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Seewölfe 227 1
Burt Frederick 1.
Die plötzliche Helligkeit traf ihn wie ein Schlag. Es war, als hätte ihn die dichte grüne Wand des Dschungels ausgespien – eher aus einer Laune heraus wie einen Fremdkörper, mit dem die Natur nichts anzufangen wußte. Joaquin Cavaqués kniff die Augen zusammen. Seine salzverkrustete Gesichtshaut brannte wie Feuer. Er taumelte auf die weite weiße Fläche des Strandes, spürte den frischen Hauch der Meeresluft und empfand ein berauschendes Freiheitsgefühl, nachdem er schon geglaubt hatte, der Dschungel würde ihn für immer und ewig umklammert halten. Ja, er war ein Gefangener dieser grünen Fieberhölle gewesen. Während er jetzt mit unsicheren Schritten dem kristallklaren Wasser der Lagune zustrebte, betrachtete er es nicht als sein eigenes Verdienst, dieses Ziel erreicht zu haben. Es mußte eine Fügung des Schicksals sein, eine höhere Macht zeigte sich ihm gegenüber gnädig, davon war er überzeugt. Die Glut der Sonne ließ feurige Kreise vor seinen gemarterten Augen tanzen. Er spürte nicht, wie seine Kräfte schwanden, und bemerkte nicht einmal mehr, daß seine abgemagerten Beine unter der Last seines Körpers wegknickten. Er sank in sich zusammen und hatte das Bewußtsein verloren, noch bevor er auf den leuchtendweißen Sand schlug. Das seichte Uferwasser umspülte die langen schwarzen Haare des Mannes, der ein Spanier war und doch nicht aussah wie jemand, der der abendländischen Kultur entstammte. Er lag auf der Seite, und seine Lippen, strichdünn zwischen verfilztem Bartgestrüpp verborgen, waren halb geöffnet. Nur flach ging sein Atem, unnatürliche Blässe entstellte sein eingefallenes Gesicht. Seine jetzt geschlossenen Augen lagen tief in den Höhlen, von dunklen Rändern umgeben. Der Körper des Mannes, vor Jahren noch hochgewachsen und breitschultrig, sah wie
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ausgemergelt aus. Lederartig und fahl spannte sich die Haut über hervorstehenden Schulterund Rippenknochen. Bekleidet war er nur mit den Resten einer Hose, die mehr einem Lendenschurz glich und über der Hüfte mit einem Strick aus geflochteten Lianen zusammengehalten wurde. Einen fast lächerlich wirkenden Kontrast bildeten dazu die Stulpenstiefel, verwittert und rissig. Er hatte sich dieses seemännische Schuhwerk aber trotz aller widrigen Umstände bewahrt, bildete es doch einen wirkungsvollen Schutz gegen Schlangen und anderes giftiges Kriechgetier, mit dem man in diesen tropischen Breiten rechnen mußte. Ein nur mäßiger auflandiger Wind strich über die leicht gekräuselte Wasserfläche der Lagune. Die Sonne brannte erbarmungslos vom wolkenlosen Blau des Himmels und ließ die Luft über dem weißen Sandstrand in flirrenden Schwaden aufsteigen. Erst nach geraumer Zeit, als sein Bewußtsein zurückkehrte, spürte Joaquin Cavaqués die Gluthitze, die der Böden unter seinem Körper ausstrahlte. Er fühlte die Nässe, die sein schulterlanges Haar benetzt hatte. Während er blinzelnd die Augen aufschlug, rollte er sich instinktiv in das seichte Wasser, das ihm sofortige Abkühlung verschaffte. Jetzt erst öffnete er weit die Augen, blieb auf dem Rücken liegen und starrte zum Himmel auf. Die Sonne mit ungehindertem Blick zu sehen, war in diesem Moment das schönste Geschenk seines Lebens. Noch vor wenigen Stunden hatte er befürchtet, dem endlos scheinenden Dach jahrhundertealter Baumkronen niemals mehr entrinnen zu können. Abermals begannen feurige Ringe vor seinen Augen zu tanzen. Er wälzte sich weiter in das Wasser, bis nur noch sein Gesicht herausschaute und er eben noch zu atmen vermochte. Das kristallklare Naß hatte zwar annähernd Körpertemperatur, war damit jedoch immer noch kühler als die Luft und der heiße Sand.
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Erst als die Glut der Sonnenstrahlen seine Gesichtshaut unerträglich brennen ließ, rappelte er sich mühsam auf. Schwankend und triefendnaß gelang es ihm, auf den Beinen zu bleiben. Er wandte sich schwerfällig landeinwärts. Das rissige Leder seiner Stulpenstiefel hatte sich rasch mit Wasser vollgesogen und ließ jeden Schritt zur Qual werden. Trotzdem war immer noch eiserne Willenskraft in ihm, die ihn vorantrieb. Er hatte gelernt, die lebensbedrohenden Gefahren der Natur niemals zu unterschätzen. Und er kannte dieses Gefühl unendlicher Trägheit, dieses Verlangen, einfach liegenzubleiben, keinen Muskel mehr zu regen, zu schlafen. Bis zum elendiglichen Verdursten war es dann nur noch ein kleiner Schritt. So sehr es ihm auch widerstrebte, er mußte noch einmal zurück in die grüne Hölle, in der es Pflanzen gab, die ihn am Leben erhalten würden -Wurzeln, aber auch Blätter, dermaßen prall vollgesogen mit Feuchtigkeit, daß sich ein Mensch angesichts solcher Naturkraft klein und hilflos fühlen mochte. Während er dem Palmendickicht entgegenwankte, dachte Joaquin Cavaqués an die Zeit vor fünf Jahren zurück. Damals, als sie hier von der Galeone „Felicidad“ an Land gesetzt worden waren, hatten sie sich für stolz und unbezwingbar gehalten. Geradezu versessen waren sie darauf gewesen, jenen besonderen Auftrag auszuführen, den ihnen der König von Spanien erteilt hatte. Nichts von all dem war geblieben. Das menschenfeindliche Land hatte sie besiegt. Von dreißig kampferprobten Männern war Joaquin Cavaqués der einzige, der sein Erinnerungsvermögen und seine Willenskraft bewahrt hatte. Dies schrieb er aber nicht etwa besonderer charakterlicher Anlagen zu. Wie seine Gefährten hatte er die grausamsten kriegerischen Auseinandersetzungen zur See erlebt und überlebt. Doch der Kampf gegen die unerbittliche Macht einer mörderischen Natur war etwas, das sie zuvor alle noch nicht gekannt hatten.
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Jene anderen, die zurückgeblieben waren, hatten sich in ihr Schicksal ergeben und sich den Umständen angepaßt, die es ihnen erlaubten, wie Tiere zu vegetieren. Nur er, Joaquin Cavaqués, hatte sich darauf besonnen, daß dies das fünfte Jahr war. Und in diesem Jahr, im Monat nach dem Monsunregen, sollte wiederum eine spanische Galeone die Kokkilai-Lagune anlaufen. Er hatte Zeit, darauf zu warten. Im Schatten der Palmen würde er dasitzen, sobald er seinen Hunger und seinen Durst gestillt hatte. Er entschloß sich schon jetzt, die verbleibende Zeit bis zur Ankunft der Galeone zu nutzen: Er würde für die armen Seelen seiner Kameraden beten. Denn das war das einzige, was er noch für sie tun konnte. Sie hatten es nicht anders gewollt. Andererseits stand aber für Cavaqués fest, daß sie allesamt wirr im Kopf waren. Der Zwiespalt in seinem Denken, der ihn während des langen Marsches durch den Dschungel bewegt hatte, bahnte sich erneut an. War man nicht verpflichtet, ihnen zu helfen? Denn so besehen, waren sie eigentlich nicht verantwortlich für ihren Entschluß, zu bleiben. Doch er war sich darüber im klaren, daß er eine Entscheidung jenen überlassen mußte, die ihn hier aufsammeln würden wie ein Stück Treibholz. *
„Ich bin erschüttert”, sagte Philip Hasard Killigrew, und das war keineswegs übertrieben. „Ich bin erschüttert, weil ich bis heute nicht gewußt habe, daß meine Söhne Tierquäler sind!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch der Kapitänskammer, daß zwei Schritte entfernt im Schapp das Geschirr klirrte. Die Zwillinge zuckten zusammen. Doch wenn der Seewolf geglaubt hatte, daß sie schuldbewußt den Kopf senken würden, dann hatte er sich getäuscht. Vielmehr hielten sie seinem Blick stand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Steckte Starrsinn dahinter? Oder Stolz, der
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natürlich völlig fehl am Platze war? Oder bildeten sie sich etwa allen Ernstes ein, daß sie im Recht waren? Möglicherweise verhielt es sich aber auch so, daß sich diese beiden kleinen Halunken insgeheim eins grinsten und nicht die Bohne an Respekt hatten. Zugegeben, manchmal wurde er nicht schlau aus ihnen. Einfach weil ihm die Zeit fehlte, sich ständig mit ihnen zu beschäftigen. In diesem Fall aber war eine erzieherische Maßnahme mehr als angebracht. Was sie sich geleistet hatten, konnte er beim besten Willen nicht dulden. Nicht als Vater und nicht als Kapitän der „Isabella VIII.“. Konnte er sich seinen Söhnen gegenüber nicht durchsetzen, würde auch der Respekt der Crew abzubröckeln beginnen. Denn die anderen an Bord der Galeone hatten keine Ahnung davon, was es hieß, Vater zu sein, und in welche Gewissenskonflikte man dabei bisweilen gestürzt wurde. Denn trotz all ihrer Dreistigkeiten — Hasard mußte sich ein Grinsen verkneifen — war er letzten Endes ja auch stolz auf sie. In Ordnung, die Lage an Bord ließ es zu, daß er sie gehörig ins Gebet nahm. Die „Isabella“ lief unter Vollzeug vor einem handigen Nordost, mit Kurs auf Ceylon. Für die Crew bedeutete das Zeit zum Luftholen. Ben Brighton, erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs, führte das Kommando an Deck. Philip junior räusperte sich unterdrückt und wechselte einen verstohlenen Blick mit seinem Zwillingsbruder Hasard. Durch das momentane Schweigen ihres Vaters wurde ihnen offenkundig unbehaglich zumute. Äußerlich ähnelten sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Schlank von Statur und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. Geschmeidig wie Katzen waren sie in ihren Bewegungen, und schon jetzt, mit ihren zehn Lebensjahren, standen sie bei den kleinen Arbeiten, die sie an Bord zu verrichten hatten, ihren Mann. „Also dann“, erklärte er energisch, „bevor ich anfange, mir die erforderlichen
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Maßnahmen zu überlegen, erwarte ich eure Stellungnahme. Und keine Ausflüchte, verstanden?“ Wie zur Unterstreichung seiner Worte ertönte ein wütendes Krächzen vom Schapp her, wo das Corpus delicti hockte — dick aufgeplustert und sichtlich beleidigt. Sir John, der karmesinrote Arara-Papagei, war noch immer damit beschäftigt, die letzten Wassertropfen aus seinem Gefieder zu schütteln. „Natürlich tut er jetzt so, als ob es ihm besonders schlecht ergangen wäre“, sagte Philip junior und deutete vorwurfsvoll auf den roten Vogel, den jeder einzelne Mann an Bord der „Isabella“ in sein Herz geschlossen hatte. „Dabei haben wir ihm vorher alles erklärt“, fügte Hasard junior hinzu, „er wußte genau Bescheid, wie es laufen würde. Wenn er nicht gewollt hätte, hätte er ja nicht mitzuspielen brauchen.“ Der Seewolf glaubte, nicht richtig zu hören. Zornig preßte er die Lippen aufeinander. Er hatte das vage Gefühl, daß ihm jeden Moment die Hutschnur reißen würde. Und dann, verdammt noch mal, würde ihn nichts mehr davon zurückhalten, den beiden kleinen Strolchen gehörig den Hintern zu versohlen. „Dies ist meine letzte Warnung“, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn ihr mich für dumm verkaufen wollt, werde ich ungemütlich. Wie, bitte sehr, kann irgendjemand einem Papagei etwas erklären?“ Im Hintergrund wiegte sich Sir John aufgeregt von einem Bein auf das andere. Aus dem Klang des Gespräches folgerte er, daß es um ihn ging und es möglicherweise gleich hoch hergehen würde. „Aber Dad“, entgegnete Hasard mit leisem Vorwurf, „du hast doch nun schon bestimmt einiges von uns darüber gehört, wie man mit Zirkustieren umgeht. Ich meine, wie man mit ihnen etwas einübt und so weiter. Wenn man sich mit einem Tier richtig gut versteht, dann kann man ihm etwas beibringen.“
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„Ja, das stimmt“, bekräftigte Philip junior eifrig, „und wir kennen Sir John ja nun schon eine ganze Weile, stimmt's?“ Der Seewolf atmete tief durch. Er hatte schon befürchtet, daß sie auf diese unselige Vergangenheit zurückgreifen würden, um ihr ungehöriges Verhalten zu rechtfertigen. Und in dieser Vergangenheit wollte er lieber nicht herumrühren. „Also gut“, sagte er ergeben, „nehmen wir an, Sir John wäre als Zirkustier geeignet. Trotzdem will ich jetzt auf der Stelle hören, was euch veranlaßt hat, den armen Kerl zu mißhandeln. Für die gesamte Crew und auch für mich ist und bleibt das nämlich nichts anderes als Tierquälerei, meine Herren Söhne. Schreibt euch das hinter die Ohren. So, und jetzt heraus damit!“ Die Zwillinge verständigten sich abermals mit einem knappen Blick. Dann übernahm Philip junior die Wortführung. „Es war so, Dad — also, äh ...“ „Sehr aufschlußreich“, knurrte Hasard, „ich kann mir bereits ein gutes Bild machen. Und das sieht so aus, daß euer Gewissen so schlecht ist wie ein Stück Frischfleisch nach dreißig Tagen unter der Äquatorsonne.“ Hasard junior versetzte seinem Bruder einen Stoß in die Seite. „Es ist nicht so leicht zu erklären“, sagte Philip, „deshalb ...“ „Kann ich mir vorstellen. Übeltäter haben es immer schwer, eine Erklärung zu finden.“ „Dad, wenn du mich dauernd unterbrichst ...“ „In Ordnung, ich bin ab sofort ganz Ohr.“ Der Seewolf lehnte sich zurück. „Wir hatten uns folgendes überlegt“, begann Philip junior, und er gab sich dabei nicht nur die Miene, sondern auch den Tonfall eines Erwachsenen, der zu einer wissenschaftlichen Abhandlung ansetzt. „Sir John ist ein ganz normaler Vogel, der dank seiner Flügel und seiner Muskelkraft fliegen kann. Wir Menschen können das nicht. Alles, was wir können, beschränkt sich auf kleine Apparate, die so eine Art Mittelding zwischen Mensch und Vogel
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sind. Aber diese Apparate brauchen den Wind, um sich in die Luft zu erheben. Du verstehst, was ich meine?“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Nur die Hälfte. Wenn du etwas weniger geschraubt daherreden würdest, mein Sohn, wäre es einfacher.“ „Philip redet von Drachen“, .erklärte Hasard junior, „jedes Kind an Land spielt mit den Dingern, wenn die Herbstwinde wehen.“ „Richtig“, sagte Philip junior, „wir wissen, daß es ziemlich schwierig ist, so einen Drachen in die Luft zu kriegen. Meistens hapert es daran, daß die Dinger zu schwerfällig sind, und daß der Wind nicht stetig aus derselben Richtung weht. Deshalb - also, als wir Sir John beim Fliegen beobachtet haben, ist uns eingefallen, ob man nicht eine neue Drachen-Konstruktion erfinden könnte. Eine mit Flügeln, verstehst du? Nicht mehr diese eckigen Dinger, die mit Papier bespannt werden.“ „Soweit leuchtet mir das ein“, antwortete der Seewolf. „Wenn ich versuche, mich in eure Gedanken zu versetzen, dann hätte ich an eurer Stelle jetzt angefangen, so einen Flügeldrachen zu basteln.“ „Das wollten wir ja auch“, sagte Hasard junior, „das hatten wir auch vor. Aber zuerst ...“ „Laß mich weitererzählen“, unterbrach ihn sein Bruder. „Es war so, daß wir uns Sir John erstmal genau angesehen haben, wie seine Flügel gebaut sind und so weiter. Dann hatten wir die Idee, ihn zu dressieren. Und es funktionierte! Er hat wirklich schnell begriffen, was wir wollten. Schon nach ein paar Tagen hat er auf Kommando die Flügel ausgestreckt und still gehalten.“ Als hätte er die Worte verstanden, stieß der Papagei einen Krächzlaut aus und spreizte die Schwingen waagerecht nach beiden Seiten. So verharrte er regungslos, wie ein Standbild seiner selbst. „Himmel noch mal“, sagte der Seewolf entgeistert, „der alte Sir John scheint auch noch Gefallen daran zu finden.“ „Das ist es ja!“ rief Philip junior begeistert. „Er hat sich überhaupt nicht gesträubt und
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war richtig gelehrig. Es hat ihm von Anfang an mächtigen Spaß bereitet.“ „Bis er begriffen hat, was ihm blühte. Und das war dann nichts anderes mehr als Tierquälerei. Da könnt ihr sagen, was ihr wollt.“ „Auch das ist nicht wahr, Dad. Wir haben es ein paarmal mit ihm geübt, und er hatte nichts dagegen.“ „Merkwürdig, daß keiner etwas von diesen - hm - Übungen gesehen hat.“ „Nun ja, also ...“ Philip unterdrückte ein verlegenes Lächeln. „Wir haben ein bißchen Wert darauf gelegt, daß wir keine Zeugen hatten. Man will sich ja nicht blamieren, wenn eine Sache beim ersten Mal schiefgeht.“ „Verständlich, Gentlemen“, sagte der Seewolf mit mühsam erzwungener Geduld. „So eine Blamage kann unangenehme Folgen haben. Weiter!“ „Ja, als wir dann sicher waren, daß Sir John wußte, was er zu tun hatte, da haben wir es eben ausprobiert. Wir haben ihm die Schnur an die Füße gebunden und ihn von der Heckgalerie aus aufsteigen lassen. Dad, es funktionierte genauso, wie wir es uns vorgestellt hatten. Sir John war ein richtiger Drachen! Besser als alles, was wir damals in England, bei Doc Freemont, kennengelernt haben.“ „Sehr interessant“, sagte der Seewolf grimmig. „Den Rest haben die meisten an Bord miterlebt. Sir John wurde abgetrieben und sauste ins Wasser. Da wäre er dann um ein Haar abgesoffen.“ „Das war doch seine eigene Schuld!“ ereiferte sich Hasard junior. „Wenn er auf die Bö reagiert hätte, wäre ihm das nicht passiert.“ Der Seewolf hieb abermals mit der Faust auf den Tisch. „Aber ihr hattet ihn als Drachen abgerichtet, verdammt noch mal. Wenn ihr wirklich so schlau gewesen wäret, wie ihr tut, dann hättet ihr ihm auch beibringen müssen, wie er sich bei einer plötzlichen Bö zu verhalten hat.“ „Wir haben ihn ja noch rechtzeitig wieder rausgezogen“, murmelte Philip junior kleinlaut.
