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Der Admiral
Der heimtückische Plan der adeligen Dunkelmänner aus England war nicht aufgeg...
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Seewölfe 438 1
Fred McMason
Der Admiral
Der heimtückische Plan der adeligen Dunkelmänner aus England war nicht aufgegangen. Er hatte sich ins Gegenteil verkehrt und war zu einem Fiasko geworden. Philip Hasard Killigrew lebte, die Kunst des Kutschers hatte ihn gerettet. Denn der Feldscher der Seewölfe hatte den Eingriff gewagt und die Kugel herausoperiert, die in Hasards Rücken steckte – dicht vor dem Herzen. Die Schurken hatten für ihre Untaten büßen müssen. Das war eine Entscheidung des Kriegsgerichtes gewesen, das Kapitän Tottenham anberaumt hatte. Sir John Killigrew, der Duke of Battingham und Charles Stewart waren zum Tode verurteilt worden und hatten ihr Leben vor den Musketenläufen eines Pelotons von Seesoldaten beendet. Aber da waren noch die Goldbarren, die etwas auslösen sollten... Die Hauptpersonen des Romans: Jean Ribault – entwickelt einen tollkühnen Plan, um den Spaniern eins auszuwischen. Philip Hasard Killigrew–ist ziemlich skeptisch, wird aber durch einen Losentscheid überstimmt. Edwin Carberry – der Profos gewinnt eine Wette und sorgt in der ,,Schildkröte“ für Abwechslung. Luis Campos–ein portugiesischer Schnapphahn, der sich Admiral nennen läßt und meint, ein großer Frauenbetörer zu sein. Siri-Tong – erteilt dem Admiral eine Abfuhr und muß sich dafür mit drei Schaluppen herumärgern.
1. Schlangen-Insel, 1594. 29. September 1594. Es war ein Bilderbuchsonntag mit strahlendem Sonnenschein, wohliger Wärme und leisem Rauschen der See, die an die Felsen der Insel schlug. Auf der Werft des alten Ramsgate wurde heute nicht gearbeitet. Die Männer hatten ihren freien Tag und vertrieben sich die Zeit mit Angeln in der Bucht, Streifzügen über die Insel oder Faulenzen. Ein paar Unentwegte hockten oben in den Felsen in „Old Donegals Rutsche“, tranken kaltes Bier und palaverten. Es gab kaum etwas zu tun. Hasard war von der Schusswunde in den Rücken, die er von Sir Andrew Clifford heimtückischerweise erhalten hatte, wieder genesen und fühlte sich wohl. Don Juan de Alcazar war mit seiner Crew und der Schebecke nach Spanien aufgebrochen. Dort wollte er über befreundete Mittelsmänner bei Hofe Anklage gegen den Gouverneur von Kuba,
Don Antonio de Quintanilla, erheben und ihn auf diese Weise zur Strecke bringen. Ein neues Schiff hätte der Bund der Korsaren ebenfalls dazugewonnen. Es war die „Lady Anne“, die Karavelle des alten Schnapphahns Sir John Killigrew, der sein ruchloses Leben ebenso ausgehaucht hatte wie Sir Henry, Duke of Battingham, und Charles Stewart, der ehemalige Kommandant der 'Dragon'. Ihr Leben hatte vor den Musketenläufen eines Pelotons englischer Seesoldaten ein Ende gefunden. Auch die Goldladung der „Santa Cruz“, die sich Sir John unter den Nagel gerissen hatte, aber von Jean Ribault und seinen Mannen mit der „Lady Anne“ sicher zur Schlangen-Insel gebracht worden war, ruhte bereits in den unterirdischen Schatzhöhlen der Insel. So war alles wieder im Lot, und es herrschte prächtige Stimmung. Auf der „Isabella“ hockten ein paar Seewölfe unter dem Sonnensegel auf der Kuhl und lauschten grinsend den Worten des Profos' Edwin Carberry, der heute ganz besonders gute Laune hatte und groß an
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Deck herumtönte und haarsträubende Geschichten erzählte. Der Kutscher blickte andächtig und mit starren Blicken pausenlos in den azurblauen Himmel, bis es dem Profos auffiel. „Was stierst du so?“ fragte er. „Siehst du etwa quergestreifte Affenärsche am Himmel hängen?“ „Nein“, sagte der Kutscher ernst. „Ich sehe nur nach, ob der Himmel auch weiterhin so blau bleibt.“ „Klar bleibt er das. Warum auch nicht?“ . „Nun, es gibt Leute, die lügen einfach das Blaue vom Himmel herunter, und dann wird er schwarz.“ „Du willst mir doch nicht den schönen Sonntag verderben, was, wie?“ fragte der Profos sanft. „Stell dir mal vor, wir müßten heute noch zur Beerdigung eines gewissen Kutschers. Das wäre doch ein recht betrüblicher Tag, vor allem für den gewissen Kutscher, der dann seinen letzten Knödel gebacken hätte.“ „Noch ist der Himmel ja blau“, sagte der Kutscher vorsichtig. „Na, siehst du!“ entgegnete der Profos mit seiner durchschlagenden Logik. „Ein Zeichen, daß ich nichts als die Wahrheit sage und alles stimmt.“ „Auch, daß du Kakerlaken gejagt hast, die dreimal größer als Ratten waren?“ „Na klar!“ „Und die Art, wie du grüne Affen gefangen hast, stimmt auch?“ „Selbstverständlich. Ich habe mich in den Urwald gestellt und immer wieder die Stiefel an- und ausgezogen. Die Affen wurden schon ganz neugierig, und sie heißen ja auch deshalb Affen, weil sie alles nachäffen. Dann habe ich Kleister in die Stiefel gefüllt und sie einfach stehenlassen. Schwupp, war der erste Affe da. zog sich die Stiefel an und klebte fest. Ich brauchte ihn nur noch aus den Latschen zu pflücken.“ „Beachtlich“, murmelte der Kutscher, „sehr beachtlich. Und wie hast du den Kleister wieder aus den Stiefeln entfernt?“ fragte er hinterhältig.
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„Ja, wie war das doch gleich? Ach ja, einer der Affen ist mit den Stiefeln einfach abgehauen. Wie er den Kleister wieder herausgekriegt hat, war ja nicht mein Problem, oder?“ „Ganz recht. Das war ein Affenproblem. Sicher latscht er heute noch in den Stiefeln herum.“ „Genau. Solltest du mal einem gestiefelten Affen begegnen, dann weißt du sofort, was los ist.“ Die anderen grinsten bis an die Ohren und lauerten darauf, daß der Profos-KutscherDialog ernsthaftere Formen annahm. Doch der Dialog wurde plötzlich unterbrochen, denn Jean Ribault näherte sich der „Isabella“. Auch er schien ausnehmend gute Laune zu haben - wie all die anderen. Er trug eine zusammengedrehte Rolle unter dem Arm. In der Hand hatte er etwas, das im Sonnenlicht immer wieder grell aufblitzte. Es schien ziemlich schwer zu sein. „Ist es gestattet und so weiter?“ fragte er grinsend. „Aber gewiß doch, mein lieber Jean“, sagte der Profos ebenfalls grinsend. „Bringst du jetzt schon dein Zehrgeld mit, oder ist das etwa kein Goldbarren, den du uns großzügig als Geschenk anbietest, damit wir ihn umgehend versaufen können?“ Ribault setzte sich auf die Kuhlgräting und legte den Goldbarren auf die Planken. „Ein schöner Barren! Oder nicht?“ fragte er. „Doch“, bestätigte der Profos, „sehr schön. Was meint ihr?“ Die anderen fanden den Barren auch sehr schön, aber auch gleichzeitig etwas langweilig, denn sie hatten schon einige dieser Barren gesehen, gleich tonnenweise, wie sie versicherten. Smoky nahm ihn schließlich der Höflichkeit halber in die Hand, drehte ihn um und legte ihn wieder hin. „Richtig goldig“, sagte er grinsend. „Und schwer ist er auch.“ „Sonst fällt dir nichts auf?“ fragte der Franzose.
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Keinem fiel etwas auf. Ein Goldbarren - na und? Die gab es in den unterirdischen Höhlen der Insel wie Sand am Meer. „Doch - er glänzt so schön“, sagte Paddy Rogers. „Aber ein Pfannkuchen von diesem Gewicht wäre mir lieber.“ „Na, ihr glänzt heute nicht gerade“, sagte Jean seufzend. „Erzählt nur weiter euren Stuß. Ist euer Kapitän an Bord?“ Carberrys mächtiger Daumen wies nach achtern. Daraufhin setzte sich der Franzose in Bewegung. „Käse“, sagte Ed, womit er den Goldbarren meinte. „Habe ich euch schon mal erzählt, wie mir damals die Großrah auf den Schädel fiel und glatt zersplitterte?“ „Nee, noch nicht“, sagte Jeff Bowie, „du hast nur erzählt, wie du den abgefeuerten Siebzehnpfünder mit den Händen gefangen hast, Und dabei sind dir nur die Flossen ein bißchen warm geworden.“ Inzwischen trat Ribault bei Hasard ein. Er fand den Seewolf bei bester Laune vor und begrüßte ihn freudig. „Noch Beschwerden, Sir?“ fragte er, auf Hasards Rücken deutend. „Nein, mir geht es wieder prächtig, Jean. Setz dich.“ Ribault nahm lächelnd Platz. Den Goldbarren legte er wie provozierend auf den schweren Tisch, die gerollte Karte direkt daneben. „Aha“, sagte Hasard, auf den Goldbarren deutend, „soll das dein Sonntagsgeschenk sein?“ „Er stammt aus der Beute der ‚Santa Cruz'. Sei bitte so gut und sieh ihn dir etwas genauer an. Deinen Arwenacks ist nichts aufgefallen, aber vielleicht fällt dir etwas auf.“ Hasard nahm den Barren verwundert zur Hand und betrachtete ihn. Er wußte zwar nicht, was an dem Barren dran sein sollte, aber er drehte ihn um und prüfte ihn. Als er den Barren umgedreht hatte, fiel ihm ein Prägestempel auf. Jetzt blickte er mit zusammengekniffenen Augen genauer hin. Der Stempel war rund und um den Rand herum beschriftet Halblaut las er die Worte vor und übersetzte sie gleich aus dem Lateinischen:
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„Philipp der Zweite, König von Spanien und Westindien.“ „Richtig“, sagte Jean. „Quer über die Mitte ist aber noch ein anderes Wort eingeprägt.“ „Potosi steht da-. sagte Hasard. „Na und? Was ist das Besondere daran?“ Ribault verdrehte die Augen, blickte an die getäfelte Decke und ließ sich gleichzeitig ein wenig zurücksinken. Dann sah er wieder Hasard an, wobei er tief Luft holte. „Weißt du nicht, wer oder was Potosi ist?“ fragte er verwundert. „Oder hast du heute deinen schlechten Tag, Sir?“ „Im Gegenteil“, versicherte Hasard freundlich. „Ich fühle mich ausgesprochen wohl. Das verpflichtet mich jedoch nicht, zu wissen, wer oder was Potosi ist. Ich habe es nie gehört.“ „Hm, wenn das so ist ... Ich habe mich mit diesem Problem bereits beschäftigt, als ich mit Sir Johns ‚Lady Anne' zurückkehrte.“ „Demnach ist Potosi also ein Problem.“ „So kann man es sehen.“ Ribault hatte jetzt wieder sein verwegenes Grinsen drauf, ein Grinsen, das Hasard nur allzu gut kannte. Der Kerl heckt wieder einmal etwas aus, dachte er. „Ich habe mich sogar eingehend damit beschäftigt“, gab Ribault zu. „Dabei stieß ich auf etwas ganz Erstaunliches: Sobald die Spanier in der Neuen Welt irgendwo Gold- oder Silbervorkommen entdeckten, errichteten sie gleich an Ort und Stelle Münz- oder Scheideanstalten.“ „Ganz richtig, Jean, das ist mir bekannt.” „Nun, da wurden also gleich Gold- und Silbermünzen geschlagen oder geprägt, aber es wurden auch die Barren gegossen und mit dem königlichen Stempel versehen, um auf diese Weise kundzutun, daß sie durch den Stempel Eigentum Seiner Allerkatholischsten Majestät seien.“ „Stimmt auch“, sagte Hasard lächelnd, „nur nehmen die ehrenwerten Senores in den Münzanstalten die Sache mit dem königlichen Eigentum nicht so genau. Sie stopfen sich gleich an der Quelle die Taschen voll.“ „Sehr richtig. Und weil wir gerade bei diesen ehrenwerten Senores sind - jene, die das edle Metall in dieser oder jener Form
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transportieren, langen auch noch einmal kräftig zu. Und auch die Kapitäne der nach Spanien zurücksegelnden Galeonen rupfen noch ein bißchen an dem Gold und Silber herum. Den letzten Aderlaß gibt es dann in Sevilla, wenn die kostbare Ladung endlich an Ort und Stelle ist. Die Beamten der Casa wollen natürlich auch nicht leer ausgehen, und so greifen auch sie noch einmal zu. Der Rest des Edelmetalls fällt dann, ziemlich gefleddert, Seiner Allerkatholischsten Majestät zu.“ Hasard lächelte, genau wie Ribault auch. Er goß seinem alten Kampfgefährten funkelnden Rotwein in ein Kristallglas und schob es zu ihm hin--aber. Beide Männer tranken sich grinsend zu. „Und wo liegt jetzt das Problem?“ fragte der Seewolf. „In Potosi. Das ist nämlich jener Ort, wo die Dons das Gold in Barren gegossen haben, und genau diese Barren sollte die Galeone ,Santa Cruz nach Spanien bringen. Was da auf dem Tisch liegt, ist also ein Goldbarren aus Potosi. Die Ladung hatte sich Sir John unter den Nagel gerissen, und jetzt haben wir sie.“ „Also gut, wir haben Gold aus Potosi. Und weiter?“ Ribaults Grinsen wurde noch breiter und verwegener. „Daraus folgert doch, daß an einem Ort, wo man Barren gießt und Münzen prägt, noch mehr von dem Zeug vorhanden sein muß. Oder sehe ich das falsch?“ Ribault griff scheinbar in die Luft, rieb die Finger gegeneinander und hielt eine Goldmünze in der Hand, die er Hasard von beiden Seiten zeigte. „Hier, auf der einen Seite, zeigt die Prägung die Säulen des Herkules mit Atlantikwellen und der Aufschrift Potosi. Auf der anderen Seite befindet sich ein Kreuz, dazu die Türme von Kastilien und der Löwe von Leon, das königliche Wappen. Das ist doch eine Prachtmünze, mein lieber Sir. Und sie hat noch eine Unmenge Brüder, davon bin ich überzeugt.“ In Hasards Blick lag jetzt eine gespannte Aufmerksamkeit, als er Barren und Münze
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nochmals genauer betrachtete. Dann blickte er sehr nachdenklich Jean Ribault an. „Wo liegt dieses Potosi? Tut mir leid, aber ich habe wirklich noch nie davon gehört.“ Ribault griff lächelnd zu der mitgebrachten Rolle, entfaltete sie und beschwerte sie demonstrativ mit dem Brocken aus Potosi. Auf den anderen Rand legte er die Goldmünze. „Auch damit kann ich dienen“, sagte er eifrig, „die Sache hat mir nämlich keine Ruhe mehr gelassen. Das ist eine Karte von der Westküste Südamerikas bis hinauf nach Mittelamerika. Hier!“ Er tippte mit dem Finger auf einen kleinen Punkt. „Das ist die Hafenstadt Arica, und hier, etwas weiter in östlicher Richtung, liegt Potosi. Genau da, wo ich das Kreuz eingezeichnet habe. Potosi ist eine Stadt, die bereits vor zwanzig Jahren mehr als einhundertzwanzigtausend Einwohner hatte. Da staunst du, was?“ Hasard staunte wirklich, dann stieß er pfeifend die Luft aus und sah Ribault stirnrunzelnd an. „Mein lieber, guter Jean“, sagte er, „hast du - gelinde gefragt - eigentlich noch alle Mucks im Schapp? Potosi -das sind, über den Daumen gepeilt, mindestens dreitausend Meilen von der SchlangenInsel bis nach Arica. Weiter dürften es etwa dreihundert Meilen Landweg von Arica nach Potosi sein, und das im Hochland, ganz abgesehen von der Überquerung des Isthmus von Panama. Oder gedachtest du etwa, den riesigen Umweg um das Kap Hoorn zu nehmen, lieber Freund?“ „Aber, aber, Gevatter“, sagte Jean mit süffisantem Grinsen. „Natürlich habe ich solche Argumente erwartet, aber ich lasse sie in aller Ruhe an mich heran. Wir sind doch zwei weitblickende Männer, und der Weg um die Hoorn ist sicher ein bißchen zu weit.“ „Ein bißchen?“ schnaubte Hasard. „Ein bißchen ist gut.“ Ribault ließ sich wirklich nicht aus der Ruhe bringen. Dickfellig und impertinent grinsend saß er da. Seinem Gesicht war
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anzusehen, daß er sich regelrecht auf Potosi verbissen hatte. Er mußte nur noch den Seewolf überzeugen. „Klammern wir die Hoorn aus“, sagte er. „Ich empfehle eine andere, wesentlich kürzere Route, und zwar südwestwärts über die Karibik nach Porto Bello oder Nombre de Dios, von dort über Land nach Panama und von dort wiederum längs der Küste immer südwärts über Callao nach Arica. Das ist eine kurze und handfeste Route. Der Rest ist auch nicht mehr als ein Klacks“, fügte er lässig hinzu. „Natürlich, Gevatter Jean“, sagte Hasard höhnisch. „Und auf der Route Panama über Callao nach Arica immer lustig gegen den meist aus Süden wehenden Wind anknüppeln. Und ab Punta de Aguja auch noch kräftig gegen den Peru-Strom, nicht wahr?“ „Sehr richtig, Sir. Aber das hat auch seine guten Seiten-. sagte Jean grinsend, „denn auf der Rückfahrt werden wir dann wieder von Wind und Strom geschoben.“ „Wir?“ fragte Hasard mit hochgezogenen Brauen. „Was, mein lieber Gevatter, verstehst du bitte sehr unter wir?“ „Ach, das ist doch ganz einfach“, erklärte Jean seelenruhig. „Unter wir verstehe ich euch, die Arwenacks, selbstverständlich und dazu noch meine Schwefelbande. Das reicht doch wohl.“ Hasard lehnte sich ebenfalls zurück, blickte auf die Karte, auf den Goldbarren und auf Ribault, der genüßlich grinsend an dem Rotwein nippte und dabei auf Antwort wartete. Die erhielt er auch, aber anders, als er sich das gedacht hatte, denn der Seewolf schien längst nicht so begeistert von Potosi zu sein wie er selbst. „Du bist verrückt, Jean, glatt verrückt.“ Ribault blieb kaltschnäuzig bis in die Knochen. Er nahm die Worte auch nicht übel, er grinste immer noch. „Schade“, murmelte er, „wirklich bedauerlich. Da muß ich mit meinen Männern wohl allein lossegeln.“ „Bist du sicher?“ fragte Hasard ironisch. „Klar, ich segle allein, wenn ihr nicht wollt.“
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„Du kannst nicht einfach allein lossegeln, Jean. Denn da haben die anderen Kapitäne und Mannschaften wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden. Das entscheidet die Mehrheit im Bund der Korsaren.“ „Richtig, Sir. Aber diese Mehrheit wird mir schon zustimmen, denn ich habe gute Argumente zur Hand.“ „Den Goldbarren und die Münze?“ Ribault grinste immer noch unerschütterlich. „Berufen wir ein Palaver für heute abend ein?“ fragte er. „Genehmigt“, entschied der Seewolf. „Aber es wird nicht viel mehr als ein Plauderstündchen sein.“ „Warten wir's ab. Ich habe noch ein paar Trümpfe in der Hand.“ 2. Der Einfachheit halber fand das Palaver in der Bucht am Strand statt. Ein paar Fackeln waren entzündet worden. Das restliche Licht spendete der Mond, der groß und gewaltig über der Karibik hing und aus narbigem Gesicht auf die Versammlung blickte. Mannschaften und Kapitäne waren erschienen, auch Arkana, Araua und Karl von Hutten. Ribault ließ ein paar Barren und Münzen zur allgemeinen Besichtigung verteilen und erklärte dann genau, wo Potosi zu finden sei und was man darunter zu verstehen habe. „Wir alle kämpfen gegen die Dons“, sagte er, „und wir haben auch viele und gute Erfolge errungen. Aber das ist noch lange nicht genug. Wir müssen die Dons immer dort packen, wo sie sich selbst am sichersten fühlen und keinen Angriff erwarten. In Potosi fühlen sie sich völlig sicher. Und dort in den Minen und Bergwerken schuften Sklaven und unschuldige Farbige für sie, weil die Dons den Hals nie voll genug kriegen. Diese Leute wurden zusammengetrieben und in die Bergwerke gesteckt, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen schlimmste Sklavenarbeit leisten - so lange, bis sie
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elend verrecken und krepieren. Wenn wir ihnen diese Quellen zuschütten, erleiden sie eine empfindliche Schlappe, und wir retten dadurch Tausenden von armen geknechteten Menschen das Leben.“ Ein paar Männer murmelten Worte der Zustimmung, doch Potosi war für die meisten noch ein ferner Begriff, unter dem sie sich nicht viel vorstellen konnten. „Diese Menschen sind für mich der eigentliche Grund, warum ich diesen Plan für einen Überfall auf die Minen gefaßt habe. Der zweite ist die Schwächung der Dons, die dadurch wiederum weniger Kriegsgüter herstellen können, um andere Länder zu unterjochen und das ganze grausame Spiel von vorn zu beginnen. Wir haben selbst erlebt, wie die Dons mit unschuldigen Menschen verfahren. Sie sind für sie nur billige Arbeitskräfte, Material, das gnadenlos verheizt wird. Menschenleben spielen ja keine Rolle.“ Das Murmeln wurde lauter. Der Wikinger Thorfin Njal nickte eifrig. Auch die anderen Kapitäne - Oliver O'Brien und Jerry Reeves - gaben Ribault recht. Selbst die Rote Korsarin nickte zustimmend. „Wie hast du dir das vorgestellt, Jean?“ fragte der Wikinger mit seiner Donnerstimme dazwischen. „Ich habe gründlich darüber nachgedacht“, erwiderte Jean, „und auch alles reiflich überlegt. Der Plan ist durchaus durchführbar, wenn er ernsthaft in Angriff genommen wird. Wir bilden zwei Mannschaften, die von einem unserer Schiffe auf der Ostseite des Isthmus von Panama abgesetzt werden, die Landbrücke überqueren und nach Panama einsickern. Dort müßten wir uns zwei gute Schiffe besorgen, entweder unter der Hand kaufen oder notfalls kapern; aber das Kaufen zweier Schiffe ziehe ich vor, weil man sie ja auch noch ausrüsten muß.“ „Bravo!“ brüllte Old O'Flynn begeistert. „Das nenne ich ein Wort, Jean! Das wird ein Feldzug ganz nach meinem Geschmack. Wir laufen Potosi an und kloppen den Dons kräftig eins auf die Finger.“
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„Wie willst du denn Potosi anlaufen, wenn das über viertausend Yards hoch in den Bergen liegt?“ fragte Hasard den kampflustigen Alten. Daraufhin schwieg Old O'Flynn erst einmal verdattert und hörte eine ganze Weile gespannt zu. „Wir müßten dann südwärts bis in die Nähe von Arica segeln“, führte Ribault weiter aus. „Dort werden beide Schiffe gut versteckt. Für den Weg zu den PotosiMinen brauchen wir dann allerdings einen Indio, den aufzutreiben kein Problem sein dürfte.“ „Und wie hast du dir das Vorgehen bei den Minen und die anschließende Rückkehr vorgestellt?“ fragte Hasard. „Das muß die jeweilige Situation ergeben, das läßt sich vorerst noch nicht planen, weil wir nicht wissen, welche Verhältnisse wir dort vorfinden. Den Rückweg stelle ich mir so wie damals vor. Erinnere dich bitte an die Geschehnisse vor fünfzehn Jahren, Sir. Da sind wir von Baudo aus auf dem Landweg zum Rio Atrato marschiert und von dort flußabwärts mit Booten zum Golf von Uraba, der südlichsten Spitze des Golfes von Darien, vorgestoßen. Dort haben wir dann ein Schiff geentert. Das müßte jedem noch gut in Erinnerung sein.“ Es war ihnen auch noch in Erinnerung, besonders einem. war es verflucht gut in Erinnerung und würde das auch bis an sein Lebensende bleiben. Dieser Mann war Jeff Bowie, der jetzt gedankenvoll seinen linken Arm hob und den spitzen Eisenhaken betrachtete, der ihm Hand und Faust ersetzte. Er sah die Szene wieder vor sich, überdeutlich, die sich ihm für alle Zeiten unauslöschlich eingebrannt hatte. Er war vom Floß gefallen und in den Fluß gestürzt, der von gefräßigen Piranhas verseucht war. Smoky, Stenmark und Karl von Hutten hatten ihn zwar schnell wieder herausgezogen, doch es war schon zu spät. An seiner Hand zappelte noch einer der Raubfische, aber die Hand war zerrissen, Sehnen und Knochen lagen frei, und das Blut spritzte heraus.
