Bastei
Texas-Western Band 185
Der Herr der schwarzen Mustangs Ein mitreißender Erfolgsroman von Bill Murphy
Voller B...
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Bastei
Texas-Western Band 185
Der Herr der schwarzen Mustangs Ein mitreißender Erfolgsroman von Bill Murphy
Voller Bitterkeit dachte Jim Wheelock an jene schöne Zeit zurück, als er noch als Mustangjäger über die weiten Hochplateaus und durch die zerklüfteten Canyons der Rocky Mountains geritten war. »Herr der schwarzen Mustangs« hatte man ihn genannt, doch das gehörte der Vergangenheit an. Das Schicksal hatte ihn auf rauhe Pfade getrieben, und eine Zeitlang war er mit einem wilden Rudel geritten. Nun aber suchte er den Weg zurück. Zusammen mit der schönen Nancy und ihrem Bruder Mark trennte er sich von der Bande, obwohl sie alle wußten, daß dies gleichbedeutend mit einem Todesurteil war. In den Augen ihrer ehemaligen Kumpane waren sie Verräter. Jim, der Mustangjäger, hatte kaum eine Chance, den Schatten der Vergangenheit zu entfliehen...
In dem weiten verlassenen Canyon kreiste ein Nachtvogel. Sein einsamer Schrei drang bis zu den beiden Männern in der Höhle. Ihr Feuer war schon ziemlich heruntergebrannt, und es sah aus, als würde es unter dem Regen da draußen erlöschen. Keiner der beiden Männer dachte daran, etwas von dem zusammengetragenen Holz nachzulegen. Schweigend starrten sie über das Feuer hinweg in die Nacht hinaus und lauschten in den Regen, an dessen Beginn sie sich nicht mehr erinnerten und dessen Ende sich keiner von ihnen vorstellen konnte. Clark Neerland wärmte sich die Hände am Feuer. Er war ein großer, massiger Mann. Das ausgeprägte, Energie verratende Kinn und die tiefliegenden schwarzen Augen ließen die ganze Wildheit erkennen, die in ihm steckte. Der Mann an seiner Seite hieß Elliot Vane. Er war bedeutend jünger. Im Gegensatz zu Neerland vermittelte er einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Man konnte ihm auf den ersten Blick ansehen, daß sein Zuhause heute hier und morgen dort war. Er war mittelgroß und besaß ein hageres, schmales Gesicht. Ein dumpfes fernes Geräusch schreckte sie beide aus der Lethargie. Sie hatten viel zu lange gewartet, um den Hufschlag der anrückenden Reiter nicht sofort und gleichzeitig zu vernehmen. Sie standen auf. Obwohl sie beide zu den Revolvern griffen, wirkten ihre schnellen und gleitenden Bewegungen nicht ängstlich oder gar furchtsam, sondern nur gespannt – unheimlich gespannt. Sie traten hinaus in den Regen und entfernten sich ein Stück vom Höhleneingang, um von dem herausfallenden Feuerschein nicht verraten zu werden. Es waren zwei Reiter. Sie kamen in einem ziemlich scharfen Galopp in den Canyon geritten. Elliot Vane schlug den Jackenkragen hoch. »Das sind bestimmt nur Chris und Frank«, murmelte er. Seine ganze Enttäuschung schwang in diesen wenigen Worten mit.
Clark Neerland rührte sich nicht. Nur die Haut spannte sich über den Wangenknochen, und die Lider senkten sich ein wenig. Einen Augenblick später schälten sich die Silhouetten der Reiter aus der verregneten Nacht. Elliot Vane pfiff laut. Die Reiter korrigierten die Richtung und hielten dann vor den Männern an. Die Pferde waren schweiß- und regennaß. Schaumflocken hingen den Tieren an Maul und Brust. In der kalten Luft wehten ihnen die Atemfahnen wie Dampfschleier aus den Nüstern, Auch die Männer waren außer Atem und von dem harten Ritt restlos erledigt. »So eine Pleite!« keuchte Christopher Kimbrough, als er sich aus dem Sattel schwang. »So eine verdammte Pleite. Ich bin naß bis auf die Knochen. Und alles für nichts, für rein gar nichts! Gebt einem müden alten Mann bloß etwas zu trinken.« Er ließ seinen Pinto einfach stehen, stampfte an Elliot Vane und Clark Neerland vorbei und verschwand in der Hohle. Dann hörten sie ihn mit der verbeulten alten Kaffeekanne hantieren. Neerland schien Christopher Kimbroughs Gerede gar nicht berührt zu haben. Langsam ging er auf Frank Chasman zu, der an die Felswand getreten war und sich das Regenwasser aus den Ärmeln preßte. »Frank!« zischte Neerland. »Du hast nicht auf uns hören wollen, Boß«, knurrte Frank Chasman. »Dieser verdammte Mustangjäger hat uns im Stich gelassen. Und deine Geliebte hat er gleich mitgenommen.« Verächtlich spuckte er aus und fuhr höhnisch fort: »Herr der schwarzen Mustangs, haha! Ich habe diesem Bastard von Anfang an nicht über den Weg getraut. Du hättest auf mich hören sollen, Boß!« Neerland war mit einem Schritt bei ihm und packte ihn an der Jacke. »Gut, ich habe mich getäuscht«, schnaufte er. »Ich habe
mich in Wheelock getäuscht. Aber jetzt täusch du dich nicht in mir! Bilde dir bloß nicht ein, daß du mit mir wie mit einem Idioten reden kannst, nur weil ich mich einmal getäuscht habe.« Mit einem wütenden Ruck stieß er Frank Chasman gegen die Felswand. Frank Chasman war so überrascht, daß er zunächst keinen Ton hervorbrachte. Neerland und Elliot sahen trotz der Dunkelheit, wie er den Mund ein paarmal auf und zu machte, um Atem zu schöpfen. »Wheelock ist nicht gekommen«, stammelte Frank Chasman dann. »Da sind wir in die Stadt geritten, weil wir glaubten, daß er vielleicht irgend etwas nicht richtig verstanden habe. Aber wir trafen auch Mark Chesney nicht an. Wir haben eine halbe Stunde vor der Bank gewartet. Es war ein Kommen und Gehen dort. Irgend jemand muß Zahltag gehabt haben. Zu zweit hätten wir wirklich nichts machen können. Dann sind wir zum Saloon gegangen, Chris und ich.« Neerlands Gestalt straffte sich. »Es tut mir leid«, murmelte Frank Chasman. Einen Augenblick sah es aus, als wollte Neerland vorwärtsstürzen und Frank Chasman zu Boden schlagen. Da tauchte Christopher Kimbrough wieder auf, dieser sture und einfältige Mann mit dem Verstand eines Hammels. »Nancy war weg«, sagte er laut. »Wheelock hat nicht bloß ihren Bruder mitgenommen. Nun ist Nancy Wheelocks Mädchen. Ist das nicht komisch? Dieses kleine fixe Biest! Hängt sie sich doch einfach an Wheelock. Gewissermaßen über Nacht. Wenn du einen müden alten Mann nach seiner Meinung fragst, Neerland, ich würde mir das an deiner Stelle nicht gefallen lassen.« Neerland fegte herum. In der Dunkelheit war sein hartgeschnittenes Gesicht nur ein weißer Fleck. Christopher Kimbrough wich erschrocken zurück. Doch viel
zu langsam. Neerland bewegte sich mit einer solchen Schnelligkeit, daß Chris nicht die geringste Chance hatte. Neerlands Fäuste flogen hoch, und Chris stürzte getroffen zu Boden. In der Dunkelheit sah es aus, als würde sich Chris in der Luft überschlagen. Neerland blieb breitbeinig stehen und schnaufte erregt. »Irgendwann werde ich diesen engstirnigen Dickschädel umbringen«, knurrte er. »Chris weiß manchmal nicht, was er sagt«, meinte Frank vorsichtig. Neerland drehte sich um. »Dieser zweibeinige Ochse weiß nie, was er sagt«, brummte er drohend. »Du darfst nicht glauben, daß er dich beleidigen wollte, Neerland«, erwiderte Frank. »Bestimmt nicht! Er war so wütend, als wir erfuhren, daß Nancy und ihr Bruder mit Wheelock abgehauen sind. Hätte er Wheelock in die Finger bekommen, so hätte er ihn umgebracht. Auf der Stelle! Wirklich! Er war richtiggehend außer sich, daß Nancy dir das angetan hat. Das kannst du mir glauben.« Irgendwie schienen diese Worte Neerland zu besänftigen. Er strich sich die Haare aus der Stirn und warf einen Blick auf Chris, der bewußtlos im Regen lag. Dann wandte er sich Frank und Elliot zu. »Ab sofort will ich den Namen dieser Frau nicht mehr hören. Wer noch einmal von ihr spricht, soll mich kennenlernen. – Nun weiter, Frank! Sie waren also alle drei weg. Was habt ihr dann getan?« »Als wir vom Keeper erfuhren, daß...« »Ich will wissen, was ihr danach getan habt!« fauchte Neerland. Frank wischte sich die Mundwinkel trocken. »Well, da haben wir erst mal ein Bier getrunken. Der Ritt! Dieser Regen! Wir hatten einfach Durst. Yeah, und dann sind wir noch einmal zur Bank zurück. loh schwöre dir, daß ich sofort dagegen gewesen bin. Aber Chris war rein verrückt. Er...«
»Du willst mir doch jetzt nicht etwa klarmachen, daß ihr zwei verdammten Narren allein auf die Bank losgegangen seid?« unterbrach ihn Neerland. Frank schluckte. »Chris war einfach nicht zu halten.« »Wieviel?« fragte Elliot. Hoffnung schwang in seiner Stimme. »Sag bloß, ihr habt das ganz allein geschafft, Boys!« »Zum Teufel, nein!« krächzte Frank. »Sieh dir das Pferd an, hier! Es ist gar nicht meines. – Wir sind in den Schalterraum ‘rein! Aber als wir die Revolver zogen, da kamen drei Kerle die Treppe herunter. Vielleicht sind sie auch durch die Hintertür hereingekommen. Es ging alles so unheimlich schnell. Chris hat einen getroffen. Aber dann mußten wir sehen, daß wir wegkamen. Dabei hatte der Clerk schon den Tresor geöffnet. Er hatte ihn wirklich schon offen, Neerland. Das kannst du mir glauben. Als wir ‘rauskamen, da waren schon irgendwelche Halunken dabei, unsere Pferde wegzuführen. Chris traf den Mann, der seinen Pinto am Zügel führte, genau in die Brust und war mit einem Satz über ihn hinweg im Sattel. Ich rannte über die Straße und sah diesen Fuchs stehen. Bestimmt haben ein Dutzend Männer auf mich geschossen, und es ist sicher ein Wunder, daß ich noch lebe.« Er verstummte mit einem leisen Seufzer und suchte in der Dunkelheit Neerlands Blick. »Das schöne Geld!« murmelte Elliot. »Und das haben wir alles Wheelock zu verdanken. Es wäre mal ein großes Geschäft gewesen.« »Wie seid ihr aus der Stadt gekommen?« fragte Neerland wütend. »Ich kenne den Marshal, und er kennt mich. Sonst wären Elliot und ich mit hinuntergekommen. Versuch mir jetzt bloß nicht zu erklären, daß der Marshal nicht sofort zur Stelle und hinter euch her war.« »Wir sind natürlich verfolgt worden«, erwiderte Frank kleinlaut. »Aber wir haben diese Hampelmänner abgehängt.« »Dann müssen wir hier weg«, meinte Elliot erschrocken.
»Der Marshal kennt hier oben jeden Winkel.« »Der Keeper vom Colorado-Saloon hat bestimmt gewußt, wo Wheelock hingeritten ist«, knurrte Neerland. »Ja, natürlich«, sagte Frank. »Wheelock, Mark und... Wheelock und die beiden Chesneys haben sich nach Süden gewandt. Du kennst ja Wheelocks Traum von einer Mustangherde im Westen.« Neerland stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte lange Zeit in die verregnete Nacht hinaus. Dann ging er zu Chris, der noch immer auf dem feuchten Boden im Regen lag und sich nicht rührte. »Weckt diese einfältigen zwei Zentner auf!« sagte er über die Schulter zu Frank und Elliot hin. »Wir reiten sofort los. Nach Süden! Ich will es Wheelock zeigen. Ich schwöre euch, daß ich nicht eher zur Ruhe kommen werde, bevor ich diesen gemeinen Teufel unter der Erde weiß. Sechs Fuß tief unter dem Boden!« »Well, Neerland!« pflichtete ihm Elliot zornig bei. »Zeigen wir es Wheelock. Lassen wir ihn wissen, daß er mit seinen alten Gefährten nicht Kirschen essen kann. So nicht!« »Das ist genau meine Meinung!« stimmte auch Frank zu. Was der Regen nicht erreichte, schaffte ein Ledereimer voll Wasser. Chris sprang mit einem Satz hoch. – Drei Minuten später saßen sie alle vier in den Sätteln. Die Aussicht, von diesem jämmerlichen Regen bis auf die Knochen durchgeweicht zu werden, machte ihnen nichts aus. Sie waren sich darin einig, daß es ein Verräter heimgezahlt bekommen mußte; denn als einen solchen betrachteten sie Jim Wheelock nun. Jeder dieser vier Männer haßte Wheelock auf seine Weise. Doch Neerlands Haß war von einer ganz besonders hartnäckigen Art. Er war von ihnen allen am längsten mit Jim Wheelock Seite an Seite geritten. Nicht zu reden von den Jahren, die ihn mit Nancy Chesney verbanden.
Als sie aufbrachen, vernahmen sie vom Eingang des Canyons her Hufschlag. Sie horchten alle vier gespannt auf. Doch keiner verlor ein Wort. Es war klar, daß dies nur Franks und Chris’ Verfolger sein konnten. Aber ebenso sicher war, daß der Regen ihre Fährte verwischen würde, bereits nach wenigen Stunden. Neerland brachte sein eisengraues Rinderpferd in Gang. Die anderen schlossen dicht auf. Bügel an Bügel trabten sie in die verregnete Nacht hinein. Sie hatten es nicht eilig. Auch Furcht vor den Verfolgern wäre ihnen nicht anzusehen gewesen, doch sie ritten mit jener Stetigkeit, wie sie Wölfen eigen ist, die Witterung genommen hatten und restlos entschlossen waren, die Fährte zu finden. *** An einem grauen und trübseligen Morgen erreichte Jim Wheelock mit Mark und Nancy Chesney die Stadt Spencer Hill. Müde, hungrig und durchfroren von dem Ritt durch die verregnete Nacht, hielten sie auf einem der letzten Hügelrücken vor der Stadt die Pferde an und schauten den schmalen Pfad hinab, der von morastigen knietiefen Wagenfurchen zerschnitten wurde und zwischen den Hütten und Häusern von Spencer Hill verschwand. Jeder dachte dabei an etwas anderes. – Nancy sehnte sich nur nach Wärme. Mark, ihr Bruder, war voller Hoffnung auf einen Whisky. Jim Wheelock jedoch dachte an die Gefahr, die dort unten lauern konnte. Jim Wheelock war ein großer, kräftiger Mann, dessen Äußeres Ruhe und Besonnenheit verströmte. Sonne und Wind hatten seine Haut tief und dunkel gebräunt. Nase, Kinn und Mund waren kantig profiliert und wirkten wie mit einem Meißel ausgehämmert. Da er Weidereiterkleidung trug, konnte man ihn ohne weiteres für einen Ranchvormann halten – für
einen, der sein Handwerk verstand. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Dann und wann wirkte der Blick aus diesen grauen Augen ein wenig verschleiert, fast kühl, leer – verloren. Mark Chesney, Nancys Bruder, war mit seinen zwanzig Jahren fast zehn Jahre jünger als Wheelock. An ihm wirkte alles noch unfertig. Sein Gesicht war schmal, in den Zügen fast kindlich. Trotzdem wirkte dieses Gesicht kühn, beinahe beängstigend kühn. Doch was wirklich an ihm auffiel, waren die beiden tiefgeschnallten Revolver, die er trug. Mark Chesney drehte nach einer Weile den Kopf und musterte Jim Wheelock mit einem müden Lächeln, »Na, was ist? Hast du Angst hinunterzureiten? Eine Pause in diesem Nest würde Nancy guttun. Sie weiß schon gar nicht mehr, was ein Bett ist. Sieh sie dir doch an! Ich glaube außerdem, es täte uns allen gut, endlich aus den nassen Klamotten herauszukommen.« Jim Wheelocks Blick wanderte über die kleine Stadt hinweg, die an diesem verregneten Sommermorgen von der Höhe aus ziemlich trist und verlassen wirkte. Er wußte, daß sie noch längst nicht weit genug geritten waren. Was das für sie alle bedeuten konnte, wollte er Nancy unbedingt ersparen. »Meinst du, daß uns Neerland in diesen fünf Tagen bereits überholt haben könnte?« fragte Nancy Chesney. Allein an ihrer Stimme konnte man erkennen, daß sie müde und erschöpft war von den langen Ritten. Man mußte schon ziemlich genau hinsehen, um überhaupt zu bemerken, daß sie eine Frau war. Jedenfalls an diesem Tag. Sie war, wie die Männer, naß bis auf die Haut. Das rötliche Haar hing ihr in feuchten Strähnen unter dem durchgeweichten Stetson hervor. Dunkle Schatten lagen unter ihren braunen Augen, die vom Wind und den durchgerittenen Nächten entzündet waren. Jim Wheelock zuckte nur die Schultern auf ihre Frage, weil er im Augenblick an Neerland gar nicht gedacht hatte, obwohl sie eigentlich nur wegen dieses Mannes auf dem Ritt waren. Es
gab noch andere Dinge, vor denen sie sich in acht nehmen mußte. Das hatte er Nancy nicht verschwiegen. Aber er war sich darüber im klaren, daß sie von diesen Dingen nicht die geringste Vorstellung besaß. »Ich habe gewußt, daß du vor Neerland Furcht hast«, spottete Mark. »Aber ich habe nicht gewußt, daß es so schlimm ist. – Es ist doch glatter Wahnsinn zu glauben, daß uns Neerland überholt haben könnte. Wir sind fünf Tage kaum aus den Sätteln gekommen. Dazu dieser verdammte Regen. Neerland hat unsere Fährte längst verloren. Zum Teufel, ich wette, er hat sie gar nicht gefunden.« »All right!« murmelte Jim und brachte seinen Braunen in Gang. »Versuchen wir, uns dort unten einzumieten.« Mark und Nancy schlossen auf und ritten dicht hinter ihm den morastigen Pfad hinunter. »Für drei billige Zimmer wird unser Geld doch reichen«, murrte Mark. »Hätten wir mit Neerland noch die Bank von Greeley ausgenommen, könnten wir dieses ganze vertrottelte Nest aufkaufen und leben wie die Fürsten.« »Mark!« rief Nancy. »Vielleicht könnten wir leben wie die Fürsten«, erwiderte Jim trocken. »Aber nur vielleicht, und sicherlich nicht in jeder Stadt. Damit wäre es ein für allemal zu Ende gewesen.« Mark lachte gereizt. »In jeder Stadt muß es nicht sein. Aber es wäre besser gewesen, als nun in jeder Stadt ein erbärmliches Hungerleben führen zu müssen.« »Im Augenblick ist nicht einmal das sicher«, sagte Jim. »Wir werden es miteinander noch mächtig bereuen, die Bank von Greeley Neerland und den anderen überlassen zu haben«, grollte Mark. »Mark, hör jetzt auf damit!« zürnte Nancy. Mark musterte seine Schwester von oben bis unten. »Dir scheint es in den nassen Männerkleidern mächtig zu gefallen. In solchen Lumpen habe ich dich zuvor noch nie gesehen.
Neerland würde vielleicht Augen machen! Ich wünsche mir direkt, er wartete in diesem Nest auf uns. Nur, um sein Gesicht zu sehen.« »Mark!« rief Nancy. »So schweig doch!« »Laß ihn reden, sagte Jim karg. Doch Mark schwieg und schluckte den Zorn hinunter. Noch bevor sie die Stadt erreichten, hörte es auf zu regnen. Ganz plötzlich, von einem Augenblick zum anderen, kam auch die Sonne durch. Nancy hob den Kopf und lächelte. »Schaut!« Jim nickte ihr zu. Mark starrte dumpf und verärgert vor sich hin. Dann ritten sie die Hauptstraße entlang, wo sie jenseits der kleinen Holzkirche den Mietstall entdeckten. Während sie die Straße entlangritten, wurden sie von vielen Männern beobachtet. Sogar Passanten blieben stehen und musterten die müden und erschöpften Reiter. Vor der Poststation standen vier Männer im Gespräch, die ihre Unterhaltung abbrachen, als sie die Reiter ins Blickfeld bekamen. Noch vor dem Mietstall konnte Jim die Blicke der Männer spüren. Der Besitzer des Mietstalls war ein knurriger alter Mann, der zunächst nur Augen für Jim Wheelock zu haben schien. Jim dachte angestrengt nach. Aber er konnte sich nicht erinnern, diesem Oldtimer jemals begegnet zu sein. Als der Alte bemerkte, daß der dritte Reiter eine Frau war, wurde er zugänglicher und freundlicher. So stellten sie ihre Pferde bei ihm ein und liefen dann das Stück zum Hotel zurück, die Gewehre unter den Armen und die Satteltaschen über den Schultern. Um Peinlichkeiten zu vermeiden, legte Jim zuerst Geld auf den Tisch, bevor er nach Zimmern fragte. Der Clerk musterte sie so abfällig, daß es schon an Gemeinheit grenzte. Das war genau die Art, die Jim bis aufs Blut reizen konnte. Doch er dachte an Nancy und beherrschte
sich. Außerdem war er zufrieden, weil ihnen der Clerk das Anmeldebuch, ohne Fragen zu stellen, über den Tresen schob. Nancy wollte nur schlafen. Sie schloß sich in ihrem Zimmer ein, entledigte sich der nassen Kleidung und ging zu Bett. Jim und Mark trafen sich zehn Minuten später in der Halle und traten auf die Straße hinaus. Spencer Hill war keine sehr schöne Stadt. Auch im Sonnenschein nicht. Jim und Mark überquerten die Fahrbahn und betraten einen kleinen Saloon. Es war noch früh am Tag. Die beiden Männer waren die ersten Gäste. Ein kleiner schmalbrüstiger Oldtimer säuberte die Tische mit einem schmutzigen Lappen. Er grüßte, warf den Lappen in den Eimer und entfernte sich. Einen Augenblick später tauchte er wieder auf. Er hatte sich eine frisch gestärkte grüne Schürze umgebunden. »Was darf es sein?« fragte er freundlich. »Der Betrieb geht hier erst am Abend los. Ich hoffe, das stört Sie nicht.« »Bourbon-Whisky!« verlangte Mark und zeigte, wie hoch er das Glas gefüllt haben wollte. »Sie das gleiche?« fragte der alte Mann und sah Jim lächelnd an. Jim nickte. »Hübschen Laden haben Sie hier!« Der alte Mann hantierte mit Flaschen und Gläsern. »Steht zum Verkauf an, Gentlemen. Sie haben sicher das Schild draußen gelesen. Ich würde Ihnen einen Extrapreis machen. Sie glauben nicht, was hier herauszuholen wäre. Schauen Sie sich nur um! Es ist der einzige Saloon in der Stadt. Keine Konkurrenz. Sind sogar ein paar Leute da, die hier gern musizieren. Dann ist das Haus voll!« »Wieviel?« fragte Mark und schaute sich interessiert um. Der alte Mann schob jedem ein volles Glas hin. »Na, sagen wir: zweieinhalbtausend. Das ist gewissermaßen unter Brüdern! Doch nur weil ich sehe, daß Sie irgend etwas suchen, um neu anzufangen. Diese Stadt hier hat Zukunft.«
Mark starrte Jim wütend an. »Wir würden in diesem Laden unser Auskommen haben. Alle drei! Das wäre wirklich eine Chance. Aber wir haben ja das letzte große Geschäft einfach sausen lassen.« Der Oldtimer schaute von einem zum anderen und lächelte. »Oh, Sie müssen mir das nicht auf einmal bezahlen. Ich würde im Haus wohnen bleiben. Sagen wir: tausend. Erst einmal tausend. Den Rest in drei Raten. Vierteljährlich, versteht sich.« Mark schnaufte wütend, ohne den Blick von Jim zu wenden. Dann leerte er das Glas in einem Zug. Es war eine wütende und unbeherrschte Geste. Jim nahm nur einen Schluck. »Wir sind an einem Saloon nicht interessiert«, erklärte er dem Oldtimer, »eher an einer Mustangherde.« »Aber es wäre ein Geschäft für Sie!« beteuerte der Alte. »Schauen Sie sich alles in Ruhe an. Wer einen Anfang sucht, für den wäre es etwas. Es ist eine Goldgrube. Sie brauchten nicht einmal die Einrichtung zu erneuern. Früher habe ich eine Sängerin gehabt. So am Abend – zum Wochenende.« »Eine Sängerin hätten wir!« zischte Mark gereizt. »Aber die tausend Dollar fehlen uns, Mister, obwohl wir die eigentlich in der Tasche haben könnten.« Der alte Mann lächelte. »Na, wissen Sie, wenn Sie wirklich ernsthaft interessiert wären, könnten wir ja vielleicht über einen Pachtvertrag reden.« Jim nahm das Glas zur Hand. Er setzte es jedoch sofort wieder ab, als er die schnellen Schritte vor der Tür hörte. Auch Mark alarmierten die Tritte. Doch sie hatten beide nicht mehr die Zeit herumzufahren. Die Flügeltüren flogen auf, und eine Gruppe von sechs Männern betrat den Saloon. Sie waren unterschiedlicher Größe und Statur. Doch eines machte sie alle gleich. Sie trugen alle sechs die Revolver in den Fäusten. Jim und Mark drehten sich langsam um.
