The Goblin Prince Der Koboldprinz von Anja Thieme
Lektorat: Gabriele Dietz Englischsprachiges Lektorat: Charlotte Col...
10 downloads
500 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
The Goblin Prince Der Koboldprinz von Anja Thieme
Lektorat: Gabriele Dietz Englischsprachiges Lektorat: Charlotte Collins Layout: Kathrin Mosandl Cover und Illustrationen: Claudia Flor
Dank an Jim Henson für sein Meisterwerk “Labyrinth”
www.langenscheidt.de © 2009 by Langenscheidt KG, Berlin und München ISBN 978-3-468-69354-0
A Perfectly Normal English Lesson latsch!” Lucas kleine Schwester Möhrchen, die eigentlich Marie hieß, spielte mit Cornflakes und Milch “Schiffe versenken”. Ihrem zufriedenen Gesichtsausdruck nach hatte sie gerade einen Tanker getroffen. Und Lucas flammneues Sweatshirt. “Möhrchen, du Ferkel!”, schimpfte Amelie Blau, die Mutter der Geschwister. Sie lehnte am Kühlschrank, hob ihren großen Kaffeebecher an den Mund und angelte mit der freien Hand einen Lappen von der Spüle. Sie sah fürchterlich müde aus. Luca entschied sich zu einer List. Es musste doch möglich sein, dass Möhrchen aß, ohne Stress zu machen. Geschichte erzählen? Versprechungen machen? Oder lieber … Neid vortäuschen? Einen Versuch war es wert. “Mensch, Möhrchen – ich habe so einen Hunger auf Cornflakes”, sagte er, lehnte sich mit gierigem Gesichtsausdruck vor und tat, als wolle er seinen Löffel in ihre Schüssel tauchen. “Sehen die aber lecker aus!” Eigentlich hasste Luca Cornflakes, vor allem gezuckerte, aber das wusste perfectly völlig Möhrchen ja nicht. “Meine Korfäks!”, quietschte sie empört, griff nach dem Löffel, schob sich schnell die restlichen Flocken in den Mund und kaute verbissen. Grimmig hob sie die Schüssel vom Tischchen ihres Hochstuhls und trank 3
die Milch bis zum letzten Tropfen aus. “Weg!”, sagte sie hämisch. Amelie verkniff sie sich das Lachen und küsste ihren Sohn sanft auf die Wange. “Sauber ausgetrickst!”, flüsterte sie ihm zu. “Danke!” Luca grinste und machte sich auf ins Badezimmer, um die Flecken aus dem Ärmel zu reiben. Das wäre ja noch schöner, wenn er sich heute nicht in seinem neuen Lieblingsstück präDon’t think. sentieren könnte. Das Shirt war langNicht denken. ärmelig und so hellblau wie Lucas just einfach try versuchen Augen. Und der Spruch Don’t think – just try it, der unter einem verschlungenen Muster auf Brust und Rücken stand, hätte sein Lebensmotto sein können. Der Golddruck passte perfekt zu den hellen Strähnen, die ihm aus seiner Strubbelfrisur in die Stirn fielen. Luca blickte durchs Badezimmerfenster auf die Straße hinaus. Na bitte – Simon war im Anmarsch, wie jeden Morgen pünktlich zum Frühstück. Das Ritual war immer das gleiche: Jeden Morgen dachte sich Amelie Blau eine neue wortreiche Begrüßung für Simon aus und Simon hob eine Braue. Mal die linke, mal die rechte, und seine grünen Augen drückten dabei pures Misstrauen aus. Beinahe gleichzeitig betraten die beiden Jungen die Küche. Simon wie immer in Schwarz mit rot kariertem Halstuch. “Hi”, sagte Luca. Simon nickte finster. 4
“Einen wunderschönen guten Morgen, liebster Simon”, trällerte Amelie. “Schau nur – die Vöglein singen, der Himmel ist blau und die Sonne scheint.” Die Braue zuckte, diesmal war es die linke. Amelie lächelte und warf einen Blick auf die Uhr. “Höchste Zeit”, meinte sie und eilte in den Flur, um Möhrchens Jacke zu holen: Sie war Journalistin und musste schleunigst in die Redaktion. Automatisch griff Luca nach dem Waschlappen neben der Spüle. “Sie sollten auch was essen”, rief Simon ihr nach. “Sonst geht Ihr Kreislauf in den Keller.” Simons Mutter war Ernährungsberaterin. Er wusste also sehr genau, wovon er sprach. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er den Mund gehalten. “Morgen frühstücke ich, Simon, versprochen!” Amelie küsste Luca schnell auf die Wange, hob die Kleine aus dem Hochstuhl und zog ihr die Jacke an. “Tschüs, mein Großer!” “Warte, Mama”, hielt Luca sie auf. “Gehen wir heute Abend Pizza essen? Zu Mercatos? Und darf Simon mit? Bitte!” “Och, Luca, ich muss wirklich unbedingt zwei Kilo abnehmen …” “Aber dein geliebter Salatteller setzt doch gar nicht an! Obendrein siehst du toll aus, Mama. Ehrlich!” Luca machte runde Kulleraugen. “Sohn – du bist unmöglich.” “Nö – er ist möglich”, brummte Simon. “Das ist ja gerade das Schlimme.” 5
“Good morning, children!”, rief Mrs Twiggins gut gelaunt in die Klasse und stellte ihre braune Ledertasche aufs Pult. Lucas Mutter, die selbst aufs Kästner-Gymnasium gegangen war, hatte schon beim ersten Elternsprechtag festgestellt, dass sich Mrs Twiggins kein bisschen verändert hatte: Nur um die hellen Augen und den krapprot geschminkten Mund waren einige feine Fältchen hinzugekommen. Die beinahe silberne Haarfarbe (Amelie never nie nannte sie “englisch blond”), die trust vertraue Hosen aus Wolltuch und die Pullover if wenn have to muss mit Rauten, zu denen sie passende anybody Socken trug – alles war gleich geirgendjemand me mir blieben. Am Garderobenhaken necall nennen ben der Tür des Klassenraums hatte like wie sogar die grüne Wachsjacke gehanwell nun is right about that gen, die Mrs Twiggins stets dabei hat damit recht hatte, selbst im Hochsommer. “I never trust the weather”, hatte sie den Kindern erklärt. “If I have to take a shower, I prefer to do it in the bathroom.” Und so hängte Mrs Twiggins ihre Jacke auch heute an den Garderobenhaken. Sie wies aus den großen Fenstern zum Schulhof hinaus. “Can anybody tell me what we call a day like this?” “Friday?”, brummte Simon und ein paar Schüler um ihn her kicherten. “Well, Simon is right about that”, gab die Lehrerin zurück und fuhr fort: “It’s Friday morning. But I want to hear about the weather!” 6
Luca drehte sich zu Liane herum und flüsterte: “It’s a day like you.” Liane strahlte, aber Mia verdrehte die Augen, fasste ihre dunklen Locken zu einem Zopf im Nacken zusammen und zeigte auf. Mia war zwar zierlich, hatte aber das aufbrausende Temperament, das man von einer Italienerin erwartete. Als ob sie das ausgleichen wollte, war sie die Ordnungsliebe in Person. Immer hatte Mia ein Ersatzhaargummi am Handgelenk, Taschenwell-prepared tücher und Brotdose dabei, ihre gut vorbereitet Bücher und Hefte waren sorgsam bright heller for für eingebunden und übersichtlich sortraditional üblich tiert. “Well-prepared”, nannte Mrs have to müssen convince Twiggins das. Das stimmte, und Mia überzeugen wusste zudem auch meist, was die me mich Lehrer hören wollten. to go out rauszugehen “It’s a bright day”, sagte sie jetzt. sunshine “Very good!”, lobte Mrs Twiggins. Sonnenschein goblin Kobold Luca zeigte auf. “Isn’t it the right is looking schaut weather for a picnic?”, fragte er listig. sound klingst “Isn’t it traditional in England to just genau him er have breakfast outside?” Mrs Twiggins begann zu lachen. “We have to have an English lesson, and you are trying to convince me to go out and enjoy the sunshine. Is the Goblin King looking over your shoulder today, Luca? You sound just like him”, rief sie. Die Schüler lachten. “Who?”, fragte Luca vorsichtig. 7
“The Goblin King! Don’t you know him from the fairytales? ” fairytales Märchen “No, I don’t”, sagte Luca listig. will you wirst du “Will you tell us about him?” us uns impressive Von allen Seiten war zustimmenbeeindruckende des Gemurmel zu hören. handsome schön follow folgen Mrs Twiggins zwinkerte Luca zu. shadows Schatten “Well, the Goblin King is a very wherever impressive person. Very handwo immer everything alles some, too. His long hair and dark dreams Träume coat follow him like shadows hopes Hoffnungen stands steht wherever he goes. He hears everyhuman thing, and he knows all your menschlichen dreams and hopes. Time stands as long as solange here hier still when the Goblin King comes only nur to the human world, for as long touches berührt still immer noch as he stays here. Only the people senses Sinne he touches still have all their promises verspricht senses. He talks to people and them ihnen whatever alles was promises them the moon, and he can make them do whatever he wants them to do.” “Habe ich das richtig verstanden?”, raunte Liane Mia zu. “Der Koboldkönig erzählt den Leuten, was sie hören wollen, und ohne es zu merken, tun sie deshalb genau das, was er will?” “Ja, genau wie Luca das immer macht!”, fauchte Mia. “Pah! Mir kann dieser Koboldkönig bestimmt nicht das Wasser reichen”, lachte Luca. Simon hob die rechte Braue und stieß ihn in die Rippen. 8
“Sometimes, if someone has insulted him, he will lure them to his world – to Goblodom, the goblin kingdom”, fuhr Mrs Twiggins fort. “And Goblodom is a dangerous place. It’s full of mysteries. Everything in Goblodom bows to the will of the Goblin King. There is one very special person called ‘The Pure One’ who loves the King very much. He can’t exist without her. has insulted But because everything he does is hat beleidigt for his own gain, he disappoints lure locken kingdom his Pure One over and over again, Königreich and eventually she disappears.” place Ort mysteries “How sad”, sagte Liane leise. Geheimnisse Luca lief es eiskalt den Rücken bows beugt sich herab. will Willen “Du bist heute in Hochform, was?” Simon grinste. “Plauderstunde bei Mrs Twiggins und heute Abend Essen gehen. Nicht schlecht.” Die Jungen verließen, die Rucksäcke halb geschultert, den Schulhof. Glitzernde Spinnweben schwebten zwischen Ästen und Laternenpfählen und der Geruch von erntereifem Obst kam aus den Gärten rundherum. Wochenende! “Ich habe meine Gründe, warum ich heute Abend zu Mercatos will”, gab Luca zurück.
there is es gibt special besondere ‘The Pure One’ ‘die Reine’ very much sehr exist existieren without ohne her sie does tut own eigenen gain Vorteil disappoints enttäuscht over and over again immer wieder eventually letzendlich disappears verschwindet
9
“War schon klar”, brummte Simon und wies mit einem Kopfnicken auf die große Eingangstür. “Liane übernachtet bei Mia.” Liane verabschiedete sich gerade von ihrer besten Freundin, die sich mit finsterer Miene auf ihr Rad schwang, hielt auf die beiden Jungen zu, winkte und blieb unter der großen Birke vor der Schule stehen. Ihre Haare waren heute mit einem Samtgummi zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengefasst, der bei jeder Bewegung wippte. Sie hatte eine frühlingsgrüne Sommerjacke an, eine weiße Jeans und eine orangefarbenen Bluse mit einem breiten, weißen Gürtel. “O Mann, ist sie nicht ein Traum?” Luca kannte Liane, seit sie zusammen aufs Gymnasium gingen, und es kam ihm vor, als hätte er nie etwas anderes tun können, als sie anzuhimmeln. Liane knotete ihre Jacke um die Hüften, kam zu den Jungen herüber und lächelte beide an. “Schöner Pulli, Luca – neu?” Luca nickte. So war Liane: Wenn sie etwas Nettes sagen konnte, dann tat sie es. Sie lobte, nahm Anteil, freute sich mit jedem über gute Noten oder tröstete bei schlechten. Dennoch wirkte sie jetzt ein bisschen nachdenklich. “Hey, alles okay?”, fragte Luca sofort. “Du siehst so traurig aus.” Das konnte er wie kein Zweiter: genau beobachten und noch genauer hinhören. “Bin ich auch”, antwortete Liane. “Eigentlich hätte ich heute Turnen. Aber ich habe aufgehört. Der Trainer 10
hat ständig gemeckert, dass ich mehr trainieren und abnehmen muss.” “Klar”, mischte sich Simon ein. “Deshalb sind diese Vierzig-Kilo-Flöhe aus Rumänien im Turnen an der Weltspitze.” “Ich weiß!” Liane seufzte. “Aber der Trainer meint, ich wäre eben ziemlich groß, und wenn man dann nicht spindeldürr ist, sähe das hölzern aus.” “Der spinnt doch! Es war toll, wie du auf dem Schulfest mit dem Band geturnt hast.” Das war nicht einmal geschmeichelt, Luca hatte auf dem Fest wirklich gebannt zugesehen. “Das war nur rhythmische Sportgymnastik. Aber du bist wirklich lieb, Luca!” Und du erst, dachte Luca. Das allerdings sprach er dann lieber doch nicht aus.
11
Keep Your Big Mouth Shut! rgendwie war das Essen bei Mercatos einfach das Beste. Luca schlug die Zähne wonnevoll in seine Pizza Bolognese. Simon hatte die Pizza in der Rechten und blätterte mit der Linken in seinem Englischbuch. “What has happened to Mr Brown? He … to go ist unregelmäßig … went into town …” Er hatte seiner Mutter versprechen müssen, zu lernen, wenn er bei Luca übernachten wollte. Möhrchen machte ihrem Namen Ehre und knabberte brav an Karottenschnitzen aus Amelies Salat. Ihr Bruder hatte ihr als Nachtisch das beste Eis der Welt versprochen – mit Schokosoße und einer Kirsche oben drauf, da musste Keep your big sie sich anstrengen, das war völlig mouth shut! klar. Als Amelie nach der Bedienung Halt die Klappe! has happened winkte, kam Mia an den Tisch. Am ist passiert Wochenende half sie immer im went ging Restaurant mit. “Kann ich noch etwas für Sie tun, Frau Blau?” “Ja. Einen Kindereisbecher für die Kleine bitte”, sagte Amelie. Mia nickte und stapelte geschickt die leeren Teller auf ihren Unterarm. Luca behielt die Eingangstür fest im Blick. Simons Armbanduhr zeigte halb acht und von Liane war noch nichts zu sehen. Auch Mia wirkte ungeduldig, und als 12
sie vor die Tür trat, um auch dort abzuräumen, hielt es Luca nicht länger auf seinem Stuhl. “Was willst du?”, grollte Mia, kaum dass er sich neben sie stellte. Luca sah die Fußgängerzone hinab. Alle Cafés und Restaurants waren gut besucht, Stimmen, Gelächter und Musik schwappten zu den Kindern herüber. “Frische Luft schnappen?”, antwortete Luca. “Dann atme schneller und lass mich in Ruhe, Schleimer!” Mias Augen funkelten. “A day like you – uäh, wie kitschig.” “Mal wieder schlechte Laune, Mamma Mia?” Mia sah ihn böse an. Sie hasste es, wenn Luca sie so nannte. “Es gibt ein schönes, englisches Gebet für Leute wie dich: Lord, help me to keep my big mouth shut until I know what I’m talking about! – Halt dich dran, Lügenbaron!”, blaffte sie. “Du bist ja richtig charmant heute!”, gab Luca gelassen zurück und verneigte sich wie ein Bänkelsänger. Dann hielten beide den Blick auf die noch sonnenhelle Fußgängerzone gerichtet. Im gleichen Moment, als Mia sich Luca zuwenden wollte, um etwas zu erwidern, wurde es schlagartig dunkel. Das Lord Herr Licht war fort. Grauer Dunst kroch aus dem Pflaster und hüllte in wenigen Augenblicken alles ein. Entsetzt sahen die Kinder zu, wie die Menschen um sie her in ihrer Bewegungen erstarrten. Gespräche und Musik verstummten gleichzeitig. Unwillkürlich griff Mia nach 13
Lucas Hand. “Was ist d…?”, setzte sie an, doch dann erstarrte sie mitten im Satz. Luca wollte sich zu ihr umdrehen, aber es ging nicht. Stumm standen sie da. Einige Augenblicke vergingen, etwas berührte sie an der Schulter und die schwere, kühle Luft war das Erste, was beide wieder fühlten. Noch immer konnten sie sich nicht regen, aber nun alles hören und sehen. Und nur sie. Alle anderen Menschen waren nur noch Statuen, die Straße war jetzt in fahlgraues Licht getaucht. Ein hoher Ton vibrierte in den Ohren, gefolgt von Stampfen, Rascheln, Scharren, Kratzen. Wumm, wumm – wumm, wumm. Marschierende Schritte hallten an den Wänden der toten Häuser wie Donnerschläge. Die hohen Töne wandelten sich zu vielstimmigem, gellendem Gelächter. Eine tiefere Stimme fiel ein, triumphierend und selbstsicher. Und dann kam ER. Ein Schatten inmitten des toten Graus, dann ein Umriss, ein schlanker Mann, vor dem der Nebel zu beiden Seiten wich. Seine langen Beine steckten in nachtblauen Lederhosen, er trug ein hellgraues Hemd und einen Ledermantel in der gleichen Farbe. Der hochgeschlagene Kragen umrahmte sein auffallend schönes Gesicht, und der Mantel und das lange silberblaue Haar folgten jeder seiner Bewegungen … wie Schatten. Hinter der Gestalt war ein Gewusel und Gerenne, ein Gehopse und Gespringe sondergleichen. Kobolde. Zwei Dutzend Kobolde. Sie waren nicht einmal halb so groß wie die Kinder und ihre dürren, schuppigen 14
Gliedmaßen schlenkerten bei jedem Schritt. Hände und Füße trugen scharfe, schwarze Klauen, die beim Laufen dieses fürchterliche Scharren verursachten. Manche Körperteile waren mit Fell bewachsen oder mit geflickter Kleidung aus narbigem Leder bedeckt. Unter ihren grob genähten Kappen schauten flatternde, spitze Ohrmuscheln und riesige Augen hervor. Manche sogen die Luft ein, als suchten sie nach einer Fährte. Andere kniffen und ärgerten sich gegenseitig, tollten umher und kicherten. Sie sahen die Kinder an, grinsten hämisch und einige winkten sogar. Mias Hand wurde eiskalt und feucht und Luca hätte vor Angst schlucken müssen, hätte er es gekonnt. Doch sie standen nur völlig hilflos da und konnten sich nicht regen. Einer glorious der Kobolde löste sich aus dem Trupp glorreicher und rannte vor die Füße des Anführers, ruler Herrscher der ihm gönnerhaft zunickte, und übernahm die Führung. Er warf eine blaue Fahne mit einem großen “G” darauf in die Luft, fing sie geschickt wieder auf und rief: “Here comes Daryan, the Sun and the Moon, glorious ruler of Goblodom!” Der Mann im Mantel tätschelte dem Herold gönnerisch den Kopf. Sechs weitere Kobolde traten aus dem Nebel – über ihren Köpfen trugen sie eine leblose Gestalt in Frühlingsgrün und Orange. “Nein!”, wollten Mia und Luca rufen. Lianes Zopf war in Unordnung geraten, einige wirre, feuchte Strähnen fielen in ihr hübsches, sommersprossiges Gesicht. Es 15
sah aus, als schlafe sie und träume schwer; ihre Stirn war gerunzelt, ihre Brauen zusammengekniffen und die Hände zu Fäusten geballt, so als kämpfe sie gegen irgendetwas. Der Koboldkönig blieb stehen und ließ seinen Trupp vorbeimarschieren. Langsam wandte er sich zu Luca und Mia und ein hämisches Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. Es war das schönste und gleichzeitig gemeinste Lächeln, das sie je gesehen hatten. Er baute sich vor Luca auf, öffnete dessen rechte Hand und legte etwas hinein. Eine silberne, murmelgroße Kugel. Dann blickte er Mia und Luca in die Augen, verbeugte sich, legte die Finger der rechten Hand lässig an die Schläfe und salutierte zum Abschied. “Milady! Goblin Prince!” Die schmeichelnde Stimme wurde leiser. “See you later …” Der Nebel verschluckte ihn und seine Spießgesellen mit jedem Wort ein wenig mehr. Nur milady noch ein Flüstern war zu hören: meine Dame “… perhaps.” See you later. Bis später. Kaum hatte sich der letzte Nebelperhaps vielleicht streif verzogen, war alles wie vorher. Ringsum unterhielten sich die Gäste in den Cafés und Restaurants, Passanten schlenderten vorbei und Musik drang aus der offenen Tür der Pizzeria. “Nein!”, keuchte Mia fassungslos. “Das war …” “… der Koboldkönig!”, stammelte Luca. “Liane! Er hat Liane mitgenommen!” Mia lehnte sich gegen den Türpfosten und fasste sich 16
an die Stirn. “So was gibt es nicht! Sind wir hier in einem Film? Das ist doch nur ein Märchen!” Luca schüttelte den Kopf. Wenn er etwas konnte, dann Wahrheit und Fantasie auseinanderhalten. Ein Gast winkte. “Zahlen, bitte.” “Ich komme …”, antwortete Mia verstört, drehte sich auf dem Absatz um und rannte ins Restaurant. Simon stand gerade auf und kam zu Luca heraus. “Uah”, sagte er. “Nie wieder Pizza mit Weizenmehl! Ich hatte eben ein Gefühl im Magen, als ob ein Flugzeug durchstartet!” “Hat mit Pizza nichts zu tun”, behauptete Luca. “Das war der Koboldkönig. Er ist einfach aufgetaucht und die Welt stand still.” “Ja, sicher, Luca. Geht’s noch?”, sagte Simon. Luca sah seinem Freund grimmig in die Augen. Dann öffnete er die Hand und zeigte Simon, was ihm der Koboldkönig hineingelegt hatte. price Preis “Und? Eine Murmel eben.” “Frag Mia! Wir haben den Koboldkönig gesehen! Er hat Liane entführt! Und die Zeit angehalten, nein, alles angehalten, er hat …” Simon hob eine Braue und betrachtete die Kugel näher. Eine gekrümmte Klaue war auf ihr eingeprägt, darunter stand in winzigen, gezackten Buchstaben You don’t have to be nice to pay the price. Lucas Blick wanderte wieder zu der Stelle, wo der Trupp im Nebel verschwunden war. Er hatte jetzt keine Angst mehr. Er war wütend! “Es ist die Wahrheit, okay?” Er 17
zerrte seinen Freund am Ärmel ins Lokal und wies auf Mia. “Guck doch!” Sie stürzte gerade ans Telefon. Ihre Finger flogen über die Tasten; dann presste sie den Hörer an ihr Ohr, als habe sie Angst, etwas nicht zu verstehen. Mia biss sich auf die Unterlippe und sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Schnell gingen die Jungen zu ihr hinüber. “Geht sie nicht an ihr Handy?”, fragte Luca. Mia schüttelte den Kopf und tippte eilig eine zweite Nummer. “Frau Fronhoff? Ja, Mia hier, guten Abend. Ich wollte fragen, wann Liane … schon weg?” Luca machte eine Geste zur Tür hin. “Sag, dass sie gerade angekommen ist!”, zischte er. “Was?”, fragte Mia verwirrt. “Ach, ähm, da kommt sie ja endlich. Ja, danke, schönen Abend noch!” Mias Augen trafen Lucas, dann Simons. Der hatte sich mit überkreuzten Armen an die Wand gelehnt und schüttelte den Kopf. “Sie müsste längst da sein. Ob sie doch zum Turnen gegangen ist?”, sagte Mia matt. “Könnte sein”, sagte Simon. Luca überlegte einen Augenblick. “Quatsch! Sie hat uns doch heute Mittag erst erzählt, dass sie es aufgegeben hat!” Er sah Mia eindringlich an. “Der Koboldkönig war hier! Heute Abend hat er hier in Grafenbrück die Welt angehalten. Mia, wir haben es doch selbst erlebt!” 18
“Das haben wir uns nur eingebildet”, gab Mia barsch zurück. Die ersten Gäste drehten sich zu ihnen um. “Gleichzeitig? Alle beide?”, fragte Luca. “Nein! Der Koboldkönig hat Liane. Ob ihr das nun wahrhaben wollt oder nicht!” Mia schluckte, ballte trotzig die Fäuste und sah zu Boden. Am Fenster hob Amelie Blau Möhrchen aus dem Hochstuhl und winkte den beiden Jungen. “Verdammt!” Mias Stimme zitterte. “Ihr könnt doch nicht einfach abhauen! Was machen wir denn jetzt?” “Wann schließt ihr?”, fragte Simon. “Halb zehn. Aber ich muss nur bis halb acht mithelfen.” “Kannst du dich irgendwie rausschleichen?” “Ich werd’s versuchen.” “Dann um acht an der Brücke, okay?”, schlug Luca vor. “Wir sagen meiner Mutter, dass wir zum Nachtangeln gehen. Bis zehn dürfen wir meistens, wenn sie weiß, wo wir sind.” Simon warf Mia einen aufmunternden Blick zu. “Keine Panik!”, sagte er noch, dann verließen sie das Lokal. “Das macht mich irre! Wehe, er krümmt ihr nur ein Haar, dann …” Luca lief unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Simon seufzte. “Was dann?”, fragte er ruhig. “Keine Ahnung! Irgendwas!” Simon legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. “Zeig mir die Kugel noch mal”, sagte er, und Luca 19
