Peter Terrid Terra Astra 366
Das Zeit-Orakel Sie sind Sklaven – Die Zeitpolizei ist ihre Hoffnung
Die Abenteuer der T...
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Peter Terrid Terra Astra 366
Das Zeit-Orakel Sie sind Sklaven – Die Zeitpolizei ist ihre Hoffnung
Die Abenteuer der Time-Squad – 11. Roman
Die Hauptpersonen des Romans: Kurthan - Der große Khan als Gehetzter und Verfemter Hucurnax - Kurthans Freund. Tovar Bistarc und Inky - Die Zeitagenten als Retter Taph Solvent - Ein ehrgeiziger Leutnant der terranischen Raumflotte. Bethydar - Ein geheimnisvoller Greis.
1.
Der Märchenerzähler wartete, bis das Feuer aus getrocknetem Guran-Dung die richtige Höhe und Gluthitze erreicht hatte, dann räusperte er sich geziert und begann: „Es steht geschrieben", sagte der Märchenerzähler und strich sich dabei über den schmalen weißen Bart, der ihm bis weit auf die Brust herabhing. „Es steht geschrieben .in den Sprüchen der Weisen, daß der Tag kommen mußte, da die Götter herabstiegen vom Himmel, um ihre Herrschaft auf diesem unserem Planeten zu beginnen. Es steht auch geschrieben, daß die Tage unserer Bedrückung lang sein werden. Geschrieben steht, daß dies al les geschieht, um die Sünden der Menschen zu rächen, die sie begangen haben untereinander und wider den Ratschluß der Götter, deren es viele gibt in den Gefilden der Ewigen." Der Märchenerzähler machte eine kurze Pause. Das Ritual der feierlichen Eröffnung beherrschte er wie kein zweiter auf dieser Welt. Er sprach gut, und er wußte das. Die Jungen scharten sich enger um das Feuer. Es war kalt in den weiten Steppen des Kökö-Landes. In der Ferne scharrten die Gurans in ihren Pferchen. Der Gestank der Lither lag über dem Zeltlager, das sich in nichts von den Lagern unterschied, die vor tausend Sonnenumläufen an ähnlicher Stelle aufgeschlagen worden waren. Noch immer bestanden die Zelte aus feingekautem Leder, noch immer lag im Winter eine Schicht Filz darüber, die Nässe und Kälte gleichermaßen fernhielt. Noch immer roch es im Innern der Zelte nach fettem Litherfleisch und scharf-säuerlich - nach Ziegeltee, der aus geschlagener, getrockneter Guranmilch hergestellt wurde, die man nur mit heißem Wasser übergießen mußte, um sie trinkbar zu machen.
Und noch immer träumten die jungen Kökö an den Lagerfeuern von Heldentaten, die sie vollbringen würden. Der Märchenerzähler sah zum Himmel hinauf und schüttelte ein wenig das Haupt, sanft und vorwurfsvoll. Früher war der Himmel die Heimstatt der Götter gewesen, deren unerforschlicher Wille über Mensch, Tier und Welt gebot. Nun, da die schwarzen Bedrücker aus den Höhen des Himmels herabgestiegen waren, ließ sich diese Vorstellung nicht länger halten. Die Gilde der Märchenerzähler, Schamanen und Priester hatte sich noch immer nicht einigen können, in welche Bereiche des Kosmos das Böse und das Gute neuerdings anzusiedeln waren „Und es geschah eines Tages", hub der Märchenerzähler an, „daß ein Krieger geboren wurde, dem man den Namen Kurthan gab. Noch als Knabe wurde Kurthan, der größer war als alle großen Helden, die jemals einen Guran über die Weite der Welt getrieben haben, von Feinden entführt. Und es begab sich, daß Kurthan seinem Herrn, der ihn zum Sklaven machen wollte, Krone und Leben entriß und selbst Herrscher wurde von Jurthapat. Von dort brach er auf mit seinen Scharen, sich die Welt Untertan zu machen, und er schwor, erst mit dem Erobern aufzuhören, wenn alles Land, das einen Guran tragen konnte, ihm botmäßig und tributpflichtig gemacht sei." Wieder legte der Märchenerzähler eine Pause ein. Er betrachtete die Gesichter der jungen Kökö. Sie waren nicht nur, wie der grüne Schimmer verriet, vom Feuer in der Mitte erhitzt. Was ihnen das Blut in das Gesicht trieb, war das Feuer der Begeisterung. Der Märchenerzähler lächelte milde. „Kurthan nun brach eines Tages von Jurthapat auf, um sich auch dieses unser Land Untertan zu machen. Er trat die Reise an mit einigen Tuman, den Zehntausendschaften seiner Soldaten, mit seinen Oerlök, seinen auserlesenen Beraternund Heerführern mit dem weisen Hucurnax an ihrer Spitze, und mit seinem Weibe Byrte."
Der Märchenerzähler überlegte, wie er fortfahren sollte. Hätten sich um das Feuer Männer geschart, hätte er länger bei Byrte und ihrer legendären Schönheit verweilt. Hier aber hatte er es nur mit Kindern zu tun, und die jugendlichen Kökö dachten noch nicht ans Heiraten. Ihr Sinn stand nach Kampf. „Als er die Zeit gekommen fühlte", fuhr der Märchenerzähler fort, „rüstete Kurthan, der sich nun Kha-Khan nannte - Herr aller Herren -, ein gewaltiges Heer aus. Mit vierzig Tuman wollte er aufbrechen, den Verräter Hucurnax zu finden, der ihn betrogen und verlassen hatte. Zahlreich wie die Sterne des Himmels war die Schar der Krieger, die der Kha-Khan sammelte und nach Westen führte, und er schlug das Heer des Fürsten des Westens ein ums andere Mal. In Kilder ließ er nur rauchende Trümmer zurück. Ich habe selbst gesehen, wie diese gewaltige Stadt in einer Nacht verbrannte. Und dann begegnete Kurthan-Khan dem Fürsten des Westens, der über mehr Männer, Gurans und Länder gebot als irgendein Fürst jemals. Am Morgen jenes denkwürdigen Tages trafen sie aufeinander. Und als sich die Nacht über diese unsere Welt senkte ... da war der Fürst des Westens tot, gestorben von Kurthans eigener Hand. Und es war an diesem Tag, daß die schwarzen Bedrücker vom Himmel stiegen, um unser Volk zu unterjochen. Seit jenem Tag liegt Trauer über dem Land wie dichter Schnee, der alles still werden läßt." „Vielleicht", sagte einer der jungen Kökö vorwitzig, „war dies die Strafe des Himmels dafür, daß Kurthan-Khan den Fürsten des Westens niederstieß?" Der Märchenerzähler wiegte das Haupt. „Es heißt", sagte er leise, „daß der Fürst des Westens kein Bewohner dieser unserer Welt gewesen sein soll. Ardamor hieß dieser Fürst, und dies ist kein Name, der in einer unserer Sprachen auftaucht. Es ist ein fremder, bedrohlicher Name. Und bedenkt: Niemand hat jemals den Leichnam des Fürsten
gefunden. Es gibt kein Grab für ihn, auf keiner Stelle wird sein Name erwähnt, kein Priester spricht ein Gebet für ihn. Was ist das für ein Fürst, für den nicht ein Gebet gesprochen wird?" „Und Kurthan?" bohrte der kleine Frager. „Was wurde aus dem großen Khan?" Der Märchenerzähler strich sich den Bart und lächelte. Das flackernde, düsterrote Licht des Feuers überschüttete sein altes Gesicht. Die Hände, die über den Bart strichen, waren dürr, fast fleischlos. Auf dem Ringfinger der Rechten war ein Ring zu sehen, ein schlichter Reif aus Gold, mit einer Platte dar an. „Kurthan", sagte der Märchenerzähler halblaut. „Ja, KurthanKhan und seine Oerlök. Es heißt, und die Nachricht geht von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr, daß er lebt. Es sind ja nicht viele Jahre vergangen seit jenem Tag, obwohl uns unter der Last der Fremdherrschaft jede Stunde doppelt schwer und lang zu währen scheint. Kurthan lebt." Die Stimme des alten Märchenerzählers wurde fester und lauter. Er hob beide Hände. Seine Augen, die bisher fast glanzlos gewesen waren, begannen zu funkeln, als er beschwörend sagte: „Kurthan-Khan, der Große Khan, der Herrscher über alle Herrscher, Besieger aller Völker - er lebt. Und er wird kommen und seine Getreuen sammeln. Sie werden zu ihm stoßen, einer nach dem anderen, und jeder Name wird auf der Tafel des ewigen Ruhmes geschrieben werden und leuchten und für alle Zeiten genannt und gerühmt werden. Kurthan-Khan und seine Bahadure - so wird man jene Schar auserlesener Kämpfer nennen, die er um sich sammeln wird werden die Bedrücker, bekämpfen, erst einzeln," dann gemeinsam, und dann wird der große Khan ein Heer aufstellen und die Bedrücker in den höllischen Pfuhl zurückwerfen, dem sie entstiegen sind, und Friede wird,herrschen in diesem Land und auf den weiten Meeren, und jedermann wird preisen den Ratschluß der Götter und den Namen des größten aller Helden, Kurthan Kha-Khan.
Ich aber sage euch: Jener Tag ist nicht fern, und der Khan wird mächtige Helfer finden, die ihm beistehen in seinem Streit. Und er wird siegen." Der alte Märchenerzähler schwieg erschöpft. Seine Augen wurden wieder stumpf. Aber die Augen der jungen Kökö waren weit geöffnet, und das Fieber der Begeisterung flackerte darin. Der Märchenerzähler verkniff sich das Lächeln, das die jungen Kökö irritiert hätte. Der Same war gelegt. Eines Tages mußte dieser Same auf gehen. Eines Tages. Der Märchenerzähler selbst glaubte kaum mehr daran. Er sah auf seine Hände. Mit der Linken griff er nach dem Ring. Die goldene Platte zeigte in erstklassiger Granulattechnik das Gesicht des großen Khans. Der Alte preßte seinen Daumen auf den Ring. Das Bildnis des Khans begann zu flimmern. Für kurze Zeit wurde ein leuchtendes Zeichen sichtbar: eine schwarze Sanduhr, durch die goldener Staub rieselte. Davor kreuzten sich ein Schwert und eine andere Waffe. Nur zwei Sekunden lang blieb das flimmernde Bild stabil, dann erschien wieder der Kopf des Khans. Der Märchenerzähler erhob sich. „Werden wir dabei sein?" fragte einer der Jungen. „Werden wir diesen letzten großen Kampf austragen dürfen? Meine Pfeile dürsten nach dem Blut der Bedrücker." Der Märchenerzähler lächelte. „Vielleicht", sagte er leise. „Vielleicht werdet ihr es erleben. Ich sagte euch: Der Tag ist nicht mehr fern." Einer der jungen Kökö trat näher. War es Zufall, daß seine Rechte den Griff des scharfgeschliffenen Wurfmessers stets umklammert hielt? „Woher weißt du das alles, alter Mann?" fragte der junge Kökö. „Und deinen Namen wissen wir ebenfalls nicht." Der Märchenerzähler hob eine Hand und lächelte. „Was fragst du?"
„Ich will wissen, mit wem ich rede", versetzte der Kökö. „Und du solltest wissen, alter Mann, daß du mit dem, was du sagst, deinen Kopf verwirkt hast, wenn es einem von uns gefällt, dich zu melden. Wieso gehst du dieses Risiko ein?" „Vielleicht bin ich ein Freund des großen Khans", sagte der Märchenerzähler. „Vielleicht will ich ihm helfen und Gefolgsleute für ihn werben." Der junge Kökö wiegte den Kopf. Die Hand blieb am Griff des Messers. „Und dein Name, Alter?" „Ich habe viele Namen", erklärte der Märchenerzähler. „Nenne mich Bethydar." „Das ist ebenfalls kein gebräuchlicher Name, kein Name von unserer Welt", sagte der Junge lauernd. „Ich weiß", erwiderte der Märchenerzähler. Er wandte sich zum Gehen. Der Arm des Jungen fuhr in die Höhe und schnellte nach vorn. Gleißend im Licht des Feuers, schnell wie ein Blitz zuckte das Wurfmesser durch die Luft. Die jungen Kökö schrien erschreckt auf. „Zielen kannst du", sagte der Märchenerzähler. „Und auch treffen. Du solltest lernen, deine Ziele besser auszuwählen. Man wirft sein Messer nicht nach jedem." Die Kökö standen starr. Der Märchenerzähler wiegte das Messer in der Hand. Er hatte es mit der Linken gefangen. Einfach so, als habe er es aus der Luft gepflückt. Die Linke drückte zu. Das Messer bog sich. „Denke daran", sagte der Märchenerzähler. „Man wirft nicht mit dem Messer nach mir." Er ging, verschwand im Dunkel zwischen den Reihen der Zelte. Die Kökö ließ er ratlos zurück. Irgendwo scheute geräuschvoll ein Guran. Ein Nachtvogel stieß seinen Schrei aus. Auf dem Boden lag das Messer.
Der Besitzer ging hinüber, hob es auf. Die Klinge war rechtwinklig vom Griff weggebogen. Sie war nicht gebrochen. Und dort, wo der Daumen des alten Märchenerzählers auf das Metall gepreßt hatte, zeichnete sich eine leichte Vertiefung im Stahl ab. „Er nennt sich Bethydar", sagte der junge Kökö. Er wußte, daß er dem Märchenerzähler wieder begegnen würde.
Der Junge drehte geschickt den Braten über dem Feuer. Die Frau zerbröckelte den Ziegeltee, verteilte ihn auf die Näpfe und schüttete heißes Wasser darüber. Ein säuerlich-scharfer Geruch breitete sich aus. Der Mann sog den Duft mit Behagen ein. „Unsere Vorräte gehen zur Neige", sagte die Frau und reichte ihrem Mann seine Schale. „Ich weiß", sagte er. „Wir werden neuen Ziegeltee besorgen. Ich verspreche es dir." Die Frau lächelte. Sie wußte, was von den Versprechungen ihres Mannes zu halten war. Der Mann hielt sein Wort, immer und überall. „Wir können essen", sagte der Junge. Er war der jüngste von sieben Söhnen, die alle noch lebten. Der Mann konnte stolz auf seine Söhne sein. Er war es, und sie waren stolz auf ihn. „Du brauchst neue Kleider", stellte der Mann fest. Er schnitt mit seinem scharfen Messer ein Stück Fett aus der Schwanzgegend des Lither und reichte es seiner Frau. Sie lächelte dankbar. „Ich kann warten", sagte sie. Sie mußte an den Tag denken, an dem diese Ehe geschlossen worden war. An den Tag und an die Art und Weise. Man hatte sie beide verlacht, und sie waren gefangen gewesen. Nun, viele Jahre danach, waren sie Gejagte, arm wie am Beginn ihrer Ehe. Früher, irgendwann einmal, es mußte sehr lange her gewesen sein, so empfand es die Frau, früher hatte sie über eine tausendköpfige Dienerschar geboten. Und ihr Mann hatte
Tuman um Tuman aufgestellt, Soldaten ausgehoben aus der Schar der Völker, die er sich Untertan gemacht hatte. Der Jüngste hatte einige Tage seines Lebens in einer Wiege aus purem Gold verbracht. „Nach der großen Reise", sagte die Frau. „Erst wenn wir das Orakel besucht haben, dann wollen wir an neue Kleider denken." „Unser Weg wird über das Gebirge führen", sagte der Mann. „Dann wirst du warme Kleidung brauchen. Wir brechen erst auf, wenn du warme Kleidung für das Gebirge hast." „Du könntest dich deswegen beim Orakel verspäten", meinte die Frau. Der Mann machte eine abwehrende Handbewegung. Er war satt, die fettigen Finger wischte er an den Stiefeln ab. Das Leder wurde dadurch geschmeidiger und wasserfest obendrein. „Vielleicht hat Dschelme gute Nachricht", sagte die Frau. Sie wickelte den Rest des Bratens in ein Stück Leder. So hielt es sich einige Zeit. Später würde sie es, wenn es hart geworden war, zu Pemmikan verarbeiten, einer Masse aus Fleisch, Fett und anderen Bestandteilen, die nie verdarb und schon manchem im Winter das Leben gerettet hatte. „Halte Wache am Eingang, mein Sohn." Der Junge stand gehorsam auf und verließ den wärmenden Bereich um das Feuer. Er stellte sich am Eingang der Felsenhöhle auf und spähte von dort auf die Steppe hinab. In dem Waldgebiet, das sich zwischen der Höhle im Gebirge und dem Rand der Steppe erstreckte, waren zwei seiner Brüder Dschelme und Dschutschi - auf der Jagd. Sicherlich würden sie mit reicher Beute zurückkehren. „Ich bin ehrlich, Byrte", sagte der Mann. „Ich habe eigentlich gar keine Lust, zu dem Orakel zu gehen. Es wird niemand kommen, so wie niemand gekommen ist vor einem Jahr, vor zwei Jahren und vor drei Jahren. Es ist niemals jemand gekommen. Und doch schlagen wir uns Jahr für Jahr zum
Gebirge durch, überqueren es und schlängeln uns unter unglaublichen Gefahren durch die Länder des Westens." „Ich hätte nie gegl aubt, daß der große Kurthan-Kha-Khan Angst haben könnte", versetzte die Frau gelassen, während sie das Leder für eine Kappe walkte. „Ich habe keine Angst", sagte Kurthan. „Ich weiß gar nicht, was das ist. Aber ich sehe nicht ein, warum ich Jahr für Jahr das Leben meines Weibes und meiner Kinder aufs Spiel setzen soll, nur, um einem abgeschmackten Götzendienst zu frönen." „Wir können hier zurückbleiben, wenn dir das besser gefällt", sagte Byrte. Sie kannte ihren Mann und hütete sich daher zu lächeln. Sie wußte, daß dieser Vorschlag für Kurthan völlig unannehmbar war. „Glaubst du wirklich, ich würde mich von dir trennen?" fragte Kurthan entgeistert. "„Heiliger blauer Himmel, habe ich dazu all die Jahre darauf verzichtet, mir ein zweites, drittes oder dreißigstes Weib zu nehmen - damit mir meine erste Frau vorwerfen kann, ich ließe sie sitzen?" Jetzt mußte Byrte lachen. Kurthan stimmte ein. Er hatte tatsächlich immer nur diese eine Frau gehabt, obwohl ihm nach dem Recht der Steppe jede noch nicht verheiratete Frau gehörte, wo immer er sie fand. Indes war Byrte die ihm von der Mutter zugeführte Frau des Hauses, und für ein Vagabundenleben, wie es Kurthan mit seiner Sippe jetzt führen mußte, wären wenige Weiber so geeignet gewesen wie Byrte. „Irgendwann", sagte Byr te. „Irgendwann wird er kommen, dein Freund. Er hat es versprochen." Kurthan zuckte mit den Schultern. „Weiß man, was das Wort eines Dämons wert ist?" meinte er zweifelnd. „Gut, er hat geholfen, damals. Aber nun? Es sind fünfzehn Jahre verstrichen seit jenem Tag, fünfzehn lange Jahre. Damals war ich Kurthan-Kha-Khan, der über alle Länder und Völker gebot. Wer bin ich heute? Ein Elender unter Elenden. Gehetzt und gejagt wie ein wildes Tier, verfemt und
verrufen, dem Freund eine Last, dem Feinde nur lästig, mehr nicht. Was ist das für ein Leben." „Du bist Kurthan, den man noch immer den Großen nennt", sagte die Frau. „Die Zeit wird zurückkehren, in der du berühmt warst und mächtig. Du solltest zum Orakel gehen. Dieses Jahr und im nächsten Jahr, und im übernächsten Jahr sollst du ebenfalls zum Orakel gehen. Ich will nicht, daß man meinem1 Mann vorwerfen kann, er habe seine Pflicht versäumt gegenüber seinem Volke. Nimm dabei keine Rücksicht auf mich." Der Mann lächelte. „Es wird mir schwerfallen", sagte er. Im Eingang der Höhle tauchte eine Gestalt auf. Es war Dschelme, Kurthans ältester Sohn. Er trug ein Stück Wildbret über der Schulter. „Dschutschi wird nachkommen", sagte Dschelme. Er war groß und hager, aber in seinen Bewegungen geschmeidig wie ein Bergtiger, deren er etliche zur Strecke gebracht hatte. „Er sah ein wildes Lither und nahm die Verfolgung auf." „Damit hätten wir für die nächsten Tage genug zu essen", stellte Kurthan befriedigt fest. „Wir fanden außerdem die Fährte einer Hindin", fuhr Dschelme fort. Er legte sorgfältig seinen Bogen zur Seite, nachdem er Holz und Saite mit vorsichtig erwärmtem Fett bestrichen hatte. Der Bogen hatte einstmals Kurthan gehört. Dschelme hatte ihn am Tage seiner Mannbarkeit aus den Händen seines Vaters übernommen und hielt ihn in Ehren. „Das gibt Leder.", Byrte freute sich. „Werdet ihr sie morgen erlegen können? Dann können wir termingerecht zum Platz des Orakels aufbrechen." Dschelme zuckte mit den Schultern. „Dschutschi und ich werden unser Bestes tun", versprach er. „Wir müssen aber vorsichtig sein. In der Steppe gärt es." Kurthan zog fragend die Brauen in die Höhe.
„Es geht seit Jahren schon so", berichtete Dschelme; er hockte sich an das Feuer und wärmte die leicht starr gewordenen Finger. Byrte gab ihrem Sohn eine Schale Ziegeltee. „Männer reisen von einem Ordu zum anderen, und sie erzählen in den Jurten und an den Lagerfeuern von dir, Vater. Sie berichten von deinen Taten, wie du deine Reiche erobertest. Sie erzählen von der Schönheit deines Weibes." „Nun", sagte Kurthan gedehnt. „Was das letztere angeht, sollen sie meinethalben reden, soviel und solange sie wollen. Sie sollen sich nur hüten, einem das Maul zu wässrig zu reden." Dschelme lachte unterdrückt. „Das ist es nicht", fuhr er fort. „Diese Männer, die von Ordu zu Ordu reisen und überall erzählen, berichten auch, daß du Krieger um dich sammeln willst. Sie erzählen, du wolltest mit auserlesenen Helden gen Westen ziehen, um die Bedrücker des Landes zurückzuwerfen. Das erzählen die Männer an den Lagerfeuern, und sie entfachen damit die Herzen der Jungen." Kurthan preßte die Kiefer zusammen. „Das ist gefährlich", murmelte er. „Unsere Feinde sind viel zu stark. Ohne Hilfe der Dämonen werden wir sie nicht bezwingen können. Wer sind diese Männer?" „Ich weiß es nicht", sagte Dschelme. In langen, gierigen Zügen trank er den Ziegeltee. „Ich traf einen Lither-Hirten, der mir davon erzählte. Er war dumm und faul, und er konnte nicht viel behalten. Seine Rede klang verworren." Im Eingang erschien Dschutschi, klein und stämmig, ein totes Lither auf der breiten Schulter. Er grinste zufrieden und ließ das Tier auf den Boden fallen. „Morgen holen wir uns die Hindin", versprach er. Die Sippe war jetzt komplett. Sieben Söhne hielten sich bei den Eltern in der Höhle auf. Die drei noch lebenden Töchter waren vorteilhaft an befreundete, mächtige Sippen verheiratet worden. Im äußersten Notfall konnte Kurthan so über Blutsbande eine kleine, aber auserlesene Truppe zusammenstellen. Vielleicht
hundert Reiter, genug, sich die meisten kleineren Stämme und Sippen vom Hals zu halten, natürlich nicht ausreichend, um mit diesen wenigen Kämpfern gegen die Bedrücker antreten zu können. „Ich habe einen Entschluß gefaßt", verkündete Kurthan nach einer kurzen Pause. Seine Sippe sah ihn erwartungsvoll an. „Wir werden nach Westen ziehen", sagte er. „Wir werden ein letztes Mal uns am Orakelplatz versammeln. Und wenn diesmal wieder kein Dämon erscheint, dann werden wir diese gefahrvollen Reisen künftig nicht wieder unternehmen." Die Söhne sahen sich an. „Im Westen wimmelt es von Feinden", sagte Dschelme leise. „Und die Bewohner des Westens", setzte Dschutschi hinzu, „haben noch immer nicht vergessen, daß die Landung der Himmlischen genau an dem Tag begann, an dem du ihren Fürsten in den Staub strecktest. Sie hassen uns." Kurthan machte ein nachdenkliches Gesicht. „Vater!" Kurthan sah auf. Der halblaute Ruf stammte von Tuli, Kurthans jüngstem Sohn, der an der Höhlenpforte Wache hielt." „Es nähert sich ein Reiter!" Kurthan brauchte nur mit den Fingern zu schnippen. Die Sippe war aufeinander eingespielt. Dschutschi und Dschelme griffen zu den Waffen, während zwei andere Söhne Sorge trugen, daß das Feuer verdeckt wurde. Es vergingen nur einige wenige Herzschläge, dann war die Sippe auf den Fremden vorbereitet. Kein Laut, kein Zeichen verriet, daß diese Höhle bewohnt war. Der Rauch zog - deshalb hatte Kurthan diese Höhle unter vielen ausgesucht - ohnehin in den hinteren Teil der Höhle ab. „Er kommt genau auf uns zu!" Kurthan schob sich an seinen Söhnen vorbei nach vorne, auf den Eingang zu. War die Sippe verraten worden? „Dschelme!"