»Bleibt beide, wo ihr seid, und nehmt die Hände hoch!» schnarrte einer der Männer. Marks Gesicht wurde vor Zorn dunkel. Langsam nahm er die Hände an die Schultern. In Jims Gesicht zuckte es. Einer dieser Männer war der Sheriff. »Heben Sie auch die Hände, Wheelock!« befahl der Sheriff laut. »Sie besonders. Wir bekommen hier in Spencer Hill selten solchen Besuch. Aber wir werden damit fertig.« »Was wollen Sie von uns?« fragte Jim ruhig. Der Sheriff kam langsam auf Jim zu, ein scharfes, schneidendes Lächeln im Gesicht. »Ich frage mich, was Sie wollen, Wheelock?« »Wir wollen uns hier nur ausruhen.« »Wenn Sie das in fünf Minuten getan haben, hat niemand etwas dagegen«, sagte der Sheriff und wog den Revolver in der Faust. »Aber dann müssen Sie mit Ihren Kumpanen verschwunden sein. Wo steckt eigentlich der dritte Gauner?« »Der dritte Gauner ist meine Schwester!« fauchte Mark. Der Sheriff sah Mark an, als würde er ihn jetzt erst sehen. »Und nennen Sie meine Schwester nicht noch einmal einen Gauner!« knurrte Mark. »Trainieren Sie jetzt solche Bürschchen auf Ihr Handwerk ein?« wollte der Sheriff von Jim wissen. Mark ließ die Hände sinken. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir das alles anhöre«, sagte er herausfordernd. »Wenn Sie die Hände nicht gleich wieder hochnehmen, Sie Bürschchen, wird aus Ihnen nie ein Mann werden«, erwiderte der Sheriff. »Dann sind Sie nämlich gleich tot.« Mark nahm die Hände wieder hoch. Es sah aus, als würde der Zorn sein Gesicht zerreißen. Jim nickte. »All right, Sheriff, wir verschwinden.« Der Sheriff halfterte den Revolver. »Man erzählt sich, daß Sie ein gescheiter und besonnener Mann sind. Trotz allem! Es scheint zu stimmen.«
»Ich bin nie Amok gelaufen«, erklärte Jim. »Das werde ich auch in Spencer Hill nicht tun. Wir wollten uns hier wirklich nur ausruhen. Nur vierundzwanzig Stunden.« »Es tut mir leid«, entgegnete der Sheriff. »Mehr als fünf Minuten kann ich Ihnen nicht geben.« Jim legte ein Geldstück auf den Tresen, nickte dem Oldtimer zu und setzte sich langsam in Bewegung. »Wir sind schon auf dem Ritt.« Mark blieb steif stehen. Doch als der Sheriff mit dem Revolver zur Tür wies, setzte auch er sich in Bewegung. »Noch eines, Wheelock!« rief der Sheriff, als Jim zwischen den Revolvermündungen der Posse an die Tür trat. Jim blieb stehen und drehte sich um. »Kommen Sie nie wieder nach Spencer Hill zurück!« »Wir hatten nicht vor, irgendwelchen Ärger zu machen«, sagte Jim. »Aber wir gehen, und wir kommen auch nicht wieder. Bestimmt nicht.« Der Sheriff nickte. »Dann verstehen wir uns sehr gut, Wheelock.« »Wir haben eine Frau dabei«, sagte Jim. »Sie schläft jetzt. Wir sind lange geritten. Vielleicht werden wir sechs Minuten brauchen. Der Sheriff nickte abermals. »Ich bin der letzte, der auf so etwas keine Rücksicht nimmt. Aber machen Sie schon! Diese Stadt will Sie nicht haben. Und passen Sie mir auf dieses Bürschchen auf!« Jim musterte Mark kurz, der direkt neben ihm stehengeblieben war. »Wir werden keinen Kummer machen, Sheriff«, sagte er. Dann ging er mit Mark hinaus. Der Sheriff kam mit seinen Männern hinterher. Die Revolver in den Fäusten, geleiteten die Männer die Fremden zum Hotel. Nancy wurde überhaupt nicht wach. Als sie es endlich war, konnte sie nichts begreifen. Sie besaß kaum die Kraft, allein
die Stufen hinunterzusteigen. Jim wollte ihr behilflich sein. Doch Mark war schneller. Er trug seine Schwester hinunter und hob sie auch auf das Pferd, als sie gesattelt hatten. Der Sheriff brachte die drei Fremden mit seinen Männern bis zur Stadtgrenze. Dann waren die drei wieder allein. Zunächst verlor keiner ein Wort. Schweigend ritten sie Seite an Seite nach Süden. Nancy starrte schlaftrunken und erschöpft vor sich hin. Jim sah ihr an, daß sie sich kaum im Sattel halten konnte. Manchmal lächelte sie ihm zu. Es war kein freundliches Lächeln. Es wirkte wehmütig und verloren. Aber Jim verstand, daß sie ihm Mut machen wollte. Marks Blick verschleierten Wut und Scham. Jim erkannte, daß die erlittene Demütigung in ihm fraß und seine Gedanken weit zurück weilten. So saßen sie nach Stunden noch in den Sätteln und legten in dieser Stimmung eine größere Strecke zurück, als sie vorgehabt hatten, nachdem sie aus Spencer Hill hinausgejagt worden waren. Sie überquerten die Grenze und erreichten am späten Nachmittag den Rio Grande in der Nähe des Sunshine-Valley im nördlichen Mexiko. Die Sonne schien warm. Das Gras war längst getrocknet. Der herbe Geruch von Salbei erfüllte die Luft. Im Windschatten einer Bodenerhebung hielten sie die Pferde an und stiegen aus den Sätteln. Nancy schnallte die Decke von der Sattellehne, breitete sie aus und schlug sie sich um die Schultern. Dann hockte sie sich zu Boden. Während Mark die Pferde versorgte, suchte Jim Holz zusammen und brachte ein Feuer in Gang. »Werde nur nicht krank«, sagte Mark, als er von den Pferden kam und Nancy gespannt ansah. »Du siehst schon richtig krank aus.« »Ich fühle mich ganz wohl«, erwiderte Nancy. »Ich bin nur müde. Das ist alles.« »Du solltest zugeben, wenn du krank bist«, beharrte Mark und warf Jim einen gereizten Blick zu. »Er weiß nämlich nicht
ganz, was er dir zumutet.« »Ich fühle mich durchaus imstande, alles zu ertragen«, versetzte Nancy verärgert. »Hör jetzt auf damit!« Mark lächelte und nahm am Feuer Platz. »Was uns bevorsteht, hast du ja in Spencer Hill kosten können. Es wird uns überall so gehen. – Jim! Warum, zum Teufel, haben wir uns das gefallen lassen?« »Weil ich fertig bin mit dem Revolver«, erwiderte Jim trocken. »Und du bist es auch.« Mark holte eine selbstgedrehte Zigarette aus der Hemdtasche und strich sie glatt. Grüne Flecken auf dem Papier deuteten darauf hin, daß sie feucht gewesen war. Sie zog auch nicht richtig, als er sie in Brand setzte. Wütend warf er sie ins Feuer. »Ich bin nicht fertig mit dem Revolver«, grollte er. »Ich habe mich einfach getäuscht, Jim. Ich habe nicht gewußt, wie das wirklich aussieht. Du hast es auch nicht gewußt. Aus deinem Traum von der Mustangherde wird nichts. Nur hier draußen in der Einöde wird man uns in Ruhe lassen. Doch wenn Neerland auftaucht, wird auch das vorüber sein. Das ist kein Leben.« »Neerland wird längst umgekehrt sein«, sagte Nancy. Jim schwieg dazu, weil er das nicht glaubte. Er kannte Neerland schließlich gut genug. Marks Gesicht verzerrte sich. »Es ist kein Leben, und ich bereue jetzt schon, diesen Schritt getan zu haben.« Jim holte Tabaksbeutel und Papier aus der Hosentasche und warf beides zu Mark hinüber. Mark fing die Dinge auf, schleuderte sie aber wütend zurück. »Es ist kein Leben!« zischte er zornig. »Du hast es gewußt und uns trotzdem überredet.« »Mark!« begehrte Nancy auf. »Jim hat uns nicht überredet. Mich nicht und dich auch nicht.« »Laß ihn, wenn es seine Meinung ist«, sagte Jim gelassen
und drehte sich eine Zigarette. »Das sagst du nur, weil du ganz genau weißt, daß ich nicht zu Neerland zurück kann«, versetzte Mark schroff. »Er würde mich erschießen für das, was ihr ihm angetan habt.« »Du redest von Dingen, die du nicht verstehst«, sagte Nancy. »Wir waren uns alle im klaren, was kommen würde. Im Süden werden wir bestimmt einen Fleck finden, um in Ruhe und Frieden leben zu können. Warte doch ab!« Mark sprang auf. »Im Süden! Wo ist das, zum Teufel! Ich habe jetzt schon genug. Es steht mir bis hierhin!« Er schrie diese Worte hinaus und fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Wir werden immer vor Neerland auf der Flucht sein oder vor irgendwelchen Sternträgern davonrennen, statt uns zu behaupten.« »Wir werden unseren Fleck finden, und dort wird es genug zu behaupten geben; wenn es das ist, worauf du brennst«, sagte Jim. »Ich glaube nicht, daß ich dann noch bei euch bin.« »Du wirst noch bei uns sein«, sagte Jim. »Wenn ich gehen will, gehe ich«, erwiderte Mark trotzig. »Selbst um den Preis, daß ich dich erschießen müßte.« »Mark!« rief Nancy. »Was redest du da!« »Du solltest dich auch von Jim trennen«, zischte Mark. »Neerland hat dir ein besseres Leben geboten. Wie kannst du das überhaupt vergessen?« Eine dunkle Röte schoß Nancy ins Gesicht. »Ja, wie kannst du das vergessen!« knurrte Mark gereizt. Obwohl er mit seiner Schwester sprach, starrte er Jim an. »Neerland hatte dir wenigstens ein Dach über dem Kopf zu bieten. Du hast einen schlechten Tausch gemacht. Jim hat dir nicht das geringste zu bieten. Du hast dich Neerland gegenüber benommen, wie – wie eine...« Jim schnellte hoch. Mark ballte die Hände und starrte Jim wütend an.
»Sag jetzt kein Wort mehr«, meinte Jim ruhig. Aber diese Ruhe war nur äußerlich. »Wie du jetzt mit mir redest, hättest du mit dem Sheriff in Spencer Hill reden müssen!« konterte Mark bissig. »Aber dazu bist du zu feige gewesen. – Adios! Wir sind fertig, Jim! Ich reite zu Neerland zurück. Was bin ich doch für ein verdammter Idiot gewesen.« Er machte auf dem Absatz kehrt, griff nach seinem Sattel und lief zu den Pferden hinüber. Nancy warf die Decke von den Schultern und sprang auf. »Mark!« Mark war jedoch entschlossen, sich nicht aufhalten zu lassen. »Jim, halt ihn zurück!« bat Nancy entsetzt. »Er weiß nicht, was er tut.« Jim setzte sich schnell in Bewegung, um den Jungen einzuholen. Doch da fegte Mark auf dem Absatz herum, den Revolver in der Faust. Der Sattel flog im hohen Bogen von der Schulter ins Gras. Jim blieb stehen. »Was ist?« lächelte Mark. Nancy lief auf ihn zu. »Mark! Bist du verrückt?« »Bleib, wo du bist!« zischte Mark und richtete die Waffe auf seine Schwester. Nancy wollte trotzdem weiterlaufen. Doch Jim sah, daß Mark schon durchgedreht war und wahrscheinlich schießen würde. Er streckte den Arm aus und riß Nancy zurück. Mark lachte wütend. »Ein sauberes Paar, ihr beiden!« Nancy begann zu weinen. »Um Himmels willen, Mark! Sei doch vernünftig. Neerland wird dich in seinem Zorn gar nicht anhören. Er wird dich erschießen.« »Ich werde ihm schon alles erklären und ihm vor allem sagen, wo er Jim finden kann.«
»Das darfst du nicht tun!« rief Nancy. »Tritt zur Seite, Nancy! Dann werde ich dir zeigen, was ich alles tun darf!« Nancy zuckte erschrocken zusammen und schmiegte sich ängstlich an Jims Brust. Marks Augen wurden schmal. Ein dunkler, wütender Haß schien ihn plötzlich befallen zu haben. »Sie soll zur Seite treten, Jim!« bellte er. Dabei wurde er bleich vor sinnloser Wut. Jim sah das gefährliche Flackern in Marks Augen, das er längst kannte. Nun wußte er genau, an welchem Punkt Mark angelangt war und daß er schießen würde. Mit einem heftigen Ruck stieß er Nancy zur Seite. Dann flog er schon vorwärts. Schnell, unheimlich schnell. Mark feuerte auf den Mann, der wie ein düsterer Schatten auf ihn zugeflogen kam. Er jagte zwei Schüsse aus dem Lauf, jedoch ohne zu treffen. Dann krachte er schon unter Jims Anprall in den Sand. Ein paar Minuten lang kämpften sie verbissen um den Revolver. Jim rang mit der Erfahrung des älteren Mannes, Mark mit der Wildheit seiner zwanzig Jahre. Er hatte Kraft, viel Kraft. Trotzdem war er Jim Wheelock nicht gewachsen. Jim Wheelock löste sich plötzlich von seinem Gegner, so schnell und unverhofft, daß Mark glaubte, entscheidend getroffen zu haben. Wild und vehement kamen beide auf die Füße. Mark riß die Waffe hoch. Doch da trafen ihn Jims Fäuste hart am Kinn. Mark ließ den Revolver fallen und stolperte zurück. Mit einem halb irren Ausdruck in den Augen sah er Jim an, als vermochte er nichts zu begreifen. Dann knallte er auf den Rücken und blieb liegen. Jim richtete sich aus seiner gebückten Haltung auf und schnaufte laut. Nur um seinem Zorn Luft zu machen, schleuderte er Marks Revolver mit einem heftigen Tritt durch
den Sand. Dann drehte er sich nach Nancy um, die sich erhoben hatte und fassungslos herübersah. »Ich denke, jetzt ist er kuriert«, murmelte er matt. Nancy rannte auf Jim zu. »Mein Gott, Jim!« rief sie entsetzt. »Wieso hat er auf dich geschossen?« Jim sah von Mark zu Nancy und wieder zurück. Er fühlte sich plötzlich sehr müde. Da sah er Blut von seinem linken Arm tropfen. »Um Himmels willen, du bist verletzt!« rief Nancy. Jim schaute an sich herab. »Es ist sicher nicht der Rede wert«, sagte er müde. Nancy knöpfte ihm den Ärmel auf. »Du mußt nicht glauben, daß er dich umbringen wollte. Das mußt du nicht glauben.« Jim lächelte. »Es ist nur ein Streifschuß. Ein ganz kleiner Kratzer.« Die Kugel hatte ihm den Oberam aufgerissen. Die Wunde war nicht lang. Sie war auch nicht sehr tief. Aber sie blutete stark. »Mein Gott, Jim!« stammelte Nancy erschrocken. »Sag mir bloß nicht, daß uns das trennen wird. Er ist ja noch ein Kind.« »Ja, und ein sehr unreifes dazu«, murmelte Jim. Nancys Finger zitterten, als sie Jim verband. Immer wieder schaute sie zu Mark hinüber, der, die Augen geschlossen, im Gras lag und sich nicht rührte. Jim verfolgte ihren Blick. Er konnte sich vorstellen, was sie in diesem Augenblick bewegte. Ihn hatte die Ahnung nie verlassen, daß es ein Fehler war, Mark mitzunehmen. Doch Nancy hatte darauf bestanden, weil sie sich für ihren jüngeren Bruder verantwortlich fühlte. Für Jim war Nancy die Frau, der er einfach nichts abschlagen konnte. In seinen Augen war Nancy das Kind, nicht Mark, der junge, zweibeinige wilde Wolf. Nancy war älter, aber in ihrem Leben viel herumgestoßen worden. Ein Umstand, der sie nicht hart
gemacht hatte. Sie war oft hilflos und in ihrer mädchenhaften Unschuld rein und liebenswert. – So sah Jim sie jedenfalls. »Mark muß sich erst an das Leben mit uns gewöhnen«, sagte er, nachdem Nancy den Verband verknotet hatte. »Wir wollen ihm Zeit geben. Er wird das alles schon eines Tages verstehen.« »Ich danke dir, Jim!« murmelte sie bewegt. Jim lächelte und faßte sie an den Oberarmen. »Uns wird nie etwas trennen, Nancy, nichts, gar nichts. Sag also nicht noch einmal so etwas. Was auch passiert, hörst du?« Ein sanfter, glücklicher Schimmer stahl sich in Nancys Augen. Sie nickte. »Ich danke dir auch dafür, Jim. Du bist ein wundervoller, großartiger und richtiger Mann.« »Übertreibe es nicht«, lächelte er und küßte sie flüchtig auf den Mund. Einen Augenblick später kam Mark zu sich. Nancy kehrte an ihren Platz zurück und begann, die Mahlzeit aus kaltem Fleisch und Brot zuzubereiten. Jim entfernte sich ein Stück und suchte Holz zum Nachlegen. Als er damit zurückkehrte, hockte Mark schweigend auf seinem Sattel. Keiner von ihnen verlor ein Wort. Jim setzte den Wasserkessel auf das Feuer. Nancy verteilte Brot und Fleisch. Auch Mark langte zu. Als Jim dann erklärte, daß sie die Nacht über an diesem Fleck bleiben würden, breitete Mark wortlos seine Decke aus und wickelte sich darin ein. »Schlaf du auch«, sagte Jim zu Nancy, »ich werde wach bleiben, solange es hell ist.« Nancy sah ihn aus erschrockenen Augen an. »Glaubst du denn immer noch, daß Neerland hinter uns her ist?« »Ich bleibe wach, weil es üblich ist, daß in der Wildnis wenigstens einer immer die Augen offenhält«, erklärte er ausweichend. ***
Die vier Reiter standen Bügel an Bügel und schauten auf die kleine Stadt hinab, die in dem hellen Sonnenlicht sauber und adrett wirkte und den Männern, die sich seit Tagen auf dem Ritt befanden und seit Wochen nicht mehr aus den Kleidern gekommen waren, wie eine Verheißung vorkam. »Wenn ihr einen müden alten Mann fragt, ich habe Hunger, Hunger und Durst«, sagte Chris laut. Elliot drehte den Kopf und sah Neerland an, der reglos im Sattel hockte und auf die Stadt hinabstarrte. »Besorgen wir uns zuerst frische Pferde«, sagte Elliot. »Dieser verwünschte Marshal aus Greeley kann mit seinen Leuten jeden Augenblick auftauchen. Ich habe nie geglaubt, daß dieser Kerl ein so zäher Bursche ist. Wenn wir nicht frische Pferde bekommen, wird er uns bald haben. Vielleicht sollten wir endlich auch die Richtung ändern.« Es dauerte eine geraume Weile, bis Neerland bemerkte, daß er angesprochen worden war, und er benötigte noch einen Augenblick dazu, bis er begriff, was Elliot gesagt hatte. »Die Pferde der Possereiter sind in keiner besseren Verfassung«, erwiderte er dann schroff. »Von mir aus kann der Marshal so zäh sein, wie er will. Wir behalten die Richtung! Ich will verdammt sein, wenn wir dort unten nichts über Wheelock erfahren. Wie heißt dieses Nest, Chris?« »Das ist Spencer Hill«, antwortete Chris. »Und wenn du einen müden alten Mann fragst, so sollten wir dort unten einmal richtig essen.« Neerland maß den großen und dicken Burschen mit einem verärgerten Blick. »Es regt mich langsam auf, Chris, daß du immer nur von einer Mahlzeit bis zur anderen denkst.« »Hinter uns hängt Staub in der Luft«, sagte Frank. Neerland stützte sich auf die Lehne und drehte sich. Fern am Horizont sah er eine dünne graue Staubwolke. Gerade so deutlich, daß sie ein erfahrenes Auge erkennen konnte.
Erfahrene Augen besaßen sie alle vier. »Der Marshal aus Greeley mit seiner Meute«, sagte Chris. »Dieser Hund!« brummte Frank trocken. »Zäh wie ein alter Büffel«, bemerkte Elliot mit einem Seitenblick auf Neerland. »Ein kleiner schmieriger Sternträger, der ein paar Tricks kennt, sonst nichts«, sagte Neerland. »Hätten wir nichts anderes zu tun, wäre er schon längst auf dem Leim mit seiner ganzen miesen Sippe.« »Wir sollten wirklich die Richtung ändern«, meinte Elliot. »Der Marshal hat geschmeckt, daß wir nach Süden wollen. Das ist bestimmt der einzige Fehler, den er hat.« »Du redest, als wenn du voll wärst!« grollte Neerland. »Ich sage nur, was ist«, erwiderte Elliot. »Ich sage, was ist, und sonst keiner«, röhrte Neerland wütend. »Ist das klar?« »Der Marshal aus Greeley bringt uns um eine schöne Mahlzeit«, meinte Chris. »So eine Gemeinheit! Einen müden alten Mann um seine verdiente Mahlzeit zu bringen. Wir sollten diesen Kerl mal gründlich aufs Messer laufen lassen.« Neerlands Gesicht wurde dunkel vor Wut. Doch plötzlich besann er sich. »Du kennst dich doch hier aus, Chris! Wo finde ich eine Ranch, von der wir vier prächtige Pferde stehlen können?« Chris grinste einfältig. »Da brauchst du nur einem müden alten Mann zu folgen. So einfach ist das.« »Sag schon!« verlangte Neerland. Chris wies nach Westen. »Keine zwei Meilen von hier entfernt, dort, hinter den grauen Felskuppen! Von den Felskuppen aus kann man das Anwesen liegen sehen. Die Ranch gehört irgendeinem Schwachkopf, der sich Forster nennt. Er hat Pferde für die Armee geliefert. Jedenfalls vor zwei Jahren noch. Hoffentlich ist es dir nicht zu weit vom Weg.«
»Hast du genau hingehört, wo das ist, Elliot?« fragte Neerland. »Ja, warum?« »Wir treffen uns an den Felskuppen«, sagte Neerland. »Reite nach Spencer Hill und versuche, etwas über Wheelock zu erfahren. Wir werden inzwischen frische Pferde besorgen. Sollte Wheelock in der Stadt sein, dann laß dich von ihm nicht blicken.« Elliot schnaufte und spähte angestrengt nach Norden, wo die graue Staubwolke deutlichere Konturen angenommen hatte. »Du bist in Greeley nicht dabeigewesen«, sagte Neerland. »Also hast du auch nichts zu befürchten. Bis der Marshal die Stadt erreicht, werden außerdem zwei volle Stunden vergehen. Das genügt, um etwas zu erfahren. Halte dich ‘ran! Wir haben es auf jeden Fall eilig.« Elliot drehte wortlos sein Pferd und entfernte sich auf dem von Wagenspuren zerfurchten Pfad zur Stadt hinunter. Sonne und Wind hatten die im Morast eingeprägten Spuren verkrustet. Die Hufe seines Pferdes weckten ein dumpfes Geräusch aus dem Boden und rissen eine gelbliche Staubfahne empor. Neerland blickte ihm eine Weile nach. Dann setzte er sein eisengraues Rinderpferd in Gang. Frank und Chris hielten sich an seiner Seite. Nebeneinander trabten sie den Hügelrücken hinunter und ritten im Trab den grauen Felskuppen zu, die sich in einiger Entfernung aus dem Grasland erhoben. Ihre Pferde waren matt und erschöpft und in keine schnellere Gangart zu bringen. Während sie nach Westen ritten, ließen sie die graue Staubwolke im Norden nicht aus den Augen. Der Marshal von Greeley kam nur langsam näher. Die Pferde der Posse befanden sich in keinem besseren Zustand. Was Neerland mit Genugtuung erfüllte. Es dauerte nicht lange, da hatten sie die grauen Felskuppen
erreicht. Sie ritten dazwischen hindurch und hielten auf einem windigen Hügelrücken abermals die Pferde an. Vor ihnen befand sich ein kleines grünes Tal, in deren Mitte die Gebäude einer Ranch standen. Rauch quoll aus dem Schornstein des Ranchhauses, dessen Holz von Sonne und Wind schwarz gebrannt worden war. In großen und weiten Korrals tummelten sich Pferde, unverbrauchte, halbwilde Tiere. Frank, der seit Greeley ein fremdes Pferd ritt, mit dem er nicht zufrieden war, schob sich den Stetson in den Nacken und stützte die Hände aufs Sattelhorn. »Hier sind wir richtig wie selten zuvor«, murmelte er. Neerland schaute noch einmal zurück. Die Posse aus Greeley bewegte sich direkt auf die Stadt zu. Im Augenblick bedeutete der Marshal mit seinen Leuten keine Gefahr für sie. Die Männer aus Greeley schienen es eilig zu haben, nach Spencer Hill zu kommen. Vielleicht dachten sie, wie zuvor Chris, an eine reichliche und ausgiebige Mahlzeit. Neerland schlug die Hacken gegen die staubigen Flanken seines erledigten Eisengrauen. Frank und Chris folgten ihm. Langsam ritten sie hinunter in das kleine grüne Tal. Als sie durch den Torbogen ritten, trat ein Mann aus dem Haus. Ein zweiter kam aus der Scheune, wo er Winterheu von einem Wagen gegabelt hatte. Er hielt die Forke noch in der Hand. Neerland musterte Frank und Chris kurz und wägend. Dann sagte er: »Chris, reite einfach durch zu den Korrals und suche uns vier gute Pferde aus. Frank und ich erledigen das andere.« Chris griff sofort nach seinem Lasso. Während er geradewegs auf die Schuppen zuritt, hinter denen die Korrals lagen, schwenkten Neerland und Frank zum Haupthaus ein. Der Mann dort wußte nicht, ob er ein freundliches Gesicht machen sollte. Er schaute auf Chris, der sein Lasso wurfbereit hielt und das Pferd nur mit den Schenkeln lenkte, bis er
zwischen den Schuppen verschwand. Dann sah er Neerland und Frank entgegen. Die beiden hielten ein paar Schritte vor ihm an. Neerland lächelte kalt und faßte sich langsam an den Stetson, um einen Gruß anzudeuten. Als der Mann, der aus der Scheune gekommen war, am Haus neben dem anderen stehenblieb, ließ er die Hand blitzschnell sinken und zog den Revolver. Auch Frank riß den Colt aus der Halfter. Die beiden Männer erstarrten. »Keine falsche Bewegung«, sagte Neerland hart. »Wir wollen nur unsere Pferde austauschen.« »Das ist gegen das Gesetz!« erwiderte der Mann vor der Tür zornig. »Das bestreitet keiner«, meinte Frank. »Aber es ändert nichts.« Da polterten Stiefel im Haus. Ein Mann rief etwas, und eine Stimme antwortete. »Von der Tür weg und die Hände hoch!« zischte Neerland den beiden vor dem Haus zu. Frank trieb sein Pferd vorwärts und trabte ein Stück zur Seite, um durch die halb offenstehende Tür ins Haus blicken zu können. In diesem Moment fiel der erste Schuß. Rechts, am Ende des Hauses, flog ein Fenster auf, ein Gewehrlauf schob sich heraus, und der Schuß peitschte auf. Neerland und Frank duckten sich und schossen in die gleiche Richtung. Diese Chance nutzten die beiden Männer vor der Tür. Sie sprangen ins Haus und knallten die Tür hinter sich zu. Bevor die Tür ganz zugeschlagen war, jagte Frank zwei Kugeln hinterher. Ein dumpfer Schrei verriet, daß er getroffen hatte. Danach galoppierten Neerland und Frank zu den Schuppen, um aus dem Bereich des Gewehres zu kommen, dessen Schützen sie nicht erwischen konnten. Als sie dort aus den Sätteln sprangen, waren es vier Gewehre, aus denen ihnen das
Blei um die Ohren flog. Neerland fluchte und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Frank zog das Winchestergewehr aus dem Sattelschuh und begann auf die Fenster zu schießen. Neerland nahm sein Gewehr ebenfalls zur Hand. Nach jedem Schuß schaute er in Richtung der Korrals. Aber von Chris war nichts zu sehen. Nur die Pferde kreisten wie eine Bande hochgeschreckter Hühner. »So schnell werden wir jetzt nicht wegkommen«, knurrte Frank wütend. »Es sind vier oder fünf Mann.« Neerland schoß viermal schnell hintereinander. Dann schob er neue Patronen nach, obwohl die Waffe noch nicht leergeschossen war. »Chris, zum Teufel!« schnaufte er wild. »Wo bleibt er nur?« »Daß wir auf Elliot warten müssen, bereitet mir viel mehr Sorgen«, erwiderte Frank. »Diese Burschen werden sich sofort hinter uns her machen.« Zwei der Männer hatten das Haus entweder durch eine Hintertür verlassen, oder sie waren an der Rückfront aus einem Fenster gestiegen. Sie tauchten an der östlichen Giebelseite auf und rannten auf einen Busch zu, hinter dem sie sich in Deckung warfen. Frank und Neerland nahmen sie unter Feuer, jedoch ohne zu treffen. Da knallte hinten bei den Korrals ein Gewehr. Einer der Männer wuchs über den Busch hinaus und fiel getroffen ins Gras. Der andere sprang zum Haus zurück. »Das ist Chris!« rief Frank lachend. »Hörst du, das ist Chris!« »Zum Teufel, dieser Narr soll sich um Pferde kümmern!« schimpfte Neerland. Die Männer im Haus versuchten eine erneuten Ausfall. Die Tür flog auf, und während es aus den Fenstern krachte, stürmten zwei bärtige Burschen, wie Kastenteufel um sich schießend, ins Freie.
