallund Kormant empfand die plötzliche Leere als bedrückend, und ein wenig machte sich Verzweiflung in ihm breit. Er schalt sich einen Narren, daß er so verrückt hatte sein können, das System seines Volkes anzuzweifeln, in dem es seit undenkbaren Zeiten lebte. Es hatte immer in der Angst gelebt, ohne zusätzliche Sorgen zu besitzen. Die Bewahrer und Bewahrerinnen hatten immer gewußt, daß es außer dieser Angst keine weiteren Beeinträchtigungen geben durfte, um das Volk am Leben zu erhalten. Dementsprechend hatten sie gehandelt, richtig gehandelt, wie er jetzt wußte. Der »Feind« war zurückgekehrt! Das Versteck unter dem »Grünen Mantel« war nicht gut genug gewesen, um die Zeit bis zum Ende aller Existenz zu überdauern. Sie zogen Fallund aus dem Wagen und führten ihn eine steile Treppe hinauf. Er hatte das Gebäude noch nie gesehen und wußte doch, daß es sich um den Palast der Bewahrerin handelte. Weit und bereit war kein Nuun zu sehen, nur die Ordnungshüter, die ihn begleiteten. Sie betraten das Gebäude und durchquerten eine lange Vorhalle, die ringsum von einer Galerie gesäumt war. Der junge Nuun sah die Wachen, die dort oben standen. Sie besaßen metallisch glänzende Rüstungen, und aus ihren Köpfen verfolgten starre, glühende Augen seinen und seiner Bewacher Weg. Die Roboter waren bewaffnet wie jener, den er in der Marod-Plantage gesehen hatte. Der Techniker Erster Klasse fragte sich, ob jener wohl unter diesen war. Sie sahen alle gleich aus. Einer von ihnen verschwand jetzt von seinem Platz. Der Kampf gegen den »Feind«, war er schon zu Ende? Fallund
hätte es gern gewußt. Er getraute sich nur nicht zu fragen und dachte, daß er wohl auch keine Antwort erhalten hätte. Immerhin war es möglich, daß das kleine Boot, das nicht viel kleiner als eines der Erkundungsboote der Schlachtschiffe war, das Geheimnis der Wasserwelt nur durch Zufall entdeckt hatte. Dann wußte der »Feind« gar nichts davon, nur die Besatzung des kleinen Bootes. Andererseits konnte er sich nicht vorstellen, daß Wesen, die jede Abwehrmaßnahme und sogar einen Schutzschirm durchdringen konnten, nicht auch die Möglichkeiten besaßen, im Falle von Gefahr einen Notruf abzugeben. Wenn es so ist, wird es einen langen Kampf geben, überlegte Fallund. Wir werden um unsere Befreiung kämpfen, bis wir den Sieg errungen haben, und laut sagte er: »Es darf keine Angst mehr geben in unserem Volk. Alle sollen wissen, daß der Gegner bezwingbar ist. Unser Versteckspiel ist unnötig geworden!« Die Ordnungshüter blickten ihn verdutzt an, einer schlug ihm auf den Mund. »Im Palast der Bewahrerin hast du still zu sein«, knurrte er leise. »Weißt du das nicht?« Sie stießen ihn in einen Aufzug, der mit Schwerkraftneutralisation arbeitete. Erstaunt sah er, daß sie zurückblieben, ihm nur feindselig nachstarrten, als würden sie ihm die Schuld daran geben, daß das fremde Boot erschienen war. Der Aufzug trug ihn empor bis zu seinem Ende, und zwei der Roboter nahmen ihn in Empfang. Ohne zu sprechen, packten sie ihn und trugen ihn davon, in die Tiefe des Palasts hinein. Fallund Kormant versuchte, seine Gedanken zusammenzunehmen. Er mußte unter allen Umständen versuchen, Tautilla Fassyn von seinen Argumenten zu überzeugen. Nur ein Kampf, der von Kämpfern ohne Angst geführt wurde, hatte Aussicht auf Erfolg. Und diesen benötigte das Volk der Nuun dringend.
Er wurde abgelenkt, denn die Umgebung um ihn herum veränderte sich übergangslos. Die nüchtern wirkenden Wände waren hier mit prunkvollen Teppichen verhängt, und wertvolle Gemälde und Kunstgegenstände schmückten die Säulen und Ecken. Der Palast sah nicht mehr wie eine kalte, technische Einrichtung aus, sondern wie ein Königssitz. Schattengleich huschten dienstbare Geister durch schmale Korridore, schenkten den beiden Maschinen und ihrem Gefangenen keine Beachtung. Dann war das Ziel erreicht. Die Roboter öffneten einen Teil einer hohen Flügeltür und schoben ihn hinein. Fallund fand sich in einer Halle, in der es nur ein einziges Möbelstück gab, eine Liege, auf der eine Nuun mittleren Alters ruhte. Bei seinem Anblick sprang sie auf. Die Bewahrerin war in ein schwarzes Gewand gekleidet, das ihr bis zu den Fußknöcheln ging und am Hals hochgeschlossen war. Auf der linken Schulterseite trug sie das Symbol der Bewahrer, eine orangerote Sonne mit einem einzelnen Planeten. Fallund Kormant konnte sich nicht denken, was das Symbol zu bedeuten hatte. Er fand auch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Tautilla Fassyn stürmte heran und blieb schwer atmend vor ihm stehen. »So also sieht ein berüchtigter Aufrührer aus!« zischte sie mühsam beherrscht. »Ich habe dich sofort an deiner überheblichen Gestalt erkannt!« Tatsächlich überragte Fallund auch die Bewahrerin um über einen Kopf, und sie mußte an ihm emporblicken. »Ich bin kein Aufrührer, Bewahrerin«, versuchte er sofort zu vermitteln. In kurzen Sätzen erklärte er, was er bisher gemacht hatte und warum. »Laß mich gegen den ›Feind‹ kämpfen«, bat er Tautilla Fassyn. »Du findest keinen besseren Streiter für das Volk. Die Angst, in der alle Nuun leben, sie ist von mir gewichen. Vollständig!« Für einen Augenblick schien Tautilla Fassyn geneigt, seiner Bitte zu entsprechen. Sie senkte nachdenklich den Kopf.
