Freder van Holk Das Tal der Abenteurer
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel
Verlag KG, Pabe...
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Freder van Holk Das Tal der Abenteurer
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel
Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt
Neu bearbeitet von Heinz Reck
Copyright © 1979 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt
Agentur Transgalaxis
Titelbild: Nikolai Lutohin
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG
Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und
nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wie
derverkauf ist verboten.
Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300
A-5081 Anif
Abonnements und Einzelbestellungen an
PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,
Telefon (0 72 22) 13-2 41
NACHDRUCKDIENST:
Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1,
Telefon (0 40) 3 0196 29, Telex 02 161024
Printed in Germany
Oktober 1979
Scan by Brrazo 03/2006
1.
Es war die Zeit zwischen Abendessen und Gesell schaftsabend. Die meisten Gäste des Hotels in Mexi co City saßen noch in den Speiseräumen, während die Halle fast leer war. Porzellan und Bestecke klirr ten gelegentlich, die Musik schwelgte in gedämpften Weisen, in die sich das matte Stimmengewirr misch te. Die Kellner schleppten große Platten und blitzen de Kübel. Die Blicke der Essenden gingen häufig zu einem Tisch hinüber, an dem sich zwei junge Menschen gegenübersaßen. Die besondere Aufmerksamkeit des Personals deutete an, daß es außergewöhnliche Gäste waren. Außerdem hatte man einfach das Bedürfnis, diese beiden schönen, geradezu vollkommen aufein ander abgestimmten Menschen anzusehen. Sun Koh und Joan Martini achteten wenig auf die Blicke ringsum. »Ich spüre eine unbändige Freude in mir«, sagte Joan Martini über den Tisch hinweg. »Mir kommt heute alles wunderbar schön vor.« »Du hast lange in der Einsamkeit der Sonnenstadt gelebt«, sagte Sun Koh lächelnd. »Ich werde dir grö ßere Schönheiten der Welt zeigen als dieses Hotel, um dich ein wenig zu entschädigen.« »Die Umgebung ist es nicht. Ich bin glücklich, daß 5
wir beide wieder einmal zusammensitzen können. Monate sind vergangen, aber unsere Gemeinsamkeit dauerte nur Stunden.« Sun Koh sah ihr in die Augen. »Noch müssen wir die Stunden wie Jahre und die Jahre wie Stunden durchleben«, sagte er leise. »Ich kann noch nicht für immer bei dir bleiben.« »Ich weiß es«, sagte sie. »Liebe ist stärker als räumliche Trennung. Meine Seele wird stets bei dir sein.« »Laß uns nicht über das Unabänderliche sprechen, es stimmt nur traurig. Warum siehst du mich so ernst an.« »Nicht ernst, nur gründlich. Ich habe viel nachzu holen. Unendlichkeiten, während derer ich dich nicht sehen konnte.« Joan schüttelte den Kopf. »Es ist besser, du siehst mich nicht so gründlich an«, meinte sie heiter. »Mein Vater sagte immer, das sei das sicherste Mittel, um Fehler an einem Men schen zu entdecken.« Sun Koh lächelte. »Es gelingt mir nicht, Fehler an dir zu entdecken.« »Oh, so schmeichelt man unter dem Deckmantel der Offenheit. Mein Vater hatte trotzdem recht, nicht wahr?« »Natürlich hatte er recht. Wenn man von einem Menschen beeindruckt wird, sich durch ihn gefangen 6
fühlt, soll man versuchen, sein Gesicht in allen Ein zelheiten nachzuzeichnen. Das hilft gewöhnlich. Ein altes Mittel und zugleich die Erklärung dafür, warum das Verhältnis zwischen Künstler und Modell meist so sachlich kühl ist. Aber gegen die Liebe hilft auch das nicht, zumal nicht dir gegenüber.« »Und umgekehrt.« Sie lachten sich zärtlich an. Eine junge Dame betrat den Speiseraum. Sie blieb einen Augenblick am Eingang stehen und sah sich nach einem freien Tisch um. Joan Martini machte eine hastige Bewegung, als ihr Blick auf die junge Frau fiel. »Das ist doch …«, entfuhr es ihr. »Was ist? Kennst du die junge Dame?« Joan Martini war nicht ganz sicher. »Das kann nur Ruth Silver sein. Wir sind in Lon don Freundinnen gewesen. Aber wie sollte sie hier herkommen?« »Möchtest du mit ihr sprechen?« »Gern.« Sun Koh erhob sich und trat an die Seite der jun gen Frau, die eben weitergehen wollte. Er verbeugte sich. »Habe ich die Ehre, Miß Ruth Silver aus London vor mir zu sehen?« Sie blickte ihn überrascht an. »Ich heiße allerdings Ruth Silver, aber …« 7
»Miß Joan Martini, meine Verlobte, würde sich ebenso wie ich freuen, wenn Sie an unserem Tisch Platz nehmen würden.« »Joan Martini? Joan ist hier?« rief sie aufgeregt, schaute an ihm vorbei und entdeckte die winkende Freundin. Sofort eilte sie hin. »Hallo, Joan, das nenne ich eine Überraschung!« Die beiden jungen Frauen redeten in den nächsten Minuten lachend durcheinander. Ruth Silver war eine hübsche Vertreterin ihres Ge schlechts und gehörte zu den Frauen, in deren Wesen etwas Bestimmtes und Sicheres liegt, zugleich fröh liche Unbekümmertheit. Allmählich wurde das Gespräch ruhiger und sach licher. Ruth Silver erzählte auf einige Fragen bereit willig von ihrem Leben. »Ich halte mich schon fast ein Vierteljahr lang hier auf, wenn ich auch erst seit drei Tagen in diesem Ho tel wohne. Ich bin als Gesellschafterin einer gelb süchtigen Señorita nach Mexiko gekommen.« »Du als Gesellschafterin?« fragte Joan Martini verwundert. »Ich hätte mich früher selbst darüber gewundert, wenn mir jemand das prophezeit hätte«, erwiderte Ruth Silver schulterzuckend. »Aber was will man machen? Vater ging vor einem halben Jahr pleite. Er ist ein paar Gaunern in die Hände gefallen. Er konnte gerade noch seinen Namen sauber halten. Nun, ich 8
habe recht dumm ausgesehen, als er mir eines Tages erklärte, daß ich eine Stelle annehmen müsse, aber natürlich habe ich mich nicht umwerfen lassen. Ge lernt hatte ich nichts, aber zur Gesellschafterin reich te es. So wurde ich Bärenführerin.« »Bärenführerin?« Ruth Silver lachte. »Nun ja, Gesellschafterin bei reichen Fremden, die London kennenlernen wollten. Ich bin aber bald bei der gelbsüchtigen Señorita hängengeblieben. Sie wollte mich mit aller Gewalt mit nach Mexiko neh men. Warum auch nicht? Ich wußte ja nicht, daß sie so schnell heiraten würde. Jetzt ist sie auf der Hoch zeitsreise und braucht keine Gesellschafterin mehr.« »Ein gutes Vorbild?« fragte Joan Martini vielsa gend. »Für mich nicht«, wehrte die Freundin tempera mentvoll ab. »Bei mir hat’s noch nie zur Liebe ge reicht. Die Männer in London waren gute Kerle, und ich habe mich ausgezeichnet mit ihnen verstanden, aber es waren eben nur Kameraden.« »Seit wann sind Sie ohne Beschäftigung?« fragte Sun Koh, um vom Thema abzukommen. »Erst seit acht Tagen, da wandelte meine Princi pessa in die Kirche. Ich wollte eigentlich anschlie ßend nach London zurück, aber schließlich habe ich mir’s doch anders überlegt. Genau genommen tat mir das Fahrgeld leid. Und dann lockte mich das Ange 9
bot von Don Fernando.« »Du bist wieder Gesellschafterin?« »Man kann’s so nennen, nur betreue ich diesmal einen alten Herrn. Der arme Kerl ist blind.« »Ach!« »Ja, jammerschade um ihn. So alt ist er nämlich noch nicht, höchstens Anfang fünfzig. Ein prachtvol ler Typ, vornehm bis in die Fingerspitzen. Es heißt ja auch, daß er von österreichischem Uradel abstammen soll. Man nennt ihn allgemein nur Don Fernando, aber eigentlich heißt er Ferdinand von Hohenau. Und wer weiß, ob das sein richtiger Name ist.« »Diesen Don Fernando meinen Sie?« fragte Sun Koh und erklärte Joan Martini: »Er ist nach dem, was ich gelegentlich hörte, tatsächlich eine reichlich ge heimnisvolle Persönlichkeit. Sein außerordentlicher Reichtum steht außer jedem Zweifel, ebensowenig aber auch seine Sonderlichkeiten. Wenn ich nicht irre, hat er ausgedehnte Besitzungen im Staat Guerre ro in der Nähe von Tioctla.« »Das stimmt«, bestätigte Ruth Silver, »in diese Gegend wollen wir nämlich reisen. Das Flugzeug ist schon bestellt.« »Sagten Sie nicht, er sei blind? Das würde dem, was ich über ihn hörte, widersprechen.« »Er ist blind, aber erst seit kurzem. Don Fernando machte eine Tour mit seinem Flugzeug. Unterwegs mußte er notlanden. Er konnte nicht weiter, die Ge 10
gend war zu abgelegen. Also wartete er ein paar Ta ge, bis sein Pilot und sein Diener die Reparatur aus geführt hatten. Und als sie fort wollten, merkten die drei, daß sie blind waren.« Sun Koh mußte lächeln. »Eine sehr merkwürdige Geschichte.« »Sie glauben mir nicht?« fragte sie kriegerisch. »Don Fernando ist tatsächlich blind. Es kann aller dings sein, daß die Geschichte sich ein bißchen an ders verhält. Ich habe nur einige Andeutungen gehört und bin selbst noch nicht recht klug daraus gewor den. Für den Mann ist es furchtbar. Er beherrscht sich gut, aber wenn man den ganzen Tag mit ihm zusammen ist, merkt man schon, wie es ihn quält.« »Du bist also jetzt eine Art Krankenpflegerin?« Ruth Silver wiegte den Kopf hin und her. »Krank ist er ja eigentlich nicht. Ich leiste ihm eben Gesellschaft und versuche, ihm seine Lage zu erleichtern. Ich muß ihn führen, wenn er spazieren gehen will, ich sorge dafür, daß ihm beim Essen sei ne Hilflosigkeit nicht gar zu sehr zu Bewußtsein kommt, lese ihm vor, unterhalte mich mit ihm und was der Dinge mehr sind. Wir verstehen uns ganz gut.« »Wie bist du zu ihm gekommen?« »Durch eine Zeitungsanzeige. Er suchte eine Aus länderin als Gesellschafterin und bot ein so hohes Gehalt, daß ich mich vorstellte. Freilich, als ich Cra 11
ge kennenlernte, hätte ich um ein Haar verzichtet. Wenn mir dann Don Fernando nicht so gut gefallen hätte, wäre ich von hier abgereist.« »Wer ist Crage?« »Dr. Crage? Das ist der Arzt, der Don Fernando wieder sehend machen soll. Ein unangenehmer Mensch, direkt widerlich. Er spielt sich zwar als Amerikaner auf, aber ich glaube, er ist nicht weit von Mexiko geboren. Er beherrscht die Sprache gar zu gut. Hoffentlich hat er mit seiner Operation auch Er folg.« »Dr. Crage?« sagte Sun Koh nachdenklich. »Den Namen habe ich schon einmal gehört, ich kann aber nicht sagen, in welchem Zusammenhang. Ist er be kannt?« »Hier bestimmt nicht. Er soll in der Gegend von Kansas heimisch sein. Don Fernando hat ihn wohl deshalb herangezogen, weil er der einzige ist, der die genauen Ursachen seiner Erblindung kennt und sie beseitigen kann. Er hat sich eine Zeitlang in der Ge gend aufgehalten, in der Don Fernando blind gewor den ist.« Sun Koh machte eine lebhafte Bewegung. »Ah, jetzt weiß ich Bescheid. Haben Sie den Na men Tiltepec schon gehört, Miß Silver?« »Ja, ich glaube, so hieß der Ort, an dem Don Fer nando krank wurde.« »Hm, dann wird Dr. Crage wohl der einzige Mann 12
sein, der ihm helfen kann. Ich erinnere mich an eine Information. Danach ist Tiltepec, das im Staat Oaxa ca liegt, ein Städtchen, über dem der Fluch der Blindheit liegt. Sämtliche Einwohner sollen blind sein, und Fremde, die dort hinkommen, sollen es bald werden. Die Ursache hat man wohl noch nicht einwandfrei feststellen können, aber einem amerika nischen Arzt, eben Dr. Crage, soll es gelungen sein, durch Operation verschiedene Blinde wieder sehend zu machen.« »Das dürfte damit zusammenhängen«, sagte Ruth Silver. »Es war ein Glück für Don Fernando, daß sich Dr. Crage in der Nähe von Mexiko aufhielt.« »Dann wird die Operation wohl bald vorgenom men?« »Nein, das braucht noch Zeit. Crage meint, daß sich die Geschwulste, die wohl an allem schuld sind, erst noch entwickeln müssen. Die Operation soll erst später und auf dem Besitztum Don Fernandos statt finden, deshalb muß ich vorläufig mitfahren.« »Wirst du dich nicht gar zu einsam und verloren fühlen?« »Das glaube ich weniger. Erstens gehört Don Fer nando zu den seltenen Menschen, mit denen man sich wochenlang unterhalten kann, ohne Langeweile zu empfinden. Er wirkt mit seinem weißen Kopf nicht nur wie ein Gelehrter, sondern ist auch einer. Und außerdem muß es dort auf seinen Besitzungen 13
allerlei Abwechslung geben. Er selbst sagte es mir, und dann hörte ich auch Verschiedenes, was mich neugierig gemacht hat. Er soll sein eigenes Privat theater besitzen, für das er sich gelegentlich unter riesigem Kostenaufwand eine berühmte Schauspie ler- oder Ballettruppe heranholt. Nein, Langeweile fürchte ich eigentlich nicht, ganz abgesehen davon, daß ich ja nicht zu meinem Vergnügen reise. Nur diesen Crage möchte ich nicht dauernd in meiner Nähe wissen.« »Ist er etwa zudringlich?« Ruth Silver reckte sich. »Ha, das fehlte noch. Das würde ich ihm aber bald abgewöhnen. Er ist mir einfach zuwider, so zuwider, daß mir das Essen nicht schmeckt, wenn ich an ihn denke.« Das Gespräch lenkte zu anderen Themen ab. Nach dem Essen verabschiedete sich Ruth Silver, obgleich sie eingeladen wurde zu bleiben. »Nein, nein«, wehrte sie ab, »ich bin müde. Au ßerdem fürchte ich, daß Crage auftauchen wird und mit mir tanzen will. Das würde über meine Kräfte gehen.« Sun Koh und Joan Martini verstanden sehr wohl, daß sie vor allem ihre Zweisamkeit nicht stören woll te. Sie hatten vielleicht eine Stunde lang in der Halle gegessen und getanzt, als ein Mann von oben herun 14
terkam, bei dessen Anblick Joan Martini nervös zu sammenzuckte. Unwillkürlich faßte sie nach Sun Kohs Arm. »Du – dieser Mann – wer ist das?« Sun Koh unterdrückte nur mit Mühe eine Bewe gung. Dieser Mann? Die ausgesucht elegante Klei dung verriet nichts, dafür verrieten Bewegung und Haltung um so mehr. Das Gesicht war am breitesten in der Höhe der vorspringenden Jochbogen. Über diesen stachen, überlagert von der vorgezogenen Schädelbasis, dunk le kleine Augen nadelscharf heraus. Die Stirn wich vorn und seitlich zu den hellen, glatt anliegenden Haaren zurück, denen man die Helligkeit als Natur farbe nicht völlig glauben konnte. Auch nach dem Kinn zu zeigte sich die fliehende Tendenz in starkem Maß, so daß das Gesicht gewissermaßen aus zwei ungleichen Dreiecken bestand, die an der Basis der Jochbögen zusammenstieß. Die Lippen waren sehr dünn und von unangenehmen, zynischen Falten um zogen, die Nase bog sich scharf heraus. Wenn man sich die Haare schwarz dachte, die Haut fahlweiß statt mißtönig braun, wenn man sich einen dünnen schwarzen Bart auf der Oberlippe und einen spitzen Bart am Kinn dazu vorstellte, dann war das das verhaßteste Gesicht auf dieser Welt. Das Gesicht Juan Garcias. Sun Koh wollte Joan Martini nicht noch mehr er 15
schrecken. Er verriet nichts von seinen eigenen Ge danken. »Du meinst den Herrn an der Treppe?« fragte er ruhig. »Ein unangenehmer Mensch, nicht wahr?« »Kommt er dir nicht bekannt vor?« flüsterte sie. »Ich entsinne mich nicht, ihn schon einmal gese hen zu haben.« Sie blickte ihn verstört an. »Fällt dir denn nicht auf, welche Ähnlichkeit er mit Juan Garcia hat?« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Aber er sieht doch ganz anders aus«, redete er ihr ein. »Juan Garcia ist schwarz, trägt einen Bart und hat eine ganz andere Haut.« Sie ließ sich nicht so leicht beruhigen. »Was will das besagen? Solche Veränderungen kann man heute jederzeit vornehmen. Glaube mir, es ist Juan Garcia. Mein Verstand mag unsicher sein, aber ich fühle es mit Bestimmtheit.« »Auch das Gefühl kann täuschen, Joan. Doch wenn es dich beruhigt, will ich nachfragen, wer der Mann ist.« Er winkte den Kellner heran. »Wer ist der Herr, der eben auf den Speiseraum zugeht?« Der Kellner warf einen Blick in die Richtung und erwiderte dann ohne Zögern. »Dr. Crage, ein amerikanischer Arzt, der von ei 16
nem unserer Gäste zur Behandlung eines Augenlei dens herangezogen wurde.« »Danke.« Die beiden sahen sich erstaunt an. »Jetzt verstehe ich, warum Ruth solchen Wider willen gegen diesen Arzt spürt«, sagte Joan Martini leise. »Also Dr. Crage nennt er sich jetzt?« »Du hältst ihn trotzdem für Juan Garcia?« »Ja, ich kann mir nicht helfen.« »Dann hätte er sich eine recht eigenartige Rolle aus gesucht. Übrigens scheint er hier vorbeizukommen.« Crage hatte das Speisezimmer nicht betreten, son dern war umgekehrt und schlenderte nun an den Wandnischen vorbei. Jetzt passierte er in geringer Entfernung den Tisch, an dem die beiden saßen. Sein Gesicht veränderte sich nicht. Die Augen weiteten sich flüchtig, aber das ließ sich durch ein gewisses Erstaunen rechtfertigen, weil er die Augen der beiden so gespannt auf sich fühlte. Wenn dieser Mann Juan Garcia war, so hatte er sich ausgezeichnet in der Gewalt. Oder wußte er schon, wen er hier unten sehen würde? Er ging wenig später die Treppe wieder hinauf. Joan Martini wollte eigentlich den Abend abbre chen, da sich Crage aber nicht wieder sehen ließ, ge lang es Sun Koh, ihre Verstörtheit zu überwinden. Sie blieben. 17
Sie blieben und ahnten nicht, daß sie dadurch ei nem grinsenden Halunken allen Spielraum gaben, den er brauchte. * Joan Martini erwachte in einer ihr völlig fremden Umgebung. Sie lag auf einem einfachen Bett in ei nem nüchternen Zimmer, das mehr einer Zelle als einem Wohnraum glich. Sie fühlte sich schwach, ihr Kopf schmerzte etwas, und die Augen sahen alles wie durch einen Schleier. Die überraschende Fest stellung, daß sie ihren Pyjama trug und trotzdem die Umgebung völlig gewechselt hatte, erregte nun mehr ihre Neugier als ihre Besorgnis. Was sollte das be deuten? Träumte sie etwa? Sie legte sich keine Rechenschaft ab, sondern schlief über der ersten Erwägung wieder ein. Nach Minuten oder Stunden schreckte sie auf. Die Tür öffnete sich. Dr. Crage trat ein. Der Schleier über ihrem Bewußtsein zerriß. Sie wollte sich aufrichten, die Hände abwehrend vor strecken, aber ihre Glieder versagten den Dienst. Dr. Crage lächelte spöttisch. »Sie scheinen mich ja nicht gerade freundlich zu begrüßen. Sollten Ihnen etwa meine blonden Haare nicht gefallen? Bleiben Sie ruhig liegen, Ihre Füße 18
würden Sie ohnehin noch nicht tragen.« Sie starrte ihn mit weitgeöffneten Augen an. »Wie komme ich hierher?« Er hob vielsagend die Schultern. »Mit einem Auto wahrscheinlich. Ich bin Arzt, man vertraute Sie mir zur Behandlung an. Sie sind krank, wissen Sie!« »Sie lügen!« stieß sie heraus. »Sie sind niemals Arzt gewesen.« Crage ließ seine verbindliche Miene beiseite. »Also gut, wir können uns das Versteckspielen sparen«, erwiderte er schroff. »Sie wissen, wer ich bin.« »Juan Garcia.« »Stimmt.« Er grinste flüchtig. »Sie können sich al so denken, was Ihnen blüht. Viel Zeit habe ich au genblicklich nicht, um mich Ihnen zu widmen. Fas sen wir uns also kurz. Sie sind in meiner Gewalt und Ihr Liebhaber Sun Koh ebenfalls.« »Sie wollen Sun Koh gefangengenommen ha ben?« fragte sie skeptisch. »Gewiß«, sagte er. »Es war wirklich einfach, so wie bei Ihnen. Während Sie tanzten, mischte ein gu ter Freund von mir Ihrem Wein eine wichtige Klei nigkeit zu, die Sie und ihn fest genug schlafen ließ. Wir brauchten Sie nur über die Hintertreppe abzuho len. Eine Kleinigkeit bei meinen Talenten.« Wenn er sich aufgeblasen hätte, wäre ihr die Mög 19
lichkeit des Zweifels geblieben. Aber gerade diese nüchterne Auskunft nahm ihr die Hoffnung. Es muß te ihm wirklich gelungen sein, auch Sun Koh in seine Gewalt zu bringen. »Ihre verbrecherischen Talente sind unbestritten«, sagte sie bitter. »Was beabsichtigen Sie?« »Ich kam, um Ihnen das zu sagen«, meinte Garcia geschäftsmäßig. »Morgen früh muß ich mit einem blinden Herrn per Flugzeug zu dessen Besitzungen fahren. Ich bin sein Hausarzt sozusagen. Sie werden uns begleiten. Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er sieht ein, daß ich eine kranke Patientin nicht im Stich lassen kann, und er ist bereit, Ihnen Gast freundschaft zu gewähren, damit Sie weiterhin meine Pflege genießen können. Sie haben vorläufig nichts zu befürchten, ich lege nur Wert darauf, Sie in den Augen zu behalten.« »Ich denke nicht daran, mich von Ihnen ver schleppen zu lassen.« Juan Garcia lachte spöttisch auf. »Sie wissen ganz genau, daß ich nicht danach fra ge. Sie werden tatsächlich krank sein, wenn morgen früh die Reise losgeht, so krank, daß Don Fernando keinen Anlaß zu Zweifeln haben wird und daß Sie nicht das Gegenteil behaupten können.« »Sie wollen mich betäuben?« »Vielleicht etwas Ähnliches.« »Auch das wird vorübergehen.« 20
»Trotzdem werden Sie mir weiter mit Vergnügen Gesellschaft leisten. Ich denke, daß Ihnen noch nicht einmal für morgen eine Spritze zu geben brauche, Sie werden freiwillig bei mir bleiben.« »Nie!« »Doch«, sagte er beharrlich. »Sie vergessen, daß Sun Koh in meiner Gewalt ist. Solange Sie bei mir bleiben und sich ordentlich benehmen, wird ihm nichts geschehen. Unternehmen Sie einen Fluchtver such oder verraten Sie mich anderen gegenüber, lasse ich ihn töten.« Sie schloß die Augen. »Ich sehe, Sie begreifen«, fuhr er sachlich fort. »Und Sie werden sich danach richten. Sie haben das Leben Sun Kohs in der Hand. Dabei verlange ich von Ihnen nichts anderes, als daß Sie der Behauptung nicht widersprechen, daß Sie meine Patientin sind und daß Sie nichts von dem verraten, was Sie sonst über mich wissen. Entscheiden Sie sich.« Sie kannte diesen Mexikaner zu gut, um lange zu zögern. Ändern konnte sie nichts, weil er ja ohnehin mit Gewalt seine Absichten durchsetzen würde, wenn sie sich weigerte. Und andererseits konnte durch ihre Zustimmung wenigstens Zeit gewonnen werden. »Ich gehe darauf ein«, erklärte sie. »Ich wußte ja, daß Sie vernünftig sind«, sagte Juan Garcia. »Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, 21
daß dort ein Koffer mit Ihren Kleidern und sonstigen Dingen steht. Sie werden sich sicher umziehen wol len, damit Sie die Reise nicht im Pyjama antreten müssen. Vorläufig können Sie jedoch weiterschlafen. Man wird Sie verständigen, wenn es soweit ist.« »Ich werde bereit sein. Befinde ich mich eigentlich noch in Mexiko?« »In der Stadt? Selbstverständlich. Aus dem Hotel sind Sie freilich offiziell abgereist. Wünschen Sie sonst noch eine Auskunft?« »Nein.« »Dann erlauben Sie mir, daß ich mich verabschie de«, schloß er mit übertriebener Höflichkeit und ging hinaus. Joan Martini starrte noch lange auf die Tür, bis der Schlaf sie übermannte. * Sie erwachte, als es dröhnend an die Tür klopfte. »Ja?« meldete sie sich. »Aufstehen«, rief von draußen eine mürrische Stimme. »Sie müssen sich fertig machen. In einer halben Stunde müssen wir fort. In einer Viertelstunde bringe ich das Frühstück.« Die Erwähnung des Frühstücks machte ihr be wußt, daß sie den ganzen vergangenen Tag nichts zu essen bekommen hatte. Sie spürte einen Heißhunger, 22
der alle seelischen Beklemmungen übertönte. Die Nachwirkungen der Betäubung waren verschwun den. Wasser, Seife, Handtuch und andere Kleinigkeiten standen neben der Tür. Man mußte das in der Nacht hereingebracht haben. Sie wusch sich und zog sich an, dann klopfte es wieder. Ein Mann in der Kleidung eines Chauffeurs trat ein und setzte eine Platte mit reichhaltigem Früh stück auf den Tisch. »Ihr Frühstück«, sagte er knapp. »In einer Viertel stunde fahren wir.« Das Frühstück war restlos aufgegessen, als er wie der eintrat. Zu spät merkte Joan Martini, daß der Kaffee eine Beigabe enthalten hatte. Sie wurde schon schläfrig, als sie durch einen Gang hindurch zur Haustür gingen. Und als sie auf die Straße trat, muß te sie sich bei dem Mann festhalten. Willenlos ließ sie sich in das Auto setzen und davonfahren. Sie schlief nicht ein, wie sie angenommen hatte, sondern blieb bei Bewußtsein. Aber sie fühlte sich unendlich schwach, sah alles wie durch einen Schlei er hindurch und war außerstande, einen Gedanken festzuhalten oder gar bewußt eine Handlung vorzu nehmen. Ängste, Bedrückungen und Besorgnisse empfand sie nicht. Ihre Sinne registrierten, aber sie brachten ihr nicht zu Bewußtsein, daß sie durch Juan Garcia verschleppt wurde. 23
Sie sah Juan Garcia erst auf dem Flugplatz. Bevor sie ausstieg, band ihr der Chauffeur einen Schleier vor, der ihr Gesicht vor prüfenden Augen verbarg. Dann führte er sie am Arm zum Flugzeug, neben dem Juan Garcia wartete. Er kam ihr einige Schritte entgegen, war sehr höf lich, sehr hilfsbereit und sehr rücksichtsvoll. »Ah, Sie kommen zur rechten Zeit. Ich hoffe, daß Ihnen die Fahrt nicht geschadet hat und daß Sie sich an Ihrem künftigen Aufenthaltsort recht bald erholen werden. Don Fernando ist bereits eingestiegen. Seine Pflegerin wird sich sicher auch Ihrer annehmen. Darf ich Sie bitten?« Sie ließ sich ohne Widerstand von ihm in das Flugzeug hineinhelfen. Von der letzten Stufe an griff von oben her eine junge Frau hilfsbereit mit zu. Joan Martini wußte, daß das Ruth Silver war, aber sie fühlte sich außerstande, ein Zeichen der Freude oder wenigstens des Erkennens von sich zu geben. Ruth Silver umfaßte sie behutsam und geleitete sie zu einem weichen Sessel. In einem anderen Sessel saß Don Fernando. Ob gleich Joan Martini nicht klar sah, hatte sie den Ein druck, daß dieser weißhaarige, aber noch jugendlich wirkende Mann ebenso gepflegt wie vornehm aus sah, einen anständigen Charakter besaß und be stimmt nichts mit Juan Garcia gemein hatte. Seine Hand streckte sich ihr suchend entgegen, als 24
sie an ihn herangekommen war. »Ich freue mich«, sagte Don Fernando mit leicht müder, aber warmer Stimme, »daß Sie mich zu mei nem Besitztum begleiten, und hoffe, daß Sie sich dort von Ihrem Leiden erholen werden, Miß Mallon.« Joan Martini achtete nicht auf den fremden Namen und erwiderte auch nichts. Ihre Hand glitt schlaff aus der anderen heraus. Ruth Silver setzte sie auf ihren Platz. Juan Garcia war ebenfalls eingestiegen. Die Tür wurde verschlossen, der Motor des Flugzeugs kam auf Touren, ein kleines Holpern – sie flogen. »Wollen wir nicht Miß Mallon den Schleier ab nehmen?« erkundigte sich Ruth Silver bei Garcia oder vielmehr Dr. Crage. »Er wird auf die Dauer zu warm werden.« »Bitte seien Sie so liebenswürdig«, sagte Crage. Der Schleier fiel. Ruth Silver starrte in das Gesicht von Joan Marti ni. »Joan?« rief sie erstaunt und bestürzt zugleich. »Wie kommst du hierher?« Juan Garcia fuhr herum. Sein Gesicht zeigte nichts von der glatten Verbindlichkeit, die sonst auf ihm lag. »Kennen Sie Miß Mallon?« stieß er scharf heraus. Ruth Silver fuhr sich ungläubig über die Augen. »Miß Mallon? Das ist doch Joan Martini, meine 25
beste Freundin aus London. Vorgestern habe ich erst noch mit ihr gesprochen.« Garcia hatte sich schon wieder in der Gewalt. »Das ist Miß Mallon«, behauptete er kühl. »Ist sie Ihrer Freundin so sehr ähnlich?« Ruth Silver blickte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Ähnlich? Das ist Joan Martin, darauf will ich ei nen Eid schwören.« »Aber ich bitte Sie!« Garcia lächelte höflich. »Selbstverständlich werden Sie durch eine Ähnlich keit getäuscht.« »Das lasse ich mir nicht einreden«, erklärte sie entschieden. »Ich möchte nur wissen, wie Joan in diesem Zustand hierher kommt.« »Sie sind sehr hartnäckig«, stellte Garcia kopf schüttelnd fest. »Vielleicht fragen Sie mal die Dame nach ihrem Namen. Sie ist zwar schwer erschöpft, aber …« Ruth Silver faßte Joan Martini an den Schultern. »Joan«, drängte sie, »um Gottes willen, was ist denn mit dir geschehen? Nicht wahr, du bist doch Joan Martini?« Joan Martini erfaßte wohl dumpf, um was es ging. Sie fühlte auch Garcias warnenden Blick auf sich. Es würde Sun Koh das Leben kosten, wenn sie die Fra ge bejahte. Sie schüttelte mühsam den Kopf. 26
Ruth Silver löste ratlos die Hände. »Nicht? Aber das ist doch unmöglich! Bist du – sind Sie Miß Mallon?« Joan Martini nickte. Ruth Silver trat zurück und sank auf einen Sessel. »Das begreife ein anderer«, murmelte sie. »Ich kenne doch Joan wahrhaftig gut genug.« »Es gibt Fälle verblüffender Ähnlichkeit«, vermit telte Don Fernando, der mit wachsendem Erstaunen dem Gespräch zugehört hatte. »Freuen Sie sich, daß Ihre Freundin nicht krank ist. Miß Mallon wird si cher nichts dagegen haben, wenn Sie ihr die gleiche Liebe und Sorgfalt widmen wie einer Freundin.« * Auch Sun Koh erwachte in einer völlig fremden Umgebung. Es dauerte lange, bis sich sein Bewußtsein aus der Tiefe der Betäubung hochkämpfte, bis er von seiner Umgebung Kenntnis nehmen konnte. Die erste Feststellung, die er machte, war die, daß sein Körper völlig ausgedörrt zu sein schien. Im Mund hatte sich fader Schleim gesammelt, und die Zunge fühlte sich an wie ein schwerer Klumpen. Alle Fibern dürsteten nach Wasser. Außerdem stellte er fest, daß man ihn in Ketten ge legt hatte. Die Hand- und Fußgelenke steckten in eiser 27
nen Ringen, die durch starkgliedrige Ketten verbunden waren und nur eine geringe Bewegung erlaubten. An den Füßen hing außerdem ein schweres Gewicht. Hatte man ihn als Schwerverbrecher in eine Ge fängniszelle gesteckt? Nein, das war keine Zelle ringsum, sondern eine ziemlich baufällige Hütte mit leicht windschiefen Wänden. Sie enthielt das grobe Lager, auf dem er sich befand, einen Tisch aus rauhen Brettern, einen Schemel und verschiedene Kleinigkeiten. Auf dem Tisch stand ein Tonkrug, daneben lag ein Brotfladen. Vom Durst getrieben, zerrte sich Sun Koh von seinem Lager herunter an den Tisch heran. Der Krug enthielt Wasser. Er trank, ohne erst zu überlegen. Hinterher fiel ihm ein, daß das Wasser auch ein Betäubungsmittel enthalten konnte, aber er hätte wohl trotzdem getrunken. Nun spürte er auch, daß er hungrig war. Er setzte sich auf den Schemel, nahm das Brot in beide Hände und begann zu essen. Da ihn der Hunger nicht so un sinnig trieb wie vorhin der Durst, aß er langsam und mit Bedacht. Dabei holte er sich Stück für Stück sei ne Erinnerungen zusammen. Er hatte mit Joan getanzt, dann sein Zimmer auf gesucht. Das war schon alles. Hatte er nicht einmal das Gefühl gehabt, in einem Auto zu sitzen? Und hatte ihn nicht etwas am Arm gestochen? 28
