Robin Moore
Das Syndikat
scanned by AnyBody corrected by eboo
Dieser schonungslose Roman entlarvt die raffinierten Tr...
87 downloads
1047 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Robin Moore
Das Syndikat
scanned by AnyBody corrected by eboo
Dieser schonungslose Roman entlarvt die raffinierten Tricks, mit denen das »Syndikat« höchste Beamte korrumpiert und ehrliche Leute zu seinen Sklaven macht. ISBN 3-453-01187-2 Originalausgabe THE FIFTH ESTATE Deutsche Übersetzung von Günther Martin 1976 by Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich Printed in Germany 1984 Umschlagfoto: Mall Photodesign, Stuttgart Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs & Schütz, München
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Buch Brad Kendall, der erfolgreiche Leiter einer der bedeutendsten Hotelketten der Welt, erhält eines Tages die beunruhigende Nachricht, daß seine Firma an die mächtige Finanzierungsgesellschaft Whitehall verkauft worden ist. Eine Firma, die ihr Geld angeblich aus illegalen Quellen bezieht. Cervi, der Chef von Whitehall, in dessen bildhübsche Tochter sich Brad verliebt, bietet ihm den Präsidentenposten an, den Brad auch annimmt. Doch soll er seinen Entschluß bald bereuen. Als Brad merkt, daß es unmöglich ist, aus einem solchen Unternehmen wieder auszusteigen, plant er mit Cervis Tochter Elda die Flucht. Da taucht Maurice d'Estang auf, der eine wichtige Funktion in der Whitehall hat: deren leitenden Angestellten vor Augen zuführen, daß es ein tödlicher Irrtum wäre, das Syndikat zu hintergehen... Vom gleichen Autor erschienen außerdem als HeyneTaschenbücher Die grünen Teufel • Band 01/489 Bitterer Zucker • Band 01/574 Mission in Mituyan • Band 01/705 Die Versuchung der grünen Teufel • Band 01/5023 Der Parasit • Band 01/5420 Dubai • Band 01/5774 Heroin-Cif New York • Band 01/5926 Die Schöne und der Mächtige • Band 01/5984 Das Team • Band 01/6125
Während der langen, oft entmutigenden Arbeit an diesem Buch halfen mir einige wenige über auftretende Schwierigkeiten hinweg. Ihnen ist dieses Buch gewidmet: meinen Eltern, Robert und Eleanor Moore, Jack H. Klein, Martin und Sylvia Heller, John Starr, Lisa Drew, Ken McCormick, Louise Webb, Dorothy Hess, Oscar Dystal, Marc Jaffe, Eugene Weissman, Frances Kramer, Paul Rosen, Anthony Quinn und meinem Bruder, John Moore
1 Abwartend blieb er vor dem Platzschalter der Luftlinie auf dem Londoner Flughafen stehen. Als erster Passagier der Maschine hatte er sein Gepäck für den Flug nach New York eingecheckt. Mit raschen, geübten Griffen heftete der junge Angestellte an die Einsteigkarten der anderen Reisenden die Sitznummern ihrer Wahl. Der Anblick der schönen jungen Frau, die auf ihn zukam, lenkte den Mann von seinen Vorahnungen ab, die er fast körperlich spürte, wie einen schweren inneren Druck. Die Fremde mochte Anfang Dreißig sein. Wohlgefällig registrierte er die gute straffe Figur im damenhaften, teuren Kostüm und das lange schwarze Haar, das gewellt bis auf die Schultern fiel. Eine praktische braune Ledertasche, aus deren Außenfach das Ticket und andere Dokumente herausragten, hing über der rechten Schulter, in der linken Hand trug sie einen Kosmetikkoffer. Als sie herantrat, um ihren Sitz auszusuchen, schob sich der attraktive Mann mit dem melierten Haar direkt hinter sie. Wegen dieser Frau nehme ich auch mit der Touristenklasse vorlieb, wenn es sein muß, dachte er. Gespannt wartete er, während sie den Sitzplan durchsah. Aber nein, sie wirkt weiß Gott wie ein Luxusklasse-Typ, spann er seine Erwägungen weiter. „Fünf A, bitte“, sagte die Dunkelhaarige. Der Angestellte trennte ein blaues Kärtchen von dem großen Diagramm an der Wand und drückte es auf die Einsteigkarte. Ohne sich umzublicken, ging sie weg. „Fünf B“, sagte der Mann prompt. Mit verständnisinnigem Lächeln fertigte ihn der Angestellte ab. Doch der Graumelierte ignorierte diese Vertraulichkeit. Da ihm noch Zeit blieb und vorläufig alles zur Zufriedenheit erledigt war, begab er sich zum VIP-Warteraum. Eine hübsche -4-
bronzeblonde Frau öffnete die Tür. Die streng geschnittene blaue Uniform brachte ihre gute Figur noch besser zur Geltung. Als sie den Passagier sah, wich das einstudierte, plakatgerechte Lächeln der stets freundlichen Hostess einem Aufleuchten freudiger Überraschung. „Brad! Wo warst du? Wohin fliegst du? Ich habe geglaubt, du würdest dich früher melden.“ „Hallo, Karen. Ich bin unterwegs von Beirut nach New York.“ Er nahm ihre Hände. „Eigentlich wollte ich in London übernachten, aber dann erhielt ich ein dringendes Telegramm von unserer Zentrale. Schon heute nachmittag steigt eine Besprechung in New York.“ Schmollend schloß Karen die Tür hinter sich. „Ich bin sehr enttäuscht. Du hast uns hier vernachlässigt.“ „Tut mir leid, Schatz, wirklich. Beim nächsten Trip holen wir es nach.“ „Eben, Brad. Ich habe ein langes Wochenende vor mir. Da dachte ich sowieso daran, einen Abstecher nach New York zu machen. Hättest du Zeit für mich?“ „Wahrscheinlich, aber versprechen kann ich es nicht.“ „Soll ich dich vor meinem Abflug aus London anrufen? Wir waren noch nie zusammen in New York.“ „Natürlich. Ich würde dir riesig gern die Stadt zeigen.“ Einen Moment sah er im Geist das verlockende Bild seiner Sitznachbarin für diese Reise. Wer wußte, was sich da entwickeln könnte. Zu Karen sagte er: „Ruf mich im Ascot Tower an. Ich werde jedenfalls veranlassen, daß ein Zimmer für dich reserviert wird - als persönlicher Gast unseres Unternehmens, versteht sich.“ „Danke, Brad. Und mach dich bitte frei, wenn es irgendwie geht.“ Er nickte. „Ich bin in der Bar“, sagte er, als das Türsignal -5-
summte und Karen öffnen ging. „Verständigst du mich bitte, sobald Flug 501 fällig ist?“ Bald darauf betrat er die Ersteklassekabine. Die fremde Schöne sah zum Fenster hinaus. In der anderen Sitzreihe starrte ein Gentleman auf den leeren Platz neben der bezaubernden jungen Frau, mit unverhohlen geilem Blick, wie Brad bemerkte. Der Mann mit dem rotblonden Seehundschnurrbart, dem Typ nach offenbar Engländer, schien nahe daran, einfach aufzustehen und neben der Dame Platz zu nehmen. Brad zeigte der Stewardeß seine Karte und setzte sich ganz selbstverständlich, wobei er den schnauzbärtigen Lüstling, der ihn nun verblüfft anglotzte, mit einem kurzen Seitenblick streifte. Als Brad den Sicherheitsgurt schloß, wandte sich seine Nachbarin um und lächelte ihm verheißungsvoll zu. Das hob seine Stimmung, obwohl er in der Magengegend noch immer das Bleigewicht schlimmer Vorahnungen spürte. Er sah ihre linke Hand an, die ein Exemplar der „Vogue“ hielt, und sofort fiel ihm auf, daß sie einen schönen Rubinreif trug, aber keinen Ehe- oder Verlobungsring. Nun vertiefte sie sich angelegentlich in ihr Modejournal, daher lehnte sich Brad schweigend in die Polsterung. Er hatte viel Zeit. Es wäre verfehlt, zu früh Kontakt zu suchen und dadurch etwas zu zerstören, was schön werden könnte. Wieder beschäftigten ihn seine Gedanken an die plötzliche, überstürzte Rückberufung nach New York. Er hatte einen Abschluß mit der libanesischen Regierung und einigen Beiruter Banken zwecks Finanzierung eines neuen Ascot Hotels schon fast unter Dach, da erhielt er das Telegramm. Es war in knappen Worten gehalten, ließ aber keinen Zweifel, daß entweder er persönlich oder die gesamte Hotelkette oder vielleicht auch beide zusammen problematische, folgenschwere Veränderungen zu erwarten hatten. Seit mehr als fünfzehn Jahren widmete sich Brad seiner -6-
verantwortungsvollen Tätigkeit für das rasant expandierende Unternehmen, alles was Privatleben hieß, stellte er zurück, um jene kühnen Vorhaben zu realisieren, die Ascot einen führenden Platz auf dem internationalen Realitätenmarkt sicherten. Gab es in der Finanzwelt tatsächlich einen jählings auftauchenden Monolithen, der in der Lage wäre, diese beachtliche Hotelkette aufzusaugen? Die Informationen, die er in Beirut sammeln konnte waren bestenfalls vage. Sie besagten lediglich, daß Rafe Leighton, Begründer und Chef von Ascot, mit Charles Lawrence Cervi - den Namen hatte Brad noch nie gehört - die Verhandlungen zum Verkauf an „Whitehall Development Ltd.“ abgeschlossen habe - auch diese Firma war für Brad eine unbekannte Größe. In den kurzen Stunden vor dem Abflug aus Beirut hatte Brad noch mit einigen Freunden von der Intra-Bank gesprochen. Sie wußten wenig über Whitehall. Die Geschäftsgebarung war undurchsichtig, das Unternehmen gab keine Bilanzen heraus, bestand erst seit zehn Jahren, sollte aber über Liegenschaften im Wert von fast l Milliarde Dollar verfügen. Als Aktionäre figurierten nur Cervi und dessen Partner Hyman Steinert. Zu den bedeutendsten Realitäten Whitehalls gehörte das berühmte Spire Building, einer der höchsten Wolkenkratzer New Yorks, und dort, in den obersten Etagen, befand sich die Zentrale. Als Brad die gewiegten libanesischen Bankiers nach den Kapitalquellen befragte, die es Whitehall ermöglicht hatten, binnen einer Dekade schon solche Dimensionen zu erreichen, zuckten sie die Achseln und murmelten etwas von erstaunlich guter Fundierung und anscheinend unbegrenzten finanziellen Reserven. Nun war der Jet bereits in der Luft, und man konnte die Sicherheitsgurte öffnen. Der Steward und die beiden Hostessen machten sich daran, das Barwägelchen durch den Mittelgang des Flugzeuges zu rollen, um den Passagieren der Luxusklasse eine Erfrischung anzubieten. -7-
Seit der Ära der langsamen, schwerfälligen alten BoeingStratocruiser, als Brad seine weltweiten Reisen begonnen hatte, die er nun mit den modernen gigantischen Boeings 707 und 747 fortsetzte, legte er es immer darauf an, unterwegs Frauenbekanntschaften zu machen. Früher konnte man solche Kontakte ganz gemächlich und zwanglos anknüpfen aber bei den relativ kurzen Flugzeiten der Jet-Ära mußte man rasch, möglichst bald nach dem Start, die Verbindung herstellen, wenn sich bei der Landung eine vielversprechende Beziehung ergeben sollte. Einst konnte Brad ziemlich sicher auf einen Flirt mit einer der Airhostessen rechnen, aber wenn eine Maschine gut besetzt war, hatten sie nun soviel zu tun, daß sich kaum eine Gelegenheit zu persönlicher Fühlungnahme und späteren Verabredungen bot. Als die Stewardeß herankam, wandte sich Brad an die junge Frau neben ihm. „Darf ich Ihnen eine Bloody Mary oder etwas anderes bestellen?“ Wieder das leichte Lächeln. „Ich glaube, für mich ist es etwas zu früh.“ „Dazu ist es auf einem Flug nie zu früh.“ Aber die Nachbarin widmete ihre Aufmerksamkeit erneut dem Modejournal. Leise klirrend näherte sich die Flaschenbatterie. Der Gentleman mit dem Walroßschnurrbart und dem denkbar rauhesten und bequemsten Tweedanzug hatte Brads ersten Versuch mit großem Interesse beobachtet. Die Abfuhr des Rivalen schien er voll Schadenfreude zu registrieren. Er ließ sich einen Brandy mit Soda geben. „Für mich eine Bloody Mary“, sagte Brad zur Stewardeß und dann zu der schönen Fremden: „Wollen Sie sicher nichts? Einen Screwdriver vielleicht, das ist Orangensaft mit Wodka vitaminhaltig und geistig zugleich.“ Sie lachte auf. „Ich glaube, Sie haben recht. Ja, ich versuche so einen Screwdriver.“ -8-
Brad warf dem Schnauzbart einen triumphierenden Blick zu, nahm den Drink und reichte ihn seiner Nachbarin. Dann hob er sein Glas. „Auf einen guten Flug.“ Sie nickte und antwortete: „Damit nichts schiefgeht.“ „Sie haben wohl keine Angst, wie?“ fragte Brad. „Ich wette, Sie sind auf Luftreisen geeicht.“ „Ja, ich fliege sehr oft, aber eigentlich fürchte ich mich immer. Am schlimmsten ist die Landung, obwohl mir auch der Start arg zu schaffen macht.“ „Bleiben Sie in New York oder reisen Sie von dort weiter?“ „Wahrscheinlich werde ich mich etwa zwei Wochen in New York aufhalten.“ „Kennen Sie die Stadt?“ „Ich war zwar schon dort, könnte aber nicht behaupten, daß ich sie kenne.“ „Und ich lebe seit drei Jahren nicht mehr in den USA. Ich weiß auch nicht, ob ich mich in New York wirklich noch zurechtfinde.“ Nach einer längeren Gesprächspause hielt er es für geboten, sich nun in aller Form vorzustellen. „Übrigens - ich heiße Brad Kendall und arbeite in der Hotelbranche.“ „Und ich heiße Luciana Blore.“ Sie sprach ihren Vornamen „Lutschana“ aus. Den Familiennamen kannte Brad sehr gut, zog es aber vor, nicht zu fragen, ob sie mit Barkley Blore verwandt sei, dem britischen Finanzmann, der nach bescheidenen Anfängen durch viele dubiose Geschäfte zu Reichtum und einer gewichtigen Position gelangt war. Brad hatte sogar Kontakt zu Blore erwogen, zwecks Kapitalbeschaffung zum Bau von Ascot Hotels in London und Paris. Er beschränkte sich auf die Feststellung: „Luciana? Das klingt italienisch.“ „Mein Vater war Italiener, meine Mutter ist Engländerin. Ich -9-
bin in Italien und in England aufgewachsen.“ „Aber Blore klingt nicht italienisch“, sondierte er vorsichtig. „Es ist der Name meines Gatten. Oder richtiger: meines Exgatten. Ich muß mich erst daran gewöhnen, plötzlich nicht mehr verheiratet zu sein, es ist alles so neu für mich. Gott sei Dank hat mein Vater die Scheidung seiner Tochter nicht mehr erlebt. Wie Sie wissen, gibt es in Italien keine Scheidungen.“ Sie starrte in ihr leeres Glas. „Ich weiß gar nicht, warum ich soviel rede. Das macht wahrscheinlich der Alkohol.“ „Trinken Sie getrost noch einen Screwdriver, das entspannt und dämpft das Reisefieber“, schlug Brad vor. „Das ist jetzt weg.“ Luciana lächelte. „Ich glaube, es ist besser, ich warte bis zum Lunch.“ Hundert Fragen kamen Brad in den Sinn, aber er behielt sie alle für sich. Zum richtigen Zeitpunkt würde er schon mehr über diese charmante Geschiedene erfahren. Der Flug dauerte noch fünf Stunden. Dann würde es vielleicht eine Landeverzögerung über dem New Yorker Kennedy Airport geben. Diesmal wäre ihm das sogar sehr recht. Natürlich würde Rafe Leighton auf glühenden Kohlen sitzen, aber niemand könnte Brad einen Vorwurf machen. Er war sowieso nicht erpicht darauf, noch an diesem Abend alles über das weitere Schicksal des Unternehmens zu erfahren. Wenn er nun auf Postensuche gehen müßte, wäre es das erste Mal in seinem Leben. Direkt von der Universität Princeton war er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Offizier des U.S. Marine Corps geworden. Nach den letzten Inselschlachten im Pazifik rüstete er ab, kehrte nach New York zurück und trat sofort einen guten Job in einer Investmentbank an, mit der sein inzwischen verstorbener Vater in Geschäftsverbindung gestanden war. Allmählich fand er es unbefriedigend, daß er immer nur mit Geld statt mit Wirtschaftsprojekten zu tun hatte, da wurde seine Reserveeinheit mobilisiert. Gleichzeitig hatte er eingesehen, daß -10-
es ein großer Fehler war, Gwen zu heiraten, deshalb hatte er eigentlich nichts gegen einen neuerlichen militärischen Einsatz, diesmal in Korea. Irgendwie kam er in diesem Krieg, der viel härter geführt wurde als die Endkämpfe des Jahres 1945, mit heiler Haut davon. Doch da sein Kamerad Captain Rafe Leighton junior gefallen war, besuchte er dessen Eltern in Fort Worth, Texas, und dieser rein menschliche Kontakt trug ihm eine sehr aussichtsreiche berufliche Position in der Ascot-Kette ein. Bei einem Fischgericht und Weißwein teilte ihm Luciana mit, ihr Mädchenname sei Paolazzi. Ihre Eltern entstammten Bankiersfamilien aus Mailand und London. Der Vater hatte unter Mussolini prosperiert, aber zur Zeit ihrer Geburt - Brad hielt sie für einen Jahrgang 1939 hatte er bereits mit dem Faschismus gebrochen und das gesamte verfügbare Kapital als Beteiligung in London angelegt. Nach dem Krieg hatte er sein Bankhaus in Mailand wieder eröffnet und ausgebaut. Luciana und deren Mutter waren nach Italien zurückgekehrt, dort blieben sie bis zu Signor Paolazzis Tod, dann ließen sie sich endgültig in London nieder. Luciana war gerade zwanzig. „Wenn ich an meine Londoner Zeit denke, als ich mich bemühte, das Projekt eines Ascot-Hotels am Portman Square durchzudrücken und kein einziges Mal bin ich Ihnen begegnet! Das kann ich nur zutiefst bedauern!“, rief Brad aus. „Zwei Jahre später heiratete ich. Vielleicht kennen Sie meinen Mann - Barkley Blore.“ „Wie, Ihr Mann? Aber er ist...“ „Ja, er ist älter als ich“, ergänzte Luciana. „Milde ausgedrückt“, bemerkte Brad trocken. „Ach, in den ersten Jahren waren wir glücklich. Die Entfremdung ergab sich nicht so sehr durch den Altersunterschied - ich habe ein Faible für reife Männer -, sondern weil Barkley nach einer Weile dauernd beschäftigt und -11-
ausgelastet war. Und dann kam noch manch anderes hinzu.“ Sie nippte am Wein. „Aber nun sind all diese peinlichen letzten gerichtlichen Schritte erledigt, die Presse hat die Scheidungsaffäre entsprechend ausgeschlachtet, und ich beschloß, London für eine Weile fernzubleiben.“ „Ich nehme an, Sie haben Freunde in New York?“ „O ja. Nun wird sich weisen, wer zu mir hält und wer es sich nicht mit Barkley verderben will.“ „Ich kenne Ihren Exgatten nicht, bin also völlig unbefangen. Zumindest einen Menschen, der gern Ihr Freund sein möchte, wird es also in New York geben.“ „Danke, Mr. Kendall. Ich habe auch Verwandte väterlicherseits in Amerika. Einen Onkel in einer New Yorker Investmentbank und einen Cousin irgendwelchen Grades in Chicago.“ Als sie das Filet Mignon gegessen hatten, sagte Luciana: „Jetzt wissen Sie alles über mich. Erzählen Sie von sich, was machen Sie, außer daß Sie auf der ganzen Welt Hotelbauten organisieren? Vermißt Ihre Frau Sie nicht sehr, wenn Sie so oft und so lange fort sind?“ „Nein. Ich bin seit zwölf Jahren geschieden.“ „Haben Sie Kinder?“ „Eine Tochter, sie ist fast neunzehn.“ Die Stewardeß räumte die Teller ab und ließ nur die noch halbvollen Weingläser stehen. Eine Weile saßen die beiden schweigend zurückgelehnt. Brad dachte an Gwen; das war nie eine erfreuliche Erinnerung. Schließlich hatte sie wieder geheiratet, aber materiell war diese neue Verbindung eine herbe Enttäuschung geworden. Denn leider hatten Gwen Kendall und Ed Connor einander falsche Tatsachen vorgespiegelt, erst nach der Hochzeit zeigte sich, daß beide keineswegs so begütert waren, wie es den Anschein hatte. -12-
Brad war überrascht und fast betroffen, als der Pilot ankündigte, die Maschine werde in einer Dreiviertelstunde auf dem Kennedy Airport landen. Noch nie war ihm ein Flug so rasch vergangen. Nun erfuhr er auch, daß Mrs. Blore zumindest eine Woche lang im St. Regis Hotel wohnen werde. „Übrigens - werden Sie auf dem Flughafen erwartet?“ fragte er. „Meine Firma schickt mir einen Wagen. Darf ich Sie zu Ihrem Hotel bringen?“ „Eigentlich wollte ich ein Taxi nehmen“, erwiderte sie. „Aber es wäre natürlich schön, nobel vorzufahren. Vielleicht wird das den Portier beeindrucken, und er verschafft mir bessere Theaterkarten.“ „Ich war auch schon lange nicht mehr im Theater. Gehen wir gemeinsam.“ Brad war Feuer und Flamme, er fühlte, daß sie sich rascher näherkamen, als er erhofft hatte. „Sie wissen, wo ich zu erreichen bin.“ „Wie wäre es mit einem netten Dinner heute abend?“ „Nach diesem schwelgerischen Mahl hier?“ „Nun, wir wandern durch New York und nehmen rasch irgendwo einen Drink. Um diese Jahreszeit ist es in der Stadt schön. Vielleicht würde es Ihnen Spaß machen, in einer Pferdedroschke durch den Central Park zu kutschieren.“ „Das klingt verlockend.“ Ihre Augen leuchteten, unwillkürlich dachte Brad daran, wie reserviert sie war, als er sie ansprach. War das wirklich erst wenige Stunden her? Zudem hatte ihm diese Frau unbewußt über eine mißliche Situation hinweggeholfen. Statt sich zwischen London und New York in quälende Mutmaßungen über die bedrohlichen Veränderungen bei Ascot zu ergehen, hatte er in der Gesellschaft dieses hinreißenden Geschöpfs Ablenkung gefunden. Nun fürchtete er die Rückkehr ins Ungewisse nicht mehr, sondern war bereit, -13-
sich mit allem, was ihn erwarten mochte, auseinanderzusetzen. Er schmiedete Pläne, wie er Lucianas Aufenthalt in New York für sie beide so angenehm wie möglich machen könnte. Er dachte sogar noch weiter. Ob es ihm gelänge, sie zum Bleiben zu bewegen und auf seine nächste Reise mitzukommen? Das heißt, wenn er noch seinen Job hatte. Und wenn nicht - nun, in der gesamten Branche genoß er einen sehr guten Ruf als Manager, es gab viele Tätigkeitsbereiche, die seinen Fähigkeiten entsprechen würden. Die Passagiere legten die Sicherheitsgurte an. Zu Brads Entzücken schob Luciana plötzlich ihren Arm unter den seinen und verschränkte mit ihm die Finger. „Nicht böse sein, aber bei Landungen stehe ich immer Qualen aus“, flüsterte sie. „Halten Sie sich nur fest“, murmelte er dicht an ihrem Ohr. „Es wird nicht lange dauern.“ Leider nicht, dachte er, als er ihre festen, prallen Schenkel spürte, die sie unwillkürlich gegen seinen Handrücken drückte. Während die Maschine über die Betonfläche zur Ankunftsrampe ausrollte, ließ Luciana langsam Brads Hand los. Er half ihr bei der Zollabfertigung und den Einreiseformalitäten. Dann gingen sie zu einer Limousine. Der Fahrer trat heran. „Guten Tag, Mr. Kendall. Willkommen daheim. Sie haben sich gar nicht verändert.“ „Kaum zu glauben, daß es hier erst Nachmittag ist!“ rief Luciana staunend. „In London geht es jetzt schon auf Mitternacht.“ Vierzig Minuten später hielt der elegante Wagen vor dem St. Regis Sheraton Hotel. Als Luciana ausstieg, wurde ihr Gepäck bereits in die Halle getragen. Sie ging zum Empfang, Brad blieb diskret im Hintergrund. „Jawohl, Mrs. Blore, wir haben Sie schon erwartet“, sagte der Portier beflissen. Also doch Barkley Blores Exgattin! Brad fühlte sich -14-
beschämt, weil er auch nur einen Moment daran gezweifelt hatte. Aber es war kein Wunder, wenn man angesichts der katastrophalen Umwälzungen, die Ascot betrafen, unsicher und skeptisch wurde. „Wegen heute abend rufe ich Sie noch an“, sagte er. „Gut. Und danke für alles. Falls ich mich mit Freunden verabreden sollte, hinterlasse ich Ihnen Bescheid.“ Brad sah ihr nach, als sie die Kabine betrat. Sie wirkte auch von hinten blendend, die leichten Sitzfalten ihres Rockes betonten nur um so mehr ihre gerundete, sinnliche Beckenpartie. Ehe sich die Tür schloß, lächelte ihm Luciana vertraulich zu. Mr. Kendall ist also wieder einmal drauf und dran, wegen einer Frau den Kopf zu verlieren, dachte er. War er mit Fünfundvierzig nicht schon ein bißchen zu alt für solche Spiele? Ach was, sie hat ja eine Schwäche für reifere Männer, und Brad schätzte, daß er selbst immerhin noch um zehn bis fünfzehn Jahre jünger sein mußte als Lucianas geschiedener Gatte...
-15-
2 Die Zentrale der Ascot-Hotelkette hatte zwei komplette Stockwerke in einem der großen neuen Bürogebäude an der Avenue of the Americas. Miß Lehmann, Rafe Leightons bejahrte und bewährte Chefsekretärin - nach außen ein richtiger Vorzimmerdrachen, aber in Wahrheit herzensgut -, begrüßte Brad Kendall mit einem etwas krampfhaft fröhlichen Lächeln, das so wirkte, als sei es mühsam der bekümmerten Miene aufgestülpt. „Er wartet schon den ganzen Tag auf Sie“, sagte Miß Lehmann leise. „Ich habe doch rechtzeitig mitgeteilt, welche Maschine ich nehme“, verteidigte sich Brad. „Und die Limousine war ja auch prompt zur Stelle.“ „Ja, ich weiß, Mr. Kendall. Aber er ist eben nicht mehr der alte.“ „Was ist denn überhaupt los?“ „Ach, sehr vieles.“ Sie seufzte. „Er wird es Ihnen selber sagen, wahrscheinlich werden Sie von ihm mehr erfahren als er anderen erzählt. Übrigens, Mrs. Connor versuchte Sie zu erreichen. Es ist sehr wichtig, irgendwas wegen Ihrer Tochter Andrea. Soll ich anrufen, bevor Sie hineingehen?“ Was konnte Andrea von ihm wollen? Na, was wohl, wenn nicht wieder einmal Geld, dachte er. Es war doch immer das gleiche. Gwen und deren zweiter Gatte schienen ständig am Rand des finanziellen Zusammenbruchs zu leben. Ed Connor war einfach unfähig, genug zu verdienen. Als Golf-Profi machte er zwar den Eindruck eines gutsituierten Mannes und zeigte sich mit den richtigen Leuten, das nützte seinem Ruf, aber in geschäftlichen Belangen war er ein vollkommener Versager. Zu den Vorteilen der Auslandsverpflichtungen gehörte auch, daß Gwen es dadurch schwerer hatte, Brad öfter Geld abzuknöpfen. Er lächelte Miß Lehmann zu. „Oh, das hat Zeit. Ich vermute, daß mich Mr. Leighton sofort sprechen will.“ -16-
„Aber er würde das sicher verstehen - Ihre Tochter und so...“ Brad schüttelte den Kopf und ging zur geschlossenen Tür von Leightons Büro. Miß Lehmann kündigte ihn über das Intercom an, dann öffnete sich geheimnisvoll auf Knopfdruck die Tür. Brad betrat das helle luxuriöse Eckzimmer. Lautlos schloß sich die schwere Tür. Nun hing bereits ein Foto des neuen Präsidenten der USA samt Autogramm neben vier anderen ähnlichen Porträts mit Namenszügen in Silberrahmen an der Wand hinter dem Schreibtisch. Der weiche Spannteppich dämpfte die festen Schritte. Brad erschrak fast über die Veränderungen in Gesicht und Haltung seines Chefs, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. Wann? Nur wenige Monate war das her? Brad versuchte seine Bestürzung mit einem besonders strahlenden Lächeln zu tarnen. Leightons Augen waren trübe und eingesunken, neue Furchen zogen sich tief durch das blasse, etwas schwammige Gesicht, die Schultern waren gebeugt, und die weiße Mähne schien schütterer geworden und weniger gepflegt. „Setzen Sie sich, mein Junge.“ Auch die Stimme klang schwach und unsicher. Leighton wies auf einen Stuhl neben seinem Schreibtisch. „Ich freue mich, daß Sie hier sind.“ Kendall nahm Platz und wartete, daß Leighton das Gespräch beginnen würde. Mit einem Seitenblick zur Schiffsuhr überlegte Brad, wann er wohl Luciana anrufen könnte. „Es gibt große, einschneidende Umwälzungen“, sagte Leighton. „Ja, ich habe davon gehört.“ Nach einer Pause sagte Leighton: „Sie haben im Auslandsdienst Vorbildliches geleistet - mit einem Bettel an Betriebskapital von hier...“ Kendall nickte ohne zu antworten, er wollte erst abwarten, -17-
welche Richtung sein Chef dieser Unterredung geben würde. Leighton lehnte sich zurück und starrte gedankenverloren zum Central Park hinaus. „Ich bedaure, daß wir nach New York übersiedelt sind. Das war ein schwerer Fehler. Alles war in Ordnung, bis wir Fort Worth verließen.“ „Ihre gepriesenen Direktoren haben ja Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um diese Verlegung des Unternehmens zu erreichen“, sagte Brad. „Das hätten wir nie tun sollen. O ja, natürlich denkt man hier in New York in größeren Kategorien.“ Der alte Mann nickte grimmig. „So groß, daß einem die Hose am Hintern platzt, wenn man sich aufs hohe Roß setzt.“ Langes Schweigen, dann: „Haben Sie schon von Whitehall gehört?“ „Nicht viel. Eine Privatfirma. Keine Bilanzen oder Jahresberichte. Solide finanzielle Basis.“ „Diese Leute haben eine Menge Geld, kann ich Ihnen verraten. Und keinen Cent davon aus der Erdölindustrie. Whitehall besitzt in New York mehr Liegenschaften als die katholische Kirche, und das will etwas heißen. Nun wollen die Brüder in die Hotelbranche einsteigen. Sie haben Hotels gekauft, wo sich die Möglichkeit bot, aber die wirklich guten Häuser gehören uns, Sheraton, Hilton oder andere Kettenorganisationen.“ „Ich könnte mir denken, daß Ascot für diese Herren eine günstige Erwerbung wäre“, warf Kendall prompt ein. „Die Kerle haben lange gebraucht, vier Jahre oder sogar länger. Es begann, als wir nach New York kamen. Unser Ascot Tower hat den Umschwung bewirkt“, sagte Leighton voll Bitterkeit. „Erinnern Sie sich noch daran, als wir uns entschlossen, den Ascot Tower zu bauen?“ Und wie gut sich Brad erinnerte! Bryant Beddington, ein neuer Ascot-Direktor von großer Gewandtheit und Glätte, hatte Leighton zu diesem Vorhaben überredet. Beddington genoß -18-
beträchtliches Prestige als Vorsitzender der Nationalen Führungskonferenz, einer Organisation, die aus den Spitzenkräften aller Lebensbereiche der USA bestand. Kurz nachdem Rafe Leighton in dieses Gremium aufgenommen worden war, holte er den Vorsitzenden in seinen Aufsichtsrat. Immerhin war Beddington ein Wirtschaftsmanager von Rang und galt selbst für die größten Unternehmen als wirklich guter Fang. In aller Offenheit mußte sich Kendall eine Spur von Berufsneid eingestehen. Doch dieser Geschäftsmann mit der einwandfreien finanziellen Basis hatte etwas Undurchsichtiges an sich, eine nur gefühlsmäßig erfaßbare dubiose Ausstrahlung, die Brad bewog, Leighton vor Aktionen mit ihm zu warnen, besonders soweit sie das Ascot-Tower-Projekt betrafen. „Aber in ein paar Wochen werden Sie sowieso für Whitehall arbeiten. Vorausgesetzt natürlich, daß Sie bei der“ - Brad hörte aus dem Ton der Worte den Schmerz seines Gegenübers heraus - “Ascot-Gruppe von Whitehall bleiben. So wird sie dann wohl offiziell heißen...“ „Ich richte mich ganz nach Ihnen, Sir.“ Während seiner siebzehnjährigen Tätigkeit bei Ascot war Brad trotz des engen Vertrauensverhältnisses zu Rafe Leighton nie von der formellen Anrede abgegangen. „Sie werden die Entscheidung darüber selbst treffen müssen. Whitehall ist ein sehr großes Unternehmen. Die Eingliederung von Ascot wird seine Gesamtgröße um nicht mehr als fünf Prozent ausweiten.“ „Der Verkauf ist also definitiv?“, fragte Brad. Leighton nickte. „Ich fürchte, ja.“ Er zögerte. „Nein, das wäre nicht fair von mir. Ich freue mich, daß Ascot als Einheit weiterbestehen, wachsen und florieren wird, daß Betriebe und Personal beisammenbleiben.“ Er lächelte traurig. „Und über die mich persönlich betreffenden finanziellen Regelungen kann ich -19-
mich wirklich nicht beklagen.“ „Was wird nun geschehen?“ Der alte Texaner warf Brad einen fast flehenden Blick zu, dann erhob er sich schwerfällig, die Hände auf die Tischplatte gestützt. „Ich habe C. L. Cervi, dem Präsidenten von Whitehall, versprochen, daß ich Sie zu ihm führe, sobald Sie da sind. Meiner Vermutung nach möchte er, daß Sie den Posten des Ascot-Leiters im Rahmen seines Konzerns übernehmen. Ich selbst - na, ich werde in ein paar Tagen also in den “wohlverdienten Ruhestand“ treten. Fragen Sie mich nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen werde...“
-20-
3 Die Limousine wartete vor dem Bürogebäude, als Rafe Leighton und Brad heraustraten. Der Fahrer öffnete die Tür zum Fond. „Ich habe Ihr Gepäck ins Hotel gebracht, Mr. Kendall“, sagte er. „Es wurde in Ihrem Apartment deponiert.“ „Danke.“ Schweigend saßen die beiden Männer nebeneinander, während der elegante große Wagen auf der Sixth Avenue dahinrollte. Brad spürte Leightons ehrliche Verzweiflung über den Verlust seines Lebenswerkes. Es hatte die unermüdliche Arbeit von Jahrzehnten, geschicktes Manövrieren und die Rufbildung absolut seriöser Gebarung gebraucht, um die AscotHotels zu dem zu machen, was sie nun waren. Schließlich wandte sich Leighton an den Jüngeren. „Ich weiß nicht, wie die Besprechung verlaufen wird, aber denken Sie daran, Brad, ich stehe hinter Ihnen, wie Sie sich auch entscheiden mögen. Ich selbst bin sowieso abserviert, und wenn man Ihnen auch die Präsidentenstelle anbietet, glaube ich nicht, daß man Ihnen völlig freie Hand lassen wird.“ „Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, Chef. Wir werden sehen, was dieser Cervi zu sagen hat. Was ist er überhaupt für ein Mensch?“ „Darüber sollen Sie sich selbst ein Urteil bilden. Er hat Nationalökonomie studiert, die Diplome hängen an der Wand seines Büros. Vielleicht will er damit Hinterwäldler wie uns beeindrucken.“ Leighton verfiel wieder in Schweigen und starrte trüben Blickes in das Verkehrsgewühl. Als sie in die Park Avenue einbogen, sahen sie in der Ferne die Spitze des “Spire Building“, eines Bauwerks, das wie ein gigantischer Kirchturm aufragte. Zehn Minuten später hielt die Limousine vor dem berühmten -21-
Bürohaus. Kendall sprang heraus, Leighton folgte ihm schwerfällig, mit einiger Mühe. Wortlos betraten die beiden Männer das Gebäude und gingen zu jenen Lifts, die bis in die obersten Geschosse fuhren. In der 60. Etage ging Leighton voran durch ein Foyer mit einem atemberaubenden Ausblick auf New York. Hinter dem Empfangspult saß ein Mann in einer stahlblauen Uniform, ähnlich jener des UNO-Wachpersonals. Leighton nannte die Namen, und der Angestellte meldete die Besucher. Sie mußten warten, bis über die Gegensprechanlage die Antwort kam. Der Posten - anders kann man ihn nicht bezeichnen - wies auf eine Tür, die sich von selbst öffnete, ein anderer stattlicher Uniformierter bat die beiden Gentlemen, ihm zu folgen. Beim Gang durch den Korridor bemerkte Brad, daß alle Bürotüren geschlossen waren und keine Namensschilder trugen. Die Nordseite dieses Stockwerkes nahm ein Komplex großer Räume ein, in die sie wieder ein Posten durch eine Schiebetür eintreten ließ. „Endlich eine richtige Sekretärin!“ Brad lächelte dem Mädchen am Schreibtisch zu. „Ich glaubte schon, uns hätte es irrtümlich in irgendwelche Grabgewölbe verschlagen.“ Die Sekretärin, eine hübsche Brünette mit mandelförmigen braunen Augen und olivfarbenem Teint, stand auf. „Mr. Cervi erwartet Sie bereits. Bitte kommen Sie weiter.“ Sie ging zu einer anderen Schiebetür, drückte auf einen gut getarnten Schalter, und die Tür öffnete sich lautlos. Brad folgte seinem Chef in das mit Teppichen ausgelegte große Büro. Das ganze New York nördlich des Spire Buildings breitete sich unter ihnen aus. An dem langen Schreibtisch, auf dem nur ein einziger Aktenordner lag, stand ein mittelgroßer hagerer Mann. Sein dichtes kurzgelocktes Haar war lackschwarz, durch die randlose Brille wirkten die dunklen Augen fast abgeschirmt. Er trug einen tadellosen, konservativ geschnittenen dunkelgrauen Flanellanzug samt Weste, ein hellblaues Oxfordhemd und eine -22-
gestreifte „Regimentskrawatte“ britischen Stils. Im hellen Gegenlicht, von dem sich die Gestalt abhob, konnte Brad kaum den Gesichtsausdruck wahrnehmen. Charles Lawrence Cervi trat ihnen entgegen und schüttelte zuerst Leighton, dann Brad die Hand. Für einen nicht körperlich arbeitenden Menschen war sie überraschend kräftig. Unwillkürlich sah sich Brad nach den Diplomen um, die sein Chef erwähnt hatte. Richtig, da hingen sie, deutlich von anderem Wandschmuck gesondert, an Ehrenplätzen. „Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Mr. Leighton.“ Cervi blickte Brad lächelnd an. „Und ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie Mr. Kendall mitgebracht haben.“ Er wies auf eine schwere lederne Sitzgarnitur. Sie nahmen Platz. „Also, Mr. Kendall, es tut mir leid, daß wir Sie vor Abschluß Ihrer Verhandlungen aus dem Libanon holen mußten, aber wir meinten, daß Ihre Anwesenheit hier im Moment wichtiger ist.“ Die funkelnden schwarzen Augen fixierten Brad. „Wir wollen Ascot zur größten und bedeutendsten Hotelkette der Welt ausbauen. Unser besonderes Interesse gilt dem internationalen Sektor, Ihrem Spezialgebiet. Wir möchten, daß Sie Luxushotels in der Türkei, Syrien, dem Libanon, auf Sizilien, in Marseille und in Montreal errichten - durchwegs Zonen, in denen Sie bereits Fuß zu fassen versuchten.“ „Das ist richtig, Mr. Cervi“, fiel ihm Brad ins Wort, ihn packte bereits eine seltsame Erregung. „Aber in jedem einzelnen Fall war es schwierig, am Ort ausreichendes Kapital zu beschaffen.“ Nun beugte sich Rafe Leighton vor. „Brad hat sein Bestes getan, aber wir hatten einfach nicht die erforderlichen Mittel. Bei allen Überseeprojekten, die er realisierte - und darunter sind einige sehr gute -, haben wir jeweils nie mehr als 50.000 Dollar investiert. Caracas zum Beispiel bringt uns jährlich eine halbe Million ein.“ -23-
„Wieviel Bargeld würden Sie brauchen, um uns eine Position im Nahen Osten zu sichern?“ fragte Cervi. „Wenn ich 10 Millionen Dollar zur Verfügung hätte, könnte ich es in jedem der von Ihnen genannten Bereiche schaffen“, antwortete Brad. „Ich habe schon unzählige derartige Kostenvoranschläge ausgearbeitet. In jedem einzelnen Fall müßte man für Bau und Einrichtung bis zum schlüsselfertigen Zustand mindestens 6 bis 8 Millionen aufwenden.“ „Mr. Kendall, Sie werden 10 Millionen kriegen, sobald Sie diese Summe brauchen. Nun etwas anderes.“ Cervi warf Leighton einen beziehungsvollen Blick zu. „Haben Sie mit ihm wegen des Präsidentenpostens gesprochen?“ Der alte Mann nickte und Cervi erklärte, zu Brad gewandt: „Wir haben uns sehr genau über Sie erkundigt, Mr. Kendall. Mein Partner, Mr. Hyman Steinert, teilt meine Ansicht, daß Sie alle erforderlichen Fähigkeiten für den Aufgabenkreis des neuen Präsidenten der Ascot-Hotelkette besitzen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie eine weltweite rasante Expansion in Angriff nehmen.“ Brad nickte versonnen. „Danke für Ihr Vertrauen, Mr. Cervi.“ Dann fügte er hinzu: „Natürlich wüßte auch ich gern mehr über Whitehall.“ Er bemerkte Leightons verblüfften Blick. „Sie müssen bedenken, ich war die letzten drei Jahre ständig im Ausland unterwegs.“ Cervi schien überrascht, nahm aber die Konversation rasch wieder auf. „Wir sind eine Gruppe von Firmen ganz unterschiedlicher Sparten im Rahmen einer Holdinggesellschaft, die den Titel “Whitehall“ führt. Da unsere Besitzverhältnisse streng abgegrenzt sind, erlegen wir uns auch bei allgemeinen Informationen eher Zurückhaltung auf. Sicherlich kann Ihnen Mr. Leighton einiges über uns erzählen. Ich darf ganz offen bekennen, uns imponieren die Leistungen, die Ascots Position und Prestige in der globalen Hotellerie begründeten, und wir sind sehr darauf bedacht, diesen -24-
Stil zu wahren. Wir glauben, es gäbe keine bessere Möglichkeit dazu, als daß wir Sie, Mr. Kendall, der Sie so eng mit der Kettenorganisation verbunden sind, bitten, die Gesamtleitung zu übernehmen.“ Brad wollte sich noch nicht festlegen. „Mir wäre es natürlich auch recht, wenn Ascot das gegebene Potential im Ausland voll nützen könnte“, sagte er unverbindlich. „Sie müßten wahrscheinlich von nun an Ihren Sitz in New York haben. Wir werden Ihnen einen neuen Sachbearbeiter für internationale Projekte zuteilen, eine sehr erfahrene Kraft. Diesem Mann könnten Sie dann die Verhandlungstaktiken und organisatorischen Methoden beibringen, die Ihnen selbst bisher so viele große Erfolge eintrugen.“ „Die meisten meiner Abschlüsse waren das Ergebnis persönlicher Kontakte“, wandte Brad ein. „Oh, ich bin sicher, auf Ihre Empfehlungen hin wird auch der neue Sonderbeauftragte überall offene Türen finden. Sie sind in der Branche ein Begriff. Wir werden Sie immer in New York greifbar haben müssen. - Übrigens, ich würde vorschlagen, daß Sie einem Country-Club beitreten. Soviel ich weiß, spielen Sie sehr gut Golf.“ Die haben mich wirklich durchleuchtet, dachte Brad. „Die führenden Klubs haben alle ziemlich lange Wartelisten“, entgegnete er ausweichend. „Ich habe an “Copperrock“ gedacht. Ihr Name steht im Moment an erster Stelle der Liste für Neuaufnahmen. Unser Ascot-Direktor Bryant Beddington hat das geregelt.“ Als sich Cervi zurücklehnte, fühlte Brad, daß plötzlich ein Druck von ihm wich. Welch eine zwingende Persönlichkeit! Brad erwog, ob er nicht gleich dankend ablehnen und, wenn auch schweren Herzens, den mit Whitehall fusionierten Ascot Hotels den Rücken kehren sollte, solange noch Zeit war, sich einen guten Abgang zu verschaffen. Aber die geheimnisvolle -25-
Ausstrahlung dieses Mannes schien seine Entschlußkraft zu lähmen. Brad Kendall vermochte sich der suggestiven, ja dämonischen Macht Charles Lawrence Cervis nicht zu entziehen. „Wie Sie sehen, meine Herren, erfassen wir im Blitztempo sehr viele Fragen.“ Der Wirtschaftsmagnat blickte mit siegessicherem Lächeln von einem zum andern. „Aber es waren eben die raschen, entscheidenden Schachzüge, die Whitehall groß gemacht haben.“ Auch Rafe Leighton war immer sehr beeindruckt von Cervi. Faszination wäre wohl das zutreffendere Wort für seine Empfindungen in Gegenwart dieses undurchschaubaren Finanziers. Aber es entging Rafe nicht, daß Cervi auf subtile Weise Brad Kendall bereits zu manipulieren begann, und er überlegte, wie viele der Umstände in der allmählichen Entwicklung, die schließlich den Verkauf von Ascot unvermeidlich machte, dieser glatte, gerissene Italiener wohl zielbewußt herbeigeführt hatte! Dem äußeren Anschein nach war das Kaufangebot freilich ein Rettungsanker in letzter Minute, als sich Ascot mit existenzgefährdenden Schwierigkeiten konfrontiert sah. Nie würde Rafe jene Konferenz in seinem eigenen eleganten Büro vergessen, als ihn der Bürgermeister von New York, dessen Stadtrat für Sonderprojekte und der wendige Bryant Beddington überredet hatten, den Sprung zu wagen und die gesamte Kette seiner Betriebe als Sicherstellung für die Finanzierung des modernsten, größten und luxuriösesten Hotels der Welt einzusetzen. Cervi wollte nichts übereilen. „Mr. Kendall, ich glaube, wir geben Ihnen da in kurzer Zeit sehr vieles zu verkraften. Sie haben eine weite Reise hinter sich, und das war heute ein langer Tag für Sie. Ich schlage vor, daß wir uns in vierundzwanzig Stunden wieder hier treffen. Mittlerweile können Sie sich entscheiden.“ -26-
Brad nickte. „Danke. Es klingt alles sehr verlockend. Ich komme also morgen nachmittag.“ „Uns liegt viel daran, daß Sie bei uns mitarbeiten“, sagte Cervi zum Abschluß des Gesprächs. „Ich bin überzeugt, Sie werden das Gehalt und die Vergünstigungen attraktiver finden als anderswo in der Wirtschaft.“ Wieder in der Limousine, wandte sich Brad an seinen Chef, der er eigentlich nicht mehr war: „Haben Sie mir diesen Posten gesichert?“ Leighton schüttelte den Kopf. „Nein, ich könnte nicht einmal sagen, ob Sie ihn annehmen sollen.“ „Es käme auf einen Versuch an. Kündigen kann ich immer noch.“ Nach langem Schweigen antwortete Leighton: „Vielleicht, aber ich habe das Gefühl, wenn man sich mit denen einläßt, dann ist es für immer.“ „Wollen Sie damit andeuten, daß Whitehall ein kriminelles Syndikat mit legalem Anstrich ist?“ Leighton ignorierte diese Frage und verharrte in stummem Brüten, während der Wagen sich durch den Stoßzeitverkehr schob. Schließlich raffte er sich zu einer Äußerung auf. „Was Whitehall in Wirklichkeit auch sein mag, jedenfalls erhob kein einziger Aktionär Einwände gegen die Transaktion. Sie hatten die Alternative, zu verkaufen oder Anteile eines bankrotten Unternehmens zu besitzen. Ich selbst kann mich nicht beklagen. Cervi läßt sich nicht lumpen und hat mit mir einige Sondervereinbarungen getroffen.“ Bald darauf hielt die schwarze Limousine vor dem Bürohaus. Nach dem Besuch im Spire Building wirkte die Ascot-Zentrale etwas weniger imposant. „Wenn Sie den Job annehmen, räume ich schon in dieser Woche mein Zeug weg“, sagte Leighton, als sie in sein Zimmer -27-
kamen. „Ach, bleiben Sie doch noch eine Weile. Ich kann auch in einem anderen Raum präsidieren.“ „Nein, mein Junge. Wenn Sie wollen, gehört von nun an alles hier Ihnen. Je früher ich ganz von der Bildfläche verschwinde, desto besser ist es für uns beide. Ich werde eben mein Geld einstreichen und nach Texas zurückkehren. Was Sie von mir lernen konnten, das habe ich Ihnen längst beigebracht, und mittlerweile haben Sie mich sowieso überflügelt. Wie wär’s mit einem Drink? Übrigens, wollten Sie nicht jemanden anrufen?“ Sehnsüchtig dachte Brad an Luciana. Ja, er hätte sie schon längst anrufen sollen, wollte aber nicht vor Leighton mit ihr telefonieren. Als erriete er die Gedanken des anderen, sagte der alte Mann beiläufig: „Ich gehe mir rasch die Hände waschen. Machen Sie es sich in Ihrem neuen Büro bequem. Der rote Apparat hat direkte Verbindung, Sie brauchen nicht die Vermittlung bemühen.“ Langsam schlurfte der gewichtige Texaner hinaus. Brad hob den Hörer ab und wählte Lucianas Nummer. Sie war besetzt. Etwas beunruhigt wartete er, bis Leighton wieder aus seinem privaten Badezimmer kam und zum Barschrank ging. Während der entthronte König Eiswürfel in zwei Gläser fallen ließ, Bourbon eingoß und mit Soda aufspritzte, fragte er über die Schulter: „Hätten Sie jetzt noch ein paar Minuten Zeit oder haben Sie eine Verabredung?“ „Für Sie habe ich so viel Zeit, wie Sie wollen, Chef.“ Brad hoffte, daß man ihm nicht anmerkte, wie gern er anderswo wäre. Leighton reichte ihm den Drink, setzte sich und hob sein Glas. „Auf Ihre Zukunft, in welche Richtung sie auch führen mag.“ In die Stille, die diesem Toast folgte, sagte Brad: „Was ist wirklich geschehen?“ „Das ist eine lange, traurige Geschichte.“ -28-
„Es wäre vielleicht günstig, wenn ich sie kenne.“ Leighton nickte. „Sicher. Es ist nur, daß niemand gern zugibt, welch ein Narr er war.“ „Das waren Sie nie, Sir.“ Nach einer langen, fast quälenden Pause nickte Leighton wieder und sagte, mehr zu sich selbst: „Ganz gleich, wie klug man ist, ganz gleich, wie viele Verbindungen man hat und welche Summen man aufzubieten vermag, es gibt immer einen, der dich erledigen kann. Und das ist immer derjenige, von dem du am wenigsten vermutest, daß er dich aufs Kreuz legen könnte. Sonst wäre man ja gewappnet gegen ihn.“ Brad lehnte sich zurück und wartete, bis sein alter Mentor die lange traurige Geschichte erzählen würde. Endlich begann Leighton zu sprechen.
-29-
4 Im Jahr 1958 konnte Rafe Leighton seine Direktoren nicht mehr länger davon überzeugen, daß Fort Worth in Texas der ideale Hauptsitz für die aufstrebende Ascot-Hotelkette sei. Selbst die texanischen Mitglieder des Aufsichtsrates, Erdölmagnaten, die bei Rafe Geld in Liegenschaften investiert hatten, drängten auf eine Verlegung nach Chicago oder New York. Als Bryant Beddington dem Unternehmen zu günstigen Kaufbedingungen eine Gruppe von fünfzehn Hotels an der Ostküste sicherte - in einem Gebiet, in dem Ascot vorher schwach vertreten war -, gab Leighton wohl oder übel den Wünschen des Aufsichtsrates nach. Zunächst richtete er die Zentrale im großen, aber objektiv betrachtet zweitrangigen Park West Hotel ein. Doch der verfügbare Raum reichte für den rasch anwachsenden organisatorischen und administrativen Apparat bald nicht mehr aus. Bis zur Übersiedlung nach New York hatte es nur einen einzigen Vizepräsidenten gegeben, doch um die Mitte der sechziger Jahre, bei einem Stand von mehr als siebzig eigenen und vertraglich geführten Hotels und Motels, wimmelte es nur so von Vizepräsidenten und anderen Spitzenkräften des Managements, sie schossen gleichsam aus dem Boden. Sehr rasch machte Beddington dem alten Texaner klar, wie wichtig die “Image“-Bildung sei, Leighton müsse in den Augen der Öffentlichkeit als einer der führenden Unternehmer der USA “aufgebaut“ werden. Das leuchtete Rafe ein, und prompt wurde eine große PR-Agentur beauftragt, Ascot im allgemeinen und Leighton als Persönlichkeit für die Finanzwelt und das Publikum im besonderen entsprechend herauszustellen. 1965 erhielt er die ersten ernsthaften Angebote, seine eigenen Anteile zu verkaufen. Aber ohne seine Arbeit wäre das Leben für ihn leer und sinnlos geworden, deshalb wies er alle -30-
Interessenten eher brüsk ab. Einst hatte er Ascot für seinen einzigen Sohn geschaffen, für Rafe Leighton junior, der dann während der sogenannten Friedensverhandlungen in Korea fiel. Dieses tragische Ereignis raubte dem Vater die Kraft und den Willen, seine Hotelkette zur größten und mächtigsten der Welt auszuweiten. Der Kontakt mit Brad ergab sich zufällig, durch einen Kondolenzbesuch des Bataillonskommandeurs seines Sohnes. Wie Captain Leighton war auch Major Kendall Reserveoffizier des U.S. Marine Corps, der bei Ausbruch des bewaffneten Konflikts im Fernen Osten wieder zum Aktivdienst einberufen wurde. Sie blieben in Verbindung, und als Brad abrüstete, gelang es Leighton senior, ihn zu bewegen, seinen Posten in einer Investmentbank aufzugeben und als Vizepräsident der Ascot Hotels nach Fort Worth zu kommen. Mit der Ankunft Brad Kendalls samt Frau und dreijähriger Tochter änderte sich die gesamte Geschäftspolitik der Kette. Ein dynamisches Akquisitions- und Bauprogramm wurde in Angriff genommen, verbunden mit wesentlichen Verbesserungen der Einrichtungen und Dienstleistungen in den einzelnen Betrieben. Alljährlich hatte Ascot beträchtlichen Gewinnanstieg und Wertzuwachs der Aktien zu verzeichnen. Erst als Brad gemeinsam mit den anderen Führungskräften entschieden und nachdrücklich einen Ortswechsel befürwortete, stimmte Rafe Leighton schließlich zu. Vielleicht wurde Brad selbst mehr durch den Einfluß seiner ruhelosen Frau Gwen, die eine heftige Abneigung gegen Texas hegte, als durch rein sachliche Erwägungen geleitet, aber die Verlegung nach New York kam jedenfalls zustande. Gleichzeitig mit den plötzlich beharrlichen Bemühungen Außenstehender, Ascot zu erwerben, unterbreitete Bryant Beddington dem Aufsichtsrat bei einer Sondersitzung einen kühnen Plan: seine Investmentbank stellte soeben einen Rohbau in unmittelbarer Nähe des UNO-Gebäudes fertig und zeigte sich -31-
daran interessiert, ein neues Ascot Hotel auf diesem Grundstück zu finanzieren. Es würde das führende Hotel New Yorks werden. Beddington schilderte die ungeahnten Möglichkeiten in so leuchtenden Farben, daß die Anwesenden den Wolkenkratzer fast greifbar vor sich sahen, und es verfehlte nicht den Eindruck auf Leighton selbst, als Beddington in die Vorhalle ging und mit dem Bürgermeister von New York und dessen Referenten für Sonderprojekte wieder den Konferenzsaal betrat. Der Bürgermeister kam ohne Umschweife zum Thema, er hielt eine kurze energische Ansprache über das Erfordernis eines solchen Hotels für die Stadt, wobei er andeutete, die Kommunalverwaltung werde die Realisierung durch wertvolle Konzessionen unterstützen. Monate später, während die Finanzierungsverhandlungen bereits ein entscheidendes Stadium erreicht hatten, begann Brad Kendall gegen das Projekt zu opponieren. Sein Argument: die Errichtung dieses einen Hotels würde die übrige Expansion des Unternehmens hemmen, da Leighton die gesamte Ascot-Kette als Sicherstellung bieten mußte. Damit bliebe keine Möglichkeit der Kreditbeschaffung für Betriebe außerhalb der USA, die Kendalls Hauptaktionsgebiet geworden waren. Wegen dieses einen Hotels in New York - wenn es auch das luxuriöseste und beste der Welt werden sollte - würde die Entwicklung im Ausland empfindlich beeinträchtigt werden. Falls man den gesamten Konzern in die Waagschale werfe, ginge man das Risiko ein, daß sich Ascot durch diese eine verletzliche Arterie verbluten könne, betonte er. Aber Bryant Beddington hatte sich gegen Kendall durchgesetzt, allerdings nicht ohne ebenso subtile wie wirksame Hilfe. Lilli Darlene, die temperamentvolle Französin, die in Leightons Leben getreten war, ließ ihren ganzen Charme spielen, um Rafe zu veranlassen, dieses Projekt weiterzuverfolgen. Sie griff Kendall heftig an, als Manager und auch persönlich, um seine Einwände gegen die Taktik, alles auf -32-
eine Karte zu setzen, zu entkräften. Kendall sah sich einer geschlossenen Front gegenüber, denn außer Beddington sekundierten auch Aufsichtsratsmitglieder und Direktoren der Freundin des Präsidenten. Brad stand mit seiner Ablehnung fast allein, und da zog er es vor, sich auf den internationalen Sektor zu spezialisieren, selbst mit den beschränkten Mitteln, über die er verfügte. „Lilli Darlene!“ Leighton seufzte, erhob sich und schlurfte zur Bar, um sich einen dritten Bourbon zu holen. Brad ließ sich nichts nachfüllen und sah traurig zu, wie der einst so vitale und mächtige Manager gierig sein Glas kippte. „Ich habe Ihnen vieles abzubitten“, sagte Leighton fast demütig. Der Jüngere schüttelte den Kopf. „Schon gut, Chef.“ „Ich rätsle noch immer daran herum, ob die Begegnung zwischen Lilli und mir bloß Zufall war oder ein Schachzug in Cervis großem Konzept. Ich weiß es nicht.“ Hilflos starrte er vor sich hin. Brad kannte die Geschichte längst, aber warum sollte er den alten Mann daran hindern, sie wieder zu erzählen; wahrscheinlich erleichterte es ihn, wenn er sich den Kummer von der Seele redete. Lilli Darlene entsprach Zug um Zug Leightons Vorstellung von einer schönen jungen Französin. Die begüterte Witwe, eine schlanke Blondine mit berückendem Busen, war gerade dreißig Jahre alt, und Rafe seinerseits fühlte sich dreißig Jahre jünger, ehe die Party in Lillis elegantem Apartment an der Park Avenue zu Ende ging. Madame Darlene war eine der prominentesten Patronessen eines Balles unter dem Motto „Frühling in Paris“, einer fashionablen Wohltätigkeitsveranstaltung, für die sich Leighton auf Anraten der PR-Agentur interessierte. Als einer der wichtigsten Spender und Gönner gehörte Rafe zu den Mitgliedern des sorgsam gesiebten Komitees, die zu Madame Darlenes Soiree eingeladen wurden. Er war überrascht und entzückt, als sie ihn bat, nach dem -33-
offiziellen Ende des Empfangs noch zu bleiben, vielleicht zum Supper; sie sei an der Hotelbranche so interessiert und würde gern mehr davon erfahren. Ja sie erwäge sogar, einen Teil des Vermögens, das ihr Mann ihr hinterlassen hatte, in dieser Sparte zu investieren. Als sich Rafe Leighton knapp vor Mitternacht von seiner Gastgeberin verabschiedete, war er, wie er selbst sagte, geliefert, und von jenem Moment an konnte er mehr als ein Jahr nicht vernünftig denken. Als er Lilli kennenlernte, war er gerade Sechzig und führte mehr oder weniger das Leben eines Junggesellen. Seine gleichaltrige Frau hatte er unter der Obhut des Personals in Fort Worth gelassen. Seit längerer Zeit hatte sich Mrs. Leighton in Hirngespinste verloren, die Wirklichkeit entglitt ihr immer mehr, und als die Nachricht vom Tod ihres einzigen Sohnes bis zu ihr drang, flüchtete sie vor dieser fürchterlichen Erkenntnis endgültig in eine Phantasiewelt. Was Rafe Leighton an Lilli so faszinierte, war die Tatsache, daß sie, eine reiche Frau, von ihm nichts wollte oder brauchte als einen Rat, es schmeichelte ihm, daß sie ihn darum bat - und um seine Gesellschaft, die er ihr nur zu gern gewährte. Wie aufmerksam hörte sie jedem seiner Worte zu, wie leicht und natürlich hatte sich zwischen ihnen eine Romanze angebahnt. Es war wirklich nur der Mensch Rafe Leighton, der sie interessierte. In finanziellen Belangen, bei Spendenaktionen, schien Lilli ihn sogar übertreffen zu wollen. Sie bat ihn, auf dem Ball als ihr Begleiter in Erscheinung zu treten, ein Umstand, den seine PR-Berater sehr positiv registrierten. Zur Erinnerung an dieses Ereignis schenkte sie ihm diamantenbesetzte Manschettenknöpfe aus Platin. Er bemühte sich, es Lilli an Einfallsreichtum und Großzügigkeit gleichzutun, aber sie hatte ihm immer etwas voraus. Madame Darlene war eben von Haus aus eine Grande Dame, und Rafe Leighton blieb im Grund ein schlichter Texaner. Körperlich hatte er sich immer gut in Form gehalten, aber -34-
nach der ersten Begegnung mit Lilli gab er das Trinken und Rauchen fast völlig auf, trieb drei- bis viermal pro Woche Gymnastik und schwamm dann fünf oder sechs Längen im Bassin. Nach etwa einem Monat kam es endlich dazu, daß sie miteinander schliefen. In sehnlicher Erwartung hatte Rafe die Hormonpillen genommen, die ihm sein Arzt verschrieben hatte. Unnötig, wie sich weisen sollte. Lilli war als Geliebte so hinreißend und in allen erotischen Künsten so erfahren, daß sie Rafe die höchsten Wonnen seines bisher ziemlich eintönigen Sexuallebens schenkte. Er hätte nie geglaubt, daß er noch so stürmisch und ausdauernd wie ein junger Mann sein konnte. Lilli bedeutete die späte Erfüllung seiner Träume. Er leitete die kostspieligen rechtlichen Schritte zur Scheidung von seiner geistesgestörten Frau in die Wege. Zu Rafes Verwunderung war seine Freundin über geschäftliche Fragen sehr gut informiert, besonders was die Hotellerie betraf. Bald war es so weit, daß er ihr die heikelsten Einzelheiten der Finanzierung von Ascot-Hotels mitteilte. Schließlich fragte er sie in Angelegenheiten des alltäglichen Geschäftslebens um ihre Meinung, das Verhältnis hatte sich umgekehrt, ohne daß er es merkte. Lillis Hauptinteresse galt dem Projekt des “Ascot Tower“, wie das neue New Yorker Hotel heißen sollte. „Denk doch daran, welche tolle Eröffnungsparty wir dort geben könnten, wir beide, du und ich“, sagte sie mit lockendem Blick. Als ihr Leighton von Brad Kendalls Einwänden erzählte, schien sie reiflich zu überlegen, ehe sie antwortete, dieser junge Mann habe offenbar eben keinen Sinn für große Entwicklungen, das Unternehmen sei ihm entwachsen. Bald gab es keinen Abend zu zweit, an dem die bezaubernde Französin ihren Rafe nicht drängte, alle Bemühungen auf den Ascot Tower zu konzentrieren. Sie wolle sogar ihr eigenes Vermögen zuschießen, erklärte sie. „Tu es für mich.“ Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. „Für uns, -35-
Liebling.“ Im Rahmen einer großen Konferenz wurde der Vertrag zum Bau des Ascot Tower unterzeichnet. Beddingtons Bank garantierte die Emission der Anleihe, Rafe Leighton haftete mit seiner gesamten Hotelkette für das 38-Millionen-Dollar-Projekt. Lilli stand neben ihm, als er mit dem goldenen Spaten den ersten Spatenstich tat, mit dem die Bauarbeiten begannen. Da sowohl Madame Darlene als auch der Aufsichtsrat darauf drangen, den unbequemen Brad Kendall schleunigst abzuschieben, legte Rafe seinem Schützling in aller Freundschaft nahe, sich von nun an ganz den Betrieben im Ausland zu widmen. War es Zufall, daß sich Lilli plötzlich etwas zu distanzieren schien, daß sie bei weitem nicht mehr soviel Zeit für Rafe hatte wie früher, daß die leidenschaftliche intime Beziehung eine merkliche Abkühlung erfuhr und allmählich versandete? Leighton mußte damit fertig werden und schwieg. Seit der Trennung von Brad Kendall hatte er keinen Menschen, dem er sich rückhaltlos anvertrauen wollte. Noch während der Verhandlungen über die Finanzierung des Ascot Tower begegnete er C. L. Cervi zum ersten Mal. Cervis „Whitehall Development Co.“ zeigte sich daran interessiert, die Hälfte der Ascot-Aktien zu erwerben, wenn die Kaufsumme für den Bau des neuen Hotels verwendet würde. Leighton lehnte dieses Angebot mit dem klaren Bescheid ab, solange er am Leben sei, werde kein Aktionär je in die Lage kommen, dem Management von Ascot Bedingungen zu stellen. Während der Planungen wich der Referent für Sonderprojekte, Dave Colten, nicht von Leightons Seite und empfahl wärmstens eine bestimmte Baufirma, die sehr viele städtische Aufträge ausführte. Auf einer von Lillis Soireen verbrachten Colten und der Bauunternehmer Thomas Abrizzi den halben Abend mit Erörterungen über das Hotel; wie es -36-
schien, war Lilli mit dem Ehepaar Abrizzi befreundet. Einen Monat später erhielt die Firma den Auftrag, obwohl sie nicht das billigere Offert gestellt hatte. Dann begannen die Schwierigkeiten. Trotz der seit je guten Beziehungen zu den Gewerkschaften brachen da und dort in den florierenden Betrieben wilde Streiks aus. In der Spitzenkategorie rangierte das Pittsburgh Ascot. Plötzlich erzwang ein Gewerkschaftsfunktionär durch seine kompromißlose Haltung die Schließung. Monate vergingen ohne Beilegung des Ausstandes. Als für die prominenten Teilnehmer eines Kongresses im Restaurant des Ascot Hotels von Chicago ein Bankett gegeben wurde, erkrankten nachher alle Ehrengäste an Lebensmittelvergiftung und reichten die Klage ein. Jeder einzelne dieser Prozesse mußte unter beträchtlichen Kosten ausgefochten werden, aber das schlimmste war die Rufschädigung. Jene Kreise, auf die es ankam, mieden fortan das Restaurant und mieteten sich nur dann im Hotel ein, wenn anderswo keine Zimmer zu haben waren. Rafe Leighton schien es, als müsse er während des Baus eine Krise nach der anderen bewältigen, ohne Atempause, unter Aufbietung aller seiner Kräfte, die er für konstruktive Tätigkeit gebraucht hätte. Es war zermürbend. Schließlich trat jenes Ereignis ein, das nach Coltens eifrigen Beteuerungen unmöglich gewesen wäre: die beim Ascot Tower beschäftigten Arbeiter von Abrizzis Firma riefen den Streik aus. Trotz der Bemühungen der Stadtverwaltung und der Repräsentanten von Ascot - auch Abrizzi persönlich schaltete sich ein - dauerte diese Arbeitsniederlegung vier Monate. Die Banken, welche die Kredite gewährt hatten, wurden unruhig, als verlautete, daß der Ascot Tower mindestens sechs Monate, möglicherweise aber ein ganzes Jahr später als vorgesehen eröffnet werden würde. In der Zwischenzeit machten weitere Streiks, rätselhafte Brände, Unfälle, die zu Schadenersatzprozessen führten, und Kündigungen bewährter -37-
Angestellter in Schlüsselpositionen dem Unternehmen schwer zu schaffen und erschütterten sein Gefüge. Rafe Leighton fand nirgends Trost. Lilli Darlene war auf geheimnisvolle Weise aus New York verschwunden. Und plötzlich wußte niemand von ihr, als sei sie zur “Unperson“ erklärt. Den ersten Hinweis über den wahren Ursprung seiner Probleme erhielt Leighton von einem Privatdetektiv, den er beauftragt hatte, Lilli ausfindig zu machen. Das Apartmenthaus, in dem sie so luxuriös gewohnt hatte, gehörte einer Tochtergesellschaft von Whitehall. Bei seinen Nachforschungen ermittelte der Mann auch, daß eine Public-Relations-Agentur, die für Whitehall bestimmte Aktionen durchführte, angeheuert worden war, um eine etwas obskure Französin auf “Dame der High Society“ zurechtzutrimmen. Als der Ascot Tower endlich mit einem vollen Jahr Verspätung eröffnet werden konnte, war die gesamte Hotelkette in bedenklichen Engpässen. Mit wachsender Besorgnis beobachteten die Banken den finanziellen Niedergang des Unternehmens. Zum ersten Mal seit Leighton Ascot gegründet hatte, wies es in zwei aufeinanderfolgenden Jahren rote Zahlen aus. Daraufhin entschlossen sich die Geldinstitute zur vorzeitigen Kündigung der Kredite. Das Sonderbare an dieser Entwicklung: die einzige Gruppe, die keine Schwierigkeiten meldete und ständig steigende Gewinne zu verzeichnen hatte, war der Ring der Auslandshotels. So oft Brad Kendall nach New York kam, besserte sich Leightons verdüsterte Stimmung. In der Fachpresse wurde Brad als einer der fähigsten Experten für internationale Hotellerie gerühmt. Aber trotz des guten Abschneidens der Betriebe, die er managte, trieb Ascot immer rascher dem Bankrott entgegen. Die Kette war dem Zerfall nahe, es schien kein anderer Ausweg zu bleiben, als ein Hotel nach dem anderen zu veräußern, um die Kredite zurückzahlen und die garantierte Anleihe bedienen zu können. Da erhielt Leighton einen Anruf aus dem Spire Building: C. L. Cervi lud ihn zu -38-
einer Konferenz ein. „Ich glaube, damit haben Sie ein Bild der Situation“, sagte Leighton am Ende seines ausführlichen Exkurses. Brad nickte und sah verstohlen auf die Uhr. Vielleicht sollte er nochmals versuchen, Luciana telefonisch zu erreichen. Aber er wollte nicht gehen, solange seine Gegenwart den alten Herrn moralisch aufmöbelte. „O. K., Chef. Nur eines haben Sie mir nicht gesagt: Ihre ehrliche Meinung über Whitehall. Was steckt wirklich dahinter? Sie haben dauernd Andeutungen in eine bestimmte Richtung gemacht.“ „Muß ich Ihnen das erst auseinandersetzen?“ fragte Leighton unangenehm berührt. „Dann werde ich Ihnen sagen, was ich davon halte. Whitehall setzt das Geld und den Machtapparat des organisierten Verbrechens ein, um die legale Wirtschaft der USA zu unterwandern.“ „Sie mögen recht haben, Brad. Ich bin zu alt und zu müde, um mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich wußte nicht, daß man soviel durchmachen und dennoch denken und sprechen kann wie andere Menschen. Wenn man genau weiß, daß alle Schuld nur bei einem selbst liegt - das ist eine verdammt harte Sache, mein Junge. Wahrscheinlich kann ich von Glück reden, daß mich diese Kerle von Whitehall einigermaßen ungeschoren aussteigen lassen. Natürlich hätte ich bis zum bitteren Ende kämpfen können, um es ihnen zu erschweren, aber das wären nur mehr Rückzuggefechte gewesen, hinhaltender Widerstand. Die anderen hätten auf jeden Fall gesiegt.“ Leighton stellte sein leeres Glas nieder. „So, das wär’s, Brad. Ich will Sie nicht länger aufhalten. Sicherlich möchten Sie schon mit Gwen wegen Andrea reden. Beide haben angerufen und scheinen große Sehnsucht nach Ihnen zu haben.“ Er kniff ein Auge zu. „Natürlich habe ich nicht definitiv gesagt, daß Sie -39-
heute kommen. Wenn Sie also erst morgen aufkreuzen wollen, wird niemand wissen, daß Sie sich nicht sofort nach Ihrer Ankunft gemeldet haben.“ „Danke, Chef.“ Gwens hysterische Szenen hätte er nun nicht ertragen. „Kein Chef mehr, mein Junge. Das ist vorbei.“ Leightons vom Alkohol etwas lebhafter gefärbtes Gesicht verfiel wieder. Es war ein so jammervoller Anblick, daß Brad unwillkürlich die Augen senkte. Er stand auf. „Bis morgen also.“ „In Ordnung. Sie müssen sich das Angebot sehr gründlich überlegen.“ Brad Kendall schüttelte den Kopf. „Da gibt es nichts zu überlegen. Ich glaube, ich werde mir einen anderen Job suchen.“
-40-
5 Wie so oft, wenn er auf Reisen war, wußte Brad Kendall nicht, wo er sich befand, als er im Schlafzimmer seiner Hotelsuite erwachte. Er spürte Symptome eines leichten Katzenjammers, auch das war nicht weiter ungewöhnlich. Als er die Augen aufschlug, erwartete er eigentlich, neben sich eine Frau zu sehen, aber er war allein. Dann erinnerte er sich: New York, Ascot Tower. Er lächelte. Ja, es war ein schöner Abend gewesen. Die meisten Frauen ermüdete ein langer Flug so sehr, daß nachher nichts mit ihnen anzufangen war. Ganz anders Luciana. Als er sie nach verträumter Fahrt in der offenen Kalesche kreuz und quer durch den riesigen Central Park zum St. Regis Hotel zurückbrachte, zeigte die Uhr bereits nach Mitternacht. Die Küsse, während das Pferd im Schritt dahinklapperte, waren für Brad die schönsten seit Jahren; wenn er jetzt daran dachte, wuchs seine Sehnsucht. Aber heute abend würden sie sich wieder treffen, das hatte ihm Luciana versprochen. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett und ging ins Badezimmer. Schon beim Rasieren hatte er die sowieso eher schwachen Nachwirkungen einiger Drinks zuviel überwunden, spülte den Alkoholgeschmack aus dem Mund und kleidete sich an, um den Anforderungen des neuen Tages die Stirn zu bieten. Obwohl er wegen der sechs Stunden Zeitdifferenz wenig geschlafen hatte, fühlte er sich frisch und ausgeruht. Nun galt es, viele schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Brad würde Mr. Cervi eröffnen, daß sich Whitehall einen anderen Präsidenten für Ascot suchen müsse, und dann würde er selbst sich nach einer geeigneten Position umsehen, die seinem beruflichen Standard entspräche. Das würde nicht ganz einfach sein, denn große Hotelketten, die Führungskräfte für das internationale Geschäft brauchten, waren sehr, sehr dünn gesät. -41-
Er dachte auch daran, daß sich ein Besuch bei Gwen nicht vermeiden ließe, und das trübte im Moment seine Laune. Es war neun Uhr morgens, eine günstige Zeit für einen Anruf. Gwen, die gern die Leidende spielte, stand nie vor halb elf auf. Vielleicht wäre jetzt Andrea am Telefon, und es ginge ohne die peinliche Konfrontation mit seiner Exgattin ab, die dann immer sofort ihr langes Register von Vorwürfen wegen Brads angeblich mangelnder materieller Obsorge abspulte. Beim vierten Signal, als er schon erleichtert auflegen wollte, meldete sich seine Tochter. „Hallo, hier Brad“, sagte er fröhlich. Andrea nannte ihn beim Vornamen, die Anrede “Daddy“ gebührte laut Gwens Hausordnung diesem famosen Stiefvater, Mr. Ed Connor. „Ich bin wieder da von fremden, fernen Küsten.“ „Oh, Brad! Wir haben schon herumgerätselt, wo du wohl stecken magst. Wann bist du angekommen?“ „Gestern abends. Zu spät für einen Anruf. Wie geht's?“ „Danke, gut. Möchtest du mit Mammie sprechen?“ „Nicht unbedingt. Eigentlich wollte ich nur fragen, ob wir uns sehen könnten.“ „Mammie will mit dir reden.“ Die übliche Tour, seit Andrea alt genug war, um zu telefonieren. Er hatte geglaubt und gehofft, sie würde sich innerlich aus dieser Gebundenheit lösen und sich nicht immer bloß von ihrer Mutter gegen ihn ausspielen lassen, zu dem Zweck, ihm Geld herauszulocken, da in der Kasse der Familie Connor dauernd Ebbe herrschte. „Ich werde mit ihr einen Termin vereinbaren, sobald ich weiß, wie hier alles läuft. Ich habe ein paar anstrengende Tage vor mir.“ „Wann kann ich dich treffen?“ Andrea verstand es ausgezeichnet, ihn breitzuschlagen, dachte er traurig. Die Frage klang, als gäbe es in ihrem Leben nichts Wichtigeres als eine -42-
Zusammenkunft mit ihrem Vater. Und wie sie ihm dann schmeicheln würde! Alles Berechnung, geschicktes Bemänteln unverschämter Forderungen. Gwen war einfach nicht von der mythischen Vorstellung abzubringen, Brad Kendall sei ein sehr reicher Mann, schon von Haus aus und noch mehr durch seine lukrative berufliche Tätigkeit. Deshalb hielt es Andrea ernstlich für blanken Geiz und schäbige Gesinnung, wenn Brad sich kostspieligen Wünschen verschlossen zeigte. „Sobald wir beide Zeit dazu haben“, antwortete er schließlich. „Und wann wird das sein?“ Er überlegte, was er alles zu erledigen hatte: sofortige Kontakte wegen eines neuen Jobs und die höfliche Ablehnung der Position bei Whitehall, auf eine Weise, daß ihm die Kerle mit den Baseballschlägern nicht zu Leibe rücken würden. „Ich melde mich noch“, erwiderte er zögernd. „Könnten wir nicht zusammen essen gehen? Bitte. Du hast mir sehr gefehlt. Wir haben uns ein ganzes Jahr nicht gesehen.“ „Ist es wirklich schon so lange her?“ fragte er verwundert. Tatsächlich. Zum letzten Mal nach jenem raschen Flug von Caracas, um die Abschlüsse für das dortige Hotel unter Dach und Fach zu bringen. „Ja, schon so lange“, bestätigte sie schmollend. „Gut. Wir treffen uns zum Essen.“ „Holst du mich ab? Ich weiß, daß Mammie dich sehen will.“ Die Falle schnappte wieder zu. Aber ausweichen konnte er der Begegnung sowieso nicht, je eher er sie also hinter sich brachte, desto besser. „In Ordnung. Doch nur auf eine kurze Begrüßung.“ Langes Schweigen am anderen Ende. Brad fand es richtig, Andrea und ihre Mutter auf die Wendung seiner persönlichen Verhältnisse vorzubereiten, damit sie gleich wußten, woran sie waren. „Einige Zeit werde ich es nicht ganz leicht haben. Ich muß mir einen neuen Posten suchen.“ -43-
„Einen Posten?“ Es klang fast wie ein Aufschrei. „Aber du bist doch bei den Ascot Hotels ein ganz großer Mann.“ „Nicht mehr.“ „Wieso nicht? Was ist los?“ „Das erzähle ich dir später. Jetzt muß ich gehen. Ich komme um Viertel vor zwölf. Bis dahin.“ Er legte auf. Wo fange ich also an?, dachte er. Bei Sheraton? Bei Hilton? Bei Holiday Inn? Positionen meiner Kategorie gibt es nicht auf dem Präsentierbrett. Na, zuerst Kaffee und Orangensaft... Als er sich bald danach in der riesigen Halle umblickte, so weiträumig, daß sie ganze Saalfluchten gefaßt hätte, mit den Lüstern und Bronzekandelabern aus der europäischen Belle Epoque, den erlesenen Orientteppichen von der Größe halber Tennisplätze, den Glaswänden, welche die Sicht auf das UNOGebäude und den East River freigaben, und dem wertvollen Material, das bei der Ausstattung selbst für Details verwendet worden war, da wurde ihm wieder bewußt: wenn eine architektonische Schöpfung der Gegenwart wahrhaft verschwenderischen Prunk aufwies, dann der Ascot Tower. Brad war überzeugt, daß Lilli Darlene, von irgendeiner geheimen Macht vorgeschoben, die Anregungen für viele der ungemein luxuriösen, aber unnötigen Anschaffungen gegeben hatte, die dazu beitrugen, die Bau- und Einrichtungskosten ins Ungemessene zu steigern. Kein Wunder, daß dieses Hotel den Rahmen der Möglichkeiten Ascots gesprengt hatte. „Brad Kendall!“ Er wandte sich um. In Cut und gestreifter Hose kam Knut Björnlund auf ihn zu. Der gebürtige Norweger war Generaldirektor des Ascot Tower, Leighton hatte ihn aus der großen Zahl der Manager des Unternehmens zur Leitung dieses Flaggschiffes auserkoren. Als ihn Brad zuletzt sah, trug er stets eine strahlend heitere Miene zur Schau. Nun wirkte er müde und abgespannt, sein blondes Haar begann zu ergrauen. Er machte keineswegs den Eindruck eines Mannes, der nachts gut -44-
schlief. „Hallo, Knut, wie ist die Lage? Was macht die alte Garde?“, fragte ihn Brad zur Begrüßung. Björnlund schüttelte schweigend den Kopf. Dann sagte er: „Gott sei Dank, daß du wieder da bist. Wir alle hoffen, daß die Gerüchte, die bei uns kursieren, wahr sind.“ „Welche Gerüchte?“ Brad sah ihn stirnrunzelnd an. „Aber Kendall, jeder weiß, daß du für den alten Herrn wie ein Sohn bist. Er tritt ab, und du wirst Präsident von Ascot. Ist es nicht so?“ Brad war verblüfft. „Wo hast du das gehört?“ „Davon spricht man schon in der ganzen Kette. Ich wollte dich deswegen gestern abends anrufen, habe dich aber nicht erreicht.“ Brad lächelte. „Ich war unterwegs.“ Knut lachte herzlich, und für einen Moment verschwanden die Sorgenfalten aus seinem Gesicht. „Du bist der alte geblieben, wie? Recht hast du. Ich würde es gern ebenso machen, doch meine Frau paßt höllisch auf. Aber Spaß beiseite. Allen Ernstes, Brad, wir brauchen dich. Wenn einer Ascot retten kann, bist du es.“ „Vielleicht ist es bereits zu spät.“ „Nicht, wenn du das Steuer in die Hand nimmst. Entschuldige mich jetzt. Treffen wir uns heute zum Lunch?“ „An sich gern, Knut, aber ich bin mit meiner Tochter verabredet.“ „Die muß ja schon eine richtige junge Dame sein. Wie alt ist sie?“ „Bald neunzehn. Seit einem Jahr habe ich sie nicht mehr gesehen.“ „Komm doch mit ihr in den Star Club. Dort wird es ihr sicher -45-
gefallen.“ „Gute Idee, Knut. Machen wir. Du leistest uns doch beim Kaffee Gesellschaft?“ „Gern. Bis später.“ Als Björnlund enteilte, verdüsterte sich seine Miene wieder. Brad verließ das Hotel und ging in Richtung Central Park. Unterwegs dachte er über seine Zukunft nach. Knuts Worte blieben ihm im Gedächtnis haften. Glaubte die Führungsgarnitur der Hotelkette wirklich, daß er, Brad Kendall, Ascot retten könnte? Und zog er nicht aus geringen Anhaltspunkten vorschnell falsche Schlüsse, wenn er vermutete, daß Whitehall zweifelhafte, ja verdächtige Verbindungen habe? Er beschloß, Harry Wattling aufzusuchen. Harry hatte bei der SheratonOrganisation die gleiche Funktion wie Brad bei Ascot, aber mit dem Unterschied, daß er ständig in New York saß und seine Sachbearbeiter von einem Punkt der Welt zum anderen dirigierte. Brad und Harry waren seit je befreundet, obwohl sie bei Projekten oft konkurrierten und abwechselnd das Rennen machten. In letzter Zeit hatte Wattling Vorsprung gewonnen, weil Brad zu wenig Kapital in die Waagschale werfen konnte. Noch nie hatte er seinen freundschaftlichen Rivalen so animiert gesehen. Nach einer herzlichen Begrüßung führte ihn Harry durch zwei große Räume, die offenbar nur den Konferenzen über Planungen für neue Hotels rund um den Erdball dienten. Brad wurde gebeten, auf einem langen Sofa Platz zu nehmen, vor dem ein mit Blaupausen bedeckter Kaffeetisch stand. Im Verlauf des Gesprächs fragte er nebenher nach den gegenwärtigen Chancen für Auslandsmanager. „Ich vergesse, wie lange du überm großen Teich gelebt hast“, erwiderte Harry. „Nun, um deine Frage zu beantworten: Ich achte peinlich auf meine Gesundheit. In unserer Preisklasse gibt es mehr Anwärter als Posten. Wäre ich etwa eine Woche krank, dann könnte es ohne weiteres geschehen, daß einer der fixen -46-
jungen Männer, die durch ein Hochschulstudium wettmachen, was wir uns in zwanzig Jahren beruflicher Tätigkeit an praktischer Erfahrung erworben haben, im Handumdrehen meinen Schreibtisch okkupiert.“ „Persönliche Erfahrung und langjährige enge Kontakte können durch nichts ersetzt werden“, konterte Brad. „Ach, glaube ja nicht, daß der Nachwuchs schlechter abschneiden wird als wir, wenn man diesen jungen Leuten ein Jahr Zeit gibt. Ich versichere dir, Brad, ich lasse keine Gelegenheit vorbeigehen, um der Spitze dieser horrenden wirtschaftlichen Machtballung hier“ - er deutete zur Decke „Beweise meiner einzigartigen, unersetzlichen Fähigkeiten zu liefern. Ich habe meinen guten Ruf, ja, aber seit neuestem geben in diesem Laden die Computer den Ton an, und eigentlich weiß ich nie, wann irgendein Apparat, dem ich nicht mit Gegenargumenten beikommen kann, eine Karte mit meiner Entlassung ausspucken wird.“ Harry bot Brad eine Zigarette an, die dieser dankend ablehnte, entzündete eine seiner eigenen Sorte und lehnte sich zurück. „Du hast es gut, Brad. Du kannst noch immer so arbeiten, wie wir es gewohnt sind, individuell, nach Instinkt und Erfahrung. Aber unser Konzern erzeugt sogar Computerbestandteile. Kein Wunder, daß wir alle so elektronisiert sind.“ Er inhalierte tief und blickte dann, einen langen Rauchstrahl ausblasend, seinen Besucher forschend an. „Ich vernahm die Botschaft der Urwaldtrommeln der Branche, daß der alte Leighton abtreten und dich zu seinem Nachfolger machen wird.“ „Dieses Gerücht habe ich erst heute morgens gehört“, entgegnete Brad zurückhaltend. Harry sondierte weiter. „Als Präsident wirst du keine Zeit mehr haben, dich selber um das internationale Programm zu kümmern.“ Brad grinste. „Sag mal, Sportsfreund, ist es nicht beruhigend -47-
und angenehm, diese große Schatztruhe hier hinter sich zu wissen, wenn man an eine neue Aktion herangeht? Damit hat man doch eine gute Startrampe. Erinnerst du dich, wie wir damals in Brasilia Kopf an Kopf lagen? Du hast es geschafft, weil du mehr Bargeld mobilisieren konntest, wo eben nur Geld den Ausschlag gab.“ Harry nickte lächelnd. „Klar, aber in drei Fällen warst du Erster, weil du persönlich gekommen bist und deine Beredsamkeit eingesetzt hast. Zu dem Zeitpunkt, als die Computer das Projekt bearbeitet hatten, wieder andere Blechidioten mit den Resultaten gefüttert wurden und unsere Bosse den Safe öffneten, war es schon zu spät.“ „Wie lautet also deine Antwort, Harry?“ „Ganz einfach: man muß die Wirtschaftsmagnaten und das Geld im Rücken haben. Doch außerdem völlig freie Hand, nach eigenem Ermessen und ohne fremde Eingriffe in die eigene Kompetenz vorgehen zu können.“ Brad sah seinen Gesprächspartner zweifelnd an. Solch ideale Positionen sind äußerst selten.“ „Stimmt. Aber wenn dir oder mir oder irgendeinem bewährten Profi unserer Branche diese Möglichkeiten geboten werden, du lieber Gott, da könnte man durch Hotels wirklich ein Imperium schaffen! Was meinst du, wenn wir so einen Komfort-Silo in Saigon stehen hätten! Ich habe hier den Vorschlag gemacht, prompt lehnten die Computer das Projekt ab. Einen ganzen Tag lang habe ich mit einem Generalstäbler aus dem Pentagon konferiert, der Mann ist Spitzenexperte für die sogenannten “Stellvertreterkriege“. Er zeigte mir Land für Land, Hauptstadt für Hauptstadt, wo auf der Welt begrenzte bewaffnete Konflikte zu erwarten sind. Die CIA kennt den Zeitplan der kommunistisch angezettelten “nationalen Befreiungskriege“. Wenn wir in den Metropolen aller Staaten, wo es demnächst losgehen wird, je ein großes Luxushotel bauen könnten, hätten -48-
wir die ertragreichste Hotelkette der Erde.“ Bewundern schüttelte Brad den Kopf. „Du warst schon immer der initiativste Manager auf dem internationalen Sektor.“ Harry zuckte die Achseln. „Was nützt persönliche Initiative, wenn der König Computer regiert?“ Brad stand auf. „Treffen wir uns einmal zum Essen. Es sieht so aus, als würde ich nun eine Weile hierbleiben.“ Wattling legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wenn du Ascot-Präsident wirst und jemanden brauchst, der deinen vakanten Platz einnehmen könnte, dann denk daran, daß ein Mann mit Ideen und einigem Geld einer Kapitalmassierung, bei der nur Maschinen etwas gelten - ob sie nun elektronisch betrieben oder aus Fleisch und Blut sind -, immer um Längen voraus ist.“ Die Ironie dieser Situation nötigte Brad ein melancholisches Lächeln ab. Er war gekommen, um wegen Möglichkeiten für einen neuen Wirkungskreis vorzufühlen, und nun war es Harry, der ihn indirekt um einen Job bat. Etwas entmutigt ging Brad Kendall langsam auf der Straße dahin. Es blieb ihm noch eine halbe Stunde Zeit, bevor er seine Tochter abholen konnte. Gwen wäre es nur recht, wenn er zu früh käme, um so länger würde sie ihn mit ihren Klagen anöden und ihm den Griff nach dem Scheckheft zu suggerieren versuchen. Er betrat eine Bar, sie war fast leer. Die Atmosphäre von polierter Mahagonivertäfelung und roten Brokattapeten empfand er als wohltuend. Ein richtiger Zufluchtsort für einsame Seelen, wo man in Stille und Dämmerung ungestört nachdenken und einen Ausweg aus Krisen suchen konnte. Beim halbgeleerten Glas Bloody Mary fiel ihm ein alter Bekannter ein, dem er manchen Gefallen erwiesen hatte. Brad legte einen Fünfer auf die Theke, damit der Keeper den Drink noch stehen ließ, und verschwand in die Telefonzelle. Nach dem Gespräch kam er zurück, trank aus, strich das Wechselgeld ein, -49-
schob dem Keeper fünfzig Cents zu und ging wieder auf die Straße hinaus.
-50-
6 Andrea öffnete die Tür. Im ersten Moment war Brad verblüfft. Vor einem Jahr hatte sie schon zu Hoffnungen berechtigt, aber mittlerweile war aus dem hübschen Teenager eine ausgesprochene Schönheit geworden. Als sie ihn auf die Wange küßte, spürte er ihr Parfüm, ein dezenter Hauch, nicht mehr. „Du hast dich ja prächtig herausgemausert!“, rief er unwillkürlich. „Danke, Brad. Du siehst auch gut aus, attraktiv wie immer.“ Ganz junge Dame, die einen Gast empfängt, bat sie ihn weiterzukommen, führt ihn in das Wohnzimmer des Apartments, in dem Gwen und Ed Connor seit zehn Jahren logierten. Die Einrichtung stammte größtenteils noch aus Gwens und Brads Ehehaushalt. Der Lederfauteuil war rissig und mit Klebestreifen geflickt, das Fernsehgerät längst veraltet, der Teppich zerschlissen und abgetreten. Dennoch gelang es Gwen, die Eßecke durch das Porzellan und die Keramik, die sie einst gesammelt hatte, irgendwie gemütlich zu machen. Seit seinem letzten Besuch hatte sich hier nichts verändert. Als sie im Wohnraum standen, trat Gwen aus dem Schlafzimmer, eingehüllt in ein wallendes Gebilde aus Spitzen, Seide und Rüschen, das sie seit vielen Jahren als Bettjäckchen trug. Was war mit dem vielen Geld geschehen, das Brad hier hineingepumpt hatte? Viel davon ging allein für die Miete auf, so daß sie nichts anschaffen konnten, um ihre Bleibe wohnlicher zu gestalten. Allerdings hatten sie alle zusammen praktisch nur von den Beträgen gelebt, die Brad als Alimente für seine Tochter bezahlte, Andrea selbst hatte wohl am wenigsten davon und bekam nur das Notwendigste, weil die Summen für die bloße Existenzsicherung der Familie reichen mußten. Obwohl sich Brad seiner geschiedenen Frau und Ed Connor gegenüber mehr als großzügig erwies, versuchten die beiden bei jeder Gelegenheit, Andrea gegen ihn einzunehmen. -51-
Brad erkannte, daß er einen schweren Fehler begangen hatte, als er in seinem Bestreben, nur rasch einen Schlußstrich unter diese gescheiterte Ehe zu ziehen, Gwen die volle Erziehungsgewalt für Andrea zugestand. Selbst das Besuchsrecht hing von ihrem Gutdünken ab. Drei Jahre lang durfte Andrea ihren Vater nicht sehen, weil sie während eines mehrwöchigen Aufenthalts bei ihm in Venezuela “schlechten Einflüssen“ ausgesetzt war. Gwen benützte damals die Existenz einer sehr reizvollen lateinamerikanischen Sekretärin als Vorwand, um weitere Zusammenkünfte zu verbieten. Wahrscheinlich hatte der Umstand, daß sich die fünfzehnjährige Andrea in schwärmerischer Freundschaft an die bezaubernde Eugenia anschloß, Gwens Empörung über diese zeitweise seelische Loslösung von der engbegrenzten Welt der Muttergebundenheit noch gesteigert. „Na also. Willkommen, du Weltumsegler.“ Gwens Lächeln und ihr Ton waren so falsch, daß es Brad bei dieser Begrüßung fast kalt über den Rücken lief. „Setz dich.“ Sie wies auf einen von zwei Princeton-Stühlen, die einmal ihm gehört hatten, aber Gwen hatte sich bei der Scheidung nicht von ihnen trennen wollen. Nach zehn Minuten belanglosen Geredes kam sie zur Sache. „Andrea wird am Hunter College hier in New York inskribieren, das hat den Vorteil, daß sie weiterhin zu Hause wohnen kann.“ „Glaubst du nicht, daß sie endlich lernen sollte, auf sich allein gestellt zu leben?“ fragte Brad. „Andrea hat ein behagliches Daheim und fühlt sich bei ihrem Daddy Ed, ihrer Mutter und ihrem Bruder sehr wohl.“ „Ich habe es dir schon oft gesagt, Gwen.“ Man merkte an seinem gereizten Ton, daß er solche Debatten bis zum Überdruß kannte. „Sie ist schon zu erwachsen, um noch mit ihrem Bruder im selben Zimmer zu schlafen. Wie alt ist er? Dreizehn? Das tut nicht gut.“ -52-
„Du hast dich ja nicht darum gekümmert. Die größere Wohnung im Oberstock wäre zu haben gewesen, aber du hast dich geweigert, deinen Verpflichtungen nachzukommen.“ „Lächerlich. Ich war bereit, Andrea in ein Internat zu schicken, ich hätte es ganz dir überlassen, in welches, aber davon wolltest du nichts wissen.“ „Andrea wollte in kein Internat.“ Wenn sich Brad daran erinnerte, wie ihn seine Tochter beschworen hatte, sie nach jenem Sommer in Venezuela bei einer Schule außerhalb New Yorks anzumelden, und wenn er sich Gwens schroffe Ablehnung eines solchen “Ansinnens“ ins Gedächtnis rief, dann mußte er sich, wie immer, sehr beherrschen, um dieser larmoyanten alternden Ziege, die einst seine Frau gewesen war, nicht energisch über den Mund zu fahren. Aber er befürchtete, Gwen würde es Andrea spüren lassen, wenn er das Thema wieder zur Sprache brächte. „Ich glaube, es ist Zeit für Andrea und mich. Ich habe am Nachmittag noch eine Verabredung“, sagte er resignierend. „Es gibt noch einige andere Dinge zu besprechen.“ Die scharfen Furchen und Runzeln in Gwens Gesicht, zuerst durch ihr Bemühen um eine verbindliche Maske etwas geglättet, und die funkelnden Augen verrieten ihm, daß er sich auf einen längeren Sermon gefaßt machen mußte. „Andrea braucht eine neue Garderobe. Du hast das Schulgeld bis jetzt nicht bezahlt. Und die Arztrechnungen sind auch nicht beglichen. Außerdem will Andrea im nächsten Sommer nach Europa reisen...“ Brad warf seiner Tochter einen Blick zu, sie hörte sich die Spesenaufzählung ihrer Mutter gelassen an. Und sie wundert sich, warum ich sie so selten besuche, dachte er. Da ihn Gwen offenbar vor dem Mädchen bloßstellen wollte, mußte er entgegnen, sosehr es ihm auch zuwider war. „Vor einem Jahr hast du mir eine Liste aller voraussichtlichen -53-
Kosten für Andreas Unterhalt gegeben. Da ich nie weiß, wohin ich demnächst reisen werde, habe ich dir einen Scheck für alles gegeben, Kleidung, diverse Anschaffungen und den sommerlichen Europaflug inbegriffen, zu dem es wohl nicht kam, denn nun haben wir bereits September. Das war zusätzlich zu den regelmäßigen monatlichen Alimenten. Anscheinend wurde dieses Geld für andere Zwecke verwendet.“ Gwen schüttelte den Kopf, ihre Miene nahm den Ausdruck einer Lehrerin an, die sich zur Geduld mit einem begriffsstutzigen Schüler zwingt. Sie wandte sich zu Andrea. „Da siehst du es, dein Vater mit seinem hohen Einkommen braucht sich nicht mit der alltäglichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen. In seinen Regionen gibt es so was nicht.“ Sie blickte Brad gehässig an. „Du hast eben keine Ahnung von den steigenden Lebenshaltungskosten. Weißt du, was man heute für die Verpflegung einer einzigen Person veranschlagen muß? Und dann die Miete...“ Er wurde ungeduldig. „Schon gut. Gib mir die Rechnungen, jetzt gleich“, sagte er brüsk. Er stand auf und ging zum Schreibtisch. Mit einem triumphierenden Lächeln trat auch Gwen heran, sie wies auf einen Stapel Kuverts. Brad sichtete sie, schrieb eine Zahlenkolonne auf die Rückseite eines Briefumschlags und begann zu addieren. Nach fünf Minuten sah er auf. „O. K., diese Rechnungen machen rund 3800 Dollar aus.“ Er entnahm seinem Portefeuille ein Scheckheft und schrieb einen Scheck über die offene Summe aus, langsam und peinlich genau, um seine Erregung und seinen Ärger zu verbergen. Es war gut, daß er am Ende der Woche mit einer weiteren Gehaltsüberweisung rechnen konnte, denn dieser unerwartete Abzugsposten reduzierte seine Finanzen ganz beträchtlich. Er stand auf. „So, das hätten wir. Damit wäre alles bezahlt zum zweiten Mal. Zufrieden?“ -54-
„Wie ich schon sagte, Brad.“ Gwens Stimme klang spröd. „Das Leben in der Stadt kommt sehr teuer. Und wenn du persönlich“ - sie betonte es ätzend - „keinerlei Existenzsorgen hast, heißt das nicht, daß Ed und ich uns nicht um deine Tochter kümmern müssen.“ Brad wußte, jede Ausfälligkeit wäre sinnlos. Die einzig richtige Reaktion war, sich möglichst von ihnen allen zu distanzieren. Aber er liebte seine Tochter eben und wollte das Beste für sie. Er sah sie an. „Komm, gehen wir.“ Andrea stand auf. Gwen blickte zum Fenster hinaus. „Wie ist die Temperatur draußen. Solltest du nicht einen Mantel anziehen? Übrigens, Brad, sie braucht einen neuen Herbstmantel. Vielleicht kannst du ihr einen besorgen.“' Brad erinnerte sich genau, daß auf einer Kaufhausrechnung auch ein Twen-Mantel angeführt war, sagte aber nichts als: „Das Wetter ist recht angenehm.“ „Zieh einen Mantel an, Andrea“, befahl Gwen. Auf der Straße holte Brad ein paarmal tief Atem und schwor sich, diese entsetzliche Bude nie mehr zu betreten. Aus Rücksicht auf seine Tochter konnte er Gwen nicht so erwidern, wie sie es verdient hätte. Er wußte nur zu gut, daß dieses Weib seine „Frustrationen“, wie man das so schön nennt, sowieso an Andrea ausließ, und nach einem offenen Streit zwischen Gwen und Brad hätte das Mädchen zu Hause die Hölle. „Wohin gehen wir?“ fragte Andrea in freudiger Erwartung. „Wie wär's mit dem Star Club im Dachgeschoß des Ascot Tower?“ Andrea zog die Nase kraus. „Warum müssen wir immer in eines eurer Hotels gehen?“ „Ich war seit der Eröffnung im vorigen Jahr nicht mehr oben und möchte gern sehen, was dort los ist.“ „Gut. Ich richte mich ganz nach dir.“ -55-
Der Oberkellner im Star Club verbeugte sich vor den beiden. An einem Tisch mit dem Ausblick über den East River bestellte Brad für Andrea Sherry und für sich selbst einen Martini, dann lehnten sie sich zurück und sahen in verlegenem Schweigen zum Fenster hinaus, bis die Drinks serviert wurden. Brad nahm einen Schluck. „Du wirst also im nächsten Sommer eine Europareise machen? Warum bist du nicht heuer geflogen? Hat deine Mutter das Geld für andere Dinge verpulvert?“ Andrea zuckte gleichmütig die Achseln. „Ich möchte im nächsten Sommer weg, wenn es dir recht ist.“ „Klar, in Europa wird es dir sicher sehr gut gefallen. Wo möchtest du am längsten bleiben?“ „Eine Gruppe von uns fliegt nach Italien. Außerdem will ich mir Spanien ansehen.“ „Und denkst du daran, ab Herbst auswärts zu studieren? Würde es dich nicht reizen, dein eigener Herr zu sein? Ich meine, eure häusliche Atmosphäre ist ja nicht eitel Wonne.“ „Wir sind eine sehr glückliche Familie.“ Bei dieser papageienhaften Wiederholung einer typischen Gwen-Phrase goß Brad rasch den Rest seines Martini hinunter und winkte dem Ober. „Noch einen Sherry?“ Andrea schüttelte den Kopf. „Wenn es nur etwas gäbe, was mir Spaß macht, oder mich interessieren und ablenken würde. Wie schön wäre es, wenn man eine Tablette nehmen könnte, und alles wäre in Ordnung.“ Brad warf seiner Tochter einen besorgten Blick zu. „Du hast einiges auf dem Herzen, wie?“ „Es ist nur“, sie zögerte. „Wenn wir uns öfter sehen könnten...“ „Mir geht es genauso. Leider ist deine Mutter nicht so einsichtsvoll. Eigentlich bist du ja alt genug, um zu tun, was du willst.“ -56-
„Warum hast du dir bei der Scheidung nicht ausbedungen, daß wir uns öfter treffen können?“ „Das hast du mich schon einmal gefragt. Damals war es die einzige Möglichkeit, eine sehr schwierige, verfahrene Situation zu bereinigen. Reden wir jetzt über die Zukunft. Du kommst nun in die letzte Klasse der Oberschule. Möchtest du nicht vielleicht doch anderswo ins College gehen?“ „Mama würde es niemals erlauben.“ „Zum Teufel, Andrea, du bist doch ein großes Mädchen! Sag einfach, du willst, aus, fertig.“ „Könnte ich ein Auto haben? Ein neues, keinen Gebrauchtwagen.“ „Ist das dein Preis dafür, daß du dich selbständig machst?“ „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ „Na ja, in einer Stadt wie New York ist ein Wagen nichts als eine Belastung und ein Sparschwein. Das weißt du. Was anderes wäre es, wenn du dich entschließen könntest, auswärts zu studieren.“ Er überlegte, was eine achtzehnjährige Tochter ihren Vater kostete. Wenigstens brauchte er keine DebütantinnenParty für sie zu veranstalten. In den Kreisen, in denen Gwen und Ed Connor verkehrten, kannte man das nicht. Da Ed infolge seiner irischen Abstammung Katholik war, wurde Andrea katholisch erzogen, und Gwen war übergetreten. Das fand Brad richtig. In der Klosterschule, die Andrea besuchte, setzten die Nonnen den Mädchen keine Society-Flausen in den Kopf. Plötzlich fiel ihm wieder ein, daß er nahe daran war, seinen Posten zu verlieren und daß sich sein Gesamtvermögen auf Ascot-Aktien im Wert von rund 50.000 Dollar belief. Falls ihm Whitehall diese Papiere abkaufte, würde er 35 Prozent Kapitalszuwachssteuer bezahlen müssen. Also bliebe ihm als Resultat siebzehnjähriger Arbeit nur ein Bankguthaben von 33.000 Dollar. -57-
„Reden wir wegen des Autos später weiter“, sagte Andrea fröhlich und nahm die Speisekarte zur Hand. „Ich bin hungrig.“
-58-
7 Nach dem Lunch setzte Brad seine Tochter in ein Taxi, gab ihr 10 Dollar und fuhr selbst zu Les Scriver, den er von langen tiefschürfenden Interviews kannte. Scriver hatte damals für das „Wall Street Journal“ eine ausführliche Reportage über die Hotellerie geschrieben. „Heute vormittag nach unserem Telefongespräch habe ich alles ausgegraben, was über Whitehall zu finden war“, sagte der Journalist. „Alle Zeitungen haben darüber recherchiert. Die New York Times beschäftigte sich sechs Monate mit diesem Unternehmen, aber es gelang ihr nicht, irgendwelche Verbindungen zwischen Whitehall als ganzem oder einzelnen Führungskräften und kriminellen Organisationen nachzuweisen.“ Brad nickte. „Schon möglich, daß man dazu neigt, falsche Schlüsse zu ziehen, wenn es einem so ergeht wie Rafe Leighton und mir - wenn man zusehen muß, wie einen die Brüder auffressen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man Verdachtsmomente gegen jeden dieser Wirtschaftsgiganten vorbringen.“ „Natürlich ist es ungewöhnlich, wenn eine Firma praktisch beim Nullpunkt beginnt und zehn Jahre später bereits die Milliardengrenze überschritten hat.“ Scriver sah seinen Gesprächspartner nachdenklich an. „In dieser Größenordnung bewegen sich unsere Schätzungen, genau läßt es sich unmöglich beziffern.“ Er hob ein Schriftstück hoch. „Das ist unser interner Report über das Unternehmen. Viel kann man damit nicht anfangen. Die einzige finanzielle Angabe, die man je zu sehen kriegte, war eine Erklärung vom 31. Oktober 1966, ohne Bestätigung durch Buchprüfer. Damals deklarierte Whitehall den Besitz von 251 Millionen Dollar in Liegenschaften zum Marktwert von 170 Millionen in Ersten Hypotheken. -59-
Wahrscheinlich haben sie das Doppelte, geschickt auf Tochtergesellschaften verteilt. Man sieht daraus, wie sie operieren: die vorhandenen Objekte werden bis zum Äußersten mit Hypotheken belastet, um immer noch weitere Realitäten erwerben zu können. Trotzdem erscheint es fast unglaublich, daß Whitehall in der kurzen Spanne von zehn Jahren zu solch gigantischen Dimensionen angewachsen ist.“ „Was hält man in Kreisen der Hochfinanz von C. L. Cervi und seinem Kompagnon Hyman Steinert?“ „Also diesen Steinert kennt niemand. Aber Cervi selbst hat einen recht guten Ruf. Bei politischen Dinners sitzt er an der Prominententafel. In Washington sieht man ihn mit namhaften Senatoren und Repräsentanten. Soviel wir wissen, war er im Weißen Haus mindestens zweimal zum Lunch und zu einigen Galaempfängen des Präsidenten eingeladen. Er spielt mit den Wirtschaftsmagnaten und den führenden Bankiers Golf. Sie alle mögen argwöhnen, daß die Basis seiner Macht und seines Kapitals vom organisierten Verbrechen geschaffen wurde, aber man kann wetten, daß sie kein Wort darüber sagen. Wir haben den Eindruck, daß Cervi in aller Stille und hinter den Kulissen die Finanzierung für eine Reihe großer Unternehmen besorgt. Durchaus denkbar, daß Whitehall eine der Schlüsselbanken der USA kontrolliert, aber niemand weiß es genau. Als Journalist kommt man an das Management einfach nicht heran.“ Scriver blickte Brad prüfend an. „Ich vermute, Ihr Interesse bestätigt unsere Informationen, daß die Ascot Hotels mit Whitehall fusioniert werden, oder?“ „Sie haben mir sehr geholfen, Les. Schönen Dank.“ „Ich wüßte nicht, wie. Es gibt ja nichts Konkretes zu berichten. Und wie steht es mit diesem Besitzwechsel?“ Brad nickte. „Es stimmt. Aber geben Sie es nicht weiter. Warten wir Cervis und Leightons offizielle Mitteilung ab.“ „O Gott!“ stöhnte Scriver in gespielter Verzweiflung. „Das -60-
soll ich bei mir behalten? Sagen Sie mir nur eines, Brad: Ist es ein glatter Verkauf oder ein Tausch von Aktien?“ „Na, was meinen Sie wohl, Les? Kursieren denn überhaupt Whitehall-Aktien? Aus Ihren Unterlagen geht doch hervor, daß der Laden Cervi und Steinert 50 : 50 gehört.“ „Dann haben die beiden also Ascot in Bausch und Bogen gekauft?“ „Ja. Aber zitieren Sie mich nicht - noch nicht.“ „Soll das heißen, Cervi und Steinert können, wenn erforderlich, über ungeheure Summen verfügen?“ „So ist es.“ „Na ja, das Geld regiert eben“, seufzte der Journalist. „Ich weiß, daß niemand Cervi zum Feind haben will. Sogar die Presse überlegt es sich nun, bei Whitehall zu sondieren.“ Es war fünfzehn Uhr, als Brad aus der Wallstreet wieder zum Ascot Tower fuhr. In seinem Postfach fand er einen ganzen Stapel von Mitteilungen. Er begab sich in seine moderne, schwedisch eingerichtete Suite und sah die Notizen durch. Natürlich ein Anruf von Gwen. Und von Mr. Leighton. Der alte Herr will wissen, wie ich mich entschieden habe, dachte Brad. Knut hatte sich entschuldigt: wegen einer plötzlichen wichtigen Sitzung könne er nicht zum Lunch kommen. Mr. Cervis Sekretariat bestätigte den Termin. Mrs. Blore bittet um Rückanruf ab achtzehn Uhr. Nun, bei Cervi würde es nicht sehr lange dauern: höfliche Ablehnung des Angebots, erledigt. Brad rief bei Leighton an. Miß Lehmann verband ihn sofort mit dem Chef. „Gut, daß Sie sich melden, Brad.“ In der Stimme des Texaners schwang Unruhe, vielleicht sogar Angst mit. „Hören Sie, mein Junge, überstürzen Sie Ihre Entscheidung in der Whitehall-Frage nicht.“ „Den ganzen Tag habe ich an nichts anderes gedacht.“ -61-
„Ich möchte mit Ihnen sprechen, bevor Sie hingehen. Ich weiß genau, was wir gestern abends erörterten, aber da war ich müde und wohl auch sehr verbittert, außerdem hatte ich schon zu viele Bourbons intus. Sie haben heute noch nicht mit Cervi geredet, oder?“ „Nein. Ich erhielt nur die Mitteilung, daß es bei dem Termin bleibt.“ „Ich hole Sie mit dem Wagen beim Hotel ab, und wir fahren gemeinsam zum Spire Building. Da können wir die ganze Sache noch bemurmeln.“ „In Ordnung, Sir, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“ „Natürlich nicht. Dann komme ich also um 16.15 Uhr. Wir fahren einen Umweg und haben Zeit genug, die wichtigen Fragen nochmals zu besprechen.“ „Ich werde pünktlich vor dem Portal sein.“ Brad legte auf und begann in den luxuriösen Räumen auf und ab zu gehen. Heute abend würde er Luciana nach dem Theater vielleicht zu einem Drink heraufbitten. Da er sowieso bei Ascot quittierte, würde es nichts ausmachen, wenn Knut am nächsten Tag aus den Meldungen der Rezeption ersah, daß eine junge Dame als Gast über Nacht in Brads Apartment geblieben war. Nirgends konnte man so viele persönliche Informationen sammeln, wie in der Spitzenposition einer großen Hotelkette. Brad erinnerte sich daran, daß er einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um einen Sonderbeauftragten des Präsidenten der USA zu decken. Der Untersuchungsausschuß des Kongresses hätte diesen Mann an den Pranger gestellt, wäre Brad nicht sofort auf die rettende Idee verfallen, ein fliegendes Kommando in alle in Betracht kommenden Hotels zu entsenden, um alle Eintragungen auszuheben und zu vernichten, die Aufschluß darüber gaben, welche Apartments der Gast bewohnte, vor allem mit wem und wer die Rechnungen bezahlte...