reichte sie ihm. “Denk nicht, dass ich dir glaube, aber bleiben wir mal bei den Fakten”, sagte er. “Sah dieser Kerl so aus, wie Mrs Twiggins ihn beschrieben hat? His long hair and coat follow him like shadows wherever he goes?” Luca nickte. Er wusste nicht, worauf sein Freund hinauswollte. “Okay – wenn dieser Teil der Geschichte wahr ist, dann der Rest vielleicht auch. He hears everything. Sometimes, if someone has insulted him, he will lure them to his world. Herzlichen Glückwunsch, Luca. Du hast heute Morgen deutlich verkündet, dass dieser Typ dir nicht das Wasser reichen kann!” Luca sah ihn verblüfft an. So langsam begann es ihm zu dämmern. “Wenn du jemandem, der dich gekränkt hat, eine Lektion erteilen wolltest: Was würdest du tun?”, fragte Simon. “Dafür sorgen, dass ich die Spielregeln bestimmen kann”, erwiderte Luca prompt. “So wie letzte Woche, als Matze sich mit mir prügeln wollte. Da habe ich gesagt, dass wir besser eine Runde Schach spielen. Und er war blöd genug, sich darauf einzulassen.” “Okay. Der Koboldkönig zwingt dich also, Schach zu spielen. Ohne Dame und auf seinem Brett!” “Hä?” “Mann, Luca – das ist eine Falle! Wahrscheinlich wartet er nur darauf, dass du ins Koboldreich kommst, um Liane da rauszuholen.” 20
“Sofort! Wenn ich bloß wüsste, wie!”, knurrte Luca. “Ist dir eigentlich klar, was du uns da eingebrockt hast?” “Wenigstens hast du uns gesagt”, antwortete Luca. Es klang tatsächlich zerknirscht. “Was denn sonst?”, sagte Simon. “Weißt du, wie er mich genannt hat?” Simon hob nur die Braue. Luca räusperte sich und schluckte. “Goblin Prince”, sagte er tonlos. “Na toll!”, sagte Simon unbeeindruckt. Er sah auf die Uhr. “Dann pack dein Angelzeug, du Prinz. Wir müssen los.” “Wir sollten zur Polizei gehen”, sagte Mia und sah Hilfe suchend zu Simon hinüber. Der beugte sich über das Geländer und sah hinab auf das dunkle Wasser. “Ist das nicht eine Entführung? Vielleicht war das eine Zirkustruppe und der Kerl vorneweg steckte in so einer Art Kostüm!” “Das waren Kobolde, keine verkleideten Schimpansen!”, fuhr Luca auf. “Der Herold hat es uns doch ins Gesicht gebrüllt. Sogar den Namen des Königs.” “Daryan”, sagte Mia tonlos. “Und dich hat er Goblin Prince genannt.” Luca stöhnte. “Es gibt nur eine Person, die uns weiterhelfen kann – Mrs Twiggins. Wir müssen zu ihr”, sagte Simon ruhig und sah auf die Uhr. Es war halb neun. “Am besten sofort.” 21
The Mysterious Travel Guide
G
ood evening, children! What a surprise!” Mrs Twiggins trug einen Hausanzug und hatte ein dickes Buch in der Hand. Aus der Wohnung war klassische Musik zu hören. “I’ve got nothing to do with this!”, sagte Mia nervös. Sie hatte sich mysterious die Worte schon auf dem Weg zugeheim nisvolle rechtgelegt. “They …”, sie wies auf travel guide Reiseführer Simon and Luca, “they’re …” what a “Well, you’re all here, anyway”, was für eine surprise meinte Mrs Twiggins milde. “But Überraschung isn’t it a bit late for a visit?” have got habe “It’s an emergency. The Goblin anyway jedenfalls bit bisschen King has kidnapped Liane”, sagte visit Besuch Simon. Seine Stimme klang wie die emergency Notfall has kidnapped eines Nachrichtensprechers. hat entführt Mrs Twiggins sah Luca erschrowere warst cken an. Es kam dem Jungen vor, home nach Hause the same als blicke sie bis auf den tiefsten denselben Grund seiner Seele. “Were you way Weg together with Liane today?”, fragte sie einzusammen dringlich. then dann “Yes, we walk home from school that dass dear lieb the same way”, antwortete Luca. did you hast du “We often go together.” anything irgend etwas “Then he knows that she is very dear to you. Did you say anything 22
wrong? Is there a reason why he would take her to Goblodom to trap you?” Mia traute ihren Ohren nicht – ging Mrs Twiggins wirklich davon aus, dass die Geschichte wahr sein konnte? “Perhaps”, meinte Luca betroffen. “No – for sure!”, berichtigte Simon. “Luca said that the Goblin King … ähm … dass der Koboldkönig ihm nicht das Wasser reichen kann. Sorry – I don’t know how to say this in English!” Mrs Twiggins sah besorgt aus. reason Grund “Wir wollen Liane befreien”, sagte would würde Luca aufgeregt. “Aber wir wissen to nach to trap nicht, wie! Wir wissen nicht mal, wie um einzufangen man da hinkommt.” for sure ganz sicher “Oh, children, what a mess! You’d said hat gesagt better come in.” What a mess! Zögernd folgten sie Mrs Twiggins ins Was für ein Schlamassel! Haus. Die Lehrerin ging voran in ihr Wohnzimmer. Hier stand ein prall gefülltes Bücherregal neben dem anderen. Mrs Twiggins schien genau zu wissen, was sie suchte und wo es zu finden war. Vor einem der Regale blieb sie stehen und zog eine Trittleiter heran. Weiter oben waren viele alte Bücher mit narbigen Lederrücken und goldener Prägung zu sehen. “I’m looking for the travel guide”, rief sie erklärend von der Leiter und tastete auf dem obersten Bord umher. “Hat sie Reiseführer gesagt?”, fragte Mia. Simon nickte. Nach einer Weile stieg Mrs Twiggins mit einem alten 23
Buch wieder herunter. Der Ledereinband war mehrfach geflickt. Es war nicht größer als ein Vokabelheft, aber viel dicker. Am Rücken des Buches war eine schwarzgrüne Feder mit einer Schnur befestigt. Sie schien als Lesezeichen zu dienen, hatte aber eine Schreibspitze aus Metall. Mrs Twiggins drückte das Buch Mia in die Hand. Goblodom war auf der Vorderseite eingeprägt. Sofort schlug das Mädchen das Buch auf und blickte auf blanke, vergilbte Seiten. “Es steht nichts drin”, brachte sie hervor. “No”, meinte Mrs. Twiggins ernst. Sie strich sanft über die Feder. “Goblin ink! The letters are invisible. ” Sie sah Mia tief in die Augen. “They only show themselves to those who believe in the Goblin Kingdom.” “Ich muss ans Reich der Kobolde glauben, damit ich das Buch lesen kann?”, fragte Mia ungläubig. Sie blinzelte, weil sie meinte, ein paar schwarze Buchstaben zu sehen, und starrte dann doch wieder auf leere Seiten. Luca und Simon blickten ihr neugierig über die Schulter. In geschwungener Schrift, mit einem Datum aus dem 18. Jahrhunink Tinte dert versehen, zeigte sich ihnen invisible unsichtbar ein Eintrag mit zahlreichen handshow zeigen themselves sich schriftlichen Randbemerkungen. those denjenigen Alles auf Englisch. written geschrieben Der erste Absatz war eine Bedietravellers nungsanleitung: “This book was Reisenden written by travellers to Goblodom 24
to help those who come after them. This travel guide will show you any information or experiences that they have written down.” “Klingt gut”, fand Simon. “Und wie kommt man hin?” Luca nahm Mia das Buch aus der Hand und blätterte rasch um. Der erste Eintrag stammte von einem Gutsbesitzer aus Kent und handelte vom Raub seiner jüngsten Tochter. Er beschrieb eine ähnliche Szene, wie sie Luca und Mia miterlebt hatten, nur hatte der Koboldkönig damals ein weites, weißes Hemd, eine Brokatweste und Bundhosen getragen. “He was the handsomest man I had ever seen. His coat and hair followed him like shadows.” information “Pah, eitel ist er”, murmelte Luca. Informationen Simon hob eine Braue. experiences Erfahrungen Der Gutsbesitzer war auf seinem that die Heuboden gewesen, als er den Kohave written down niedergeschrieben boldkönig und sein Gefolge gehaben sehen hatte, und er wollte schnell had seen hinunterspringen, um ihnen nachhatte gesehen second Sekunde zueilen, konnte sich aber nicht found fand rühren, bis der Spuk endlich vomyself mich meadow Wiese rüber war. only einzige “The next second, I found myself enter standing in a meadow. This is the hineinkommen in must musst only way to enter goblin world: you must jump from something 25
that’s taller than you, and you must be as angry as a warrior.” “Na bitte!”, meinte Luca leichthin. “So kommt man also in die Koboldwelt.” “Wir müssen von etwas springen, das höher ist als wir”, murmelte Simon. “Und wütend sein. Was heißt warrior?” “Krieger”, erklärte Mia. Für sie waren die Seiten noch immer leer. “Du siehst da auch was?” Simon nickte ernst. Mias Herz klopfte aufgeregt. Sie dachte an das, was sie vor wenigen Stunden erlebt hatte … an den Nebel, das Zwielicht … die hämisch grinsende Gestalt … Luca hatte recht: Kobolde! Und ihr König. Mia sah das Buch wieder an und plötzlich erkannte sie verschwommene Buchstaben. Es sah aus, als seien die Seiten aus Wasser, in das jemand einen Stein geworfen hatte. Dann kam die Oberfläche allmählich zur Ruhe, die that das Schrift wurde deutlich. “Das gibt’s taller größer doch gar nicht!” Mia holte tief Luft. than als warrior Krieger “Woher haben Sie dieses Buch?”, some einige fragte sie Mrs Twiggins. notes Notizen relative “Some of the notes were written by a Verwandte(r) relative of mine”, gab die Lehrerin of mine von mir zurück. Sie räusperte sich und fügte unfortunately leider leise hinzu: “Unfortunately.” Mia überflog den Text. Auch quer am Rand standen Bemerkungen in schnörkeliger Schrift. Sie brauchte eine Weile, um einen Satz zu 26
entziffern. “You will find the entrance to Goblodom if you jump from something tall. The journey seems to take just a second, but it turns back time one and a half days”, las sie vor. “My body is still black and blue, so you’d better hope that your last lie was a softer one.” “Wir landen also gestern morgen in einer Gegend, die mit unserer letzten Lüge zu tun hat?”, fragte Luca ungläubig. find finden “Na toll!”, stöhnte Mia. “Ihr habt geentrance Eingang sagt, dass ihr angeln geht! Da finden journey Reise seems scheint wir uns am Haken wieder!” just nur “Oder wir werden nass”, meinte turns dreht back zurück Simon ruhig. “Am Haken hat uns one and a half der Koboldkönig ohnehin.” eineinhalb Mrs Twiggins holte tief Luft. “You should hope solltest hoffen have to try to rescue Liane. Take rescue retten the book – it’s the only help I can help Hilfe honorary title give you.” Ehrentitel Luca nickte und schob das Buch in some manche die Innentasche seiner Jacke. Sie beeven sogar thief Dieb dankten sich, und während Simon sir mein Herr und Mia schon zur Tür gingen, fasste polite höfliche form of address die Lehrerin Luca noch kurz am Arm Anrede und flüsterte ihm zu: “You can do it.” “Do you know why the king called me Goblin Prince?”, fragte Luca schnell. “I’m not sure. Perhaps it’s just an honorary title. Some people call even a thief ‘sir’, as a polite form of address.” 27
“Polite goblins?”, fragte Luca skeptisch. “You’ll find out soon enough, won’t you? Hurry up! Liane must be scared to death. You have no time to lose.” Luca nickte und eilte seinen Freunden nach. Mrs Twiggins kam mit Luca zur Tür und sah den Kindern eine ganze Weile nach. “It’s done ”, seufzte sie besorgt. Das Garagendach war von Lucas Zimmerfenster aus problemlos zu erreichen. Wie Diebe waren die Kinder hinaufgeschlichen. “Das ist das Blödeste, was ich jefind out mals vorhatte”, schimpfte Mia leiherausfinden se, schlug den Kragen ihrer Jacke soon früh enough genug hoch und kontrollierte zum fünfwon’t you? ten Mal ihren Rucksack. Sie hatte nicht wahr? Hurry up! darauf bestanden, wenigstens ein Beeilt euch! Mindestmaß an Ausrüstung mitzube scared to death nehmen – ein Messer, eine TaschenTodesangst haben no keine lampe, Taschentücher, Pflaster, etIt’s done was Proviant. Vorsichtig beugte Es ist vollbracht sich das Mädchen über die Kante von Blaus Garagendach. “Ich bin vielleicht sauer!” Sie schenkte Luca einen wütenden Blick. “Ich hoffe, der Koboldkönig zerlegt dich in winzige Fetzen! Wenn ich mir hier deinetwegen die Beine breche …” Luca zuckte die Achseln. Dass er Zorn auf sich zog, war ihm nun wirklich nichts Neues. Er tastete seine 28
Jacke ab. Das Buch war sicher in der Innentasche verstaut. “Ich bin jedenfalls so sauer auf diesen Daryan, dass bestimmt nichts schiefgeht”, sagte er. Er stand schon an der Kante des Dachs und blickte entschlossen hinunter. Wenn es nicht klappte, würde die sorgsam gepflegte Pfingstrose seiner Mutter dran glauben müssen. “Ähm”, meinte Simon. “Leute …” “Was denn?” fragte Luca ungeduldig. “Ich bin nicht sauer”, sagte Simon. “Kannst du überhaupt sauer werden?”, fragte Mia. “Ich habe noch nie erlebt, dass du wütend wirst.” Simon zuckte die Achseln. Luca drehte sich ruckartig zu seinem Freund um. Seine hellblauen Augen funkelten wütend. “Du willst mich im Stich lassen?” “Was?”, machte Simon verblüfft. Genervt fuhr Luca mit der Hand durch die Luft und rückte noch näher an den Rand des Garagendachs. “Klasse, Simon, echt!” Er schlug seinem Freund mit der flachen Hand auf die Schulter. “Dein ganzes cooles Getue ist nur Show!” Noch ein Stoß, diesmal vor die Brust. Simon zog die Brauen zusammen. Luca holte abermals aus, sein nächster Hieb traf Simon in die Rippen. Simon wehrte den Schlag mit dem Unterarm ab und holte tief Luft. “Lass es!”, grollte er. “Kommt weg da!”, rief Mia, machte zwei, drei Schritte auf die Jungen zu und versuchte, dazwischenzugehen. 29
Doch die beiden schienen sie gar nicht zu hören. Luca machte eine Grimasse. “Tut’s weh?” Jetzt reichte es Simon. Er holte aus und schubste Luca. Der griff nach Simons Handgelenk, als wolle er den Schlag abfangen, geriet aber aus dem Gleichgewicht, taumelte einen Schritt nach hinten, und sein rechter Fuß ruderte in der Luft. Als Simon sah, dass Luca wie in Zeitlupe fiel und dabei triumphierend zu grinsen begann, dämmerte ihm, was sein Freund vorgehabt hatte. Rasch griff Simon nach Mias Jacke. “Lass los!”, brüllte Mia noch. Doch da stürzten sie längst … ins Leere. Für einen Augenblick wurde es stockfinster. WUSCH! Wie Korken schossen sie an die Oberfläche. Die Kinder keuchten und husteten. Das Wasser schimmerte in hellem Morgenlicht. “Salzwasser”, würgte Mia hervor. “Bah, wie eklig!” Neben ihr schwamm Luca, der immer noch grinste. “Gott – ich bin so gut!”, rief er. Mia fuhr herum und schob mit beiden Händen einen Schwall Wasser in sein Gesicht. Der Junge duckte sich und grinste triumphierend. “Du Vollidiot! Uns hätte sonst was passieren können.” Simon schob sich die klatschnassen, langen Haare aus der Stirn. “Und ich bin auch noch drauf reingefallen.” “Hey, es war ja nicht so gemeint. Der Zweck heiligt die Mittel.” 30
Simon seufzte. Luca ruderte jetzt mit den Armen und drehte sich um sich selbst, um sich in alle Richtungen umzuschauen. Um sie her war nichts als silbriges Wasser. An einem schneeweißen Ufer erhob sich in einiger Entfernung ein hoher, grünbrauner, irgendwie schuppiger Hügel. Mia zog instinktiv die Beine an. Vom Grund stiegen Bläschen warmer Luft auf. “Jungs! Meint ihr, es gibt hier Tiere?” “Dazu ist es zu salzig – wahrscheinlich nicht. Falls sich das Koboldreich an unsere Biologie hält”, meinte Simon nüchtern. “Da!”, schrie Mia plötzlich und klammerte sich an ihn. Simon ging unter ihrem Gewicht unter, tauchte aber sofort prustend wieder auf. “Eine Spinne!” Sie deutete auf das Ufer. “Eine Riesenspinne!” Simon wischte sich noch einmal die Haare aus dem Gesicht und sah in die Richtung, in die Mia starrte. “Das ist keine Spinne”, sagte er tröstend. “Hat doch nur vier Beine.” Seine Eins in Bio hatte er nun mal zu recht. Das große, runde Wesen am Ufer richtete sich auf und begann mit zwei Beinen zu winken. Luca winkte zurück, worauf die Kugel noch stärker mit dem Arm zuckte und beinahe aus dem Gleichgewicht geriet. Sie schwammen hinüber. Auf den hautfarbenen Kugelkörper des Wesens war ein menschliches Gesicht gespannt. 31
“Jetzt hab ich echt Angst …”, flüsterte Mia, als das Wesen seinen Mund noch weiter in die Breite zog. Seine platten Nasenflügel folgten der Bewegung und auch die Augen wurden breit. “Das soll wohl ein Lächeln sein”, vermutete Luca. “Hoffst du”, stellte Simon fest. Da öffnete das Ding den Mund, was aussah, als würde ein Ball aufgeschnitten, und es dauerte eine Weile, bis seine schrille Stimme zu verstehen war. “Welcome! ”, schrie das Ding. “Welcome welcome to Goblodom!” willkommen
32
Too Many Balls
S
imon schwamm so schnell ans Ufer, wie er es in Kleidern konnte, und Mia folgte ihm dicht auf. Nur Luca nahm sich alle Zeit der Welt, ließ sich treiben, paddelte herum, zog ein paar Kreise, tauchte unter und schien das Bad in dem ekligen, handwarmen Salzwasser sogar zu genießen. Seine Augen glitten voller Neugierde über das Ufer, und je näher er dem auf und ab hopsenden Kugelwesen kam, umso breiter wurde sein Lächeln. Das Ding hatte tatsächlich nur vier Beine und lief auf allen vieren. Vorn benutzte es dazu die Hände, die hinteren Beine hatten Füße. Die Haut des Kugelwesens umspannte Körper und Beine prall und rosig, wie bei einem wohlgenährten Hausschwein. Nur oberhalb der Brauen zeigte sich ein dunkler Flaum, was dem aufgespannten Gesicht etwas erschreckend Menschliches gab. Are you all right? Mia und Simon zogen sich ans Ist bei euch alles in Ufer. Das Wesen richtete sich auf, Ordnung? really wirklich reichte ihnen die Beine mit den Händen und holte sie blitzschnell auf die Füße. “Are you all right?”, fragte es furchtsam. Sein breiter Mund gab ein Schlürfgeräusch von sich. Simon sah gequält an sich herunter. Sein Pulli färbte aus, die Brühe lief ihm über die Hände und hinterließ schmierig graue Tropfen auf dem weißen Salzstrand. “Not really”, antwortete er genervt. Mia musterte die 33
sprechende Kugel angeekelt. Mit ein paar kräftigen Zügen brachte sich hinter ihr auch Luca ans Ufer, stieg aus dem Wasser und schüttelte sich wie ein Hund. Das Kugelwesen neigte das linke Vorder- und Hinterbein, was wie ein doppelter Hof knicks aussah. “I’m Knight Bottoms – tsch, the Ninetieth. Welcome to Goblodom, kingdom of Daryan, our Sun and Moon, glorious – tsch …” “We know all that”, unterbrach Luca ihn ungeduldig. “Let’s get to the point. I want Liane back. What do I have to do?” Mia hielt die Luft an, Simon hob besorgt eine Braue. Seltsamerweise jedoch verneigte sich das Wesen abermals. Noch ninetieth tiefer als vorher. neunzigste “You must talk to my master, my all alles let’s lasst uns prince!” get to the point “And where is the Goblin King?”, zum Punkt kommen master Herrn fragte Luca ruhig. awaits erwartet “He awaits you at Castle Thousand‘Thousandpins’ pins.” ‘Tausend Stecknadeln’ “How do we get there?” get there “I am sorry, but I cannot tell you hinkommen cannot kann nicht that: finding the castle is part of part Teil the trial, my prince!” trial Prüfung “Well – tell Daryan that I’m on my on my way unterwegs way”, gab Luca grimmig zurück. not anything nichts “And you’d better not do anything 34
to hurt Liane, otherwise I’ll …” Er machte einen Schritt auf Bottoms zu. “No, no!”, versicherte die Kugel hastig. “Nobody in Goblodom would touch a girl like her, my prince – tsch … she is our special guest!” “I hope so!”, blaffte Luca. “Now go and tell Daryan what I said.” Das Wesen verneigte sich zum dritten Mal, rannte in seinem ungelenken Vierfußgang den Hügel hinauf und verschwand zwischen den hohen Gräsern. Simon und Mia hatten mit offenen Mündern gelauscht. “Ein Mädchen wie sie?”, flüsterte Mia. “Was ist denn so Besonderes an ihr?” Simon hatte wieder diesen misstrauischen Blick. “Was war denn das für otherwise ein Auftritt”, fuhr er Luca an. ansonsten “Ja, war nicht schlecht”, meinte der. nobody keiner touch anrühren “Das war gefährlich.” guest Gast “Fand ich auch”, sagte Mia böse. now jetzt “Wenn dieses Ding uns nun gebissen hätte oder so was.” Luca drehte die Augen zum Himmel und krempelte seine Hosenbeine hoch. “Ich glaube, dass mich der Koboldkönig Prinz genannt hat, weil ich mich mit ihm auf eine Stufe gestellt habe. Also muss ich mich auch so benehmen!”, erklärte er. Simon schüttelte nachdenklich den Kopf, dann begann er, trockenes Gras und dünne Hölzer aufzuklauben. Er legte noch zwei dickere Aststücke dazu. 35
“Glaubt ihr ernsthaft, jemand, der sich als Sonne und Mond seines Volkes betiteln lässt, ist höflich zu seinen Dienstboten?”, fragte Luca. “Wohl kaum”, stellte Simon fest, kramte umständlich ein flaches Sturmfeuerzeug aus der Hosentasche, schickte ein Stoßgebet zum Himmel und siehe da, das Feuerzeug sprang gehorsam an. Die Hölzer knackten. Die drei hockten tears Tränen sich dankbar ans Feuer. are lying lügen “Trotzdem. Es klang irgendwie … these diese uncried selbstverständlich”, sagte Mia. Simon ungeweinten zerrte sich seinen klatschnassen Pulli caught gefangen lake See über den Kopf und legte ihn vor das Feuer. “Egal. Wo sind wir hier?” Lässig zog Luca seine Jacke aus und holte den Reiseführer hervor. Er rückte so nah wie möglich ans Feuer und begann zu blättern. “Na bitte!”, meinte er. “Hier, ein neuer Eintrag. Es funktioniert also.” Die drei rückten zusammen. “Mother’s Tears”, las Mia vor. “When a mother finds out that her children are lying, she cries inside, but she doesn’t show her tears. These uncried tears are caught in this lake.” “Kapiert?”, sagte Luca. “Wir sind in einem See voller Tränen gelandet, weil wir unsere Eltern angelogen haben.” “Ich wette, allein die Tränen deiner Mutter reichen für drei Seen”, murmelte Mia. 36
Luca sah sie verdrießlich an und las weiter: “Mother’s Tears lies beside Saragal. Saragal can save you from the Punishers. But don’t wake it.” Am Rand stand ungelenk geschrieben: “The Punishers are very hungry!” “Punishers? Die Strafenden?”, sagte Simon. “Klingt nicht gut.” “Saragal? Das muss wohl der Berg sein, den Bottoms raufgerannt ist. Aber wieso nicht wecken?”, meinte Mia nachdenklich. “Was soll das heißen?” Daryan beugte sich über den Brunnen. “Where are they?”, fragte eine zarte Stimme hinter ihm. “I didn’t know that you came down here, Highly”, sagte der Koboldkönig und schloss kurz die Augen. Er holte tief Luft, drehte sich um und lächelte seine Gefährtin an. Der Brunnen vor ihm, der die Form eines großen Auges hatte, warf einen seltsamen blauen Schimmer und tanzende Lichter an die Decke. Die Wände des großen unterirdischen Gewölbes waren mit Motiven der verschiedensten Landschaften Goblodoms bemalt. Ein Bild aber zeigte die Straße, die vom Neubauviertel in Grafenbrück zur Schule führte. Im Wasser des Brunnens war das schneelies liegt weiße Ufer des Tränensees zu sehen. beside neben Daryans Gefährtin schwebte neben ihn. save retten Punishers Er warf einen letzten Blick in den Strafenden Brunnen und sah ein kleines Feuer und wake weckt came kamst die drei Kinder, die gerade über irgendetwas lachten, das Luca gesagt hatte. 37
“Mother’s Tears. Our prince is clearly a very good liar.” Daryan lächelte zufrieden. “You are in a good mood.” “I am. The boy is clever. Go and wake our guest!” “Let her sleep”, bat die Stimme eindringlich. “You don’t need her now.” “I want to talk to her. She reminds me of somebody”, sagte er schmeichelnd. “Me too”, erwiderte die dünne Stimme. “That’s why I don’t want to wake her.” “Very well. But we’ll have breakfast together on the balcony. I love to see the morning sun in your eyes.” “Daryan”, klagte das Wesen. “The girl doesn’t belong here.” “That’s true”, murmelte Daryan. “But clearly she belongs to him.” offensichtlich liar Lügner mood Stimmung reminds of erinnert an somebody jemanden Very well. Gut. belong gehört That’s true. Das stimmt.
