Der Koran erschließt sich einem Leser nicht leicht – ganz unabhängig davon, ob dieser Leser ein Muslim ist oder nicht. ...
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Der Koran erschließt sich einem Leser nicht leicht – ganz unabhängig davon, ob dieser Leser ein Muslim ist oder nicht. Gleichzeitig ist der Koran, die heilige Schrift der Muslime, jedoch ein Buch, das wie kaum ein anderes den Gang der Geschichte bestimmt hat und für die weltumspannende Kultur des Islam auch heute noch von prägender Bedeutung ist. In dieser Einführung erläutert Hartmut Bobzin die Entwicklung, den Aufbau sowie die sprachliche und literarische Form des Korans und behandelt seine theologischen Grundlehren sowie seine Funktion als Gesetzbuch. Schließlich widmet er sich der Frage der Übersetzbarkeit des Korans, eines sprachlichen Kunstwerks besonderer Art. Hartmut Bobzin ist Professor für Islamwissenschaft und Semitische Philologie an der Universität Erlangen. Die Koranforschung zählt zu seinen Hauptarbeitsgebieten. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt, u. a. „Der Koran im Zeitalter der Reformation“ (1995); auch hat er den Koran in der Übersetzung von Friedrich Rücken (1995) neu herausgegeben.
Hartmut Bobzin
DER KORAN Eine Einführung
Verlag C.H.Beck
Mit 3 Abbildungen
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Bobzin, Hartmut: Der Koran : eine Einführung / Hartmut Bobzin. Orig.-Ausg. – München : Beck, 1999 (C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; 2109) ISBN 3 406 43309 X
Originalausgabe ISBN 3 406 43309 X Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München © C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1999 Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany
Inhalt Vorwort ...............................................................................
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Hinweise zur Aussprache arabischer Laute ........................
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1. Das mißverstandene Buch: Der Koran im Abendland...
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2. Was heißt eigentlich „Koran“? Einige Grundbegriffe ...
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3. Mohammed und seine Sendung: Der Beginn des Korans..................................................
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4. Hauptthemen der frühen koranischen Botschaft............
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5. Die Entwicklung der koranischen Verkündigung..........
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6. Theologische Grundlehren des Korans..........................
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7. „Rechtleitung für die Menschen“ – Der Koran als Gesetzbuch...............................................................
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8. Die sprachliche und literarische Form des Korans .......
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9. Sammlung, Redaktion und Textgeschichte des Korans .....................................................................
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10. Korankommentare und muslimische Koranphilologie .. 109 11. Koranübersetzungen und das Problem der „Übersetzbarkeit“ des Korans ................................. 118 Mekkanische und medinensische Suren.............................. 123 Verzeichnis der benutzten Koranübersetzungen ................. 123 Weiterführende Literatur..................................................... 124 Personen- und Sachregister ................................................. 125 Verzeichnis der übersetzten Koranstellen ........................... 128
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Vorwort Diese Einführung soll Verständnis wecken für ein Buch, das wie kaum ein anderes den Gang der Geschichte bestimmt hat und noch bestimmt, ja, das für die weltumspannende Kultur des Islam von prägender Bedeutung geworden ist und nichts von seiner Dynamik verloren hat. Es mag vermessen erscheinen, in einem schmalen Band wie dem vorliegenden ein so komplexes Buch wie den Koran vorstellen zu wollen. Beschränkung auf das Wichtigste war daher geboten; wer mehr zu Fragen wissen will, deren Behandlung er vermißt, findet im Anhang weiterführende Literatur. Um das Buch so verständlich wie möglich zu machen, habe ich oft aus dem Koran zitiert. Dabei ist stets angegeben, welche Übersetzung ich benutzt habe. Da der Koran ein sprachliches Kunstwerk besonderer Art ist, kam es mir darauf an, das auch in den Übersetzungen (abgesehen von den reinen Prosatexten) so deutlich wie möglich zu machen; daher findet man auch Zitate aus Übersetzungen, denen es vor allem darum ging, den Geist des Korans zu verdeutlichen. Rückerts Übersetzungen werden dabei meist dort in leicht überarbeiteter Form geboten, wo seine Sprache nicht mehr unmittelbar verständlich ist. Wo kein Übersetzer genannt ist, habe ich selbst übersetzt. Daß ich beim Textverständnis vor allem der philologisch nach wie vor unübertroffenen Übersetzung von Paret verpflichtet bin, möchte ich ausdrücklich anmerken. Die Anregung, dieses Buch zu schreiben, geht auf meinen hochverehrten germanistischen Kollegen Karl Bertau zurück. Dr. Ernst-Peter Wieckenberg danke ich für seine große Geduld, Frau Dr. Maria Stukenberg für das sorgfältige Lektorat. Ganz besonderer Dank aber gilt meiner Frau für ihr geduldiges und kritisches Lesen und für die Ermutigung, die sie mir stets gab. Ihr ist dieses Buch deshalb gewidmet. Erlangen, im Januar 1999
HB
Hinweise zur Aussprache arabischer Laute ā langes a wie in „lahm“ ī langes i wie in „schief“ ū langes u wie in „Ruhm“ ‘ c
d d gˇ ġ h h Æ h q r s s š t t z z
a i u
kurzes a wie in „Lamm“ kurzes i wie in „Schiff“ kurzes u wie in „Rum“
Stimmritzenverschluß wie in „be-ehren“ explosiver Kehllaut (arab. kacba „Kaaba“) stimmhaftes engl, th wie in „mother“ verdumpftes d (arab. ramadān „Ramadan“) stimmhaftes dsch wie in „Jeans“ nicht gerolltes Gaumen-r wie in frz. „merci“ wie dt. h, jedoch stets hörbar stark gehecheltes h (arab. muhammad „Mohammed“) wie ch in „Bach“ (nie wie in „ich“!) am Zäpfchen gesprochenes k (arab. qur’ān „Koran“) mit der Zungenspitze gerolltes r wie in ital. „pronto“ stimmloses s wie in „reißen“ verdumpftes stimmloses s (arab. salāt „Gebet“) wie seh in „Schiff“ stimmloses engl, th wie in „three“ verdumpftes t (arab. sultān „Gewalt“) stimmhaftes s wie in „reisen“ verdumpftes stimmhaftes s (arab. nizām „System“)
Bei den arabischen Wörtern ist die betonte Silbe hier und im Register durch Fettdruck des Vokals kenntlich gemacht.
1. Das mißverstandene Buch: Der Koran im Abendland Der Koran gehört nicht zu den Büchern, die sich einem Leser leicht erschließen. Das gilt ganz unabhängig davon, ob dieser Leser Muslim ist oder nicht. Ein muslimischer Leser hat immerhin den Vorteil, daß ihm der wesentliche Inhalt des Korans nicht nur vom Lesen, sondern vor allem vom Hören her vertraut ist. Diese Vertrautheit mit dem Wortlaut ist jedoch nicht von vornherein gleichzusetzen mit seinem Verständnis. Der nichtmuslimische Leser aber steht vor ganz erheblichen Schwierigkeiten, wenn er den Koran lesen und verstehen will. Goethe, der dem Islam große Sympathien entgegenbrachte, hat das Problem für sich persönlich in eindrucksvoller Weise dargestellt. Der Koran sei ein Buch, so schreibt er 1819 in den „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans“, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt.
Man merkt diesem Satz an, wie schwer Goethe die Annäherung an ein Buch fiel, das im christlichen Abendland lange Zeit nur als Verfälschung der Bibel galt. Ricoldo da Monte Croce, ein Dominikanermönch aus der Nähe von Florenz, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts als arabischkundiger Missionar lange Zeit im Vorderen Orient lebte und dort sogar mit islamischen Korangelehrten disputierte, stellte in seiner lateinisch verfaßten Streitschrift „Gegen das Gesetz der Sarazenen“ eine Art „Sündenregister“ auf, in dem er all das behandelt, was den Koran seiner Meinung nach „ungenießbar“ macht. So sei der Koran ohne jede einsehbare Ordnung, ganz im Gegensatz zur Bibel. Das 1. Buch Mose, so heißt es bei Ricoldo, beginne, wie es die Ordnung verlangt, mit der Weltschöpfung und fahre danach so fort, wie es der Ablauf der Geschichte gebiete. Genauso verhalte es sich mit dem Evangelium, also der Geschichte Jesu. Und wie ist es im 9
Koran? Hier sei gar keine chronologische Ordnung feststellbar. Vielmehr folge auf das erste Kapitel, genannt „Die Eröffnung“, das Kapitel „Die Kuh“, so benannt nach einem Ereignis, welches sich in der Bibel in 4. Mose 19 finde, nämlich das Sühneopfer der roten Kuh (vgl. Sure 2, 67 ff.). Im dann folgenden 3. Kapitel stehe der Bericht über die Geburt Jesu (vgl. Sure 3, 45ff.). Ähnliche Ungereimtheiten gebe es zuhauf. Neben mangelnder Ordnung und Zusammenhanglosigkeit kritisiert Ricoldo zahlreiche innere Widersprüche, die sich im Koran finden. So gebiete der Koran einerseits, mit Menschen anderen Glaubens freundlich zu reden (16, 125; vgl. 29, 46): Rufe mit Weisheit und schöner Ermahnung dazu auf, den Weg deines Herrn zu befolgen, und streite mit ihnen auf die schönste Weise; dein Herr weiß um den, der vom Weg abirrt, und er weiß um die, die sich rechtleiten lassen.
Andererseits aber findet sich auch die Aufforderung, die Ungläubigen zu bekämpfen, ja sogar zu töten (9, 29): Bekämpft diejenigen, die nicht an Gott und an den Jüngsten Tag glauben, die nicht das verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und die nicht der rechten Religion anhangen ...
Damit vergleiche man Sure 2, 190f.: [190] Bekämpft um Gottes Willen diejenigen, die euch bekämpfen; aber kämpft nicht unrechtmäßig, Gott liebt nicht diejenigen, die unrechtmäßig kämpfen. [191] Und tötet sie, wo immer ihr sie antrefft ...
Fast noch befremdlicher sind für Ricoldo so phantastische Geschichten wie die von Salomo und den Ameisen (27,17–19): [17] Und es versammelten sich bei Salomo seine Heerscharen, Geister, Menschen und Vögel, und sie waren wohlgeordnet, [18] bis, als sie ins Tal der Ameisen kamen, eine Ameise sprach: Ihr Ameisen, geht hinein in eure Wohnstätten, daß euch nicht Salomo und seine Heerscharen zertreten, ohne das zu bemerken. [19] Da lächelte Salomo über ihre Worte... .
Einer anderen, ähnlich gearteten Geschichte widmet Ricoldo gar ein ganzes Kapitel. Es ist Mohammeds berühmte Nachtreise von Mekka nach Jerusalem und der sich daran anschlie10
ßende Aufstieg in den Himmel. Der koranische Anknüpfungspunkt dafür ist Sure 17, 1: Preis sei dem, der mit seinem Knecht nachts von der heiligen Kultstätte zur äußerst entfernten Kultstätte reiste, deren Umgebung wir gesegnet haben.
Bei der ausführlichen Präsentation dieser Geschichte stellt Ricoldo u.a. die Frage, warum Mohammed eigentlich für die Reise nach Jerusalem ein Reittier – nämlich den in der islamischen Überlieferung so berühmten Burāq – benötigte, für den Aufstieg in den höchsten Himmel jedoch keines. Die Absicht, gerade solche Geschichten in aller Breite zu schildern, ist klar. Schon der im 8. Jahrhundert unter islamischer Herrschaft lebende orthodoxe Theologe Johannes von Damaskus (gest. um 750) bezeichnete den Koran als „lächerliches“ Buch – und genau das galt es jahrhundertelang christlicherseits immer wieder zu beweisen. Ricoldos in vieler Hinsicht repräsentatives Werk fand eine außerordentliche Verbreitung. Es wurde seit 1500 häufig gedruckt und aus dem Lateinischen in weitere Sprachen übersetzt – ins Deutsche übrigens von Martin Luther im Jahre 1542 (Verlegung des Alcoran). Er legte die Lektüre dieses Buches besonders Predigern nahe, damit diese von der Kanzel herab das Volk vor der Versuchung des Islam warnen sollten – gewiß verständlich zu einer Zeit, da türkische Heere Mitteleuropa bedrohten. Viele Argumente Ricoldos gegen den Koran wirkten lange nach. Wichtig war dabei vor allem, daß der Koran ausdrücklich mit der Bibel verglichen wurde – und zwar formal wie inhaltlich. Nicht nur Ricoldo, sondern viele andere, die gegen den Islam schrieben, wollten vor allem die Widersprüche zwischen Bibel und Koran aufdecken, um den Koran als wertloses, aus einzelnen biblischen Elementen zusammengeflicktes „Lügenbuch“ zu entlarven. Die auffälligsten Widersprüche betrafen die zentralen christlichen Lehrsätze von der Gottessohnschaft Jesu und der Trinität. Denn im Koran heißt es ja kurz und klar (Sure 4, 171): Glaubt an Gott und seine Gesandten, und sagt nicht: Drei!
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oder (Sure 5, 73): Ungläubig sind, die da sagen, daß Gott der dritte von dreien ist.
Jesus ist dementsprechend nur ein „Knecht“ Gottes (Sure 43, 59), ein Gesandter (rasūl) und ein Prophet (nabīy) – aber nicht mehr. Das war für manchen christlichen Theologen schwer zu begreifen, da in der eben zitierten Sure 4, 171 scheinbar von der Trinität die Rede ist. Denn dort werden ja die Buchbesitzer (ahl al-kitāb), also Christen und Juden, wie folgt angeredet (in der deutschen Übersetzung Luthers von Ricoldos „Widerlegung“): Sagt nichts von Gott als die Wahrheit, daß Christus Jesus, Marias Sohn, ein Apostel Gottes ist, und Gottes Wort, welches er [d.h. Gott] in sie gelegt hat durch den Heiligen Geist.
Luther stellt ganz richtig fest, daß die drei Elemente der Trinität – Gott, Wort (= Jesus), Heiliger Geist – hier genannt sind, aber daß der Koran dann, um jedes Verständnis der Trinität als Verhältnis dreier Gottheiten auszuschließen, fortfahre: Doch sagt nicht: Drei! Hört auf, das ist besser für euch! Gott ist ein einiger Gott. Fern sei es ihm, daß er einen Sohn hätte!
Man konnte diesen grundsätzlichen Widerspruch zur christlichen Lehre verschieden erklären. Entweder unterstellte man Mohammed – den man selbstverständlich als Verfasser des Korans ansah – absichtliche Verfälschung der christlichen Lehre und rückte ihn in die Nähe wohlbekannter altkirchlicher Ketzer, wie z.B. Arius († 336) oder Nestorius († um 451), die beide die wahre Gottheit Christi bestritten hatten. Dann konnte man die „Falschheit“ des Korans mit den bewährten Argumenten aus dem Streit mit Arianern und Nestorianern beweisen und bekämpfen. Oder man nahm an, daß Mohammed aufgrund mangelnder Bildung vieles mißverstanden bzw. nur unzuverlässige Quellen zur Verfügung gehabt habe und man den Koran dementsprechend „korrigieren“ müsse. Welcher der beiden Auffassungen man auch folgte, der Koran konnte in keinem Fall ein echtes Offenbarungsbuch sein. 12
Wann und wie lernte man im Abendland eigentlich den Koran kennen? Den Christen unter islamischer Herrschaft war es verboten, ihre Kinder den Koran zu lehren; so jedenfalls stand es in dem Unterwerfungsvertrag, den der Kalif cUmar (reg. 634–44) mit mehreren Städten Syriens schloß und der lange Zeit als maßgeblich galt. Von orientalischen Christen war also keine Korankenntnis und mithin auch keine Übersetzung des Korans zu erwarten. Im Byzantinischen Reich, dem unmittelbaren Nachbarn des islamischen Staatswesens, hielt man den Islam lange Zeit für eine abtrünnige christliche Sekte und interessierte sich nicht sonderlich für den Koran. Erst ein Theologe des 9. Jahrhunderts, Niketas von Byzanz, hatte eine volkssprachliche griechische Koranübersetzung zur Verfügung. Von ihr machte er in seiner Streitschrift „Widerlegung des von dem Araber Mohammed gefälschten Buches“, die er im Auftrag von Kaiser Michael III. (reg. 842–67) verfaßte, reichlichen Gebrauch. Diese Koranübersetzung ist heute als ganze verloren, bekannt ist sie nur noch durch die Zitate, die Niketas in seiner „Widerlegung“ anführt. Im übrigen Europa wurde der Koran erst durch die lateinische Übersetzung bekannt, die der cluniazensische Abt Petrus Venerabilis († 1156) 1142/43 in Spanien anfertigen ließ. Die Entstehung dieser Übersetzung hängt auf das engste mit dem Scheitern des 1. Kreuzzugs (1096–99) zusammen. Petrus hatte die Überzeugung gewonnen, daß der Islam nicht mit Waffengewalt, sondern nur mit der Macht des Wortes zu besiegen sei. Das aber setzte die Kenntnis der Grundlehren des Islam, wie sie im Koran zu finden sind, voraus. Während einer Visitationsreise in den christlichen Teil Spaniens im Jahr 1142 konnte Petrus den Engländer Robert von Ketton, der damals an der Übersetzung mathematisch-astronomischer Werke aus dem Arabischen arbeitete, dafür gewinnen, den Koran ins Lateinische zu übersetzen. Obwohl Roberts Koranübersetzung, die er mit Hilfe eines arabischen Muttersprachlers anfertigte, viele Mängel aufweist, hatte sie einen erstaunlichen Erfolg, denn länger als ein halbes Jahrtausend war sie die wichtigste 13
Quelle für die Korankenntnis in der westlichen Christenheit und Ausgangspunkt für weitere volkssprachliche Übersetzungen ins Italienische, Deutsche und Holländische. Das hatte sie vor allem der Tatsache zu verdanken, daß sie 1543, also genau 400 Jahre nach ihrer Entstehung, in Basel gedruckt wurde. Erscheinen konnte sie allerdings erst nach einem erbittert geführten Streit darüber, ob man in einer christlichen Stadt wie Basel ein so ketzerisches Buch wie den Koran überhaupt drucken solle. Die Befürworter, unter ihnen der Zürcher Theologe Theodor Bibliander (1504–1564) als Herausgeber, betonten das berechtigte Bedürfnis weiter Kreise nach gründlicher Information über den Glaubensgegner. Demgegenüber warnten die Gegner vor der Gefahr, die bei ungeübten Lesern von einem Buch wie dem Koran ausgehen könne. Das muß man vor dem Hintergrund verstehen, daß es zu dieser Zeit eine starke antitrinitarische Strömung gab, die zusätzliche Argumente gegen die Trinität aus dem Koran beziehen konnte. Erst Luthers Intervention zugunsten der Befürworter vermochte den Rat der Stadt dazu zu bewegen, die Veröffentlichung der Koranausgabe zu erlauben. Die Nachfrage nach dem stattlichen Band war so groß, daß schon sieben Jahre später eine zweite Auflage notwendig wurde. 1647 erschien in Paris die erste direkte Übersetzung des Korans aus dem Arabischen in eine europäische Volkssprache, das Französische. Der Übersetzer, Andre du Ryer († 1688), hatte lange Zeit als französischer Konsul in der Levante gelebt. Er zog für seine Übersetzung auch islamische Korankommentare heran und gelangte dadurch zu einem authentischeren Verständnis als Robert von Ketton; dennoch zeigt gleich der erste Satz des Vorworts, daß sich dadurch an der überkommenen negativen Einstellung dem Koran gegenüber kaum etwas geändert hatte: Dieses Buch ist ein langer Vortrag Gottes, der Engel, und Mohammeds, den dieser falsche Prophet auf allzu plumpe Weise erfunden hat ...
Du Ryers oft nachgedruckte Koranübersetzung gewann im Zeitalter von Barock und Aufklärung, als Französisch zur er14
sten Sprache Europas aufstieg, eine sehr große Verbreitung. Voltaire z.B. las sie – und fand kein gutes Wort über den Koran; er sei, schrieb er 1740 an Friedrich den Großen, ein unverständliches Buch, das auf jeder Seite den gesunden Menschenverstand erschauern läßt.
Allerdings revidierte Voltaire sein Urteil später. In seinem erstmals 1753 erschienenen „Versuch über die Sitten und den Geist der Nationen“ (Essai sur les mceurs et l’esprit des nations) läßt er dem Koran größere Gerechtigkeit angedeihen, ohne ihm jedoch wirkliche Sympathie entgegenzubringen: Der Koran ist nicht ein historisches Buch, mit dem man die Bücher der Hebräer oder unsere Evangelien hätte nachahmen wollen. Er ist auch nicht nur ein reines Gesetzbuch, wie das 3. und 4. Buch Mose, noch eine Sammlung von Psalmen oder Liedern, noch eine prophetische oder allegorische Vision im Stil der Apokalypse; er ist vielmehr eine Mischung all dieser unterschiedlichen Gattungen, eine Ansammlung von Predigten, in denen man einige Tatsachen findet, einige Visionen, sowie Offenbarungen, religiöse und säkulare Rechtsvorschriften.
Auch bei dieser Charakterisierung, in der Voltaire übrigens in ganz moderner Weise verschiedene Gattungen koranischer Texte unterscheidet, blieb weiterhin die Bibel der Vergleichsmaßstab. Der Koran als die schlechtere Bibel – das war dann „Die türkische Bibel“. Der Übersetzer der ersten direkt aus dem Arabischen übersetzten deutschen Koranausgabe, David Friederich Megerlin (1699–1778), scheute sich nicht, diese Bezeichnung als Untertitel seiner 1772 erschienenen Arbeit zu verwenden. Auf der dem Titelblatt gegenüberliegenden Seite prangt als Kupferstich „Mahumed, der Falsche Prophet“ (Abb. 1). „Eine elende Produktion“ befand Goethe in einer Rezension ganz zu Recht, zumal Megerlin bei aller berechtigten Kritik an früheren Übersetzungen doch an der alten Grundüberzeugung eines „Lügen- und Fabelbuchs“ festhält. Aber wenn man Megerlins langatmige Vorrede bis zum Ende durchliest, stößt man auf die ganz unerwartete, geradezu erstaunliche Bemerkung: 15
Abb. 1: Koranübersetzung von Megerlin (1772)
Man kann hie und dorten auch gute und unärgerliche Stellen finden: die jedermann lesen darf, und zur Erbauung anwenden kann.