-62-
8 Punkt 16.15 Uhr hielt die Limousine vor dem Hotel. Brad stieg ein, Leighton schob die Glaswand zwischen Fond und Fahrer zu und begann ohne Umschweife. „Ich fasse mich kurz. Meiner Meinung nach sollten Sie es sich ernstlich überlegen, den Job bei Whitehall anzunehmen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß die Geschäfte schlecht stehen. In seinem Bestreben, die Inflation zu verhindern, hemmt der Staat auch alle expansiven Tendenzen. Es gab nie eine bessere Gelegenheit, Bargeld arbeiten zu lassen, wenn man welches hat. Nun, Whitehall hat es.“ Leighton starrte vor sich hin. „Mein Junge, ich möchte, daß Sie weiterhin die berufliche Position haben, die Ihnen gebührt. Das bin ich Ihnen schuldig. Heute führte ich mit Cervi ein langes Gespräch. Ich war so frei, vorfühlend in Ihrem Namen zu verhandeln. Nach der Struktur von Whitehall haben Sie keine Möglichkeiten, Anteile der Firma zu erwerben. Man wird Ihnen ein hohes Gehalt zahlen, aber dafür rupft Sie dann die Steuerbehörde. Man wird Ihnen ein unbegrenztes Spesenkonto eröffnen, aber damit baut man keine Häuser. Diese Leute brauchen dringend einen Mann wie Sie, Brad. Ihre guten Beziehungen, Ihr guter Ruf, nicht nur in der Hotelbranche, sondern im gesamten Wirtschaftsleben, das trägt jetzt für Sie Zinsen. Cervi braucht Sie praktisch und nach außenhin als den Manager, der Ascot zur bedeutendsten Hotelkette der Welt machen kann.“ „Aber wir haben doch beide den Verdacht, daß Whitehall Verbindungen zum organisierten Verbrechen unterhält.“ „Verbrechen ist ein oft gebrauchtes und selten genau definiertes Wort, Brad.“ Kendall lachte ironisch. „Wahrscheinlich könnten wir den Ausspruch des deutschen Strategen Carl v. Clausewitz variieren, -63-
der Krieg sei eine Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Whitehall macht nur Geschäfte, aber eben nach anderen Methoden.“ Der alte Texaner schmunzelte. „Ja, vermutlich. Wissen Sie, als ich die ersten Kaufofferte erhielt, kam einer der Interessenten mit einer neuen Tour. Er hatte sich genau über mich erkundigt, um eine schwache Stelle zu finden, und fragte rundheraus, was ich wohl sagen würde, wenn ich in der Zeitung lesen sollte, daß meine Frau mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden wurde. Ich habe den Gauner einfach ausgelacht und geantwortet: ,Nur zu, meine Frau ist nämlich verrückt. Sie würden ihr und mir einen großen Gefallen tun.’„ Leightons Miene verdüsterte sich wieder. „Natürlich, wenn mein Sohn noch lebte, wenn Enkel da wären, dann hätte ich sicher anders reagiert.“ „Und Sie glauben, ich wäre bereit, für eine Organisation zu arbeiten, die solche Taktiken anwendet?“ „Sie könnten dabei in kürzester Zeit sehr reich werden, und wenn Sie nicht zugreifen, wird irgendein anderer achtbarer Gentleman den Posten annehmen. Außerdem sind Cervi und seine Leute schon lange über die “Faust im Nacken“ hinaus. Die brauchen solche Methoden nicht mehr.“ „Mr. Leighton, warum bemühen Sie sich so um mich?“ „Weil ich an Ihnen viel gutzumachen habe, Brad. Ich habe Sie im ungünstigsten Moment im Stich gelassen, und wenn ich Ihren Rat befolgt hätte, müßte ich Ascot nicht verkaufen.“ „Würden Sie Ihrem Sohn raten, bei Whitehall einzusteigen?“ Leighton blickte Brad versonnen an, schließlich sagte er: „Ich glaube, unter den gegebenen Umständen schon. Wenn man jemanden nicht ausschalten kann, muß man sich mit ihm verbünden. Wie ich sehe, helfen die Regierung der USA, der Oberste Gerichtshof und der gesamte Machtapparat nach Kräften mit, um Whitehalls Stellung zu festigen und auszubauen. Legale Unternehmen genießen keinen offiziellen -64-
Schutz, im Gegenteil, man wirft ihnen nur Prügel in den Weg. Aber kann sich Whitehall über Behinderungen beklagen? Es geschieht nichts, was diesen Konzern schwächen könnte. Legale Firmen müssen mit den verschiedensten Beschränkungen rechnen, der seriöse Geschäftsmann zahlt Steuern für jeden schwer verdienten Dollar, den er in die Expansion oder in Tochtergesellschaften investiert.“ „Ich verstehe Sie, Mr. Leighton. Die Sache gefällt mir zwar nicht, aber wahrscheinlich kann ich mir keine Bedenken und Vorbehalte leisten.“ „Cervi bietet Ihnen eine blendende Position an. Und ich habe ihm noch ein weiteres Zugeständnis abgerungen, damit Sie Millionär werden können. Wissen Sie, wie man heute Millionär, Multimillionär wird? Nur auf eine einzige Art: indem man die Aktienmajorität eines florierenden Unternehmens besitzt und damit auf dem Kapitalmarkt operiert. Dann steigen Ihre Anteile im Wert, und zwar so beträchtlich, daß Ihnen immer noch Millionen bleiben, selbst wenn Sie zum Höchstpreis verkaufen und eine Kapitalzuwachssteuer von 35 Prozent bezahlen. Oder man behält die Aktien, um damit an der New Yorker Börse zu handeln, oder man verwendet sie als Sicherstellung für große Darlehen, die man in andere Firmen investiert.“ „Sehr schön, aber es gibt nur ein Problem dabei: ich habe keine Aktienmehrheit eines Unternehmens, am allerwenigsten eines florierenden.“ „Das findet sich. Gründen Sie eine Firma, sagen wir einen Fleischverarbeitungsbetrieb. Die Konservenfabriken, die Ihr Rindfleisch kaufen, werden merken, daß ihnen plötzlich der Markt der gesamten Ascot-Hotelkette offensteht. Die Leute werden auch entsprechend registrieren, daß sie die Ware an Kettenläden absetzen können, bei denen sie früher nicht zum Zug kamen. Sehr bald werden Sie auch die Konservenfabrik aufkaufen. Und dann sind Ihre Anteile Millionen wert.“ -65-
Brad fragte sich, ob Leighton etwa zu phantasieren beginne. „Ich habe nicht den finanziellen Rückhalt für solche Aktionen“, wandte er ein. „Das erledigt Cervi für Sie.“ „Cervi sieht mir so aus, als würde er solche Geschäfte für sich und Whitehall tätigen. Aber weshalb sollte er für mich einen Goldregen herbeizaubern?“ „Weil Typen wie er Persönlichkeiten brauchen, einen Mann, der aus einem guten Stall stammt, eine außergewöhnliche Laufbahn hinter und vor sich hat. Brad, Sie gehören genau in diese Kategorie.“ Leighton beugte sich zu dem Barschrank an der Trennwand vor, nahm ein Glas heraus, füllte es mit Bourbon aus einer Flasche, die in dem Fach hinter dem Schuber stand, warf Eiswürfel aus einer kleinen Kühlanlage hinein und lehnte sich mit seinem Drink zurück. „Bedienen Sie sich, wenn Sie wollen, Brad. Da ist die Tränke. Aber ich möchte Sie nicht verleiten, Sie werden einen völlig klaren Kopf brauchen, wenn es darauf ankommt, ob Sie ja oder nein sagen, sobald Sie Cervis Vorschläge gehört haben.“ „Ich werde sehr aufmerksam zuhören. Aber um sechs habe ich eine wichtige Verabredung.“ „Die werden Sie leicht einhalten können. Cervi tätigt seine Abschlüsse sehr, sehr rasch. Oder gar nicht.“ Die Limousine fuhr beim Spire Building vor. „Wollen Sie den Wagen für den heutigen Abend?“ fragte der alte Mann fürsorglich. „Ich lasse mich nach Hause bringen und brauche ihn nicht mehr. Wenn Sie die richtige Entscheidung treffen, wird der Schlitten morgen sowieso Ihnen gehören.“ Brads spontane innere Reaktion war ein glattes Nein. Leighton sollte nicht den Eindruck gewinnen, als sei er darauf erpicht, sich vorschnell dieses Statussymbol anzueignen. Aber -66-
es überraschte ihn selbst, daß er lächelnd erwiderte: „Danke, Chef. Wenn Sie dem Fahrer sagen, er soll um sieben beim St. Regis Hotel sein.“ Durch die Vorhalle des Spire Building ging Brad Kendall zu den Aufzügen, die bis in die fünf obersten Stockwerke fuhren. Wie am Vorabend mußte er die gestaffelten Sperren passieren, bis er schließlich vor C. L. Cervi stand. Als erstes stach ihm heute das Modell einer Düsenmaschine auf dem runden Tisch vor dem braunen Ledersofa ins Auge. In großen Buchstaben stand auf den Seiten des Rumpfes „ASCOT HOTELS“. Über dem Sofa hin eine große Weltkarte, gespickt mit verschiedenfarbigen Stecknadelköpfen. Cervi schüttelte ihm die Hand und wies einladend auf einen der beiden Lederfauteuils, die den Tisch flankierten. Zwischen dem Wirtschaftsmagnaten und seinem Gast stand das Flugzeugmodell. Cervi eröffnete das Gespräch mit der verbindlichen Frage: „Ich darf Sie doch beim Vornamen nennen?“ Kendall nickte. „Also, lieber Brad, ich nehme an, Sie haben sich während Ihrer ausbedungenen Bedenkzeit Klarheit darüber verschafft, ob Sie auch künftig bei der neuorganisierten Ascot-Hotelkette bleiben wollen.“ Brad lächelte. „Stimmt, Sir.“ „Vermutlich sind Ihnen viele Gerüchte über uns zu Ohren gekommen. Dergleichen hört man über alle großen Unternehmen, aber auf uns scheinen es die Intrigen besonders abgesehen zu haben. Nun, das ist eben der Preis für den Erfolg.“ „Wenn man gezielt herumhorcht, kriegt man über jede beliebige Person die verschiedensten Meinungen zu hören, pro und kontra“, warf Brad ein. „Jawohl. Zumal bei uns sehr rasches Wachstum zu verzeichnen ist. Das erweckt Neid - und Argwohn. Wir beide, Sie und ich, stehen wohl im gleichen Alter. Sie mögen sich -67-
gefragt haben, ob ich besonders günstige Bedingungen oder die Hilfe irgendeiner Machtgruppe nutzen konnte, um Whitehall zu jenem Faktor zu machen, den es heute darstellt.“ Brad zeigte keinerlei Reaktion. „Tatsache ist, daß mein Partner und ich einfach arbeiteten, beharrlich und fleißig arbeiteten. Viele Jahre hindurch, ohne Rücksicht auf das Privatleben. Wir hatten Glück. Aber ich kann Ihnen versichern, daß Whitehall in seiner Gebarung einwandfreier ist als die meisten anderen Großunternehmen. Ganz bestimmt gab es seit dem Gründungsdatum dieser Firma keinen illegalen oder gesetzteswidrigen Schachzug unserer Gesellschaft im allgemeinen oder eines ihrer leitenden Angestellten im einzelnen.“ Cervi stand auf und ging zum Nordfenster. Einen Moment blickte er schweigend hinaus, dann drehte er sich zu Brad um. „Ja, große Summen waren erforderlich, damit wir so ein Wirtschaftsimperium aufbauen konnten. Wir haben unsere Investoren nicht gefragt, woher ihr Geld stammte. Die Leute waren zufrieden, mitzumachen, ihre Profite einzustreichen und zu verschwinden. Beträchtliche Profite im übrigen, wie ich hinzufügen darf. Brad, Sie wissen bereits, daß mein Partner und ich alle Anteile von Whitehall besitzen, aber es gibt Hunderte legale - Möglichkeiten, wie Finanziers, die uns ihr Geld anvertrauen, zu ihren Gewinnen kommen können, entweder lang- oder kurzfristig.“ Brads Augen folgten Cervi, der, fast im Selbstgespräch, durch den großen Büroraum auf und ab schritt. Der Mann hatte die Geschmeidigkeit und unter dem ausgezeichnet geschnittenen Maßanzug auch die athletische Muskulatur eines Berufssportlers. „Unsere Tätigkeit läßt sich leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen: wir investieren sehr hohe Summen in verschiedenartige Unternehmen auf der ganzen Welt. Im Moment wollen wir die größte und ertragreichste Hotelkette -68-
aufbauen. Kosten spielen dabei keine Rolle. Wir wollen, daß Sie diese Organisation leiten, unter unserer Oberaufsicht natürlich, aber im Effekt würde es darauf hinauslaufen, daß wir unsere Weisungen auf Grund Ihrer konkreten Ratschläge und Ihrer kompetenten Beurteilung der Situation geben. Sie werden mehr Autorität und eine breitere finanzielle Basis haben als jeder andere Manager in der gesamten globalen Hotelbranche. Ihr Wort wird Gesetz sein -“, Cervi lächelte. „Sie brauchen uns nur anzurufen, bevor Sie in unserem Namen Abschlüsse über, sagen wir zwei oder drei Millionen Dollar tätigen.“ Wie am Vorabend fühlte Brad, daß er in eine Art Trance verfiel, während Cervi sprach. Und er mußte, ob er wollte oder nicht, immer wieder das Flugzeugmodell ansehen. Der schwarzhaarige Konzernpräsident lächelte noch immer, aber in seinem Blick lag ein leiser Vorwurf. „Eigentlich sehe ich keinen Grund, warum Sie nicht mit beiden Händen zugreifen sollten, Brad außer einem. Sprechen wir es offen aus: Sie haben Bedenken wegen unserer Finanzverbindungen. Ich bin italienischer Abstammung, ein Umstand, der ihre Vorbehalte noch steigern mag. Nun, damit es keine Mißverständnisse zwischen uns gibt, möchte ich Ihnen unsere Prinzipien erklären.“ Cervi, der sich auf die Fauteuillehne gestützt hatte, setzte sich wieder und beugte sich vor, zog Brad in den engsten Kreis seiner starken Ausstrahlung. „Einer der angesehensten und erfolgreichsten Strafverteidiger der USA, der häufig Personen vertritt, die schwerer Verbrechen angeklagt werden, sagte einmal, er frage seine Klienten nie, ob sie schuldig oder unschuldig sind. Er möchte nur alle Umstände des Falles wissen, bevor er ihn übernimmt. Bei Whitehall folgen wir dem gleichen Grundsatz. Wir sind professionelle Finanziers und fragen nicht, ob Geld “heiß“ ist, wie man das zu nennen pflegt. Ganz ehrlich, manchmal hegen wir den Argwohn, daß eine runde Million in bar genaueren Nachprüfungen nicht standhalten würde. Dann -69-
sind wir bestrebt, diese Beträge sofort in ein lohnendes Projekt zu stecken. Nehmen wir zum Beispiel unseren Anteil am Betriebskapital eines Hotels im Ausland. Stellenwert: 10 bis 12 Millionen Dollar, von dortigen Geldgebern finanziert und dem Ascot-Management zur Führung übergeben, beim üblichen Gewinnverhältnis von einem Drittel an uns und zwei Dritteln an den fremden Staat. Nun, dies betrachten wir als eine Möglichkeit, Summen die - vielleicht! dubioser Herkunft sind, zum guten Zweck zu verwenden. Wir helfen damit der Wirtschaft jenes Landes, bieten alle Annehmlichkeiten eines Luxushotels und leisten so außerdem noch unseren Beitrag zur Expansion der USA im Rahmen der Weltwirtschaft.“ Brad war verblüfft über Cervis wendige Art, Finanzoperationen mit Gangstergeld geschickt und elegant zu bemänteln. Aber die Logik dieses faszinierenden Mannes leuchtete ihm ein. Sein Gesprächspartner wies auf die Weltkarte. „Die hundert roten Stecknadelköpfe repräsentieren Hotels im Besitz oder unter der Geschäftsführung von Ascot. Die silbernen Köpfe markieren Städte in den USA und in Kanada, wo ich innerhalb der nächsten drei Jahre Hotels bauen will. Es sind achtundzwanzig. Und die schwarzen Köpfe verteilen sich, wie Sie sehen, auf elf Punkte im Karibischen Raum, in Mittel- und Südamerika.“ Brad Kendall fühlte, wie ihm der Realitätsbegriff fast entglitt, während Cervi in seinem Vortrag fortfuhr. „Die goldenen Köpfe bezeichnen europäische Städte, wo Ascot Fuß fassen sollte. Dabei beziehen wir auch Moskau, Belgrad und Prag ein. Die kommunistischen Staaten werden zusehends reicher.“ Cervi entwickelte ein alle Kontinente umfassendes Programm und erläuterte, warum die eine oder andere Metropole für ein neues Hotel in Betracht käme. Methodisch lenkte er die Aufmerksamkeit seines Zuhörers auf fast jeden einzelnen künftigen Standort, einschließlich Moskaus. Brad konnte die -70-
konsequente sachliche Art, wie Cervi sein Hotel-Imperium plante, nur bewundern. „Solche Expansion erfordert viele hochqualifizierte Kräfte, und diese werden weite Reisen unternehmen müssen“, sprach Cervi weiter. „Wenn Sie die Position des Präsidenten akzeptieren, werden Sie sich einen entsprechenden Stab schaffen, dem einige unserer Leute angehören, um die Aktionen durchzuführen. Und um diesen wertvollen Mitarbeitern rationelle Zeiteinteilung zu ermöglichen, habe ich für die AscotHotelkette zwei Düsenmaschinen bestellt.“ Er deutete auf das Modell. „Jedes dieser beiden Flugzeuge wird mit den modernsten Kommunikationsmitteln ausgestattet sein, so daß Sie oder andere Mitglieder des Managements aus der Luft mit jeder Stadt der Welt Verbindung aufnehmen können - und natürlich mit einem durchlaufend arbeitenden Kommunikationszentrum hier in New York.“ Brad konnte sich nicht länger halten. Er sprang auf, den Blick starr auf die Karte geheftet. „Das ist der kühnste Aktionsplan, den ich kenne, außer vielleicht dem Generalstabsplan eines Krieges gegen die Sowjetunion.“ „Oh, bitte.“ Cervi hob abwehrend die Hand. „Wir wollen nichts von einem Krieg wissen. Sicherlich, wir könnten auch dann Geld verdienen, aber unsere Vorhaben basieren auf der Annahme eines allgemeinen Friedens, obgleich wir natürlich die kleineren, regional begrenzten bewaffneten Konflikte, die es immer geben wird, ins Kalkül ziehen.“ „Eine Frage hätte ich, Mr. Cervi.“ „Und die wäre?“ „Glauben Sie an die weitreichende Verwendung des Computers bei geschäftlichen Entscheidungen?“ Cervi überlegte und zuckte die Achseln. „Wenn Sie einen Computer wollen, können Sie ihn haben. In den Jahren, als wir Whitehall aufbauten, machte ich immer wieder die Erfahrung, -71-
daß ein Mensch bessere Entschlüsse fassen und sie rascher durchführen kann als eine Maschine. Aber ich habe nichts dagegen, wenn Sie meinen, daß Ihnen ein Computer die Arbeit erleichtern würde.“ „Nein, nein. Keineswegs. Ein Elektronengehirn kann wohl nützlich sein, aber in manchen Unternehmen besteht die Tendenz, versierte Fachleute einfach durch den Apparat zu ersetzen.“ „Wir haben nie einen verwendet.“ Nach einer Kunstpause fragte Cervi: „Nun, Mr. Kendall, akzeptieren Sie den Job oder nicht?“ Brad zögerte, die alten Zweifel stiegen wieder auf. Cervi legte dieses Zaudern anders aus. „Natürlich, wir haben noch nicht über Ihre Bezüge gesprochen. Ich dachte an ein Jahresgehalt von 200.000 Dollar, dazu selbstverständlich ein unbegrenztes Spesenkonto, und wie Ihnen Mr. Leighton sicherlich schon mitgeteilt hat - ich muß sagen, er ist ein sehr schlauer Verhandlungspartner -, werden wir für Sie eine Firma gründen und dafür sorgen, daß sie in den nächsten Jahren einen angemessenen Wert repräsentiert. Sie selbst, Brad, werden 51 Prozent der Anteile besitzen und Whitehall durch einen Strohmann 49 Prozent. Was auch geschehen mag, sogar wenn Sie uns verlassen wollen - womit ich gar nicht rechne, weil es Ihnen bei uns viel zu gut gefallen wird -, haben Sie dann auf diese Art immer noch einige Millionen, an die der Staat nicht herankann.“ Cervi fixierte sein Gegenüber beobachtend. Brad wußte, daß nun der Moment der klaren, eindeutigen Entscheidung gekommen war. Er wollte nicht ablehnen, obwohl ihm eine bindende Zusage widerstrebte und eine innere Stimme ihn vor unabsehbaren Gefahren warnte. Aber er dachte an das Spesenkonto, und auch daran, wie herrlich es wäre, mit seiner Tochter Andrea im Firmenflugzeug ganz Europa zu bereisen, er dachte auch an Luciana und an seinen enormen Prestigegewinn in der Branche... -72-
Cervi blickte diskret auf seine Uhr und ging zum Schreibtisch. Er setzte sich, eine schattenhafte Gestalt im Licht des Frühherbstnachmittags, das Brad fast blendete. „Leider ließ es sich nicht vermeiden, daß ich einen Besprechungstermin für 17.30 Uhr ansetzen mußte.“ Das war ein deutlicher Wink des Gewaltigen. Hatte sich wirklich so vieles in einer kurzen halben Stunde ereignet? Der breite Schwung der Projekte, die während dieser kurzen Zeitspanne aufgezeigt worden waren, riß Brad mit. Er hatte nie Rauschgift genommen, aber so ähnlich mußte man sich fühlen, wenn man „high“ war. „Wann soll ich anfangen, Mr. Cervi?“ fragte er schließlich. Der andere lächelte strahlend. „Sofort. Bis morgen möchte ich einen vorläufigen Aktionsplan im Sinn unseres Gesprächs. Übrigens, meine engere Umgebung nennt mich C. L.“ „O.K., C. L. Ich komme gleich morgen ins Büro.“ „Noch etwas: leiten Sie die Verlegung der Ascot-Zentrale in das Spire Building in die Wege. Das soll so rasch als möglich geschehen. Räumlichkeiten dafür sind vorhanden. Vereinbarungen über die weitere Verwendung des alten Gebäudes überlasse ich Ihnen.“ „In Ordnung.“ „Und keine Vorbehalte, Brad?“ Cervi musterte ihn prüfend. „Keine Bedenken dagegen, bei uns einzusteigen?“ Kendall hörte sich sagen: „Nein, C. L.“ Cervi nickte. „Vergessen Sie nie: was wir bereits erreicht haben und für die Zukunft planen, ist nur dann zu realisieren, wenn man nach etwas ungewöhnlichen Geschäftsmethoden vorgeht. Verstehen Sie, was ich meine?“ Brad bejahte stumm. „O.K. Von nun an gehören Sie zur Fünften Macht.“ „Fünfte Macht?“ fragte Brad verwundert. -73-
„Ich habe diese Bezeichnung geprägt. Als richtungweisende Mächte im Kräftespiel des amerikanischen Lebens sehe ich die Wirtschaft, die Regierung, die Kirche sowie die Presse und die Massenmedien.“ „Und die fünfte?“ „Das sind wir. Und wenn wir am Ziel sind, werden wir mächtiger sein als die anderen vier zusammen.“ Brad erschrak fast vor Cervis Blick, in den schwarzen Augen glomm ein verzehrendes Feuer auf. „Und in fünf Jahren“, seine Stimme klang laut und scharf durch den Raum, „wird die Fünfte Macht entscheiden, wer Präsident der USA werden soll.“ Cervi stand auf und begleitete Brad zur Tür. „Übrigens, informieren Sie sich über den Kongreßabgeordneten dieses Distrikts, William Fortune Adams. Sie werden ihn bald kennenlernen.“ Dann als Nachsatz: „Wollen Sie eine Suite im Ascot-Tower, natürlich eigens nach Ihren persönlichen Wünschen eingerichtet?“ Brad schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich möchte nicht, daß man in der ganzen Hotelkette weiß, was der Präsident während seiner Freizeit tut. Ich werde ein Apartment mieten.“ „Ach, Unsinn. Ascot wird Ihnen eine Wohnung in einem unserer modernsten Bauten zur Verfügung stellen. Morgen schicke ich Ihnen die Grundrisse.“ Brad verließ Cervi mit aus Hochstimmung und nagendem Zweifel gemischten Gefühlen. Aber nun war es zu spät. Er war gekommen, um Cervi für sein Vertrauen zu danken und den Job abzulehnen. Doch eine halbe Stunde in der Gegenwart dieser rätselhaften Persönlichkeit hatte genügt, um ihn zu verwandeln. Vielleicht brachte dieser Tag jene unwiderrufliche Wende in einem Menschenleben, von der es kein Zurück mehr gibt. Brad dachte wieder an die Düsenmaschine und all die Stecknadelköpfe auf der Weltkarte dort oben im großen luxuriösen Büroraum hoch über der riesigen Stadt, wo Cervi entrückt und einsam die Bahnen für einen ganzen -74-
Wirtschaftskosmos vorzeichnete. Auch Brad konnte die ungeheure Tragweite seiner Entscheidung nur mit sich allein überdenken, bei einem Dry Tanquaray Martini. Und dann in die Sauna. Dafür blieb ihm gerade noch Zeit, bevor er Luciana im St. Regis Hotel abholen sollte. Nun war das einzige Problem, ein Taxi aufzutreiben - ein schwieriges Problem, das ihn aber bald nicht mehr zu kümmern brauchte. Denn morgen würde er Rafe Leightons Limousine übernehmen.
-75-
9 Brad Kendall und Luciana Blore lehnten sich in die bequeme Polsterung der Limousine zurück. Schließlich hatte er sich doch den Namen des Fahrers gemerkt: Williams hieß der Mann. Der gute alte Rafe Leighton, der keine Stunde länger als nötig in New York geblieben war und nun bereits in Texas privatisierte, hatte recht behalten: seit zwei Tagen fühlte sich Brad als Besitzer dieses Traumwagens, ein Luxus, der ihm jetzt durchaus zustand. Und in ihrem enganliegenden schwarzen Abendkleid mit Polarfuchsstola paßte Luciana ideal zu diesem Statussymbol. Beim Einbiegen in die 68. Straße sah Brad die große Ansammlung funkelnder Straßenkreuzer, die ihre eleganten Insassen vor Charles Lawrence Cervis Stadtresidenz absetzten. „Es würde mich nicht wundern, wenn du heute abend noch Gelegenheit hättest, Italienisch zu sprechen“, flüsterte er Luciana zu, als sie sich dem Portal näherten. Ein Mann in der Kleidung eines Butlers, aber zu jung und zu bullig für diese Rolle, fragte höflich nach den Namen. „Jawohl, Mr. Kendall, Mr. Cervi erwartet Sie.“ Er verbeugte sich vor Luciana. „Bitte die Treppe hoch.“ Der Saal in der ersten Etage nahm die ganze Breite des Hauses ein, mit einer Reihe hoher Bogenfenster zur Straße und einer anderen zum großen gepflegten Garten. An den Stirnwänden des Raumes führten Stiegen in das nächste Stockwerk. Als sie eintraten, kam Cervi sofort auf das Paar zu. Brad stellte seiner Begleiterin den Gastgeber vor. Cervi küßte ihr die Hand und sagte mit einem bewundernden Blick: „Luciana? Das klingt italienisch.“ „Mein Vater war Italiener, aus Milano.“ „Ah, Milano!“ Sichtlich erfreut wechselte Cervi ins -76-
Italienische über. „Mein Großvater war Neapolitaner. Als junger Mann kam er nach Amerika, aber die alte Heimat vergaß er nie. Wir Enkelkinder mußten ihm immer zuhören, wenn er von Italien erzählte. Er sorgte dafür, daß mein Vater und dessen Geschwister und auch wir aus der dritten Generation Italienisch lernten.“ Er wandte sich an Brad. „Verzeihung, wenn wir uns in einer fremden Sprache unterhalten. Bei solchen Parties trifft man so selten “Landsleute“.“ Dann sotto voce: „Bezaubernd! Woher kennen Sie diese Dame? Hoffentlich werden Sie nicht eifersüchtig, wenn ich Ihnen Mrs. Blore zeitweise entführe. Zufällig habe ich einige italienische Gäste eingeladen, für uns wichtige Männer, darunter auch den Generalkonsul in New York und zwei sehr erfolgreiche Finanziers, die beiden wollen sich am Bau von Ascot Hotels in Italien beteiligen.“ Er lächelte. „Ich sehe, Ihr Ruf als der geborene Diplomat der Hotellerie ist nicht im mindesten übertrieben.“ „Nur zu, C. L. Machen Sie mit Luciana die Runde. Ich möchte sie sowieso bewegen, in New York zu bleiben.“ „Oh, sie muß bleiben, unbedingt! Wir werden dafür sorgen.“ Als Cervi ihr den Arm reichte, fragte er beiläufig: „Was tut sich mit dem Ocean Plaza in Miami?“ Brad schüttelte den Kopf. „Fast aussichtslos. Unger will nicht verkaufen, obwohl seine Partner dazu bereit sind. Tut mir leid, C. L.“ „Lassen Sie sich wegen Unger keine grauen Haare wachsen.“ Cervi legte die Hand auf Brads Schulter. „Übrigens, dort steht Bill Adams. Machen Sie sich mit ihm bekannt. Wir unterstützen seine Kandidatur für den Senat.“ „Sie sind also der neue Ascot-Präsident“, sagte der elegante Vierziger mit dem etwas verwitterten Rassegesicht eines Gentleman aus guter alter Familie der Ostküste. „Es freut mich wirklich, Sie persönlich kennenzulernen. Ich habe C. L. gebeten, uns zusammenzubringen. Wie Sie wohl wissen, steht Ihr -77-
phantastisches Hotel in meinem Wahldistrikt.“ „Ich höre von C. L., daß Sie eigens für diese Party von Washington nach New York geflogen sind“, erwiderte Brad etwas anzüglich. „Hoffentlich lohnt es sich für Sie.“ „Unser Freund Cervi erwartete mich, und da wollte ich ihn nicht enttäuschen.“ Eine gertenschlanke große Blondine trat heran, Brad schätzte sie auf Mitte Dreißig. „Terry, das ist Mr. Kendall, Präsident der Ascot-Kette - meine Frau“, sagte der Kongreßabgeordnete. Mrs. Adams begann sofort über Hotels zu plaudern, eines ihrer Lieblingsthemen, wie es schien. „Es muß doch riesig schwer sein, so viele Betriebe im Auge zu behalten“, sprudelte sie hervor. „Ich meine, wenn der Boß nicht da ist, haben die Angestellten doch ihren Lenz. Passiert da nicht allerlei Unfug?“ „Um unsere Aufgabe etwas zu erleichtern, hat Mr. Cervi zwei Düsenmaschinen für Führungskräfte angeschafft“, antwortete Brad. Adams zeigte sich sogleich interessiert und stellte einige Fragen über die Jets. Eingedenk Cervis Interesse an Politikern, gab Brad nach bestem Wissen Auskunft. „Mit einem dieser Vögel könnte man während einer Wahlkampagne die gesamten Vereinigten Staaten bereisen“, schloß er verlockend. „Daran habe ich auch gerade gedacht“, murmelte Adams mit sehnsüchtigem Blick. Brad wollte sich nicht weiter festlegen, er fand, man müsse es C. L. selbst überlassen, ob er es für geboten erachtete, das Flugzeug an Kandidaten herzuleihen. William Fortune Adams schien der wichtigste Gast und das Paradepferd der Party zu sein. Durch ihn lernte Brad die verschiedensten Gäste kennen, gleichsam eine Musterkollektion von Cervis weitverzweigten Kontakten: einen Richter des Obersten Gerichtshofs, einen Staatsanwalt mit politischen Ambitionen, den Präsidenten einer der größten -78-
Spirituosenerzeugungen der USA und einen berühmten Filmregisseur samt dessen neuestem Schützling, einem jungen Dummchen, das sich von Luciana überstrahlt fühlte und deshalb einen Schmollmund á la Senior-Sexbombe Brigitte Bardot zog. Längere Zeit unterhielt sich Brad mit einem leitenden Redakteur der New York Times. Es schmeichelte ihm, daß der Jet Set, der sich hier traf, ihm sofort großes Interesse widmete. Einer seiner immer wieder, auch nun, bestätigten Erfahrungssätze lautete: Prominente wissen gute Verbindungen mit entgegenkommenden und vor allem diskreten Hotelmanagern sehr zu schätzen. Aus einer plaudernden Gruppe tauchte Cervi auf. „Ich möchte Sie mit General Alton MacFarland bekannt machen.“ Brad blickte in die durchdringenden blauen Augen der hochgewachsenen Gestalt neben seinem Boß. Der General zeigte auch in Zivil tadellose soldatische Haltung. „Alton, das ist Mr. Kendall, der neue Präsident der AscotHotelkette.“ Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. „General MacFarland ist der Stellvertreter des Generalstabschefs“, erklärte Cervi stolz. Brad hatte wenig Ahnung von der Hierarchie im Pentagon, dennoch konnte er mit dem ernsten Graukopf ein kurzes Gespräch über amerikanische Militärattachés im Ausland führen. Bald wurde MacFarland vom Strom der Gäste fortgetragen, denn jeder wollte mit jedem reden, wie es auf Parties eben üblich ist. Sekunden später war Cervi wieder da, nahm Brad beim Arm und steuerte mit ihm auf einen kleinen Schwarzhaarigen zu, der mit sichtlichem Besitzerstolz eine sehr attraktive junge Blondine hütete, um die sich aufmerksame Bewunderer geschart hatten. „Das ist Senor Jorge Ramirez, der Chefdelegierte von Santo Morango bei der UNO“, sagte Cervi. „Ich kenne das Land. Vor einem Jahr war ich wegen Verhandlungen über den Bau eines Hotels dort“, erwiderte Brad. -79-
„Darüber können Sie sich mit unserem Freund eingehender unterhalten“, meinte Cervi angeregt. „Er hat ausgezeichnete Verbindungen zu Regierungskreisen in ganz Lateinamerika. Und niemand bei der UNO gibt solche interessanten Parties wie Jorge.“ So plötzlich wie er erschienen war, verschwand Cervi wieder im Trubel. Brad wußte, daß dieser Mann einen bestimmten Zweck verfolgte, wenn er ihn mit so vielen Leuten bekannt machte, reihum seinen neuen Spitzenmann in der Hotelbranche präsentierte. Er versuchte in jedem einzelnen Fall Cervis Motive zu ergründen, instinktiv fühlte er, daß jeder dieser Menschen, mit denen er so in Berührung kam, mehr, wahrscheinlich sogar viel mehr wußte, als er selbst, nämlich die Wahrheit über Whitehall. Ob sie ihn für einen Eingeweihten hielten, ja stillschweigend als selbstverständlich voraussetzten, daß er sich völlig mit dem Machtapparat identifizierte, dem er nun angehörte? Solche nagenden Zweifel belasteten ihn, während er höflich Konversation machte. Er konnte erst aufatmen, als die Gäste allmählich in den Speisesaal abwanderten und das Büfett umringten. Unauffällig näherte er sich der Gruppe rund um Luciana. Cervi lächelte ihm zu. „Sie waren sehr geduldig, Brad. Ich glaube, nun ist es Zeit, daß Sie sich wieder Ihrer reizenden Begleiterin widmen.“ Aber das Paar blieb natürlich nicht ungestört. Sehr bald fand sich eine Tischgesellschaft zusammen, Luciana bildete den strahlenden Mittelpunkt, ganz in ihrem Element, führte sie während des Dinners polyglotte Gespräche. Ein namhafter Kolumnist befragte Brad, ob der Verkauf an Whitehall die Gebarung von Ascot verändern würde. Da der neue Präsident ausweichend antwortete, wandte sich der Klatschspaltenschreiber an Luciana und erkundigte sich nach ihren weiteren Plänen. Wie es schien, kannte er ihren Exgatten, den dubiosen Mr. Blore. -80-
Es wurde später, als Brad erwartet hatte. Beim Abschied sagte Cervi: „So nebenbei, ich werde einen ruhigen Samstagnachmittag in meinem Landhaus verbringen. Wie wäre es, wenn Sie mit Mrs. Blore zum Lunch kämen? Ganz zwanglos. Vielleicht kann ich dann endlich auch wieder Klavier spielen.“ „Sind Sie Musiker?“ fragte Luciana interessiert. „Alle Italiener lieben die Musik“, erwiderte er in einem bei ihm ungewohnten schwärmerischen Ton. „Nun, darf ich auf Ihren Besuch hoffen?“ „Am Samstag wollte ich mich eigentlich mit meiner Tochter treffen“, wandte Brad zögernd ein. „Wie alt ist sie denn?“ „Achtzehn, fast schon neunzehn.“ „Meine Tochter ist zweiundzwanzig“, rief Cervi freudig. „Bringen Sie die junge Dame doch mit. Die beiden Mädchen werden sich gewiß gut verstehen. Und wir beide haben auch einiges zu besprechen.“ Brad wußte: das war wieder ein verklausulierter Befehl. Etwas hilflos sah er Luciana an. „Hättest du Zeit?“ Sie lächelte Cervi zu. „Natürlich. Den Besuch bei meinem Onkel kann ich auf den Sonntag verschieben.“ „Wunderbar!“ Cervi schien hoch erfreut. „Dann also bis Samstag, zirka um eins.“ „Wir kommen gern, C. L.“, bekräftigte Brad, der sich fragte, ob er von nun an immer auf Wink bereitstehen müsse, ganz gleich wann. Luciana war in bester Stimmung, weil sie auf der Party Furore gemacht hatte, und hängte sich fest in ihn ein, als sie das Haus verließen. In der Limousine fragte Brad: „Möchtest du noch irgendwohin fahren?“ „Ja, ich richte mich ganz nach dir, Liebling.“ „Zum Ascot Tower, Williams.“ -81-
Unterwegs begann er beiläufig: „Willst du nicht doch bald übersiedeln? Bei uns wirst du herzlich aufgenommen.“ „Das gleiche hat mir Mr. Cervi gesagt.“ „Niemand würde sich mehr freuen als ich. Wir haben einige zauberhafte Apartments.“ „Ich weiß gar nicht, wie lange ich in New York bleiben werde.“ „Umso eher solltest du in einem Hotel wohnen, wo du als Ehrengast behandelt wirst.“ „Allmählich muß ich auch daran denken, mir einen Job zu suchen wenn ich die Arbeitsbewilligung kriege.“ „Keine Sorge, das regelt C. L. spielend. Wir würden sicherlich einen interessanten Tätigkeitsbereich für dich bei Ascot finden. Etwa in der internationalen Sektion.“ Ihre Augen leuchteten auf. „Hast du mit Cervi über mich gesprochen? Er meinte nämlich, daß ich mich im Rahmen eurer Hotelkette nützlich machen könnte. Aber warum reden wir eigentlich darüber? Ich habe sowieso nicht die Absicht, in New York zu bleiben.“ „Vielleicht gelingt es mir doch, dich umzustimmen.“ „Wenn du es sehr geschickt anstellst und sehr hartnäckig bist, Brad, wer weiß...“
-82-
10 Es waren noch immer Gäste auf der Party, als C. L. Cervi dem Abgeordneten Fred Black beziehungsvoll zunickte und leise über die Hintertreppe in den Garten verschwand. Er ging zu der Mauer, die den Besitz von der Hinterfront eines Gebäudes in der Siebenundsechzigsten Straße trennte. An der Ecke, hinter einem Werkzeugschuppen, drückte er auf einen Hebel, eine Schiebetür glitt zurück und schloß sich wieder, als Cervi hineingeschlüpft war. Nun befand er sich in einem dunkeln Korridor entlang der Mauer, der zum Haus in der Siebenundsechzigsten Straße führte. Noch ein anderer Gang führte zu einer Tür auf die Straße. Cervi trat auf den Gehsteig hinaus und ging in Richtung Lexington Avenue weiter, bis eine geparkte Limousine die Lichter einschaltete, startete und auf ihn zukam. Der Wagen stoppte, die Tür zum Rücksitz wurde geöffnet, Cervi stieg ein. „Hallo, Charlie, wie geht’s?“ fragte eine heisere Stimme. „Danke gut, Sal. Und dir?“ „Okay.“ Cervi war nicht erpicht darauf, Salvatore Di Siccerones klobige Hand zu schütteln. Nicht umsonst wurde dieser Mann „Sal die Pranke“ genannt. Vor vielen Jahren, als Sal, ein Schwergewichtlertyp, aus der Oberschule kam, wurde er sofort Killer in der mächtigen Cosa-Nostra-Familie seines Onkels. Seine Spezialität war es, ungebärdige Mitglieder nur mit seiner riesigen rechten Hand lautlos zu erwürgen, etwa wenn sie, ohne zu ahnen, was sie erwartete, an einem Meeting oder einem Begräbnis teilnahmen. Diese Tätigkeit hatte Sal seinen Beinamen eingetragen. Seine Erziehung - damals gab es nicht viele Mafiosi mit höherer Schulbildung -, seine angeborene Schlauheit und nicht zuletzt die Blutsverwandtschaft mit dem Boß, sicherten ihm einen raschen Aufstieg. Im relativ frühen Alter von fünfunddreißig Jahren hatte er bereits die -83-
Schlüsselposition des Consigliere inne. Als ein Herzinfarkt seinen Onkel zur Abdankung zwang, focht niemand in der Organisation Sals Nachfolge als Capo an. Die „Kommission“ der Mafia-Bosse billigte diese Entscheidung, und mit Vierzig war Sal bereits eines der mächtigsten und angesehensten Mitglieder dieses obersten „Gremiums“, da er die stärkste New Yorker Gruppe befehligte. Die Limousine rollte dahin und würde bis auf weitere Weisungen kreuz und quer durch die Stadt fahren. Sal drückte einen Knopf auf einer kleinen Konsole neben seinem Sitz. Sofort erfüllte ein leises Summen den Fond des Wagens. „Was Neues?“ fragte Cervi. „Mein Funktechniker hat sich das ausgedacht“, erwiderte Sal. „Er untersucht den Schlitten täglich, um sicher zu sein, daß uns niemand eine “Wanze“ eingeschmuggelt hat. Das FBI hat jetzt Sachen, du würdest es nicht für möglich halten! Die können nun schon abhören, ohne irgendwas im Raum oder im Auto anzubringen. Aber was du da hörst, das ist eine Art Störsender, eine Abschirmung gegen elektronische Geräte.“ „Es war auch höchste Zeit. Wer es richtig anstellt, erfährt mehr über dich und die anderen Familien, als du selbst vor zehn Jahren gewußt hast. Da sind viele Unvorsichtigkeiten passiert.“ „Ja“, murrte Sal. „Ich war entsetzt, das kann ich dir sagen, Charlie. Das war der schwerste Schlag, der uns je traf. Jetzt kennen die Brüder alle unsere Kontaktleute draußen.“ Einige kernige sizilianische Flüche. „Unser Richter: enthoben! Der Staatsanwalt, den wir hatten: erledigt! Der Demokratische Parteivorsitzende meines Heimatstaates: angeklagt! Und der Mann aus dem Republikanischen Nationalkommitee: irgendwo in Deckung gegangen. Und es wird noch viel mehr Dreck aufgerührt werden. Wir müssen dafür sorgen, daß strengere Gesetze erlassen werden, damit das FBI nicht in unsere Privatsphäre eindringen kann.“ -84-
Im dunklen Wagen lächelte Cervi ironisch vor sich hin. Die “Familien“ hatten ihn schon immer gebraucht. Nun operierte er von einer dem “Boß der Bosse“ - denn das war, wie er vermutete, Sals gegenwärtiger Status in der Cosa Nostra übergeordneten Ebene aus. „Schärfe den Leuten ein, sie sollen nicht plaudern, nicht einmal in ihren Wohnungen und Büros“, sagte Cervi warnend. „Glaube mir, das wissen sie. Wir haben Proben gemacht. Jeden, der im “LIFE“ genannt war, hat's erwischt.“ Cervi brachte nicht das delikate Thema zur Sprache, daß Sal selbst auf Grund von Aufzeichnungen der elektronischen Überwachungsgeräte ausführlich zitiert worden war. Aber eine diskrete Anspielung wollte sich Cervi nicht verkneifen. „Ich bin froh, daß du nie mich oder Whitehall erwähnt hast. Das könnte sehr gefährlich und folgenschwer sein.“ „Niemals, Charlie, niemals! Das brauche ich dir nicht erst zu beteuern. Keiner in Salvatore Di Siccerones Familie hat je von dir gehört. Überhaupt keine von unseren Familien kennt dich. Nur ich und die anderen aus der Kommission. Nicht einmal die Consiglieri haben eine Ahnung von dir. Du weißt, daß du uns vertrauen kannst. Der Name Cervi wurde nie genannt, nicht einmal bei Sitzungen der Kommission.“ „Okay, Sal“, warf Cervi beschwichtigend ein. „Es ist nur, weil man heutzutage nicht vorsichtig genug sein kann.“ „Und ob! Ich kriege keine Unterstützung mehr von außen. Die Richter und die Politiker laufen vor Angst im Kreis, So dicke Luft hatten wir noch nie, seit ich dabei bin. Ich versuche ja, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, aber alle haben Schiß. Mein bester Bestechungsexperte kommt an keinen heran. Geld? Darauf ist ihnen im Moment die Lust vergangen. Ich werde die Klugscheißer, die wir brauchen, wohl selber kaufen müssen.“ „Sal, Sal -“, begann Cervi sanft. „Die Situation hat sich geändert. Seit drei Jahren versuche ich dir das klar zu machen, -85-
aber du hörst ja nicht auf mich. Es ist nicht mehr so wie zu den Zeiten, als Vito das Heft in der Hand hatte. Die Regierung der USA hat dir den Krieg erklärt. Begreifst du? Und diesmal bleibt es nicht bei bloßen Manövern. Wenn ihr euch nicht umstellt, geht ihr drauf. Bedenke doch, daß wir die siebziger Jahre schreiben und nicht mehr die dreißiger, vierziger oder fünfziger Jahre!“ „Und was bedeutet das, Charlie?“ Die rauhe Stimme zitterte. „Wenn dir die US-Regierung den Krieg erklärt, mußt du nach zeitgemäßen Gesichtspunkten reagieren. Bei den alten Methoden geht die Kanone nur nach hinten los.“ „Ich verstehe nicht, wovon du redest.“ „Na schön, also ein Beispiel: gegen, ich betone gegen meinen gutgemeinten Rat hast du deinen Neffen in die Eiscremebranche in Brooklyn eingeschleust. Der Junge hat keinen Schimmer von kaufmännischen Dingen. Er hat ja nicht einmal die Oberschule absolviert.“ „Sein Großvater hat mich ins Geschäft gebracht. Was sollte ich tun?“ „Bleiben wir beim konkreten Fall: dein Neffe hat Verluste. Was tut er? Er gibt seinen Konkurrenten die Schuld. Und was tust du daraufhin? Du schickst der Konkurrenz einige Schläger auf den Leib. Die machen aus dreißig oder vierzig Maschinen Kleinholz und Schrott. Dein Neffe ist obenauf - für eine Woche. Doch plötzlich merkt die Öffentlichkeit, daß du in legale Branchen einsteigen willst. Das schafft Angst, die sich bis zur Psychose steigern kann. Es werden Kandidaten gewählt, die noch vor vier Jahren nicht die geringste Chance gehabt hätten. Um sich ihren Wahlerfolg zu sichern, brauchen sie nur zu sagen: “Law and Order“. Sogar die Neger stimmen heute für Law and Order. Der Justizminister erklärt, er werde alle Mittel einsetzen, um dich, Sal, deine Leute und die anderen Familien am Boden zu zerstören. Und die Bürger jubeln dazu, weil du eben zuweit -86-
gegangen und nun eine deutlich sichtbare Bedrohung des Kleinen Mannes bist! Früher warst du es, der ihnen geboten hat, was sie wollten: Glücksspiel, Prostitution, gewerkschaftliche Regelungen; sie haben sogar willig Tribut für “Schutz“ gezahlt, und du kontrolliertest den gesamten Rauschgifthandel. Der Durchschnittsmensch machte sich weiter keine Gedanken über Drogen, bis auch die netten jungen Leute damit anfingen. Plötzlich sind es nicht nur Schwarze, Puertoricaner und Teenager aus den Slums, die das Zeug nehmen. Und nun kriegen es die harmlosen Durchschnittsamerikaner mit der Angst zu tun. Da kann die Regierung den Hebel ansetzen, um einen Schritt zu wagen, der seit George Washingtons Zeiten nie versucht wurde.“ Di Siccerone, der mit wachsendem Unbehagen zugehört hatte, schnaufte schwer. Er wartete, daß Cervi weiterspräche. Sal die Pranke wußte genau, daß Charlie die großen Zusammenhänge der Macht und Anwendungsmöglichkeiten des organisierten Verbrechens ebenso wie die schwachen Stellen der Struktur und die Gefahrenmomente weitaus besser beurteilen konnte als er selbst und alle anderen Mitglieder der Kommission. Deshalb war Cervi der einzige Mann auf der Welt, vor dem Sal Respekt hatte, obwohl er sich bemühte, es nie zu zeigen. Schließlich fragte er mit Überwindung: „Und was ist das, Charlie?“ „Die Aufhebung der demokratischen Verfahrensweisen.“ „Was heißt das?“ „Das heißt, daß das FBI alles über dich weiß, aber um dich unter Anklage zu stellen, können sie keine Beweise vorbringen, die aus elektronischen Überwachungsanlagen stammen. Dennoch kriegen sie dich.“ „Lächerlich! Mein Anwalt würde die Kerle so rasch packen, daß sie gar nicht wüßten, wie ihnen geschieht.“ Sal ließ die Worte wie Bleigewichte fallen. „Wenn dein Anwalt daherkommt, marschiert er in die Zelle -87-
neben dir, und niemand sieht ihn oder dich je wieder. Dann wird bekanntgegeben, Salvatore Di Siccerone sei in der Haft an einem Herzinfarkt gestorben. Und wenn der Anwalt schließlich freigeht - falls überhaupt! - dann gibt er schleunigst seine Praxis auf.“ „Ach, hör doch auf, Charlie, warum willst du mir Angst einjagen? Falls du es nicht wissen solltest, ich bin capo di tutti i capi, Boß der Bosse. Und wir leben in einem freien Land. Wir haben Gesetze, eine Verfassung...“ „Ich wollte dir nur sagen, was geschehen könnte und wahrscheinlich geschehen wird. Wenn die große Masse der Amerikaner einen harten Kurs will, wird sie es erreichen.“ Trotz seines aufgeplusterten Selbstbewußtseins war Sal die Pranke sichtlich erschüttert. Schließlich fragte er ruhig: „Was sollen wir tun?“ „Die gespannte Atmosphäre wird anhalten, bis sie dich fertiggemacht oder zumindest zurückgedrängt haben. Am besten ist es, du schlägst eine zahmere Gangart ein. Laß die Finger davon, die legale Wirtschaft zu korrumpieren und zu durchsetzen. Überlaß das mir, und zwar mir allein. Und versuche nicht, Mandatare zu bestechen. Überlasse auch das mir. Du kannst nicht wissen, wo die persönlichen Interessen eines Kongreßabgeordneten liegen. Ich habe ein ganzes Team in Washington, das nur damit beschäftigt ist, festzustellen, wie man an diesen oder jenen herankommt. Und selbst dann steckt man ihm nicht einfach Geld zu, nein. Man findet einen Grund, als Klient seinem Anwaltsbüro einen fetten Fall zu verschaffen, man spendet für den Wahlkampffond - aber alles zum richtigen Zeitpunkt und durch die richtigen Mittelsmänner.“ „Wir können nicht operieren, ohne uns Rückendeckung zu sichern.“ „Dann haltet euch von den höheren Ebenen fern. Das erledige ich. Bleibt bei der Bestechung der Polizei. Und sorgt dafür, daß -88-
innerhalb der Familien und im Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen keine Redseligkeit geduldet wird.“ „Die Kommission hat ganz neue Sicherheitsrichtlinien ausgearbeitet. Wie du sagst, wissen wir nicht einmal, welche Geräte das FBI einsetzen kann, Überschall oder weiß der Teufel. Aber wir haben neue Taktiken festgelegt. Solche großen Enthüllungen auf der ganzen Linie wird es nicht mehr geben.“ „Aber vorläufig hat das FBI die Angaben über die Kommission und die Struktur auf dem Präsentierbrett, samt Namen und Daten eurer meisten “Soldaten“ und Caporegimi.“ Darauf konnte Sal keine Antwort geben, und Cervi beschloß, nun von erfreulicheren Dingen zu reden. „Okay, Sal, in meinem Sektor mache ich an allen Fronten Fortschritte. Bist du über das “saubere“ Geld froh, das dabei für dich herausspringt?“ „Natürlich, Charlie. Du bist ein Genie, und wir brauchen dich wie keinen anderen. Bei diesen Computern und was die Steuerfahndung sonst noch hat, ist es verdammt schwer, von zweifelhaftem Geld zu leben.“ „Wieviel möchtest du diesen Monat durch Filter gehen lassen?“ „Kannst du 15 Millionen übernehmen?“ „Klar. Ich habe eine der größten Hotelketten der Welt gekauft. Liest du keine Finanznachrichten?“ „Selten. Auch das überlasse ich dir.“ „Wo ist die Barschaft?“ Sal griff in die Tasche und zog drei Schlüssel heraus. „In diesen Depots deiner Bank in Queens. Es muß schön sein, selber eine Bank zu besitzen. Wir brauchten drei der fünf Safes, um alles unterzubringen.“ „15 Millionen also? Größtenteils in kleinen Scheinen, wie ich vermute.“ „Alles durcheinander.“ -89-
„Gut, Sal. Ist es dir recht, wenn wir kurz die Regeln rekapitulieren, da wir beide Bedenken gegen schriftliche Vereinbarungen haben?“ „In Ordnung, aber ich kenne die Bedingungen sowieso.“ „Vorsichtshalber soll man sie öfter wiederholen, damit es keine Mißverständnisse gibt.“ Di Siccerone nickte. Cervi begann in gedämpftem, aber deutlichem Ton. „Also: morgen gehe ich auf die Bank und übergebe diese Schlüssel meinem Präsidenten. Er läßt das Geld aus den Safes holen, abzählen, dann in Tausend- und Zehntausenddollar-Noten wechseln und teilt mir mit, wieviel eingewechselt wurde. Du erhältst eine Notiz mit der Ziffer. Wie sie auch lauten mag, du akzeptierst sie.“ „Freilich, Charlie. So haben wir's doch immer gehalten.“ „Nun verteile ich die Summe auf zehn Attachekoffer, in jedem davon schicke ich 1,5 Millionen Dollar an meine Bank in der Schweiz, und zwar durch Kuriere, die diplomatische Immunität genießen.“ „Ja. Das ist die Masche!“ „Warum, glaubst du wohl, interessiere ich mich so sehr für die UNO? Es ist sehr günstig, solche sichere Möglichkeiten in Reichweite zu haben.“ Cervi schwieg, als ein anderes Auto die Limousine überholte, er beobachtete den Wagen, bis dieser einige hundert Meter Vorsprung hatte. Sals Fahrer bog sofort in eine Seitenstraße ein. „Okay. Ich entsende nächste Woche zehn Mann in die Schweiz. Alle sind absolut einwandfrei, wir haben noch keine Ladung eingebüßt. Aber die Gefahr besteht immer. Kommt es dazu, dann verliert ihr 1,5 oder sogar 3 Millionen.“ „Ich weiß, Charlie. Diesen Verlust würden wir tragen. Wie ich sagte, wir vertrauen dir.“ „Gut, Sal. Selbst wenn euch drei von fünfzehn Millionen durch die Lappen gehen, seid ihr noch immer besser dran, als -90-
wenn ihr diese Beträge hier versteuern müßtet. Dann bliebe euch für Investitionen weniger als die Hälfte.“ „Ja, das wissen wir alles.“ „Die Summe, die auf meiner Bank in Zürich deponiert wird, nehmen wir von Whitehall dann als Darlehen zwecks Investitionen in lang- oder kurzfristige Realitätengeschäfte auf. Nun haben wir eine große Hotelkette, in die wir Geld hineinpumpen können. Und ihr erhaltet Schecks, schöne “saubere“ Dividendenschecks und Kapitalzuwachs. Davon geht ein Drittel als Kapitalszuwachssteuer ab, doch immerhin ist es etwas anderes, ob man große Beträge schon versteuert, bevor das Geld zu arbeiten beginnt.“ „Weiß Gott. Die Kommission steht voll und ganz hinter dir, Charlie. Wenn du mit mir verhandelst, gilt das für alle Bosse.“ „Gut so. Nun, kann ich dir sonst noch helfen?“ „Ja. Ich lese, das heißt, mein Consigliere liest, daß sie da unten“ wie Cervi wußte, meinte die Pranke jenes vernebelte Feindterritorium, das man Washington D. C. nannte - „die Wohlfahrtsgesetze ändern wollen. Sie haben Beschränkungen im Sinn, wollen die Anmeldungen erschweren, den Empfängern genauer auf die Finger sehen, und ähnliche Schikanen. Sieh zu, ob du deine Mittelsmänner mobilisieren kannst, damit das verhindert wird. Im Gegenteil, die Zuwendungen sollten erhöht werden. Weißt du, wieviel von den 15 Millionen, die du jetzt kriegst, aus Wohlfahrtsunterstützungen stammt? Fast die Hälfte!“ „Ich werde mich dranmachen, Sal.“ „Wann bekommst du die nächste Fracht von drüben?“ Damit meinte Di Siccerone die Herointransporte aus Frankreich. „Das sage ich dir beim nächsten Treff. Wir müssen darauf gefaßt sein, plötzlich auszusteigen, räumen wir also ab, solange noch Zeit ist.“ -91-
„Wir haben erwogen, eine Panik auszulösen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Uns geht sowieso bald das Zeug aus. Monatlich kriegen wir zwischen Los Angeles und Brooklyn rund fünftausend neue Kunden. Die müssen wir versorgen. Ich betrachte das als eine Art heilige Verpflichtung. Was sollen die Leute anfangen, wenn wir ihnen nichts liefern können, nachdem wir sie auf den Geschmack gebracht haben?“ „In den nächsten zwei Wochen kannst du 350 Kilo haben.“ „Ausgezeichnet, Charlie. Das wird für eine Weile reichen.“ „Das müßte es auch. Dieses Quantum ist im Straßenverkauf 100 Millionen Dollar wert.“ „Damit ich es nicht vergesse: da gibt es in BedfordStuyvesant, einem unserer besten Gebiete, einen Cop, der macht Schwierigkeiten. Morgen ist der Fünfzehnte, der Tag, an dem die Anweisungen für die Wohlfahrtsunterstützungen kommen. Der Niggerboß dort streicht zu solchen Terminen glatte 250.000 Dollar ein. Aber dieser Cop rückt ihm und seinen Jungen auf die Pelle. Kannst du dich um den Burschen kümmern?“ „1969 habe ich für die hiesigen “Familien“ das New Yorker Rauschgiftdezernat zerschlagen. Und da sorgst du dich wegen eines einzigen Polizisten? Wer ist es denn? Vielleicht Kenney, der große neue Held?“ „Ja. Eigentlich ist das ganze eine Bagatelle, aber es macht keinen guten Eindruck, wenn wir unsere Leute in einem so ertragreichen Distrikt nicht schützen können, verstehst du? Kein anderer Polyp in den guten Sektoren der Stadt gibt uns so viel aufzulösen. Durch dieses Buch, das über ihn geschrieben wurde, ist Kenney ein berühmter Mann geworden, und das steigt ihm zu Kopf. Wir müssen ihm eine Lehre erteilen.“ „Okay, Sal, ich werde mir was ausdenken, damit euch Kenney nicht mehr dazwischenfunkt.“ „Ja, tu das für uns, Charlie. Aber so, daß uns der Boden nicht zu heiß wird.“ -92-
Cervi lachte in sich hinein. „Keine Sorge. Ich weiß schon, wie man Mr. Kenney beikommen kann. In einigen Tagen werdet ihr in jenem Gebiet keine Schwierigkeiten mehr haben. Braucht ihr sonst noch was?“ „Nein, wenn du uns nur diese Geschichte regelst.“ „In Ordnung, Sal. Aber ich habe ein Problem, das ihr mir abnehmen könnt. Ich brauche im Tropic Plaza Hotel in Miami Unruhe unter der Belegschaft und einen Streik. Außerdem möchte ich, daß sich ein Kerl namens Morrie Unger, er ist einer der Hauptaktionäre, bereit erklärt, seine Anteile der Tropic Hotels an eine Person zu veräußern, deren Namen ich dir noch geben werde. Ein Strohmann für Ascot.“ „Ich dachte, wir sollten uns um solche Sachen nicht mehr kümmern.“ „In diesem Fall schon. Mr. Unger ist kaum das, was man als seriösen Geschäftsmann bezeichnet, und hat viele Gründe, die Justizmaschinerie nicht in Gang zu setzen.“ „Wie weit sollen wir gehen?“ „Ich brauche diese Anteile. Genügt dir das?“ „Du wirst sie kriegen, Charlie.“ „Noch was, Sal.“ „Ja?“ „Weißt du, wo Augie Falconi zu finden ist? Da rennt einer meiner Tochter Elda nach, er nennt sich Tony Falcon. Ich vermute, er ist Augies Sohn.“ „Und was soll ich dabei tun?“ „Gib Augie nur zu verstehen, es paßt mir nicht, daß sich sein Sprößling mit meiner Tochter trifft. Morgen kommt er sie besuchen. Ich möchte, daß er ihr manierlich Lebewohl sagt und nie mehr auftaucht.“ „Der Junge taugt nichts, wie?“ -93-
„Vielleicht ist er durchaus annehmbar, ich weiß es nicht. Aber ich will einfach nicht, daß er sich an meine Tochter anschmeißt.“ Cervis Stimme wurde weich. „Hör zu, Sal, ich möchte vermeiden, daß meine Familie auf irgendeine Weise mit unseren Kreisen in Beziehung gebracht werden kann. Vielleicht macht sich dieser Tony Falcon, oder wie er heißt, an meine Tochter nur heran, weil er sich davon eine Hebung seines Lebensstils verspricht. Aber er ist gewandt, sieht gut aus, der Typ, der den Mädchen den Kopf verdreht. Ich will, daß er aus Eldas Leben verschwindet, bevor sie sich in ihn verliebt.“ „Morgen wird der Knabe Abschied nehmen“, erklärte Sal sehr entschieden. „Gut. Und Kenney wird von seinem bisherigen Distrikt Abschied nehmen müssen. - Bring mich jetzt wieder zurück. Den nächsten Treff vereinbaren wir wie gewohnt.“
-94-
11 Detektiv 1. Klasse Pat Kenney schnallte die Lederhalfter um den rechten Knöchel und zog den Socken über den .38Revolver. Dann strich er die Hose glatt und stand auf. Er war bereit für einen der beiden anstrengendsten und deprimierendsten Tage des Monats im 81. Revier im Brooklyner Slumviertel Bedford-Stuyvesant. Am Vorabend war er wie alle seine Kollegen zeitig zu Bett gegangen, um für die bevorstehenden Strapazen ausgeruht zu sein; Polizisten mußten nun mit vierundzwanzigstündigem, fast pausenlosem Einsatz rechnen. Denn es war “Muttertag“, einer der beiden Tage pro Monat, an denen die Wohlfahrtsunterstützung ausbezahlt wurde und die Kriminalität Spitzen erreichte. „Klar zum Gefecht“, murmelte Kenney und betrat das Wohnzimmer des großen, in einer guten Gegend gelegenen Apartments, das er mit Tom Henry teilte, dem Journalisten und Autor, der kürzlich ein Buch über Kenneys sensationelle Leistungen als eines der Asse im Rauschgiftdezernat der New Yorker Polizei geschrieben hatte. Noch bevor dieser Band erschienen war, kam es in der Dienststelle zu geheimnisvollen Reorganisationen und Umschichtungen. Pats alter Boß, der Chef des Dezernats, wurde in ein obskures Revier im Stadtteil Queens versetzt, auch die fähigsten Beamten wurden einer nach dem anderen ausgetauscht, bis im Dezernat nur mehr unerfahrene Nachwuchskräfte übrigblieben, die nicht einmal den Unterschied zwischen einem „5-Dollar-Pop“, der gängigen Heroinpackung, und einem Zuckersack kannten. „Die Mafia war noch nie besser dran. Jeder macht jetzt in Drogen“, hatte Kenney zu seinem Freund gesagt, dem es aus unerklärlichen Gründen nicht gelingen wollte, bei irgendeiner Zeitung eine Reportage über die faktische Auflösung des Rauschgiftdezernats unterzubringen. -95-
Kenney machte sich eine Tasse Löskaffee und aß einen Teller voll Cornflakes. Nach der Party, die Tom am Vorabend für einige Kollegen gegeben hatte, glich die Küche einem Schlachtfeld. Kenneys Gedanken drehten sich um die Tatsache, daß er auf die Dauer unbedingt eine eigene Bleibe finden müsse. Als er sich von seiner Frau getrennt hatte, nachdem er draufgekommen war, daß sie es mit einem Italiener hielt, den Pat als Mafioso kannte, hatte sich Tom erbötig gemacht, den geschiedenen Kriminalbeamten bis auf weiteres aufzunehmen. Das war vor sechs Monaten. Pat wußte, daß er sich bei seinen finanziellen Möglichkeiten keine so komfortable Wohnung leisten konnte, deshalb hatte er die Suche nicht forciert, sondern eher verzögert. Doch zumindest hatte er Tom während der Zeit zu einigen guten Reportagen anregen können. Der Detektiv verbrachte weitere zehn Minuten damit, die Küche sauberzumachen, dann ging er zu seinem Wagen hinunter und fuhr los. Von der angenehmen Wohngegend Tom Henrys bis zum Elendsbezirk Bedford-Stuyvesant brauchte man eine halbe Stunde. Der Dienst im Revier kotzte ihn an, um so mehr, wenn er daran dachte, wie er einst zusammen mit seinem Partner Vic Gatto völlig nach eigenem Ermessen vorgehen konnte, ohne Einschränkungen. Sie hatten Spuren durch ganz New York verfolgt, wie es sich eben ergab. Ja, das waren noch Zeiten. Nun aber diente er nur mehr stur seiner Pensionierung entgegen. Er und Vic, sie beide hatten manchmal achtundvierzig Stunden ununterbrochen gearbeitet, um eine wichtige Verhaftung durchzuführen. Kenney begriff noch immer nicht, wieso es zu dieser Wendung gekommen war. An einem Tag “Super-Cop“, so nannte ihn die Presse damals, Hauptgestalt eines der tollsten Bücher der letzten Jahre, von einem der bekanntesten Autoren der USA - und am nächsten Tag zu der degradierendsten Tätigkeit abgeschoben, die es für einen Polizeibeamten seines Ranges und seiner Fähigkeiten gab. Und wo war Vic gelandet? In irgendeinem Winkel von Harlem. -96-
Heute würde er aus nächster Nähe jene Tragödie miterleben, welche eine Folgeerscheinung der Zerschlagung des Suchtgiftdezernats war. Wie viele Todesfälle durch Überdosis dieser Tag wohl bringen mochte? Junge Leute, die in desolaten Hippie-Quartieren aufgefunden wurden, noch mit den Spritzen im Arm. Da alle erfahrenen Drogenspezialisten des Polizeiapparates durch blutige Anfänger ersetzt wurden, änderten sich die Taktiken des Rauschgifthandels. Die Informanten, die sich an die ihnen seit langem persönlich bekannten Detektive hielten, verschwanden von den Straßen. Die Neulinge bekamen keine Hinweise, sie tappten im Dunkeln und wußten nicht, wie man “Pushers“ schnappte. Kein Wunder, daß nun wirklich jeder “in Stoff machen“ konnte. Rotznasen, die bisher bloße Laufburschen der “Branche“ gewesen waren, kauften plötzlich in eigener Regie Heroin, das sie selbst in Pops verpackten und mit großem Profit verhökerten. Leider hatten sie keine Ahnung von diesem Geschäft und verwendeten bei der Aufbereitung der reinen Substanz entweder unreine Ingredienzen oder verkauften das Zeug in zu hochprozentigem Zustand. Wenn es die Süchtigen in die Blutbahn injizierten, starben sie entweder sofort, weil die Dosis für den Organismus zu stark war, oder sie siechten an Infektionen und Vergiftungen dahin. Kenney parkte seinen Wagen vor dem alten, verschlampten Gebäude. In stillem Grimm, jene Mächte verfluchend, die so verblendet waren, das Rauschgiftdezernat auszuschalten, betrat er das 81. Revier. Es war punkt neun Uhr. Die Postboten konnten bereits unterwegs sein. Im Detektivzimmer erwartete er seinen Partner. Carlos war Puertoricaner, ein guter, hochanständiger Kerl, und seit er mit Pat Kenney fuhr, hatte er sich zu einem recht brauchbaren Kriminalisten entwickelt. Körperlich war er viel kräftiger und größer als seine Landsleute, die sie täglich aufgriffen, manchmal in Trance, noch mit den Injektionsspritzen in der Haut steckend. Das beste an diesem -97-
beschissenen Tag war noch das Wetter, dachte Pat. Angenehme milde Temperatur, gerade richtig, wenn man auf der Straße zu tun hatte. Er ging ins Büro des Revierleiters, um mit George Reilly zu plaudern. Der Captain, ein Veteran der “harten“ Bezirke, las soeben Meldungen durch. Als Kenney eintrat, blickte er auf und lächelte ihm freundlich zu. „Hallo, Pat. Wir haben diesmal weniger Verhaftungen als im letzten Monat.“ „Scheiße, ich kann nicht den ganzen Tag Leute hoppnehmen. Der ganze Papierkram, dann die halbe Nacht bei der Verhandlung, und zuletzt ist der geschnappte Sportsfreund schon wieder draußen und verscherbelt weiter Stoff, bevor ich noch seinen Fall abgeschlossen habe.“ „Selbst wenn ihn der Richter gehen läßt, wird uns die Verhaftung zumindest angerechnet.“ „George, ich mache dir einen Vorschlag: heute liefere ich dir zehn Kunden, dafür nehme ich mir morgen frei. Ich habe Tom versprochen, daß ich ihm bei den Vorarbeiten zu seinem neuen Buch helfe.“ „Fünf würden mir schon genügen.“ Reilly strahlte seinen besten Mann an. Zuerst war es ihm gar nicht geheuer gewesen, daß man ihm einen so berühmten Cop zuteilte. Aber er wurde angenehm überrascht. Kenney hatte wohl die typischen Eigenschaften der Iren, Hitzköpfigkeit, Trinkfestigkeit und eine gewisse Renommiersucht, doch man kam gut mit ihm aus. Sie freundeten sich rasch an. Kenney war ein harter, kompromißloser, durch und durch sauberer Polizist. Captain Reilly hielt sich vor seinen Kollegen, den anderen Revierchefs, viel darauf zugute, daß er mit jenem Beamten zusammenarbeitete, der den größten Heroin-Coup der Geschichte gelandet hatte. Carlos, der Puertoricaner, steckte den Kopf durch den -98-
Türspalt. Reilly bedeutete ihm, hereinzukommen. „Okay, Rivera, ich erwarte mir von Ihnen und Kenney einen großen Tag.“ „Wir werden uns bemühen, Sir,“ „Ich gebe euch Mr. Carrera bei. Er ist Postinspektor. Wir haben nämlich den Verdacht, daß manche Postboten die Unterstützungsanweisungen verkaufen.“ „Wir sausen gleich los, Carlos.“ Der muskulöse Schwarzhaarige verließ den Raum, Kenney aber ging behutsam um den Schreibtisch herum. Er wollte einen Blick auf die Blätter werfen, die vor dem Captain lagen. Heute war der Erste, und Reilly war eben dabei, die Tätigkeit der uniformierten Polizisten und der Detektive während des Vormonats zu bewerten. Er ließ die Formulare ruhig an ihrem Platz, als Kenney die Liste durchlas. Natürlich stand sein eigener Name an oberster Stelle der Verhaftungszahlen. Er überflog die Kolonne, um zu sehen, welche Beamten unter ihrer Quote lagen. Es waren insgesamt sechs. „In Ordnung, George, ich liefere dir die Verhaftungen. Und bevor der Tag um ist, werde ich den Leuten, die ihr Soll nicht erfüllt haben, auch was verschaffen.“ Als Pat hinausging, traf er auf zwei solche Beamte. „Also, Shaugnessy und Fuentes, seid in einer Stunde an der Ecke Atlantic und Siebente. Ich bringe jedem von euch einen “Kunden“, und dann könnt ihr den Rest des Tages Papierkrieg führen. Ihr beide habt euch im letzten Monat nicht sehr ausgezeichnet.“ Verlegen dankten sie ihm. Um Kenneys Fähigkeit, unbegrenzt Verhaftungen von Süchtigen, Verteilern und Händlern samt Belastungsmaterial durchzuführen, rankte sich ein legendärer Ruf. Dann sah Pat kurz in den Bereitschaftsraum, wo sich die uniformierten Polizisten zur Runde fertigmachten. Dort fand er die vier anderen, die im Rückstand waren, und sagte ihnen, wo -99-
sie in zwei Stunden sein sollten, um je mindestens zwei Kriminelle zu schnappen. Schließlich fuhr er mit Carlos und dem Postinspektor Carrera in einem Streifenwagen los, um das Revier durchzukämmen. Carlos saß am Steuer, Kenney neben ihm und Carrera, der jeden auftauchenden Postboten genau musterte, auf dem Rücksitz. Nach einigen Minuten wandte sich Kenney zu ihm. „Die Leute kommen nur aus einem einzigen Grund aus den Notstandsgebieten der Südstaaten hierher: um die Wohlfahrtsunterstützung zu beziehen. Jeden Monat sind es ein paar Tausend mehr, direkt von den Baumwollplantagen oder woher sie sonst stammen mögen. Das ist der Unterschied zwischen diesem Viertel und Harlem. Dort sind die Familien schon zwei oder drei Generationen lang ansässig, bereits eingewurzelt und etwas gebildeter, wenn man es so nennen kann.“ „Das ist ein interessanter soziologischer Aspekt“, bemerkte der Postinspektor. „Hier gibt es praktisch nur Wohlfahrtsfälle“, sprach Kenney weiter. „Haben Sie eine Ahnung, wieviel Geld an jedem “Muttertag“ in Anweisungen nach Bedford-Stuyvesant gebracht wird?“ Carrera verneinte stumm. „Na, George Reilly und ich, wir versuchten es einmal in einer stillen Stunde auszurechnen. Bei einer Durchschnittssumme von 130 Dollar pro Anweisung und einer Bevölkerung von rund 50.000 Personen ergab das nach unseren Schätzungen eine glatte Dreiviertelmillion, die Ihre Postboten abzuliefern haben.“ „So habe ich es noch gar nicht betrachtet“, sagte Carrera sehr beeindruckt. Kenney behielt ununterbrochen die Gehsteige im Auge, auf denen es von Negerinnen wimmelte, die sich um die Briefkästen in den Eingängen der tristen, verdreckten Zinshäuser drängten. „Langsamer!“ zischte Carrera plötzlich. Carlos bremste elegant. -100-
„Seht euch das an!“ rief der Inspektor. Ein Postbote übergab einer Gruppe von Frauen die Anweisungen, Kinder tollten um die Beine ihrer Mütter. „Das verstößt gegen alle Vorschriften“, sagte Carrera streng. „Aber wenn er die Schecks in die Briefkasten wirft, können sie gestohlen werden, selbst wenn die Weiber dabeistehen.“ „Wie weiß er denn, daß er die Sendungen den richtigen Adressaten zustellt?“ fragte Carrera, der Eintragungen in sein Notizbuch machte. Kenney zuckte die Achseln. „So geht es in jedem Block zu.“ Er blickte geradeaus auf die Straße, denn er hatte einen jungen Schwarzen entdeckt, der sich rasch in eine der Mietkasernen drückte. „Gib weniger Gas, Carlos“, befahl Pat. Der grüne Streifenwagen ohne Aufschriften und Abzeichen rollte im Schneckentempo weiter. „Stop!“ Kenney sprang heraus, war mit wenigen langen Sätzen beim Haustor, vor dem seltsamerweise keine Frauen standen, und riß die Tür auf. Der schlanke gelenkige Negerjunge rannte bereits die Treppe hoch, aber der Detektiv holte ihn mit Leichtigkeit ein, packte ihn, stieß ihn vor sich her wieder die Stufen hinab und drängte ihn im Polizeigriff zum Tor. „Was machst du hier?“ „Ich wohne da.“ Angstvoll rollte der Schwarze die großen Augen. „Wo denn?“ Schweigen. „Zeig mir deinen Ausweis.“ „Den hab ich zu Hause gelassen, damit ich ihn nicht verliere.“ „Ach so? Dann gehen wir in deine Bude.“ Kenney drehte ihm den Arm um, daß der Junge vor Schmerz aufschrie. „Los!“ Unsicher ging der Neger wieder die Treppe hoch, Pat dicht hinter ihm. In der 2. Etage blieb der Junge verlegen vor einer Tür stehen. „Da ist es?“ -101-
„Ich glaube...“ „Du glaubst?“, schrie ihn der Detektiv an. „Weißt du nicht, wo du wohnst?“ „Doch, hier.“ Kenney klopfte an. Keine Antwort. „Hast du einen Schlüssel?“ „Wir haben nur einen, und den hat meine Mutter.“ Kenney schlug wieder an die Tür, schließlich näherten sich von drin scharrende Geräusche. Zögernd wurde geöffnet. Zuerst sah der Detektiv niemanden. Er drückte sich flach an die Wand, zum Zuschlagen bereit. Doch als er hinunterblickte, stand da im Spalt ein Negerknirps, der die großen weißen Augäpfel zu ihm hob. „Wo ist deine Mutter?“ fragte Kenney. „Weiß nicht“, piepste es leise. Kenney ging in die Hocke, nun waren ihre Gesichter auf gleicher Höhe. „Sag mir, Kleiner, wo ist denn deine Mammi? Ich möchte nur mit ihr reden.“ Er sprach sehr freundlich. „Mammi holt ihren Scheck. Dann geht sie einkaufen. Dann geht sie zum Hausherrn, Miete bezahlen.“ Er sagte es auf wie eingelernt. „Dann geht sie zur Polizei und sagt, der Scheck ist gestohlen. Dann kommt sie heim.“ Trotz der Trostlosigkeit dieses Milieus mußte Kenney laut auflachen. Im Polizeirevier würden sich die Unterstützungsempfänger bald anstellen, um den Verlust ihrer Anweisungen zu melden. In solchen Fällen wurden die Einzelheiten des angeblichen Diebstahls aufgenommen und an die zuständige Behörde der sozialen Verwaltung weitergeleitet, die am nächsten Tag einen neuen Scheck zusandte. “Bestohlene“ hatten die Möglichkeit, bei Entwendung dreimal pro Jahr ohne jegliche amtliche Nachforschungen den Betrag ersetzt zu bekommen. Bei Wiederholung wurden, mehr pro -102-
forma, gewisse Erhebungen durchgeführt, aber wenn ein Wohlfahrtsempfänger nicht gerade dauernd als armes Opfer auftrat, verfuhr man recht großzügig und bezahlte den Schaden. Kenney richtete sich auf, faßte den Burschen beim Nacken und schob ihn vor, damit ihn der Kleine sehen konnte. „Kennst du den da?“ fragte er. „Hast du ihn hier schon gesehen?“ „Nein, Sir. Den kenn ich nicht“, meinte der Knirps. Der Detektiv drehte den jungen Neger herum. „Behauptest du noch immer, daß du hier wohnst?“ „Ich glaube, ich habe mich in der Tür geirrt.“ Ohne ein weiteres Wort schleppte Kenney ihn zum Eingang hinunter. „Du mieser, heimtückischer Grapscher. Du hast auf den Postboten gewartet, sonst nichts.“ „Ich hab mein Lebtag nichts gestohlen.“ „Schon gut, raus auf die Straße.“ Mit einem wuchtigen Stoß beförderte ihn Kenney zur Tür, die aufsprang, schreiend stolperte der junge Schwarze hinaus, über den Gehsteig bis auf den Asphalt. Als er vor dem anrollenden Verkehr zurückwich, ragte vor ihm die Hünengestalt des Detektivs auf, der rote Haarschopf wehte im Wind. „Wenn du dich nochmals in meinem Revier blicken läßt, dann buchte ich dich ein, und du kommst nie mehr aus dem Knast raus. Verstanden?“ „Ja - jawohl, Sir.“ Eilig machte sich der Junge davon. Wieder im Wagen, sagte Kenney kopfschüttelnd: „Ich weiß gar nicht, warum ich mich so aufrege. Dieses Ungeziefer läßt sich doch durch nichts abhalten. Die Rotznase dort wird todsicher ein paar Schecks mausen, bevor der Tag um ist.“ Er blickte auf die Uhr. „Okay, holen wir uns jetzt ein paar schwärzere Vögel.“ In dem Moment, als Carlos starten wollte, fuhr ein Taxi vorbei. Der Lenker war ein Weißer, hinten saßen drei Neger. „Die haben etwas“, stieß Kenney hervor. „Ihnen nach!“ -103-
Carlos gab Gas und schaltete die Sirene ein. Das Taxi fuhr an den Gehsteig und hielt, Carlos stoppte knapp dahinter. Wieder sprang Kenney heraus, rüttelte an der Taxitür und rief den dreien zu, sie sollten aussteigen. Carlos baute sich auf der anderen Seite auf, gerade rechtzeitig, um zu sehen, daß einer der Neger rasch etwas hinter den Sitz schob. „Raus mit euch. Hände hinter die Köpfe“, befahl Kenney. „so, jetzt hüpft mal schön, hüpft, ihr Halunken.“ Die drei Neger begannen auf der Stelle zu trippeln, eine Maßnahme, um zu verhindern, daß sie sich wehren konnten. „Durchsuch den Wagen, Carlos.“ „Da ist schon was“, rief der Puertoricaner, der sofort hinter den Rücksitz gegriffen hatte. Er zog zwei Plastikpäckchen hervor, dann noch zwei. „Sieht ganz nach Heroin aus.“ Mittlerweile visitierte Kenney die drei Schwarzen. Da er nichts Belastendes fand, befahl er ihnen, wieder ins Taxi zu steigen. „Okay, Freund, und jetzt fahren Sie zur Ecke Atlantic und Siebente“, sagte er zum Lenker. „Wir folgen euch. Ihr Schlitten war “dreckig“, wie ich vermutete.“ „Hören Sie, Chef, ich kann nichts dafür, wenn die Brüder was mithaben“, wandte der Mann ein. „Das Zeug war in Ihrem Wagen, nicht an den Personen“, betonte Carlos. „Tun Sie, was wir sagen, dann sind Sie fein raus. Ich habe gesehen, wie einer von denen das Heroin verschwinden ließ.“ „So, ihr Junkies, ab die Post!“ donnerte Kenney. Eingeschüchtert stieg das Trio ein. „Wir bleiben euch auf den Fersen“, sagte Kenney drohend. „Ich verspreche, daß ich euch zur Sau mache, wenn ihr Schwierigkeiten macht!“ Langsam rollte das Taxi zu dem nahen Punkt, wo ein Polizeiauto parkte. Die beiden uniformierten Beamten, die drin saßen, grinsten über das ganze Gesicht, als sie bemerkten, wie Kenney ihnen den Wagen zutrieb. -104-
„So, Shaugnessy und Fuentes, da habt ihr zusammen drei Verhaftungen auf euer Konto“, sagte der Detektiv großmütig. Er reichte einem der beiden die Heroinpäckchen. „Wir haben das Taxi nicht genau durchsucht. Vielleicht ist noch was drin versteckt. Diese Kerle sind am “Muttertag“ nicht wegen der guten Luft nach Bedford-Stuyvesant gekommen. Die wollten warten, bis die Schecks eingelöst sind und die Süchtigen sich nach Stoff umsehen - und das machen ja alle Neger in dieser Gegend.“ Pat Kenney und Carlos Rivera fuhren weiter. Vom Rücksitz fragte Carrera: „Wieso wußten Sie, daß die drei verdächtig waren?“ „Keine Ahnung“, antwortete Kenney versonnen. „Jeder will das von mir wissen. Ich habe eben sowas wie eine Erleuchtung. Natürlich ist es auch nicht ganz alltäglich, daß drei Neger hier in einem Taxi herumkreuzen, noch dazu mit einem Weißen am Steuer.“ Carlos fuhr ins eigentliche Revier zurück, Kenney beobachtete scharf die Scharen, die auf den Gehsteigen zu den Banken unterwegs waren. Jedes Geldinstitut, an dem sie vorbeikamen, war gesteckt voll mit Wohlfahrtsempfängern, die ihre Schecks einlösten. Schließlich ließ Kenney vor einem Realitätenbüro halten. Neger gingen dort aus und ein. „Das ist Modalinos Laden“, erklärte der Detektiv. „Er honoriert gestohlene Schecks zu dem Satz von 50 Cents pro Dollar. Verlorene Zeit und Mühe, ihn zu verhaften. Wenn ich ihn jetzt fasse, ist er schon wieder frei, während ich noch die Formulare ausfülle.“ „Haben Sie hier je Postboten gesehen?“, fragte Carrera interessiert. Kenney lachte. „Falls einer von Ihren Leuten Schecks stehlen sollte, wäre er klug genug, sich nicht mit Modalino zu zeigen.“ Nun fuhren sie durch eine Einbahnstraße. Rechts vorne parkte -105-
ein großer Laster samt Anhänger. Dahinter sahen sie zwei Neger dahinschlendern. „Schaut, wie dieser Saftsack geht!“ rief Kenney heiser. „Der hat gerade ein frisches Quantum intus. Fahr weiter, Carlos. Ich steige auf dieser Seite aus. Du fährst an ihnen vorbei. Wenn sie dich sehen, schnappe ich sie.“ Rivera ließ den Wagen langsam weiterrollen, während Kenney seine Tür öffnete. Hinter die Windschutzscheibe geduckt glitt er auf die Straße. Er deckte sich hinter dem Laster, vom Gehsteig aus war er unsichtbar. Carlos beschleunigte das Tempo und tauchte plötzlich vor den beiden Negern auf. Einer der beiden erblickte das grüne Auto, doch statt auf Riveras Anruf stehenzubleiben, begann er zu laufen. Im Rennen griff er in die Tasche und schob etwas in den Mund. Da schnitt ihm Kenney, der hinter dem Laster hervortrat, den Weg ab. „Halt!“, rief der Detektiv. Aber der Schwarze rannte wie gehetzt. Ruhig pflanzte sich Kenney vor ihm auf und versetzte ihm einen Kinnhaken, der ihn umwarf. Kenney packte den Benommenen, hievte ihn hoch und traf ihn nochmals am Kinn. Diesmal öffnete der Überrumpelte den Mund, und der Detektiv zog vier vom Speichel glitschige Plastikpäckchen heraus. In diesem Moment wich der Neger aus, schmiß sich flach auf den Gehsteig, rollte sich unter den geparkten Laster und kroch auf der anderen Seite wieder hervor. Carlos hatte schon gewendet, bremste dicht neben ihm, sprang aus dem Wagen, balgte mit dem Süchtigen, brachte ihn zu Fall und befahl ihm einzusteigen. Der Neger weigerte sich unter wüsten Beschimpfungen gegen die Beamten. Kenney kam heran und hielt ihm die Päckchen vors Gesicht. „Schluß jetzt, wir haben dich mit dem Zeug erwischt. Du solltest froh sein, daß ich dich den Dreck nicht habe schlucken lassen. Weißt du, was ich dann getan hätte? Ich hätte dich eingelocht, und du wärst im Käfig geblieben, bis du alles wieder herausgeschissen hättest, und der Chemiker hätte es analysiert. Du würdest mindestens fünf Jahre für den Besitz von Rauschgift kriegen, und weitere fünf für den Versuch, -106-
Beweismaterial zu vernichten.“ Nun ging Kenney mit dem Mann ein Stück weg vom Auto, sie kamen zum Ende des Häuserblocks und bogen nach links ab. Ganz ruhig sprach der Detektiv mit dem Süchtigen unter vier Augen, plötzlich war er der freundliche Cop, der sich um die Menschen seines Reviers kümmert. „Ich möchte nicht mehr in den Knast, Mr. Kenney. Das schwöre ich Ihnen.“ „Eben. Wäre doch schade. Ich würde dir ja gern helfen.“ „Könnten Sie mich nicht dies eine Mal laufen lassen?“ Kenney überlegte mit gefurchter Stirn, dann schüttelte er den Kopf. „Ich weiß nicht recht. Was könntest du für mich tun?“ „Das - das weiß ich auch nicht, Mr. Kenney.“ „Du hast dir doch gerade irgendwo was geholt“, begann Kenney lauernd. Carlos war um den Block gefahren und näherte sich den beiden. Kenney seufzte, sichtlich resignierend. „Also komm mit“, sagte er. „Bitte, Sir, nur diesmal. Ich schwöre beim Leben meiner Mutter, ich werde es nicht mehr tun.“ „Wieviel “schießt“ du jetzt?“ fragte Kenney mitfühlend. „Etwa vier pro Tag.“ „Dann wirst du's wieder tun.“ „Nicht in Ihrem Revier, Mr. Kenney.“ Der Detektiv öffnete die Tür und schob den Neger hinein, neben den Postinspektor. „Fahren wir, Carlos.“ „Vielleicht könnte ich Ihnen helfen, wenn Sie mich laufen lassen“, stammelte der Süchtige. „Kennst du ein Versteck?“ „Lassen Sie mich gehen, ich finde eines, ganz bestimmt!“ „Na gut. Bleib stehen, Carlos.“ Der Wagen stoppte am -107-
Randstein. „Ruf mich in der Station an, wenn du was hast.“ „Jawohl, Sir. Sie hören bald von mir, Sir“, beteuerte der Neger glücklich. Im Nu war er draußen. Einen Moment zögerte er noch und warf Kenney einen fast flehenden Blick zu. Er schien noch etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er sich um und ging. Carlos startete wieder. „Hätte grade noch gefehlt, daß mich der Kerl bittet, ihm seinen Stoff zurückzugeben“, murrte Pat. „Das tun die meisten, wenn ich ein Auge zudrücke. Falls er mir gute Informationen liefert, kriegt er zehn Dollar, dann kann er sich versorgen, bevor er verrückt wird.“ Während der Fahrt blickte sich Kenney zum Postinspektor um. „Ja, mein Herr, das hier ist ein grauenhafter, gnadenloser Dschungel.“ „Wie könnte man mit dem Rauschgifthandel auf den Straßen gründlich aufräumen?“, fragte Carrera sehr ernst. „Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf, aber man rennt gegen Wände. Diese Ganoven, die ich Shaugnessy und seinem Kollegen übergeben habe, werden schon wieder auf freiem Fuß sein. Wir hatten keinen Durchsuchungsbefehl, deshalb ist der Stoff, den wir fanden, nicht als Beweismaterial zugelassen. Was soll ich tun? Soll ich zu einem Verdächtigen sagen: ,Warte hier, bis ich mit dem Durchsuchungsbefehl zurückkomme und dich verhaften kann’? Drogenhandel ist das einträglichste illegale Geschäft in New York, weil es dabei nur die geringsten Risiken gibt. Jedesmal wenn dieser senile alte Knacker im Obersten Gerichtshof den Mund aufmacht, profitieren nur die Großverteiler und die kleinen Verschleißer davon und lachen sich eins. Ich möchte, daß einer dieser Herren, die hochgestochene Entscheidungen am grünen Tisch treffen, einmal so einen “Muttertag“ bei uns mitmachen müßte. Auf die eine oder andere Weise wird das organisierte Verbrechen bis zum Wochenende mehr als die Hälfte aller -108-
Unterstützungsbeiträge kassiert haben, welche die Stadtverwaltung aufwendet. Und wir können die Dreckskerle nicht packen. - Na ja, noch zehn Monate, dann trete ich mit drei Vierteln der Pension in den Ruhestand. Meine zwanzig Jahre würde ich auf keinen Fall für die vollen Ruhebezüge abdienen.“ „Was jetzt, Pat?“, fragte Carlos. „Ich habe den anderen Blauen auch noch einen “Kunden“ versprochen, dann machen wir Pause.“ Als sie dahinfuhren, fielen Kenney zwei junge Neger in sehr modisch geschnittenen Hosen und auswattierten Jacken auf. „Die haben was“, murmelte er. Rivera flitzte heran, und Kenney sprang heraus. „Hände auf die Köpfe und keine Bewegung!“ Die Schwarzen blieben ruhig stehen, während Kenney sie durchsuchte. Beim ersten fand er nichts Belastendes und wandte sich dem anderen zu. Der hatte am Gürtel ein Sonnenbrillenfutteral festgeklemmt. Kenney nahm es, sah hinein, klappte es zu und warf es ins offene Wagenfenster. „Aha, “Werkzeug““ konstatierte er sachlich. „Los, rein, ihr beide.“ „Ich habe nichts getan“, beteuerte der erste. „Du bist in Begleitung eines Mannes angetroffen worden, der “Werkzeug“ bei sich hat. Das macht dich zum Mitschuldigen. Steigt ein.“ Als die Neger im Wagen saßen, betrachtete Carrera den Inhalt des Futterals: Nadel, Pipette und ein kleines Pfännchen, alle Utensilien, um das Heroin aufzukochen und dann zu injizieren. Fünf Minuten später lieferte Pat die beiden bei der Streife ab, die Polizisten bedankten sich überschwenglich. „Eine beschissene Aufgabe am Ende meiner Dienstzeit, daß ich nun dem Revier helfen muß, seine monatliche Quote von Anhaltungen zu erfüllen. Ich sollte hinter den Drahtziehern her sein, die das Zeug pausenlos ins Land schleusen.“ -109-
„Was wird überhaupt gespielt, Mr. Kenney?“, fragte Carrera. „Wer weiß das schon? Wenn der “Mob“ an einen der engsten Mitarbeiter des Bürgermeisters von New York herankam, warum sollten die Gangster dann nicht auch andere bestechen und in Korruptionsaffären verwickeln können? Wir wissen nur, daß das Rauschgiftdezernat sehr gut funktionierte, zu gut. Durch die großen Gegenaktionen, die uns gelangen, hatte das organisierte Verbrechen jährlich Einbußen, die in die Millionen gingen. Obwohl die meisten der Bosse letzten Endes ungeschoren blieben, haben wir zumindest kräftig Sand ins Getriebe des Verteilerapparates gestreut. Dann wurde gegen einige unserer Leute intrigiert, der Polizeipräsident stellte sich nicht hinter sie, und die Folge: kein Suchtgiftdezernat mehr. Jetzt können sich alle aus unserem Team auf ähnliche Weise nützlich machen wie ich...“ Im Stationsgebäude ging Kenney ins Obergeschoß. Es war fast Mittagszeit. Er traf Captain Reilly noch an. „George, falls du uns suchst: Carlos und ich sind auf ein Sandwich bei Bailey drüben.“ „Aha. Und ich wette, auch auf einige Whiskies.“ „Jeder Knülch in diesem Revier ist von irgendwas high. Es hilft mir, die Kerle besser zu verstehen, wenn ich mir auch einen kleinen Trip leiste - auf meine Art eben.“ Ein Uniformierter trat ein. „Detektiv Kenney, ein Anruf für Sie. Anscheinend einer Ihrer Informanten.“ Pat schlenderte zum Schreibtisch und hob den Hörer. „Hallo?“ „Mr. Kenney, hier Albert. Ich habe Ihnen versprochen, daß ich mich melde. Da sind zwei Typen, die spielen in Bushwick und Maple Schach. Das Versteck ist vielleicht zwei Meter weiter, unter einem Drahtzaun, dort, wo ein Stück am Boden weggerissen ist.“ „Danke, Albert. Wir holen uns den Zinnober, und du kriegst -110-
zwanzig Dollar, damit bist du für heute fein heraus.“ Er legte auf, „Carlos, wir müssen nochmals ran.“ Bald danach hielt der Wagen an der Ecke Bushwick Street Maple Street. Und richtig, zwei ältere Neger spielten dort Schach, und dahinter war ein Drahtzaun, der ein leeres Grundstück vom Gehsteig trennte. Einige jüngere Schwarze kiebitzten, andere kamen vorbei, blieben kurz stehen und gingen weiter. Kenney und Rivera pirschten sich heran. Während Carlos sich interessiert über die Schachspieler beugte, trat Pat zum Zaun. Ganz bewußt ignorierten die beiden die Polizeibeamten. Kenney fand das Loch, griff hinein und wühlte im abgelagerten Müll. Seine Finger ertasteten einen Papiersack, den er hervorzog und öffnete. „Ja, was haben wir denn da?“ rief er erfreut. „Kleine Plastikbeutel!“ Gebückt grub er tiefer. Diesmal förderte er eine rotweiße Brotverpackung zutage, auch sie voller Päckchen. Er richtete sich auf und zählte die Ausbeute, die Spieler ließen sich scheinbar nicht stören. „Obacht, er schnappt Ihnen die Königin weg. Warum so zerstreut?“, sagte Carlos zu einem der beiden. „Dreißig!“, rief Kenney seinem Partner zu. Er ging zum Streifenwagen, warf den Fund auf den Vordersitz und kam wieder zurück. „Aufstehen!“ befahl er barsch. Der eine gehorchte, Kenney begann mit der Leibesvisitation. Als er bei der Brieftasche angelangt war, zählte er die hineingeknüllten Fünfdollarnoten. „Wie ich sehe, hast du also heute bisher zwanzig Fünfdollarpops verhökert.“ Dann knurrte er den anderen an. „Aufstehen, habe ich gesagt, das gilt auch für dich.“ Mittlerweile hatten sich die Zuschauer rasch aus dem Staub gemacht. „Ihr kommt mit.“ -111-
„Wir haben nichts getan, was eine Verhaftung rechtfertigen würde“, entgegnete der ältere der beiden Neger unschuldig und sehr formell. “Verhaftung rechtfertigen. Scheiße!“ brüllte Kenney. „Steigt ein, bevor ich euch die Skalps striegle!“ „Diese Anpöbelungen brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen, wir haben kein Gesetz übertreten“, sagte der Wortführer. „Ach so? Und wie nennt ihr den Heroinverschleiß an Süchtige, die ihre Frauen, Mütter oder Freundinnen sofort um die Sozialunterstützung erleichtern?“ „Wir haben nur hier im Freien Schach gespielt - „ „Los, einsteigen“, murrte Kenney drohend. Er packte den Widerspenstigen beim Arm, öffnete mit der einen Hand die Tür zum Rücksitz und stieß den Neger mit solcher Wucht hinein, daß er in einem unfreiwilligen Hechtsprung auf den Boden prallte. Dann drehte sich der Detektiv nach dem zweiten um. „Brauchst du auch erst eine besondere Einladung?“ Bevor der Schwarze antworten konnte, umschloß Kenneys Pranke seinen Ellbogen. Der Mann jaulte vor Schmerz laut auf und ließ sich willig in den Fond schieben. Carlos fuhr zum Revier zurück, wo Pat die beiden Verhafteten ablieferte. „Die Kerle strotzen von Fünfdollarscheinen. Schade, daß das nicht als Beweis gilt.“ Ein Negersergeant setzte sich an die Schreibmaschine, um die Daten aufzunehmen. Kenney ging in Captain Reillys Büro und berichtete ihm über den Fang. „Die Brüder haben den ganzen Vormittag Stoff aus ihrem Versteck verkauft.“ „Hatten sie auch was bei sich?“ Kenney zuckte die Achseln. „Ich habe sie nicht sehr gründlich abgesucht, das kann man hier erledigen.“ „Und wie sollen wir nachweisen, daß das Versteck den beiden gehörte? Du sagst, es war zirka zwei Meter entfernt.“ „Selbst wenn wir sie festnageln können, nützt das gar nichts, -112-