Er zerrte den Ärmel seiner Jacke hoch. Richtig, dort befanden sich einige rote Punkte, zwei davon ganz entzündet. Man hatte ihm offenbar eine Spritze verabreicht. War da nicht Juan Garcia gewesen? Garcia hatte ihn in seine Gewalt gebracht. Das war die Erklärung. Plötzlich zuckte Sun Koh zusammen. Der Schreck gab ihm die volle Geisteskraft zurück. Was war mit Joan? Garcia würde sich nicht damit begnügt haben, ihn allein zu verschleppen. Joan in der Gewalt Garcias? Dann war es Zeit zu handeln. Wer weiß, wie lange man ihn schon gefan gen hielt. Sun Koh stand auf und wandte sich zur Tür. Da öff nete sie sich, und im Türrahmen erschien ein Mann. Es war ein Indianer. Breit sprangen die Backen knochen aus dem flachen Gesicht heraus. Die Haut war schmutzigbraun, das Haar schwarz und wirr. Mehr als verschlissene Lumpen hatte er nicht auf dem Leib. Das war so gänzlich der Typ des armen, verkommenen Indianers, den man nicht selten in Mexiko trifft. Die Augen dieses Indianers lagen tief in den Höh len. Sie blickten glanzlos und starr. Es waren die Augen eines Blinden. Und doch trug dieser zerlumpte Indianer eine na gelneue Mehrladepistole in der Hand und hielt sie auf Sun Koh gerichtet. 29
»Ich bin blind«, sagte der Indianer in schlechtem Spanisch. »Trotzdem werde ich genau Ihr Herz tref fen, wenn Sie mir näherkommen. Ich bin seit frühe ster Jugend blind. Mein Gefühl und Gehör sind so scharf, daß ich auch ohne Augen jede Ihrer Bewe gungen verfolgen kann. Haben Sie das verstanden?« Er sprach in dem ruhigen, gelassenen Ton, der für Blinde fast charakteristisch ist. Erregung oder Feind schaft lagen nicht in seiner Stimme. »Ich habe verstanden«, antwortete Sun Koh. Der Indianer hätte sich seine Erklärung sparen können. Sun Koh wußte, daß Blinde im Ausgleich die ande ren Sinne und den bei gesunden Menschen unterent wickelten sechsten Sinn, den Richtungssinn, so scharf entwickeln, daß die fehlende Sicht weitgehend ersetzt wird. Zweifellos war der Indianer imstande, jede Bewegung zu verfolgen, zumal die Ketten ge nügend Geräusche von sich gaben. Und daß er schie ßen und treffen würde, stand auch außer Zweifel. »Das ist gut«, sagte der Indianer. »Sie dürfen sich in der Hütte frei bewegen, aber Sie dürfen sie nicht verlassen. Sobald Sie es versuchen, werden Sie von mir oder meiner Ablösung erschossen. Sie bekom men zu essen und zu trinken, was wir Ihnen bieten können. Aber Sie müssen sich jedesmal zu Ihrem Lager zurückziehen, wenn ich Ihnen etwas auf den Tisch stellen soll.« »Ich habe mich also als Gefangener zu betrachten?« 30
»Ja.« »Warum halten Sie mich gefangen?« »Es ist so angeordnet worden.« »Von wem?« »Von Dr. Crage. Ich soll Ihnen ausrichten, daß Ih nen und der jungen Dame nichts geschehen wird, wenn Sie sich eine Zeitlang ruhig verhalten. Er müß te Sie jetzt nur ausschalten, um bestimmte Zwecke zu erreichen.« »Hat er Ihnen das selbst gesagt?« »Nein, das sagte der Mann, der Sie brachte.« »Kann ich ihn sprechen?« »Er ist schon lange fort.« »Dr. Crage ist ein Verbrecher, wissen Sie das?« »Vielleicht«, kam gleichmütig die Antwort. »Was zahlt er Ihnen für diese Wächterdienste?« In das Gesicht des Indianers trat zum erstenmal Leben. »Nichts, kein Geld, aber er wird mich sehend ma chen.« »Lüge«, stieß Sun Koh scharf heraus, obgleich er begriff, daß er diesem Mann nichts zu bieten hatte. »Dr. Crage kann niemandem das Augenlicht wieder geben.« »Er hat es getan.« »Nicht dieser Mann. Er heißt in Wirklichkeit Juan Garcia und ist nie Arzt gewesen.« »Ich weiß es besser.« 31
Sun Koh verzichtete darauf, gegen den Glauben dieses Mannes anzurennen. »Wo befinde ich mich?« fragte er weiter. »Das kann ich nicht sagen.« »Sie dürfen es nicht sagen?« »So ist es.« »Wie lange soll ich hierbleiben?« »Zwei oder drei Wochen.« »Und dann?« »Dann dürfen Sie gehen, wohin Sie wollen.« »Es ist gut«, schloß Sun Koh. »Bringen Sie mir noch zu essen und zu trinken. Ich werde mich auf das Lager zurückziehen.« Der Indianer nickte und ging hinaus. Einige Minuten später kehrte er mit Wasser, Brot, Früchten und geräuchertem Fleisch zurück. Bevor er eintrat, rief er von draußen: »Ich bringe das Essen. Bewegen Sie sich.« Sun Koh klirrte mit den Ketten, worauf der India ner unverzüglich eintrat und das Essen auf den Tisch setzte, ohne Sun Koh zu beachten. Als er hinausgehen wollte, hielt Sun Koh ihn auf. »Noch eins. Was geschieht, wenn ich um Hilfe ru fe?« »Nichts. Zu dieser Hütte kommt niemand ohne un ser Einverständnis.« »Es ist gut.« Sun Koh bekam Zeit zum Nachdenken. 32
Juan Garcia hatte schnell zugeschlagen. Aber was sollte diese Entführung bedeuten? Eine bloße Kalt stellung, damit Juan Garcia unbekannte Absichten verwirklichen konnte? Ausgeschlossen! Juan Garcia war nicht der Mann, der sich scheute, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Es entsprach nicht sei ner Wesensart, Sun Koh nur für eine Zeitlang einzu sperren und ihn dann wieder freizulassen, anstatt ihn zu töten. Und es entsprach noch viel weniger seinem Charakter, Joan unbehelligt wieder freizugeben. Eine Teufelei war geplant. Wenn Juan Garcia sei nen Todfeind am Leben ließ, so konnte das nur be deuten, daß er Schrecklicheres als den Tod für ihn vorgesehen hatte. Aber was? Sun Koh grübelte und fand keine Klarheit. Also wandte er sich praktischeren Dingen zu. Wie konnte er von hier fliehen? Die Reifen an Armen und Bei nen lagen so eng, daß es unmöglich war, aus ihnen herauszuschlüpfen. Die Reifen waren durch Schraub bolzen gesichert, die Bolzen durch starke Schlösser. Wenn es gelang, die Schlösser zu zerschlagen, konn te er sich von den Reifen frei machen. Aber dort draußen saß ein blinder Wächter mit feinem Gehör. Beim ersten verdächtigen Geräusch würde er erscheinen. Der Wächter mußte unschädlich gemacht werden. Aber der Mann betrat die Hütte nur, wenn er sich 33
vorher überzeugt hatte, wo Sun Koh sich befand. Und anspringen konnte er ihn nicht. Dazu waren die Füße zu eng gefesselt, und die Kugel war zu schwer. Höchstens … Draußen räusperte sich der Indianer. Er mußte in der Nähe der Tür sitzen. Sun Koh bückte sich und packte die schwere Ku gel. Sie wog ungefähr einen Zentner, aber sie ließ sich schleppen. Zusammengeduckt versuchte er den ersten kurzen Sprung. So ging es jedoch nicht. Das machte zuviel Lärm. Jetzt legte er die Kugel ein Stück seitlich voraus, stützte dann vorsichtig die Hände auf den Boden und schob die Füße so weit nach, wie es die Kugel zuließ. Dann hob er sie wieder seitlich auf die Tür zu. Ganz ohne Geräusche ging es nicht, doch Sun Koh hoffte, daß sie dem Wächter nicht auffielen. Jetzt hob er die Kugel wieder an, maß noch einmal mit den Augen die geringste Entfernung und warf sich dann unter Anspannung aller Kräfte gegen die Hüttenwand. Der Erfolg war durchschlagend. Ein paar Quadratmeter Hüttenwand krachten nach außen. Aber der Wächter lag nicht darunter. Als Sun Koh nach dem rücksichtslosen Einsatz seines Körpers aufblickte, sah er den Indianer ein 34
Stück entfernt vor sich stehen. In seiner Hand lag wieder die Pistole, auf seinen Lippen spielte ein spöt tisches Lächeln. »Sie besitzen viel Kraft und Mut«, sagte er. »Ich hörte Sie jedoch schon lange vorher herankommen. Nun müssen Sie im Freien sitzen, bis ich die Hütte wieder in Ordnung gebracht habe. Hoffentlich ist nicht alles zerbrochen.« Sun Koh antwortete nicht. Er schluckte seine Ent täuschung hinunter und betrachtete die Umgebung der Hütte. Doch es gab nicht viel mehr zu sehen als staubige Grasnarben, Büsche und ferne Höhenlinien. Die Hütte stand in einer Bodensenke. Andere menschliche Wohnstätten waren nicht zu entdecken. Ein Pfad führte von der Hütte weg. Der Indianer wies ihm einen Platz in der Nähe der Hütte an. Sun Koh schleppte sich dorthin. Der India ner baute die Hütte wieder auf. Für einen Blinden war es erstaunlich, mit welcher Sicherheit und Schnelligkeit er die herausgebrochene Wand wieder einfügte. Nach einer Stunde war er fertig, ohne ein anderes Handwerkszeug als ein Messer verwendet zu haben. Sun Koh durfte wieder in die Hütte einziehen. Sein erster Fluchtversuch war damit abgetan. Wenige Stunden später wagte er den zweiten. Er nahm den Tonkrug mit auf sein Lager, dann er kundigte er sich nach der nächsten Mahlzeit. Der In 35
dianer antwortete von draußen, daß er gleich etwas bringen werde. Daraufhin nahm Sun Koh behutsam den Krug über den Kopf, sorgfältig darauf bedacht, daß die Kette nicht klirrte, oder gar am Krug anschlug. Jetzt öffnete sich die Tür. Der Wächter erschien und ging zum Tisch. Der Krug flog. Der Indianer wich zur Seite, als ob er das Wurfge schoß sehen würde. Krachend schlug der Krug gegen den Türpfosten und zersprang. Der Indio grinste. Sun Koh hätte ihm am liebsten ins Gesicht ge schlagen. »Darauf wartete ich schon vorhin«, sagte der In dianer. »Sie glauben mir immer noch nicht, daß ich Ihre Bewegungen beobachten kann. Nun haben Sie bis morgen nichts zu trinken. Wenn Sie das noch einmal versuchen, werden Sie einige Tage ohne Wasser auskommen müssen.« Das war eine äußerst gelassene Stellungnahme für einen Mann, dessen Leben eben angegriffen worden war. Sie verriet, wie überlegen sich der Wächter trotz seiner Blindheit fühlte. Sun Koh sah für diesen Tag alle Möglichkeiten er schöpft. Seine Hoffnungen aber waren noch lange nicht am Ende. Er mußte und würde eine Gelegen heit zur Flucht finden, denn Joan Martini wartete auf seine Hilfe. 36
Dann kam die Ablösung für den Wächter. Sun Koh hörte draußen den Indio mit einem anderen sprechen. Sie dämpften ihre Stimmen nur gelegent lich, so daß er fast alles mit anhören konnte. Der An kömmling erfuhr natürlich von den Befreiungsversu chen und versicherte, daß er nicht weniger wachsam sein würde. Später betrat er die Hütte. Sun Koh spürte stärk stes Unbehagen, als er feststellen mußte, daß auch dieser Mann blind war. Das verringerte die Aussich ten einer Flucht bei Nacht ganz bedeutend. Es wäre viel leichter gewesen, bei Nacht einem Sehenden zu entfliehen. Es war eine entsetzliche Ahnung, die plötzlich in ihm hochstieß. Sie kam so plötzlich und so stark, daß er sein Schweigen brach und dem Wächter fast an schrie: »Sie sind auch blind?« »Ja, ich bin blind«, bestätigte der Wächter aus druckslos. »Und wer noch? Gibt es hier noch mehr Blinde?« Der Indio hob die Schultern. »Ich weiß auch nicht.« »Sie wollen nicht wissen!« fuhr Son Kuh ihn an. »Sie verschweigen mir das Wichtigste. Wo sind wir?« »In Mexiko.« »In Tiltepec?« »Nein.« 37
»Aber in der Nähe?« »Ich weiß nicht.« »Ich weiß nicht – ich weiß nicht!« Das war die einzige Antwort, die Sun Koh noch hörte, soviel er auch fragte und drängte. Sie bestätigte die schreck lichste Vermutung. In dieser Nacht fand Sun Koh keinen Schlaf. Er saß bis zum Morgengrauen auf dem Rand seines La gers und starrte mit blicklosen Augen in die Dunkel heit der Hütte hinein. Tiltepec – die Stadt der Blinden, in der auch Fremde nach kurzer Zeit blind wurden. Das würde dem Wesen Juan Garcias entsprechen. Sun Koh sollte erblinden! 2. Hal Mervin kam langsam wieder hoch. »Schluß für heute«, murrte er verdrossen. »Du schlägst ja zu, als ob du einen Ochsen vor dir hättest. Ich dachte, mir fliegt der Kopf weg.« »Du bist eben noch zu weich im Nehmen«, brummte Nimba. »Gegen ein Schwergewicht kannst du noch lange nicht antreten.« Hal zog sich die Boxhandschuhe aus. »Na, hör mal, schließlich bist du ja auch kein Schwergewicht, sondern Übergewicht. Mit einem gewöhnlichen Boxer nehme ich es schon auf.« 38
»Na ja, kann sein«, räumte Nimba ein. »Beinarbeit und Deckung sind in Ordnung, und eigentlich bist du auch ziemlich hart im Nehmen. Aber beim Schlag fehlt es dir noch an Kraft. Du mußt tüchtig essen, sonst kannst du mich nie umlegen.« »Einen Holzhammer werde ich für dich nehmen.« »Blöder Witz!« knurrte Nimba. Hal blickte ihn aufmerksam an. »Schlechte Laune?« Nimba zuckte mit den Schultern. »Wann fliegen wir nach Mexico-City?« »Aha, Sun Koh fehlt. Geht mir ganz ähnlich. Seit sechs Tagen haben wir ihn nicht gesehen. Aber das ist nun mal so. Wenn Frauen im Spiel sind, vergißt ein Mann seine besten Freunde.« Nimba verzog das Gesicht. »Was verstehst du schon davon. Also wann fahren wir?« »Ich werde ihn mal anrufen und fragen, wann wir dort sein sollen.« »Hättest gestern auch schon mal nachfragen kön nen.« »Strengstes Verbot, mein Lieber. Er wollte nur im Notfall verständigt werden. Miß Joan sollte wohl nicht zu kurz kommen.« »Kann ich verstehen. Sie ist immer zu kurz ge kommen. Wann rufst du an?« »Die Sprechdose ist bei meinen Sachen. Zweihun 39
dert Meter los, wer zuerst da ist.« Dicht nebeneinander rannten beide los, über skulp turenbedeckte Trümmerstücke hinweg, zwischen Bü schen hindurch, quer durch einen Zipfel Urwald und dann wieder an neuen Bauten aus Beton und Glas vorbei. Hal bekam Vorsprung, seine Sprinterbeine wirbelten zunächst schneller. Aber dann holte Nimba auf und zog noch eine Kleinigkeit vor, bis sich Hal mit letzter Anstrengung wieder an seine Seite warf und gleichzeitig mit ihm das Ziel erreichte. Nachdem sich Hal etwas beruhigt hatte, nahm er die Sprechdose in Gebrauch. Der Anruf ging hinaus. Die Antwort blieb aus. »Sun Koh meldet sich nicht«, meinte Hal verwun dert. »Es ist etwas geschehen«, murmelte Nimba. »Unsinn, er wird vergessen haben, die Dose einzu stecken.« »Sun Koh vergißt das nie!« »Dann ist sie kaputt!« »Das glaubst du selber nicht. Wir müssen hin.« »Natürlich müssen wir hin«, erwiderte Hal gereizt. »Denkst du, wir warten hier ein paar Wochen? Los, fertig machen!« Sie zogen sich hastig an, dann rannten sie zum Flugzeugschuppen. Während Hal mit einigen Leuten telefonierte, überprüfte Nimba das Flugzeug. Dann ging die Fahrt los. 40
Wenige Stunden später sprangen sie aus dem Wa gen, der sie vor das Hotel gebracht hatte. Die Drehtür sauste herum, dann standen sie vor dem Empfangs chef. »Ist Mr. Sun Koh zu sprechen?« Der Empfangschef zog erstaunt die Brauen hoch. »Mr. Sun Koh?« »Ja«, drängte Hal. »Oder Miß Martini?« »Miß Martini?« Die Brauen gingen noch etwas höher. »Die Herrschaften sind bereits vor einigen Tagen abgereist.« Hal starrte ihn entgeistert an. »Abgereist?« »Abgereist.« »Wieso können Sie abgereist sein? Wann sind sie fort? Wohin sind sie? Wann wollen sie wiederkom men?« Der Empfangschef wies mit höflicher Geste nach der Tür zu seinem Arbeitsraum. »Wenn ich die Herren bitten darf? Wir können uns dort ungestört unterhalten.« Sie unterhielten sich, aber es lohnte sich nicht. Der Empfangschef wußte nichts. Hal bestand darauf, die Angestellten zu befragen, die mit Sun Koh und Joan Martini zu tun gehabt hatten. Auch das brachte keine befriedigenden Ergebnisse. Hal erfuhr jedoch, daß die Verschwundenen am letzten Abend auffällig be troffen den Augenarzt Dr. Crage gemustert hatten, 41
der zur Begleitung eines gewissen Don Fernando ge hörte. Er erfuhr auch, daß sie das Dinner zusammen mit einer Miß Silver eingenommen hatten, die eben falls für diesen Don Fernando tätig war. Die doppelte Beziehung machte ihn stutzig. Im übrigen lag nichts näher, als diese Miß Silver aufzusuchen. Wenn sie wirklich mit Joan Martini befreundet war, wie der Kellner behauptete, konnte sie noch am ehesten wis sen, welche Pläne die beiden gehabt hatten. * Sun Koh versuchte auf die verschiedenste Weise sei ne Freiheit wiederzugewinnen. Es gelang ihm jedoch nicht. Die Wächter waren trotz oder richtiger wegen ihrer Blindheit jederzeit über seine Bewegungen im Bilde und vereitelten alle Ansätze. Auf Befreiung von außen hoffte Sun Koh nicht. Juan Garcia würde dafür gesorgt haben, daß keine Spur hinterblieben war, aus der man auf den Aufent halt der Gefangenen schließen konnte. Das erschien ihm vor allem deshalb schlimm, weil es auch Joan Martini betraf. Ihr Schicksal bereitete ihm größere Sorge als das eigene. Die Tage vergingen. Eines Morgens spürte Sun Koh ein feines Stechen in den Augen, als sei ein Fremdkörper hineingeraten. Die Beobachtung traf ihn zutiefst, aber er riß sich 42
zusammen und zwang sich zu sorgfältiger Prüfung. Seit Tagen wartete er auf ein ähnliches Anzeichen, fürchtete es und hoffte nun doch, daß er sich infolge der Überreizung täusche. Die Hoffnung schien ihm recht zu geben. Das Ste chen verschwand bald. Eine Minderung der Sehkraft war nicht festzustellen. Das Stechen kam nicht wieder, dafür fühlte er am nächsten Morgen einen kleinen Druck im Grunde der Augen, der blieb. Sun Koh fühlte die Erblindung heranschleichen. Die mangelnde Gewißheit bedeutete nicht unbedingt Trost für ihn, sondern eher eine Verschärfung der grübelnden Qual. Stundenlang saß Sun Koh unbeweglich. Seine Mienen verloren die düstere Starre nicht mehr. Es waren schwere Stunden. Dann kam die Nacht, der Schlaf und wieder ein neuer Morgen. Als der Wächter eintrat, bekam Sun Koh die ge fürchtete Gewißheit. Er sah ihn wie durch einen fei nen Schleier hindurch, und dieser Schleier trug stumpfe Flecke. Er wurde blind. »Ihr Teufel!« schrie Sun Koh auf und warf sich ohne Rücksicht auf Ketten, Eisenringe und Kugel auf den Mann. Der Indianer sprang rechtzeitig zurück. 43
»Ich schieße«, warnte er und streckte die Waffe vor. »Schieß!« keuchte Sun Koh und sprang abermals. Der Indianer schoß nicht, sondern wich zur Tür. »Wollen Sie sich erschießen lassen?« fragte er. »Nein, ich werde Sie nicht erschießen, sondern nur verletzen. Eine Verwundung wird Sie ruhig machen. Genügt Ihnen nicht, daß Sie blind werden müssen?« Sun Koh richtete sich langsam auf. Der Anfall war vorüber. »Sie haben es gewußt?« fragte er tonlos. Der Indianer nickte bestätigend. »Wer eine Zeitlang in der Nähe von Tiltepec lebt, wird blind.« »Also doch Tiltepec. Warum wurde mir das ver heimlicht?« »Es ist mir befohlen worden. Man sagte uns, daß wir Sie nicht halten könnten, wenn Sie vom ersten Tag an die volle Wahrheit wüßten.« »Blind!« murmelte Sun Koh. »Blind! Mann, was habe ich Ihnen getan? Dieses Verbrechen wiegt schwerer als ein Mord.« Der Indio konnte das nicht erfassen. »Alle Bewohner von Tiltepec sind blind«, erwi derte er gleichgültig. »Sie fühlen sich nicht unglück lich dabei. Die Schuld an Ihrer Erblindung liegt nicht bei mir. Sie werden sich daran gewöhnen wie ich und viele andere.« 44
»Ich wäre nicht blind geworden, wenn Sie mich nicht hier festgehalten hätten. Wann werden meine Ketten abgenommen?« »In einigen Tagen.« Sun Koh schleppte sich zu seinem Lager zurück. Nach einigen Tagen konnte er nur noch undeutli che Wahrnehmungen machen. Er sah zwar noch, aber wie durch Nebel hindurch. Außerdem war alles verzerrt und verschoben. Dann wurde er frei. Die beiden Indianer, die ihn bewacht hatten, traten gleichzeitig ein. »Wir wollen Ihnen die Fesseln abnehmen«, sagte der eine. »Ich bin bewaffnet und werde schießen, falls Sie meinem Kameraden etwas antun.« Sun Koh dachte nicht daran. Es war zwecklos, an den beiden Rache zu nehmen. Er hielt still, während der zweite Mann die Schlös ser öffnete, die Schrauben herausdrehte und dann die breiten Bänder abnahm. »Sie dürfen sich nun nach Belieben entfernen«, erklärte der Indio. »Es wird Ihnen nichts mehr ge schehen. Geld und Waffen können Sie allerdings nicht erhalten. Leben Sie wohl.« Es lag kein Spott in diesem Wunsch, aber Sun Koh empfand ihn trotzdem als Hohn. Er blieb sitzen, bis die Schritte der beiden Wächter verhallt waren. Dann ging er langsam und schwerfäl 45
lig hinaus. Sein Entschluß stand schon seit Tagen fest. Er wollte nach Tiltepec und von dort zurück unter se hende Menschen. Seine Leute mußten benachrichtigt werden, um die Suche nach Joan Martini aufzunehmen. Und dann gab es einen Arzt, einen echten Dr. Cra ge, der erfolgreich Blinde aus Tiltepec operiert und ihnen damit das Augenlicht zurückgegeben hatte, wenn man den Angaben jenes Zeitungsartikels Glau ben schenken wollte. Diesen Arzt mußte er finden. Sun Koh ging auf dem Pfad entlang, dessen Ver lauf er sich zu Beginn seiner Gefangenschaft hatte einprägen können. Seine Sehkraft reichte eben noch aus, um ein Abirren zu verhüten. Eine mühsame Wanderung blieb es trotzdem. Er mußte die Füße vorsichtig und langsam setzen. Noch glich kein ande rer Sinn die eben verlorene Sehkraft aus. Mit dem Augenlicht schien auch das Empfinden für die Zeit geschwächt worden zu sein. Sun Koh besaß keine rechte Vorstellung, wie lange er gelaufen war, als vor ihm niedrige Steinmauern auftauchten. Er hatte den Eindruck eines Tores, durch das der Weg führte, dann spürte er die Nähe von Menschen, hörte Schritte, Geräusche und Stimmen. Häuser und Hütten tauchten als Schatten auf. Dunkle Umrisse wuchsen ihm schnell entgegen, dann stieß er leicht mit jemand zusammen. Der Un 46
bekannte faßte nach ihm, hielt ihn an und blieb selbst stehen. Er murmelte etwas in einem Indianer-Idiom, um dann überrascht im gebrochenen Spanisch fortzu fahren: »Ah, Sie sind ein Fremder. Niemand trägt solche Kleidung in Tiltepec. Sind Sie auch blind?« »Ich bin blind«, bejahte Sun Koh, wobei er ein Würgen in der Kehle überwinden mußte. Wie oft würde er das noch sagen müssen? Der Unbekannte wurde freundlicher. »Und doch gehen Sie so unsicher? Sie sind wohl noch nicht lange blind?« »Erst seit einigen Tagen.« Für Sun Koh lag etwas Merkwürdiges in dieser Un terhaltung. Er wußte nicht, wer der andere war. Sicher handelte es sich um einen Indianer. Wahrscheinlich lief er so zerlumpt herum wie die Wächter. Aber – für die blinden Augen war er ein Mensch, nichts als ein Mensch. Seine Stimme verriet das ruhige Wesen eines älteren Mannes. Sie enthielt soviel Güte und Teilnahme, daß Sun Koh das Gespräch weiterführte, obgleich er eine starke Scheu überwinden mußte, um über seinen Zustand zu sprechen. Seine Natur neigte dazu, das Leid lieber allein zu tragen. »Verzeihen Sie meine Neugier«, sprach der andere weiter. »Wohnen Sie bei Señor Lopello?« »Nein. Wer ist das?« »Señor Lopello ist der einzige Weiße hier. Sind Sie nicht auch ein Weißer?« 47
»Ja.« »Und wohnen doch nicht bei ihm?« »Ich kenne ihn nicht. Ich bin eben erst in die Stadt gekommen. Bisher wohnte ich in einer Hütte in der Nähe.« Der Indio schien das nicht zu begreifen. Er mur melte eine Reihe von Ausdrücken, um seinem Er staunen Luft zu machen, dann fuhr er fort: »Sie sa gen seltsame Dinge, Fremder. Warum gingen Sie nicht weg, wenn Sie nicht blind waren?« »Ich konnte nicht«, entgegnete Sun Koh. Er hatte keine Lust, diesem Unbekannten sein ganzes Schick sal zu erzählen. »Das ist also Tiltepec, die Stadt der Blinden?« »Ja«, bestätigte der Indio. »Wie kommt es, daß hier nur Blinde leben?« »Kennen Sie nicht die Geschichte von La Ver guenza, der verzauberten Jungfrau?« »Nein. Erzählen Sie sie mir.« Sun Koh spürte eine Hand an seinem Arm. »Treten Sie in den Schatten. Es ist nicht gut, die Sonne auf dem ungeschützten Kopf zu haben.« Er folgte willig der führenden Hand. Bald spürte er kühlen Schatten. Der Indio schob ihn zu einem Stein, auf den er sich setzen konnte. Dann begann er zu erzählen. »La Verguenza war ein schönes Mädchen, schöner als alle anderen auf der Welt. Sie lebte vor langer 48
Zeit, und ihr Vater war ein großer Häuptling. Man hatte La Verguenza oft genug gesagt, wie schön sie war. Sie wurde stolz und hochmütig darüber. Sie schlug den Mann aus, den ihr Vater für sie bestimm te. Sie verschmähte und verachtete die Jünglinge, die nach ihr blickten. So kam auch der Sohn eines Zau berers zu ihr und gestand ihr seine Liebe. Sie lachte ihn aus, und als er ihr sagte, daß er verginge, wenn er sie immer nur aus der Ferne sehen dürfte, riet sie ihm höhnisch, sich die Augen auszustechen, damit er sie nicht mehr zu sehen brauchte. Der Jüngling klagte seinem Vater sein Leid und gab ihm auch die Worte des Mädchens wieder. Da ergrimmte der Zauberer, fluchte der Stolzen und schwor, sie sollte es lernen, um die Augen der Liebenden zu klagen. Er verwan delte La Verguenza in eine Blume. Eine Blume sollte sie bleiben, bis ein Jüngling käme, der sie ansehen könnte, ohne blind zu werden.« Der Sprecher machte eine Pause. Sun Koh schwieg. Was er hörte, war ein Märchen, mit dem man sich die Blindheit einer ganzen Stadt zu erklären versuchte. Aber selbst in den Märchen steckt ein Stück Wahrheit. »La Verguenza ist eine schöne Blume«, fuhr der Indio nachdenklich fort. »Sie ist so unbeschreiblich herrlich, daß niemand den Blick wieder von ihr wen den kann, der einmal sieht. Der Zauber bannt die Augen. Man muß auf sie blicken, bis sie nach Stun 49
den verwelkt. Und dann ist man blind. La Verguenza war schön und besaß viele Liebhaber. Sie alle betrachteten sie, nachdem sie zur Blume geworden war. Und sie alle wurden blind. So ist es bis heute geblieben. Noch niemand hat die schönste aller Blumen gesehen, ohne blind zu werden.« Sun Koh wartete eine Weile, bevor er sachlich fragte: »Gibt es nicht Bewohner dieser Stadt, die schon als Kinder blind wurden, also lange bevor sie diese Blume sehen konnten?« »Ja«, räumte der Indio ein. »Aber der Fluch des Zauberers ist mächtig und trifft auch alle Kinder der Verehrer La Verguenzas.« »Hat nicht schon einmal ein fremder Arzt Blinde aus dieser Stadt sehend gemacht?« »Das ist richtig, aber der fremde Doktor ging bald wieder fort, weil der Fluch auch ihn treffen wollte. La Verguenza und der Zauberer waren stärker als er.« Sun Koh erhob sich. »Würden Sie mich zu dem Weißen führen, von dem Sie vorhin sprachen?« »Ja, ich führe Sie. Kommen Sie.« Sie gingen langsam durch die Stadt und betraten dann ein kühles Haus. Sun Koh hörte eine fremde Stimme. Sie klang derb und laut, aber gutmütig. »Lopello«, murmelte der Indio. 50
»Wen bringst du da?« rief Lopello dem Indio ent gegen. »Ich heiße Sun Koh«, antwortete Sun Koh selbst. »Man hat mich in der Nähe der Stadt gefangen gehalten, bis ich blind wurde. Ich hörte, daß Sie der einzige Weiße in der Stadt sind, deshalb komme ich zu Ihnen mit der Bitte, mir weiterzuhelfen.« »Du kannst gehen«, sagte Lopello zu dem Indio. »Also gefangen gehalten hat man Sie, Señor? Es ist kaum denkbar, daß es solche Schufte geben soll. Ge ben Sie acht, hier ist ein Stuhl. Und hier ist was zu trinken. So, und nun erzählen Sie mal mehr über Ihre Geschichte.« »Das hat nicht viel Zweck«, wehrte Sun Koh ab. »Ich müßte Ihnen sehr lange berichten. Bitte begnü gen Sie sich mit dem, was ich Ihnen sagte. Man hat mich hierher gebracht, um mich blind zu machen. Das ist gelungen. Ich bin blind. Freilich begreife ich nicht, wie das möglich ist. Der Mann, der mich her brachte, erzählte von einer Blume, die hier wachsen soll und …« »Das ist natürlich Unsinn«, unterbrach Lopello. »Ein Märchen, mehr nicht. Die Blume gibt es frei lich. Es ist eine Schlingpflanze, die von den Wissen schaftlern auf den Namen Ipomoea getauft wurde. Aber sie macht nicht blind.« »Gibt es nicht Blüten, die tatsächlich dem Auge gefährlich werden können, wenn der winzige Blüten 51
staub eindringt?« »Die mag es geben, aber die Ipomoea gehört be stimmt nicht dazu. Unter uns gesagt, das Märchen stammt von den rührigen Geschäftsleuten aus Oaxa ca, die mit den Impoeafrüchten handeln. Sie wollen sich die Konkurrenz fernhalten. Die Ursachen für diese Blindheitsseuche sind ganz andere.« »Nämlich?« »Gewisse Raupen sind daran schuld, winzig kleine Dinger, die es in dieser Gegend massenhaft gibt. Sie verursachen Geschwülste, und zwar ausgerechnet in den Augen.« »Aber die Raupen fliegen doch nicht durch die Luft?« »Sie werden durch Moskitos übertragen. Das Zeug ist mikroskopisch klein, müssen Sie bedenken. Die Moskitos schleppen die Larven mit sich herum und impfen sie Ihnen ein, ohne daß es auffällt.« »Kann man diese Augengeschwülste operieren?« »Man kann das wohl, aber so einfach ist es nicht. So ganz klar ist das nämlich mit der Raupe noch nicht. Es sollen da noch andere Ursachen mitspielen. Ich habe mich öfter mit Dr. Crage darüber unterhal ten und …« Sun Koh unterbrach hastig: »Sie sprechen von dem Arzt, der hier einige Blinde operierte?« »Ja, er hat ein paar Leute sehend gemacht.« »Warum nicht auch Sie?« 52
»Ich bin nicht hier blind geworden, sondern hier hergekommen, weil ich blind war. Meine Firma braucht einen Vertrauensmann hier, und einen an dern als einen Blinden fand sie begreiflicherweise nicht. Also dieser Dr. Crage …« »Verzeihen Sie, wenn ich noch einmal unterbre che. Würden Sie mir sagen, wie Dr. Crage ungefähr aussieht?« Der andere Blinde lachte kurz auf. »Tja, eigentlich ein bißchen viel verlangt von ei nem Blinden. Aber in diesem Fall geht es. Dr. Crage ist nämlich auffallend klein, lahmt auf dem linken Bein und hat eine Glatze. Er trägt einen breiten Kinnbart und hat ein faltiges Gesicht. Sein rechtes Ohrläppchen ist verkrüppelt. Ich habe ihn einmal ab getastet, daher weiß ich ziemlich genau Bescheid.« Diese Beschreibung entsprach nicht im geringsten dem Aussehen Juan Garcias. Sun Koh hatte es nicht anders erwartet. Auf alle Fälle fragte er: »Würden Sie es für möglich halten, daß ich auf Anordnung dieses Dr. Crage hier festgehalten wurde?« »Sie sind verrückt«, antwortete Lopello derb. »Crage ist ein guter Kerl und würde so etwas nie tun. Wenn sich einer hierher setzt und sich in die Gefahr einer Erblindung begibt, nur um anderen helfen zu können, so scheidet er für solche Sachen aus.« »Es war nur ein Gedanke«, meinte Sun Koh. »Er ist nicht mehr hier?« 53