»Nein«, sagte sie plötzlich. »Du hast zuviel Verwirrung unter meinem Volk gestiftet. Viele hast du verunsichert und angesichts des ›Feindes‹ in das Chaos gestürzt. Du hast dich gegen die Bewahrerin und die Ordnung vergangen. Beinahe hättest du es geschafft und durch dein Beispiel das Volk gegen mich aufgebracht.« Sie trat einen Schritt zurück und maß ihn mit Abscheu im Gesicht. »Du bist dafür verantwortlich, daß ich ein Schiff des ›Feindes‹ durch den Schirm gelassen habe. Das Volk der Nuun weiß jetzt, daß es diesen ›Feind‹ gibt!« Fallund Kormant zuckte zusammen. Er glaubte, sich verhört zu haben. Die Bewahrerin hatte das Boot absichtlich durchgelassen. Sie hatte den »Feind« zu sich geholt! »Der Gegner ist besiegt. Das Quartier für die Gefangen steht schon bereit«, sagte die Bewahrerin. »Und dein Schicksal ist auch bereits entschieden!« Der junge Nuun wagte es nicht mehr, den Blick zu heben. Er hatte eingesehen, daß er nichts mehr ausrichten konnte. »Ich habe dich dazu verurteilt, durch den Höllenschlund zu sterben!« eröffnete die Bewahrerin ihm. Dann gab sie den Robotern einen Wink.
* Der Weg nach unten kam Fallund Kormant vor wie der letzte Weg in seinem Leben. Es war zu spät, das Schicksal zu ändern, er hatte keine Möglichkeit mehr dazu. Nicht einmal den Aufenthaltsort Veremas hatte er erfragt, er war nicht dazu gekommen. Tief in seinem Innern glaubte er zu wissen, daß sie den Weg gegangen war, der auch ihm bestimmt war. Vier Roboter brachten ihn in einen Raum ohne Fenster und Einrichtung. Sie schoben ihn durch die Tür, und sie fiel hinter ihm
ins Schloß. So exakt war sie gearbeitet, daß nicht einmal die Fugen von den übrigen Wandfugen zu unterscheiden waren. Fallund setzte sich mitten in den Raum, der etwa zehn mal zehn Trockenschritte maß. Er verschränkte die Beine unter dem Körper und beugte den Oberkörper leicht nach vorn. Bewegungslos verharrte er so, die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet. Er machte den Eindruck eines Schlafenden, und doch war er hellwach. Seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren. Der Nuun wußte, daß er keine Mitteilungen von außerhalb der Stadt empfangen konnte. In der Stadt selbst hielten sich die Bewohner an das Verbot, die organischen Sender zu benutzen. Er übertrat es, denn er hatte nichts mehr zu verlieren. Fallund Kormant war kein Techniker Erster Klasse mehr. Er hatte sich längst damit abgefunden, daß ein anderer seine Stelle einnahm. Nur eines war ihm von seinem bisherigen Leben und seinem Stolz geblieben, der Gedanke an Verema. Er rief nach ihr, lange und immer wieder. Schließlich gab er es auf. »Hier sitzt Fallund Kormant«, flüsterte er. »Früher ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, jetzt ein Ausgestoßener. Ein Nuun, der den Fragen nachging, die alle Mitglieder seines Volkes beschäftigen. Der deshalb gejagt und verurteilt wurde. Er ist ein Schemen, ein Namenloser. Er wird dem Tod durch den Höllenschlund überantwortet!« Er fing an zu zittern, kreatürliche Angst befiel ihn. Aber diesmal war es nicht die Angst vor dem »Feind«, der längst besiegt war. Es war die Angst vor sich selbst, vor dem eigenen Ende. Warum hatte das Schicksal ihm ein solches Versagen beschert? Fallund fragte sich, ob der Alte an den Marod-Feldern nicht doch recht gehabt hatte, und nur ein gewaltsames Ende des Systems die Lösung sein konnte. Verändert hätte sich an seinem Schicksal nichts, denn die heimliche Versammlung war von den Ordnungshütern gesprengt worden. Der junge Nuun steigerte sich in seine Vorstellungen hinein, daß
es keinen Ausweg gab. Trotz des Sieges über den »Feind« nicht. Was geschah, wenn der »Feind« nicht mehr war und die Angst im Volk auch nicht? Was würde die Bewahrerin dann tun? Würde sie zulassen, daß die Unterwasser-Schlachtschiffe den »Grünen Mantel« verließen und in das Nichts vorstießen? Zu dem sagenhaften zweiten Planeten? »Retter« wurde er genannt. Fallund wünschte sich, daß »Retter« wirklich die Rettung bringen würde, selbst wenn er nicht existierte und nur den Gedanken an die Freiheit aufrechterhielt. Ein Symbol als Halt für alle. Der Nuun begriff, daß er das alles nicht mehr erleben würde. Über kurz oder lang kamen die Roboter zurück, um ihn zu holen. Sie würden ihn zur letzten Station seines Lebens führen. Er legte sich auf den Rücken und starrte die helle, von unzähligen Leuchtfäden durchzogene Decke an. Er malte sich aus, wie der Höllenschlund aussehen mochte. Er konnte es nicht. Genauso wenig wie er es fertigbrachte, sich das Aussehen des »Feindes«, vorzustellen. Er dachte an furchtbare, gänzlich ungestaltige Wesen, die keine Moral und keine Achtung besaßen. Weder fremden Intelligenzen gegenüber noch sich selbst. Und das stimmte den jungen Nuun verzweifelt, erfüllte ihn mit seltsamer Traurigkeit. Es wurde ihm bewußt, daß sich die Welt schlagartig vergrößerte, daß sich die Weltanschauung aller Mitglieder seines Volkes ändern würde. Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer. Über dem Gedanken daran schlief er ein. Die Anstrengungen seiner Flucht machten sich bemerkbar, der Körper verlangte sein Recht. Ich möchte die Fremden sehen, dachte er noch.