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Amputation, da half nichts anderes mehr. Sie flößten ihm scharfen Schnaps ein, bis er zu singen begann. Der Kutscher nahm die Axt, schlug zu und trennte ihm die Hand vom Unterarm. Dann schütteten sie ihm Schießpulver über die Wunde und zündeten es an. Zum Glück hatte er nicht mehr viel davon verspürt, denn er war bewußtlos geworden. Drei Tage und drei Nächte hatte er danach im Fieber gelegen, aber die Wunde hatte nicht geeitert und war dank des Kutschers Kunst wieder verheilt. Seitdem trug Jeff Bowie diese Hakenprothese. Wie zufällig wanderten die Blicke der Arwenacks zu Jeff Bowie, aber der grinste nur und hob stolz seinen Haken hoch. Auch Ribault warf dem Hakenmann einen lächelnden Blick zu. „Wir können auch bis in die Nähe von Panama segeln“, schlug er weiter vor, „und denselben Weg nehmen, auf dem wir nach Panama gelangt sind, also über den Isthmus nach Nombre de Dios oder Porto Bello, das können wir immer noch entscheiden. Wer nicht mit will, der läßt es eben bleiben, aber von einem Mann weiß ich mit Sicherheit, daß er an dem Unternehmen teilhaben wird, nämlich Karl von Hutten. Und Karl ist bei einem derartigen Unternehmen von unschätzbarem Vorteil, weil er sch mit den Indios verständigen kann.“ Von Hutten nickte Ribault lächelnd zu. „Ich bin dabei, Jean“, sagte er, „darauf kannst du dich verlassen.“ Hasard musterte die beiden grinsenden Kerle gespannt. Ein feiner Schachzug von Ribault, dachte er. „Habt ihr das vorher untereinander abgesprochen?“ fragte er scharf. „Nein“, sagte Karl von Hutten, .ganz sicher nicht. Ich hatte von dem Plan keine Ahnung und höre jetzt zum ersten Male davon.“ „Und du bist gleich hellauf begeistert?“ „Allerdings, die Sache gefällt mir, sie riecht nach Abenteuer und Abwechslung, und sie dürfte den Dons bei Gelingen eine gehörige Schlappe bescheren.“
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Hasard beobachtete die Reaktion der anderen. Die waren alle ziemlich durcheinander, und einige hatten schon das begehrliche Funkeln in den Augen. Er nahm Thorfin Njal genauer aufs Korn. Der Wikinger war ganz kribbelig und befummelte schon wieder ständig seinen verdammten Kupferhelm, an dem er kratzte und rieb, als würde es ihn mächtig darunter jucken. Die meisten tuschelten erregt untereinander. Ribaults Äußerung, die Spanier dort zu packen, wo sie es am wenigsten erwarteten, war auf fruchtbaren Boden gefallen. Das war also einer der Trümpfe, die Ribault noch im Ärmel hatte. Siri-Tong sah die beiden Männer an. „Zwei Helden sind also wieder einmal zum Aufbruch ins Ungewisse bereit“, sagte sie spitz. „Wer außer euch sollte bei dem Unternehmen denn noch dabei sein?“ Die Männer hielten den Atem an und blickten zu Ribault, der gelassen die Arme über der Brust gekreuzt hielt und in die Runde sah. „Ich dachte eigentlich an Hasard und seine Arwenacks - und dann natürlich an meine eigene Mannschaft.“ Mit der Ruhe war es schlagartig vorbei, denn nun setzte genau das Palaver ein, das Hasard vorausgesehen hatte. Alle brüllten lautstark durcheinander, und fast alle waren plötzlich Feuer und Flamme für den abenteuerlichen Plan. Das reizte die Kerle jetzt ganz gewaltig. Ihnen juckte wieder das Fell. Der Seewolf schüttelte den Kopf und sah einen nach dem anderen an. Der Profos war ständig am Grinsen und rieb sich die Pranken in der Vorfreude auf künftige Abenteuer. Pete Ballie und Stenmark nickten sich begeistert zu, während Matt Davies und Jeff Bowie ihre Eisenhaken hart zusammenknallten. Smoky hatte einen merkwürdigen Glanz in den Augen, und der alte O'Flynn reckte mal wieder den Hals vor, als entgehe ihm etwas. Na schön, er verstand die Begeisterung ja auch, aber das war eine Reise von dreitausend Meilen, hin und zurück das Doppelte, und das würde Monate dauern,
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Monate voller Unwägbarkeiten, Entbehrungen und Strapazen, doch daran schien keiner der Kerle zu denken. Sie sahen sich nur unterwegs, alles andere störte sie vorerst nicht. Er drehte etwas den Kopf nach links und blickte zu seinen beiden Söhnen hinüber. „Auch das noch“, murmelte er betroffen. Die Blicke der beiden Kerle hingen wie Kletten an ihm, ihre Augen leuchteten noch heller als die von Smoky, und ihre Gesichter waren so erwartungsvoll, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die Burschen barsten vor Tatendrang. Denen juckte das Fell noch mehr als den' anderen. Aber noch war gar nichts entschieden. „Ich bitte um Ruhe“, sagte Hasard, während er sich erhob. Das Palaver verstummte sofort. Alle Blicke richteten sich auf Hasard. Sie wußten, daß er jetzt etwas vorbringen würde, was das geplante Unternehmen in einem anderen Licht zeigte, daß es auch Schattenseiten hatte und nicht nur strahlender Sonnenschein war. Hasard wog das Für und Wider immer sorgfältig ab und ließ sich auf keine Spekulationen ein. „Noch haben wir Jeans Plan nicht in Erwägung gezogen“, sagte er, „es war nur ein Vorschlag von ihm. Aber bevor wir den Plan überhaupt erwägen, haben wir noch ein anderes Problem zu lösen. Jean hat von zwei Schiffsmannschaften gesprochen, die das Unternehmen durchführen sollen. Zwei Schiffsmannschaften sind aber immerhin fünf Dutzend bewährte Kämpfer, also etwa sechzig Mann. Die fallen zum ersten schon bei den ständigen Patrouillenfahrten um die Insel und nach Coral Island aus. Das ist das eine Problem. Das andere ist, daß diese Männer auch fehlen würden, falls die Spanier einen erneuten Versuch unternehmen, die Schlangen-Insel anzugreifen.“ „Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen“, sagte der Wikinger. „Das ist überhaupt nicht auszuschließen, Thorfin. Denn einem Mann ist die Position der Schlangen-Insel immerhin sehr genau
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bekannt, und das ist der Gouverneur von Kuba, der feiste Don Antonio de Quintanilla. Der Kerl ist nach wie vor gefährlich und wird bald wieder etwas unternehmen. Hast du das Problem schon erwogen, Jean, oder weißt du eine Lösung dafür?“ Ribault hustete unterdrückt. Nein, verdammt, er hatte keine Lösung, er hatte gar nicht daran gedacht. Er wollte gerade den Mund auftun, um das verlegen zuzugeben, als die Schlangen-Priesterin Arkana einen Schritt vortrat und Hasard gelassen ansah. „Bereite dir darum keine Sorgen“, sagte sie mit ihrer samtig klingenden Stimme. „Auch in Abwesenheit von sechzig Kämpfern ist die Insel zu verteidigen, sollte es den Spaniern nochmals einfallen, anzugreifen. Die Schwachpunkte der Insel sind uns nach dem letzten Kampf bekannt. Wir werden die Insel entsprechend ausbauen und zusätzlich sichern und verstärken.“ Ihre Blicke brannten sich in Hasards Gesicht fest, rätselhaft und dunkel waren ihre Augen, geheimnisvoll wie die einer Sphinx. Sie sah ihn an wie damals auf der Insel Mocha, als sie sich zum ersten Male begegnet waren. Sechzehn Jahre war das schon her, und knapp ein Jahr jünger war Araua, ihre gemeinsame Tochter, die nur ein paar Schritte weg von ihrer Mutter stand. Hasard wollte sich räuspern und etwas sagen, doch Arkana schüttelte energisch den Kopf. „Es wird keinen Angriff auf die Insel geben, nicht in den nächsten Monden, ich weiß es, denn ich habe den Schlangen-Gott befragt. Laß Ribault und von Hutten segeln, Seewolf. Araua wird die beiden Männer begleiten.“ Ihr rätselhafter Blick kühlte bei den letzten Worten etwas ab. Dann sah sie an ihm vorbei auf Araua, die längst zu einer bildhübschen jungen Frau mit allen weiblichen Attributen herangereift war. Sie ähnelte ihrer Mutter, bis auf die Augen, denn die waren so eisblau wie die des Seewolfs.
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Hasard stand unbeweglich da. Seine Augen wurden schmal, auch die Lippen verkniffen sich unmerklich. So ist das also, dachte er. Araua sollte die beiden begleiten, sie sollte an dem Unternehmen teilhaben. Prächtig hatte sie das hingekriegt, mit echt fraulicher Raffinesse. Er wußte auch, was Arkana damit bezweckte: Offenbar glaubte sie, ihn auf diese Weise zwingen zu können, mit seinen Arwenacks an dem Unternehmen teilzunehmen. Und er, Hasard, fand sich dann in der Rolle des väterlichen Aufpassers wieder, einer Rolle, die ihm absolut nicht gefiel. schon gar nicht bei einem derart höllischen und risikoreichen Unternehmen. Arkanas Blick wurde noch kühler, als er keine Antwort gab. Nein, das paßte ihm ganz und gar nicht. Seine Arwenacks waren zwar disziplinierte Kerle, aber eben auch nur Männer, und Araua war ein blutvolles, temperamentvolles Ding, das ohnehin die Blicke der Männer magisch auf sich zog. Und das sollten sich seine Kerle dann tagtäglich ansehen und dabei noch zahm und gleichgültig bleiben. Das war einfach unmöglich. Seine Stimme klang schroffer, als er es eigentlich beabsichtigte. „Noch steht überhaupt nicht fest, wer wann und mit wem segelt. Erst muß darüber abgestimmt werden, welche Mannschaft Jean begleiten wird. Es sieht ganz danach aus, als wollten alle mit. Das ist das eine. Sollte es meine Mannschaft sein, die mitzieht, dann weigere ich mich ganz entschieden, Araua mitzunehmen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ „So, du weigerst dich, Seewolf“, sagte sie kühl. „Aber du vergißt offenbar, daß Araua eine Schlangen-Kriegerin ist - und dort unten südlich von Arica geboren wurde. Für das geplante Unternehmen wäre das ein unschätzbarer Vorteil, denn sie spricht die Dialekte der indianischen Küstenstämme. Das solltest du bedenken.“ Hasard hatte nicht geglaubt, daß ihre Stimme noch kühler und unpersönlicher
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werden könnte, aber jetzt wurde sie es, beinahe verletzend sogar. „Ich bedenke ...“, sagte er, doch sie unterbrach ihn sofort. „Keine Sorge, Seewolf. Ich unterstelle Araua dem persönlichen Schutz Karl von Huttens. Mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen.“ Hasard preßte die Lippen noch fester zusammen. Sein Blick wurde ausgesprochen finster. Da hatte sie ihm prächtig eins ausgewischt und den Wind aus den Segeln genommen. Er wollte gerade zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, aber Arkana drehte sich um und ging zu der anderen Gruppe hinüber. Zu allem Überfluß begann jetzt auch noch der Wikinger herumzubrüllen und aufgeregt seinen Helm zu befummeln. „Hier braucht überhaupt nicht abgestimmt zu werden!“ schrie er. „Das ist doch völlig klar, daß ich mit meinen Kerlen Ribault und Karl von Hutten begleite! Da gibt's nichts mehr abzustimmen, da ist alles schon im Lot.“ „Gar nichts ist im Lot!“ fauchte die Rote Korsarin den Nordmann an. „Ich protestiere dagegen. Du bestimmst nicht einfach, Thorfin.“ „Und ob ich bestimme!“ brüllte der Wikinger zurück. „Ich will nicht immer auf der Insel hocken und zurückbleiben. Ich und meine Männer gehen mit - und damit basta!“ „Dagegen erhebe ich Einspruch“, sagte Oliver O'Brien. „Das kannst du wirklich nicht allein bestimmen, Mister Njal.“ „Ganz recht“, pflichtete Jerry Reeves bei, „das sehe ich genauso. Ich protestiere ebenfalls dagegen, daß Thorfin das entscheidet.“ Der Wikinger war sauer. Er ließ sich zu etwas hinreißen, was er sonst nie tat. Er riß sich seinen Helm vom Schädel und knallte ihn wutentbrannt auf den Boden. „He, du ermordest deine nordischen Riesenläuse!“ rief der Profos. Thorfin gab eine unfeine Antwort, hob den Helm auf, stülpte ihn wieder auf den. Schädel und brüllte lautstark herum, daß er von nun an ebenfalls gegen alles protestieren würde,
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egal was. Und seine nordischen Riesenläuse gingen den Profos einen Scheiß an, er solle lieber sein großes Maul halten, sonst würde ihm mal eine gewaltige Faust im Rachen steckenbleiben. „Ha, das muß ich mir von diesem behelmten Nordpolaffen gerade noch sagen lassen, was, wie? Dem Weihnachtsmann stopfe ich seinen eigenen Bart zwischen die Zähne!“ rief Carberry ruppig. Der Stör sprang auf und drohte dem Profos mit der Faust, weil der seinen verehrten Herrn und Meister beleidigt hatte. Es sah ganz nach einer wilden Prügelei aus. Carberry schnappte nach Luft, als er die erhobene Faust sah. Er wollte schon losstürmen, doch da stand Hasard plötzlich vor ihm und sah ihn hart an. „Seid ihr eigentlich alle verrückt geworden?“ fragte er sanft. Carberry lächelte betont harmlos, aber sein narbiges Gesicht war immer noch zornig verzogen. „Ich wollte nur nachsehen, was der Stör in der Faust versteckt hat, Sir. Vielleicht hat er ein Geschenk für mich.“ Danach kehrte etwas Ruhe ein, und weil Old O'Flynn die ganze Zeit nicht zu Wort gekommen war, meldete er sich jetzt mit etwas schriller, aufgeregter Stimme. „Von mir redet keiner, was?“ zeterte er. los. „Mein Schiff und meine Mannschaft zählen wohl nicht mehr? Aber ich hab' auch noch ein Wörtchen mitzureden. Genauso gut kann ich auch mit meiner Crew und Jean Ribault nach Potosi segeln.“ „Verdammt!“ brüllte der Profos. „Hasard hat dir schon einmal verklart, daß man mit einem Schiff nicht ins Gebirge segeln kann. Du hast wohl immer noch nicht begriffen, wo Potosi liegt, was, wie?“ „Ich will aber nach Potosi!“ brüllte Old O'Flynn. 15 Aber doch nicht mit einem Schiff!“ schrie der Profos noch lauter. „Dann eben mit einem Beiboot, verdammt! Weshalb kann man mit dem Schiff nicht nach Potosi?“
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„Himmel, Arsch und Ziegenkäse! Ja begreifst du das immer noch nicht, du alter Nachtwächter? Wir verklaren dir seit ein paar Stunden, daß Potosi keine Hafenstadt ist und hoch in den Bergen liegt. Aber du mit deiner verdammten Hartnäckigkeit und Sturheit wiederholst immer wieder, daß du nach Potosi segeln willst. Dann hau doch ab mit deinem verdammten ,Empress`Sargdeckel! Du wirst schon sehen, wo du landest.“ „Hast du mein Schiff eben einen verdammten Sargdeckel genannt?“ schrie Old O'Flynn voller Empörung. „Klar, weil du nicht mehr durchAber vielleicht gelingt es dir ja mit deinem Affenprahm durch die Lüfte zu segeln.“ Jetzt lagen sich die beiden wieder mal in den Haaren. Hasard sagte gar nicht, er schaute nur noch kopfschüttelnd zu. Da hatte Ribault ein Süppchen angerührt, an dem sich jetzt alle die Zungen verbrannten. Verrückt waren die Kerle, total bescheuert, und jetzt prügelten sie sich fast darum, wer mit nach Potosi durfte. Es kam auch weiterhin keine Einigung zustande. Der einzige, der nicht unbedingt mitwollte, war der alte Hesekiel Ramsgate. Der hockte im Sand und grinste sich eins in seinen silbergrauen Bart. Schließlich war es Jean Ribault, der die Hand hob und mit lauter Stimme um Ruhe bat. „So geht das nicht“, sagte er. „Die Diskussionen bringen nichts weiter als Ärger. Wir sitzen in den nächsten Tagen noch hier und streiten uns. Ich schlage daher vor, daß wir es so halten, wie wir es immer gehalten haben, wenn es keine Einigung gab. Wir lassen das Los entscheiden, das ist eine gerechte Sache. Seid ihr wenigstens damit einverstanden?“ Den Losentscheid empfanden sie als gerecht, und so drehte sich der Franzose grinsend um und zog sein Entermesser aus dem Gürtel. „Dann schnitze ich jetzt ein paar Hölzchen zurecht“, sagte er. Beifälliges Gemurmel erklang von allen Seiten. Das Los würde entscheiden, und dann hatten sich alle zu fügen.