»Nein, er reiste ab, weil er fürchten mußte, daß es ihn selbst erwischen würde. Er hatte recht, denn er kam nicht recht weit und mußte sich auch sagen, daß er als Blinder überhaupt nichts mehr nützen konnte. Er wollte später wiederkommen, ich weiß aber noch nicht, ob es ihn nicht doch getroffen hat.« »Ein Mittel gegen diese Blindheitsseuche fand er also nicht?« »Nein, das fand er nicht. Er behauptete aber, daß man jeden Blinden durch Operation sehend machen könnte, wenn die Operation rechtzeitig erfolge und nicht etwa erst nach Monaten und Jahren. Solange die Geschwülste klein sind, sei es nicht schwer, sie zu entfernen. Diese Behauptung hat er unter Beweis gestellt.« »Müßte nicht jeder andere Augenarzt die Operati on ausführen können?« »Sagen Sie das nicht. Man muß wohl diese Krank heit und alles Drum und Dran genau kennen, um sie zu wagen.« »Kennen Sie seine Anschrift?« »Nein, die kenne ich nicht. Wenn ich nicht irre, war er in der Nähe von Kansas in den Staaten zu Hause, ich kann mich aber auch täuschen. Wollen Sie ihn aufsuchen?« »Ja! Wie komme ich am besten hier fort? Gibt es eine Bahn oder …« »Kein Gedanke. Sie könnten sich allenfalls auf ei 54
nen Karren setzen, der Sie nach Oaxaca bringt. Der nächste Transport geht aber erst in zwei Wochen ab. Haben Sie Geld?« »Nein.« »Nun, das tut nichts, auf die paar Centavos soll es mir nicht ankommen. Die Frage ist nur, wie Sie sich dann von Oaxaca weiterhelfen.« »Ich werde dort Unterstützung finden, sobald ich meine Freunde verständigen kann. Telefon, Radio oder sonstige Nachrichtenmittel haben Sie wohl nicht?« »Leider nicht. Ich kann Ihnen nur einen Mann ge ben, der Sie nach Oaxaca führt. Was Sie sonst brau chen, wird er mitnehmen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte Sun Koh warm. »Keine Ursache«, wehrte Lopello ab. »Für heute bleiben Sie hier. Jetzt will ich vor allem für Sie etwas zu essen bringen lassen.« Sun Koh blieb. Am nächsten Morgen nahm in ein Indianer, den Lopello als Tehu bezeichnete, bei der Hand und führ te ihn aus der Stadt heraus. Die Straße war gut be gehbar, so daß er sich mit kurzen Anweisungen be gnügen konnte. Nach einer Viertelstunde – sie hatten kaum die Häuser hinter sich – wurden sie von einem Mann eingeholt. 55
»He, Tehu«, rief er von hinten, »warte! Señor Lo pello will dir noch etwas sagen. Du sollst den Frem den hier warten lassen und noch einmal umkehren.« Tehu führte Sun Koh in den Schatten und kehrte um. Nach einer Viertelstunde war er wieder zur Stel le. Die Wanderung wurde fortgesetzt. Sie liefen drei Tage lang. Die Wege mußten sich in einem unglaublichen Zustand befinden. Tehu gab häufig Anweisung, führte ruhig und ohne Hast. Re den war nicht seine Sache. Meist gingen sie stumm nebeneinander her. Am Abend des dritten Tages legten sie sich wie gewöhnlich nebeneinander in die wollenen Decken. Am Morgen war der Indianer verschwunden. Sun Koh rief nach ihm, er wartete stundenlang, aber Tehu kam nicht zurück. Die Decken, in die er sich gewickelt hatte, waren fort. Der Sack mit den Lebensmitteln lag jedoch neben Sun Koh, ferner zwei Umhängeflaschen voll Wasser, das erst frisch geschöpft sein mußte, dazu Streichhölzer und ein breites Messer. Die Erkenntnis des wahren Sachverhalts bedeutete den zweiten schweren Schlag für Sun Koh. Er ent sann sich seines flüchtigen Eindrucks, daß der Führer der ersten Viertelstunde ein anderer gewesen war, als der dieser Tage, er entsann sich seiner Verwunde rung über die schlechte Straße nach Oaxaca. Nein, sie waren gar nicht auf der Straße nach Oa 56
xaca gegangen, sondern quer durch das Land. Man hatte ihn in die Irre geführt, damit er den Weg zur Welt nicht so schnell finde. Vielleicht nahm man so gar an, daß er in der Wildnis umkommen würde. Sun Koh biß die Zähne aufeinander. Er würde nicht umkommen. Irgendwo in Mexiko stand er blind und unfähig, sich zu orientieren. Aber die Welt dehnte sich nach allen vier Himmelsrichtungen. Irgendwann mußte er auf Menschen stoßen, die ihm weiterhalfen, wenn er nur geradeaus ging. Freilich, es drohte die Gefahr, daß er ständig im Kreis herumirren würde. Er konnte abstürzen, er konnte angefallen werden, er konnte verdursten und verhungern. Aber die Rettung lag in jeder Himmelsrichtung. Sun Koh lud sich sein Bündel auf und tappte mit vorsichtigen Schritten vorwärts. 3. Ganz wörtlich durfte man es mit der Behauptung nicht nehmen, daß Don Fernando in Chilpancingo wohne. Man mußte schon von der Stadt aus am Fluß – der den gleichen Namen wie die Stadt trug und hundert Kilometer nördlich in den Rio Mexcala mündete –, entlang, seiner Stromrichtung entgegen und nach Westen zu wandern, um zum Palast Don 57
Fernandos zu gelangen. Die erstaunlich gut herge richtete Straße erleichterte diese Bemühung außeror dentlich. Doch mußte man schon zwei Stunden lau fen, bevor man in das stetig enger werdende Tal ge langte, in dem sowohl Fluß wie Straße ihren Ab schluß fanden. Die Straße hielt sich fast immer neben dem Fluß, bis wenige hundert Meter vor der Stelle, wo sich zwei Gebirgskämme kreuzten. Hier bog sie recht winklig zur Seite und führte unmittelbar auf den Pa last Don Fernandos zu. Kurz zuvor teilte sie sich in drei Arme. Der mittlere stieß auf die Auffahrt hin, die beiden anderen schwangen sich um den Palast herum. Es mag etwas merkwürdig klingen, wenn man von einem Palast in der Nähe von Chilpancingo spricht, aber man konnte das Gebäude kaum anders bezeich nen. Allenfalls hätte man noch Residenz sagen kön nen. Für seine Baumeister war es jedenfalls ein Pa last gewesen. Er wies alle Eigentümlichkeiten eines Baustils auf, der mangels eigener Gedanken bei allen anderen Baustilen Anleihen macht und die fremdar tigsten Elemente mit naivschrecklicher Unbeküm mertheit nebeneinander setzt. Es wies in friedlicher Eintracht Spitzbogen, Rundbogen und Rokoko schnörkel, dorische, ironische und korinthische Säu len, Barockdach, gotische Wimperge und Empirefen ster und was noch alles auf. Wenn es trotzdem nicht 58
so stillos wie manche älteren Bahnhöfe oder Postäm ter, sondern ganz angenehm wirkte, so lag das vor allem an der beeindruckenden Größe und Weitlinig keit, die alle einzelnen Geschmacklosigkeiten zu deckten. Der Palast stand ein ganzes Stück vor der senk rechten Felswand entfernt. Er hatte ein bedeutend schlichteres, aber fast ebenso großes Gegenstück, das unmittelbar an den Felsen gebaut war. Diese beiden langgestreckten Gebäude wurden durch Querflügel verbunden, so daß die gesamte Anlage einen recht eckigen Hof einschloß, durch den die Endschleife der Straße hindurchführte. Selbstverständlich waren die Querflügel durch entsprechende Durchfahrten durch brochen. Überraschend schien, daß auch das Hinter gebäude eine solche Durchfahrt besaß, die sich ir gendwo im Dunkel verlor. Eine pompöse Wohngelegenheit war dieser Palast. Man hätte ein ganzes Regiment in ihm unterbringen können. Es schien unerfindlich, wozu ein einzelner Mann, selbst wenn er viele Diener besaß, diese zahl losen Räumlichkeiten benötigte. Es schien vieles unerfindlich um diesen Palast Don Fernandos herum. Vor den vielen Menschen, die Chilpancingo passierten, um nie wieder aufzu tauchen, bis zu den Lastwagen, die tagaus, tagein vollbeladen durchrollten und leer zurückkamen, gab es eine Fülle von Merkwürdigkeiten. Die Einwohner 59
der Stadt hatten sich schon längst abgewöhnt, neu gierig zu sein. Einesteils war es zwecklos, und an dernteils vertrieb eine handfeste Tracht Prügel die Neugier. Don Fernando war eben Don Fernando, mochte er tun und lassen, was er wollte. Er war un umschränkter und unabhängiger Herr, niemand hatte ihm etwas zu sagen, und er brauchte sich um nie mand zu kümmern. Don Fernando selbst war gegenteiliger Ansicht. »Ich kann nicht, Sven«, sagte er bedrückt. »Ich bin nicht mehr mein freier Herr. Meine Erblindung hat nicht nur meine Urteilskraft und meine Wertmaßstä be verschoben, sondern mich auch praktisch abhän gig gemacht. Du mußt verstehen, daß ich keinen grö ßeren Wunsch habe, als wieder sehen zu können.« Sven Norholm blickte voll Mitleid in das Gesicht des Blinden. Der Schatten der Qual, der über dem sonst so lebensfrohen, vornehmen Antlitz lag, er schütterte ihn. Niemand als er konnte stärker emp finden, was diese Erblindung für Don Fernando be deutete. Die beiden Männer standen wie Vater und Sohn zueinander, obwohl zwischen ihnen keine Blutsver wandtschaft bestand. Vor fast zwanzig Jahren hatte sich Don Fernando des wildfremden Jungen ange nommen, der ihm bei einer Reise durch Schweden als Waise über den Weg gelaufen war. Der junge Sven hatte zu »Onkel« Fernando bald Zutrauen ge 60
faßt. Aus der flüchtigen Bekanntschaft wurde beider seits starke Zuneigung, die nicht zuletzt in der Gleichheit der Charaktere ihre Ursache hatte. Diese Gleichheit drückte sich deutlich in den Ge sichtern der beiden aus, die nicht nur in Schnitt und Linienführung Übereinstimmung zeigten, sondern vor allem die gleiche Wesenshaltung ausprägten. Oberflächlich gesehen, konnte man die beiden Männer für Gegensätze halten. Don Fernando saß bequem in einem Sessel, von dessen dunkler Lehne sich sein fast weißes volles Haar wirksam abhob. Äußerlich bot er das Bild eines adeligen Kavaliers alter Schule. Sven Norholms Gesicht drückte alle lebensbeja henden Momente seiner dreißig Jahre aus. Willens kraft und Kühnheit dominierten, wo bei Don Fernan do schon die Müdigkeit vorherrschte. Das hellblonde glatte Haar verriet einen eigenwilligen Kopf, die blauen Augen zeigten die Härte des Charakters. Brei te Schultern, schmale Hüften, Haltung und Bewe gungen besagten manches über die gute Form, in der sich der Körper befand. Sven Norholm trug ein dunkelrot halsoffenes Sporthemd mit kurzen Ärmeln, dazu eine verwitterte Reithose aus Wildleder mit farbiger Seitenverschnü rung am Kniegelenk, abgewetzte Reitstiefel ohne Sporen, einen breiten Ledergürtel und an diesem rechts eine Pistole und einen Dolch, links ein Blech 61
instrument, das fast wie eine Trompete aussah. Für einen Palast war das ein wirklich eigenartiger Anzug. Sven Norholm zögerte lange, bevor er auf Don Fernandos Bemerkung behutsam erwiderte: »Ich ha be ebenfalls keinen größeren Wunsch, als dir wieder in die Augen blicken zu können. Aber – ist Dr. Crage wirklich der Mann, für den du ihn hältst? Verzeih, wenn ich dir dadurch wehtue, daß ich diese Frage überhaupt aufwerfe. Dr. Crage behauptet, dich heilen zu können. Kann er das wirklich?« »Dr. Crage hat verschiedene Leute erfolgreich operiert, die in Tiltepec blind wurden. Das stand in allen Zeitungen und ist wohl kaum zu bezweifeln. Warum fragst du?« »Weil mich das Mißtrauen quält. Vielleicht leide ich unter Einbildung, aber ich habe mir einen Arzt, einen Helfer der Menschheit, immer ganz anders vorgestellt. Ich habe immer gemeint, ein Arzt müßte auch über gewisse seelische Qualitäten verfügen. Dieser Dr. Crage aber ist seinem Wesen nach das Erbärmlichste, was ich bisher kennengelernt habe. Er ist durch und durch falsch, heimtückisch, gemein und was noch alles.« Der Blinde nickte. »Seine Nähe ist auch mir unangenehm, und seine Stimme heuchelt, aber ich habe ihn noch nicht gese hen. Ist er wirklich so schlimm?« 62
»So, daß es mich schmerzt, ihn hier zu wissen. Ist er wirklich jener Augenarzt Dr. Crage?« »Zweifelst du ernsthaft, Sven?« Der Jüngere antwortete mit einigem Nachdruck. »Ja. Abgesehen von dem, was ich dir schon sagte, habe ich festgestellt, daß sein Haar gefärbt ist. Wel chen Grund hat das? Sollte er wirklich so eitel sein? Und noch etwas. Gestern hat sich einer unserer Fah rer die Hand gequetscht. Dr. Crage stand in der Nä he. Er lehnte es ab, den Mann zu behandeln. Er sei Augenarzt und nicht praktischer Arzt. Ich finde das sonderbar. Und schließlich: Was hat er mit Miß Mal lon zu tun, die wiederum eine Miß Martini sein soll? Du siehst, es gibt schon gute Gründe, um allen Ern stes zu zweifeln. Der Mann könnte ebensogut ein Verbrecher sein. Welchen Beweis hast du, daß er wirklich Dr. Crage ist? Unter welchen Umständen hast du ihn überhaupt kennengelernt?« Don Fernando schüttelte langsam den Kopf. »Du hast immer ein gesundes Urteil besessen und verführst mich fast dazu, deine Zweifel zu teilen. Ich besitze keinen vollgültigen Beweis für die Identität dieses Dr. Crage. Als wir auf dem Flug von Tiltepec nach Mexico-City zwischenlanden mußten, weil dem Piloten ebenfalls die Augen versagten, nahm uns die ser Señor Biluga als Gäste auf. Dr. Crage wohnte bei ihm. Das war eine freudige Überraschung für mich, und ich fragte nicht lange nach Papieren und Einzel 63
heiten, sondern war glücklich, als er mir versicherte, daß er mich heilen könnte. Es ist ja wohl auch sinn los zu zweifeln. Welchen Zweck sollte es haben, eine derartige Komödie zu spielen?« Sven Norholm seufzte. »Das frage ich mich auch vergeblich. Wir müssen wohl oder übel unterstellen, daß er leisten kann, was er versprochen hat. Ich hoffe es von ganzem Herzen. Aber selbst dann wird man ihn in seine Schranken zurückweisen müssen. Er nützt seine Sonderstellung reichlich aus. Er weiß, daß er dir unentbehrlich ist, und benimmt sich wie – nun, wie der Herr im Haus. Soweit das mich betrifft, ist das nebensächlich, aber er macht unsere Leute verdreht und verwirrt. Er be fiehlt, gibt Anordnungen und spricht sogar Entlas sungen aus. Und nicht zuletzt versucht er auch im mer wieder, durch den Tunnel vorzudringen. Er ist unerträglich neugierig und scheut keine Mittel.« Don Fernando fuhr mit der Hand über seine blin den Augen. »So schlimm steht es, Sven?« fragte er leise. »Nun, dann mach ihm bitte klar, daß er Augenarzt ist und nichts anderes. Im Felsenhaus hat er überhaupt nichts zu suchen. Ebensowenig hat er einem unserer Leute Anordnungen zu geben. Du allein besitzt mei ne uneingeschränkte Vollmacht.« Sven Norholm griff nach der Hand des Blinden. »Ich danke dir. Dr. Crage wird auf das Vermögen, 64
das ihm deine Behandlung einbringt, selbst dann nicht verzichten, wenn ich ihm auf die Finger klopfe. Ich müßte das aus anderen, rein persönlichen Grün den ohnehin tun.« »Wovon sprichst du?« »Er belästigt Miß Silver.« »Wirklich?« »Ja. Sie hat ihm in Gegenwart einiger Leute eine Ohrfeige geben müssen.« Das Gesicht des Blinden wurde finster. »Solch ein Kerl ist das? Nun gut, sprich mit ihm. Miß Silver werde ich meine Hochachtung selbst aus drücken. Sie ist eine mutige junge Dame.« »Das ist sie.« Don Fernando neigte den Kopf vor. Seine Haltung deutete ein Horchen an. »Ist sie schön, Sven?« »Ja, Onkel.« »Würde ich stolz sein, wenn sie meine Tochter wäre?« »Ich glaube es.« Beide dachten in diesem Augenblick an lange Ge spräche, die sie in vertrauten Stunden geführt hatten. Die kurzen Worte, die sie jetzt wechselten, waren nicht mehr als Stichworte, hinter denen sich eine Fül le bereits gestellter Fragen und längst gegebener Antworten verbarg. Jetzt lächelte Don Fernando. 65
»Dann nimm sie mit ins Tal, wenn sie will, Sven. Ich brauche sie nicht mehr.« »Danke, Onkel«, erwiderte Sven warm. »Ich will sie fragen, ob sie Lust hat, das Tal zu sehen. Nur – sie wird ihre Freundin nicht verlassen wollen.« »Wie gefällt dir die?« »Ich habe sie kaum richtig gesehen. Sie ist ständig krank.« »Was fehlt ihr?« Sven Norholm zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Miß Silver behauptet, sie sei gemütskrank, und Dr. Crage wäre der letzte, der sie behandeln dürfte.« »Vielleicht kannst du sie mit ins Tal nehmen. Oxatla wird sie vielleicht eher heilen.« »Ich werde mit Miß Silver darüber sprechen.« Der Blinde nickte. »Tu das, mein Junge. Und nun erzähle mir aus meinem Tal.« Jetzt erst zog Sven Norholm einen Stuhl heran und setzte sich. Zur gleichen Stunde saß Ruth Silver am Bett von Joan Martini, deren bleiches Gesicht und schwacher Körper den Eindruck machten, als wäre sie seit lan gem krank. Ihre Augen blickten heute zwar klar, aber unruhig und verwirrt. »Du mußt dich mir anvertrau en«, drängte Ruth Silver. »Du kannst doch mir nicht 66
erzählen, daß du plötzlich Mallon heißt. Du bist Joan Martini. Gib es doch zu. Du hast sogar das kleine Mal am Arm.« Joan Martini verfügte zum erstenmal seit Tagen wieder über ihr volles Bewußtsein. Sie verstand die Freundin, wußte aber zugleich, daß sie nichts zugeben durfte, um nicht den Zorn Dr. Crages zu wecken. »Ich kann nichts zugeben«, sagte sie leise. »Ich bin Joan Mallon.« »Das genügt mir«, erwiderte Ruth Silver. »Du kannst nichts zugeben, weil es Dr. Crage nicht will. So ungefähr habe ich mir die Geschichte schon ge dacht. Aber sage mir um Gottes willen: Wie ist es möglich, daß du von diesem Mann abhängig gewor den bist? Du willst nicht? Auch gut, aber beantworte mir wenigstens eine andere Frage: Wo ist dein Ver lobter geblieben?« Joan Martinis Augen füllten sich mit Tränen. »Ich – ich weiß es nicht.« »Aber Dr. Crage weiß es?« »Ja, er …« Sie schwieg und biß sich auf die Lippen, weil sie fürchtete, schon zuviel gesagt zu haben. Ruth Silver schüttelte den Kopf. »Dr. Crage weiß es? Ich verstehe das nicht, Joan. Wo man hingreift, hat man das Gefühl, in ein aus gemachtes Gaunerstück hineinzugreifen. Trotzdem 67
wehrst du dich nicht. Trotzdem schüttelst du nicht alles von dir ab. Du spielst eine Rolle, die dich nicht glücklich macht. Wieso hat Dr. Crage diese Gewalt über dich?« Joan Martini blickte die Freundin flehend an. »Ich kann nicht mit dir darüber sprechen. Ich kann nicht – begreife das doch.« »Nichts begreife ich«, erwiderte Ruth Silver auf geregt. »Mir liegt es nicht, eine Figur in einem Schauerstück zu spielen, und mir liegt es auch nicht, dich eine solche Figur spielen zu lassen. Wenn du nicht sprichst, werde ich Dr. Crage die Pistole auf die Brust setzen.« »Bitte nicht«, wehrte Joan Martini erschreckt ab. »Wenn du das tust, wird er Sun Koh nicht…« »Was wird er mit deinem Verlobten?« »Nichts. Bitte, sei still, er kommt.« »Wer?« »Dr. Crage.« »Ich höre nichts.« »Ich fühle es.« Im nächsten Augenblick wurde die Tür geöffnet. Dr. Crage trat ein. Auf seinen bartlosen, dünnen Lip pen lag das gewohnte spöttische Lächeln. Die klei nen Augen funkelten boshaft und stechend. »Ah, sieh da!« rief er mit übertriebener Höflich keit. »Jugend und Schönheit am Krankenlager. Wer wünschte da nicht, krank zu sein?« 68
Ruth Silver musterte ihn gelassen und sagte kühl: »Wer wünschte nicht, gesund zu sein, wenn ein Dr. Crage behandelt? Was wollen Sie überhaupt hier? Wie kommen Sie dazu, hier einfach einzutreten, oh ne vorher anzuklopfen?« Crage warf ihr einen gehässigen Blick zu, erwider te aber mit der gleichen triefenden Liebenswürdig keit: »Sie überhörten wohl mein bescheidenes Klop fen.« »Vielleicht, aber bestimmt hat Sie niemand aufge fordert, einzutreten. Also was wollen Sie?« Dr. Crage verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich bin untröstlich festzustellen, daß Sie mir im mer noch böse sind.« »Ein Wunder, daß Sie das überhaupt bemerken. Auf Wiedersehen, Dr. Crage. Bitte schließen Sie die Tür leise.« Sie machte aus ihrer Abneigung keinen Hehl. An Dr. Crage schien sie jedoch abzugleiten. »Auf Wiedersehen, Miß Silver«, sagte er spöt tisch. »Don Fernando wünscht Sie nämlich dringend zu sprechen.« »Wirklich?« »Wirklich«, bestätigte er ironisch. »Und Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich mich inzwischen um das Befinden unserer lieben Kranken kümmere?« Das war offener Hohn. Ruth Silver spürte große Lust, Crage ins Gesicht zu schlagen, aber sie be 69
herrschte sich und ging stumm hinaus. Die Tür hatte sich kaum geschlossen, als sich Dr. Crage schon über Joan Martini beugte und drohend fragte: »Haben Sie geschwatzt?« Sie wich angeekelt vor seinem Gesicht zurück. »Ich habe nichts gesagt.« »Ihr Glück!« meinte er hämisch. »Hätte ich nur geahnt, daß diese Miß Silver eine Freundin von Ih nen ist, ich hätte die Angelegenheit auch anders re geln können. Aber ich werde die Kleine schneller hineinlegen als sie mich. Ihren Arm! Es ist besser, wenn Sie nicht auf dumme Gedanken kommen.« Joan Martini versteckte den Arm. »Ich will keine Spritze mehr. Ich werde auch so schweigen.« »Frauen sind schwatzhaft«, sagte er. »Her mit dem Arm.« Er riß ihren Arm vor, während er mit der anderen Hand die bereits aufgezogene Spritze aus der Tasche zog. Mitten in der Bewegung hielt er jedoch inne. Von der Seitentür, die zum Schlafzimmer führte, er klang die klare Stimme von Ruth Silver. »Halten Sie ein, Dr. Crage, oder bei Gott, ich schieße.« Dr. Crage drehte sich um. Er verschluckte einen Fluch. Nach einer kurzen Spanne tödlicher Stille sag te er in seinem gewöhnlichen Tonfall: »Spielen Sie Theater, Miß Silver?« 70
Sie hielt unentwegt einen Revolver auf ihn gerichtet. »Das Theater wird Ihnen das Leben kosten, Dr. Crage, falls Sie leichtsinnig sind. Ich wollte schon lange gern erfahren, was die Einstiche auf dem Arm meiner Freundin zu bedeuten haben. Jetzt weiß ich es, Sie Lump. Legen Sie die Spritze auf den Tisch.« »Sie spielen nicht schlecht«, zensierte er spöttisch und ungerührt. »Wollen wir aber die Komödie jetzt nicht lieber beenden? Miß Mallon braucht die Sprit ze. Sie haben nicht das Recht, in meine Behandlung einzugreifen und damit das Leben der jungen Dame zu gefährden.« »Miß Martini legt keinen Wert darauf, Spritzen zu bekommen.« Er grinste unverhohlen. »Was Sie nicht sagen. Sie scheinen ja genau Be scheid zu wissen. Nun, Miß Mallon wird Sie eines Besseren belehren. Wollen Sie die Spritze haben, Miß Mallon?« »Ja«, flüsterte Joan Martini. Ruth Silver ließ sich jedoch nicht beirren. »Genau das dachte ich mir. Trotzdem bestehe ich auf meiner Forderung. Legen Sie die Spritze weg. Ich zähle bis drei.« »Verdammt!« zischte Dr. Crage wütend und warf die Spritze so heftig auf den Boden, daß sie zerbrach. »Sie übernehmen die Verantwortung für ein Men schenleben.« 71
»Sehr geschickt!« erwiderte Ruth Silver kalt. »Jetzt wird es schwerfallen, den Inhalt der Spritze festzustellen, nicht wahr? Und nun verschwinden Sie, und lassen Sie sich gefälligst nicht wieder in der Nähe von Miß Martini sehen.« Crage drohte ihr mit der Faust. Wenn er von der Entschlossenheit seiner Gegnerin nicht so sehr über zeugt gewesen wäre, hätte er wohl noch mehr getan. »Sie werden diesen Auftritt bereuen, Miß Silver.« »Schreiben Sie Ihre Drohung auf«, riet sie ihm. »Gehen Sie.« Crage ging. Es war der schmählichste Abgang sei nes Lebens. Hinter ihm verschloß Ruth Silver die Tür. »Was hast du getan?« flüsterte Joan Martini. »Ich habe dich davor bewahrt, daß du wieder tage lang halb bewußtlos und willenlos hier liegst«, erwi derte ihre Freundin entschieden. »Der Kerl hat dich doch einfach unter Betäubung gehalten. Jetzt mußt du erst einmal wieder zu dir selbst kommen, dann wirst du den ganzen Spuk von selbst verjagen.« »Dr. Crage wird sehr zornig sein.« »Das kann ich mir denken, aber ich werde mich nicht darum kümmern. Auf keinen Fall lasse ich ihn wieder an dich heran, bevor du mir nicht alles erzählt hast. Jetzt schläfst du noch ein paar Stunden, damit zu völlig klar wirst, dann wollen wir uns noch einmal über alles unterhalten.« 72
Joan Martini wollte nicht darauf eingehen, da sie nichts mehr fürchtete als den Zorn Crages, aber sie kam gegen die entschlossene Freundin nicht an. * Dr. Crage hatte seinen schlechten Tag. Die Wut über die erlittene Abfuhr erstickte ihn fast und wurde nur noch übertroffen durch die Besorgnis, daß Joan Mar tini die Wahrheit verraten könnte, denn dann war es um seine Pläne geschehen. Crage hatte das Bedürfnis nachzudenken. Bevor er sich jedoch zurückziehen konnte, traf er auf Sven Norholm. »Auf ein Wort, Dr. Crage«, sagte Norholm kurz. »Wann denken Sie die Operation an Don Fernan do vorzunehmen?« Crage besaß genügend Selbstbeherrschung, um seine wahre Stimmung zu verbergen und mit seiner gewohnten Verbindlichkeit zu antworten: »In einer Woche vielleicht. Es kann aber auch sein, daß es zwei Wochen dauert, bevor Don Fernando soweit ist.« »So?« fragte der junge Mann gedehnt. »Na gut, diese Verzögerung läßt sich wohl nicht vermeiden. Sie werden also noch einige Zeit hier im Haus leben. Wollen Sie jedoch stets beachten, daß Sie als Augen arzt hier wohnen und als nichts anderes. Infolge ver 73
schiedener Klagen muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht das geringste Verfügungsrecht über das Personal haben. Im Notfall werde ich unsere Leute anweisen, Ihre Anordnungen zu übergehen. Außerdem verbiete ich Ihnen, den Hof und das Fel senhaus zu betreten. Ich hoffe, Sie haben das ver standen.« Crages Hände zuckten unruhig, seine Miene zeigte jedoch nur Verwunderung und Spott. »Ich habe nichts verstanden«, erwiderte er. »Wer sind Sie denn überhaupt, daß Sie derartig sprechen? Ich kenne nur Don Fernando als den Besitzer und Herrn dieses Hauses. Glauben Sie etwa, daß ich mir von jedem beliebigen Angestellten Vorschriften ma chen lasse?« »Ich empfehle Ihnen, meine Vorschriften zu be achten«, gab Norholm kühl zurück. »Ich habe die Vollmacht Don Fernandos, Ihnen diese Erklärung zu geben. Darüber hinaus noch eins: Sie haben es ge wagt, Miß Silver zu belästigen. Sie hat Ihnen die verdiente Antwort gegeben. Falls Sie dadurch noch nicht geheilt worden sind, falls Sie noch einmal eine Frechheit wagen, dann prügle ich Sie windelweich.« Crage schielte ihn tückisch an. »So? Sie scheinen ja wenig Wert darauf zu legen, daß Don Fernando wieder sehen kann?« Sven Norholm trat nah an ihn heran. »Für diese Frage allein verdienen Sie schon Prü 74
gel. Sie erhalten für die Behandlung Don Fernandos ein Vermögen. Sollten Sie damit nicht zufrieden sein und Ihren sonstigen Unfug nicht lassen, fliegen Sie hinaus und Don Fernando wird sich nach einem an deren Arzt umsehen. Richten Sie sich danach.« Er ging weiter, und Dr. Crage hatte einen neuen Grund, diesen Tag zu verwünschen. * Einige Stunden später setzte sich die Reihe der Är gernisse fort. Er wollte Joan Martini einen Besuch abstatten. Vor deren Tür stand jedoch ein Stuhl, und auf dem Stuhl saß einer der Diener des Hauses, der ihm mit Aufmerksamkeit entgegensah. »Was soll das?« herrschte Crage ihn an. »Finden Sie keinen anderen Platz, um sich auszuruhen?« Der Diener wahrte eine höfliche Haltung, mehr aber auch nicht. Es war ihm anzumerken, daß er den Frager nicht ganz für voll nahm. »Ich bin im Dienst«, antwortete er. »Es ist mein Auftrag, diese Tür zu bewachen.« »Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben?« »Miß Silver.« Crages Gesicht verzerrte sich. »Die junge Dame hat scheinbar allerlei zu bestim men. Machen Sie Platz, ich will zu Miß Mallon.« 75
Der Mann stellte sich breitbeinig hin. »Bedaure sehr, Miß Mallon ist nicht zu sprechen. Sie schläft.« »Was?« fauchte Crage zornig. »Sie wollen mir den Zutritt zu der Kranken verwehren?« Jetzt grinste der Diener. »Gewiß, deshalb bin ich ja hier.« »Verd …«, setzte Crage an und hob die Faust. »Seien Sie vorsichtig«, meinte der andere, »ich bin ein guter Boxer. Berühren lasse ich mich von Ihnen nicht!« Crage zähmte sich. »Ich werde mich bei Don Fernando beschweren«, sagte er ruhiger. »Bitte tun Sie das«, sagte der Mann. »Es ist übri gens zwecklos, daß Sie mich so anstarren. Ich bin für hypnotische Einflüsse kaum zugänglich.« »Pest!« Dr. Crage ging weiter. Er nahm sich mit dem Besuch Don Fernandos Zeit. Anderes schien ihm wichtiger, nachdem er sei ne Pläne hatte ändern müssen. Die brennendste Frage war für ihn, was sich hinter dem Felsenhaus verbarg. Er nahm die Seltsamkeiten des Palastes nicht so hin wie die denkfaulen Indianer von Chilpancingo, sondern summierte sie und brach te sie in Beziehung zueinander, woraus sich eben je ne Notwendigkeit für ihn ergab, die Geheimnisse des 76
Felsenhauses näher kennenzulernen. Er drückte sich langsam am Seitengebäude entlang über den Innhof. Es war dunkel genug, so daß seine Bewegungen nicht auffielen. Die hochgewölbte Einfahrt in das Felsenhaus war nur schwach erleuchtet. Die Wachen, von deren Vorhandensein sich Crage schon früher überzeugt hatte, hielten ein Schwätzchen an der Laderampe. Einmal blickte einer in die Richtung, in der sich Cra ge an die Wand drückte, sonst aber beachtete man ihn nicht. Unbemerkt konnte er hinter einigen bela denen Elektrokarren entlang schleichen und in den mächtigen Gang eindringen, der sich an das Torge wölbe anschloß. Der Gang führte in den Felsen hinein. Es war eine wichtige Entdeckung für Crage, als er über sich im Licht der mattleuchtenden Kugeln den natürlich ge wachsenen Felsen sah. Der Boden bestand jetzt und auch weiterhin aus gerauhtem Asphalt. Crage wanderte vorwärts. Es war vollkommen still im Tunnel. Die Stimmen der Wachen verklangen mehr und mehr, seine eigenen Schritte hallten laut. Er lief zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten. Gerade als er nach einer Kurve das Ende des Tun nels vor sich sah, sprangen von rechts und links dunkle Gestalten mit höllischem Geheul auf ihn los. Er wollte sich zur Wehr setzen, aber schon hatte ihm 77