9. Sie bemerkten auf den ersten Blick, daß es mit dem Gebäude etwas
Besonderes auf sich hatte. Es lag wuchtig vor ihnen, und die Straßen drum herum waren leer. Kein Aquarianer ließ sich sehen. Die Gelbuniformierten hielten an und drängten die sechs Solaner noch mehr zusammen. Sie bedrohten sie mit langen Stäben, ohne ihnen näherzukommen. Metallisches Klirren klang von oben herab. Die breite Treppe herunter kamen zehn Roboter in Menschengröße. Ihre Körper bildeten stilisierte Abbilder der Aquarianer. Sie kreisten das AtlanTeam ein, führten es hinauf. Die gelben Soldaten zogen sich zurück. Fluchtartig verließen sie den Platz und verschwanden in kleinen Gruppen in den Straßen und Gassen der Stadt. Die Roboter schafften sie in das Innere des Gebäudes und brachten sie in ein Stockwerk, das weit unter dem Straßenniveau liegen mußte. An einer Tür hielten sie an. Plötzlich entwickelten die Maschinen eine übereilte Hast. Sie rissen die Tür auf, packten die Gefangenen, stießen sie hindurch. Mit einem donnernden Schlag schloß sich der Ausgang ihres Gefängnisses. Verdutzt blickten sich die sechs Gefährten an. Dann erst sahen sie die kleine, braune Gestalt, die bei ihrem Anblick die Arme über dem Kopf zusammenschlug, die Augen mit den Handflächen abdeckte und mit krummem Rücken in die hinterste Ecke kroch. Aus den Translatoren kamen schluchzende Geräusche. Bruchstückhaft verstanden sie Worte, die mit Strafe, Tod und Vergeltung zu tun hatten. Irritiert blieben sie stehen. »Das ist bestimmt nicht unser Henker«, knurrte Hage Nockemann und machte einen Schritt auf den Aquarianer zu, doch Atlan riß ihn zurück. Sie setzten sich in die gegenüberliegende Ecke und warteten schweigend, bis Bjo zu sprechen anfing. »Er hat Angst, aber sie ist gegenständlich und logisch«, erklärte er. »Er ist zum Tod verurteilt und glaubt, die Bewahrerin hätte den
›Feind‹ zu ihm geschickt, um ihn zu töten!« Die Translatoren sprachen auf seine Ausführungen an und übersetzten sie in die Sprache der Aquarianer. »Die andere Angst, was ist mit ihr?« wollte Atlan wissen. »Er gehört einer Geistesbewegung an, die bisher nicht an den unbekannten Gegner glaubte und dabei war, diese Furcht zu verdrängen. Ich glaube, er hat es teilweise geschafft.« Mitleidig betrachteten sie den armen Kerl, der sich nicht rührte. Er mußte die Übersetzungen der Translatoren verstehen, aber noch reagierte er nicht darauf. »Sanny!« Atlan gab der Molaatin einen Wink. Die Paramathematikerin setzte sich langsam in Bewegung und näherte sich dem Geschöpf, das heftig zu zittern begann. Langsam sprach sie auf es ein, bis es endlich den Kopf hob und die Arme beiseite schob. Sanny ließ sich neben ihm nieder. »Wie heißt du?« fragte sie vorsichtig. Der Aquarianer schluckte und schluckte. Seine Gedanken überschlugen sich, wurden dann ruhiger. Ein wenig Schicksalsergebenheit machte sich breit, und Bjo flüsterte Atlan Bemerkungen zu. »Fallund Kormant!« knarrte der Hominide plötzlich. »Ich heiße Fallund Kormant! Ich fürchte euch nicht!« »Ich heiße Sanny«, lächelte die Molaatin, die mit ihren 47 Zentimetern Körpergröße selbst neben dem Aquarianer winzig aussah, und deutete auf ihre Begleiter. »Das sind meine Freunde. Wir sind von eurer Polizei festgenommen worden.« Das Gesicht des Aquarianers nahm einen verwirrten Ausdruck an. Der Translator besaß keinen entsprechenden Ausdruck für »Polizei«. »Meinst du die Gelben, die Ordnungshüter?« fragte er fast unhörbar. »Unser Volk ist stark. Es wird euch immer besiegen!« Sanny kehrte zu Atlan zurück und beriet sich mit ihm. Bjo sondierte die Gedanken des Wesens.
