1
Die Erben des Lichts Buch 1: „Das Tor der Welten“ von Achim Köppen
Prolog: Einst herrschte ewige Dunkelheit über de...
117 downloads
834 Views
260KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1
Die Erben des Lichts Buch 1: „Das Tor der Welten“ von Achim Köppen
Prolog: Einst herrschte ewige Dunkelheit über den Ländern Alkhanas. Die Völker lebten in Barbarei und Unwissenheit und in ständigen Kriegen gegeneinander. Doch dann erschien Barangor, ein mächtiger Krieger und Heerführer. Er errang von den Göttern: das Schwert der Macht Mit dieser Waffe vereinigte er die zerstrittenen Völker und wurde der erste König von Narandor. Zufrieden blickten die Götter nun auf ihre Welt und so schenkten sie Barangor zwei weitere magische Reliquien: die Krone der Gerechtigkeit, auf dass er gerecht regieren möge, und das Buch der Weisheit, um ihm auch das Wissen dafür zu geben. Doch der Friede währte nicht lang und Barangor starb auf einem seiner Jagdausflüge durch die Hand eines feigen Mörders. Dieser hatte im Auftrag des dunklen und selbstsüchtigen Königs Aldaaron gehandelt, welcher nun seine finsteren Heerscharen gegen die freien Völker Alkhanas führte. Immer mehr Königreiche wurden von den Horden Aldaarons überrannt oder schlossen sich ihm aus Furcht sogar freiwillig an. Als das letzte Aufgebot von Menschen, Zwergen und Elfen unter Aldaarons Ansturm zusammenzubrechen drohte, gelang es dem Waldelfenkönig Gondular, die dunklen Heere in einen Hinterhalt zu locken und in einer Schlacht, welche drei Tage und drei Nächte tobte, zu vernichten. Er besiegte auch Aldaaron mit Hilfe des Schwertes der Macht in einem letzten Duell. Aldaaron wurde in die dunklen Länder nach Astergaard verbannt, wo er sich die magischen Künste aneignete und sich fortan Erzpriester von Suloß nannte. Doch er schwor Rache. Eines Tage würde er zurückkehren und sich die Macht über ganz Alkhana holen. Nun war endlich Frieden. Doch das gegenseitige Misstrauen blieb. So entschied man, die heiligen Reliquien an geheimen Orten zu verbergen, so lange, bis die Völker weise genug seien, damit umzugehen. Auf Anordnung der Götter und der Weisen eines jeden Volkes sollte nur noch ein wirklich Auserwählter die Reliquien in der Stunde der Gefahr wieder finden und dann auch zum Nutzen aller freien Völker anwenden können. Aber nur ein fremder, nicht von Alkhana stammender Mensch sollte es sein. Er würde dann der „Wahre Träger“ sein und Alkhana in eine bessere Zukunft führen.
2
Alkhana, vierhundert Jahre später auf den Thron zu. „Majestät, Ihr erlaubt, dass ich das Wort an Euch richte!“ Die Gestalt auf dem Thron richtete sich langsam auf und blickte ihn fragend an. „Nur zu, Melwin, was habt Ihr mir zu berichten?“ „Ich habe, wie Ihr es gewünscht hattet, in den letzten Jahren intensiv die Sterne beobachtet und die Alten Schriften studiert.“ Er machte eine längere Pause und fuhr dann fort. „Es bestehen keine Zweifel mehr, die Zeit des „Wahren Trägers“ ist jetzt gekommen.“ Bergomir nickte. „Dann ist es also wirklich so weit, dass ich mein Reich an jemand anderen übergeben muss. An jemanden, der die drei heiligen Reliquien, das Buch, das Schwert und die Krone, wiederbeschaffen wird.“ „Ja, Majestät, aber in den Sternen las ich ebenfalls, dass nur ein Mensch, der nicht von unserer Welt stammt, der „Wahre Träger“ und dann auch der Erbe eures Reiches, ja, sogar unserer ganzen Welt sein kann. Nur dieser kann uns vor Aldaaron, dem Erzpriester von Suloß, und seinen Finsteren Horden bewahren.“ „Aber bisher gelang es nur einem einzigen Menschen aus einer fremden Welt den Weg zu uns zu finden und auch dieser hatte einfach zu große Zweifel an sich selbst und an der Mission“, versuchte der König einzuwenden. „Ich weiß, aber er ist unsere einzige Hoffnung und vielleicht hat er sich inzwischen zu einer anderen Meinung durchgerungen.“ „Gut, dann müssen wir es wagen; sendet ihm eine Nachricht.“ Melwin nickte und holte dann ein kleines hölzernes Kästchen aus seinem Gewand. Aus ihm entnahm er einen funkelnden Kristallsplitter.
Der riesige Thronsaal von Tordor Castle war kahl und unansehnlich und wurde nur von wenigen Fackeln erleuchtet. Die Wände und Decken, welche einstmals mit prachtvollen Fresken verziert waren, wirkten jetzt nur noch verrußt und schmutzig. Vier mächtige, in der Mitte des Saales stehende Säulen stützten die ganze Halle ab. Ein roter Teppich lief vom Eingangstor, vor dem zwei verschlafene Wächter standen, direkt auf den Thron zu. Die Gestalt darauf war in sich zusammengesunken und wirkte müde und kraftlos. Die grauen wirren Haare und das eingefallene weiße Gesicht waren von Kummer gezeichnet. König Bergomir von Narandor war einst ein großer Regent und Nachfahre des berühmten ersten Staatsgründers Barangor gewesen; jetzt war er nur noch alt, krank und vergessen. Die Ritterschaft hatte sich von ihm abgewandt. Früher, ja früher einmal war dieses Schloss ein Treffpunkt für Adelige aus allen Teilen des großen Landes gewesen und Narandor eines der mächtigsten Länder Alkhanas. Doch diese Zeit war längst vergangen, das große Reich zerfiel immer mehr und Bergomir war nicht in der Lage, dies zu verhindern. Nur wenige Adelige waren noch bereit, dem alten König zu gehorchen und ihm zu dienen. Die meisten verfolgten nur noch ihre eigenen Ziele. Ein Nachfolger auf dem Thron war daher nicht in Sicht. König Bergomir hatte zwar eine Tochter, die war aber nicht bereit, einen dieser selbstsüchtigen Vasallen zu ehelichen. So blieben die Reichsgrenzen ungeschützt und die Nomadenstämme der Orks konnten ohne großen Widerstand ins Reich eindringen. Narandor hatte sich auch niemals ganz von dem großen Krieg um die Reliquien erholen können. Ein Mann mit langem schlohweißen Bart, in einem farbenprächtigen Gewand betrat den Saal und kam an den Wachen vorbei 3
„Wird er dieses Zeichen auch richtig zu deuten wissen?“ „Ich hoffe es, Majestät.“ Daraufhin legte Melwin den Splitter vorsichtig auf eine der Stufen, die zum Thron führten. Dann murmelte er einen seltsam klingenden Spruch. Bald darauf wurde der Kristall von einem leuchtend blauen Nebel eingehüllt. Als dieser sich verzogen hatte, war der Kristall verschwunden.
4
Kapitel 1 Das Telegramm
aber das störte ihn nicht besonders. Peter genoss es sogar. Seine letzten Affären mit Damen aus der besseren Gesellschaft hatten es ihm ermöglicht, erste Kontakte mit einigen einflussreichen Leuten zu knüpfen, so dass er schon bald seine neue Kanzlei eröffnen konnte. Er würgte das Essen herunter und trank reichlich schwarzen Tee hinterher, so dass die Benommenheit allmählich wich. Dabei blätterte er die Morgenzeitung durch. Plötzlich klingelte es an der Wohnungstür. Webster verließ die Küche, ging zur Tür und betätigte dort die Sprechanlage. „Wer ist da?“ „Telegramm für Sie, Sir“, kam die Antwort. Er öffnete, nahm es entgegen und reichte dem Boten ein Trinkgeld. Dann schloss er die Tür wieder und warf dabei einen raschen Blick auf den Absender. „Mary Webster“ war dort angegeben. Das war Peters Großmutter, die in einem kleinen Ort namens Herrington in Süd-Wales wohnte. Peter wunderte sich, denn er hatte schon sehr lange nichts mehr von ihr gehört. Da er es heute Morgen eilig hatte und noch kurz ins neue Büro wollte, legte er das Telegramm zunächst beiseite. Er blätterte die Zeitung weiter durch und schlürfte rasch den restlichen Tee. Er nahm seinen Aktenkoffer und wollte die Wohnung gerade verlassen, als sein Blick doch wieder auf das Telegramm fiel. Es war wirklich sonderbar. Fast zehn Jahre hatte er nichts von seiner Großmutter gehört, nun meldete sie sich bei ihm und dann auch noch mit einem Telegramm. Was konnte der Grund dafür sein? Er überlegte einen Augenblick; vielleicht brauchte die alte Dame seinen Beistand,
London: Heute Es war Sonnabendmorgen. Peter Webster erhob sich, gähnte immer noch müde und stand schließlich auf. Er torkelte noch etwas benommen ins Badezimmer und warf dort einen kurzen Blick in den Spiegel. „Mein Gott, was war das für eine Party!“, stellte er ernüchternd fest. Webster war ein recht erfolgreicher Anwalt um die dreißig und lebte in einem der besseren Stadtteile Londons. Dort hatte er sich ein größeres Apartment und vor kurzem auch ein Büro gemietet. Er hatte lange Zeit als Kompagnon bei einem großen und bekannten Anwalt gearbeitet, vor kurzem aber seine Stellung gekündigt. Da er über genügend finanzielle Rücklagen verfügte, wollte er sich nun selbständig machen. Peter war auf seinem Gebiet zwar ziemlich erfolgreich gewesen, aber er war es leid, nur die kleinen und unbedeutenden Fälle zugeteilt zu bekommen. Nein, er wollte an die richtigen großen „Sachen“ heran. Aus diesem Grund ließ er keine Gelegenheit verstreichen, sich in der besseren Gesellschaft der englischen Hauptstadt nach eventuellen Klienten umzusehen. Zum Glück konnte er sich auf einige alte Studienkollegen berufen, die ihn in die Londoner High Society einführten. So lief eigentlich alles nach seinen Wünschen. Nur heute morgen fühlte er sich nicht so besonders gut, sein Kopf schmerzte und er spürte ein ungutes Gefühl in der Magengegend, da er den Umzug in seine neue Kanzlei mit einigen alten Bekannten ausgiebig gefeiert hatte. Er duschte, rasierte sich, zog sich an und ging dann in die Küche. Dort bereitete er sich sein Frühstück zu. Er war Single, 5
erst heute Nachmittag. Falls nicht, versuch es doch einmal bei George, vielleicht fährt er ja mit nach Herrington.“ Sie legte auf. Peter überlegte kurz: Sicherlich wäre eine Woche USA mit der hübschen Mandy äußerst reizvoll gewesen, aber er brauchte wirklich etwas Ruhe, gerade jetzt, wo die Eröffnung seiner neuen Kanzlei bevorstand, und einen ruhigen Urlaub konnte er mit Mandy ganz gewiss nicht verbringen. Also beschloss er George anzurufen. George Miller war ebenfalls Anwalt, allerdings nicht so ein Karriere-Typ wie Webster. Ein etwas eigenartiger Mensch, dem Geld nicht so viel bedeutete wie ihm. Er bewohnte nur eine kleine Wohnung außerhalb Londons. Sein einziges Hobby war das Angeln. Aber man konnte gut mit ihm auskommen. Peter hatte ihn während seines Studiums in Oxford kennen gelernt. Schon wenige Minuten später rief er ihn an und unterbreitete ihm seinen Vorschlag. „Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit“, versuchte Miller einzuwenden. „Außerdem, was ist mit deiner Großmutter? Was wird Sie sagen, wenn du noch einen Fremden mitbringst?“ „Sie wird sich ganz bestimmt freuen, da bin ich mir sicher. Mach dir deswegen nur keine Gedanken. Im Übrigen denke ich, dass dir ein paar Tage Urlaub auch gut bekommen würden, du arbeitest viel zu viel, und was die Gegend dort angeht, man kann da auch herrlich angeln.“ Einen kurzen Augenblick schien Miller noch unentschlossen, dann antwortete er: „Also gut, ich werde es mir überlegen. Du kommst doch zum Lunch immer in deinen Club. Treffen wir uns heute Mittag dort.“ „In Ordnung.“ Webster packte rasch seine Koffer und gab seiner neuen Sekretärin einige Anweisungen für die nächsten Tage. Dann fuhr er los, um noch einige Besorgungen zu machen und im Büro kurz nach dem Rechten zu sehen. Von dort aus rief er auch bei Mandy an und sagte ihr ab. Etwa gegen zwölf traf Peter im Club ein.
eventuell sogar in einer rechtlichen Angelegenheit. Sie war seine einzige noch lebende Verwandte. Seine Großeltern hatten ihn damals nach dem frühen Tode seiner Eltern bei sich aufgenommen. Also legte er den Koffer wieder beiseite und öffnete das Telegramm. Mary Webster schien sich tatsächlich in Schwierigkeiten zu befinden, so hatte es jedenfalls den Anschein, denn sie bat ihn, er möge sie möglichst bald wegen einer dringenden Angelegenheit aufsuchen. Die alten Websters hatten auch in der Vergangenheit nur selten jemanden um Hilfe gebeten. Es sei denn, es handelte sich wirklich um etwas Wichtiges. Ja, er musste sie aufsuchen. Schon zu lange hatte er die alte Dame vernachlässigt, die ihn doch aufgezogen hatte und ohne deren Hilfe er niemals hätte studieren können. Möglicherweise konnte er ihr sogar helfen und dabei gleichzeitig, jetzt im Frühjahr, ein paar Tage Urlaub dort verbringen? Ja, wieso sollte er nicht gleich heute fahren? Er konnte den Urlaub in der Tat gut gebrauchen. Die letzten Wochen waren durch den Umzug ziemlich anstrengend gewesen und da er in Kürze seine neue Kanzlei eröffnen wollte, würden ihm ein paar Tage Erholung auf dem Lande sicherlich gut tun. Daher bot sich eigentlich schon dieses Wochenende an. Diese Idee gefiel ihm immer besser. Nur ganz allein wollte er auch nicht los, er kannte ja außer seiner Großmutter dort niemanden. Aber vielleicht würde ja seine alte Bekannte Mandy O'Connor mitkommen? Rasch ging er zum Telefon und wählte ihre Nummer. Es dauerte einige Minuten, dann meldete sie sich noch ziemlich verschlafen. „Zu deiner Großmutter? Nein, nur das nicht“, antwortete sie lachend. „Außerdem wollte ich ab heute für eine Woche in die Staaten fliegen. Willst du nicht mitkommen? Das wird bestimmt viel interessanter als bei deiner Großmutter. Du kannst es dir ja noch überlegen, ich fliege 6
nämlich nicht mehr die Jüngste.“ „Es wird schon nichts Schlimmes sein“, versuchte Miller ihn zu beruhigen. Webster nickte: „Hoffentlich. Aber nun lass uns erst einmal etwas essen.“ Nach dem Essen erhob sich Webster als Erster. „Ich schlage vor, wir nehmen meinen Wagen. Hast du Gepäck dabei?“ George deutete auf einen kleinen Koffer und eine zusammengeklappte Angelrute. „Gut, du kannst deinen Wagen ruhig hier auf dem Parkplatz vom Club lassen. Ich werde Simmons Bescheid sagen.“ Kurz darauf luden sie Georges Gepäck in Peters Wagen. Dann fuhren sie los, mit der festen Überzeugung, einige ruhige Tage auf dem Land verbringen zu können. Keiner von ihnen konnte auch nur ahnen, welche Ereignisse dort auf sie zukommen würden.
Paul Simmons, der Verwalter, kam ihm entgegen. „Gut, dass Sie hier sind, Sir. Ein Mr. George Miller hat schon die ganze Zeit noch Ihnen gefragt. Ich wollte ihn eigentlich nicht hereinlassen, er ist kein Mitglied. Aber er behauptet, ein Freund von Ihnen zu sein. Ein merkwürdiger Bursche. Ich habe doch keinen Fehler gemacht, Sir?“ Webster grinste. „Nein, natürlich nicht. Wo ist er?“ „Im Speisezimmer.“ Peter durchquerte die übrigen Clubräume, die zu dieser Tageszeit überraschenderweise so gut wie leer waren. An einem einzelnen Tisch ganz hinten im Speiseraum konnte er eine schlanke Gestalt erkennen, George Miller. Dieser hatte ihn sofort entdeckt und winkte ihn zu sich. Miller war ein großer, fast hagerer Mann, etwas älter als Webster. Mit dunkelblondem Haar und blaugrauen Augen. Ein etwas eigentümlicher Typ, der gar nicht so recht zu dem modebewussten und vitalen Webster passen wollte. Er trug ein altes kariertes Jackett und fast verschlissene hellblaue Jeans. Peter begrüßte ihn kurz und nahm neben ihm Platz. Ein Bediensteter erschien. „Was darf ich Ihnen servieren?“ „Mir nur ein Gurkensandwich und ein Glas Orangensaft“, erwiderte Webster. „Und dir, George?“ „Ich nehme das Gleiche.“ „Sehr wohl, Sir.“ „Du hast es dir überlegt?“, fragte Webster. Miller nickte. „Ja, ich komme mit. Aber seit wann besuchst du eigentlich deine Großmutter? Lebt die alte Dame denn überhaupt noch?“ „Sicher, aber es ist wirklich schon etwas merkwürdig! Ich habe sehr lange nichts mehr von ihr gehört und heute Morgen erhalte ich auf einmal ein Telegramm. Sie bittet mich, sie sofort aufzusuchen. Ich hoffe nur, dass es ihr gut geht, ich mache mir jetzt doch ernsthafte Sorgen, sie ist 7
Kapitel 2 Die Ankunft
Hier hielt er den Wagen an. „Wir sind da, George!“ Miller nickte kurz. Sie luden ihr Gepäck aus und schritten durch das ebenfalls mit Efeu umrankte Tor auf das Haus zu. Hier im Garten hatte sich in all den Jahren nichts verändert. Links und rechts neben dem gekiesten Gartenweg standen verschiedene Obstbäume: Äpfel, Birnen und Pflaumen, welche in voller Blüte standen und deren Zweige sich im Wind ruhig auf und ab bewegten. Dieser trug ihnen nun den Geruch von zahllosen Blumen und Kräutern entgegen. Webster blieb für einen Augenblick stehen und betrachtete nachdenklich die ganze Szenerie: Bilder aus der Kindheit tauchten in diesem Moment vor seinem geistigen Auge auf. Es war lange, sehr lange her, dass er den Garten seiner Großeltern gesehen hatte. Die Strahlen der untergehenden Sonne überzogen jetzt die ganze Landschaft mit einem goldfarbenen Licht. Das weiß getünchte Haus mit seinem großen Erkerfenster auf der linken Seite wirkte wie eine Perle inmitten des Ganzen. „Nun komm doch, Peter“, riss George ihn aus seinen Gedanken. Miller war inzwischen schon bis zur Haustür vorgegangen. Webster eilte mit seinem Koffer rasch hinter ihm her. Kurz nachdem er geläutet hatte, näherten sich Schritte. Eine alte Dame mit silbrig-grauen Haaren und einem gepflegten Aussehen öffnete ihnen die Tür. Es war Mary Webster, Peter erkannte sie trotz der langen Zeit sofort wieder. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm und wirkte trotz ihres Alters noch sehr agil. Sie blickte zuerst George und dann ihn fragend an. „Peter, bist du es wirklich?“
Erst nach einer Fahrzeit von knapp vier Stunden erreichten sie die ersten größeren Ortschaften in Süd-Wales. Obwohl Webster ein schnelles Fahrzeug besaß, war es ihnen nicht sofort gelungen, dem Verkehrsgewühl der englischen Hauptstadt zu entkommen. Und auch auf der Autobahn ging es nur äußerst langsam voran. So war es denn später Nachmittag, als sie endlich in Herrington ankamen. Hier lebten Peters Großeltern in einem kleinen Haus am Ortsende. Nachdem Frank Webster vor etwa zehn Jahren gestorben war, bewohnte die 85-jährige Mary das Haus ganz allein. Nur die Haushälterin Mrs. Smith kam zweimal in der Woche vorbei, um sich ein wenig um die alte Dame zu kümmern. Bei den übrigen Dorfbewohnern galten die alten Websters von jeher als ziemlich verschlossen und eigenartig. Auch Peter hatte seit dem Tode seines Großvaters nichts mehr von Mary Webster gehört; dass sie ihm jetzt ein Telegramm schickte, war schon etwas seltsam. Kurz vor der Ortseinfahrt deutete er auf einen kleinen Weg, welcher auf einen leicht bewaldeten Hügel hinaufführte. „Dort oben liegt der Steinkreis, ein mystischer Platz, der wahrscheinlich noch aus der Keltenzeit stammt. Meine Großmutter hat mir früher als Kind immer Märchen und Legenden darüber erzählt.“ Sie blieben weiter auf der Hauptstraße, die durch den kleinen malerischen Ort führte. Erst kurz vor dem Ortsende bog Peter seitlich auf einen Feldweg ab. Der Weg führte sie direkt auf ein ziemlich abseits stehendes Haus zu und endete an einer Hecke aus dichtem Efeu. Diese schien das ganze Haus und den Garten zu umschließen. 8
grobes Leinentuch gewickelten Gegenstand in ihren Händen. Behutsam legte sie diesen vor Peter und George auf den Tisch und wickelte ihn aus. Ein funkelnder, etwa zehn Zentimeter langer Kristallsplitter wurde sichtbar. „Ich habe diesen Kristall einige Tage später ins Dorf zum Juwelier gebracht, damit er ihn sich einmal ansieht.“ Sie machte eine kurze Pause. „Mr. Potter, unser Juwelier, fand heraus, dass es sich bei dem Kristall um ein ihm völlig unbekanntes Mineral handelt.“ Peter blickte sie fragend an. „Ja, aber warum erzählst du uns das alles und was hat es mit diesem „Ding“ zu tun?“ „Peter, verstehst du denn nicht? Ich habe diesen Kristall am Steinkreis gefunden. Ich bin mir sicher, dass er irgendetwas mit den Entdeckungen, die dein Großvater damals dort oben machte, zu tun haben muss. Du weißt doch auch, dass der Steinkreis schon immer ein unheimlicher Ort gewesen ist, und ich bin mir sicher, dass die merkwürdigen Begebenheiten damals, meine Träume und dieser Kristall in irgendeinem Zusammenhang stehen müssen. Seitdem ich den Kristall hier im Hause habe, sind diese Träume noch plastischer geworden. Sie zeigen den Steinkreis, der in irgendeinem seltsamen bläulichen Nebel liegt, und ich höre eine Stimme, die ständig nach jemanden ruft. Ich kann aber die Sprache nicht verstehen. Deswegen habe ich dir auch das Telegramm geschickt. Dort oben geschieht etwas, aber ich kann mir nicht erklären, was es ist. Peter, die Sache ließ mir einfach keine Ruhe. Du bist der Einzige, an den ich mich noch wenden konnte. Großvater hat seine Geheimnisse mit ins Grab genommen. Außer einigen Aufzeichnungen existiert nichts mehr. Du hast studiert und kennst dich vielleicht besser mit all den Dingen aus, mit denen Großvater sich damals beschäftigt hat. Irgendeinem staatlichen Forschungsinstitut wollte ich mich nicht anvertrauen. Die hätten mir ohnehin nicht geglaubt und mich vielleicht sogar für verrückt erklärt.
Webster nickte. „Du hast dich sehr verändert, aber es ist schön, dass du so schnell kommen konntest, und du hast auch noch einen Freund mitgebracht. Herzlich willkommen!“ Sie reichte beiden die Hand und führte sie ins Haus. „Ihr seid beide sicherlich müde und hungrig. Kommt, ich zeige euch eure Zimmer.“ Nachdem sie ihre Koffer ausgepackt hatten, blieb ihnen bis zum Einbruch der Dunkelheit noch etwas Zeit, sich die malerische Umgebung Herringtons anzusehen. George Miller war sofort begeistert, als ihm Peter einen kleinen See in der Nähe des Hauses zeigte, an dem es sich gut angeln ließ. Erst sehr spät am Abend kehrten sie wieder zurück. Peters Großmutter hatte ihnen inzwischen ein reichhaltiges Abendessen zubereitet. Danach saßen sie dann mit einem guten Sherry am Kamin im Wohnzimmer und sprachen über die vergangenen Jahre. Allerdings hatte Mary Webster bisher noch keine Andeutung wegen des Telegramms gemacht, welches sie Peter geschickt hatte. Als sie jetzt so gemütlich beisammensaßen, hielt er die Zeit für gekommen, sie zu fragen. Nach einer längeren Pause entgegnete sie: „Peter, du kannst dich doch sicherlich noch daran erinnern, dass sich Großvater damals sehr stark für den Steinkreis interessiert hat.“ Peter nickte. Mrs. Webster blickte ihn ernst an. „Vergangene Woche hatte ich des Nachts mehrmals einen seltsamen Traum, der immer mit dem Steinkreis im Zusammenhang stand. Zunächst habe ich mir nichts weiter dabei gedacht, aber als der Traum immer intensiver wurde, bin ich eines Morgens zum Kreis hinaufgegangen.“ Mary Webster stand auf und ging hinüber zu einem Wandschrank. Als sie wieder zurückkam, hielt sie einen kleinen, in ein 9
Kaminfeuer. „Und ich hatte gedacht, du würdest mir wenigstens glauben, Peter“, murmelte sie.