einer die Waffe aus der Tasche gerissen, schon pras selten die Schläge auf ihn nieder. Er spürte Fäuste, Stöcke, Ruten schmerzhaft auf seinem Körper. Dazu gellten ein Dutzend Menschen in teuflischem Ge lächter. Er war zu verwirrt, um klar zu sehen. Das erste Hagelwetter zwang ihn in die Knie, doch die Todesangst riß ihn hoch und ließ ihn den glei chen Weg zurücklaufen, den er voller Hoffnungen gekommen war. Er lief, aber die tobende Meute hielt ihn fest, johlte unentwegt um ihn herum und ge brauchte immer wieder die Stöcke und Ruten. Sie schlugen hart genug, um ihn vor Schmerz fast besin nungslos zu machen, aber doch nicht genug, um ihn stürzen zu lassen. Endlich sah er den Torbogen des Felsenhauses vor sich, sah die Wachen, die ihm neugierig entgegen blickten. Schlagartig brach das Geheul ab, die Schläge hör ten auf, die Peiniger verschwanden. Crage schwankte halbtot in den Kreis der Wächter, die ihn unverschämt angrinsten. Er wollte etwas sagen, aber schon kam ihm einer der Wächter zuvor und fragte streng: »Wo kommen Sie her? Waren Sie etwa im Tunnel?« Crage schluckte mühsam. »Ja, ich …« »Dann seien Sie froh, daß Sie lebendig wieder he rausgekommen sind. Sie wissen doch, daß es verbo 78
ten ist, hineinzugehen. Natürlich sind Sie den Wahnsinnigen in die Hände gefallen, he?« »Wahnsinnige?« murmelte Crage kläglich. »Natürlich. Wußten Sie denn nicht, daß dort hin ten ein Irrenhaus steht? Sie denken wohl, wir halten hier zum Vergnügen Wache?« Crage taumelte. »Irrenhaus? Helfen Sie mir, ich breche sonst zu sammen.« »Wir können unseren Posten nicht verlassen«, gab der andere unbeeindruckt zurück. »Sie werden es schon schaffen.« Crage wankte davon. Er merkte nicht einmal, daß die Männer hinter ihm laut auflachten. So schloß Crages ärgerlicher Tag damit, daß er un ter allerlei Verrenkungen die zahllosen Striemen an seinem ganzen Körper einschmierte und dann ausge pumpt ins Bett sank. In den nächsten Tagen verzichtete er darauf, sich sehen zu lassen. * Hal Mervin und Nimba suchten nach dem ver schwundenen Sun Koh und nach Joan Martini. Nach ihren ersten Feststellungen fuhren sie nach Yukatan zurück, um sich von dem Mann Rat zu holen, der die Verhältnisse dieses Landes am besten kannte. Wenn 79
ihnen dieser nicht ausdrücklich versichert hätte, daß Don Fernando unmöglich mit dem Verschwinden der beiden zu tun haben könne, hätten sie sich wohl gleich auf den Weg nach Chilpancingo gemacht. Doch sie ließen sich von der festen Überzeugung be einflussen und verbrachten drei nutzlose Tage damit, in Mexiko weiter nach den Spuren der Verschwun denen zu forschen. Dann machte Hal Mervin Schluß. Er gab die zwecklose Fahndung auf und fuhr hinter Don Fer nando her. Bei diesem mußten sich zwei Personen befinden, von denen man über Sun Koh und Joan Martini hören konnte. Hal und Nimba flogen bis Chilpancingo. Dort trie ben sie ein Auto auf, mit dem sie zu Don Fernandos Palast hinausfuhren. Das war an dem Tag, an dem Dr. Crage am ausgiebigsten seine Striemen kühlte und am innigsten seine Widersacher verwünschte. Hal Mervin ließ sich bei Ruth Silver melden. Er wurde empfangen und entdeckte zu seiner angeneh men Überraschung, daß er diese junge Dame kannte. »Hal Mervin«, stellte er sich vor und verbeugte sich. »Sie werden sich an mich nicht erinnern. Ich glaube, Sie wiederholt im Hotel ›Excelsior‹ in Lon don gesehen zu haben, als ich dort noch als Page tä tig war.« »Das ist möglich«, erwiderte Ruth Silver über rascht. »Sie kommen mir auch flüchtig bekannt vor. 80
Sind Sie von London gekommen?« »Von Mexiko. Die Angelegenheit, die mich her führt, ist außerordentlich wichtig. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen einige Fragen zu stellen.« »Gern.« »Danke. Vermute ich recht, daß Sie mit Miß Joan Martini befreundet waren?« Ruth Silver war sehr erstaunt. »Allerdings. Joan Martini ist noch heute meine Freundin.« »Es wurde mir berichtet, daß Sie erst vor einer Woche mit ihr gemeinsam in Mexiko zu Abend ge gessen haben. Ist das richtig?« Ihr Blick wurde prüfend. »Ja. Aber wenn Sie noch mehr derartige Fragen stellen wollen, muß ich doch bitten, daß Sie mir vor her sagen, welche Beziehungen Sie mit meiner Freundin verbinden.« Hal nickte. »Sie haben Mr. Sun Koh, den Verlobten von Miß Martini, kennengelernt, nicht wahr? Er ist mein Freund. Ich will Ihnen auch gleich erklären, um was es sich handelt. Miß Martini ist wenige Stunden nach dem bewußten Dinner verschwunden. Ich komme zu Ihnen in der Hoffnung, daß Sie mir Hinweise geben können, durch die sich ihr Verschwinden und das meines Freundes erklären lassen.« »Miß Martini befindet sich hier.« 81
Da rutschte Hal aus seiner vornehmen Größe her aus. »Was?« japste er verblüfft. »Miß Martini befindet sich hier?« »Ja.« Ruth Silver lächelte. »Da bin ich platt wie eine Briefmarke«, murmelte Hal. »Sie ist hier? Und wir suchen die ganze Welt nach ihr ab. Einfach hier. Und ihr Verlobter leistet ihr wohl Gesellschaft?« »Nein, von ihm weiß ich nichts.« Hal zog die Brauen hoch. »Wieso? Ist er nicht bei Miß Martini?« Ruth Silver schüttelte den Kopf. »Sein Aufenthalt ist mir unbekannt. Die ganze Angelegenheit ist denkbar rätselhaft. Dr. Crage brachte Joan im letzten Augenblick zum Flugzeug und gab sie als Miß Mallon aus. Er muß irgendein Mittel haben, mit dem er Joan unter Druck hält. Sie sagt noch immer, daß sie Miß Mallon sei, obgleich sie jetzt einigermaßen bei Vernunft ist, da ich ver hinderte, daß sie eine neue Spritze von Dr. Crage be kam. Sie …« »Warten Sie«, bat Hal. »Ihr Tempo ist mir zu schnell. Sie bringen da die merkwürdigsten Dinge vor. Miß Mallon ist also Miß Martini?« »Natürlich, ich kenne Joan doch gut genug. Nur die Furcht vor Dr. Crage veranlaßt sie, alles zu leug nen. Sie zittert, wenn sie nur seinen Namen hört.« 82
»Das verstehe ich nicht«, meinte Hal. »Miß Marti ni zittert so leicht vor niemanden. Ich glaube, sie hat fast soviel Mut wie ich, und das will was heißen. Ich kenne nur einen Mann, vor dem sie Angst hat.« »Dann ist Dr. Crage der eine Mann.« Hal Mervin legte den Kopf schief. »Hören Sie, Sie haben ja eine merkwürdige Art, die Leute stutzig zu machen. Besitzt dieser Dr. Crage etwa zufällig ein dreieckiges Gesicht, feixt er etwa dauernd höhnisch in der Gegend herum, hat er vor stehende Backenknochen und kleine Augen, die wie Nadeln stechen, kommt er einem als der widerwär tigste Kerl der Welt vor?« »Stimmt aufs Haar genau.« Hal Mervin wurde sehr ernst und nachdenklich. »Stimmt alles?« murmelte er. »Dann allerdings, dann allerdings.« Er wandte sich lauter an Ruth Silver. »Verzeihen Sie bitte, würden Sie mich zu Miß Martini führen?« Sie zögerte etwas, nickte dann aber. »Kommen Sie.« »Verraten Sie aber bitte nicht meinen Namen vor her. Ich denke, ihr Verhalten bei meinem Eintritt wird uns am sichersten zeigen, was Wahrheit ist.« Er behielt recht. Joan Martini hatte ihn kaum erblickt, als sie auf schrie: »Hal!« 83
Hal trat schnell auf sie zu. Er unterdrückte seinen Schreck über die Veränderung, die mit ihr vorgegan gen war. »Ich bin es, Miß Joan«, sagte er herzlich. »Bei Gott, Sie hatten sich ja ganz hübsch versteckt.« Ihre Augen waren weit geöffnet. Ihre Lippen ver suchten Worte zu formen. Sie äußerte jedoch nichts, sondern schlug plötzlich die Hände vor das Gesicht und begann verzweifelt zu schluchzen. Ruth Silver beruhigte sie allmählich. Joan Martini hob endlich den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Wo ist Sun Koh?« »Ich weiß es nicht, Miß Joan«, antwortete Hal be drückt. »Ich hoffte, es von Ihnen zu hören.« Sie sah aus, als wollte sie abermals weinen, be herrschte sich jedoch und flüsterte nur: »O Gott!« »Nur nicht gleich wieder weinen«, beruhigte Hal. »Wir werden ihn schon finden. Erzählen Sie mir, was geschehen ist.« »Ich darf nicht. Ich fürchte, ich habe schon zuviel gesagt.« »Das ist doch Unsinn!« meinte Hal. »Glauben Sie im Ernst, mich damit abspeisen zu können? Dieser Dr. Crage ist natürlich Juan Garcia, nicht wahr?« »Ja.« »Na also. Und was wollen Sie mir nun noch ver schweigen? Geben Sie sich wirklich irgendwelchen 84
Hoffnungen in Bezug auf diesen Gauner hin?« »Er hat Sun Kohs Leben von meinem Schweigen abhängig gemacht.« »Und Sie haben sich natürlich von ihm bluffen las sen. Sie müßten doch wahrhaftig wissen, daß sich Juan Garcia einen Dreck um Abmachungen und Ver sprechungen kümmert, wenn es ihm in den Kram paßt. Wenn er Sun Koh nichts antut, hat er seine Gründe dafür. Und wenn er Gründe besäße, ihn zu töten, würde es Ihnen nicht einmal etwas helfen, wenn Sie sich den Mund mit Briefmarken zuklebten. Wie kann man bloß auf Juan Garcia hereinfallen?« Die offene Sprache tat Joan Martini gut. Sie erwi derte fester als bisher: »Ich glaube, du hast recht, Hal. Ich muß in dieser ganzen Zeit im Nebel gewe sen sein. Es hat keinen Sinn, sich auf Juan Garcia zu verlassen. Er ist zu falsch.« »Na endlich!« Hal nickte befriedigt. »Und nun er zählen Sie bitte, wie Sie in seine Hände geraten sind.« »Ich weiß selbst nichts Genaues«, berichtete sie. »Ich schlief in meinem Hotelzimmer ein und erwach te in einem fremden Raum. Juan Garcia erklärte mir, er wäre Dr. Crage, und ich müßte eine Patientin von ihm spielen. Im Weigerungsfall würde Sun Koh ster ben. Dann gab er mir eine Spritze, und genau ge nommen kam ich erst gestern hier in diesem Zimmer wieder richtig zu mir.« 85
»Er hat Sun Koh also auch verschleppt. Sie wissen wohl nicht, wohin?« »Er hat nie etwas darüber gesagt.« »Wir müssen das eben dann ohne Juan Garcia fest stellen, falls es überhaupt möglich ist. Und es muß möglich sein, ihn zu finden. Wir müßten nur wissen, welche Pläne Garcia verfolgt. Welche Absichten hat er? Warum hält er sich hier auf? Er ist kein Augen arzt und gibt sich doch als solcher aus. Warum? Was hat er vor?« »Vielleicht glaubt er, daß man mich und ihn hier nicht suchen wird?« Hal schüttelte den Kopf. »Wenig wahrscheinlich. Sie spielen hier nur eine Nebenrolle. Er hat wohl nur eine günstige Gelegen heit benutzt, um sich Ihrer und Sun Kohs zu bemäch tigen. Ich finde diese Entführung sogar dumm von ihm. Er mußte sich doch sagen, daß wir über Miß Silver Ihre Spur finden würden. Sie hatten im Hotel mit Miß Silver gesprochen, und diese begleitete ei nen Don Fernando, also …« »Juan Garcia wußte nichts von unserer Freund schaft.« Hal stieß einen Pfiff aus. »Ah, daher der Fehler! Schöner Reinfall für ihn. Und trotzdem – er muß noch andere Ziele als Ihre Entführung haben. Er hätte Sie irgendwo unterbrin gen können. Warum ist er hier? Berücksichtigen Sie, 86
daß er schon den Augenarzt bei Don Fernando spiel te, bevor Sie nach Mexico-City kamen. Es muß mit Don Fernando zu tun haben.« Sie blickten sich gegenseitig an. »Einen Anschlag auf Don Fernando? Ich kann mir das aber nicht vorstellen.« »Tja, und ich kann es nicht beurteilen. Ein Gau nerstück hat er aber sicher vor. Ich kann Ihnen nur empfehlen, die Augen offen zu halten. Was treibt er denn eigentlich den ganzen Tag?« Ruth Silver lachte. »Nun, heute hütet er sein Zimmer. Er hat gestern zu sehr herumgeschnüffelt und dabei Prügel bekom men.« »Die haben ihm bestimmt gut getan. Und was Sie da sagen, zeigt, daß er bereits bei der Arbeit ist. Was sucht er? Gibt es hier etwas, das sich für einen Ver brecher lohnt?« »Ich weiß nicht«, überlegte sie laut. »Wahrschein lich gibt es hier verschiedene Geheimnisse, über die nicht gesprochen wird. Aber sagen Sie: Wenn Crage kein Augenarzt ist, kann er doch Don Fernando auch nicht von seiner Blindheit befreien?« »Selbstverständlich nicht.« »Armer Don Fernando! Er hat alle Hoffnungen auf Dr. Crage gesetzt.« »Auf den echten Dr. Crage.« Ruth Silver blickte aufmerksam auf Hal. 87
»Das heißt, daß man den echten Dr. Crage finden müßte?« »Ja.« »Wer weiß, wo er steckt?« Hal winkte mit großer Geste ab. »Kleinigkeit! Über den Arzt haben lange Artikel in den Zeitungen gestanden. So schwer wird es wirk lich nicht sein, ihn zu finden. Überlassen Sie das nur mir.« Sie seufzte. »Es wäre schön, wenn Don Fernando geheilt wer den könnte. Und dieser falsche Dr. Crage – kann man ihn nicht einfach wegschicken, wenn er ohnehin nicht helfen kann?« Hal wiegte den Kopf hin und her. »Ich würde es nicht tun. Es ist für uns vorteilhaft, wenn Juan Garcia hierbleibt. Hier kann man ihn gut beobachten. Der nächste Ort liegt weit, so daß er sich nicht nach Belieben mit jemand verständigen kann. Bleibt er hier, kann er uns nicht bei dem echten Dr. Crage in die Quere kommen und ihn etwa beiseite schaffen, während wir noch nach ihm suchen. Und er kann auch Sun Koh, den er wohl irgendwo gefangen hält, nichts antun. Will er ihn aufsuchen, können wir seine Schritte überwachen. Am besten wäre es also, sich so zu stellen, als ob sich überhaupt nichts geän dert hätte.« »Er darf also von Ihrem Besuch nichts erfahren?« 88
»Besser nicht. Hoffentlich hat er mich nicht schon gesehen. Und Nimba sitzt auch noch draußen im of fenen Wagen.« »Sein Zimmer liegt nach dem Talende zu. Er kann von seinem Fenster aus die Anfahrt nicht überblik ken.« »Gut! Dann würde ich Sie also bitten, nichts da von zu verraten, daß ich hier bin. Und Sie müssen ihm aus dem Weg gehen, Miß Joan. Sie können ja trotzdem so tun, als ob Sie geschwiegen hätten. Wir werden inzwischen Sun Koh suchen und den echten Dr. Crage heranschaffen.« »Du wirst Sun Koh finden«, sagte Joan Martini halb bittend, halb zuversichtlich. »Doch wer soll hier Juan Garcia überwachen?« »Hm, für Sie ist das nichts. Da müßte schon ein Mann her.« Ruth Silver mischte sich wieder ein. »Wollen Sie nicht mit Sven Norholm sprechen? Er ist der Pflegesohn von Don Fernando. Ich halte es für besser, ihn einzuweihen. Und er kann am leichtesten jemand beauftragen, der Juan Garcia ständig über wacht.« Hal war einverstanden, und Ruth Silver ging, um zu telefonieren. Sie kam bald zurück, aber es dauerte eine volle Stunde, bis Sven Norholm erschien. »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich so lange warten ließ«, sagte er beim Eintreten. »Ich befand 89
mich gerade unterwegs, so daß ich nicht früher hier sein konnte.« Hal stellte sich vor. Sven Norholm gefiel ihm, noch mehr aber gefiel ihm aber der abenteuerliche Aufzug. »Freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, sagte er. »Hoffentlich haben Sie meinetwegen Ihr Pferd nicht so sehr abgehetzt.« »Nein«, sagte Norholm lächelnd. Ruth Silver meinte: »Hier gibt es doch gar keine Pferde?« Der junge Schwede wandte sich etwas verlegen um. Hal antwortete sofort: »Wieso denn nicht? Mr. Norholm ist doch gerade vom Pferd gestiegen. Er hat es scharf geritten, denn dort sind Andeutungen von Schweißflocken auf seinem Hemd. Außerdem hat ihn der Wald ziemlich mitgenommen. Sehen Sie die Streifen auf seinem Arm. Geschossen hat er auch, er riecht nach Pulver. Wahrhaftig, hier scheint sich’s ganz nett zu leben. Und ich habe mich noch gewun dert, wie ein vernünftiger Mensch in so eine Stein wüste ziehen kann.« »Sie sehen sehr scharf«, sagte Sven Norholm, als er seine Sicherheit wiedergefunden hatte. »Tatsächlich bin ich durch den Wald geritten. Sie kennen die Um gebung noch zu wenig, Miß Silver, doch hoffe ich, sie Ihnen bald zeigen zu können. Darf ich fragen, warum Sie mich rufen ließen? Hat etwa Dr. Crage …« 90
»Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Aber es handelt sich um ihn. Mr. Mervin möchte mit Ihnen sprechen.« Sven Norholm erfuhr in der nächsten halben Stun de, was er wissen mußte. Es fiel Hal gar nicht leicht, ihn davon abzubringen, Juan Garcia einfach nach einer abermaligen Tracht Prügel hinauszuwerfen. Er ließ sich jedoch überreden und versprach, den fal schen Doktor überwachen zu lassen, sonst aber an dem bestehenden Zustand nichts zu ändern. Juan Garcia sollte ahnungslos bleiben, bis seine unheilvol len Absichten durchkreuzt waren und er sich in sei ner eigenen Falle gefangen hatte. 4. Zwei Wochen später stand Hal Mervin in Tiltepec vor dem blinden Lopello. »Sie ließen durch die Zeitung in Oaxaca mitteilen, daß Sie etwas über den Verbleib von Sun Koh wis sen?« »Ja«, bestätigte Lopello, »er war vor einer Woche hier bei mir.« »Ah – wußten Sie nicht, daß er gesucht wird?« »Ich erfuhr es erst durch meine Leute, die von Oa xaca heraufkamen. Sie müssen bedenken, daß ich keine Zeitung lese. Ich lasse mir erzählen, und sie erzählten mir von einem Mann, für dessen Auffin 91
dung so hohe Belohnungen ausgesetzt wurden. Dar auf hielt ich mich für verpflichtet, einen Mann nach Oaxaca zu schicken und die Zeitung zu verständigen, damit sie meine Nachricht weitergeben konnte. Es war mir alles zu verdächtig, und ich hatte den Ein druck, daß ein neues Verbrechen geschehen sei. Señor Sun Koh hätte auf seinem Weg nach der Stadt meinen Leuten begegnen müssen, außerdem wurde sein Führer halb betäubt aufgefunden.« Hal schüttelte den Kopf. »Die Zusammenhänge sind mir noch nicht klar. Würden Sie bitte der Reihe nach erzählen? Sun Koh war also bei Ihnen?« »Ja, er wohnte eine Nacht als Gast bei mir. Am nächsten Morgen gab ich ihm einen meiner Leute, einen gewissen Tehu, mit, der ihn nach Oaxaca füh ren sollte. Tehu wurde einige Stunden später am Rand der Stadt aufgefunden. Man hatte ihn von hin ten niedergeschlagen. Ein Mann war ihnen nachge laufen und hatte ihm gesagt, er solle noch einmal umkehren, weil ich ihm noch etwas zu sagen habe. Tehu hatte keinen Anlaß, daran zu zweifeln. Er setzte den Blinden auf einen Stein und …« Hal trat unwillkürlich einen Schritt heran. »Wen?« »Sun Koh natürlich, Ihren Freund. Er sollte war ten, bis Tehu zurückkam.« »Sprachen Sie nicht von einem Blinden?« 92
Lopello hob suchend den Kopf. »Ja, Sun Koh ist doch blind.« »Was?« schrie Hal entsetzt. »Blind?« »Er war blind. Ich dachte, Sie wußten es schon.« Hal war leichenblaß. »Blind?« flüsterte er. »Barmherziger Gott, Sun Koh ist blind?« Dann packte er Lopello heftig bei den Schultern und schrie ihn an: »Mann, blind war er? Wissen Sie, was Sie da sagen? Wie kann er blind gewesen sein? Er hatte doch nie etwas an den Augen. Sie müssen sich getäuscht haben!« Der andere schüttelte mitleidig den Kopf. »Ich kann Ihnen leider nichts anderes sagen. Er war blind. Wie er erzählte, hatte man ihn verschleppt und ganz in der Nähe von Tiltepec in Eisenketten gefangen gehalten, bis er erblindete. Diese Gegend ist verseucht. Wer einige Tage hier lebt, wird unwei gerlich blind. Sun Koh ist blind geworden.« Hal konnte es nicht fassen. Es war ihm unvorstell bar, daß die Augen von Sun Koh nicht mehr leuchten sollten, daß er blind durchs Leben gehen mußte. Sun Koh blind? Das war ein ungeheuerlicher Gedanke. »Blind?« murmelte er wieder und wischte sich da bei mit verstörter Bewegung den Schweiß von der Stirn. »Blind! Was sagte Sun Koh dazu?« »Er hoffte auf Heilung durch einen Dr. Crage, der Blinde dieser Gegend bereits erfolgreich operiert hat.« 93
Dieser Gedanke tröstete auch Hal. »Richtig, Dr. Crage«, sagte er. »Das wäre eine Rettung, wenn Sun Koh bald zu ihm in Behandlung kommt. Er ist also von hier aus nach Oaxaca?« »Er wollte nach Oaxaca«, verbesserte Lopello. »Tehu hatte den Auftrag ihn hinzuführen. Ich sagte Ihnen schon, daß man ihn daran hinderte. Ich schick te dann zwei Leute los, die Sun Koh suchen sollten, aber sie fanden ihn nicht. Und meine Träger, die am nächsten Tag von Oaxaca her kamen, hatten ihn auch nicht bemerkt. Er hat also die Straße nicht benutzt.« »Man hatte ihn also in eine andere Richtung ge führt, oder er hat sich verlaufen.« »Würde es Ihnen etwas nützen, wenn Sie die Leu te fragen könnten, die ihn gefangen gehalten haben?« »Sehr viel? Wissen Sie, wer es war?« Lopello zögerte. »Nichts Bestimmtes. Ich hörte nur die Vermutung, daß die Brüder Cimada etwas wissen müßten. Sie sind wiederholt in der Nähe der alten Hütte bemerkt worden, in der Sun Koh gefangen gewesen war.« »Wo finde ich die beiden?« »Sie wohnen auf dieser Seite im vorletzten Haus.« Hal Mervin hielt sich nicht mehr lange auf. In der schmierigen, vernachlässigten Hütte, für die die Bezeichnung »Haus« allzu schmeichelhaft war, fand der rücksichtslos eindringende Hal einen Mann schlafend vor. Er gebärdete sich erst mächtig, aber 94
als Hal ihm gezeigt hatte, daß er nicht zum Vergnü gen kam, wurde er gesprächig. Er gab zu und ge stand. Hal erfuhr, daß Sun Koh in der Richtung des Gebirges fortgeführt und dann allein gelassen wor den war. * Zur gleichen Stunde wanderte Sun Koh über den nackten Fels. Mit kleinen, kurzen Schlägen klappte der lange Stab, den er in der rechten Hand hielt, ei nen knappen Meter voraus. Hinter der tastenden Spitze lief Sun Koh mit ruhigen, festen Schritten. So lief er seit Tagen. Die Vorräte, die man ihm zu rückgelassen hatte, nährten ihn. Wasser fand er dann und wann durch Zufall, so daß er die Flaschen füllen konnte. Die Vegetation hatte seine Kleidung mitge nommen. Sein Gesicht war durch Sonnenbrand so wie durch Schmutz und Staub stark mitgenommen. Seine Gestalt war hager geworden, da er sich nur un zureichend ernähren konnte. Und die Blindheit verdeckte alle Gefahren. Er sah nicht die Abgründe und nicht die steilen Wände. Vor einer Stunde hatte er den matten Knall eines fernen Schusses gehört. Jetzt ging er mit leicht vor gestrecktem Kopf und klapperndem Stab dem Hall nach. Der Wind wehte mit beständiger Kraft, trotz dem klebte das zerrissene Hemd am Körper. 95
Der Stab schlug ins Leere. Sun Koh blieb stehen. Er fühlte mit dem Stab seitwärts. Auch dort fand er keinen Widerstand. Jetzt tappte er nach der ande ren Seite und traf auch nur Luft. Sun Koh stand unmittelbar vor einem Abgrund, der auch seitlich von ihm gähnte. Doch das großarti ge und zugleich furchtbare Bild dieser Landschaft enthüllte sich ihm nicht. Vor ihm brach ein riesiges Tal ein, das sich zwi schen zwei fast elliptisch verlaufenden Kämmen ein spannte. Seine größte Länge betrug rund zwanzig Kilometer, seine größte Breite annähernd zehn. Der Boden des Tales lag wenigstens fünfhundert Meter unter Sun Koh. Die Wände fielen zwar nicht gerade senkrecht ab, aber doch so schroff, daß nur ein guter Bergsteiger gewagt hätte, sie zu überwinden. In die Ellipse hinein schob das Gebirge um mehre re hundert Meter einen Keil, der breit ansetzte und in einer scharfen Spitze endete. Auf diesem Keil war Sun Koh vorwärts gegangen. Jetzt stand er auf dem letzten Vorsprung. Auf drei Seiten lauerte der Abgrund. Sun Koh ahnte es nicht. Er spürte nur die Aufwin de, die von unten her kamen, und vermutete, daß sich vor ihm eine Senke befand. Er wollte umkehren, um sie zu umgehen. Da kam aus der Tiefe ein helles, schneidend schar 96
fes Signal, das fast wie ein Trompetenstoß klang. Es wiederholte sich in rhytmischer Folge. Sun Koh lauschte. Menschen dort unten? Er ließ sich auf die Knie nieder und tastete mit dem Stab über die Felskante hinweg. Die Spitze traf auf Felsen. Es konnte nur ein Vor sprung sein, aber er genügte bequem für seine Füße. Und etwas tiefer würde ein neuer kommen. Viel leicht konnte er dann schon bequem weiterlaufen. Er schwang sich über den Rand hinweg, ließ sich auf den Felsen nieder, den er mit dem Stab vorge fühlt hatte. Damit begann er als Blinder ahnungslos den Abstieg an einer Wand, vor dem sich die Sehenden scheuten. Der Stab wies ihm etwas tiefer neue Vorsprünge auf. Sun Koh kletterte tiefer. Plötzlich stieß er beim Tieferhandeln gegen den Stab, den er seitlich an den Felsen gelehnt hatte. Der Stab rutschte weg, polterte leicht über Felsen und fiel. Sun Koh hörte ihn einige Male tief unten an schlagen. Der Abstieg schien noch lange nicht zu Ende sein. Sun Koh setzte ihn trotzdem fort, weil er noch keine Gefahren sah und weil er endlich zu Menschen kommen wollte. Er mußte es eben in Kauf nehmen, daß er hier herunterklettern mußte, während einige Meter nebenan vielleicht ein bequemer Pfad führte. 97
Langsam ging er tiefer. Die Vorsprünge wurden seltener und schmaler. Mehr und mehr wurde er sich der Gefahr dieser Wand bewußt. Dabei vergingen Stunden. Allmählich stiegen immer stärker verworrene Ge räusche zu ihm auf. Die Luft trug den Geruch von Wasser und Wald, gelegentlich klang auch eine Tier stimme zu ihm. Nur Stimmen von Menschen ver nahm er nicht. Der Felsen wurde kühler. Die Sonne verschwand. Sun Koh legte sich kaum noch Rechenschaft über Zeit und Raum ab. Er kletterte und kletterte und ver suchte vergeblich zu begreifen, wohin ihn diese ewi ge Kletterei noch führen sollte. Endlich spürte er Bäume in unmittelbarer Nähe, etwas später trafen seine Füße auf Geröll. Behutsam suchte er weiter, aber nun klang in seiner unmittelba ren Nähe eine Stimme auf: »Sind Sie von der Klet terwut besessen, Fremder, daß Sie immer noch wei terklettern wollen, obwohl Sie unten angelangt sind?« Sun Koh drehte das Gesicht dem Sprecher zu. »Ich bin unten?« fragte er tief atmend. »Gott sei Dank, ich glaube, es käme nie ein Ende. Und wun dern Sie sich nicht – ich bin blind.« Da waren plötzlich ein Dutzend Stimmen um ihn herum. »Blind? Er ist blind? Unmöglich! Blind an der Wand herunter?« 98
Sun Koh spürte eine Hand auf der Schulter. »Blind sind Sie, Mann? Bei Gott, das hätte ich nicht für möglich gehalten. An diese Wand wagt sich kein Sehender. Sie müssen ein begnadeter Bergstei ger sein. Wie kamen Sie auf den verrückten Gedan ken, in Ihrem Zustand hier herunterzuklettern?« »Ich wußte nicht, daß ich so tief hinunter mußte. Ich wanderte auf der Höhe und glaubte, es seien nur wenige Meter.« »Fünfhundert Meter sind Sie abgestiegen. Seit Stunden beobachten wir Sie, wie Sie Meter für Meter nehmen. Bei Gott, wir haben wohl mehr gezittert als Sie, denn wir fürchteten jeden Augenblick, Sie müß ten sich überschlagen und in die Tiefe stürzen. Sie haben Stellen genommen, vor denen eine Gemse ge scheut hätte.« »Die Gefahr ist mir nicht bewußt geworden«, sag te Sun Koh mühsam lächelnd. »Doch jetzt habe ich Hunger und Durst. Wenn Sie mir …« Er spürte schon die Flasche in der Hand. »Trinken Sie einen Schluck, das ist ein guter Brandy. Frisches Wasser werden Sie gleich haben, auch Essen. Kommen Sie mit zu unserem Lager.« Sun Koh schob die Flasche zurück. »Keinen Alkohol, Wasser ist besser. Ich heiße Sun Koh. Wer sind Sie?« »Nennen Sie mich Will«, sagte er freundlich. »Meinen Familiennamen habe ich hier fast verges 99
sen. Die anderen werden Sie nach und nach kennen lernen. Doch da kommt Wasser.« Sun Koh trank quellfrisches Wasser aus einer fla chen Schale. »Danke«, sagte er. »Befindet sich in der Nähe eine Ortschaft?« »Chilpancingo ist die nächste Stadt. Sind Sie auf dem Weg dorthin?« »Ich irre seit Tagen im Gebirge herum und suche Menschen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich hinführen würden.« »Das werde ich tun«, versprach der andere. »Doch nun kommen Sie mit. Ich habe den Eindruck, daß Sie kräftig essen müssen und ein paar Stunden Schlaf gebrauchen können.« Sie waren kaum ein paar Schritte gegangen, als aus der Ferne abermals jenes schneidend helle Signal kam, das Sun Koh schon einmal gehört hatte. Die Männer blieben mit einem Ruck stehen. »Achtung!« Leise, aber deutlich unterscheidbar kamen die Zei chen. »Verdammt«, murmelte einer, »das große Sam melzeichen.« »Still!« zischten einige. Der Rhythmus wechselte. Jetzt schrie Will selbst auf: »Höchste Gefahr! Habt ihr gehört? Zu den Pferden, Freunde, höchste Gefahr!« 100
»Still!« brüllten ein paar. Die Luft pochte in matten Schlägen. Dann brüllte alles zusammen auf: »Schüsse im Tal!« Die Männer rannten los. Wills Stimme übertönte allen Lärm. »Halt, Zipp, du bleibst hier. Wir können den Fremden nicht einfach stehenlassen. Kümmere dich um ihn.« »Ich…« »Maule nicht, ich werde dich entschuldigen. Le ben Sie wohl, Fremder, wir kommen wieder. Lassen Sie sich einstweilen pflegen. Vorwärts, Kameraden!« In einiger Entfernung schnaubten Pferde, dann schlugen Hufe. Eine Reiterschar brauste davon. Um Sun Koh herum wurde es still. Etwas später faßte ihn Zipp bei der Hand. Mür risch knurrte er: »Kommen Sie, Fremder. Es ärgert Sie hoffentlich nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich lieber mit weggeritten wäre.« »Nein«, erwiderte Sun Koh. »Es tut mir leid, daß Sie durch mich hier zurückgehalten werden. Was ist eigentlich los? Warum sind die Männer alle fortgerit ten?« »Sie wurden gerufen, und ich schätze, daß sie alle inbrünstig hoffen, daß dort vorn ein bißchen der Teu fel los ist. Aber das können Sie alles nicht begreifen. Kommen Sie.« Sun Koh ließ sich fortziehen. 101