»Er muß sich in dieser Stadt und dieser Welt auskennen«, sagte Atlan. »Wir haben bestimmt nicht viel Zeit. Erklären wir ihm, wie die Zusammenhänge sind.« Gemeinsam näherten sie sich dem Aquarianer. »Du irrst dich«, sagte der Arkonide deutlich. »Wir gehören nicht zu denen, die ihr als den ›Feind‹ bezeichnet. Durch Zufall nur entdeckten wir eure Welt. Wir kamen mit friedlichen Absichten, aber dein Volk hat uns angegriffen, bis unser Schiff zerstört war.« Der Aquarianer sprang mit einer Schnelligkeit auf, die sie nicht für möglich gehalten hätten. Sie hatten Mühe, den Ablauf seiner Bewegungen zu verfolgen. »Ihr seid gar nicht der ›Feind?‹« schrie er. »Ihr seid fremde Wesen, die keine bösen Absichten haben?« Sie bestätigten es, und Bjo stellte ungeheure Erleichterung bei dem Wesen fest. Es glaubte ihnen, ohne einen Beweis zu haben. Es besaß die Fähigkeit des klaren Denkens, was es von seinen Artgenossen unterschied, die sie getroffen hatten. Atlan nannte seinen Namen und die seiner Gefährten. In kurzen Sätzen berichtete er, warum sie nach Aqua gekommen waren und wie sie den Weg auf den Grund des Ozeans gefunden hatten. »Wenn die Bewahrerin euch nicht durchgelassen hätte, wäre euer Schiff ebenso zerstört worden wie die Sonden«, antwortete Fallund Kormant. Noch immer vibrierte seine Stimme, konnte er es nicht fassen, daß es außer seinem Volk und dem »Feind« andere Rassen im Nichts gab. »Ihr kommt von ›Retter‹!« rief er laut. »Ihr seid gekommen, uns gegen den ›Feind‹ beizustehen. Ihr seid die Bewohner des sagenhaften zweiten Planeten!« Atlan schüttelte den Kopf. Vorsichtig holte er Kormants Weltverständnis aus diesem heraus, das er so brutal zerstören mußte, daß es ihm leid tat. Bjo prüfte noch immer die Gedanken des Aquarianers. Es bestand im Augenblick keine Gefahr, daß er die Mitteilungen nicht verkraften würde.
»Es ist zweifelhaft, ob euer Feind noch existiert«, brachte er ihm bei. »Der zweite Planet ist eine Wasserwelt wie die eure, mit einem ganz kleinen Kern. Auch dort wurde eine unserer Sonden zerstört. Wir selbst kommen von weit her, aus einem anderen Universum.« Fallund Kormant konnte mit diesem Begriff nichts anfangen. Er kam sich wie im Traum vor. Ein unbeschreibliches Gefühl der Leichtigkeit hatte ihn ergriffen. »Unsere Welt ist also nur eine von vielen«, sagte er, und sie verstanden, daß es seiner forschenden Geisteshaltung und seinem Wissensdurst entgegenkam. »Welt«, stellte Hage Nockemann fest, »er betont das Wort Welt.« Sie erinnerten sich, daß bereits die Crux auf Jupiter II von ihrem Planeten als der »Welt« gesprochen hatten. Auch jenes Volk lebte im Schutz einer Giftgashülle und hielt sich für das einzige Volk des Universums. Wie die Aquarianer besaß es keinerlei Kenntnis über das Sternenuniversum. Irgendwie war es arttypisch für dieses Universum, und Atlan vermutete, daß sie möglicherweise auf weitere, versteckte Völker treffen würden, die eine ähnliche oder identische Auffassung von ihrem Lebensbereich hatten. Ein Gedanke durchzuckte den Arkoniden. Es bestand die Möglichkeit, daß Crux und Aquarianer sich vor langer Zeit einmal bekriegt hatten. Dann allerdings hätte die URANIA auf Jupiter II Hinweise auf eine frühere, interstellare Raumfahrt jenes Volkes finden müssen und auf einen Krieg gegen ein anderes Volk. Beides war nicht der Fall, seine Vermutung schied also aus. »Es muß ein weiteres Volk in diesem Bereich des Sternenuniversums geben«, sagte er nachdenklich. »Wir müssen es herausfinden.« Sie setzten sich auf den blanken Fußboden, wie Fallund Kormant es getan hatte. Atlan zog den Aquarianer zu sich her. »Du muß uns helfen, hier herauszukommen«, erklärte er. Fallund Kormant wedelte unruhig mit den Armen. Er benötigte
eine Weile, bis er seine Gedanken gesammelt hatte. »Nur wenige aus meinem Volk denken so wie ich«, sagte er bedauernd. »Die Bewahrerin ist das Gesetz. Sie hält euch für den ›Feind‹ und niemand wird sie davon abbringen können. Am wenigsten ihr selbst. Jeder Fremde, der unserem Reich zu nahe kommt, ist der ›Feind‹.« »Ihr seid verrückt!« rief Nockemann aus. »Wir leben in Angst«, stellte Kormant fest. »Ich selbst habe diese Angst fast ganz abgelegt und hoffe auf die Befreiung, die irgendwann einmal kommen wird. Ich werde sie nicht mehr erleben.« »Warum denn?« »Tautilla Fassyn hat mich und euch zum Tod durch den Höllenschlund verurteilt. Niemand weiß, was dieser Schlund ist, aber es gibt ihn. Noch nie ist einer zurückgekehrt, der verurteilt war.« Atlan verzog den Mund zu einem feinen Lächeln. Er malte sich aus, daß es ihnen keine Schwierigkeiten bereiten würde, dem Höllenschlund zu entkommen. Weitaus schwieriger war es, ein Schiff der Aquarianer zu kapern. Kormant mußte ihnen dabei helfen. Als hätte der junge Nuun seine Gedanken erraten, sagte er: »Unser Gefängnis ist ausbruchssicher. Gebt euch also keine Mühe. Wir werden dem Ende nicht entgehen!«