Die Kinder hatten sich am Feuer einigermaßen getrocknet. “Wir sollten mal los”, sagte Simon. “Bevor diese Punisher auftauchen, was auch immer das für Dinger sind. Der Berg sieht hoch aus und … au!” Mia und Luca fuhren erschrocken zusammen. “Was ist?” “Mich hat was gebissen!” Simon untersuchte seine linke Wade. Luca machte eine wegwerfende Handbewegung. “Eine Bremse vielleicht … autsch!” 38
Mia wies mit großen Augen auf Lucas Bein, dann auf Simons. “Äh, ihr … habt da was.” Luca starrte in seine Kniekehle. Da hing etwas, das aussah wie ein murmelgroßer, dunkelroter, schrumpliger Wildlederball, der … ein Gesicht hatte? Seine Augen waren geschlossenen und er nuckelte selig in Lucas Kniekehle. “Hey!”, schrie der Junge und sprang auf. “Hau ab, du!” Der kleine Ball öffnete die Lider, schaute erst fragend, dann irgendwie hämisch, schloss die Augen wieder und nuckelte weiter. Dabei pumpte sein ganzer Körper und wurde deutlich runder und voller. “Bah, ist das eklig!”, schimpfte Luca. Er sprang auf und hopste auf der Stelle, um den Schmarotzer loszuwerden. Doch der ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Zug um Zug wurde er praller und größer. “Saugen die Blut?”, fragte Mia entsetzt. “Ich reiß den jetzt ab”, beschloss Luca. “Nicht!”, rief Simon. “Bei Zecken und Blutegeln ist das mordsgefährlich!” Er sah sich den Parasiten an seinem Bein genauer an. “Wie schnell der dicker wird! Beeindruckend. Dabei tut’s gar nicht arg weh.” “Mein Gott, Simon”, rief Luca. “Manchmal nervst du vielleicht mit deinem Sachkundeverstand.” “Die Punisher!”, sagte Mia. “Das müssen die Punisher sein!” Sie kniff die Augen zusammen, den Blick starr auf eine Höhle aus Salzkristall am Fuß des Hügels gerichtet. Dort bewegte sich etwas. Bälle! Ungeheuer viele Bälle! 39
Je härter sie aufkamen, umso höher und schneller hüpften sie auf die Kinder zu. Simon sprang auf. “Sie kommen! Lauft!” Sie bekamen kaum noch Luft, als sie endlich in das hohe Gras gelangten, das den steilen Hang bedeckte. Die Punisher gaben schwache, quiekende Geräusche von sich, aber sie ließen nicht locker. Simon nahm Mia an die Hand und zog sie den Hügel hinauf. Luca versuchte zu folgen, doch er wurde mit jedem Schritt langsamer. Immer wieder sah er sich nach den quiekenden, springenden Bällen um. “Stop, Simon!”, rief er irgendwann. “Sie sind weg!” Simon blickte über die Schulter, blieb keuchend stehen und rieb sich das Bein. Oberhalb der Stelle, wo immer noch der Punisher saugte, war away fern seine Wade jetzt schlohweiß. Matt ließ er sich auf den Boden in das hohe Gras fallen. Luca schleppte sich heran. “Das Bein wird taub”, erklärte er leise. Der Ball an seiner Wade war jetzt in etwa so groß wie eine Orange. “Deiner ist viel dicker als Simons”, sagte Mia. “Wie kann man die bloß loswerden? Gib mir mal das Buch!” Luca zog den Reiseführer aus der Tasche und hielt ihn ihr hin. Dann ließ er sich ins Gras fallen. Eine ganze Weile lag er so da, mit geschlossenen Augen und japsend. “Hier stehen jede Menge Randbemerkungen. Mmh … The smell of Saragal keeps the Punishers away.” 40
“Meinen aber nicht”, entgegnete Luca schwach. “Mann, ist mir schwindelig.” Simon nickte. Er betastete vorsichtig die Kugel an seinem Bein. “Der ist ja ganz weich”, sagte er verwundert und strich einige Male über die zarte Haut des Dings. Plötzlich hörte der Ball auf zu nuckeln. Er kniff unwillig die Augen zusammen, riss sie dann auf, sah Simon böse an und … ließ los! Während er davonrollte, atmete Simon erleichtert auf und betrachtete seine Wade. “Ziemlich große Löcher. Fünf. Es blutet”, stellte er fest. Er knotete sein geliebtes Halstuch ab und band es seufzend um die Wunde. “Das macht mir Mut, Simon, ehrlich”, sagte Luca. Sein Punisher war inzwischen so groß wie eine Pampelmuse. nastiness Simon warf einen Blick in das Buch. Gemeinheit “Ich würde zu gerne wissen, warum nastier gemeiner suck saugen meiner losgelassen hat und deiner nicht!” Genau in diesem Moment erschien unten links auf der Seite ein neuer Eintrag. “Aha, so geht das”, erkannte Mia. “Wir fragen was, und wenn das Buch kann, dann antwortet es! Nicht schlecht.” “Punishers love nastiness”, las Simon verwundert vor. “The nastier somebody is, the longer they suck.” “Dann … saugt der mich aus?”, fragte Luca. Mia begann zu kichern. “Du bist doch nicht wirklich gemein”, behauptete Simon, zog aber ein zweifelndes Gesicht. “Oder?” 41
“Ich hab’s!”, rief Mia. “Simon hat seinen angefasst. Vielleicht mögen sie das nicht. Streicheln. Versteht ihr?” Sie strich Lucas Punisher neugierig über den kugeligen Rücken. “Mensch, der ist ja total kuschelig!” Luca ächzte. Typisch Mädchen! Aber es fühlte sich so an, als sauge die Kugel in seiner Kniekehle wirklich weniger fest. “Guck nicht so genervt! Versuch es einfach selbst!” “Nie im Leben fass ich dieses Vieh an!” Kaum hatte Luca das gesagt, da schien der Ball schon wieder alle Kraft zusammenzunehmen. “Ah!”, fluchte er. “Gott, tut das weh!” “Mach schon! Wenn die keine Blutsauger wären, fände ich sie echt süß!” “Eklig!”, murmelte Luca, schloss die Augen und strich dem Punisher über die Haut. Zwar hatte Mia recht, die Kugel fühlte sich weich wie ein Pfirsich an, aber irgendwie wurde ihm seltsam flau dabei. Mechanisch fuhr er dem Ball über den Rücken. Es dauerte ewig, bis der Punisher endlich mit einem letzten, missbilligenden Schlürfen losließ und rülpsend davonrollte. Simon besah sich die fünf großen blutenden Wunden und den dunkelblauen Fleck in Lucas Kniekehle. “Das sieht böser aus als bei mir!” “Verdient hast du es ja”, fand Mia, “aber so schlimm hätte es wirklich nicht sein müssen.” Sie band ihren Seidenschal ab und schlang ihn fest um Lucas Knie. Dann griff sie wieder nach dem Buch. “Ich seh mal nach, ob etwas über Punisher-Bisse drinsteht.” 42
“Halb so wild!”, behauptete Luca zähneknirschend und musste plötzlich gähnen. “Aber so ein Aderlass schwächt anscheinend.” Sie saßen zwischen grünbraunen, dicken Gräsern. Wind strich über die Halme und ließ sie wellenförmig wogen. Die Gräser waren allesamt hoch und biegsam, manche überragten die Kinder sogar. “Steht noch was über dieses Saragal im Reiseführer? Irgendwas kommt leave verlassen mir hier seltsam vor. Woran erinmoves bewegt sich nert mich der Geruch bloß?”, fragstamp stampfen shout schreien te Simon und gähnte ebenfalls. heavy stark Mia blätterte eine ganze Weile in western westlichen chimera Chimäre dem Buch auf ihren Knien. Wieder Beware! Passt auf! erschienen neue Zeilen. “Hier gibt es ein paar Warnungen. Es scheint hier nicht gerade gemütlich zu sein. ‘You have to climb Saragal to leave the lake. Sometimes it moves. Don’t stamp or shout. The storm is heavy on the western hill’ – total verworren. Aber anscheinend antwortet das Buch tatsächlich sofort auf alle Fragen, die man hat. Oh, jetzt steht hier: ‘Saragal is a chimera! Beware!’” “Chimera? Was soll denn das sein?”, fragte Luca. “Keine Ahnung”, antwortete Mia. “Aber beware heißt passt auf!” “Wir gehen da hoch. Da ist Norden”, sagte Simon müde und wies auf den Gipfel des Berges. “Falls sich die Sonne hier an die Physik hält.”
43
Etwas Leichtes, Schwebendes berührte Lianes Wange. Sie blinzelte. Gedämpftes Licht fiel durch den zarten, cremefarbenen Vorhang am Fenster. Warmer Wind blähte ihn. “Guten Morgen!” Liane gähnte. “Es ist doch Wochenende …”, murmelte sie und zog sich die Decke über den Kopf. “Ja”, sagte die Stimme, die wie ein Wehen klang. “Aber er will dich sehen! Ich bitte dich, steh auf – er wird sonst fürchterlich wütend.” Das war nicht die Stimme ihrer Mutter! Verwundert zog sich Liane die Decke vom Gesicht und stieß sofort einen markerschütternden Schrei aus, sodass jeder im Schloss Ohr und Auge in Richtung der Gästekammern wandte. lady Dame “Well!”, sagte Daryan lachend. Er betrat awake wach gerade die große Halle seines Turms. “The lady is awake! Good morning!” Liane starrte ihr Gegenüber entsetzt an, bis sie endlich den sanften Ausdruck der Augen bemerkte. Das Gesicht der Frau, die auf ihrer Bettkante saß, schien wie aus Nebel gemacht zu sein. Mal waren es die Wangenknochen, die sich aufzulösen schienen, um sich gleich darauf wieder zu verdichten, dann Hals, Stirn oder Kinn. Nur Lippen und Augen blieben immer zu erkennen. Selbst die Hände der Frau begannen sich wie Nebel zu lichten, und nicht einmal ihr helles Kleid schien zu wissen, wo es einen Körper gab, an den es sich schmiegen 44
konnte. Das Haar der Frau war dunkel, in feinen Spitzen fiel es auf die unsteten Schultern. Lianes Herz schmerzte. Tiefes Mitgefühl stieg in ihr empor, sie fühlte den Kummer des Wesens so stark, als wäre es ihr eigener. Unwillkürlich griff sie nach den dünnen Nebelhänden. “Was ist dir passiert?”, fragte sie leise. Der Koboldkönig hatte die Halle durchquert und lachte über Bottoms, der mehr schlecht als recht versuchte, mit den langen Schritten seines Herrn mitzuhalten, ohne über die eigenen Beine zu stolpern oder auf die Kobolde zu treten, die sich da, wo sie gerade standen, vor Daryan auf den Boden und Bottoms in den Weg warfen. Zufrieden ließ sich Daryan auf den mächtigen Sessel mit Samtpolster fallen. Die Lehnen seines Throns waren mit geschnitzten Gesichtern geschmückt, manche von ihnen schauten erschreckt, andere hilflos, wieder andere zornig, und eines weinte sogar. Auf eben das weinende Gesicht legte Daryan die rechte Hand, an der ein spitzer Ring funkelte, und strich sich über die langen Manschetten seiner Hemdärmel. Seine Gefährtin betrat den Saal. Sie glitt am Thron vorbei und setzte sich auf einen silbernen Hocker mit cremefarbenem, perlenbesetztem Polster neben ihn. Sie schlug die durchscheinenden Hände vors Gesicht. Daryan schluckte. Es war jedes Mal dasselbe – er konnte es nicht aushalten, wenn sie traurig war. 45
“What is it, my dear? ”, fragte er verständnisvoller, als es ihm recht war. “She”, wisperte die Stimme, “is the one. She took my hands and asked what happened to me.” “I am sorry, Highly”, sagte Daryan und legte seine Rechte auf ihre durchsichtige Hand. Highlys schwaches Seufzen hing für einen Augenblick im Raum und wehte davon. “Are the children at Saragal now?”, fragmy dear te sie schließlich leise. meine Liebe “Yes”, meinte Daryan. “The boys took hat genommen met the Punishers. Bad luck for met them!” Er lächelte boshaft. “And haben getroffen bad luck Pech afterwards the caves are waiting.” afterwards danach “Spiderwolf’s caves? That’s not fair. ‘Spiderwolf’ Saragal is dangerous enough!” Die ‘Spinnenwolf’ short cut Gestalt erschauerte. Der SpinnenAbkürzung wolf war eine dumme, bösartige southern südlichen peak Gipfel Kreatur und kannte keine Gnade. cruel grausam Es sei denn, Daryan hätte ihm scary befohlen, sie zu kennen. Und das furchterregend crystal kristallene hatte er sicher nicht vor. “It’s a short cut through the Southern Peak! ”, widersprach Daryan. “Spiderwolf is a sweet little pet – when he’s not hungry, that is.” “Don’t be cruel”, bat Highly sanft. Der Koboldkönig biss die Zähne zusammen, ihr milder, vorwurfsloser Ton setzte ihm zu. “Goblodom isn’t all dark and scary”, fuhr sie fort. “Show them the Crystal Bridge, the 46
Starlight Forest or the singing books – show them all this beauty and magic.” “Finding Thousandpins is a test, and in order to succeed the boy must learn to want, my dear”, gab Daryan kühl zurück. “Goblodom will give him whatever he needs. It is only waiting to be asked.” Highly wehte ans Fenster und sah in die mild hügelige Landschaft hinaus, über die Dächer von Thousandpins hinweg. Goblocart, die Koboldstadt, schmiegte sich so eng an den Hügel, auf dem das Schloss lag, wie ein kleines Kind sich an seine Mutter drückt. Es stimmte – jedes Wesen hier, die ganze Stadt, sogar das Land der Kobolde selbst wartete auf Weisung. Bottoms trabte an Highlys Seite und raunte ihr zu: “Don’t worry. The boy is just like him.” Er zuckte mit einer seiner breiten Brauen und blickte verstohlen zu Daryan hinüstarlight ber. Sternenlicht Highly wandte sich wieder an den beauty Schönheit in order to um zu König: “You can teach him. The succeed gelingen boy is clever, but he is a child! Don’t worry. Mach dir keine Sorgen. These children need food and dry food Essen clothes! You know that.” Daryan war kurz davor, zuzustimmen. Die großen, hellen Augen seiner Gefährtin sahen ihn jetzt bittend an. In diesem Augenblick begannen einige Kobolde der Wache zu streiten. Sie kugelten in die Halle, bissen und zwickten sich, stießen eine Marmorbüste um und brachten das Parkett zum Beben. Bottoms versuchte 47
dazwischenzugehen; das Geschirr auf der Tafel schlug klirrend aneinander und eine große Streitaxt löste sich aus der Halterung an der Wand. Daryan und Highly sprangen zu Seite. “Stop it at once! ”, brüllte Daryan in die Halle. “You nearly killed her!” Die Kobolde hielten erschreckt inne. Bottoms lag mitten zwischen ihnen, versuchte, seine vier Beine auf den Boden zu bekommen, und richtete sich schließlich ächzend auf. stop it aufhören “My people can be a trial too”, at once sofort stöhnte Daryan und massierte sich nearly fast killed habt getötet die Schläfen. Er winkte Bottoms guesthouse heran. “Run to Galastor’s GuestGästehaus companions house and tell him that the Goblin Gefährten Prince and his companions are on is not allowed their way to Thousandpins. He’s darf nicht cheat betrügen not allowed to cheat them … well, cosy gemütlich no more than he usually does.” most beautiful schönsten Highly atmete auf. “Thank you, my silken seidener dear. Galastor’s Guesthouse is cosy. Which way do you want them to take?” Daryan küsste ihre durchscheinende Stirn, wies auf sein Land und sagte weich: “I want them to see the most beautiful place in Goblodom.” “Silken Garden?”, flüsterte Highly entsetzt. Die dunstigen Teile ihres Körpers färbten sich schwarz.
48
Up and Down
N
achdem Simon und Luca sich ein wenig erholt hatten, machten sich die Kinder an den Aufstieg. Es war nicht leicht voranzukommen. Auf dem nachgiebigen Boden, in dem hohen Gras, ging es auf und ab, auf und ab. Zur Rechten wie zur Linken wartete nur ein steiler Abhang. Gerade als Simon vorschlug, an einer etwas flacheren Stelle den Abstieg zu versuchen, begann es zu regnen. Das Wasser strömte zwischen den nassen Halmen die Abhänge hinab. Innerhalb weniger Augenblicke wurde der Boden durch den dichten Moosbewuchs zwischen dem Gras so rutschig, dass Simon nur den Kopf schüttelte. Der Regen prasselte so laut, dass er alle anderen Geräusche übertönte. “Vergesst es – das schaffen wir nicht!”, up and down rief Simon den anderen zu. rauf und runter “Was?”, brüllte Luca. Simon wies den Hügel hinunter, aber gerade als Luca begriff, was er ihm sagen wollte, und sich zu Mia umdrehte, begann der Boden zu zittern. Dann zu rucken! Alle drei stürzten ins Moos und klammerten sich an das erstbeste Grasbüschel, das sie ergreifen konnten. Fassungslos sahen sie zu, wie die Halme ruckartig auseinander fuhren und wieder zurückschlugen. Mia keuchte erschreckt. “Nicht so laut! Denk daran, was im Reiseführer stand”, sagte sie zu Luca gewandt, kroch auf allen vieren zu 49
Simon hinüber und sagte ihm das Gleiche. Noch immer schien der Boden zu zittern. “Wir halten uns gegenseitig fest”, schlug Simon vor. “Klar?” Mia nickte und nahm widerstrebend Lucas Hand. Der gab nur eine Art Grunzen von sich. Das hier machte keinen Spaß. Mit jeder Sekunde wuchs sein Zorn auf Lianes Entführer. Die Erschütterungen hörten so plötzlich auf, wie sie begonnen hatten. Erleichtert rappelten sie sich auf und sahen sich unsicher um. Dann gingen sie schweigend weiter. Es regnete immer noch in Strömen, aber es wurde flacher. Bald standen die Kinder vor einem etwas sanfteren Abhang, der zu einer grünen Ebene hinunterführte. Aber das Moos zwischen den Halmen war weiterhin rutschig und jetzt kam auch noch heftiger Wind auf. Simon war mit seinen Eltern schon oft in den Bergen gewesen und wusste, was zu tun war. “Seitwärts gehen!”, rief er. Stürmische Böen drückten die Gräser zu Boden; je tiefer sie kamen, umso stärker wurde der Wind. “Nach unten! Da lang!”, schrie Simon. “Schneller!” Er zeigte auf einen schwarzen, halb runden, lang gestreckten Felsen, der in die Ebene ragte. Wieder bebte es. Sie rannten fast hinunter, immer wieder vom Erzittern und Zucken des Bodens gezwungen, sich an den Grasbüscheln festzuklammern, bis sie den dunklen Felsen erreichten. Vorsichtig tasteten sie sich den 50
glatten, gerundeten Grat entlang, bis er so flach wurde, dass sie hinunterspringen konnten. “Und jetzt? In welche Richtung?”, fragte Mia. “Der Reiseführer”, verlangte Luca mürrisch. “Southern Peak, the mountain next to Saragal, is the only safe path”, las Mia vor. “You can go through the caves or over the top to reach the Northern Territories.” “Keine Höhlen! Wir haben nur eine Taschenlampe!”, entschied Simon. Die anderen beiden murrten – safe sichere noch mehr Bergsteigen! Ein kleipath Pfad ner Pfad führte über die Wiese, top Gipfel reach erreichen einen weiteren, kargeren Berg hinorthern nauf und zu dessen Spitze empor. nörd lichen territories Gebiete Ohne zu sprechen oder sich umzusehen, liefen die Kinder einfach weiter. Es schien endlos bergauf zu gehen. Bald waren sie nur noch von grauen Felsen und dürren, windgebeugten Nadelbäumen umgeben. Kalter Wind kam auf, der den Geschmack nach Frost mitbrachte. Die drei bissen die Zähne zusammen. Nach Stunden erreichten sie frierend und völlig erschöpft ein großes Plateau, auf dem zwischen zwei dürren Fichten ein kugelrundes Gebäude stand. Galastor’s Guesthouse hieß es auf einem Blechschild, das über der Türe gemächlich hin und her schwang. Eine Herberge! Obwohl sie nur noch ins Warme wollten, trat Luca zunächst an den Rand des Plateaus. Von dort aus konnte man den ganzen Weg überblicken, den sie ge51
kommen waren. Schlagartig wurde Luca bleich. “Ich glaube, ich weiß jetzt, was eine Chimera ist.” Simon und Mia traten neben ihn. Mia zitterte am ganzen Leib. “Hey, alles okay?”, fragte Simon. Sie schüttelte den Kopf, schluckte und starrte fassungslos in die Tiefe. Dort unten lag Mother’s Tears. Und um den See hatte sich ein Tier mit zwei Köpfen zusammengerollt. Der eine Kopf war der guardian Hüter eines Hundes, seine Schnauze lag treasure Schatz beinahe im See. Der andere – ein ‘Doghead’ ‘Hundekopf’ Katzenkopf – ruhte zur Landseite hin auf der linken Vorderpfote. Sie waren über ein Monster gelaufen! Bestiegen hatten sie es an den Hinterpfoten, die ersten Hügel waren die Rückenwirbel gewesen, die hohen Steppengräser einzelne Haare eines dichten, hellbraunen Fells. Ihr Reden und Laufen hatte das Tier im Schlaf gestört, als wäre es von Flöhen befallen. Die Ursache des Sturms am Abhang waren zweifellos die Atemzüge der Bestie gewesen, die über die Vorderpfote hinwegfegten. Saragals Krallen, gekrümmt wie die eines Tigers, hatten sich tief in den weichen Grasboden der Ebene zwischen dem See und dem Gebirge gesenkt. Dort waren sie über den vermeintlichen Felsen balanciert. Mia holte wie hypnotisiert das Buch aus ihrem Rucksack. “Ist Saragal ein Monster?”, fragte sie flüsternd. Und prompt erschien ein neuer Eintrag. “Saragal was the guardian of the goblin treasure. But Doghead 52
and Cathead are always fighting. In one of their fights they injured the Pure One. So the last Goblin King shouted, ‘Be still forever!’, and Saragal sleeps now.” “Wieso schläft dieses Monster, seit der Koboldkönig Ruhe gebrüllt hat?”, fragte Simon ungerührt. “Das macht mein Vater auch, wenn meine Schwestern zanken, aber es funktioniert nie.” Sofort antwortete das Buch: “Everything bows to his will!” Mia zog die Brauen zusammen. “So ist das also: Egal, was der Koboldkönig will, alles in Goblodom richtet sich danach. Und was ist nur so wichtig an dieser ‘Pure One’? Und wieso eigentlich der letzte Koboldkönig? Gab es mehr als einen?” “Without the Pure One there can be no Goblin King”, antwortete eine schnelle, schnörkellose Handschrift, und geschwungene, runde Buchstaben teilten mit: “There have been many, many kings.” “Ist sicher wie bei den vielen Hein‘Cathead’ richs in England”, kommentierte ‘Katzenkopf’ Luca. “Und in Frankreich gab’s fünfare fighting bekämpfen sich zehn Ludwigs.” fights Kämpfe “Sechzehn. Eigentlich achtzehn, injured haben verletzt aber die letzten beiden waren nicht forever für immer anerkannt”, berichtigte Mia. Luca there have been zuckte die Schultern. es hat gegeben “Gehen wir jetzt da rein?”, fragte Simon und zeigte auf den Eingang zum Gasthaus. Luca nickte und humpelte auf das runde Gebäude zu. Mia 53