* Juan Garcia ließ sich nicht so leicht fangen. Acht Tage lang ließ er sich überhaupt nicht sehen. Als er wieder auftauchte, war er ganz Zurückhaltung und Höflichkeit. Er versicherte Don Fernando, daß er ihn in acht Tagen erfolgreich operieren würde. Er fragte nach Miß Mallon, drückte seine Freude über ihr Wohlbefinden aus und verzichtete darauf, sie se hen zu wollen. Seine Neigung, Geheimnisse des Pa lastes aufzuspüren, schien gänzlich erloschen zu sein. So verging noch eine Woche in Frieden und Harmlosigkeit. Dann folgten die Ereignisse kurz hintereinander. Zunächst erschien eines Abends in der Nähe des Palastes eine Reisegesellschaft, die durch offenbar irgend jemand auf den verrückten Gedanken ge bracht worden war, sich den Palast wenigstens von außen anzusehen. Die Gesellschaft bestand aus sech zehn Männern, die in drei Autos angefahren kamen. Sie sahen sich die Gegend gründlich an und äußerten sogar die Bitte, den Palast besichtigen zu dürfen, aber das wurde ihnen verweigert. Also verzichteten sie wohl oder übel darauf. Leider hatten sie Pech, als sie die Rückfahrt antre ten wollten. An einem der Wagen brach die Achse. Er versperrte den beiden anderen den Weg. Das Hin 102
dernis wäre zu beseitigen gewesen, aber die Männer wollten nicht einen Teil ihrer Kameraden zurücklas sen. So beschloß man, die Nacht im Freien zu verbringen. Man schlug zwischen Fahrbahn und Fluß ein regelrechtes Lager auf. Die Bewohner des Palastes waren nicht gerade er freut darüber, aber sie sahen auch keinen Anlaß, den Leuten das romantische Lager zu verbieten. Man verschloß die Türen besonders gut, da sich die Frem den nicht gerade aus den besten Kreisen zu rekrutie ren schienen. Dann legte man sich beruhigt schlafen. Am nächsten Morgen war Don Fernando ver schwunden. Dr. Crage zeigte sich höchst besorgt und empfahl dringend, die Fremden sofort zu befragen und vor allem die Polizei von Chilpancingo telefonisch zu benachrichtigen. Beides geschah. Dann traf Sven Norholm ein. Der Mayordomo hat te für seine Verständigung gesorgt. Er kam wie ge wöhnlich, als wäre er eben vom Pferd gestiegen. Alle – mit Ausnahme Dr. Crage – nahmen Haltung ein, als er erschien. »Don Fernando ist verschwunden?« vergewisserte er sich ungläubig, während er in die Runde der ver sammelten Angestellten blickte. »Ja«, bestätigte der Mayordomo und trat vor. »Berichten Sie.« Schnell hintereinander brachte jeder vor, was er zu 103
sagen hatte. Sven Norholm hörte stumm zu, ab und zu stellte er einige Fragen. Als er alle gehört hatte, wies er zur Tür. »Ihr könnt gehen. Dr. Crage, Sie bleiben.« Der Raum leerte sich schnell. Als sich die Tür schloß, sah Sven Norholm Dr. Crage scharf an. »Wo ist Don Fernando, Dr. Crage?« Crage verzog die Mundwinkel. »Die gleiche Frage möchte ich Ihnen stellen. Ich würde sehr bedauern, wenn Don Fernando ver schwunden bliebe. Heute wollte ich die Operation an ihm vornehmen.« Sven Norholm lachte kurz auf. »Wir verstehen uns noch nicht ganz. Vielleicht muß ich Sie etwas deutlicher fragen. Also, Juan Gar cia, wo ist Don Fernando?« Die Anrede kam Garcia doch überraschend. »Verdammt, woher …« Er brach sofort wieder ab und lächelte spöttisch. »Ah, Sie haben sich von Miß Mallon und ihrer Freundin beschwatzen lassen? Wie rührend! Damit können Sie keinen Hund hinter dem Ofen hervorlok ken.« »Sie sind reichlich frech«, erwiderte Sven Norholm warnend. »Wahrscheinlich hoffen Sie, mich bluffen zu können. Aber Ihr Spiel ist bereits aus. Seien Sie froh, wenn ich Sie nicht hinauspeit schen lasse. Und beeilen Sie sich, mir den Aufenthalt 104
Don Fernandos anzugeben.« Juan Garcia kreuzte gelassen die Arme über der Brust und fixierte Sven Norholm mit unerkennbaren Spott. »Sie sind ein merkwürdiger junger Mann. Sie soll ten sich einmal auf Ihren Geisteszustand untersuchen lassen. Vielleicht gehören Sie in jene Irrenanstalt, die sich hinter dem Felsenhaus befinden soll.« »Leicht möglich«, antwortete Sven Norholm kühl. »Wo befindet sich Don Fernando?« »Das fragen Sie mich?« Bei Sven Norholm schwollen die Schläfenadern an. Er trat dichter heran. »Überspannen Sie den Bogen nicht, Juan Garcia. Wenn Sie nicht vernünftig sind, werde ich Sie der Polizei übergeben.« Juan Garcia lächelte niederträchtig. »Ich warte auf die Polizei.« Ein Angestellter trat ein. »Die Herren von der Polizei.« »Sollen eintreten.« Die Spitzen der Polizei von Chilpancingo hatten ihren Auftritt. Sie trugen prächtige Uniformen. Tespiglio, der Chef der Polizei, hastete erschüttert und teilnehmend auf Sven Norholm zu. Dieser schnitt ihm rechtzeitig das Wort ab. »Gut, daß Sie kommen. Verhaften Sie diesen Mann. Er ist für die Entführung Don Fernandos ver 105
antwortlich. Er nennt sich Dr. Crage, heißt aber in Wirklichkeit Juan Garcia und ist ein Verbrecher.« »Aah!« staunte der Polizeichef. Er warf sich in Positur, gab seinen Leuten einen Wink und schritt gravitätisch auf Juan Garcia zu. »Señor, im Namen des Gesetzes …« »Warten Sie«, unterbrach Juan Garcia spöttisch. »Bei Ihnen genügt wohl ein gutes Wort, um jeman den zu verhaften. Nun gut, wenn das so ist, dann for dere ich Sie auf, diesen Herrn, der sich Sven Norholm nennt, wegen der Ermordung Don Fernan dos zu verhaften.« Norholm trat einen Schritt vor und hob die Hand, beherrschte sich aber. Der Polizeichef blickte be stürzt von einem zum anderen, dann warf er sich wieder in die Brust und donnerte Garcia an: »Das – das ist ja eine Unverschämtheit! Wie können Sie eine derartige Frechheit wagen? Sie sind verhaftet.« Juan Garcia zeigte nicht die geringste Erschütte rung. »Warum?« »Warum? Sie haben Don Fernando entführt, und…« »Eine feine Polizei!« meinte Juan Garcia verächt lich. »Irgend jemand beschuldigt mich, und schon muß es wahr sein. Sie haben nicht einmal bemerkt, daß die ser Herr ein Ausländer ist. Seit wann ist ein freier Me xikaner der Büttel eines Ausländers? Und nebenbei – welche Beweise haben Sie für Ihre Behauptung?« 106
Der Polizeichef verlor merklich an Sicherheit. »Das Wort Señor Norholms – hm, auf jeden Fall werden wir Sie der Tat überführen. Wenn Sie sich hier unter einem falschen Namen eingeschlichen haben …« Juan Garcia unterbrach abermals. »Einen Moment. Zufällig bin ich doch Dr. Crage. Und es ist sinnlos, mich zu beschuldigen. Ich halte mich hier auf, um Don Fernando von seiner Blind heit zu heilen. Heute wollte ich die Operation vor nehmen. Halten Sie mich wirklich für so verrückt, Don Fernando zu entführen und damit auf die hohe Belohnung, die er mir in Aussicht gestellt hat, zu verzichten? Ich habe nicht den geringsten Grund ge habt, Don Fernando zu entführen.« »Doch«, widersprach Sven Norholm scharf. »Sie können nämlich die Operation überhaupt nicht aus führen. Sie sind nicht der Augenarzt Dr. Crage.« »Ich bin Dr. Crage«, höhnte Juan Garcia und griff in seine Brusttasche. »Wenn Sie meine Papiere über prüfen wollen?« Der Polizeichef sah sich die Papiere an. Nach ei ner Weile gab er sie zurück. Jetzt war er total verun sichert. »Hm, ich verstehe nicht – die Papiere sind echt.« »Gestohlen!« bemerkte Sven Norholm mit Nach druck. »Sie unterschätzen die Klugheit dieser Herren«, erwiderte Juan Garcia spöttisch, wobei er sich sogar 107
verbeugte. »Vielleicht erzählen Sie den Herren ein mal, wieso Sie plötzlich auf den Gedanken gekom men sind, daß ich nicht Dr. Crage bin. Bis vorhin haben Sie doch noch nichts davon gewußt, nicht wahr, denn sonst hätten Sie doch wohl schon längst für meine Abreise gesorgt.« Die Männer von der Polizei fanden diesen Hin weis offensichtlich sehr beachtlich. Sie blickten Sven Norholm jetzt mißtrauisch an. Sven Norholm hatte plötzlich das Empfinden, als legten sich die Fäden eines Netzes über ihn. »Ich weiß es schon seit einiger Zeit«, sagte er zu rückhaltend. »Ich hatte jedoch meine Gründe, den Mann hier zu lassen.« »Lüge!« zensierte Juan Garcia überlegen. »Es ist ihm erst eingefallen, als er merkte, daß ich ihn durchschaut habe. Die Wahrheit ist nämlich die, meine Herren, daß niemand anderer als er Don Fer nando aus dem Weg geräumt hat. Ah, bitte keine Aufregung. Lassen Sie mich ausreden. Ich bin Arzt und erkenne manches, was anderen Leuten verbor gen bleibt. Als Arzt ist man der Vertraute seines Pa tienten. Don Fernando klagte schon seit einiger Zeit über gelegentliche Schwächeanfälle und Schmerzen. Da ich mir nicht erklären konnte, überwachte ich ihn sorgfältig. Wissen Sie, was ich feststellte? Man brachte ihm Gift, meine Herren. Und der Täter? Niemand anderer als dieser Herr.« 108
»Äh!« ächzten die Polizisten. »Hund!« keuchte Sven Norholm. Garcia versteckte sich geschickt hinter dem Poli zeichef, um den drohenden Angriff zu entgehen. »Jawohl«, bohrte er höhnisch nach. »Niemand an derer als dieser Herr. Und Don Fernando wußte, wer ihm nach dem Leben trachtete. Sie können sich wohl seine Erschütterung vorstellen, meine Herren. Er weinte fast, als er mit mir darüber sprach. Er ahnte wohl auch, was kommen sollte, denn er traf für alle Fälle Vorsorge. Er wollte nicht, daß sein Mörder sein Ziel erreichte. In der entscheidenden Stunde sollten Recht und Gesetz höher stehen als das Verbrechen. Deshalb bat er mich in jener Stunde, der fähigen Po lizei von Chilpancingo zu vertrauen und alles mitzu teilen. Sie wissen, meine Herren, daß ich es war, der Sie unverzüglich rufen ließ. Und deshalb hat mit Don Fernando in jener Stunde auch eine Vollmacht aus gestellt, in seinem Namen sein Besitztum zu verwal ten. Hier ist die Vollmacht.« »Was?« keuchte Norholm auf. »Unmöglich!« japste Tespiglio. »Wollen Sie bitte Kenntnis nehmen?« forderte Crage auf. Tespiglio studierte das Schreiben. »Es ist die Unterschrift Don Fernandos«, teilte er mit. »Dr. Crage wird ermächtigt, alle Anordnungen im Namen des Verschwundenen zu treffen.« 109
»Das ist eine Fälschung!« brauste Norholm auf. »Die Unterschrift ist zweifellos echt«, beharrte der Polizeichef bekümmert. »Don Fernando war blind. Er wußte überhaupt nicht, was er unterschrieb«, wehrte sich Norholm. Crage verbeugte sich ironisch. »Gerade daraus können Sie sehen, wie restlos Don Fernando mir vertraute. Er unterschrieb blind, weil er auf mich baute.« Norholms Natur war viel zu gradlinig, um das al les begreifen zu können. Was ihm selbstverständlich erschienen war, hatte sich auf einmal verdreht. Crage war plötzlich unschuldig, Crage besaß Vollmachten Don Fernandos. Und die Vertreter der Polizei neigten mehr zu seinem geschickten Künsten als zu der ein fachen Überzeugung Norholms. Er schüttelte den Kopf. »Herrgott, was ist das für ein Verbrecher«, mur melte er. Crage wandte sich wieder an die Polizei. »Und nun, meine Herren, bitte ich Sie um Ihre Un terstützung im Interesse Don Fernandos. Er hat mich mit der Wahrung seiner Rechte beauftragt. Ich fürch te, daß dieser Herr mit Gewalt zu erreichen versu chen wird, was ihm durch die weise Voraussicht Don Fernandos vereitelt wurde. Ich bitte Sie um Ihre Un terstützung, damit ich als Bevollmächtigter anerkannt werde. Das Personal dieses Hauses ist es leider ge 110
wöhnt, jenem Herrn zu gehorchen, so daß ich ernstli che Schwierigkeiten fürchten muß. Es würde mir au ßerordentlich leid tun, etwa Chilpancingo einem Mörder und Erbschleicher gegenüber die erforderli che Hilfe versagte.« Er sprang zu spät zurück. Sven Norholm hatte sich schnell vorgeworfen und ihm eine geknallt, daß er lang hinflog. »Das für den Mörder und Erbschleicher, Bursche«, knurrte Norholm grimmig. Er öffnete die Tür, vor der er stand. Ein halbes Dutzend Diener wurde sichtbar. Ihre Gesichter zeig ten wenig freundliche Gesinnung. An ihrer Spitze stand der Mayordomo. Norholm flüsterte ihm einige Worte zu, worauf sich der May ordomo entfernte. »Eine feine Polizei!« höhnte Crage wieder. »Man wird Sie aus dem Haus treiben.« Tespiglio trat bekümmert auf Norholm zu. »Señor Norholm, ich bitte Sie, es nicht bis zum Äußersten kommen zu lassen. Als Vertreter des Ge setzes muß ich Sie auffordern, die Anordnungen die ses Herrn anzuerkennen und ihm das Hausrecht zu übergeben. Sie sind verpflichtet, seine Wünsche zu erfüllen.« »Welche Wünsche?« Die Frage galt Crage, der antwortete: »Als Be vollmächtigter Don Fernandos habe ich die Verfü 111
gungsgewalt über sein gesamtes Besitztum. Sie kön nen sich ungehindert entfernen, wenn Sie den Leuten Anweisung geben, mir zu gehorchen. Ich verlange, daß Sie diese Anweisungen in Gegenwart der Polizei erteilen, und zwar nicht nur den Bewohnern des Pa lastes, sondern auch jenen Leuten, die hinter dem Tunnel am Felsenhaus ihren Aufenthalt haben.« Norholm nickte. »Darauf läuft es also hinaus? Nun gut, sehen Sie selbst zu, wie Sie Ihre gefälschte Vollmacht mit Un terstützung der Polizei ausnützen können. Von mir haben Sie keine Hilfe zu erwarten.« »Also gut, dann werde ich Sie zwingen.« »Bedenken Sie«, jammerte Tespiglio, »dieser Auf ruhr. Wir müssen Sie zwingen, Señor Norholm. Wir müssen Verstärkung heranholen, Truppen aus Chil pancingo.« »Das wird nicht einmal nötig sein«, sagte Crage. »Draußen lagert zufällig eine Reisegesellschaft. Ich bin überzeugt, daß die Herren sich sofort auf die Sei te des Gesetzes stellen und uns die notwendige Un terstützung gewähren werden. Als Bevollmächtigter Don Fernandos werde ich sie heranrufen.« Er öffnete das Fenster und hob die Hand. Mit wenigen Sprüngen stand Norholm neben ihm. Jetzt erst begriff er die volle Tragweite alles dessen, was Crage plante. Es war schon zu spät. Dort unten rannten bereits 112
sechzehn Männer auf das Haus zu. Und sie hielten merkwürdigerweise alle Gewehre in den Händen und trugen Pistolen an den Gürteln. »Verbrecher!« brüllte Norholm und schleuderte Crage zurück, der sofort geschickt hinter der Polizei Deckung suchte. Norholm trat vom Fenster weg. Er atmete tief, dann befahl er kalt und ruhig den Dienern: »Sofort alles alarmieren. Jeder bewaffnet sich und zieht sich in den Tunnel zurück. Das Haus wird von einer Räu berbande gestürmt. Fort!« Unten im Haus peitschte ein Schuß, kurz darauf folgte ein zweiter. Sven Norholm schritt langsam hinaus. Unten tobte ein Kampf. Die »Reisegesellschaft« hatte sich gleich zu An fang geteilt. Acht Mann stürmten in den Palast, je vier Mann besetzten die Einfahrten an den Seiten trakten und hielten von dort aus den Hof unter Feuer. Später vereinigten sich die acht mit ihnen und dran gen in das Felsenhaus und in den Tunnel ein. Sven Norholm hatte schnell gehandelt, als ihm die Erkenntnis der Gefahr gekommen war, aber den an deren blieb der Vorzug der Überraschung. Es kostete Norholm eine Menge Opfer, durch die bereits gelegte Sperre sich ins Felsenhaus zurückzuziehen. Ja, er konnte auch das nicht halten, da seine Leute nur mit Pistolen bewaffnet waren und gegen die Gewehre der 113
Angreifer nicht viel ausrichten konnten. Außerdem bewogen ihn andere Gründe durch den Tunnel zu rückzugehen. Nach einer Stunde hatte sich die Lage geklärt. Dr. Crage war unumstritten Herr des Palastes mit samt der Seitentrakte und des Felsenhauses. Der Tunnel war Kampfzone. Irgendwo am hinteren Ende lagen die Verteidiger und schossen jeden nieder, der sich zu weit vorgewagt hatte. Zwei Männer der »Reisegesellschaft« waren tot, drei verwundet. Von den Leuten Don Fernandos wa ren insgesamt elf Mann erschossen worden. Juan Garcia hatte allen Grund zufrieden zu sein. Die Polizei war vielleicht eine Stunde fort, als der fällige Lieferwagen eintraf. Der noch ahnungslose Wagenführer wurde heruntergeholt und gefesselt, bevor er begriffen hatte. Genau so ging es dem zwei ten Mann, der neben dem Wagenführer saß. Er war klein, hinkte, besaß eine Glatze und einen Vollbart. Seiner Kleidung nach war er wohlhabend. Er wehrte sich erregt gegen die Behandlung und behauptete, ein Dr. Crage zu sein, der gekommen sei, um Don Fer nando zu operieren. Das verschaffte ihm wenige Minuten später eine Begegnung mit dem anderen Dr. Crage. »Sie sind Dr. Crage?« erkundigte sich dieser. »Jawohl«, schimpfte der Gefragte. »Was ist das für eine Frechheit, mich einfach …« 114
»Können Sie sich ausweisen?« »Natürlich. Meine Papiere sind mir neulich ge stohlen worden, aber ich habe mir neue ausstellen lassen. Wer sind Sie denn überhaupt?« »Unwesentlich«, feixte der falsche Crage. »Wieso kommen Sie hierher?« Der Augenarzt hoffte, mit Sachlichkeit weiter zu kommen. Bedeutend ruhiger erklärte er: »Ein Herr suchte mich auf meinem Landsitz auf. Wie hieß er doch gleich? Ach was, ich habe seinen Namen ver gessen. Er erzählte mir, daß man schon lange nach mir gesucht habe. Da sei in Mexiko ein gewisser Don Fernando blind geworden, weil er sich in der Nähe von Tiltepec aufgehalten habe. Ich sollte ihn operie ren. Nun, man bot mir genug Geld, und ganz abgese hen davon ist es selbstverständlich, daß man hilft, wo man helfen kann. Ich reiste also hierher. Hätte ich mir freilich diesen Empfang träumen lassen, wäre ich geblieben, wo ich war.« Sein Gegenüber betrachtete ihn mit spöttischem Schmunzeln. »So, so, also Dr. Crage sind Sie? Das trifft sich ja ganz ausgezeichnet. Ich hätte mich schon lange um Sie kümmern sollen.« Dr. Crage begehrte auf. »Was soll das heißen? Sind Sie etwa dieser Don Fernando?« »Ich?« fragte Garcia erstaunt. »Ich bin Dr. Crage.« 115
»Was? Wieso? Dr. Crage bin ich.« »Ich auch«, kam grinsend die Antwort. »Ich glau be sogar, meine Papiere sind genau so echt wie die Ihren.« Der echte Crage begriff. »Ah, Sie haben mir meine Papiere gestohlen?« »Leicht möglich. Augenoperationen kann ich jeden falls nicht ausführen. Eigentlich heiße ich Juan Garcia, aber ich finde, Crage ist auch ein schöner Name.« »Sie – sie …« Juan Garcia verbeugte sich ironisch. »Erregen Sie sich bitte nicht. Zwei Crages können nicht gut herumlaufen. Sie werden sich also vorläufig in die Einsamkeit zurückziehen, bis ich Sie benötige. Fort, in den Keller mit Ihnen.« Dr. Crage sträubte sich, schimpfte und tobte, aber es half ihm nichts. Er mußte sich einsperren lassen. Und Juan Garcia hielt mit ihm einen Trumpf mehr in der Hand. 5. Sven Norholm kam die breite Seitentreppe, die win kelrecht auf die Durchfahrt zum Tunnel stieß, herun ter und trat auf die drei Männer zu, die hinter der Barrikade hockten. Seine Reithose hatte einige dunk le Spritzer, und am linken Oberarm befand sich ein weißer Verband. 116
»Alles in Ordnung?« fragte er sachlich bei den dreien, die über den Gewehrlauf starrten, als erwarte ten sie jeden Augenblick einen Gegner zu sehen. »Alles in Ordnung«, sagte einer. »Hier kommt kei ner mehr durch.« »Hoffen wir es. Ich schicke euch dann Ablösung.« »Schon gut, wir halten’s hier eine Weile aus.« Sven Norholm ging ins Freie und wandte sich den Männern zu, die seitlich in Trupps herumstanden. Es waren annähernd zweihundert Leute. Weit über Zweidrittel davon waren Weiße, die anderen India ner. Weiße wie Indianer boten äußerlich das Bild einer Vielgestaltigkeit, die an Buntheit und Gegensätzlich keit wenig zu wünschen übrigließ. Da stand ein zu rückhaltend livrierter Diener neben einem Indianer mit nacktem Oberkörper, der die Adlerfeder im straf fen schwarzen Haar trug, dort hockte eine Rothaut unter dem kräftig gemusterten Poncho neben einem blonden Hünen in Tirolertracht. Trotzdem prägte diese Schar Gemeinsamkeiten aus. Jeder einzelne mochte ein Typ für sich sein, aber alle trugen den gleichen verwegenen Gesichtsaus druck, zeigten die gleiche lässige Haltung und waren von jenem unbestimmbaren Hauch echter Abenteuer lichkeit umgeben, den nur Jahre und Jahrzehnte frei en Lebens geben. Sven Norholm trat auf einen meterhohen flachen 117
Stein und stieß einen Ruf aus. Unverzüglich brachen die verschiedenen Unterhaltungen ab, die Gesichter wandten sich ihm zu. »Kameraden!« rief er über den Platz. »Unser Tal ist unerwartet in Gefahr gekommen. Ihr wißt, daß Don Fernando erblindete. Der Arzt, der ihn heilen sollte, erwies sich als Verbrecher. Er hat heute nacht Don Fernando entführen lassen.« Bewegung ging durch die Versammlung und zeig te, was diese Nachricht für die Männer bedeutete. »Ich wollte den Mann durch die Polizei verhaften lassen«, fuhr Sven Norholm fort, »er drehte aber den Spieß um und beschuldigte mich des Mordes an Don Fernando. Ferner wies er eine Vollmacht vor, wo nach er berechtigt ist, Don Fernando zu vertreten. Ihr könnt euch wohl denken, was ich dazu sagte. Da ich nicht freiwillig nachgab, rief der Mann seine Bande zu Hilfe, die seit gestern in der Nähe lagerte. Diese Leute stürmten das Haus, bevor wir zur Abwehr ka men. Es gelang uns mit Mühe und Not, durch den Tunnel zu kommen. Elf Tote mußten wir zurücklas sen.« Dumpf raunte es durch die Schar. Norholm sprach weiter. »Ich rief euch zusammen, weil wir vor einer ge meinsamen Not stehen und gemeinsam handeln müs sen. Der Tunnel ist verriegelt. Das bedeutet für uns einen völligen Abschluß von der Außenwelt. Wir 118
befinden uns in einem Kessel, aus dem wir nicht her auskönnen. Wir werden auf die gewohnten Lieferun gen von außen verzichten müssen und vielleicht ei nes Tages vor der Tatsache stehen, daß unsere Vorrä te am Ende sind und dadurch unser Leben unter ganz anderen Bedingungen weiterführen werden müssen. Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen, daß man immer heftiger den Versuch machen wird, in das Tal einzudringen und es zu erobern. Was willst du sagen, Pat?« Einer der Männer drehte den Kopf zur Haupt masse seiner Kameraden. »Ich schätze«, meinte er mit ruhiger, tiefer Stim me, »daß wir Männer genug sind, um den Tunnel wieder frei zu machen.« Man nickte ihm allgemein zu. Norholm wehrte jedoch ab. »Männer, wir sind genug, aber wir haben nicht ge nügend Gewehre. Es sind insgesamt nur sechs Stück vorhanden, ferner nur eine bescheidene Menge Muni tion. Revolver und Pistolen besitzt ihr zwar, aber sie nützen uns wenig. Wir würden praktisch nur mit sechs Mann und sechs Gewehren angreifen können. Nun ihr kennt den Tunnel und wißt, daß der letzte Kilometer fast schnurgerade auf das Felsenhaus stößt. Die Ver brecher werden sich verbarrikadieren und uns mit den Gewehren auf der langen Strecke einfach abschießen, ohne daß wir ihnen etwas tun können. Pats Vorschlag 119
ist daher zwecklos. Daß es euch nicht an Mut fehlt, braucht euch niemand zu versichern, aber es ist sinn los, den Mut zu einem glatten Selbstmord ohne jeden praktischen Erfolg einzusetzen.« »Aber was dann?« fragte einer. »Was sonst?« gab Norholm nachdenklich zurück. »Die Sicherung des Tunnels wird uns nicht viel Mü he machen. Es genügt, wenn die beiden Kamerad schaften Cartwrigth und Sundström zur Verfügung bleiben. Wichtiger und schwieriger ist es, das Fel senhaus wieder zu erobern. Das müßte von außen her geschehen. Zugleich müssen wir Verbindung mit der Außenwelt aufnehmen. Beides ist eine Aufgabe der Kameradschaft Lochner. Sepp, ihr seid alle gute Bergsteiger und denkt, daß ihr über die Wände aus dem Tal herauskommt?« »Das will ich meinen«, antwortete einer, auf des sen verwettertem Hut ein Gamsbart steckte. »Gut, ihr würdet dann das Tal verlassen und von außen angreifen. Wir müßten da noch Einzelheiten besprechen, damit wir die Banditen möglichst unter zwei Feuer kriegen. Auf die Polizei dürft ihr euch nicht verlassen, da diese angehalten ist, sich nach der Vollmacht zu richten. Doch darüber können wir dann reden. Hat noch jemand Fragen?« »Was haben wir andern zu tun?« »Nichts. Ihr könnt zu euren Plätzen zurückkehren. Achtet auf das Alarmzeichen.« 120
Fast unverzüglich tauchten die Männer zwischen den Bäumen unter, die den freien Platz begrenzten. Nur einige Gruppen – die genannten Kameradschaf ten – blieben stehen. Ein vierter Trupp trat auf Norholm zu. »Hallo, Will«, fragte dieser, »was ist mit euch?« Der vorderste der Männer schüttelte die darge reichte Hand. »Ich muß dir eine kleine Sache berichten, Sven«, sagte er. »Wir haben einen Mann aufgenommen, der an der Bastion heruntergeklettert kam.« Auf Norholms Gesicht zeigte sich Erstaunen. »Was? An der Bastion heruntergeklettert? Ist das denn möglich?« Will nickte. »Daß es möglich ist, haben wir stundenlang beo bachtet. Der Fremde ist ohne jede Hilfsmittel herun tergekommen. Dabei ist er auch noch blind!« Norholm zwinkerte. »Soll das ein Witz sein?« »Tatsache. Wäre jetzt eine schlechte Gelegenheit, Witze zu machen. Der Mann ist blind.« »Er sagt, man hätte ihn blind gemacht und ihn dann in die Irre geführt. Er ist heruntergestiegen, oh ne zu wissen, was er unternahm. Viel konnten wir mit ihm nicht reden, da der Alarm kam und wir fort mußten. Wir haben Zipp bei ihm gelassen.« »Ich werde ihn mir ansehen. Wie heißt er?« 121
Will furchte die Stirn. »Wie hieß er doch gleich? War ein komischer Name?« »Sun Koh«, sagte einer seiner Kameraden. Sven Norholm fuhr zusammen. »Wie heißt er? Sun Koh?« »Ja, so war der Name.« Norholm schüttelte den Kopf. »Sun Koh? Sun Koh? Und blind? Sollte es zwei Leute dieses Namens geben?« »Sollen wir ihn herbringen?« »Ja. Besser nein. Behaltet ihn bei euch, ich komme hin. Wo habt ihr jetzt euer Lager?« »Kurz vor der Bastion.« »Gut.« Sie schüttelten sich die Hände, der Trupp ging fort. Sven Norholm rief die Trupps heran, die auf seine Anordnungen warteten. Eine Stunde später verbeugte er sich vor Ruth Sil ver und Joan Martini, die in leichten Reitanzügen aus dem Haus traten. »Ich sehe, Sie haben sich ausgezeichnet geholfen«, anerkannte er bewundernd. Er berichtete kurz, dann waren die Pferde erreicht und der Ritt begann. Die beiden jungen Frauen ritten sehr sicher, ja verwegen, obwohl das Gelände bald schwierig wurde und an Pferd wie Reiter allerlei An sprüche stellte. 122
Nach hundert Metern gab es schon keinen Weg mehr, sondern nur noch fast unberührte Wildnis mit schmalen, kaum sichtbaren Pfaden. Dadurch ergab sich von selbst, daß sie nicht neben sondern hinter einander ritten. Sven Norholm führte. Er legte ein scharfes Tempo vor, nachdem er die Sicherheit sei ner beiden Begleiterinnen erkannt hatte, so daß keine Möglichkeit zu einer Unterhaltung blieb. Sie ritten länger als eine Stunde ohne Unterbre chung. In dieser Zeit sammelten die beiden Reiterin nen Eindrücke. Das war auch der Zweck der Übung, denn als Norholm endlich anhielt, fragte er: »Nun, haben Sie einen Eindruck gewonnen?« »Einen?« erwiderte Ruth Silver. »Soviel, daß mir ganz wirr im Kopf ist.« Sie stiegen ab. »Gesehen habe ich genug«, sagte Ruth Silver wei ter, »die widersprüchlichsten Dinge sogar. Das ist hier eine seltsame Landschaft. Ich habe nicht ge glaubt, daß man soviel Gegensätze auf einem Platz vereinigen kann: Wald, wie er in meiner Heimat zu finden ist, aber auch wildester tropischer Urwald mit Schlingpflanzen und Orchideen. Wir sahen verbrann ten, kahlen Felsen und kurz darauf eine Sumpfland schaft. Wir kreuzten Bäche, in denen es Forellen gab, und kamen an Tümpeln vorbei, in denen Krokodile lauerten. Wir hörten die Affen kreischen und sahen Eichhörnchen springen. Rehe und Hirschen scheint 123
es hier ebensoviel zu geben wie Vögel aller Art, von der Wildganz bis zum Kolibri, und an Raubtieren aus allen Zonen scheint es auch nicht zu fehlen. Dann sah ich Indianer im Busch verschwinden, außerdem sind wir manchem abenteuerlich gekleideten Weißen begegnet. Wahrhaftig, gesehen habe ich genug. Nun möchte ich von Ihnen gern die Erklärung dazu hören. Wir befinden uns doch in einem abgeschlossenen Tal, nicht wahr?« Norholm nickte und wies nach den Felswänden, die in der Ferne verschwammen. »Ja. Das Gebirge schließt hier einen ovalen Kessel von zwanzig Kilometer Länge ein. Die anstehenden Wände haben durchschnittlich fünfhundert Meter Höhe über dem Boden des Tales und bilden eine scharfe Grenze, so daß dieses Tal unter besonderen Bedingungen steht, die von den sonst in diesem Landstrich üblichen erheblich abweichen. Der einzi ge Zugang ist der Tunnel, den Sie kennen. Don Fer nando war der erste Mensch, der das Tal betrat, alle anderen wurden von ihm oder von mir später einge führt.« »Wie viele wohnen jetzt im Tal?« »Rund hundertfünfzig Weiße aller Völker ohne Anhang und rund fünfzig Indianer, von denen ein Teil über Familie verfügt.« »Und was tun diese Menschen hier?« Norholm hob etwas die Schultern. 124
»Sie leben. Ihre Frage geht aber wohl nach dem Sinn dieses Tales. Sie ist schwer zu beantworten und doch wieder leicht, wenn man sich mit einem Wert begnügt.« »Nämlich?« »Das Tal ist ein Naturschutzpark in Privathand. Die Bewohner dieses Tales sind alle Einzelgänger, derer sich Don Fernando annimmt. Es kann jeder nach seinen Neigungen leben. Freilich, gewisse Vor schriften müssen eingehalten werden. Gerade sie prägen dem Leben im Tal seine Eigenart auf. Wer gegen sie verstößt, wird ausgewiesen.« »Von welchen Vorschriften sprechen Sie?« »Es ist zum Beispiel streng verboten, innerhalb des Tales Schußwaffen zu gebrauchen. Dieses Recht steht nur wenigen zu und auch diesen nur unter be stimmten Voraussetzungen.« »Aber womit wird dann das Wild gejagt?« »Nur mit sportgerechten Waffen, mit Pfeil und Bogen, mit der Armbrust, mit Speeren und Schleu dern.« »Zählen Sie das Gewehr nicht zu den sportgerech ten Waffen?« »Nein, höchstens Raubtieren gegenüber.« »Was gibt es noch für Vorschriften? Abkochen im Wald verboten?« »Das nicht«, sagte er grinsend. »Es kann sogar je der an jeder beliebigen Stelle sein Lager aufschlagen. 125