Es blieb dem bedeutenden katholischen Theologen Johann Adam Möhler (1796–1838) vorbehalten, die Eigenständigkeit des Korans als religiöser Urkunde und die ihm eigene Spiritualität zu erkennen. Möhler wandte sich in einem Aufsatz, in dem er das Verhältnis von Jesus zu Mohammed nach der koranischen Lehre behandelt, gegen die weitverbreitete Auffassung, daß Mohammed nichts als ein Betrüger und ein „falscher Prophet“ sei. Bei einer solchen Annahme, schreibt Möhler, werde 16
am unerklärlichsten ... die Entstehung des Koran sein, in welchem uns häufig eine ganz originelle Pietät, eine rührende Andacht und eine ganz eigentümliche religiöse Poesie entgegentritt. Dies kann unmöglich etwas Erkünsteltes und Erzwungenes sein, was doch müßte angenommen werden, wenn wir in Mohammed einen bloßen Betrüger finden wollten... Viele Millionen Menschen nähren und pflegen aus dem Koran ein achtungswertes religiös sittliches Leben und man glaube nicht, daß sie aus einer leeren Quelle schöpfen.
Obwohl Möhler diese Gedanken schon 1830 veröffentlichte, blieben sie weit über hundert Jahre unbeachtet. Erst das II. Vatikanische Konzil bahnte mit seiner Deklaration „Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (Nostra aetate) den Weg für ein besseres Verstehen der Muslime. Zwar blieben Mohammed und der Koran im Text unerwähnt, aber die ausdrücklich erwähnte Aufforderung, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen“, kann nichts anderes bedeuten, als gerade auch den Koran in dieses Bemühen einzuschließen. Denn dieses Buch ist nicht nur so etwas wie die Gründungsurkunde des Islam, es ist zugleich das bis heute unumstrittene Zentrum des Islam als Religion in all seiner Vielfalt, und vor allem die nie versiegende Quelle der dem Islam eigenen Spiritualität. Und der Koran ist ein unverzichtbarer Bestandteil nicht nur der arabischen Literatur, an deren Anfang er steht und deren Sprache er zutiefst beeinflußt hat, sondern auch der Weltliteratur. Muslime sprechen von der „Unvergleichbarkeit“, ja der „Unnachahmlichkeit“ des Korans, und es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Überzeugung nicht ernstzunehmen. Daher kommt man dem Koran nicht näher, man verbaut sich sogar jeden Zugang, wenn man ihn mit fremdem Maße mißt: Der Koran ist nicht die „Bibel“ der Muslime, sondern etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares. Deshalb muß jetzt etwas darüber gesagt werden, was „Koran“ eigentlich genau bedeutet.
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2. Was heißt eigentlich „Koran“? Einige Grundbegriffe Der Koran als Vortragstext Mit dem Wort „Koran“ (betont wird die letzte Silbe) ist gewöhnlich das gesamte heilige Buch des Islam gemeint, d.h. die Sammlung der von Mohammed empfangenen und öffentlich verkündeten Offenbarungen Gottes. In diesem Sinne wird arabisch qur’ān von Muslimen auch ganz überwiegend verwendet und dann meistens mit dem ehrenden Beiwort karīm versehen, was soviel wie „edel, wert, geehrt“ bedeutet. Dabei bezieht man sich auf Sure 56, 77: Das ist wahrlich ein edler Koran.
Übrigens verwenden die Muslime noch eine Reihe anderer Bezeichnungen für den Koran. Man nennt ihn oft einfach kitāb, d.h. „das Buch“ oder „die Schrift“. Oder er heißt „das Buch Gottes“ (kitāb Allāh) oder auch „das weise Buch“ (al-kitāb al-hakim, vgl. 10, 1 und 31, 1). Andere Bezeichnungen beziehen sich entweder mehr auf die äußere Form, wie mushaf „Buch, Kodex“, oder aber auf die Funktion des Korans. Letzteres ist z.B. der Fall, wenn man ihn als „die weise mahnende Erinnerung“ (al-dikr al-hakīm) bezeichnet, z.B. in folgendem, sehr aufschlußreichen Vers aus Sure 3, der uns gut in die Nähe der ursprünglichen Bedeutung des Wortes qur’ān führen kann. Nachdem nämlich in dieser Sure ab Vers 45 ausführlich über Geburt und Wirken Jesu berichtet wird, heißt es in Vers 58, in dem Gott sich an Mohammed wendet: Dies tragen wir dir von den Zeichen (bzw. Versen) und der weisen mahnenden Erinnerung vor.
Mit dem Begriff der „mahnenden Erinnerung“ (dikr) wird etwas angedeutet, was der Hörer im Grunde weiß, an das er aber immer wieder erinnert und ermahnt werden muß. Der Kern der Botschaft ist also nicht eigentlich neu, sondern altbekannt und bedarf nur der Wiedererinnerung, und zwar 18
durch Verlesung oder Vortrag. Und genau das, nämlich den „Vortrag“, bezeichnet das Wort qur’ān in seiner ursprünglichen Bedeutung. Wenn man alle 70 Stellen im Koran durchgeht, an denen das Wort qur’ān vorkommt, merkt man rasch, daß die Gleichsetzung von Koran mit Buch (kitāb) nicht überall paßt, wie z.B. in Sure 17,78: Verrichte das Gebet (salāt) vom Niedergang der Sonne an bis zum Einbruch der Nachtfinsternis, und den „Koran“ der Morgendämmerung.
Hier ist mit qur’ān eine bestimmte Tätigkeit, ein Akt, gemeint, und zwar eine Rezitation, ein lauter Vortrag von Texten. Mit einiger Sicherheit handelt es sich hier um einen ziemlich alten, aus dem Beginn des Gemeindelebens stammenden Beleg dafür, daß es eine ganz enge konzeptionelle Verbindung gegeben haben muß zwischen der sog. salāt, d.h. dem rituellen Gebet, das der Muslim fünfmal am Tag zu verrichten hat, und dem qur’ān, der lauten Lesung der geoffenbarten Botschaft Gottes an Mohammed. Noch näher an den Vorgang des Offenbarungsgeschehens bringt uns Sure 20, 114: Und übereile dich nicht mit dem Vortrag (qur’ān), bevor nicht seine Eingebung (wahy) beendet ist.
Daraus ist zu entnehmen, daß zunächst eine Eingebung oder Offenbarung Gottes an Mohammed ergeht, die dann vom Propheten vorgetragen wird. Dieser „Vortrag“ des geoffenbarten Textes heißt „Koran“ (qur’ān). Um den Vorgang der Offenbarung, die diesem Vortrag vorausgeht, zu beschreiben, werden vor allem zwei Begriffe benutzt, nämlich „Eingebung“ (wahy) und „Herabsendung“ (tanzīl). Beide Begriffe erscheinen unendlich oft im Koran. Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang folgender Text, in dem sich Gott, der hier von sich im Plural redet, an Mohammed wendet (75, 16–18): [16] Bewege nicht deine Zunge mit ihm [d.h.: dem geoffenbarten Text], um dich mit ihm [d.h. seinem Vortrag] zu übereilen. [17] Siehe, an uns ist es, ihn [d. h. den geoffenbarten Text] zusammenzustellen und
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ihn vorzutragen. [18] Und wenn wir ihn vorgetragen haben, dann folge du seinem Vortrag nach.
Hieraus läßt sich entnehmen, daß man sich die Eingebung bzw. Herabsendung offenbar so vorstellt, daß Mohammed ein zuvor komponierter Text vorgetragen wird. Dieser erste Vortrag wird in einer jüngeren Stelle (2, 97) dem Engel Gabriel zugeschrieben: Siehe, er ist es, der ihn [d. h. den qur’ān] in dein Herz hinabgesandt, Mit der Erlaubnis Gottes – bestätigend, was vor ihm war, Als rechte Leitung und als frohe Botschaft für die Gläubigen.
Unter qur’ān sind also, wie man nach den vorangegangenen Überlegungen sagen kann, vier verschiedene Dinge zu verstehen: a) der Vortrag eines Offenbarungstextes an Mohammed selbst b) der öffentliche Vortrag dieses Textes durch Mohammed c) der Text selbst, der vorgetragen wird d) die Gesamtheit der vorzutragenden Texte, d.h. der Koran als Buch. In den ersten beiden Bedeutungen wird das Wort qur’ān für eine Tätigkeit benutzt, in den beiden letzten jedoch für den vorgetragenen Text selbst bzw. für die Gesamtheit dieser Texte. Im Koran selbst wird also unterschieden zwischen einer gleichsam dynamischen Bedeutung von qur’ān, nämlich seinem mündlichen Vortrag, und einer eher statischen Bedeutung, die den geschriebenen und schließlich in Buchform präsenten Text meint. Der Koran als Vortrag und der Koran als Buch – das sind zwei Seiten einer Medaille, und man kann den Koran nicht verstehen, wenn man ihn nur auf eine seiner beiden Präsentationsformen reduziert. Aus dem bisher Gesagten folgt, daß der Koran nicht gleich als ganzer offenbart wurde, wie man es z.B. aus 2, 185 herauslesen könnte: Der Monat Ramadan, in dem der Koran herabgesandt wurde.
Wenn damit der gesamte Koran gemeint wäre, könnten Mohammeds Gegner nicht zu ihm sagen (25, 32): 20
Es sprechen die Ungläubigen: Warum denn wurde nicht in einem Zug auf ihn herabgesandt der Koran?
Einige muslimische Koranausleger meinen daher, daß mit qur’ān in Sure 2, 185 nicht der gesamte Koran gemeint ist, sondern lediglich der Beginn der Offenbarung, dessen Zeitpunkt die Tradition gewöhnlich mit der lailat al-qadr, d. h. einer der letzten ungeraden Nächte des Monats Ramadan, gleichsetzt. Diese Nacht ist das Thema der berühmten Sure 97 (Übersetzung Rückert): [1] Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht. [2] Weißt du, was ist die Nacht der Macht? [3] Die Nacht der Macht ist mehr als was In tausend Monden wird vollbracht. [4] Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, Auf ihres Herrn Geheiß, daß alles sei bedacht. [5] Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht.
In dieser Nacht soll der erste qur’ān, also der erste vorzutragende Text, geoffenbart worden sein, und wir werden im folgenden Kapitel sehen, welcher Korantext genau damit gemeint sein könnte. Die Sure Der Koran, so wie er uns heute als Buch vorliegt, ist eingeteilt in 114 „Suren“ (sūra, Pl. suwar). Sie sind von sehr unterschiedlicher Länge, die man allerdings nicht nach der Anzahl der – wiederum sehr unterschiedlich langen – Verse zu messen hat, sondern nach Zeilen. Danach ist Sure 108 mit drei Versen auf anderthalb Zeilen am kürzesten, und am längsten ist Sure 2 mit 286 Versen auf ca. 615 Zeilen. Ein so großer Unterschied im Umfang und die Tatsache, daß gerade die besonders langen Suren zu Beginn des Korans (Suren 2 bis 7) eine Fülle unterschiedlicher Themen enthalten und eine klare Gliederung, wie sie für die meisten mittellangen und kürzeren Suren erkennbar ist, vermissen lassen, macht die Frage unausweichlich, was das Wort „Sure“ ursprünglich bedeutet. Die Etymologie hilft hier wenig, denn das Wort scheint eine ko21
ramsche Prägung zu sein. Betrachtet man den koranischen Sprachgebrauch, dann hat das Wort sūra (es kommt insgesamt, zehnmal vor) eine ähnliche Bedeutung wie qur’ān. Wie von einem qur’ān heißt es auch von einer sūra, daß sie „herabkommt“, so mehrfach in Sure 9. Auch die Sure ist also ein geoffenbarter, vorzutragender Text. Der Beginn von Sure 24, 1 lautet: Eine Sure, die wir herabsandten und verordneten, und in der wir klare Zeichen herabsandten; vielleicht lassen sie sich ermahnen.
An dieser Position – nämlich in den „Eröffnungsversen“ einer Sure – erscheint sonst viel häufiger qur’ān (vgl. 12, 2; 15, 1 und öfter). Noch augenfälliger ist die ursprüngliche funktionale Übereinstimmung zwischen sūra und qur’ān an folgender Stelle (10, 37–8): [37] Es ist unmöglich, daß dieser Vortrag (qur’ān!) ausgedacht wurde ohne Gott. Er ist vielmehr eine Bestätigung des Früheren und eine Erklärung der Schrift, an der kein Zweifel ist, vom Herrn der Weltbewohner. [38] Sagen sie: Er hat es sich ausgedacht! So sage du: Bringt doch eine Sure (sūra), die wie dieser [Vortrag] ist, herbei ...!
Hier könnte man, ohne den Sinn der Aussage zu verändern, die Wörter sūra und qur’ān austauschen. Da aber das Wort qur’ān in nachkoranischer Zeit zunehmend zur Bezeichnung des gesamten Offenbarungstextes in Schriftform (mushaf „Korankodex“) benutzt wurde, verwendete man sūra als Terminus für die in sich abgeschlossenen, größeren oder kleineren einzelnen Vortragstexte. Am ehesten könnte man eine Sure mit einem Psalm aus dem Alten Testament vergleichen; denn auch die Psalmen weisen zwar formal wie inhaltlich eine große Vielfalt auf, sind aber dennoch eine eigene Gattung religiöser Rede – und nicht einfach nur „Kapitel“ des gesamten Psalmenbuches. Ebenso ist auch eine Sure nicht lediglich ein „Kapitel“ des Korans. Vielmehr könnte man etwas überspitzt sagen, daß eine Sure gleichsam „ein Koran im kleinen“ ist.
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Der Vers Schließlich bleibt noch die kleinste Einheit im Koran zu betrachten, der Vers, arabisch āya (Pl. āy, āyāt). Auch dieses Wort hat schon im Koran eine eigene Bedeutungsentwicklung durchgemacht. Die Grundbedeutung von āya ist „Zeichen“. So wird häufig für die Beglaubigung einer Botschaft ein Zeichen gefordert, z. B. von Zacharias, der es nicht glauben kann, daß seine bislang kinderlose Frau noch in hohem Alter einen Sohn bekommen soll (19, 10): Er sprach: Herr, mache mir ein Zeichen! Der sprach: Dein Zeichen sei, daß du, obwohl gesund, drei Tage nicht zu den Leuten sprechen kannst.
Am häufigsten wird āya jedoch für Naturerscheinungen und geschichtliche Ereignisse der Vergangenheit gebraucht, die jeweils als Zeichen für Gottes Einzigartigkeit und Allmacht gedeutet werden. So heißt es z.B. vom Regen in Sure 16, 65: Vom Himmel ließ Gott Wasser kommen und belebte mit ihm die Erde, nachdem sie abgestorben war; wahrlich, ein Zeichen liegt darinnen für die Hörenden.
Ebenso liegt im Durchzug der Israeliten durch das Meer ein Zeichen (26, 63–67): [63] Und wir gaben Mose ein: Schlage das Meer mit deinem Stab! Da spaltete es sich und jeder Teil ward zu einem gewaltigen Berg. [64] Und wir brachten die anderen dort heran. [65] Dann retteten wir Mose und die Seinen allesamt. [66] Und ließen dann die anderen ertrinken. [67] Wahrlich, darin liegt ein Zeichen; aber die meisten glauben nicht.
Man könnte in solchen Geschichten, die meist aus der biblischen Überlieferung bekannt sind, āya einfach mit „Wunder“ übersetzen oder aber mit „Beweis“. Diese Bedeutungen sind im Koran reichlich belegbar. Den Übergang zu der mehr „technischen“ Bedeutung „Koranvers“ kann man in solchen Stellen sehen, in denen der Inhalt mit dem Textabschnitt selbst gleichgesetzt wird, z. B. bei einer häufig vorkommenden Wendung wie in Sure 8, 31: Wenn ihnen unsere āyāt vorgetragen werden ...
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Als Gegenstand eines „Vortrags“ wird āya auf diese Weise zum Parallelbegriff zu qur’ān bzw. sūra, gewinnt also ebenfalls die Bedeutung einer (kleineren) Vortrags- bzw. Texteinheit. Als es in nachkoranischer Zeit zu einer begrifflichen Abgrenzung dieser drei funktional zunächst parallel verwendeten Wörter kam, entfiel auf āya die Bezeichnung der kleinsten vorzutragenden Texteinheit, des Verses. Verszählung und Surennamen Auch Verse können von sehr unterschiedlicher Gestalt und Länge sein. Vers 282 aus Sure 2 nimmt gut eine Seite in der heute üblichen Standardausgabe ein; dagegen beginnen mehrere Suren mit einem Vers, der nur aus einem Wort besteht (z.B. 52, 53 und 55) oder gar nur aus einer Kombination von zwei Buchstaben (z.B. 20, 36, 40–46). Die islamische Überlieferung kennt verschiedene Verszählsysteme. Heute ist die sog. „kufische“ Verszählung am weitesten verbreitet. Sie ist nach der Stadt Kufa im Irak benannt, die in der Frühzeit des Islam nicht nur politisch bedeutsam, sondern zugleich auch Zentrum religiöser Gelehrsamkeit war. Dabei spielte die gewissenhafte Tradierung des Korans und der verschiedenen Koranwissenschaften eine herausragende Rolle. Alle Suren haben Namen, manche sogar mehr als einen. Diese Namen sind „Stichworte“, die in erster Linie als Hilfe für das Memorieren zu verstehen sind. Die überlieferten Surennamen zeigen verschiedene Möglichkeiten, zu einem gängigen Surennamen zu kommen. Häufig wird ein Stichwort aus dem Eingangsvers der Sure bzw. überhaupt ihr erstes Wort als Name verwendet, wie z.B. Sure 48 „Der Sieg“ (al-fath) nach Vers 1: Siehe, wir haben dir einen deutlichen Sieg (fath) eröffnet!
Oft wird auch ein im ersten Vers vorkommendes Verb in ein damit zusammenhängendes Substantiv verwandelt, wie z.B. in Sure 17; hier lautet Vers 1 (Übersetzung nach Rückert): Preis ihm, der reiste in der Nacht (asrā) mit seinem Knecht von dem geweihten Bethaus zum weit entfernten Bethaus ...
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Danach heißt die Sure „Die Nachtreise“ (al-isrā’). Aber sie ist auch unter einem anderen Namen bekannt, nämlich „Die Kinder Israel“ (Banū Isrā’īl); das bezieht sich auf den Inhalt von Vers 2ff., d.h. dieser Name hat einen thematischen Grund. Für eine ganze Reihe von Suren gibt es auf analoge Weise verschiedene Namen. Meistens stehen die Namen mit dem oft sehr komplexem Inhalt der Suren nur in einer sehr lockeren und ganz äußerlichen Verbindung. Besonders bekannte Koranverse Einige wenige Koranverse haben übrigens besondere Namen. Gewiß der berühmteste von ihnen ist Sure 2, 255, der „Thronvers“ (āyat al-kursī), der besonders häufig für kalligraphische Darstellungen verwendet wird und auch als Aufschrift auf Halsbandanhängern sehr beliebt ist. Benannt ist dieser Vers nach dem in ihm genannten Thron Gottes (Übersetzung nach Rückert): Gott, außer ihm kein Gott! Er, der Lebendige, Beständige, Ihn fasset weder Schlaf noch Schlummer, Sein ist, was da im Himmel ist und was auf Erden; Wer leget Fürsprach’ ein bei ihm, Als er erlaub’ es denn? Er weiß Was vor ist und was hinter ihnen, Doch sie umfassen nichts von seinem Wissen, Als was er will. Es füllt sein Thron Die Weite Himmels und der Erde, Und ihn beschwert’s nicht, beide zu behüten. Er ist der Hohe, Große.
Ähnlich großer Wertschätzung erfreut sich Sure 24, 35, der „Lichtvers“ (āyat an-nūr). Vor allem in der islamischen Mystik ist die Lichtsymbolik dieses Verses immer neuen Deutungen unterworfen gewesen (Übersetzung Rückert): Gott ist das Licht des Himmels und der Erde, Das Gleichnis seines Lichtes ist Wie eine Nisch’ in welcher eine Leuchte Die Leuchte ist in einem Glas,
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Das Glas ist wie ein funkelnder Stern, Die angezündet ist vom Segensbaume, Dem Ölbaum nicht aus Osten noch aus Westen; Das Öl fast selber leuchtet, wenns Auch nicht berührt die Flamme; Licht über Licht – Gott leitet Zu seinem Lichte wen er will: Gott aber prägt die Gleichnisse den Menschen, Und Gott ist jedes Dings bewußt.
3. Mohammed und seine Sendung: Der Beginn des Korans Wenn man den Koran verstehen will, ist es unerläßlich, auch von Mohammed zu reden. Denn Mohammed (ca. 570–632) ist ja derjenige, der als erster die im Koran niedergelegte göttliche Offenbarung empfing und sie dann den Menschen übermittelte; daher ist sein im Koran am häufigsten vorkommender Titel „Gesandter Gottes“ (rasūl allāh). Die Sprache des Korans, die sich häufig der Form des Dialoges bedient, macht deutlich, welche Bedeutung dem Gesandten als Vermittler der Botschaft zukommt. So findet sich der so charakteristische, an Mohammed gerichtete Imperativ: „Sprich!“ (qui) insgesamt 332 mal. Trotzdem gibt es im Koran kaum konkrete, historisch verwendbare Daten über diesen Gesandten. Nur an vier Stellen (Suren 3, 144; 33, 40; 47, 3; 48, 29) wird der Name Mohammed (Muhámmad) genannt; er bedeutet „der hoch zu Preisende“. Da dieser Name schon für die vorislamische Zeit bezeugt ist, ist er keineswegs als Titel zu verstehen (3, 144): Und Mohammed ist nichts als ein Gesandter, vor dem schon andere Gesandte dahingingen.
Mohammed wird hier also als Glied in einer Reihe sterblicher Menschen angesehen. Auch Jesus, im Koran meist mit dem Beiwort „Sohn der Maria“ versehen, gilt als Gesandter und sterblicher Mensch (5, 75): 26
Der Messias, Sohn der Maria, ist nichts als ein Gesandter, vor dem schon andere Gesandte dahingingen.
Für die Stellung Mohammeds ist Sure 33, 40 von großer Bedeutung: Mohammed ist nicht der Vater eines eurer Männer, sondern er ist der Gesandte Gottes und das Siegel der Propheten (hÆ ātam an-nabīyīn).