Frank und Neerland warfen sich auf den Bauch, rissen die Gewehre an die Schultern und trieben die entschlossenen Männer mit einem wütenden Bleihagel zurück. Als die Tür wieder ins Schloß flog, tauchte Chris auf. Er kam auf seinem Pinto herangeritten, in der einen das Gewehr, in der anderen hielt er das Lasso, an dem er vier Pferde mit sich führte. Neerland und Frank robbten in die Deckung zurück und standen auf. »Was machen wir jetzt?« fragte Frank, als Chris zwischen den Schuppen hielt. »Die Kerle werden sich wie Bluthunde auf unsere Fährte hängen. Wir können unmöglich Elliot bis Spencer Hill entgegenreiten, wo doch der Marshal von Greeley inzwischen dort angekommen sein wird.« Chris schwang sich aus dem Sattel und drückte Frank das Lasso in die Hand. »Wenn du einen müden alten Mann fragst, so würde ich sagen, daß die Kerle ihr Haus mehr lieben als diese vier Pferde.« Frank klappte den Mund auf und schloß ihn wieder. Verständnislos schaute er von dem Lassoende in seiner Hand zu Chris und wieder zurück. Neerland hatte Chris jedoch sofort verstanden. »Eine verdammt kurze Logik, aber die beste!« »Dann haltet die Burschen ein bißchen in Atem«, grinste Chris einfältig. Er schob das Gewehr in den Sattelschuh, nahm den Colt zur Hand und verschwand hinter dem Schuppen. Neerland schoß blindlings auf das Haus, in dem es auch prompt wieder zu krachen begann. Weiße Pulverwölkchen stiegen aus den geöffneten oder zertrümmerten Fenstern senkrecht zum Dach empor, über dem sie der Wind packte und im Blau des sommerlichen Himmels zu zerstäuben schien. Dann schoß auch Frank wieder, mit einer Hand und aus der Hüfte, da er mit der anderen das Lasso halten mußte. Es dauerte nur Augenblicke, da tauchte Chris wieder auf.
Eine schwere Kanne schleppend, kam er aus einem Schuppen gerannt und lief aufs Haus zu, von wo aus ihn keiner zu sehen schien. An der Giebelseite blieb er stehen, duckte sich und hantierte an der Kanne. Dann federte er schon hoch und schwang die Kanne herum. Neerland und Frank sahen die braune Flüssigkeit im Sonnenlicht glitzern und auf die schwarze verwitterte Bretterwand spritzen. Chris warf die leere Kanne im hohen Bogen fort, riß ein Streichholz am Stiefel an, ließ es fallen und sprang zurück. Wo er eben noch stand, brannte plötzlich Gras. Daß die Flammen bereits die Giebelwand hochleckten, sahen Neerland und Frank erst, als die Flammen im Schatten des Dachfirstes flackerten. Heller Rauch schwellte empor und quoll über das Dach hinweg, als befände sich an dieser Stelle plötzlich ein Schornstein. Chris kam atemlos um den Schuppen gerannt, das Gesicht hochrot und mit blitzenden Augen. »Machen wir uns aus dem Staub«, keuchte er. Neerland sprang in den Sattel. Chris und Frank saßen ebenfalls auf. Sie drehten die Pferde und galoppierten zwischen den Schuppen entlang, bis sie die Korrals erreichten. Dort schwenkten sie ein, ritten an den hohen Zäunen vorüber und jagten dann den Berghang hinauf aus dem Tal. Als sie sich oben in den Sätteln drehten und zurückschauten, sahen sie die Männer mit Eimern aus dem Haus gestürzt kommen und zum Brunnen und der Viehtränke rennen. Keiner von diesen Männern dachte daran, sie zu verfolgen. Das Feuer fraß sich an den Wänden hoch und über die knochentrockenen Dachschindeln hinweg. Mit den vier Pferden am Lasso galoppierten die drei auf dem Hinterhang zu den grauen Felskuppen zurück, wo Elliot zu ihrem Erstaunen schon auf sie wartete. »Zum Henker!« schimpfte Neerland und schwang sich aus dem Sattel. »Bist du gar nicht in der Stadt gewesen? Los, umsatteln!«
»Doch, Neerland!« beteuerte Elliot, während sie in aller Eile die Sättel wechselten. »Ich war im Saloon, und noch ehe ich mir ein Bier bestellen konnte, habe ich erfahren, daß Wheelock in der Stadt gewesen ist. Ganz Spencer Hill ist deswegen noch in Aufruhr. Wheelock und die Chesneys kamen heute morgen an. Wheelock ist sofort erkannt worden, und fünf Minuten später war das Trio schon wieder draußen. Der Sheriff hat sie aus der Stadt gejagt. Sie sind direkt zur Grenze geritten, und stell dir vor, Neerland, ihr Vorsprung beträgt nicht einmal sechs Stunden.« Neerland zog dem Braunen, den er sich genommen hatte, den Bauchgurt stramm und schnallte ihm dann den Packen auf. »Sechs Stunden! – Da werden wir sie bald haben. Los! Auf!« »Und die Posse aus Greeley?« wollte Frank wissen. Er war bereits fertig mit dem Satteln und saß auf. »Sie ist jetzt in der Stadt«, sagte Elliot und nahm dem Pferd, das er bislang geritten hatte, das Zaumzeug ab. »Der Marshal aus Greeley wird die Geschichte von Wheelock ebenfalls zu Ohren bekommen«, sagte Frank und starrte auf Neerland, der ihm den Rücken zukehrte. »Spätestens jetzt wird er wissen, warum wir immer nach Süden geritten sind. Er wird sich auch etwas ausrechnen.« Elliot ging langsam auf Neerland zu und packte dessen Tier an der Kinnkette. »Wir könnten hier warten, bis sich die Posse aus Greeley auf den Weg gemacht hat. In Spencer Hill gibt es eine Bank.« »Wenn ihr einen müden alten Mann fragt«, schaltete sich Chris ein, »so würde ich euch sagen, daß man auf die Dauer nicht davon leben kann, hinter einem anderen her zu reiten.« Neerland richtete sich steif auf und legte die Hand auf den Revolverkolben. »Jetzt hör mir mal zu, Chris!« sagte er drohend. »Langsam habe ich dein ewiges Gerede vom müden alten Mann satt. Gründlich, verstehst du? loh kann das nicht mehr hören.«
»Er hat aber trotzdem recht«, meinte Frank und starrte Neerland in die Augen. »Du scheinst das Feuerwerk vergessen zu haben, was dein Busenfreund angesteckt hat!« grollte Neerland und wies nach Westen, wo sich dunkle Rauchwolken über den Hügelkämmen in den blauen Sommerhimmel wälzten. Frank warf einen kurzen Blick zurück. »Die werden auch meinen, daß wir auf und davon sind.« Neerland schaute eisig von einem zum anderen. »Wir haben uns geschworen, es Wheelock zu geben, und bevor wir etwas anderes beschließen, friert die Hölle ein. Ich denke, das ist ein klares Wort.« Chris jagte seinen Pinto mit einem Klaps davon. Dann schwang er sich auf sein neues Pferd, einen vierjährigen Fuchs. »Wir tun, was du sagst, Neerland«, murmelte er. »Reiten wir jetzt!« ließ sich Frank vernehmen, und seine Stimme war nur ein Krächzen. Neerland zog den Braunen um die Hand und halfterte die Waffe. »Wir reiten nach Süden. Ich will verdammt sein, wenn wir Wheelock nicht irgendwo am Rio Grande erwischen. Er hatte vierundzwanzig Stunden Vorsprung. Jetzt sind es nur noch sechs. Mit diesen Pferden reiten wir ihm den jämmerlichen Vorsprung, den er noch hat, an einem Tag zusammen. Ich schätze, daß wir ihn spätestens morgen früh haben werden. Jenseits der Grenze werden wir seine Fährte schon finden. Er faselte doch immer von einer Mustangherde. Wenn er seinen Plan verwirklicht, kann er sich nicht verstecken. Wir werden ihn aufspüren, das könnt ihr mir glauben!« Niemand sagte etwas. Sie sahen Neerland bloß an. – Der Braune, den Elliot bislang geritten hatte, schnaubte erschöpft und legte sich ins Gras. Elliot warf einen letzten Blick auf ihn. Neerland klopfte seinem Pferd die Hacken gegen die Flanken und ritt an. Die anderen folgten ihm.
Die Nacht kam ihnen dazwischen. Sie kampierten jenseits der Grenze in einer windgeschützten Mulde inmitten der grünen und sanft gewellten Hügel. Kurz nach Sonnenaufgang stießen sie dann auf den Fleck, an dem Wheelock und die Chesneys gelagert hatten. Elliot untersuchte die Feuerstelle und die Spuren. Neerland, Frank und Chris blieben gespannt wartend in den Sätteln hocken. Endlich kam Elliot zu ihnen zurück. »Verdammt, Neerland«, sagte er und blickte in Richtung des Flusses. »Alles ist noch so frisch. Es ist bestimmt nur Pech, daß wir sie nicht erwischt haben. Sie können nicht mehr als eine Stunde vor uns sein.« Neerland drehte sich im Sattel und spähte angestrengt nach Süden. »Da will ich doch verdammt sein!« schimpfte er. »Wären wir doch eine Stunde früher aufgebrochen!« Er trieb wieder den Braunen vorwärts und galoppierte zum Fluß hinunter. Die drei jagten hinter ihm her. Als sie am Flußufer die Pferde aufnahmen, entdeckten sie alle vier frische Spuren im Sand, die drei Reiter zurückgelassen hatten, die kurz zuvor an dieser Stelle vorübergekommen waren. »Wenn ihr einen müden alten Mann fragt, dann sage ich euch, daß es Wheelock gewesen ist«, meinte Chris. »Chris!« zischte Frank gereizt. »Gewöhne dir dieses dämliche Gerede doch endlich ab.« Chris warf Neerland einen scheuen Blick zu. Neerland schien jedoch nur Augen für die Spuren zu haben. »Laß ihn, Frank«, murmelte er abwesend. »Wenn ich Wheelock jetzt kriege, soll mir sein verrücktes Gequatsche egal sein. Wenn ich Wheelock endlich zur Hölle geschickt habe, will ich Chris bis zum letzten meiner Tage ertragen.« Dann ritten sie weiter, zähen entschlossenen Wölfen gleich, die sich auf eine Fährte förmlich verbissen hatten. Doch schon nach wenigen Pferdelängen schreckte Elliots Ruf die anderen drei aus ihrer Zähigkeit. Sie hielten und
spähten zurück. Noch weit entfernt, doch für jenen Ritt, den sie seit Greeley hinter sich gebracht hatten, niemals weit genug, folgte ihnen ein Trupp Reiter. Die Posse aus Greeley, die es zumindest an Zähigkeit mit ihnen aufnehmen konnte! »Da will ich doch verflucht sein!« schimpfte Neerland voll sinnloser Wut. »Da will ich doch wirklich verflucht sein. – Los, vorwärts! Macht den Pferden Feuer unter die Hintern. Jetzt scheint tatsächlich alles an einer einzigen lausigen Stunde zu hängen.« Sie brachten die Pferde in einen fliegenden Galopp und jagten inmitten der Buschstreifen am Ufer des Rio Grande nach Süden, die Fährte von Jim Wheelock, Nancy und Mark Chesney direkt vor den Augen. Und dieser Fährte folgten sie auch, in der wilden Hoffnung, nun jeden Augenblick auf die drei Reiter zu stoßen, die diese Fährte hinterlassen hatten. Wozu ihnen kein Mensch die Berechtigung absprechen konnte, so frisch waren die Spuren. *** Betroffen und resignierend ließ Jim Wheelock die linke Hinterhand von Nancys Rappstute los. Die Chesneys beobachteten ihn schweigend und gespannt. Jim schob sich den Stetson aus der Stirn und wischte sich den Staub und den Schweiß mit dem Handrücken fort. »Eine Entzündung«, sagte er. »Rundherum! Zum Teufel, daß wir das nicht früher bemerkt haben.« Er wandte sich ab und spähte angestrengt und nachdenklich zugleich in die Runde. – Sollte Neerland jetzt auftauchen, so sind wir glatt erledigt, dachte er. Mark, der im Sattel hocken geblieben war, trieb seinen Falben um Nancys kleine Stute und besah sie sich von der Seite. »Bis El Prado wird sie es schon noch schaffen«, meinte er. »So schwer ist doch Nancy gar nicht.«
Jim spähte angestrengt nach Süden. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das schafft diese Stute niemals. Wir müssen durch den ganzen Rio-Grande-Canyon.« »Wir sollten es wenigstens versuchen«, murrte Mark. »Wir haben einen zu weiten Weg vor uns, um es uns leisten zu können, eines unserer Pferde in El Prado erschießen zu müssen«, sagte Jim und nahm die Hinterhand der Stute noch einmal auf. »Von mir aus könnte dieser elende Weg hier schon zu Ende sein«, sagte Mark. Jim ließ die Hand des Tieres los und richtete sich auf. Dabei fuhr er der kleinen Stute sanft über die Kruppe. Dann ging er langsam auf den Jungen zu. »Ich habe Nancy versprochen, daß du bei uns bleiben wirst, bis wir einen Fleck für uns drei gefunden haben«, sagte Jim ruhig. »Erst dann kannst du dich entscheiden, ob du bleiben oder weiterreiten willst. – Damit es klar ist zwischen uns.« Marks Augen wurden schmal. »Du erklärst mir also, daß ich dich zu fragen habe, wenn ich weg will?« »Das ist nicht nötig«, versetzte Jim. »Du kennst die Antwort jetzt schon. Außerdem solltest du in Erwägung ziehen, daß wir jetzt nur zwei Pferde haben.« »Ja!« knurrte Mark aufsässig. »Und das ist auch der einzige Grund, der mich hält – nicht dein großspuriges Gerede! Nur weil es Nancys Pferd ist, verstehst du?« »All right«, erwiderte Jim. Nancy schaute ihren Bruder verärgert an. Sie hatte ihm kurz vor dem Aufbruch lange ins Gewissen geredet, wie Jim wußte. Nun schien sie zu erkennen, daß es zwecklos gewesen war. Jim gab ihr die Zügel seines Braunen. »Nimm ihn! Wir müssen uns jetzt einen Ort suchen, an dem wir zwei Tage bleiben können. Die Stute benötigt Ruhe, Das ist alles. Dann kommt sie von selbst wieder in Ordnung.« Nancy zögerte. Da sprang Mark schon aus dem Sattel.
»Nancy wird mein Pferd nehmen«, erklärte er frostig. Jim kümmerte sich jedoch nicht um ihn. Er packte Nancy einfach an den Hüften und hob sie in den Sattel seines Braunen. Dann nahm er die Stute am Zügel. Bevor er sich in Bewegung setzte, sah er sich noch einmal um. An dieser Stelle war der Boden steinig und von hartem Gras bewachsen, so daß sie kaum Spuren hinterließen. Dieser Streifen aus blankgeschliffenen Steinen und hartem Präriegras zog sich weit neben dem Ufer des Rio Grande dahin. Jim wandte sich zufrieden ab und lief los, direkt auf einen Einschnitt der Hügelkette zu, die das Flußtal im Osten säumte. Nancy und Mark ritten langsam hinter ihm her. Sie hatten etwa eine Viertelmeile zurückgelegt, als der Wind vom Ufer her Hufschlag über die Cottonwoods und Mesquitesträucher trug. Wer immer dort kam, ritt schnell und stetig. Jim blieb sofort stehen und fuhr herum. »Herunter von den Pferden!« raunte er den Chesneys zu. Nancy sprang erschrocken aus dem Sattel. Mark tat es widerwillig und mit einem hohlen Grinsen im Gesicht. Sie führten die Pferde in Deckung. Das Gewehr in den Fäusten, kehrte Jim auf den schmalen Wildpfad zurück, den sie benutzt hatten. Da tauchten die Reiter schon auf. Es waren vier Männer. Fast Bügel an Bügel ritten sie in einem wiegenden Galopp am Ufer des Rio Grande nach Süden. Dumpf pochten die Hufe der vier Pferde auf dem von Grasstreifen durchzogenen Steinfeld. Nur eine ganz dünne Staubfahne hing hinter ihnen in der Luft. »Neerland!« sagte Mark und kam geduckt zu Jim gelaufen. »Hol’s der Teufel, das ist Neerland!« Auch Nancy kam herüber. Obwohl sie Bescheid wußte, schüttelte sie den Kopf. »Das ist niemals Neerland. Sie reiten doch alle ganz andere Pferde. Wo ist Chris’ schwarzweiß gefleckter Pinto?«
»Pferde kann man wechseln«, erwiderte Mark. Die Entfernung war zu groß, und die Reiter waren auch viel zu schnell aufgetaucht und wieder verschwunden, um sie sicher und genau zu erkennen. Doch für Jim war es klar, daß diese Reiter Neerland, Frank, Elliot und Chris waren. Er hatte viel zu lange mit den Männern gelebt, um sie jetzt nicht zu erkennen. Schon an der Haltung, in der jeder von diesen Männern im Sattel saß, vermochte Jim seine Schlüsse zu ziehen. Als der Hufschlag am Ufer im Süden verklungen war, drehte sich Jim um und ging zu den Pferden zurück. Nancy folgte ihm sofort. Nur Mark blieb stehen. Ein seltsamer Schimmer flackerte in seinen Augen. »Jetzt sind sie vor uns, Jim, und ich schätze, sie werden in El Prado auf uns warten«, sagte er bissig. »Sehen wir zu, daß wir hinter die Hügelkette kommen«, sagte Jim. Mark trat an sein Pferd, band es los und saß auf. »Ich glaube, du möchtest jetzt noch viel weiter wegkommen.« »Well«, erwiderte Jim gleichgültig. »Einmal das, und zum anderen möchte ich diesen Männern nie wieder begegnen, wenn du es genau wissen willst.« Mark lachte. Nancy beschränkte sich darauf, ihrem Bruder zurechtweisende Blicke zuzuwerfen. Schweigend setzten sie den Weg fort. Die kleine Rappstute begann nun stärker zu hinken. Jim war deshalb klar, daß sie sich nicht so weit vom Fluß entfernen konnten, wie er es für notwendig erachtete, um vor Neerland in Sicherheit zu sein. Sie durchquerten die Hügelkette und suchten sich dann auf deren Westseite eine geeignete Lagerstelle. Wahrend sich Mark um das Camp kümmerte, versorgte Jim die kleine Stute. Nancy kam zu ihm und hockte sich ins Gras. »Irgendwann wird Neerland wissen, daß er an uns vorübergeritten ist«, begann sie ohne Umschweife. »Wir sollten die Stute ihrem Schicksal überlassen. Mit zwei Pferden
kommen wir sicher schneller vorwärts.« »Wir warten bis morgen abend«, sagte Jim. »Und dann? Neerland hat unsere Fährte gefunden. Er weiß, daß wir in der Nähe sind.« Jim nickte. »Wir werden die Richtung ändern.« »Willst du es nicht sofort tun? Irgendwo werden wir doch wieder Spuren hinterlassen.« Jim lächelte. »Wir müssen unseren Traum vom Süden aufgeben«, sagte er. »Ich habe mit Neerland zu oft über eine Pferderanch in Texas gesprochen. Das hat er nicht vergessen. Deshalb ist das kein Weg mehr für uns. Wenigstens vorläufig nicht.« »Aber was willst du tun?« fragte Nancy erstaunt. »Hier oben gibt es für uns nirgends eine Chance. Wie oft hast du das selbst gesagt.« »Ich will ja nicht bleiben, Nancy. Nur vorläufig, verstehst du. Einmal wird auch Neerland das Jagen satt haben.« »Das kann lange dauern.« »Drüben in Farley wohnt ein Mann, mit dem mich einmal so etwas wie Freundschaft verband«, erklärte Jim. »Bei ihm können wir bestimmt unterkommen, ich glaube das jedenfalls.« »Woher kennst du diesen Mann?« wollte Nancy wissen. »Er ist früher mit uns geritten.« Nancy stand auf. »Dann kennt ihn Neerland auch!« »Ich habe diesen Weg gewählt, in der Hoffnung, Neerland würde uns in Farley suchen«, sagte Jim. »Aber du siehst ja, er hat überhaupt nicht daran gedacht.« Mark kam zu ihnen. »Neerland wird in El Prado auf uns warten.« »Ja, bis er schwarz werden wird«, sagte Jim. Mark stemmte die Fäuste in die Hüften. »Dann werden wir uns also vorbeidrücken?« »Nein!« erwiderte Jim. »Wir reiten morgen abend nach Farley.«
Mark senkte voller Mißtrauen die Lider. »Farley, das ist doch weit im Osten, weit hinter dem Canadian River.« »Wir werden dort bei einem alten Freund von Jim unterkommen«, warf Nancy ein. »Sobald wir uns richtig erholt haben, setzen wir unsere Reise nach Süden fort.« »Ich reite nach El Prado!« versetzte Mark. »Damit es klar ist. Ich habe das sinnlose Umherziehen und Kriechen satt.« »Du wirst bleiben, Mark«, erwiderte Jim. »Reden wir also nicht mehr davon. Du wirst vor allem jetzt bei uns bleiben müssen.« Mark spie ins Gras. »Da hörst du es, Nancy! Dein feiner Bräutigam hat nie Vertrauen zu mir gehabt. Dafür hat er Angst, eine Menge Angst vor Neerland.« Jim band die Rappstute an einen Baumstumpf. Dann holte er sein Gewehr. »Bring ein Feuer in Gang, Mark«, sagte er. »Ich sehe zu, daß ich uns ein Stück Wild schießen kann.« Er entfernte sich, und Mark und Nancy sahen ihm schweigend nach. »Du bist nicht bei Trost, Nancy«, sagte Mark nach einer Weile, als Jim Wheelock vor ihnen im Buschland verschwunden war. »Was hast du nur mit so einem? Gar nichts. Nur trostlose Wildnis und die Aussicht, bei einem seiner Freunde in einer schäbigen und windigen Berghütte die Tage zu verbringen. Er taugt nichts. Hör auf mich! Laß uns zu Neerland zurückkehren. Er wird dir verzeihen. Ich bin sicher.« »Das sind Dinge, von denen du nichts verstehst«, sagte Nancy herb. »Aber was dich angeht, so wird dich Neerland erschießen, weil du ihm nicht verraten hast, daß ich und Jim fort wollten. – Das wird dir Neerland nie verzeihen. Ich sage dir das in aller Offenheit, damit du nicht in dein Unglück rennst.« »Wenn wir beide zurückkehren, wird Neerland keinem von uns etwas tun«, sagte Mark grollend. »Das redest du mir nicht ein. Außerdem wird er Jim Wheelock dann immer noch haben
wollen, und ich kann ihm sagen, wo er ihn findet.« Nancy fuhr entsetzt herum. »Mark! Jim ist der Mann, den ich liebe! – Wie kannst du überhaupt nur an so etwas denken?« »Ich denke dabei an dich und an mich«, versetzte Mark ärgerlich. »Vor allem an dich! Mit Jim Wheelock ist das kein Leben für dich. Er ist sein ganzes Leben lang so herumgezogen wie jetzt. Willst du dieses ruhelose Leben mit ihm teilen?« »Du kennst unsere Pläne von der Pferderanch. Wir haben oft davon gesprochen. Auch du hast dich dafür begeistert. – Jim wird das alles verwirklichen.« »Ich werde das nicht erleben«, schnaufte Mark und wandte sich ab, um Holz für ein Feuer zu suchen. *** »Wheelock ist ein alter durchtriebener Fuchs, der hundert Tricks kennt«, schimpfte Frank. »Ich wette, daß er mit den Chesneys irgendwo durch das Wasser geritten ist. Wir haben die Furt bloß nicht gesehen, weil wir wie blinde Hühner nach Süden geritten sind, nur den einen Gedanken im Schädel, ihn einzuholen.« Elliot schüttelte den Kopf. »Ich habe das Ufer nicht aus den Augen gelassen. Auf dem ganzen Weg ist kein Reiter vor uns ins Wasser geritten. Das kann ich beschwören.« Hufschlag klapperte zwischen den Hügeln. Die beiden sahen auf. Neerland und Chris kamen zurückgeritten. Daß auch sie nichts gefunden hatten, vermochten Elliot und Frank aus Neerlands Gesicht zu lesen. »Einfach nichts!« grollte Chris gereizt, als er und Neerland am Ufer hielten und aus den Sätteln glitten. »Nicht ein einziger Hufabdruck. Man möchte glauben, dieser Kerl hat den Teufel im Leib.« Die Männer sahen Neerland gespannt an, der starr und wie durch einen Schleier nach Norden zurückblickte.