Der Sohn eilte an den Eingang. Dschelme hatte zweifelsohne die besten Augen, mit denen je ein Kökö geboren worden war. „Es ist kein Freund", sagte Dschelme. „Ein Fremder, und er scheint zu wissen, wo er zu suchen hat." Kurthan nickte und griff unwillkürlich zum Schwert. Jetzt war der Reiter nahe genug heran, daß auch Kurthans ältere Augen Einzelheiten wahrnehmen konnten. Der Reiter kam auf einem Guran heran, das stark ermüdet war, und mußte einen langen Ritt hinter sich gebracht haben. Der Mann saß auf dem Guran wie einer, der mit dem Guran verwachsen war. So ritten nur Kökö und solche, die ihr Leben bei den Kökö verbracht hatten. Die Bedrücker hatten mit den Nomaden der Steppe wenig im Sinn. Nur deshalb hatte sich in der Steppe ein freier, unabhängiger Geist erhalten können. Kurthan gab ein Handzeichen. Die Söhne huschten davon, verteilten sich im stark zerklüfteten Gestein in der Nähe der Höhle. Viele Wochen Arbeit hatte Byrte damit verbracht , die Kleidung der Jungen so zu fertigen, daß die Farbe des Leders fast völlig der des Gesteins glich. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Nur geübte Augen konnten die Kurthan-Söhne im Gewirr der Steine erkennen. „Kurthan! Hörst du mich?" Der Reiter hielt in Rufweite. Es gab keinen Zweifel. Der Fremde wußte, wo er Kurthan zu suchen hatte. „Wer bist du?" gab Kurthan zurück. Der Reiter war in eine Kutte gekleidet und hatte die Kapuze tief über die Stirn gezogen. Die Stimme kam Kurthan bekannt vor. Er hatte sie schon einmal gehört. Thaei, thaei, vor langer, langer Zeit. „Kennst du mich nicht mehr?" Der Reiter lachte. Er schlug die Kapuze zurück. „Hucurnax!" Der Freund aus früheren Jahren, der Sohn des Fürsten des Westens. Die beiden Männer hatten sich seit fünfzehn Jahren
nicht mehr gesehen. Es gab viel zu bereden zwischen diesen beiden, und es gab darunter einiges, das für einen tödlichen Zweikampf genügte. „Was führt dich her?" „Ich wurde beauftragt, dich zu holen. Man verlangt nach dir." „Die Bedrücker?" Hucurnax ho b abwehrend die Hände. „Nein", sagte er laut. „Das Orakel schickt mich."
2.
Bleigrau lag der Himmel über der Stadt. In der Nacht hatte es geschneit, und es sah nach noch mehr Schnee aus. Dabei hatte die hoffnungslos überforderte Stadtreinigung ohnehin genug damit zu tun, den regulären Müll der Megalopole wegzuschaffen. Nun kamen einige Millionen Tonnen Schnee dazu, und es stand zu befürchten, daß die Straßenreinigung diesmal völlig versagen würde. Unter Umständen kamen die Männer nicht aus ihren Häusern heraus, und selbst wenn, dann hätten sie erst einmal meterhohe Schneeverwehungen vor den Depots entfernen müssen, bevor sie sich in die Räumfahrzeuge setzen konnten. Mit den wenigen noch intakten Wagen diese Riesenladung Schnee wegschaffen zu wollen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Boswash erstickte im Schnee. Es war der härteste Winter seit Menschengedenken. Wahrscheinlich würde die Zahl der Tagestoten weit über einer Million liegen. Taph Solvent warf nur einen Blick aus dem Fenster, dann hatte er genug gesehen. Er pries sein Schicksal, daß er ausgerechnet heute seinen Dienst antreten durfte. Die Uniform war gestern, gerade noch rechtzeitig, von der Uniformschneiderei geliefert worden. Sie lag noch verpackt im Karton. Taph war sich unschlüssig, ob er die Uniform bereits jetzt anziehen sollte. Er würde vielleicht einige Meter weit auf dem Raumhafenfeld gehen müssen. Dabei konnte die Uniform leicht Nass werden, und das sahen die Vorgesetzten nicht gern. Zog er sich hingegen erst im Schiff vorschriftsmäßig an, blieb zwar die Uniform trocken, dafür aber konnte er sich auf einen beachtlichen Rüffel gefaßt machen, wenn er einem Vorgesetzten in die Arme lief.
Während draußen die ersten Flocken, fielen, zog sich Taph Solvent um. Schwarz waren die Stiefel aus erstklassigem Kunstleder, schwarz die Strümpfe und die Hosen, schwarz die Unterwäsche, das Hemd und die Jacke. An der ganzen Uniform waren nur die Rangabzeichen farbig sie schimmerten silbern. Taph Solvent besah sich im Spiegel. Die Uniform stand ihm gut. Er war ein Typ, der in solcher Kleidung Eindruck machen konnte - schlank, hochgewachsen und doch muskulös. Lieutenant Taph Solvent, frisch von der Offiziersakademie, war im großen und ganzen mit sich zufrieden. Bevor er sein Zimmer verließ, klappte er das Bett in die Wand zurück, schaltete die Heizung aus und stornierte für die nächsten drei Monate alle Leistungen des Serviceroboters. Im Schwerkraftschacht schwebte er in die Garage hinunter. Wie üblich hatte sich dort allerhand Gesindel zusammengefunden, das sich in der fünf Grad warmen Tiefgarage aufwärmen wollte. Als die Asozialen die schwarze Uniform sahen, verzogen sie sich in die hintersten. Winkel der Halle. Einige gaben mit einem halblauten Zischen zu verstehen, was sie von den Soldaten hielten. Taph kümmerte sich nicht darum. Irgendwie taten ihm diese Leute leid. Er wußte aus zuverlässiger Quelle, daß innerhalb der nächsten zehn Tage eine Razzia angesetzt war. Das hieß für das Gesindel, daß es in den Konverter wanderte wenn es die Asozialen nicht vorzogen, in den Untergrund der Megalopole auszuweichen, wo sie sich dann mit den mutierten Ratten und Alligatoren um die Abfälle raufen konnten. Was Taph allerdings nicht begriff, war der Umstand, daß die Asozialen nach zehn Jahren, die sie im Untergrund überlebt hatten, begnadigt wurden und sogar einen ziemlich hohen Zuteilungsquotienten eingeräumt bekamen. Taph bestieg seinen Gleiter. Die Tasche - ebenfalls schwarz legte er auf den Beifahrersitz. Bevor er das Fahrzeug vom
Versorgungs kabel trennte, steckte er seinen Zuteilungsausweis in den dafür vorgesehenen Schlitz im Armaturenbrett. Der zentrale Rechner buchte blitzschnell die Akkumulatorfüllung von Taphs Zuteilung ab, dann gab sie das Fahrzeug zur Benutzung frei. Leise summend setzte sich der Wagen in Bewegung. Beim Verlassen der Tiefgarage konnte Taph sehen, daß die Wände der Ausfahrt beschmiert worden waren. Der Kult der Zeit-Göttin griff wieder einmal um sich. Taph schüttelte den Kopf. Er war ein nüchtern denkender Mensch. Die aberwitzigen Wahnvorstellungen einiger Fanatiker amüsierten ihn eher, als daß sie ihn aufregten. Die Regierung nahm den Kult allerdings ziemlich wichtig; er galt als hochverräterisch. Auf den Straßen war kaum jemand zu sehen. Kein Wunder. Seit den orkanartigen Winden kamen Fußgänger praktisch nicht von der Stelle, und Gleiter waren natürlich zuteilungspflichtig und dementsprechend selten. Taph brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen, als er sein Fahrzeug über die verlassenen Straßen steuerte. Er brauchte nur auf den Schnee zu achten, der sich aber hauptsächlich auf den Bürgersteigen aufhäufte und den Fußgängern das Leben erschwerte. Die Gleiter wurden von dem Schnee vorläufig nicht behindert. Vielleicht in ein paar Tagen, wenn halb Boswash unter Schnee begraben lag. Aber zu diesem Zeitpunkt würde Taph Solvent die Erde längst verlassen haben. In der Vorfreude auf den Sonnenschein der Einsatzwelt begann Taph zu summen. Er fühlte sich wohl. Daß um ihn herum zu jeder Tages- und Nachtzeit Menschen elend umkamen, interessierte ihn nicht. Er hatte seine Prüfungen bestanden, das genügte ihm. Seit er in den Wettbewerb getreten war - wie es sich gehörte, mit vierzehn Jahren -, hatte er seine Zuteilungsquote Jahr für Jahr in die Höhe geschraubt. Er hatte ein eigenes Zimmer, konnte sich ab und an einen Gleiter mieten, und in seinem Alter hatte er schon die Lebensmittelquote für
zehn Rentenjahre beieinander. Das hieß einiges. Taph Solvent konnte mit Recht auf sich stolz sein. Nach einstündiger Fahrt war der Raumhafen erreicht. Ein halbes Dutzend Schiffe stand auf dem weiten Feld. Die schwarzen Würfel wirkten drohend auf dem weißen Schnee. Unwillkürlich lächelte Taph Solvent, als er die Schiffe durch das dichte Schneetreiben erkannte. Es gab kein besseres Machtsymbol als diese Schiffe. Überall in der Galaxis wurden sie gefürchtet, sie und ihre Besatzungen. Taph parkte den Gleiter in der Nähe des Kontrollturms. Eine kurze Information an den Zentralrechner genügte, das Fahrzeug in der Zeit von Taphs Abwesenheit einem genau umgrenzten Kreis von Freunden zum Gebrauch freizugeben. Taph teilte sich den Gleiter mit vier Kameraden. Auf diese Weise sparte er erheblich an Unterhaltskosten. Taph meldete sich vorschriftsmäßig am Fuß des Kontrollturms und bekam seine Bordkarte ausgehändigt. Die schmale Plastikkarte war von diesem Zeitpunkt an fast noch wichtiger als er selbst. Sie gab ihrem Träger die Befehlsgewalt. Wenn Taph seine Karte als Wachhabender nicht in den Rechner der Bordgeschütze fütterte, konnte sich daraus kein Schuss lösen. Und auch die Panzerfahrzeuge an Bord gehorchten nur, wenn ein Autorisierter seine Bordkarte eingab. Taphs Karte besagte, daß er zur Crew der T-10 456 gehörte. T stand für Terra, die Zahl bezeichnete lediglich die laufende Nummer des Fahrzeugs. Es handelte sich um einen Schweren Kreuzer mit einer Kantenlänge von einhundert Metern. An Bord befanden sich zweihundert Einsatzpanzer und eine Besatzung von fast zweitausend Mann. Die T-10 456 stand ziemlich nahe am Kontrollturm. Taph holte tief Luft, dann nahm er die Beine in die Hand. Durch das dichte -Schneetreiben rannte er auf das Schiff zu. Er war körperlich in bester Form. Er erreichte das Schiff nach wenigen Minuten und stellte zufrieden fest, daß seine Uniform nur unwesentlich Nass geworden war.
„Lieutenant Taph Solvent meldet sich zum Dienstantritt!" Taph nahm Haltung an und übergab dem Schleusenoffizier seine Karte. Gelangweilt steckte der Offizier den Ausweis in den Prüfer. In dem Robot von der Größe eines Medizinballs waren die Daten aller zur Zeit in der irdischen Flotte dienenden Soldaten erfaßt - vom Schiffsjungen bis zum Großadmiral. Und von jedem Soldaten gab es in diesem Archiv ein präzises Photo. Der Wachhabende brauchte nur einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. „Abtreten!" sagte er und gab Taph die Karte zurück. Taph grüßte noch einmal vorschriftsmäßig, dann durfte er das Schiffsinnere betreten. Es war das erste wirkliche Raumschiff, das Taph betrat. Bisher hatte er es nur mit Schulungsgeräten zu tun gehabt, die auf der Erde standen und Weltraumbedingungen nur simulierten. Echt hingegen - abgesehen von der Laserkanone - war der Panzer gewesen, in dem Taph monatelang geübt hatte. Der Leutnant war dazu ausersehen, eine Kompanie von fünfundzwanzig Panzern zu kommandieren. Noch standen die Panzer in ihren Hangars. Lieutenant Taph Solvent ließ sich vom Schwerkraftschacht in die Höhe tragen. Seine Unterkunft lag in der Nähe der Zentrale der T-10 456. Taph kannte die Konstruktionsmerkmale der Kreuzer sehr genau. Die Schulung war gründlich und umfassend gewesen. Taph stand eine Einzelkabine zu. Unteroffiziere wurden zu zweit einquartiert, die Mannschaftsdienstgrade hausten zu zehnt. Dabei unterschieden sich die jeweiligen Unterkünfte nur unwesentlich voneinander. Taph beispielsweise bewohnte eine Kabine , die so groß war wie eine Mannschaftsunterkunft. Und ihm stand zusätzlich der Platz zur Verfügung, der in den Mannschaftsquartieren von den sanitären Einrichtungen beansprucht wurde.
Taph grinste zufrieden, als er seine Kabine erreicht hatte. An der Tür prangte ein kleines Schild mit seinem Namen. Und es gab auch eine Klingel, die von Unteroffizieren und Mannschaft betätigt werden mußte, wenn sie einen der Offiziere zu sprechen begehrten. Im Innern der Kabine ertönte dann ein sanfter Gong. Unteroffiziere wurden in der Regel von einer hässlichen Klingel über Besuch informiert - sofern dieser Besuch von einem Mannschaftsdienstgrad abgestattet wurde. Offiziere brauchten natürlich nicht erst zu klingeln. An den Mannschaftsunterkünften gab es überhaupt keine Klingel. Ein Schloss hatte Taphs Kabine nicht. Er trat ein und stellte erst einmal sein Gepäck auf den Boden. Er nickte beifällig. Ja, es war richtig gewesen, sich zum Dienst in der Flotte zu melden. Wo sonst hätte ein junger Mann in seinem Alter - Taph war zwanzig -eine Zweizimmerkabine als Unterkunft bekommen können, mit eigener Naßzelle sogar und einer Klingel an der Tür? Wo sonst hätte er bei jeder Mahlzeit eine zweite Portion anfordern können, Fleisch und Süßspeise eingeschlossen? Ein leben ohne Zuteilung! Man brauchte nur anzufordern, alles wurde prompt und großzügig geliefert. Essen, Getränke, Bücher, Filme - neben dem Bett stand das Video - sogar in gewissen Mengen Alkohol. Und während seiner Dienstzeit an Bord lief seine normale Zuteilung weiter und wurde angespart. Ein Jahr Borddienst, und Taph konnte dem Alter in Ruhe entgegensehen. Auf dem Stahlboden der Kabine lag ein Teppichboden. An einigen Stellen war er geflickt worden, aber das störte Taph nicht. Dann fiel sein Blick auf den Knopf, auf dem die Silhouette eines Menschen abgebildet war. Taph lächelte und drückte den. Knopf, dann sah er auf seine Uhr. Es vergingen dreißig Sekunden, dann erklang zum ersten
Mal der Gong. Es war ein Geräusch, das Taph lieblich in den Ohren klang. „Herein!" • Ein Mann betrat vorsichtig den Raum. Er trug die gleiche schwarze Uniform wie Taph. Allerdings fehlte auf dieser Uniform jegliches Silber. „Dem Maldoon, Sir, zu Ihren Diensten!" Maldoon nahm Haltung an. Taph grüßte lässig zurück. Das also war sein Bursche. Maldoon hatte für ihn dazusein, nur für ihn. Offiziere vom Major aufwärts hatten zwei Burschen, Generäle konnten so viele Bedienstete anfordern, wie sie für nötig hielten - und das schloß weibliche Bedienstete ein. „Pack meine Sachen in die Schränke!" befahl Taph. Maldoon machte sich sofort an die Arbeit. Er verrichtete seinen Dienst schnell und fast geräuschlos. Taph nutzte die Gelegenheit, sich mit der Einrichtung seiner Unterkunft vertraut zu machen. Da war zunächst einmal der Wohnraum, der eine Tür zum Gang hatte. Nach links ging es ins Bad. Taph stellte zufrieden fest, daß die Armaturen funkelten. Zwei Handtücher lagen bereit auf der Heizung. Was für ein Luxus, warme Handtücher zum Abtrocknen. Im Wohnraum standen eine Couch, Sitzmöbel und ein Zweitbett, für den Fall, daß er Besuch beherbergen wollte. Dazu bequeme Sessel mit nur wenigen Flicken auf der Polsterung. An den Wänden hingen Regale, in denen Taph Bücher, Filmspulen und anderes abstellen konnte. Im Schlafzimmer stand das Video, unmittelbar neben dem Bett. Taph ging zum Bett hinüber. Tatsächlich, die Kameraden hatten nicht gelogen. Auf dem Bett lag ein richtiges Kissen, und es gab sogar eine dicke Schaumgummilage, auf der man ruhen konnte. „Bist du schon lange an Bord?" fragte Taph. „Sieben Jahre, Sir", antwortete Maldoon respektvoll. Er zögerte einen Augenblick. Offenbar wußte er nicht recht, ob er Haltung
annehmen sollte, wie es sich gehörte, wenn ein Offizier mit seinem Burschen redete, oder ob er seine Arbeit fortsetzen sollte. Da Taph sich nicht regte, verstaute der Bursche die wenigen privaten Habseligkeiten seines neuen Vorgesetzten im Schrank. Taph sah ihm genau zu. Maldoon machte ein gleichgültiges Gesicht, aber Taph wußte sehr genau, daß er von Maldoon taxiert wurde. Für einen Burschen war es fast schon lebenswichtig, sich präzise auf die Launen des jeweiligen Vorgesetzten einzustellen. „Du kannst gehen", sagte Taph, als Maldoon seine Arbeit beendet hatte. „Und wenn ich nach dir klingle, brauchst du dich nicht mehr an der Tür zu melden. Tritt einfach ein." Maldoon verbeugte sich, dann zog er sich leise zurück. Taph war mit sich und seinem Schicksal zufrieden. Dieser Maldoon machte einen guten Eindruck, präzise und fix. Mit ihm würde sich gut arbeiten lassen. Bis zum offiziellen Dienstantritt war noch Zeit, etwas mehr als eine Stunde. Taph beschloß, Eindruck zu schinden. Arbeitseifer wurde oben gern gesehen. Taph verließ seine Kabine und suchte seinen Hangar auf. Die Soldaten seiner Kompanie nahmen sofort Haltung an, als Taph in den Hangar trat. Taph grüßte vorschriftsmäßig zurück. Er wollte gleich am ersten Tag klarstellen, daß er es mit den Dienstvorschriften sehr genau nahm. Später, wenn das Team eingespielt war, konnte er die Zügel immer noch ein wenig lockern. Taph machte ein grimmig-entschlossenes Gesicht. Auf den ersten Blick hatte er erkannt, daß er an diesem Haufen der Jüngste war, ein ausgemachter Grünschnabel, ohne jede wirkliche Kampferfahrung. Die Panzerführer waren vorgetreten, fünfundzwanzig Männer, alle erheblich älter als Taph Solvent. Es war auch nicht zu übersehen, daß die Panzerführer zu den Veteranen gezählt werden mußten. In ihren Gesichtern waren die Narben
zahlreicher Verletzungen zu erkennen. Taph schauderte leicht bei dem Gedanken, selbst solche Verletzungen davontragen zu müssen. „Mein Name ist Taph Solvent", stellte der junge Offizier sich vor. „Ich bin euer neuer Kommandeur." Die Männer rührten sich nicht. Die Älteren zeigten bewegungslose Gesichter, und bei einigen Jüngeren glaubte Taph fast so etwas wie Ablehnung lesen zu können. „Sind die Panzer in gutem Zustand?" Wortlos wichen die Panzerführer zurück und gaben eine Gasse frei. Taph machte ein ernstes Gesicht und schritt durch die Reihen seiner Untergebenen. Fünfundzwanzig Panzerführer für ebensoviele Panzer. Zu jedem Fahrzeug kamen dann noch einmal fünf Männer. Insgesamt waren dem jungen Lieutenant damit einhundertfünfzig Männer unterstellt. Keine geringe Verantwortung für einen derart jungen Offizier. Geschickt schwang sich Taph auf das Deck des Panzers. Den Ein- und Ausstieg hatte er Hunderte von Malen üben müssen, und er gelang ihm perfekt. Im Innern des Fahrzeugs, das Taph sich ausgesucht hatte, sah es gut aus. Waffen und Geräte waren soweit sich das mit bloßem Auge feststellen ließ - in tadellosem Zustand. Ganz traute Taph der Sache allerdings nicht. Im rötlichen Dämmerlicht, das üblicherweise im Innern der Panzer brannte, waren Einzelheiten nur auszumachen, wenn man Übung darin besaß. Noch konnten die Panzerkommandanten Taph hereinlegen, aber Taph war sich sicher, daß es damit nach einigen Wochen vorbei sein würde. Er kroch zurück. „Gut gemacht", lobte er. Im Gesicht des Panzerführers rührte sich nichts. „Offiziere zur Kommandantenbesprechung", erklang es aus dem Lautsprecher. „Offiziere zur Kommandantenbesprechung." Taph setzte eine wichtigtuerische Miene auf. „Weitermachen!" befahl er und stelzte davon.
In der Zentrale der T-10 456 sah Taph Solvent zum ersten Male seinen Kommandanten. Das Schiff wurde von einem Oberst geführt, einem Mann in den Fünfzigern, an dessen Brust sich die Ordensbänder drängten. Eisgrau waren die Haare des Kommandanten, eisig auch Blick und Tonfall. Der Oberst strahlte vor allem eines aus - Härte, bedingungs lose, kompromisslose Härte. Wenn man sich an die Dienstvorschriften hielt, überlegte sich Taph, mußte man eigentlich mit ihm auskommen können. Taph erkannte unter den zahlreichen Dekorationen den Orden des Imperiums, vierte Klasse. Das besagte einiges; immerhin wurde dieser Orden von Seiner Imperialen Hoheit eigenhändig verliehen. Der Oberst mußte also den Kaiser gesehen haben. Beneidenswert, dachte Taph. Er stellte sich im Hintergrund der Zentrale auf, wie es sich für einen Neuling gehörte. Gespannt wartete er darauf, daß der Kommandant das Wort ergriff. Er konnte sehen, daß der Oberst in der rechten Hand einen Umschlag hielt, der das große Siegel des Imperiums trug. Der Einsatzbefehl. Wohin würde es gehen? An den Gesichtern der Umstehenden konnte Taph ablesen, daß die gesamte Besatzung, von den Burschen bis zum Offizierskorps hinauf, keine Ahnung hatte, wohin der Einsatz sie führen würde. „Zwei Minuten zu spät", sagte der Oberst. „Ich hoffe, daß es nicht mehr zu solchen Verzögerungen kommen wird." Zwei junge Offiziere nahmen Haltung an und setzten Schuldbewusste Mienen auf. Sie waren die letzten gewesen, die in der Zentrale der T- 10 456 erschienen waren. Die Untergebenen der beiden waren schon jetzt zu bedauern. Angesichts der Menge von jungen Offizieren, die alle nach oben strebten, konnte ein solcher Rüffel - zumal, wenn er öffentlich erteilt wurde wie dieser - die Karriereaussichten eines kleinen Lieutenants erheblich beeinträchtigen.