An dieser Stelle wird Mohammed nicht nur als Gesandter, sondern ausdrücklich auch als Prophet (nabīy) bezeichnet, wobei die zahlreichen Geschichten über frühere Gesandte und Propheten im Koran stets im Hinblick auf diese Aussage gelesen und verstanden werden müssen: Mohammed ist es, der die lange Reihe dieser Männer besiegelt, d.h. abschließend bestätigt. Was kann man nun aus dem Koran über Mohammed erfahren? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da es hier unüberbrückbar scheinende Gegensätze gibt, die mit der Einschätzung des Korans als „historischer“ Quelle zu tun haben. Muslimische Gelehrte sehen hier allerdings kaum ein Problem. Ihnen erscheint der Koran als Buch, dessen Botschaft gleichsam eingebettet erscheint in die Lebensgeschichte Mohammeds. Für die meisten Passagen gibt es, nach muslimischer Überzeugung, je einen bestimmten „Offenbarungsanlaß“ (sabab an-nuzūl, wörtl. „Grund für die Herabkunft“). Allerdings sind die in diese Richtung gehenden überlieferten Interpretationen einzelner Koranabschnitte oft sehr unterschiedlich, besonders bei Texten, deren Formulierung mehr als nur eine Deutung zuläßt. Aber die Vielzahl widerspüchlicher, oft auch miteinander konkurrierender Textauffassungen hat die muslimischen Gelehrten niemals von der Grundüberzeugung abgebracht, daß man den Koran stets historisierend, d.h. vom Leben Mohammeds ausgehend, zu interpretieren habe. Man kann daher sagen, daß die Kenntnis der Lebensgeschichte Mohammeds für den Muslim ein selbstverständliches und zugleich zum Verständnis des Korans notwendiges Hintergrundwissen darstellt. 27
Auch nichtmuslimische Forscher haben sich dieser biographisch-historisierenden Sichtweise angeschlossen. Man braucht nur in die Anmerkungen der heute gängigen Koranübersetzungen zu schauen, um das bestätigt zu finden. Als Beispiel sei Sure 93 genannt (Übersetzung Henning): [1] [2] [3] [4] [5]
Beim lichten Tag Und der Nacht, wann sie dunkelt, Dein Herr hat dich nicht verlassen und nicht gehaßt! Und wahrlich, das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits, Und wahrlich, geben wird dir dein Herr, und du wirst zufrieden sein. [6] Fand Er dich nicht als Waise und nahm dich auf? [7] Und fand dich irrend und leitete dich? [8] Und fand dich arm und machte dich reich? [9] Drum, was die Waise anlangt, unterdrücke sie nicht, [10] Und was den Bettler anlangt, verstoß ihn nicht, [11] Und was deines Herrn Gnade anlangt, verkünde sie.
Diese Sure wird immer wieder als Beleg dafür verwendet, daß Mohammed als Waise bzw. Halbwaise zur Welt gekommen sei. So schreibt Henning in der Anmerkung zu Vers 6: „Mohammed ward von seinem Großvater zärtlich erzogen“. Damit kann er sich jedoch nur auf außerkoranische Berichte über Mohammed beziehen, nicht auf den Koran selbst, wo nirgends von Mohammeds Großvater die Rede ist. Dazu kommt, daß der Bezug auf Mohammed in der ganzen Sure nicht zwingend ist, wie vor allem die letzten drei der oben angeführten Verse erkennen lassen. Denn die Aufforderung, die Waise nicht zu unterdrücken oder den Bettler nicht zu verstoßen, ist ein verbreitetes Thema religiöser, vor allem prophetischer Rede, das schon im Alten Testament bezeugt ist. Von daher ist es auch möglich, diesen Text ganz allgemein als Aufforderung zur Gerechtigkeit zu verstehen, und nicht, wie es in einer Neubearbeitung der Übersetzung von Henning (1979) heißt, als „eine Trostrede des angefochtenen Propheten“. Diese Auffassung geht nämlich auf die übliche islamische Deutung der Sure zurück. Sie sieht in Vers 3 eine Anspielung darauf, daß die Offenbarung in Mekka eine Zeitlang ausblieb und man deshalb Mohammed vorhielt, sein Herr habe ihn 28
verlassen. Daraufhin sei diese Sure geoffenbart worden. Diese Art der Deutung ist übrigens ganz typisch für die Gattung der schon genannten „Offenbarungsanlässe“, in der es stets um die historische Konkretisierung von Texten geht, und zwar auch solcher, die eine allgemeine, nicht auf einen konkreten Fall bezogene Deutung zulassen. Viele nichtmuslimische Forscher sind dieser historisierenden Sicht des Korans gegenüber viel zurückhaltender. Für sie ist der Koran nicht primär eine historische Quelle; sie bemühen sich daher darum, zunächst die Besonderheit des Korans herauszuarbeiten, respektieren ihn also als eigene und ganz eigentümliche literarische Gattung religiöser Rede. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Koraninterpretation und Lebensgeschichte Mohammeds heißt das, daß sie den Koran ohne Rückgriff auf die tradierten Berichte vom Leben Mohammeds zu interpretieren versuchen. Auch wenn man, wie ich es im folgenden tun werde, diesen zweiten Weg einschlägt, darf man die islamische Auslegungstradition des Korans mit ihrem ganzen Reichtum an philologischen und historischen Erkenntnissen nicht unbeachtet lassen. Diese Auslegungen müssen jedoch als zeitbedingte Interpretationen, in denen vor allem bestimmte theologische und rechtliche Diskussionen der frühen islamischen Gemeinde ihren Niederschlag gefunden haben, kritisch hinterfragt werden, wenn es um ein angemessenes literarisches wie historisches Verständnis des Korans gehen soll. In welchem Ausmaß der Koran als Quelle für die Rekonstruktion des Lebens Mohammeds nutzbar gemacht werden kann, ist eine Frage, die im Rahmen einer Biographie Mohammeds beantwortet werden müßte. Wenn also im folgenden dennoch von Mohammed die Rede ist, ja die Rede sein muß, dann stets im Sinne einer gleichsam „inneren“, nur aus koranischen Belegen erhobenen Biographie. Im Rahmen der vorliegenden Darstellung des Korans ist die Lebensgeschichte Mohammeds daher nur insoweit von Bedeutung, als sie ohne die Zuhilfenahme sekundärer Quellen aus dem Koran selbst deutlich wird. Und diese religiöse Bio29
graphie hat natürlich einen Anfang – die Berufung des Gesandten. Von ihr spricht der Koran allerdings nicht explizit. Aber.es gibt eine Reihe von koranischen Texten, für die mit guten Gründen geltend gemacht werden kann, daß sie am Anfang der Verkündigung stehen. Nun sind die Suren im Koran allerdings nicht chronologisch nach ihrer Entstehungszeit angeordnet, sondern nach dem eher äußerlichen Kriterium der abnehmenden Länge. Zu den Ausnahmen gehört die erste Sure („Die Eröffnende“, alfātiha), die sicher wegen ihrer großen Bedeutung für das Glaubensleben der Muslime an den Anfang des Korans gestellt wurde. Die Chronologie der Suren muß also nach anderen Kriterien bestimmt werden. In dem 1923 erstmals erschienenen sog. Azhar-Koran (s.u. S. 109), der die Grundlage für die meisten modernen arabischen Koranausgaben darstellt, steht in der Überschrift zu jeder Sure neben ihrem Namen und der Anzahl ihrer Verse auch die Angabe, ob sie in Mekka oder in Medina geoffenbart wurde; die Bezeichnungen „mekkanisch“ und „medinensisch“ beziehen sich allerdings nicht ausschließlich auf den Ort des Empfangs der Sure, sondern auf die Zugehörigkeit zu den beiden durch die Hidschra getrennten Lebensperioden Mohammeds. Mekkanische Suren gehören also der Zeit von Mohammeds Berufung (ca. 610) bis 622, dem Jahr der Auswanderung nach Medina, an, medinensische der Zeit zwischen 622 und 632, dem Todesjahr Mohammeds. Diese chronologische Klassifizierung der Suren beruht vor allem auf der Auswertung von außerkoranischen Daten zum Leben Mohammeds bzw. der Geschichte der jungen islamischen Gemeinde. Aber nicht nur die weitergehende Feineinteilung, sondern selbst die Unterscheidung zwischen mekkanischen und medinensischen Suren weist auch unter muslimischen Gelehrten einige Differenzen auf, d. h. es gibt eine Reihe von Suren, deren genaue zeitliche Zuordnung bis heute umstritten ist. Interessanterweise findet sich in den Surenüberschriften des AzharKorans jedoch noch zusätzlich eine „relative“ Chronologie; d.h. mit Ausnahme von Sure 96 („das erste, was vom Koran 30
offenbart wurde“) wird bei jeder Sure angegeben, nach welcher anderen sie geoffenbart wurde. Bei einigen Suren wird zudem noch vermerkt, daß einige Verse aus Medina stammen, obwohl der größte Teil in Mekka „herabkam“ (wie der arabische Ausdruck für „offenbart werden“ – nazala – wörtlich zu übersetzen ist) – und umgekehrt. Es gibt also in mekkanischen Suren einzelne medinensische Verse und in medinensischen Suren einzelne mekkanische Verse. Auch in der Frage der zeitlichen Einordnung der Suren und der Erörterung von Zusätzen innerhalb von ihnen hat die nichtmuslimische Forschung einen anderen Weg eingeschlagen. Schon im letzten Jahrhundert haben nämlich die beiden deutschen Orientalisten Gustav Weil (1808–1889) und Theodor Nöldeke (1836–1930) ein chronologisches Gerüst entworfen, das zwar auch die historische und exegetische Überlieferung im Islam berücksichtigt, primär jedoch von formalen, also sprachlichen und literarischen Merkmalen des Korantextes selbst ausgeht. Das im Ansatz Neue bei Weil und dann vor allem bei Nöldeke, dem die genaue Ausarbeitung zu verdanken ist, besteht darin, daß sie die mekkanischen Suren noch einmal unterteilen, und zwar in drei verschiedene Perioden. Das hat sich als ein im Prinzip fruchtbarer Ausgangspunkt für die Forschung erwiesen, und vor allem neuere literaturwissenschaftliche Untersuchungen zum Koran haben ihre Brauchbarkeit im großen und ganzen bestätigt. Daher gehe auch ich in diesem Buch von der Chronologie Nöldekes aus (vgl. Tabelle S. 123). Als ältester Text und Beginn der Offenbarung gilt der islamischen Überlieferung, der Nöldeke hierin folgt, Sure 96, 1–5: [1] Trag vor im Namen deines Herrn, der schuf, [2] Aus einem Klumpen den Menschen schuf. [3] Trag vor! Und dein Herr, der hochgeehrte, [4] Der mit dem Schreibrohr lehrte, [5] Den Menschen, was er nicht wußte, lehrte.
Wenn man diesen Text unvoreingenommen betrachtet, ist es jedoch keineswegs zwingend, hierin den Bericht einer Beru31
fung zu sehen. Wahrscheinlich hat die Tatsache, daß zu Beginn von Vers 1 und 3 der Imperativ des Verbs „vortragen“ steht (iqra’!), von dem auch das Wort qur’ān abgeleitet ist, die Anregung dazu gegeben, hierin die allererste Aufforderung zum „Vortrag“ zu sehen. Die Überlieferung vom Leben Mohammeds gibt dafür eine ausführliche, in mehreren Variationen existierende Rahmenerzählung; darin wird geschildert, wie Mohammed während des Monats Ramadan in einer Höhle auf dem Berg Ḥirā’ in der Nähe von Mekka, in die er sich zu meditativen Übungen zurückgezogen hatte, von einem Engel, der in den meisten Berichten darüber Gabriel heißt, bedrängt wird, „vorzutragen“ – und genau das wird mit Sure 96, 1–5 illustriert. Etwas konkreter erscheint der Beginn von Sure 74, der lautet: [1] O du Bedeckter [2] Steh auf und warne [3] Und preise deinen Herrn [4] Und reinige deine Kleider [5] Und meide den Zorn [6] Und spende nicht, damit dir’s gelohnt wird, [7] Und harre deines Herrn.
Mit der Anrede „O du Bedeckter“ wird, wie die Überlieferung zu berichten weiß und wie es ähnlich auch aus Sure 73, 1 („O du Eingehüllter“) zu entnehmen ist, auf die Art des Offenbarungsempfangs angespielt; Mohammed habe sich dabei in einem besonderen körperlichen Erregungszustand befunden und sei deshalb mit einem Mantel (ditār) bedeckt worden. In unserem Zusammenhang viel wichtiger ist die Serie von Imperativen, deren wichtigste in Sure 74, 2 stehen: „Steh auf und warne!“ In enger Verbindung dazu ist zu sehen, wie häufig Mohammed gerade in den älteren Suren als „Warner“ (nadīr, mundir) bezeichnet wird. Wie bei Sure 96 könnte also ein wichtiges Stichwort der Anlaß gewesen sein, diesen Text in den Zusammenhang einer Berufungsgeschichte zu stellen. Übrigens rivalisieren beide Texte um den Vorrang, die erste Offenbarung zu enthalten. Daher hat es Versuche gegeben, 32
beide miteinander zu harmonisieren; Sure 96, 1–5 erscheint dann als der Text, in dem die eigentliche Berufung zum Prophetentum (nubūwa) enthalten sei; nach einer Pause habe Mohammed erneut eine Vision gehabt, in welcher Sure 74 offenbart worden sei; sie wird dann als der Beginn der prophetischen Sendung (risāla) Mohammeds verstanden. Zwei weitere Texte sind ebenfalls geeignet, uns dem Anfang der koranischen Botschaft nahezubringen. Es sind die beiden Visionsberichte, die in den Suren 53, 1–18 und 81, 19–25 enthalten sind. Da der Text in Sure 81 deutlich von dem in Sure 53 abhängt, beschränke ich mich im folgenden auf die Besprechung des älteren und vollständigeren Textes, dem Beginn von Sure 53 (Übersetzung nach Henning): [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18]
Bei dem Stern, da er sinkt! Euer Gefährte irrt nicht und ist nicht getäuscht, Noch spricht er aus Gelüst. Er ist nichts als eine geoffenbarte Offenbarung, Die ihn gelehrt hat der Starke an Kraft, Der Herr der Einsicht. Und aufrecht stand Er da Im höchsten Horizont; Alsdann nahte Er sich und näherte sich Und war zwei Bögen entfernt oder näher Und offenbarte Seinem Diener, was Er offenbarte. Nicht erlog das Herz, was er sah. Wollt ihr ihm denn bestreiten, was er sah? Und wahrlich, er sah ihn ein andermal herabsteigen, Bei dem Kreuzdornbusch, über den kein Weg, Neben dem der Garten der Wohnung. Da den Kreuzdornbusch bedeckte, was da bedeckte, Nicht wich der Blick ab und ging drüber hinaus; Wahrlich, er sah von den Zeichen seines Herrn die größten.
Wie zahlreiche ältere Suren beginnt auch diese mit einem Schwur; dies mag einerseits der Bekräftigung der folgenden Aussage dienen, andererseits aber bestimmte Assoziationen, die mit einem Stern verbunden sind, wecken. Der in Vers 2 genannte Gefährte (sāhib) ist Mohammed, denn auch an anderen Stellen, in denen es, ähnlich wie hier, darum geht, den Vorwurf der Besessenheit zurückzuweisen, wird er so genannt (vgl. 7, 184; 34, 46; 81, 22). Die Gegner beschuldigen ihn of33
fenbar des Irrtums und der unverantwortlichen, nur einer Laune entspringenden Rede. Dem wird in diesen Versen die Evidenz des Offenbarungserlebnisses gegenübergestellt; d.h. das, was vorgetragen wird, ist das, was „der höchst Mächtige“ (šadīd al-quwā), also Gott, ihn „gelehrt“ hat. Die Umstände, unter denen das geschah, werden im folgenden Visionsbericht geschildert: Eine himmlische Gestalt erscheint am äußersten Horizont und nähert sich bis auf zwei Bogenlängen, um dann ihrem „Knecht“ (cabd) etwas „einzugeben“ (’auhā), d.h. zu offenbaren, mitzuteilen. Bezeichnenderweise wird dann übrigens das Herz, und nicht das Auge, als Bürge für die Wahrheit des Geschauten aufgerufen. Eine zweite Vision wird genauer lokalisiert, und zwar an dem „am äußersten Ende gelegenen Dornbusch (sidra), wo der Garten der Zuflucht ist“. Diesem Busch, einer Art des Kreuzdornes, nähert sich etwas, und auch darin, so beteuert Mohammed, liegt keine Täuschung, vielmehr ist es die Erscheinung der denkbar größten „Zeichen“ (āyāt). Das Verständnis der ganzen Passage wird durch die traditionelle islamische Deutung sehr erschwert. Dennoch kann man aus der Art der Diskussionen über die „richtige“ Deutung in der älteren Kommentarliteratur wichtige Rückschlüsse darauf ziehen, wie die Stelle überhaupt verstanden werden könnte. Im sog. Sahīh, der bedeutenden Sammlung von Prophetenüberlieferungen des mittelasiatischen Gelehrten alBuhÆ ārī (194–256/810–870), wird zur Interpretation dieser Sure folgende Prophetenüberlieferung (hadīt) angeführt: Es berichtete uns Yahyā von Wakīc von Ismācīl ibn abī H Æ ālid von c Āmir von Masrūq, daß der sagte: Ich sagte zu cĀ’iša [der Witwe des Propheten Mohammed], Gott habe sein Wohlgefallen an ihr: „Mutter, hat Mohammed – Gott segne ihn und spende ihm Heil – wirklich seinen Herrn [d.h. Gott] gesehen?“ Darauf entgegnete cĀ’iša: „Mir stehen die Haare zu Berge bei dem, was du da sagst!“
Und dann habe die Witwe des Propheten behauptet, daß Mohammed zweimal Gabriel (!) gesehen habe (– und nicht Gott!). Interessant ist die dafür gegebene Begründung; sie beruht nämlich keineswegs auf einer genauen Interpretation des 34
Wortlautes von Sure 53, 1 ff., sondern auf der Berücksichtigung zweier anderer Koranstellen, nämlich Sure 6, 103: Nicht ihn erreichen die Blicke, sondern er erreicht sie ...
sowie Sure 42, 51: Es ist dem Menschen nicht möglich, daß Gott zu ihm spricht, es sei denn durch Eingebung (wahy) oder hinter einem Vorhang (higˇāb).
Beide Koranstellen gehören der medinensischen Epoche an, sind also wesentlich jünger als Sure 53; viel wichtiger ist jedoch der Gesichtspunkt, daß cĀ’iša in den Texten der Prophetenüberlieferung rein dogmatisch argumentiert: Gottes Einzigartigkeit und seine Transzendenz lassen es danach nicht zu, daß er einem Menschen direkt „erscheint“ – und was auf diese Weise nach späteren Aussagen des Korans (und der gesamten späteren Dogmatik) nicht sein darf, das kann auch nicht sein! Dabei spricht bei einer unvoreingenommenen Interpretation des Textes jedoch alles dafür, daß Mohammed der in Vers 10 genannte Knecht ist – und nicht Gabriel – und daß auch die in Vers 5–6 genannte Person nicht der Engel ist, sondern Gott selbst. In ähnlicher Weise liegt es nahe, den Dornbusch (Vers 14 und 16) als einen ganz realen Ort zu verstehen, dessen Lage durch zwei Beiwörter näher präzisiert wird. Jedenfalls erscheint mir das plausibler, als einen Zusammenhang mit Mohammeds Aufstieg in den Himmel (vgl. Sure 17, 1) herzustellen und den Dornbusch auf einen Ort im Paradies zu beziehen. Alle drei hier besprochenen „Berufungstexte“ haben gemeinsam, daß ihnen eine letzte Konkretheit fehlt; am meisten Handlung enthält der Text in Sure 53 und damit auch auf die direkteste – und nicht auf interpretatorischem Umweg gewonnene – Weise die Reflexion über ein Erlebnis, das sehr wohl am Beginn einer Prophetenlaufbahn stehen kann, nämlich eine göttliche Erscheinung (Epiphanie). Daß sie hier in doppelter Gestalt zum Ausdruck gebracht wird, einmal als Erscheinung am Horizont und einmal als Erscheinung im „Dornbusch“, ist Bestandteil der Prophetengeschichten biblischer Tradition, auf die sich der Koran häufig bezieht. 35
4. Hauptthemen der frühen koranischen Botschaft Wir haben gesehen, daß in Sure 74, 1 der Gesandte dazu aufgefordert wird, zu „warnen“; wenn man nun weiter danach fragt, wovor er warnen soll, dann stößt man auf eine Reihe von Suren, in denen in bewegten Bildern eine Katastrophe kosmischen Ausmaßes beschrieben wird, wie z.B. in den ersten Versen von Sure 82 (Übersetzung nach Rückert): [1] [2] [3] [4] [5]
Wenn der Himmel zerkloben, Wenn die Sterne zerstoben, Wenn die Meere verschäumt, Wenn die Gräber geräumt, Dann wird ein jeder wissen was Er hat getan und was versäumt.
Durch das viermalige „wenn“ wird eine Spannung erzeugt, die erst in Vers 5 aufgelöst wird. Und in diesem Vers wird die Tatsache des Gerichts nicht eigens ausgedrückt, sondern als notwendige Folge des Weltuntergangs (1–3) und der Auferstehung der Toten (4) stillschweigend vorausgesetzt. Noch länger ist der durch ebensolche „wenn“-Sätze erzeugte Spannungsbogen in Sure 81, 1–14 und entsprechend detaillierter auch die Beschreibung der Katastrophe (Übersetzung nach Rückert, der Vers 6 umstellt): [1] [2] [3] [6] [4] [5] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14]
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Wenn die Sonne sich wird ballen, Die Sterne zu Boden fallen, Und die Gebirge wallen, Der Meere Fluten Schwallen; Wenn schwangre Kamele sind unverwahrt, Und die wilden Tiere geschart, Und die Seelen wieder gepaart; Man das lebendig Begrabne wird fragen, Um welche Schuld es sei erschlagen; Und die Bücher sind aufgeschlagen; Wenn der Himmel wird abgedacht, Und die Hölle wird angefacht, Und der Garten herangebracht, Dann wird ein jeder wissen, was er dargebracht!
