Seewölfe 142 1
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Man schrieb den 11. Januar 1586. Ein schwacher Wind blies aus Nord und trieb die „Isabe...
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Seewölfe 142 1
Fred McMason 1.
Man schrieb den 11. Januar 1586. Ein schwacher Wind blies aus Nord und trieb die „Isabella VIII.“ nur langsam über die glatte See. Die Sicht war miserabel, denn dichter Nebel umgab seit Tagen das Schiff. Man konnte kaum vom Achterkastell aus noch den Hauptmast sehen. Entsprechend war die Stimmung an Bord. Der Seewolf stand auf dem Achterdeck neben Pete Ballie, dem Rudergast. Die mächtigen Pranken des stämmigen, untersetzten Engländers lagen auf dem Ruderrad, und auch seine Miene wirkte düster. „Verdammter Mist!“ stieß er hervor. „Seit Tagen diese Suppe, kein Aas weiß, wo wir sind. Wir steuern fast genau Kurs Süd, aber das Wasser ist so tief, daß das Lot keinen Grund kriegt. Dabei müßten wir uns den verdammten Karten nach längst dicht unter Land befinden. Ben ist auch dieser Meinung. Und wenn der Fockgast plötzlich Land entdecken sollte, dann brummen wir auch schon auf!“ Der Seewolf sah Pete aus seinen eisblauen Augen an. „Stimmt alles, Pete, aber sollen wir vielleicht die Segel einholen und uns treiben lassen? Viel Fahrt läuft die ,Isabella` sowieso nicht, und einmal muß dieser Nebel zu Ende sein. Dann werden wir schon herausfinden, wo wir sind.“ Pete Ballie, der das wabernde Grau, das über dem Schiff lag, genauso dick hatte wie alle anderen an Bord, brabbelte irgend etwas vor sich hin. Natürlich konnten sie sich nicht einfach treiben lassen. Sie befanden sich in absolut fremden Gewässern, und da mußte man sowieso auf der Hut sein. Hinzu kam auch noch, daß die Wasservorräte zur Neige gingen, und mit den Nahrungsmitteln verhielt es sich nicht anders. Der Kutscher tat zwar, was er konnte, aber Wunder konnte auch er nicht vollbringen. Dem Seewolf war das alles nicht entgangen. Er wußte, daß die Stimmung unter seinen Männern so schlecht war wie selten. Tägliche Reibereien, hier und da
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auch mal eine Schlägerei, die Ed Carberry, der Profos, meist abrupt beendete. Aber Hasard maß alledem keine übertriebene Bedeutung zu. Solange das nicht ausuferte und sich im Rahmen hielt, bestand für ihn kein Anlaß, einzugreifen. Er verließ das Achterdeck und turnte die wenigen Stufen zum Hauptdeck hinunter. Dort stieß er auf Ben Brighton, seinen ersten Offizier und Stellvertreter. „Ben, ich will mir noch mal die Karten ansehen. Wenn wir unsere letzten Positionen noch einmal sorgfältig durchgehen und dann nachrechnen, wie viele Meilen wir seit Beginn des Nebels zurückgelegt haben können, dann müßte sich zumindest unsere ungefähre Position ermitteln lassen. Immerhin hat der Wind fast beständig aus Nord geblasen. Das einzige, was wir nicht wissen, ist, ob es hier Strömungen und damit starke Abdriften gibt.“ Ben Brighton grinste. „Offenbar hast du dir auch das Gemaule von Pete anhören müssen. Ich weiß nicht, was in Pete gefahren ist, aber er ist seit Beginn des Nebels übelster Laune.“ „Wie alle an Bord, Ben. Ich kann unsere Männer sogar verstehen. Und im übrigen hat Pete recht. Wir laufen tatsächlich Gefahr, ganz plötzlich Land vor uns zu haben, falls die Karten der Dons stimmen. Sehen wir also mal nach, ob wir wenigstens unsere ungefähre Position ermitteln können.“ Die beiden Männer verschwanden hinter der dicken Bohlentür, die an Steuerbord in das Achterkastell der „Isabella“ führte. Der Seewolf ging voran, knapp zwei Schritte hinter ihm Ben Brighton. Sie hatten seine Kammer jedoch noch nicht erreicht, da passierte es. Undeutlich vernahmen sie an Deck ihres Schiffes ein Mordsgeschrei. Die gewaltige Stimme Ed Carberrys dröhnte über Deck, und der Profos schien Kommandos zu brüllen, die aber weder der Seewolf noch Ben Brighton im Innern des Achterkastells verstehen konnten. Hasard blieb abrupt stehen und sah seinen ersten Offizier an.
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„Zurück an Deck, Ben, rasch. Da oben ist der Teufel los, wir müssen ...“ Weiter gelangte er nicht. Die „Isabella“ traf ein Stoß, der sie weit nach Steuerbord überholen ließ. Der Seewolf und Ben Brighton hörten das Geschrei der Männer, hörten Planken brechen und schweres Poltern an Deck. Durch die Wucht des Stoßes wurden sie gegen die Wand des Ganges geworfen, in dem sie sich befanden. Ben Brighton strauchelte, fing sich aber im letzten Moment und knallte mit dem Schädel gegen die wie wild hin und her schwingende Öllampe, die den Gang zu Hasards Kammer spärlich beleuchtete. Wieder knirschte und krachte es. Wieder polterte etwas an Deck – und irgendwo wurde geschossen. Der Seewolf lief los, hinter sich Ben Brighton. Aber als er die schwere Bohlentür aufstoßen wollte, ging das nicht. Irgendetwas blockierte sie. Die beiden Männer warfen sich mit aller Macht gegen die Bohlen. Vergeblich, die Tür, die zum Hauptdeck führte, gab nicht nach. „Durch meine Kammer, rasch!“ sagte Hasard und jagte auch schon los. Ihm war klar, daß sich die „Isabella“ in Gefahr befand. Irgendetwas mußte geschehen sein, womit niemand gerechnet hatte. Ben und er erreichten die Kammer des Seewolfs in Sekunden. Hasard entriegelte die Tür. die zur Heckgalerie hinausführte, und stieß sie auf. Dann blieb er einen Moment lang wie erstarrt stehen, denn er sah den riesigen Schatten, der durch den fast undurchdringlichen Nebel neben der „Isabella“ aufragte. Der Seewolf verlor keine überflüssigen Worte, sondern lief die Heckgalerie entlang bis zum Ende. Er wußte, daß es möglich war, von dort auf das Achterdeck zu gelangen. Doch noch bevor er dort anlangte, dröhnte eine der siebzehnpfündigen Culverinen der „Isabella“ auf. Der Schein des Mündungsfeuers zuckte durch den Nebel. Wüste Schreie und Flüche wurden laut,
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Musketen entluden sich, und irgendwo krachte eine Drehbasse. Der Seewolf hörte Carberry etwas brüllen, dann vernahm er die Stimme Ferris Tuckers, der sich offenbar auf dem Achterdeck befand. „Ferris!“ Hasard brüllte, so laut er konnte, während er bereits dabei war, sich von der Heckgalerie aus an Deck zu schwingen. Ben Brighton versuchte ihm dabei zu helfen. Ein Schatten tauchte über dem Seewolf auf. „Hasard?“ Die Stimme des Schiffszimmermanns dröhnte über ihm auf, dann packten die Pranken des rothaarigen Hünen zu und rissen den Seewolf mit einem einzigen Ruck zum Achterdeck der „Isabella“ hoch. Im nächsten Moment folgte Ben Brighton. „Irgend so ein verdammter Idiot hat uns gerammt, Hasard. Glaube ich wenigstens — und jetzt machen sich die Kerle auch noch mausig und wollen uns entern. Der Teufel soll die ganze verdammte Brut holen. Habt ihr eine Waffe? Die Kerle schlagen und stechen um sich, daß es eine Art hat. Los, nach vorn, Ed hat sie dort mit Batuti und noch ein paar Mann zusammengedrängt, Al Conroy hat ihnen eine volle Ladung aus einer unserer Culverinen in den Rumpf gebrannt, und ich denke, es wird nicht die letzte sein. Da, der Feuerzauber geht schon wieder los!“ Ein lautes Kommando ertönte auf dem Geschützdeck. Gleichzeitig entluden sich mit ohrenbetäubendem Krachen vier oder fünf der Culverinen. Im Feuerschein der Mündungsflammen sah Hasard die Männer zu den nächsten Geschützen hasten. Geschrei, Musketengeknatter und wilde Flüche auf Spanisch antworteten von dem anderen Schiff. „Ein Don hat uns erwischt!“ stieß Ben Brighton hervor, und deutlich schwang die Überraschung in seiner Stimme mit. Aber der Seewolf hörte schon nichts mehr. Er hatte sich einen Belegnagel aus der Nagelbank des Besans gerissen und war über die Schmuckbalustrade des Achterkastells in die Kuhl geflankt.
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„Los, Ferris! Hinterher! In dieser Suppe kann man ja Freund von Feind nicht unterscheiden. Der Don ist ein ziemlich großer Kasten, und wenn es den Dons gelingt, die ‚Isabella' zu entern, dann kriegen wir hier einen schweren Stand.“ Er lief an der Reling entlang, dabei sah er, daß sich das fremde Schiff von der „Isabella“ zu lösen begann. Zwischen den beiden Bordwänden klaffte bereits ein breiter Spalt. Aber Ben Brighton sah auch noch etwas anderes — einen hageren, großen Mann. der mit ein paar anderen weiter vorn auf die „Isabella“ sprang. Genau dort, wo Hasard sich in diesem Augenblick befinden mußte. Abermals dröhnten an Bord der „Isabella“ Culverinen auf — und nur Sekunden später blitzte es auch bei dem Spanier auf. Ben Brighton ließ sich instinktiv fallen. Das war seine Rettung. Ein Hagel von gehacktem Blei fuhr über ihn weg, zerfetzte die Segel der „Isabella“ und schlug prasselnd in die Takelage. Auf dem Spanier zuckte erster Flammenschein auf, Brände schienen an Deck des riesigen Schiffes aufzulodern. Ferris Tucker tauchte neben Ben Brighton auf. Der Hüne packte ihn und riß ihn hoch. „Alles in Ordnung?“ brüllte er, und Ben Brighton sah, wie ihm das Blut über das Gesicht lief. „Wir müssen nach vorn, unsere Leute sind in der Klemme, da — Hasard hat nur einen Belegnagel, sonst nichts!“ Undeutlich sahen sie die kämpfenden Gestalten, und wieder heftete sich Ben Brightons Blick auf den hageren, großen Mann, der eben auf den Seewolf mit gezogenem Degen eindrang. Aber dann blieb Ben Brighton und Ferris Tucker keine Zeit mehr, sich um die anderen zu kümmern, denn die Trümmer der Großrah, Taljen, Blöcke, Segeltuch und ein Trupp von Spaniern, der plötzlich aus dem Nebel auftauchte, versperrten ihnen den Weg. Der hünenhafte Schiffszimmermann schwang seine riesige Axt. Ben griff sich
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einen Belegnagel, der in der Nagelbank zu seiner Linken steckte. Die Spanier drangen auf sie ein, aber dann wichen sie vor der kreisenden Axt des Schiffszimmermanns zurück, und Ben Brighton setzte mit dem Belegnagel sofort nach. Ben hörte das Geräusch, mit dem die Axt Tuckers einen der Helme der spanischen Seesoldaten traf — und dann wuchs plötzlich neben ihm Batuti auf, der seinen schweren Morgenstern schwang. „Warten, Ben, Batuti dich herausprügeln, Belegnagel allein nix gut, Dons hauen und stechen wie verrückt. Batuti oft nicht weiß, welches Mann Freund und welches Feind — so jetzt, da, da ...“ Der Morgenstern sauste nieder. Die Spanier brüllten auf. Ben Brighton spürte, wie ihm eine der Degenklingen die Haut auffetzte, und wütend schlug er zurück. Aus der Drehung heraus traf er seinen Gegner. Der Schlag war mit einer solchen Wucht geführt, daß er den Mann durch das zerstörte Schanzkleid ins Meer beförderte. Sein Schrei ging unter im Tumult, der um die drei Seewölfe herrschte. Die Spanier wichen zurück, und Ben Brighton nutzte seine Chance. „Los, zu Hasard, er ist dort vorn irgendwo, ein ganzer Trupp Spanier hat ihn in der Mangel!“ * Mit seiner Behauptung hatte Ben Brighton nur zu recht. Woher sie plötzlich erschienen waren, wußte der Seewolf nicht. Aber der baumlange Kerl, der seinen Degen verteufelt geschickt zu führen verstand und von den vier anderen Männern fast perfekt gegen etwaige Angriffe abgeschirmt wurde, war für Hasard ein mächtiges Problem. Sein Belegnagel reichte als Waffe gegen diesen exzellenten Fechter und Kämpfer nicht aus. Der Seewolf hörte, daß jetzt auch irgendwo weiter hinten auf dem Geschützdeck der Kampf tobte. Einmal hörte er Al Conroys Stimme, dann dröhnte die von Ed Carberry
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ganz in seiner Nähe auf, aber sehen konnte er den Profos nicht. Denn der Nebel, der sich mit dem Pulverqualm der Culverinen vermischt hatte, war in diesem Moment so dicht, daß manchmal sogar sein Gegner zu einem Schemen zerrann. Der Seewolf gab sich keinen Illusionen hin: Die „Isabella“ befand sich in einer äußerst gefährlichen Lage. Der Spanier unternahm einen Ausfall und trieb den Seewolf bis zum Schanzkleid zurück. Dabei mußte Hasard die blitzschnelle Klinge dieses Mannes ständig mit dem Belegnagel abwehren und parieren. Plötzlich ließ der Spanier seinen Degen sinken. Verblüffung stand in seinem Gesicht. „Verdammt, Sie sind niemals El Mot! Wer, zum Teufel, sind Sie?“ Der Seewolf wurde einer Antwort enthoben, denn in diesem Moment begann mit dem Gebrüll Ed Carberrys eine Kette von Ereignissen, die die Seewölfe auch später nie wieder vergessen sollten. „Feuer im Schiff! Ho, ihr verdammten Affenärsche, schmeißt endlich die Dons über Bord oder besorgt es ihnen, das Schiff, unsere ‚Isabella', braucht jetzt jede Hand!“ Der Spanier zuckte zurück. Seine Augen begannen zu glühen. „Isabella'?“ stieß er hervor und starrte den Seewolf an. „Ich kenne ein Schiff dieses Namens! Zum letzten Mal habe ich es im Pazifik gesehen. Bei einer kleinen Insel, in deren Riffen Capitan Roca und fast seine ganze Besatzung ihr Ende fand! Senor, ich ahne, wer Sie sind. Und diesmal werden Sie nicht entwischen, so wahr ich Capitan de Toria bin!“ Er richtete die Spitze seines Degens auf Hasards Brust. „Einen Degen für diesen Senor, einen Degen für Spaniens Feind Nummer eins!“ rief er seinen Männern zu und streckte gebieterisch die Linke aus, ohne den Seewolf auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Einer reichte ihm den verlangten Degen, und de Toria warf ihn dem Seewolf zu.
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„Ich werde Sie töten, Senor. Aber niemand soll von Capitan de Toria sagen, er habe einen wehrlosen Mann einfach so abgeschlachtet. Und jetzt zeigen Sie, ob Sie wirklich der Mann sind, für den Spanien Sie hält!“ De Toria drang auf den Seewolf ein. Der Seewolf, starr vor Staunen über soviel Fairneß, parierte den Ausfall, kam aber nicht mehr dazu, das Verlangen des Spaniers zu erfüllen. Ben Brighton, Batuti und Ferris Tucker stürmten heran. Der Morgenstern Batutis fegte die Spanier beiseite, die de Toria den Rücken deckten. Der hünenhafte Schiffszimmermann packte den völlig Überraschten von hinten und warf ihn kurzerhand über das Schanzkleid ins Meer. Selbst der Seewolf konnte das nicht mehr verhindern. Der Nebel war noch dichter geworden. Auch auf der „Isabella“ loderten Brände. Aber durch den Nebel, geisterhaft anzuhören, dröhnte die Stimme des Torias zur „Isabella“ hoch. „Ihr hättet mich töten sollen, feige von hinten ermorden, dann wärt ihr mich los gewesen. Aber jetzt, Seewolf, lebe ich. Und ich werde dich von nun an jagen, wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt. Du wirst wieder vor meinem Degen stehen, und ich werde dich töten, denn wenn wir uns wiedersehen, dann wird dir niemand mehr feige von hinten helfen können ...“ Die Stimme verklang. Ed Carberry tauchte aus dem Nebel auf. Fragend starrte er auf die Gruppe von Männern, fragend starrte er auf den Seewolf. „Ein Verrückter?“ fragte er. „Was brüllt dieser verdammte Kerl da im Meer herum, was, wie? Warum habt ihr ihm denn nicht das Maul gestopft wie allen anderen? Und jetzt kümmert euch alle gefälligst mit um die ‚Isabella', du besonders, Ferris, oder sie säuft und brennt uns unter dem Hintern ab!“ Man sah dem Profos an, daß er es ernst meinte. Sein Narbengesicht wies etliche Wunden auf, seine Jacke war blutdurchtränkt. Er warf einen grimmigen Blick nach Backbord, dorthin, wo sich das
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fremde Schiff eben in seinen allerletzten Konturen im Nebel auflöste. „Entschuldige, Sir“, sägte er dann. „Mit mir sind eben alle Gäule durchgegangen. Aber wenn du erst mal weißt, wie unsere gute alte ‚Isabella' nach diesem Rammstoß der dreimal verfluchten Dons aussieht, dann wirst du auch verstehen, warum. Ich lasse mich kielholen, wenn ich jemals begreife, wo die so plötzlich hergekommen sind und warum unser Mann im Ausguck die nicht rechtzeitig entdeckt hat. Aber das werde ich schon noch herausfinden“, setzte er drohend hinzu, „und wenn ich jeden verdammten Affenarsch auf diesem Schiff mit dem Tampen oder der Neunschwänzigen persönlich durchbleuen muß!“ * Als der Seewolf sich trotzdem nicht rührte, blieb der Profos, der sich schon herumgedreht hatte, ruckartig stehen. „Sir“, sagte er düster, „wir sollten uns jetzt wirklich um die ‚Isabella' kümmern, oder sie säuft uns tatsächlich ab. Ich glaube, wir haben ein mächtiges Loch in der Backbordseite. Außerdem brennt es im Schiff! Ob diese Schweinehunde das Feuer gelegt haben, oder ob ein paar der Öllampen bei dem Rammstoß vom Haken gefallen sind, weiß ich noch nicht ...“ Der Seewolf unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Dann wandte er sich an Ferris Tucker, der ebenfalls stehengeblieben. war. „Ich danke dir für deine schnelle Hilfe, Ferris, der Kerl war ein verdammt guter Kämpfer“, sagte er. „Aber trotzdem fürchte ich, daß wir einen schweren Fehler begangen haben. Dieser Spanier kannte unser Schiff, er hat die ‚Isabella' bei der Schlangeninsel gesehen. Irgendwie muß er auch mit jenem Capitan zu tun gehabt haben, der mit seinem Schiff auf dem Höllenriff gestrandet ist. Vielleicht ist das der Bursche, der uns während der ganzen Überfahrt mit seiner Karavelle gejagt hat, der uns nie an sich herankommen ließ und in keine unserer Fallen ging. Und dieser
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Kerl war so fair, mir einen Degen zuzuwerfen, obwohl er mich einfach hätte abstechen können. Viel hätte ich, weiß der Himmel, dagegen nicht unternehmen können ...“ Der rothaarige Schiffszimmermann starrte den Seewolf an. „Was meinst du damit, daß wir einen Fehler begangen haben. Hasard? Ich bin nicht der Mann, der einen Gegner von hinten abmurkst, deshalb habe ich ihn einfach über Bord geworfen. Ich hätte ihm auch den Schädel einschlagen können, meinst du etwa das? Das glaube ich dir nicht, ich kenne dich dafür zu gut und zu lange!“ Es war das erstemal, daß Hasard den rothaarigen Hünen wirklich zornig sah, und daß er der Anlaß dieses Zorns war. „Nein, Ferris, das meine ich nicht. Aber dieser Mann wird jetzt alle spanischen Schiffe alarmieren, die in der Gegend sind. Er wird bestimmt wahrmachen, was er uns angedroht hat — er wird uns jagen. Den werden wir nicht wieder los. Und das paßt mir absolut nicht in den Kram. Los, sehen wir jetzt, was mit der ‚Isabella' ist. Und du, Ben, trommelst die ganze Crew zusammen, ich will wissen, ob es uns noch alle gibt!“ Die Männer liefen los. Eine halbe Stunde später hatten sie trotz des immer dichter werdenden Nebels eine erste Übersicht. Die Crew war vollzählig bis auf Bill, den Schiffsjungen. Der Junge war nicht zu finden. Die „Isabella“ hatte in der Backbord-Bordwand ein respektables Loch, und Ferris Tucker fluchte lauthals, als er es entdeckte. Außerdem war das Schanzkleid fast völlig zerstört, drei Geschützpforten ebenfalls. Ein Wunder, daß die schweren Geschütze sich nicht losgerissen hatten. Die Großrah vom Hauptmast war an Deck geschlagen und hinüber, das laufende Gut des Großmastes nur noch ein einziges Durcheinander, das sich auch nicht so schnell klarieren lassen würde. Brände flammten im vorderen Bereich des Hauptdecks, hervorgerufen durch herabgefallene oder herübergeworfene
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Schiffslaternen, waren aber bereits unter Kontrolle. Verwundete hatte es ebenfalls gegeben. Ein Don hatte Carberry die linke Brustseite mit einem Entermesser aufgeschlitzt. Eine Fleischwunde zwar nur, aber sie schmerzte höllisch. Dem Kutscher hatte irgendjemand eins über den Schädel gezogen, vielleicht sogar einer aus der eigenen Crew, so genau wußte man das nicht. Aber er war ebenfalls schon wieder voll einsatzfähig. Ferris Tucker blutete aus mehreren Wunden, desgleichen der hitzige Engländer Luke Morgan, der Decksälteste Smoky und Matt Davies, der zusammen mit Al Conroy und anderen gegen eine Übermacht von Spaniern auf dem Geschützdeck gekämpft hatte. Der alte O'Flynn war während des Kampfes über Bord gegangen und hockte jetzt schimpfend und pudelnaß an Deck, denn bei dem Sturz hätte er fast sein Holzbein verloren. Sein Sohn Dan konnte es nicht lassen, ihn damit aufzuziehen, was den Alten noch wütender werden ließ. Arwenack, der Schimpanse, kauerte auf der Back und ließ keinen außer Dan an sich heran, er war — zum erstenmal in seinem Leben — bei dem Rammstoß aus der Takelage an Deck gestürzt. Nur Bill, der Schiffsjunge, war und blieb verschwunden. „Wir müssen Bill suchen!“ sagte Carberry, und sein vernarbtes Gesicht wirkte in diesem Moment noch drohender. „Vielleicht liegt der Junge in der See, vielleicht hat ihn einer von diesen Dons über Bord geworfen ...“ Er sagte die letzten Worte nur langsam, denn Carberry wußte nur zu gut, daß es auch ganz andere Möglichkeiten gab und sie sogar wahrscheinlicher waren. Die Männer starrten ihn an und schwiegen. Jeder dachte in diesem Moment das gleiche, alle hatten sie Bill inzwischen in ihr Herz geschlossen. „Wir müssen ein Boot aussetzen, Ed“, sagte der Schiffszimmermann, „aber über eine Leine Kontakt mit der ‚Isabella' behalten, sonst finden wir in dieser Suppe niemals zurück!“
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Das war ein Vorschlag, aber die Männer wußten, daß Bills Chancen äußerst gering sein würden, falls er wirklich über Bord gefallen sein sollte. Die „Isabella“ konnte längst von einer unbekannten Strömung versetzt worden sein, außerdem war sie aus dem Ruder gelaufen, und das Wirrwarr in der Takelage sorgte für ein übriges. Der Teufel mochte wissen, welchen Kurs das Schiff in diesem Moment steuerte. Der Seewolf schaltete sich ein. „Wo war Bill zuletzt?“ fragte er. Keiner wußte es. Jedenfalls nicht für den Moment des Rammstoßes. Aber der Seewolf bohrte weiter. „Ed, womit war er gerade beschäftigt?“ Der Profos dachte nach. Dann hellten sich seine Züge plötzlich auf, während Sir John, der Bordpapagei, plötzlich ein Mordsgezeter in der Takelage anstimmte. „Er sollte die Vorräte und Wässerbestände kontrollieren. Ich erinnere mich jetzt, der Kutscher hatte ihn damit beauftragt.“ Carberry schüttelte den Kutscher, der immer noch benommen an der Kombüsenwand hockte und sich den Schädel hielt. „Wenn ich den Lausekerl erwische!“ sagte er drohend und zog den Daumen über die Schneide eines Küchenmessers. Aber der Profos ließ nicht locker. „Ich will wissen, wo Bill war, als die Dons uns rammten, du Hammel!“ brüllte er. „Und wenn du nicht augenblicklich das Maul auftust, dann ...“ Der Kutscher taumelte hoch. „Schon gut, Ed. Der Junge steckt irgendwo mittschiffs unter dem Hauptdeck, ich ...“ Carberry zuckte zusammen. „Und das sagst du erst jetzt? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Mann, wenn du nicht einen Dachschaden hättest ...“ Der Profos sauste los, Ferris Tucker folgte ihm, ebenfalls Ben Brighton und der Seewolf. Als sich noch mehr Männer anschließen wollten, stoppte Hasard sie. „Kümmert euch um die Brände. Ladet die Geschütze neu, wir wissen ja nicht, ob wir nicht noch einmal mit den Dons aneinandergeraten. Die haben auch ganz schön etwas abgekriegt.“
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Gemeinsam drangen sie ins Innere der „Isabella“ vor. Und es stellte sich heraus, daß die Schäden schwerer waren, als es auf den ersten Blick zu erkennen gewesen war. Bohlentüren klemmten, dort, wo sich über der Wasserlinie das Loch in der Bordwand befand, stachen die Trümmer ins Schiff und waberte dicker grauer Nebel ins Innere der „Isabella“. Außerdem rann Wasser in den Rumpf, denn die Bordwand hatte nicht nur ein Loch, sondern sie war auch bis unter die Wasserlinie eingedrückt. Die Männer fluchten. Am meisten der Schiffszimmermann, denn was da an Arbeit auf ihn wartete, das sah er mit einem Blick. Aber wo war Bill? Der Seewolf rief nach ihm. Carberrys Donnerstimme ließ die Verbände des Rumpfes erbeben, Ben Brighton und der Schiffszimmermann brüllten sich ebenfalls die Lunge aus dem Hals. Keine Antwort. „Himmelarsch, wo steckt der Bengel?“ fragte Carberry, und er spürte, wie ihm außer dem Blut jetzt auch noch der Schweiß über den Körper zu rinnen begann. Und dann fanden sie den ersten Spanier. Tot. Er lag hinter einem Schott, das sie nur mit Mühe aufbrachten. Der Seewolf blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Auch Ferris Tucker wurde blaß. Denn der Spanier sah schlimm aus. „Hasard, das war eine meiner Flaschenbomben!“ sagte der rothaarige Hüne. „Wer hat die zur Detonation gebracht? Und warum?“ Der Seewolf antwortete nicht, und diesmal war sogar der Profos verstummt. Verbissen suchten sie weiter. Sie fanden einen zweiten und dann noch einen dritten Spanier –weiter hinten im Schiff, dort, wo es zur Pulverkammer der „Isabella“ ging, die in diesem Schiff nicht nur durch das Achterkastell zu erreichen war. Und dann fanden sie Bill. Er lag zwischen den Fässern, eine schwere Muskete noch in seiner Bewußtlosigkeit umklammert,
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neben ihm zwei Flaschenbomben aus Ferris Tuckers Fertigung. Die Männer starrten das magere Bürschchen an. Als erster beugte sich der Profos zu ihm hinunter. Lange horchte er an der Brust des Schiffsjungen, und die anderen sahen ihm aus bangen Augen zu. Schließlich richtete Carberry sich auf. „Er lebt, aber er ist ohnmächtig. Der Kutscher muß ihn sofort untersuchen. Der kleine Kerl hat uns allen das Leben und darüber hinaus die ‚Isabella' gerettet. Hätten die Dons unsere Pulverkammer erreicht ...“ Der Profos hob den Jungen auf. Auch Bill blutete aus mehreren leichten Wunden. Sein Gesicht war vom Pulverschmauch geschwärzt. Der Seewolf strich ihm übers Haar. „Es war sein erster Kampf, den er ganz auf sich allein gestellt durchkämpfen mußte. Es waren seine ersten Gegner, gegen die er sich Auge in Auge behaupten mußte, wenn er nicht sterben wollte. Es waren drei Mann, mit denen er ganz allein hier unten im Schiff fertig wurde – ich weiß, wie einem danach zumute ist. Ich weiß, wie das ist, wenn man seinen ersten Gegner getötet hat, weil es nur eins gab: er oder ich. Bringt ihn an Deck, und ich will, daß er schläft, sobald der Kutscher ihn verbunden hat. Aber von heute an ist er ein vollwertiges Mitglied unserer Besatzung, auch wenn er weiterhin als Schiffsjunge Dienst tun wird. Aus diesem Jungen wird noch etwas, das weiß ich!“ Die Männer starrten den Seewolf an. Es war nicht seine Art, so lange Reden zu halten. Aber sie spürten, daß den Seewolf irgend etwas gepackt hatte, daß dieser einsame Kampf, den Bill hier unten im Rumpf der „Isabella“ mit drei kampferfahrenen Spaniern durchgestanden hatte, irgendwelche Erinnerungen in ihm geweckt haben mußte. Sie trugen den Jungen an Deck, und der Kutscher, der inzwischen wieder leidlich klar war, kümmerte sich sofort um ihn. Dann verarztete er die anderen Verwundeten, und anschließend begann die schwere Arbeit, das Schiff wieder halbwegs zu klarieren.