Außerdem denke ich, dass es gerade für uns sehr wichtig ist. Bitte mache dich mit seinen Büchern vertraut!“ Webster und Miller hatten während der ganzen Zeit, in der Mary Webster sprach, verständnislose Blicke gewechselt. Erst nach einer Weile stand Peter auf, nahm einen Schluck Sherry und blickte seine Großmutter mit ungläubiger Miene an. „Entschuldige bitte, Großmutter, ist das wirklich dein Ernst? Ich war der Ansicht, du benötigst meine Hilfe als Rechtsanwalt, stattdessen erzählst du uns Großvaters Phantastereien.“ „Aber es ist die Wahrheit, ich schwöre es“, versuchte sie einzuwenden. Aber Peter beachtete sie gar nicht. „Um mir solch einen Blödsinn anzuhören, habe ich extra Urlaub genommen und bin von London hierher gekommen.“ Webster stand ärgerlich auf und warf einen Blick auf die vor ihm stehende Kaminuhr. „Es ist schon spät und ich bin müde. Ich werde jetzt schlafen gehen und morgen nach London zurückfahren. Du kannst ja ruhig noch ein paar Tage hier bleiben, George!“ Mit diesen Worten verließ er den Raum. Miller blieb noch eine Weile sitzen. „Sie dürfen ihm das nicht übel nehmen, Mrs. Webster, er ist eben ein wenig impulsiv“, versuchte er die alte Dame zu beruhigen, die ihm jetzt ziemlich nervös vorkam. „Der Junge hat sich wirklich sehr zu seinem Nachteil verändert. Ich habe das Gefühl, dass er sehr egoistisch und selbstsüchtig geworden ist.“ „Vielleicht haben Sie da nicht ganz Unrecht“, räumte George ein. „Aber ich glaube, wir sind heute alle etwas erschöpft und brauchen Ruhe. Gute Nacht, Mrs. Webster!“ Damit stand er auf und verließ ebenfalls das Wohnzimmer. Mary Webster blieb allein zurück. Nachdenklich blickte sie in das prasselnde 10
Kapitel 3 Frank Websters Aufzeichnungen
an einem Glas Whisky nippte. „Es geht mich zwar nichts an, aber du denkst sicherlich über deine Großmutter nach, nicht wahr?“ Peter nickte. „Ja, allerdings. Ich hätte nicht gedacht, dass sie nun doch schon so geistig verwirrt ist und an denselben Unsinn glaubt wie mein Großvater damals.“ „Nun musst du mich aber etwas näher aufklären. Was hat das Ganze mit deinem Großvater zu tun? Ich denke, der ist schon lange tot?“ „Weißt du, mein Großvater war so eine Art Hobbyarchäologe, zumindest hielt er sich dafür. Er war felsenfest davon überzeugt, dass der Steinkreis hier in Herrington irgendein mysteriöses Geheimnis besitzt. Zeit seines Lebens hat er herumgeforscht, konnte aber meines Wissens nie einen Beweis dafür erbringen. Er hat sich nur vor allen Leuten lächerlich gemacht und uns ebenfalls. Nun glaube ich, dass Großmutter, nachdem sie diesen Kristall dort oben gefunden hat, wieder beginnt, an diese Märchen zu glauben.“ George stand auf, machte ein paar Schritte und entgegnete: „Ganz ehrlich gesagt, für so durcheinander halte ich deine Großmutter nicht. Sie phantasiert vielleicht ein wenig, aber das gibt es doch auch bei anderen alten Leuten.“ „Ja, das mag vielleicht sein“, erwiderte Peter. „Aber ich habe den Eindruck, sie kapselt sich hier zu sehr von der Außenwelt ab. Ich meine“, fuhr er fort, „dass sie schon viel zu lange allein in diesem Haus wohnt.“ „Findest du wirklich?“ „Ja, ich habe es mir genau überlegt, das Beste wird sein, wenn ich ihr einen Platz in einem guten Altenheim besorge.“ „Ich glaube kaum, dass deine Großmutter damit einverstanden sein wird. Ich habe
George Miller warf sich unruhig im Bett hin und her. Er konnte einfach nicht einschlafen, was sicherlich größtenteils an dem sehr üppigen Abendessen liegen mochte. Aber auch die Auseinandersetzung, welche Peter mit seiner Großmutter gehabt hatte, ging ihm irgendwie nicht aus dem Kopf. Natürlich war Peters Zorn einerseits durchaus berechtigt, aber andererseits hatte Webster hier auch billig Urlaub machen wollen. Dass Mrs. Webster möglicherweise eine etwas zu blühende Phantasie hatte, war George schon klar, dennoch fand er, dass Peter sich ihr gegenüber nicht ganz richtig verhalten hatte. Normalerweise war es nicht seine Art, sich in fremder Leute Angelegenheiten einzumischen. Aber die Sache ließ ihm irgendwie keine Ruhe; und da er ohnehin nicht einschlafen konnte, stand er auf, um mit Peter noch einmal darüber zu reden. Er zog sich seinen Morgenmantel über und verließ das Zimmer. Im Flur war es fast dunkel, nur eine Wandleuchte verströmte mattes Licht. Kurz darauf stand er vor Websters Zimmertür. Durch das Schlüsselloch drang ein schwacher Lichtschein; also war Peter noch wach. Miller klopfte kurz und betrat dann den Raum. Der junge Rechtsanwalt saß im Pyjama in einem großen Ohrensessel am Kamin. Es schien, als ob er angestrengt über etwas nachdenken würde. Als er George bemerkte, richtete er sich auf. „Ich störe dich doch nicht etwa?“ „Nein, überhaupt nicht.“ Mit diesen Worten bot er ihm einen Platz in einem zweiten Sessel an, welcher ebenfalls am Kamin stand. George setzte sich und sie schwiegen eine Weile. Dann blickte er Peter an, der jetzt unruhig 11
bis morgen früh schläft. Gegen Mittag werde ich dann wieder nach ihr sehen.“ Er verabschiedete sich, wollte schon zur Tür gehen, drehte sich dann aber noch einmal um. „Ach ja, ehe ich es vergesse, sie möchte Sie jetzt gleich noch einmal sprechen, Mr. Webster.“ Mit diesen Worten verließ er das Haus. Kurz darauf, George hatte sich schon zur Ruhe begeben, betrat Peter das Schlafzimmer seiner Großmutter. Als sie ihn sah, winkte sie ihn zu sich. „Peter, ich bin sehr krank und werde bald sterben.“ „Aber nein“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Doch, doch, ich spüre es ganz genau, und darum musst du mir jetzt gut zuhören. Geh nach unten in die Bibliothek. Dort findest du im Schreibtisch, in der rechten Schublade, das Tagebuch und die Aufzeichnungen deines Großvaters. Bitte lies dir alles sehr genau durch, auch wenn du mir jetzt noch nicht glauben solltest. Vielleicht tust du es danach.“ „Aber Großmutter ...“ „Bitte, Junge, versprich es mir!“ „Also gut, ich werde es mir ansehen.“ „Dann kann ich ja beruhigt sein“, antwortete sie, legte sich auf die Seite und schlief sofort ein. Bedrückt und nachdenklich verließ Peter das Zimmer. Das hatte er nicht gewollt, aber was sollte er nur von dieser ganzen seltsamen Geschichte halten? Niemand hatte den alten Websters jemals geglaubt und er hatte doch jetzt nur das Beste für seine Großmutter gewollt. Er überlegte. Natürlich waren diese ganzen seltsamen Geschichten über den Steinkreis nichts weiter als Mythen. Aber sein Großvater hatte zumindest einige davon für nicht ganz so unrealistisch gehalten. Mit diesen hatte er sich damals beschäftigt, aber so intensiv, dass die Leute im Dorf ihn bald für einen Spinner gehalten hatten. Niemand außer Mary hatte sich damals für seine Forschungen interessiert. Aber vielleicht sollte er sich diese
das Gefühl, sie hängt sehr an diesem alten Haus.“ „Wenn es zu ihrem Besten ist, werde ich eben ohne ihre Einwilligung verfahren. Sobald ich morgen in London bin, werde ich mich einmal mit David Rogers in Verbindung setzen. Er kann ihr vielleicht noch diese Woche einen Platz besorgen.“ George wollte gerade etwas einwenden, als in diesem Augenblick die Zimmertür aufgerissen wurde. Mary Webster stand vor ihnen und bebte vor Zorn. „Peter Webster, das hätte ich nie von dir gedacht! Ich habe zwar nicht erwartet, dass du mir jetzt noch glaubst, aber dass du mich in so ein Altenheim stecken willst, lasse ich mir von dir nicht bieten!“ Dann drehte sie sich um und wollte gehen, aber plötzlich fasste sie sich an die Brust, taumelte und fiel der Länge nach hin. Sofort waren Peter und George bei ihr. „Mein Gott, was hat sie nur?“, fragte Peter entsetzt. George beugte sich behutsam über sie. „Sie atmet kaum noch. Hat deine Großmutter Probleme mit dem Herzen?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wir brauchen sofort einen Arzt. Wo ist das Telefon?“ „Unten in der Küche“, entgegnete Peter. Während Miller die Treppe hinunterrannte, um nach dem Arzt zu telefonieren, trug Peter seine Großmutter vorsichtig in ihr Schlafzimmer. Kurze Zeit später traf der Hausarzt ein. Er untersuchte Mrs. Webster und kam dann zu Peter und George herunter, die unten im Wohnzimmer gewartet hatten. „Leider habe ich keine sehr gute Nachricht für Sie, Mr. Webster. Es scheint, als ob Ihre Großmutter schon längere Zeit unter Herzbeschwerden gelitten hat. Nur hat sie mir nie etwas davon gesagt. Dieser Anfall heute Abend hat ihr sehr schwer zugesetzt.“ „Aber was können wir jetzt für sie tun?“ „Nichts“, entgegnete der Arzt. „Ich habe ihr etwas gegen ihre Herzbeschwerden und ein Beruhigungsmittel gegeben, damit sie 12
Großeltern in Herrington. Frank Webster war Bahnbeamter gewesen und hatte sich nach seiner Pensionierung hier niedergelassen. So überschlug Peter die ersten 10 Jahre des Tagebuches, da es sich nur um familiäre Dinge handelte, bis zum 4. Januar 1969. An diesem Tage hatte sein Großvater wohl eine ganz besondere Entdeckung über den Steinkreis gemacht. Im Tagebuch stand Folgendes: „Habe an einem der Megalithen seltsame Runensymbole entdeckt, die mir bis jetzt völlig unbekannt waren; ich schrieb sie ab, bin aber mit der Übersetzung bisher nicht vorangekommen.“ Er fuhr fort: „Dieser Steinkreis birgt irgendein Geheimnis. Ich werde versuchen, es zu lüften.“ Peter rieb sich die Augen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war fast 3 Uhr in der Früh; er fühlte sich todmüde. Er nahm das Buch mit und legte sich auf die Couch um etwas auszuruhen. Es dauerte aber nicht lange, da wurde er von der Müdigkeit überwältigt und schlief fest ein.
Aufzeichnungen wenigstens einmal ansehen, und wenn auch nur, um seiner Großmutter damit einen Gefallen zu tun. Unten im Flur brannte noch Licht. Er schritt langsam die Treppe hinunter und stand kurz darauf vor der Bibliothek. Webster öffnete die Tür, machte sich Licht und trat ein. Dieser Raum war gleichzeitig eine Art Arbeitszimmer für Frank Webster gewesen. An der linken und rechten Wand stand je ein mächtiges Bücherregal, voll gestopft mit den verschiedensten Fachbüchern: über Geschichte bis hin zu Märchen und Legenden. In der Mitte des Raumes befand sich ein großer Schreibtisch und in der linken Ecke, neben der Tür, stand eine Couch. Peter setzte sich an den Schreibtisch und probierte, die rechte Schublade zu öffnen. Leider war sie verschlossen. Er versuchte sich zu erinnern: Wo hatte sein Großvater immer den Schlüssel versteckt? Da fiel es ihm ein. Er stand auf, ging zum linken Bücherregal hinüber und zog das erste Buch aus der mittleren Reihe heraus. Dort lag tatsächlich noch der Schlüssel! Er öffnete die Schublade und entnahm ihr zwei Bücher: ein großes längliches Buch und ein kleines, ganz in Leder eingebunden. Das größere hatte Frank Webster wohl zum Teil auch als privates Tagebuch benutzt, das kleinere war Peter unbekannt. Er hatte es nie zuvor gesehen. Webster schlug die erste Seite dieses Buches auf, musste aber nach wenigen Minuten passen. Die Eintragungen waren nur anfänglich in Englisch geschrieben; die weiteren Vermerke hatte sein Großvater in einer seltsamen Runenschrift verfasst. Peter hatte sich zwar schon vor einigen Jahren mit altertümlichen Schriften beschäftigt, konnte hier aber nur wenige Parallelen zu bekannten keltischen Runen entdecken. So legte er das Buch zunächst wieder beiseite. Er öffnete jetzt das Tagebuch. Die ersten Eintragungen beschäftigten sich hauptsächlich mit der Ankunft seiner 13
Kapitel 4 Mary Websters Tod
verließ das Haus, ging den gekiesten Gartenweg entlang, schlenderte den Feldweg hinunter und erreichte nach einiger Zeit die Landstraße. Es war ein milder Frühlingstag, die Sonne hatte inzwischen ihren höchsten Stand überschritten, aber es war immer noch auffallend warm für die Jahreszeit. Er ging die alleeähnliche Straße hinunter, begleitet von dem Gezwitscher zahlreicher Vögel, die in den Bäumen herumschwirrten und wohl mit dem Bau ihrer Nester beschäftigt waren. Nach etwa 15 Minuten erreichte er die Ortschaft, die eingebettet zwischen drei bewaldeten Hügeln lag. Die kleinen Häuser lagen dicht auf dicht. Im Zentrum, welches Georges jetzt ansteuerte, waren die Kirche, der Marktplatz und einige Läden, die aber schon geschlossen hatten. Nur das Pub schien gerade erst geöffnet zu haben. Miller schritt auf die Gaststätte zu und betrat schließlich den Schankraum. Zu dieser frühen Zeit war das Pub noch so gut wie leer. Nur an einem der Tische schien ein älteres Pärchen noch das Mittagessen einzunehmen und an der Theke stand ein älterer Herr mit einem karierten Jackett, der offensichtlich einen heftigen Streit mit dem Wirt hatte. „Jetzt reicht es mir aber, sie bekommen jetzt nichts mehr zu trinken, Mr. Potter, sie haben schon viel zu viel gehabt. Wenn Ihre Schwiegertochter das erfährt, bekomme ich wieder Ärger!“ „Ach, diese dumme Gans! Ich weiß selber, wann ich genug habe.“ „Außerdem hat es Ihnen der Doktor verboten.“ „Der alte Quacksalber hat doch keine Ahnung.“ Jetzt schritt George heran. „Entschuldigen Sie, Sir, sind Sie Mr. Potter, der Juwelier?“ „Ganz recht, mein Junge, und mit wem
George Miller war an diesem Morgen früh aufgestanden, hatte sein Angelzeug zusammengepackt und war zu dem kleinen See gegangen, den Webster ihm schon am Vortage gezeigt hatte. Die Geschehnisse des letzten Tages hatten auch ihn ein wenig mitgenommen, so dass er hoffte, sich hier etwas ablenken zu können. Gegen Mittag traf er wieder im Hause der Websters ein. Am Eingang kam ihm der Arzt entgegen. „Wie geht es Mrs. Webster heute?“, erkundigte sich Miller. „Leider noch unverändert, ich habe ihr eine Spritze gegeben und Medizin dagelassen. Falls sich ihr Zustand wieder verschlechtern sollte, rufen Sie mich bitte sofort an!“ Damit verabschiedete er sich. Auf dem Flur sah George, wie Peter aus der Bibliothek kam. Er wirkte sehr müde und abgespannt. „Wie siehst du denn aus?“ „Ich bin heute Nacht beim Durchblättern von Großvaters Tagebuch auf der Couch eingeschlafen; kein sehr bequemer Platz“, gab Peter zur Antwort. „Das glaube ich gerne“, erwiderte Miller aufmunternd. „Na, dann rasier dich mal und mach dich etwas frisch, es ist bald Mittag.“ Er freute sich schon auf das Essen, um das sich jetzt, wo Mary Webster krank war, die Haushälterin Mrs. Smith kümmerte. Nach dem Essen sah Peter noch einmal nach seiner Großmutter. Sie schlief aber noch fest und da sie im Augenblick scheinbar keine Hilfe benötigte, ging er wieder zurück in die Bibliothek, um sich noch etwas mit dem Tagebuch zu beschäftigen. George hatte beschlossen, einen Spaziergang in den Ort zu unternehmen. Er 14
vor kurzem dort oben gefunden hat, näher untersucht habe, bin ich mir sicher, dass der alte Frank nicht so verrückt war, wie viele Leute behauptet haben.“ „Wie soll ich das verstehen?“ „So ein Ding habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen und ich bin, weiß Gott, schon lange genug Juwelier. Härter als jeder Diamant und er hat irgendwie von innen bläulich geleuchtet, aber auch nicht immer, sondern nur in völlig unregelmäßigen Abständen.“ „Warum haben Sie ihn denn nicht an einen Mineralogen weitergegeben?“ „Das wollte ich, aber Mary war dagegen. Sie meinte, Peter würde sich schon darum kümmern. Na, ich hoffe, sie weiß, was sie da getan hat, ich persönlich hatte nie sehr viel Vertrauen zu dem Burschen. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, ist nur meine ehrliche Meinung über ihn.“ „Ja, ich verstehe.“ Potter leerte sein Glas, nahm einige Münzen aus seiner Geldbörse und legte sie auf die Theke. „Passt schon so, Sam“, und zu George: „Machen Sie es gut, George, ich muss jetzt los“, er grinste, „sonst schimpft meine Schwiegertochter.“ „Mit Recht“, entgegnete der Wirt mit einem breiten Grinsen. „Unsinn“, entfuhr es Potter. Dann verließ er das Lokal. George beschloss, nun auch zu gehen. Er trank aus, verabschiedete sich vom Wirt und machte sich auf den Heimweg. Am Nachmittag traf er wieder im Haus ein. Peter saß noch am Schreibtisch und war über das Tagebuch gebeugt, als Miller die Bibliothek betrat. „Setz dich ruhig irgendwo hin!“, rief er ihm zu. „Ich habe mir das Tagebuch jetzt doch einmal etwas genauer angesehen.“ „Glaubst du jetzt wirklich etwas von dem, was uns deine Großmutter gestern Abend erzählt hat?“ fragte George besorgt, denn er hatte wohl mitbekommen, dass Peter die Ereignisse der letzten Nacht ziemlich mitgenommen hatten. „Nein, natürlich nicht“, entgegnete
habe ich die Ehre?“ „Mein Name ist George Miller. Ich bin Rechtsanwalt und ein Bekannter von Peter Webster. Wir sind zu Besuch bei seiner Großmutter.“ „Also auch so ein „Rechtsverdreher“. Na, was soll’s. Trinken Sie einen mit?“, und noch ehe George etwas erwidern konnte: „Sam, zwei Pints Bitter!“ George betrachtete Potter jetzt genauer. Er musste etwa um die siebzig sein, hatte wirre graue Haare, ein Gesicht mit vielen Falten und Narben und einen kräftigen muskulösen Körperbau, den man bei einem Juwelier nie vermutet hätte. Nein, er hatte eher etwas von einem Seemann an sich oder von jemandem, der Zeit seines Lebens auf dem Lande gearbeitet hatte. Sie nahmen beide einen großen Schluck und Potter wischte sich danach mit dem Handrücken über den Mund. „Mrs. Webster geht es im Augenblick leider nicht sehr gut.“ Potter nickte. „Ich habe davon gehört. Ihr Herz. Sie ist leider nicht mehr die Jüngste, na ja, bin ich ja auch nicht mehr. Irgendwann sind wir eben alle dran. Sie hat sich sehr viele Gedanken um diesen merkwürdigen Kristall gemacht, den sie angeblich oben am Steinkreis gefunden haben will. Meiner Meinung nach zu viele.“ Potter wollte jetzt das Thema wechseln, doch George war neugierig geworden und bohrte weiter. „Wie meinen Sie das? Sie haben den Kristall doch untersucht?“ Der Juwelier nickte und fuhr dann fort: „Mein Junge. Ich darf Sie doch ruhig so nennen, oder?“ „Aber ja doch.“ Potter machte eine Pause und nahm einen kräftigen Schluck Bier. „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir Sterblichen niemals begreifen werden, und solche Dinge geschehen dort oben am Steinkreis. Ich weiß nicht, was dort vor sich geht, und vieles, was darüber erzählt wird, sind sicherlich auch Märchen. Aber nachdem ich den Kristall, den Mary 15
zuvor gesehen. Sie müssen einen völlig anderen Symbolcharakter haben als die meisten keltischen Runen.“ Er betrachtete sie noch einmal genauer, sagte dann aber: „Nein, die sind mir völlig unbekannt! Wenn dir so viel daran liegt, solltest du vielleicht Daniel Briggs um Rat bitten. Du weißt doch, dass er Geschichte studiert hat und jetzt Doktor in Oxford ist. Ich glaube nicht, dass es sehr viel Sinn hat, dass wir uns damit beschäftigen. Lass uns jetzt lieber etwas hinaus in den Garten gehen und frische Luft schnappen. Etwas Ruhe würde dir auch ganz gut tun.“ Peter nickte müde. „Ja, ich glaube du hast Recht.“ Im Garten war alles ruhig. Nur das Gezwitscher der Vögel war zu hören. Sie begaben sich hinter das Haus, wo sich eine kleine Bank befand. Hier schien der Obstgarten in eine Art Feuchtwiese überzugehen. Pflanzen wie Frauenschuh, blauer Vergissmeinnicht und Nachtschatten wuchsen da und dort. Peter erinnerte sich: Früher hatte sein Großvater oft hier gesessen und seine Bücher studiert, während Peter im Garten gespielt hatte. Obwohl es schon später Nachmittag war, schien die Sonne immer noch sehr stark und wärmte ihre Glieder. In der Bibliothek war es – so kam es George zumindest vor – trotz der sommerlichen Temperaturen sehr kalt gewesen. So genossen sie die letzten Stunden bis zur Abenddämmerung. Sie wollten gerade wieder das Haus betreten, als ihnen Mrs. Smith entgegengestürmt kam. „Kommen Sie schnell, Mr. Webster, Ihrer Großmutter geht es sehr schlecht. Ich habe schon den Arzt angerufen!“ Die beiden rannten die Treppe hinauf, gefolgt von Mrs. Smith. Mary Webster lag im Bett und atmete nur noch sehr schwach. Peter sah sich hilflos um: „Was können wir denn für sie tun?“ „Ich habe ihr vorhin schon die Medizin gegeben, die der Arzt heute Mittag hier gelassen hat“, entgegnete Mrs. Smith. Es klingelte an der Haustür.
Webster mit scheinbarer Gelassenheit. „Aber ich glaube nun doch, dass mein Großvater etwas entdeckt haben muss, was er sich als Laie nicht erklären konnte. Zumindest nach den Aussagen, die er hier in seinem Tagebuch gemacht hat. Und dann hat er sich wohl zu sehr in die ganze Sache hineingesteigert.“ George nickte. „Ja, das wäre möglich.“ Sie schwiegen eine Weile. George kramte seine Pfeife hervor, stopfte sie und zündete sie an. Bläuliche Qualmwolken durchzogen bald den ganzen Raum. Er betrachtete Webster nachdenklich, es kam ihm doch so vor, als ob sich Peter – auch wenn er es nicht offen zugeben wollte – wegen der Vorfälle gestern Abend und des Gesundheitszustandes seiner Großmutter ernste Gedanken machte und wohl auch ein schlechtes Gewissen hatte. Anders konnte er sich sein jetziges Verhalten nicht erklären. Webster war ein durch und durch realistischer Mensch und hätte sich nie mit solchen pseudowissenschaftlichen Dingen beschäftigt, wie es offensichtlich sein Großvater gemacht hatte. Von dem Gespräch, welches er mit Potter geführt hatte, wollte er ihm nun auch nichts erzählen. Webster war durch die Geschehnisse der letzten Nacht ohnehin schon beunruhigt genug, so dass er ihn mit Potters Gerede nicht noch mehr aufregen wollte. Kurze Zeit später winkte Peter ihn zu sich. Er hielt ein kleines in Leder gebundenes Buch in seiner Hand und wirkte sehr nervös und angespannt. „Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum er über die Hälfte des Tagebuches in dieser seltsamen Runenschrift geschrieben hat. Ich kann sie leider nicht deuten. Du kennst dich doch ganz gut mit Runen aus, oder?“ Miller nickte. Webster reichte ihm das Buch und George blätterte es in aller Ruhe Seite für Seite durch, schüttelte aber dann nur mit dem Kopf. „Seltsam, solche Runen habe ich noch nie 16
war nicht alles nur Phantasterei gewesen, womit sich sein Großvater damals beschäftigt hatte. Allmählich schlief er ein. Noch in dieser Nacht starb Mary Webster.
„Das wird der Arzt sein. Ich gehe hinunter und öffne ihm“, sagte George und verließ den Raum. Der Arzt eilte sofort die Treppe hinauf zu Mrs. Webster. Als er den Raum nach etwa 15 Minuten verließ, wirkte er sehr ernst und nachdenklich. Er wandte sich sofort Peter zu, der vor der Schlafzimmertür gewartet hatte. „Es tut mir sehr Leid, Mr. Webster, aber ich glaube, Ihre Großmutter wird diese Nacht nicht überstehen. Ihr Herz ist einfach zu schwach und die Aufregung von gestern Abend war wohl doch zu viel für sie. Wenn ich geahnt hätte, dass sich ihr Zustand heute derart verschlechtern würde, dann hätte ich sie schon gestern ins Krankenhaus überwiesen. Sie jetzt noch dort hinzufahren, würde ihr nicht mehr helfen, sondern es wäre nur noch eine zusätzliche Belastung.“ Peter nickte betroffen. „Es ist alles meine Schuld; ich habe sie gestern Abend zu sehr aufgeregt.“ „Aber nein“, entgegnete der Arzt, „ihr Herz war wohl schon längere Zeit sehr schwach. Es wäre in Kürze wahrscheinlich ohnehin zu einer Herzattacke gekommen. Wenn sie mir doch nur schon eher etwas von ihren Beschwerden erzählt hätte. Es tut mir wirklich alles sehr Leid.“ Damit verabschiedete er sich. Ehe er das Haus verließ, reichte er Peter noch den in grobes Leinentuch gewickelten Kristallsplitter. „Das soll ich Ihnen noch von Ihrer Großmutter geben.“ Dann ging er. Mrs. Smith schloss sich ihm an. Während George sein Zimmer aufsuchte, bestand Peter darauf, bei seiner Großmutter zu bleiben. Er wollte in ihrer Nähe sein, falls sie ihn brauchen sollte. Dazu schob er den großen Ohrensessel aus seinem Zimmer in ihr Schlafzimmer und setzte sich hinein. Nachdenklich betrachtete er den Kristallsplitter in seinen Händen. Was hatte es wohl damit auf sich? Er konnte es sich nicht vorstellen. Aber möglicherweise 17
Kapitel 5 Das Dimensionstor
„Aber mein Großvater ist doch schon vor 10 Jahren gestorben!“, erwiderte Peter überrascht. „Wie kommt es, dass Sie es mir erst jetzt geben?“ „Ja, äh, wie schon gesagt, dies ist mir jetzt alles etwas unangenehm. Es handelt sich um einen Gegenstand, den ich Ihnen eigentlich schon damals, nach dem Tode Ihres Großvaters, hätte geben sollen. Aber leider waren Sie zu dieser Zeit unauffindbar für mich. Ich konnte damals Ihre Adresse in London nicht sofort herausbekommen. Später habe ich dann einfach vergessen, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.“ Ja, jetzt erinnerte sich Peter wieder: Er war kurz nach seinem Studium mehrmals umgezogen. Kein Wunder also, dass die Nachforschungen des Pfarrers damals ohne Erfolg geblieben waren. „Ich mache Ihnen deswegen keine Vorwürfe“, versicherte er dem Vikar. „Es ist ja zum Teil meine Schuld. Ich hätte mich hier auch etwas mehr um alles kümmern müssen. Aber um was handelt es sich denn überhaupt?“ „Nur um eine Kleinigkeit.“ Vikar Nolan stand von seinem Platz auf, ging zu einem Sekretär hinüber, öffnete ihn und kam kurz darauf mit einem mittelgroßen, schmalen Holzkästchen zurück. Er überreichte es Peter, der ihn fragend ansah. „Ich weiß auch nicht, was es enthält. Ihr Großvater hat damals, als er es mir gab, sehr geheimnisvoll getan. Ich nehme an, dass es in sehr engem Zusammenhang mit seinen Entdeckungen am Steinkreis steht. Sie wissen doch inzwischen sicherlich auch, dass er sich mit diesem alten Kultplatz beschäftigt hat?“ Peter nickte. „Aber wussten Sie ebenfalls, dass er einmal fast ein ganzes Jahr verschollen war? Niemand hatte auch nur die geringste
In den folgenden Tagen zog Peter sich immer mehr zurück. Er schloss sich oft für längere Zeit in der Bibliothek ein und beschäftigte sich mit den beiden Büchern seines Großvaters. Nicht einmal George ließ er hinein, so dass dieser sich immer mehr Sorgen um seinen Freund machte. Nie hätte George auch nur vermutet, dass Peter sich den Tod seiner Großmutter so zu Herzen nehmen würde. Er hatte Webster bisher nur als harten Rechtsanwalt gekannt, wusste aber, dass er sich für den Tod der alten Dame mit verantwortlich fühlte. Als Mary Webster vier Tage später beerdigt wurde, war es kühl und regnerisch. Nur wenige Leute waren zur Beisetzung erschienen. Außer Mrs. Smith, dem Arzt und Mr. Potter waren noch ein paar Bekannte aus dem Dorf gekommen. Auch Miller nahm daran teil. Als die übrigen Trauergäste den Friedhof bereits verlassen hatten, standen George und Peter immer noch fröstelnd vor dem Grab. „Nun komm doch endlich, alter Junge“, sagte Miller aufmunternd. Peter nickte stumm. Beide wollten den Friedhof gerade verlassen, als Vikar Nolan, der Gemeindepfarrer, auf sie zukam. „Entschuldigen Sie bitte, Mr. Webster. Ich weiß genau, wie Sie sich jetzt fühlen, aber ich muss Sie noch einmal dringend sprechen. Es ist äußerst wichtig, kommen Sie doch bitte zu mir in die Sakristei.“ Wenige Minuten später saßen sie in dem kleinen Schreibzimmer des Pfarrers. „Entschuldigen Sie bitte nochmals, Mr. Webster. Die Situation ist mir auch selbst ein wenig peinlich, aber ich habe da noch etwas von Ihrem Großvater für Sie“, erklärte Nolan etwas verlegen. 18
„Hat man diese Gruft denn später nicht genauer untersucht?“ „Man kam leider nicht mehr dazu. Einige Tage darauf stürzte die Grabkammer ein. Vikar Jones wurde nach diesen Vorfällen in eine andere Gemeinde versetzt. Etwa zwei Wochen später verschwand dann Ihr Großvater spurlos. Ich habe nur durch Zufall von diesen ganzen Geschehnissen erfahren.“ Peter nahm jetzt vorsichtig das Holzkästchen und schaute es an: Es war nur ein unscheinbares Ding. Aber er begann zu ahnen, dass es möglicherweise die Lösung für all die merkwürdigen Ereignisse von damals enthalten könnte. Peter und George standen auf und verabschiedeten sich vom Pfarrer. Dieser reicht Peter zum Abschied noch die Hand. „Seien Sie bloß vorsichtig damit! Niemand weiß genau, was Ihr Großvater dort oben am Steinkreis wirklich entdeckt hat.“ Webster nickte. „Machen Sie sich nur keine Sorgen.“ Eines war Peter jetzt klar: Irgendetwas Mysteriöses musste dort oben am Steinkreis mit seinem Großvater geschehen sein. Allmählich begann er zu ahnen, dass nicht alles, was ihnen Mary Webster erzählt hatte, Hirngespinste waren. Im Haus seiner Großeltern angekommen, schloss Peter sich sofort wieder in der Bibliothek ein. Dort öffnete er nervös das Kästchen, dessen Deckel sich nach links aufschieben ließ. Zunächst entdeckte er nur ein kleines schmales Oktavheft, aber dann fand er noch etwas ganz anderes: In der einen Ecke des Kästchens lag ein zugeschnürter Lederbeutel. Webster öffnete ihn vorsichtig und entnahm ihm zunächst drei seltsam geformte Steine. Auf jedem war ein Runensymbol gemalt. Sie mussten sehr alt sein. Ebenfalls sehr alt war auch ein kleines Stück Pergament. Auf diesem war neben einem Text in Runenschrift auch eine einfache Zeichnung des Steinkreises zu sehen. In dessen Mitte befand sich das so genannte Steintor.