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„Wie auch immer“, sagte der Seewolf und stand mit einem energischen Ruck auf. „Das ändert alles nichts daran, daß meine beiden Söhne um ein Haar den BordPapagei ersäuft hätten. Eure Strafe lautet: eine Woche Kombüsendienst, und während dieser Woche werdet ihr euch nicht an Deck blicken lassen. Ich werde dem Profos Anweisung geben, peinlichst darauf zu achten.“ „Das tut er auch ohne Anweisung“, nuschelte Hasard junior, „das ist doch ein gefundenes Fressen für den alten Af ...“ Er verschluckte sich fast an dem Wort. „Affenärsche! Affenärsche!“ kreischte Sir John triumphierend und begann wie wild mit den Flügeln zu schlagen. „Raus jetzt!“ befahl der Seewolf und wies mit ausgestrecktem Arm zum Schott. „Auf der Stelle! Und dieses Wort will ich auch nicht mehr von euch hören, verstanden?“ Die Zwillinge verkniffen sich den Hinweis, daß es ja Sir John gewesen war, der das Wort gleich zweimal ausgesprochen hatte. In der augenblicklichen Situation war es aber nicht angebracht. Philip Hasard Killigrew noch mehr zu reizen. Ein falsches Wort hätte genügt, und er war imstande, den Kombüsendienst auf zwei Wochen zu verlängern. In dieser Hinsicht kannten die Jungen ihren Vater sehr gut. Also zogen sie es vor, sich schleunigst und ohne einen Ton des Protests aus der Kapitänskammer zu verziehen. Und ohne Umwege begaben sie sich zur Kombüse, wo der Kutscher vor dampfenden Kesseln schwitzte. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, daß der Seewolf ihnen folgte und die sofortige Ausführung seiner Straforder kontrollierte. Nein, im Moment war mit ihm wirklich nicht gut Kirschen essen. Der Seewolf stand eine Weile gedankenverloren da. Ein Rest des Gauklerbluts schien noch immer in ihnen zu pulsieren. Damals, als er sie nach langen Irrungen in Nordafrika wiedergefunden hatte, war es ein fast unglaublicher Zufall gewesen. Der junge O'Flynn hatte die beiden Kinder in einer Tingel-Tangel-Gruppe von sogenannten
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Artisten entdeckt, und durch seinen Scharfblick war ihm sofort die ungeheure Ähnlichkeit mit dem Seewolf aufgefallen. Für Hasard lag das alles schon so weit zurück, als sei es in einem anderen, früheren Leben passiert, das längst mit einem dunklen Mantel des Vergessens zugedeckt war. Doch bisweilen ließ sich die Erinnerung nicht unterdrücken. Gewiß, die beiden Jungen hatten sich zu salzgewässerten kleinen Seewölfen entwickelt. Und Hasard bereute auch nicht, daß er sie mit an Bord genommen hatte, statt ihnen ein sittsames Leben an Land zu ermöglichen. Nein, in diesem Entschluß hätte ihn auch Gwendolyn, seine verstorbene Frau und Mutter der Zwillinge, bestärkt. Oft und lange genug hatte er darüber nachgedacht, um seiner selbst absolut sicher zu sein. Aber dann passierten solche Dinge wie mit dem Papagei. Vielleicht hätte man es als eine Bagatelle abtun können. Aber das war allein schon aus Gründen der Borddisziplin nicht möglich. Im übrigen zeigte es auch, daß immer noch Reste dieser GauklerMentalität in den Jungen schlummerten. Natürlich war es andererseits löblich, daß sie über solche Dinge nachdachten, die im weitesten Sinne mit dem größten Traum des Menschen zusammenhingen – nämlich das Fliegen zu lernen. Dem stand jedoch eindeutig der Tatbestand der Tierquälerei gegenüber. Hasard mußte bei diesem Gedanken lächeln. Vielleicht war die Strafe zu hart. Doch es ging auch darum, der Crew zu beweisen, daß seine Söhne nicht als verwöhnte kleine Snobs heranwuchsen, die sich jede Dreistigkeit ungestraft herausnehmen konnten. Eine Mutter, die Tag für Tag, von morgens bis abends, mit ihren Kindern zusammen war, hatte es gewiß leichter, sie in die rechten Bahnen zu lenken und bessere Entscheidungen über Strafe oder Nichtbestrafung zu treffen. In der Beziehung hatte sich Hasard nie Illusionen hingegeben. Die Mutter konnte und wollte er ihnen nicht ersetzen. Hätte er das versucht, wäre eine absonderliche
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Figur aus ihm geworden. Kinder brauchten einen Vater nicht weniger notwendig. Und wenn eine Mutter es allein schaffte, weshalb sollte es nicht auch einem Vater gelingen, Erziehungsprobleme ohne die moralische Stütze ehelicher Zweisamkeit zu meistern? Schluß damit, sagte er sich und gab sich einen Ruck. Die Zeiten, ins Grübeln zu verfallen, waren lange vorbei. Auch ein halb ertrunkener Papagei sollte daran nichts ändern. Er ging hinüber zum Schapp und ließ Sir John auf seinen Unterarm hüpfen. „Miese Kakerlake!“ schnarrte der Papagei fröhlich, und wenn er denken konnte, dann hielt er es wahrscheinlich für ein Kompliment. Hasard mußte grinsen. Die Einflüsse des Profos waren allgegenwärtig. Niemand an Bord der „Isabella“ konnte sich seinem Repertoire an Sprüchen entziehen, und die leicht Beeinflußbaren schienen mit Vorliebe die unflätigsten Ausdrücke zu übernehmen. Ein Papagei wie Sir John bildete da seltsamerweise keine Ausnahme. Hasard stieg hinaus an Deck, und die drückende Tropenhitze empfing ihn wie mit einem Hammerschlag. Sir John stieß sich ab, und mit einem langgezogenen Schrei flog er zur Großmastrah hinauf, wo er sich in Triumphpose niederließ. Die Männer auf der Kuhl konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Unter Anleitung von Will Thorne, dem Segelmacher, waren sechs Mann damit beschäftigt, beschädigtes Tuch zu flicken. Sie hatten sich um die Kuhlgräting niedergelassen, wo die zu mächtigen Bäuchen geblähten Segel ihnen einigermaßen Schatten spendeten. Die anderen waren damit beschäftigt, die Nagelbänke zu klarieren. Und jene, die sich auf Freiwache befanden, hatten sich auf dem Vorkastell niedergelassen, wo ihnen noch am ehesten ein bißchen Luftzug um die Nasen wehte. Vor dem Niedergang zum Achterkastell blieb der Seewolf stehen. „Profos!” rief er mit metallener Stimme
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und legte die Hände in die schmalen Hüften. Mit seinen breiten Schultern und seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß war er eine beeindruckende Erscheinung. Sein schwarzes Haar bildete einen ungewöhnlichen Kontrast zu den klaren, eisblauen Augen. Zu seinen Stulpenstiefeln und den enganliegenden Hosen trug er lediglich ein helles Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, das über seinem imposanten Brustkasten weit offenstand. „Sir?“ ertönte Edwin Carberrys Reibeisenorgan. Er mußte sich bücken, als er im offenen Kombüsenschott auftauchte. Dann stapfte er quer über die Kuhl auf den Seewolf zu. Der Profos der „Isabella“ war ein Bulle von Kerl, an dem das zernarbte Gesicht und das mächtige Rammkinn besonders augenfällige Merkmale bildeten. Vor dem Seewolf verharrte er und reckte den kantigen Unterkiefer vor. „Der Fall ist geklärt, Mister Carberry“, sagte Hasard, „wegen Tierquälerei sind Philip und Hasard Killigrew zu einer Woche Kombüsendienst verurteilt, außerdem während dieser Woche kein Aufenthalt an Deck. Ich will, daß du das verdammt genau überwachst, Mister Carberry.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos grollend, „habe mir schon so was gedacht, als die beiden kleinen Halunken wie ein geölter Blitz in der Kombüse verschwanden. Aber sie wollten es sich beim besten Willen nicht aus der Nase ziehen lassen, wie du ihnen die Leviten gelesen hast, Sir.“ Hasard grinste. „Ich denke, sie haben es begriffen. Vorerst brauchen wir wohl nicht zu befürchten, daß sie auch noch Arwenack das Fliegen beibringen.“ Die Männer an Deck brachen in schallendes Gelächter aus, und auch Ed Carberry stimmte mit seinem dröhnenden Organ ein. Arwenack, der Schimpanse, lugte mit neugierigen Augen aus dem Großmars. Das war einer seiner Lieblingsplätze, den er wie gewohnt mit Bill, dem ‚Moses der
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„Isabella“ teilte. Als das Gelächter verebbte, stieß Arwenack ein helles Keckern aus, als habe er verstanden, daß von ihm die Rede gewesen war. Die Galeone lief nach wie vor gute Fahrt. Der Nordost blies unverändert handig und stetig, und auf Kurs Südsüdwest segelnd, schob die „Isabella“ einen dicken weißen Bart als Bugwelle vor sich her. Der Gesang, den der Wind in Wanten und Pardunen hervorrief, vereinte sich mit dem Knarren von laufendem und stehendem Gut zu jener gewohnten Geräuschkulisse, die gutes Wetter bedeutete und von jedem Seemann geschätzt wurde. Hasard stieg über den Niedergang zum Achterkastell hinauf. Noch bevor er die letzten Stufen hinter sich brachte, zerschnitt ein heller Ruf die gleichförmigen Geräusche. „Deck!“ schrie Bill, wobei er sich weit über die Segeltuchverkleidung des Großmarses beugte. „Land in Sicht! Steuerbord voraus!“ Die Männer auf der Kuhl sprangen auf und liefen zum Schanzkleid. Aber noch war von dort mit bloßem Auge nichts weiter zu erkennen als ein schwacher Streifen über der Kimm, der ebenso gut aus Dunst bestehen konnte. Hasard schnappte sich seinen Kieker und spähte in die von Bill angegebene Richtung. Die brillante Optik lieferte ein gestochen scharfes Bild. Und es handelte sich keineswegs nur um einen Dunststreifen. Bill hatte bewiesen, daß er hervorragende Augen besaß. Diese Küstenlinie schien aus dichtem tropischem Grün zu bestehen. Soviel war schon jetzt klar. Der Seewolf ließ das Spektiv sinken. „Was meinst du, Ben?“ Der erste Offizier der „Isabella“ setzte gleichfalls sein Spektiv ab. Ben Brighton war ein untersetzter und breitschultriger Mann mit dunkelblondem Haar. Auch äußerlich strahlte er jene Ruhe aus, die seinem Charakter entsprach. „Ceylon“, sagte Ben, „daran gibt es für mich keinen Zweifel. Auf unserem
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Kartenmaterial sind jedenfalls keine vorgelagerten Inseln eingezeichnet.“ Hasard nickte. „Die Nordostküste soll ziemlich dünn besiedelt sein, meist sogar menschenleer. Ich denke, wir werden eine geeignete Stelle finden, um unsere Trinkwasservorräte zu ergänzen.“ „Frischfleisch wäre auch nicht zu verachten“, fügte Ben Brighton hinzu. Er sah den Seewolf mit einem forschenden Seitenblick an. „Rechnest du mit Portugiesen oder Spaniern?“ „Ausschließen kann man das nicht.“ Hasard zuckte mit den Schultern. „Andererseits sollen sie bis in die nordöstlichen Breiten der Insel noch nicht vorgedrungen sein. Aber ich bin auch in der Beziehung nicht sicher. Was wir gehört haben, ist sicherlich nicht der neueste Stand. Und da Philipp II. sich offiziell auch als König von Ceylon titulieren läßt, könnte ich mir vorstellen, daß er der Insel besonderes Interesse widmet. Wir müssen also auf Überraschungen gefaßt sein.“ Ben Brighton nickte bedächtig. Vorerst bestand kein Anlaß, den Kurs zu ändern, denn sie waren noch ausreichend weit von der legendenumwobenen Insel entfernt. Weit genug, um einer etwaigen Konfrontation mit den Dons rechtzeitig auszuweichen. Die meisten Seefahrer kannten jene aufregenden Geschichten, die über Ceylon erzählt wurden. Danach konnte man sich diese Insel als das wahre Paradies auf Erden vorstellen. Denn „Ceylon“, dieses von muslimischen Händlern geprägte Wort, bedeutete nichts anderes als „Insel der Freude“. Jeder Seemann verfügte über genügend Phantasie, um für sich selbst auszumalen, welche Art von Freuden damit gemeint sein konnten. Nun hatten aber Händler meist andere Interessen als ein Decksmann, dessen einzige Verantwortung sich darauf bezog, Orders der Schiffsführung zu befolgen. Möglicherweise waren eben jene Händler vor allem deshalb außer sich vor Freude gewesen, weil sie bei ihren ersten Landungen auf Ceylon insbesondere ein
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kaufmännisches Paradies entdeckten. Da gab es schillernde Berichte über den Reichtum dieser Insel. Es hieß, in der Luft läge ein ständiger Duft von Gewürzen, hauptsächlich von Zimt. Welche immense Bedeutung das hatte, vermochten naturgemäß besonders die Kaufleute zu ermessen. Denn in diesen Jahren, in denen Europäer die ersten wichtigen Handelsrouten nach Südostasien erschlossen, konnte man zunächst nur ahnen, welche unvorstellbaren Ausmaße der Gewürzhandel später einmal annehmen sollte. Fest stand aber schon jetzt, daß die fernöstlichen Gewürze nie gekannte Möglichkeiten bieten würden – besonders in Europa, wo man jahrhundertelang nichts Vergleichbares gehabt hatte, um Lebensmittel schmackhafter zuzubereiten. Aber auch Rubine, Saphire und kostbare Perlen sollte es auf Ceylon im Überfluß geben. Marco Polo hatte in einem seiner Reiseberichte behauptet, auf Ceylon einen Rubin gesehen zu haben, der die Größe eines Handtellers und die Stärke eines Menschenarms gehabt hätte. Es hieß aber auch, daß Seefahrer die „Insel des Glücks“ seit mehr als eintausend-fünfhundert Jahren kannten. Von der Stadt Galle, im äußersten Südwesten gelegen, sagte man, daß dies das biblische „Tarschisch“ sein müsse, wo Salomos Schiffe Gold und Silber, Elfenbein, Affen und Pfauen gefunden hätten. Philip Hasard Killigrew verspürte indessen kein Verlangen, auf Ceylon nach abenteuerlichen Geschäftsmöglichkeiten zu suchen. Die vereinten Königreiche von Spanien und Portugal hatten hier längst ihr Terrain abgesteckt, und bei dieser derzeitigen Situation war es für eine einzelne britische Galeone höchst riskant, in die von den Dons beherrschten dichter besiedelten Gebiete an der Westküste vorzudringen. Ohnehin hatte der Seewolf längst beschlossen, so bald wie möglich den Indischen Ozean zu durchsegeln, um das Kap der Guten Hoffnung und darauf den Atlantischen Ozean zu erreichen.
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Während er die Küste Ceylons beobachtete, die sich mehr und mehr aus dem Dunst schälte, ahnte er noch nicht, daß es keineswegs bei dem geplanten kurzen Aufenthalt zur Aufbesserung der Vorräte bleiben würde. de. 2. Im ersten Moment rieb sich Joaquin Cavaqués verblüfft die brennenden Augen. Denn möglicherweise handelte es sich ja nur um einen Trugschluß seiner überstrapazierten Sinne. Dann sprang er auf, als sei er von einer Tarantel gestochen worden. Vornübergebeugt, Nerven und Muskeln jäh angespannt, starrte er auf die See hinaus, deren endlose Weite in der Sonnenglut flimmerte. Mastspitzen! „Madre de dios“, murmelte Cavaqués entgeistert, „heilige Mutter Gottes, das kann doch nicht wahr sein!“ Ohne den Blick von der nordöstlichen Kimm zu wenden, verließ er seinen Platz unter den schattenspendenden Palmen und ging mit zögernden, unsicheren Schritten den Strand hinunter – wie in Trance. Doch jetzt mußte er feststellen, daß die Mastspitzen, die er zu sehen geglaubt hatte, plötzlich verschwunden waren. Wieder rieb er sich die Augen. Also doch eine Sinnestäuschung? Er zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Dann dämmerte es ihm, daß der Strand zum Wasser hin leicht abfiel. Augenblicklich warf er sich herum und hastete zurück zu dem Stamm einer fast am Boden liegenden Palme, den er sich zuvor als Sitzgelegenheit ausgesucht hatte. Er stieg hinauf, schwankte, und in der Aufregung gelang es ihm erst mit einiger Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Er schirmte die Augen mit der flachen Hand ab, während er nochmals nach Nordosten spähte. Fast hätte er einen Jubelschrei ausgestoßen. Doch er zwang sich, nicht zu früh zu triumphieren. Erst wollte er absolute Gewißheit haben.
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Da waren jetzt die Rahsegel zu erkennen, die sich deutlich über die Kimm schoben. Joaquin Cavaqués hielt den Atem an. Noch wagte er nicht, den Gedanken zu Ende zu führen - aus Angst, seine Hoffnung würde in jähe Enttäuschung umschlagen. Aber war es nicht eine begründete Hoffnung? Schließlich handelte es sich doch um den vereinbarten Monat, in dem eine spanische Galeone Kurs auf die Kokkilai-Lagune nehmen sollte, um Capitan Herrera und sein Kommando aufzunehmen! Die Überzeugung des einsamen Mannes wuchs. Eine innere Erregung erfaßte ihn, die sich im gleichen Maße steigerte, wie sich seine Gewißheit zu festigen begann. Zusätzlich empfand er eine Art von Stolz, wie sie ihm nie zuvor bewußt geworden war. Denn es konnte gar keinen Zweifel daran geben, daß es sich um die erwartete spanische Galeone handelte. Nicht zu Unrecht hatte die spanische Seestreitmacht jenen glorreichen Ruf, der ihr zur Weltgeltung verholfen hatte. Und noch immer war auf die präzise Organisation dieser Macht unabdingbar Verlaß. Daran änderte auch die schmähliche Niederlage der Armada gegen die Engländer nichts. Nein, gewiß nicht, denn das spanische Volk sammelte seine geistigen und physischen Kräfte zu neuem Glanz. Und zweifellos lag ein vielversprechender Teil der Zukunft Spaniens hier, in diesen fernöstlichen Regionen mit ihrem Reichtum, der nur erst noch geborgen werden mußte. Bei Gott, wenn eine spanische Galeone für dieses fünfte Jahr und diesen fünften Monat nach dem Monsunregen zugesagt war, dann erschien sie auch zur angegebenen Zeit. Joaquin Cavaqués blickte noch eine Weile auf die See hinaus, nun schon merklich gelassener. Seine ursprüngliche Anspannung wich. Er konnte dem Schiff jetzt ruhig entgegensehen, und dann würde man auch eine Entscheidung darüber treffen können, wann und auf welche Weise den Landsleuten im Inneren der Insel zu helfen war.
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Die Segel waren in vollem Umfang zu erkennen, und bald darauf stand es unumstößlich fest: Es handelte sich um eine Galeone, eine dreimastige Galeone! Der Mann, der nur noch durch seine Kleidungsreste vage an einen Europäer erinnerte, stieß einen urwelthaften Schrei aus. Er reckte beide Arme, sprang von dem Baumstamm und rannte auf die weiße Fläche des Strandes hinaus. Dabei schrie er fortwährend aus Leibeskräften. Sein schulterlanges und fettig gewordenes Haar wehte, er rannte im Kreis herum, vollführte Sprünge, tanzte, lachte und schrie von neuem. Keuchend verharrte er. Die Anstrengung war zuviel für seinen ausgemergelten Körper. Er ließ sich auf den Sand sinken, zog die mageren Knie vor die Brust und verschränkte die Arme darüber. Ein versonnenes Lächeln malte sich in seinen Gesichtszügen, während er dem Schiff entgegensah. Eine schlanke Galeone war es, keine dieser dickbauchigen Seekühe, die er noch aus seiner Zeit in der Garnison von Cadiz in Erinnerung hatte. Damals waren diese Schiffsbäuche mit Gold und Silber vollgeschlagen gewesen, das sie aus der Neuen Welt herübergebracht hatten. Die Entfernung vermochte Cavaqués nicht zu schätzen, es mußten aber noch zwei bis drei Seemeilen sein. Er hatte wenig seemännische Erfahrung, denn wie Capitan Herrera auch, war er Zeit seines Lebens Soldat gewesen, dem die Flotte nur als Transportmittel zum Ort des Einsatzes diente. Deutlich war aber, daß diese herannahende Galeone rauschende Fahrt lief. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus sprang Cavaqués auf. Himmel, wenn sie jetzt ihr Ziel verfehlten! Er mußte auf sich aufmerksam machen, mußte ihnen den Kurs weisen, damit sie nicht zu guter letzt noch eine andere Bucht ansteuerten und dort vergeblich auf ihre Landsleute warteten. Immerhin konnte es ja möglich sein, daß es sich um eine Schiffsbesatzung handelte, die Ceylon
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noch nicht so gut kannte wie jene, mit der sie vor fünf Jahren gelandet waren. Cavaqués rannte zurück zum Palmenwald, tauchte im Dickicht unter und griff in fliegender Hast nach verdorrten Zweigen und Ästen, die hier im Überfluß herumlagen. Er lud sich soviel auf, wie seine Arme fassen konnten und trug es auf die freie Fläche des Strandes hinaus, bis nahe an das Wasser. Noch mehrmals eilte er auf diese Weise hin und zurück, bis sich ein Holzstapel auftürmte, der fast brusthoch war. Keuchend hockte sich Cavaqués daneben auf den Boden und blickte noch einmal auf die See hinaus. Das Bild war nicht verschwunden. Es handelte sich also weder um eine Sinnestäuschung noch um eine Luftspiegelung. Unter Vollzeug näherte sich die Galeone der Küste. Dabei erinnerte sie den einsamen Mann an ein Gemälde in Öl, so stolz und schön war dieses Schiff. Für ihn hatte dieses Bild etwas Verheißungsvolles, etwas, das von schicksalhafter Bedeutung für seine Zukunft sein würde. Er riß sich von dem Anblick los und suchte in dem Holzhaufen nach zwei geeigneten Stücken, die er rasch fand. Aus einem dickeren, ausgedorrten Ast brach er den Rest eines Zweiges heraus, so daß eine augenförmige Vertiefung entstand. In diese Mulde steckte er das Ende eines nahezu kerzengeraden Zweiges, dessen oberes Ende er zwischen beide Handflächen legte. Dann begann er, die Handflächen mit rasender Schnelligkeit gegeneinander zu bewegen. Entsprechend schnell drehte sich die Spitze des Zweiges in der Vertiefung des knochentrockenen Astes. Staubfeines Holzpulver wehte hoch und wurde von der Brise fortgetragen. Schon bald rann dem Spanier der Schweiß in Strömen über das eingefallene Gesicht. Doch er hielt nicht inne. Diese Art des Entfachens von Feuer hatte er in jenen langen Jahren gelernt, die er mit seinen Gefährten im ceylonesischen Hochland zugebracht hatte - gelernt von jenen
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Menschen, die dort auf eine Weise ihr Dasein fristeten, wie man es sich als Europäer selbst mit blühendster Phantasie nicht vorstellen konnte. Irgendwann, nach endlosen Minuten, stieg aus der Mulde des Asts dünner Rauch auf. Verbissen arbeitete Cavaqués weiter. Der Rauch wurde stärker, und dann, plötzlich, begann das Holz zu glimmen. Cavaqués unterbrach seine schweißtreibende Tätigkeit auch jetzt noch nicht, beugte sich vielmehr nieder und blies behutsam und dann kräftiger in die schwache Glut. Kleine Flammen begannen zu züngeln, nahmen zu und fraßen sich nach beiden Seiten in das Holz. Dann endlich, als diese Flammen hoch _zu lodern begannen, richtete der Spanier sich auf, nahm das Aststück und schob es unter den aufgeschichteten Holzhaufen. Sofort fanden die Flammen Nahrung, fraßen sich prasselnd nach allen Seiten und in die Höhe. Innerhalb von wenigen Minuten loderte das Feuer mehr als mannshoch. Joaquin Cavaqués war gezwungen, zur Seite zu weichen, denn die Hitze wurde unerträglich. Er ging zum Wasser, bückte sich und benetzte sein schweißnasses Gesicht mit dem lauwarmen Naß, das ihm etwas Abkühlung verschaffte. Wieder spähte er zu der Galeone, wobei er die Augen mit der Handfläche der Rechten vor der gleißenden Sonne schützte. Jetzt vermochte er zu schätzen, daß das Schiff noch etwa zwei Seemeilen entfernt war. Es war ein ungewöhnlich schlankes Schiff, wie er feststellte. Insbesondere fiel ihm das Achterdeck auf, das nicht so stark geneigt war, wie er es kannte. Zwar verstand er wenig vom Schiffbau, doch er hatte Galeonen in dieser außerordentlichen flachen Bauweise in Spanien noch nicht gesehen. Wohl hatten sie die Form der Schiffsrümpfe verbessert, hatten einige Lehren aus dem gezogen, was die Engländer ihnen in dieser Beziehung buchstäblich vorzauberten. Aber diese geradezu elegante Form der Aufbauten war denn doch etwas völlig Neues.
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Unvermittelt kniff Cavaqués die Augen zusammen. Die Flagge im Masttopp des fremden Seglers konnte er nicht in voller Größe erkennen, da sie in spitzem Winkel zu ihm wehte. Deutlich waren aber zumindest die Farben dieser Flagge zu erkennen, und diese Farben besagten... „Madre mia“, hauchte Cavaqués tonlos, „ein Engländer!“ Er spürte das Herz in seiner Brust hämmern, und lange verharrte er in atemloser Spannung, während die Flammen seines Feuers hinter ihm noch immer hoch emporloderten. Dann hatte es endgültige Gewißheit. Es war eine elisabethanische Galeone, die sich diesem menschenleeren Küstenstrich der Insel Ceylon näherte. Ein gottverdammter Brite, der sich erdreistete, in die Bereiche seiner Majestät, des Königs von Spanien, vorzudringen. Würden diese Kerle denn nie Ruhe geben? Legten sie es jetzt auch noch darauf an, hier Unruhe zu stiften, wo die Macht der spanischen Krone jung und ungebrochen war? Cavaqués unterbrach seine Gedanken und schalt sich plötzlich einen Narren. Mußte er im Grunde nicht doch froh sein, wenn jenes Schiff die Kokkilai-Lagune anlief? Waren es nicht Europäer wie er, die auf dieser Galeone fuhren, und gab es nicht allein deshalb schon eine gewisse Verbundenheit? Hier, in dieser lebensfeindlichen Wildnis, mußten sie sich doch als Brüder betrachten, wenn ihre Nationen auch verfeindet waren. Joaquin Cavaqués atmete tief durch. Was aber, wenn jene Engländer dort draußen eine andere Meinung von den Dingen hatten? Wenn sie in erster Linie ihr Nationalitätsbewußtsein sahen und Menschlichkeit erst an zweiter Stelle ihres Denkens stand? Auf einmal begann er zu hoffen, daß sie alle Feindschaft vergaßen. Denn der Verdacht keimte in ihm auf, daß die eigenen Landsleute möglicherweise doch vergessen hatten, daß sie hier fünf Jahre in der Wildnis gelebt hatten. Vielleicht maß König Philipp II. der Expedition gar nicht
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mehr die Bedeutung bei, die er ursprünglich darin gesehen hatte. Was, wenn sich gar die Machtverhältnisse auf Ceylon völlig geändert hatten? Fünf Jahre waren eine lange Zeit. Und konnte es nicht sein, daß die Engländer jetzt auf Ceylon die vorherrschende Rolle spielten? All diese Gedanken schossen Joaquin Cavaqués durch den Kopf, während er der heranrauschenden Galeone mit großen Augen entgegenstarrte. * Bill, der schwarzhaarige Moses der „Isabella“, reckte sich im Großmars auf, und seine Stimme ertönte alarmierend und hell. „Deck! Steuerbord voraus! Ein Feuer am Strand! Und da bewegt sich was!“ Auf dem Achterdeck rissen der Seewolf und Ben Brighton ihre Kieker hoch. Die Messingverkleidung der Spektive funkelte im grellen Sonnenlicht. Bill, zum jungen Mann herangewachsen und sehr aufgeweckt, verfügte über äußerst scharfe Augen. So hatte er trotz des hellen Tageslichts sofort den Feuerschein entdeckt, der dort in der weiten Lagune zu züngeln begann. Bill war sich der Verantwortung bewußt, die auf ihm als Ausguck lastete. Bislang hatte er stets bewiesen, daß er dieser Aufgabe gewachsen war. Die Seewölfe hatten ihn auf Jamaica aufgelesen, wo er seinen Vater, London-Joe, verloren hatte. Beide waren auf dem englischen Schiff „SeaEagle“ gefahren, bevor sie von den Spaniern gefangengenommen worden waren. Bill wußte, daß er die schmerzliche Erinnerung nie abschütteln würde. Umso mehr tat er alles, um sich an Bord der „Isabella“ zu bewähren und eines Tages ein vollwertiger Seemann zu werden wie die anderen Männer auch. Auf der Kuhl und auch auf dem Vordeck sprangen sie auf, liefen ans Schanzkleid und versuchten, Einzelheiten zu erkennen. „Himmel, Kreuz und Wolkenbruch“, knurrte Ben Brighton, und es mußte schon ganz dick kommen, wenn er sich solcher
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Ausdrucksweise bediente. „Jetzt geht dieses elende Theater wieder los! Ich weiß nicht, warum wir dauernd das Glück haben, uns mit so was abplagen zu müssen.“ Hasard nickte, ohne das Spektiv abzusetzen. Er wußte, auf was Ben anspielte. Mit Schiffbrüchigen hatten sie höllisch schlechte Erfahrungen gesammelt. Ein zweites Mal würde ihnen das gewiß nicht passieren, was sie auf der indonesischen Insel Seribu erlebt hatten. Es war in diesen Zeiten der Entdeckungen bisher unbekannter Regionen indessen nicht unerklärlich, daß an einsamen Küstenstrichen Menschen auftauchten, die auf Rettung hofften. Zu viele Menschen waren aus dem alten Europa aufgebrochen, um sich in fernen Ländern umzusehen. Bei den Abenteuern, die damit verbunden waren, erschien es nicht verwunderlich, wenn einzelne Menschen zu Strandgut wurden und verzweifelt auf Rettung hofften. Der Seewolf hatte das kartographische Material im Kopf. Die Lagune, die sich Steuerbord voraus ausdehnte, trug den Namen Kokkilai. Nach den vorhandenen Aufzeichnungen war dieses Gebiet an der Nordostküste Ceylons völlig menschenleer. Es bestand eine ziemliche Wahrscheinlichkeit, daß besagte Aufzeichnungen verläßlicher waren als die überwiegend mündlichen Berichte über bisher unbekannte kleine Eilande. Der Seewolf hatte nicht vorgehabt, schon hier, an diesem unwirtlichen Teil der ceylonesischen Küste zu ankern. Vielmehr war er im Begriff gewesen, in Küstennähe weiter auf Südkurs zu segeln, bis sich ein geeigneter Platz fand — möglicherweise auch mit einer kleineren Ansiedlung von Eingeborenen, die bei der Ergänzung der Vorräte behilflich sein konnten. Ob er wollte oder nicht, war er jetzt aber gezwungen, sich mit der neuen Lage auseinanderzusetzen. Die Gebote der Menschlichkeit ließen sich auch durch schlechte Erfahrungen nicht vom Tisch fegen.