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„Wir müssen irgendeine Bucht anlaufen, Hasard“, sagte der Schiffszimmermann, als sich der dichte Nebel bei hereinbrechender Dunkelheit in schwarze Schwaden verwandelte, die wie Unheilsboten über Deck und durch die Takelage krochen. „Ich habe das Leck mit Persenning abgedeckt, mehr war hier draußen nicht möglich. Aber gnade uns Gott, wenn nach dem Nebel ein Sturm ausbrechen sollte.“ Hasard wußte, wie recht der Schiffszimmermann hatte. Er winkte Ben Brighton zu sich. „Ben, wir werden jetzt noch einmal versuchen, unsere ungefähre Position festzustellen. Laß die Ausgucks doppelt bemannen. Was vorhin passiert ist, darf nie wieder passieren. Auch wenn unsere Männer keine Schuld haben, denn als sie das fremde Schiff aus dem Nebel auftauchen sahen, war es schon zu spät.“ Er dachte einen Moment nach, und als Ben Brighton schon vom Achterdeck abentern wollte, hielt er ihn zurück. „Dieser Spanier hat noch etwas zu mir gesagt, was ich nicht verstanden habe. Er hielt mich anfangs für einen gewissen El Mot. Wahrscheinlich hat er angenommen, auf dessen Schiff gestoßen zu sein. Aber wer ist dieser Kerl? Weshalb wird er von den Spaniern gejagt? Es muß also irgendwo Land in der Nähe sein. Vielleicht ist es ein Pirat, der den Dons schwer zusetzt.“ Die beiden Männer verließen das Achterdeck und verschwanden im Achterkastell der „Isabella“. Und diesmal gelangten sie auch ohne Zwischenfälle in Hasards Kammer und breiteten die Karten aus. Aber in einem Punkt hatte sich der Seewolf geirrt: El Mot war alles andere als ein Pirat. Und das sollte die „Isabella“-Crew noch erfahren. 2. Capitan de Toria schwamm um sein Leben. Er sah den Schatten der „Valencia“ vor sich im Nebel — gerade noch erkennbar.
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De Toria war ein ausgezeichneter Schwimmer, aber so sehr er sich auch anstrengte, die „Valencia“ schien schneller abzutreiben, als er zu schwimmen vermochte. Aber de Toria gab nicht auf. Noch einmal setzte er zu einem Endspurt an, in den er alles an Kraft legte, was er noch hatte. Mit gewaltigen Stößen warf er sich durch das auf gischtende Wasser. Dabei brüllte er aus Leibeskräften den Namen seines ersten Offiziers, den er als seinen Stellvertreter an Bord der „Valencia“ wußte. „Senor Domingo — verdammt, schlaft ihr verfluchten Kerle denn alle? Holt mich an Bord, ich kann die ‚Valencia' sehen, ich schwimme von ihrer Steuerbordseite auf sie zu, aber sie treibt zu schnell ab, ich schaffe das nicht!“ Capitan de Toria brüllte wieder und wieder durch den Nebel, und er wußte genau, daß er verloren war, wenn seine Leute ihn nicht hörten. Bis zur Insel schaffte er es niemals. Außerdem dachte er mit Grauen an die Haie, von denen die Gegend um „BwanaLand“, wie die Schwarzen die Insel nannten, nur so wimmelte. De Toria schwamm weiter, er brachte es sogar fertig, seine Anstrengungen noch zu vergrößern. Aber es half ihm nichts, die „Valencia“ schien sich vor seinen Augen im Nebel aufzulösen. Die Konturen des großen Schiffes verschwammen mehr und mehr. Erschöpft hielt de Toria inne. Sein Herz hämmerte wie wild, er keuchte, und für einen Moment drehte sich alles vor seinen Augen. Aber dann unternahm er abermals einen Versuch. Er sog Luft in die schmerzenden Lungen und brüllte abermals zum Schiff hinüber, so laut er vermochte. Dann lauschte er — und plötzlich drang von irgendwoher eine Stimme an seine Ohren. „Capitan wo sind Sie? Ich habe Sie gehört! Wir lassen ein Boot zu Wasser, rufen Sie weiter! In diesem Nebel finden wir Sie sonst nicht!“
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Der Capitan erkannte die Stimme seines ersten Offiziers, auch wenn sie durch den Nebel eigentümlich verzerrt wirkte. „Hier bin ich, Domingo! An Steuerbord, aber ich sehe die ‚Valencia' nicht mehr, sie ist im Nebel verschwunden, sie treibt ab!“ Der erste Offizier antwortete sofort. Gleichzeitig erschallten laute Kommandos an Deck der Kriegsgaleone. De Toria vernahm sie ganz deutlich durch den Nebel. Er begann, Wasser zu treten. Auf seinen ersten Offizier konnte er sich verlassen, Domingo war ein erstklassiger Seemann. Nur die Haie —dachte der Capitan. Wenn eine dieser Bestien ihn aufstöberte, war es um ihn geschehen. „Beeilt euch, Männer!“ brüllte er durch die grauen, dichten Nebelschwaden und erhielt auch sofort Antwort. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis das Boot ihn fand. Sein erster Offizier zog ihn an Bord, einige der Männer halfen ihm dabei. Capitan de Toria wischte sich das salzige Wasser aus der Stirn, während es aus seinen nassen Kleidern auf den Boden des Beibootes rann. „Ich werde Ihnen das nicht vergessen, Senor Domingo. Ich hätte in dieser Suppe keine Chance mehr gehabt. Und irgendwann wären auch die Haie erschienen ...“ De Toria spürte, wie ihm bei diesem Gedanken erneut Schauer über den Rücken rannen. Er war schon einmal zwei Haien nur mit äußerster Not entkommen, und das auch nur, weil er sich nahe genug beim Ufer befunden hatte. Aber er sah noch immer die weitgeöffneten Rachen mit den messerscharfen Zähnen vor sich und die kalten Augen dieser beiden Bestien. „Zum Schiff zurück, oder wir finden es nicht mehr!“ sagte de Toria, aber sein erster Offizier wies lächelnd auf eine Leine, die am Heck des Bootes befestigt worden war und die de Toria auch erst in diesem Augenblick bemerkte. „Wir können die ‚Valencia' nicht verlieren, Senor Capitan. Es war mir zu riskant, in diesem Nebel und bei den hier
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herrschenden Strömungen ohne Sicherheitsleine nach Ihnen zu suchen.“ Er gab Anweisung, die Muskete, die einer der Männer bei sich führte, abzufeuern. Der Schuß löste sich dröhnend und brach sich im Nebel. Gleich darauf wurde die Leine von Bord der „Valencia“ aus eingeholt. Zehn Minuten später befanden sich de Toria und die Männer, die ihn gerettet hatten, wieder an Bord. Capitan de Toria atmete auf, aber dann sah er sich um und winkte gleichzeitig seinen ersten Offizier zu sich heran. „Es war nicht El Mot, Senor Domingo, dem wir begegnet sind.“ Sein Gesicht hatte sich verfinstert. Senor Domingo starrte ihn ungläubig an. Er hatte die „Valencia“ während des Kampfes nicht verlassen und wußte nicht, was wirklich geschehen war. „Nicht El Mot, Capitan?“ fragte er ungläubig. „Wer sollte sich denn sonst noch in der Nähe von Bwana-Land herumtreiben?“ „Ich habe auch viel zu spät gemerkt, mit wem wir es zu tun hatten, und daran war dieser verdammte Nebel und das ganze Durcheinander schuld, das der Zusammenstoß der beiden Schiffe heraufbeschworen hatte. Der Kerl, dem ich gegenübergestanden habe, war der Seewolf, Senor Domingo! Spaniens Staatsfeind Nummer eins, auf dessen Ergreifung oder Vernichtung von der Spanischen Krone immer noch eine hohe Prämie ausgesetzt ist. Und dieser Kerl ist uns wieder entwischt!“ Die Augen des Capitans begannen zu funkeln. Domingo wollte etwas fragen, aber der Capitan bedeutete ihm mit einer raschen Handbewegung, zu schweigen. „Und ich war noch so dumm, mich diesem Piraten gegenüber ritterlich und fair verhalten zu wollen. Ich habe ihm noch einen Degen zugeworfen, weil er nur einen Belegnagel in der Hand hielt. Und was tun diese hinterhältigen Schufte? Sie packen mich von hinten und werfen mich einfach über Bord. Aber sie hätten mich besser umgebracht, Senor Domingo. Denn ich werde den Seewolf von jetzt an jagen, und
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wenn ich bis ans Ende der Welt segeln müßte. Aber eine Chance erhält dieser Kerl und seine ganze Bande von Halsabschneidern nie mehr von mir, einen solchen Fehler begeht Capitan de Toria immer nur einmal!“ Der erste Offizier hatte ungläubig zugehört. „Der Seewolf?“ fragte er dann leise und konnte es noch nicht fassen. „Der Mann, der Capitan Roca und seine ganze Crew auf das Höllenriff gelockt und sie dort vernichtet hat? Der Mann, der unserer Allerkatholischsten Majestät schon so unermeßlichen Schaden zugefügt hat?“ De Toria nickte. „Genau der. Ich habe ihn erkannt. Ich weiß, daß es eine Jagd auf Leben und Tod werden wird, denn der Seewolf ist nicht nur ein mutiger, sondern auch gerissener Gegner.“ De Toria starrte einen Moment auf die Planken des Decks. Dabei nahm sein Gesicht einen entschlossenen, harten und verbissenen Ausdruck an. „Ich schwöre es Ihnen, Senor Domingo am Ende dieser Jagd wird es nur noch eine Besatzung und ein Schiff geben, und zwar die ‚Valencia' und uns. Ich werde den Seewolf vernichten. Die Rechnung von damals und die von heute wird beglichen!“ Die Unterhaltung zwischen den beiden Offizieren war hastig geführt worden. Der Capitan stand mit den Füßen in einer Wasserlache, die sich ständig durch das Wasser, das aus seinen Kleidern rann, vergrößerte. Ein Ruck ging durch seine große hagere Gestalt—es war, als sei er soeben aus einem Traum erwacht. „Senor Domingo“, sagte er, und seine Stimme hatte plötzlich wieder den alten, befehlsgewohnten Klang, „was ist mit der ‚Valencia'? Welche Schäden hat das Schiff?“ Sein Blick wanderte über Deck, und was er sah, war schlimm. Der Bug der „Valencia“ samt Vorkastell war eingedrückt. Der Fockmast hing über Bord. Brände flackerten an mehreren Stellen zwischen dem Gewirr von laufendem und stehendem Gut und Segeltuch. Ein paar Tote lagen an
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Deck, ein Feldscher kümmerte sich um Verwundete. Was de Toria aber noch weit mehr beunruhigte, war, daß die „Valencia“ nach Steuerbord krängte. Und wie ihm schien, mit jeder Minute mehr. Der Capitan sah seinen ersten Offizier an. „Wir machen Wasser an Steuerbord, Senor Domingo. Ist Ihnen die Krängung des Schiffs entgangen? Dieser verfluchte Seewolf hat uns aus allernächster Nähe ein paar Ladungen aus seinen Culverinen in die Steuerbordseite gejagt. Warum wurde nicht längst ein Leckdichtungskommando aufgestellt?“ Seine Stimme klang jetzt scharf. „Senor Capitan“, setzte Domingo zu seiner Verteidigung an, aber er wurde vom herbeieilenden Bootsmann unterbrochen. „Capitan, wir haben an Steuerbord unter der Wasserlinie ein Leck. Die Kugel hat ein paar Planken zerschmettert, sie sind eben unter dem Druck des eindringenden Wassers ganz zusammengebrochen, das Schiff läuft voll!“ Capitan de Toria stieß eine Verwünschung aus. „Wo ist der Schiffszimmermann?“ fuhr er den Bootsmann an. „Unten am Leck. Er versucht es provisorisch abzudichten, aber dieser verdammte Kahn ist zu alt und zu morsch. Die Ladungen aus allernächster Nähe haben auch die Verankerung des Hauptmastes angeschlagen, die Segel müssen sofort herunter, oder er bricht beim leisesten Windhauch, Senor Capitan!“ De Toria überlegte nicht lange. Er kannte den Schiffszimmermann und wußte, daß an dessen Beurteilung der Lage nicht zu zweifeln war. „Senor Domingo, lassen Sie Segel bergen. Ich werde nach unten gehen und mir das Leck ansehen. Solange der Nebel anhält, sind wir sicher. Wenn er sich lichtet, droht uns Gefahr. Es kann — wie in diesen Breiten üblich — Sturm geben, oder der Seewolf findet uns und schießt uns zusammen. Lassen Sie sofort alle noch verfügbaren Geschütze laden und die Mannschaft bewaffnen. Außerdem stellen sie sofort genügend Männer an die Pumpen
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und forcieren Sie das Löschen der Brände.“ Leutnant Domingo salutierte, und Capitan de Toria verschwand zusammen mit dem Bootsmann unter Deck. Was der Capitan dort vorfand, übertraf seine allerschlimmsten Erwartungen. Das Leck entpuppte sich als zwei Yards lange Bruchstelle unterhalb der Wasserlinie. De Toria sah auf den ersten Blick, daß keine Pumpe und auch keine Pumpenmannschaft hier helfen konnten. Ebenso wenig wie der Zimmermann\ und sein Leckdichtungskommando. Zumal der Rumpf so unglücklich getroffen worden war, daß ein Hauptspant zerschmettert in den Laderaum ragte und noch weitere Planken nachzugeben drohten. Und es war, wie der Bootsmann gesagt hatte — die „Valencia“. erwies sich als morsch und verbraucht, ein Schiff, das längst hätte abgewrackt werden müssen. De Toria stand bis zu den Hüften neben dem Schiffszimmermann und seinen Leuten im Wasser. „Wie lange, Zimmermann?“ fragte er nur. „Höchstens ein paar Stunden. Dann sackt sie uns unter den Füßen weg. Wenn allerdings noch ein paar Planken nachgeben ...“ Der Bootsmann sprach den Satz nicht zu Ende, sondern hob nur die Schultern. De Toria knirschte vor Zorn mit den Zähnen. Das hatte ihm noch gefehlt. Er sollte diesen Piraten El Mot jagen. Er sollte den Alkalden in Majunga absetzen und auf Bwana-Land im Auftrag der spanischen Regierung die Ordnung wiederherstellen und dafür sorgen, daß die Erträge aus den Gold- und Silberminen nicht in die Taschen eines betrügerischen Alkalden strömten, sondern in die Schatzkammern ihrer Allerkatholischsten Majestät. Und jetzt? Jetzt hatte er statt zwei Gegnern deren drei, aber kein Schiff mehr, mit dem er sie verfolgen, bekämpfen und vernichten konnte. De Toria stand im Wasser und starrte auf die Luftblasen, die immer wieder neben ihm und den Männern mit entnervendem Geräusch zerplatzten. Er starrte auf die
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nässeglänzenden Rücken des Bootsmannes, des Schiffszimmermannes und seiner Helfer, die dem Meer verbissen noch ein paar Stunden abzuringen versuchten. Und sie wußten nicht einmal genau, wie weit sie in diesem Moment noch von der rettenden Küste entfernt waren. „Tun Sie Ihr Möglichstes, Zimmermann“, sagte de Toria. „Jede Stunde, die wir die ‚Valencia' von jetzt an über Wasser halten, zählt. Wenn Sie aber merken, daß es nicht mehr geht, dann kommen Sie mit ihren Männern an Deck. Ich werde dort alles zum Verlassen des Schiffes vorbereiten.“ De Toria verließ den Laderaum. Aber so aussichtslos die Lage auch zu sein schien, er gab die Hoffnung auf ein Wunder nicht auf. Außerdem formte sich in seinem Hirn ein Plan. Er würde jede seiner Aufgaben erfüllen, daran gab es für ihn auch in diesem Moment nicht den geringsten Zweifel. Seine Gegner sollten sich noch wundern. Auch dieser verfluchte Seewolf! * Es gab noch ein drittes Schiff, das gar nicht weit von der „Valencia“ und der immer noch mit der Strömung dahintreibenden „Isabella“ des Seewolfs entfernt in einer stillen Bucht vor Anker lag. Es war gut gegen Sicht gedeckt, weil ein schroffer Felsvorsprung mit steil abfallenden Wänden die Masten der „Majunga“ weit überragten. Vom Lager, das sich ebenfalls hinter dieser Felsnase befand und von dem aus die „Majunga“ normalerweise gut zu sehen war, wenn sie in der Bucht lag, drangen Geschrei und laute Kommandos schwach durch den Nebel herüber. El Mot lehnte am Besan seiner Galeone, einem rank gebauten Schiff, dem man schon von weitem ansah, daß es ein schneller Segler war. Von seiner starken Bewaffnung war nicht viel zu erkennen, die hatte El Mot sorgfältig verborgen. Gerade dadurch war sie jedoch schon vielen Angreifern zum Verhängnis geworden. Zwanzig Zwanzigpfünder mit ähnlich überlangen Rohren wie die
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Culverinen der „Isabella“ sie hatten, lauerten hinter getarnten Geschützpforten. Auf der Back der „Majunga“, ebenfalls gut getarnt, stand ein überschwerer Mörser, der allein schon genügte, um ein Schiff mit ein paar gezielten Schüssen aus der richtigen Entfernung kampfunfähig zu machen. Ein paar Drehbassen, die geradezu harmlos wirkten, vervollständigten die Bewaffnung. Die „Majunga“ hatte vier Masten und war mindestens so groß wie der schwarze Segler Siri Tongs. El Mot, ein dunkelhäutiger Mann mit scharfer Hakennase, über sechs Fuß groß und mit pechschwarzen Augen, ein Mann, dem man das arabische Blut, das in seinen Adern kreiste, schon von weitem ansah, schüttelte den Kopf. „Nein, Ben Harim, ich habe mich nicht getäuscht. Meine Ohren sind gut. Ich habe Kanonendonner gehört, also ist draußen auf See auch geschossen worden. Und es waren keine kleinen Kaliber!“ Wieder richtete sich der Blick seiner schwarzen Augen gegen den Himmel, so, als könnten sie den Nebel durchdringen. „Ich möchte wissen, wer geschossen hat. Nur der Scheitan kann uns diesen Mann auf den Hals gehetzt haben, an den ich jetzt denke: nämlich Capitan de Toria. Der Alkalde hat mich gewarnt, und dabei hat dieser Narr mir anfangs nicht einmal glauben wollen, daß der Besuch dieses Capitans ihm ebenso gilt wie mir!“ El Mot lachte, aber es war ein leises, gefährliches Lachen. „Ich sollte ihn seinem Schicksal überlassen, und das bestünde entweder darin, in der Folter zu sterben oder aber mit einem soliden Strick aus Hanf an der Rah der Kriegsgaleone aufgeknüpft zu werden, falls man herausbringt, was dieser Halunke die ganzen Jahre hier auf Bwana-Land getrieben hat.“ Wieder schwieg El Mot und lauschte in den Nebel hinein. „Aber ich kann das nicht, ich brauche diesen Dreckskerl noch, bis meine Geschäfte auf Bwana-Land abgewickelt sind. Deswegen werde ich ihm helfen. Der Capitan wird den Alkalden weder foltern noch hängen. Dafür sorgen die Männer, die
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ihn auf meinen Befehl hin bewachen. Aber ich will wissen, wer da draußen geschossen hat, ich muß es wissen. Und deswegen wirst du jetzt mit ein paar Männern jede der Buchten im näheren Umkreis absuchen. Vielleicht muß eins der Schiffe eine der Buchten anlaufen, um seine Schäden auszubessern. Kapiert, Ben Harim?“ Der andere, ein ebenfalls hagerer, aber wesentlich kleinerer Mann mit wieselflinken und wachsamen Augen, nickte. „Ich werde nicht nur eine Gruppe nehmen, El Mot. Ich werde alle Buchten, die uns gefährlich werden könnten, durchkämmen lassen. Meine Männer kennen sich hier aus, und sie verstehen ihr Handwerk. Falls wir Gefangene mitbringen, werden sie plaudern.“ El Mot nickte. Dann ging er langsam über das Achterdeck seines Schiffes. Doch am Niedergang zum Hauptdeck blieb er noch einmal stehen. „Sei auf der Hut, Ben Harim. Nach alledem, was ich über Capitan de Toria erfahren habe, ist der Kerl kein Dummkopf.“ Nach dieser Warnung verschwand El Mot im Nebel. Es war, als würden die grauen Schwaden seine große, hagere Gestalt verschlucken. Ben Harim verlor keine Zeit. Er kannte El Mot lange genug, und er wußte, wie grausam dieser Mann reagierte, wenn man seine Befehle nicht sofort befolgte. Ben Harim winkte zwei Männer zu sich heran. „Rudert mich an Land“, sagte er nur und schwang sich in das kleine Boot, das an der Backbordseite der „Majunga“ vertäut war. Die beiden Männer, sonnenverbrannte Gestalten, deren Herkunft nicht mehr zu erraten war, gehorchten schweigend. Als sie das Boot von der Galeone lösten und der versteckten Niederlassung El Mots entgegenruderten, herrschte auf der „Majunga“ Totenstille - wie auf einem Totenschiff, und so etwas Ähnliches war sie auch.