Aber es ist wiederum Vorschrift, daß kein ange schossenes Tier außer acht gelassen werden darf. Wenn ein Jäger ein Tier durch Pfeil oder Speer ver letzt, dann muß er es unbedingt verfolgen und finden, damit es nicht im Busch verendet.« »Bravo. Wovon werden die sonstigen Bedürfnisse der Menschen gedeckt?« »Don Fernando liefert kostenfrei, was gebraucht wird.« »Sehr großzügig.« »Don Fernando ist reich. Übrigens lebt ein Teil der Männer nur von dem, was ihnen das Tal zu bie ten vermag.« »Dürfen die Männer das Tal verlassen?« »Auf Wunsch jederzeit, auch vorübergehend. Die wenigsten machen Gebrauch davon. Allenfalls schwingen sie sich dazu auf, im Palast eine Theater vorstellung oder Kinovorführung zu besuchen oder sich gründlich unter Alkohol zu setzen.« »Im Tal ist Alkohol verboten?« »Ja.« »Wie steht es mit den Frauen?« »Es gibt keine Frauen im Tal. Wer verheiratet ist, wird nicht aufgenommen, wer heiraten will, muß das Tal verlassen. Don Fernando gibt ihm Beschäftigung außerhalb des Tales.« »Es gibt aber Indianerfrauen hier?« »Das ist etwas anderes. Durch diese Frauen ist es 126
möglich, die kümmerlichen Reste ganzer Stämme zu erhalten und wieder zu stärken. Je drei dieser Famili en repräsentieren einen Stamm, der sonst in ganz Amerika ausgestorben ist.« »Und wir?« »Sie sind infolge besonderer Verhältnisse vorü bergehend ins Tal eingelassen worden. Lebensläng lich werden Sie ja doch nicht bleiben wollen.« »Warum nicht?« fragte Ruth Silver. »Mir würde es ganz gut hier gefallen.« »Nun, ich kann ja Don Fernando fragen, ob er um meinetwillen eine Ausnahme macht.« »Um meinetwillen«, verbesserte sie. »Eben um meinetwillen«, sagte er lächelnd. Joan Martini griff schnell ein. »Welche Stellung nehmen Sie eigentlich ein, Mr. Nordholm?« »Ich bin der Stellvertreter Don Fernandos und ha be alles zu regeln, was das Tal betrifft. Übrigens würde ich vorschlagen, weiterzureiten. Die anderen Fragen können Sie mir unterwegs stellen. Fühlen Sie sich kräftig genug, Miß Silver?« »Selbstverständlich.« »Und sie, Miß Martini? Ich hatte den Eindruck, daß Sie sich in den letzten Tagen gut erholt haben?« Joan Martini nickte. »Ich bin körperlich wieder bei Kräften. Es ist für mich nur schwer, untätig von Tag zu Tag zu warten 127
und nichts über das Schicksal Sun Kohs zu hören.« »Es gibt seltsame Zufälle. Vielleicht hören Sie schneller von dem Verschwundenen, als Sie ahnen, obwohl wir nun von der Außenwelt abgeschnitten sind.« »Abgeschnitten sind wir nicht, ich kann zum Bei spiel jederzeit Nachricht empfangen. Nur – man gibt mir keine, und ich wage nicht anzufragen, um nicht immer wieder nur die Erfolglosigkeit bestätigt zu hören.« Sven Norholm wurde aufmerksam. »Sie sind imstande, sich mit jemand außerhalb des Tales in Verbindung zu setzen?« Joan zog die Doppeldose aus der Tasche. »Ja, ich habe eine Kurzwellenkombination bei mir, die über hundert Kilometer und mehr reicht. Hal Mervin ließ sie mir zurück.« Norholm war geradezu begeistert. »Herrgott«, murmelte er, »und wir zerbrechen uns die Köpfe, wie wir die Verbindung mit der Außen welt aufnehmen, während Sie einen solchen Apparat in der Tasche tragen? Jetzt habe ich ein Dutzend Männer in die Wände geschickt. Konnten Sie denn nicht…« »Ich wußte doch nichts«, sagte sie betroffen. »Sie erzählten uns nur immer, daß alles in Ordnung sei und kein Grund zu Befürchtungen bestände.« »Verzeihen Sie«, bat er, »es ist meine Schuld. Und 128
es ist ja auch noch lange nicht zu spät, wenn Sie uns den Apparat zur Verfügung stellen wollen. Arbeitet er denn auch?« »Sicher, aber er ist nur auf wenige Wellen ge eicht.« »Aber das hat nichts zu besagen. Es genügt Ihnen doch, wenn meine Freunde verständigt werden und dann alles Weitere veranlassen?« »Sicher.« »Vielleicht kann ich Hal Mervin erreichen und ihn heranrufen, damit Sie dann persönlich mit ihm alles Notwendige besprechen können.« »Er kann nicht herein.« »Er hat doch ein Flugzeug.« »Unser Flugzeug befindet sich in Chilpancingo, hier kann er kaum landen. Der Boden ist selbst auf der Felsenstrecke zu uneben.« »Seine Maschine kann senkrecht niedergehen.« »Ah, sie hat eine Hubschraube?« »Nein, trotzdem kann sie senkrecht landen. Ich werde ihn also rufen.« Sie trennte die Doppeldose, gab das Rufzeichen und wartete. Eine halbe Minute später kam Hals Stimme. »Hallo, Hal Mervin.« »Joan Martini. Ist Sun Koh gefunden worden?« »Leider noch nicht, Miß Joan, ich bin aber auf ei ne aussichtsreiche Spur gestoßen. Er lebt bestimmt 129
noch. Ich wollte Ihnen eigentlich erst Nachricht ge ben, wenn ich ihn gefunden habe. Bei Ihnen ist doch alles in Ordnung?« »Nein. Wo befindest du dich jetzt?« »Etwa hundert Kilometer westlich von Ihnen.« »Kannst du herkommen?« »Warum nicht? In einer Viertelstunde kann ich zur Not dort sein. Was ist denn passiert?« »Juan Garcia hat mit einer Bande den Palast über fallen. Wir haben uns rechtzeitig in ein Tal zurück gezogen, das hinter dem Palast beginnt. Wir sind hier sicher, aber von der Außenwelt abgeschlossen. Je mand muß den Palast von außen her frei machen. Mister Norholm, der augenblicklich neben mir steht, möchte gern mit dir darüber sprechen.« »Ich komme sofort. Wo ist das Tal?« »Es beginnt hinter der Felswand, an der der Palast steht. Es ist ungefähr zwanzig Kilometer lang.« »Ach, da weiß ich Bescheid. Ich habe dieses Loch im Gebirge schon von oben bestaunt und es mir für später vorgemerkt. An welcher Stelle erwarten Sie mich?« »Einen Augenblick.« Sie wandte sich an Norholm. »Hal Mervin fragt an, wo er niedergehen soll, also wo er uns antrifft. Er kann schon in einer Viertel stunde hier sein.« »Prachtvoll«, sagte Norholm erfreut, »sagen Sie 130
ihm bitte, daß an der südlichen Wand eine dreieckige Felsbastion vorspringt. In der Nähe ist freies Gelän de, dort möchte er landen, wenn es geht. Aber er soll sich etwas Zeit nehmen, so daß er vielleicht erst in einer Stunde kommt.« »Warum das?« Norholm umging geschickt die Wahrheit. »Erstens möchten wir doch selbst zur Stelle sein, und zweitens muß ich dafür sorgen, daß nicht irrtüm lich auf ihn geschossen wird.« Joan Martini nahm die Sprechdose vor den Mund und verständigte Hal entsprechend. Dann drängte Norholm zum Weiter reiten. Er hatte es jetzt sehr ei lig und legte deshalb ein Tempo vor, das noch viel weniger eine Unterhaltung zuließ als vorher. * Zusehends wuchs die graue Felsbastion vor ihren Augen. Sie ritten quer durch das Tal. Dann nahm der Wald sie auf und versperrte den Ausblick. Als er sich wieder zu lichten begann, hielt Sven Norholm an und wandte sich zu Joan Martini um. »Wir sind gleich am Ziel«, sagte er auffallend ernst. »Ich muß Ihnen noch etwas sagen, Miß Marti ni. Bitte seien Sie jetzt stark. Ich hätte es Ihnen lieber erspart, aber mir ist nichts eingefallen. Doch zu nächst eine Frage: Gibt es einen zweiten Mann, der 131
den Namen Ihres Verlobten tragen könnte?« Joan Martini war bei dieser Einleitung bleich ge worden. »Nein, er müßte dann ein Lügner sein. Doch was wissen Sie?« »Nerven behalten«, bat er. »An dieser Wand ist ein Mann abgestiegen, der sich Sun Koh nennt.« »Sun?« flüsterte sie. »Er ist abgestürzt?« »Nein, er ist wohlbehalten unten angekommen. Aber – er ist augenleidend.« »Blind?« schrie sie. »Blind«, bestätigte Sven Norholm. »Bitte ziehen Sie noch keine Folgerungen und machen Sie sich keine Hoffnungen. Wir wissen nicht, wer der Mann wirklich ist. Sie sollen uns sagen, ob es Sun Koh ist. Sollte er es wirklich sein, dann verzeihen Sie mir den Schmerz, den ich Ihnen zufügen mußte.« Sie sah ihn mit leeren Augen an. »Schmerz?« hauchte sie wie geistesabwesend. »Freude! Ich fürchte mich vor der Enttäuschung.« »Er ist blind«, warnte Norholm. Plötzlich lächelte sie. Es war ein Lächeln, das ihn erschütterte. »Er lebt, Mr. Norholm. Für ihn wird die Blindheit ein furchtbarer Schlag sein, für meine Liebe nicht. Die Augen, mit denen wir uns sehen, können nicht erblinden. Führen Sie mich bitte zu ihm, ich möchte Gewißheit haben.« 132
Sven Norholm verneigte sich und übernahm wie der die Spitze. Wenige Minuten später stiegen sie vor einem klei nen Zeltlager ab, das am jenseitigen Rand der Lich tung stand. Die Männer, die zu den Zelten gehörten, standen um ihren Anführer geschart. »Er schläft«, berichtete der, nachdem die Begrü ßung vorüber war. »Er muß schwer herunter sein. Zipp hat ihn gefüttert, dann ist er eingeschlafen. Von dort ist er heruntergekommen.« Sie blickten an der Wand hoch, die fast senkrecht in den Himmel hineinstieß. Da sie keine fünfzig Me ter von ihr entfernt standen, wirkte der mächtige Fel sen erdrückend und gewaltig. »Wo schläft er?« fragte Norholm. Will wies auf eines der Zelte. »Dort.« Norholm nickte Joan Martini zu. »Kommen Sie.« Sie schritten gemeinsam zu dem bezeichneten Zelt. Norholm schlug das Zelttuch zurück und blickte hinein. »Er schläft noch. Bitte, Miß Martini.« Sie hatte bereits über seine Schulter geblickt. Jetzt stieß sie einen zitternden Seufzer aus. »Sun. Er ist es.« Der Schlafende regte sich, einen Augenblick spä ter setzte er sich ruckartig auf und streckte den Kopf 133
vor, als suchten seine Sinne. »Wer ist da?« flüsterte er. »Joan, bist du …« »Sun!« Sie ließ sich auf ihn fallen. Sven Norholm ließ das Zelttuch fallen und kehrte zu den anderen zurück. »Dieser Sun Koh ist der Verlobte von Miß Marti ni«, erklärte er. Lange schwiegen sie alle. Norholm löste sich endlich und wandte sich an die Männer. »Hm, Will, was ich noch sagen wollte – in einer halben Stunde spätestens wird ein Flugzeug erschei nen. Es kommt uns zu Hilfe, schießt es also nicht an. Ich werde dann ohnehin noch ein Zeichen in die Runde geben.« »Ein Flugzeug? Wird es landen?« »Ja, auf der Lichtung.« »Hm, wenn das keinen Bruch gibt.« »Hoffentlich nicht.« Sie schwiegen wieder. Eine Viertelstunde verging, dann traten Joan Mar tini und Sun Koh aus dem Zelt. Ihre Gesichtszüge waren erhellt, als sie nun unbeschwert mit den ande ren sprachen. Abermals eine Viertelstunde danach meldete einer der Männer das Flugzeug. Es kreiste über der Basti on und glitt dann wie in einem Fahrstuhl langsam 134
senkrecht herunter. Sven Norholm setzte das trompe tenartige Instrument, das er am Gürtel trug, an seine Lippen und gab ein helles Signal, das weithin hörbar sein mußte. Die Maschine setzte weich auf. Hal Marvin sprang heraus, gemächlicher folgte Nimba. Auf halbem Weg hielt Hal ein, stutzte und kam dann herbei gerannt. »Sir!« Er jubelte und schüttelte die hingestreckte Hand, als wollte er sie herausreißen, bis ihn Nimba beiseite schob. Während Hal Joan Martini begrüßte, wies diese auf ihre Augen, weil sie ihm unauffällig klarmachen wollte, daß Sun Koh blind war. Aber Hal würdigte die Zartheit nicht sonderlich. »Ich weiß schon, daß Sun Koh blind ist«, sagte er laut und deutlich. »Aber das hat nichts zu bedeuten. Eine kleine Operation, und alles ist wieder in Ord nung. Ich habe den echten Dr. Crage aufspüren las sen.« »Ihr habt ihn gefunden?« fragte Sun Koh. »Natürlich, Sir. Ich habe wegen dieses Don Fer nandos nach ihm forschen lassen. In Tiltepec erfuhr ich dann, daß Sie auch blind geworden waren. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß Dr. Crage die Blindheit beseitigen kann, hätte ich mir wohl mehr Sorgen ge macht. So hatte ich die meisten Kopfschmerzen dar 135
über, wie ich Sie am schnellsten finden konnte. Wie sind Sie denn hierhergekommen?« »Willst du nicht erst einmal die anderen Herren begrüßen?« fragte Joan Martini. »Ach so, natürlich!« Hal und Nimba gingen die Runde ab, dann begann ein allseitiges Berichten, das in eine Beratung über ging. »Vor allen Dingen«, betonte Hal Mervin entschie den, »muß Sun Koh operiert werden, damit er wieder sehen kann. In erster Linie muß also dieser Dr. Crage herangeholt werden.« »Nein«, widersprach Sun Koh, »wichtiger scheint mir, Don Fernando zu finden. Wir dürfen kein Faust pfand in Garcias Händen lassen, und außerdem be steht bei Don Fernando die gleiche Dringlichkeit der Operation.« Hal blickte bedenklich drein. »Hm, aber es ist eine Momentsache, den Arzt her anzuholen, während es länger dauern kann, bis wir Don Fernando gefunden haben. Inzwischen können Sie gesund sein. Ich werde doch lieber erst den Arzt holen und mich dann um Don Fernando kümmern. Übrigens wundert es mich, daß Dr. Crage noch nicht hier ist. Nach meinen Nachrichten soll er gestern schon eingetroffen sein.« »Herrgott«, rief Ruth Silver, »er wird doch nicht Garcia in die Hände gefallen sein?« 136
»Ach was«, beschwichtigte Hal, »soviel Pech wer den wir nicht haben. Und wenn schon, dann holen wir ihn eben von Garcia weg. Überlassen Sie das bit te mir. Was nun Don Fernando anbetrifft, so dürfte er nicht weit vom Palast zu finden sein. Ich denke, daß er in einem der Räume gefangen gehalten wird.« »Wenn ihn Garcia nicht getötet hat?« »Warum sollte er? Garcia tötet keinen Menschen, der ihm noch etwas nützen kann. Ich denke, er hat ihn nur eingesperrt.« »Hoffentlich«, sagte Sven Norholm. »Aber warum vermuten Sie, daß er sich im Palast befindet? Es ist doch viel wahrscheinlicher, daß man ihn fortgebracht hat.« »Eben nicht.« Hal schüttelte den Kopf. »Man könnte ihn höchstens nach Chilpancingo gebracht haben. Bis dorthin sind es aber zwei Stunden Weg ohne große Versteckmöglichkeit. Die Autos der »Reisegesellschaft« sind am Platz geblieben, wie Sie sagten, folglich hätte man Don Fernando betäubt oder gefesselt tragen müssen. Das glaube ich nicht. Wie ich Juan Garcia kenne, hat er ihn einfach in ein entlegenes Kämmerchen gesteckt – betäubt natürlich. Er rechnete doch sicher fest damit, in wenigen Stun den Herr des ganzen Hauses zu sein.« Norholm war nachdenklich geworden. »Hm, daran habe ich noch nicht gedacht. Ihre An nahme würde erklären, warum die Wachen an den 137
Ausgängen nichts beobachtet haben. Wir müßten ihn also doch zuerst im Palast suchen.« »Bestimmt. Das wird wahrscheinlich gar nicht so leicht sein, denn er ist riesengroß. Können Sie mir nicht eine Skizze zur Verfügung stellen?« »Ja. Einfacher ist aber, wenn ich selbst mit auf die Suche gehe.« »Sind Sie nicht der Oberste hier im Tal?« »Schon.« »Dann können Sie doch nicht fort?« »Hal hat recht«, sagte Joan Martini. »Sie müssen hierbleiben. Geben Sie ihm einen Plan oder einen anderen Mann mit, der Bescheid weiß.« Sven Norholm sah ein, daß er hier nötiger war. »Ich werde ihm beides zur Verfügung stellen. Ich habe allerdings schon einen Trupp Leute ausge schickt, die den Palast stürmen sollen.« Sun Koh mischte sich ein. »Ich würde empfehlen, sie zurückzuhalten.« »Warum?« »Sobald sie zur ernsthaften Gefahr für Garcia wer den, wird er Don Fernando als Geisel nehmen. Der Angriff kann erst begonnen werden, wenn Don Fer nando aus der Gewalt Juan Garcias befreit ist.« »Möglicherweise auch Dr. Crage.«
»Dann erst recht.«
Sven Norholm erhob sich.
»Dann will ich den Trupp gleich verständigen. Die
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Männer werden schon oben sein, sie wollten es noch vor Sonnenuntergang schaffen. Ich muß ihnen ein Signal nachschicken.« »Sie können es mit dem Flugzeug einfacher ha ben«, meinte Sun Koh. »Nimba wird Sie hinfliegen, so daß Sie mit Ihren Leuten sprechen können. Sie müssen ja nicht umkehren, sondern sich nur so lange still verhalten, bis der Zeitpunkt zum Angriff ge kommen ist.« »Ich nehme Ihren Vorschlag gern an.« Jetzt ergriff Hal wieder das Wort. »Wir sind uns also im großen und ganzen einig. Können Sie mir vielleicht noch einen Mann zur Ver fügung stellen, der Juan Garcia und seinen Leuten bestimmt unbekannt ist, den Dialekt des Mittelame rikaners spricht, schlagfertig ist und keine Nerven besitzt?« Norholm blickte ihn erstaunt an. »Nanu, warum das alles?« »Mir fällt gerade ein, daß es zweckmäßig wäre, jemanden vorzuschicken, der uns alles nutzlose Su chen ersparen kann. Er müßte sich entweder unter die Banditen aufnehmen oder von ihnen einsperren lassen und bekäme dadurch sicher Gelegenheit das Versteck Don Fernandos festzustellen. Ich dachte eigentlich, ihn als Dr. Crage vorzuschicken, aber nun fällt mir ein, daß Garcia diesen möglicherweise kennt. Er muß dann eben eine andere Rolle spielen 139
und braucht also auch nicht den Dialekt zu sprechen. Die Hauptsache ist, daß er die Nerven nicht verliert.« Norholms Miene drückten Zweifel aus. »Halten Sie wirklich etwas davon? Garcia hat dann nur einen Gefangenen mehr.« »Ich würde sogar dafür sorgen, daß er sich recht zeitig befreien und sich jederzeit mit mir verständi gen kann. Sicher, es kann leicht etwas schief gehen, aber es hätte den großen Vorteil, daß sich jemand als Schutz in unmittelbarer Nähe Don Fernandos befindet, wäh rend die Befreiung von außen her unternommen wird.« »Dein Gedanke ist nicht schlecht«, sagte Sun Koh, »es besteht eben nur die Gefahr, daß du den Mann auf verlorenen Posten stellst. Du kannst es dir ja noch überlegen. Wenn du ohnehin einen Ortskundi gen mitnehmen willst, schadet es nichts, wenn der Mann für deinen Plan geeignet ist. Sonst würde ich dir empfehlen, lieber Unterstützung aus Yukatan he ranzuziehen.« »Das ist nicht nötig«, wehrte Norholm hastig ab. »Wir haben genügend Männer hier, sogar einen, der ganz vorzüglich Ihren Wünschen entsprechen könn te. Zipp, komm mal her!« Aus der Gruppe der Männer, die etwas abseits la gerte, erhob sich der Gerufene und schlenkerte heran. Er schlenkerte – anders konnte man die lockeren 140
Bewegungen seiner langen Arme und Beine kaum bezeichnen. Seine Kleidung zeigte die höchst merk würdige Zusammenstellung von Reitstiefeln und kurzer Lederhose mit einer schwarzen speckigen Jacke, einem auffallend sauberen, weißen Stehkragen mit schwarzem Binder und einer schwarzen Bas kenmütze. Wie ein verkrachter Leichenbestatter mit dem Untergestell eines Tropenreiters sah er aus. Leichenbittermäßig wirkte auch sein Gesicht, das aus verschiedenen von oben nach unten verlaufenden Faltenkurven bestand, gegenüber denen Mund, Nase und Augen erheblich an Bedeutung verloren. Tiefer, düsterer Ernst lag über den Mienen, und der gleiche Ernst sprach auch aus seiner tönenden, immer ein wenig feierlichen Stimme. »Du hast mich gerufen, verehrtes Oberhaupt dieser atmenden Sippschaft?« fragte er würdevoll. Die vier, die den Mann zum erstenmal sprechen hörten, zuckten förmlich zusammen. Sie hatten ihn für eine tragische Figur gehalten und spürten plötz lich aus dem, was er sagte, daß er mehr zur lächerli chen Nachbarabteilung gehörte. Norholm nickte ihm lächelnd zu. »Wir brauchen dich, Zipp.« Dann wandte er sich an Hal Marvin. »Das ist Zipp. Er wird Ihnen anfangs etwas ko misch vorkommen, aber Sie werden sich schnell an ihn gewöhnen. Zipp versteht trotz seiner ernsten 141
Miene Spaß. Nur wenn Sie falsch atmen, wird er fa natisch.« »Ne cede malis, se contra spirantior ito!« gab Zipp rollend von sich. »Ido habe ich nicht gelernt«, knurrte Hal. »Es ist lateinisch«, sagte Norholm grinsend. »Wei che nicht dem Übel, sondern begegne ihm mit tiefem Atemzug.« »Ach so. Das konnte er doch gleich sagen!« »Er liebt die Pose. Aber wie gesagt, einen Mann mit weniger Nerven können wir kaum finden.« Peng. Hal hatte schnell seine Pistole herausgerissen und sie dicht vor Zipps Gesicht abgefeuert. Die Kugel mußte fast seine Nasenspitze gestreift haben. Zipp schüttelte nur mit leichtem Vorwurf den Kopf. »Wie leicht konnte das ins Auge gehen, nichtswür diger junger Freund und Mitmensch«, stellte er fest. Hal platzte heraus, und mit ihm lachte die ganze Gesellschaft. Nur Zipp blieb unerschüttert ernst. »Der Mann ist gut«, erklärte Hal, als er sich beru higt hatte. »Aus welcher Gegend stammen Sie, Mr. Zipp?« Zipp hob feierlich abweisend die rechte Hand. »Zipp, wenn ich bitten darf. Ich erblickte in Kansas das Licht der Welt, wenn Sie nichts dagegen haben.« »Nicht das geringste«, feixte Hal. »Ich habe die 142
Absicht, Sie im Flugzeug aus dem Tal herauszubrin gen. Sie sollen versuchen, in den Palast zu kommen und festzustellen, wo Don Fernando gefangen gehal ten wird. Das ist eine Aufgabe, bei der Sie das Risiko eingehen, in den ersten fünf Minuten von den Ver brechern einfach erschossen zu werden. Würden Sie die Aufgabe trotzdem übernehmen?« Zipp sah streng auf Hal herunter. »Nein, teurer Jugendfreund.« Das entsprach nicht ganz den Erwartungen. »Nein?« fragte er. »Und warum nicht?« »Weil es mir unmöglich und den Sitten dieses Landes widersprechend scheint, mich in dieser man gelhaften Bekleidung außerhalb des Tales zu zeigen. Ich müßte zumindest die kostenfreie Lieferung einer wohlgebügelten schwarzen Tuchhose voraussetzen.« Jetzt lachte die Runde auf Hals Kosten, der leicht erbost darüber knurrte: »Ach so? Na, die können Sie haben, verehrungswürdiges Langbein. Eine straf punktfreie Jacke sollen Sie auch bekommen.« Zipp wehrte bedächtig ab. »Nichts da. Jede Bestechung bleibe fern von mir. Wer würde den Frevel wagen wollen, sich von einem köstlichen Erbstück zu entblößen. Merken Sie sich, weisheitsdürstender Jüngling: Bescheidenheit und Mäßigkeit sind zu loben allezeit. Nichts ist schwerer zu ertragen, als ein vollgestopfter Magen.« »Mensch«, ächzte Hal. »Sie sind mir über.« 143
6. Am nächsten Morgen. Die erste Ahnung des kommenden Tages lag über den Zelten, als Hal aus dem Flugzeug stieg, in dem er geschlafen hatte. Vor den Zelten stand Zipp. »Guten Morgen«, grüßte Hal. »Fein, daß Sie schon auf sind. Ich habe soeben die Nachricht erhalten, daß…« »Man störe mich nicht durch irdische Dinge«, sag te Zipp hoheitsvoll. »Bei dieser meiner morgendli chen Übung sollen nur hohe und reine Gedanken meinen Busen bewegen.« »Nana«, machte Hal. »Was machen Sie denn?« »Ich atme!« Hal zog eine Grimasse. »Ich auch, ich brauche mir aber nicht den Bauch dabei zu verrenken.« Zipp würdigte ihn keiner Antwort, sondern atmete mit Andacht aus und ein. Er nahm sich dabei so viel Zeit, daß Hal stutzig wurde. Dieser schmächtige Kerl besaß ein Fassungsvermögen und ein Zeitmaß, über das sich Hal wunderte. Schließlich warf Hal seine Jacke ab, stellte sich in Positur und trainierte ebenfalls. Er wollte dem ande ren beweisen, daß seine Lunge ebensoviel wert war. 144
Zipp ließ sich nicht stören. Erst als Hal einen Hu stenanfall bekam, bemerkte er beiläufig. »So jemand mit den Schultern zuckt, wird er nie die Ehrfurcht vor dem Großen Atem in sich spüren. Schon Laotse war der Meinung, daß die Tätigkeit des Zwerchfells allein den Atem bestimme. Nur der Atem, der das Zwerchfell bewegt, enthält das Tao des Weltalls, ist göttlicher Atem, der die Seele nährt.« Hal gab es auf. »Meinen Sie den alten Chinesen?« »Schmerzerfüllt nehme ich von dieser nichtswür digen Bezeichnung des großen Philosophen Kennt nis«, deklamierte er. »Dieser Chinese wäre jetzt zweitausendvierhundert Jahre alt, wenn ihm die Pu ste nicht ausgegangen wäre.« Hal mußte schlucken, um den Gegensatz zwischen den beiden Sätzen zu überwinden. »Da Sie jetzt wohl mit Ihrer Atemgymnastik fertig sind, wollen wir endlich auf die Gewohnheiten des Alltags kommen.« »Ich habe nichts Erhebliches dagegen einzuwen den.« »Nett von Ihnen. Also ich habe in der Nacht Nach forschungen anstellen lassen. Vorhin wurde mir mit geteilt, daß Dr. Crage schon lange unterwegs ist und hier eingetroffen sein müßte. Wenn wir Glück haben, können wir ihn in Chilpancingo abfangen, haben wir Pech, finden wir ihn bei Juan Garcia. Im letzteren 145
Fall würde ich vorschlagen, daß Sie als Gehilfe Dr. Crages auftreten und frischfröhlich in die Höhle des Löwen gehen. Vor allem müssen wir jetzt unverzüg lich nach Chilpancingo.« »Auch dagegen habe ich nichts Erhebliches ein zuwenden.« »Dann ziehen Sie sich um, und kommen Sie mit Ihrem Handköfferchen zum Flugzeug. Wir wollen die anderen weiterschlafen lassen. Ich werde nur Sun Koh Bescheid geben.« Zipp nickte. »In Minuten werde ich meinen sterblichen Leib dem metallenen Vogel der Lüfte anvertrauen.« »Hoffentlich bleibt Ihnen dann nicht der Atem weg«, feixte Hal. »Also los!« * Es war kinderleicht festzustellen, daß Dr. Crage vor zwei Tagen in Chilpancingo genächtigt hatte und dann zum Palast Don Fernandos gefahren war. »Sie spielen also am besten den Gehilfen von Dr. Crage«, sagte Hal Mervin, als er mit Zipp nach sei nen Erkundigungen in einem kleinen Cafe zusam mentraf. »Sie sind von Dr. Crage beauftragt worden, ihm nachzukommen. Ihre Papiere haben Sie meinet wegen verloren.« »Sorgen Sie sich nicht um meine Papiere«, mißbil 146
ligte Zipp. »Diese Angelegenheit geht nur mich an. Ich werde mich also auf den Weg machen.« »Nicht so hastig. Tragen Sie einen Gürtel?« »Die schwarze Hose verlangt Hosenträger«, erwi derte Zipp streng. »Aber ich trage einen Gürtel.« »Gut, dann brauchen wir nur die Schnalle auszu wechseln.« Ernahm seinen eigenen Gürtel ab, klappte die Schnalle zurück und zeigte ihm, daß sie auf der einen Seite ein stählernes Futteral darstellte, das eine nur wenige Zentimeter lange, haarfeine Klinge barg, die nach Entfernung einer Sicherung herausgeschnappt und an der Schnalle festgestellt werden konnte. »Dieses winzige Messer ist so hart und scharf«, erklärte er, »daß Sie damit sogar Stahl mühelos schneiden können. Man wird es an Ihnen nicht ent decken.« Zipp wechselte stumm die Schnalle aus. »Und wie wollen wir uns nun verständigen?« er kundigte sich Hal. »Verständigen?« wiederholte Zipp düster. »Sie haben den Plan des Hauses. Ich werde noch heute den Ort, an dem ich mich befinde, dadurch kenn zeichnen, daß ich mein Taschentuch heraushänge.« »Und wenn Sie das nicht können? Sie müssen da mit rechnen, daß man Sie fesselt.« »Warum sollte man den unschuldigen Gehilfen von Dr. Crage fesseln?« 147
»Ausgeschlossen ist es nicht. Und wenn man Sie in den Keller sperrt?« »Es gibt im Palast keinen Keller ohne Fenster. Sie machen sich zuviel Sorgen, junger Freund. Mit die sem Messerchen in der Hand bringe ich Ihnen Don Fernando und Dr. Crage, ohne daß Sie sich zu bemü hen brauchen.« »Na na, so leicht ist die Sache nicht. Juan Garcia pflegt seine Gefangenen gut unterzubringen.« »Atmen Sie fleißig, verehrter Gönner«, mahnte Zipp. »Das belebt die Hoffnungen. Und bedenken Sie, daß diese Leute noch mehr zu tun haben, als bloß ihre Gefangenen zu bewachen. Falls es Sie we sentlich beruhigt, habe ich nichts dagegen, wenn wir eine Zeit vereinbaren, zu der die Befreiung der Hilf losen erfolgen soll.« »Das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen. Wir können es so einrichten, daß zur gleichen Zeit vom Tal aus ein Scheinangriff erfolgt, der die Verbrecher beschäftigt, so daß wir inzwischen ungestört arbeiten können.« »Nicht schlecht«, lobte Zipp. * Zwei Stunden später studierte Zipp mit todesernstem Gesicht die Außenseite des Palastes, um dann be dächtig auf den Eingang zuzustorchen. 148
Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als er von ei nem Mann angehalten wurde, der ihm über die Stein stufen entgegengekommen war. »Hallo«, rief der ihn an, »wo wollen Sie denn hin?« Zipp maß ihn gelassen von oben bis unten. »In dieses Haus hinein, wenn es Ihnen keine nen nenswerten Umstände macht.« Der andere grinste. Zipps Erscheinung gab ihm ja auch einigen Anlaß dazu. »Vielleicht doch«, erwiderte er. »Was wollen Sie denn da drin?« Zipp schüttelte den Kopf. »Es dürfte wohl zuviel verlangt sein, von mir zu fordern, daß ich Ihnen ausführlich jede einzelne Ver richtung im voraus aufzähle, die ich dort drin mögli cherweise vornehmen könnte. Um überdies wäre zu erwägen, ob Sie die Berechtigung besitzen, derartige Anforderungen an mich zu stellen.« »Sie scheinen ja eine ulkige Nudel zu sein«, mur melte der Mann verblüfft. »Ich bin der Wächter hier. Sie müssen mir schon sagen, wer Sie sind und was Sie wollen.« »Junger Freund«, mahnte Zipp düster, »wenn Sie damit den Wunsch ausdrücken wollen, meinen Na men zu hören, so rate ich Ihnen, diesen Wunsch lie ber in Ihrem Busen zu bergen.« »Hä?« 149
Zipp legte mit schmerzlichem Ausdruck den Kopf zur Seite. »Ich heiße Zacharias Ismael Paulus Petrowilet schinskikajapopolusalba.« »Allmächtiger!« »Ich warnte Sie. Sollte Ihnen mein Name zu schwierig erscheinen, so erteile ich Ihnen hiermit die Erlaubnis, mich kurzweg ›Zipp‹ zu nennen.« Der Wächter atmete auf. »Das klingt schon vernünftiger. Also Mr. Zipp, was wünschen Sie?« Zipp hob ablehnend die Hand. »Nichts. Ich bin nicht so vermessen, Wünsche zu besitzen. Mein Herr hat mich beauftragt, zwecks notwendiger Assistenz bei einem wichtigen Unter fangen ihm nachzureisen. Das habe ich getan, und da bin ich. Wollen Sie bitte meine Ankunft melden.« Der Wächter hielt Zipp jetzt für den harmlosesten Menschen der Welt. Es ging ihm, wie es gewöhnlich den Leuten geht – wer ein bißchen verrückt er scheint, gilt als harmlos. Er war jetzt nur noch neu gierig. »Bei wem denn? Wer ist denn Ihr Herr?« Zipp schüttelte den Kopf. »Dr. Crage selbstverständlich. Hat er meine An kunft nicht avisiert? Das würde seinen Gewohnheiten kaum entsprechen.« »So, zu Dr. Crage wollen Sie? Hm – hm.« 150
Der Mann war unschlüssig, wußte nicht recht, was er tun sollte. »Ist Dr. Crage etwa nicht anwesend?« erkundigte sich Zipp. »Doch, doch, nur ich weiß nicht, wo er sich au genblicklich aufhält. Vielleicht treten Sie inzwischen ein?« »Das würde meinen eigenen Absichten sehr ent sprechen«, antwortete Zipp gemessen und folgte dem anderen. In der Halle wurde ihm ein Platz angewiesen. Er setzte sich steif in den Sessel und begann mit Atem übungen, während der Wächter leichtsinnig seine Tür außer acht ließ und nach oben ging. Fünf Minuten waren bereits vergangen. Zipp nahm von seiner Umgebung keine Notiz. So klug war er auch, um damit zu rechnen, daß man ihn heimlich beobachtete. Der Wächter erschien wieder. »Sie werden erwartet«, sagte er höflich. »Bitte, folgen Sie mir.« Juan Garcia musterte den langaufgeschossenen Besucher sehr lange. Zipp machte Atemübungen. »Wie heißen Sie?« fragte Garcia plötzlich. »Zacharias Ismael Paulus Petrowiletschinskikaja popolusalba«, teilte Zipp bekümmert mit. »Sie dür fen mich ebenfalls Zipp nennen. Darf ich mich er 151