Die Ereignisse, die zum Weltende gehören, entstammen verschiedenen Vorstellungskreisen. Sonnenfinsternis, Herabfallen der Sterne und das Verschwinden der Berge und des Himmels sind aus der jüdisch-christlichen Eschatologie bekannt (z.B. Apokal. 16, 12 ff.). Das Bild von den schwangeren Kamelstuten weist jedoch ebenso nach Arabien wie der in Vers 8 f. erwähnte heidnische Brauch, ungewollte Mädchen zu verstoßen oder gar lebendig zu begraben (vgl. Sure 16, 58 f.). Die Auferstehung der Toten wird in Vers 7 nur indirekt zum Ausdruck gebracht, das Gericht, angedeutet durch die aufgeschlagenen Bücher, und das Urteil durch die Stichworte Hölle und Garten. Der Zeitpunkt, auf den die „wenn“-Sätze in diesem Textabschnitt ausgerichtet sind, ist „die Stunde“ (sāca), und dieses eine Wort wiederum dient als knappe Andeutung für das Gericht (dīn), an dessen Eintreffen es keinen Zweifel gibt (vgl. 18,21; 22,7; 40,55; 45,32), auch wenn der Mensch nicht weiß, zu welchem Zeitpunkt genau es kommt (79, 42–45; Übersetzung Rückert): [42] Sie fragen dich, wann ist gesetzt die Stunde? [43] Was hast du davon Kunde? [44] Sie ruht in deines Herren Munde. [45] Du bist ein Mahner nur dem, der sie scheut von Herzensgrunde.
Die Gewißheit aber, daß „die Stunde“ und mit ihr das Gericht kommt, ist unumstößlich; sie findet Ausdruck in der folgenden Aussage, deren bekräftigender Schwur das Bild von Sturm und Wolken wachruft (51, 1 ff., Übersetzung Neuwirth): [1] [2] [3] [4] [5] [6]
Bei den hoch Aufwirbelnden, Dann schwere Bürde Tragenden, Dabei doch leicht Hinziehenden, Dann ihre Last Austeilenden: Das, was euch angedroht ist, das ist wahr. Und das Gericht, es bricht herein!
Die Aussagen über Weltende und Gericht, über „den Tag“ und „die Stunde“ sind außerordentlich bildhaft und prägnant; man muß sich freilich hüten, aus den vielen Bildern einen systematischen Ablauf der Endzeit zu konstruieren; ein solches System, das spätere muslimische Theologen entworfen haben, 37
liegt dem Koran ganz fern. Die Bilder, die er benutzt, dienen alle nur einem einzigen Zweck: Sie sollen aufrütteln und mahnen. Feststellen lassen sich nur die Grundlinien, nach denen die Ereignisse ablaufen, und dabei sind vier Elemente von besonderem Gewicht. Zunächst bricht (1) eine kosmische Katastrophe herein, die zur Auslöschung der Natur und allen Lebens führt. Auf ihren Beginn deutet ein Schlag, ein Schrei oder aber ein Posaunenstoß. Der Weltuntergang bildet gleichsam die Voraussetzung für (2) die Auferstehung der Toten. Die neubelebten, ja nach koranischer Auffassung von neuem geschaffenen Menschen müssen nun je für sich und ohne Fürsprecher vor dem (3) Gericht erscheinen; der Schiedsspruch ergeht nach dem Gewicht der Taten, die auf einer Waage taxiert werden, oder nach den Einträgen in einem Buch, das dem Menschen vorgehalten wird. Schließlich ergeht das Urteil, das allerdings nicht direkt als Akt geschildert wird, sondern nur in seinen Ergebnissen, nämlich dem (4) Lohn des Paradieses oder der Strafe der Hölle. Einige Textbeispiele mögen das Gesagte erläutern. Den Beginn des Geschehens mit einem Posaunenstoß findet man z.B. in Sure 69, 13–15: [13] Wenn dann mit einem Mal Gestoßen wird in die Posaune, [14] Und weggetragen werden Erde und Gebirge, Mit einem Schlag zerstoßen werden, [15] An jenem Tag trifft ein die Stunde.
Die Zerstörung des Universums wird sehr unterschiedlich geschildert, sie geschieht entweder durch ein ungeheures Beben oder durch ein Feuer, das die Berge dahinschmelzen läßt. Nun werden die Gräber geöffnet und die Toten stehen auf (70, 43): der Tag, an dem sie aus den Gräbern steigen, so schnell, als eilten sie zu einem Opferstein.
In dem gesamten Vorstellungskomplex kommt der Auferstehung besondere Bedeutung zu. In der eben zitierten Stelle steht die unverhoffte Schnelligkeit des Auferstehungsvorgangs im Mittelpunkt; in Sure 79, 6–14 tritt dazu noch etwas anderes: 38
[6] Am Tage, da das Beben beginnt, [7] Dem folgt ein folgendes geschwind, [8] An dem Tag sind die Herzen beengt, [9] Und die Blicke zu Boden gesenkt, [10] Sie sprechen: Wie soll denn in uns neues Leben fahren [11] Wo wir doch morsche Knochen waren? [12] Sie sprechen: Schaden würde uns dann widerfahren! [13] Doch ist es nur ein einziges Krachen, [14] Und siehe da: Erwachen!
Der Tod wird, so kann man es Vers 10f. entnehmen, von Mohammeds Zeitgenossen als etwas Endgültiges angesehen; das spricht ein anderer berühmter Vers (Sure 45, 24) noch deutlicher aus (Übersetzung Rückert): Sie aber sprechen: Nichts ist, als dies unser Erdenleben; Wir leben so und sterben, Und nichts vertilgt uns als die Zeit.
Die Botschaft von der Auferstehung ist daher etwas ganz Unerhörtes. Mit ihr eng verbunden ist der Glaube an Gott als Schöpfer, der die Macht hat, den Menschen zu erschaffen, ihn sterben zu lassen und zu neuem Leben aufzuerwecken; das wird z.B. in Sure 53, 44–47 in rhetorischen Fragen zum Ausdruck gebracht: [44] ... Daß Gott macht sterben und erwachen? [45] Daß er erschaffet die Geschlechter, Frau und Mann, [46] Aus einem Tropfen, welcher rann? [47] Und daß er auch zum andern Male schaffen kann?
In Sure 86, 8–9 wird das „andre Mal“ noch genauer bestimmt: [8] Siehe, Er hat zurückzuholen ihn die Macht, [9] Am Tage, da sein Innerstes geprüft wird.
Gott kann also zum Gericht die Toten zu neuem Leben erwecken, sie „zurückholen“. Eben mit dieser Botschaft aber trifft Mohammed bei seinen ersten Hörern auf Unglauben (vgl. 56, 47). In späteren Phasen seiner Verkündigung wird das zu einem besonders wichtigen Thema der Kontroversen mit seinen Gegnern. 39
Beim Gerichtsgeschehen selbst, dessen Einzelheiten nur angedeutet werden, haben die wieder zum Leben erweckten Menschen „weder Kraft noch Helfer“ (86, 10, vgl. 74, 48), ja, es ist ihnen nicht einmal erlaubt, sich für ihre Taten zu entschuldigen (77, 36). Dann werden die Taten gewogen; das schildert Sure 101 am eindrücklichsten (Übersetzung Rückert): [1] Die Klopfende! [2] Was die Klopfende! [3] Weißt du, was ist die Klopfende? [4] Wann Menschen werden sein wie flatternde Motten, [5] Und Berge wie gekrempelte Wollenflocken. [6] Nun, wessen Waage schwer wird sein, [7] Der ist in Lust und Liebe; [8] Und wessen Waage leicht wird sein, [9] Des Mutter ist die Tiefe. [10] O weißt du, was ist diese? [11] Glut brennend heiße.
Daß beim Gericht peinlich genau gewogen wird, zeigt Sure 99, 6–8: [6] An jenem Tage treten vor die Menschen, Jeder für sich, zu zeigen ihre Taten: [7] Wer das Gewicht nur eines Stäubchens tat an Gutem, der wird’s sehen, [8] Und wer’s Gewicht nur eines Stäubchens tat an Schlechtem, auch der wird’s sehen.
Eine andere Vorstellung geht davon aus, daß es Engel gibt, die dazu bestimmt sind, die Menschen zu behüten und ihre Taten aufzuschreiben (82, 10). Am „Tag der Abrechnung“ (yaum alhisāb) – wie der Gerichtstag öfters genannt wird – wird dem Menschen dann das präsentiert, was zu seinen Lebzeiten in einem Buch (kitāb) aufgeschrieben worden ist (78, 29). Das wird z.B. in Sure 84, 7–12 (vgl. 69, 19–29) geschildert (Übersetzung Rückert): [7] Wer nun sein Buch in seine rechte Hand erhält, [8] Dem wird gerechnet eine Rechnung linde, [9] Und zu den Seinen kommt er hin im Glücke; [10] Doch wer sein Buch hält hinter seinem Rücken, [11] Der wird „Vernichtung!“ rufen [12] Und brennen in den Gluten.
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Die zahlreichen Schilderungen von Paradies und Hölle sind außerordentlich bildhaft und konkret; vor allem das Paradies erscheint als ein Ort ungetrübtester Sinnenfreude, in welchem den Bewohnern jungfräuliche Wesen (hūrī) zur Verfügung stehen. Stellvertretend für viele andere Stellen sei hier aus Sure 56 zitiert (nach Rückert); dort heißt es von der höchsten Klasse der Paradiesesbewohner, den „Nahestehenden“ (d.h. wohl den Gott am nächsten Stehenden): [12] In Wonnegärten ... [15] Auf gestickten Polsterkissen [16] Gelehnt darauf, sich gegenübersitzend, [17] Umkreist von Jünglingen ewigen, [18] Mit Bechern, Näpfen, Schalen voll Klarflüssigem, [19] Das nicht berauscht und nicht verdüstert; [20] Und Früchten, wonach sie gelüsten, [21] Und Fleisch von Vögeln, was sie wünschen, [22] Und Huris, schöngeaugt, [23] gleich Perlen in der Muschel, Belohnung fürs getane Gute: [24] Sie hören dort kein Torenwort, noch Sünde, [25] Nur sagen: Friede, Friede!
Die beherrschende Vorstellung vom Paradies ist die eines angenehm kühlen Gartens, von Bächen mit klarem Wasser durchflössen, in dem es schattige Bäume mit Früchten aller Art gibt. Das Gegenbild zu dieser Oase stellt die Hölle dar, ein Ort sengender Glut und fürchterlicher Qualen, von denen Durst nur eine besonders schlimme ist; die Höllenbewohner weilen (56, 42–44; Übersetzung Rückert) [42] Im Sud- und Glutwinde, [43] Und Schatten vom Rauchgewinde, [44] Nicht kühl und hold zu empfinden.
Ganz ähnlich heißt es in 88,2–7 (Übersetzung nach Henning): [2] [3] [4] [5] [6] [7]
Die einen Gesichter werden an jenem Tage niedergeschlagen sein, Sich abarbeitend und plagend, Brennend an glühendem Feuer, Getränkt aus einer siedenden Quelle. Keine Speise sollen sie erhalten, außer vom Dornenstrauch, Der nicht fett macht und den Hunger nicht stillt.
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Die bis jetzt zitierten Textproben haben sicher deutlich gemacht, daß die Schilderungen der endzeitlichen Geschehnisse in erster Linie aufrütteln sollen. Damit drängt sich zugleich die Frage danach auf, an wen sich diese Gerichtspredigt hauptsächlich richtet. Ähnlich wie bei den Propheten des Alten Testaments gibt es auch im Koran Drohreden, die mit Weherufen eingeleitet sind, und aus ihnen läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, an wen zuerst sich der Gesandte mit seiner Warnbotschaft wandte. Eine solche Drohrede enthält z.B. Sure 104: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]
Weh jedem Stichler und Verleumder, Der da Vermögen sammelt und es zählt, Der rechnet drauf, daß sein Vermögen ihn ewig leben macht! O nein! Gepackt da wird er vom Zermalmer! Was denn ist der Zermalmer? Von Gott entflammtes Feuer, Das züngelt bis an die Herzen, Und über ihnen schlägt zusammen, In hohen Feuersäulen.
Es ist nicht ohne Bedeutung, daß das Wort „Vermögen“ (māl) hier gleich in zwei Versen vorkommt; Vermögen, d.h. Reichtum an Geld, Besitz oder Kindern ist kein Weg, am Tag des Gerichts zu bestehen; auch führt Reichtum nicht zum ewigen Leben, und er sollte schon gar nicht zu der Annahme verführen, niemand könne einem Reichen etwas anhaben. Wie in der hier zitierten Sure 104 geht es auch in anderen frühen Korantexten um die Bedeutung von Vermögen und Reichtum, was dem Menschen dann nichts nützt, wenn er es nicht richtig einsetzt, also wenn er nicht gerecht und großzügig damit umgeht (vgl. 111, 2 und 92, 1). In Sure 69 beklagt ein Reicher sein ihm jetzt drohendes Schicksal und fragt sich: [28] Was hat mir mein Besitz gebracht? [29] Zugrunde ging nun meine Macht.
Als Beispiel für sein Fehlverhalten wird in Vers 34 genannt, daß er nichts dafür getan hat, Arme zu speisen. Ähnliches findet sich auch in Sure 68; hier wird in den Versen 17–33 die Beispielgeschichte von den Besitzern eines Gartens erzählt, die 42
sich vornehmen, ihn abzuernten, ohne dabei einen Armen hereinzulassen. Die Strafe für ihre Unbarmherzigkeit besteht darin, daß Gott über Nacht den Garten verdorren läßt. Die Geschichte geht insofern gut aus, als die Gartenbesitzer erkennen, daß sie Unrecht getan haben. Reichtum ist nicht Selbstzweck, sondern umfaßt bestimmte soziale Verpflichtungen; sie werden in einigen sehr alten Suren ziemlich genau formuliert, teilweise negativ als Vorwurf der Unterlassung (und zwar nicht nur am Gerichtstag!), teilweise aber auch positiv als direkte Aufforderung. Besonders eindrucksvoll ist Sure 90; in ihr wird der Schöpfermacht Gottes die vermeintliche Macht des Reichen gegenübergestellt, der angesichts der zwei Wege gerade nicht den steilen wählt, sondern den – in dieser Sure nicht näher beschriebenen – anderen, der aber, wie der letzte Vers zeigt, im Höllenfeuer endet. Bemerkenswert ist die Ausführlichkeit, in der in dieser Sure die sozialen und religiösen Pflichten genannt werden, die den beschwerlichen Weg ausmachen (Übersetzung Rückert): [13] Zu lösen der Gefangnen Band; [14] Zu speisen, wenn der Hunger im Land, [15] Den Waisen, der dir verwandt, [16] Den Armen, der dir unbekannt [17] Und bist du dann von denen, die glauben, die sich ermahnen zum Erbarmen, und sich ermahnen zum Bestand; [18] Das sind die Genossen der rechten Hand.
In Vers 17 (die übermäßige Länge deutet darauf hin, daß er nachträglich erweitert sein könnte) ist das Nebeneinander von Barmherzigkeit als sozialer Tugend und Geduld oder Standhaftigkeit (sabr) als religiöser Tugend von Bedeutung; beide Tugenden sind unverzichtbar für „diejenigen, die glauben“, die dafür mit dem Paradies belohnt werden (51, 15–19): [15] Siehe, den Frommen ist an Quellen und in Gärten ihr Verweil, [16] Annehmend, was von ihrem Herren ihnen ward zuteil, Da sie zuvor schön handelten. [17] Nur einen kleinen Teil der Nacht sie schliefen, [18] Ja, gleich am Morgen um Verzeihung riefen. [19] An dem, was sie besaßen, gaben sie dem Bettler und dem Armen ihren Teil.
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Aus den Versen 17–19 kann man ohne große Mühe den Eindruck gewinnen, daß hier eine bestimmte Gruppe von Frommen gezeichnet wird, die asketische Ideale mit sozialen verbindet. Nachts und in der Morgendämmerung widmen sie sich Frömmigkeitsübungen, die offenbar vor allem aus liturgischen Lesungen bestehen. An den Führer dieser Gruppe von Frommen ergehen gerade in den frühen Suren von Seiten Gottes, der hier fast ausschließlich einfach „Herr“ (rabb) genannt wird, eine Reihe von Befehlen, die nicht nur dazu auffordern, zu mahnen und zu warnen, sondern auch bestimmte asketische Praktiken zu vollziehen, vor allem aber Gott zu loben und zu preisen (52, 48 f.; Übersetzung Rückert): [48] ... Und preise deines Herrn Lob, wann du aufstehst, [49] Und einen Teil der Nacht durch preise, Und hinterm Fall der Sterne
– d.h. im frühesten Morgengrauen, nachdem die Sterne untergegangen sind. Daß dieses Gotteslob jedoch nicht bloß eine individuell zu verstehende Aufforderung ist, wie man zusätzlich aus Sure 87, 1 oder 69, 52 schließen könnte, sondern in den Zusammenhang bestimmter kollektiver ritueller Handlungen gehört, geht aus anderen Stellen hervor (s.o. 52, 49). Jedenfalls gehört zu diesen Handlungen auch die „Lesung“, d.h. der qur’ān, so wie es am Beginn von Sure 73 in aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommt (Übersetzung nach Henning): [1] [2] [3] [4]
O du Verhüllter, Steh auf zur Nacht, bis auf ein Kleines, Die Hälfte, oder nimm noch weg davon ein Kleines, Oder füge etwas noch hinzu, Und trage vor die Lesung, getragen. [5] Siehe, wir werden werfen auf dich schweres Wort.
Dieses „schwere Wort“ (qaul taqīl) ist nichts anderes als das, was „der Warner“, also Mohammed, seinen Landsleuten vorzutragen hat, nämlich die Botschaft vom bevorstehenden Gericht. Wie sich Mohammeds Verkündigung angesichts der Reaktionen darauf verändert, soll im folgenden Kapitel dargestellt werden. 44
5. Die Entwicklung der koranischen Verkündigung Schon im vorangehenden Kapitel wurden Koranstellen behandelt, in denen Gegner zu Worte kommen oder in denen auf Einwände von Gegnern reagiert wird. Als Beispiel für eine solche Wechselrede sei Sure 11, 7 angeführt, wo es um das zwischen Mohammed und den Mekkanern besonders kontroverse Thema der Auferstehung geht: Und wenn du sagst: Ihr werdet nach dem Tod einst auferweckt! So sagen darauf, die nicht glauben: Das ist doch nichts als offenbarer Zauber!
Die Antwort der Gegner enthält ein wichtiges Stichwort, nämlich „Zauber“ (sihr). Ähnlich wie die ungläubigen Mekkaner hier Gottes Handeln, in dem ein „Zeichen“ für seine Schöpfermacht liegt, für bloßen Zauber erklären, so tun sie dasselbe im Hinblick auf die „deutliche Mitteilung“, die der Gesandte ihnen bringt, ja sie halten ihn selbst für einen Zauberer (sāhir), für einen Seher (kāhin) – oder gar für einen Dichter (šācir). Wie dem Zauberer oder Seher schrieb man nämlich auch dem Dichter übersinnliches Wissen zu, das ihm von einem Geist, d.h. einem Dschinn oder „Satan“ (šaitān) eingegeben wurde (daher die Bezeichnung „besessener Dichter“, šācir magˇnūn, in Sure 37, 36!), und deshalb glaubte man auch an bestimmte, in der Dichtung wirksame magische Kräfte (z.B. beim Schmähgedicht). Von daher wird verständlich, warum im Koran jede Nähe zur Dichtkunst und zum Stand der Dichter zurückgewiesen wird (36, 69): Wir lehrten ihn nicht Dichtung, das ziemte ihm auch nicht; es ist nichts als Ermahnung (dikr) und ein klarer Vortrag (qur’ān).
Mohammed ist also, so wird ausdrücklich betont, etwas anderes als ein – nach den Vorstellungen der altarabischen Religion – mit besonderen übersinnlichen Fähigkeiten ausgestatteter Mensch. Und er ist auch kein Engel, wie es in diesen Streitgesprächen zuweilen als Bedingung dafür gefordert wird, daß man dem Boten glauben kann, sondern ein einfacher 45
Mann aus den Reihen seiner Landsleute. Es geht also darum, daß sich der Gesandte Gottes zusammen mit seiner Botschaft legitimieren muß; um die Vorwürfe der Gegner zu entkräften, werden im Koran nun eine Reihe von Beispielgeschichten aus der Vergangenheit erzählt. Das wird mehrfach begründet, z. B. Sure 54, 2–5 (Übersetzung nach Rückert): [2] Doch wenn sie sehn ein Zeichen (āya), wenden sie sich ab, Und sagen: Zauber (sihr) waltet, [3] Und: Lügen nur, und folgen ihren Lüsten; Doch alles Ding ist fest gestaltet. [4] Wohl zur Abschreckung könnten dienen, die Mahnungen, die ihr erhaltet, [5] Ausreichende Belehrungen, Und Warnung, die ihr schaltet.
Unter diesen Beispielgeschichten stellen die sog. „Straflegenden“ einen besonderen Typus dar. Hier soll nicht im einzelnen nachgezeichnet werden, wie sie sich von den sehr knappen und in vielem rätselhaften Andeutungen der frühesten Texte (z.B. Sure 105) bis hin zu den breit ausgeführten späteren Texten (z.B. in Sure 26 oder 11) entwickelt haben. Interessant ist, daß zunächst auf die eigene arabische Vergangenheit zurückgegriffen wird, also auf etwas, wofür es im eigenen Lande Anschauungsmaterial gibt (27, 69; vgl. 30, 41): Sprich: Reist herum im Land, dann seht ihr, wie die Bestrafung für die Frevler war!
So tauchen in den ältesten Straflegenden zwei altarabische Völkerschaften auf, die Ad und die Thamud, über die z.B. in Sure 89, 5–13 folgendes gesagt wird (Übersetzung nach Grimme): [5] Sahst du nicht, wie dein Herr mit Ad verfuhr, [6] Mit Iram, der Säulenstadt, [7] Die auf Erden nicht ihresgleichen hat? [8] Mit Thamud, die Felsen aushöhlten im Tal, [9] Mit Pharao, dem Herrn mit dem Pfahl [?] ? [10] Sie alle wüteten auf Erden, [11] Und ließen sie mehr noch verdorben werden, [12] Bis über sie kam dein Herr mit strafender Macht, [13] Ja, dein Herr ist auf der Wacht!