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Zur selben Zeit starrte etwa hundert Meilen entfernt der Alkalde von Majunga durch eins der Fenster seines Regierungspalastes in den Nebel. Er war ein großer, hagerer Mann mit einer auffallenden Raubvogelphysiognomie - scharfe Nase, stechende Augen, schmale Hände mit langen, krallenartigen Fingern. Sein Kopf saß auf einem faltigen Hals, dessen lederartige Haut wie von der Sonne verbrannt und verdörrt wirkte. Aber obwohl der Alkalde von Majunga die Mitte des Lebens bereits überschritten hatte, sah man ihm auf den ersten Blick an, daß er sich noch im Vollbesitz seiner Kräfte befand. Seine Haltung und die wenigen Bewegungen, mit denen er näher an das Fenster trat und dann einen weiteren Mann zu sich heranwinkte, wiesen das aus. Der zweite Mann, jünger als der Alkalde, verneigte sich. „Was steht zu Diensten, Exzellenz?“ fragte er. Der Alkalde bohrte den Blick seiner Raubvogelaugen in das Gesicht seines Untergebenen. Und dieser Blick war so eisig, so abschätzend und so bar jeden Gefühls, daß der andere unwillkürlich unter diesem Blick in sich zusammenkroch. Er verneigte sich abermals. „Don Bastia, ich ...“ Der Alkalde schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Ich habe keine Erklärungen oder Entschuldigungen von ihnen verlangt, Faro. Sie haben den Nebel nicht herbeigezaubert.“ Wieder dienerte Senor Faro, aber seine Augen nahmen einen verschlagenen Ausdruck an, denn er wußte, auf was der Alkalde hinaus wollte und was ihn seit Tagen beunruhigte. Trotzdem rührte er sich nicht, denn er haßte den Alkalden, weil er von ihm immer wieder aufs schwerste gedemütigt worden war. Aber er war sich auch darüber im klaren, daß er seine eigenen geheimen Pläne nur mit Hilfe des Alkalden verwirklichen konnte, und deswegen nahm er das alles hin.
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Don Bastia sah seinen Untergebenen an. Er wußte genau, was in dieser Ratte vor sich ging, aber auch der Alkalde brauchte Senor Faro, wie dieses Subjekt sich zu nennen beliebte. Und deshalb beschloß er, etwas freundlicher zu sein. „Was sagten Sie, Senor, wann hätte die ‚Valencia' mit Capitan de Toria hier aufkreuzen sollen? Waren Ihre Gewährsleute zuverlässig?“ Senor Faro hob die Schultern. „Soweit man das bei einem Schiff überhaupt sein kann, glaube ich ja. Die ‚Valencia' ist sogar schon überfällig, ich hätte von El Mot längst eine Nachricht haben müssen, daß die Sache geklappt hat. Es sei denn ...“ „Es sei denn was?“ fragte Don Bastia grob dazwischen und vergaß seine guten Vorsätze wieder. „Es sei denn, daß der Nebel sich auf See schon viel früher gebildet hat und die ‚Valencia' aufgehalten wurde. Kein kluger Kapitän segelt in fremden Gewässern ohne ausreichende Sicht, falls es überhaupt Wind für die Segel gegeben haben sollte. Und natürlich gilt das gleiche für unseren Freund El Mot ...“ „Freund? Senor Faro, manchmal zweifle ich an Ihrem Verstand! Wie können Sie einen Piraten und Sklavenhändler als Freund der Spanischen Krone bezeichnen? Sie müssen wahnsinnig sein. Wir benutzen El Mot, solange wir ihn brauchen. Vergessen Sie das nie, Senor. Und falls Sie irgendwelche Pläne haben sollten, mit El Mot gemeinsame Sache machen zu wollen — ich würde davon erfahren. Sie haben die Wahl, als reicher Mann dieses verfluchte Bwana-Land mit mir zu verlassen oder hier auf sehr unangenehme Weise ihr Leben zu beenden. Ich warne Sie, Senor Faro, das war schon lange fällig. Oder glauben Sie, mir wäre nicht bekannt, daß El Mot oder auch sein Unterführer Sie in der letzten Zeit oft heimlich besucht hat? Ihr Haus wird überwacht und jeder ihrer Schritte ebenfalls. Sie können mich für einfältig halten, daß ich Ihnen das sage. Ich weiß auch, daß Sie mich hassen und' mich am liebsten umbringen würden. Aber wir beide können einander nützlich sein,
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Senor, das allein zählt bei mir in diesem Augenblick.“ Senor Faro war blaß geworden. Er hatte sich aufgerichtet und wich ein paar Schritte zurück. Er hatte in diesem Moment Mühe, sich zu beherrschen, außerdem spürte er die Angst in sich aufsteigen. Dieser Mann dort, der würde ihn genauso benutzen wie El Mot und ihn dann abservieren. Er konnte es gar nicht riskieren, im spanischen Mutterland einen solchen Zeugen seiner Veruntreuungen und Untaten zu haben. Oder doch? Schließlich hatte Don Bastia den mächtigen Gouverneur der Süd-Region von Bwana-Land zum Freund. Er hatte ihm durch El Mot eine ganze Reihe von Sklavenladungen beschafft, die zum Teil sogar zur neuen Welt transportiert worden waren. Er hatte ihm über El Mot so viele junge schwarze Mädchen verschafft, wie der Gouverneur haben wollte, er hatte ihm Tipps gegeben, wo es drüben am Festland Gold und Silberminen gab. Faro wußte, daß der Gouverneur voll hinter Don Bastia stand, umso weniger begriff er die Sache mit de Toria. Eine geheime Nachricht hatte gelautet, daß Don Bastias Veruntreuungen bei Hofe bekannt geworden und nicht ohne Folgen geblieben seien und man. de Toria beauftragt habe, eine strenge Untersuchung gegen den Alkalden zu führen. Und er, Faro, hielt es nicht einmal für ausgeschlossen, daß hinter dieser Sache sogar vielleicht der Gouverneur der Südregion persönlich steckte. Um seine eigene Haut zu retten, konnte er Anzeige erstattet haben. Möglich war jedenfalls alles. Aber, zum Teufel, was sollte er, Faro, jetzt tun? Was war richtig, was falsch und damit tödlich? War der Plan, den er mit El Mot und dessen Unterführer Ben Harim ausgeheckt hatte, dem Alkalden etwa verraten worden? Dann allerdings war sein Leben keine Peseta mehr wert. Das alles war Faro blitzartig durch den Kopf gegangen. Er konnte das alles nicht entscheiden, er mußte in Ruhe darüber nachdenken, und dazu war jetzt keine Zeit.
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Er verneigte sich und sah den Alkalden dabei von unten an. „Exzellenz“, sagte er, „das sind schwere Vorwürfe, die ich nicht verdiene. Ich bin Ihnen treu ergeben, ich ...“ „Ich sehe, Sie haben mich verstanden, Senor. Lassen wir das jetzt, was geschehen wird — mit Ihnen meine ich, ob Sie reich oder tot sein werden —, das liegt allein bei Ihnen selbst. Jetzt will ich etwas anderes wissen: Halten Sie es für möglich, daß El Mot und seine Männer de Toria trotz des Nebels erwischen konnten?“ Faro schüttelte den Kopf. Er war selbst lange genug auf den Schiffen der spanischen Flotte gefahren und daher nicht ganz ohne Erfahrung. „Nein, bei dieser Suppe bestimmt nicht. El Mot ist nicht so dumm, unter diesen Umständen seinen Schlupfwinkel zu verlassen. Er kennt die Küste und weiß, wie gefährlich sie durch die vielen Riffe ist. Aber was schadet das? De Toria ist mit seiner ‚Valencia' genauso behindert und muß irgendwo Anker werfen. Er kann weder die Bucht von Majunga noch sonst irgendetwas finden. Da El Mot aber weiß, daß de Toria hierher will, wird er ihn abfangen, sobald es aufklart. Er hat das bessere und stärkere Schiff und auch die bessere Mannschaft, das ist sicher. Ich habe El Mot schon kämpfen sehen. Gegen ihn hat de Toria keine Chance.“ Der Alkalde starrte wieder hinaus in den Nebel. Er dachte in diesem Moment an die Männer, die der Pirat in Majunga zu seinem Schutz postiert hatte. Nein, es gab wirklich keinen Grund, sich zu beunruhigen. Und was konnte er, der Alkalde, schließlich dafür, wenn eine spanische Kriegsgaleone vor Erreichen des Hafens von einem Piraten überfallen und vernichtet wurde? Er bedachte Faro mit einem kurzen Blick. Dabei stand fest, daß dieser lästige Zeuge verschwinden mußte. Genau wie El Mot. Und Don Bastia — alles andere als feige —glaubte auch schon zu wissen, wie. „Gut, Senor Faro“, sagte er daher. „Warum streiten wir uns eigentlich immer? Ich weiß Ihre Dienste sehr wohl zu schätzen, ich
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wollte Ihnen nur noch einmal deutlich zu verstehen geben, welche Seite für Sie die gesündere ist. Wenn alles vorbei ist, werde ich nicht vergessen, was Sie getan haben. Lassen Sie uns jetzt essen gehen. Hinterher werden wir uns ein paar der neuen Mädchen vorführen lassen.“ Faro dienerte. Dann folgte er dem Alkalden. Nur ahnte er genauso wenig wie Don Bastia, daß die Dinge vor der Küste einen gänzlich anderen Verlauf zu nehmen begannen, als geplant war. 3. Am Nachmittag dieses Tages ereilte die „Valencia“ ihr Schicksal. Das geschah nicht unerwartet, denn Capitan de Toria wußte längst, daß sich sein Schiff nicht mehr lange halten konnte. Aber es geschah zu einem Zeitpunkt, als noch keiner der Männer wirklich damit rechnete. Die Seeleute hatten seit Stunden damit begonnen, unter Anleitung des zweiten Schiffszimmermanns aus allen möglichen Holzteilen Flöße und Rettungsinseln zu bauen, auf denen sie wenigstens einigermaßen vor den Haien Zuflucht finden konnten, wenn die Stunde des Untergangs der „Valencia“ nahte. De Toria hatte den Befehl dazu gegeben, denn er wußte, welch grauenhaftes Ende seine Männer sonst in diesen Gewässern erwartete. Der Nebel würde ohnehin vielen das Leben kosten. Sie wußten zwar, daß sie nicht weit von der Küste jener riesigen Insel, die die Schwarzen Bwana-Land nannten und deren Namen seine Landsleute in Ermangelung eines anderen vorläufig übernommen hatten, entfernt sein konnten. Aber sie hatten die Orientierung im dichten Nebel, der nicht weichen wollte, verloren. Viele würden auf die offene See hinausgetrieben werden, dort verdursten, in der brennenden Sonne den Verstand verlieren oder von Haien gefressen werden. De Toria war ein Mann, der den Tatsachen gelassen ins Auge sah. Wußte er doch
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selber nicht, ob er nicht auch zu jenen gehören würde, die die Küste nie erreichten. Er hatte nur einen Vorteil: mit einer Gruppe ausgesuchter Leute würde er in einem der Boote sein Glück versuchen. Nach langem Überlegen hatte er sich zu diesem Entschluß durchgerungen, und es ging ihm dabei nicht nur ums Überleben. Aber er wollte und mußte es schaffen, denn einmal galt es, dem schurkischen Alkalden in Majunga und seinen Helfershelfern das Handwerk zu legen, zum anderen wollte er den Seewolf jagen und diesen Staatsfeind Spaniens vernichten. Dieser Überlegung mußten sich alle anderen Überlegungen beugen. Es war de Toria daher auch gleichgültig, ob er einige seiner Männer opfern mußte oder nicht. Aus Gründen der Sicherheit waren die Boote längst zu Wasser gebracht worden. Das Boot, das er benutzen wollte, lag an Backbord, bewacht und bemannt mit jener Gruppe, die von seinem ersten Offizier, Senor Domingo, zusammengestellt worden war. Capitan de Toria war nicht entgangen, daß die „Valencia“ mehr und mehr nach Steuerbord krängte und zugleich mit dem Vorschiff tiefer und tiefer in die See eintauchte. Aber er war auf das plötzliche Kentern der „Valencia“ nicht gefaßt. Er sah gerade noch, wie der Schiffszimmermann mit seiner Lecksicherungsgruppe aus einem der Niedergänge an Deck torkelte und irgendetwas schrie. Einige der Männer sprangen auf - und dann hastete plötzlich alles in wilder Panik über die Decks. Die „Valencia“ rollte nach Steuerbord. In etwa sechzig Grad verharrte sie für eine knappe Minute, während ihr Vorderkastell endgültig in der See verschwand. Der Capitan begriff schnell. Er klammerte sich an der Schmuckbalustrade des Achterkastells fest, weil er sich bei der Schräglage der Galeone nicht mehr auf den Beinen zu halten vermochte. Mit fast übermenschlicher Kraft hangelte und zog er sich zum Backbordschanzkleid hinüber. Er wollte nicht unter dem kenternden
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Schiff begraben, von Rahen, Stengen, Masten, vom laufenden wie vom stehenden Gut erschlagen werden. Capitan de Toria erreichte das Schanzkleid, als die „Valencia“ sich langsam, aber mit tödlicher Endgültigkeit auf die Steuerbordseite zu wälzen begann. Einige der schweren Geschütze rissen sich aus ihren Brooktauen, durchschlugen das Schanzkleid an Steuerbord und verschwanden in der auf gischtenden See. Männer schrien, der angeschlagene Großmast neigte sich. De Toria ließ sich los. Er rutschte über den Rumpf, auf der Bordwand entlang der rettenden See entgegen. Auf den letzten Yards riß ihm der Muschelbewuchs die Kleider auf und zerfetzte ihm die Haut. Dann klatschte er ins Wasser und tauchte unter. Der Capitan verlor keine Zeit und schwamm um sein Leben. Als er auftauchte, hörte er das Gebrüll seiner Männer, das Poltern im Innern des Schiffes und das Rumpeln der letzten Geschütze, die über Deck rasten und alles zermalmten, was ihnen im Weg stand. Es war ein Chaos sondergleichen. Dann tauchte die „Valencia“ weg. Luftblasen und Trümmer schossen an die Oberfläche. Strudel erfaßten Capitan de Toria und rissen ihn in die Tiefe. Er hatte noch so viel Besinnung, daß er nicht schrie und die wenige Luft, die ihm zur Verfügung stand, in den Lungen behielt. Aber Strudel wirbelten ihn herum, längst vermochte er nicht mehr zu unterscheiden, wo oben und wo unten war. Doch dann spuckte ihn einer der Strudel wieder aus. Gierig schnappte de Toria nach Luft und schwamm mit wilden, von Panik erfüllten Bewegungen auf einen Schatten zu, der sich vor ihm auf der Oberfläche des Meeres schwach abzeichnete. Der Capitan hatte Glück, es war das Boot mit seinem ersten Offizier und jenen Männern, die die Gruppe bildeten, die sein Erster noch vor dem Untergang der „Valencia“ sorgfältig zusammengestellt hatte.
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Hilfreiche Hände packten zu und zogen ihn an Bord, während bereits erste graue Schatten durch das Wasser huschten und die Trümmer sowie die schwimmenden Männer zu umkreisen begannen, die verzweifelt versuchten, sich auf Flöße oder Trümmer zu retten, die vor ihnen in der See trieben. Die ersten entsetzlichen Schreie hallten durch den Nebel. Capitan de Toria und den Seeleuten im Boot rannen eisige Schauer über die Rücken. Jeder von ihnen fuhr lange genug zur See, um zu wissen, daß das große Sterben begonnen hatte. Aber sie sahen nichts, kaum ein paar Yards betrug die Sicht. Irgendetwas stieß an ihr Boot und schob sich an der Bordwand entlang. Voller Entsetzen legten sich die Männer in die Riemen. Noch ehe der erste Offizier oder Capitan de Toria etwas dagegen tun konnten, beschrieb das Boot einen scharfen Bogen nach Backbord. Daß sie dadurch rein zufällig Kurs auf eine nahegelegene Bucht an der Küste BwanaLandes genommen hatten, wußte in diesem Moment keiner von ihnen. Sie wollten weg von dem Ort des Grauens, weg von jener Stelle, die schon bald von Haien wimmeln würde, weg von jenem Ort, an dem ihr Schiff gekentert war und an dem bestimmt unzählige Verzweifelte nur darauf warteten, sich an ihrem Boot festzukrallen, um es auf diese Weise ebenfalls in die Tiefe zu reißen. Sie kannten das, sie hatten es selber in blutigen Seegefechten erlebt oder mit angesehen. Und deswegen sagten weder Capitan de Toria noch Senor Domingo etwas, sondern ließen die Männer rudern. De Toria war das Schicksal seiner Männer nicht gleichgültig, aber er wußte, daß er nichts, absolut nichts für sie tun konnte. Wieder wurden Schreie laut - einer der Seeleute ließ den Riemen fahren, beugte sich über Bord und übergab sich. Dann ruderten sie weiter, und allmählich wurde es still. Irgendwann hörten sie vor sich das Geräusch einer leichten Brandung, denn die See war kaum bewegt. Und da
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wußten sie, daß sie die Küste erreicht hatten. * Den Seewölfen war es unterdessen gelungen, an Bord der „Isabella“ die Ordnung wiederherzustellen. Zwar hatte Ferris Tucker noch keine neue Großrah auf hieven können - er mußte sich erst irgendwoher entsprechendes Holz besorgen -, aber die Brände waren gelöscht, die Decks klariert, die Verwundeten versorgt und Old O'Flynn wieder leidlich trocken und genießbar. Nur um Bill, den Schiffsjungen, sorgten sich die Seewölfe. Der Junge war einmal kurz aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht, aber sofort wieder weg gewesen. Eine üble Beule an seinem Schädel deutete darauf hin, daß er sich eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Ed Carberry strich um den ziemlich ungenießbaren Kutscher herum. Er wollte ihn nicht stören, andererseits aber wissen, wie es um den Jungen stand. Als der Kutscher endlich den Niedergang hinaufpolterte, stellte er sich ihm in den Weg. „Was ist jetzt mit Bill, was, wie? Der Junge hat uns alle davor bewahrt, von diesen Schneckenfressern in die Luft gesprengt zu werden. Also: was ist?“ Der Kutscher hatte erst vorbeiwischen wollen, aber Carberrys Pranken belehrten ihn eines Besseren, denn der Kutscher sah, daß der Profos sofort zupacken würde, sobald er sich auch nur bewegte. „Es geht ihm soweit gut, Ed“, sagte er daher friedlich. „Aber er ist nicht bei Bewußtsein, wir müssen abwarten. Puls ist normal, und das ist immer ein gutes Zeichen. Außerdem ist Bill ein zäher Bursche.“ Er schob sich näher an den Profos heran. „Laß mich durch, Ed. Ich muß nach den anderen sehen, und du solltest dich auch mal um deine Visage kümmern, du blutest immer noch wie ein Schwein!“ Das stimmte, der Profos hatte eine klaffende Wunde auf der linken Wange.
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Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht. Sofort war seine Rechte voller Blut. „Also los, komm schon mit, Ed, ich flicke dich zusammen.“ „Als ob es bei mir noch drauf ankäme, du verdammter ...“ Den Rest verschluckte er jedoch und ließ den Kutscher durch. „Ich werde noch mal nach Bill sehen, dann kannst du mich verarzten, klar?“ Abermals wischte er sich das Blut aus dem Gesicht. Unter Deck begegnete er Al Conroy und Big Old Shane. „Ferris ist noch vorn. Das Leck bereitet ihm Sorge. Wir müssen an Land, die ‚Isabella' muß repariert werden. Der Schaden ist größer, als wir ahnten.“ Carberry musterte die beiden. „He, Al – was ist eigentlich mit den Dons? Ich hatte keine Zeit, das genau zu verfolgen. Hast du ihnen ein paar in den Rumpf gebrannt? Wir sollten gut aufpassen, daß diese Kerle nicht plötzlich wieder unseren Kurs kreuzen. Wir haben jetzt mit uns selber genug zu tun!“ „Ich glaube nicht, Ed, daß die Dons noch schwimmen. Ich weiß, wo ich getroffen habe, außerdem war das ein uralter Kahn. Beim Rammstoß hat's ihm den ganzen Bug und das Vorkastell weggedrückt. Ich glaube nicht, daß wir mit denen noch rechnen müssen.“ „Um so besser. Shane, der Seewolf sucht dich, er will etwas von dir. Auf dem Achterkastell, klar?“ Damit verschwand der Profos. Bei Bill blieb er eine ganze Weile stehen. Aber der Junge rührte sich nicht. Er sah merkwürdig bleich aus. Carberry strich ihm über die Wangen. „Junge, wenn dir was passiert ...“ murmelte er. Was er dann tun würde, sagte Carberry nicht, aber sein Gesicht verhieß nichts Gutes. Er ging noch durchs Schiff zu Ferris Tucker und erkundigte sich dort nach dem Stand der Dinge. „Wenn kein Sturm kommt, Ed“, sagte der rothaarige Hüne. „Wir haben getan, was wir tun konnten. Aber so schwer hat's die ‚Isabella' noch nie erwischt, das steht fest. Wir müssen die Küste finden, diesen
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Breiten hier ist nicht zu trauen. Der erste Sturm, und wir saufen ab wie die Ratten, das ist Tatsache. Du weißt, daß ich nicht so schnell die Flügel hängen lasse!“ Der Profos wußte es. „Leckwache, Ferris. Hier unten muß dauernd jemand sein, klar?“ Luke Morgan richtete sich aus seiner gebückten Haltung auf. „Sag mal, für wie blöd hältst du uns, Ed? Oder hast du auch eins auf deinen Dummschädel gekriegt? Das wäre die einzige Erklärung für eine so dusselige Bemerkung. Mann, wenn du schon nicht mit anpackst, dann verzieh dich gefälligst!“ Carberry packte blitzschnell zu. Mit seinen gewaltigen Pranken zog er den jähzornigen Engländer zu sich heran. „Wenn du nicht irgendwo recht hättest, du Laus, dann würde ich dich jetzt windelweich klopfen, klar? Ich würde dir deinen verdammten Affenarsch … Irritiert ließ der Profos Luke Morgan los, denn die Männer, mit denen Tucker am Leck arbeitete, brachen in lautes Gelächter aus. Auch Ed Carberry grinste plötzlich. „Eine Lage Rum für alle, Ferris“, sagte er. „Miserabler Tag heute, wirklich. Muß doch gleich Old O'Flynn fragen, ob etwa der Dreizehnte ist oder ob die Meermänner wieder an Bord waren!“ Carberry verschwand. Die Männer mochten ihn. Selbst Luke Morgan grinste und rieb sich die Stellen, wo ihn die Pranken des Profos' gepackt hatten. „Ich glaube, Ferris“, sagte er, „ohne Carberry gäb's die ‚Isabella' nicht. Ich kann mir jedenfalls keinen Tag an Bord ohne ihn vorstellen. Und jetzt hole ich unsere Lage Rum, ich hör den Kutscher jetzt schon zetern!“ Unterdessen erreichte Big Old Shane das Achterkastell. In der Kammer von Hasard hatten sich der Seewolf, Ben Brighton und Dan versammelt. Sie hatten sich über eine spanische Seekarte gebeugt. „Hier, in dieser Richtung muß die Küste liegen“, sagte Dan O'Flynn, der schon seit einiger Zeit mit zur Schiffsführung der „Isabella“ gehörte und als Navigator fungierte. „Ich habe die Strömung messen
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lassen und die Abdrift berücksichtigt. Der Wind weht — wenn auch nur leicht —trotz des Nebels immer noch aus Nord. Die ‚Isabella' läuft zur Zeit knapp eine Meile in der Stunde, Strömung, die sich ebenfalls von Nord nach Süd bewegt, mitgerechnet. Die letzten Tage haben ein Etmal von, Moment, durchschnittlich vierzig bis fünfzig Meilen gebracht, vor dem Zusammenstoß. Letztes Besteck wurde hier genommen“, er deutete auf eine Stelle der Karte. „Also müssen wir uns etwa hier befinden. Das heißt, wir müssen Kurs Ost bis Südost steuern, dann werden wir die Küste hier erreichen, falls diese Karteüberhaupt stimmt. Das wär's wohl.“ Der Seewolf nickte. „Stimmt mit meinen Überlegungen und denen von Ben völlig überein, Dan. Wir werden Kurs Südost steuern. Auf der Back soll ständig ein Lotgast die Tiefe aussingen. Du, Shane, kümmerst dich sofort darum, daß die Takelage wieder in Ordnung gebracht wird, soweit das möglich ist. Ferris möchte ich unten am Leck lassen. Ich glaube zwar nicht, daß etwas passieren wird, aber wissen kann man's nie genau.“ Er sah die Männer an. „Was ist mit Bill?“ fragte er dann, und Big Old Shane sagte es ihm. Der Seewolf überlegte. „Bringt den Jungen hierher, in meine Koje. Einer soll bei ihm wachen. Ohne ihn gäbe es uns und die ‚Isabella' nicht mehr. Ich bleibe an Deck.“ Big Old Shane verschwand. Anschließend verließen auch Dan und Ben Brighton die Kapitänskammer im Achterkastell, während der Seewolf noch abwartete, bis der Kutscher den Jungen in seine Koje umgebettet hatte. „Wer hat am meisten abgekriegt, Kutscher?“ fragte er dann. „Matt Davies, Stichwunde in der linken Brustseite. Wie durch ein Wunder ist die Waffe des Spaniers an seinen Rippen abgerutscht. Aber Matt ist an Deck, natürlich kriege ich den Kerl nicht in die Koje.“ Der Seewolf grinste. Er kannte Matt, den Mann mit der Hakenprothese am rechten
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Unterarm zur Genüge. Den steckte gewiß niemand in die Koje, solange er überhaupt noch an Deck herumkriechen konnte. „Gut“, sagte er dann. „Ich habe für Matt eine Aufgabe, die ihn nicht anstrengt. Er und Old O'Flynn wechseln sich mit der Wache bei Bill ab. Ich will, daß ständig einer der beiden bei dem Jungen bleibt. Sobald er zu sich kommt, will ich verständigt werden!“ Der Seewolf verließ nach einem letzten Blick auf den Jungen, dessen Gesicht immer noch sehr bleich wirkte, die Kammer. Der Kutscher sah ihm nach. Er wußte, daß die „Isabella“ und ihre Seewölfe diesmal nur mit viel Glück einer Katastrophe entkommen waren. * Als die Dämmerung einzufallen begann — der Nebel lagerte immer noch unverändert dicht über der See, und auf der „Isabella“ vermochte man vom Achterkastell aus kaum die Umrisse des Großmastes zu erkennen —, geschah plötzlich etwas, womit niemand gerechnet hatte. Stenmark, der als Lotgast auf der Back stand und die Wassertiefe aussang, traute seinen Augen nicht. Von Lotung zu Lotung nahm plötzlich die Wassertiefe rapide ab. Der Seewolf lief zusammen mit Ben Brighton und Carberry zum Vorderkastell. Er nahm dem langen Schweden die Logleine aus der Hand. „Stimmt“, sagte er dann gepreßt. „Wir haben höchstens noch zwanzig Faden Wasser unter dem Kiel. Klar zum Ankern!“ Carberry, Stenmark, Ben Brighton und noch ein paar Männer sprangen ans Spill. Gleich darauf klatschte der Anker ins Wasser. „Runter mit den Lappen!“ brüllte Carberry und fegte zum Hauptdeck hinunter. „Los, in die Wanten ihr Affen, oder ich bringe euch persönlich bei, wozu ihr eure Beine habt!“ Er enterte selber mit auf.