»Wir haben doch Augen im Kopf«, meinte Frank. »Glaub mir, wir haben nichts übersehen. Wheelock ist eben schneller als wir. Das ist alles.« Neerland fuhr wütend herum. »Du weißt selbst, daß du dir etwas vormachst, verdammt! Wir sind wie die Teufel geritten. Wheelock muß jetzt hinter uns sein. Er hat uns hereingelegt. Das ist alles. Gib das endlich zu.« »Wir müßten zurückreiten, um nachzusehen, ob wir irgendwo etwas außer acht gelassen haben«, warf Elliot ein. »Dabei würden wir der Posse, aus Greeley direkt in die Arme reiten. Ich bin dafür, daß wir nach El Prado reiten und dort auf Wheelock warten. Eines Tages wird er schon ankommen.« Neerland stieß eine Stiefelspitze in den Boden. »Da würden wir schwarz werden! Die Bärte würden uns durch die Stiefel wachsen.« »Wenn ihr einen müden alten Mann fragt, so würde ich sagen: Reiten wir nach El Prado und trinken wir dort ein Bier«, ließ sich Chris vernehmen. »In aller Ruhe, versteht sich! Vor den Kerlen aus Greeley haben wir genügend Vorsprung. Ich würde es sogar riskieren, in El Prado zu übernachten, denn ein müder alter Mann...« »Hör auf, oder ich schlage dich zusammen!« rief Neerland unbeherrscht. Es hätte nicht viel gefehlt, da wäre er auf Chris losgegangen. Aber da stotterte Chris: »Ich wollte dich doch nur an Jett Gallegos erinnern.« Neerland verstand nicht sofort. »Gallegos, was ist mit dem trockenen Fisch, zum Henker?« Chris schluckte. »Er und Jim Wheelock haben sich doch immer ganz gut verstanden. Und da habe ich mir gedacht, weil er jetzt doch plötzlich vom Weg ab ist, ob er nicht auf die Idee gekommen sein könnte, einfach schnurstracks nach Farley zu reiten.« Die Männer sahen Neerland gespannt an, der kurz die
Augen schloß, sich reckte und schwer schnaufte. »Zum Teufel«, murmelte er, »muß man wirklich nur Stroh im Kopf haben, um auf die einfachsten Dinge zu kommen?« »All right, reiten wir nach Farley!« verlangte Elliot mit einem schrägen Blick nach Norden. Es drängte ihn, das Unbehagen in Form eines Marshals mit seinen Leuten endlich loszuwerden. Neerland grollte und schwang sich in den Sattel. »Ich muß aber erst genau wissen, daß Wheelock auch wirklich nach Farley unterwegs ist Wir reiten jetzt nach El Prado und hören uns dort um. Haben wir nach zwei Tagen immer noch keinen Hinweis, können wir annehmen, daß sich Wheelock tatsächlich an Jett erinnert hat.« »Und der Marshal?« mahnte Elliot. Neerland wies zum Wasser. »Der Marshal wird bestimmt am Fluß bleiben. Jedenfalls werden wir ihm kein Zeichen hinterlassen, das ihn auf El Prado bringt.« Sie stiegen auf und ritten noch ein Stück am Ufer entlang, bis sie eine Stelle erreichten, an der der Boden hart und steinig war. Biberdämme aus Espenholz zogen sich dort quer durch den Fluß, stauten das Wasser und teilten den Stromlauf in viele Seen auf. Es war eine Stelle, von der aus man den Weg nach jeder Richtung gut fortsetzen konnte, selbst durch das Wasser – ein Weg, der jeden Flüchtenden geradezu lockte. Dort verließen sie das Ufer und ritten nach Osten auf El Prado zu, ohne die geringste Fährte zu hinterlassen. *** Die Entzündung im Schild des Hufes der Rappstute klang schneller ab, als Jim geglaubt hatte. So konnten sie am Abend des nächsten Tages ihren Weg fortsetzen. Mark hielt sich abseits, als sie die Pferde sattelten. Jim ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Nicht nur, weil er es Nancy versprochen hatte,
konnte er den Jungen jetzt nicht weglassen. Neerland war einfach zu nah. Mark hantierte länger als nötig an seinem Pferd. Dann tauchte er plötzlich hinter dem Tier auf, das Gewehr in den Fäusten. Jim hatte das jedoch kommen sehen und war schneller als der Junge. Noch während Mark ihn suchte, glitt er am Kopf von Marks Pferd vorbei und erschien unverhofft hinter ihm. Langsam drückte er ihm den Daumen in den Rücken. »Laß das Gewehr fallen, Mark!« verlangte er. Mark erstarrte. Mochte der Teufel wissen, wo er Jim vermutet hatte. Nancy fuhr erschrocken herum, als sie Jim hörte. Sie hatte von Marks Absichten nicht das geringste bemerkt. Ihre Augen weiteten sich im jähen Entsetzen, als sie Mark so stehen sah und Jim hinter ihm entdeckte. »Um Himmels willen, Mark!« rief sie in panischer Furcht. »Jim ist doch nie dein Feind gewesen. Nie!« Mark lächelte wütend. Haß stand in seinem kühn geschnittenen jungen Gesicht. Der Haß wuchs noch, als Jim ihm mit einem schnellen Griff das Gewehr aus den Händen riß, ihn zu sich herumdrehte und er sehen konnte, daß Jim gar keinen Revolver in der Faust hielt. »Wir sind Feinde!« zischte er. »Wir sind das immer gewesen.« Ungerührt band ihm Jim den Gurt mit den beiden Revolvern ab. Dann ließ er den Jungen stehen und ging zu seinem Pferd zurück. Marks Winchester schob er in den Sattelschuh. Den Gurt hängte er ans Sattelhorn. Dann stieg er auf. Nancy schaute von einem zum anderen. Sie war dem Weinen nahe. Zum erstenmal schien sie zu spüren, daß sie sich irgendwann zwischen Jim Wheelock und ihrem Bruder würde entscheiden müssen. Sie schien sogar zu ahnen, daß sie diese Entscheidung längst hätte treffen müssen, wenn sie Jim nicht
verlieren wollte. Als auch Mark wortlos in den Sattel stieg, ging sie auf Jim zu. »Laß ihn reiten, Jim!« sagte sie. »Laß ihn fort, sobald das für uns nicht mehr gefährlich ist.« Jim sah ihr in die Augen und nickte. »All right, Nancy«, sagte er sanft. »Sobald wir ihm das richtige Leben gezeigt haben, sobald wir die Mustangherde aufgebaut haben, mag er gehen, wohin er will.« Tränen schwammen in Nancys Augen. Sie wandte sich ab und bestieg die Rappstute. »Du hast es gehört, Mark«, rief sie mit erstickter Stimme. »Ich glaube nicht mehr, daß du das alles wert bist.« »Mit mir braucht sich keiner Mühe zu machen«, knurrte Mark gereizt. Jim ritt an. Nancy brachte ihr Pferd an seine Seite, und Mark folgte ihnen. So ritten sie in die aufkommende Nacht hinein. Sie saßen fast zehn Tage in den Sätteln und durchquerten Wildnis, Einöde und Höhenzüge, bis sie die große Niederung des Canadian-River erreichten. Nachdem sie den mächtigen Fluß durchquert hatten, saßen sie noch einmal volle vier Tage auf den Rücken der Pferde. Dann hatten sie endlich die Gegend von Farley erreicht. Noch weit vor der Stadt begegneten sie auf der Poststraße einem Fuhrwerk. Jim hielt es an und erkundigte sich nach Jett Gallegos’ Ranch. Der Mann auf dem Bock musterte die Reiter eingehend. »Suchen Sie Arbeit dort?« fragte er dann. »Ich glaube nicht, daß Mr. Gallegos jetzt Helps einstellt. Es ist keine Zeit dafür, verstehen Sie?« »Beschreiben Sie uns trotzdem den Weg«, lächelte Jim. Der Mann musterte Jim noch einmal von oben bis unten. Dann wies er mit der Peitsche in Richtung der Stadt. »Reiten Sie bis zur Weggabelung und biegen sie dort nach Norden ab.
Da kommen Sie direkt hin. Aber große Hoffnungen würde ich mir an Ihrer Stelle nicht machen.« Jim bedankte sich und ritt mit Nancy und Mark weiter. Der Mann schaute ihnen noch eine Weile kopfschüttelnd nach, ehe er sein Gespann wieder in Gang brachte. Als sie die Gabelung erreichten, ahnte Jim, daß es mit Jett Gallegos mächtig vorwärtsgegangen sein mußte. Ein großes Schild mit der Aufschrift: »Jett Gallegos’ Rinder- und Landhandelsgesellschaft« wies ihnen den Weg. Und dieser Weg, der nur zu Jett Gallegos’ Anwesen hinauszuführen schien, befand sich in einem erstklassigen Zustand. Saubere Zäune grenzten den Weg zu beiden Seiten ein. Riesige, unüberschaubare Rinderherden weideten auf dem Grasland. Es war ersichtlich, daß sie einer großen und mächtigen Ranch zuritten. Mark schien mit seinen Gedanken wieder weit weg zu sein. Doch Nancy bemerkte, daß aus Jims ehemaligem Gefährten ein großer und mächtiger Mann geworden sein mußte. Immer wieder sah sie Jim von der Seite her an, als wartete sie darauf, daß er sich deswegen äußerte. Doch Jim schwieg. Denn ihm war unbehaglich zumute. Am liebsten wäre er einfach wieder umgekehrt. Allein hätte er das sicher getan. Nach einer halben Meile wuchs ein mächtiger Turm über den Bäumen empor, die ihnen die Sicht versperrten. Ein großes Windrad, dessen Flächen mit buntem Segeltuch bespannt waren, drehte sich träge im lauen Sommerwind. Dann sahen sie die Dächer der Gebäude schwarz glänzend im Sonnenlicht über dem wogenden Grün der Bäume auftauchen. In einer sanften Windung führte der Weg um den Waldstreifen. Als sie die letzte Biegung hinter sich hatten, konnten sie die Ranchgebäude sehen. Sie waren groß – gewaltig. Ein mächtiges Haupthaus nagte aus dem Gewirr der Schuppen, Scheunen und Wirtschaftsgebäude heraus. Über
dem Ranchtor hing ein großes Schild, dessen dicke Buchstaben auch einem Analphabeten klarmachen konnten, daß sich hier Jett Gallegos’ Rinder- und Landhandelsgesellschaft befand. Ein mächtiges weißglänzendes Hörnerpaar hing darüber. Beim Näherkommen entdeckte Jim ein zweites Schild. Es stand am Wegesrand. »Wer den Frieden dieses Anwesens stört, muß damit rechnen, in die Hölle gejagt zu werden«, stand darauf. Bügel an Bügel ritten die drei Reiter durch das Tor und hielten dann vor der breiten Treppe des Haupthauses an. Sie stiegen aus den Sätteln und banden die Pferde an den Hitchrack. Da tauchte Jett Gallegos schon auf. Groß und breit und ein wenig behäbig in seiner Fülle, kam er aus dem Haus und blieb auf der Veranda stehen. Während Nancy und Mark unten warteten, stieg Jim langsam die Stufen hinauf. Jett Gallegos musterte ihn voll Argwohn und Mißtrauen. Erst als Jim auf der letzten Stufe stehenblieb, wurde er von Gallegos erkannt. »Jim!« rief Gallegos überrascht. »Das ist doch nicht zu fassen! Du bist es doch, zum Teufel, oder nicht?« Gallegos lachte breit, streckte die Arme aus und kam schnell auf ihn zu. »Hallo, Jet!« sagte Jim. Gallegos schüttelte ihm die Hand und zog ihn auf die Veranda hinauf. »Jim! Das ist aber eine Überraschung!« rief er. »Wie kommst du in diese Gegend? Ich habe oft an dich gedacht. An die alten Tage. Du meine Güte! Du hast dich nicht ein bißchen verändert. Du bist der alte geblieben. Der alte hartgesottene Wanderer, der kein bißchen von seinen Anschauungen preisgibt. Der alte verschlossene Jim!« Er boxte Jim vor die Brust, stieß ihn zurück und betrachtete ihn gerührt von oben bis unten.
Jim wies in die Runde. »Bist mächtig vorwärtsgekommen, Jett!« Gallegos winkte ab, jedoch nicht ohne Stolz. »Davon können wir später reden, Junge. Wie ist es dir ergangen? Das ist viel wichtiger. Wen hast du da mitgebracht? Die Burschen sollen heraufkommen.« Jim lächelte zufrieden über diesen Empfang und wollte sich umdrehen, um Nancy und Mark heraufzurufen. Doch da packte ihn Gallegos an der Schulter. Sein Gesicht war plötzlich sehr ernst. »Jim!« krächzte er. »Ihr werdet doch nicht verfolgt? Du bist doch nicht hergekommen, um dich vor einer Posse zu verbergen?« »Dann wäre ich nicht gekommen, Jett«, erwiderte Jim. »Das kannst du mir glauben.« Gallegos lächelte erleichtert. »In Ordnung, Jim. Aber du wirst verstehen, ich habe den alten Tagen adios gesagt. Dabei soll es auch bleiben. Ich hab’ mir immer gewünscht, daß einer von euch mal hier aufkreuzt, nur nicht mit einer Posse im Nacken. Ich will die alten Tage wirklich vergessen, verstehst du das? Ich bin ein friedlicher Bürger geworden. Ich habe eine Menge unternommen. Auf dem richtigen Weg! Alles ist mir gelungen. Ich bedauere jetzt nur, daß ich so spät damit begonnen habe. »Ich will jetzt beginnen«, sagte Jim. »Was?« staunte Gallegos. »Willst du dich zur Ruhe setzen? Willst du absteigen? Kannst du das wirklich? Ich habe mir oft gewünscht, dich bei mir zu haben. Aber mir war immer klar, daß du nie lange geblieben wärst.« »Jetzt ist das anders«, sagte Jim. »Das da unten ist Nancy Chesney mit ihrem Bruder Mark. Nancy und ich wollen heiraten. Aber erst in Texas.« »Du hast dich nicht geändert, Jim. Der alte Cowboy mit seinem Traum von einer Pferderanch in Texas!« lachte
Gallegos. »Aber rufe dein Mädchen und ihren Bruder herauf. Ihr seid hier bei einem Freund. Es soll euch an nichts mangeln, und ihr könnt bleiben, bis ihr euch ausgeruht habt.« Nancy und Mark kamen herauf. Gallegos begrüßte sie auf eine nette und freundschaftliche Art. Er führte seine Besucher ins Haus, das er ihnen nach einem Begrüßungstrunk voller Stolz zeigte. Als sie in die Halle zurückkamen, war Essen aufgetragen. Sie nahmen Platz. Gallegos redete pausenlos und bestritt das Gespräch ganz allein, indem er Nancy und Mark von den alten Tagen erzählte, in denen er mit Jim Seite an Seite geritten war. Er war jedoch aufmerksam genug, um zu bemerken, wie müde und ausgelaugt seine Gäste waren. Er ließ ihre Pferde versorgen und wies dann jedem von ihnen selbst ein Zimmer an. In Jims Zimmer nahm er Platz und ließ, von einem Boy Whisky bringen. »Neerland ist hinter dir her«, sagte er unvermittelt, als sie sich noch einmal zugetrunken hatten. Jim stellte das Glas auf den Tisch und trat ans Fenster. »Well, er ist hinter mir her. Ich habe ihm das Mädchen weggenommen. Ich liebe sie, seit ich sie zum erstenmal gesehen habe. Doch als ich sah, wie gemein er zu ihr war, wußte ich, was ich zu tun hatte.« Gallegos trank sein Glas leer und stand auf. »Ein Mann wie du braucht Neerland nicht zu fürchten.« »Ich habe ihm das Mädchen weggenommen«, erwiderte Jim. »Da möchte ich ihn nicht auch noch töten müssen. Aber du kannst beruhigt sein, wir verschwinden, bevor er hier auftaucht.« »Das mußt du nicht, Jim!«, Jim drehte sich um. »Danke, Jett. Aber wir werden trotzdem nicht lange bleiben.« Gallegos kam auf ihn zu. »Willst du wirklich das verdammte Reiten aufgeben? Ich meine, ist es dein fester Entschluß?«
Jim nickte. »loh muß es jetzt.« Gallegos lächelte. »Ja, dieses Mädchen wäre es wert, daß ein Kerl wie du endlich vernünftig wird.« »Ich bin restlos entschlossen.« »Ich habe viel an dich gedacht, Jim«, erklärte Gallegos. »Gerade in den letzten Monaten. Willst du nicht bei mir bleiben? Mit Neerland werden wir schon fertig. Ich habe über drei Dutzend Reiter, die für mich mit einem Eimer Wasser die Hölle angreifen würden. Aber so möchte ich mit Neerland natürlich nicht umgehen. Hier ist genug Platz, wo ihr euch verbergen könnt, sobald er auftaucht. Ich würde ihm schon klarmachen, daß du nie hiergewesen bist. Das ist keine Schwierigkeit. Ich schlage dir ein Geschäft vor, Jim. Als ich hierherkam, habe ich die große Chance gehabt, eine Ranch zu erben. An einen Burschen wie dich würde ich gern ein bißchen von diesem Glück weitergeben. Leute wie du verdienen das einfach. Ich bin schon lange darauf aus, eine Frachtwagenlinie aufzumachen. Was dazu nötig ist, habe ich. Geld spielt keine Rolle. Mir fehlt nur der Mann, der das alles leitet. Ein Mann, der hart genug ist, der sich auskennt, der weiß, wie man mit Leuten umgeht und mit Schwierigkeiten fertig wird. Ein Mann, der Indianer sowenig scheut wie gemeine und verbrecherische Konkurrenten, verstehst du? Wir würden gemeinsam eine neue Gesellschaft gründen. Fünfzig zu fünfzig. Ich gebe das Geld, und du schmeißt den Laden. Das ist doch eine Chance. Du könntest dein Mädchen heiraten. Ich besorge dir in Farley ein Haus, wo ihr leben könnt. Der Junge kann dir helfen. Dann weiß er auch, wo er hingehört. – Du mußt mir jetzt nicht antworten, Jim. Sprich erst mit deinem Mädchen und ihrem Bruder über die Sache. Doch vergiß dabei nicht, daß Texas verdammt weit ist und eine eigene Ranch und eine Mustangherde noch viel weiter. Hier würdest du der Boß einer Wagenlinie sein. Natürlich nicht von heute auf morgen. Glaube
auch nicht, daß dir etwas in den Schoß fallen wird. Du wirst hart arbeiten müssen. Am Ende aber wirst du mächtig stolz auf dich sein, stolz auf dich selbst. Das ist es doch, was ein Mann wirklich braucht im Leben. Deine Mustangs kannst du dann immer noch haben. Vergiß deinen Traum von der Herde eine Weile!« Jim schaute zum Fenster hinaus, ohne daß er draußen wirklich etwas sah. »Vergiß Neerland!« forderte Jett Gallegos. Jim schüttelte den Kopf. »Dein Angebot ist verdammt großzügig, Jett. Schon deshalb kann ich es nicht annehmen.« »Du täuschst dich, Jim! Keine Spur von Großzügigkeit. Ich gebe nur das Geld. Alles andere ist deine Sache. Du weißt doch, was das bedeutet. Du bist doch in diesem Geschäft gewesen.« Jim drehte sich um und sah Gallegos in die Augen. »Bevor ich etwas beginnen kann, muß ich Neerland von der Fährte haben. Nancy und ich würden sonst keine Ruhe finden.« »Zum Teufel, Jim!« schimpfte Gallegos gereizt. »Ich habe dir doch erklärt, wie wir es machen können.« »So leicht läßt sich Neerland nicht hereinlegen.« Gallegos lachte. »Zu mir hat Neerland immer Vertrauen gehabt. – Ich schicke ein paar Männer los, die uns informieren, sobald er auftaucht. Dann reitet ihr drei für einige Zeit in den Palo-Blanco-Canyon. Dort findet euch kein Mensch. Ich werde Neerland einladen hierzubleiben, solange er mag. Damit beseitige ich jeden Zweifel in ihm. Ich wette, er bleibt nicht länger als zwei Tage. Ich kenne sein Sitzfleisch. Er hat gar keines.« Jim starrte vor sich hin. Es war nie seine Art gewesen, sich vor einem Feind zu verstecken. Doch Nancy zuliebe war er vor Neerland auf der Flucht. Da konnte er sich getrost auch verbergen. Gallegos boxte ihn vor die Brust. »Ich lasse dich jetzt allein.
Sag mir morgen früh Bescheid. Aber denke gründlich darüber nach! Es wäre Wahnsinn, eine solche Chance auszuschlagen. Neerland wird dich bestimmt unten in Texas suchen, wenn ich ihn fortgeschickt habe. Wir sehen ihn sicher nie wieder.« Gallegos schlug Jim auf die Schulter und verließ den Raum. Jim kehrte zum Fenster zurück und schaute gedankenverloren hinaus. *** Frank, Elliot und Chris saßen in dem kleinen Saloon in Farley am Tisch, tranken Whisky und spielten Karten, ohne daß sie das Spiel sonderlich interessierte. Immer wieder schauten sie zum Fenster hinaus über die Straße, wo ein großes Schild verkündete, daß sich in diesem Haus ein Büro von Jett Gallegos’ Rinder- und Landhandelsgesellschaft befand. Sie hatten den ganzen Vormittag über mit Neerland gewartet. Dann war Gallegos endlich aufgetaucht, und Neerland war hinübergegangen. Seit gut zwei Stunden hockte nun also Neerland da drüben, und die gespannte Erwartung seiner drei Gefährten wuchs von Minute zu Minute. Frank verlor zuerst die Lust an diesem Spiel, das sie ohnehin ohne Einsatz spielten, da keiner von ihnen mehr einen Cent besaß. Mißmutig warf er die Karten auf den Tisch. Sein Blatt war nicht schlecht. Doch er konnte sich einfach nicht mehr konzentrieren. »Wir hätten zu Gallegos’ Ranch hinausreiten sollen!« schimpfte er verdrossen. »Hätten wir Wheelock dort angetroffen, wäre es eben gleich losgegangen. Ich für meinen Teil warte ohnehin schon seit Greeley darauf.« »Neerland scheint sich eben nicht sicher zu sein, auf wessen Seite Gallegos steht«, meinte Elliot. »Das ist doch der beste Beweis.«
»Wenn ihr einen müden alten Mann nach seiner Meinung fragt, so würde ich sagen, daß Gallegos ein ziemlich reicher Bursche ist und wir ihn ein bißchen melken sollten. Ob Wheelock nun da ist oder nicht.« »Das wird Neerland nie zulassen«, sagte Frank entschieden. »Er hält viel zu große Stücke auf Gallegos.« »Dann bin ich dafür, daß wir Wheelock endlich vergessen«, grollte Chris. »Dieses Leben gefällt mir sowieso nicht. Bei jedem müden Schritt, den ich mache, höre ich meine Taschen jammern, weil sie schon die halbe Ewigkeit keinen Geldschein mehr gesehen haben.« »Nur Geduld!« warf Elliot ein. »Wahrscheinlich sitzt Wheelock mit Nancy und Mark auf der Ranch von Gallegos. Neerland wird sich mit Gallegos schon einig werden. Vielleicht ist heute abend alles vorbei mit Wheelock. Dann werden deine leeren Taschen die längste Zeit gejammert haben.« Frank schaute wieder gespannt zum Fenster hinaus. Da sah er Neerland mit einem großen und vornehm gekleideten Mann aus dem Haus da drüben treten. »Da sind sie!« krächzte er. Sie sahen, wie Gallegos sich von Neerland verabschiedete, einen grünlackierten Zweispänner bestieg und davonfuhr. Neerland wartete drüben, bis sich der von den Pferden und Rädern aufgewirbelte Staub verzogen hatte. Dann überquerte er die Straße. Mißmutig kam er dann in den Saloon. Er setzte sich, schob sich den Stetson aus dem Nacken und goß sich aus der Flasche ein, die er zuvor bestellt hatte. Frank stützte die Ellenbogen auf den Tisch und neigte sich weit vor. »Zum Henker, jetzt erkläre uns bloß, daß wir diesen ganzen verdammten Ritt von El Prado herauf umsonst gemacht haben!« Neerland setzte das Glas hart auf. »Ja, genau das will ich euch sagen. Gallegos hat Jim Wheelock schon eine Ewigkeit
nicht mehr gesehen.« »Du hättest verlangen müssen, daß wir ihn auf seiner Ranch besuchen!« zischte Frank wütend. »Das war gar nicht nötig«, erwiderte Neerland verbittert. »Er hat uns eingeladen, zu ihm hinauszukommen und zu bleiben, bis es uns juckt, wieder in die Sättel zu steigen.« »Worauf warten wir dann?« fragte Chris grinsend und zog sich den Stetson in die Stirn. »Gegen ein paar Tage feines Leben wird doch keiner etwas haben, oder?« Neerland wandte sich ihm zu. In seinen dunklen tiefliegenden Augen lohte ein wildes, wütendes Feuer. »Hör mal zu, du müder alter Mann mit dem Verstand eines Hammels. Seit Greeley sind wir hinter Wheelock her und nicht hinter ein paar feinen Tagen!« »Das habe ich nicht vergessen«, erwiderte Chris ziemlich aufsässig. »Aber Wheelock ist weg. Wir haben ihn vor El Prado verpaßt und sind seitdem verkehrt geritten. Das mußt du doch zugeben. Wheelock wird längst weit hinter Santa Fe sein. Vielleicht folgt er bereits dem Pecos-River und ist zum Pfannenstiel hin abgebogen. Willst du die Stecknadel im Heuhaufen wirklich suchen?« Neerland knallte die Faust auf den Tisch. »Ja, das will ich!« fuhr er Chris zornig an. »Und ich hoffe, du einfältiger Narr hast das inzwischen begriffen.« Einen Augenblick war es still zwischen ihnen. Dann lächelte Elliot. »Chris hat vorhin gemeint, daß seine Taschen schon lange leer sind. Ich bin da ganz seiner Meinung. Verstehe das nicht falsch, Neerland. Wir alle sind scharf auf Wheelock. Ich möchte ihn lieber heute als morgen tot sehen. Aber wir haben doch Zeit. Könnten wir nicht zwischendurch wieder mal für das Leibliche sorgen.« »Keiner von euch hungert!« knurrte Neerland. »Da ist zu trinken! – Schüttet es in euch hinein. Es gibt noch mehr.« Er griff in die Tasche und holte ein Bündel grüne
Zwanzigdollarscheine hervor. »Da ist Geld. Betrinkt euch. Aber dann reiten wir weiter. Wir reiten direkt nach Süden, und dabei werden wir Wheelock den Weg abschneiden.« Die Männer schauten überrascht auf das Geld. »Von Gallegos?« fragte Frank mißtrauisch. Neerlands Kopf zuckte herum. »Well, von Gallegos. Was stört dich daran?« Frank sah auf. Seine Augen wurden klein und schmal. »Hör zu, ehe du ein falsches Wort sagst«, bremste ihn Neerland. »Gallegos ist über jeden Zweifel erhaben. Er hat mir geschworen, daß er Wheelock seit damals nicht mehr gesehen hat. Gallegos ist immer mein Vertrauter gewesen. Ich glaube ihm.« »Aber wenn er doch gelogen hat«, sagte Elliot für Frank. Einen Augenblick sah es danach aus, als würde Neerland explodieren. Doch wie so oft schlug seine Laune im letzten Augenblick um. Ein scharfes, kaltes Lächeln stand plötzlich auf seinem Gesicht. »Ich will dir sagen, was ist, wenn er mich belogen haben sollte«, brummte Neerland. »Und ich sage es dir nur, damit du es dir merkst. – Man kann mich belügen, Elliot! Aber nur ein einzigesmal. Nur ein winziges einzigesmal, verstehst du? Wer mein Vertrauen besitzt und mich belügt, der ist mit dem ersten Wort der Lüge schon ein toter Mann. Nun weißt du Bescheid, Elliot! Jett Gallegos brauchte ich das nicht zu sagen. Gallegos kennt mich genau, und er weiß, wie ich auf so etwas reagiere. Deshalb hat er auch die Wahrheit gesagt. Nun Schluß. Betrinkt euch meinetwegen. Doch wir reiten morgen in aller Herrgottsfrühe weiter, ohne Rücksicht auf den Brummschädel, den der eine ohne andere von euch haben mag.« »Kauf aber erst etwas zu essen von dem Geld«, verlangte Frank. »Das habe ich längst vorgehabt!« wies Neerland ihn zurecht.