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Hasard suchte mit dem Spektiv zunächst die Umgebung der Lagune ab. Landeinwärts erstreckte sich das unüberschaubare Grün des Dschungels, tropischer Regenwald, der meistenteils für Menschen so gut wie undurchdringlich war. Auch schien sich weiter entfernt, hinter dem Dunst aufsteigender Feuchtigkeit verborgen, bergiges Land zu befinden, das bis jetzt nur durch schemenhafte Umrisse zu ahnen war. Ruhig schwenkte Hasard den Kieker zum weißen Strand der Lagune. Noch war genügend Zeit für einen Kurswechsel. Das Feuer, das einen hervorragenden Orientierungspunkt für die Optik des Spektivs bildete, war mittlerweile zur Hälfte heruntergebrannt. Hasard konzentrierte sich auf die menschliche Gestalt, die neben jenem Feuer schon deutlich erkennbar wurde. Eine bemitleidenswerte Gestalt, so war immerhin sein erster Eindruck. Doch er nahm sich fest vor, sich diesmal aus Mitleidsgefühlen heraus nicht täuschen zu lassen. Immerhin waren sie deswegen auf Seribu in eine raffinierte Falle gelaufen, die den Profos um ein Haar das Leben gekostet hätte. Der Mann am Stand schien zur Hälfte aus Haaren zu bestehen. Das Haupthaar bedeckte seine nackten Schultern, und das Barthaar reichte ihm sogar bis auf die Brust. Da seine Hautfarbe aber weiß war, mußten es schon merkwürdige Umstände gewesen sein, die zu seinem urwelthaften Äußeren geführt hatten. Normalerweise legte ein Europäer selbst unter den widrigsten Umständen noch ein Minimum an Wert auf seine äußere Erscheinung, war dies doch ein Umstand, der letztlich einen Rest von Zivilisation symbolisierte. Daß es sich aber um einen Europäer handelte, ließen die Stulpenstiefel vermuten, die er an seinen dünnen Beinen trug. Ein erbärmlicher Anblick, alles in allem. „Irgendwas stimmt da nicht“, sagte Hasard nachdenklich, ohne den Kieker abzusetzen. „Ob man den Burschen als Schiffbrüchigen
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bezeichnen kann, erscheint mir verdammt fraglich.“ „Willst du etwa weich werden?“ entgegnete Ben Brighton. „Wir haben Grund genug, uns auf kein Risiko einzulassen. Immerhin müssen wir damit rechnen, daß die Spanier bis hierher vorgedrungen sind. Selbst wenn der Kerl da an der Lagune harmlos ist — die Dons könnten uns leicht Feuer unter dem Hintern machen, wenn sie in der Nähe einen Stützpunkt haben.“ „Ich weiß“, sagte der Seewolf, „über all das bin ich mir völlig im klaren. Wenn wir etwas zur Rettung dieses Mannes unternehmen, dann nur mit äußersten Vorsichtsmaßnahmen. Er sieht mir aber nicht danach aus, daß er ein Köder sein soll.“ „Das ist wohl mehr ein Gefühl, oder? Wie willst du das wissen?“ „Natürlich kann ich das nicht wissen, Ben. Aber es ist nun mal unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Hilfe zu leisten, wo Hilfe notwendig ist.“ Hasard blickte seinen ersten Offizier an. „Wir werden nach dem Rechten sehen. Laß Kurs auf die Lagune anlegen und das Schiff gefechtsklar machen.“ Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander. Doch er verkniff sich einen Kommentar. Sicherlich war die Entscheidung des Seewolfs berechtigt, und es stand ihm nicht zu, daran zu rütteln. Das alles vermochte aber nicht die Bedenken Bens zu zerstreuen, und er wußte auch, daß es in Situationen wie dieser gut war, ein gewisses Maß an Besorgnis aufrechtzuerhalten. Nicht, daß er Hasards Anordnung mißbilligte oder gar für falsch hielt. Ben Brighton betrachtete es stets als seine Aufgabe, auf die möglichen negativen Seiten einer Angelegenheit ausdrücklich hinzuweisen. Und Hasard seinerseits schätzte diese Eigenart seines ersten Offiziers, denn dieser hatte durch seine innere Ruhe und seine Überlegtheit stets den ganz klaren Blick nach vorn gehabt. Auch in Situationen, die man getrost als Chaos bezeichnen konnte.
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Ben Brighton ging hinüber zur Schmuckbalustrade des Achterkastells. „Pete!“ „Sir?“ Fete Ballie, der stämmige Rudergänger, wandte den Kopf. Er war nicht besonders groß, hatte dafür aber Fäuste im Format von Ankerklüsen. Schon bei Kapitän Francis Drake war er als Rudergänger gefahren, und der Seewolf hatte ihn für diesen Posten an Bord der ersten „Isabella“ übernommen. Hasard konzentrierte sich weiter darauf, die Lagune durch das Spektiv zu beobachten. „Zwei Strich Steuerbord“, sagte Ben Brighton, „Kurs auf die Bucht, Pete.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Rudergänger, „zwei Strich Steuerbord und Kurs auf die Bucht.“ Mit spielerisch scheinender Leichtigkeit ließ er das mächtige Steuerruder unter seinen Fäusten rotieren. Ben Brighton stand unterdessen schon an das Schmuckbalustrade und gab seine Befehle in der gewohnt knappen Art. Augenblicklich war Edwin Carberry in seinem Element. „An die Brassen, ihr Himmelhunde!“ brüllte er mit Donnerstimme, wobei er die Fäuste in die Hüften stemmte und das Rammkinn vorreckte. „Wollt ihr euch wohl bewegen, ihr müden Kakerlaken! Oder muß ich euch erst die Haut in Streifen von euren Affenärschen ziehen? Bob Grey, du Stint, das gilt auch für dich! Oder glaubst du, daß der Kutscher eine Extrawurst für dich in die Pfanne haut?“ Bob Grey, der drahtige blonde Engländer, der so überaus geschickt mit dem Wurfmesser umzugehen verstand, grinste sich eins und flitzte los. Nur einen Atemzug später als die anderen stieß er sich vom Schanzkleid ab, doch dafür war er noch eine Idee schneller an den Großbrassen. Im Handumdrehen war jeder einzelne Mann an dem Platz, an dem er gebraucht wurde. Sie kannten ihre Aufgaben, diese in Sturm und Pulverrauch erprobten Männer, und jeden Handgriff beherrschten sie mit schlafwandlerischer Sicherheit.
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„Profos!“ „Sir?“ Edwin Carberrys Rammkinn schwenkte herum. „Anschließend sofortige Gefechtsbereitschaft!“ „Aye, aye, Sir!“ donnerte Carberrys Stentorstimme zurück, und augenblicklich widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen an Deck. „Schlaft nicht ein, ihr tranigen Heringe! Ihr da, auf dem Vordeck! Braucht ihr eine Extraeinladung? Das hab ich schon schneller gesehen, verdammt noch mal! Ich lasse euch samt und sonders kielholen, wenn ihr nicht auf der Stelle einen Schlag zulegt!“ Die auf dem Vordeck waren Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, Blacky, der schwarzhaarige Kerl mit den eisenharten Fäusten, Dan O'Flynn, der die meisten anderen an Gewandtheit und Reaktionsvermögen übertraf, Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, und Smoky, der Decksälteste, der sich normalerweise von Ed Carberry nichts sagen zu lassen brauchte. Aber ihnen allen waren nun einmal die vertrauten Sprüche des Profos' wie das Salz in der täglichen Suppe. Ohne Carberrys ständiges Gebrüll konnten sie sich die Ausführung der Befehle vom Achterdeck schon gar nicht mehr vorstellen, und ihnen allen steckte es noch höllisch in den Knochen, was auf Seribu passiert war. Dort wäre Carberry um ein Haar irgendwelchen Göttern geopfert worden. Sein Leben hatte an einem seidenen Faden gehangen, und wenn es nach dem Willen der Inselbewohner gegangen wäre, hätten sie ihn tatsächlich wie eine Katze ersäuft — mit einem teuflischen Ballast von Steinen, die ihn auf den Meeresgrund gezogen hätten. Jeder Mann an Bord der „Isabella“ erinnerte sich noch genau daran, wie sie damals tim sein Leben gebangt hatten. Vor allem deshalb schätzten sie seitdem die vertraute Geräuschkulisse seines Gebrülls umso mehr. Natürlich packten alle mit zu, auch jene, die sich derzeit auf Freiwache befanden.
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Auf der Kuhl waren es Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, dessen Kreuz so breit war wie ein Rahsegel, außerdem Matt Davies, der Mann mit der furchterregenden Hakenprothese am rechten Arm, Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, Jeff Bowie, der links eine ähnliche Hakenprothese trug wie Matt Davies, und Sam Roskill, der draufgängerische ehemalige Pirat aus der Karibik. Auch Old Donegal Daniel O'Flynn, der Vater Dans, arbeitete auf dem Achterdeck nach Kräften mit, und er scherte sich dabei den Teufel um sein Holzbein, das ihn doch ziemlich behinderte. Mit ihm auf dem Achterdeck waren Big Old Shane, der bärtige Schmied von Arwenack, Luke Morgan, der einst aus der englischen Armee desertiert war und unter dem Kommando des Seewolfs eine neue Heimat gefunden hatte, Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, und Stenmark, der große schlanke Schwede mit dem für einen Skandinavier so typischen blonden Haar. Lediglich der Kutscher und die Zwillinge als seine Schutzbefohlenen blieben in der Kombüse. Und die beiden letzteren taten gut daran, denn Edwin Carberry warf immer wieder kontrollierende Blicke zum Kombüsenschott, ob dort nicht etwa doch zwei vorwitzige Nasenspitzen auftauchten. Mit lässiger Eleganz war die „Isabella“ herumgeschwungen und rauschte über Backbordbug der Lagune entgegen. Die Krümmung des Kielwassers war wie mit einem Zirkel gezogen und verdeutlichte Pete Ballies meisterhaftes Können. Nachdem das Segelmanöver ausgeführt war, scheuchte Ed Carberry die Männer an die Geschütze. Es entstand die übliche Wuhling, die der Gefechtsbereitschaft vorausging und doch ein absolut kontrolliertes Durcheinander war. Jeweils acht Siebzehn-Pfünder-Culverinen befanden sich an Backbord und Steuerbord der Galeone, außerdem zwei Drehbassen vorn und zwei dieser in Gabellafetten schwenkbaren Hinterlader achtern.
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Eilends lösten die Männer die Culverinen mit den überlangen Rohren aus ihren Zurrings. Sand wurde auf den Planken ausgestreut, Kohlenbecken und Pützen mit Wasser zum Löschen etwaiger Brände bereitgestellt. Al Conroy überwachte diese Tätigkeit mit der ihm eigenen Umsicht, und er übernahm selbst das Laden der Drehbassen, die zum schnellen Feuern vorgesehen waren. Ferris Tucker und Big Old Shane schleppten derweil schon die „Spezialitäten“ der Isabella-Crew heran: Höllenflaschen, die mit Pulver, Bleistücken und Nägeln gefüllten Handgranaten, deren Detonationszeitpunkt durch die Länge der Lunte bestimmt wurde, chinesisches Feuer, eines furchterregende Instrumentarium fernöstlicher Schwarzpulverkünste, das sie aus dem Reich der Mitte mitgebracht hatten, und nicht zuletzt die besonderen Brandpfeile Big Old Shanes und Batutis, die in ihren hohlen Schäften mit Pulver gefüllt waren und schon manchen Gegner mit ihren Explosionen in totale Verwirrung gestürzt hatten. Am Eingang der Bucht, fünf Kabellängen vom weißen Strand und der undurchdringlich scheinenden . Wand des Palmenwaldes entfernt, ließ der Seewolf die Segel auf geien und Anker werfen. Die „Isabella“ zeigte dem Ufer ihre Steuerbordbreitseite, und mit den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen war man gegen alle nur denkbaren Überraschungen bestens gewappnet. Auf der Kuhl und auf dem Vordeck versammelten sich die Männer und harrten der Dinge, von denen sie noch nicht die geringste Vorstellung hatten. Die Geschützmannschaften waren eingeteilt, und Al Conroy hatte sich eine der beiden vorderen Drehbassen für den Fall des Falles vorbehalten. Batuti und Big Old Shane hatten ihre mächtigen Bogen und die Brandpfeile bereitgelegt, und auch die Höllenflaschenabschußkanone war klar zum Einsatz.
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Mittlerweile konnten sie alle die seltsame Gestalt am Strand mit bloßem Auge erkennen. Der Kerl hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Wie er dastand und zu der ankernden Galeone herüberstarrte, sah er aus wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Sein Feuer war inzwischen niedergebrannt. Philip Hasard Killigrew suchte mit dem Spektiv noch einmal gründlich das Dickicht ab, das unter den mächtigen Palmen den Strand umsäumte. Nirgendwo war dort eine verdächtige Regung zu erkennen. Trotzdem war höchste Vorsicht geboten. Man durfte sich nicht in der Gewißheit sonnen, daß sich die „Isabella“ im Handumdrehen in eine feuerspeiende schwimmende Festung verwandeln würde, wenn es erforderlich war. „Ich weiß nicht“, sagte Ben. Brighton stirnrunzelnd, „entweder ist diese komische Figur durch unseren Anblick zur Salzsäule erstarrt, oder er kommt aus dem Staunen nicht heraus.“ „Wir werden es herausfinden“, entgegnete Hasard. „Ich gehe selbst mit an Land. Du übernimmst das Kommando an Bord, Ben. Sollte dir auch nur eine Winzigkeit verdächtig erscheinen, schießt ihr den Dschungel in Fetzen.“ „Aye, aye, Sir“, sagte der erste Offizier lächelnd, „darauf kannst du dich verlassen.“ Der Seewolf wandte sich der Kuhl zu und gab Befehl, das kleine Beiboot abzufieren. Als Rudergasten teilte er Dan O'Flynn, Ferris Tucker, Batuti und Smoky ein. Alle übrigen Männer wurden für den möglichen Notfall an Bord gebraucht. Bevor er ebenfalls in das Boot abenterte, holte Hasard seinen Radschloß-Drehling aus der Kapitänskammer. Die schwere Pistole war ein wertvolles Stück, und das nicht nur wegen ihrer Seltenheit. Denn die Waffe hatte ein sogenanntes Bündel von sechs Läufen, die vor Griffstück und Schloßmechanismus auf einer Achse drehbar gelagert waren. Durch das Spannen des Hahns drehte sich das Laufbündel und beförderte die jeweils
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noch nicht abgefeuerte Ladung vor den Zündkanal des Steinschlosses. Mit dem Drehling verfügte der Seewolf über eine Waffe, die im Nahkampf von unschätzbarem Wert war, ermöglichte sie doch das Sechsfache an Feuerkraft, was die bisher fast ausschließlich einschüssigen Pistolen boten. Zwar gab es auch doppelläufige Pistolen, doch der Drehling übertraf alles, was die Büchsenmacherkunst bislang hervorgebracht hatte. Hasard setzte sich auf die Achterducht des Beibootes, stieß es von der Bordwand der „Isabella“ ab und ergriff die Ruderpinne. Sofort begannen die vier Männer zu pullen, und von kraftvollen Schlägen getrieben, glitt das Boot dem Strand entgegen. Der Wellengang war nur mäßig, so daß sie zügig Fahrt erreichten. 3. Joaquin Cavaqués stand noch immer wie versteinert. Zweifel und Freude bekämpften sich in seinem Inneren, und sein erbärmlicher physischer Zustand trug entscheidend dazu bei, daß er zu völliger Apathie abgestumpft war. Er fühlte sich nicht imstande, eine Entscheidung zu treffen, brachte es nicht fertig, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen - sei es, um den Engländern durch das seichte Wasser entgegenzulaufen, oder sei es, um die Flucht zu ergreifen. Eine Chance zur Flucht hatte er gewiß noch, denn er kannte den Dschungel zur Genüge. Er hatte diese grüne Hölle bezwungen, und so würde er auch fähig sein, sie für seine Zwecke zu nutzen und sich vor den Fremden zu verbergen. Einerseits fühlte er sich wie das sprichwörtliche Kaninchen, das der übermächtigen Schlange wie gelähmt in den Rachen starrt. Andererseits war es ihm völlig einerlei, was die Engländer mit ihm anstellen würden. Retteten sie ihn - gut. Nahmen sie ihn gefangen - ja, dann ließ sich das auch nicht mehr ändern. Im Gleichklang mit seiner körperlichen
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Schwäche war auch seine Entschlußkraft völlig erloschen. Am allerwenigsten konnte er begreifen, warum sie ihre Galeone in Gefechtsbereitschaft versetzt hatten. Soviel kannte er von der Seekriegsführung, um derartige Vorbereitungen auch auf größere Entfernung deuten zu können. Die Männer, die auf ihn zuruderten, waren kraftstrotzende Burschen, die so blendend in Form zu sein schienen, daß allein ihr Anblick den einsamen Mann mit Bitterkeit und Neid erfüllte. Vor fünf Jahren, damals, hätte er sich noch zugetraut, es mit ihnen aufzunehmen — sofern er nur eine Pistole und einen Säbel zur Hand gehabt hätte. Jetzt aber fühlte er sich so klein und hilflos, daß ihm das ganze Elend der zurückliegenden Jahre bewußt wurde. Der Kiel des Bootes knirschte auf dem Ufersand, die Männer sprangen ins seichte Wasser und zogen das Boot höher auf den Strand. Joaquin Cavaqués erhob die Hand zu einer müden Geste und fühlte sich im selben Moment lächerlich dabei. Weshalb signalisierte er ihnen Freundschaft, wenn sie nicht einmal Anstalten zeigten, eine Pistole zu ziehen oder auch nur zum Cutlass zu greifen? Sie sahen schon von weitem, daß er kein ernstzunehmender Gegner für sie sein konnte. Der Mann, der voranging, mußte der Kapitän der Galeone sein. Cavaqués hatte einen Blick für diese Haltung, die Autorität und Selbstbewußtsein widerspiegelte. Ein schwarzhaariger Riese, mit mächtigen breiten Schultern und überaus schmalen Hüften. Wie ein Engländer sah er nicht gerade aus. Die vier anderen waren nicht weniger eindrucksvoll. Der herkulisch gebaute Neger entblößte zwei Reihen perlweißer Zähne, doch sein freundlich gemeintes Lächeln wirkte auf den Spanier eher furchteinflößend. Der schlanke junge Mann mußte ein ungeheuer geschickter Kämpfer sein, und wo der rothaarige Riese hinschlug, da wuchs mit Sicherheit kein Gras mehr. Der vierte, ein bulliger
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braunhaariger Kerl, verstand es zweifellos nicht weniger gut, seine Fäuste zu gebrauchen. Der schwarzhaarige Riese blieb drei Schritte entfernt stehen und hob die Rechte zu einer knappen Geste des Grußes. „Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, sagte er auf Spanisch. „Ich bin der Kapitän der Galeone, die Sie dort vor Anker sehen. Sprechen Sie unsere Sprache?“ Joaquin Cavaqués spürte, wie ihm das Kinn kraftlos nach unten sank, und er wußte, daß er ziemlich dumm aussah, wie er den Engländer anstarrte. Aber er konnte nichts gegen seine grenzenlose Verblüffung tun. „Philip — Hasard — Killigrew“, wiederholte er halblaut und geradezu andächtig. „Dann sind Sie — der Seewolf!“ Sein Englisch war miserabel und von einem harten, rollenden Akzent. Hasard lächelte kaum merklich. „Die Tatsache, daß Sie von mir gehört haben, läßt vermuten, daß Sie nicht das sind, was Sie äußerlich darstellen.“ „Verzeihen Sie“, stieß Cavaqués hastig hervor, „ich bin Joaquin Cavaqués, Teniente der spanischen Armee. Die näheren Umstände, die zu meinem — Zustand geführt haben, werde ich Ihnen selbstverständlich erklären. Er war nur — nur meine Überraschung, ausgerechnet Ihnen an diesem fernen Zipfel der Welt zu begegnen. Vielleicht ist das ein Grund zur Hoffnung. Ihr Name hat in Spanien einen guten Klang, Sir Hasard. Ja, Sie werden sich vielleicht wundern, aber es ist bei uns auch bekannt, daß Sie von Ihrer Königin zum Ritter geschlagen wurden. Selbst hier auf Ceylon haben wir noch hinreichende Verbindungen zur zivilisierten Welt. um von solchen Dingen zu erfahren. Man fürchtet Sie als Gegner, aber man hat auch hohe Achtung vor Ihrer Fairneß.“ „So ein schönes Loblied habe ich schon lange nicht mehr gehört“, brummte Ferris Tucker, und es klang beinahe gerührt. „Da sieht man mal wieder, was für einen berühmten Kapitän wir doch haben.“ Die anderen nickten beipflichtend, und Joaquin Cavaqués konnte jetzt deutlich in
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ihren Mienen lesen, daß sie keinerlei Feindseligkeit ihm gegenüber empfanden. Der Seewolf winkte ab. „Sind Sie allein? Bei allem Wohlwollen möchte ich Ihnen dringend empfehlen, eine ehrliche Antwort zu geben, Senor Cavaqués.“ Er gab seinen Männern ein knappes Handzeichen. Sie schwärmten nach beiden Seiten aus und bauten sich in Linie am Uferwasser auf. Dabei beobachteten sie mit schmalen Augen das undurchdringliche Dickicht des Palmenwaldes. „Allein?“ fragte der Spanier verdutzt. „Aber sieht man denn nicht ...?“ Er hielt inne, denn es dämmerte ihm plötzlich. „Oh, Sie meinen, daß es sich um einen Hinterhalt handeln könnte?“ „Leider können wir einen solchen Verdacht nicht ausschließen“, erwiderte Hasard. Ein entschuldigendes Lächeln glitt über das eingefallene Gesicht Cavaqués'. „Es tut mir aufrichtig leid, Sir Hasard, wenn ich Ihnen durch meinen jammervollen Anblick derartige Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ich habe wohl gesehen, daß Sie Ihr Schiff in Gefechtsbereitschaft versetzten. Jetzt ist mir klar, warum das geschah.“ „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet“, entgegnete der Seewolf kühl. Der Spanier zog die mageren Schultern hoch. „Ich bin so allein, wie ein Mensch nur sein kann. Und ein Hinterhalt wäre das letzte, womit Sie in diesem Landstrich rechnen müssen.“ „In Ordnung, ich glaube Ihnen.“ Hasard ließ die Männer aber vorsichtshalber doch auf ihren Beobachtungspositionen. Nach dem Debakel von Seribu war für ihn nichts, aber auch gar nichts mehr undenkbar. Immerhin konnte der Spanier auch ein Köder sein, ohne daß er selbst davon wußte. Seine Worte waren von Grund auf ehrlich gewesen, dafür hatte der Seewolf ein untrügliches Gespür. Da gab es keine Spur von Hinterlist oder Durchtriebenheit. Dies war ein gänzlich anderer Mann als der Portugiese de
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Carvalho, mit dem sie auf Seribu das Vergnügen gehabt hatten. Hasard entspannte seine Haltung ein wenig und trat einen Schritt näher auf Cavaqués zu. „Um offen zu sein, Teniente. Sie sehen nicht aus wie ein Offizier der spanischen Armee. Als ich Sie im Spektiv sah, habe ich Sie nicht einmal für einen Europäer gehalten.“ Cavaqués nickte voller Bitterkeit. „Das ist nicht verwunderlich, Sir Hasard. Ich bin bereit, Ihnen sofort meine Geschichte zu erzählen. Nur würden Sie mir vorher eine Frage gestatten?“ „Selbstverständlich.“ „Was wird mit mir geschehen? Muß ich mich als Gefangener der britischen Marine betrachten und damit rechnen, in eine Strafkolonie deportiert zu werden?“ Hasard lächelte versonnen. „Mein Schiff und die gesamte Besatzung steht nicht unter dem Kommando der englischen Admiralität, Senor Cavaqués. Wenn Sie von mir gehört haben, sollten Sie auch wissen, daß wir ausschließlich der englischen Krone verpflichtet sind. Im übrigen handeln wir nach den Geboten der Menschlichkeit. Nichts anderes ist für uns maßgebend.“ Joaquin Cavaqués atmete auf. „Ich bin froh, das zu hören. Es bedeutet also, daß Sie mir helfen werden?“ „Aus einem anderen Grund haben wir nicht geankert. Wir müssen zwar ohnehin unsere Vorräte ergänzen, doch dürfte dieser Küstenstrich kaum dafür geeignet sein. Wenn Sie jetzt berichten wollen ...“ „Ja, ja, natürlich.“ Der Spanier, dessen Miene einen Moment gedankenverloren ausgesehen hatte, straffte sich. „Verstehen Sie es nicht falsch, Sir Hasard, aber ich möchte vorschlagen, daß wir uns dort in den Schatten begeben.“ Er deutete über seine Schulter zum Palmenwald hin. „Es ist für mich ziemlich anstrengend, hier in der Sonnenglut zu stehen.“ Hasard war einverstanden, und sie gingen hinüber. Er gab auch den Männern einen Wink, und sie folgten ihnen. Dabei beobachteten sie jedoch das Dickicht mit
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unverminderter Aufmerksamkeit. Gemeinsam ließen sie sich auf dem fast am Boden liegenden Palmenstamm nieder, den Cavaqués zuvor schon während seiner Wartezeit benutzt hatte. Hinter ihnen war nun jene vielstimmige Geräuschkulisse des Dschungels, wie sie auch den Seewölfen aus den verschiedensten Teilen der tropischen und subtropischen Welt bekannt war. Scheinbar nah und doch unerreichbar fern tönten die Schreie von Urwaldvögeln, langgezogen und abgehackt, teils melodisch, aber auch schrill und meckernd. Dazu mischten sich tiefere und auch dumpfe Laute, die vermutlich von Affen und anderen Tieren der Tropenwelt herrührten. Stickig und feucht war die Luft, die der Dschungel wie einen Atem ausstieß und von der frischen Meeresbrise fortgeweht wurde. „Es begann fast auf den Tag genau vor fünf Jahren“, erklärte Joaquin Cavaqués, nachdem er sich geräuspert hatte. „Ich diente damals bei einer Einheit von Marine-Füsilieren in Negomboy. Das ist ein Standort an der Westküste. Bitte haben Sie Verständnis dafür, wenn ich keine weiteren militärischen Einzelheiten über die Garnison preisgeben möchte.“ Hasard nickte. „Geschenkt. Wir sind daran ohnehin nicht interessiert.“ „Dann ist es gut. Wissen Sie, der eigentliche Befehl für das Kommandounternehmen erfolgte schon vor dem großen Regen. Die Vorbereitungszeit reichte gerade aus, so daß wir nach dem Monsun mit einer Kriegsgaleone in See gehen konnten. Wir, das waren insgesamt dreißig Mann unter der Führung von Capitan Jose Esteban Herrera. Ich fungierte als sein Stellvertreter.“ „Sind Sie als einziger von dreißig Mann übriggeblieben?“ rief Dan O'Flynn dazwischen. Der Spanier schüttelte müde den Kopf. „Nein, nein, Gentlemen, so verhält es sich nicht. Sie sind alle noch am Leben. Nur die Umstände sind entsetzlich. Aber wenn ich der Reihe nach erzählen darf ...“ „Bitte fahren Sie fort“, sagte der Seewolf.