Der Oberst hielt den Umschlag in die Höhe, dann öffnete er das Siegel. Einmal einen solchen Umschlag selbst öffnen dürfen, dachte Taph, einmal einen Befehl unmittelbar vom Flottenführungsstab zu bekommen - es mußte die Vollendung der Glückseligkeit sein. Der Oberst zog den Befehl aus dem Umschlag und las ihn aufmerksam. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Der Oberst sah auf. Er betrachtete die Gesichter seiner Untergebenen, dann begann er verhalten zu lächeln. „Ich werde einige der Herren enttäuschen müssen", sagte der Oberst. „Es geht nicht in den Deltriden-Sektor." Auf den Gesichtern der jüngeren Offiziere spiegelte sich Enttäuschung wider. Die Deltriden waren - jedermann an Bord hatte davon gehört - wieder einmal im Aufstand. Vorerst gab es für ehrgeizige Offiziere nur dort eine Chance, sich auszuzeichnen. Die Alternative hieß vermutlich Patrouillendienst oder, noch unbeliebter und schlimmer, weil noch stumpfsinniger, Dienst als Beobachter. Im letzteren Fall hing die T-10 456 monatelang im Raum, ohne sich zu rühren, und lauschte mit allen elektronischen Ohren auf den Funkverkehr des Gegners. Mit diesem Dienst konnte man selbst Elitebesatzungen binnen weni ger Wochen psychologisch Weichkochen. „Wir werden nach Dolnor geschickt", setzte der Oberst seine Erklärung fort. Im Raum war es still. Dolnor? Niemand kannte den Namen, kein Wunder bei mehr als zehntausend besiedelten Planeten im Bereich des Imperiums. „Dolnor ist der dritte Planet der Sonne Juphal. Das Gestirn ist etwas mehr als dreißigtausend Lichtjahre von der Erde entfernt. Wir werden den neuen Statthalter des Planeten zum Dienstantritt dorthin befördern. Danach werden wir in dem System Patrouillendienst zu leisten haben."
„Also doch", murmelte eine enttäuschte Stimme. Taph hütete sich, einen Kommentar von sich zu geben. Der verweisende Blick des Obersten in die Richtung des vorwitzigen Sprechers bewies mehr als deutlich, wie geschätzt solche Kommentare waren. Taph beschloß, sich sobald wie möglich über das System zu informieren. Wahrscheinlich gab es Unterlagen in der Bordbücherei. Taph wüßte, daß es im Ernstfall auf solche Kleinigkeiten ankam, wenn eine Beförderung zur Sprache kam. Genaugenommen kämpfte jeder Soldat der Flotte gegen drei verschiedene Gegner: gegen den jeweiligen Feind, gegen den allgegenwärtigen Sicherheitsdienst, der nach defätistischen Äußerungen fahndete -und gegen die Kameraden, die ebenfalls avancieren wollten. „Wegtreten!" Taph vollführte eine exakte Kehrtwendung, dann verließ er die Zentrale. Was er bisher erlebt hatte, war einigermaßen ernüchternd. Von dem legendären Ruf der Terranischen Raumflotte blieb im alltäglichen Dienstbetrieb entsetzlich wenig übrig. Teilweise wirkte das Leben an Bord geradezu kleinkariert - das genaue Gegenteil dessen, was Taph sich vorgestellt hatte. In seiner Kabine wartete Maldoon mit dem Abendessen auf ihn. Taph nickte beifällig, als er die Mahlzeit sah. Wenn ihn seine Witterung nicht täuschte, handelte es sich bei dem dunkelbraunen Fladen auf dem Teller um echtes Fleisch. Derlei hatte Taph bislang nur zu Gesicht bekommen, wenn er eine seiner Freundinnen zum Essen in ein Luxusrestaurant ausgeführt hatte. Fleisch als Alltagskost, kaum zu glauben. Lobens wert auch, daß Maldoon so umsichtig gewesen war. Mit ihm würde sich gut leben lassen, soviel stand für Taph fest. Ob der Bursche bereits vor Taphs Eintreten eine Portion angefordert und selbst verzehrt hatte, wäre kontrollierbar gewesen, aber Taph verzicht ete darauf. „Etwas zu trinken", forderte Taph, ohne sich genauer über die Art des Getränks auszulassen. Maldoon nickte, verschwand und
kehrte wenig später mit einer Literflasche Bier zurück. Dies entsprach der zulässigen Tagesration, die Maldoon für seinen Offizier in Empfang nehmen durfte. Was darüber hinausging, mußte Taph persönlich anfordern und bezahlen. Andere Getränke - Limonade, Kräuterbiere, Tee und Surrogatkaffeekonnte Taph in unbegrenzter Menge bestellen. „Es ist gut", sagte Taph. Maldoon verschwand. Gierig machte sich Taph über sein Essen her. Es war das erste Mal seit einem halben Jahr, daß er wieder einen Braten zwischen die Zähne bekam. Es war Fleisch, richtiges Fleisch. Unglaublich, wenn es das tatsächlich täglich geben sollte. Taph kannte Mitbewohner seines Appartementhauses, die zeit ihres Lebens kein Stück echtes Fleisch gegessen hatten. Taph war an schmale Rationen gewöhnt, und er hatte sich vorgenommen, nach Möglichkeit nur positiv aufzufallen. Daher verzichtete er auf einen Nachschlag, und von dem Bier ließ er mehr als zwei Drittel übrig. Nach dem Essen schaltete Taph das Videogerät um. Statt des kleinen Bildschirms im Schlafzimmer wurde nun eine freie Wand des Wohnzimmers mit Bildimpulsen beschickt. Das Steuerbrett des Videos in der Hand, setzte sich Taph in einen Sessel. Wie man mit einem Video umging, hatte er schon als Kleinkind gelernt. Ohne hinzusehen, tippte er die Befehle in die Tastatur. Das Gerät wurde nun an die Speicher der Bordbücherei angeschlossen - natürlich erst, nachdem kontrolliert worden war, wie weitgehend der Frager informiert werden durfte. Auch diese Informationen waren auf Taphs Bordkarte gespeichert gewesen. Taph forderte Informationen über Dolnor an. Offenbar war er nicht der einzige Interessent für diese Informationen. Taph mußte eine halbe Minute warten, bis auf der Wand - schwarz auf dem weißen Hintergrund - die Informationen auftauchten. Taph las schnell und routiniert.
Dolnor war, wie der Oberst bereits gesagt hatte, der dritte Planet einer ziemlich grellen Sonne namens Juphal. Es gab noch ein halbes Dutzend anderer Welten, die aber uninteressant waren. Bewohnt war nur Dolnor. Die Bewohner ... Taph schrak zusammen. Tief unter ihm waren die Maschinen angelaufen. Taph kannte das Geräusch noch nicht. Es war beeindruckend. Ein infernalisches Brüllen, das verriet, welche Kräfte hier gebändigt wurden. Auf der Wand begannen die Buchstaben so zu tanzen, daß Taph nicht weiterlesen konnte. Dann ging ein Rucken durch die T-10 456. Taph spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Die T-10 456 startete, sie hob vom Raumhafen ab und stieß in den Weltraum vor. Hastig betätigte Taph mit zitternden Fingern die Tastatur des Steuerbretts. Die Informationen verschwanden. Stattdessen wurde das Bild der Außenbordkameras auf die Wand projiziert. Taph sah - zum ersten Mal - den Raumhafen aus der Luft. Das weite Feld war mit Schnee bedeckt, auch die Oberfläche der anderen Schiffe. Sie waren aus der Luft kaum auszumachen. Deutlich zu erkennen war nur der Platz, von dem aus die T-10 456 gestartet war. Und dann sah Taph Solvent die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Boswash, die Megalopole, die Riesenstadt, die vom ehemaligen Boston in Massachusetts bis nach Washington D.C. reichte. Ein Ozean von Häusern, eine dichte, kompakte Masse aus Beton, Glas und Stahl, bis zum Bersten gefüllt mit Leben. Ein lang gestrecktes Oval von achthundert Kilometern Länge und einer größten Breite von annähernd zweihundert Kilometern. Über Boswash lag eine Wolkenschicht, aus der unausgesetzt Schnee auf die Stadt herabrieselte. Die Bewohner hatten die Beleuchtung einschalten müssen. Sekundenlang konnte Taph den fahlen Schein über der Stadt sehen, dann durchstieß die T-
10 456 die Wolkendecke, und das Land verschwand. Taph wartete eine halbe Minute, in der sich das Maschinengeräusch noch steigerte, dann war das Schiff hoch genug, um den Kontinent zum größten Teil übersehen zu können. Auf den Feldern des Mittleren Westens lag ebenfalls Schnee, nur im Süden und in Kalifornien sah es nicht weiß aus. In New Mexico schien die Sonne, desgleichen über SanSan, der zweiten Oligopole des Nordkontinents. SanSan, daher der Name, reichte von San Francisco bis San Diego. Dort lebte es sich vielleicht ein wenig angenehmer als in Boswash, aber sehr groß konnte der Unterschied nicht sein. Wenn Städte derart mit Menschen voll gepfropft wurden wie Boswash und SanSan, kam es weniger auf das Klima an. Für einen kurzen Augenblick sah Taph die im Sonnenlicht glänzende Fläche des Pazifischen Ozeans, dann wurde die T-10 456 gedr eht, und das Schwarz des Weltraums tauchte auf dem Bildschirm auf. Und plötzlich beschlich Taph Solvent, Lieutenant der Raumflotte, das unbestimmte Gefühl, daß er die Erde nicht wiedersehen würde. 3.
„Pass auf, Dschelme!" Kurthans Ruf klang durch die Stille, die über dem tiefverschneiten Gebirgspaß lag. Für die Kökö, die die milden, gleichmäßigen Temperaturen der weiten Steppe gewöhnt waren, war das Gebirge ein überaus ernst zu nehmendes Hindernis. Damals, als Kurthan als Kha-Khan mit seinen Tuman das Gebirge durchquert hatte, damals hatte er zehn von hundert Gurans und Lithern verloren, einige Tausend Mann dazu. Jetzt, als Gehetzter und Verfemter, durfte er sich eine solche Einbuße nicht erlauben. Diesmal war jedes Guran, jedes Lither
lebenswichtig für ihn, und wenn jemand auf diesem Marsch starb, dann handelte es sich um seine Frau oder seine Kinder. Oder um einen Freund. Einen der wenigen, die dem Geschlagenen verblieben waren. Sie hatten sich wieder ausgesöhnt, Kurthan und Hucurnax, der Kökö aus den Weiten der Steppe und der hochkultivierte Adoptivsohn des ehemaligen Fürsten des Westens. Kurthan hatte Hucurnax den Verrat verziehen, und Hucurnax hatte vergessen, daß es Kurthan gewesen war, der seinem Adoptivvater die Kehle durchgeschnitten hatte. Jetzt war Hucurnax zusammen mit Kurthan und dessen Sippe auf dem Weg nach Westen. Dorthin war Kurthan vor fünfzehn Jahren mit vierzig Tuman gezogen, dort hatte er den Fürsten des Westens getötet, und dort hatte er sich von jenem unbegreiflichen Wesen verabschiedet, das er - mangels besserer Beziehung - als seinen Dämon bezeichnete. Der Dämon hatte Kurthan aufgefordert, jedes Jahr, am Tag seines Verschwindens, einen ganz bestimmten Ort in der Nähe der früheren Hauptstadt des Westens aufzusuchen. Der Dämon hatte versprochen, sich dort einmal wieder einzufinden, und obwohl Kurthan, der den Dämon besser kannte als irgend jemand, der Meinung war, ganz so dämonischgeisterhaft sei jenes Wesen nicht gewesen, war er getreulich diesem Befehl gefolgt. Bislang hatte sich der Dämon nicht mehr gemeldet. Inzwischen hatte sich diese Geschichte unter den Menschen herumgesprochen, und so kam es, daß Tausende von Eingeweihten Jahr um Jahr zum Orakelplatz pilgerten, um den Dämon um Schutz und Hilfe anzuflehen. Kurthan waren diese Wallfahrten unangenehm. Zum einen lenkten sie völlig unnötigerweise die Aufmerksamkeit der schwarzen Bedrücker auf den Orakelplatz, zum anderen, weil er den Eindruck gehabt hatte, daß es sich bei dem Dämon keineswegs um einen verkappten Gott gehandelt hatte, sondern vielmehr um ein Wesen, das durchaus normale Charakterzüge aufzuweisen gehabt hatte.
An diesen Dämon mußte Kurthan denken, als er sich an der kleinen Karawane vorbeischob, um seinem Sohn zu helfen. Dschelme führte einen Guran am Zügel. Das Tier war unruhig, schnaubte und scharrte mit den Füßen. Es fehlte nur ein halber Schritt, und das Tier mußte abstürzen - einige hundert Klafter tief. „Halte das Guran fest", sagte Kurthan beruhigend. Dschelme hatte das Tier am Zaumzeug gefaßt, aber das half wenig. In der unmittelbaren Nähe des Abgrunds. war das Tier kaum zu beruhigen. Und Dschelme stand unglücklicherweise so, daß er jene kleine Stelle im Nacken des Tieres nicht erreichen konnte, deren Streicheln ein Guran zuverlässig beruhigte. Dschelme leckte sich die Lippen, Kurthan hatte offenkundig vor, eben jenen Fleck in dem zottigen Pelz des Gurans zu erreichen. An Dschelme kam er nicht vorbei. Ihm blieb daher nur die eine Möglichkeit, es außen herum zu versuchen. Hucurnax hielt den Atem an. Byrtes Gesicht wirkte wie gefroren. Kurthan schob sich an dem Guran vorbei. Jetzt genügte ein nervöses Ausschlagen des Tieres, um Kurthan in den Abgrund zu fegen. Und das Tier war nervös, sehr nervös sogar. Kurthan hielt sich mit der linken Hand im Fell des Gurans fest, mit der Rechten ruderte er in der Luft, um sein Gleichgewicht besser halten zu können. Er hatte gerade genug Platz, um einen Fuß vor den anderen setzen zu können. „Ganz ruhig", redete Kurthan auf das Guran ein. „Ganz ruhig!" Er wußte, warum er sein Leben einsetzte, um das Tier zu retten. In den Ballen, die an den Packriemen hingen, stak der halbe Lebensmittelvorrat der kleinen Karawane, und sie hatten erst einige Kilometer im Gebirge zurückgelegt. Der Verlust dieses Gurans hätte Umkehr bedeutet, wenn nicht Schlimmeres. Endlich erreichte Kurthan den Kopf des Gurans. Noch immer war das Tier unruhig, und Kurthan hing halb über dem Abgrund, als er endlich die richtige Stelle traf. Das Guran wurde merklich
ruhiger, das Scharren hörte auf, und dann setzte sich das Tier langsam in Bewegung. Die eigentliche Engstelle des Saumpfads lag voraus, und wenn Kurthan nicht riskieren wollte, das Guran erneut nervös zu machen, mußte er die nächsten einhundert Schritt Weges dergestalt zurücklegen, daß er sich mit nur einer Hand im Fell des Gurans festhielt und sonst frei in der Luft hing. Hucurnax stieß einen lauten Seufzer aus, als Kurthan endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. „Danke, Vater", sagte Dschelme bewundernd. Kurthan holte nur einmal tief Luft, dann ging er zu seinem Reittier zurück. Er schwang sich in den Sattel und gab dem Guran die Sporen. Brav setzte sich das Tier in Bewegung, und diesmal gab es keine Schwierigkeiten beim Passieren der Engstelle. Einige hundert Schritt weiter war eine Verbreiterung des Weges. Sie bot Platz genug, die Tiere anhalten und verschnaufen zu lassen, und auch die Menschen nutzten die Zeit, sich die Beine zu vertreten. Kurthan suchte die Nähe von Hucurnax. „Das ist der einfachere Teil des Weges", sagte Kurthan gleichmütig. „Die eigent lichen Schwierigkeiten liegen noch vor uns." Hucurnax nickte. Dem gab es nichts entgegenzusetzen. Hucurnax hatte diesen Weg selbst einmal gemacht, aber damals war der Winter weniger streng gewesen. „Wir werden es rechtzeitig schaffen", sagte Hucurnax schließlich. Es war mehr ein Wunsch, denn Ausdruck seiner Zuversicht. Kurthan sah gleichmütig zu, wie sein Weib Ziegeltee bereitete. Wie sie es fertig brachte, in so atemberaubender Geschwindigkeit alles parat zu haben, blieb ihr Geheimnis. Kurthan stellte fest - zum hundertsten oder tausendsten Male -, daß er sich das rechte Weib erwählt hatte. „Du könntest mir berichten", schlug Kurthan nach einer kurzen Pause vor, „in welcher Form dich das Orakel aussandte."
Hucurnax machte ein sorgenerfülltes Gesicht, das sich nur für einen kurzen Augenblick glättete, als er dankend eine Schale Ziegeltee aus Byrtes Hand in Empfang nahm. „Ich weiß es selbst nicht", gestand er. „Ich erwachte eines Morgens, und da wußte ich plötzlich, daß ich zu dir eilen mußte. In mir war der feste Wille, dich zu suchen und zu finden. Und ich wußte, als ich erwachte, daß dies alles von dem Orakel stammt. Mehr kann ich dazu nicht sagen." „Hm, nach Orakel hört es sich wahrhaftig an", sagte Kurthan halblaut. Er streckte den linken Arm mit der geleerten Schale aus. Byrte eilte herbei und füllte schweigend nach. Weißer Dampf wirbelte von der Schale in die Höhe. Die Luft war kalt und klar. „Ein Reiter", rief plötzlich eine Stimme. Das war Dschelme. Er sicherte die Karawane nach hinten. „Es ist nur einer." Kurthan rührte sich nicht. Von einem Reiter allein konnte der Karawane keinerlei Gefahr drohen. Mit nur einem Gegner wurde nötigenfalls Kurthans Jüngster fertig. Kurthan wartete, und er trank den heißen, säuerlichen Ziegeltee, den Byrte ihm immer wieder in die hölzerne Schale goß. Sein Blick war auf die Berge in der Nähe gerichtet. Er betrachtete sie nachdenklich, als hätten sie ihm etwas zu sagen. Dachte er daran, daß nach landläufiger Vorstellung die Götter auf den Spitzen der Berge wohnten? „Herr?" Der Sprecher war der Reiter. Kurthan war nicht entgangen, daß er langsam näher gekommen und in respektvollem Abstand vom Guran gesprungen war. Nun näherte sich der Fremde demütig, den Blick auf Kurthan gerichtet, sein Guran am Zügel führend. Daß zwei der Söhne Kurthans ihre Pfeile auf ihn gerichtet hatten, schien er nicht wahrzunehmen. „Herr?" bat der junge Reiter noch einmal. Kurthan wandte sich zu ihm um. Der Reiter war jung, sehr jung sogar.
„Mein Name ist Tochtan", sagte er langsam. „Ich gehöre zum Volk der Kökö." „Ich höre." „Ich bitte um die Gunst, mich dir anschließen zu dürfen", sagte Tochtan. „Ich will bei den ersten sein, die dem Ruf deiner Boten folgen." „Meiner Boten?" Zum ersten Mal sah Kurthan sein Gegenüber voll an. Unter diesem Blick wurde Tochtan zunächst unsicher, dann aber fing er sich. „Ich spreche von Bethydar, dem Märchenerzähler und Zauberer, der deinen Ruhm verkündet. Er sagt, du würdest bald gegen die Bedrücker losschlagen." „Was habe ich dir gesagt, Vater?" warf Dschelme ein. „Es gärt im Land der Kökö. Irgendjemand versucht, das Volk in Aufruhr zu versetzen. Und er versucht dies in deinem Namen." Tochtan machte ein enttäuschtes Gesicht. Er sah müde aus und abgekämpft. Er hatte einen weiten Ritt hinter sich, und sein Guran war nicht das beste. Erstaunlich, daß der Junge diese lange Reise überhaupt gewagt und überstanden hatte. „Du kannst bei uns bleiben, Tochtan", sagte Kurthan gedehnt. „Aber wisse: Wir ziehen nicht aus, die Bedrücker zu bekriegen. Wir wollen nur das Orakel befragen." Aus Byrtes Hand nahm Kurthan einen Napf mit Ziegeltee. Langsam reichte er den Napf an Tochtan weiter. Der Junge zögerte kaum merklich, dann nahm er die Gabe an. Trank er, war er für den Rest seines Lebens an Kurthan gefesselt. Wer einen dieserart vollzogenen Treueschwur brach, war unter den Kökö der Steppe ein lebender Toter, dem niemand ein Stück Brot gab, mit dem niemand sprach. Und für Kurthan bedeutete diese kurze Zeremonie, daß er alles in seinen Kräften Stehende zu tun hatte, das Glück seiner Gefolgsleute zu mehren. Tochtan trank. Er leerte den Napf bis zur Neige, dann gab er ihn mit einem stillen Lächeln Kurthan zurück.