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Der Anker hielt, die „Isabella“ schwoite langsam um die Ankertrosse. Dann herrschte plötzlich Stille auf dem Schiff. Der Seewolf lauschte in die Dämmerung. Ihm war, als höre er ganz schwach irgendwo vor der ‚Isabella' leichte Brandung gegen ein unsichtbares Ufer laufen. Fast die gesamte Besatzung hatte sich um Hasard versammelt. „Hörst du es auch, Smoky?“ fragte er den Decksältesten der „Isabella“, der unmittelbar neben ihm stand. Smoky wiegte den Kopf, aber Batuti, der Gambia-Neger, nahm ihm die Antwort ab. „Batuti aufentern. Oben still, dann bestimmt hören!“ Er verschwand blitzartig. Eine Weile lauschten die Männer noch vom Deck aus in die stärker werdende Dämmerung. Dann zerriß Batutis Stimme die Stille. „Sein Brandung. Ganz leise. Klar, nix Wellen da bei dieses Nebel, aber ganz deutlich Batuti hören!“ Der Seewolf ließ sich auf keine Diskussionen ein. Es war zu wichtig, denn ebenso gut konnten sie sich über einer Sandbank weit vor der Küste befinden. Das wäre dann schon erheblich unangenehmer gewesen. Er enterte ebenfalls auf. Batuti behielt recht. Was von Deck aus nur unklar zu bemerken war, hörte man im Top des Fockmastes sehr deutlich: eine leichte Brandung, die ihre Wellen auf ein gar nicht fernes Ufer trieb. Hasard überlegte fieberhaft. Es war unmöglich, bei diesem Nebel ein Kommando zur Erkundung der Küste auszusenden. Dennoch mußten sie wissen, wo sie sich befanden. Die Begegnung mit den Spaniern hatte gezeigt, daß diese Küste keineswegs unbewohnt war. Außerdem ging ihm die Frage durch den Kopf oder besser gesagt, die Feststellung des Spaniers, daß er nicht El Mot sei ... Es mußte also einen gewissen El Mot auch noch in dieser Gegend geben, denn sonst hätten die Spanier nicht hier nach ihm gesucht. Das aber bedeutete, daß es außer der spanischen Galeone auch noch ein weiteres Schiff in diesem Seegebiet geben mußte, mindestens eins.
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Hasard enterte an Deck. „Verstärkte Wachen heute nacht!“ ordnete er an. „Wir liegen dicht vor einer Küste, Batuti hatte recht. Irgendwann muß dieser verflixte Nebel sich auflösen, dann sehen wir weiter. Teilt die Wachen ein, die anderen legen sich aufs Ohr. Die nächsten Tage werden bestimmt anstrengend. Mit der ‚Isabella' haben wir reichlich zu tun. Sie muß so schnell wie möglich wieder in Schuß gebracht werden. Al“, der Seewolf wandte sich an seinen Geschützmeister Al Conroy, „alle Geschütze laden, alle Drehbassen ebenfalls, Musketen hinter die Schanzkleider.“ Die Männer starrten dem Seewolf nach, als er durch die dichten grauen Schwaden zum Achterkastell ging. „Ich glaube, wir kriegen Schwierigkeiten“, mirakelte der alte O'Flynn hinter ihm her. „Ich kenne den Seewolf jetzt lange genug. Er hat eine Nase für so was. Damals, auf der ,Empress of Sea', da hatten wir auch einen ersten Steuermann, der über das zweite Gesicht verfügte. Ich erinnere mich, wir segelten damals gerade ...“ Ed Carberry trat auf ihn zu. „Wenn du verdammter Meermann nicht gleich deinen Rand hältst, dann gehst du ungespitzt durch die Decksplanken in deine Koje, klar? Damals, auf der ,Isabella I.’ da hatten wir auch so einen wie dich, der konnte nie die Klappe halten. Was glaubst du, wo der jetzt ist?“ Der alte O'Flynn war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten. „Wo ist der denn, Ed?“ fragte er. „In seiner Koje, du Rindvieh, ungespitzt. Er liegt immer noch drin, klar?“ Der alte O'Flynn wurde weiß vor Wut. Aber Carberry hatte sich längst umgedreht und ging übers Hauptdeck davon. „Das tränke ich dir ein, du verlauste Bilgenkakerlake! Das sollst du mir büßen!“ schrie er außer sich vor Wut und langte nach einem Belegnagel. Aber Smoky hielt ihn fest. „Laß gut sein, Alter. Du kennst Ed doch, so war es nun auch wieder nicht gemeint. Also, wer keine Wache hat, ab in die Koje. Ich zähle bis drei, wer dann noch an Deck ist von den
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Wachfreien, geht drei Wachen hintereinander, und das ist mein Ernst! Also: eins — zwei ...“ Drei brauchte Smoky nicht mehr zu zählen. Das Deck der „Isabella“ war plötzlich wie ausgestorben. Der Decksälteste grinste Ben Brighton an. „Das hat gewirkt, Ben. Sogar Old O'Flynn ist verschwunden. Aber wenn mich nicht alles täuscht, dann. segelt dieser alte Bursche unter Deck doch noch ein ganzes Etmal mit seiner alten ,Empress of Sea'.“ Smoky und Ben Brighton lachten. Wie jeder der „Isabella“-Crew mochten sie den Alten gern, und sie wußten auch, daß er Tod und Teufel nicht fürchtete. Aber manchmal ging er ihnen mit seiner ewigen Spökenkiekerei auf die Nerven, und ganz besonders Carberry. Und doch sollte der alte O'Flynn wieder einmal recht behalten. Auf die „Isabella“ und ihre Crew lauerten Schwierigkeiten. Nicht weit von ihr entfernt hockten sie im Nebel, bereit, die Seewölfe jederzeit anzuspringen. 4. Beim Geräusch des fallenden Ankers, das zwar nur leise an seine Ohren gedrungen war, zuckte Ben Harim zusammen. Das Unglück wollte es, daß sich ausgerechnet der Unterführer El Mots in jener Bucht befand, die die „Isabella“ angelaufen hatte, ohne daß die Seewölfe etwas davon ahnten. „Ein Schiff!“ stieß Ben Harim hervor. „Beim Scheitan, ein Schiff!“ Er lauschte in den Nebel, und gleich darauf vernahm er das Gebrüll Carberrys, das das Segelbergen der Seewölfe begleitete. Seine scharfen Ohren und sein scharfer Verstand begannen augenblicklich zu arbeiten. „Es sind Inglesi, die sich auf dem Schiff in der Bucht befinden“, sagte er, denn ein paar Worte Carberrys hatte er verstanden. „Also haben die Inglesi das andere Schiff besiegt. Aber wie haben sie bei dem Nebel diese Bucht finden können?“
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Ben Harim wußte genau, wie sehr man sich im Nebel mit Geräuschen täuschen konnte. Trotzdem hätte er geschworen, daß der fremde Segler keine dreihundert Yards vom Ufer entfernt war. „Sie müssen dauernd die Tiefe ausgelotet haben, denn sonst wären sie glatt auf Grund gelaufen, die Bucht wird zum Ufer hin sehr schnell flacher. Es sind erfahrene Leute, keine Narren, das werden wir uns merken müssen!“ Seine wieselflinken Augen huschten über die Männer, die neben ihm auf dem Felsen kauerten. „Ikoyi!“ Ben Harim rief einen dunkelhäutigen Athleten zu sich heran. Der Schwarze war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem breiten Gürtel gehalten wurde. In dem Gürtel steckte ein breites Buschmesser, außerdem hielt er in der Rechten eine Muskete, die für ihn nicht schwerer zu sein schien als ein gewöhnlicher Stab. Der Schwarze sah Ben Harim an. „Was befiehlst du, Bwana?“ fragte er. „Du bist unser schnellster und ausdauerndster Läufer. Du überbringst El Mot die Kunde, daß in dieser Bucht ein Schiff der Inglesi ankert. Er wird dann entscheiden, was zu geschehen hat. Aber sag ihm, daß wir mit diesen Leuten bestimmt kein leichtes Spiel haben werden! Sie sind erfahren, und ich glaube, es handelt sich um jenes Schiff, das in dem Kampf gesiegt hat, von dem der Kanonendonner bis in unser Lager drang. Beeil dich!“ Der Schwarze nahm sich nicht einmal die Zeit zu einer Verneigung. Er kannte die ganze Küste Yard für Yard, Nebel machte ihm nichts aus. Er lief los. Ben Harim gab seinen Männern einen Wink. „Ihr bleibt hier. Ich werde versuchen, das fremde Schiff zu finden. Ich muß wissen, wie groß und wie stark bewaffnet es ist, ob es bei dem Kampf beschädigt wurde oder nicht. Ein Boot verursacht Lärm, ich werde schwimmen.“ Ben Harim warf bis auf die dünne Hose alle Bekleidungsstücke ab, steckte ein breites Messer in seinen Gürtel und ließ
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sich dann lautlos ins Wasser gleiten. Vorsichtig schwamm er in die Richtung, aus der er die Geräusche vernommen hatte. Immer wieder verhielt er, indem er lautlos wassertrat. Und wieder hatte er Glück — Sir John, dem Bordpapagei, fiel es plötzlich ein, in der Takelage ein Mordsgezeter anzustimmen, in das der Schimpanse sofort einfiel. Einige der Seewölfe stürzten an Deck. Als sich alles als blinder Alarm erwies, zogen sie sich fluchend wieder zurück. Ben Harim glitt näher und näher an die „Isabella“ heran. Es war dunkel. Der Nebel tat ein übriges. Das Wasser um ihn herum war pechschwarz - und ihm war alles andere als behaglich zumute. Zwar war er in dieser Bucht normalerweise vor Haien sicher, aber manchmal verirrte sich eins dieser Biester doch bis an die Küste. Ben Harim hatte das schon mehr als einmal beobachtet. Er zwang sich zur Ruhe. Sorgsam vermied es jedes Geräusch. Lautlos glitt er auf die Stelle zu, an der er das fremde Schiff vermutete. Und dann sah er plötzlich vor sich die Bordwand hochragen. Ein dunkler Schemen nur, aber für seine scharfen Augen nicht zu übersehen. Ben Harim glitt ganz an die „Isabella“ heran und überlegte, während er sich an der Bordwand festhielt. Hin und wieder hörte er über sich Stimmengemurmel, immer in der Sprache der Inglesi, die er nur brockenweise verstand. Es half nichts, er mußte zunächst einmal das Schiff umrunden, um seine Größe zu schätzen. Dann mußte er an Bord, um sich umzusehen. Der Nebel und die Dunkelheit würden ihm dabei gute Helfer sein. Ben Harim war kein Mann, der lange zögerte. wenn er einmal einen Plan gefaßt hatte. Er stieß sich behutsam ab und schwamm in Richtung Bug. * Er tastete sich am Schiff entlang, und ihm fiel sofort auf, daß sich diese Galeone in ihrer Bauweise grundlegend von den Galeonen der Spanier unterschied. Das
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ganze Schiff war flacher gebaut, erweckte einen ranken Eindruck und war bestimmt ein schneller Segler. Ben Harim wurde neugierig. Er kannte sich mit Schiffen aus. Was mochten das für Männer sein, die in dieser Ecke der Welt nicht nur herumsegelten, sondern auch gleich eine spanische Galeone zuschanden schossen? Jedenfalls vermutete Ben Harim das, denn sie hatten die „Valencia“ unter dem Kommando eines gewissen Capitan de Toria erwartet. Es war unwahrscheinlich, daß sich in den Gewässern vor Bwana-Land noch andere, unbekannte spanische Kriegsschiffe herumtrieben. Die kleine Flotte des Alkalden, alles völlig überalterte Galeonen, lag schon seit Monaten im Hafen. Denn die Schiffe verfügten mit wenigen Ausnahmen über keine seetaugliche Mannschaft. Der Alkalde dachte gar nicht daran, für solche überflüssigen Dinge Geld aufzuwenden. Ben Harim schwamm weiter. Er bewegte sich so lautlos durchs Wasser, daß keiner der Seewölfe an Deck der „Isabella“ etwas hörte. Das Bild, das sich Ben Harim von der „Isabella“ machte, entsprach durchaus den Tatsachen. Er war in dieser Hinsicht ein alter Fuchs, der sich auskannte. Er versäumte auch nicht, die sechzehn Geschützpforten zu zählen. Für ein Schiff dieser Größe eine ganz beachtliche Bewaffnung. Ben Harim gelangte ans Heck der „Isabella“ - und dort stutzte er plötzlich. Vor ihm auf dem Wasser tauchte ein flacher Schatten auf. Vorsichtig glitt er darauf zu. „Ein Boot“, flüsterte er erstaunt. Die Kerle hatten ein Boot ausgesetzt. Das bedeutete, daß sie vorhatten, ans Ufer zu rudern. Ben Harim tastete auch das Boot ab, denn durch den Nebel war die Nacht wirklich stockfinster, und er sah fast die Hand vor Augen nicht. Höchstens fünf, sechs Mann, allerhöchstens! stellte er fest. Also würden die Fremden nur ein kleines Kommando aussenden. Vielleicht brauchten sie
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Wasser, vielleicht suchten sie nach Holz, um ihre Schäden auszubessern. Ben Harim schwamm um das Boot herum. War ein Boot an einer Galeone vertäut, gab es auch ein Tau - die einfachste Möglichkeit, an Bord dieses Schiffes zu gelangen, besonders für einen so geübten Kletterer wie Ben Harim. Minuten später fühlte er das Tau zwischen seinen Fingern. Einen winzigen Moment zögerte er noch. Das Risiko, das er eingehen mußte, war nicht klein. Die Kerle hatten Wachen an Deck. Aber egal, er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Seine bisher einzige und beinahe tödliche Niederlage verdankte er schlechter Information. Das hatte er nie vergessen. Ben Harim zog sich aus dem Wasser. Langsam, zuerst nur zollweise. Dann ließ er das Wasser von seinem Körper abrinnen, solange er noch die Füße im Meer hatte. Unterdessen arbeitete sein scharfer Verstand weiter. Er brauchte etliche Minuten, bis er auf der Achtergalerie der „Isabella“ stand, die vom Lichtschein, der aus Hasards Kammer nach draußen drang, etwas erhellt wurde. Seine Finger glitten über das Holz der „Isabella“. Ein hervorragendes Schiff, dachte er. Eins, wie es mir gerade noch fehlt. Es würde besser sein, selber ein Schiff zu befehligen, als ewig auf der „Majunga“ El Mots Dienst zu tun. Ben Harim schlich sich an eins der erleuchteten Fenster des Achterkastells. Vorsichtig hob er den Kopf und blickte in die Kammer. Was er sah, überraschte ihn. In einer Koje lag ein Junge. Er hatte die Augen geöffnet. Vor ihm, am Bett, saß ein alter Bursche, der es sich bequem gemacht und deswegen sogar sein Holzbein abgeschnallt hatte. Ben Harim konnte sich darauf keinen Reim bilden. Was tat der Junge in der Kammer? Sein Kopfverband wies ihn als Verwundeten aus. War er der Sohn des Kapitäns? Ja, genauso mußte es sein, denn sonst würde er nicht ausgerechnet in dieser Kammer und in dieser Koje liegen! Das Bürschchen würde eine hervorragende Geisel abgeben. Außerdem würde sein
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plötzliches Verschwinden die Fremden bestimmt zu Unüberlegtheiten veranlassen, die man gegen sie benutzen konnte! Der Plan Ben Harims war gefaßt. Der schnarchende Alte war kein Problem. Eins über den Schädel, fertig. Aber das Bürschchen, das war schon schwieriger. Der Bursche konnte schreien, wenn er es ungeschickt anfing. Dann aber würde er mit seinem Schrei das ganze Schiff alarmieren! Ben Harim dachte intensiv nach. Er mußte also wissen, wie die Lage auf dem Achterkastell war. Standen Wachen dort oder nicht? Und wenn ja, wie viele? Er huschte davon, die Heckgalerie entlang, und fand rasch die Stelle, von wo aus man aufs Achterdeck gelangen konnte. Entschlossen schwang er sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit an Deck, kauerte sich aber sofort zusammen. Merkwürdig! schoß es ihm durch den Kopf. Sie haben keine Deckslaterne angezündet, also ist ihnen unklar, ob es noch weitere Gegner in der Nähe gibt, und sie haben den Spanier doch nicht versenkt. Ben Harim huschte über das Achterdeck. Weit und breit konnte er keine Menschenseele bemerken. Nur vom Hauptdeck vernahm er ein paarmal gedämpfte Stimmen. Ben Harim erreichte das Ruderhaus und blieb überrascht stehen. Seine Hände begannen zu tasten. Zunächst wußte er nicht recht, was er da vor sich hatte, denn ein Ruder dieser Art hatte er noch nie kennengelernt. Ein Rad in einem Verschlag, der den Rudergänger gegen anlaufende Seen schützte. Und ein Rad - er begriff sehr schnell die Vorteile dieser Anordnung. Sein Plan, die „Isabella“ in seine Gewalt zu bringen, nahm Gestalt an. Was für ein Schiff! Am Ruderhaus kauerte er sich nieder. Doch, er würde den Jungen mitnehmen. Das am Heck vertäute Boot würde ihm dabei nützlich sein. Selbst wenn man ihn entdeckte - zu folgen vermochte man ihm bei diesem Nebel nicht. Schießen konnte man auch nicht auf ihn, denn er würde den Jungen bei sich haben.
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Ben Harim handelte schnell. Er ahnte, daß man vom Hauptdeck aus ins Achterkastell gelangen konnte, aber das war gefährlich. Wenn die Kerle ihn entdeckten, konnte er nur noch über Bord springen, und sein schöner Plan war zunichte. Nein, ihm war, als hätte er vorhin auf dem Achterkastell bemerkt, daß die Tür, die von der Heckgalerie in die Kapitänskammer führte, nicht verschlossen, sondern nur angelehnt gewesen war! Und dann war er plötzlich ganz sicher, daß es sich so verhielt. Ben Harim verschwand so lautlos vom Achterdeck, wie er sich hinaufgeschwungen hatte. Gleich darauf huschte er auch schon wieder über die Heckgalerie. Vor einem der Fenster blieb er stehen und blickte hinein. Er fand die Situation sogar noch günstiger vor: der Alte schnarchte immer noch, der Junge war wieder eingeschlafen! Ben Harim atmete tief ein, und dann mußte er plötzlich grinsen. Natürlich, das war es! Das abgeschnallte Holzbein des Alten lag auf dem Boden neben dem Stuhl, auf dem er schlief. Eine hervorragende, handliche Waffe! Na, der Alte sollte sich wundern! Ben Harim schlich zur Tür. Tatsächlich, sie war nur angelehnt. Vorsichtig, Stück um Stück, zog er sie auf. Die Scharniere waren gut gefettet, keins knarrte oder quietschte. Dann stand Ben Harim in der Kammer. Behutsam bückte er sich nach dem Holzbein, hob es auf und schlug sofort zu. Er sah gar nicht hin, wie der Alte vorn Stuhl sank, sondern sprang sofort ans Lager des Jungen, der erschrocken hochfuhr. Das Holzbein hatte er fallen lassen. Ben Harim drückte Bill auf die Koje zurück, hielt ihm mit einer Hand den Mund zu und setzte ihm mit der anderen das breite Messer, das er im Gürtel getragen hatte, an die Kehle. Bill war zu Tode erschrocken und außerdem noch benommen. Aber er begriff, daß er in diesem Moment keinen Fehler begehen durfte, wenn er nicht auf der Stelle sterben wollte.
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Er starrte Ben Harim an, der ihm immer noch die Linke auf die Lippen preßte. Aber dann geschah etwas, womit der Unterführer El Mots nicht gerechnet hatte. Schritte näherten sich der Tür, die ins Innere des Achterkastells führte. Ben Harim hatte keine Wahl mehr - mit dem Griff seines Messers schlug er zu, und Bill sank sofort auf sein Lager zurück. Dann sprang er zum Stuhl hinüber, hob das Holzbein auf und war mit einem Satz an der Tür. Es war Matt Davies, der sie aufstieß und den Fremden, den bewußtlosen Old O'Flynn und den wie tot daliegenden Jungen erblickte. Er war erschienen, um den alten O'Flynn abzulösen, wie es der Seewolf angeordnet hatte. Matt Davies brauchte nicht den Bruchteil einer Sekunde, um zu begreifen. Seine Rechte mit der Hakenprothese flog hoch. Es gelang Ben Harim gerade noch, unter dem tödlichen Schlag wegzutauchen, aber Matt erwischte ihn dennoch im Oberarm. Ein glühendheißer Schmerz durchzuckte den Unterführer El Mots. Er schrie auf und auch Matt begann zu brüllen. Ben Harim wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Dieser Kerl brachte ihn entweder um oder die anderen, die er durch sein Gebrüll herbeirief, besorgten es ihm. Ben Harim federte zurück, tauchte blitzschnell abermals unter einem mörderischen Hieb von Matt Davies durch, schwang das Holzbein hoch, täuschte Matt, der parieren wollte, und zog dem Seewolf eins über den Schädel. Matt sah nur noch Sterne. Er kippte hintenüber und flog mitsamt der nachgebenden Kammertür auf den Gang. Ben Harim handelte blitzschnell. Er ignorierte den wütenden Schmerz in seinem linken Oberarm, packte Bill, hastete mit ihm auf die Heckgalerie und griff nach dem Seil, an dem das Boot unter dem Heck hing. Wie er es schaffte, wußte er selbst nicht. Er landete mit Bill ziemlich unsanft im Boot, das gefährlich schwankte. Sofort war Ben Harim wieder auf den Beinen und kappte mit seinem Messer das Tau. Dann griff er
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zu den Riemen, die im Boot lagen, und ruderte in wahnwitzigem Tempo davon. Der dichte Nebel verschluckte ihn schon nach wenigen Augenblicken. Sofort änderte er den Kurs, schlug einen Bogen und verhielt sich mucksmäuschenstill. Und er tat gut daran. Der Schrei von Matt Davies hatte die anderen Seewölfe alarmiert. Allen voran stürmte Ferris Tucker in die Kammer, nach ihm Ed Carberry, darin Smoky und anschließend der Seewolf und Ben Brighton. Carberrys Stimme dröhnte durch die Kammer, daß sogar der alte O'Flynn davon wieder wach wurde und sich stöhnend aufrichtete. Mit beiden Händen hielt er sich den Schädel. Matt Davies rührte sich nicht, er lag wie tot da. Ferris Tucker blickte sich um, während Carberry bereits auf der Heckgalerie war und das durchschnittene Tau hochzog. Batuti schob sich in die Kammer, und Ed Carberry brüllte auf der Galerie herum, daß das ganze Achterkastell zitterte. „So eine lausige Bilgenratte hat Bill geklaut! Und dieser alte Trottel, der ihn bewachen sollte, läßt sich doch glatt mit seinem eigenen Holzbein eins über den Schädel braten! Bei allen Meeren, Schneckenfressern, Stürmen und Kakerlaken, kannst du verdammter Ochse mir auf der Stelle erklären, wie das passiert ist? Und ich rate dir, laß dir eine verdammt gute Erklärung einfallen!“ Ed Carberry war wieder in die Kammer gestürmt und riß den total verdatterten O'Flynn vom Boden hoch. Die Kammer füllte sich mehr und mehr, bis Ferris Tucker der Kamm ebenfalls schwoll. „Wollt ihr hirnrissigen Decksaffen wohl auf eure Posten? Verflucht noch mal, wenn Feinde in der Nähe sind, dann können sie uns jetzt entern, weil ihr Rindviecher hier herumsteht und Maulaffen feilhaltet! Raus mit euch, oder ihr lernt mich kennen!“ So hatten sie Ferris Tucker nur selten erlebt, aber sie spurten sofort, denn der rothaarige Hüne hatte recht. Dan betrat die Kammer. Außer ihm waren jetzt nur noch Ed Carberry, der
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Schiffszimmermann, Smoky und Hasard anwesend. Ausgenommen die beiden Opfer des Überfalls. Ben Brightons Stimme schallte über das Achterdeck — er hatte die Situation sofort erkannt und entsprechend gehandelt. Der Seewolf würde ihn rufen, wenn er ihn brauchte, das war sicher. Der alte O'Flynn stierte seinen Sohn an, dann den Seewolf, der bisher kein einziges Wort gesprochen hatte. Aber der Blick seiner eisblauen Augen verhieß ebenfalls nichts Gutes. Carberry schüttelte den verstörten Alten, bis Dan ihn bremste. „He, das hat jetzt keinen Zweck, Ed. Wir sollten möglichst schnell herausfinden, was passiert ist, und holt den Kutscher, verdammt noch mal, Matt sieht nicht gerade gut aus!“ Carberry wollte aufbrausen, aber Dan schnitt ihm kurzerhand das Wort ab. „Jetzt halt doch endlich mal die Klappe, Ed!“ Carberry erstarrte. „Du Laus, du ...“ Der Seewolf schaltete sich ein. „Gib jetzt Ruhe, Ed, Dan hat recht!“ Er trat auf den alten O'Flynn zu, während der Kutscher sich bereits um Matt Davies kümmerte. „Also, was ist passiert? Du hast geschlafen, Alter. Nicht nur das, du hast sogar dein Holzbein abgeschnallt. Mann — wie bist du nur auf diese Idee verfallen? Du mußt wirklich von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Weißt du, was das bedeutet, auf Wache zu pennen?“ Der alte O'Flynn wurde kreidebleich. Natürlich wußte er das. Er wäre am liebsten vor Scham in den Boden versunken, denn alle starrten ihn an. „Wo ist Bill?“ fragte er auch noch überflüssigerweise. Er hielt sich wieder den Schädel, und konnte im Moment weder klar denken noch begreifen, was wirklich geschehen war. Carberry beugte sich zu ihm nieder, und der Seewolf ließ den Profos diesmal gewähren, weil er wußte, daß der Alte dessen Sprache am schnellsten verstehen würde.