Ahnung, wo er sich aufhielt. Nicht einmal Ihre Großmutter!“ „Nein, das wusste ich nicht. Wann denn?“ „Etwa um 1969 herum.“ „Das muss die Zeit gewesen sein, als ich im Internat war“, stellte Webster nachdenklich fest. „Aber erzählen Sie doch weiter.“ „Kurz bevor er verschwand, muss er wohl noch eine Entdeckung gemacht haben, von der er damals nur meinem Vorgänger, Vikar Jones, etwas erzählt und ihn auch teilweise in seine Pläne eingeweiht hat.“ Pfarrer Nolan machte jetzt eine längere Pause, ging zum Sekretär hinüber und zündete sich dort eine Zigarette an. „Nun erzählen Sie schon weiter“, forderte George ihn ungeduldig auf. „Also, wie schon gesagt“, fuhr der Pfarrer fort, „zu jener Zeit war Vikar Jones hier im Ort Gemeindepfarrer. Eines Tages kam Ihr Großvater zu ihm in die Sakristei. Er behauptete, er habe das Rätsel des Steinkreises fast gelöst und die meisten Runensymbole übersetzt. Den letzten Hinweis habe er von einer alten Legende aus dem 11. Jahrhundert erhalten, wonach in einer geheimem Gruft unter dieser Kirche ein Krieger aus einer fremden Welt begraben sein soll.“ „Und weiter?“ „Vikar Jones hat ihm das natürlich nicht geglaubt. Er hielt ihn sogar für geistig verwirrt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber Ihr Großvater war wie besessen. Er wollte unbedingt diese Gruft finden und ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber es ist ihm sogar gelungen, Vikar Jones zu überreden, ihm bei der Suche zu helfen. Eines Nachts entdeckten sie tatsächlich einen geheimen Eingang in der Nähe des Altars und von dort aus gelangten sie in eine vorher unbekannte Grabkammer. Ihr Großvater ging nun allein in diese Gruft und als er sie nach kurzer Zeit wieder verließ, hatte er etwas mitgebracht, dass er Pfarrer Jones nicht zeigen wollte.“ 19
Wust von Papieren bedeckt. Inmitten des ganzen Wirrwarrs lag das Holzkästchen, welches Peter von Vikar Nolan erhalten hatte. „Es ist mir gelungen, zumindest einen Teil der Aufzeichnungen aus der Runenschrift zu übersetzen. Hier in diesem Heft befindet sich eine Übersetzungsanleitung.“ Mit diesen Worten hielt er das kleine schmale Oktavheft in die Höhe. „Ich werde dir einmal etwas von dem, was ich bisher übersetzt habe, vorlesen. Pass auf: ‚5. Juni 1969. Ich habe bei meinen Nachforschungen in der Kirche eine Entdeckung gemacht, die meine kühnsten Erwartungen übertroffen hat. Die alte Legende vom „Tor der Welten“ scheint einen wahren Kern zu haben. Vikar Jones musste ich teilweise in mein Vorhaben einweihen, sonst hätte er mir sicher nicht dabei geholfen, ja, es mit Sicherheit nicht einmal erlaubt. Ich mache mich sofort an die Übersetzung, es wird nicht einfach werden.’ ‚12. Juni. Es ist geglückt! Die Übersetzung ist so ziemlich abgeschlossen. Wenn es wirklich stimmt, was auf diesem alten Pergament steht, kann man von dem Steinkreis hier in Herrington in eine fremde unbekannte Welt mit Namen „Alkhana“ gelangen. Ich kann es zwar selbst noch nicht glauben, werde aber trotz alledem einen Versuch wagen.’“ „Dies war seine letzte Aufzeichnung. Einige Tage später ist er spurlos verschwunden und erst ein Jahr später wieder aufgetaucht.“ „Und du glaubst jetzt tatsächlich etwas von diesem ganzen mystischen Kram?“, fragte George und konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich weiß, wie schon gesagt, selber nicht, was ich davon halten soll. Denn die ganze Sache wird noch rätselhafter. Schau nur, was ich auf diesem alten Stück Pergament noch entdeckt habe.“ Webster holte sein Feuerzeug aus der Hosentasche und entzündete eine Kerze,
Dieses bestand aus zwei mächtigen Steinquadern, über die noch ein dritter gelegt worden war. Er legte die Steine und das Pergament beiseite und schlug das Oktavheft auf. Er erkannte sofort die Schrift seines Großvaters und stellte mit Erstaunen fest, dass die folgenden Zeilen an ihn gerichtet waren: „Peter wenn du dies liest, bin ich schon lange tot. Aber du hältst jetzt die Lösung des Rätsels um den Steinkreis in deinen Händen. Vielleicht bringt dir dieses Geheimnis mehr Glück als mir. Nun möchte ich dich aber nicht mit irgendwelchen moralischen Phrasen langweilen. Lies weiter und selbst wenn es dir zu Anfang phantastisch vorkommen mag, es ist die Wahrheit.“ George Miller wurde immer unruhiger. Er hatte kaum noch Lust länger hier in Herrington zu verweilen. Dieser ganze Urlaub erschien ihm eher wie ein schlechter Traum. Aber andererseits wollte er Peter auch nicht ganz allein lassen. Da Mrs. Smith nicht mehr kam, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst um den Haushalt zu kümmern, denn Peter hielt sich die meiste Zeit in der Bibliothek auf. Etwa zwei Tage nach der Beerdigung trafen sich die beiden zufällig in der Küche. „Es ist sehr erfreulich, dass du dich auch einmal wieder sehen lässt. Denn während du dich die ganze Zeit in der Bibliothek verkrochen hast, konnte ich mich hier um alles kümmern“, bemerkte Miller gereizt. „Du hast ja Recht“, erwiderte Peter müde. „Ich habe mich dir gegenüber in den letzten Tagen nicht ganz korrekt verhalten, aber ich weiß auch nicht mehr, was ich von den ganzen Aufzeichnungen meines Großvaters halten soll.“ George blickte ihn fragend an. „Komm doch mit in die Bibliothek, dann zeige ich dir, was ich damit meine.“ Die Bibliothek befand sich in einem heillosen Zustand: Bücher waren aus den Regalen genommen und auf dem Tisch verteilt. Dieser war ohnedies mit einem 20
vorstellen. Erst sehr spät, fast zu spät, sollte er dahinter kommen. Peter verließ die Bibliothek und ging hinauf in sein Zimmer, um sich etwas auszuruhen. Bald würde er wissen, was dort oben an dem alten Kultplatz geschehen war. Denn heute Nacht war die Sommersonnenwende. Früh nahmen beide das Abendessen ein, welches George für sie zubereitet hatte. Danach beschäftigte sich Peter noch etwas mit den Büchern und Miller machte einen Spaziergang ums Haus. Gegen 23 Uhr ging Webster schließlich nach oben, um sich wärmere Kleidung überzuziehen. Außerdem holte er aus einem seiner Koffer eine 38erAutomatikpistole mit Schulterhalfter. Diese Waffe hatte er sich vor einigen Jahren zugelegt, als die Zahl der Raubüberfälle in den Londoner Parkhäusern drastisch angestiegen war. Er überzeugte sich, ob genügend Munition im Magazin war und lud die Waffe durch. Einen kurzen Augenblick schien er noch zu überlegen, ob er sie überhaupt mitnehmen sollte. Aber einem unbestimmten Gefühl folgend schnallte er sich das Halfter um und steckte sie hinein. Anschließend nahm er das Holzkästchen, öffnete es und legte den Kristallsplitter, die Runensteine und das Oktavheft hinein, schloss es wieder und steckte es vorsichtig in die Jackentasche. Dann verließ er sein Zimmer. George wartete schon unten im Flur auf ihn. Er trug einen alten abgenutzten Parka. Beide verließen schweigend das Haus. Es war dunkel geworden, nur der Mond war schwach zu sehen. Sie hatten beschlossen zu Fuß zu gehen und folgten zunächst dem kleinen Feldweg, der vom Hause der Websters bis zur Hauptstraße führte. Bald erreichten sie die Ortschaft. Hier war alles still, nur in der Ferne bellte ein Hund und irgendwo schloss jemand eine Tür. Die Leute hier in Herrington gingen früh zu Bett. Sie durchquerten das Dorf und kamen nach circa 15 Minuten an
die vor ihm auf dem Tisch stand. Dann nahm er das Pergament, auf der sich die Zeichnung vom Steinkreis befand und hielt es vorsichtig über die Flamme. „Hier ist noch etwas mit geheimer Tinte hinzugefügt worden.“ Tatsächlich wurden jetzt die Konturen einer Zeichnung sichtbar, die man anscheinend nachträglich hinzugefügt hatte. Sie zeigte eine Schar Bewaffneter, die sich, von einem Ritter angeführt, auf das Steintor zu bewegte. Im Tor konnte man ein Fabelwesen erkennen, das einem Drachen oder Lindwurm ähnelte. Miller sah die Zeichnung skeptisch an. „Es kann verschiedene Gründe haben, weshalb man versucht hat, diese Zeichnung zu verbergen. Vielleicht hatte man nur Angst vor einer Verfolgung durch die Kirche. In der damaligen Zeit war es für irgendwelche Geheimwissenschaftler unter Umständen sehr gefährlich, Dinge zu verbreiten, die der Kirche nicht genehm waren. Gerade über so eine heidnische Kultstätte wie den Steinkreis.“ „Möglich, aber ich möchte endlich Gewissheit darüber haben, was sich dort oben wirklich abgespielt hat. Ich bin es meinen Großeltern einfach schuldig. Noch heute Nacht gehe ich hinauf. Du kannst mich begleiten, wenn du willst.“ George überlegte einen Augenblick. „In Ordnung, ich komme mit.“ Er wusste genau, dass Peter sich sein Vorhaben nicht wieder ausreden lassen würde. Kurz nachdem George die Bibliothek wieder verlassen hatte, nahm Webster noch einmal den Teil der Übersetzung zur Hand, welchen er Miller nicht vorgelesen hatte. Es handelte sich um das, was auf der Rückseite des Pergaments stand, nämlich: „Gehe in der Nacht zur Sommersonnenwende hinauf zum Steinkreis, platziere die Runensteine in der vorgegebenen Weise und sprich dann um Mitternacht die magische Formel, so wird sich dir das Tor nach Alkhana öffnen. Aber hüte dich vor dem Wächter.“ Der letzte Satz beunruhigte Webster ein wenig. Wer war damit gemeint? Er konnte es sich nicht 21
nicht etwa, dass dieser Hokuspokus wirklich funktioniert? Das Ganze war doch alles nur ein Phantasiegebilde deiner Großeltern!“ In diesem Augenblick schlug die Turmuhr im Dorfe 12 Uhr. Peter begann den Zauberspruch abzulesen – seltsame Laute einer nordisch klingenden Sprache kamen über seine Lippen. Und plötzlich schien von der Mitte des Platzes, wo sich das Steintor befand, Nebel aufzusteigen. Es war tatsächlich Nebel, aber einen solchen hatten die beiden zuvor noch nie gesehen. Er schien von innen her bläulich zu leuchten und hatte bald den ganzen Platz eingehüllt. Ungläubig starrten die beiden auf das, was sich vor ihren Augen abspielte. Innerhalb des Tores schien der Nebel am intensivsten zu leuchten. Dann entstand inmitten des Tores ein mächtiger Wirbel, ähnlich dem einer Windhose. Jetzt war Peter nicht mehr zu halten und er achtete auch nicht auf die Zurufe seines Freundes, der ihn zurückhalten wollte. Er ging auf das Tor zu und war bald nicht mehr zu sehen. George zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann rannte er hinter Peter her und verschwand ebenfalls im Nebel. Nach ein paar Minuten begann der Nebel sich wieder aufzulösen. Der Steinkreis schien jetzt wieder wie zuvor, nur Peter und George waren von dieser Welt verschwunden.
die Ortseinfahrt. Jetzt war es nicht mehr weit. Von der Hauptstraße führte ein schmaler Pfad den bewaldeten Hügel hinauf, auf dem sich der Steinkreis befand. Der Weg endete direkt am Steinkreis. Jetzt konnte George gut verstehen, dass manche Leute aus dem Dorf diesen Platz mieden; es war wirklich unheimlich. Hier oben schien es auf merkwürdige Art und Weise noch ruhiger zu sein als unten im Ort. Nur der Wind spielte leise im Geäst der uralten Bäume. Von Zeit zu Zeit schob sich der Mond hinter den dichten Wolken hervor. Die fast vier Meter hohen Steinquader bildeten einen Ring von etwa 20 Metern Durchmesser. In dessen Mitte befand sich das Steintor, dieses große, aus drei Blöcken bestehende Objekt. Webster ging hinüber und tastete den linken Block in einer Höhe von etwa 1 Meter ab. Bald spürte er eine kleine Einbuchtung im Stein. Er ging zum rechten Block und fand an derselben Stelle ebenfalls eine solche Vertiefung. Dann machte er ein paar Schritte vom Tor weg in gerader Richtung nach vorne und entdeckte in dem ansonsten weichen Waldboden eine Fläche von etwa einem halben Meter Durchmesser, die felsig war. In dieser Fläche befand sich eine kleine Mulde. Er kratzte sich nachdenklich am Kopf, holte dann aber das Kästchen aus seiner Jackentasche, öffnete es und nahm die drei Runensteine heraus. Er platzierte jeden an der entsprechenden Stelle: zwei in den Einbuchtungen am Steintor und den dritten in der Mulde am Boden. George schüttelte nur mit dem Kopf. „Was bezweckst du eigentlich damit?“ Doch Peter antwortete nicht. Stattdessen holte er noch einen Zettel aus dem Holzkästchen, auf dem die Übersetzung der Zauberformel stand. Dann stellte er sich etwa drei Meter vom Steintor entfernt auf. Miller schien jetzt seine Gedanken zu erraten. „Mein Gott, Peter, du glaubst doch 22
Inzwischen
verfolgte er aber nur ein Ziel: selbst Regent des Landes zu werden. „Was wollt Ihr von mir, Baldur?“ „Aber das wisst Ihr doch, Hoheit!“ „Also habt Ihr Euren Plan noch immer nicht aufgegeben, mich zu ehelichen, um König von Narandor zu werden!“ „Dieses Land braucht endlich einen neuen Regenten. Einen Herrscher, den der Fürstenrat respektiert. Ich könnte dieser König sein. Ich würde Narandor wieder zu neuer Größe verhelfen.“ Sie lachte verbittert: „Ihr, gerade Ihr wollt das sein? Ihr seid doch ein Egoist. Ihr denkt nur an Euren eigenen Vorteil.“ „Und wen schlagt Ihr vor? Glaubt auch Ihr vielleicht immer noch an die Legende vom „Wahren Träger“, der die drei heiligen Reliquien wiederbeschaffen wird? Denn seid Ihr ebenso ein Narr wie Euer Vater und Melwin.“ „Hütet Euch davor, meinen Vater zu beleidigen, sonst werde ich dafür sorgen, dass Ihr Euren Kopf verliert!“ „Diese Drohungen schrecken mich nicht, Hoheit. Denkt über mein Angebot nach. Noch bin ich bereit, Euch zu heiraten und die Macht zu teilen. Aber nicht mehr sehr lange!“ „Wie darf ich das verstehen? Ihr denkt also an einen Staatsstreich?“ „Das habe ich nicht gesagt.“ „Hört mir gut zu, Baldur: Ich werde niemals Eure Frau werden! Niemals! Versteht Ihr!“ Sie wandte sich zum Gehen. „Glaubt Ihr wirklich, dieser „Wahre Träger“ wird noch kommen und Narandor erlösen? Da könnt Ihr sicherlich lange warten“, höhnte der Graf. „Warten wir es doch ab!“ rief sie Baldur nach. „Er ist vielleicht schon unterwegs“, sagte sie dann nur noch leise zu sich selbst.
„Hoheit!“ Selenicke fuhr herum. Eine Gestalt näherte sich aus dem Dunkel des Gangs. „Graf Baldur, was fällt Euch eigentlich ein, mich so zu erschrecken?“ „Bitte entschuldigt, es lag nicht in meiner Absicht, die Tochter König Bergomirs von Narandor zu ängstigen“, entgegnete Baldur mit einem hämischen Unterton. Seine Gestalt war jetzt im lodernden Licht einiger Fackeln deutlich zu sehen. Graf Baldur von Argonien, einer Teilprovinz Narandors, war eine unheimliche Erscheinung. Er kleidete sich stets in Schwarz: Noble schwarze Kniehosen steckten in schwarzen Wildlederstiefeln, dazu trug er einen schwarzen, reich verzierten Lederwams. Dagegen bildete der breite weiße Hemdkragen einen totalen Kontrast. Er verstärkte die unheimliche Aura des Grafen, dessen gesamte Gesichtszüge eher bleich wirkten, wie die eines Toten oder eines Habichts, der nur darauf wartete, sich auf seine Beute zu stürzen. Die schwarzen Haare und der ebenso schwarze, kurz geschnittene Spitzbart verstärkten diesen Eindruck noch. Prinzessin Selenicke von Narandor wirkte mit ihrer schlanken Gestalt, in ihrem blassblauen Kleid und mit ihren langen blonden Haaren eher zerbrechlich, unschuldig und auf den ersten Blick auch unsicher. Doch dieser erste Eindruck trog. Sie wusste genau, was sie wollte. In den letzten Jahren hatte zunehmend sie, mit Hilfe des Hofmagiers Melwin, die Staatsgeschäfte des Königreiches geführt. Ihr Vater, König Bergomir, war für diese Aufgaben schon zu alt. Doch auch sie konnte den Verfall des Königreiches nicht verhindern, denn die meisten Fürsten des Landes würden eine weibliche Regentin niemals unterstützen. Das wusste auch Baldur, der sich zum Fürsprecher dieser Vasallen gemacht hatte. In Wirklichkeit 23
Kapitel 6 Alkhana
Seiten um. „Mein Gott, du hast Recht! Aber wo befinden wir uns dann?“ Peter hob die Achseln. „Ich kann es nur vermuten. So unglaublich es klingen mag, aber es sieht so aus, als ob die alte Legende über den Steinkreis tatsächlich stimmt!“ „Du meinst, dass die ganzen Forschungen, die dein Großvater betrieben hatte, keine Phantastereien waren, wie wir bisher angenommen haben, und dass wir uns jetzt wirklich in einer fremden Welt befinden?“ Der junge Anwalt nickte. „Ich glaube, mein Großvater hatte von Anfang an Recht mit dem, was er über den Steinkreis gesagt hatte. Von dort aus führt wirklich ein Weg auf diese seltsame, mystische Parallelwelt Alkahna, aber nur für denjenigen, der die magische Formel kennt.“ „Aber wozu das Ganze und was hat das alles mit dir zu tun?“ „Ich weiß es nicht. Aber ich bekomme es schon noch heraus. Meinem Großvater hat damals niemand geglaubt, aber das wird uns nicht passieren. Wenn wir zurückkehren, sind wir gemachte Leute. Das ist eine Jahrhundert-Entdeckung!“ „Ja, wenn“, entgegnete George, „ich habe da so ein seltsames Gefühl, als wenn wir die Erde nie wieder sehen würden.“ „Ach was, nun komm schon, wir sollten uns jetzt zunächst einmal draußen etwas umsehen.“ Langsam schritten sie die vor ihnen liegenden, in den Fels gehauenen Stufen hinab in die Tiefe. Nur hin und wieder leuchtete Peter mit dem Feuerzeug den Weg, denn die Stufen waren teilweise ziemlich glitschig und von Zeit zu Zeit mussten sie sich vor mächtigen Stalaktiten ducken, welche ihnen den Weg versperrten. Irgendwo war das Plätschern und Rauschen von Wasser
Das Erste, was Peter Webster wahrnahm, als er durch das Steintor in den sich wirbelnden Nebel trat, war ein helles, bläulich fluoreszierendes Licht. Dieses Licht wurde so stark, dass er instinktiv die Augen schloss. Trotzdem schien sich jetzt alles um ihn zu drehen, so dass ihm schwindelig wurde, er das Bewusstsein verlor und zu Boden stürzte. Als er wieder zu sich kam und die Augen öffnete, hatte sich die Umgebung verändert. Es war nun stockdunkel um ihn herum. Mühsam rappelte er sich auf und versuchte sich zu orientieren: dies schien nicht mehr der Steinkreis zu sein; der Boden war felsig und hart, außerdem wirkte die Luft ungewöhnlich kühl. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er konnte erkennen, wo er sich befand: es handelte sich um eine große Höhle. Hinter ihm ragte etwas in die Höhe, das genauso aussah wie das Steintor in Herrington. Einige Meter vor ihm führten Stufen in die Tiefe. Plötzlich vernahm er hinter sich eine Bewegung. Er fuhr herum. Eine Gestalt schleppte sich, aus dem Steintor kommend, auf ihn zu. Vorsichtig tastete er mit der einen Hand zur Pistole, während er mit der anderen blitzschnell sein Feuerzeug aus der Jackentasche holte und es entzündete. Erleichtert atmete er auf. Es war nur George Miller, der langsam auf ihn zugekrochen kam. „Peter, so hilf mir doch“, stammelte Miller sichtlich erschöpft. Sofort war Webster bei seinem Freund. Mühsam und schwerfällig erhob sich George, während Peter ihn stützte. „Was ist geschehen, wo sind wir?“ „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Jedenfalls nicht mehr am Steinkreis.“ George blickte sich nervös nach allen 24
menschlichen Ursprungs, aber es lagen dort auch Knochen, die sie nicht zuordnen konnten. „Mein Gott, ist das hier ein Massengrab?“, entfuhr es Miller. „Dies sieht mir eher wie ein Platz für Menschenopfer aus. Aber wem kann man hier nur geopfert haben?“, fragte Webster. Doch dann sahen sie den wirklichen Grund. Im rechten hinteren Teil der großen Höhle lag etwas, was sie erschaudern ließ. Peter wusste sofort, um was es sich handelte, obwohl er nur aus Märchen und Legenden kannte. Dort, mehrere Meter entfernt, lag ein riesiges echsenähnliches Ungeheuer – ein gewaltiger Drache. Er hatte eine dunkelgrüne schuppige Haut und schlief auf einem Berg von Knochen und anderen Leichenteilen. Seine Augen waren fest geschlossen, von Zeit zu Zeit stiegen kleine Rauchwolken aus seinen gewaltigen Nüstern. Um den Hals trug das Ungetüm einen stabilen Ring, der mit einer langen Kette an die Felswand geschmiedet war. Jetzt war Peter klar, was sein Großvater im Tagebuch mit dem „Wächter“ gemeint hatte. „Wir müssen hier schnellstens raus!“, flüsterte er hastig. George nickte nur stumm. Langsam und vorsichtig schlichen sie auf den Ausgang zu. Sie hatten ihn fast erreicht, als Miller aus Versehen ein langes Bronzeschild umstieß, welches an der Wand lehnte. Es fiel scheppernd zu Boden. Unheimlich hallte es in der großen Höhle wieder. Und dann geschah es – der Drache erwachte. Vorsichtig öffnete er seine Augen. Er witterte sie. Menschen, Menschen sind in meine Höhle eingedrungen. Mit einem Brüllen erhob er sich. Der Drache war schon sehr alt und bewachte den Höhleneingang schon viele hundert Jahre. Er war dafür auserwählt worden. Er würde niemanden passieren lassen. Die beiden Fremden hatten versucht sich hier einzuschleichen. Aber er
zu hören – vermutlich ein unterirdischer Fluss. In der Ferne vor ihnen schimmerte ein Licht – der Höhlenausgang. Er war aber noch einige hundert Meter entfernt. Unten angekommen, blickten sie sich noch einmal um. Erst von hier aus konnten sie erkennen, woher sie gekommen waren. Die Stufen führten serpentinenförmig um einen mächtigen Felsenberg herum, auf dessen abgeflachtem Gipfel das Steintor thronte. Sie waren gerade wieder einige Meter gegangen, als Webster plötzlich stehen blieb. Er hatte auf einmal ein seltsames Gefühl, als ob sie von irgendwoher beobachtet würden. Außerdem kam es ihm hier unten in der Höhle sehr viel wärmer vor als oben am Steintor. Diese Wärme schien aber nicht vom nahen Höhlenausgang zu kommen. Auch George hatte dies inzwischen bemerkt. Aber noch ehe sie weiter darüber nachdenken konnten, stolperte Peter. Irgendetwas lag vor ihm auf dem Boden. Er bückte sich und entzündete dabei wieder sein Feuerzeug. Beide wichen entsetzt zurück. Vor ihnen lag ein menschliches Skelett. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatten, betrachtete Peter es genauer. Es trug eine Bronzerüstung mit Helm und hielt sogar noch ein altes Schwert in den knochigen Händen. Dazwischen lagen Reste der Bekleidung. Eines war allerdings merkwürdig: die Knochen und die Kleidungsreste, aber auch Teile der Rüstung waren von Ruß geschwärzt, als ob sie von irgendeinem Feuer verbrannt worden wären. „Jetzt möchte ich mich hier aber doch noch etwas genauer umsehen“, sagte Webster, nahm einen zufällig am Boden liegenden Holzknüppel und umwickelte diesen mit den Kleiderfetzen. Dann setzte er ihn mit dem Feuerzeug in Brand. Die alten Lumpen rochen entsetzlich, als sie Feuer fingen. Was sie dann allerdings sahen, schockierte sie noch mehr als alles andere vorher: Hier lag nicht nur eine Leiche, sondern der Boden war mit Gerippen übersät. Einige waren 25
etwas zu sehen noch zu hören. Er winkte Miller zu sich. Zögernd kam dieser den schmalen Abhang hinauf. Schnaufend erreichte er die Anhöhe, auf der sich die Höhle befand. Von hier aus hatten sie einen wunderbaren Ausblick über das ganze Land. Bis zum Horizont nach Süden zogen sich riesige, fast undurchdringlich wirkende Wälder, die nur gelegentlich von kleinen Lichtungen unterbrochen wurden. Nach Osten wurde der Blick durch eine schmale bewaldete Hügelkette begrenzt. Weit im Norden schien der Wald in eine Art Tundra überzugehen und im Westen reichte er bis zu einem mächtigen Gebirgszug, dessen Spitzen in den Wolken verschwanden. Wie ein glutroter feuriger Ball schob sich die Sonne zwischen blassroten Wolken langsam auf die Ausläufer des Gebirges zu. Sie würde dort bald untergehen. „Was für ein phantastischer Anblick!“, dachte Webster. „Und was nun?“, riss ihn George aus seinen Gedanken. Peter hob die Achseln. „Zurück in die Höhle können wir jedenfalls nicht. Aber wir sollten versuchen, uns zu der nächsten menschlichen Ansiedlung durchzuschlagen. Nach den Aufzeichnungen meines Großvaters müsste hier in der Nähe ein Dorf sein.“ „Glaubst du denn, dass wir das bis Sonnenuntergang noch schaffen?“ „Wir müssen es eben versuchen.“ George nickte nur. Er ahnte, dass Webster der Schrecken noch genauso in den Gliedern saß wie ihm. Auch George konnte es sich kaum vorstellen, hier vor der Höhle zu übernachten. Da fühlte er sich dort unten in den Wäldern schon etwas sicherer. Obwohl er auch keine Ahnung hatte, was sie dort erwarten würde. „Also komm schon. Lass uns endlich von hier verschwinden, bevor es dunkel wird!“, rief ihm Peter zu, der sich schon zum Gehen gewandt hatte.