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„Unser Auftrag war eine direkte Order von König Philipp. Das Ganze ging zurück auf Legenden, die bei der singhalesischen Bevölkerung an der Westküste offenbar schon seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in Umlauf sind. Es heißt, daß im unerforschten Hochland im Nordosten Ceylons ein mächtiger Volksstamm leben soll, der über unerhörten Reichtum verfügt. Natürlich enthalten diese Legenden die wildesten Vermutungen, die man nicht alle für bare Münze nehmen darf. Aber spanische Gelehrte gelangten doch zu der Überzeugung, daß in den Überlieferungen ein gewisser Wahrheitsgehalt stecken müsse. Deshalb befahl König Philipp, daß ein Kommandounternehmen in Marsch gesetzt würde. Unsere Aufgabe war es, den sagenumwobenen Stamm der Wedda zu finden und mit dessen König in Verhandlungen zu treten.“ „Verhandlungen?“ brummte Ferris Tucker. „Das ist doch wohl nicht die übliche spanische Art, oder?“ Joaquin Cavaqués wehrte mit einer schwachen Geste ab. „Ich weiß, auf was Sie anspielen, Gentlemen. Aber es besteht hier nicht die Absicht, ein Volk auszubeuten und zu unterdrücken. Vielmehr ging es darum, friedliche Handelsbeziehungen zum beiderseitigen Nutzen aufzubauen. Ich glaube, auch Ihre Nation kann ermessen, welche Zukunftsbedeutung solche Handelsbeziehungen haben.“ „Allerdings“, bestätigte Hasard, „aber wenn ich Sie ansehe, Senor Cavaqués, dann habe ich nicht den Eindruck, daß Sie in den fünf Jahren besonders erfolgreich waren.“ „Ganz gewiß nicht“, gab der Spanier mit Bitterkeit in der Stimme zu. „Ausgangsbasis für unsere Expedition war zunächst die Vermutung, daß es in dem schon erwähnten unerforschten Teil Ceylons ein Königreich von unvorstellbaren Ausmaßen gäbe. Da aber Philipp II. selbst den Titel des Königs von Ceylon beansprucht, war auch in dieser Hinsicht eine gewisse Klärung
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erforderlich. Wir landeten also nach etwa einwöchiger Seereise hier in der KokkilaiLagune und begannen sofort unsere Expedition ins Landesinnere. Wir waren mit Waffen gut ausgerüstet und verfügten über Proviant für einen Monat. Wir bauten natürlich darauf, nach unserer Ankunft bei den Wedda mittels der dort vorhandenen Nahrung weiterleben zu können. Nicht im Traum hätten wir vermutet, daß sich alles völlig anders entwickeln würde.“ „Sie machen es verdammt spannend“, bemerkte Smoky, „wer oder was sind denn nun diese Wedda?“ „Das will ich Ihnen sagen, Mister. Wir waren schon zwei Wochen kreuz und quer durch den Dschungel gezogen, ohne auf die geringsten Anzeichen einer Zivilisation zu. stoßen. Dann entdeckten wir auf einem Plateau Spuren, die nur von Menschen herrühren konnten. Es handelte sich um eine Art Kultplatz, auf dem anscheinend Tieropfer dargebracht wurden. Das folgerten wir jedenfalls aus den Überbleibseln, die wir fanden. Wir folgten den menschlichen Spuren, und bald darauf erlebten wir eine solche Überraschung, daß wir unseren Augen nicht trauten. Sie hausen in Berghöhlen! Die Wedda sind ein Volk von Menschen, die wie Tiere leben! Wenn Sie mich anschauen, haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, Wie diese Wesen aussehen. In den uns bekannten geographischen Berichten gibt es nichts Vergleichbares. Nirgendwo sonst auf der Welt scheint ein Volk zu existieren, das unter so unvorstellbar primitiven Bedingungen dahinvegetiert.“ „Davon bin ich nicht ganz überzeugt“, entgegnete der Seewolf. „Wir haben Australien gesehen, ‚Terra Australis', das legendäre ‚südliche Land'. Die Menschen, die wir dort antrafen, waren ebenfalls das, was man als primitiv bezeichnet.“ „Nun, ich will Ihnen nicht widersprechen, denn ich bin kein studierter Mensch. Aber als Soldat hat man sehr viel Freizeit, um sein Wissen zu erweitern. Und ich habe so viel über die Erkenntnisse unserer Geschichtsforscher gelesen, daß ich die Wedda ungefähr einstufen kann. Sie
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werden es mir vielleicht nicht glauben, aber diese Menschen leben tatsächlich so, wie es in grauer Vorzeit der Fall gewesen sein muß. Als Werkzeuge benutzen sie Faustkeile aus Stein, und für die Jagd verwenden sie einfache Wurfspieße oder flache Holzstücke, die unseren Säbeln ähneln. Ich könnte noch einige weitere Beispiele aufzählen. Auf jeden Fall übertreibe ich nicht, um Sie zu beeindrucken, Sir Hasard.“ Der Seewolf horchte auf. Was Cavaqués soeben geschildert hatte, klang in der Tat außergewöhnlich. Und interessant vor allem deshalb, weil es nach der großen Zeit der Entdeckungen fremder Kontinente jetzt galt, die Geheimnisse der fernen Länder zu entschleiern. Gemessen daran, wie sich das Äußere dieses Spaniers in jenen fünf Jahren gewandelt hatte, war durchaus anzunehmen, daß er sich die Geschichte nicht aus den Fingern sog. „Was ist aus Ihren Kameraden geworden?“ fragte Hasard, um Cavaqués zu den vordringlichen Tatsachen zurückzuführen. Der Spanier atmete tief durch, zog die schmalen Schultern hoch und ließ sie kraftlos wieder sinken. „Wie ich schon sagte: sie sind noch am Leben. Sofern man diese Art von Existenz überhaupt Leben nennen kann. Damals, vor fünf Jahren, haben wir natürlich zunächst nur an unseren Auftrag gedacht. Tatsächlich gelang es uns, mit den Wedda eine friedliche Einigung zu erreichen und auch ihr Stammesoberhaupt kennenzulernen, das man im weitesten Sinne als eine Art König bezeichnen könnte. Anfangs hatten wir enorme Verständigungsschwierigkeiten, denn die Sprache der Wedda besteht praktisch nur aus Urlauten, und die unendlich vielen Begriffe, die unserer Kultur entstammen, sind ihnen naturgemäß völlig fremd. Wir konnten ihnen zum Beispiel nicht einmal in der Zeichensprache erklären, daß wir mit einem Schiff gelandet wären. Denn sie wissen nicht, was ein Schiff ist, sie kennen nicht einmal Kanus. Was uns selbst betraf, so waren wir nach einigen Wochen gezwungen, uns ihren Lebens- und vor
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allem Ernährungsgewohnheiten anzupassen. Denn zum Rückmarsch durch den Dschungel hatten wir keinerlei Vorräte mehr. Wie es uns jemals gelingen sollte, wieder Proviantvorräte zusammenzustellen, wußten wir selber nicht. Unser Schwarzpulver war feucht und damit unbrauchbar geworden. Die Waffen selbst begannen in der Feuchtigkeit des Dschungels zu rosten. Wir hatten keinerlei Möglichkeit, sie vor dem Rost zu schützen, denn auch das Waffenfett war eines Tages aufgebraucht. Lediglich die Säbel und Degen sind nach wie vor brauchbar, wenn auch von Rost überzogen. Ich will mit diesen wenigen Einzelheiten nur sagen, daß wir keine andere Wahl hatten, als so zu leben wie die Wedda, wenn wir überhaupt überleben wollten.“ „Warum“, fragte der Seewolf, „sind Sie allein zur Lagune zurückgekehrt? Wie haben Sie es überhaupt geschafft, wenn es doch für die gesamte Mannschaft unmöglich war?“ „Was die zweite Frage betrifft“, erwiderte Cavaqués, „so grenzt es an ein Wunder, das ich selbst nicht begreifen kann. Ich hatte den festen Willen, es zu schaffen, und ich habe in den fünf Jahren gelernt, im Dschungel zu überleben. Trotzdem habe ich an einen Traum geglaubt, als ich die Lagune endlich vor mir sah.“ „Und die anderen?“ Hasard zog die Augenbrauen hoch. Die Geschichte faszinierte ihn mehr und mehr. Was zusätzlich ins Gewicht fiel, war die Tatsache, daß es dort irgendwo im ceylonesischen Hochland eine Gruppe von Spaniern geben mußte, die dem sicheren Untergang geweiht waren. Die andererseits aber, wenn man sie rettete, der zivilisierten Welt von unschätzbarem Wert sein konnten. Würden sie doch von einer primitiven Lebensform berichten können, die man längst für untergegangen hielt. Wagte man ganz hochgestochene Gedanken, so ermöglichte dies unter Umständen Rückschlüsse auf die im Dunkeln liegende Vergangenheit der menschlichen Rasse.
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„Ich war der einzige, der sich noch an den vereinbarten Termin erinnert hat“, berichtete der Spanier, „vielleicht haben sie alle den Verstand verloren, oder sie sind samt und sonders einer grenzenlosen Gleichgültigkeit verfallen. Auf eine seltsame Art haben sie Gefallen gefunden an dem einfachen Leben. Das ihnen keinerlei Zwänge mehr auferlegt. Capitan Herrera war wohl der einzige, den ich fast überzeugt hätte, mit mir zurückzukehren. Er schien zumindest noch halbwegs in der Lage zu sein, klare Gedanken zu fassen. Aber schließlich mangelte es ihm doch an Willenskraft. Wie alle anderen scheute er davor zurück, die Strapazen eines Marsches durch den Dschungel auf sich zu nehmen. Zurückzubleiben und dahinzudämmern, das schien ihm wohl die einfachere Lösung zu sein.“ „Das klingt alles phantastisch und unglaublich“, sagte Hasard, „damit will ich aber nicht unterstellen, daß Sie ein Märchenerzähler sind, Senor Cavaqués.“ Der Spanier beugte sich vor und sah ihn voller Spannung an. „Wie werden Sie entscheiden, Sir Hasard? Ich weiß, daß ich die Frage nicht zu stellen brauche. Ich weiß, daß Sie meine dringlichste Sorge kennen, ohne daß ich sie aussprechen muß.“ Philip Hasard Killigrew nickte nur. 4.
Sie brachten Joaquin Cavaqués an Bord der „Isabella“ und der Kutscher nahm sich seiner an. Hasard beauftragte Ferris Tucker, Smoky, Dan O'Flynn und Batuti, den Rest der Crew über die Schilderungen des Spaniers zu unterrichten. Die Männer sollten sich ihre eigene Meinung bilden, ohne jeglichen Einfluß seinerseits. Dann zog sich der Seewolf in die Kapitänskammer zurück, um sich die Geschichte durch den Kopf gehen zu lassen. Bei aller Hilfsbereitschaft, so sagte er sich, durfte man an der Sache einen entscheidenden Punkt nicht vergessen:
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Cavaqués hatte auf eine spanische Galeone gewartet. Würde diese Galeone wirklich eintreffen, oder war das ein Hirngespinst? Andererseits hatten sich die Voraussetzungen und auch die Erwartungen, mit denen das spanische Kommandounternehmen vor fünf Jahren aufgebrochen war, grundlegend geändert. Aber selbst das war völlig ungewiß. Wer konnte wissen, ob es Cavaqués gelungen war, eine genaue Zeitrechnung anzustellen? Wenn er, wie er sagte, unter Steinzeitmenschen gelebt hatte, dann hatte er sich möglicherweise total verschätzt. Es konnte also auch sein, daß der Beginn des Unternehmens erst vier Jahre oder gar nur zwei Jahre zurücklag. Und sollte es sich tatsächlich so verhalten, dann gab es für die Spanier dort im unwirtlichen Hochland praktisch keine Hoffnung mehr. Im übrigen würde sich eine Auseinandersetzung mit einer etwa doch eintreffenden spanischen Galeone zweifellos vermeiden lassen. Klärte man die Dons rechtzeitig darüber auf, aus welchem Grund die „Isabella“ hier ankerte, dann würden sie auch Verständnis aufbringen. Schließlich waren es ihre eigenen Landsleute, denen es zu helfen galt. Hasard konnte auch auf das bauen, was Joaquin Cavaqués gesagt hatte. Er, der Seewolf, hatte in der Tat einen guten Namen bei den Spaniern. In der siegreichen Schlacht gegen die Armada war er ihr unerbittlicher Gegner gewesen, doch dann, als die Spanier in alle Winde zerstreut waren und auf ihren zerschossenen Schiffen in der Nordsee und im englischen Kanal trieben, hatte er nur noch dem Gebot der Menschlichkeit gehorcht und sie als Schiffbrüchige betrachtet. Zum wiederholten Male hatte er sich dabei gegen Sir Francis Drake durchsetzen müssen, der auch noch die kläglichen Reste der Armada am liebsten samt und sonders versenkt hätte. Daß diese Menschen aber nach den Regeln der Seekriegführung Hilfe verdienten und nicht länger als Feinde zu betrachten
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waren, das wollte Drake heute noch nicht in den Kopf. Alles in allem war es ein mächtig riskantes Vorhaben, die Gefährten des Teniente Cavaqués aus dem Urwald zu holen und in die Zivilisation zurückzubringen. Aber verhielt es sich nicht so, daß dies vermutlich die einzige Gelegenheit war, den bedauernswerten Burschen überhaupt noch zu helfen? Cavaqués hatte recht, wenn er es als ein Wunder betrachtete, daß er den Marsch durch den Dschungel überhaupt geschafft hatte. Den anderen, die zurückgeblieben waren, würde dies nicht mehr gelingen. Und ein Hinterhalt? Nein. In dieser Beziehung hatte der Seewolf nicht mehr die geringsten Befürchtungen. Erstens klang der Bericht des spanischen Teniente durch und durch glaubhaft. Und zweitens sah die Dschungellandschaft nicht so aus, als verberge sich hier eine Streitmacht, um über die Crew der „Isabella“ herzufallen. Hasard verließ die Kapitänskammer und ging zurück an Deck. Er würde seine Entscheidung nicht treffen, ohne die Meinung der Männer zu berücksichtigen. Sie waren mit ihm manches Mal mitten in die Hölle gesegelt, sie besaßen Anteile an diesem Schiff, und sie hatten ein Recht darauf, in entscheidenden Fragen gehört zu werden. Das änderte nichts daran, daß die letzte Entscheidung bei ihm, den Seewolf, lag. Die gesamte Crew hatte sich auf der Kuhl versammelt. Lediglich der Kutscher und die Zwillinge befanden sich in der Kombüse, wo sie den Spanier auf päppelten. Sanft schwojte die „Isabella“ um die Ankertrosse. Der auflandige Wind war hier, unmittelbar vor der Lagune, nur mäßig, und auf der nur leicht gekräuselten Oberfläche der See funkelten Millionen von Lichtreflexen des strahlenden Sonnenscheins. Der Himmel war unverändert wolkenlos, und nichts deutete auf eine Wetterverschlechterung hin. Die Gefechtsbereitschaft war auf Ben Brightons Anordnung mittlerweile wieder
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aufgehoben worden. Es bestand kein Anlaß, die Pulvervorräte unnötig lange der Luftfeuchtigkeit auszusetzen. Die Männer standen rings um die Kuhlgräting und die Nagelbank vor dem Großmast. Einige hatten sich auf Taurollen niedergelassen, andere lehnten am Backbordschanzkleid. Beim Auftauchen des Seewolfs kehrte Ruhe ein. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf den großen Mann, der an Bord alle Autorität genoß. „Wir haben die Angelegenheit erörtert, wie du gesagt hast“, erklärte Ben Brighton. Hasard nickte. „Und zu welchem Ergebnis seid ihr gelangt?“ Der erste Offizier bückte sich und griff nach einer ledernen Pütz, die vor ihm auf den Planken stand. „Das Ergebnis ist hier drin, Sir. Ferris hat jedem ein Holzstäbchen gegeben, und jeder hat es so hineingeworfen, daß die anderen es nicht sehen konnten. Eine geheime Abstimmung also. Wer für die Rettung der Spanier ist, hat sein Holzstäbchen heil gelassen. Wer dagegen ist, hat es in der Mitte eingeknickt.“ Ben Brighton drehte die Pütz um und schüttete den Inhalt auf die Decksplanken. Alle Blicke richteten sich gespannt auf die verstreut liegenden Stäbchen, die etwa fingerlang waren. Ben Brighton sortierte sie mit wenigen Handbewegungen. Dann richtete er sich auf. „Ich glaube, wir brauchen nicht lange zu zählen. Es sind nur drei durchgeknickte dabei. Das bedeutet eine klare Mehrheit für die Rettungsaktion.“ Der Seewolf nickte und hob die Rechte, bevor einer der Männer etwas sagen konnte. „Ich will von niemandem eine Erklärung. Diese Meinungsbildung ist absolut fair und gerecht abgelaufen. Diejenigen, die dagegen gestimmt haben, sind durchaus im Recht, wenn sie die Sache für bedenklich halten. Ich will nicht, daß einer den anderen deshalb schief ansieht, denn dazu besteht kein Grund.“
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Die Männer schwiegen. Aber in ihren Augen las Hasard, daß sie verstanden hatten. „In Ordnung, wie lautet deine Order?“ fragte Ben Brighton. „Wir werden es riskieren“, sagte Hasard knapp. „Ich brauche neun Freiwillige. Der Kutscher soll als zehnter Mann dabei sein, denn er wird gewissermaßen als Geschichtsschreiber fungieren.“ Die Männer wechselten Blicke untereinander. Mehrere Atemzüge lang blieb es still. Dann räusperte sich Edwin Carberry und trat vor. „Die Sache verhält sich so, Sir: Die gesamte Crew meldet sich freiwillig. Will sagen, daß auch die, die dagegen waren, die Mehrheitsentscheidung anerkennen.“ Der Profos warf einen kurzen Blick in die Runde und grinste. „Für die spanischen Kakerlaken ist uns eben keine Mühe zu groß.“ Die anderen konnten ein Lachen nicht unterdrücken, und sie wußten auch, daß sie dazu sicherlich bald keinen Grund mehr haben würden. „Gut“, sagte der Seewolf mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, das sich in seine Mundwinkel gekerbt hatte. Dieser Moment bescheinigte ihm wieder einmal, wie stolz er auf seine Crew sein konnte - diese hartgesottene Mannschaft, die mit ihm so manches Mal mitten ins Höllenfeuer gesegelt war, um dem Leibhaftigen höchstpersönlich ins Fell zu zwacken. „Wir brechen noch heute auf. Je weniger Zeit wir verlieren, desto besser.“ Dann teilte er die Männer ein. Er wußte, daß diejenigen, die zurückblieben, es nicht als ungerecht empfanden. Ihre Aufgabe, die „Isabella“ vor allen Unwägbarkeiten zu schützen, war nicht weniger bedeutend als die des Rettungskommandos. Hasard entschied sich für Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Dan O'Flynn, Smoky, Blacky, Matt Davies, Sam Roskill und Bob Grey. Wie gewohnt, übernahm Ben Brighton während der Abwesenheit des Seewolfs das Kommando an Bord.