kundigen, mit wem ich die Ehre habe?« »Ich bin Juan Garcia, der Bevollmächtigte Don Fernandos. Was wollen Sie hier?« »Nichts«, erwiderte Zipp steif. »Ich bin hierher be fohlen worden. Dr. Crage wünscht mich zu sehen.« »In welchen Beziehungen stehen Sie zu ihm?« »Ich bin sein Gehilfe.« »Sie sind Arzt?« »Meine Bescheidenheit verbietet mir, mich so zu bezeichnen. Dr. Crage würde es ferner unpassend finden, wenn ich mich mit ihm auf eine Stufe stellen wollte.« Juan Garcia war vollkommen humorlos. Er blieb weiterhin mißtrauisch. »Können Sie beweisen, daß Sie der Gehilfe Dr. Crages sind?« Zipp schüttelte den Kopf. »Ich empfehle Ihnen, tief zu atmen, Herr Haus verwalter. Es ist das sicherste Mittel, um solche Miß verständnisse zu vermeiden. Ohne die Freiheit mei nes Empfindens rühmen zu wollen, scheint mir doch, daß Sie mir voller Unglauben begegnen. Ich bin aber nicht gekommen, um Ihre Kümmernisse zu beseiti gen, sondern um Dr. Crage zur Hand zu gehen, so weit er meiner bescheidenen Dienste bedarf. Wenn es Ihnen nicht zuviel Umstände bereitet, möchte ich Sie gebeten haben Dr. Crage zu verständigen.« »Das wird geschehen. Ich weiß nur nicht genau, 152
ob er augenblicklich im Haus ist. Er wollte einen Ausritt unternehmen. Warten Sie hier.« Juan Garcia ging hinaus. Zipp bekam abermals Gelegenheit zu Atemübungen. Ihm schwante dabei, daß er jetzt die bedeutungsvollsten Minuten durch lebte. Tatsächlich ging Juan Garcia schnurstracks zu Dr. Crage. Dieser schoß sofort wütend auf ihn los, als er im Türrahmen erschien, aber Garcia schob ihn un sanft zurück. »Langsam«, sagte er spöttisch, »sonst muß ich Sie fesseln lassen. Sie sollten mir dankbar sein, daß ich Sie so anständig behandle. Wie heißt eigentlich Ihr Gehilfe?« Dr. Crage kam wütend wieder vor. Damit deckte er seine Verwunderung. Die Frage kam ihm überra schend, aber er war nicht so dumm sich fangen zu lassen. »Mein Gehilfe?« schnaubte er. »Was geht Sie mein Gehilfe an? Sind Sie nur gekommen, um mir solche alberne Fragen zu stellen?« »Genau geraten«, sagte Garcia grinsend. »Wie viele Gehilfen haben Sie eigentlich?« »Das geht Sie gar nichts an. Von mir aus über haupt keinen. Sorgen Sie lieber dafür, daß ich hier fortkomme, verstanden. Ich werde Sie wegen Frei heitsberaubung belangen lassen.« »Immerzu. Sie haben also keinen Gehilfen?« 153
»Beantworten Sie sich Ihre Fragen, wie Sie wol len. Von mir werden Sie nichts erfahren, solange ich nicht frei bin.« »Es geht Ihnen zu gut«, sagte Garcia drohend. »Haben Sie einen Gehilfen?« »Nein, in Dreiteufelsnamen«, schrie Crage ihn an und ließ doch mit dem Tonfall die Möglichkeit des Gegenteils offen. Er wußte immer noch nicht, worauf diese Fragen hinauswollten. »Soso?« meinte Garcia. »Da ist aber ein Mann an gekommen, der behauptet, Ihr Gehilfe zu sein?« »Dieser Idiot!« fauchte Crage. »Bestellen Sie ihm, er soll sich zum Teufel scheren und lieber der Polizei Bescheid sagen!« Garcia hörte das heraus, was er zu hören geneigt war. Tatsächlich zweifelte er nicht daran, daß dieser Zipp der Gehilfe Dr. Crages sei. Dieses lange Gestell mit seinen verschraubten Redewendungen und seiner ruhigen Harmlosigkeit wirkte zu echt. Er ließ Crage allein und kehrte zu Zipp zurück. Unterwegs verständigte er einen seiner Leute. »Dr. Crage ist leider abwesend«, erklärte er Zipp. »Er wird kaum vor morgen zurückkehren. Sie wollen sich bitte inzwischen als Gast Don Fernandos be trachten. Folgen Sie bitte diesem Mann, er wird Sie zu Ihrem Zimmer bringen.« Zipp zeigte wenig Befriedigung darüber. »Dr. Crage ist abwesend?« meinte er düster. »Das 154
entspricht eigentlich nicht seinen Gewohnheiten. Ha ben Sie Bäder im Haus?« Garcia konnte seine Verwunderung nicht ganz un terdrücken. »Bäder? Ach so, natürlich.« »Das beruhigt mich«, verkündete Zipp, »ich habe gelegentlich das Bedürfnis, meinen Leib kalt abzu waschen, und es wäre mir peinlich, jeweils Ihr Per sonal mit Schüsseln und Kannen bemühen zu müs sen. Lieben Sie auch kalte Abreibungen?« »Nicht übermäßig«, feixte Garcia. »Das ist ein Fehler«, rügte Zipp streng. »Nichts bekommt dem Körper besser als gelegentliche kalte Waschungen, verbunden mit einigen Atemübungen. Ich empfehle Ihnen …« »Später, später«, winkte Garcia ab. »Bitte lassen Sie sich jetzt Ihr Zimmer zeigen.« »Gewiß. Ich werde also später auf unser Thema zurückkommen.« Juan Garcia grinste hinter ihm her. Dieser Zipp war ein ausgemachter Narr, den er in keiner Weise zu fürchten brauchte. Eingesperrt würde er selbstver ständlich trotzdem werden. Zipp unterhielt sich mit dem Mann, der ihn führte. »Das scheint mir ein sehr weitläufiges Gebäude zu sein, liebenswerter Freund?« »Groß genug ist es«, knurrte er. »Welcher Gegensatz zu der Tonne, die Diogenes 155
für groß genug hielt, um seine Weisheit zu bergen!« »Hm, wer ist denn die Ogenes? Eine vom Film?« Zipp schüttelte tadelnd sein Haupt. »Ein nichtswürdiges Mißverständnis! Diogenes war ein griechischer Philosoph, der in einer leeren Tonne hauste.« »Ach so, dann müssen Sie aber der Ogenes sa gen.« Zipp blies scharf die Luft raus. »Heilige Einfalt«, murmelte er. »Mein Zimmer scheint sehr weit entfernt zu sein, wie mich dünkt?« »Wir sind bald da.« »Ich hoffe, daß nicht die Notwendigkeit entsteht, häufig diesen langen Weg zurückzulegen. Ich liebe die stille Beschaulichkeit und Versenkung. Sofern es angängig ist, wäre es mir lieb, wenn ich bis zur An kunft Dr. Crages ungestört meinen Liebhabereien nachgehen könnte.« Der Mann schielte ihn von der Seite an. »Hm, das kommt darauf an, was Sie für Liebhabe reien besitzen!« »Ich genüge eigentlich nur den selbstverständli chen Förderungen leiblicher und seelischer Hygiene. Wenn ich nicht fürchten müßte, Sie zu langweilen, würde ich da an erster Stelle Atemübungen nennen. Nichts ist herrlicher, als am offenen Fenster die reine Luft dieser Berge in die Lungen aufzunehmen. Dann wären an zweiter Stelle kalte Waschungen zu nen 156
nen. Die Seele erfrischt sich durch tiefe Betrachtung in die Weisheit eines dichterischen oder philosophi schen Wortes. Kennen Sie Laotse?« »Habe den Namen noch nie gehört«, sagte der an dere grinsend. »Jetzt sind wir da.« Sie bogen auf einen Gang ein, auf den eine Reihe von Türen mündete. Zwischen zwei Türen saß ein bewaffneter Mann auf einem Stuhl. Er erhob sich, als er die beiden erblickte, und rief Zipps Begleiter zu: »Hallo, ein Neuer?« Dieser zwinkerte ihm zu und erklärte: »Das ist Mr. Zipp, der Gehilfe von Dr. Crage, der bis zu dessen Rückkehr als Gast Don Fernandos auf ihn warten wird. Das ist der Etagendiener John, Mr. Zipp. An ihn müssen Sie sich wenden, falls Sie Wünsche ha ben.« »Ich habe keine Wünsche«, betonte Zipp ernst. »Niemand ist bescheidner in seinen persönlichen An sprüchen als ich. Ohne mir ein Urteil erlauben zu wollen, scheint es mir eine unverantwortliche Ver schwendung zu sein, um meinetwillen einen ständi gen Diener zu bemühen. Ich begrüße Sie, John.« John blickte ziemlich dumm drein. Er nahm die Hand, die ihm geboten wurde, nur zögernd und miß trauisch. »Wir haben noch mehr Gäste«, schwächte der an dere ab. »Hier ist Ihr Zimmer.« Zipp trat durch die Tür, die aufgerissen wurde. 157
Prüfend gingen seine Augen durch den Raum, der wirklich behaglich eingerichtet war, der zu den Gasträumen des Hauses gehörte. »Fürstlich«, murmelte er mit Andacht. »Ich werde kaum wagen, mit meinem bescheidenen Leib dieses Lager zu verunzieren. Und dieses Fenster ist des Preises wert. Welche Fülle köstlicher Luft wird da auf mich einströmen!« Er musterte alles und überging völlig, daß die bei den Männer an der Tür eifrig miteinander zischelten. Dieser John sollte nur getrost das bisherige Urteil übernehmen, das erleichterte alles Zukünftige. Zipp war sich klar, daß man ihn für einen garantiert un schädlichen Quadratnarren hielt. »Na, gefällt’s Ihnen?« erkundigte sich John end lich. Zipp wandte sich ihm zu und sah ihn vernichtend an. »Gefallen? Was sollen diese profanen Ausdrücke angesichts solcher Herrlichkeiten? Ich habe zeit mei nes Lebens noch nie in solch vortrefflicher Umgebung geatmet. Doch wo befindet sich das Badezimmer?« Die beiden waren sich offenbar heimlich über die sen Punkt einig geworden, denn John erwiderte dann sofort: »Das Badezimmer befindet sich leider gegen über. Sie brauchen es mir aber nur zu sagen, wenn Sie es zu benutzen wünschen. Es ließ sich leider nicht anders einrichten.« 158
Zipp wehrte bedeutsam ab. »Ich bin nicht der Mensch, der eine kleine Mühe scheut, wenn es die Reinlichkeit des Leibes befiehlt. Darf ich es sehen?« »Bitte sehr!« Zipp überging geflissentlich das Grinsen auf den Gesichtern der Männer. Er stolzierte feierlich über den Flur, besichtigte den luxuriös eingerichteten Ba deraum und erklärte sich höchst befriedigt, versprach auch, sich unverzüglich den Reisestaub herunterwa schen zu wollen. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück. Er hatte es geschafft. Man hielt ihn zwar als Ge fangenen, aber als Gefangenen mit allerlei Freihei ten. Er war nicht gefesselt worden, er durfte zum Ba dezimmer hinüberwechseln und sich mit freien Hän den dem Wächter nähern. Vor allem aber verwehrte man ihm nicht das Fenster zu öffnen. Es führte auf den Abschluß des Tales hinaus, also nur auf kahle Felswände. Das machte die Großzügigkeit verständ lich. Da die Banditen den ganzen Palast samt Umge bung beherrschten, konnten hier Dutzende von Ge fangene nach Leibeskräften schreien und winken, ohne daß sich jemand darum kümmerte. Zipp hängte jedenfalls sehr bald sein weißes Hemd zum Lüften hinaus und stellte mit Vergnügen fest, daß niemand daran Anstoß nahm. Die anderen Gefangenen konnten sich nicht weit 159
befinden, darauf ließ die Anwesenheit des Wächters vor Zipps Ankunft schließen. Es dauerte auch nicht lange, da hörte er nebenan einen Mann rumoren, der mit. seinem Aufenthalt weniger zufrieden war als Zipp. * Zipp hatte zwischen Schlafen, Essen und gelegentli chem Baden geruhsame Stunden verbracht. Auch kleine Schwätzchen mit dem Wächter ergaben sich gelegentlich. Der wurde am Abend abgelöst. Der Neuling besaß eine verträgliche Natur und zeigte sich für Zipps Atemlehre recht empfänglich. Er lauschte mit Andacht den langatmigen Ergüssen, die Zipp von sich gab. Eine Viertelstunde vor zwei Uhr nachts steckte Zipp den Kopf durch den Türspalt. Der Wächter saß ein Stück seitwärts auf seinem Stuhl und döste. Er richtete sich aber sofort auf, als Zipp sichtbar wurde. »Ich hoffe«, sagte dieser flüsternd, »daß Ihr Schamgefühl nicht allzu empfindlich ist. Ich würde nämlich sonst vorziehen, mich erst vollständig zu bekleiden, bevor ich mich vor Ihnen sehen lasse. Au genblicklich darf meine Kleidung mit einigem Recht als ungenügend betrachtet werden.« Der Wächter grinste wohlwollend. »Kommen Sie nur heraus, ich werde nicht gleich 160
in Ohnmacht fallen. Um was handelt sich’s denn? Können Sie nicht schlafen?« Zipp ließ sich in ganzer Größe sehen. Er war gar nicht so unzulänglich angezogen, nur Jacke und Kra gen fehlten. »Es beruhigt mich ungemein«, versicherte er, »daß Sie an meinem Aufzug keinen Anstoß nehmen. Sie fragen, ob ich nicht schlafen kann? Oh, Sie haben es erraten. Wohl ist mein Schlaf sonst dank des Großen Atems, den zu pflegen ich mich bemühe, tief und fest, aber die Ungewohnheit der Verhältnisse ist mir wohl doch nicht so bekömmlich. Außerdem sagt es mir nicht zu, daß dauernd Tiere über mein Gesicht laufen und meine Ruhe beeinträchtigen.« Der andere lachte auf. »Mensch, Sie werden doch nicht Wanzen haben? Das hätte ich der feinen Bude hier gar nicht zuge traut.« Zipp wehrte sanft ab. »Es liegt mir fern, einen unziemlichen Verdacht äußern zu wollen, aber ich besitze die Kühnheit, Sie zu bitten, selbige Tiere in Augenschein zu nehmen.« Der Wächter erhob sich bereitwillig. »Warum nicht, ich kann mir ja die Viecher mal ansehen.« Zipp hielt ihm bereitwillig die Tür auf. »Ihre Liebenswürdigkeit verdient lobend genannt zu werden.« 161
Ahnungslos trat der Wächter ein. Zipp zog die Tür zu, dann legte er dem Wächter schleunigst seinen knochigen Arm von hinten um den Hals und zog mit der freien Hand die Pistole. Der Wächter strampelte, aber gegen Zipp kam er nicht auf. Und zum Schreien fehlte ihm die Luft. »Tut mir leid, teurer Freund«, bemerkte Zipp dicht an seinem Ohr. »Verhalten Sie sich bitte ruhig. Ich würde es außerordentlich bedauern, wenn ich diese Arraklammer noch länger halten müßte, da sie mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Gehirnschlag führt.« Der Wächter ruderte mit den Armen. Zipp lockerte seinen Griff und gönnte ihm Luft. Der Mann war vernünftig genug nicht zu schreien. Er hatte offenbar noch nicht begriffen, denn er würg te: »Sind Sie verrückt geworden?« »Nehmen Sie es an, wenn Sie einen Trost dabei empfinden«, rief Zipp und stopfte ihm einen bereit gehaltenen Knebel in den Mund. Dann legte er ihn auf den Bauch, kniete sich auf ihn und fesselte ihm schließlich die Hände auf dem Rücken. Später kamen die Füße dran und schließlich vervollständigte er die Fesselung der Hände. »So.« Er überschaute befriedigt sein Werk. »Das dürfte für die nächste Stunde genügen. Wie gesagt, ich bedaure außerordentlich, mein hoffnungsvoller Schüler, aber die Not zwingt mich zu solchen Taten, 162
die eigentlich abseits von meinem Lebensweg liegen sollten. Die Schlüssel zu den anderen Zimmern stek ken, nicht wahr? Es würde mich beträchtlich wun dern, wenn ich hinter den Nachbartüren nicht Dr. Crage und Don Fernando finden sollte. Hoffentlich finde ich sie, denn das erspart mir wie Ihnen manche Ungelegenheit. Und nun erlauben Sie mir, Ihnen eine gedeihliche Nachtruhe zu wünschen.« Liebevoll waren die Blicke nicht gerade, die ihm der Gefesselte zuwarf. Zipp nahm daran jedoch kei nen Anstoß, sondern ging hinaus. Dr. Crage fuhr wütend hoch, als Zipp bei ihm ein trat. »Was zum Teufel…« »Still, ganz still!« flüsterte Zipp. »Ich bin gekom men, Sie zu befreien. Ziehen Sie sich an. Wenn ich auch nicht gerade behaupten will, daß ich ein Engel bin, so erscheine ich doch als rettender Engel, um Sie aus den Banden dieser Verbrecher zu erlösen.« Dr. Crage saß aufrecht im Bett und starrte ihn ver dutzt an. »Ich – wieso – Sie …« Da zeigte Zipp, daß er auch anders konnte. »Beeilen Sie sich gefälligst«, schnauzte er plötz lich, »sonst nehme ich Sie in Ihrem schäbigen Nacht hemdchen mit!« Dr. Crage sprang heraus und griff nach seinen Sa chen. Sofort wurde Zipp wieder ruhig und sanft. 163
»So ist es recht, liebenswertester Helfer der Menschheit. Vielleicht darf ich Sie noch bitten, recht leise zu sein. Da es mir widerstrebt, Sie bei den in timsten Toilettenangelegenheiten zu belauschen, werde ich mir gestatten, Sie jetzt allein zu lassen. Außerdem muß ich noch einem anderen Gefangenen die Freiheit verkünden.« »Wer sind Sie denn?« fragte Dr. Crage gedämpft. »Sind Sie etwa mein sogenannter Gehilfe, von dem heute morgen die Rede war?« »Ich nahm mir die Freiheit, mich unter dieser Vor spiegelung falscher Tatsachen hier einzuführen.« Zipp ging weiter. Nebenan schlief Don Fernando. Er zeigte keine Erregung, als er geweckt wurde. Er hatte sich wohl schon mit seinem Schicksal abgefunden. Erst als ihm Zipp mitteilte, daß er ihn wegbringen wolle, wurde er lebendig. Zipp ging dem Blinden zur Hand. Er bewies kein besonderes Geschick, aber Don Fernando kleidete sich trotzdem recht schnell an. Dr. Crage stand bereit, als sie zu ihm kamen. »Das ist Dr. Crage, der Ihre Augen in Ordnung bringen wird«, sagte Zipp. »Und das ist Don Fer nando. Bitte keine Gefühlskundgebungen jetzt. Dr. Crage, Sie werden Don Fernando bei der Hand neh men und hinter mir herführen. Vermeiden Sie alle unnützen Geräusche. Kommen Sie!« 164
Die beiden Männer schlossen sich ihm an, ohne etwas zu äußern. Zipp ging langsam und bedächtig, wobei er un entwegt lauschte. In der rechten Hand trug er die Pi stole. Er rechnete damit, früher oder später Gewalt anwenden zu müssen. Als sie vom zweiten Stockwerk in das erste hinun terstiegen, bellten vom Felsenhaus her dumpf Ge wehrschüsse. Die Männer vom Tal hatten zur verabredeten Stunde angegriffen. * Als die Gewehrschüsse knallten, rannte Hal Mervin durch die Halle auf das Portal zu. Er hatte sich ver gewissert, daß der ganze Weg durch das Haus für Zipp frei war. Nur die Wache am Portal mußte un schädlich gemacht werden. Draußen zeichneten sich deutlich die Konturen ei nes Mannes ab. Hal riß den Glasflügel auf und rief gedämpft: »Hallo, einer von euch soll sofort zum Felsenhaus kommen. Dort hinten ist der Teufel los.« Ein Mann trat auf ihn zu. »Was heißt das?« knurrte er unwirsch. »Ich bin doch schon der einzige hier.« »Um so besser«, frohlockte Hal und zog seine Pi 165
stole. »Hände hoch, sonst muß ich Sie unschädlich machen.« Der Wächter warf schleunigst die Arme nach oben. »Verdammt«, fluchte er, »was soll das?« »Schön ruhig«, mahnte Hal und zog die Pistole des Mannes, während er gleichzeitig dem Gewehr einen Stoß gab, daß es außer Reichweite gelangte. »Man muß uns nicht unbedingt hören. Es wird Ihnen nichts geschehen, wenn Sie vernünftig sind. Drehen Sie sich um und nehmen Sie die Hände auf den Rük ken. So, nett von Ihnen.« Einen Augenblick später spannte sich die Gardi nenschnur, die Hal mitgenommen hatte, über den Handgelenken des Wächters. »So, und nun gehen Sie durch die Tür in die Halle. Aber geben Sie keinen Laut, sonst müßte ich schie ßen und dann ausreißen.« Der Wächter tat, wie ihm befohlen. Mitten in der Halle ließ Hal ihn hinlegen und fesselte ihm nun die Füße. Viel Wert war die Fesselung wirklich nicht, aber für den Augenblick hielt sie den Gefangenen von Dummheiten ab, und später würde er doch eini ge Zeit brauchen, um sich zu befreien. »Hier bleiben Sie liegen«, befahl Hal. »Ich bleibe in Schußweite. Sobald Sie sich regen, passiert es.« »Sie können sich die Redensarten sparen«, knurrte der andere. »Ich bin nicht so dumm und weiß, wann 166
ich eine Chance habe. Aber wissen möchte ich, was der Unfug bedeuten soll.« »Das werden Sie bald erfahren«, versprach Hal und ging zur Gangmündung, um zu lauschen. Natür lich ließ er seinen Gefangenen dabei nicht aus den Augen. Endlich näherten sich vorsichtige Schritte. »Zipp?« Eine Sekunde Stille, dann kam er Gegenruf: »Mr. Mervin?« »Hier, kommen Sie! Alles in Ordnung!« Zipp erschien, hinter ihm Dr. Crage und Don Fer nando. Hal atmete auf. »Gott sei Dank, es hat geklappt. Vorwärts, der Weg ist frei!« Sie hasteten an dem Wächter vorbei, dem die Au gen bald übergingen. »Alles klar?« flüsterte Hal ihm zu, während er schnell die Fesseln noch einmal nachsah. »Wenn Sie gescheit sind, verdrücken Sie sich einfach, denn hier wird’s ohnehin brenzlig werden. Bestellen Sie Juan Garcia, daß ich ihn persönlich nach Tiltepec bringen werde, wenn ich ihn erwische.« Er folgte den anderen, die schon die Tür passiert hatten. Das Gewehr des Wächters las er im Vorbei gehen mit auf. Die Nacht war dunkel, aber da die Straße wenig Unebenheiten aufwies, kamen sie rasch vorwärts. Im 167
Laufen verständigte sich Hal durch die Sprechdose mit Nimba. Nach fünf Minuten tauchte der mattglänzende Rumpf des Flugzeuges vor ihnen auf. »Hallo«, fragte Nimba, »alles beisammen?« »Alles beisammen«, gab Hal zurück. »Hinein, Zipp.« Zipp stieg ein, ihm folgte Don Fernando, Dr. Cra ge und Hal. Es ging etwas eng zu, aber die Männer hätten um des erfolgreichen Gelingens willen noch andere Beschwerden getragen. Langsam hob sich das Flugzeug. Am Palast war noch alles still. »Das wäre uns gelungen«, verkündete Zipp mit ernster Genugtuung. »Das Gute triumphiert, und das Böse windet sich geschlagen am Boden.« »Darauf wollen wir einen atmen«, sagte Hal grin send. 7. Sven Norholm verbrachte den Tag recht zuversicht lich bei den elf Männern, die das Tal über die Fels wände verlassen hatten und nun in Chilpancingo auf den Befehl zum Angriff warteten. Spät abends flog er mit dem Flugzeug zum Tal zurück. Hal Mervin flog die Maschine. Er hatte noch in der Nacht der Befreiung Dr. Crage, Don Fernando 168
und Sun Koh sowie Nimba nach Greensville ge bracht, da die Untersuchung eine sofortige Operation verlangt hatte. Er war in Greensville geblieben, bis ihm Dr. Crage hatte mitteilen können, daß die Opera tion bei beiden geglückt sei. Im Tal warteten Joan Martini und Ruth Silver vol ler Ungeduld auf diese Nachricht. Hal und Norholm mußten ausführlich berichten, so daß es Mitternacht wurde, bevor man sich zur Ruhe legte. Sven Norholm und Hal Mervin gingen noch ein mal die Wachen ab. Vier Mann lagen hinter den Scheinwerfern, die den Tunnel bis zur Krümmung erhellten, acht weitere hielten sich zur Ablösung un mittelbar an der Durchfahrt auf. Außerdem lagen für alle Fälle zwei Trupp Männer in geringer Entfernung vom Tunnelhaus. Sie hatten ihre Zelte aufgeschlagen und waren bereit, im Falle eines Alarms einzusprin gen. »Mit einem Angriff ist ja nicht zu rechnen«, be merkte Sven Norholm unterwegs, »aber ich halte es für besser, wenn eine Reserve zur Verfügung steht.« »Natürlich«, stimmte Hal ihm zu. »Wenn sich der Tunnel nicht so ungewöhnlich leicht verteidigen lie ße, würde ich Ihnen sogar raten, noch mehr Leute aufzubieten. Wie haben Sie sich eigentlich den An griff gedacht? Was uns zugute kommt, wird auch Garcia und seinen Leuten zum Vorteil werden, wenn wir angreifen.« 169
»Morgen nacht wird der Trupp, der jetzt in Chil pancingo wartet, den Palast von außen her angreifen. Vielleicht gelingt es, das Hauptgebäude in der ersten Überraschung einzunehmen. Auf alle Fälle muß Gar cia aber seine Leute teilen, da wir zur gleichen Zeit von hier aus vordringen.« »Er hat ja genug Leute. Wie wollen Sie von hier aus vorgehen?« »Wir nehmen die Elektrokarren zu Hilfe und ver wandeln sie in fahrbare Barrikaden, auf die die Scheinwerfer montiert werden. Der Stoßtrupp geht auf den fahrbaren Barrikaden vor, die anderen fol gen.« »Die Scheinwerfer werden auf den ersten Anhieb zerschossen!« »Möglich, aber vielleicht bleiben sie doch so lange intakt, bis wir ungefähr gesehen haben, wie es an der jenseitigen Tunnelmündung aussieht.« »Hoffentlich! Es wird eine schwere Nacht werden. Ich würde empfehlen, morgen im Laufe des Tages noch ein oder zwei Dutzend Männer aus dem Tal herbeizuschaffen, damit der Angriff von außen ver stärkt wird. Er wird weniger Verluste kosten, als die ser Stoß durch den Tunnel.« »Ich dachte schon daran.« Sie beendeten ihren Rundgang und legten sich schlafen. Hal Mervin fuhr auf, als ein Schuß fiel. 170
Eine ganze Salve knatterte jetzt los. Da sprang er hoch und schlüpfte in seine Sachen. »Gas!« gellte draußen ein langgezogener Schrei. Unregelmäßig peitschten die Schüsse auf. Die Tür wurde aufgerissen. Sven Norholm er schien. Mit der rechten Hand, die die Pistole hielt, zog er sich mechanisch den Hosengürtel fest. »Sie haben angegriffen«, schrie er ins Zimmer. »Gut, daß Sie auf sind. Sie müssen schon im Tal sein, haben Gas verwendet. Ich muß zu meinen Leu ten. Bringen Sie die Damen in Sicherheit. Nicht zur Durchfahrt, hinten im Erdgeschoß durch die Fenster. Beeilen Sie sich!« Hal hörte ihn davonrennen. Wenige Sekunden spä ter stürzte er ebenfalls hinaus. Einige Türen weiter donnerte er mit den Fäusten gegen das Holz. »Miß Silver! Raus, höchste Gefahr, nicht erst um ziehen, nehmen Sie die Sachen unter den Arm!« Schon stand er vor der nächsten Tür, trommelte dagegen und riß sie dann auf. »Gasangriff, Miß Martini. Kommen Sie! Lassen Sie liegen, was Sie nicht zur Hand haben.« Er riß Joan Martini mit auf den Flur. Dann holte er Ruth Silver aus ihrem Zimmer. Die beiden waren verstört. »Dort entlang. Vorwärts schnell!« Sie rannten den Gang hinunter. Die jungen Frauen bewiesen, daß sie genügend Sport getrieben hatten. 171
Sie rannten die Stufen ins Erdgeschoß hinunter. Der Gang hatte kein Fenster, aber da mündete eine Tür. Peng! Eine Kugel zischte zwischen den dreien durch. Am anderen Ende des Ganges tauchten Gestalten auf. »Verdammt!« fluchte Hal. »Dort hinein und durch das Fenster ins Freie. Springen Sie, es geht um Ihr Leben!« Peng! Jetzt schoß Hal, während die Frauen im Zimmer verschwanden. Hal warf sich hinter die offene Tür. Die Burschen wollten ihm anscheinend mit ihren Gewehren die Ohren abschießen. Hal hatte das Gefühl, in eine Maschinengewehr garbe geraten zu sein. Ein halbes Dutzend Leute mußte auf ihn schießen. Die Tür zeigte schon eine ganze Menge splittrig aufgerissener Löcher. Lange konnte es nicht mehr dauern, dann erwischten sie ihn ernsthaft. »Alles raus?« brüllte er. Keine Antwort. Er pulverte schleunigst sein Magazin leer und rannte dann ins Zimmer zum offenen Fenster und hinaus ins Freie. Ein ganzes Stück entfernt eilten die beiden Frauen in Deckung einiger Männer. 172
Die Hölle tobte in dieser Nacht. Überall zuckten Feuerblitze auf, peitschten die Gewehre und knallten die Pistolen. Die Verteidiger lagen am Waldrand, der den freien Platz einfaßte, die Angreifer hockten hin ter den Fenstern des Hauses, das sie offenbar schon restlos erobert hatten. Und zwischen beiden Parteien stand das Flugzeug. Hal blieb stehen, als er bemerkte und sich bewußt wurde, was das bedeutete. Sekundenlang schoß die Wut in ihm hoch, daß er Ritterdienste hatte leisten müssen, während das Flugzeug in die Gewalt der Angreifer kam. Er war doch der einzige, der es be dienen konnte. Er hätte auf den ersten Alarm hin zum Flugzeug eilen und es in Sicherheit bringen müssen. Das wäre seine Pflicht gewesen. Aber wer hätte sich um die Frauen kümmern sol len? Norholm? Der war hier unten nötiger gewesen, um den Widerstand in Schwung zu bringen. Und al lein säßen die beiden wohl jetzt noch oben und pack ten die Sachen. Hal fand, daß er nicht anders hatte handeln kön nen. Damit löste sich seine Erstarrung. Wahrschein lich half auch eine Kugel nach, die ihm am Arm ent lang brannte. Er rannte auf das Flugzeug zu. Mehr als fünf Schritt machte er nicht, dann warf er sich schleunigst in eine Bodenrinne. Sie hatten ihn aufs Korn genommen. Eine Geschoßgarbe umprassel 173
te ihn, die jedes Weiterlaufen zum Wahnsinn machte. »Mister Mervin! Zurück!« Das war Norholm. Die Kugeln fegten über ihn hin, das fatale Aufpat schen auf den Steinen ringsum ließ nach. Norholm lenkte wohl das Gegenfeuer auf den Trupp, der sich so eifrig um Hal Mervin kümmerte. Die Tunnelmündung wurde blendend hell. Gleich darauf schwenkten starke Lichtkeile zur Seite. Einer blieb auf dem Flugzeug haften, der andere tastete sich auf dem freien Gelände vor. Teufel noch mal, jetzt brachte die Bande sogar die Scheinwerfer in Stellung. Wenn man ihn einmal im Licht hatte, war es um ihn geschehen. Hal sah keinen anderen Ausweg, als aufzuspringen und auf den schützenden Waldrand zuzurennen. Es kam ihm zustatten, daß sich jetzt das Scheinwerfer licht zwischen ihn und die Schützen an den Fenstern schob. Mit einem Streifschuß und einer ungefährli chen Fleischwunde am linken Oberarm kam er in Deckung. Gerade blies Sven Norholm seine hohen, durch dringenden Signale über das Tal hinweg. »Gott sei Dank«, sagte er nach einer Weile, als er auf Hal stieß. »Ich fürchtete schon, Sie wären verlo ren!« »Da gehören andere Kerle dazu, um mich zu erwi schen«, beruhigte Hal. »Was machen die Frauen?« 174
»Sie befinden sich unverletzt in Sicherheit. Ich ha be sie aus dem Kampfgebiet bringen lassen.« »Wenigstens etwas. Aber wir kommen nicht mehr an das Flugzeug heran.« Norholm nickte. »Ich habe es gleich zu Anfang noch versucht, wollte es wegzerren lassen, aber es war unmöglich. Die Bande nahm uns zu sehr unter Feuer. Das Flug zeug hat uns allein fünf Tote gekostet.« »Verfluchte Bande«, murmelte Hal. »Und sonst?« »Fast die ganze Wache, drei Tote vom anderen Trupp und mehrere Verwundete.« »Eine schwarze Nacht. Wie viele Leute kämpfen jetzt?« »Augenblicklich nur rund zwanzig. Unsere Wach trupps wurden durch einzelne Leute, die sich in der Nähe befanden, verstärkt. Jetzt trifft bald dauernd Nachschub ein. Wir werden die jetzige Stellung wohl halten können.« »Und wie hat sich der Überfall zugetragen?« Norholm zuckte mit den Schultern. »Ich kann es nur erraten. Die Bande hat mit Gas die Wache erledigt. Einer von der Wache hat gefeu ert, als er merkte, was geschah. Dadurch wurden die beiden Außentrupps geweckt. Sie stürmten auf den Tunnel zu, bekamen aber schon Feuer von drinnen und mußten sich zurückziehen.« Hal Mervin schüttelte den Kopf. 175