Kurthan reichte das Gefäß weiter an Byrte. Ein Blick zum Himmel hinauf zeigte ihm, daß er sich beeilen mußte. Bis zum Einbruch der Dämmerung .blieben nur noch wenige Stunden. Die Kinder halfen, die Gerätschaften auf den Gurans zu verstauen, dann setzte sich die Karawane wieder in Marsch. Es war ein lebensgefährliches Unternehmen, das Gebirge im Winter zu überqueren. Im Sommer mochte der Saumpfad für die Seidenhändler und ihre Lasttiere leicht begehbar sein. Im Winter aber wurde der Marsch zu einer Ansammlung von Gefahren. Da war das Gestein. Wasser war im Herbst in die Spalten und Ritzen gesickert. Jetzt, zu Eis gefroren, nahm es erheblich mehr Platz ein, und dem Druck des Eises war kein Fels gewachsen. Niemand konnte voraussehen, wo sich der scheinbar stabile und sichere Weg aus massivem Felsgestein in eine Ansammlung von losem Geröll verwandelt hatte. Schon an drei Stellen hatten die Reisenden die Spuren von Steinschlägen sehen können, die teilweise nur wenige Stunden vor ihrem Eintreffen niedergegangen waren. Da war das Eis. Es legte einen schlüpfrigen, unsicheren Film über alles und jedes, verwandelte den Weg in eine Rutschbahn, nahm den klammen Fingern die Sicherheit des Griffes. Ein dünner Eisfilm auf dem Gurtzeug konnte jedem zum Verhängnis werden. Und über den Köpfen sammelte sich der Schnee, der jederzeit zu Tal rasen konnte, alles unter sich begrabend, in Sekundenbruchteilen ein Massengrab für Mensch und Tier. Kurthan wußte, was er sich, seiner Sippe und den Tieren abverlangen konnte. Er wußte auch, daß er bei diesem Marsch an die Grenze der Belastbarkeit gehen mußte. Der Winter war hart und grausam in diesem Jahr. Wer ihm nicht gewachsen war, mußte in der Felswildnis sterben. Eine Alternative dazu gab es nicht. Kurthan gebot mit einem Handzeichen Halt. Vor ihm gab es eine Gabelung des Weges. Nach rechts ging es weiter hinauf ins Gebirge. Dieser Pfad, schmal und gewunden, war von den
Bewohnern des Planeten angelegt worden. Die Alternative stellte sich als ein kurzes Stück schlechter Strecke dar, das auf eine Straße führte, die von den Bedrückern erbaut worden war. Dort zu reisen war ein Vergnügen für Mensch und Tier. Kurthan zögerte. In den letzten Jahren hatte er die Straße der Eroberer benutzt. In dem abgerissenen Nomaden mit den wenigen, schäbigen und ausgemergelten Gurans hatte niemand den ehemals gefürchteten Kurthan-Kha-Khan gewittert. Aber in diesem Jahr... Wenn es stimmte, was Tochtan berichtete, dann waren die Bedrücker auf Kurthan und sein Gefolge vorbereitet. Nach links ging es demnach geradlinig in höchste Gefahr. Der Saumpfad aber wurde seit mehr als zehn Jahren nicht mehr benutzt. Die Reisenden bevorzugten naturgemäß die breite, bequeme Straße der Eroberer. Was war in diesen zehn Jahren aus dem Saumpfad geworden? Welche Verwüstungen und Beschädigungen mochten Wasser, Eis und Wind dem Weg zugefügt haben? Kurthan trieb sein Guran an. Er wählte den Saumpfad. Die ersten Kilometer waren noch in gutem Zustand. Die kleine Karawane kam zügig vorwärts, obwohl der Weg fast ununterbrochen anstieg. Die Luft wurde allmählich dünner, das Atmen fiel schwerer -und dennoch verbreitete sich eine erstaunlich zuversichtliche Stimmung. Auch die Gurans schritten merklich kräftiger und weiter aus. Als die Dämmerung hereinbrach, hatte die Karawane den Rastplatz erreicht, eine geräumige Höhle, die von den Erbauern des Saumpfades vor vielen Jahrhunderten mühevoll in den Fels geschlagen worden war. Die Höhle bot ausreichend Platz selbst für große Handelskarawanen - vorausgesetzt, Mensch und Tier scheuten sich nicht, einander recht nahe auf den wärmenden Pelz zu rücken. Die Höhle war leer, als Kurthans Sippe sie erreichte. Kurthan schob die deutlich erkennbare Platte aus dünnem Fels vom
Eingang weg. Im Innern war es finster, aber Kurthan wußte, daß es rechts neben dem Eingang eine Nische gab, in der Fackeln und Feuerzeuge lagen. Nach kurzem Suchen hielt Kurthan eine brennende Fackel in der Hand. Es sah gut aus. Die Höhle war leer. Das hieß, daß die Tiere in den angrenzenden Ställen untergebracht werden konnten. Kurthan führte sein Guran in die dafür vorgesehene Box. Erfreut stellte er fest, daß - von wem auch immer - die Gräben voller Guran-Dung waren. Heizmaterial gab es also in Fülle. Es verstand sich von selbst, daß jeder Gast dieser öffentlichen Herberge aus den vorhandenen Vorräten nur das entnahm, was er im Laufe seiner Anwesenheit ersetzen konnte. Die Karawane durfte also nicht mehr Dung verbrauchen, als die eigenen Tiere in der gleichen Zeit hergaben. Gleiches galt für die. Nahrungsmittel in den Magazinräumen - Ziegeltee und Pemmikan vor allem. Bereits nach kurzer Zeit war die Höhle merklich wärmer als zuvor. Vor allem der sorgfältig mit einer dünnen Felsplatte abgeschlossene Eingang, der den gnadenlos pfeifenden Wind abhielt, tat den Reisenden wohl - und als Byrte ein Feuer entfacht und den Ziegeltee aufgesetzt hatte, kam sich Kurthan vor, als säße er in der heimischen Jurte. Die Gruppe drängte sich um das Feuer. Es war lebensnotwendige Regel bei den Nomaden der Steppe, daß die Tiere Vorrang vor allem anderen hatten. Byrte kannte selbstverständlich dieses Gebot, und so bekam auch Kurthan erst dann etwas zu essen und zu trinken, als Byrte die Tiere von den Kindern mit Wasser und Futter versorgt wußte. Genüsslich trank Kurthan den Ziegeltee. Der Pemmikan war erst wenige Wochen alt und schmeckte nicht im geringsten ranzig, zudem hatte Byrte bei der Herstellung der Paste aus sonnengetrocknetem, gemahlenem Fleisch mit Talg spezielle
Gewürze verwendet, die den Wohlgeschmack merklich erhöhten. Kurthan wollte sich gerade den Napf ein zweites Mal mit der aus Pemmikan gekochten sämigen Suppe füllen, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Kurthan nahm den Laut zunächst kaum wahr, dann aber sah er, wie sich Byrtes Augen schreckerfüllt weiteten. Irgendetwas mußte hinter Kurthans Rücken aufgetaucht sein. Kurthan ließ den Napf in den großen Topf fallen, und während er sich für sein Alter erstaunlich schnell herumdrehte, fuhr seine Hand zum Gürtel. „Laß dein Messer stecken, Kurthan", sagte der alte Mann. Tochtan, der erst von Kurthans Reaktion alarmiert worden war, sah auf und wurde weiß wie der Schnee, der drei Fuß hoch auf dem Saumpfad lag. „Bethydar", stieß Tochtan hervor. Er stand auf und ging langsam auf den Märchenerzähler zu. Seine Hand zitterte. Kurthan kniff die Augen zusammen. Der Alte war nicht durch den Eingang gekommen, den hatte Kurthan die ganze Zeit im Auge gehabt. Einen rückwärtigen Aus- oder Eingang aber gab es nicht. Und doch stand da ein Mann, mit allen Anzeichen eines hohen, respektgebietenden Alters. Der Märchenerzähler lächelte. „Erschrick nicht, Kurthan", sagte Bethydar sanft. „Ich habe eine Botschaft an dich." Kurthan nahm die Hand nicht vom Messer. Seine Söhne hatten sich in der Nähe des Eingangs aufgestellt und ihre Bogen gespannt. „Sprich!" „Ich soll dich grüßen", sagte Bethydar. „Von Freunden." Er streckte die Hand aus, und Kurthan sah den schweren Siegelring. Er sah auch, wie Bethydar das Siegel berührte und wie das Siegel verschwand. Mit steigendem Entsetzen sah Tochtan das Zeichen auf der Platte erscheinen, das ihm bekannt war die schwarze Sanduhr, durch die der goldene Sand rieselte,
davor ein Schwert und eine andere Waffe. Tochtan hatte diese andere Waffe noch nie gesehen. Kurthan aber wußte, was die Silhouette darstellte- ein Lasergewehr. Und er wußte auch, daß er dieses Zeichen - auf dem Siegelring löste es sich langsam auf, um seinem eigenen Konterfei Platz zu machen - kannte. Irgendwann früher hatte er dieses Zeichen schon einmal gesehen, aber er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern. Aber Kurthan wußte plötzlich, daß der Märchenerzähler ein Freund war, auch wenn Kurthan sich nicht vorzustellen wagte, wie es der Alte geschafft haben mochte, ungesehen und ungehört in die Höhle zu gelangen. „Du mußt dich beeilen", sagte Bethydar; der Name erinnerte Kurthan fatal an jenen Fürsten des Westens, den er getötet hatte - mit eigener Hand, aber ohne eigenen Willen. Der Dämon hatte damals Kurthans Handeln bestimmt. Ardamor hatte der Fürst geheißen. „Hat der Dämon dich gesandt?" fragte Kurthan beklommen. Bethydar schüttelte den Kopf. „Von einem Dämon weiß ich nichts", sagte er ruhig. „Ich kam, dich zu rufen - im Auftrag der Time-Squad." Kurthan schwieg. Er konnte mit diesem Begriff nichts anfangen, nichts verbinden. Und doch kamen die Worte des Märchenerzählers ihm seltsam vertraut vor. Sie brachten eine Saite in ihm zum Klingen, die er längst vergessen hatte. All dies - der Märchenerzähler, der Dämon, das Orakel - hatten etwas miteinander zu tun, hing zusammen. Aber Kurthan war nicht in der Lage, diese Zusammenhänge zu begreifen. „Und wer bist du?" fragte er nach einer langen Pause. Der Alte machte eine Geste, die alles und nichts zugleich ausdrückte.
„Frage nicht", sagte der Märchenerzähler. „Wenn du nicht fragst, brauche ich dich nicht zu enttäuschen, indem ich dir keine Antwort gebe." „Woher kennst du mich?" Wieder die Geste, die Kurthan zu ärgern begann. Er war nicht gewohnt, daß man ihm Auskunft verweigerte. „Ich sagte dir, daß ich keine Antwort gebe. Das Orakel sendet mich, dir zu melden, daß es dich erwartet." „Du kennst den Dämon?" Diesmal begann Bethydar zu lachen. „Du gibst nicht auf, Kurthan, nicht wahr? Du wirst nie aufgeben, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast. So wisse denn, daß ich den Dämon kenne. Aber mehr werde ich dir nicht sagen, Kurthan-Khan, sosehr du mich auch drängen willst." „Versuche nicht, ihn zu zwingen, Herr!" sagte Tochtan angsterfüllt. „Der Märchenerzähler verfügt über magische Kräfte." Kurthan kniff die Augen zusammen. Sein Blick bekam dadurch etwas Lauerndes. Hucurnax trat an Kurthan heran und legte ihm die Rechte auf die Schulter. „Halt ein, Kurthan", sagte er. Es war, als wären die Jahre verschwunden. Die gleiche Szene, die gleichen Darsteller. Kurthan, unternehmungsdurstig, machthungrig wie nur irgendeiner; Hucurnax, besorgt, besonnen - und ein rätselhafter Alter, der Kurthan den Weg zu versperren sich erdreistete. Damals - fünfzehn Jahre und mehr waren vergange n seit jenem Tag - hatte Kurthan eine gewaltsame Lösung gesucht. Sein Schwert hatte gesprochen, dem Alten den Kopf von den Schultern getrennt. Aber damals war der Alte nicht gestorben, er hatte überlebt, weil sein Körper von anderer Beschaffenheit war als der eines normalen Planetenbewohners. Gehörte dieser Alte zur gleichen Sippe? War er ebenfalls gegen Schwerthiebe gefeit? Es gelüstete Kurthan, dies auszuprobieren.
Eine unerklärliche Scheu hielt ihn zurück - und nicht die Hand des Freundes auf seiner Schulter. In der Steppe galten eherne Ehrengesetze. Kurthan gedachte, sich an diese Gesetze zu halten, die sein Volk gewaltig und groß gemacht hatten. Er streckte die Rechte aus, nach rückwärts. Byrte zögerte einen Augenblick, dann eilte sie, einen hölzernen Napf mit Ziegeltee zu füllen. Tochtan - er hatte Stunden zuvor aus dem gleichen Gefäß getrunken -leckte sich die Lippen. Kurthan wartete, bis er das Holz in der Hand spüren konnte. Er wandte den Blick nicht von dem Märchenerzähler. Der lange Bart des Alten bewegte sich leicht. In der Höhle war es windstill. Was also bewegte das Haar? Mit welchen Welten, welchen Räumen stand der geheimnisvolle Greis in Verbindung? Langsam kam Kurthans Hand, die den Napf hielt, nach vorn. Fast senkrecht stieg der Dampf von der Flüssigkeit auf. „Nimm und trink", sagte Kurthan. Es war dies die traditionelle Formel, mit der der Gastgeber den Eintretenden willkommen hieß. Er gab damit zu verstehen, daß er sein Gegenüber als Gast seiner Jurte anerkannte - und das hieß viel in der Steppe. Es bedeutete, daß der Gastgeber - und die Verpflichtung ging auf seine gesamte Sippe über - mit allem, was er hatte, war und besaß zum Schutz des Gastes aufwarten mußte, notfalls mit dem eigenen Leben, ja sogar der Existenz der gesamten Sippe. Bethydar nahm zögernd den Napf aus Kurthans Hand. „Dank", sagte er und trank einen Schluck, nicht ohne zuvor, wie es das Ritual gebot, mit einigen Spritzern den Göttern ein Opfer gebracht zu haben. Damit hatte sich, so bestimmten es Brauch und die Gebote der Vorväter, der Gast erklärt. Er hatte damit verkündet, daß er kein Feind des Gastgebers und dessen Sippe war, daß er kein Übel wider den Gastgeber plante, daß er ohne Fehl und Falsch sei. Es war Ehrensache für den solcherart geehrten Gast, sich im
Zweifelsfalle einzureihen in die Reihe der Kämpfer, die die Sippe stellte. Indes war sich Kurthan immer noch nicht sicher, ob er dem Gast nun trauen konnte. War Bethydar wirklich ein völlig Fremder - was scherten ihn dann Sitten und Bräuche der Steppennomaden?. Wenn e s im Volk des Märchenerzählers kein Ehrgefühl gab, keine Tradition, keine Ehrfurcht vor den Geboten der Väter? Kurthan hatte sich allerdings mit der kleinen Zeremonie jede Möglichkeit verstellt, dem Gast zudringliche Fragen zu stellen oder gar an seiner Ehrlichkeit zu zweifeln. „Setz dich", sagte Kurthan. „Iß und trink, wir haben genug." Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich bedarf der Speise nicht und nicht des Trunkes. Ich hatte nur einen Auftrag zu erfüllen. Das ist geschehen. Ich danke dir aber, Kurthan, für deine Freundlichkeit. Ich werde den Glanz deiner Jurte zu rühmen wissen." Das war mehr als höflich, das war ausgesprochen schmeichelhaft, und Schmeicheleien hatten Kurthan von jeher geärgert. Er verabscheute Kriecher und Speichellecker. Sie weckten nur sein Mißtrauen. Bevor aber Kurthan eine Gelegenheit fand, seinem Gast auf diesem Gebiet zur Mäßigung zu raten, geschah etwas, womit weder Kurthan noch seine Begleiter gerechnet hatten- Hucurnax vielleicht ausgenommen, obwohl auch er sich verfärbte. Der Märchenerzähler begann sich aufzulösen. Seine Formen verschwammen, sein Körper wurde zu einer bunten Wolke, die unter dem Druck unvorstellbarer Winde sanft zerfaserte, den Wänden entgegenwehte und sie scheinbar mühelos durchdrang. Es vergingen nur wenige Sekunden, in denen die Herzen der Zuschauer heftiger zu schlagen begannen, dann war nichts mehr von dem Märchenerzähler zu sehen. Kurthan fasste sich als erster. Er zog eine Braue in die Höhe. „Er erinnert mich an deinen Pflegevater", sagte er, zu Hucurnax gewandt. Der Mann aus dem Westen schluckte. Die Erinnerung lastete offenbar auf seiner Seele." „Vielleicht war er es gar."
Heftig "schüttelte Hucurnax den Kopf. Jetzt erst fand er seine Sprache wieder. „Das war nie und nimmer Ardamor!" begehrte er auf. „Ich werde doch meinen Adoptivvater erkennen. Du irrst dich, Kurthan." Kurthan zuckte nur mit den Schultern. Er wandte sich wieder dem Essen zu. Während die Männer geredet hatten, hatte sich Byrte um das Essen gekümmert, still, und ohne viel Aufhebens, wie es ihre Art war. Während Kurthan sich den Napf mit Suppe füllte und an dem Litherbraten nach der besten Stelle suchte, sagte er gelassen: „Wenn ein Wesen es sich erlauben kann, buchstäblich den Kopf zu verlieren, wie es dein Adoptivvater konnte, warum sollte er dann nicht fähig sein, den ganzen Körper zu wechseln?" „Das wäre ...", stotterte Hucurnax. „Zauberei", nahm Kurthan ihm die Antwort ab. „Warum nicht? Wir reisen gen Westen, um einen Dämon wieder zu sehen. Warum sollte es nicht andere Dämonen - oder Zauberer geben, die uns auf halber Strecke entgegenkommen?" Hucurnax schüttelte wieder den Kopf. „Ich bin ganz sicher, daß dies nicht Ardamor war", beharrte er. „Ganz sicher. Ich sah, wie du selbst ihn tötetest." Kurthan schnitt sich ein Stück Braten ab. „Die Leiche blieb verschwunden", erwiderte er. „Und das ist bei einem Fürsten, der es klaglos erträgt, wenn man ihm den eigenen Kopf vor die Füße legt, ein äußerst schlechtes Zeichen." „Du glaubst also, daß Ardamor noch lebt?" „Mehr als das", versetzte Kurthan und biß in das Bratenstück. Dann sah er Hucurnax an. ^ „Ich glaube sogar, daß Ardamor uns führt - geradlinig in den Untergang!"
4.
Es war das übliche Verfahren vor einem Einsatz. Die Lage wurde in einem kurzen Vortrag knapp geschildert und zusammengefasst. Diesmal richtete sich der Kurzvortrag hauptsächlich an Divorsion, den Jaynum im Körper eines Menschen. Er hatte sich dazu entschlossen, seinen angestammten Namen zu behalten. Zu Gast war auch eine Regierungsdelegation. Irgendwo in den Räumlichkeiten der Time-Squad trieb sich zur gleichen Zeit ein Bursche herum, der auf den Namen Alexander hörte und nichts anderes im Kopf hatte als Essen, Trinken, Jagden, Raufereien und mehr als alles andere - Weiber. Der Makedone genoß mittlerweile in der Time-Squad-Zentrale den Ruf eines unverbesserlichen Wüstlings. Da er zudem bei seinen Annäherungsversuchen auf seine Raufboldmanieren nicht verzichten wollte, erlebte er eine Enttäuschung nach der anderen. Ich hätte zu gerne gewußt, was die Historiker gesagt hätten, wäre ihnen dieser Große der Weltgeschichte im Original präsentiert worden. Ich drängte den Gedanken an Alexander zurück. „Wir wissen nun", erklärte ich der kleinen Versammlung, „daß es in einem benachbarten Universum ein Volk gibt oder eine herrschende Schicht, die allgemein die Oberen genannt wird. Die Oberen planen nach unserem Informationsstand eine Invasion unseres Universums - und es sieht ganz danach aus, als seien sie bereits dabei, diesen Plan durchzuführen. Aus Gründen, die wir nicht kennen, haben sich die Oberen offenbar ausgerechnet die Menschheit als bevorzugtes Ziel ausgesucht. .Was es bedeutet, von den Oberen kontrolliert und beherrscht zu werden, konnte Divorsion eindrucksvoll schildern.
Wir wissen mittlerweile auch, wie das Ziel der Bemühungen der Oberen aussieht. Dieses Ziel besteht darin, die Menschheit zu einer Söldnerrasse im Dienst der Oberen werden zu lassen, zu einer Rasse von harten, erbarmungslosen und vor allem gehorsamen Kämpfern. Wir wissen, daß die Terraner der Zukunft der Schrecken ihrer Galaxis sind. Es besteht Grund zu der Annahme, daß die Oberen dieses Ziel dadurch zu erreichen trachten, indem sie die Menschen auf ihrer Heimatwelt in immer neue Kriege verstricken, um durch diese Form der Auslese der Besten zu den gewünschten Zuchtergebnissen zu kommen. Ich kann die Zusammenhänge nicht anders ausdrücken - so barbarisch sich dies alles auch anhören mag. Unsere Aufgabe kann nur darin bestehen, diese Angriffe zurückzuschlagen und - wenn möglich - die Entwicklungen zu stoppen, die zu dieser Zukunft geführt haben." „Sie sagen Zukunft", warf ein Senator ein. „Wann genau wird das sein?" „Der Grobwert beträgt 80 000 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt wird an dieser Stelle des Weltraums, an der sich heute das Sonnensystem befindet, ein anderes Sternensystem stehen. Das rührt von der Eigenrotation der Galaxis her. Wir konnten zwei Aktionen starten, die diese Zeit zum Ziel hatten. Da war zum einen das Unternehmen Zeit-Arche, bei dem eine Station unseres Erzfeindes - wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf - Valcarcel zerstört wurde. Die zweite Operation gestaltete sich wesentlich schwieriger. Ich übernahm dabei den Körper eines ungeborenen Bewohners des Planeten Ceres. Ceres ist jener Planet, um den ein Mond namens Demeter kreist. Dort konnten wir die Station des Zeit-Zauberers vernichten. Ich übernahm also diesen Eingeborenen. Er wurde Kurthan genannt, ein Nomadenfürst, der sich zum Herrscher des Planeten aufschwang."
„Wie müssen wir uns dieses Übernehmen vorstellen?" wollte der Senator aus Maine wissen. Für die technischen Details war Demeter Carol Washington zuständig. Niemand außer den unmittelbar Beteiligten wußte, daß der Planet und auch der Mond nach ihr benannt waren. „Es gibt", erläuterte sie ruhig, „zwei grundsätzlich verschiedene Arten der Zeitreise. Es ist möglich, die Zeitreise körperlich durchzuführen. Dabei stellt sich das schwierige Problem, diesen Körper in die Gegenwart zurückzubringen. Das ist - unter anderem - eine Frage der aufgewandten Energie und ein Problem des genauen Zielens. Beide Schwierigkeiten haben wir bisher nur teilweise überwunden. Anders der Gegner, er bedient sich der Zeit-Technik souverän. Beim zweiten Verfahren wird praktisch nur der Geist des Zeitreisenden versetzt. Dieses Verfahren wurde bei dem gerade erwähnten Eins atz verwendet. Der Reisende erlebt dabei eine Art Traum. Er kann nach Belieben in der Zielzeit hin und her reisen. Er kann auch, und das hat Mr. Bistarc getan, ein anderes Wesen übernehmen, dessen Körper kontrollieren. Das Verfahren funktioniert aber nur dann, wenn sich diesem Versuch kein fremdes Bewußtsein widersetzt - also nur bei Kleinstkindern und extrem Geistesschwachen." „Das heißt, daß ein Mensch beispielsweise ein Tier - wie drückten Sie sich aus? - übernehmen kann? Oder daß ein Mann den Körper einer Frau kontrolliert?" „Schwierigkeiten dieser Art gehen wir für gewöhnlich aus dem Weg", erwiderte D.C. lächelnd. Ich sah, wie der Senator aus Maine zurücklächelte. Er wäre nicht der erste gewesen, der auf unsere Chefin hereingefallen wäre. „Ich verstehe", sagte der Senator. Er log natürlich, aber was machte das schon. Hauptsache, er und seine Kolleginnen und Kollegen bewilligten die Milliarden von Soldor, die die Time-Squad so dringend brauchte, um ihren
stillen, harten Kampf gegen einen schier übermächtigen Gegner fortführen zu können. Und Milliarden wurden gebraucht - für Zwecke, von denen nicht einmal der Senator etwas erfahren durfte. Der Senator setzte sein strahlendstes Lächeln auf. „Und was für einen Einsatz planen Sie als nächstes?" fragte er liebe nswürdig. Jetzt war die Reihe wieder an mir. „Ich werde als Beobachter versuchen, den Kontakt zu jenem Nomadenfürsten wieder aufzunehmen, den ich eine Zeitlang kontrolliert habe. Wir hoffen, auf diese Weise etwas mehr über die Zustände im Jahre 80 000 erfahren zu können." „Warum versuchen Sie es nicht mit der Erde?" fragte die Senatorin aus Georgia. „Warum auf einem fremden Planeten, warum nicht auf der Erde in 80 000 Jahren?" Wieder ergriff D.C. das Wort. „Wir befürchten, den Gegner aufzuschrecken", erklär te sie. „Wir können nicht einmal annähernd abschätzen, über welche Machtmittel die Oberen in der fernen Zukunft verfügen. Wir wollen daher keine schlafenden Hunde wecken." Diese Antwort schien die Senatorin zufrieden zu stellen. „Wenn Sie wollen", fuhr D.C. fort, „können Sie den Beginn des Einsatzes an Ort und Stelle miterleben." Die Delegation aus Washington wollte, allen voran der Senator aus Maine. D.C. hatte es ihm offenkundig angetan. Kein Wunder, unsere Chefin war nicht nur eine der intelligentesten Personen, die ich je kennengelernt hatte, sie war auch mit weitem Abstand die attraktivste. „Wenn dieser Fettwanst D.C. weiterhin derart umschwärmt, werde ich zum Attentäter!" Die Bemerkung kam von Inky, dem Mitbringsel aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Eige ntlich hieß er Anastasius Immekeppel. Er war hochgewachsen, ziemlich dürr und hatte einen Haarschopf, der sich beim besten Willen nicht bändigen
ließ. Inky war ein Kollege, auf den man sich in jeder Situation verlassen konnte. Solcherart erbeutete Mitarbeiter besaß die Time-Squad mittlerweile zuhauf. Einige stammten aus dem siebzehnten Jahrhundert, Diversion hatten wir im altägyptischen Alexandria aufgelesen, und bei Auflösung eines Gefangenenlagers der Vergangenheit hatten wir Soldaten aus vier Jahrtausenden in unsere Gegenwart gerettet. Folgsam trotteten wir hinter der Delegation her. D.C. führte den Trupp in einen Raum, in dem eine der kleineren Zeitmaschinen der Time-Squad stand. Ich drängelte mich durch die Reihen der Besucher und legte mich auf die Transportplatte, ein großes Oval aus Metall. Auf D.C.s Zeichen hin wurde durch zahlreiche kleine Düsen Druckluft durch die Platte gepreßt. Ich begann langsam frei in der Luft zu schweben. „Diese Projektoren", erklärte D.C. und deutete auf die metallischen Spi tzen, die auf mich zielten, „erzeugen das Zeitfeld, das den eigentlichen Transport bewerkstelligt. Sie können bereits jetzt das rötliche Flimmern sehen, das den Aufbau des Feldes einleitet. Und jetzt..." Ich spürte, wie ich schlagartig ungeheuer müde wurde . Die sekundenlange Bewusstlosigkeit, die zu jeder Zeitreise gehörte, kündigte sich an. Die letzten Worte von D.C.s Erklärung konnte ich schon nicht mehr hören. Ich war auf der Reise...