hatte sie noch im letzten Augenblick bemerkt. Er würde sie jetzt töten, wie er alle anderen getötet hatte. Nur die „Auserwählten“ hatten das Recht, das „Tor der Welten“ zu benutzen. Auf den Gedanken, dass die beiden aus der „Anderen Welt“ stammen könnten, kam er nicht. Webster hatte die Situation sofort erfasst, als sich der Drache erhob. „Raus hier, lauf, George!“, rief er Miller zu. Beide rannten, so schnell sie konnten, auf den Ausgang zu, den feurigen Atem des Ungeheuers im Rücken. Niemals zuvor hatte Peter so sehr um sein Leben gefürchtet wie jetzt. Draußen angelangt, blickte er sich rasch um. Nur wenige Meter vor ihnen führte ein Abhang etwa vier Meter in die Tiefe. Plötzlich vernahm er ein pfeifendes Geräusch hinter sich. Es kam von dem Drachen. Webster ahnte, was das bedeutete. „Los, spring!“, schrie er Miller an. Beide rollten den mit Steinen und Schotter übersäten Abhang hinunter. Im nächsten Augenblick schoss eine gewaltige Feuerlohe aus der Höhle kommend in den Himmel. Unten am Abhang blieben sie wie vom Schrecken betäubt liegen. Beinahe wären sie getötet worden, viel hätte nicht gefehlt. Dies war ihnen jetzt mit aller Deutlichkeit klar geworden. Zum Glück hatten sie aber außer ein paar Schrammen keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Nur langsam kamen sie wieder zu sich, standen auf und klopften sich den Staub aus der Kleidung. Vorsichtig spähte Peter nach oben, in Richtung Höhleneingang. Der Drache war nirgends zu sehen. Vermutlich hatte er sich wieder ins Höhleninnere zurückgezogen. Langsam und immer wieder den Eingang der Höhle beobachtend, kletterte Webster wieder hinauf. Oben sah er sich noch einmal um und lauschte, aber von dem Untier war weder 26
„Ich glaube, wir haben uns verlaufen.“ Webster nickte. „Du hast Recht, George. Dabei war ich mir so sicher, dass hier in der Nähe ein Dorf oder irgendeine Ansiedlung liegen muss, zumindest nach den Aufzeichnungen meines Großvaters.“ Enttäuscht schwieg er. Er hatte es sich einfacher vorgestellt, das Dorf zu finden. Vielleicht war es doch leichtsinnig gewesen, die Nähe der Höhle noch zu dieser Tageszeit zu verlassen. Hier draußen in der Dunkelheit würden sie sich ohne fremde Hilfe nur noch mehr verlaufen. Plötzlich stieß George ihn an. „Ein Licht! Ich bin mir sicher, ein Licht gesehen zu haben.“ Webster blickte in die von Miller angegebene Richtung, schüttelte dann aber nur mit dem Kopf. „Du musst dich irren, da ist überhaupt nichts.“ „Nein, ich habe mich nicht geirrt. Dort ist es wieder!“ Jetzt sah es auch Peter. Es war ein schwaches, unnatürlich wirkendes Licht und mochte wohl eine halbe Meile entfernt sein. Von Zeit zu Zeit schien es zu flackern, als wollte es verlöschen. Webster wirkte unsicher. „Was kann das sein?“ „Was immer es ist, wir sollten es uns auf jeden Fall einmal ansehen.“ „In Ordnung, immer noch besser als hier Wurzeln zu schlagen.“ Mühsam bahnten sie sich einen Weg durch dichtes Buschwerk, welches sie nur widerwillig passieren ließ. Sie waren etwa eine knappe Viertelstunde gegangen, als sie auf einmal einen schwachen Hilferuf vernahmen. Dieser schien genau aus der Richtung zu kommen, aus der auch das Licht zu sehen war. Die beiden beschleunigten ihr Tempo. Das Unterholz wich nun zu beiden Seiten und vor ihnen erhob sich eine fast endlos wirkende Moorlandschaft. Ein träge dahinfließender, schlammigbrauner Wasserlauf, welcher zu ihrer Seite floss, verschwand irgendwo vor ihnen im morastigen Boden. Daneben stand eine
Miller zögerte noch einen kurzen Augenblick, kam ihm dann aber rasch nach. Sie folgten einem schmalen Pfad, der in östlicher Richtung von der Höhle weg hinab in den Wald führte. Allmählich sank die Sonne immer tiefer und war bald hinter dem Gebirge verschwunden. Der Weg schlängelte sich zunächst an einer schmalen Hügelkette entlang und teilte sich nach etwa einer Meile. Der eine Teil führte scheinbar nach Norden weiter, der andere in Richtung Südosten. Sie folgten dieser Abzweigung, die immer schmaler wurde und sich durch immer dichter werdendes Gehölz zog. Schließlich verschwand der Weg im wirren Gestrüpp zahlreicher wilder Kirschund Brombeerranken. Alles war derart zugewachsen, dass sie nur noch äußerst beschwerlich vorankamen. Bald war von dem ursprünglichen Pfad nichts mehr zu sehen, außer einem Gewirr von Ästen und Zweigen. So beschlossen sie umzukehren und erreichten kurz vor Anbruch der Dämmerung wieder die Abzweigung. Sie folgten nun dem Weg in Richtung Norden, der zunächst weiter an der Hügelkette entlangführte und dann einen Knick nach Westen machte. Er endete auf einer kleinen Lichtung. Ein schmaler Pfad führte von dort aus zunächst weiter nach Norden, änderte aber einige Male die Richtung und wurde durch hohes Gras und dornige Sträucher bald immer unwegsamer. Schließlich kamen sie überhaupt nicht mehr weiter. Eine mächtige alte Eiche lag entwurzelt vor ihnen. Hier war kaum mehr ein Durchkommen möglich, daher beschlossen sie, eine Zeit lang zu rasten. Inzwischen war es dunkel geworden. Die blassen Sicheln zweier Monde waren im Südosten aufgegangen und man konnte das schwache Funkeln einiger Sterne erkennen. Sie lauschten: Fremde Tierlaute waren zu hören und in der Nähe heulte ein Käuzchen. Ansonsten war alles still. 27
Webster blickte sich hilflos nach allen Seiten um. Dann sah er ihn. Es war ein mittelgroßer, hohler Baumstamm, der nur wenige Meter entfernt auf dem trägen Morast schwamm. Vorsichtig watete er auf ihn zu. Dann hatte er ihn erreicht. Langsam schob er ihm Miller entgegen, der ihn im letzten Augenblick ergriff und sich daran festklammerte. Plötzlich schwebte eines der Lichter dicht über ihren Köpfen. Für einen kurzen Moment konnte Webster es genauer erkennen. Ein Gesicht war in ihm zu sehen, das Gesicht eines Toten. Ein unbeschreibliches Grauen überkam ihn. Er erinnerte sich an die Geschichten, die ihm seine Großmutter damals erzählt hatte. Solche über Irrlichter, welche Menschen ins Moor lockten, damit diese ertranken. Es waren die Geister der im Moor Verstorbenen. Mit letzter Kraft gelang es ihnen endlich, sich an das nahe Ufer zu retten. Vor Kälte zitternd schleppten sie sich unter eine der Erlen. Erst nach und nach kamen sie wieder zur Ruhe. Gleichzeitig wurde ihnen bewusst, welcher Gefahr sie entronnen waren, denn immer noch schwebten einige der Irrlichter über dem Moor. George vermochte sich auch später nicht mehr genau daran zu erinnern, wie er überhaupt ins Moor gekommen war. Vermutlich verfügten die Irrlichter über die Gabe, den menschlichen Willen zu beeinflussen. Geradezu teuflisch, dachte er. „Komm, lass uns gehen“, rief Webster ihm zu. Miller nickte müde. Sie folgten einem Wildpfad, welcher sie wieder zurück in den Wald führte. Nach einiger Zeit kamen sie an einen kleinen, munter dahinplätschernden Bach. Sie folgten dem Lauf und erreichten so eine breite Lichtung. Der Bach mündete hier in einen kleinen Weiher, an dessen Ufer mehrere große Weidenbäume standen. „Ich gehe keinen Meter mehr weiter“, erklärte George, der sich erschöpft unter eine mächtige, etwas abseits stehende
kleine Gruppe von Bäumen, Erlen, soweit Peter sich auskannte. Vor ihnen dehnte sich eine riesige, von grüngrauem Moos überzogene Fläche aus, welche nur hin und wieder von kleinen Tümpeln unterbrochen wurde. Schwärme von Mücken und anderer Insekten hingen über den einzelnen Sumpflöchern. Fast zur Mitte des Moores ragten die Reste abgestorbener Kiefern wie ein Mahnmal in den nächtlichen Himmel. Es war eine unheimliche, beklemmende Szenerie, welche sich ihnen hier darbot. Nun konnten sie wieder das Licht sehen. Es war ein schwaches Leuchten, eingehüllt in einen dämmrigen Nebel, welcher nur wenige Meter über dem Moor schwebte. Und bald tauchten noch mehr Lichter auf. Erneut war ein schwacher Hilferuf zu hören. Dann, aus einer anderen Richtung kommend, ein unruhiges Jammern. Bald von da und dort ein leises Stöhnen. „Es steckt jemand im Sumpf, wir müssen ihm helfen“, meinte George entschlossen. Noch ehe Peter ihn aufhalten konnte, war er an ihm vorbei und steckte schon bis zu den Knöcheln im zähen Morast. „Komm zurück, George, hier stimmt irgendetwas nicht!“ Doch der schien ihn gar nicht zu hören. „Halten Sie aus, ich werde Ihnen helfen!“, rief Miller. Langsam versuchte er sich weiter in Richtung auf eines der Lichter vorzuarbeiten, sank aber dabei immer tiefer ein. Schon steckte er bis zu den Hüften im Schlamm und spürte, wie er allmählich den Boden unter den Füßen verlor und immer tiefer sackte. Der Sumpf zog ihn nach unten. Erst jetzt schien ihm bewusst zu werden, wo er sich überhaupt befand. Verzweifelt wollte sich George wieder aufrichten, rutschte dabei aber ab und sank noch tiefer ein. Er geriet in Panik. „Bleib ganz ruhig und bewege dich nicht, ich hole dich raus!“, schrie Peter ihm zu. Aber was konnte er nur tun? 28
„Du hast Recht. Ich übernehme die erste Wache, dann kannst du dich etwas ausruhen.“ „Einverstanden. Möchtest du zur Sicherheit meine Pistole?“ „Nein danke, dies habe ich mir einige Tage, bevor wir zu deiner Großmutter fuhren, gekauft.“ Dabei deutete Miller auf ein langes Fahrtenmesser, welches an seinem Gürtel hing. „Gut, dann werde ich noch etwas Holz nachlegen, es wird allmählich kalt“, bemerkte Peter fröstelnd. Danach legte er sich unterhalb der Eiche ins Gras. Nachdenklich betrachtete er den Sternenhimmel. Irgendwo dort draußen war die Erde. Es hing jetzt alles nur davon ab, dass sie am nächsten Tag die Ansiedlung finden würden, von der sein Großvater in seinem Tagebuch berichtet hatte. Aber was, wenn nicht? Nein, es würde schon alles gut gehen, dessen war er sich sicher. Müde legte er sich auf die Seite und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Kurz darauf war er eingeschlafen.
Eiche fallen ließ. „Ich auch nicht, lass uns über Nacht hier bleiben“, schlug Webster vor. „In Ordnung.“ Müde lehnten sie sich an den riesigen Baum. Beide betrachteten nun voller Genugtuung dieses friedliche Bild: Die mächtigen Kronen der Weidenbäume rauschten ruhig im Wind und das Plätschern des Baches war zu hören. Die vergangenen Schrecken schienen vergessen. Aber nach einer Weile erhob sich Miller. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns einmal um etwas Essbares kümmern. Außerdem sollten wir unsere nassen Sachen trocknen.“ „Aber wir haben doch überhaupt nichts zu essen dabei“, wandte Peter ein. „Das lass nur meine Sorge sein. Mach du nur inzwischen Feuer.“ Mit diesen Worten verließ er seinen Platz und ging hinunter zum Weiher. Webster sah ihm kopfschüttelnd nach, begann dann aber Holz zu sammeln und einige große Steine für eine Feuerstelle zu suchen. Bald schon flackerte es unter der großen Eiche hell auf. Kurze Zeit später kam Miller zurück. „Schau nur, was ich in diesem kleinen Tümpel gefangen habe!“ Dabei deutete er stolz auf einen Fisch, welcher an einer Angelschnur hing. „Zum Glück habe ich immer etwas Schnur, einen Haken und einen Köder dabei.“ „Glaubst du, dass man ihn essen kann?“ „Warum denn nicht?“, erwiderte George. Sie grillten den Fisch über dem offenen Feuer und aßen ihn anschließend mit Appetit auf. Er schmeckte zwar etwas fade ohne Gewürze, war aber durchaus genießbar. Nach dem Essen lehnten sich beide entspannt zurück. „Ein schönes Fleckchen Erde hier“, meinte Miller. „Trotzdem, wir sollten aufpassen und heute Nacht abwechselnd Wache schieben.“ 29
Kapitel 7 Verirrt – Rettung in letzter Minute
wie ein Pfeil in den morgendlichen Himmel. Peter ging hinunter zum Teich, um sich etwas frisch zu machen. Er beugte sich über die Wasseroberfläche und benetzte vorsichtig seine Haut. Das Wasser war eiskalt, aber es erfrischte ihn herrlich. Bald fühlte er sich wieder wie neugeboren. Die Alpträume der letzten Nacht waren gewichen. Mit einem sauberen Taschentuch trocknete er sich ab und ging zum Lagerplatz zurück. Inzwischen war das Feuer fast ausgegangen. Nur noch eine dünne Rauchfahne zog in den Himmel. Webster legte einige dürre Äste nach und blies in die schwache Glut. Plötzlich knackten hinter ihm einige Zweige. Schritte waren zu hören, die rasch auf ihn zukamen. Er fuhr herum, riss seine Pistole aus dem Halfter, ließ sie im nächsten Moment aber sofort wieder sinken. „Mein Gott, George, musst du dich immer so anschleichen!“, fuhr er Miller ärgerlich an, der plötzlich vor ihm stand. „Tut mir Leid, Peter“, erwiderte George noch völlig außer Atem. „Aber Reiter kommen hierher. Sie müssen letzte Nacht unser Lagerfeuer gesehen haben.“ „Konntest du sie genauer erkennen?“ „Nein, leider nicht. Sie waren noch etwa eine halbe Meile entfernt. Aber sie werden bald hier sein, schätze ich.“ Peter überlegte einen Augenblick: Eigentlich müssten sie sich ja über jede Hilfe freuen, denn sie hatten sich in dieser Wildnis total verlaufen. Trotz alledem hatte er irgendwie ein ungutes Gefühl. Denn die Ereignisse des vergangenen Tages, die Begegnung mit dem Drachen und den Irrlichtern, hatten ihm gezeigt, dass sie auf dieser Welt ganz besonders vorsichtig sein mussten. „Ich glaube, wir sollten uns unseren ‚Besuch’ erst einmal aus sicherer
Langsam kroch der Drache auf ihn zu. Aber Webster hatte ihn im letzten Augenblick bemerkt. Rasch wirbelte er herum und strebte dem Höhlenausgang entgegen. Doch das Ungeheuer schien seine Gedanken erraten zu haben, denn plötzlich stand es vor ihm und versperrte den Weg. Auf der gegenüberliegenden Seite lag ein großer Felsen. Wenn es Peter gelingen würde, dahinter in Deckung zu gehen, war er vielleicht gerettet. In letzter Hoffnung rannte er auf diesen zu. Aber es war bereits zu spät. Er spürte nur noch, wie sich ihm von hinten eine riesige Hitzewelle näherte: seine Kleidung und Haare fingen Feuer. Dann schrie er vor Schmerz auf, rang nach Luft, öffnete die Augen und wachte auf. Erleichtert stellte er fest, dass er unter der großen Eiche am Weiher lag. „Mein Gott, was für ein Alptraum“, dachte er schaudernd. Nur langsam begann er sich zu erinnern: er hatte George etwa gegen Mitternacht bei der Wache abgelöst. Als er sich dann nach einiger Zeit unter den Baum gesetzt hatte, um etwas auszuruhen, musste er wohl doch wieder eingeschlafen sein. Immer noch zitternd und schweißgebadet erhob er sich. Seine Pistole lag neben ihm im Gras, er steckte sie zurück ins Halfter. George war nirgends zu sehen. Vermutlich erkundete er die nähere Umgebung. Es hatte über Nacht geregnet und der Himmel war wolkenverhangen. Nur mühsam bahnten sich die ersten Sonnenstrahlen einen Weg durch die noch dichte Wolkendecke. Vor ihm auf der Wiese hatte sich das Regenwasser in zahllosen Pfützen gesammelt. Amüsiert betrachtete Peter einen kleinen fremdartigen Vogel, der in einer der Pfützen badete und sein Gefieder putzte. Als er Webster bemerkte, schoss er 30
Als einer der anderen ihn sah, kam er auf ihn zugerannt, hob die Schultern und deutete wild gestikulierend in Richtung des Lagerplatzes. Dabei stieß er einige unverständliche Laute aus. „Aber es muss jemand hier gewesen sein, ich habe doch letzte Nacht deutlich ein Lagerfeuer gesehen“, schrie der Anführer in einer Sprache, die große Ähnlichkeit mit dem Gälischen hatte. „Los, ihr Tölpel, sucht schon, wer auch immer hier gewesen ist, er wird noch irgendwo in der Nähe sein!“ Die Fremden begannen jetzt in alle Richtungen auszuschwärmen. Nun war es Peter und George wohl klar, dass sie von diesen Wesen keine Hilfe erwarten konnten, wahrscheinlich eher das Gegenteil. „Los, nichts wie weg von hier“, flüsterte Peter hastig. Beide verließen ihr Versteck und rannten voller Panik, ohne sich noch einmal umzudrehen, in den Wald. Sie versuchten erst gar nicht sich auszumalen, was geschehen würde, falls sie in die Gewalt dieser unheimlichen Wesen geraten sollten. Sie achteten auch nicht auf den Weg. Äste, Sträucher und Dornengestrüpp rissen ihnen Kleidung und Haut auf. Sie stolperten, richteten sich wieder auf und erreichten so kurze Zeit später einen kleinen Bach. Ob es derselbe war, den sie schon am Vortage entdeckt hatten und der in den kleinen Weiher mündete, wussten sie nicht. Jetzt hatten sie ihre Orientierung vollständig verloren und folgten nur noch dem Verlauf des Baches stromaufwärts. Ihr Weg führte sie immer weiter in ein fast dschungelähnliches Waldgebiet hinein. Der Bach war bald nur noch ein klägliches Rinnsal, das irgendwo zwischen den Bäumen verschwand. Völlig außer Atem blieben sie endlich stehen und lehnten sich gegen einen alten abgestorbenen Baum. Um sie herum war nichts als Wald. Kaum ein Sonnenstrahl drang durch die dichten Baumkronen. Die Luft war stickig und dumpf. Von ihren
Entfernung ansehen“, erklärte er Miller, der zustimmend nickte. Während George das Feuer löschte, beseitigte Peter alle übrigen Spuren des Lagers. Dann versteckten sie sich hinter einigen etwas abseits stehenden Sträuchern und Büschen. Kurz darauf war Hufgetrappel zu hören. Schon bald tauchten hinter den Bäumen einige struppige Ponys auf, deren Reiter man aber noch nicht erkennen konnte. „Psst, sei ruhig“, flüsterte er George zu, der gerade etwas sagen wollte. Die Reiter waren inzwischen abgestiegen und kamen auf den Lagerplatz zu. Fremde Stimmen und Laute waren zu hören. Peter beugte sich jetzt etwas nach vorne, da ihm das dichte Buschwerk die Sicht nahm. Und dann sah er sie. Erschrocken fuhr er zurück. Dies waren keine Menschen. Sie hatten eine Körpergröße von etwa 1,5 Meter und eine kräftige Statur mit langen Armen und kurzen Beinen. Ihre dunkelgraue bis schwarze Haut war mit zahlreichen Falten und Narben verunstaltet. Ihre Gesichter wirkten irgendwie grotesk, steinzeitmenschenähnlich mit kurzen Fangzähnen, die aus dem Unterkiefer wuchsen. Das Unheimlichste aber waren ihre Augen. Diese schienen von innen her zu leuchten. Die meisten von ihnen trugen halb verbeulte Bronzerüstungen, andere wieder schwere Kettenhemden und Helme. Als Waffen hielten sie Schwerter und Lanzen in ihren groben Händen. Während einer mit seiner Lanze in der noch schwachen Glut des Lagerfeuers herumstocherte, suchten die übrigen die Uferböschung des kleinen Weihers ab. Aus dem Wald kam jetzt noch ein Reiter. Er sah rein äußerlich genauso aus wie die anderen, war aber besser gekleidet. Er trug eine silbern schimmernde Rüstung. Durch Ohren und Nase hatte er große Ringe gezogen. Außerdem zierte ein mächtiger Federbusch den Helm. Es handelte sich bei ihm wohl um den Anführer der Gruppe. 31
Bauwerk erkennen. „Sieht aus wie eine Art Wachturm“, meinte Miller. „Ich hoffe nur, dass wir dort endlich auf Menschen stoßen werden.“ Doch Websters Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Als sie am späten Nachmittag endlich oben angekommen waren, entpuppte sich der Turm als eine baufällige Ruine. Das Dach war teilweise eingefallen und Teile des Mauerwerks hatten sich ebenfalls gelöst. Sie betraten die untere Etage durch eine Tür, welche nur noch lose in den Angeln hing. Eine morsche Treppe führte von hier aus nach oben auf eine breite, mit Zinnen versehene Aussichtsplattform. „Ich werde mich dort oben einmal umsehen, vielleicht kann ich irgendetwas entdecken“, schlug Miller vor. „Gut, aber sei bloß vorsichtig. Diese Treppe hat den Anschein, als würde sie schon bei der leisesten Berührung zusammenbrechen.“ Langsam stieg Miller die Treppe Stufe für Stufe empor. Das war nicht einfach, denn immer wieder lösten sich morsche Stücke ab und fielen zu Boden. Dann kam er an eine Stelle, an der die Treppe teilweise eingestürzt war. Vorsichtig hangelte er sich hinüber. Oben angekommen, blickte George sich nach allen Seiten um. „Na, kannst von dort oben aus irgendetwas erkennen?“, rief Peter ihm zu. Doch George schüttelte den Kopf. „Im Süden Wälder, nach Westen hin das Gebirge und im Norden nur Steppe. Nichts, was uns weiterhelfen könnte. Keine Ansiedlung.“ Enttäuscht kam er wieder zurück. Wie es jetzt weitergehen sollte, wussten sie nicht. Peter hatte gehofft, zumindest von hier oben aus etwas ausmachen zu können. Allmählich kam es ihnen wirklich wie eine große Dummheit vor, dass sie die Nähe der Höhle so kurz vor Einbruch der Dunkelheit verlassen hatten. Ja, es wäre doch sicherer gewesen, wenn sie dort geblieben wären