Er winkte dem Clerk und bestellte eine großartige Mahlzeit. Sie aßen und tranken sich rundherum satt. Spät in der Nacht quartierten sie sich im Hotel ein. Neerland bezahlte die Zimmer von dem Geld, daß er von seinem alten Gefährten Gallegos geschenkt bekommen hatte. Am anderen Morgen ritten sie in aller Herrgottsfrühe aus der Stadt. Frank und Elliot hatten einen fürchterlichen Brummschädel. Auch Neerland fühlte sich noch nicht ganz intakt. Nur Chris war richtig auf dem Posten, ihm schien der Whisky nicht das geringste anzuhaben. Sie ritten zum Ute-Creek und folgten seinem Lauf nach Süden. Ihr Ziel war die alte Armeestraße, die von Fort Bascom über das Casrock-Plateau nach Roswell führte. Auf diesem Weg hofften sie, irgendwo etwas über Wheelock in Erfahrung zu bringen. Es war Neerlands feste Überzeugung, daß ein Mann wie Wheelock, der mit einem Jungen und einem Mädchen durch das Land streifte, hier und dort auffallen mußte. Sie waren etwa drei Stunden unterwegs, als plötzlich vor ihnen ein einsamer Reiter an ihrem Ufer den Creek her auf geritten kam. Er ritt ziemlich schnell und sah sich oft um. Frank brachte sein Pferd mit einem starken Ruck zum Stehen. »Zum Henker, nein!« krächzte er und hielt sich den Kopf. »Das ist doch Mark! Mark Chesney. Wie ist denn das möglich? Soviel kann ich doch gestern gar nicht getrunken haben.« Die anderen hielten ebenfalls an und spähten angestrengt aus schmalen Augen südwärts. Der Reiter war für einen Augenblick hinter einem Espenwald verschwunden. Doch da tauchte er schon wieder auf. »Auf jeden Fall ist es Mark Chesneys Pferd«, sagte Chris mit Bestimmtheit. Neerlands Gesicht wurde grau und hart. Der Reiter ritt jetzt
hinter einer langen Hecke Mesquitesträuchern entlang. Da der Creek einen sanften Bogen beschrieb, konnten sie den Reiter nicht sehen. – Aber er sah sie auch nicht. Neerland trieb seinen Braunen wortlos unter eine Baumgruppe, deren Stämme und tiefe Zweige genug Schutz boten. Frank, Elliot und Chris folgten ihm und drehten die Pferde unter dem schützenden Blätterdach wieder zum Creek in Front. »Da muß doch etwas passiert sein«, sagte Elliot und sah Neerland fragend an. Doch Neerland gab keinen Ton von sich. Die Hand auf dem Revolver, das Gesicht grau und verschlossen vor aufwallendem Zorn, starrte er auf den Fleck, wo der Reiter jeden Augenblick zum Vorschein kommen mußte. Frank grinste dünn. »Ich weiß, was passiert ist, Elliot«, sagte er und warf Neerland einen vorsichtigen Blick zu. »Der gute alte Jett Gallegos hat gelogen.« Der Hufschlag wurde lauter. Dann tauchte der Reiter wieder auf. Er war ihnen nun so nahe gekommen, daß sie alle vier Mark Chesney deutlich erkennen konnten. Frank, Elliot und Chris zogen die Revolver und schauten von dem Jungen zu Neerland und wieder zurück. Doch Neerland gab ihnen kein Zeichen. Er wartete, bis der Junge genau in ihrer Höhe war, dann trieb er seinen Braunen vorwärts. Mark flog erschrocken herum und stoppte. Zunächst schien er grenzenlos überrascht zu sein. Doch dann lächelte er und hielt sein Pferd an. »Hallo, Neerland!« krächzte er. »Ich hatte es schon aufgegeben, euch noch zu finden.« »Da hast du dich wohl mächtig angestrengt, wie?« fragte Frank grinsend, als sie in einer Reihe vor dem Jungen hielten. »Das kannst du mir glauben!« beteuerte Mark. »Ich wollte schon in Greeley... Aber Jim, dieser wütende Wolf... Ich hatte keine Chance.«
»Und deine Schwester wohl auch nicht, wie?« feixte Chris. »Die hat wohl auch nicht die geringste Chance gegen Wheelock gehabt, was?« Der Junge verlor seine Sicherheit. Erschrocken und ein wenig ängstlich schaute er schnell von einem zum anderen. Dann zuckte sein Blick zu Neerland zurück, der noch nicht ein Wort verloren hatte. »Aber du wirst mir doch glauben, Neerland?« fragte er heiser. »Als ich von Gallegos hörte, daß ihr da seid, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Ich wußte, daß ihr nach Süden reiten würdet. Ich bin mitten in der Nacht los, um euch einzuholen. Ich bin schon fast an der Dry Ice Fields gewesen. Da kam mir der Gedanke, daß ihr vielleicht doch einen anderen Weg... Aber Neerland, das glaubst du mir doch?« »Wo stecken sie?« fragte Neerland und seine Stimme rasselte förmlich dabei. Seine Augen waren klein und schwarz vor Haß. »Wir haben auf Gallegos’ Ranch gelebt, bis ihr gekommen seid«, antwortete Mark schnell und voll ängstlichem Eifer. »Dann hat uns Gallegos in den Palo-Blanco-Canyon gebracht. Jim und Nancy sind noch dort. Sie hausen in einem Vorwerk der Ranch. Gallegos’ Reiter versorgen sie. Jim hat sich ein paar Wildpferde zum Zureiten bringen lassen, damit er die Zeit in dem verdammten Canyon herumkriegt. Mich hat es natürlich dort nicht gehalten. Ich bin sofort auf und davon. Das war doch klar für mich, Neerland.« »So, das war klar für dich?« fragte Neerland kalt. Mark schluckte und schaute wieder von einem zum anderen, schnell und mit wachsender Furcht. »Sag ihnen, daß sie ihre Revolver wegstecken sollen, Neerland!« krächzte er. »Jetzt ist doch wieder alles klar zwischen uns.« »Wir werden uns hier ein paar Tage verstecken, bis Gallegos glaubt, wir sind wirklich verschwunden«, sagte
Neerland langsam. »Dann greifen wir uns die Burschen. Einen nach dem anderen. Auch Nancy. Mit Gallegos fangen wir an.« »Aber Neerland!« rief Mark erschrocken. »Mit dir und Nancy kann es doch wieder so werden wie früher.« »Elliot, reite jetzt in die Stadt und sage dem Sheriff, daß wir hier einen toten Reiter gefunden haben. Wir treffen uns dann an der Straße nach Clayton«, sagte Neerland gefühllos. Mark wurde bleich. Seine Augen traten aus den Höhlen. »Aber Neerland! Das kannst du doch nicht machen!« schrie er und streckte die Arme abwehrend aus. »Reite schon los, Elliot!« sagte Neerland eisig. »Jetzt sieht er eigentlich gar nicht mehr wie ein wilder Junge aus«, lachte Elliot bissig. »Man sieht ihm nur noch den Verräter an.« »Ich bin kein Verräter!« schrie Mark außer sich. »Jim hat mich zu allem gezwungen. Das müßt ihr mir glauben.« Elliot drehte sein Pferd und trabte davon. Marks Mund öffnete und schloß sich wieder. Panische Furcht flackerte in seinen Augen. Er schien zu begreifen, daß er von seinen ehemaligen Gefährten keine Gnade zu erwarten hatte. »Nicht – nicht so, Neerland!« sagte er. »Ihr müßt mir doch wenigstens eine Chance lassen.« »Wegen dir Verräter hätte man in Greeley Chris und mich beinahe erwischt«, sagte Frank mitleidlos. »Und den ganzen Ritt bis El Prado hinunter ist der Marshal hinter uns her gewesen. Du meinst, das können wir so einfach vergessen?« »Daran ist Jim Wheelock schuld!« schnaufte Mark, der auf einmal naß von Schweiß war. »Verdammter Mustang-Jäger!« »Zieh deine Revolver!« forderte Neerland. »Das ist die einzige Chance, die wir dir geben.« Mark dachte nicht einen Augenblick daran, daß ein Toter mit Revolvern in den Fäusten für das Gesetz kein Ermordeter war, sondern ein im Kampf überwältigter Mann. Nach
Neerlands Aufforderung griff er blitzschnell zu den Waffen und riß sie heraus. Doch gegen Neerlands Wölfe hatte er nicht die geringste Chance. Frank und Chris warteten genauso lange, bis der Junge die Colts in den Fäusten hielt. Dann schossen sie ohne Erbarmen. Ihre Geschosse fegten Mark förmlich aus dem Sattel. Das Pferd machte einen erschrockenen Sprung zur Seite. Dann stand es wieder ruhig. Frank und Chris halfterten die Waffen und blickten Neerland an, der bleich und schweigend auf den toten Jungen starrte. Als der Pulverqualm über das Wasser hinwegtrieb, brachte Neerland sein Pferd in Gang. Er ritt an dem toten Mark Chesney vorbei und trieb den Braunen in den Creek. Einsam verhallte der Hufschlag der drei Banditen jenseits des Creeks zwischen den sanft gewellten, kahlen Hügelrücken. *** Gallegos zeichnete mit einem Stück Holz einen Kreis in den Sand und deutete auf der Linie ein paar Punkte an. »Es ist die beste Frachtlinie, die es geben kann«, erklärte er Jim, der neben ihm hockte und aufmerksam zuhörte. »Farley, Clayton, Raton, Cimarron, Springer und wieder Farley. Keinen Rückweg, der, wenn er leer gefahren werden muß, die Frachtkosten in schwindelnde Höhen treiben kann. Im Laufe der Zeit kann dieser Kreis größer werden oder können andere Kreise hinzukommen. Es ist einfach ein Geschäft, das gehen muß. Die Straßen sind gut, nur hier im Westen nicht ganz sicher. Aber wir werden sie sicher machen, Jim, so sicher, daß sich der Name unserer Frachtgesellschaft für alle Zeiten in die Geschichte dieses Countys schreiben wird. Das wird noch für unsere Enkel die beste Reklame sein.« Die beiden Männer lachten und sahen sich an.
»Ja, das ist gut durchdacht«, gestand Jim. »Wirklich! Es ist eine einzigartige Linie. Selbst wenn ein Mann Fracht von Clayton nach Farley schickt und diese Fracht den ganzen Kreis ausgefahren werden muß, wird die Fracht nicht länger als vierundzwanzig Stunden unterwegs sein.« »Eben«, sagte Gallegos. »Vorausgesetzt, daß die Pferde oft genug gewechselt werden können.« Sie richteten sich beide aus der gebückten Haltung auf. Gallegos warf das Holzstück mit einer zufriedenen Gebärde zur Seite. »In Clayton habe ich einen alten Wagenhof gemietet. In Raton gehört mir ein Hotel, in dessen Hof genug Platz ist. Du weißt, was zu tun ist. Zunächst habe ich sechs Männer abgestellt, die dir zur Hand gehen werden. In vierzehn Tagen werden die Frachtwagen aus Santa Fe kommen. Ich habe ein Dutzend Murphys bestellt. Ich hoffe, daß sie nicht reichen werden.« Jim war von Gallegos’ Plänen beeindruckt. »All right«, sagte Jim. »Ich werde mich sofort um die Stützpunkte und Wechselstationen kümmern.« »Nicht so hastig, Freund!« lächelte Gallegos. »Neerland hat heute morgen die Stadt verlassen. Es ist also genauso gekommen, wie ich es dir prophezeit habe. Trotzdem solltest du mit deinem Mädchen und dem Jungen noch ein paar Tage hier draußen bleiben. Reite mir die Pferde zu, prächtige Herde, nicht wahr? Das ist auch eine Sache, die mir am Herzen liegt. Sollte ich mal sterben, vermache ich dir die Mustangs. Sind zwar noch nicht viele, aber...« Jim rieb sich die Seite. »Ja, die Biester wirbeln einen ganz schön herum. Aber ich tauge noch dazu. Keine Angst.« Sie gingen zu den Pferden zurück, die sie an eine junge Birke angeleint hatten. Gallegos schaute in den Canyon hinunter. Nancy war aus dem Haus gekommen und winkte mit einem Tuch. »Da, schau!« lächelte er. »Sie hat das Essen fertig. – Ihr
solltet wirklich bald heiraten. Es ist doch ein schönes Leben mit so einer Frau, oder?« »Du sagst es, Jett«, erwiderte Jim, streckte den Arm aus und gab Nancy ein Zeichen. Gallegos schwang sich in den Sattel. »Laß sie nicht warten! Grüß sie von mir. – Bis in zwei, drei Tagen! Ich schicke dir einen Mann heraus, sobald ich restlos überzeugt bin, daß Neerland aus dieser Gegend verschwunden ist. Eigentlich schade, das alles. Ich habe Neerland ganz gern wiedergesehen. Aber wie das Schicksal spielt. Irgendwann wird auch er zur Ruhe kommen.« »Neerland nicht!« versetzte Jim. »Ich habe mich oft mit ihm darüber unterhalten und ihm viele Vorschläge gemacht. Er ist ein Wolf, und Wölfe sterben im Sattel. Jedenfalls ist das seine Ansicht.« Gallegos drückte seinem Falben die Hacken gegen die staubigen Flanken und galoppierte davon. Jim ritt langsam den steilen Hang hinunter. Als er die Canyonsohle erreicht hatte, war Nancy heran. Ihr Gesicht war gerötet. Ihre Haut glänzte von Schweiß. Die großen erschreckten Augen veranlaßten ihn, das Pferd anzuhalten und abzusteigen. »Um Himmels willen!« murmelte Jim und fing Nancy auf, die direkt vor ihm über einen Stein stolperte. »Warum läufst du so? Was ist passiert?« Nancy holte tief Atem und schluckte einigemal. »Mark ist fort!« stieß sie dann keuchend hervor. »Wieso ist er weg? Was heißt das?« »Ich weiß nicht, was es heißt. Jedenfalls ist er nicht mehr da. Er muß...« »Ja was, zum Teufel?« rief Jim und schüttelte sie. »Er muß schon heute nacht weggeritten sein, ohne daß wir etwas bemerkt haben.« Jim war mit einem Satz wieder im Sattel, galoppierte zum
Haus, sprang dort wieder vom Pferd und stürzte in Marks Kammer. Sattel, Packen, die Satteltaschen, das Gewehr und der Beutel mit den Essenschüsseln und der Kaffeekanne waren weg. Jim wußte sofort, was das zu bedeuten hatte. Trotzdem wollte er das alles nicht richtig glauben. Nancy war schließlich Marks Schwester, und Mark mußte wissen, was auf Nancy zukam, wenn er sie an Neerland verriet. Er machte auf dem Absatz kehrt und stürzte in den Korral hinaus. Marks Pferd war nicht mehr da. Irgendwie erschüttert, aber auch wütend über den Entschluß des Jungen, stützte Jim die Hände auf einen Torbalken und starrte vor sich hin. Nancys Schatten fiel nach einer Weile neben ihm in den Korral hinein. Jim drehte sich um und ließ die Arme kraftlos fallen. »Komm und pack zusammen«, sagte er. »Ich sattele dein Pferd. Wir müssen sofort zu Gallegos und ihn warnen.« Nancy starrte ihn erschrocken an. Plötzlich traten ihr Tränen in die Augen. »Aber du glaubst doch nicht, daß...« »Mark hat oft genug gesagt, daß er es eines Tages tun würde«, erklärte Jim schroff. »Neerland ist uns nie so nahe gewesen wie jetzt. Zum Henker, daß ich nicht im Canyon geblieben bin!« »Wir müssen Mark zurückholen«, meinte Nancy. Jim lächelte müde. »Dazu ist es zu spät, Nancy. Sein Vorsprung ist viel zu groß.« »Um Gottes willen!« schluchzte Nancy. »Neerland wird ihn umbringen. Du kennst doch diesen Lumpen.« »Vielleicht ja – und vielleicht nein«, erwiderte Jim und nahm das Mädchen an die Hand. »Komm, wir dürfen jetzt keine Minute mehr verlieren.« Nicht daß Nancy es nicht glauben konnte, sie wollte es nicht wahrhaben. »Aber Jim! Vielleicht ist Mark nur in den Wald
hinaufgeritten, um zu jagen.« Jim schob sie auf das Haus zu. Dann warf er die Torstangen herunter und holte Nancys Rappstute heraus. Als er die Torstangen auflegte und das Pferd sattelte, sah er sich fortgesetzt spähend um. Er war sich darüber im klaren, daß Mark nur eine Chance hatte, von Neerland wieder aufgenommen zu werden, indem Mark an Neerland verriet, daß er und Nancy in diesem Canyon wohnten. Und Neerland war ein Mann, der stets sehr schnell zu handeln pflegte. Doch nicht nur er und Nancy waren in Gefahr, auch Gallegos. Jim war zu lange mit Neerland beisammen gewesen, um nicht zu wissen, wie er reagierte, wenn er hereingelegt worden war. Er führte die Rappstute vor das Haus, schnallte Nancys Packen hinter die Lehne, hob das Mädchen hinauf und ritt dann mit ihr im Galopp aus dem Canyon. Zwei Stunden später erreichten sie Gallegos’ Ranch. Jett Gallegos war gerade angekommen. Einer der Cowboys führte den schweißnassen Falben über den Hof. Jett Gallegos selbst stand noch oben auf der Veranda. Er war ziemlich überrascht, als er in den beiden Reitern, die so ungestüm in den Hof geritten kamen, Jim Wheelock und Nancy Chesney erkannte. Nancy schämte sich für ihren Bruder und wartete deshalb unten neben den Pferden, während Jim die Treppe emporstieg und dann Jett Gallegos berichtete, was vorgefallen war, und ihm klarmachte, was das auch für ihn zu bedeuten hatte. »Der Junge ist ein verdammter Narr«, sagte Jett Gallegos. Nicht eine Spur von Vorwurf oder Ärger war in seiner Stimme. »Ja«, seufzte Jim. »Aber jetzt hast du Neerland auf dem Hals, und nur, weil du für mich gewesen bist. Das macht mir Sorgen, Jett.« Gallegos lachte hart. »Nicht ich habe Neerland auf dem Hals. Er wird uns auf dem Hals haben. Ich halte hier eine harte Garde im Sattel, und mit diesen Jungen wird auch Neerland nicht fertig. Außerdem würde ich Neerland jederzeit auch
allein gegenübertreten. Vor ihm habe ich nie Angst gehabt. Du kennst mich doch.« »Ich möchte jetzt mit Nancy auf der Stelle wegreiten«, sagte Jim wütend. »Aber Neerland wird dich bestimmt besuchen kommen. Also muß ich bleiben, obwohl ich es dadurch viel schlimmer mache.« »Du bist glatt verrückt geworden!« knurrte Gallegos. »Du bleibst mit deinem Mädchen hier auf der Ranch. Aber nicht aus diesem oder jenem Grund, sondern einfach, weil ich das will. Was selbstverständlich nicht heißt, daß wir wie hypnotisierte Kaninchen hier sitzen bleiben und zitternd auf Neerland warten werden. Ich lasse sofort frische Pferde satteln, dann reiten wir beide mit ein paar Männern in die Stadt. Vielleicht erfahren wir dort etwas. Nancy soll heraufkommen. Sie braucht hier keine Furcht zu haben. Ich lasse sofort alle Arbeit ruhen und befehle jeden Mann auf die Ranch. Neerland wird hier nicht einmal eine Stecknadel herausholen können, ohne wie ein Sieb durchlöchert zu werden. Komm, erledigen wir alles!« Sie begaben sich hinunter in den Hof. Gallegos rief ein paar Männer zusammen und gab seine Befehle. Kurz darauf ritten nach allen Seiten Boten davon. Eine Stunde später befanden sich über zwanzig Cowboys auf der Ranch. Gallegos wählte sechs Mann aus, mit denen er und Jim Wheelock zur Stadt ritten. Nancy blieb nicht gern zurück. Aber sie fügte sich. Furcht brauchte sie nicht zu haben, Über ein Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer hielten sich auf Gallegos Befehl hin im Haus und auf der Veranda auf. Als Jim Wheelock und Gallegos die Stadt erreichten, wurde Mark Chesney gerade auf einem Maultierkarren in die Stadt gebracht. Keine Seele in Farley wußte, wer der Tote war. Der Sheriff ließ den Karren vor seinem Office stehen und holte ein paar Bürger herbei, in der Hoffnung, der eine oder andere würde den toten Jungen in der Gegend gesehen haben. Jim und Gallegos ritten zum Office, um zu sehen, warum
sich die Menge dort versammelt hatte. Als sie Mark auf dem Wagen erkannten, stiegen sie sofort aus den Sätteln und bahnten sich einen Weg durch die neugierige Menge. »Wo haben Sie den Jungen gefunden?« fragte Gallegos den Sheriff. »Am Ute-Creek, direkt am Wasser«, antwortete der Sheriff. »Keine sieben Meilen von der Stadt entfernt. Ein Fremder hat ihn entdeckt. Einer von den Burschen, die gestern hier ankamen und im Hotel übernachteten. Kennen Sie den Jungen, Mr. Gallegos?« Gallegos und Jim nahmen die Hüte ab. »Ja, das ist Mark Chesney«, sagte Gallegos. »Ich habe ihn vor acht Tagen eingestellt. Dieser Mann hier, Jim Wheelock, ist mit ihm in die Stadt gekommen. Die Schwester des Toten lebt ebenfalls auf meiner Ranch. Ich werde sie sofort kommen lassen.« Er ging zu seinen Männern und befahl einem, Nancy Chesney in die Stadt zu bringen unter schärfster Bedeckung. Als er sich umwandte, stand Jim hinter ihm. »Ob Neerland den Jungen zu Wort kommen ließ?« fragte Gallegos. Jim zuckte die Schultern. »Wir müssen auf jeden Fall damit rechnen.« Gallegos schaute zum Karren. »Es sieht aus, als habe ihn Neerland blindwütig über den Haufen geknallt. Aber wie es auch ist, ich werde meine Männer losschicken. Sollte Neerland in der Gegend sein, so finden sie ihn auch, und ich denke, daß wir es dann sind, die ihn besuchen werden.« »Das ist die Sache des Sheriffs, Jett«, sagte Jim entschieden. »Lassen wir es auf uns zukommen«, erwiderte Gallegos ausweichend. »Wenn wir ihn haben, werden wir ihn vertreiben. Mir stehen für so etwas fast dreißig Mann zur Verfügung.« Jim sah Gallegos verstohlen an. Jett Gallegos war ein anderer geworden. Er hatte sich in jeder Beziehung geändert
und schien auch völlig vergessen zu haben, wie gefährlich Neerland war. Neerland war schließlich ein Mann, der selbst in seinem blindwütigen Haß noch eiskalt überlegen und handeln konnte. Daran schien Gallegos sich überhaupt nicht mehr zu erinnern. *** Frank und Chris spielten Poker, seit Stunden schon. Neerland lag lang ausgestreckt auf der halbzerfallenen Pritsche, die das einzige Möbelstück darstellte, das sie in der verlassenen Hütte vorgefunden hatten. Sie hörten den dumpfen, wirbelnden Hufschlag gleichzeitig, der vom Grund der engen Schlucht heraufklang. Doch nur Frank und Chris hoben die Köpfe und lauschten angespannt. Frank warf die Karten auf die Kiste, die ihnen als Spieltisch diente, und stand auf. »Das ist Elliot«, sagte er und ging zur Tür. »Wer soll das sonst wohl sein«, brummte Neerland. Frank spähte eine Weile hinaus, während das Hufgetrappel immer deutlicher in die Hütte drang. Dann drehte Frank den Kopf und verzog unwillig den Mund. »Ja, es ist Elliot, und wie er angeritten kommt, müde und schlecht gelaunt. Es scheint auch heute nichts Neues zu geben.« Chris mischte die Karten und warf einen kurzen Blick auf Neerland. »Alle Wege zu Gallegos’ Ranch sind nach wie vor streng bewacht. Schwerbewaffnete Männer in allen Ecken und Winkeln, so daß einer von uns auf der Ranch nicht einmal Luft holen könnte, ohne Unzen von Blei zu schlucken. Ich schätze, das wird noch mitten im Winter so sein. Wir warten schon seit vierzehn Tagen auf eine Chance!« »Halt den Rand, du Sumpfbiber!« grollte Neerland, ohne dabei die Augen zu öffnen. »Einmal wird Gallegos aufgeben. Er kann seine Mannschaft nicht ewig so tatenlos herumsitzen
lassen. Jeden Morgen wird Gallegos daran denken, daß sich seine Herden mehr und mehr zerstreuen. Eines Tages wird es ihm leid tun. Und das ist unser Tag! Der erste, den wir uns vornehmen, wird Gallegos sein, dieser feige und hinterhältige Lügner.« »Als ich noch ein kleiner Junge war, hat mich meine Mutter zu lehren versucht, daß man vom Lügen eine schwarze Nase bekommt«, sagte Chris. »Ich wußte schon damals, daß das nicht stimmt. Gallegos hat gelogen, doch schwarz werden wir. Von dem verdammten Warten, meine ich.« Frank grinste und blickte Neerland an. Neerlands Gesicht wurde noch eine Spur bleicher. Die Haut spannte sich über den Wangenknochen. »Halt deinen Mund, Chris«, sagte er ruhig und langsam, »oder ich bringe dich um!« Chris wandte sich augenblicklich den Karten zu und mischte emsig. Frank spie angewidert aus. Dieses eintönige Warten gefiel auch ihm nicht, schon lange nicht. Elliot stoppte vor der Hütte und sprang aus dem Sattel. Er ließ sein Pferd stehen und trat über die Schwelle. »Es ist soweit, Gentlemen!« rief er. »Gallegos’ Zähigkeit ist zum Teufel. Vor drei Stunden hat er den Befehl gegeben, daß sich jeder wieder seiner Arbeit zuzuwenden habe. Keine Wachen mehr, keine Verrückten, die umherreiten und uns suchen! Nichts, gar nichts mehr.« »Wo stechen Wheelock und Nancy?« krächzte Neerland. In seinen schwarzen Augen flackerte es gelb. Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Auf der Ranch«, antwortete Elliot. Neerland schluckte. »Jetzt sind wir am Ziel!« sagte er. »Jetzt sind wir endlich am Ziel. Aber wir werden nicht durchdrehen, versteht ihr? Jetzt ist Kaltblütigkeit notwendig.« »Willst du noch länger warten?« fragte Frank enttäuscht. Neerlands Augen waren plötzlich blutunterlaufen. »Ich bin
zäher als Gallegos. Ich bin der zäheste Kerl, der je auf zwei Beinen gestanden hat, verstanden?« »Reiten wir doch los, und erledigen wir alles«, meinte Chris und erhob sich. Er warf die Karten auf die Kiste und drehte sich um. »Wenn du einen müden alten Mann...« Neerland war mit einem schnellen Schritt zur Stelle, packte Chris und stieß ihn gegen die Wand, daß die kleine Hütte erbebte. Dann schlug er in sinnloser Wut auf ihn ein. »Neerland!« schrie Frank und legte die Hand auf die Waffe. »Du bringst ihn ja um!« Neerland ließ jedoch erst von Chris ab, als Chris schwer getroffen zusammensackte. »Wir reiten weiterhin Patrouille wie bisher«, keuchte Neerland und rieb sich die Knöchel. »Ich muß genau wissen, wie auf der Gallegos-Ranch der Tag verläuft. Ich muß wissen, was jeder tut. Zuerst werden wir nur Gallegos aufs Korn nehmen. Wann steht er auf? Wann ißt er? Wann reitet er hierhin und dorthin? Wann hält er sich in der Stadt auf? Gallegos ist ein gemütlicher Spießer geworden, mit eingefleischten Gewohnheiten. Es wird nicht schwer sein, herauszufinden, wo wir ihn packen können.« *** Nach zwei Tagen wußten sie alles, was sie wissen mußten. Jett Gallegos hielt sich jeden Tag gegen Abend in der Stadt auf. Nancy Chesney lebte auf der Ranch. Jim Wheelock hatte mit einigen von Gallegos’ Männern die Gegend mit unbekanntem Ziel verlassen. Frank hatte die letzte Patrouille geritten, wie sie das nannten. Als er berichtet hatte, stand Chris auf. »Wenn du einen müden alten Mann fragst, Neerland, dann würde ich sagen, wir reiten nach Farley. Ich werde nachsehen, ob Gallegos in seinem Büro ist. Ist das der Fall, gebe ich euch
ein Zeichen, und Gallegos ist fällig.« Neerland lächelte, als Chris verstummte. »Dann und wann bist du eben dein Geld wert«, sagte Neerland. »Okay, der Vorschlag ist gut. Morgen ist Nancy an der Reihe, und danach kaufen wir uns Wheelock.« »Man spricht davon, daß es auf der Gallegos-Ranch bald eine Hochzeit geben wird«, grinste Frank. Neerlands Lächeln erlosch. »Wolltest du dich um deinen Hals reden, Frank?« krächzte er. Frank zuckte gelassen die Schultern. »Ich berichte nur, was ich gehört habe.« Neerland ballte die Fäuste. »Hochzeiten wird die GallegosRanch nicht mehr erleben, nicht eine einzige mehr. Nur Begräbnisse wird es dort unten geben. Mindestens drei! – Nun sattelt die Pferde.« Fünf Minuten später war das Rudel auf dem Ritt. Die Dunkelheit brach herein, als sie die Stadt erreichten. Sie hielten auf der Straße an. Chris ritt allein weiter. Nach einer Viertelstunde tauchte er bereits wieder auf. »Gallegos sitzt ganz allein in seinem mächtigen Büro«, berichtete Chris. »Du bleibst vor dem Haus auf der Straße, Chris«, ordnete Neerland an. »Elliot wartet im Hausflur. Frank und ich erledigen das andere.« Neerland erläuterte ihnen noch kurz die Räumlichkeiten des Hauses, soweit er sie während seines ersten Besuches hatte in Augenschein nehmen können. Dann ritten sie los. Keine Seele in der Stadt beachtete die Reiter, die über die Main-Street ritten. Es war schon dunkel. Die Laternen brannten. Ein sanfter Wind wehte von den Bergen herunter und versprach, den Gluthauch des vergangenen Tages aus der Stadt zu treiben. Überall waren Türen und Fenster weit geöffnet. Hier und dort standen Gruppen von Passanten beisammen. Das Geklimper eines verstimmten Klaviers drang aus dem Saloon.