Verdrossen starrte Taph Solvent auf den Zeiger der Waage, der unbarmherzig auf einem entsetzlich hohen Wert stehenblieb. Taph war fast schon erleichtert, daß es in seiner Kabine keinen großen Spiegel gab - der hätte ihm unwiderleglich bewiesen, daß er in den letzten vier Wochen erheblich zugenommen hatte.
Die Freizügigkeit war dem Lieutenant nicht sehr gut bekommen. „Fett!" murmelte Taph wütend. „Es gibt keinen Zweifel, ich habe Fett angesetzt." Auf der Erde hätte ihn das gefreut. Es kam immer wieder einmal zu Versorgungslücken, und wer dann prall und rundgefüttert war, hatte es erheblich leichter. Obendrein galt ein kleiner Bauch als Zeichen von Wohlhabenheit. An Bord eines Kriegsschiffs im Einsatz jedoch deutete eine Speckschicht auf den Rippen nur auf Müßiggang hin - und das war keineswegs eine Empfehlung für einen Aufwärtsstrebenden jungen Offizier. Taph hatte von den ihm zustehenden Nahrungsmitteln entschieden zu oft und zu reichlich genommen. Jetzt stand er vor dem Problem, die Pfunde auf möglichst bequeme Weise wieder loszuwerden. „Diesem Burschen werde ich es zeigen", murmelte Taph wütend. Es war an Bord irdischer Raumschiffe allgemein üblich, daß die Offiziere ihre schlechte Laune an den Burschen ausließen, und Taph sah nicht ein, weshalb er eine Ausnahme darstellen sollte. Die T-10 456 stand auf dem Raumhafen von Dolnor, beziehungsweise der Fläche, die hier Raumhafen ge nannt wurde. Es handelte sich lediglich um ein Hochplateau, das notdürftig für die Landung von Schiffen planiert worden war. Dolnor war eine Primitivwelt, daran konnte es keinen Zweifel geben. Die wichtigste Stadt der Eingeborenen lag in der Nähe des Hafens. Taph hatte die Siedlung nur einmal gesehen, durch den Sehschlitz seines Panzers. Sehr beeindruckt hatte ihn die Stadt nicht. Die Eingeborenen nannten die Siedlung Ceztanax. Sie stand auf drei von insgesamt sieben Inseln, die zu einem System von drei mittelgroßen Bergseen gehörten. Das hieß: Bergseen waren dies
nur für die Einwohner, die Dolnoriden. Für Menschen waren die Seen nicht viel mehr als vergrößerte Teiche. Die Dolnoriden reichten normalgewachsenen Terranern knapp bis an den Bauchnabel. Von diesem Maßstab mußte man bei der Beurteilung ausgehen. Das einzig Angenehme an den Dolnoriden war ihr Aussehen - sie hatten eine grünliche Haut, die Augen waren nachtblau mit weißen Pupillen, und die Zähne schimmerten zwischen den dunkelgrünen Lippen in einem intensiven Gelb. Es war, als sei der Schöpfung über dieser Welt die Palette ausgerutscht. Die Dolnoriden jedenfalls waren das mit weitem Abstand bunteste Völkchen, das sich denken ließ. Dolnor war erst vor einigen Jahren besetzt worden. Wirtschaftlich bot der Planet wenig, zudem kippten die Bewohner ziemlich leicht um, wenn man sie zum Arbeiten zwang. Der Grund für die Anwesenheit der Terraner war ein anderer. Auf dem Mond des Planeten - ebenso belanglos wie auch der Planet- hatte es eine atomare Explosion gegeben, und wo immer in der Galaxis jemand mit atomaren Waffen herumspielte, da tauchten früher oder später Schiffe der Imperialen Flotte auf, um nach dem Rechten zu sehen. Bislang hatte sich nicht feststellen lassen, wer auf dem Mond was in die Luft gesprengt hatte. Die atomare Explosion war außerordentlich gründlich gewesen, sie hatte kaum verwertbare Spuren hinterlassen. Aber noch waren die Experten an der Arbeit - unmittelbare Anordnung des Kaisers, hieß es allgemein - und noch gab es daher einen Gouverneur von Dolnor. Der hohe Herr schien nur geschaffen, um praktisch zu zeigen, bis zu welchem Ausmaß sich die menschliche Haut dehnen ließ, ohne zu reißen. Der Gouverneur war von einer staunenswerten Fettleibigkeit, die ans Monströse grenzte. Daß er unbeweglich wie ein Gebirgszug war, nahm nicht wunder.
Und jetzt mußte Taph Solvent erkennen, daß er sich auf dem gleichen Weg wie der Gouverneur befand. Nur hatte Taph noch Zeit, den Rückweg anzutreten. Taph verließ seine Kabine. Er ärgerte sich. Wäre Maldoon nach dem Klingelruf sofort erschienen, hätte das Taphs Unmut dämpfen müssen. Taph aber wollte sich ärgern. Inzwischen kannte er sich in der T-10 456 bestens aus. Er wußte, wo die Mannschaftsunterkünfte lagen. Er kannte auch Maldoons Quartier. Da es sich um eine Mannschaftsunterkunft handelte, brauchte Taph nicht anzuklopfen, als er Maldoons Unterkunft erreicht hatte. Taph öffnete die Tür und trat ein. Gewohnheitsmäßig öffnete und schloß er Türen sehr leise. Und zufällig war diese Tür recht gut geölt worden. Sie machte nur ein ganz leises Geräusch. Maldoon jedenfalls hatte Taphs Kommen ganz offenkundig nicht gehört. Er hockte im hintersten Winkel des Raumes. In dem Gewirr von Betten, Schränken und Spinden, die den Raum füllten, war er kaum auszumachen. Taph hatte zunächst rufen wollen, besann sich dann aber eines Besseren und schlich sich an. Maldoon hatte irgendetwas auf den Knien liegen, das er mit einem Gesichtsausdruck betrachtete, der nur mit dem Begriff Inbrunst zu bezeichnen war. „Hhhmm!" Maldoon erstarrte, als er Taphs Räuspern hörte. Taph stand drei Meter seitlich von Maldoon. Er konnte sehen, wie das Gesicht des Burschen weiß wurde. Taph hatte ursprünglich vorgehabt, Maldoon zu erschrecken, ihn zusammenzustauchen und ein wenig zu ärgern. Jetzt aber begriff Taph, daß Maldoon vor Angst beinahe starb. Was hatte der Bursche ausgefressen, daß er sich derart ängstigte? Schließlich
ging es ihm nicht ans Leben, dazu reichten die"' Befugnisse eines Lieutenants nicht aus. „Steh auf", befahl Taph hart. „Was hast du da?" Maldoon fuhr automatisch in die Höhe. Dann sah Taph, wie sein Bursche etwas zusammenknüllte und in den Mund zu stecken versuchte. Taph machte zwei Schritte und packte zu. Zu seinem maßlosen Erstaunen setzte sich Maldoon zur Wehr! Der Bursche wagte es tatsächlich, die Hand zu heben gegen einen Offizier! Taph brach den Widerstand, entriß dem Mann das Papierknäuel. In diesem Augenblick tat Maldoon ihm. fast schon Leid. Offener Widerstand gegen eine n Offizier in Uniform. Darüber brauchte man gar nicht erst nachzudenken, dazu gab es im Flottengesetz keine Möglichkeit der Strafmilderung. Widerstand gegen einen Offizier wurde mit dem Tode bestraft. Maldoon hatte das Sinnlose seines Widerstands eingesehe n. Sein Gesicht war wachsbleich. Er stand vor Taph und nahm Haltung an. An der deutlich zu erkennenden Hauptschl agader konnte Taph sehen, daß Maldoons Puls wie rasend ging. ., Taph bückte sich nach dem Papierknäuel. Er strich das Blatt auf dem Bett glatt. Zu sehen war das Gesicht einer Frau. Die Frau war jung, hatte dunkle Augen und rötliche Haare. Es handelte sich um eine Zeichnung, und sie war ziemlich amateurhaft ausgefallen. Viel Individualität besaß das Bild nicht, und die Haarfarbe war gründlich danebengeraten. Jedenfalls hatte Taph noch nie eine Frau mit signalroten Haaren gesehen. Taph zog eine Braue in die Höhe. „Was soll das?" fragte er. „Weshalb erschrickst du so, Kerl? Was hat es mit diesem Bild auf sich?" Eine Braut von Maldoon, oder seine Frau? Kaum ein Mannschaftsdienstgrad heiratete vor Ablauf seiner Dienstzeit. Dazu war das Risiko viel zu groß, daß die Frau schnellstens zur Witwe wurde.
Maldoon biß sich auf die Lippen. Noch immer war er leichenblass. Taph kannte sich nicht sonderlich aus, aber Maldoon zeigte genau jenes Verhalten, das er aus zahlreichen Videofilmen kannte - der Feigling, der sich im Angesicht des sicheren Todes zusammenreißt, um wenigstens einen heldenhaften Abgang aus dieser Welt zu haben. Aber was hatte Maldoon getan, daß er den sicheren Tod riskierte? War der Bursche übergeschnappt? Taph zog prüfend die Luft ein. Getrunken hatte Maldoon nicht. „Rede!" forderte Taph den Burschen auf. „Rede, oder ich zeige dich wegen Widerstands an." Maldoon schluckte. Im gleichen Augenblick wurde Taph bewußt, daß er einen geradezu katastrophalen Fehler gemacht hatte. Laut Dienstvorschrift war Taph verpflichtet Maldoons ungeheuerliche Tat anzuzeigen. Wenn Taph dem Meuterer - und darum handelte es sich nach dem Buchstaben der Kriegsartikel einen Kuhhandel vorschlug, machte er sich selbst schuldig. Begünstigung einer Meuterei, das war das mindeste; man konnte es auch als gemeinschaftliche Verschwörung werten. Im ersten Fall konnte die Strafe nur auf lebenslange Verbannung auf einen Strafplaneten lauten - das hieß: Sicherer Tod binnen weniger Jahre. Im zweiten Fall landete Taph nach einer nur pro forma geführten Verhandlung im Konverter der T-10 456. Maldoon war entweder zu dumm und unwissend, oder er war zu ehrlich - jedenfalls machte er keinen Gebrauch von dem Druckmittel, das er gegen Taph dank dessen Dummheit in der Hand hatte. „Die Göttin", flüsterte Maldoon. „Es ist die Göttin!" Taph traute seinen Ohren kaum. Es gab Dutzende, Hunderte von Mythen, Bräuchen, Sekten und Religionen. Sie alle wurden toleriert, vorausgesetzt, sie waren nicht defätistisch. Wenn Maldoon irgendeiner abstrusen Sekte angehörte, dann gab es für ihn nicht den geringsten Grund, dies vor Taph zu verbergen.
„Sprich deutlicher", forderte Taph seinen Burschen auf. „Von was für einer Göttin faselst du?" Maldoon deutete auf das Bild. Seine Hand zitterte heftig. „Die Göttin der rächenden Gerechtigkeit", flüsterte er. Jetzt war die Reihe an Taph, blaß zu werden. Er setzte sich auf Maldoons Bett. „Heiliges Imperium", sagte er. Es gab diese Geheimgesellschaften seit Jahrtausenden, und sie predigten eine Lehre, die an Staatsfeindlichkeit kaum mehr zu übertreffen war. Das Kaiserreich sei von Grund auf verbrecherisch, hieß es, der Kaiser nichts weiter als eine willfährige Puppe in den Händen anderer, deren Schlechtigkeit jedes Maß übersteige. Jetzt wußte Taph Solvent, was den Burschen dazu gebracht hatte, einen Widerstandsversuch gegen seinen Offizier zu unternehmen. Der rasche Tod im Schiffskonverter war der Folter bei weitem vorzuziehen, mit der man die Namen von Mitverschworenen aus Maldoon herauszupressen versuchen würde. Und einer dieser Mitverschworenen hieß, wenn Taph Solvent nicht auf der Stelle die Wachen rief - Taph Solvent. Wenn er auch nur eine halbe Minute lang erwog, ob er Mal doon den Wachen überantworten wollte, konnte ihm das schon als praktizierte Häresie ausgelegt werden. Dann war auch er ein Todeskandidat. „Mensch", murmelte Taph verzweifelt; er verfluchte sich selbst und seine Laune, die ihn in diesen Raum geführt hatte. „Weißt du, daß ich dich nun melden muß?" Maldoon hatte sich inzwischen gefaßt. Die Nähe des Todes schien ihm eine Menge Kraft zu geben. „Ich weiß nur", sagte Maldoon langsam, „daß der Zwang, dem Sie nun unterliegen, einer der sichersten Beweise dafür ist, unter welchem Schreckensregiment wir stehen. Nur in einer schrankenlosen Tyrannei kann man einen Menschen
misshandeln und töten, nur weil er eine andere Meinung hat als die Regierung." In seiner Bedrängnis merkte Taph Solvent nicht, daß er auf einen Disput einging - der ebenfalls mit Strafe bedroht war. „Über Hochverrat", erwiderte Taph, „gibt es keine Meinung." „Wir planen keinen Hochverrat", antwortete Maldoon. „Wir glauben nur, daß eine Zeit kommen wird, in der die Göttin der rächenden Gerechtigkeit uns von unserer ungeliebten, gehassten Herrschern und Unterdrückern befreien wird. Der Tag wird kommen, und wir tun nichts anderes als warten." „Und Aufruhr säen", sagte Taph, in dem verzweifelten Versuch, irgendwie mit Maldoon zu reden - als ob ein Dialog die hoffnungslos verfahrene Situation zu retten vermochte. Er brachte es einfach nicht fertig, die Wachen zu rufen, wie es seine Pflicht als Staatsbürger und Offizier war. In seinen Augen war Maldoon ein bemitleidenswerter Mensch, von der Natur schon vor der Geburt im Stich gelassen. Die kleine, untersetzte Gestalt, die stets wässrigen Augen, der gebeugte Gang eines Menschen, der sich selbst zum Sklaven machte - Taph hatte Maldoon niemals als Mensch ernst genommen. Maldoon, das war ein Bursche, der seinem Offizier zu dienen hatte - eine verbesserte Form von dressiertem Affen. Und nun... „Aber das ist doch nichts weiter als Aberglaube", rief Taph aus. Er war am Rande seiner Fassungskraft angelangt. „Es ist meine feste Überzeugung", erwiderte Maldoon. Im gleichen Maß, in dem Taph förmlich zusammenbrach, festigte sich Maldoons Persönlichkeit. „Wir haben Bücher, aus denen wir uns vorlesen. Darin steht, daß die Göttin mit ihren Helfern eines Tages kommen wird. Sie hält sich nur verborgen, bis sie stark genug ist, sich mit den Mächtigen zu messen." „Eine Göttin, die sich verstecken muß", höhnte Taph, als brächte ihm das die Kontrolle der Situation zurück. „Eine schöne Göttin."
„Wir glauben", sagte Maldoon; er sah dabei an Taph vorbei, auf die Wand der Kabine, durch die Wand hindurch - in Weiten, die dem Normalsterblichen verschlossen waren. Zu welchen Verirrungen der Menschengeist fähig war, dachte Taph einen Augenblick lang. „Wir glauben, daß es sich bei der Göttin nur um eine Symbolgestalt handelt. Der Bund der rächenden Gerechtigkeit ist viele Jahrtausende alt. Es gibt Hinweise, daß der Kult älter ist als das Kaiserreich und das Imperium." „Unsinn", rief Taph erregt. „Es gibt nichts, das älter wäre als das Kaiserreich. Der erste Kaiser... stammt unmittelbar von den Göttern ab." „Wir glauben etwas anderes", sagte Maldoon. „Die Zeit der Gerechtigkeit wird kommen. Wir tun nur, was uns die Gerechtigkeit gebietet - wir bereiten die Menschen auf die Zeit vor, in der es kein Kaiserreich geben wird." „Wenn das nicht Hochverrat ist", sagte Taph bestürzt. Er war sich schlagartig bewußt geworden, daß von nun an die Rollen vertauscht waren. Maldoon als Hochverräter von Gesinnung hatte seit langem mit dem Gefühl leben müssen, daß der Tod gleichsam vor der Kabinentür stand. Taph hingegen war gestartet in der Hoffnung, eine Karriere machen zu können. Er konnte sich mit dem Gedanken an ein nahes" - noch dazu schimpfliches - Ende nicht abfinden. In dieser Situation war es der Bursche, der die Lage kontrollierte. Er hatte die größere konspirative Erfahrung. „Es wird besser sein, wenn Sie in ihre Kabine zurückkehren, Sir", sagte er; Er sprach in dem gleichen respektvollen, ja unterwürfigen Tonfall, den er in Taphs Gegenwart stets anschlug. „Ein noch länger andauernder Besuch eines Offiziers in den nahezu leeren Mannschaftsunterkünften könnte auffallen."
Wie betäubt stand Taph Solvent auf. Er merkte kaum, wie Maldoon ihn zur Tür führte, sie respektvoll und höflich wie immer vor ihm öffnete und dann - wider jede Dienstregel hinter ihm schloß. Und wie betäubt ging Taph Solvent den Weg zurück, den er vor einer knappen halben Stunde gegangen war, ein anderer Mensch, der Hoffnung beraubt, um eine Einsicht bereichert, wenn man es als Bereicherung wissen wollte, den Tod in Griffweite zu haben. Gedankenverloren schritt Taph über die Korridore. Der harte Klang seiner Stiefel auf dem Stahl des Bodens klang ihm wie der dumpfe Trommelschlag, mit dem Hochverräter zum Schafott geführt wurden. Die Augen verbunden, nur mit den Ohren die letzten Fetzen der Wirklichkeit einzufangen suchend, dann die Stufen, das bösartige Ächzen des Holzes, die groben Hände, das gemurmelte Gebet des Geistlichen und dann - nur noch angedeutet - das infame Aufbrüllen der Menge, wenn der Henker das Schwert hob... Und dann ... Taph kam wieder zu sich, als er vor der Tür seiner Kabine stand. Zum einen wurde an Bord von Kriegsschiffen nicht nach den üblichen Formen hingerichtet, zum anderen war er noch nicht verurteilt. Taph öffnete die Tür und trat in seine Kabine. Er schloß die Tür und lehnte sich gegen den kühlen Stahl. „Heiliges Imperium", murmelte er. Nicht in seinen schlimmsten Alpträumen hatte er in einer derartigen Zwangslage gesteckt. Was konnte er tun? Vernünftig betrachtet - nichts, gar nichts. Während des kurzen Aufenthalts ' in Maldoons Unterkunft hatte Taph eine Schuld auf sich geladen, die er nur mit dem Tod sühnen konnte. An dieser Erkenntnis führte kein Weg vorbei. Da er nicht die geringste Lust hatte, zum Hochverräter zu werden - war er es vielleicht schon? - hatte Maldoon ihn in der Hand. Der Bursche konnte ihn ohne Mühe erpressen. Das
gegenteilige Manöver scheiterte an dem simplen Umstand, daß Maldoon - wenn er auch nur einen Funken Verstand besaß seinen Tod in seine Lebensführung einkalkuliert hatte. Ließ Taph ihn hochgehen, landeten beide auf dem Schafott - womit Maldoon immer rechnen mußte. Umgeke hrt wollte Taph Solvent vor allem eines - leben, und das so gut wie irgend möglich. Taph ging die wenigen Meter bis zu einem Sessel hinüber und ließ sich hineinfallen. Es gab eine Möglichkeit, eine letzte Chance, aus dieser Zwickmühle herauszukommen. Eine schreckliche Möglichkeit. Maldoon mußte sterben. Sterben von Taphs Hand. Sterben, damit er Taph nicht zwingen und erpressen konnte, sich noch tiefer in hochverräterische Aktivitäten zu verstricken. Maldoon mußte sterben, das war die Lösung, die Taph die Handlungsfreiheit zurückgab. Taph Solvent leckte sich die trocken gewordenen Lippen. Es gab nur diese eine Lösung. Er sagte es sich immer wieder. Maldoon mußte sterben, damit er Taph nicht erpressen oder gar verraten konnte. Dann wurde Taph mit schreckerregender Deutlichkeit etwas klar, das er in der Hitze seiner Gedanken fast vergessen hatte. Diese Lösung hatte einen Nebenerfolg: Taph Solvent mußte zum Mörder werden.
5.
Kurthan hielt inne. Das Guran schnaubte und schüttelte sich das Wasser aus dem Fell. Das Gebirge war überquert. Die Pässe lagen hinter der kleinen Karawane. Voraus lagen die Hochebenen des Westens, ein reiches Land mit fetter Erde, die üppige Frucht trug. Kein Wunder, daß die Steppennomaden nach diesem Land gegiert hat ten, solange die Menschen zurückdenken konnten. Aus der Mitte der Ebene ragte ein System kleinerer Berge empor. Dort lag Ceztanax, die Hauptstadt. Mit vierzig Tuman hatte Kurthan die Stadt umklammert. Damals, als er noch der große Khan aller Steppenvölker war. Vorbei, verweht, vergessen. Es kam jetzt nicht darauf an, den Ruhm früherer Tage aufzuwärmen. Er hätte schal geschmeckt, angesichts der Wirklichkeit. Sie waren nicht zu übersehen, die schwarzen Kästen. Sie standen auf der Ebene. Zwölf Stück, je drei nebeneinander. Die Kästen umschlossen ein Quadrat, .auf dem sich eine kleine Siedlung erhob. Dort lebten die Bedrücker soweit sie es nicht vorzogen, sich ihre Unterkünfte anderswo zu suchen. Kurthan wußte aus sicherer Quelle, daß mindestens zweitausend der Bedrücker in der Nähe des Raumhafens wohnten. Sie lebten auf Kosten der Bewohner des Landes. Die Menschen hatten ihnen die Häuser gebaut, die riesigen Paläste. Sie hatten ihr Gold, ihr Silber, ihre Edelsteine opfern müssen, um diese Paläste schmücken zu können. Dabei war das, was im Licht der aufgehenden Sonne glänzte, schimmerte und glitzerte, nur ein blasser Abglanz dessen, was die Bedrücker in den ersten Jahren ihrer Herrschaft zusammengerafft und fortgeschleppt hatten. Sie hatten das Land geplündert, ärger und erbarmungsloser als je ein Heer der Eingeborenen. Nichts war vor dem Zugriff der Nimmersatten sicher gewesen.