* Drei Tage und Nächte vergingen, ohne daß sich etwas ereignete. Lichtzeit und Nachtzeit nannte Kormant diese Tagesphasen, und sie lernten den Begriff des Lichtteils kennen, der ungefähr einer terranischen Stunde entsprach. Mehrmals hatten Atlan und seine Begleiter versucht, die Tür zu
knacken. Es war ihnen nicht gelungen. Ohne Hilfsmittel waren sie nicht dazu in der Lage. Sie hatten die Wände nach Schwachstellen untersucht, ohne Erfolg. Der junge Aquarianer hatte recht. »Wir müssen warten, bis jemand kommt«, stellte Federspiel fest. Es wurde höchste Zeit. Ihnen allen knurrte der Magen, sie hatten keine Nahrungsmittel zur Verfügung. Das Warten kam ihnen wie eine Ewigkeit vor. Man schien sie absichtlich hungern zu lassen. Bjo knurrte etwas von einer Henkersmahlzeit, die längst fällig war. Fallund Kormant kauerte wieder in einer Ecke und machte ein verbissenes Gesicht. Er war nicht ansprechbar. Der junge Aquarianer hatte Vertrauen zu ihnen gefaßt. Er war überzeugt, daß es sich bei ihnen nicht um den »Feind« handelte, sein Volk also keine Angst zu haben brauchte. Im Gegenteil, es sah eher danach aus, als würden die Fremden ihnen gegen den Feind helfen, wenn er auftauchte. Atlan hatte von einem großen Schiff gesprochen, das fast zehnmal so lang sein sollte wie eines der Unterwasser-Schlachtschiffe. Fallund hatte sich in sich selbst zurückgezogen. Im Angesicht des Todes versuchte er, unter Aufbietung aller Kräfte doch noch einen Kontakt mit anderen Nuun herzustellen. Niemand sah ihm an, ob es gelang, erst das öffnen der Tür riß ihn aus der Konzentration. Er sprang auf, und die anderen taten es ihm nach. Draußen standen mehrere Roboter und in ihrer Mitte eine Aquarianerin, die sie mit deutlichem Abscheu musterte. Langsam trat sie näher, von zwei Robotern flankiert, die ihre persönliche Leibwache bildeten. Sie deutete auf Atlan, der die Situation mit einem Blick erfaßte und sitzen blieb. »Die Bewahrerin!« flüsterte Kormant entsetzt über sein Verhalten und verbeugte sich. »Ihr werdet in Kürze dem Höllenschlund übergeben«, verkündete Tautilla Fassyn. »Es nützt euch also wenig, wenn ihr schweigt. Seid ihr allein gekommen, oder wissen noch andere ›Feinde‹ von der
Existenz unseres Volkes?« »Woraus schließt du, daß wir zu den ›Feinden‹ gehören?« fragte Atlan zurück. »Etwa, weil wir uns erst in letzter Sekunde gegen eure Schiffe gewehrt haben? Glaubst du nicht eher, daß eure ›Feinde‹ gekommen wären, um euch zu vernichten?« Die Bewahrerin schien ihn nicht zu hören. Sie gab den Robotern einen Wink, und sie traten vor. Weitere Maschinen kamen herein, je zwei nahmen einen Gefangenen zwischen sich. »Ihr müßt sterben, niemand kann euch zur Verantwortung ziehen, wenn ihr die Wahrheit sagt«, erwiderte sie. »Wie viele Schiffe haben sich um den ›Grünen Mantel‹ versammelt?« »Keine«, knurrte Atlan. »Also seid ihr nur ein Vorauskommando. Man wird euch vermissen, habe ich recht?« Der Arkonide gab keine Antwort mehr, aber Fallund Kormant erhob seine Stimme. »Bewahrerin, höre mich an«, rief er. »Du begehst einen Fehler. Diese Fremden sind unsere Freunde. Es sind nicht die, vor denen wir Angst haben!« In den Augen Tautilla Fassyns flackerte ein helles Licht, als sie ruckartig zu ihrem Artgenossen herumfuhr. Ihre Pupillen weiteten und verengten sich andauernd. »Du bist ein Aufrührer und willst dein Leben retten, mehr nicht!« schrie sie aufgebracht. »Führt sie ab! Ich werde alle ›GravoEnergetiker‹ vernichten!« Sie wandte sich um und verschwand draußen auf dem Flur. Sie sahen sie nicht mehr. »Gravo-Energetiker'? Wer ist das?« rief Atlan aus. »Es könnte der Name des ›Feindes‹ sein«, stöhnte Kormant. Die Roboter packten sie und schleppten sie einen Teil des Weges zurück, den sie gebracht worden waren. Es ging zu einem Fahrstuhl, der die doppelte Anzahl Personen gefaßt hätte. In Dreiergruppen, jeder zwischen zwei Maschinen, standen sie neben- und