Hunde bellten irgendwo. Ein Fuhrwerk ratterte eilig aus der Stadt. Vor dem Bürogebäude Gallegos’ hielten die vier Reiter an, stiegen ab und leinten die Pferde an den Hitchrack. Chris blieb auf der Straße zurück. Neerland, Frank und Elliot drangen lautlos in das Haus ein. Elliot blieb gleich hinter der Tür stehen. Neerland und Frank gingen ein Stück weiter und nahmen die Revolver in die Fäuste. In Gallegos’ Zimmer brannte Licht. Es fiel durch die Türritzen und zeichnete in dem dunklen Korridor ein großes Rechteck ab. Neerland und Frank lauschten eine Weile angestrengt. Dann legte Neerland die Hand auf die Klinke und riß die Tür auf. Gallegos war so überrascht und verwirrt, daß er nicht ein Wort über die Lippen brachte. Er fuhr hinter seinem Schreibtisch in die Höhe und starrte entgeistert von einem zum anderen. Neerland ließ die Tür hinter sich ins Schloß schnappen und ging langsam auf Gallegos zu. »Du kennst unsere Gesetze, Jett«, zischte er kalt. »Ich muß dir also nicht erklären, weshalb wir gekommen sind.« Gallegos schluckte und hob die Hand. »Aber Neerland, ich schwöre dir...« Neerland neigte den Kopf und spannte den Hammer des Revolvers. »Was willst du schwören, Jett?« Gallegos schien es plötzlich nicht mehr zu wissen. »Leg das Geld auf den Tisch, damit wir es nicht zu schwer haben!« forderte Frank. Gallegos zog die Tischlade auf, hütete sich aber hineinzugreifen. Sicher weil er befürchtete, Neerland könnte das mißdeuten. »Können wir nicht alles besprechen?« fragte er mit dünner Stimme. »Ich bin ein reicher Mann, Neerland. Ich könnte euch mehr geben, als ich hier in der Lade habe. Du weißt doch, wie
das ist. Jim Wheelock ist ein alter Gefährte. Du bist es auch. Ich bedauere das alles. Denn wir sind schließlich alle miteinander gute Freunde gewesen. Wenn es auch weit zurückliegt. Aber alte Freundschaft verpflichtet. Ich war auch Jim Wheelock verpflichtet. Das mußt du verstehen. Habe ich denn etwas getan, was dir wirklich schadet? Doch sicher nicht. Sag mir, was ich dir geben soll, und du bekommst es. Du kennst mich doch! Du weißt doch genau, daß ich dir gegenüber keine Tricks versuche! Ich bin immer darauf bedacht gewesen, mit dir gut auszukommen, gerade mit dir.« »Einmal hast du es vergessen, Jett«, zerschnitt Neerlands wilde und wütende Stimme die Luft. »Wenn du mich umbringst, wirst du nicht reich«, sagte Gallegos. »Hier in der Lade liegen nur ein paar lumpige hundert Dollar. Für das Geld auf der Bank mußt du meine Unterschrift haben.« »Ich will nicht dein Geld, sondern dein Leben!« schnarrte Neerland. »Ja, so ist das nun!« grinste Frank und wog den Colt in der Faust. »Das ist doch Wahnsinn!« versuchte Gallegos seine ehemaligen Gefährten zu beschwören. »Hier in Farley bin ich wer. Man wird euch jagen. Das Gesetz wird hinter euch her sein.« »Das ist keine Hoffnung für dich«, erwiderte Neerland. »Du weißt, wie lange das Gesetz schon hinter mir her ist.« Gallegos rang die Hände. »Wir können uns doch bestimmt arrangieren, Neerland. Ich habe Geld, viel Geld. Du bekommst, was du haben willst. Du darfst nicht denken, daß Blut an diesem Geld klebt. Es ist gutes Geld. Ich habe alles auf reelle und ehrliche Art erworben. Als ich hier ankam, bin ich arm gewesen, so arm wie eine Kirchenmaus. Die Ranch, die ich erbte, war auf den Hund gekommen, total heruntergewirtschaftet. Ich habe sie hochgebracht. Mit meiner
Arbeitskraft!« »Zu mir bist du nicht ehrlich gewesen«, versetzte Neerland kalt. Dann schoß er. Frank feuerte ebenfalls. Die Geschosse schmetterten Gallegos gegen die Wand. Obwohl er sofort schwer und tödlich getroffen war, bekam er den Colt aus der Halfter, und während ihn die Schläge der Kugeln herumrissen, legte er auf Neerland an und schoß. Dann stürzte er hinter dem Schreibtisch zu Boden. Gallegos’ Geschoß drang Neerland in den linken Arm. Neerland schrie auf und knallte gegen einen Stuhl. Mit Mühe konnte sich Neerland an der Wand stützen, sonst wäre er zu Boden geschlagen. Frank starrte ihn durch den wehenden Pulverrauch hindurch erschrocken an. Doch da wankte Neerland schon zur Tür. Frank sprang schnell hinter den Tisch und griff in die Lade. In der Hast stopfte er mit den Geldscheinen auch Schriftstücke in die Tasche. Den Colt in der Rechten, griff er dann nach der Petroleumlampe, die auf dem Tisch stand. Geschrei drang von draußen herein. Er vernahm Neerlands scharfe Stimme. Trotzdem bewegte er sich nur langsam zur Tür, blieb auf der Schwelle stehen und warf die Lampe mit Wucht gegen die Wand. Dunkelheit umhüllte ihn. Doch in das Klirren von Glas klang das Puffen des entflammenden Petroleums. Eine blaue Stichflamme schoß hinter dem Schreibtisch empor. Die Schatten der Gegenstände zuckten wild tanzend über die Wände. Wie vom Wind getrieben, fraßen sich die Flammen an der zundertrockenen Tapete empor. Der Feuerschein zuckte über Franks Gesicht, das ein Ausdruck von jäher Wildheit und teuflischer Befriedigung erfüllte. Er machte auf dem Absatz kehrt und rannte ins Freie. Neerland, Chris und Elliot saßen schon auf den Pferden.
Neerland empfing Frank mit wildem Geschimpfe. Mit einem Satz flog Frank in den Sattel. Dann stoben sie los. Nun erst sah Frank, daß von allen Seiten Passanten auf das Haus zuströmten, aus dessen Tür bereits dichter Rauch quoll. Rufe und Geschrei klangen auf. Etliche Schatten sprangen auf die Reiter zu. Schüsse krachten. Frank sah Mündungsblitze unter einem Vordach aufzucken. Er schoß sofort hinüber. Auch seine Gefährten feuerten. Es dauerte nur Augenblicke, bis die vier Reiter das offene Land erreichten. Im Galopp sprengten sie von dem Fahrweg und verschwanden nach Westen in der schwarzen Nacht... *** »Hier in Clayton bin ich der einzige Schmied«, sagte der Mann zu Jim Wheelock, der langsam durch die Schmiede ging, die einen ordentlichen und sauberen Eindruck machte »Und auf schwere Frachtwagen verstehe ich mich ganz besonders«, pries sich der Schmied an. »Ich habe vor Jahren drüben in Omaha in einer solchen Fabrik gearbeitet.« Jim nickte. »Ist nur die Frage, ob Sie die anfallende Arbeit allein bewältigen können, Mister.« »Wenn Sie den Vertrag mit mir abschließen, stelle ich sofort Gehilfen ein«, versprach der Schmied. Da betrat einer von Jims Männern die Schmiede. »Jim, zum Teufel, wir müssen auf der Stelle zurück. Der Boß ist erschossen worden.« Jim erstarrte. »Andy ist uns nachgekommen«, berichtete der Mann. »Es sollen jene vier Männer gewesen sein, die wir die ganzen Tage gesucht haben. Sie sind einfach in Farley in Mr. Gallegos’ Haus eingedrungen, haben ihn erschossen und das Haus angesteckt. Der ganze riesige Kasten ist bis auf den Erdboden heruntergebrannt. Die halbe Stadt soll in Gefahr gewesen sein.
Einige mutige Männer haben Mr. Gallegos noch herausholen können, sonst wäre er auch noch verbrannt.« Jim benötigte ziemlich lange, um das alles in sich aufzunehmen und zu begreifen. »Sattelt die Pferde!« sagte er dann und ging zur Tür. »Unser Vertrag!« rief der Schmied. »Was wird aus unserem Vertrag, Mr. Wheelock?« Jim machte auf der Schwelle noch einmal kehrt. »Es tut mir leid, Mister«, sagte er dürr. »Aus all diesen Plänen wird nun nichts mehr werden.« Zehn Sekunden später saßen die Männer in den Sätteln und ritten nach Farley zurück. Jim wußte, daß er diesen Ritt so schnell nicht vergessen würde; denn die Vorwürfe, die er sich auf diesem Weg machte, fraßen ihn fast auf. Davonlaufen ist immer falsch, dachte er. Ich hätte in Greeley bleiben und die Sache mit Neerland austragen müssen. Jetzt muß ich es doch noch tun, und es hat schon zwei Tote gegeben! Später kam ihm auch noch der Gedanke, daß er womöglich aus Feigheit weggeritten war, aus Feigheit und Furcht vor Neerland und den anderen, weil er deren Gefährlichkeit genau kannte. Den Vorsatz, nicht mehr zum Revolver zu greifen, hatte er wegen Nancy gefaßt! Ich hätte wissen müssen, daß Neerland nicht aufgibt! – Ich hätte es wissen müssen! Ein bitteres Lächeln spannte sein Gesicht und zog ihm die Lippen von den Zähnen. – Ich habe in meinem ganzen wilden Leben nur Fehler gemacht, selbst von dem Tag an, als ich alles richtig machen wollte. Spät am Abend erreichte der Trupp die Stadt. Der Sheriff trat aus dem Office, als er die Männer einreiten sah. Jim stoppte bei ihm und glitt aus dem Sattel. »Sie sind doch Jim Wheelock, nicht wahr?« begrüßte ihn der Sheriff.
»Ja, das ist mein Name«, erwiderte Jim knapp. Der Sheriff wies auf das Office. »Der Anwalt wartet auf Sie.« Er ergriff Jims Arm und führte ihn über die Straße. Der Anwalt war ein kleiner dürrer Mann. Er begrüßte Jim und murmelte etwas von Beileid und Mitgefühl. Dann kehrte er zum Tisch zurück und kramte Schriftstücke aus seiner Tasche. »Ich benötige einige Unterschriften von Ihnen, Mr. Wheelock.« »Von mir?« fragte Jim mißtrauisch und kniff die Augen zusammen. »Ja, von Ihnen«, bestätigte der Anwalt geschäftig. »Sehr wahrscheinlich sind Sie der einzige Erbe. Soweit ich informiert bin, besitzt Jett Gallegos keine weiteren Verwandten oder Angehörigen.« Jim schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht mit Jett Gallegos verwandt gewesen.« Der Anwalt und der Sheriff sahen Jim überrascht an. »Sie sind nicht mit ihm verwandt?« fragte der Anwalt erstaunt. »Nein!« erklärte Jim. »Das ist doch nicht möglich!« meinte der Anwalt betroffen. »Mr. Gallegos hat doch noch vor drei Tagen mit mir über Sie gesprochen, als wären Sie ein Verwandter von ihm. Er sagte, daß Sie der einzige Mensch wären, auf den er sich jemals in seinem Leben hätte verlassen können, und er meinte, daß höchstens Sie einmal an seine Stelle treten könnten.« »Das ist ein Irrtum«, erklärte Jim eisig. »Alles ist ein Irrtum.« Er machte auf dem Absatz kehrt, stapfte hinaus, schwang sich in den Sattel und ritt mit den Männern durch die Stadt. Dabei kamen sie an dem niedergebrannten Bürohaus vorbei. Ein ekelerregender Brandgeruch hing noch über dem Platz. Jim streifte die Trümmer und Aschenhaufen nur mit einem kurzen Blick und beschleunigte das Tempo. Nach einer halben Stunde erreichten sie die Ranch.
Nancy und sämtliche Cowboys erwarteten sie bereits voller Ungeduld und auch Sorge. Inmitten der Männer stieg Jim aus dem Sattel. Er war staubig, verschwitzt und restlos erledigt von dem harten Ritt. Nancy weinte, als sie ihn begrüßte. Ihre Augen waren gerötet. Sie sah bleich und abgehärmt aus. Doch trotz allem wirkte sie schlank und liebenswert, selbst in dem verblichenen Männerzeug, das sie trug. Ein zärtliches Gefühl der Zuneigung erfaßte Jim. Aber irgendwie kam er sich klein und erbärmlich vor, weil er nicht in der Lage war, ihr die rauhen Dinge zu ersparen und ihr die Furcht zu nehmen. »Was wird mit der Ranch werden? fragte einer der Vormänner. »Haben Sie jetzt Befehle für uns, Mr. Wheelock? Ich meine, daß wir den Ranchbetrieb in Gang halten sollten.« »Der Anwalt in der Stadt ist wohl als Nachlaßverwalter eingesetzt worden«, antwortete Jim. »Reiten Sie nach Farley und lassen sich von dem Anwalt Anweisungen geben.« »Well, das werde ich tun«, meinte der Vormann. »Ich dachte nur... Wir alle haben geglaubt, Sie würden jetzt das Kommando übernehmen. Es steht uns doch wohl an, die Männer zu jagen, die Mr. Gallegos erschossen haben.« Jim legte den Arm um Nancys Schultern und blickte in die Runde. »Das werde ich allein tun«, sagte er. Dann ging er mit Nancy zur Treppe. Nancy blieb auf der ersten Stufe stehen. »Laß uns reiten, Jim! Noch heute nacht.« Jim ließ den Arm von ihrer Schulter sinken. »Es gibt Dinge im Leben, um die ein Mann nicht herumkommt, Nancy. Auch wenn er glaubt, es auf einem Umweg doch zu schaffen.« »Neerland wird auch dich umbringen«, sagte sie herb. »Du weißt, daß ich ohne dich nicht leben kann. Ich liebe dich doch so sehr. Ohne dich wüßte ich einfach nicht weiter.« Jim ergriff sanft ihren Arm und führte sie die Stufen empor.