Kurthan winkte Hucurnax und Tochtan an seine Seite. Er wies mit der Hand auf die schwarzen Würfel. „Wir müssen dort vorbei", sagte er ruhig. „Ihr wisst, was das heißt?" Hucurnax nickte. Tochtan folgte nach kurzem Zögern. Er sah die Schiffe zum ersten Mal, und die Vorstellung, daß sich ein so gewaltiges Gebilde in die Luft erheben und fliegen konnte wie eine Wolke, überstieg sein Denkvermögen. „Noch gibt es für euch die Möglichkeit, umzukehren", sagte Kurthan. „Ihr seid - ob Gefolgsmann oder Gast - in eurer Entscheidung frei. Niemand kann und wird euch einen Vorwurf machen, wenn ihr mich und meine Sippe bei diesem selbstmörderischen Unternehmen nicht unterstützt." „Selten war deine Rede dümmer", versetzte Hucurnax. „Selbstverständlich bleibe ich an deiner Seite. Wer sollte sich sonst um dein Weib und deine Kinder kümmern, wenn die Bedrücker dich erschlagen." Kurthan drehte sich herum. Byrte ergrünte leicht, während seine Söhne übe r das ganze Gesicht grinsten. Tochtan machte ein Gesicht, als wolle er vom Guran fallen. Er war an so lockere Umgangsformen mit dem größten Herrscher in der Geschichte der Kökö nicht gewohnt. „Ich bleibe ebenfalls", sagte Tochtan hastig. „Ob Tod oder Leben, ich bleibe." Kurthan und Hucurnax lächelte milde. Der Eifer des jungen Kökö war rührend; es fragte sich allerdings, was von dem Jungen unter großer Belastung zu erwarten war. Kurthan, der sich selten in der Beurteilung eines seiner Gefolgsleute geirrt hatte, vermutete in Tochtan einen hervorragenden, zähen und flinken Kämpfer. Wenn dazu noch die nötige Kaltblütigkeit und Intelligenz kamen, konnte es Tochtan sehr weit bringen Kurthan gab seinem Guran die Sporen. Das Tier brummte kurz und setzte sich dann in Bewegung.
Der Weg in die Hochebene hinab war breit und bequem. Zwei Gurans hatten nebeneinander Platz. Kurthan lächelte, als er sah, wie Hucurnax sein Reittier an seine Seite trieb. Es war die linke Seite, die dem zweiten Mann in der Rangfolge vorbehalten war. Es war sehr lange her, daß Hucurnax an der Seite Kurthans geritten war. Damals... Kurthans Leben zerfiel in zwei völlig verschiedene Bereiche. Da war zunächst die Abteilung „damals". Damals, als er noch groß, mächtig und angesehen war. Und dann die Abteilung „und dann" - darin fiel die Zeit seiner Demütigung und der jahrelangen Hetzjagd, die man auf ihn und seine Familie veranstaltet hatte. Im Grunde war die Tatsache, daß nunmehr nicht länger fieberhaft nach dem ehemaligen Khan der Kökö gesucht wurde, eine neuerliche Beleidigung seines Stolzes. Man hielt ihn nicht länger für wichtig, schon gar nicht für eine Gefahr. Während die Gurans sich den Weg in die Tiefe suchten, versuchte Kurthan, sich die Lage zu vergegenwärtigen. Was konnte er allein gegen die Bedrücker ausrichten? Es gab darauf nur eine einzige Antwort: Nichts! An dieser Antwort änderte sich nicht das Geringste, wenn man zu Kurthans Kraft, Mut, Entschlossenheit und Intelligenz die Kampfkraft der Handvoll Krieger addierte, die ihm im Augenblick zur Verfügung stand. Eine Handvoll Menschen, nicht mehr. Gewiß, die Bedrücker zählten mehr als höchstens drei Tuman. Aber diese Zehntausendschaf ten wurden von Riesen gebildet, die einen normalen Kökö mit einer Hand erdrücken konnten. Und diese Riesen verfügten über Waffen, wie sie die Kökö nie zuvor geschaut. Blitzschleudern, gewaltige Panzerfahrzeuge, stählerne Ungestüme, die alles niederwalzen konnten, was sich
ihnen in den Weg zu stellen wagte. Allein der Anblick dieser monströsen Gebilde ließ die kaltblütigsten Gurans in panischer Flucht davonjagen. Und diese Panzerfahrzeuge trugen Blitzschleudern, deren Wirkung ausreichte, eine ganze Stadt zu vernichten. In der Nähe der Hauptstadt des Westens waren allein mehr als zwei Tausendschaften dieser Panzerfahrzeuge stationiert. Jedes dieser Fahrzeuge war schneller als das schnellste Guran. War es nicht Selbstmord, gegen diese Macht vorzugehen? Was hatte Kurthan zu bieten? Ein Guran der Spitzenklasse, das sich so leicht nicht erschrecken ließ. Ein Bogen, wie er nur einmal im Jahrhundert gefertigt wurde. So schön war diese Waffe, daß es fast schon Vergnügen machen mußte, durch ihre Pfeile den Tod zu finden. Das lange Schwert mit der biegsamen, schmalen Klinge, ebenfalls eine erlesene Waffe, deren es- soweit Kurthan wußte - nur zwei oder drei Dutzend gab. Das Wurfmesser, das Kurthan handhaben konnte wie kein zweiter. Was war dies alles gegen Panzer wert? Nur über eine Waffe verfügte Kurthan, die es mit Panzern und den Blitzschleudern aufnehmen konnte. Diese Waffe war sein Wille. Kurthan hatte den Entschluß gefaßt, bis ans Ende seines Lebens gegen die Bedrücker zu kämpfen, und das würde er tun, und diesem Beispiel würden andere folgen. Irgendwann einmal - vielleicht erst in einem Jahrhundert - mußten auch die Bedrücker in ihren schwarzen Uniformen vom Platz weichen. Keine Macht konnte ewig währen. Auch nicht die Macht der Terraner, wie sie sich nannten. Der Mond stand ziemlich hoch am Himmel. Wie immer ritten Hucurnax und Kurthan voran. Kurthan hatte befohlen, daß seine Gruppe den Nachmittag in einem kleinen Seitental verbrachte und sich erst dann rührte, wenn es draußen ruhiger geworden war. Kurthan wußte, daß es in der Hochebene
nicht nur von Terranern wimmelte. Schlimmer noch und gefährlicher waren die zahlreichen Eingeborenen, die mit den Terranern gemeinsame Sache machten. Der Preis, der auf Kurthans Kopf ausgesetzt war, war sicherlich nicht sehr hoch Kurthan selbst hielt seinen Kopf für unbezahlbar -, aber dennoch reizvoll genug in einem Land, das so furchtbar ausgebeutet wurde. Den ganzen Tag über hatte Kurthan die Arbeitssklaven auf den Feldern bei ihrer Arbeit sehen können. Es war ein Anblick, der schmerzte. Gewiß, auch zu Kurthans Zeiten hatte es Arbeitssklaven gegeben, aber niemals war diese Fron so hart gewesen wie heutzutage. „Leise!" flüsterte Kurthan. In der Nähe stand ein Panzer der Terraner. Aus dem Innern erklang Lachen. Kurthan preßte die Zähne aufeinander. Er brauchte nur eine Hand auszustrecken, um das Metall berühren zu können. Er konnte den Panzer anfassen, aber selbst bei Aufbietung aller Kräfte und Mittel wäre er nicht in der Lage gewesen, mehr zu tun. Diese schwarzen Kästen schiene n wie zum Hohn geschaffen. Nichts brachte das Überlegenheitsgefühl der Terraner besser zum Ausdruck als die Panzer - Symbol zugleich der Macht und Unangreifbarkeit. Kurthan konnte seinen Hass auf die Bedrücker bezähmen. Er hielt neben dem Panzer an und ließ seine Gruppe vorbeiziehen. Als Tochtan sein Guran an ihm vorbeitrieb, sah Kurthan, daß der junge Kökö blaß geworden war. Auf der Steppe hatte es für die Terraner keine lohnenswerte Beute gegeben, daher hatten sie darauf verzichtet, auch die Steppenvölker zu unterjochen. Tochtan hatte also noch nie einen Panzer der Terraner gesehen, und nun jagte ihm diese schwarze, drohende Masse Furcht ein.
Kurthan gab seinen Begleitern ein Zeichen sich zu sputen. Die Terraner im Innern des Panzers brauchten nur einmal eine Luke zu öffnen, dann mußten sie den kümmerlichen Zug sehen. Was sich an diese Entdeckung anschließen würde, wagte Kurthan sich nicht auszumalen. Auf der anderen Seite waren die Bedrücker so übermächtig, daß sie sich nur wenig um die Menschen zu kümmern hatten, die sie unterdrückten. Es gab also für sie keinerlei Veranlassung, die Wärme und Be haglichkeit des Panzers gegen den beißend kalten Wind zu vertauschen, der über die Landschaft strich. Endlich hatte der Zug den Panzer passiert. Kurthan trieb sein Guran an. So schnell wie möglich brachte er sich außer Sichtweite. Tochtan hatte noch immer ein blasses Gesicht. Der Schock saß tief, wenn man zum ersten Mal handgreiflich mit der Übermacht der Terraner zu tun hatte. „Leise", mahnte Kurthan noch einmal. „Seid leise, bei allen Göttern." Die Panzerführer standen stramm. Taph Solvent stellte mit gemischten Gefühlen fest, daß die Mehrzahl der Männer gleich ihm Mühe hatten, den Bauch einzuziehen. Das Wohlleben war keinem bekommen. „Wir machen eine Übung", verkündete Taph. „Sind die Panzer einsatzbereit?" „Die Fahrzeuge sind einwandfrei, Sir!" erwiderte der Dienstälteste, der im Notfall an Taphs Stelle treten würde, wenn Taph fiel. Taph hatte nichts anderes erwartet. Die Panzer standen seit dem Start von der Erde unbenutzt in den Hangars. Die Mannschaften waren allerdings in den letzten Tagen mehrfach an Simulatoren trainiert worden, und Taph hatte unnachsichtig dafür gesorgt, daß vor allem die Kanoniere gedrillt wurden. Die Besatzungen hatten nicht schlecht gefluc ht, aber Taph hatte nicht eher geruht, bis seine Kompanie die besten Schießergebnisse des Stützpunkts aufzuweisen hatte.
Ob ihm dieser Diensteifer viel helfen würde, wenn... Taph wagte nicht daran zu denken. „In die Fahrzeuge!" kommandierte er. Er selbst kletterte ebenfalls in einen der Panzer, zusammen mit Maldoon. Es entsprach dem Flottengebrauch, daß Offiziere ihre Burschen zu allen Einsätzen mitnahmen. Ein Soldat stand an der Panzerschleuse und wartete, bis der letzte Panzer an ihm vorbei die lange Ram pe erreicht hatte, die zum Erdboden führte. Danach hatte der Soldat das Tor zu schließen und sich so schnell wie möglich zu seinem Panzer zu begeben. Taph Solvent hatte sich in kurzer Zeit zu einem berüchtigten Vorgesetzten entwickelt. Der Mann an der Schleuse jedenfalls beeilte sich, als säße ihm der Kaiser persönlich im Nacken. Taph brummte zufrieden, als er sah, mit welcher Geschwindigkeit der Soldat seinen Panzer bestieg, in der Luke verschwand und dann die Abdeckung schloß. Wie auch die Raumschiffe, waren die Panzer schwarz und von exakter Würfelform. Angetrieben wurden die Fahrzeuge wahlweise von einer kleinen Gasturbine oder Raupenketten am Boden des kastenförmigen Aufbaus. Dank der Antischwerkraftanlage an Bord ließen sich die beiden Antriebssystemen extrem hohe Geschwindigkeiten erzielen. Oben auf dem Panzer befand sich, eingebettet in eine sehr bewegliche Kuppel aus Panzerglas, die Laserkanone des Panzers. Das Kaliber entsprach den Aufgaben des Panzers Bekämpfung gleichwertiger Fahrzeuge zum einen, Vernichtung von kleineren Primitivbauwerken zum anderen. Auf einer so rückständigen Welt wie Dolnor kam natürlich nur der zweite Verwendungszweck in Betracht. Die Kanone wurde von zwei Mann bedient. Es gab einen Fahrer, und die restlichen Besatzungsmitglieder bekämpften durch
kleine Schießscharten die angreifenden. Bodentruppen mit ihren Lasergewehren. Taph Solvent hatte den Kopf aus der Einstiegsluke des Führungspanzers gesteckt. Von dort aus ließ sich das Gelände weit besser überblicken als durch die Sehschlitze. Taph sah sich um. Irgendwo in der Weite der Landschaft mußte er einen Ort finden, der sich dazu eignete, den lästigen Burschen Maldoon auf irgendeine, natürlich unverdächtige Art und Weise aus dem Weg zu räumen. Auf die Hilfe der Eingeborenen konnte sich Taph nicht verlassen. Zwar überfielen die Zwerge ab und zu einen vereinzelten Posten, aber Taph glaubte nicht an das Glück, daß einer dieser seltenen Überfälle ausgerechnet Maldoon zum Ziel haben würde. In diesem Fall mußte Taph schon selbst nachhelfen. Auf der Ebene war es angenehm kühl. Taph genoß den frischen Fahrtwind, und beinahe hätte er darüber den eigentlichen Zweck dieses Ausflugs vergessen. „Nach Osten!" befahl er. Im Gebirge mußte es die besten Möglichkeiten geben, sich von Maldoons Gegenwart zu befreien. Nach weniger als zwei Stunden hatte die Kompanie das Gebirge erreicht und bezog dort Stellung. Auf seiner fotografischen Karte bestimmte Taph die Position, die die einzelnen Panzer einzunehmen hatten. Geübt wurde eine theoretische Gebirgsüberquerung eines fiktiven Gegners, der über moderne Angriffswaffen verfügte. Die Panzerbesatzungen sollten zum einen den möglichen Angriff rasch erkennen, melden und kontrollieren und zum anderen diesem Angriff mit massiven Mitteln begegnen. So fiel es nicht auf, daß Taph seine Kompanie über einen kilometerbreiten Abschnitt des Gebirges verteilte - und zwar so, daß jeder Panzer auf sich selbst gestellt war. Als die Nacht hereinbrach, waren die Panzer in ihre Stellungen gerückt. Nur Taph hatte sich mit seinem Führungspanzer
abgesetzt und fuhr kreuz und quer durch die Ausläufer des Gebirges. „Halt", bestimmte Taph plötzlich. Der Panzer stoppte. Taph öffnete die Luke. Draußen war es sehr finster. Der Mond gab gerade genug Licht, um ein paar Schritte weit sehen zu können. „Ich werde mich zu Fuß an einen unserer Panzer heranschleichen", erklärte Taph. „Ich bin gespannt, ob die Besatzung mich bemerkt. Maldoon, du wirst mich begleiten." Der Bursche zögerte einen Augenblick lang. Ahnte er, daß Taph ihn ins Verderben führen wollte? In seinem Gesicht war nichts zu erkennen, als er sich daran machte, Taphs Befehl auszuführen und den Panzer zu verlassen. Die beiden Männer machten sich auf den Weg. Der Panzer, den Taph kontrollieren wollte, stand auf einer Passhöhe. Und der Weg, der zu diesem Punkt führte, war an einigen Stellen nur ein paar Handflächen breit. Es ging seitlich Hunderte von Metern in die Tiefe oder Höhe. Ein Stoß würde genügen.
Kurthan hob die Hand. Sofort erstarrte jede Bewegung in seiner Nähe. „Ich höre Geräusche", sagte Kurthan. Er hielt das Ohr dicht an das Ohr seines Freundes. „Jemand kommt den Weg hinauf." Hucurnax erschrak heftig. „Wir müssen umkehren!" flüsterte er erregt. Kurthan machte eine abwehrende Geste, die Hucurnax im Mondlicht gerade noch erkennen konnte. Zum Umkehren war es zu spät. Bis die Karawane einen Platz gefunden hatte, an der sie sich vor den Terranern hätte verbergen können, mußte sie längst von den riesenhaften Bedrückern entdeckt worden sein. Zudem...
Kurthan lauschte sorgfältig. Es hörte sich an, als kämen zwei Terraner langsam den Weg herauf. „Folge mir!" sagte Kurthan und stieß seinen alten Freund und Kampfgefährten an. „Wir haben noch eine Chance." Hucurnax wußte, wie diese Chance aussah. Sie brachte den unvermeidlichen Gegenschlag der Terraner mit sich - und das hieß: Niederbrennen einer Stadt und Verschleppung der Bewohner in die Sklaverei. Hatte Kurthan das Recht, zugunsten seiner Sippe ein solches Verhängnis für eine Stadt heraufzubeschwören? Hucurnax fand keine Zeit, diese Frage mit Kurthan zu diskutieren. Der Kökö war längst davongeschlichen. Hucurnax nahm den Bogen von der Schulter, um ihn jederzeit griffbereit zu haben, dann folgte er hastig. Der Rest der Karawane blieb zurück, wartend auf ein Ungewisses Schicksal. Nach wenigen Metern hatte Hucurnax aufgeschlossen. Der Lärm voraus, der von den groben Stiefeln der Terraner stammte, wurde lauter. Jetzt erkannte auch Hucurnax, daß es sich um zwei Terraner handeln mußte. Einer der beiden trat kraftvoll und entschlossen auf, der andere eher sacht und vorsichtig. Und beide gingen langsam, sehr langsam. Was hatten zwei Terraner um diese Zeit in diesem Gebiet zu tun? Waren sie auf dem Weg zu dem Panzerfahrzeug, das die Karawane vor kurzer Zeit passiert hatte? Kurthan gab ein Zeichen. Er und Hucurnax kletterten leichtfüßig an den Felsen in die Höhe. Dann sah Hucurnax die beiden Gestalten auftauchen. Es waren nicht die ersten Terraner, die Hucurnax zu Gesicht bekam, aber jedesmal, wenn er einem Terraner über den Weg lief, mußte er sich von neuem an den Anblick gewöhnen. Schreckerregend und abstoßend waren nicht allein die Gestalt, die ungeschlachten, riesenhaften Gliedmaßen, das Plumpe, das
allen Bewegungen der Terraner anhaftete. Schlimmer zu ertragen war das Gesicht der Riesen. Sie hatten eine ekelhafte Haut, weißgelb wie ein Kadaver, der wochenlang in der Sonne gelegen hatte. Dazu war diese Haut von ekelhaften Gewächsen übersät, merkwürdigerweise vor allem da, wo die Haut nicht von der schwarzen Kleidung bedeckt wurde. Daß die grobe, abgehackte Sprache sich mit dem eleganten Idiom der Planetenbewohner nicht messen konnte, verstand sich von "selbst. Schreckerregend wirkten auch die Augen. Sie waren größtenteils farblos, in der Mitte gab es eine schwarze Pupille, umsäumt von einer farbigen Zone, die für den Geschmack der Planetenbewohner ebenfalls häßlich ausgefallen war. Fast farblos waren die Zähne - umgeben von widerlich roten Lippen. Die beiden Terraner - im Mondlicht sahen ihre Gesichter aus wie Fischbäuche - blieben stehen. Hucurnax und Kurthan rührten sich nicht. Sie verschmolzen fast mit dem Fels, an den sie sich schmiegten. Die Terraner sahen sich an. Einer war entschieden größer als der andere. Der Größere machte einen halben Schritt auf den Kleineren zu. Dann blieb er stehen. Er hatte beide Arme nach dem Kleineren ausgestreckt. Nun ließ er die Arme sinken. „Sie haben Glück, Maldoon", sagte Taph leise. „Jeder andere hätte Sie in den Abgrund gestürzt. Ich kann es nicht." Maldoon sagte nichts. Er stand nur einfach da und sah Taph an. Der Lieutenant ballte die Hände zu Fäusten. „Lachen Sie ruhig", murmelte Taph. „Lachen Sie mich ruhig aus. Ihr Tod wäre das sicherste Mittel, meine Verstrickung in Ihren Hochverrat zu beenden. Ich wäre frei." „Von mir vielleicht", sagte Maldoon. Seine Stimme klang so ruhig, als gehe ihn der ganze Fall nichts an. „Aber Sie müßten mit Ihrem Gewissen weiterleben."
„Pah!" machte Taph. „Gewissen." „Was ist es sonst?" fragte Maldoon. „Sie sind Offizier, Ihr Beruf ist das Töten. Jede andere Darstellung wäre absurd, vor allem in dieser Flotte. Warum haben Sie Hemmungen, mich zu töten?" „Es wäre ehrlos", sagte Taph. „Wieviel Ehre brauchen Sie, um in dieser Flotte zu dienen? Sie haben die Eingeborenen gesehen. Es sind Zwerge, und ihre Waffen taugen nichts. Technologisch sind sie uns um Jahrtausende unterlegen. Und jetzt frage ich Sie: Welchen Grund hatte das Flottenkommando, diese Welt besetzen zu lassen? Wen schützen die Kreuzer und Panzer, die auf dieser Welt stationiert sind?" Taph leckte sich die Lippe n. Er setzte sich auf den Boden, lehnte den Rücken gegen den Fels und ließ die Beine in den Abgrund baumeln. „Sie wissen es nicht?" „Es interessiert mich nicht!" erwiderte Taph. „Dann will ich es Ihnen sagen. Wir, Sie und ich, die auf Dolnor stationierten Einheiten, die gesamte Raumflotte, ja sogar das Imperium selbst, wir sind allesamt nichts als Marionetten in der Hand einer höheren Macht, für deren Erhaltung wir unser Leben opfern sollen." „Unfug", wehrte Taph ab. „Hirngespinste sind das, sonst nichts." „Das ganze Imperium der Terraner ist nichts als eine Farce", beharrte Maldoon. „Wir unterdrücken andere Völker, wir sind der Schrecken der Galaxis ..." „ ... zu Recht!" sagte Taph stolz. „ ... zu Recht", wiederholte Maldoon. „Jeder fürchtet uns, auch diese harmlosen Eingeborenen. Nichts haben sie uns getan, und doch unterdrücken wir sie. Wussten Sie, Lieutenant Taph Solvent, daß es im Imperium der Terraner mehr als ein Dutzend Welten gibt, auf denen man Getreide anbauen, Vieh züchten kann - Nahrungsmittel in unbegrenzter Menge für jeden Menschen?"
Taph Solvent winkte ab. Er war zufrieden, niedergeschlagen und ärgerlich zugleich. Zufrieden, daß er sich nicht die Hände schmutzig gemacht hatte, daß er nicht zum Mörder geworden war; niedergeschlagen, weil ihn diese Tatsache in der steten lebensgefährlichen Drohung beließ, die von Maldoon ausging; ärgerlich, weil er nicht den Mut aufgebracht hatte, dieser Zwangslage ein Ende zu bereiten. „Und wieso gibt es dann auf der Erde Zuteilungsquoten, ha? Knappe Zuteilungsquoten? Wieso können Sie nur dann ein Stück Braten essen, wenn ich Ihnen erlaube, Fleisch über meine Ration zu beziehen?" „Die Frage stellen Sie zu Recht", sagte Maldoon. „Ich frage mich das auch." Taph stand langsam auf. „Kommen Sie", sagte er unwirsch. „Hören Sie mit dem Gebrabbel auf und folgen Sie mir." „Das wird nickt gehen, Sir!" Taph zog die Brauen in die Höhe. „Und warum nicht?" fragte er. „Weil hinter Ihnen zwei Eingeborene dieser Welt stehen und uns bedrohen. Zwar nur mit kleinen Pfeilen, aber ich habe mir sagen lassen, daß die Widerstandskämpfer von Dolnor neuerdings vergiftete Pfeile verwenden." Fassungslos sah Taph, wie Maldoon die Hände hob. Vorsichtig drehte sich Taph um. Maldoon hatte sich nicht geirrt. Auf einem Felsband standen tatsächlich zwei Dolnoriden und hatten ihre winzigen Pfeile auf die beiden Terraner gerichtet. Taph kam sich vor, als spiele er die Hauptrolle in einem schlechten Witz. „Das darf doch nicht wahr sein", stieß er hervor. Diese Zwerge konnte er mit der bloßen Hand erschlage n. Einer der Eingeborenen kam aus dem Landstrich, in dem die Truppen stationiert waren, der andere war der Kleidung nach ein Wilder,
ein Nomade aus den Steppengebieten des Ostens. Er sah noch grimmiger drein als sein Gefährte. „Mitkommen", sagte einer der Zwerge. Taph glaubte, sich verhört zu haben. „Mitkommen, sonst Pfeil!" Es war der Nomade, der so sprach. Woher kannte der Wüstenzwerg die Sprache der Terraner? Taph fand darauf keine Antwort. Angesichts der Bedrohung durch die Giftpfeile blieb ihm nur eines übriger hob die Hände. „Gut", lobte der Nomade. „Vorwärts!" Taph setzte sich in Bewegung.