sah besorgt, dass er hinkte, doch vor der Tür angekommen, atmete er tief durch und grinste die Freunde an. “Showtime!”, sagte er und legte schon je eine Hand auf einen der Türflügel, vergewisserte sich, dass sie nachgeben würden, und stieß sie dann mit einem heftigen Ruck auf. Vierzig Koboldaugenpaare starrten ihn an. Zuerst mussten sich die Kinder an das trübe Licht in der düsteren Herberge gewöhnen. Die übereinandergeschichteten Balken der Wände waren mit Fellen und Lederbahnen verhangen. Es brannten kleine Feuer, um die man etliche Tische aufgestellt hatte, und um jeden Tisch hockten zahlreiche Kobolde. Sie sahen genauso aus, wie Mia und Luca es in Erinnerung hatten: klein, mit spitzen Zähnen, Flatterohren, hinterlistig feixend und aufgeregt. Simon betrachtete sie argwöhnisch; diese unruhigen kleinen Plagegeister gefielen ihm überhaupt nicht. In der Mitte des Runds zog sich eine schnurgerade Wand von einer Seite zur anderen. Es gab zwei Türen darin. Was dahinter lag, war nicht zu sehen, aber immer wieder schlichen Kobolde mit schweren Beuteln heraus oder trugen Gepäck hinein. Teile des Dachs, das aus großen Lederflicken bestand, waren zurückgeschlagen, damit der Rauch der Feuer abziehen konnte, und die offene Tür ließ die Talglichter auf den Tischen flackern. Dennoch war die Luft schwer und von Essengerüchen durchzogen. Sofort knurrte allen dreien der Magen. 54
Luca hielt sich ganz aufrecht, obwohl jedes Strecken der Knie schmerzte, durchquerte den Raum und trat an den Tresen. Hinter der Theke stand ein dickbäuchiger, friedlich wirkender Kobold. Auf seinem Schädel wuchsen einige abstehende Haarsträhnen und er hatte eine besonders breite Nase. Um den Kugelbauch trug er eine Schürze aus Lederflicken. “Welcome, my prince!”, rief er Luca entgegen und nickte Mia und Simon gönnerhaft zu. Ein Geruch nach Maiglöckchen und Kompost stieg Luca in die Nase. Neben ihm stand may I darf ich jetzt eine Koboldfrau. Ihr Gesicht introduce war schmaler als das eines männvorstellen serve bedienen lichen Kobolds und ihre Augen runherself selbst der. In ihre rostroten, abstehenden stable Pferdestall Haare waren helle Holzperlen und schimmernde Röhrchen aus Metall gefädelt worden. Kurze stämmige Beine schauten aus ihrem grünen, schlauchartigen Wollkleid. Sie lächelte und ließ dabei lange, spitze Zähne sehen. Man durfte annehmen, dass sie für Koboldverhältnisse eine Schönheit war. “I am Galastor”, fuhr der Kobold hinter der Theke fort. “May I introduce my wife Balada? She will serve you herself.” Die kleine Frau verbeugte sich kurz und lächelte die Kinder herzlich an. “Human children! How sweet!” “Thank you.” Luca schien nicht die Spur unsicher zu sein. Großspurig sagte er: “We want the best table and food you have here in this … stable.” 55
Der dicke Kobold verzog trotz der Beleidigung keine Miene, sondern verneigte sich tief. Augenscheinlich war Lucas nassforsche Art hierzulande nichts Besonderes. “As you wish, my prince. Will you need beds too?” “Yes”, antworte Luca knapp. “Does anybody here speak German?” “Selbstverständlich”, erwiderte der Wirt. “Jeder kann Eure Sprache, mein Prinz! Aber wir sind in Daryans Reich. Und sprewish wünscht chen seine Sprache.” mercy Gnade Simon fuhr herum. Etwas hatte wooden hölzerne to be paid ihn an der Hüfte berührt. Blitzartig zu bezahlen fasste er zu und schon hatte er eine sundown Sonnenuntergang braune, behaarte Koboldklaue umYou must be kidklammert. “Bleib aus meinen Tading. Du machst schen, Freundchen”, knurrte er und wohl Witze! bet wette zog einen kleinen, dürren Kobold terrible furchtbar zu sich heran. area Gegend not any keine Der Dieb begann zu jammern. others anderen “Mercy, sir, mercy.” “Seventeen silver und three wooden balls”, sagte der Wirt ungerührt, während Simon den Kobold losließ. “To be paid before sundown.” “You must be kidding”, polterte Luca, obwohl er keine Ahnung hatte, wie viel Geld das war. “I bet the food is terrible and the beds are dirty.” “No, sir! This is the best guesthouse in the area!” “There aren’t any others”, stellte Simon fest. Der Wirt knurrte leise, grinste dann aber und verneigte sich. 56
“Sixteen. My last word.” Luca nickte gönnerisch. “You may like to visit the market”, sagte der Wirt so umgänglich wie zu Beginn ihres Gesprächs und zeigte auf die rechte Tür in der langen Wand, die das Gasthaus teilte. “You can buy all kinds of things there.” Die Frau des Wirts mischte sich ein. “We have a tailor too! You will need …”, sie warf den Kindern einen fürsorglichen Blick zu, “… proper clothes to see the king.” Luca beugte sich mit zusammengekniffenen Augen zu Balada hinunter. “How do you know that we want to see the king?” Hinter ihm knurrte Simon bereits den nächsten Kobold an, der sich an seinem Rucksack zu schaffen machen wollte. “You are the prince”, antwortete visit besuchen Balada, als sei das eine Selbstvermarket Markt ständlichkeit. all kinds of aller Art “Our Sun and Moon, Daryan, the there dort glorious …” – Luca wedelte ungetailor Schneider(in) proper ordentliche duldig mit der Hand – “… ruler, kind freundlich was kind enough to let us know bill Rechnung that he awaits you”, antwortete rule Regel everyone jeder Galastor für seine Frau. look after himself “Good! So Daryan can pay the auf sich aufpassen bill”, rief Mia. “No, milady! There is only one rule in Goblodom: everyone must look after himself.” Balada nickte, machte eine einladende Geste und führte die Kinder zu einem der Tischkreise. 57
“Was hast du?”, fragte Mia, als Luca ihnen nachhumpelte und sie seine ernste Miene bemerkte. “Tut der Biss noch so weh?” “Ach was”, antwortete Luca leichthin. “Ich denke nach, wie wir an Geld kommen.” Ehe Mia nach dem Buch greifen konnte, wies er auf den Nachbartisch. Dort saßen einige Kobolde, die lautstark darauf wetteten wohin ein großer, schillernder Käfer krabbeln würde, der auf der mit allen Himmelrichtungen beschrifteten, polierten Tischplatte saß. Eine Tonschale wurde herumgereicht. Jeder Kobold legte kleine Kugeln aus poliertem Holz, Silber oder Gold hinein. Wie die Kugel, die Daryan Luca zugesteckt hatte, trugen sie eine gekrümmte Koboldpranke als Siegel. “Es gefällt mir nicht, dass der Koboldkönig weiß, wo wir sind”, sagte Luca, als Balada an ihren Tisch trat. “He wanted you to come here, my prince”, sagte die Koboldfrau, duckte sich und fuhr ängstlich fort: “Everything bows to his will.” Luca unterbrach sie mit einer herstop from rischen Geste. “Maybe! But he davon abhalten can’t stop me from being hungry. roast pork Schweinebraten What do you have to eat?” “Roast pork with potatoes and salad”, antworte Balada eilfertig. “Okay.” Luca nickte. “Just salad for me, please”, bestellte Simon und erklärte: “Schweinefleisch ist zu fett und Kartoffeln haben zu viele Kohlenhydrate. Da mache ich kein Auge zu.” 58
“Salad for me too”, schloss sich Mia an. “And hot tea for everyone.” Während Balada forteilte, um den Wünschen der Kinder nachzukommen, wanderten Lucas Augen im Gasthaus umher. An den meisten Tischen wurden Wett-, Rate- und Geschicklichkeitsspiele ausgetragen, bei denen es niemals wirklich fair zuging. Man spielte Billard mit Kugeln auf Füßen, die vor den Löchern wegliefen, wenn man sie nicht so hart anstieß, dass sie über die eigenen Beine fielen. Ähnlich funktionierte ein Hütchenspiel, bei dem die Hütchen sich von selbst immer wieder anders färbten. Besonders breit aber grinste Luca über eine Abwandlung des Dart-Spiels. Kobolde zielten mit riesigen, lebenden Moskitos auf eine runde Korkwand. Auf der gab es aber keine Zielfelder oder Punkte, es ging allein darum, dass der Moskito kurz in ihr stecken blieb. Natürlich stieß sich das Insekt prompt mit den Beinen ab, versuchte freizukommen und ging dann blitzschnell auf seinen Werfer los. Der Spieler musste den Moskito einfangen und wieder in den Käfig setzen – und das alles, ohne einen Stich davonzutragen. Jeder Spieler hatte spezielle Tricks. Einer vernebelte mit einer qualmenden Pfeife seinem Insekt die Sicht, ein anderer benutzte eine Bola, eine Fangschnur mit Gewichten, die sich fest um das Insekt schlang, wenn sie traf. Der beste Werfer schleuderte ein Netz in die Luft, das sich über das Insekt stülpte und es zu Boden riss. Nach jeder Runde ging der Topf mit den Kugeln an den Gewinner. Die Einsätze waren hoch. 59
Luca strich unternehmungslustig über seine Unterlippe. Als Balada den Tee brachte, verlangte er: “I want an apple and a raw egg.” “As you wish, my prince.” Die Koboldfrau nickte und trippelte wieder in die Küche. “Wozu brauchst du denn einen Apfel und ein Ei?”, fragte Simon befremdet. Luca warf einen zufriedenen Blick in das Rund. “Dafür kaufe ich diese Kneipe. Wetten?” Simon zuckte die Schultern, wollte die Beine ausstrecken, verzog aber das Gesicht und rieb sich stöhnend die verletzte Wade. raw rohes “Tut’s noch weh?”, fragte Luca. “Ich besorge Medizin!” Er stand auf, nahm Balada, die gerade wieder auf ihren Tisch zusteuerte, den Apfel vom Tablett und ging geradewegs auf die rechte der beiden Türen in der Mittelwand zu. Liane war mit Highly die Treppen zur Halle hinuntergelaufen und hatte geschaudert. Eine lange Reihe von Porträts zierte das Treppenhaus. Die Gesichter der Koboldkönige glichen sich auf erschreckende Weise: Alterslos, listig und stolz blickten sie auf das Mädchen herab. Nun saß Liane blass und ängstlich auf der Hochterrasse beim Frühstück, hinter der sich sicher zwanzig Schlosstürme erhoben. Thousandpins bestand aus unzähligen Türmen. Jeder Koboldkönig hatte seinen eigenen gebaut und bewohnt und jeder war einzigartig. 60
Manche hatten Muster, waren bewachsen oder bestanden aus Materialien wie Glas, Schaumgummi oder Federn. Es waren völlig verrückte Gebäude dabei, so ein Kran, an dessen Haken ein Haus hing, eine steinerne Pflanze oder gestapelte Kugeln, andere sahen ganz vertraut aus: ein Leuchtturm, ein Wasserturm mit einem Wetterhahn oder ein gemauerter Burgturm. Der beeindruckendste war die Bastion in der Mitte, die alle anderen überragte: die gekrümmte Kralle, das Siegel Goblodoms. Diese Trutzburg war vom ersten und grausamsten Herrscher des Koboldreichs erbaut worden. Daryans Turm war silberblau, schlank und hoch. Seine spitz zulaufenden, bunten Fenster erinnerten Liane an eine berühmte, alte Kirche, die sie einmal mit ihren Eltern besucht hatte. Es wirkte nicht wie ein bedrohlicher Ort. Dennoch wagte es Liane kaum, von ihrem Teller aufzusehen, weil sie Daryans Blick traf, sobald sie es tat. “So they’ve arrived at Galastor’s have arrived Guesthouse”, sagte Highly und riss sind angekommen Liane aus ihren Gedanken. am starting fange an “Yes. The boy called Luca is doing very well. I am starting to like him.” Lianes Herz pochte angstvoll schneller. “Are you talking about my friend Luca?”, brachte sie schüchtern heraus. Daryans Gefährtin lächelte, so gut es ihre nebelhaften Gesichtszüge vermochten. “Yes, my dear.” 61
“Don’t worry. He’s fine.” Daryans Grinsen wurde breit. “And his friends, too.” “Who’s with him? Simon?” “Yes, milady”, antwortete Daryan gelassen und griff nach den roten Trauben, die in einer Silberschale auf der Mitte des Tisches standen. “And a girl. Her name is Mia.” Lianes Augen begannen zu glitzern. “Oh no!” “Don’t be afraid, nothing bad will happen to them”, sagte Highly schnell. He’s fine. “It’s already happened”, sagte Liane Ihm geht’s gut. tonlos. “They’re here. Because of me.” Daryan griff in seine Tasche und zog eine Flasche mit Wasser heraus. Auf dem runden Glas schwamm Lucas Gestalt. Er humpelte, Shirt und Jacke waren schmutzig, und er sah fürchterlich müde aus, obwohl er gerade einen Apfel in die Luft warf und überlegen lächelte. “No”, antwortete Daryan. “You are here because of him!”
62
Quite a Bite
N
eugierig öffnete Luca die Tür. Sowohl die Händler als auch ihre Kunden setzten alles daran, ihren Willen zu bekommen, und so endeten die meisten Verhandlungen in Streitigkeiten oder Handgemenge. Luca trat an einen Tresen, hinter dem ein mehrstöckiges Regal mit Tiegeln, Flaschen und Dosen sowie ein großer Wandschirm aufgebaut waren. quite a bite ein “Good evening!”, sagte er zu dem ziemlich großer Biss dünnen Kobold hinter dem Tresen. stuff Zeug worth wert “Is all this stuff here worth the swear schwöre money?” lies lügen heal heilen “Of course, sir”, antwortete der wounds Wunden Kobold und wackelte aufgeregt wonderful mit seinen Flatterohren. “I swear wunderbare balms Balsame that these are the best medicines accept nehme an in all Goblodom.” bet Wette Luca wandte sich ab, als wolle er gehen, und sagte über die Schulter: “Anybody can say that, but lies won’t heal my wounds.” “Wounds? You have wounds, my prince? I have wonderful balms here that heal wounds in seconds.” “Hah! I bet my apple that they can’t heal my Punisher bite.” “I accept the bet. Come here!” Der Kobold hopste auf der Stelle und wies aufgeregt auf den Wandschirm. “Just try it.” 63
“Wait a minute!”, erwiderte Luca und zeigte auf seinen Apfel. “This apple is a very expensive medicine! A bet has to be fair!” “But it is just an apple, and …” “Call yourself a healer?”, sagte Luca verächtlich. “Just an apple? Shame on you! An apple of this colour and size is the best medicine for a headache! A healingapple is worth thirty silver balls. How much is the balm? Two?” “Only one ball, sir”, seufzte der Kobold healer Heiler eingeschüchtert. Shame on you! “So let’s calculate this. If I lose, you Schäm dich! size Größe pay me …” healing-apple “Twenty-nine silver balls, sir?” Der Heilapfel calculate Heiler runzelte die Stirn. kalkulieren “Nice to do business with you!”, sagte lose verliere Luca zufrieden. “Now let me see your to do business Geschäfte zu balm!” Der Kobold nickte überrummachen pelt, schob den Wandschirm zur Seite, wies auf den gepolsterten Stuhl, der dort stand, und nahm einen hellgrünen Tiegel aus dem Regal. Luca humpelte hinter den Tresen, setzte sich und zog sein Hosenbein bis übers Knie nach oben. “Quite a bite!”, sagte der Kobold beeindruckt. “You must be very nasty!” Es klang so lobend, dass Luca unwillkürlich nickte. Mit einem sauberen, kleinen Lappen wollte der Kobold die Salbe auf die Wunden tupfen, doch plötzlich fiel Luca etwas ein. Er zog das Bein noch einmal weg. 64
“Does a human body accept goblin medicine?” “Don’t worry, sir. Like all healers in Goblodom, I have special drugs for humans. Our Sun and Moon or his companions might need them.” “The Goblin King is a human?”, fragte Luca verblüfft. Der Heiler fuhr fort, ihn zu behandeln. “Of course! Only humans can cheat us goblins. A human will is stronger than ours! That’s why you’re here, isn’t it?” Der größte Betrüger wird der König?, fragte sich Luca noch, doch dann brauchte er seine ganze Willenskraft, um nicht laut zu schreien. Es brannte fürchterlich! Aber plötzlich war das Brennen einfach weg. Luca starrte auf seine Kniekehle und konnte regelrecht zusehen, wie der blaue Fleck nach und nach verschwand. Die fünf Bissstellen waren noch zu erkennen, hatten jetzt aber eine feste Kruste und pochten nur noch ein wenig. “It works”, rief er überrascht und erleichtert, während der Heiler drugs Arzneimittel geräuschvoll unter seinem Tresen humans Menschen Verbandszeug hervorkramte. Er might könnten stronger stärker kehrte zurück und schlang Luca why der Grund, eine breite Binde um das Knie. weshalb works funktioniert Der Junge seufzte gespielt und überit’s a shame reichte dem Händler mit Leidenses ist schade miene den Apfel. “It’s a shame to lose it! Use it well!” Sofort zog der Heiler seinen Beutel aus der Tasche, tat, als ob er Kugeln abzähle, und drückte sie Luca in die Hand. 65
Luca zählte nach. “Only twenty-six”, sagte er vorwurfsvoll. Schnell holte der Händler noch drei Silberkugeln aus dem Beutel und versuchte ein schuldbewusstes Lächeln. Luca steckte das Geld und den Tiegel mit Salbe ein und nahm sich vor, ein paar Tipps zu den Händlern in Galastor’s Guesthouse in den Reiseführer einzutragen. “Humans”, seufzte der Heiler und blickte Luca kopfschüttelnd nach. “It’s impossible to cheat them.” “What a little rat he is”, murmelte Daryan und rieb sich vergnügt die Hände. Er hielt seine Flasche in der Hand und lief pfeifend den Gang entlang. Er bemerkte nicht, dass hinter ihm Highly den Flur überquerte und vorsichtig die Klinke zu einem der Gästezimmer drückte. Wie sie vermutet hatte, war Liane noch wach. Sie kniete auf ihrem Bett, das unter großen Bogenfenstern stand, und sah hinaus in die sternenklare Nacht. Highly beugte sich vor. “Would you like to see your friends?”, flüsterte sie. Das Mädchen nickte. “Then come with me.” Liane überlegte nicht lange, schlüpfte in die seidenen Pantoffeln, die ihr die Kobolde gebracht hatten, und beeilte sich, Highly über die vielen Treppen zu folgen. Die Abstände der Stufen waren unterschiedlich hoch; manche Absätze mündeten in neue Treppen, in verschlungene Flure, die in viele verschiedene Richtungen
impossible unmöglich rat Ratte
66
führten. Liane hielt den Atem an, als sie endlich die unterirdische Halle betraten. “The Land of Goblodom is quite big. The city of Goblocart lies in the Northern Territories. There you can find Castle Thousandpins, home of the Goblin King”, las Mia vor, während Simon sich Salbe auf seinen Punisher-Biss strich. “Das zieht!”, brachte er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. “Hört gleich auf”, beruhigte Luca ihn. Er aß genüsslich. Mia hingegen schob die Salatblätter auf ihrem Teller hin und her. “Ob es Liane gut geht?” Eigentlich hatte Luca gerade dasselbe gedacht, aber er wollte nicht, dass Mia es merkte. “Bestimmt”, sagte er leichthin. “Es ist doch eigentlich ganz nett hier!” “Ganz nett? Spinnst du? Wir sitzen in einer Kneipe voller Kobolde!” Simon versuchte gerade, mit einer quite ziemlich Hand die Klaue zu verscheuchen, die city Stadt nach seinem Essen tastete, und mit der home Heimat andere einen festen Knoten in den Verband zu machen. Luca sah genervt an die Decke. “Oh, entschuldige, Lügenbaron!”, sagte Mia spitz. “Du musst dich hier ja wirklich wie zu Hause fühlen!” Sie riss Simon ungeduldig sein Halstuch aus der Hand und schlang es zornig so fest um sein Bein, dass der Junge gequält aufstöhnte. “Und wem verdankst du, dass wir unter einem Dach 67
schlafen und etwas zu essen haben – Mamma Mia?”, gab Luca zurück und verschränkte stur die Arme vor der Brust. “Du bist so eine …” “Na? Was denn?” “Zicke!”, meinte Luca. “Was?! Mir reicht’s – bis wir in diesem verfluchten Schloss ankommen, spreche ich keinen Ton mehr mit dir!” are quarrelling “Na endlich!”, giftete Luca zurück. zanken Rums! Er zuckte zusammen. Simon gets into a bad mood kriegt hatte mit der flachen Hand auf schlechte Laune den Tisch geschlagen. Für einen Augenblick war es totenstill in Galastor’s Guesthouse. “Schluss jetzt”, zischte Simon. “Wenn ich mir noch eine Minute länger euer Gezanke anhören muss, fall ich ins Koma!” “Sag das doch der Zicke!”, regte sich Luca auf. “Luca – halt den Mund!” sagte Simon. Mia holte schon Luft. “Und du auch!” “Aber sie hat …” “Er hat …” “Mir doch egal!”, brüllte Simon. “Ihr habt es echt geschafft! Mann, bin ich sauer!” “They are quarrelling.” Liane schüttelte betroffen den Kopf, wandte den Blick von den Bildern im Wasser des augenförmigen Brunnens ab und sah Highly Hilfe suchend an. “Mia gets into a bad mood so easily. And Luca is always nasty when he’s 68
arguing. They’re never like this when they talk to me.” “I bet Mia is a warm-hearted, friendly girl and Luca cares for you very much and cheers you up, am I right?”, sagte Highly sanft. “Yes.” Liane sah Highly verblüfft an. Das schemenhafte Gesicht ihrer Begleiterin wirkte durch die reflektierenden Lichter des Brunnens noch blasser. “How do you know that?” is arguing streitet “My friends are the same with me”, warm-hearted meinte Highly schwach. Sie schwebwarmherziges cares for hat gern te hinüber zu einem Bild, das einen cheers up prachtvollen Garten zeigte. Unter muntert auf the same genauso dem Gemälde stand in geschwuntricky knifflig genen Buchstaben: Silken Garden. confident Liane musste unwillkürlich lächeln. selbstbewusst true wahres “Silken Garden. That sounds very self Selbst nice.” has been ist gewesen “It is the most wonderful place in Goblodom”, erklärte Highly und winkte sie näher heran. “But the garden is very tricky.” “Why?” “Many people are not as confident as they seem. It’s impossible to hide your true self in this garden”, sagte Highly. Sie schwebte zu Liane hinüber und sah ins Wasser. Ganz kurz konnte das Mädchen das eigentliche Aussehen des Wesens erkennen, gerade in dem Moment, als sie beide Arme auf das Becken stützte, lächelte und sagte: “Even Daryan has been there. He promised that we would go home …” 69
Highly stockte und fuhr erschreckt herum. Aus dem Treppenhaus waren Schritte zu hören. Hastig fasste sie Liane bei der Hand. Liane konnte nur Kühle und Feuchte in der Handfläche fühlen und merkte, dass etwas an ihr zog. Sie rannten durch den Raum und die Treppen zu ihrer Rechten hinauf. Nach vielen Stufen wandte sich Highly noch einmal zu Liane um. “Daryan wants to send you to Silken Garden. You must tell Luca that you can’t stay there forever, or he will never reach Thousandpins to beat send schicken Daryan. Give him a sign!” beat besiegen “He must beat Daryan?”, keuchte Liane. sign Zeichen ”In what?” “Wanting”, sagte Highly atemlos. “Wanting what?”, fragte Liane. Doch Highly antwortete nicht.