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„Man hat Bill entführt, auf deiner Wache, du- alter Esel. Derjenige, der das getan hat, der hat dir gleichzeitig eins mit deinem eigenen Holzbein über die Rübe gezogen. Damit sich die ganze Sache auch wirklich lohnte, hat er auch gleich noch Matt damit bedient, der wahrscheinlich in die Kammer wollte, um dich abzulösen. Und Bill, den hat dieser windige Bursche ganz einfach geklaut, kapiert?“ Carberry hatte sehr leise gesprochen, jedenfalls für seine Verhältnisse, und was er so leise nannte. „Also, was hast du dazu zu sagen, Old Donegal Daniel O'Flynn?“ Carberry bebte vor Wut, aber er beherrschte sich, weil er den Blick der eisblauen Augen des Seewolfs im Nacken spürte. Der alte O'Flynn wurde einer Antwort enthoben, denn Matt Davies erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit. Und im Gegensatz zu Old O'Flynn erinnerte er sich sofort. „Der Kerl hatte es auf Bill abgesehen, das ist mal sicher. Ich habe ihm noch meinen Haken irgendwo in den Körper geschlagen, aber dieser Hund war flink wie ein Wiesel, und der Kerl verstand sich aufs Kämpfen! Der hat mir das Holzbein O'Flynns über den Schädel gezogen, daß ich mitsamt der Tür aus der Kammer flog. Das weiß ich noch, mehr nicht. Den Alten braucht ihr gar nicht erst zu fragen, er weiß nichts, denn den hat der Kerl von hinten erwischt. Die Tür zur Galerie muß offen gewesen sein. Aber wo ist Bill? Warum sind wir nicht längst hinter diesem Burschen her?“ Der Seewolf sah Matt Davies an. „Der Kerl hat unser Boot genommen. Bis wir das andere zu Wasser haben, ist er längst weg. Den finden wir bei diesem Nebel nie. Aber ich frage mich auch, was er mit dem Jungen will ...” Der Seewolf überlegte, und je länger er Old O'Flynn ansah, der wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl hockte und sich den Schädel hielt, je mehr tat ihm der Alte leid. Trotzdem, Schlafen auf Wache, das konnte er ihm nicht durchgehen lassen. Auf gar keinen Fall. Aber das hatte noch Zeit.
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Batuti, der sich die ganze wüste Szene schweigend angehört hatte, mischte sich ein. „Was wollen? Ganz klar! Ausquetschen. Wollen wissen, wer sind wir. Wollen alles wissen, vielleicht wollen Schiff ...“ Hasard sah den Schwarzen überrascht an. Er hatte schon oft Proben von dem überaus scharfen Verstand des Gambia-Negers erhalten. Und er erhielt sogleich eine weitere. „Nachdenken, Hasard!“ sagte er in seinem entsetzlichen Englisch. „Wollen Bill als Geisel. Bill schlafen in Kammer von Kapitän. Verwundet. Denken Sohn von Hasard, gutes Erpressung, klar. Werden hören lassen, bestimmt, nix töten armes Bill, bestimmt nicht. Müssen sein schneller, Bill abjagen Schuften, klar. Sollen schmecken Morgenstern, Batuti schon zeigen, was bedeutet, Seewolfjunges klauen ...“ Batuti sprach selten so viel. Aber er brachte es auch diesmal so komisch heraus, daß sogar Carberry grinsen mußte und der alte O'Flynn Morgenluft witterte. Als er aber etwas sagen wollte, traf ihn ein Blick Carberrys, und sofort kroch der Alte in sich zusammen. „Batuti kann recht haben. Sobald es hell wird, geht ein Kommando an Land. Ich werde es persönlich führen. Das Schiff ab sofort in Alarmbereitschaft, alle Mann bleiben an Deck. Ich hoffe sehr, daß Bill nichts passiert ist, sonst Old O'Flynn kroch noch mehr in sich zusammen. Wie jeder an Bord mochte er den Jungen von Herzen gern. Er begriff überhaupt nicht, wie das alles hatte passieren können. Batuti meldete sich erneut zu Wort. „Nix vielleicht haben recht Batuti, Batuti wissen. Brauchen Bill nur zu holen, mit Morgenstern. Haben schon anderes Feind besiegt, klar?“ Die Seewölfe begannen zu grinsen. Sie kannten den Schwarzen und wußten, daß er alles andere als ein Großsprecher war. Batuti meinte immer ganz genau, was er sagte, und er hatte seine großen Sprüche schon mehr als einmal unter Beweis
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gestellt. Jedenfalls schaffte er es auch diesmal, daß die Seewölfe nicht den Kopf hängen ließen. Die Männer verließen die Kammer des Seewolfs. Hasard hielt den alten O'Flynn zurück. Aber der ließ den Seewolf gar nicht erst zu Wort kommen. „Ich weiß Bescheid, Hasard. Ich stehe zur Verfügung. Ich weiß, was es bedeutet, auf Wache zu schlafen. Damals, auf der ,Empress of Sea' ...“ murmelte er, schnallte sein Holzbein an und verließ mit hängenden Schultern die Kammer. Es blieb im Dunkeln, was damals auf dem alten sagenhaften Segler geschehen war, denn er sprach die ganze Nacht kein Wort mehr, sondern kauerte bewegungslos auf der Back. * Capitan de Toria und zwölf Männer hatten die Katastrophe überlebt. Vom Rest ihrer Besatzung wußten sie nichts. Sie konnten nur hoffen, daß außer ihnen noch andere die Küste von Bwana-Land erreicht hatten. Viel Hoffnung hatte der Capitan jedoch nicht. Wenn de Toria die Möglichkeit gehabt hätte, er hätte ein Schiff ausgeschickt, sobald sich der Nebel lichtete. De Toria war ein tapferer Mann, der seinen Leuten viel abverlangte, aber er war kein Leuteschinder. Der Tod der meisten seiner Seesoldaten setzte ihm weit mehr zu, als er sich in diesem Moment anmerken ließ. Er hatte davor gewarnt, derartige alte und verrottete Schiffe wie die „Valencia“ für so weite und gefahrvolle Reisen auszurüsten. Vergeblich, niemand hatte ihn angehört. Die spanische Krone sparte umso mehr, je mehr Reichtum und Schätze sie aus der neuen Welt herauspreßte. Sie war im Grunde genommen um keinen Deut besser als jener Alkalde, gegen den de Toria eine strenge Untersuchung hatte führen sollen. Voller Bitterkeit erkannte der Capitan das jetzt, und er spürte, wie seine ganze Überzeugung ins Wanken geriet. Hinzu kam noch, daß er sich mit der Vorstellung quälte, als Kapitän seine Männer im Stich
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gelassen und in den Stunden, da sie auf ihn angewiesen waren, jämmerlich versagt zu haben. Warum hatte er die „Valencia“ nicht eher räumen lassen? Warum hatte diese Katastrophe über sein Schiff in einem solchen Ausmaß hereinbrechen müssen? Capitan de Toria fragte sich das zum hundertsten Mal. Wie sehr er sich auch gegen die Vorstellung sträubte, schuldig zu sein in jeder Hinsicht, er war zu ehrlich gegen sich selbst, um jetzt seine eigenen Fehler vor sich selbst vertuschen zu wollen. Selbst der Zusammenstoß mit dem Seewolf hätte vermieden werden können, wenn er auf seinen ersten Offizier gehört hätte, der, als der Nebel dichter und dichter wurde, vorgeschlagen hatte, zu ankern, noch ehe das Meer durch seine bodenlose Tiefe ein solches Vorhaben auch für die längste Ankertrosse verhinderte. Leutnant Domingo, sein erster Offizier, beobachtete den Capitan verstohlen. Er als einziger der zwölf geretteten Männer ahnte, was in de Toria vorging. Er sah, wie sich die Hände de Torias zu Fäusten ballten, wie sich seine Züge plötzlich verzerrten. Er dachte in diesem Moment an den Seewolf, an den Mann, dem er diese katastrophale Niederlage verdankte. Der Leutnant beschloß, den Capitan aus seinen Gedanken zu reißen, um ihm über diese ersten bitteren Stunden hinwegzuhelfen. „Senor Capitan“, unterbrach er die Gedanken de Torias, „wir sollten uns eine Stelle in der Bucht suchen, an der wir Holz zu einem Feuer finden. Die Männer sind naß, die Nacht wird feucht und kühl, es geht für uns alle jetzt nur noch ums Überleben. Erst wenn wir das geschafft haben, können wir daran denken, etwas zu unternehmen.“ Der Capitan blickte auf; Madre de Dios — heilige Mutter Gottes! dachte er. Was ist aus mir geworden, daß ich mir so simple, selbstverständliche Dinge von meinem Leutnant sagen lassen muß! Gewaltsam riß er sich zusammen. „Natürlich, Senor Domingo, aber vielleicht verstehen Sie, daß ich mit meinen Gedanken soeben ganz woanders war.
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Veranlassen Sie alles Notwendige, schwärmen Sie mit den Leuten aus, besorgen Sie Holz. Ein paar Äxte liegen im Boot.“ Er warf einen Blick zu dem Schemen hinüber, der sich dicht vor ihm auf der Wasseroberfläche abzeichnete. Und ihm war, als sei der Nebel jetzt etwas weniger dicht als zuvor. Leutnant Domingo salutierte. Er gab die nötigen Anweisungen und rückte dann mit dem kleinen Trupp ab. Der Capitan blieb am Ufer der Bucht. Das letzte, was er spürte, war der sausende Schlag, der ihm das Bewußtsein raubte. Er merkte nicht mehr, daß die Leute El Mots einen nach dem anderen seiner Männer neben ihn in den hellen Sand des Uferstreifens legten. Er sah auch nicht mehr, wie sich der berüchtigte Sklavenhändler über ihn beugte und ihm ins Gesicht starrte, über das noch Blut aus einer Platzwunde lief. „Verdammt, da haben wir einen sauberen Fang erwischt! Das muß der Beschreibung nach jener Capitan de Toria sein, der mir das Lebenslicht ausblasen soll!“ El Mot starrte de Toria eine ganze Weile an und studierte die Züge seines Gegners gründlich. Ihm wurde klar, daß ihm die Umstände bei diesem leichten Sieg entscheidende Hilfe geleistet hatten. Denn das war ein Bursche, der unter normalen Umständen auch mit Fesseln noch brandgefährlich blieb. „Binden, legt ihnen Fesseln an und dann ins Lager mit ihnen!“ befahl er und gab seinen Männern einen Wink. „Der soll seine Freude haben, wenn er wieder erwacht ...“ El Mot wollte in sein leises, teuflisches Lachen verfallen, aber ein Gedanke hinderte ihn daran. Da war noch dieses andere Schiff, von dem Ikoyi ihm berichtet hatte. Wer waren diese Leute? Hatten sie die Galeone de Torias vernichtet? Es mußte so sein, eine andere Möglichkeit war kaum denkbar. El Mot sah zu, wie seine Leute die Männer der „Valencia“ auf rauhe Weise wieder ins Bewußtsein zurückbrachten und sie dann
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mit Fußtritten vorwärtstrieben, nachdem sie alle Gefangenen mit einer langen Leine verbunden hatten. Nur die Sheba fehlte noch, jene hölzerne Gabel, wie sie gerade gefangenen Sklaven auferlegt wurde, damit ihnen jegliche Gelüste auf Widerstand vergingen. Es war unmöglich, dachte El Mot weiter, die Fremden in der Nebenbucht während der Nacht und bevor der Nebel sich lichtete, anzugreifen. Aber er würde im Morgengrauen die Anker hieven und sich mit der „Majunga“ in Marsch setzen. Der Nebel begann sich aufzulösen, gegen Morgen würde schon etwas Sicht vorhanden sein. Genau soviel, wie er zu seinem Vorhaben brauchte. Denn mit dem Morgen würde auch Wind aufkommen, El Mot kannte sich an dieser Küste aus. Er wußte nicht, daß ihn im Lager eine Überraschung erwartete, die alle seine Pläne über den Haufen werfen sollte. Und er wußte ebenfalls nicht, daß die Entführung des Jungen ein tödlicher Fehler gewesen war. El Mot folgte seinen Männern. Er hörte die Flüche der Sklavenjäger und das Klatschen ihrer Peitschen, wenn es ihnen nicht schnell genug ging. Es rührte ihn nicht, das kannte er, seit er aufgehört hatte, ein Kind zu sein. 5. Ben Harim erwartete El Mot im Lager. Das Lager lag von See her unsichtbar zwischen Bergen in einer Ebene, die mit Palmen bestanden war, zwischen denen runde, strohgedeckte Hütten standen. Ein hoher Palisadenzaun umgab das Lager. Am Eingang und auch in regelmäßigen Abständen im Palisadenzaun hatte El Mot Wachtürme erbauen lassen, die Tag und Nacht von schwerbewaffneten Männern besetzt waren. Es gab im Lager einen Teil, in dem die Mädchen und Frauen lebten, der war noch mal in sich abgezäunt, und einen anderen Teil für die Männer. In diesem Teil des Lagers befand sich auch jener Pfahl, an dem die Auspeitschungen vorgenommen
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wurden, unweit davon, auf einem Hügel, deutlich für jede Hütte sichtbar, der Galgen. Wenn man von diesen Dingen absah, dann erweckte das Lager bei freundlichem Wetter durch seine herrliche Lage einen fast paradiesischen Eindruck, zumal es keinerlei Unrat oder Unordnung gab, darauf sah der Sklavenjäger streng. Feuerstellen verteilten sich zwischen den Hütten. Im Grunde genommen hatten die Sklaven bei El Mot im Lager nichts auszustehen, sofern sie sich fügten. Sie waren seine Ware, die er pflegte. Daß er nur kerngesunde Männer, Frauen und Mädchen am Leben ließ, wenn er drüben auf dem großen Kontinent ein Dorf überfiel, war die eine Sache. Die andere, daß diese Sklaven in spanische Bergwerke oder gar in die Neue Welt verkauft wurden, wo sie zumeist elendiglich zugrunde gingen und immer wieder durch neue ersetzt werden mußten — vom Schicksal der jungen Frauen und Mädchen ganz zu schweigen. Draußen, in der Bucht, an einem ins Wasser hineingebauten Steg, lag die „Majunga“, das Sklavenschiff El Mots. Es war ein großer und rank gebauter Viermaster mit Rahtakelung, der über eine außergewöhnlich starke Bewaffnung verfügte. Er war der Stolz El Mots, und der Sklavenjäger hütete ihn wie seinen Augapfel. Sklaven mußten das Schiff täglich reinigen, ob es unterwegs war oder vor Anker oder am Steg lag. Ben Harim, sein Unterführer, war für die „Majunga“ verantwortlich, und er wußte, daß ihn der Teufel holen würde, wenn El Mot bei seinen plötzlichen Kontrollen auch nur die geringste Schlamperei entdeckte. El Mot blieb überrascht stehen, als er Ben Harim erblickte. Falten des Unmuts erschienen auf seiner Stirn. „Habe ich dir nicht den Befehl überbringen lassen, Ben Harim, draußen in der Bucht zu bleiben. Dort, wo das Schiff der Ingiesi liegt? Warum also bist du hier?“ „Höre mir erst zu, El Mot, dann richte. Folgendes geschah ...“ Ben Harim berichtete, was er auf der „Isabella“ erlebt
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hatte. Er berichtete, daß er den Jungen einem Hekim übergeben hätte, der sich um ihn kümmern sollte. „Wir müssen ihn schnell gesund pflegen, El Mot. Dieser Junge ist eine Geisel, wie wir sie uns nicht besser wünschen können. Außerdem werden wir ihn verhören, und er wird antworten. So erfahren wir alles, was wir wissen müssen. Es ist ein gutes Schiff, wir sollten es uns holen. Aber unversehrt, es wird uns gute Dienste leisten.“ Der Sklavenhändler hatte ruhig zugehört. „Trotzdem hast du eigenmächtig gehandelt, Ben Harim. Du hast Pläne, die ich hegte, zunichte werden lassen. Wärst du nicht mein Unterführer, ich würde dich auspeitschen lassen, vielleicht sogar hängen. Merk dir das. Dieses eine Mal magst du ungestraft davonkommen, denn dein Plan ist nicht schlecht. Hör zu: Sie werden morgen früh beginnen, nach dem Jungen zu suchen, wenn er für sie so wichtig ist, wie du behauptest. Wen auch immer sie an Land schicken, und wie viele es sein mögen —wir werden sie fangen. Das schwächt sie. Dann werde ich mit der ,Majunga' die Ausfahrt aus der Bucht versperren. Sie sind im Nachteil, denn der Wind wird von See her wehen. Das Wasser der, Bucht ist viel zu flach, sie können nicht weg. Und dann haben sie die Wahl, sich zu ergeben oder zu sterben. Wenn ich alles richtig bedenke, dann werden wir vielleicht schon morgen bei dem Trupp ihren Anführer fangen, denn er wird seinen Sohn suchen und befreien wollen.“ El Mot überlegte. „Aber wir sollten die Spanier befragen. Vor allem de Toria. Vielleicht weiß er etwas. Wir haben bis zur Morgendämmerung noch etwas Zeit. Schaffe ihn und den Jungen auf die ,Majunga'. Die Befragung werde ich vornehmen, während wir zur Bucht segeln. Du fängst den Trupp ab, Ben Harim. Und ich rate dir, mache deine Sache gut, dann soll dein Ungehorsam für dieses Mal vergessen sein! Weg jetzt, ich habe nachzudenken. Sorge aber dafür, daß die ,Majunga` segelklar ist!“
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Ben Harim verneigte sich. Er war im Grunde genommen froh, so davongekommen zu sein. Er wußte, wie unberechenbar El Mot sein konnte. * Kurz nach Mitternacht begab sich El Mot an Bord seines Viermasters. Eine gute Stunde vorher hatte Ben Harim Bill und Capitan de Toria an Bord der „Majunga“ schaffen lassen. In den Laderäumen hatten Sklaven die Ketten bereitgelegt, die den Fremden angelegt werden sollten, sobald sie sich ergeben hatten. Daß sie es tun würden, daran zweifelte El Mot keinen Augenblick. Ihnen würde gar nichts anderes übrigbleiben, sie würden sogar um Gnade winseln und bitten, an Bord der „Majunga“ genommen zu werden. El Mot blieb auf dem Hauptdeck stehen und blickte sich prüfend um. Die Männer auf dem Geschützdeck hatten die Persennige von den Zwanzigpfündern genommen, Pulver, Kugeln, Stangen und Ketten und Lunten bereitgestellt. Sie sahen ihn an, und keiner wagte sich zu rühren. El Mot wandte sich ab. Die „Majunga“ war ein starkes Schiff. Seine Besatzung verstand sich auf ihr Handwerk. Es gab weit und breit niemanden, der der „Majunga“ hätte gefährlich werden können. El Mot stieg die Stufen zum Achterdeck hoch. Die Sache mit dem Ruderrad auf dem fremden Segler mußte er sich ansehen. Was Ben Harim erzählt hatte, hörte sich sehr brauchbar an. Und El Mot war an jeder Verbesserung seines Schiffes interessiert. Am Besan blieb El Mot stehen. Seine Augen bohrten sich in die Capitan de Torias, den man an den Mast gebunden hatte. „Du bist also der Mann, der El Mot fangen wollte“, sagte der Sklavenhändler. Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte ihn. „Vielleicht bin ich Don Bastia unbequem geworden, vielleicht steckst du mit ihm unter einer Decke? Ich weiß zuviel, Spanier, viel zu viel, als daß dieser
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dreckige Alkalde mich noch länger am Leben lassen könnte. Für wie dumm haltet ihr aufgeblasenen Schneckenfresser mich eigentlich? Antworte —hat dich der Alkalde hierhergeschickt? Denn wie wüßtest du sonst so genau die Lage meines Lagers? Du mußt sogar ein guter Seemann. sein, du hast die Einfahrt zu meiner Bucht nur knapp verfehlt.“ El Mot wartete, aber de Toria schwieg. Er hatte sofort die ungeheure Chance erkannt, die sich ihm durch das Mißtrauen des Sklavenhändlers bot. Es würde leicht sein, diesen Kerl auf den Alkalden zu hetzen. Und das mußte er, denn er selbst besaß kein Schiff mehr. Sollten sich die Kerle ruhig gegenseitig zerfleischen. Trotzdem war es ihm zutiefst zuwider, so vorzugehen. Es verletzte seinen Stolz — und deshalb schwieg er. El Mot ließ ihm jedoch keine Zeit. „Ah, der feine Herr wünscht sich nicht mit einem Subjekt wie El Mot zu unterhalten? Das wird sich ändern. Außerdem ist dein Schweigen schon Antwort genug, Schneckenfresser! Aber wir sind noch nicht fertig miteinander, du wirst jede meiner Fragen beantworten. Du wirst sogar darum betteln, es tun zu dürfen. Ich werde dir nachher zeigen, wie man Leute behandelt, die nicht reden wollen. Doch lassen wir diesen Bastard von einem Alkalden. Vielleicht hat er dich gar nicht geschickt — das werde ich noch herausfinden. Er wird sterben, wenn seine Stunde da ist, genau wie du. Deine Männer werde ich verkaufen, dich nicht. Ich will jetzt etwas anderes von dir wissen, und ich rate dir, mir sofort zu antworten.“ El Mot trat ganz nahe an de Toria heran. „Wer waren die Fremden, die dein Schiff vernichtet haben? Sie liegen in einer Bucht ein paar Meilen nördlich von hier. Wie seid ihr aufeinandergetroffen. Zufällig, im Nebel?“ De Toria starrte den Sklavenhändler an. Die Gefährlichkeit dieses Mannes hatte er längst erkannt, aber er dachte nicht daran, El Mot zu sagen, daß er es mit dem Seewolf und seinen Männern zu tun hatte.
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„Zufällig, ja. Unsere Schiffe stießen im Nebel zusammen. Meins sank, das ist alles. Wer die Fremden sind, weiß ich nicht.“ El Mot trat blitzschnell einen Schritt zurück, dann riß er seine Peitsche aus dem Gürtel und zog dem Capitan das Leder durchs Gesicht. Die Haut sprang sofort auf. „Ich will dir zeigen, was passiert, wenn du mich anlügst, du Bastard von einem Spanier. Ich habe Ohren, und ich habe den Kanonendonner auf See gehört. Und deswegen befindest du dich auch in meiner Gewalt. Denn meine Leute überwachten sofort die Küste. Mir war klar, daß zumindest eins der Schiffe eine der Buchten anlaufen oder an der Küste stranden oder auf eins der Riffe laufen würde. Das bedeutete in jedem Fall Beute für uns. Und du warst mir sowieso schon angekündigt — trotzdem, auch das kann eine Falle des Alkalden sein. Vielleicht wollte er auch nur, daß wir uns gegenseitig zerfleischen, um dann mit seinen Schiffen über uns herzufallen. Vielleicht führte er das im Schilde, ohne daß du oder ich etwas davon ahnten. Und jetzt noch einmal: Was passierte draußen auf See? Mit wem hast du gekämpft? Wir segeln gleich zu jener Bucht, in der die Fremden liegen. Wenn du mich belügst, stirbst du tausend Tode, das verspreche ich dir. Antworte!“ De Toria verbiß den höllischen Schmerz. Aber seine Augen sprühten Haß. Diesen Schlag würde der Sklavenhändler ihm noch bezahlen, das schwor er sich in diesem Moment. Die Gelegenheit würde er vielleicht kriegen, wenn El Mot mit dem Seewolf zusammengeriet. Der Sklavenhändler durfte auf keinen Fall erfahren, wer in jener Bucht lag. „Es waren Engländer. Das habe ich an ihrer Sprache gehört“, erwiderte er notgedrungen, um weiteren Mißhandlungen zu entgehen. Denn er würde seine Kräfte brauchen, das spürte er. „Und wer hat gefeuert?“ „Die Engländer. Unsere Schiffe stießen zusammen, und sie jagten mir aus nächster Nähe eine Breitseite in mein Schiff. Es kam gar nicht zum richtigen Kampf, denn die Schiffe lösten sich wieder voneinander.