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„Hier habe ich fünf kleine Hölzchen“, sagte Jean. „Für jeden der Kapitäne eins. Eins dieser Hölzchen verkürze ich jetzt so weit, daß es sich deutlich unterscheidet. Wer das kurze Hölzchen zieht, wird mich mit seiner Mannschaft begleiten. Einverstanden?“ „Einverstanden“, sagten alle. „Nicht einverstanden“, sagte Old O'Flynn bockig. „Wieso nicht?“ „Bin ich vielleicht kein Kapitän, he? Schließlich habe ich ein Schiff, wenn es auch nicht sehr groß ist.“ Hasard seufzte tief. Der Alte ging ihnen heute mächtig auf den Geist mit seinem Potosi und ständigem Gemaule. „Nun hör mal gut zu, Donegal“, sagte Hasard freundlich. „Du maulst schon den ganzen Tag lang herum, aber du wirst doch wohl hoffentlich endlich mal einsehen, daß du mit deiner kleinen Crew weiß Gott keine zweite Mannschaft darstellen kannst. Du hast drei Leute, aber wenn das Los auf mich fallen sollte, dann sind Nils Larsen und Sven Nyberg logischerweise wieder bei meiner Mannschaft. Oder siehst du das nicht ein?“ O'Flynn maulte zwar noch ein bißchen herum, gab aber schließlich nach, weil er das dann doch einsah. Er wollte zwar noch erzählen, was er früher alles ganz allein gemeistert hätte, aber die anderen vertrösteten ihn auf später. „Wird sowieso 'ne mistige Scheißstadt sein“, grummelte er, „wenn der Hafen viertausend Yards hoch in den Bergen liegt.“ „Er hat das immer noch nicht kapiert“, sagte Hasard fassungslos, als Old O'Flynn gerade nicht zuhörte. „Mitunter ist es wirklich ein Kreuz mit ihm. Aber jetzt zur Sache.“ Jean Ribault, der die Hölzchen in der Hand hielt, bemühte sich um einen möglichst ehrlichen Gesichtsausdruck, was ihm auch hervorragend gelang. Niemand würde etwas merken, dachte er, sie würden es
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nicht einmal ahnen, daß er sie kaltblütig begaunerte. Der Zweck heiligte auch in diesem Fall die Mittel. Er betrieb jetzt das, was die Franzosen mit „corriger la fortune“ bezeichneten, das Glück etwas korrigieren, ihm ein wenig nachhelfen. Den lieben Gott hatte er schon zweimal um Verzeihung gebeten und sein Gewissen damit erheblich entlastet. Es diente ja alles nur einem guten Zweck, außerdem folgte er einem festen Vorsatz. Hasard und seine Arwenacks waren nun einmal die besten Männer und die besten Kämpfer, und die wollte er unbedingt dabeihaben, ganz besonders den Seewolf, seinen alten Kampfgefährten, denn Hasard war genau der richtige Mann dafür, So hatte er jetzt noch ein sechstes Hölzchen in der Hand, das mit den vier anderen gleich lang war. Das gekürzte Hölzchen verbarg er geschickt in der Innenhand, während er die fünf anderen reihum präsentierte. „Ladies first“, sagte er galant und hielt der Roten Korsarin auffordernd die Hölzchen entgegen, von denen man nur die Spitze sah. Siri-Tong griff nach einem Hölzchen in der Mitte. Es war ein langes, woraufhin sie enttäuscht das Gesicht verzog. „Schade“, meinte sie bedauernd. Der Wikinger griff mit seinen Pranken zu, als wollte er Jean gleich alle Hölzchen aus der Hand reißen. Als er auch ein langes zog, verfinsterte sich sein Gesicht. Er sagte nicht: „Schade“ wie Siri-Tong, er sagte grob: „Ein Scheißspiel ist das, ein verdammtes.“ Dann wollte er sich wieder den Helm vom Schädel reißen, doch Ribault schüttelte lächelnd den Kopf. „Du hast schon eine Beule drin, Thorfin. Nachher mußt du wieder stundenlang klopfen.“ „Trotzdem ist das ein Scheiß“, grollte der Wikinger. Jerry Reeves war an der Reihe und zog ebenfalls ein langes Holz. „Hatte ich auch nicht anders erwartet“, murrte er. „Das Glück ist mir einfach nicht hold.“
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Oliver O'Brien trat vor, neben ihm stand Hasard. Jetzt muß ich ihn leimen, dachte Jean. Der Himmel möge mir zum dritten Male vergeben, aber ich will Hasard dabeihaben und seine Arwenacks. „Mein lieber Oliver“, sagte er laut lachend, „in der Kürze liegt die Würze, das bewahrheitet sich jetzt und hier.“ Die anderen lachten ebenfalls. Klar, das Sprichwort paßt vortrefflich dachten sie. Jedenfalls waren sie für einen winzigen Augenblick abgelenkt und achteten daher nicht so genau auf seine rechte Hand. Als Oliver zog, wurde auch sein Gesicht ziemlich lang. Damit stand der Sieger eigentlich fest, und so schob Ribault blitzschnell geschickt und gekonnt das kurze Hölzchen hoch und ließ das andere in der Innenfläche der Hand verschwinden, als Hasard auch schon zugriff. Philip Hasard Killigrew hielt das kurze Hölzchen in der Hand. Oliver O'Brien kratzte sich enttäuscht das Kinn. Aber bei den Arwenacks war jetzt der Teufel los. Die röhrten plötzlich wie die Hirsche, brachen in wildes Hurrageschrei aus und konnten sich kaum noch beruhigen. „Ab nach Potosi!“ brüllte Ferris Tucker „Nichts wie los!“ schrie Smoky. „Am besten gleich heute noch!“ Das Gebrüll wurde immer lauter. Etwas neidisch sahen die anderen zu, wie die Arwenacks sich in die Arme fielen, sich auf die Schultern klopfen oder dastanden und einfach nur die über beide Ohren grinsten. Ribault sah lächelnd zu. Das überzählige Hölzchen hatte er längst unauffällig verschwinden lassen. „Tut mir leid für die anderen“, sagte er, „aber so war es nun einmal vereinbart.“ Als das Jubelgeschrei allmählich verstummte, hob er die Hand. „Hasard und seine Crew segeln also mit uns zusammen“, sagte er laut. ‚Aber eins möchte ich dabei gleich von Anfang an klar und deutlich hervorheben: Es ist für mich selbstverständlich, daß ich mich mit meiner Mannschaft dem Kommando des
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Seewolfs unterstelle. Der beste Kapitän soll das Unternehmen leiten und führen, und der beste Kapitän ist nun einmal Hasard, das wird niemand bestreiten wollen. Folglich hat er das Kommando über die Reise.“ Zustimmendes Gebrüll erfolgte von allen Seiten. Nur Hasard blieb ruhig stehen und sagte kein Wort. Seltsam ist das, fand er. Er selbst maßte sich die dominierende Rolle im Bund der Korsaren nicht an, aber sie wurde immer wieder, an ihn herangetragen, ob er wollte oder nicht. Ribault ordnete sich sofort freiwillig unter, die anderen ebenfalls, das bewies die allgemeine Zustimmung von allen Seiten. Sie ließen ihn auch noch hochleben und jubelten ihm zu. Er blickte Jean an, der ihm zulächelte und vor Freude einen roten Kopf hatte. Aber auch die anderen Kapitäne gratulierten Hasard zu seinem Glück, das der Franzose „etwas“ korrigiert hatte. Aber auf diese Idee wäre niemand verfallen. Ribault hatte dabei allerdings immer noch ein schlechtes Gewissen, daher auch sein rot angelaufener Kopf. Aber das nahmen die anderen als Ausdruck der Freude, weil sie es nicht besser wußten. „Was sagst du nun, Sir?“ fragte Ribault freudestrahlend den Seewolf. „Anfangs warst du ja sehr dagegen.“ „Ich war damit einverstanden, das Los entscheiden zu lassen, und ich akzeptiere das selbstverständlich. Ja, ich muß zugeben, daß ich mich jetzt auf die neue Aufgabe freue, und ich werde mich ihr auch voll und ganz zuwenden und an die genaue Planung gehen.“ Das war typisch Hasard. Zuerst hatte er fast kategorisch abgelehnt, was Jeans abenteuerlichen Plan betraf, aber jetzt begann es ihn zu reizen, und er würde sich der neuen Aufgabe sehr sorgfältig zuwenden. Vor sich selbst gab er zu, daß ihn der Reiz des Abenteuers doch wieder einmal gepackt hatte. Das war wie ein Fieber, das langsam begann und dann schnell anstieg. Er sah es auch in den Gesichtern seiner Männer, sah das begehrliche Funkeln ihrer
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Augen und das erwartungsvolle Grinsen. Vor ihnen lag wieder eine Aufgabe, etwas Neues, eine weite Reise mit all ihren Unwägbarkeiten und Risiken. „Dann sollten wir das in Donegals Rutsche auch gleich feiern“, schlug Shane mit lauter Stimme vor. „Wir haben uns durstig genug geredet.“ Auch der Vorschlag wurde sofort begeistert aufgenommen, nur der alte O'Flynn war noch etwas grämlich. „Ich kann hier in meiner Kneipe hocken bleiben, wenn ihr in Potosi einlauft“, sagte er verbiestert. „Inzwischen wird mir das Bier sauer und der Wein trübe.“ Dem Profos klappte der Unterkiefer weg. Er beherrschte sich nur noch sehr mühsam, aber er wollte den Alten auch nicht weiter anranzen, sonst verfiel der noch auf die Idee, ihn mit Kneipenverbot zu belegen. Und das wäre gerade heute sehr schlimm. „Hör mal zu, Alterchen“, sagte er. „Wir laufen doch gar nicht in Potosi ein, nie und nimmer, das verspreche ich dir. Weil wir nämlich da gar nicht einlaufen können, verstehst du?“ „Damit hast du mich schon mal getröstet.“ „Ein paarmal schon“, sagte der Profos, wobei er sich ernsthaft um einen ruhigen Tonfall bemühte. „Du mußt das mit deiner Kneipe vergleichen, die liegt auch oben in den Bergen, und da kann man nun einmal mit einem Schiffchen nicht hinauf.“ „Ha!“ rief Donegal entrüstet. „Du willst doch wohl diesen lausigen Hafen nicht mit meiner Rutsche vergleichen. Die Dons wenden sicher einen Trick an, ich kenne das.“ „Jaja, vielleicht hast du recht“, sagte der Profos erschlagen, „vielleicht haben sie da auch eine Rutsche und rutschen mit ihren Galeonen einfach den Berg rauf und runter!“ „Das ist alles möglich. Jedenfalls haben sie den Hafen mit Sicherheit gut getarnt.“ Dem Profos standen schon die Tränen in den Augen, und er schielte auf O'Flynns faltigen Hals, als wolle er den ein bißchen in die Länge ziehen. Der alte Bursche hatte sich nun einmal in die Idee verrannt, daß es da oben einen Hafen gab, und das war ihm
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nicht mehr auszutreiben. Er ging einfach davon aus – basta! Alles, was man ihm darüber sagte, plätscherte ungehört an seinen Ohren vorbei. Der Profos gab es auf und seufzte tief und entsagungsvoll. „Was seufzt du denn?“ fragte „Bier und Rum. und das nicht zu knapp“, versprach Carberry. „Wir kriegen deine Pinte schon ausgenuckelt.“ „Hä?“ fragte der Alte verdattert. „Bier und Rum? Ich meinte doch etwas ganz anderes.“ „Rum und Bier genügen mir“, reimte Ed bescheiden. „Ich hoffe, du hast noch genügend Vorrat, denn wenn ich mir den Wikinger so ansehen, dann glaube ich, daß der heute seinen Kummer qualvoll ersäufen wird, und dazu braucht er eine ganze Menge.“ Etwas später befand sich die ganze Meute in Donegals Rutsche, die wegen der vielen durstigen Kehlen aus allen Nähten zu platzen drohte. Vorherrschendes Gesprächsthema war das neue Unternehmen, das in den schillerndsten Farben gemalt wurde. Ribault war der Mann des Tages, denn schließlich war der Gedanke ja auf seinem Mist gewachsen, wie der Profos laut sagte. Daß er das alles zuerst als „Käse“ abgetan hatte, wollte er jetzt nicht mehr wissen. Es ging hoch her in Old Donegals Rutsche an diesem Abend, obwohl einige Männer enttäuscht und sauer waren, daß sie zurückbleiben mussten. Ganz besonders traf das auf den Wikinger Thorfin Njal zu. Der saß beleidigt in einer Nische und soff sich den Kragen voll. „Immer ich“, lallte er, „mein ‚Eiliger Drache über den Wassern' kann ja vergammeln und verfaulen, und eines Tages wachsen mir aus meinem Helm noch große Hörner.“ „Vielleicht setzt der Stör dir mal ein paar Hörner auf“, lästerte Smoky und spielte damit auf Thorfins unbegründete Eifersucht gegenüber dem Stör an, auf den der Wikinger stets ein wachsames Auge hatte, sobald Gotlinde in der Nähe war.
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Jetzt war Thorfin schon ziemlich abgefüllt. Er schwankte leicht, in seinen Augen loderte der Zorn. „Wer hat das gesagt?“ fragte er drohend. „Ich“, sagte Smoky, „aber offenbar verstehst du heute nicht den geringsten Spaß.“ „Versteh' ich auch nicht!“ brüllte der Wikinger. „Das werde ich dir ich zeigen.“ Er schwankte hin und her und torkelte auf Smoky zu, der ganz schmale Augen kriegte, als das Monstrum von Wikinger heranwalzte und mit den Händen alles zur Seite fegte, was sich ihm auch nur annähernd in den Weg stellte. Der Poltermann sah rot, und er brauchte ein Ventil, um seine Enttäuschung abzulassen. Da kam ihm Smokys blöde Bemerkung gerade recht. Erst wollte Hasard eingreifen, doch dann überlegte er es sich anders. Er konnte nicht immer die Glucke spielen, Smoky hätte sich die Bemerkung ja auch verkneifen können. Der einzige, der nicht im geringsten besorgt schien und schon seit einer ganzen Weile hinterhältig grinste, war Old O'Flynn. In der Rutsche - daher hatte sie ja auch ihren Namen - gab es eine verborgene Stelle, die unvermittelt ins Freie führte, allerdings über einen ziemlich unangenehmen Umweg. O'Flynn hatte diese Erfahrung seit jenem Tage hinter sich, als er die „Kneipe“ entdeckt hatte. Da war er auch in seiner Neugier zu hastig vorgedrungen, und dann hatte ihm plötzlich der Boden unter den Füßen gefehlt. Ferris Tucker hatte diese Rutsche jedoch getarnt, und man konnte nicht mehr einfach hindurchfallen. Das ging nur, wenn es gewünscht oder einer zu stark wurde. Dann brauchte O'Flynn hinter der Theke nur auf ein Brett zu treten, das sich augenblicklich um die Achse verkantete und den Störenfried durch die Rutsche sausen ließ. Als Donegal sah, daß es jetzt ernst wurde und der Wikinger wie ein Büffel in Richtung Steinwand lostobte, hatte er
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schon sein Holzbein auf dem Brett in Lauerstellung. „Dir dreh' ich den Hals um !“ brüllte Thorfin. „Laß ihn in Ruhe!“ schrie Old O'Flynn. Aber Thorfin hörte und sah nichts mehr, auch nicht das Grinsen der anderen, die größtenteils ebenfalls angeschickert waren. Smoky wich dem heranrasenden Koloß blitzschnell aus, aber der Wikinger fuhr brüllend herum und riß noch einen Tisch mit sich. Dann landete er dicht vor der Wand. Old O'Flynn trat grinsend zu. Zeit zum Abräumen, dachte er, sonst schlägt mir dieser Büffel noch alles zusammen. Damit war die drohende Schlägerei schon beendet, noch ehe sie begonnen hatte. Der Wikinger verschwand mit affenartigem Tempo in einem pechschwarzen Loch und sauste abwärts, der Ostbucht entgegen. Passieren konnte ihm nicht viel, denn Haie gab es da unten nicht mehr, seit die Bucht abgesperrt worden war. Smoky, ebenfalls leicht beduselt, blickte sich verblüfft um. Er hatte gar nicht mitgekriegt, was soeben passiert war. Es war auch alles viel zu schnell gegangen. Verdattert starrte er auf die Stelle, wo der Wikinger verschwunden war. Aber da war längst wieder glatter Boden, und nichts verriet mehr die hinterhältige Falle. „Eben war er doch noch da“, murmelte er. „Und jetzt ist er weg, einfach so. Verdammt, kann der Kerl etwa zaubern? Wo isser denn?“ „Ja, wo isser denn?“ höhnten die anderen im Chor. „Vielleicht isser nach Hause gegangen.“ Smoky war so irritiert, daß er immer wieder nach dem Wikinger Ausschau hielt, doch der war und blieb fürs erste verschwunden. Für den verblüfften Smoky schien er sich in Luft aufgelöst zu haben. Er blickte auch nicht durch, als die anderen in brüllendes Gelächter ausbrachen und sich nicht mehr beruhigen konnten. Thorfin Njal hingegen sah das alles wieder ganz anders.
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Von einem Schlag zum anderen ist die Welt untergegangen, dachte er mühsam, weil ihm das Denken außerordentlich schwer fiel. Er hatte Smoky angestiert, und dann war alles ausgewesen, wie das so geht, schlagartig, urplötzlich. Das also ist das Ende, dachte er benebelt. Jetzt zog er als echter Nordmann ins altnordische Valhöll ein, geleitet von den Walküren. Aber diese Walküren hatten einen sagenhaften Schlag drauf, einen so harten Schlag, als hätten sie ihm die Weltesche Yggdrasil, den die Welt tragenden Urbaum, um die Ohren geschlagen, denn immer noch rumpelte es überlaut an seinem Helm und polternde Geräusche waren ständig zu hören. Bis zum Abend wird das aufhören, dachte er krampfhaft, denn dann war er bei Odin persönlich zu Gast und wurde von ihm bewirtet. So jedenfalls sagte die nordische Überlieferung, und warum sollte sich etwas daran geändert haben? Aber mit dem Walhall klappte es auch nicht ganz so. wie sich das Thorfin in seinem benebelten Kopf vorgestellt hatte. Irgendwo war da ein mythologischer Fehler aufgetreten. Vielleicht gab es ja solche Pannen auf derartig unbekannten Routen. Jedenfalls unterzogen ihn die Götter vorher noch einer recht hinterhältigen und üblen Prüfung. Sie ließen ihn wie einen großen Büffel in kaltes Wasser sausen, und da schlug er mit einer solchen Gewalt ein, daß er glaubte, ganz Walhall würde jetzt mit einem gewaltigen Bersten auseinanderfliegen. Das war vermutlich Thors Hammer, der ihm ins Kreuz gefahren war. Meine Fresse, das sind vielleicht ein paar üble Grobiane, dachte Thorfin erschüttert, die walken mich erst einmal gehörig durch, bevor ich in die heiligen Hallen darf. Ziemlich schmerzhaft war diese Prozedur, vor allem, weil sie ihn so lange unter Wasser festhielten. Wieder knallte er mit dem Helm an etwas, dann kriegte er Auftrieb und begann heftig zu paddeln. Da war ein riesiger dunkler Felsen, sicher der Eingang ins Walhall, und als er ihn endlich erreicht hatte, stoben kreischend
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zwei schwarze Vögel auf und flogen davon. Hugin und Munin, dachte er, die beiden Raben Odins, die verteufelt an große Möwen erinnerten. Der eine verkörperte den Gedanken, der andere, Munin, die Erinnerung. Jetzt waren Gedanken und Erinnerungen davongeflogen, und der Nordmann schüttelte sich wie ein nasser Hund. Es dauerte lange, bis Odins Raben zurückkehrten und der Wikinger etwas ernüchtert in die Wirklichkeit blickte. Er war jetzt eine ganze Weile gekraxelt - über Felsen und Riffe - und strebte mit der einem Betrunkenen eigenen Beharrlichkeit allmählich wieder nach oben. Das dauerte kleine Ewigkeit, aber er schaffte es. So richtig paßt alles noch nicht zusammen, dachte er. Walhall hatte ihn wieder ausgespien, wahrscheinlich hatte er sich danebenbenommen. Und die Walküren, die an seinen Helm geklopft hatten, waren auch verschwunden. Triefnaß und leise fluchend begab sch weiter nach oben, bis er aus Donegals Rutsche Stimmen und lautes Lachen hörte. Verdammt, was war nur genau vorgefallen? fragte er sich immer wieder. Das ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu. Endlich erreichte er „Old Donegals Rutsche“ und riß das Schott auf. Dann torkelte er klatschnaß hinein und sah sich um. Zunächst wurde es eigenartig still und ruhig. Jedes Gespräch verstummte, auch das Gelächter hörte auf. Sie alle starrten den Nordmann an wie einen Geist. „Der ist schon wieder da“, sagte jemand in die Stille hinein. „Das gibt's doch gar nicht.“ Daraufhin brüllten sie los, schrien und lachten wie die Gäule. Ein ganz übles Gewieher war das. Als Thorfin zu Smoky blickte, der sich ebenfalls vor Lachen krümmte, kehrte ein kleiner Teil der Erinnerung zurück - wie er glaubte. Er ging auf ihn zu und gab ihm die Hand. Dabei grinste er, denn jetzt glaubte er genau zu wissen, was vorgefallen war.