Verfolgern war weit und breit nichts zu sehen. Vermutlich hatten sie ihre Suche längst aufgegeben. Nach einer kurzen Rast beschlossen sie, dennoch in der eingeschlagenen Richtung weiterzugehen. Zurück wagten sie sich nicht, da sie immer noch befürchteten, dass einige dieser Wesen in der Nähe des Lagerplatzes herumstreifen würden. Das Gelände wurde jetzt immer unwegsamer. Bald versanken sie bis zu den Hüften in meterhohen Farnen und dichten Sträuchern. Die Luft wurde so schwer, dass sie immer häufiger eine Pause einlegen mussten. Erst gegen Mittag begann sich dieser Urwald zu lichten. Ein fast baumloses Hochland breitete sich jetzt vor ihnen aus. Nur kleine Gruppen von Birken und Zedern wuchsen da und dort. Frischer, kühler Wind wehte aus Nordosten und ließ sie die heiße und schwüle Luft aus den Wäldern vergessen. Auch Wild war zu sehen. Kleine hasenähnliche Tiere, welche in großer Entfernung an ihnen vorbeihoppelten. Allerdings zu schnell, als das Webster mit seiner Pistole zum Schuss hätte kommen können. Ein Schwarm großer schwarzer Vögel zog unter wildem Gekreische in Richtung Südwesten. Kurze Zeit später kamen Peter und George an einen schmalen Fluss, an dessen Ufer zahlreiche Kopfweiden standen. Sie entschlossen sich dem Lauf des Flusses weiter nach Nordosten zu folgen. Nach etwa einer Stunde erreichten sie eine Furt, so dass sie den Fluss überqueren konnten. Eine mächtige, leicht bewaldete Hügelkuppe tauchte im Norden vor ihnen auf. Diese mochte wohl etwa drei Meilen entfernt sein. „Lass uns hinaufgehen, vielleicht können wir uns da neu orientieren.“ George nickte. „Ja, es wäre zumindest einen Versuch wert.“ Als sie sich dem Berg auf etwa eine Meile genähert hatten, konnten sie auf dessen Anhöhe zwischen den Bäumen ein 32
Pfad, welcher wieder zurück in den Wald führte. Der Nebel schien hier unten noch dichter zu sein, als sie es vom Hügel her angenommen hatten. Es herrschte eine bedrückende Stille. Die ganze Umgebung schien im Dunst zu verschwimmen. Nur hier und da war ein schwaches Knacken im Unterholz zu hören. Dabei handelte es sich wohl um Tiere, welche auf Nahrungssuche waren. Sie hatten vor, sich hauptsächlich in südwestlicher Richtung zu halten und sich dabei so gut wie möglich am Stand der Sonne zu orientieren. Etwa gegen Mittag erreichten sie eine breite, helle Lichtung inmitten eines dichten Föhrengehölzes. Von hier aus teilte sich der Weg in zwei Richtungen. Der eine führte hinauf auf eine mit hohen Kiefern bewachsene Hügelkette. Der andere verschwand irgendwo im Nebel. Sie hielten an, um etwas zu verschnaufen. „Ich schlage vor, wir trennen uns“, ergriff George plötzlich das Wort. „Auf diese Weise haben wir vielleicht eine bessere Chance, endlich den richtigen Weg zu finden.“ Peter sah ihn für eine kurze Weile überrascht an, erwiderte dann aber: „Ja, ich glaube, du hast Recht, aber wir sollten vorsichtig sein und kein unnötiges Risiko eingehen.“ „Gut, dann sehe ich mich einmal dort oben auf den Hügeln um. Wir treffen uns hier in einer Stunde wieder.“ Peter nickte bestätigend. Beide verglichen rasch noch einmal die Zeit, dann trennten sie sich. George folgte dem Pfad hinauf bis zur ersten Anhöhe und warf von dort aus rasch einen Blick zurück. Er konnte gerade noch erkennen, wie Peter unten im Wald verschwand. Dann setzte er seinen Weg fort. Der führte jetzt wieder stetig bergab, bis er an einen Hohlweg gelangte. Dieser war wohl in früheren Zeiten des Öfteren benutzt worden, denn er war durch breite
und die Nacht abgewartet hätten. Die Höhle war nach den Aufzeichnungen von Frank Webster ihr einziger Orientierungspunkt, den sie nun verloren hatten. Aber es war jetzt zu spät, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Sie verließen den Turm und legten sich erschöpft unter eine in der Nähe stehende Birke. Bald fielen sie in einen tiefen und unruhigen Schlaf. Als Peter wieder erwachte, war es mitten in der Nacht. Er blickte sich um, der Himmel war mit Tausenden von Sternen übersät. Die beiden Monde waren wieder im Südosten aufgegangen. George lag neben ihm im Gras und schlief fest. Er überlegte kurz, ob er ihn wecken sollte, ließ es dann aber doch bleiben. Hier oben waren sie zumindest für diese Nacht einigermaßen sicher. Das hohe Gras und besonders die Bäume boten ihnen einen recht guten Schutz. Also legte er sich auch wieder schlafen. Als sie am nächsten Morgen erwachten, herrschte dichter Nebel. Die ganze Umgebung, die Hügel, Täler, Wiesen und Wälder, schienen wie in graues Tuch eingehüllt. Das Gras und die Bäume waren feucht und mit dünnen silbrigen Spinnweben überzogen. Die Sonne war nur als fahler gelber Fleck irgendwo im Süden zu erkennen. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben, dachte Webster. Wie sollten sie bei diesen Sichtverhältnissen das Dorf oder auch nur die Höhle wieder finden? Glücklicherweise hatte George am Tage zuvor noch einige Beeren und Früchte gesammelt. So hatten sie wenigstens ein spärliches Frühstück. Dann brachen sie wieder auf. Noch länger hier auf dem Hügel zu warten, hielten sie wegen der schlechten Sicht für unklug. Denn möglicherweise benutzten noch andere, eventuell gefährliche Wesen den Turm als Unterschlupf. Nach einer Wanderung von knapp zwei Stunden stießen sie im Süden auf einen 33
So beschloss Webster, wieder umzukehren. Als er nach einer knappen halben Stunde wieder auf der Lichtung ankam, auf der sie sich getrennt hatten, war George noch nicht zurück. Peter warf einen besorgten Blick zur Uhr. Die Stunde war fast um, aber von Miller war nichts zu sehen. Normalerweise war es nicht Georges Art, jemanden warten zu lassen. Als er nach weiteren zwanzig Minuten noch immer nicht aufgetaucht war, machte Webster sich auf den Weg, ihn zu suchen. Er folgte dem Pfad, den George zuvor gegangen war, und erreichte nach kurzer Zeit ein kleines Tal. Hier gabelte sich der Weg. Der eine führte hinauf zum nächsten Hügel, der andere verlor sich im Westen zwischen dichten Baumreihen. Er überlegte noch, welchem er folgen sollte, als er einen heiseren Schrei vernahm. Dieser schien aus westlicher Richtung zu kommen. Wenn ihn nicht alles getäuscht hatte, war es Millers Stimme gewesen. So schnell er konnte, rannte er darauf zu. Jetzt sah er zwischen den Bäumen das Flackern eines Lagerfeuers. Vorsichtig schlich Webster sich heran. Wieder hörte er Miller aufschreien, dann ein Brüllen wie von einem Tier. Vermutlich wurde George angegriffen. Peter zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter, entsicherte sie und sprang hinter den Bäumen hervor. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gerinnen. Vor ihm, auf einer kleinen Lichtung, stand ein riesiges Etwas. Ein Ungeheuer, über 3 Meter groß und nur mit Stofffetzen bekleidet. Ein Riese wie aus einem Märchenbuch. Er wirkte ungewöhnlich plump. Seine Haut war grau und an vielen Stellen mit Narben verunstaltet. Sein Kopf war wie der eines Neandertalers. In der Hand hielt er einen mächtigen Holzknüppel, mit dem er auf George einschlug. Miller lag am Boden und hatte versucht, hinter einem kleinen Felsen in Deckung zu
Wagenspuren ziemlich stark aufgerissen. Er folgte dem Hohlweg und fand sich kurz darauf in einem kleinen felsigen Tal wieder. Anscheinend hatte man hier einen größeren Kahlschlag angelegt. Bäume waren gefällt, aber aus irgendeinem Grund wohl nie abtransportiert worden, wildes Farn und Dornengestrüpp hatte sie inzwischen wieder überwuchert. Der Nebel begann sich nun allmählich aufzulösen. Nur noch im Dickicht und im Unterholz hielten sich einige Schwaden. Der Weg teilte sich an dieser Stelle erneut. Während der eine stetig anstieg und auf den nächsten Hügel führte, schien der andere in westlicher Richtung zwischen Kiefern und dichtem Buschwerk zu verschwinden. Er wollte sich gerade auf einen am Wegesrand liegenden Baumstamm setzen, um wieder etwas auszuruhen, als er plötzlich aufschreckte. Etwa eine Achtelmeile in westlicher Richtung entfernt nahm er ein schwaches Leuchten wahr. Nein, es war eigentlich mehr ein Flackern. Das Flackern eines Lagerfeuers. Wieder neue Hoffnung schöpfend, ging er darauf zu. Vielleicht würden sie jetzt endlich auf Menschen stoßen! Peter Webster war inzwischen einem Weg gefolgt, der ihn weiter in Richtung Süden durch einen dichten Lärchenwald führte. Die knorrigen Wurzeln auf dem Boden waren von modrigen Nadeln bedeckt. Bisweilen lag ein seltsam süßlicher Geruch in der Luft – wie Verwesung. Ein dichter Nebel schien hier ständig über dem Boden zu liegen. Kurze Zeit später war ein mächtiges Rauschen zu hören, das aus südlicher Richtung kam und immer mehr anschwoll. Die Luft wurde bald merklich frischer. Der Pfad endete urplötzlich an einem reißenden Gebirgsbach, welcher in eine tiefe Schlucht stürzte. Keine Brücke und kein Steg schienen ans andere Ufer zu führen. 34
Der eine von ihnen war von schlanker Gestalt und schien etwa genauso alt zu sein wie Peter. Er hatte einen dunklen Vollbart und trug ein graues Lederwams über einer grünen Tunika und lange Hosen, welche in braunen Lederstiefeln verschwanden. Außerdem war er in einen dunkelgrünen Umhang gehüllt, dessen Kapuze er über den Kopf gezogen hatte. Bewaffnet war er mit einem Langbogen und einem Schwert. Der andere hingegen war wesentlich größer und kräftiger gebaut. Er sah von der Kleidung her einem Wikinger sehr ähnlich, hatte feuerrote Haare, die zu Zöpfen geflochten waren, und einen Schnauzbart. Als Waffen hielt er eine Streitaxt und ein Schild in seinen Händen. „Ein Monster, helfen Sie mir!“, rief Peter atemlos. Die beiden hatten ihn offensichtlich sofort verstanden, denn sie gaben ihm ein Zeichen, sich hinter einigen Bäumen in Deckung zu begeben. Das Ungeheuer hatte sich ihnen inzwischen bedrohlich genähert. Auch das Vorhandensein der beiden Fremden schien es nicht weiter zu stören. Wütend schwang es den mächtigen Knüppel. Während der eine sich nun mit seiner Streitaxt hinter einem Felsen versteckte, nahm der andere den Bogen zur Hand und zog aus einem Köcher, welchen er auf dem Rücken trug, einen Pfeil. Aus seinem Gewand holte er ein kleines ledernes Fläschchen. Er öffnete es und tauchte den Pfeil mit der Spitze hinein. Dies alles geschah blitzschnell. Der Riese war inzwischen nur noch etwa hundert Meter entfernt. Jetzt nahm der Fremde den Pfeil zur Hand, spannte den Bogen und schoss. Das Geschoss surrte von der Sehne und traf das Ungetüm mitten in die Brust. Es schrie vor Schmerz auf, taumelte und versuchte den Pfeil zu entfernen. Doch dieser schien sich auf merkwürdige Weise nur noch stärker in die offene Wunde zu bohren. Außerdem wirkte der Koloss irgendwie benommen. Auf diesen Augenblick schien der Wikinger nur
gehen. Dies war ihm aber nicht gelungen. So wehrte er verzweifelt die schweren Schläge mit den Händen ab. Er war wohl von dem Angriff des Riesen so überrascht worden, dass es ihm nicht einmal möglich gewesen war, sein Fahrtenmesser zu ziehen. Webster feuerte einen Schuss in die Luft. „Lass ihn in Ruhe“, rief er dem Monster zu. Der Koloss drehte sich langsam zu ihm herum und knurrte bedrohlich. Peter zielte auf den Kopf des Monsters und schoss. Dieses zuckte aber nur kurz zusammen, als ihn die Kugel traf. Lediglich eine kleine blutende Wunde war zu sehen. Langsam kam der Riese auf ihn zu. Webster schoss erneut und immer wieder, aber die Kugeln zeigten keinerlei Wirkung. Ja, sie schienen das Ungeheuer eher noch rasender zu machen. Vor Wut brüllend lief es ihm, den mächtigen Knüppel schwingend, entgegen. Peter blieb nur noch die Flucht. Er rannte den Weg zurück ins Tal und dann die nächste Anhöhe hinauf, das tobende Monster folgte ihm. Zumindest hatte er es von Miller abgelenkt. Oben auf dem Berg warf er einen raschen Blick zurück, rannte dann aber gleich weiter. Es war ihm gelungen, einen kleinen Vorsprung herauszuholen, da der Koloss zwar große Schritte machte, aber ansonsten ziemlich schwerfällig war. Auf die Dauer würde Webster dieses Tempo aber nicht durchhalten können. Er überlegte schon, ob er sich nicht irgendwo seitlich ins Unterholz schlagen sollte, als er plötzlich in einiger Entfernung, zwei Gestalten sah, die auf ihn zukamen. Soweit er es erkennen konnte, handelte es sich um Menschen. Mit letzter Kraft taumelte er auf sie zu, hob die Hände und rief laut um Hilfe. Die beiden beschleunigten ihr Tempo und hatten ihn fast erreicht. Jetzt konnte er sie genauer erkennen. Es waren zwei Männer. 35
fragte Wolthar besorgt. „Nein, ich bin in Ordnung, aber mein Freund ...“, entfuhr es Webster plötzlich. „Das Ungeheuer hat ihn angegriffen und sicherlich schwer verwundet.“ „Dann sollten wir keine Zeit verlieren. Kommt, zeigt uns den Weg“, rief Thurgon hastig. Schnell rannten die beiden hinter Webster her und erreichten wenige Minuten später den Lagerplatz des Riesen. Das Feuer brannte noch, aber Miller war nirgends zu sehen. Erst als Peter nach ihm rief, kam eine schwache Antwort. Dann nahmen sie eine dünne Blutspur wahr, die hinter einem umgestürzten Baum verschwand. Dort fanden sie George. Er hatte sich bis dahin geschleppt und war schwer verletzt. Er hatte mehrere Prellungen und eine große Wunde am Hinterkopf, aus der Blut tropfte. Vorsichtig trugen sie den inzwischen ohnmächtig Gewordenen ans Feuer. „Wir bleiben für den Rest des Tages am besten hier. Es geht ihm sehr schlecht und wir dürfen ihn heute auf keinen Fall mehr bewegen“, erklärte der Halbelf. Thurgon holte ein sauberes Leinentuch und eine große Decke aus einem Rucksack, welchen er unter dem Umhang trug. In diese hüllte er Miller ein. „Hier in der Nähe ist eine Quelle, geht bitte los und besorgt frisches Wasser. Ich muss seine Wunden auswaschen.“ Mit diesen Worten reichte er Peter und Wolthar zwei lederne Eimer. Dann schnitt er aus dem Tuch Verbandszeug zurecht. Als die beiden mit dem Wasser zurückkamen, schütteten sie es in einen großen Kessel, welchen sie zuvor in der Nähe des Lagers gefunden hatten. Das Wasser wurde erhitzt und der Halbelf fügte einige Heilkräuter aus einem Lederbeutel hinzu. Mit dem Sud wusch er Miller die Wunden aus und verband sie so gut es ging. „Morgen früh bauen wir ihm eine Trage und bringen ihn ins nächste Dorf.“ „Sololund müsste in der Nähe sein“,
gewartet zu haben. Mit einem wütenden Kampfschrei stürmte er hinter dem Felsen hervor und griff das Monster mit der Axt an. Verzweifelt setzte sich dieses mit dem Knüppel zur Wehr, konnte aber letztendlich gegen die wuchtig geführten Axthiebe nichts ausrichten. Nun zog der andere Fremde sein Schwert und stürzte sich ebenfalls in den Kampf. Ein gezielter Schwerthieb traf das Monster am Kopf. Der Riese torkelte jetzt nur noch und war kaum mehr in der Lage, Gegenwehr zu leisten. Ein letzter Hieb traf ihn in der Nähe des Herzens. Mit einem Brüllen stürzte er zu Boden und blieb unbeweglich liegen. Nur noch ein schwaches Röcheln war zu hören. Vorsichtig schritten die beiden Fremden mit gezogenen Waffen auf den am Boden liegende Koloss zu. Doch dieser rührte sich nicht mehr. „Ihr könnt herauskommen, mein Freund, das Ungeheuer ist tot“, rief einer der beiden Fremden Peter in einer nordisch klingenden Sprache zu. Immer noch zögernd kam Webster aus seinem Versteck hervor und ging auf die beiden Männer zu, welche noch bei dem Monster standen. „Man sollte sich nie unbewaffnet in die Wälder Narandors begeben“, entgegnete der Mann im grünen Umhang. „Hier wimmelt es nämlich nur so von Dieben und Ungeheuern, die Euch nicht nur Euer weniges Gold, sondern auch noch Euer Leben nehmen wollen.“ „Aber uns könnt Ihr vertrauen“, fuhr der Wikinger lachend fort. „Mein Name ist übrigens Wolthar, Krieger aus dem Nordergaard.“ „Und ich bin Thurgon, der Halbelf“, ergänzte der Mann in Grün, setzte seine Kapuze ab und zwei spitze Ohren wurden sichtbar. Noch immer etwas misstrauisch, reichte Peter ihnen die Hand und nannte seinen Namen. „Was treibt Ihr eigentlich in dieser von den Göttern verlassenen Gegend, Peter? Und seid Ihr wirklich nicht verletzt?“, 36
„Du darfst dir jetzt keine Vorwürfe machen. Nach der Begegnung mit dem Drachen hätte wahrscheinlich jeder aus Eurer Welt ebenso reagiert“, versuchte Thurgon ihn zu beruhigen. „Was erwartet Euer König eigentlich von mir und warum hat er meiner Großmutter diesen Kristall gesandt?“ „Diese Botschaft war eigentlich für deinen Großvater bestimmt. Aber ich glaube, dass du sie erhalten hast, war ein Wink des Schicksals. Deine Großmutter wusste schon, warum sie dir diese Nachricht anvertraute.“ „Aber worum geht es überhaupt?“ fragte Peter noch einmal eindringlich. „Unserer Welt droht große Gefahr. Mehr darf ich dir jetzt nicht sagen. Unser König wird dich genauer darüber aufklären.“ Webster nickte. Plötzlich war ein Stöhnen zu hören. Peter drehte sich herum. George hatte sein Bewusstsein anscheinend wiedererlangt. Er ging zu ihm hinüber. „Was ist geschehen?“, flüsterte Miller mit schwacher Stimme. „Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass mich dieses Ungeheuer angegriffen hat.“ „Es ist tot“, versicherte ihm Peter. „Wir haben in letzter Minute Hilfe bekommen“, dabei deutete er auf Thurgon und Wolthar, die inzwischen auch herangekommen waren. „Sie haben es getötet und sie werden uns morgen ins nächste Dorf bringen.“ „Dann wird ja doch noch alles gut“, lächelte Miller gequält. „Du musst dich jetzt ausruhen, wir haben morgen noch einen langen Tag vor uns.“ „Gut, das werde ich tun.“ Zitternd schlug er sich die Decke über den Kopf und war kurz darauf eingeschlafen. Die allmählich beginnende Dunkelheit und das Flackern des Feuers tauchten den Lagerplatz in ein seltsames Licht. Nachdem Wolthar einen kurzen Streifzug in die nähere Umgebung unternommen hatte, saßen sie am Feuer und lauschten den Erzählungen des Halbelfen. Dieser berichtete von fremden Ländern, seltsamen
meinte Wolthar. Thurgon nickte. „Ja, dort gibt es einen guten Heiler“. „Aber wie kommt Ihr überhaupt in diese einsame Gegend, dazu auch noch unbewaffnet?“, wandte sich Wolthar wieder an Peter. „Das ist eine lange Geschichte und ich weiß nicht, ob Ihr mir glauben werdet“. „Dann erzählt Sie uns doch“, forderte ihn der Nordkrieger auf. „In Ordnung, ich werde es versuchen.“ Webster machte eine längere Pause, dann fuhr er fort. „Wir kommen nicht von dieser Welt.“ Für einen kurzen Augenblick stutzten die beiden anderen und sahen ihn ungläubig an. Doch Peter ließ sich nicht beirren und begann seine Erzählung mit ihrer Ankunft in Herrington und den seltsamen Begebenheiten dort und wie er sich schließlich auf Drängen seiner Großmutter mit den Aufzeichnungen seines Großvaters vertraut gemacht hatte. Er erzählte vom Tod seiner Großmutter und von seiner und Georges Ankunft in der Drachenhöhle, nachdem sie das „Tor der Welten“ durchschritten hatten, und wie sie sich letztendlich in der Wildnis verlaufen hatten. Nachdem Webster geendet hatte, starrte er nachdenklich in die prasselnde Glut des Feuers. Inzwischen war es später Nachmittag geworden. „Auch wenn Ihr mir nicht glauben solltet, dies ist die Wahrheit“, erklärte er den beiden tonlos. „Doch, doch, wir glauben dir! Du bist derjenige, nach dem wir schon seit Tagen suchen!“, erklärte ihm der Halbelf. „Wir haben von unserem König den Auftrag erhalten, einen Mann abzuholen, der durch das „Tor der Welten“ kommen würde“, fügte Wolthar hinzu. „Es wäre allerdings klüger gewesen, wenn Ihr in der Nähe der Höhle geblieben wäret.“ „Ja, du hast Recht, wir waren zu leichtsinnig, und George hat dafür bezahlt.“ 37
Wesen und Ungeheuern. Nachdem er geendet hatte, begaben sie sich zur Ruhe. Wolthar übernahm die erste Wache. Thurgon wollte ihn gegen Mitternacht ablösen. Nur Peter sollte sich nach all den anstrengenden Tagen einmal richtig ausruhen. Bald war er in einen tiefen und unruhigen Schlaf gefallen. Er träumte wieder von dem Drachen, dann von dem Riesen und den Reitern, die sie einen Tag zuvor beinahe überfallen hätten und die Thurgon Orks nannte. Erst gegen Morgen wurde sein Schlaf ruhiger. Jetzt waren sie ja in Sicherheit, dachte er. Wahrscheinlich würde ihr Abenteuer doch noch einen guten Ausgang nehmen.