denn ich hatte ja keinen Durchsuchungsbefehl. Nach der Zahl der Päckchen zu schließen, müssen sie schon Händler mittlerer Kategorie sein, deshalb wird gleich ein Mob-Anwalt zur Stelle sein und sie rausholen.“ Der Sergeant im Nebenraum ließ Pat rufen. Captain Reilly kam mit, ihn interessierte die weitere Entwicklung dieses Falles. „Mr. Kenney, haben Sie bei den zwei Verdächtigen vor der Einlieferung Leibesvisitationen vorgenommen?“, fragte der Beamte. „Nur ganz oberflächlich. Dem mit der frechen Schnute habe ich ins Hutband und in die Brieftasche geschaut. Voller Fünfer. Den anderen habe ich mir gar nicht erst vorgeknöpft. Denn schließlich“, Kenney lächelte scheinheilig, „hatte ich ja keinen Befehl, inkriminierende Funde kämen demnach nicht als Beweisstücke in Betracht.“ Der Detektiv mißtraute dem schwarzen Sergeant, er argwöhnte, daß der Mann eher auf der Seite seiner Rassegenossen als auf jener der Polizei stehe. „Nun, ich habe was gefunden. Jeder der beiden hatte ein paar Pops bei sich“, sagte der Sergeant stolz. „Wie interessant“, bemerkte Pat leichthin. „Dieser Detektiv hat uns hineingelegt. Er hat uns die Päckchen zugesteckt“, rief der schlagfertigere Häftling anklagend. „Genau das sagt jeder, der mit Stoff gefaßt wird. Stimmt's, Sergeant?“, konterte Kenney sehr entschieden. Der schwarze Beamte nickte. „Das ist empörend. Eine vorsätzliche Täuschung“, schrie der Neger nun voll Angst, seine frühere Selbstsicherheit war völlig geschwunden. „Dieser Mann hat uns das Zeug zugeschoben, während er uns mißhandelte und in den Wagen stieß. Ich möchte mich mit meinem Anwalt in Verbindung setzen.“ „Zu gegebener Zeit“, bellte der Sergeant. „Beide ab in die -113-
Zellen. Die Päckchen werden als Beweisstücke registriert.“ „Holt lieber einen Chemiker, um festzustellen, ob die Pops aus ihren Taschen aus demselben Schwung stammen wie die im Versteck gefundenen“, riet Kenney. Er wandte sich zu Captain Reilly. „Jetzt gehen wir zu Bailey. Ich gebe eine Runde aus.“ Der Revierchef blickte seinen Stardetektiv mißtrauisch an. „Es kommt nicht oft vor, daß du einen bringst, der die Pops noch bei sich hat.“ „Vielleicht werde ich etwas nachlässig“, erwiderte Pat harmlos. „Laß deinen Papierkram ein bißchen rasten, führen wir den Postinspektor in das einzige Lokal hier, wo sich ein Cop als Gast hineinwagen kann.“ Zu Fuß machten sich Kenney, Carrera und Rivera auf den Weg. Reilly versprach nachzukommen. Sie gingen an einigen Bars vorbei, die nur von Negern frequentiert wurden. „Hier ist es“, bemerkte Pat. „Seht ihr diesen Klotz in der giftgrünen Jacke dort an der Theke? Falls wir ihn den ganzen Tag beobachten würden, dann bekämen wir nacheinander drei Frauen zu Gesicht, die ihm die Hälfte ihrer Unterstützungen geben. Er hat eine Frau und drei Kinder, eine Freundin mit zwei Gören von ihm und eine zweite, der er auch einen Balg gemacht hat. Nicht nur das, er zwingt auch seine Mutter zur Tributzahlung. Das erste, nachdem diese Weiber bei der Bank kassierten: sie kommen hierher und liefern ihm seinen Anteil ab. Und natürlich macht er im Hinterzimmer in eigener Regie krumme Geschäfte.“ Sie schlenderten durch das lebhafte Getriebe auf der Straße weiter, man wähnte sich in ein Volksfest versetzt, es wurde eingekauft, gespielt, getrunken, in Ecken wechselten Heroinpäckchen den Besitzer, Pusher hatten alle Hände voll zu tun, überall herrschte fröhliche Stimmung. Schließlich war ja “Muttertag“, da gab es Geld für alle. Mit einem Seufzer der Erleichterung setzten sich Kenney und dessen Begleiter in eine Ecke der angenehm temperierten Bar -114-
und bestellten Drinks. Prompt kippte Pat seinen ersten Whisky und ließ sich gleich noch einen bringen. „Die Blauen da draußen wissen gar nicht, welches Glück sie haben. Der Super-Cop Kenney wird den ganzen Nachmittag nur Scherereien haben. Aussagen vor dem Richter, blödes Geschreibsel, aber immerhin.“ Er griff wieder zum Glas. „Wann hast du es gemacht, Pat?“ fragte Carlos bewundernd. „Ich wußte, was du im Sinn hattest, aber gesehen habe ich dann nichts.“ „Der Vorlaute von den beiden sagte die Wahrheit. Es war bloß ein kleiner Kunstgriff, als ich die zwei in den Wagen bugsierte. Die merkten gar nichts davon“, Kenney lachte. „Jedenfalls sind die Brüder geliefert. Sie werden zwei bis fünf Jahre Zeit haben, darüber nachzudenken, wie sie es anstellen sollen, damit man sie das nächste Mal nicht erwischt.“
-115-
12 Am Sonnabend um neun Uhr morgens weckte das Telefon Brad aus tiefem Schlaf. Er fuhr hoch, stolperte in den anderen Raum hinüber, doch als er abhob, hörte er nur mehr das Freisignal. Dann begann der Apparat im Schlafzimmer zu läuten. Brad schlurfte zurück, ließ sich auf das Bett fallen und meldete sich mit etwas rostiger Stimme. „Hallo, Brad.“ Cervis Stimme klang belustigt. „Schon auf? Es täte mir leid, wenn ich Sie aus schönen Träumen gerissen hätte. Ich wollte Sie nur daran erinnern, daß heute ein günstiger Tag für einen Ausflug aufs Land wäre. Dort können wir uns ganz zwanglos unterhalten.“ „Ich komme gegen eins, C. L.“, sagte Brad so fröhlich wie möglich. Dann verständigte er Williams, der sich mit dem Wagen bereithalten sollte, und schließlich rief er Luciana an. Sie schien schon einige Zeit wach zu sein. „Ich hole dich um elf ab.“ „Gut, ich erwarte dich.“ Wie soll das enden?, dachte er. In meinem Alter verliere ich mich an diese Frau. Ich liebe sie. Ich bin eifersüchtig. Interessiert sich Cervi für Luciana? Er verscheuchte diesen Gedanken. Nun mußte er Andrea Bescheid sagen. Wenigstens war es zu früh, als daß Gwen zum Apparat käme. Und Ed Connor hob nie ab, denn fast immer waren Gläubiger am Draht. Andrea freute sich offenbar, die Stimme ihres Vaters zu hören. „Ich muß Mammi fragen, sobald sie aufgestanden ist“, antwortete sie auf die Einladung. Das war zuviel, Brad explodierte fast. „Mammi fragen, wenn du nachmittags wegfahren willst!“, polterte er los. „Und das mit neunzehn Jahren! Ja zum Teufel -“ „Schon gut, schon gut“, fiel sie ihm beschwichtigend ins -116-
Wort. „Ich weiß ja, daß Mammi nichts dagegen haben wird, aber ich möchte sie nur fragen.“ „Um elf Uhr fünfzehn stehe ich vor eurem Haus. Wirst du dich bemühen, bis dahin fertig zu sein, mein Herz?“ Rasch kleidete er sich an und fuhr mit dem Lift in die Hotelsauna hinunter. Nach einem Dampfbad und einer Abreibung fühlte er sich fit, um der Welt und sogar C. L. entgegenzutreten. Er nahm einen Attachékoffer, in dem er bereits ein Sporthemd, einen leichten Pullover und eine helle Popelinehose verstaut hatte. Andrea wartete schon vor dem Apartmenthaus, als er vorfuhr. Sie ist weiß Gott ein Typ, nach dem sich die Männer umdrehen, dachte er, mit blendender Figur und langen Beinen. Aber es freute ihn, daß sie sich trotzdem nicht dem gängigen Modediktat der Superminiröcke beugte. Er öffnete die Tür, sie kam heran und stieg ein. „Ein toller Wagen. Gehört er dir?“ „Nein, der Firma.“ „Das ist doch dasselbe“, sagte sie, als Williams den Weg zu Lucianas Hotel einschlug. „Nicht ganz. Ich kann jederzeit gehen, aber der Wagen bleibt.“ Brad war entzückt, als er sah, wie gut sich Andrea und Luciana sofort verstanden. Seine Tochter lernte für die geplante Europareise Italienisch, und auf der Fahrt zu Cervis nördlich von New York City gelegenem Landhaus unterhielt sich Luciana mit ihr in dieser Sprache, erklärte ihr manche Redewendungen und grammatikalische Feinheiten, die das Mädchen noch nicht kannte. Sie kamen zu einer großen Villa aus dem 19. Jahrhundert im Stil jener Neo-Tudorgotik, die man auch in den USA “viktorianisch“ nennt. Auch hier tauchte sogleich einer von Cervis abweisend und mißtrauisch dreinblickenden Leibwächtern auf. Der Mann öffnete schweigend die Autotür, er -117-
trug einen schwarzen zweireihigen Anzug mit Silberknöpfen, nach Art einer traditionellen Kammerdienerlivree. Brad nannte seinen Namen, und daraufhin wurden die drei Besucher durch eine prunkvolle Empfangshalle auf eine große Terrasse geführt. C. L. Cervi in blauem Blazer, Krawatte in den Ascot-Farben Weinrot, Hellblau und Gold und weißer Hose trat heraus und begrüßte seine Gäste mit überschwenglicher Herzlichkeit. In seiner Begleitung befand sich eine junge Dame, die im Typ Luciana ähnelte. Sie mochte etwa Anfang Zwanzig sein, wirkte aber reifer. Ihr Gesichtsschnitt war von klassischem Ebenmaß, mit großen, seelenvollen brauen Augen. Die Maler der italienischen Hochrenaissance hätten sich kein schöneres Modell wünschen können. Der Hausherr machte die Neuankömmlinge mit seiner Tochter Elda bekannt. Ihr Blick war offen auf Brad gerichtet, als sie ihm die Hand reichte. „Papa hat mir schon von Ihnen erzählt. Ich freue mich sehr, Sie nun persönlich kennenzulernen. Ganz abgesehen davon, daß ich auch in der Hotellerie arbeiten möchte.“ Unwillkürlich dachte Brad daran, wieviel dieses Mädchen wohl wirklich über Whitehall wußte. Andrea und Luciana fanden sofort Kontakt mit Elda, welche die beiden in ein angeregtes Gespräch zog. Wahrscheinlich war es zwischen Vater und Tochter verabredet, daß sie sich um die Besucherinnen kümmern sollte, während Cervi mit seinem Ascot-Präsidenten unter vier Augen sprechen wollte. Er hängte sich in Brad ein und führte ihn über die Terrasse. „Ich muß Ihnen ein Kompliment machen, Andrea ist ein bezauberndes Geschöpf“, sagte er lächelnd. „Danke, dieses Kompliment kann ich nur erwidern. Wie verstehen Sie sich mit Elda?“ „Ausgezeichnet. Seit je. Sie ist mein Liebling, wir waren uns immer sehr nahe. Auch heute noch, da sie erwachsen ist, sagt sie -118-
ihrem Papa alles. Wir unterhalten uns oft stundenlang über ihre Zukunftspläne.“ „Dann beneide ich Sie, C. L. Andrea hat sich mir leider entfremdet. Meine gescheiterte Ehe, die ständigen Reisen - ich weiß nicht, ob nur die Verhältnisse daran schuld sind oder ich selbst. Jedenfalls finde ich nicht den richtigen Ton für sie.“ „Das ist bedauerlich. Vielleicht kann Ihnen Elda helfen, wenn sie sich mit Andrea anfreundet.“ „Sehr freundlich von Ihnen, C. L.“ „Später genehmigen wir uns einen, Brad“, sagte Cervi, gleich zur Sache kommend. „Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang?“ „Ganz, wie Sie wünschen.“ Unter Bäumen mit ausladendem Geäst gingen sie über eine weite Rasenfläche zu einem Pferdestall, der wie ein Motiv aus einer alten englischen Lithographie wirkte. „Zunächst, ich möchte in die Expansion der Hotelkette unverzüglich zehn Millionen investieren. Ich rechne damit, daß ich innerhalb der nächsten zwei Jahre über 100 bis 200 Millionen disponieren kann, aber binnen drei Wochen, längstens einem Monat müssen Sie zehn Millionen in bar verbraten. Wäre Ihnen das möglich?“ „Kein Problem. Soviel gibt sich leicht aus. Die heikle Frage lautet: wie legt man dieses Geld am günstigsten an?“ „Nun, Sie könnten das Tropic Plaza kaufen.“ „Wenn ich Unger weichkriege. Er ist ein zäher Bursche.“ „Unger wird verkaufen. Planen Sie einen Flug nach Miami ein. Termin: in einer Woche. Nicht früher und auch nicht später.“ „Sind Sie Ihrer Sache so sicher?“ Cervi lächelte hintergründig. „Übrigens, Luciana sollte für Ascot arbeiten. Ich glaube, sie wäre eine gut einsetzbare, wertvolle Kraft. Als Hosteß auf höchster Ebene, als Symbol für -119-
den Lebensstil der VIPs und des Jet Set. Könnten Sie sich eine attraktivere Gallionsfigur vorstellen?“ Er blickte Brad von der Seite an. „Wenn Luciana Sie in unserer Düsenmaschine auf der Verhandlungstour begleitet...“ „Welche Verhandlungstour, C. L.?“ „Die Sie unternehmen werden, sobald das Flugzeug geliefert ist. Ich möchte, daß wir in jeder größeren Stadt Fuß fassen. Da fällt mir ein: warum kam es nie zu einem Abschluß in Las Vegas?“ „Offen gesagt, ich habe es versucht. Und zwar bevor mich Rafe Leighton in die Verbannung schickte, weil ich keine Sympathien für seine Freundin hegte und gegen die Risiken opponierte, die sie ihm einredete.“ Brad lachte. „Natürlich, wenn er sich nicht auf diese gewagten Projekte eingelassen hätte, dann hätten Sie Ascot nicht bekommen und ich könnte nicht zum Einstand zehn Millionen ausgeben. Vielleicht war es letzten Endes doch ein Glück, daß ihm diese Lilli Darlene begegnete. Er kann sein Alter sorgenfrei als Privatmann im geliebten Texas verbringen und -“ „Ich glaube nicht an das Glück“, fiel ihm Cervi ins Wort. Es klang wie eine prinzipielle Erklärung, ein Leitsatz. „Es gibt überhaupt kein Glück, im Sinn einer zufälligen günstigen Fügung, meine ich. Wenn sich solch eine Wendung ergab, dann habe ich sie immer selbst herbeigeführt.“ Unwillkürlich erinnerte sich Brad an Rafe Leightons Mutmaßungen darüber, wieso Lilli in sein Leben getreten war. Sie gingen einige Minuten schweigend dahin, durch den schönsten Landsitz, den Brad je gesehen hatte. „Wie steht es mit Ihrer Mitgliedschaft beim Copperrock-Club?“, fragte Cervi schließlich. „Gestern wurde ich von der Aufnahme verständigt. Daß es so rasch klappte, grenzt fast ans Wunderbare. Der Präsident Fernand DePaul Lowell ist nämlich berühmt dafür, daß er jeden -120-
Bewerber zunächst so lange negiert, bis er sich durch genaue Informationen davon überzeugt hat, ob der Novize der Weihen würdig ist.“ Cervi lachte in sich hinein. „Whitehall befreite Lowells Investmentbank aus der ärgsten Klemme, in die sie je geriet. Seither tut mir der alte Knabe sehr oft einen Gefallen und wird mir auch weiterhin nützlich sein.“ Seine Miene wurde wieder härter. „Also, Brad, es gibt eine Menge Dinge, die ich erledigt wissen möchte, und zwar rasch. Ich halte nichts vom Memoschreiben, ich merke mir, was ich meinen Mitarbeitern sage, und“, er blickte Brad fest an, „meine Mitarbeiter vergessen auch nicht, was besprochen wurde. Verstehen Sie mich?“ „Nicht schwer zu verstehen, was Sie meinen, C. L. Ich kann strikte Weisungen ebensogut entgegennehmen wie geben. Ich höre.“ „Gut so. Am Montag schicke ich Ihnen einen Ingenieur samt Bautrupp mit dem Auftrag, zwei Luxusapartments im obersten Geschoß des Ascot Tower umzugestalten.“ „Wir haben bewährte, auf Hotels spezialisierte Techniker und Baufachleute in der Zentrale, C. L.“ Cervi ignorierte diesen Einwand. „Ich werde Sie mit dem Mann bekanntmachen, den ich mit dem Management des Tower betrauen möchte.“ „Sie könnten keinen besseren als Knut Björnlund finden. Er genießt in der Branche einen ausgezeichneten Ruf und holt aus dem Laden an Gewinn heraus, was nur herauszuholen ist. Ich kann Ihnen versichern...“ „Der neue Manager Maurice D'Estang wird am Dienstag seinen Posten antreten, natürlich unter Ihrer Oberleitung. Er wird einen neuen Maitre d'Hotel verpflichten.“ „Aber, C. L.“ „Binnen eines Monats werden alle wichtigen Positionen des Ascot Tower mit bewährten Kräften von Whitehall besetzt werden. Bedenken Sie, daß wir in dieser Sparte keine Neulinge sind. Im Moment betreiben wir fünfzehn -121-
Hotels. Nicht in der Ascot-Klasse, sicherlich. Aber wir wissen, wie man auch in der Hotellerie Aktiva erzielt.“ Brad fühlte wieder den bewußten Kloß im Magen, als Cervi seine Pläne entwickelte. „Ich nehme Ihnen keine Minute lang die Autorität und die Verantwortung ab. Aber aus vielen Gründen will ich gerade auf unserem “Flaggschiff“ in den Schlüsselstellungen Leute von Whitehall. Ich glaube, Sie werden bald merken, daß eine Verbindung unserer Methoden mit Ihren Erfahrungen und Kontakten die Vorbedingungen für eines der größten internationalen Geschäftswagnisse der Welt schafft. Worauf es mir bei Ihnen besonders ankommt, ist, daß Sie uns möglichst viele Realitäten sichern. Engagieren Sie nach eigenem Ermessen noch einen guten Referenten, der den internationalen Markt kennt und Ihnen beim Ankauf von Grundstücken für Hotels auf der ganzen Welt behilflich sein kann, und erstellen Sie die Finanzplanung wie gewohnt. Sie sind der Mann in der vordersten Linie. Sie sind Präsident der AscotHotelkette, der Boß. Betrachten Sie mich als einen Protektor oder Mentor, als den Mann, der die erforderlichen Summen auftreibt und sich deshalb das entscheidende Wort über den Kurs vorbehält, den wir einschlagen. Verstehen wir uns?“ Nun war es offen ausgesprochen. Entweder Brad kündigte, oder er tat, was Cervi wollte. Er dachte an die Düsenmaschine, malte sich Reisen mit Luciana aus. Und er dachte auch an das Geld, das er dabei verdienen und in absolut gesicherten Wertpapieren anlegen konnte. Brad hatte wohl immer gut gelebt, aber nie persönlichen Reichtum angehäuft. „Jetzt zu dem anderen Unternehmen, das wir mit Ihnen starten wollen“, fuhr Cervi verheißungsvoll fort. „Ein Geschäftsfreund in Chicago hat einen fast bankrotten Fleischverarbeitungsbetrieb entdeckt. Diese Firma produziert recht ordentliche Tiefkühlware, aber der Eigentümer ist kein Verkaufsgenie. Fliegen Sie nächste Woche nach Chicago, sehen Sie sich die Sache an, und wenn Ihnen der Laden zusagt, erwerben wir ihn. -122-
Sie werden 51 Prozent der Anteile besitzen und eine Tochtergesellschaft von Whitehall 49 Prozent.“ „Der Nahrungsmittelsektor liegt etwas abseits meiner Linie“, erwiderte Brad unsicher. „Ach, keine Hexerei. Verkauf ist Verkauf. Die Richtung stimmt. Wir behalten die Erzeugung, wie sie ist, und schalten nur unseren eigenen Vertriebsapparat ein. Als ersten neuen Kundenkreis wird die Firma alle Ascot Hotels in den USA beliefern. Außerdem besitzt Whitehall in den Südstaaten drei große Supermarktketten. Und glauben Sie ja nicht, daß die Supermarktorganisationen im Norden unsere Produkte ignorieren werden.“ Brad hatte das Gefühl, als verliere er sich in Bereiche, wo Wirkliches und Unwirkliches nicht mehr zu unterscheiden waren. Cervi hatte die Gabe, sehr rasch so viele Themen zu erfassen, daß es Mühe kostete, ihm logisch zu folgen. Dieser Mann lenkte Brads Denken in bisher völlig ungewohnte Kategorien und Begriffsrichtungen der Logik, von Ethik ganz zu schweigen. Erst als er selbst unwillkürlich, ganz automatisch, den Schritt verhielt, merkte er, daß Cervi stehengeblieben war. Forschend blickte ihn dieser menschliche Dynamo unkonventioneller Finanzgebarung an. „Nun, was meinen Sie, Brad? Wenn es Ihnen nicht zusagt, suchen wir uns etwas anderes, wo wir gute Absatzmöglichkeiten forcieren können. Ich wüßte allerdings nichts Günstigeres.“ „Es klingt verlockend.“ Aber in Wahrheit machte sich Brad keine Illusionen darüber, daß ihn eine solche Regelung nur noch fester an die Fünfte Macht binden würde. „Gut, ich dachte mir, daß Sie einverstanden wären. Es bleibt also dabei.“ Cervi ging weiter, und Brad fiel neben ihm in Gleichschritt. „Ihre gestrige Party war ein voller Erfolg“, sagte er in das Schweigen hinein. „Ja, unter den Gästen waren einige Personen, die für uns -123-
wichtig sind oder sein werden.“ „Ich hatte keine Ahnung, daß Sie sich auch für Militärs interessieren. Dieser General -“ „Lieber Freund, die Streitkräfte sind das potentielle Instrument für die Übernahme und Sicherung der Macht durch einen starken Mann. Außer den USA wurde jeder größere Staat der Erde irgendwann einmal von einer Militärjunta beherrscht. Was glauben Sie, wie lange dieser Ausnahmefall noch gegeben sein wird?“ Aus Furcht vor der Tragweite der Antworten wagte Brad keine Fragen zu stellen. „General MacFarland sieht die Entwicklung auch so“, fuhr Cervi in seinen Betrachtungen fort. „Ein Präsident der USA wird, vielleicht früher als wir vermuten, zu dem Entschluß kommen, das System demokratischer Wahlen aufzuheben und, auf die Streitkräfte gestützt, unbegrenzte Zeit im Amt zu bleiben. Ich will, daß es ein Mann ist, der zu uns gehört.“ „Und Sie glauben, Bill Adams könnte dieser Mann sein?“ „Er oder ein anderer von den Politikern, die ich im Auge behalte.“ Cervi starrte versonnen ins Weite, ehe er das Thema wechselte. „Beim Schwimmbecken wartet jemand, den Sie kennenlernen sollten. Ein gewisser Larry Wolfmann. Er ist sehr erfolgreich im Großhandel tätig.“ Ja, und?, dachte Brad. Als der Rundgang durch den Besitz endete, konnte Cervi befriedigt beiderseitiges Einverständnis über die Maßnahmen feststellen, die in den nächsten zwei Wochen für den weiteren Ausbau der Ascot-Kette getroffen werden mußten. Sie erreichten die Schar der Gäste beim Bassin. Andrea war in ein ernstes Gespräch mit einem katholischen Priester namens Monseigneur Mallory vertieft. Jorge Ramirez und einige andere -124-
UNO-Delegierte, darunter zwei fast blauschwarze Neger aus afrikanischen Entwicklungsländern, bildeten eine angeregte Gruppe um Luciana, flankiert von mehreren ebenso attraktiven Damen verschiedenen Typs. Etwas abseits von dieser Schönheitsgalerie stand Larry Wolfmann, mit dem Brad auf Wunsch seines Chefs Kontakt aufnehmen sollte. Nach ersten kurzen Erörterungen vereinbarte er pflichtschuldig einen Termin für den nächsten Tag und trat dann zu der UNO-Equipe. Cervi winkte einem großen, sehnigen, europäisch wirkenden Mann mit dichtem grauem Haar, der über die Terrasse herankam. „Brad, das ist Maurice D'Estang. Er gehört seit der Gründung von Whitehall zu uns.“ Kendall streckte ihm die Hand entgegen, die D'Estang mit kurzem Kopfnicken fest drückte. „C. L. teilte mir mit, daß wir ziemlich eng zusammenarbeiten werden“, begann Brad sehr höflich, da ihm diplomatischer Takt geboten schien, bis er den Emissär der Fünften Macht richtig eingeschätzt hatte. „Ja, ich freue mich auf diese Verbindung“, erwiderte D'Estang. Aus seinem Mundwinkel hing eine glosende Zigarette, die Art, wie er sie lässig zwischen den Lippen hielt und dabei immer wieder die Augen zukniff, verlieh ihm eine gewisse nonchalante Note. Schon als er sich näherte, roch Brad, ein Nichtraucher, das für bestimmte französische Sorten charakteristische starke, scharfe Aroma. „Übrigens, Maurice, Jorge Ramirez will eine kleine Party für einige seiner besonderen Freunde unter den Delegierten geben. Ich sagte ihm, der Ascot Tower sei wie geschaffen dafür“, erklärte Cervi. „Selbstverständlich.“ D'Estang lächelte den Lateinamerikaner an. „Es wird mir ein Vergnügen sein, die Arrangements persönlich zu überwachen.“ Auch Cervi strahlte. „Eben, das habe ich Jorge gesagt. Ich -125-
glaube, eines der Luxusapartments, die wir neu einrichten, wird ihm gefallen.“ „Werden sie zeitgerecht fertig sein?“, fragte Brad. „Aber sicher, die Arbeiten dauern höchstens eine Woche.“ Brad bemerkte, daß Andrea und Elda nun mit einem gutaussehenden, rassigen jungen Mann mediterranen Typs sprachen, der seine prächtigen weißen Zähne blitzen ließ. Cervi folgte Brads Blick und furchte die Stirn. „Ja, das ist Tony Falcon. Er hat Elda auf einer Party kennengelernt, und seitdem läuft er ihr nach.“ „Ich werde Andrea sagen, sie soll sich in acht nehmen. Fremdes Revier.“ Brad lachte. „Aber nein, wieso? Elda hat diesen Jüngling keineswegs mit Beschlag belegt“, beteuerte Cervi etwas zu hastig. Er sah zu Luciana hinüber. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Ich hatte noch gar nicht Gelegenheit, Mrs. Blore richtig willkommen zu heißen. Außerdem möchte ich sie heute für unsere Organisation gewinnen für die Ascot Hotels, versteht sich.“ „Viel Glück.“ D'Estang trat zu dem Diplomaten aus Santo Morango, um Bestellungen und Wünsche für die geplante Party zu besprechen. Als Elda Cervi sah, daß Brad allein war, kam sie auf ihn zu. „Ich unterhalte mich sehr gern mit Ihrer Tochter, Mr. Kendall. Sie ist ein sympathisches, sehr aufgewecktes Mädchen.“ „Tatsächlich?“, fragte Brad überrascht. „Wissen Sie das nicht? Reden Sie denn nicht mit ihr?“ „Leider war ich sehr lange fort und konnte nur selten mit ihr zusammen sein. Jetzt ist es wohl zu spät. Ich weiß nie so recht, wie ich es anstellen soll, damit sie aus sich herausgeht.“ Elda lächelte. „Sie müssen es üben, das ist das ganze -126-
Geheimnis. Sie könnten ja zum Beispiel mich als Versuchsperson nehmen, dann treffen Sie vielleicht auch den richtigen Ton für Andrea.“ „Eine gute Idee.“ Ihre Art gefiel ihm immer besser. „Also, wie fangen wir an?“ Er überlegte einen Moment. „Ich glaube, die Tendenz, Marihuana zu legalisieren, hat einiges für sich.“ „Meinen Sie, Mr. Kendall?“, fragte Elda sehr ernst. Sofort merkte Brad, daß er auf der falschen Fährte war. „Damit will ich nicht sagen, daß ich selbst das Zeug rauche. Aber ich sehe, daß es nicht soviel Unheil stiftet, als man glaubte.“ „Ich persönlich bin gegen “Gras“, besonders was Mädchen betrifft. Die werden dadurch zu Dingen verleitet, die sie sonst nicht tun würden.“ „Das gleiche gilt für harte Drinks, oder?“ Elda lachte. „Sie machen es richtig, Sie argumentieren wie die jungen Männer.“ Ihr Blick streifte Tony Falcon, der noch immer mit Andrea plauderte, dann ruhten die schönen dunklen Augen wieder auf Brad. „Spielt er, wenn ich so indiskret sein darf, in Ihrem Leben eine Rolle?“, fragte er beziehungsreich. „Nein. Aber es könnte vielleicht dazu kommen. Andrea scheint ihm zu gefallen.“ Sie sagte es ganz sachlich, ohne eine Spur von Eifersucht. „Andrea hat zu viel anderes zu tun, um sich für junge Männer zu interessieren.“ „O Gott, o Gott, nun reden Sie wie ein Vater, genauer: wie mein Vater. Was nichts daran ändert, daß wir uns sehr gut verstehen.“ „Ich glaube, wenn ich meine Tochter öfter sehen könnte, kämen wir uns auch näher.“ „Und ob. Wie wäre es, wenn Sie uns beide zum Lunch in den -127-
Ascot Tower einladen würden? Ich bin demnächst wieder in der Stadt.“ „Möchten Sie das wirklich?“, fragte Brad freudig. „Ich habe immer den Eindruck, Andrea fühlt sich in meinen Hotels nicht wohl pardon, in den Hotels Ihres Vaters.“ „Wir können es gleich ausmachen.“ „Schlagen Sie was vor, Elda. Versuchen wir, Andrea für einen Moment von Tony loszueisen.“ Als sie auf der Terrasse an der Gruppe um den Hausherrn vorbeigingen, sagte Luciana gerade: „Mr. Cervi, ich warte schon die ganze Zeit darauf, daß Sie am Klavier etwas zum besten geben. Erinnern Sie sich, Sie haben es in der vorigen Woche versprochen.“ „Wollen Sie mich tatsächlich spielen hören?“, fragte er geschmeichelt. „Das hat mich ja bewogen, heute zu kommen.“ „Sehr liebenswürdig. Wenn Sie es wünschen.“ Er nahm Lucianas Arm und führte sie zu dem Steinway-Flügel im großen Salon mit dem Blick auf das Schwimmbassin. Einige andere Gäste folgten ihnen. Cervi setzte sich ans Instrument und wies auf den Platz neben sich auf der samtgepolsterten Bank. Luciana setzte sich zu ihm, und er schlug ein paar Akkorde an. Brad, der auch hereingekommen war, erwartete, daß sich nun eben ein Amateur produzieren werde, wobei man es punkto Geläufigkeit nicht genau nehmen dürfe. Aber zu seiner Überraschung entpuppte sich Cervi als brillanter Pianist. Zuerst spielte er einige gängige Schlager und bekannte Opernarien. Als Elda eintrat, unterbrach er kurz, nickte ihr zu, sie lächelten sich an, und schon intonierte er einen Song aus einem Cole-Porter-Musical. Mit tragender, offenbar geschulter Stimme sang Elda zur Begleitung ihres Vaters. Der Applaus der Zuhörer regte die beiden zu einer zweiten und dritten Darbietung an. Dann verschwanden Elda und Andrea wieder ins Freie. -128-
„Wunderbar, Mr. Cervi!“, rief Luciana begeistert. „Wie haben Sie solche Perfektion erreicht, während Sie ein Wirtschaftsimperium aufbauten?“ „Meine Mutter liebte die Musik über alles“, erwiderte er. „Ich hatte Klavierunterricht, bis ich mit achtzehn Jahren das Haus meiner leider bereits verewigten Eltern verließ. Am College konnte ich mir in der Band etwas dazuverdienen, und auch seither habe ich immer mit Vergnügen gespielt.“ Brad unterdrückte ein ironisches Schmunzeln. Das also war einer der mächtigsten Finanzmagnaten des Landes, der mit Geld aus dem organisierten Verbrechen arbeitete. Wenn man ihn an solch einem Wochenendnachmittag im trauten Heim sah, am Klavier, mit seiner singenden Tochter, im Kreis von Gästen, die durch die Villa und den Garten schwärmten, dann würde man glauben, er sei eben einer der vielen erfolgreichen Mittelstandsamerikaner, weit entfernt von der Möglichkeit, zu einer Schlüsselfigur der USA zu werden. Und dieser Maurice D'Estang war zweifellos einer von Cervis engsten Vertrauten, ein Klingenschärfer mit den Aufgaben eines Consigliere etwa, dachte Brad, als er den glatten, aber seltsam bedrohlich wirkenden Franzosen unauffällig beobachtete... „Es war wirklich ein wunderschöner Nachmittag“, sagte Luciana auf der Rückfahrt nach New York City. „Andrea, leisten Sie Ihrem Vater und mir noch beim Dinner Gesellschaft?“ Das Mädchen verneinte mit träumerischer Miene. „Ich habe meiner Mutter versprochen, sie auf eine Party zu begleiten - was sie eben Party nennt. Ich weiß, es wird furchtbar langweilig werden, aber ich habe es ihr schon versprochen.“ „Du hast dich sehr angeregt mit dem jungen Tony Falcon unterhalten.“ Brad ließ diese Bemerkung taktvoll fallen. „O ja, er ist so interessant. Er war schon in Italien.“ „Vor allem in Sizilien“, warf Luciana ein. „Ich habe auch mit -129-
ihm geredet. Sein Vater stammt aus Sizilien.“ „Ich finde Italiener so romantisch“, seufzte Andrea schwärmerisch. „Und ob. Sie verprügeln ihre Frauen, diese reizenden Burschen“, sagte Luciana schneidend. „Tony gehört nicht zu der Sorte von Italienern. Er hat nicht einmal einen italienischen Namen.“ Sie blickte sehnsüchtig zum Wagenfenster hinaus. „Danke, daß ihr mich mitgenommen habt. Es war herrlich. Ich freue mich schon sehr auf den Lunch mit Elda am Mittwoch.“ „Hat es sie nicht gestört, daß sich Tony ausschließlich dir widmete?“ „Ich glaube, nein. Er sagte mir sogar, daß er sich wahrscheinlich nicht mehr oft mit ihr treffen könne. Er tritt einen neuen Job an und wird viel reisen müssen.“ Das beruhigte Brad, aber nicht für lange, wie sich weisen sollte. Denn Andrea kicherte und schnitt ein geheimnisvolles Gesicht. „Aber ganz unter uns, verrate mich nicht: Tony bleibt hier. Es war nur eine höfliche Ausflucht. Elda ist nämlich einfach nicht sein Typ. Ihm sind dunkelblonde Mädchen lieber wie ich.“ In Gedanken wog Brad diese Mitteilung gegen die Tatsache ab, daß Cervi diesen schwarzhaarigen Jüngling ablehnte. „Hör zu, mein Kind, du hast noch viel Zeit vor dir.“ Er stockte. „Schlag dir den Jungen aus dem Kopf.“ „Hast du was gegen Italiener?“ fragte Andrea anklagend, mit einem bezeichnenden Blick auf die Begleiterin ihres Vaters. Brad verstand. „Nein, aber bedenke, was Luciana über die italienischen Männer sagte. Sie muß es wissen.“ Die Limousine fuhr bei dem Apartmenthaus vor. Williams stieg aus und öffnete für Andrea die Wagentür. „Nochmals vielen Dank - und ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, -130-
Luciana.“ „Ja, das hoffe ich auch.“ „Ich rufe dich morgen an“, versprach Brad. Seine Tochter lief zum Tor. „Jetzt hat sie es schon eilig, wieder in den Schoß der Familie zurückzukehren“, sagte er bitter. „Andrea ist ein reizendes Mädchen. Du hast allen Grund, stolz auf sie zu sein.“ Brad tastete nach Lucianas Hand. „Ja, ich bin stolz auf sie. Es ist nur wegen ihrer Mutter... und eigentlich mache ich mir Vorwürfe, daß ich sie mitgenommen habe. Dieser junge Kerl gefällt mir nicht. Andrea ist so unerfahren, wenn er ihr den Kopf verdreht...“ Begütigend streichelte Luciana seine Hand. „Keine Sorge. Sie scheint sehr vernünftig zu sein. - Nun, was hast du für heute abend vor?“ „Mit dir zusammenzubleiben, was gäbe es Schöneres? Wann übersiedelst du in den Ascot-Tower?“ „Wäre es morgen möglich?“ Elektrisiert setzte sich Brad auf. „Im Ernst?“ Sofort war er umgewandelt. „Warum nicht? Wenn ich schon für das Unternehmen arbeiten werde, kann ich auch gratis in einem firmeneigenen Hotel wohnen, bis ich ein Apartment finde.“ Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund und blickte ihn mit großen Augen an. „Ach Gott, ich hätte warten sollen, bis du selbst mir den Job anbietest.“ „Das hat C. L. Cervi eingefädelt.“ Brad schmunzelte. „Er sagte, du bist der Boß, aber wenn du mich nicht bald zu Ascot holst, dann wird er mich für eine andere Sparte von Whitehall kapern.“ Brad lachte laut auf. „Hat er von den Bezügen gesprochen?“ „Nein, er meinte nur, falls du Schwierigkeiten machst, wird er -131-
sich für mich verwenden. Du bist der Boß, aber er würde versuchen, bei dir ein angemessenes Gehalt für mich auszuhandeln.“ Sie beugte sich vor und küßte ihn. „Ich antwortete ihm: ,Ich glaube, daß ich die Verhandlungen selbst führen kann.’“ „Diese Verhandlungen finden heute abend statt. Willst du noch ins Hotel, bevor wir ausgehen?“ „Was möchtest du unternehmen?“ „Eigentlich wäre es am hübschesten in meiner Nobelbleibe. Wir könnten deine künftige Tätigkeit erörtern und uns dann das Dinner oben servieren lassen. Nach diesem Tag sogenannter Entspannung auf Cervis Landsitz brauche ich dringend einen ruhigen Abend. Einverstanden?“ „Einverstanden...“
-132-
13 Charles Lawrence Cervi regelte alles und manipulierte jeden. Gestern hatte sich Brad auf seine Weisung mit Mike Brashears in Verbindung gesetzt, dem geschäftsführenden Vizepräsidenten der Allied Electric. Brad kannte Mike recht gut, immerhin zählten die Ascot-Hotels zu den besten Stammkunden des Unternehmens. Sehr rasch war er für eine Golfpartie mit Brad gewonnen. Also am nächsten Tag um elf im Copperrock Club. Als Brad vorschlug, Brashears solle auch den Verkaufsdirektor Donald Tynan mitbringen, freute sich der Vizepräsident noch mehr auf diese Zusammenkunft, denn das bedeutete, daß Brad in zwanglosem Rahmen einen großen Auftrag besprechen wollte, vielleicht sogar komplette Elektroeinrichtungen für einige der projektierten Hotels. Allerdings erwähnte Brad nicht, wer der vierte im Foursome sein würde. Auf der Fahrt in einem Leihwagen - die Limousine hatte er Luciana überlassen, damit sie noch vor seiner Rückkehr in den Ascot-Tower umziehen konnte - war Brad nicht gerade bester Laune. Der Gedanke, daß ausgerechnet Larry Wolfmann mitspielen sollte, raubte ihm die Freude an seiner neuen Mitgliedschaft in dem renommierten Nobelklub. Die Nötigung, wirkliche Gentlemen wie Mike Brashears und Donald Tynan mit so einem öligen, aufdringlichen Geschäftemacher zusammenzubringen, erfüllte ihn fast mit physischem Widerwillen. Aber das mußte eben sein, und in einer Woche oder zehn Tagen würde Brad im Ascot Jet abfliegen und neue Aktionen in seinem ureigensten Tätigkeitsbereich durchführen, statt hier als Vermittler, um nicht zu sagen als Zutreiber, zu fungieren. Er sah Mike und Don mit ihren Golftaschen beim Klubhaus stehen. Brad ging auf die beiden zu und begrüßte sie. Zwei geradlinige integre Charaktere, dachte er. Da war auch schon -133-
Larry Wolfmann, beflissen grinsend wie ein Hausierer, der seinen Ramsch feilbietet. Brad beschränkte sich darauf, den Namen dieses undurchsichtigen Zeitgenossen zu nennen. Nach allgemeinem Händeschütteln verglichen sie die Vorgaben. Als Gastgeber mußte Brad die Teams einteilen. Cervi wünschte einen Kontakt zwischen Mike Brashears und Wolfmann, darum erklärte Brad, er selbst werde zusammen mit Tynan gegen die beiden anderen spielen. Doch wie staunte er, als Larry seinen Ball in der Mitte des ersten Fairway fast 300 Meter weit schlug, die längste Distanz des Vierers. Mike nickte befriedigt bei dieser beachtlichen Leistung seines Partners. Brad, der seine Verblüffung zu verbergen suchte, schlug über das Grün hinaus. Bei seinem zweiten Schlag auf dem Rasen war Wolfmann viereinhalb Meter von der Fahne entfernt, Don und Mike waren mit drei Schlägen im Loch. Beim fünften Loch war es klar, daß Cervi genau gewußt hatte, warum er diese Golfpartie arrangierte. Mike Brashears zeigte sich von Wolfmanns Technik begeistert. Der hatte bei fünf Löchern zwei Birdies und drei Pars. Beim neunten Loch waren die beiden bereits um vier Schläge voraus. Brad regte eine Pause an. Gesprächsweise fragte Mike, in welcher Branche Wolfmann tätig sei. „Elektrogerätegroßhandel“, antwortete Larry. Wie auf Stichwort fügte Brad hinzu: „Er konnte uns davon überzeugen, daß uns am besten gedient ist, wenn wir unseren Bedarf bei seiner Firma decken. In der nächsten Woche werden wir wahrscheinlich einen Vertrag mit ihm abschließen. Das ist auch der Grund, weshalb ich euch beide eingeladen habe. Ich möchte sichergehen, daß wir weiterhin Geräte der Allied Electric beziehen, und ich dachte, wenn ihr euch mit Larry zusammensetzt, könntet ihr vielleicht entsprechende Vereinbarungen treffen.“ -134-
Don Tynan, der offenbar nur auf eine solche Erklärung gewartet hatte, zeigte sich sofort sehr interessiert. Er stellte Wolfmann einige Fragen, dann begannen sie die letzte Runde. Brashears und Tynan schienen das Spiel sehr zu genießen. Brad bemerkte, daß sich Mike und Larry zwischen den Schlägen sehr angeregt unterhielten, Mike nickte oft bestätigend zu den Ausführungen seines neuen Golfpartners. Aber Brad hatte das dunkle Gefühl,. daß er selbst den Anstoß für eine üble Affäre gegeben hatte, in die die Allied Electric verwickelt werden sollte. Er verfehlte den letzten Schlag und war heilfroh, als die Partie zu Ende war und sie in die Bar des Klubhauses gingen. Don Tynan kam rasch zur Sache. „Ich glaube, Mr. Wolfmann und ich werden uns bald wieder treffen. Brad, ich muß sagen, du legst bei den Reformen der Ascot-Kette ein gehöriges Tempo vor.“ „Ja. Du wirst staunen, was wir alles vorhaben. Ich rechne damit, daß wir innerhalb eines Jahres zehn Hotels in den USA bauen und mindestens ebenso viele im Ausland.“ „Da werdet ihr die Allied Electric brauchen...“ „Das steht fest. Unsere Gäste sind von den Bettkonsolen, die ihr für uns entwickelt habt, sehr angetan.“ „Die haben es aber auch in sich.“ Don Tynan war sichtlich geschmeichelt. „Ein Schalterdruck für Radio, TV, Klimaanlage und Zimmerbedienung - einfach alles.“ „Bis auf Mädchen“, warf Mike augenzwinkernd ein. Brad lachte. „Wie die Dinge laufen, werden wir vermutlich auch die beistellen können. Mr. Cervi schwört auf perfekten Kundendienst.“ Als die beiden Manager den Klub verlassen hatten, sagte Wolfmann: „C. L. wird sich über dieses kleine Treffen sehr freuen. Ich glaube, wir arbeiten wirklich gut zusammen. Die Sache mit der Allied Electric ist nur der Anfang. Wir werden sie -135-
alle an die Kandare nehmen.“ „Bis heute vormittag hatten wir bei Ascot ein recht gutes Einkaufssystem.“ „Ach, Brad, Sie wissen doch, was gespielt wird.“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Natürlich, Larry. Bis nächste Woche also.“
-136-
14 Um halb fünf Uhr nachmittags kam Brad ins Ascot Tower zurück. Dem Türhüter gab er Bescheid, dafür zu sorgen, daß das Auto wieder dem Leihwagendienst in der Hotelgarage übergeben würde. In der Halle fragte er den Empfangschef: „Ist eine Suite für Mrs. Blore reserviert?“ „Wir erwarten die Dame, aber bis jetzt ist sie noch nicht eingetroffen, Sir.“ „Geben Sie mir den Schlüssel. Ich möchte nachsehen, ob alles in Ordnung ist.“ Das Apartment im 26. Stockwerk, mit traumhaftem Ausblick über den East River, war einfach ideal für Luciana, wie Brad nach kurzer Besichtigung feststellte. Außerdem lag es in der selben Etage wie seine eigene Wohnung, ein Umstand, den er als glücklichen Zufall wertete, denn er hatte gar nicht Bedacht darauf genommen. Von der Suite aus bestellte er beim Zimmerservice telefonisch eine Flasche Champagner und Belugakaviar. Dann ließ er aus der Blumenhandlung ein Dutzend Rosen kommen, rote für den Salon und gelbe für den Schlafraum. Schließlich rief er im St. Regis Hotel an. Es war Punkt fünf, der Termin, zu dem Luciana übersiedeln sollte. Man teilte ihm mit, Mrs. Blore sei soeben ausgezogen. Sein Herz pochte rascher, als er zur Halle hinunterfuhr, um dort auf die Limousine zu warten. Vor dem Zeitungsstand blieb er stehen und las die Schlagzeilen. Als er sich unwillkürlich umwandte, sah er Luciana, die sehr dekorativ hereinrauschte. Er trat auf sie zu und küßte ihr die Hand. „Hallo, Brad, mein Gepäck kommt nach.“ „Es wird sofort nach oben befördert.“ „Muß ich mich nicht anmelden?“ -137-
„Das Formular liegt schon in deinem Appartement, du kannst es per Pagen herunterschicken.“ Gleich darauf öffnete er die Tür der Suite. Luciana stieß einen Ruf des Entzückens aus. „Oh, Brad, es ist wunderschön!“ Sie schmiegte sich an ihn und küßte ihn auf den Mund. Er umschlang sie stürmisch, doch in dem Moment klopfte es an der Tür. Rasch lösten sie sich voneinander, Brad öffnete. Es war ein Träger, der auf einem Gepäckkuli die Koffer und Reisetaschen hereinrollte. Während Luciana mit dem Mann die Stücke deponierte und versorgte, ging Brad in den Salon zurück, nahm die Champagnerflasche aus dem Eiskübel, schlug sie in eine Serviette und lockerte behutsam den Korken, der nach einem letzten festeren Ruck knallend durch den Raum flog. Brad füllte zwei Gläser mit der schäumenden hellgoldenen Flüssigkeit. Als der Träger fertig war, entließ ihn Brad mit zwei Dollar Trinkgeld und dem Bescheid, er werde nicht mehr gebraucht. Luciana kam aus dem Schlafzimmer, Brad reichte ihr einen der beiden Champagnerkelche und hob sein eigenes Glas. „Auf eine schöne Zukunft in der Hotelbranche. Willkommen bei Ascot.“ Sie stießen an. Luciana setzte sich auf das breite Samtsofa und blickte durch die Fensterwand. „Weißt du, daß ich erwog, bei der UNO zu arbeiten, als ich mich zu dieser Amerikareise entschloß?“ „Ich glaube, die Tätigkeit bei uns wird dir besser gefallen.“ Sie trank einen großen Schluck und schwieg nachdenklich. „Ich habe meinem Onkel erzählt, daß ich vielleicht bei Ascot eintrete. Er fragte, ob ich wisse, daß das Unternehmen von Whitehall aufgekauft wurde. Darauf sagte ich, daß ich sogar bereits Mr. Cervi kennengelernt habe.“ Luciana wandte sich ihm zu. „Was weißt du von C. L.? Mein Onkel meint, er sei eine sehr mysteriöse undurchsichtige Erscheinung der Finanzwelt.“ Brad versuchte das leichthin abzutun. „Ach, man hört die verschiedensten Gerüchte über ihn. Weil er italienischer -138-
Abstammung ist, heißt es, er sei irgendwie mit der Mafia oder Cosa Nostra im Bund, wenn es die überhaupt gibt.“ „Es gibt sie auf jeden Fall.“ Luciana blickte ihn ernst an. „Ich glaube, ich habe dir schon erzählt, daß mein Onkel Italiener ist. Er leitet hier eine kleine Investmentbank, die viele Geschäfte mit italienischen Firmen tätigt. Mein Onkel kennt einige CosaNostra-Führer. Sie wollten, daß er Investitionen für sie durchführt.“ „Hat er es getan?“ „Darüber schweigt er. Aber er betonte, ich sollte bei Verbindungen mit Whitehall vorsichtig sein.“ „Ich glaube nicht, daß es deinem Ruf schaden wird, wenn du einen Job im Rahmen der Ascot Hotels hast.“ Er lachte. „Natürlich nicht. Ich habe nur wiederholt, was mein Onkel sagte. Er hat Einblick in die Finanzwelt, besonders soweit es um italienische Interessen geht.“ Sie hatte ausgetrunken, Brad stand auf, schenkte beide Gläser nach, brachte Kaviar und Toast und stellte die Platten auf den Kaffeetisch vor dem Sofa. „Du hast doch keine Bedenken, nur wegen Cervi? Er ermöglicht es mir, Ascot zu Dimensionen auszubauen, von denen der Gründer, der alte Rafe Leighton, nicht einmal zu träumen gewagt hätte.“ „Nein, ich habe keine Vorbehalte. Ich möchte irgendwo mitmachen, wo es Interessantes zu tun gibt, im internationalen, oder wenn du es so nennen willst, VIP-Bereich. Ich möchte das einsetzen, was meine Stärke ist: Kontaktfähigkeit, Fremdsprachen.“ Sie nahm einen Kaviartoast. „Und ich möchte mit dir zusammen sein. Sag mir also: was wird hier gespielt? Es macht mir gar nichts aus, wenn die ganze Sache etwas zwielichtig ist. Du lieber Gott, das gibt es heute überall auf der Welt. Mein Exgatte pflegte zu sagen: Hinter jedem großen Vermögen steht ein großes Verbrechen.“ Brad spülte den Kaviar hinunter. „Ich weiß auch nicht sehr -139-
viel über C. L.s Herkunft und Werdegang. Er stammt aus guten Verhältnissen, sein Vater war irgendwo im Finanzwesen tätig. Unbestritten ist, daß sich Cervi selbst innerhalb von zehn Jahren aus einer mehr oder weniger bescheidenen Ausgangsposition zu einem der größten Realitätenmakler der USA aufschwang. Er hat fast unbegrenzte Barmittel zur Verfügung oder kann sie zumindest prompt beschaffen. Ich persönlich halte ihn für den erfolgreichsten Wäschereibesitzer der Welt.“ „Wäschereibesitzer?“ Luciana lachte laut auf. „Wieso das?“ „Ja, er “wäscht“ Geld. Gewisse Personen oder Gruppen vertrauen ihm Summen an, die sie nicht selber ausgeben können, ohne die Aufmerksamkeit der Steuerbehörde zu erregen. Und zwar deshalb, weil sie auf nicht ganz gesetzliche Weise zu diesen Beträgen gekommen sind. Cervi seinerseits hat durch ein Netz von Verbindungen und Firmen die Möglichkeit, dieses Geld in Umlauf zu bringen, und zahlt den Investoren legale Gewinne aus legalen Geschäften.“ „Das heißt also, die Antriebskraft für den weiteren rasanten Aufstieg der Ascot-Hotelkette wird gestohlenes Geld bilden“, resümierte Luciana. „Nicht direkt gestohlen. Wahrscheinlich Geld aus fragwürdigen Quellen, wie dem Glücksspiel...“ „Kommt dir das nicht sonderbar vor?“ „Warum? Überlege doch: aus welchem Grund kann man am Spiel profitieren? Weil die Leute spielen wollen. Sie wären unglücklich, gäbe es das nicht. Und irgendwo auf den unteren Ebenen von Cervis Machtpyramide gibt es Männer, die dem Durchschnittsmenschen diese ersehnte Möglichkeit bieten. Wenn eine große Hotelorganisation, die für die Weltklasse der Reisenden da ist, von Transaktionen profitieren kann, die sowieso auf jeden Fall durchgeführt werden, weshalb sollte mich das stören? Stört es dich?“ Luciana dachte kurz nach, ehe sie sagte: „Nein. Warum -140-
auch?“ „Eben. - Diese Anschauung mußte ich mir in der vorigen Woche zurechtlegen, als ich mich für Cervi entschied.“ Luciana trank aus. Brad füllte sofort nach. „Du züchtest mir einen Schwips an.“ Lächelnd hob sie das Glas an die Lippen. „Ich habe es dir noch nicht erzählt, Brad, nach den drei Ehejahren war mir mein Gatte so zuwider, daß ich vor Ekel jedesmal fast verrückt wurde, wenn er sich mir körperlich näherte. Und nach fünf Jahren glaubte ich, mein Leben sei völlig verpfuscht. Ich verbrachte jährlich mehrere Monate in Sanatorien, nur um ihn für eine Weile los zu sein.“ Da Brad schweigend zuhörte, sprach sie weiter. „Schließlich begegnete ich einem Psychiater, der die große Wende in meinem Leben bewirkte. Er riet mir zur Scheidung. Ich sagte, Barclay Blore würde sich nicht dazu bereit erklären. Wenn ich mich nicht gerade in irgendeiner Nervenheilanstalt verkrochen hatte, war ich ja sein Paradestück, mit dem er bei seinen Geschäftsfreunden Eindruck schinden konnte. - Andre Thireault, so hieß der Arzt, rettete mich. Ich habe mich rasend in ihn verliebt. Die meisten neurasthenischen Patientinnen verlieben sich in die behandelnden Psychiater, wie ich hörte. Und es war auch Andre, der mir den Rat gab, ich sollte auf Scheidung dringen, ohne materielle Forderung an Blore zu stellen. Ich mußte unter allen Umständen frei sein, also machte ich meinem Mann den Vorschlag. Zum Glück nahm Andre an meinem seelischen Wohl und meiner Zukunft soviel Anteil, daß er mir Zeugen und Beweismaterial für Barclays außereheliche Affären beschaffte.“ Luciana lachte. „Barclay Blore ist nämlich ein geiler alter Bock. Manchmal hat er es mit zwei oder drei Frauen zugleich getrieben, und zwischendurch tauchte auch ein Schwuler auf. Nach der Scheidung war ich mein eigener Herr. Ich hatte zwar meine Freiheit, aber kein Geld.“ -141-
Sie stand auf und trat zum Fenster. „Alle Schätze der Welt bedeuten mir nicht soviel wie diese wunderbare, herrliche Freiheit!“ Luciana hob die Arme, als wolle sie die ganze Welt da draußen umfassen. Brad trat hinter sie, strich mit der Hand über ihre Taille und zog sie an sich. Sie wandte sich um, blieb an ihn geschmiegt. „Ich werde mich bewähren, Brad. Ich habe nicht den Wunsch, nochmals zu heiraten, viel lieber bin ich selbständig, mit einem anregenden Beruf. Ich brauche Geld, ja, aber mir kommt es nicht auf genau geregelte Bürostunden an. Ich möchte bei kühnen Projekten mitarbeiten, zu einem großen Machtapparat gehören. Und ich glaube, wir haben nun die Möglichkeiten, einen Menschen wie Barkley Blore zu überrollen, wenn er sich uns in den Weg stellt.“ „Diese Methode ist so veraltet wie eine Vorderladerbüchse. Auf dieser Ebene erledigt man solche Typen finanziell“, murmelte Brad. Seine Lippen streiften Lucianas Ohr. Zärtlich umschlang er sie, über ihr dunkel schimmerndes Haar hinweg sah er die offene Tür zum Schlafzimmer, das breite Bett. Maurice D'Estang kam nicht regelmäßig in Cervis Büro. Normalerweise verkehrten sie telefonisch miteinander, Besprechungen hielten sie an verschwiegenen Treffpunkten in New York und manchmal in C. L.s entlegenem Landhaus ab. Doch nun deutete alles darauf hin, daß treue und zuweilen sehr anrüchige Dienste belohnt werden sollten. Dem Korsen bot sich die Chance des weiteren Aufstiegs im Gefüge der Hierarchie, der er seit langem angehörte. Fortan würde er im WhitehallImperium profilierter in Erscheinung treten. „Es spielt wirklich keine Rolle, daß Sie keine Erfahrungen in der Führung eines Hotels haben“, versicherte Cervi. „Brad Kendall wird Ihnen einen fähigen Manager beistellen, der den Ascot Tower leitet und im übrigen brav im Hintergrund bleibt, -142-
sich vor allem nicht für Dinge interessiert, die ihn nichts angehen. Aber in Ihrer Funktion als Vizepräsident und Generaldirektor wird es Ihnen ein Leichtes sein, auf höchster Ebene das zu tun, was Sie bisher in einer etwas tiefer gelagerten Kategorie taten.“ „Sie glauben, Kendall wird gute Miene dazu machen?“ fragte D'Estang. Beim Sprechen wippte die französische Zigarette zwischen seinen Lippen. Cervi lehnte sich auf seinem Sitz zurück. „Jawohl, er wird“, sagte er langsam. „Brad wächst allmählich in unsere Organisation hinein. Jeder Mann hat seinen Preis. Kendall bildet da keine Ausnahme. Nur wird in seinem Fall der Preis auf etwas elegantere Art bezahlt. Er ist ein Mann von Format und wird es immer bleiben, wenn wir ihn auch noch so sehr korrumpieren.“ „Wie Sie meinen, C. L.“, erwiderte D'Estang zweifelnd. „Lassen Sie die nötigen Arbeiten in den Suiten des obersten Stockwerks unverzüglich durchführen, wir werden die Räume sehr bald brauchen.“ „Das wird nicht länger als zwei Tage und zwei Nächte dauern, dann ist die Anlage aktionsbereit“, sagte D'Estang zuversichtlich. „Meine Sektion wird so spuren, wie Sie es erhoffen, C. L. Diese Hotel-,Fassade’ wird uns dabei sehr zustatten kommen.“ „Aber Brad Kendall muß in dem Glauben belassen werden, daß er der Boß ist“, betonte Cervi. „Natürlich, gewiß“, beteuerte D'Estang rasch. Cervi stand auf, ging durch den großen Raum und betrachtete die Weltkarte an der Wand; er genoß den Anblick der vielfarbigen Stecknadelköpfe, mit denen die Kontinente übersät waren. „Wie läuft unser UNO-Projekt?“ fragte er. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich über das zerklüftete -143-
Gesicht des Korsen. „Bestens. Und sobald Julius die Hotelapartments konditioniert hat, noch besser. Senor Ramirez zeigte sich ungemein -“, er hielt inne, als suche er nach dem richtigen Wort, „willfährig. Morgen reist er mit dem Mädchen ab, das ich ihm zugeführt habe. Außerdem starten in dieser Woche noch fünf andere Kuriere, alle für uns so gut gesichert, als es mir möglich war. Keiner von ihnen könnte es sich leisten, mit dem Geld durchzugehen oder “auszupacken“.“ „Qualitätsarbeit, Maurice. Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.“ Cervi war äußerst animiert. „Es ist ein abscheuliches, ja das denkbar widerwärtigste Unterfangen, in das wir uns da einlassen, aber ich sehe keine Alternative. Wenn wir nicht alle Fäden in die Hand nehmen, werden es andere tun. Da die USRegierung außerstande ist, den Heroinimport zu stoppen, läuft der Schmuggel weiter.“ Er deutete auf die Nadel für Beirut. „Dort müssen wir den Hotelbau vorantreiben. Solange der Libanon der Angelpunkt der Opiumhandelsroute via Marseille-USA ist, müssen wir in jenem Gebiet entscheidend präsent sein. Eines Tages“, er wandte sich von der Weltkarte ab, „wenn unsere politischen Pläne verwirklicht sind, werden wir den gesamten Rauschgifthandel aufrollen und vernichten. Aber bis dahin gibt es für uns nur eines: die Festigung von Operationsbasen an den Quellen und wichtigen Umschlagplätzen - Libanon, Marseille und natürlich immer mehr auch Saigon, Hongkong und San Francisco. Denn wenn wir, wir selbst, den Rauschgifthandel nicht unter Kontrolle haben, wird es uns nicht gelingen, ihn hier in Amerika auszuschalten, sobald die Zeit dafür kommt.“ „Mittlerweile werden wir durch die großen Profite, die dabei herausspringen, immer stärker“, bemerkte D'Estang trocken. „Ja, aber gerade die Macht, die wir durch jene steuerfreien Gewinne erlangen, wird uns eines Tages in die Lage versetzen, die Endlösung des Problems herbeizuführen.“ -144-
Cervi trat zu seinem Schreibtisch und drückte auf einen Knopf. Lautlos glitt ein Teil der Wand zur Seite, ein großer heller Raum wurde sichtbar. Darin standen eine Orgel und ein Spinett. Cervi setzte sich an die Orgel und senkte langsam die Hände auf die Tasten, er schien zu überlegen, was er spielen sollte. Dann ertönten die rauschenden Akkorde der Arie des Herzogs aus „Rigoletto“. D'Estang faßte dies als Signal auf, daß die Besprechung beendet war und ging zur Tür.
-145-
15 Jorge Ramirez entstieg seiner Limousine, die infolge des CDSchildes der UNO gegen Behelligungen durch die New Yorker Polizei immun war. Er befahl seinem Fahrer, ohne Rücksicht auf das bestehende Halteverbot, in der 5th Avenue vor “Tiffany“ zu warten. Dann betrat er den berühmtesten Juwelierladen Amerikas und ging zu jenem Verkaufstisch, wo es noch verhältnismäßig billige Broschen gab. Ein distinguierter weißhaariger Gentleman in dunkelgrauem Jackett und gestreiften Hosen, mit straff gerolltem Schirm über dem Arm, betrachtete einen Anhänger. Er wirkte wie ein Diplomat alter Schule oder wie der Manager eines Luxushotels. Zu diesem Stil paßten auch der schwarze Homburg und die perlgrauen Wildlederhandschuhe. Der Mann blickte auf, als Jorge die funkelnden Geschmeide in der Vitrine in Augenschein nahm. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Schmuckstück, das auf schwarzem Samtuntergrund lag. Ein Verkäufer trat heran. „Wünschen Sie etwas Bestimmtes, Sir?“ „Ja, ein Geburtstagsgeschenk für meine Nichte. Ich möchte ihr etwas mitbringen. Sie lebt in Genf.“ „Wie alt ist die junge Dame?“ fragte der Verkäufer. „Erst fünfzehn.“ Jorge lächelte, Verständnis heischend. „Es muß also nichts sehr Teures sein. Übrigens, ich reise morgen um siebzehn Uhr ab, PANAM-Flug 657. Wäre es möglich, das von mir ausgesuchte Stück direkt zur Maschine zu liefern und so die Sondersteuer von New York City zu umgehen?“ „Verzeihung“, unterbrach ihn der Gentleman, an den Verkäufer gewandt, er sprach mit undefinierbarem europäischem Akzent. „Würden Sie einen Scheck in Zahlung nehmen? Er ist auf die Queensfield Bank bezogen.“ -146-
„Sie haben doch sicherlich einen Ausweis bei sich, Sir? Dann können wir es gewiß so regeln.“ „Ja. Und ich werde morgen Punkt fünfzehn Uhr im Direktionsbüro der Bank sein. Zur Bestätigung.“ „Das wird nicht nötig sein, Sir, wenn sie sich legitimieren können. Darf ich nun diesen Herrn bedienen?“ Beflissen sagte er zu Ramirez: „Ich werde sofort wegen der Zustellung fragen.“ „Nein, ich habe es mir überlegt“, fiel ihm Ramirez rasch ins Wort. „Ich nehme diese Rubinbrosche für 50 Dollar. Es ist wohl einfacher, ich bezahle die Steuer und nehme das Stück gleich mit.“ Dann ließ sich Jorge Ramirez zu seiner eleganten Wohnung im “Place d'Etoile“ bringen, einem der modernsten und luxuriösesten Apartmenthäuser New Yorks. Er entstammte einer guten alten Familie in Santo Morango und war von frühester Jugend an ein luxuriöses Leben gewöhnt. Als Mittdreißiger bekam er diese UNO-Sinekure, die ihm den Zugang zum Jet Set eröffnete und die Möglichkeiten bot, die raffiniertesten Genüsse auszukosten. Der diplomatische Posten selbst war zwar nicht sehr großzügig dotiert, aber nach dreijähriger Tätigkeit oder, treffender gesagt, Anwesenheit in New York waren gewisse Personen aus den Randbereichen der Weltorganisation auf ihn aufmerksam geworden. Man wußte seinen Einfluß und seine gewinnende Art zu schätzen und war bereit, für Gefälligkeiten gut zu bezahlen. Solch ein Interessent war Maurice D'Estang, der Verbindungsmann zu dem geheimnisvollen Wirtschaftsmagnaten C. L. Cervi. Ramirez begab sich in sein Sechszimmerapartment samt Privatbüro in einem der obersten Geschosse des Hauses. Das war sein Stolz. Die Hazienda in Santo Morango war wohl ein weitläufiger Besitz, der angemessene Rahmen für seine Familientradition und politischen Verbindungen zum Regierungspalast, aber ein wahrhaft -147-
international denkender Mann von Welt war aus Jorge erst seit seiner Akkreditierung in New York geworden. Er lebte gern in dieser Stadt und wünschte sich nichts sehnlicher, als von dort aus am Spiel der Mächte teilzuhaben. Erfreulicherweise verbrachte seine Frau Eugenia mindestens sechs Monate pro Jahr in der Heimat, wo auch die Kinder des Paares aufwuchsen. Da er selbst auf der weltpolitischen Bühne agierte, fand man es nur zu begreiflich, daß er nicht so oft bei seiner Familie sein konnte, wie er gern gewollt hätte. Eugenia konnte sich vor Verwandten und Freunden der Bedeutung ihres Mannes rühmen. Dies und die fünf Sprößlinge bildeten ihren eigentlichen Lebensinhalt. Er ging durch das modern “amerikanisch“ eingerichtete Wohnzimmer - so nannte er alle Innenarchitektur, die sich von den schweren Mahagonimöbeln und dem spanischen Kolonialprunk unterschied, der seit Jahrhunderten die Häuser der alten Eliten Lateinamerikas prägte. Dieses Wohnzimmer teilte sein Apartment in zwei Sektoren. Es gab zwei Schlafräume, je einen für ihn und seine Frau - nur während deren seltenen Besuchen benützt - und einen dritten für Gäste oder eines der älteren Kinder. Auf der anderen Seite schloß an das Speisezimmer und die Küche - mit eigenem Eingang Jorges Privatbüro an, und daneben lag noch eine kleine Suite, bestehend aus Salon und Schlafraum. Ramirez betrat sein Arbeitszimmer, als solches lediglich durch einen mehr oder weniger funktionslosen Schreibtisch ausgewiesen, und schloß die Tür hinter sich. „Christa?“ rief er. „Ja, hier bin ich“, antwortete die schöne junge Blondine, die seine Privatsekretärin und Geliebte war. Die beiden konnten sich nur auf Englisch verständigen, und es gab in der lateinamerikanischen Gruppe der UNO-Delegierten manche Uneinsichtige, die sich fragten, welchen Sinn es habe, ausgerechnet eine Schwedin zu engagieren, die weder Spanisch -148-
noch Portugiesisch sprach. Aber da Christa Bergman mit einem lächerlich geringen Gehalt zufrieden war, fand man weiter nichts einzuwenden. Nur Jorge wußte, woher das Geld stammte, mit dem Christa ihren keineswegs bescheidenen Lebensunterhalt bestritt. „Ist für morgen alles gepackt?“ „Ich bin fast fertig. Komm herein.“ Ramirez ging durch den Salon ins Schlafzimmer. Christa, völlig nackt mit lang herabfallendem Haar, legte allerlei Kleidungsstücke und Accessoires in ihre Koffer. Jorge hielt den Atem an. Immer wieder entzückte ihn die erlesene Schönheit dieses blonden Mädchens, so verschieden von den schwarzhaarigen Frauen in den Ländern südlich des Rio Grande. Er warf sein Sakko ab, lockerte die Krawatte, fiel vor Christa auf die Knie und zog das goldig schimmernde Haarbüschel unter ihrem straffen Bauch an den Mund. Gierig begann er sie zu küssen, seine Zunge drang durch das weiche Gekräusel zu den Lippen, die er suchte. Sie lachte lüstern. „Jorge, Jorge, nicht jetzt. Ich muß noch oh, nicht, du! - so vieles erledigen. Bitte, Liebling...“ Widerstrebend ließ er sie los und stand auf. „Leider sind wir mit Mr. Umulu zum Dinner verabredet.“ „Ach, diese Neger. Die verschlingen einen immer gleich mit den Augen.“ „Ich weiß. Aber Umulu bringt einige andere Mitglieder afrikanischer Delegationen mit. Die haben nun einmal eine Schwäche für Blondinen. Sei freundlich zu ihnen, dabei vergibst du dir nichts. Ich möchte mit ganz bestimmten Afrikanern ins Gespräch kommen.“ „Das meiste habe ich schon verstaut.“ „Wir werden mit leichtem Gepäck abreisen und mit schwerem zurückkommen. Es kann sein, daß du sogar etwas davon -149-
vorläufig in der Schweiz lassen mußt.“ „Schon recht, Liebling. Aber eine Frau braucht eben viel länger, wenn sie nur wenig einpacken kann.“ „Du hast bis morgen um zwei Uhr Zeit. Sind deine Dokumente in Ordnung? Dein Diplomatenpaß?“ „Natürlich.“ Christa war für ihn ein Wunder. Eugenia klagte schon tagelang vor dem Start und war zum gegebenen Termin nie fertig. Mehr als einmal hatte er ihretwegen wichtige Flüge versäumt, und nun begriff sie wenigstens, warum er sich strikt weigerte, sie auf dienstliche Reisen mitzunehmen. Er hoffte, daß Eugenia nie mehr die Grenzen von Santo Morango überschreiten würde. Um Punkt 14.20 Uhr fuhr der Dienstwagen beim “Place d'Etoile“-Apartmenthaus vor. Ramirez und Christa Bergman warteten bereits, jeder hatte nur ein einziges Gepäckstück bei sich. Jorge trug außerdem einen schwarzen Attachékoffer mit Kombinationsschloß, den er im Auto auf die Knie legte. „Zum Kennedy Airport, Rafael. Halten Sie unterwegs bei der Queensfield Bank.“ Schweigend saßen sie nebeneinander. Beide waren gut ausgeruht. Nach dem anstrengenden Abendessen mit UNODelegierten verschiedener afrikanischer Staaten hatten sie bis in den hellen Vormittag geschlafen. Wenn Ramirez auf die letzten sechs Monate zurückblickte, konnte er mit sich zufrieden sein. Er hatte bereits eine Menge erreicht. Bei günstiger Anlage von D'Estangs großzügigen Zuwendungen und kluger Ausnützung der Verbindungen, die der stets gefällige Korse entriert hatte, würde es Jorge zum Dollarmillionär bringen. Besonders freute er sich nun darüber, daß es ihm gelungen war, seiner Freundin einen Diplomatenpaß der Republik Santo Morango zu verschaffen. -150-
Die Limousine hielt vor der Queensfield Bank. Es war genau 14.58 Uhr, wie Jorge durch einen Blick auf seine Uhr feststellte. „Es wird nur ein paar Minuten dauern“, sagte er und stieg mit dem Attachékoffer in der Hand aus. Er war der letzte Kunde des kleinen, unauffällig wirkenden Geldinstitutes, von dem er gestern zum erstenmal gehört hatte. Jorge fragte nach dem Manager. Ohne Gegenfragen wurde er zu einem Büro hinter den Schreibtischen der Kassiere und Angestellten geführt und trat ein. Kein Zweifel, er wurde erwartet. Ein Mann vom Typ des sehr konservativen Bankiers mit kurzgeschnittenem grauem Haar sah ihm ernst entgegen. Die Tür schloß sich hinter Ramirez. Der Fremde im dezent gestreiften dunklen Anzug samt Weste verharrte in Schweigen. „Ich bin der Kurier des Zaren“, sagte Jorge. Der Bankier sah auf seine Uhr, stand auf, ging zu einem Wandsafe, drehte das Kombinationsschloß, öffnete und nahm einen schmalen schwarzen Attachékoffer heraus, der genau jenem glich, den der Diplomat mitgebracht hatte. Der Bankier stellte seinen Koffer auf den Schreibtisch, und Jorge stellte den anderen daneben. Als der Bankier nickte, ergriff Ramirez den Attachékoffer aus dem Safe und verließ das Büro. Dieser Austausch wurde ohne jeden Kommentar vollzogen. Der Wächter öffnete das Tor, und Jorge bestieg wieder den Wagen. Die ganze Prozedur hatte kaum zwei Minuten gedauert. „Das ging ja schnell“, bemerkte Christa lobend. „Natürlich“, sagte er in bester Laune. „Und jetzt nach Europa, für ein paar Tage Arbeitsurlaub. Bist du glücklich?“ „Ja, Jorge, und wie! Wir haben es zusammen so schön. Und wir tun auch Dinge, die für die Welt wichtig sind. Ich reise so gern.“ Eineinhalb Stunden vor dem Abflug der SAS-Maschine nach Zürich kamen sie auf dem Kennedy Airport an. Da sie ihre Diplomatenpässe vorwiesen, war die Abfertigung eine bloße -151-
Formalität. „Wir hätten uns ruhig noch Zeit lassen können“, meinte Christa. Jorge schüttelte den Kopf. „Ich mußte um Punkt drei Uhr in der Bank sein.“ „Warum?“ Ramirez merkte sofort, daß diese Mitteilung unnötig war, und preßte die Lippen zusammen. Er war etwas zerstreut, vielleicht deshalb, weil er sich wegen der Mission Sorgen machte, aber das war keine Entschuldigung für Unachtsamkeit. D'Estang hatte eigens betont, diese Aktion müsse mit eiserner und absoluter Disziplin durchgeführt werden. Fehler würden nicht geduldet, und wenn ein Beteiligter unvorsichtig wäre, plötzlich aussteigen wolle oder sich sonst etwas zuschulden kommen ließe, dann würde es der Betreffende, und nur er allein, zu büßen haben. Sehr schwer zu büßen, hatte D'Estang hinzugefügt. „Ach, kein besonderer Grund“, antwortete er lächelnd auf die Frage des Mädchens. „Ich wollte nur etwas erledigen, bevor geschlossen wird.“ Er drückte ihre Hand. Sie gingen in den Luxusklassewarteraum der SAS hinauf und tranken dort Kaffee und Brandy. Christa freute sich, daß sie mit der blonden Hosteß Schwedisch sprechen konnte. Unter der Last einer ungeheuren Verantwortung hielt Jorge den Attachékoffer fest. Er blickte darauf nieder, sah, daß die Fingerknöchel der verkrampften Hand ganz weiß waren, und sagte sich: „Nur Ruhe. Schon in acht Stunden wird der Auftrag zur Hälfte ausgeführt sein.“ Er suchte seelischen Halt in dem Bewußtsein, daß er zu den Männern der Spitzenregion gehörte, auf einer Ebene operierte, die ihn an Tragweite seiner Handlungen über den Präsidenten von Santo Morango und fast alle anderen Staatsoberhäupter Lateinamerikas stellte. Er, Jorge Ramirez, arbeitete mit einer Weltmacht zusammen, der US-Regierung in Washington vergleichbar. Und es erfüllte ihn mit Stolz, daß er in -152-
dieser Organisation, die ihn für seine Dienste so reichlich belohnte, eine keineswegs unwichtige Rolle spielte. Er durfte hoffen, daß Cervis Dankbarkeit auch künftig am Zuwachs von Jorges Geheimkonto abzulesen war. Der Flug wurde rechtzeitig angesagt. Ramirez ging mit Christa an Bord. Sie hatten Plätze in den hinteren Reihen der Luxusklasse, Jorge wählte den Fenstersitz und klemmte den Attachékoffer, den er seit der Übernahme in der Bank keine Sekunde aus der Hand gegeben hatte, zwischen die Armlehne und seinen Körper. Nervös wartete er noch zwanzig Minuten, bis die Tür geschlossen wurde und die Maschine auf die Startpiste rollte. Als sich der Jet endlich in der Luft befand, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus, schob seinen Sitz zurück, griff nach Christas Hand und schloß die Augen. Er wollte nicht schlafen, sondern nur dösen, ohne im Dahindämmern den Schatz zu vergessen, den er an sich drückte. Dennoch schlief er ein und schreckte erst hoch, als die Stewardeß Cocktails servierte. Fahrig tasteten seine Finger sofort nach dem Koffer, dann ließ er sich wieder zurücksinken. Christa und die Stewardeß unterhielten sich in einer Sprache, die er nicht verstand. Nun schwand die quälende Unsicherheit vollends. Unbeschwert plauderten Jorge und Christa bei den Drinks über die Orte, die sie nach dem Abschluß der Komitee-Sitzungen in Genf aufsuchen wollten. Auf dem Flug von Westen nach Osten überquerten sie die Zeitgrenze. Ramirez hatte diese Stundendifferenz bei seinen Reiseplänen genau einkalkuliert. Sie würden in Zürich eintreffen, wenn die Banken öffneten, und er konnte den Koffer sofort abliefern. Nach dem Dinner, das sie um 20.30 Uhr New Yorker Zeit einnahmen - an ihrem Ziel war es nun 3.30 Uhr morgens -153-
wurde an der Stirnwand der Kabine eine Projektionsfläche ausgerollt und ein Film gezeigt. Es war eine läppische Liebesgeschichte, die beide schon nach fünf Minuten anödete. Neuerlich seinen Gedanken preisgegeben, wurde Jorge wieder von Ängsten bezüglich seiner gefährlichen Mission geplagt, und er mußte sich sehr beherrschen, um seine Unruhe zu kaschieren. Trotzdem spürte Christa seine Nervosität und drückte seine Hand. „Was hast du denn, Liebling?“ „Nichts, wirklich nichts. Mir geht nur zu viel im Kopf herum, das ist alles.“ „Dann leg ihn auf meine Schulter, gleich wird es besser sein.“ Jorge bettete den Kopf auf ihr fein duftendes langes Haar, Christa strich ihm mit den Fingerspitzen sanft über Stirn und Augen. Seine Atemzüge wurden tief und regelmäßig, bald vergaß er, was ihn bedrückte und schlief ein. Pünktlich traf das Flugzeug in Paris, ihrer ersten Zwischenstation, ein. Es war fünf Uhr morgens. Jorge und Christa verdösten den einstündigen Aufenthalt, dann startete die Maschine wieder. Die Sonne ging eben über den Bergen auf, als sie in ZürichKloten landeten. Mit ihren Diplomatenpässen brachten sie die Einreiseformalitäten ohne Zollkontrolle hinter sich. Als sie den Warteraum betraten, kam ein Mann in Chauffeuruniform auf sie zu. „Senor Ramirez?“ fragte er. Jorge nickte. „Ich bin der Fahrer, den Sie bestellt haben.“ Jorge wußte nichts von derartigen Vereinbarungen, aber es wunderte ihn nicht, daß er abgeholt wurde. Das gehörte zu den eingespielten Taktiken der Organisation. „Bitte nehmen Sie das Gepäck.“ In einem schwarzen Mercedes fuhren sie los. Es war sieben Uhr dreißig. Ramirez gab dem Fahrer keine Weisungen. Eine -154-
Dreiviertelstunde später hielt der Wagen vor einer Bank, genau in dem Moment, als die altertümlichen Eisengitter von innen geöffnet wurden. Ein Wächter postierte sich vor dem Tor. Jorge stieg aus und betrat das Gebäude. Ein kahlköpfiger Mann in schwarzem Sakko und gestreiften Hosen, anscheinend die übliche Amtstracht für leitende Kräfte von Schweizer Banken, verneigte sich leicht und führte Ramirez in ein Büro. Auf dem wuchtigen dunklen Refektoriumstisch des zellenartigen Raumes stand ein schwarzer Attachékoffer, wieder genau dasselbe Modell. Und wieder der rasche Austausch. „Möchten Sie ihn öffnen?“ fragte der Manager. „Die Kombination ist auf 000 eingestellt.“ Ramirez drückte auf die Schlösser. Der Koffer klappte auf. Darin lag nur ein großes Kuvert. Es enthielt fünftausend Dollar in Hunderterscheinen. Fünftausend steuerfrei, ein Betrag, über den Jorge keinem Menschen Rechenschaft geben mußte! Ohne seine Freude zu zeigen - immerhin war er Diplomat und hatte es gelernt, Gemütsregungen nicht nachzugeben - verabschiedete er sich kurz von dem Manager, nahm den Koffer und ging. „Wohin nun, Exzellenz?“ fragte der Fahrer, der diese Anrede für geboten hielt. „Zum Hotel Splendide.“ Jorge wandte sich zu Christa. „Bis zum Nachmittag ruhen wir uns dort aus, dann fliegen wir nach Genf weiter. Heute abend großer Empfang, während der nächsten zwei Tage Sitzungen. Dann nach Paris. Wir bleiben ein paar Tage in Frankreich, bevor es wieder heimwärts geht.“ „Herrlich! In Paris werde ich einkaufen!“ „Liebling, ich glaube, es ist besser, wenn wir mit leichtem Gepäck reisen, wie wir es uns vorgenommen haben. Einkaufen können wir in New York. Alles, was du dir wünscht.“
-155-
16 „Ist er schon weg?“ lautete D'Estangs erste Frage, als sie sich in der Halle des Ascot Tower trafen. Brad verneinte. „Ich will gerade zu ihm.“ Sichtlich ungeduldig nickte D'Estang und verschwand. Rasch ging Brad in Björnlunds Büro. „Ich hoffe, Mrs. Blore fühlt sich bei uns wohl“, sagte der Norweger fröhlich. „Ja, es gefällt ihr hier sehr gut.“ Brad zögerte. Wie sollte er es dem alten Freund beibringen? Er fand, in dieser Phase, wenn Köpfe rollten, war es am besten, ohne Umschweife Klarheit zu schaffen. „Knut, es tut mir leid, ich muß dir eine unerfreuliche Mitteilung machen. Mr. Cervi hat beschlossen, einen neuen Generaldirektor, einen Maitre d'Hotel und Gott weiß wen noch einzustellen. Falls er nicht auch einen neuen Ascot-Präsidenten ernennt, habe ich die Aufgabe, seine Weisungen durchzuführen.“ Der Manager schluckte krampfhaft, sein Gesicht wurde fahl. „Ich hatte gehofft, daß es nicht dazu kommen würde, aber natürlich rechnete ich mit der Möglichkeit. In meiner ganzen weiteren Laufbahn werde ich kein solches Haus mehr kriegen...“ „Glaub doch das nicht, Knut. Zunächst hast du ein Anrecht auf entsprechende Entschädigung. Cervi möchte punkto Abfertigung sehr großzügig sein. Man wird auf dein Konto noch heute ein Halbjahresgehalt überweisen, aufgerundet. Whitehall läßt sich nicht lumpen. Der neue Manager wird seinen Posten heute vormittag antreten.“ „Diese Brüder arbeiten sehr rasch“, bemerkte Knut fast feindselig, „Ja, das stimmt.“ „Okay.“ Der Skandinavier stand auf. „Ich werde jetzt meinen -156-
Schreibtisch ausräumen. Du kannst das Büro in einer halben Stunde haben.“ Brad wollte sagen, Björnlund möge nichts überstürzen, aber er wußte, daß D'Estang mit einem sofortigen Wechsel rechnete. „Danke, Knut, danke für dein Verständnis.“ „Schon gut, ich verstehe alles. Schließlich habe ich die letzten drei Jahre hier verbracht, während du im Exil warst - ja, Exil ist das richtige Wort dafür.“ Brad nickte. „Aber immerhin eine Verbannung, aus der ich etwas machen konnte.“ „Wahrscheinlich weiß ich viel mehr über Whitehall als du.“ „Du darfst nicht den Gerüchten Glauben schenken, die im Umlauf sind. Die Banken, die Presse und sogar das FBI haben gründliche Erhebungen durchgeführt. Resultat: keinerlei Verdachtsmomente, kein belastendes Material.“ „Ja, ja, sicherlich. Weißt du, wie oft ich hier in diesem Hotel Vorfälle vertusche, die eigentlich Skandale sind? Etwa einmal pro Woche.“ Hastig leerte Knut Laden aus und stapelte den Inhalt auf der Schreibtischplatte. „Vielleicht ist es sogar ein Glück für mich...“ „Es wird dir bestimmt nicht schwerfallen, einen guten neuen Posten zu finden. Übrigens, wenn du Möglichkeiten für Leute aus deinem Team siehst, sag es ihnen. Ich werde euch in jeder Weise behilflich sein.“ „Das weiß ich, Brad. Es ist nicht deine Schuld. Wenn du eines Tages Hilfe brauchen solltest, komm zu mir.“ „Danke, Knut. Ich hoffe, das wird nicht nötig sein, aber ich werde dein Angebot nicht vergessen.“ „Ganz ehrlich, Brad - diese Umbesetzungen passen Ihnen nicht, wie?“ Cervi blickte den Ascot-Präsidenten prüfend an. Es war Spätnachmittag; Lagebesprechungen kurz vor dem Beginn -157-
des Wochenendes gehörten offenbar zur Routine des obersten Whitehall-Bosses. „Wir lassen viele tüchtige Kräfte ziehen, für die wir entsprechenden Ersatz suchen müssen.“ „Den finden wir in unserem eigenen Konzern. Wir handeln immer Schlag auf Schlag. Daran werden Sie sich gewöhnen.“ Cervi drehte sich auf seinem Sitz und blickte durchs Fenster. Das tatsächlich sternförmig angelegte “Place d'Etoile“ überragte alle anderen Apartmenthäuser am East River. „Wie steht es mit Ihrer Wohnung? Haben sie sich schon entschieden?“ „Ja, die Bleibe ist wunderschön. Ich bin drauf und dran, den Kauf zu tätigen.“ „Gut so. Wir werden Ihnen ein Darlehen gewähren. Sie können das Apartment innerhalb eines Jahres von Ihrem Gehalt abzahlen, zins- und steuerfrei. Wir sind dafür, daß alle unsere Angestellten in Gebäuden des Unternehmens wohnen und arbeiten. Wozu soll jemand anderer die Miete einstreichen? Schließlich haben wir Wohnraum in jedem Stadtviertel und zu jeder Preislage zur Verfügung.“ „Ich kann mich nicht beklagen, C. L.“ „Das freut mich. Klagen hören wir nicht gern - ganz gleich, von welcher Seite...“ „Wann machen wir das Geschäft in Miami?“ fragte Brad, den bei derartigen Andeutungen Cervis ein unbehagliches Gefühl beschlich. „Ich würde die Sache gern noch vor unserem großen Vorstoß nach Lateinamerika erledigen.“ „Das Wichtigste ist die Zeiteinteilung. Bei der ersten Phase ging es um zügiges Tempo. Nun würde ich sagen, wir warten noch eine oder zwei Wochen, bevor wir mit Phase zwei beginnen. Dabei treten dann Sie in Aktion.“ „Ich habe gelesen, daß dort seit Montag gestreikt wird. Der Hotelbetrieb mußte gesperrt werden.“ -158-
„Ja, davon habe ich auch gehört. Die Gewerkschaften stellen manchmal indiskutable Forderungen.“ „Maurie Unger ist ein unguter Typ“, bemerkte Brad. „Deshalb möchten ja seine Partner aussteigen, nur um ihn loszuwerden. Aber durch einen Streik wird man Maurie nicht zum Verkauf zwingen.“ „Abwarten, wie sich die Situation in einer Woche zeigt. Auch ein Mann wie Unger hat seine schwachen Seiten und empfindlichen Punkte.“ Geringschätzig lächelnd legte Cervi die Hände flach auf die Schreibtischplatte. „Er arbeitet dort unten mit einer Gruppe ohne festen inneren Zusammenhalt. Außerdem will er zuviel für sich persönlich herausschlagen und schafft sich dadurch Feinde, die seinen Sturz nur begrüßen würden. Wie die Dinge liegen, muß man heute eine straffe Organisation haben, in der jeder seine Pflicht tut und nicht aus der Reihe tanzt, keinen Fußbreit. Das ist der Weg zum Erfolg.“ Cervi erhob sich und begann vor der Glaswand auf und ab zu gehen. „Wenn unsere Machtinstrumente eine so lockere, poröse Textur hätten wie etwa der Staatsapparat der USA, dann wären wir erledigt. Wissen Sie, daß die einzelnen Sicherheitsdienste vor lauter gegenseitigem Mißtrauen keine Informationen austauschen? Hoffen wir, daß es so bleibt.“ „Ich bin auf Teamarbeit eingespielt, C. L.“ Brad sprudelte die Worte heraus, als hätte er sich bis jetzt mühsam beherrscht. „Aber heißt das auch, daß Luciana Blore - und vielleicht wird sie bald einen anderen Namen tragen - abends immer mit Hotelgästen ausgehen muß, die D'Estang für wichtig hält?“ Mit freundlichnachsichtiger Miene trat Cervi vom Fenster zurück, faßte die Stuhllehne und beugte sich vor. „Erstens gratuliere ich Ihnen zu Ihrem guten Geschmack und begreife durchaus, daß Sie diese Frau ganz für sich haben wollen. Zweitens: Luciana ist beim Ascot Tower als eine Art Hosteß im Rahmen der Public-Relations-Abteilung angestellt, für ein -159-
großzügig bemessenes Gehalt, wie ich hinzufügen darf. Sie wird beweisen, daß sie ihr Geld wert ist, davon bin ich fest überzeugt.“ „Trotzdem hätte mich Maurice fragen können“, erwiderte Brad mürrisch. „Luciana gehört zur Belegschaft unseres Spitzenhotels.“ In Cervis Stimme schwang ein Unterton von Ungeduld mit. „Sie bekam einen heiklen Auftrag, den sie sehr gern übernahm, wie mir erzählt wurde.“ „Sie konnte ja nicht gut nein sagen.“ Sofort bereute Brad diese Entgegnung, denn Cervis Augen bekamen einen gefährlichen Glanz. Er richtete sich auf und blickte seinen Gesprächspartner über den Schreibtisch fest an. „Lieber Brad, Sie haben eine leitende Funktion im Gefüge der WhitehallGruppe. Es gibt viele Männer, die seit der Gründung bei uns sind und die Befähigung für die Position des Präsidenten der Ascot-Kette hätten. Ich habe mich bemüht, Ihnen klarzumachen, was es heißt, zu uns zu gehören. Es bedeutet, einer bestimmten Richtung zu folgen, alle dazu erforderlichen Arbeiten zu leisten, Weisungen zu geben und zu empfangen. Es bedeutet auch, daß bei uns kein Platz für kleinliche Quertreibereien und hemmende Mißhelligkeiten ist. Brad, wenn Sie noch immer nicht wissen, wer wir sind und was wir erstreben, dann hätte ich mich in Ihnen schwer getäuscht. Es steht Ihnen nach wie vor frei, zu gehen, aber Sie müssen sich endlich definitiv entscheiden.“ Brad gestand sich ein, daß er in einem solchen Fall mit einem Untergebenen, der Schwierigkeiten machte, noch schärfer Fraktur geredet hätte. „Wahrscheinlich bin ich Luciana gegenüber eben zu wenig objektiv gewesen“, sagte er einlenkend. Cervi nickte befriedigt. „Ich hatte zwei Gründe, Sie mit diesem verantwortungsvollen Aufgabenkreis zu betrauen. Sie haben einen guten Ruf in der Branche. Soviel ich erfuhr, meint -160-
man in der Hotellerie, daß Ihre Einwände gegen Mr. Leightons allzu gewagte Geschäftsgebarung durchaus gerechtfertigt waren, aber man rechnet Ihnen hoch an, daß Sie dem alten Mann die Treue hielten, obwohl das für Sie eine Machteinbuße bedeutete.“ Brad wartete auf den zweiten Grund. „Ich weiß auch von Ihrer Tätigkeit in der Politik.“ Cervi betonte jedes Wort. Brad zuckte die Achseln. „Nur soweit, als politische Kongresse eben gute Einnahmen für Hotels bringen.“ „O nein, Sie haben Politikern manchen Gefallen erwiesen, besonders wenn es um Dinge ging, die äußerst diskret behandelt werden mußten.“ Brad lächelte. „Wir stehen unseren Gästen voll und ganz zur Verfügung, falls sie individuelle Wünsche oder Probleme haben. Aber ich muß zugeben, daß mich die Politik immer faszinierte. Ich erwog sogar, ins Wahlkampfmanagement überzuwechseln, wenn es mit Ascot vorbei sein sollte.“ „Das wollte ich von Ihnen selbst hören, Brad. Bleiben Sie bei uns, handeln Sie in unserem Interesse, und Sie werden nur Vorteile haben, gestützt auf die Hotelkette und die Macht der politischen Sektion von Whitehall, die schon jetzt mit Hochdruck Vorarbeiten für die nächsten Wahlen leistet.“ Wie immer in solchen Momenten, regte sich in Brad ein tiefer Zwiespalt, wenn er spürte, daß ihn Cervi zu formen vermochte. Er schwankte zwischen Begeisterung und Zweifel. Dieser Mann führte ihn gleichsam auf den höchsten Gipfel und zeigte ihm das Dorado, das er erobern konnte. „Bei Ihrer politischen Sektion spielt Geld keine Rolle, wie mir scheint“, sagte er schließlich. „Wir sind bereit, im Lauf der nächsten fünf Jahre mindestens 50 Millionen Dollar auszugeben, um unseren Mann als Präsidenten durchzubringen.“ Cervi ging zu dem Tisch der Sitzgarnitur und strich über den Rumpf des Flugzeugmodells. „Wir werden die Jets einsetzen, die Ascot Hotels, Mädchen, -161-
alles, was wir brauchen. Aber ich erwarte, daß Bill Adams nominiert wird.“ Er blickte auf. „Jetzt ist es schon fast sechs Uhr. Wollen Sie etwas trinken?“ „Sie auch, C. L.!“ „Nein, nie. Aber lassen Sie sich dadurch nicht abhalten. Ich habe ein Prinzip: Traue keinem Mann, der nichts trinkt.“ Er lachte leichthin. „Natürlich kann ich mir solche Grundsätze leisten. Jeder, mit dem ich arbeite, muß mir trauen.“ „Aber irgendeine Schwäche werden Sie doch haben. Oder verraten Sie die nicht?“ fragte Brad ehrlich interessiert. Lächelnd drückte Cervi einen Knopf auf seinem Schreibtisch. Ein Teil der Wand glitt zur Seite und man sah in den Nebenraum. Cervi setzte sich an die Orgel. „Ich spiele Ihnen eine Eigenkomposition vor. Ich habe sogar schon erwogen, eine Schallplattenproduktion zu gründen.“ Mit wachsendem Staunen hörte Brad zu. Ein Mann, der Musik schrieb, die so gut ins Ohr ging, konnte kein schlechter Mensch sein, dachte er. Nach dem Schlußakkord ließ Cervi die Hände sinken, blickte einen Moment geistesabwesend ins Leere, dann straffte er sieh und stand auf. „Wie wär's jetzt mit einem Drink?“ fragte er im Ton eines zuvorkommenden Gastgebers. „Scotch, bitte. Es wäre ja schrecklich, wenn Sie mir nicht trauten.“ „Bedienen Sie sich.“ Cervi trat zu einer Vertäfelung, und auf Knopfdruck wurde eine komplett eingerichtete Bar samt Kühlfach herausgeschwenkt. Prompt fand Brad eine Flasche seiner Lieblingsmarke. Während er einen Doppelten eingoß, sagte Cervi: „Übrigens, mit Larry Wolfmann und Ihren Freunden bei der Allied Electric klappt es vorzüglich, Maßarbeit, Brad, mein Kompliment. Er kann bestellen, soviel er will, mit dreißig Tagen Ziel, und sie -162-
machen ihm für jeden Artikel einen günstigen Preis.“ „Warum lagert er große Kontingente? Er könnte doch alle Waren direkt von der Fabrik an den Käufer senden lassen und seine Provision einstreichen, ohne Sonderkosten eines Depots.“ „Larry ist eben sehr gewissenhaft. Er möchte seinen Kunden prompte Lieferung sichern. Das kann er nur, wenn er das Zeug zur Hand hat. Begreifen Sie?“ „Ich fürchte, nein. Aber wahrscheinlich verstehe ich, was Sie meinen.“ „Lassen Sie sich Zeit. Man kann nicht alles zugleich verkraften. Nach und nach werden Sie bei uns Wurzeln fassen und sich zu einem unserer Champions entwickeln. Eines Tages wird für Sie ein Anruf im Weißen Haus genügen, um Ordnung zu schaffen, wenn irgend etwas auf der Welt querläuft. Sie werden einen direkten Draht zum Präsidenten haben.“ Cervis Pupillen hinter den Gläsern waren zwei schwarze glimmende Punkte. Brad trank einen großen Schluck. „Vertrauen Sie mir?“ Cervi nickte. Brad betrachtete nachdenklich den Schliff um den Boden des Whiskyglases. „Gut. - Nun, es geht manches vor, was mich nicht zu kümmern braucht, und ich werde keine Fragen stellen, außer Sie wollen es. Aber wenn ich den Titel des Präsidenten der Ascot-Hotelkette trage, muß ich wissen, was in meinem eigenen Bereich geschieht, sonst wird meine Funktion illusorisch.“ „Was stört Sie?“ „Seit etwa zehn Tagen läßt mich D'Estang nicht in jene Etage, wo diese mysteriöse Neueinrichtung durchgeführt wird. Er arbeitet in dem Unternehmen, das ich leite, aber wenn ich mit einem Personen- oder Lastenaufzug bis in das bewußte Stockwerk fahren will, hindert mich ein neuer Liftwart, den D'Estang angestellt hat. Ich wollte den Kerl hinauswerfen, aber -163-
Maurice riet mir, zuerst mit Ihnen darüber zu sprechen.“ „Ich werde ihm sagen, er soll Ihnen zeigen, was sich dort tut. Bis Montag abend muß alles fertig sein.“ Jäh wechselte Cervi das Thema. „Mit wem werden Sie an diesem Wochenende Golf spielen?“ „Ich bin mit Bob Fullerton verabredet, dem geschäftsführenden Vizepräsidenten der General Brands Food Company -“ „Bestens. Wir wollen die engen Verbindungen zu diesem Unternehmen pflegen. Wissen Sie, was wir tun werden? In zwei Jahren verkaufen wir die Fleischwarenfirma, bei der Sie 51 Prozent besitzen, an die General Brands. Selbst wenn Sie die fälligen Kapitalzuwachssteuern bezahlen, können Sie noch immer eine runde Million oder sogar mehr auf die Bank legen. Dann steigen wir in eine andere Sparte um. Es müßte uns gelingen, alle zwei Jahre einen gut fundierten Betrieb an den Mann zu bringen. Haben Sie schon weitere Pläne?“ „Ja, Teppiche.“ „Das gefällt mir. Außer den Hotels kontrollieren wir etwa hundert Restaurants in den USA. Die brauchen immer wieder neue Teppiche und Bodenbeläge.“ „Haben Sie je staatliche Aufträge in Betracht gezogen? Wir könnten Regierungsstellen beliefern. Und dann wäre noch das Farbengeschäft interessant.“ „In Farben sind wir groß. Mit jedem Tag wachsen Sie mehr bei uns hinein, Brad, ich merke es. Kommen Sie doch morgen nach der Golfpartie vorbei. Setzen Sie auf der Fahrt zum Copperrock Club Ihre Tochter bei uns ab. Elda und Andrea verstehen sich ausgezeichnet, und wir erwarten Sie dann zu einem späten Lunch.“ „Danke für die Einladung, C. L.“ Brad stellte sein Glas nieder. „Gibt's noch was zu besprechen? Sonst werde ich mich jetzt verabschieden.“ -164-
„Nein, nichts mehr. Also bis morgen.“ Als Brad auf die Straße trat, war er wieder in Hochstimmung. Kein Wunder, zum erstenmal in dieser Woche hatte Luciana einen Abend frei.