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„Alle Achtung“, sagte er. „Respekt, Smoky, Respekt. Du hast ja einen furchtbaren Schlag drauf. Mann, war das ein Hammer! Der hat mich glatt über die Felsen bis nach unten getrieben. Aber nur, weil ich stockbesoffen war“, setzte er einschränkend hinzu. „Hä?“ fragte Smoky. „Hammer, Felsen? Ich kapier' das alles nicht mehr so richtig.“ Daraufhin brach wieder ein` schauderhaftes Gelächter los, das sich weder Smoky noch der Wikinger richtig erklären konnten. Aber die Kerle waren ohnehin alle ziemlich aufgefüllt, das war jetzt auch nicht mehr so wichtig. Erneut kreisten die Humpen, und unter dem allgemeinen Gelächter sang Old O'Flynn, zwar nicht schön, aber sehr laut: „Wir segeln nach Potosi, zur heißen MaryRosy.“ Aber damit war wiederum seine Snugglemouse nicht einverstanden, die rothaarige Mary O'Flynn. Die verklarte ihrem Alten mit ihrer Reibeisenstimme, daß ihm gleich wieder mal ein Bierhumpen auf dem verdwarsten Schädel zerplatzen würde, falls er weiterhin schmutzige Lieder sänge. Trotz allem war es doch ein recht gemütlicher Abend, so fanden alle, und jeder hatte seinen Spaß. Selbst der Wikinger fand es urgemütlich, wenn es auch mit dem Einzug in Walhall noch nicht so ganz geklappt hatte. Erst am frühen Morgen trollten sich die ersten an Bord. Ein paar andere zogen es vor, in Donegals Rutsche zu übernachten, denn sie trauten sich nicht mehr über die Felsen hinunter. 4. In Hasards Kammer sah es am anderen Tag aus wie auf einem Schlachtfeld. Da der große Tisch das Kartenmaterial nicht mehr aufnehmen konnte, waren die Karten auf den Boden gelegt worden. Den größten Teil dieser Karten hatte Jean Ribault mit auf die „Isabella“ gebracht. Sie hatten alles an verfügbaren Karten zusammengetragen, was sich nur
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auftreiben ließ. Es waren Karten Neugranadas, wie die Spanier ihren Kolonialbesitz nannten. Schon den halben Tag bis zum Nachmittag hatte sich der Seewolf damit beschäftigt und immer wieder Berechnungen angestellt. Bei ihm waren Ben Brighton, Jean Ribault, Karl von Hutten und Dan O'Flynn, die auf die Karten und Aufzeichnungen blickten. „Das wird keine Spazierfahrt“, sagte Hasard ernst, „auch wenn einige sich das so vorgestellt haben. Hier, bei der Überquerung des Isthmus, werden die ersten Schwierigkeiten und Probleme beginnen. Wir alle wissen, daß die Dons ihre Gold-, Silber- und Perlenbeute von Panama aus auf Maultierpfaden quer über den Isthmus nach Porto Bello oder Nombre de Dios bringen, nachdem die Schätze zuvor von der Tierra-Ferma-Flotte aus Valparaiso, Coquimbo, Antofagasta, Arica und Callao nach Panama transportiert wurden.“ „Auf diesen Maultierpfaden hat vor über zwanzig Jahren bereits Francis Drake auf der Lauer gelegen“, sagte Dan, „und die Transporte der Dons überfallen.“ „Nicht nur Drake“, sagte Ben Brighton, „auch Oxenham, der früher bei Drake fuhr, hat hier abstauben wollen, aber dabei hatte er Pech. Die Dons haben ihn erwischt und kurzerhand aufgeknüpft.“ Hasard nickte zustimmend, während er mit dem Finger über die Karte fuhr. „Das ist richtig, deshalb wird die Überquerung des Isthmus wahrhaftig keine leichte Sache, obwohl wir darin bereits Erfahrung haben. Diesmal müssen wir jedoch damit rechnen, daß die Spanier ihre Sicherheitsmaßnahmen wesentlich verstärkt haben. So leicht lassen die sich nicht mehr überrumpeln.“ „Was die sogenannten Maultierpfade betrifft“, sagte von Hutten, „so verdienen sie diesen Namen keinesfalls. Ich kenne mich da ganz gut aus.“ „Warum verdienen sie diesen Namen nicht?“ wollte Dan wissen. „Es sind doch Maultierpfade.“ „Natürlich, so nennt man sie. Aber der Weg führt durch dichten tropischen
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Urwald bei mörderischer Hitze und schweißtreibender Feuchtigkeit. Wenn die Dons dort die Pfade schlagen, ist innerhalb kurzer Zeit nichts mehr davon zu sehen, weil der Dschungel sie schon nach einigen Tagen wieder überwuchert. Es ist schwierig, dort voranzukommen. Die Dons, so habe ich gehört, brauchen ihren Maultiertransporten mehr als drei Wochen, um die Landenge von Darien zu überqueren.“ „Also ein entbehrungsreicher Marsch“, sagte Hasard grimmig. „Da gehen die Schwierigkeiten auch bereits los. Man müßte einen zuverlässigen Bundesgenossen haben“, fügte nachdenklich hinzu. „Wie meinst du das, Sir?“ „Wenn wir es geschickt anstellen, können wir uns Bundesgenossen verschaffen, Feinde der Spanier selbstverständlich. Ich denke da an die Cimarrones, die entsprungenen und entwischten Negersklaven, die voller Haß auf die Spanier sind. Auch die Indianer dieses Gebietes könnte man vielleicht als Bundesgenossen gewinnen.“ „Sofern sie von den Spaniern nicht ausgerottet wurden“, sagte Karl von Hutten bitter. „Viele wird es nicht mehr geben, seit die Dons diese Gebiete unterjocht und versklavt haben.“ „Da hast du allerdings recht, Karl. Dennoch sollte es uns gelingen, einen Führer anzuheuern.“ „Das werden wir ganz sicher versuchen. Wo gedenkst du die Landenge zu überqueren?“ fragte Ribault. „Ich schlage vor, daß wir sie an der schmalsten Stelle überqueren, und die befindet sich zwischen der Bucht von San Blas auf der karibischen und der Mündung des Rio Bayano, der einige Meilen weiter östlich von Panama in den Golf von Panama fließt. Das wäre diese Stelle hier, die auf der Karte eingezeichnet ist. Ich habe sie heute morgen bereits markiert.“ Alle steckten die Köpfe zusammen und beugten sich über die Karte. „Ja, genau“, sagte von Hutten. „Das hat außerdem noch den Vorteil, daß wir fast
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die Hälfte' der gesamten Strecke zum Golf von Panama auf dem Bayano mit Flößen zurücklegen können.“ Hasard nickte. Genau das hatte er auch sagen wollen. „Was haltet ihr von diesem Vorschlag?“ Ausnahmslos alle stimmten zu. Das war der kürzeste und vernünftigste Weg, obwohl auch er mit Schwierigkeiten verbunden war. Aber es gab keine bessere Strecke als jene, die Hasard vorgeschlagen hatte. „Wie gelangen wir zur Bahia San Blas?“ erkundigte sich Dan. „Ich habe mir gedacht, daß Siri-Tong unsere beiden Mannschaften mit der ,Caribian Queen' zur Bahia bringt.“ „Sehr gut, auf dem Zweidecker haben wir genügend Platz.“ „Dann ist da noch etwas“, sagte Hasard. „Als wir damals im Kanal der Pharaonen die ‚Isabella' aufgeben mußten und vom Nil nach England zurückkehrten, trugen wir breite Ledergürtel mit Innentaschen, um von dem verlorenen Schatz wenigstens etwas als Betriebskapital mitzunehmen. In den Taschen hatten wir Perlen, Gold- und Silbermünzen. Das werden wir auch jetzt wieder tun, genau wie damals. Ich werde nachher mit Will Thorne reden, damit er genügend Gürtel anfertigen kann. Wir brauchen eine Menge Kapital, wenn wir Jeans Vorschlag, zwei Schiffe samt Ausrüstung zu kaufen, verwirklichen wollen. Die Gürtel behindern uns selbst auf schwierigen Pfaden nicht, sehen unauffällig aus und bergen doch einen unermeßlichen Wert. Auch Schnapphähne und Beutelschneider werden kaum auf die Idee verfallen, daß wir Reichtümer mit uns herumtragen. Da klimpern dann auch keine Münzen, die unnötige Aufmerksamkeit erregen könnten.“ „Auch das ist ein guter Vorschlag“, sagte Ribault. „Füllen wir uns also die Gürtel, so arm sind wir ja nicht.“ Die Männer lachten leise. Nein, so arm waren sie wahrhaftig nicht, die harten Kerle vom Bund der Korsaren. Hasard ließ Rotwein auftischen, dann wurden weitere Einzelheiten geplant und
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besprochen. Da sie das alles sehr sorgfältig und überlegt taten, wurde es später Abend. Dann standen auch die letzten Details fest bis auf die Unwägbarkeiten, die ein Unternehmen dieser Art barg und die sich nicht einmal abschätzen ließen. 5. Am zweiten Oktober 1594 waren alle Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen. Das „Unternehmen Potosi“ begann. Es war Vormittag, über der SchlangenInsel wölbte sich halbkreisförmig ein seidiger blauer Himmel. Hasards Crew, die sich jetzt bereits an Bord des düsteren Zweideckers „Caribian Queen“ befand, bestand aus insgesamt neunundzwanzig Männern. Ribaults Crew rekrutierte sich aus einundzwanzig Männern und der Schlangen-Kriegerin Araua. „Sollen wir nicht doch lieber einen Treffpunkt vereinbaren, an dem wir euch wieder abholen?“ fragte die Rote Korsarin. „Überlege es dir, Hasard, eins der Schiffe vom Bund der Korsaren kann euch zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufnehmen.“ „Nein“, sagte Hasard, der darüber auch schon nachgedacht hatte. „Es hat keinen Zweck, und zwar deshalb, weil sich der vereinbarte Termin zu einem Zeitdruck entwickeln könnte. Und den möchte ich auf jeden Fall vermeiden, wir sind dann eingeschränkt und können nicht so handeln, wie wir %vollen. Ich habe für das Unternehmen einschließlich Hin- und Rückreise etwa sechs bis sieben Monate berechnet. Das ist nur über den Daumen gepeilt, Siri-Tong, eine ganz genaue Zeit kann ich der vielen Unwägbarkeiten wegen nicht angeben. Mit Zwischenfällen müssen wir immer rechnen. Wenn wir jetzt acht Monate brauchen, den Abholtermin aber auf sieben Monate ansetzen -das wäre also Anfang Mai nächsten Jahres –, dann wartet das Schiff wochenlang, das uns am Treffpunkt abholen soll, und es fehlt auf der Schlangen-Insel. Das ist einfach unmöglich.“
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„Und wie habt ihr euch die Rückkehr vorgestellt?“ „Wir werden selbst sehen, wie wir von der karibischen Panamaküste wieder zur Schlangen-Insel zurückkehren. Vielleicht gelingt es uns nach altbewährter Manier über ein Enterunternehmen in Nombre de Dios oder Porto Bello. Das muß sich ganz aus der Situation heraus ergeben, das kann ich jetzt noch nicht sagen.“ „Dann laufen wir zunächst Tortuga an, danach bringe ich euch zur Bahia San Blas.“ „Ja, du kannst in Ruhe alles einkaufen, was gebraucht wird. Vor allem Holz für Ramsgate und anderes Zeug für die Werft. Holz wird Diego nicht vorrätig haben, jedenfalls nicht in so großer Menge, aber er hat gute Bezugsquellen auf Hispaniola, wo er das Holz bestellen kann.“ „Ich habe eine lange Liste dabei“, sagte Siri-Tong lächelnd. „Eigentlich beneide ich dich um das Unternehmen“, fügte sie dann hinzu. „Mich reizt es selbst, mächtig sogar“, gab Hasard zu. „Es ist wie ein erwartungsvolles Prickeln in den Adern.“ Sie lächelten sich an und zwinkerten sich zu. Mindestens ein halbes Jahr lang würden sie sich nicht sehen. Siri-Tong dachte etwas wehmütig und traurig an die lange Zeit. Doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Oliver O'Brien kam, um sich zu verabschieden. Die meisten anderen hatten es bereits getan. Auch Old O’Flynn, der auf seiner „Empress“ hockte und den es mächtig juckte, aber diesmal nicht mit von der Partie war. Er hatte noch behauptet, seiner Galionsfigur würde in der langen Zeit ein eisgrauer Bart wachsen, aber das hielt Hasard bei der Xanthippe für höchst unwahrscheinlich. Vielleicht kriegte sie in der Zeit noch ein paar Warzen dazu. „Noch irgendwelche Anordnungen, Sir?“ fragte Oliver O'Brien. „Nein, es ist alles geregelt. Du hast das Kommando über die ‚Isabella', wie besprochen. Sollte sie eingesetzt werden, stehen die Männer der Ramsgate-Werft und auch die Männer der anderen
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Besatzungen zur Verfügung. Gib schön auf unser Schiffchen acht, Oliver, wir lassen es zum erstenmal freiwillig zurück.“ „Und paß auf Arwenack und meinen Sir John gut auf!“ rief der Profos. „Die dürfen ja leider nicht mit, nur Plymmie.“ „Du weißt, warum ich das angeordnet habe, Ed. Wir steigen bei unserem Marsch nach Potosi in Schnee- und Eisregionen auf, und da können wir weder Papageien noch Affen gebrauchen. Dein Sir John würde einen kalten Hintern kriegen und Arwenack ...“ „... einen kalten Affenarsch, Sir, ich weiß. Deshalb bleiben sie ja auch zurück“, sagte der Profos friedfertig. Er grinste sogar, als er sich umdrehte. Der Abschied scheint ihm diesmal gar nicht sonderlich schwerzufallen, dachte Hasard erstaunt. Aber das bewirkte wohl die Aussicht auf das bevorstehende Abenteuer, sonst hätte sich der Profos sicher die Haare gerauft, daß er seinen Liebling zurücklassen mußte. Die letzten kamen, um sich zu verabschieden, unter anderem auch der grummelnde Wikinger, der behauptete, vor ein paar Nächten sei ihm der Himmel auf den Kopf gefallen. Seinen Helm hatte er wieder ausgeklopft, keine Beule war mehr zu sehen, und schön poliert hatte er ihn auch. Auf der „Caribian Queen“ wurden die Leinen gelöst. Sie war jetzt zur Genüge bemannt: Hasards Crew, dann die Crew Ribaults und die Männer der Roten Korsarin. In den Felsen standen die bronzefarbenen Gestalten der Schlangen-Krieger und Kriegerinnen, die den Männern nachwinkten. Arkana und viele andere säumten die Pier. Am Ruder des Zweideckers stand Barba, das Monstrum von einem Bootsmann. Er grinste, aber es sah aus, als hätte er die Zähne gefletscht. Langsam löste sich der Zweidecker und kam frei. Die Segel wurden gesetzt, und dann nahm er langsam Fahrt auf. Old O'Flynn stierte ihnen wie ein kranker Hund nach. Sein Gesicht war so verrunzelt
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und von Falten durchzogen, wie sie es lange an ihm nicht mehr gesehen hatten. Sein Bootsmann Martin hockte neben ihm und reichte ihm zur Beruhigung eine Buddel, die O'Flynn jedoch nur griesgrämig anstarrte. „Die segeln jetzt direkt nach Potosi“, maulte er, „und bringen es fertig, einen alten, kranken Mann einsam zurückzulassen. Eine Schande ist das, sage ich dir, Martin.“ „Jaja“, sagte Martin, „aber die segeln nicht nach Potosi, weil das hoch in den Bergen liegt, wie ich gehört habe. Die segeln nach Arica, weil es in Potosi ...“ „Fängst du jetzt auch damit an?“ fauchte der Alte. „Das sind doch nur Ablenkungsmanöver, ich blicke da genau durch.“ „Jaja“, murmelte Martin, damit der Alte endlich Ruhe gab. Der begann ihn ebenfalls langsam mit seinem Potosi zu nerven. „Sei froh, daß du dein eigenes Schiff hast. Hier bist du dein eigener Herr, auf dem Zweidecker hättest du doch nichts zu melden. Hier bist du Admiral und Kapitän zugleich, kannst auslaufen, wann du willst, und brauchst dich niemandem unterzuordnen.“ „Aber meine Crew besteht nur noch aus einem Mann. Das ist ein bißchen wenig für ein Schiff.“ „Das langt“, sagte Martin trocken. „Du ersetzt glatt drei Mann, damit sind wir wieder komplett.“ „Hm, da ist was dran. Dann gib doch mal die Buddel rüber, dann schluck' ich für die drei anderen Kerle gleich einen mit.“ Er hob die Rumbuddel und schickte dem durch den Felsendom segelnden Zweidecker einen letzten Gruß nach. Als die „Caribian Queen“ den Felsendom passiert hatte, griff der Wind und füllte die Segel des düsteren Schiffes, das vormals der Black Queen gehört hatte. „Ziemliches Gewühl“, sagte Big Old Shane, „das ist man gar nicht mehr gewohnt, mit so vielen Kerlen zu segeln. Sonst fahren wir immer unterbemannt.“
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Das fand auch Ferris Tucker, aber man würde sich ja nicht allzu lange auf der Pelle sitzen, bis das Ziel erreicht war. Sie waren jetzt etwa drei Stunden auf See. Die Schlangen-Insel lag weit achteraus und war nicht mehr zu sehen. Kurs Tortuga lag an. Hasard sah ein paarmal scharf vom Achterdeck zum Vormars, dann schüttelte er den Kopf. Nach einer Weile glaubte er wieder, etwas gesehen zu haben, doch als er genauer hinblickte, sah er wiederum nichts. Es war ihm. als hätte sich dort ein Mann hinter den Segeln versteckt, denn einmal glaubte er, eine haarige Hand gesehen zu haben. Natürlich ist das Quatsch, dachte er, denn wer sollte sich da wohl verstecken? Als er zum dritten Male eine huschende Bewegung .sah, ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er verließ das Achterdeck und ging zur Kuhl. Jetzt sah er den „Mann“ ganz deutlich. Er hockte im Vormars, hielt sich mit einer Hand fest und hatte die Zähne zu einem fürchterlichen Grinsen gefletscht. Mit der anderen Hand kratzte er sich die haarige Brust. Arwenack, der Schimpanse, hing in aller Unschuld da oben, und es hatte verteufelt den Anschein, als grinse er. Zwischen Hasards Augenbrauen bildete sich eine scharfe Falte des Zorns und des Unmuts. Das war ja wohl die Höhe! Jetzt befand sich dieses grinsende Affenvieh trotz ausdrücklichem Verbot doch an Bord, und natürlich würde kein Mensch wissen, wie er dahin gelangt war. Er wollte gerade ein hartes Donnerwetter loslassen, als er zusammenzuckte. „Fallen Anker! Affenärsche, hopp auf, ihr müden Säcke“, krakeelte eine krächzende Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging, Es folgten noch weitere unflätige Worte und ein übles Gezeter. „Scheißkahn“, kreischte es noch einmal grell. Unter der Persenning des Beibootes rumorte es. Hasard war wie erstarrt. Jetzt war nicht nur Arwenack an Bord, was schon gereicht
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hätte, nein, dieser zeternde Geier hatte ebenfalls das Schiff geentert und steckte unter der Persenning im Beiboot. Voller Zorn hob Hasard die Persenning an. Heraus flatterte Sir John, ließ etwas auf die Planken klatschen und entschwand mit wildem Flügelschlag kreischend und zeternd zur Großrah. Dort wiederholte er aufgebracht die Worte, die ihm der Profos in liebevoller Kleinarbeit vorgekaut hatte. Dem Seewolf platzte der Kragen. Sein Gesicht lief rot an. Die Kerle, die eben noch über die Entdeckung gegrinst hatten, blickten jetzt ziemlich verstört drein. „Was, zum Teufel, habe ich ausdrücklich angeordnet?“ schrie Hasard. „Ich habe gesagt, dass Arwenack und Sir John an Land zu bleiben hätten! Das habe ich ausdrücklich befohlen. Wie sind die Viecher an Bord gelangt, kann mir das vielleicht einer sagen?“ Keiner konnte es, wie er es schon angenommen hatte. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, sie waren alle ja sooo unschuldig. Hasards Zeigefinger deutete auf den Profos, dann auf Batuti, der mit den Augen rollte und sich total hilflos gab. Arwenack war Batutis Liebling und Sir John der ausgesprochene Liebling des Profos'. Folglich steckten die beiden Kerle dahinter, und hatten ihre Viecher an Bord geschmuggelt. „Tretet doch mal näher, ihr beiden Halunken!“ rief er. Dann wandte er sich zuerst an Batuti. „Wie ist der Affe an Bord gelangt, Batuti? Kannst du mir das erklären?“ Batuti sah den Seewolf treuherzig an. Dann hob er hilflos die breiten Schultern und rollte erneut mit den Augen. „Nix weiß, Sir, wirklich nicht. Ich habe Arwenack zuletzt in Old Donegals Rutsche gesehen, ganz bestimmt, Sir.“ „Beim Biersaufen, was?“ fragte Hasard gallig. „Da hat er wohl eine Runde ausgegeben.“ „Nein, Sir, Arwenack trinkt kein Bier. Missis Mary hat ihm eine Kokosnuß gekauft, und Arwenack hat Milch aus Kokosnuß genuckelt, ganz bestimmt, Sir.“
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Hasard sah den Neger biestig an, doch der blickte immer noch so treuherzig, als könne er kein Wässerchen trüben. „Verdammt noch mal! Profos!“ brüllte Hasard dann. Edwin Carberry trat einen Schritt vor. Wenn Batuti treuherzig geguckt hatte, dann übertraf ihn dieser narbige Kerl von einem Profos um das Doppelte an schauspielerischem Talent. Der Profos sah wieder mal wie ein Unschuldsengel aus, dem man den Heiligenschein geklaut hat. „Sir?“ fragte er unsagbar erstaunt und verwundert. „Edwin Carberry meldet sich zur Stelle, Sir.“ „Mister Carberry“, sagte Hasard fast heiser vor Wut. „Kannst du mir vielleicht verraten, wie dieser Geier an Bord gelangte und es fertigbrachte, sich im Beiboot unter einer Persenning zu verstecken? Für eine logische Erklärung wäre ich außerordentlich dankbar, Mister Carberry.“ „Welcher Geier, Sir?“ fragte der Profos harmlos. Ein so eisiger Blick traf den Profos, daß er unwillkürlich zusammenzuckte. „Ach, Sir John, Sir? Ja, der Geier, hol's der Geier! Hm, weiß der Teufel, wie das Vieh an Bord gelangte. Ich war ja auch ganz erstaunt. Da krakeelt er plötzlich los und ...“ „Halte keine Volksreden, Mister Carberry“, fauchte Hasard. „Ich will eine klare und schnelle Antwort.“ Inzwischen hatten sich wieder Schaulustige eingefunden, die jetzt ganz offen grinsten. Sogar Mac Pellew sperrte das Maul auf und starrte den Profos an, der sich immer wieder die Hände an den Hosen abwischte, als seien seine Flossen wer weiß wie schmierig. Aber das war bloße Verlegenheit von Ed. „Ja, wenn ich das nur wüßte, Sir. Ich habe ihn auf der Schlangen-Insel beim Taubenschlag zurückgelassen.“ „Beim Taubenschlag - einen Papagei beim Taubenschlag?“ „Na ja, damit er nicht so einsam ist. Ich dachte, die könnten sich vielleicht etwas unterhalten, die Tauben und Sir John, meine ich.“
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„Und jetzt ist er hier an Bord“, sagte Hasard. „Ja, furchtbar ist das, Sir“, murmelte der Profos, wobei er wieder an der Hose herumwischte. „Nun, dem werden wir Abhilfe verschaffen“, sagte Hasard kalt. „Das verzögert zwar unser geplantes Unternehmen, aber die Schuld daran werden jene Gentlemen tragen, die die Viecher an Bord geschmuggelt haben. Wir sind jetzt drei Stunden auf See, und drei Stunden brauchen wir für die Rückkehr zur Insel. Bis wir diesen Punkt wieder erreicht haben, ist fast ein Tag vergangen.“ Der Profos schluckte betroffen und sah seinen Kapitän fassungslos an. „Umkehren, Sir?“ „Ja, umkehren, was sonst?“ „Oh, oh, oh!“ murmelte Mac Pellew. „Da sehe ich schwarz, pechschwarz: Das gibt ein Unglück, wir werden verloren sein.“ „Quatsch kein dummes Zeug, Mac!“ fuhr ihn Hasard an. „Sir“, sagte Mac Pellew weinerlich. „Es gibt da eine alte Seemannsregel, und die gilt auch für uns. Ein Schiff, das sich bereits auf See befindet, darf nicht noch einmal umkehren - das bringt Unglück. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, Sir.“ Mac Pellew begann zu lamentieren und zu nörgeln. Schließlich rang er die Hände und zog ein Gesicht, als seien sie längst untergegangen und müßten um ihr Leben schwimmen. In den düstersten Farben malte er den anderen die Zukunft aus. Ben Brighton hatte sich unter die Neugierigen gemischt und hörte belustigt zu. Für ihn stand fest, daß die beiden Kerle heimlich die Viecher an Bord gebracht hatten, und auch der Seewolf wußte das. Es ließ sich nur nicht beweisen, zumal beide auch so harmlos taten. „Es gibt ja noch eine andere Lösung“, sagte Ben sachlich. „Wir können die beiden Tierchen an Bord lassen, wenn wir bei Arica den Landmarsch antreten. Die neuen Schiffe müssen ja sowieso bewacht werden. Dann können sich die Wachmannschaften um Arwenack und Sir