hintereinander, und der leichte Andruck im Magen deutete darauf hin, daß es abwärts ging. Nockemann stellte fest, daß der Fahrstuhl auf Antigravbasis arbeitete. Geräuschlos glitten sie hinab, außer dem Anfahren kam keine Verzögerung oder Beschleunigung mehr durch. Ab und zu sahen sie Markierungen an der offenen Schachtwand, und Atlan schätzte, daß sie etwa fünfzehn bis zwanzig Kilometer zurückgelegt hatten, als der Fahrstuhl endlich hielt. Zwanzig Kilometer unter der Oberfläche. Reichte der Palast so weit in die Tiefe? »Hast du das gewußt?« fragten sie Fallund Kormant, doch der Aquarianer verneinte. Die Roboter öffneten ein Tor und stießen sie in eine Halle mit wenigstens dreihundert Metern Durchmesser oder Trockenschritten, wie Kormant sagte. Das hintere Ende der Halle wurde von einer Maschinenwand umgrenzt, in deren Mitte eine hundert Meter große Öffnung frei war. In ihr schimmerte hellgrünes, verzehrendes Licht. Sanny beschattete unwillkürlich mit ihren Händen die Augen. »Was ist das?« fagte Argan U verwundert. »Es ist der Höllenschlund«, krächzte Fallund Kormant. Angesichts des Todes verließ ihn der Mut. Ein Name kam ihm über die Lippen, und er klang wie ein Abschied: »Verema!« Atlan und Hage Nockemann eilten zielstrebig durch die Halle. Sie sahen, daß die Roboter sich zurückzogen, und sich das Tor schloß. Der entscheidende Augenblick nahte. »Sanny, schnell«, rief Atlan. »Wir müssen versuchen, den Transmitter umzuprogrammieren, daß wir in einer Gegenstelle auf der SOL herauskommen!« Die Molaatin begriff. Sie rannte zu dem Arkoniden und dem Galakto-Genetiker, die hilflos vor der fremden Technik standen. Sie fanden die Bedeutung der Bedienungselemente nicht heraus. Auch Kormant konnte ihnen nicht helfen, obwohl er Techniker Erster
Klasse gewesen war. Im Gegenteil, der Aquarianer hatte Angst, sie könnten mit ihrem Tun die Welt gefährden. Er fiel Nockemann in den Arm, und dieser stritt sich mit ihm herum. »Sanny!« Atlans Ruf klang wie ein Flehen. Die Molaatin hatte längst die Augen geschlossen. Sie versuchte, die Funktionsweise des Transmitters zu berechnen. Wer wußte, wohin er sie abstrahlte, und ohne ihre Kampfanzüge waren sie rettungslos verloren. Die Zeit war zu knapp, sie merkten es sofort. Das grüne Leuchten begann sich auszubreiten. Es kroch an den Wänden und der Decke entlang, schloß sich hinter ihnen und kam über den Fußboden auf sie zu. »Alle zu mir!« schrie Atlan. Er hoffte noch immer auf Sanny. Die Paramathematikerin begann vor Anstrengung zu beben. Ihr linker Arm hob sich und deutete schwankend auf einen Teil der Schalttafel. »Abschalten! Abschalten, sofort. Der blaue Hebel!« ächzte sie. Atlan sprang vor, aber ein unsichtbarer Schirm warf ihn zurück. Die Kontrollen waren jetzt unzugänglich. Es zeigte an, daß die Transmission bevorstand. Atlan wandte sich langsam um. Die silberweißen Haare hingen ihm in das Gesicht, und er ließ die Schultern sinken. »So müssen wir also unsere Neugier mit dem Leben bezahlen«, flüsterte er. »Was wird aus der SOL?« Die SOL war in guten Händen, das wußten sie genau. Breckcrown Hayes würde nicht ruhen, bis er ihr Schicksal geklärt hatte. Wieder ein Opfer, dachte Atlan zerknirscht. Und wie ein jähes Aufbäumen kam ihm der Gedanke an Hidden-X, den er in der Auseinandersetzung mit den Aquarianern beinahe verdrängt hatte. Der Gegner, hatte er sein Ziel erreicht? War das Sternenuniversum nichts anderes als eine gigantische Falle, die extra für ihn errichtet worden war, für den Gesandten der Kosmokraten? Fallund Kormant war neben ihn getreten. Der Aquarianer machte
einen beherrschten Eindruck. Er lächelte fast, als er sagte: »Ich weiß, daß es nicht lange dauert. Nach mir werden andere kommen, die meinen Weg verfolgen werden. Mein Volk wird nicht zugrunde gehen!« In diesem Augenblick hatte der grüne Vorhang sie erreicht und schloß seine letzte Lücke. Heftiger Entzerrungsschmerz ergriff sie, als der Transmitter mit hohem Energieaufwand alles abstrahlte, was sich in der Halle befand. Es wurde ihnen schwarz vor den Augen, und sie glaubten sich ins Nichts gerissen, und Fallund Kormant dachte einen flüchtigen Lichtteil lang daran, daß er im Nichts außerhalb des »Grünen Mantels« gelandet war. Instinktiv hielt er den Atem an, schloß die Nasenflügel. Der entstofflichte Körper gehorchte ihm nicht. Im selben Augenblick wurden sie bereits in der Gegenstation materialisiert. Der junge Nuun krümmte sich vor Schmerzen, sah seine Begleiter mit gelähmten Gliedern zu Boden stürzen. Lila Spiralen züngelten auf sie zu und hüllten sie ein. Fallund Kormant riß die Augen auf. Er sah einen uralten Mann in einer abgeschabten, gelben Uniform vor sich stehen, der an der Schulter das Symbol einer orangeroten Sonne mit einem einzelnen Planeten trug. Er hielt zwei Waffen in den Händen, die er betätigte. Fallund stieß einen heiseren Schrei aus: »Nein, Bewahrer! Wir sind Freunde!« Dann erfaßte auch ihn der Strahl einer der Waffen und zog ihn in das Reich der Bewußtlosigkeit. Fallund Kormant, Techniker Erster Klasse, Aufrührer gegen sein eigenes Volk, stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr. Der Höllenschlund hinter ihm aber erlosch.