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Außerdem war der Nebel so dicht, daß keiner von uns auf dem anderen Schiff irgendetwas erkennen konnte. Mehr weiß ich nicht.“ El Mot starrte de Toria an. „Du weißt mehr, und ich werde dir das beweisen. Wenn die Fremden sofort geschossen haben, dann müssen sie sehr erfahrene Leute sein, die nie ohne geladene Kanonen in fremden Gewässern segeln. Nicht einmal ich wäre so vorsichtig gewesen ...“ El Mot dachte nach. Es konnte so gewesen sein. Eine Breitseite aus allernächster Nähe, die konnte für ein Schiff tödlich sein. Besonders bei diesen zum Teil morschen Kähnen, mit denen die Spanier segelten. Er kannte die Schiffe des Alkalden sehr genau. Sie waren so schlecht und altersschwach, daß er, El Mot, sie nicht einmal als Beute in Erwägung ziehen würde. Aber dieser Inglesi - das schien ein ganz anderer Brocken zu sein. „Also, du weißt nicht mehr?“ fragte El Mot noch einmal. Capitan de Toria schüttelte den Kopf. Er mußte sich überwinden, mit diesem Kerl überhaupt zu reden. Es würde dem Sklavenhändler verdammt schwerfallen, ihm seine Lüge nachzuweisen. El Mot nickte nur. Dann schnippte er mit den Fingern und zwei seiner Männer verschwanden unter Deck. Nach einigen Minuten tauchten sie wieder auf, zwischen sich hatten sie einen Jungen, der einen Kopfverband trug. „Hierher!“ befahl El Mot. Die beiden Männer stießen Bill die Stufen zum Achterkastell hoch und schleppten ihn vor den Sklavenhändler. Bill hatte genügend Zeit gehabt, sich über seine Lage klarzuwerden. Niemals würde er ein Sterbenswörtchen davon verlauten lassen, daß er zu den Seewölfen gehörte. Er wußte, daß seine Kameraden ihn nicht im Stich lassen würden. Also mußte er ihnen dabei helfen. Er fragte sich nur, was dieser Kerl jetzt von ihm wollte. Als er den Spanier in seinen Fesseln und mit dem blutigen Striemen auf der linken Wange erblickte. erschrak er einen
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Moment. Aber er ließ sich das nicht anmerken, sondern blieb nur wenige Schritte vor El Mot stehen. Die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt. „Dreh dich um, sieh ihn an!“ befahl El Mot und deutete auf den Spanier am Besanmast. Bill gehorchte. Er spürte, wie der Sklavenhändler hinter ihn trat und ihm sogar die Hand auf die Schulter legte. „Dieser Junge, de Toria, ist von dem Schiff, mit dem du zusammengestoßen bist: Mein Unterführer hat ihn an Bord überrumpelt und in mein Lager geschafft. Bisher hatte ich keine Zeit, ihn zu befragen, aber er wird mir jetzt genau und in allen Einzelheiten berichten, was wirklich geschah. Und dann, Spanier, werden wir beide uns weiter unterhalten.“ Bill zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen, aber El Mot beging, ohne es zu ahnen, einen Riesenfehler, und half ihm damit aus seiner teuflischen Klemme. „Junge, wie ist dein Name?“ fragte er. „Bill.“ „Und weiter?“ „Nichts weiter, ich habe keinen anderen Namen, wenn Sie das meinen“, antwortete Bill. „Gut.“ El Mot wußte, daß es viele Menschen gab, die nicht einmal wußten, wer ihr Vater war und wer ihre Mutter war. „Wie heißt das Schiff, zu dessen Besatzung du gehörst? Ich rate dir, sage die Wahrheit, denn wir segeln gleich zu jener Bucht, in der es liegt. Wenn du mich belogen hast, ergeht es dir schlecht. Also ?“ Bill erschrak. Er verstand mittlerweile genug von Schiffen, um sich ein Bild von der Stärke dieses Viermasters machen zu können. Wenn dieser Kerl im Morgengrauen über die „Isabella“ herfiel, die sich in der Bucht nicht rühren konnte, dann war es aus mit Hasard und seinen Kameraden. Dann hatte er, Bill, auch keine Freunde mehr. Nicht den Seewolf, nicht Ed Carberry, nicht die anderen, nicht SiriTong Blitzartig stieg das Bild der Roten Korsarin und des Wikingers in ihm hoch, er wußte,
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daß sie irgendwann wieder zu den Seewölfen stoßen würden - nein, der „Isabella“ durfte nichts geschehen. Er warf dem Spanier einen raschen Blick zu. Was mag der gesagt haben? dachte er. Viel bestimmt nicht, sonst hätte man ihn nicht geschlagen. Der Druck von El Mots Hand verstärkte sich. „Ich warte, Junge“, hörte er ihn sagen. „Aber El Mot wartet nie lange, hörst du?“ Bill gab sich einen Ruck. Er mußte etwas riskieren, was waren schon Prügel, gemessen am Leben seiner Kameraden. „Kein Mann verrät sein Schiff und seinen Kapitän, Sir“, sagte er und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Die Antwort überraschte El Mot. Er drehte den Jungen zu sich herum, so daß er ihm in die Augen blicken mußte. „Du bist kein übler Bursche. Ich werde dich nicht verkaufen, sondern behalten. Deine Antwort gefällt mir, Junge, aber trotzdem mußt du antworten. Es würde mir leid tun, wenn ich dich erst dazu zwingen müßte. Also?“ Bill entschloß sich rasch. „Sir, ich verrate meine Freunde wirklich nicht, ich ...“ El Mot überwand sich zur Geduld. Aus diesem Jungen ließ sich so leicht nichts herausprügeln, aber trotzdem mußte er alles wissen. „Du hast Mut. Normalerweise würdest du für deine Weigerung jetzt sofort ausgepeitscht oder der Folter unterworfen. Aber ich will langmütig sein. Du kannst deinen Freunden nicht mehr helfen, denn du bist in meiner Hand. Also ist es doch vernünftig, wenn du jetzt versuchst, mit mir auszukommen, oder nicht?“ Bill spürte, daß er jetzt reden mußte, denn der Druck von El Mots Hand hatte sich abermals verstärkt. „Gut. Ich bin von Ihrer Majestät Schiff ,Eagle II.'. Wir fahren als Kaper der Königin von England und bringen in ihrem Namen spanische Schiffe auf. Der Kapitän der „Eagle` ist der hochwohlgeborene Sir Edmund Carberry. Vielleicht haben Sie seinen Namen bereits gehört, Sir, er hat ...“
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Unter dem Blick von El Mot verstummte er. Die Blicke des Sklavenhändlers schienen ihn zu durchbohren. Aber Bill zog sein ehrlichstes Gesicht. Zwar wußte er, daß Ed Carberry, der Vaterstelle an ihm vertrat und sich viel um den Jungen kümmerte, ihm jede Lüge streng verboten hatte. Aber dies hier war keine Lüge, sondern eine Kriegslist, die vielleicht über Tod und Leben entschied. „Gut, Junge, ich glaube dir. Und nun erzähle mir, was wirklich geschah. Und beeil dich, wir müssen segeln!“ „Sir, ich weiß nicht genau, denn ich lag in der Koje. Irgendwann traf ein entsetzlicher Stoß unser Schiff, ich hörte Geschrei und stürzte an Deck. Aus der Takelage prallte etwas herab und begrub mich unter sich. Mehr weiß ich nicht, ehrlich nicht!“ fügte er mit aller Treuherzigkeit hinzu, die ihm zu Gebote stand. Und insgeheim mußte er bei dem Gedanken grinsen, wenn er daran dachte, was der Profos wohl zu seiner hochwohlgeborenen Beförderung sagen würde. Wieder starrte El Mot ihn an. Er sah den Kopfverband des Jungen, doch, es konnte so gewesen sein. Er drehte ihn zu Capitan de Toria um. „Dein Glück, Spanier, daß der Junge deine Worte bestätigt hat, zumindest dich der Lüge nicht überführte. Aber ich bin immer noch nicht völlig überzeugt — nur würde dir dieser Inglesi bestimmt nicht helfen. Nun, wir werden sehen. Bindet den Jungen ebenfalls an den Besan, sie sollen einander Gesellschaft leisten, bis die Wahrheit oder Unwahrheit ihrer Aussage erwiesen ist.“ Die beiden Männer packten Bill. Sie banden ihn an den Mast, so daß er sich nicht mehr rühren konnte. El Mot sah zu. Dann trat er noch einmal auf den Jungen zu. „Wie schwer ist euer Schiff beschädigt, weißt du das?“ Bill nickte. „Es mußte die Bucht anlaufen, der kleinste Sturm hätte das Ende der ,Eagle` bedeutet, sie hat ein Riesenleck an Steuerbord, Sir. Außerdem ist, glaube ich, ein Teil der Takelage zerstört.“
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Wieder warf El Mot ihm einen langen Blick zu. „Wir werden ja sehen“, sagte er. „Leinen los, setzt Segel!“ brüllte er gleich darauf. An Deck erschallten Kommandos. Ein schwacher Wind blies aus Nord. El Mot mußte mit seinem Schiff ein gutes Stück auf See hinaus, und erst, wenn er dort eine Weile gekreuzt hatte, konnte er die nördlich von seinem Schlupfwinkel gelegene Bucht, in der die „Isabella“ ankerte, unter für seine „Majunga“ strategisch günstigen Umständen anlaufen. Er wollte die Fremden überrumpeln, im Morgengrauen würde es eine üble Überraschung für sie geben. De Torias Gedanken überschlugen sich. Dieser Junge war ein Teufelskerl. Er hatte es viel geschickter angefangen als er selbst. Er hatte es geschafft, diesen gefährlichen Sklavenhändler hinters Licht zu führen. Was beabsichtigte er damit? Rechnete er sich für die Seewölfe eine Chance aus? Der Junge hatte etwas vor, das spürte de Toria ganz deutlich. Merkwürdig, dachte er in diesem Moment. Der Seewolf ist mein erbitterter Feind, und doch wünsche ich mir im Augenblick nichts sehnlicher, als daß er es schafft, mit diesem Sklavenhändler fertig zu werden. Verwirrt senkte er für einen Moment den Kopf. Wenn der Junge behauptet, die „Isabella“ sei schwer beschädigt, dann war gewiß das Gegenteil richtig. Außerdem hatten die Seewölfe seine Entführung längst bemerkt, da hatte El Mot einen zusätzlichen schweren Fehler begangen. Nein, er würde keine unvorbereiteten Seewölfe in der Bucht vorfinden, sondern solche, die wie die Berserker um ihr Leben kämpfen und vielleicht sogar siegen würden. Capitan de Toria beschloß, mit dem Jungen Verbindung aufzunehmen. Er war sich darüber im klaren, daß der Junge eher ihm als diesem El Mot helfen würde. Der Capitan spürte, wie die „Majunga“ langsam und majestätisch aus der Bucht herausglitt. Hin und wieder hörte er El Mots Stimme, aber sehen konnte er den Sklavenhändler nicht. Wohl aber spürte er
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die Bemühungen des Jungen, sich seiner Fesseln zu entledigen. 6. An Bord der „Isabella“ herrschte nicht die beste Stimmung. Bills Verschwinden war allen an die Nieren gegangen. „Wenn ich diesen Hundesohn zwischen meine Fäuste kriege“, sagte Ed Carberry, und jedermann an Bord der „Isabella“ glaubte ihm aufs Wort, daß es dem Burschen wirklich schlimm ergehen würde. „Klaut uns Bill einfach aus Hasards Kammer, haut dem alten O'Flynn eins mit seinem eigenen Holzbein über den Schädel und verpaßt Matt obendrein noch eine Beule, daß dem auf Wochen hinaus höchstens zur Kühlung ein total nasser Hut auf den Schädel paßt! Hat man soviel Frechheit auf einem Haufen schon erlebt!“ Ferris Tucker nickte. „Dieser verdammte Kerl hat es wirklich in sich“, sagte er. „Wenn die Kerle mehr von dieser Sorte auf Lager haben, dann kann das noch lustig werden.“ Ein Windstoß fuhr über die „Isabella“. Ferris Tucker richtete sich ruckartig auf und starrte in das erste, kaum wahrnehmbare Licht der einsetzenden Morgendämmerung. „Ed, ich denke, der Nebel lichtet sich bald, zumindest wird er dünner und die Sicht damit besser. Wir werden endlich wissen, wo wir sind. An die Sandbank glaube ich nicht mehr, oder glaubst du, daß dieser verdammte Kanake bis zu uns herausgeschwommen ist?“ „Du hast auch schon bessere Ideen gehabt, Ferris. Vielleicht brauchst du mal ein paar mit dem Zimmermannshammer auf den Hinterkopf, das erhöht die Denkfähigkeit beträchtlich.“ Ferris Tucker arbeitete gerade zusammen mit Carberry daran, das laufende Gut des Großmastes wieder zu klarieren. „Ich kann's bei dir ja mal mit meiner Axt versuchen, du geteerter und gefederter Affenarsch ...“
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Carberry hielt unwillkürlich in seiner Arbeit inne. Diese Formulierung war sogar ihm neu. „Was, wie, geteerter und gefederter – also, das ...“ Der Seewolf trat zu ihnen. „Es klart auf. Hört zu, ihr beiden: Wir verholen die ‚Isabella' jetzt mit dem großen Boot hinter den Felsen an der Einfahrt zur Bucht. Ich war eben mit ein paar Männern dort. Ich habe keine Lust, mich in dieser Mausefalle überrumpeln zu lassen. Da vorn ist die ‚Isabella' gegen Sicht gedeckt. Wer die Einfahrt passiert, gerät dabei vor die Rohre unserer Kanonen. Und dann sehen wir weiter. Ich fürchte nämlich, daß man Bill inzwischen zum Sprechen gebracht hat. Ich habe lange nachgedacht, wir werden es wahrscheinlich mit diesem El Mot zu tun kriegen, wer immer dieser Kerl auch sein mag. Nur -die Aktion dieses einen Burschen gibt mir zu denken, und ich rechne mit allem. Noch ein paar Stunden, dann ist die Sicht schon wieder erheblich besser. Also los, wir wollen das rasch erledigen. Und ohne Gebrüll, Ed, klar? Sogar die Riemen sind umwickelt. Falls sich dort hinten an Land noch Wachen befinden, dann brauchen die nicht zu bemerken, daß wir verholen!“ Ed Carberry blickte den Seewolf an. „Ich glaube, du hast die richtige Nase. Aber was, zum Teufel, passiert mit Bill? Wir können ihn doch nicht einfach in der Sch ..., äh, ich meine so einfach im Stich lassen. Wir müssen ihn doch heraushauen!“ „Das werden wir, wenn wir ihm noch helfen können, Ed. Du kennst die Methoden, mit denen man Leute zum Reden bringt. Bevor der Nebel sich mehr lichtet, können wir sowieso nichts unternehmen, denn wir würden prompt eine Falle geraten, in einen Hinterhalt. Glaub mir, ich hänge genauso an dem Jungen wie du, aber ich kann nicht Schiff und Mannschaft riskieren, um etwas Aussichtsloses zu unternehmen. Weißt du, wie ich das meine? Wir kennen uns nun lange genug, oder?“
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Der Profos nickte. „Natürlich, du hast recht. Trotzdem, wir müssen alles versuchen, Bill herauszuhauen. Gerade weil ich weiß, was man mit Menschen anstellen kann, wenn sie nicht reden wollen. Gerade deswegen, Sir.“ Der Seewolf überlegte lange. Dann nickte er schließlich. „Also gut, Ed. Erst die ‚Isabella' verholen, daß sie Deckung und eine bessere Position erhält. Dann stellen wir einen Trupp zusammen, der sich an Land umsieht, aber erst wenn es hell genug und klar genug ist. Ich werde dabeisein. Einverstanden, auch du, Ferris?“ Die beiden Männer nickten. Es war richtig, daß der Seewolf einen kühlen Kopf behielt. Denn was an Land auf sie lauern würde, das wusste schließlich keiner von ihnen. Es gab für sie auch keine Gelegenheit mehr, sich zu entscheiden, denn die Ereignisse griffen ihrer Entscheidung vor. * El Mot hatte in dieser Nacht mehrere Fehler zugleich begangen. Das Lager war praktisch ohne Führer. Die „Majunga“ war fortgesegelt und hatte die besten und kampfkräftigsten Männer an Bord. Ben Harim befand sich wieder auf dem Weg zu jener Bucht. in der er das Schiff der Inglesi wußte. Und die zwölf Spanier, mit ihnen auch der erste Offizier der gesunkenen „Valencia“, lagen in Ketten auf den Pritschen einer Hütte. Besonders diese Männer hatte El Mot unterschätzt, und Ben Harim ebenfalls. Außerdem aber einen Schwarzen, der sich bisher unauffällig verhalten und zu keinerlei besonderem Augenmerk Anlaß gegeben hatte: Olu Okengbuwa. Sein Dorf hatte El Mot vor vier Monaten überfallen, seine beiden Frauen getötet, als sie Widerstand leisteten, und seinen Sohn im Lager erst auspeitschen und dann hängen lassen, weil er einen seiner Peiniger angegriffen hatte. Nur wußten weder El Mot noch Ben Harim, daß der Getötete Olu Okengbuwas Sohn gewesen war. Schon in ihrem Dorf hatten sich die
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beiden bessere Chancen ausgerechnet, wenn ihre familiäre Bindung von den Sklavenjägern unentdeckt bliebe. So hatten beide geschwiegen, Olu Okengbuwa bis zum Schluß, auch wenn es ihm fast das Herz gebrochen hatte, denn alle Schwarzen im Lager hätten der Exekution beiwohnen müssen. Olu Okengbuwa war nicht entgangen, daß in dieser Nacht das Lager praktisch unbewacht war. Schon lange hatte er eine Gruppe Gleichgesinnter um sich geschart — und diese Gruppe hatte es unauffällig verstanden, in derselben Hütte untergebracht zu werden. Tagsüber arbeiteten sie in den Reis- und Tabakpflanzungen El Mots. Abends kettete man sie wieder an. Entgangen war den Aufsehern allerdings, daß es Okengbuwa gelungen war, sich einen Schlüssel für die Fesseln zu besorgen. In dieser Nacht hockten zehn Männer zusammen. In ihren Händen hielten sie Buschmesser, die sie sich im Laufe der Wochen unauffällig organisiert hatten. Okengbuwa sah Haruna, einen jungen, athletisch gebauten Schwarzen an. „Du und Ebrohni, ihr seid die beiden stärksten Männer der Gruppe, ihr habt die größte Kampferfahrung ...“ Er unterbrach sich, denn die Schreckensbilder jenes Morgens, an dem die Sklavenjäger sein Dorf überfallen hatten, zogen vor seiner Erinnerung wie fast jeden Tag vorüber. Er hörte die Schreie, sah die huschenden, verzweifelten hin und her rennenden Gestalten, erblickte die Flammen, die die Menschen aus den Hütten trieben, in die Gefangenschaft El Mots oder in den Tod. Frauen, Mädchen, Kinder genauso wie Männer. Er sah wieder das entsetzliche Sterben der Alten, die für die Sklavenjäger so wenig brauchbar waren wie die Kinder, die man aus den Armen der verzweifelten Mütter riß. „Okengbuwa, ich weiß, an was du denkst. Vergiß es nie, aber sprich jetzt weiter, die Zeit drängt!“ Haruna war es, der ihm den Arm um die Schulter legte, und Okengbuwa nickte. Er war nicht mehr jung, aber man hatte ihn am Leben
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gelassen, weil er die portugiesische Sprache und auch ein wenig Spanisch verstand und sprach. El Mot benutzte ihn oft als Dolmetscher und auch dafür, daß er seine Landsleute ruhig hielt. Und zum Schein gehorchte der Alte, der aber noch über eine hervorragende körperliche Konstitution verfügte. „Du hast recht. Heute ist die Nacht, in der wir handeln müssen. Diese Gelegenheit kehrt nicht so bald wieder. So hört mich jetzt an und bedenkt alles, ehe ihr mir widersprecht.“ Er strich sich über die Stirn. „Im Lager sind zwölf Spanier. Ich habe den Anführer und seinen Unterführer gesehen, beide haben gute Augen. Wir haben zwar von den Spaniern nie viel Gutes erfahren, aber sie sind nicht alle Mörder und Betrüger und Menschenschinder. Wir werden sie befreien, weil wir sie brauchen, um das ganze Lager zu befreien. Sie allein können uns beraten, wie wir über El Mot herfallen können, wenn er zurückkehrt. Ich weiß, in welcher Hütte sie liegen. Wir werden jetzt hinüber schleichen, ihre Fesseln aufschließen und mit ihnen reden.“ „Erst sollten wir mit ihrem Unterführer reden, den Anführer hat El Mot auf sein Schiff schaffen lassen, genau wie den jungen Inglesi, den Ben Harim gefangen hatte. Sie sollen uns versprechen, daß sie ...“ Okengbuwa schüttelte den Kopf. „Nein, Haruna. Wir schließen sie los, ich bin sicher, daß sie uns danken werden, ich habe mich in Menschen, deren Antlitz ich sah, noch nie getäuscht. Sei ohne Sorge! Kommt also, wenn ihr einverstanden seid!“ Eine Weile überlegten sie, aber dann stimmten sie dem Alten zu. Er war weiser als sie alle, der Medizinmann ihres Dorfes. Seinem Urteil hatten sie noch immer vertrauen können. „Gehen wir“, sagte Haruna, der der Wortführer der anderen war. „Okengbuwa hat recht, er hat immer den richtigen Rat für uns gewußt.“ Sie huschten durch den Nebel davon. Keine der Wachen kriegte sie zu Gesicht.
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Die zwei Sklavenjäger, die vor der Hütte Wache hielten, waren tot, ehe sie überhaupt begriffen, wie ihnen geschah. Dann betraten die Schwarzen die Hütte, in der Leutnant Domingo und seine Männer lagen. Okengbuwa trat auf ihn zu. Wortlos schloß er Senor Domingo die Fesseln auf. Dann erst sagte er ihm, was er von ihm erwartete. Leutnant Domingo brauchte eine Weile, bis er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Aber dann begriff er blitzartig die Chance, die dieser Schwarze ihm und seinen Männern verschaffte. „Im Namen meines Königs, ich bürge dafür, daß ihr alle frei seid und El Mot für seine Untaten büßen wird. Wir werden jetzt auch alle anderen befreien, aber du mußt ihnen einschärfen, daß sie genau nach meinen Anweisungen handeln müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Denn El Mot hat ein starkes Schiff und viele Kanonen. Falls er die Fremden besiegt, die in der kleinen Bucht liegen sollen und die unser Schiff versenkt haben, wird er zurückkehren. Dann müssen wir mit ihm kämpfen, aber wir werden es auf meine Art tun, wir werden ihn fangen, ehe es zu einem großen Blutvergießen kommt.“ Okengbuwa hatte ihm aufmerksam zugehört. „Du hegst Zweifel, daß er die Fremden überwindet, Herr?“ fragte er den Leutnant in gebrochenem Spanisch, das er mit portugiesischen Brocken vermischte. Senor Domingo nickte. „Ich habe Zweifel, weil ich weiß, wer der Mann ist, gegen den El Mot jetzt kämpfen will. Er hat meinem Land unermeßlichen Schaden zugefügt, aber er ist tapfer und gerissen. Ich glaube nicht, daß El Mot ihn besiegt, aber dann kommt sein Unterführer, dieser ...“ „Ben Harim? Er ist schlimmer und gerissener als El Mot selber, wir müssen auf der Hut sein vor ihm, denn er befindet sich nicht auf dem Schiff“, klärte der Schwarze den Leutnant auf, und Senor Domingo nickte.