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John kümmern. Damit wäre der Falle bereinigt.“ „Bereinigt ist er dadurch noch nicht“, sagte Hasard etwas versöhnlicher, „aber dein Argument ist stichhaltig, Ben. Gut, dann lassen wir es dabei.“ Hasards Gesicht wurde ganz ausdruckslos, als er den Profos musterte. „Sir John tut mir leid“, sagte er, „wir haben gar kein Futter für ihn an Bord, zu dumm, wie?“ Der Profos strahlte über das ganze Gesicht. „Oh, ich habe zufällig Sonnenblumenkerne und etwas Mais dabei“, sagte er. Dann biß er sich auf die Lippen, als er merkte, dass der Hasard auf den Leim gegangen war. „Rein zufällig natürlich“, murmelte er. „Wie das so geht. Ich dachte, in der Kiste sei Rum, aber da war Futter drin. Na ja, und so.“ „Was, wie“, sagte Hasard freundlich. „Man sollte dir mal wieder deine Visage geradeklopfen, mein lieber Ed. Du siehst nämlich verdammt schief aus. Vielleicht hängt aber auch nur dein Heiligenschein etwas schief. Der Fall ist damit erledigt.“ Der Profos verdrehte die Augen und schielte nach oben. Hm, sein Heiligenschein hing nicht nur schief, der wackelte ganz beträchtlich. Vielleicht konnte ihm Big Old Shane einen neuen schmieden. Hasard warf den beiden Sündern noch einen schrägen Blick zu, dann kehrte er aufs Achterdeck zurück. 6. Bei gutem Nordostwind segelte die „Caribian Queen“ am nächsten Tag vormittags in den Hafen von Tortuga. Hasard sah sich die Südbucht an, aber dort gab es nichts Auffälliges zu sehen und schon gar nichts, was verdächtig war. Im Hafen lagen lediglich ein paar harmlose Einmaster, kleine Boote, die ganz sicher nicht von Schnapphähnen bemannt waren. Daß sich noch drei größere Zweimastschaluppen in einer Bucht bei Portugal Point befanden, die an der Ostspitze von Tortuga ankerten, konnte er
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nicht wissen. Er sah auch nicht den abenteuerlich gekleideten Kerl, der sie heimlich beobachtete. „Es genügt, wenn du heute abend mit zu Diego gehst“, sagte Hasard zu Siri-Tong. „Ich werde inzwischen mit ein oder zwei Männern hinaufgehen, die Liste mitnehmen und das Zeug ordern. Den Kleinkram können wir heute stauen, das Holz, das Diego in Hispaniola ordern muß, kannst du dann auf der Rückfahrt mitnehmen.“ „Einverstanden“, sagte die Rote Korsarin und gab ihm die Liste, die Hesekiel Ramsgate zusammengestellt hatte. „Dann sollen mich zwei Mann begleiten“, sagte Hasard. „Aye, aye, Sir“, sagte der Profos, der wie aus den Planken gewachsen neben dem Seewolf auftauchte. „Ich suche noch einen aus. Ich schlage vor, wir nehmen Ferris mit - wegen des Holzes, Sir.“ „So, du schlägst vor“, entgegnete Hasard. „Wer hat überhaupt gesagt, daß du mich begleiten sollst?“ „Das ist doch Tradition, Sir“, sagte Carberry erstaunt. „Man kann doch nicht einfach Traditionen über den Haufen werfen. Aber wenn du mich nicht willst, Sir, dann schließe ich mich eben solange in der Vorpiek ein und gräme mich. Ich armes Rübenschwein muß ja immer leiden.“ „Du siehst auch genau wie ein vergrämtes armes Rübenschwein aus. Aus gewissen Gründen wollte ich eigentlich auf deine Begleitung verzichten - du kennst ja diese gewissen Gründe.“ Der Profos blickte so mitleid heischend, daß er Hasard schon wieder leid tat. Er sah todunglücklich aus, als müßte er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Dagegen war Mac Pellew ein lebenslustiger Springinsfeld. Nein, dieses Leiden-ChristiGesicht konnte Hasard nicht länger ertragen. „Geheiligt sei die Tradition. Dann sage Ferris Bescheid, und schlage dir ' gleichzeitig eine Sauferei aus dem Kopf, denn daraus wird jetzt nichts. Wir ordern nur das, was wir brauchen.“
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„An Saufen hätte ich nie gedacht“, entrüstete sich der Profos, „doch nicht jetzt, am hellen Vormittag.“ „Es gibt Leute, die saufen auch am hellen Vormittag, die nehmen auf die Tageszeit überhaupt keine Rücksicht“. „So was von Unanständigkeit, pfui Teufel. Gegen ein winziges Bierchen am Abend ist ja nichts einzuwenden, aber am hellen Tag ...“ Wer den Profos nicht kannte, hätte ihm diese Rolle gutgläubig abgenommen. Entrüstet blickte er sich um, ob etwa solche Kerle in der Nähe standen, die schon am hellen Tag soffen. „Du würdest einen guten Schmierendrescher bei einer Wanderbühne abgeben, Ed“, sagte Hasard belustigt. „Also vorwärts, wir gehen zu Diego hinauf,“ Kurz darauf verließen Hasard, Ed und Ferris die „Caribian Queen“ und gingen den Serpentinenweg hinauf zur „Schildkröte“. Um diese Zeit herrschte bei Diego kaum Betrieb. Die Kneipe erwachte erst am Nachmittag zum Leben, und vom Abend bis zum frühen Morgen ging es dann sehr hektisch zu, wenn sich Schnapphähne. Beutelschneider und Huren aller Schattierungen einfanden. Der dicke Diego stand hinter dem Tresen und zapfte für zwei Gentlemen Bier, die gleich am ersten Tisch hockten. Das waren die einzigen Gäste. Als er die drei Seewölfe sah, glitt ein freudiges Grinsen über sein Gesicht. Nur bei Carberrys Anblick zuckte er etwas zusammen, das konnte Diego nicht vermeiden. Diese wandelnde Granate flößte ihm immer wieder ein kaltes Grausen ein, obwohl er seinen lieben „Amigo Ed“ gern mochte. Man mußte sich nur immer wieder an seinen Anblick gewöhnen. Die Begrüßung fiel trotzdem recht herzlich aus, denn die Arwenacks hatten dem Dicken schon oft aus der Patsche geholfen. Diego war so eine Art Ersatz-Plymson aus Plymouth. Er ähnelte dem feisten Wirt aus
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England nicht nur figürlich, er hatte auch dessen Schlitzohrigkeit und war geldgierig. Hasard holte die Liste hervor, reichte sie Diego und verklarte ihm, was sie wollten. Carberry schnappte sich den Bierhumpen, sah Diego an und schüttelte den Kopf. „Das wäre nun aber wirklich nicht nötig gewesen“, sagte er verlegen, „so früh am Morgen schon. Aber da. du mich jetzt schon überredet hast, dann prost, Gentlemen!“ Er nickte den beiden verdatterten „Gentlemen“ sehr freundlich zu, was die mit einem lahmen Grinsen beantworteten. „Äh, hm“, sagte der eine lahm. „Ja?“ fragte der Profos höflich. „Äh, das Bier ...“ „Kann ich nur empfehlen“, erklärte Ed. „Es ist frisch und kühl. Sie sollen sich auch eins bestellen, Gents.“ Hasard drehte sich um und warf dem Profos einen strafenden Blick zu. „Diego war so freundlich“, sagte Ed trocken, „und da wollte ich ihn nicht beleidigen.“ „Ich will auch keinen Krach mit m haben“, sagte Ferris und griff nach dem anderen Humpen. Die beiden Gents wurden immer einer, als sie die riesigen Gestalten musterten. Kleinlaut bestellten sie nochmals Bier. Diego zapfte wieder und schob auch dem Seewolf einen Humpen hinüber. In stiller Eintracht nahmen sie einen langen Schluck, sahen sich an d grinsten sich zu. Alles andere habe ich da“, sagte Diego. „Das Holz muß ich ordern, das dauert. Das andere schicke ich im Laufe des Tages zu euch an Bord. Aber auch darüber wird der Abend vergehen, ich schaffe es leider nicht „Dann bleiben wir über Nacht hier liegen“, sagte Hasard, „und segeln erst morgen weiter. Die Kerle können sich dann heute abend noch einmal austoben.“ Der dicke Diego grinste. Dann beugte er sich vertraulich vor und flüsterte hinter der vorgehaltenen Hand: „Da habe ich was für euch, Leute. Habe ein bißchen Zuwachs an schnuckeligen Turteltäubchen gekriegt. Paradiesisch, sage ich euch, da mangelt es
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an gar nichts, allenfalls den Täubchen an Freiern. Da ist für jeden gesorgt.“ Der Profos begann lüstern zu grinsen. Scheinbar gedankenlos griff er nach dem nächsten frisch gezapften Bier, das wiederum für die „Gents“ bestimmt war, und nahm einen langen Zug. Diesmal hatte Hasard es zum Glück nicht bemerkt, denn er tippte wieder auf die Liste. Kurz danach ging Hasard mit Diego in die angrenzende Küche. Die beiden Kerle räusperten sich etwas ärgerlich, weil das bestellte Bier nie an ihrem Tisch landete, sondern immer im Magen des narbigen Kerls verschwand. Carberry warf ihnen wieder einen schrägen Blick zu. Diese beiden Vögel gefielen ihm ganz und gar nicht, aber das war noch lange kein Grund, mit ihnen Stunk anzufangen, zumal Hasard auch immer ein wachsames Auge hatte. Der eine Kerl sah aus wie eine kranke, räudige Ratte, obwohl er das durch aufwendige Kleidung zu kaschieren versuchte. Der andere war hohlwangig, von kleiner Statur, mit unruhigen Augen und Bartstoppeln am Kinn. Seine Nase hing ihm auf eine traurige Art im Gesicht, daher erinnerte er Ed an einen beleidigten oder gekränkten Uhu. „Wir hatten vorhin ein Bier bestellt“, sagte der eine aufsässig, wobei seine Blicke unruhig hin und her gingen. „Das müßt ihr dem Wirt verklaren“, sagte Ed. „Das ist nicht unsere Sache.“ „Aber das Bier war für uns“, murmelte der andere bockig. „Das Bier gehört immer dem, zu dem es hingeschoben wird“, erklärte Ed. „Das war schon zu Abrahams Zeiten so. als Moses noch mit Adam und Eva im Paradies lebte.“ „Er ist unser Bordgeistlicher“, sagte Ferris ernst, „er kennt sich genau aus. Wenn er das sagt, stimmt das auch. Er lebt streng nach dem Alten Testament, das da sagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er hält auch immer die Grabreden für vorlaute Kerle, die nicht das glauben, was er predigt. Reizt ihn nur nicht“, flüsterte er. „Gebt ihm lieber noch eine Runde aus,
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sonst überfällt ihn der heilige Zorn. Übrigens hat er einen eigenen Friedhof auf Tortuga. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.“ Die beiden Kerle schluckten hart. Sie warfen sich einen Blick zu und zuckten verstört zusammen, als der „Bordgeistliche“ rülpste. Das war wie ein Erdbeben und ging ihnen durch und durch. Dann standen sie ziemlich schnell auf und legten zwei Silberstücke auf die Theke. „Das reicht wohl für die nächste Runde“, sagte der Rattengesichtige eifrig. „Das reicht, mein Sohn“, sagte der Profos. „Ich sehe, ihr seid zwei gutgläubige Menschen. Wie steht es doch geschrieben: Nehmen ist seliger denn Geben, stimmt's?“ „Stimmt genau, Sir, alles Gute.“ „Euch sei hiermit verziehen“, murmelte Ed salbungsvoll. Die beiden Kerle verzogen sich in erstaunlicher Eile. Der „Bordgeistliche“ war ihnen nicht ganz geheuer, der sah so aus, als würde er beim geringsten Widerspruch die Kneipe in Trümmer legen. Als sie draußen waren, begann der Profos laut zu lachen, und auch Ferris konnte nicht mehr an sich halten und brüllte los. Ed klopfte seinem alten Freund grinsend auf die Schulter. „Toll“, sagte er begeistert. Dann lachten sie erneut los. Als Hasard zurückkehrte, waren sie wieder ernst. Ed spielte mit den beiden Silbermünzen und schob sie Diego hin. „Wo sind denn die beiden Kerle geblieben?“ fragte Hasard. „Denen wurde es zu langweilig“, sagte Ed, „deshalb sind sie gegangen. Sie haben sogar noch eine Runde ausgegeben.“ „Die sahen aus, als wollten sie etwas ausspionieren“, sagte Ferris. „Dauernd glotzten sie nach allen Seiten. Kennst du die Kerle, Diego?“ „Nie gesehen. Sie waren zum erstenmal hier.“ „Dann solltest du ein wachsames Auge haben“, riet Ed, „die Kerle waren nicht ganz sauber, aber hier treibt sich ja
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dauernd Gelichter aller Schattierungen herum.“ „Von dem Gelichter lebe ich nun mal“, sagte Diego, „da muß ich auch Kerle in Kauf nehmen, die mir nicht gefallen. Ich kann sie mir leider nicht aussuchen.“ Hasard ging noch einmal die Liste durch, ob sie auch nichts vergessen hatten. Punkt für Punkt war abgehakt und alles bestellt, was auf der Schlangen-Insel so gebraucht wurde. „Noch ein kleines Bier?“ fragte der dicke Wirt. Hasard wollte gerade ablehnend den Kopf schütteln, doch der Profos nickte freudig. „Aber nur ausnahmsweise“, sagte er schnell, „und um dich nicht zu beleidigen.“ „Na gut, ein kleines noch“, sagte Hasard seufzend. „Das nächstemal hältst du aber rechtzeitig deine Klappe, Ed.“ „Aye, aye, Sir.“ „Gleich nachher schicke ich das erste Zeug hinunter“, sagte Diego. „Bis zum Abend dürfte alles verladen sein.“ Hasard trank nickend das Bier aus und schob den Humpen zurück. Der Profos rollte Diego die beiden Münzen hinüber. „Stimmt so“, sagte er großzügig, ‚die beiden Kerle haben ja auch einen ausgegeben.“ „Ich hörte vorhin etwas von einem Bordgeistlichen“, sagte Hasard. „Was hat das zu bedeuten?“ „Die beiden Kerle hielten Ed für einen Bordgeistlichen“, sagte Ferris Tucker. „Offenbar haben sie ihn verwechselt.“ „Ja, das scheint mir auch so“, sagte Hasard spöttisch. „Obwohl Ed durchaus den Eindruck eines Bordgeistlichen erweckt. Er läßt oft so salbungsvolle Sprüche los.“ Etwas später verabschiedeten sie sich von Diego, der ihnen noch nachrief, sie möchten nicht vergessen, ihn heute abend zu beehren, und gingen den Serpentinenweg nach unten. „Das vergessen wir ganz bestimmt nicht“, versprach Ed. „Gehst du heute abend mit, Sir?“ „Nein, ich glaube nicht. Ich werde mich mit Jean und Dan mit dem Unternehmen befassen.“
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„Schade“, bedauerte Ed, „aber was sein muß, muß sein.“ Wobei er offen ließ, was er nun genau meinte: daß Hasard an Bord blieb oder daß er, der Profos, unbedingt heute abend zu Diego mußte. 7. Kurze Zeit vorher. In der Bucht von Portugal Point ankerten seit einem Tag drei größere Zweimastschaluppen. Vom Hafen aus waren sie nicht zu sehen. Auf den Schaluppen befanden sich etwa fünfundvierzig Schnapphähne der übelsten Sorte. Es war ein buntgemischter Haufen aus aller Herren Länder, und er bestand aus Abenteurern, Deserteuren, entsprungenen Sklaven und Faulpelzen, die der Ansicht waren, auch ohne Arbeit das schnelle Geld machen zu können. Es waren habgierige Beutelschneider, die von einem Portugiesen angeführt wurden. Luis Campos, wie der Portugiese hieß, lebte davon, andere zu berauben, auszuplündern oder ganz einfach zu beklauen. An größere Dinge hatte er sich noch nicht herangewagt, es lebte sich jedoch auch recht einträglich von kleineren Fischen. Dennoch war Luis Campos ein gefährlicher Kerl, ein verschlagener, etwas größenwahnsinniger Typ, skrupellos, schnell mit dem Messer zur Hand und intelligent. Bevor er seine einträgliche Laufbahn als Schnapphahn eingeschlagen hatte, war er auf etlichen Handelsseglern als Erster Offizier gefahren. Aber da war nicht viel zu holen gewesen, und so hatte er es bald satt gehabt, ein braves Leben zu führen. Es war ihm nicht schwergefallen, mit einer Horde desertierter Kerle eine Schaluppe aufzubringen. Der ersten Schaluppe war etwas später eine zweite gefolgt, dann eine dritte. Und weil es in der Karibik von Schnapphähnen aller Schattierungen nur so wimmelte, hatte er auch bald eine wilde
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Horde um sich geschart, die ihm den nötigen Respekt zollte. Der Portugiese war ein eitler Stutzer, er kleidete sich gern wie ein Pfau und benahm sich ausgesprochen gespreizt. Zudem war er sehr eitel und hielt sich selbst - was Frauen betraf -für unwiderstehlich. Er war schlank und geschmeidig und hatte sich ein schwarzes Spitzbärtchen wachsen lassen, sozusagen als Krönung seiner Erscheinung, denn er glaubte, dass dieses Bärtchen auf Frauen unheimlich wirke. Seine Mannschaften dagegen wirkten zerlumpt und abgerissen, abenteuerliche Figuren von fern betrachtet, aus der Nähe nichts anderes als Abschaum aus den Hafengossen, Kerle, die nichts mehr zu verlieren hatten als ihr Leben, rücksichtslose, brutale Halunken mit Gaunervisagen, denen die Gier nach Geld und Gold in den heimtückisch blickenden Augen stand. Gestern nachmittag war Luis Campos, den die anderen mit „Admiral“ anzureden hatten, heimlich in die Bucht gesegelt und vor Anker gegangen. Er wollte auskundschaften, wie sein geplanter Coup durchzuführen war, denn er hatte schlicht und einfach vor, den feisten Wirt der „Schildkröte“ auszunehmen, von dem sich herumgesprochen hatte, daß er das Geld nur so scheffelte. Der Mann sollte bereits ein Vermögen angehäuft haben, und so hatte Luis Campos beschlossen, an diesem Vermögen teilzuhaben. Er sah das als nicht sonderlich schwierig, aber einträglich an. Mit einem Dutzend Kerle war es kein Problem, eine Kneipe zu stürmen, sich den Wirt zu schnappen und ihn auszuplündern. Zweimal hatten sie das bereits erfolgreich getan, und so sah er auch auf Tortuga keinerlei Schwierigkeiten. Die Spelunke und die Gewohnheiten des Wirtes mußten nur etwas ausgekundschaftet werden. Ein Kerl, den er deshalb losgeschickt hatte, kehrte gerade in einem kleinen Boot zurück und enterte auf.
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Der Kerl war sein „Adjutant“, denn natürlich hielt der Admiral die militärische Fachsprache für angebracht. Er hatte auch einen „Stab“, der sich aus den Kapitänen der beiden anderen Schaluppen und seinem Adjutanten zusammensetzte. Der Adjutant, zugleich Campos' engster Vertrauter, hieß Carlos Molino und war – schlicht gesagt – ein kleiner mieser Drecksack. Er war nur auf der Welt, um andere zu beklauen, zu betrügen und zu schmarotzen. Er lebte grundsätzlich auf Kosten anderer und hurte, hungerte und soff sich durch sein erbärmliches Leben. Das war zwanzig Jahre lang gut gegangen und würde auch noch ein paar weitere Jahre gut gehen, bis Molino eines Tages in ein Messer fiel, an einem Strick aufgehängt oder von den Haien gefressen wurde. Er war etwas kleiner als der Admiral, gerissen, durchtrieben und hinterhältig wie die meisten anderen Kerle auch. Er stand vor dem Admiral und blickte aus rötlichen Augen zu ihm auf. Er wirkte auch noch leicht verkatert, denn er hatte die ganze Nacht durchgezecht, um auszukundschaften, wie die Spelunke am besten auszunehmen war. „Du bist reichlich spät dran, Molino“, sagte der Admiral ungnädig. „Ich hoffe, du hast dich nur deshalb verspätet, weil du gute Nachrichten bringst.“ Auf der Gaunervisage des Adjutanten lag ein schmieriges Grinsen, als er heftig nickte. „So ist es, Admiral, ich habe mich genau umgesehen und umgehört und dabei allerlei erfahren. Diese Spelunke da oben am Berg ist eine wahre Goldgrube. Sie ist jeden Abend bis zum Morgen brechend voll. Der Wirt heißt Diego, ein dicker, feister Kerl, der die Münzen mit beiden Händen scheffelt. Er nimmt jeden Abend ein kleines Vermögen ein. Die Münzen rollen nur so. Er hat auch eine ganze Menge Weiberchen da oben, die ihm zusätzliches Geld einbringen.“ „Hört, hört!“ sagte der Admiral grinsend. „Weiberchen also auch. Hast du auch herausgefunden, wo er die Münzen versteckt hat?“
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„Er nimmt sie mit in die Küche. Offenbar versteckt er sie dort. Aber den genauen Platz werden wir schon erfahren, wenn wir ihn ein wenig ausfragen.“ „Sehr richtig, Molino. Man muß nur richtig fragen, dann singen die Vögelchen alle ganz lustig. Du bist also der Ansicht, daß es sich für uns lohnen würde?“ „Unbedingt, Admiral, unbedingt“, versicherte Molino eifrig. „Ich habe einen Blick dafür.“ „Dann schicke nachher noch zwei Mann los. Sie sollen weiter beobachten, was sich in der Spelunke tut, aber sie sollen sich unauffällig verhalten. Am besten schickst du Pablo und Escola los, die fallen nicht so sehr auf.“ „Zu Befehl, Admiral.“ Der Admiral rieb sich die Hände. Dieser Spelunkenwirt versprach eine fette Beute zu werden, wenn er das Geld nur so scheffelte. Etwas später meldete sich ein Ausguck aus den Bergen mit der Nachricht, daß ein „ziemlich dickes Schiff“, offenbar ein Zweidecker, Kurs auf die Insel halte und wohl den Hafen anlaufe. „Wir werden unauffällig in der Nähe des Hafens einsickern“, sagte der Admiral, „und uns einen Überblick verschaffen. Wir beide bleiben gleich bis zum Abend da. Die anderen folgen später. Man muß immer Augen und Ohren offenhalten und gut informiert sein, wenn man etwas vorhat.“ Molino gab dem Kapitän recht. Er gab ihm immer recht und kaute alles nach, was der Admiral vorkaute. So war er immer am besten gefahren und hatte keinen Streit mit dem Admiral gekriegt, der sehr biestig werden konnte, schnell mit den Fäusten und noch schneller mit dem Messer war. Ein paar seiner Kumpane hatten diese Erfahrung bereits hinter sich, doch sie nutzte ihnen nichts mehr. Gut eineinhalb Stunden später war der Admiral mit seinem Adjutanten am Hafen „eingesickert“, wie er das nannte. Er strich mit eitler Geste sein Bärtchen und sah einer Frau nach, die einen Wäschekorb
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schleppte. Schließlich pfiff er anerkennend hinter ihr her. Die Frau drehte sich um, blieb stehen, lächelte flüchtig und ging dann weiter, während der Admiral wie ein Pfau umherstolzierte. „Na, wirke ich nicht auf Frauen, Molino?“ fragte er stolz. „Ein Pfiff, und die Weiber bleiben stehen.“ „Sie wirken sehr anziehend auf Frauen, Admiral, ganz ungeheuer“, lobte Molino. „Alle Frauen bewundern und himmeln Sie an, Admiral.“ Luis Campos hörte solche Schmeicheleien gern. Sie gingen ihm runter wie warmes Öl, und so nickte er seinem Adjutanten wohlgefällig und gönnerhaft zu. Sie standen etwas abseits und beobachteten den unheimlich und düster wirkenden Zweidecker, der in den Hafen einlief und mit letzter Restfahrt an die Pier ging. „Ein tolles Schiff“, sagte der Admiral bewundernd. „Wenn ich ein solches Schiff hätte, könnte ich mir ganz große Raids leisten: Wunderbar, dieser Kasten, zum Verlieben schön.“ „Ja, das wäre ein Schiff für Sie, Admiral, das wäre genau das richtige Schiff. Aber es hat eine ziemlich starke Besatzung, da sind ja an die hundert Mann drauf“, sagte Molino verwundert. „Ja, das fiel mir auch schon auf. Na, vielleicht bleiben ein paar Kerle hier.“ Er sah wieder zu dem düsteren Zweidecker und war fasziniert. Von oben bis unten und von vorn bis achtern musterte er das Schiff. Der Gedanke, es in seinen Besitz zu bringen, fraß sich in ihm fest und nahm konkrete Formen an. Hm, das war ein schwerer Brocken, und es waren hartgesichtige Kerle an Bord, die so aussahen, als würden sie sich nicht die Butter vom' Brot nehmen lassen. Aber das Schiff ließ ihm keine Ruhe mehr, es beschäftigte ihn pausenlos. Mit dem Schiff und seiner starken Armierung könnte er in der Karibik kräftig auftrumpfen. Da konnte er sich ohne weiteres an die spanischen Handelsfahrer heranwagen, wenn sie Gold und Silber nach Spanien brachten.