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Die Ad gehören einer fernen, sagenhaften Zeit an (laut 7, 69 lebten sie unmittelbar nach Noah), während die Thamud in historischen Quellen als Volk erwähnt werden, das in Midian (Nordarabien) lebte. Daneben sind zahlreiche, wenngleich kurze thamudische Inschriften erhalten. Zu Mohammeds Zeit existierten die Thamud aber bereits nicht mehr, wie aus Sure 69, 8 hervorgeht: Kannst du noch etwas sehen, was von ihnen übrig ist?
Sehr wichtig ist jedoch, daß schon in der sehr alten Sure 89 auch die Erinnerung an biblische Überlieferungen auftaucht, und zwar an den Pharao (fircaun); mit diesem Namen ist im Koran immer ein ganz bestimmter ägyptischer König gemeint, nämlich der Gegenspieler des Mose, der beim Auszug der Israeliten im Meer den Tod fand. Zu den drei in unserem Text genannten Völkern, über die ein Strafgericht ergeht, treten später drei weitere hinzu, und diese sechs gehören je zur Hälfte der arabischen und der biblischen Tradition an. Alle sechs Geschichten werden in Sure 38, 12–14 genannt: [12] Geleugnet haben schon vor ihnen das Volk des Noah, und die Ad, und Pharao, der Herr der Pfähle, [13] und Thamud, und das Volk Lots und die Leute des Dickichts. Das sind die (Heiden-?) Völker. [14] Und keiner war unter ihnen, der nicht die Gesandten der Lüge bezichtigte: so wurde wahr die Strafe!
In dieser summarischen Darstellung wird die Kenntnis des „typischen“ Ablaufes eines jeden Strafgerichtes vorausgesetzt, daß nämlich ein Gesandter mit einem besonderen Zeichen von Gott geschickt wird. Aber das Volk schenkt weder dem Boten noch dem Zeichen Glauben, und darauf erfolgt dann die Strafe Gottes. In den ausführlicheren Darstellungen werden die Boten mit Namen genannt: neben Noah, Lot und Mose sind das die drei arabischen Gesandten Hüd (für die Ad), Sälih (für die Thamud) und Šucaib (für die Midianiter, die übrigens in Sure 38, 12 als „Leute des Dickichts“ bezeichnet werden). Aus dem Schicksal der Gesandten der Vergangenheit, vor allem aber aus den Dialogen, die sie mit den „Vornehmen“ (mala’) führen, läßt sich auch Aufschluß über 47
Mohammeds Auseinandersetzung mit den Mekkanern gewinnen. Als Beispiel für eine Straflegende sei die Sintflutgeschichte in einer der älteren koranischen Fassungen wiedergegeben (54, 9–17). Sie ist hier eingebettet in einen Zyklus weiterer Straflegenden, die gemeinsame kompositorische Elemente aufweisen; sie beginnen stets mit dem gleichen Satz, daß nämlich das entspechende Volk den zu ihm geschickten Gesandten der Lüge bezichtigt. Und auch die beiden Schlußsätze werden in der Art eines Refrains wiederholt (vgl. Verse 21 f. 30. 32. 40; Übersetzung nach Henning): [9] Schon vor ihnen bezichtigte das Volk des Noah [ihn] der Lüge, sie nannten unsern Diener einen Lügner und sprachen: „Besessen“! Und er ward eingeschüchtert. [10] Da rief er zu seinem Herrn: „Siehe, ich bin überwältigt, so hilf mir!“ [11] Und wir öffneten die Tore des Himmels in strömendem Wasser, [12] Und ließen aus der Erde Quellen hervorbrechen, und so begegnete sich das Wasser nach verhängtem Beschluß. [13] Und wir trugen ihn auf dem [Schiff] aus Planken und Nieten, [14] Das unter unsern Augen segelte, ein Lohn für den, der verleugnet ward. [15] Und wahrlich, wir ließen es als Zeichen übrig. Gibt’s aber einen, der sich ermahnen läßt? [16] Und wie war meine Strafe und mein Warnen! [17] Wir erleichterten den Vortrag (qur’ān), um zu mahnen (li-d-dikr): doch läßt sich jemand mahnen?
Gegenüber späteren Ausgestaltungen der Straflegenden ist in der Version von Sure 54 der Gesichtspunkt von Bedeutung, daß die einzelnen Episoden dazu dienen, der Ankündigung der „Stunde“ (54, 1) Nachdruck zu verleihen; sie stehen also in einem eschatologischen Kontext. Diese Gewichtung verschiebt sich später, und in den Vordergrund der Verkündigung der Gesandten tritt der Monotheismus. Die bei weitem wichtigste Gestalt, die in den Straflegenden auftritt, ist Mose (Mūsā), und seine Auseinandersetzung mit dem Pharao wird im Vergleich zu den anderen Gesandten und deren Gegnern am ausführlichsten geschildert (z.B. 7, 103136). Mose ist überhaupt die biblische Gestalt, die am häufigsten im Koran erwähnt wird: 136 mal! Auch sein Leben wird am detailliertesten geschildert, wenn man alle im Koran über 35 Suren verstreuten Nachrichten zu einem Gesamtbild zu48
sammenfügt. Es sind mehrere Faktoren, die ihm ein ganz besonderes Gewicht verleihen. Nur für Mose wird die Berufung zum Gesandten ausführlich geschildert (20, 9–36; vgl. 28, 29–34), wobei aus zwei Koranstellen die besondere Nähe zwischen Gott und Mose hervorgeht. In Sure 19, 52 heißt es dazu: Wir riefen ihn von der rechten Seite des Berges und ließen ihn uns nähern zu vertraulichem Gespräch;
und in Sure 4, 164 lesen wir: Und Gott hat mit Mose tatsächlich gesprochen.
Dies kann kaum etwas anderes heißen, als daß dies von Angesicht zu Angesicht geschah; so ist wohl auch der in der Tradition gebräuchliche Beiname des Mose, „der von Gott Angesprochene“ (kalīm allāh), zu erklären (vgl. auch 7, 144). Mose wird aufgrund seiner Berufung zum Pharao ausgesandt, bei dem er die Freilassung der Israeliten bewirken soll; das gelingt ihm nach zähem Ringen, wobei er die ihm von Gott ausdrücklich verliehene Fähigkeit, Wunder zu tun, gegen die Zauberer des Pharao einsetzt. Im Rahmen der Straflegenden könnte die Geschichte mit dem Untergang der Ägypter im Meer als der verdienten Strafe für den Unglauben beendet sein. Aber bei Mose kommt noch ein weiteres Motiv ins Spiel, das in der Noah-Geschichte schon angedeutet ist, nämlich die Errettung des Frommen bzw. hier die des ganzen Volkes der Israeliten, als deren Führer Mose auftritt. Und darin kann man die paradigmatische Bedeutung sehen, die Mose im Koran zukommt. Er wird nämlich einerseits gezeichnet als der von Gott berufene, mit besonderen Gaben ausgestattete Gesandte, der vor einem Strafgericht warnt. Andererseits aber wird er zum charismatischen Führer derjenigen, „die unterdrückt sind im Lande“ (28, 5); der Errettung aus der Macht des Pharao folgt die Versuchung der Israeliten durch den Götzendienst, die Verleihung der Gesetzestafeln auf dem Sinai, der abermalige Abfall der Israeliten und ihre Anbetung des Kalbes, und schließlich Moses Bitte um Vergebung (vgl. z.B. 49
7, 138–156; 20, 80–98). Man kann sicherlich sagen, daß Mose die Führergestalt ist, an der sich Mohammed in besonderer Weise orientiert hat. Die im Koran am zweithäufigsten erwähnte Gestalt des Alten Testaments ist Abraham (Ibrāhīm; 69 mal). An ihm zeigt sich in charakteristischer Weise, wie im Koran biblische und altarabische Überlieferung zu einer Synthese verschmolzen werden. Wie Mose hat auch Abraham einen Beinamen, er heißt „der Freund Gottes“ (hÆ alīl allāh). Das geht auf Sure 4, 125 zurück: Wer hat wohl eine bessere Religion als derjenige, der sich (wörtl.: sein Antlitz) Gott ergeben hat (aslama), und dabei rechtschaffen ist und der Religion (milla) Abrahams als eines Hanifen (hanīf) folgt? Denn Gott nahm sich Abraham zum Freund (hÆ alīl).
Diese medinensische Stelle zieht gleichsam das Fazit des koranischen Bildes von Abraham: Er wird hier zum Vorbild des „Muslim“, d.h. dessen, „der sich Gott ergeben hat“, erklärt. Das stimmt überein mit einer Aussage, in der Gott zu Abraham sagt (2, 124): Ich will dich machen zu einem Leitbild (imām) für die Menschen.
Bevor wir jedoch näher auf die „Religion Abrahams“ und die Bedeutung des Wortes hanīf eingehen, sind die entscheidenden Episoden zu skizzieren, die von Abraham im Koran berichtet werden. Nach dem Koran ist Abraham der erste Monotheist. Die Einsicht von Gottes Einheit hat er auf rationale Weise gewonnen, nämlich durch die Beobachtung der von seinem Vater und dessen Zeitgenossen als Götter verehrten Gestirne (6, 76– 79); da sie dem Aufgang und Untergang unterliegen, wendet er sich von ihnen ab und verkündet: [79] Ich wende mich nun Dem zu, der die Himmel hat geschaffen und die Erde, als ein hanīf, und bin nicht einer von denen, die [Gott] einen Teilhaber an die Seite stellen.
Zwei Dinge erscheinen an dieser Geschichte bemerkenswert: Zum einen erkennt Abraham durch die Beobachtung von Na50
turphänomenen den einen Schöpfergott. Das entspricht insofern völlig dem koranischen Denken, als die Natur mit ihren ganzen Erscheinungen eine einzige āya darstellt, ein „Zeichen Gottes“. „Die Welt ist gewissermaßen“, so formuliert es Annemarie Schimmel treffend, „ein gewaltiges Buch, in dem diejenigen, die „Augen zu sehen und Ohren zu hören“ haben, Gottes Zeichen erkennen können und durch ihre Betrachtung zum Schöpfer selbst geleitet werden.“ Genau das ist der Weg Abrahams. Zum zweiten aber besitzt Abraham auch die einem Propheten zukommende Gotteserkenntnis durch Offenbarung (wahy). Das ergibt sich implizit daraus, daß Abraham als „Prophet“ (nabīy) bezeichnet wird (19, 41). Mit Abrahams Monotheismus ist sein Kampf gegen die Götzen engstens verbunden. Der Loyalitätskonflikt, der für Abraham aus seiner Pflicht zum Gehorsam sowohl gegen Gott als auch gegen seinen Vater (als Metapher für die Religion der Väter!) erwächst, wird in Sure 19, 43 thematisiert: Vater, zu mir kam Wissen, das zu dir noch nicht kam; so folge mir, daß ich dich einen graden Weg geleite!
Die „natürliche“ Ordnung bestünde darin, daß Abraham seinem Vater und dem Glauben seiner Väter folgt. Daher muß seine Aufforderung an den Vater, ihm, dem Sohn, zu folgen, in den Ohren der Mekkaner geradezu absurd klingen. Der Kampf Abrahams gegen die Götzen, mit dem er ihre Wirkungslosigkeit erweisen will, wird mit großer Ausführlichkeit geschildert (z.B. 21, 51–73; 37, 83–98). Nachdem Abraham aus einem Feuer, das ihm seine Gegner schon bereitet haben, auf wunderbare Weise gerettet wird, zieht er (nach 21, 71 zusammen mit Lot) aus in das „gesegnete Land“; wie die Mosegeschichte enthält also auch die des Abraham das Motiv des „Auszugs“. Was Abraham nun für den Islam besonders wichtig macht, ist seine im Koran berichtete Verbindung mit der Ka c ba, dem islamischen Zentralheiligtum und Wallfahrtszentrum in Mekka, der Geburtsstadt des Islam. Nach Sure 3, 96–97 (vgl. auch 2, 125) ist sie nämlich der „Ort Abrahams“ (maqām Ibrāhīm): 51
[96] Das erste Haus, das für die Menschen errichtet wurde, ist dasjenige in Bakka (d.h. Mekka), gesegnet, und Rechtleitung für die Menschen. [97] In ihm sind klare Zeichen; der Ort Abrahams. Wer ihn betritt, ist sicher. Und den Menschen ist es als Pflicht Gott gegenüber auferlegt, zum Haus zu wallfahrten – denen, die dorthin gelangen können ...
Allerdings sind die koranischen Aussagen darüber, wer der Erbauer der Kacba ist, nicht eindeutig; in Sure 2, 127 heißt es: Und als Abraham die Grundmauern des Hauses errichtete, und Ismael.
Nach einer anderen Stelle existierte die Kacba schon vor Abraham und er „reinigte“ sie nur vom Götzendienst (2, 125; vgl. 22, 26): Und wir verpflichteten Abraham und Ismael dazu: Reinigt mein Haus für diejenigen, die den Umlauf (tawāf) machen, die sich der Anbetung hingeben, und die sich verneigen und niederwerfen.
Wenn man berücksichtigt, daß die Geschichten von den früheren Gesandten oft Mohammeds eigenes Schicksal widerspiegeln und seine eigene religiöse Botschaft thematisieren, wird man wohl die zweite der oben genannten Auffassungen vorziehen, daß Abraham nämlich die Kacba nur „reinigte“ bzw. in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzte. Aus beiden zitierten Stellen geht übrigens die Mitwirkung von Ismael hervor, also Abrahams nach 1. Mose 16, 1ff. von der Magd Hagar geborenem Sohn, der als Stammvater der Araber gilt. Schon frühe christliche Kirchenhistoriker nahmen übrigens die Abstammung der Araber von Abraham über Ismael als sicher an, was dafür spricht, daß Mohammed auf durchaus bekannte Vorstellungen zurückgriff. Umstritten ist in der Forschung allerdings, ob die ausdrückliche Verbindung Abrahams mit der Kacba in die medinensische Zeit gehört, oder in dieser Form schon in Mekka verkündet wurde. Wenden wir uns nun der Frage zu, was das Wort hanīf bedeutet, das uns in Sure 4, 125 als charakterisierende Bezeichnung Abrahams begegnet ist. Die Etymologie hilft hier nicht viel weiter; gewisse Rückschlüsse lassen sich jedoch aus der genauen Beobachtung des koranischen Sprachgebrauchs ziehen. 52
Wenn man sieht, zu welchen Bezeichnungen hanīf im Gegensatz steht, kann man genau erkennen, was das Wort nicht bedeutet. Ein hanīf ist erstens kein mušrik (vgl. 10, 105; 6, 120; 22, 31), d.h. niemand, der Gott einen Teilhaber (sank) an die Seite stellt. Und das sind nach koranischem Sprachgebrauch diejenigen Menschen, die Götzen(bilder) verehren; so wird denn auch von Abraham mehrfach betont, daß er kein mušrik war, meist als Erläuterung dazu, daß er hanīf war (vgl. oben 6, 79; ferner 2, 135; 3, 67, 95!). Zweitens ist ein hanīf weder Jude noch Christ, so wie es in der vielzitierten Stelle Sure 3, 67 heißt: Abraham war weder Jude noch Christ, sondern er war ein ergebener hanīf (hanīf muslim); und er war nicht einer von denen, die [Gott] einen Teilhaber an die Seite stellen.
Nach dem, was bisher über Abraham gesagt wurde, und der Aussage dieses Verses wäre ein hanīf also ein Monotheist, der aber keiner der „Buchreligionen“ Judentum und Christentum angehört. A. Th. Khoury hat das Wort daher zutreffend mit „Anhänger des reinen Glaubens“ übersetzt, Rückert noch kürzer mit „rechtgläubig“. Ausgehend von der eben zitierten Stelle gewinnt das Wort hanīf jedoch seine spezifisch islamische Bedeutung. Es steht hier nämlich unmittelbar neben dem Wort muslim. Dieses Wort (wörtlich: „[Gott] ergeben“) ist von der grammatischen Form her ein Partizip und kann daher entweder wie ein Adjektiv („ergeben“) oder wie ein Substantiv („der [Gott] Ergebene“) gebraucht werden. Daher könnte man den entsprechenden Satz auch etwa so übersetzen: ... sondern er war ein hanīf, [nämlich] ein Muslim.
Muslim würde bei dieser Auffassung h a nīf erläutern, und zwar in dem Sinne, daß hanīf nichts anderes bedeutet als eben „Muslim“. Die Folgerung daraus ist dann die, daß Abraham, als hanīf, der „erste Muslim“ war. Die Religion Abrahams ist also, so muß man weiter folgern, nichts anderes als Islam. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß in einer alten Textvariante zu Sure 3, 19 das Wort „Islam“ als Bezeichnung 53
für die „Religion bei Gott“, also die ursprüngliche, richtige Religion, mit „Hanifentum“ (hanīfīya) wiedergegeben wird. Dieser Religion soll nun, gemäß Sure 30, 30, auch Mohammed folgen: [30] Und richte dein Antlitz auf die Religion als Rechtgläubiger (hanīf); [das ist] die natürliche Art, nach der Gott die Menschen gebildet hat. Es gibt keine Änderung für die Schöpfung Gottes. Das ist die richtige Religion. Aber die meisten Menschen sind unwissend. [31] Ihm euch zuwendend, fürchtet Gott und verrichtet das Gebet und gehört nicht zu den Leuten, die [Gott] einen Teilhaber an die Seite stellen, [32] [und nicht zu denen,] die ihre Religion spalteten, und zu Parteien wurden ...
Diese ursprüngliche Religion, die darin besteht, daß man niemandem dient als Gott allein (vgl. 12, 40), ist die „richtige Religion“ (vgl. 9,36), die „Religion der Wahrheit“ (dīn al-haqq, vgl. 9, 33; 61, 9; 48, 28), der „Islam“. Daß er nun nicht die ganze Zeit geherrscht hat, wird mit dem Aufkommen von Spaltungen und Parteien erklärt, zu denen auch Judentum und Christentum gehören. Wir werden später noch sehen, warum immer wieder Gesandte auftreten mußten, die stets die Rückkehr zur ursprünglichen Religion predigten – bis hin zu Mohammed. Der endgültige Charakter seiner Sendung wird in Sure 9, 33 (= 61, 9; ähnlich 48, 28) klar zum Ausdruck gebracht: Er ist es, der da sandte seinen Abgesandten (rasūl) mit der Rechtleitung und der Religion der Wahrheit, um ihr zum Siege zu verhelfen wider alles, was es an Religion noch gibt – auch wenn das denen, die [Gott] etwas an die Seite stellen, zuwider ist.
Wenn es weiterhin in Sure 5, 3 heißt: Heute habe ich euch eure Religion vollständig gemacht und meine Gnade an euch vollendet und bin zufrieden, daß ihr den Islam als eure Religion [angenommen] habt,
dann ist damit die Gründung einer Gemeinde (umma) angedeutet, einer Gemeinde, der Gott verheißt (3, 110): Ihr seid die beste Gemeinde, die unter den Menschen hervorgebracht wurde; ihr gebietet das Rechte, verbietet das Verwerfliche und glaubt an Gott ...
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Daher enthält der Koran gerade in den medinensischen Suren viele Texte, die einerseits den Glauben (īmān) zum Inhalt haben und ihn in ständiger Auseinandersetzung mit Gegnern, mit Heuchlern und mit Wankelmütigen in den eigenen Reihen verteidigen und präzisieren, andererseits aber die in diesem Vers angedeuteten ethisch-rechtlichen Aspekte genauer ausführen.
6. Theologische Grundlehren des Korans Es gibt im Koran mehrere Verse, in denen in der Art eines „kleinen Katechismus“ zusammengefaßt wird, was der einzelne Gläubige zu glauben hat, und die deshalb auch als Ausgangspunkt für spätere Glaubensbekenntnisse gedient haben. Besonders wichtig ist dabei Sure 4, 136 (vgl. 2, 285 und 2, 177): Ihr die da glaubet! Glaubet an Gott und den [seinen] Gesandten! Und an das Buch, das Er auf ihn herabgesandt, Und an das Buch, das Er zuvor herabgesandt. Doch wer an Gott nicht glaubt, Und nicht an seine Engel, Und nicht an seine Bücher, Und nicht an seine Gesandten, Und nicht an den Jüngsten Tag, Der fällt in tiefen Irrtum.