6.
Ich tauchte aus dem Nebel der Bewusstlosigkeit auf. Ich hing über einem Land, das ich nach kurzem Hinschauen wieder erkannte. Ich hatte mein Ziel tatsächlich erreicht. Was ich sah, war die Hochebene des Westens. Ich erinnerte mich einiger typischer Geländeformationen. Kein Zweifel, ich hatte Ceres erreicht. Die Vorstellung, mehr als 80 000 Jahre von meinen Freunden entfernt zu sein, störte mich nicht. Räumlich gesehen, war ich sehr eng in ihrer Nachbarschaft - das Sonnensystem, zu dem Ceres und der Mond Demeter gehörten, stand genau dort, wo vor 80 Jahrtausenden die Erde gestanden hatte. Das bezog sich natürlich auf nur theoretisch vorhandene absolute Koordinaten. Und die 80 000 Jahre Zeitunterschied kümmerten mich ebenfalls wenig. Ich brauche mich nur in meine Zeit zurückzuwünschen, und ich würde in meinen Körper zurückkehren. Das gleiche geschah, wenn D.C. es für nötig erachtete, mich zurückzurufen sie brauchte dann nur die Zeitmaschine auszuschalten.
Ceres hatte ich also erreicht, und die Landschaft stimmte ebenfalls. Jetzt kam es nur noch darauf an, ob wir auch den richtigen Zeitpunkt erwischt hatten. Das war das eigentliche Problem solcher Zeitreisen. Wie jede Maschinerie hatte auch die Zeitmaschine gewisse Toleranzen, und diese Fehler fielen um so größer aus, je größer der zeitliche Abstand zwischen Start und Ziel war. Auf einer Strecke von 80 000 Jahren auf die Minute pünktlich zu sein, das war nicht mehr als ein frommer Wunschtraum. Die einzige Möglichkeit, das zu erreichen, bestand darin, am Zielort einen Zeit-Peilsender zu installieren. Daran konnte sich die Bedienungsmannschaft in der Zentrale der Time-Squad orientieren - die Ergebnisse waren bei den bisher durchgeführten Expeditionen der Time-Squad jedenfalls hervorragend gewesen. Andernfalls hätte ich jetzt nicht auf Ceres herabblicken können. , Der Ort stimmte. Was aber war mit der Zeit? Für mich war das schwer zu beurteilen. Ich hing über der Landschaft und sah auf sie herab. Ein Kollege der Time-Squad hatte einmal gesagt: „Zeitreise, das ist so, wie ich mir immer mein Begräbnis vorgestellt habe; man hängt als Geist in der Luft, sieht und hört alles, kann aber nicht eingreifen." Der Vergleich stimmte. Ich brauchte es mir nur zu wünschen, und im Bruchteil einer Sekunde hatte ich den Ort gewechselt. Ich konnte Wände und Gebirge durchdringen, kein Material konnte dem widerstehen. Der einzige Haken bei der Angelegenheit war, daß man als Beobachter niemals vergessen durfte, daß man keinen Körper mehr besaß. Wenn jemand mit einer Kanone auf mich schoß, konnte mir das nichts anhaben glaubte ich aber, noch einen Körper zu haben, dann mußte der ebenfalls nur eingebildete Verletzungsschock tödlich wirken. Manch ein Beobachter hatte auf diese Weile üble, zum Teil lebensgefährliche Erfahrungen machen müssen. Ich stieg in die Höhe, um mich zu orientieren.
Als ich diese Landschaft zuletzt gesehen hatte, da hatte ich noch im Körper eines Eingeborenen gesteckt. Richtig! Zur rechten Hand erkannte ich den Gebirgspaß, über den wir in das Land des Westens eingedrungen waren. Dann mußten die Städte und Festungen zur Linken liegen. Der bloße Wunsch trieb mich voran Eine Siedlung tauchte unter mir auf. Ich versuchte, mich zu erinnern. War das Kildar? Die erste Stadt, die wir mit dem Heer erreicht hatten? Die Angelegenheit lag - aus meiner Sicht, die sich auf meine Gegenwartszeit bezog - einige Monate zurück. Ich dachte ungern daran, denn nach dem Besuch von Kurthans Heerscharen war von der blühenden Stadt nicht mehr übriggeblieben als ein rauchender Schutthaufen. Da ich zu dieser Zeit Kurthan gewesen war, ging dieses Desaster auf meine Rechnung. Auf der anderen Seite hatte ich wahrscheinlich gar nicht anders handeln können. Ich hatte Kurthan übernommen, als es eine Persönlichkeit namens Kurthan noch gar nicht gab. Natürlich war es mir nicht möglich gewesen, den Säugling im ersten Anlauf komplett zu übernehmen. Von dem, was meine Persönlichkeit ausmachte, konnte immer nur soviel im Hirn des Übernommenen Platz finden, wie dem natürlichen Entwicklungsstand des Heranwachsenden entsprach - und dazu kam dann immer noch die Gesamtheit der prägenden Einflüsse der Umwelt. So war aus Kurthan und mir ein Hybridbewusstsein entstanden, in dem das Nomadenhafte, das Wilde, Grausame, Barbarische dieser Welt letztendlich die Oberhand behalten hatte. Jeder Feldherr auf Ceres hätte Kildar niedergebrannt. Jede Zeit hatte ihre Kriegssitten. Diese Welt war barbarisch, und danach fiel alles aus, was auf dieser Welt geschah. Ich ließ Kildar zurück und schwebte weiter. Es war ein herrliches Gefühl, nur getrübt durch den Umstand, daß ich in der Ferne ein startendes Raumschiff erkennen konnte.
Ich zögerte einen Augenblick lang. Sollte ich hinüberfliegen, mich im Innern des Schiffes umsehen? Was würde D.C. sagen, wenn ich ihr die technischen Erkenntnisse mitbrachte, die zum Bau wirklicher Raumschiffe nötig waren? Bisher war Raumflug nur im Rahmen des Sonnensystems möglich - Reisen zu anderen Sternen waren nur theoretisch durchführbar, scheiterten aber am ungeheuren Materialaufwand und daran, daß niemand sich bereit erklärt hatte, der Erde für immer Ade zu sagen. Die wenigen, die sich tatsächlich gemeldet hatten, mußten als psychisch Kranke zurückgewiesen werden. Ich entschloss mich, auf den Versuch zu verzichten. Zum einen besaß ich nicht die Fähigkeiten, das für den Raumflug wichtige Datenmaterial überhaupt auch nur zu erkennen, zum ändern bestand die Möglichkeit, daß man an Bord der schwarzen Schiffe auch gegen Schnüffler der Time-Squad ein Mittel wußte, wenn die Beobachter so dreist waren, sich an Bord schleichen zu wollen. Jeder, der einmal mit dem Gegner in Berührung gekommen war, hatte einen höllischen Respekt vor dessen Fähigkeiten. Wir wußten nicht, welchen Stellenwert der Zeit-Zauberer Valcarcel in der Hierarchie des Gegner einnahm - aber wir wußten, welchen Rang wir ihm beimaßen, und der konnte gar nicht hoch genug angesetzt werden. Wer irgend die Möglichkeit hatte, sich um einen Kontakt mit Valcarcel herumzudrücken, der tat es, und das schloß mich ein. Ich ließ das Raumschiff der Terraner unbehelligt und flog weiter nach Westen. Unter mir konnte ich verschneite Felder sehen, auf denen Ceresiden arbeiteten. Aus meiner Erinnerung wußte ich, daß es derlei früher nicht gegeben hatte. Ceres hatte offenbar schwer unter der Herrschaft der Terraner zu leiden. Die Unterkünfte der Eroberer waren aus der Luft leicht zu erkennen, scho n allein an der Größe. Die Ceresiden reichten
einem Menschen nur bis an den Bauchnabel, und entsprechend klein und zierlich waren auch ihre Häuser. Was die Terraner bewohnten, ließ sich mit dem Wort Haus schwerlich exakt bezeichnen. Palast wäre da weit treffender gewesen. Die Eroberer nutzten die Besiegten zu ihrem eigenen Vorteil weidlich aus. Angesichts der Paläste dämmerte mir langsam, daß ich meine Zielzeit beträchtlich verfehlt haben mußte. In den wenigen Monaten, die in meiner Zeitrechnung verstrichen waren, konnten die Ceresiden niemals diese Bauwerke aus dem Boden gestampft haben - und daß die Terraner dabei selbst Hand angelegt haben sollten, erschien mir mehr als unwahrscheinlich. Offenbar waren Jahre vergangen. Ich mußte Kurthan finden, wenn der Nomaden-Khan überhaupt noch lebte. Der Überfall der Terraner hatte ihn auf dem Höhepunkt seiner Macht überrascht. Ich wußte, daß er die Invasion überlebt hatte - aber es lag auf der Hand, daß die Eroberer nicht rasten und ruhen würden, bis der wichtigste Mann unter den Besiegten gestellt, gefangen genommen oder getötet war. Wie viele Jahre mochten seit der Invasion vergangen sein? Drei? Fünf? Ein Jahrhundert? Ich hatte mit Kurthan einen Treffpunkt ausgemacht, als ich ihn verließ und ihm seinen Körper zurückgab. Sein Geist hatte, während ich seinen Körper kontrolliert hatte, in meinem Körper geruht. Der Tausch hatte vorzüglich geklappt - Kurthans Geist brauchte nur die in seinem Hirn gespeicherten Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, um genau der Kurthan zu sein, den ich jahrelang kontrolliert hatte. Ich beeilte mich, Ceztanax tauchte auf, die frühere Hauptstadt des Westreichs. Eine Stadt auf mehreren Inseln, die sich aus Bergseen erhoben. In einem der weiter entfernten Täler gab es einen halbverfallenen, alten Tempel, der den Eingang zu einer Höhle bildete. Dort hatte ich mich vo n Kurthan getrennt, dort wollten wir uns wiedersehen. Hoffentlich konnte der Kökö kommen. In
diesem Jahr war der Winter entsetzlich früh über das Land hereingebrochen. Und Schnee war etwas, das den Nomaden der Steppe gar nicht gefiel. Ich brauchte nur kurze Zeit, um das alte Versteck zu finden. Von den Säulen des Tempels waren zwei weitere umgefallen und in mehrere Teile zerbrochen - ein Zeichen mehr, daß ich sehr spät zu dem versprochenen Treffen kam. Im Innern des Tempels erkannte ich mit Staunen einen Altar, den es vorher nicht gegeben hatte. Der Altar war mit Blumen, Früchten und anderen Gaben überhäuft. Offenbar hatte sich bei den Ceresiden herumgesprochen, daß hier Außergewöhnliches geschehen war. Das eigentliche Versteck aber war noch nicht entdeckt worden. Die Höhle begann in einer hohlen Tempelsäule im Hintergrund der Tempelhalle. Zu welchem Zweck dieser geheime Gang einmal gedient haben mochte ... Ich wußte es nicht, Kurthan hatte es nicht wissen können, und der Mann, der mir dieses Versteck gezeigt hatte - Hucurnax - hatte ebenfalls nur gewußt, daß es diese Räumlichkeiten gab, nicht aber, wer sie angelegt hatte und welcher Bestimmung sie gedient hatten. Entkörperlicht konnte ich den Verschluss des Ganges nicht öffnen, das war auch nicht notwendig. Ich schwebte durch den Stein, sank tiefer und befand mich nach wenigen Augenblicken in einem geräumigen Keller. Der Keller war leer. Jetzt blieb mir nur eines zu tun übrig - warten. Warten, bis Kurthan erschien, oder Hucurnax oder sonst ein Eingeweihter. Taph Solvent stapfte durch den dichten Schnee. Hinter ihm ritt der Anführer der Dolnoriden auf seinem Guran, einem Wesen, das aussah wie eine Kreuzung aus einem Pony und einem Bären. Noch immer hatten die Dolnoriden ihre Pfeile auf die Terraner gerichtet, und noch immer wußte Taph nicht genau, ob die Spitzen dieser Pfeile wirklich vergiftet waren. Wenn ja, dann mußte er sich in Acht nehmen. Im Training war ein Film
vorgeführt worden, der sich mit diesen Pfeilen beschäftigt hatte. Die kleinste Verletzung reichte aus. Ein winziger Stich - und ein paar Augenblicke später lag das Opfer auf dem Boden. Das Infame bei der Sache war, daß das Gift seine Zeit brauchte, die Opfer zu bezwingen. Die Getroffenen brachten kein Wort über die Lippen, aber die krampfartigen Bewegungen ihrer Körper und der Blick ihrer Augen hatten mehr als deutlich gesagt, durch welche Hölle die Vergifteten gingen, bis der Tod sie erlöste. Taph hatte keine Lust, am eigenen Leibe zu testen, ob die grünen Zwerge spaßten, blufften oder tatsächlich mit vergifteten Pfeilen arbeiteten. Der Marsch der beiden Gefangenen und ihrer Bewacher hatte an der Hauptstadt in weitem Bogen vorbeigeführt. „Was mögen die Zwerge vorhaben?" sagte Taph leise. Er zerrte ein wenig an den Riemen, mit denen man ihn gefesselt hatte. Maldoon, dem die Frage galt, wiegte den Kopf. „Ich weiß es nicht", sagte er zögernd. „Aber ich glaube, daß es zu unserem Besten sein wird." „Du und dein Glaube", stieß Taph hervor. „Pah!" Wenn dieser Bursche nicht gewesen wäre... Dann sagte er sich, daß alles Lamentieren im Augenblick nichts nutzte. Den beiden Gefangenen blieb nur übrig, sich in ihr Schicksal zu fügen und abzuwarten, ob sich nicht eine Gelegenheit zur Flucht bot. Auf einen Kampf wollte es Taph nicht ankommen lassen. Schließlich hatten die Zwerge jetzt nur ihre dreimal verwünschten Giftpfeile, sondern waren auch im Besitz von Taphs und Maldoons Handwaffen, und es sah so aus, als wüssten sie mit diesen Waffen sogar umzugehen. Zwei der Dolnoriden jedenfalls hatten es zuwege gebracht, die beiden Handlaser nicht nur zu entsichern, wie es sich gehörte, sie hielten sie auch genau auf die Köpfe der Gefangenen gerichtet. Plötzlich kam der Zug zum Stillstand. Vor Taph ritt der Anführer der Dolnoriden, daneben sein Freund wenn Taph die Beziehunge n zwischen den einzelnen Personen
richtig deutete. Die Mühe, die Sprache der Eroberten zu erlernen, hatte er sich natürlich nicht gemacht. Der Anführer ritt voraus. Er mußte etwas gesehen haben, das Taph von seinem Standort aus nicht einsehen konnte. Dann aber sah Taph plötzlich einen Schatten auftauchen. Er schluckte und wurde bleich. Die Sonne stand hinter Taphs Rüc ken. Der Schatten aber kam Taph entgegen. „Allmächtiger!" flüsterte Maldoon. Auch er wurde blaß. Dann tauchte die Gestalt auf, die zu dem Schatten gehörte. Es war ein Mann auf einem Pferd. Taph traute seinen Augen nicht. Pferde? Hier auf Dolnor? Der Reiter. Er war alt, uralt sogar. Der Schädel war kahl, das Gesicht eingefallen. Brauen und der lange Bart des Reiters waren fast weiß, die Augen funkelten schwarz. Eine dürre, ausgezehrte Hand hielt die Zügel. „Hört mich an!" Taph konnte jedes Wort verstehen. Er begriff nur nicht, warum die Zwerge nichts unternahmen. Sahen sie den Alten nicht? Konnten sie die Stimme nicht hören? Der Klang war brüchig, zugleich aber von eindringlicher Schärfe. „Hört mich an", sagte der Alte. „Sträubt euch nicht gegen den Ratschluß der Mächtigen, fügt euch in das, was euch bestimmt ist. Ihr werdet zu den Euren zurückkehren, sehr bald sogar." Taph zog die Brauen in die Höhe. Die Euren? Er hatte keine Angehörigen. Kein Terraner hatte Angehörige. „Sagt den Euren diese Botschaft. Daß überall dort, wo das Böse regiert, auch das Gute am Werke ist. Daß es kein absolut Böses gibt. Daß die Mächte der Finsternis nicht unüberwindlich sind." Gefasel, dachte Taph, sinnloses Gefasel. Er stellte aber fest, daß sich seine Nackenhaare aufgerichtet hatten.
„Sagt, daß ihr Hilfe bekommen werdet. Sagt, daß Bethydar euch unterstützen wird, wo immer es ihm möglich ist. Sagt, daß die Kräfte des Lichtes den Sieg davontragen werden." Maldoon war einer Ohnmacht nahe. Offenbar ließ er sich von derlei Humbug leicht beeindrucken, dachte Taph. Dann aber erinnerte er sich des Schattens, und er spürte seih Herz schneller schlagen. Der Alte lächelte. Dann hob er die rechte Hand. „Bethydar grüßt euch. Der Fern grüßt die Terraner. Lebt wohl." „Werden wir uns wiedersehen?" fragte Maldoon hastig. „Bald", verhieß der Alte. Wo blieben nur die beiden Zwerge? Hatte der Alte sie getötet, bevor er um die Ecke geritten war? Oder hatte er sie behext, wie er es bei Maldoon offenkundig fertiggebracht hatte? Taph hielt den Auftritt des Alten für eine besondere Art von technischem Trick, mehr nicht. „Hilf uns!" rief er und hob die gefesselten Hände. „Diese Zwerge halten uns gefangen!" Wieder lächelte der Alte. Wieso konnte man plötzlich die Kontur des Felsens erahnen, die genau hinter dem Alten lag? Und warum rührte das Pferd keinen Muskel? Es zuckte nicht einmal mit den Augen. „Ihr seid nicht gefangen", sagte Bethydar. „Ihr seid vielmehr auf dem Weg, der zur Freiheit führt." „Blödsinn", behauptete Taph. Er handelte und redete wie im Rausch. „Zerschneide die Fesseln, Alter. Du hast doch ein Messer im Gürtel. Ich kann es sehen." Der Alte rührte sich nicht. Taph trieb diese Gleichgültigkeit das Blut ins Gesicht. Er drängte nach vorn. Die Dolnoriden rührten sich nicht. Nach einigen Weitausgreifenden Schritten hatte Taph Solvent den alten Mann erreicht. Er streckte die Hände aus, um nach dem Gürtel des Reiters zu greifen. Einen Augenblick lang glaubte Taph, sein Herzschlag setze aus. Seine Finger griffen ins Leere. Taphs Selbstbeherrschung brach in der Zeit eines Lidschlags in sich zusammen.
Dies war keine optische Täuschung, keine technische Manipulation. Dies alles war echt. Keine Halluzination war in der Lage, sich mit einem Fremden zu unterhalten. Der Alte war nicht gegenständlich. Aber sein Pferd - wie kam ein Pferd nach Dolnor? - machte Stapfen im Schnee. Taph schlug die Hände vor das Gesicht. Der Anblick ging über seine Kraft. Sein ganzes Weltbild war mit einem Schlag in sich zusammengestürzt. Wenn dies möglich war, dann konnte Maldoon mit seinen Hirngespinsten ebenfalls recht haben, dann gab es nichts mehr, an das sich Taph halten konnte. „Sie können wieder aufsehen, Sir!" sagte Maldoon halblaut. „Er ist verschwunden." Taph ließ die Hände sinken. Mal doon hatte Recht . Der Alte war verschwunden. Auch das Pferd war nicht mehr zu sehen. Geblieben waren lediglich die Hufabdrücke, die von der Ecke bis zu Taphs Standort führten... und von da aus nicht weiter. Das Pferd mußte sich in Luft aufgelöst haben. „In den alten Sagen", wußte Maldoon zu berichten, „ist von solchen Wesen die Rede. Man nennt sie die Zeit-Zauberer." In diesem Augenblick kamen die beiden Dolnoriden zurück. „Ich träume", sagte Kurthan. „Alles, was ich sah und hörte, ist geträumt." „Es war Bethydar, daran kann kein Zweifel /bestehen", sagte Hucurnax. Auch er war ein wenig blaß. „Ich würde hören auf das, was er zu sagen hat." „Die beiden Gefangenen freigeben? Sie als Freunde betrachten?" Kurthans Stimme klang erregt. „Bethydar befahl es dir", erinnerte ihn Hucurnax. „Und er benutzte einen Namen, der diesen Befehl unterstreicht." „Tovar Bistarc?" Hucurnax nickte.
„Mit diesem Namen bezeichnete sich der Dämon, von dem du besessen warst", erinnerte ihn Hucurnax. „Es war Tovar Bistarc, der versprach, zu uns zurückzukehren und uns zu helfen wider unsere Feinde." „Die Feinde, die wir freilassen sollen?" Die beiden Männer kehrten zur Karawane zurück. Die beiden Gefangenen standen dort, wo Kurthan sie zurückgelassen hatte, als er auf dem Weg den Märchenerzähler bemerkt hatte. Die Terraner hatten keinen Fluchtversuch unternommen. War das ein gutes Zeichen? „Gehorche!" sagte Hucurnax. Finster betrachtete Kurthan die beiden Riesen, dann zog er sein Messer. Mit einigen schnellen Schnitten durchtrennte er die Fesseln. Der größere der beiden Terraner rieb sich die Handgelenke, dann ging er, von Kurthan mißtrauisch beobachtet, zu Dschelme hinüber. Ohne sich darum zu kümmern, daß vier Bögen in seine Richtung zielten, nahm er Dschelme mit sanftem Nachdruck den Blitzschleuderer ab und steckte ihn in das Futteral an seiner Hüfte. „Sie wollen Frieden halten", frohlockte Hucurnax. „Was habe ich gesagt?" „Abwarten", empfahl Kurthan. Mit einer heftigen Handbewegung befahl er seinen Söhnen und Tochtan, die Bögen sinken zu lassen. Die Terraner machten keinen Versuch, die Lage zu wenden. „Dann vorwärts!" bestimmte Kurthan. Er ritt als erster los, und er wußte hinter sich zwei Terraner, die Blitzschleudern trugen. Aber er unterdrückte seine Angst und kehrte den Terranern den Rücken zu. Während sich sein Guran in Bewegung setzte, konnte er hinter sich hören, wie die beiden Terraner zu marschieren begannen. Die Karawane setzte ihren Weg fort. Langsam wurde mir die Angelegenheit zu langweilig. In dem Versteck zu warten, war ausgesprochen ermüdend. Niemand
zeigte sich, obwohl ich die richtige Jahreszeit ge wählt hatte. Was hatte ich falsch gemacht? Ich entschloss mich, das Versteck zu verlassen. Im Notfall genügte ein Gedanke, mich wieder dorthin zu bringen. Nach wenigen Sekunden schwebte ich mehrere hundert Meter über den Gipfeln der Berge. Wohin sollte ich mich wenden? Ich entschloss mich, es mit der Hauptstadt zu versuchen. Ich ließ mir Zeit für diesen Erkundungsflug. Es konnte nicht schaden, wenn ich mir - für alle Fälle - einige wichtige Geländeformationen einprägte. Ich folgte dem Lauf eines kleinen Baches, der sich allmählich verbreitete. Es ließ sich absehen, daß er endlich in einem der Seen enden würde, auf dessen Inseln sich die Hauptstadt Ceztanax erhob. Meine Vermutung bestätigte sich. Ich folgte dem Flüsschen und kam schließlich an den Mauern der Hauptstadt an. Noch immer waren die furchtbaren Breschen zu sehen, die die Lasergeschütze der Panzer in die Befestigung gerissen hatten. Ceztanax war nur spärlich bevölkert. Ich wußte, daß die Stadt in ihrer Glanzzeit mehr als eine Million Ceresiden beherbergt hatte. Aber in den letzten Jahren hatten die Eroberer die Bevölkerung erbarmungslos gezeichnet und in die Sklaverei verschleppt. In Ceztanax gab es für mich nichts zu erfahren. Ich flog daher weiter, vor allem aber höher. In einiger Entfernung erkannte ich den Raumhafen der Eroberer, die sich Terraner nannten oder so genannt wurden. Was war mit der Erde geschehen, daß sie solche Menschen hervorgebracht hatte? Zwei bis drei Wegstunden vom Raumhafen entfernt entdeckte ich den Palast des Gouverneurs - ein gewaltiges, lang gestrecktes Gebäude in einer Bauweise, die mir merkwürdig bekannt vorkam.