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In Gedanken sah er sich auf dem Achterdeck dieses Zweideckers stehen, die Hände auf den Rücken gelegt, von einer Seite zur anderen gehen und Befehle geben. Aber dazu mußte man das Schiffchen erst einmal haben. Molino sah, wie es hinter der Stirn des Admirals arbeitete. Vermutlich sah der sich bereits als Admiral auf dem Zweidecker, denn er starrte das Schiff verträumt und besitz ergreifend zugleich an. „Sie stellen sicher taktische Überlegungen an, wie man an das Schiff heran könnte, Admiral, und sicher haben Sie auch schon einen Gedanken“, schmeichelte Molino. „Hm, hm, ich überlege noch. Wenn da nur nicht so viele Kerle an Bord wären. Das irritiert mich ein wenig.“ „Vielleicht ginge es draußen auf See, Admiral. Hier im Hafen können wir kaum etwas ausrichten. Aber wenn wir ihn uns draußen überraschend mit unseren drei Schiffen schnappen, dann sieht das alles schon ganz anders aus.“ „Hm, hm, das muß sorgfältig überlegt werden. Aber wenn ich mir vorstelle, daß ich da auf dem Achterdeck stehe und . . . Zum Teufel“, unterbrach er seinen Redeschwall, „ist das nicht eine Frau, oder sehe ich schlecht?“ Dem Achterdeck hatten sie ihr Interesse nicht sonderlich gewidmet, aber jetzt starrte Luis Campos dorthin, und da traf ihn fast der Schlag. Er schluckte hart und stierte die Frau an. „Himmel noch mal“, murmelte er fassungslos. „Die scheint auf dem Schiff die Befehle zu geben. Ja, gibt es denn so etwas? Das ist doch gar nicht möglich.“ Siri-Tong drehte sich um und sah in ihre Richtung. Aber den Admiral sah sie nicht, der verschwand in der Menge buntgekleideter Gestalten und dem Gewimmel am Hafen. Luis Campos fühlte, wie ihm der Hals trocken wurde. Er sah ein ebenmäßiges, unwahrscheinlich hübsches Gesicht mit zwei etwas schräggestellten kohlschwarzen Augen, eine zierliche gerade Nase und einen sinnlichen Mund. Die Frau war
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schlank und zartgliedrig, sie trug blaue Hosen und eine knallrote Bluse, unter der sich ihre Formen klar und deutlich abhoben. Zwei Knöpfe dieser roten Bluse standen offen, und darauf stierte der Admiral jetzt mit Triefaugen. „Teufel, Teufel“, murmelte er entzückt und strich mit einer affig wirkenden Gebärde wieder über sein Spitzbärtchen. „Diese wunderhübsche Senorita hat der liebe Gott nach Tortuga geschickt. Ein Prachtweib“, schwärmte er, wobei er seine Fingerspitzen küßte, „ein Geschenk des Himmels. Die muß ich kennenlernen, und wenn die ganze Welt dabei untergeht.“ „Ja, wirklich eine außergewöhnliche Frau“, sagte auch Molino, und diesmal meinte er es durchaus ehrlich, denn auch ihn faszinierte die exotische Schönheit der Senorita. Der Admiral war ganz hingerissen. Aufgeplustert stand er da, um die Aufmerksamkeit dieser Senorita aus der Ferne zu erregen, aber leider, leider - sie blickte an ihm vorbei und sah ihn gar nicht, sosehr er sich auch spreizte wie ein liebeskranker Pfau. „Wollten wir nicht zu dem Diego hinauf, Admiral?“ fragte Molino nach einer endlos langen Weile, in der der Admiral immer noch auf das Prachtweib schielte, mal die Luft anhielt und seinen Brustkorb herausdrückte, mal mit affektierten Bewegungen einherstolzierte, sein Bärtchen strich oder an seiner vornehmen Kleidung herumfummelte. In seinen Augen loderte eine verhaltene Glut. Molino glaubte ein Feuer darin zu sehen, das sich immer mehr ausweitete. Diesmal schien es den Admiral höllisch erwischt zu haben, der war schon ganz scharf und malte sich wer weiß was alles aus. Eigentlich war das sein übliches Getue, wenn ein „Prachtweib“ in der Nähe war. Dann plusterte er sich wie ein Gockel auf, und es fehlte nur noch, daß er laut gekräht hätte. „Diego - wer ist Diego?“ fragte der Admiral desinteressiert. „Der Kneipenwirt da oben, Admiral, den wir ausnehmen wollten. Ich habe Pablo
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und Escola hinaufgeschickt. Die werden jetzt noch da hocken und sich umsehen.“ Der Admiral schluckte wieder, strich seinen Spitzbart und stierte mit brennenden Blicken auf die Frau. Hin und wieder glitt sein Blick auch mal flüchtig über das Schiff. Molino räusperte sich, weil der Admiral nicht geruhte, eine Antwort zu geben. Er kriegte auch keine, denn dem Admiral war es jetzt offenbar völlig gleichgültig, ob die Kerle noch in der Kneipe hockten oder nicht. Und auch der dicke Wirt schien ihn nicht mehr sonderlich zu interessieren. Er war wieder einmal weggetreten und „aufs äußerste fasziniert“, wie er gern sagte. Molino wurmte das, denn wenn der Admiral einmal Feuer gefangen hatte, ließ ihn leider seine Intelligenz etwas im Stich, und er vergaß mitunter auch sein Vorhaben. Dann verzichtete er großzügig auf fette Beute, weil ihm das andere wichtiger war. Als sich einmal ein Kerl darüber aufgeregt hatte, war er eine Minute später tot gewesen. Seither regte sich niemand mehr öffentlich über des Admirals Amouren und Marotten auf. Dem Adjutanten wurde es langsam zu langweilig. Schön, die Senorita war wirklich einsame Spitzenklasse, aber deshalb mußte man sie doch nicht stundenlang „aufs äußerste fasziniert“ anglotzen, sich den Hals verrenken und das Maul aufsperren. Nach einer angemessenen Zeit wiederholte er seine Frage etwas schüchtern. Aber der Admiral sagte nur: „Hm, hm, jaja, später“ und gab nichts Konkretes von sich. Molino hätte sich gar zu gern in irgendeinen Winkel verkrochen, um ein paar Runden zu schlafen, denn die durchzechte Nacht steckte ihm noch in den Knochen. Doch das war nicht möglich, solange der Admiral gewissermaßen auf dem Kriegsschauplatz stand, um die Lage zu sondieren. Das Schiff hatte jetzt vertäut, die Segel waren eingeholt worden, und der Admiral ging ein paar Schritte nach vorn, um die Lage noch genauer peilen zu können. Er
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hielt sich jedoch etwas abseits und stellte sich nie in die wogende Menschenmasse. Aus der Nähe betrachtet, sah die Frau noch hübscher aus. Und auch das Schiff war äußerst robust, mit starker Armierung und zwei Decks. „Sind doch keine hundert Mann an Bord“, sagte er leise, „das hat vorhin nur so ausgesehen. Insgesamt sind das etwas siebzig oder fünfundsiebzig Kerle, mehr nicht.“ „Trotzdem noch eine gewaltige Überzahl“, gab der Adjutant zu bedenken. „Scheinen auch harte Burschen zu sein.“ „Das sagtest du bereits einmal.“ Molino entsann sich nicht, das schon einmal gesagt zu haben. Vielleicht aber hatte der Admiral das gedacht, und so schwieg er. „Wir bleiben vorerst hier auf Position“, entschied Luis Campos. „Wir werden auskundschaften, was es mit diesem Schiff auf sich hat. Und gegen Abend gehen wir in die Kneipe. Es kann ja sein, daß die wunderschöne Senorita auch da hingeht.“ „Und der Wirt, Admiral?“ „Welcher Wirt?“ „Der dicke Kneipenwirt, den wir rupfen wollen.“ „Das wird die Lage ergeben. Jedenfalls sind mir das Schiff und diese Frau zehnmal wichtiger. Was haben wir schon bei so einem kleinen Pinscher zu holen - ein paar Münzen, mehr nicht“, sagte er, abfällig mit der Hand winkend. Jetzt war also wieder einmal die gleiche Situation entstanden, indem der Admiral eine dicke Beute einfach sausenließ. Da war auch ein Weib im Spiel gewesen, und er hatte alles andere vergessen. Aber so ganz steckte Molino noch nicht auf. Er durfte zwar auch keine große Lippe riskieren. aber er durfte Vorschläge unterbreiten und konnte sich ein wenig mehr herausnehmen als die anderen. „Es sind eine Menge Münzen, Admiral. Ich habe sie gesehen. Was der Kerl an einem einzigen Tag einnimmt, ist enorm. Und er hat mit Sicherheit viele Schätze in seiner Kaschemme gehortet.“
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„Ein Dreck gegen das Schiff“, sagte der Admiral wegwerfend. Dabei leckte er sich lüstern über die Lippen. „Wenn wir das Schiff haben, brauchen wir keine Kneipenwirte mehr auszunehmen. Dann gehen wir an die ganz großen Brocken heran und rupfen die spanischen Silberschiffe.“ Jetzt fängt wieder sein Größenwahn an, dachte Molino. Der Admiral war schon ein recht wankelmütiger Mensch. Vor allem hatte er immer sehr hochfliegende Pläne, auch wenn sie meist nicht realisierbar waren. Es ging ihm auch nicht um das Schiff allein. Als Dreingabe wollte er das Weib, das schien ihm fast noch mehr wert zu sein, und deshalb setzte er wieder einmal alles aufs Spiel und riskierte Kopf und Kragen. Also war der Kneipenwirt vorerst abgemeldet. Luis Campos würde jetzt den ganzen Tag hier stehenbleiben, um alles genau zu beobachten. Dann rührte er sich nicht mehr vom Fleck. Kurze Zeit später verließen drei Männer das Schiff, die sich der Admiral genau betrachtete. Einer sah zum Fürchten aus, der hatte ein wüstes Gesicht mit einem gewaltigen Kinn. Er war genauso ein Riese wie die beiden anderen. Der eine war rothaarig und breit wie ein Schrank. Der dritte war schwarzhaarig, breit und sehnig, mit auffallend blauen Augen. Der Schwarze warf einen Blick über die Menge, die sich um den Zweidecker scharte, und ging mit federnden, elastischen Schritten weiter. Dem Admiral entging auch nicht, daß sie den Serpentinenweg einschlugen. „Aha, die Senores gehen saufen“, sagte er. „Der Schwarze sieht wie ein Kapitän aus, aber das Kommando über den Zweidecker hat doch wohl die Schwarzhaarige, wie ich annehme. Wie reimt sich das zusammen?“ Darauf wußte auch der Adjutant keine Antwort, und so blieben sie stehen und sahen den drei Männern nach, bis die ihren Blicken entschwanden. Fast eine Stunde verging, in der sich der Admiral fast vor Sehnsucht verzehrte. Verschwand die Eurasierin einmal aus
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seinem Blickfeld, dann reckte er schon den Hals und wurde nervös. Kehrte sie wieder an Deck zurück, dann ergötzte er sich wieder an ihrem Anblick und war „aufs äußerste fasziniert“. Dabei überlegte er immer wieder, wie er es anstellen sollte, das Schiff in seine Gewalt zu bringen. Weniger problematisch war für ihn, wie er die Frau herumkriegen konnte. Das war ganz einfach, nur mußte sich die Gelegenheit bieten, dicht in ihrer Nähe zu sein. Dann würde er auf seine übliche Tour scharwenzeln, seinen Charme ausspielen und die Dame einwickeln. Sie würde ihm mit Sicherheit nicht widerstehen. So einfach war das, so glaubte jedenfalls der Admiral, und so spann er seinen Faden unaufhörlich weiter, während er alles beobachtete. Zwei Galgenvögel näherten sich etwas schüchtern. Der eine war Pablo, der einer Ratte ähnelte, der andere war Escola, dem die Nase so traurig im Gesicht hing. „Na, was hat sich in der Kneipe getan?“ forschte Molino. „Warum seid ihr schon zurück?“ Die beiden sahen ziemlich belämmert drein. „Da war überhaupt nichts los“, sagte Pablo. „Nur drei Kerle erschienen mit einer langen Liste und bestellten etwas bei dem Wirt.“ Als er die drei Kerle beschrieb, drehte sich der Admiral um und musterte Pablo aus schmalen Augen. „Aha, die waren es also“, sagte er. „Was bestellten sie denn?“ „Das haben wir leider nicht mitgekriegt, Admiral, weil der Schwarzhaarige mit dem Wirt in der Küche verschwand. Aber Holz wollten sie haben, das habe ich genau gehört.“ „Weiter, weiter“, sagte der Admiral ungeduldig. „Der Wirt muß das Holz erst besorgen, deshalb wollen sie heute nacht noch im Hafen bleiben.“ „Aha, das heißt also, daß sie morgen früh lossegeln werden. Das Holz werden sie wohl später abholen. Aber warum habt ihr
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Blödmänner eure Ohren nicht weiter aufgesperrt?“ „Wir wußten ja nicht, daß es wichtig war, Admiral“, sagte Pablo. „Aber wir gingen eigentlich aus einem anderen Grund weg.“ Pablo druckste noch ein bißchen herum, bis Molino ihm energisch gegen das Schienbein trat und ihn somit aufforderte, auch noch den Rest zu erzählen. „Die beiden anderen Kerle fingen Stunk an. Stunk eigentlich nicht direkt, aber immer wenn wir ein Bier bestellten, soffen es uns die beiden grinsend weg. Der Rothaarige war ja nicht so unfreundlich, aber der andere mit den Narben im Gesicht, der Bordgeistliche, der drohte uns ein bißchen versteckt.“ „Der ist Bordgeistlicher?“ fragte der Admiral fassungslos. „Der mit dem gewaltigen Kinn und der brutalen Visage? Bordgeistlicher soll der sein?“ „Ja, das haben wir genau gehört. Er läßt auch immer Bibelsprüche los, und wer ihm widerspricht, den schlägt er zusammen. Wir wollten aber kein Aufsehen erregen, und so sind wir gegangen.“ „Bordgeistlicher“, wiederholte der Admiral immer noch fassungslos. „Den Hauklotz muß ich mir nachher genauer ansehen. Wie kann so was denn Bordgeistlicher sein?“ „Vielleicht drischt er ihnen das Evangelium mit den Fäusten ein“, sagte Molino. „So was soll es ja geben, und wenn die Senorita sehr fromm ist, sorgt sie eben für Ordnung an Bord, und jedermann hat ebenfalls fromm und gläubig zu sein.“ Bei dieser Theorie kroch dem Admiral ein kühler Schauer über den Rücken, und er stierte wieder zu der Frau hin. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Lady besonders fromm war, denn sonst hätte sie die rote Bluse ganz sicher hochgeschlossen, abgedichtet und verschalkt getragen, damit niemand einen unzüchtigen Blick riskierte. Sie brauchten auch nicht mehr lange zu warten, denn nach einer weiteren Viertelstunde kehrten die drei Männer auf dem Serpentinenpfad wieder zurück. Der Admiral stellte sich so, daß er nicht auffiel, denn nach seiner stutzerhaften und
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kostbaren Kleidung hatten sich die Neugierigen schon mehrmals umgesehen und ihn dabei auch ganz ungeniert angestarrt. Jetzt und hier aber war es besser, wenn die drei Kerle ihn nicht sahen. Sie gingen ziemlich dicht vorbei und unterhielten sich. Luis Campos nahm ganz besonders den Bordgeistlichen aufs Korn. Wenn der wirklich ein Hochwürden war, wollte er nicht bei dem an Bord sein. Der sah tatsächlich so aus, als würde er mit dem Alten Testament alle kurz und klein schlagen, die an seinem Wort zweifelten. Schon seine Stimme dröhnte so laut wie die Posaunen von Jericho, und dann hängte er an jeden Satz immer ein „Was, wie“ dran. Ein schöner Hochwürden war das, wenn er seinen Schäfchen das Bier wegsoff. Nach nochmals einer Stunde, in der der Admiral eisern auf seinem Beobachtungsposten blieb, kamen Maultierkarren den Pfad herunter und fuhren auf die Pier. Dann wurden Fässer, Kisten, Tonnen und Ballen abgeladen, und das alles verschwand im unersättlichen Bauch des düsteren Zweideckers. Bis zum Abend blieb der Admiral auf der Lauer und sah sich Schiff und Leute an. Das schwarzhaarige Weib wühlte ihn immer mehr auf und machte ihn geradezu rasend. Vielleicht sucht sie heute abend die Kneipe auf, dachte er. Dann war der erste Schritt getan. „Wir ziehen uns jetzt zurück“, sagte er kurz vor Einbruch der kurzen Dämmerung. „Ein Dutzend Kerle kann sich heute an Land austoben, die anderen bleiben auf den Schiffen. Die beiden Kapitäne, die zu meinem Stab gehören, haben ebenfalls wachfrei. Sagt ihnen Bescheid und verschwindet jetzt. Später treffen wir uns in der Kneipe da oben am Berg.“ Pablo und Escola verschwanden, während der Admiral mit seinem Adjutanten den Weg zur Kneipe nahm. 8.
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„Was ist denn mit euch Transäcken los?“ fragte Carberry zu diesem Zeit- punkt. „Will denn keiner mit? Sonst könnt ihr doch nicht schnell genug an Land rennen. Ribault ist mit ein paar Männern losgezogen, Siri-Tong ebenfalls, und ihr hockt hier, als ob ihr nicht bis drei zählen könnt.“ Die meisten zogen nicht so richtig oder hatten einfach keine Lust, zu Diego hinaufzugehen. Der verfressene Paddy Rogers sah interessiert hoch. „Bei Diego gibt's doch auch was zu futtern, oder?“ „Na klar, jede Menge. Der haut dir 'nen ganzen Ochsen in die Pfanne, wenn's sein muß. Und das alles wird mit dem Vormarssegel bezahlt:' Der Profos sah sich im Kreis der Arwenacks um und grinste voller Vorfreude. „Wieso mit dem Vormarssegel?“ fragte Smoky. „Das gibt's doch überhaupt nicht.“ „Eben, deshalb brauchen wir ja auch nichts zu bezahlen. Der liebe Diego hält uns alle frei.“ „Haha“, sagte Mac Pellew, „gerade der wird entzückt sein, euch Rabauken freizuhalten. Der geizt doch mit jedem Copper. Der ist genauso geizig wie der alte Plymson.“ „Wenn ich sage, daß er uns freihält, dann stimmt das auch“, versicherte Carberry. „Niemand braucht einen lausigen Nickel mitzunehmen. Darauf halte ich jede Wette.“ Smoky spitzte die Ohren. Für Wetten jeder Art war er immer zu haben. Er wettete leidenschaftlich gern. „Die Wette halte ich!“ rief er. „Ich wette, daß er uns nicht freihält, und du wettest dagegen.“ „Genau, abgemacht. Will noch jemand wetten?“ Mac Pellew kramte mit grämlichen Blicken in seinen Taschen herum und legte ein paar Münzen auf die Back. „Sag bloß, du willst mitgehen“, erklärte Ed verwundert.
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„Was sonst? Soll ich vielleicht hier herumhocken und Trübsal blasen?“ „Das tust du doch sonst auch immer. Also gut, dann legen wir den ganzen Krempel hier auf die Back, und wer die Wette gewonnen hat, kann das Zeug einstreichen. Wer geht noch mit?“ Smoky wollte mit, Mac Pellew, Paddy Rogers, Jack Finnegan und Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese. Jeder legte sein Scherflein auf die Back und sah den Profos an, der immer noch grinste. „Das habt ihr verloren“, sagte er. „Das ist so sicher wie der Donner beim Gewitter.“ „Diego hält uns niemals frei“, behauptete Smoky. „Der gibt vielleicht die erste Runde zur Begrüßung aus, aber damit hat es sich dann auch schon. Du wirst dich wundern, Ed.“ „Oder ihr euch.“ Hasard entschied für sich, an Bord zu bleiben, selbst Ferris Tucker wollte nicht mit, und die anderen zogen auch nicht richtig. Etwas später, über Tortuga war längst die Dunkelheit hereingebrochen, marschierte das halbe Dutzend Arwenacks los. In Diegos „Schildkröte“ ging es bereits hoch her, als die Männer eintraten. Kerle aller Schattierungen hockten in der labyrinthartig verzweigten Spelunke. Ein paar Huren kicherten, in einer Abseite stritten sich zwei betrunkene Kerle. Hier gaben sich meistens jene Typen ein Stelldichein, die mit dem Teufel einen unheiligen Pakt geschlossen hatten. Aber es gab auch andere. In einer Nische saßen um einen Tisch herum Siri-Tong, Jean Ribault, Karl von Hutten und das Ungetüm Barba. An anderen Tischen saßen weitere Männer aus Siri-Tongs und Ribaults Crew. In einer der hintersten Nischen hockte der Admiral mit seinem Adjutanten, den beiden Schaluppenkapitänen und zwölf weiteren Schnapphähnen, die aussahen, als hätten sie rostige Nägel gefressen. Himmel, sind das Visagen, dachte der Profos, als er sich einmal kurz umsah. Das waren ja Buschräuber der übelsten Sorte,
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ehrlose Halunken, die wegen eines lausigen Coppers die eigene Mutter umbrachten. Und inmitten dieser Schnapphähne hockte ein aufgeblasener Gockel in übereleganter Kleidung, der das große Wort führte. Carberry kehrte den Buschräubern den Rücken, lümmelte sich an die Theke und blickte das Schlitzohr Diego grinsend an seinen „guten Amigo Diego“, dem es unbehaglich über den Rücken rieselte, als er den Profos grinsen sah. „Wir sind wieder da“, sagte der Profos, als hätte Diego das nicht längst bemerkt. „Freust du dich denn gar nicht? Du hast uns doch heute morgen extra eingeladen und wolltest uns freihalten.“ „Freihalten?“ fragte der alte Halunke irritiert. „Aber mein lieber Amigo Ed, davon war doch keine Rede. Ich habe nur gesagt, ich hätte ein paar schöne Vögelchen für euch und ihr solltet den heutigen Abend nicht versäumen.“ „Wir sind ja nur sechs Mann“, meinte der Profos, „was ist das schon, wenn da jeder ein Bierchen nuckelt! Ein Klacks ist das, was, wie? Ich habe nämlich gewettet, daß du uns heute freihalten würdest, und ich will doch keine Wette verlieren. Was sollen die anderen Rübenschweine sonst von mir denken.“ „Ich weiß nicht, was die anderen Rübenschweine sonst denken“, murmelte Diego unbehaglich, „aber die Wette wirst du wohl verlieren, mein lieber Amigo Ed.“ Das Grinsen des Profos' wurde ein bißchen hinterhältiger. Er lümmelte sich noch weiter an die Theke und schob lässig einen ziegenbärtigen kleinen Kerl zur Seite, der neben ihm herumhampelte. „Du hast doch ein Geheimlager unter deiner Spelunke“, sagte Ed, „das ist mir noch verteufelt gut in Erinnerung, als wir da durchmußten. Von der Küche aus gelangt man da hinein, aber auch durch einen versteckten Zugang in der Schlucht, wenn man den Mechanismus kennt. Ich kenne ihn gut.“ „Um Himmels willen“, sagte Diego beschwörend, „doch nicht so laut, mein lieber Freund.“
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Der Profos senkte daraufhin die Stimme zu einem Flüstern. „In dem Geheimlager gibt es alles, was das Herz begehrt“, sagte er, „vom Schießpulver bis zu Wein, Bier und herrlichen Schnäpsen. Da könnte eine ganze Mannschaft monatelang saufen.“ „Was willst du damit sagen, Amigo?“ jammerte der Wirt. „Na, ganz einfach, Amigo Diego: Wenn du uns nicht freihältst, werden wir in das Geheimlager durch die Schlucht eindringen und dort den Pegelstand der vielen Fässer und Flaschen ein bißchen verändern, nach unten, versteht sich. Und wenn wir richtig nuckeln, gelangst du in den Besitz vieler leerer Flaschen und Fäßchen. Da ist es doch wohl besser, du gibst hier ein paar Runden aus, damit ich meine Wette gewinne.“ Der Dicke schwitzte Blut und Wasser. Dann schluckte er hart. „Das ist Erpressung“, keuchte er. „Das ist eine Alternative oder wie das heißt“, säuselte der Profos. „Eine von zwei Möglichkeiten. Wer wird denn einen lieben Freund erpressen, Amigo? Es handelt sich doch nur um eine lumpige Wette.“ „Die mich ein Vermögen kostet“, klagte der Dicke. Der Profos grinste immer noch so freundlich, während Diego weiterhin Blut und Wasser schwitzte. Er versuchte es ein letztes Mal. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“ „Doch, doch. Mein voller Ernst.“ „Was wird denn dein Kapitän dazu sagen?“ fragte der Dicke. „Er wird es nie erfahren - und wenn, dann erst, wenn das Geheimlager total gelenzt ist und von der Kneipe nur noch die nackten Felswände übrig sind.“ Da gab Diego sich endlich geschlagen. Nein, dachte er, dann hielt er die Kerle doch lieber frei, weil das immer noch billiger war. Er stellte sich vor, wie dieses Ungetüm von Profos mit den fünf anderen Rabauken im Geheimlager hockte und wie sie über die Wein-, Bier- und Schnapsvorräte herfielen. Dieser Gedanke
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behagte ihm überhaupt nicht. Wenn die Kerle total abgefüllt waren, zerschlugen sie ihm womöglich noch den Rest, und der Schaden würde ins Unermeßliche gehen. „Also gut“, murmelte er mit versagender Stimme. „Du hast deine Wette gewonnen. Ich halte euch frei.“ „Lauter, damit die anderen das auch hören“, sagte der Profos heiter. „Ihr seid heute meine Gäste“, sagte Diego lahm, „ich halte euch heute frei. Ihr könnt trinken, was ihr wollt.“ Smoky starrte den Wirt perplex an. Die anderen staunten ebenfalls. „He!“ sagte Smoky verblüfft. „Dann haben wir ja unsere Wette verloren.“ „Genauso ist es“, sagte Ed. „Mit einem ausgewachsenen Profos soll man eben nicht wetten. Diego kann meinem Charme einfach nicht widerstehen.“ „Nein, sein Charme ist wirklich umwerfend“, sagte der Wirt. „Er ist auch immer so bescheiden.“ „Richtig“, murmelte Ed. „Wie heißt es doch: Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.“ „Was wollt ihr denn trinken?“ fragte Diego ängstlich. Carberry überlegte nicht lange. Er hatte da schon ganz gewisse Vorstellungen. „Lage laufend“, erklärte er lässig. „Hab' ich nicht“, sagte Diego. „Was ist das denn?“ „Bier und Schnaps. mein Freund. Lage laufend hat nämlich den Vorteil, daß du den Zapfhahn nicht immer auf- und zudrehen mußt. Du kannst ihn gleich offenlassen und brauchst nur immer die Humpen darunter zu halten. Wir werden schon dafür sorgen, daß nichts verlorengeht. Wir haben nämlich verflucht großen Durst.“ Der Profos sah sich um und entdeckte den stutzerhaft gekleideten Kerl, der ihn verwundert anstarrte. Daß der Admiral ihn für einen Bordgeistlichen hielt, konnte der Profos allerdings nicht wissen. Als sich ihre Blicke kreuzten, sah der Admiral scheinbar gleichgültig zur Seite. „Lage laufend“ brachte den dicken Diego ganz schön ins Schwitzen, denn die Kerle
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legten ein Tempo vor, als wären sie am Verdursten. Kaum hatte er diesem Monstrum von Profos den ersten schäumenden Humpen hingestellt, da soff der ihn auch schon in einem mächtigen Zug aus, wischte sich über die Futterluke und knallte den Humpen auf die Theke. „Das andere Zeug kann der Schankknecht an den Tisch bringen“, sagte Ed gönnerhaft, „den ersten zischen wir immer am Tresen. Wir setzen uns da drüben hin.“ Er deutete auf einen Tisch, den Diego extra freigehalten hatte, an dem aber der Ziegenbärtige hockte, der eben noch an der Theke gestanden hatte. Sie setzten sich um ihn herum und kreisten ihn ein. Das Kerlchen mit dem Lotterbart glotzte von einem zum anderen, fühlte sich mächtig unbehaglich und tat das unter ständigem Geräusper kund. „Hast du Motten im Bart, Gevatter?“ erkundigte sich der Profos. „Du siehst so zerpliesert aus.“ Das dreckige Kerlchen zupfte aufgeregt schluckend an seinem Bart herum und schüttelte den Kopf. „Motten?“ krächzte er. „Wollen Sie mich beleidigen, Senor?“ „Dieser Tisch ist doch reserviert“, sagte Ed, „aber nicht für ein mottenbärtiges kleines Rübenschwein, sondern für uns. Oder habe ich das falsch verstanden, was, wie?“ Barba blickte grinsend zu ihnen herüber, und auch der Franzose lachte leise, weil Ed es wieder mal nicht lassen konnte. Sie rückten dem Kerlchen noch etwas dichter auf die Pelle, bis der hoffnungslos eingeklemmt zwischen Smoky und dem Profos saß. Das behagte ihm noch weniger, und den anderen behagte es auch nicht, denn der Kleine stank wie ein Ziegenbock und seine Nähe war nur schwer zu ertragen. Er schnappte sich seinen Humpen, murmelte etwas und quetschte sich zwischen den beiden hindurch. Mit galligen Blicken hastete er zur Theke .und zupfte wieder aufgeregt an seinem Bart. Die Männer aus Ribaults Crew und auch die von Siri-Tong lachten und schmusten
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mit Diegos Täubchen. Aus den Nischen waren Gekicher und Gekreische zu hören. Die Mannschaften des Bundes der Korsaren waren heute Diegos bevorzugte Gäste, und sie genossen das sichtlich. Noch mehr bevorzugt wurde allerdings die Crew um Carberry - wegen der geheimen Erpressung. Einer der Schankknechte rannte ständig hin und her, um die Kerle zu versorgen, und er hatte viel zu tun, denn auch Mac Pellew soff heute wie ein Gaul, obwohl er ein Gesicht zog, als würde ihm eimerweise Essig vorgesetzt. Der dickliche Paddy Rogers bewies wieder einmal, daß er nicht nur viel essen konnte. Im Trinken war er genauso gut und nahm es anfangs auch noch mit dem Profos auf. „Sieh dir mal diesen Krähhahn an“, raunte Smoky dem Profos zu, „der glotzt dich an, als wolle er dich auffressen. Und die Rote Korsarin hat er mit seinen Blicken schon aufgefressen.“ „Kenne ich nicht“, sagte Ed. „Aber wenn er noch lange so dämlich glotzt, werde ich ihm sein Rüschenhemd verknoten. Wird sowieso Zeit, daß hier mal wieder der Laden gefegt wird.“ Die anderen grinsten, denn der Profos war nun einmal ein Rabauke aus Passion, der keinem Stunk aus dem Wege ging. Aber er beruhigte sich schnell wieder, als vier Täubchen, die Diego geschickt hatte, ihren Tisch ansteuerten. Die Senoritas kicherten verschämt und fragten noch verschämter, ob sie Platz nehmen dürften, um die Gentlemen ein wenig zu unterhalten. Klar durften sie, und sie durften sich auch gleich etwas zu trinken bestellen, weil die Männer ja noch „Lage laufend“ guthatten und Bescheidenheit in diesem Fall wirklich nicht angebracht war. In der hinteren Nische lief dem Admiral und seinen Kerlen langsam die Galle über. Sie kriegten kein Bein auf den Boden, keine Senorita erschien an ihrem Tisch, und sie wurden ziemlich nachlässig bedient, weil die anderen Kerle hier ganz offen bevorzugt wurden. Den Admiral ärgerte das über alle Maßen.