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„Rasch, ans Werk, aber vermeidet jeden Lärm. Wo gibt es Waffen?“ Okengbuwa zog ihn mit sich fort. „Ich weiß es, folge mir. Aber die Hütte wird bewacht.“ Er winkte ein paar seiner Krieger zu sich heran und gab ihnen einige Anweisungen, während die restlichen die Spanier von ihren Fesseln befreiten. Minuten später huschten sie gemeinsam davon. * Die „Majunga“ lief trotz der schwachen Brise gute Fahrt. Sowohl der Capitan als auch Bill spürten an jeder Bewegung des großen Schiffes, wie gut es war. El Mot stand auf dem Achterdeck. Die beiden Gefangenen beachtete er nicht. Bill hingegen ließ ihn kaum aus den Augen, während er sich mit seinen Fesseln abquälte. Und er konnte von Glück sagen, daß man ihm keine Ketten angelegt hatte. Aber so sehr sich Bill auch bemühte, die Stricke wollten nicht nachgeben. Der Capitan spürte seine Anstrengungen. Auch er hatte unablässig nachgedacht. Die Wunde auf seiner Wange, der blutige Striemen, den die Peitsche El Mots ihm geschlagen hatte, brannte wie Feuer. Er mußte weg von diesem Schiff, er mußte mit diesem verfluchten Sklavenjäger abrechnen, denn der Schlag würde ihn fürs Leben zeichnen. So besonnen Capitan de Toria auf der einen Seite war, so leidenschaftlich empfand er auf der anderen. Er kochte innerlich, und je mehr Zeit er fand, noch einmal über alles nachzugrübeln, desto schlimmer wurde es. Erst die Schlappe, die der Seewolf ihm beigebracht hatte, die zweite, die dieser Mann ihm zugefügt hatte. Danach der Überfall El Mots, dem er zum Opfer gefallen war, ohne auch nur die geringste Gegenwehr leisten zu können. Wieder spürte er das heftige Zerren des Jungen hinter ihm am Mast. Und in diesem Moment faßte der Capitan einen Entschluß, der ihm vor Stunden noch völlig undenkbar erschienen wäre: Er beschloß, sich auf Zeit mit dem jungen
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Seewolf zu verbünden. Er hatte gar keine andere Wahl, denn sie beide waren die einzigen Menschen auf diesem Schiff, die zwar aus feindlichen Lagern stammten, aber dennoch dasselbe Ziel haben mußten. „Bill!“ Der Capitan sagte das Wort so leise, daß es unmöglich an die Ohren El Mots dringen konnte. Bill hörte es sofort. Er stand sofort mucksmäuschenstill. Der Capitan nahm seine gesamten englischen Brocken zusammen, über die er verfügte. „Bill, du willst deinen Leuten helfen, ich meinen. Vielleicht kann ich dir helfen, freizukommen. Wir sind zwar Feinde, aber wir sind gemeinsam einem viel schlimmeren Feind in die Hände gefallen. Wenn wir uns gegenseitig helfen wollen, dann müssen wir einen befristeten Frieden miteinander schließen ...“ Der Capitan schwieg. Er hatte eine ganze Weile gebraucht, um diese Worte von sich zu gehen. Er hatte jeden Brocken, an den er sich überhaupt erinnern konnte, aus seinem miserablen Englisch hergeklaubt, und doch war seine Rede von spanischen Wörtern durchsetzt gewesen. Bill hatte alles gehört und auch verstanden. Der Capitan ahnte ja nicht, daß er spanisch gesprochen hatte, bevor die „Isabella“ seine zweite Heimat geworden war. Bill rührte sich nicht. Was der Capitan zu ihm gesagt hatte, war so überraschend gewesen, daß er einen Moment brauchte, um nachzudenken. Bill kannte inzwischen fast alle Abenteuer, die die Seewölfe gemeinsam bestanden hatten. Und er erinnerte sich, daß sogar Hasard einmal mit den Spaniern so einen Frieden auf Zeit geschlossen hatte, um einen Bösewicht zu bekämpfen. „Bill, hast du mich gehört?“ fragte der Capitan drängend. Er wußte nur zu gut, daß es nicht mehr lange dauern konnte, bis die „Majunga“ die Bucht erreichte. Wurden aber der Seewolf und seine „Isabella“ auch zur Beute des Sklavenjägers, dann gab es keine Hoffnung mehr.
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„Ja, Senor, ich habe Sie verstanden. Vielleicht haben Sie sogar recht, Sonor“, erwiderte der Junge zur grenzenlosen Überraschung des Capitans in tadellosem Spanisch. „Wenn ich sicher wäre, daß Sie Wort halten und mich nicht hereinlegen wollen ...“ Der Capitan reckte sich trotz seiner Fesseln auf. „Ich glaube, Bill, dein Seewolf würde dir bestätigen, daß ich ein Mann von Ehre bin. Ich bin Capitan de Toria, ich breche mein Wort nie. Genügt dir das? Ich werde den Frieden mit dir halten, bis wir ihn gegenseitig für gelöst erklären. Du hast mein Wort darauf.“ Bill überlegte. Sogar der Seewolf hatte ihm immer wieder eingeschärft, daß nicht alle Spanier Schurken und auch nicht alle Engländer wie die Seewölfe seien. Man müsse sich immer ein Urteil über einen Mann bilden und dann entsprechend handeln. „Gut, Senor. Unser Pakt gilt. Dieses Schiff darf die ‚Isabella' nicht überfallen, das müssen wir verhindern. Woher wissen Sie überhaupt, daß ich zur Mannschaft des Seewolfs gehöre? Das können Sie doch gar nicht genau wissen ...“ „Natürlich weiß ich das. Ich habe dem Seewolf auf eurem Schiff mit der Waffe in der Hand gegenübergestanden, Bill. Er hatte nur einen Belegnagel, ich hätte ihn mit Leichtigkeit töten können. Aber ich tat das nicht, sondern ließ ihm einen Degen reichen. Zum Dank dafür packte mich einer seiner Männer von hinten und warf mich einfach über Bord. Ich war sehr zornig, aber vielleicht wußte er auch gar nicht, was vorgefallen war.“ Bill schwieg eine Weile. „Und das ist die Wahrheit?“ fragte er dann. „Ja, das ist die Wahrheit, Bill. So und nicht anders hat es sich abgespielt. Aber lassen wir das jetzt. Ich will dir sagen, wie ich mir die Sache vorstelle. Gemeinsam werden wir jetzt beginnen, unsere Fesseln zu lockern. Die Narren haben kein Hirn im Kopf, denn die Knoten deiner Fesseln liegen hier drüben bei mir, meine Hände kann ich ganz gut bewegen. Ich werde
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versuchen, dich frei zu kriegen, dann bindest du mich ebenfalls los. Aber du mußt von jetzt ab genau auf mich achten, denn ich kann El Mot beobachten. Er steht ganz hinten auf dem Achterdeck. Er darf nichts merken, oder wir sind verloren. Verloren sind wir aber auch, wenn wir es nicht schaffen. Denn sobald er die Bucht erreicht, in der euer Schiff liegt, weiß er, daß wir beide gelogen haben, und er wird uns vor Zorn töten. Du hast deine Sache sehr gut gemacht, ich habe fast alles verstanden, Bill, denn ich wußte ja Bescheid.“ Wohlweislich verschwieg Bill dem Capitan, daß er es gewesen war, der verhindert hatte, daß die „Isabella“ von den Spaniern in die Luft gesprengt wurde. Und genau bei diesem Gedanken stutzte er, denn er hatte plötzlich eine Idee. „Fangen Sie an, Senor. Sie können sich auf mich verlassen. Aber beeilen Sie sich!“ Der Capitan hatte bereits begonnen, an den Knoten der Fesseln des jungen zu arbeiten. Es war ein schweres Stück Arbeit, und oft mußte er unterbrechen, wenn El Mot zu ihnen herüberblickte. Er hoffte inständig, daß der Sklavenjäger nicht zum Besanmast herübergehen würde, weil er irgendeinen Verdacht geschöpft hatte. Doch dieser Sorge wurde er enthoben. An Deck erschallten gedämpfte Kommandos, die „Majunga“ hatte also die Einfahrt der Bucht erreicht. Capitan de Toria verdoppelte seine Anstrengungen — und plötzlich gaben die Fesseln Bills nach. Er sah, wie El Mot in diesem Moment das Achterkastell ziemlich eilig verließ. Der Nebel strich nur noch in dünnen Schwaden über das Schiff, die Sicht mußte sich wesentlich gebessert haben. Capitan de Toria hörte erregte Stimmen, während die Männer an den Brassen der „Majunga“ arbeiteten. „Rasch, Bill, rasch!“ keuchte der Capitan und spürte gleichzeitig, wie sich seine Fesseln schon lockerten. „Bill, rasch, einen Belegnagel. Auch für dich, wir brauchen Waffen. Da drüben in der Nagelbank!“
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Bill sauste los. Irgendwie schien auf der „Majunga“ der Teufel los zu sein. Aus den Augenwinkeln sah Bill El Mot, der die Stufen zum Achterkastell hinauffegte und dann plötzlich wie angewurzelt stehenblieb. Capitan de Toria hatte seine Fesseln noch nicht ganz abgestreift und bückte sich eben, um auch die Füße aus den Stricken zu befreien, die auf dem Deck vor dem Besanmast ein wirres Durcheinander bildeten. „Du Hund!“ Mit einem Wutschrei warf sich El Mot auf de Toria. Noch im Sprung riß er sein breites Messer aus dem Gürtel. Bill war das alles nicht entgangen. Er sah, wie de Toria verzweifelt an den Stricken zerrte, um endgültig frei zu werden. Aber das konnte ihm nicht mehr gelingen, denn der vor Wut rasende Sklavenhändler war schon heran. De Toria verlor nicht die Nerven. Er richtete sich blitzschnell auf und wehrte El Mot mit einem gewaltigen Hieb seiner langen Arme ab. Der Schlag traf, er traf sogar so gut, daß El Mot rückwärts über das Deck taumelte. Dabei brüllte er vor Wut und fuchtelte wild mit seinem Messer herum. Das war genau die Spanne, die Bill brauchte. Er flog über die Planken des Achterdecks. El Mot sah den Jungen, aber es war schon zu spät. Bill schlug mit dem Belegnagel zu. Es war der zweite Schlag, der den Sklavenjäger traf. Diesmal jedoch härter. El Mot strauchelte, knickte ein und schlug an Deck. Er sah feurige Ringe vor den Augen und konnte nicht begreifen, daß ihm so etwas an Bord seines eigenen Schiffes widerfuhr. De Toria war es gelungen, sich endgültig aus den Stricken zu befreien. Mit ein paar gewaltigen Sätzen schoß er über das Achterdeck. „Gut, Bill, ausgezeichnet!“ brüllte er auf spanisch. „Jetzt werde ich es diesem Kerl besorgen, paß auf!“ Er warf sich auf El Mot, der sich gerade wieder aufrappeln wollte. Mit der Rechten schlug er ihm das Messer aus der Hand, die
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Linke krallte sich um die Kehle des Sklavenjägers. Dann hielt er plötzlich das Messer in der Hand und wollte zustoßen. In diesem Moment geschah es. Auf der „Isabella“ löste sich donnernd die erste Breitseite. Die schweren 17-pfündigen Kugeln schlugen in das Schiff. Schreie drangen an die Ohren der drei auf dem Achterdeck. El Mot benutzte die Überraschung, die die dröhnende, infernalische Breitseite bei de Toria ausgelöst hatte. Er wand sich wie eine Schlange aus dem Griff des Capitans. Gleichzeitig trat er nach dem Spanier und traf ihn auch. De Toria sackte zurück. Im ersten Moment blieb de Toria die Luft weg und tausend Sterne flimmerten vor seinen Augen. El Mot packte den Capitan, entriß ihm das Messer und wollte sich auf den Spanier stürzen, aber Bill war bereits zur Stelle. Er rannte den Sklavenjäger einfach von hinten an. So wuchtig war der Stoß, den Bill mit seinem Kopf in den Rücken des Gegners führte, daß El Mot über das Achterdeck katapultiert wurde und in die Nagelbank an Backbord krachte. Bill ließ ihm jetzt keine Verschnaufpause mehr. Er schleuderte den schweren Belegnagel nach El Mot, und der Sklavenjäger konnte nicht mehr ausweichen. Der Belegnagel erwischte ihn an der Brust, haargenau in der Herzgegend. De Toria hatte dem Jungen fassungslos zugesehen, während er seine Benommenheit abschüttelte. Dann quälte er sich aber auf die Beine, immer noch recht wacklig und starrte den regungslos auf den Planken liegenden El Mot an. „Junge, du bist ein ...“ „Geisel! Capitan, nehmen Sie El Mot als Geisel. Ich werde ...“ Bill stockte. Die „Majunga“ hatte gedreht, ihre schweren Geschütze schwenkten über Steuerbord auf die „Isabella“ ein, die er deutlich vor den Felsen an der Einfahrt der Bucht sah. Er erkannte sofort, welche ungeheure Gefahr der „Isabella“ drohte. Sie konnte nicht manövrieren, die Seewölfe mußten ihre Geschütze nach der Breitseite erst
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wieder nachladen, aber solange Zeit blieb ihnen nicht, und wenn sie noch so schnell waren. Denn die „Majunga“ schwenkte unaufhaltsam herum. Zehn Zwanzigpfünder an Steuerbord würden innerhalb von Minuten auf den Seewolf und seine Kameraden gerichtet sein. Außerdem sah er, wie der schwere Mörser auf dem Vorderkastell auf die „Isabella“ eingerichtet wurde. Bill blickte sich gehetzt um. Er sah den Capitan, sah den bewußtlosen El Mot, hörte jetzt auch noch das Musketenfeuer, das vom Lande her aufflackerte und ganz bestimmt seinen Kameraden galt. Eine Geschichte schoß ihm durch den Kopf, die er einmal über den Seewolf und Ben Brighton gehört hatte. Die beiden Männer hatten damals in der Todesbucht, ganz allein auf sich gestellt, ein feindliches Schiff, das... Bill dachte nicht mehr weiter, sondern handelte. „Rasch, Capitan, schnell! Oder El Mot wird siegen, die Seewölfe ...“ De Toria brauchte nur einen einzigen Blick, um die Lage zu erkennen, in der sich die „Isabella“ diesem um ein mehrfaches stärkeren Gegner gegenüber befand. „Junge, was hast du vor, was ...“ Bill riß das breite Entermesser El Mots an sich. Der Capitan bückte sich ebenso rasch und zog dem Bewußtlosen die doppelläufige Pistole aus dem Gürtel. Dann rannte er hinter Bill her, der eben den Niedergang zum Hauptdeck hinabstürzte. „Nein, Junge, das geht nicht!“ schrie er und dachte, daß sie El Mot hätten als Geisel nehmen sollen. Aber jetzt war das unmöglich, er konnte den Jungen, der ihn bereits zweimal herausgehauen hatte, nicht im Stich lassen, Seewolf hin und Seewolf her. Bill stieß die Tür zum Achterkastell auf. Und jetzt erst begriff de Toria, was dieser Teufelskerl wirklich im Schilde führte. Er bekreuzigte sich, aber er ließ ihn nicht im Stich. Bill wollte schon in den Gang, der zur Pulverkammer führen mußte, eindringen,
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da sah er, wie zwei Männer El Mots ein riesiges Pulverfaß schleppend genau auf ihn zustolperten. So ein Faß hatte Bill auf der „Isabella“ noch nie gesehen, nicht in dieser Größe. Er wich zurück und ließ den ersten an sich vorbei, nachdem er dem Capitan einen Wink gegeben hatte. De Toria kapierte. Er hieb dem ersten die Pistole über den Schädel, den zweiten versorgte Bill. Das Faß polterte zu Boden. De Toria erkannte die einmalige Chance, die ihnen dieser Zufall verschafft hatte. „Hör zu, Bill, bis in die Pulverkammer schaffen wir's nicht. Da arbeiten mindestens vier Kerle. Aber wenn wir dieses Faß hier im Gang des Achterkastells...“ Bill nickte nur. Jawohl, das war's! De Toria blickte sich um. Aber kein Mensch an Bord schien sich um sie zu kümmern. Kein Wunder so kurz vor der entscheidenden Breitseite. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln. Bill und der Capitan schleppten das schwere Faß weit nach hinten in den Gang. Mit dem Messer El Mots entfernte Bill den Deckel. Gemeinsam legten sie eine Pulverspur bis zur Tür, die zum Hauptdeck führte, ihnen blieb keine Zeit, erst nach der Kapitänskammer und der Heckgalerie zu suchen. Weiter hinten, vor einer Biegung blakte eine Öllampe. Bill huschte davon, seine kleinen Füße hinterließen Spuren im ausgestreuten Pulver. Er riß die Lampe ungestüm vom Haken und strauchelte. Capitan de Toria schrie auf, aber Bill fing sich wieder. Dann war er bei de Toria. „Los, Bill, über Bord, du ...“ „Halt, was tut ihr da?“ Ein bulliger Kerl trat auf sie zu, sah die beiden, die Öllampe und war im ersten Moment völlig verwirrt. Bill ließ ihm keine Zeit, er warf die Öllampe in die Pulverspur. Er sah noch, wie eine bläuliche Stichflamme hochzuckte und mit rasender Geschwindigkeit auf das Faß zulief. . „Capitan, rasch!“ schrie er. Gemeinsam überrannten sie den völlig verdatterten
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Kanonier El Mots und hechteten über Bord. Sie hörten noch seinen Schrei, dann tauchten ihre Körper auch schon ein. * Hasard erkannte die bedrohliche Lage der „Isabella“ ebenfalls. Die erste Breitseite der „Isabella“ hatte zwar getroffen, aber doch nicht die Wirkung gezeitigt, die er sich erhofft hatte. Seine geübten Augen erkannten sofort, was für ein Brocken dieser Viermaster war. Den erledigte man nur mit viel Glück durch eine einzige Salve, und die mußte dann schon die Pulverkammer treffen. Die „Majunga“ — der Seewolf vermochte den Namen am Bug jetzt zu lesen — schwang herum. Er blickte in die Geschützpforten und sah die schweren, dicken Rohre der Zwanzigpfünder. Männer, beeilt euch, wir kriegen gleich eine volle Ladung, wenn der noch rechtzeitig herumschwenkt!“ Er sprang seinen Männern zu Hilfe. Es ging jetzt schon fast um Sekunden. Um die Sekunden. die der andere früher schoß! „Haltet auf das Hauptdeck, auf die Geschützpforten. Dieser Brocken da ist keine Kleinigkeit, Männer!“ Dem Seewolf lief der Schweiß in Bächen übers Gesicht, während er eine Culverine nach der anderen ausrichtete. Al Conroy, Ferris Tucker, Ed Carberry, alle schufteten sie wie wild. Ben Brighton stand auf dem Achterdeck, Dan O'Flynn lud eine der Drehbassen. Batuti und Old Shane hockten im Großmast und legten gerade den ersten Brandpfeil auf ihre Bögen. jene Spezialpfeile von Old Shane, deren Schäfte hohl waren und eine Pulverladung enthielten. die die Segel eines Schiffes augenblicklich in Brand setzten. Der Seewolf spähte eben über das Rohr einer Culverine zum Gegner hinüber. Zwar beengte die Geschützpforte sein Gesichtsfeld, aber er sah doch, wie zwei Gestalten plötzlich über das Schanzkleid des Sklavenschiffes hechteten und im aufspritzenden Wasser verschwanden.
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Irgendwo an Bord des Sklavenschiffes brüllte jemand auf, und dann traute der Seewolf seinen Augen nicht. Aus dem Achterkastell der „Majunga“ brach jäh eine feurige Lohe und platzte auseinander. Ein berstender Knall folgte, dann eine Druckwelle. Trümmer wirbelten umher, eine dicke graue Pulverdampfwolke wälzte sich aus dem Achterkastell hoch. Flammen züngelten auf, Menschen hasteten über die Decks des Sklavenjägers. Am Achterschiff brachen die Bordwände, das ganze Achterkastell schien in sich zusammenzurutschen. So jedenfalls sah es aus. Dann sahen sie die Flammen. Eine Hölle an Hitze und Verderben barst aus dem Achterschiff der „Majunga“ hervor. Und mitten in diesem Chaos brüllte Al Conroy seinen Befehl. „Feuer. ihr Affen, verdammt noch mal, oder sollen uns die verdammten Kerle erst eins überbraten?“ Die Culverinen entluden sich donnernd. Mündungsfeuer stachen auf die „Majunga“ zu. Und diesmal saß die Breitseite voll im Ziel. Die schweren siebzehnpfündigen Kugeln zerfetzten die Geschützpforten des Sklavenfängers und rissen die schweren Geschütze der „Majunga“ aus ihren Brooktauen. Riesige Löcher klafften im Rumpf der „Majunga“. Eine zweite, noch grauenhaftere Explosion erschütterte den Viermaster. Sekundenlang stand eine riesige Feuerlohe über dem Schiff. Der Donner der Explosion rollte über die See und brach sich an den Felsen. Dann regnete es Trümmer auf die „Isabella“. und die Seewölfe gingen schleunigst in Deckung. Der Besanmast des Sklavenschiffes jagte wie eine gigantische Fackel samt seiner Besegelung auf die „Isabella“ zu und klatschte kurz vor ihr ins Meer. Der Viermaster legte sich auf die Seite. Gleichzeitig schien er über das Heck in die Tiefe zu rutschen. Männer sprangen über Bord, schwammen auf die Küste zu, schrien und brüllten, als die Masten des großen Schiffes auf die Wasseroberfläche
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klatschten und einige von ihnen mit sich in die Tiefe rissen. Noch einmal richtete sich der Bug der „Majunga“ hoch auf, dann glitt er in die Tiefe. Luftblasen, Strudel, aus dem Wasser schießende Wrackteile bezeichneten die Stelle, an der noch vor wenigen Augenblicken der stolze Viermaster El Mots gelegen hatte. Ein Seewolf nach dem anderen versammelte sich um Hasard. Aber die größte Überraschung stand ihnen allen noch bevor. Denn plötzlich tauchte ein dunkler Schopf aus den Fluten auf. Ed Carberry klappte der Unterkiefer weg. Doch dann war er wieder voll da. „Ferris, du altes Rübenschwein, spinne ich, oder ist das wahr?“ fragte er zögernd. Bill schwamm, begleitet von einem anderen großen Mann, auf die „Isabella“ zu. Batuti, der eben noch aus großen Augen auf Bill gestarrt hatte, packte seinen unvermeidlichen Morgenstern, der selbst beim Abfeuern von Breitseiten immer in Reichweite lag. „Das sein, Himmel, Batuti sein verrückt — das sein dieses spanische Capitan! Nein, müssen Teufel sein, nicht anders möglich ...“ Old O'Flynn tauchte zusammen mit Matt Davies und Pete Ballie neben Batuti auf. Auch der Alte starrte den Spanier und Bill an wie Erscheinungen aus dem Jenseits. „Jetzt fehlt mir noch, daß der Kerl, der mir eins mit meinem eigenen Holzbein verbraten und dann Bill geklaut hat, ebenfalls an Bord steigt. Da soll doch gleich dieser und jener, das ist doch, ich ...“ Der Alte fand keine Worte. Ferris Tucker hatte Bill und dem Spanier ein Tau zugeworfen, und die beiden enterten an Bord. Als der Spanier den Seewolf erblickte, verdüsterte sich seine Miene. Aber Bill war schneller als de Toria. Er lief auf den Seewolf zu, und ihm sprudelte die ganze unglaubliche Geschichte nur so über die Lippen. Hasard hörte ihn schweigend an, während die
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anderen Seewölfe um Bill, Capitan de Toria und ihren Kapitän einen dichten Ring bildeten. Als Bill fertig war, streckte Hasard ihm die Hand hin. „Du hast uns heute zum zweitenmal gerettet, Bill. Die Lage war für die ‚Isabella' verdammt ernst. Aus dir ist ein echter Seewolf geworden, wenn du verstehst, was ich damit meine ...“ „Und ob er das versteht!“ brüllte Ed Carberry völlig außer sich vor Freude dazwischen. „Ich sage dir, dieses Bürschchen hat sich ganz enorm gemausert, und heute abend wird er mit uns allen seine erste Buddel Rum saufen, und wenn ich sie dem Kutscher klauen müßte. Besser ist aber, er rückt ein ganzes Fäßchen freiwillig heraus, ich rate es ihm sehr, wenn er nicht riskieren will, daß wir ihm über dem Kombüsenfeuer den Affenarsch versengen!“ Die Seewölfe stimmten ihm begeistert zu, und der Kutscher grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Also gut, wenn Hasard einverstanden ist. Aber auch Old O'Flynn, das sage ich euch gleich. Sonst müßt ihr mich kielholen, ehe ihr einen einzigen Tropfen in eure Gurgel kriegt. Ich will doch mal sehen, ob nicht einer von euch großmäuligen Kerlen auch auf Wache einpennt, wenn er so alt ist wie Dans Vater und dazu noch ein Holzbein hat, das ihm oft genug mächtige Beschwerden bereitet. Ja, ich sage das auch dir, Sir: Old O'Flynn hatte Krankenwache, keine Schiffswache. Was also wollt ihr von ihm?“ Die Seewölfe waren über diese unerwartete Strafpredigt so verblüfft, daß sie zunächst betreten schwiegen. Ed Carberry murmelte etwas von einem verdammten Rübenschwein, dem eigentlich mal die Haut in Streifen abgezogen werden müßte, aber dann sah er zu seinem allergrößten Erstaunen, wie die Seewölfe den Kutscher einfach auf die Schultern hoben und ihn hochleben ließen. Da konnte auch Hasard nicht anders, er streckte dem alten O'Flynn die Rechte hin.