-165-
17 Tony Falconi zeigte sich von seiner charmantesten Seite, als er mit dem Ehepaar Gwen und Ed Connor plauderte. Seinen ersten Schock hatte er, wie er glaubte, sehr geschickt überspielt. Man kann sich eben nie auf einen oberflächlichen Eindruck verlassen, dachte er. Er hatte eine Goldmine gewittert, kein Wunder, wenn Andrea nach der Party im Landhaus Cervis mit ihrem Vater und dessen Begleiterin, einem richtigen Nerz-Typ, in einem Klasseschlitten abzischte. Und dann wohnte sie in dieser Bude! Das Viertel war ja nicht schlecht, aber welch eine schäbige Bleibe für eine vierköpfige Familie. Da gab es nur eine Erklärung: ihr wirklicher Vater hatte das Geld. Aber sicherlich knöpfte diese Schreckschraube, Andreas Mutter, ihrem geschiedenen Mann ziemlich viel ab. Tony hätte nur zu gern gewußt, ob Andrea tatsächlich Freundinnen aus reichen Familien hatte. Wenn sie mit Elda Cervi verkehrte, mußte sie auch andere wohlhabende Leute kennen. Der Gedanke an Elda jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Am Vorabend hatte ihn sein Vater mit gebrochener Stimme beschworen, Miß Cervi in Ruhe zu lassen, sonst gebe es ein Unglück. Falconi senior hatte vor Angst geschlottert. Unter diesen Umständen war es für Tony ziemlich einerlei, ob Andrea mit ihm ausgehen durfte oder nicht. Wenn sie aus so einem Mauseloch kam, war wohl nicht viel zu holen. Vielleicht konnte er sich gleich elegant aus der Affäre ziehen. Er schob die Hemdmanschette zurück und sah auf die Uhr. „Mrs. Connor, ich würde Ihre Tochter gern zum Dinner einladen. In einer halben Stunde müßte ich mich mit Freunden meiner Eltern treffen, aber ich habe ihnen gesagt, ich weiß nicht, ob ich komme, weil ich möglicherweise eine andere Verabredung habe.“ Gwen blickte ihren Mann fragend an. Andrea stand auf. „Ich bin fertig, Tony.“ -166-
„Du hast deinen Vater nicht um Erlaubnis gebeten“, sagte Gwen in ihrem scharfen, immer etwas vorwurfsvollen Ton, der einem auf die Nerven gehen mußte. Welchen Vater, zum Teufel, dachte Tony. Er hoffte, dieser versoffene alte Ire würde nein sagen und ihm die Entscheidung erleichtern. Unschlüssig schaute Ed Connor von Andrea zu seiner Frau. Zögernd begann er: „Wenn sie ausgehen will...“ „Sie bringen das Kind doch nicht zu spät nach Hause, Tony?“ fragte Gwen besorgt. „Mutter, wozu das?“ rief Andrea peinlich berührt. „Nein, gewiß nicht, Mrs. Connor.“ „Wohin wollen Sie gehen?“ fragte Ed unsicher. „Ins “Ristorante Salerno“ an der sechsundvierzigsten Straße.“ Andrea glühte vor Verlegenheit. Im stillen hoffte sie inständig, daß ihr wirklicher Vater sich durchsetzen würde und die Mutter dazu brächte, ihr das Studium in einem möglichst weit von New York entfernten College zu gestatten. „Na schön, unterhaltet euch gut“, entschied Gwen, als Ed sich in Schweigen hüllte. Dann fügte sie noch hinzu: „Andrea, ruf mich nach dem Essen an.“ Es klang nicht ganz so beiläufig wie beabsichtigt. Draußen atmete Andrea auf, sie war so froh, der bedrückenden Häuslichkeit endlich wieder zu entronnen zu sein, daß sie impulsiv Tonys Hand ergriff. „Gehen wir ein Stück zu Fuß, bevor wir ein Taxi nehmen.“ „Mein Wagen steht dort drüben“, antwortete er. Vielleicht war doch mehr dran, als man meinte. Weiß Gott, sie gab sich wie ein ahnungsloses Kind, aber wer mochte voraussehen, was alles geschehen könnte... „Hallo, Tony!“ begrüßte ihn der Oberkellner im “Salerno“ mit einer Verbeugung vor der Begleiterin des jungen Stammgastes. „Ich habe noch einen hübschen, stillen Tisch frei.“ Er führte die -167-
beiden zu einer kleinen Loge in einer Ecke. „Einen Drink, Andrea?“ „Ja, bitte. Vielleicht einen Sherry.“ „Ach, versuch doch einen richtigen Drink, er wird dir nicht schaden.“ „Was schlägst du vor?“ „Einen Martini?“ Sie zuckte die Achseln. „Brad würde wahrscheinlich auch sowas raten.“ „Wer ist Brad?“ „Mein Vater. Ich meine, mein wirklicher Vater. Du hast ihn bei den Cervis kennengelernt.“ „Natürlich. Das ist etwas verwirrend.“ Er bestellte zwei Martinis und sah Andrea über den Tisch an. Ohne ihre fürchterlichen Eltern war sie eigentlich ein reizender Käfer. Wenn sie sich so weiterentwickelte, würde aus ihr sogar eine Schönheit werden. Aber er konnte sich noch immer keinen Reim auf ihre Lebensverhältnisse machen. „Ist dein Vater mit Mr. Cervi befreundet?“ fragte er. „Ich glaube schon. Er ist Präsident der Ascot-Hotelkette.“ Das machte sofort Eindruck auf Tony. Dort gab's Geld. Das war wichtig. An jenem Tag war er so durcheinander, daß er sich kaum mehr erinnerte, wen er kennengelernt hatte. Er wußte nur, daß er sich ebenso höflich wie endgültig von Elda Cervi verabschiedet hatte, weil er, wie er erklärte, bald verreisen werde - das hatte ihm sein Vater eingeschärft. Dann hatte er sich wieder einigermaßen gefaßt und mit diesem netten jungen Ding geredet, das sicherlich auch aus reicher Familie stammte, wie er annahm. Bevor er Cervis Sommersitz für immer verließ, hatte er sich Andreas Telefonnummer notiert. „Ich meine, bei deinem Vater hättest du es doch sicher besser“, sondierte er. -168-
„Oh, wir haben es zu Hause recht gut. Du kennst meinen Bruder noch nicht.“ Sie schwieg einen Moment. „Aber du hast recht. Wenn ich Brad besuchen darf, was selten vorkommt, ist es immer wunderschön. Und wenn ich nachher meiner Mutter davon erzähle, wird sie wütend. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ich meiner Mutter sagen muß, es war langweilig und Brad hatte keine Zeit für mich, sonst dürfte ich mich vielleicht überhaupt nicht mehr mit ihm treffen.“ „Das klingt nicht sehr lustig.“ Vorsichtig verfolgte Tony das Thema weiter. „Wünscht du dich nicht aus diesem grauen Alltag heraus?“ „Das schon, o ja. Manchmal möchte ich einfach davonfliegen.“ Sie blickte den attraktiven, dunklen jungen Mann an. Aus seinen tiefbraunen Augen schien Verständnis zu strahlen. Gern wollte sie sich ihm anvertrauen, obwohl sie ihn erst seit kurzem kannte. „Vielleicht brauchst du zum Davonfliegen - ein paar Pillen...“ Andrea horchte auf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Nun, ich könnte dir Pillen geben, ein phantastisches Mittel. Jedesmal, wenn alles schiefgeht, und du willst alles hinter dir lassen, dann nimmst du eine, und du fliegst davon, selbst wenn du in deinem Zimmer sitzt.“ „Drogen?“ fragte sie beunruhigt. Er winkte ab. „Ach wo, was ganz harmloses. Hör zu, hast du dir nie gewünscht, daß du wachbleiben und ein paar Stunden länger lernen könntest, und daß die Büffelei nicht so öde wäre?“ Andrea nickte. „Doch. Ein Mädchen in unserer Klasse hat einen Bruder, der ihr vor Prüfungen Amphetamin-Tabletten verschafft. Sie hat mir eine davon gegeben. Es war ganz so, wie du sagst. Plötzlich machte mir die Arbeit riesigen Spaß.“ Sie runzelte die Stirn. „Und dann war ich wieder unten, bei meinen Büchern, im Bett daneben mein schlafender Bruder. Es ist schrecklich, wenn man kein eigenes Zimmer hat.“ -169-
Die Martinis wurden serviert, Andrea trank sehr langsam. Tonys Interesse erwachte neuerlich. Wenn er klug vorginge, könnte er vielleicht Verbindungen zu den Ascot Hotels anknüpfen. Und es war keineswegs ausgeschlossen, daß dieses Mädchen Leute kannte, die sich leisten konnten, was er anzubieten hatte. „Soll ich für uns beide bestellen?“ fragte Tony. „Ja, bitte. Mit italienischen Gerichten weiß ich nicht Bescheid.“ Tony bestellte, dann wiederholte er den Vorschlag von der Party bei Cervi, nämlich daß sie sich im nächsten Sommer in Italien treffen könnten. Eigentlich gefiel sie ihm nun immer besser. Sie war Klasse, vielleicht sogar mehr als Elda. Aber das lag wohl daran, daß Tony nicht für den betont romantischen Mädchentyp schwärmte. Andrea ließ es sich herrlich schmecken, vom Martini hatte sie zwar nur die Hälfte getrunken, dafür verschwand nun der Chianti, kaum daß er eingeschenkt war. Nach dem Essen fragte Tony: „Wie ich sehe, rauchst du nicht. Hast du es nie mit “Gras“ versucht?“ „Eigentlich nicht“, erwiderte Andrea zögernd. „Einige meiner Mitschülerinnen haben es heuer probiert. Die Kollegin, von der ich vorhin sprach, hat was von ihrem Bruder gekriegt, und wir alle rauchten ein paar Züge. Ich bekam davon bloß einen komischen Geschmack im Mund.“ „Wahrscheinlich hast du es nicht richtig angestellt.“ „Kann sein.“ „Hat es den anderen Mädchen gefallen?“ „Zumindest haben sie es behauptet.“ „Möchtest du es versuchen?“ „Wie, hier?“ Er lachte. „Nein, natürlich nicht. Aber bei meinen Freunden -170-
steigt heute eine Party. Die haben gutes “Gras“. “Acapulco Gold“, frisch aus Mexiko.“ „Rauchst du Marihuana?“ fragte Andrea neugierig. „Manchmal. Ich kann es tun oder bleiben lassen. Aber wenn man in der richtigen Gesellschaft ist, dann ist es schön. Man wird aufgeschlossener für Musik, Bilder und den Partner.“ „Ich bin so wohlbehütet aufgewachsen und habe nie LSD, Aufputscher, Haschisch oder so was genommen. Aber ich kenne siebzehnjährige Mädchen, sogar sechzehn- und fünfzehnjährige, die schon mitmachen.“ „Du solltest es probieren, ich meine “Gras“. LSD ist eine sehr feine Sache, aber dazu braucht man viel Zeit, das geht nur, wenn man die ganze Nacht wegbleiben kann.“ „Also - das ist völlig ausgeschlossen.“ Andrea lachte. „Willst du zu dieser Party mitkommen? Es sind lauter nette Typen dort. Du kannst einen Joint rauchen oder einfach dasitzen. Die haben tolle Musik, und es geht ganz zwanglos zu.“ „Da müßte ich zuerst meine Mutter fragen. Was soll ich ihr sagen?“ „Ach, daß die Freunde meiner Eltern uns ins Kino einladen wollen.“ „Und diese Freunde habe ich ganz vergessen.“ Andrea kicherte. Als sie aufstand und zum Telefon ging, winkte Tony dem Zahlkellner. Während der Fahrt im Sportkabriolett lehnte sich Andrea an seine Schulter. Seine rechte Hand glitt vom Steuerrad und ruhte auf ihrem Schenkel. Sie legte ihre Hand darauf, fühlte das Streicheln seiner Finger. Tony gefiel ihr sehr gut, ja, sie wollte ihn wiedersehen, so oft als möglich! Im Dahinbrausen des offenen Wagens genoß sie ein herrliches Gefühl der Freiheit. Andrea wußte, daß sie etwas Verbotenes tat, sie wußte aber auch, daß sie praktisch im Kindesalter steckengeblieben war. -171-
Andere Teenager hatten schon Verhältnisse mit Jungen und reisten ohne ihre Eltern in der Welt herum, während sie selbst immer für ihre Mutter erreichbar sein mußte. Besonders seit Brad in der Stadt war. Andrea lachte laut auf. Tony warf ihr einen fragenden Blick zu. „Laß mich mitlachen.“ „Ich habe gerade daran gedacht, daß meine Mutter in den zwei oder drei Wochen, seit mein Vater zurückkehrte, mit mir strenger denn je ist. Sie befürchtet immer, daß ich mich heimlich mit ihm treffe.“ Sie lachte wieder. „Wenn ich fortgehe und meine Mutter sicher sein kann, daß Brad sowieso verhindert ist, dann macht sie sich keine Sorgen um mich. Da könnten wir beide miteinander ins Bett gehen, Hauptsache, ich komme nicht mit Brad zusammen.“ „Na, dann machen wir doch einmal was mit deinem alten Herrn aus.“ Ihr Gesicht wurde wieder ernst. „Der ist gar nicht so alt. - Und du hast mich falsch verstanden“, sagte sie tadelnd. Obacht, langsam, dachte Tony. Für die muß man sich Zeit nehmen, sonst zerstört man alles. Er stoppte vor einem Apartmenthaus mit Rohziegelfassade. „Wir sind da“, erklärte er. „Wenn es dir nicht gefällt, dann verschwinden wir eben wieder. Aber ansehen kostet nichts. Okay?“ „Okay, Tony.“ Sie betraten den dunklen Vorbau. Ohne die Namensschilder anzusehen, drückte er auf einen Knopf. „Warst du schon öfter hier?“ fragte Andrea. „Klar. Ein alter Freund von mir wohnt oben. Er ist Student. Sein Vater hat ihm diese Bleibe gemietet, damit die Familie zu Hause Ruhe vor ihm hat.“ „Das klingt ja ziemlich traurig.“ „Traurig! Keine Spur. Warte, bis du die Clique zu sehen -172-
kriegst.“ Auf den Summerton öffnete Tony. Hand in Hand gingen sie drei Treppen hoch. Eine Tür wurde einen Spalt und dann gleich weit geöffnet. „Tony!“ rief die Stimme eines jungen Mannes. „Komm herein! Du hast ja eine Mieze mitgebracht, und ich muß sagen: alle Achtung.“ Dann stand Andrea in einem von roten, gelben, blauen und grünen Lampen schwach erleuchteten Apartment. Als sich ihre Augen an die vielfarbige Dämmerung gewöhnt hatten, sah sie gutangezogene junge Leute etwa ihres eigenen Alters, die es sich auf einem Sofa und den wenigen anderen Sitzgelegenheiten bequem gemacht hatten. Zu Andreas Überraschung war kein einziger Hippie-Typ unter ihnen, sie wirkten alle wie Collegestudenten. Der eigenartig muffige Geruch der selbstgerollten Zigaretten, die reihum gereicht wurden, ließ keinen Zweifel aufkommen. „Hallo, Schätzchen“, sagte eine langhaarige Blondine mit trägem Blick und bot Andrea einen Stummel an. „Es ist nur mehr eine Kippe, aber auf einen Zug geht sich's noch aus.“ „Nein, danke. Vielleicht später“, sagte Andrea. Die Blonde lümmelte sich wieder in einen Winkel. Tony machte Andrea mit der Runde bekannt, alle waren sehr freundlich und manierlich, hier gab es wohl keine dieser exzessiven Orgien, von denen man immer in den Zeitungen las. Die jungen Leute hörten der Rockmusik zu oder starrten zurückgelehnt schweigend an die Wände. Einige Paare schmusten selbstvergessen miteinander, ohne sich um die übrigen zu kümmern. „Rauchen wir zusammen einen Joint?“ fragte Tony aufmunternd. Andrea zuckte die Achseln. Das schien in solchen Kreisen einfach dazuzugehören. Er stand auf und führte sie aus dem Wohnzimmer in einen kleinen Nebenraum. Dort lag der miefige Qualm schwer in der Luft. Auf einem flachen Lager war ein halbentkleidetes Paar gerade beim -173-
Geschlechtsakt, wie die in solchen Dingen völlig unerfahrene Andrea aus den Anzeichen der Situation schloß. Während der junge Mann, dessen Hosengurt tief unter seine nackten Hinterbacken zurückgerutscht war, zwischen den Schenkeln des Mädchens mit kräftigen Stößen auf und nieder wippte, hielten sich die beiden abwechselnd eine halb zerdrückte Zigarette an die Lippen und sogen den Rauch ein. „Tony, gehen wir lieber.“ „Ach, komm, Baby. Ein Joint kann uns nicht schaden. Es gibt noch ein Zimmer hier.“ „Wenn wir nur rauchen wollen, gehen wir doch wieder zu den anderen“, beharrte Andrea etwas störrisch. „Na gut, mir soll's recht sein.“ Sie betraten das Wohnzimmer in seiner sonderbar bunten Düsternis und setzten sich mit dem Rücken zur Wand auf den Boden. Alle aus der Gruppe sprachen nun auf die beiden ein, und als klar wurde, daß Andrea noch nie “Pot“ geraucht hatte, wurden ihr von allen Seiten Zigaretten entgegengehalten. Tony grinste befriedigt. „Die beste Methode, einen GratisJoint zu kriegen, ist, ein hübsches Mädchen mitzubringen.“ „Freut mich, daß ich zu etwas gut bin.“ Andrea kicherte. Jemand gab ihr eine knotig gedrehte Zigarette, Tony nahm sie ihr aus der Hand, entzündete sie, inhalierte einen tiefen Zug und reichte Andrea den Joint. Ratlos blickte sie das glimmende Röllchen an. Tony, der den Rauch wieder aus dem Mund wölken ließ, sagte heiser: „Bloß einatmen, durch die Zigarette.“ Alle beobachteten Andrea, lachten, feuerten sie an. Aber sie wollte nur auf Tony Eindruck machen. Wenn er sie für zimperlich hielte, wäre es sicher aus zwischen ihnen. Sie sah ihn an, lächelnd ruhten seine Augen auf ihr. „Es ist gar nichts dabei.“ Tonys Freunde sollten nicht glauben, er habe ein dummes Gör mitgebracht. Andrea hob die Zigarette an die -174-
Lippen und sog den Rauch in die Lungen. „Ja, so ist es richtig. Nun so lange als möglich unten halten.“ Um seine Ratschläge zu betonen, legte er ihr die Hand über den Mund, damit sie nicht ausatmen konnte. Der Rauch war heiß, und Andrea bekam es mit der Angst zu tun. Sie zog Tonys Hand weg und stieß würgend den Rauch aus. Weder der Geschmack auf der Zunge noch das Kribbeln in der Kehle waren angenehm. Den Hustenreiz unterdrückend, gab Andrea den Joint zurück. „Es braucht seine Zeit, bis man draufkommt“, sagte Tony verständnisvoll. Der eingeatmete Rauch und die stickige Luft des Raumes machten sie bereits schwindlig, in ihrem Kopf begann es zu wirbeln. „Oh, Tony, mir ist so komisch“, hauchte Andrea. Sie wollte ihn bitten, sie nach Hause zu bringen, aber dann hätte er sie doch für eine Spaßverderberin gehalten. Er hatte selbst inhaliert und bot ihr die Zigarette wieder an. „Noch einmal, Andrea“, drängte er. „Ja, Andrea, nur keine Bange. Noch ein paar Züge, und du schwebst!“ riefen die anderen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, dann führte sie den Joint an die Lippen und atmete tief ein. „Luft anhalten, solange du kannst“, sagte Tony, der ihr den fast verglosten Stummel aus der Hand nahm und die letzten Krümel des Krauts selbst rauchte. Nun hatte Andrea das Gefühl, als wäre ihr Kopf ein Ballon, als würde sie schweben. Plötzlich war es ihr gleichgültig, ob ihre Mutter auf sie wartete. Nun wurde ihr zum ersten Mal klar, daß sie eigentlich bei allem, was sie tat, immer nur bedachte, wie ihre Mutter darauf reagieren würde. Aber jetzt kümmerte sie das nicht. Tony, der sie gespannt beobachtete, flüsterte lobend: „Ja, so macht man es.“ Er blickte sich im Kreis um. „Wer hat noch eine Kippe?“ „Wann kriegst du wieder “Gras“ aus Jamaica, Tony?“ fragte jemand. -175-
Andrea starrte ihn an. War er so etwas wie ein Rauschgifthändler? fragte sie sich geistesabwesend. Er hielt schon wieder eine glimmende Zigarette in der Hand. Nach einem Zug gab er sie Andrea. Sie inhalierte, schloß die Augen und lehnte sich an die Wand. „Komm, Schätzchen, gehen wir hinüber, wo wir allein sind“, murmelte er. Sie ließ sich hochziehen und aus dem Raum führen. Das also verstand man unter „high“. Sie kicherte. „Ich glaube, im Schlafzimmer ist schon jemand.“ „Es gibt noch ein zweites.“ „Was sollen wir dort tun?“ „Nichts. Ich möchte nur ein paar Minuten mit dir ungestört sein.“ Im dunklen Nebenzimmer, das offenbar leer war, setzten sie sich auf das Bett. Tony hielt Andrea den glosenden Stummel hin. Sie schüttelte den Kopf. „Ich schwebe schon.“ Aber er drängte ihr die Zigarette auf und sah zu, wie ihr die Glut fast die Finger versengte, als sie den Rauch einsog. „Du bist großartig, Baby. Ich würde nie glauben, daß es das erste Mal ist.“ Nun fühlte sie sich so enthemmt, daß sie immerzu lachen mußte. „Das wirklich erste Mal, als ich es mit Alicia und ihrem Bruder versuchte, zählt ja nicht, da habe ich nicht inhaliert.“ „Gefällt es dir, “high“ zu sein?“ „Ja. Keine Probleme mehr. Nichts könnte mich aus der Fassung bringen.“ Tony nahm einen letzten Zug und drückte den Stummel aus. Dann griff er nach Andrea, ließ sich aufs Bett zurückfallen und zog sie mit. Die eine Hand schob er zwischen ihre Schenkel, die andere unter ihren Rücken, sie spürte seine Finger neben der Wölbung ihrer kleinen Brust. „Können wir nicht einfach still daliegen und gar nichts tun, Tony?“ fragte sie, nun doch etwas beklommen. „Einfach so, -176-
ganz ruhig und gelöst.“ Die Hand glitt an den festen Schenkeln höher. „Tony, nicht. Das geht nicht. Bleiben wir so, es ist so schön.“ Aber seine Finger tasteten sich bereits in den Slip, dann fühlte er über dem dichten Gekräusel die Monatsbinde. „Siehst du, ich habe es dir gesagt.“ Sie lachte spöttisch. Enttäuscht und ernüchtert ließ er die Hand sinken, einen Moment blieb er regungslos ausgestreckt liegen, dann setzte er sich auf. „Es muß ja nicht heute sein. Wir werden uns nun oft treffen und -“ „Das erst, wenn wir verheiratet sind“, hörte sich Andrea sagen. Die Worte verblüfften sie ebenso wie ihn, auch sie fuhr hoch. Die Wirkung des Marihuana ließ nach. Andrea wurde sich bewußt, daß nun fast geschehen wäre, was sie verschworen hatte. „Jetzt muß ich rasch nach Hause, sonst darf ich nicht mehr mit dir ausgehen.“ „Okay, Baby.“ Sie standen auf. Im Hauptraum erhob sich heftiger Protest, als er erklärte, für seine Märchenprinzessin sei leider schon Sperrstunde. „Komm wieder, Tony“, rief eines der Mädchen, als sie gingen. Draußen in der Nachtkühle atmete Andrea tief ein. Tony half ihr in den Wagen, stieg selbst ein und startete schweigend. „Ich wette, du fährst zur Party zurück“, sagte sie. „Kann sein.“ „Und dann setzt du mit einer anderen dort fort, wo wir aufgehört haben?“ Er grinste. „Nein. Auf eine wie dich warte ich gern.“ Sie wollte ihn wiedersehen, oft, immer wieder. Das Maskuline und, ja, dieses Anrüchige an ihm faszinierte sie. Andrea war noch keinem Mann wie ihm begegnet, aber wo denn auch? Sie war entschlossen, sich erst nach der Hochzeit ganz zu verschenken, aber nun wußte sie, daß Tony sie wahrscheinlich -177-
auslachen würde, wenn sie ihm diesen altmodischen Vorsatz eröffnen sollte. Wer weiß, ob er nicht Schluß machen würde, falls er merkte, daß er bei ihr nicht sein Ziel erreichte. Er zog einen Kaugummi aus der Tasche. „Da hast du. Das überdeckt den Rauchgeruch.“ Zehn Minuten später begleitete er sie zum Tor des Apartmenthauses. Er sah ihr nach, als sie die Liftkabine betrat und ihm lächelnd zuwinkte. Dann ging er zum Wagen und fuhr wieder ins Stadtzentrum. Dieses Mädchen hatte ihm tüchtig eingeheizt. Heute abend brauchte er irgendein geiles Stück. Die Party bot die besten Möglichkeiten, noch rasch eine aufs Kreuz zu legen. Außerdem waren sie alle gute Kunden und potentielle Abnehmer, sobald er sich auf die harte Ware verlegen würde, mit der wirklich etwas zu verdienen war.
-178-
18 Christa lehnte den Kopf an Jorges Schulter, als er über die kurvenreiche Straße zwischen dem azurblauen Mittelmeer und dem Gebirge dahinbrauste. Ihr bewußt salopp geschnittenes blondes Haar flatterte im Wind. „Diese drei Tage waren herrlich, Liebling. Ich wünsche, wir hätten länger bleiben können.“ „Die Pflicht ruft“, erwiderte Ramirez. „Außerdem, die Riviera, die Strände, die Restaurants, die Sonne, unsere kleinen Schlupfwinkel in entlegenen Gasthöfen, das alles hat deine Leidenschaft so sehr gesteigert und dich dauernd so verlockend gemacht, daß ich es körperlich wohl kaum viel länger ausgehalten hätte.“ Christa lachte glücklich. „Jorge, du bist so phantastisch. Ich kriege nie genug von dir.“ Sie kamen zu dem Wegweiser „Marseille 50 km“. „Bald sind wir am Ziel.“ Eine halbe Stunde später steuerte er den kleinen Sportwagen durch die gewundenen Gassen der Hafenstadt. „Wie findest du dich überhaupt in diesem greulichen Labyrinth zurecht?“ fragte Christa. „Ich war schon ein paarmal hier. Und dann habe ich mir den Stadtplan genau angesehen. Die meisten Leute fahren einfach in eine Stadt und verlassen sich darauf, daß sie den Weg schon finden werden, ohne sich die Mühe zu machen, vorher eine Straßenkarte zu studieren.“ Er verlangsamte das Tempo und fuhr in eine moderne Garage samt Tankstelle. „So, hier wechseln wir den Wagen.“ „Mir gefällt dieser eigentlich sehr gut.“ „Aber laut Vereinbarung sollen wir in einem Pariser Auto von hier zum Flughafen Orly fahren. Erinnerst du dich? Das haben wir zugesagt, als wir den MG nahmen.“ -179-
„Ich hoffe, wir kriegen wieder einen flotten Schlitten.“ „Ganz bestimmt.“ Es war zwölf Uhr mittags, als Jorge und Christa ihr leichtes Gepäck aus dem Kabriolett hoben und auf den Rücksitz der schweren Mercedes-Limousine legten. Ein Garagenwärter öffnete den Kofferraum, der Diplomat sah darin zwei robuste Lederkoffer, gepflastert mit Hotelzetteln, nickte, und die Haube wurde wieder geschlossen. „Wir übernachten noch einmal in Frankreich. Da suchen wir uns einen hübschen Gasthof, etwa ein Drittel der Strecke vor Paris, und morgen haben wir viel Zeit für die Mittagsmaschine nach New York.“ Als Jorge auf der Überlandroute nordwärts sauste, war er mit sich und der Welt sehr zufrieden. Welchen Sinn hätte das Leben, wenn man es nicht in vollen Zügen genießen könnte, dachte er. Natürlich brauchte man dazu Geld, aber das gab es reichlich, wenn man wußte, wo es zu finden war. Seine Auftraggeber hatten ihn von der Möglichkeit informiert, daß er und Christa vom Moment der Abfahrt in New York an überwacht werden könnten. Doch er durfte sich sagen, daß er sich keine Sekunde lang verdächtig gemacht hatte. Es gab einen völlig stichhaltigen Grund für seine Reise: die Sitzungen in Genf. Auch sein Besuch bei der Bank in Zürich, wo er ein Konto hatte, war durchaus motiviert. Und warum sollte er nach den Konferenzen in Genf und Paris nicht mit seiner schönen Sekretärin einen kurzen Ausflug an die Riviera unternehmen? Man würde vielleicht allerlei Mutmaßungen darüber anstellen, meist aus Geschlechtsneid, aber gewiß könnte niemand darin Anzeichen krummer Touren entdecken. Wer sollte argwöhnisch werden, weil Ramirez und Christa nach Marseille flogen, um dort einen Wagen für einen Küstentrip zu mieten? Natürlich kommt es billiger, dann mit einem Pariser Leihwagen zurückzufahren. Und schließlich: warum sollte er nicht die -180-
Gelegenheit nützen, unterwegs die klassischen Weingegenden Frankreichs kennenzulernen? Zweimal hielten sie bei Weingärten, wurden freundlich empfangen, kosteten von den edlen Trauben und fuhren weiter. Sie übernachteten in Dijon, und zwar in jenem Gasthof, den F. Scott Fitzgerald und Hemingway durch ihre Schilderungen ausgiebiger Gelage berühmt gemacht hatten. Am nächsten Morgen packten sie alles Wichtige in den kleineren ihrer beiden Koffer. Im größeren, der erst in New York ausgetauscht würde, befanden sich die Kleider. Die Fahrt von Dijon zum Flughafen Orly war eigentlich nur mehr ein Katzensprung. Jorge sprach beim Leihwagendienst vor, ein Angestellter nahm die beiden schweren Gepäckstücke und den umgepackten leichten Koffer aus dem Mercedes und trug sie zum Air France-Schalter. Drei Koffer für zwei Personen, das konnte kaum auffallen. Den vierten ließen sie einfach im Auto. Alles weitere würde erledigt werden. Bei der Air France behandelte man Ramirez mit der einem Diplomaten gebührenden Aufmerksamkeit. Sein Gepäck wog insgesamt 60 Kilo, genau das Gewicht für zwei gemeinsam reisende Passagiere der l. Klasse. Um fünfzehn Uhr landete die Maschine auf dem New Yorker Kennedy Airport. Jorge und Christa waren unter den ersten Reisenden, die ausstiegen. Im Ankunftsgebäude wurden sie von einem Angestellten der Air France erwartet und zur Gepäckabfertigung begleitet. Ihre drei Koffer waren die ersten ausgeladenen Stücke, der Air France-Mann verstaute sie auf einem Rollkuli und schob sie zur Kontrolle, wo Jorge und Christa ihre Diplomatenpässe vorwiesen und mit einer höflichen Geste durchgelassen wurden. Draußen fuhr eine Limousine mit CD-Schild vor. Der Fahrer legte das schwere Gepäck in den Kofferraum, den leichten Koffer behielt Ramirez bei sich. Fünfundvierzig Minuten später, knapp nach vier, stoppte die -181-
Limousine in der Garage der Place d'Etoile-Apartments, direkt neben dem Lift. Der Chauffeur und Jorge blickten sich zur Einfahrt um. Kein Wagen war ihnen gefolgt, kein Fußgänger weit und breit. Mit dem Koffer in der Hand betrat Jorge neben Christa den Lift und drückte auf den Knopf für die 15. Etage. Als sich die Tür schloß, lehnte sich der Lateinamerikaner an die Kabinenwand. „Morgen kannst du dir kaufen, was du willst, mein Liebling. Maurice D'Estang wird uns um sechs auf einen Cocktail besuchen.“
-182-
19 Pat Kenney betrat Captain Reillys Büro und klatschte einen Briefumschlag auf den Schreibtisch. Reilly sah in der linken oberen Ecke den Aufdruck “Abgeordneter Fred Black“. „Was will er denn?“ fragte der Captain. „Er möchte mich heute Nachmittag in seinem Büro sprechen. Soll ich hingehen?“ „Ich glaube schon. Es würde mich interessieren, was los ist.“ „Wahrscheinlich hat sich irgendein Neger über die Brutalität der Polizei beschwert.“ „Ich stehe voll und ganz hinter dir. Wir brauchen keinen Rüffel von einem Kongreßmann einzustecken, der im Wahljahr auf Stimmenfang ausgeht.“ „Danke, Captain. Ich werde mir also anhören, was dieser Fred Black auf dem Herzen hat und Sie nachher anrufen.“ Zunächst stärkte sich Kenney in seinem Stammlokal, dann fuhr er zu Fred Blacks Büro, bereit, auf einen Angriff mit Gegenangriff zu reagieren. Aber der Anblick der Sekretärin des Abgeordneten mäßigte seine kriegerische Stimmung: eine dralle Italienerin mit Augen wie Tollkirschen; sie sah ganz so aus, als könnte man mit ihr einen schönen Abend verbringen. Vielleicht hatte Pat Gelegenheit, diese Puppe anzuschwimmen, wenn ihn Black warten ließ. Er nannte seinen Namen, das Mädchen drückte auf einen Knopf, kündigte den Besucher an und sagte lächelnd: „Sie können gleich hineingehen, Mr. Kenney.“ „Ach so? Dann reden wir später weiter. Wohnen Sie hier in der Nähe?“ „Zum Glück nicht in Ihrem Revier.“ Sie blickte ihn feindselig an. „Sie sollten mich außer Dienst kennenlernen. Man sagt, dann bin ich ein Schatz.“ -183-
„Der Herr Abgeordnete erwartet Sie, Sir.“ Kenney öffnete die Tür. „Nur herein!“ rief Black freundlich, stand auf und kam ihm entgegen. „Also Sie sehen tatsächlich so aus wie auf den Fotos. Freut mich, Sie persönlich kennenzulernen.“ Der Politiker schüttelte die Pranke des hünenhaften rothaarigen Kriminalbeamten, legte ihm die andere Hand mit einer Geste telegener Herzlichkeit auf die Schulter, wobei er sich etwas strecken mußte, und führte ihn zu einem Fauteuil. „Ganz meinerseits, Sir“, sagte Kenny verblüfft. Jetzt erst merkte er, daß noch ein Mann anwesend war. „Detective, das ist Dave Mohr, der Referent für Sonderprojekte im Amt des Bürgermeisters.“ Kurze gegenseitige Begrüßung. Pat wunderte sich über die sehr konziliante Grundnote des Gesprächs. „Mr. Kenney, seit langer Zeit beschäftige ich mich mit einem der größten, folgenschwersten Probleme, die nicht nur meinen Wahldistrikt, sondern das ganze Land betreffen“, begann Black die Unterredung. „Und Sie sind ein Spitzenexperte in dieser Frage. Ich meine das Rauschgift. - Ich habe einen Kongreßausschuß organisiert zur Untersuchung des Drogenmißbrauchs, namentlich in den Großstädten. Wir wollen das Problem bei der Wurzel packen und feststellen, wo das Zeug herkommt, wie der Verteilungsapparat funktioniert, wie Menschen rauschgiftsüchtig werden und wer als Drahtzieher hinter diesen Aktionen steht, die bereits eine nationale Bedrohung bedeuten.“ „Das ist sehr interessant, Sir“, antwortete Kenney unverbindlich. „Ich wünsche Ihnen, daß Sie bessere Ergebnisse zu verzeichnen haben als all diese anderen Komitees, die immer wieder da und dort gebildet werden.“ „Wir glauben, daß uns ein entscheidender Schritt gelingen wird, und zwar aus einem bestimmten Grund.“ Black machte -184-
eine Kunstpause, um die Spannung zu erhöhen. Dann sagte er: „Falls Detektiv Pat Kenney die kriminalistischen Nachforschungen leiten würde, hätten wir beträchtliche Erfolgsaussichten.“ Der irische Riese lehnte sich zurück und blinzelte die beiden anderen an. Nun war er wirklich perplex. Was zum Teufel sollte das nun heißen? „Ich bin Beamter der New Yorker Polizei“, erwiderte er, als wäre das eine passende Stellungnahme. „Natürlich. Aber die Stadtverwaltung ist bereit, Sie dem Ausschuß zuzuteilen. Stimmt's, Dave?“ Mohr nickte. „Jawohl. Ich habe die Frage mit dem Bürgermeister besprochen, dann konferierten wir mit dem Polizeipräsidenten. Sie bleiben nach wie vor im Verband der Polizei, und die Zeit wird Ihnen angerechnet. Was sagen Sie dazu, Mr. Kenney?“ Allmählich dämmerte ihm die Erkenntnis. Statt sein letztes Dienstjahr unter dem Gelichter auf den Straßen zu verbringen, bevor er mit 75 Prozent seines Gehalts in den Ruhestand treten konnte, bot sich die Möglichkeit, bei diesem Komitee mitzuarbeiten. Alles war besser als sein Revier in BedfordStuyvesant, und vielleicht konnte er wirklich Wesentliches leisten. Einmal die Heroinmörder zu packen kriegen, die ganz oben sitzen! Die Organisation, die das Rauschgift ins Land brachte, lahmzulegen. Vielleicht sogar die Schmuggler direkt auf dem Kennedy International Airport zu fassen! „Das kommt sehr plötzlich“, war alles, was er erwidern konnte. „Wir müssen dieses Problem unverzüglich angehen“, betonte Black. „Mr. Kenney, Sie brauchen nicht mehr in den Slums auf schäbige kleine Heroinpusher Jagd machen und Ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten in Routinefällen verzetteln. Sie werden Nachforschungen großen Stils durchführen. Bei Ihren Erhebungen über die Quellen des Rauschgifts, das nach Amerika und besonders nach New York City geliefert wird, -185-
werden Sie völlig freie Hand haben. Sie können sich sogar nach eigenem Ermessen ein Team engagieren.“ „Mein alter Kollege, mit dem ich sieben Jahre im Rauschgiftdezernat zusammen war, arbeitet jetzt in Harlem, in derselben Sparte wie ich. Könnten wir den einbauen?“ „Einverstanden. Holen Sie ihn aus dem Kleinkram, bevor er darin erstickt. Und bedenken Sie eines: Sie unterstehen nur einem einzigen Mann, nämlich mir.“ Black blieb bei aller Entschiedenheit sehr verbindlich. „Dieses Komitee ist nämlich mein Laden.“ „In Ordnung, Sir“, sagte Kenney freudig. „Wann soll ich vom 81. Revier Abschied nehmen?“ „Gleich anschließend an dieses Gespräch. Es ist alles so geregelt, daß Sie morgen bei uns beginnen können. Captain Reilly wird schon verständigt sein, wenn Sie zurückkehren.“ Pat hätte am liebsten laut gejubelt. „Und wie steht es mit Hilfskräften?“ „Die finden Sie in meinem Büro. Haben Sie beim Kommen Miß Rose gesehen?“ Kenney nickte, ein Lächeln unterdrückend. „Sie wird Ihnen behilflich sein, bis unsere Organisation aufgebaut ist. Ihr Gehalt wird von nun an hierher überwiesen, Spesen werden wöchentlich verrechnet. Größere Summen, die Sie für Flugkarten, Kontaktpflege, temporäre Verpflichtungen anderer Personen und ähnliches benötigen, werden im vorhinein an Sie ausbezahlt.“ Der Repräsentant stand auf und streckte die Hand aus. „Sie sind am Ball, Pat. Das Komitee zählt auf Sie.“ „Jawohl, Sir.“ Kenney schlug ein, behutsam, um Blacks schmale gepflegte Rechte nicht zu zerquetschen. „Dann also bis morgen.“ „Ich werde wahrscheinlich in Washington sein. Sie tun zunächst, was Sie für erforderlich halten, das bleibt ganz Ihnen überlassen. Auf bald.“ -186-
Black begleitete den Detektiv bis in den Vorraum. „Rose, Mr. Kenney wird nun bei uns arbeiten“, sagte er zu der verblüfften Sekretärin. „Gehen Sie ihm bitte in allem an die Hand.“ Wieder in seinem Büro, schaltete er ein Transistorradio auf mittlere Lautstärke ein, dann brachen die beiden Männer in schallendes Gelächter aus. „Bei Gott, dieser C. L. ist ein Genie!“ kollerte Dave Mohr. Black nickte. „Er holt Kenney und auch noch dessen Kollegen von der Straße weg, die beiden besten Pferde im Stall. Wenn sich etwas tut, wird es dem großen Kriminalisten Kenney in die Quere kommen, und wir werden die ersten sein, die es erfahren. Gibt's sonst noch was, Dave?“ Der Referent schüttelte den Kopf. „C. L. sagt, wir sollen besonders vorsichtig sein, wenn wir uns auch noch so sicher fühlen“, murmelte Black, das Transistorgerät ausschaltend.
-187-
20 Die Stimmung des kühlen, aber klaren und sonnigen Novembertages erhöhte noch die Spannung aller Beteiligten. Brad Kendall freilich tat so, als sei es bloß ein Routinefall im Zeitplan eines Spitzenmanagers, doch die Übernahme des Firmenjets war wohl das erregendste Ereignis seiner bisherigen Laufbahn. Selbst der unerschütterliche Maurice D'Estang war nicht so gelassen und kaltschnäuzig wie sonst, als die Limousine des Ascot-Präsidenten zum Flughafen von Newark fuhr. Luciana, die zwischen Brad und Maurice saß, bemühte sich gar nicht, ihre Freude darüber zu verbergen, daß sie den Jungfernflug mitmachen durfte. Der einzig wirklich völlig gleichgültige Insasse des Wagens außer Williams, dem Fahrer, war Harry Hirsch, der neue zuständige Referent im Management der Hotelkette. Harry würde wahrscheinlich nie selbst in einem Firmenjet fliegen oder die sonstigen Sondervergünstigungen genießen, aber seine Aufgabe war es, die weltweiten Reisen von Ascot- und Whitehall-Führungskräften zu organisieren. Diesen Job hatte er erst seit wenigen Wochen und wollte keinen Fehler machen. Immerhin war es der bestbezahlte Posten seiner bisherigen Karriere. Deshalb nahm er pflichtschuldigst ein Notizbuch aus der Tasche. Seine Aufzeichnungen durchlesend, sagte er: „In Miami wird die Maschine die Herren Perez, Calderone und Thompson aufnehmen und nach den Besprechungen mit Ihnen, Mr. Kendall, in die Dominikanische Republik, nach Puerto Rico beziehungsweise St. Croix auf den Jungferninseln bringen.“ „Stimmt haargenau, Harry. Wir werden die drei über Ascots Bereitschaft zu gemeinsamen Investitionen mit ihren Staaten in der Hotelbranche informieren und sie dann stilgemäß heimschicken.“ -188-
„Werden Sie soweit sein, am nächsten Tag, wenn die Maschine nach Miami zurückkehrt, nach New Orleans und dann wieder nach New York zurückzufliegen?“ fragte Hirsch beflissen. „Ich hoffe es.“ Brad runzelte die Stirn. „Es ist natürlich möglich, daß unsere Verhandlungspartner in Miami nicht so entgegenkommend sind, wie Mr. Cervi glaubt.“ Eine Viertelstunde später fuhr die Limousine an der Reihe von Hangars auf dem Flughafen Newark entlang, bis Hirsch ein Zeichen gab. Williams bog nach links ab und steuerte zur Rampe. Luciana stieß einen Jubelruf aus, als die zweimotorige Düsenmaschine mit der Aufschrift „ASCOT HOTELS“ am Rumpf in Sicht kam. Da man keinen Aktionären über Firmenspesen Rechenschaft geben mußte, hatte Cervi angeordnet, diese Bezeichnung groß und deutlich anzubringen. Schon wegen der Werbewirkung auf den “Jet-Set“, der als Gästekreis dieser Hotels angesprochen werden sollte. Wenige Privatflugzeuge trugen die Namen der Besitzerunternehmen. Pilot und Copilot in gutgeschnittenen stahlblauen Uniformen mit goldenen Ärmeltressen und eigens entworfenen Emblemen auf den schicken Tellermützen standen stramm vor der Gangway. Als die Limousine stoppte, traten sie heran. Williams sprang heraus und öffnete die Wagentüren. Als die Gruppe auf die Maschine zuging, tauchte aus dem Einstieg beim Cockpit ein kleiner rundlicher Mann auf. Mit dem schütteren hellen Haarkreuz um den gewölbten Schädel machte er den Eindruck eines versponnenen Gelehrten. Durch flaschenbodendicke Brillengläser starrte er den Herankommenden entgegen und legte schützend die Hände über eine schwarze Tasche, die er unter den Arm geklemmt hatte. Brad vermutete, daß diese Begegnung offenbar nicht vorgesehen war, denn Maurice blickte den Mann verblüfft an, faßte sich aber sofort und ging auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. -189-
„Funktioniert alles?“ fragte D'Estang. Wortlos nickte der Dicke. Maurice wandte sich zu den anderen. „Das ist Julius. Er erledigt für uns viele Spezialarbeiten.“ Damit schob er diese sonderbare Gestalt zur Limousine ab. Luciana sah den beiden fragend nach, aber D'Estang kam schon verbindlich lächelnd zurück. „Julius hat einige Instrumente überprüft. Mr. Cervi hält große Stücke auf ihn, er schätzt ihn als den besten Elektronikexperten und wollte, daß sich Julius die technische Ausstattung unserer Maschine ansieht. Aber nun, bitte, an Bord.“ Nach kurzer Vorstellung der Besatzung, die Harry Hirsch vorgenommen hatte, und während der Copilot mit dem Fahrer Williams das Gepäck verstaute, machte Maurice den Führer bei der Besichtigung. „Also das ist wohl das Tollste, was ich auf diesem Gebiet gesehen habe!“ rief er beim Betreten der Kabine. In dem Raum stand eine lange Sitzbank, die, wie der Pilot erklärte, auseinandergezogen werden konnte und ein bequemes breites Bett ergab. Um einen Tisch mit Telefon und einer Konsole, von der man den Kurs sowie die jeweilige Flughöhe und Reisegeschwindigkeit des Jets ablesen konnte, waren drei große Drehfauteuils angeordnet. Insgesamt bot die Maschine elf Passagieren Platz. „Die meiste Zeit über kann man jeden Ort der Welt telefonisch erreichen. Es gibt auch einen Fernschreiber, der an die Drahtdienstnetze oder an das Whitehall-Kommunikationszentrum anzuschließen ist. Außerdem haben wir hier auch TV, aber bei unserem Tempo kann man keine Station sehr lange empfangen.“ „Und in zwei Monaten wird ein genau gleiches zweites Exemplar geliefert“, sagte Harry Hirsch ohne besondere Begeisterung. Dann fügte er mit einem Unterton von Stolz hinzu: „Dieser Jet war ursprünglich für ein anderes Unternehmen bestimmt, aber durch gewisse Verbindungen konnte ich den Bestellern zuvorkommen und ihn für uns -190-
sichern.“ „Das ist ja ein traumhaftes Transportmittel!“ hauchte Luciana hingerissen. „Ist alles für Miami bereit, Chuck?“ fragte Hirsch den Piloten. „Ja. Der Vogel fliegt an jedes Ziel des Globusses, das Sie angeben.“ „Diesmal genügt die Strecke Miami und Antillen. Sie haben den Flugplan?“ Der Pilot bejahte. Fast widerstrebend verließ D'Estang die Maschine. „Ich beneide Sie, Brad. Gute Reise. Und kommen Sie mit dem Ocean Plaza Hotel zurück.“ „Ich werde mein möglichstes tun.“ Schon aus bloßer Notwendigkeit lernte es Brad, sich mit dem Korsen zu vertragen, und das fiel ihm gar nicht so schwer, wenn er die Tatsache akzeptierte, daß Maurice das konkrete Verbindungsglied zwischen Ascot und Whitehall bildete. D'Estang ging zur Limousine, hob einen glatten schwarzen Attachékoffer mit drei schweren Schlössern vom Rücksitz und brachte ihn zur Maschine. „Hier, Brad. Geben Sie das Mr. Calderone, unserem Bankier in Puerto Rico.“ Brad nahm den Koffer, verabschiedete sich und stieg ein. Luciana saß in einem der Fauteuils. Der Pilot ließ die Falttreppe hochgleiten, schloß die Tür und verriegelte sie. Dann wandte er sich um. „Damit ich nicht vergesse, Mr. Kendall: dieser Schrank dort ist eine wohlbestückte Bar, falls Sie etwas trinken wollen. Bis Miami haben wir etwa zweieinhalb Stunden Flugzeit.“ Er blickte auf die Uhr. „Wir starten plangemäß. In Miami wird Sie ein Wagen erwarten. Übrigens, die Tür zum Cockpit können Sie von innen versperren. Unsere Mitteilungen an Sie erfolgen über das Intercom. Falls Sie telefonieren wollen, brauchen Sie nur den Hörer abzunehmen, der Copilot wird Sie auf die gewünschte Frequenz schalten. Guten Flug also.“ Die Tür wurde geschlossen. Sie waren allein. Durchs Fenster -191-
sahen sie, wie die Limousine wegfuhr. Brad lehnte sich zurück und lächelte Luciana über den Tisch zu. Die Triebwerke wurden angelassen, und bald rollte der Jet zur Startpiste. Brad, der die Instrumente auf der Konsole prüfend überblickte, schaltete auf Empfang; sie hörten, wie der Pilot mit dem Kontrollturm sprach, Anweisungen und schließlich die Starterlaubnis erhielt. „Bitte Sicherheitsgurte anlegen. Es geht los“, sagte die Stimme des Piloten über das Intercom. Instinktiv streckte Luciana die Hand aus, die Brad ergriff und fest drückte, während die Maschine immer rascher über die Piste brauste, sich plötzlich vom Boden hob und in steilem Winkel Höhe gewann. Zehn Minuten später teilte ihnen der Captain, wie bei einem normalen Kursflug, höflich mit, sie könnten die Gurte öffnen, falls es Turbulenz geben sollte, würde er sich rechtzeitig melden. Sie blieben bequem sitzen, bewunderten noch immer den Luxus und die Annehmlichkeiten eines Privatjets, in dem sie beide nun das ganze Land, ja die ganze Welt bereisen konnten. Schließlich unterbrach Brad das Schweigen. „Jetzt haben wir endlich zum ersten Mal seit fünf Tagen Gelegenheit, miteinander allein zu sein und ungestört zu reden. Cervi und sein Team halten dich weiß Gott auf Trab.“ „Du bist mittlerweile auch nicht untätig gewesen, Liebling.“ „Nein, es war das reinste Tollhaus. Ich möchte nur wissen, ob nun für uns immer solcher Hochbetrieb sein wird.“ „Es ist irrsinnig aufregend.“ Lucianas Augen leuchteten. „Ich fände es viel aufregender, wenn ich mehr Zeit für dich hätte.“ Brad neigte sich vor und küßte sie. „Du hast mir diese Woche sehr gefehlt“, murmelte er zärtlich, als er sich von ihren sinnlichen Lippen löste. „Aber Schatz, wir waren doch jede Nacht beisammen.“ -192-
„Das schon, nachdem du von dem Zirkus mit D'Estangs VIPs zurückgekommen bist. Und ich mußte jeden Morgen zu früh aufstehen, um dich zu wecken und zu fragen, was los war.“ „Das ist der Preis für den Erfolg. Aber wenn wir zusammen waren, dann war es immer wunderschön. Zumindest für mich.“ „Und für mich erst! Ich - ich liebe dich so, Luciana.“ „Ich dich auch, Brad.“ „Ich sehne mich so sehr nach dir -“ „Auch heute kommt wieder eine Nacht, und wie ich mir sagen ließ, sind die Nächte in Miami zauberhaft.“ Sie lächelte. „Wie wär’s jetzt mit einem Drink aus der Düsenbar?“ „Gute Idee.“ Er öffnete den Schrank, der tatsächlich eine verlockende Flaschenbatterie enthielt, samt Gläsern und allem Zubehör. Für Luciana mixte Brad einen “Screwdriver“, in Erinnerung an ihren ersten gemeinsamen Flug, und für sich selbst einen Brandy mit Soda. „Wir waren beide so beschäftigt, daß ich dich noch gar nicht nach deiner Tochter fragen konnte“, sagte Luciana. Seine Miene verdüsterte sich. „In der letzten Woche habe ich sie nur ein einziges Mal gesehen. Es scheint ihr so zu gehen wie immer. Leider läßt ihre Mutter dem Mädchen nicht viel Freiheit.“ „Das ist wahrscheinlich gar nicht schlecht. Ich hoffe, Andrea trifft sich nicht mehr mit diesem sizilianischen Papagallo, wie hieß er doch?“ „Tony Falcon. Das hoffe ich auch, aber ich werde mich hüten, Andrea Vorschriften für ihr Privatleben zu machen. Dann werden junge Leute nur noch störrischer.“ „Fühlt sie sich nun wohler zu Hause?“ „Das bezweifle ich. Gwen setzt Andrea arg zu. Sie bringt ihr Schuldkomplexe bei. Dauernd wird ihr vorgehalten, was Gwen und mein famoser “Nachfolger“ angeblich für sie getan haben. -193-
Nach Gwens Ansicht bin ich ein Schuft, der seine Familie schmählich im Stich ließ. Wie gut ich für diese ganze fragwürdige Sippschaft sorge, davon hört Andrea nichts.“ Luciana lehnte sich an ihn und legte die Hand auf seinen Schenkel. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich glaube, Andrea weiß genau, wieviel sie und die anderen dir verdanken. Warte noch ein oder zwei Jahre, wie sie sich entwickelt. Sobald sie von zu Hause fort ist, wird sie ein neuer Mensch sein.“ „Wenn Gwen sie ziehen läßt“, erwiderte Brad ernst. „Ich muß mich mehr um Andrea kümmern und herauskriegen, ob sie noch mit Tony Falcon zusammenkommt. Aber wo nehme ich die Zeit dazu her? Es gibt so vieles zu tun, die Hotels, die Politiker, die ich managen soll, und nun will C. L., daß ich mir irgendsoein neues Unterrichtsprojekt ansehe, für das er sich interessiert.“ „So etwas liegt doch gar nicht auf Cervis Linie“, murmelte Luciana erstaunt. „Eben. Das dachte ich auch. Die bewußte Firma vertreibt audiovisuelle Lernbehelfe für Colleges.“ „Was hat das mit Whitehall zu tun?“ „Nun, wir brauchen uns darüber nicht die Köpfe zu zerbrechen, warum und wieso.“ Er hob sein Glas. „Für uns heißt es: Befehl ist Befehl. Oder so ähnlich.“ Er trank aus und stellte das Glas in den Halter bei der Armlehne. „Luciana?“ Sein bedeutungsvoller Ton ließ sie aufhorchen, das war sie an ihm gar nicht gewöhnt. „Ich glaube, es war ein Fehler, daß ich dir vorschlug, bei Ascot zu arbeiten. Ich wußte ja nicht, daß du die Hosteß für Maurice D'Estang spielen müßtest. Außerdem hatte ich keine Ahnung, daß Cervi den bisherigen Ascot-Stil so rasch und drastisch ändern würde. Du bist doch schließlich kein Inventarstück, das jederzeit greifbar sein muß, immerhin hast du ein Anrecht auf dein Privatleben.“ „Aber das macht mir doch nichts aus, Brad. Im Gegenteil, es gefällt mir. Ich könnte mir keine bessere Tätigkeit wünschen. -194-
Letzte Woche war ich mit drei TV-Regisseuren zum Abendessen aus und besuchte die Frauenseite-Redakteurin der New York Times, um ihr einiges über den “New Look“ der Hotelkette zu erzählen. Sie wird eine groß aufgemachte Reportage bringen.“ „In Ordnung. Nur diese “Nachtdienste“ passen mir nicht.“ „Die gehören dazu.“ „Luciana -.“ Er zögerte, dann sprach er eindringlich weiter. „Luciana, heiraten wir doch. Du kannst nach wie vor bei Ascot bleiben, aber wenn du ausgehst, könnte ich ganz offiziell mitkommen.“ Sie starrte ihn mit großen Augen an. „Heiraten -?“ „Ja, ich meine es ernst.“ „Ach, Brad, das ist das Schönste, was du mir sagen kannst. Aber du solltest dich jetzt nicht binden. Deine Karriere führt nun wirklich im Jet-Tempo nach oben, da mußt du frei sein.“ Er winkte ab. „Na, wenn schon, daran würde eine Ehe doch nichts ändern. Mir wäre nicht immer so scheußlich zumute, wenn wir getrennt sind.“ „Denken wir darüber nach, wenn wir nicht zuviel anderes im Kopf haben.“ „Ich habe schon sehr oft darüber nachgedacht, besonders in der vorigen Woche. Warum sollen wir zuwarten? Wir sind beide frei. Wir lieben uns und wollen zusammen sein. Warum nicht gleich? Wir könnten uns schon in Miami trauen lassen.“ „Oh, Schatz, das geht nicht so leicht. Ich müßte es der ganzen Familie mitteilen. Meine Mutter sollte zumindest die Möglichkeit haben, dich vorher kennenzulernen.“ „Willst du mich nicht heiraten?“ „Doch, natürlich! Aber im Moment ist es so kompliziert. Ich bin erst seit kurzem geschieden, und wir reden schon wieder von einer neuen Ehe. Laß mich erst zur Besinnung kommen. Ich -195-
möchte wissen, wie das Leben einer unverheirateten Frau ist. Glaube mir, ich wäre viel besser für eine zweite Ehe geeignet, wenn ich zuerst ein Jahr allein bin.“ Als sie seine bekümmerte Miene sah, warf sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn. „Ich liebe dich wirklich, Brad. Es ist nur -“, sie stockte, „gib mir Zeit. Versuche, mich zu verstehen.“ Er schwieg noch immer. Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und blickte ihm fest in die Augen. „Okay?“ Er zwang sich zu einem Lächeln. „Okay. Ich möchte nur, daß du dich nicht schutzlos fühlst.“ „Oh, du gibst mir die Geborgenheit, nach der ich mich sehne.“ Sie sah sich in der Kabine um, ein verlangendes Leuchten glitt über ihre Züge. „Ob das Ding dort wirklich als Bett zu gebrauchen ist?“ fragte sie mit kehligem Lachen. Brads Gesicht hellte sich auf. „Ich weiß nicht. Sollen wir es versuchen?“ Sie standen auf und betrachteten das braune Ledersofa. Brad bemerkte einen Griff in der Mitte der Vorderseite, knapp über dem Boden. Er zog daran. „Es geht!“ Luciana klatschte in die Hände, als das Möbel sich in den Mittelgang vorschob und die Lehne automatisch flachgeklappt wurde. Vergnügt setzte sich Luciana auf die Kante und probierte die Sprungfestigkeit. „Ich hätte mir nie gedacht, daß wir es sogar in einem Flugzeug tun würden“, flüsterte sie, zwei Kissen, die sie entdeckt hatte, ans obere Ende schiebend. Die übrige Welt wurde ihnen erst wieder bewußt, als sie durch das Intercom die Stimme des Piloten hörten: „Wir kommen in eine turbulente Zone. Bitte Sicherheitsgurte anlegen.“ „Was sollen wir tun?“ Luciana sah Brad angstvoll an. Er lachte leise. „Ganz einfach. Wir halten uns aneinander fest und überlassen alles andere der Turbulenz.“ „Wie schön!“ keuchte sie, als die Maschine in die -196-
Luftströmungen geriet und sich fast rhythmisch hob und senkte. Zehn Minuten später meldete sich der Pilot wieder: „Wir haben die Störungsfront passiert. Bis Miami glatter Flug. In einer halben Stunde landen wir.“ Schließlich rollte sich Brad zur Seite, verglich die Uhrzeit mit dem Instrumentenstand auf der Konsole, rechnete rasch nach und sagte: „Jetzt haben wir es siebenhundert Meilen weit getrieben.“ „Das nächste Mal probieren wir, ob wir auf tausend kommen.“ Er grinste. „Bleiben noch zwanzig Minuten, um uns wieder in zwei seriöse Repräsentanten von Ascot zu verwandeln.“ Sie streckte sich wohlig. „Das war ein herrliches Intermezzo. In Miami werde ich sofort alles für das Dinner mit unseren lateinamerikanischen Gästen arrangieren müssen.“ Brad starrte nachdenklich vor sieh hin. „Und auf mich wartet ein schwieriges Problem: das Ocean Plaza Hotel...“
-197-
21 Als sie pünktlich um 15 Uhr landeten, stand bei dem für Passagiere von Chartermaschinen reservierten Nebentrakt des Ankunftsgebäudes schon ein Lincoln-Continental-Kabriolett bereit. Obwohl alles in dem Flugplan vermerkt war, den Harry Hirsch den Piloten mitgegeben hatte, stellte Brad nochmals klar, daß die Besatzung bis zum nächsten Vormittag um zehn dienstfrei hätte, und überzeugte sich, ob auch die Telefonnummer des Coco Bay Club eingetragen war, wo er absteigen würde. Dann fuhr er mit Luciana los. Nach einer halben Stunde erreichten sie ihr Ziel. Der Coco Bay Club, auf dem Damm zwischen Miami und dem Strand gelegen, war das modernste einer Reihe luxuriöser Privatquartiere für Leute, denen eine intime Atmosphäre besser behagte als der Trubel in den Nobelhotels. In einem der Bungalows würde Luciana eine Party für lateinamerikanische Bankiers, Unternehmer und Staatsbeamte geben, mit denen Ascot wegen der Finanzierung von Neubauten verhandelte. Als sie ihre benachbarten Zimmer bezogen hatten, setzte sich Brad wieder ans Steuer: nun mußte er Bob Heller besuchen, den Teilhaber und Generaldirektor des Ocean Plaza Hotels. Bis zum Stadtzentrum von Miami brauchte er in dem schnellen Wagen eine knappe halbe Stunde. Vor dem Portal lungerten einige Demonstranten und Streikposten herum, auf ihren Tafeln stand in balkendicken Lettern zu lesen, die Gewerkschaft der Hotelangestellten protestiere gegen die unfairen Praktiken des Managements. Brad betrat die riesige, menschenleere Halle; durch die zweigeschossigen Glaswände bot sich ein prachtvoller Ausblick auf die Biscayne-Bucht. Die Lifts waren außer Betrieb, deshalb ging er die Treppe hoch zu den Büros der Hotelleitung in der ersten Etage. Sogar der Schreibtisch der Chefsekretärin war verwaist, durch -198-
die offene Tür sah Brad seinen einstigen Freund Bob Heller, der gerade telefonierte, aber sofort auflegte, als er merkte, daß jemand kam. Dann erkannte er den Besucher und wies stumm auf einen Stuhl. „Bei euch herrscht momentan Ebbe“, begann Brad ernst. „So was ist dir doch nichts Neues“, entgegnete Heller feindselig. „Bevor der alte Leighton seine Ascot-Kette an die Whitehall-Bande verkaufen mußte, war doch ein ganz ähnlicher Wirbel los.“ Brad ignorierte diese Spitze. „Ja, ich habe schon öfter Streiks miterlebt.“ „Nicht einmal das leitende Personal wagt sich herein. Hast du auch schon erlebt, daß ein Gangster deinem Stellvertreter mit einem Baseballschläger das Schienbein zerdrischt?“ Brad schüttelte den Kopf. „Ist das wirklich geschehen?“ „Ob das geschehen ist? Sogar meine Sekretärin hat mich im Stich gelassen, weil sie nicht riskieren will, daß man auch sie durch die Mangel dreht. Natürlich ist mir klar, daß ihr den Streik nach dem Verkauf an Ascot prompt beilegen werdet.“ „Hör zu, Bob, deine Unterstellungen kannst du dir sparen. Ich bin zu dir gekommen, um hier ein reelles Geschäft abzuwickeln“, sagte Brad trocken. „Ich war immer dafür, dieses Hotel an Ascot zu verkaufen und dabei was zu verdienen. Aber nun geht es mir sehr gegen den Strich, daß gerade ihr zum Zug kommt und den Laden übernehmt. Oh, ich bin sicher, ihr werdet dafür sorgen, daß die Gerichtsverfahren wegen der Lebensmittelvergiftung vor drei Wochen, als unser Küchenchef betäubt wurde, im Sand verlaufen. Ich zweifle auch nicht daran, daß ihr mit Mr. Wisenmann, der so plötzlich die Hypotheken kündigte, obwohl er hoch und heilig die Erneuerung beschworen hatte, eine entsprechende Regelung treffen werdet. Und ich bin auch überzeugt, es wird euch gelingen, alle anderen -“ er betonte die Worte mit ironischer Schärfe - „kleinen Mißhelligkeiten zu beseitigen, die uns so sehr zu schaffen machen, seit dieses -199-
Tauziehen anfing.“ „Maurie Unger hat den Verkauf an Ascot schon vor zwei Jahren bindend zugesagt, als ihr finanziell in Schwierigkeiten stecktet und Leighton helfend einsprang. Und dann versucht es Maurie mit krummen Touren.“ Brad blickte den Manager fest an. „Unger hat dazu beigetragen, daß Ascot in den Engpaß geriet und schließlich keine andere Möglichkeit blieb, als die Kette zu veräußern.“ Heller hob abwehrend die Hand. „Brad, ich persönlich bin bereit, sofort zu verkaufen, und ich glaube, im Grund denkt Unger genauso. Geh doch zu ihm, aber erwarte nicht, daß er dich mit offenen Armen empfängt. Ihr setzt uns sehr hart zu.“ Brad stand auf und beugte sich über den Schreibtisch. „Bob, ich habe mir deine Beschuldigungen ruhig angehört, doch jetzt reicht es. Nur weil ich für ein Unternehmen arbeite, das mächtig genug ist, um Maurice Unger zu zwingen, Wort zu halten, heißt das noch lange nicht, daß man uns auf eine Stufe mit dem Mob stellen kann. Wenn jemand Verbindungen zum Mob hat, dann ist es dein Partner.“ Heller sprang von seinem Sitz und stieß den Kopf vor, dicht an Brads Gesicht heran. „Entweder bist du ein abgefeimter Komödiant, oder du weißt wirklich nicht, daß du die Galionsfigur des Syndikats abgibst. Wenn du nicht weißt, wessen Werkzeug du bist, wenn du keine Ahnung hast, was Whitehall in Wahrheit ist, dann bist du der einzige Mann in der Branche, der eine Mattscheibe hat.“ „Du phantasierst.“ „Ach so? - Du hast die letzten drei Jahre im Ausland verbracht und bist zwei Tage nach deiner Rückkehr bei Whitehall eingestiegen. Vielleicht begreifst du tatsächlich nicht, was gespielt wird.“ Brad wollte Heller unterbrechen, aber der winkte ab. „Nein, ich bin noch nicht fertig, laß mich ausreden. Ich meine es gut -200-
mit dir. Hast du schon bemerkt, wie man in unserer Sparte zu dir steht? Wie dich Kollegen behandeln? Respektvoll? O ja, aber nicht nur, weil man deine Leistungen anerkennt, sondern aus Furcht. Die Leute glauben, wenn man dir oder deinen Freunden bei Whitehall in die Quere kommt, kriegt man vor dem Bad im Meer Betonpantoffel angemessen. Ihr habt den Machtapparat des organisierten Verbrechens hinter euch, und das weiß heute jeder in der Hotellerie. Versuch doch nicht, uns was vorzumachen, und wenn du dich selbst belügst, dann tust du mir leid.“ Ruhig erwiderte Brad: „Ruf Unger einfach an und sag ihm, daß ich in Miami bin. Wenn er das Geschäft abschließen will, brauchen wir keine Zeit zu verlieren.“ „Du weißt doch, wo sein Büro ist. Geh zu ihm, er erwartet dich.“ Heller runzelte die Stirn. „Ich gebe dir einen guten Rat, Brad, weil wir uns schon so lange kennen: sei auf der Hut. In New York magst du abgesichert sein, aber hier in Miami bist du wie eine Schildkröte mit einem Pappepanzer. Denk daran, Unger läßt sich nicht gern aufs Kreuz legen.“ „Na hör mal, wir bezahlen ihm für seine Anteile um zwanzig Prozent mehr, als sie wert sind.“ „Scheiße.“ Heller winkte verächtlich ab. „Die Barschaft, die ihr ihm hinblättert, gilt ihm nicht halb soviel wie das Ocean Plaza, das Haus an sich. Es war der große Prestigefaktor bei all seinen anderen mehr oder weniger miesen Geschäften. Für mich persönlich ist es eigentlich ein Segen, daß alles so gekommen ist. Ich mache nicht gern mit Mobstern gemeinsame Sache. Du bist wahrscheinlich anderer Meinung.“ „Schluß jetzt mit dem blöden Gerede, Bob.“ Brad war selbst von seinem drohenden Ton überrascht. „Machen wir's morgen perfekt?“ „Das hängt davon ab, wieviel sich Unger noch gefallen lassen will. Ich selbst bin jedenfalls bereit.“ -201-
Mit sehr ernsten Gedanken beschäftigt fuhr Brad zur Küste. Es blieb nicht mehr viel Zeit, wenn er auch noch Unger aufsuchen und dennoch rechtzeitig für die Party wieder im Coco Bay Club sein wollte. Heller irrte mit seinem Vergleich, Whitehall war durchaus in der Lage, seine Exponenten auch außerhalb New Yorks zu schützen. Brad griff nach dem Autotelefon und wählte die Nummer, die ihm D'Estang gegeben hatte, für den Fall, daß er rasch Hilfe benötigen sollte. Gleich darauf meldete sich eine Männerstimme: „Mendez-Supermarkt.“ „Hier Kendall. Ich brauche vielleicht für die Bestellung am Lincoln Place 75 das doppelte Quantum.“ „Wir haben bereits vor einigen Stunden einen Lieferwagen hingeschickt. Ein zweiter stand vor dem Ocean Plaza Hotel, und ein dritter ist beim Coco Beach Club postiert. Wenn Sie sich umschauen, werden Sie jetzt einen hinter sich sehen.“ Ein rauhes Lachen am anderen Ende. „Sie müssen wohl ein Neuling sein, Mister.“ Brad blickte durch das Rückfenster, tatsächlich, in kurzem Abstand hielt ein schwarzer Wagen mit Firmenzeichen. „Ja, stimmt. In Ordnung.“ Er startete wieder, und zehn Minuten später parkte er am Lincoln Place. Langsam fuhr der schwarze Wagen vorbei, zwei Männer saßen darin, der eine sah dem aussteigenden Fahrer des eleganten Kabrioletts direkt ins Gesicht. Beruhigt betrat Brad das Gebäude. Im Büro der „Unger Enterprises“ gab es keine Empfangsdame, dafür tauchte sofort ein stämmiger junger Kerl auf, der Brad stumm zu einer schweren Tür führte, sie öffnete und hineinwies. Richtig, da saß Maurie Unger mit seiner widerlichen schwammigen Nöck-Visage. Er bot dem Besucher nicht einmal einen Sitz an. „Kendall, ich weiß, warum Sie hier sind.“ Maurie bohrte den Zeigefinger in die Luft. „Jawohl, morgen machen wir den Handel perfekt. Aber bedenken Sie eines: Sie stecken bis zum Hals mit drin. Eure Leute wissen, wo meine Familie wohnt? -202-
Gut, und ich weiß, wo sich Ihre Tochter aufhält. Wenn Sie auf die harte Tour anfangen, okay, Sie sind jetzt kein gewöhnlicher Geschäftsmann mehr, vergessen Sie das nicht. Ich kann nämlich auch sehr ungemütlich werden.“ „Ich bin gekommen, um konkret zu verhandeln, und nicht, um in einem Krimi mitzuspielen“, antwortete Brad gleichmütig. „Wollen wir nicht lieber nochmals die Einzelheiten durchgehen, damit Klarheit herrscht, bevor unsere Anwälte den Vertrag aufsetzen?“ Ungers Knurren konnte auch ein Lachen sein. „Was soll's, es gibt nicht viel zu besprechen. Ihr übernehmt die Hypotheken dazu, und der Laden gehört euch.“ „Herzlichen Glückwunsch, Maurie. Sie bringen das Ocean Plaza um einen sehr beträchtlichen Preis an den Mann.“ „Ach so? Verschwinden Sie. Ich hätte das ganze telefonisch mit Bob erledigen können, aber ich wollte Sie sehen. Denken Sie daran, hier in Miami kann manches passieren.“ „Alles weitere sollen die Anwälte in einer weniger gespannten Atmosphäre regeln.“ Brad drehte sich um und ging. Während er draußen auf den Lift wartete, behielt er den Korridor im Auge, ob sich etwas Verdächtiges zeigte. Über einer Tür bemerkte er das Schild „Ausgang“, und da der Aufzug offenbar ausgeschaltet war, verlor Brad keine Zeit. Als er zum Ausgang lief, hörte er, wie hinter ihm eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Er sah Ungers Aufpasser mit einem zweiten, einem richtigen Schwergewichtler. Die beiden folgten ihm. Die Hand am Geländer, hastete Brad die Treppe hinab bis zum ersten Absatz, da tauchte aus der ersten Etage ein dritter Schlägertyp auf und schnitt ihm den Weg ab. Brad blickte sich um, seine Verfolger waren ihm noch nicht auf den Fersen. Es gab nur eine Möglichkeit: den unteren zu überrennen. Zumindest hatte Brad den Vorteil der Schwungkraft von oben. Weiter, die Linke am Geländer, die Rechte zum Schlag bereit. -203-
Nun war er fast direkt über dem finster heraufstarrenden Killer, der ihm entgegenkam. Ausgeschlossen, daß es sich um einen zufälligen Besucher handelte, der zu Fuß ging, weil der Lift nicht funktionierte. Der Kerl blieb stehen, stemmte sich mit erhobenen Fäusten ans Geländer. Mit aller Wucht schnellte sich Brad ab und sprang an der klobigen Gestalt vorbei. Zwei Pranken an muskulösen Armen langten zu und verkrallten sich in seinen Bizeps. Genau zielend stieß Brad die ausgestreckten Finger vor, um seinen Gegner an der Kehle zu treffen. Aber sofort verwuchs das breite Kinn mit der gewölbten Brust zu einem festen Klotz. Blitzartig holte Brad gegen die Augen des Schlägers aus. Der wich mit dem Kopf zurück, unwillkürlich lockerte er den Zugriff. Brad hatte noch soviel Schwung, daß er sich losreißen konnte und, den Anprall gegen die Wand nutzend, die Treppe weiter hinunterrannte. Nun waren alle drei dicht hinter ihm. Er erreichte die Vorhalle, durch die Glastür erschien die Straße draußen menschenleer. Bevor er sich ins Freie retten konnte, fühlte er, wie ihn zwei Hände packten und herumdrehten. Instinktiv duckte er sich, als eine Faust, schwer wie ein Maschinenkolben, knapp über seinem Schädel durch die Luft fuhr. Brad, der das Gesicht mit den Armen schützte und sich vorbeugte, damit ihm die Gangster nicht gleich einen Magenhaken verpassen konnten, hörte, wie die Tür zur Straße aufgerissen wurde und laut hallende Schritte auf ihn zukamen. Über seinem Kopf landete irgendwo ein dumpfer harter Hieb, dann noch einer. Er wurde beiseite geschoben, und als er aufblickte, sah er, daß plötzlich vier Fremde in der Halle waren. Einer von ihnen hatte sich auf den vordersten Angreifer gestürzt und zerdrosch ihm das Gesicht. „Zwei sind noch oben“, keuchte Brad. Wie auf Kommando rannten zwei seiner Retter weiter, aber die Verfolger liefen ihnen schon in die Arme. Die Leute aus dem „Mendez-Supermarkt“, die keinen Moment zu früh -204-
gekommen waren, begannen die Verblüfften brutal zu bearbeiten. Brad sah, wie ein Schlagring gegen die Kniescheibe des jungen Mannes schmetterte. Mit einem schrillen Schrei knickte er ein. Ein Tritt schleuderte ihn der Länge nach hin. Der war außer Gefecht. Nun fielen die beiden über den Boxertyp her. Brad war als ehemaliger Offizier der U.S. Marines und als Korea-Veteran einiges gewöhnt, aber er mußte wegschauen, als der Riese fertiggemacht wurde, bis er mit gebrochenem Nasenbein und aus vielen Platzwunden blutend nach einem letzten krampfhaftem Aufbäumen zu Boden ging. Künftig würde Unger sicherlich einen Schläger weniger haben. „Ist das nicht genug?“ rief Brad. Die zwei wandten sich verwundert um. „Was glauben Sie, wie diese Brüder Sie zugerichtet hätten, Mister? Zum Glück waren wir da.“ Der narbige Gladiator, dem man auch nicht nachts in einer einsamen Straße begegnen mochte, zeigte grinsend ein schadhaftes Gebiß. „Wir hatten den Befehl, nachzusehen, ob diese Schweine nicht etwas im Schild führen.“ Die beiden anderen Verteidiger schleppten die Überreste man konnte es nicht mehr anders nennen - des dritten von Ungers Leibwächtern aus der Halle in das Stiegenhaus. Brad atmete erleichtert auf. „Ich bin weiß Gott froh, daß ihr gekommen seid.“ „Ja, die hätten Hackfleisch aus Ihnen gemacht.“ Der das mit rauher Stimme sagte, war offenbar der Anführer, denn er rief seinen Begleitern zu: „Okay, erledigen wir's, und dann nichts wie weg. Um das weitere brauchen Sie sich nicht zu kümmern, Sir. Wir haben den Auftrag, die drei bei Unger persönlich abzuliefern, damit er sich's überlegt, in Miami den starken Mann zu spielen. - Und Sie können jetzt getrost gehen, Mister.“ Das brauchte man Brad nicht zweimal zu sagen. Allmählich wich die erste psychische Benommenheit, und er spürte, wie seine Nerven rebellierten. Mit etwas weichen Knien ging er auf -205-
die Straße hinaus, holte ein paarmal tief Atem, blieb stehen, bis dieses sonderbare, von innen her durch den ganzen Körper ausstrahlende Zittern schwand, stieg in seinen Wagen und startete. Er ließ die letzten Stunden Revue passieren: Flug nach Miami in herrlicher Sorglosigkeit, das Gespräch mit Bob Heller, der Auftritt mit Unger, ein Anschlag, den Helfer vereitelt hatten, die auch nichts anderes waren als skrupellose Gangster - und zum Abschluß eine Party im Coco Bay Club, die Rückkehr in die höheren Regionen der Whitehall-Welt, die letzten Endes von den harten Fäusten anonymer Gewalttäter getragen wurde. Aber davon würden die Gäste in dem eleganten Bungalow am Traumstrand nichts merken. Ein Tageslauf im Leben des prominenten Hotelexperten Brad Kendall...
-206-
22 Finster vor sich hinbrütend, wartete Brad Kendall in seinem Büro im Spire Building auf Cervis Anruf. Manche der Annehmlichkeiten und Privilegien, die ihm seine Position als Ascot-Präsident - so zum Beispiel zwei hochelegante, mit allen Schikanen eingerichtete Büros, eines drüben im “Tower“, das andere hier mitten im Zentrum jener unheimlichen Machtballung, die sich Whitehall nannte - hatten seit der Rückkehr aus Miami erheblich an Reiz eingebüßt. Brad hatte den Zusammenstoß mit den Schlägern psychisch noch immer nicht ganz verkraftet, obwohl die geschäftlichen Resultate seiner Reise in den Süden durchaus zufriedenstellend waren. Bis zu dem Auftritt mit Unger und dem versuchten Racheakt, dem er mit knapper Not entgangen war, hatte er noch nie völlig illusionslos der Tatsache ins Auge geblickt, daß er sich dem organisierten Verbrechen verschrieben hatte. Es war etwas anderes, rein verstandesmäßig zu erfassen, was aus ihm geworden war und woher das Geld stammte, das er für den Ausbau der Ascot-Kette verwendete, oder alle Konsequenzen in Kauf zu nehmen, die sich daraus ergaben, vor allem die Möglichkeit, selbst in Fehden zu geraten, die mit erbarmungsloser Brutalität ausgetragen wurden. Hinter der Kulisse urbaner Lebensformen regierte die nackte Gewalt, damit mußte er sich abfinden. Er war nun ein Mobster, ein Gangster der gehobenen Schicht. Wie konnte er noch aussteigen? Aber wollte er überhaupt eine klare Trennung vollziehen? War Andrea gegen Anschläge rivalisierender Mobster gefeit? Solchen Erwägungen mußten wohl alle Spitzenkräfte Cervis täglich Raum geben. Sogar C. L. selbst hatte gewiß an die Sicherheit seiner Frau und seiner Tochter zu denken. Brad legte sich nochmals eine kurze Rede zurecht, in der er -207-
Cervi bitten wollte, das Arbeitsverhältnis in beiderseitigem gutem Einvernehmen zu lösen. Aber wußte er nicht bereits zuviel? Und dann war noch Luciana. Sie hatte alles so gelassen hingenommen. Schließlich hatte ja auch Brad seine Schlägertypen zur Verfügung, meinte sie, überdies bessere als der Gegner, sonst wäre es ihm schlecht ergangen. Cervi habe schon gut vorgesorgt. Das gehöre eben zum Spiel um die Macht, wandte sie leichthin ein. Nach wie vor fühlte sich Luciana in ihrem Aufgabenkreis sehr wohl, es machte ihr Spaß, die gesellschaftlichen Kontakte mit den lateinamerikanischen Diplomaten, Geschäftsleuten und Politikern zu pflegen, die nach Miami gekommen waren, um mit Brad Ascot-Projekte in ihren Heimatländern zu erörtern. Luciana verstand es sehr geschickt, diesen von ihren Reizen betörten älteren Herren brauchbare Informationen zu entlocken. Brad zuckte zusammen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch läutete. Zögernd hob er ab, die Sekretärin teilte ihm mit, Mr. Cervi wünsche ihn zu sprechen. Fast in Trance stand er auf und trat auf den Korridor. Ganz in seine Gedanken verloren überhörte er, daß ihn Angestellte grüßten, als er zu den Liften ging. Er drückte den Knopf und wartete auf die Kabine, die ihn mehrere Etagen höher tragen würde. Obwohl er nun schon gut bekannt war, begleitete ihn der Wächter durch die Sperren. Vor der letzten Tür straffte sich Brad. Nun, so kurz vor dem entscheidenden Moment, wußte er plötzlich nicht mehr, was er sagen oder tun sollte. Cervi kam ihm lächelnd mit ausgestreckter Hand entgegen. „Ich gratuliere Ihnen zu Ihren Erfolgen“, sagte er. „Diesen Zwischenfall mit Unger finde ich sehr bedauerlich“, fügte er hinzu, als sie auf der Sitzgarnitur Platz genommen hatten. „Wie sich zeigte, hat nur Unger selbst etwas zu bedauern“, erwiderte Brad mit etwas krampfhaftem Lächeln. „Und wir haben unseren Abschluß sowieso am nächsten Tag getätigt.“ -208-
Cervi lachte in sich hinein. „Ich glaube, der Anblick seines Rollkommandos, das ihm in so beschädigtem Zustand frei Haus zurückgeliefert wurde, hat ihn und seine Anwälte nicht gerade ermutigt, uns weiter hinzuhalten.“ Das sichtliche Vergnügen, mit dem Cervi diese Äußerung tat, machte Brad wieder bewußt, daß sein Gesprächspartner und oberster Boß trotz kulturellem Firnis und eleganter Lebensart eben doch in Wahrheit ein Mobster war, wenn auch der Spitzenmobster der USA und wahrscheinlich der ganzen Welt. „Luciana hat unsere lateinamerikanischen Freunde gut konditioniert“, bemerkte Brad. „Wir werden in der gesamten Hemisphäre Hotels bauen.“ „Ja. Ich glaube, Sie sollten einige der Einladungen annehmen, jene Länder zu besuchen, an denen wir besonders interessiert sind. Und aus vielen Gründen würde ich St. Croix an erste Stelle setzen...“ Vom Gesichtspunkt der Hotellerie an sich und der reinen Rentabilität teilte Brad nicht Cervis Meinung, aber er wußte bereits, daß es für alle Aktionen Whitehalls gewichtige, wenn auch meist undurchsichtige Motive gab. Allerdings war es nicht Brads Sache, darüber Fragen zu stellen. „Wir werden die erforderlichen Summen für die Errichtung der Hotels in New Orleans zur Verfügung haben, sobald die Planungsarbeiten abgeschlossen sind“, sagte Cervi. Brad versuchte, sich auf den Sinn der Worte zu konzentrieren. „Sie haben ein gutes Grundstück ergattert. Teuer, gewiß, aber gerade deshalb sind wir zum Zuge gekommen, weil alle anderen Hotelkonzerne fanden, so ein kostspieliges Areal könnten sie sich doch nicht leisten.“ Cervi war bestens gelaunt und schien Brads Niedergeschlagenheit gar nicht zu bemerken. „Und was sagen Sie dazu, daß unser Bankier in Puerto Rico binnen einer Stunde den Millionenkredit bereit hatte, als Sie den Kaufbetrag für den -209-
Baugrund erlegen mußten?“ „Imponierend“, antwortete Brad reserviert. „Ich vermute, der schwarze Attachékoffer, den ich ihm auf dem Flughafen Miami übergab, bevor ihn unser Jet nach Puerto Rico zurückbrachte, hatte etwas damit zu tun, daß er prompt ein so hohes Darlehen gewährte.“ „Respekt, Sie lernen sehr rasch.“ Cervi lachte, aber dann fiel ihm schließlich doch Brads gedrückte Stimmung auf. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ fragte er, ernst werdend. „Nein, soweit läuft alles glatt“, erwiderte Brad unsicher. Prüfend musterte Cervi den Präsidenten seiner Hotelkette, stand auf, ging zum Kamin, lehnte sich an das Sims und blickte zu der Weltkarte empor. „Brad, ich spüre, daß Sie sich heute bei uns nicht besonders glücklich fühlen.“ Brad wollte entgegnen, aber Cervi hob die Hand. „Mein Konzept entspricht nicht den Vorstellungen des traditionellen Geschäftsmannes, dem die amerikanische Mittelschicht das Gepräge gab. Ich selbst bin in der dritten Generation Italoamerikaner. Deshalb und infolge der von meinem Vater übernommenen Ansichten ging ich nach einer sorgfältigen Erziehung, die ich meinen guten verewigten Eltern danke, mit ganz anderen Wertvorstellungen und Zielen als die meisten meiner Altersgenossen in die Welt hinaus. Viele junge Italoamerikaner träumten davon, sich der “Ehrenwerten Gesellschaft“ anzuschließen, der Mafia, wenn Sie es so nennen wollen, und sich wenn möglich zum Capo hinaufzuarbeiten. Als ich jung war, träumte ich davon, Präsident der USA zu werden. Und warum nicht? fragte ich immer, wenn man mir entgegenhielt, daß ein Italiener nie Chancen auf dieses Amt hätte. Napoleon war nicht einmal ein gebürtiger Franzose, wandte ich ein. Natürlich stützte er sich auf die Armee, als er sich selbst zum Kaiser krönte. Als Junge studierte ich das Leben Napoleons und las jedes erreichbare Buch über ihn. Etwas später -210-
fand ich Kontakte zur “Ehrenwerten Gesellschaft“, ich lernte viele ihrer führenden Persönlichkeiten kennen, aber auch die einfachen Männer, die “Soldaten“. Mein Vater war Consigliere des Capo einer der fünf “Familien“ New Yorks. Er wünschte, daß ich Jurist werden und ins Geschäftsleben statt in die Cosa Nostra eintreten sollte. Schon damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, während ich an der Columbia-Universität studierte, sah mein Vater den Niedergang und Sturz der Mafia voraus. Er wußte, daß der staatliche Sicherheitsapparat auf die Dauer nicht so leicht zu bestechen wäre und mit neuartigen Methoden der Bekämpfung das Syndikat schließlich ausschalten würde. Immer wieder sagte mir mein Vater, die Zukunft gehöre einem legalen Wirtschaftsimperium auf der Basis des Geldes, das die Familien einnehmen, aber immer schwerer investieren können. Mittlerweile sind meine politischen Ambitionen nicht geschwunden. Heute verwende ich die enormen steuerfreien Summen, die das organisierte Verbrechen aufbringt, um jene Macht zu erlangen, die sich Napoleon durch seine Armee schuf.“ Cervi blickte Brad mit fast fanatisch glühenden Augen an. „Whitehall ist mächtiger als jede andere wirtschaftliche oder politische Ballung der westlichen Welt. Und wenn ich selbst als Italoamerikaner auch nicht zum Präsidenten gewählt werden kann, hätte ich doch bei meinen Verbindungen zu den Familien und den Gewerkschaften die Handhabe, einen Kandidaten vorzuschieben, der mein Geschöpf ist. Ich würde mich damit begnügen, im Hintergrund den Lauf der Dinge zu dirigieren.“ Cervi unterbrach seinen Monolog, um die Reaktionen seines Zuhörers zu beobachten. Wie immer schlug die hypnotische, gebieterische Ausstrahlung dieses Bosses der Bosse - und das war Cervi zweifellos - Brad völlig in Bann, fegte vernunftmäßige Erwägungen hinweg und ließ ihn die ernstlichen Befürchtungen vergessen, die ihn beunruhigt hatten. Schließlich raffte er sich zu einer Antwort auf. „So etwas ist unmöglich.“ -211-
„Das mag Ihnen nach Ihrer Herkunft und Ihrem Werdegang so erscheinen, aber für mich als Mann aus einer Minderheit ist es klar, daß dieser Fall eintreten kann und eintreten wird. - In jedem Land der Welt gab es irgendwann einmal eine Revolution, die zur Diktatur führte. Glauben Sie, in den USA wird es anders sein?“ „Ich weiß es nicht.“ „Ich sage Ihnen das alles deswegen, weil Sie sich noch nicht wirklich entschieden haben, innerlich noch nicht zu uns bekennen. Wenn ich mit meinen Ausführungen fertig bin, wird es Ihnen noch immer freistehen, durch diese Tür dort hinauszugehen und in Ihren gewohnten Lebens- und Arbeitsstil zurückzukehren. Falls Sie aber bleiben, was ich hoffe, dann könnte ich es nicht dulden, daß Sie sich irgendwann plötzlich anders besinnen. Verstehen Sie mich?“ Brad nickte. „Voll und ganz.“ Er wollte hinzufügen: Haben Sie also nichts dagegen, wenn ich jetzt gehe? Doch die zwingende, dämonische Gewalt des Mannes, der vor ihm stand, machte ihn stumm. Er brachte diese wenigen Worte einfach nicht über die Lippen. „Gut. Mein Freund, Sie haben unabsehbare Möglichkeiten, Ihren Willen bei den vier anderen Mächten Amerikas in die Waagschale zu werfen. Nach und nach werden Sie ermessen, welches Impulszentrum wir hier im Spire Building sind. Wir können die USA durch Streiks lahmen, wenn wir wollen, oder Ausstände beenden, wenn das für uns von Vorteil ist. Binnen fünf Minuten könnte ich den Dockarbeiterstreik abblasen, der das Wirtschaftsleben an der Westküste seit Monaten hemmt. Aber es liegt nicht in unserem Interesse, zu früh unsere Macht zu offenbaren. Sobald wir in den USA am Ruder sind, werden wir die meisten Probleme des Landes lösen, aber nicht durch langwierige und für gewöhnlich ergebnislose Debatten -212-
egoistischer Kongreßabgeordneter, o nein. Sondern nach dem klassischen Maß Alexanders des Großen. Wir zerhauen den gordischen Knoten mit dem Schwert. In unserem Staat, besonders in den Großstädten, funktioniert das bisherige Regierungssystem nicht mehr. Die Demokratie alter amerikanischer Prägung ist ein historischer Faktor, aber in der gegenwärtigen und künftigen Entwicklung manövrierunfähig. Innerhalb von zweihundert Jahren wurden die Prinzipien der Verfassung überholt. Während dieses verhältnismäßig kurzen Zeitraums sind wir rascher gewachsen als alle anderen Länder der Welt im gesamten Verlauf ihrer Geschichte.“ Cervi schwieg, ging in weitem Bogen durch das Büro und fixierte Brad wieder mit seinen schwarzen Augen. „Erkennen Sie nicht, daß wir die Wegbereiter neuer wirtschaftlicher und politischer Strategie für die Führung einer großen Nation sind? Vier Jahre nach dem Zeitpunkt unserer Machtergreifung wird es keine Straßenkriminalität mehr geben. Und kein Rauschgiftproblem. Es wird keine Notwendigkeit der Sozialfürsorge bestehen, an der sich die Städte finanziell verbluten und schäbige kleine Ganoven profitieren. Wir werden keine Auslandsverpflichtungen eingehen, die dazu führen könnten, daß unsere Soldaten auf fremdem Territorium kämpfen müssen. Jeder amerikanische Bürger wird ein produktiver Mensch sein. Und das Interessante an unseren Methoden zur Erreichung dieser Ziele ist, daß die arbeitsamen, aufbauenden Mitglieder unseres Gesellschaftssystems kaum merken werden, daß sich eine Revolution vollzieht. Sie werden nur erstaunt feststellen, daß jene Probleme, welche die Allgemeinheit am meisten belasten, langsam verschwinden.“ Cervi machte eine rhetorische Pause, wie um Brad zu einer Stellungnahme aufzufordern, aber der war einige Sekunden sprachlos, ehe er sich dazu äußern konnte. „Das klingt nach Utopia. Wie wollen Sie diesen heimlichen Putsch durchführen?“ „So, wie es immer geschah: mit Hilfe des Militärs. Unser -213-
Mann im Weißen Haus wird möglichst viele Ursachen von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der militärischen Spitzengarnitur ausmerzen. Er fordert, daß die Nation ihre Soldaten respektiert, vom General bis hinunter zum letzten Rekruten. Degenerierten Intellektuellen und anderen destruktiven Elementen, die unsere Wehrfähigkeit untergraben und auf eine innere Selbstauflösung der staatlichen Ordnung hinarbeiten, wird energisch das Handwerk gelegt werden. Wir sind dabei, General Alton MacFarland, den Sie vor zwei Monaten in meinem Haus kennenlernten, für unsere Ziele zu gewinnen. Als Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs der gesamten Streitkräfte ist er die Schlüsselfigur, auf die es ankommt. Steht er fest hinter uns, dann beherrschen wir Amerika. In sechs Monaten wird es kein Rauschgiftproblem mehr geben. Ich kenne die Quellen, Routen und Verteiler von neunzig Prozent aller Drogen, die in die USA eingeschmuggelt werden. Dem derzeitigen Staatsapparat wird es nie gelingen, einen Riegel vorzuschieben, solange man sich an Gesetze halten muß, die eine wirksame Bekämpfung des Übels vereiteln. Aber wir werden mit den uns bekannten Händlern gründlich aufräumen, von den Importeuren bis zu den kleinen “Pushers“, die das Zeug auf den Straßen verhökern.“ Cervi lächelte grimmig. „Natürlich ausgenommen unsere eigene Organisation. - Das wird alles nicht länger als zwei Wochen dauern. Wissen Sie, wie Festlandchina sein Drogenproblem bewältigte? Dort gab es bis in die dreißiger Jahre mehr Süchtige als auf der ganzen übrigen Welt zusammen.“ „Ich kenne die chinesische Endlösung. Man schätzt, daß Mao Tse-tung mehr als drei Millionen Menschen einfach umbringen ließ.“ „Zahlen bedeuten wenig. Glauben Sie, daß die USA etwas einbüßen würden, wenn es drei Millionen Kriminelle und Asoziale weniger gäbe? Aber wir haben gar nicht vor, diese Leute zu liquidieren. Wir werden sie zu Tausenden und -214-
Zehntausenden in die großen Wüstengebiete schicken, sie werden die Wahl haben, entweder Ödland zu erschließen und fruchtbar zu machen oder in der Wildnis zugrunde zu gehen.“ Brad fühlte, wie ihn der Schwung von Cervis Rhetorik unwillkürlich mitriß, er wußte genau, daß es viel mehr als bloße Rhetorik war. Hinter den Parolen stand eine unbeirrbare Stoßkraft. Dieser Mann würde seine Pläne rasch und gründlich verwirklichen, wenn sich die Chance dazu böte. Und - darüber konnte es keinen Zweifel geben - Cervi war völlig von dem Glauben durchdrungen, daß die Umwälzung, die er so kompromißlos verfocht, der einzige Ausweg zur Rettung der USA aus der permanenten Krise wäre. „Wir werden zur amerikanischen Gesellschaftsform des neunzehnten Jahrhunderts zurückkehren, als jeder Mann, jede Frau und jedes Kind etwas leisten mußte, um bestehen zu können. Meine Methoden werden garantieren, daß die individuelle Leistung die Basis für das Leben in diesem Land bildet. Arbeitsscheue und Drohnen werden eliminiert, und so wird ein hochproduktives Volk entstehen. Auch die prinzipielle Tendenz der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern bei möglichst kurzer Arbeitszeit ständig steigende Löhne zu sichern, hat keinen Platz in der neuen Ordnung. Durch die primitive und im großen gesehen unverantwortliche Rechnung, daß man nur kollektiv zu fordern braucht, um mehr zu verdienen, werden wir einen dicken Strich machen. Das Verbrechen wird verschwinden. Sie mögen es als eine Ironie werten, Brad, daß man sich die Kriminalität zunutze macht, um sie schließlich auszurotten. Aber in der westlichen Hemisphäre gibt es einen Präzedenzfall für solch ungewöhnliche Wechselwirkungen.“ Cervi trat zum Kamin und wies auf einen Punkt der Karte. „Kapitän Henry Morgan wurde als Pirat so mächtig, daß ihn König Charles II. adelte und zum Gouverneur von Jamaica ernannte. Daraufhin ließ Morgan sofort alle seine früheren Komplizen hängen und säuberte Britisch-Westindien -215-
völlig von Seeräubern.“ „Aber bis es so weit ist, fördert Whitehall das organisierte Verbrechen.“ „Das stimmt. Allerdings betrachten wir uns auf dieser Ebene nicht als Kriminelle. Wir sind Manager neuen Typs. Wenn Sie bei uns bleiben, werde ich Ihnen eines Tages die Einzelheiten des Programms auseinandersetzen, das wir durchführen wollen, falls wir 1976 an die Macht kommen. Ein passendes Datum, die Zweihundertjahrfeier unserer Nation, finden Sie nicht auch?“ „Es gäbe kein besseres, C. L....“ „Unsere Aktionen sind klar vorgezeichnet. Die ideale Ausgangssituation wäre es, wenn wir 1976 sowohl den republikanischen als auch den demokratischen Präsidentschaftskandidaten auf unserer Seite hätten.“ „Das müßte gelingen.“ Plötzlich war Brad Feuer und Flamme. „Bill Adams werden wir entsprechend aufbauen können -“ Cervi blickte ihn prüfend an. „Ich vermute, Sie werden heute nicht Ihren Abschied nehmen.“ Brad stand auf und streckte die Hand aus. „Sie haben recht, C. L. Und verlassen Sie sich drauf: ich weiß, was das bedeutet.“ Durch einen festen Händedruck besiegelten die beiden Männer ihre Bindung. „Gut so, Brad. Wir brauchen keine Eide oder Blutsbrüderschaften. Aber der Endeffekt ist der gleiche. Sie gehören nun zu uns.“ „Ja.“ Es galt für das ganze weitere Leben. „So nebenbei, ich habe über unsere letzte Besprechung nachgedacht“, sagte Cervi versonnen. „Und ich bin der Meinung, Sie sollten alles erfahren, was in Ihrem Wirkungsbereich vorgeht. Maurice D'Estang und sein Team werden Sie über jede Frage informieren, die Ascot betrifft.“ „Das weiß ich zu schätzen, C. L.“, erwiderte Brad herzlich. „Sie müssen bedenken, daß Maurice außer seiner Tätigkeit im -216-
Hotel noch andere Aufgaben hat - ebenso wie Sie selbst, wenn wir die politischen Kampagnen für unsere besten Pferde starten.“ Das Intercom summte und die Stimme der Sekretärin sagte: „Mr. Cervi, Mr. Steinert bittet Sie, ihn so bald als möglich in seinem Büro zu besuchen.“ „Ich komme sofort!“ rief Cervi in die Richtung des Schreibtisches. „Dann also bis später, Brad. Beste Grüße an Luciana. Vielleicht können wir uns am Sonntag wieder treffen.“ Mit einem seltsamen Gefühl der Erleichterung verließ Brad Kendall den Raum. Er hatte sich auf Gedeih und Verderb entschieden. Wie brachte C. L. Cervi die Menschen bloß dazu, daß sie sich bedingungslos seiner Autorität unterwarfen und freudig alles taten, was er wollte?