10. Deborah Kerron musterte die Abbilder, die der Umwandler ihr von
den Vorgängen im Hyperraum lieferte. Das Hyperskop war eine Kombination aus einem gewöhnlichen Teleskop, das auf Elektronen- und Magnetfelderbasis arbeitete. Die Astronomin und Kybernetikerin erhielt so ein Bild über Vorgänge und Inhalte des Hyperraums. Das Hyperskop war im Prinzip also nichts weiter als ein auf die optische Ebene bezogener Hypertaster, und die Auswertung dessen, was das Gerät lieferte, machte ihr die meisten Schwierigkeiten. Die meisten Erscheinungen des Hyperraums waren an sich unbeschreiblich und wurden durch die Umsetzung noch zusätzlich verfremdet, so daß ein hyperdimensionales Gravitationsfeld auf dem Bildschirm ihres Hyperskops wie ein diffuser Gasnebel ausgesehen hätte, der ekstatisch zuckte. Die Astronomin versuchte alles, dem Sternenuniversum auf die Spur zu kommen. Seine Gegebenheiten standen fest, die Theorien dazu waren mangels neuer Erkenntnisse auch fast erhärtet. Die Frage, warum es dieses Universum gab, konnte aber keine der Kapazitäten im Schiff beantworten. Dazu bedurfte es der Kenntnis übergeordneter Zusammenhänge, die sich den Solanern bisher verschlossen. Deborah hatte den Entschluß gefaßt, das nachzuholen. Es würde sicher eine Weile dauern, bis sie erste, faßbare Ergebnisse erzielen konnte, aber sie hatte ja Zeit. Nichts konnte die SOL bisher aus dem Sternenuniversum bringen. Eigentlich wäre es ganz reizvoll, ein paar Jahre zu bleiben, überlegte sie. Sie konnten alle Bereiche erforschen und neue Grenzen des Horizonts erschließen. Vielleicht kam das Sternenuniversum den Wünschen der Solaner nach einer höheren Bestimmung entgegen! Die Astronomin wollte sich bei Gelegenheit einmal mit Mitgliedern der Schiffsführung darüber unterhalten. Vorerst hatte sie mit dem Hyperskop vollauf zu tun. Die Gelegenheit kam schneller, als erwartet, aber auf andere Weise. Sie veranlaßte Deborah, sich sofort mit der Hauptzentrale im
Mittelteil in Verbindung zu setzen. Der Bildschirm zeigte plötzlich zwölf Sonnen oder Galaxien, die sich in schneller Abfolge von Punkten zu kleinen Bällen aufblähten und die Sensoren des Tasters durcheinanderbrachten. Die Astronomin war so fasziniert von dem Vorgang, daß sie nicht auf den Gedanken kam, es könnte sich bei der wachsenden Größe um ein Zeichen von Annäherung handeln. Sie dachte an Sterne im Hyperraum und tastete eine Verbindung zu Gallatan Herts und Lyta Kunduran. Atemlos berichtete sie von ihren Beobachtungen. »Ich vermute, daß es sich bei dem Sternenuniversum, wie wir es sehen, lediglich um einen Auswuchs eines höherdimensionalen Gebildes handelt«, verkündete sie. »Eine Art mehrdimensionaler Blinddarm!« Der Alarm, der durch das Schiff gellte, brachte sie zum Verstummen.
* Breckcrown Hayes war unruhig, und seine Unruhe übertrug sich in gewisser Weise auch auf die übrigen Mitglieder der Schiffsführung. Vier Tage waren vergangen, und Atlan war noch immer nicht zurück. Er hatte nicht einmal eine Sonde geschickt oder sich sonst bemerkbar gemacht. Die POLYP war in der Wasserkugel Aqua II verschollen, und es bestand die Möglichkeit, daß das Atlan-Team dort unten den Tod gefunden hatte. Der High Sideryt war ratlos, und auch SENECA konnte ihm keinen Hinweis geben. Nur die Empfehlung zu warten, geisterte im Kopf des High Sideryt herum. Selbstverständlich mußten sie warten, darauf wäre er auch von selbst gekommen. Aber wenn Atlan sich über längere Zeit nicht meldete, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf die Suche zu machen. Sie mußten Aqua II
von oben bis unten durchkämmen. Hayes schickte eine zweite Sonde aus, die sofort nach der Berührung der Wasseroberfläche des zweiten Planeten explodierte. Es beunruhigte den High Sideryt noch mehr. Der Zugang zu dem Wasserplaneten war ihnen versperrt. Sie hätten Atlan niemals ziehen lassen dürfen. »Ein Raumschiff für einen Vorschlag!« seufzte Hayes inbrünstig und lauschte, was Deborah Kerron den beiden Spezialisten zu berichten hatte. Ein Ansatz zu einer Lösung? Wohl kaum. Der Alarm riß den Körper des High Sideryt förmlich herum. SENECA meldete sich überstürzt, aber da war der Angriff bereits in vollem Gang. Zwölf in grelle, weißgelbe Energieschirme gehüllte Kugelschiffe waren plötzlich aufgetaucht. Wie Phantome waren sie in unmittelbarer Nähe aus dem Hyperraum gekommen, ohne daß eine vorzeitige Warnung durch die Ortungsgeräte erfolgt wäre. »Schirme aufbauen!« rief Gallatan Herts den beiden Piloten zu. Breckcrown sah die Feuerzungen, die auf die SOL zurasten, und duckte sich instinktiv zusammen. Ein Schlag traf den Mittelteil und ließ ihn vibrieren. Weitere Sirenen heulten auf, Notmeldungen gingen ein. Dann erst standen die eigenen Schirme und verhinderten weitere Treffer. Der High Sideryt eilte zu Gallatan und Lyta und unterstützte sie. Die SOL begann sich zu wehren, feuerte wild zurück und landete einen Volltreffer. Eines der Schiffe, die wie Kugeln aus reiner Energie wirkten, platzte auseinander und zerstäubte. »Identische Schiffe, je 550 Meter Durchmesser«, meldete Uster Brick, der kleinere der beiden Zwillinge. »Herkunft unbekannt!« Breckcrown Hayes brachte sie sofort mit dem Verschwinden Atlans in Verbindung. Er stellte sich vor, daß nur gut getarnte Wachsonden die Kugeln gerufen haben konnten. Er knüpfte die Verbindung zu den Abwehrmechanismen der beiden Wasserplaneten.