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„Falls es etwas Unvorhergesehenes gibt“, sagte Ben Brighton, „wie wollen wir uns wiederfinden?“ Hasard überlegte nur einen Moment. „Folgendermaßen, Ben: Von der Lagune aus wählen wir einen Küstenabschnitt von fünf Meilen nach Norden und fünf Meilen nach Süden. Falls ihr gezwungen werdet, diesen Ankerplatz zu verlassen, werden wir uns irgendwo in dem Zehn-MeilenBereich treffen.“ Ben Brighton nickte nur. „Ed!“ rief der Seewolf. ,“Sir?“ Der Profos trat auf ihn zu. „Du übernimmst die Ausrüstung unserer Expedition. Ich denke, daß wir in zwei Stunden aufbrechen können.“ „Worauf du dich verlassen kannst“, knurrte Carberry, „ich werde den Stinten Feuer unter dem Hintern entfachen, wenn sie nicht schnell genug spuren.“ Er drehte sich um und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Was steht ihr noch rum und starrt Löcher in die Planken? Zwei Stunden sind nicht zwei Tage, Freunde! Also bewegt euch gefälligst! Al, du wirst uns ein paar von deinen besten Stücken mit auf die Reise geben. Und sieh zu, daß das Pulver trocken bleibt. Ich will nicht, daß unsere Musketen nur ein lächerliches Knacken von sich geben, wenn wir diesen Urwald-Teufeln gegenüberstehen. Ferris, du kümmerst dich um den Proviant. Ich denke, jeder sollte seinen persönlichen Fressalienvorrat bei sich tragen, dann sind wir am beweglichsten.“ Die Männer eilten los. Hasard wollte sich der Kombüse zuwenden, als dort das Schott geöffnet wurde. Ein Unbekannter schob sich an Deck zögernd, geradezu verlegen. Hasard und Ben Brighton sahen ihn verblüfft an. „Da sieht man es mal wieder“, meinte Ben kopfschüttelnd, „Kleider machen Leute.“ Joaquin Cavaqués blickte an sich hinunter, während er sich dem Seewolf und seinem ersten Offizier näherte. Der Spanier sah verlegen aus, als müsse er sich dafür entschuldigen, wie sehr sich sein Äußeres gewandelt hatte. Sein Haar war
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kurzgeschnitten und der wallende Vollbart bis auf einen schmalen Oberlippenbart abrasiert, wodurch sein Gesicht noch eingefallener wirkte als zuvor. Er trug ein helles Leinenhemd und eine dunkelgraue Hose, die in der Hüfte von einem ledernen Gurt zusammengehalten wurde. Die Kleidungsstücke stammten aus den Beständen der „Isabella“. Nur die eigenen Stulpenstiefel trug Cavaqués noch. Letztere waren aber gereinigt und sorgsam eingefettet worden. Diese Arbeit, so vermutete Hasard, hatten die Zwillinge erledigt. „Sie sind nicht wiederzuerkennen“, stellte der Seewolf fest, „man könnte Sie für einen völlig neuen Menschen halten.“ „So fühle ich mich auch“, gestand Cavaqués leise, „es ist unbeschreiblich, nach einer halben Ewigkeit zu spüren, was Wasser und Seife und frische Kleidung bewirken. Jedenfalls weiß ich jetzt, daß ich kein Mensch bin, der für die Wildnis geboren ist. Und meine Kameraden sind es ebenso wenig. Ich glaube, sie haben diese Tatsache nur aus ihrem Bewußtsein verdrängt.“ „Sie werden es bald selbst herausfinden können“, entgegnete Ben Brighton. „Wir haben beschlossen, eine Expedition ins Landesinnere zu unternehmen.“ Ein Leuchten trat in die Augen des Spaniers. „Fühlen Sie sich genug bei Kräften, um die Führung zu übernehmen?“ fragte Hasard. „Welch eine Frage!“ rief Cavaqués mit strahlender Miene. „Ich würde Sie auch mitten ins Fegefeuer führen, wenn meine Gefährten dort gefangen gehalten würden. Außerdem meine ich, daß Ihre Expedition ohne meine Führung zum Scheitern verurteilt wäre. Ohne ein Minimum an Ortskunde ist man in der grünen Hölle verloren.“ „Darüber sind wir uns im klaren“, sagte der Seewolf. „Halten Sie sich bereit, Senor Cavaqués, wir werden in zwei Stunden aufbrechen.“ Er ging an dem Spanier vorbei und begab sich in die Kombüse. Einen Moment mußte er die Augen zusammenkneifen, um sich
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an das Halbdunkel zu gewöhnen, das zwischen Kochfeuer und Schapps lastete. Es roch nach frisch gemahlenem Pfeffer. Der Kutscher hatte einen riesigen Kübel mit Bohnensuppe zubereitet, von der er behauptete, daß sie einem drei Tage toten Seemann wieder hoch hinauf in die Wanten half. Die Zwillinge hockten auf Schemeln in einer Ecke und waren damit beschäftigt, Trockenfrüchte aus Leinenbeuteln auseinanderzupflücken und in einen gußeisernen Topf zu werfen. Die Jungen blickten schweigend zu ihrem Vater auf. Sie dachten nicht daran, ihn darum anzubetteln, die Strafe zu erlassen. Es war eine Eigenschaft, die er schon des öfteren an ihnen bemerkt und zu schätzen gelernt hatte. Eine Suppe, die sie sich eingebrockt hatten, löffelten sie auch aus. Ohne Murren. Der Kutscher hielt den Rührlöffel im Suppenkübel still und sah den Seewolf an. „Eine Kombüsen-Inspektion, Sir? Oder handelt es sich um die Jungen? Sie geben keinen Anlaß zur Klage.“ „Das will ich auch nicht hoffen“, knurrte Hasard betont grimmig, „in ihrem eigenen Interesse.“ Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt in ihren Köpfen vor sich ging: Die eine Woche Kombüsendienst reißen wir mit links ab — so oder ähnlich versteiften sie sich vermutlich in ihrem Trotz. Wegen seiner vordringlichen Arbeit hatte sich der Kutscher als einziger nicht an der Abstimmung beteiligt. Hasard schilderte ihm deshalb die Zusammenhänge in knappen Worten. „Ich möchte dich dabei haben“, fügte er hinzu, „es erscheint mir wichtig, daß unsere Erlebnisse und Beobachtungen an Land möglichst lückenlos aufgezeichnet werden. Ich irre mich nicht, wenn ich behaupte, daß du dafür der geeignetste Mann bist.“ Der Kutscher lächelte geschmeichelt. Er war mittelgroß, dunkelblond und blauäugig. Obwohl er etwas schmalbrüstig wirkte, hatte er doch eine beträchtliche Zähigkeit und würde die Strapazen des
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Dschungelmarsches ohne weiteres überstehen. „Ich bin mir der Bedeutung dieser Order bewußt, Sir. Darf ich mir die Frage erlauben, wer mich während meiner Abwesenheit vertreten wird? Ich müßte ihn immerhin einweisen.“ Während seiner Dienstjahre bei Doc Freemont in der Nähe von Plymouth hatte er sich eine gewisse Distinguiertheit in seinem Auftreten angewöhnt, was jedoch nichts daran änderte, daß er mit beiden Beinen fest auf den Schiffsplanken stand. Zahllose Gespräche mit Doc Freemont hatten im übrigen auch dazu geführt, daß der Kutscher über ein hohes Maß an Bildung verfügte. Allein deshalb war er der richtige Mann für den besonderen Auftrag. Seinen richtigen Namen hatte er nie verraten, und so war nichts anderes bekannt, als daß er Kutscher bei Doc Freemont gewesen war. „Will Thorne wird den Kombüsendienst übernehmen“, erklärte Hasard, „und er wird auch darauf achten, daß die beiden Tierquäler ihre Strafe ableisten.“ „Sir!“ rief Philip junior empört. „Ich denke, wenn man wegen eines Vergehens bestraft worden ist, hat niemand mehr das Recht, einem das Vergehen vorzuhalten!“ „Ja, das denke ich auch!“ bekräftigte Hasard junior mit funkelnden Augen. .“Eure Gedanken sind nicht völlig falsch“, entgegnete der Seewolf lächelnd. „Ihr habt nur vergessen, daß eine Strafe erst verbüßt sein muß, bevor man sich als rehabilitiert betrachten darf.“ „Aber ...“ Philip junior atmete tief durch, als müsse er einen Anlauf nehmen. „Ich meine, ließe sich die Strafe denn nicht verschieben? Sicher wäre es doch für uns beide sehr lehrreich, wenn wir uns an Land ein bißchen umsehen dürfen.“ Der Seewolf mußte lachen. „Das habe ich mir gedacht! Aber schlagt euch das aus dem Kopf. Erstens bleibt es bei der Strafe, und zweitens würde ich euch sowieso nicht mitnehmen. Es handelt sich nämlich nicht um einen Spaziergang.“ „Dad! Bitte!“ flehte Hasard junior.
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„Ihr bleibt hier“, entschied der Seewolf hart. „Keine Diskussion mehr, verstanden?“ Er wandte sich ab und mußte überrascht feststellen, daß ihm keine weiteren Widerworte folgten. 5. Pünktlich, wie der Seewolf angeordnet hatte, wurde das große Beiboot der „Isabella“ abgefiert. Die Männer, die unter Ben Brightons Kommando an Bord zurückblieben, standen am Schanzkleid und schauten der Jolle nach, die von kraftvollen Schlägen getrieben dem leuchtend weißen Strand der Lagune entgegenrauschte. Batuti, Smoky, Dan O'Flynn und Blacky sprangen als erste ins seichte Uferwasser und zogen das Boot höher an Land. Dann folgten ihnen die anderen, nachdem sie die Riemen eingeholt hatten. Hasard packte mit an, als sie die Jolle weit genug auf den Strand schoben, damit sie nicht abgetrieben werden konnte. Ben Brighton würde später einige Männer mit dem kleinen Beiboot losschicken, damit sie die Jolle zurückholten. Denn es war ungewiß, wie lange der Aufenthalt von Hasards Kommando an Land dauern würde. Edwin Carberry klatschte in die Hände, voller Tatendrang, was sich bei seinen Riesenpranken wie ein Pistolenschuß anhörte. „Dann mal los, Freunde! Ausrüstung in Empfang nehmen! Hopp, hopp, jeder wird prompt bedient!“ Grinsend nahmen die Männer die prall gefüllten Segeltuchbeutel entgegen, die mit Leinenbändern versehen waren und auf dem Rücken getragen werden konnten. Auch der Spanier hatte bei der Einteilung darauf bestanden, einen solchen Proviantbeutel zu tragen, obwohl er von seiner körperlichen Verfassung her nicht die besten Voraussetzungen bot. In den Segeltuchbeuteln befand sich die persönliche Ration jedes einzelnen Mannes. Der Kutscher hatte Dörrfleisch, Fladenbrot und Trockenfrüchte eingepackt,
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und mit der Wasserflasche, die jeder außerdem bei sich trug, war der Speisezettel für die nächsten Tage komplett. Ablösung konnte es bestenfalls durch Früchte oder jagdbare Tiere geben, die man vielleicht im Dschungel aufstöberte. Lebenswichtig wie der Proviant konnten auch die Waffen werden, die die Seewölfe mit auf den Marsch in den tropischen Regenwald nahmen. Jeder war mit Pistole und Entermesser ausgerüstet. Außerdem ließ Hasard fünf Musketen, drei Buschmesser, zwei Entermesser und eine handliche Kiste mit chinesischem Feuer mitnehmen. Das notwendige Schwarzpulver trugen die Männer in den großen, feuchtigkeitssicheren Pulverflaschen an ihren Gürteln. Batuti und Smoky machten den Anfang mit der Kiste, später würden sie beim Tragen abgewechselt werden, ebenso wie es auch für die Männer mit den Musketen vorgesehen war. Edwin Carberry ließ seinen Blick noch einmal prüfend über die bepackten Männer gleiten. Dann nickte er und stieß einen Knurrlaut aus. In der Pose eines Sergeanten der Landarmee wandte er sich dem Seewolf zu. „Militärischen Staat kannst du mit dieser Truppe von Rübenschweinen nicht machen, Sir. Aber sie haben ihren Krempel beisammen, und ihre Gehwerkzeuge funktionieren. Abmarschbereit!“ Der Profos schien sich in seiner Rolle zu gefallen, statt auf den Planken der „Isabella“ zur Abwechslung auch einmal an Land für die notwendige Disziplin zu sorgen. Der Seewolf nickte und gab das Zeichen. Gemeinsam mit dem Spanier setzte er sich an die Spitze der kleinen Gruppe. Als sie den Rand des Palmenwaldes erreichten, wandten sie sich noch einmal kurz um. Ruhig und majestätisch lag die Galeone vor Anker. Es war ein friedliches Bild, das die „Isabella“ vor der paradiesisch anmutenden Lagune bot, unterstrichen durch den gleißenden Sonnenschein und das tiefe Blau der ruhigen See. Deutlich
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waren jetzt noch Ben Brighton und der Rest der Männer zu erkennen, die am Schanzkleid ausharrten und ihren Gefährten schweigend nachschauten. „Weiter!“ befahl Philip Hasard Killigrew und drang gemeinsam mit Joaquin Cavaqués als erster in das dichte Grün vor. Es war nie die Art der Seewölfe gewesen, sich in bohrenden Gedanken zu ergehen. Natürlich bewegte jeden einzelnen in diesem Moment die Frage, ob sie die „Isabella“ unter so friedlichen Umständen wiederfinden würden, wenn sie zurückkehrten. Aber sie hatten es gelernt, sich stets auf das zu konzentrieren, was vor ihnen lag. Nur durch diese unbändige Energie hatten sie es immer wieder geschafft, ihre gefahrvollen Aufgaben zu bewältigen. Und verdammt oft waren sie buchstäblich in letzter Minute den mörderischsten Höllenfeuern entronnen. Stickigfeuchte Hitze schlug über den Männern zusammen, als wollte sie sie niemals wieder freigeben. Schlagartig war die Helligkeit der Sonne wie ausgelöscht. Unter dem dichten grünen Dach der Baumkronen bestimmten die nie endenden Geräusche des Urwalds alles Geschehen. Stimmen von Vögeln und Säugetieren, deren ganze Vielfalt ein Menschenauge wohl noch nie erfasst hatte, vereinten sich zu einem machtvollen Klang, der unter dem natürlichen Dach des Tropenwaldes wie in einer Halle von gigantischen Ausmaßen widerhallte. Hier, in der unmittelbaren Nähe der Küste, war das Unterholz noch spärlich und bestand größtenteils aus knorrigen Pflanzen und jungen Bäumen, die etwa doppelt mannshoch waren. Der Seewolf und seine Männer verschwendeten keine Worte. Schweigend marschierten sie unter der Führung des Teniente Cavaqués, und sie gelangten zügig voran. Die stickige Luft legte sich schwer auf ihre Atemwege, und sie wußten, daß jegliches Gespräch eine unnötige Verausgabung von Kräften gewesen wäre.
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Noch setzte ihnen der Wald mit seiner von Menschenhand nie gehinderten Flora keinen übermächtigen Widerstand entgegen. Doch sie wußten, daß sich das sehr bald ändern konnte - im Hochland möglicherweise, wo mehr Licht durchdringen konnte und die Bodenpflanzen zu üppigem Wuchs hochtrieb. Aber auch in wasserreicheren Regionen von Flüssen und Seen, wo sich die Fieberhölle der Mangrovensümpfe ausdehnte. Der tropische Regenwald in diesem nordöstlichen Teil der Insel Ceylon unterschied sich kaum von jenen Dschungelgebieten, die Philip Hasard Killigrew und seine Männer im riesigen indonesischen Inselreich kennengelernt hatten. Auch hier, unmittelbar nördlich des Äquators, vereinten sich Flora und Fauna zu einem gewaltigen Schauspiel, das in seiner verschwenderischen Pracht faszinierend und bedrohlich zugleich anmutete. Faszinierend, sah man als argloser Betrachter nur die nicht enden wollende Palette von Farben und Formen, die Pflanzen und Tierwelt hier gleichermaßen hervorbrachten. Bedrohlich, hielt man sich vor Augen, mit welch konsequenter Grausamkeit das Recht des Stärkeren in dieser Natur galt und auch den Menschen mit einschloß, sobald er sich einer solchen Umgebung ahnungslos aussetzte. Nahezu ungehindert drangen die Männer der „Isabella“ zunächst in westlicher Richtung in das Landesinnere vor. Der Boden gab festen Halt, und sie brauchten nur zeitweise die Buschmesser einzusetzen, wenn Lianen in allzu dichten Vorhängen von den Baumkronen bis in den Unterwuchs hinunterreichten. Nirgendwo gab es Anzeichen dafür, daß sich jemals Menschen in diesen Urwaldzonen bewegt hatten, nirgendwo auch nur die Andeutung eines Pfades. Dennoch verlor der Spanier keine Sekunde lang die Orientierung. Stets behielt er auch dann zielstrebig die Richtung bei, wenn es galt, eine dichtere Baumzone oder holziges Gestrüpp zu umrunden.
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Kreischende Vogelstimmen begleiteten die Männer auf ihrem schweigenden Weg, doch nur vereinzelt ließen sich die schwarzbunt gefiederten Nashornvögel sehen, die in hundert bis hundertfünfzig Fuß Höhe ihr Revier unter dem Kronendach der Bäume hatten. Mit ihren riesigen Schnäbeln waren diese Hornvögel die eindrucksvollsten Vertreter ihrer Art und dominierten vor der großen Zahl der Schamadrosseln und Fliegenschnäpper, die durch das Blattwerk flatterten. Unübersehbar und unüberhörbar war auch die unendliche Vielfalt der Insekten. Riesige Schmetterlinge in schillernden Farben segelten majestätisch unter der Weite des dichten Urwalddaches, Grillen und Zikaden vereinten sich zu einem unaufhörlichen Konzert. Gibbons und Siamangs, die häufigsten Affenarten in diesen Breiten, schwangen sich in beeindruckender Eleganz durch die Baumkronen und schienen von den menschlichen Eindringlingen nicht die geringste Notiz zu nehmen, waren sie doch unerreichbar in ihrem Lebensraum. Die gefährlicheren Bewohner des Dschungels blieben unsichtbar - Tiger oder Leoparden etwa, wie auch die riesigen Pythonschlangen, die imstande waren, einen Menschen allein durch die Muskelkraft ihres Leibes zu erdrosseln. Hasard und seine Männer hatten sich ihrer Hemden entledigt und die Hosenbeine aus den Stiefelschäften gezogen und hochgekrempelt. Obwohl sie nur noch die Proviantbeutel auf dem Rücken trugen, rann der Schweiß in Strömen über ihre nackte Haut, und auch in ihren Augen brannten die Schweißtropfen, die sich nicht eindämmen ließen. Der Urwaldboden wurde welliger, nachdem sie zwei Stunden unterwegs waren. Wegen des steten Halbdunkels unter den hohen Baumkronen waren sie nahezu außerstande, die Tageszeit abzuschätzen. Nach den verschiedenen Palmenarten, die bislang das Bild bestimmt hatten, tauchten jetzt die ersten Mangrovenformationen auf, die sich vorwiegend in den Bodensenken
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erstreckten und auf einem Gewirr von Luftwurzeln thronten. Darunter herrschte schier unergründliches Leben. Schlammspringer bewegten ihre unförmigen Leiber grotesk hüpfend, Winkerkrabben schaukelten ihre platten Körper in rhythmischem Seitwärtsdrall, und die schwarz-gelb gemusterten Mangroven-Nachtbaumnattern hatten sich an den dunkelsten Stellen um die Luftwurzeln geschlungen und waren in ihrer Reglosigkeit wie ein fester Bestandteil dieser Wurzeln. Die Stiefel der Männer hinterließen tiefere Abdrücke in dem jetzt zunehmend weicheren Boden, der von fauligen Pflanzenresten übersät war. An einer höher gelegenen Stelle stießen sie auf eine kleine Lichtung. Hasard gab das Zeichen für eine Pause. Die Männer hatten sich diese Rast verdient. Daß sie ihren Wasservorrat vorsorglich rationieren mußten, brauchte er ihnen nicht ausdrücklich zu sagen. Sie hatten genügend Erfahrung und vor allem Selbstbeherrschung, jeder einzelne von ihnen. Joaquin Cavaqués hockte sich neben dem Seewolf auf den umgestürzten Stamm einer Riesenpalme. Auch die übrigen Männer fanden Platz auf dem mit Moosen und Flechten bewachsenen Baumstamm. Sie stellten die Waffen vor sich ab, lösten die Proviantbeutel vom Rücken und griffen als erstes zu den Wasserflaschen, um in kurzen, langsamen Schlucken zu trinken. Der Spanier sah bleich aus, seine Augen lagen tief in den Höhlen. Der Schweiß bildete kleine Bäche auf seinem Gesicht. Hasard musterte ihn mit einem forschenden Seitenblick, nachdem er seine Wasserflasche abgesetzt hatte und zuschraubte. Cavaqués spürte den Blick und schien die Gedanken des Seewolfs lesen zu können. „Keine Sorge, Sir Hasard“, sagte er leise, „ich werde durchhalten. Wenn man genügend Willenskraft aufbringt, schafft man, was man sich vorgenommen hat.“ „Irgendwo sind Grenzen“, entgegnete Hasard, „Sie sollten nicht versuchen, sich selbst zu täuschen, Senor Cavaqués. Keiner
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von uns wird es Ihnen übelnehmen, wenn Sie öfter eine Pause einlegen müssen. Zwingen Sie sich nicht, Unmögliches zu vollbringen. Wir können uns alle gut vorstellen, welche Strapazen hinter Ihnen liegen. Sie brauchen uns nicht zu beweisen, daß ihr Spanier die härtesten Burschen der Welt seid.“ Cavaqués lächelte und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich glaube nicht, daß solches Denken bei unserem gemeinsamen Vorhaben angebracht ist. Wir sind zivilisierte Menschen, Sir Hasard. Und als solche sind wir in der Lage, als Einzelpersonen Gemeinsamkeiten zu empfinden, auch wenn unsere Nationen verfeindet sind. Durch Ihren Entschluß zu dieser Rettungsaktion haben Sie das dokumentiert.“ Hasard winkte ab. „Jeder andere hätte an meiner Stelle genau so entschieden. Reden wir also nicht mehr darüber. Wichtiger ist für mich, wie wir vorankommen.“ „Vor Einbruch der Dunkelheit werden wir das Hochland nicht erreichen“, sägte der Spanier. „Nach meiner Schätzung haben wir von hier aus noch einen halben Tagesmarsch vor uns. Und dann einen weiteren Tagesmarsch bis in das Gebiet, wo die Wedda hausen. Vor uns liegt erst einmal der Sumpfgürtel. Die Zeit, die wir bis jetzt gewonnen haben, werden wir dort wieder verlieren.“ * Hatten ihnen Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit bislang schon zugesetzt, so fiel ihnen in den Mangrovensümpfen des Regenwaldes jeder Atemzug zur Last. Nahezu undurchdringlich war das Dickicht, durch das Joaquin Cavaqués dennoch mit schlafwandlerischer Sicherheit stets einen Weg fand. Beim schweißtreibenden Einsatz der Buschmesser lösten sich die Männer ab. Myriaden von Mücken tanzten über ihnen, und immer wieder mußten sie nach den Plagegeistern schlagen, die auf ihr Blut erpicht waren.