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„Da ist wieder dieser Bordgeistliche!“ sagte er entrüstet. „Diese Kerle predigen den anderen Moral, aber sie selbst saufen und huren ungeniert herum. Dieser Hochwürden säuft mehr als ein Ochse.“ Den anderen paßte das ebenfalls nicht. Auf ihren Galgenvogelvisagen erschien allmählich ein drohender Ausdruck. Luis Campos hatte jetzt allerdings Gelegenheit, die Rote Korsarin genauer in Augenschein zu nehmen, was er auch ungeniert tat. Aus unmittelbarer Nähe stierte er die hübsche Eurasierin an und wurde immer schärfer und erregter. Er plusterte sich auch wieder auf und riß dumme und zotige Witze, um die Aufmerksamkeit der Senorita zu erregen. Doch die warf ihm zu seinem Ärger nicht einen einzigen Blick zu. Sie nahm ihn überhaupt nicht zur Kenntnis, er war Luft für sie. Das kratzte mächtig an seiner Eitelkeit und der Einbildung, daß er sich für unwiderstehlich hielt. Auch als er sich mehrmals laut räusperte, reagierte die Angebetete in keiner Weise. Sie unterhielt sich mit einem schlanken, verwegen aussehenden Kerl und lachte hin und wieder perlend. Was die sich einbildete! Der Fatzke neben ihr sah nicht halb so gut- aus wie er, und das Monstrum an ihrem Tisch mit der plattgehauenen Visage war ja wohl das letzte! So dachte der Admiral, doch er wollte die Gelegenheit nutzen um die Senorita kennenzulernen. Wenn die morgen in See ging, war die letzte Gelegenheit vorbei, und er würde sie vielleicht nie wiedersehen. Diese Frau und das Schiff, dachte er, das ist eine einmalige Kombination. Diesen Gedanken konnte er nicht mehr loswerden, er nistete sich immer fester in ihm ein. Einmal brüllte er laut nach dem Wirt und beschwerte sich über die lahme Bedienung. Er trat ziemlich herrisch auf, doch auch diese Geste verfehlte ihre Wirkung, weil Diego ärgerlich abwinkte und die Senorita ihn wiederum nicht zur Kenntnis nahm. Carberry hatte sich halb zur Seite gedreht. Neben ihm saß eine aufgedonnerte Schöne,
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die an seinen Haaren auf der Brust herumzupfte, die dem Profos wie eine Matte aus dem Hemd quollen. Er sah genau, was da in der Nische vor sich ging, und hatte auch etwas von einem „Bordgeistlichen“ vernommen. Er grinste still vor sich hin. Demnach hatte der aufgeblasene Gockel also zwei Zuträger, und zwar waren das jene Kerlchen, die heute morgen in der Kneipe gewesen und „einen ausgegeben“ hatten. Er sah die beiden Kerle jedoch nirgends. „Der Kerl wird ja immer wilder“, raunte Jack Finnegan. „Der kann kaum noch an sich halten. Ein aufdringlicher Gockel ist das. Der will was von der Roten Korsarin.“ „Hab' ich längst gemerkt“, sagte Ed, „darauf warte ich ja nur. Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, werden wir den Gockel mal krähen lassen.“ Die Gelegenheit ergab sich schon bald darauf, denn der Admiral wollte es jetzt ganz genau wissen. Er beugte sich zu Molino hinüber und sah ihn an. „Ich möchte die Senorita kennenlernen“, sagte er. „Du, als mein persönlicher Adjutant, erhältst den ehrenvollen Auftrag, die Senorita an meinen Tisch zu bitten. Tu das aber gefühlvoll, charmant und freundlich. Du sagst ihr, daß der Admiral sie bitten läßt, klar?“ „Sehr wohl, Admiral. Sie werden mit mir zufrieden sein.“ Carlos Molino erhob sich mit einem schmierigen Grinsen, das er für besonders anziehend hielt. Dabei versuchte er, seinen Herrn und Meister nachzuahmen, doch das haute nicht hin. Er war und blieb ein Rüpel mit schlechten Manieren. Zudem hatte er nicht den blassesten Schimmer, wen er da ansprach. Carberry linste wieder hinüber, spitzte die Ohren und sah, wie der Kerl aufstand und sich anschickte, an den anderen Tisch zu gehen. „Jetzt fängt es an“, sagte er händereibend. „Der Dreckspatz soll für den anderen Gockel die Rote Korsarin ankrähen. Mal sehen, ob ich recht behalte.“ Er behielt recht, der Profos.
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Molino trat an den Tisch der Roten Korsarin und blickte sie an. Auf einen Gruß verzichtete er, ebenso ignorierte er die anderen Männer. Und von Charme oder Freundlichkeit war überhaupt nicht die Rede. Er behandelte Siri-Tong so, als sei sie eine von Diegos Schlampen. „Der Admiral will dich kennenlernen, Süße“, sagte er und starrte grinsend in SiriTongs Blusenausschnitt. „Also mach schon, er ist es nicht gewohnt, daß man ihn warten läßt.“ Karl von Hutten grinste sich eins. Jean Ribault schüttelte sich in lautlosem Gelächter, nur Barba hob den massigen Schädel und sah den Kerl bösartig an. Siri-Tong sagte gar nichts. Sie tat so, als sei der aufdringliche Kerl überhaupt nicht vorhanden. Molino stierte von einem zum anderen. Er bemerkte verärgert, daß zwei Kerle grinsten und die Frau ihn einfach ignorierte. „Ich sagte, der Admiral ...“ „Was du hier sagst. interessiert niemanden“, entgegnete Barba mit seiner tiefen Stimme. „Aber ich empfehle dir, dich schleunigst zu trollen, sonst laß ich die Kuh fliegen.“ „Wen läßt du fliegen?“ fragte Molino verständnislos. „Die Kuh“, wiederholte Barba dumpf. „Und wenn ich die Kuh fliegen lasse, dann fliegt sie bis über die Kimm.“ Molino stierte immer noch. Er kannte Barbas Lieblingsspruch nicht und konnte sich auch nichts darunter vorstellen. Offenbar war der Hauklotz bescheuert, wenn er Kühe fliegen lassen wollte. Barba warf ihm einen zweiten Blick zu. Dieser Blick war so fürchterlich, daß dem Adjutanten das Blut in den Adern gefror. Er sah das narbige wilde Gesicht und die Pranken, die der Kerl jetzt zu gewaltigen Fäusten schloß. Das ernüchterte ihn recht schnell, und so warf er dem wüsten Kerl nur einen irritierten Blick zu. Dann drehte er sich um und kehrte an den Tisch zurück, wo die anderen ihn erstaunt ansahen.
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„Was ist?“ fragte der Admiral ungeduldig. „Was hat sie gesagt?“ „Sie gab überhaupt keine Antwort, Admiral. Die beiden anderen Kerle auch nicht, sie übersahen mich einfach. Und der Hauklotz da vorn faselte davon, daß er die Kuh fliegen lassen würde.“ „Hier gibt's keine Kühe“, sagte der Admiral verärgert, „also kann er auch keine fliegen lassen. Der Kerl spinnt wohl!“ „Ich schlage vor, daß wir hier mal andere Saiten aufziehen sollten“, sagte Molino. „Der Kerl pöbelte mich ziemlich übel an. Vielleicht verstehen sie eine andere Sprache besser.“ „Da bin ich ausnahmsweise mal ganz deiner Meinung, Molino. Aber vielleicht hast du etwas falsch gemacht. Ich versuche es noch einmal im guten und werde dir zeigen, wie man eine Dame mit Charme und Grandezza erobert. Paß gut auf, du kannst viel dabei lernen.“ Der Admiral erhob sich, pumpte sich auf und drückte die Brust raus, daß er kaum noch seine Stiefel sehen konnte. Dann stelzte er gespreizt zu der anderen Nische hinüber, wobei er sich kühn und verwegen nach allen Seiten umblickte. „Jetzt kräht der Gockel selbst“, sagte Carberry, dem absolut nichts entgangen war und der sich über Barbas Spruch köstlich amüsiert hatte. Jetzt würde wirklich gleich die Kuh fliegen, denn er konnte als „frommer Pilger“ nicht zulassen, daß der Gockel SiriTong anquatschte. Grinsend schob er das Täubchen ein wenig zur Seite und hob seinen Bierhumpen hoch. Der Admiral mußte an ihm vorbei, wenn er zur anderen Nische wollte. Carberry grinste so freundlich wie ein Rübenschwein und hob den Humpen noch höher, als der Gockel heranstelzte. Als Luis Campos auf gleicher Höhe war, den Blick jetzt kühn voraus auf die Nische gerichtet, stellte der Profos ihm ein Bein. Er tat das so ganz nebenbei und nahm auch noch einen Schluck.
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Der Admiral sah das Hindernis nicht, weil er seine Brust zu sehr aufgebläht hatte. Er stolperte und fiel der Länge nach auf die Nase. Carberry begann dröhnend und schadenfroh zu lachen. Auch die anderen brüllten lachend los, als der Admiral bäuchlings auf den staubigen Dielen der Kneipe landete. Der Profos konnte sich kaum beruhigen. Jetzt hatte er genau das erreicht, was er wollte. Der Stunk war da, also konnte man dem Affen gleich etwas genauer auf den Zahn fühlen. Luis Campos lief knallrot an. Unbeschreibliche Wut stand in seinen Augen, als er mit einem schnellen Satz wieder auf den Beinen war. „Welcher Hund war das?“ brüllte er. „Das war ich, der Bordgeistliche“, sagte Carberry feixend. „Warum mußt du auch über meine Knochen stolpern, du Rübenschwein? Du mußt aufpassen, wo du hinlatschst, klar?“ Luis Campos sah rot. Er hatte auf diesen „Hochwürden“ ohnehin schon eine Wut, die er sich nicht erklären konnte, aber jetzt stellte ihm dieser Kerl absichtlich ein Bein und degradierte ihn bis zur Lächerlichkeit. Das konnte nur mit Blut abgewaschen werden. Blitzschnell griff er zum Gürtel und zog ein langes, dünnes Messer. Sein Arm holte schon aus, da war diese narbige Visage plötzlich verschwunden. Der Stich ging ins Leere. In der Nische sprangen die Kerle auf, als wären sie von giftigen Nattern gebissen worden. Sie alle wollten ihrem Admiral zu Hilfe eilen, um die Scharte wieder auszuwetzen. Doch da waren auch noch die Seewölfe und die Männer von Siri-Tong und Jean Ribault, die bereits auf der Lauer lagen. Carberry stand seitlich neben dem Admiral, der mit einem lauten Wutschrei herumfuhr. „Dich bring' ich um!“ kreischte Campos wild.
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„Da mußt du aber eine Culverine nehmen“, schlug der Profos vor, „und nicht den Pikser.“ Sein Arm schoß unglaublich schnell vor, packte das Handgelenk, drehte es hart herum und drückte mit aller Kraft zu, bis dem Admiral das Wasser in die Augen stieg und er das Messer fallen ließ. Mac Pellew bückte sich, hob es auf und sagte trocken: „Danke, Ed. So was kann man immer in der Kombüse brauchen.“ Der Profos nahm Maß und feuerte seine gefürchtete Rechte ab, eine Faust, die einem explodierenden Faß voller Schießpulver glich. Den Admiral erwischte sie voll auf der Brust. Er raste los, überschlug sich, polterte über die Dielen und schrammte hart an die Theke, hinter welcher der dicke Diego zeterte und jammerte. Aber Campos war auch hart im Nehmen. Zwar hatte ihm dieser harte Schlag die Luft aus den Lungen getrieben, und er sah ständig rote Nebel um sich kreisen, aber jetzt packte ihn ein unglaublicher Jähzorn, eine wilde, heiße Wut. Er schnappte sich den nächsten Humpen von der Theke und wollte ihn Carberry auf den Schädel donnern. Nun war Diego ein Mann mit einer Marotte, und die bestand darin, daß er ein ausgesprochener Kakteenliebhaber war. Überall in seiner Kneipe standen die Dinger in Töpfen und Schalen herum. Was sich schon einmal bewährt hat, dachte der Profos, würde sich auch wieder bewähren, und so schnappte er sich einen großen Kaktus mit langen borstigen Stacheln. Als der Humpen niedersauste, trat Ed blitzschnell zur Seite und drückte dem Admiral den Kaktus ins Gesicht. Die Antwort war ein wilder verzweifelter Schrei, der in der höchsten Tonlage abrupt abbrach. Der Admiral hatte die Augen geschlossen und sah aus wie ein Stachelschwein im Rüschenhemd, als hätte er sich tagelang nicht rasiert. Die Stacheln ragten nach allen Seiten aus seinem Gesicht. „Hau ihm bloß nicht auf die Visage, Ed“, maulte Mac Pellew, „sonst verletzt du
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dich, und ich kann dir die Stacheln wieder rausziehen, wozu ich heute nicht die geringste Lust habe.“ „Ist gut“, sagte der Profos und setzte dem Admiral die Faust knallhart in den Magen. Luis Campos brach stöhnend zusammen. Der Profos hievte ihn am Kragen seiner Jacke hoch und schleppte ihn zur Tür, um ihn draußen abzuladen, „weil Stachelschweine hier nichts zu suchen haben-, doch da traf den Profos selbst etwas ins Kreuz. In der Kneipe tobte mittlerweile eine prächtige Schlacht. Gerade als Carberry am Schott war, flog ihm ein Mann hart ins Kreuz. Der Riese Barba hatte die Kuh fliegen lassen, einen Kerl am Schlafittchen gepackt und nach alter Manier einfach quer durch die Kneipe gefeuert. „Nun mal langsam“, brummte Ed, „immer einer nach dem anderen und nur nicht drängeln.“ Er feuerte den Admiral schwungvoll nach draußen und kümmerte sich dann um den Kerl, der ihm ins Kreuz geflogen war. Der wackelte ein bißchen mit dem Kopf und blickte nicht ganz durch. Er grinste auch etwas verzerrt. „Da geht's raus“, sagte der Profos, packte den Kerl am Genick und am Hosenboden und feuerte ihn schwungvoll hinterher. Jetzt war die Hölle los. Die Frauenzimmer hatten kreischend das Weite gesucht oder sich in den Nischen verkrochen. Die Kerle des Admirals waren keineswegs zimperlich, aber sie hatten sich ein wenig übernommen, wie sie jetzt feststellen mußten, denn hier kämpften wahre Teufel, die erbarmungslos einen nach dem anderen abräumten und nach draußen beförderten. Diego jammerte und stöhnte, als ein paar Tische zu Bruch gingen, Barba sich eine Bank griff und damit rundum säbelte. Gleich mehrere Kerle flogen wie Strohpuppen durch die Kneipe. Mac Pellew klatschte begeistert in die Hände. Die Idee Carberrys, mit Kakteen zu hantieren, fand er geradezu genial. Die Kerle quiekten immer wie die Schweinchen, wenn sie damit drangsaliert wurden, und sie waren auch immer
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höllisch überrascht, wenn ihnen so ein stachliges Ding unversehens am Hintern hing. Matt Davies prügelte sich gerade mit einem geiergesichtigen Kerl herum. Er hatte ihm mit seinem Haken schon das Hemd bis zum Gürtel aufgeschlitzt, aber jetzt zog der Kerl ein Messer und hampelte vor der Nische herum, in der Mac Pellew mit seinen stacheligen Wurfgeschossen Aufstellung genommen hatte. Da waren so prächtige Kakteen, die sich „Schwiegermutterstuhl“ nannten und tatsächlich wie ein runder Hocker aussahen. Allerdings war das Sitzen darauf nicht empfehlenswert, denn das Ding bestand fast nur aus üblen Stacheln. Der Geiermann stieß nach Matt, verfehlte ihn aber. Mac Pellew hatte den Stachelhocker einladend hingestellt, und als der Geiermann jetzt davorstand, griff Mac nach dem Rest seines aufgeschlitzten Hemdes und zog daran wie an einem Fall. Der Kerl setzte sich auch prompt. Aber wie! Mac Pellew staunte über die vielseitige Mimik des Mannes. Der brüllte erst einmal wie am Spieß, laut und gellend, dann wurde sein Gesicht faltig und welk, dann wieder ganz glatt und schließlich so verrunzelt wie altes Leder. Er warf auch gleich sein Messer weg, doch damit er nicht auf dumme Gedanken verfiel, stauchte Mac ihn noch ein bißchen, indem er beide Hände auf den schmierigen Schädel drückte. Der Kerl hampelte, zappelte, kreischte und brüllte. Er schrie immer lauter und griff mit beiden Händen an seinen Achtersteven, wobei er natürlich in die Stacheln griff. Mac Pellew fand das ausgesprochen lustig. Das war noch prächtiger, als mit Bratpfannen oder Kochlöffeln zu schlagen. Was ein erwachsener Mann dabei so alles an Tönen von sich gab, war einfach unglaublich. Nicht mal Babys kreischten so laut, wenn sie im eigenen Kielwasser schwammen. „Jetzt hast du aber lange genug drauf gesessen“, sagte Mac grämlich, „geh
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runter, ich brauch' das Ding noch für einen anderen.“ Der Kerl sprang auf und flitzte los, beide Hände auf die Sitzfläche gepreßt, Zeter und Mordio schreiend. Er kannte kein Ziel, er rannte einfach drauflos, bis er in der Nähe der Tür landete. Dort lauerte der Profos, und als der Kerl heran war, trat er ihm überflüssigerweise noch mit dem Stiefel in den Hintern. Das trieb die Stacheln noch weiter in sein Sitzfleisch. Der Schreihals sauste in die Dunkelheit hinaus und verschwand. Sein Gebrüll war auf ganz Tortuga zu hören. Molino schließlich schloß auch noch Bekanntschaft mit der stacheligen Flora Tortugas. Er war an Paddy Rogers geraten, der ihn mächtig durchgeklopft hatte. Jetzt rannte er auf Mac Pellew zu, an dem fast alle vorbei mußten, und wollte noch einmal draufschlagen. Der zweite Koch der „Isabella“ hielt schnell die Schale vor sein Gesicht. In der Schale befand sich ein recht übler Geselle, klein von Wuchs, aber sehr breit und stachlig. In den schlug Molino mit letzter Kraft hinein. Seine Faust bohrte sich mitten in den Kaktus und blieb darin stecken. Mac ließ die Schale los und besah sich das Unglück. Molino trug den Kaktus wie einen stacheligen Handschuh. Er riß das Maul auf und brachte es vor Schmerzen nicht mehr zu. Seine Augen waren hervorgequollen, sein Blick total glasig. „Hilfe“, gurgelte er erstickt. „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, sagte Mac. „Was haust du auch in den unschuldigen Kaktus!“ Der Profos beförderte Molino schließlich hinaus zu dem Haufen, der bereits vor der Kneipe lag. Dann blickte er sich bedauernd um. „Schade“, sagte er, „aber das war das letzte Rübenschwein. Ging ein bißchen zu schnell, findest du nicht auch?“ „Ja, leider, und dabei sind hier noch so viele von den Stacheldingern. Ich hab' die Idee von dir übernommen, Ed. Du hast doch hier schon mal einem Kerl einen Kaktus zu fressen gegeben.“
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„Ja, ein Soldat war das. Hat ihm gar nicht geschmeckt, das Ding, obwohl es ein Melonenkaktus war. Ich fragte ihn noch höflich, ob es ihm auch schmecke, aber das hat er mit Kopfschütteln verneint. Undank kennt eben keine Grenzen.“ „Ja, da ist was dran“, sagte Mac Pellew tiefsinnig. „Wir sollten ein paar mit aufs Schiff nehmen.“ In der Kneipe sah es wüst aus. Ein paar Bänke waren zu Bruch gegangen, und ein paar Kakteen lagen zermatscht am Boden. Humpen und Flaschen waren umgekippt, und unter einer Bank lag noch ein Kerl, dem beide Klüsen dichtgehauen waren. Er stöhnte leise und begann auf allen vieren durch die Kneipe zu kriechen. Der Profos goß ihm aus einem Humpen kühles Bier über den Schädel. Der Kerl schlabberte und erkundigte sich dann mit wehleidiger Stimme, ob noch jemand einen ausgebe. Er schien nicht den geringsten Durchblick mehr zu haben. „Ich“, sagte Ed. „Ich begleite die Gäste immer bis zur Tür.“ Etwas später war auch der Kerl draußen, und die anderen, die sich draußen noch versammelt hatten, machten sich humpelnd' und fluchend auf den Weg. Aus weiter Ferne war immer noch ein dünnes, kreischendes Stimmchen zu hören. Es gehörte zweifellos dem Kerl, der auf Mac Pellews „Schemel“ Platz genommen hatte. „Das muß gefeiert werden“, sagte Ed, „ich denke, wir bleiben bei Lage laufend, wenigstens vorerst.“ „Aber nur bis Mitternacht, Ed“, sagte die Rote Korsarin, „dann brechen wir auf, denn morgen früh segeln wir. Da können wir keine Brummschädel gebrauchen.“ „Aye, aye, Madame“, sagte der Profos grinsend. „Das ist ein Wort. Dann bleiben wir doch bei Lage laufend. Lieber wäre mir allerdings langes Saufen gewesen.“ Diego ging händeringend durch seine Kneipe und besah sich die Trümmerstücke. „Mein Gottchen“, sagte er weinerlich, „daß das nicht einmal in Ruhe vor sich geht. Immer muß geprügelt werden. Und meine schönen Kaktusse sind auch fast alle hin.“