-217-
23 „Wie ich höre, ist alles gut gegangen.“ Maurice D'Estang lehnte sich zurück; von der gewohnten Zigarette wölkte der beißende Rauch des dunklen Fremdenlegionärstabaks empor. Sie saßen in der „Blauen Bar“ des Ascot Tower, so benannt wegen der Wandverkleidungen aus echten Delfter Kacheln und der farblich dazu abgestimmten Einrichtung. „Ja, C. L. ist sehr froh“, sagte Brad. „Das weiß ich, denn ich habe soeben mit ihm gesprochen. Es freut mich, daß das New-Orleans-Projekt glatt läuft. Ein großes neues Luxushotel in jenem Sektor wird uns bei anderen Aktionen sehr nützlich sein.“ Der Korse hob sein Glas, Brad prostete ihm zu. „C. L. sagte mir auch, Sie sollten alles wissen, was bei Ascot vorgeht.“ D'Estang drückte den Stummel in die Aschenschale und holte sofort wieder eine Zigarette aus dem kleinen hellblauen Gauloises-Päckchen. „Das wäre gut, schließlich gelte ich als Präsident der Kette. Ich würde Sie nie um Näheres über diese -“, er betonte die Worte, „anderen Aktionen befragen, aber ich muß alles über das Hotel wissen, bis zu den kleinsten Einzelheiten.“ „C. L. möchte, daß ich Ihnen zeige, was wir oben in der 27. Etage gemacht haben.“ „Höchste Zeit, immerhin bin ich für den Ascot Tower und alle anderen Betriebe der Kette verantwortlich.“ „Ganz Ihrer Meinung, Brad.“ D'Estang lächelte ihm vertraulich zu. „C. L. sagt, wir können nun ganz offen reden.“ Er trank einen Schluck. „Ich nehme an, Sie sind über meine prinzipiellen Tätigkeitsbereiche bei Whitehall informiert.“ „Ich habe kombiniert, wie weiland Sherlock Holmes. Auf einer tieferen Ebene, bei den “Familien“ etwa, wären Sie der -218-
Korruptionsexperte. Gehe ich recht in dieser Annahme?“ Maurice nickte bedächtig. „Ich werbe wichtige Leute von draußen für uns an: Richter, Funktionäre der Kommunalverwaltung von New York City, die wir brauchen, Politiker in Washington, etcetera. Im Moment bearbeite ich die UNO-Delegierten. Als Manager dieses Hotels kann ich ihnen sehr gefällig sein, deshalb hat mich C. L. hier eingesetzt. Und wenn wir diese Leute gekauft und präpariert haben, damit sie Sondermissionen für uns erfüllen, ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie bei der Stange bleiben.“ „Aha, Sie installieren gewissermaßen die Sicherungen.“ D'Estang grinste mit zugekniffenen Augen hinter den Schwaden. „Ja, so kann man es nennen. Nun, unsere kleinen Adaptionen da oben dienen dem Zweck, zu garantieren, daß unsere Kontaktleute nicht abspringen. Trinken Sie aus, dann zeig' ich es Ihnen. Wie Sie wissen, habe ich Jorge Ramirez eine der Suiten für eine Party zur Verfügung gestellt, er empfängt dort gute Freunde, alle bei der UNO akkreditiert. Die Gäste sind bereits da.“ Brad stand auf. „In Ordnung. Sehen wir uns an, was Sie in der 27. Etage gezaubert haben.“ In der Liftkabine drückte Maurice auf den Knopf 28, das war ein Betriebsgeschoß zwischen der letzten Zimmeretage und dem Dachrestaurant. „Ich dachte, wir wollen uns im 27. Stock umschauen“, bemerkte Brad leichthin. „Das werden wir auch tun, warten Sie nur ab.“ Sie betraten den Korridor der 28. Etage. Den Großteil dieses Stockwerks nahm die Küche für den Star Club ein, in den übrigen Räumen waren Vorräte und die Klimaanlage untergebracht. Brad kam nicht oft hierher, da er sich darauf verlassen konnte, daß das eingespielte Personal seine Arbeit pünktlich und einwandfrei verrichtete. Aber nun fiel ihm ein, -219-
daß sich der zuständige Manager beklagt hatte, weil ihm einer der neuen Angestellten aus D'Estangs Team mehrmals den Zutritt zu einem bestimmten Sektor des Stockwerks verwehrte. Maurice sperrte eine Schiebetür auf und öffnete sie. Brad war verblüfft über den Anblick, der sich ihm bot. Er wähnte sich im Hauptkontrollraum einer TV-Station. Gegen das bläuliche Licht einer Reihe von Monitoren hob sich der Kahlkopf eines Mannes ab, der über ein Schaltpult gebeugt saß. Blitzartig wurde Brad klar, was die Bildschirme zeigten: Männer und junge Frauen in Hotelzimmern - es war die Suite in der 27. Etage. Als sie eintraten, wandte sich der Mann an der elektronischen Apparatur um, und im flackernden Halbdämmer sah Brad ein Gesicht, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Wo hatte er diese gnomenhafte Gestalt mit dem schütteren Haarkranz, den wulstigen vorgeschobenen Lippen und der dicken Brille schon gesehen? Maurice weidete sich an Brads Überraschung. „Zunächst, das hier ist Julius, unser Genie. Sie können mir glauben, in punkto Elektronik ist er wirklich unvergleichlich.“ Nun erinnerte sich Brad. Das war der Mann, der am Morgen des Flugs nach Florida aus dem Ascot Jet gekommen war. Ihm wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, daß dieses „Genie“ auch die Düsenmaschine präpariert hatte. Belustigt beobachtete D'Estang, wie Brad abwechselnd die Monitoren und den qualligen Techniker anstarrte. „Sie wollten doch einen Blick in den 27. Stock werfen.“ Der Korse lachte rauh. „Also bitte, nur zu. Von hier aus sehen und hören wir alles, was in den vier Suiten geschieht. Der Einbau der Anlagen - das waren die Arbeiten, die hier in den beiden letzten Wochen durchgeführt wurden. Toll, was?“ Sprachlos schüttelte Brad den Kopf. „Ich traue meinen Augen nicht“, sagte er schließlich. „Sie wissen, daß es ziemlich strenge Gesetze gegen solche Dinge gibt.“ -220-
Nun war es an Maurice, eine perplexe Miene zu zeigen. „Gesetze?“ flötete er. „C. L. sagte, daß Sie jetzt ganz zu uns gehören.“ Plötzlich wurde Brad der grimmige Humor der Situation klar. Er mußte endlich begreifen, was er nun war. Er begann zu lachen, zuerst krampfhaft, dann immer gelöster. D'Estang stimmte aus vollem Hals in diesen schallenden Heiterkeitsausbruch ein. Das Genie glotzte die beiden mit steinernem Gesicht an. Sofort verging ihnen das Lachen. „Julius hat versteckte TV-Kameras und Mikrofone in den Decken und Wänden aller Räume anbringen lassen“, erklärte Maurice ganz sachlich. „Wenn wir wollen, können wir sogar in die Badezimmer sehen. Außerdem hat er zwei Videogeräte für Aufzeichnungen.“ Bisher war es in der Kontrollstation still gewesen, aber auf einen Wink D'Estangs drückte der geniale Julius einen Schalter, und sie hörten den Trubel von unten. Die Party im Salon der Suite kam in Schwung. „Ich glaube, sowas habe ich schon im Kino gesehen. Da gab es einen, der bestellte dann ein Dutzend Kopien und sandte sie seinen Freunden.“ „Vielleicht. Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, daß dies eine der wirksamsten Methoden ist“, antwortete D'Estang trocken. „Sie werden staunen, was diese Mädchen alles können.“ „Ich persönlich war nie darauf erpicht, bei Sex den Zuschauer zu spielen“, sagte Brad. „Ich ebensowenig, mon ami. Wir veranstalten diese Show ja auch nicht, um uns zu begeilen. Sie ist ein reines Mittel zum Zweck.“ „Wo sind Menschen vor Beobachtung sicher?“ fragte Brad, aber es war eine rhetorische Frage. „Praktisch nirgends.“ Perfid grinsend warf Maurice dem genialen Julius einen beziehungsvollen Blick zu. „Nicht einmal -221-
in einem Privatflugzeug.“ Brad zuckte zusammen. Ob er Luciana davon erzählen sollte? Dann würde sie vielleicht erkennen, daß bei der Organisation, der sie sich ganz verschrieben hatte, nicht die mindesten Skrupel galten. „Es gibt keinen Ort, wo man vor Überwachung sicher ist, wenn man ihn nicht absolut dicht macht.“ Maurice wies auf den genialen Julius, der sich wieder ans Schaltpult gesetzt hatte. „Wie Sie sehen, sind unsere eigenen Elektronenexperten denen des Staates überlegen, aber immerhin setzt das FBI die besten verfügbaren Kräfte ein, und das genügt, um vielen unserer Freunde das Leben zu erschweren. Bei der Gründung von Whitehall sicherte Mr. Cervi die Organisation gegen alle bekannten und voraussehbaren Beobachtungsmöglichkeiten ab. Deshalb sind wir “sauber“ und werden es auch bleiben. Schauen Sie, was sich da tut!“ Er legte die Hand auf Brads Arm. „Etwas mehr Ton, Julius.“ Im Salon, der nun auf dem Bildschirm zu sehen war, stand Doreen, eine große, prachtvoll gewachsene Blondine mit langem offenem Haar in einem tiefdekolletierten Kleid dicht vor einem hünenhaften grauhaarigen Neger, der wie ein afrikanischer Stammesfürst wirkte. Sie sagte: „Meine Herren, soll ich meine Solonummer zeigen?“ Laute Rufe „Los, los, nur zu, fang an!“ Die anderen Mädchen, etwa ein halbes Dutzend in der Gruppe von zwölf Männern, schmiegten sich an die UNO-Delegierten und heizten ihnen schon tüchtig ein. Mit einer raschen Bewegung streifte die Blondine ihr Kleid ab und drehte nackt vor der Spiegelwand des Raumes eine Pirouette. „Wenn es eine Ruhmeshalle für Menschen von Doreens Schlag gäbe, hätte sie dort einen Ehrenplatz“, murmelte D'Estang heiser. -222-
Lockend drückte sich die Nackte an den schwarzen Diplomaten, zwei der Mädchen reichten ein Tablett mit Champagnergläsern herum. „Diese UNO-Leute verstehen zu leben“, bemerkte Brad. „Die sind am leichtesten zu kaufen“, sagte D'Estang. „Natürlich sind nicht alle wie Jorge Ramirez' Freunde hier. Zufällig gibt er sich mit den geilsten Hurenböcken und leichtsinnigsten Playboys ab. Desto besser für uns. Genau die Typen, die wir für unsere Sondermissionen brauchen.“ „Um den Attachékoffer auf die Bank zu tragen, wie ich es getan habe?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage Brads. „Das gehört dazu“, antwortete Maurice leichthin. „Viele dieser kleineren lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten entsenden störende Elemente, die aber gute Verbindungen haben, als Delegierte hierher. Eine salomonische Lösung: man hat die Unruhestifter vom Hals und verfeindet sich dennoch nicht mit den mächtigen Familien, denen man so manche Peinlichkeit erspart. Die UNO bietet auch die günstigste Möglichkeit, einen unerwünschten, aber populären Politiker in ein sehr angenehmes Exil zu schicken, ohne seine Anhänger zu brüskieren. Das sind die Typen, die wir suchen.“ Er blickte angewidert auf den Monitor. „Sie glauben doch nicht, daß ein seriöser Diplomat aus einem Land von einiger Bedeutung zu Jorges Parties käme. Keine Rede davon. Aber auch zu ihnen finden wir Wege. Es gibt niemanden, den wir uns nicht auf die eine oder andere Weise verpflichten könnten, wenn es für uns wichtig ist.“ Doreen, die sich lüstern an dem großen Neger rieb, sagte gerade: „Oh, ich wette, Sie können eine Frau sehr glücklich machen.“ Sie steckte die Zungenspitze in das dunkle Ohr unter den drahtigen kurzen Locken. „Los, Clive, gib ihr, was sie sich wünscht“, rief Ramirez -223-
anfeuernd. Der Afrikaner brauchte keine weitere Aufforderung. Unter dem Jubel der anderen folgte er Doreen in den Nebenraum. Gleichzeitig zog eine sehr attraktive Schwarzhaarige einen blonden Riesen in eines der Schlafzimmer. Eines der anderen Mädchen bot eine tolle Striptease-Nummer und tanzte vor dem Spiegel. In der Kontrollstation schaltete der geniale Julius zu Doreen und dem Neger. Dieser ließ sich willig von ihr entkleiden. Bald lag er flach auf dem Bett, die Kamera in der Zimmerdecke zeigte die ganze Szene. Doreen kniete neben dem Neger, und den großen starren Penis mit beiden Händen umfassend, beugte sie sich vor, senkte langsam den Kopf und schob das Glied tief zwischen die Lippen. Deutlich hörte man das wohlige Stöhnen des Diplomaten. Dann kam ein Schnitt. Nun sah man das Paar aus einem anderen Blickwinkel, und plötzlich holte die Kamera Doreens Gesicht ganz nahe heran. In Großaufnahme saugte sie an dem Penis. „Sogar ein Zoom-Objektiv!“ rief Brad staunend. „Ich habe ja gesagt, Julius ist ein Genie“, murmelte D'Estang. Der Kahlkopf mit der flaschenbodendicken Brille beherrschte auch die Klaviatur seines Schaltpults virtuos, schweigend und sichtlich völlig unberührt vom Geschehen in der 27. Etage gab er abwechselnd Einblick in die Zimmer der Suite. Es war, als blättere man in einem pornografischen Magazin. Die Party steigerte sich rasch zur Orgie. „Moment, das hier sieht vielversprechend aus“, sagte D'Estang. Offenbar hatten sich zwei Homosexuelle gefunden und waren tolerant genug, ein Mädchen an ihren Spielen teilnehmen zu lassen. „Nun können wir die beiden richtig packen“, kommentierte der Korse befriedigt. „Die Weibergeschichten genügen meist, um unsere Freunde bei der Stange zu halten, wenn wir ihnen die Videobänder vorführen. Aber wie sie vorhin andeuteten, bieten -224-
manche horrende Summen für die Aufzeichnungen. Allerdings bei Schwulen ist das was anderes, die sind noch immer diffamiert.“ Sie sahen zu, wie sich das Mädchen vergeblich bemühte, auch zum Zug zu kommen. Die zwei Männer waren viel zu sehr miteinander beschäftigt, der eine hatte soeben einen starken Orgasmus, und es erhöhte noch sein Lustgefühl, daß sich die Frau mit lauten Verwünschungen zwischen ihn und seinen Beglücker drängen wollte. Ramirez selbst war in voller Fahrt. Er rammelte eine Blondine von hinten, und diese wiederum bediente mit der Zunge ein anderes Mädchen, das auf dem Rücken lag und vor Wonne schrie. „So ein Dreckskerl!“ schnaubte D'Estang. „Ich habe ihm eine der tollsten Puppen in New York City verschafft, und da treibt er es mit den Nutten, die wir seinen Freunden zutreiben wollten.“ „Ich glaube, ich bin im Bilde“, sagte Brad mit gezwungenem Lächeln. Das alles gehörte nun zu seinem Beruf. Er hatte sich entschieden, es gab kein Zurück mehr. Welche weiteren bestürzenden Entdeckungen warteten bei Whitehall noch auf ihn? Maurice nickte. „Ja, mir reicht es auch. Bevor die Party zu Ende ist, wird sich jeder einzelne da unten schwerstens kompromittiert haben. Doreen kriegt einen hübschen Scheck, und wir haben die Leute in der Hand. - Gehen wir, ich lade Sie auf einen Drink ein.“ „Einen Doppelten, wenn's recht ist. Den brauche ich jetzt.“
-225-
24 Daddy Ed, wie Andrea auf Wunsch ihrer Mutter den Stiefvater noch immer nannte, war bei seinem zweiten Martini. Unter den gewohnten Umständen hätte das Mädchen nun innerlich vor Furcht gebebt. Connor brauchte nicht viel mehr als zwei Gläser Alkohol, damit das irische Temperament bei der geringsten, auch nur vermeintlichen Provokation mit ihm durchging. Den ganzen Abend war Gwen, wie üblich, über Brad in der gehässigsten Weise hergezogen, wobei ihr Ed sekundierte, indem er ihr lauthals zustimmte und seine eigenen negativen Ansichten über “diesen Kerl“ äußerte, ohne zu bedenken, daß die Bibel ihm, dem frommen Katholiken, Nächstenliebe gebot. Aber die Tabletten, die wunderbaren Tabletten, die Tony Falcon Andrea gegeben hatte, ließen alles eigenartig fern, gedämpft und sogar ein wenig komisch erscheinen. Die Welt war soweit in Ordnung. Da stürmte plötzlich mit Indianergeheul Little Eddie herein, Andreas dreizehnjähriger Halbbruder, der schon fast so groß wie sie war. Er hatte ein kleines Lederetui in der Hand, das sie sofort erkannte. Als sie vor drei Tagen mit Tony Marihuana geraucht hatte, schenkte er ihr sein Foto, das sie sich schon lange wünschte. In dem blauen Etui waren sogar zwei Bilder: ein Atelierporträt und ein Schnappschuß, der ihn an der Küste zeigte, in denkbar knappster Badehose, wie der Slip des gewagtesten Bikini. Trotz der euphorischen Wirkung des Tranquilizers überfiel Andrea eisige Angst, als Little Eddie seinen Fund schwenkte. Weder ihre Mutter noch Daddy Ed waren von Tony sehr angetan, obwohl sie für diese Abneigung keine konkrete Begründung gefunden hätten. Sie verboten ihr zwar nicht, sich mit ihm am Freitagabend oder am Wochenende zu treffen, aber -226-
in der Mahnung, Andrea solle unbedingt vor Mitternacht nach Hause kommen, schwang immer ein mißbilligender Ton mit. Little Eddie mußte die Kommodenlade seiner Schwester im gemeinsamen Zimmer durchwühlt und die Fotos entdeckt haben. Er stieß einen schrillen Pfiff aus. „Andrea, ein Bild deines Freundes! Um ein Muskelprotz zu werden, muß er noch ein bißchen trainieren.“ Ed Connor trank seinen Martini aus, stand auf, ging zu seinem Sohn, riß ihm das Etui aus der Hand und starrte hinein. „Schau her, Gwen, sieh dir das an!“ schrie er schließlich. „Schau, was deine Tochter vor uns versteckt!“ Angewidert betrachtete Mrs. Connor das Bild. „Unerhört, so etwas einem jungen Mädchen zu geben.“ „Ich habe diesen Gigolo nie leiden mögen“, ereiferte sich Ed. „Das ist ein Foto von Tony, weiter nichts“, wandte Andrea leichthin ein. „Übrigens, was hat Eddie in meiner Lade zu suchen? Es ist Zeit, daß ich endlich mein eigenes Zimmer kriege, sonst ziehe ich aus.“ „Wie? Davonlaufen willst du? Aus einem Heim, das wir dir unter solchen Opfern bieten?“ brüllte Ed Connor. „Dein Vater, dieser Abenteurer, tut doch weiß Gott nichts für dich.“ Gwen griff sich ans Herz und sank auf das Sofa. „Ich fühle mich sowieso elend, und nun will mich meine Tochter verlassen, wenn ich sie am dringendsten brauche“, stöhnte die Hysterikerin. „Nach allem, was ich für dich getan habe. Wäre ich nicht so standhaft gewesen, dann wärst du gar nicht auf der Welt. Dein Vater wollte eine Abtreibung, aber ich, ja, ich habe ihn dazu gebracht, mich zu heiraten. Damit du ehelich geboren werden konntest.“ Die Wirkung der Tablette schwand, Gwens Worte gellten Andrea in den Ohren. Immer dieselbe alte Litanei. Vielleicht war es wirklich wahr. Sie verdankte ihrer Mutter alles. Aber sie hatte sich bemüht, Mammi und Daddy Ed diese Fürsorge nach -227-
besten Kräften zu vergelten. Seit einem Jahr brauchte die Familie keine Aufwärterin mehr, da Andrea nun vor und nach der Schule die grobe Hausarbeit verrichtete. „Entschuldige, Mammi, ich habe es nicht so gemeint. Natürlich würde ich dich nicht verlassen. Aber Eddie sollte nicht in meinen Sachen herumstöbern.“ Ed Connor hatte Gin über einige Eiswürfel gegossen und hob das Glas, in der andern Hand hielt er noch immer das Etui mit dem anstößigen Foto. „Wie kannst du es wagen, so etwas Obszönes in mein Haus zu bringen?! Morgen gehst du zur Beichte und machst deinen Frieden mit Gott.“ „Gott und ich stehen gut miteinander“, sagte Andrea versonnen. „Blasphemie!“ schrie Ed und schleuderte das Etui gegen Andrea. Die harte Lederkante traf sie im Gesicht, beim Augenlid. Die Hand vors Auge haltend, lief das Mädchen ins Badezimmer, drehte das kalte Wasser auf, nahm einen Waschlappen und kühlte die getroffene Stelle. Nach einer Weile ließ der Schmerz nach. Andrea legte den Waschlappen weg und griff unter das Becken. Schließlich ertastete sie das Fläschchen, das sie mit Klebstreifen in einer Fuge befestigt hatte. Sie schluckte eine Tablette und fixierte das Fläschchen wieder im Versteck. Da nur Andrea allein im Badezimmer saubermachte, war das ein sicherer Platz für die kostbaren Pillen, die ihr Tony Falcon gegeben hatte. Als sie die Wirkung des Mittels spürte, ging sie wieder in den Wohnraum. Ihre Mutter hatte sich inzwischen beruhigt, und Ed Connor widmete sich mit verdrossener Miene seinem Drink. Andrea sah sich nach dem Etui um, aber es war fort. „Du brauchst dieses abscheuliche Ding gar nicht zu suchen, dein Bruder hat es schon in den Müll geworfen“, sagte Gwen spitz. „Wir haben beschlossen, daß du dich nicht mehr mit Tony -228-
Falcon treffen wirst. Wenn es nach deinem Vater geht, gerätst du ja in die unmöglichste Gesellschaft.“ „Was habt ihr gegen Elda Cervi?“ fragte Andrea gleichmütig. „Gegen sie nichts. Sie ist eine sympathische wohlerzogene junge Dame. Gegen die Männer, mit denen dich dein Vater zusammenbringt, gegen die haben wir etwas.“ „Brad hat mir Tony nicht vorgestellt. Das ergab sich eben so.“ Trotz ihres wohligen Gefühls merkte Andrea, daß sie einen taktischen Fehler gemacht hatte. Immerhin hatte sie Tony bei Elda kennengelernt. Nun konnte sie nur hoffen, daß sich ihre Mutter nicht in dieses Argument verbiß und, wenn ihr logische Folgerungen auch schwerfallen mochten, daraus ableitete, daß eigentlich letzten Endes die Freundin an dieser mißlichen Situation schuld war. Zum Glück mischte sich Ed Connor in das Gespräch, um seine Würde als Familienoberhaupt zu demonstrieren. „Ich will nichts mehr von ihm hören, verstehst du? Das ist ein Herumtreiber und wahrscheinlich sogar ein Mafioso. Du triffst dich nicht mehr mit ihm, Schluß.“ Andrea wollte Tony verteidigen, aber sie fürchtete, ihre Mutter und Daddy Ed dadurch noch mehr aufzubringen. Es war schon vereinbart, daß sie morgen, Sonnabend, in Cervis Landhaus übernachten und sonntags mit Elda zur Messe gehen würde. Andrea mußte alles vermeiden, was diesen Plan gefährden oder in Frage stellen könnte. Oh, wie sehr sie sich danach sehnte, diese Wohnung für immer zu verlassen und höchstens auf Besuch herzukommen! Nun ebbte die jähe Ernüchterung ab, und alles war wieder schön. „Gut, Daddy Ed, wenn du es so willst“, sagte sie folgsam. „Und ob ich es will“, murrte er. Andrea setzte sich mit dem Geschichtsbuch auf einen Stuhl in einer Ecke und tat, als lese sie. Bald war sie in ihre eigene Welt -229-
entschwebt, weit weg von dem bedrückenden Milieu, das sie körperlich umgab. Sie konnte an nichts anderes denken als an die morgige Nacht. Bis jetzt hatte sie Elda alles über ihre Liebe zu Tony anvertraut, und morgen wollte sie die Freundin in ihre Pläne einweihen. Begreiflicherweise störte es Tony, daß sie immer nur eine oder zwei Stunden zusammen sein konnten, wenn Andrea einen Vorwand fand, um sich zu Hause loszueisen. Die Abende waren so kurz, und da Tony so stürmisch wurde, fiel es ihr schwer, ihm zu widerstehen. Und von anderen Mädchen wußte sie: wenn man einen Mann enttäuschte, dann verlor er das Interesse. Nur das nicht! Darum hatte sie versprochen, morgen mit Tony zu der Marihuana-Party in Greenwich Village zu gehen und dann die Nacht mit ihm zu verbringen. Sie wußte, daß er schon intime Beziehungen zu Frauen gehabt hatte, hoffte aber, daß er sich ebensosehr wie sie auf den Moment freute, wenn sie ihm ganz gehören würde. Sie hatte sich sorgsam vorbereitet, verschiedene zyklische Systeme der Empfängnisverhütung zu Rate gezogen, denn sie wollte ihm nicht jenen Satz zuflüstern, der für Männer den Reiz der Vereinigung etwas mindert: „Aber du mußt aufpassen.“ „Was ist denn an diesem Buch so interessant, daß du so ein seliges Gesicht machst?“ rief Ed Connor plötzlich vom Eßtisch, wo er noch immer beim Glas hockte. Andrea schreckte aus ihren Träumen hoch. „Ach, nichts“, sagte sie. „Nichts? Zeig doch, was du da hast.“ Er schob seinen Stuhl zurück, trat heran, entriß ihr das Buch und klappte es zu, um den Titel zu lesen. Dann blätterte er es durch, überflog ein paar Seiten und gab es ihr wieder. „Ich finde nichts darin, was dich so begeistern könnte. Baust du Luftschlösser? Denkst du noch immer an diesen Strolch?“ „Nein, Daddy Ed“, antwortete sie gefügig, „ich glaube, ich -230-
bin nur müde.“ Sie warf ihrer Mutter einen flehentlichen Blick zu. „Laß sie doch, Ed“, sagte Gwen resignierend. Er funkelte seine Frau an. „Oh, ich weiß Bescheid. Andrea hat nur diesen Papagallo im Kopf. Aber ich habe Freunde bei der Polizei, an die werde ich mich wenden. Man sollte den Kerl einmal schnappen und genau unter die Lupe nehmen.“ „Reden wir morgen darüber weiter“, jammerte Gwen gequält. „Du weißt, daß ich mich nicht wohlfühle. Ich glaube es ist am besten, ich gehe jetzt zu Bett.“ „Und ich glaube, es ist am besten, wenn wir gleich Klarheit schaffen. Es könnte doch sein, daß sich Andrea morgen wieder mit ihm trifft, oder?“ „Ich fahre mit Elda aufs Land“, sagte Andrea rasch und laut, um ihren Schreck zu verbergen. „Ihr könnt mich in Mr. Cervis Haus anrufen, wenn ihr mir nicht traut.“ Sie hoffte, daß die Eltern ihr nicht nachspionieren würden, nahm sich aber vor, Elda auf jeden Fall die Nummer des Apartments in Greenwich Village zu geben, damit die Freundin sie rechtzeitig warnen könnte, wenn Gefahr im Anzug war. „Andrea, du wirst Tony Falcon doch nicht wiedersehen?“ fragte Gwen argwöhnisch. „Nein, Mammi, ich verspreche es dir.“ Du hast aus mir die Lügnerin gemacht, die ich nun bin, Mutter, dachte sie. Du hast mir beigebracht, wie man Brad täuscht und ihm Geld für dich und deinen Ed herauslockt. „Das soll sie sich auch gesagt sein lassen“, knurrte Connor drohend. Gwen stand auf. „Komm, mein Kind, gib mir einen Gutenachtkuß.“
-231-
25 Brad Kendall starrte auf die Lichter der Großstadt hinaus. Es ist zwar üblich, daß ein Hotelmanager sein Büro möglichst nahe bei der Halle hat, wo der meiste Betrieb herrscht, aber Brad hatte sich für die Suite im Dachgeschoß neben dem Star Club entschieden. Es war Sonnabend, noch nicht Dinnerzeit und Luciana hatte den Auftrag, Gäste auszuführen, deshalb blieb Brad allein zurück. Er hörte das Telefonsignal im Vorraum. Seine Sekretärin hatte bereits zu Mittag Schluß gemacht, darum drückte er auf den Umschaltknopf und meldete sich. „Hallo, Brad?“ Freudig überrascht erkannte er Elda Cervis Mezzostimme. Niemand hatte sich je so sehr um die Verständigung zwischen ihm und seiner Tochter bemüht, seit Andrea alt genug war, sich einem anderen Menschen mitzuteilen, wie dieses Mädchen. „Ja, Elda. Schön, daß Sie anrufen.“ „Hoffentlich störe ich Sie nicht.“ „Keineswegs. Außerdem stören Sie mich nie.“ „Ich glaube, wir müßten miteinander reden. Könnten wir uns treffen, wenn ich in die Stadt käme?“ „Natürlich. Um welches Problem geht es?“ „Wenn es nicht so wichtig wäre, hätte ich Sie nicht behelligt. Sie haben wahrscheinlich einiges für den Abend vor.“ „Nichts wäre mir wichtiger, als Sie zu sehen, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben.“ „Es ist wegen Andrea. Sie braucht Hilfe, obwohl sie es gar nicht ahnt.“ „Verstehe. Wo sollen wir uns treffen?“ „Wir wäre es in Ihrem Apartment? Ich kann in der -232-
Hotelgarage parken.“ Brad zögerte. Wenn Elda und Andrea gemeinsam zu ihm kamen gut. Aber was würde C. L. sagen, wenn er wüßte, daß seine Tochter den Ascot-Präsidenten allein besuchte? Als errate sie seine Bedenken, lachte Elda ins Telefon. „Ich glaube nicht, daß es irgend jemand für unschicklich hält, wenn ich allein zu Ihnen komme - nicht einmal mein Vater.“ Dann wurde sie wieder ernst, ihre Stimme klang eindringlich. „Brad, Andrea ist in Schwierigkeiten!“ „Wann wollen Sie kommen?“ „Ich fahre sofort los. In einer Stunde könnte ich bei Ihnen sein.“ „Gut. Ich erwarte Sie.“ Brad legte auf, nahm einige Memos und Papiere, die er bis zum Montag durchlesen mußte, schaltete die Lichter aus und verließ daß Büro. Elda kam, kaum daß Brad sich geduscht und umgezogen hatte. Auch eine Platte mit Hors d'ceuvres stand bereit. „Ich hoffe, Sie entschuldigen diesen plötzlichen Überfall, aber wir müssen unbedingt über Andrea sprechen.“ „Selbst ohne diesen Anlaß würde ich mich über Ihren Besuch sehr freuen.“ Er wies auf das Sofa, Elda setzte sich. „Einen Drink?“ „Nur einen Sherry, bitte.“ Brad goß ein Glas voll, schenkte sich einen Scotch ein und nahm ihr gegenüber Platz. „Nun, schießen Sie los.“ Elda trank einen Schluck, stellte das Glas nieder und sah ihn aus ihren großen dunklen Augen an. „Zunächst müssen Sie wissen, daß ich keinerlei persönliches Interesse an Tony Falcon habe oder umgekehrt.“ Er nickte. Nach dieser Klarstellung ging sie ohne Umschweife auf das Thema ein. „Andrea wollte mich heute besuchen und bis morgen bei uns bleiben.“ -233-
„Sehr schön. Das wußte ich gar nicht.“ „Wir haben es am Mittwoch vereinbart. Aber heute nachmittags rief sie mich an und sagte mir, sie habe es sich überlegt. Andrea beschwor mich, es geheimzuhalten, dann vertraute sie mir an, daß sie sich mit Tony treffen und mit ihm die Nacht verbringen werde. Sie war so glücklich und aufgeregt, daß ich nicht wußte, wie ich reagieren sollte. Ich konnte nicht ablehnen, sie zu decken, falls ihre Mutter bei uns anrufen sollte, andererseits wollte ich Andrea nicht verraten. Ich wußte einfach nicht, was am klügsten wäre, Brad. Aber eines weiß ich sicher: dieser Tony Falcon ist nichts für Andrea. Sie ist noch zu unerfahren, um es mit so einem abgefeimten italienischen Süßholzraspler aufzunehmen. Schließlich dachte ich, es sei am besten, wenn ich mich an Sie wende.“ Beunruhigt drehte Brad sein Whiskyglas. „Meinen Sie damit, daß Andreas Mutter glaubt, sie sei jetzt bei Ihnen im Landhaus?“ „Zumindest hat es mir Andrea gesagt.“ „Und sie will die ganze Nacht bei diesem Kerl bleiben?“ Ein Lächeln glitt über Eldas Gesicht. „Auch das hat sie gesagt.“ „Und warum?“ fragte Brad etwas hilflos. „Sie ist doch noch so jung und hat viel Zeit. Das ganze Leben liegt noch vor ihr.“ „Es kommt nicht so sehr darauf an, was sie tut, sondern mit wem sie es tut“, antwortete Elda. „Mit neunzehn haben die meisten Mädchen bereits sexuelle Erlebnisse hinter sich, und es hat ihnen wahrscheinlich gut gefallen.“ „Was können wir unternehmen?“ „Ich glaube, wir müssen die beiden aufstöbern, bevor es zu spät ist. Wenn Andrea schon - sagen wir es offen - keine Jungfrau mehr bleiben will, dann sollte sie sich zumindest einen sympathischeren Partner aussuchen.“ Elda blickte ihn lächelnd -234-
an. „Sind Sie jetzt entsetzt? Leider waren wir in unserem psychologischen Kurs bisher noch nicht soweit, daß ich Ihnen beibrachte, wie Sie mit einem neunzehnjährigen Mädchen reden müssen, das zufällig Ihre Tochter ist.“ „Und wie finden wir die beiden?“ „Ich war ein paarmal mit Tony aus und kann seine Vorgangsweise mit ziemlicher Sicherheit voraussagen, um so eher, da Andrea mir einige ihrer Rendezvous geschildert hat, von denen sie noch vor Mitternacht nach Hause kam.“ „Ja, ich höre“, sagte Brad, als Elda schwieg. Sie überlegte. „Jetzt ist es erst acht. Tony wird Andrea in irgendein italienisches Restaurant führen, und dann werden sie nach Greenwich Village fahren, in eine bestimmte Wohnung, wo jedes Wochenende eine permanente Hasch-Party steigt.“ Bei dieser Vorstellung konnte sich Brad einer Anwandlung von Ekel nicht erwehren. „Heißt das, daß ich sie dort einfach heraushauen soll?“ „Ja - wenn Sie nicht wollen, daß Tony sein Ziel erreicht.“ Brad schüttelte den Kopf. „Holen wir Andrea gleich.“ „Nein, wir müssen noch abwarten. Laden Sie mich zum Dinner ein, nachher bringe ich Sie zu Andrea.“ „Haben Sie dabei ein bestimmtes Lokal im Sinn?“ „Mir ist jedes recht, das nicht zum Whitehall-Konzern gehört.“ „So eines wird gewiß zu finden sein.“ Hätte ihn nicht die Sorge um seine Tochter beschwert - das Abendessen mit Elda wäre ein erlesenes Vergnügen gewesen. Brad selbst hätte nie daran gedacht, sich mit ihr zu treffen, aber nun, da es so gekommen war, gefiel sie ihm besser denn je. Und hätte es nicht Luciana gegeben, von der er nicht loskam, dann wäre dieses Mädchen die ideale Begleiterin für die verschiedenen gesellschaftlichen Verpflichtungen in New York -235-
gewesen. Aber C. L. würde gewiß nicht zustimmen. Trotz seiner progressiven Geschäftsmethoden war Cervi, was sein Familienleben betraf, äußerst konservativ. Wieder schien Elda seine Gedanken zu erraten. „Hier ist es zauberhaft, Brad. Ich fürchte nur, Sie werden glauben, die Sache mit Andrea sei nur ein Vorwand, um Sie zu sehen.“ „Dazu brauchen Sie nie einen Vorwand. Das nächste Mal werde ich Sie aus eigenem einladen, und zwar aus keinem anderen Grund als dem, daß ich mich über Ihre Gesellschaft freue.“ „Wirklich, Brad?“ „Abwarten.“ Er beglich die Rechnung. „Nun ist es fast zehn. Glauben Sie, daß wir Andrea finden werden? Bevor -“ „Bevor es zu spät ist?“ ergänzte Elda. „Ja. Ich bringe Sie dorthin, wo die beiden höchstwahrscheinlich gelandet sind.“ Im Taxi gab Elda dem Fahrer eine Adresse in Greenwich Village und lehnte sich neben Brad zurück, der nun finster und entschlossen dreinsah. „So schlimm wird es gar nicht werden“, sagte sie begütigend. Eine Viertelstunde später hielt das Taxi vor einem verwahrlosten Apartmenthaus. Brad half Elda beim Aussteigen, bezahlte und folgte ihr in das Gebäude. „Vergessen Sie nicht: ich bin also Ihr “Schätzchen“ und bringe Sie zu einer “Pot-Party“ mit. Tun Sie so, als wollten Sie es auch einmal probieren. Wenn Tony und Andrea noch nicht da sind, werden Sie bald kommen.“ Elda drückte auf einen Knopf, gleich darauf summte es, das Tor ließ sich öffnen, sie gingen drei Etagen hoch, und Elda klopfte an eine Wohnungstür, sie wurde einen Spalt weit geöffnet. „Baby!“ erschallte die Stimme eines jungen Mannes. „Wo warst du die ganze Zeit? Wir haben dich vermißt. Suchst du -236-
Tony?“ Der Gastgeber machte ganz auf, Elda und Brad traten ein. „Ach so, du hast selber einen Knecht mit. Na, kein Malheur. Tony hat sowieso einen steilen Zahn bei sich.“ Er lachte guttural. „Ich glaube, die haben schon drei Joints inhaliert und jetzt sind sie hinten.“ Er wandte sich zu Brad. „Onkel, haben Sie eigenes “Gras“, oder wollen Sie welches von uns?“ Brad blickte Elda unsicher an. „Gib ihm fünf Dollar, Liebling,“ flötete sie, ganz in ihrer Rolle. Gehorsam reichte Brad dem Wohnungsinhaber, oder was er sonst war, einen Geldschein und bekam dafür drei fest gerollte selbstgedrehte Zigaretten. Elda nahm eine davon. „Gibst du mir Feuer?“ Sie blinzelte ihm zu und drückte sich an ihn, um ihm ins Ohr zu flüstern: „Wenn wir das Zeug nicht rauchen, fallen wir auf. Man muß es nicht inhalieren.“ Brad entzündete die Marihuanazigarette, und sie sogen abwechselnd mehrmals daran. Dann ergriff Elda Brads Hand und führte ihn mitten unter die jungen Leute, die, in Petting oder in Gespräche vertieft, auf dem Boden saßen. In dem gedämpften roten und blauen Licht, das in flackernden psychedelischen Mustern verschwamm, versuchte er, Andrea zu finden. Erst als sich seine Augen an die seltsame Beleuchtung gewöhnt hatten, konnte er die Gesichter ausnehmen. Seine Tochter war nicht in dieser Gruppe. Elda schob ihn durch den Hauptraum in einen kurzen Korridor, der zu zwei Schlafzimmern führte. Sie betraten das eine davon, dort lagen zwei Paare, halb entblättert, rauchend und sichtlich nur miteinander beschäftigt. Elda schüttelte den Kopf. „Fehlanzeige“, murmelte sie und zog Brad zur anderen Tür. Diese war geschlossen. Elda drehte den Knauf und öffnete sie einen Spalt breit. „He!“ Das war unverkennbar Tony Falcons Stimme. „Dieses Kämmerlein ist für uns reserviert. Mach zu, du Witzfigur!“ Elda wandte sich zu Brad um und nickte. Sie stieß die Tür auf und trat ein, dicht gefolgt von Brad. Er hörte seine Tochter -237-
kichern, als der Junge wütend rief: „Was zum Teufel -“ Tony und Andrea lagen fast nackt nebeneinander. Sie hatte nur mehr den Büstenhalter und den Slip an, den er - überhaupt schon blank bis auf die schwarzen Socken - offenbar gerade mit der einen Hand abstreifen wollte, in der anderen hielt er die Zigarette. „Total meschugge, wie? Verdammte -“ Das Wort blieb Tony im Hals stecken, als er Elda erkannte. „Wa - Was machst du hier?“ Nun schwang in seiner Stimme Angst mit, ihm fiel ein, daß ihm sein Vater die fürchterlichsten Folgen für die ganze Familie ausgemalt hatte, falls Tony Elda je wiedersehen sollte. „Andrea“, sagte Brad traurig. Sie schrie auf, versuchte ihre Blößen mit den Händen zu bedecken. „Wieso denn -?“ Entsetzen und Scham lahmten ihre Zunge. „Zieh dich an, Andrea, ich bringe dich heim“, sagte Brad sanft. „Nein, ich möchte nicht nach Hause“, protestierte sie. „Ich liebe Tony. Wir werden heiraten.“ Dann rief sie, ihre Freundin empört anstarrend. „Elda, du bist in Tony verknallt! Deshalb hast du meinen Vater hergeführt!“ Verlegen schlüpfte Tony rasch in seine Hose. „Geh jetzt lieber mit deinem alten Herrn“, sagte er und flüsterte ihr etwas ins Ohr. „Nein, ich will nicht fort von dir. Diese Nacht hätte für uns so schön werden können, und nun haben mein Vater und Elda alles verdorben. Ich hasse euch beide!“ „Sie ist noch immer high“, sagte Elda ruhig. „Wenn sie nüchtern ist, wird sie froh sein, daß wir kamen.“ „Scheiße werde ich froh sein“, kreischte Andrea. „Schiebt ab, ihr Spießer!“ Trotz des Schocks zog Brad seine Tochter in die Höhe und -238-
gab ihr zwei schallende Ohrfeigen. „Sofort anziehen! Wir gehen.“ „Tony, laß es nicht zu, daß sie mich wegholen“, jammerte Andrea. Verächtlich lächelnd blickte Elda auf den sichtlich verstörten halbnackten Jungen nieder. „Tony, wenn du keinen Ärger willst, dann verschwinde. Um Andrea wird sich ihr Vater kümmern.“ Er raffte seine Kleider zusammen und rannte aus dem Zimmer. So plötzlich im Stich gelassen und ernüchtert, blickte Andrea die anderen fast flehentlich an. „Nicht böse sein“, stammelte sie. „Ich helfe ihr beim Anziehen. Brad. Warten Sie draußen auf uns. Sie wird gleich wieder bei sich sein.“ Die turbulente Szene schien niemanden auf der Party zu kümmern. Auch die beiden Paare im Nebenzimmer schmusten noch immer heftig, wobei es ihnen trotz hautnahster Berührung gelang, die Marihuanazigaretten in Brand zu halten. Bald kam Andrea mit Elda, die halblaut sagte: „Sie ist schon halbwegs klar. Jetzt nur raus hier.“ Die drei stiegen über das Gewühl auf dem Boden des stickigen, von zuckenden wirbelnden Lichtspielen erfüllten großen Raumes, Brad öffnete die Tür des Apartments, ließ die Mädchen hinaus und folgte ihnen. Als sie die Treppe hinabgingen, atmete er tief ein. „Gott sei Dank, daß Sie mich gerufen haben, Elda.“ „War das Abendessen mit Tony nett?“ fragte sie Andrea, als sie nichts geschehen. „Ja, wir waren erst zehn Minuten auf der Party, als ihr kamt.“ „Sehen Sie, Brad? Ich kenne Tonys Tempo.“ Im Apartment ihres Vaters erholte sich Andrea ganz. Da ihr nun erst alles bewußt wurde, war sie sehr zerknirscht. „Was möchtest du lieber?“ fragte er sie. „Du kannst hier im -239-
Gästezimmer bleiben oder zu deiner Mutter fahren.“ „Ich will nicht nach Hause“, sagte sie leise. „Komm doch mit in unser Landhaus“, schlug Elda vor. „Du schläfst dich aus, morgen früh gehen wir in die Kirche und verbringen den Tag im Freien.“ Elda blickte Brad fragend an. „Dein Vater wird sicher gern zum Lunch nachkommen und dich dann zu deiner Mutter zurückbringen.“ „Natürlich.“ „Wäre es dir recht, Elda?“ Andrea lächelte ihre Freundin dankbar an. „Obwohl ich dich so schrecklich beschimpft habe?“ „Ach, Unsinn. Ich trinke einen Sherry, dann fahren wir.“ Brad ergriff ihre Hand. „Elda, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.“ „Wir haben getan, was wir konnten. Jetzt müssen wir weiterhin auf sie aufpassen.“ Brad ging mit den beiden Mädchen in die Hotelgarage. Als Elda am Steuer ihres Wagens saß, tauschten sie einen langen, bedeutungsvollen Blick. „Also bis morgen, etwa um ein Uhr mittag“, sagte er. Elda startete den Aston-Martin und brauste zum Tor hinaus. Zum ersten Mal wartete Brad in seiner Suite nicht schmerzlich darauf, ob ihn Luciana nach der beruflichen Verpflichtung anrufen würde. Manchmal meldete sie sich noch, manchmal nicht...
-240-
26 Brad hatte erst innere Hemmungen überwinden müssen, um Cervi solche rein persönlichen Probleme anzuvertrauen, aber intuitiv erkannte er, daß es das Richtige sei, und er schilderte C. L. das Abenteuer in Greenwich Village so ausführlich als nötig, damit sich sein Boß ein klares Bild von Tony Falcons verderblichem Einfluß auf Andrea machen konnte. Allerdings verschwieg Brad vorläufig, welche Rolle Elda bei dieser Rettungsaktion und auch in seinem eigenen Leben spielte. Cervi hörte mit schmalen Lippen aufmerksam zu, die Fingerspitzen seiner gepflegten Künstlerhände aneinandergelegt. Schließlich sagte er: „Fast ein “Nachtstück nach Dores Manier“, das Sie da vor mir entrollen, Brad, nur in das Milieu unserer in so vielen Erscheinungen recht unerfreulichen Zeit verlegt. - Ich bedaure diese Entwicklung in Ihrer Privatsphäre zutiefst, denn ich fühle mich im weiteren Sinn dafür verantwortlich.“ „Sie haben sich nichts vorzuwerfen, C. L.“, erwiderte Brad. „Ich brachte das ganze nur aus dem Grund zur Sprache, weil ich dachte, Sie wüßten vielleicht, wie man diesen Tony Falcon los wird. Er soll meine Tochter in Ruhe lassen.“ „Ich werde mir die Sache überlegen, Brad. Und ich betone nochmals, es tut mir sehr leid.“ „Niemand trägt die Schuld daran. Was soll man als Vater einer Neunzehnjährigen sagen, wenn einem ihr Freund nicht gefällt? Es gibt kein Argument, das sie nicht darin bestärken würde, ihn doch zu treffen.“ „Ich werde mit einem Geschäftspartner sprechen, der Falcons Vater kennt“, versicherte Cervi. Das Telefon auf seinem Schreibtisch summte leise, er hob ab, nahm schweigend eine Mitteilung zur Kenntnis und legte auf. „Fred Black ist draußen. Ich muß ihn empfangen. Läuft alles -241-
andere glatt? Wie geht es Luciana? In letzter Zeit habe ich sie nicht gesehen.“ „Sie ist sehr beschäftigt. Maurice zaubert ständig Gäste herbei, VIPs, die ausgeführt werden müssen. Luciana erfüllt getreulich ihr Soll an Charme und Champagnerkonsum“, bemerkte Brad trocken. „Wir alle haben jetzt sehr viel zu tun. 1972 ist das Entscheidungsjahr, in dem wir unsere strategischen Richtlinien für die Zukunft festlegen.“ Brad stand auf. „Ich weiß, C. L. Kann ich etwas für Adams tun? Er ist in jeder Hinsicht ein äußerst farbloser Kandidat. Wir werden irgendwas Tolles für ihn inszenieren müssen, damit er im Herbst in den Senat gewählt wird.“ „Ich habe einige Ideen, wir werden darüber sprechen, sobald die Generallinie vorgezeichnet ist.“ Brad ging durch den großen Raum hoch über der Stadt. Im Vorraum schüttelte er dem kleinen dunklen Kongreßmann die Hand und fuhr mit dem Lift abwärts. „Hallo, Fred.“ Cervi deutete auf die Sitzgarnitur bei der Weltkarte. „Nun, was gibt es so Dringendes?“ „Es betrifft Kenney, den Kriminalbeamten, den wir von der Straße wegholten, um jemandem damit einen Gefallen zu erweisen.“ „Ja. Was ist mit Kenney?“ „Ich weiß nicht, wie er es anstellte, aber heute morgen hat er mir das gesamte System der Routen von Marseille nach St. Croix und durch die Südstaaten bis nach New York präsentiert. In seinem Dossier stehen sogar die Namen von Sals Großverteilern und den Negern, die in Harlem und BedfordStuyvesant Schlüsselpositionen haben.“ „Er ist eben ein erstklassiger Polizeibeamter“, sagte Cervi ungerührt. „Gut, daß wir ihn aus dem Rauschgiftdezernat -242-
abgezogen haben. Es würde mich interessieren, wie er zu dem Geheimmaterial kam.“ „Natürlich habe ich ihn gefragt. Er ließ sich aber nicht ausquetschen, sagte nur etwas von Informationen. Ich weiß, daß er in letzter Zeit ziemlich viel Geld ausgegeben hat.“ „Es gibt einige Möglichkeiten für uns. Wir könnten Kenney raten, er soll mit dem FBI oder dem Bundesamt für Narkotika zusammenarbeiten. Dabei würde er so viele Enttäuschungen erleben, daß ihm die Lust verginge, die Aktion noch weiterzuführen. Oder wir schleusen ihn in den Ausschuß zur Bekämpfung der Kriminalität des Staates New York ein. Wir brauchen uns gar nicht anzustrengen, daß er beim Distriktsstaatsanwalt aneckt. Sie würden sich gegenseitig bis aufs Messer befehden, und Kenneys Informationen würden in der Hitze des Gefechts verschwinden.“ „Ich dachte daran, daß wir eine Disziplinaruntersuchung des Polizeipräsidenten gegen Kenney entrieren können,“ sagte Black. „Seit dieses Buch über ihn erschien, hat er bei der New Yorker Polizei viele Neider, die ihn nur zu gern mit Schimpf und Schande hinausdrängen würden.“ Die Augen des kleinen Kongreßabgeordneten glitzerten bei diesem Vorschlag. Ohne zu antworten, stand Cervi auf und ging zu der hohen Glaswand, die den Ausblick über die Stadt bot. Er betrachtete einige Sekunden lang das Panorama, dann wandte er sich um und griff zum Telefon. „Mr. D'Estang soll zu mir kommen“, sagte er knapp. Versonnen trat er wieder zum Fenster. Nach kurzer stummer Überlegung setzte er sich an seinen Schreibtisch. „Maurice wird nicht sogleich auftauchen, falls er im Hotel ist. - Wie Sie wissen, Fred, wollen wir, daß Bill Adams im Herbst in den Senat gewählt wird. Er wird es schwer haben, wieviel wir auch für die Kampagne auswerfen mögen, wenn wir nicht einen ganz besonders wirksamen Wahlschlager für ihn finden.“ -243-
Black nickte. „Das kann man wohl behaupten.“ „Seine große Chance besteht darin, daß er mit starker Betonung des Grundsatzes “Law and Order“ antritt, das wissen wir alle.“ „Es ist seine einzige Chance.“ „Eben. Und wie ich hier sitze, überdenke ich, auf welche Weise wir diese dramatische Wendung, die wir für Adams' Rolle auf der politischen Bühne brauchen, herbeiführen könnten.“ „Ich höre“, konterte Black zweifelnd. „Wir werfen die Resultate von Kenneys Ermittlungen einfach Bill in den Schoß und lassen ihn, William Fortune Adams, Mitglied des Kongreßausschusses zur Bekämpfung des Verbrechens, das Rauschgiftsyndikat an der Ostküste samt dem Verteilerapparat hier und in Frankreich mit einem Schlag vernichten.“ Cervi fixierte Black mit seinem fast fanatischen Blick. „Was könnte dramatischer sein? Wir planen diese Operation für das Frühjahr oder den Frühsommer ein, so daß Adams' Popularität gerade zum Zeitpunkt der Eröffnung des Staatskonvents die Spitze erreicht. Ich wage die Prophezeiung, daß die Partei ihn dann als Senatskandidaten nominieren wird. Dann bringen wir ihn zum Nationalkonvent der Demokraten in Miami und warten ab, was dort geschieht. Wenn wir die Aktion richtig aufzäumen, sehe ich keinen Grund, warum Bill nicht einen starken Präsidentschaftskandidaten für 1976 abgeben sollte.“ Black mußte den Anprall von Cervis machiavellistischen Erwägungen erst bewältigen, aber da meldete sich die Sekretärin. Cervi hob ab und sagte: „Ja, schicken Sie ihn herein.“ Die Tür öffnete sich, und die hohe Gestalt Maurice D'Estangs mit der unvermeidlichen, an der Unterlippe baumelnden Zigarette schob sich herein. Bei der Begrüßung wirkte Black -244-
neben dem Korsen wie ein Zwerg. „Lieber Fred, bitte, sagen Sie Kenney, seine Nachforschungen sind Maßarbeit, wie von ihm nicht anders erwartet.“ Cervi lächelte. „Er hat sich wieder einmal so glänzend bewährt, daß Sie ihn mit dem Kongreßausschuß zur Bekämpfung der Kriminalität zusammenbringen werden, der auf seine Informationen hin entsprechende Schritte unternehmen wird.“ „Wenn Sie das wollen, C. L., dann werden Sie eine Menge Probleme für die Organisation schaffen“, erwiderte Black stirnrunzelnd. „Keine Sorge, alles wird genau bedacht, damit wir nicht ins Schleudern kommen. Das wär’s, Fred. Danke für Ihren Besuch, ich setze mich wieder mit Ihnen in Verbindung.“ Mit ziemlich ratlosem Gesicht wandte sich Black zu D'Estang. „Sie werden staunen, was Sie nun zu hören kriegen, Maurice!“ Kopfschüttelnd entfernte sich der Abgeordnete. In aller Kürze erklärte Cervi dem Korsen die Situation und seine Pläne. „Wir werden eine Reihe von mittleren Großverteilern zwischen Miami und Boston opfern müssen, und natürlich können wir zumindest einen unserer französischen Kontaktmänner nicht schonen.“ D'Estang schloß die Lippen um die Zigarette, seine Miene verdüsterte sich, aber er hörte Cervis Ausführungen ohne Zwischenfragen zu. „Wir werden außerdem einen UNO-Kurier in New York hochgehen lassen, und dabei bietet sich auch die Gelegenheit, diesen Neger in Harlem loszuwerden, der sich jetzt so störrisch benimmt. Ich rechne damit, daß wir dreihundert Pfund Heroin in den Rauchfang schreiben müssen, aber bedenken Sie, was wir dadurch erkaufen: welche Sensation für die Massenmedien! Man kann dann unbestreitbar sagen, daß Bill Adams und seinem überaus tüchtigen Komitee ein Zugriff gelang, bei dem Rauschgift im Wert von hundert Millionen Dollar sichergestellt werden konnte.“ -245-
„Und wir könnten genötigt sein, in Marseille eine halbe Million hinzublättern“, warf D'Estang ein. „Stimmt. Aber das ist es auch wert, Maurice. Nur eines möchte ich genau wissen: Haben wir Bill Adams ganz in der Tasche?“ „Damit hapert es leider noch. Mit Sex kann man ihn nicht ködern, er hat nie ein großes Darlehen aufgenommen, keine Anzeichen von geheimen Lastern, der Mann repräsentiert den Typus sauberer honoriger Mittelmäßigkeit. Ich habe den Ansatzpunkt für den Hebel noch nicht gefunden.“ „Aber er ist politisch sehr ehrgeizig.“ Cervi stand auf und begann vor der Glaswand auf und ab zu gehen. „Wenn die Kosten für die Kampagne anwachsen, werden sich die Möglichkeiten, ihn uns zu verpflichten, von selbst ergeben. Es wird nicht schwer sein, den guten Bill an die Kandare zu nehmen, sobald er merkt, daß seine Karriere mit Geld aus kriminellen Quellen finanziert wird. Denken Sie sich was aus, Maurice.“ „Jawohl. Übrigens, wenn der große Coup steigt, wird es draußen auf den Straßen eine wüste Panik geben. Die Süchtigen werden toll.“ Cervi lächelte milde. „Auch das habe ich bereits ins Kalkül gezogen. Zu dem Zeitpunkt, wenn Adams die Bombe platzen läßt, werden wir Routen vom Fernen Osten durch Mexiko und Kalifornien nach New York organisiert haben. Da fällt mir ein, ich muß Brad Kendall sagen, er soll das Hotelprojekt in St. Croix stornieren.“ „Er wird sehr enttäuscht sein.“ D'Estang lachte schadenfroh. „Immerhin hat er viel Mühe darauf verwendet, inklusive zweier Reisen.“ „Das wird eben unter Spesen gebucht, erledigt. Apropos Spesen: Bleibt noch die Frage der offenen halben Million. Wir können nicht die “Familie“ damit belasten. Diese Summe -246-
müssen wir selber bezahlen.“ „Larry Wolfmanns Aktion ist bald fällig.“ „Ja, daran habe ich gerade gedacht. Nun, der nächste Schritt ist ein Treffen mit meinem alten Freund Sal. Arrangieren Sie das für mich so bald als möglich.“
-247-
27 Unter den wachsamen Augen eines seiner besten “Soldaten“, der zuerst vom Vordersitz auf die Straße gesprungen war, entstieg Salvatore Di Siccerone in der Madison Avenue seiner Limousine. Mit zufriedenen Blicken betrachtete er das siebzehn Stock hohe renovierte Gebäude. Das war eine der Realitäten, welche die Firma Whitehall als nomineller Eigentümer für ihn erworben hatte, und er bezog recht ordentliche Gewinne daraus. Durch die Glastür ging Sal geradewegs zu den Liften. Eine Kabine war frei, er drückte auf den Knopf für die zehnte Etage. Sofort schlossen sich die Türen, und er wurde emporgehoben. Oben schritt er durch den Korridor und betrat einen Empfangsraum. Sogleich läutete eine Glocke. „O, Mr. Di Siccerone“, sagte ein prompt auftauchender schemenhaft hagerer junger Mann in freundlichem Ton. „Wie schön, daß Sie uns wieder besuchen.“ „Meine Frau war von dem kleinen Glitzerding begeistert, das Sie ihr gemacht haben, Georgie. - Na ja, bei dem Preis von fünftausend Dollar hat sie auch allen Grund dazu.“ „Reizend von Mrs. Di Siccerone, Sir. Und womit können wir Ihnen heute dienen?“ „Meine Tochter hat bald Geburtstag. Sie wird achtzehn. Ich möchte, daß Sie etwas eigens für sie entwerfen, eine Kleinigkeit, die einem Mädchen in diesem Alter gefällt.“ „Vielleicht eine Brosche, ein Schmetterling aus Rubinen auf Diamantsplittern?“ „Ja, so etwas. Für zweitausend Dollar. Ich möchte das Kind nicht verwöhnen.“ Er blickte auf die Uhr. „Zeigen Sie mir, was da ist, vielleicht finde ich das Richtige.“ Fünf Minuten lang begutachtete Sal, die Pranke, Schmuckstücke, die Georgie entworfen und gefertigt hatte, und -248-
sah immer wieder auf die Uhr. „Okay, machen Sie einen Schmetterling. Er kann auch zweitausendfünfhundert kosten. Ich lasse ihn abholen.“ Er griff in die Tasche und zog ein dickes Bündel von Hundertdollarscheinen heraus. Zehn zählte er ab und reichte sie dem Juwelier. „Hier als a conto. Den Rest bezahle ich bei Lieferung.“ „Jawohl, Sir. Besten Dank. Möchten Sie noch etwas sehen?“ Aber Sal hatte sich schon zum Gehen gewandt. „Wir erwarten gern Ihren nächsten Besuch, Mr. Di Siccerone.“ „Das glaube ich Ihnen, Georgie“, sagte Sal über die Schulter im Hinauseilen. Vor der letzten Lifttür blieb er stehen, sah wieder auf die Uhr, nickte und wartete, ohne auf den Knopf zu drücken. Sekunden später öffnete sich die Tür, Di Siccerone stieg ein. „Guten Morgen, Sal.“ In der Kabine stand C. L. Cervi. „Hallo, Charlie. Ich freue mich, dich wieder einmal zu sehen.“ Der Lift glitt abwärts und hielt auf halbem Weg zum Parterre. Die Tür blieb geschlossen. „Wir werden fünf Minuten zwischen den Geschossen schweben“, erklärte Cervi. „Das genügt für alles, was ich dir im Moment zu sagen habe. Ich fasse mich kurz. Erstens: die Planungen für 1976 laufen großartig an. Ich brauche einen Spitzenmann im Staat New York als Kandidaten, vielleicht auch mehrere, aber jetzt habe ich die Chance, William Fortune Adams als den mächtigen Senator aufzubauen, der in mein Konzept paßt. In den Kongreßausschuß für Verbrechensbekämpfung habe ich ihn schon einschleusen können. Nun muß ich aus ihm einen Helden machen, verstehst du, was ich meine?“ „Klar, Schlagzeilen und so weiter. Was in meiner Macht steht, soll geschehen.“ „Du kannst mir wesentlich helfen, Sal. Hör mir genau zu.“ -249-
Cervi sprach leise, aber sehr präzise. „Erinnerst du dich, du hast mich gebeten, diesen Polizisten Kenney von der Straße zu verdrängen, wo er deinen schwarzen Händlern das Leben sauer macht?“ Sal nickte lebhaft, begierig, Cervis Plan zu erfahren. „Ich habe erreicht, daß der Polizeipräsident diesen Kenney der Rauschgiftuntersuchungsgruppe des Repräsentanten Black zuteilte. Wir glaubten alle, damit wäre er abgeschoben, aber was geschah? Irgendwie ermittelte Kenney alle unsere Routen von Marseille und St. Croix zur Ostküste. Er weiß, wann und wo Transporte eintrafen. Durchaus möglich, daß er auch einigen unserer UN-Kuriere auf der Spur ist. Mit anderen Worten, er schädigt und beeinträchtigt unsere Aktionen.“ Sal, die Pranke, fluchte halblaut in sich hinein. „Wie zum Teufel ist ihm das gelungen?“ „Mit Hilfe von Spitzeln. Aber darum geht es nicht. Ich möchte aus Adams einen Helden machen. Und zwar auf folgende Weise: er soll eine große Rauschgiftaffäre aufrollen, die größte der Geschichte. Wir geben ihm Kenney bei, und hinter den Kulissen steuern wir die beiden auf diese Enthüllungen zu. Dabei werden sie eine Menge Leute mittlerer Kategorie schnappen, die wichtig erscheinen, uns aber nicht viel bedeuten. Ein paar von den Franzosen und den aufsässigen Schwarzen in Harlem wolltest du sowieso los sein. Vielleicht hast du auch in deiner eigenen “Familie“ einige Typen, die du fallenlassen möchtest.“ Sal schüttelte den Kopf. „Ich finde schon Steher, denen ich vertrauen kann. Leute, die bereit sind, für die ganze Organisation in den Knast zu gehen, und die wir nach außenhin richtig aufbauen können, so daß sie als großer Fang wirken.“ Cervi nickte zustimmend. „Ich glaube, du hast recht. Wir stellen ihnen natürlich die besten Anwälte bei und sorgen dafür, daß diese Steher entsprechend honoriert werden. Wenn wir die Sache schon vorher mit den Juristen einfädeln, können wir es vielleicht so einrichten, daß unsere Leute letzten Endes gar nicht -250-
verurteilt werden. Das Wichtigste ist die effektvolle Show selbst. Was dann sechs Monate oder ein Jahr später vor Gericht geschieht, darum kümmert sich die amerikanische Öffentlichkeit nicht.“ „Wann soll denn dieses tolle Ding steigen, Charlie?“ „Im April. Somit haben wir für die Vorbereitungen vier Monate Zeit. Es wird viel Mühe kosten, und ich werde Maurice D'Estang anweisen, eine seiner Spitzenkräfte als Koordinator zwischen deine Organisation und den Kongreßausschuß einzuschalten.“ Sal, die Pranke, brach plötzlich in ein schallendes Gelächter aus, Cervi musterte ihn verblüfft, mit todernster Miene, aber das störte den Boß der Bosse nicht, vergnügt kollerte er: „Kommt dir das nicht komisch vor, Charlie? Da sprechen wir - hahaha! davon, meine Aktionen mit den Verbrecherjägern aus dem Kongreß abzustimmen! Ach, du ahnst es nicht...“ „Es ist die einzige Möglichkeit. Das wird ein äußerst heikles Unternehmen“, erwiderte Cervi bedeutungsschwer. „Natürlich, Charlie. Und ich bin mit von der Partie, auf mich kannst du voll zählen.“ „Gut. Nun was anderes. Ich möchte, daß bei diesem Schlag auch Tony Falcon hochgeht und für lange Zeit hinter Gittern verschwindet.“ „Warum? Hat er sich nicht abgeseilt, wie ich dir zusagte?“ „Doch, das schon. Aber er machte sich sofort an ein anderes Mädchen aus guter Familie heran und versucht, sie zu angeln. Sal, ich will, daß du seinem alten Herrn nachdrücklich zu verstehen gibst, Tony soll die Finger von diesem jungen Ding lassen, das er zu Haschisch und wahrscheinlich auch zu stärkerem Zeug verleitet. Schluß damit, sie ist nämlich ein sehr nettes Mädchen.“ „Ich werde tun, was ich kann, Charlie. Begeistert bin ich nicht -251-
davon, daß ich wieder zu Augie Falconi gehen muß. Er ist ein Ehrenmann, mit dem man nie Schwierigkeiten hat. Ich tunke seinen Sohn nicht gern ein.“ „Warum muß sich der Kerl an anständige Mädchen hängen?“ Cervis Stimme zitterte vor Zorn. „Solche soll er gefälligst in Ruhe lassen.“ „Er versucht nur, seine Geschäfte auszuweiten.“ „Dann soll er sich an Negerinnen und Puertoricanerinnen halten.“ „Du weißt doch, wo auf seiner Linie die guten Geschäfte zu machen sind.“ Cervi hob abwehrend die Hand. „Ich möchte nichts davon hören. Sorge nur dafür, daß es Tony bei dieser Aktion an den Kragen geht. Und für ihn bezahle ich keine Anwälte.“ „Wozu solche Aufregung, Charlie? Ich erledige alles. Du kriegst deinen Helden, diesen Adams. Aber ganz unter uns: ich glaube nicht, daß die Jungwähler von 1976 für ihn stimmen werden. Die mögen “Law and Order“ nicht. Heutzutage sind wir die Helden, die Polizei und das FBI sind die Bösen, die Brutalen. Man muß mit der Zeit gehen.“ Sal lachte in sich hinein. „Wir werden Adams für 1976 attraktiv aufbauen, laß mich nur machen. Das Nahziel ist, daß er 1972 als großer Sieger des Kampfes gegen das Rauschgift in den Senat einzieht“, konterte Cervi. „Und wir beide treffen uns in einigen Wochen wieder.“ „Ich werde kommen, Charlie.“ Cervi drückte auf den Knopf, der Lift senkte sich und hielt im ersten Stock. Cervi stieg aus, wandte sich um und winkte seinem Gesprächspartner lächelnd zu. Leise summend schloß sich die Tür. Im Erdgeschoß ging Sal, die Pranke, agil durch die Vorhalle ins Freie zu seinem wartenden Wagen. -252-
28 „Ich verbinde mit Mr. Brashears“, sagte die Sekretärin am Telefon. Warum rief ihn der Vizepräsident der Allied Electric in seinem Apartment im Ascot Tower an? Beunruhigt dachte Brad an die Golfpartie, die er im Herbst für die beiden Manager und Larry Wolfmann arrangiert hatte. Mike meldete sich. „Hallo, Brad. Entschuldige, daß ich dich störe. Wenn es nicht dringend wäre, würde ich dich gar nicht behelligen. Schlechte Neuigkeiten: Vor einigen Tagen entdeckte Larry, daß sein Lagerhaus während des langen Wochenendes ausgeplündert wurde. Die gesamten Bestände der Hotelbedarfs-AG sind gestohlen. Es fehlt Ware im Wert von mehr als eineinhalb Millionen Dollar.“ „Wolfmann ist doch versichert. Hat er euch das Zeug bezahlt?“ „Nein.“ Brashears betonte dieses Wort sehr geheimnisvoll. „Und keine Versicherung. Wolfmanns Buchprüfer hat uns heute vormittags angerufen. Die haben bereits den Konkurs angemeldet. Kannst du uns irgendwie behilflich sein? Wir hängen mit mehr als einer Million.“ „Scheußliche Situation. Natürlich werde ich mir überlegen, was ich tun kann.“ „Das wäre mir sehr recht, Brad. Dieser Vorfall macht mir große Sorgen.“ „Ich rufe dich sobald als möglich an.“ Langsam legte er auf. „Was ist denn los?“ fragte Luciana, als sie seine gespannte, ernste Miene sah. „Ich bin schuld, daß die Allied Electric eine Einbuße von über einer Million Dollar erleidet. Gott weiß, welche andere Firmen auch noch betroffen sind.“ „Man kann dich doch nicht gesetzlich belangen?“ -253-
„Nein, natürlich nicht. Keiner von uns bei Whitehall würde sich so exponieren.“ Er seufzte. „Ich glaube, ich bin eben nicht zum Verbrecher geschaffen, ich bringe es einfach nicht fertig, über Leichen zu gehen.“ „Mir ist es unbegreiflich, warum du die Dinge nicht so nimmst, wie sie sind“, erwiderte Luciana kalt. „Du hast mir jedenfalls klargemacht, worauf ich mich einlasse. Wenn du nicht verstehst, was du selbst redest, ist das traurig. Ich habe verstanden.“ Er blickte sie unschlüssig an. Ja, Luciana, die ihn nun abschätzend und überlegen maß, paßte zu Cervi, D'Estang, dem genialen Julius und den zahllosen anderen, die im Dunkel blieben. „Was ist den wirklich geschehen?“ fragte sie. „Eine Variante des alten Bankrott-Tricks. Durch mich und den Golfklub hat es prima geklappt.“ „Warum dann diese Bestürzung? C. L. wird sich freuen.“ „Ich muß sofort mit ihm sprechen.“ Cervi empfing ihn ungewöhnlich gut gelaunt. „Was führt Sie so plötzlich zu mir?“ „Welches Ding hat Larry Wolfmann gedreht?“ lautete Brads schroffe Gegenfrage. „Nun verstehe ich. Ihre Freunde bei der Allied Electric haben Sie alarmiert.“ „Mike Brashears rief mich an. Schließlich habe ich diese Verbindung entriert.“ „Deswegen hätten Sie nicht gleich als Unglücksbote kommen müssen.“ „Bitte erklären sie mir, was vorgeht, C. L. Ich möchte Einzelheiten wissen und sehen, wie ich der Firma helfen könnte.“ -254-
„Ein Verlust von eineinhalb Millionen bedeutet für diese Leute gar nichts. Uncle Sam bezahlt den Schaden.“ „Es könnte für uns günstig sein, mit der Allied Electric in gutem Einvernehmen zu bleiben“, betonte Brad. Lächelnd lehnte sich Cervi zurück. „Schön, Brad. Sie gehören jetzt zu uns - unwiderruflich.“ Dieses Wort klang scharf und klar durch den Raum. „Also kann ich Ihnen reinen Wein einschenken. Ja, Sie sollen die ganze Geschichte hören. Zumal wir erst am Beginn stehen.“ Zwei Wochen nach der Golfpartie feierten Don Tynan in seiner Eigenschaft als Verkaufsdirektor und Larry Wolfmann namens der Hotelbedarfs-AG. die neue Geschäftsverbindung bei Whisky. Wolfmann übergab seinem Kontrahenten einen Scheck auf hunderttausend Dollar, dem Großhandelspreis der Waren, die während der letzten drei Tage an das Lagerhaus geliefert wurden. Die Übernahme eines so beträchtlichen Kontingents war wohl etwas ungewöhnlich, erschien aber unter den gegebenen Umständen durchaus motiviert. Brad Kendall, der mit Hochdruck die älteren Ascot-Hotels neu einrichtete, legte besonderen Wert darauf, daß alle erforderlichen Artikel prompt lieferbar seien. Nur dann war gewährleistet, daß die Arbeiten termingerecht fertiggestellt würden. Mittlerweile legte Larry Wolfmann in den Südstaaten eine Reihe kleinerer Depots an, und zwar räumlich so verteilt, daß daraus möglichst viele Läden der Discounter-Kette versorgt werden konnten, die sich im Besitz von Whitehall befand. Diese Supermärkte waren nach einem strategischen Konzept errichtet worden, nämlich jeweils in großen Garnisonen oder in der Nähe militärischer Stützpunkte. Soldaten und Offiziere samt ihren Familien bildeten den Grundstock der Abnehmer und sicherten hohe Umsätze. Monatlich bestellte Wolfmann bei prompter Bezahlung TV-255-
Geräte, Radios und viele verschiedenartige Konsumgüter im Mindestwert von 50.000 Dollar. Bald war die Hotelsbedarfs-AG ein geschätzter Kunde der Allied Electric. Im Zeitraum vom Dezember bis zum Februar ersuchte Wolfmann um sechzig Tage Kredit für die Artikel, mit denen er seine Lager füllte; diese Frist wurde ihm natürlich gewährt, und die Bestellungen wuchsen enorm an. Einige andere große Fabriken folgten dem Beispiel der Allied Electric und belieferten Wolfmann für Ascot. Als das lange Wochenende zu George Washingtons Geburtstag kam, platzte das Depot in Queens County vor Waren, die mit sechzig Tagen Ziel gekauft waren. Am Samstagmorgen fuhr eine Lastwagenkolonne vor und verlud den ganzen Tag über. Das war an sich nicht auffällig, nur das Ausmaß der Aktion hätte vielleicht zu denken geben können. Allwöchentlich lief ein reger An- und Ablieferungsverkehr, manchmal wurden sogar am Wochenende Ladungen geholt. Am Sonntagmorgen stand das Lagerhaus leer, und die Transporter waren nach allen Richtungen ausgeschwärmt, um ihre Frachten in die Ausweichdepots zu bringen, die als Netz das Gebiet zwischen Virginia und Arizona umspannten. Achtundvierzig Stunden später entdeckten Angestellte mit Entsetzen, daß die Firma völlig ausgeraubt war. Wachorgane wurden mit ausreichenden Nahrungsvorräten in einem Büro eingeschlossen gefunden. Trotz der mehrtägigen Haft waren sie wohlauf, doch es wurmte sie sehr, daß sie überrumpelt wurden und diesen beispiellosen Diebstahl nicht verhindern konnten. Als die Polizei auf der Bildfläche erschien, waren wirksame Schritte und Nachforschungen bereits illusorisch. Die Lastwagen hatten längst ihre Ziele erreicht, waren entladen und verschwunden. Im Verlauf der nächsten drei Monate würde die geraubte Ware in die Discountläden geschleust und rasch an Kunden weitergegeben werden, die sich über den Okkasionskauf freuten und es als märchenhaften Glücksfall betrachteten, daß ein Farbfernsehgerät um den halben Preis oder -256-
sogar noch billiger zu haben war. Nicht einmal die militärische PX-Organisation konnte solche Sonderangebote auf den Markt bringen. Die Hotelbedarfs-AG. meldete sofort Konkurs an und teilte ihren Gläubigern, die insgesamt mehrere Millionen Dollar zu fordern hatten, bedauernd mit, die Firma sei insolvent. „Unsere Supermarktkette kauft also von den Lagerhäusern, die Larry im Süden unterhält, und diese kleine Transaktion trägt während der nächsten drei Monate l bis 1 1/2 Millionen Dollar in bar ein“, resümierte Cervi. Zuerst war Brad wie vor den Kopf geschlagen, als sein Boß sachlich und präzise das strategische Konzept dieser Operation entwickelte, wie ein General, der bei der Stabsbesprechung Angriffspläne erörtert. Schließlich begriff Brad, daß dieser Mann, der da unter der Weltkarte saß, vor nichts zurückschreckte, um zu Macht und Reichtum zu gelangen. „Ist das ganze nicht etwas riskant für eine lumpige Million, C. L.?“ wandte Brad ein. „Ich meine, soviel müßte Whitehall auf mehr oder weniger legale Art pro Tag einbringen.“ Cervi nickte. „Aber dieses Geld ist absolut “sauber“. Über jeden Cent muß Rechenschaft gegeben werden - woher es kommt und wofür es verwendet wird. Wir mußten einmal lästige Erhebungen über uns ergehen lassen. Zuerst sondierte die New York Times, dann das Wall Street Journal, der Justizminister widmete uns große Aufmerksamkeit, sogar das FBI erprobte an Whitehall seinen Spürsinn, aber wir hatten, wie die New York Times widerstrebend zugab, immer eine strahlend weiße Weste.“ „Und mit den anderen Summen können Sie machen, was Sie wollen. Ich verstehe. Wäre es vermessen, zu fragen, wie Sie diese Beträge zu verwenden gedenken?“ „Das werden Sie zeitgerecht erfahren.“ „Und auf Whitehall kann kein Verdacht fallen?“ fragte Brad zweifelnd. „Nein. Verbindungen zwischen uns und Larry Wolfmann sind -257-
nicht nachweisbar. Er selbst streicht bei diesem Geschäft etwa 300.000 Dollar ein. Übrigens: die gesamte Summe ist für das Projekt 76 bestimmt. Sie werden daran direkt beteiligt sein. Und zwar als Berater von Bill Adams.“ „In Ordnung, C. L. Mittlerweile möchte ich meinen Freunden bei der Allied Electric zumindest mein lebhaftes Bedauern aussprechen.“ „Tun Sie das. Und kümmern Sie sich um die Nachforschungen über diesen Fall. Larry dürfte für die Liquidierung seiner Bestände höchstens zwei Monate brauchen, vielleicht ist alles sogar schon früher abzusetzen. Der Generaldirektor unserer Discount-Ladenkette hat in Erwartung der Ware eine gigantische Verkaufskampagne angekurbelt. Aber wenn Gefahr besteht, daß die Behörden Spuren finden, wäre es günstig, wenn wir Larry warnen könnten.“ „Ich bleibe auf dem laufenden, C. L.“
-258-
29 „Laos ist wirklich wunderschön“, sagte Brad, der durch das runde Fenster der zur Landung ansetzenden Düsenmaschine blickte. „Nur schade, daß man es mit einem Krieg versaut.“ Colonel Geoffrey Woodholt lächelte trübe. „Auf die Hauptstadt Vientiane wirken sich die Kämpfe nicht aus. Dort leben die Menschen wie immer.“ Man hörte die Stimme des Piloten: „Bitte Sicherheitsgurte anlegen.“ Die drei Männer in den Drehstühlen schnallten sich fest. Etienne D'Estang trug seine gewohnte unerschütterliche Gelassenheit zur Schau. Er sah seinem älteren Bruder Maurice sehr ähnlich. „An der Rampe werden uns der Innenminister und der Finanzminister erwarten“, sagte Woodholt. „Premier Souvanna Phouma wird Sie zu einem kurzen Gespräch empfangen. Der Regierung imponiert es mächtig, daß Sie im eigenen Jet anschwirren, das Prestige der Ascot-Hotelkette bei diesen Leuten wird dadurch wesentlich gehoben. So was trägt zu Etiennes “Gesicht“ bei, und das ist wichtig, denn er wird ja hierbleiben.“ D'Estang junior verzog keine Miene, offenbar hatte er gar nicht zugehört. „Sie werden sich die hübschesten Mädchen der Stadt aussuchen können“, fuhr der Colonel fort. „Meine Leute werden Ihnen dabei behilflich sein, eine einflußreiche Frau als Freundin zu finden.“ Diese Mitteilung zauberte ein flüchtiges Lächeln auf das Gesicht des Korsen. Die Maschine landete glatt und rollte zu dem kleinen Ankunftsgebäude. Als die Triebwerke ausgeschaltet wurden, öffnete der Kopilot die Tür. Sofort glitt die Aluminiumtreppe herab. Als erster stieg der Colonel aus, gefolgt von Etienne D'Estang -259-
und Brad Kendall. Nach kurzer Begrüßung durch die beiden Minister samt Entourage begaben sie sich in das Ankunftsgebäude, das recht primitiv wirkte, doch zum Glück mit einer Klimaanlage ausgestattet war. Dort wurde den Gästen eine Gruppe laotischer Beamter in westlich geschnittenen weißen Anzügen vorgestellt. Auch einige Amerikaner waren anwesend, Woodholt machte sie mit Brad Kendall und D'Estang bekannt. „Sie treffen meine Leute dann nach dem Bankett“, sagte er. In nicht gerade hypermodernen Limousinen fuhren sie zum etwas verwahrlosten Hotel de Paris, dem besten der Stadt. In einem Saal war eigens für den Anlaß eine reichbestückte Bar eingerichtet. Alle nahmen Drinks und setzten sich zur offiziellen, auf Französisch geführten Besprechung an einen Konferenztisch. Während Brad und Colonel Woodholt sich nur mit Mühe in dieser Sprache verständigen konnten, war Etienne D'Estang ganz in seinem Element und schien sehr rasch den Kontakt zu den Ministern zu finden. Brad entging es nicht, daß Etienne gleich in die Eröffnungsfloskeln die Mitteilung einflocht, daß die Minister bei allen geschäftlichen Aktionen “zwecks Realisierung herangezogen“ würden, ob es sich nun um Hotels oder “andere Projekte“ handle, wie er es vorsichtig formulierte. Kein Zweifel, Etienne D'Estang war der ideale Mann für diese Mission. Brad sah, daß die Augen der angesprochenen Herren freudig aufleuchteten, die Minister beeilten sich ihrerseits, zu beteuern, sie würden in jeder Weise behilflich sein. Natürlich beeindruckte sie die Tatsache, daß Etiennes Bruder Manager des renommiertesten Hotels der Welt war, das in New York direkt neben dem UNO-Gebäude stand. Aber die verklausulierte Zusage sofortiger Gegenleistungen besiegelte den Pakt zwischen den Repräsentanten der Ascot-Kette und ihren Verhandlungspartnern von der Königlich Laotischen Regierung. Eine Stunde lang wurden kühne Zukunftsbilder entworfen, man -260-
griff den Ereignissen vor, bis zu jenem Tag, an dem das Ascot Hotel in Vientiane fertiggestellt sein würde und VIPs aus aller Welt entsprechend untergebracht werden könnten. Ein ganz neuer Tourismus-Boom würde die Wirtschaft des kleinen südostasiatischen Staates ankurbeln, und Laos würde zu einer selbstverständlichen Station aller Reisepläne. Nach dem Dejeuner verabschiedeten sich die Minister mit der Versicherung, für Monsieur D'Estang seien sie jederzeit erreichbar, entweder in ihren Amtssitzen oder privat. Als Brad, Woodholt und der Korse allein zurückblieben, sagte der Colonel: „Okay, das Palaver ist vorbei, gehen wir jetzt in das Haus, das wir für Etienne gemietet haben, dort können wir ungestört reden. Einmal wöchentlich schicke ich einen Techniker, der dafür sorgt, daß die Bude nicht “verwanzt“ wird.“ Etiennes künftiges Quartier war geräumig und komfortabel. Im Arbeitszimmer warteten bereits zwei Amerikaner, sie trugen buntkarierte Sporthemden und helle Popelinehosen. „Das sind Bob und Eddy“, sagte Woodholt, Familiennamen waren offenbar unwichtig. „Alles in Ordnung?“ „So gut, wie es in den letzten zehn Jahren nur sein konnte“, erwiderte Bob, ein großer schlaksiger junger Mann mit flachsblondem Haar. „Jetzt kommt wieder die Erntezeit, und wir müssen zusehen, daß wir einen Absatzmarkt finden, sonst verlieren wir unsere Guerilla-Armee. Als ich gestern den Camp verließ, war die Hälfte meiner eingeborenen Milizsoldaten auf den Mohnfeldern.“ „Eben deshalb ist Mr. D'Estang hier“, sagte der Colonel knapp. „Folgender Aktionsplan: General MacFarland hat es durch Kontakte auf höchster Ebene so geregelt, daß eine große Organisation das gesamte Opium, das unsere Montagnards einbringen, in Bausch und Bogen aufkauft.“ Woodholt wandte sich zu Brad. „Wir sind nicht deswegen in -261-
den Opiumhandel eingestiegen, weil uns diese Branche so gut gefällt. Aber seit zehn Jahren und wahrscheinlich noch auf lange Sicht besteht unsere Aufgabe darin, die Montagnards, also die Stämme in den Bergen entlang der Grenzen Nord- und Südvietnams, zur Bekämpfung der Kommunisten auszubilden und einzusetzen. Unsere Angriffsziele liegen auf dem Ho Tschi Minh-Pfad, über den der feindliche Nachschub befördert wird. Bisher waren die Montagnards loyal, weil wir sie zuverlässig mit allem versorgen, was sie brauchen. Doch sie haben nur eine einzige Erwerbsquelle: den Mohnanbau für die Opiumgewinnung. Wir würden sie natürlich finanziell unterstützen, aber sie sind ein stolzes Volk. Sie wollen sich ihr Geld redlich verdienen. Vielleicht sind sie gerade deshalb so gute Verhandlungspartner und Verbündete im Kampf.“ Woodholt stand auf und holte sich aus der Hausbar einen Gin Tonic. „Um also den Einsatz unserer Montagnard-Einheiten zu gewährleisten, müssen wir Mohnsaft verhökern.“ „Welche Mengen können Sie liefern?“ fragte D'Estang wie aus der Pistole geschossen. Der Offizier wies auf Bob, der prompt antwortete: „Von allen Stämmen, die wir unter Kontrolle haben, sind in den nächsten drei Monaten insgesamt etwa zehn Tonnen Rohopium zu erwarten. Einschließlich der Ausbeute der Meos in Burma.“ „Das übernehmen wir“, sagte Etienne ebenso prompt. „Topp! Es gilt.“ Woodholt überlegte kurz. „Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie heikel die ganze Sache ist. Meine vorgesetzte Dienststelle in der US-Regierung darf niemals offiziell mit dem Opiumhandel in Verbindung gebracht werden, aber die Befehle von der Spitze besagen, daß wir alles tun müssen, was in unserer Macht steht, um mit landeseigenen Verbänden die feindlichen Nachschublinien südwärts zu stören und zu verhindern, daß die Kommunisten über das Gebirge nach Westlaos in Richtung Vientiane vordringen. -262-
Das können wir nur mit diesen Montagnard-Milizen. Und die einzige Möglichkeit, sie im Sold zu behalten, besteht darin, für ihr Opium Abnehmer zu finden, und zwar zu einem guten Preis.“ „Wenn wir den USA einen Dienst erweisen können, werden wir es mit Freuden tun“, antwortete Etienne. „Ich sorge dafür, daß zehn Tonnen gekauft und befördert werden. Verlassen Sie sich ganz auf mich.“ „Ein schönes neues Hotel in Vientiane wäre gar keine schlechte Idee“, sagte Brad träumerisch. „Sicherlich“, stimmte Woodholt zu. „Und nach dem hiesigen Verhandlungstempo wird es vielleicht in zwanzig Jahren finanziert und gebaut werden können.“ „Morgen werde ich alles in die Wege leiten“, sagte D'Estang zu Bob und Eddy. „Ich weiß nicht, wo ihr zu finden seid, aber ihr wißt ja, wo ich bin.“ „Haben Sie strapazfähige Kleidung, am besten eine Dschungelgarnitur?“ fragte Eddy. „Ich glaube, die kriege ich hier zu kaufen.“ „Nein, wir holen Sie ab. Bei uns gibt es alles, was Sie brauchen.“ Brad sah auf seine Uhr. „Wenn ich noch vor sechs nach Bangkok zurückfliegen soll, müssen wir uns beeilen. Sie sind hier ja gut aufgehoben, Etienne.“ „Alles bestens. Gaglia soll seine Ausrüstung holen und sich bereithalten, nächste Woche herzukommen. Er wird zehn Tonnen Opium zu Morphinbase zu verkochen haben.“ „Wird ausgerichtet. Und vergessen Sie nicht, nach außenhin verhandeln Sie über Finanzierungsmöglichkeiten für ein neues Ascot Hotel.“ „Keine Sorge. Ich verplaudere mich nicht.“ Bob und Eddy, Colonel Woodholt und Brad bestiegen die -263-
wartenden Wagen und fuhren zum Flughafen. Unterwegs bemerkte der Offizier, daß sein neuer Freund nachdenklich, ja sogar deprimiert wirkte. „Was ist los, Brad? Geht Ihnen Ihr Auftrag gegen den Strich? Sind Sie mit dieser Entwicklung nicht einverstanden?“ „In einem Wirtschaftsimperium wie dem, für das ich arbeite, lernt man es, sich nicht gefühlsmäßig mit den Dingen zu engagieren. Trotzdem fällt es einem schwer, sich nicht Gedanken über die Ergebnisse mancher Aktionen zu machen, an denen man beteiligt ist.“ „Sie reden wie die Intellektuellen bei meinem Laden“, erwiderte Woodholt mit leichtem Tadel. „Die Nebenwirkungen der Mittel, die wir für unsere Kriegsziele einsetzen, kümmern mich nicht.“ Nach einer langen Pause sagte Brad: „Nächstes Jahr werden wir ein tolles Hotel in Bangkok bauen und in Hongkong auch eines. Meine Reise war also doch ein Erfolg.“ „Es tut mir leid, daß es so lange dauerte, den Handel in Vientiane abzuschließen. Aber solche Geschäfte wie heute wenn es auch einfach aussah - erfordern gründliche Planungen und Nachforschungen. Es war günstig, daß Sie General MacFarlands Einfluß geltend machen konnten.“ „Sonst hätte man mich nicht geschickt.“ Brad blickte durchs Fenster. „Wir sind beim Flughafen.“ Im International Hotel Bangkok, wo er und Luciana wohnten, fand Brad eine Mitteilung vor. Francois Gaglia wollte ihn sofort sprechen. Brad rief ihn an, bevor er sich bei Luciana meldete. „Kommen Sie gleich herauf“, flüsterte der Korse heiser. „Nein, kommen Sie herunter, in der Bar können wir reden.“ Brad hegte starke Antipathien gegen den Chemiker, den Etienne D'Estang angeheuert hatte. Er konnte nicht erklären, was ihn an dem kleinen, fast buckligen Mann abstieß, aber Luciana erging es ebenso. „Dort ist es sicherer“, fügte Brad hinzu, wobei er sich -264-
die fixe Idee des Chemikers zunutze machte, der sich ständig beobachtet wähnte. „Gut, gut. Ich komme“, zischte Gaglia in die Muschel. Bei einem doppelten Gin Tonic begann sich Brad nach der anstrengenden Reise gerade wieder richtig wohlzufühlen, als Gaglia auftauchte. Brad hatte einen Ecktisch, saß mit dem Rücken zur Wand, niemand war in der Nähe. Gaglia sah ihn, blickte sich mit seinen Glotzaugen mißtrauisch im Raum um und setzte sich zögernd. „Wir können hier ganz offen sprechen, Francois“, sagte Brad. „Ich habe eine Nachricht für Sie von Etienne. Aber zunächst: wo brennt's denn?“ „Ich habe das Labor gefunden, das ich brauche“, verkündete der Chemiker dramatisch. „Aber ich muß noch heute bezahlen.“ „Ist es eine sichere Sache?“ „Die denkbar beste, glauben Sie mir. Ich habe hier gute Freunde. Wir müssen nur ein bestimmtes Regierungsmitglied partizipieren lassen, dann läuft alles wie geölt.“ Er grinste. „Wieviel brauchen Sie?“ „In diesem Monat nur tausend Dollar. Und weitere tausend für den Polizeichef. - Was hat Etienne mittlerweile erreicht?“ „Im Laufe des nächsten Vierteljahres kriegt er zehn Tonnen Rohopium.“ „Gut, sehr gut.“ „Er möchte, daß Sie nach Vientiane kommen. Wenn es so weit ist, fliegen Sie mit unserem Jet.“ „Ja. Wir werden die Morphinbase in Laos gewinnen, und in Bangkok wandeln wir sie dann in Heroin um. Das wird eine Aktion großen Stils werden.“ „Die größte, die hier möglich ist“, sagte Brad ohne Begeisterung. -265-
„Wir können Marseille überflügeln und dabei noch viel sicherer arbeiten“, spann Gaglia seinen Gedanken selig aus. Sein verkrümmter Körper schien zu wachsen. „Wir werden fast eine ganze Tonne Heroin machen!“ Brad stand auf. „Dieses freudige Ereignis müssen Sie leider solo begießen, Francois, meine Zeit drängt. Ich deponiere zweitausend Dollar in bar in einem Briefumschlag in Ihrem Postfach.“ „Danke. Bis nachher.“ Schweigend nickte Brad und verließ die Bar. Er ging geradewegs zu Lucianas Zimmer und klopfte an die Tür. „Ich bin es, der vortreffliche Mr. Kendall“, rief er. Luciana öffnete, schön und sonnengebräunt, in einem leichten Cocktailkleid für die Tropen. Er wollte sie an sich ziehen und küssen, aber sie wehrte ihn ab. „Mach dich rasch fertig, Brad. Sonst kommen wir zum Empfang bei Commissaire Thannit zu spät.“ „Wie wär’s mit einem Kuß zuerst?“ Er schloß sie zärtlich in die Arme, sie blickte vorwurfsvoll zu ihm auf. „Ich bin noch immer böse, weil du mich heute nicht nach Vientiane mitgenommen hast.“ „Das war ausschließlich Männersache und rein geschäftlich. Tut mir leid.“ „Ich weiß. Es war ja nur ein Scherz. Habt ihr euren Rauschgifthandel also in Schwung gebracht?“ Luciana lachte über seine betroffene Miene. „Ich glaube, ein Ascot Hotel in Vientiane würde sich rentieren“, entgegnete er ausweichend. „Ach, Brad, stell dich doch nicht so. Jetzt zieh dich um. Du weißt doch, wie wichtig Commissaire Thannit für den Erfolg deiner -“ ihr Ton war voll Ironie, „Hotelprojekte in Thailand sein wird. Schließlich willst du doch eingespielte -266-
Zusammenarbeit mit den Zollbehörden, damit das Gepäck von Gästen des neuen Ascot Hotels bei der Einreise nicht durchsucht wird.“ „In einer Viertelstunde bin ich fertig. Ich muß nur etliche Barschaft für Francois hinterlegen.“ „Dieser kleine Krüppel. Ich werde C. L. schon meine Meinung sagen, weil er uns den aufgehalst hat. Ich werde ihm sagen, ach was, Francois kann den ganzen Rückflug über den Pazifik nach San Francisco im Klo mitmachen.“ „Das wird nicht nötig sein. Gaglia bleibt eine Weile hier.“ „Um so besser. Eigentlich bin ich froh, wenn wir wieder nach Hause kommen. Nun sind wir schon einen Monat unterwegs.“ „Aber es war ein sehr erfolgreicher Monat“, fügte Brad selbstbewußt hinzu. Einige Tage später flog Brad im Ascot-Jet mit Francois Gaglia und einem jungen Franzosen namens Duroux, der geheimnisvoll auf der Bildfläche erschienen war, nach Vientiane zurück. Sie trafen mit dem Gespann Bob & Eddy und Etienne D'Estang zusammen, der nun einen großen Landrover hatte. Unbehelligt von den laotischen Behörden verluden Gaglia und Duroux die Kartons mit Chemikalien und Gerätekisten, die sie mitgebracht hatten, in den Wagen und fuhren über die Piste zu einem Sektor, wo vor einem frischgetünchten Gebäude mehrere Flugzeuge kleiner und mittlerer Bauart standen; keines von ihnen trug Kennzeichen. „Möchten Sie mitkommen und selbst sehen, wie unsere Aktion anläuft?“ fragte Etienne. „Ja, das möchte ich“, antwortete Brad. „Man wird erwarten, daß ich nach meiner Rückkehr einen genauen Situationsbericht gebe.“ „Ich habe die Maschine von einem hier ansässigen korsischen -267-
Landsmann gemietet. Der Vogel leistet Beachtliches, gerade das Richtige für diese Geländeverhältnisse. Steigen Sie ein.“ „Ist genug Platz für uns alle?“ fragte Brad. „Eddy und Bob fliegen mit Duroux in ihrem eigenen Kasten.“ D'Estang, Duroux und Gaglia verstauten ihr schweres Gepäck in dem einmotorigen Hochdecker, dann stiegen sie ein. Etienne setzte sich ans Steuer und ließ den Propeller an. „Ich wußte gar nicht, daß Sie auch Pilot sind“, sagte Brad verwundert. „Mon ami, es gibt sehr vieles, was Sie nicht über mich wissen, und das ist gut so. Sie brauchen nur zu wissen, daß ich in einem Monat in meinem Fach der größte Organisator dieses Raumes sein werde. Ich sitze am Ausgangspunkt der langen Route am Drücker, die Sie, mein Bruder Maurice und der oberste Boß, den ich gar nicht kenne, trassieren.“ D'Estang beobachtete, wie die andere Maschine anrollte. Dann ließ er die Bremse los und folgte. „Keine Angst, wenn ich da oben manchmal wie verrückt kurve“, rief er durch den Motorenlärm. „Die Kommunisten schießen auf alles, was fliegt. Aber ich weiß, wo sie stecken.“ Binnen weniger Sekunden hatte er den Eindecker auf Touren gebracht und startete. In der Luft hielt er die Richtung Nordost, auf das Gebirge zu. „Wir werden die Ebene der Tonkrüge überfliegen und in einem Camp auf einer Hochfläche landen, wo mehr als dreitausend Meos wohnen. Seit einem Monat ernten sie nun Opium und müssen schon eine ganze Menge beisammen haben.“ Nach einer knappen Flugstunde sah Brad die ragenden Höhenzüge am Rand des seltsamen Tieflandes voller Felstrümmer, die tatsächlich wie irdene Krüge wirkten. Etienne behielt die andere Maschine immer in Sicht, doch schon bald schien sie von den Bergen verschluckt. „Wir sind fast da!“ rief der Pilot. Plötzlich hob sich ihnen der -268-
Boden auf eine Distanz von wenigen hundert Metern entgegen, ohne daß sie an Höhe verloren hatten. Das Flugzeug zog eine Schleife, dann setzte Etienne zur Landung an, obwohl Brad keine eigentliche Piste sah. Gleich darauf holperte die Maschine über das Terrain und kam nach einer Ausrollstrecke von kaum dreißig Metern zum Stehen. Brad stieg aus, auch Etienne sprang auf die Erde. Es war ein seltsamer Anblick, der sich ihnen bot. Sie standen auf einer von Dschungel gesäumten und im Osten, Norden und Süden von hohen Bergen begrenzten Lichtung. Nach Westen, der Richtung, aus der sie gekommen waren, breitete sich flaches Gelände. Nun tauchten zwischen den Bäumen Gruppen kleiner stämmiger braunhäutiger Männer auf. Sie trugen schilfgrüne Kampfanzüge der US-Armee, weiche Buschhüte aus Stoff und bis über die Knöchel reichende Schnürschuhe. In den Händen hielten sie amerikanische automatische Karabiner. An ihren Reaktionen merkte man, daß sie sich freuten, das Flugzeug zu sehen. „Francois, ich werde den Häuptling bitten, daß er einige seiner Stammesbrüder dazu abkommandiert, dir und Duroux bei der Errichtung des Feldlabors zu helfen“, sagte Etienne. „Ich habe bereits vier Ölfässer hergeschafft, die sind mit Wasser gefüllt und überm Feuer. Du kannst das Opium gleich hier, prompt nach dem Kauf, auf Morphinbase reduzieren.“ Er wandte sich zu Brad. „Für ein Pfund Morphinbase braucht man zehn Pfund Opium. Dieses Lager ist nicht nur der am besten abgesicherte Ort für die chemische Prozedur, wir ersparen uns auch den Transport von Mengen, die nur Ballast wären. Bei dieser einen Station allein werden wir fast eine Tonne Rohopium kaufen und dann bloß zweihundert Pfund Morphin zu befördern haben.“ „Was haben Sie vor? Die Camps in ganz Laos abzuklappern und überall an Ort und Stelle die Morphinbase zu machen?“ fragte Brad skeptisch. -269-
„Genau das wollen wir tun. Seit zwanzig Jahren arbeite ich in Narkotika, rund um den Erdball. Hier war ich zuletzt 1962, und schon immer habe ich von einer großangelegten Operation wie dieser geträumt, aber nie fand ich die richtigen Finanziers dafür.“ Seine Augen leuchteten vor Berufsstolz. „Nun kann ich endlich zeigen, was bei diesem Geschäft alles herauszuholen ist, wenn man es richtig anstellt. Die Morphinbase, die wir ausfliegen, wird bei geringen Gestehungskosten von höchster Qualität sein, einsame Spitze in der neueren Geschichte des Heroins. Sehen Sie uns heute nur zu.“ Eddy und Bob traten heran, gefolgt von Duroux. „Mr. D'Estang, können wir mit der Ablieferung beginnen?“ fragte Eddy. „Ja, jederzeit. Wurde für mich ein Tisch bei den Stahlfässern aufgestellt?“ „Alles, wie Sie es wünschten. Natürlich liegt uns viel daran, daß Sie die Transaktion so rasch als möglich abwickeln, damit wir die Montagnards wieder militärisch einsetzen können.“ Mit einem Attachékoffer in der Hand ging Etienne über die feldmäßige Landepiste bis unter die Bäume am Rand der Lichtung. Dort hingen die Öltrommeln über knisternden Feuern, das Wasser begann schon zu kochen. Gaglia und Duroux packten die Chemikalien und Instrumente aus. Hinter Etienne ging ein Montagnard mit einer Waage. Der Korse stellte sie auf den Tisch, setzte sich und legte seine geöffnete Brieftasche hin. Sie war prall mit Laos-Dollar-Noten gefüllt. Rufe der Überraschung wurden laut, als die Meos das viele Geld sahen. „Sagen Sie den Leuten, sie sollen die Ware auf die Waage legen“, rief Etienne den beiden Amerikanern zu. Die Weisung wurde im Meo-Dialekt weitergegeben. Sofort stellten sich die Montagnards in einer Reihe auf, und einer nach dem anderen schob sein Quantum an dumpfig riechenden, klebrigen braunen Opiumziegeln auf die Schale. -270-
Etienne las das Gewicht auf der Skala ab und zählte jedem den Preis für seine abgelieferte Menge - umgerechnet 25 USDollar pro Pfund in die Hand. Gaglia und Duroux, die dem Wasser die Chemikalien zugesetzt hatten, nahmen die Rohsubstanz von der Waage und warfen sie in die Stahltrommeln. Der korsische Chemiker schien ganz in seinem Element und in Hochstimmung, als er zuerst die eine, dann die zweite Tonne mit den braunen Ziegeln füllte. „Ich vermute, nach Ihren Begriffen sind das hier sehr primitive Arbeitsbedingungen, Francois“, bemerkte Brad. Gaglia nickte. „Doch, aber so ist es oft. Auch im Libanon habe ich die Base im Freien gewonnen, während mir das Opium von den Feldern in der Türkei geliefert wurde. Eigentlich sollte ich meine Zeit nicht mit solchen Lappalien vergeuden. Nach der heutigen Partie wird der junge Duroux, mein Schüler, alles weitere allein erledigen. Wozu man Übung und Erfahrung braucht, das ist die Umwandlung der Base zu Heroin.“ „Wie ist das Mengenverhältnis von Base zu Heroin?“ fragte Brad. „Eins zu eins. Aber die Umwandlung ist ein sehr heikler und obendrein gefährlicher Prozeß. Ich habe Chemiker gekannt, die kleine Unachtsamkeiten schrecklich büßten; von den Dämpfen vergiftet gingen sie elend zugrunde.“ Er kratzte mit seinem Messer an einem Ziegel und ließ das losgeschabte Stückchen Opium in ein Probierglas fallen. „Sehr ordentliche Qualität“, stellte er fest. „Wenn ich aus dieser Base Heroin mache, wird das Endprodukt erheblich reiner sein als alles, was bisher in New York auf den Markt kam. Man wird die Weiterverarbeiter eigens auf den hohen Reinheitsgrad der Substanz hinweisen müssen, damit nichts passiert.“ Das sagte er voll Stolz, ohne sich der grausamen Ironie seiner Erwägungen bewußt zu werden. „Namentlich neue Süchtige könnten leicht eine tödliche Überdosis erwischen.“ -271-
Die Ablieferung dauerte noch fast zwei Stunden. Brad sah aufmerksam zu und registrierte, daß Etienne innerhalb dieser kurzen Zeitspanne etwa zweitausend Pfund Rohopium kaufte. „Jetzt haben wir die gesamte Ernte der Dörfer dieses Gebietes an den Mann gebracht“, sagte Bob glücklich. „Ich wußte ja immer, daß es einfacher gehen müßte.“ „Wie haben Sie es früher gemacht?“ fragte Brad. „Da blieb uns nichts anderes übrig, als zwei Kompanien in die nächste größere Ansiedlung zu schicken. Die Montagnards befürchteten Angriffe und Verlust ihrer Ausbeute. So eine Aktion zog sich über eine Woche hin, und wenn unsere Leute zurückkamen, gab es immer Streit wegen des Geldes.“ „Dann freut es mich, daß wir der CIA und damit dem Staat einen Dienst erweisen können“, sagte Brad. „Hier -“ Bob betonte das Wort, „erweisen Sie Uncle Sam gewiß einen Dienst.“ Brad verstand, wie es der Agent wirklich meinte. Eine Tonne Heroin: das bedeutete einen Monatsvorrat für jeden Süchtigen in den USA. Noch vor fünf Jahren wäre das ein hoffnungsloses Überangebot an Rauschgift gewesen. Aber nun schätzte man den monatlichen Zuwachs an neuen Süchtigen, wie Brad gelesen hatte, auf viertausend Personen. Er wandte sich zu D'Estang. „Da hier alles erledigt ist, werden Sie daran denken müssen, nach Vientiane zurückzukehren.“ D'Estang verneinte. „Ich bleibe bei Francois. Er und Duroux, die beiden werden den ganzen Nachmittag, die Nacht über und fast den ganzen morgigen Tag zu tun haben. Und wenn sie hier Feierabend machen, werde ich mit Eddy und Bob den nächsten Komplex von Dörfern erfassen.“ „Es müssen doch noch andere Käufer hier herumkrebsen“, meinte Brad. „Oh, ganz sicher. Aber dank Colonel Woodholt und des großen Unbekannten in Washington, der das für euch einfädelte, können wir den leistungsfähigsten Apparat des gesamten Fernen -272-
Ostens aufbauen und in Gang setzen. Das Entscheidende ist, daß man das Heroin direkt in die USA bringen kann. Die meisten meiner alten Geschäftsfreunde hier spezialisieren sich darauf, ihr Heroin oder Rohopium nach Saigon zu schmuggeln, um den dortigen Militärmarkt zu beliefern. Aber dieses Absatzgebiet fällt nun sehr rasch aus.“ „Die Routen von Bangkok und Hongkong bis in die amerikanischen Großstädte werden “drüben“ festgelegt. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, daß die Morphinbase in Gaglias Labors geschafft wird“, sagte Brad. Er blickte sich auf der Lichtung um, wo die ganze Aktion vor seinen Augen ablief. Es schien ein weiter Weg von Cervis luxuriösem Büro im Spire Building bis zu diesem winzigen Punkt auf der Weltkarte, und dennoch war es niemand anderer als Cervi, der den Anstoß zur Erschließung dieser sonderbaren Narkotika-Quelle in den hartumkämpften laotischen Dschungeln gegeben hatte. In den vier Öltrommeln brodelte das siedende Wasser, Duroux beugte sich darüber, rührte mit einem langstieligen Löffel um und hob immer wieder prüfend Bodensatz aus der wallenden Flüssigkeit; Gaglia gab ihm dann und wann Anweisungen. Dies war nur der Beginn einer Operation enormen Ausmaßes, und Brad trat der Angstschweiß auf die Stirn, wenn er daran dachte, daß er hier Zeuge der ersten Phase einer völlig neuen Entwicklung weltweiten Rauschgifthandels wurde. Die alten Routen von der Türkei in den Libanon und via Marseille zu den lukrativen Märkten der westlichen Hemisphäre würden bald von denselben Mächten lahmgelegt werden, die sich bisher ihrer bedient hatten. Das Heroin der siebziger Jahre würde aus Südostasien stammen und auf neuen Wegen zu den Zielen befördert werden. „Eine bescheidene Frage, Etienne: wie komme ich jetzt zurück? Ich habe für heute abend eine wichtige Verabredung in Bangkok.“ -273-
„Ich bringe Sie nach Vientiane, Sir“, sagte Bob bereitwillig. „Eddy soll hierbleiben, bis Ihre Leute mit der Arbeit fertig sind. Die Meos kennen ihn und tun alles, was er ihnen befiehlt.“ „Danke, Bob. Von mir aus kann's losgehen.“ „In Ordnung. Wir starten sofort.“ Brad verabschiedete sich von den drei Korsen, denn wie er mittlerweile erfahren hatte, war auch Duroux ein Landsmann Napoleons. Offenbar gehörten sie von Haus aus einer großen verschworenen Brüderschaft an, dachte er, ähnlich wie die Sizilianer. Das mochte in der insularen Lage ihrer Heimat begründet sein. Es war ein langsamer Flug, da Bob den von kommunistischen Guerillas infiltrierten Gebieten in weitem Bogen ausweichen mußte. Schließlich landete die kleine CIA-Maschine in Vientiane, und sie fuhren zum Ascot-Jet. Der Agent betrachtete sie mit sehnsüchtigen Blicken. „Das ist, weiß Gott, die beste Art, diesen Teil des Globus zu bereisen“, sagte er bewundernd. „Ja, sofern man die Landeerlaubnis kriegt“, fügte Brad hinzu. „Damit hatten Sie doch keine Schwierigkeiten, oder?“ „Nein. Aber mein Boß hat eben bessere Verbindungen als die meisten reisenden Manager, selbst wenn sich ihre Firmen auch eigene Flugzeuge leisten können.“ Die Belastung und Anspannung wich von Brad erst, als er mit einem Gin Tonic in der eleganten, komfortablen Kabine saß und auf die im Dunst verschwimmende tiefgrüne Vegetation Thailands hinabblickte, über der die Düsenmaschine Kurs auf Bangkok nahm. Noch eine Woche, dann würde er mit Luciana in die USA zurückfliegen. Inzwischen mußte er günstige Heroinrouten nach Amerika planen. Für ihn als Hotelmanager war die Arbeit mit den verschiedensten Transporteinrichtungen eine berufliche Selbstverständlichkeit, und man erwartete von ihm genaue Erhebungen über alle Arten von öffentlichen und privaten Beförderungsmitteln, die in Gebieten verkehrten, welche für den Bau von Ascot Hotels in Betracht kämen... -274-
30 Als die Düsenmaschine „ASCOT I“ nach gutem Flug über den Pazifik in San Francisco landete, befanden sich außer Brad und Luciana drei asiatische VIPs an Bord: einer der engsten politischen Berater des Prinzen Souvanna Phouma, der stellvertretende Außenminister von Thailand und Mr. Joseph Peng, Star-Anwalt aus Hongkong. Sie waren in Begleitung ihrer Frauen, sollten als Ehrengäste in Ascot Hotels absteigen und nach einem dreiwöchigen Amerika-Trip wieder per Jet in ihre Heimatländer zurückgeflogen werden. Und alle drei waren wichtige Faktoren in dem System der Fünften Macht, das Cervi in Südostasien aufbauen wollte. Es war nun bereits April, witterungsmäßig eine günstige Jahreszeit für Reisen durch die USA. Die Besucher würden zum Kirschblütenfest in Washington sein. Luciana fungierte als Hosteß, da Brad in New York gebraucht wurde. Nachdem die drei Paare in Apartments des San Francisco Ascot untergebracht waren, öffnete Brad in Lucianas Zimmer einen Briefumschlag, den ihm ein Bote Cervis persönlich übergeben hatte. Er las den Text genau und legte das Schreiben etwas konsterniert auf den Tisch. „Warum in aller Welt will C. L. gerade diese Firma?“ fragte er. „Welche denn?“ „Sie nennt sich “Lernbehelfe A.G.“.“ Brad überflog die Mitteilung nochmals. „Das Unternehmen beliefert Community Colleges im gesamten Westen der USA mit audiovisuellen Geräten.“ „Was ist ein Community College?“ „Ein College für lokal ansässige Studenten. Ohne Quartiere. Normalerweise nur ein Komplex von Hörsälen und allenfalls -275-
noch Labors oder Institutsräumen etc. - Weshalb sollte Cervi ausgerechnet dort einsteigen?“ „Hast du schon erlebt, daß er etwas ohne Grund getan hätte?“ „Nein, nie.“ „Eben, darum ruf die Firma an und vereinbare einen Termin.“ Sie blickte auf die Uhr. „Jetzt ist es erst zwei. Wahrscheinlich kannst du noch heute nachmittag hingehen.“ „Nach dreißigstündigem Flug durch zwölf verschiedene Zeitzonen?“ Er lächelte sie werbend an. „Ich dachte, wir ruhen uns erst einmal aus. Es ist schon lange her -“ „Wir führen unsere kleine Gruppe nicht vor 20.30 Uhr zum Dinner. Du wirst rechtzeitig zum “Ausruhen“ zurück sein.“ Sonderbar, diese Frau konnte ihr Timbre so modulieren, als schalte sie um, von streng sachlich auf lockend und betörend. Im nächsten Moment konnte ihre Stimme wieder ganz nüchtern klingen. „Na ja, wenn du meinst.“ Er setzte sich auf das Doppelbett und griff zum Telefon. „Außerdem bin ich neugierig, was an der Sache dran ist“, fügte Luciana hinzu. „Vielleicht kommen wir beide drauf, was der geniale C. L. vorhat, bevor er selbst uns einweiht.“ „Verbinden Sie mich bitte mit Mr. Dawson Peterson bei der Lernbehelfe A.G.“, sagte Brad zu der Vermittlung. Eine Stunde später stand er im Büro des Direktors und Eigentümers der „LBH“ vor einer riesigen Landkarte der USA. Peterson, der sich nach seiner Tätigkeit in einer der größten Werbeagenturen der Westküste selbständig gemacht hatte, erklärte Brad den Aufgabenbereich und die Arbeit seiner Firma. „Ich war überrascht und erfreut, als Ascot mit mir Kontakt aufnahm, um sich gegebenenfalls an der LBH zu beteiligen“, sagte er ganz aufrichtig. „Das Konzept ist großartig, aber ich hatte keine Ahnung, wieviel Kapital erforderlich ist, um das -276-
Ding in Schwung zu bringen. Mit Ihren Ressourcen können Sie daraus eine Goldmine machen. Wie ich schon Mr. D'Estang sagte, als er auf mein Inserat im Wall Street Journal hin aus New York anrief, ich möchte gern bleiben und in der Position des Minoritätsaktionärs die Geschäftsführung übernehmen. Natürlich würde Ihr Konzern die Kontrolle über die Firma ausüben.“ „Ja, das wäre nötig“, antwortete Brad, der noch immer nicht klarsah, wie diese „LBH“ ins Gesamtbild von Whitehall passen sollte. „Im Osten, wo es in manchen Staaten bis zu fünfundzwanzig Community Colleges gibt, können ein bis zwei Vertreter alle betreuen. Aber hier -“ er wies mit dem Zeigestab auf die Karte, „sind die Distanzen größer. Da ich begeisterter Amateurflieger bin, dachte ich, daß ich mein Hobby mit dem Beruf verbinden und auf dem Luftweg die Colleges besuchen könnte.“ „Sind die Colleges ein Markt für solche Erzeugnisse?“ „Ein unerschöpflicher. Ich habe Ihnen das Kassettengerät gezeigt. Es gibt aber noch verschiedene andere Apparate, um die neuesten Bildungsprogramme in entlegene Institute zu bringen, die sonst keine Möglichkeiten wirklich suggestiver Wissensvermittlung nach diesen modernen Gesichtspunkten haben.“ „Sind Sie nun im Geschäft?“ „Aber sicher. Ich betreue mit zwei Flugzeugen und motorisierten regionalen Vertretern fast hundert Community Colleges westlich der Rocky Mountains. Meine Leute besuchen jeden Campus mindestens einmal wöchentlich, um neue Kassetten und andere audiovisuelle Unterrichtsbehelfe zu bringen und die verwendeten abzuholen. Unsere Vertreter sind in den Colleges bestens bekannt und eingeführt.“ „Das klingt alles sehr positiv. Ich frage mich nur, warum Sie dann die Majorität abgeben wollen.“ -277-
„Wir haben ein schwerwiegendes Problem, Mr. Kendall: die Erstellung der Programme. Ich brauche etwa 300.000 Dollar, um die Bildungsfilme zu produzieren, die wir kursieren lassen können. Und eine so hohe Summe habe ich nicht. Aber wenn dieser Betrag verfügbar wäre, könnte die LBH die führende Position in ihrem Sektor erobern. Im Westen hier gibt es noch fünf andere Firmen meiner Branche. Sie alle stehen vor den gleichen Schwierigkeiten der Finanzierung von Filmen. Ich könnte pro Woche Bildungsprogramme in der Dauer von zwanzig bis dreißig Stunden verkaufen, wenn das Material vorhanden wäre. Und wir könnten es hier in Kalifornien produzieren, für alle Systeme. Die kleinen und sogar die großen Colleges lechzen danach. Schauen Sie.“ Peterson nahm eine kleine quadratische Kassette, schob sie in ein Gerät von der Größe eines tragbaren Fernsehapparates, schaltete ein, und sofort erörterte ein berühmter Autor Aspekte des literarischen Schaffensprozesses. „Jedes Literatur-Department in den USA nimmt das mit Handkuß. Zum Glück kenne ich den Schriftsteller persönlich, er war damit einverstanden, daß ich diesen Vortrag honorarfrei als Test aufnehmen ließ. Merken Sie also, welche Tragweite diese Entwicklung hat?“ „Es dämmert mir, Mr. Peterson, es dämmert mir.“ Diese Antwort bezog Brad nicht nur auf die lichtvollen Erklärungen des LBH-Chefs. Luciana hatte recht behalten: C. L. Cervi tat nie etwas, ohne sich Beweggründe und Folgerungen genau zu überlegen. „Sie glauben, bei entsprechender Finanzierung könnte Ihr Unternehmen alle Community Colleges in den USA beliefern.“ „Stimmt.“ „Der regionale Vertreter würde zu einer Art Inventarstück des Campus, weil er jede Woche mit neuen Programmen kommt.“ „Jawohl.“ -278-
„Mit einem Zuschuß von 300.000 Dollar könnten Sie ein ausreichendes Angebot gewährleisten.“ „Zweifellos.“ „Und wieviel wäre Ihrer Meinung nach erforderlich, um die anderen regionalen Firmen unter zentrale Kontrolle zu bringen?“ „Schwer zu sagen, aber ich vermute, es wäre mit einem verhältnismäßig geringen Betrag möglich. Ich bin nicht der einzige in der Branche, der im Engpaß steckt. Sie müssen wissen, wir alle haben uns auf diesen Markt gestürzt, jeder wollte der erste sein, der die Colleges mit Apparaten beliefert. Und dann merkten wir, daß wir nicht genügend Programme bekamen, um unsere Aktionen rentabel zu machen.“ „Das ganze Konzept klingt sehr einleuchtend. Ich bleibe einige Tage in San Francisco, wir werden sehen, ob wir zu einer Vereinbarung gelangen können. Da ich soeben erst aus dem Fernen Osten zurückgekommen bin, werde ich meine Zentrale benachrichtigen müssen, ehe ich bindende Erklärungen abgebe.“ „Ausgezeichnet, Mr. Kendall. Nur, warten Sie nicht zu lange. Um ehrlich zu sein, es gibt noch einige andere Interessenten und, unter uns, in meiner momentanen Lage muß ich das erste definitive Angebot akzeptieren.“ „Sie hören morgen vormittag von mir. Soweit ich es bis jetzt absehen kann, ergeben sich manche Zusammenhänge zwischen Ihrem Kundennetz und unseren eigenen Bestrebungen.“ „Und, bitte, bedenken Sie auch, daß ich bei der Werbeagentur fünfzehn Jahre lang TV-Sendungen gemacht habe. Nach erfolgter Finanzierung kann ich innerhalb weniger Tage eine komplette Produktionsgruppe auf die Beine stellen.“ „Ich bin sicher, daß wir den Vertrieb selbst organisieren würden.“ „Hm, allerdings habe ich ein paar sehr gute Verkäufer an der Hand“, wandte Peterson schüchtern ein. -279-
„Das glaube ich Ihnen. Aber wir wollen nichts vorwegnehmen. Übrigens, ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, daß dieses Medium geradezu ideale Möglichkeiten für einen politischen Kandidaten böte, der Studenten ansprechen will, die das Wahlalter erreichen?“ Peterson runzelte die Stirn. „Offen gesagt, nein. Ich bin, wie bereits erwähnt, auf die Aufgaben des Bildungswesens orientiert.“ „Aber als gewiegter Praktiker sehen Sie ein, daß Politiker sich dieses Systems zur Beeinflussung von Studenten bedienen könnten.“ „Gewiß, das schon. Vielleicht sollten wir auch Werbeeinschaltungen ins Auge fassen, natürlich eindeutig als solche deklariert.“ „Natürlich“, bekräftigte Brad zum Abschied.