Damit sind die entscheidenden Glaubensgegenstände knapp umrissen: Gott, die Engel, die Offenbarungsbücher, die bisherigen Gesandten und der Jüngste Tag. Diese Themen – mit Ausnahme des Jüngsten Tages (s. dazu o. S. 36ff.) – sollen im folgenden nun etwas genauer dargestellt werden. Der Glaube an den Einen Gott – der koranische Monotheismus Das beherrschende Thema des Korans ist der strikte Monotheismus, der Glaube an den Einen Gott; das kommt am präg55
nantesten in Sure 112, dem Bekenntnis zur Einheit Gottes (tauhīd), zum Ausdruck (Übersetzung Rückert): [1] Sprich: Gott ist Einer [2] Ein ewig reiner, [3] Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, [4] Und nicht ihm gleich ist einer,
qui buwa llāhu ahad altāhu s-samad lam yalid wa-lam yūlad wa-lam yakun lahū kufuwan ahad
Die überragende Bedeutung, die der knappe Text von Sure 112 als Bekenntnis schon für die früheste Gemeinde hatte, läßt sich daran erkennen, daß er auf den ersten einsprachig arabisch beschrifteten Münzen erscheint, die der omaijadische Kalif cAbdalmalik (reg. 685–705) einführte, und zwar in längerer Form (Vers 1–4) auf der Rückseite der Silbermünze, dem Dirham, und in kürzerer Form (Vers 1–3) auf derjenigen der Goldmünze, dem Dinar; in beiden Fällen fehlen allerdings die ersten beiden Wörter von Vers 1 (qui buwa, d.h. „Sprich, er (ist)“). Damit ist Sure 112 übrigens (neben 9, 33) der älteste schriftlich bezeugte Korantext überhaupt. Trotz ihrer scheinbaren Einfachheit enthält Sure 112 eine Reihe interpretatorischer Probleme; nur eines davon soll hier kurz behandelt werden. Es betrifft die Bedeutung des Wortes samad als Prädikat Gottes. Im Koran kommt es nur an dieser einen Stelle vor. Rückens Übersetzung ist als Versuch anzusehen, vom Reim ausgehend eine einigermaßen plausible Lösung zu bieten. Wahrscheinlich liegt dem Wort samad eine Bedeutung wie „fest, solide, kompakt“ zugrunde, eine Bedeutung also, die auf die Unvergänglichkeit und Ewigkeit Gottes verweisen mag. Nur am Rande sei hier angemerkt, daß byzantinische Theologen aufgrund einer Fehlinterpretation des Wortes samad im Sinne von „kompakt“ auf die „Stofflichkeit“ Gottes im Islam schlössen und als Folge davon den islamischen Monotheismus grundsätzlich bezweifelten. Daß Gott (Allāh) Einer ist, wird im Koran immer wieder hervorgehoben. Und daß Gott keinen Teilhaber (šarīk) hat, ist im wörtlichen Sinne die „Kehrseite der Medaille“, denn auf dem oben erwähnten omaijadischen Dirham steht auf der Vorderseite die Formel: 56
Es gibt keinen Gott außer Gott allein (lā ilāha illā llāhu wahdahū) Er hat keinen Teilhaber (lā šarīka lahū)
Diese zweigliedrige Formel, die auf koranische Formulierungen zurückgeht (vgl. 37, 35; 47, 19; 6, 163), gibt einen ganz wesentlichen Gedanken des Korans genau wieder: Die besondere Betonung des Monotheismus geht nämlich stets einher mit der Ablehnung jeglicher „Teilhaberschaft“ (širk) an der alleinigen Herrschaft (mulk) Gottes (vgl. 17, 111; 25, 2). Das Problem besteht dann darin, was genau unter „Teilhaberschaft“ zu verstehen ist, vor allem aber, wer im Koran als „Teilhaber“ (šarīk, Pl. šurakā’) an Gottes Herrschaft genannt bzw. bestritten wird. In der abendländischen Sicht des Islam wurde Sure 112 ganz überwiegend als Kampfansage gegen die Christen und ihren Glauben an die Gottessohnschaft Jesu verstanden. Gegen diesen Glauben wird ja im Koran in Versen anderer Suren (vgl. 4, 171; 5, 73) deutlich Stellung bezogen. Daß jedoch auch schon im frühen Islam dieses Verständnis von Sure 112 verbreitet war, kann man an den Inschriften im Felsendom in Jerusalem erkennen. Denn in diesem Bauwerk, das vom Kalifen cAbdalmalik im Jahr 72 der Hidschra (691/2 n.Chr.) vollendet wurde, kann man leicht einen islamischen Gegenentwurf zur christlichen Grabeskirche sehen, der von programmatischer Bedeutung ist. In den Inschriften, die zu einem großen Teil mit Koranzitaten gleichsam durchwoben sind, stehen drei Themen im Vordergrund: Gottes Einheit, die Sendung Mohammeds und die Auseinandersetzung mit der Trinität. Dem christlichen Dogma der „Dreieinigkeit“ wird somit die islamische Vorstellung von der „Eineinigkeit“ Gottes gegenübergestellt. Aber es ist keineswegs ausgemacht, daß die Betonung des Monotheismus im Koran ausschließlich als Abgrenzung vom Christentum zu verstehen ist. Vielmehr richtet sich der koranische Monotheismus zunächst gegen die in Mekka praktizierte Religion der Vielgötterei. Aus dem, was der Koran darüber an verschiedenen Stellen sagt, läßt sich ein ausreichend deutliches Bild gewinnen. In einigen Suren nennen die Gegner 57
Mohammeds nämlich ihre Einwände gegen seine Botschaft. So heißt es aus ihrem Munde (38, 5f.): [5] Macht er etwa die Götter zu nur einem Gott? Wahrlich, das ist ein wundersames Ding! [6] Und die Vornehmen von ihnen gingen weg [und sagten]: Geht und haltet standhaft aus bei euren Göttern! Das ist es, was von euch erwartet wird!
Wenn hier – in diesem Abschnitt – von einem Gott und von Göttern die Rede ist, wird dafür das arabische Wort ilāh (Pl. āliha) gebraucht. Ilāh ist ein Gattungsbegiff und kann somit zur Bezeichnung eines beliebigen Gottes verwendet werden. Im Koran werden allerdings nur wenige Namen von derartigen Göttern genannt, nämlich deren fünf in Sure 71, 23. Obwohl die dort aufgezählten Götter Wadd, Suwā c , Yagūt, Yacuq und Nasr im vorislamischen Arabien verehrt wurden, werden sie im Zusammenhang der Sure als Götter der Zeitgenossen Noahs verstanden! In Sure 53, 19 f. werden drei weibliche Gottheiten erwähnt, nämlich al-Lāt, al-cUzza und Manāt; sie werden aber nicht direkt als „Göttinnen“ bezeichnet, sondern, wie aus anderen Koranstellen zu schließen ist (vgl. 6, 100; 16, 57; 37, 49; 53, 21), als „Töchter Allāhs“ (banāt allāh). Wir kommen also nicht umhin, uns zunächst zu fragen, wer mit „Allāh“ eigentlich gemeint ist. Von der Sprachform her ist es unumstritten, daß das arabische Wort allāh als Zusammenziehung von al-ilāh „der Gott“ zu verstehen ist. Und dieser „Allāh“, als der Gott schlechthin, war im vorislamischen Arabien bereits bekannt. Den eben zitierten Koranvers 38, 5 kann man also dahingehend deuten, daß Mohammed statt der vielen Götter nur noch „einen einzigen Gott“ (ilāh wāhid) gelten lassen will, so wie es an anderen Stellen noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Sure 18 z.B. endet mit folgendem Vers (110; Übersetzung nach Rückert): Sag: Ich bin nur ein Mensch wie ihr, Mir aber ist eröffnet: Euer Gott ist nur ein einziger Gott. Wer nun erhoffet, seinem Herren zu begegnen, Der wirke gutes Werk, und nicht gesell’ er Dem Dienste seines Herren andre Götter bei!
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Dabei wird die Existenz anderer Götter zunächst nicht geleugnet. Aber sie haben „Allāh“ gegenüber nur eine untergeordnete Rolle. So heißt es in Sure 10, 18 von den Mekkanern: Sie verehren neben Gott (Allāh), was ihnen nicht schadet, und was ihnen nicht nützt; sie sagen: „Das sind unsere Fürsprecher bei Gott (Allāh)“. Sprich: Wollt ihr Gott (Allāh) etwas mitteilen, was er weder im Himmel noch auf Erden weiß? Gepriesen sei er und erhaben über das, was ihr ihm an die Seite stellt!
Die Mekkaner betrachten ihre Götter also als Fürsprecher (šafīc, Pl. šufacā’) bei „Allāh“ und erkennen dadurch implizit seine Überlegenheit an; ja, mehr noch (Sure 29, 61+63; vgl. 31, 25; 39, 38; 43, 9): [61] Wenn du sie fragst: Wer schuf die Himmel und die Erde? Wer nötigte zum Dienst die Sonne und den Mond? So sprechen sie: Allāh! ... [63] Wenn du sie fragst: Wer ließ herab vom Himmel Wasser fließen, Daß er damit die Erd’ belebe, nachdem sie abgestorben? So sprechen Sie: Allāh! ...
Mohammed kann also in seiner Predigt daran anknüpfen, daß „Allāh“ als „Hochgott“, als Schöpfer und Erhalter des Universums im Arabien seiner Zeit anerkannt wird. Aus der Fortsetzung der eben zitierten Verse kann man noch eine weitere, wichtige Erkenntnis gewinnen: „Allāh“ galt nämlich offenbar auch als der letzte Rettungsanker, wenn man in äußerste Not geriet (29, 65): Wenn sie ein Schiff besteigen, so rufen sie: Allāh! Im Glauben ihm allein sich anvertrauend. Doch hat er sie an Land gerettet: Sieh da, sie dienen wieder andern neben ihm.
Der von Mohammed gegen seine Landsleute erhobene Vorwurf lautet also, daß sie trotz ihrer Anerkennung der besonderen Rolle „Allāhs“ als Schöpfer- und Rettergott weiterhin andere Gottheiten als „Zwischeninstanzen“ anerkennen. Ja, die islamische Überlieferung bewahrt sogar noch die Erinnerung daran auf, daß auch Mohammed – wenigstens eine 59
Zeitlang – dieser Auffassung zuneigte. In Sure 53, 19 f. wird nämlich, an die Mekkaner gerichtet, die Frage gestellt: [19] Was meint ihr denn von al-Lāt und al-cUzza, [20] Und von Manāt, der dritten dazu?
Darauf sei als Antwort geoffenbart worden: Das sind die hohen „Ġarānīq“, Erhofft wird deren Fürsprache.
Mit den „Garänlq“ (ein nicht ganz geklärtes Wort, das einen Vogel wie den Reiher oder den Kranich zu bezeichnen scheint) seien die drei zuvor genannten Göttinnen gemeint, die auf diese Weise als Fürsprecher legalisiert wurden. Erst später habe Mohammed gemerkt, daß es sich hierbei um eine Eingebung des Satans gehandelt habe (vgl. 22, 52); diese „satanischen Verse“ seien dann durch die heutigen Verse 21 f. ersetzt (bzw. aufgehoben, „abrogiert“) worden: [21] Ist es denn so, daß euch zukommt das männliche, Und ihm das weibliche? [22] Das wäre eine ungerechte Teilung!
Erst durch den Vergleich mit anderen Koranstellen wird ganz klar, was mit dieser Frage gemeint ist. Wenn die Mekkaner für sich nämlich männliche Nachkommenschaft, Söhne also, erhoffen, dann wäre es seltsam, daß sie Gott „Töchter“ zuschreiben, also etwas in ihren Augen eigentlich Wertloses. Als ob dieses Argument nicht klar genug wäre, folgt in Vers 23 eine weitere (vielleicht später während des Redaktionsprozesses hinzugefügte) Präzisierung: Das sind doch Namen nur, die ihr Und eure Väter für sie geprägt habt; Gott sandte Vollmacht nicht auf sie herab; Sie folgen ihrer Meinung nur, und dem, wonach es sie gelüstet; Doch jetzt kam Rechtleitung zu ihnen von ihrem Herrn.
Damit ist der Endpunkt eines Prozesses deutlich ausgesprochen, dessen Zwischenstationen anderweitig im Koran greifbar sind, die hier aber übergangen werden können: Die völlige Entmachtung der Götter neben „Allāh“. Nur bei ihm liegt 60
„Vollmacht“ (sultān), die er anderen zur Fürsprache bei sich verleiht – aber nun nicht mehr anderen Göttern, sondern Engeln, Gesandten und Propheten. Zu ihnen gehört übrigens auch Jesus, der nur „mit Erlaubnis“ (idn) Gottes, und nicht – wie nach neutestamentlicher Auffassung – aus eigener Vollmacht Wunder tun kann. Daß sich der koranische Monotheismus sowohl gegen heidnische Vorstellungen wie auch gegen die christliche Vorstellung der Trinität richtet, wird aus zahlreichen Formulierungen im Koran deutlich, wie z.B. aus dem Schlußvers von Sure 17 (Übersetzung nach Rückert): Und sprich: Gelobt sei Gott, der nicht Hat angenommen einen Sohn, und dem Ward kein Teilhaber an der Herrschaft, Noch ein Gehilfe wegen Ohnmacht; Lobpreise ihn mit Preisung!
Es spricht also einiges dafür, die Wurzeln des strikten Monotheismus, wie ihn der Koran lehrt, in den religiösen Verhältnissen des altarabischen Heidentums zu suchen. Wohl waren auch Christentum und Judentum zu Mohammeds Zeit in Arabien verbreitet, und Einflüsse beider Religionen sind im Koran erkennbar. Aber es waren gewiß weder Juden noch Christen, die die Idee des Monotheismus nach Arabien brachten. Vielmehr konnten sie an das altarabische Konzept des „Hochgottes“ anknüpfen und den für diesen gebrauchten arabischen Namen – „Allāh“ – auch für den biblischen Gott verwenden. Daher gebrauchen bis heute arabische Christen wie arabische Juden das arabische Wort allāh für Gott. Es ist daher eigentlich falsch zu sagen, der Gott der Muslime heiße „Allāh“. Gewiß heißt er so auf Arabisch. Aber es ist von der Sache her geboten, diesen Namen im Deutschen mit dem Wort „Gott“ wiederzugeben, ähnlich wie die Perser neben „Allāh“ ihr eigenes Wort für Gott – hÆ odā – benutzen. Schließlich geht der Koran selbst davon aus, daß der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott von Mose und von Jesus der gleiche, „eineinige“ Gott „Allāh“ ist. Daher wird in diesem Buch arabisch „Allāh“ stets mit „Gott“ wiedergegeben. 61
In den ältesten Suren des Korans kommt das Wort „Allāh“ nicht vor; dort ist fast ausschließlich vom „Herrn“ (rabb) die Rede, d.h. Gott wird hier nicht mit seinem eigentlichen Namen genannt. Von sich selbst spricht Gott Mohammed gegenüber entweder als „dein Herr“, oder er verwendet den Plural „wir“, wie man in Sure 87 sehen kann: [1] [2] [3] [4] [5] [6]
Preise den Namen deines Herrn, des höchsten! Der da erschuf und geraderichtete, Und der da Maß gab und führte, Und der da die Weide hervorbrachte, Und sie zu grünem Laube machte! Wir werden dich vortragen lassen, Und nicht sollst du vergessen!
Der Gebrauch von rabb „Herr“ findet sich in allen Perioden. Nur auf wenige Suren beschränkt ist jedoch ein anderer Name Gottes: Ar-rahmān „der Erbarmer“. Davon ausgenommen ist allerdings sein Gebrauch in der sog. Basmala, d. h. der Formel „Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers“ (bi-smi llāh ar-rahmān ar-rahīm); in ihr fungiert rahmān nämlich als Eigenschaftswort, d.h. als Attribut Gottes neben dem fast gleichbedeutenden Wort rabim „barmherzig“. Die älteren Verwendungen von ar-rahmān im Koran (z.B. in Sure 19, wo es allein 16 mal vorkommt) zeigen jedoch, daß darunter ein Name Gottes verstanden worden ist, z.B. Sure 25, 60, wo es an die Mekkaner gerichtet heißt (Übersetzung nach Rückert): Doch wenn man sagt zu ihnen: Fallt nieder vor dem Allerbarmer (ar-rahmān)! sagen sie: Was ist der Allerbarmer (ar-raḥmān)? Soll’n wir Niederfall’n vor dem, was du uns heißest?
Im Vers zuvor war ar-rahmān näher beschrieben worden als der, Der die Himmel und die Erde und was dazwischen ist Erschaffen in sechs Tagen, und der dann Auf seinem Thron sich niederließ: Der Allerbarmer! Frag doch nach ihm den Kundigen!
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Aus beiden Versen geht hervor, daß den Mekkanern ein Gott namens rahmān offenbar unbekannt war. Die Herkunft dieses Namens ist in der Forschung umstritten. Er könnte entweder aus Südarabien stammen, wo er inschriftlich belegt ist, oder aber eine jüdische Entlehnung sein, denn das hebräische hārahamān „der Erbarmer“ wird in der nachbiblischen jüdischen Literatur oft als Umschreibung für den Namen Gottes gebraucht. Aber die Verwendung von rahmān bleibt ohnehin eine Episode, wie aus Sure 17, 110 (Übersetzung Rückert) hervorgeht: Sprich: Ruft Gott (allāh) oder rufet Allerbarmer (rahmān); Wie immer ihr ihn rufen möget, Sein sind die schönsten Namen ....
Hier wird also ein Wendepunkt angedeutet; von nun an dominiert die Verwendung des Gottesnamens „Allāh“ eindeutig, und daneben wird eine Vielzahl von Attributen gebraucht, wie „der Wissende“, „der Weise“, „der Hörende“ usw. Diese „schönsten Namen“ sind gleichsam ein Versuch, die Fülle der Eigenschaften Gottes zu beschreiben. Im religiösen Alltag der Muslime sind diese „Namen“ daher ebenso präsent (z.B. in der Namengebung) wie in der Kunst (z.B. der Kalligraphie). Die Engel Trotz der starken Betonung des Monotheismus im Koran spielt gleichwohl der Glaube an Engel als Mittlerwesen zwischen Gott und Mensch eine wichtige Rolle. Allerdings lassen sich die verschiedenen koranischen Aussagen über die Engel nur schwer zu einem vollkommen in sich stimmigen Bild zusammenfügen. Am wichtigsten ist der Aspekt, daß die Engel Gottes Knechte (cabd, Pl. cibād) sind (vgl. 43, 19) – genauso wie Jesus (vgl. 4, 172). Daher dürfen die Engel auch nicht zu „Herren“ (rabb, Pl. arbāb) gemacht werden; dasselbe gilt übrigens auch für die Propheten (3, 80): Und nicht gebietet Er euch, daß Ihr annehmt Engel und Propheten als eure Herren!
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Besonders eindrucksvoll wird die Unterordnung der Engel unter Gott in der mehrfach im Koran überlieferten Geschichte geschildert, die von der Erschaffung Adams und vom anschließenden „Fall“ des Satans (der hier auf arabisch Iblīs genannt wird) handelt (15, 28–31; Übersetzung nach Rückert): [28] Als nun dein Herr sprach zu den Engeln: Ich will erschaffen einen Menschen Aus einer Masse von geformtem Lehm; [29] Wenn ich ihn nun gebildet habe, Und eingehauchet ihm von meinem Geiste, So fallet vor ihm hin, euch niederwerfend! [30] Da beteten nun an die Engel allesamt; [31] Nur nicht Iblis, der weigert sich, Zu sein mit denen, die sich niederwerfen.
Bei der geforderten Niederwerfung geht es nicht darum, daß Iblis den Menschen anbetet, sondern daß er ihn als Gottes Schöpfung anerkennt. Warum sich Iblis weigert, Gottes Befehl nachzukommen, geht aus einer anderen Version dieser Geschichte hervor (38, 75–76; Übersetzung nach Rückert): [75] Gott sprach: Was, Iblis, hielt dich ab, niederzufallen, Vor dem, was ich erschuf mit meiner Hand? Bist du zu stolz wohl oder zu erhaben? [76] Er sprach: Besser bin ich als er; Du schufest mich aus Feuer, Doch ihn schufst du aus Lehm.
Iblis bestätigt mit seiner Antwort die rhetorische Frage Gottes. Die Überlegenheit der Engel den Menschen gegenüber wird hier mit dem Hinweis auf den Stoff begründet, aus dem Mensch und Engel geschaffen sind. Als Folge seines Ungehorsams Gott gegenüber wird Iblis aus dem Kreis der Engel ausgestoßen. Was sind die Aufgaben der Engel? Sie bilden gleichsam den „Hofstaat“ Gottes; sie tragen Gottes Thron (69, 17), preisen ihn (2, 30; 39, 75) und bitten dabei um Verzeihung für die Menschen (42, 5); sie bezeugen die Einheit Gottes (3, 18) und die Offenbarung des Korans (4, 166); sie dienen im Paradies 64
(13, 23) wie auch als Höllenwärter (66, 6; 74, 30), von denen einer sogar mit Namen genannt ist, nämlich Malik (43, 77). Engel können von Gott als Boten zu den Menschen geschickt werden, wie z.B. zu Maria mit der Ankündigung der Geburt Jesu (3, 39ff.), oder aber in großer Zahl als Helfer im Kampf (3, 124 f., wo von 3000 bzw. 5000 Engeln die Rede ist, oder 8, 9, wo 1000 Engel genannt werden). Von besonderer Bedeutung sind die in Sure 82, 10ff. (vgl. 86, 4; 6, 61) erwähnten „Hüter“ (hāfiz, Pl. hafizūn od. hafaza; Übersetzung Rückert): [10] Doch über euch sind Hüter, bleibende, [11] Hochedle Schreibende, [12] Die wissen, was ihr habt verrichtet und begonnen.
Wenn der Mensch stirbt, empfängt ihn der Todesengel (malaku l-maut) und bringt ihn zurück zu Gott (32, 11, Übersetzung Rückert): Sprich: Euch nimmt hin der Todesengel, Der über euch gesetzt ist, Dann seid ihr heimgebracht zu eurem Herren.
Mit dieser Vorstellung verbindet sich die vom Verhör und der Bestrafung des Toten im Grab durch Engel (47, 27): Wie aber wird es, wenn die Engel Sie zu sich nehmen und sie schlagen, In ihre Angesichter und auf ihren Rücken?
Die Zahl der Engel wird hier nicht genannt; im späteren Islam setzt sich die Ansicht durch, daß es sich um zwei Engel handelt, Munkar und Nakir genannt. Die außerordentlich verbreitete Vorstellung von der Grabesstrafe durch Engel stützt sich noch auf eine Reihe anderer Koranstellen (z.B. 8, 50; 6, 93; 52, 47). Nur zwei Engel werden im Koran namentlich genannt, nämlich Gabriel (gˇibrīl; 2, 97f. und 66, 4) und Michael (mīkāl; 2, 98). Auf die Vorstellung, daß Gabriel der Überbringer des Korans an Mohammed ist, wurde bereits hingewiesen. Dagegen bleibt die Funktion von Michael undeutlich. 65
Die Offenbarungsbücher In den Vorstellungen von Prophetentum, wie sie der Koran zeigt, spielt das Buch (kitāb) eine bedeutende Rolle. Von den Mekkanern werden verschiedene Bedingungen genannt, um Mohammed glauben zu können, und dazu gehört (17, 93) ..., daß du in den Himmel aufsteigst. Und [selbst dann] werden wir dir nicht glauben, daß du aufgestiegen bist, ehe du nicht ein Buch (kitāb) auf uns herabsendest, das wir [vor-] lesen können.
Und in Sure 74, 52 ist davon die Rede, daß von Mohammed „ausgebreitete Blätter“ als Offenbarungsbestätigung beigebracht werden sollen. Von solchen Blättern (suhuf) ist im Koran schon sehr früh im Zusammenhang mit Abraham und Mose die Rede (87, 19; vgl. 53, 36). In diesen „früheren Blättern“ ist die Botschaft, mit der Mohammed zu den Mekkanern entsandt ist, bereits enthalten. Hieraus ist die Vorstellung zu entnehmen, daß es im Himmel ein Buch gibt, in dem einerseits die Taten der Menschen aufgezeichnet sind, in dem andererseits aber auch das göttliche Wissen enthalten ist, das nur durch Offenbarung an die Propheten bzw. Gesandten übermittelt werden kann, die es ihrerseits aufschreiben. Genau diese Vorstellung liegt auch der Entstehung des Korans zugrunde, wie es z.B. in Sure 56, 77–80 ausgedrückt wird – in Versen übrigens, die wegen ihres programmatischen Charakters in Koranhandschriften und gedruckten Ausgaben häufig im besonders ausgeschmückten Vorspann oder in Ornamentleisten stehen: [77] Dies ist ein edler Koran [78] In dem verwahrten Buche, [79] Berühret nur von Reinen, [80] Herabgesandt vom Herrn der Welten.