»Wir werden hier auf Neerland warten«, erklärte er ihr. »Und wenn er nicht kommt, so muß ich ihn mir holen. Das ist der einzige Weg, den wir haben, Nancy!« *** Neerland lag wieder in jener verlassenen Berghütte auf der Pritsche. Er fühlte sich krank und elend. Er hatte leichtes Fieber. Frank und Elliot hockten vor der Kiste und spielten Karten. Als es dann so weit war, daß Chris längst hätte zurückkehren müssen, unterbrachen sie das Spiel. Frank stand auf und trat hinaus ins Freie, um dort auf Chris zu warten. Elliot schwang die Beine herum und schaute zu Neerland hinüber. »Willst du etwas zu trinken haben?« fragte er. »Oder hast du Hunger? Ein Mann in deiner Lage sollte tüchtig essen. Um so eher bist du wieder auf den Beinen.« Neerland öffnete die Augen einen Spalt weit. »Ich brauche nichts, hörst du, gar nichts! Ich bin auch in keiner Lage. Höchstens in der, daß ich dein verdammtes Gerede nicht hören kann.« »Entschuldige!« grinste Elliot und lehnte sich gegen die Wand. Neerlands Lider zuckten kurz hoch. Aber den wütenden Blick fing Elliot nicht mehr auf. Nach einer Weile begann Frank zu pfeifen. Neerland regte sich zuerst nur. Elliot musterte ihn erwartungsvoll und grinsend. »Ratten, die am Tag pfeifen, holt nachts der Teufel!« brummte Neerland nach einer Weile. »Sag das diesem Narren da draußen. Dazu pfeift er auch noch jämmerlich falsch. Er muß das Gehör eines Ochsen haben.« Elliot erhob sich und ging hinaus. »He!«
Frank verstummte und drehte den Kopf. »Neerland beschwert sich über dein Konzert«, grinste Elliot. »Da drinnen hört sich dein Gepfeife an, als würde ein wilder Affe jaulen.« Frank spie wütend aus und tippte sich an die Stirn. Elliot kehrte an seinen Platz zurück. »Frank hat sein Konzert eingestellt.« »Ich habe schließlich Ohren am Kopf«, knurrte Neerland. »Du bist überhaupt ein Kerl, der immer ein Wort zuviel sagen muß. Paß auf, daß du nicht eines Tages daran erstickst.« Elliot lehnte sich zurück. »Irgendeinen Brocken hat jeder im Hals.« Neerland warf ihm wieder einen wütenden Blick zu. Elliot verschränkte gelassen die Arme und blickte gelangweilt hierhin und dorthin, bis sein Blick auf den Unrathaufen in der einen Ecke der Hütte fiel, auf den Frank jene Schriftstücke geworfen hatte, die er mit dem Geld aus Gallegos Schreibtisch gerafft hatte. Er konnte ein paar der Zettel mit dem ausgestreckten Arm erreichen und begann zu lesen. Er überflog den ersten Brief und warf ihn wieder weg. Mit dem nächsten und übernächsten verfuhr er ebenso. Es waren Rechnungen und ein Brief, in dem jemand lapidar bestätigte, ein Schreiben von Gallegos erhalten zu haben. Doch dann stutzte Elliot. Er las den nächsten Brief zweimal und strich ihn glatt. Dann sprang er auf. »Zum Henker, Neerland! Hier! Hör dir das an!« rief er überrascht. »Das ist doch nicht zu fassen! Auf diesem Wisch hat Gallegos unserem Busenfreund Jim Wheelock sein ganzes Vermögen vermacht.« Neerland fuhr in die Höhe. »Was redest du da?« brummte er gereizt. Sein Blick war gespannt und voller wachem Interesse. Mit einem heftigen Ruck riß er Elliot das Schreiben aus den Händen. »An Mr. Nelson, Farley«, las er laut und warf Elliot einen
schrägen Blick zu. »Ich, Jett Oliver Gallegos, erkläre hiermit im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, daß Jim Wheelock mein alleiniger Erbe ist, wenn mir jemals etwas Ernstliches zustoßen sollte. – Jett Oliver Gallegos.« »Oliver?« sagte Elliot und schüttelte den Kopf. »Daß er auch Oliver geheißen hat, wußte ich gar nicht.« Neerland warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Dann schwang er die Beine von der Pritsche. »Frank!« brüllte er. »Frank!« »Wo brennt’s?« fragte Frank gelassen und kam herein. »Hier! Sieh dir das an! Lies das!« forderte Neerland und hielt Frank den Brief hin. Frank verzog das Gesicht, schaute verständnislos von einem zum anderen und nahm Neerland das Schreiben aus der Hand. Dann senkte er den Kopf und las. Es dauerte ziemlich lange, bis er die Schrift entziffert hatte. »Das ist doch nicht zu fassen«, murmelte er dann ungläubig, als er wieder aufsah. »Gallegos hat Wheelock alles vermacht? Das ist doch nicht möglich! Sind die beiden denn schon immer ein Herz und eine Seele gewesen? – Das wußte ich gar nicht. Hast du das gewußt?« Neerland nahm ihm das Testament aus der Hand und las es noch einmal, in stiller neidvoller Wut. »Ausgerechnet Wheelock!« schnaufte er dann. Elliot rieb sich das Kinn. »Ob es das einzige Exemplar ist?« »Das ist doch egal«, erklärte Neerland entschieden. »Wheelock wird an dieser Erbschaft nicht die geringste Freude haben. Dafür werde ich sorgen.« Elliot und Frank schauten sich an. Nur ganz kurz. Aber sie begriffen, daß sie beide das gleiche dachten. »Wir sollten jetzt ein bißchen überlegen«, meinte Frank vorsichtig. »Gallegos’ Ranch ist ein ziemlicher Brocken.« Neerland hielt das Schreiben hoch. »Damit kommen wir nicht an die Ranch heran. Mach dir keine Hoffnungen.«
»Wir nicht«, warf Elliot ein. »Aber Wheelock! Dieser Reichtum wäre genau das, was uns Wheelock schuldet.« Neerland stand auf und maß Elliot von oben bis unten. »Wheelock schuldet uns sein Leben.« »Das könnten wir doch immer noch holen«, sagte Frank. »Oder eilt es uns so, daß wir auf eine Ranch von solchem Ausmaß verzichten?« Nun erst schien Neerland zu dämmern, was er wirklich in der Hand hielt. Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Hemdtasche. Dabei blickte er nachdenklich vor sich hin. »Dieses Testament wäre ein Köder, durch den wir mit Wheelock in ein Gespräch kommen könnten«, meinte Elliot. Neerland lachte rauh auf. »Wie stellst du dir das vor? Wheelock würde zu diesem Gespräch mit dem Revolver in der Faust kommen, und wenn wir ihn da nicht sofort erschießen, würde er uns erledigen.« »Und wenn wir Nancy in unserer Gewalt hätten, würde er uns dann auch erledigen?« fragte Frank spöttisch. Neerland musterte ihn ausdruckslos. »Das ist eine gute Idee!« ließ sich Elliot vernehmen. Neerland schnaufte. Haß und Besitzgier rissen ihn hin und her. »Wir müssen genau nachdenken«, murmelte er nach einer Weile. »Höllisch genau!« »Nancy und dieses Testament gegen ein neues«, sagte Frank. »Der gleiche Text. Nur unsere Namen müssen darauf stehen.« »Das wird Wheelock nie tun«, sagte Elliot und faßte sich an die Stirn. »Wenn mir etwas Ernstliches zustößt!« Er schüttelte den Kopf. »Verlangen wir eine einfache Verzichterklärung, eine Verzichterklärung zu unseren Gunsten oder wie sich das nennt.« Neerland hob die Hand und drehte sie ein paarmal hin und her. »Das ist alles noch nicht das richtige. Wir müssen genauer nachdenken.«
Frank ging zu dem Unrathaufen und stieß mit dem Fuß darin herum. »Ich bin doch ein Glückspilz, daß ich so etwas erwischt habe.« Elliot grinste. »Was suchst du noch? Gallegos hatte nur die eine Ranch.« Frank hörte auf, machte kehrt und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wenn wir uns diese fette Fliege durch die Finger sausen lassen, haben wir es nicht anders verdient.« »Rede nicht!« schimpfte Neerland und ließ sich, groß und schwer wie er war, auf die Pritsche fallen. »Noch ist gar nicht sicher, ob ich damit etwas anfangen werde.« »Irgend etwas wirst du damit tun müssen«, sagte Elliot. »Seit wir Gallegos erledigt haben, sind drei Tage vergangen. Wheelock sitzt wie ein gefährlicher Wolf in seinem Käfig und kommt nicht heraus, wie du angenommen hast. Auf dieser Ranch ist er unangreifbar. Trotzdem wartet er auf uns, als wären wir eine Bande wilder Affen, die blind ins Unglück rennt.« Neerland streckte sich wieder lang und schloß die Augen. Frank und Elliot beobachteten ihn und warteten darauf, daß er etwas sagen würde. Doch er äußerte sich nicht mehr. Frank zuckte die Schultern und wandte sich ab, um wieder hinauszugehen. – Da klang Hufschlag aus dem Grund der Schlucht. Aber es war nicht nur ein Reiter. Das hörten sie sofort. Neerland setzte sich auf. Frank und Elliot griffen nach ihren Gewehren und sausten hinaus vor die Tür. Neerland stand auf, halfterte den Colt und nahm das Gewehr in die Faust. Da kam Elliot wieder zurück. »Chris mit irgendeinem Kerl«, berichtete er und legte das Gewehr aus der Hand. »Was für ein Kerl?« wollte Neerland wissen. Elliot zuckte die Schultern. »Nie gesehen. Eine ziemlich halbe Portion. Chris muß verrückt geworden sein. Hast du ihm vielleicht gesagt, daß wir noch jemand benötigen?«
»Dieser einfältige Narr!« schimpfte Neerland. »Reite ihm sofort entgegen, damit er diese halbe Portion nicht erst heraufbringt. Er soll diesen Burschen zurückschicken, oder ich erledige sie beide.« »Haltet euch fest«, sagte da Frank auf der Schwelle. »Es ist Chris mit Nancy!« *** Neerlands Kinnlade fiel herab. Er starrte Frank an, als würde er dort zwischen den Türpfosten einen Geist sehen – Elliot schien überhaupt nichts verstanden zu haben. Frank, der die Nachricht gebracht hatte, schaute ebenfalls erstaunt und ungläubig drein. Dann legte Neerland das Gewehr auf die Pritsche und ging langsam auf die Tür zu. Frank machte ihm Platz. Die Reiter waren noch ziemlich weit unten. Aber sie alle hatten Nancy gut und lange genug gekannt, so daß es nicht schwer war, sie selbst auf diese Entfernung einwandfrei zu identifizieren. Neerland blieb vor der Tür stehen und schaute schweigend hinunter. Der Blick seiner schwarzen tiefliegenden Augen wirkte hart und grausam. Seine großen Hände bewegten sich, als wollte er etwas zerbrechen, das seiner Kraft lange Widerstand geleistet hatte. Elliot schüttelte den Kopf, als er das Mädchen erkannte. »Meine Güte, wo hat Chris sie nur her?« sagte er und streifte Neerland mit einem Blick. »Sie muß doch wissen, was sie hier bei uns erwartet. Sie folgt Chris wie ein Lamm. Ob er ihr irgendwelche Versprechungen gemacht hat?« »Vielleicht ist das auch einer von Wheelocks windigen Tricks«, mahnte Frank. Neerland schwieg sich aus. Nach einigen Minuten hatten Chris und Nancy die Trasse
über der Schlucht erreicht und kamen auf die Hütte zugeritten. Frank und Elliot wagten kaum, zu atmen. Sie hatten beide das Gefühl, daß gleich irgend etwas Abscheuliches geschehen würde. Neerlands Gesicht war grau und hart – steinhart. Der Blick aus seinen klein gewordenen schwarzen Augen war von einer solchen Wildheit, daß Frank und Elliot für das Mädchen das Schlimmste befürchteten. »Da bringt dir ein müder alter Mann etwas Hübsches zurück«, grinste Chris, als er hielt, und schwang sich aus dem Sattel. Nancy hielt noch vor Chris an. Sie zögerte einen Augenblick. Dann stieg sie langsam ab. Man konnte ihr ansehen, daß sie in der Männerkleidung in den Regen gekommen war. Die Hose saß ihr wie angewachsen. Die Rundungen ihrer Hüften und Schenkel spannten den verblichenen grauen Stoff. Frank kniff die Lider zusammen und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Elliot grinste unbeholfen und leckte sich die Lippen. Der Hals war ihm plötzlich trocken. Nur Neerland ließ sich von Nancys erregender Erscheinung nicht beeindrucken. Er starrte ihr in die Augen und langsam, ganz langsam stahl sich ein gefährliches kaltes Lächeln um seine Mundwinkel. »Ich habe sie rein zufällig getroffen«, erklärte Chris. »Sie war auf dem Weg zu dir, Neerland. Sie hat nur nicht gewußt, wo sie dich finden kann.« Neerlands Lächeln gerann. Sein Blick wechselte von Nancy zu Chris und wieder zurück. »Das hättest du nicht tun sollen, Nancy«, sagte er dann. »Du wirst schließlich wissen, was wir mit Mark gemacht haben.« Nancys Gesicht glich einer Maske. »Ich bin freiwillig zurückgekommen«, sagte sie. Neerland nickte. »Aber warum, Nancy? Warum? Du hast sicher begriffen, daß mir auf die Dauer kein Mensch
entkommen kann.« »Ich war töricht!« »Töricht nennst du das«, bemerkte Neerland. »Weißt du, wie ich das nenne? »Du wirst mir doch verzeihen, Clark?« »Was du getan hast, nenne ich treulos«, sagte Neerland. »Treulos und gemein! Eigentlich gibt es gar keinen passenden Ausdruck dafür.« »Es ist mir recht, wenn du mich bestrafst.« »Du weißt nicht, was du sagst, Nancy. Was ich mit dir tun werde, habe ich bereits in jener Nacht in Greeley beschlossen. Stell dir vor, wie es in mir ausgesehen hat, als ich deine ruchlose Gemeinheit entdeckte. Dann wirst du wissen, was dich erwartet!« Neerlands Stimme war immer leiser geworden. Zuletzt hörte sie sich an, als zerbräche Glas unter einem Stiefeltritt. Nancy erblaßte. Neerland ging einen Schritt auf sie zu. Dann blieb er jäh stehen, als habe er es sich anders überlegt. »Glaube nur nicht, daß dir Chris, Frank oder Elliot beistehen werden. Die Jungens haben durch dich einen großen Coup verloren. Sie hassen dich, wie ich dich hasse.« Nancy schöpfte tief Atem und sah schnell von einem zum anderen. Die harten und mitleidlosen Blicke der Männer trafen sie wie Peitschenhiebe. »Ich bin zurückgekommen, damit wir es noch einmal miteinander versuchen, Clark«, sagte sie. »Ich bin dumm gewesen und habe dir weh getan. Ich konnte nicht ahnen, daß du mich deshalb haßt. Ich habe geglaubt, du würdest mich verachten. Mehr kommt einem Mann nicht zu. Sag ja oder sag nein! Aber quäle mich nicht vor den Männern. Wenn du ja sagst, dann laß uns reiten. Sagst du nein, dann erschieß mich.« Neerland schnaufte. »Jetzt durchschaue ich dein Spiel! Du willst Wheelock retten, du kleines rothaariges Biest.« »Du sagst also nein.«
Neerlands Augen schlossen sich zu schmalen Schlitzen. Er hob die Linke, öffnete und schloß sie ein paarmal in wilder aufwallender Wut. »Was hast du denn erwartet?« zischte er. »Hast du dir wirklich eingebildet, ich würde noch einmal auf dich hereinfallen? Ich kann jede Frau haben, die ich haben will. Du reizt mich nur noch zum Lachen.« Nancy bewegte sich rückwärts auf ihr Pferd zu. Neerland schüttelte den Kopf. »Hier kommst du nicht mehr weg!« Nancy prallte mit dem Rücken gegen die kleine Rappstute. Neerland lachte teuflisch. Da fuhr Nancys Rechte unter die Jacke. Neerland verstummte jäh. Frank und Elliot erstarrten. Doch Chris flog von der Seite her wie ein Schatten auf das Mädchen zu und warf es zu Boden. Er kämpfte einen Moment mit ihr. Dann richtete er sich auf und hielt einen kleinen Derringer in der Hand. Nancy blieb heftig atmend auf dem Boden liegen. Chris holte aus und warf den Derringer mit einem weiten Schwung fort. »Was hier einem müden alten Mann alles zugemutet wird«, sagte er kopfschüttelnd. Frank sah Neerland an. »Nun weißt du, was sie hier wirklich wollte.« Neerlands Kinnmuskeln spannten sich. Dann stürzte er vorwärts. Er rannte wie ein wütender Tiger auf Nancy zu, riß den Colt aus der Halfter, wirbelte ihn herum und packte ihn am Lauf. Dann lief er gegen Chris’ Revolver. »Das wirst du nicht tun, Neerland«, sagte Chris und spannte den Hammer. »Nicht, solange ich lebe. Sie ist eine Frau.« Die Hand mit dem Colt erhoben, stand Neerland vor Chris und schaute diesen einfältigen Zweizentnermann ungläubig an. Sein ganzer Zorn schien vor Überraschung verraucht zu sein. Er wirkte wie ein Feuerwerk, das plötzlich abgebrannt war. –
Doch nur einen Augenblick. Dann blitzte es in seinen Augen schon wieder tückisch und wild auf. »Wenn du zuschlägst, schieße ich«, sagte Chris, den Blick auf Neerlands erhobene Rechte gerichtet. Schweiß stand auf seiner Stirn. Neerland trat langsam zurück. Schritt für Schritt bewegte er sich rückwärts auf die Hütte zu. Chris verfolgte ihn mit dem Blick und dem Revolverlauf. »Genug, zum Teufel!« krächzte da Frank. »Ihr seid verrückt. Schluß jetzt! Wir haben das Testament und Nancy, die wir brauchen, um an Wheelock und die Ranch heranzukommen. Genug jetzt, sage ich.« Neerland wagte nicht den Arm zu senken. Er blieb stehen. »Ja, laßt es genug sein«, ließ sich da auch Elliot vernehmen. Er ging zu Nancy und half ihr auf die Füße, aber nur, damit sie nicht weglief. Chris lächelte einfältig. »Sag einem müden alten Mann ein versöhnliches Wort!« forderte er Neerland auf. Neerland schaute von einem zum anderen. Irgendwie schien er plötzlich das Gefühl zu haben, allein zu sein. Die Gesichter von Frank und Elliot waren ausdruckslos. An diesen starren Masken konnte er nicht erkennen, wie weit die beiden entschlossen waren, Partei zu ergreifen. Neerland schluckte. Dann nickte er Chris zu. »All right, müder alter Mann.« Chris ließ den Colt augenblicklich um den Zeigefinger kreisen und schob ihn in die Halfter zurück. Neerlands Arm sank langsam herab. »Chris ist manchmal nicht zu bezahlen«, sagte Frank mahnend. Neerland musterte Frank mit einem leeren Blick und ließ den Colt ebenfalls in die Halfter gleiten. Elliot führte Nancy zur Hütte. »Ich binde sie da drinnen an«, sagte er. »Dann sollten wir wohl auswürfeln, wer Wheelock ins
Bild setzt.« Die drei schauten Elliot und dem Mädchen nach. Franks Blick war auf Nancys schöne Gestalt gerichtet. Neerlands Blick brannte auf ihrem Rücken. Chris sah nur ihre roten Locken. Dann ging er zu ihrem Pferd, hob den Stetson auf, den sie dort während des kurzen Ringens mit ihm verloren hatte, und warf ihn mit einem Schwung durch die Tür. »Ich werde zu Wheelock reiten und ihm sagen, daß wir sie haben«, erklärte er sich bereit. Frank sah ihn an und grinste. »Wir besitzen noch mehr«, sagte er, und dann berichtete er Chris von dem Testament. Es dauerte eine ganze Weile, bis Chris alles begriffen und erfaßt hatte. Nachdem er kapiert hatte, legte ihm Neerland die Hand auf die Schulter. »Du mußt ihm das von dem Testament richtig erklären«, sagte er eindringlich. »Wahrscheinlich hat Wheelock gar keine Ahnung, daß es existiert.« »Davon weiß Wheelock nichts«, rief Elliot, der aus der Hütte kam und die letzten Worte verstanden hatte. »Nancy war richtig überrascht, als ich sie danach fragte.« Chris sah zum Himmel auf. »Soll ich jetzt noch reiten? Es wird in drei Stunden dunkel.« Neerland dachte kurz nach. »Well, mach dich auf den Weg. Sage ihm, daß wir ihn morgen früh erwarten. Aber verrate nicht, wo. Bringe ihn morgen früh her. Dann hat er die Nacht über Zeit, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen.« Chris sah sich um. »Aber wenn wir ihn hier zusammenschießen, werden wir die Ranch nicht bekommen.« »Wir wollen ihm hier nur die Sache darlegen«, sagte Neerland. »Erledigen werden wir ihn später. Dann, wenn wir die Ranch haben.« »Und was wird mit Nancy werden?« wollte Chris wissen. Neerland sah ihn steinern an. »Ich behalte sie. Zufrieden?« Chris grinste. »Verzeih mir, Neerland. Es kam einfach über
mich. In einen Ehestreit werde ich mich bestimmt nicht einmischen.« Neerland lächelte kalt. Es war das gefährliche Lächeln eines Wolfes... *** Jim stoppte sein Pferd auf einem der windigen, kahlen Hügelrücken und sah über das weite, wellige Land hinweg bis hin zu den blauschwarzen Bergen, deren Gipfel die untergehende Sonne mit einem feurigen Rot übergoß, daß es aussah, als würden sie brennen. Er versuchte, sich in Neerlands Lage zu versetzen, um herauszufinden, wo er sich versteckt halten könnte. Aber er konnte nirgends einen Fleck entdecken, der ihm geeignet erschien. Nach einer Weile drehte er den Braunen und trat den Rückweg an. Wie den ganzen Tag, gab er sich keine Mühe, sich zu verbergen, in der Hoffnung, Neerland würde irgendwo lauern, ihn entdecken und angreifen! Doch nichts regte sich. Ungehindert erreichte er die Ebene, auf der sich Gallegos’ Ranch befand. Er passierte ein Herdencamp und traf auf eine Gruppe Cowboys, mit denen er sich kurz unterhielt. Dann setzte er seinen Weg fort. Als er die Ranch erreichte, hatte ihn die Dämmerung eingeholt. Da er nicht der Boß war, ritt er zum Sattelplatz, um sein Pferd selbst zu versorgen. Er war keineswegs niedergeschlagen, weil er keine Spuren von Neerland gefunden hatte. Es war ihm im Gegenteil völlig klar, daß er auf seine alten Gefährten stoßen würde, sobald diese das nur wollten. Und einmal, irgendwann, würde das der Fall sein. Er mußte sich nur draußen im Land zeigen. Vor allem allein. Dann würden sie schon eines Tages kommen. Er war davon überzeugt, daß er sie längst aufgespürt hätte, wenn ihm diese
Gegend besser vertraut gewesen wäre. Als er vor dem Schuppen aus dem Sattel stieg, trat einer der Vormänner auf ihn zu. »Im Haus wartet ein Besucher auf Sie, Mr. Wheelock«, offenbarte er ihm. »Ein ziemlich komischer Kerl, der sich nicht abweisen lassen wollte. Er gab vor, Sie schon lange zu kennen.« Jim fuhr herum. »Wie sieht er aus?« Der Vormann beschrieb den Besucher, und die Beschreibung paßte haargenau auf Chris. »Aber da ist noch etwas«, berichtete der Vormann weiter. »Miß Chesney ist heute mittag in die Stadt geritten. Wir konnten es nicht verhindern. Sie bestand darauf. Sie wollte unbedingt allein reiten. Sie läßt Ihnen ausrichten, daß Sie nicht vor morgen mittag zurückkehren würde.« Jim drehte den Kopf und schaute zum Ranchhaus hinüber. Er hatte keine Ahnung, sondern die Gewißheit, daß er in den nächsten zehn Minuten an die Wand gedrängt werden würde. »Sie machen uns doch keinen Vorwurf?« fragte der Vormann. »Miß Chesney hat einfach darauf bestanden.« »Es ist schon gut, Andy«, erwiderte Jim. »Danke.« Der Vormann tippte an den Stetsonrand und kehrte sichtlich erleichtert zum Mannschaftshaus zurück. Jim sattelte ab, entließ den Braunen in den Korral und überquerte dann den weiten Hof. Er legte seinen Sattel auf der Veranda ab und betrat die große Halle. Chris hatte in einem Schaukelstuhl Platz genommen, den er stetig hin und her schwang. Jim ging zum Kamin, um die Lampe, die dort stand, anzuzünden, denn Chris saß in völliger Dunkelheit. »Hallo, Chris, sagte er über die Schulter. »Ihr habt Nancy und wollt mich jetzt damit erpressen?« Chris hielt in seinen Bewegungen inne und stand auf. »Wie geht es dir so, altes Haus?«
Jim riß ein Streichholz an und entzündete die Lampe. Mattes gelbes Licht erhellte die Halle. Chris kam in den Lampenschein. »Hast du nie daran gedacht, was für ein harter und zäher Kerl unser Neerland ist?« »Was hast du mir zu sagen, müder alter Mann?« fragte Jim und lächelte. »Zum Henker, Jim! Haben wir uns nicht immer prächtig verstanden?« »Du mußt es vergessen, Chris.« »Ja, das muß ich wohl. Aber es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. – Müde alte Männer haben das so an sich.« »Es braucht dir nicht leid zu tun, denn wenn wir uns wiedersehen, werden wir uns mit den Eisen in der Faust gegenüberstehen!« »Jeder hockt eben, wo er hockt«, sagte Chris. »Der eine hier, der andere dort. Mancher mitten im Dreck, so wie du.« »Also?« »Ja, wir haben Nancy. Sie kam zu uns, um Neerland zu erschießen. Du wirst selbst wissen, wie verrückt das von ihr war. Sicher hat sie es selbst gewußt. Aber sie muß sich mächtig in dich verknallt haben, um Neerlands Gefährlichkeit zu vergessen.« »Wie sieht das Spiel aus?« »Hintenherum«, sagte Chris. »Die Karten sind gezinkt. Neerland hält die Bank, und er ist stark. Außer Nancy besitzt er noch ein Testament, das Frank aus Gallegos’ Schreibtisch holte, als er von dort Geld mitnahm. Wir haben dieses Testament rein zufällig in die Finger gekriegt. Aber wir haben es jetzt.« »Moment! Was für ein Testament, Chris?« »Du bist der Besitzer dieser Ranch, der Mustangherde und allem, was Gallegos gehörte. Es steht da schwarz auf weiß geschrieben. Wirklich. Gallegos hat dich zu seinem Erben eingesetzt. Weißt du das denn nicht?«
»Keine Ahnung. Es ist mir auch gleichgültig.« »Hoho! Sage das nicht so einfach daher«, mahnte Chris. »Wenn du diesen Besitz an uns abtrittst, kannst du mit Nancy hinreiten, wo du magst, und wenn du einen müden alten Mann nach seiner Meinung fragst, so nimm das Angebot an.« »Jetzt gleich?« lächelte Jim. »Neerland möchte die Dinge mit dir besprechen«, erklärte Chris. »Morgen früh. Ich hole dich ab. Du brauchst nicht zu fürchten, daß ich dich in eine Falle führe. Denn es muß ja alles vom Gesetz her haargenau geregelt werden, nicht wahr? Und dazu mußt du einfach leben. Das hat sogar Neerland in seinem Haß begriffen. »Sag ihm, daß ich komme!« »Das weiß er schon«, meinte Chris. »Wieso?« Chris lachte. »Wir kennen dich doch, Junge!« »All right! Wirble Staub auf, aber hinter dir! Bis morgen früh.« Chris wandte sich zum Gehen. »Adios, Bruder! Es tut mir leid. Bist immer ein feiner Kerl gewesen. Du wirst auch einen Extrasarg bekommen. Verlaß dich darauf.« Jim nickte nur und starrte dann lange auf die Türflügel, die hinter dem großen und schwergewichtigen Burschen ausschwangen. Sie waren noch in Bewegung, als der Hufschlag von Chris’ Pferd längst verklungen war. *** Der Morgen kam grau und fahl über die fernen Berge. Doch es wurde schnell heller. Neerland schloß die Augen und blinzelte gegen den gleißenden Rand, der wie feuersprühend über den Horizont wuchs und größer und größer wurde, bis Neerland nicht mehr hinsehen konnte und sich wegdrehte. Frank saß vorn neben dem Pfad auf einer Klippe, das
Gewehr aufrecht auf den Schenkel gestützt. Mit der anderen Hand beschattete er sein Gesicht, um ja weit genug sehen zu können und um nicht geblendet zu werden. Elliot hantierte in der Hütte und gab Nancy zu essen und zu trinken. Neerland hörte, wie er mit den Näpfen klapperte und Nancy erklärte, daß er ihr die Hände nun wieder fesseln würde. Neerland hatte mit Nancy kein Wort mehr gewechselt, nicht weil es an Gelegenheit gemangelt hätte, sondern einzig und allein, weil er das nicht wollte. Nach einer Weile kam Elliot aus der Hütte. Er kaute und schluckte und bohrte dann mit dem Nagel des Zeigefingers in den Zahnlücken. »Ob er wohl kommt?« meinte er nach einer Weile schmatzend. »Ob er nicht irgend etwas versuchen wird? Eigentlich müßten sie längst da sein, Wheelock und Chris.« Neerland wandte den Blick von Frank und sah Elliot an. »Du kennst doch Wheelock genau genug.« Elliot seufzte und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Ein Mann kann sich ändern. An seiner Stelle würde ich jedenfalls alle Fairneß vergessen.« »Du bist aber nicht an seiner Stelle«, sagte Neerland trocken. »Wir sind vier, und er ist allein. Außerdem haben wir Nancy und...« »Deswegen kommt er ja auch«, unterbrach ihn Neerland. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß er nicht versuchen sollte, Gallegos’ Ranchmannschaft einzuspannen«, sagte Elliot beharrlich. »Es war vielleicht nicht richtig, ihm schon gestern abend Bescheid zu geben. Er hat sich bestimmt etwas einfallen lassen.« »Aber wir können von hier oben aus alles überblicken«, sagte Neerland. »Außerdem haben wir Nancy, mit deren Hilfe wir ihn weichmachen können.« »Aber wir können hier nicht weg«, mahnte Elliot.