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Am Rand eines Sumpfteiches legten sie eine erneute Rast ein. Auch hier herrschte Halbdunkel. Der Himmel, den sie seit langem zum ersten Mal wieder erblicken konnten, hatte eine trübe Färbung angenommen. Dann, fast ohne jeden Übergang, brach die Dunkelheit herein. Ferris Tucker und Dan O'Flynn rammten die Ladestöcke zweier Musketen in den weichen Boden zwischen den Mangroven am Rand des Ufermorastes. Aus der Kiste nahmen sie zwei chinesische Fackeln an kurzen Stäben, die sie an den Ladestöcken festbanden. Batuti schlug zwei Flints aneinander, die kerzenähnlichen Fackeln fingen sofort Feuer und brannten mit großer Flamme. Züngelnder Lichtschein erhellte das Dickicht im Umkreis von zehn bis fünfzehn Yards, und es schien, als bewegten sich tanzende Gestalten im Gewirr der Mangroven und Schlingpflanzen und riesenblättrigen Gewächsen. Die Männer zogen sich einige Schritte zurück, bis sie auf trockeneren Boden stießen. Mit den Buschmessern und Schiffshauern schlugen sie dünne Zweige und Lianen aus 'dem Dickicht, die sie als Lagerstatt auf eine freie Fläche zwischen den Luftwurzeln schichteten. Ermattet ließen sie sich schließlich nieder, hockten sich im Halbkreis auf das primitive Ruhelager und öffneten ihre Proviantbeutel. Aus den Wasserflaschen strömte modriger, schaler Geruch. Doch das lauwarme Naß erfüllte noch immer seinen Zweck, ihren Durst zu löschen. Dörrfleisch und Fladenbrot waren zwar keine berauschende Mahlzeit, doch brauchten sie ohnehin nur das Notwendigste, um sich bei Kräften zu halten. Keiner verspürte in der Bruthitze ein übermäßiges Hungergefühl. Im hellen Licht der Kerzenfackeln herrschte inzwischen vielfältiges Leben und Sterben. Falter der verschiedensten Größen und Farben umkreisten die Flammen mit torkelnden Flugbewegungen, bis sie sich aus einem scheinbar jähen Entschluß heraus hineinstürzten und zischend verbrannten.
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Ihre Artgenossen, die von allen Seiten aus der Dunkelheit heranflatterten und vom Licht auf geradezu magische Weise angezogen wurden, zogen keine Lehre aus dem Geschehen. Reihenweise starben die großen Insekten den Flammentod. Auch die Mückenschwärme tanzten über dem Fackelschein, doch bewahrten sie eine ausreichende Entfernung. „Ich weiß nicht“, brummte Edwin Carberry, nachdem er einen Brotkanten zwischen seinen Zähnen zermalmt hatte, „wie die Dons auf die verrückte Idee verfallen konnten, in dieser lausigen Gegend irgendwelche Reichtümer zu vermuten.“ „Genau“, pflichtete ihm Ferris Tucker bei, „wenn hier überhaupt Menschen hausen, dann können es nur solche primitiven Eingeborenen sein, wie sie Mister Cavaqués beschrieben hat.“ „Noch sind wir ja wohl nicht am Ziel“, wandte Dan O'Flynn ein, „wenn die Ceylonesen an der Westküste sogar von einem Königreich berichten, das es hier geben soll, dann muß ja irgendwas dran sein.“ „Gerüchte“, sagte Matt Davies wegwerfend, „hinter so was sind unsere Freunde, die Spanier, her, seit sie El Dorado suchen.“ Joaquin Cavaqués hatte lächelnd zugehört. „Immerhin, Gentlemen, gibt es den Stamm der Wedda“, sagte er. „In der Beziehung waren die Gerüchte also nicht ganz grundlos. Daß es hier einen zweiten, bisher noch unbekannten König von Ceylon geben könnte, hat sich allerdings als Hirngespinst erwiesen. Das Oberhaupt der Wedda ist nicht gerade das, was wir uns unter einem König vorstellen.“ „Die ganz große Pleite also“, stellte Sam Roskill fest, „und dafür werden dreißig Mann einfach geopfert.“ „Der spanische Philipp hat sich in den Jahren nicht gebessert“, fügte Bob Grey hinzu. „Die Art und Weise, wie er mit seinen Leuten umgeht, ist immer noch dieselbe.“ „Gentlemen“, sagte Cavaqués energisch, „da muß ich widersprechen. Es war alles
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bestens arrangiert. Unsere Expedition wurde an der Kokkilai-Lagune abgesetzt und sollte dort auch wieder abgeholt werden. In der Beziehung hatte also alles seine Richtigkeit.“ „Richtigkeit?“ fragte Blacky kauend und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „In so ein paar Jahren kann sich eine Menge ereignen, Teniente. Woher wollen Sie wissen, daß Ihre Landsleute inzwischen nicht schlauer geworden sind? Vielleicht hat es sich an der Westküste längst herumgesprochen, daß diese merkwürdigen Eingeborenen nichts weiter als Steinzeitmenschen sind.“ „Und wenn das so wäre?“ fragte Cavaqués mit gefurchter Stirn. „Was Blacky meint, ist furchtbar einfach“, erwiderte Smoky. „Ihre Leute an der Westküste haben die ganze Sache einfach vergessen, Teniente. Die Galeone, auf die Sie gewartet haben, wird nie erscheinen.“ Joaquin Cavaqués preßte die Lippen aufeinander. Eine Weile blickte er betreten zu Boden und fingerte dabei an den Schnüren seines Proviantbeutels. Dann hob er unvermittelt den Kopf, als müsse er sich einen Ruck geben. „Ich will ehrlich sein“, sagte er leise, „auch ich habe an diese Möglichkeit bereits gedacht. Sie ist nicht von der Hand zu weisen.“ Philip Hasard Killigrew zog einen Schlußstrich unter die Debatte. „Wir brauchen über Wenn und Aber nicht nachzudenken. Das erübrigt sich, denn wir haben unseren Entschluß gefaßt. Oder ist jemand plötzlich anderer Meinung?“ Die Männer schüttelten energisch den Kopf. „Eins sollten wir bei allem nicht vergessen“, erklärte der Kutscher, „außer unserer menschlichen Pflicht, den Spaniern zu helfen, ist es tatsächlich eine bedeutende Aufgabe, der zivilisierten Welt von einem Volk zu berichten, wie es uns Senor Cavaqués geschildert hat.“ Der Seewolf nickte beipflichtend. „In Ordnung“, sagte er, „begeben wir uns jetzt zur Ruhe. Sofort beim ersten
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Tageslicht brechen wir wieder auf. Ed, teile die Wachen ein.“ Der Profos blickte in die Runde. „Freiwillige melden sich wohl nicht, was, wie?“ „Dazu mußt du ihnen erstmal Gelegenheit geben“, entgegnete Dan O'Flynn. „Ich übernehme die erste Wache.“ „Du mich wecken nach einer Stunde“, entschied Batuti, und sein schneeweißes Gebiß leuchtete im Halbdunkel. „Gut, dann bin ich der dritte im Bunde“, sagte Sam Roskill. Bob Grey und Smoky meldeten sich für die weiteren Wachstunden. „Na fein.“ Edwin Carberry grinste. „Euch Rübenschweine muß man nur erst auf Trab bringen, dann spurt ihr auch.“ Sie ließen ihn in dem Glauben, während sie sich auf dem primitiven Lager aus Zweigen und Blättern zur Ruhe ausstreckten. Donegal Daniel O'Flynn, so lautete der volle Name des hochgewachsenen jungen Mannes. rappelte sich auf. Er verfügte noch immer über die schärfsten Augen in der Crew der „Isabella“, und früher, während er meistenteils seinen Dienst als Ausguck verrichtet hatte, hatte er immer ein bißchen eher als die anderen gewußt, was sich zusammenbraute. Ausgenommen Hasard und Ben Brighton natürlich, die mit ihren Kiekern auch die entferntesten Sachen heranholen konnten. Dan ließ seinen Proviantbeutel am Rand der Lagerstatt zurück und schnappte sich statt dessen die Muskete, die noch über ihren Ladestock verfügte. Im Halbschatten hielt er nach einem geeigneten Platz Ausschau. Pulverflasche, Cutlass und Pistole verursachten leise klatschende Geräusche bei seinen Schritten. Er fand einen Baumrest, weit genug von den Mangrovenwurzeln entfernt und am Rand des Lichtkreises der Fackeln. Die Muskete klemmte er zwischen die Knie, nachdem er sich gesetzt hatte. Die schwere Langwaffe brauchte er für den Fall, daß eine Raubkatze oder sonstiges größeres Getier auftauchte. Mit ihrem Kaliber von
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rund .60 Inch holte die Muskete notfalls auch einen Elefanten von den Füßen. Prüfend sah sich Dan O'Flynn noch einmal um. Die Luftwurzeln der Mangroven waren weit genug von ihm entfernt, so daß ihm keine der Baumnattern gefährlich werden konnte die dort mit Vorliebe hausten. Vom Nachtlager der Seewölfe waren schon bald tiefe und regelmäßige Atemzüge und die ersten Schnarchtöne zu hören. Nach den Strapazen, die die Männer hinter sich hatten, war es nur zu verständlich, daß sie auf der Stelle einschliefen. Dan bekämpfte seine Müdigkeit mit Erfolg. Er zwang sich von vornherein, die anderen nicht um ihre Ruhe zu beneiden. So gelang es ihm, seine Sinne wach zu halten und sich auf die Geräusche der unmittelbaren Umgebung zu konzentrieren. Die vielstimmige Lärmkulisse des Dschungels hatte sich verändert und den Nachtstunden angepaßt. Die Gibbons und Siamangs hatten ihr Gezeter beendet. Stattdessen waren die fauchenden Laute von Fischkatzen zu hören und auch die hohlen Stimmen von undefinierbaren Nachtvögeln. Aus dem nahen Sumpfteich ertönten gurgelnde und schmatzende Geräusche, Kröten befanden sich dort auf Wanderschaft, und Fleckenottern begannen vermutlich ihre nächtlichen Beutezüge. Mit untrüglicher Sicherheit prägte sich Dan O'Flynn die unterschiedlichen Laute ein. Die langen Jahre auf See hatten seine Sinne geschärft. Jedes neue, fremde Geräusch würde ihm sofort auffallen. Davon war er jedenfalls überzeugt. Der Schatten, der hinter ihm aus dem Mangrovendickicht auftauchte, bewegte sich so lautlos, wie ein Schatten nur sein konnte. Als Dan O'Flynn die fremdartige menschliche Ausdünstung wahrnahm, war es schon zu spät. Er wollte hochschnellen, herumwirbeln — doch es blieb beim Ansatz der Bewegung. Ein Hieb explodierte auf seinem Schädel, und stechender Schmerz durchzuckte seine
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Sinne mit einer Woge, die sein Bewußtsein jäh auslöschte. Muskulöse Arme fingen ihn auf, bevor er zu Boden schlagen und die anderen durch das Geräusch alarmieren konnte. Nicht einmal ein Klappern von Dans Ausrüstung war zu hören, als er in das Dickicht geschleift wurde. 6. Der Gambianeger schlug die Augen auf. Er hatte fest geschlafen, doch ein innerer Impuls ließ ihn erwachen. Wie die meisten Männer, die in einem Leben voller Gefahren bestehen mußten, hatte er diese Fähigkeit, die seine Sinne wie ein Uhrwerk funktionieren ließ. Sofort fand er in die Wirklichkeit zurück, und er wußte, daß es der Zeitpunkt war, Dan O'Flynn von seiner Wache abzulösen. Gähnend richtete sich Batuti halb auf. Die chinesischen Fackeln brannten noch immer, und nach wie vor stürzten sich große Nachtfalter in die tödlichen Flammen. Batutis Augen suchten den Baumrest, auf dem Dan sich niedergelassen hatte. Doch es gab nur mattes Metall, das dort schimmerte. Die Muskete! Niemals würde Dan die Waffe zurücklassen, selbst wenn er sich nur auf einen Streifzug in die nähere Umgebung gewagt hatte. Eisiger Schreck durchfuhr den schwarzen Herkules aus Gambia. Nur wenige Atemzüge lang spähte er angestrengt in die Umgebung des Baumrestes. Doch nirgendwo war eine Bewegung zu erkennen. Batuti zögerte nicht länger. Er stieß Matt Davies an, der neben ihm lag und sonore Schnarchtöne in gleichbleibendem Rhythmus von sich gab. Die Töne brachen ab, Matt schluckte, schnaufte und begann zu blinzeln. Der Gambianeger beugte sich zu dem Mann mit der Hakenprothese hinunter. „Dan ist weg!“- zischte er. „Batuti geht suchen.“ Bevor Matt antworten konnte, richtete sich der Gambianeger federnd auf und war im
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nächsten Moment in der Schwärze der Dschungelnacht verschwunden. Batuti trug nur seine Leinenhose, die bis zu den Knien hochgekrempelt war. Die schweren Seestiefel hatte er beim Lagerplatz zurückgelassen. Auf nackten Fußsohlen glitt er lautlos durch das Mangrovendickicht. Sein muskulöser Körper verschmolz mit der Finsternis, die ihn als perfekte Tarnung umgab. Die eigene Vergangenheit wurde in ihm wach, die Erinnerung an seine afrikanische Heimat und an die Wildnis, in der er zu leben und überleben gelernt hatte. Damals, in jener Vergangenheit, die er nahezu aus seinen Gedanken verdrängt hatte, war er — wie viele andere seiner Stammesbrüder — den Spaniern in die Hände gefallen. Und er wäre als Sklave verkauft worden, hätte es nicht den Seewolf gegeben, der ihn befreite. Aus Dankbarkeit, aber auch aus einer unerschütterlichen Freundschaft war er Philip Hasard Killigrew seither treu ergeben. Und Dan O'Flynn hatte Batuti besonders in sein Herz geschlossen. Früher, als Dan noch ein Junge gewesen war, hatte der schwarze Herkules sich fürsorglich um ihn gekümmert, ihm geholfen, den harten Dienst an Bord immer besser zu meistern und ihm auch in manchen gefahrvollen Situationen zur Seite gestanden. All das war in Batutis Unterbewußtsein wie unauslöschlich eingebrannt. Doch seine hellwachen Sinne konzentrierten sich allein auf das, was vor ihm lag — von dem er nicht wußte, wie es sein würde. Er kannte die unendlichen Gefahren, die im Dschungel lauerten, und er wußte auch, wie Menschen die Tücken des Urwalds für ihre eigenen mörderischen Absichten ausnutzen konnten. Mit der gleitenden Elastizität einer Raubkatze schlich der schwarze Herkules durch das Unterholz. Nirgendwo stieß er an, nirgendwo brachte er herabhängende Schlingpflanzen oder Blätter in verräterische Bewegung. Auf diese Weise schlug er einen Bogen um den Lagerplatz und erreichte das Dickicht in der Nähe
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jener Stelle, an der Dan O'Flynn Wache gehalten hatte. Deutlich sah Batuti auch jetzt die Muskete, die noch dort vor dem Baumrest lag. Im Halbdunkel am Rand des Fackelscheins erkannte er die Männer bei der Lagerstatt. Sie bewegten sich kaum und flüsterten nur. Batuti nickte zufrieden, und ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Matt Davies hatte ihnen verklart, um was es ging. Alles hing jetzt davon ab, daß sie sein Vorhaben nicht störten und das Wild nicht aufscheuchten. Eine großangelegte Suchaktion, bei der sie alle den finsteren Dschungel durchstreiften, wäre sowieso völlig sinnlos gewesen. Vergleichsweise leicht wäre es dagegen gewesen, die berühmte Stecknadel im Heuhaufen zu suchen. Lautlos, wie er sich genähert hatte, wandte sich Batuti wieder ab. Er durchsuchte das angrenzende Dickicht und stellte sich dabei vor, wie er selbst sich verhalten hätte, wenn es seine Aufgabe gewesen wäre, einen ahnungslosen Wachtposten zu überfallen. Das Mangrovendickicht ermöglichte nur ein sehr begrenztes Vorankommen. Denkbare Richtungen waren vorgegeben durch die undurchdringlichen Bereiche des Unterholzes. In seinem untrüglichen Orientierungssinn bewahrte Batuti auch die Tatsache, daß sich das Hochland westlich von dem Mangrovengürtel befand. Ohne langes Zögern drang er immer weiter vor, nahm Geräusche und Gerüche auf und registrierte jede kleinste Besonderheit, die ihm bewußt wurde. Unvermittelt spürte er, daß er sich auf der richtigen Fährte befand. Es war nur ein Instinkt, doch von solcher Gewißheit, daß er keinen Atemzug lang zweifelte. Er verlangsamte seine Bewegungen, und seine Muskeln spannten sich. Es war kein Weg, nicht einmal ein Pfad, dem er folgte. Und doch war er sicher, daß die Durchlässe, die Luftwurzeln und Schlingpflanzen gewährten, schon einmal von Menschen benutzt worden waren.
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Plötzlich schlugen seine Nerven Alarm. Es war, als spüre er die drohende Gefahr körperlich. Ein Mensch war in der Nähe! Batuti ließ sich nichts anmerken. Nur wenig verlangsamte er seine Bewegungen und spannte gleichzeitig die Muskeln. Mit jeder Faser seiner Sinne fühlte er die Bedrohung. Jemand beobachtete ihn oder horchte bestenfalls. Vorsichtig teilte er die Schlingpflanzen, die ihm den Weg versperrten, tastete sich an dem Gewirr der Luftwurzeln entlang, bis er wieder einen freien Durchschlupf fand, um weiter in westlicher Richtung vordringen zu können. Jäh entstand eine Bewegung. Batuti duckte sich reaktionsschnell, wich zurück und federte im nächsten Moment wieder hoch. Ein Schatten sauste herab, begleitet von keuchendem Atem. Unergründlich, aus welcher Richtung der Angriff erfolgte. Die Dunkelheit war allgegenwärtig. Etwas zischte mit scharfem Luftzug und endete in einem harten. trockenen Laut. Batutis Fäuste stießen vor. Er traf menschliches Fleisch, stahlharte Muskeln. Ein unterdrückter Schrei wurde laut. Sofort setzte der Gambianeger nach, schlug unbarmherzig zu und wußte, daß er verloren hatte, sobald sich der unsichtbare Gegner aus seiner Reichweite verzog. Wieder ein Schmerzenslaut. Fäuste zuckten hoch, etwas fiel zu Boden. Batuti mußte einen Hieb in die Magengegend einstecken, und das fachte seinen Zorn nur noch mehr an. Verdammt, dies mußte der Kerl sein, der Dan O'Flynn überrumpelt hatte —oder daran beteiligt gewesen war! Gegen die Körperkraft des riesenhaften Gambianegers war kein Kraut gewachsen. Er zerschmetterte die Gegenwehr des anderen. mit einem Trommelfeuer von Hieben und streckte ihn zu Boden. Sofort packte er zu, um sich zu vergewissern, daß der Unbekannte auch wirklich bewußtlos war. Dabei stießen seine Finger auf etwas Hartes, das neben dem reglosen Körper lag. Ein länglicher Gegenstand. Batuti schob ihn sich unter den Gürtel, bevor er
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den Bewußtlosen packte und ihn mit spielerisch scheinender Leichtigkeit über seine Schulter warf. Ohne Zeit zu verlieren, begab er sich auf den Weg zurück zum Lagerplatz. Batuti kannte das Leben im Dschungel und wußte, daß es sinnlos war, allein und noch dazu mit einem Gefangenen beladen, nach Dan O'Flynn zu suchen. Eher konnte er dabei alle Vorteile, die er soeben gewonnen hatte, wieder verlieren. Wenn es eine Chance gab, Dan aufzuspüren und zu befreien, dann hatte Batuti den Schlüssel dazu in der Hand. Alle Männer waren hellwach, als der Gambianeger den Lichtkreis der Fackeln erreichte und seine menschliche Last zu Boden sinken ließ. Verblüfft musterten sie das Wesen, das dort lang ausgestreckt vor dem behelfsmäßigen Nachtlager lag. Eine schmale, kleinwüchsige Gestalt, bis auf einen Lendenschurz aus Rohhaut völlig unbekleidet. Sein Haar war filzig, pechschwarz und mehr als schulterlang. Die Stirn des Mannes war flach und fliehend über wulstigen Augenbrauen, sein Unterkiefer breit und vorstehend. Batuti zog das längliche Ding unter dem Gürtel hervor und betrachtete es. Eine Keule aus Hartholz, roh behauen mit primitivem Werkzeug. „Hat versucht, mir Schädel damit einzuschlagen“, sagte der Gambianeger und reichte dem Seewolf die Steinzeitwaffe. „Keine Spur von Dan?“ fragte Hasard besorgt, während er das vorsintflutliche Schlaginstrument betrachtete. Batuti schüttelte den Kopf. „Kann Spur nicht weiterverfolgen, allein. Wissen aber jetzt, welchen Kurs. Und haben Druckmittel in der Hand.“ Er deutete auf den Bewußtlosen. „Komische Figur“, murmelte Ferris Tucker kopfschüttelnd. „Ein bißchen hat er Ähnlichkeit mit den Wilden, die wir in Australien zu sehen gekriegt haben“, sagte Smoky gedehnt. „Wenn ich mir vorstelle“, grollte Edwin Carberry, „daß er unserem Dan mit dieser lausigen Keule eins über den Schädel
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gezogen hat ...“ Er sprach nicht aus, was alle dachten. Joaquin Cavaqués, der den reglosen Eingeborenen betroffen angestarrt hatte, wandte sich jetzt zu dem Seewolf um. „Ich glaube, es wird nicht schwierig sein, Mister O'Flynn zu finden“, sagte der Spanier leise, „dies ist ein Wedda, Sir Hasard. Seine Stammesgefährten werden Mister O'Flynn in ihr Dorf verschleppt haben. Sie müssen uns seit geraumer Zeit beobachtet haben. Wahrscheinlich schon vor Einbruch der Dunkelheit.“ Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Weshalb nehmen sie an, daß wir ihnen feindlich gesonnen sind?“ Cavaqués zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. „Es entspricht nicht ihrer Mentalität. Im Grunde sind sie ein friedliches Volk von Jägern und Sammlern. Und schon gar nicht sind sie solcher gedanklichen Winkelzüge fähig, einen Gegner zu entführen und ihn dann als Faustpfand zu benutzen.“ Hasard ließ die Holzkeule zu Boden fallen. „Das heißt, jemand hat sie dazu angestiftet?“ „Ich muß es leider vermuten“, sagte der Spanier und nickte. „Wie ich schon erklärte: Capitan Herrera und die anderen sind im Kopf nicht mehr ganz richtig, Vielleicht haben sie jetzt das verrückte Gefühl, daß sie sich gemeinsam mit den Wedda gegen fremde Eindringlinge schützen müssen. Das hat bestimmt nichts damit- zu tun, daß Sie Engländer sind, Sir Hasard. Herrera nimmt sicherlich an, daß ich unsere eigenen Landsleute mitbringe, die mit der planmäßigen Galeone eingetroffen sind.“ Der Seewolf antwortete nicht. Auch eine Errungenschaft. der vielgepriesenen Zivilisation, dachte er. Sie bringen die Eingeborenen auf Ideen, die diese von selbst nie entwickeln würden. Überall auf der Welt ist es das gleiche. Doch den Schuh mußten sich nicht nur die Spanier anziehen. Die anderen europäischen Nationen - einschließlich der Engländer hatten sich in dieser Beziehung auch nicht gerade mit Ruhm beladen. Man brauchte
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nur an den Sklavenhandel zu denken, eins der schwärzesten Kapitel, „Fesselt ihn“, entschied Hasard. „Aber nur die Hände auf den Rücken. Sobald er bei Bewußtsein ist, brechen wir auf.“ Ferris Tucker übernahm es. Er hatte eine Leine schon bereit. „Wenn Dan etwas zugestoßen ist“, sagte er grimmig, „hätte ich nicht übel Lust, diesem Capitan Herrera jeden Knochen einzeln im Leib zu brechen. Ob Ihnen das nun schmeckt oder nicht, Senor Cavaqués.“ Der Spanier nickte bedauernd. „Wenn es sich so verhält, wie ich vermute, habe ich keinen Grund, das Handeln meines ehemaligen Vorgesetzten zu entschuldigen. Ich würde sogar gegen ihn kämpfen, wenn es sein müßte. Damit will ich mich bei Ihnen weiß Gott nicht einschmeicheln, Gentlemen.“ „Schluß damit“, entschied der Seewolf beinahe schroff, „solche Gespräche führen zu nichts.“ * Schon nach wenigen Minuten schlug der Wedda-Mann die Augen auf. Im Schein der Kerzenfackeln unterzog Joaquin Cavaqués ihn einem kurzen Verhör. Angstvoll starrte der Eingeborene die Fremden an. Fraglos waren sie für ihn nichts als Eindringlinge, die ihn und sein Volk bedrohten. Seine schmale, doch muskulöse Brust hob und senkte sich rasch unter heftigen Atemzügen. Seine Mundwinkel, unter nur spärlichem Barthaar deutlich zu erkennen, zuckten. Unruhig, wie gehetzt, huschte sein Blick von einem zum anderen. Dann, als Cavaqués auf ihn zutrat, zog er die Stirn in Falten. Batuti und Smoky hatten sich unmittelbar hinter dem Wedda-Mann aufgebaut. Da sie ihm die Beine nicht gefesselt hatten, mußte man damit rechnen, daß er sich zu einer plötzlichen Flucht entschloß, falls er sich in die Enge getrieben fühlte. Joaquin Cavaqués beherrschte die einfache Sprache der Wedda. Eine Sprache, die mehr aus der Aneinanderreihung von
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verschiedenen Lauten bestand als aus Silben, die auf dem abendländischen Buchstabensystem hätten basieren können. „Du kennst mich?“ sagte Cavaqués. „Ich bin der Freund des weißen Häuptlings.“ Die Seewölfe wechselten Blicke. Was der Spanier da von sich gab, war ein gutturales Grunzen in verschiedenen Tönen. Nach einer menschlichen Sprache klang es ganz gewiß nicht. „Du anders“, entgegnete der Wedda-Mann mit zitternder Stimme, „aber du bist Chakin, ich weiß.“ Cavaqués erinnerte sich. Sie hatten „Joaquin“ nie aussprechen können und ihn deshalb „Chakin“ genannt. „Wir wissen, was ihr getan habt“, fuhr er fort, „warum?“ „Cho hat es gesagt, und Gurdul befohlen“, folgte die Antwort ohne Zögern. Cavaqués begriff. „Cho“, das war die Wedda-Version von, „Jose“, dem Vornamen Capitan Herreras, den sie manchmal auch als den weißen Häuptling bezeichneten. Und „Gurdul“ war niemand anders als der König der Wedda. „Wo ist der Mann, den ihr gestohlen habt?“ fragte Cavaqués. Ein Wort für „entführen“ gab es in der Wedda-Sprache nicht. Es war ein Begriff, der ihnen fremd war. „Sie bringen ihn nach Buru, Chakin. Gurdul befohlen.“ Cavaqués spürte, daß der Wedda-Mann die Wahrheit sagte. Buru war ein Ort in unmittelbarer Nähe ihres Kultplatzes. Ein halb verfallener Buddhistentempel befand sich dort. Vor Jahrhunderten mußten indische Eroberer hier Fuß gefaßt und sich später in die lebensfreundlicheren Regionen der Insel Ceylon verzogen haben. Buru, der Tempelort, war jetzt für die Wedda Treffpunkt ihrer kultischen Zusammenkünfte, die einmal jährlich stattfanden. Tier- und auch Menschenopfer wurden dort irgendwelchen Gottheiten dargebracht, deren Sinn Cavaqués nie richtig verstanden hatte. „Wie heißt du?“ fragte er. „Kunju, Chakin.“
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„Höre, Kunju, du wirst uns nach Buru führen.“ Die Augen des Wedda-Mannes weiteten sich. Er begann zu zittern. Aber er brachte kein Wort der Ablehnung hervor. „Du wirst es tun“, sagte Cavaqués, „ich befehle es dir.“ Als Stellvertreter von Capitan Herrera hatte er den Wedda gegenüber stets Autorität gehabt. Hier, wo die endgültige Entscheidung nicht von König Gurdul abhing, zählte eben ausschließlich seine Befehlsgewalt. Er nickte zweimal hintereinander. Es war das Zeichen, einem Wedda zu verstehen zu geben, daß er keine Bestrafung zu erwarten hatte, weil er sich folgsam zeigte. Joaquin Cavaqués wandte sich dem Seewolf und den anderen zu und schilderte das Ergebnis des Verhörs. „Es ist also so, wie ich vermutet habe“, fügte er hinzu, „die Entführung von Mister O'Flynn geht auf einen Vorschlag von Capitan Herrera zurück. Wahrscheinlich hat er endgültig mit seiner eigenen Vergangenheit gebrochen und auch meine Landsleute, die noch bei ihm sind, beeinflußt. Herreras Verstand ist umnebelt. Er begreift nicht mehr, daß unser gleichen in dieser Wildnis auf die Dauer nicht leben kann.“ „Wie dem auch sei“, entgegnete der Seewolf hart, „falls er es auf eine Auseinandersetzung anlegt, hat sich Herrera alles weitere selbst zuzuschreiben. Wir können nicht mehr zurück. Es geht um Dan O'Flynns Leben. Das steht jetzt an erster Stelle.“ „Warum sollten sie ihn umbringen?“ rief Cavaqués erschrocken. Hasard winkte ab. „Sie brauchen nichts zu beschönigen. Die Tatsache, daß die Wedda fähig sind, Menschenopfer zu bringen, sagt genug. Wir brechen sofort auf.“ Ausnahmsweise verzichtete Edwin Carberry auf seine üblichen gebrüllten Sprüche. Ursache war das unbestimmte Gefühl, daß möglicherweise noch mehr Steinzeitmenschen im Dschungel lauerten und nur darauf warteten, daß die Seewölfe ihre Absichten lautstark verdeutlichten.