Der Koran, d.h. der „Vortrag“, hat seinen Ursprung also in dem „verwahrten Buch“ (kitāb maknūn), das an anderen Stellen (43, 4; 13, 39) auch als „Urschrift“ (umm al-kitāb, wörtl. „Mutter des Buches“) bzw. als „wohlverwahrte Tafel“ (lauh mahfūz; 85, 22) bezeichnet wird. Weil dieses Buch bei 66
Gott ist, darf es nur von „Reinen“ (mut a hharūn) berührt werden, und damit sind ursprünglich wohl die Engel gemeint, durch deren Vermittlung die „Herabsendung“ (tanzīl) geschieht; später wurde Vers 79 so gedeutet, daß man ein Koranexemplar nur in rituell reinem Zustand berühren darf. Im Koran werden nun einige geoffenbarte Bücher genannt, und zwar die Thora (taurāt), der Psalter (zabūr) und das Evangelium (ingˇīl). Diese Bücher wurden Mose, David und Jesus gegeben. Aber auch anderen Gesandten bzw. Propheten wurde offenbar eine Schrift verliehen, denn in Sure 3, 184 lesen wir: Und wenn sie dich bezichtigen der Lüge, so wurden doch schon vor dir Gesandte der Lüge bezichtigt, die da gekommen waren mit klaren Beweisen, und Schriften (zubur), und mit dem erleuchtenden Buch (al-kitāb al-munīr).
Nach dieser Koranstelle gehören also „Schriften“ mit zu den Gaben, durch die sich Gesandte legitimieren können. Die beiden wichtigsten im Koran erwähnten Bücher sind die Thora und das Evangelium, und zwar aus zwei Gründen: Erstens werden ihretwegen die Juden und die Christen als „Buchbesitzer“ (ahl al-kitāb) bezeichnet. Und zweitens werden diese beiden Bücher mit dem Koran in eine zeitliche Abfolge gebracht, in der das jeweils spätere Buch das frühere bestätigt. Das wird am deutlichsten in Sure 5, 44–48 ausgedrückt, wo es in Vers 48 zum Koran heißt: Wir haben auf dich das Buch in Wahrheit herabgesandt, bestätigend (musaddiqan) was vor ihm war vom Buch, und Gewißheit darüber gebend. Entscheide (oder: richte) nun zwischen ihnen entsprechend dem, was Gott geoffenbart hat.
Aber man kann im Koran auch die umgekehrte Richtung der „Bestätigung“ feststellen, d.h. die „früheren“ Bücher sind durch die „spätere“ Offenbarung des Korans nicht völlig „aufgehoben“, sondern behalten etwas von ihrer Beweiskraft. Das kann man z.B. an der sehr wichtigen Stelle Sure 7, 157 zeigen; dort ist von dem zur arabischen umma gesandten Propheten (an-nabīy al-ummī), also von Mohammed, die Rede, dem man folgen soll, und dann heißt es: 67
... von dem sie geschrieben finden bei sich, in der Thora und im Evangelium.
Daraus folgt, daß die früheren Schriften durch die koranische „Bestätigung“ keineswegs „aufgehoben“ sind. Gerade diese Stelle wurde von der späteren islamischen Theologie stets als Hinweis auf zwei biblische Stellen gelesen, in denen man eine Voraussage auf Mohammed zu finden glaubte; in 5. Mose 18, 15 sagt Mose zu den Israeliten: Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören!
Und im Johannesevangelium heißt es in der großen Abschiedsrede Jesu (15, 26; vgl. 14, 26): Wenn der Helfer (oder: Fürsprecher, griech. paráklētos) gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird der von mir zeugen.
Die Tatsache jedoch, daß Juden und Christen in diesen Stellen keine Voraussage auf das Prophetentum Mohammeds finden konnten, erklärt der Koran mit der sog. „Schriftverfälschung“ (tahrīf), die jedoch nur den Juden, nicht aber den Christen angelastet wird. An vier Stellen (2, 75; 4, 46; 5, 13. 41) heißt es, daß die von Mose (bzw. Jesus) empfangene Schrift, die auf die eine himmlische Urschrift zurückgeht, später „verfälscht“ wurde und demnach nur dann verständlich ist, wenn sie im Lichte der letztoffenbarten, unverfälschten Schrift, dem Koran, gelesen wird. Damit wird klar, warum jedes von Christen wie Juden gebrauchte biblische Argument in der Auseinandersetzung mit dem Islam wirkungslos sein mußte. Die Gesandten: Aspekte der koranischen Prophetologie Wie wir bereits gesehen haben, werden im Koran eine Reihe von Gesandten (rasūl, Pl. rusul) mit Namen erwähnt; einige davon sind aus der biblischen Überlieferung bekannt, nämlich Noah (Nūh), Lot (Lūt), Ismael (Ismācīl), Mose (Mūsā), Aaron (Hārūn), Elia (Ilyās), Jona (Yūnus) und Jesus (cIsā); andere 68
Gesandte sind Gestalten der arabischen Geschichte: Hūd, Sālih und Šucaib. Der letzte Gesandte ist Mohammed. Daneben erscheinen im Koran noch andere biblische Gestalten, die aber nicht als Gesandte, sondern als Propheten bezeichnet werden: Adam (Ādam), Abraham (Ibrāhīm), Isaak (Ishāq), Jakob (Yacqūb), Josef (Yūsuf), David (Dā’ūd), Salomo (Sulaimān), Elisa (al-Yasac), Hiob (Ayyūb), Zacharias (Zakariyā), Johannes der Täufer (Yahyā). Interessant ist weiter, daß einige der bereits genannten Gesandten zugleich auch Propheten heißen, nämlich Noah, Lot, Ismael, Mose, Aaron, Elia, Jona, Jesus und schließlich Mohammed. Worin besteht also nach dem Koran der Unterschied zwischen einem Gesandten und einem Propheten? Auf den ersten Blick scheinen die Gemeinsamkeiten zu überwiegen. Gesandte wie Propheten sind ausgezeichnet mit Wunderzeichen, sie empfangen eine Offenbarung und haben eine Schrift erhalten. Ein entscheidender Unterschied besteht jedoch darin, daß Gesandte jeweils zu einem bestimmten Volk (umma) geschickt werden, wie aus Sure 10, 47 hervorgeht: Jedes Volk hat einen Gesandten.
In Sure 23, 44 wird das stets sich wiederholende Schicksal dieser Gesandten geschildert: Darauf entsandten wir unsere Gesandten, der Reihe nach; jedes Mal, wenn ein Gesandter zu seinem Volk (ummā) kam, hat es ihn der Lüge bezichtigt. So ließen wir einen nach dem anderen folgen und machten sie zu Beispielen ...
Die Botschaft der Gesandten enthält als entscheidende Aussage die Predigt des Monotheismus und die Ankündigung eines Strafgerichts. Daraus, daß das Wort „Prophet“ in den ältesten Stücken des Korans nicht vorkommt, muß man den Schluß ziehen, daß Mohammed zunächst als Gesandter (rasūl) aufgefaßt wird, der zu seinem Volk, den Arabern, als Warner (nadīr bzw. mundir) entsandt ist. Während Gesandte also zu verschiedenen Völkern entsandt werden, gilt genau das nach der urspünglichen koranischen 69
Auffassung für die Propheten nicht; sie entstammen nämlich einem einzigen Volk und sind durch gemeinsame Nachkommerischaft genealogisch miteinander verbunden. Das geht eindeutig aus Sure 3, 33 f. hervor: [33] Gott hat Adam, Noah, das Geschlecht Abrahams und das Geschlecht cImrāns vor allen Menschen erwählt, [34] als eine Nachkommenschaft, die zueinander gehört.
Da cImrān in Sure 3, 35 f. als Vater der Maria erscheint, sind unter seinem Geschlecht die Christen zu verstehen. Für alle Gestalten, die als Propheten bezeichnet werden, gilt demnach, daß sie ihren Platz in der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte haben, also zu den ahl al-kitāb, den „Buchbesitzern“ gehören. Für die Propheten gilt aber noch ein weiteres Merkmal, nämlich das der „Erwählung“, das für mehrere von ihnen (wie Abraham, Mose, Jesus) explizit zum Ausdruck gebracht wird. Noch wichtiger aber ist die Erwähnung eines „Vertrages“ oder „Bundes“ (cahd; in gleicher Verwendung auch mltäq „Verpflichtung“), der zwischen Gott und einigen Propheten geschlossen wird. So lesen wir in Sure 33, 7: Und als wir von den Propheten ihre Verpflichtung (mītāq) entgegennahmen, nämlich von dir, von Noah, von Abraham, von Mose und von Jesus, dem Sohn der Maria, da nahmen wir sie als eine ganz feste Verpflichtung entgegen.
Hier erscheint Mohammed also in einer Reihe mit den wichtigsten Gestalten der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte, ja, als „Prophet“ (nabīy) gehört er mit zur „Nachkommenschaft“ des erwählten Gottesvolkes. Ebenfalls in Sure 33 steht dann auch die entscheidende Aussage über den Gesandten und Propheten Mohammed (Vers 40): Mohammed ist nicht der Vater eines eurer Männer, sondern er ist der Gesandte Gottes und das Siegel der Propheten (hÆ ātam an-nabīyīn).
Das Wort Siegel ist nach der gewöhnlichen Auslegung dieser Stelle nicht nur im bestätigenden Sinne zu verstehen, sondern Mohammed wird als der letzte, entscheidende Gesandte und Prophet verstanden, nach dem es keinen anderen mehr geben 70
kann. Ihm obliegt nun die Aufgabe, welche die Gesandten und Propheten nach koranischer Auffassung von jeher hatten, nämlich die ursprüngliche „Einheit“ der umma, d.h. der menschlichen Gemeinschaft wiederherzustellen, so wie es Sure 2, 213 zum Ausdruck bringt: Die Menschen waren eine einzige Gemeinschaft (umma). Dann schickte Gott die Propheten als Freudenboten und Warner; und er sandte mit ihnen das Buch mit der Wahrheit herab, um zwischen den Menschen darüber zu entscheiden, worin sie uneins geworden waren.
7. „Rechtleitung für die Menschen“ – Der Koran als Gesetzbuch Bei der Lektüre des Korans stößt man immer wieder auf den wichtigen und zentralen Begriff der „Rechtleitung“ (hudā). Nach koranischem Verständnis haben schon frühere Offenbarungsbücher wie die Thora und das Evangelium den Menschen eine „Rechtleitung“ geboten, aber diese wurde nicht angenommen, ja sogar durch „Verfälschung“ (tahrīf) in ihrer Wirkung beeinträchtigt. So kam es, daß durch die Offenbarung des Korans nunmehr die endgültige „Rechtleitung“ gebracht wurde. Die Bedeutung, die dem Koran für die Lebensführung von Muslimen in aller Welt zukommt, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das führt uns in diesem Kapitel zur Betrachtung derjenigen Koranverse, die rechtlich bedeutsame Bestimmungen (hukm, Pl. ahkām) enthalten. Dabei muß man allerdings beachten, daß der Begriff des „Rechtlichen“ im Islam eine umfassende Bedeutung hat: Er schließt alles ein, was die richtige Lebensführung angeht. Die sog. ahkām betreffen also nicht nur religiöse Vorschriften, wie z. B. das fünfmalige tägliche Pflichtgebet (salāt), das Fasten (saum oder siyām) oder die Wallfahrt nach Mekka (hagˇgˇ), sondern auch das Zivilrecht (z.B. Eheschließung, Scheidung, Erbangelegenheiten), das Strafrecht und die soziale Ordnung insgesamt. Trotz seiner großen Be71
deutung auf diesem Gebiet ist der Koran allerdings nicht die einzige Rechtsquelle. Hinzu treten nach der von aš-Šāfic ī (gest. 204/820) gültig formulierten klassischen Theorie die Tradition (sunna), der Analogieschluß (qiyās) und der Konsens (igˇmāc) der Rechtsgelehrten. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß bestimmte koranische Vorschriften später eine Weiterentwicklung erfahren haben. Das trifft z.B. für die beiden ersten Pflichten zu, deren Erfüllung im Koran von den Gläubigen erwartet wird: Gebet (salāt) und Almosensteuer (zakāt), die übrigens sehr häufig unmittelbar nebeneinander erwähnt werden (z.B. 2, 110): Und verrichtet das Gebet und gebt die Almosensteuer!
Im Rahmen dieses Kapitels kann nur eine kleine Auswahl von Themen behandelt werden. Dabei soll vor allem gezeigt werden, in welcher Weise die im Koran genannten rechtlichen Bestimmungen wegen ihrer oft sehr kurzen und nicht ganz klaren Formulierungen stets einer Auslegung bedurften und noch heute bedürfen. Zu den bekanntesten Pflichten des Muslims gehört das Gebet, das fünfmal am Tag zu verrichten ist. Davon ist im Koran jedoch nicht in dieser Eindeutigkeit die Rede. Die in Mekka vor der Hidschra übliche Praxis wird in Sure 11, 114 beschrieben: Und verrichte das Gebet an den beiden Tagesenden und zur frühen Nachtzeit.
Auch aus Sure 17, 78 f. ergibt sich die Dreizahl von Morgen-, Abend- und Nachtgebet. In Sure 24, 58 ist jedoch nur von einem Morgengebet (salāt al-fagˇr) und von einem Abendgebet (salāt al-cišā’) die Rede, während in 2, 238 noch ein „mittleres Gebet“ (as-salāt al-wustā) genannt wird. Eine Fünfzahl von Gebeten ließe sich vielleicht aus Sure 20, 130 herauslesen; dort heißt es (Übersetzung Paret): Und lobpreise deinen Herrn vor dem Aufgang und vor dem Untergang der Sonne! Und preise (ihn) zu gewissen Zeiten der Nacht, und an den Enden des Tages!
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Aber hier könnte man die Worte „und an den Enden des Tages“ als nachträgliche Ergänzung auffassen (so z.B. Paret). Muslimische Kommentatoren sehen jedoch nicht nur hier, sondern auch in der bereits erwähnten Stelle Sure 17, 78 f. einen Hinweis auf die spätere Norm von fünf Gebeten. Die ursprüngliche Zahl der Gebete ist also nicht ganz klar. Zur genaueren Regelung des Gebets selbst gibt es im Koran nur einige wenige Andeutungen, die aber deshalb wichtig sind, weil sie den Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung des rituellen Gebets darstellen. Hier wäre etwa die Reinigung, als Voraussetzung für die Teilnahme am Gebet, zu nennen, die in Sure 5, 6 (vgl. 4, 43) recht ausführlich beschrieben wird (Übersetzung Paret, ohne kommentierende Zusätze): Ihr Gläubigen! Wenn ihr euch zum Gebet aufstellt, dann wascht euch das Gesicht und die Hände bis zu den Ellbogen und streicht euch über den Kopf und die Füße bis zu den Knöcheln! Und wenn ihr unrein seid, dann nehmt eine Reinigung vor! Und wenn ihr krank seid oder auf einer Reise oder einer von euch vom Abort kommt oder ihr mit Frauen in Berührung gekommen seid und kein Wasser findet, dann sucht einen sauberen hochgelegenen Platz auf und streicht euch davon über das Gesicht und die Hände! Gott will euch nichts auferlegen, was bedrückt. Vielmehr will er euch rein machen und seine Gnade an euch vollenden. Vielleicht würdet ihr dankbar sein.
Zu diesem langen Vers nennt der einschlägige, nur die ahkāmVerse behandelnde Kommentar von Abū Bakr Ibn c Arabī (gest. 543/1148) nicht weniger als 52 Einzelprobleme. Eines von ihnen besteht z.B. darin, was unter „Kopf“ zu verstehen ist, d.h. über welche Kopfteile man streichen muß. Ein anderes Problem hängt mit einer Textvariante, also einer unterschiedlichen Lesemöglichkeit, zusammen, ob man nämlich „die Füße“ als Objekt zu „wascht“ versteht (also: „wascht euch das Gesicht und die Hände ... und die Füße“) oder ob „die Füße“ als zweite Ergänzung zu „streicht“ zu verstehen ist (also: „streicht euch über den Kopf und die Füße“; so Paret). Der Unterschied ist nicht unbeträchtlich; „waschen“ heißt nämlich, so die übliche Rechtsauffassung, Wasser über den entsprechenden Körperteil laufen zu lassen. Im anderen Falle hieße es, daß man nur mit der Hand etwas Wasser verteilt. 73
Man mag das für übertriebene Spitzfindigkeit halten; man kann es aber genauso gut als das verständliche Bemühen ansehen, den im Korantext zum Ausdruck kommenden Willen Gottes möglichst genau zu erfüllen. Doch zurück zum Gebet! In Sure 5, 58 heißt es (Übersetzung Paret): Wenn ihr zum Gebet ruft, treiben sie damit ihren Spott und ihr Spiel.
An diesen in Medina geoffenbarten hukm-Vers wird die Überlieferung von der Entstehung des Gebetsrufes (adān) geknüpft. Vom Wortlaut her besagt der Vers freilich nicht mehr, als daß es einen „Ruf“ (nidā’) zum gemeinschaftlichen Gebet gab, dieser aber auf die spöttische Ablehnung von nicht näher bezeichneten Gegnern stieß. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch für die rechtliche Relevanz des Verses ganz ohne Bedeutung. Der Gebetsruf wird im Koran noch ein weiteres Mal erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem „Freitagsgebet“. Hier heißt es (62, 9f.; Übersetzung Paret): [9] Ihr Gläubigen! Wenn am Freitag zum Gebet gerufen wird, dann wendet euch mit Eifer dem Gedenken Gottes zu und laßt das Kaufgeschäft (so lange ruhen)! Das ist besser für euch, wenn ihr wißt. [10] Doch wenn das Gebet zu Ende ist, dann geht eurer Wege und strebt danach, daß Gott euch Gunst erweist! Und gedenket Gottes ohne Unterlaß! Vielleicht wird es euch wohl ergehen.
Diese beiden Verse sind der Ausgangspunkt für die Institution des Freitagsgebetes, d.h. des Mittagsgottesdienstes am Freitag. Über dessen Besonderheiten, z.B. die in seinem Verlauf gehaltene Predigt und das im Anschluß daran gesprochene Gebet für den Herrscher, findet sich an dieser Stelle noch nichts. Aus der Formulierung beider Verse geht hervor, daß der islamische Freitag kein „Ruhetag“ im Sinne des jüdischen Sabbats oder des christlichen Sonntags ist. Lediglich während der Dauer des Gottesdienstes soll das Geschäftsleben ruhen. Schließlich soll hier noch ein weiterer, mit dem Gebet in Zusammenhang stehender Vers angeführt werden, der uns zugleich in einen anderen Bereich hinüberleitet, nämlich den der islamischen Speisegesetze. In Sure 4, 43 steht (Übersetzung Paret): 74
Ihr Gläubigen! Kommt nicht betrunken zum Gebet (salāt), ohne vorher (wieder zu euch gekommen zu sein und) zu wissen, was ihr sagt!
Das Verbot, alkoholische Getränke zu genießen, ist ja – neben dem Verbot von Schweinefleisch – die bekannteste aus dem Koran begründete Vorschrift der Muslime. Die eben zitierte Stelle zeigt allerdings ganz klar, daß ein absolutes Alkoholverbot nicht von Anfang an bestanden haben kann. Dafür spricht auch, daß der Wein in anderem Zusammenhang (ebenso wie der Honig) als eine der guten Gaben der Schöpfung Gottes genannt ist (16, 67; Übersetzung nach Rückert): Und von der Frucht der Palme, Und von den Trauben nehmet ihr Ein Rauschgetränk (sakar) und Nahrung schön. Darin ist ja ein Zeichen Für solche, die verständig sind.
Wie es schließlich zum Alkoholverbot kam, geht aus dem Korantext selbst nicht hervor; eine andere Stelle weist jedoch darauf hin, daß die Beurteilung des Weines in der Gemeinde der Klärung bedurfte (2, 219): Sie fragen dich nach dem Wein (hÆ amr) und dem Maisir-Spiel. Sprich ...
Mit der zweiteiligen Formel „Sie fragen dich nach ... – Sprich: ...“ wird häufig die Klärung wichtiger Rechts- und Glaubensfragen eingeleitet, wie z.B. die nach den Neumonden (2, 189), ob es erlaubt sei, im heiligen Monat zu kämpfen (2, 217), was man spenden (2, 215 u. 219) und wie man Waisen behandeln solle (2, 220), wie es mit der Menstruation zu halten sei (2, 222) oder wie man die Beute verteilen solle (8, 1). Doch zurück zum Wein: In der oben zitierten Stelle wird er in Verbindung mit einem im alten Arabien verbreiteten Losspiel genannt, bei dem Pfeile verwendet wurden und dessen Einsatz geschlachtete Tiere, meist Kamele, waren. Das könnte die Vermutung nahelegen, daß weniger der Wein an sich, als vielmehr die geselligen Umstände des Weingenusses gemeint waren. Die Antwort auf die entsprechende Anfrage könnte dafür ein Indiz sein (2, 219): 75
Sprich: In beidem liegt eine schwere Sünde, jedoch auch Nutzen für die Menschen; die Sünde ist aber größer als der Nutzen.
Hier muß geklärt werden, worin denn der Nutzen des Weines und des Maisir-Spiels gesehen werden kann (wobei wir uns auf den Wein als ein heute noch sehr wichtiges Problem beschränken wollen). Der Kommentator Ibn c Arabī (s.o. S. 73) unterscheidet drei Arten des möglichen Nutzens: Der Gewinn für den Kaufmann, der Genuß für den Trinkenden und schließlich der Nutzen für die Erhaltung körperlicher Gesundheit. Letzteren weist Ibn cArabī aber zurück, indem er den Weingenuß insgesamt mißbilligt. Bis heute wird übrigens auf Grund dieser Koranstelle kontrovers darüber diskutiert, inwieweit Alkohol als Arznei verwendet werden darf. Wenn man also aus 2, 219 noch eine gewisse Nachgiebigkeit gegenüber dem Weingenuß herauslesen kann, so gilt das nicht für die beiden Verse, die den Ausgangspunkt für das strikte Alkoholverbot im Islam darstellen (5, 90 f.; Übersetzung Paret): [90] Ihr Gläubigen! Wein (hÆ amr), das Losspiel (maisir), Opfersteine (ansāb) und Lospfeile (azlām) sind Greuel und des Satans Werk. Meidet es! Vielleicht wird es euch Wohlergehen. [91] Der Satan will durch Wein und das Losspiel nur Feindschaft und Haß zwischen euch aufkommen lassen und euch vom Gedenken Gottes und vom Gebet (salāt) abhalten. Wollt ihr denn nicht aufhören?