Es war ein Atriumgebäude. Vier Trakte gliederten sich um einen quadratischen Innenhof, der von einem großen Wasserbecken gebildet wurde. Ich konnte den Springbrunnen sehen, den man dort installiert hatte. Pumpen drückten das Wasser fast vierzig Meter hoch. Es sah beeindruckend aus, aber ich ahnte, womit diese Pracht bezahlt worden war - mit dem Blut und dem Schweiß der Eingeborenen. Ich ließ mich ein Stück fallen und sah mir die Umgebung des Palasts an. An der Auffahrt tat eine Wachabteilung Dienst, zehn ziemlich gelangweilt dreinblickende Soldaten. Ich hätte sie gern ein wenig geärgert, aber das ließ sich ohne Körper leider nicht bewerkstelligen. Meiner Tiefverwurzelten Abneigung gegen alles Militärische konnte ich also nicht frönen. Ein Gedanke brachte mich in das Innere des Palasts. Prunk, Luxus, Aufwand - wohin man auch sah. Böden aus den erlesensten Steinen des Planeten, ein Mosaik, dessen Herstellung einen geradezu aberwitzigen Aufwand an Arbeit gekostet haben mußte. Aus allen Teilen des Planeten waren Kunstschätze herangeschafft worden. Vor allem die Lederschnitte der südöstlichen Völker schienen es den Terranern angetan zu haben. Wo steckte der Mann, der auf dieser Welt die Befehle gab? Daß es ein Mann sein mußte, lag auf der Hand. Wenn militärisches Denken bis an die Grenze zum Absurden getrieben wurde, hatten immer Männer das Heft in der Hand. Ich fand schließlich den Herrscher über diesen Planeten, ein Monstrum an Fettleibigkeit, geistig aber noch einigermaßen beweglich, wie es schien. Ich fand den Gouverneur be i einer Audienz. Demütig traten Bittsteller an ihn heran, verbeugten sich vor ihm und vollführten dann - ich traute meinen Augen kaum - den Kotau, das traditionelle dreimalige Niederwerfen, wobei jedesmal der Kopf dreimal den Boden zu berühren hatte. Der Kotau, eine Sitte aus
dem alten China, in vielen Sprachen der Menschheit zum Inbegriff einer demütigen Geste der Unterwerfung geworden. Nach dieser Zeremonie trugen die Bittsteller ihre Anliegen vor. Der Gouverneur gab nach kurzem Nachdenken seine Entscheidung bekannt - und diese Entscheidungen waren, soweit ich das beurteilen konnte, außerordentlich vernünftig. Ein Dummkopf war der Gouverneur nicht. „Die Audienz ist beendet", erklärte plötzlich ein Zeremonienmeister. Die Bittsteller beeilten sich, den Saal zu verlassen. Offenbar wurde der hohe Herr sehr ungnädig, wenn man seinen Wünschen nicht augenblicklich entsprach. Es war entsetzlich, dies alles mit ansehen zu müssen. Es tat mir selbst fast mehr weh als den Betroffenen, wenn ich diese Demütigungen und Erniedrigungen sah - und das war das Verhalten der Terraner untereinander! Ich wagte nicht, mir vorzustellen, wie der fette Gouverneur mit Eingeborenen umzuspringen gewohnt war. Zu meiner Überraschung brachte es der Gouverneur tatsächlich fertig, sich zu erheben. Er stand auf, und seine Bauchwülste bewegten sich dabei heftig. Er ächzte und prustete, aber er schaffte es. Der Zeremonienmeister mußte ihm helfen, aber dann stand der Gouverneur tatsächlich auf seinen Beinen. Plötzlich fand ich die Szene eher komisch als bedrückend. Zu sehen, wie sich das fette Monstrum vorwärtsbewegte, war mehr, als ein Normalmensch ertragen konnte, ohne dabei laut zu lachen. Von der Würde des Amtes blieb da nichts übrig. Der Gouverneur bemühte sich zu einer Seitentür. Ich war erstaunt, daß er den Zeremonienmeister fortschickte, sobald er die Tür erreicht hatte. Der Gouverneur wartete, bis der Saal völlig menschenleer war, dann erst öffnete er die Tür und schob sich hindurch in den benachbarten Raum. Ich folgte ihm.
Um ein Haar hätte ich sie nicht gesehen, weder die kleine Karawane mit Kurthan und Hucurnax an der Spitze und zwei Terranern als Begleitung, noch die drei Panzer, die den Weg dieser Karawane schnitten. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, zu vergessen, was ich vor wenigen Minuten gesehen hatte. Ich mußte zurück, zurück in meine Zeit. Ein Gedanke genügte. Übergangslos änderte sich das Bild. Ich befand mich in der Zentrale der Time-Squad. Ein Dutzend Gesichter starrte mich an. „Ich brauche einen Peilsender!" rief ich, sobald ich meinen Körper unter Kontrolle hatte. „Und dann schickt mich körperlich an die gleichen Koordinaten zurück." „Was ist passiert, Tovar?" fragte D.C. Mit einer Handbewegung gab sie der Zentralebesatzung den Auftrag, meine Wünsche zu erfüllen. Mehr bedurfte es bei dieser eingespielten Crew nicht. „Zuviel, um es jetzt und hier berichten zu können", sprudelte ich hervor. Ich hätte reden können - bis der Sender bei mir war, mußten einige Minuten vergehen -, aber ich sah, daß die Regierungsdelegation noch im Raum war. Diesen Personenkreis wünschte ich zuletzt zu informieren. „Macht Platz, Leute!" bat ich. „Wir bekommen Besuch." „Wieder einmal?" stöhnte jemand im Hintergrund auf. Ich nickte. Inky kam und brachte mir den Peilsender. Ich rechnete kurz nach, verglich die Koordinaten, an denen ich über Ceres herausgekommen war, mit den Werten des Verstecks. Die Differenz übermittelte ich der Bedienungsmannschaft der Zeitmaschine. Die Crew reagierte schnell und zuverlässig. „Fertig!" meldete sich der Koordi nator über Lautsprecher. „Dann los!" rief ich zurück. Ich lag wieder auf der Transportplatte, den Peilsender trug ich im Arm. Er würde nur
fünf Stunden lang arbeiten, aber das mußte nach meinen Überlegungen vollauf ausreichen. Wie beim ersten Mal, so wurde ich auch diesmal schlagartig sehr müde... ... und erwachte auf dem Boden des Verstecks. Die Crew, die für die raum-zeitliche Koordination zuständig war, hatte hervorragend ge arbeitet. Ich ließ den Peilsender stehen und sah zu, daß ich das Versteck verließ. Als ich den Eingang zum Versteck von innen öffnete, stob eine Schar Ceresiden auseinander, und als dann noch ausgerechnet ein Terraner auftauchte, gab es für das verängstigte Völkchen keinerlei Halten mehr. Unter gellenden Geschrei suchten sie das Weite. Ich rannte ihnen nach. Nicht, um sie weiter zu ängstigen, sondern vielmehr, um Kurthan und seine Karawane zu finden. Noch im Laufen zog ich meinen Laser. Hoffentlich war die Waffe gut genug, um sich damit erfolgreich zur Wehr setzen zu können. Auf einem Felsvorsprung blieb ich stehen. In der Ferne konnte ich die Karawane erkennen. Mensch und Tier hatten es nicht eilig, es sah geradezu zeitlupenartig aus. Sehr weit entfernt, aber dafür entschieden schneller war die Panzergruppe. Drei schwarze Kästen mit Kanonen darauf. Ich ließ mich von dem plumpen Äußeren nicht täuschen. Wenn die Terraner sich auf dieses Waffensystem verließen, dann hatten sie dafür ihre Gründe - und diese Gründe konnten nur darin bestehen, daß die Konstruktionen sich im Kampf als hervorragend be währt hatten. Ich rannte weiter. Ich mußte um jeden Preis erreichen, daß die Karawane im Versteck ankam, bevor die Panzer den Tempel unter Beschuss nehmen konnten. Vielleicht war das Auftauchen der drei
Kolosse auch nur Zufall, aber darauf konnte ich mich nicht verlassen. „Nicht so hastig!" hörte ich hinter mir eine vertraute Stimme. Ich brauchte mich gar nicht erst umzusehen - so sprach nur einer in der Time-Squad. Inky hatte sich ebenfalls in die Zukunft schicken lassen. Ich verlangsamte mein Tempo etwas, bis Inky aufgeschlossen hatte. Auch er hielt den Laser entsichert in der Hand. „Halte die Stellung", schlug ich vor und deutete auf eine Mulde. Wer sich dort hinlegte, konnte sehen, ohne selbst gesehen zu werden. „Ich werde versuchen, die Karawane zu erreichen." Inky nickte. Er hatte verstanden. Während er in Deckung ging und die Panzer im Auge behielt, rannte ich den Weg entlang, auf die Karawane zu. Ich mußte mich beeilen - es kam wirklich auf jede Sekunde an. Ich war völlig außer Atem, als ich Kurthan e ndlich erreichte. Der Nomade hatte sein Reittier angehalten. Der kleine Pfeil zielte auf mein Gesicht. Mühsam schnappte ich nach Luft. „Ich bin Tovar!" stieß ich hervor. Jahrelang hatte ich in Kurthans Körper selbstverständlich die Sprache der Ceresiden gesprochen. Die Lautbildung erfolgte ganz spontan, ich brauchte mir um Wortwahl oder Aussprache keine Sorge zu machen. Dennoch war ich verblüfft, als ich mich selbst reden hörte. Der Nomade riß die Augen weit auf. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß einmal ich diesen merkwürdigen bunten Körper gehabt haben sollte. „Treibe deine Gurans an", sagte ich hastig. „Feinde sind unterwegs." Ich machte eine energische Bewegung mit der Hand. Die Ceresiden zögerten noch einen Augenblick lang, dann setzten sie sich in Bewegung. Kurthan rammte seine Fersen dem Guran in die Weichen.
„Und was ist mit euch?" fragte ich die beiden Menschen. Es waren Terraner, an den schwarzen Uniformen leicht zu erkennen. Mich wunderte daß sie bewaffnet waren. Einer der beiden Männer, der Blonde mit den wässrigen Augen, antwortete mir. „Maldoon", sagte er. „Ich heiße Maldoon. Wir haben eine Botschaft auszurichten." „An wen?" fragte ich. Mit Handzeichen trieb ich die beiden vorwärts, den Ceresiden nach. Hoffentlich reichte die Zeit. „Das weiß ich nicht", stieß der Blonde hervor. Der andere, schwarzhaarig, muskulös und drahtig, musterte mich im Laufen - nicht eben sehr wohlwollend, wie mir schien. „Und von wem stammt die Botschaft?" fragte ich weiter. Inkys Deckung kam in Sicht. Die Ceresiden hatten den Punkt bereits passiert. „Endlich", rief mir Inky entgegen „Ich kann mich mit den Brüder doch gar nicht verständigen." „Weiter!" drängte ich. „Lauft, Leute, lauft, was ihr könnt. Es sind drei Panzer nach hier unterwegs." Der Schwarze zögerte. „Sie haben die Chance", sagte der Blonde. „Suchen Sie sich die Seite aus - entweder sind Sie unser Freund oder Feind. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht." Dafür, daß er einen eher harmlosen Eindruck machte, riß der Blonde den Schnabel ziemlich weit auf. Der Schwarze grinste. „Ich habe mich entschlossen", sagte er. „Vorwärts!" Wir rannten, was unsere Beine und Lungen hergaben. Nach einigen Minuten hatten wir das Gebiet des Tempels erreicht. Die Karawane stand davor. Die Bärenpferde, oder wie immer man die kleinen, zottigen Reittiere nennen wollte, dampften in der Kälte. „Inky, bring die Leute in die Zentrale", rief ich. „Wir kümmern uns um die Deckung." „Und die Tiere?"
Es war zum Händeringen. Auch ohne Exo-Psychologie studiert zu haben, konnte ich erkennen, daß sich die Zwerge von ihren zotteligen Freunden um keinen Preis trennen würden. „Nehmt die Viecher ebenfalls mit. Aber vorsichtig, und nicht ohne Vorwarnung, sonst trifft D.C. der Schlag." Der Blonde zuckte zusammen. „Die Göttin!" stammelte er. „Die Göttin!" Ich wußte nicht, ob er damit Demeter Carol Washington meinte, die Chefin der Time-Squad. „Los, macht schon!" hörte ich Inky brüllen. Wie anders sollte er sich mit den Eingeborenen verständlich machen? Dann hörte ich eine Stimme, deren Tonfall mir erschreckend bekannt vorkam, laut und deutlich sagen: „Nur nicht hetzen, Mister Immekeppel!" Inky prallte zurück, als habe ihn ein Faustschlag getroffen. Ich begann zu lachen. Jetzt, wo ich in unmittelbarer Nähe war, konnte Kurthan zu einem Teil auf die Informationen meines Bewusstseins zurückgreifen. Wir hatten keine Zeit, uns mit diesem Phänomen eingehender zu beschäftigen. Während Inky nacheinander die einzelnen Mitglieder der Karawane in das Versteck lotste und dafür sorgte, daß Kurthan und seine Sippe die Reise in unsere Zeit antrat, mußten wir anderen uns um die Panzer kümmern. Es mochte Zufall sein oder nicht, jedenfalls waren die Panzer uns bedrohlich nahe gekommen. „Wie knackt man diese Dinger?" fragte ich einen der beiden Terraner. Der Schwarze antwortete: „Gar nicht, Wir können höchstens versuchen, die Panzer bewegungsunfähig zu schießen." Ich deutete auf die heranschwebenden Kästen. „Macht es vor, Freunde", forderte ich sie auf. „Und macht es gut!"
Die beiden suchten sich eine Deckung und zogen ihre Laser. Ihre Waffen unterschieden sich nur unwesentlich von den Modellen, die von den Time-Squad verwendet wurden. Der Blonde - Maldoon hieß er - gab den ersten Schuss ab. Einen Sekundenbruchteil lang stand der daumendicke, grellrote Strahl in der Luft, dann erlosch er wieder. An einem der Panzer leuchtete es hell auf. Der Schuss hatte getroffen, ich wußte nur nicht, was. Wir mußten Zeit gewinnen. Wir schössen daher auf alles, was sich zeigte. Stoppen konnten wir die Panzer damit nicht, wohl aber hinhalten. Die Panzerführer wurden von unserem Feuerüberfall offenbar überrascht. Der Führungspanzer geriet außer Kurs, rammte einen Felsblock und überschlug sich. Sofort nahmen wir den verwundbaren Boden des Fahrzeugs unter Feuer. „Laßt die Besatzung durch", forderte ich meine Mitkämpfer auf. „Kein unnötiges Blutvergießen." Der Offizier - erkennbar an den silbernen Rangabzeichen - zog verwundert die Brauen in die Höhe. Sein Gefährte zeigte ein Lächeln, das besagte: Habe ich es nicht gesagt! Dann fiel der erste Schuss aus einer Panzerkanone. Knapp einhundert Schritte über uns traf der Schuss auf den Fels. Als erstes sah ich den Strahl über mir erscheinen - ein schenkeldickes Etwas, dessen Streuhitze so groß war, daß sie mir die Haare kräuselte. Dann sah ich, begleitet von einem ohrenbetäubenden Krachen, wie der Strahl über unseren Köpfen einen Vulkan im Kleinformat entstehen ließ. Verflüssigtes Gestein spritzte wie eine Fontäne in die Höhe und ergoß sich über den Fels. Es gab kein Zögern. Ich sprang auf und rannte los. Gegen diese Gewalten richteten wir nichts aus, gar nichts. Und dann fiel Schuss auf Schuss. Die Panzerbesatzungen der beiden verbliebenen Fahrzeuge hatten es wahrscheinlich mit der Angst zu tun bekommen - sie deckten
die Landschaft mit einer Serie von Feuerstößen ein, die einen Krieg alter Machart entschieden hätte. Wir rannten wie Hasen beim Näherkommen des Treibers. Meine beiden Gefährten verstanden etwas von dem Geschäft. Sie machten nicht den Fehler, mir einfach zu folgen - wir verteilten uns. Ab und zu, wenn wir einen Augenblick Luft bekamen, sprangen wir auf und versuchten, zurückzuschießen. Die Panzerkanonen waren langsamer als wir, aber das machten sie mit ihrer hundertfach stärkeren Feuerkraft mehr als wett. Es sah düster aus, sehr düs ter. Eine Stimme gellte über die Felsen. „Kommt zurück!" Das war Inky. Die Karawane war in Sicherheit. Jetzt konnten wir uns retten - vorausgesetzt, die Panzer erwischten uns nicht vorher. Von meinem Standort aus konnte ich die beiden Terraner sehen. Ich winkte ihnen zu; mit Handzeichen machte ich ihnen klar, daß sie versuchen sollten, den alten Tempel zu erreichen. Sie verstanden mich. Der Blonde kam als erster an. Inky nahm ihn in Empfang. Als ich die Säulen erreichte, stolperte mir der zweite Terraner entgegen. Ich lotste ihn in die Tempelhalle, durch die Säule. Ich hörte, wie der erste Treffer die Decke des Tempels zerfetzte. Wir brauchten noch eine Minute, lächerliche sechzig Sekunden. Das Zeitfeld stand. Ich stieß den Schwarzen förmlich hinein, er verschwand. Ich konnte hören, wie der Tempel in sich zusammenstürzte, dann stieß mich irgendetwas gewaltsam nach vorn. Ich sah das rote Leuchten des Zeitfeldes rasend schnell näher kommen dann verlor ich das Bewußtsein. Wir waren zu dritt - Inky, ich und unsere verehrte Chefin. Wir hatten einen Standort auf einem der Berge bezogen, die den Talkessel der Time-Squad-Zentrale umsäumten.
Demeter Carol Washington lächelte. Ihre roten Haare flatterten im Wind, der über die Prärie strich. „Ich glaube, es wird ihnen hier gefallen!" sagte sie zufrieden. Damit waren die Ceresiden gemeint. Kurthan und seine Freunde hatten sich bereits im Paradies gewähnt. So etwas von Steppenund Grasland hatte er sich nicht einmal vorstellen können. Sie hatten sich in der Nähe der Zentrale vorläufig niedergelassen. Die Rechtsprobleme einer solchen Ansiedlung mußten allerdings noch mit der Regierung des Indianerstaats geregelt werden. Taph Solvent und sein ehemaliger Bursche Maldoon waren gleichfalls, mit ihrem Los zufrieden. Und wir - die Time-Squad - waren zufrieden damit, daß das Unternehmen ohne Verluste geendet hatte. „Maldoon sagte etwas vo n einer Botschaft", erinnerte mich D.C. sanft. Ich nickte. „Ein feierlicher Text", berichtete ich. „Wichtig für uns ist dabei nur folgendes: Bethydar grüßt euch. Der Fern grüßt die Terraner."
„Fern, das sind jene geheimnisvollen Wesen, von denen uns der Jaynum Diversion berichtet hat", rekapitulierte Inky. „Sie stammen aller Voraussicht nach aus einem anderen Universum." „Richtig!" bestätigte ich. „Bethydar ist ein Fern. Und nach allem, was vorgefallen ist, kann man vermuten, daß sich die Geschichte wie folgt abgespielt hat: Es gibt in dem parallelen Universum eine Rasse, die allgemein die Oberen genannt wird. Ich vermute, daß unsere Gegner mit diesen Oberen identisch sind." D.C. schwieg. Sie hörte nur interessiert zu. Ich wußte, gab es in meiner Darstellung einen Fehler, sie würde ihn bemerken.
„Welches Aussehen diese Oberen haben, wissen wir nicht. Sie scheinen praktisch nicht greifbar zu sein. Und dann gibt es in diesem Universum eine zweite Rasse von Bedeutung - die Fern. Von ihnen wissen wir, daß sie ihre Gestalt nach Belieben ändern können. Ihre Fähigkeiten sind überhaupt fast unbegrenzt. Ich bin der festen Überzeugung, daß unser alter Feind Valcarcel ein Fern ist." „Der entweder für die Oberen arbeitet oder aber ihr Herr ist", ergänzte Inky. „Gegen die zweite Annahme spricht, daß man in einem Konflikt mit einem Gegner für gewöhnlich erst die Bauern kennenlernt und dann erst den König. Zu D.C.s Stellungsnahme gab es nichts mehr zu sagen. „Außerdem existiert eine Gruppe von Fern", fuhr ich fort, „die offenbar willens ist, mit uns zusammenzuarbeiten. Ein Vertreter dieser Gruppe ist Bethydar gewesen." „Wir werden uns darüber Klarheit verschaffen", versprach D.C. Sie setzte sich auf den Boden und sah auf die Prärie hinaus. „Sie wollten mir noch etwas sagen, Tovar?" Ich nickte wieder. „Ich habe darüber geschwiegen", sagte ich langsam. „Einmal, weil ich keine Aufregung heraufbeschwören wollte, zum anderen, weil sich die Angelegenheit mehr ,als unwahrscheinlich anhört." „Reden Sie." „Ich bin dem Gouverneur in den separaten Raum gefolgt", sagte ich. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht die Fassung zu verlieren. „Der Gouverneur sah zwar nicht so aus, wie man sich diese Wesen üblicherweise vorstellt - aber an meiner Beobachtung gibt es nicht den geringsten Zweifel: Der Gouverneur von Dolnor ist ein Vampir!" D.C. nickte langsam, während mich Inky aus immer größer werdenden Augen anstarrte.
„Mensch", stieß er schließlich hervor. „Das gibt es doch gar nicht!" D.C. lächelte. "Erinnern Sie sich", sagte sie langem. „Die Wirkung des konzentrierten Knoblauchs in Valcarcels Versteck im Mond Demeter. Divorsions Bericht, daß die Oberen eine Steuer in Form von Blut e rheben! All das passt zusammen." „Entsetzlich", murmelte Inky fassungslos. „Aber ... sind Vampire nicht, ich meine ..." „Richtig", sagte Demeter Carol Washington ruhig. „Vampire gelten als unsterblich. Nun, ein Gutes hat die Sache. Wir wissen endlich woran wir sind mit unserem Gegner." Ich konnte beim besten Willen daran nichts Gutes finden. Es war Sommer in Nordamerika, ein ausnehmend heißer Sommer sogar. Trotzdem hatte ich eine Gänsehaut. D.C. stand auf. Sie sah uns an, lächelte. „Kommt, Jungs", sagte sie. „Machen wir uns an die Arbeit!"
ENDE