70
Heroes in a Fairytale
M
ia zog einen feuchten Kringel auf der Tischplatte mit dem Zeigefinger nach. Luca kratzte umständlich getrockneten Schlamm von seiner Hose. “Wird’s bald?”, knurrte Simon. “Vertragt euch! Sonst gehe ich keinen Schritt weiter.” “Das kannst du doch nicht machen!”, heroes Helden protestierten beide. Simon lehnte sich vor und grinste beinahe so hämisch, wie Luca es sonst tat. “Legt es nicht darauf an!” “Ähm …” Mia strich sich verlegen eine Strähne aus der Stirn. “Gehen wir mal an die Luft?” Luca nickte nur. Sie standen auf, verließen das Gasthaus und traten in die kühle Abendluft hinaus. Die Sonne war gerade untergegangen. Eine Weile sahen sie zu, wie das Abendrot der Dunkelheit wich, standen einfach da, nebeneinander, an der Kante des Felsplateaus, der Herberge den Rücken zugewandt. Keiner wollte den Anfang machen. Geräusche waren zu hören, ein Kichern und Scharren, ganz ähnlich wie vor der Pizzeria, damals bei Lianes Entführung. Mia schauderte. Ewigkeiten schien das her zu sein. Ob man ihr Verschwinden zu Hause schon bemerkt hatte? Luca seufzte und sagte: “Die sind harmlos! Wirklich.” Gerade als Mia etwas erwidern wollte, hörten sie Simon rufen: “Don’t you dare!” Anscheinend verscheuchte er wieder einen Dieb. Sie mussten lachen. 71
“Weißt du…”, begann Mia und schwieg dann wieder. “Was denn?” Lucas Stimme klang milder als sonst. Sie sahen sich nicht an. “Dein cooles Getue treibt mich noch in den Wahnsinn. Die Punisher waren klein und haben euch trotzdem ernsthaft verletzt. Und da denkst du, die Kobolde wären einfach bloß harmlos? Das glaube ich nicht, sie gehorchen dem König, diesem Daryan. Er könnte unser Essen vergiften lassen, jemand könnte uns erwürgen, wenn wir schlafen, oder …” Luca schüttelte den Kopf. “Das wäre ihm viel zu langweilig.” Mia blinzelte nervös. “Aber er hält Liane gefangen. Und er wird es uns schwermachen, sie zu befreien. Wir kennen uns nicht einmal aus hier ...” “Jetzt sag bloß, du findest das nicht spannend? Kobolde, schlafende Monster, Zauberkräuter, magische Bücher … Mensch, wir sind die Helden in einem Märchen!” Mia musste unwillkürlich lächeln und sah hinauf zu den Sternen. “Hast du denn gar keine Angst?” “Nö! Wir haben doch sogar schon eine Chimera bezwungen.” “Eine schlafende Chimera”, widersprach Mia. “Daryan hätte sicher dafür sorgen können, dass sie aufwacht. Und dann wären wir Monsterfutter gewesen.” “Stimmt! Die Chance hat er nicht genutzt.” Luca grinste. “Wenn er so weitermacht, wird es ja beinahe zu einfach.” 72
“Oh, Luca!” Sie schüttelte den Kopf. “Ist gut, du hast ja recht.”, gab Luca zu. “Ich mache mir auch Sorgen um Liane. Ich will nicht, dass ihr was passiert, und wir holen sie da raus – ich verspreche es.” Er warf Mia einen Blick zu. “Und ich meine es sogar ernst.” “Das solltest du wirklich immer dazu sagen!” “Zicke!” “Lügenbaron!”, lachte Mia. “Los, gehen wir rein, Simon vor den Kobolden retten.” join mich
Während auf Thousandpins nach und anschließen nach die Lichter gelöscht wurden, kam give it a try es versuchen in Galastor’s Guesthouse das Nachtleben erst richtig in Gang. Luca nahm sich entschlossen das Ei vom Tisch und überließ Mia ihren Recherchen im Buch. “Goblin Prince”, murmelte sie vor sich hin. “Das lässt mir einfach keine Ruhe.” Simon ging zum Tresen hinüber, um Galastor nach dem Weg zum Schloss zu fragen. Luca trat indessen an die runde Korkscheibe und sah eine ganze Weile den Versuchen der Kobolde zu, ihre Moskitos wieder einzufangen. Der Geschickteste beließ seinen Einsatz bei jeder neuen Runde einfach im Topf, und so waren viele Kugeln zusammengekommen. “May I join you?”, fragte Luca freundlich. “Just bet and play!” “But I just want to give it a try.” 73
Ein Kobold grunzte missbilligend. “No bet, no game.” Gemurmel wurde laut. “Okay – ten silver balls”, gab Luca sich scheinbar geschlagen und ließ ein Seufzen hören. “Easy money”, zischelte der Rangzweite dem Ersten ins Ohr. “He can’t win. That’s no risk.” “One on one. You and me”, kommandierte der führende Kobold. “And you risk Risiko take my mosquito.” mosquito Moskito In dem schuhschachtelgroßen Käfig, auf den der grobschlächtige Kerl wies, surrte es bösartig. Das Insekt schien vom sportlichen Ehrgeiz seines Besitzers wenig begeistert zu sein. Dennoch zog der Kobold seine schwarz-weiße Lederkappe über seine behaarten Ohren, krempelte die Ärmel seiner Flickenjacke herunter und griff beherzt in den Moskitokäfig. Er bekam das Tier unter dem Bauch zu fassen, drückte die Flügel eng an den ärgerlich zuckenden Körper, warf und traf ohne Mühe die Korkscheibe. Der Moskito befreite sich blitzartig, vollführte eine rasante Kurve und griff an, doch der Kobold duckte sich weg und schwang geschickt sein Netz durch die Luft. Eines der Gewichte traf. Wütend zappelnd verhedderte sich das Tier in den Maschen. Hastig packte der Kobold das Insekt und schob es wieder in den Käfig. Kaum losgelassen, hackte das Tier mit wütendem Gesurre nach den Gitterstäben. Luca betrachtete den Moskito aus gebührendem Abstand. Die Kobolde kicherten und rieben sich die 74
Hände. Da zog Luca das Ei aus der Tasche, schlug es am Rand des Käfigs auf und ließ seinen Inhalt über das Insekt fließen. Das Surren verstummte. Ohne zu zögern ergriff Luca das besudelte Tier, warf es an die Korkwand und wartete gelassen, dass es sich befreite. Verzweifelt versuchte das Insekt, seine Flügel zu bewegen, Ei spritzte an die Wand und tropfte auf den Boden. Mühsam stieß sich der Moskito ab und schaffte es tatsächlich, den Stachel aus der Wand zu ziehen. Sofort fiel er schlapp zu Boden und kroch in einer klebrigen Pfütze unter der Scheibe umher. Die Kobolde ließen ein empörtes Raunen hören. Luca schlenderte hinüber, packte das Tier am Nacken, tätschelte es noch am Kopf und setzte es ohne Schwierigkeiten in den Käfig zurück. Tosender Applaus brandete auf. Wie immer in der Welt der Kobolde wurde ein guter Trick honoriert, und anstandslos bekam Luca die Schale mit den Kugeln ausgehändigt. Auch Lucas Gegner lachte und kippte sein Bier über seinem Insekt aus. Der Moskito schüttelte seine Flügel trocken, ließ sich dann aber auf den Rücken fallen, zappelte noch ein bisschen mit den Beinen und schlief ein. Luca ging fröhlich grinsend zum Tresen und bezahlte ihre Rechnung (fünfzehn Silberkugeln, weil das Ei zu klein, der Salat welk, der Braten zäh und der Tee bitter gewesen war). Er wandte sich zu seinen Gefährten um. Mias helle Turnschuhe und Jeans waren schmutzverkrustet, Simons nasser Pullover hing verfärbt und aus 75
der Form geraten von seinen Schultern. In diesem Aufzug konnten sie wirklich nicht weiterreisen. Gut gelaunt winkte er den anderen und sie traten neugierig durch die Tür in der Wand hinüber zu den Händlern. Luca fragte nach dem Schneider und wurde auf ein kleines Ladenlokal in der hintersten Ecke aufmerksam gemacht. Dort hingen an einem dünnen Baumstamm, der als Garderobenständer diente, einige Kleidungsstücke, die Luca sofort gefielen. Die Hose war aus dunkelgrauem Wildleder, darüber ein Hemd aus silbernem, dünnem Stoff. Gleich daneben ein dunkelblauer, langer Staubmantel. Die kugelrunde Koboldfrau hinter der perfect perfekt Theke, deren helles, borstiges Haar in shoemaker breiten Flechten von ihrem Kopf abSchuhmacher high hohe stand, bemerkte seinen Blick und rief: leather soles “These are perfect for you, my prince!” Ledersohlen Sie nahm die Montur vom Bügel und legte sie vor Luca hin, damit er sie näher betrachten konnte. “You really need some new clothes”, fügte sie listig hinzu, und ihre froschgrünen Augen funkelten vor Geschäftssinn. Schnell sah Luca an sich herunter. Leider hatte die Schneiderin recht. Er sah fürchterlich aus. Sogar die Sohlen seiner teuren Schuhe lösten sich. “My husband is a shoemaker”, sagte die Koboldfrau eifrig. “High boots with leather soles would look great with a coat like that.” “You’re right”, sagte Luca und nickte. “I know, because our king, the …” 76
“… Sun and Moon, glorious ruler of Goblodom …”, ergänzte Luca leiernd und erntete ein breites Koboldgrinsen dafür. “… wears boots like that.” Luca nickte abermals. “Give me fifty silver balls and I will dress your companions too.” “That’s a lot of money! Okay, but I want the boots for free”, forderte Luca und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Koboldfrau wackelte zustimmend mit den Ohren. “Come to our rooms later to ask my friends what they want to wear.” “As you wish, my prince!” Die Kodress einkleiden boldfrau verneigte sich. a lot viel for free kostenlos
Die Schlafkojen waren hinter der zweiten Türe verborgen und durch Ledervorhänge voneinander abgeteilt. Die Betten sahen traumhaft aus, weich und mit vielen Flickenkissen ausgepolstert. Kaum saß Luca auf der Kante seiner Matratze, da begann er auch schon zu gähnen. Neben einer Waschschüssel hingen weiche, helle Handtücher, die nach Flieder und Frische rochen, doch Luca musste sich fast zwingen, sich noch zu waschen. Er konnte es kaum erwarten, sich in die dicke Decke aus Daunen und Pelz zu kuscheln. Die Schneiderin war soeben gegangen. Sie hatte Simon etwas ins Ohr gewispert, zu dem er begeistert genickt hatte. Mia hatte sie versprochen, darauf zu achten, dass die neue Kleidung sie größer aussehen ließ. 77
Obendrein sollte alles bis zum nächsten Morgen fertig sein. “Wie soll das denn gehen?”, zweifelte Simon, der bereits am Vorhang stand, um in seine Koje hinüberzugehen. “Sie hat nicht einmal Maß genommen.” “Magie”, behauptete Luca und gähnte wieder. Mia hatte sich an der Theke noch einen flaschenförmigen, mit Wasser gefüllten Kürbis geholt und schaute nun um die Ecke. “Geht schlafen, wenn ihr könnt. Ich bekomme vor schlechtem Gewissen bestimmt kein Auge zu. Meine Eltern kommen wahrscheinlich um vor Angst.” Simon seufzte. “Ja, meine auch.” Er wartete, bis Mia gegangen war, und sagte dann leise zu Luca: “Hoffentlich kommen wir überhaupt weiter. Es gibt nur einen Weg an der anderen Seite des Plateaus hinunter nach Cheatcrossing, wenn ich Galastor richtig verstanden habe. Bis dahin ist es ziemlich weit und nach Thousandpins wohl auch. Schlecht zu finden ist es obendrein.” “O Mann – wir brauchen einen Führer! Jemanden, der sich hier auskennt. Und der uns am besten trägt! Auf dem Rücken und im Galopp!” “Dein Wort in Gottes Ohr!”, meinte Simon und renkte sich beinahe den Kiefer aus, als er gähnte. “Nacht, Luca.” “Übrigens”, rief Mia noch zu ihnen hinüber, “was man in der ersten Nacht in der Fremde träumt, geht in Erfüllung!” 78
Luca dachte kurz an seine Mutter. Sicher würde sehr bald schon nach ihnen gesucht. Aber es nützte jetzt nichts, darüber nachzudenken – sie mussten Liane finden. pre-washed
Liane sitzt auf einer weißen Bank zwivorgewaschen schen wandhohen Lorbeerhecken. Sie fits passt gets wird wartet auf ihn, es riecht nach Blüten und Frühling. Er will etwas sagen, es ist unermesslich wichtig, aber er kann kein Wort herausbringen. Der Himmel verfärbt sich violett und grau. Bedrohlich sieht der Park jetzt aus. Düster. Nur Lianes Gesicht strahlt. Sie beugt sich vor, küsst ihn auf die Wange und sagt: “Mein Prinz, du kannst alles, wenn du es willst. Alles wird gut …” Luca schrak hoch und setzte sich verwirrt auf. Die ersten Sonnenstrahlen krochen über das Plateau. Der dunkelblaue Nachthimmel war von Wolkenbändern durchzogen, die sich orange färbten und einen warmen, schönen Tag ankündigten. Ich bin in Goblodom, dachte Luca, in Galastors Herberge … Wir müssen aufbrechen und Liane retten! Er sah sich um. Auf dem Stuhl lagen tatsächlich seine neuen Sachen. Ein verschlungenes, silbernes Muster zierte den Rücken des Mantels, edle Stickereien glänzten an den Ärmelpassen des Hemdes. Hose und Stiefel waren aus dem gleichen weichen Leder. “Pre-washed with Magiclean – always fits, never gets dirty”, stand auf den Etiketten. Als sich Luca im Spiegel vor den Waschräumen betrachtete, war er 79
begeistert. Er sah aus wie eine Mischung aus den Helden aller Videospiele, die er und Simon je gezockt hatten. “Nettes Outfit!”, erklang Mias Stimme hinter ihm. “Guck mal! Ich hab mir von Balada die Haare machen lassen.” Die Koboldfrau hatte Mias schulterlange Locken in viele dünne Zöpfe geflochten und farbige Perlen hineingefädelt, die zu den aufgestickten Blüten ihrer neuen Bluse passten. Über der Bluse trug sie eine knielange, rehbraune Wildlederjacke. Ihre Beine steckten in einer schmalen Hose und weiten, weichen Stiefeln, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichten. Sie wirkte größer und älter. “Klasse!” Luca freute sich, dass Mia sich freute. Ein Vorhang wurde zurückgeschlagen. Simon war immer schon der Größte von ihnen gewesen, aber nun wirkte er so erwachsen, dass sogar Luca schlucken musste. Er trug eine lange, schwarze Lederjacke und darunter ein tiefrotes Hemd mit Stehkragen. In dessen Ausschnitt prangte ein neues Tuch mit roten und schwarzen Rauten. Simons Beine steckten in engen Hosen aus Leder. Auch er hatte sich Stiefel anmessen lassen, die bis zur Wade geschnürt waren. Mit langen Schritten kam er zu ihnen herüber und lächelte über seine federnden Sohlen. “Überirdisch“, sagte Mia und strahlte ihn an. Simon grinste ein bisschen verlegen. “Ahnt ihr, wie lange ich meine Eltern schon um eine Lederjacke anbettele?” “Seht ihr, so schlecht ist es hier gar nicht!”, rief Luca, schlug den Kragen des Mantels hoch und wies in 80
Richtung Ausgang. “Was auch passiert – auf jeden Fall sehen wir gut aus.” Das Frühstück war im Preis inbegriffen, doch sie nahmen sich cab Taxi kaum Zeit dafür. Mia ließ den dragon-cab Rest Brot, Käse und kaltes Fleisch Drachentaxi wanted gewünscht für unterwegs einpacken, wähtake bringen rend Simon noch einmal ihre anywhere überall hin Ausrüstung überprüfte. Ein letzroads Straßen ter Blick in den Travel Guide, der trap Falle aber nichts Neues bereithielt, und es konnte losgehen. Doch gerade als sie aufbrechen wollten, blockierte ein ausnehmend hübscher, gut gekleideter Kobold die Pforte zum Gastraum. Seine schmale Brust hob sich schnell in seinem edlen Lederwams – anscheinend war er schnellstmöglich herbeigeeilt – und er rief keuchend: “Does anybody here need a cab? Dragon-cab wanted?” Sogar die Stimme des jungen Mannes war angenehmer als die der anderen Kobolde. “A dragon-cab? What’s that?”, fragte Mia den Kobold argwöhnisch, der sich daraufhin so tief verneigte, dass seine Flatterohren beinahe den Boden berührten. “My dragons can take you anywhere in Goblodom. They know all the roads.” Misstrauisch musterte Simon den Kobold, der sofort versuchte, eine arglose Miene zu zeigen. “I bet this is a trap.” 81
“No, no, sir. Dragons are the most honest creatures in Goblodom. A ride with them is comfortable and safe. You don’t have to pay them until you reach your destination. Just forty silver balls.” Er verbeugte und verneigte sich während seiner Rede sicher zehnmal. “Das kommt wie gerufen”, fand Luca. “Can the dragons find the way to the Goblin King’s castle at Cheatcrossing?” “Without a doubt, sir!” “Zu reiten statt zu laufen wäre nicht schlecht, aber … das ist irgendwie wieder so komisch zufällig”, gab Simon zu bedenken. Luca machte eine wegwerfende Handbewegung. most honest “Haben wir denn noch so viel Geld?”, ehrlichsten fragte Mia. ride Ritt comfortable “Einen Moment!” Luca ging zurück in bequem die Herberge, stellte sich an den Tisch, destination Reiseziel wo wieder das Käferrennen im Gang doubt Zweifel war, warf seine letzte Silberkugel in die Wettschale und sagte: “To the door.” Dann tippte er dem Käfer auf die großen Flügel. Das Tier flog panisch los, statt zu krabbeln, überholte die Konkurrenz und flog zur Tür hinaus. Luca hielt fordernd die Hand auf. Anscheinend hatte noch keiner der Kobolde daran gedacht, dass Käfer fliegen konnten, und man gab ihm halb lobend, halb murrend den Inhalt der Schale. Stolz kehrte Luca zu seinen Freunden zurück. “Ja! Haben wir!”, sagte er. Der Kobold nickte zufrieden. 82
“Where are the dragons? I want to have a look before I entrust our safety to them.” “They are waiting outside, my prince. Follow me!” Luca begleitete den Kobold nach draußen. Sein Mantel folgte seiner Bewegung wie … “… ein Schatten”, sagte Mia tonhave a look los. “Er sieht aus wie …” anschauen “Wie wer?”, fragte Simon und before bevor entrust anvertraue schulterte seinen Rucksack. safety Sicherheit “Daryan”, flüsterte Mia ängstlich. has been chosen auserwählt worden “Simon – ich muss dir was zeigen. ist Ich habe es zuerst nicht glauben become werden wollen, aber ....” became wurde “Luca”, rief Simon seinem Freund schnell hinterher. “Wir kommen gleich nach. Mia, äh … hat was vergessen.” Mia zog rasch den Reiseführer aus ihrem Rucksack, legte ihn auf einen freien Tisch und murmelte: “Warum nennen alle Kobolde Luca den Koboldprinzen?” Sie schlug das Buch auf und wie immer erschienen schnell die ersten Worte: “Goblin Prince is an honorary title for the one who has been chosen to become the new Goblin King.” Simon schnappte nach Luft. “Der neue Koboldkönig? Wozu? Ich meine, warum braucht Goblodom denn einen neuen König?” “Because of the first Goblin King. His Pure One was his own daughter. She wanted him to leave Goblodom. He didn’t want to, and became very angry. ‘If you don’t like 83
my decisions’, he shouted, ‘I want you to leave me alone.’ And from that moment she began to disappear little by little, every time the king did something she disagreed with or couldn’t understand. The only way he could save her life was to leave Goblodom and hand over the kingdom to a new Goblin King. There can be no Goblin King without a Pure One. There is no wrong without a right, no darkness without light. But it is said that one day a prince will come who is able to break this chain.” decisions “Was passiert mit dem KoboldEntscheidungen könig, wenn the Pure One ganz to leave me alone dass du mich in verschwunden ist?” Mia klang beRuhe lässt sorgt. began fing an little by little “There can be no Goblin King withnach und nach out the Pure One”, beharrte das time Mal Buch. she disagreed with mit dem sie nicht “Was soll das heißen?”, schrie einverstanden war Simon, doch keine neue Inschrift couldn’t konnte nicht erschien. life Leben “Ob er sich dann auflöst oder so hand over was?” übergeben wrong Unrecht Simon sah Mia entsetzt an. “Keine darkness Ahnung.” Seine Stimme klang Dunkelheit light Licht kratzig. “Das ist auch egal. Kein one day Wort zu Luca. Der knallt durch, eines Tages wenn er das erfährt.” is able kann break brechen “Du hast recht”, sagte Mia bechain Kette drückt. “Gehen wir.” 84
Die Drachen waren von unterschiedlicher Farbe und liefen fast aufrecht auf riesigen, muskulösen Hinterbeinen. Vom Körperbau her erinnerten sie an große Laufvögel, nur dass sie keine Schnäbel, sondern eher pferdeähnliche, breite Köpfe hatten. Ihre Augen blickten seltsam weise, so als hätten sie schon alles auf dieser Welt gesehen und sich damit abgefunden. Sie standen still da und sahen sich kaum zu den Kindern um, die auf sie zuhielten. Simon entschied sich sofort für das größte, ein schwarzes Tier, dessen Rücken breit genug war, um außer ihm auch noch das Gepäck zu tragen. Mia gefiel das zartere, dunkelgrüne Weibchen. Es hatte fast so hübsche Augen wie sie selbst. Luca lief zielstrebig auf den blauen Drachen zu, dessen Silberaugen ihn ansahen, als ob das Tier ihn schon kannte, und der eine rautenförmige, hellgraue Zeichnung zwischen seinen großen Nüstern hatte. Er wirkte ruhig und stolz, doch in dem Augenblick, als Luca ihn am Hals tätschelte, scharrte der Drache unternehmungslustig mit seinen großen Hinterklauen, so als freue er sich genau wie sein Reiter auf ein neues Abenteuer. Sie ließen sich in die Sattel helfen und schauten hinab auf die Koboldwelt. Kaum saß man oben, merkte man, dass die Drachen wundersame Wärme abstrahlten, sobald man sie berührte. Die Sattel waren so konstruiert, dass man das Tier mit Beinen und Armen umklammert hielt und dabei im Rücken gestützt wurde, und sie waren bequem gepolstert. Wieder stieg dieses Triumphgefühl in Luca auf – waren das nicht 85
seine Worte gewesen gestern vor dem Schlafengehen? Ich will einen Führer, der mich trägt, und das am besten im Galopp! Er legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er hatte, seit er hier war, eigentlich immer recht schnell bekommen, was er wollte. Nahrung, Kleidung, Respekt, Geld … War das nicht irgendwie zu einfach? Sicher würde Daryan es ihnen nicht leicht machen … “Nach Thousandpins”, sagte er so verhalten und freundlich zu den Drachen, dass Mia ihn fragend ansah. “Auf dem sichersten Weg. Und so schnell es geht.” Eine ganze Weile schon besah Liane das Kleid. Sie stand in einer Ankleidekammer, die von allen Gästezimmern aus zugänglich war. Alle Kleider darin passten sich Figur und Geschlecht desjenigen an, der die Türen der Kammer öffnete; sie war voller Kleider, Hosen, Mäntel, Hutschachteln und Schatullen. Es gab Kleidung für jeden erdenklichen Anlass, jedes Wetter und jeden Geschmack. Ganz von allein präsentierte sich alles Zubehör, von der Haarspange bis zum Schuhwerk, sobald man einer bestimmten Gewandung zunickte. Doch Liane hatte bei allem, was sich ihr zeigte, den Kopf geschüttelt. Sie suchte nach etwas ganz Bestimmtem. Ganz hinten, in einer Nische, hatte das Seidenkleid auf einem schwarzen Bügel gehangen und es nicht gewagt, sich Liane zu zeigen. Dabei war es so prächtig und aufwändig gearbeitet wie jedes andere. Nur schien es all seinen Schmuck einfach zu verschlucken, denn 86
alles an diesem Gewand war schwarz, einfach nur schwarz: jeder Knopf, jede Perle, jede Passe, jedes Band. Dennoch nickte Liane ihm zu. Traurig beobachtete sie in einem hohen Spiegel, wie schwarze Blüten und Perlen mit ihrem Haar zu kunstvollen Flechten aufgesteckt wurden. Ihr schlichter Silberring verwandelte sich in ein auffälliges Stück aus Onyx und eine schimmernde Kette aus schwarzen Perlen legte sich um ihren Hals. Das Ergebnis überraschte sie: Sie sah gut aus. Ihr rotes Haar leuchtete, ihre hellen Augen strahlten und ihre weiße Haut wirkte unwirklich blass. “Beautiful. But in that dress you look so sad”, wehte plötzlich Highlys Stimme durch den Raum. “He must see the difference. ” “Yes. Or if he doesn’t, he has never difference really looked at me.” Unterschied Die durchscheinende Gestalt kam has looked at hat angeschaut näher und legte Liane eine weiche, feuchte Hand an die Wange. “You can do it. Don’t worry.” Liane wandte sich zur Tür, atmete tief durch, um sich Mut zu machen, und schritt dann auf die große Freitreppe zu, die bogenförmig zur Eingangshalle führte. “Milady”, begrüßte sie Daryan, der lässig an eine Säule gelehnt auf sie gewartet hatte. “Let’s go.” Dann sah er sie genauer an. “Silken Garden is a wonderful place. Why are you wearing such a sad colour?” Doch Liane senkte nur traurig den Kopf und folgte dem König mit gehobenen Röcken die Treppen hi87
nunter bis zu dem augenförmigen Brunnen. Zielstrebig ging Daryan zu dem Bild des Parks an der Wand, das Liane am Tag zuvor bewundert hatte, hielt darauf zu, schritt einfach hindurch und winkte sie heran. Highly hielt ihr die Hand hin. “Come on!” Die Drachen liefen schnurstracks den Berg hinunter auf einem offensichtlich viel benutzten, ausgetretenen Pfad. Es war tatsächlich ein verschlungener, nicht leicht zu findender Weg durch Felder und kleine Ansiedlungen, der mal links, mal rechts in Bögen um Wälder und über viele Flüsse und Brücken führte. Die Drachen aber wirkten vollkommen sicher und so blieb ihnen nichts übrig, als ihnen zu vertrauen. Nach einiger Zeit stießen sie hinter einer engen Kurve auf eine breite Wegkreuzung. Acht Pfade trafen dort sternförmig aufeinander. An jeder Abzweigung stand ein Schild und auf jedem Schild stand Thousandpins. Die Drachen blieben mitten auf der Kreuzung stehen. Come on! “Cheatcrossing is very tricky. All Komm schon! paths lead in the direction you’re lead führen direction Richtung going”, las Mia verblüfft aus dem Reiseführer vor. “Erinnert mich an die letzte Lateinstunde”, meinte Simon. “Ihr wisst doch: Alle Wege führen nach Rom – irgendwie.” “Na toll!”, sagte Luca. “Und welcher ist der schnellste?” Eine Weile sahen sich die Kinder hilflos an. Mia 88
drehte an den Perlen in ihren Haaren, Luca rieb sich die Unterlippe. Simon verfiel in tiefes Brüten. “Excuse me”, sagte schließlich Simons Drache. Sie fuhren zusammen. “You’re in a hurry, aren’t you?” “You can talk?”, fragte Mia atemlos. “At your service, milady”, gab das Drachenweibchen zurück. Ihre Stimme war sirrend und singend, sie klang ein wenig wie die leise angestrichene tiefste Saite einer Violine. “My prince …” Lucas Drache wandare in a hurry habt te seinen schönen Kopf mit einer es eilig eleganten Bewegung zu ihm um. at your service zu Diensten Auch seine Stimme hallte auf analso auch genehme Weise nach, so als schlüge correct richtig logical logisch man eine der tiefsten Tasten eines I’m afraid ich Konzertflügels an. Wie alle Drachen fürchte – das trug Luca später als Randbemerkung zu Drachentaxis in den Reiseführer ein – drückte er sich ausgesprochen gewählt aus. “The fastest and safest way is also the most dangerous.” “Which is it?”, fragte Luca. In eben diesem Moment sah Mia ins Buch und rief: “Through Silken Garden!” Sie räusperte sich, als die Jungen sie verblüfft ansahen. “Steht hier”, sagte sie verlegen. “That is correct”, ließ sich Lucas Drache vernehmen. “And it’s dangerous and safe at the same time?”, fragte Simon verwundert. “That isn’t logical.” “Well”, antwortete Simons Drache, “I’m afraid that nothing is logical in Goblodom. Silken Garden is the 89
most secure place in the goblin world. And it is a short cut to Goblocart and Thousandpins. But some say that the garden wants its visitors to stay forever.” “Klingt wie Aberglaube, oder?”, wandte sich Luca abfällig an die anderen. Mia und Simon blickten ihn ratlos an. Simon hob eine Braue und fragte: “Is most secure it possible to get through? ” sicherste “Without a doubt!”, sagte Simons visitors Besucher possible möglich Drache entschlossen. “We can take to get through you to the entrance, and then we durchzukommen return zurückwill return to our home.” kehren “But every path from here leads to observation Thousandpins”, warf Simon ein. Bemerkung sense spüre Er traute der ganzen Sache immer pass through noch nicht. durchquert “No, no”, sagte Mias Drache amüsiert. “When we return here all the paths will take us home to the meadows of our master.” Simons Drache fügte hinzu: “I hope I may make an observation?” Luca machte eine zustimmende Geste. “I sense that Daryan, our Sun and Moon, glorious ruler of Goblodom, wants you to pass through Silken Garden.” “So all paths lead there?”, fragte Luca. Sein Drache nickte. Simon lachte bitter und Mia fasste sich an den Kopf: “Everything bows to his will! Das hätten wir uns ja denken können.” 90
“Das wollen wir doch mal sehen”, knurrte Luca. “All right. Let’s go”, rief er den Drachen zu. Der seidene Garten. Lianes Herz zog sich zusammen, als sie den Park betrat – vielleicht wegen der Zielstrebigkeit, mit der Daryan durch das Bild gegangen war. Dieses Glitzern in den Augen des Koboldkönigs, der Spaß, den er an seinen Plänen hatte, selbst seine Körperhaltung und Bewegung – woran erinnerte sie das nur? In dem Moment, als Highly hinter ihr durch eine schlossförmige Buchsbaumhecke glitt und Daryan ihr wie selbstverständlich die Hand reichte, weil sie zu stolpern drohte, wusste sie es: Luca. “He cares for you very much”, hatte Highly gesagt. “He must beat Daryan in wanting.” In Lianes Kopf schwirrten wirre Gedanken durcheinander, und sie versuchte verzweifelt, sie zusammenzuhalten. “Der kann mir nicht das Wasser reichen”, hatte Luca gesagt. “Seinetwegen bist du hier”, hallten Daryans Worte in ihr nach. Wollte der Koboldkönig ihm etwas antun? Wegen einer Beleidigung, so wie Mrs Twiggins es gesagt hatte? Und sie war der Köder, um ihn herzulocken? Lianes Kehle wurde trocken vor Angst. Als Daryan ihr eine weiße Bank zeigte, die zwischen hohen Lorbeerhecken stand, und sie aufforderte: “Sit down”, hätte sie am liebsten hemmungslos geweint. Dabei hätte kein Ort der Welt besser zu Liane passen können als dieser. Alles hier war sanft und fürsorglich, hell und tröstlich. Jede Blüte neigte Stiel und Kelch in ihre Richtung. Ein weißer 91
Leopard schlich auf sie zu, schmiegte sich an die Beine des Mädchens wie eine Hauskatze und rollte sich zu ihren Füßen zusammen, um zu schlafen. Bald setzte sich ein Vogel auf den Ast eines jungen Fliederbaums und sang ein heiteres, lebensfrohes Lied. Nur für sie. Alles wollte sich um sie kümmern, sie zum Lächeln bringen und glücklich machen. Aber Liane konnte nichts anders tun, als traurig zu warten. Da war eine Hecke aus Taxus mit einem kleinen, zierlichen Tor darin, ein gewebter, schneeweißer Seidenteppich lag mitten auf dem Weg. Luca blinzelte. Das strahlende Weiß blendete im Sonnenlicht. Unmittelbar vor dem Teppich blieben die Drachen stehen. “Well, from here you must go alone. Our fee, please?” Simons Drache wandte sich zu Luca um und fügte freundlich hinzu: “And, sir: nobody in Goblodom plays tricks on a dragon.” “I wouldn’t dream of it”, versicherte Luca, und es war die Wahrheit. Er stieg vom Rücken seines Drachen, zählte schnell die vierzig Silberkugeln ab und steckte sie in den Beutel, den das Tier zu diesem Zweck um den Hals trug. “Thank you”, sagte er freundlich. “You’re welcome”, erwiderte der Drache und neigte den Kopf. Sie sahen einander noch einmal in die Augen und diesmal fühlte sich Luca weniger durchschaut als
alone allein fee Lohn plays tricks on spielt einen Streich You’re welcome. Gern geschehen.