»Dann müssen die Leute Gasmasken besitzen, wenn sie so dicht hinter dem Gas hergekommen sind. Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie von der Krüm mung aus bis zur Durchfahrt Gas transportieren konnten.« »Das ist ja eben der Trick«, erwiderte der junge Schwede unmutig. »Es war alles sehr leicht für die Angreifer, und ich hätte mit einer solchen Möglich keit rechnen müssen. Der Tunnel wirkt wie ein Schornstein. Durch ihn hindurch erfolgt ein ständiger Luftausgleich zwischen der Außenschlucht und dem Tal. Ist Ihnen der starke Zug nicht aufgefallen, der an der Tunnelmündung herrscht?« »Das schon, aber geht der Luftstrom vom Tal zur Schlucht, also von uns weg?« »Nur bei Tag. Bei Tag ist es hier im bewaldeten Tal kühler als in der kahlen Felsenschlucht. Infolge dessen drücken die kühlen Luftmassen von hier zur Schlucht. Bei Nacht kühlt sich jedoch die Schlucht aus, während es im Tal verhältnismäßig warm bleibt. Dadurch wechselt die Strömung. Die Banditen brauchten also nur eine Gaswand aufzubauen und sie durch den Tunnel hindurchtragen zu lassen. Sie konnten hinter dem Gas ungefährdet hergehen, weil die gleichmäßige Luftströmung ein Rückschlagen des Gases so gut wie unmöglich machte.« »So war das also«, meinte Hal nachdenklich. »Na, Juan Garcia ist wieder einmal im Vorteil. Ich glaube 176
aber, er hat sich die Verhältnisse hier doch ein biß chen anders vorgestellt. Er kennt doch das Tal nicht?« »Ich wüßte nicht, woher?« »Hm, dann ist er vielleicht enttäuscht. Möglicher weise hat er sich vorgestellt, daß er mit seinem Gas eine Höhle oder eine kleine Schlucht ausräuchern kann. Haben Sie vielleicht zufällig ein Verbandpäck chen bei sich?« »Nein. Sind Sie verwundet?« »Etwas. Schlimm ist es aber nicht, aber ein Ver band kann nichts schaden.« »Gehen Sie in dieser Schneise entlang. Sie stoßen dann auf den vorläufigen Verbandsplatz.« Hal machte sich schleunigst auf den Weg. Er ver lor immer noch Blut und hatte keine Lust, schwach zu werden. Der Verbandsplatz war eine Lichtung im Wald streifen. Im Gras lagen einige dunkle Gestalten. An einem einzelnen Baum stand ein Weißer und blickte ihm entgegen. »Neue Arbeit?« »Armschuß.« »Zeigen Sie her.« Er schnitt den Ärmel des Hemdes herunter, warf einen Blick auf die Wunde, fühlte und meinte dann: »Glatter Durchschuß. Daran werden Sie nicht ster ben.« 177
»Ich habe auch nicht die Absicht geäußert«, gab Hal kühl zurück. Dann taumelte er und ließ sich be wußtlos ins Gras sinken. Der Blutverlust hatte ihn doch zu sehr mitgenommen. * Sven Norholm lief die Kette seiner Leute ab, die ständig dichter wurde. Im Augenblick lagen minde stens hundert Männer hinter den Büschen und Bäu men und riegelten das Tal gegen den letzten Zipfel ab, auf den der Tunnel mündete. Sie verteilten sich über eine Strecke von wenigen hundert Metern. Da ihnen im ungünstigen Falle fünfzig Banditen gege nüberstanden, war nichts zu befürchten. Aber… »Hallo, Sven«, rief ihn einer der Männer an, »wie steht’s mit der Munition? Unsere Patronen gehen zu Ende. Haben wir irgendwo einen Vorrat?« Norholm erschrak. »Nein«, sagte er betroffen, »die Vorräte liegen im Haus.« »Nützen uns also nichts. Was wird, wenn unsere letzten Patronen weg sind?« »Das weiß der Himmel. Schießt vor allem nicht so viel, spart!« »Früher oder später wird das auch nichts mehr hel fen. Was machen wir ohne Patronen?« 178
Die Frage ließ kein Ausweichen zu. Sven Norholm überlegte, dann meinte er: »Ohne Patronen sind wir so gut wie ausgeliefert. Wir müssen also unsere Tak tik ändern. In der jetzigen Lage ist einer dieser Leute stärker als drei von uns, da wir nur Pistolen besitzen. Wir müßten uns zurückziehen, also ein ganzes Stück des Tales frei geben. Die Angreifer zählen höchstens fünfzig Mann. Wenn sie uns folgen, verlieren sie die Geschlossenheit und Übersicht, verstreuen sich und geben uns Gelegenheit, sie auf die verschiedenste Art zu fassen. Sobald wir in lockerer Ordnung und mit Spielraum kämpfen können, ist jeder von uns minde stens ebensoviel wert wie jeder von diesen.« »Nicht schlecht«, anerkannte der andere, von dem man kaum etwas sah. »Aber was wird, wenn die Leute einfach am Haus bleiben?« »Dann erübrigt es sich für uns, unsere Munition zu verbrauchen. Wir stellen das Schießen ein und war ten bis zur nächsten Nacht, wenn der Angriff von außen her kommt.« »Auch wieder richtig. Sollen wir also jetzt zu rück?« »Wartet eine halbe Stunde, dann geht langsam zu rück. Ich will erst die anderen verständigen. Nach Ablauf dieser Zeit hat jeder Trupp und jeder Einzelne freie Hand, nach seiner Manier zu kämpfen. Achtet jedoch immer auf die Signale.« »Ist gut. Die Sache fängt an, Spaß zu machen.« 179
Sven Norholm ging weiter. Er wußte, was die letz te Äußerung bedeutete. Die meisten Talmänner wa ren verwegene Burschen, die sich nichts Besseres wünschten, als einen Kampf auf ihre Weise führen zu können. Wenn die Banditen wirklich den Fehler begehen sollten, ihre Rückendeckung zu verlassen und in das Tal hineinzustreifen, dann waren sie trotz ihrer Gewehre zu bedauern. Nachdem Norholm die nächste Gruppe verständigt hatte, traf er Ruth Silver. »Gott sei Dank, daß ich Sie treffe«, sagte sie er leichtert und freudig erregt. »Ich fürchtete schon, Sie seien verwundet worden.« »Wie kommen Sie denn hierher?« fragte er vor wurfsvoll. »Ich nahm an, Sie befinden sich jetzt im Tal in Sicherheit. Wie leicht können Sie hier von ei ner Kugel getroffen werden!« »Sie doch auch!« wehrte sie ab. »Ich hielt es ein fach nicht aus, still dazusitzen, aus der Ferne das Knattern zu hören und immer daran denken zu müs sen, daß Sie …« Sie brach ab. »Ich danke Ihnen, Ruth. Doch jetzt müssen Sie weg von hier. Diese Frontlinie ist zu gefährlich, au ßerdem wird sie bald zurückgenommen. Gehen Sie wieder zu Miß Martini, sie wird sich ohnehin um Sie sorgen.« »Ach, ich habe ihr vorgeschwindelt, daß ich mich 180
schlafen lege, und bin dann heimlich aus meinem Zelt fortgeschlichen.« »Dann suchen Sie es bitte heimlich wieder auf. Ich werde Ihnen einen Mann mitgeben, der Ihnen den Weg zeigt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich finde ihn allein.« Sie wandte sich ab und verschwand im Dunkeln. Eine halbe Stunde später stellten die Verteidiger das Feuer ein und zogen sich zurück. Nur hier und dort blieb ein vorgeschobener Beobachtungsposten. Über der Ostwand graute der Morgen. Im Tal selbst, vor allem im Wald, blieb es jedoch noch dunkel. Ruth Silver wußte nicht, daß sich die Kampflinie auflöste. Sie hatte auf Norholms Bemerkung wenig geachtet, war ein Stück weggelaufen und hatte sich dann zwischen einigen Büschen ins Gras gesetzt. Als sie sich nach langer Zeit wieder erhob, war der Kampflärm völlig verstummt. Sie war sich über die einzuschlagende Richtung im unklaren, überlegte auch nicht lange, sondern ging einfach los. Sie hielt es für selbstverständlich, daß sie allenfalls wieder auf die Sperrkette der Ver teidiger stoßen konnte. Stutzig wurde sie erst, als sie plötzlich am Rand des Waldes stand und das Tunnelhaus im unsicheren Mondlicht vor sich sah. Die Scheinwerfer brannten nicht mehr, an der Durchfahrt bewegten sich einige 181
Gestalten, die sie nicht erkennen konnte. Sie entschied sich, lieber nicht an das Haus heran zugehen, sondern in entgegengesetzter Richtung da vonzumarschieren. Weit war sie nicht gekommen, als sie plötzlich Geräusche von der Seite her zu hören glaubte. Sie blieb stehen und horchte. Da wieder. Hinter den Bäumen mußten sich Men schen heranschleichen. Es kam ihr nicht recht geheuer vor, deshalb be gann sie zu laufen. Patsch. Dicht neben ihr schlug eine Kugel in einen Baum ein, so daß sie erschrocken den Kopf einzog. Unmit telbar darauf kam eine Männerstimme aus geringer Entfernung. »Dummkopf, schieß doch nicht! Das ist ein Weibsbild. Los, wir fangen sie lebendig.« Da begriff Ruth Silver die Gefahr. Sie rannte wild weiter und direkt in die Arme eines Mannes hinein, der sie mit breitem Grinsen auffing. »Na, da wären wir ja«, brummte er. »Was sind Sie denn für ein seltener Vogel?« So ganz schlüssig war sich Ruth Silver nicht, ob es nicht doch Talmänner waren, die sich jetzt um sie scharten. »Lassen Sie mich los! Was fällt Ihnen ein? Ich bin Ruth Silver!« 182
»Ausgezeichnet«, bemerkte eine nüchterne Stim me neben ihr. »Señor Garcia hat eine anständige Be lohnung dafür ausgesetzt, daß wir Sie oder Miß Mar tini zu ihm bringen. Halt sie gut fest, Ben, sie ist Geld wert. Wir nehmen sie mit zurück.« Ruth Silver wußte nun, in welcher Lage sie war. Voller Angst schrie sie: »Sven! Hilfe! Sven!« Dann legte sich eine breite Hand über ihren Mund. Sven Norholm hörte den Schrei. Er stand nur eini ge hundert Meter entfernt mit einem Trupp Männer zusammen. »Was war das?« fragte er und fuhr hoch. »Eine Frau schrie um Hilfe«, murmelte ein Mann neben ihm. »Herrgott, das war die Stimme von Ruth – von Ruth Silver!« Er rannte schon. Dicht hinter ihm folgten die ande ren. Ohne Rücksicht auf den Lärm und ohne Rücksicht auf den Gegner rasten sie zwischen den Stämmen auf das Tunnelhaus zu. Als es in Sicht kam, sah Norholm gerade noch, wie Ruth von einigen Männern in die Durchfahrt hineingeschleppt wurde. Die wilde Jagd endete an Waldrand. Dem Trupp schlug ein Kugelhagel entgegen, den anzulaufen Wahnsinn gewesen wäre. Mechanisch warfen sich die Männer hinter die letzten Bäume und feuerten zurück. 183
Das zornige Aufknurren eines Mannes, der getrof fen worden war, brachte Norholm zur Besinnung. »Aufhören«, befahl er. »Wir verschießen unsere Kugeln nur nutzlos. Zurück!« * Hal Mervin ging Norholm wie ein wütender Terrier an, als er ihn in Sicht bekam. »Da sind Sie ja endlich. Sie haben ja einen schö nen Salat angerichtet. Hätte ich das geahnt, wäre es mir nicht im Traum eingefallen, mich hinzulegen, selbst wenn ich ein paar Liter Blut mehr verloren hätte. Sie gehen hier im Tal spazieren, und inzwi schen bekommt Garcia sie mühelos in seine Gewalt.« »Ich konnte es nicht ändern«, wehrte Norholm ab. »Ich wußte nicht, daß sie sich noch vorn befand.« Hal streckte den Kopf vor. »Hä, dachten Sie etwa, sie wäre von allein fortge flogen?« »Das nicht«, gab Norholm zurück, »aber ich hatte ihr eingeschärft, daß sie vorn nichts zu suchen habe und daß sie schleunigst zurückgehen solle.« Hal schluckte. »Entweder bin ich verrückt, oder Sie sind es. Wo von sprechen Sie eigentlich?« »Von Miß Silver natürlich.« »Du lieber Himmel, ich spreche von der Maschi 184
ne, von dem Flugzeug. Was ist denn mit Miß Sil ver?« »Sie befindet sich in Garcias Händen!« »Teufel, auch das noch. Nun fehlt bloß noch, daß auch Miß Martini…« »Miß Martini ist in Sicherheit.« Hal fühlte sich erleichtert. »Wenigstens etwas. Wieso kommt Miß Silver in Garcias Gewalt?« »Sie war bei mir«, erklärte Norholm knapp. »Ich schickte sie zurück, aber sie muß vorn geblieben sein. Ein paar von Garcias Leuten schleppten sie ins Haus.« »Arme Frau«, murmelte Hal und wurde dann wie der laut. »Sie hätten eben mit Ihren Leuten vorn blei ben sollen, schon wegen des Flugzeugs!« »Das nützt Garcia auch nichts. Er wird es einfach stehenlassen.« »Haben Sie eine Ahnung. Garcia wird todsicher imstande sein, die Maschine zu bedienen. Er hat ei nen hellen Kopf. Rechnen Sie sich aus, was passiert, wenn wir ihn ernsthaft in Bedrängnis bringen.« Norholms Gesicht wurde noch finsterer als bisher. »Er wird das Flugzeug benutzen.« »Jawohl«, sagte Hal, »und wie ich ihn kenne, wird er – na, warten wir ab.« »Sprechen Sie sich ruhig aus«, sagte Norholm. »Er wird Ruth Silver nach Möglichkeit noch mitnehmen.« 185
»Ich wollte Ihnen nicht wehtun«, murmelte Hal, »aber ich fürchte, es wird so sein. Warum haben Sie denn die Waldlinie aufgegeben?« »Unsere Munition ist sehr knapp. Wir können nur auf einen Sieg hoffen, wenn sich die anderen von ihrem Stützpunkt weg ins Tal hineinlocken lassen.« Hal schüttelte den Kopf. »Den Gefallen werden sie Ihnen nicht gerade tun. Warum haben Sie mir nicht einen Ton davon gesagt, daß Sie knapp an Munition sind?« »Was hätte das geändert?« Hal wurde wieder fuchtig. »Aber Mann, Sie wissen doch, daß ich jederzeit Hilfe heranholen kann? Ich brauche doch nur meinen Apparat zu benutzen, dann kriegen wir soviel Muni tion wie wir brauchen. Ahnen kann ich es freilich nicht. Wenn sich hier im Tal zweihundert Mann be finden, die alle reichlich mit Pistolen und Munition versehen sind, besteht für mich kein Anlaß, meine Freunde in Bewegung zu bringen.« »Sie wußten doch, daß wir keine Gewehre ha ben?« »Na und? Auf die kurze Entfernung vom Wald rand bis zum Haus waren doch keine Gewehre nötig. Durch die Mauern hindurch schießen die Gewehre auch nicht.« »Wir brauchen sie auch nicht«, erwiderte Norholm matt. »Aber ohne Munition waren wir dort vorn 186
machtlos. Deswegen gab ich den Befehl zum Rück zug.« Hal sah ihn eine ganze Weile stumm an, bevor er sagte: »Wir können es nicht mehr ändern. Ich werde mich mal vorpirschen und nachsehen, was aus der Maschine geworden ist. Und Munition werde ich auch anfordern. Dadurch kommen wir zu einem neuen Flugzeug.« »Können wir das andere dann nicht wenigstens zerschießen, damit kein Mißbrauch damit getrieben wird?« Hal schüttelte den Kopf. »So leicht ist das nicht. Die Maschine ist im all gemeinen kugelfest. Doch sagen Sie, wie lange ha ben Sie eigentlich nicht geschlafen?« Norholm strich sich über die Stirn. »Ich glaube, sehr lange nicht.« »Das glaube ich auch. Sie kommen mir ziemlich heißgelaufen vor. Ich würde an Ihrer Stelle erst ein mal gründlich schlafen.« Norholm lächelte schwach. »Der Vorschlag ist nicht schlecht.« Damit trennten sie sich. * In den Vormittagsstunden des nächsten Tages tat
Juan Garcia den Talmännern nur ein einziges Mal
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den Gefallen, Leute ins Tal hineinzuschicken. Es handelte sich um eine Streife von zehn Mann, die mit Gewehren, Pistolen, Handgranaten und Gasbomben schwer bewaffnet waren. Die Streife nahm einen Weg, der für sie taktisch ungünstig war. Ihre Zusammenballung und schwere Bewaffnung nützte nichts gegenüber den Jägern, die unsichtbar und unhörbar durch den Wald glitten. Juan Garcia erfuhr nie genau, was aus seinen aus geschickten Leuten geworden war. Er zog aber die richtigen Schlüsse aus dem Ausbleiben von Mann und Nachricht, denn er hielt nunmehr seine Leute zusammen. Gegen Mittag landete das Flugzeug im Tal, das Hal herbeigerufen hatte. Es brachte vor allem einige Dutzend Maschinenpistolen und Munition. Hal Mervin ließ Norholm wecken und herbeiho len. »Hier haben Sie, was Sie brauchen«, sagte er und zeigte ihm die Waffen. »Ich denke, wir können nun auch einen Angriffsplan festlegen. Wir sollten näm lich so bald wie möglich eine Entscheidung herbei führen.« »Vor Anbruch der Nacht können wir kaum etwas unternehmen«, wandte Norholm ein. »Warum denn nicht? Ich wollte Ihnen vorschla gen, noch mittags anzugreifen. Garcia hat für die Nacht wohl seine eigenen Pläne und kommt uns 188
schließlich mit einer Überraschung zuvor. Mögli cherweise verschwindet er auch einfach, sobald es dunkel wird. Er ist schlauer als jeder andere. Wahr scheinlich hat er kaum geahnt, daß dieses Tal einen derartigen Umfang hat. Mit seinen fünfzig Leuten kann er es niemals erobern. Er weiß außerdem, daß wir noch lange nicht von der Außenwelt abgeschlos sen sind und hat sicher auch dieses Flugzeug gese hen. Ich nehme an, daß er die Zwecklosigkeit weite rer Anstrengungen einsieht und sehr bald die Folge rungen daraus zieht. Wir müssen ihn überrumpeln und zwar so schnell wie möglich.« »Ich sehe das ein«, sagte Norholm. »Aber wir bringen Miß Silver in die größte Gefahr.« »Später nicht weniger. Wir haben nun einmal kei ne Möglichkeit, sie erst zu befreien und dann an zugreifen. Daß Garcia sie töten wird, ist kaum zu be fürchten. Er wird sie höchstens als Geisel benutzen und mitnehmen wollen. Gerade deshalb aber ist Eile geboten. Je schneller wir ihn überwältigen, um so weniger wird er sein Vorhaben ausführen können. Wir müssen es ihm unmöglich machen, an das Flug zeug heranzukommen oder Miß Silver hineinzu schleppen.« »Das können wir eben nicht.« »Vielleicht doch? Miß Silver befindet sich be stimmt in einem der Räume innerhalb des Hauses. Das Flugzeug steht zwar sehr günstig vor der Durch 189
fahrt, aber es gehört doch allerhand Zeit dazu, um einen Menschen gegen seinen Willen aus dem Haus heraus in die Kabine zu bringen. Bis dahin sind wir längst an Ort und Stelle.« Norholm zögerte noch immer. »Hm, aber der Angriff bei Tag wird uns sehr viele Opfer kosten!« »Weniger als in der Nacht«, behauptete Hal ent schieden. »Wir müssen nur richtig vorgehen, dann ist der Tag unser Vorteil. Geben Sie acht! Wir bilden zwei Gruppen. Die erste bewaffnet sich mit Maschinenpi stolen. Sie bleibt am Waldrand liegen und nimmt al les aufs Korn, was sich an Gegnern sehen läßt. Diese verfügen nur über Gewehre und werden sich schwer hüten, auch nur die Fingerspitzen in die Geschoßgar ben dieser Maschinenpistolen zu stecken. Die zweite Abteilung stürmt gleichzeitig mit dem einsetzenden Feuer und zwar hauptsächlich auf das Flugzeug zu. Die Entfernung beträgt nicht mehr als hundert Meter, wir brauchen also nur ganz großzügig gerechnet zwanzig Sekunden Zeit anzusetzen. Die Spanne ist so gering, daß wir fast ohne Verluste an das Haus herankommen müßten. Es muß natürlich darauf ge achtet werden, daß wir gerade gegen die Durchfahrt anlaufen, während die Schützen, die bis zum letzten Moment die Durchfahrt unter Feuer halten sollen, seitlich liegen, damit die Stürmer die Durchfahrt nicht zu früh durch ihre Körper abdecken.« 190
Sven Norholm war jetzt zuversichtlicher. »Der Plan gefällt mir«, meinte er. »Sie sind ein besserer Stratege als ich. Aber was wird, wenn sich die Banditen in den Tunnel zurückziehen?« »Wir lassen gleichzeitig von der anderen Seite her angreifen. Mit dem Flugzeug bin ich schnell in Chil pancingo. Ich könnte sogar noch einige Leute mit nehmen.« »Von Chilpancingo sind es zwei Stunden An marsch.« »Zwei Autos werden sich schon auftreiben lassen. Wir markieren den Trupp als Ausflügler. Jetzt ist es elf Uhr. Wir haben genug Spielraum, wenn wir um zwei angreifen.« »Gut, halten wir den Zeitpunkt fest. Ich gebe Ihnen meine besten Schützen mit. Es wäre schade, wenn dieser Garcia etwa durch den Tunnel entwischte.« »Er wird es eher im Flugzeug versuchen«, mur melte Hal grimmig. »Aber ich werde den Kerl nicht rauslassen, bevor er nicht dafür gebüßt hat, daß er Sun Koh blind gemacht hat.« * Hals Plan war gut, aber es gab einige Männer, die nichts von ihm wußten und zu ungeduldig waren, um immer nur zu warten. Sie hockten zu elft in einem Häuschen am Rand von Chilpancingo und blickten 191
immer wieder auf ihre Uhren, die gerade erst neun Uhr zeigten. »Ich habe es satt!« stieß endlich einer der Männer aus. »Wir können hier warten, bis wir schwarz wer den. Sie haben uns einfach vergessen. Was meinst du, Pfitscherer? Wollen wir nicht auf eigene Faust losgehen und den Laden ausräumen? Wir sind elf Mann, und es wäre doch gelacht, wenn wir mit der Bande nicht fertig werden würden.« »Das ist keine Kirchweih«, brummte Pfitscherer in seinen blonden Vollbart. »Aber – so eine richtige Rauferei, das wäre schon was. Aber wir müßten uns einen Plan ausdenken. Vielleicht zwei Wagen, sie müssen uns eben für harmlose Leute halten. Keine Waffen sehen lassen.« Nach einigem Hin und Her war der Plan festge legt. Zwei Mann gingen los, um Wagen aufzutreiben, während sich andere um Papiergirlanden und Fähn chen bemühten. Mit dem erhofften Wagen war es nichts, aber immerhin brachten die beiden wenig stens einen alten Lastwagen, der noch einige Stunden zu fahren versprach und ganz ansehnlich war, nach dem ihn die Männer zum Pfingstwagen einer fröhli chen Herrenpartie herausgeschmückt hatten. Zwischen elf und zwölf fuhr der Trupp los. Das war die gleiche Zeit, in der im Tal das Flugzeug star tete. Hal Marvin gab allerlei von sich, was nicht druck 192
fähig war, als er das Häuschen am Rand von Chil pancingo leer fand. Er erfuhr von einigen Anwoh nern, was sich hier in den letzten Stunden abgespielt hatte, und zog den richtigen Schluß daraus. Der Trupp hatte seinen eigenen Plan in die Tat umge setzt. Er startete sofort wieder zum Rückflug. Er sah von oben her den Wagen im Taleinschnitt rollen, aber er konnte ihn nicht mehr aufhalten, da er sich schon zu dicht am Palast befand. Er flog lieber wieder ohne Aufenthalt in das Tal ein. Wenn die Männer früher von außen her angriffen, dann mußte auch der An griff vom Tal aus sofort einsetzen, um zu retten, was zu retten war. Die Männer im Lastwagen wußten nichts von sei nen Sorgen. Sie waren vergnügt, weil sie die Warte rei hinter sich hatten und Trubel vor sich sahen. Eine Rauferei – das war wirklich genau das, was sie brauchten. Plötzlich warnte Pfitscherer: »Fertigmachen! Hin ter der Kurve kommt der Palast in Sicht. Und jetzt singen wir.« Einer räusperte sich und legte einen Zweizeiler vor, dann grölte der ganze Trupp den Kehrreim. Der Mann auf dem Dach des Fahrerhäuschens riß wild an den Saiten eines Banjos, das man bei einem Trödler aufgetrieben hatte. Aus dem Hauptportal des Palastes stürzte ein 193
Mann heraus. Er hielt ein Gewehr in der Hand, legte jedoch nicht an, sondern starrte nur. Erst als der Wa gen mit voller Geschwindigkeit auf den Weg zum Seitentrakt einbog, begann er zu fuchteln. Der Fahrer trat das Gaspedal durch und ließ den Wagen durch die Kurve rutschen. Jetzt kam es darauf an, schneller zu fahren, als der Gegner dachte. Und oben auf dem Wagen brüllte der volle Chor, als käme es auch darauf an, lauter zu schreien als der Gegner. In der Durchfahrt des Seitentrakts tauchte ein zweiter Mann auf und ruderte abwehrend mit dem Gewehr. Er sprang gleich darauf entsetzt beiseite, denn der Wagen raste in die Durchfahrt hinein. Der Hof! Die Tunnelmündung! Die Bremsen kreischten. Der Wagen rutschte, bockte, griff wieder und stand genau vor der Durch fahrt des Felsenhauses und damit vor dem Eingang des Tunnels. Die Sänger sprangen über die Wagen wand. Sechs Männer kamen aus dem Halbdunkel heraus und versuchten zu begreifen, was sich abspielte. »Hände hoch!« brüllte einer von Pfitscherers Hor de. Zwei, drei Gewehre zuckten hoch. Die anderen klirrten auf die Steine. Ein paar Schüsse knallten, dann gaben die Banditen auf. Sie reckten die Arme hoch und ließen sich in die nächste Ecke treiben. 194
Dann war es einige Sekunden lang still, bis einer verwundert fragte: »Na und – war das alles?« Er drückte eine Enttäuschung aus, die auch auf anderen Gesichtern stand. Die Männer hatten mit ei nem Kampf gerechnet. Statt dessen war da nur ein Häufchen überrumpelter Männer. Mehr Gegner schienen überhaupt nicht zu existieren. »Erst wollen wir einmal die Kerle binden«, beru higte Pfitscherer. »Wir sperren sie dann in die Wachstube. Den wichtigsten Punkt haben wir jeden falls. Wo die anderen stecken, werden wir bald he rausbekommen.« »Wir können ja die Gefangenen fragen«, schlug einer seiner Kameraden vor und nahm sich kurzer hand einen der Banditen vor. »He, mein Junge, wo sind die anderen?« »Auf der anderen Seite des Tunnels.« »Im Tunnelhaus?« »Ja«, bestätigte der andere. »Denkt ihr, ihr wäret sonst hier hereingekommen?« Die Männer blickten sich bestürzt an. Von der Be setzung des Tunnelhauses am anderen Ende des Tunnels wußten sie noch nichts, und sie begriffen, wie bedenklich unter diesen Umständen die Situation für die Talbewohner war. Pfitscherer nahm sich den Gefangenen vor. »Wie weit stecken eure Leute im Tal?« »Das Haus haben sie.« 195
»Wie viele sind vorn im Palast?« »Insgesamt vier. Die anderen wurden hinten ge braucht.« Pfitscherer wandte sich an seine Kameraden. »Hört zu. Das sieht gar nicht so schlecht aus. Wir haben die Burschen in der Falle, und wir lassen sie nicht wieder raus. Im Tal stecken genug Männer, die ihnen von der anderen Seite her einheizen werden. Wir fangen sie hier ab oder rücken durch den Tunnel vor. Jetzt müssen wir aber erst einmal die vier Mann unschädlich machen, die im Palast sind. Wer geht mit?« Sie setzten sich alle in Bewegung, aber Pfitscherer grinste und wehrte mit beiden Händen ab. »Das könnte euch so passen, was? Zwei alte Krie ger und keiner mehr, also du und …« Hal Mervin landete mitten unter den rund hundert Männern, die Sven Norholm inzwischen zusammen gezogen hatte. Während er heraussprang, redete er schon. »Hallo, Mr. Norholm, wir müssen sofort angrei fen. Der Trupp in Chilpancingo hat nicht warten können. Er ist mit einem Lastwagen zum Palast ge fahren und hat jetzt wohl schon angegriffen. Garcia wird vorzeitig gewarnt. Wie weit sind wir?« »Alles bereit.« »Dann los, geben Sie Ihre Befehle.« 196
Juan Garcia befand sich in der denkbar günstigeren Lage. Während die Angreifer an das Tunnelhaus he rankamen, saß er im Flugzeug und ging die Armatu ren durch. Er wollte eben das Flugzeug verlassen, als am Waldrand die Männer vom Tal zum Sturm ansetzten. Sven Norholm gab durch ein Hornsignal das ver einbarte Zeichen. Damit setzte das Knattern der Ge wehre und Maschinenpistolen ein. Der Sturmtrupp brach durch die vorgesehene Lücke und ging gegen das Tunnelhaus vor. Die Überraschung gelang. Hier und da tauchte ein Kopf auf, zuckte aber wieder zurück. Die vereinzel ten Schüsse der Banditen gingen im ununterbroche nen Feuer der Talmänner unter. Juan Garcia begriff, daß seine Stunde geschlagen hatte, als er die Angreifer bemerkte. Er sprang sofort in das Flugzeug zurück und startete. Hal heulte vor Wut auf. »Da! Verdammt – Feuer auf das Flugzeug!« »Nein!« fuhr Sven Norholm auf. »Wenn Miß Sil ver …« Hal begriff, daß er Juan Garcia nicht aufhalten konnte. Er rannte durch den Wald zurück. Als er atemlos und völlig erschöpft auf dem Platz ankam, auf dem er vorhin gelandet war, fand er das Flugzeug nicht mehr vor. Einer von den Männern, 197
die zurückgeblieben waren, gab Hal Auskunft. Der Pilot hatte das Aufsteigen der anderen Maschine beobachtet und war daraufhin gestartet. Er wollte das Flugzeug verfolgen und Nachricht geben. Sven Norholm nahm inzwischen das Tunnelhaus wieder in Besitz. Garcias Leute leisteten unter den gegebenen Umständen keinen Widerstand mehr. Nachdem die Durchfahrt im ersten Ansturm genom men worden war, kamen die anderen freiwillig aus den Gängen und Räumen, um sich gefangennehmen zu lassen. Sven Norholm fand Ruth Silver gefesselt in einem Speicherraum. »Sie haben mir viel Sorge bereitet«, murmelte er, während er ihr die Fesseln abnahm. »Warum haben Sie meine Anordnungen nicht beachtet?« »Ich habe mich einfach verlaufen«, gestand sie reumütig. Er richtete sie behutsam auf. »So, jetzt wollen wir versuchen, ob Sie wieder auf den Füßen stehen können. Wollen Sie meine Frau werden, Ruth?« Sie setzte sich schleunigst wieder hin. Diese Frage ließ ihre Knie weich werden. Sven Norholm brauchte jedoch kein zweitesmal zu fragen. Das Tunnelhaus befand sich zwar wieder im Be sitz der Talmänner, aber niemand wußte, wie es vorn im Palast aussah. Die Gefangenen erklärten, daß sich 198
auf der anderen Seite des Tunnels nur noch zehn Mann befänden. Das ließ die Hoffnung zu, daß es dem Trupp Pfitscherers gelungen war, sich im Palast festzusetzen. Es sagte jedoch nichts darüber aus, wer die entscheidende Stelle, nämlich die Tunnelmün dung besetzt hielt. Es mußte auf jeden Fall festgestellt werden. Sven Norholm wählte fünf Männer aus und drang mit die sen zusammen in den Tunnel ein. Die Spitze marschierte im schnellem Tempo, bis die letzte Krümmung kam, von der aus der Tunnel in gerader Strecke auf das Felsenhaus zuführte. Dieses Endstück war immerhin noch dreihundert Meter lang. Sven Norholm löste die Blechtrompete vom Gür tel, setzte sie an den Mund und gab das Signal. Es brach sich vielfältig an den Wänden und schwang sich wie in einem Sprachrohr fort. Die Ohren der Männer waren kaum wieder auf nahmefähig geworden, als ein langgezogener Pfiff von der Tunnelmündung her antwortete. Pfitscherer! Die Männer lösten sich von den Wänden und eil ten vorwärts. Von der Tunnelmündung kamen Rufe, dann erschienen Männer gegen den hellen Hinter grund, und dann trafen die Trupps aufeinander. Don Fernandos Besitz war wieder frei von Bandi ten. 199
Das Tal der Abenteuer gehörte wieder denen, de nen es zur Heimat geworden war. Aber irgendwo lagen Männer in dunklen Zimmern und warteten darauf, ob sie wirklich wieder sehen würden. Und irgendwo hockte Juan Garcia in der Kanzel des gestohlenen Flugzeuges und hoffte zwischen Wut und Haß, der Verfolgung entgehen und eines Tages seinen größten Feind besser treffen zu können. ENDE
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Als SUN KOH-Taschenbuch Band 23 erscheint:
Freder van Holk
Die Räuber vom
Pfirsichblütenberg
Hal Mervin jagt hinter Juan Garcia her, verliert ihn jedoch in den Sümpfen, interessiert sich für Malerei und versteckt einen Toten. Owen Carlin trinkt zuviel, vergißt es aber gelegentlich. Ho Tao, der Himmelragende, kennt schöne Sprü che, Owen Carlin hält nichts von Gift im Ring und der Nordexpreß wird überfallen. Hal Mervin wird chinesisch, und Juan Garcia verwandelt sich in Tu Hsing, die weiße Teufelsfratze. Owen Carlin kämpft nach drei Seiten, die Räuber vom Pfirsichblütenberg feiern Hochzeit und der Himmelragende zettelt Verschwörungen an. Hal Mervin empfängt einen Verweis durch den Äther und wird zum Dornröschen. Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vier wöchentlich und sind überall im Zeitschrif ten- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.