»Das will ich auch gar nicht, und nun halt den Rand! Du störst mir diesen Morgen.« Elliot lächelte. Da richtete sich Frank auf. Sie sahen, wie er angestrengt über die niedrige Bergkette vor ihnen weg spähte. Neerland und Elliot beobachteten ihn gespannt. Dann drehte sich Frank um, winkte und sprang von dem Felsen herunter. Langsam kam er durch den Sand herangestampft. »Sie kommen, Neerland!« sagte er. »Chris reitet hintenherum, wahrscheinlich will er ganz auf Nummer Sicher gehen. Er ist doch sein Geld wert, nicht wahr?« »Ja, das ist er!« bestätigte Neerland. »Hintenherum!« meinte Elliot mürrisch. »Dann müssen wir ja noch eine geschlagene halbe Stunde warten, ehe sie oben sind.« »Das wird deine Nerven beruhigen«, spottete Neerland. »Chris wird die ganze Zeit hinter Wheelock bleiben«, sagte er dann und deutete vor ihnen auf einen dunklen Fleck im Sand. Dann wies er auf einen grünen Busch. »Dort ist Franks Platz. Frank, du bleibst dort und rührst dich nicht. Das wird ihn unsicher machen, wenn er nicht gleich erkennt, wo seine Gegner stehen. Auf jeden Fall legst du dein Gewehr auf ihn an und läßt seinen sturen Schädel nicht einen Moment aus dem Visier. – Elliot, du wartest in der Hütte und rührst dich auch nicht. Sobald ich es verlange, bringst du Nancy heraus. Aber halt sie mir fest, verstehst du?« »Ich werde sie schon halten«, grinste Elliot »Bevor wir seine Verzichterklärung nicht haben, darf kein Schuß fallen«, fuhr Neerland fort. »Sein Feuerwerk bekommt er hinterher«, ließ sich Frank trocken vernehmen. »Ja, genau!« knurrte Neerland. Frank sah sich um. »Das ist ein Tag. Wenn er zu Ende geht,
werden wir auf einer großen Ranch sitzen und alt und dick werden.« »Jetzt fängt er auch schon mit diesem verdammten Gerede an!« sagte Elliot angewidert und verdrehte die Augen. »Ich«, sagte Neerland, »ich werde erst einmal unsere Ranch umreiten, um zu sehen, wie groß sie wirklich ist. Morgen werden wir dann alle zu Wheelocks Beerdigung gehen.« »Und Nancy? Was machen wir mit Nancy?« fragte Elliot. Neerlands Blick wurde grau und verschlossen. »Frank, geh wieder an deinen Platz! Sieh nach, wo sie sind!« Frank und Elliot warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann kehrte Frank zu jener Klippe zurück, die aus braunem Sandstein war, aber jetzt, in dem gleißenden Sonnenlicht, schneeweiß wirkte. Es dauerte nicht lange, da rief er zur Hütte, daß die Reiter in der Schlucht seien. Kurz darauf klang matter, pochender Hufschlag zu ihnen herauf. Dann kam Frank wieder zurück. »Jetzt kommen sie den Pfad heraufgeritten«, sagte er. »Verkriech dich hinter dem Busch!« befahl Neerland. »Und vergiß nicht, was ich dir von dem Visier gesagt habe.« Frank lud mit einer entschlossenen Gebärde sein Gewehr durch. »Was ich zu tun habe, damit wir die Ranch bekommen, werde ich tun. Ein Vorbeischießen wird es bei mir nicht geben.« Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand dann hinter dem Busch. Der Hufschlag wurde lauter und lauter. Bald kräuselte eine dünne graue Staubwolke den Hang herauf. Neerland betrat mit Elliot die Hütte und zog die Tür hinter sich zu. Elliot wischte die blinde und angestaubte Scheibe des kleinen Fensters sauber. Beide spähten angestrengt hinaus. »Du wirst Jim am Leben und uns reiten lassen, nicht wahr, Clark«, ließ sich Nancy vernehmen. Neerlands Gesichtsmuskeln spannten sich, und die straffe
Haut verlieh seinem Gesicht eine unversöhnliche Härte. »Du kennst mich«, erwiderte er. »Du weißt, was kommen wird. Du hättest es jedenfalls wissen müssen.« »So gemein kannst auch du nicht sein«, sagte Nancy herb. »Wenn du mich kennst, weißt du es.« »Laß mich frei!« bat sie. Neerland gab ihr keine Antwort mehr. Die großen behaarten Hände auf das Fensterbrett gestützt, starrte er unverwandt hinaus zu jenem Fleck, wo die Reiter jeden Moment auftauchen mußten. Dann wuchsen die Reiter langsam über den Rand, bis sie ihre volle Größe erreicht hatten. Sie ritten nebeneinander. Doch als sie sich auf der Trasse entlang der Hütte zubewegten, hielt sich Chris zurück und blieb hinter Wheelock, wie Neerland es ihm befohlen hatte. Neerland wallte das Blut durch die Adern, als er nach so vielen Wochen seinen verhaßten Feind endlich zu Gesicht bekam. Er schloß einen Moment überwältigt die Augen. Dann ging er zur Tür. Ohne Elliot oder Nancy noch einmal anzusehen, trat er ins Freie und schlug die Tür mit einem harten Schwung hinter sich zu. Er ging zwei Schritt, dann blieb er stehen, die Faust auf der Waffe. *** Jim Wheelock hielt mitten auf dem freien Platz vor der Hütte an und schaute sich nach Chris um. Chris hatte schon gestoppt. Er befand sich genau hinter Jim und grinste kalt. Jim stützte die Fäuste auf das Sattelhorn und musterte Neerland kurz, der ihn mit einem unverhohlenen Haß in den schwarzen Augen anstarrte. »Ich mache dein Spiel mit, Neerland«, sagte er. »Welches Spiel es auch ist. Aber laß Nancy gehen! Das ist meine Bedingung!«
Neerland bewegte sich noch einen Schritt auf ihn zu. »Du hast sie mir weggenommen. Sie ist wieder bei mir. Warum sollte ich sie wegschicken?« Jim blieb die Antwort schuldig und schaute sich spähend um. Neerland folgte seinem Blick. »Ja, es ist eine richtige Rattenfalle, und es liegt an dir, ob du wieder hinauskommst.« Jim sah ihm in die Augen. »Mach also dein Spiel!« Neerland lächelte glatt und gerissen. Ganz offensichtlich kostete er seinen Triumph aus. Er nahm Gallegos’ Testament aus der Tasche, faltete es auseinander und hielt es hoch. »Du weißt, was wir hier haben, Jim. Aber du bist in unserer Schuld. Ganz besonders stehst du in meiner Schuld. Überschreibe also Gallegos’ Besitz auf uns. Dann kannst du mit Nancy reiten, wohin du willst.« »Ich kenne dieses Testament nicht, und von hier aus kann ich es nicht lesen.« Neerland faltete das Papierstück wieder zusammen und verstaute es. »Du weißt, daß ich keine falschen Trümpfe ausspiele, wenn ich genug andere habe und das Spiel längst läuft, wie ich es möchte.« Jim nickte. »All right. Dann laß Nancy schon reiten. Wir wollen sie heraushalten.« Neerland senkte die Lider. »Ich kenne dich auch, Jim. An Gallegos’ Ranch scheint dir nicht viel zu liegen. Dieses Testament sticht nicht, nicht wahr?« Er lachte. »Ich wäre ja verrückt, wenn ich Nancy jetzt gehen ließe. Ich sage dir, daß du dich täuschst. Frank will die Ranch. Chris möchte auch ein schönes, bequemes Leben führen. Elliot juckt der Besitz ebenfalls. Aber wer sagt dir, daß ich die Ranch haben will? Hüte dich! Vielleicht ist mir deine Verzichterklärung vollkommen gleichgültig. Du weißt ja nicht genau, woran du bist.« »Ja, und deshalb ist es ein schlechtes Angebot für mich.«
»Du hast aber keine Wahl. Schreibe uns den Verzicht. Dann kann Nancy schon mal verschwinden.« »Und dann, Neerland? Und was dann?« Neerland erwiderte mit einem verschlagenen Grinsen: »Wir müssen damit zu einem Notar. Es muß ja alles seine Richtigkeit haben.« Jim biß sich auf die Lippe. »Nun denkst du nach, nicht wahr?« sagte Neerland hart. »Aber hüte dich! Chris ist genau, hinter dir. Frank und Elliot haben dich genau anvisiert und brauchen eigentlich nur noch abzudrücken. Dann würdest du tot vor mir liegen, Jim.« Jim lächelte salzig. »Und du hättest gar nichts dabei getan.« Neerland holte tief Luft. »Ich kann dich auch selbst umbringen, wenn du das meinst.« »Dann versuch es!« Neerlands Augen schlossen sich zu schmalen Schlitzen. »Du wirst tun, was ich dir sage, Wheelock! Du wirst diesen Zettel schreiben und ihn mir bringen, auf allen vieren, bis ich erlaube, daß du wieder aufstehen darfst.« »Du weißt, daß ich so etwas nicht tue!« »Wir haben Nancy. Sie muß dann vor deinen Augen sterben.« »Das wirst du nicht wollen«, ließ sich Chris vernehmen. Jim starrte vor sich hin. Sie hatten ihn. Neerland kämpfte mit Waffen, denen kein Kraut gewachsen war. »Nun?« grinste Neerland kühl. Jim nickte. »Es ist dein gemeines Spiel«, sagte er und stieg aus dem Sattel. Neerland sah die Gefahr, denn als Jim stand, deckte ihn sein Pferd gegen Chris und Frank ab. Neerland sprang zurück und griff zur Waffe. Doch Jim befand sich schon mitten in der Aktion und überrumpelte sie alle. Als er den Fuß aufsetzte, flog er herum, den Colt in der Faust. Er schoß auf Neerland. Aber er traf ihn
nicht, weil Neerland bereits zurücksprang. Dann sah Jim, daß Elliot hinter dem Fenster stand und die Waffe durch die Scheibe rammen wollte. Er drehte sich, und jagte den nächsten Schuß auf Elliot, den er auch traf und der blitzartig hinter dem Fenster niederstürzte. Nun feuerte auch Chris. Frank kam hinter dem Busch hervorgerannt und suchte das Ziel. Neerland war hinter der Hütte in Deckung gegangen und feuerte wild, als Jim mit feuerspeiendem Colt über den Platz hetzte. Er prallte gegen die Hüttentür, riß sie auf und drang ein, von den Geschossen seiner Feinde buchstäblich hineingetrieben. Jim knallte die Tür hinter sich zu und duckte sich. Mit einem Blick sah er Nancy am Boden hocken und Elliot vor dem Fenster liegen. Die drei Männer, die von Neerlands wilder Bande noch am Leben waren, schossen wie verrückt auf die Tür. Jim sprang zu Nancy und löste ihr die Stricke mit einer Hand, während er den Colt schußbereit auf die Tür gerichtet hielt. Dann stieß er Nancy zum Fenster hinüber. Als sie sich neben Elliot geduckt und er den Colt nachgeladen hatte, ging er langsam zur Tür und trat sie auf. Das Schießen brach sofort ab. Den Colt an der Hüfte, ging Jim hinter dem Pfosten in Stellung und spähte angestrengt hinaus. »Jetzt kommt her!« rief er den Verbrechern zu. »Kommt her, alle!« Es blieb jedoch still. Nur die beiden Pferde vor der Hütte stampften matt. Jim war längst entschlossen, wieder hinauszuspringen. Aber erst wollte er wissen, wo die drei steckten. ***
Neerland kroch von der Hütte weg zu Frank hinüber. Chris kam von der anderen Seite angerobbt. Sie blieben dann eine Weile schweigend und abwartend nebeneinander liegen, die Blicke auf die schwarze Türöffnung der Hütte gerichtet. »Er ist gesprungen wie ein Panther«, sagte Frank nach einer Weile und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Ich habe gedacht, er explodiert. Sein Kopf war auf einmal weg.« »Chris hat nicht aufgepaßt!« knurrte Neerland gereizt. »Er hätte ihn erwischen müssen.« »Ich wußte nicht, daß er das tun würde«, entschuldigte sich Chris, ohne eine Spur beleidigt zu sein. »Elliot scheint tot zu sein«, sagte Frank und musterte Neerland von der Seite. »Zu dritt sind wir auch genug«, versetzte Neerland. »Sobald wir wissen, wo genau er hinter der Tür steht, greifen wir ihn an.« »Ob er von selbst herauskommt?« fragte Chris. »Das dauert mir zu lange«, knurrte Neerland in finsterem Zorn. »Er hat Wasser da drin. Ich habe den Eimer heute morgen selbst gefüllt. Zu essen hat er auch.« »Und Munition!« erinnerte Frank. »Er braucht nur in unseren Satteltaschen nachzusehen. Da findet er, was er benötigt.« »Wir kriegen ihn schon«, sagte Neerland. Seine Stimme war von einer wütenden Zuversicht erfüllt. »Wenn ihr einen müden alten Mann fragt, so würde ich sagen, locken wir ihn heraus«, meinte Chris. »Ich wüßte nicht, wie wir das fertigbringen sollen«, zischte Frank. »Soll ihm Neerland vielleicht noch einmal das Testament vor die Nase halten? Wheelock pfeift auf die Ranch. Er will nur diese Frau haben. Das ist es, was er wirklich hier oben wollte. – Hast du das denn nicht bemerkt, als du auf der Gallegos-Ranch mit ihm darüber gesprochen hast.« »Wie kann ein Mann eine so große Ranch und die
prachtvolle Mustangherde nicht wollen!« grollte Chris. »Gerade Wheelock! Wo er doch immer von so etwas geträumt hat.« »Wir kriegen ihn schon«, sagte Neerland noch einmal mit fester Stimme. »Und die Ranch dazu. Uns wird schon etwas einfallen. Zunächst begibst du dich dort drüben hin, Frank!« Er wies ihm die Richtung. »Siehst du die Felsplatte aus dem Sand ragen? Sie ist bestimmt hoch genug, um sichere Deckung zu bieten. – Du, Chris, legst dich in dem Knieholz auf die Lauer. Dort sind auch Steine. Verbirg dich gut! Du kannst von diesem Fleck aus die Tür genau im Auge behalten. Und sofort schießen! Merkt euch das. Verwandelt Wheelock in ein Sieb, wenn er über die Schwelle tritt!« »Du meinst, daß Elliot wirklich tot ist?« fragte Chris. »Ja, er ist erledigt«, sagte Neerland. »Wollen wir da nicht lieber ein Feuer anzünden?« fragte Chris. »Ein hübsches großes Feuer, damit es ihnen warm da drin wird?« Neerland und Frank sahen sich an. Beide grinsten teuflisch. Dann schauten sie auf Chris. »Du bist dein Geld wirklich wert«, sagten sie wie aus einem Mund. Chris lächelte stolz. »So können wir es doch machen, oder? Dann kommt er bestimmt ins Freie. Ein Streichholz, ein bißchen trockenes Gras. Mehr ist gar nicht nötig. Ihr müßt nur aufpassen, daß er nicht gerade aus der Tür geflitzt kommt, wenn ich nur Gras und ein Streichholz in den Händen habe.« Neerland klopfte ihm auf den Rücken. »Sollte er wirklich herauskommen, so kannst du dich darauf verlassen, daß wir dann dein Feuer nicht mehr nötig haben.« Chris nickte und kroch langsam davon. *** »Sie liegen da drüben«, raunte Nancy. »Ich kann sie genau
sehen. Einer kriecht jetzt weg. Ich glaube, es ist Chris.« »Ja, ich sehe sie jetzt auch«, erwiderte Jim. »Nimm den Kopf herunter. – Dort auf der Pritsche liegt eine Winchester. Gib sie mir!« Nancy kroch vom Fenster weg. »Es ist Neerlands Gewehr«, sagte sie, als sie die Waffe von der Pritsche nahm. Jim glitt ein paar Schritte zurück und streckte den Arm aus. Nancy reichte ihm die Waffe mit einem scheuen Blick. »Ich weiß, wie sehr er gerade daran hängt.« Jims Mund schloß sich zu einem schmalen Strich, als er die Waffe betrachtete und mit geübten Griffen nachsah. »Mir paßt auch manches nicht!« sagte er schroff und kehrte an seinen Platz zurück, das Gewehr in beiden Fäusten. »Ich werde ihn nicht erst fragen, ob er sich mit seinem eigenen Gewehr erschießen lassen will. Hock dich wieder unter das Fenster und rühre dich nicht!« Nancy kroch zurück und kauerte sich neben Elliot auf den Boden. Elliot lag auf dem Bauch, und so brauchte sie sein Gesicht nicht anzusehen. Sie lehnte den Kopf gegen die Wand und schloß die Augen. »Wann wird dieser ewige Kampf ein Ende nehmen?« seufzte sie. »Neerland haßt dich und mich, das ist sein ganzer Grund. Dabei weiß er ganz genau, daß er mich schon viel früher verloren hat.« »Das ist jetzt alles nicht wichtig«, sagte Jim, während sein Blick draußen über das Gras, die Büsche und Steinbuckel glitt. »Ich habe Angst um dich, Jim.« Jim lächelte knapp, als er Chris etwa fünfzig Yard von der Hütte entfernt, zwischen Steinen halb verborgen, dürres Gras rupfen sah. »Nimm dir Elliots Revolver«, sagte er zu Nancy. »Er hält ihn in der linken Faust. Sieh einfach nicht hin dabei.« Nancy schluckte. Doch dann tat sie es. Jim nickte ihr kurz zu. »Ich muß jetzt hinaus. Rühre dich nicht. Aber schieß, wenn
jemand ‘reinkommt! Ich gebe mich früh genug zu erkennen.« Nancys Augen weiteten sich, was Jim freilich nicht sah. Er hatte nur einen Blick für Chris, der mit dem Rupfen fertig war und hinter den Steinen in einem weiten Bogen auf die Hütte zugekrochen kam. Als Chris die Deckung für ein kurzes Stück verlassen mußte, maß Jim schnell die Entfernung zu einer Felsplatte, die rechts von der Hütte aus dem Sand ragte. Dann warf er noch einen letzten Blick in die Runde. Einen Atemzug später sprang er. Wie von wilden Teufeln getrieben, rannte er über den Platz. Neerland und Frank begannen sofort zu schießen. Ihre Geschosse fegten ihm um die Ohren und tanzten um ihn herum wie eine Bande wütender Hornissen. Fünf Yard vor der Felsplatte drehte Jim sich um die Achse und ließ sich fallen. Dabei riß er das Gewehr hoch. Chris hatte sich halb aufgerichtet und das Grasbüschel fallen lassen. Als er Jim laufen sah, zog er den Colt und schnellte hoch. Er rannte ein paar Schritte, blieb stehen und hob den Colt. Da traf ihn Jims Schuß. Er ließ die Waffe fallen und schlug schwer zu Boden. Jim krachte mit dem Rücken auf die Felsplatte, rollte herum, um hinter die aufragende Kante zu kommen, und streckte sich dann lang auf den Bauch. Die Geschosse von Neerland und Frank knallten in das rissige Gestein und hinterließen fingerstarke Furchen. Staub und Splitter wirbelten hoch wie Sand, den eine Peitsche emporgetrieben hatte. Jim kroch ein Stück nach vorn. Dann riß er das Gewehr an die Schulter und schoß. Dabei kamen ihm die Pferde ins Schußfeld, die das Krachen der Waffen langsam über den Platz trieb. Die beiden Tiere warfen erregt die Köpfe auf und bewegten sich Schritt für Schritt rückwärts. Jim ließ die Waffe sinken und kroch schnell zurück, um wieder ein freies Schußfeld zu haben.
Diese Sekunden nutzten Neerland und Frank aus. Sie sprangen hoch, und während Neerland Jim unter Feuer nahm, sprang Frank in langen Sätzen auf die Hütte zu. Jim sah das, und obwohl ihm Neerlands Geschosse um die Ohren flogen, ließ er das Gewehr los, zog den Colt und sprang auf. Er wurde sofort getroffen. Ein höllischer Schmerz jagte ihm durch den Körper. Er sackte auf die Knie und stützte sich mit der Linken ab, um nicht lang hinzuschlagen. Dabei verfolgte er Franks Weg, der wie eine Antilope über den Platz fegte. Jim wollte schießen. Aber er bekam die Hand nicht hoch. Er ließ sich fallen und nahm die Linke zu Hilfe. Fußlang stachen die Mündungsblitze aus dem Coltlauf. Die Geschosse erwischten Frank direkt vor der Tür. Frank stürzte kopfüber in die Hütte hinein. Jim sah, wie seine schwarzen, ausgetretenen und bespornten Stiefel über die Schwelle kamen, als er sich drinnen streckte. Dann lagen sie ruhig im Sonnenlicht. Jim warf sich mit letzter Kraft herum und trieb Neerland mit dem Rest der Patronen in Deckung. Dann rollte er sich hinter die Felsplatte zurück, halfterte den Colt und griff wieder nach Neerlands Gewehr. Dabei schaute er an sich herab. Auf der Hose war Blut zu sehen. Den Einschuß konnte er nicht finden. Aber er spürte jetzt, daß er im Oberschenkel getroffen worden war. Auch die linke Hüfte schmerzte. Als er hingriff, riß er die Hand im jähen Schmerz zurück. Er rollte sich auf die rechte Seite und schob das Gewehr über die Felskante. Dabei spürte er, wie ihn die Kräfte zu verlassen drohten. Er war bereits am ganzen Körper naß von Schweiß, den ihm der Schmerz aus den Poren getrieben hatte. Während er angestrengt nach Neerland suchte, lud er den Colt nach. Er konnte den Verbrecher nirgends entdecken. Immer wieder drehte er sich, ob Neerland nicht hinter ihm auftauchte. Aber es war alles ruhig. Die beiden Pferde standen vor den
Klippen und grasten. Aber auch dort sah er von Neerland keine Spur. Den Colt in der rechten, das Gewehr in der linken Hand, erhob er sich. Da kam Nancy aus der Hütte. Sie sah sich schnell um, bis sie ihn entdeckte. Züge des Entsetzens zerfurchten ihr Gesicht, als sie ihn sah. »Zurück!« schrie Jim. »Geh zurück!« »Sie soll bleiben, wo sie ist!« rief da Neerland – hinter ihm. Jim wollte herumfahren, aber er spürte, daß ihm das verletzte Bein nicht so schnell gehorchen würde. Tritte klangen hinter ihm auf. »Rühr du dich ja nicht, bevor du die Waffen weggeworfen hast«, sagte Neerland. Ein wilder Triumph schwang in seiner Stimme mit. Jim fragte sich, wo er so plötzlich hergekommen war. Er wußte genau, daß er kurz zuvor noch in diese Richtung geblickt und nichts gesehen hatte. »Jetzt siehst du, daß alles nichts genützt hat«, sagte Neerland. »Laß die Waffen fallen und dreh dich um!« Jim schaute auf die Winchester und den Revolver. Dann blickte er zu Nancy hinüber, die bleich und wie von Entsetzen gelähmt herüberstarrte. »Versuche nicht, etwas auszudenken!« warnte Neerland. »Es ist jetzt zu Ende mit dir, und da gibt es keine Tricks mehr.« Jim behielt die Waffen in den Händen und drehte sich langsam. Neerland stand keine zehn Schritt von ihm entfernt im Sand, breitbeinig, den Revolver in der vorgereckten Faust. Die Waffe zielte genau auf Jim. Er grinste kalt und spannte langsam den Hammer. »Zwischen uns gibt es nichts mehr zu sagen«, meinte er. Jim nickte. »Well, es ist alles geklärt. Oder willst du noch den Verzicht?« Neerlands kaltes Grinsen erlosch. »Auf so etwas pfeife ich. Die anderen wollten die Ranch haben. Das hat sie umgebracht.
Ich bin für so etwas nicht zu haben. Ich bin ein Wolf, der im Sattel bleiben muß bis zum letzten Tag. Das weißt du ja. Wir haben oft darüber gesprochen.« Jim nickte abermals. »Ja, wir haben das oft genug zerredet«, sagte er abwesend; denn er hatte nur Augen für Neerlands Revolver, dessen Hammer von Neerlands Daumen festgehalten wurde. Dann sah er auch, wie sich der Daumen langsam löste. Neerland lächelte steif und kalt. Dann ließ er den Hammer wegrutschen. Jim warf sich zur Seite und riß den Colt hoch. Doch noch ehe er und Neerland feuerten, krachte eine Waffe an der Hütte. Nancy hatte geschossen. Dann erfolgte dieser fürchterliche Doppelschlag, nur den Bruchteil einer Sekunde später. Jim traf Neerland in die Brust. Neerland verfehlte Jim. Er wollte noch einmal schießen. Aber seine Hand sank kraftlos nach unten. Das kantige Gesicht sah plötzlich sehr grau, alt und zerfallen aus. Jim, der auf dem Boden lag, sah, wie Neerland sich bemühte, auf den Beinen zu bleiben. Dieser große und kräftige Mann wankte wie ein Halm im Wind. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, trat er einen Schritt nach vorn. Dabei blickte er immer noch in die Richtung, in der Jim eben noch gelegen hatte. Dann fiel er. Nancy kam über den Platz gerannt. Sie kniete neben Jim nieder und half ihm auf die Füße. Dabei weinte sie lautlos. Hinkend und auf Nancy gestützt, stapfte Jim zur Hütte. Nancy half ihm, über Frank hinwegzusteigen. Dann ließ er sich auf der Pritsche nieder. Nancy kam mit einer Decke und legte sie ans Kopfende. Jim streckte sich aus. Ein behagliches und zufriedenes Lächeln glitt über sein verschwitztes und schmutziges Gesicht. »Laß das Weinen, Nancy«, sagte er. »Es ist vorüber.«
»Ich... ich... wollte ihn nicht töten«, schluchzte sie. »Es ist alles so furchtbar.« »Du hast gar nicht getroffen, beruhigte er sie. »Es war für mich bestimmt, seiner Kugel zuvorzukommen. Fast glaube ich jetzt, daß es Neerland so gewollt hat. Jetzt sind wir wirklich frei. Erst jetzt.« Nancy begann, ihn zu entkleiden. Als sie seine Wunden verband, verlor er das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, schien draußen die Sonne, und das Innere der Hütte wirkte seltsam wohnlich und aufgeräumt. Jim richtete sich auf, schwang langsam die Beine vom Bett und zog sich an der Wand hoch. Schweiß brach ihm aus, und die Gegenstände ringsum begannen sich zu drehen. Er klammerte sich an die Bretterwand, schloß die Augen und biß sich auf die Lippe, bis es vorüber war. Dann wankte er hinaus. Das Sonnenlicht blendete ihn. Neben der Hütte standen alle sechs Pferde an dem halbzerfallenen Hitchrack. Die Sättel lagen ausgerichtet vor der Wand. Dann fiel Jims Blick auf vier Erdhügel drüben vor den dunklen Klippen. Da kam Nancy um die Hütte. Sie blieb erschrocken stehen. Dann rannte sie auf Jim zu. »Jim! Warum bist du schon aufgestanden?« fragte sie betroffen und bestürzt. Jim lächelte mühsam und wies in die Runde. »Das hat dir eine Menge Arbeit gemacht.« »Es war zu schaffen.« »Wo liegt Neerland?« wollte er wissen. »Das erste Grab rechts«, sagte sie. Papier raschelte. »Hier ist das Testament.« Jim nahm es ihr aus den Händen und las es. Dann zog er Nancy in seine Arme und küßte sie. Vier Tage später waren sie beide Besitzer der Ranch Gallegos’, und Jim war entschlossen wie nie zuvor, seinen Traum von der Pferdezucht zu verwirklichen. Nancy war
überzeugt, daß er es schaffen würde. Oft war Jim allein oder mit Nancy auf der Südweide, auf der jetzt rund zwei Dutzend schwarzer Mustangs grasten. Und wenn Jim gedankenverloren die Mustangherde betrachtete, sah er das Gesicht seiner Frau Nancy vor sich. Jim wußte, daß er das Glück gefunden hatte. ENDE