92
verstanden. Er half Simon, das Gepäck von seinem Drachen zu laden, und sah zu, wie Mia ihr Reittier zum Abschied zwischen den Nüstern streichelte. Simon tätschelte seines dankbar am Hals. Luca musste schlucken, als er den Tieren nachsah, die sich wie auf ein Kommando gleichzeitig umgewandt hatten und sich nun rasch von ihnen entfernten. Er stellte sich neben Mia und Simon, die wie er unsicher das weiße Portal betrachten. Selbst Luca wurde es mulmig. Vielleicht, weil dieses Tor viel zu normal aussah, um in Goblodom zu sein, so unschuldig weiß und hübsch verziert. “Es nützt nichts”, meinte Simon schließlich. “Gehen wir einfach hinein.” Doch Mia hielt das Buch in der Hand und sagte mahnend: “Hier steht: ‘Silken Garden knows you and wants to please you. It is a mirror for your true feelings and desires.’” “Ich habe nur ein Bedürfnis”, sagte please gefallen Luca finster, “ich will Liane finden! feelings Gefühle Kommt!” desires Wünsche pleased zufrieden Er drückte die goldene Klinke des exactly genau Tores herunter und schon schwangen die Flügel weit auf. Vorsichtig betraten die Kinder den Garten. “He’s angry”, sagte Highly bedauernd. Bottoms, das Kugelwesen, stand mit betroffener Miene neben ihr, und sie blickten in das blaue Wasser des Brunnens. “Yes!”, gab Daryan zufrieden zurück. “I’m very pleased. Everything is going exactly as I want.” 93
“As always, my Sun and Moon, glorious ruler of Goblodom”, antwortete Bottoms müde und ergeben. Highly betrachte traurig ihre Hände, schwebte ans Fenster und blickte nach Süden. Schon stand Daryan hinter ihr. “You’re so sad. I can’t stand it.” “I can’t be happy at the expense of others, Daryan”, erklärte sie. Der König lächelte bitter. Die Farbe stand ausstehen seines Haars wechselte von Silberat the expense of blau zu Gold, seine Kleidung wirkauf Kosten von quickest schnellste te plötzlich einfach und schmuckpowers Kräfte los. Er wandte sich Highly zu, legte feel spüren power Macht ihr seine Arme um den Hals und sagte leise in ihr Ohr: “There is no other way. We are in a hurry. He is the prince, and Silken Garden is the quickest way to find out about his powers.” Er zog sie hinüber zum Brunnen und zeigte auf Lucas Gesicht, das deutlich im Wasser zu sehen war. Dann wischte er mit einer Hand über die Oberfläche und Liane erschien. Ihr trauriger Gesichtsausdruck ähnelte dem von Highly. “And he must feel her power too.” “Das ist …”, raunte Simon. “… wahnsinnig schön!”, brachte Mia den Satz zu Ende und vor Staunen den Mund kaum noch zu. Ein sandfarbenes Reh spazierte wie ein Hund an der Seite eines Pärchens vorbei. Die Dame und der Herr waren bestens gelaunt und grüßten freundlich. Sie hatten ein geflochtenes, weißes Körbchen dabei und eine große, 94
helle Decke. Gleich am Wegrand ließen sie sich nieder. Zwei Bäume neigten ihre Kronen, sodass ihr Schatten auf den Picknickplatz fiel. In der Luft über der Wiese schwebten kleine, glitzernde Insekten und schimmernde Pollen. “Nur gut, dass ich keinen Heuschnupfen habe”, stellte Simon nüchtern fest. Je weiter sie sich in den Park hineinwagten, umso mehr Paare sahen sie, die lächelnd grüßten und zu ihnen hinüberwinkten. Kleine Vögel mit Perlmuttgefieder hüpften über die Beete, ein weißer Wolf kreuzte schwanzwedelnd ihren Weg, cremefarbene Pfauen stolzierten vorbei und schlugen Räder. Während Luca und Mia einfach weiterliefen und kaum fassen konnten, wie schön dieser Ort war, blieb Simon irgendwann stehen. “Fällt euch was auf?” Luca brauchte einen Augenblick, um zu merken, dass Simon ihn angesprochen hatte. Sein Blick hatte sich auf ein weißes, niedliches Kaninchen geheftet, das immer wieder vor seine Füße sprang und dann hinter eine Lorbeerhecke, als wolle es ihn auffordern, Fangen zu spielen. So ein Quatsch, sagte sein Verstand, doch nur mit Mühe konnte er seinen Blick abwenden. “Hier sind keine Kobolde … ”, sagte Simon, unterbrach sich mitten im Satz, und plötzlich entspannte sich sein Gesicht. Er sah aus, als wäre direkt vor ihm die Sonne aufgegangen. In Mias Augen. “Mann, bist du hübsch!” Simon trat einen Schritt zurück. “Warum habe ich dir das eigentlich noch nie gesagt? Wie blöd! Als ob du das nicht gerne hören würdest.” 95
“Simon?” Luca traute seinen Ohren nicht, doch schon wandte sich sein Freund strahlend zu ihm um. “Luca – ist das nicht ein irres Abenteuer? Echt, das ist das Coolste, was wir je angestellt haben! Eigentlich müsste ich stinkwütend auf dich sein. Aber dafür habe ich dich einfach zu gern.” Luca wollte Simon eigentlich fragen, ob er den Verstand verloren habe, doch stattdessen sprudelte es aus ihm hervor: “Entschuldige, dass ich dich da mit reingezogen habe, ehrlich. Ich bin aber richtig froh, dass du mal sagst, was du denkst! Weißt du, wie oft ich mich frage, was dir durch den Kopf geht?” Mia fiel Luca ins Wort. “Also, ich bewundere, dass du dich immer so im Griff hast”, sagte sie ernst zu Simon. “Auch wenn ich gehofft habe, dass du mir mal was Nettes sagst – ich habe dich nämlich sehr gern. Ich hätte ja auch was sagen können, aber ich wollte nichts falsch machen … Ich mache eben lieber alles richtig.” Sie schien einen Augenblick nachzudenken und setzte überrascht hinzu: “Dabei wäre das ja richtig gewesen! Weil du mich auch magst, oder?” “Ja, sogar sehr”, sagte Simon sanft. “Aber meine verstockte Art nervt dich doch bestimmt?” “Nein, gar nicht. Das ist völlig in Ordnung! Eher nerve ich dich wohl mit meiner Schwarzseherei.” “Du bist doch nur vorsichtig.” Luca sah zwischen den beiden hin und her, als wäre er bei einem Tennismatch. Simon – Mia, Simon – Mia. Ihm wurde ganz wirr im Kopf davon. Hey, merkt ihr 96
noch was? Hier stimmt doch was nicht, wollte er rufen, aber es ging nicht. Das Vogelgezwitscher wurde lauter, Mias und Simons Worte gingen darin unter. Luca konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das Kaninchen wartete noch immer auf ihn, es saß vor einer der Lorbeerhecken. Hatte er nicht davon geträumt? Liane und er in einem Park? Liane … Bereitwillig folgte er dem Kaninchen. Wieso eigentlich? Ein letztes Warnen seines Verstandes: ein weißes Kaninchen? Wie bei Alice im Wunderland? Aber hinter der Hecke war sie. Sie saß auf einer weißen, hübschen Bank, hörte dem Gesang eines kleinen Vogels zu und sah sich das Wasserspiel des Brunnens an. Alle Blumen hatten sich ihr zugeneigt. Zu ihren Füßen lag ein weißer, schlafender Leopard. Luca war so froh, sie zu sehen! Mühsam presste er die Lippen zusammen und kämpfte gegen dieses verrückte Bedürfnis an, einfach die Wahrheit zu sagen. “Es tut mir leid, Liane, es ist alles meine Schuld!”, hätte er beinahe gerufen … aber damit würde er sich ja völlig lächerlich machen. Nichts da, er brauchte etwas Logisches, Unverfängliches, eine schnelle Erklärung, doch alle Worte, die ihm einfielen, waren nur Puzzleteile, sinnlose Silben und Buchstaben. Er fasste sich an den Kopf, biss die Zähne zusammen und presste hervor: “Ich kann nicht mehr … lügen?” “Luca?” Liane stand langsam auf. Sie lächelte. “Endlich! Da bist du ja!”, rief sie. Er trat auf sie zu, aber er spürte nicht die Entschlossenheit, die sein Gang gehabt hatte, 97
seit er diese Stiefel und den Mantel trug. Er stolperte atemlos zu ihr und nahm sie einfach in den Arm. “Ich wollte das nicht! Es tut mir so leid. Bist du mir böse?” Liane schüttelte den Kopf; er spürte ihre Wange an seiner. “Hattest du große Angst? Hat er dir was getan? Es ist alles meine Schuld!” “Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen”, tröstete sie ihn. “Ich bin nur froh, dass du endlich da bist!” Sie drückte sich an ihn, und es fühlte sich an, als fiele Luca in seinen schönsten Traum. Er atmete auf. Liane sah ihn lächelnd an. Sie warf ihm nie etwas vor. “Danke!”, flüsterte er. “Es ist gut, dass ich … nicht lügen muss, damit du mich magst.” “Nein, das musst du wirklich nicht. Gehen wir?”, fragte sie. “Ja.” Sie wandten sich um und nahmen den weißen Weg, der an der Hecke vorbei zurück in den Park führte. Der weiße Leopard erhob sich und folgte ihnen. Liane erzählte von allem, was sich seit ihrer Entführung ereignet hatte, und Luca hörte zu. Wie sehr er ihre Stimme mochte, ihre lebhafte, ehrliche Art zu berichten. Er musste unwillkürlich lächeln, wenn er sie von der Seite her anblickte, und wenn sie ihn auch anschaute, wurde ihm warm. Plötzlich musste er blinzeln. Irgendetwas zuckte störend durch seine Gedanken. Was war es nur? Die Perlen, die 98
fein gestickten Blüten auf den Ärmeln ihres Kleides, die man kaum sah, weil das Kleid … Luca schüttelte ungläubig den Kopf. Vor einer großen, schlossförmigen Skulptur aus Buchsbaum blieben sie stehen. “Das ist aber schön.” “Das stellt Thousandpins dar”, erklärte Liane. “Dort bin ich angekommen. Es gibt ein Kellergewölbe in dem Schloss, da hängen lauter Bilder von allen Orten Goblodoms. Sie sind anscheinend wie Tore. Ich musste durch ein Bild von Silken Garden gehen und nach nur einem Schritt war ich hier. So kann der Koboldkönig innerhalb weniger Augenblicke überall sein.” Luca hob anerkennend die Brauen. Die Vorstellung gefiel ihm. “Vielleicht kann man durch Bilder oder Skulpturen des Schlosses auch wieder zurück?”, fragte sich Liane und streckte die Hand aus, doch der große Buchsbaum fühlte sich hart und undurchdringlich an. “Nein, das ist kein Ausgang”, sagte sie bedauernd. “Macht doch nichts. Es ist herrlich hier”, gab Luca zurück und betrachtete einen kleinen Teich, der in der Sonne glitzerte und auf dem weiße Schwäne im Kreis umeinanderschwammen. Dieser Garten war so schön; es gab hier alles, was man brauchte. Sogar Liane war da. Es war Luca ganz gleich, ob sie mit ihm unter der Birke oder hier unter diesem Fliederbaum stand, der dunkle Schatten auf ihr Gesicht warf, ebenso dunkel wie ihr Kleid … Luca schüttelte sich wie ein Hund. Dunkel? Liane nestelte an ihrer schwarzen Perlenkette. 99
“Schwarz!”, rief Luca und wich einen Schritt zurück. “Das ist es! Dein Kleid ist schwarz! Warum trägst du so etwas Trauriges?” “Weil ich nicht hier sein will”, entgegnete sie. “Nicht bei mir?”, fragte Luca. “Doch!”, widersprach Liane. “Ich will bei dir sein. Ich verspreche es sogar! Aber wir müssen hier unbedingt weg. Wir müssen nach Thousandpins, damit du Daryan besiegen kannst. Bitte, tu was, Luca!” Luca schluckte. Bilder schossen durch seinen Kopf: der Klassenraum, Mrs Twiggins, der Koboldkönig, der graue Nebel, der aus dem Pflaster gestiegen war, Liane in den Händen der Kobolde – und Daryan! Es war, als bliese ihm ein eiskalter Wind durchs Hirn. “Das hier ist … eine Falle?”, brachte er mühsam hervor. Es war die Wahrheit, sonst hätte er sie nicht aussprechen können! “Eine Falle!” Liane nickte. Ernst sah Luca sie an und nahm ihre Hand. Es war ein seltsamer Moment. Sie standen sich gegenüber, sahen sich in die Augen und umarmten sich noch einmal. “Ich finde einen Ausgang”, flüsterte er ihr zu. “Ich bringe dich nach Hause. Ich verspreche es. Wenn du hier heraus willst, will ich es auch.” Und staunend sah Luca über Lianes Schulter zu, wie der seidene Garten um ihn her einfach verschwand. “Yes!”, jubelte der König auf Thousandpins. “He did it!” “Just as we did!”, flüsterte Highly. 100
Three to Go
L
uca stand allein und völlig verwirrt auf einem grauen, gepflasterten Weg, der schnurgerade zum Horizont führte. Er wandte sich um. Hinter ihm tauchten Mia und Simon auf. “Uh – das war seltsam!” “Wow … o Mann”, meinte Simon, “ich fühle mich, als hätte jemand mein Hirn durchgeschleudert.” Er sah sich zu Mia um. “Dir ist nichts passiert?” “Nein, alles in Ordnung. Mit dir auch?”, fragte Mia. Simon nickte. Sie zog den Travel Guide aus dem Rucksack und fuhr sich mit der anderen Hand über die Stirn, als helfe das, den Kopf wieder klar zu kriegen. “Was war das für ein Ort?”, fragte sie das Buch und sah gespannt hinein. “Und was hatten die Leute dort zu suchen?” Die Jungen stellten sich neben sie. “Silken Garden is a very important three to go place that proves the strength of a noch drei human’s will. The poor people who canimportant wichtiger not solve the riddle of the garden are proves beweist stuck there forever”, lasen sie. Mia strength Stärke solve lösen klappte das Buch zu. “Anscheinend riddle Rätsel haben wir das Rätsel gelöst und sind are stuck davongekommen, oder?” sitzen fest Simon sah ratlos aus. “Verstehst du das?”, fragte er Luca. “Also – ich wollte einfach nur raus. Das heißt, eigentlich wollte Liane raus.” 101
“Liane war da drin?”, fragte Simon verwundert. “Und wo ist sie jetzt?” “Ich nehme an, Daryan hat sie wieder ins Schloss gebracht”, knurrte Luca. “Wo ist Thousandpins denn nun?”, fragte Mia. “Die Drachen haben doch gesagt, der seidene Garten wäre eine Abkürzung.” Wieder blätterte sie im Reiseführer und las schließto search for it lich vor: “To find Thousandpins, you danach zu suchen must forget to search for it.” “Jetzt stehen wir wieder in der Botanik und haben keinen Schimmer, wie es weitergeht!”, fuhr Simon hoch. Er wandte sich mit todernstem Gesicht an Luca. “Kann Daryan nicht einfach herkommen, dir eine runterhauen, und dann können wir gehen?” “Bloß nicht!” Mia lachte. “Das wäre doch todlangweilig!” Verblüfft stellte Luca fest, dass sein Freund mehr als drei Sätze am Stück sprach und Mia richtig gut gelaunt zu sein schien. Und er selbst … vermisste Liane nur noch mehr als vorher. Das Schuldgefühl war fort, aber dass sie nicht in der Nähe war, passte ihm ganz und gar nicht. Es tat richtig weh. Irgendetwas hatte dieser Garten mit ihnen gemacht. Luca war alles andere als sicher, ob ihm das gefiel. Liane stand an der Brüstung der Terrasse und sah auf die Koboldstadt hinab. Sie weinte nicht, aber alles Helle schien aus ihrem Gesicht geflohen zu sein. 102
“No! You can’t do that! I promised to stay with him!”, hatte sie gefleht, als Daryan sie durch die schlossförmige Buchsbaumhecke aus dem seidenen Garten gezerrt hatte. “Daryan, please”, sagte Highly leise. Sie saß mit dem Koboldkönig über einem Brett mit blauen und weißen Spielsteinen. “Remember how it felt, this special connection, in the beginning, when we first met, at your aunt’s house. After Silken Garden, the feeling was even stronger. She can’t leave him to find his way alone!” “He isn’t alone, my dear.” “Don’t torment her! Please!” remember Der Koboldkönig hob ruckartig den denk an Kopf. “You’re tormenting me!”, rief er felt sich anfühlte connection zornig. “All I have to do is say one word Verbindung and these children will go round in in the beginning am Anfang circles for years!” Er schlug auf den first Tisch. Die Spielsteine wurden in die um ersten Mal Luft geschleudert und prasselten auf even noch don’t torment den weißen Marmorboden. “I want quäle nicht them to …” “Don’t!”, sagte Highly. Ihre Stimme klang voll und ruhig, aber sie war plötzlich kaum noch zu sehen. Daryan fasste erschrocken nach ihren Händen. Vergebens. “Don’t leave! I’m sorry, Highly”, sagte er hastig. Sein Herz schlug bis zum Hals. “Please, trust me.” “I do”, versicherte die Stimme sanft. Sie schien aus weiter Ferne zu kommen. “I do trust you.”
103
Mia, Luca und Simon waren einfach weiter geradeaus gelaufen und zerbrachen sich den Kopf, wie sie nach Thousandpins gelangen konnten. Wie sollte man etwas finden, wenn man es nicht finden wollte? “Mmh”, knurrte Simon schließlich, “irgendwie so ähnlich, als wenn man es zufällig entdeckt. Weil man nach etwas ganz anderem sucht.” Sie liefen an einem großen Feld entlang, auf dem die gebogenen, bunten Kürbisse wuchsen, die von den Kobolden ausgehöhlt und als Flaschen benutzt wurden. “Da”, rief Mia plötzlich und wies nach vorn. “Eine Kreuzung. Und ein Wegweiser.” Doch als sie der Gabelung des Weges näher kamen, sahen sie, dass es ein dürrer, schmaler Vogel war, der, ähnlich wie ein Storch, auf einem Bein still am Wegesrand stand und ein Hinweisschild im Schnabel hielt. “Goblocart. Three to go”, stand darauf. Es zeigte nach links. Kaum hatten die Kinder die schnörkeligen Buchstaben entziffert, flog der Vogel erschreckt davon und das Schild fiel aus seinem Schnabel. Simon wollte es aufheben, doch es ließ sich nicht mehr von der Erde ablösen. Misstrauisch blickte er die Straße entlang und prüfte den Stand der Sonne. Es war nichts zu sehen außer den bunten Kürbisfeldern, die bis zum Horizont reichten. “Dort links ist Norden. Thousandpins liegt in der Nähe von Goblocart. Also müsste die Richtung schon mal stimmen. Und three to go bedeutet vielleicht drei Meilen.” 104
“Oder drei Tage. Oder drei Steine, die im Weg liegen. So wie ich Daryan einschätze, will er nur wieder Verwirrung stiften.” Luca rieb sich die Unterlippe. “Na gut, vergessen wir also Thousandpins – suchen wir jetzt irgendwas anderes.” Als die anderen ihn verblüfft ansahen, erklärte er: “Sicher gibt es in Goblocart noch mehr zu sehen, als nur dieses Koboldschloss. Also: Was sagt der Reiseführer? Was sollen wir in Goblocart unbedingt anschauen?” “Moment.” Mia stellte ihren Rucksack ab und zog das Buch wieder heraus. “‘There are many interesting things to see in Goblocart’”, steht hier. ‘Beware of thieves, but don’t forget to eat at the King’s Chest. You should also visit the Senseless Library. Always choose the same colour book, solve chest Truhe their riddles, and you can find the senseless sinnlose Goblin King’s picture pathway.’“ choose wählt picture pathway “Bilderweg? Liane hat von einem Bilderweg Raum voller Bilder auf Thousandpins gesprochen. Sie ist durch eines von ihnen zum seidenen Garten gekommen”, sagte Luca nachdenklich. “Nicht an Thousandpins denken”, mahnte Simon. “Also: Ich habe Hunger. The King’s Chest klingt gut, oder?” Luca und Mia nickten. Nach genau drei Schritten, die sie nach links gegangen waren, ragte ein riesiges hölzernes Stadttor vor ihnen auf. “Goblocart – Three to go”, stöhnte Simon. “Drei Schritte bloß – oh Mann!”
105
Sad Thoughts and Angry Guardians
D
as King’s Chest war schnell gefunden, auch wenn das Gewusel und Gewimmel in den engen Gassen der Koboldstadt dafür sorgte, dass sie ständig verwirrt stehen blieben und sich umsahen. Die Vielfalt der Häuser und Geschäfte war atemberaubend und vor beinahe jedem Laden oder Restaurant stand ein Ausrufer, der forderte, dass man nur hier einkehren solle, weil alles viel billiger, besser oder bequemer sei. Überall rannten Kobolde umher oder standen in Gruppen vor Geschäften, überall wurde von fahrenden Händlern mit Bauchläden oder an kleinen Ständen irgendwelcher Ramsch zu überzogenen Preisen angeboten, und immer wieder versuchte jemand, die Kinder zu beklauen. Das kostete vor allem Simon Nerven, sodass er erleichtert aufatmete, als sie endlich das King’s Chest erreicht hatten. Das Gebäude glich tatsächlich einer riesigen Schatztruhe. Der Deckel, also das Dach, stand halb offen und schimmernder Goldschmuck schaute heraus. An einer thoughts Kette, die an der Fassade herunterbauGedanken melte, war ein protziges Amulett befesanything else alles andere tigt, auf dem King’s Chest ins goldene treasure chest Metall geritzt war. Schatztruhe “‘Gwaws, the sixteenth Goblin King, loved good food more than anything else. He called this building his treasure chest”, las Mia aus dem Reiseführer 106
vor. Sie sah an dem Gebäude hinauf. “Sieht nicht eben preiswert aus. Luca – ich fürchte, du musst …” Luca grinste, nickte und blickte sich in der Gasse um. Sie war gesäumt von Straßenspielern, die zusammen mit den Ausrufern der Geschäfte um die Wette brüllten. Schon als Luca gemächlich auf sie zu schlenderte, packten einige ihre Spielbretter und Zielscheiben ein, andere aber nahmen die Herausforderung an und wurden schnell eines Besseren belehrt. Karten-, Würfel-, Hütchen-, Rennspiele – Luca arbeitete sich durch die Gasse, von einem Stand zum nächsten. “Und? Wie viel”, fragte Simon, als sein Freund schließlich zurückkehrte. “Two gold, thirty-three silver, and shabby schäbigen sixty-seven wooden balls”, erwicrazy verrückt derte Luca. “Oh! Mrs Twiggins dogskin Hundsleder hat recht. Wenn man eine Weile Englisch redet, fühlt es sich gar nicht mehr wie eine Fremdsprache an.” Mia griff in die ausgebeulten Taschen von Lucas Mantel und holte eine Handvoll Koboldgeld heraus. Gold- und Silberkugeln gab sie Luca zurück und behielt nur die hölzernen. Sie sah sich um, entdeckte einen Händler für Lederwaren, trat an dessen Stand und wies abschätzig auf einen wunderschön bestickten, hellgrauen Geldbeutel, den man am Gürtel festbinden konnte. Schon fuhr sie den knubbeligen, rothaarigen Kobold an: “Seven wooden balls for a shabby purse like that? Are you crazy? That must be dogskin.” 107
“No, milady, it’s the finest leather you will find in all Goblodom …”, war es empört von der anderen Seite des Tisches zu hören. Kurz darauf kehrte Mia mit dem Beutel zu Simon und Luca zurück. Sie hatte drei Holzkugeln bezahlt. “Ich wollte es auch mal ausprobieren”, sagte sie unschuldig und reichte Luca den Beutel. “Hier. Sonst gehen noch deine Taschen kaputt.” Luca grinste. “Mamma Mia.” Es klang beinahe liebevoll. Dann betraten die drei stolzen Schrittes das beste Gasthaus der Koboldstadt.