-280-
31 Eigentlich wollte Brad Kendall nach der Ankunft auf dem Kennedy-Flughafen zunächst versuchen, seine Tochter zu erreichen. Dazu hätte er Elda angerufen, aber draußen wartete bereits eine Limousine, um ihn sofort in Cervis Büro zu bringen. Und um die Dringlichkeit zu betonen, war auch Maurice D'Estang mitgekommen. „Welche Ehre, Maurice“, sagte Brad distanziert. Beruflich mußte er mit diesem stets qualmenden, undurchsichtigen Zyniker zusammenarbeiten, aber er hatte kein Bedürfnis, ihn öfter als unbedingt nötig zu sehen. „Ich wollte nur hören, was los ist. Wie geht es meinem Bruder?“ „Als wir uns trennten, war er ganz in seinem Element. Er legte seine Opiumroute an. Da drüben wird er gute Arbeit leisten.“ „Wie gefällt es ihm in Indochina?“ „Er scheint sich wohlzufühlen. Mir sagte er, das sei der Auftrag, den er sich schon immer gewünscht hätte. Ich bin überzeugt, bald wird er die größte Nummer auf seinem Gebiet sein.“ Maurice nickte befriedigt. „Sehr gut. Schade, daß es unsere seligen Eltern nicht mehr erlebten. Er war immer das Sorgenkind der Familie, nirgends hielt er es lange aus. Mein Vater hatte immerhin fünf Söhne und vier Töchter großzuziehen und zu versorgen...“ „Etienne wird dem Unternehmen sehr nützlich sein.“ Brad blickte D'Estang ins Gesicht. „Wo brennt's denn, daß ich gleich zu C. L. muß?“ „Das wird er Ihnen selbst sagen. Ich glaube, Sie werden sich wieder eine Weile auf dem politischen Sektor umtun.“ -281-
„Soll mir recht sein. - Übrigens, warum in aller Welt interessiert sich C. L. plötzlich für diese Lernbehelfe?“ „Am Telefon haben Sie uns gesagt, daß man zugreifen sollte.“ „Ich glaube, mit entsprechender Finanzierung kann ein einträgliches Geschäft daraus werden. Und natürlich weiß ich, worauf Cervi abzielt. Er denkt an den Einsatz dieses Systems, um seine Kandidaten bei den Collegestudenten zu propagieren. Aber ich meine, dasselbe könnte man auf andere Weise mit geringerem Aufwand erreichen. Weshalb soll man dafür eine eigene Firma aufbauen?“ Maurice starrte ihn verblüfft an, dann schlug er eine laute Lache an. „Wie? Propaganda für die Studenten? - Glauben Sie, deswegen will er den Laden kaufen?“ „Nun, er wollte doch gewiß nicht, daß ich diese leicht havarierte LBH wegen der durchschnittlichen Gewinne, die dabei herauszuschlagen sind, für uns sichere. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß er momentan den Drang verspürt, als großer Gönner der Colleges in Erscheinung zu treten.“ „Nein, Sie haben ganz recht. Aber die Organisation ist nicht daran interessiert, Studenten politisch zu beeinflussen. Zumindest nicht in erster Linie.“ „Was interessiert C. L. dann?“ „Welche wichtigste Aufgabe hatten Sie im Fernen Osten?“ fragte D'Estang. „Sagen Sie jetzt nicht, Verhandlungen wegen neuer Hotelbauten.“ „Ich denke doch“, erwiderte Brad harmlos. „Na schön, wenn Sie wollen. Aber die Ernten, die mein Bruder aus Indochina herausholt, sind für die USA bestimmt. Und via Mexiko kommen aus Lateinamerika neue Ladungen Heroin. Wo ist der Hauptmarkt für diese Ware?“ „In den Negervierteln und den Slums, vor allem bei den Minderheiten.“ -282-
„Ja, bisher. Aber die Schwerpunkte verschieben sich. Die jungen Leute außerhalb der Großstädte wollen auch ihren Teil, und die Collegestudenten da draußen bilden keine Ausnahme. Wer avancierte an den Universitäten zum gern gesehenen Gast, seit Sie aus Asien zurück sind? Wer kann allwöchentlich kleine Colleges besuchen, ohne Verdacht zu erregen?“ Als D'Estang Brads entsetzte Miene sah, nickte er bestätigend. „Sie haben es schon erraten. Niemand anderer als der freundliche, stets gut aufgelegte Vertreter für Unterrichtsbehelfe. Verstehen Sie jetzt?“ „Wir machen die Studenten süchtig?“ fragte Brad tonlos. „Nein, das sind sie bereits. Die LBH bietet nur die einfachste und sicherste Möglichkeit, um ihnen zu verschaffen, was sie sowieso haben wollen.“ Warum bestürzte ihn diese Eröffnung so sehr, dachte Brad. Es war nur die folgerichtige Ausweitung einer Aktion, bei der er, jawohl: er selbst, nach Kräften mitgeholfen hatte, die Trassierung neuer internationaler Rauschgiftrouten. Stumm lehnte er sich in die Polsterung, D'Estangs weitere Fragen beantwortete er rein mechanisch. Die Limousine hielt vor dem Spire Building. Rasch trug der Sonderlift die beiden bis in die sechsundsechzigste Etage. Der Wächter führte sie zu Cervis Büro, und wieder einmal sah sich Brad in dem riesengroßen und doch wohnlichen Raum bei jenem Mann, der zielbewußt und ganz allmählich einen Kriminellen, wenn auch einen Gesetzesbrecher auf höchster Ebene, aus ihm gemacht hatte. „Entschuldigen Sie diese plötzliche Rückberufung, aber ich konnte es einfach nicht erwarten, von Ihnen alles über den Verlauf der Reise zu erfahren“, sagte Cervi zur Begrüßung. „In unserem Fall kann man solche Berichte niemals schriftlich oder telefonisch geben.“ Fast eine Stunde lang hörte er aufmerksam zu. Als Brad von -283-
seinen Erlebnissen bei den Meos und von Etienne D'Estangs Methoden des Transports der Morphinbase nach Vientiane erzählte, fragte Cervi begierig: „Und die Routen von dort aus? Wir haben keine Zeit zu verlieren, um die Ladungen schnellstens ins Land zu schaffen. Heute in einer Woche werden die Verbindungswege von Europa her unterbrochen sein, aber davon reden wir später.“ „Wir werden in Aktion treten, C. L. Ich war so frei, dem laotischen Innenminister die Maschine ASCOT II für einen Monat zur Verfügung zu stellen. Sein engster Mitarbeiter und dessen ständige Begleiterin unternehmen nun als unsere Gäste in ASCOT I eine Amerikarundreise.“ „Gut, gut, Brad. Und was weiter?“ „Ich war mehrmals in Vientiane und legte der Regierung folgendes dringend nahe: wenn dort ein großes Hotel gebaut werden soll, müßten die Verkehrsverbindungen nach Bangkok, Saigon und Hongkong unbedingt verbessert werden. Und dann packte ich sie bei ihrem Nationalstolz, indem ich ihnen vorschlug, für den Passagier- und Gütertransport zwischen diesen Städten eine eigene Luftlinie zu gründen.“ Brad kniff ein Auge zu. „Natürlich bot ich Finanzhilfe an und borgte ihnen für den Anfang den Jet.“ „Ausgezeichnet, fast genial! Auf diese Weise haben wir unsere eigene “Air Opium“!“ rief Cervi strahlend. „Richtig. Wir können jedes erforderliche Quantum gefahrlos durch den indochinesischen Raum anliefern lassen. Nun kommen wir zu dem Problem des Transports zwischen Ostasien und den USA. - Mr. Joseph Peng, ein anderer Ehrengast der heimischen Ascot Hotels, ist der führende chinesische Anwalt Hongkongs. Er repräsentiert ein chinesisches Syndikat, das in Großbritannien zwei VC-10-Jets ankauft, um im gesamten Fernen Osten einen weltweiten Charterdienst zu starten, für Gruppen, die in die westliche Hemisphäre reisen wollen. Ich -284-
brauche nicht zu betonen, daß jede bezahlte Extrafracht, die an Bord Platz hat, gern befördert wird. Wir können mit zwei Flügen wöchentlich auf der Strecke Hongkong-Acapulco rechnen. Ich vermute, unsere Kontakte in Mexiko reichen aus, um -“ „Kein Problem, in Mexiko sind wir ganz oben auf“, warf D'Estang ein. Lächelnd öffnete Brad die Handflächen. „Dann kann ich nur sagen: Auftrag ausgeführt. Übrigens wäre es wirklich keine schlechte Idee, ein hübsches kleines Hotel in Vientiane zu bauen. Ich habe eine Proforma-Erklärung abgegeben. Es würde sich rentieren.“ „Dann gehen Sie die Sache an, Brad“, sagte Cervi sehr entschieden. „Nach allem, was Sie für uns getan haben, würde ich Ihnen sogar für ein Hotel in Peking freie Hand lassen, wenn Sie sich etwas davon versprechen.“ „Dort ist noch nicht viel zu holen.“ „Wie Sie wollen, Brad. Nun zum Thema Unterrichtsbehelfe: ich setze voraus, Maurice hat Sie darüber aufgeklärt, welchen Wert dieses Projekt für uns hat. Doch das betrifft Sie nur mehr am Rand, auf Sie warten nun ganz andere wichtige Aufgaben: Sie sollen Bill Adams aufbauen. Die Planungen sind sehr weit gediehen und umfassend, wie Sie feststellen werden, wenn Maurice Sie darüber ausführlicher informiert. An Ihnen liegt es dann, aus dem sensationellen Sieg, den Bill in der nächsten Woche über das organisierte Verbrechen erringen wird, möglichst viel politisches Kapital zu schlagen.“ „Ach, steht es so?“ Brad runzelte die Stirn. „Wie viele Leute in Amerika wissen, daß es einen Kongreßausschuß zur Bekämpfung der Kriminalität gibt?“ fragte Cervi eindringlich. „Und selbst wenn sie es wissen, dann kennen sie bestimmt nicht den Namen des Vorsitzenden, von den Mitgliedern ganz zu schweigen. Nun, Adams wird diesen -285-
Ausschuß in der öffentlichen Meinung beträchtlich aufwerten und zugleich für sich persönlichen Ruhm ernten. Im Herbst werden wir ihn dann in den Senat bringen.“ „Politik ist mein altes Hobby, C. L. Da steige ich gern in den Boxring.“ „Maurice, zeigen Sie Brad das New Yorker Büro des Abgeordneten.“ Er wandte sich wieder dem Ascot-Präsidenten zu. „Wie Ihnen bekannt ist, hat jeder Kandidat ein bestimmtes Ausgabenetat, das er nicht überschreiten darf. Aber es gibt Möglichkeiten, diese Einschränkungen zu umgehen. Wenn Sie Bills Büro sehen, werden Sie sich mit Recht fragen: wie kann sich ein Kongreßmann solchen Luxus leisten? Und wir haben die Antwort darauf bereit. Bei der regen Bautätigkeit in New York muß sich das Spire Building ein entsprechendes Prestige schaffen. Und was wäre solcher Rufbildung zuträglicher als die Tatsache, daß unser Abgeordneter, der vielleicht bald Senator wird, hier seinen Sitz hat? Es rentiert sich also, ihm die Räume gegen eine fast nur symbolische Miete zu überlassen und so auszustatten, daß wir sie anderen Interessenten als Muster zeigen können.“ Nach dem Abschied von Cervi fuhr er mit D'Estang im normalen Lift zur sechzigsten Etage. Als sie den Vorraum betraten, fragte Brad: „Hat Adams das ganze Geschoß für sich?“ „In einem Teil ist seine Anwaltskanzlei untergebracht und bezahlt dafür die volle vertragliche Miete.“ Am Empfangstisch saß ein uniformierter Wächter. Er erkannte D'Estang, der einen Passierschein hochhielt. „Gehen Sie nur hinein, Mr. Adams ist drinnen“, sagte der Mann am Tisch. „Bill arbeitet aber lange“, bemerkte Brad. „Er ist fast eine Woche nicht aus dem Haus gegangen. Wie gut, daß er hier sogar eine eigene kleine Wohnung hat.“ „Und was ist daran so aufregend?“ -286-
„Das werden Sie gleich sehen.“ Maurice führte Brad durch einen Korridor mit geschlossenen Türen zu beiden Seiten. „Hier arbeitet das permanente New Yorker Team.“ An der Stirnwand des Ganges gab es eine hohe Doppeltür, darüber stand auf einem Schild “Kommunikation“. „Wieder ein Meisterstück des genialen Julius. Da drin kann er alle Register ziehen. Schade, daß Whitehall keine Pressekonferenzen abhält, das wäre der geeignete Ort dafür.“ D'Estang holte einen Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und schaltete das Licht ein. Brad, der hinter dem Korsen eintrat, blieb staunend stehen. Die rechte Seite des Saales nahm ein breiter Block von Sitzreihen ein, dahinter erhob sich eine Plattform für Kameras. „Mr. Cervi ließ die Anlage von der führenden Public-RelationsAgentur New Yorks entwerfen“, erklärte der Korse. „Bleibt nur zu hoffen, daß Adams das Rennen macht.“ Brad atmete tief ein. „C. L. hat recht, für einen Abgeordneten ist das ziemlich aufwendig.“ „Für einen Senator. Nennen wir ihn ruhig schon so. 1976 müßte er Spitzenreiter sein und als Präsident durchs Ziel gehen.“ Brad betrachtete das ausgeklügelte Kommunikationssystem an der linken Seite. Eine große Weltkarte mit Uhren über den Zeitzonen beherrschte die Wand. Auf einen Blick konnte man ablesen, wie spätes im Moment an jedem beliebigen Ort der Erde war. Außerdem waren jene Teile der Welt, wo es Nacht war, auf der Karte schattiert. „Da gibt's noch einen besonderen Trick“, sagte D'Estang, der sich in seiner Rolle als der besser Informierte gefiel. „Nämlich das sogenannte Rückpro. Der Techniker an der Konsole dort drüben -“, er wies auf ein mit Schaltern, Tastern, Kontrollämpchen und TV-Monitoren bestücktes Pult, „kann auf die freien Flächen der Karte Standfotos, Liveübertragungen, Videoaufzeichnungen oder Filme projizieren. Man muß es -287-
gesehen haben, um es zu glauben.“ „Ich glaube es, Maurice“, sagte Brad seufzend. „Jetzt glaube ich schon alles. Aber wozu braucht ein Kongreßmann so einen komplizierten Apparat?“ „Das Ganze wurde für eine einzige große Show eingerichtet, die nächste Woche stattfindet. C. L. möchte, daß Sie mitmachen. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, daß Adams Senator wird.“ „Ich bin froh, daß er nichts Schwieriges von mir will“, entgegnete Brad sarkastisch. „Warten Sie nur ab, was Ihnen selbst zur Verfügung steht.“ Maurice blickte sich um, als wolle er sich vergewissern, daß niemand anderer im Saal war. Er senkte die Stimme. „Ein Stockwerk höher, direkt über uns, befindet sich ein Kontrollraum, wo alles, was hier geschieht, überwacht und aufgezeichnet wird. Dort kann man sogar abhören, was die Journalisten während der Show untereinander reden.“ „Sagen Sie mir endlich, welche mysteriöse Show Sie meinen.“ „Ich weihe Sie genau ein, sobald wir bei Bill waren. Jetzt bringe ich Sie in sein Büro.“ D'Estang schaltete die Lampen aus, versperrte die Tür von außen und ging mit Brad durch den Korridor zu einer anderen Flügeltür. “Abgeordneter William Fortune Adams“ stand auf dem Schild. D'Estang öffnete, sie betraten einen weiteren Vorraum. Prompt kam ihnen der Politiker entgegen, er wirkte frisch, wie vom Duft des Rasierwassers umweht und bereit, aufs Podium zu steigen und eine Ansprache zu halten. Maurice lachte in sich hinein. „Man würde ihm nicht anmerken, daß er schon zwölf Stunden pausenlos durchgearbeitet hat.“ Brad schüttelte Adams die Hand. „Hallo, Bill, ich habe mir den Laden hier angesehen. Schade, daß sich ein Kongreßmitglied Ihres Formats nichts Besseres leisten kann.“ -288-
Adams starrte ihn entgeistert an. „Meinen Sie, daß es doch zu aufwendig ist? Daß ich mich verdächtig mache?“ „Aber nein, wir finden schon Erklärungen, um allfällige Bedenken zu zerstreuen. Sobald ich mehr über diese große Show weiß, die da steigen soll, werde ich mir ausdenken, was man der Presse sagen kann, wenn sie krumme Touren wittert.“ „Brad ist erst vor ein paar Stunden nach New York zurückgekommen. Heute abend informiere ich ihn“, warf D'Estang ein. „Mir wird angst und bange, wenn ich die ganze Tragweite der Aktion ermesse. Aber wenn alles gut geht, du lieber Gott, dann wird es -“, er suchte nach einem Wort, „apokalyptisch, jawohl, apokalyptisch.“ „Bill, wir treffen uns morgen“, sagte Maurice. „Brad hat nicht gegessen, nicht geschlafen und weiß nicht, wovon wir reden.“ Vor dem Spire Building wartete die Limousine. „Danke, daß Sie mir ein langes Palaver mit Adams erspart haben“, sagte Brad auf der Fahrt zum Ascot Tower. „Wir führen uns rasch was zu Gemüte, dann schildere ich Ihnen zunächst alles in großen Zügen. Auf die Einzelheiten gehen wir morgen ein.“ Als Maurice im Hotel auf den Lift zuschritt, hielt ihn Brad zurück. „Ich bin heute nicht in der Verfassung für das Getue oben im Star Club. Hier unten gibt es auch einen guten Happen.“ Der Korse zuckte die Achseln. „Wie Sie wünschen.“ Er folgte Brad durch die Halle in den “River Room“. „Ah, Mr. D'Estang. Ich habe Sie schon früher zu erreichen versucht“, sagte jemand mit ausländischem Akzent. Brad wandte sich um und sah einen durch dicke Brillen spähenden grauhaarigen Mann in schwarzem Anzug mit perlfarbener Weste. Der Fremde stand von dem Tisch auf, an dem er mit -289-
einem ungefähr Fünfundzwanzigjährigen saß. Brad faßte spontane Antipathien gegen Leute, die in geschlossenen Räumen Sonnenbrillen trugen, und dieser Jüngling hatte noch dazu eine besonders affig modische auf. Sein blondes Haar war gestutzt, und auf seinem Gesicht lag ein seltsam starres, geistesabwesendes Lächeln. Im übrigen wirkte er in Kleidung und Haltung unauffällig, eher konventionell. „Doktor, ich rufe Sie später in Ihrem Zimmer an. Im Moment habe ich zu tun“, sagte D'Estang kurz angebunden. „Ich verstehe. Aber bitte vergessen Sie nicht“, murmelte der Fremde. „Wer ist das?“ fragte Brad, als sie an einem Ecktisch Platz genommen hatten. „Dr. Ulrich Wormsinger, ein Psychiater. Er arbeitet nun für uns. Tests und solches Zeug, streng wissenschaftlich.“ „Der junge Kerl mit den Sonnenblenden nach Schlagersängermanier sieht ganz so aus, als könnte er einen Psychiater brauchen.“ „Durchaus möglich“, antwortete D'Estang vage. „Eines Tages werden wir uns auch über Dr. Wormsingers Funktion unterhalten, aber jetzt reden wir einmal über Adams...“
-290-
32 Detektiv Patrick Kenney sah sich mit berufsbedingtem Mißtrauen in dem großen Raum um. Nicht einmal das FBI hatte für die Berichterstattung über laufende Nachforschungen solch einen Riesenapparat zur Verfügung. Wenn Pat zu den dichtbesetzten Reihen des Pressesektors blickte, wo die Journalisten Kopf an Kopf gespannt darauf warteten, die letzte Phase seiner sechsmonatigen Bemühungen bis zum dramatischen Schluß verfolgen zu können, dann spürte er ein sonderbares Pochen in der Magengegend. Er hatte, wenn man es so nennen konnte, einfach Lampenfieber. Aber es war mehr als bloße Nervosität angesichts so vieler Menschen, vor denen er seinen Balanceakt ohne Netz vollführen sollte. Wie immer, seit ihn Fred Black dem Abgeordneten Bill Adams zugeteilt hatte, reagierte er auf das ungewohnte Tempo und die erstaunliche Glätte, mit der seine Aktionen liefen, mit gemischten Gefühlen. Bei allem Stolz auf die Erfolge war ihm das ganze nicht geheuer. Wenn es bei einem Fall mit rechten Dingen zuging, fügte sich eben nicht so rasch eines zum anderen, wie er aus langjähriger Erfahrung wußte. Er dachte an die Düsenmaschine, in der er jederzeit an jeden Punkt der Erde fliegen konnte, wenn es die Nachforschungen erforderten. Er hatte unbegrenzte Mittel zur Bezahlung von Spitzeln und Informanten aller Art, es war ihm sogar gelungen, einen hohen Polizeibeamten auf den Jungferninseln zu bestechen, indem er die Zuwendungen der Rauschgiftschmuggler überbot. Warum wurde er dann den quälenden Verdacht nicht los, daß auch er selbst irgendwie gekauft war? Er wickelte den größten Fall seines Lebens ab. Wenn man ihn also für etwas bezahlte, das er aus tiefster persönlicher Überzeugung tat, was war falsch daran? Dieses fast schon ins Philosophische weisende Problem -291-
konnte im Moment nicht bewältigt werden, als er nun hinter einem Schaltpult in Adams' mit allen Schikanen eingerichteten Kommunikationszentrum saß. Neben ihm war ein Techniker postiert, der die elektronischen Apparaturen bediente. Wenn Kenney nach links blickte, sah er die große Weltkarte an der Stirnwand, samt einem Schema der Zeitzonen. Vor sich hatte er eine Reihe von TV-Monitoren. An einem Schreibtisch vor Kenney saß Bill Adams, den Pressevertretern zugewandt, die er eingeladen hatte, indirekt Augenzeugen der, wie er hoffte, bisher größten Offensive gegen den Drogenhandel zu werden. Wenn Adams Erfolg hatte, würde das gesamte, den Nahen Osten und Amerika umfassende Rauschgiftsyndikat lahmgelegt werden. Kenney konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Politiker, der sich nun erhob, um eine Ansprache an die versammelten Journalisten, Fotografen und Fernsehkamerateams zu richten. „Meine Damen und Herren, es tut mir leid, daß wir Ihnen gewisse einschränkende Bedingungen stellen mußten, aber das ist die einzige Möglichkeit, Ihnen die Endphase aus erster Hand zu bieten. Unsere Aktion gegen einen bestens organisierten kriminellen Machtapparat wäre zum Scheitern verurteilt, wären Informationen verfrüht durchgedrungen.“ Er blickte auf seine Uhr. „Nun ist es zehn. Wir haben Grund zu der Hoffnung, daß bis morgen alles abgeschlossen ist, aber wenn unsere Operation keinen Erfolg zeitigen sollte, werden wir sie bitten müssen, zu bleiben. Das also ist -“, er lächelte der Presse verbindlich zu, „die Bedingung, von der wir, sosehr wir es bedauern, nicht abgehen können. Wenn jemand von Ihnen glaubt, daß er nicht bis zum Ende hierbleiben kann, dann steht es ihm selbstverständlich frei, jetzt zu gehen.“ Fragend überschaute Adams die Gruppe, doch niemand traf Anstalten, den Raum zu verlassen. -292-
„Um so besser.“ Er wandte sich zu dem Schaltpult. „Sie alle wissen, wer Detektiv Patrick Kenney ist. Wahrscheinlich haben die meisten von Ihnen das Buch über seine Tätigkeit im Rauschgiftdezernat der New Yorker Polizei gelesen. Mr. Kenney und ich, wir arbeiten seit vielen Monaten gemeinsam auf das Ziel hin, die Macht und den Einfluß des internationalen Rauschgiftringes zu brechen, der große Mengen von Drogen in unser Land bringt, die Bevölkerungsstruktur dadurch schwächt und die Schuld am rapiden Anstieg der Suchtgiftfälle trägt.“ Pat stand auf und nickte grüßend. Adams fuhr fort. „Nach Abschluß dieser Aktion wird er Ihnen eine Zusammenfassung der Ereignisse geben.“ Dann wies er auf einen Mann mittleren Alters mit steinerner Miene, kurzgeschnittenem grauem Haar und drahtiger Figur, der den Techniker auf der anderen Seite flankierte. „Darf ich Ihnen nun Mr. Jackson Potter vom New Yorker Büro des Bundesamtes für Rauschgiftbekämpfung vorstellen. Wir haben unsere Nachforschungen mit seiner Dienststelle koordiniert, und alle Verhaftungen, die Sie in der Folge sehen werden, werden von seinen Agenten durchgeführt.“ Der Genannte erhob sich zu einer knappen Verbeugung. Kenney bemerkte, daß in der vordersten Reihe des Pressesektors auch Brad Kendall saß. Er war dem Präsidenten der Hotelkette in letzter Zeit mehrmals begegnet, vermutete politische Verbindungen zwischen den beiden und erwartete, daß Adams Kendalls Anwesenheit erwähnen würde, aber der Repräsentant verlor kein Wort darüber, sondern nahm seinen Kommentar wieder auf. „Meine Erhebungen brachten eine kaum bekannte Tatsache zutage. Das Syndikat, das wir beobachteten, operiert nach bisher noch nie aufgedeckten Methoden. Wenn in einem bestimmten Bereich Aktionen gestartet werden sollen, dann laufen simultan auch hier und in Europa welche an, gleichsam Offensiven an allen Fronten. Wie wir ermittelten, liegt der Grund dafür in einer -293-
sehr klugen strategischen Erwägung: Falls eine dieser Aktionen etwa durch Verrat vereitelt wird, sind immerhin alle anderen bereits abgeschlossen, bevor Gegenmaßnahmen auf breiter Basis gesetzt werden können. Denn die Spitzen des Syndikates halten es für völlig unmöglich, daß der gesamte Apparat sowohl in Amerika wie in Europa je unterwandert, erschüttert und zerschlagen werden könnte. Doch genau das haben meine Spezialkräfte erreicht, zum ersten Mal in der Geschichte der Verbrechensbekämpfung! Unter Führung von Mr. Kenney, der meiner Gruppe von der New Yorker Polizei zugeteilt wurde, und Mr. Potter ist es uns gelungen, die Schlüsselfiguren des Syndikats - Bosse, Schmuggler und Großverteiler - zu identifizieren. Sehr bald werden Sie, meine Damen und Herren, die Resultate dieser Bemühungen mit eigenen Augen sehen.“ Auf der Projektionsfläche erschien das Bild eines Trawlers vor dem Hintergrund einer malerischen Hafenszenerie. „Das ist unser erstes Ziel“, erklärte Adams. „Dieses Foto wurde von einem Agenten vor zwei Wochen aufgenommen, es zeigt ein Schiff, das einem korsischen Rauschgifthändler namens Robert Tradeux gehört. Im Moment kreuzt Tradeux vor Marseille, wo er etwa tausend Pfund Morphinbase aus dem Libanon zwecks illegaler Weiterverarbeitung zu Heroin abliefern will. Wie Sie auf der Weltkarte sehen, ist es nun an der Riviera vier Uhr morgens, in etwa eineinhalb Stunden wird dort die Sonne aufgehen. Dann werden Agenten aus Mr. Potters Büro gemeinsam mit der französischen Polizei den Trawler stoppen und durchsuchen. Die Säcke mit den Morphinkristallen befinden sich hinter den Schotten im Laderaum des Fahrzeugs.“ Das Bild des Schiffes verschwand. „Nun schalten wir auf Liveübertragung vom Kennedy-Flughafen, wo eine versteckte TV-Kamera installiert wurde.“ Man sah einen Raum, der offenbar eine Zollsperre war. „Vor einigen Minuten landete eine Air-France-Maschine nach dem Nonstopflug von Paris. Unter den Passagieren war ein -294-
Mann namens Jorge Ramirez. Er ist der UNO-Delegierte des lateinamerikanischen Kleinstaates Santo Morango. Als solcher genießt er demnach diplomatische Immunität. In wenigen Sekunden werden Sie sehen, wie er die Abfertigung für Inhaber von Diplomatenpässen passiert. Sie werden ihn selbst erblicken. Durch Informanten wissen wir, daß er mehr als 100 Pfund reines Heroin ins Land bringt. Nach der weiteren Aufbereitung und Abfüllung in sogenannte “5-Dollar-Pops“, wie sie auf den Straßen gehandelt werden, hat diese Menge einen Verkaufswert von fünfunddreißig Millionen Dollar. Ebenfalls heute, und zwar abends, trifft ein Kurier aus St. Croix auf den Jungferninseln mit hundert Pfund Heroin auf dem Flughafen Miami ein. Er hat keine Schwierigkeiten zu gewärtigen, da St. Croix zu den USA gehört, Einreisende von dort also nicht der Zollkontrolle unterliegen. Wie sich erwies, war St. Croix mehrere Jahre lang der günstigste und gefahrloseste Umschlagplatz für den illegalen Heroin- und Kokain-Import.“ Adams blickte gespannt zur Projektionsfläche. Allmählich belebte sich die Szene. Einige Personen, gefolgt von Gepäckträgern, betraten den Raum, zeigten den Beamten ihre Pässe und wurden ohne Kontrolle der Koffer durchgelassen. „Da kommt Ramirez!“ rief Adams aufgeregt. „Diese Sequenz wird auf Videoband aufgezeichnet und steht nach Abschluß der Aktion allen Vertretern von TV-Stationen zur Verfügung.“ Mit Christa und einem Träger, der die sehr robust wirkenden Koffer des UNO-Delegierten auf einem Rollkuli schob, näherte sich Jorge, wies die beiden Diplomatenpässe vor und ging Arm in Arm mit seiner Freundin ins Freie. „Es war eigentlich dieses Mädchen, das mich auf seine Spur brachte“, kommentierte Kenney. „Mein Informant gab an, wir sollten nach einem lateinamerikanischen Diplomaten mit sehr attraktiver Begleiterin Ausschau halten.“ -295-
Auf der Fläche wechselte die Einstellung, sie zeigte nun den Sonderausgang des Ankunftsgebäudes. Vor dem UNODelegierten stoppte eine elegante Limousine. Der Fahrer öffnete die Türen, Ramirez half Christa beim Einsteigen. Dann bedeutete der Fahrer dem Träger, den Kuli näher heranzurollen. Er öffnete den Kofferraum und hob selbst die beiden großen schweren Gepäckstücke hinein. „Sogar wenn wir wollten, könnten wir Ramirez dort nicht verhaften“, erklärte Adams. „Seine diplomatische Immunität gilt für den Stadtbereich von New York City, wo er akkreditiert ist. Auf den Flughafen entsandte Agenten werden die Verfolgung aufnehmen.“ Rasch glitt die Limousine aus dem Bildfeld. An einem Telefon auf Adams Schreibtisch leuchtete ein rotes Signal auf. Er hob ab und hörte schweigend zu. Auflegend berichtete er: „Unsere Beamten melden, daß sie Ramirez nachfahren. Auf der Strecke bis zur Stadt sind eine Reihe von Wagen ohne Polizeikennzeichen postiert, sie werden abwechselnd der Limousine folgen, etwa nach Art einer Stafette - abwechselnd deshalb, damit Ramirez keinen Verdacht schöpft. Ich werde Sie über die weitere Entwicklung auf dem laufenden halten. Wenden wir unsere Aufmerksamkeit jetzt dem Stadtteil Harlem zu. Dort bahnte sich in den letzten Tagen eine Panik an. Heroin war Mangelware, und in allen Ghettobereichen sind die Süchtigen sehr beunruhigt, ja verstört, sie befürchten, daß ihre Quellen versiegen, bevor neue Lieferungen eintreffen. Ein deutlicher Anstieg von Straßendelikten und Diebstählen ist zu verzeichnen, da die Süchtigen unter allen Umständen zu Geld kommen wollen, um sich noch eindecken zu können. Liefe nicht unsere Aktion, dann würde noch vor Ablauf der Nacht mindestens die Hälfte des Quantums, das Ramirez nach New York einschmuggelt, in die geheimen Labors geschafft werden. Wir hoffen aber, diese Ladung zu einem Köder umzufunktionieren, der uns auf die Spur von Ramirez zu den -296-
amerikanischen Importeuren und von diesen zu den wichtigsten Großverteilern führt, so daß wir die ganze Kette aufrollen können. Vor allem geht es uns darum, einen bestimmten Händler in New York mit Beweismaterial zu fassen. Der Mann heißt Pergamon Antilles, ein Neger. Nun wird die italienische Organisation, die mit Ramirez und der französischen Gruppe in Verbindung steht, versuchen, bis zum Morgen die gesamte Menge weiterzugeben. Aus einem Quantum, für das sie in Frankreich vielleicht 400.000 Dollar bezahlten, würden diese Leute etwa eineinhalb Millionen herausschlagen. Bisher lieferten ihnen die französischen Mittelsmänner in New York das Heroin, wo es wesentlich teurer zu stehen kam. Nun sind sie draufgekommen, daß es weitaus vorteilhafter ist, den Schmuggel selbst in die Hand zu nehmen. Es kostet weniger, der Transport ist sicherer, und man muß nicht befürchten, daß der Franzose unvorsichtig wird und seine Auftraggeber kompromittiert. Wir haben hier einen aus zwei getrennten, aber gleichrangigen Gruppen gebildeten Ring vor uns. Es gibt die Europäische und die Amerikanische Sektion, jede unter einem eigenen Boß. Wir glauben, daß wir heute abend die beiden Spitzenmänner bei einer Art Rauschgift-Gipfelkonferenz fassen werden.“ Adams stand auf und trat zur Weltkarte. „Die zwei französischen Bosse - eigentlich Korsen - haben gestern Paris verlassen.“ Er wies mit einem Zeigestab auf den Punkt. „Sie flogen nach Montreal.“ Adams zog die Route nach. „Im Zusammenwirken mit der Royal Canadian Mounted Police überwachen wir die beiden seit dem Moment der Landung. Wir müßten nun jede Minute die Meldung erhalten, mit welcher Maschine sie nach New York weiterfliegen.“ Im Kontrollzentrum, ein Stockwerk höher als Adams' Kommunikationsraum, verfolgten drei Männer den Verlauf der Aktion: Maurice D'Estang, der geniale Julius und Dino Larucci, -297-
Consigliere und engster Vertrauter der “Pranke“. „Nach allem, was wir uns den Zauber kosten lassen, soll dieser Bajazzo Adams zusehen, daß er gewählt wird. So ein Armleuchter!“ murmelte Larucci. „Für die Journalisten macht er es jedenfalls spannend. Sie schließen Wetten ab, daß er es nicht schafft.“ Grinsend nahm D'Estang die Zigarette aus dem Mund. „Ohne unsere Hilfe würde es ja auch eine Riesenpleite.“ „Hoffentlich erwischen sie Pergamon Antilles“, schnaubte Larucci. „Seit der so groß geworden ist, spielt er den Tarzan.“ „Die haben die Limousine verloren!“ rief Julius plötzlich. „Was? Verloren?“ „Die Verfolger haben so viel Abstand gehalten, daß ihnen der Wagen durch die Lappen ging.“ „Dieser Ramirez ist ein gerissener Bursche“, sagte D'Estang. „Aber eben doch nicht gerissen genug. Er wollte mehr Geld und deutete an, daß er uns Ärger machen könnte, falls wir uns nicht großzügiger zeigten. Sein Fehler.“ „Er hat Forno, einen der besten Fahrer in der Branche“, fügte Larucci hinzu. „Der geht immer von der Voraussetzung aus, daß er beschattet wird, und keiner kann sich so geschickt überall durchschlängeln wie er.“ „Laßt den Kerl in der Luft hängen“, riet Larucci. Der geniale Julius, mit seinen Kopfhörern noch grotesker als sonst, kicherte fistelig in sich hinein. „Die Damen und Herren von der Presse werden schon unruhig.“ „Fünf Funkwagen - und verlieren den Schlitten aus den Augen!“ murrte D'Estang. „Aber unser Mann mit dem Einsatzkommando wird Adams herausreißen. Ein Beweis für mein Prinzip: man muß alles hundertprozentig absichern, eben trottelsicher.“ Er ging zum Schaltpult, an dem der geniale Julius saß. „Holen Sie auf der Spezialfrequenz Dan Gason. Sagen Sie -298-
ihm, er soll zum Pierre Hotel sausen und dort auf Ramirez warten. In Queens wird der Fahrer vom Cadillac auf einen braunen Mercedes 280 umsteigen. Gason wird sich eine Begründung ausdenken müssen, wieso er sie trotzdem wieder kriegte.“ Unten im Kommunikationsraum starrte Adams hilflos die Journalisten an. „Offenbar - es hat den Anschein, daß die Agenten noch keine neuerliche Fühlung mit Ramirez' Wagen haben.“ Sein vorwurfsvoller Seitenblick streifte Potter, der erregt ins Telefon sprach. Brad merkte, daß die Reporter begannen, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Sie schienen sich zu fragen, zu welcher Farce sie da eingeladen wurden. Brads schlimmste Befürchtungen bestätigten sich. Zunächst hatte Adams schon an sich recht geringe persönliche Ausstrahlung. Und nun erlitt er auch noch gleich am Anfang seiner Glanznummer so kläglich Schiffbruch. Irgend etwas mußte geschehen, um das Interesse und Vertrauen der Presse wiederzugewinnen und die Situation zu retten. Brad stand auf. „Mr. Adams, ich habe eine Frage.“ Der Politiker nickte skeptisch. „Und die wäre, Mr. Kendall?“ „Würde uns Detektiv Kenney über dieses Beobachtungssystem Genaueres sagen, ich meine, wie es funktioniert und wo die Gefahrenmomente liegen, daß man die Spur eines Verdächtigen verliert.“ Adams funkelte diesen harmlos dreinblickenden Störer rügend an. Zum Teufel, hier war er, der künftige Senator, die Hauptperson und nicht Kenney oder Potter. Wie kam Kendall, der nur als politischer Berater für die Kampagne zu fungieren hatte, denn dazu, sich einzumischen und ihm die Show zu stehlen? Doch Brad war durch Adams' mangelnde Bereitschaft, auch -299-
einen anderen ins Rampenlicht treten zu lassen, nicht so leicht abzuschrecken. „Ich glaube, uns alle interessieren die Ansichten eines so gewiegten Kriminalisten wie Mr. Kenney zu diesem Fall. Was hält er davon?“ „Jawohl, Kenney soll reden, während die da draußen hinter der Karre her sind“, sekundierte ihm ein Journalist. Zustimmendes Gemurmel aus den Pressereihen bewog Adams, sich an den Detektiv zu wenden. „Mr. Kenney, würden Sie bitte unseren Gästen zur Abrundung des vorläufigen Sachverhalts weitere Informationen geben?“ Pat trat in die Mitte des Raumes. Schon sein rotes Haar über der hohen kräftigen Gestalt zog alle Blicke auf sich. „Unser Problem heute abend besteht darin, daß wir der bewußten Limousine besonders unauffällig folgen mußten. Wir wissen, daß Ramirez sehr vorsichtig ist, und zweifellos schickte man den besten, fixesten Fahrer, um ihn und seine Begleiterin vom Flughafen abzuholen. Unter solchen Bedingungen kann es sehr leicht geschehen, daß ein verfolgter Wagen Vorsprung gewinnt, selbst bei Einsatz mehrerer Funkstreifen. Das war nun in Queens der Fall. Unsere eigenen Fahrzeuge sind auf der Suche ausgeschwärmt.“ „Glauben Sie, daß Ihre Leute Ramirez wiederfinden werden?“ fragte ein Reporter. „Schwer zu sagen. In solchen Fällen genügt schon ein unbewachter Augenblick, damit ein Fahrer das Zeug seinem Komplizen übergibt, und wenn wir ihn auch später stellen - das Belastungsmaterial ist weg.“ Spontan fiel ihm Adams ins Wort. „Ich meine, wir dürfen hoffen, daß wir die Limousine nun jeden Moment erfassen werden“, verkündete er, aber der Ton seiner Stimme strafte diese optimistische Erklärung Lügen. „Eine andere Taktik eines guten Fahrers“, sagte Pat, den Einwurf des Politikers ignorierend, „er biegt plötzlich um eine -300-
Ecke, verschwindet in einer bereitstehenden Garage, wechselt dort den Wagen, saust beim anderen Tor heraus und hat die Verfolger abgeschüttelt.“ „Gehe ich recht in der Annahme, daß Ihre ganze heutige Aktion im Eimer ist, wenn das wirklich geschieht?“ fragte eine hübsche junge Gerichtssaalreporterin spöttisch. „Wir sind hinter mehreren anderen Verdächtigen her, die uns den Weg zum selben Ziel zeigen werden“, erwiderte Kenney. „Allerdings ist Ramirez zunächst der wichtigste Faktor in unserer Rechnung. Ich glaube, Mr. Potters Beamte werden ihn wieder aufstöbern.“ Doch das glaubte er keineswegs. Zu oft hatte er schon ähnliche Situationen erlebt. Es wäre ein Wunder, wenn sie den Schlitten noch erwischten, solange Ramirez mit seinen Koffern voll Heroin drin saß. Kenney spürte, daß sich seine eigene unausgesprochene Skepsis auf die Pressevertreter übertrug, und um die Lücke im Ablauf der Ereignisse zu füllen, setzte er seine Erörterungen rasch fort. „Sie müssen sich vor Augen halten, daß wir sechs verschiedene Aspekte zu berücksichtigen haben. Erstens: wir wissen, daß am Morgen zwei Franzosen in Montreal eintreffen. Unsere kanadischen Freunde, die “Mounties“ nehmen die Beobachtung auf. - Zweitens: Ramirez ist mit hundert Pfund Heroin unterwegs nach New York City. Dieses Quantum wird er einer Schlüsselfigur bringen, wahrscheinlich derselben Person, die auch die Franzosen aufsuchen wollen. Drittens: irgendwann heute abend kommt ein Kurier aus St. Croix in Miami an. Über ihn werde ich Ihnen später mehr sagen. Er wird mindestens hundert Pfund Heroin bei sich haben, außerdem möglicherweise bis zu dreißig Pfund Kokain für den Drogenmarkt von Chicago. - Viertens: durch Informanten erfuhren wir, daß die Hauptlabors, die für Pergamon Antilles arbeiten, eine avisierte Lieferung erwarten. Und fünftens wissen wir, daß dieser Trawler in den nächsten Stunden jederzeit mit einer großen Ladung Morphinbase vor -301-
Marseille auftauchen kann. Der sechste Faktor ist das Syndikat in seiner Gesamtheit. Sie haben vom Kongreßabgeordneten Adams gehört, daß diese Organisation immer Simultanaktionen plant. Demnach müßten wir bei konsequenter Auswertung solcher Anhaltspunkte unser Ziel erreichen, denn jedes dieser Einzelelemente führt zur Wurzel, die verschiedenen Fäden laufen in einem Knoten zusammen: der Zentrale, dem Impulsgeber, der obersten Plattform des Drogensyndikats. Wenn wir sie ausschalten, können wir hoffen, den Nachschub an gefährlichen Drogen zu unterbinden, mit denen unser Land allmählich vergiftet werden soll.“ Nach kurzem Schweigen brach spontaner Applaus los, der ebenso plötzlich verstummte, als Potter mit dem Telefonhörer am Ohr Adams zu sich winkte. Bei der eiligen Mitteilung hellte sich die Miene des Abgeordneten auf, schließlich wandte er sich strahlend an die Presse. „Soeben erfahre ich, daß einer von Mr. Potters Agenten Ramirez, dessen Begleiterin und den Lenker lokalisierte. Die drei haben tatsächlich den Wagen gewechselt und fahren in diesem Moment beim Pierre Hotel Ecke 5th Avenue einundsechzigste Straße vor.“ „Hoffentlich haben sie das Zeug noch bei sich“, murmelte Kenney. „Können Sie uns den Namen des betreffenden Beamten nennen? Und wie gelang es ihm, die Spur wiederzufinden?“ fragte ein Reporter. „Ich werde Mr. Potter bitten, Sie so bald als möglich darüber zu informieren“, erwiderte Adams, sichtlich erleichtert, daß diese kritische Situation bereinigt schien. Nach kurzer Rücksprache mit Potter fügte er hinzu: „Ramirez hat den neuen Wagen, einen Mercedes, verlassen und das Hotel betreten. Der Fahrer und ein Hoteldiener verstauten das Gepäck auf einem Kofferkuli, der hinterdrein gerollt wird. Der Agent, der den -302-
Diplomaten schließlich aufspürte, befindet sich ebenfalls im Hotel und wird feststellen, welches Zimmer Ramirez aufsucht. Nun fährt der Mercedes weg, das Mädchen sitzt allein darin, der Wagen wird weiterhin beschattet.“ Kenney ging zum Pult, nahm einen Kopfhörer, horchte gespannt und trat wieder vor. „In etwa zehn Minuten wird die Maschine aus St. Croix in Miami landen“, erklärte er. „Während der letzten Monate verbrachte ich viel Zeit dort unten im Süden, um zu ermitteln, wie Heroin und Kokain auf die Insel gelangen, wer die Drogen dann aufs Festland schafft und wohin. Natürlich arbeitete ich in geheimer Mission, mit Hilfe eines alten Freundes aus dem Rauschgiftdezernat, der nun leitender Polizeibeamter auf dem Archipel ist. Dank seiner Unterstützung fand ich die richtigen Kontakte und geriet an einen Mann namens Karl Echeverrea Brandt. Er ist halb Deutscher, halb Lateinamerikaner und wurde nach fünfjähriger Dienstzeit in der Armee, wo er sich als Dolmetscher nützlich machen konnte, US-Bürger. Heute hat er sehr gute gesellschaftliche und geschäftliche Verbindungen auf den Jungferninseln. Brandt ist eine sehr zwielichtige Erscheinung, einer der größten Rauschgiftschieber im Karibischen Raum. Nun sitzt er also mit der Ladung im Flugzeug. Wir erwarten ihn.“ Adams meldete sich wieder zu Wort. „Ramirez ließ sein Gepäck in das Zimmer Nr. 1801 bringen. Wir konnten feststellen, daß es unter dem Namen Joseph Sterrato gemietet ist, und recherchieren über diesen Mann.“ Auf der Bildfläche erschien das Portal des Pierre Hotels. „Dort parkt einer unserer Wagen mit KurzschlußFernseheinrichtung. Selbstverständlich getarnt. Wir wollen festhalten, wer aus und ein geht. Außerdem beobachten Agenten die achtzehnte Etage, wo Sterratos Zimmer liegt.“ D'Estang feixte. „Na also, jetzt haben die Brüder wieder alles -303-
unter Kontrolle.“ „Aber sie werden nochmals danebengreifen, dieser Brandt ist aalglatt“, konterte Larucci rauh. „Ich habe den besten verfügbaren Mann für Kenneys Team in Miami abgestellt“, erklärte Maurice. „Er heißt Bebbi, ein Libanese. Aus eigener Erfahrung kennt er alle Schmugglertricks. Das FBI allein hätte keine Chance.“ Den Zigarettenstummel im Aschenbecher ausdrückend, trat er rasch zum Pult des genialen Julius. „Was tut sich in Strega-Joes Zimmer?“ „Alles in Ordnung. Gerade haben sie die Säcke gezählt und in zwei anderen Koffern verstaut. Joe blättert Ramirez die Transportspesen hin.“ „Gut so. Der Stoff muß sofort aus dem Zimmer geschafft werden. Wir haben Sterrato versprochen, daß er nicht im Besitz von Belastungsmaterial erwischt wird. Wo sind Falcon und der Neger?“ „Genau dort, wo sie sein sollen, an der Ecke sechzigste Straße - 5th Avenue. Sie warten, bis Ramirez das Hotel verläßt. Dann gehen sie sofort hinauf - Scheiße! Adams kriegt es mit der Angst zu tun.“ D'Estang fuhr auf. „Was heißt das?“ „Er bittet Potter, Sterrato gleich zu schnappen. Er fürchtet, daß die Gesamtaktion platzt, da will er sich zumindest einen Teilerfolg sichern.“ Brad wußte nicht, was beim Schaltpult vorging. Alles schien richtig zu laufen, weshalb nun plötzlich diese leisen Erörterungen? Dann hörte er das Signal des kleinen “Bips“Gerätes, das er in der Tasche trug. Er stand auf und trat zu Adams, der mit gerunzelter Stirn aufblickte. „Ich komme gleich zurück.“ Er beugte sich zum Ohr des Politikers. „Cervi möchte mich sprechen.“ -304-
Brad verschwand in die Vorhalle. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, da öffnete Maurice schon von außen den Notausgang zur Feuertreppe. „Der Kerl da drin ist ja bescheuert!“ flüsterte der Korse erregt. „Er möchte das Zimmer jetzt gleich durchsuchen lassen, nur weil er glaubt, sonst geht alles schief und er blamiert sich vor der Presse.“ „Ich werde ihn davon abbringen.“ „Aber schleunigst!“ Unauffällig schlüpfte Brad wieder hinein, genau im richtigen Moment, denn er hörte Adams sagen: „Okay, Mr. Potter, Falle zu!“ „Nein, keine Verhaftung!“ Laut hallte Brads Stimme durch den Raum. Potter wirbelte bei diesem gebieterischen Zwischenruf auf seinem Drehstuhl herum. „Kommen Sie mit mir ms Konferenzzimmer“, sagte Brad leise zu dem verblüfften Abgeordneten, und zu Kenney: „Pat, lenken Sie die Presse mit weiteren Kommentaren zum Fall ab.“ Adams wollte protestieren, doch Brad faßte ihn beim Arm und zischte ihm ins Ohr: „Entscheidung von ganz oben. Los!“ Die beiden gingen in den Nebenraum. „Was soll das heißen?“ begann Adams gereizt. „Sie sind nicht ermächtigt, in die Angelegenheiten eines Kongreßausschusses einzugreifen!“ „Sachte, Bill. Sie wissen doch, wer Ihnen diesen ganzen Zirkus ermöglicht. Der Karren ist wieder flott, wozu also die Aufregung? Jetzt nur keine übereilten Schritte. Lassen Sie die Dinge laufen, dann kriegen Sie alle. Wenn Sie aber Sterrato jetzt packen, dann geht nur er verschütt, doch der internationale Ring platzt nicht, und dazu haben Sie doch schließlich die Journalisten hergeholt.“ „Wir hatten Glück, daß nicht alles platzte, als Ramirez die -305-
Verfolger abschüttelte“, belferte Adams. „Angenommen, das geschieht absolut nicht! Aber so kriegen wir zumindest ein Quantum Rauschgift und überraschen Sterrato, solange er das Zeug noch hat.“ „Bill, ich rate Ihnen, bleiben Sie bei dem ursprünglichen Plan. Alles wird klappen.“ „Und wenn nicht? Dann ist meine Wiederwahl ernstlich in Frage gestellt, und falls ich meinen Posten doch behalten sollte, wird man im Kongreßausschuß sicher auf meine weitere Mitarbeit verzichten.“ Er starrte Brad feindselig an. „Ich weiß gar nicht, warum ich mir das alles überhaupt angetan habe, diesen Presserummel samt elektronischem Brimborium. Als Ramirez verschwand, wurde mir endlich klar, welche Schnapsidee ich mir da von Ihnen einreden ließ!“ „Ach so? Sie wollten doch unbedingt ans Ruder. Sie konnten es gar nicht erwarten!“ Zornig stieß Brad die Worte hervor. „Gehen Sie jetzt wieder hinein und spielen Sie vom Blatt, sonst wird Sie die Presse wirklich am Boden zerstören. Man wird sagen, Sie hätten eine große Show aufgezogen, um Ihre Chancen für eine Senatskandidatur zu verbessern, aber mittendrin springen Sie aus.“ Gequält glotzte Adams ins Leere. „Ich glaube, nun gibt es für mich sowieso kein Zurück mehr.“ „Zeigen Sie es nicht, Bill. Sie sind William Fortune Adams, der Mann, der die USA überzeugt, warum er zum Senator, ja zum Präsidenten gewählt werden sollte.“ „Sie haben recht.“ Adams richtete sich zu seiner ganzen, nicht unbeträchtlichen Höhe auf, schob das Kinn vor und betrat mit entschlossener Miene den Kommunikationsraum, gefolgt von Brad. Pat Kenney fesselte die Presse mit seinen Schilderungen über den Einsatz von Informanten und Geheimagenten im Kampf gegen den Rauschgifthandel. „Bei meinem größten Fall gab es -306-
nur eine einzige Möglichkeit, die Aktion erfolgreich durchzuführen und die hundertzwanzig Pfund Heroin abzufangen“, sagte er gerade. „Wir mußten Mickey Bocca zum Sprechen bringen. Sie wissen, das war der Mann, den wir die ganze Zeit beobachtet hatten. Als wir ihn schließlich in der Wohnung seiner Eltern stellten, samt seiner Frau, bei der wir zwanzig Pfund Heroin fanden, da hatten wir das Problem noch nicht gelöst.“ Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Wir wußten, irgendwo in der Stadt gab es noch hundert Pfund und eine Reihe französischer Bosse und Dons, die auf die Lieferung des Stoffes warteten. Was taten wir also? Wir nahmen Mickey in die Zange. Acht Stunden später vergaß er die Omerta, das ist das Schweigegebot der Cosa Nostra. Wir schlossen mit ihm einen Handel ab: seine Eltern und seine Frau bleiben ungeschoren, Mickey selbst kriegt die Mindeststrafe, dafür liefert er uns die Schlüsselfiguren aus, die wir suchen.“ Pat lachte bitter. „Nun, Mickey verriet uns die Franzosen, in deren Keller das Heroin versteckt war, und die Mitglieder seiner eigenen Mafia-Familie, die mit der Sache zu tun hatten. So zerschlugen wir das Syndikat, das es vor zehn Jahren gab. Es hat bis jetzt gedauert, ein neues aufzubauen, und dieses werden wir nach derselben Methode ausschalten, mit Hilfe von Zuträgern und Informanten.“ Adams trat vor. „Meine Damen und Herren, soeben erfahren wir, daß Ramirez das Zimmer Nr. 1801 verließ.“ Wieder erschien das Portal des Pierre Hotels auf der Projektionsfläche. Passanten gingen unter dem Vordach durch, der übliche Betrieb. Alle im Kommunikationsraum Anwesenden blickten gespannt hinauf. Kurz darauf kam Jorge Ramirez heraus, derselbe Mann, den sie bei der Sonderabfertigung des Kennedy-Flughafens gesehen hatten: vor dem Baldachin blieb er stehen. Den einen Koffer hatte er in der Hand, den zweiten trug ein Hoteldiener. Plötzlich rauschte eine Limousine heran. Der -307-
Fahrer sprang heraus, öffnete den Kofferraum, das Gepäck wurde verstaut, der Diplomat gab dem Diener ein Trinkgeld, dann stieg er in den Fond, und gleich darauf verschwand der Wagen aus dem Bildausschnitt. „Nach Mitteilungen unserer Informanten geschah folgendes: das Heroin aus Ramirez' Koffern wurde in Sterratos Zimmer deponiert. Dafür packte man die dort schon vorbereiteten Kleidungsstücke und Reiseeffekten ein. Gewiß werden Sie daran, wie Ramirez und der Junge mit den Koffern hantierten, bemerkt haben, daß diese nun viel leichter waren. Nun hatte ich zwei Alternativen.“ Adams holte das Äußerste an dramatischer Wirkung heraus. „Ich hätte Mr. Potter bitten können, eine Razzia in Sterratos Zimmer durchzuführen, ihn im Besitz des Belastungsmaterials zu verhaften und Ramirez noch dazu. Die andere Möglichkeit: abzuwarten, wer noch auftauchen mag, um sich mit Sterrato zu treffen. Wie Sie sehen, entschied ich mich für diese Taktik. Wir wollen das Syndikat in seiner Gesamtheit aufrollen, nicht nur ein einzelnes, wenn auch sehr wichtiges Rad der Maschinerie lahmlegen.“ „Mr. Adams.“ Zum ersten Mal meldete sich Potter zu Wort. „Soeben landet die Maschine aus St. Croix in Miami.“ „Ausgezeichnet“, erwiderte der Kongreßabgeordnete. „Bitte verständigen Sie uns, sobald Ihre Agenten Echeverrea Brandt auf dem Flughafen sichten.“ Er wandte sich wieder der Bildfläche zu. „Mal sehen, wer noch kommt.“ Maurice D'Estang stieß Larucci in die Seite. „Zweimal mußten wir die Aktion schon retten, dabei stehen wir erst am Beginn.“ „Ja, für Strega-Joe wäre es beschissen ausgegangen. Wenn sie ihn nicht mit der heißen Ware erwischen, kann er vielleicht rechtzeitig aussteigen.“ „Joe ist ein Mordskerl“, bemerkte der Korse anerkennend. -308-
„Und ein guter Steher.“ Larucci lachte. „Und ein richtiger Komödiant obendrein. Er wollte schon immer ein Star werden, eine große Nummer im Narkotikageschäft. Nun hat er die Chance, diese Rolle zu übernehmen. Wissen Sie, wieviel er für diese Harlekinade kriegt?“ „Was läßt Sal die Pranke springen?“ fragte D'Estang interessiert. „Wenn es Joe gelingt, die Polizei und die Presse zu überzeugen, daß er der Kopf des Heroinsyndikats in den USA ist, bekommt er 20.000. Außerdem noch 25.000 für jedes Jahr Freiheitsstrafe, und natürlich werden alle Anwalts- und Gerichtskosten bezahlt.“ „Du lieber Gott, für einen solchen Goldregen würde ich es auch riskieren.“ „Ach, Joe wird sich enorm fühlen, wenn er den Big Boß spielen darf. Und wenn alles vorbei ist, kann er beim Strega dem jungen Gemüse von den tollen Zeiten erzählen, als er der größte Rauschgifthändler der Ostküste war.“ Larucci trat zum genialen Julius und blickte auf den kleinen Monitor. „Wo, zum Teufel, bleiben Falconi und der Neger?“ „Die werden sofort kommen“, versicherte D'Estang. „Sie haben doch gesagt, alles ist bestens organisiert.“ „Und wenn schon, es kann immer was ins Auge gehen.“ „Abwarten, bis mein Kollege da unten Falconi zu sehen kriegt“, sagte Maurice geheimnisvoll. „Er wird verrückt werden.“ „Wieso denn?“ Larucci wurde neugierig. „Brad Kendall ist unser Ascot-Präsident, seine Tochter hat was mit Tony. Der hat sie süchtig gemacht.“ „Ach so! Ich habe mich schon gefragt, warum wir Falconi in diese Falle schicken. Wenn sie zuklappt, wird er lange sitzen.“ „Genau das will der Boß.“ -309-
„Hallo!“ rief der geniale Julius. „Pergamons Benzinkutsche fährt beim Hotel vor.“ Auf dem Bildschirm, der mit Adams' Gerät gleichgeschaltet war, sah man einen langen Lincoln Continental, der beim Baldachin des Portals hielt. Im Kommunikationsraum sprang Kenney auf. „Da sind sie!“ rief er, als die Fondtür des Wagens geöffnet wurde und ein ziemlich auffällig gekleideter großer junger Mann ausstieg. „Das ist Tony Falcon, und der Fahrer gehört dem engsten Kreis um Pergamon Antilles an.“ Brad, der wieder in der l. Reihe des Pressesektors saß, zuckte zusammen. Plötzlich waren die alten Zweifel wieder da. Seit der Rückkehr aus dem Fernen Osten hatte er nur für ein kurzes Gespräch mit Andrea Zeit gefunden. Ja, er hatte sie nach Falcon gefragt, und sie hatte ausweichend geantwortet, aber in dem Sinn, daß sie sich nach jener Party nicht mehr mit Tony getroffen habe. So oder so, nun war es auf jeden Fall zwischen ihr und diesem Halunken aus, dachte Brad und ertappte sich dabei, daß er mit verbissenem Gesicht stumm vor sich hin nickte. Tony wird hinter Gitter kommen. Einen Moment empfand Brad tiefe Dankbarkeit gegen Cervi. Der hatte es wohl so eingerichtet, daß diesem kriminellen jungen Tunichtgut das Handwerk energisch gelegt wurde. Während die Journalisten aufmerksam zusahen, wie Tony das Hotel betrat, nahm Adams telefonische Mitteilungen auf und gab sie weiter. „Die Royal Canadian Mounted Police meldet, daß die beiden unter Beobachtung stehenden Franzosen in Montreal eine Maschine bestiegen haben, die in eineinviertel Stunden in New York landen wird.“ Etwa eine Minute herrschte im Raum völlige Stille, gebannt starrten alle auf das Portal des Pierre Hotels. Dann sagte Kenney mit einem Hörer am Ohr: „Tony Falcon ist im Zimmer 1801.“ -310-
Die Fläche vor dem Atlantik leuchtete auf, das Bild zeigte einen anderen Flughafen. Jetzt ergriff Potter das Wort. „Karl Echeverrea Brandt betritt in diesem Moment den Miami Airport. Was Sie hier sehen, ist die Gepäckempfangshalle, wo Brandts Koffer bald durchkommen müssen. Wir werden ihn selbst sehen, wie er sie abholen will. Agenten werden ihn ständig beobachten.“ Zunächst sah die Presse allerdings nur harmlose Passagiere aus St. Croix, die sich ihr Gepäck ausfolgen ließen und abzogen. Von Brandt keine Spur. Als schließlich der letzte Koffer verschwand, stürzte Adams verstört zu Potter und fragte ihn, wo der Gesuchte denn sei. Ehe Potter antworten konnte, leuchtete das Signal an seinem Telefon auf. Sekunden später sagte er so laut, daß es auch die Presse hörte: „Brandt ging geradewegs in das Englische Pub des Flughafens. Dort sitzt er noch immer bei einem Gin Tonic.“ „Und was - was ist mit seinem Gepäck?“ stotterte Adams. „Keine Angaben darüber“, entgegnete Potter knapp. Adams starrte wieder auf die Bildfläche. „Aber es ist kein Koffer mehr da“, wandte er ein, obwohl das bereits jeder im Raum wußte. „Wir kommen noch auf Miami zurück“, begann Pat Kenney wieder. „Soeben verließ Tony Falcon das von Sterrato gemietete Zimmer im Pierre Hotel. Telefonisch holte er den Hausdiener hinauf, um zwei Koffer wegzuschaffen.“ Die Reporter widmeten nun ihre Aufmerksamkeit dem Portal. Tony erschien auf der Bildfläche. Er trat heraus, gefolgt vom Diener, der einen Gepäckkuli rollte. Der schwarze Fahrer hatte bereits den Kofferraum geöffnet. Anscheinend brauchte der Diener alle Kraft, um die beiden Stücke hineinzuheben. Tony gab ihm ein wie aus der Reaktion zu schließen war - sehr großzügiges Trinkgeld und stieg dann neben dem Lenker ein. „Dieses Auto müßte uns den direkten Weg zu Pergamon -311-
Antilles weisen“, kommentierte Kenney sichtlich befriedigt. „Wir haben vier Funkwagen auf die Limousine angesetzt. Diesmal werden wir sie nicht aus den Augen verlieren“, ergänzte der einsilbige Potter. „Miami ist am Draht.“ Lächelnd hielt Kenney einen Hörer ans Ohr. „Mein Agent meldete sich vorhin. Er hat Brandt ununterbrochen scharf beobachtet, seit dieser den Jet verließ. Beim Betreten des Ankunftsgebäudes streifte Brandt zufällig einen Puertoricaner, ging aber weiter. Der Puertoricaner blieb beim Eingang stehen, als erwarte er einen Passagier der Maschine.“ Mit stolzer Miene fuhr Kenney fort. „Der Mann, den ich vor einem Monat anwarb, glaubte, Brandt sei durchgeschlüpft, deshalb behielt er den Lateinamerikaner im Auge. Als die letzten Reisenden ausgestiegen waren, legte der Puertoricaner eine große Szene hin, weil sich seine Verwandten nicht an Bord befanden. Dann geht er zum Gepäckschalter, sammelt die restlichen beiden Koffer ein und verschwindet damit. Unser Mann folgt ihm bis zum Abflugdeck, und was sieht er dort? Der Puertoricaner gibt einen der Koffer einem Neger.“ Kenneys Erregung teilte sich dem Auditorium mit. „Nun muß unser Mann zwei Personen beschatten. Was tun? Zum Glück trifft er auf einen Agenten des Bundesamtes für Rauschgiftbekämpfung, der heftet sich an die Fersen des Negers. Unser Mann selbst geht dem Puertoricaner nach und sieht, wie der seinen Koffer für einen Flug nach Chicago aufgibt. Der Konfident bucht einen Platz im selben Jet und verständigt mich. Jetzt ist er bereits unterwegs.“ Kenney wandte sich zu Potter. „Ich glaube, es wäre am besten, Sie schicken einige Ihrer Leute aus dem Büro in Chicago zum Flug 21.“ „Wird geschehen“, erwiderte Potter. „Ich habe eine Meldung aus Miami. Der Neger buchte einen Flug nach Detroit, und mittlerweise verließ Brandt das Englische Pub. Er trägt einen -312-
großen Attachékoffer und über die rechte Schulter eine blaue PANAM-Tasche. Beide Stücke scheinen gewichtig zu sein. Nun geht er auf den Schalter der Northeast Airlines zu.“ Kurzes Schweigen, die Reporter machten sich Notizen. Potter blieb auf Brandts Spur. „Er buchte den Flug 62 nach New York. Entsprechende Überwachung und Verständigung an New York.“ Als die Spannung im Raum wuchs, meinte Adams, es sei an der Zeit, sich wieder ins rechte Licht zu setzen, gleichsam als Impulsgeber zu figurieren. „Wir folgen nun fünf Verdächtigen auf vier verschiedenen Inlandflügen“, resümierte er. „Im Moment beschatten Beamte den Wagen des Mannes, der Sterratos Hotelzimmer aufsuchte. Offenbar hat die Limousine ein Ziel in Harlem. Wir vermuten, daß ein Teil des Quantums, vielleicht sogar die Hälfte, also fünfzig Pfund Heroin, dort deponiert werden soll, das übrige an anderen Punkten von New York City, wahrscheinlich im Stadtteil Bedford-Stuyvesant. Das wird eine besonders schwierige, heikle Operation. Wir müssen den Ort, wo die eine Hälfte abgeliefert wird, beobachten, der Limousine zum nächsten Versteck folgen, auch dieses überwachen und dann den Wagen unauffällig stellen, um die beiden Insassen zu verhaften. Wir befürchten, daß Sterrato gewarnt wird, wenn wir zu früh zupacken und der von ihm erwartete Treff mit den beiden Franzosen und Brandt unterbleibt.“ Auch Potter hatte wieder etwas zu sagen. „Die zwei Männer parkten vor der Mietkaserne 278 West einhundertsechsundzwanzigste Straße und trugen einen der beiden Koffer hinein. Einer unserer schwarzen Agenten folgte ihnen.“ Schweigend harrten die Journalisten der weiteren Ereignisse in Harlem. Adams, Kenney und Potter unterhielten sich leise am Pult, dann trat Adams wieder vor. „Die beiden Männer mit dem Koffer voll Heroin haben ein Apartment in der 2. Etage des -313-
Hauses betreten. Wir wissen nicht, welches, aber eines steht fest: dort wird der Großverteiler von Harlem die Substanz auf ihren Reinheitsgrad prüfen, bevor er bezahlt. Der weiße Kontakter, Tony Falcon, wird sich von der Echtheit der Geldscheine überzeugen und die Summe dann auftragsgemäß an das Syndikat abliefern, vermutlich durch Sterrato.“ Adams blickte die fasziniert zuhörenden Journalisten an. „Im Idealfall würden wir diesen Tony Falcon natürlich gern auf dem ganzen Weg und zurück bis zu Sterrato im Auge behalten. Aber unser wichtigster Fang ist der Neger, der den Drogenmarkt in Harlem kontrolliert. Völlig verfehlt wäre es, in der betreffenden Etage an alle Wohnungstüren zu schlagen und Einlaß zu fordern. Dadurch würde der Gesuchte nur alarmiert und hätte noch Zeit, zu flüchten. Deshalb werden wir als Verstärkung für den dort eingesetzten Agenten einen zweiten hinbeordern, auch einen Neger. Wenn Falcon herauskommt, werden die beiden verhindern, daß die Tür geschlossen wird, und alle Personen verhaften, die sich in der Wohnung befinden. Vor dem Haus werden weitere Beamte bereitstehen, um den beiden im entscheidenden Augenblick zu helfen. Da wir ganz sicher gehen müssen, wird sich einer der Agenten, die das Pierre Hotel überwachen, in der Telefonvermittlung postieren und dafür sorgen, daß keine Anrufe aus Harlem an das Zimmer Nr. 1801 weitergeleitet werden.“ Stumm schrieben die Journalisten mit, während Potter vom Schaltpult aus Weisungen an seine Leute im Negerviertel durchgab. Adams hatte noch eine Überraschung parat. „Der zweite Geheimagent trägt ein Mikrofon bei sich. Sie, meine Damen und Herren, werden also zumindest Ohrenzeugen der Verhaftung sein.“ Er winkte dem Techniker. „Bitte, volle Lautstärke.“ -314-
Von einem Summen unterbrochen, erfüllte der Dauerton den Raum. Dann hörte man das unverwechselbare Geräusch von Schritten auf einer knarrenden Treppe. „Er nähert sich der Etage“, kommentierte Adams, atemlos lauschend. Nun ein anderes Geräusch, als der Beamte durch den Korridor ging. Ein kaum verständliches, im Flüsterton geführtes Gespräch, schließlich sagte der Negeragent zu seinem Kollegen: „Ich nehme das Nordende, du den Süden.“ Sekunden und Minuten verstrichen in einem elektrisch geladenen Schweigen. Gespannt beugten sich Kenney und Adams über die Apparatur. Gleich darauf hörte man dumpfes Gemurmel und das Quietschen einer alten Tür, die geöffnet wurde. Dann plötzlich ein dröhnender Krach, als würde die Tür jäh aufgerissen, und der Ruf: „Alles stehenbleiben, Polizei. Stehenbleiben!“ Ein Schuß peitschte, und schon stürmten die anderen Agenten polternd die Treppe herauf. Die Stimme des einen Negers übertönte den Lärm. „So, ihr Pack, Hände an die Wand. Ja, du auch, Langer! Was? Soll ich dir die Zähne putzen?“ Ein klatschender Laut und ein Stöhnen. Es fiel schwer, aus dem Stimmengewirr den Sachverhalt zu entnehmen, als die Agenten des Bundesamtes für Rauschgiftbekämpfung im Raum offenbar vier Schwarze und Tony Falcon zusammentrieben. Nun hörte man, wie sie barsch Nachbarn zurückscheuchten, die herbeigeeilt waren. „Geht wieder hinein, Leute. Geht schon, oder wollt ihr mit?“ „Nein, Sir.“ Eine Tür fiel knallend ins Schloß. Gedämpft das Heulen einer Polizeisirene und wieder Getöse. Dann Stille. „Vielleicht sollten wir das Band an ein Geräuscharchiv verkaufen“, scherzte Adams. „Sehr bald werden wir einen Bericht über die Vorfälle erhalten.“ -315-
„Wann lassen Sie uns raus, damit wir Meldungen über diese Razzia durchgeben können?“ rief ein Reporter. „Wie ich eingangs betonte, erst nach Abschluß der Aktion“, antwortete Adams. „Wir warten noch immer ab, wer bei unserem Freund auf Zimmer 1801 auftauchen wird. Außerdem “ er warf einen Blick auf die Weltzeituhren, „werden wir demnächst von unserem Team in Frankreich mehr über den Trawler erfahren. Ich vermute, die Franzosen wollen mit Sterrato über den Absatz des Heroins verhandeln, das sie verfügbar hätten, sobald die Ladung Morphinbase, die nach Marseille unterwegs ist, weiterverarbeitet wäre. An der Mittelmeerküste ist es schon fast Tag.“ Zum ersten Mal lächelte Potter. „Das war Präzisionsarbeit, Mr. Adams. Pergamon Antilles und zwei seiner Komplizen wurden mit dem Heroin ertappt, schätzungsweise fünfzig Pfund. Tony Falcon hatte die Brieftasche voll Geld, das noch nicht gezählt ist, überdies haben sie den Fahrer des Wagens mit der restlichen Fracht gefaßt.“ „Du meine Güte, das wird eine Panik in Harlem geben, wenn die Süchtigen von diesem Fang lesen.“ Kenney schlug sich auf die Schenkel. „Jetzt könnten wir die Berichte doch schon durchgeben, oder?“ fragte ein anderer Journalist. „Gentlemen, wir haben ein Agreement getroffen“, entgegnete Adams sanft. „Die Meldungen über die Verhaftungen, die Sie hier hörten, werden erst verbreitet, bevor Sie dieses Haus verlassen, rechtzeitig für die Nachmittagsblätter und -“ er sah auf seine Uhr, „für die aktuellen TV-Abendsendungen. Jetzt installiert unser Team zwei versteckte Fernsehkameras auf dem Kennedy-Flughafen. Sie werden also Brandts Ankunft verfolgen können. Eine andere Kamera wird mitschwenken, wenn er zum Taxistand geht. Und darf ich alle Vertreter von TV-Stationen nochmals daran erinnern: Aufzeichnungen sämtlicher -316-
Direktübertragungen, die Sie hier sahen und noch sehen werden, stehen Ihnen nach Schluß dieser, wie ich zu behaupten wage, sehr ungewöhnlichen Pressekonferenz zur Verfügung. Die Ausarbeitung ist bereits im Gang, so daß Sie nicht zu warten brauchen.“ Die dankbaren und anerkennenden Reaktionen in den Sitzreihen zeigten, daß der hoffnungsvolle Aspirant auf einen Senatorenposten die Massenmedien für sich zu gewinnen verstand. „Es hat den Anschein, daß in der nächsten halben Stunde kaum etwas passieren wird. Ich schlage vor, wir machen eine Kaffeepause“, sagte Adams noch, ganz souveräner Gastgeber. „Dabei bietet sich die beste Gelegenheit zu zwanglosen Gesprächen. Mr. Kenney, Mr. Potter und ich selbst werden gern Ihre Fragen beantworten.“ „Ich laß mich am Fleischerhaken hochhieven, wenn das nicht geklappt hat!“ Larucci wieherte. „Über Pergamon Antilles brauchen wir uns in den nächsten sieben bis fünfzehn Jahren nicht die Köpfe zu zerbrechen.“ D'Estang nickte, heftig qualmend. „Wenn sie jetzt noch den Kahn erwischen und dieses Dreckschwein Tradeux beim Kragen packen, wie wir es geplant haben, dann kann Adams die größte Operation der Rauschgiftbekämpfung seit Menschengedenken für sich buchen. Wahrheitsgetreu kann er der Presse sagen, daß er Drogen im Verkaufswert von einer halben Milliarde Dollar abgefangen und konfisziert hat.“ „Wenn nicht irgendein Spielverderber darauf hinweist, daß die neunhundert Pfund Morphinbase in Marseille nur ein paar hunderttausend Dollar gekostet haben können“, sagte Larucci wegwerfend. „Und daß sich der Preis für das minderwertige Heroin, das ihr als Köder gekauft habt, ab Labor auf höchstens 300.000 beläuft.“ D'Estang winkte ab. „Das weiß niemand.“ Er trat zum -317-
genialen Julius. „Nächster Programmpunkt?“ „In einer halben Stunde ist der Jet aus Miami fällig, und der Trawler kann nun jeden Augenblick aufgebracht werden. In Marseille geht die Sonne auf.“ „Mr. Adams, Landung der Maschine aus Miami auf dem Kennedy-Flughafen!“ rief der Techniker durch den Raum. Das war das Signal für die Journalisten, Kaffeetassen und Sandwiches im Stich zu lassen und zu ihren Plätzen zurückzueilen. Auf beide Flächen wurde dasselbe Bild projiziert, der Eingang, durch den die Passagiere des Northeast 62 das Ankunftsgebäude betreten würden. Fünf Minuten nach der Ankündigung des Technikers wurden die Türen geöffnet. Etwa zwanzig Personen erwarteten die Reisenden. Ein Raunen lief durch die Reihen der Presseleute, als sie die hochgewachsene Gestalt und das markante Gesicht von Karl Echeverrea Brandt erkannten. Die PANAM-Tasche hatte er über die linke Schulter gehängt, den großen Attachékoffer trug er in der rechten Hand. Sofort schob er sich mitten in die Gruppe der anderen Passagiere zwischen den herandrängenden Spalieren der Wartenden. „Achtung, Achtung!“ rief Kenney unwillkürlich, als könnten ihn die eingesetzten Agenten hören. Aber gleich tauchte Brandt wieder aus der Menge auf und ging seelenruhig weiter. Nun hatte er weder Tasche noch Koffer bei sich. „Was ist los? Hast du gesehen, wie er sie weitergab? Wie hat er das gemacht?“ riefen die verblüfften Journalisten durcheinander. Kenney, der die Szene gespannt beobachtete, sprang in die Höhe. „Dort! Dort geht ein Puertoricaner mit der blauen Tasche!“ „Und ich sehe den Kerl mit dem Attachékoffer!“ tönte es aus dem Pressesektor. „Meine Agenten werden die beiden sofort fassen“, erklärte Potter sehr selbstsicher. Rascher Schnitt auf das Bild einer -318-
anderen versteckten TV-Kamera. Energisch und zielstrebig schritt Brandt zur Treppe, die zum Gepäckempfang und zu den Taxis führte. Wenige Sekunden später kam der Mann mit der Tasche gemächlich durch. Ebenso gemächlich folgte ihm ein anderer. „Das ist einer meiner Agenten“, erklärte Potter. Knapp danach erschien ein anderer Mann mit dem Koffer. Hinter ihm gingen einige Personen. „Und da ist der zweite.“ „Anruf aus Marseille“, meldete der Techniker. Potter hob den Hörer ab. Nach wenigen Stunden Schlaf betraten Adams, Brad und D'Estang das Büro Cervis, der ihnen triumphierend entgegenkam. „Gratuliere, Bill, Sie haben es geschafft. Das ist ein durchschlagender Erfolg.“ „Ohne das Team, das Sie mir zuteilten, wäre es nie möglich gewesen, C. L.“, erwiderte Adams bescheiden. Cervis Schreibtisch war mit Zeitungen bedeckt. Die abenteuerliche, schier unglaubliche Geschichte, wie der Kongreßabgeordnete Adams seinen entscheidenden Sieg über die Organisation des Heroinhandels errungen hatte, war auch das Thema der Fernsehsendung, die gerade ausgestrahlt wurde. Narkotika im Wert einer halben Milliarde von Adams' Einsatzgruppe abgefangen! Die Spitzen des Rauschgiftsyndikats aus Frankreich, den USA und dem Karibischen Raum vom Gangsterjäger Adams bei einer Gipfelkonferenz in einem New Yorker Luxushotel gefaßt! Agent aus dem Adams-Team bringt vor Marseille einen Trawler mit tausend Pfund Drogen an Bord auf! Als sich der Held des Tages nach einem kurzen angeregten Gespräch verabschiedet hatte, weil ihn seine Frau früh zum -319-
Essen erwartete, fragte Cervi: „Maurice, haben wir ihn sicher in der Hand?“ „Ja, so ziemlich. Und jetzt haben wir mehr Druckmittel als zuvor. Zum Beispiel diese tollen Büros hier im Spire Building. Für die Einrichtung im Wert von 100.000 Dollar wurden ihm nur 2000 verrechnet. Die Lieferfirma gehört Joe Serrato und einigen anderen Mafiosi. Die Presse wird merken, daß es Adams geflissentlich vermied, Joe im Besitz von Narkotika aufgreifen und verhaften zu lassen.“ D'Estang lachte. „Und in der Rolle des Big Boß hat Joe heute eine Glanznummer hingelegt, aber die Brüder werden sich sehr anstrengen müssen, um ein Geständnis aus ihm herauszupressen.“ Cervi nickte befriedigt. „Ich möchte, daß Falconi auf jeden Fall festgenagelt wird“, sagte er, Brad mit einem Blick streifend. „Tony wird eingehen. Bis jetzt hat niemand Miene gemacht, ihm eine Kaution zu verschaffen.“ „Sehr gut. Locken Sie Adams noch tiefer ins Netz. Ich glaube, wir können auch weiterhin auf ihn setzen. Weiß Gott, er ist ein typischer Vertreter jener amerikanischen Mittelmäßigkeit, die es meistens schafft.“
-320-
33 Impulsiv schob Elda Cervi die Teller und die Blumenvase zur Seite und ergriff Brads Hände. „Sie brauchen sich keine Selbstvorwürfe zu machen. Andrea möchte nur endlich aus diesem fürchterlichen häuslichen Milieu heraus, das sie so lange ertragen hat.“ Traurig schüttelte er den Kopf. „Ich sollte mich mehr um meine Tochter kümmern, aber es ist so schwer, an sie heranzukommen wenn Sie nicht dabei sind, Elda.“ „Es ist nicht Ihre Schuld, Sie waren eben oft verreist. Ich habe den Eindruck, daß sich mein Vater immer zuerst an Sie wendet, wenn er Projekte realisieren will.“ Sie zögerte, ehe sie hinzufügte: „Ich meine, im legalen Bereich seiner Unternehmen.“ Brad lächelte trüb. „Gibt es noch einen anderen Bereich?“ Elda nickte, ihr Gesicht war ganz ernst. „Ich weiß viel mehr über die Geschäftspraktiken meines Vaters als er ahnt. - Oh, keine Sorge, zumindest bin ich gut genug informiert, um zu schweigen. Aber reden wir lieber von Andrea, schließlich haben Sie mich deshalb zum Lunch eingeladen.“ Elda blickte ihm lächelnd in die Augen, ihre Finger zogen kleine prickelnde Kreise auf seiner Hand. „Und ich muß sagen, es war wunderschön. Als Andreas Freundin sollte ich es nicht sagen, aber eigentlich bin ich froh, daß sie erst später kommen kann.“ „Ja, ich auch - falls sie mittlerweile nichts Falsches tut. Es ist schon ziemlich lange her, seit ich mit ihr ein vernünftiges Gespräch führen konnte. Das war vor meiner Fernostreise im März, und nun haben wir Mai. Andrea scheint mir auszuweichen.“ „Wahrscheinlich befürchtet Sie, weil Tony Falcon vor zwei Wochen verhaftet wurde, werden Sie die übliche väterliche -321-
Predigt unter dem Motto “Siehst du, ich hab's ja gleich gesagt“ vom Stapel lassen.“ „Fällt mir nicht ein.“ Über Brads Züge flog ein Schatten. „Elda, Sie glauben doch nicht, daß sie sich weiterhin mit dem Kerl getroffen hat, nachdem wir sie aus dieser Opiumhöhle herausgeholt haben?“ „Ich weiß nicht.“ Langsam zog Elda ihre Hände zurück. „Andrea ist mir gegenüber nicht mehr so mitteilsam wie früher. Möglich, daß sie Tony wiedergesehen hat. Sicherlich fühlt sie sich sehr zu ihm hingezogen, selbst nach der peinlichen Szene an jenem Abend. Ein Mädchen, das in einen Mann vernarrt ist, verfällt oft auf die abwegigsten Ideen und Finten, um ihn zu sehen. Wenn Sie wüßten, wie eine Tochter ihren liebevollen Vater täuschen kann...“ „Ich glaube kaum, daß mich Andrea vorsätzlich belügen würde“, wandte er beunruhigt ein. „Es gäbe doch wohl keinen Grund dafür, oder?“ „Nein - das heißt, wenn sie wirklich mit Tony Schluß gemacht hat.“ „Er sitzt im Gefängnis.“ „Nein, er ist gegen Kaution frei.“ „Woher wissen Sie das? Er sollte doch nicht ausgelöst werden -“ Brad schwieg, betroffen, daß er sich spontan zu einer so unbedachten Äußerung hinreißen ließ. „Ja, ich weiß“, sagte Elda gleichmütig. „Keinerlei Hilfe für Tony. Aber sein Vater hat die Kaution aufgebracht.“ Als sie sein entgeistertes Gesicht sah, nahm sie wieder seine Hand. „Es ist Zeit für mich. Andrea wird gleich kommen.“ „Wann sehen wir uns wieder?“ „Das liegt ganz bei Ihnen, Brad.“ „Ja? Dann - wie wär's mit heute abend?“ „Wollen Sie mich wirklich so bald wiedersehen? Für eine -322-
Analyse und psychologische Auswertung Ihres Gesprächs mit Andrea?“ Lachend gab sie jedem Wort ironisierte Bedeutungsschwere. Brad schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Das wäre ein guter Vorwand - nein, ich möchte ganz einfach in Ihrer Gesellschaft sein, mit Ihnen über Dinge reden, die uns beide interessieren, vielleicht auf dem Tanzparkett meinen Arm um Ihre Taille legen - das heißt, wenn mich das nicht zum alten Lüstling stempelt.“ „Ich finde reife Männer viel anziehender und sympathischer als grüne Jungen.“ „Wie schön. Bleibt es also dabei? Hier, um welche Zeit?“ „Je früher, desto besser. Ich darf nicht zu spät nach Hause kommen. Um halb sechs? Vielleicht können Sie den Schlüssel hinterlegen, falls Sie inzwischen fortgehen müssen.“ „Ich weiß was Besseres.“ Brad ging zu dem KolonialstilSekretär aus Mahagoni, seit Generationen in der Familie Kendall weitervererbt und bei der Scheidung vor Gwens Zugriff gerettet. Er öffnete eine Lade und entnahm ihr zwei Schlüssel. „Hier, als Souvenir von den Ascot Hotels. Damit können Sie alle meine Türen aufsperren.“ „Danke, ich gebe sie heute abend zurück.“ „Das würde mich fast kränken. Betrachten Sie dieses Apartment als Ihr Retiro in New York City, Ihren Stützpunkt oder wie Sie es nennen wollen.“ „Und Luciana?“ Erst jetzt wurde Brad bewußt, daß er den ganzen Tag nicht an sie gedacht hatte. „Luciana? Wieso -?“ „Was würde sie davon halten, daß Sie fremden Frauen die Schlüssel Ihrer Bleibe geben?“ „Sie sind doch keine Fremde, Elda. Außerdem, was hat Mrs. Blore damit zu tun?“ -323-
„Wahrscheinlich nichts, wenn Sie es sagen, Brad.“ Er begleitete sie zur Tür. „Ich freue mich schon auf heute abend.“ „Ich auch, Brad.“ Er sah ihr nach, beim Lift wandte sie sich nochmals um und winkte ihm zu, ehe sie einstieg. Langsam schloß Brad die Tür und ging in den schönen großen Wohnraum mit dem Ausblick nach Norden und Westen zurück. In seinem New Yorker Apartment fühlte er sich sehr wohl, aber er träumte auch bereits von einem Landhaus in New Jersey oder Connecticut. Nun, selbst diesen Luxus würde er sich bald leisten können. Während er auf Andrea wartete, überlegte er, was seine Tochter wohl bewogen haben mochte, sich so plötzlich bei ihm zu melden. Normalerweise hielt er mit Andrea durch Elda Verbindung, um ihr zu Hause peinliche Szenen zu ersparen, die ein direkter Anruf heraufbeschworen hätte. Er war versucht, sich rasch einen Drink zu genehmigen, doch nein, dann blieb es nicht bei einem einzigen doppelten Bourbon; er wußte nicht, was der Nachmittag noch bringen würde, und wollte völlig klaren Kopf behalten - auch für sein erstes richtiges Rendezvous mit Elda. „Und Luciana?“ hatte sie gefragt. Ja, wie stand er wirklich zu Luciana, fragte er sich nun selbst. Er liebte sie noch immer, sehnte sich nach ihr und empfand die zwangsläufigen Trennungen oft als quälend. Und dennoch, von dem Moment an, als er morgens mit dem Bewußtsein erwacht war, daß Elda ihn besuchen werde, schien jeder Gedanke an Luciana ausgelöscht. Obwohl es nie etwas Ernstliches zwischen ihm und der Tochter seines Bosses geben könnte. Guter Gott, er war rund zwanzig Jahre älter als sie! Was würde Cervi davon halten, wenn Brad mehr als höfliches Interesse und menschliche Sympathie für Elda bekundete? Wie würde er selbst reagieren, falls sich ein Vierziger an Andrea heranmachte? Nun, eigentlich wäre es ungleich besser, ein gereifter Mann träte in ihr Leben als ein Windbeutel wie Tony Falcon oder irgendein langhaariger -324-
Haschraucher. Das Signal des Portiers unterbrach seine Betrachtungen. Brad ging zur Tür und drückte auf den Knopf. „Mr. Kendall, Ihre Tochter will Sie besuchen“, sagte der Portier. „In Ordnung, danke, Albert“, antwortete Brad. Er schloß die Tür auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Gleich darauf hörte er, wie der Lift in der Etage hielt, dann wurde die Tür sachte weiter geöffnet, und Andrea trat ein. Regungslos blieb sie im Vorraum stehen, fast wie ein Phantom. „Komm nur herein, ich freue mich, dich wiederzusehen“, sagte Brad freundlich. Gehorsam trat sie näher, Brad ging ihr entgegen, legte die Hände auf ihre schmalen Schultern und küßte das Mädchen auf die Wangen. Andrea ließ es wortlos geschehen und setzte sich neben ihren Vater auf das Sofa. Brad hatte seine Tochter mehrere Wochen nicht gesehen und mußte bestürzt feststellen, daß sie noch magerer, blasser und einsilbiger geworden war. „Geht es dir gut?“ fragte er. „Natürlich. Ich bin nur ein bißchen müde vom Lernen für die Schlußexamen“, erwiderte sie leise, in einer seltsamen, beunruhigenden Teilnahmslosigkeit befangen. Er blickte sie forschend an. Es waren nicht nur die Prüfungen, die ihr zu schaffen machten, das spürte er, aber er wollte Andrea nicht durch allzu direkte Fragen irritieren. „Und wie geht's zu Hause?“ sondierte er ganz beiläufig weiter. „So wie immer.“ „Andrea, du weißt, daß du hier jederzeit willkommen bist. Ich habe mich deshalb für ein großes Apartment entschieden, weil ich dachte, du würdest vielleicht zu mir ziehen.“ Er glaubte in ihren Augen ein sehnsüchtiges Aufleuchten zu bemerken, als sie sich im Wohnzimmer umsah. Der Vergleich mit ihrer -325-
gewohnten Umgebung war ja auch zu kraß. „Mein Kind, du mußt dir allmählich darüber klar werden, was für dich, nur für dich, am besten wäre“, fuhr er behutsam fort. „Glaubst du wirklich, daß es sinnvoller ist, dieses triste Leben bei euch weiterzuführen?“ Andrea starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände nieder. „Ich weiß es nicht.“ Langes Schweigen. Brad hütete sich, seine Tochter zu drängen; sie sollte selbst aus sich herausgehen. Schließlich flüsterte sie: „Ehrlich, ich weiß es nicht. Ich meine nur, daß es besser wäre, im Moment nichts zu ändern. Vielleicht später.“ „Und deine Sommerpläne? Wir haben davon gesprochen, daß du eine Europareise unternehmen könntest. Möchtest du das nicht?“ „Nein!“ Sie stieß dieses Wort so hastig hervor, daß Brad befremdet aufhorchte. Das Anerbieten schien sie fast zu erschrecken. Beteuernd fügte sie hinzu: „Es ist nur - hier gibt es für mich genug zu tun. Vielleicht suche ich mir einen Job während der Ferien, außerdem muß ich zu Hause helfen. Mammi will sowieso nicht, daß ich in diesem Sommer verreise. Sie ist so krank und hat sich all die Jahre für mich aufgeopfert.“ Mit großer Beherrschung gelang es Brad, seine Entgegnung auf Konversationston zu dämpfen. „Meine liebe Andrea, deine Mutter hat keinerlei Opfer für dich gebracht, auch nicht das geringste. Materiell habe ich nicht nur für dich, sondern für euch alle gesorgt.“ „Ich weiß, Brad. Du hast uns alle unterstützt, wenn es Mammi auch nie zugeben wird.“ Sie holte tief Atem. „Aber nun brauche ich deine Hilfe in einer ganz bestimmten Angelegenheit. Es ist mir peinlich, dich darum zu bitten, doch ich sehe keine andere Möglichkeit.“ Andreas Verstörtheit und ihr flehentlicher Ton weckten seinen Beschützerinstinkt. „Sprich nur. An wen solltest du dich mit -326-
einem Problem wenden, wenn nicht an deinen Vater?“ „Ich - ich weiß ja, wie du zu Daddy Ed und zu Mutter stehst, weil sie immer gegen dich hetzen und verhindern wollen, daß wir uns treffen. Aber es geht auch um meinen Halbbruder und mich. Wir haben kaum zu essen und sollen delogiert werden, einfach auf die Straße gesetzt. Bis morgen um neun Uhr müssen wir dem Hausbesitzer fünfhundert Dollar bezahlen, sonst wird das Apartment zwangsweise geräumt.“ „Wenn dein “Daddy Ed“ Golfprofi geblieben wäre, dann hättet ihr nicht dauernd finanziell so zu kämpfen. Aber deine Mutter wollte ja unbedingt, daß er Anwalt oder Börsenmakler werden sollte. Ich weiß, daß er es versuchte, aber er hat es eben nicht geschafft. Mir tut der arme Kerl leid, alles, was er angreift, schlägt fehl. Welcher Mann gesteht sich schon gern ein, daß er ein Versager ist? Das klügste wäre, er ließe sich in einem Country Club als Golflehrer engagieren.“ „Er hat gerade wieder einen Posten in der Wallstreet bekommen. Eigentlich durch das Golfspiel, er soll die Klienten der Firma betreuen und mit ihnen spielen. - Wirst du uns helfen, Brad?“ „Der Jammer dabei ist nur, wenn ich euch auch noch so oft helfe, räumt mir deine Mutter trotzdem keine “Mitbestimmung“ ein, was dich betrifft. - Du müßtest dich einmal richtig erholen, weit weg von dieser stinkenden Großstadt. Im Juli könntest du mit mir nach Miami kommen, und den August könnten wir gemeinsam in Europa verbringen.“ Wieder zuckte Andrea zusammen, ihre Augen flackerten. „Darüber reden wir noch.“ „Und zwar wann?“ „Später, vielleicht am Wochenende.“ „Gute Idee. Wie wär's, wenn du zu Elda fährst, und ich besuche euch dann beide?“ -327-
„Ich werde sie fragen, Brad.“ Er merkte ihre Ungeduld. „Okay, mein Kind. Ich stelle dir einen Scheck auf fünfhundert - nein, auf sechshundert Dollar aus. Damit ihr euch auch ordentlich verproviantieren könnt.“ Sie atmete auf. „Oh, danke Brad, danke. Du bist so gut zu uns.“ Er ging zu dem Mahagonisekretär. Unter Andreas gespannten Blicken zog er langsam und bedächtig eine Schreibunterlage aus grünem Filz heraus und schob einen Stuhl heran. Aus einem Fach nahm er sein Scheckheft und schlug es auf. „Übrigens, wie ich in der Zeitung las, wurde dein Freund Tony Falcon bei einer Drogenrazzia gefaßt. Ich hoffe, du hast ihn seit dem bewußten Abend nicht mehr getroffen.“ Er sah rasch auf, Andrea schoß die Röte ins Gesicht. „Ich hatte also recht, als ich dir riet, mit ihm Schluß zu machen.“ „Ich weiß“, flüsterte sie tonlos. „Mammi sagt das gleiche.“ „Da sind deine Mutter und ich ausnahmsweise einer Meinung. Du hast ihn doch nicht wiedergesehen, oder?“ „Nein.“ Sie schluckte. „Das heißt, nur einmal noch. Ich wollte ihm wenigstens selbst sagen, daß es aus ist.“ „Das halte ich für völlig unnötig. Der Kerl wollte dich doch zu Rauschgift verführen.“ „Wir haben es nur mit “Pot“ versucht, Marihuana. Alle jungen Leute rauchen es. Das ist nicht Rauschgift.“ „Aber die Vorstufe dazu.“ „Brad, müssen wir darüber reden?“ Ihre Stimme klang beschwörend. „Es tut mir sowieso leid, daß ich Tony überhaupt begegnet bin.“ Ein Unterton leisen Vorwurfs erinnerte Brad daran, daß eigentlich er selbst die Bekanntschaft zwischen den beiden indirekt vermittelt hatte. „Das Wichtigste ist, daß du dich nicht mehr mit ihm triffst“, sagte er begütigend. „Ich vermute, er wird für einige Zeit hinter -328-
Gitter kommen, damit ist es ziemlich sicher, daß er für immer aus deinem Leben verschwindet. Versprich mir nur, daß du ihn nicht wiedersiehst, solange er gegen Kaution frei ist.“ Auf Andreas Antwort wartend, hielt er den Kugelschreiber hoch. Zuckend wechselten die Blicke des Mädchens zwischen dem halb ausgefüllten Scheck und dem Vater. „Natürlich verspreche ich es, Brad. Ich werde mich nicht mehr mit Tony Falcon treffen.“ Erleichtert sah sie, daß er nickte und seine Unterschrift auf das Papier setzte. „Wenn du willst, kannst du ihn noch heute bei meiner Bank einlösen.“ „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“ „Schade, daß deine Mutter nicht auch so dankbar sein kann.“ Andrea faltete den Scheck und schob ihn in ihre Handtasche. „Ja, ich gehe gleich auf die Bank. Ich glaube, der Hausbesitzer würde von Daddy Ed oder Mammi keinen Scheck mehr akzeptieren.“ „Wegen der Sommerpläne und allem weiteren werde ich mich mit deiner Mutter in Verbindung setzen.“ „Bitte, erwähne nichts von dem Geld. Ich werde ihr sagen, es stammt aus meinen Ersparnissen, da du mir ja immer mehr als die fälligen Alimente gibst.“ „Weil sie genau weiß, daß du ihr jeden Monat den Betrag ablieferst, den du offiziell von mir bekommst“, sagte er ärgerlich. „Es wäre ihr sicher sehr peinlich, wenn sie erfahren würde, daß ich dir von unseren Schwierigkeiten erzählt habe. Sie ist sowieso schon ganz fertig, weil Daddy Ed nichts verdient.“ „Er könnte sich beruflich sehr gut stellen, wenn deine Mutter in ihrem irregeleiteten Ehrgeiz nicht dauernd einen Geschäftsmann aus ihm machen wollte.“ Er seufzte. „Aber dazu müßte sie eben ein anderer Mensch sein.“ Andrea ging zur Tür, Brad begleitete sie und öffnete. -329-
„Nochmals vielen Dank. Bis bald.“ Sie hauchte einen flüchtigen Kuß auf seine Wange und lief durch den Korridor zum Lift. Brad war etwas enttäuscht. Warum hatte es seine Tochter so eilig? Er sah auf die Uhr: ein Viertel vor zwei. Sie hätte ihm noch mindestens eine halbe Stunde Gesellschaft leisten und dann auf die nahe Bank gehen können. War Andrea schon genauso berechnend und nur auf ihren Vorteil bedacht wie Gwen? Nun brauchte er wirklich einen Drink...