38
Kapitel 8 Nach Tordor Castle
machte der Weg einen Knick nach Süden. Erschöpft setzten Peter und Wolthar die Trage ab. Der Halbelf winkte Wolthar zu sich und deutete dabei auf den Boden. Beide unterhielten sich nun in ihrer Sprache und wirkten sehr nervös. Dann kam der Nordkrieger wieder zurück. „Wir haben Spuren entdeckt. Möglicherweise sind es Orks, aber wir könnten uns auch irren.“ „Spuren?“, fragte Webster überrascht. „Ja, Spuren von unbeschlagenen Pferden“, erwiderte der Halbelf, der inzwischen auch dazugekommen war. „Könnten es nicht genauso gut auch Bauern aus der Umgebung gewesen sein?“ „Nein, das glaube ich nicht. Die Spuren sind ziemlich tief in den Boden gedrückt worden, was eigentlich nur bedeuten kann, dass es sich um Reiter mit schweren Waffen und Rüstungen gehandelt hat. Außerdem sind sie nur wenige Stunden alt.“ „Ihr glaubt wirklich, es waren Orks?“ „Mit ziemlicher Sicherheit. Die Orks haben in den letzten Monaten immer wieder Bauernhöfe und kleinere Dörfer in der Umgebung geplündert.“ Plötzlich hielt Thurgon inne und lauschte. „Hört ihr nichts?“ Peter hob die Achseln. „Doch, jetzt höre ich auch etwas“, rief der Nordkrieger. „Da kommen Reiter.“ „Los, wir müssen von der Straße herunter.“ Schnell begaben sich Peter und Wolthar mit dem Schwerverletzten hinter Bäumen und Gestrüpp am Wegesrand in Sicherheit. Der Halbelf versuchte, noch rasch ihre Spuren zu verwischen, dann sprang er ebenfalls in Deckung. Im nächsten Augenblick galoppierten
Als Peter Webster am nächsten Morgen erwachte, war es bereits heller Tag. Die Sonne war über dem Hügelkamm im Südwesten aufgegangen und die ersten Strahlen wärmten seine durchgefrorenen Glieder. Er reckte sich und stand auf. Thurgon und Wolthar waren anscheinend schon lange wach. Während der Halbelf damit beschäftigt war, Georges Verbände zu wechseln, hatte der Nordkrieger schon das Frühstück für sie zubereitet. Er reichte Peter eine Schale mit einem heißen, noch dampfenden Getränk. Peter dankte ihm und schlürfte es genüsslich. Es hatte große Ähnlichkeit mit Kaffee. „Na, wie fühlst du dich heute?“, fragte ihn der Halbelf mit einem breiten Lächeln. „Ganz gut, aber wie geht es George?“ „Leider nicht so besonders, er hat letzte Nacht wohl noch Fieber dazubekommen. Wir sollten uns gleich nach dem Essen auf den Weg machen.“ Kurze Zeit später brachen sie auf. Miller hatten sie auf eine Trage gelegt, die Wolthar schon in den frühen Morgenstunden aus stabilen Ästen angefertigt hatte. Während Peter und der Nordkrieger Miller trugen, ging Thurgon voraus und erkundete den Weg. Sie folgten dem Kammweg, der sie südwestlich hinauf auf die Hügel führte und der mit der Zeit immer breiter wurde. „Wie weit ist es eigentlich bis Sololund?“, fragte Peter den Nordkrieger. „Wir müssten am frühen Nachmittag dort sein, falls nichts dazwischenkommt.“ Immer wieder wurde George von heftigen Fieberanfällen geschüttelt und lag die meiste Zeit in einer Art Delirium. Gegen Mittag waren sie etwa drei Meilen weit gekommen, als Thurgon plötzlich ein Zeichen gab und stehen blieb. Vor ihnen 39
genommen. „Hoffentlich hat er uns nicht bemerkt“, flüsterte der Nordkrieger mit gepresster Stimme. „Ich hoffe es nicht.“ „Was ist das für ein Wesen?“, flüsterte jetzt Peter ebenso leise. „Ein Diener des finsteren Herrschers aus Suloß. Die Gefahr, von der ich gestern sprach, die unsere ganze Welt bedroht.“ Webster blickte vorsichtig nach oben auf den Grat. Immer noch schien die unheimliche Gestalt die Umgebung abzusuchen. Unter der Kapuze glaubte Peter ein stechendes Augenpaar wahrnehmen zu können. Auf einmal schien dieses in seine Richtung zu blicken. Er spürte, wie eine eisige Kälte den Abhang hinunter in die Schlucht glitt und sich dort ausdehnte. Von einer Minute zur anderen wurde die ganze Umgebung in tiefe Dunkelheit gehüllt. Entsetzt fuhr er zurück und presste sich ganz dicht an den großen Felsen. Die anderen verhielten sich genauso. Sie wussten später nicht mehr, wie lange sie in dieser Stellung verbracht hatten. Ob es Stunden waren oder nur Minuten. Auf einmal verschwanden Kälte und Dunkelheit genauso schnell, wie sie gekommen waren. Thurgon wagte es als Erster und sah hinauf zum Grat. Der Fremde war verschwunden. Erleichtert atmete er auf. Er gab den anderen einen kurzen Wink und kam dann hinter dem Felsen hervor. Immer noch vorsichtig blickten sie sich nach allen Seiten um. Aber die Gefahr schien vorüber. Sie hatten Glück gehabt – der Dämon hatte sie anscheinend nicht bemerkt. Dennoch lastete jetzt eine bedrückende Stille über dem ganzen Land. Schweigend packten sie ihre Sachen zusammen. Die unheimliche Stimmung hatte sich auch auf ihr Gemüt gelegt. „Mit der Trage bekommen wir George dort nicht hinüber“, bemerkte Webster und deutete auf die vor ihnen liegende
etwa zehn Reiter an ihnen vorbei. „Das waren Orks. Hoffentlich haben sie uns nicht bemerkt“, entfuhr es Wolthar. „Wir können nicht mehr auf dem Weg bleiben. Das ist viel zu gefährlich. Möglicherweise treiben sich dort noch mehr von ihnen herum“, entschied Thurgon. Er führte sie auf einem verschlungenen Pfad abseits des Hauptweges weiter Richtung Süden. Durch das Auftauchen der Orks waren sie gezwungen worden, einen riesigen Umweg in Kauf zu nehmen. Bald führte der Pfad steil bergan und dann wieder bergab. Sie kamen durch einen trostlosen Landstrich. Tote Bäume und abgestorbene Pflanzen säumten den Weg. Etwa gegen Mittag erreichten sie eine enge Schlucht. Geröll war von beiden Seiten heruntergestürzt und blockierte immer öfter ihren Weg. Dadurch wurde ihr Marsch noch beschwerlicher. Schließlich endete dieser vor einer mächtigen Geröllhalde. Sie zu umgehen, war nicht möglich. Also hielten sie an, um zunächst etwas auszuruhen. Nachdem Thurgon Georges Verbände erneuert hatte, gesellte er sich zu den beiden anderen. „Sein Zustand verschlechtert sich immer mehr. Wir müssen ihn schnellstens ins Dorf bringen.“ Webster wollte gerade etwas erwidern, als der Nordkrieger plötzlich mit zitternder Hand nach oben auf den Grat der Schlucht deutete. Eine in eine schwarze Kutte gehüllte Gestalt war dort zu sehen. Sie schien direkt über dem Boden zu schweben und die Umgebung abzusuchen. „Bei den Göttern, ein schwarzer Dämon. Ein Diener Aldaarons“, entfuhr es dem Halbelfen. Noch ehe Peter begriff, was geschah, hatte ihn Thurgon bereits am Arm gefasst und mit sich hinter einem großen Felsen in Deckung gebracht. Hastig kam Wolthar mit dem Verletzten hinterher. Er hatte George einfach auf den Rücken 40
Hellebarden bewaffnete Wächter nahmen sie in Empfang. Während der eine das Tor hinter ihnen schloss, ging der andere auf sie zu. „Wer sind die beiden?“ deutete er misstrauisch auf Peter und George. „Zwei Fremde; wir haben sie hilflos in den Wäldern gefunden. Sie wurden überfallen; einer ist, wie Ihr erkennen könnt, schwer verletzt.“ Der Wächter nickte. „Dann bringt ihn nur schnell zu Menhir, ich glaube, er ist noch wach.“ Sie folgten einem lehmigen, teilweise gepflasterten Weg, der durchs Dorf führte. Links und rechts von ihnen standen einige Häuser und Hütten, etwa zwanzig an der Zahl. In der Mitte, auf einem mit Gras bewachsenen Platz, befand sich ein Ziehbrunnen für die Wasserversorgung. Sololund war kein großes Dorf. Thurgon steuerte auf ein kleines, etwas abseits stehendes Haus zu, aus dessen halb geschlossenen Fensterläden noch ein flackerndes Licht kam. Hier wohnte Menhir, der Heiler. Nachdem der Halbelf geklopft hatte, öffnete ihnen ein alter Mann mit grauen Bart und wild zerzausten Haaren. „Was wollt ihr denn noch zu so später Stunde?“, krächzte er. „Wir bringen einen Kranken“, erwiderte Wolthar. „Dann herein mit euch.“ Er schloss hinter ihnen die Tür. Der Raum war voll gestopft mit allerlei seltsamen Gerätschaften: in der rechten Ecke, auf einem kleinen Tisch, waren alte Bücher und Folianten bis fast unter die Decke aufgestapelt. In einem Regal daneben standen Krüge, welche mit duftenden Heilkräutern gefüllt waren. Tierhäute, meistens von Eidechsen, waren zum Trocknen an den Wänden oder unter der Decke aufgehängt. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes stand ein großer Mörser zum Zerkleinern der verschiedenen Kräuter und Heilmittel. Daneben flackerte eine Kerze. Menhir deutete auf eine kleine Liege, die
Geröllhalde. „Dann muss ich ihn eben allein tragen.“ Mit diesen Worten stand der mächtige Nordkrieger auf, hob George auf seine Schultern und kletterte mit ihm das Geröll empor. Die beiden anderen folgten ihm in sicherem Abstand. Es war ein schwieriges Unterfangen, immer wieder lösten sich größere Steine und rollten den Abhang hinunter. Endlich, nach fast einer halben Stunde, hatten sie auch dieses Hindernis bewältigt. Kurze Zeit später stießen sie wieder auf den Hauptweg. „Jetzt ist es nicht mehr weit bis Sololund. In einer Stunde müssten wir dort sein“, meinte Thurgon erleichtert. Langsam neigte sich auch dieser Tag dem Ende entgegen. In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne konnten sie, südwestlich in einem Fichtengehölz versteckt, eine kleine Ansiedlung von Häusern erkennen. Diese war durch einen mächtigen Palisadenzaun geschützt. Ihr Weg führte sie genau darauf zu. „Sololund“, erklärte Wolthar mit ausgestrecktem Arm. „Ja“, nickte der Halbelf. „Wir haben es endlich geschafft.“ Kurze Zeit später standen sie vor dem riesigen Eingangstor. Thurgon klopfte. „Wer ist dort?“, fragte eine raue Stimme jenseits des Zauns. „Thurgon ,der Halbelf, und Wolthar. Öffnet, wir brauchen Eure Hilfe!“ Auf dem Palisadenzaun erschien ein Wächter, der vorsichtig zu ihnen hinunterspähte und sich dabei nach allen Richtungen umsah. „In Ordnung, ihr könnt ihnen öffnen, sie sind allein“, rief er seinen Leuten zu. Schritte waren zu hören. Ein mächtiger Riegel wurde beiseite geschoben und knarrend öffnete sich das Tor. Sie traten auf einen kleinen, von Fackeln beleuchteten Vorhof. Dort stand ein Wachhäuschen. Zwei weitere mit 41
Dorf war, denn normalerweise lag die Verteidigung in den Händen einer Bürgerwehr. „Diese verdammten Elfen“, murmelte einer der Bauern ärgerlich und warf dabei einen verächtlichen Blick auf Thurgon. „Man kann ihnen einfach nicht trauen.“ Ein anderer nickte bestätigend. Dann kam der Wirt. Er war ein rundlicher Mann mit Halbglatze und einem stoppeligen Bart, der sich mit seiner schmutzigen Schürze ständig den Schweiß abwischte. Er ging sofort zu den dreien hinüber. „Ah, Herr Thurgon, seid Ihr auch einmal wieder unser Gast“, begrüßte er den Halbelfen mit einem nervösen Blick auf seine übrigen Gäste. „Wir brauchen zwei Zimmer für die Nacht und etwas zu essen“, erklärte ihm dieser gelassen. „Sollt Ihr bekommen, sollt Ihr alles bekommen, aber ich möchte Euch bitten, sofort auf Eure Zimmer zu gehen. Die Leute hier sind im Augenblick nicht gut auf Elfen zu sprechen.“ Wolthar warf ihm einen fragenden Blick zu. „Wieso, ich verstehe nicht?“ „Vergangene Woche hat eine Gruppe von etwa dreißig Orks versucht Sololund anzugreifen. Dabei haben ihnen zwei Dunkel-Elfen-Magier geholfen. Zum Glück aber hielten sich zufällig Soldaten des Königs in der Nähe auf. So konnte Schlimmeres verhindert werden.“ Thurgon nickte. „Ich verstehe, dann zeigt uns unsere Zimmer.“ Sie folgten dem Wirt, der mit einer Kerze in der Hand vorausging und ihnen den Weg leuchtete, eine schmale Holztreppe empor in den ersten Stock. Ihre Zimmer – man konnte sie kaum als solche bezeichnen – waren klein, eng und muffig, zudem wohl auch wochenlang nicht mehr gelüftet worden. Dennoch war Peter froh, endlich wieder in einem richtigen Bett schlafen zu können. Kurze Zeit später kam der Wirt mit einer großen Schüssel voll mit dampfendem Brei und
ebenfalls in der rechten Ecke stand. „Legt ihn dort aufs Bett, ich werde ihn mir gleich einmal ansehen. Tharg, wo steckst du nur, du Faulpelz, wir haben einen Kranken im Haus.“ Ein schmächtiger, etwas blass wirkender Junge erschien, der wohl der Gehilfe des Heilers war. „Schnell, setze heißes Wasser auf.“ Dann begann der Heiler George zu untersuchen. Als er damit fertig war, kam er wieder hinüber zu den anderen. „Er ist sehr schwer verletzt und ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt noch helfen kann“, flüsterte Menhir, so dass Miller es nicht hören konnte. „Bitte, tut Euer Möglichstes!“ Mit diesen Worten drückte Thurgon ihm fünf Goldstücke in die Hand. „Ich werde alles versuchen, was in meiner Macht steht“, versicherte ihm der Heiler. „Aber ihr müsst jetzt gehen. Lasst ihn hier, er braucht sehr viel Ruhe.“ Sie verabschiedeten sich und verließen das Haus. Die Worte des Heilers hatten Peter sehr nachdenklich gemacht. Erst Thurgon riss ihn wieder aus seinen trübsinnigen Gedanken. „Wir brauchen ein Quartier für die Nacht. Ich glaube, dort drüben in der Schenke werden wir etwas Passendes finden.“ Sie überquerten den großen Platz und gingen auf das Haus gegenüber zu. Es war ein mittelgroßer, zweigeschossiger Backsteinbau. Über dem Eingang hing ein Schild mit Runenzeichen und einem aufgemalten springenden Pferd, welches wohl auf den Namen des Gasthauses hinwies. Aus dem Inneren kam schallendes Gelächter, das sofort verstummte, als die drei den Schankraum betraten. Misstrauische Blicke folgten ihnen, als sie sich an einem etwas abseits stehenden Tisch niederließen. Die meisten Gäste des Lokals waren scheinbar Bauern aus der Umgebung von Sololund. Aber auch einige Söldner waren unter ihnen, was eigentlich recht ungewöhnlich für ein solch kleines 42
und Wolthar auf ihn. Ansonsten war die Gaststätte zu dieser frühen Stunde noch ziemlich leer. Die beiden waren schon lange wach. Sie begrüßten Webster. Dann kam der Wirt und brachte ihr Frühstück. Es bestand aus einer Art Milchkaffee sowie Honigfladen und Speck. Zumindest war es besser als das Abendessen. Danach beschlossen sie, den Heiler aufzusuchen und nach George zu sehen. Sie verließen den Gasthof, überquerten die Straße und standen kurz darauf vor der kleinen Hütte Menhirs. Der Heiler begrüßte sie mit einem betretenen Gesicht. „Meine lieben Freunde, ich wünschte, ich könnte euch eine gute Nachricht überbringen. Aber euer Kamerad ist noch letzte Nacht verstorben. Ich habe für ihn getan, was ich konnte, aber seine Verletzungen und der hohe Blutverlust waren zu groß.“ Peter starrte ihn fassungslos an. „George ist tot? Ihr müsst Euch irren! Das kann doch nicht wahr sein“, stammelte er ungläubig. Er rannte an dem Heiler vorbei in dessen Hütte. Die anderen folgten ihm. Der reglose Körper von George Miller war in der Mitte des Raumes auf einem Tisch aufgebahrt. Peter trat wortlos an ihn heran. Für eine ganze Weile stand er nur ruhig da und betrachtete ihn. Dann flüsterte er. „George, mein Gott, das kann doch nicht wahr sein. Warum nur? Wären wir doch nie in diese Welt gekommen. Aber jetzt ist es zu spät.“ Er drückte seinem toten Freund noch einmal die Hand und verließ schweigend den Raum. Die anderen blieben bedrückt und traurig zurück. „Ihr könnt mir glauben, ich habe wirklich alles versucht“, beteuerte Menhir. „Ist schon gut, Ihr konntet nichts dafür“, versicherte ihm Thurgon. „Aber ich glaube, es ist besser, wir kümmern uns zunächst einmal um Peter.“ Sie verließen das Haus. Webster hatte sich draußen auf eine Bank gesetzt. Erst der Tod seiner Großmutter
drei Löffeln zurück. Anscheinend war es das einzig Essbare, was er zu dieser späten Stunde noch zubereiten wollte. Sie aßen gemeinsam in Peters Zimmer und besprachen dabei ihre weiteren Vorhaben. Ihnen war klar, dass Miller sie in seinem jetzigen Zustand nicht begleiten konnte. Also beschlossen sie, so lange in Sololund Station zu machen, bis es ihm wieder etwas besser gehen würde. Danach begaben sie sich alle zur Ruhe. Nur Peter lag noch lange wach, er konnte einfach nicht einschlafen. Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Die Sorge um George und die vielen anderen Probleme ließen ihn keine Ruhe finden. Erst in den frühen Morgenstunden schlief er ein. Als am nächsten Tag die Sonne bereits hoch am Himmel stand und durch die schmalen Ritzen der geschlossenen Fensterläden drang, wurde Peter endlich wieder wach. Er rieb sich noch müde die Augen und griff nach seiner Armbanduhr, die neben ihm auf einem Stuhl lag. Sie war stehen geblieben. Er hatte gestern Abend vergessen sie aufzuziehen. Langsam und immer noch erschöpft stand der junge Anwalt auf. Er hatte letzte Nacht nur sehr wenig Schlaf gefunden. Webster ging hinüber zum Fenster und öffnete die Läden. Helles Sonnenlicht kam herein und blendete ihn. Unten im Dorf herrschte schon rege Betriebsamkeit: schwere, von Pferden gezogene Lastkarren rumpelten über den gepflasterten Hauptweg. Frauen gingen zu dem kleinen Ziehbrunnen, um Wasser zu holen. In der Ferne waren Geräusche aus einer Schmiede zu hören. Webster wusch sich, zog sich an und warf rasch einen Blick in einen an der Wand befindlichen Spiegel: Ihm war in den letzten Tagen und Wochen ein dichter Bart gewachsen, da er sich nie Zeit zum Rasieren genommen hatte. Schließlich verließ er sein Zimmer und ging die Treppe hinunter in den Schankraum. Dort warteten schon Thurgon 43
besänftigen kann. Die Könige unseres Landes gehören nämlich zu den wenigen Auserwählten der Götter, die das Tor der Welten benutzen dürfen.“ Peter überlegte einen Augenblick. „Gut, dann habe ich wohl keine andere Wahl.“ Noch am späten Nachmittag desselben Tages fand Millers Beerdigung statt, da ein Gesetz des Königs vorschrieb, dass ein Toter noch am selben Tage beigesetzt werden muss, um Krankheiten zu vermeiden. Nach einer kurzen Ansprache Menhirs wurde George beigesetzt. Ein schlichtes Holzkreuz schmückte sein Grab. In den späten Abendstunden ging Peter noch einmal zum Friedhof des kleinen Ortes. Er wollte endgültig Abschied von seinem toten Freund nehmen. Erst sehr spät, kurz nach Mitternacht, kehrte er wieder in den Gasthof zurück. Thurgon und Wolthar waren schon schlafen gegangen.
und jetzt der von Miller. Er war am Ende. „Ich kann sehr gut verstehen, wie du dich jetzt fühlst, Peter“, versuchte der Halbelf ihn zu trösten. „So, kannst du das? Ich glaube nicht“, erwiderte Webster deprimiert. „Doch, auch ich habe vor einigen Jahren auf ähnliche Weise einen guten Freund verloren.“ Aber Webster schüttelte nur mit dem Kopf. „Wir hätten nie in diese Welt kommen dürfen. Ich weiß auch nicht, warum mein Großvater ausgerechnet mir seine Aufzeichnungen vermacht hat.“ „Ich denke schon, dass dein Großvater genau wusste, was er tat. Er hielt dich für so vertrauenswürdig, dass er dir seine geheimsten Entdeckungen anvertraut hat. Außerdem glaube ich nach wie vor daran, dass es kein Zufall war, dass es ausgerechnet dich nach Alkhana verschlagen hat.“ Doch Webster schüttelte nur erneut mit dem Kopf. „Nein, ich habe nur noch den Wunsch, so schnell wie möglich wieder zur Erde zurückzukehren.“ „So einfach, wie du dir das denkst, ist es aber nicht.“ „Das verstehe ich nicht. Könntet ihr mich denn nicht zur Höhle zurückbringen?“ „Ja, das schon, aber der Drache würde uns nicht passieren lassen. Er hat schon seit ewigen Zeiten den Auftrag, die Höhle zu bewachen. Wir würden sofort sterben.“ Webster blickte ihn nachdenklich an. Ja, richtig, der Drache – er hatte den Drachen ganz vergessen. Dann würde er wohl für immer auf dieser fremden Welt bleiben müssen, wenn es keine andere Möglichkeit der Rückkehr mehr für ihn gab. „Du solltest vielleicht doch mitkommen und anhören, was unser König dir zu sagen hat. Falls du dann immer noch zurück möchtest, kann er dir wahrscheinlich helfen, denn er besitzt ein magisches Instrument, mit dem er den Drachen
In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages brachen sie wieder auf. Der Halbelf hatte Peter schon lange vor Sonnenaufgang geweckt. Sie aßen von dem bereitgestellten Frühstück und verließen die Gaststätte. Wolthar nahm sie draußen in Empfang. Er hatte schon am gestrigen Tage beim Hufschmied des Ortes drei Pferde erstanden. Es waren zwar keine Schönheiten, aber dafür würden sie jetzt wesentlich schneller vorankommen. Im Ort war noch alles still, als sie den Hauptweg hinauf in Richtung Palisadenzaun ritten. Die meisten Bewohner schliefen noch. Oben am Tor klopfte Wolthar kurz an die Tür des Wachhäuschens. Ein noch ziemlich verschlafener Wächter erschien und öffnete den dreien das Tor. Kurz bevor er es wieder hinter ihnen schloss, hielt Peter sein Pferd an und warf noch einen letzten Blick auf das Dorf, in dem George seine letzte Ruhe gefunden hatte. Dann folgte er den anderen. Als die Sonne endlich aufging, hatten sie 44
befindlichen Höfe zum Schutz vor Überfällen mit einer starken Mauer und einem Tor versehen, da die Bauern im Norden des Landes auch schon früher immer mit räuberischen Nomadenstämmen aus dem Nordergaard hatten rechnen müssen. Und leider hatten diese Überfälle in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Vorsichtig stieg der Halbelf vom Pferd und schritt die letzten Meter auf das Tor zu. „Seltsam, er hätte uns doch längst bemerken müssen.“ Erst jetzt stellte er fest, dass das Tor einen Spalt breit offen stand. „Hier stimmt etwas nicht!“ Mit diesen Worten zückte er sein Kurzschwert. Wolthar stieg ebenfalls ab und nahm seine Streitaxt zur Hand. Sie schoben das Tor vorsichtig zur Seite und betraten den Hof. Peter folgte ihnen in einigem Abstand mit den Pferden. Der Hof schien verlassen. Keine Menschenseele war zu sehen. Es herrschte eine seltsame Stille. Nur der Wind spielte mit den halb geschlossenen Fensterläden. Während Peter mit den Pferden am Hoftor zurückblieb, beschlossen die beiden anderen, das Gehöft gründlich zu durchsuchen. Thurgon ging auf das links von ihm liegende Wohngebäude zu und Wolthar auf die rechts gelegenen Viehställe. Kurze Zeit später tauchten beide wieder auf. Der Halbelf hielt einen Brief in seinen Händen. „Die Viehställe sind leer. Vermutlich schon seit längerer Zeit.“ „Ich weiß, ich habe diese Nachricht von Sunder gefunden. Er hat schon vor etwa zwei Monaten das Vieh verkauft und den Hof aufgegeben. Aufgrund der ständigen Überfälle der Orks auf die umliegenden Höfe hatte er Angst um seine Familie. Er wollte mit ihnen zu Verwandten nach Asskurat ziehen.“ „Hoffentlich sind sie heil und gesund dort angekommen.“ „Ja, das hoffe ich auch. Ich meine, wir
Sololund schon weit hinter sich gelassen. Sie ritten auf einem breiten Weg weiter, welcher nach Süden führte. Die Umgebung veränderte sich jetzt zusehends. Aus dem weitläufigen Waldgebiet wurde immer mehr eine hügelige Wiesen- und Auenlandschaft, die nur von Zeit zu Zeit durch kleine lichte Gehölze unterbrochen wurde. Hin und wieder waren auch Bauernhöfe zu sehen, um die sie allerdings einen großen Bogen machten. Denn die Bauern waren durch die ständigen Überfälle in der letzten Zeit derart misstrauisch geworden, dass sie jedem Fremden sofort Gewalt androhten, der sich ihren Gehöften näherte. Gegen Mittag wurde es sehr warm und sie lagerten unter einer alten Ulme, dicht am Wegesrand. Auch ein kleiner Bach floss in ihrer Nähe vorbei. So konnten sie ihre Wasservorräte aufbessern und sich im kühlen Wasser etwas erfrischen. Als es am Nachmittag wieder etwas angenehmer wurde, ritten sie weiter. Obwohl die Gegend nicht sicher war und sie auch hier mit Orks oder anderen gefährlichen Wesen rechnen mussten, hatten sie Glück. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. „Hier in der Nähe muss doch irgendwo die Farm vom alten Bauern Sunder liegen. Dort könnten wir gut übernachten“, meldete sich Wolthar zu Wort. Inzwischen war es längst später Nachmittag geworden. „Das ist eine gute Idee“, lachte Thurgon. „Der alte Sunder wird sich freuen, endlich einmal wieder Gäste zu bekommen.“ Die zwei waren mit dem Bauern eng befreundet und hatten in der Vergangenheit schon des Öfteren bei ihm übernachtet. Kurze Zeit später zweigte ein kleiner Feldweg von der Hauptstraße ab und führte einen Hügel hinauf, auf dem ein Gehöft stand. Thurgon deutete in diese Richtung. „Dort oben ist sein Hof.“ Sie folgten dem Weg. Dieser endete vor dem Eingangstor des Bauernhofes. Er war wie die meisten in Nord-Narandor 45
rechtzeitig in Sicherheit bringen“, entfuhr es dem Halbelfen. „Orks?“, fragte Peter. „Ja, wahrscheinlich. Sie haben wohl wieder einen der Bauernhöfe überfallen.“ „Wenn wir den Leuten nur helfen könnten.“ „Aber wie? Wir sind nur zu dritt und müssen froh sein, wenn sie uns nicht auch noch überfallen. Außerdem würden wir jetzt in der Dunkelheit den Bauernhof wahrscheinlich ohnehin viel zu spät erreichen. Wir könnten den Leuten dort nicht mehr helfen und würden uns nur selbst in Gefahr bringen.“ „Warum unternimmt denn euer König nichts gegen diese Überfälle?“ „Wie sollte er? Er ist alt, krank und hat nur noch ein schlecht ausgerüstetes Heer zur Verfügung. Die meisten Fürsten des Landes, die früher einmal Söldner gestellt haben, unterstützen ihn nicht mehr. Jeder denkt nur noch an seinen eigenen Vorteil“, erklärte ihm der Halbelf verbittert. „Die wenigen Soldaten, die noch unter seinem Kommando stehen, können leider auch nicht überall sein. Das wissen die Orks.“ „Ich verstehe.“ „Gut, dann lasst uns jetzt schlafen gehen. Ich glaube, wir können alle noch etwas Ruhe gebrauchen.“ Während Peter und Thurgon zurück ins Wohngebäude gingen, blieb Wolthar am Tor zurück, um für den Rest der Nacht Wache zu halten. Er fühlte sich für seine Kameraden verantwortlich. Denn einst war auch sein Heimatdorf von Barbaren überfallen und geplündert worden. Viele seiner Leute waren dabei umgekommen. Nachdenklich blickte er nach Südwesten, wo der Himmel noch lange in einem feurigen Schein leuchtete.
sollten trotz alledem hier übernachten. Der Hof ist, zumindest für diese Nacht, ein relativ sicherer Platz.“ Wolthar und Peter stimmten ihm zu. Sie schlossen das Tor und führten die Pferde in den Stall. Die Sonne sank jetzt rasch immer tiefer und war bald untergegangen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hatten es sich die drei in der großen Küche im Wohngebäude bequem gemacht. Obwohl es tagsüber ziemlich warm gewesen war, hatte es sich gegen Abend stark abgekühlt. Diese Nacht blieben sie lange wach, denn die Möglichkeit, doch noch von umherstreifenden Orks überrascht zu werden, war durchaus gegeben. Kurz vor Mitternacht begab sich Wolthar auf einen letzten Rundgang. Draußen war es sternenklar. „Duras-Rongur“, das Große Rad des Südens, war aufgegangen. Von Norden her wehte ihm ein kühler Wind ins Gesicht. Er war nur kurze Zeit verschwunden, als die beiden anderen plötzlich seine Stimme hörten. „Peter, Thurgon, kommt schnell heraus, hier ...“. Seine Worte überschlugen sich. Webster und der Halbelf eilten mit gezogenen Waffen nach draußen. „Wo bist du?“, rief Thurgon seinen Freund, da er ihn in der Dunkelheit nicht gleich erkennen konnte. „Hier am Tor“, kam die Antwort. Der Nordkrieger stand mit gezogener Axt im halb geöffneten Hoftor. „Was ist geschehen?“ fragte Thurgon, noch völlig außer Atem. Wolthar entgegnete nichts, er deutete nur mit versteinertem Gesicht in Richtung Südwesten. Der Himmel hatte sich dort nahe des Horizonts rötlich verfärbt. Ein gespenstisches Flackern war zu sehen. Der Wind, welcher inzwischen gedreht hatte, trug ihnen den Geruch von Ruß und verbrannter Erde entgegen. Ein Geruch von Tod und Verdammnis. „Bei den Göttern, diese Ungeheuer, ich hoffe nur, die Menschen konnten sich noch
Noch vor Tagesanbruch rüsteten sie wieder zum Aufbruch. Unten auf der Straße schien alles ruhig zu sein. Nichts deutete auf irgendwelche Gefahren hin. Der Nordkrieger war äußerst schweigsam. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten ihn scheinbar sehr 46
drei stiegen von ihren Pferden. Vorsichtig schlichen sie, immer wieder Deckung hinter den Bäumen suchend, auf die scheinbar reglosen Körper zu. Ihre Pferde führten sie am Halfter mit. Aber nichts geschah. Die beiden waren wirklich tot, nun konnte man zwei schwarze Pfeile in ihrem Rücken erkennen. „Von hinten erschossen, vermutlich auf der Flucht“, murmelte der Nordkrieger. Thurgon drehte sie vorsichtig herum. „Zwei Bauernburschen, wohl hier aus der Gegend.“ „Vielleicht von dem Bauernhof, der letzte Nacht überfallen wurde.“ „Möglich. Wir sollten uns hier auf jeden Fall noch etwas gründlicher umsehen. Vielleicht gibt es noch Überlebende.“ Eine breite Spur niedergetretener Gräser und Sträucher markierte den Weg, auf dem die beiden Bauern gekommen waren, woraus man wiederum schließen konnte, dass sie vor einer größeren Meute von Verfolgern geflohen waren. Sie folgten der Spur, die jetzt stetig bergab durch ein mit spärlichen Kiefern und Sträuchern bewaldetes Gelände führte. Unten im Tal angekommen, gelangten sie schließlich auf einen kleinen Feldweg. Dieser führte in südlicher Richtung weiter auf ein Gehölz von dunklen Kiefern und Tannen zu. Nach einiger Zeit sahen sie hinter den Bäumen Rauch aufsteigen. Sie rannten so schnell sie konnten darauf zu. Versteckt hinter den Bäumen konnte man nun einige Gebäude erkennen. Eine noch dichte Rauchwolke stieg von dort aus fast senkrecht in den Himmel. Wenige Minuten später standen sie vor den Überresten eines Waldbauernhofes. Von den Wohngebäuden war außer den Grundmauern nichts übrig geblieben. Auch die meisten Wirtschaftsgebäude und einige in der Nähe stehende Bäume waren ein Raub der Flammen geworden. Nur ein etwas abseits stehender Pferdestall war wie durch ein Wunder verschont geblieben.