Noch immer dauerte das Gefecht an, aber keine der beiden Seiten erzielte mehr einen Treffer. Die SOL versuchte durch konzentrierten Beschuß, die Schirme des Gegners zu knacken, doch die Kugeln zogen sich blitzartig zurück und griffen auf anderen Flugbahnen neu an. Hohe Technik, erkannten die Solaner. Und Hayes sagte plötzlich: »Die beiden Wasserwelten sind künstlicher Natur. In ihnen sind Abwehrsysteme integriert, die etwas bewachen oder verbergen sollen.« Die SOL hatte Fahrt aufgenommen und steuerte in einer weiten Kurve aus dem Orbit um Aqua II hinaus. Der High Sideryt fluchte kräftig, als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor. Wie ein Ballon trudelte er der Decke entgegen, wobei er sich um sich selbst drehte. Ein Ruck der vorwärts schnellenden SOL warf ihn gegen die Wand. »SENECA, was ist los?« keifte Herts, der sich verzweifelt an einem Sesselrand festklammerte. »Warum fällt die Gravitation aus?« »Es liegt ein Irrtum vor, Gallatan«, sagte die Biopositronik freundlich. »Alle Schwerkraftgeneratoren sind in Betrieb. Ich kann keine Abweichungen feststellen!« Für einen kurzen Augenblick setzte die volle Schwerkraft von lg wieder ein, und Hayes rutschte zwei Meter an der Wand herab und klatschte zu Boden. »Weg hier«, keuchte er. »Die Fremden neutralisieren unsere Schwerkraft. Wir setzen uns ab, bevor sie sich auch über unseren Antrieb hermachen.« Vorlan und Uster Brick handelten. Sie waren verantwortungsbewußte Piloten. Ganz vorsichtig beschleunigten sie das Schiff. Fast zu langsam flog die SOL aus dem Aqua-System hinaus, damit ja kein Solaner zu Schaden kam. Die leuchtenden Kugeln blieben zurück, sie schienen sich mit der Vertreibung des Weltraumgiganten zu begnügen. Die SOL ging in den Hyperraum und suchte den Ortungsschutz
einer Sonne auf. Die Schwerkraft kehrte zu ihrem gewohnten Wert zurück, und SENECA erklärte: »Es ist unfaßbar. Alle meine Systeme arbeiteten einwandfrei, und dennoch konnte ich mich optisch davon überzeugen, daß die Schwerkraft an Bord ausgefallen war.« Es kann leicht das Ende sein, wenn wir nicht aufpassen, überlegte der High Sideryt. Er betrachtete den abgedunkelten Bildschirm, der an seinem unteren Rand einen kleinen Ausschnitt des weißen Sterns zeigte, in dessen Schutz sie sich befanden. Sein Abstand zu Aqua betrug 224 Lichtjahre. Über die Fernbeobachtung verfolgte die Schiffsführung, wie sich die übriggebliebenen elf Kugeln gleichmäßig um Aqua II verteilten. Sie bewegten sich auf einer identischen Bahn um die Wasserwelt, als warteten sie auf jemanden. »Sie warten auf Atlan«, entfuhr es Hayes. »Wir müssen aufpassen!« Die POLYP war verschollen. Bedeutete der Aufmarsch der Kugeln, daß sie bald wieder auftauchen würde? Bei längerem Nachdenken erschien es dem High Sideryt doch zu unwahrscheinlich. Es mußte ein anderer Grund vorliegen, der die Fremden in den Kugelschiffen herbeigeführt hatte. Gallatan Herts wandte sich an ihn. »Ich möchte wissen, warum unsere Hyperortung die zwölf Kugeln nicht erfaßte, während Deborah Kerron von zwölf Sonnen sprach, die sie beobachtete«, meinte er. »Kannst du mir den Grund nennen?« »Ich kann ihn dir sagen«, meldete sich Vorlan Brick. »Die Hyperortung war nicht aktiviert!« SENECA bestätigte es. »Das Sternenuniversum, ein Blinddarm. Daß ich nicht lache!« sagte Herts aufgebracht. Er stiefelte an seine Kontrollen hinüber. »Dennoch ist einiges faul hier!« Hayes schmunzelte, aber übergangslos wurde er wieder ernst. Sie
durften nicht tatenlos zusehen, wie Fremde ihr eigenes Unternehmen gefährdeten. Atlan mußte gefunden und vor den Kugeln geschützt werden, die einwandfrei aggressiven Charakter besaßen. Der High Sideryt tat etwas, was nicht alltäglich war. Er formulierte seine Gedanken und gab sie an die drei Kommandanten der Schiffszellen weiter. Sie sollten sie den Solanern vortragen und die Antwort abwarten. Drei Stunden später war alles klar. Die Solaner waren unerschütterlich. Feste Verhältnisse machten sie zu festen Menschen. Fast ohne Ausnahme waren sie mit den Vorschlägen des High Sideryt einverstanden. Das ständige Hin und Her im Leerraum machte ihnen nichts aus, und das Vertrauen auf die Schiffsführung war ungebrochen. »Rufe alle Stabsspezialisten zu einer kurzen Besprechung zusammen, Gallatan«, forderte er Herts auf. »Wir wollen die Einzelheiten absprechen, wie wir vorgehen werden.« Einigkeit und Unternehmungsgeist, Lebensfreude und Verantwortungsbewußtsein waren einige der Schlagworte, die Breckcrown Hayes in diesen Minuten im Kopf herumgingen. Der High Sideryt war frohgelaunt. Und ein bißchen ungehalten dachte er an die Vergangenheit der SOL, die er selbst erlebt hatte.
ENDE Während das Atlan-Team das Aqua-System erkundet, das in dem nahezu planetenlosen Sternenuniversum eine seltene Ausnahme darstellt, trifft die SOL auf Gegner, die sich ebenfalls für Aqua und deren Bewohner brennend interessieren. Diese Gegner entfesseln DIE SCHLACHT UM AQUA … DIE SCHLACHT UM AQUA – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan-Band. Autor des Romans ist Peter Terrid.