-330-
34 Ruhelos ging Tony Falcon in seinem kleinen Apartment im Westen New Yorks umher. Er lechzte nach “Gras“ oder einem doppelten Whiskey, konnte sich aber weder das eine noch das andere leisten. Im Moment blieb ihm gerade noch genug Heroin, um der Puppe einen “Pop“ zu geben. Die Kaution für seine Freistellung hatte sein ganzes Geld und ein gutes Stück der Ersparnisse seines Vaters verschlungen. Tony begriff noch immer nicht, warum der Kautionsvermittler der Organisation nicht prompt aufgekreuzt war, um ihn wenige Stunden nach der Verhaftung wieder herauszuholen. Statt dessen mußte er eine Woche lang brummen, bevor sein Vater persönlich die Freilassung gegen Kaution erwirkte. Irgendwas lief bei der ganzen Sache schief, das wußte er, aber was? Scheußlich, so bankrott zu sein. Die Organisation rührte keinen Finger für ihn, er mußte sich selbst einen Anwalt suchen, und sogar sein eigener Vater distanzierte sich von ihm. Na, wenigstens saß er nicht mehr in der stinkenden Zelle, wo er sich das Hirn zermartert hatte, wie es wohl weitergehen würde. Wann kam die Puppe endlich, zum Teufel? Sie sollte schon längst mit der Barschaft hier sein. Er wollte heute abend ausgehen, sich mit einigen Leuten treffen und herumhorchen, was überhaupt los war. Die Klingel summte, mit einem Satz war Tony beim Knopf, der auf Kontakt das Haustor öffnete. Er drückte fest, lehnte sich dagegen, gab der Mieze viel Zeit für den kurzen Weg durch den Vorraum. Dann sperrte er die Tür auf, schon hörte er sie die Treppe heraufhasten. Komm schon, Baby, komm mit der Beute, murmelte er vor sich hin. Schließlich tauchte Andrea auf. Als sie ihn sah, erhellte ein glückliches Lächeln ihr blasses Gesicht. „Ich hab's gekriegt, Tony! Sechshundert Dollar!“ „Laß sehen.“ Er griff nach ihrer Handtasche. -331-
„Kannst du nicht warten, bis wir drin sind?“ Brüsk schob er sie in sein trüb beleuchtetes Apartment und stieß sie auf das Sofa. „Okay, Baby, gib schon her.“ „Erst wenn du mich küßt und mir sagst, daß du mich liebst“, erwiderte sie kleinlaut. Er hätte ihr lieber eine gelangt, aber sie war der einzige Mensch, der ihm half, seit ihn sein Vater aus dem Knast geholt hatte. Und von dort, wo dieses Geld herkam, konnte sie noch mehr beschaffen. „Klar liebe ich dich“, knurrte er, bog ihren Kopf zurück und preßte seinen Mund auf ihre Lippen. Ein Mädchen aus gutem Haus, streng behütet und unnahbar, ha! und nun bettelte sie um seine Zärtlichkeit. Obwohl er vor allem an die Summe dachte, die Andrea dem guten ahnungslosen Brad herausgelockt hatte, erregte ihn unwillkürlich ihr weiches Nachgeben, diese unbedingte Willfährigkeit. Er nahm ihre Hand und legte sie auf die harte Stelle unter seinem Hosenschlitz. „Spürst du das, Baby? Soll ich ihn dir verpassen?“ „Ja, Tony, ja. Gibst du mir zuerst einen Pop?“ „Wo sind die Moneten? Ich werde dir noch Stoff für später besorgen müssen.“ Andrea öffnete ihre Tasche und reichte ihm eine Rolle von dreißig Zwanzigdollarnoten. Er zählte die Scheine und warf sie in die Lade seines Schreibtisches. „Du bist ein gutes Kind, Andrea. Ich mach dir gleich eine Dosis.“ Unter ihren erwartungsvollen Blicken ging er in die Kochnische, schaltete den Gasherd an, riß einen kleinen Plastikbeutel auf und schüttete den Inhalt in eine winzige Metallpfanne mit einem Eßlöffel Wasser. Das Mädchen sah wie hypnotisiert zu. Sofort begann das Wasser zu sieden und löste das weiße Pulver. Dann holte Tony eine Injektionsspritze, zog die Flüssigkeit auf und trat zu Andrea. „Fertig, Baby?“ -332-
„Ja, Tony, oh, wie ich das brauche!“ Sie hielt den linken Arm angewinkelt hoch. Tony nahm ein Stück Haut über der Speiche zwischen Daumen und Zeigefinger, stieß die Nadel hinein und drückte den Kolben langsam nieder. Als er die Nadel herausgezogen hatte, legte sich Andrea auf die Couch. „Das ist doch viel besser als die Tabletten, was?“ fragte er sanft. „Und ob! Wenn ich es nur auch zu Hause machen könnte, ohne daß es auffällt.“ Sie schloß die Augen. „Gleich hast du's bequemer.“ Nun war Tony wirklich geil. Er öffnete den Zippverschluß von Andreas Kleid und streifte es ab, dann den Slip. Nackt bis auf den Büstenhalter lag sie vor ihm, mit ausgestreckten langen Beinen und dem gewölbten, dunklen Venushügel. Leise stöhnend ließ sie sich zur Seite rollen, als er den Hakenverschluß des Büstenhalters löste. Dann zog er sich rasch aus. Er mußte daran denken, welchen Kampf es ihn gekostet hatte, bis er dieses Mädchen zum ersten Mal so weit brachte. Es war verteufelt schwer gewesen, obwohl sie drei Joints geraucht hatte und entspannt war. Und sie war tatsächlich noch Jungfrau, wie er schon beim Akt und dann an den Blutflecken auf seinem Laken merkte, und dieses Bewußtsein steigerte seinen männlichen Stolz beträchtlich. Noch nie zuvor hatte er ein Mädchen defloriert. Zudem kam Andrea, wenn man es nach ihrem Vater beurteilte, aus einer reichen, angesehenen Familie, das hatte die Eroberung für Tony noch toller gemacht. Ruhig ließ sie es nun geschehen, daß er sich auf sie legte, ohne Vorspiel sofort eindrang und wild zu stoßen begann. „Es ist schön so, Tony“, sagte sie fast lallend. „Diese Pops sind wirklich gut für Sex. - Ja, nimm mich, - ja, so - fick mich, wie du willst!“ Mit beiden Händen packte er ihre Hinterbacken und hob ihr Becken hoch, damit der Penis so tief als möglich in die Scheide glitt. Gleich darauf ejakulierte er. Seine Begierde schwand, erschlafft kollerte er neben das nackte Mädchen, das keinen Orgasmus gehabt hatte. -333-
„War's für dich schön, Tony?“ fragte sie. „Ja, Puppe“, antwortete er heiser, schon wieder mit ganz anderen Gedanken beschäftigt. Nach einigen Minuten stand er auf, kleidete sich an und zählte nochmals die Summe, die Andrea mitgebracht hatte. Irgendwie mußte er es so einrichten, daß sie ihn auch künftig mit Geld versorgte, wenn er welches brauchte. Sie war nun süchtig, da würde es ihm also nicht sehr schwerfallen, ihre Abhängigkeit auszunützen. Der Anwalt hatte Tony eingeschärft, sich während des schwebenden Verfahrens unter keinen Umständen beim Rauschgifthandel erwischen zu lassen. Das hieß, daß Andrea seine einzige sichere Abnehmerin für “Stoff“ war, bis Gras über die Rauschgiftaffäre wuchs. „Wirst du mich vermissen?“ fragte Andrea leise von der Couch her. „Wie meinst du das, vermissen? Wohin fährst du?“ Mühsam kaschierte er den Schreck, der ihm bei dieser plötzlichen Wendung in die Glieder fuhr. „Mein Vater möchte, daß ich den Sommer mit ihm verbringe. Wir werden nach Europa fliegen.“ „Du wirst den armen Tony doch nicht allein lassen, oder?“ säuselte er. „Ach, ich würde gern reisen, und dieses ganze New York ist mir so zuwider wie meine Mutter, mein Stiefvater und mein blöder flegelhafter Halbbruder.“ Tony blickte auf das reizvolle Mädchen nieder, das in einem halb euphorischen Nebel vor ihm lag. Er verstand Andrea sehr gut. Ihr war so zumute wie ihm unmittelbar nach dem Höhepunkt des Geschlechtsaktes. Sexuell befriedigt, dachte er wieder völlig nüchtern und vernünftig. Aber etwa in einer Stunde, wenn sich die Libido neuerlich regte, würde er überlegen, mit welchem Weib er so schnell als möglich ins Bett gehen könnte. -334-
In ihrem Rauschzustand machte sich Andrea keine Gedanken, woher sie die nächste Dosis, Tabletten oder auch nur ein paar Joints nehmen sollte. Aber sobald die Wirkung des Heroins nachließ, würden die Spannungen wiederkehren, und unweigerlich würde das brennende Verlangen nach weiteren Drogen ihr Denken und Fühlen beherrschen. Er beugte sich über sie. „Baby, ich hab nur rasch was zu erledigen, es wird nicht lange dauern.“ „Ich bleibe hier liegen“, antwortete sie lethargisch. Tony nahm die Scheine aus der Lade, steckte sie ein und verschwand leise aus dem Appartement. In dem Moment, als er mit Geld in der Tasche auf der Straße stand, fühlte er sich wieder ganz obenauf. Zuerst ging er in den nächsten Tabakladen und kaufte den Morning Telegraph. Dann betrat er die Kneipe an der Ecke, um mit dem Buchmacher, der sich die meiste Zeit dort aufhielt, die Zeitungsinformationen über die Wettrennen zu erörtern. Tony kippte zwei Drinks, entschied sich für ein Pferd und setzte fünfzig Dollar auf Sieg. Dann besorgte er ein paar Flaschen Schnaps. Schließlich sah er sich nach dem schwarzen Pusher um. Da er selbst im Prinzip Großverteiler war und normalerweise die Kontaktleute des Pushers belieferte, war das eine beschämende Situation, aber er wollte genug Heroin für Andrea greifbar haben. Als ahne der Kleinverschließer, daß nun Tony seinerseits was brauchte, tauchte er aus einem Schuhputzsalon auf und wartete, an den Fensterrahmen gelehnt. Der Austausch vollzog sich wortlos. Tony reichte dem Neger zwanzig Dollar, und dafür wurden ihm vier Beutel in die Hand gedrückt. Er schlenderte weiter. Nun war er fast zwei Stunden unterwegs. Genau richtig. Jetzt war er wieder in Stimmung für die Horizontale, und aus Erfahrung wußte er, daß Andrea bereits unter der Ernüchterung und der Einsamkeit litt, also gerade in der richtigen Verfassung war. Tony betrat den Drugstore, in dem er Stammkunde war, und -335-
blinzelte dem Verkäufer zu. „Hallo, Alfred, zwei Schachteln “Amies“.“ Er legte zehn Dollar aufs Pult. Alfred holte zwei Packungen Amylnitrit. Tony ließ sie in die Tasche gleiten, strich das Wechselgeld ein und verließ pfeifend den Laden. Ehe er seine Apartmenttür aufsperren konnte, öffnete Andrea von innen, mit verschmiertem Make-up und in achtlos übergestreiftem verdrücktem Kleid. „Wo warst du denn, Tony?“ Ihre Stimme klang schrill. „Ich warte und warte auf dich!“ „Kein Grund zur Aufregung, Baby. Ich hatte nur was zu tun.“ „Wie soll ich mich nicht aufregen, wenn ich nicht weiß, wo du bist und bald nach Hause muß.“ Tony stellte die Einkaufstasche mit den Schnapsflaschen in der Küche ab und kam ins Zimmer. „Was, jetzt schon?“ „Das weißt du doch!“ „Wie steht's also mit deinen Sommerplänen? Schwirrst du wirklich mit deinem Daddy ab? Dann werden wir uns wohl nicht wiedersehen. Ich denke nämlich auch daran, von hier zu verschwinden.“ In ihrem Blick irrlichterte es. „Nein, ich werde in New York bleiben. Und meine Mutter will, daß ich im Herbst hier aufs College gehe.“ Sie schmiegte sich an ihn und umschlang seinen Hals. „Sprich nicht von Trennung. Ich brauche dich“, flehte sie. „Ich werde für dich da sein.“ „Du kannst sowieso nicht weg, solange du nur gegen Kaution frei bist“, sagte sie mit einem triumphierenden Unterton. „Schätzchen, ich kann tun, was ich will.“ Er hielt ihr die geballte Faust halb spielerisch an die Wange. „Vergiß das nicht.“ „Werden sie dich einsperren?“ Angst verdunkelte ihre schwarz bewimperten blaugrauen Augen. Tony schüttelte großspurig den Kopf. „Nein. Keine Sorge. Ich -336-
werde da sein, und du kriegst, was du brauchst. Diese Sensationsmeldungen über den großen Schlag gegen den Rauschgifthandel haben nur einen Zweck: Der Herr Abgeordnete Adams will ein höheres politisches Amt. Er hat sein Ziel erreicht, nämlich enorme Publicity. Jetzt ist es ganz egal, ob man uns vor Gericht stellt und verurteilt oder nicht. Mein Anwalt sagt, er holt mich heraus. Übrigens, morgen muß ich dreihundert Dollar an ihn bezahlen.“ „Ich bin so froh, daß ich dir helfen kann, Tony.“ „Ja, du bist großartig.“ Er küßte sie. Andrea klammerte sich wild an ihn. Sie hatte wirklich eine Prachtfigur, einen schönen jungen Körper, der einen Mann verrückt machen konnte. „Sexy? Tun wir's nochmals?“ fragte er drängend. „Willst du mich denn, Tony?“ hauchte sie zitternd mit geschlossenen Augen. „Klar, will ich dich denn nicht immer?“ „Manchmal bin ich nicht sicher. Hast du ,Amies' mitgebracht?“ „Versteht sich. Ich mach' dir was, während du wieder aus den Schalen steigst.“ Er öffnete eine der Amylnitritpackungen, nahm ein Fläschchen heraus, ließ mehrere Tropfen in einen Schnupfeninhalator fallen, verschraubte ihn fest und reichte ihn Andrea, die schon nackt auf der Couch lag. Sie hielt den Inhalator an die Nase und sog die Dämpfe ein. „Dieses “Amies“ hat's in sich.“ Sie lachte. „Versuch's auch.“ Tony, der sich neben sie legte, schnupfte auf. „Ja, wenn ich nicht schon so geil wäre, würde ich glauben, es kommt von dem Zeug.“ Er gab ihr die kleine Plastik-Patrone zurück, mit der anderen Hand strich er über ihre Schenkel, die sich bereitwillig öffneten. Langsam dämmerte wieder die Wirklichkeit in Andreas -337-
Selbstvergessenheit auf. Mammi würde sich den Kopf darüber zerbrechen, wo sie war. Wenn sie zu spät nach Hause käme, würde es einen Riesenkrach geben, Daddy Ed würde toben, und sie hätte wieder einen zermürbenden Abend durchzustehen. Plötzlich ihrer Nacktheit bewußt, schreckte sie hoch. Tony lachte, als sie die Arme über den Brüsten kreuzte. „Was ist denn los? Schämst du dich vor mir?“ „Wirf mir meine Sachen her, Tony.“ Er hob ihren Büstenhalter und den Slip auf. Sie raffte das Kleid und die Schuhe zusammen und ging ins Badezimmer. Tony trank seinen Whiskey aus und goß sich das Glas gerade wieder voll, als Andrea herauskam, adrett gekleidet und frisiert, aber noch immer blaß und verstört. „Ich habe fast keine Beruhigungspillen mehr, und ohne die halte ich zu Hause kaum einen Abend aus“, stieß sie verzweifelt hervor. „Morgen kriegst du welche.“ „Ja, bitte, Tony. Wenn diese “Pops“ nur länger wirken würden.“ Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Vielleicht bist du jetzt schon für was Neues geeicht, das länger anhält. Willst du es versuchen?“ „In die Vene?“ „Da schwebst du mindestens sieben oder acht Stunden über dem Boden“, sagte Tony verlockend. „Wird man was merken?“ „Ach wo.“ „Jetzt bin ich aber spät dran. Ich muß gehen, sonst ist daheim der Teufel los. Besonders wenn vielleicht mittlerweile Brad wegen der Sommerreise angerufen hat. Dann ist meine Mutter hinterher immer stundenlang gereizt.“ „Nimm eine Tablette, wenn du nach Hause kommst“, riet er. „Es dauert so lange, bis die wirken. Vielleicht sollte ich doch -338-
was Stärkeres probieren. Würde das anhalten, bis ich zu Bett gehe?“ „Und ob.“ „Ich befürchte nur, daß sie die Einstichspuren sehen werden.“ „Nicht, wenn du es geschickt anstellst. Ich kenne ein Mädchen, das bei den Schenkeln begann, dann machte sie es zwischen den Zehen und nun unter der Zunge. Sie hat keine einzige Nadelspur am Körper, dabei spritzt sie schon fast ein Jahr.“ „Sollte ich nicht gleich was spritzen?“ fragte sie begierig. „Nein, Baby. Du hast vor drei Stunden eine Dosis gekriegt. Warte bis morgen. Dann geb' ich dir etwas. Es hat keinen Sinn, dem Organismus zuviel auf einmal zuzumuten.“ Er küßte sie. „Irgend jemand muß doch auf dich aufpassen, Kleine. Jetzt gebe ich dir eine Tablette. In einer Stunde wird sie wirken. Morgen versuchen wir was anderes.“ „Wie du willst, Tony. Aber geh nur nicht fort, ich bleibe auch hier, das verspreche ich dir.“ „Gutes Kind. Und wenn du noch bare Münze auftreiben kannst, wir werden einiges brauchen.“ Gequält starrte sie zu Boden. „Weißt du, welche Überwindung es mich gekostet hat, meinen Vater zu hintergehen?“ kam es tonlos von ihren Lippen. „Kann ich mir denken. Wir werden zusammen etwas aushecken, wie wir zu Geld kommen. Dein Vater hat genug große Scheine in der Brieftasche, wir müssen nur die richtige Masche finden, dann rückt er damit heraus.“ „Ich werde mein möglichstes tun.“ „Morgen machen wir uns einen schönen Nachmittag. Und wenn du wirklich ein stärkeres Mittel willst, kannst du es haben.“ „Warten wir ab, wie schlimm es heute wird. Jetzt muß ich -339-
fort. Meine Mutter rechnet mir jede Minute Verspätung vor, und dann gibt es fürchterliche Szenen.“ Sie warf die Arme um ihn, saugte sich in einem letzten Kuß an seinem Mund fest und ließ ihn schließlich widerstrebend los. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer mir immer der Abschied von dir fällt, Tony. Vielleicht sollten wir einfach heiraten, ohne uns um die anderen zu kümmern.“ Er verbarg den Schreck, den ihm dieser Gedanke einjagte. „Auch darüber sprechen wir morgen“, antwortete er beiläufig, öffnete die Tür und sah ihr nach, als sie zur Treppe eilte.
-340-
35 Rose, die ihre Tätigkeit als Sekretärin nun ziemlich gleichmäßig zwischen Pat Kenney und dem Abgeordneten Fred Black verteilte, legte die neueste Nummer des New York Law Journal auf den leeren Schreibtisch des Kriminalisten. Er blickte von seiner Lektüre auf, seine Augen zeichneten die verlockenden Kurven des dunklen hübschen Mädchens nach. Seit die beiden zusammen arbeiteten, war es ihm noch nicht gelungen, Rose persönlich näherzukommen. Mit unverbindlicher Freundlichkeit hielt sie den klobigen, trinkfreudigen irischen Rotschopf auf Distanz, aber jetzt schien sie ihn wenigstens zu bedauern, weil sie ihm unangenehme Neuigkeiten überbringen mußte. „Ich gebe Ihnen diesen Wisch ungern, Pat. Aber Sie wollen ja wissen, was los ist.“ Kenney hob das juristische Fachblatt auf, überflog die Titelseite und sagte ruhig: „Ich glaube, damit erledigt sich alles von selbst.“ Doch dann klatschte er die Zeitschrift wütend auf die Tischplatte und donnerte los: „Verdammt nochmal, außer diesem Nigger kommen alle davon! Wenn das Heroin nicht als Beweismaterial anerkannt wird, gibt es keine Prozesse.“ „Ich kann Ihnen Ihre Enttäuschung nachfühlen, Pat“, sagte Rose mit einem samtigen Blick ihrer braunen Augen. „Schätzchen, an der ganzen Sache ist viel mehr dran, als wir ermessen können - ich zumindest sehe nicht klar, was gespielt wird.“ Er musterte die Sekretärin mißtrauisch. „So oder so, Mr. Blacks Freund, der Kongreßabgeordnete Adams, hat jedenfalls Hervorragendes geleistet“, erklärte Rose sehr bestimmt. „Er ist nun mit einem Schlag einer der prominentesten Politiker überhaupt. Wissen Sie schon, daß über den Fall ein Film gedreht werden soll?“ -341-
„Ja, ja. Mit Pat Kenney in der Rolle des Pat Kenney“, schnaubte er grimmig. Als sein Groll verebbte, las er die gerichtliche Entscheidung genau durch. „Eigentlich habe ich mich schon gewundert, warum weder den Untersuchungen noch der großen Schluß-Show für die Presse ein Vertreter der Staatsanwaltschaft beigezogen wurde.“ „Aha, und?“ „Dann wäre es nämlich vielleicht anders ausgegangen, und wir würden die Kerle richtig zu packen kriegen.“ „Mr. Adams ist doch selbst Jurist.“ „Eben. Er kennt das Strafgesetz. Rose, bedenken Sie, er wollte Sterrato fassen, solange das Belastungsmaterial noch in dessen Besitz war, aber aus irgendeinem Grund -“ Pat runzelte die Stirn, als er sich den Abend im Kommunikationsraum vergegenwärtigte. „Es war Brad Kendall, der es ihm ausgeredet hat. Damals habe ich nicht rasch genug geschaltet, außerdem war ich wohl mehr darauf erpicht, den großen Nigger an Land zu ziehen.“ „Nun, den haben Sie ja. Der kommt unweigerlich für lange Zeit hinter Gitter“, sagte Rose stolz. „Und das verdient er auch. Ich hoffe, man wird den Zellenschlüssel überhaupt gleich wegschmeißen, wenn er drin ist. Aber “Strega Joe“ - seltsam, ich kenne ihn schon lange. Er hatte immer die Hand im Spiel, aber wir konnten ihm nie etwas nachweisen. Und jetzt soll auf einmal ausgerechnet er der Big Boß im Rauschgifthandel sein? Daraus werde ich nicht recht klug.“ Er schüttelte den Kopf. Plötzlich sprang er auf und nahm seinen Hut vom Haken. „Allmählich glaube ich, daß der alte Pat Kenney bei der ganzen Geschichte der Dumme war. Das passiert nicht sehr oft. Und wenn, dann nimmt es der alte Pat nicht ohne weiteres hin.“ „Wovon reden Sie?“ „Das erkläre ich Ihnen später. Bis nachher.“ In der Tür -342-
wandte er sich um. „Hören Sie, Rose, tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie Black noch nichts. Ich werde nachher selber mit ihm sprechen.“ „Okay, Pat. Der arme Kerl ist sowieso schwer unter Druck, er müßte sich zwischen New York und Washington teilen.“ Pat Kenney hatte die Erfahrung gemacht, daß er nirgends so gut nachdenken konnte wie in einer Bar, für sich allein, ohne Freunde oder den Zuspruch geschwätziger Thekennachbarn. In solchen einsamen Stunden entwirrten sich mit einem Mal die kompliziertesten Sachverhalte, und er kam zu den erstaunlichsten Schlußfolgerungen. Stille Trinker mit Hirn kennen diese besondere geistige Verfassung. Deshalb zog er sich nun in sein Lieblingslokal zurück. Es lag ganz in der Nähe, außerdem war es schon fast Mittagszeit. Um 14.30 Uhr meldete Brad Kendalls Sekretärin im Spire Building, Detective Kenney wünsche ihn zu sprechen. Überrascht verschob Brad einen Termin im Hotel. Als die wohlbekannte Gestalt des Kriminalisten in der Tür erschien, stand Brad auf, um ihn zu begrüßen. „Hallo, Pat. Schon lange nicht gesehen. Sie haben wohl noch alle Hände voll zu tun, wie?“ „Ach, stellen Sie sich doch nicht so, Brad.“ Kenney warf sich in einen Stuhl und streckte die Beine aus. „Als Adams vor der Presse und dem TV seinen Balanceakt vollführt hatte, wurde mir am nächsten Tag der Hahn abgedreht. Ich konnte nicht einmal ermitteln, warum es bei uns im Büro kein Klopapier mehr gab.“ „Was beschäftigt Sie, Pat?“ „Ich will wissen, was los ist, nichts anderes. Alles bestärkt mich in der Vermutung, daß diese ganze Adams-Aktion inszeniert war. Eines steht fest: sie hatte einen enormen Werbeeffekt für ihn, wahrscheinlich wird er für den Senat -343-
kandidieren, ja, er könnte sogar das Amt des Vizepräsidenten ansteuern. Er taucht aus der Versenkung auf und ist plötzlich der führende Kriminalexperte im Kongreß.“ Kenney knallte das Law Journal auf den Schreibtisch. „Haben Sie das gelesen? Sterrato wird davonkommen. Keine Anklagen gegen die Drahtzieher. Die werden weiterhin Narkotika ins Land schmuggeln können.“ „Gegen einige der Verhafteten wird Anklage erhoben“, wandte Brad ein. „Und bedenken Sie, welche beträchtlichen Heroinmengen nicht bis auf die Straße kamen.“ „Es gibt genug Ersatz dafür. Den Hintermännern und eigentlichen Organisatoren wird kein Haar gekrümmt, an die konnten wir gar nicht heran.“ „Wie dem auch sei, ich bin Hotelexperte und nicht Kriminalist, daher geht mich die ganze Sache nichts an.“ „Aber damals, am Abend des großen Coup, da haben Sie ordentlich mitgemischt“, konterte der Detektiv. „Sie waren es, der Adams davon abhielt, die Falle zuschnappen zu lassen, als Sterrato im Besitz von Belastungsmaterial zu fassen gewesen wäre.“ „Pat, mit den rein polizeilichen Aspekten der Fälle hatte ich nichts zu tun“, sagte Brad verdrießlich. „Ich fungiere als politischer Berater für Adams. Natürlich war ich daran interessiert, daß möglichst viele Gesetzesbrecher erwischt würden und möglichst viel Heroin hängenbliebe. Und ich muß sagen, Adams gelang der bisher größte Fang. Ware im Wert von einer halben Milliarde Dollar.“ „Ach, das ist doch Mumpitz und Humbug, wir alle wissen, wie man solche Zahlen manipulieren kann. Warum wurde nicht schon zu Beginn der Nachforschungen ein Staatsanwalt beigezogen? Wie kommt es, daß kein Vertreter der Distriktsstaatsanwaltschaft anwesend war, als Adams auf seinem elektronischen Feldherrnhügel den Krimi-Napoleon spielte?“ -344-
Brad lächelte nachsichtig. „Pat, ich erinnere mich genau, daß Sie, jawohl, Sie, selbst mehrmals rundweg erklärten, es wäre nicht günstig, den Distriktsstaatsanwalt einzuschalten, während Sie drauf und dran waren, die Schlinge zuzuziehen. Soviel ich weiß, fürchteten Sie für die Geheimhaltung der Aktion und wollten vermeiden, daß irgendwo etwas durchsickert.“ „Aber ich bin doch keine Instanz, um Ihnen und Adams Weisungen zu geben. Ich bin bloß Detektiv, ein Polizist in Zivil. Adams hätte einen Staatsanwalt holen müssen, wenn er gerichtliche Schritte gewollt hätte, was ich nun allmählich bezweifle. Allerdings glaube ich, daß er sowieso sein Ziel erreichte.“ „Warum reden Sie nicht mit Adams selbst darüber?“ Kenney schüttelte den Kopf. „Der ist doch ahnungslos. Ich habe lange genug mit ihm zusammen gearbeitet, um zu wissen, daß ihm seine politische Zukunft im Grund ebenso schleierhaft ist wie mir. Vielleicht könnte ich sogar mehr über seine Karriere sagen als er selber. Der Mann ist eine Marionette, nichts weiter. Und zwar für wen? Für Sie? - Nein, Brad, Sie stecken nicht dahinter. Aber während der letzten Stunden habe ich auf eigene Faust Nachforschungen angestellt. Wer hat Sie gekauft, Brad? Wer gängelt Sie? Whitehall, stimmt's? Ich habe vieles über diesen Machtapparat erfahren, was ich bisher nicht wußte. Mittlerweile habe ich nämlich das gesamte verfügbare Material über Whitehall, Cervi und diesen ominösen Hyman Steinert durchgelesen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes sind diese Leute immer mit blütenweißer Weste herausgestiegen, doch ich bemerke an ihnen einige häßliche Flecken.“ „Mit den oberen, Rängen bei Whitehall habe ich sehr wenig Kontakt“, erwiderte Brad ausweichend. „Gewiß, auf Grund meiner Tätigkeit bei früheren politischen Kampagnen nehme ich öfter nebenbei derartige Aufträge an, das heißt, nur dann, wenn -345-
ich wirklich an einen Kandidaten glaube. - Aber ich verstehe nicht, was das mit Ihren Verdachtsmomenten zu tun hat.“ „Und was würden Sie sagen, wenn ich mit Cervi sprechen will?“ Brad erschrak, ließ sich aber nichts anmerken. „Mr. Cervi ist sehr beschäftigt, sogar ich sehe ihn nur selten.“ „Na, dann mit Steinert?“ „Ich habe noch nie gehört, daß jemand Mr. Steinert persönlich begegnet wäre. Soviel ich weiß, trifft sich nicht einmal Cervi mit ihm. Jedenfalls ist er der führende Kopf bei Whitehall.“ „Gut, dann gehe ich zu ihm.“ „Und weshalb?“ Diese Situation wurde Brad immer unbehaglicher. „Weil ich nicht will, daß er glaubt, er könnte Pat Kenney einfach übertölpeln.“ „Niemand hat diese Absicht.“ „Cervi ist doch hier, in diesem Bau, oder?“ Brad nickte, winkte aber sofort ab. „Lassen Sie's sein, Pat. Wenn Sie zu Cervi laufen, ist damit gar nichts gewonnen. Wahrscheinlich kümmert er sich überhaupt nicht darum, was bei dieser Adams-Aktion vorgeht.“ „Lange bin ich im dunkeln getappt. Und nun fügt sich plötzlich eines zum anderen. Brad, ich habe nur durchschnittliche Schulbildung und sehe vielleicht wie ein blöder Polyp aus, aber es gibt so was wie einen sechsten Sinn, den entwickelt man nur draußen, auf den Straßen des Großstadtdschungels. Aber wenn man diesen Spürsinn einmal hat, dann weiß man vieles über das Leben und die Leute, die uns in die Tasche stecken wollen. Ich möchte Cervi nur sagen, daß er mich nicht manipuliert.“ Kenney lachte und stand auf. „Dieses Wort habe ich von Adams gelernt, dabei weiß der arme Kerl ja gar nicht, daß gerade er nur als Werkzeug benützt wird. -346-
So, jetzt zu Cervi.“ „Er wird Sie nicht empfangen. Glauben Sie mir, es ist glatte Zeitverschwendung.“ Der Kriminalist blickte seinen Gesprächspartner nachdenklich an. „Übrigens, ich habe noch eine andere Frage, besonders nun, da die Untersuchung abgeschlossen ist: was wissen Sie über diesen Tony Falcon?“ Das traf Brad wie ein Stich. „Nicht viel“, antwortete er vage, in gezwungen gleichgültigem Ton. „Warum?“ „Wußten Sie, daß er sich mit Ihrer Tochter trifft?“ „Ich weiß nur, daß er vor einiger Zeit Andrea ein- oder zweimal zum Essen eingeladen hat. Meine Tochter sagt, sie hat ihn schon lange nicht mehr gesehen.“ „Was versteht sie unter “lange“?“ „Wochen, bevor die Adams-Aktion Schlagzeilen machte.“ „Nein, Sie war mit ihm in Kontakt bis zu dem Tag, als wir zuschlugen. Ich habe zwar die meisten meiner eigenen Erhebungen abgebrochen, aber Falconi bin ich auf der Spur geblieben. Ihre Tochter hat ihn noch gestern getroffen. Bis zu seiner Verhaftung haben sich die beiden fast täglich gesehen. Andrea hat ihn in seiner Wohnung erwartet, als er zurückkam.“ Kenney blickte in Brads betroffenes Gesicht. „Tut mir leid, Freund, aber das mußte ich Ihnen sagen. Schade, daß wir Tony nicht in den Knast zurückholen können, wo er hingehört. Ich hatte gehofft, ihn in flagranti zu fassen, aber ganz allein auf mich gestellt kann ich ihn nicht vierundzwanzig Stunden pro Tag überwachen.“ „Seit wann wissen Sie das, Pat?“ fragte Brad ruhig. „Wie ich sagte, schon lange bevor wir zuschlugen. Ich habe Sie nicht informiert, weil ich vermeiden wollte, daß Tony erfährt, daß wir auch ihn packen wollen. Wenn nur ein einziger Verdächtiger gemerkt hätte, daß er beobachtet wird, wäre unsere -347-
ganze Aktion in Frankreich und hier in die Binsen gegangen.“ „Ich verstehe. Aber mir wäre das Wohl meiner Tochter wichtiger gewesen als dieser Krimi“, entgegnete Brad trocken. „Ja, das habe ich mir gedacht. Ich bin in erster Linie Polizist. Alles andere kommt an zweiter Stelle.“ Er blickte auf Brad nieder, der an seinem Schreibtisch zusammengeschrumpft schien. „Ich betone nochmals: es tut mir leid. Wenn Sie wollen, daß ich mir den Burschen vorknöpfe und ihm sage, er soll Ihre Tochter in Ruhe lassen, sonst geht er das nächste Mal unweigerlich ein, sobald er sich auch nur getraut, auf die Straße zu spucken, dann werde ich das mit Freuden tun.“ Vor sich hinstarrend, schüttelte Brad den Kopf. „Nein, das würde alles nur verschlimmern. Jetzt bin ich wenigstens so weit, daß ich mit Andrea sprechen kann. Sie wissen, wie heranwachsende Kinder sind. Wenn sie glauben, man will sie zu etwas zwingen, gibt es keine Verständigung mehr.“ „Was die Verständigung zwischen den Generationen betrifft, will ich nicht mitreden, weil mir die eigene Erfahrung als Vater fehlt. Tatsache ist, daß diese Rotznasen heute sogar bei Mord, brutalem Mord, glimpflich davonkommen. Eines Tages wird man Abhilfe schaffen und die Gören energisch an die Kandare nehmen müssen, sonst geht es auf die Dauer schief.“ „Ich bin Ihrer Meinung, Pat. Darf ich Ihnen nun nahelegen, von einem Besuch bei Mr. Cervi abzusehen. Er ist sehr, sehr beschäftigt und reagiert sauer, wenn man ihn stört.“ „Ach was, ich warte einfach in seinem Büro, bis er ein paar Minuten Zeit hat. Auf bald, Brad.“ Als der Kriminalist weg war, griff Kendall zum Telefon. „Verbinden Sie mich mit Mr. Cervi.“ „C. L., soeben hatte ich ein unerfreuliches Gespräch mit Detective Kenney“, begann er, als Cervi sich meldete. „Er scheint zu glauben, daß die ganze Rauschgiftaktion ein Bluff war und er hinters Licht geführt wurde.“ -348-
„Das höre ich ungern.“ „Weiß der Teufel, er hat sich in die Vermutung verrannt, daß Sie ein Scheinmanöver planten, und hält alles für abgekartetes Spiel. Nun will er mit Ihnen sprechen. Ich sagte ihm, Sie hätten keine Zeit für seine Beschwerden.“ Einige Sekunden Schweigen, dann wieder Cervis kühle, gelassene Stimme. „Es wäre möglich, daß uns Kenney weiterhin nützlich sein könnte. Ich werde ihn empfangen.“ „Wirklich?“ rief Brad überrascht. „Da bin ich aber gespannt.“ „Sie werden erfahren, was bei der Unterredung herauskam. Ich glaube, Kenney wird nicht so schwierig zu behandeln sein.“ Brad legte auf, er wünschte, daß er eine von den Apparaturen des genialen Julius zur Verfügung hätte und auf Schalterdruck die Konfrontation in Cervis Büro mitansehen könnte. Doch dann dachte er an Andrea und Tony Falcon, und da gab es nichts anderes, was ihm wichtiger gewesen wäre...
-349-
36 Pat Kenney war sehr verblüfft, als der Wächter beim Lift in Cervis Etage ihn nicht nur höflich grüßte, sondern sogar schon zu erwarten schien. Der Kriminalist wurde in den Hauptkomplex der Büros geführt, und von dort begleitete ihn eine attraktive Sekretärin in den Vorraum des Allerheiligsten. Lächelnd bemerkte sie, es werde bestimmt nicht lange dauern. „Wieso wußten Sie, daß ich komme? Ich war ja selbst nicht ganz sicher“, fragte Kenney verwundert. „Mr. Kendall hat uns angerufen. Mr. Cervi freute sich sehr, daß Sie im Haus sind, das trifft sich gut, denn er möchte gern mit Ihnen sprechen. Wir alle haben sehr viel über Sie gelesen, toll, wie Sie zusammen mit Mr. Adams das große Rauschgiftsyndikat zerschlagen haben.“ Kenney mußte vor sich selber zugeben, daß ihm dieser freundliche Empfang schmeichelte. „Ich war nur Teil eines ganzen Teams“, sagte er bescheiden. Das summende Signal der Gegensprechanlage unterbrach die Plauderei. „Mr. Kenney ist bereits hier, Mr. Cervi“, sagte die Sekretärin. Kenney hörte die Stimme des Whitehall-Präsidenten. „Ausgezeichnet. Ich lasse bitten.“ Die Sekretärin öffnete die Tür. Jetzt wird sich zeigen, wieviel Brad Kendall von allem weiß, was an der Spitze vorgeht, dachte Kenney, als er den Raum betrat, der durch seine Dimensionen fast einschüchternd wirkte. Mit ausgestreckter Hand kam ihm Cervi die beträchtliche Spanne zwischen dem wuchtigen, nahezu leeren Schreibtisch und dem Eingang entgegen. „Mr. Kenney, Ihr Besuch bereitet mir außerordentliche Freude. Ich vermute, Sie sind soeben dabei, die große -350-
Untersuchung mit letzten Aufklärungen abzuschließen. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich habe meine Sekretärin angewiesen, keine Telefonate durchzugeben.“ Der Detektiv setzte sich in einen der Fauteuils. Cervi lächelte ihm zu. „Nun, Mr. Kenney, ich bin begierig, zu erfahren, was Sie mit mir erörtern wollen. Ich habe Ihre Leistungen in der Presse und im Fernsehen verfolgt, außerdem habe ich von Adams und Brad Kendall sehr viel über ihre beispielhafte kriminalistische Arbeit während der Untersuchungen gehört.“ „Ich nehme an, Sie sind über alle Einzelheiten dieser Aktion informiert.“ „Keineswegs. Obwohl ich Brad Kendall als Berater für Adams bei der Planung der Kampagne freistellte und eine Spende überweisen ließ, fand ich keine Zeit, mich irgendwie in seine Bemühungen um die Wiederwahl persönlich einzuschalten.“ „Soviel ich weiß, will Adams Senator werden.“ „Ja, man spricht davon. Und ich meine, nach dem so sensationell erfolgreichen Angriff, den Sie beide gegen das Rauschgiftsyndikat führten, hat er denkbar gute Aussichten. Ich wünsche ihm jedenfalls, daß er nominiert und gewählt wird.“ Nun trat eine Pause ein, denn Kenney überlegte, wie er beginnen sollte. Cervi brach das Schweigen. „Bitte, spannen Sie mich nicht länger auf die Folter, lieber Freund. Sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben.“ „Erstens habe ich den Eindruck, daß in Wahrheit Sie der Mann sind, der den Anstoß zu dieser Untersuchung gab.“ „Ich?“ fragte Cervi perplex. „Jawohl. Von Adams weiß ich, daß ihm im Spire Building, das sich in Ihrem Besitz befindet, sehr viel wertvoller Büroraum für eine verhältnismäßig sehr geringe Miete zur Verfügung gestellt wurde. Und dieses Kommunikationszentrum - so was -351-
gibt es nicht einmal beim FBI.“ „Das hat seine besonderen Gründe, Mr. Kenney. Adams' mit allen Schikanen eingerichtetes Büro ist für uns gleichsam eine Musterschau, die wir anderen Interessenten zeigen können. Bei der heutigen Wettbewerbslage müssen wir Extras bieten.“ „Verstehe, Sir. Aber ich bin sicher, daß weder Adams noch Kendall die oberste Autorität der Kampagne und der NarkotikaAktion ist. Darf ich Ihnen zunächst die Fakten auseinandersetzen, und sagen Sie mir dann bitte, was Ihrer Meinung nach geschehen sollte.“ „Sie machen mich sehr neugierig, obwohl ich, offen gestanden, wenig zur Realisierung beitragen kann.“ „Vor allem: abgesehen davon, daß die Massenmedien hohe Wogen schlugen, ist das Resultat unserer Untersuchungen, nüchtern betrachtet, ziemlich dürftig. Die obersten Ränge des Drogensyndikats haben wir nicht einmal angekratzt. Joe Sterrato, genannt Strega-Joe, gehört keineswegs zu den Spitzen irgendeiner New Yorker Organisation. Und alle Anzeichen sprechen dafür, daß niemand außer Pergamon Antilles vor Gericht gestellt wird. Wahrscheinlich werden wir Falconi etwas anlasten können, obgleich wir keinen Durchsuchungsbefehl hatten, als wir ihn faßten.“ „Das ist sehr interessant, Mr. Kenney, aber ich begreife nicht, was es mit Whitehall zu tun haben soll.“ „Die Querverbindungen werde ich herstellen, wenn ich Ihnen die Gesamtsituation aufzeigen kann.“ „Natürlich, bitte.“ „Die Schlüsselfigur bei den Nachforschungen war Sterrato. Ich kenne Strega-Joe schon seit vielen Jahren. Er ist nichts als ein guter Steher, auf den man sich verlassen kann, aber zum Boß fehlt es ihm an Fähigkeiten und Persönlichkeit. Wenn er wirklich das Haupt des Rauschgiftsyndikats wäre, glauben Sie, dann wäre er den ganzen Abend in seinem Zimmer im Pierre -352-
Hotel gesessen und hätte gewartet, bis wir ihn holen? Sicherlich, wir faßten eine Reihe von Leuten, die dort aus und ein gingen, doch das lief letzten Endes nur auf eine große Show für die Presse und das Fernsehen hinaus. Und wir können Strega-Joe kein strafbares Delikt anlasten.“ Als Cervi ungeduldig wurde, hob Kenney beschwichtigend die Hand und sprach rascher weiter. „Etwas anderes, Sir: fünf Wagen des Bundes-Rauschgiftdezernates haben Jorge Ramirez' Spur auf dem Weg vom Kennedy-Flughafen zur Stadt verloren. Dann wurde er von einem neuen Mann namens Don Gason gestellt, und zwar direkt im Pierre Hotel. Dorthin fuhr er nämlich, was sonst niemand im Dezernat wußte. Ich habe mich über Gason erkundigt. Er ist erst seit einem Monat dabei und bekam seinen Posten, weil sich Fred Black für ihn verwendete.“ „Sie arbeiten mit Black zusammen. Fragen Sie doch ihn.“ „Seit wir die Falle zuschnappen ließen, hatte ich keine Gelegenheit mehr, mit dem Repräsentanten zu sprechen. Ich möchte Ihnen nur das eine sagen, Mr. Cervi: von dem Moment an, als die Massenmedien die Nachricht von Adams' großem Coup in den USA, ja in der ganzen Welt verbreiteten, war ich erledigt und abgeschrieben. Offenbar werde ich eben nicht mehr gebraucht.“ „Das ist eine Schande, nach Ihren hervorragenden Leistungen bei der Aktion.“ Resignierend zuckte der Detektiv die Achseln. „Nun, da ich bewerten kann, was ich tat und unterließ, bekommt der Fall ein ganz anderes Gesicht als in der Darstellung der Presse. Mir ist klar, daß die Dienste von Informanten unbezahlbar sein können. Bei fast jedem Fall, den ich löste, habe ich Spitzel herangezogen. Aber in meinen fünfzehn Jahren als Beamter des New Yorker Rauschgiftdezernates habe ich es nie erlebt, daß sich innerhalb von zwei Monaten Informanten scharenweise melden und mir helfen wollen, die Mosaiksteinchen eines -353-
einzigen Falles zusammenzufügen. So glatt laufen die Dinge nicht, zumindest nicht in einem so kurzen Zeitraum. Ich hatte schon einiges unter Dach, als ich Black zugeteilt wurde, aber in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nie erhofft, daß eine Aktion zur Bekämpfung des Verbrechens zu solchen Dimensionen auszubauen wäre, wie es nun den Anschein hat zumindest für Außenstehende, die keine Ahnung haben.“ Kenney ließ Cervi, der eine Entgegnung einwerfen wollte, nicht zu Wort kommen. „Zu der Zeit war ich so auf Trab und auf meine Rolle konzentriert, daß ich mir gar nicht die Mühe nahm, den Fall von einer höheren Warte aus zu betrachten. Auf den Jungferninseln suchten mich genau die richtigen Informanten auf, um mir alles über Echeverrea Brandt zu erzählen. Das gleiche in Marseille und Paris. In zwei Tagen wußte ich alles, was ich wissen mußte, dabei spreche ich nicht einmal Französisch. Und dann in der Schweiz, da kommt einer in mein Hotel und flüstert mir, der Kurier, den ich packen muß, ist ein UNO-Diplomat mit einer schönen blonden Begleiterin, und beide sind jetzt im Hotel. Tatsächlich ist ein Mr. Ramirez “samt Gattin“ eingetragen. Ich sehe mir das Paar an, behalte die beiden im Auge und stelle fest, daß dieser Ramirez eine Tasche in einer Schweizer Bank abliefert und auf der Rückreise in Marseille zwei Koffer mitnimmt. Informanten sind eine sehr gute Hilfe, aber wenn sie prompt immer dort auftauchen, wo man sie braucht und sich so bereitwillig selbst antragen, sieht das verdammt nach einem abgekarteten Spiel aus.“ „Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen, Mr. Kenney, aber mir ist noch immer nicht klar, was das mit Whitehall zu tun haben soll.“ Als Cervi aufstand, zum Zeichen, daß er von sich aus das Gespräch für beendet hielt, sagte der Detektiv scharf: „Die Kette der Fakten und Begleitumstände schließt sich lückenlos. Es betrifft Ihr Privatleben, Sir, oder das Ihrer Tochter.“ Cervi, der eben zur Tür gehen wollte, erstarrte. Ungerührt -354-
fuhr Kenney fort: „Durch einige meiner alten verläßlichen Spitzel und neu angeworbene Aufpasser ermittelte ich, daß dieser Strolch, den ich beobachten ließ, Anthony Falconi, bekannt als Tony Falcon, einmal mit der Tochter eines Wirtschaftsmagnaten namens Cervi ausging. Außerdem konnte ich feststellen, daß er öfter die Tochter des Präsidenten eines Ihrer Unternehmen einlud, nämlich Miß Andrea Kendall. Er trifft sich noch immer mit ihr. Und was beabsichtigte dieser Falcon? Ganz einfach: er will Zugang zur Gesellschaft finden, um sich unter jungen Leuten aus begüterten und reichen Familien einen Kundenstock für Tranquillizer, Marihuana, Kokain und Heroin aufzubauen.“ Auch Kenney stand auf. „Kann ich nun zum Schluß kommen? Es ist für uns beide wichtig.“ „Nur zu, ich höre.“ Kenney bemühte sich, die richtigen Worte zu wählen. Er wollte Cervi unmißverständlich klarmachen, daß sich der alte Pat nicht für dumm verkaufen ließ, das war er sich selber schuldig. „Falconi versucht noch immer, seine Geschäfte auszuweiten, obwohl er nur gegen Kaution frei ist. Aber er ist eine der beiden Schlüsselfiguren, die wahrscheinlich festgenagelt werden. Der andere ist Pergamon Antilles in Harlem, der, wie ich von meinen Spitzeln erfuhr, erst vor kurzem alles daransetzte, um italienische Gruppen aus Harlem zu verdrängen, wo sie bisher operierten.“ Die Erwähnung Tony Falcons und die Tatsache, daß es Kenney gelungen war, eine Verbindung zwischen ihm und dem Präsidenten von Whitehall zu finden, wirkte auf Cervi als Schock, wie er ihn seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Gespannt wartete er, was dieser harte Kriminalist noch auspacken könnte. „Sir, ich ließ die gesamten Heroinmengen, die wir abfingen, analysieren. Das Zeug, das Ramirez brachte, und die Ladung, die Echeverrea Brandt nach Miami einschmuggelte, von wo sie nach Detroit und Chicago weitergeschleust wurde. Es war -355-
mieseste Sorte, das billigste Heroin, das uns seit langem unterkam. Wenn man das so aufbereitet wie den gewohnten hochgradigen Stoff, dann werden die Süchtigen die Verschleißer windelweich prügeln, weil sie ihnen wertloses weißes Pulver verhökern. Das Heroin stammte aus der gleichen Lieferung. Weniger als 62 Prozent fein, im Gegensatz zu der durchschnittlichen Qualität von 88 oder 89 Prozent. Wer also diese Operation geplant und durchgeführt haben mag, bezahlte in den Labors von Marseille nicht viel mehr als tausend Dollar pro Pfund. Daraus folgert, daß höchstens 200.000 Dollar für die gesamte Heroinmenge ausgegeben wurden. Was nun die tausend Morphinbase betrifft, welche die französische Polizei auf dem Trawler beschlagnahmte, war auch das recht minderes Zeug. Natürlich, gesetzt den Fall, es wäre bis nach Marseille gekommen und dort in tausend Pfund reines Heroin umgewandelt worden, das dann irgendwie bis nach New York gelangt wäre, dann hätte die Schlußbilanz vielleicht einen Verkaufswert von einer halben Milliarde ausgewiesen, großzügig gerechnet. - Mit anderen Worten: bei einem Aufwand von maximal einer Viertelmillion Dollar wurde für einen unbekannten politischen Kandidaten die größte Werbekampagne in der Geschichte der USA gestartet. Und keiner von den großen Bossen des organisierten Verbrechens kam dabei zu Schaden. Nebenbei bot sich die günstige Gelegenheit, zwei sehr unbequeme Typen auszuschalten. Sehr gut soweit, aber Pat Kenney mußte dabei als Werkzeug herhalten, und das paßte ihm nicht. Ich bin überzeugt, daß Sie mit Adams noch Ihre Freude haben werden und daß er Ihnen sehr nützlich sein wird, wenn er es zum Senator bringt. Aber glauben Sie ja nicht, daß Pat Kenney der Dumme war. Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Cervi, ich weiß, was Whitehall ist und ich weiß auch: man kann Ihren Mammutladen noch so oft durchleuchten, Sie werden immer als Ehrenmann heraussteigen. Sie können fast jeden kaufen, Leute wie Brad Kendall zum -356-
Beispiel, aber mich nicht. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß zumindest ich nicht übertölpelt wurde. Von Ihrer Tochter Elda weiß ich nichts Näheres, aber Andrea Kendall und Tausende andere Mädchen wie sie werden durch die schäbigen kleinen Bargeldbringer, die auf der untersten Ebene Ihrer Organisation arbeiten, süchtig gemacht und zugrunde gerichtet. Ich glaube, damit habe ich alles gesagt, was zu sagen war, Mr. Cervi. Unter uns gibt es wenige, die unbestechlich sind, und die meisten davon sind einflußlose Durchschnittsmenschen, die Ihnen sowieso nicht gefährlich werden können. Es wird interessant sein, das weitere politische Schicksal von William Fortune Adams zu verfolgen. - Sie können Ihre Macht gebrauchen, wenn Sie wollen, aber zu kaufen bin ich nicht. Vielleicht werden Sie mir jetzt Killer nachschicken, um mich erledigen zu lassen. Zum Glück bin ich allein und muß nicht an Frau und Kinder denken.“ „Aber das ist doch absurd“, stieß Cervi hervor. „Ich habe -“ „Schon gut“, schnitt ihm Kenney das Wort ab. Er holte tief Luft. „Danke, daß Sie mich ausreden ließen.“ Damit wandte er sich um und ging durch den großen Raum zur Tür, die gleich darauf hinter ihm zuklappte. Konsterniert setzte sich Cervi langsam an seinen Schreibtisch, fahrig griff er zur Brille und nahm sie ab. Plötzlich schien der zwingende Blick seiner dunklen Augen erloschen...
-357-
37 Brad durfte sich voll Stolz sagen, daß kein anderer Kandidat, der auf dem Demokratischen Nationalkonvent in Miami die Unterstützung der Delegierten und die Schützenhilfe der Presse anstrebte, eine luxuriösere und zweckmäßiger eingerichtete Operationsbasis hatte als William Fortune Adams, der nun in einer Suite mit Dachterrasse im obersten Geschoß des Ascot Surf Hotels residierte. Es war am Sonntagnachmittag vor dem für den nächsten Abend angesetzten Eröffnungstermin des Konvents. In den zwei großen Salons mit dem Ausblick über die Stadt und das Meer gab Adams einen Presseempfang. Luciana unterhielt sich angeregt mit einem prominenten TV-Kommentator. Mrs. Adams fungierte als Gastgeberin, und einige eigens per Flugzeug aus New York herangeholte ausgesprochen schöne Mädchen bemühten sich um die Journalisten und sonstigen Meinungsmacher, die das Glück hatten, eingeladen zu sein. Als Brad sich überzeugt hatte, daß diese aus Gründen der politischen Strategie sehr wichtige gesellschaftliche Veranstaltung einen günstigen Verlauf nahm, verschwand er unauffällig und ging über eine Seitentreppe in sein eigenes Nobelquartier hinunter. Am anderen Ende des Korridors befand sich das eigentliche Aktionszentrum, ein großes Apartment, in dem der geniale Julius während der letzten sechs Wochen seine Apparaturen eingebaut hatte. Brad schritt an dem Wächter vorbei, den er selbst vor dieser Suite postiert hatte, und öffnete die Tür mit einem Spezialschlüssel. Die vier Zimmer waren ein einziges starrendes Dickicht von Richtantennen. Der geniale Julius und zwei seiner Assistenten machten sich an ihren elektronischen Geräten zu schaffen, als Brad eintrat. „Alles in Ordnung?“ fragte er. Mit einem seligen Lächeln wandte sich der Kahlkopf von -358-
einer Reihe von Monitoren ab, die er soeben einstellte. „Phantastisch! Der tollste Auftrag meines Lebens. In der gesamten Entwicklungsgeschichte meines Faches hat noch niemand je zuvor so viel erreicht. Keiner der möglichen Kandidaten, die wir mit versteckten Kameras überwachen, kann sich auch nur die Nase putzen, ohne daß wir es wissen. - Und falls sich einer mit Sex fit trimmen sollte, entgeht es uns nicht. In vier verschiedenen Hotels außer jenem, das im Moment auf dem Bildschirm ist, haben wir Callgirls bereit - und auch einige Jünglinge, um für jeden Geschmack vorzusorgen.“ „Brauchen Sie noch etwas von mir?“ „Nein, ich glaube nicht. Leider konnte ich nicht alle Sonderleitungen der Kandidaten in ihren Büros anzapfen, aber hier habe ich jeden einzelnen Hausapparat präpariert. Durch die Mikrofone in den Zimmern können wir zumindest abhören, was der eine der Gesprächspartner sagt. Übrigens, was Sie noch nicht wissen: ich habe die Möglichkeit, bei Telefonaten in den Haupthotels nach Belieben zu schalten. Wenn zum Beispiel irgendein Kandidat seinen Sekretär in dessen Zimmer anrufen will, können wir es ganz wo anders klingeln lassen. Ich dachte, das würde vielleicht von Nutzen sein.“ „Und ob, Julius! Im Verlauf dieses Politicals hier werden Sie wahrscheinlich alle Ihre Zaubertricks anwenden müssen. Denken Sie daran, das ist die Generalprobe für 1976.“ Brad verließ den Kontrollraum und begab sich auf seine eigene “Kommandobrücke“. Während Telefone läuteten, zwei Sekretärinnen Mitteilungen entgegennahmen und ein Mann am Empfänger auf Meldungen von den Beobachtungsposten wartete, die mit tragbaren Sprechfunkgeräten rund um die Hotels ausgeschwärmt waren, besprachen Maurice D'Estang und der Abgeordnete Fred Black strategische Fragen. „Auch hier alles okay?“ Brad rümpfte bei dem scharfen Geruch von Maurices französischer Zigarette die Nase. -359-
„Julius hat hervorragende Arbeit geleistet“, sagte der Korse. „Und bedenkt eines“, erwiderte Brad sehr entschieden, „wir müssen bei unseren Aktionen genau registrieren, welche Fehler gemacht wurden, wo noch Verbesserungen nötig sind und was einwandfrei klappte. Sozusagen eine Manöverkritik. Denn 1976 muß alles so gut funktionieren, daß die CIA neben uns wie ein Amateurklub wirkt.“ Er ging zur Tür. „Falls Sie mich brauchen, ich bin immer zu erreichen.“ „Hier läuft alles glatt“, meinte Fred Black. Brad sah kurz ins Pressezentrum. Drei TV-Geräte waren auf verschiedene Programme geschaltet, funkelnagelneue Fernschreiber ratterten, und auf den Tischen lagen Zeitungen aus den Großstädten der USA sowie aus London und Paris. Sie wurden täglich für den Konvent per Flugzeug geliefert. Ein attraktives Mädchen fungierte als Hostess, gab Informationen und folgte die Schlüssel zu den Zimmern aus, in denen die Journalisten ihre Berichte tippen und telefonisch diktieren konnten. Ein Steward in Weiß servierte Getränke und Sandwiches. „Irgendwelche Probleme, Linda?“ fragte er das Mädchen. „Sagen Sie es mir, wenn Sie Hilfskräfte oder sonstwas brauchen.“ „Danke, Mr. Kendall, es geht prima.“ „Um so besser.“ Sie war etwa so alt wie Andrea, dachte er. Der Gedanke an seine Tochter bedrückte ihn. Er ging in seine eigene Suite, goß einen Drink ein und setzte sich in einen Fauteuil. Wie schön wäre es, wenn Andrea seine Einladung angenommen hätte, nach Miami zu kommen und sich da oder dort nützlich zu machen. Aber sie hatte dankend abgelehnt, weil ihre Mutter leider wieder pflegebedürftig sei. Das war natürlich ein fadenscheiniger Vorwand. Er rief sich jene deprimierende Begegnung mit Andrea ins Gedächtnis, kurz nachdem er von Pat Kenney erfahren hatte, -360-
daß sie sich noch immer mit Tony Falcon treffe. Einige Tage konnte er sie nicht telefonisch erreichen. Gwen weigerte sich schroff, ihre Tochter zum Apparat zu rufen, und Andrea selbst meldete sich auch nicht. Schließlich verabredete sich Elda Cervi mit ihr in einem Restaurant, ohne zu erwähnen, daß auch Brad kommen werde. Andrea erschrak, als sie plötzlich ihren Vater sah, aber es gelang den beiden, sie zu beruhigen, dann ließ Elda die beiden allein. So behutsam als möglich brachte er das Gespräch auf Tony Falcon und deutete an, daß ihm dieser Umgang Sorgen mache. Andrea verteidigte ihre Beziehung zu Tony spontan und sehr heftig. Sie liebe ihn, erklärte sie, und würde sich nicht von ihm trennen. Gütliches Zureden und Mahnungen zur Vernunft fruchteten nichts, und der Vorschlag, ein oder zwei Wochen in Miami zu verbringen, stieß auf ein trotziges, brüskes Nein. Sie bleibe in New York und habe sich entschlossen, dort an einem College zu inskribieren. So wolle es Mammi, und ihr selbst sei es auch ganz recht. Brad gab Andrea zu bedenken, daß ihre Mutter empört wäre und mit ihren Szenen die häusliche Atmosphäre völlig vergiften würde, wenn sie wüßte, daß Andrea sich noch immer mit Tony treffe. In diesem Fall werde sie einfach ihre Sachen packen und zu Tony ziehen, erwiderte sie. „Bis er eingesperrt wird?“ fragte Brad. Andrea war überzeugt, daß Tony freiginge. Und dann beging Brad jenen Fehler, den er unbedingt hätte vermeiden müssen. Wider besseres Wissen sagte er seiner Tochter, er könnte Tony erledigen, und das werde er auch tun. Entweder käme der Junge hinter Gitter, oder er würde auf andere Weise aus Andreas Leben verschwinden. Aus ihren langen Gesprächen mit Elda wußte sie, daß ihr Vater durchaus in der Lage war, seine Drohung wahrzumachen. Nun folgte ein sehr peinlicher Auftritt. -361-
Von einem Weinkrampf geschüttelt und unter heftigen Ausbrüchen erklärte Andrea, falls Tony etwas zustoße, wenn er eingesperrt werde oder plötzlich unauffindbar wäre, würde sie das Brad nie, niemals! verzeihen und alle Brücken zu ihm abbrechen. Damit rannte sie heulend aus dem Lokal, und seither hatte er sie nicht mehr gesehen. Dann hatte er es auf einem Umweg versucht: Wie wäre es, wenn Elda nach Miami käme und Andrea mitbrächte? Doch als Cervi erfuhr, daß seine Tochter erwäge, zum Konvent zu reisen, sagte er ihr klipp und klar, das sei unmöglich. Elda war immerhin zweiundzwanzig, doch sie respektierte die Wünsche ihres Vaters. Später begründete Cervi in einer Unterredung mit Brad diese strenge Entscheidung. Was Elda betreffe, habe er nur ein einziges Prinzip: sie dürfe nie, auf keine noch so indirekte Weise mit Whitehall-Projekten in Beziehung gebracht werden. Seltsam, dachte Brad, da besaß er nun alle Macht, die er sich erträumt hatte, und es stand ihm genug Geld zur Verfügung, um einen politischen Coup richtig ins Werk zu setzen. Er war jetzt wahrscheinlich der bedeutendste Mann seiner Berufssparte, und dennoch machten ihn all diese Möglichkeiten nicht glücklich. Im Gegenteil, seit Tagen litt er unter Depressionen. Da half nur die Konzentration auf seine Pflichten und Aufgaben. Nach dem zweiten Glas verließ er seine Suite. Oben war die Party in vollem Gang. Brad trat zu Luciana und legte vertraulich den Arm um ihre Hüfte. „Wie macht sich Mrs. Adams?“ fragte er. „Ach, sie ist großartig. Problematisch ist nur er. Der Mann kann einfach nicht aus seiner Haut heraus, aber er kommt trotzdem bei den Journalisten an. Sie wollen wissen, wann er den nächsten Gangsterring zerschlagen wird.“ „Ich habe ihm gesagt, er soll gegen die Polizeikorruption wettern. Dann bleibt er bei seinem Image als Krimi-Held, ist aber etwas genehmer für die Liberalen, die ja keine Freunde der -362-
Cops sind.“ Als Brad sich umblickte, sah er D'Estang, der eben eintrat und ein Glas Champagner von dem Tablett nahm, das ihm ein Kellner hinhielt. Brad ging auf den Korsen zu. „Haben Sie schon genug von den Jason-King-Mätzchen da unten bei Julius?“ „Ja. Das heißt, eigentlich habe ich Sie gesucht. Im Moment können Sie hier sowieso nicht viel tun. Möchten Sie eine interessante kleine Exkursion mitmachen?“ „Was bieten Sie mir denn diesmal?“ „Erinnern Sie sich noch an den Mann, der Wallace erschoß? Damals waren Sie ja ganz schön aufgeregt.“ „Und ob, Maurice. Vor allem deshalb, weil ich wissen wollte, was er gerade in meinem Hotel zu suchen hatte.“ „Nun, Dr. Wormsinger ist in Miami. Immer wieder haben Sie mich über ihn und seine Irren gefragt. Wollen Sie ihn in Aktion sehen?“ „Wobei?“ „Wenn er Leute anwirbt.“ „Sie meinen Narren, die er auf Attentäter zurechttrimmt?“ „Erst sucht er die richtigen Fälle aus, dann konditioniert er sie. Also, haben Sie Lust, mitzukommen?“ „Wenn ich dabei wieder etwas mehr über unsere Fünfte Macht erfahre...“ „Er wartet in seinem Zimmer auf meinen Anruf.“ „In Ordnung. Gehen wir.“ Auf der Fahrt in der eleganten, klimageregelten Limousine war Dr. Wormsinger in bester Stimmung. Seine von den dicken Brillengläsern vergrößerten Augen leuchteten vor Vergnügen. Aha, der selbst in einer leicht irren Heiterkeit befangene Psychiater, der gute Onkel Doktor für seelische Wehwehchen, dachte Brad ironisch. -363-
„Das wird sehr interessant werden“, sagte Dr. Wormsinger. „Meine übliche Methode ist es, bei der Vereinigung Christlicher Junger Männer und bei Rehabilitationszentren für Jugendliche Umschau zu halten. Nicht oft habe ich Gelegenheit, Fälle zu beobachten, wie wir sie im Flamingo Park sehen werden. Die jungen Leute, die dort kampieren, viele von ihnen psychisch sehr labil, haben nur ein Ziel: auf alles loszugehen, was sie als Establishment betrachten.“ „Unser Freund hat bereits einige Bekanntschaften geschlossen.“ „Ja, ich arbeite seit drei Tagen daran. Heute wird wieder neuer Zuzug kommen, sie nennen sich die “Nicht-Delegierten“.“ Der Wagen hielt eine kurze Strecke vor dem Park. „Es ist besser, wenn wir zu Fuß auftauchen. Diese Jungen werden wütend, wenn sie ältere Leute in Luxusautos sehen.“ „Wie reagieren sie auf die ältere Generation im allgemeinen?“ fragte Brad. In seinem formellen dunklen Anzug und mit dem adrett aus der Stirn gekämmten schütteren grauweißen Haar wirkte der Psychiater selbst gewiß wie ein typischer Angehöriger dieses so heftig befehdeten Establishments. „Ach, sie gleichen ihr Verhalten dem des fremden Gesprächspartners an. Wenn man ihnen höfliche Fragen stellt, antworten sie ebenso höflich. Hier sind wir schon.“ Brad, Maurice und der Doktor betraten den Park. Um niemanden zu provozieren, schoben sie sich behutsam durch Scharen langhaariger junger Männer mit Stirnbändern und Mädchen mit ungesundem Teint und strähnigen Mähnen; keine trug einen Büstenhalter unter dem T-Shirt. „Nun bietet sich uns der Überblick über das gesamte Spektrum jugendlicher Unzufriedenheit in all ihren Spielarten“, dozierte Dr. Wormsinger. „Diese Teens und Twens fordern Freiheit, ohne zu wissen, von welchen “Zwängen“ sie eigentlich befreit werden könnten oder sollten. Im großen und ganzen sind -364-
sie absolut unzuverlässig und entweder gar nicht oder nicht auf die Dauer zu konditionieren.“ An einem Pulk von Negern vorbei näherten sie sich ausrangierten Militärzelten, junge Leute standen herum oder schliefen unter den Planen. Einige Paare begannen gerade völlig ungeniert mit den Präliminarien des Geschlechtsaktes. Hinter diesem kleinen Zeltdorf gab es einen größeren Sonnenschutz, dort hatten sich nur junge Männer zusammengefunden, sie plauderten und schienen sehr fröhlich. „Man kann sich nie darauf verlassen, daß ein Homosexueller konditioniert bleibt“, bemerkte Dr. Wormsinger sachlich. „Ich habe mich einmal lange mit einem geplagt, baute seinen Haß gegen die Zielperson auf und suggerierte ihm das Streben, diesen Menschen zu töten, und wenn es sein eigenes Leben gelte. Aber was geschah? Als sich endlich die Chance bot, trug das Opfer einen so schicken Anzug, daß der Junge vor lauter Bewunderung seine Waffe vergaß.“ Im Weitergehen stieg ihnen der schwere Moschusgeruch Hunderter Marihuanazigaretten, die überall im Park glommen, fast beklemmend in die Nasen. Um einen Mangrovenbaum mit ausladendem Geäst zogen die dichtesten Schwaden. Auf den unteren Zweigen, vom Laub halb verborgen, hockten etwa zwei Dutzend Gestalten, wie ein Schwarm zerzauster Vögel. Andere hatten sich zwischen die knorrigen Wurzeln gelagert. „Wie ich sehe, hat die Polizei von Miami zeitweilig alle Bestimmungen gegen Marihuana aufgehoben“, meinte Brad, der auf einem Schild mit geheimnisvollen Sonnensymbolen, das an einem Ast hing, die Aufschrift “Pot Party“ las. „Eine kluge Entscheidung der Behörden“, erwiderte der Psychiater. „Ich möchte sagen, diese jungen Leute sind harmlos, wenn man sie nicht reizt. Solange sie hier sitzen und Haschisch oder Marihuana rauchen dürfen, sind sie friedlich. Aber es wäre gefährlich, sie bei ihren Joints aufzustören, etwa so, wie wenn -365-
man einem ausgehungerten Hund die Futterschüssel wegzieht.“ Der Mief erinnerte Brad an jene andere Pot Party, damals in New York. Er bemühte sich, diese Bilder aus seinem Gedächtnis zu verscheuchen. Gwens verhängnisvoller Starrsinn, ihre strikte Weigerung, Andrea von New York fortzulassen... Als er die herumlungernden Mädchen betrachtete, mußte er sich unwillkürlich fragen, ob auch sie irgendwo ein ordentliches Zuhause haben mochten, aus dem sie von einem Tony-Typ weggelockt wurden. Wieder fiel ihm auf, wie reizlos diese jungen Geschöpfe allesamt waren, weil sie Freiheit mit mangelnder Hygiene und abenteuerlich schäbiger Aufmachung verwechselten. Kein einziges weibliches Wesen in den wüst zusammengewürfelten Horden hätte einem Mann von einigem Geschmack wirklich gefallen können. Welcher Kontrast zu den charmanten, schicken und gepflegten Mädchen, die in der einen oder anderen Funktion am Konvent teilnahmen! Sie freuten sich, einmal im Millionärsparadies Miami zu sein, während die jungen Leute im Flamingo Park die Naturschönheiten ihrer Umgebung völlig ignorierten, als kampierten sie an der öden Peripherie irgendeines großstädtischen Betonkonglomerats. Stumpf und ziellos schienen sie nur auf einen Agitator zu warten, der ihre verschwommenen Emotionen und Wertbegriffe ansprechen und in die Richtung irgendeiner Protesthaltung und Auflehnung lenken würde. Neben einer Gruppe hymnensingender “Jesus People“ saßen in Koexistenz Satanisten, die im Chor beschwörend Verwünschungen gegen die US-Regierung vor sich hinmurmelten. „Da sind ein paar Pfiffige, die wissen, wie man's macht.“ D'Estang lachte. Bei einem Eingang zum Park hob sich ein sauberer heller Wohnwagen besonders deutlich von dem mißfarbigen Bild der Zelte und Schlaf sacke ab. Ein Schild bezeichnete die Insassen als Beobachter von Studentenzeitungen. Offenbar hatten einige der Mädchen die -366-
schlechten chaotischen Zustände sehr rasch satt bekommen. In der mit Klimaanlage ausgestatteten fahrbaren Unterkunft gefiel es ihnen viel besser. Die Reporter oder was sie sonst waren, konnten sich ihre Partnerinnen aussuchen. Hinter dem von laut schnatternden Hippie-Girls in abgeschnittenen Jeans oder knöchellangen Röcken umringten Wohnwagen gab es noch ein Zeltlager. “Vietnamveteranen protestierten gegen den Krieg“, stand auf der Tafel. „Wie wäre es mit denen für Ihre Zwecke?“ fragte Maurice. „Die müßten doch einschlägige Erfahrungen haben.“ Dr. Wormsinger zuckte nur die Achseln. „Welche Erfahrung braucht man, um aus einer Pistole aus nächster Nähe sechs Schüsse blindlings auf ein Ziel abzufeuern? Nein, auf den Geist kommt es an. Diese Ex-GIs sind für mich als Gruppe nicht sehr verlockend. Die gehen vielleicht mit Handgranaten oder Artillerie gegen ein Gebäude vor, wenn sie daraus beschossen werden, sind aber nicht auf einen einzelnen, bestimmten Gegner eingestellt. Solche Männer sind keine wirklichen Dissidenten, sie haben ihre Schlüsse aus persönlichem Erleben gezogen und nicht aus den Parolen von Hitzköpfen, die unreife Naturen manipulieren.“ Dr. Wormsinger wies auf die Veteranen bei den Zelten. „Sehen Sie doch, keiner raucht Marihuana, manche lesen, andere führen ruhige Gespräche. Nichts für meine Praxis. Gehen wir weiter.“ In einer Ecke des Parks standen Neger, Puertoricaner sowie ein paar Indianer und Mexikaner beisammen. Sie hörten einem schwarzen Redner zu, der höhere Unterstützungszahlungen für Minderheiten forderte. „Arbeitsscheue, die sich in keiner Weise anstrengen wollen“, kommentierte der Psychiater. „Was suchen Sie dann?“ fragte Brad, dessen Neugierde geweckt war. „Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Vor dem von -367-
Hibiskusblüten übersponnenen Windschutz, auf den Dr. Wormsinger zuging, wurde eine Gruppe junger Männer sichtbar, die sich von dem Gros der übrigen Kampierenden unterschieden, das sich ausschließlich in seiner BürgerschreckNote gefiel. Ein gedrucktes Schild besagte, sie seien Anhänger der Lehre besserer Verständigung. Die meisten trugen gebügelte Hosen und Sporthemden, ihr Haar war nicht provokant lang. Auch die zwei oder drei Mädchen, die sich ihnen zugesellt hatten, waren sauberer und besser angezogen, und die AfroFrisuren der Neger unter ihnen wirkten nicht so wild und filzig wie bei ihren Rassegenossen in den anderen Gruppen. „Der Schein trügt, diese jungen Leute sind extreme Asoziale, man könnte sagen, die Außenseiter der Außenseiter. Fast alle wurden aus Schulen oder Colleges relegiert. Es gibt keinen einzigen unter ihnen, der nicht oft Selbstmordgedanken hegt. Schon bei meinem ersten Rundgang wurde ich auf sie aufmerksam“, erklärte Dr. Wormsinger mit dem Stolz eines Wissenschaftlers, dem eine wichtige Entdeckung gelang. „Welche Verständigung meinen sie überhaupt?“ fragte Brad. „Ach, davon haben sie selber keine Ahnung. Bloße Illusion, völlig schleierhaft. Praktisch alle, ohne Ausnahme, kämpfen mit irgendwelchen Problemen, die sie nicht zu bewältigen vermögen. Anders als die meisten anderen Jugendlichen hier, die im Grund durch keine Verhaltensschwierigkeiten gehemmt sind und ihre Rolle in der allgemeinen Sozialstruktur kennen, haben diese Fälle ausgeprägte, tiefsitzende Minderwertigkeitskomplexe, die sie zu kompensieren suchen, indem sie auf ihr Äußeres größere Sorgfalt verwenden als die Hippies und andere selbstbewußte Gruppierungen. Jeder einzelne hätte viel lieber einen Platz im Konvent, statt sich hier am Rand dieses wüsten Protesthaufens zu bewegen. Aber es mangelt ihnen einfach an den geistigen Fähigkeiten, an der Einsicht und psychischen Bereitschaft, sich mit der Tatsache abzufinden, daß ihnen die jungen Erfolgsmenschen auf dem -368-
Konvent, diejenigen, die es im Leben schon “geschafft“ haben oder noch “schaffen“ werden, eben in vielen Belangen überlegen sind. Vor allem aber handelt es sich hier um zusammengelaufene Einzelgänger. Ich weiß, das ist eine widersprüchliche Definition, Einzelgänger im Kollektiv. Aber sie scheinen sich gefunden zu haben. Charakteristisch ist der geringe Kontakt untereinander und die Absonderung von den übrigen jungen Leuten.“ „Jedenfalls wirken sie eher traurig, niedergedrückt und gewiß nicht gefährlich“, warf Brad ein. „Auch das täuscht, Mr. Kendall.“ Dr. Wormsinger lächelte hintergründig. „Jeder von ihnen ist imstande und bereit, den Rektor des College, aus dem er ausgeschlossen wurde, kaltblütig zu erschießen. Menschen solcher psychischen Verfassung leiden unter ihren Schwächen und ihrem Versagen, immer wieder gehen sie in die Irre, immer wieder müssen sie Rückschläge hinnehmen, die sie nicht verkraften. Zu einem entscheidenden Schritt, der sie aus dieser Zwangslage befreit, fehlt es ihnen an Energie. Da sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten nicht richtig abzuschätzen vermögen, machen sie gewöhnlich andere Personen oder Gegebenheiten für diese Probleme verantwortlich und fühlen sich als die Geschädigten. Mit einigen psychologischen Kunstgriffen - dazu braucht es gar nicht viel kann man jedem dieser Jungen und Mädchen die Überzeugung einimpfen, alle Schuld liege bei einer bestimmten Zielperson. Wenn diese außerdem noch zur Prominenz gehört, etwa als Spitzenpolitiker, dann setzt der Einzelgänger, dieser “verkannte“, von Selbstzweifeln gequälte junge Mensch seiner sich immer mehr festigenden Meinung nach nicht nur eine edle Tat für die anderen Unterdrückten der Welt. Schließlich wird ihm diese bisher gleichgültige Welt doch die ersehnte Beachtung schenken, man wird ihn feiern, aus der Anonymität, zu der er verdammt war, wird er endlich emporsteigen, weil er ein unauslöschliches historisches Ereignis bewirkte.“ -369-
„Ich würde meinen, als Versager auf allen Linien müßten solche Charaktere sehr unzuverlässig sein.“ Im Näherkommen musterte Brad die Gruppe mit skeptischen Blicken. „Keineswegs, Mr. Kendall. Das eigentliche Problem besteht darin, daß sich weder Eltern noch sonstige Erzieher die Mühe nahmen, sie schon früh auf positive Ziele auszurichten oder im jetzigen schizophrenen Stadium entsprechend behandeln zu lassen. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, an einen dieser Jungen heranzukommen, mich mit ihm zu beschäftigen, sein Vertrauen zu gewinnen und seine Aggressionen auf eine bestimmte Person zu lenken, an der er sich rächen kann, dann ist es äußerst interessant, die Entwicklung dieser Motivation zu beobachten.“ Als sie nur mehr eine kurze Distanz von den locker auf dem Rasen verteilten Psychopathen trennte, beendete Dr. Wormsinger seinen Vortrag. „Sobald mein Schützling soweit ist, daß er sein Lebensziel in der Vernichtung eines Opfers erblickt, verwandelt er sich völlig. Er ist nicht mehr deprimiert und verschlossen. Er schmiedet Pläne, er träumt von nichts anderem als der Tat. Er beginnt sich über sein Handeln Rechenschaft zu geben - symptomatisch für diese Phase ist die Tendenz, ein Tagebuch zu führen. Verworrenes erfährt überraschende Klärung, plötzlich hat das Dasein einen Sinn. Während der Junge früher kontaktarm war, wird er nun gesellig, wenn es seinen Zielen förderlich ist. Bis zur Tat mögen Monate vergehen, aber er wird zäh und beharrlich, mit einem wahren Fanatismus hinter seinem Opfer her sein. Ausnahmslos bildet der eigentliche Anschlag auch den Schlußpunkt aller Pläne. Das ist der Grund, warum solchen Attentätern fast nie die Flucht gelingt. Sie sind unfähig, über das erreichte Ziel hinauszudenken.“ Brad fühlte einen eisigen Schauer, den er kaschierte, indem er sich umwandte, als wolle er den Park überblicken. „So, da wären wir“, sagte Dr. Wormsinger fröhlich. „Ich -370-
mache Sie mit keinem der Leute bekannt, sondern werde nur kurz und ganz zwanglos mit ihnen reden. Einen habe ich für heute zum Abendessen eingeladen. Ich will ihm bloß das Fahrgeld fürs Taxi zustecken.“ „Befürchten Sie nicht, daß ein gefaßter Attentäter Sie verraten könnte?“ fragte Brad, der sich der morbiden Faszination dieses Geschehens nicht zu entziehen vermochte. „Mr. Kendall, Sie haben nicht ganz verstanden. Keiner weiß, daß ich es bin, der ihn konditioniert. Nein, ich bin nichts anderes als ein älterer Mensch, der den Problemen der Jugend eben Interesse entgegenbringt, ohne gönnerhaft die eigene Überlegenheit hervorzukehren.“ Brad und D'Estang sahen, wie ein junger Mann mit der pigmentlosen Haut und dem platinfarbenen Haar der Albinos auf Dr. Wormsinger zukam. Ein wandelnder Kellertrieb. Wie der Psychiater selbst, glotzte er durch dicke Brillengläser; die Iris schimmerte rötlich. Während des Gesprächs der beiden betrachteten Brad und Maurice die anderen genauer. Jedenfalls waren sie die ruhigste, gesittetste Gruppe im Park. Zwei saßen sogar über ein Schachbrett gebeugt. „Der Doktor hat einen untrüglichen Spürsinn und der führt ihn dorthin, wo solche Typen zu finden sind“, sagte D'Estang halblaut. „Ich persönlich glaube, daß er so verrückt ist wie die Bescheuerten, die er aufstöbert. Wahrscheinlich versteht er sich deshalb so gut mit ihnen.“ Fast mit Ekel blickte Brad den Albino an. „Und ich vermute, den Ausgebleichten werden wir eines Tages auf dem Bildschirm und auf Zeitungsfotos sehen.“ „Von Wormsingers Standpunkt aus wirkt er sehr vielversprechend.“ Eines der Mädchen fiel Brad auf. Sie erinnerte ihn schmerzlich an Andrea. Er war versucht, diese Fremde anzureden und in ein Gespräch zu ziehen, doch sie schien so -371-
geistesabwesend, daß er es sein ließ. Ihm ging die Erwägung durch den Kopf, wenn Wormsinger solche Menschen dazu bringen konnte, einen prominenten Politiker zu töten, dann hätte ein fähiger Psychiater ebensogut die Möglichkeit, dieselbe Person auf eine positive Handlung zu programmieren. Wie bei “Frankenstein“ kam es darauf an, ob dem Geschöpf das Gehirn eines Gerechten oder aber eines Mörders eingepflanzt wurde, das es erst zum Monster machte. „Was streben diese jungen Leute überhaupt an? Ich meine, wie könnte ihnen eine politische Partei helfen?“ fragte Brad auf dem Rückweg zum Parktor. „Tja, wie? - Alle fühlen sich vom akademischen Establishment nicht verstanden. Sie spüren, daß sie Probleme haben, die ihnen selbst unbegreiflich sind. Die Weißen hier glauben, daß militante Schwarze und andere Minderheiten an den Universitäten bevorzugt behandelt werden, und die Neger behaupten, das Gegenteil sei der Fall.“ Dr. Wormsinger lachte. „Dennoch schließen sie sich hier zusammen, Weiße und Schwarze, und suchen nach dem Verständnis, das sie bei Professoren und Eltern vermissen.“ „Gut, gut, aber ich weiß noch immer nicht, was die Demokratische Partei für derartige Gruppen tun könnte.“ Brad sah ihn zweifelnd an. „Soweit ich, als politisch ziemlich desinteressierter Mensch, das zu beurteilen vermag, hat keiner dieser Protestierer oder “Nicht-Delegierten“ etwas zu gewinnen. Das Ganze ist lediglich eine Gelegenheit, in Miami ein Treffen abzuhalten und sich, wie schon so oft, vor den “verhaßten Bürgern“ ins Szene zu setzen.“ „Doktor, sind Sie mit diesem somnambulen Kaninchen am Ende im Ascot Surf Hotel verabredet?“ fragte Brad plötzlich argwöhnisch. „Ich meine, wenn sich herausstellen sollte, daß zwei oder drei dieser Blindgänger Treffs in Ascot Hotels hatten, könnte das jemandem zu denken geben. Sie verstehen mich.“ -372-
„Nein, wir gehen in ein kleines französisches Restaurant. Ich habe mit Ihren Befürchtungen gerechnet, wiewohl ich sie für unbegründet halte. Sehen Sie, rein psychologisch -“ Abwehrend hob Brad die Hand. „Bitte, heute keine Theorie mehr, Dr. Wormsinger.“ „In Ordnung. Aber das ist keine bloße Theorie.“ „Eben. Das weiß ich nur zu genau.“ Bequem in die Polsterung der Luxuslimousine zurückgelehnt, wähnte Brad, diese nüchternen Erörterungen über die Manipulation von Kamikaze-Attentätern sei nur ein Traum gewesen. Er wehrte sich noch immer gegen den ungeheuerlichen Gedanken, daß es wirklich geschehen könnte, angestiftet und gefördert von der Organisation, der er angehörte. Nun wünschte er sich nichts sehnlicher als eine Ruhepause auf der Dachterrasse des Ascot Surf Hotels. Dr. Wormsinger summte selbstzufrieden vor sich hin.
-373-
38 Am Montagvormittag während des Konvents zeigte Brads kleines Signalgerät an, daß ihn jemand erreichen wollte. Als er sofort im Kommunikationszentrum anrief, wurde ihm mitgeteilt, Bill Adams wünsche ihn zu sprechen. Zu seiner Überraschung fand Brad den Kongreßabgeordneten im angeregten Gespräch mit Kenney. Finster blickte Adams dem Eintretenden entgegen und wies auf einen leeren Sitz. „Na, Pat, was führt sie hierher?“ fragte Brad freundlich. „Ich arbeite jetzt hier in Miami“, antwortete der Kriminalist. „Einige Tage nach dem Palaver mit Cervi habe ich bei der Polizei meinen Abschied genommen. Ich fand, es sei besser, gleich ganz auszusteigen, als das zu tun, was er mit mir vorhätte.“ „Warum sollte Ihnen Cervi Schwierigkeiten machen?“ fragte Brad leichthin. „Hat er Ihnen nie über unser Gespräch erzählt?“ „Nur, daß Sie ihn besuchten und einige schwere Anschuldigungen vom Stapel ließen. Er bemühte sich, Ihnen die Situation zu erklären und bot Ihnen eine Position bei uns an, die Sie aber ablehnten.“ „Pat hat mir einige bestürzende Eröffnungen über meine Erhebungen in der Rauschgiftaffäre gemacht. Wenn das wahr ist, was er sagt, dann wurde ich in einer empörenden Weise gegängelt und getäuscht. Die Untersuchung wäre demnach nichts als eine Farce gewesen. Stimmt das, Brad?“ „Die Aktion war von Anfang bis zum Ende einzig und allein Ihre Sache. War sie eine bloße Finte?“ „Brad, ich bin wirklich nicht zum Spaßen aufgelegt. Sie wissen doch, ob das Ganze geschickt eingefädelt war oder -374-
nicht.“ „Ich weiß nur, daß Sie auf Ihr Erfolgskonto den Fang von Heroin im Wert einer halben Milliarde Dollar buchen können.“ „Ach, das ist doch nichts als eine leere Ziffer. - Ist Kenneys Geschichte so wahr?“ Brad wandte sich dem irischen Hünen zu und fragte: „Wovon redet er, Pat?“ „Über die Tatsache, daß Cervi und der Apparat des organisierten Verbrechens alles inszenierten, um ihn, den unerhört fähigen Politiker, groß herauszustreichen.“ „Mein Gott, wenn das stimmt, muß ich sofort eine öffentliche Erklärung abgeben.“ „Was werden Sie sagen? Daß sich der arme Bill Adams vom “Mob“ mißbrauchen ließ und so leicht hinters Licht geführt werden konnte, daß er glaubte, er habe wirklich einen triumphalen Sieg gegen die Rauschgifthändler errungen? Ein solches Eingeständnis würde Sie nicht nur politisch unmöglich machen, auch Ihre Anwaltspraxis, die Sie gemeinsam mit Partnern betreiben, wäre erledigt. Sie wären künftig als Jurist indiskutabel, ja vielleicht würde Ihnen sogar die Berechtigung zur Ausübung Ihres Berufes entzogen, ganz abgesehen davon, daß Ihnen sowieso kaum mehr ein Klient seinen Fall anvertrauen würde. Bill, wissen Sie, wer der Besitzer der Inneneinrichtungsfirma ist, die für die Ausgestaltung Ihrer Büroräume hier statt des angemessenen Betrages von rund zehntausend Dollar bloß zweitausend verrechnete? Ein gewisser Joseph Sterrato, genannt Strega-Joe, der Mann aus dem Drogensyndikat, den Sie verhaften ließen.“ Kenney sprang auf. „Ihr Schufte, ihr habt Adams also tatsächlich als Werkzeug benutzt. Ihr droht, ihn zu kompromittieren, damit ihr ihn völlig in die Hand bekommt! Ich sollte euch -“ „Beruhigen Sie sich, Pat“, fiel ihm Brad gleichmütig ins -375-
Wort. „Niemand wird je beweisen können, daß die Firma Sterrato gehörte. Ebensowenig wäre nachzuweisen, daß es sich bei der Aktion um eine Finte, ein Scheinmanöver handelte, dazu war zu vieles davon beinharte, greifbare Realität. Übrigens haben Sie selbst den Stein ins Rollen gebracht, Pat. Und bei der Polizei hätten Sie nicht zu quittieren brauchen. Cervi fürchtet Ihre “Enthüllungen“ nicht im mindesten, Ihren Anschuldigungen mißt er nicht mehr Bedeutung bei wie ein Elefant einer Fliege, die ihn vergewaltigen will.“ Brad holte tief Luft, er fand es angebracht, die Taktik zu ändern, und lächelte dem sichtlich erschütterten Kongreßabgeordneten zu. „Sicherlich, die Nachforschungen erfuhren einige Unterstützung von unerwarteter Seite, die sich allerdings nie deklarieren wird, aber Sie haben Hervorragendes geleistet, Bill. Niemand anderer als Sie hat die Opiumstraße von der Türkei bis in Slumgebiete der amerikanischen Großstädte blockiert. Wenn Kenney nicht aus eigenem mit Erhebungen begonnen hätte, wäre das nie gelungen. Sie verdienen die hohe Anerkennung, die man Ihnen zollt. Auch Ihre Nominierung zum Vizepräsidentschaftskandidaten wäre durchaus gerechtfertigt, obwohl Sie natürlich ablehnen würden. Warum sollte es Sie beschweren, daß einige Leute, die an Sie glauben, Ihre Bemühungen - wenn auch ohne Ihr Wissen - nach Kräften förderten?“ „Pat, Ihre Nachforschungen erfolgten doch auf völlig legaler Basis, nicht wahr?“ fragte Adams in flehentlichem, einen Schimmer von Bestätigung heischenden Ton. „Klar“, erwiderte Kenney unwirsch. „Wurde der Heroinschmuggel aus Europa durch unsere Ermittlungen empfindlich getroffen?“ „Und ob. - Aber Sie sollten das Zeug sehen, das jetzt aus Asien hereinkommt.“ Der Kriminalist stand auf. „Ich habe für Adams getan, was ich konnte, wahrscheinlich war es schon zu -376-
spät. Eines müssen Sie sich vor Augen halten, Brad: diese asiatische Ware ist das chemisch reinste Heroin, das je nach New York gebracht wurde. Bevor die Verteiler draufkommen, wie man damit umgehen muß, werden viele Süchtige an einer Überdosis krepieren. Mehr als bisher.“ Kenney ging zur Tür. „Ich allein kann nichts unternehmen, um Cervis Machenschaften zu verhindern oder auch nur zu beeinträchtigen. Ihr beide habt euch auf Lebensdauer verkauft. Doch obwohl ich bloß ein einfacher Detektiv bin, ein “Polyp“, sehe ich in manchem klarer als Sie, Brad. Eines Tages werden Sie mich dringend brauchen. Ja, irgendwann einmal werden Sie sich fragen, ob es einen Menschen gibt, an den Sie sich wenden können, weil er nicht im Dienst Cervis steht. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, wenn Sie sich dazu durchringen müssen. Hier ist meine Karte. Falls Sie in die Klemme geraten und nicht mehr aus noch ein wissen, rufen Sie mich an. Ich werde Ihnen helfen. Trotz allem.“ Damit drehte sich Kenney auf dem Absatz um und verließ den Raum.
-377-
39 In den frühen Morgenstunden des Donnerstag, als die Sitzungen des Parteikonvents erste signifikante Ergebnisse zeitigten, konnte man im Kontrollraum dank der Abhöranlagen des genialen Julius die Diskussionen über die Kandidatur für den Vizepräsidentenposten verfolgen. Leicht verkatert und von den Strapazen mitgenommen, schlürfte Brad gerade schwarzen Kaffee, als einer der schweigsamen, etwas unheimlichen Helfer des genialen Julius mit einer Meldung eintrat. Brad las sie durch und wandte sich zu Maurice D'Estang, der neben ihm saß. „Die Spitzenkandidaten für die Nominierung erklären, daß sie keinesfalls eine Wahl des wahrscheinlichen Vize durch den Konvent wünschen. Jeder einzelne möchte die Entscheidung selbst treffen.“ „Und was heißt das für Adams?“ „Ein taktischer Schachzug wird dadurch illusorisch. Wir hätten ihn vorschlagen lassen und seine Nominierung entsprechend hochspielen können. Und dann hätte er auf einer Pressekonferenz mitgeteilt, er könne die Berufung nicht annehmen, weil er der Meinung sei, er werde zur Bekämpfung der Kriminalität dringender gebraucht.“ Maurice entzündete eine Gaulloise. „Ja, das ist der Kernpunkt der Rede, die er halten soll.“ Er blinzelte durch die graublauen Schwaden. „Sicher, aber nun müssen wir uns dafür ein neues plausibles Motiv einfallen lassen. Und das wird schwierig sein, weil der Präsidentschaftskandidat nicht im entferntesten daran denkt, Bill Adams als zweiten Mann im Gespann vorzuschlagen. 1972 ist das Jahr der Liberalen, die werden zwar schwer draufzahlen, aber in dieser Woche umwirbt man sie eben. Und Liberale sind gegen Law and Order, besonders gegen Gangsterjäger.“ -378-
„Nicht meine Sache, Brad. Darüber werden Sie sich den Kopf zerbrechen müssen.“ „Das tue ich. Mit Hilfe des genialen Julius und seiner elektronischen Trickkiste müßte es uns gelingen, bei der Presse zumindest den Eindruck zu erwecken, daß Adams ein möglicher Anwärter ist.“ „Viel Glück, Brad“, sagte D'Estang. „Ich gehe jetzt schlafen.“ „Das wird für uns alle am besten sein.“ Fünf Stunden später erschien Brad wieder im Kontrollzentrum, um sich zu informieren, was in den Hotels geschah. Der geniale Julius tappte mit rotgeränderten Augen durch das Antennengestrüpp und blieb da und dort bei Empfangsgeräten stehen, an denen Techniker saßen. Kurz vorher war ein gewisser Irving Lanzer gekommen, um kompromittierendes Material für seine Dossiers über Personen, die den Zielen von Whitehall hinderlich sein könnten, zu sichten. „Brad, es ist nun definitiv, daß der Kandidat für den Posten des Vize nicht vom Konvent bestimmt werden wird“, sagte das bebrillte Elektronengehirn. „Gut zu wissen. Nun müssen wir mein heikelstes Problem besprechen. Ich glaube, die Lösung dafür ist hier in diesem Raum zu finden.“ Nach einer langen Unterredung mit Brad beim gemeinsamen Mittagessen erklärte Adams den Pressevertretern, er bewerbe sich um einen Sitz im Senat, wisse aber entgegen manchen Gerüchten nichts von einer Nominierung als Vizepräsidentschaftskandidat. Abends kam Brad zurück. „Julius, morgen werden wir unseren Plan ausführen müssen“, sagte er sehr entschieden. „Setzen Sie heute Ihren besten Mann ans Pult und gehen Sie -379-
schlafen. Ich präpariere meinen Akteur. Sonst gibt es jetzt nichts mehr zu tun.“ „Danke Brad. Wenn Sie was Gepfeffertes sehen wollen, dann lassen Sie sich die Videobänder abspielen, auf die wir heute nachmittags allerlei ungenierte Spielchen aufgezeichnet haben. In den Hotels ging's zu wie bei der Place Pigalle in Paris. Manche Delegierten machen sehr intensiv Eheurlaub, und einer von der anderen Fakultät holte sich einen blonden Knaben.“ „Das überlasse ich Irving Lanzer und seinen Schnüfflern von der “Sondersektion für Recherchen“. Sex zum Zuschauen, so was gibt mir nichts.“ Am Mittwochmorgen erwachte Brad frisch und ausgeruht. Er war bereit, das Zauberkunststück zu wagen. Um zehn betrat er den Kontrollraum. Der geniale Julius hatte alle Monitoren eingeschaltet. „Noch nicht viel Betrieb“, sagte er. „Wenn es heute so geht wie gestern, dann werden die Telefonate etwa um halb zwölf beginnen.“ „Können wir die Gespräche der engsten Mitarbeiter in der Suite abhören?“ „Der Empfang aus der Suite des Kandidaten ist gut. Dort habe ich im vorigen Monat eine Anlage eingebaut, außerdem gibt es im obersten Geschoß des Hotels nebenan eine Richtantenne.“ „Dann bleibt uns also nur eines: abwarten. Wir müssen aber auch überlegen, wie wir es in vier Jahren sogar noch besser machen können. Da werden wir vielleicht nicht auf so günstigem Terrain operieren wie hier in Miami.“ „Mit der Förderung durch Ihre Organisation werde ich bis 1976 das beste Überwachungssystem entwickelt haben, das Sie sich vorstellen können. Sensoren in der Größe einer -380-
Fünfzigcent-Münze legt man einfach an den Strand und hört die Gespräche von Leuten, die glauben, in der Schwimmhose sind sie weit vom Schuß. Unsichtbare, überall haftende Mikrosendegeräte, die man an Wände klatscht, oder an Autokarosserien. Zur Zeit arbeite ich an der Konstruktion eines Gewehrs, ähnlich wie eine Narkosebüchse, damit wird man einen Haftsensor dreihundert Meter weit schießen können, und wenn er auftrifft, überträgt er jedes Wort. Ich werde in der Lage sein, in jedem beliebigen Raum einen TV-Sender von der Größe eines Stecknadelkopfes anzubringen. Meine jetzigen Sendegeräte haben die Abmessungen eines Zigarettenpäckchens.“ „Das werden wir alles brauchen“, sagte Brad anerkennend. Deutlich war aus der angezapften Suite plötzlich die Stimme eines Sekretärs zu hören, der das Frühstück bestellte. „Das heißt, daß bald eine Besprechung steigt“, kommentierte der geniale Julius. „Hoffen wir, daß unser Mann persönlich seinen Finanzberater Bobby Marmelstein anruft, wie in den letzten Tagen. Ist bei Ihnen alles bereit?“ „Ja. Ich habe im präparierten Hotelzimmer einen hervorragenden Imitator sitzen.“ „Gut so. Der Anruf kann nun jeden Moment erfolgen.“ „Hoffen wir, daß alles klappt.“ Der geniale Julius stellte den Ton lauter. Gleich darauf ertönte die unverwechselbare Stimme des Kandidaten. „Ich glaube, es ist Zeit, Mr. Marmelstein anzurufen. Es interessiert mich, was unsere Wahlspender zu der gestrigen Tagesordnung sagen.“ „Achtung, gleich kommt das Gespräch durch.“ Der geniale Julius nahm ein Mikrofon. „Wir leiten es um.“ „Geben Sie meinem Mann das Signal“, sagte Brad knapp. Der geniale Julius wechselte den Kanal, und mit dem Mikrofon in der Hand drückte er auf den Sendeknopf. „Anruf -381-
des Senators an Marmelstein. Wir schneiden mit.“ „Verbinden Sie mich bitte mit Mr. Marmelstein in Suite 1160“, sagte der Senator zur Vermittlung. Über die angezapfte Leitung hörte man das Signal im Quartier des Finanzberaters. Prompt meldete sich aber der Schauspieler, der Marmelsteins Timbre und Tonfall täuschend nachahmen konnte. „Wie haben die potentiellen Geldgeber auf die gestrigen Ausführungen reagiert?“ fragte der Senator nach kurzer Begrüßung. „Nicht sehr günstig“, erwiderte der Schauspieler. „Ich habe Ihnen oft und oft gesagt, Ihre Steuerreformpläne sind den Finanzmagnaten nicht geheuer.“ „Ach, denen passiert doch nichts, Bobby.“ „Man will wissen, mit wem Sie gemeinsam kandidieren werden.“ „Ich ziehe einige Persönlichkeiten in Betracht, bin aber nicht bereit, meine Vorschläge zu erörtern, bevor ich selbst nominiert wurde.“ „Aus New York hört man Mutmaßungen, daß Sie sich für Adams entscheiden könnten. Unsere Förderer haben was für ihn übrig. Was halten Sie selbst von ihm?“ „Ich schätze Adams natürlich sehr. Aber er würde in unserem Ticket jene konservative Linie von Law and Order vertreten, die meine Anhänger hier beim Konvent ablehnen. Sie wissen, Bobby, für die ist Law and Order gleichbedeutend mit Unterdrückung von Minderheiten. Das können wir nicht brauchen.“ Der geniale Julius fuhr herum. „Verdammt, warum bringt der Kerl den Senator nicht dazu, Adams beim vollen Namen zu nennen?“ zischte er Brad zu. „Ich habe ihm gesagt, das sei das Wichtigste. Warten wir ab.“ -382-
Und wie auf Stichwort fragte der Schauspieler: „Bis vor zwei Tagen war mir dieser Adams kein Begriff. Wie heißt er überhaupt mit dem Vornamen?“ „William Fortune, also William Fortune Adams“, entgegnete der Senator, deutlich jede Silbe betonend. Der geniale Julius an seinem Pult nickte befriedigt, auch Brad atmete auf. „So sehr ich seine Leistung bei der Zerschlagung des Heroinringes bewundere - als Mitkandidaten kann ich ihn wirklich nicht an Bord nehmen. Und ich begreife gar nicht, warum man plötzlich soviel Aufhebens um ihn macht.“ „Verstehe, Senator“, sagte der Schauspieler, froh, daß alles so gut laut Regieanweisung verlaufen war. „Aber wenn Sie die Möglichkeit haben, etwas Positives über Adams zu sagen, dann tun Sie es. Das wird Ihnen bei den Leuten, die wir wegen großer Wahlspenden anbohren wollen, gewiß nicht schaden.“ „In Ordnung, Bobby. Sonst noch was?“ „Nein. Ich würde Ihnen nur raten, überstürzen Sie die Entscheidung über den geeigneten Partner nicht.“ „Ich halte Sie auf dem laufenden. Wir sehen uns also bei der Sitzung.“ „Ich werde pünktlich zur Stelle sein.“ Eine Stunde später spielte der geniale Julius das sorgfältig geschnittene Band ab. Nach der Montage gab der Senator nun eine unmißverständliche Erklärung ab, sie hatte folgenden Wortlaut: „Ich ziehe ernstlich William Fortune Adams als Mitkandidaten in Betracht. Er würde in unserem Ticket jene konservative Linie von Law and Order vertreten, die wir brauchen. Ich schätze Adams sehr und bewundere seine Leistung bei der Zerschlagung des Heroinringes.“ „Wunderbar!“ rief Brad. „Nun brauchen wir die Aufnahme nur den richtigen Leuten in die Hände zu spielen und dafür zu sorgen, daß die Sache publik wird. Ich sehe schon, bis 1976 werden wir auch eigene Rundfunkstationen haben müssen.“ -383-
Um 14,30 Uhr wurde die Erklärung von einem New Yorker Nachrichtensender übernommen, der nur sehr ungern die Spesen flüssig gemacht hatte, um einen Reporter nach Miami zu entsenden. Klugerweise verbrachte dieser seine Zeit im Ascot Hotel bei Empfängen und in den durchgehend geöffneten Gesellschaftsräumen. Dafür wurde er belohnt, indem man ihm das Band zusteckte. Wenige Minuten nach Durchgabe der Meldung eilten Scharen von Journalisten zu dem Hotel, in dem Adams wohnte. Er empfing sie auf der Dachterrasse und den anschließenden Räumen. Alles war schon vorbereitet, damit eine ganze Batterie von TV-Kameras rasch in Stellung gehen konnte. Exklusivinterviews wurden für spätere Termine des Tages vereinbart. Sonnengebräunt, eine gute Erscheinung in Sporthemd und heller leichter Hose, trat Adams mit seiner Frau vor die Presse. Sofort begannen die Kameras zu surren, und die Fotografen drängten heran, um den besten Blickwinkel zu erhaschen. Adams hatte seine Stellungnahme gemeinsam mit Brad konzipiert und wußte, worauf es ankam und welche Punkte er also besonders hervorheben mußte. Jetzt bot sich zumindest die Chance, die gesamte Nation anzusprechen, und diese Gelegenheit würde er so gut als möglich nützen. „Darf ich zunächst sagen, daß mich die ehrende Meinung jenes Mannes, der in diesem Herbst zum Präsidenten gewählt wird, ebenso überrascht wie Sie alle, meine Damen und Herren. Ich hatte keine Ahnung, daß er mich als möglichen Mitkandidaten in Betracht zog und bin dankbar für das Vertrauen, das er in mich setzt.“ Adams machte eine Kunstpause und lächelte in die Kameras. „Aber ich habe mich dem Dienst am Volk meines Heimatstaates New York verschrieben. Unser Staat leidet mehr als jeder andere der USA unter einem beängstigenden Anstieg der Kriminalität, die eine direkte Folge des Rauschgiftschmuggels -384-
ist. Wie unser nächster Präsident erwähnte, ist es mir gelungen, einen größeren Sieg über die Drahtzieher des Drogenhandels zu erringen, über skrupellose Elemente, die von dem menschlichen Elend profitieren, dessen Ursache das Heroin ist. Ich halte es für meine Pflicht, auf einem Posten zu bleiben, wo ich mich auf die Bekämpfung des Verbrechens konzentrieren und für neue Gesetze arbeiten kann, um gegen diese Geißel Amerikas und besonders meines Heimatstaates radikal vorzugehen. Wenn mich die Demokratische Partei in New York für den Senat nominiert, werde ich diese Aufgabe mit Freuden übernehmen, weil ich von dem Glauben beseelt bin, daß ich im Senat noch mehr zur Ausmerzung des Rauschgiftproblems tun kann, das Amerikas Lebensnerv bedroht. Ich sehe also gern der Möglichkeit entgegen, im Herbst in meiner Eigenschaft als Mitglied der Legislative mit dem neuen Präsidenten zusammenzuarbeiten, in dem Bemühen, neue strenge Strafgesetze zu erwirken. Ich werde ihm und seinem Mitkandidaten, wer dieser auch sein mag, meine volle, uneingeschränkte Unterstützung gewähren. Hier in Miami habe ich lediglich die Funktion eines Delegierten, deshalb überrascht mich der Vertrauensbeweis unseres künftigen Präsidenten auch so sehr. Ich betrachte dies als eine hohe Auszeichnung, für die ich sehr dankbar bin.“ Nach einer halben Stunde, während der Adams die Fragen der Journalisten beantwortete, kam ein Reporter, der soeben seinen Bericht telefonisch durchgegeben hatte, mit der Neuigkeit zurück, der Senator dementiere entschieden die bewußte Stellungnahme und habe trotz aller persönlicher Hochachtung nie erwogen, Adams für die Nominierung vorzuschlagen. Mit einem etwas arroganten Lächeln äußerte sich der Politiker prompt auch dazu: „Wie ich eingangs sagte, war ich überrascht, oder treffender ausgedrückt, verblüfft, daß der Senator die Möglichkeit meiner Kandidatur konkret ins Auge faßte. Aber ebenso wie Sie alle habe ich selbst seine Erklärung im Radio -385-
gehört. Nähere Umstände, wie es dazu kam, sind mir nicht bekannt.“ Voll Genugtuung vergegenwärtigte sich Brad das ganze Ausmaß der peinlichen Lage, in die der Präsidentschaftskandidat geraten war. Zumindest würde er nun wissen, daß es völlig verfehlt wäre, Adams anzugreifen. Brad durfte sich gratulieren, sein kühner Husarenstreich war geglückt. Jetzt gab es keine Schwierigkeiten mehr zu überwinden. Adams' Senkrechtstart mit der Heroinaktion und danach die mit solch selbstlosen Beweggründen motivierte Ablehnung der Kandidatur für den Posten des Vizepräsidenten - kein Zweifel, eine neue Welle der Popularität würde Adams weitertragen. Ob ihm der Senator die Nominierung tatsächlich anbieten wollte oder nicht, war dabei ganz unwesentlich. Das war's also, dachte Brad. Mission erfüllt. Alles andere war Sache des Dr. Wormsinger, der geheimdienstartigen Sondersektionen im Rahmen der Whitehall-Organisation und des genialen Julius.