mitgenommen. Gegen Mittag waren sie schon weit gekommen. Wieder wurde es sehr warm. Die Hitze schien die des Vortages sogar noch übertreffen zu wollen. Ansonsten verlief ihre Reise ohne besondere Vorkommnisse. Der Halbelf ritt voraus und sondierte das Gelände, Peter und Wolthar folgten ihm in einigem Abstand. Am späten Nachmittag kamen sie über einen leicht bewaldeten Höhenrücken. Links und rechts von ihnen fiel das Gelände steil ab. Plötzlich zügelte Thurgon sein Pferd und wies die anderen mit Handzeichen an, ebenfalls stehen zu bleiben. Vorsichtig blickte er sich nach allen Richtungen um. Dann winkte er Wolthar und Peter zu sich herüber. „Ich glaube, dort drüben am Wegesrand liegen zwei Tote“. Er deutete in Richtung auf die linke Böschung. Wolthar kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit der Hand gegen das einfallende Sonnenlicht ab. „Ja, du könntest Recht haben. Dort liegt wirklich etwas. Es könnte aber auch eine Falle sein.“ „Wir sollten es uns auf jeden Fall einmal ansehen“, meinte der Halbelf. „Gut. Dann bleibt Peter am besten mit den Pferden hier und wartet.“ Doch Webster schüttelte mit dem Kopf und zog seine Pistole aus dem Halfter. „Nein, ich möchte diesmal dabei sein.“ Ohne die beiden wäre er wahrscheinlich schon längst tot. Daher wollte er ihnen jetzt auch helfen so gut er konnte. Die zwei sahen sich für einen Augenblick verdutzt an, dann entgegnete der Halbelf: „Gut, wenn du möchtest. Aber nimm lieber mein Kurzschwert. Ich glaube, es wird dir auf unserer Welt mehr nützen.“ Mit diesen Worten reichte er ihm seine Waffe. „Ich hoffe, du kannst einigermaßen damit umgehen.“ Peter lächelte. „Ich hatte früher einmal Fechtunterricht.“ Er nahm das Schwert entgegen und alle 47
„Das ist unmöglich. Wir hätten doch irgendwelche Spuren von ihnen finden müssen“, wandte der Nordkrieger ein. Der Halbelf richtete sich unvermittelt auf und starrte in Richtung Wald. „Doch, er hat Recht. Ich spüre etwas Fremdartiges. Ja, sie sind in der Nähe. Lasst uns verschwinden, solange noch Zeit ist.“ Die beiden anderen nickten zustimmend und erhoben sich. Peter lud den Schwerverletzten vorsichtig auf seine Schultern. Dieser stöhnte leise. Sie sahen sich um. Alles schien ruhig zu sein. Eine trügerische Ruhe. Kein Windhauch war zu spüren. Selbst das Gezwitscher der Vögel war auf einmal verstummt. „Schnell zu den Pferden, schnell“, flüsterte Thurgon. Sie hatten diese an einen nahen Baum gebunden. Dann geschah es: Ein dürrer Ast knackte und im nächsten Augenblick stürmten etwa zwanzig Orks mit Kriegsgeschrei und gezogenen Waffen aus dem Unterholz auf sie zu. Die drei rannten zu den Pferden und hatten sie fast erreicht, als von der gegenüberliegenden Seite zehn weitere Orks versuchten, ihnen den Weg abzuschneiden. Thurgon nahm einen Pfeil, spannte den Bogen, schoss und traf einen von ihnen mitten ins Herz. Zwei andere attackierten Wolthar. Dieser griff zu seiner Axt. Der erste Angreifer starb unter einem wuchtigen Hieb. Peter hatte inzwischen die Pferde erreicht. Er lud den Bauern von seinem Rücken, um die Pferde loszubinden. Auf einmal vernahm er ein leises Zischen. Er duckte sich gerade noch rechtzeitig. Der Bolzen einer Armbrust bohrte sich über ihm in den Baumstamm. Er fuhr herum. Einige Meter links von ihm näherten sich zwei Orks. Einer von ihnen hielt eine Armbrust in seinen Händen. Der Schütze wollte seine Waffe erneut laden, doch Webster reagierte blitzschnell. Mit wenigen Sätzen sprang er auf ihn zu und
Mit gezogenen Waffen durchsuchten sie die Trümmer. „Hier werden wir wohl kaum noch Überlebende finden“, knurrte der Nordkrieger. „Diese Monster haben gute Arbeit geleistet.“ Plötzlich hob Peter den Arm und winkte die anderen zu sich. „Kommt schnell her, hier liegt jemand. Ich glaube, er lebt noch!“ Rasch waren die beiden anderen bei ihm. Hinter einer halb umgestürzten Mauer lag ein alter Mann. Schwer verletzt und bewusstlos, aber noch lebendig. Sein Gesicht war von Ruß geschwärzt. Thurgon nahm ein sauberes Tuch zur Hand, tränkte es mit dem Wasser aus seiner Feldflasche und wusch ihm damit das Gesicht. Langsam kam der Alte wieder zu sich und blickte die drei erstaunt an. „Wer seid ihr?“ „Freunde, habt keine Angst“, beruhigte ihn der Halbelf. „Seid Ihr der Bauer?“ Der Mann nickte stumm und fuhr nach einiger Zeit fort: „Diese Bestien haben uns letzte Nacht im Schlaf überfallen. Meine Frau und meine Knechte sind dabei ums Leben gekommen. Nur meine beiden Söhne konnten fliehen. Ich hoffe, sie haben es geschafft. Habt Ihr sie vielleicht unterwegs irgendwo gesehen?“ Thurgon schüttelte nur den Kopf. Er ahnte, dass die beiden Toten an der Straße die Söhne des Bauern gewesen sein mussten, aber das mochte er dem Schwerverletzten nicht sagen. „Ich werde ohnehin sterben, aber das ist nun auch nicht mehr wichtig“, flüsterte er mit schwacher Stimme. „Die Hauptsache ist nur, meine Söhne kommen später zurück und bauen den Hof wieder auf.“ „Aber nein, Ihr werdet nicht sterben, wir bringen Euch in Sicherheit, habt keine Sorge.“ „Bringt euch lieber selber in Sicherheit. Diese Ungeheuer müssen hier noch irgendwo in der Nähe sein. Da bin ich mir ziemlich sicher.“ 48
Rasch schlug der Halbelf das große hölzerne Tor auf und schloss es wieder hinter ihnen. Pfeile und Armbrustbolzen bohrten sich in das große Eichentor, vermochten es aber nicht zu durchdringen. Peter stolperte und fiel der Länge nach hin. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen, dann verlor er das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, war Thurgon gerade damit beschäftigt, ihm einen Kopfverband anzulegen. „Bleib ganz ruhig liegen, es schmerzt zwar noch, ist aber nur ein Kratzer, du hattest großes Glück.“ Dann holte er aus einem Lederbeutel einige getrocknete Heilkräuter und gab sie ihm. „Kaue sie gut durch, sie werden dir etwas die Schmerzen nehmen.“ Webster sah sich um. Der Pferdestall war mittelgroß und bot etwa sechs bis acht Tieren Platz, welche die Orks aber wohl schon in der Nacht zuvor mitgenommen hatten. Im oberen Teil des Stalls war ein Heuboden untergebracht, zu dem eine schmale Treppe führte. Der ganze Bau war, ähnlich wie ein Blockhaus, aus stabilen Stämmen errichtet worden. Das Dach war mit Stroh bedeckt. Vorne, nahe der Tür, konnte man zwei schmale Fensteröffnungen erkennen, welche durch Läden verschlossen waren. Erst jetzt bemerkte Peter, dass sich Wolthar auf einem Heuballen nahe dem Tor niedergelassen hatte. Thurgon warf ihm einen fragenden Blick zu. „Na, was machen unsere ‚Freunde?’“ Der Nordkrieger öffnete einen der Fensterläden und lugte vorsichtig hinaus. „Alles ruhig, soweit ich sehen kann. Sie haben anscheinend gemerkt, dass sie das Tor nicht so ohne weiteres einrennen können.“ „Aber wie können wir von hier entkommen? Hat der Stall noch einen zweiten Ausgang?“, wollte Peter wissen. „Nein, wir können nur hoffen, dass sie aufgeben und irgendwann abziehen.“ Doch schon nach kurzer Zeit wurde es
durchbohrte ihn mit dem Schwert. Der Ork wurde so überrascht, dass er gar nicht mehr handeln konnte. Er stieß einen gurgelnden Laut aus und sackte in sich zusammen. Schwarzrotes Blut quoll unter seinem Kettenhemd hervor. Doch dann kam der andere heran. Er trug ein mächtiges bronzenes Schwert. Den ersten Schlag parierte Webster gekonnt. Doch der zweite streifte seine linke Schläfe. Ihm wurde schwarz vor Augen. Ein bohrender Kopfschmerz dehnte sich aus. Er taumelte und fiel zu Boden, Blut lief ihm ins Gesicht. Verschwommen konnte Peter erkennen, wie der Ork über ihm stand und mit seinem Schwert zum alles entscheidenden Schlag ausholte. Webster, unfähig sich auch nur zu bewegen, zuckte zusammen. Doch nichts geschah, der Schlag blieb aus. Vorsichtig öffnete er seine schmerzenden Augen und konnte gerade noch sehen, wie der Ork in sich zusammensackte. Eine große, lange Wunde klaffte in seinem Rücken. Wolthar stand da, die Streitaxt in den Händen. Blut tropfte von der Schneide. Er griff Peter an der Schulter und richtete ihn auf. „Los, komm schon, wir müssen irgendwo Deckung suchen.“ „Aber wir können ihn doch hier nicht so zurücklassen“, deutete Webster auf den reglosen Körper des Bauern vor ihm. „Merkst du das denn nicht, er ist schon tot, wir können ihm nicht mehr helfen!“, schrie ihn der Nordkrieger an. Peter nickte gequält. Der Halbelf hatte inzwischen seinen letzten Pfeil verschossen und benutzte den Bogen als Schlagwaffe. „Los, in den Pferdestall!“, rief er Wolthar und Peter zu. Ein Hagel von Pfeilen und anderen Geschossen folgte ihnen. Peter kam nur noch schwerfällig voran. Sein Kopf schmerzte höllisch und seine Augen brannten wie Feuer. Die Umgebung nahm er nur noch schemenhaft wahr. In letzter Sekunde erreichten sie den Stall. 49
Wolthar, der gerade wieder einen Blick aus dem Fenster getan hatte. „Wir müssen hier raus. Der alte Schuppen brennt wie Zunder. Dort drüben, durch das Fensterloch“, dabei deutete der Halbelf auf eine schmale Öffnung in der Rückwand. „Die Orks halten sich alle vor dem Stall auf, wenn wir uns beeilen, werden sie nichts davon merken.“ „Da kommen wir doch nie durch, der Spalt ist viel zu eng!“, versuchte Wolthar einzuwenden. „Dann sterben wir hier drinnen. Was ist dir lieber?“ Schon trafen die ersten brennenden Pfeile das mit Stroh bedeckte Dach, welches sofort Feuer fing. „Los, nichts wie raus!“, schrie Thurgon. Mühsam zwängten sie sich durch den schmalen Spalt ins Freie. Besonders der Nordkrieger hatte Schwierigkeiten, seinen massigen Körper durch die kleine Öffnung zu bekommen. Doch dann waren sie draußen. Gerade noch rechtzeitig. Hinter dem Stall stieg das Gelände wieder ziemlich steil an. Die ersten achtzig Meter führten über einen Kahlschlag. Danach folgte ein spärlicher Mischwald. Unbemerkt gelangten sie zu den ersten Ausläufern des Waldes. Von dort blickte sich Peter noch einmal um. Der Pferdestall ging schon in hellen Flammen auf, aber die Orks schienen ihre Flucht noch nicht bemerkt zu haben. Sie standen vor dem brennenden Stall und johlten vor Freude. „Los, komm endlich, Peter“, rief Thurgon ihm leise zu. Webster wollte gerade weiterlaufen, als sich unter seinen Füßen ein größerer Stein löste und den Abhang hinunterrollte. Durch dieses Geräusch schreckten plötzlich mehrere Orks auf. Mit einem wütenden Aufschrei deuteten sie den Hügel hinauf. „Sie sind uns entkommen. Los, tötet sie!“, befahl ihr Anführer außer sich vor Zorn. Sofort sprangen die Orks auf ihre struppigen Ponys und nahmen die Verfolgung auf.
draußen wieder laut. Stimmen waren zu hören, die typischen Laute der Orks. Der Orkanführer näherte sich dem Stall. „Hey, ihr da drinnen, ich rede mit euch!“ „Was gibt es?“, rief ihm Thurgon zu. „Ich mache euch einen Vorschlag. Ihr überlasst uns eure Waffen und Wertgegenstände und wir gewähren euch dafür freien Abzug. Was haltet ihr davon?“ „Gebt uns ein paar Minuten Zeit. Wir müssen darüber nachdenken!“ „Gut, aber überlegt nicht zu lange!“ „Vielleicht sollten wir darauf eingehen“, flüsterte Webster. Thurgon überlegte eine Weile, schüttelte dann aber mit dem Kopf. „Ich traue ihnen nicht. Das ist sicherlich nur ein Trick. Sie können uns gar nicht laufen lassen nach alledem, was hier geschehen ist.“ „Ganz recht“, fügte Wolthar hinzu. „Die nächste Garnison ist nur noch fünf Meilen entfernt. Sie müssen damit rechnen, dass wir dort Alarm schlagen. Dann hätten sie bald schon die Soldaten auf dem Hals. Die Orks haben immer noch einen gewissen Respekt vor ihnen, obwohl sie nur schlecht ausgerüstet sind.“ „Falls wir Glück haben, sind die Soldaten schon längst hierher unterwegs. Der Brand letzte Nacht war mit Sicherheit meilenweit zu sehen. Den Orks läuft jetzt die Zeit davon. Sie wissen, dass möglicherweise die Soldaten bald hier auftauchen werden. Deswegen wollen sie uns jetzt noch schnell töten und ausplündern.“ Inzwischen schwoll der Lärm von draußen her wieder an. Die Orks begannen unruhig zu werden. Einige versuchten erneut gegen das Tor anzurennen. Aber dieses schien auch weiterhin standzuhalten. „Na, was ist? Habt ihr euch endlich entschieden?“, kam wieder die hämische Stimme des Orkanführers. „Also gut, wenn ihr nicht wollt, werden wir eben etwas nachhelfen.“ „Was meint er damit?“, fragte Peter mit entsetztem Gesicht. „Diese Hunde wollen uns ausräuchern, sie bereiten Brandpfeile vor“, entfuhr es 50
anderer Kreaturen sind kein gutes Zeichen. Es stehen uns schlimme Zeiten bevor. Ich frage mich nur, wie lange wir ihnen noch Einhalt gebieten können, sie werden von Tag zu Tag aggressiver. Zum Glück sind die Orkstämme untereinander noch so zerstritten, dass sie keinen Krieg gegen uns gewinnen würden. Aber wie lange noch?“ In der Zwischenzeit waren einige der Soldaten wieder zurückgekehrt. „Hauptmann, wir haben die Orks verloren. Sie müssen sich irgendwo in die Wälder dort unten im Tal abgesetzt haben“, meldete einer von ihnen. „Dann müssen wir sofort weiter nach ihnen suchen. Das sind wahrscheinlich dieselben Orks, die schon vor knapp zwei Wochen Sololund überfallen wollten.“ Er wandte sich wieder den dreien zu. „Tut mir leid, aber wir können euch leider nicht bis nach Tordor Castle begleiten. Ich kann euch höchstens drei Pferde und etwas Proviant überlassen.“ „Das würde uns auch schon genügen“, versicherte ihm Thurgon. So erhielten sie von den Soldaten, Pferde, Proviant und außerdem für Thurgon noch einen Köcher mit Pfeilen und für Peter ein mittelgroßes Schwert. So konnte er dem Halbelfen das Kurzschwert zurückgeben. Dann verabschiedeten sie sich von den Soldaten. „Bleibt auf der Straße, nur auf ihr ist es einigermaßen sicher, und meidet die Wälder“, rief ihnen Hauptmann Varon noch nach. Kurz darauf gelangten sie wieder auf die Hauptstraße. Sie folgten ihr weiter in Richtung Süden. Nach und nach wurde es dunkel, aber sie beschlossen, keine Pause mehr einzulegen und die ganze Nacht durchzureiten. da es nahe der Straße keinen sicheren Platz zum Übernachten gab und sie in den Wäldern mit Orks oder anderen Ungetümen rechnen mussten. Gegen Mitternacht entlud sich die Hitze des Tages in einem schweren Gewitter. Fahle Blitze zuckten über den nächtlichen Himmel. Weit im Osten war der Donner zu hören.
„Wir müssen uns zur Straße durchschlagen!“, rief Thurgon den anderen zu. „Dieses Waldland bietet uns keinen Schutz!“ Rasch hatten die Orks die Höhe erklommen. Sie würden die drei bald eingeholt haben. Schon galoppierten die ersten fünf von hinten auf sie zu. Ein wahrer Geschosshagel ging auf die drei nieder. Aber wie durch ein Wunder traf keines. Auf einmal tauchte vor ihnen eine andere Gruppe von Reitern auf. Diese schienen von der Straße zu kommen. Ein Hornsignal ertönte. Wolthar griff noch im Laufen zu seiner Axt. „Jetzt kommen sie auch noch von vorn.“ Doch der Halbelf hielt ihn zurück. „Das sind keine Orks. Ich glaube, es sind Soldaten des Königs. Ja, wir sind gerettet.“ Mit letzter Kraft liefen sie auf die Reiter zu. Als die Orks die Soldaten sahen, ergriffen sie voller Panik die Flucht. „Fangt sie lebend!“ befahl der Anführer, ein hoch gewachsener, vornehm wirkender Mann in einer silbern schimmernden Rüstung. Die Soldaten nahmen sofort die Verfolgung auf. Er selber blieb mit zwei Männern zurück. Peter, Wolthar und Thurgon hatten sich inzwischen, völlig außer Atem, auf einem Baumstumpf niedergelassen. „Wir sind wohl gerade noch im letzten Augenblick gekommen?“ Thurgon nickte. „Hauptmann Varon, ich war noch nie so froh, Euch zu sehen.“ „Ihr hattet Glück, dass wir letzte Nacht den Brand bemerkt haben. Wir sind daraufhin sofort losgeritten.“ „Das war wirklich großes Glück“, bestätigte der Halbelf. „Wir sind mit unserem Freund hier unterwegs nach Tordor Castle.“ Dann erzählte ihm Thurgon von ihren Erlebnissen, verschwieg dabei allerdings Peters Herkunft. „Ja, die ständigen Überfälle der Orks und 51
gesehen. Auf ein Zeichen des Halbelfen wurde die Zugbrücke heruntergelassen und sie betraten den Schlosshof. Erschöpft stiegen sie von ihren Pferden. Stallknechte eilten ihnen entgegen und nahmen ihnen die Tiere ab. Webster war froh, er hatte das Gefühl, nach langer Zeit der Abwesenheit endlich wieder zu Hause zu sein. Dann sah er sich um. Der Schlosshof war alles andere als ein düsterer Ort. Allerlei Bäume, Blumen und fremdartige Pflanzen wuchsen in der Mitte, auf einem parkähnlich angelegten Platz. Kleine Bänke luden zum Sitzen ein. Doch auch hier im Hof waren die Zeichen des Verfalls deutlich zu sehen. Loses Mauerwerk und bröckelnder Putz waren deutliche Hinweise dafür. Vor ihnen führte eine breite Treppe hinauf zu einem großen Portal. Dort erschien ein würdig aussehender älterer Herr mit einem kurz geschnittenen grauen Vollbart. Er trug ein farbenprächtiges Gewand und hielt einen langen, golden glänzenden Stab in der rechten Hand. „Der Haushofmeister“, erklärte Thurgon. „Wartet hier unten, ich werde uns vorstellen.“ Wenige Minuten später winkte er die zwei mit zu sich hinauf. „Der König ruht zurzeit. Er wird euch später empfangen“, erklärte ihnen der Haushofmeister. Zwei vorbeikommende Pagen wies er an: „Kümmert euch um diese Herren. Zeigt ihnen ihre Gemächer und sorgt dafür, dass sie sich bei uns wohl fühlen!“ Sie folgten den Pagen über einen weiträumigen Korridor. Zahlreiche Ahnenbilder hingen an den Wänden, aber auch Gemälde, auf denen Schlachten dargestellt waren. Von der Decke her, die aus verschiedenen farbigen Mosaikscheiben bestand, schien das Tageslicht herein und erzeugte auf dem Boden farbige Muster. Der Raum, welchen Webster zugewiesen
Als es hell wurde, legten sie am Wegesrand eine kurze Rast ein. Wolthar versorgte die Pferde, Peter und Thurgon kümmerten sich um das Frühstück. Da sie einen relativ sicheren Platz gewählt hatten, wurden sie auch von niemandem behelligt. Kurz darauf ritten sie weiter. Durch das Gewitter hatte es sich über Nacht stark abgekühlt. Von Osten her wehte ein frischer Wind. Sie kamen jetzt wieder durch eine wunderschöne Wiesen – und Auenlandschaft. Lauschige Birkenwälder und kleine Seen wechselten sich ab. Gegen Mittag konnten sie am Horizont ein prächtiges Schloss erkennen, das von zwei mächtigen Hügelkuppen eingebettet war. „Tordor Castle, das Schloss König Bergomirs“, erklärte der Halbelf. „Ich schätze, wir werden am frühen Nachmittag dort sein.“ Endlich sah Peter das Ziel ihrer langen Reise vor sich liegen, einer Reise, welche George das Leben gekostet hatte. Trotzdem fühlte sich Webster auf einmal sehr ruhig und ausgeglichen. So ruhig, wie schon lange nicht mehr. Kurz nach Mittag befanden sie sich auf einem Waldweg, der direkt auf eine der Hügelkuppen zuführte. Dann gelangten sie an eine Weggabelung. Einer der Wege führte in südlicher Richtung weiter, ein anderer in südöstlicher. Ein Wegweiser in Runenschrift deutete nach Südosten. Sie folgten dieser Abzweigung. Bald konnten sie zwischen Bäumen und wilden Sträuchern die Türme und Mauern des Schlosses erkennen. Der Weg führte zwischen den Sträuchern hindurch direkt auf das Schloss zu. Es war eigentlich mehr eine Art Schlossburg, umgeben von gewaltigen Mauern und vier riesigen Türmen. Ein breiter Wassergraben trennte den ganzen Komplex von der Außenwelt ab. Eine Zugbrücke, die aber im Augenblick hochgezogen war, bildete die einzige Verbindung. Doch Peter konnte auch überall Spuren des Verfalls erkennen. Dieses Schloss hatte wohl auch schon einmal bessere Zeiten 52
bekam, war genauso groß und weitläufig wie alles hier im Schloss. Nach Süden hin lag ein riesiges Fenster, das ebenfalls aus bunten Mosaikscheiben bestand. Die Wände waren teilweise mit Holz vertäfelt. An der einen hing ein schwerer Gobelin, auf dem eine Jagdszene dargestellt war. An der nördlichen Wand befand sich ein großer Kamin, in der Mitte des Raumes stand ein eichener Tisch mit Stühlen. Das größte Möbelstück war allerdings ein wuchtiges Himmelbett. Erschöpft ließ sich Peter fallen und war kurz darauf fest eingeschlafen.
53
Kapitel 9 Bei König Bergomir
blondem, fast golden wirkendem Haar und leicht blassen, aber vornehmen Gesichtszügen. Sie trug ein langes zartblaues Kleid. Bei ihr musste es sich um die Tochter des Königs handeln. Als sie Webster sah, lächelte sie schwach. Links neben dem König stand ein älterer Herr. Er hatte einen langen weißen Bart, ein faltiges, aber gutmütiges Gesicht und trug ein phantasievolles wallendes Gewand. In der Hand hielt er einen großen silbern schimmernden Stab, welcher mit zahllosen Runenzeichen besetzt war. Die Spitze bildete einen Drachenkopf. Bei dem Alten musste es sich wohl um so etwas wie einen Magier handeln. Dicht neben ihm standen Thurgon und Wolthar. Ganz rechts, in einer dunklen Ecke, ziemlich abseits vom Thron, sah Webster einen Mann, der ihm vom ersten Augenblick an unheimlich vorkam. Sein schmales bleiches Gesicht, welches ein dunkler Spitzbart zierte, glich dem eines Raubvogels. Seine Augen wirkten ungewöhnlich kalt. Die Kleidung unterstrich diesen Eindruck noch – er war bis auf sein weißes Hemd ganz in Schwarz gehüllt. Unter seinem langen, ebenfalls schwarzen Umhang war die Spitze eines Degens zu sehen. Der Haushofmeister trat nun ein paar Schritte vor den Thron und schlug mit seinem Stab dreimal auf den Boden. „Peter Webster, Majestät.“ Vorsichtig und mit gemessenem Schritt ging Peter auf den Thron zu und verneigte sich höflich. Der König musterte ihn mit ernstem Blick. „Ihr seid also der Enkel von Frank Webster“. Dann fuhr er in einem milden Unterton fort: „Seid willkommen in meinem Reich, Peter. Thurgon und Wolthar haben mir berichtet, was Ihr
Am späten Nachmittag wurde Webster von zwei Pagen geweckt. Sie nahmen ihm seine alte, schmutzige Kleidung ab und gaben ihm dafür neue. Diese bestand aus grünen Hosen, einem weißen Hemd, einem grauen Lederwams und braunen Wildlederstiefeln. Dann bereiteten sie ein heißes Bad für ihn vor. Peter hatte sich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Schließlich wurde er noch vom Leibbarbier des Königs frisiert. Dieser stutzte ihm auch den Bart. Gegen Abend kam der Haushofmeister. „Es ist alles bereit, mein Herr, der König möchte Euch jetzt sehen.“ „Aber wo sind meine Freunde?“ „Herr Thurgon und Herr Wolthar befinden sich schon im Thronsaal.“ Er folgte dem Haushofmeister den breiten, nun von zahlreichen Fackeln erhellten Korridor entlang. Über eines hatte Webster sich schon die ganze Zeit gewundert: der Verfall des Schlosses schien nur äußerlich zu sein. Hier im Innern war kaum etwas davon zu sehen. Ihr Weg endete an einem großen bronzenen Tor, vor dem zwei Wachen standen. Nachdem der Haushofmeister einige Worte mit ihnen gewechselt hatte, wurde das Tor geöffnet. Sie betraten einen großen Saal, welcher von vier mächtigen Säulen getragen wurde. Nun sah Peter zum ersten Mal den Regenten dieses Landes: ein alter Mann mit grauem, aber sorgfältig gekämmtem Haar und einem ebensolchen Bart. Er trug einen purpurnen Mantel, schwarze Kniehosen sowie Stiefel und hatte eine prachtvolle Krone auf seinem Haupt. Ein roter Teppich lief direkt vom Eingangstor auf den Thron zu, auf welchem der Monarch Platz genommen hatte. Neben ihm saß eine zerbrechlich wirkende Gestalt – eine junge Frau mit 54
„Du musst wissen, Peter, dass die Zeit bei uns auf Alkhana wesentlich langsamer verstreicht als auf der Erde“, erwiderte Melwin. „Aber wie dem auch sei“, fuhr der Magier fort, „inzwischen hat sich unter Aldaaron, dem Erzpriester von Suloß, eine starke, finstere Macht gebildet. Dies ist die Gefahr, welche ganz Alkhana bedroht. Sie wird uns unweigerlich in den Abgrund ziehen, es sei denn, ein Mensch, der nicht von unserer Welt stammt, stellt sich ihr in den Weg. So steht es in den Schriften unserer Ahnen.“ „Aber wie soll ein einziger Mensch das verhindern können?“ „Er muss die drei heiligen Reliquien der Regentschaft wiederbeschaffen, welche seit langer Zeit verschollen sind. Diese besitzen magische Eigenschaften, um die schon einmal ein grausamer Krieg geführt worden ist. Sie wurden daraufhin von unseren Urvätern verborgen. Denn ihre Eigenschaften können auch missbraucht werden. Nun haben wir in Erfahrung gebracht, dass auch Aldaaron nach diesen Reliquien suchen lässt. Falls es ihm gelingen sollte sie zu finden, wäre das unser aller Untergang. Dann hätten die Finsteren Mächte endgültig gesiegt.“ „Und was sind das für Reliquien?“ „Die Krone der Gerechtigkeit, das Schwert der Macht und das Buch der Weisheit“, antwortete jetzt der König. „Unter der Führung des „Wahren Trägers“ sollen sich dann alle freien Völker Alkhanas vereinigen und der finsteren Macht Aldaarons für immer ein Ende bereiten. Aber leider sind die Völker unserer Welt zerstritten und ich bin zu alt, um in die Welt hinauszuziehen und diese Artefakte zu suchen. Andere haben es inzwischen zwar versucht, aber keiner von ihnen war erfolgreich.“ Peter nickte. „Ich verstehe, aber ich glaube nicht, dass ich der Richtige für Euch bin.“ „Das glaube ich auch nicht“, kam plötzlich die Antwort von dem ganz in schwarz gehüllten Mann rechts neben dem Thron. „Dieser Fremde war ja nicht einmal
durchgemacht habt, um zu uns zu gelangen. Es tut mir sehr leid, dass Euer Freund auf so schreckliche Art ums Leben gekommen ist.“ Peter nickte betroffen. „Thurgon hat mir ebenfalls gesagt, dass Ihr wieder in Eure Welt zurückkehren möchtet, und ich kann Euch sehr gut verstehen. Aber Ihr solltet bedenken, dass Ihr nach dem Tode Eures Großvaters der Einzige seid, auf dessen Hilfe wir noch hoffen können. Ihr, Peter, seid der letzte Mensch Eurer Welt, welcher überhaupt von der Existenz Alkhanas weiß.“ Webster blickte ihn fragend an. „Ich verstehe nicht, welche Hilfe Ihr von mir erwartet. Ich bin ein Rechtsanwalt, ein Gelehrter, wenn Ihr so wollt, aber kein Held.“ „Ich glaube, es ist das Beste, Ihr erklärt es ihm, Melwin.“ Der Mann mit dem langen weißen Bart, der links vom König gestanden hatte, kam auf Peter zu. „Mein junger Freund, als Euer Großvater damals zu uns kam, war er der erste Mensch, der nach sehr langer Zeit den Weg zu uns gefunden hatte. In der Frühzeit eurer Welt, als die Menschen noch an die alten Götter glaubten, gab es immer wieder Verbindungen zwischen Alkhana und der Erde. Doch als dann später bei euch die alten Kultplätze immer mehr verfielen und die Menschen der Erde sich den großen Religionen zuwendeten, geriet Alkhana in Vergessenheit. Erst dein Großvater, Peter, nahm diesen alten Kontakt wieder auf. Von da an schöpften wir Hoffnung, denn wir glaubten, er wäre der Mann, von dem schon die Prophezeiungen berichtet hatten, der unsere Welt eines Tages vor einer großen Gefahr retten würde. Doch leider war dem nicht so, denn er hatte zu große Zweifel an sich selbst. Außerdem überfiel ihn nach einem halben Jahr starkes Heimweh, so dass er wieder zur Erde zurückkehrte.“ „Nach einem halben Jahr?“, unterbrach ihn Webster. „Soviel ich weiß, galt er ein ganzes Jahr als verschollen.“ 55
Für eine kurze Zeit schienen alle Sorgen vergessen zu sein und ein jeder unterhielt sich prächtig, doch schon bald erhob sich Graf Baldur. „Nun, Majestät, wie steht Ihr zu meinem Vorschlag von vorhin? Sollen wir darauf bauen und uns auf die Hilfe dieses unerfahrenen Fremden verlassen“, damit deutete er auf Webster, „oder sollten wir nicht doch versuchen, Aldaaron als Freund zu gewinnen?“ „Hört nicht auf ihn, mein König, dieser Mann ist selber nur von Machtgier zerfressen, er wird uns an den finsteren Herrscher verraten“, wandte sich Melwin an Bergomir. Mit einem Ruck sprang Baldur auf, zog seinen Degen und wollte sich auf den Magier stürzen. „Diese Beleidigung wirst du bereuen, du alter Narr.“ Doch Wolthar stand blitzschnell auf und hielt ihn zurück. „Seid Ihr verrückt geworden, Baldur? Und Ihr, Melwin, haltet Euch gefälligst mit Äußerungen zurück, die Ihr nicht beweisen könnt!“, fuhr der König die beiden an. „Die Entscheidung liegt ganz allein bei Peter. Niemand von uns kann von ihm verlangen, dass er bei uns bleibt und sein Leben zu unseren Gunsten ändert. Ich kann sehr gut verstehen, dass er nach alledem, was er bisher hier erlebt hat, gerne in seine Welt zurückkehren möchte.“ Alle Blicke richteten sich nun auf Webster, so dass dieser sichtlich nervös wurde. „Ich kann das nicht jetzt und heute entscheiden. Bitte, gebt mir Bedenkzeit, zumindest für diese Nacht. Ich teile euch morgen früh meinen Entschluss mit.“ „Gut, Peter, das respektiere ich. Dein Großvater war ein ehrlicher Mann und ich glaube, du wirst für dich die richtige Wahl treffen. Dann wollen wir uns zur Ruhe begeben und warten, was uns der morgige Tag bringen wird.“ So erhoben sich alle, verneigten sich kurz vor dem König und verließen den Raum, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen.