finest feinste all ganz
Es ging hier wesentlich erlauchter zu, als in Galastor’s Guesthouse. Ein emsiger Kobold mit weißer Schürze verneigte sich tief und empfing die Kinder mit den wärmsten Worten. Er geleitete sie in eine einigermaßen stille Ecke, und nur wenige Augenblicke später saßen sie auf goldenen, gepolsterten Stühlen und hatten Speisekarten aus Bütten in der Hand. Marmorboden, Säulen, dicke Teppiche, alles strahlte vor Sauberkeit und Prunk. Mit ernster Miene und kleinen, leisen Schritten huschten die Kobolde mit großen Tabletts hin und her. Auch die anderen Gäste, allesamt gut gekleidete und recht gepflegt wirkende Kobolde, gaben sich Mühe, Manieren an den Tag zu legen: Sie nickten ernst, aßen maßvoll und sprachen nur leise. Die Mahlzeiten wurden auf goldenen Tellern serviert und bald standen riesige Platten mit Fleisch, Brot und Gemüse vor den Kindern. Sie ließen es sich schmecken. 108
Als ihre Teller abgetragen wurden, fragte Simon den Kellner: “Could you please tell us the way to the Senseless Library?” “Of course, sir”, antwortete der Kobold. “Just look out of the window.” Sie blickten aus dem Fenster. Türme. Viele Türme. Knallbunt. Luca tippte Simon an. “Ich habe das Schloss gesehen!”, flüsterte er. Simon schüttelte den Kopf. “Da sind nur normale Häuser, Luca.” “Mist. Es versteckt sich.” “Ob die hier so kuschelige Betten haben wie in Galastor’s Guesthouse?”, fragte Mia und gähnte. “Bestimmt!”, behauptete Luca. “Sicher sind sie schneeweiß bezogen und die Bäder haben goldene Wasserhähne.” “Darauf hätte ich wirklich Lust. Ein warmes Bad und dann ins Bett.” Luca fühlte sich gut. Sie waren in Goblocart und hatten gegessen; Simon hatte endlich aufgehört, ständig misstrauisch umherzusehen und sogar Mia schien die schönen Seiten der Reise zu genießen. Doch plötzlich erinnerte sich Luca an den seidenen Garten … Sein Atem stockte und sein Herz geriet aus dem Rhythmus. Liane. Sie war nicht da. “Es ist zu früh zum Schlafengehen. Und Liane wartet”, sagte er bestimmt, winkte den Kellner noch einmal heran, und weil er noch mit seinen Gedanken bei Liane war, bezahlte er die Rechnung, ohne zu handeln. Die Kobolde warfen sich, verblüfft von solcher Großzügigkeit, sofort 109
flach vor Luca auf den Boden. Alle Kellner eilten herbei und bedankten sich wortreich, das Küchenpersonal kam gelaufen, kniete sich auf den Boden und küsste die Mantelsäume aller drei Kinder. Von Menschen nicht übers Ohr gehauen worden zu sein, kam ihnen wohl vor, als hätten sie ein enormes Trinkgeld bekommen. Das Gebäude der sinnlosen Bibliothek sah wie ein großer Eulenkopf aus, und so hatte man tatsächlich den Eindruck, innerhalb der Mauern sei Weisheit zu finden. “Honesty is senseless” war in den Schnabel der Eule über dem Türsturz gemeißelt. Durch ihn betrat man eine riesige Säulenhalle, an deren Wänden unzählige Regale standen mit Büchern über Büchern. Außer den Kindern war niemand hier und so sahen sie sich neugierig um. Die Halle hatte mehrere Ausgänge und jeder führte in eine weitere Bücherhalle. Zwischen majestätisch hohen Deckenpfeilern standen steinerne Ritterfiguren, die kleine Schildchen an den Sockeln trugen: “Knight Leo the Thirtieth”, “Knight Maze the Seventeeth” und so weiter. Sie stellten verschiedene Personen dar, aber das Klauen-Wappen auf ihren Schilden war gleich, ebenso ihre langen Lanzen. Alle hatten einen misstrauischen Gesichtsausdruck und zusammengekniffene Lippen, so als sei ihr Schweigen in Stein gehauen worden. “Die gucken wie du”, sagte Mia zu Simon.
honesty Ehrlichkeit thirtieth dreißigste seventeenth siebzehnte
110
Simon musterte gerade eine Figur, die weite Pluderhosen trug, einen halblangen Pagenkopf hatte und auf deren Kopf eine neckische Kappe mit Feder thronte. “Ist klar”, sagte er und blinzelte im gleichen Moment. Er hätte schwören können, dass die Statue eine Braue gehoben hatte. “Seht mal hier”, rief Luca, “Knight Bodo the Ninetieth – der Neunzigste!” Mia sah ihm über die Schulter. Die Figur hatte einfache weite Hosen und einen langen Pullover an und war ziemlich beleibt. “Hat sich uns Bottoms nicht als der neunzigste Ritter vorgestellt?”, fragte sie Simon. Der nickte. “Die Figur hier sieht genau aus wie unser Nachbar. Und dessen Sohn hieß Bodo”, sagte Luca verwundert. “Der Sohn von Müllers? Der von der Brücke in den Fluss gesprungen ist?”, fragte Simon. Luca nickte nachdenklich. Seine Mutter hatte nicht darüber reden wollen, aber er hatte ein Gespräch von Amelie und dem Nachbarn belauscht. “Der Brückensprung sollte wohl eine Mutprobe sein. Die waren zu zweit und sind ertrunken”, murmelte er. “Herr Müller gibt sich die Schuld daran, weil er so viel in seiner Fleischerei gearbeitet hat und so wenig zu Haus war.” Luca wurde nachdenklich. Sein Vater war nicht nur wenig, sondern gar nicht mehr da. Ob seine Mutter jetzt glaubte, er sei ausgerissen, weil er Probleme damit hatte? Oder gar mit ihr? Aber das stimmte doch gar nicht. “Ich glaube, jedes Kind in Grafenbrück kennt die Geschichte. Man hat die Jungen nie gefunden, und 111
ein Mädchen ist fast gleichzeitig verschwunden. Nein – einen Tag vorher”, sagte Mia. “Glaubt ihr … glaubt ihr etwa, sie wollten hierher? So wie wir? Und sie sind noch hier? Und Bodo ist jetzt diese Kugel auf Beinen? Warum? Und wer war der andere? Daryan etwa?” “The goblin king is human?”, hörte sich Luca den Heiler in Galastor’s Guesthouse fragen. Sie schwiegen beklommen. Die Statue des rundlichen, jungen Mannes schien straight ahead betrübt auf sie hinabzublicken. geradeaus “Ob sie schon nach uns suchen?”, fragthread Faden te Mia plötzlich. “Wahrscheinlich noch nicht”, vermutete Simon. “Dreiunddreißig von sechsunddreißig Stunden sind um – aber bald wird es auffallen, dass wir weg sind.” “Wir sind bald wieder da!”, sagte Luca fest. “Mit Liane! Los! Nehmen wir uns die Bücher vor!” Das gestaltete sich schwieriger, als sie gedacht hatten. Es waren so viele! Wo sollten sie anfangen? Irgendwann schlug Mia einfach irgendeins auf – und ein Höllenlärm brach los. Gequietsche von Geigen, Paukenschläge, einzelne Hörner. Erschrocken klappte Mia das Buch wieder zu und ließ es fallen. “Sie machen Krach!” “Klang eher wie Musik”, fand Luca. Er bückte sich, griff nach dem Buch und schlug es mutig abermals auf. Der Lärm dauerte nur noch einen Augenblick, dann erklang eine hübsche Melodie und eine Altstimme sang: Go straight ahead, follow the thread. 112
Gerade als die Stimme aufgehört hatte zu singen, hörten die Kinder ein ohrenbetäubendes Knirschen. Erschreckt fuhren sie herum. Die Statuen! Wie Soldaten auf das Kommando “Vortreten!” machten alle einen Schritt vorwärts und stiegen von ihren Sockeln. Drohend erhoben sie ihre steinernen Waffen. “Weg hier!”, rief Simon. Keuchend durchquerten sie die Halle, hinter sich das Gestampfe der steinernen Füße. Doch plötzlich war es bis auf ihre eigenen schnellen Schritte auf dem Marmorboden totenstill. “Was ist denn jetzt?”, flüsterte Mia. noise Lärm Luca wagte es, sich umzudrehen. “Sie intruders sind stehen geblieben.” Eindringlinge while Weile “Warum?”, fragte Mia und zog den Reisefunny lustig führer aus der Tasche. Sofort erschien auf der Seite über die Senseless Library eine schnörkelige Schrift: “‘The guardians don’t like noise. They try to find and kill intruders. Try to run away as fast as you can; they usually stop after a while.’ Oh, hier steht noch etwas: ‘Have a good time – it’s funny. Daryan.’” “Seltsamer Humor”, stellte Simon nüchtern fest. Luca zuckte die Achseln und griff ins nächstbeste Regal. “Warte!” Mia hielt ihn zurück. “Man muss doch Bücher der gleichen Farbe aufschlagen, um das Rätsel zu lösen. Der Einband des ersten Buchs war blau.” Sie blickten suchend am Regal empor. “Die sind alle braun oder schwarz. Und wir greifen uns natürlich eins in der seltensten Farbe.” 113
“Wenn wir ein braunes genommen hätten, wäre bestimmt diese Farbe am seltensten”, vermutete Luca. “Da oben liegt ein blaues”, rief Simon. Er wies am höchsten Regal hinauf, winkte Luca heran, legte eine Hand in die andere und sagte entschlossen: “Na los, Räuberleiter!” Endlich stellte es sich als Vorteil heraus, dass Mia so ein Fliegengewicht war. Die Jungen hielten sie sicher und sie konnte nach einigem Balancieren das blaue Buch erreichen. Kaum hatte sie mit ihrer kostbaren Fracht sicheren Boden unter den Füßen, schlug sie es ungeduldig auf. Diesmal sang ein tiefer Bass: welcome heißt willkommen
Turn to the right, welcome the night.
Kaum hatten sie das gehört, knirschte es wieder hinter ihnen. Die Statuen! Mia und Simon griffen nach dem Gepäck und stürmten hinter Luca her auf einen schmalen Durchgang zu, der von Bücherstapeln gesäumt war. Sie schlitterten um die Ecke. Die steinernen Schritte verklangen. Erleichtert atmeten die drei auf und hielten nach dem nächsten blauen Band Ausschau. “Hier!”, sagte Mia. “Das unterste in diesem riesigen Stapel.” Mutlos blickte sie an einer fast deckenhohen Büchersäule empor. “Na toll!”, seufzte Simon. Luca musste lachen. “Einfach anschubsen!”, meinte er. Aber einfach war das nicht: Die Bücher waren schwer und es dauerte eine ganze Weile, bis der Stapel ins 114
Schwanken geriet. Schnell sprangen sie zur Seite, um sich vor den herabstürzenden Büchern in Sicherheit zu bringen; das blaue lag unter einem riesigen Haufen anderer Bücher begraben. Eins ums andere mussten Mia, Luca und Simon zur Seite schieben, bis es endlich zum Vorschein kam. Sofort schlug Mia es auf. Wieder erklang die schöne Melodie und ein atemberaubend hoher Sopran sang: It’s not far to go, just past the snow.
far weit past vorbei an
Etwas zischte an Lucas Ohr. Eine steinerne Lanze bohrte sich gleich neben ihm in die Wand. Sie keuchten vor Schreck. Der Gang war voller Statuen! “Los!”, rief Simon. “Ausweichen! Die sind nicht so wendig wie wir.” Haken schlagend rannten die Kinder los, um die Statuen herum – bis der Spuk vorüber war. Sie betraten die nächste Halle. Sie war kreisrund. Ihre Gewölbedecke wurde von hohen, knorrigen Holzpfeilern getragen, die in ein gemaltes Laubdach mündeten; es wirkte, als wäre man auf einer Waldlichtung und liefe zwischen Bäumen umher. Auf dem Boden lag ein weicher Teppich, dessen Muster Blätter, Rindenstückchen und Gras zeigte. “Ein Bücherwald!”, staunte Mia. Zwischen den Säulenstämmen an den Wänden der Halle erstreckten sich dunkle Regalböden. Und alle Bücher darauf waren blau! Manche heller, manche 115
dunkler, manche hatten einen Einband aus Stoff, andere waren in Papp- oder Holzdeckel gefasst. “Beschwer du dich noch mal, es wären kaum blaue Bücher da”, sagte Luca grinsend zu Mia. “Unsere sind in weiches, dunkelblaues Leder gebunden”, erklärte sie. Ratlos standen sie vor den Regalen und berührten Rücken um Rücken, bis jeder von ihnen ein Buch herausnahm, das den vorherigen am ähnlichsten sah. Simon öffnete seins als Erster. Wieder der Krach des Orchesters, doch die Melodie war eine andere. Lucas Buch begann mit einer quäkenden Fanfare und er klappte es schnell wieder zu. Gespannt sahen die Jungen Mia an. Sie biss sich auf die Lippe und öffnete vorsichtig ihr Buch. Es spielte die schon bekannte Ouvertüre und der sanfte, weiche Alt sang: at last endlich
Follow at last the northern winds, The picture shows you Thousandpins.
Beinahe hätten sie zu jubeln begonnen, doch als sie aufsahen, stand zwischen jedem Pfeiler des Runds ein steinerner Ritter. Alle hoben die Lanzen. Schritt für Schritt kamen die Figuren auf sie zu und schlossen einen immer enger werdenden Kreis. Es gab kein Durchkommen. “Sie werden nicht nur schneller, sondern auch klüger”, brachte Luca hervor. Sie drängten sich aneinander. “Was sollen wir jetzt machen?”, zischte Mia. 116
“Keine Ahnung!” “Ähm … die kommen näher!”, flüsterte Simon. “Luca!”, sagte Mia entsetzt. “Mach schon! Tu etwas! Willst du, dass die uns aufspießen?” “Nein! Natürlich will ich das nicht!”, rief Luca. “As you wish, Goblin Prince!”, riefen die Statuen im Chor und … blieben stehen. Erschöpft ließen sich die Kinder fallen. Eine ganze Weile saßen sie einfach nur da, Rücken an Rücken, und starrten die Statuen an, die nun wieder ihre ruhigen Gesichter zeigten und in den Durchgängen standen, als könne sie dort nichts wegbewegen. Luca war schockiert und erleichtert zugleich. Schon wieder! Wie im seidenen Garten. Er hatte nicht dort bleiben wollen. Und diesmal hatte er nicht gewollt, dass die Statuen ihnen zu nahe kamen. As you wish, Goblin Prince … “Das war knapp”, sagte Simon schließlich, stand auf und blickte sich suchend um. Plötzlich schlug sich Mia vor die Stirn. “O nein!” “Was ist denn jetzt schon wieder?”, fragte Luca matt und rappelte sich auf. “Hast du dir die Verse gemerkt?” “Natürlich nicht!”, rief er. Alles umsonst? Die ganze Hetzjagd? “Du bist doch diejenige, die immer alles auswendig lernt!” “Ach ja”, rief sie. “Kaum klappt mal was nicht, dann bin ich schuld, oder wie?” 117
“Go straight ahead, follow the thread. Turn to the right, welcome the night. It’s not far to go, just past the snow. Follow at last the northern winds, The picture shows you Thousandpins”, sang da ein schöner Tenor. Mia und Luca starrten Simon an. “Kirchenchor”, erklärt der grinsend. “Sing mir was vor und ich behalte es bis in alle Ewigkeit.” “Du bist im Kirchenchor?”, riefen Luca und Mia wie aus einem Mund. “Tja”, meinte Simon, “ihr wisst eben auch nicht immer alles!” Er zeigte auf eine rote, dünne Schnur, die über den Boden der Halle in den Gang gegenüber lief. “Das wird wohl der Faden sein, dem wir folgen sollen. Also: Gehen wir?” Luca und Mia nickten verblüfft und folgten Simon.
118
Night Visitor t’s you. It’s really you.” Mrs Twiggins hätte beinahe zu weinen begonnen, doch es ging nicht, sie konnte nicht einmal zwinkern. Es war zehn Jahre her, dass sie Daryan zuletzt gesehen hatte, aber allein an seiner Haltung hätte sie ihn sofort wiedererkannt. “Are you all right?”, fragte sie leise. “Yes, I’m all right. Thank you.” Es klang bitter. “Thank you for what?” “You sent the boy”, stellte er fest. “A few weeks ago you left the travel guide here. I thought it must be a sign! I wanted to help you. Are you … back?” “Well, you can’t move, can you?”, fragte der Koboldkönig böse. “Time stands still when the Goblin King comes to human world. sent hast geschickt Only the people he touches still have a few weeks ago all their senses. It seems I’m still the vor einigen Wochen Sun and Moon of Goblodom”, gab left er verächtlich zurück. hast hinter lassen thought dachte “Are you angry with me?”, fragte sign Zeichen die Lehrerin vorsichtig. have changed “Angry?” Daryan stieß ein verzweihabe verwandelt love Liebe feltes Lachen aus. “I’ve changed my is dissolving into best friend into a ball on legs and air löst sich in Luft auf the love of my life is dissolving into air. I’m not very happy about that.” 119
“Is Heike the Pure One?” Er nickte matt. “I remember the nickname you gave her: Highly. As if she was somewhere high above you, and you couldn’t reach her. She was missed too. There was speculation that there might be a connection between you and Bodo and her. It was love at first sight, was it?” “Yes. You introduced us just a few days earlier. I suppose it was fate”, sagte Daryan. “And now I have to leave this boy to the same fate. Even I feel bad about that.” “He might be the one who breaks the chain, Daryan”, versuchte Mrs Twiggins ihn zu beschwichtigen. “He is …” nickname “What?”, zischte er. Spitznamen “… warm-hearted. In a very special gave gegeben hast as if als ob way.” somewhere Daryan schüttelte den Kopf. “Fareirgendwo high hoch well, Aunt”, sagte er bestimmt und missed vermisst wandte sich zum Gehen. Nebel there was speculawaberte zwischen Mrs Twiggins’ tion es wurde spekuliert Möbeln. love at first sight “We’ll see each other again. Soon”, Liebe auf den ersten Blick behauptete Mrs Twiggins, als sich earlier vorher die Nebel um die Gestalt ihres suppose nehme an Neffen schlossen. fate Schicksal I feel ich fühle mich Farewell. Lebe wohl.
Der Raum, in dem der rote Faden endete, mündete in zwei weitere Gänge. Ein Durchgang war hell erleuchtet, einer war dunkel. Sie traten in den nächtlichen Flur und schon
120
tat sich an dessen Ende eine neue Halle auf. Dieser Raum hatte vier Türen mit kunstvoll geschnitzten, bunt lackierten Rahmen. Auf einem waren kleine Blüten und knospende Ranken zu sehen, auf dem zweiten prangten reifes Obst und grünes Laub. Der dritte zeigte wilden Wein und Kürbisse und der letzte war über und über mit weißen Schneekristallen bedeckt. Wie es das Lied verlangte, öffneten sie die Wintertür. Schneeflocken fielen auf sie herab und sie befanden sich in der nächsten Halle. Auch hier gab es wieder vier Türen in verschiedenen Farben. Auf dem Boden aber prangte eine große Windrose. Der Pfeil, der nach Norden zeigte, wies auf die blaue Tür. Die Kinder öffneten auch sie und standen nach wenigen Schritten vor einer Mauer mit einem riesigen Wandgemälde. Thousandpins, stand darunter. Fast wie ein Foto sah es aus. Vorsichtig berührte Luca die Wand. Sie fühlte sich kühl und kalkig an. “Und jetzt?”, fragte Simon, als sie eine Weile die vielen Türme des Gemäldes bewundert hatten. “Wie geht man hindurch?” Mia zückte den Reiseführer. Der Eintrag “To find Thousandpins you must forget to search for it”, war wieder zu lesen, diesmal in Knallrot, so als hätten die Kinder es nicht vergessen dürfen. “Das ist der Bilderweg des Königs”, sagte Luca. “Mensch, Leute, so langsam solltet ihr doch wissen, wie das hier funktioniert.” Er stellte sich breitbeinig vor das Bild, räusperte sich mehrmals und rief: “Ich will nicht nach 121
Thousandpins, dieses doofe, quietschbunte, völlig überladene Gemäuer ist mir so was von egal. Ich will zu Liane.” Er streckte die Hand abermals aus, und kaum lagen seine Fingerspitzen auf dem Putz, da begann die Oberfläche des Bildes sich zu bewegen. Die Wolken zogen schnell über den hohen Himmel hinter dem Schloss, die Fähnchen auf den Türmen flatterten im Wind und ein großer Vogel ließ sich krächzend auf einer der Spitzen nieder. “Na los! Kommt!” Luca trat durch das Bild. Simon hielt Mia die Hand hin. Beide schritten entschlossen in den Rahmen. Es war ein Gefühl, als sauge einen ein eiskalter Luftstrom in eine leere, lange Röhre. Doch kaum verspürte man den Sog, war er auch schon wieder fort. Blaues Licht umfing die Kinder. Als sie sich umblickten, sahen sie das große Bild eines eulenkopfförmigen Gebäudes wie jenes, durch das sie gekommen waren. In dem runden Kellergewölbe gab es unzählige Bilder, die alle einen Teil von Goblodom zeigten. In der Mitte des Gewölbes plätscherte ein Brunnen. Von dort kam das blaue Leuchten. Luca trat näher. Strahlend blaues Wasser in einem steinernen Becken in Form. Durch eine Rinne am unteren Lidrand floss stetig ein wenig Flüssigkeit hinaus, so als weine es. Die Flüssigkeit versickerte am Fuß des Brunnens und 122
wurde im Verborgenen wieder nach oben gedrückt, sodass sich die Oberfläche leicht kräuselte. “Seltsam”, seufzte Mia. “Alles hier ist schön und gleichzeitig schrecklich. Man bekommt richtig Mitleid mit dem Auge, weil es immer weinen muss.” “Das sieht nicht aus, als wäre es normales Wasser”, fand Simon. “Sei vorsichtig, Luca. Wer weiß, was es anrichtet.” “It allows Daryan to watch over you”, sagte da eine sanfte Frauenstimme hinter ihnen. Sie sahen sich um. Im blauen Halbdunkel war nichts zu erkennen. Doch sie hatten in den letzten beiden Tagen so viel erlebt, dass eine körperlose Stimme sie kaum noch zum Staunen bringen konnte. “Try it.” Kaum hatte Luca beide Hände auf den Brunnenrand gelegt, da beruhigte sich das Wasser. Auf der Oberfläche formten sich Bilder. “Grafenbrück”, sagte Mia verblüfft. allows erlaubt “Mrs Twiggins Vorgarten”, fügte Simon to watch over hinzu. zu überwachen “Daryan”, knurrte Luca. Sie hörten die Schritte nackter Füße. Bottoms war neben sie getreten und beugte sich über den Brunnen. Trotz seines verzerrten Gesichts sah er nachdenklich, beinahe ein wenig traurig aus. “He has – tsch – been watching over you all the time”, sagte er bedeutsam. “You are the prince. He wanted – tsch – nothing in Goblodom to hurt you or your friends.” 123
“Very funny”, sagte Simon. “Our journey was very dangerous.” “But you survived”, sagte die körperlose Stimme, die jetzt gleich hinter ihnen zu sein schien. Eine schmale, durchsichtige Frauenhand lag plötzlich auf Lucas Schulter. Erschreckt fuhr der Junge herum und schauderte. Zwei Augen schwebten vor ihm in der Luft. Die blickten ihn warm und survived herzlich an. Das schöne Gesicht, zu dem habt überlebt sie gehörten, war nur ein hauchdünner Dunst. Er stellte die gleiche Frage wie Liane: “What happened to you?” Und Highly antwortete das Gleiche: “I am the Pure One. Welcome to Thousandpins.” Highly schwebte voran, scheinbar endlose Treppen hinauf, und die Kinder schlurften müde hinterher. Überall waren Kobolde. Sie schrubbten, sie machten Licht, sie hielten Wache, sie stritten sich, sie trugen irgendwelche Dinge die Treppen hinauf, hinunter, kreuz und quer, doch die Kinder schenkten ihnen kaum Beachtung. Keiner sagte ein Wort, nur ihre Schritte hallten durch die dämmrigen Treppenhäuser. Bottoms lief neben Simon. Jedes Mal, wenn Simon zu ihm hinüberschaute, schluckte er. Luca hatte recht, das auf den Kugelkörper gespannte Gesicht sah Blaus Nachbarn erschreckend ähnlich. Endlich erreichten sie die große Halle. Sie war von mildem Abendlicht erleuchtet. Leichte, schnelle Schritte 124
näherten sich. Die Kinder wagten kaum, die Köpfe zu heben. “Luca!” Sein Herz machte einen Satz und schon rannte er. Liane und er trafen sich genau in der Mitte der Halle. “Ich konnte nichts tun. Er hat mich nicht zu dir gelassen”, flüsterte sie.