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„Der Kutscher hat recht, vergessen wir's. In Ordnung?“ Dem Alten traten fast die Tränen in die Augen, als er die Hand des Seewolfs nahm. Und dann zog er plötzlich den verdutzten Bill an seine Brust. Capitan de Toria hatte von alledem so gut wie nichts verstanden. Er stand da und wußte nicht, was er davon halten sollte. Der Seewolf wandte sich ihm zu. „Ich höre, Sie haben mit Bill eine Art befristeten Frieden geschlossen, Capitan? Dehnen Sie diesen Frieden auch auf mich und meine Männer aus? Wenn ja, sind Sie willkommen an Bord. Wir wissen es immer zu schätzen, wenn ein aufrechter Mann einem der unseren hilft und bei uns zu Gast ist. Also?“ Capitan de Toria zögerte. So hatte er sich weder den Seewolf noch die Seewölfe vorgestellt. „Senor, ich nehme an, unter einer Bedingung allerdings“, sagte er. „Ich möchte Sie nicht im unklaren darüber lassen, daß ich Spanier bin und Sie der Feind Nummer eins der spanischen Krone sind. Sie sollen wissen, daß ich sie jagen werde, sobald wir unseren privaten Frieden beendet haben. Ich kann nicht anders, obwohl ich wahrscheinlich im Begriff stehe, meine Meinung über Sie und Ihre Männer zu ändern. Ich gebe Ihnen aber mein Wort, daß ich nichts gegen Sie unternehmen werde, solange Friede zwischen uns herrscht und ich Gast auf Ihrem Schiff bin. Einverstanden?“ Der Seewolf schlug ein. „Befinden sich noch welche von Ihren Leuten in der Gewalt der Sklavenhändler?“ fragte er dann. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihre ganze Besatzung in Gefangenschaft geriet ...“ Die Züge des Capitans verdüsterten sich. „Die ‚Valencia' sank. Nebel, Haie — ich fürchte, nur Wenige haben überlebt. Sicher ist, daß sich zwölf meiner Männer, unter ihnen auch mein erster Offizier, im Lager der Sklavenhändler befinden. Ich kann nur hoffen, daß sie noch leben. Wenn es möglich wäre, dann sollten wir sofort eine Expedition in jenes Lager unternehmen,
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Senor. Es wäre zugleich eine einmalige Gelegenheit, diesen Menschenschindern das Handwerk zu legen und wahrscheinlich eine ganze Reihe von Sklaven zu befreien. Das ist übrigens einer der Aufträge, die ich für meinen König hier durchzuführen habe.“ Eine Weile herrschte an Deck der „Isabella“ Schweigen. Dann nahm Hasard das Wort. „Ich habe mich entschieden, Senor. Wir segeln sofort. Ich werde Ihnen behilflich sein, Ihre Männer zu befreien und die Sklaven, wenn es solche gibt. Ihre Aufträge gehen mich nichts an, dafür werden Sie Verständnis haben, Capitan. Ich bin Engländer, kein Spanier. Aber ich bin auch Mensch.“ Der Capitan verneigte sich. „Sie werden die Bucht des Sklavenhändlers wiederfinden, Capitan?“ fragte Hasard. „Ja, natürlich. Der Wind steht gut. Es sind nur ein paar Meilen, ich habe mir alles gut merken können, denn El Mot hatte den Jungen und mich an den Besanmast fesseln lassen.“ „Gut. Ben, Ed, Ferris, Smoky — wir lichten Anker. Alle Geschütze laden, Schiff bleibt gefechtsklar. Du, Bill, leistest dem Capitan auf dem Achterdeck bei Ben und mir Gesellschaft. Führe unseren Gast in meine Kammer, er soll sich dort das Blut aus dem Gesicht waschen und Dan dann auf unserer Karte zeigen, wo der Schlupfwinkel der Sklavenjäger ist.“ Bill strahlte übers ganze Gesicht. Sein Blick fiel auf Ed Carberrys zernarbtes Gesicht. „Aber heute abend, Sir, es bleibt doch bei dem, was Sie versprochen haben?“ Carberry. strich ihm übers Haar. „Aber klar, Bill. Wenn ein Junge zum Mann wird, dann wird immer einer gesoffen, das ist nun mal so. Heute abend also!“ Carberry drehte sich um und verließ das Achterdeck. Der Seewolf blickte ihm nach. Und plötzlich wurde er sich der Tatsache bewußt, daß niemand an Bord irgendetwas über die Vergangenheit des Profos' wußte,
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aber daß er schon Profos bei Francis Drake gewesen war. Der Seewolf spürte, daß dieser Mann eine Vergangenheit hatte. Mehr vielleicht als irgendein anderer seiner Männer. Die Männer hievten den Anker. Sie brauchten dazu nicht lange, denn viel Wasser hatte die „Isabella“ nicht unter ihrem Kiel. Dann setzten sie Segel. Zwar war die fehlende Großrah noch nicht ersetzt worden, aber die „Isabella“ lief auch so ganz gute Fahrt. Sie würden nicht lange brauchen, um die Bucht der Sklavenjäger zu erreichen. Als die „Majunga“ explodierte und anschließend sank, stand Ben Harim wie erstarrt am Ufer. Er konnte nicht glauben, was seine Augen soeben gesehen hatten. Seine Männer, die hinter den Felsen kauerten, starrten ebenfalls auf das Inferno. Nur im Gegensatz zu Ben Harim war ihnen nicht sofort klar, was das für sie alle bedeutete. Einer von ihnen kroch auf Ben Harim zu. „Beim Scheitan, Ben Harim, wer sind diese Fremden, daß sie die ,Majunga` versenkten? Sie müssen gewußt haben, daß El Met in die Bucht segeln würde, um sie zu fangen. Denn sie haben das Schiff an die Felsen verholt und dort einen Hinterhalt errichtet.“ Ben Harim antwortete nicht. Seine Gedanken arbeiteten wie rasend. Was würde geschehen, wenn die Fremden jetzt zum Lager segelten? Es war völlig ohne Schutz. Er hatte schon Bedenken gehabt, bevor er mit seinen Männern zu dieser Bucht aufgebrochen war. Die Fremden hätte man auch anders überrumpeln können. Niemals hätten sie das Lager mit all den Sklaven alleinlassen dürfen. Flüchtig dachte Ben Harim an einen Schwarzen, den sie Okengbuwa nannten. Er hatte schon lange ein Auge auf ihn, weil er ihm nicht geheuer erschien. Aber El Mot hatte diesen Schwarzen immer in Schutz genommen, und es war nicht gut gewesen, El Mot zu widersprechen. Dann gab es noch etwas, was Ben Harim seit langem mißfiel. Er wußte, daß der Alkalde von Majunga, Don Bastia.
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Verbindungsleute und Spione im Lager hatte. Auch El Mot wußte das, denn er hatte mit ihm darüber gesprochen. Aber die Reaktion El Mots war anders ausgefallen, als erhofft. Sie werden sterben, wenn ihre Stunde da ist. Nicht früher, aber auch nicht später. Wenn wir jetzt etwas gegen sie unternehmen, ist der Alkalde gewarnt und durchschaut unsere Pläne nur. So war die Antwort El Mots gewesen. Vieles ging Ben Harim in diesem Moment durch den Kopf. Für ihn gab es keinen Zweifel daran, daß El Mot tot war. Die Explosion hatte das Achterdeck der „Majunga“ zuerst erwischt. Er kannte El Mot lange genug — er hielt sich immer auf dem Achterkastell auf, weil er von dort den besten Überblick hatte. „Wir müssen ins Lager zurück, so schnell wie möglich. Die Leute, die sich retten konnten, kennen den Weg, sie finden ihn allein, wir können uns jetzt nicht um sie kümmern. Los, hole alle zusammen und beeil dich!“ Der Sklavenjäger kroch sofort zurück, um den Befehl Ben Harims auszuführen. Nur wenige Minuten später schlich die kleine Truppe durch die Felsen am Strand und verschwand gleich darauf in Richtung Lager. Ben Harim hätte besser daran getan, einen Beobachter zurückzulassen, dann wäre ihm nicht entgangen, daß auch die „Isabella“ kurz darauf die Anker lichtete. Sie brauchten nicht lange, weil sich das Lager praktisch in der Bucht neben jener befand, in der sich der Kampf zwischen der „Majunga“ und der „Isabella“ abgespielt hatte. Als sie in die Nähe des Lagers gelangten, stoppte Ben Harim seine Männer mit einer Handbewegung. „Ich werde nachsehen“, sagte er und übersah dabei durchaus nicht die verwunderten Blicke seiner Männer. Denn was sollte schon geschehen sein? Die Sklaven waren angekettet, es gab Wachen im Lager, die die Hütten kontrollierten. Was hatte Ben Harim?
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Ben Harim ließ sich auf keine Diskussionen ein. Er schlich, sorgfältig jede Deckung ausnutzend, zum Lager hinunter. Lange hockte er in einem Gebüsch und beobachtete die Hütten. Er sah die Wachen patrouillieren, sonst war alles ruhig. Das war in Ordnung, weil El Mot das so befohlen hatte. Ohne daß genügend von seinen Männern im Lager waren, wurden die Schwarzen niemals losgeschlossen. Ben Harim richtete sich auf. Er legte die Hände an den Mund und rief seine Männer. Es dauerte nur wenige Minuten, und sie standen bei ihm. „Geht ins Lager. Kontrolliert alle Hütten; zuerst die der gefangenen Spanier. Vorwärts!“ Sie betraten das Lager durch das große Tor — und das war der Moment, in dem Ben Harim stutzte. Die Torwache kannte er nicht. „He, du! Deinen Namen will ich wissen. Wird's bald?“ Plötzlich brachen aus den beiden Hütten, hinter denen die Palisaden begannen und die zugleich als Unterkunft für die Wachmannschaften des Haupttors dienten, Bewaffnete hervor. Allen voran jener Schwarze, den sie Okengbuwa nannten, und dem Ben Harim immer mißtraut hatte. Sie hielten Musketen in den Händen. Hinter ihnen erschienen die Spanier. „Ihr Hunde!“ Ben Harim war außer sich vor Wut. Er riß seine doppelläufige Pistole aus dem Gürtel, aber er schaffte es nicht mehr, sie auf den verhaßten Rädelsführer der Sklaven abzufeuern. „Weg damit!“ herrschte ihn Senor Domingo an und setzte ihm die Spitze seines Degens, den er bei seinen übrigen Waffen wiedergefunden hatte, auf die Brust. Ben Harim starrte ihn an, seine Schläfenadern pulsten wild. „Das wirst du büßen, du „Im Namen des Königs von Spanien — Sie sind verhaftet. Beim geringsten Widerstand wird geschossen. Entwaffnet sie, legt ihnen die Eisen an!“
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Es gab nicht einmal ein Handgemenge. Zu drohend waren die Gesichter der einstigen Sklaven, zu drohend die Gebärden der Spanier. „Was ist mit El Mot?“ herrschte Senor Domingo Ben Harim an. „Er ist zu jener Bucht gesegelt, in der die Inglesi lagen. Antworte, oder ich lasse dich auspeitschen!“ Ben Harim sah, daß es dem Spanier ernst war. Zunächst galt es, Zeit zu gewinnen. „El Mot ist tot. Sein Schiff wurde von den Inglesi vernichtet. Nur wenige konnten entkommen, El Mot war nicht unter ihnen. Und dein Capitan und der junge Inglesi auch nicht. Genügt dir das?“ Senor Domingo erbleichte. Er hatte den Capitan gemocht, weil er ein fairer Vorgesetzter gewesen war. „Führt sie ab. Wir werden das später genau untersuchen. Kettet sie dort an, wo wir gelegen haben, sie werden ununterbrochen scharf bewacht.“ Leutnant Domingo wandte sich ab. Das waren entsetzliche Nachrichten. Denn er mußte jetzt damit rechnen, daß die Inglesi auch hierher, in diese Bucht segelten. Wie aber sollte er gegen sie kämpfen? Sie hatten Kanonen, Männer, Musketen, ein ganzes Schiff — er hatte nichts. Was nutzte ihm jetzt die Freiheit? Er wußte, wie auf Schiffen Gefangene behandelt wurden. Und bis dieser Segler England wieder erreichte, würden viele Monate vergehen. Leutnant Domingo wußte bald, daß seine Annahme richtig gewesen war. Gegen Mittag lief die „Isabella“ in die Bucht ein. Sie legte sich so, daß ihre Kanonen das ganze Lager bestreichen konnten. Dann setzten die Engländer ein Boot aus. Leutnant Domingo seufzte. „Ich gehe allein“, sagte er. „Ich werde sie empfangen und hören, was sie von uns fordern.“ Er ging zur Bucht hinunter, erreichte den Steg etwa gleichzeitig mit dem Boot der „Isabella“ — und dann blickte er mit gerunzelten Brauen auf den Mann, der als erster dem Boot entstieg und ihn anstarrte, als könne er es nicht glauben. „Leutnant Domingo!“
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„Senor Capitan! Ich hörte, Sie seien mit der ,Majunga` „Später, Senor Domingo. Ich habe einem dieser Männer da — dem Jungen — mein Leben zu verdanken. Es besteht zwischen dem Seewolf und uns ein befristeter Friede. Sie wollten mir helfen, Sie und Ihre Männer zu befreien, und sie hätten es auch geschafft. Berichten Sie, Senor, was ist geschehen?“ Die Seewölfe hatten die Szene erst mißtrauisch beobachtet. Aber jetzt verließen sie das Boot. Dan, der das Spanische sehr gut beherrschte und die Verhandlungen hatte führen sollen, übersetzte es denjenigen der Seewölfe, die nicht so perfekt waren. Ferris Tucker kratzte sich den rothaarigen Schädel. „Was meinst du, Smoky, diese Burschen sind ja wirklich gar nicht so übel! He, Batuti, alter Tintenfisch, raus mit dir. Hier gibt es Landsleute von dir, du solltest mit ihnen reden!“ Der Gambia-Neger richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Den Morgenstern wog er wie ein Spielzeug in seiner Rechten. „Wenn du Batuti noch einmal Tintenfisch nennen, du elendes Holzwurm-Kakerlake, dann dir geben Batuti eins auf Schädel, verstanden?“ Dabei grinste er übers ganze Gesicht, und Ferris Tucker klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Na, nur nicht so empfindlich, Freund. Schwarz wie Tinte bist du nun mal, na, vielleicht nicht ganz, wir werden uns da schon noch einigen. Aber jetzt sollten wir Hasard Bescheid geben, und du gehst mit Dan und mir und Smoky am besten mal ins Lager. Und dann, denke ich, sollten wir Ed und die anderen ebenfalls an Land holen, hier ist der richtige Platz für unser Besäufnis!“ Dabei sah er Bill grinsend an.. „Oder gefällt es dir hier etwa nicht?“ Bill grinste nur zurück. „Das werde ich erst morgen früh wissen, denke ich, Sir.“ Der hünenhafte Schiffszimmermann blickte ihn nachdenklich an. „Ich glaube nicht, Söhnchen, daß du morgen früh
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überhaupt noch etwas weißt. Ich kenne das!“ Damit drehte er sich um und ging ins Lager. * Carberry hielt Wort. Keiner schloß sich aus, und Bill wurde gefeiert wie noch nie zuvor in seinem Leben. Sogar Capitan de Toria und seine Spanier ließen ihn hochleben. Als das Fest seinen Höhepunkt überschritten hatte, Hasard längst wieder an Bord der „Isabella“ war und einige der Seewölfe schnarchend vor der Hütte lagen, vor der immer noch das Feuer schwelte, saßen Carberry und Ferris Tucker zusammen. Jeder mit einem vollen Becher in der Hand. „Weißt du, Ed, wer mir mächtig fehlt, wenn's um ein Saufgelage geht und auch sonst bei jeder Rauferei?“ fragte er mit schwerer Zunge. Carberry, auch nicht mehr absolut Herr seiner Sinne, stierte ihn an. „Fehlt — wer, zum Teufel, fehlt denn? Sind doch alle da!“ murmelte er. Er sah den Zimmermann an, und plötzlich wurde sein Blick etwas klarer. „Ho, du meinst den Wikinger, was? Ja, das stimmt, Ferris. Ich mochte ihn ja auch ganz gern, ein Prachtkerl, auf den man sich verlassen konnte. Wenn er bloß nicht immer an seinem blöden Helm rumgekratzt hätte, das hat mich immer aufgeregt. Himmel, Arsch und Kakerlake — was nutzt das denn, am Helm zu kratzen, wenn der Schädel juckt?“ Carberry stierte in seinen Becher. „Trinken wir noch einen. Ferris. Ist noch genug da!“ Er kippte seinen Becher Rum herunter und wankte zum Faß. „Aber weißt du, wer mir fehlt? Siri-Tong!“ Ed Carberrys Züge verklärten sich. „War eine verdammt hübsche und feine Lady, sage ich dir. Ich hoffe, wir sehen sie wieder, Ferris. Sie hat versprochen, mit dem schwarzen Segler zur Schlangeninsel zu segeln und dort auf uns zu warten!“
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Er ließ seinen Becher voll Rum laufen, nahm den von Ferris Tucker und füllte ihn ebenfalls. Eine Stunde später kippte Ed Carberry einfach zur Seite und schlief sofort. Er erwachte erst, als die Sonne schon hoch über dem Horizont stand. Vom Nebel, der sie tagelang so gepeinigt hatte, war nichts mehr zu sehen. * Gegen Mittag gab die „Isabella“ plötzlich Alarm. Alle, die sich noch im Lager befanden, pullten oder schwammen sofort an Bord. Gary Andrews hatte Segel entdeckt. „Eine Galeone“, sagte der Seewolf, der aufgeentert war und sie durch sein Spektiv beobachtete. „Sie hat Kurs auf die Bucht. Wir kriegen Besuch, aber keinen angenehmen. Klar Schiff zum Gefecht!“ Der Seewolf enterte ab. Gleich darauf trat er zu Capitan de Toria. „Sie sollten Ihren Männern Bescheid geben, Capitan. Ich fürchte, der Besuch gilt nicht mir, sondern Ihnen.“ De Toria überlegte. „Sie könnten recht haben, Senor Killigrew“, sagte er. „Ich habe erfahren, daß man einen Boten zum Alkalden geschickt hat, um ihm meine Gefangennahme mitzuteilen. Die Entwicklung allerdings, die die Dinge dann genommen haben, dürfte ihm unbekannt sein.“ Er sah den Seewolf an und nagte dabei nervös an seiner Unterlippe, eine Eigenart, die Hasard schon einige Male bei ihm beobachtet hatte. „Senor Killigrew, darf ich Sie um einen letzten Gefallen ersuchen?“ Der Seewolf ahnte, was ihm bevorstand, lächelte aber und verneigte sich leicht vor dem Capitan. „Wenn es mir möglich ist, Ihnen einen Gefallen zu erweisen, Senor, werde ich es gern tun.“ „Wenn es der Alkalde von Majunga ist, Senor, dann haben wir einen gefährlichen und habgierigen Verbrecher vor uns, der
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Schuld am Tode vieler Schwarzer und anderer unschuldiger Menschen ist. Ich hatte die Aufgabe, ihn seines Amtes zu entheben. Ich habe nicht gewagt, mir vorzustellen, daß Don Bastia so dumm ist, hierher, zu El Mot, zu segeln. Wenn er es aber ist, dann möchte ich ihn unschädlich machen, Senor Killigrew. Ich kann das aber nur mit Ihrer Hilfe, Sie verstehen?“ „Wie stellen Sie sich das vor, Senor Capitan?“ fragte der Seewolf zurück, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte sehr wohl bemerkt, in welch einem entsetzlichen Zwiespalt der Spanier sich befand. „Nehmen wir an, ich leihe Ihnen meine Kanonen, dürfte ich dann auf einen Gegendienst Ihrerseits rechnen?“ Der Capitan sah ihn aufmerksam an. „Gewiß, vorausgesetzt, es ist der Alkalde, Senor Killigrew.“ „Sie wissen, ich muß mein Schiff reparieren. Ich brauche Holz, Planken, eine neue Großrah. Der Segler, der dort heransegelt, hätte vielleicht das. Es wird Ihnen später nicht schwerfallen, das Schiff wieder seetüchtig ausrüsten zu lassen, im Lager hier gibt es dafür eine Menge Möglichkeiten, die aber alle längere Zeit in Anspruch nehmen werden, wenn Sie meinem Vorschlag folgen.“ Der Seewolf legte eine Pause ein und beobachtete den Capitan dabei unauffällig. Der Capitan war ein Fuchs, er hatte sofort begriffen. „Sie schlagen dann zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie sind sicher, daß ich Ihnen nicht folgen kann, weil ich über kein seetüchtiges Schiff verfüge, außerdem werden Sie zur Reparatur Ihres Schiffes nur einen Bruchteil jener Zeit benötigen, den Sie sonst brauchen würden!“ Er sah den Seewolf fest an. „Senor, ich habe es Ihnen gesagt: Wir sind Gegner, und wir bleiben es auch. Aber wenn ich ehrlich bin, dann wünschte ich mir, daß ein gütiger Zufall uns einander nie mehr in Feindschaft begegnen lassen möge. Das ist mein voller Ernst. Denn wenn es Degen gegen Degen geht, dann sind unsere Chancen mindestens gleich,
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Senor Killigrew, wahrscheinlich würden wir beide sterben.“ Der Seewolf mußte ihm im stillen recht geben. Dieser Spanier gefiel ihm von Tag zu Tag besser. „Ich werde Ihnen helfen, Senor“, sagte er. „Gleich, wer dort heransegelt. Aber Sie sollten jetzt schnell Ihre Vorbereitungen treffen!“ Der Capitan reichte dem Seewolf die Hand. Dann ließ er sich an Land rudern. * Eine gute Stunde später glitt der fremde Segler in die Bucht. Die „Isabella“ schien ihn nicht zu stören. Offenbar wurde sie für das Schiff des Sklavenjägers gehalten. Ferris Tucker stand neben Dan O'Flynn, Ben Brighton und dem Seewolf auf dem Achterdeck. „Verdammt alter Kahn“, sagte der Zimmermann nach einem scharfen Blick. „Der kann aber wirklich nur noch bei Dauersonnenschein einen Turn riskieren. Beim ersten Sturm säuft der ab, das ist mal sicher!“ An Bord des fremden Schiffes erschallten Kommandos. Dann klatschte der Anker ins Wasser. Anschließend wurden die Segel ins Gei geholt, aber auf eine Weise, die den Seewölfen die Haare zu Berge stehen ließen. „Mann, bei denen sollte ich mal an Bord sein“, sagte Ed Carberry, der das ganze vom Geschützdeck aus beobachtete. „Denen würde ich vielleicht Feuer unter die Ärsche machen!“ Er rieb sich andächtig die Pranken. „Jetzt setzen die Kerle auch noch ein Boot aus. Also seht euch das bloß an, da kriegt man ja glatt das Flimmern vor den Augen.“ Der Profos hatte gar nicht so unrecht. Das Boot hing völlig schief im Takel. Erst tauchte es mit dem Heck ein, dann mit dem Bug. „Junge, Junge, wenn mir einer von euch so ein Manöver liefern würde, der könnte sich gratulieren.“ Aber dann war es soweit. Ein hagerer, großer Mann bestieg das Boot und ließ sich
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an Land rudern. Am Steg erwarteten ihn ein paar Männer, unter ihnen Capitan de Toria. Das Boot erreichte den Steg, und Don Bastia stieg an Land. Würdevoll, gemessenen Schritts. De Toria sah den Mann zum ersten Mal. Er gab sich keinen Illusionen hin, der Kerl war gefährlich, trotz seines affektierten Gehabes. Ein anderer, wesentlich kleinerer folgte ihm. Es war Senor Faro. Don Bastia kam sofort zur Sache. „Wo ist Senor El Mot? Ich wünsche ihn zu sprechen. Also?“ Capitan de Toria richtete sich auf. „Senor El Mot ist tot. Aber ich stehe hier an seiner Stelle. Was wünschen Sie, Senor?“ „Ich will diesen verdammten Capitan de Toria sehen. Und wieso ist El Mot tot? Wo ist sein Unterführer, Ben Harim? Ich sehe ihn nicht!“ Faro schob sich an Don Bastia vorbei, bis er de Toria fast berührte. Angewidert zog der Capitan seinen Arm zurück. Er gedachte, der ganzen Posse ein schnelles Ende zu bereiten. Aber einige Fragen mußte er noch stellen. Und er brauchte sich gar nicht darum bemühen, denn Faro erfüllte ihm schon den Wunsch, die beiden sauberen Herren der Konspiration gegen die spanische Krone zu überführen. „Was soll das alles heißen?“ herrschte Faro den Capitan an. „El Mot tot, Ben Harim nicht da? Alles Quatsch, Senor. Man hat uns einen Boten mit der Nachricht geschickt, daß El Mot Capitan de Toria, der uns unseres Amtes entheben und dann eine Untersuchung gegen uns einleiten sollte, gefangen und in Ketten gelegt habe. Das war vor wenigen Stunden. Wo also ist de Toria? Er wird gehängt, auf der Stelle, und seine Männer werden verkauft. In ein Bergwerk, basta! Führen Sie uns zu diesem Kerl, und holen Sie endlich Ben Harim, wenn El Mot wirklich im Kampf getötet worden sein sollte!“ De Toria richtete sich hoch auf. „Wenn sie zu Capitan de Toria wollen, dann sehen Sie mich an. Ich bin Capitan de Toria und verhafte Sie beide im Namen des Königs von Spanien. Sie haben sich vor diesen
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Zeugen hier selbst der Konspiration gegen die Krone überführt. Die Verhandlung gegen Sie wird in Majunga stattfinden. Legt sie in Ketten!“ Der Capitan hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. Es knackte, als er die beiden Hähne spannte. „Damit wir uns richtig verstehen, Senores, ich schieße sofort, bei der geringsten verdächtigen Bewegung.“ Don Bastia starrte ihn nur an, aber Faro rang nach Luft. „Das wagen Sie nicht, unsere Galeone würde das Lager in Stücke schießen, sie würde ...“ „Sie würde gar nichts, Senor. Blicken Sie sich um. Die Kanonen dieses Schiffes dort sind auf Ihre Galeone gerichtet. Die Kanoniere stehen mit brennenden Lunten bereit. Wollen Sie es soweit kommen lassen? Ein Handzeichen von mir genügt!“ „Und ihre Kleidung? Sie sind niemals Capitan de Toria, Sie sind ein gemeiner ...“ „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich Sie hier in meiner Uniform empfangen hätte. Weg jetzt mit den Kerlen. Zwei Mann Wache bei Gewehr!“ Don Bastia und Faro wurden abgeführt, und Capitan de Toria winkte dem Seewolf zu, der mit anderen auf dem Achterdeck seines Schiffes stand. * Eine Woche später verließ die „Isabella“ die Bucht El Mots. Capitan de Toria hatte Wort gehalten. Der Seewolf hatte von der Galeone, mit der Don Bastia und Faro von Majunga zum Schlupfwinkel El Mots gesegelt waren, alles an Material, was er zur Reparatur der „Isabella“ brauchte, erhalten. „Alles faules Zeug!“ knurrte der Schiffszimmermann zwar wiederholt, aber ganz so schlimm war es dann doch nicht. Capitan de Toria blickte der unter vollen Segeln aus der Bucht gleitenden „Isabella“ nach. Nein, er verspürte gegen den Seewolf keinen Haß mehr. Sie waren Gegner, und sie würden Gegner bleiben. Aber die Meere waren groß. Es war nicht
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sicher, ob sie sich jemals wiedersehen
würden...
ENDE
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