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Im Handumdrehen hatten die Männer das Lager abgebrochen und ihre Ausrüstung aufgenommen. Joaquin Cavaqués und der Wedda-Mann Kunju übernahmen die Führung. Ihnen folgten Batuti und Smoky, dann Hasard. Ohne Umschweife drangen sie in die Richtung vor, in der Batuti den Wedda aufgespürt hatte. Die Fackeln hatten sie im Wasser des Sumpfteiches gelöscht. Der Marsch durch das nachtdunkle Mangrovendickicht würde zu einer Schinderei werden, darüber bestand kein Zweifel. Schwierig war es schon deshalb, weil sie ständigen Berührungskontakt halten mußten, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu streckten sie den Arm aus, und solange sie die Schulter oder den Proviantbeutel des Vorangehenden fühlten, wußten sie, daß sie den Anschluß nicht verloren hatten. In der totalen Finsternis konnten sie buchstäblich die Hand vor Augen nicht sehen. Hasard gab in kurzen Abständen den Befehl zum Halten. Flüsternd verständigten sich die Männer, um festzustellen, daß niemand fehlte. Dabei hielten sie sich aber jeweils nur wenige Minuten auf. Keiner der Männer von der „Isabella“ verspürte noch Müdigkeit. Die Sorge um ihren Gefährten trieb sie voran. Unverändert feucht und stickig war die Luft im Mangrovendickicht. Die Nacht hatte nur wenig Abkühlung bewirkt. Wieder lief der Schweiß bei ihnen in Strömen, doch ihre Willenskraft war stärker als solche physischen Randerscheinungen. Joaquin Cavaqués hatte dem Wedda-Mann beim letzten Halt einen zusätzlichen Strick um die gefesselten Handgelenke geschlungen und das andere Ende dieses Stricks an seinem Gürtel befestigt. Auf diese Weise lief er keine Gefahr mehr, Kunju aus seiner Reichweite zu verlieren. Und der Steinzeitmensch hatte keine Chance, sich in einem günstigen Moment zu verdrücken. Keinen Augenblick zögerte der WeddaMann auf der Suche nach dem richtigen Weg. Cavaqués kannte das faszinierende
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Orientierungsvermögen dieser Menschen, doch auch jetzt bewunderte er es von neuem. Daß Kunju sie in eine falsche Richtung führte, war völlig ausgeschlossen. Einem Befehl, den er bejaht hatte, widersetzte sich ein Wedda niemals. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, daß er in einem solchen Fall mit Strafe zu rechnen hatte. Und weil Kunju in Gefangenschaft geraten war, beugte er sich bereitwillig der Autorität, die jetzt für ihn maßgebend war. Sie hatten eine Senke durchquert. Noch immer war es stockfinster. Das Gelände stieg mittlerweile leicht an. Cavaqués war sicher, daß sie bald das Hügelland erreichen mußten, das den Bergzügen vorgelagert war. Es geschah in diesem Moment, noch bevor er den Gedanken zu Ende geführt hatte. Ein scharfes Zischen, fast wie ein Peitschenhieb, zerschnitt die stete Geräuschkulisse des Dschungels. Die Schrecksekunde reichte für den Spanier nicht, um noch zu reagieren. Ein furchtbarer Schlag traf seine rechte Schulter. Er schrie auf, stürzte zu Boden, hörte einen weiteren Schrei und gleich darauf ein Prasseln, das den Untergrund erzittern ließ. Dann war es still, erschreckend still. Fast schien es, als seien auch die Urwaldtiere durch das Geschehen verstummt. Jemand stöhnte schmerzerfüllt. „Licht!“ rief der Seewolf halblaut. „Ferris, eine Fackel!“ „Aye, aye, Sir, kommt sofort“, erwiderte der Schiffszimmermann, der weiter hinten in der Gruppe marschiert war. Der Seewolf tastete sich voran. Er hatte eine vage Ahnung von dem, was passiert war. „Smoky?“ Eine Hand streckte sich ihm aus der Dunkelheit entgegen. „Hier, Sir“, antwortete die vertraute Stimme des Decksältesten. „Aber mit Batuti und dem Spanier sieht es nicht so gut aus. Verdammt noch mal, wenn ich bloß wüßte, was das war!“
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Helligkeit flammte auf. Die Männer reichten die Fackel nach vorn, die Ferris Tucker mit seinen Flints angezündet hatte. Hasard nahm die Fackel entgegen und wandte sich nach vorn. Ihm stockte der Atem. Batuti war eben im Begriff, sich aufzusetzen. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. Eine blutige Spur, gut handtellerbreit, befand sich auf seinem Rücken. Joaquin Cavaqués lag noch am Boden, war aber bei Bewußtsein. Der Wedda-Mann regte sich indessen nicht. Zwischen ihnen verstreut lagen kopfgroße Gesteinsbrocken, ungefähr ein Dutzend. „Eine Falle!“ stieß Smoky hervor. „Eine verdammte Falle!“ Hasard nickte. Hinter ihm entstand erregtes Gemurmel. Er ging mit der Fackel nach vorn, bückte sich und untersuchte Batuti. Der Gambianeger bewegte die Arne, ließ die Muskeln spielen und atmete auf. „Nicht schlimm“, sagte er mit einem gequälten Lächeln, „funktioniert noch alles.“ Hasard klopfte ihm auf die Schulter und drehte sich um. „Kutscher! Verbandszeug!“ „Aye, aye, Sir, sofort!“ Hasard kümmerte sich um den Spanier. Seine Schulter war blutig und aufgeschlagen. Es blieb nur zu hoffen, daß keine Knochen gebrochen waren. Der Kutscher würde sich eingehend mit der Wunde beschäftigen müssen. Cavaqués drehte den Kopf, so daß er den Seewolf erblickte. Sein schmerzverzerrtes Gesicht entspannte sich etwas. „Dem Himmel sei Dank“, sagte er ächzend, „ich befürchtete schon, es hätte Sie auch erwischt. Es war meine Schuld, ich hätte daran denken müssen. Die Wedda nennen diese Falle den ‚Steinregen’. Sie tragen Gesteinsbrocken aus den Bergen zusammen und füllen sie in ein Netz, das sie aus Lianen flechten. Der Rest ist einfach. Das Netz wird zwischen zwei Baumkronen aufgehängt, und das eine Ende der Aufhängung mit einem Lianenstrick verbunden, der wiederum an
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einem zu Boden gebogenen jungen Baum verknotet ist. Der Auslöser für das Ganze ist ein starker Ast, der in einer Bodenrinne quer über den Weg gelegt und mit Laub zugedeckt wird. Nicht immer funktioniert das, weil ja die, die es treffen soll, auf den Ast treten müssen. Aber in unserem Fall ...“ „Reden Sie nicht zuviel“, sagte Hasard, „es ist schon gut. Der Kutscher wird Sie gleich versorgen.“ „Lassen Sie mich zurück“, bat Cavaqués, „ich bin nur eine Last für Sie, wenn Sie Mister O'Flynn noch befreien wollen.“ „Hören Sie auf mit dem Unsinn“, erwiderte Hasard, „wir lassen niemanden mitten im Dschungel allein.“ Er richtete sich auf. Der Wedda-Mann lag zwei Schritte entfernt. Seine Glieder waren merkwürdig verkrümmt. Hasard bückte sich und drehte ihn auf den Rücken. Kunjus Augen starrten blicklos in den Fackelschein. Ein Gesteinsbrocken hatte ihm den Schädel eingeschlagen. Der Seewolf drückte ihm die Augenlider zu und entknotete die Stricke von seinen Handgelenken. Ein Toter brauchte keine Fesseln mehr. Den einfachen Auslösemechanismus des Steinregens hatte Kunju unter sich begraben. Er mußte es auch gewesen sein, der daraufgetreten war. Der Ast, der in der Bodenrinne halb freigelegt war, hatte die Stärke eines Männerarms und ruhte auf einem Stein, der am Rand der Bodenrinne etwa fausthoch aufragte. Drei Schritte entfernt im Dickicht befand sich der junge Baum, der emporgeschnellt war, als der Ast die Bodenhalterung ausgelöst hatte. Hasard hob die Fackel. In knapp zwanzig Fuß Höhe sah er das herabhängende Lianennetz. Joaquin Cavaqués hatte also richtig vermutet. Mit Batuti hatte der Kutscher wenig Arbeit. Es handelte sich lediglich um eine Fleischwunde, die allerdings schmerzhaft genug war. Bei dem Spanier gestaltete sich die Wunduntersuchung schwieriger. Über seiner Schulter war die Haut zerfetzt, und eine tiefe, schnittähnliche Wunde klaffte. Der Kutscher, der an Bord der „Isabella“
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auch die Aufgaben eines Feldsehers versah, brauchte geraume Zeit, bis er mit absoluter Sicherheit sagen konnte, daß kein Knochen gebrochen war. Während der Kutscher den beiden Verletzten Verbände anlegte, bestatteten Smoky, Sam Roskill und Bob Grey den toten Wedda-Mann notdürftig im angrenzenden Dickicht. Die übrigen Männer hatten ihre Pistolen gezogen und beobachteten mit schmalen Augen die Umgebung. 7. Sein Schädel war wie ein Bergwerk, in dem eine Heerschar von kleinen Kerlen die Hämmer schwang. Der Schlag, den sie ihm verpaßt hatten, war ausreichend gewesen, um ihn für mehr als die Hälfte des Weges in tiefe Bewußtlosigkeit zu versenken. Das folgerte er jedenfalls daraus, daß sie sich schon im Bergland befunden hatten, als er aufgewacht war. Gesehen hatte er nichts, denn sie hatten ihm die Augen mit einem stinkigen Stück Rohhaut verbunden. Erst in dem Verlies hatten sie ihn von der Augenbinde befreit. Geblieben waren die Lianenstricke, mit denen sie seine Arme auf den Rücken gebunden hatten. Die Körperausdünstungen der Steinzeitmenschen hingen als unauslöschlicher Geruch in der Luft. Erst jetzt, nach stundenlanger Dunkelheit, war trübe Helligkeit durch die beiden Maueröffnungen gekrochen. Dort hockten sie. Vier Kerle insgesamt. In jedem Mauerloch zwei. Ihre Umrisse zeichneten sich vor dem beginnenden Tageslicht wie Scherenschnitte ab. Sie bewegten sich nicht und waren wie Statuen. Dan O'Flynn fragte sich, ob sie reagieren würden, wenn er einen Schrei ausstieß oder umherzuwandern begann. Aber er verzichtete darauf, die Probe aufs Exempel zu wagen. Mit seinem dröhnenden Schädel war er zu riskanten Unternehmungen noch nicht in der Lage. Er lehnte mit dem Rücken an der feuchten Wand aus Quadersteinen, den
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Maueröffnungen gegenüber. Auf dem Boden zu hocken, war nicht ratsam wegen der ungesunden Feuchtigkeit, die aus dem Gestein auf stieg. Dan sah das Weiße in den Augen der vier Wedda-Männer. Sie betrachteten ihn mit stoischer Ruhe. Auf ihren Beinen, die sie in das Verlies hinunterbaumeln ließen, ruhten diese verdammten Steinzeitkeulen. Die Schlaginstrumente waren durchaus geeignet, einen Menschen ins Jenseits zu befördern. Man mußte nur kräftig genug zuschlagen. Wie Dan jetzt erkannte, war die Haut der fast unbekleideten Männer hell- bis dunkelgrau. Vermutlich hatten sie ihre Haut mit Erde oder Asche eingerieben. Möglicherweise rührte daher auch der Geruch, den sie ausströmten. Vergeblich hatte sich Dan gefragt, wieso sie über ein gemauertes Bauwerk verfügten. Nach den Schilderungen des Teniente Cavaqués hatten die Wedda weder Intelligenz noch Kultur genug, um eine solche Leistung zu vollbringen. Andererseits waren die Steine dieses Gemäuers mit Moos überwachsen. Eine Ruine also? Möglich. Wenn es so war, mußte es eine Erklärung dafür geben, warum sie mitten im Dschungel stand. Dans Gedankengänge wurden unterbrochen. Stimmengemurmel war unvermittelt zu hören, dann Schritte, die sich dem Verlies näherten. Zum ersten Mal, seit sie ihrem Gefangenen in der feuchten Behausung die Augenbinde abgenommen hatten, gerieten die vier Aufpasser in Bewegung. Sie stießen gutturale Laute aus und stemmten sich nach draußen. Die hereinfallende Helligkeit nahm zu. Dan war aber überzeugt, daß seine Wächter in der Nähe blieben. Im nächsten Moment verdunkelte sich die rechte der Maueröffnungen wieder. Das Gemurmel und auch die Schritte endeten. Ein Schatten senkte sich nieder und schwang sich durch die quadratische Öffnung, die einem Mann fast genug Platz bot, um aufrecht zu stehen.
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Die Gestalt ging auf den Gefangenen zu und blieb zwei Schritte vor ihm stehen. „Buenos dias, Senor. Ich hoffe, man hat Sie einigermaßen gut behandelt, den Umständen entsprechend.“ Er sprach Spanisch. Seine Stimme war dunkel und eigentlich als wohlklingend zu bezeichnen. „Tut mir leid, ich verstehe Ihre Sprache nicht“, erwiderte Dan auf Englisch. Es entsprach nicht der Wahrheit. Jedes Wort hatte er verstanden, denn er beherrschte genügend Spanisch. „Oh!“ sagte der andere überrascht. „Ein britischer Bastard! Ausgerechnet hier bei uns? Das müssen Sie mir erklären, junger Mann.“ Sein Englisch war akzentbeladen und von rollendem Klang. Dan konnte ihn jetzt in der beginnenden Helligkeit besser erkennen. Seine Hautfarbe war weiß. Er hatte graumeliertes Haar, das in wallenden Linien bis auf die Schultern reichte. Dazu ein mächtiger Vollbart, der die Brust bedeckte und sich dem Bauchnabel näherte. Er trug eine zerschlissene Leinenhose und Stulpenstiefel, die rissig und verdreckt waren. In seinem Äußeren ähnelte er Cavaqués, wie sie ihn von der „Isabella“ aus am Strand der Lagune gesehen hatten. Nur war dieser Mann einen halben Kopf kleiner, breitschultrig und fast untersetzt. „Ich bin Ihnen keine Erklärungen schuldig, Mister.“ Dan gab seiner Stimme einen gelassenen Klang. „Nur die eine: Sie haben einen großen Fehler begangen, Capitan Herrera.“ Der Spanier kicherte amüsiert. Es war ein hohes, unnatürliches Kichern. „Sieh an, sieh an! Meinen Namen kennt er auch, der Britenstrolch! Könnte es sein, daß er sich mit Cavaqués, dem Verräter, verbündet hat?“ „Er braucht mit mir nicht in der dritten Person zu reden“, entgegnete Dan O'Flynn, „so was ist bei uns nicht üblich.“ Herrera kicherte abermals. „Ich weiß, ich weiß, Amigo. Ihr Briten haltet nicht viel von guten Umgangsformen.“ Dan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ehrlich gesagt, Sie sehen auch
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nicht aus wie einer, der die Absicht hat, an einer Gesellschaft bei Hofe teilzunehmen.“ Herreras Gesicht verzog sich zu einer Fratze. Blitzschnell zuckte sein Arm hoch, und sein Handrücken klatschte in das Gesicht des Gefesselten. Dan O'Flynn Verzog keine Miene. Daß seine Wange brannte und sich das Dröhnen in seinem Schädel verstärkte, brauchte dieses komische Abbild von einem spanischen Capitan nicht zu wissen. „Damit wir uns klar verstehen“, zischte Herrera, „Grund zur Überheblichkeit hat hier nur einer, und das bin ich. Wenn ich will, springst du in der nächsten halben Stunde über die Klinge, mein Kleiner. Und ich kann dir versichern, daß meine Freunde, die Wedda, trotz ihrer Einfältigkeit gerade auf diesem Gebiet sehr talentiert sind. Sie haben gewisse Methoden ausgearbeitet, wie sie den Tod eines Menschen besonders lange hinauszögern können. Ähnliche Dinge habe ich bislang nur aus der Neuen Welt gehört.“ „Vielleicht müssen Sie auf das Schauspiel verzichten, Capitan. Ich könnte mir vorstellen, daß Ihre sonderbare Burg schon umstellt ist. Sie wissen es nur noch nicht.“ Wieder dieses schrille Kichern, das so unnatürlich klang. „Bangemachen gilt nicht, Amigo! So schnell werden deine Freunde hier nicht aufkreuzen. Von dir will ich nur eins wissen: Wie viele sind es?“ „Das werde ich Ihnen nicht auf die Nase binden.“ „Wie viele?“ Herrera schrie es, und dabei wippte er auf den Zehenspitzen. „Genug, um Ihnen ein bißchen Feuer unter dem Hintern zu machen“, erwiderte Dan O'Flynn ungerührt. Wieder schlug Herrera zu. Härter diesmal. Doch abermals zeigte Dan keine Reaktion. „Du wirst noch froh sein, wenn du reden darfst!“ fauchte der Spanier. „Glaubst du, wir kennen keine Foltermethoden?“ „Doch, davon bin ich überzeugt.” „Dann überleg es dir besser jetzt. Wenn du dich nicht so halsstarrig anstellst, bin ich vielleicht bereit, mit deinen Freunden zu verhandeln.“
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„Das hätten Sie von vornherein tun können. Dazu brauchten Sie mich nicht zu verschleppen.“ „O doch, das war absolut notwendig. Ich brauche ein Druckmittel. Sonst wäre ich von Anfang an der Verhandlungspartner mit der schlechteren Basis. Ich habe nämlich geahnt, daß mein Freund Cavaqués zurückkehren würde. Er ist von dem Gedanken besessen, meine Männer und mich in die bessere Welt zurückzubringen. Cavaqués ist verrückt. Er begreift nicht, daß das Leben, das wir hier führen, paradiesisch ist. Für einen halbwegs intelligenten Menschen gibt es nichts Angenehmeres. Keine Verantwortung, keine nervlichen Belastungen nur wirkliches, grundehrliches Leben.“ „Gehört zu diesem ehrlichen Leben, daß Sie den Eingeborenen beibringen, wie man seine Gegner entführt?“ Ohne zu wissen, hatte Dan an eine schwache Stelle im Gerüst von Herreras Denkweise gerührt. Ohne erkennbaren Ansatz versetzte ihm der Spanier einen Fausthieb, der Dan zu Boden schleuderte. „Solche Frechheiten wirst du dir nicht mehr lange herausnehmen“, sagte Herreras giftig. Dann wandte er sich abrupt ab und ließ den Gefangenen allein, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. * Etwa eine Stunde nach Tagesanbruch erreichten sie das Plateau. Wie ein gigantischer menschlicher Kahlkopf ragte der Fels über den Dschungel hinaus. Nach Norden hin fiel der Felskoloß steil ab, nach Süden aber gab es einen mäßig ansteigenden Hang, dessen Fuß sich im Regenwald des Berglandes verlor. Dort, unmittelbar vor dieser Gesteinsformation, verharrten die Männer und blickten zu der Felsenfläche hoch, die wie aus einer unerklärlichen Laune der Natur völlig vegatationslos war.