-386-
40 Salvatore Di Siccerone stand am Kai der neunundsiebzigsten Straße und blickte gespannt den Hudson River hinab. Ein etwas zu modisch geschnittener marineblauer Blazer mit Goldknöpfen, unter dem er einen weißen Rollkragenpullover trug, verlieh zusammen mit der flott aufs Ohr gesetzten Kapitänsmütze, weißer Hose und weißen Schuhen der Erscheinung des Capo di tutti i capi eine betont seemännische Note. In weniger überzeugender nautischer Aufmachung flankierten ihn seine Leibwächter, und an seinem Arm hing eine auffallend attraktive Blondine in einem todschicken Sommerkleid, die dauernd die Pose und das Mienenspiel wechselte, als stünde sie vor der Kamera eines Modefotografen. Wahrscheinlich war sie sowieso ein Top-Mannequin oder wollte eines werden. Ein seriös wirkender grauhaariger Mann in hellem leichtem Drillichanzug, Typus gehobener, langjährig bewährter Angestellter eines renommierten Unternehmens, spähte über das Geländer vorgebeugt auf den Strom aus. Schließlich straffte er sich und sagte mit strahlendem Lächeln: „Da kommen Sie, Mr. Di Siccerone. In wenigen Minuten wird die Jacht anlegen.“ Sal, die Pranke, blinzelte auf das in der Nachmittagssonne glitzernde verschmutzte braune Wasser. Das schnittige weiße Schiff hielt direkt auf den Landeplatz zu. „Bildschön!“ murmelte Sal, sichtlich beeindruckt. „Wie lange ist der Kahn, sagten Sie?“ fragte er den schlanken Grauhaarigen, der ihn um ein gutes Stück überragte. „Vom Kiel bis zum Heck 22 Meter. Das größte Modell, das wir bauen“, erwiderte der Verkäufer voll Stolz. „Und Sie glauben, daß man damit ohne weiteres bis nach Miami fahren kann?“ „Gewiß, Mr. Di Siccerone, Sie können damit jeden Hafen und Landepunkt der westlichen Hemisphäre erreichen. Die Jacht ist -387-
hochseetüchtig und bietet allen Komfort für Kreuzfahrten.“ „Wir werden sie heute kurz ausprobieren.“ Das Boot näherte sich dem Kai, ein am Bug stehender Matrose warf das Tau aus. Bald war die Jacht festgemacht. „Gute Fahrt, Mr. Di Siccerone“, sagte der Verkäufer freundlich. „Würden Sie mich bitte später anrufen, um mir mitzuteilen, wie Ihnen das Boot gefällt?“ „Wird geschehen. Wie kommt man an Bord?“ Die Antwort auf diese Frage erübrigte sich, denn im selben Moment wurde ein Steg ausgelegt. Als erster ging ein Leibwächter hinüber, dann das Mädchen, gefolgt von Sal, und schließlich der zweite Gorilla. Der Matrose zog den Steg ein, die Jacht legte wieder ab und nahm Kurs auf die Fahrrinne des Hudson River. Die Gruppe begab sich auf das Achterdeck, wo einige Bordstühle bereitstanden. Ein Steward in weißem Spenzer erschien und erkundigte sich, welche Drinks die Neuankömmlinge wünschten. Sal knöpfte den beim Sitzen etwas beengenden Blazer auf und seufzte zufrieden, wie ein dicker italienischer Kleinbürger, der eine ruhige Stunde spießerhaften Wohlbehagens genießt. „So hab ich's gern. Auf dem Wasser, weg von dem Dreck am Ufer. Ja, ja.“ Als die Jacht eine gewisse Strecke nordwärts gefahren war, stand er auf. „Jetzt werde ich einen Blick unter Deck werfen.“ Die Blondine nickte und widmete sich, fotogen hingelagert, dem Drink, den ihr der Steward serviert hatte. Sal stieg die Treppe in den großen, luxuriösen Hauptsalon hinab. „Hallo, Charlie, das war eine gute Idee“, begrüßte er den Mann, der ihn dort erwartete. C. L. Cervi blickte von den Papieren hoch, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Hallo, Sal. Dieser Kahn hier ist an einem heißen Sommertag so ziemlich der sicherste Ort für ein Gespräch, den ich mir denken kann. Deine Freunde, die sich -388-
dauernd dafür interessieren, wohin du gehst und mit wem du dich triffst, werden dumme Gesichter ziehen und nicht wissen, woran sie sind.“ „Ja, und ich meine, wenn die Kerle die tolle Puppe sehen, die ich mitgebracht habe, werden sie abgelenkt sein und nicht wieder nur Mutmaßungen anstellen, mit wem ich wohl zusammenkommen könnte. Also, was gibt es, Charlie?“ „Wie geht es Strega-Joe und den anderen Ragazzi?“ „Oh, das hat großartig geklappt. Sie sind gegen Kaution frei, die Richter haben so viel anderes zu tun oder sind auf Urlaub, deshalb mußte bis jetzt niemand wieder vor den Kadi. Und keiner fürchtet irgendwelche Folgen - das heißt, außer Augie Falconi. Der findet, man sollte sich auch um seinen Jungen kümmern.“ „Das wird geschehen“, entgegnete Cervi hintergründig. „Wir wollen nicht, daß irgendeinem der Betroffenen vor den Wahlen der Prozeß gemacht wird. Darum haben wir die Sache mit den Richtern gütlich geregelt. Andererseits müssen wir vermeiden, daß die Presse den Fall ganz groß ausschlachtet und einen Rummel veranstaltet, weil alle im Zusammenhang mit der Adams-Aktion Verhafteten glimpflich davonkommen. Solche Publicity wäre Bills Kampagne abträglich.“ „Ich verstehe, Charlie. Es wird keine Schwierigkeiten geben. Echeverrea weiß natürlich nicht, daß wir ihn in eine Falle laufen ließen, aber er hält sich gut. Ich habe ihm gesagt, er soll nicht kopfscheu werden, er kriegt die besten Anwälte.“ „Ramirez wurde bereits ausgewiesen“, bemerkte Cervi trocken. „Es stand in den Zeitungen, und das ist gut so, denn daran kann die Öffentlichkeit ermessen, welch wichtigen Dienst Adams mit seinen Nachforschungen den USA erwiesen hat.“ „Ja, dieser Adams machte beim Parteikonvent Schlagzeilen“, sagte Sal anerkennend. „Wie stehen seine Wahlchancen?“ „Er wird im Herbst todsicher in den Senat einziehen. Um Bill -389-
Adams braucht uns nicht mehr bange zu sein. Er gehört mir. Ganz und gar. Und er weiß es jetzt. Es dauerte einige Zeit, bis er sich daran gewöhnt hatte, daß ihn jemand völlig in der Hand hat, aber nun spurt er. Und er gewinnt an Popularität. Viele junge Leute, die ihn früher ablehnten, sind nun seine Anhänger, weil er für die Legalisierung von Marihuana eintritt.“ „Gerade deswegen klettern einige aus meiner ,Familie' auf die Palme. Wenn der Verkauf von Marihuana gestattet wird, verlieren sie ihr Geschäft.“ „Sag ihnen, es gibt keine Einbußen zu befürchten. Ich habe etwas größeres vor, darum wollte ich dich heute sprechen.“ Cervi reichte Sal ein bedrucktes Kuvert. „Nachdem du all die schönen Einzelheiten über diese Jacht gelesen hast, wirst du auch Informationen über eine kalifornische Firma finden, die ich kaufte. Sie beliefert Community Colleges westlich der Rocky Mountains mit audiovisuellen Unterrichtsbehelfen.“ „Unterrichtsbehelfe?“ rief Sal verblüfft. „Was soll das? Unser einziges Interesse an Colleges besteht darin, daß wir dort die Hälfte des “Schnees“ absetzen, den wir hereinkriegen.“ „Darum geht es mir. Wir tauschen alle bisherigen Regionalvertreter gegen unsere eigenen Leute aus. Die können dann jederzeit überall auftauchen und die Verteiler unter der Studentenschaft versorgen. Sehr bald wird diese Firma Geschäftskontakte zu allen Community Colleges der USA herstellen und auch in den großen Universitäten Fuß fassen.“ Das Ausmaß des Konzeptes, das Cervi da in knapper nüchterner Form vor ihm entrollte, machte Sal für einen Moment sprachlos. Er schob die Kapitänsmütze nach hinten und schlug sich auf die Stirn. „Natürlich! Eine Bombenidee! So finden wir ganz harmlos und unverfänglich zu jedem College Zugang. Charlie, du hast ein Supergehirn.“ „Der Name des neuen Managers dieses UnterrichtsbehelfeVertriebes steht in den Angaben. Ich habe ihn vor ein paar -390-
Monaten engagiert. Der Stoff, den wir aus Asien bekommen, wird bereits in diesen Verteilerapparat geleitet. Die neueste Heroin-“Pipeline“ funktioniert ausgezeichnet. Nun möchte ich, daß du deine besten jüngeren Kräfte in diese Firma einschleust, damit sie den College-Markt bearbeiten. Begreifst du, wie die Sache läuft?“ „Klar. Überlaß es nur mir. Können wir die Aktionen auf das ganze Land ausdehnen?“ „Wenn sich das Geschäft in den Weststaaten lohnt, haben wir binnen sechs Monaten Stützpunkte in allen Colleges.“ Die Pranke langte über den Tisch und nahm das Kuvert. „Ich trommle die richtigen Leute zusammen, du wirst zufrieden sein. - Übrigens, was ist mit diesem Detektiv Kenney los, den du wegen unserer Rackets in Brooklyn aus dem Straßendienst verscheucht hast? Der Bursche hat ja mit Adams enorme Publicity eingeheimst.“ Bei der Nennung des Namens Kenney furchte Cervi die Stirn. Einige Sekunden verstrichen, ehe er antwortete: „Er ist drauf gekommen, was hinter der Adams-Aktion steckt. Ich habe den Mann unterschätzt, das muß ich zugeben - aber nur dir gegenüber.“ Sal zog die Mütze vom Kopf, plötzlich wurde ihm heiß. „Kann er uns schaden?“ Cervi verneinte. „Kein Grund zur Beunruhigung. Ich wollte ihn anheuern, aber das hat er brüsk abgelehnt. Mittlerweile ließ er sich vorzeitig pensionieren und nahm einen Posten bei einer privaten Wachgesellschaft an.“ Ein sprödes Lachen. „Zufällig gehört diese Firma mir. Auf diese Weise habe ich Kenney unter Kontrolle. Während des Parteikonvents erhielt er einen Auftrag in Miami. Das wußte ich nicht, sonst hätte ich es verhindert. Dort unten traf er mit Adams zusammen und packte aus.“ „Charlie, das könnte schlimm enden.“ Sal stand auf und begann in der Kajüte umherzugehen. -391-
„Nein, im Gegenteil. Wir konnten Adams dadurch nur um so fester an uns binden. Wenn er ausbrechen wollte, wäre er kompromittiert und erledigt. Er weiß genau, daß er mitmachen muß - und dabei keineswegs schlecht fährt.“ „Wenn du es sagst, dann wird es stimmen.“ Aber Sal war nicht ganz überzeugt davon. „Falls es irgendwelche Probleme gibt, wirst du verständigt. Nun zum Schluß eine Kleinigkeit: wie viele “Kontrakte“ habt ihr noch vor?“ Grinsend zuckte Sal die Achseln. „Ich weiß es nicht, Charlie. Die Ragazzi sind eben etwas nervös geworden.“ „Pfeif die Killer lieber zurück“, sagte Cervi sehr ernst. „Im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit machst du keine gute Figur, also halte dich heraus. Immer wenn die Leute glauben, daß deine Organisation wirklich nicht mehr existiert, platzt eine theatralische Liquidation herein, wie in einem Gangsterfilm aus dem AI Capone-Milieu. Jetzt wurde Tommy Ryans Tod in allen Zeitungen breitgetreten. Warum zum Teufel mußte er beseitigt werden?“ „Er wollte sich einfach über die Kommission hinwegsetzen und war sehr undiszipliniert. Ich könnte deine Wünsche nicht erfüllen, wenn wir nicht von der Kommission bis zu den untersten Rängen eiserne Disziplin hielten.“ Cervi seufzte. „Ja, das leuchtet mir ein. Aber zu diesem Zweck würde es doch genügen, ungebärdige Elemente in aller Stille spurlos verschwinden zu lassen.“ „Da irrst du. Für die innere Disziplin ist Publicity besser. Ein eindrucksvolles Tatortfoto in den Zeitungen wirkt abschreckend.“ „Hast du nie bedacht, daß es dir selbst an den Kragen gehen könnte?“ „Doch. Ich bin Boß der Bosse, aber falls ich plötzlich verrückt -392-
spielen oder meine Macht mißbrauchen sollte, dann würden sich die anderen gewiß zusammentun und beschließen, mich aus dem Weg zu räumen. Doch ich bin schon zu lange dabei, jetzt gehöre ich bereits zu den Senioren, denen kommt man nicht mehr mit der Kugelspritze. Außerdem mache ich keine gefährlichen Fehler, ich mische mich nie in fremde Angelegenheiten ein, sondern fungiere eher als eine Art Schiedsrichter.“ „Nun, wenn du einige Todesurteile weniger fällen würdest, wäre es für uns alle besser, Sal. Solche Publicity brauchst du doch wirklich nicht.“ Der Mann im zu knapp geschneiderten Kapitänskostüm schlug eine wiehernde Lache an. „Ja, ja, ich weiß, diesen Teil unserer Arbeit hast du nie gemocht. Aber du hast nie gezögert, mich um einen “Kontrakt“ zu bitten, wenn es für dich nötig war.“ „Ich bin dabei, das in eigener Regie zu organisieren“, sagte Cervi kalt. „Gut. In einigen Wochen treffen wir uns wieder. Mittlerweile viel Vergnügen beim Jachtausflug. Ich werde dem Kapitän sagen, er soll wenden und den Hudson hinunterfahren. Auf bald.“ Cervi sah Sal nach, der zum Achterdeck hinaufstieg, und wandte sich dann seinen Papieren zu.
-393-
41 Brad erwartete Elda in dem kleinen, aber sehr komfortablen Apartment, das er vor kurzem als Ausweichquartier gemietet hatte, denn für ihn gab es keinen Zweifel mehr, daß seine luxuriöse Suite im Ascot Tower nicht nur alle Annehmlichkeiten bot, sondern auch mit elektronischen Überwachungsgeräten ausgestattet war. Jedenfalls fand er es geraten, dort keine vertraulichen Gespräche zu führen, und da er sich nun sehr oft mit Elda traf, brauchte er eine ungestörte Privatsphäre. Es war sieben Uhr abends, eigentlich hätte sie schon vor einer halben Stunde kommen sollen. Brad war gerade dabei, einen Martini zu mixen, als er den Schlüssel im Schloß hörte. Elda sperrte selbst auf. Er goß noch etwas Gin nach. „Hu, richtiger warmer Indianersommer!“ rief sie und setzte einen großen Plastiksack ab. „Entschuldige, daß ich mich verspätet habe. Ich wollte etwas Besonderes für Andreas neues Apartment, aber ich glaube, jetzt habe ich etwas gefunden, das ihr gefallen wird.“ Er reichte ihr einen eiskalten Martini. „Zur Abkühlung.“ Dankbar nahm Elda den Drink, sie setzten sich auf das breite Sofa. Brad hob sein Glas. „Auf Andreas neue Lebensphase wenn sie konsequent bleibt.“ „Oh, keine Sorge, wenn sie erst auf den Geschmack kommt, wird sie ihre Selbständigkeit schätzen.“ „Sie ist ein seltsames Mädchen. Eigentlich begreife ich das Denken dieser jungen Leute nicht ganz. Endlich entschließt sie sich, von zu Hause wegzugehen, da Mutter und Stiefvater eine Neunzehnjährige zu nichts mehr zwingen können. Aber warum zieht sie dann nicht zu mir? Ich habe genug Platz, und hier hätte sie alles, was sie sich nur wünschen mag. Sogar der Weg zum College wäre kürzer und bequemer. Aber nein, sie möchte lieber -394-
eine kleine Bude in Greenwich Village. - Weißt du, was sie gesagt hat?“ spann er den Gedanken weiter. „Es würde Gwen weniger wurmen, wenn Andrea allein wohnt als bei mir. Falls sich Gwen schon mit der Trennung abfinden muß, will sie zumindest verhindern, daß sich meine Tochter an mich anschließt.“ „Wahrscheinlich will sich Andrea eben völlig unabhängig machen.“ „Aber du bist doch schon über zwanzig und wohnst noch immer gern im Haus deines Vaters.“ „Das wohl. Doch ich muß keine Einschränkungen in Kauf nehmen. In dem Trakt, den ich bewohne, kann ich tun, was ich will. Ich habe einen eigenen Zugang, eigene Garage, eigenes Telefon und eine eigene Küche. Niemandem brauche ich Rechenschaft zu geben, deshalb gefällt es mir dort.“ „Bei mir hätte Andrea auch ihre Freiheit. Das wird ein Spektakel werden, wenn sie das traute Heim der Familie Connor verläßt!“ Brad konnte sich die Schadenfreude über Gwens ohnmächtigen Grimm nicht verkneifen. „Wann wird sie denn übersiedeln? Wie sie mir sagt, sollte es schon vor ein paar Tagen soweit sein.“ „Ich möchte, daß sie erst einzieht, sobald sie ein Telefon hat. Es ist mir lieber, sie bleibt noch etwas länger in dieser schauderhaften, aber vertrauten Umgebung, als daß sie auf sich allein gestellt, aber nicht erreichbar ist.“ „Du hast recht. Ich bin schon gespannt darauf, was sie sich ausgesucht hat.“ „Wenn du willst, können wir uns das Apartment ansehen, bevor sie übersiedelt. Ich habe nämlich einen Schlüssel. Allerdings mußte ich ihr eines hoch und heilig versprechen: ja keine Überraschungsbesuche.“ Er blickte ernst vor sich hin. „Und das macht mir Sorgen. Ich befürchte, daß sie noch immer mit diesem Tony Falcon in Kontakt ist. Unbegreiflich, wieso der -395-
Kerl noch frei herumläuft. Jetzt haben wir Oktober, seit er damals verhaftet wurde, sind sechs Monate vergangen, und er steht noch nicht vor Gericht.“ „Wenn sie sich mit ihm treffen will, kannst du es nicht verhindern es sei denn, du entschließt dich zu drastischen Maßnahmen, wenn du etwa meinen Vater bittest, Tony radikal ausschalten zu lassen...“ „Ach, hör doch bitte zu phantasieren auf, Elda. Du weißt doch, daß C. L. Cervi kein Mafiaboß ist.“ „Ich weiß genau, was er ist. Und ich liebe ihn. Er ist eben mein Vater. Übrigens, ich weiß auch, was du bist oder was sie bei Whitehall aus dir machen wollen -“ Sie hielt inne. „Und?“ „Und -“ Elda zögerte, dann mit plötzlichem Entschluß: „Ich liebe dich, Brad. So, jetzt habe ich es gesagt. Und ich bedaure auch nicht, daß es so ist. Trotz Luciana.“ „Ach, ich glaube nicht, daß mich Luciana wirklich liebt. Außerdem ist sie so beschäftigt, daß ich sie kaum mehr zu sehen kriege.“ Versonnen drehte er sein Glas. „Und du bist auch nicht wirklich in einen älteren Herrn wie mich verliebt, das bildest du dir bloß ein. Was würde dein Vater denken, wenn er dich jetzt gehört hätte? Wie gut, daß ich diese Wohnung gefunden habe, die ist wenigstens abgesichert.“ „Sieht der Große Bruder seine Getreuen tatsächlich überall?“ „Nach allem, was ich weiß und miterlebte, ja.“ Im selben Moment schreckte das Telefonsignal die beiden auf. „Na bitte, er hat auch diese Bleibe hier schon anbohren lassen und ist bereits hinter uns her“, sagte Brad, nur halb im Scherz. „Wer hat deine Nummer?“ fragte Elda nervös. „Es gibt eine Umschaltung von meinem Apartment im Ascot -396-
Tower, die funktioniert automatisch, wenn ich nicht dort bin. Leider kann ich mich an Wochentagen nicht völlig isolieren.“ Er hob ab und meldete sich. „Brad, Andrea ist bei dir!“ keifte die grelle Frauenstimme. „Ich weiß es. Wenn du sie nicht sofort nach Hause schickst, verständige ich die Polizei.“ „Andrea ist alt genug, um zu tun, was sie will“, erwiderte er sehr scharf. „Sie kann wählen, ohne deine Erlaubnis heiraten und allein wohnen. Du hast keine Möglichkeit mehr, sie daran zu hindern.“ „Das wird sich ja weisen. Wenn du sie nicht augenblicklich zurückschickst, bringe ich dich hinter Gitter!“ Nun wurde Brad doch unruhig. Nicht wegen Gwens kindischer Drohungen, sondern weil er sich um seine Tochter ängstigte. Sie hätte längst bei ihrer Mutter sein müssen. Schließlich hatte sie ihm fest versprochen, erst nach der Einleitung des Telefons zu übersiedeln. War sie irgendwo mit Tony zusammen? „Gwen, Andrea ist nicht hier. Ich habe sie seit zwei Tagen nicht gesehen“, antwortete er. Es kostete ihn Mühe, sich zu beherrschen. „Du lügst. Sie ist dort. Ich möchte mit ihr sprechen.“ „Wie oft soll ich es noch sagen: sie ist nicht bei mir. Reden wir weiter, bis du wieder zur Vernunft gekommen bist.“ Lange Pause, dann fragte Gwen gefaßter: „Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?“ Brad wollte nicht die Unwahrheit sagen, aber ebensowenig durfte er Andreas Plan verfrüht preisgeben. „Nein, das ist mir schleierhaft. Übrigens ist es erst halb acht. Also kein Grund zur Aufregung, wenn ein erwachsenes Mädchen noch nicht daheim ist.“ „Sie hat versprochen, spätestens um sechs zu kommen. Sie -397-
weiß, daß wir für sieben Uhr ein paar Gäste eingeladen haben, und da sollte sie Tee und Sandwiches vorbereiten. Außerdem müßte sie mir den Rücken massieren.“ „Wenn ich etwas erfahre, rufe ich dich sofort an. Aber ich kann dir versichern, sie ist nicht bei mir und ich habe sie zuletzt vor zwei Tagen gesehen.“ „Und warum hast du dich vor zwei Tagen mit ihr getroffen?“ fragte Gwen mißtrauisch. Es klang, als kratze man mit einem Nagel auf einer Schiefertafel. Unwillkürlich zuckte Brad zurück. Schon diese schrille, hysterische Stimme allein machte ihn wütend. „Na schön, wenn du es genau wissen willst: sie hat mich um Geld gebeten, für dich und deinen famosen Ed, der unfähig ist, etwas zu verdienen. Geld, damit ihr was zu fressen habt und die Miete bezahlen könnt!“ „Jetzt hast du dich verraten!“ gellte es ihm in die Ohren. „Während der letzten sechs Monate hat uns Andrea keinen Cent gegeben, weder von dir noch von jemand anderem. Schluß jetzt, ich benachrichtige die Polizei.“ „Meinetwegen. Mach dich nur lächerlich!“ rief Brad erregt, aber Gwen hatte den Hörer schon hingeschmettert. Er wandte sich zu Elda. „Es tut mir leid, daß du das alles mitanhören mußtest.“ „Diese Frau ist ja eine grauenhafte Plage. Arme Andrea. Wie hat sie es bloß die ganze Zeit ausgehalten?“ „Das ist mir ein Rätsel. Aber nun bin ich wirklich in Sorge um sie. Denn sie ist pünktlich und zuverlässig, so zuwider ihr auch dieses unerträgliche Milieu sein mag. Und was mich noch stutziger macht: Gwen behauptet, Andrea habe ihr kein Geld von mir weitergegeben.“ „Ich weiß, bei der Lautstärke verstand man jedes Wort.“ „Wenn Gwen die Wahrheit sagt, muß Andrea schon eine ganz -398-
beachtliche Summe beisammen haben. Was fängt sie damit an...?“ Er dachte angestrengt nach. „Elda, ich glaube, ich sehe mich in Andreas Bleibe um.“ „Ich fahre mit, Brad.“ „Das ist mir sehr recht. Leider habe ich den Wagen nicht verfügbar. Wir müssen ein Taxi nehmen.“ „Einerlei. Nur schnell.“ Beim Tor eines Neubaus im Stadtteil Greenwich Village drückte Brad auf den Knopf des Apartments 3A; der Rahmen für das Namensschild war noch leer. Sie warteten, aber die Tür wurde nicht automatisch geöffnet. Brad holte den Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und ging mit Elda drei Treppen hoch. Vor 3 A blieben sie stehen, Brad klopfte an, rief den Namen seiner Tochter. Keine Antwort. Hastig schloß er die Tür auf, schritt durch den kleinen Vorraum und betrat ein erst halb eingerichtetes Zimmer. An einer Wand stand eine niedere Couch mit lebhaft gemustertem Tschintzbezug. Dann sah er sie. Elda stieß einen Schrei aus. Brad machte noch zwei fast tastende Schritte und blickte auf Andrea nieder. Es schnürte ihm die Kehle zu, er schloß die Augen, doch als er sie öffnete, lag Andrea noch immer vor ihm, wie von der Couch herabgeglitten. Ihr langes dunkelblondes Haar hatte das Gesicht halb verdeckt und breitete sich wellig rund um den Kopf auf dem Boden aus. Der Rock war bis über die Hüften hinaufgeschoben und knapp unter dem Slip, an der Innenseite des linken Schenkels, steckte eine Injektionsspritze. Die Arme lagen locker auf dem Körper, beide Hände, mit denen sie die Spritze gehalten hatte, geöffnet zur Seite gesunken. Die Überdosis muß sofort tödlich gewirkt haben, dachte Brad. „Das wußte ich nicht...“ schluchzte Elda. Zitternd umschlang sie seinen Hals. „Glaube mir, ich wußte nicht, daß auch -399-
Andrea...“ „Natürlich nicht“, sagte er mit schwankender Stimme. „Jetzt müssen wir doch die Polizei verständigen.“ Die Drohung fiel ihm wieder ein, die Gwen erst vor einer halben Stunde in ganz anderem Sinn und so leichtfertig ausgestoßen hatte. Wie gebannt starrte Elda die Leiche an. „Komm, gehen wir.“ Brad führte das von Weinkrämpfen geschüttelte Mädchen langsam zur Tür.
-400-
42 Mit der gefalteten Daily News unter dem Arm lauerte Pat Kenney auf der Straße gegenüber von Tony Falcons Apartment. Seit dem Moment, als er die Schlagzeile gelesen hatte, ließ ihn die quälende Unruhe nicht mehr los. Er machte sich schwere Selbstvorwürfe. Wenn er doch sofort gemeldet hätte, daß dieser Kerl Brads Tochter süchtig machte, dann wäre der tragische, sinnlose Tod des Mädchens vielleicht zu verhindern gewesen. Aber nein, die Untersuchung, eine bloße Spiegelfechterei, wie sich bald weisen sollte, wog schwerer als das Leben und Wohl dieses jungen Geschöpfs. Pat schlenderte über die Fahrbahn und holte einen Schlüsselbund aus der Tasche. Bald hatte er den richtigen Schlüssel gefunden, um sich Zugang zu dem Gebäude zu verschaffen. Vor Tonys Tür blieb er stehen. Kein Laut war von drinnen zu hören. Falls der Junge nicht zu Hause war, würde Kenney auf ihn warten. Doch zuerst mußte er sich vergewissern, ob Tony wirklich ausgeflogen war. Nach den Lebensgewohnheiten von seinesgleichen müßte er noch schlafen, denn es war noch nicht einmal Mittag. Kenney drückte auf die Klingel. Sein Herz schlug schneller, als er Geräusche und Summen hörte, eine männliche und eine weibliche. Tony war also nicht allein. Okay, das erleichterte vieles. Kenney läutete nochmals. Dann hörte er Tony rufen: „Wer ist da?“ „Der Super“, antwortete Pat. Das klang am unverfänglichsten. Als “Super“ bezeichnete man in den New Yorker Apartmenthäusern eine Hilfskraft, die alle anfallenden kleinen Reparaturen erledigt, eine An Allroundhandwerker. „Bei den Gasleitungen ist was nicht in Ordnung“, fügte er hinzu. „Wir sehen überall nach, damit nichts passiert. Darf ich rein?“ „Können Sie nicht später kommen?“ -401-
„Später wäre vielleicht schon zu spät, Mister.“ „Einen Moment.“ Pat hörte ein Flüstern und das Klatschen nackter Füße, gleich darauf klappte eine Tür, wahrscheinlich die zum Badezimmer. Zögernd wurde die Wohnungstür geöffnet, noch mit vorgelegter Kette. Mißtrauisch spähte Tony heraus, er trug einen Bademantel. Als er den Kriminalisten sah, schrie er: „Sie sind gar nicht der Super!“ und wollte die Tür wieder zuwerfen. Aber Kenney hatte bereits einen Stahlhaken durch den Spalt gestoßen, damit erfaßte er die Kette und zog sie straff. Nun konnte Tony die Tür nicht schließen. „Erraten. Ich bin nicht der Super. - Polizei! Wir wollen dir ein paar Fragen stellen.“ „Sie haben kein Recht -“ begann Tony. „Los, aufmachen, sonst wird dir und deiner Puppe Hören und Sehen vergehen. Und zwar buchstäblich.“ Aus einer Aerosoldose sprühte Kenney etwas Tränengas in das Apartment. „Das ist nur eine Kostprobe. Mach auf, sonst räuchere ich euch die Bude so voll, daß ihr entweder von selbst herauskommt oder zum Fenster hinausspringen müßt. Und da fallt ihr ziemlich tief.“ „Ich rufe die Polizei!“ schrie Tony. „Ich bin die Polizei“, antwortete Kenney scharf. „Wird's bald?“ Er sprühte erneut, und Tony begann krampfhaft zu husten. „Okay, okay, ich öffne schon“, keuchte er. „Eine miese Methode, den Leuten auf die Pelle zu rücken.“ Er nestelte an der Kette. „Ich muß zuerst die Tür schließen, sonst geht sie nicht auf.“ „Ach so? Denk dir lieber was anderes aus, denn ich nehme den Haken nicht weg.“ „Aber anders geht es nicht.“ -402-
„Deine Sache, wie du sie aufkriegst.“ „Lassen Sie wenigstens die Kette los. Der Stiel kann drin bleiben.“ „Das klingt schon besser.“ Kenney schob den Stiel, der in den Haken auslief, tiefer in die Öffnung. Die Kette war nun wieder locker, aber der Spalt genügte, um auch die Düse durchzustecken und den Raum mit Aerosol vollzusprühen. Kenney hörte das Rasseln der Kette, als Tony sich bemühte, sie aus der Fixierung zu lösen. Schließlich gelang es ihm, die Tür ging auf. „So, jetzt zunächst Ihren Ausweis“, sagte Tony patzig. „Klar, hier!“ Mit einem kurzen raschen Fausthieb gegen den Kopf warf Kenney den Jungen zu Boden. „Das ist mein Ausweis, du Scheißfigur. Ich beobachte dich schon lange. Du bist bei der Adams-Aktion fällig.“ „Ich habe kein Rauschgift hier“, kreischte Tony. „Durchsuchen Sie doch das Apartment. Und wenn Sie glauben, daß ich Sie nicht wegen Tätlichkeit anzeigen werde, dann täuschen Sie sich.“ „Für einen, der gestern abend den Tod eines Menschen verschuldete, spuckst du ziemlich große Töne, Kleiner. Außerdem wissen wir, wo du das Zeug versteckst: in der Bleibe des Mädchens, das gestern an einer Überdosis elend krepierte. Du hast sie umgebracht.“ „Wovon reden Sie? Ich habe niemanden umgebracht!“ schrie Tony. Kenney stellte ihn auf die Beine, drehte ihn herum und versetzte ihm einen Kinnhaken, daß er krachend gegen die Badezimmertür prallte. „Und was ist mit dem Mädchen, das du hier bei dir hast? Machst du sie auch süchtig? Soll sie auch an dem Dreck draufgehen, den du ihr gibst?“ -403-
Aus dem Badezimmer hörte man einen lauten Schrei. „Tony, was ist los?“ „Ein Irrer ist eingebrochen. Mach ja nicht auf.“ „Er wird auch mich erwischen“, wimmerte es. „Halt den Mund und bleib da drin sitzen, dann passiert dir nichts“, rief Kenney durch die verriegelte Tür. „Polizei ist da.“ „Von welchem Mord sprechen Sie?“ stammelte Tony zitternd. Der Detektiv zog die gerollte Zeitung aus der Tasche und warf sie ihm ins Gesicht. „Diesen da. An Andrea Kendall. Ich habe beobachtet, wie du sie drogenabhängig gemacht hast.“ „Andrea ist tot?“ ächzte Tony. „Lies!“ Noch immer auf dem Boden, öffnete Tony das Blatt, sein Blick fiel auf die Schlagzeile und das Foto. Er ließ die Zeitung sinken. „Als ich sie zuletzt sah, lebte sie noch“, stöhnte er. „Wann war das?“ „Gestern nachmittag, um fünf oder halb sechs. Sie war auf dem Heimweg.“ „Wo hast du sie getroffen?“ „In ihrem neuen Apartment. Sie war gerade dabei, sich dort einzurichten.“ „Hast du ihr beim Spritzen geholfen?“ „Nein, das kann ich beschwören.“ Er versuchte sich aufzurichten. „Sie braucht keine Hilfe. Das kann - oder konnte sie schon recht gut.“ Mit der flachen Hand schlug Kenney den bei dieser Feststellung gemein grinsenden Burschen wieder nieder. „So? Wer hat es ihr denn gezeigt? Wer hat ihr das Zeug verkauft? Wieso ist sie tot, wenn sie wußte, wie man's macht?“ Kenney bückte sich und zog Tony hoch. „Wir haben deinen Stoff in Andreas Apartment gefunden. Das steht in der Zeitung. -404-
Du hast fünf bis sechs Unzen bei ihr versteckt.“ Tony schwieg. Kenney, der ihn beim Bademantel gepackt hielt, knüllte mit der einen Pranke den Kragen zusammen, schüttelte den Jungen und schlug ihm mit der anderen wieder ins Gesicht. „Willst du reden oder dir ein falsches Gebiß kaufen? Ich werde dir die echten Zähne nicht ausschlagen, sondern dich mit dem Schädel so lange gegen die Wand dreschen, bis sie dir ausfallen.“ „Ich habe Andrea nur gesagt, wo es Stoff gibt.“ Das genügte, schon saß ein Hieb quer über die Lippen. Blut sickerte aus Tonys Mundwinkeln. „Du willst mir weismachen, dieses Mädchen sei ins Geschäft eingestiegen?“ Wie eine Puppe schlenkerte der kraftlose Körper des Jungen zwischen Kenneys derben Fäusten hin und her. In kaltem, weißglühendem Zorn hätte ihm der Detektiv ohne jeden Skrupel den Hals umdrehen können. „Ich soll dir glauben, daß Andrea Kendall abends in ihrer Bude die sechs Unzen reines Heroin, das du bei ihr versteckt hast, streckte und in Beutel abfüllte? Das willst du mir erzählen?“ Drohend hob Kenney wieder die Faust. „Nein, nein. Lassen Sie mich doch ausreden.“ Als Kenney einen Schritt zurücktrat, sackte Tony zusammen. Die wuchtige Gestalt des Kriminalisten ragte vor ihm auf, beide Hände wie Stahlkolben zu weiteren Schlägen bereit. „Okay, ich höre.“ „Ich habe Andrea gesagt, sie soll nichts spritzen, bevor ich den Stoff, den wir kauften, gestreckt habe. Es ist dieses neue Zeug, das von der Westküste und aus China oder sonstwo aus Asien hereinkommt. Reineres Heroin als alles, was wir bisher hatten. Du lieber Gott, ich habe ihr eingeschärft, sie soll nichts davon nehmen. Ich schwöre es.“ „Aber du hast dir in Andreas Apartment ein gutes, unverdächtiges Depot angelegt, wie? Nach Angaben der Presse -405-
mengenmäßig ausreichend, um damit im Straßenverschleiß 100.000 Dollar oder sogar mehr umzusetzen.“ „Sie können nicht beweisen, daß ich es war, der das Heroin dort versteckte.“ „Das brauche ich nicht zu beweisen. Ich weiß es, das genügt.“ „So, und jetzt verschwinden Sie“, sagte Tony frech, plötzlich fühlte er Oberwasser. „Ich glaube, Sie sind gar kein Polizist.“ „Du hast recht. Ich war Polizist, jetzt bin ich Privatmann.“ Er faßte Tony mit beiden Händen, riß ihn hoch, hielt die schlaffe Gestalt vor sich und schmetterte sie gegen eine Wand. Dumpf schlug Tony mit Kopf und Schultern auf und glitt bewußtlos zu Boden. Verächtlich blickte Kenney auf den jungen Rauschgiftschieber nieder und trat zur Badezimmertür. „Komm raus. Dein Freund wird dich brauchen. Aber denk daran: er hat den Tod des Mädchens, das gestern abend starb, auf dem Gewissen. Du könntest die Nächste sein.“ Keine Antwort. Kenney drehte sich auf dem Absatz um und ging. Auf der Straße hielt er ein Taxi an. „Zum Place d'EtoileApartmenthaus.“ Der Brad Kendall, der ihn empfing, war ein anderer Mann als der gutaussehende, selbstsichere Präsident der Ascot-Hotelkette. Kenney erschrak fast über das verfallene Gesicht und die gebeugte Haltung von Andreas Vater. „Hallo, Pat“, sagte er mit leiser, brüchiger Stimme. „Ich bin froh, daß Sie kommen.“ Er führte den Besucher in den Wohnraum. Kenney war schon mehrmals während der Rauschgiftaktion und unmittelbar danach in dieser Wohnung gewesen, aber nun hatte er kaum einen Blick für das Panorama der New Yorker Stadtlandschaft am East River. „Ich muß mit Ihnen sprechen, Brad. Denn ich habe das Gefühl, daß ich die Schuld an dieser Tragödie trage.“ -406-
„Schuld? - Sie? Wieso?“ „Weil ich während der Nachforschungen nur als Polizist und nicht als Mensch handelte. Ich wußte, daß sich Andrea mit diesem Lumpen traf. Aber ich wollte vermeiden, daß er argwöhnisch wurde, deshalb habe ich Ihnen nichts gesagt.“ „Ich verstehe, Pat. - Sie haben nur Ihre Pflicht getan.“ „Nein, ich hätte Sie informieren sollen“, beharrte Kenney zerknirscht. „Und was ist bei den lausigen Nachforschungen letzten Endes herausgekommen? Publicity für Adams. Er macht als Politiker seinen Weg, und Andrea stirbt. Was für eine beschissene Welt!“ „Die Welt der Fünften Macht.“ „Wie? Das begreife ich nicht.“ „Irgendwann werde ich Ihnen alles sagen, Pat.“ Der Detektiv nickte. „Wissen Sie, wer Andrea süchtig gemacht hat?“ „Ja. Tony Falcon.“ „Stimmt. Gestern nachmittags spritzte sie dieses hochgradige Heroin aus Ostasien. Tony Falcon hat es durch seine Verbindungsleute gekriegt und in Andreas Apartment versteckt. Dieses feige Schwein riskiert es nicht, das Zeug in seiner eigenen Bleibe zu behalten, solange er einen Prozeß zu gewärtigen hat. - Vorhin habe ich mit ihm gesprochen, deshalb kenne ich den Sachverhalt. Und was geschieht ihm? Nach den Buchstaben des Gesetzes ist er nicht zu packen. Und bei den Beschuldigungen im Rahmen unserer Untersuchung wird er wahrscheinlich auch davonkommen.“ „Das vermute ich.“ ,,Na, wenigstens habe ich Tony eine gründliche Abreibung gegeben. Das hätten Sie sehen sollen, wie der in die Knie ging.“ Eine müde Geste Brads. Verloren starrte er ins Leere. „Nach den größeren Zusammenhängen trage ich und nicht Tony Falcon -407-
die Verantwortung für das Schicksal meiner Tochter.“ Kenney schüttelte den Kopf. „Das habe ich bei Rauschgiftfällen immer wieder beobachtet. Ein nettes Mädchen aus guter Familie gerät an einen Tony-Falcon-Typ. Sie verliebt sich in den Halunken, wird ihm hörig und läßt sich auch zu Drogen verführen. Die Angehörigen können nichts dagegen tun. Man muß gleich am Anfang eingreifen, in der allerersten Phase, und radikal Schluß machen. Aber da weiß man es noch nicht. Darum ist mir so scheußlich zumute. Irgendwann hätte ich mehr an Andreas Zukunft als an diese idiotischen Nachforschungen denken sollen. Und diese schwere Unterlassungssünde werde ich mir nie verzeihen.“ „Nein, Pat. Sie sehen die Dinge falsch. Einzig und allein ich bin schuld, und ich weiß es auch.“ Einen Moment glaubte Kenney, Brad werde in Tränen ausbrechen. „Dieses Bewußtsein macht für mich alles noch schrecklicher. Ich verdiene es, zu leiden. Aber warum mußte Andrea für meine Fehler büßen? Ihr Leben fing doch erst richtig an...“ Kenney stand auf. „Brad, mein Angebot gilt nach wie vor: wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, bin ich jederzeit für Sie da. Eines Tages werden Sie mich brauchen.“ „Danke, Pat.“ Brad zwang sich zu einem sachlichen Ton. „Übrigens, es wird Sie vielleicht interessieren, daß ich in der vorigen Woche ein Memo mit der Weisung erhielt, den Überwachungsdienst, bei dem Sie nun angestellt sind, exklusiv für alle Ascot Hotels heranzuziehen. Wir werden uns also bestimmt wiedersehen.“ Jäh schoß Kenney die Röte ins Gesicht, sein Mitgefühl schlug in Zorn um, dem er mit einigen kernigen irischen Flüchen gegen Whitehall und Cervi Luft machen wollte. Aber Brad legte warnend den Finger an die Lippen und wies mit der anderen Hand auf die Wände des Raumes. Der Detektiv verstand. Seine Wut verebbte wieder, schweigend entnahm er seiner Brieftasche -408-
eine Visitenkarte und schrieb etwas auf die Rückseite. „Das ist eine gute Nachricht. Hier haben Sie meine Privatnummer. Sie können mich jederzeit anrufen.“ „In Ordnung, Pat. Zunächst muß ich mit mir selber ins reine kommen...“
-409-
43 Wie die meisten Konvertiten war Gwen Connor eine sehr fromme, ja fanatische Katholikin und hatte auf einer katholischen Einsegnung von Andreas Leiche bestanden. Was änderte sich dadurch? dachte Brad. Keine irdische oder himmlische Macht konnte ihm seine Tochter zurückbringen. Er hatte es vermieden, am Vorabend des Begräbnisses das Trauerhaus zu besuchen, da er wußte, daß Gwen eine große Szene machen würde. Mit zwei Ministranten erwartete der Priester den Sarg vor der Kirche. Brad empfand es als tröstlich, daß der Geistliche einen weißen Meßornat trug und der Sarg auf einen weißen statt auf einen schwarzen Sockel gehoben wurde. Der Priester besprengte ihn mit Weihwasser, dann wurde er die Treppe hinaufgetragen und durch das Kirchenschiff bis zum Altar gerollt. Brad wollte möglichst wenig mit Gwen in Berührung kommen, deshalb ging er nicht zu der Gruppe der engsten Angehörigen vor, sondern setzte sich in eine der hinteren Bankreihen, zwischen Elda und Luciana. Cervi war nicht gekommen, aber ringsum saßen viele Manager und Angestellte von Whitehall. In einer Ecke, abgesondert von den übrigen, stand Pat Kenney. Mit gleichmütiger Miene hatte Maurice D'Estang neben Fred Black Platz genommen, diesmal ohne die ewige Zigarette. Die Einsegnung schien endlos, und statt seinen Gedanken nachzuhängen, die ihn zu sehr seinen Gefühlen preisgegeben hätten, bemühte sich Brad, jedem Wort und jeder Handlung des Priesters zu folgen. Elda hatte ihm erklärt, daß bei einer solchen Zeremonie kein Nachruf auf die Verstorbene gehalten werde. Dafür war er dankbar. Was sollte eine, wenn auch noch so gut gemeinte, fremde Lobrede? Er blieb viel lieber bei seinen eigenen Betrachtungen über Andreas kurzes unglückliches -410-
Leben. Im hellen Licht des Herbstnachmittags stiegen die Trauergäste in die vor der Kirche geparkten Autos, um zu dem stimmungslosen katholischen Friedhof in Long Island zu fahren, auf dem Andrea nach Gwens Wunsch beerdigt werden sollte. Vergeblich hatte ihr Brad nahegelegt, seine Tochter im Familiengrab der Kendalls in Neu-England zu bestatten. Aber voll Empörung hatte Gwen das “Ansinnen“ zurückgewiesen, Andrea solle auf einem evangelischen Friedhof die letzte Ruhe finden. Alles war Sache des Priesters und des Bestattungsinstituts, Brad mußte nur die Kosten bestreiten. Den Weg zu der Begräbnisstätte legte er mit Elda und Luciana in seiner Limousine zurück. Welche Tröstung diese lange, quälende Fahrt Gwen bieten mochte, war ihm ein Rätsel. Alles hätte um so vieles leichter sein können. Nach einer Stunde hielt der Leichenwagen neben dem Eisengitter, das den Friedhof von der Straße trennte. Es war noch ein langer Gang durch weite Spaliere gleichförmiger Granitgrabsteine bis zu dem blumenbedeckten Erdhügel neben der rechteckigen Aushebung im Boden. Als Brad mit Luciana und Elda herantrat, wurde der Sarg eben auf die Gurten der Versenkung gestellt. Am Fußende des Grabes standen Gwen, ihr Gatte Ed und einige seiner Verwandten. Einen Moment trafen sich die Blicke der geschiedenen Eltern der Toten, selbst durch Gwens schwarzen Schleier sah Brad, die funkelnden Augen, die ihn haßerfüllt ansahen. Auch Ed Connors breite Züge waren zu einer Fratze verzerrt. Unwillkürlich zuckte Brad die Achseln. Natürlich war es für die beiden leichter, ihm die Schuld an Andreas Tod anzulasten, als sich einzugestehen, daß sie selbst durch ihre verfehlten Erziehungsmethoden und ihr unerträgliches häusliches Milieu das Mädchen in eine seelische Zwangslage getrieben hatten, aus der es dann zu Drogen und einem Taugenichts wie Tony Falcon flüchtete. -411-
Der Priester begann mit der eigentlichen Beerdigungszeremonie. Brad senkte den Kopf, seine Augen blieben trocken. Zu sehr hatte ihn Andreas sinnloses Sterben erschüttert, dies und die peinigende Gewißheit, daß er, ja er durch seine Fernostreise und die Erschließung neuer Wege für die Ernte der Mohnfelder indirekt noch viele andere in die Irre gehende und dem Rauschgift verfallene junge Menschen zum Tod verurteilte. Diese Tragödie unabsehbaren Ausmaßes brach mit überwältigender, vernichtender Gewalt über ihn herein. Um so mehr widerte ihn Gwens theatralisch ausgespielter Schmerz an. Sie benahm sich wie eine sentimentale Opernchoristin, stöhnte laut mit brechender Stimme „Mein Kind, mein geliebtes Kind!“ griff sich ans Herz, wankte, einem Ohnmachtsanfall nahe, und als ihre Begleiter sie stützten, hob sie in einer Art kultischem Rhythmus immer wieder die gefalteten Hände hoch empor und senkte sie über den Sarg. An Brad hallten die Worte und liturgischen Wendungen des Priesters wirkungslos vorbei. Es war fast, als beobachte er diese Szene von einem entrückten Punkt aus, als sähe er sich selbst mit den anderen am offenen Grab stehen. Seiner eigenen Seele würde einst schwere Buße auferlegt werden. Er hoffte sehnlichst auf ein Gespräch mit Cervi. Irgendwie würde es diesem rätselhaften Mann gelingen, ihn davon zu überzeugen, daß alles, was geschehen war, auch Andreas Tod, auf die eine oder andere Weise dazu beitrug, Amerika und der gesamten Menschheit eine bessere Zukunft zu sichern. Und vielleicht hatte Cervi damit sogar recht. Brad blickte auf, als der Priester seine Rede mit dem Satz schloß: „Wir beten nun, daß Andrea Kendall ihrer Sünden ledig sei und in die ewigen Freuden des Himmels eingehen möge, durch Jesus Christus unseren Herrn.“ Langsam senkten die Leichenträger den Sarg, den der Priester wieder mit Weihwasser besprengte, in die Tiefe, während die Trauergemeinde vorher verteilte weiße Nelken in das Grab warf. -412-
Das Ehepaar Connor geflissentlich übersehend, ging Brad in der schweigenden dunklen Schar zu seiner Limousine zurück. Elda stieg bei ihm ein, während sich Luciana nach kurzer Kondolenz einer Whitehall-Gruppe anschloß. „Möchtest du in unser Landhaus kommen?“ fragte Elda. „Es wäre nicht gut für dich, jetzt allein in deinem Apartment zu sitzen.“ „Ich glaube, es ist am besten, ich verkrieche mich in meinem Schlupfwinkel.“ „Darf ich mitkommen?“ „Natürlich. Es freut mich, wenn du mir Gesellschaft leistest. Sonderbar: in solchen Momenten erkennt man erst, welche Menschen einem wirklich nahestehen. Meine Eltern sind tot, und Geschwister habe ich nicht.“ Sie legte die Hand auf seinen Arm. „Ich sitze gern bei dir in deinem kleinen Retiro. Wir brauchen gar nichts zu reden, es genügt, wenn wir beisammen sind. Sag dem Fahrer, er soll uns zum Etoile bringen. Von dort nehmen wir ein Taxi.“ „An deiner Vorsicht sollte ich mir ein Beispiel nehmen“, sagte Brad anerkennend. Leiser fügte er hinzu: „Ich bezweifle nicht, daß der Mann irgend jemandem meldet, was ich tue und wohin er mich bringt.“ Die Rückfahrt in die Stadt schien viel kürzer als der Weg zum Friedhof. Beim Apartmenthaus Place d'Etoile stiegen sie aus. Oben in seiner Wohnung zog sich Brad rasch um, dann fuhren sie in einem Taxi zu seinem zweiten Quartier. Kaum hatten sie es betreten, läutete das Telefon. „Soll ich abheben?“ fragte Elda. „Nicht nötig.“ Widerstrebend ging Brad zum Apparat. „Hallo, hier Maurice.“ „Ja, was ist denn?“ „Ich würde Sie gern vom Etoile abholen, um Ihnen etwas zu -413-
zeigen.“ „Hat das nicht einen oder zwei Tage Zeit?“ „Ich fürchte, nein. C. L. persönlich hat mich ersucht, es Ihnen zu zeigen.“ Brad seufzte. „Ist das wirklich so wichtig, Maurice?“ „Nach C. L.s Meinung schon.“ „Also gut. In einer Stunde vor dem Etoile.“ Resignierend breitete Elda die Hände aus, als Brad auflegte. „Es muß tatsächlich sehr dringend sein, wenn sie mich jetzt mobilisieren“, sagte er müde. „Entschuldige, aber es ist besser, ich verschwinde gleich wieder. Ich möchte nicht, daß D'Estang diese Bleibe hier aufspürt.“ „Und du weißt nicht, wie lange es dauern wird?“ „Keine Ahnung, was die Brüder vorhaben.“ „Ich werde meinem Vater sagen, es ist empörend, daß du fast direkt von Andreas frischem Grab weg zu einem Auftrag berufen wirst.“ „Nein, laß das lieber sein. Das gehört eben dazu. Und wir werden für unsere Leistungen sehr gut entschädigt.“ „Soll ich hier auf dich warten?“ „Ich fürchte, es wird irgendein längeres Palaver werden. Und ich kann dich nicht telefonisch verständigen, wann ich zurückkomme.“ „Dann fahre ich in unser Landhaus. Rufst du mich nachher an?“ „Natürlich. Schon deine bloße Gegenwart hat mir über das Ärgste hinweggeholfen. Komm, gehen wir.“ „Können Sie mir verraten, was eigentlich los ist?“ fragte Brad, als er mit D'Estang in einer schwarzen Limousine saß, die sich durch den dichten Stadtverkehr wand. Brad fiel auf, daß der -414-
Fahrer Umwege machte, immer wieder in Seitenstraßen einbog, der direkten Route in weiten Schleifen auswich, wie um Verfolger abzuschütteln. „Nur Geduld“, erwiderte D'Estang gelassen. Nach der erzwungenen Pause während des Begräbnisses hatte er schon wieder die unvermeidliche Zigarette an der Unterlippe kleben. „In unserer Organisation gibt es bestimmte Gesetze und Verhaltensregeln. Eine davon lautet: es ist strengstens verboten, Familienmitglieder unserer Leute in irgendeiner Weise zu behelligen.“ Ist das eine Entführung? dachte Brad. Weil er sich mit Elda getroffen hatte? Er war sich keiner anderen Verletzung solcher Maximen bewußt. Wenn alles so endet, mir soll es recht sein, ging es ihm durch den Kopf. Das wäre die einzige Möglichkeit, der Fünften Macht zu entkommen, die keinen lebendig freigab. Zu seiner Überraschung merkte er, daß ihm nichts am Leben lag. Er war völlig ruhig, verspürte nicht das leiseste Angstgefühl. „Wenn ein Mitglied gegen die Regeln verstößt, wird es entsprechend bestraft“, setzte Maurice hinzu. „Eines der schwersten Vergehen ist, Verwandte von Personen, die zu uns gehören, süchtig zu machen.“ „Meinen Sie Falconi?“ „Ja.“ Im Wagen fiel kein weiteres Wort, während sie die George Washington-Brücke in Richtung New Jersey überquerten und nach zwanzig Minuten die Straßen eines tristen Industrieviertels erreichten. Brad hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden. Schließlich hielt die Limousine vor einem Lagerhaus. Der Fahrer hupte, daraufhin wurde ein großes Tor geöffnet. Der Wagen rollte hinein und das Tor schloß sich. „Wir sind am Ziel“, sagte D'Estang. Wieder hatte Brad den Eindruck einer Fahrt im alten -415-
Gangster-Stil. Doch er durfte sich nun in der Gewißheit wiegen, daß man es nicht auf seine eigene Haut abgesehen hatte. Was nicht hieß, daß nicht auch er radikal erledigt würde, falls er gegen die Satzungen der Organisation verstieße, das war ihm klar. D'Estang führte ihn durch das große, leere Lagerhaus zu einer eisernen Wendeltreppe, die sie hinabstiegen. Im Untergeschoß kamen sie in einen dumpfigen Korridor, den eine nackte Birne an der Decke in trübes Licht tauchte. Vor einer schweren Eisentür blieb der Korse stehen und schlug mit der Faust darauf, daß es in dem engen Gelaß dröhnend widerhallte. Knirschend öffnete sich die Tür, Maurice bedeutete Brad, einzutreten. Nun standen sie in einem langen fensterlosen dämmerigen Raum. Brad erblickte einen Mann, der mit Händen und Füßen an eine Mauer gekettet war. Irgendwie erinnerte diese Gestalt an ein dekoratives Tierfell, das man an die Wand gehängt hat. „Sehen Sie ihn nur genauer an“, sagte D'Estang mit rauher Stimme. Brad trat vor und wich sofort wieder voll Entsetzen und Abscheu zurück. Der Gefesselte war Tony Falcon, nackt und geschunden wie nach grauenhaften Foltern, sein Kopf mit dem von Schweiß und Blut verklebten Haar hing vornüber. Er regte sich nicht. „Momentan ist er bewußtlos“, konstatierte ein bulliger Kerl, der mit der brennenden Zigarre im Mund neben ihm stand. „Aber wir kriegen ihn schon wieder wach, dann geht's weiter.“ Ein zweiter Schlägertyp mit aufgekrempelten Hemdsärmeln schob sich heran und griff nach einem vollen Wasserkübel auf dem glitschigen Boden. „Nein, wartet“, sagte Brad, am ganzen Körper zitternd. „Seit wann ist er hier?“ „Gestern abend wurde er gefaßt. Auf C. L.s persönliche Weisung.“ -416-
„Weiß C. L., was mit Tony geschieht?“ „Selbstverständlich“, erwiderte Maurice ganz sachlich. Brad schauderte. „Warum laßt ihr nicht dem Gesetz seinen Lauf?“ brachte er mühsam hervor. „Dem Gesetz, das da draußen herrscht?“ D'Estang schüttelte grinsend den Kopf. „Die Justiz hat keine geeigneten Möglichkeiten für solche Fälle.“ „Und wie lang soll das so weitergehen?“ „Einige Tage hält er es schon noch aus. Er wird da oben enden.“ Der Korse wies zur Decke. Erst jetzt bemerkte Brad, daß ein großer, krummsäbelartiger Eisenhaken an einer Kette herabhing. „Sie sind ja ganz blaß, fallen Sie uns nicht auch noch um“, sagte D'Estang, den Brads Erschütterung offenbar amüsierte. „Sicherlich, für dieses Geschäft braucht man starke Nerven. Ich habe schon manche gesehen, die lebten noch eineinhalb Tage mit dem Haken durch die Eingeweide. Das ist eine alte italienische Methode.“ „Um Gottes willen, Maurice, wenn es sein muß, dann erledigt ihn doch schnell!“ „Schnell?“ rief D'Estang, als zweifle er an Brads Verstand. „Nach allem, was er Ihrer Tochter angetan hat? Wäre es mein Kind, das durch ihn zugrunde gegangen ist, dann würde ich mir selbst ein paar Tage Zeit nehmen, um aus diesem Schwein pfundweise Hackfleisch zu machen.“ „Davon wird Andrea auch nicht mehr lebendig. Gebt ihm doch den Gnadenschuß.“ Aus der Brust des Gefolterten rang sich ein trockenes Röcheln, der Kopf begann zu schwanken. D'Estang zuckte die Achseln. „Wie Sie wünschen. Sie sind der Geschädigte. Tony gehört Ihnen.“ „Dann übergeben Sie ihn der Polizei oder dem Gericht.“ -417-
„Das können wir nicht tun. Er hat unser Gesetz gebrochen, und dafür muß er büßen.“ „Dann macht Schluß. Aber gehen wir, nur fort von hier.“ Zu den beiden Killern gewandt, machte der Korse die Geste des Halsabschneidens. Brad stand schon bei der Tür, D'Estang zog den Riegel zurück und stieß sie mit der Schulter auf. Als Brad durch den Korridor zur Wendeltreppe hastete, peitschten hinter der wieder geschlossenen schweren Eisenplatte knapp nacheinander zwei Pistolenschüsse.
-418-
44 Eine Woche nach Präsident Nixons großem Wahlsieg legte C. L. Cervi auf einer Sitzung der Konferenz Nationaler Führungskräfte vor einem dreiundzwanzigköpfigen Forum von Spitzenpersönlichkeiten aus den Bereichen Regierung, Militär, Industrie, Gewerkschaften, Bildungswesen und Massenmedien in großen Zügen seine politischen Zukunftspläne dar, die Brad aus vielen Besprechungen und den für diktatorische Geister typischen Monologen im Herzstück des Spire Building zur Genüge kannte. Aber nun übten diese Utopien nicht mehr jene Wirkung auf ihn aus wie einst. Ihn interessierten vielmehr die Reaktionen der versammelten Herren. Sie schienen von den Konzepten, die Cervi mit zwingender Beredsamkeit erörterte - wobei er allerdings gewissen Hintergründe und schwerwiegende Begleitumstände verschwieg -, ebenso beeindruckt, ja hypnotisiert wie Brad selbst bei den ersten Gesprächen. Wie lange war das schon her! Offenbar durchschaute nur er das Spiel und war sich über Cervis Endziel im klaren: durch den Einsatz von Geld und Drohung, also jener Mittel, deren er sich bisher immer mit großem Erfolg bedient hatte, die Macht in den USA an sich zu reißen. Brad bemühte sich, eine aufmerksame Miene zu zeigen, während Cervi weit ausholend seine Kommentare vorbrachte, doch die Worte drangen nicht mehr bis zu ihm. Nach der Sitzung wollte sich Brad mit Luciana treffen und dachte vor allem daran. Endlich hatte er sich zu einer Entscheidung durchgerungen: der einzige Ausweg blieb die Trennung, ja der kompromißlose Bruch mit Whitehall. Es war nur mehr eine Frage der Zeit und der günstigsten Situation, bis er die Flucht wagen würde. Natürlich gab er sich keinen Illusionen hin, daß es völlig unmöglich wäre, Cervi unumwunden zu erklären, Ascot -419-
möge sich einen neuen Präsidenten suchen, denn Mr. Brad Kendall habe es satt und nehme den Hut. Doch er hoffte und glaubte, daß er sich der Verfolgung entziehen könnte, zumal er während der letzten zwei Wochen alle seine Wertpapiere zu Geld gemacht hatte, das in einem Safe lag. Nun galt es, die Flucht, also die erste Phase aller weiteren Schritte, sorgfältig zu planen und vorzubereiten. Eine wesentliche Frage dabei lautete: Würde Luciana mit ihm gehen? Endlich vertagte sich das Exekutivkomitee auf den nächsten Tag, nachdem der Beschluß gefaßt worden war, Cervis Pläne vor dem Plenum zur Diskussion zu stellen. Als die Herren von dem langen Konferenztisch aufstanden, entfernte sich Brad unauffällig und verließ den Raum, bevor Cervi, der in ein angeregtes Gespräch mit einem Negerführer vertieft war, ihn sah und zu sich rufen konnte. Brad verlor keine Zeit, rasch schritt er durch den langen Korridor bis zur Public-Relations-Abteilung, wo Luciana ein komfortables, sehr persönlich eingerichtetes Büro hatte. Er fand sie auf der breiten Sitzbank aus moosgrünem Leder bei der Betrachtung von Fotos, die vor ihr auf dem Kaffeetisch ausgebreitet waren. „Ich glaubte schon, C. L. würde überhaupt nicht mehr aufhören“, sagte Brad zur Begrüßung. „Wie wär's, entfleuchen wir dem Dunstkreis von Ascot und suchen wir Unterschlupf in einem hübschen kleinen Restaurant?“ Luciana erhob sich. „Ja, gehen wir in unser Stammlokal.“ Als Brad ihren Arm nahm, elektrisierte ihn diese Berührung. Ja, er begehrte sie noch immer. War er dieser Frau wirklich verfallen? Als er sie küßte, blieb sie seltsam spröde. In dem italienischen Restaurant, das er seit einigen Monaten frequentierte, setzten sie sich in ihre abgeschiedene Loge, wo man ungestört war und keine Lauscher befürchten mußte. „In letzter Zeit machst du dich rar“, begann er. -420-
„Du weißt ja, wieviel wir alle zu tun haben.“ „Ich hatte gehofft, dich nach Andreas Begräbnis noch allein zu sehen“, sondierte er weiter. „Heute können wir zum ersten Mal seither unter vier Augen sprechen.“ „Ja, Brad, das habe ich auch bedauert.“ „Bist du wirklich so beschäftigt, oder ist es etwas anderes?“ „Es liegt an der Arbeit, Brad.“ Sie seufzte. „Man findet kaum Zeit zu einer kurzen Ruhepause.“ „Die muß man sich eben nehmen. - Luciana, ich werde mich bald absetzen und möchte, daß du mitkommst.“ Verblüfft blickte sie ihn mit großen Augen an. „Ich verstehe nicht ganz. Was meinst du?“ „Ich trenne mich von Ascot und Whitehall, von dieser sogenannten Fünften Macht. Das meine ich.“ „Hast du es C. L. gesagt?“ „Natürlich nicht. Hör zu, ich habe ausreichende Barmittel. Wir könnten ein schönes Hotel in Südamerika oder in Malaysia kaufen und gemeinsam führen. Wir könnten glücklich und in Frieden leben. Aber dazu müssen wir alle Beziehungen zu den Gangsterbossen auf höchster Ebene abbrechen.“ „Du bist verrückt.“ „Ich war es, jetzt bin ich geheilt.“ „Du kämst nie durch. Glaubst du, ich will mein ganzes weiteres Leben ständig auf der Flucht sein? Mir gefällt es bei Whitehall, begreifst du das nicht?“ „Ob ich das begreife? Wir sind Kriminelle, Luciana. Wir tragen die Schuld an Todesfällen infolge von Überdosis an Drogen, wie bei Andrea, und an vielen anderen verbrecherischen Handlungen. Steigen wir aus, bevor es zu spät ist!“ „Erstens ist es schon zu spät.“ -421-
„Luciana, ich weiß nicht, ob ich dich noch lieben könnte, wenn du dich endgültig für die anderen entschiedest. Aber wenn du mit mir kommst, wird alles wieder so sein wie früher, am Anfang. Im Grund sind wir füreinander geschaffen.“ „Zweitens liebe ich dich eben nicht so sehr, wie du es dir erträumst, und wir sind nicht füreinander geschaffen. Mir bedeutet meine Arbeit sehr viel. Brad -“ Sie legte die Hand auf seinen Arm und blickte ihm eindringlich ins Gesicht, „du hast viel durchgemacht. Glaube mir, uns allen ist sehr leid um Andrea, aber du darfst dich durch diese Tragödie nicht um den Verstand bringen lassen.“ „Davon ist keine Rede. Vielleicht denke ich erst jetzt wieder klar, seit mich Cervi vor einem Jahr in seine geheimen, so faszinierend klingenden Pläne einweihte. Nun scheint es mir, als wäre ich plötzlich aus einer Trance erwacht.“ Er sah sie beschwörend an. „Cervi hat die Gabe, jeden Menschen für jede Idee zu gewinnen, die er entwickelt. So ist es auch mir ergangen, heute kommt es mir unbegreiflich vor, daß ich mich für seine Zwecke einfangen ließ. Sicherlich, man kann sagen, daß es mich reizte, viel Geld zu verdienen, meinen Jet zur Verfügung zu haben, den politischen Königsmacher zu spielen, eine Luftlinie eigens für den Rauschgiftschmuggel zu schaffen und als einflußreicher Manager aus alter amerikanischer Familie - ein Typ, den Cervi in seinem Team noch brauchte - etwas in der Welt zu gelten. Man kann auch sagen, erst der Tod meiner Tochter offenbarte mir meine Verirrung. Nun stehe ich ganz allein. Jawohl, Andrea mußte geopfert werden, damit ich endlich zu der Erkenntnis fand, daß ich an ihrem frühen Sterben und dem Tod vieler anderer mitschuldig bin, mitschuldig an dem Elend, das schon kam und noch kommen wird, weil ich mithalf, neue Rauschgiftrouten zu organisieren. Und das Schlimmste: Wenn ich Cervi mit solchen Erwägungen konfrontiere, wird er mich überzeugen, daß alles, was ich tat, auf weite Sicht dem Guten dient. Ihm kann man nicht widersprechen, sondern nur -422-
seine Weisungen befolgen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist aus, ich will nicht mehr.“ Luciana drückte seinen Arm. „Brad, bitte hör mir zu. Ich weiß, daß du nun einsam und aufgewühlt bist, aber versuch doch, vernünftig zu denken. Du bist ein Teil dieses Machtapparates und kannst nicht ausspringen. Außerdem: Elda liebt dich, mußt du wissen. Zufällig weiß ich, daß Cervi nichts dagegen hätte, wenn sie dich heiraten wollte.“ Sie lachte. „Du kriegst Elda, ich kriege C. L., und wir werden eine einzige, sagenhaft reiche Sippschaft sein. Mein Exgatte Barkley Blore wäre im Vergleich zu uns ein Bettler.“ Brad erschrak bis ins Innerste. Sein vager Argwohn über die Beziehung zwischen Cervi und Luciana bestätigte sich also. Dieser Mann hatte sie offenbar völlig in der Gewalt, wie eine Schlange, die einen Vogel hypnotisiert. Brad fühlte sich zu einem letzten Versuch gedrängt, Luciana zurückzugewinnen, obwohl er wußte, daß es vergeblich war. „Elda und ich? Was sollte daraus werden? Sie ist zu jung für einen Partner, der fast ihr Vater sein könnte. Was ich auch sonst von C. L. halten mag, eines muß ich ihm zugestehen: er hat alles getan, um seine Tochter vorbildlich zu erziehen und einen wunderbaren Menschen aus ihr zu machen. Nein, wir beide, du und ich, wir gehören zusammen. Laß dich doch nicht davon blenden, daß Cervi ein Vermögen mit vollen Händen ausgibt und seinen Mitarbeitern enorme Gehälter bezahlt. Eines Tages wird er katastrophal Schiffbruch erleiden, er und alle, die sich ihm verschrieben haben. Komm mit mir, solange noch nichts zu spät ist!“ Lucianas Stimme klang hart und scharf, ihre Augen waren schmale Schlitze. „Wenn du tust, was du sagst, bist du verloren, Brad. Und ich habe keine Lust, dein Schicksal zu teilen.“ Brüsk stand sie auf. „Mir ist der Appetit vergangen. Leb wohl, Brad.“ Auch er erhob sich. „Ich möchte nicht, daß wir uns so -423-
trennen. Wir müssen darüber reden.“ „Zwischen uns gibt es nichts mehr zu reden. Gar nichts.“ Als sie sich zum Gehen wandte, rief er ihr nach: „Ich bleibe noch hier. Ruf mich an oder komm wieder her. Bitte, überlege dir alles.“ Er sah Luciana nach, bis sich die Tür des Restaurants hinter ihr schloß. Plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Brad Kendall hatte das Gefühl, als sei ein beklemmender lastender Druck jäh von ihm gewichen und eine drohende Macht, die ihn unterjochte, habe keine Gewalt mehr über ihn. Er setzte sich wieder, bestellte noch einen Aperitif und griff zur Speisekarte.
-424-
45 Elda Cervi blieb nur dann im Stadthaus der Familie, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ein solcher Fall war gegeben, als ihr Vater sie bat, bei einem informellen Supper am Eröffnungsabend der Konferenz Nationaler Führungskräfte die Pflichten der Hausfrau wahrzunehmen. Im Verlauf der Party konnte es C. L. nicht entgehen, daß sich Elda möglichst nahe bei der Treppe aufhielt und sichtlich unruhiger wurde, während immer wieder neue Gäste eintrafen. Schließlich trat er unauffällig zu seiner Tochter. „Ich glaube, Brad wird etwas später kommen. Auch Luciana übrigens. Sie sagte mir, er wollte unbedingt mit ihr allein dinieren und dabei einige persönliche Angelegenheiten besprechen, die keinen Aufschub dulden. Nach allem, was er durchgemacht hat, habe ich die beiden natürlich entschuldigt.“ „Es würde mich interessieren, um welche Probleme es geht.“ „Nun, ich vermute, das größte Problem ist, daß er noch immer viel für sie empfindet und glaubt, daß er sie liebt.“ Überlegen lächelnd schüttelte Cervi den Kopf. „Aber Luciana liebt nur sich selbst und ihren jetzigen Lebensstil, nichts sonst.“ „Armer Brad“, sagte Elda mit ehrlichem Bedauern. „Ach, er wird es verwinden und bald mehr arbeiten denn je“, erwiderte Cervi zuversichtlich. „Während der Konferenz werde ich ein vertrauliches Gespräch mit ihm führen. Er wird rasch wieder der alte sein und als Persönlichkeit sogar gewonnen haben, sobald er von seiner romantischen Neigung zu Luciana geheilt ist.“ „Das hoffe ich.“ In Eldas Ton schwang Zweifel mit. Ohne Anteilnahme widmete sie sich wieder ihrer Aufgabe als Dame des Hauses, empfing die eintretenden VIPs, bemüht, nicht an Brad und Luciana zu denken, aber immer wieder machte ihr -425-
nagende Eifersucht zu schaffen. Und dann erschien Luciana - allein. Elda sah sie die Treppe heraufkommen. Wo blieb Brad? Luciana wirkte sehr aufgeregt, wie Elda bemerkte, als die schöne Frau mit kurzem Nicken an ihr vorbeirauschte, sich ungeduldig unter der Schar der Gäste umblickte und geradewegs auf Cervi zuschritt. Er beendete erst seine Konversation mit einem bedeutend wirkenden grauhaarigen Herrn, ehe er Luciana begrüßte. Sofort verließen die beiden den Saal. Wie Elda vermutete, gingen sie in das Privatbüro ihres Vaters. Sie versuchte, aus ihren Informationen und Beobachtungen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Was ging hier vor? Luciana und Brad sollten sich zum Abendessen treffen, und nun mußte Luciana, offenbar sehr beunruhigt, dringend C. L. sprechen. Irgendwie betraf es Brad, das spürte Elda. Sie hätte viel darum gegeben, hören zu können, was nun unter vier Augen gesagt wurde, aber sie wußte, daß es unmöglich war, ihren Vater in seinem Privatbüro zu belauschen. Er hatte es sorgsam abdichten lassen. Dennoch, instinktiv fühlte sie, daß dieses Gespräch nichts Gutes für Brad verhieß. Plötzlich schoß ihr eine Idee durch den Kopf. Rasch und unbemerkt zog sie sich vom Schauplatz des Empfangs zurück und hastete die Treppe ins nächste Stockwerk hinauf, wo sich C. L. Cervis Schlafzimmer befand. Sie betrat den Raum, schloß die Tür und setzte sich auf die Bettkante. Auf dem Nachttischchen stand ein Telefon, aber Elda öffnete das Fach. Dort war noch ein Apparat, rot mit einer Kontrollampe. Das Spezialtelefon ihres Vaters, mit zwei Anschlüssen, einer hier im Schlafzimmer, der andere im Privatbüro. Vorsichtig hob Elda den Apparat heraus, auf ihren Schoß, den Blick auf das Lämpchen geheftet. Wenn es aufleuchtete, war dies das Zeichen, daß ihr Vater nach auswärts anrief. Elda wartete, wie gebannt auf den einen Punkt starrend, bis sie fast in Trance verfiel. Sie zwinkerte, schüttelte den Kopf und holte tief -426-
Luft, aber nichts sollte sie davon abbringen, Wache zu halten. Plötzlich zuckte sie zusammen. Die Kontrollampe blinkte orange. Ihr Vater wählte also eine Nummer. Dann glühte die Lampe dauernd. Das hieß: Signal beim Teilnehmer. Langsam, mit angehaltenem Atem, hob Elda ab, legte die Hand über die Muschel und drückte den Hörer ans Ohr. Luciana sagte gerade: „Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit?“ Ehe eine Antwort erfolgte, meldete sich eine tiefe, rauhe Stimme, Elda erkannte sie als die des Korsen. Es wurden keine Namen genannt, Cervi sagte nur ganz sachlich: „Leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt. Kendall war doch nicht der richtige Mann für uns. Er ist ausgesprungen. Zuletzt wurde er in “Mama Louise's“ in der dreiundfünfzigsten Straße gesehen. Vielleicht ist er noch dort. Unter den gegebenen Umständen können wir nicht zulassen, daß er frei herumläuft und irgendwo auspackt.“ Kurze Pause. Dann: „Verstehe. Wir machen das sofort.“ „Gut. Rufen Sie mich an, sobald alles erledigt ist.“ Ein leises Klicken und Stille in der Leitung. Elda stellte das Telefon wieder in das Fach, verließ lautlos den Raum und ging in ihr eigenes Schlafzimmer. Dort rief sie die Auskunft an, Sekunden später hatte sie das Restaurant “Mama Louise's“ am Draht. Beklommen fragte sie nach Mr. Brad Kendall und atmete erleichtert auf, als sie erfuhr, er sei im Lokal. Gleich darauf hörte sie seine Stimme fröhlich sagen: „Hallo Liebling! Hast du es dir also doch überlegt?“ Sie schluckte. „Brad, hier spricht Elda. Bitte verschwinde sofort aus dem Restaurant, geh nicht einmal mehr an deinen Tisch zurück. Nur raus, schnell, geh auf der linken Seite der Second Avenue in Richtung Stadtzentrum. Ich hole dich mit dem Wagen.“ „Elda, was soll das alles?“ fragte er verblüfft. „Dein “Liebling“ -“, sie betonte dieses Wort sarkastisch, „hat -427-
dich soeben ans Messer geliefert. Weißt du, was mit unbequemen Elementen in italienischen Restaurants geschieht?“ Sie hörte scharfes Einatmen am anderen Ende. „Du hast Glück, daß ich dich noch immer liebe, sonst hätten die Zeitungen wieder einen Sensationsbericht über ein Mob-Attentat für die morgigen Titelseiten. Los jetzt! Wir sehen uns so bald als möglich.“ „Aber Elda -“ Sie legte rasch auf und erwog den nächsten Schritt. Zumindest hatte sie ihn nun von dem ersten Ort weggeholt, wo man ihn suchen würde. Unschlüssig blickte sie sich im Zimmer um. Was sollte sie mitnehmen? Zum Glück war das Novemberwetter bisher ziemlich mild. Elda wagte es nicht, ihren Pelzmantel aus dem Haus zu schaffen, das würde auffallen und sie verraten. Sie ging zum Schreibschrank, zog die oberste Lade heraus, warf ihren Schmuck aus der Kassette in ihre Handtasche. Dabei mußte sie es wohl oder übel belassen. Immerhin war der Schmuck schätzungsweise 50.000 Dollar wert. Was sie sonst brauchte, konnte sie später kaufen, unterwegs - unterwegs wohin? Das war noch unklar. Nun kam es darauf an, unverfänglich die Party und das Haus zu verlassen, ohne Argwohn zu erregen. Elda straffte sich. Die Tasche zwanglos unter den Arm geklemmt, obzwar das für eine junge Dame, die im eigenen Haus eine Gesellschaft gab, ungewöhnlich war, schlenderte sie die Treppe hinab und war bald mitten im Trubel der angeregt plaudernden Gäste. Während sie sich zwischen den Gruppen durch der Treppe zum Erdgeschoß näherte, behielt sie die andere Wand des Saales im Auge, wo der Zugang zum Privatbüro war und jeden Moment ihr Vater mit Luciana erscheinen mußte. Und da trat auch schon Cervi ein, strahlend, als sei nichts geschehen. Luciana an seiner Seite wirkte nervös, ihr Gesicht war maskenhaft starr, sie mußte sich zu einem Lächeln zwingen, als der Gastgeber ihr einen der vielen -428-
herumstehenden VIPs vorstellte. Elda fing den Blick ihres Vaters auf und winkte ihm fröhlich zu. Lächelnd winkte er zurück, sehr zufrieden, daß seine Tochter, wie gewohnt, die Gäste mit ihrem Charme entzückte. Cervi besorgte sein eigenes Lobbying, und dazu hätte er sich keine dekorativere, seine eigene starke Persönlichkeit besser ergänzende Partnerin wünschen können als Luciana. Lebt wohl, ihr beiden, dachte Elda, während sie die Stufen hinunterlief, in die Garage, wo ihr Aston-Martin stand. Im Wagen nahm sie die elektronische Patrone aus dem Handschuhfach und drückte die Taste. Rasselnd öffnete sich das Tor, Elda startete und brauste wie katapultiert los, ehe es noch ganz offen war. Sie fuhr die Second Avenue entlang, an den 60er-Straßen vorbei. Brad mußte mittlerweile etwa zu den 40er-Straßen gekommen sein. Es herrschte mittlerer Verkehr, und als Elda die Fünziger erreichte, überlegte sie, was Brad und sie tun sollten, sobald sie ihn gefunden hatte. Das war eine Aktion, bei der man immer nur einen einzigen, genau durchdachten Schachzug setzen mußte. Als sie die neunundvierzigste Straße passierte, überblickte sie suchend den Gehsteig. Vergeblich. Dann kam sie schon zu den Dreißigern. Hatte Brad ihren Rat nicht befolgt? Lag er in diesem Moment schon in einer Blutlache auf dem Boden des Restaurants? Dann sah sie ihn, im Sturmschritt zwischen der fünfunddreißigsten und vierunddreißigsten Straße. Sofort fuhr sie an den Randstein und beugte sich aus dem Fenster. „Kann ich Sie ein Stück mitnehmen, Sir?“ rief sie ihm zu. Brad wandte den Kopf, erkannte sie, lief geduckt rasch um den Wagen und stieg neben dem Fahrersitz ein. „Alle Achtung, du hast ein Marschtempo. Praktisch eineinhalb Kilometer in fünfzehn Minuten“, sagte Elda zur Begrüßung. Brad küßte sie auf die Wange. „Dein Anruf hat meinen -429-
Lebenswillen beträchtlich gestärkt.“ Er schlug die Autotür zu. „Luciana gehört also ganz zu dieser Clique?“ „Eisern. - Was machen wir jetzt, Brad?“ „Verschwinden, meine ich. Aber wohin?“ „Zuerst zu deiner Wohnung. Dort können wir überlegen, was wir anfangen sollen.“ „Ja, in meiner Bleibe müßten wir sicher sein. Luciana weiß nichts davon.“ „Wir könnten uns ausruhen, einige Telefonate erledigen und smart abschwirren, wenn wir soweit sind“, sagte Elda und bog von der Second Avenue ab. Zehn Minuten später parkte sie den Wagen vor dem Apartmenthaus. Brad sperrte das Tor auf. Eldas Hand ergreifend, führte er sie die zwei Treppen hoch und durch den kurzen Korridor. Plötzlich blieb er mit gespannt vorgestrecktem Kopf stehen. Elda sah ihn fragend an und wollte etwas sagen. Sofort legte ihr Brad die Hand über den Mund. Prüfend sog er die Luft ein. Dann ließ er Elda los, bedeutete ihr, zu schweigen, und schlich auf den Zehenspitzen zur Tür seines Apartments. Wieder roch er mit geblähten Nüstern. Es war unverkennbar der scharfe, fast saure Geruch starken dunklen französischen Zigarettentabaks, wie ihn Maurice D'Estang rauchte. Oft und oft war Brad nahe daran gewesen, dem Korsen zu sagen, er möge diese greulichen Glimmstengel nicht in geschlossenen Räumen qualmen. Lautlos stelzte Brad zu Elda zurück, zog sie zur Treppe und ging rasch mit ihr hinunter. Im Foyer flüsterte er ihr zu: „Die Verfolger sind schon hier. D'Estang wartet drin.“ Dann sagte er ihr noch etwas ins Ohr. Elda nickte, verließ das Haus, ging scheinbar gleichmütig zu ihrem Wagen, stieg ein und ließ den Motor an. Schnell riß sie mit einem Ruck die andere Tür auf und startete. Brad preschte aus dem Tor, rannte zu dem anrollenden Kabrio -430-
und sprang hinein. Schon gellten drei Schüsse hinter ihm durch das Dunkel. Er schlug die Wagentür zu, und Elda brauste davon. Einen Moment blickten sie sich wortlos an. Elda konzentrierte sich aufs Fahren, während Brad durch das Hinterfenster hinaussah. Sie sauste gerade bei Rot über eine Kreuzung, als er den Wagen bemerkte, der hinter ihnen geparkt hatte und ihnen nun folgte. Die Kerle müssen auf den oben lauernden Maurice gewartet haben, dachte Brad. „Nächste Straße links oder rechts abbiegen“, rief er. Geschickt ordnete sich Elda, andere Autos schneidend, rechts ein. „Warum müssen die Leute abends in Scharen herumkrebsen?“ jammerte sie. „Das ist eben New York“, sagte er. „Da kommen sie. Zum Glück haben sie einen schweren Wagen. Der dichte Verkehr ist für uns ein Segen. Und du fährst großartig.“ Elda, die ihren wendigen Aston-Martin durch das Gewühl kurvte und überholte, wo es nur ging, fragte, starr geradeaus blickend: „Wohin willst du überhaupt?“ „Keine Ahnung. Zuerst müssen wir D'Estang abschütteln. Alles andere später.“ „Ich tue mein möglichstes.“ Wieder sauste sie mit kreischenden Reifen um eine Kurve, an wütend hupenden Kolonnen vorbei. „Soll ich zu einer Polizeistation fahren?“ „Lieber nicht. Die anderen würden nachkommen und uns zumindest irgendwie trennen. Wir müssen die Brüder abhängen und achtgeben, daß wir nicht wegen Verkehrsdelikten angehalten werden.“ Aber bei aller Waghalsigkeit gelang es Elda nicht, einen größeren Vorsprung vor der großen Limousine zu gewinnen, sie war ihnen immer auf den Fersen. „Bleib mitten in der Kolonne. Unter so vielen Menschen werden sie nichts unternehmen, da sind wir relativ sicher“, riet Brad. Elda bog zur Avenue of the Americas ab und fuhr in Richtung Stadtgrenze. Eine Strecke weit war der Verkehr gut in Fluß, kam -431-
aber bei der verstopften 56. Straße zum Stillstand. Die meisten Fahrer in der gestauten Autoschlange hatten die Hand auf der Hupe, in dem vergeblichen Bemühen, mit ihren Signalen die Stockung aufzulösen. Brad überzeugte sich, daß beide Türen des kleinen Sportwagens verriegelt waren. Da tauchte zwischen den Karosserien Maurice D'Estang auf, die rechte Hand in einem Papiersack, den er drohend hob, als er sich der Fahrerseite näherte. „Er hat eine Pistole“, sagte Brad heiser. Nichts mehr zu machen. Du hast alles versucht, Elda.“ Der Korse wollte die Tür öffnen. Als er merkte, daß sie nicht aufging, drückte er die verborgene Waffe ans Fenster und bückte sich, um in den Wagen zu schauen. „Ich liebe dich, Elda“, keuchte Brad. „Scheußlich, daß ich dich in diese Geschichte hineinziehe.“ „Ich liebe dich auch.“ Sie schluchzte. „Und ich will nicht, daß dich die Killer meines Vaters allein finden.“ D'Estangs klobiges Gesicht erschien vor der Scheibe, er spähte herein, prallte aber zurück, als er Elda erkannte. Sein Mund formte die Worte: „Was tun Sie hier?“ Kein Zweifel, Eldas Anblick verblüffte und verwirrte ihn. Einen Moment senkte er unschlüssig die Hand im Papiersack. Der Verkehr kam wieder ins Rollen, Elda gab etwas mehr Standgas. D'Estang starrte Brad eisig an und schien zu erwägen, wie er auf ihn schießen könnte, ohne die Tochter seines Bosses zu treffen. Er hob die Waffe und zielte durch das Fenster. Sofort warf sich Elda zwischen ihren Begleiter und die Mündung. Daraufhin schob sich der Korse nach rechts, um an Elda vorbeizuschießen. Aber sie lehnte den Kopf zurück und kam dadurch wieder in die Schußlinie. Wütend wandte sich D'Estang ab und ging um den Wagen herum. „Er will herüber.“ Brads Atem rasselte. „Vielleicht kann ich raus und davon.“ „Beweg dich nicht!“ rief Elda, die sich umwandte und durchs -432-
Hinterfenster sah, wie die Gestalt auftauchte. Sie wartete noch den Bruchteil einer Sekunde, dann riß sie am Schaltknüppel und trat aufs Gas. Das Kabriolett vollführte einen Rammstoß nach hinten und schleuderte den Killer gegen den nachfolgenden Wagen. Selbst bei geschlossenen Fenstern und trotz des lauten Verkehrslärms hörte man D'Estangs gellende Schmerzensschreie. Seine zerquetschten Beine waren nun zwischen den beiden Stoßstangen eingeklemmt, der Oberkörper lag auf dem Kofferraum des Aston-Martin und verdeckte den Ausblick durch das Hinterfenster. Die Kolonne lockerte sich, es ging weiter. Elda schaltete, der Wagen schnellte los, wie ein Sack glitt der Schwerverletzte von der Karosserie herab und stürzte auf den Asphalt. Durch eine Lücke erreichte Elda die 57. Straße, die Strecke bis zum Central Park Drive war ziemlich frei. Brad holte tief Atem, als Elda wortlos an der Westseite des Parks dahinsauste. „Mein Gott, was bist du für eine Frau.“ Mehr konnte er nicht sagen. „Jetzt brauchen wir Hilfe, wirksame Hilfe“, erwiderte sie ruhig. „Gibt es jemanden, dem du trauen kannst?“ Brad überlegte einen Moment, dann griff er nach seiner Brieftasche. „Nur einen: Pat Kenney.“ Er nahm die Visitenkarte mit der Privatnummer des Kriminalisten heraus. „Er ist absolut vertrauenswürdig. Suchen wir uns einen Winkel, wo wir telefonieren können. Vielleicht ist er zu Hause.“ „Da gibt’s eine versteckte Bar an der East Side. Dort können wir kurz in Deckung gehen. Halt dich fest. Ich will nicht, daß sie uns einholen.“
-433-
46 „Sind Sie sicher, daß euch niemand gefolgt ist?“ fragte Pat Kenney am anderen Ende der Leitung. Nervös preßte Brad den Telefonhörer ans Ohr. „Elda ist phantastisch gefahren. Ich glaube, wir hätten es gemerkt, wenn jemand hinter uns hergewesen wäre.“ „Hoffen wir's. Jedenfalls komme ich sofort. Ihr habt euch genau den richtigen Schlupfwinkel ausgesucht, eine volle Rendezvous-Bar.“ Kenney lachte. „Außerdem ist es ein Glück, daß ich heute schon so früh Schluß gemacht habe, sonst hätten Sie mich nicht zu Hause erreicht. Die Kleine, die jetzt bei mir ist, wird freilich wütend sein, wenn ich ihr sage, daß ich in fünf Minuten verschwinde.“ „Ja, verlieren Sie keine Zeit, Pat. Wir erwarten Sie, es ist sehr dringend.“ Brad hängte ein. Als er sich umwandte, zuckte er erschrocken zusammen. Ein dunkelhaariger Mann in blauem Nadelstreifenanzug mit gelber Krawatte trat zu Elda und legte ihr die Hand auf die Schulter. Im Gedränge sah Brad ihr entsetztes Gesicht, aber Anschlußsuchende beiderlei Geschlechts versperrten ihm den Weg zu ihr. Bestimmt würden die Killer in einem überfüllten Lokal nicht schießen, dachte er. Irgendwie mußte es ihm gelingen, mit Elda hier heil herauszukommen. Als er sich endlich bis zu ihr durchgezwängt hatte, hörte er ihr warmes Mezzo-Lachen. „Nein, mit uns beiden wird's nichts, ich habe meinen Freund mit da ist er schon“, sagte sie betont fröhlich. Der geschniegelte Gast, denn er war nichts anderes, maß Brad von oben bis unten, dann glitt sein Blick wieder zu Elda. Offenbar wunderte er sich darüber, daß ein so schönes junges Mädchen sich ausgerechnet mit einem viel älteren Partner zusammentat. Schützend legte Brad den Arm um seine -434-
Begleiterin, wortlos tauchte der verhinderte Casanova im Trubel unter. „Pat kommt her. Willst du einen Drink?“ Sie schmiegte sich an ihn, seine Nähe gab ihr das Gefühl der Sicherheit. „Ja, jetzt kann ich einen doppelten Gin pur vertragen.“ Brad bestellte und bezahlte gleich. Elda blickte um sich. „Das ist also eine Rendezvous-Bar. Sowas habe ich noch nie gesehen.“ „Du hattest es auch nie nötig, in solche Lokale zu gehen.“ „Und jetzt noch weniger. Nun werde ich nie mehr einsam sein.“ Kurz darauf erschien die mächtige Gestalt Pat Kenneys. Mit seinen breiten Schultern die Balzenden zur Seite schiebend, steuerte er auf Brad und Elda zu. „Ihr seid also soweit!“ rief er. „Herzlichen Glückwunsch.“ Er sah Elda an. „Das ist der folgenschwerste Entschluß Ihres Lebens, Miß, ich hoffe, Sie sind sich im klaren darüber.“ „Es ging alles so selbstverständlich, ich mußte mich gar nicht entscheiden, sondern tat einfach, was geschehen mußte.“ „Erzählt mir, was los ist, während ich den ersten Zweistöckigen inhaliere.“ Als der Detektiv einen großen Rye Whiskey vor sich stehen hatte, schilderten ihm Elda und Brad die Ereignisse der letzten Stunden. Sie berichteten ihm auch, wie Elda den Killerchef D'Estang niedergestoßen hatte. Kenney, der gerade einen Schluck trank, platzte in sein Glas los, daß ihm die Flüssigkeit ins Gesicht sprühte. „Ich hoffe, dieser Dreckskerl kommt nie mehr auf die Beine“, sagte er grimmig. „Sollen wir alles weitere anderswo besprechen?“ fragte Brad. Kenney überlegte einen Moment. „Nein, ich glaube, hier sind wir am sichersten. D'Estangs Leute werden auf der Suche nach -435-
euch beiden die Stadt durchkämmen. Maurice wird sich hüten, Sie wegen Fahrerflucht anzuzeigen, Miß Cervi, obwohl Sie einen “Unfall“ verschuldet haben, und, ohne sich um das “Opfer“ zu kümmern, davongebraust sind.“ Kenney blickte sich prüfend um, im Lokal herrschte noch immer Hochbetrieb, die lärmende Musik und das Stimmengewirr der Gäste übertönten alles, niemand konnte das Gespräch der drei an der Theke Eingekeilten belauschen. „Hier ist es zwar nicht besonders gemütlich, aber ich wüßte nicht, wo wir ungestörter wären.“ „Finde ich auch, Pat. Ich sehe die Situation so: auf die eine oder andere Weise müssen wir New York und die USA verlassen. Elda, hast du deinen Paß mit?“ „Leider nein. Der liegt zu Hause.“ „Macht nichts. Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir nicht mit unseren echten Pässen reisen. Das können wir später besprechen. Reden wir jetzt von der Gesamtstrategie. Pat, wollen Sie etwas unternehmen, um diese Fünfte Macht zu zerschlagen, wie Cervi seine Monsterorganisation nennt?“ Das Grinsen des Kriminalisten grenzte an Perfidie. „Habe ich Ihnen nicht gesagt, als Sie in Miami auf dem hohen Roß saßen, daß Sie mich eines Tages brauchen würden? Daß Sie irgendwann einmal mit Whitehall brechen werden?“ Brad nickte stumm. „Natürlich will ich Cervi und seinen Staat im Staat aufrollen. Aber dazu brauchen wir massive Unterstützung.“ „Die werden wir irgendwie aufbieten können. Immerhin haben wir jenen Menschen bei uns, der den geheimnisvollen Boß am besten kennt.“ Er drückte Elda an sich, schweigend stimmte sie zu. „Pat, wir werden folgendes tun: Ich fahre mit Elda nach Connecticut, in Southport kenne ich ein sehr diskretes Motel. Dort mieten wir uns als - Mr. und Mrs. O'Brien ein.“ Brad griff in die Tasche und löste einen Schlüssel vom Bund. „Der sperrt meinen Safe. Räumen Sie ihn ganz aus. Es sind über 100.000 Dollar in bar drin. Ich werde dem Bankdirektor Ihren -436-
Besuch ankündigen, er ist ein guter persönlicher Freund.“ „Wenn Sie gerade dabei sind, Pat, würde es Ihnen was ausmachen, meinen Schmuck zu verbraten?“ fügte Elda hinzu. „Das tue ich besonders gern. Haben Sie die Kinkerlitzchen mit?“ Elda klopfte auf ihre Tasche. „Sie müßten dafür etwa 50.000 Dollar kriegen.“ „Ich werde den bestmöglichen Preis herausschlagen“, beteuerte Kenney. „Kommen Sie morgen, sobald Sie das Geld haben, in das “Pequot Inn“, bei der Ausfahrt 19 der Neu-England-Autobahn, es ist nicht zu verfehlen. Dort werden wir dann die nächsten Schritte planen. Meiner Meinung nach sollten Sie versuchen, mit dem Justizminister Kontakt aufzunehmen und einen Gesprächstermin für uns drei zu vereinbaren. Ich bezweifle, daß Cervis Einflußsphäre bereits so weit hinauf reicht.“ „Ich kenne den Justizminister nicht persönlich.“ „Bestimmt hat er schon von Ihnen gehört. Morgen werde ich Ihnen eine Liste der höchsten Staatsbeamten geben, die ich persönlich kenne und von denen ich weiß, daß sie absolut einwandfrei und vertrauenswürdig sind.“ Lächelnd schlug Brad dem Detektiv auf die Schulter. „Sie werden es lernen, mit Spitzenfunktionären der USA richtig umzugehen.“ „An mir soll's nicht liegen, Brad. Ich tue, was in meinen Kräften steht.“ „Näheres darüber morgen. Zuerst müssen Elda und ich eine gesicherte Operationsbasis finden, dann werden wir die Möglichkeit haben, eine Offensive gegen diese Fünfte Macht zu starten. Und zwar müssen wir unbedingt im nächsten Jahr losschlagen. Denn bis 1974 hätte Cervi durch seine Marionetten eine Reihe weiterer Wahlen gewonnen, und dann wüßten wir nicht, wen er bereits gekauft oder angeworben hat. Es gilt: jetzt -437-
oder nie! - Aber im Moment lautet die wichtigste Frage: wie kommen wir aus der Stadt heraus?“ Nervös warf Brad einen Blick zur Tür. „Selbst wenn sich D'Estang nach dem Unterweltskodex auf die Aussage beschränkt, er sei zufällig in der Kolonne niedergestoßen worden, hat die Polizei vermutlich schon eine Beschreibung von Eldas Wagen und wird ihn suchen.“ „Paßt auch“, erwiderte Kenney lakonisch. „Meine Karre ist nämlich, vor dem Haus geparkt. Mit der zischt ihr nach Connecticut ab. Mittlerweile bringe ich Eldas Schlitten rasch in eine nahe Garage, wo ich gut bekannt bin, und stelle ihn dort ein. Morgen miete ich einen Wagen, fahre zu euch hinaus und hole meinen eigenen. Den Leihwagen könnt ihr beide dann irgendwo zurückgeben, sobald ihr ihn nicht mehr braucht.“ „Ein guter Plan“, sagte Brad ehrlich dankbar. Sie tauschten die Autoschlüssel aus. „Okay, verlieren wir keine Zeit.“ Kenney war ganz in seinem Element, wenn es darauf ankam, schnell und methodisch zu handeln. „Ich möchte den schicken Flitzer gleich verschwinden lassen. Ist was drin, das ihr braucht?“ Elda schüttelte den Kopf. „Was wir brauchen, werden wir besorgen.“ Brad nahm ihren Arm. „Wir fahren los. Melden Sie sich morgen um neun Uhr beim Bankdirektor.“ „Wird erledigt.“ Knapp hinter Kenney, der mit seinen raumgreifenden Seemannsschritten einen Weg durch das Gewühl von Tanzpaaren und Partnersuchenden bahnte, verließen sie aufatmend die Bar und gingen bis zur First Avenue. „Elda hat an der Ecke geparkt, es ist ein Aston-Martin“, sagte Brad. „Keine Sorge, ich finde ihn schon. In einer Viertelstunde wird von ihm nichts mehr zu sehen sein. Viel Glück. Und gebt acht!“ Brad und Elda stiegen in den alten Ford des Kriminalisten. Der Verkehr war noch immer ziemlich dicht, aber sie erreichten -438-
bald die Ausfallstraße nach Norden. Als sie sich der NewEngland-Autobahn näherten, wich die quälende Spannung von ihnen. Brad griff nach der Hand des Mädchens, das neben ihm saß. „Wir starten in eine ganz neue Welt, Liebste.“ „Ich bin dazu bereit.“ Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Schattenhaft glitten an den Wagenfenstern die Ausfahrtstafeln vorbei.
-439-
47 C. L. Cervi stand am Fußende des Spitalsbettes und blickte auf das bleiche, verfallene Gesicht seines engsten Vertrauten nieder. „Ich kann nur drei Minuten bleiben, wir müssen uns kurz fassen“, sagte er. „Sind Sie sicher, daß meine Tochter nach eigenem Entschluß handelte?“ »J - ja“, erwiderte der Korse mit verlöschender Stimme. „Kendall hat Elda nicht dazu angestiftet?“ D'Estang bewegte lautlos die trockenen, aufgesprungenen Lippen. „Nein -“ krächzte er schließlich. „Ich - ich wollte auf ihn zielen -, aber sie schob sich immer in meine Schußlinie.“ Die Anstrengung, diesen Satz auszusprechen, schien ihn zu erschöpfen, hohläugig starrte er zur Zimmerdecke. „Also hat Elda selbst Sie gerammt, Maurice?“ forschte Cervi weiter. „Es war nicht Kendall, der plötzlich den Schaltknüppel packte und Gas gab?“ D'Estang sammelte Kraft für die nächste Antwort, ehe er pfeifend hervorstieß: „Ich sah es kommen - als sie - sich nach mir umblickte. -Ich sah den Ausdruck - von Eldas Gesicht. Da wußte ich es. - Aber ich konnte - es nicht mehr verhindern. Es war zu spät. - Elda ist wie Sie, C. L. Aber Kendall? Nein, der hat zuwenig Mumm dazu.“ „Maurice, ich bedaure zutiefst, was geschehen ist, und werde Sie für alles reichlich entschädigen.“ „Im Rollstuhl?“ fragte D'Estang heiser, Hoffnungslosigkeit im getrübten Blick. „Wir werden die besten Ärzte heranziehen und Ihnen die denkbar beste Pflege angedeihen lassen. Bald werden Sie wieder wohlauf sein und das Paar finden. Ich will sie lebendig, alle beide. Um Kendall möchte ich mich persönlich kümmern.“ Cervis dunkle Augen funkelten. „Es ist viele Jahre her, seit ich -440-
sowas selbst erledigt habe, aber in diesem Fall...“ „Jawohl, C. L., jawohl...“ Der Schwerverletzte schien wieder ins Koma zu sinken. Cervi starrte ihn einen Moment geistesabwesend an, dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Krankenzimmer. Kurz danach ging er in seinem Büro im Spire Building ruhelos auf und ab, wie immer, wenn ihn schwerwiegende Fragen beschäftigten. Tief unten breitete sich weithin die Stadt im milden, silbrigen Sonnenlicht des Novembervormittags. Cervi blieb bei der riesigen Glaswand stehen, aber heute bot das einmalige Panorama für ihn keinen Reiz. Er wandte der verflimmernden Skyline den Rücken und sah Luciana an, die ihn bereits erwartet hatte. „Es war ein Fehler, ihm zu vertrauen. Er war zu lange ein seriöser, reeller Geschäftsmann, als daß er noch nach unseren Begriffen zu formen gewesen wäre. - Aber eines ist sicher: Die beiden, er und Elda, können sich nicht vor mir verstecken.“ Cervi blickte auf die Uhr. „Nun ist es zwölf Stunden her, seit Maurice sie beinahe erwischt hätte. Ich werde ihnen keine vierundzwanzig Stunden Vorsprung geben. Die ganze Fünfte Macht ist ihnen auf den Fersen, sie können nicht entkommen.“ Das summende Signal der Gegensprechanlage unterbrach seine düsteren Betrachtungen. Cervi drückte auf die Taste. „Ja, was ist los?“ „Mr. Beddington ist mit Mr. Loring Gardiner hier“, sagte eine neutrale Sekretärinnenstimme. „Gut, schicken Sie die Herren herein.“ Er trat vom Schreibtisch zurück. „Wieder so ein Ultra-Amerikaner aus alter Ostküsten-Familie“, murmelte er. „Aber für ein Unternehmen wie Ascot braucht man als Repräsentationsfigur eben einen ganz bestimmten Typ.“ Beddington trat mit Loring Gardiner ein, den man auf den ersten Blick richtig einzustufen vermochte: gehobene Position in -441-
der Wirtschaft, Lebensart und gute Verbindungen, kurzum: ein Erfolgsmensch des Industriezeitalters. Zudem eine gute Erscheinung, wie Luciana sofort feststellte. Attraktiver Enddreißiger mit frühergrautem Haar, groß und gut gewachsen. In seinem nach englischem Stil seitlich geschlitzten grauen Flanellanzug und seiner betont konservativen Aufmachung erinnerte er an einen Bonvivant, der den jungen Aufsichtsratspräsidenten eines Weltkonzerns spielt. Cervi begrüßte die beiden Besucher und kam ohne Umschweife zur Sache. „Mein Freund Bryant hat mit mir mehrmals darüber gesprochen, daß Sie bei uns mitarbeiten könnten, Mr. Gardiner. An sich hatte ich für Sie bestimmte andere Aufgabenbereiche vorgesehen, aber gerade heute ist der Posten des Präsidenten der Ascot-Hotelkette frei geworden.“ Cervi hielt inne, um zu sehen, wie der Anwärter auf diese Eröffnung reagieren würde. Sofort schaltete sich Beddington ein. „Loring ist befähigt, das Management jeder großen Firma zu übernehmen, C. L.“ Er wandte sich seinem Begleiter zu. „Du hast doch auch Erfahrungen in der Hotelbranche, nicht wahr?“ „Gewiß. Während der letzten zehn Jahre war ich in der Sparte Realitäten tätig. Ein Unternehmen, das ich gründete, kaufte und betrieb einige Hotels, die wir dann zu sehr günstigen Bedingungen veräußerten. Ja, ich darf sagen, daß ich die Hotellerie kenne.“ „Wir haben uns über Sie erkundigt.“ Cervi ließ diese Mitteilung elegant fallen. „Ich setze voraus, daß Sie sich Ihrerseits über Whitehall informierten.“ „Das stimmt, Mr. Cervi“, antwortete Gardiner offen und sachlich. „Haben Sie dazu einige Fragen an uns?“ „Wenn ich gegen eine Bindung an Whitehall Bedenken hätte, wäre ich nicht hier. Ich glaube an das Wirtschaftswachstum, und die Entwicklung Ihres Konzerns, soweit sie überblickbar ist -“ -442-
schmunzelnd warf er C. L. einen beziehungsreichen Blick zu „-, zeigt an, daß Whitehall rascher als jedes andere Unternehmen in den USA expandierte. Ich bin mir klar darüber, daß Ihre Methoden ungewöhnlich sind, aber nur so kann man schnell etwas aufbauen.“ Mit dem befriedigten Lächeln eines Mannes, der seine Erwartungen bestätigt sieht, lehnte sich Cervi zurück. Seine dunklen Augen streiften die gespannt zuhörende Luciana. „Es hat ganz den Anschein, daß wir dieselbe Sprache sprechen, Mr. Gardiner. Wir sind bestrebt, unseren Spitzenkräften alle erforderlichen Hilfsmittel zu bieten. Für Reisen werden Ihnen eigene Ascot-Jets zur Verfügung stehen, und wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit -“ Cervi stand auf, ging zu der Kaminwand und wies aus die zahllosen, über die Kontinente verteilten bunten Stecknadelköpfe, „- dieser Weltkarte zuwenden wollen, dann kann ich Ihnen einige Aufschlüsse über unsere internationalen Projekte geben.“ Etwa eine Stunde später sah Luciana den beiden Besuchern nach, die sich soeben verabschiedet hatten und zur Tür schritten. Als sie wieder mit Cervi allein war, sagte sie: „C. L., wußten Sie, daß Sie vielleicht der mächtigste, bezwingendste Hypnotiseur sind, den es je gab?“ Ihre Bewunderung schmeichelte ihm. „Ja, ich glaube, Gardiner wird ein guter und auf lange Sicht weitaus zuverlässigerer Ascot-Präsident sein als Brad Kendall. Und sobald wir Gardiner völlig manipuliert haben und seiner sicher sein können, wird er auch an der politischen Front für uns wertvolle Dienste leisten.“ „Schade, daß er verheiratet ist.“ „Ganz im Gegenteil. Wenn Kendall noch verheiratet wäre und Kinder großzuziehen hätte, wäre er nicht ausgesprungen. Ich bin überzeugt, es wird Ihnen leicht gelingen, mit Loring Gardiner eine gute berufliche und persönliche Beziehung herzustellen, die -443-
sich für Ascot und Whitehall günstig auswirken wird.“ „Das sind keine unerfreulichen Aussichten, C. L. Schließlich ist Kontaktpflege bei meinem Aufgabenkreis das Wichtigste.“ Sie lächelte vielsagend. „Eben.“ Cervi überlegte. „Schwieriger ist es, Maurice D'Estang zu ersetzen. Er wird zwar in der Lage sein, nach seiner Genesung die Aktionen zu leiten, aber wie mir die Ärzte erklärten, wird er nie mehr gehen können. Ich möchte wissen, ob sein Bruder brauchbar wäre.“ Luciana machte eine wegwerfende Geste. „Keine Klasse. Der ist und bleibt ein korsischer Pirat.“ „Ja, das glaube ich auch.“ Cervis Gesicht spannte sich, seine Züge wurden hart. „Kendall hat uns schweren Schaden zugefügt. Und Elda -“ Bei diesem Gedanken sank die stolz gestraffte Gestalt etwas ein, die Schultern beugten sich wie unter einer Last. „Ich begreife es nicht. Immer war ich ein guter, verständnisvoller Vater. Wir hatten das beste Einvernehmen...“ „Wenn Sie die beiden finden, werden Sie Ihre Tochter gewiß wieder für sich gewinnen. Ich glaube, ich kann Ihnen dabei helfen. Eldas Neigung zu Brad wird schwinden, wenn sie und ihr Geliebter immer auf der Flucht sind, niemandem trauen können, keine ruhige Minute haben. Abwarten, C. L. Eines Tages wird Elda anrufen und flehentlich bitten, daß sie nach Hause kommen darf. Das heißt, wenn ihr das Paar nicht schon früher aufstöbert.“ „Wir werden sie finden. Wir müssen sie einfach finden! Es gibt niemanden, der uns gefährlicher werden kann als Brad Kendall. - Und Elda...“ Mit düsterer Miene starrte er auf die Stadt hinaus. „Dort unten sind die beiden, Luciana, irgendwo...“ Langsam, fast schleppend ging er zum Schreibtisch und drückte auf einen Knopf. Die Schiebewand glitt zur Seite, Cervi betrat sein Musikzimmer. Er setzte sich an die Elektroorgel, schaltete sie ein und hob die Hände über das Manuale, während -444-
seine Füße sich auf die Pedale senkten. Dann intonierte er im Crescendo den letzten Satz von Beethovens IX. Symphonie, der in den Hymnus an die Freude mündet. Im selben Moment empfing einer der engsten Mitarbeiter des Justizministers der USA den Kriminalisten Pat Kenney zu einem Gespräch unter vier Augen.
-445-