125
Whatever You Want
L
ass sie los!” Mia schubste Luca weg und umarmte ihre Freundin. “Liane! Du dumme Nuss!” Sie weinte und lachte gleichzeitig. “Kannst du dir vorstellen, was ich für eine Angst hatte! Und wie viel Arbeit es war, auf diese doofen Jungs aufzupassen! Und dann musste ich auch noch mit dem da”, sie deutete auf Luca, “Freundschaft schließen. Alles deinetwegen.” Sie zerrte ein Taschentuch aus ihrem Rucksack und schnaubte ihren Ärger (und ihre Rührung) hinein. not yet noch nicht Liane strahlte. “Hey!”, sagte sie. “Du siehst ja aus wie eine Elfe!” Und zu Simon, der langsam zu den dreien herüberkam: “Wow! Der Look ist cool!” “Du siehst auch klasse aus”, erwiderte Simon. “Steht dir, dieses romantische Zeug.” “Danke!”, sagte Liane. “Und das aus deinem Mund!” “Leute, wir haben keine Zeit, hier rumzusülzen und Komplimente auszutauschen. Wir müssen hier weg!”, sagte Luca. “Where is Daryan?”, wandte er sich an Bottoms. Bottoms räusperte sich mit sieben Tsch-tschst. “It – tsch – seems, that our – tscht – Sun and Moon, glorious – tscht – ruler of Goblodom, has not yet returned – tscht – from his journey to the human world.” “What?”, fuhr Luca hoch. “I must talk to him. Now!” “Luca! Denkst du, Frechheit nützt dir hier etwas?”, sagte Liane. 126
“Was?”, fragte Luca verblüfft. “Perhaps you should have a bath and a nap first, Goblin Prince!”, flüsterte ihm eine Stimme ins Ohr. “We can have our welcome party later.” Luca fuhr herum und unterdrückte ein Keuchen. Daryan stand hinter ihm wie aus dem Boden gewachsen, die Arme abwartend verschränkt, um seinen Mund spielte ein triumphales nap Schläfchen Lächeln. first zuerst “Thank you”, sagte Mia höflich. party Feier rest uns ausruhen “We really need to rest.” Mia war von Highly in Lianes Zimmer geführt worden, die beiden Jungen wurden im Nebenraum einquartiert. “Begrüßungsfeier?”, schimpfte Luca, kaum dass die Türe sich hinter ihnen geschlossen hatte. “Da gibt es nichts zu feiern, das wird er schon noch merken. Und wenn mich noch einer Koboldprinz nennt, begehe ich einen Mord. Daryan soll uns einfach nach Hause lassen.” “Das kann er nicht”, sagte Simon kühl. “Bottoms und er sind damals von der Brücke gesprungen – so wie wir von eurem Garagendach.” Luca fuhr herum. “Ja, und?” “Er ist jetzt hier der König”, sagte Simon mit Nachdruck. “Findest du das nicht seltsam?” Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Simon fort: “Als wir die Treppe heraufkamen, waren da doch diese Bilder der Koboldkönige, wie eine Ahnenreihe. Die sehen alle aus wie …” 127
“Daryan?”, versuchte Luca zu ergänzen. “Nein, wie du, Koboldprinz.” “Und wenn schon”, rief Luca ungeduldig. “Was willst du mir eigentlich sagen?” “Er kann hier nicht weg und wir können es auch nicht. Weil …” Simon stockte und schluckte. “Ach, was soll’s, ich sag’s dir einfach: Koboldprinz wird hier nur derjenige genannt, den sich der König als Nachfolger ausgesucht hat. Er kann erst dann gehen, wenn sein Nachfolger König geworden ist. Und sein Nachfolger erst, wenn er wieder das Gleiche macht.” Luca sagte kein Wort, er starrte Simon nur an, drehte sich auf dem Absatz um, riss die Tür auf und rannte zur Treppe. Nun besah er sich die Porträts der Könige genauer. Die Gesichter unterschieden sich sehr deutlich von seinem und auch voneinander. Die Herrscher Goblodoms hatten blaue, grüne oder braune Augen, dunkle oder helle Haare – dennoch gab es irgendetwas, das sie auf geheimnisvolle Weise verband. discover “What are you thinking?”, fragte da die herausfinden sanfte Stimme. explain es erklären Luca vermied es, sich zu Highlys Augen tower Turm umzudrehen. “I’m like them?” “That you must discover for yourself, Goblin Prince. Daryan can explain, if he wants to. He awaits you at the top of the highest tower. Come with me, please.” Luca folgte Highly schweigend durch lange Korridore und über viele, viele Treppen. 128
Sie schob Luca kaum spürbar zu Daryan hin und verließ eilig die Terrasse. Offensichtlich wollte der König allein mit ihm sprechen. Er hatte sich auf die Brüstung der riesigen Aussichtsplattform gestützt, drehte sich nicht um und sprach Luca nicht an, und so sahen sie eine ganze Weile gemeinsam über das Land. Die belebte Koboldstadt wirkte selbst von hier oben chaotisch. Die Felder sahen aus wie kunterbunte Flicken und leuchteten in der Abendsonne. Weit im Süden lagen in leichtem Dunst die Anhöhen, die die Kinder überwunden hatten, auch Southern Peak, auf dessen Gipfel Galastor’s Guesthouse thronte. “Do you like Galastor’s Guestare fun house?”, fragte Daryan, als könne machen Spaß er Lucas Gedanken lesen. Immer in my opinion meiner Meinung nach wenn er sprach, hatte der Junge creation Werk das Gefühl, dass er etwas wissen have found out habt herausgefunwollte, was er zu seinem Vorteil den nutzen konnte. Ob das bei mir by now mittlerweile auch so klingt?, fragte er sich. “Yes”, gab er zurück. “The games are fun. And the beds are very good. But the food at the King’s Chest is better – in my opinion.” “You’re right about that”, stimmte Daryan zu. “Galastor’s Guesthouse is my creation.” “Your creation?” “Yes, I wanted it to be there. I’m sure you’ve found out by now that we came here the same way you did. We, Bottoms and I, needed a place to rest on our journey 129
here. It was the first time that I became aware of my powers.” Luca machte ein fragendes Gesicht. “Our powers, Goblin Prince”, fügte Daryan hinzu. “Powers?” “I know that you sensed it during the journey. It is a power to know what you want. If your will is stronger than any other in Goblodom, the country makes what you want come aware of bewusst true.” country Land “The way Silken Garden makes your come true wahr werden dreams come true?”, fragte Luca. foolish töricht Daryan begann zu lachen. “No, no. jester Hofnarr uncomfortable Silken Garden lets you find out the unwohl truth about yourself. But what you want may be a mistake.” Daryan lehnte sich ein wenig weiter über die Brüstung. Luca tat es ihm gleich. Auf einer Außentreppe am Nachbarturm war Bottoms zu sehen, der bald darauf in einer sternförmigen Öffnung am Fuß eines goldenen Turms verschwand. “His real name is Bodo, isn’t it?”, sagte Luca. “He’s my neighbour’s son.” “I called him Bottoms from the first day we met. He is loyal and honest. That’s foolish, isn’t it? To be loyal to somebody like me. That way a knight can turn into a jester.” “And Highly?” Luca fehlten die Worte, um auszudrücken, was er beim Anblick der sich auflösenden Gestalt empfand. “I feel uncomfortable when I look at her.” 130
Daryan schüttelte ernst den Kopf. “So do I”, sagte er schlicht. Eine Weile schwiegen sie beide. “You are visitors, you are free to go wherever you want. Have a good time. Goblodom is full of adventures.” “But I want to go home”, sagte Luca. Der Koboldkönig hielt inne, als warte er auf etwas, dann begann er zu grinsen. “Liar!” Es stimmte. Nach Hause gehen? Nein! Hatte Simon recht? Hatte Daryan ihn zu seinem Nachfolger bestimmt? In Lucas Kopf herrschte Aufruhr. Ein ganzes Land, das tun würde, was er wollte? Landschaften, Häuser, Flüsse, Gebirge, die entstehen oder sich auflösen würde, wie es ihm gerade in den Sinn kam? Das war faszinierend! Aufregend. All diese Möglichkeiten … Powers. “What do you want from me?”, fragte er den Koboldkönig. So do I. Ich auch. “I really want to go home”, sagte free frei Daryan. “But I can’t leave Goblodom adventures Abenteuer without a leader. I have to hand leader Führer(in) over my kingdom to someone who is worthy würdig passed worthy of it.” Er blickte Luca in die hast bestanden Augen. while während “Me?” “You passed the test. So – do you want to be the Goblin King, Luca Blau?” “I … don’t know.” Daryan grinste nun noch breiter. “Well, while you think about it, let’s call the others and have dinner together. I’m hungry.” 131
Luca schwieg beinahe die ganze Mahlzeit über. Daryan dagegen aß mit großem Appetit und war augenscheinlich bestens gelaunt. Er unterhielt sich mit Mia, vermutlich um dahinterzukommen, warum sie Luca und Simon begleitet hatte. Zwischen Simons Brauen erschien jene Falte, die puren Ärger ausdrückte. Er fand es unnütz, dass sie nun hier saßen und plauderten, statt irgendetwas zu unternehmen. Und Daryans charmantes Benehmen gegenüber Mia ging ihm erst recht gegen den Strich. “You’re Italian? So you must see New Venice ”, schlug er gerade vor. “It’s a very nice place. A bit wet, perhaps. Gobliniers aren’t as careful with their clients as gondoliers. Venice Venedig Mia lachte. Sie war jetzt richtig gut careful vorsichtig gelaunt. “That sounds like fun”, clients Kunden apologize mich sagte sie. “I have to apologize. Luca entschuldigen told us from the beginning that we relax uns ent spannen should relax, and now I’d love to I’d love to ich see the whole country. It’s a shame würde sehr gern Luca’s baby sister isn’t here.” Mia whole ganze wandte sich strahlend an Luca. “Möhrchen would like Goblodom, wouldn’t she?” Luca nickte. “Sure”, sagte er lächelnd. Es tat gut, an sie zu denken. “The goblins are funny. They would try to make her laugh all day.” “Can’t you bring her here?”, fragte Mia Daryan. “No!”, rief Luca. “Bist du irre? Was ist mit meiner Mutter? Die wird doch wahnsinnig, ohne … uns.” 132
Plötzlich zeigte Mias Gesicht wieder den abschätzigen Ausdruck, den Luca so hasste. “Tja, wenn du wieder zu deiner Mama nach Hause willst, musst du ja wohl erst mal Daryan besiegen. Und König werden. Und dir einen Nachfolger suchen”, sagte sie schnippisch. “Oder du musst den Fluch brechen. Aber das schaffst du nicht. So was braucht einen echten Helden, nicht einen Schwätzer wie dich.” Sie hatte wieder diesen Ton an sich wie früher, wenn sie und Luca sich gestritten hatten. “Sei mir nicht böse, aber in der Zwischenzeit werde ich mich hier wenigstens amüsieren.” “Schwätzer? Wen nennst du hier Schwätzer? Weißt du was, ich würde mich wirklich freuen, wenn du …” Liane griff nach Lucas Arm. “Nicht”, bat sie. Luca biss die Zähne zusammen, schüttelte Lianes Hand ab, sprang auf und rannte aus der Halle. Mia wandte sich wieder an Daryan. “Would you please be so kind as to show me New Venice?” “With pleasure.” Bottoms, der auf einer Art rundem Schemel links von ihm saß, bewegte langsam seinen Kugelkörper hin und her, so wie ein Mensch den Kopf schüttelt. “Au weia”, murmelte Simon. “Ich wusste, pleasure er flippt aus.” Vergnügen Wut – Wut – Wut. Luca stampfte durch das Schloss und lauschte seinen Schritten. Ein Turm nach dem nächsten. Er wusste nicht, wohin er wollte und warum er überhaupt immer weiterlief. Helle Wände, 133
dunkle Durchgänge, hohe Spitzen, bemooste Mauern. Immer wieder fragte einer der vielen Kobolde, ob er irgendetwas für ihn tun könne, und bald kam es Luca vor, als tue er nichts anderes als den Kopf schütteln. “My prince”, sagte jeder. My prince, my prince, my prince. Um den dummen Fragen zu entfliehen, betrat er schließlich den Turm, den der erste Koboldkönig errichtet hatte, jene riesige Klaue, die nach dem Himmel zu greifen schien, als wäre auch er ihr Eigentum. Das Gebäude war grauenhaft. Wände und Türen schienen aus dem Lot geraten, jeder Tisch, jeder Stuhl, selbst die großen Lüster an den Decken krümmten sich gequält. Hier glich der Hall von Lucas Schritten einem dumpfen Beben, sein Mantel verschmolz vollständig mit den Schatten. Fast schon glaubte er den Ausrufer zu hören: “Here comes Luca, our Sun and Moon ...” “Uuh – dieser Turm ist gruselig. Sieht aus, als wäre der erste Koboldkönig ziemlich unglücklich gewesen.” Lianes Stimme war purer Trost. Wie immer. Und wie Daryans Gefährtin war sie einfach plötzlich da, ohne dass man sie kommen gehört hatte. “Unglücklich? Der war durchgeknallt!”, stellte Luca finster fest. “Lass uns gehen”, bat Liane schlicht. Als sie schließlich wieder in Daryans Turm ankamen, atmeten beide unwillkürlich auf. Liane wandte ihre Augen zur Decke der Halle. Dort waren Sonne und 134
Mond aufgemalt, die eine Seite des hohen Gewölbes war schwarz, die andere strahlend blau. “Wenn man die Türme so betrachtet, ist Daryans zweifellos der schönste.” “Na ja”, sagte Luca wortkarg. “Du bist wütend, oder? Weil du König werden sollst?” “Nein. Auch. Ich weiß nicht genau. Vor allem, weil du … Du benimmst dich wie Highly.” Liane lächelte. “Das ist so, seit wir im seidenen Garten waren. Es fühlte sich so falsch an, dass wir nicht zusammengeblieben sind, oder?” “Ja. Aber ich will nicht …” “Ja?”, fragte Liane und strahlte ihn an wie neulich, an jenem Freitag unter der Birke in Grafenbrück. “Zusehen, wie du … verschwindest!” “Wenn du das nicht willst, dann kann uns doch gar nichts passieren.” “Glaubst du?” “Ja. Seit wann glaubst du denn, was Mia dir sagt? Du kannst den Fluch brechen. Dir fällt etwas ein, ich bin mir ganz sicher.” Plötzlich musste sie kichern. “Außerdem: Wenn ich mich auflöse und ein bisschen abnehme, bis du eine Lösung findest, kann ich vielleicht doch noch so turnen wie die Flöhe aus Rumänien.” Sofort wurde sie wieder ernst. “Du solltest vorsichtiger sein! Eben hättest du Mia beinahe eine Bosheit an den Kopf geworfen, und im Zorn sagt man vieles, was man nicht so meint. Erinnerst du dich, wie du dein Sportzeug in der Turnhalle vergessen hattest und der Hausmeister 135
sie dir nicht mehr aufschließen wollte? Du hast ihn einen aufgeblasenen, alten Wichtigtuer genannt. Hier wäre er das wirklich – im gleichen Moment, in dem du ihn so bezeichnest. Ein prall aufgeblasener Luftballon, der alle maßregelt. Weil hier in Goblodom geschieht, was du willst. Verstehst du?” Ja, Luca hatte verstanden … und außerdem wusste er jetzt, was er zu tun hatte. Es war ganz einfach. Er lachte, nahm Liane an beiden Händen, küsste sie auf die Wange und sagte: “Weißt du was – ich bin bestimmt clever. Aber du bist genial!” Er hatte es kaum abwarten können, dass Daryan und Mia zurückkehrten, aber nun waren sie wieder da. Highly hatte in der großen Halle neben Daryan Platz genommen. Mia saß auf der breiten Stufe und tätschelte einem Kobold den Kopf, der ein Tablett mit Tee und Gebäck für sie hielt, damit sie sich jederzeit bedienen konnte. Luca hielt geradewegs auf den Thron zu und durchquerte die Halle mit festen Schritten. Liane war neben ihm. “I want to talk to Bottoms! Where is he?”, rief er Daryan zu. “What do you want from him?” Daryan hatte sich von seinem Thron erhoben und musterte Luca skeptisch. Die Kobolde, die in der Halle umherrannten, duckten sich unwillkürlich. “I just want to ask him a question.” “What question?” Unwillig kniff der Koboldkönig die 136
Augen zusammen. Gerade in diesem Augenblick betrat Bottoms die Halle. “I want to ask him how it feels to be your jester.” “His – tsch – jester?”, fragte Bottoms verblüfft. “He called you something and that’s what you became. I bet he was angry with you and called you ‘a ball on legs’. Am I right?” Luca horchte tief in sich hinein. Ja, er hatte an alles gedacht – wenn Daryan auch nur einen Funken Reue verspürte, dann musste sein Plan funktionieren. Er wandte sich an den Koboldkönig, ohne ihn anzusehen. “Bottoms is a change back zujester and you have no power.” rückverwandeln “What?”, rief Daryan erbost. “It’s true! You can’t change Bottoms or Highly back, can you? But I can.” Luca holte Luft und rief: “I don’t want them to stay like this!” Die Kobolde zuckten zusammen, duckten sich und begannen zu tuscheln. Alle starrten ihren König an. “I bow to your will”, sagte Daryan, und plötzlich blitzte es in seinen Augen.” Er begann zu lächeln und verneigte sich tief. Und schon stand Bodo Müller in der Halle, ein Ebenbild seines Vaters, in schwarzem Pulli und weiten Jeans. Neben Daryan saß Highly, eine ganz normale junge Frau mit schwarzen, feinen Haaren. In dem Moment, als ihr Körper wieder erschien, sah es aus, als würde alles Licht Goblodoms nur auf ihr Gesicht fallen. “Daryan!”, rief sie. “Thank you!” 137
Daryan schloss einen Augenblick lang die Augen. Dann sagte er: Congratulations. “Congratulations. You have just Herzlichen earned yourself a kingdom.” Glückwunsch. have earned “I know”, entgegnete Luca. hast verdient Ganz langsam begannen sich Daryan, Heike und Bodo aufzulösen. Die Kobolde warfen sich flach vor Luca auf den Boden, bis auch die Ohren des letzten die Erde berührten. “Luca hat es geschafft”, stellte Mia fest, als hätte sie bemerkt, dass es regnete oder gleich Mittagessen gäbe. “Nein!”, stöhnte Simon und schlug die Hände vors Gesicht. Luca stieß den Kobold, der ihm am nächsten lag, mit der Stiefelspitze an. Er hatte ihn längst wiedererkannt, es war Daryans Herold, der damals in Grafenbrück die Flagge getragen hatte. “Du da! Ich will ein Fest. Ein großes Fest! Ruft alle Kobolde zusammen. Alle sollen kommen. Und wehe, auch nur ein Einziger fehlt.” Der Kobold blickte ungläubig zu Luca auf, dann nickte er. “Wie Ihr wollt, meine Sonne, mein Mond, glorreicher Herrscher Goblodoms.” Ruckartig drehte er sich um und fuhr die anderen Kobolde an: “Beeilt euch! Ihr habt gehört, was unser König gesagt hat. Wird’s bald?” Selbst Luca hatte nicht geahnt, was “alle Kobolde” bedeutete. In seinen Augen blitzte es stolz, als er sein Volk wie eine braune Welle auf das Schloss zurollen sah. Der 138
Lärm, den all die kleinen Unruhegeister machten, war ohrenbetäubend. Simon stand wie versteinert neben Luca auf der Terrasse. “Das kann nicht dein Ernst sein”, zischte er. “Und ob das mein Ernst ist! Was hast du gegen eine Party?” “Das meine ich nicht!”, sagte Simon. “Ich will nicht hierbleiben.” “Aber ich!”, erwiderte Luca gelassen. Er streckte sich. “Ein bisschen Vertrauen, bitte – geht das?” “Vertrauen?” Simons zog die rechte Braue hoch. “Damit ich so ende wie Bottoms? In was wirst du mich verwandeln? In einen Wasserspeier, weil ich zu große Töne spucke? Zehn Jahre saßen die hier fest. Zehn Jahre, Luca. Sollen wir mit zwanzig wieder zur Schule gehen und das Abi nachholen?” “Simon, warte ab. Okay?” “Auf was soll ich denn warten, meine Sonne und mein Mond?” Ruckartig drehte sich Simon zu Mia um. Sie saß an einem der Tische auf der Terrasse und spielte unbeteiligt an den Perlen in ihrem Haar. “Mia, sag endlich was!” Simon schrie so laut, dass alle Kobolde in der großen Halle hinter ihnen erschreckt aufhörten zu wuseln. “Wozu?” Mia gähnte und winkte einen der Kobolde heran. Er richtete das Sonnensegel über ihr so aus, dass ihr Tisch wieder im Schatten lag. “Ich find’s nicht übel hier. Ich habe endlich mal meine Ruhe und kann mich bedienen lassen.” 139
Plötzlich stand Liane neben ihnen. Sie war genauso leise erschienen, wie Highly immer aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie lächelte. “Simon”, sagte sie, “du solltest Luca nicht ärgern, das hat dann wirklich üble Folgen.” Simon schüttelte den Kopf. “Okay, dann tue ich eben, was ich am besten kann: Ich halte die Klappe. Wenn Ihr mich sucht, glorreicher Herrscher, ich bin in meinem Gemach oder wie ich diese Fantasy-Kulisse sonst nennen soll.” “Keine Wut”, murmelte Luca. “Ganz ruhig bleiben, Luca, ganz ruhig.” Simon lief in seinem Zimmer auf und ab, als bekäme er Geld für jeden zurückgelegten Meter. Herrscherallüren hatte er Luca zugetraut, aber dass Mia offensichtlich nicht mehr nach Hause wollte, konnte er überhaupt nicht verstehen. Gerade als er drauf und dran war, sie zur Not am Kragen von der Terrasse zu ziehen und zur Rede zu stellen, klopfte es an seine Tür und Luca trat ein, ohne ein “Herein” abzuwarten. “So! Alle sind da und alles ist fertig. Komm mit – du solltest dabei sein.” “Nö. Du kannst mich mal. Ich will nicht”, sagte Simon barsch. “Ich aber”, lachte Luca und im gleichen Augenblick standen beide auf der breiten Stufe vor dem Thron. “Ich liebe das”, fügte Luca hinzu und blickte mit einer Mischung aus Herablassung und Stolz auf die Menge der Kobolde, die das Schloss bis auf den letz140
ten Winkel füllten. In jeder Nische wuselten sie übereinander, in jedem Durchlass, auf jedem Fensterbrett saßen sie, baumelten mit den Beinen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Auch die Mädchen waren da. “Und jetzt will ich – dass mir alle zuhören!”, rief Luca in die Halle. “Ganz Goblodom – all seine Wesen und das Land selbst – soll meinen ersten Erlass hören.” Er holte tief Luft. Liane blickte besorgt auf ihre Hände. Mia nestelte an ihrem Haar. “Ich, Luca, die Sonne und der Mond, der glorreiche Herrscher Goblodoms, habe eine Aufgabe für euch, meine Kobolde. Ich will, dass Goblodom bunter und schöner wird, als es jemals war. Und wie ihr das anstellt, ist ganz allein eure Sache. Denn ich will …” Alle hielten Atem an. “… dass es keinen Koboldkönig mehr gibt.” Das Raunen aus abertausend Koboldkehlen hörten sie noch. Dann wurde es dunkel. Rauschen – Luca zwinkerte. Eine rote Tischdecke? Ein Strauß Margeriten und die dicke, blaue Lieblingstasse seiner Mutter, aus der ein wenig Kaffeeduft aufstieg. Ein Vogel zwitscherte der Morgensonne etwas zu. “Du blöder Kerl!”, zischte Simon Luca an. “Wie konntest du mir das antun?” “O Gott!”, stieß Mia hervor und sah die beiden Jungen und Liane überrascht an. “Wir sind wieder hier! Wir waren die ganze Nacht weg! Ich muss nach Hause! 141
“Ja”, sagte Liane. “Das gibt eine Strafpredigt!” Sie strahlte Luca dennoch an. “Danke! Das war … ach, ich weiß gar nicht, was!” Mia sprang auf, zog Liane mit hoch und sagte: “Keine Zeit zum Süßholzraspeln! Falls wir in diesem Leben je wieder vor die Tür dürfen, treffen wir uns bei mir, okay? Und dann lobe ich dich ausgiebig, mein Prinz.” “Musst du nicht.” Luca schluckte. “Ist schon gut.” In diesem Moment stand Amelie Blau in T-Shirt und Yoga-Hose im Türrahmen. Sie hatte ihr Adressbuch und ihr Handy in der Hand. “Morgen, Frau Blau”, sagte Mia hastig und zog Liane an ihr vorbei in den Flur. “Wir … tja… Entschuldigung, Luca erklärt Ihnen alles.” “Ach ja?”, rief Luca ihr nach und drehte sich zu seiner Mutter um. Die verschränkte die Arme und zog ihr Sogeht-es-aber-wirklich-nicht-Gesicht. “Uh!”, machte Simon leise. Ihm war klar, dass Amelies Zorn ebenso ihm galt. “Kann man sich denn gar nicht auf euch verlassen! Wo seid ihr gewesen, um Himmels willen? Und ich will die Wahrheit hören, Luca Blau!” “Also… die Wahrheit ist, dass der Koboldkönig Liane entführt hat. Und Mia, Simon und ich vom Garagendach springen mussten, um ins Koboldreich zu kommen und sie zu retten. Dann musste ich den Koboldkönig besiegen und selber König werden, weil diese Sache eben so abläuft. Und dann habe ich Goblodom befohlen, dass es keinen König mehr braucht. Das hat eigentlich zwei Tage 142
gedauert, aber Goblodom ist sechsunddreißig Stunden in der Zeit zurück, und darum sind wir jetzt wieder da.” “Sag mal, glaubst du, es ist förderlich für das Maß an Hausarrest, dass du auch noch versuchst, mich zu veralbern, mein Freund?! Eine Woche – ohne Diskussionen. Klar?” “Klar”, brummte Luca und zischte Simon knew wusste zu: “Honesty is senseless. I knew it.” “Na ja”, sagte Simon. “Wir wollten einfach mal sehen, wie das ist, nachts, draußen, allein. Es war so eine Art …”, er räusperte sich, “Rollenspiel? Ein Abenteuer, Sie wissen schon, Jungskram eben.” Amelie atmete tief durch und warf beiden Jungen noch einen bösen Blick zu. “Da!”, brummte sie und zeigte auf die große Dose mit Cornflakes auf dem Tisch. “Ihr müsst Hunger haben. Esst was! Es gibt nur Cornflakes. Ich hatte keine Zeit, Brötchen holen zu gehen. Ich muss jetzt rüber zu Müllers und sie interviewen. Ihr Sohn ist nämlich wieder da! Der Junge hat einfach vor der Tür gestanden. Nach zehn Jahren! Für die Story küsst mir der Chef die Füße.” “Echt?”, sagte Luca. “Wow!” Simon biss sich auf die Lippe. “Ja! Er behauptet, dass er in einer Art Fremdenlegion war und zehn Jahre auf irgendeinen König aufpassen musste.” “So was gibt’s”, sagte Simon. Luca nahm sich Cornflakes, verzog das Gesicht, tunkte missmutig den Löffel hinein und dachte wehmütig an das Frühstück in 143
Galastor’s Guesthouse: hauchdünne Scheiben Braten, ofenfrisches Brot, bronzefarbener Tee, sahnige Butter … “Is weis!” Das war Möhrchen. Sie stand plötzlich in ihrem sonnengelben Schlafanzug in der Türe, stemmte die Arme in die Hüften und sah ihren Bruder böse an. “Tu mags gar kein Kornfäks! Tu has gelogen. Das darfs tu nich!” “Da hast du wirklich recht”, sagte Luca, stand auf, kniete sich vor seine Schwester und drückte sie. Amelie sah Simon an. “Er wird’s wieder tun, oder?” “Höchstwahrscheinlich!”, sagte der Junge achselzuckend.
144