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„Das ist der Kultplatz“, erklärte Joaquin Cavaqués, der bis hierher die Führung übernommen hatte. Sein Gesicht war bleich, der dicke Verband leuchtete über seiner Schulter. „An der Westseite gibt es einen Abstieg nach Buru, der Tempelruine.“ „Gut.“ Der Seewolf nickte und deutete mit einer knappen Handbewegung zum Plateau hinauf. „Wir besetzen diesen Kultplatz. Damit zwingen wir Herrera zum Verhandeln.“ Cavaqués riß die Augen auf. „Woher wissen Sie das?“ Hasard lächelte kaum merklich. „Meine Männer und ich sind ein wenig in der Welt herumgekommen. Ich kann mir vorstellen, was die Wedda empfinden, wenn sich fremde Eindringlinge an ihrem heiligsten Ort niederlassen. Herrera wird es vermutlich nicht so betrachten, aber die Wedda werden ihn zwingen, zu verhandeln.“ „Alle Achtung“, sagte Cavaqués verblüfft, „mein Vorschlag würde nicht anders lauten. Ich bin im übrigen sicher, daß wir längst beobachtet werden. Die Nachricht wird also sofort nach Buru vordringen.“ Hasard gab das Kommando zum Aufstieg. Nach dem Marsch durch das Mangrovendickicht, durch die Hügelzone und das beginnende Bergland war es eine Wohltat, sich ein wenig frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Über dem östlichen Horizont wurde der Feuerball der Sonne sichtbar. Irgendwo dort lag die „Isabella“ vor Anker. Jedenfalls hofften die Männer inständig, daß es sich noch so verhielt. Die Steigung war gering, und so erreichten sie das Plateau ohne große Mühe. Die Felsenfläche war platt wie ein Brett. Etwa in der Mitte gab es eine Mulde von einem Yard Durchmesser. Die Überreste, die dort lagen, verdeutlichten auf Anhieb, was sich hier üblicherweise abspielte. „Das sind Knochen von Tieren“, stellte der Kutscher fest, „immerhin scheinen sie in der letzten Zeit keinen Menschen geopfert zu haben.“
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„Irrtum“, sagte Joaquin Cavaqués, indem er auf den nördlichen Abhang wies. „Das ist der Weg, den die menschlichen Opfer gehen.“ Die Seewölfe warfen einen Blick in die Tiefe, und Unbehagen packte sie. Die Felswand fiel mindestens zweihundert Fuß senkrecht ab. Grausamkeit war folglich eine Eigenschaft, die auch die Wedda kannten. „Möchte wissen, was dieser Herrera, dieses Rübeschwein, hier so schön findet“, knurrte Edwin Carberry und wandte sich ab. Die Männer verkniffen sich eine Bemerkung. Der Profos hatte schließlich seit seinem Erlebnis auf Seribu eine verdammt genaue Vorstellung davon, wie sich ein Mensch fühlt, der geopfert werden soll. Sie ließen sich auf dem felsigen Boden nieder und sorgten zunächst für ihr leibliches Wohl. Anschließend überprüften sie ihre Waffen und erneuerten die Ladungen, wo auch nur der geringste Verdacht auf Feuchtigkeit bestand. Der Kutscher untersuchte noch einmal die Wunden Batutis und Cavaqués' und legte ihnen neue Verbände an. Sie hatten diese Tätigkeit noch nicht ganz beendet, als Sam Roskill, der am Rand des Felsenplateaus hockte, aufsprang und herumwirbelte. „Es geht los!“ rief er. „Sie sind im Anmarsch!“ Der Seewolf war als erster zur Stelle. Die anderen folgten ihm. Angespannt blickten sie den Westhang hinunter. Die langhaarigen Gestalten erklommen den serpentinenartigen Pfad, der zum Plateau heraufführte. Insgesamt waren es etwa ein Dutzend Männer. Daraus, daß sie allesamt verwitterte Seestiefel trugen, war zu schließen, daß es sich um Spanier handelte. Äußerlich waren sie sonst schwer zu unterscheiden. Der ungehinderte Haarwuchs bewirkte eine seltene Art von Gleichmacherei. Waffen trugen sie nicht bei sich, soviel war eindeutig zu erkennen. „Der an der Spitze ist Capitan Herrera“, sagte Joaquin Cavaqués halblaut.
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„Wie erwartet“, entgegnete Hasard lächelnd. Gelassen blickten sie den Spaniern entgegen, die sich auf so frappierende Weise den Steinzeitmenschen angepaßt hatten, in deren Umgebung sie lebten. Herrera stieg als erster über den Rand des Plateaus. Während seine Begleiter sich hinter ihm aufbauten und eine stumme, langmähnige Kulisse bildeten, starrte er Joaquin Cavaqués wütend an. Von Philip Hasard Killigrew und seinen Männern schien der frühere Capitan keine Notiz zu nehmen. „Du hast mir das also eingebrockt!“ sagte Herrera giftig. „Mit welchem Recht bist du hierher zurückgekehrt, Teniente? Noch dazu mit diesen britischen ...“ „Hüte deine Zunge, Herrera!“ fuhr ihm Cavaqués schneidend dazwischen. „Du hast kein Recht, so zu reden. Diese Männer begleiten mich aus reiner Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Bislang hast du es ihnen schlecht gedankt.“ Beide sprachen Spanisch. Zumindest Herrera wußte offenbar nicht, daß die Seewölfe jedes Wort verstanden. „Ich habe niemanden um Hilfe gebeten!“ schrie Herrera. „Wenn du zurück willst in die sogenannte Zivilisation, dann ist das deine Sache! Alle anderen haben beschlossen, hierzubleiben.“ „Du hast sie dazu überredet“, sagte Cavaqués ruhig. Herrera holte Luft und wollte erneut aufbrausen. Der Seewolf schob sich dazwischen. „Jetzt halte mal die Luft an, Amigo“, sagte er auf Spanisch. „Wir sind hier nicht zu einem Plauderstündchen aufmarschiert. Zunächst geht es um den Mann aus unserer Crew, den du gefangengenommen hast.“ Herrera sperrte den Mund auf, und auch in den bis eben abgestumpften Gesichtern seiner Begleiter spiegelte sich Verblüffung. „Sie - Sie sprechen unsere ...” „Ist das so ungewöhnlich?“ Hasard lächelte ohne Freundlichkeit. „Jetzt heraus damit! Was ist mit Dan O'Flynn, dem Mann. den du verschleppt hast?“
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Herrera preßte die Lippen aufeinander. In seinen Augen glitzerte es. „Ich sagte es schon: Cavaqués ist an allem schuld. Zu allem Überfluß hat er euch auch noch verraten, daß dies der Kultplatz Aber ihr 'habt euch verrechnet! Dadurch, daß ihr das Plateau, besetzt habt, liegt die Entscheidung nicht mehr in meinen Händen. Die Wedda werden den Gefangenen hinrichten. Sie sind überzeugt, daß sie 'dadurch die weißen Eindringlinge von ihrem heiligen Ort vertreiben.“ „Das überrascht mich nicht“, erwiderte Hasard kalt. „Hören Sie zu, Herrera! Gehen Sie zurück. Ich gebe Ihnen etwa eine halbe Stunde Zeit. Lassen Sie jeden einzelnen Ihrer Leute entscheiden, auf welche Seite er sich stellen will.“ „Diese Entscheidung ist längst gefallen.“ „Nein!“ rief Joaquin Cavaqués erregt. „Du hast die Leute beeinflußt und ihre Entscheidung vorweggenommen, weil sie selbst zu hilflos geworden sind, um noch richtige Gedanken zu fassen!“ Herrera setzte zu einer Antwort an. „Keine Debatten mehr“, sagte der Seewolf schneidend. Er sah die Begleiter Herreras an. „Ihr habt meine Bedingungen gehört. Denkt gut darüber nach, bevor ihr tatenlos zuseht, wie ein Mann getötet wird.“ „Da gibt es nichts nachzu ...“ schrie Herrera. Cavaqués schnitt ihm das Wort ab. „Wenn dem Mann etwas zustößt, werde ich dafür sorgen, daß du vor Gericht gestellt wirst! Und jetzt verschwindet!“ Herrera schüttelte verständnislos den Kopf. Ein seltsames Flackern trat in seine Augen, während er sich umwandte. „Gericht!“ murmelte er. „Welches Gericht sollte hier „schon ...“ Den Rest verstanden die Seewölfe nicht mehr, denn auch die übrigen Spanier schlossen sich ihm auf dem Abwärtsweg nach Westen an. 8. Stille lastete auf der Dschungel-Lichtung. Sie hatten ihn ins Freie geschleift und ihm auch die Fußgelenke gefesselt. Zum ersten Mal sah er das Gebäude, in dem sie ihn
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gefangen gehalten hatten, von außen Ein schwacher Trost. Es mußte sich um einen uralten Palast oder Tempel handeln. Die Quadersteine und Zinnen waren mit Moos und Schlingpflanzen überwuchert. Buddhistische Ornamente und Figuren, halb verwittert, zierten die Fassade. Zur Rückseite hin verlor sieh die Ruine im wilden Grün des Dschungels. In einigen Jahrzehnten, vielleicht in einem Jahrhundert, würde das Bauwerk endgültig unter der ungehemmten Vegetation des tropischen Regenwaldes verschwunden sein. Dan O'Flynn brach seine Gedanken ab und fragte sich, ob es eine besondere Art von Galgenhumor war. Welchen Sinn ergab es, sich jetzt derartige Dinge durch den Kopf gehen zu lassen? Ebenso gut konnte er darüber nachdenken, ob es morgen Sonnenschein oder Regen gab. Denn seine Lage war alles andere als zukunftsträchtig. Vor der Palastruine standen an die hundert urwelthafte Gestalten, schweigend, in einem weiten Halbkreis. Ausnahmslos Männer waren es. Offenbar gab es für Frauen und Kinder keinen Zutritt zu dem bevorstehenden Schauspiel. Die meisten Wedda-Männer waren mit Keulen ausgerüstet und hatten sie entweder auf die Schulter gelegt oder auf dem Erdboden abgestützt. Einige trugen Holzschwerter an ihren Hüftstricken – flachgeschnitzte Äste, die etwa armlang waren. Am anderen Ende der Lichtung waren zwanzig Männer damit beschäftigt, trockenes Holz zusammenzutragen und aufzuschichten. Darüber, wozu der Holzhaufen dienen sollte, gab sich Dan keinen Illusionen hin. Der Stapel von Ästen und Zweigen war bereits mannshoch, und noch immer schufteten die Wedda im Schweiße ihres Angesichts. Dan spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken kroch. Sie hatten ihm den Flammentod zugedacht, und alles deutete darauf hin, daß sie es mächtig eilig damit hatten.
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Zwischen dem rasch anwachsenden Scheiterhaufen und der schweigenden Zuschauerschar lag Dan allein auf dem feuchten Boden. Die vielen. Blicke, die ihn musterten, spürte er beinahe körperlich. Doch es lag kein Interesse, keine Neugier in diesen Blicken. Wahrscheinlich hatten diese Menschen nicht genügend Vorstellungsvermögen, um sich auszumalen, wie die ferne, unbekannte Welt sein mochte, der er entstammte. Gemurmel wurde plötzlich laut. Dan mußte den Kopf in den Nacken drehen, um das westliche Ende des Platzes sehen zu können. Erst jetzt wurde ihm klar, daß sich die Spanier bislang nicht unter den Zuschauern befunden hatten. Capitan Jose Esteban Herrera erschien mit würdevollen Schritten. Ihm folgten seine knapp dreißig Landsleute, die sich zuvor offenbar abseits der Lichtung versammelt hatten. Einer der Wedda-Männer löste sich aus dem Halbkreis und ging den Spaniern entgegen. Den Kopf hielt er hochaufgerichtet, die Arme verschränkte er über der Brust. In dieser Haltung baute er sich vor den Spaniern auf. Ein Gespräch in seltsam gutturalen Grunzlauten begann. Dan vermutete, daß es sich bei dem Wedda-Mann um den Häuptling handelte, obwohl er außer seiner stolzen Haltung keine äußeren Würdenzeichen trug. Während ihrer von Gesten begleiteten Unterredung deuteten sowohl Herrera als auch das Wedda-Oberhaupt mehrfach auf den Gefangenen. Schließlich schienen sie zu einem Ergebnis gelangt zu sein, denn sie gingen gemeinsam auf Dan O'Flynn zu. Wieder hielt der Häuptling die Arme über der Brust verschränkt. Aus der Mitte seines mächtigen Haarwuchses blickten die beiden dunklen Augen geringschätzig auf den Gefesselten hinunter. Herrera ging in die Knie und grinste. „Leider sind deine Amigos halsstarrig wie Esel. Außerdem haben sie sich alles dadurch verscherzt, daß sie ausgerechnet den Kultplatz der Wedda besetzt halten. Ich kann also nichts mehr für dich tun, mein Freund.“ Er deutete mit einer
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vielsagenden Kopfbewegung zu dem Scheiterhaufen. „Geh zur Hölle“, knurrte Dan O'Flynn. Er dachte nicht daran, den Spanier auch nur durch das geringste Anzeichen von Schwäche zu erfreuen. „Ich glaube nicht, daß wir uns dort treffen.“ Herrera kicherte. „Auf jeden Fall wirst du als erster von uns beiden dort sein.“ Er richtete sich auf. Der Wedda-Häuptling gab ein Handzeichen zum Halbkreis der Zuschauer hin. Zwei seiner Stammesbrüder eilten herbei und brachten ein trockenes Stück Holz und einen kerzengeraden Zweig. Der Häuptling nahm beides entgegen und scheuchte die Männer weg. Gemeinsam mit Herrera ging er zum Scheiterhaufen. Dort hockten sich beide auf den Boden. Der Häuptling begann. Er steckte das Ende des Stabes in eine Vertiefung des Holzstücks und ließ den Stab zwischen seinen Handflächen rotieren. Nach einer Weile löste Herrera ihn ab. Staubfeines Holzmehl wurde hochgeweht. Die Männer, die den Scheiterhaufen aufgeschichtet hatten, begaben sich zu den anderen, die im Halbkreis ausharrten. Ein Donnerschlag zerfetzte die Stille. Die Wedda-Männer stießen Entsetzensschreie aus und standen sekundenlang starr vor Schreck. Bevor sie sich davon erholen konnten, ging es Schlag auf Schlag. Herrera und der Häuptling ließen ihr Feuerholz fallen, schnellten hoch und wirbelten herum. Detonationen folgten jetzt in rasendem Stakkato. Ein Funkenregen in den schillerndsten Farben des Regenbogens sprühte vom Himmel nieder. Grellweiße Sterne entstanden mit jedem neuen Donnerschlag, senkten sich langsam und lösten sich dann auf. Unaufhörlich krachten die Explosionen über der Dschungel-Lichtung, und der vielfarbige Funkenregen begleitete das scheinbar bedrohliche Inferno. Dan O'Flynn mußte lächeln, obwohl seine Situation noch immer nicht rosig war.
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Die Wedda überwanden ihre Erstarrung, stießen gellende Schreie aus und stoben nach allen Richtungen auseinander. Vergeblich brüllte Herrera ihnen nach. Die Panik saß ihnen zu sehr in den Knochen. Auch ihr Häuptling harrte nur einen Moment länger aus, dann rannte er in langen Sätzen los, seinen Leuten nach, die im Dickicht Zuflucht suchten. Anders die Spanier. Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatten, hasteten sie zu der Palastruine. Herrera schrie ihnen Befehle auf Spanisch zu. Die ersten kehrten aus der Dunkelheit der Maueröffnungen zurück, mit rostigen Säbeln bewaffnet. Herrera kreiselte herum, griff unter den Lendenschurz, und seine Rechte tauchte mit einem Offiziersdolch wieder auf. Die Klinge wies hellrote Rostflecken auf. Die Augen des Spaniers glitzerten, als er auf den Gefesselten zuging. Das Krachen des chinesischen Feuers schien er nicht mehr wahrzunehmen. Seine Landsleute schwärmten aus und erwarteten mit ihren Säbeln den noch immer nicht sichtbaren Angreifer. „Deine Freunde haben sich eine hübsche Überraschung ausgedacht“, zischte Herrera und blieb breitbeinig vor Dan O'Flynn stehen. Die immer noch scharfe Klinge richtete sich auf den Wehrlosen. „Aber sie werden eine noch hübschere Überraschung erleben, wenn sie es wagen, anzugreifen.“ Dan O'Flynn spürte, wie sich eine Klammer um sein Herz legte. Hatte er eben schon Hoffnung geschöpft, so hing sein Leben jetzt nur noch an dem berühmten seidenen Faden. * Jäh erkannte der Seewolf die Lage — haargenau in dem Moment, als er das Zeichen zum Angriff geben wollte. Ihm stockte der Atem. Sofort faßte er den einzig möglichen Entschluß. Langsam richtete er sich auf, den Radschloßdrehling schußbereit in der Rechten.
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Die Männer waren in einer langgezogenen Linie im Dickicht nördlich der Lichtung in Stellung gegangen. Das chinesische Feuer verstummte jetzt. Sie hatten genügend aus der Trickkiste gezaubert. Zehn Schritte entfernt standen die urwelthaft aussehenden Spanier mit ihren rostigen Säbeln, konnten aber von den Männern der „Isabella“ noch nicht einmal eine Nasenspitze sehen. Hasard teilte das Gebüsch und verließ seine Deckung. Er konnte nicht angreifen lassen. Es wäre Dans sicheres Todesurteil gewesen. Das mußten auch seine Männer begriffen haben, denn jeder von ihnen konnte das Geschehen auf der Lichtung überblicken. Die langhaarigen Spanier ruckten herum, als sie den hochgewachsenen Mann sahen. Mehrere Säbel ruckten abwehrbereit hoch. Aber die Augen der Spanier richteten sich auf die schwere Pistole, und sie schienen sich zu erinnern, wozu so ein Ding gut war. Am Rand der Lichtung blieb Hasard stehen. Der nächste der Langhaarigen war nur drei, vier Schritte entfernt. Auch Herrera hatte den Seewolf jetzt entdeckt. „Keinen Schritt weiter!“ kreischte der Capitan. „Keinen Schritt, oder er stirbt! Du wirst unseren Frieden nicht stören, Engländer!“ „Gib auf, Herrera“, sagte Hasard, und seine Worte fielen wie Donnerschläge in die Stille. „Du würdest es niemals überleben.“ Er spannte den Hahn des Drehlings. Das metallische Knacken ließ Herrera zusammenzucken. Sein Gesicht verzerrte sich, und ein wildes Glühen trat in seine Augen. „Verschwinde!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Verschwindet alle!“ „Laß den Dolch fallen!“ sagte Hasard schneidend und hob die Waffe. Wieder zuckte Herrera zusammen. Er stieß einen gellenden Schrei aus, der den Männern durch Mark und Bein ging. Sein rechter Arm ruckte hoch. Der Klingenstahl funkelte, wo er noch nicht
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von Rost bedeckt war. Hasard zog durch. Er konnte nicht anders. Der Flint schlug auf das schnurrende Reibrad des Schlosses. Funken sprühten, das Zündpulver fauchte, und dann brüllte die schwere Pistole auf. Ein yardlanger Feuerstrahl zuckte aus der Mündung, und der Drehling bäumte sich in der Faust des Seewolfs auf. Wie von einer unsichtbaren Faust wurde Herrera zurückgeschleudert—haargenau in dem Moment, als er sich mit dem Dolch auf den Gefesselten stürzen wollte. Geistesgegenwärtig rollte sich Dan O'Flynn ab, so gut es ging. Neben ihm fiel der Dolch zu Boden. Herrera überschlug sich, kippte der Länge nach hin und rührte sich nicht mehr. Hasard schwenkte die Waffe nach rechts, zog abermals durch und feuerte einen zweiten Schuß über die Köpfe der Säbelbewaffneten hinweg. Ihre Augen weiteten sich. „Ich habe noch vier Kugeln!“ brüllte der Seewolf auf Spanisch. „Laßt die Säbel fallen.“ Inzwischen richteten sich auch die übrigen Männer von der „Isabella“ im Dickicht auf, und als Joaquin Cavaqués auf die Lichtung hinaustrat, fiel die Entscheidung. Einer der Spanier warf den Säbel zu Boden. Zögernd, doch dann immer rascher, folgten die anderen seinem Beispiel. Batuti eilte mit langen Sätzen zu Dan O'Flynn und durchtrennte seine Fesseln. Die Seewölfe bauten sich vor den verschüchterten Spaniern auf, doch diese Vorsichtsmaßnahme erwies sich als überflüssig. Hasard entspannte den Hahn des Drehlings und schob ihn zurück in die Gürtelhalterung. Joaquin Cavaqués richtete sich neben dem reglosen Körper auf. „Capitan Herrera ist tot“, sagte er, „wir können ihn nicht bedauern. Er hat es sich selbst zuzuschreiben. Es liegt jetzt an euch, wie ihr entscheidet. Die Engländer haben mich begleitet, um euch zu helfen. Ihr Schiff wartet vor der Kokkilai-Lagune.“ Einen Atemzug lang blieb es still.
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Burt Frederick
Dann stieß plötzlich einer der Spanier einen jubelnden Schrei aus. Die anderen blickten verwundert, doch im nächsten Moment glätteten sich ihre Mienen, und sie stimmten mit ein. Joaquin Cavaqués trat auf den Seewolf zu und drückte ihm die Hand. Philip Hasard Killigrew nickte nur. „Geschafft“, sagte er knapp, „wir brechen sofort auf.“ Von den Steinzeitmenschen des WeddaVolkes sahen sie niemanden mehr, als sie den Rückweg durch den Dschungel antraten. * Zwei Tage später erreichten sie die Kokkilai-Lagune. Nichts hatte sich dort verändert. Die „Isabella“ lag unbeschadet vor Anker, und an Bord erfuhr der Seewolf, daß von einer spanischen Galeone nicht einmal eine Mastspitze zu sehen gewesen war. Der Kutscher und die Zwillinge kümmerten sich um die Spanier, die sie innerhalb von wenigen Stunden wieder in
Der König von Ceylon
halbwegs zivilisiert aussehende Menschen verwandelten. Währenddessen hatte die „Isabella“ bereits Segel gesetzt und ging vor raumem Wind auf Südkurs. Zwei Tagesreisen weiter entdeckten sie an der Küste eine singhalesische Ansiedlung. Spanische Schiffe waren nicht zu sehen, es handelte sich also nicht um einen Stützpunkt. Hasard ließ ankern. Das große Beiboot mußte insgesamt dreimal übersetzen, und schließlich gab es in dem Ort auch Gelegenheit für die Seewölfe, die Trinkwasserund Proviantvorräte aufzufrischen. „Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet“, sagte Joaquin Cavaqués, der als letzter von Bord ging. „Sicherlich haben Sie in Spanien nicht viele Freunde, aber ab sofort mindestens einen:“ „Ich wünsche Ihnen und Ihren Landsleuten ein besseres Leben, als Sie es in den letzten Jahren hatten“, entgegnete der Seewolf. Dann wandte er sich ab. Seine Söhne blickten mit leuchtenden Augen zu ihm auf.
ENDE