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„Kakteen heißt das“, sagte Mac Pellew. „Das ist nämlich die Mehrzahl von Kaktus.“ „Quatsch, Mehrzahl“, sagte Diego. „Es heißt ja auch Lokusse, und nicht Lokeen. Wo hat die Welt jemals solchen Quatsch gehört! Wer ersetzt mir nun den Schaden?“ „Das übernehmen wir selbstverständlich“, sagte Ribault. „So haben wir es in England immer gehalten, und so halten wir es auch hier. Um Mitternacht rechnen wir ab.“ Pünktlich um Mitternacht brachen sie auf. Zapfenstreich und Abmarsch, denn morgen früh ging es in See. Daß der Admiral ihnen blutige Rache geschworen hatte, ahnten sie nicht. Der gab sich mit der Niederlage noch lange nicht zufrieden. 9. Am vierten Oktober gegen neun Uhr morgens lief die „Caribian Queen“ aus und nahm Kurs auf die Windward-Passage. Sie waren noch keine halbe Stunde lang unterwegs, als der Ausguck drei zweimastige Schaluppen meldete, die achteraus auftauchten und weit hinten im Kielwasser des Zweideckers segelten. Die Schaluppen waren schnell und wendig, und sie holten erstaunlich schnell auf. Siri-Tong drehte sich unbehaglich um, denn die drei Schaluppen waren mit Sicherheit nicht zufällig aufgekreuzt und befanden sich auf dem gleichen Kurs wie sie. Barba nahm den Kieker und blickte lange hindurch. Dann drehte er sich grinsend zu der Roten Korsarin um. „Das ist Ihr Verehrer von gestern, Madame, der Kerl. der sich Admiral nennen ließ.“ „Der aufgeblasene Gockel aus Diegos Spelunke?“ fragte Siri-Tong erstaunt. „Ja, genau, Madame. Er steht auf dem Achterdeck der mittleren Schaluppe und beobachtet uns ebenfalls durch ein Spektiv. Sollen wir wieder mal die Kuh fliegen lassen, Madame?“ Siri-Tongs Augen blitzten zornig. Sie war nahe daran, zu explodieren, als sie
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ebenfalls einen Blick durchs Spektiv warf. Da stand dieser Laffe von gestern tatsächlich auf dem Achterdeck und winkte! „Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl sie. „Hoch mit den Stückpforten. Diesem Kerl zeigen wir es.“ Die Crew rannte auf die Stationen. Kurz darauf flogen die Stückpforten hoch, die Rohre wurden ausgerannt. Die Rohre waren gerade ausgerannt, als die Schaluppen unvermittelt auf Distanz gingen, was Siri-Tong noch mehr ärgerte. Erregt beobachtete sie, wie die eine Schaluppe mit dem Admiral an Bord im Kielwasser zurückblieb, während die beiden anderen außerhalb der Schußweite heranzogen, als wollten sie den Zweidecker begleiten. Sie setzten sich querab an die Seien der „Caribian Queen, die eine an Backbord, die andere an Steuerbord. Für die Geschütze waren sie nicht zu erreichen. Das tat der Admiral sehr geschickt. Er hielt so weit Distanz, daß sie nichts ausrichten konnten, sich aber ständig belästigt fühlten. Siri-Tong ließ an die Schaluppe heransegeln, die sich auf der Backbordseite befand, um den Kerlen eine Ladung zu verpassen. Doch sobald sie auch nur etwas den Kurs änderte, wich die Schaluppe sofort aus. Drehte sie auf die andere zu, dann wurde drüben das gleiche Manöver ausgeführt. Die Schaluppen waren schneller und wendiger und nicht zu fassen. Siri-Tong sah, daß sie schwer mit Drehbassen bestückt waren. Noch ein paar Male wiederholte sie das Manöver - immer mit dem gleichen Mißerfolg. Die Kerle auf den Schaluppen grinsten, wie sie durch den Kieker erkannte. Das ließ ihre Wut noch größer werden. „Die wollen uns vorerst nur ein wenig ärgern“, sagte Hasard beruhigend. „Aber sie werden bei Tage wohl kaum angreifen, das werden sie eher nachts versuchen. Vermutlich wollen sie uns entern.“ „Was ist bei uns schon zu holen“, schnaubte die Rote Korsarin verächtlich.
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„Eine ganze Menge. Der Gockel will den Zweidecker haben - und natürlich auch dich, dich wohl ganz besonders, nach allem, was ich von gestern abend gehört habe. Der Kerl soll ja ganz scharf auf dich gewesen sein. Mac Pellew hat mir das erzählt.“ „Dieser aufgeblasene Pfau!“ sagte sie wütend. „Was bildet sich dieses Würstchen denn ein!“ Noch zweimal wiederholten sie das Manöver, indem sie den Kurs änderten, so schnell das möglich war. Doch die Kerle waren auf der Hut und paßten höllisch auf. Stundenlang hingen sie dem Zweidecker wie Zecken im Pelz, ohne etwas zu unternehmen. Die Männer wurden schon ganz fuchtig und fluchten erbittert, weil die Halunken einfach nicht zu fassen waren. „Dem hätte ich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch abziehen sollen“, knurrte Carberry. „Aber das konnte ja keiner wissen, daß die Galgenstricke drei Schiffe besitzen. Aber wir erwischen sie schon noch, einmal werden sie einen Fehler begehen, diese dreimal verfluchten Läuse.“ Es war wirklich lästig, die Kerle immer um sich zu haben. Der Admiral nervte sie an diesem Tag ganz gehörig. Hin und wieder ließ er etwas heranstaffeln, und wenn sie auf der „Caribian Queen“ wütend reagierten und den Kurs änderten, zog er die Schaluppen sofort aus dem Schußbereich. Das ging den ganzen Tag so und zog sich bis in die Nacht hin. * Die Kerle auf der Admiralsschaluppe sahen noch reichlich lädiert aus. Einer hatte die Augen so dicht, daß er kaum noch etwas sah. Ein anderer hatte ein faustgroß angeschwollenes Ohr und dunkelblaue Blessuren an der Stirn, wo ihn eine Faust getroffen hatte, und der Adjutant hockte mit schmerzverzogenem Gesicht an Deck und pulte sich die Stacheln aus der Hand. Die Hand war fast zu doppelter Größe
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angeschwollen und schmerzte fürchterlich. Am schlimmsten aber war der Kerl dran, der sich auf Mac Pellews „Spezialschemel“ gesetzt hatte. Der mußte zu dem Schmerz auch noch den Spott ertragen, mit dem die anderen nicht geizten. Er konnte nur noch auf dem Bauch schlafen, und wenn er sich bewegte, dann verzog er jedesmal das Gesicht. Er hatte immer noch den Hintern voller Stacheln und war dementsprechend launisch. Quatschte ihn einer provozierend an, dann ging er gleich mit den Fäusten auf ihn los. Luis Campos selbst hatte einen Brummschädel und gehörige Schmerzen auf dem Brustkasten und den Rippen. Er konnte nur ganz flach atmen. Aber er steckte voller Haß bis an die Ohren, und er hatte sich geschworen, diesen Kahn zu entern, und wenn er dabei zum Teufel ging. Es beruhigte ihn zumindest, daß sie auf dem Zweidecker langsam, aber sicher nervös wurden. Mit seinen Kapitänskumpanen hatte er das Vorgehen genau abgesprochen, und die hielten sich daran. „Wir werden dieses Weib kriegen“, sagte er zum Adjutanten. „Und das Schiff natürlich auch. Dieses schwarzhaarige Biest wird auf den Planken vor mir herumkriechen und um meine Gunst winseln. Und den Kerl, der mich so hinterhältig verprügelt hat, den hänge ich als ersten an die Großrah des Zweideckers.“ „Und ich bringe den Hund um, der mir diese Hand beschert hat“, schwor der Adjutant zornig. „Ich habe mir diese Schnauze ganz genau gemerkt. Der sah aus wie ein faltiger Trauerkloß, als wollte er jeden Augenblick losheulen, so richtig grämlich und verbiestert. Den hänge ich neben dem anderen Kerl an die Rah.“ Er laberte dem Admiral vor, was er alles tun würde, wenn sie den „Mistkahn“ erst einmal geentert hatten, bis es dem schließlich zu dumm wurde. „Halt jetzt dein Maul und nerv mich nicht!“ schrie er den Adjutanten laut an. „Oder ich hau' dir was auf die Schnauze.
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Ich habe andere Sorgen als dein dummes Geschwätz. Oder siehst du nicht, daß ich scharf nachdenke?“ „Verzeihung, Admiral“, murmelte Molino. Dann drehte er sich um und zupfte weiter an seinen Stacheln in der Hand herum. Es waren so viele, daß er sie nicht einmal zählen konnte. Der Admiral aber dachte nur noch an das schwarzhaarige Teufelsweib und das Schiff. Er gab den anderen ein Zeichen, wieder etwas näher heranzustaffeln. Dann grinste er, als der Zweidecker den Kurs änderte und wütend auf die Schaluppe lossegelte. Die wich sofort aus und ging auf Distanz, während der Zweidecker wieder auf den alten Kurs zurückfiel. Das Spielchen bereitete ihm Spaß, und sobald Manöver gefahren wurden, schnappte er sich den Kieker und blickte aufs Achterdeck, wo die schwarze Schöne stand. Deren Gesicht war vor Wut, Zorn und Hilflosigkeit knallrot angelaufen. „So ist's richtig“, murmelte er. „Du wirst mir noch aus der Hand fressen, das verspreche ich dir. Kurz vor Morgengrauen, wenn ihr gar nicht damit rechnet, greife ich an.“ Zufrieden beobachtete er, daß alles so lief, wie er sich das vorgestellt hatte. * In der Nacht schien der Mond hell. Auf dem Zweidecker paßten alle scharf auf und hielten die Schaluppen pausenlos im Blickfeld. Der Wind wehte aus Nordost. Die „Caribian Queen“ stand am Ausgang der Windward-Passage und steuerte auf die Südwestspitze von Haiti zu. Es war kurz vor der Dämmerung. Die Rote Korsarin hatte ein paar Stunden geschlafen, aber vor Wut und Ärger keine rechte Ruhe gefunden, weil die Schaluppen sie immer noch begleiteten und keine Anstalten zum Angreifen unternahmen. Seit zwei Stunden befand sich Dan O'Flynn im Ausguck, weil er die schärfsten Augen von allen hatte, Adleraugen, denen
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nichts entging, wandelnde Kieker, wie der Profos das nannte. Alle Mann waren immer noch auf Stationen. Die Rohre waren geladen und besetzt. „Deck!“ rief Dan. „Die beiden Schaluppen staffeln von außen heran. Die letzte bleibt im Kielwasser zurück auf Distanz.“ „Na endlich“, sagte Siri-Tong wie erlöst. „Endlich tut sich etwas. Wurde auch höchste Zeit.“ „Ja, sie staffeln heran, unauffällig, aber unverkennbar“, sagte Hasard. _Der Admiral nutzt geschickt das Zwielicht aus. So dumm ist der Kerl gar nicht.“ An den Kanonen lauerten die Schützen, denn auch sie sahen jetzt, daß die Schaluppen sich näherten. Undeutlich waren die Kerle als Schemen hinter den Drehbassen zu erkennen. Nur der Admiral hielt sich mit seinem Zweimaster höflich zurück. Vermutlich wollte er wohl erst seinen Kumpanen den Vortritt lassen und sehen, wie sich das Ganze entwickelte. In Siri-Tongs dunklen Augen blitzte ein Licht auf. Die Entfernung betrug noch etwa hundertzwanzig Yards, schließlich verkürzte sie sich auf gut hundert. Damit befanden sich die beiden Schaluppen genau im Schußbereich. Sie zögerte jetzt keine Sekunde mehr. „Oberes Batteriedeck: Feuer frei, Breitseite!“ befahl sie. Durch den Zweidecker ging ein wildes Aufbrüllen. In allen Planken dröhnte und knackte es, als die schweren Brocken vom oberen Batteriedeck ihre Breitseite ausspuckten. Lange Feuerlanzen stachen durch die morgendliche Dämmerung und tauchten das Schiff sekundenlang in grelles Licht. Der Zweidecker krängte leicht über. Eine zweite wilde Erschütterung durchlief das Schiff, als auch die andere Breitseite losdonnerte. Der Pulverqualm wurde vom Wind verweht und trieb als langgezogene Wolke über das Wasser. Die Kanoniere rissen die Arme hoch und brüllten. „Treffer!“ schrien sie freudig.
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Die Schaluppe, die an Backbord aufgesegelt war, hatte es erwischt. Zwar nicht schlimm, aber der vordere Mast war zersplittert und in einem Trümmerregen über das Deck verstreut. Auch Fetzen von Segeln hingen noch herum. Die Schaluppe fiel augenblicklich zurück und lief aus dem Kurs. „Den sind wir vorerst los“, sagte Hasard. „Bis der aufgeriggt hat, vergeht eine Weile, falls wir ihn überhaupt noch wiedersehen. Aber die andere hat es leider nicht erwischt. Kein Treffer erzielt.“ Schuld an dieser Misere waren die herrschenden Lichtverhältnisse, die auf der Steuerbordseite ein genaues Zielen verhinderten. Das hatte sich auf die Richtschützen Siri-Tongs ungünstig ausgewirkt, und so war die Breitseite wirkungslos in die See gerauscht. Die Kerle auf der Schaluppe nahmen die Fehlschüsse zum Anlaß, in wildes Freudengeheul auszubrechen. Sie standen da und rissen die Arme hoch. Ein paar riefen obszöne Worte hinüber. „Sie sollten lieber nicht zu früh das Maul aufreißen“, sagte Jean Ribault. „Offenbar vergessen sie, daß auch die untere Batterie feuerbereit ist. Und da stehen die schwereren Stücke.“ „Dann noch einmal“, sagte Siri-Tong. „Sonst setzen sie gleich die Drehbassen ein. Feuer frei für untere Batterie.“ Die Schaluppe war dicht herangestaffelt. Die Kerle lauerten an den Drehbassen und wollten feuern. Doch die Männer der „Caribian Queen“ waren etwas schneller. Der Zweidecker spie erneut Rauch und Feuer und hüllte sich in dichten Pulverqualm. Ein wildes Aufbrüllen ging über die See, Feuerzungen stachen heraus wie bei einem feuerspeienden Drachen, ein schwerer Eisenhagel donnerte aus den Rohren. Die Entfernung betrug höchstens noch neunzig Yards, und diesmal erwischten die Richtkanoniere den Zweimaster. Im Aufblitzen, im Rauch und Feuer schlug es auf der Schaluppe krachend und mit lautem Getöse ein. Da blieb nichts mehr
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heil, denn mindestens vier oder fünf Kugeln hatten das Schiff getroffen. Die Schaluppe barst auseinander. Ihre beiden Masten gingen über Bord, die Verschanzung flog in einem Splitterregen nach allen Seiten, und ein paar Kugeln zerfetzten den Rumpf. Auch ein paar Schnapphähne hatte es erwischt. Die Auftreffwucht hatte sie über Bord gefegt und in die See gewischt. Etliche waren auf der - Stelle tot. Die anderen rannten in Panik und unter wildem Gebrüll von vorn nach achtern. „Jetzt können die Affenärsche schwimmen“, sagte Smoky, „das hat gesessen. Denen wird der Kahn gleich unter dem Hintern absaufen, und dann sind wir sie los.“ Die ersten Kerle sprangen entnervt über Bord, als die Schaluppe hart zur Seite krängte und Wasser zog. Sie war nur noch ein einziger Trümmerhaufen. Im Wasser paddelten Kerle zwischen Holzstücken und Segeltuch und schrien sich die Kehlen heiser. Der achtere Teil der Schaluppe versank im Wasser, der andere Teil schwamm noch, und daran klammerten sich ein paar Kerle fest, denen das nackte Entsetzen in den Gesichtern stand. Dann soff auch der Rest ab. Ein paar Fässer stiegen hoch, Holzstücke schwammen herum. Im Meer hingen immer noch die Kerle, festgekrallt an das, was sie gerade noch erwischt hatten. Siri-Tong nickte anerkennend. Sie sah der anderen Schaluppe nach, die den Mast verloren hatte. Die hing weit achteraus und konnte nicht mehr gefährlich werden. Die Kerle hatten alle Hände voll zu tun, um ihr Schiff zu klarieren, von dem immer noch Segelfetzen und Holztrümmer über Bord hingen und mitgeschleift wurden. „Nur noch einer“, sagte sie, „und das ist dieser aufgeblasene Admiral, der hat sich nicht herangetraut. Der wird auch nicht mehr viel unternehmen.“ „Er steuert die Untergangsstelle an“, sagte Ribault. „Offenbar will er zuerst seine
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Kumpane aus dem Wasser fischen, denn jetzt ist er auf jeden Mann angewiesen.“ Sie sahen, wie die Schaluppe des Admirals aus dem Kurs ging und die Stelle ansteuerte, wo die Kerle brüllend im Wasser paddelten. Der Schreck saß ihnen noch in den Knochen. Ein paar konnten wohl auch nicht schwimmen oder fürchteten sich vor Haien. Siri-Tong kriegte ganz schmale Augen. „Wir sollten ganze Arbeit leisten“, sagte sie, „jetzt ist die Gelegenheit günstig, um auch mit dem Admiral abzurechnen.“ Hasard gab keinen Kommentar. Aus schmalen Augen blickte er auf die Szene, die sich auf der Steuerbordseite abspielte. „Wir luven an“, entschied die Rote Korsarin, „und gehen der anderen Schaluppe an den Kragen:“ Der Admiral hatte jetzt die Untergangsstelle der Schaluppe erreicht, um die ersten Schwimmer aus dem Bach zu fischen. Als er sah, daß der düstere Zweidecker anluvte, drehte er ein wenig ab, als wolle er die Flucht antreten. Doch dann feuerten plötzlich seine Drehbassen los und schickten einen Bleiund Eisenhagel zur „Caribian Queen“ hinüber. Auf dem Zweimaster zuckten Blitze auf, es donnerte Laut, und ein paar Yards vor der „Caribian Queen“ schossen kleine Wassersäulen hoch. Noch konnten die Kanonen nicht eingesetzt werden, und diese Gelegenheit nutzte der Admiral noch einmal aus. Wieder überschüttete er die See mit grobem Schrot. Die Kerle im Wasser schrien noch lauter, denn sie hatten Angst, von umherirrenden Bleibrocken getroffen zu werden. „Es hat keinen Zweck“, sagte Hasard, „der Kerl zieht sich schon wieder zurück. Er läßt uns nicht näher heran, er weiß, was ihm sonst blüht.“ „Vielleicht erwischen wir ihn doch noch“, meinte die Rote Korsarin mit zusammengepreßten Lippen. „Ich bin es leid, daß dieser Kerl bei uns ständig im Kielwasser mitsegelt.“
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„Wir werden es vorerst nicht ändern können. Er hat nun mal das schnellere Schiff und ist wendiger als wir.“ Der Admiral zog sich tatsächlich zurück. Schnell und geschickt tat er das, als er dem großen Zweidecker auswich. Etwas später befand er sich schon wieder außerhalb der Reichweite der Geschütze. „Dann nicht“, sagte Siri-Tong ärgerlich. „Allein kann er nichts ausrichten, obwohl ich es gerade diesem Kerl zu gern gezeigt hätte. Wir gehen wieder auf den alten Kurs zurück“, befahl sie dann.
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Später, als sie wieder auf Kurs lagen, näherte sich die Schaluppe erneut den Trümmern im Wasser, und der Admiral fischte die Kerle aus dem Meer. Es hat keinen Zweck, diesem flinken Gegner hinterher zu jagen, dachte SiriTong. Das führte zu nichts, sie würden die Schaluppe nie kriegen. Sie wollte abwarten. Vielleicht versuchte es der Admiral doch noch einmal, denn er war ein ehrgeiziger Halunke, der sehr nachtragend war und nicht so schnell aufgab...
ENDE