in der Lage, seinem besten Freund das Leben zu retten. Wie soll er dann unsere ganze Welt vor Aldaaron bewahren? Außerdem glaube ich nicht mehr an diese alten Prophezeiungen, das sind doch alles nur Märchen.“ „Nun denn, was schlagt Ihr vor, Graf Baldur?“ „Ganz einfach, Majestät, es gibt Zeiten, wo sich der Schwächere dem Mächtigen unterordnen muss, um zu überleben. Vielleicht gelingt es uns ja auch sogar uns mit Aldaaron zu verbünden, wir könnten ungeahnte Vorteile dadurch erwerben.“ „Ihr müsst des Wahnsinns sein, Baldur. Wir würden unter seiner finsteren Herrschaft vergehen und die anderen Völker Alkhanas ebenfalls ins Unglück stürzen. Ihr wisst doch genau, wozu Aldaaron in der Lage ist, er hat es doch schon einmal bewiesen, “ fuhr ihn Melwin an. Ein eisiger Blick streifte den Magier. Es herrschte ein gespanntes Schweigen, bis plötzlich der Haushofmeister erschien und dem König ein Zeichen gab. „Wir können uns auch während des Essens weiter darüber unterhalten. Das Abendmahl ist angerichtet“, verkündete Bergomir. Sie folgten dem Haushofmeister der Reihe nach den Thronsaal hinaus. „Dieser Baldur ist ein Teufel“, flüsterte Thurgon. „Ganz recht“, stimmte ihm Wolthar zu. „Der König hört in letzter Zeit leider viel zu oft auf ihn.“ Kurz darauf betraten sie einen länglichen Raum, welcher mit wertvollen Wandteppichen geschmückt war, auf denen höfische Szenen zu sehen waren. In der Mitte dieses Raumes hatte man eine Festtafel angerichtet. Sie nahmen auf bequemen Stühlen Platz und von herbeieilenden Pagen wurden ihnen die ersten Speisen gereicht. Als Getränk schenkte man ihnen einen stark süßlichen, aber trotzdem angenehm schmeckenden Wein ein. Dann begannen zwei Musiker mit Flöten aufzuspielen. 56
nutzen. Nachdem Barangor, der Gründer und Einiger unserer Welt, von Aldaaron ermordet worden war, schlossen sich die meisten Regenten aus Feigheit und Angst Aldaaron an. Nur ein letztes Aufgebot der freien Völker konnte ihn damals stoppen. Seitdem haben die Götter und unsere Ahnen festgelegt, dass nur noch ein völlig Fremder die Reliquien finden und damit die Geschicke Alkhanas als Regent und „Wahrer Träger“ lenken soll. Wie Ihr Euch morgen entscheiden werdet, weiß ich nicht. Aber Ihr sollt wissen, dass ich sofort mit Euch ziehen würde, falls Ihr für unsere Sache streiten würdet. Denn ich war mir schon von Anfang an sicher, dass Ihr dieser Auserwählte seid.“ Mit diesen Worten verließ sie sein Zimmer genauso leise und vorsichtig, wie sie es betreten hatte. Webster blieb nachdenklich zurück. Ja, vielleicht hatte sie wirklich Recht. Aber war er der Richtige für solch eine gewaltige Aufgabe? Er wusste es nicht. In den letzten Tagen, seit Georges Tod, hatte sich in ihm eine Wandlung vollzogen. Sein bisheriges Leben erschien ihm nun ziemlich sinnlos. Er war immer nur dem Geld, dem Erfolg und neuen Klienten nachgelaufen. Er hatte zwar ein luxuriöses, aber auch wenig nutzvolles Dasein gefristet. Erst durch den Tod seiner Großmutter und dem von George war er zum Nachdenken gekommen. Das alles leuchtete ihm jetzt immer mehr ein. Vielleicht sollte er es wirklich wagen und versuchen, den Menschen hier zu helfen. Ganz besonders der Prinzessin, damit sie nicht wirklich eines Tages diesem Baldur ausgeliefert wäre. Große Reichtümer konnte er nicht erwarten, aber es gab auch noch andere Ideale als Geld und Macht. Dies wurde ihm allmählich bewusst. Zufrieden und müde begab er sich zur Ruhe. Er spürte, dass nun ein neuer Lebensabschnitt für ihn begann.
Beim Herausgehen warf Baldur Peter einen hämischen Blick zu. Ein grausames Lächeln umspielte seine Gesichtszüge. Doch Webster ließ sich davon nicht beeindrucken und ignorierte ihn einfach. Er verabschiedete sich noch kurz von Thurgon und Wolthar. Dann begab er sich auf sein Zimmer. Lange saß er dort noch am Kamin und dachte über die Ereignisse der letzten Wochen nach. Kurz vor Mitternacht klopfte es an seiner Tür. Aber es waren nicht seine beiden Freunde, wie er eigentlich erwartet hatte, sondern Prinzessin Selenicke, die Tochter König Bergomirs. Nur in ein hauchdünnes Nachtgewand gehüllt, welches ihre Zierlichkeit noch unterstrich, betrat sie sein Zimmer. „Entschuldigt, wenn ich Euch zu so später Stunde noch störe.“ „Ihr stört überhaupt nicht“, entgegnete Peter mit einem Lächeln.“ „Ich bin gekommen, um einmal allein mit Euch zu reden. Auch wenn Ihr es vielleicht noch immer nicht glauben wollt, unser Land und unsere ganze Welt schweben in großer Gefahr. Mein Vater weiß sich nicht mehr zu helfen, er war schon so weit, mich diesem Ungeheuer von Baldur als Frau zu versprechen, nur weil er sich Hilfe von ihm erhoffte. Er weiß auch nicht, dass ich jetzt im Augenblick mit Euch rede, denn er würde seine Machtlosigkeit niemals so offen zugeben.“ Webster nickte verständnisvoll. „Ich kann nur eines immer noch nicht ganz verstehen, Hoheit. Euer Vater hat doch zwei verlässliche Männer, ich meine Thurgon und Wolthar. Warum schickt er sie nicht einfach auf die Suche nach diesen Reliquien? Wieso denkt er ausgerechnet an einen völlig Fremden wie mich?“ „Melwin hat es Euch doch schon erklärt. In den Schriften unserer Ahnen steht, dass auf Anordnung der Götter nur ein Mensch, der nicht von Alkhana stammt, diese Reliquien einst wieder finden wird. Die Herrscher unserer Welt haben sich allesamt als zu schwach erwiesen, die Reliquien zum Wohle ihrer Völker zu 57
von ihnen aus tropischen Ländern stammen.“ „Ich habe letzte Nacht meine Entscheidung getroffen“, erklärte Peter, ohne auf Melwins Erläuterungen einzugehen. „Ich weiß“, er blickte Peter mit seinen gütigen Augen an. „Und ich weiß ebenfalls, dass Euch der Tod Eueres Freundes noch immer bedrückt und Euch unsere Welt noch immer ziemlich fremd und barbarisch erscheint. Aber Ihr könnt sicher sein, dass er nicht umsonst gestorben ist. Ihr hättet genauso gut in die Falle dieses Ungeheuers gehen können. Es war großes Glück und vielleicht sogar Vorsehung, dass Ihr verschont geblieben seid, das solltet Ihr immer bedenken. Habt mehr Selbstvertrauen und glaubt an Euch.“ Er stand auf und reichte Peter die Hand. „Wir sehen uns dann später beim König.“ Jetzt gab es für Webster keine inneren Zweifel mehr. Seine Entscheidung stand nun endgültig fest. Er verließ ebenfalls den Park und ging ins Schloss zurück. Gegen Mittag wurde er von einem Pagen abgeholt. Dieser brachte ihn aber nicht in den Thronsaal, sondern führte ihn eine kleine Steintreppe hinauf in einen Turm. Vor einer schweren Eichentür klopfte er kurz an, öffnete sie und ließ Webster eintreten. Bei dem Raum handelte es sich um das Arbeitszimmer des Königs. In zwei mächtigen Regalen waren Bücher und Folianten einsortiert. Durch ein kleines Fenster drang spärliches Tageslicht herein. Der König selber saß an einem großen, mit zahllosen Pergamentrollen übersäten Schreibtisch in einer Art spanischem Sessel. Neben ihm standen Thurgon und Wolthar. Melwin saß auf einer bequemen Bank nahe dem Fenster. Auch der finstere Baldur war anwesend. Als der König Peter sah, richtete er sich auf. „Nun, mein Freund, zu welcher Entscheidung seid Ihr letzte Nacht
Am nächsten Tag stand Webster schon kurz nach Sonnenaufgang auf. Er hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich gut geschlafen und fühlte sich viel ausgeglichener als an den Tagen zuvor. Er wusch sich, kleidete sich an und verließ sein Zimmer. Im Schloss war noch alles ruhig. Er durchquerte leise den großen Korridor, kam zum Eingangsportal, blieb für eine kurze Weile oben an der Treppe stehen und schaute hinab in den Schlosshof. Auch hier war noch alles still. Nur einige Knechte schienen drüben in den Pferdeställen beschäftigt zu sein und zwei Soldaten, die nahe der Zugbrücke Wache schoben, unterhielten sich leise. Er schritt langsam die breite Treppe hinunter. Unten im Hof angekommen, überlegte er kurz und beschloss, sich erst einmal den kleinen Park in der Mitte des Hofes näher anzusehen. Durch den fahlen, noch etwas dunstigen Himmel stieg langsam die Sonne empor. Er folgte einem schmalen Weg, welcher in den Park hineinführte. Überall wuchsen fremde, fast tropisch anmutende Gewächse, die gar nicht zu der übrigen Pflanzenwelt hier in Narandor passen wollten. Alle waren mit einer dünnen Taudecke überzogen. In der Mitte des Parks befanden sich mehrere Bänke. Auf einer von ihnen konnte Peter die Gestalt des Hofmagiers erkennen. Dieser schien ganz ruhig dort zu sitzen und dem leisen Vogelgezwitscher zu lauschen. Als er Peter erblickte, richtete er sich auf. „Hallo, mein junger Freund, wie ich sehe, seid Ihr schon munter“, begrüßte er ihn freundlich. „Ja, ich konnte einfach nicht mehr schlafen.“ „Dann setzt Euch doch etwas zu mir.“ „Dieser Park ist einfach wunderschön“, entfuhr es Webster. „Ja, ich weiß, ich komme in den Morgenstunden gerne hierher, um etwas zu meditieren. Ihr müsst wissen, unser König hat all diese Pflanzen in jungen Jahren von seinen zahlreichen Reisen mitgebracht, und sie gedeihen prächtig, obwohl viele 58
Erzpriester von Suloß hat seine Augen überall und er wird sehr bald herausbekommen, dass du für unsere Sache kämpfst.“ „Vollkommen richtig“, gab auch Melwin zu. „Wir wissen nur noch von einer der drei Reliquien, wo sie sich befinden könnte, nämlich dem Buch der Weisheit. Die Krone und das Schwert gelten schon lange als verschollen. Viele glauben sogar, es gibt sie gar nicht mehr.“ „Und wo soll sich dieses Buch befinden?“ „Alten Berichten und Aufzeichnungen nach wurde es einem Magier anvertraut, der sich nach Süden, ins Reich des Dschuhd, nach Sarakovia begeben haben soll. Möglich, dass man am Hofe des Dschuhd mehr darüber weiß.“ Peter sah Wolthar und Thurgon ernst an. „Dann müssen wir dort mit unserer Suche beginnen!“ „Nehmt euch in Acht, Sarakovia ist ein gefährliches Land, und sein Beherrscher, der Dschuhd, ein unberechenbarer Despot“, warnte sie der Magier. „Dann werdet Ihr sicherlich eine gute Heilerin gebrauchen können.“ Mit diesen Worten trat auf einmal die Prinzessin hinter einem der Bücherregale hervor. „Selenicke, hast du uns etwa belauscht?“ fragte der König verdutzt. „So ist es, bitte entschuldige Vater, aber ich hielt es für wichtig.“ „Sicher, du wirst aber auch verstehen, dass ich dir unmöglich die Erlaubnis geben kann. Diese Reise ist viel zu gefährlich!“ „Aber Vater ...!“ „Das ist mein letztes Wort“, antwortete der König entschlossen. „Bitte geh jetzt auf dein Zimmer!“ „Gut, wie Ihr wünscht, aber ihr werdet euch noch alle wundern!“ Damit verließ sie ärgerlich das Arbeitszimmer. „Sie ist starrköpfig wie ihr Vater“, bemerkte Melwin. „Ich weiß“, entgegnete Bergomir mit einem Lächeln.
gelangt? Wie steht Ihr zu unserer Sache?“ Alle im Raum sahen Webster erwartungsvoll an. Selbst Baldur schien gespannt zu sein. Peter holte tief Luft, dann antwortete er: „Majestät, ich habe es mir sehr gründlich überlegt. Ich will versuchen, Euch zu helfen. Ich weiß nicht, ob ich dieser Auserwählte bin, aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.“ Erleichterung machte sich auf den Gesichtern der Anwesenden breit. Nur Baldur schien vor Wut innerlich zu kochen. „Peter, ich hatte nichts anderes von dir erwartet. Dein Großvater könnte stolz auf dich sein! Vielleicht bist du wirklich derjenige, auf den wir schon so lange gewartet haben.“ Auch Thurgon und Wolthar reichten ihm zufrieden die Hand. „Du kannst mit uns rechnen“, versicherte der Halbelf. „Wir werden dich auf deinem Weg begleiten.“ „Majestät, das kann doch nicht Euer Ernst sein!“, fuhr Graf Baldur plötzlich voller Zorn den König an. „Wie könnt Ihr das Schicksal unseres ganzen Landes diesem Fremden anvertrauen?“ „Mäßigt Euch, Baldur, Ihr sprecht mit dem König. Ihr wisst genau, dass nur er das Recht dazu hat, über diese Sache zu befinden“, wies ihn der Magier zurecht. „Dann habe ich hier nichts mehr verloren. Ihr elenden Narren!“ Zornentbrannt stand der Graf auf, stieß dabei einen Stuhl um und verließ den Raum. Der König sah ihm verständnislos und ungläubig nach. „Ich habe ihm immer vertraut und geglaubt, er würde zu uns stehen. Wie konnte ich mich nur so in ihm täuschen? Melwin, er muss noch heute das Schloss verlassen!“ „Ich werde es veranlassen, Majestät.“ „Aber nun zu dir, Peter“, fuhr der König fort. „Da du dich entschieden hast, für uns zu streiten, solltest du schon in den nächsten Wochen aufbrechen. Der 59
Kapitel 10 Der Aufbruch
Bewaffnung, bestehend aus Langbogen, Kurzschwert und Streitaxt. Peter hatte sich einen Kurzbogen und ein Schwert ausgesucht. Zum Schutz trug er eine Lederrüstung. So verließen sie das Schloss. Sie umritten die Hauptstadt Asskuratt und folgten einer relativ gut ausgebauten Straße, die auf die Hafenstadt Jarrunda zuführte. Auch diese stolze Handelsstadt war nach dem Krieg immer mehr heruntergekommen. Von dort aus wollten die drei mit einem Flussschiff die Neliß hinauffahren, von der dann später, im Fürstentum Sarongaard, ein Seitenarm in den Lakhana-See münden würde. Kurz bevor sie die Hafenstadt erreichten, blickte sich Peter noch einmal um. „Ich glaube, ich habe einen Reiter gesehen, der uns folgt.“ Thurgon spähte in die von Webster angegebene Richtung. „Du musst dich täuschen, ich sehe nichts.“ Doch Webster hatte sich nicht geirrt. Hinter der letzten Wegbiegung tauchte ein schlanker Reiter auf einem schneeweißen Pferd auf. Es war die Prinzessin. Vorsichtig folgte sie den dreien, ohne dass diese davon etwas bemerkten.
In den darauf folgenden Wochen bereiteten sich Peter, Thurgon und Wolthar auf ihre bevorstehende Reise vor. So plante man, zunächst das befreundete, unabhängige Fürstentum Sarongaard aufzusuchen. Vom Regenten dieses kleinen Landes hofften sie ein gutes Schiff zu bekommen, mit dem sie dann in Richtung Sarakovia in See stechen wollten. Die meisten Schiffe aus Narandor befanden sich in einem sehr schlechten Zustand. Auch gab es hier kaum fähige Seeleute. Sarongaard war von jeher ein Fürstentum, in dem Kaufleute und Händler einen großen Einfluss hatten. Es hatte sich schon sehr früh, schon vor dem großen Krieg, von Narandor abgespalten, um seinen eigenen Weg zu gehen. Nach dem Krieg war es den Sarongaarder Kaufleuten rasch gelungen eine kleine, schlagkräftige Militär- und Handelsflotte aufzubauen. Gerade durch den Handel mit dem verarmten Narandor, dem Nordergaard, dem reichen Sarakovia und dem Ostergaard war das kleine Land zu Reichtum gekommen. Die Kaufleute handelten mit wertvollen Stoffen und Gewürzen aus Sarakovia und tauschten Waffen und Rüstungen, die die Zwerge in Ostergaard herstellten
Ein anderer Reisender hatte schon einige Tage zuvor in einem Gasthof nahe Jarrunda Station gemacht. Es war Graf Baldur. „Ist mein Schiff endlich angekommen?“, fragte er den Wirt missmutig. „Ja, Exzellenz, es wartet unten an der Küste auf Euch“, gab der Wirt sichtlich erleichtert zurück, froh seinen unheimlichen Gast endlich los zu sein. „Gut“, antwortete der Graf und drückte dem Wirt ein Goldstück in die Hand. An der Küste angekommen, ging Baldur sofort an Bord eines Beibootes, welches
Die letzten Tage nutzten die drei für ein intensives Kampftraining. So konnte vor allem Peter nicht nur seine kämpferischen Fähigkeiten mit dem Schwert verbessern, sondern es wurde ihm auch das Schießen mit Pfeil und Bogen beigebracht. An einem sonnigen Herbstmorgen brachen sie schließlich auf. Schon am Abend zuvor hatten sie sich von König Bergomir und dem übrigen Hofstaat verabschiedet. Mit Waffen, Vorräten und Pferden waren sie gut ausgerüstet. Thurgon und Wolthar trugen ihre übliche 60
schon auf ihn gewartet hatte. „Welchen Kurs befehlt Ihr, Sire?“, erkundigte sich der Kapitän. Baldur lächelte böse. „Kurs Astergaard, Kapitän.“ „Bald, schon sehr bald, werde ich mich an dir rächen, Peter Webster. Du hast meine Pläne nicht umsonst durchkreuzt“, dachte er voller Zorn.
61
Epilog: Aldaaron – Suloß
und sie konnten sich nur durch Raubzüge gegen Dörfer oder Bauernhöfe am Leben erhalten. Denn die Orks waren Nomaden, Ackerbau und eine geregelte Viehzucht waren den meisten von ihnen völlig fremd. Sie wollten ihr Land zurück und bauten auf die Macht des Erzpriesters. Nun, wo Narandor schwach war, schien ihre Zeit gekommen zu sein, sich für diese Schmach zu rächen. Im Falle des Sieges, so hatte ihnen der Erzpriester versprochen, sollten sie ihr Land zurückerhalten. Aber Aldaaron zögerte noch, denn für die Verwirklichung dieser Eroberungspläne benötigte er die drei Reliquien. Dann würde ihn niemand mehr aufhalten können! Wirklich niemand? Einer plötzlichen Eingebung folgend, verließ er das Fenster und schritt auf einen großen Spiegel zu, welcher sich in der Mitte des Raumes befand. Ein Diener, der davor saß, ein schwarzer Dämon, wich schaudernd zur Seite. Denn es hieß, wer dem Erzpriester ins Antlitz blickte, wäre des Todes. Sein Anblick würde jedes Wesen sofort zu Eis verwandeln. Es war ein Opfer, was er gebracht hatte, als er mit der schwarzen Magie experimentierte. Sie hatte ihm Macht verliehen, ihn aber auch für alle Zeiten verunstaltet. Doch Aldaaron kümmerte sich nicht um seinen Diener. Er berührte vorsichtig die Spiegeloberfläche, welche sich zu verändern begann. Das Spiegelbild verschwand und auf der Oberfläche wurde ein anderes Bild sichtbar. Es zeigte drei Reiter, welche sich einer Stadt näherten. Zwei von ihnen waren Männer von Alkhana. Der dritte, ein Mann Mitte dreißig, schien nicht von dieser Welt zu stammen. Der Erzpriester fing an, sich an die alten Prophezeiungen zu erinnern.
Das Schloss schien aus Eis erbaut zu sein. Es wirkte kalt, wie auch die übrige Umgebung. Die spitzen, nackten Türme, einer gotischen Kathedrale gleich, ragten bis in die Wolkendecke. Kein Sonnenstrahl mochte diese Wolken durchdringen. Endlose Schneestürme peitschten über das kahle Land. Kein Leben schien in dieser Eiswüste möglich zu sein. Kein Leben? Doch da war Leben, aber was für eines. Schwarze Dämonen und andere Ungeheuer bevölkerten die riesigen Ebenen von Astergaard. Hier regierte Aldaaron, der Erzpriester von Suloß. Viele dieser Wesen hatte er sich selbst erschaffen. Es waren nützliche Diener mit unglaublichen magischen Kräften, die jeden seiner Befehle ausführten. So hatte er ganz Astergaard unter seine Kontrolle gebracht. Aber er wollte mehr: die südlichen Länder, allen voran Narandor und Sarakovia. Aber noch wichtiger waren ihm die drei magischen Reliquien der Regentschaft. Mit ihnen würde er der unumschränkte Herrscher dieser Welt werden. Bisher waren seine Bemühungen umsonst gewesen, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie besitzen würde. Auch für die Verbannung nach Astergaard wollte er sich dann rächen. Seine ganz in Schwarz gehüllte Gestalt schritt zu einem der großen Fenster hinüber. Er blickte hinaus auf die windumtoste Ebene. Draußen vor seiner Festung hatten sich mehrere tausend Schwarz-Orks eingefunden. Als er vor dem Fenster erschien, jubelten sie ihm laut zu. Sie warteten nur noch auf seinen Befehl, die südlichen Länder anzugreifen. Länder wie zum Beispiel Nordergaard, aus dem sie vor einigen hundert Jahren von Siedlern aus Narandor vertrieben worden waren. Nur noch wenige von ihnen lebten dort 62
Seine Augen begannen unter der großen Kapuze, welche er zu seinem eigenen Schutz trug, bösartig zu funkeln. Doch dann beruhigte er sich wieder. Vielleicht brauchte er diesen Fremden ja sogar, und wenn auch nur für eine kurze Zeit?
Außerdem, was konnte schon ein Einzelner gegen ihn und seine Macht ausrichten? Niemand sollte es wagen. sich gegen den Erzpriester von Suloß zu erheben. Niemand sollte dies auch nur versuchen. Sonst würde er sterben.
ENDE
Das Tor der Welten erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei Achim Köppen und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Maike Niemeier Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
63