Das Weinverbot erscheint hier nun, zusätzlich zu dem schon in 2, 219 erwähnten Maisir-Spiel, im Zusammenhang mit dem Verbot eindeutig heidnischer, religiös bedeutsamer Praktiken. Das verdeutlicht noch einmal, daß vor allem die Begleitumstände des Weingenusses gemeint waren; denn daß der Wein als ebenso kostbares wie köstliches Getränk galt, geht daraus hervor, daß es im Paradies neben drei Strömen, die jeweils reines Wasser, Milch und Honig führen, einen vierten gibt, der aus Wein (hÆ amr) besteht; der Vers, in dem das erwähnt wird (47, 15), stammt wie das Weinverbot in Sure 5, 90 f. aus medinensischer Zeit. Zwei Probleme vor allem waren es, die die Koranausleger und Rechtsgelehrten im Zusammenhang mit den hier zitierten 76
Koranstellen lösen mußten: Wie waren die Widersprüche zwischen den verschiedenen Aussagen zu erklären und vor allem praktisch zu lösen, d.h. welche Aussage galt verbindlich? Und was war eigentlich unter dem Wort „Wein“ (hÆ amr) zu verstehen? Vor allem die letzte Frage wurde sehr verschieden beantwortet; bei enger Auslegung verstand man unter hÆ amr einen aus Trauben (cinab) gegorenen Wein, während man bei etwas weiterer Auslegung hÆ amr als Bezeichnung für jedes berauschende Getränk auffaßte. Im letzteren Fall traf das Verbot z. B. auch den aus Äthiopien stammenden Kaffee, dessen Genuß ab dem 15. Jahrhundert in den Zirkeln islamischer Mystiker nachweisbar ist und der sich danach vor allem im Osmanischen Reich rasch ausbreitete – und das, obwohl er zeitweise streng verboten war. Als Strafe für den Weingenuß (šurb al-hÆ amr) sind übrigens 40 bzw. 80 Peitschenhiebe vorgesehen, je nach Rechtsschule. Diese Strafe hat jedoch keine explizite Grundlage im Koran. Was die Widersprüche (oder scheinbaren Widersprüche) im Koran betrifft, so gab es dafür die später im islamischen Recht ausführlich ausgebaute Lehre von der Aufhebung (oder Abrogation, nashÆ ) einzelner Koran verse durch andere. Hierfür berief man sich auf Sure 2, 106 (Übersetzung Paret): Wenn wir einen Vers tilgen oder in Vergessenheit geraten lassen, bringen wir (dafür) einen besseren oder einen, der ihm gleich ist. Weißt du denn nicht, daß Gott zu allem die Macht hat?
Nach dieser Lehre gibt es also einige Koranverse, die durch andere „aufgehoben“ sind; umgekehrt gibt es „aufhebende“ Verse. Nach einem der maßgebenden Handbücher der Abrogationslehre von Hibatalläh Ibn Saläma (gest. 410/1019) ist z.B. von den Versen, in denen vom Wein die Rede ist, 16, 67 durch 5, 90 aufgehoben. Genauso sind die „satanischen Verse“ (vgl. oben S. 60) durch einen anderen (53, 21) aufgehoben; in diesem Falle befindet sich jedoch der „aufgehobene“ Vers nicht mehr im Koran, da es sich bei ihm ja um einen vom Satan „untergeschobenen“ Text handelte. Die Abrogationslehre ist also ein Versuch, über die rechtliche Gültigkeit der 77
Verse, die im Widerspruch zu anderen zu stehen scheinen, Klarheit zu erlangen. Unabdingbare Voraussetzung ist dabei, daß’ man für jeden einzelnen Vers dessen „Offenbarungsanlaß“ kennt – und damit auch die chronologische Abfolge der koranischen Offenbarungen insgesamt. Die Abrogationslehre stieß innerhalb des Islam jedoch immer wieder auch auf Ablehnung, nicht zuletzt in modernistischen Kreisen. Wir haben gesehen, daß das Weinverbot, so eindeutig es zunächst zu sein scheint, eine ganze Anzahl von Einzelproblemen in der Auslegung der Texte und ihrer praktischen Anwendung aufwirft. Ähnliches gilt für eine Reihe anderer Verbote. In Sure 5, 3 heißt es (Übersetzung Khoury): Verboten ist euch Verendetes, Blut, Schweinefleisch und das, worüber ein anderer als Gott angerufen worden ist ...
Hier ist es der Begriff „Verendetes“ (maita), für den es ganz unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten gibt. Paret übersetzt den Beginn desselben Textes übrigens so: Verboten ist euch (der Genuß von) Fleisch [!] von verendeten Tieren ...
Hier wird schon durch die Art der Übersetzung der Blick auf die weitergehenden Auslegungsmöglichkeiten, die der arabische Ausgangstext bietet, verstellt. In den einschlägigen Rechtsbüchern wird das Wort maita nämlich keineswegs auf den Fleischgenuß reduziert, es geht z.B. auch um die Möglichkeit der Verwertung des Fells und anderer Bestandteile von verendeten Tieren, also um die Frage, in welchem Umfang überhaupt die Nutzung „verendeter“, d.h. nicht in der vom islamischen Recht vorgeschriebenen Weise geschlachteter (d.h. geschächteter) Tiere gestattet ist. Insgesamt gibt es für die komplizierten islamischen Schlachtvorschriften nur sehr wenige konkrete Hinweise im Koran; eine, nämlich die notwendige „Anrufung des Namens Gottes“ über dem zu schlachtenden Tier, ist im oben zitierten Koranvers indirekt enthalten. Ein anderes in der Öffentlichkeit vieldiskutiertes rechtliches Problem ist die Verschleierung der Frau, für die man sich von muslimischer Seite aus gerne auf den Koran beruft. In diesem 78
Zusammenhang werden drei Verse als mögliche Begründung genannt, wobei es interessant ist, daß alle drei Verse aus medinensischen Suren stammen. Bei der Betrachtung der ersten Stelle, nämlich Sure 24, 31, ist es wichtig, auch den vorhergehenden Vers zu beachten; er zeigt nämlich, daß hier ganz allgemein von den Grundregeln der Schicklichkeit die Rede ist, die Männer ebenso wie Frauen betreffen. Die beiden Verse lauten: [30] Sag zu den gläubigen Männern (mu’minūn), daß sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham (fargˇ) hüten sollen. Das bedeutet Reinheit für sie. Gott weiß Bescheid über das, was sie tun. [31] Und sag zu den gläubigen Frauen (mu’miriāt), daß sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten sollen, daß sie ihren Schmuck nicht zur Schau stellen sollen, mit Ausnahme dessen, was ohnehin davon sichtbar ist. Sie sollen ihr Tuch (hÆ imār; Paret: Schal; Khoury: Schleier) über den Halsausschnitt schlagen und ihren Schmuck nicht zur Schau stellen ...
Das hier für die Frauen erwähnte besondere Kleidungsstück war ein großes Umschlagtuch oder eine Art von Schalgewand, das über das weit ausgeschnittene Untergewand (izār) geschlagen wurde; es bedeckte zwar den Kopf, nicht aber das Gesicht. Es ist jedenfalls bemerkenswert, daß an dieser Stelle keines der in der altarabischen Dichtung benutzten Wörter für den Gesichtsschleier im engeren Sinne verwendet wird. Das trifft übrigens auch für die zweite der hier zu besprechenden Stellen zu; sie stammt aus Sure 33, die besondere Anweisungen für die Frauen des Propheten enthält (33, 30–34. 59). Aus dem Text der gesamten Sure geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß der Prophet zu dieser Zeit in Medina bereits eine herausgehobene Stellung hatte und daß sich daraus bestimmte Sonderrechte für ihn und seine Frauen ergaben (33, 59): Prophet! Sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Gewand (gˇilbāb) über sich hinabziehen, das ist passender dafür, daß sie erkannt und nicht belästigt werden. Siehe, Gott ist vergebend und barmherzig.
Wie der himār war der gˇilbāb offenbar ein weites Tuch. Aus dieser Stelle geht freilich nicht hervor, wie man sich die Umhüllung genau vorzustellen hat und ob es tatsächlich eine Gesichtsverhüllung gab. Jedenfalls sollte aus der Art der Be79
kleidung der besondere soziale Rang der Frauen (etwa im Unterschied zu Sklavinnen) sofort erkennbar sein, so daß sie vor möglichen Übergriffen geschützt waren. Die dritte Stelle (33, 53) lautet: Und wenn ihr sie [d. h. die Frauen des Propheten] um etwas bittet, was ihr braucht, so tut das hinter einer Abschirmung (higˇāb).
Mit higˇāb ist aber keineswegs ein „Kleidungsstück“ gemeint, sondern eine Art Trennwand bzw. ein irgendwie trennender Gegenstand (ob Mauer, Paravent oder Vorhang), der auch an anderen Stellen im Koran erwähnt wird: Zwischen den Bewohnern des Paradieses und der Hölle ist ein higˇ āb (7, 46); Maria zieht sich vor ihren Angehörigen nach Osten zurück und verbirgt sich hinter einem higˇāb (19, 16f.); zwischen Mohammed und den Ungläubigen besteht ein trennender higˇāb (17, 45; 41, 5), und Gott redet zu Menschen nur durch „Offenbarung“ (wahy) oder eben „hinter einem higˇāb“ (42, 51). Ob man higˇāb nun mit „Vorhang“ oder „Trennwand“ übersetzt, klar ist im Hinblick auf Sure 33, 53, daß eine „Abschirmung“ der Prophetenfrauen beabsichtigt ist. Ein eindeutiger Grund dafür geht aus dem Wortlaut des Korantextes nicht hervor. Daher ist es nicht verwunderlich, daß es zur Begründung dieser Offenbarung eine ganze Reihe von widersprüchlichen Überlieferungen gibt. Die Ausdehnung der „Abschirmung“ auf alle Frauen überhaupt stellt erst eine spätere Entwicklung im islamischen Recht dar, die sich u. a. auf die Erwähnung der „gläubigen Frauen“ in einem benachbarten Vers beruft (33, 59). Die heutige Verwendung des Wortes higˇāb im Sinne von „Kopftuch“ bzw. „Schleier“ kann jedenfalls, um ein Fazit zu ziehen, aus dem Koran nicht begründet werden. Das haben übrigens auch schon die islamischen Reformer des letzten Jahrhunderts überzeugend dargelegt, wie z. B. der Ägypter Qāsim Amīn (1865–1908) in seinem berühmten Buch „Die Befreiung der Frau“, das 1899 in Kairo erschien. Von großer Bedeutung sind nach wie vor die im Koran niedergelegten eherechtlichen Bestimmungen, von denen die mei80
sten in Sure 4 (an-nisā’ „Die Frauen“) und Sure 24 (an-nūr „Das Licht“) stehen. Die außerhalb des Islam bekannteste ist die durch Sure 4, 3 sanktionierte Polygynie, d. h. die Möglichkeit für den Mann, mehrere Frauen zu heiraten. Den Wortlaut dieses Verses zu verstehen und richtig zu interpretieren, ist jedoch außerordentlich schwierig: [3] Und wenn ihr fürchtet, daß ihr die Waisen nicht gerecht behandelt, dann heiratet, was euch gut dünkt an Frauen [von diesen Waisen], zwei, drei oder vier; doch wenn ihr fürchtet, nicht gerecht zu sein, dann eine, oder eine Sklavin (wörtl. „was eure Rechte besitzt“, mā malakat aimānukum); das ist passender, damit ihr nicht Unrecht tut.
Schon beim ersten Lesen ist klar, daß es sich keineswegs um eine allgemeine Regelung handeln kann, da der Vers, indem er mit einem Bedingungssatz beginnt, deutlich an den vorhergehenden anknüpft: [2] Und gebt den Waisen ihr Vermögen und tauscht nichts Schlechtes gegen Gutes ein, und zehrt ihr Vermögen nicht auf, zu eurem eigenen Vermögen hinzu; das wäre ein großes Vergehen.
Aus dem Zusammenhang geht deutlich hervor, daß es in beiden Versen offenbar um die Versorgung von Waisen geht, und Vers 3 zeigt, daß hier weibliche Personen gemeint sind. Islamische Ausleger bringen die Verse mit der verlustreichen Niederlage der Muslime gegen die Mekkaner am Berg Uhud im Jahr 3/625 in Verbindung. In diesem Rahmen wird die Heirat von bis zu vier Frauen erlaubt, und zwar von Waisen, die einem Mann ohnehin anvertraut waren. Das wird jedoch im selben Vers wieder relativiert, und die Heirat nur einer Frau angeraten – wobei die gleichzeitige zusätzliche Erlaubnis einer Sklavin noch weitere schwierige Interpretationsprobleme aufwirft. Die dafür genannte Begründung – nämlich das Problem der Gleichbehandlung – wird in einem anderen Vers der gleichen Sure eigens thematisiert: [129] Und ihr werdet die Frauen nicht gleich behandeln können – wie sehr ihr auch darauf aus sein werdet.
Einige islamische Reformer haben daher Vers 3 als Votum für die Monogamie gedeutet und die erlaubte Höchstzahl von 81
vier Frauen als eine Art Entgegenkommen an den mekkanischen Stamm der Koreisch, die mehr Frauen heiraten konnten. So schreibt z.B. der indische Gelehrte Yusuf Ali (18721953) im Kommentar zu seiner englischen Koranübersetzung: Die uneingeschränkte Zahl von Frauen aus der „Zeit der Unwissenheit“ [d. h. der Zeit vor dem Islam, H. B.] wird hier streng auf maximal vier begrenzt, vorausgesetzt, man kann sie vollkommen gleich behandeln, sowohl materiell als auch im Hinblick auf die Zuneigung und immaterielle Belange. Da diese Bedingung aber sehr schwer zu erfüllen ist, verstehe ich die Empfehlung in Richtung auf die Einehe.
Das hier etwas ausführlicher besprochene Beispiel der Vielehe zeigt übrigens noch ein Problem der Interpretation der rechtlichen Bestimmungen im Koran. Sie stellen nämlich häufig nicht einfach die Einführung neuer Vorschriften dar, sondern korrigieren oder ergänzen bereits bestehende. Das damals in Arabien bestehende Recht in seiner ganzen Vielfalt ist heute jedoch nur noch teilweise rekonstruierbar. Daher gibt es für manche Stelle im Koran, deren kurze, ja oft geradezu lakonische Ausdrucksweise für Mohammeds Zeitgenossen vollkommen klar und ausreichend gewesen sein mag, heute mehr als eine plausible Deutung; auch die islamische Rechtstradition zeigt die Tendenz, sich nicht nur auf eine Deutung festzulegen. Es gibt jedoch auch Rechtsvorschriften im Koran, die als eindeutig und unumstößlich gelten. Dazu gehören diejenigen, die auf arabisch hadd (Pl. hudūd, wörtl. „Grenze“, „Tabu“) genannt werden. Nach koranischem Sprachgebrauch fallen unter die hudūd Vorschriften, die das Fasten (2, 187), die Ehe und Ehescheidung (2, 229–230; 58, 1–4; 65, 1) sowie das Erbrecht (4, 11–13) betreffen. In nachkoranischer Zeit wurde der Begriff auf bestimmte Delikte ausgedehnt, deren Strafe im Koran ausdrücklich erwähnt ist. Als die wichtigsten seien hier Unzucht, Verleumdung wegen angeblicher Unzucht und Diebstahl genannt. Zur Unzucht (zinā’ od. zinan) heißt es (24, 2): Die Ehebrecherin und der Ehebrecher: Peitscht beide mit je hundert Hieben aus! Und nicht erfasse euch Mitleid mit ihnen, in [der Verwirklichung] der Religion Gottes ...
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Für die Verleumdung wegen angeblicher Unzucht (qadf) gilt (24, 4): Diejenigen, die ehrbare Frauen verleumden und dafür nicht vier Zeugen beibringen, die peitscht mit achtzig Hieben aus.
Diebstahl (sariqa) wird nach Sure 5, 38 behandelt: Dem Dieb und der Diebin haut die Hände ab, als Lohn für das, was sie erworben haben, als warnendes Beispiel von Gott.
Der Vollzug dieser Strafen wird im islamischen Recht jedoch von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht, die nur teilweise auch im Koran genannt sind. So gilt die Auspeitschung (gˇald) bei Ehebruch für Unverheiratete; für Verheiratete ist die Strafe die Steinigung (ragˇm). Dafür beruft man sich auf den sog. „Steinigungsvers“ (āyat ar-ragˇ m), der einst im Koran gestanden habe und noch vom Kalifen cUmar für einen Koranvers gehalten wurde, ehe er „verlorenging“ bzw. „aufgehoben“ wurde; sein wesentlicher Teil lautet: ... Wenn ein bejahrter Mann und eine bejahrte Frau Unzucht treiben, so steinigt sie auf jeden Fall, zur Strafe von Gott ...
Auch wenn bei der Auspeitschung, wie es in Sure 24, 2 heißt, „Mitleid“ (ra’fa) keine Rolle spielen soll, so gibt es dennoch einen durch den Koran sanktionierten Grund, jede der hier genannten Strafen nicht auszuführen, und zwar dann, wenn der Täter bzw. die Täterin Reue zeigen. In Sure 5 heißt es nämlich im Anschluß an den Vers über den Diebstahl in Vers 39: Wer nach begangenem Unrecht Reue zeigt und sich bessert, dem wendet sich Gott wieder zu; Gott ist vergebend und barmherzig.
Dies sei nur als Hinweis darauf verstanden, daß die praktische Anwendung der sog. hadd-Strafen durch das islamische Prozeßrecht von jeher stark eingeschränkt war, die koranischen Vorschriften also nicht so direkt umsetzbar waren, wie es einem mit dem islamischen Recht nicht vertrauten Leser erscheinen mag. Ähnliches gilt für die koranischen Bestimmungen zum sog. „Heiligen Krieg“ (al-gˇihād fī sabīl allāh, wörtl. „das Bemühen 83
auf dem Wege Gottes“ oder: „um Gottes willen“). Aus zahlreichen Stellen in medinensischen Suren geht klar hervor, daß mit diesem „Bemühen“ vor allem der Kampf (qitāl) im Sinne einer kriegerischen Auseinandersetzung gemeint ist. Mohammed und seine Anhänger werden dabei als diejenigen bezeichnet, „die sich auf dem Weg Gottes mühen“ (gˇāhadū fī sabīl allāh, z.B. 2, 218; 8, 74). Die Gegner Mohammeds haben verschiedene Namen; so heißt es z. B. in Sure 9, 36: Und bekämpft diejenigen, die [Gott] einen Teilhaber an die Seite stellen (al-mušrikūn), insgesamt, ebenso wie sie euch insgesamt bekämpfen.
Mit den mušrikūn sind hier gewiß die heidnischen Mekkaner gemeint. In Sure 9, 73 (vgl. 22, 9) heißt es, an Mohammed gerichtet: Prophet! Bekämpfe (gˇ āhid) die Ungläubigen (al-kuffār) und die Heuchler (al-munāfiqūn) und behandle sie hart!
Mit den „Ungläubigen“ (kāfir, Pl. kuffār) sind alle die gemeint, die nicht Muslime sind, d.h. auch die „Buchbesitzer“ können darunter fallen (vgl. 9, 29); die „Heuchler“ (munāfiqūn) hingegen sind nach der üblichen Deutung eine Gruppe von „Unentschlossenen“, von Opportunisten innerhalb der Muslime. Der Kampf richtet sich also sowohl gegen äußere Gegner als auch gegen Leute, die Zwietracht (fitna) stiften und somit die innere Einheit der Gemeinde gefährden. In diesem Sinne ist auch die Stelle zu verstehen, die die vollständige Errichtung der „Religion Gottes“, also des Islam, als Ziel des gˇihād formuliert (8, 39): Und kämpft gegen sie, bis es keine [innere] Zwietracht (fitna) mehr gibt, und die Religion (dīn) gänzlich Gottes ist.
Das „Mühen um Gottes willen“ wird laut Sure 4, 74 belohnt: Es sollen auf dem Wege Gottes diejenigen kämpfen, die das diesseitige Leben um den Preis des jenseitigen (Lebens) verkaufen; und wer auf dem Wege Gottes kämpft und wird getötet – oder siegt –, dem werden wir gewaltigen Lohn geben.
Dieser Lohn (agˇr) kann diesseitig sein und in der Beute bestehen (vgl. 48, 20), deren Aufteilung genau beschrieben wird 84
(vgl. 8, 41; 59, 7–10); der Lohn kann sich aber auch auf das Jenseits beziehen, als das Versprechen, ins Paradies einzugehen. Dafür beruft man sich vor allem auf Sure 2, 154 (vgl. 3, 169): Und sagt nicht von denen, die um Gottes willen (fī sabīl allāh) getötet wurden, sie seien tot; nein, sie leben – aber ihr wißt es nicht.
In der Geschichte des Islam haben die auf den gˇihād bezogenen Stellen natürlich eine wichtige Rolle gespielt. Dabei galt der gˇihād jedoch in erster Linie der Ausdehnung des islamischen Herrschaftsbereiches, wie aus dem oben zitierten Vers 8, 39 hervorgeht; im Vordergrund stand also keineswegs die (gewaltsame) Bekehrung einzelner Ungläubiger; denn Sure 2, 256 verstand man als klare Absage an jede Gewaltanwendung: Es gibt keinen Zwang in der Religion (lā ikrāha fī d-dīn).
Für die Tolerierung der Religionsausübung der „Buchbesitzer“ gegen einen Tribut (gˇizya; oft als „Kopfsteuer“ bezeichnet) berief man sich auf Sure 9, 29: Bekämpft diejenigen, die nicht an Gott und an den Jüngsten Tag glauben, die nicht das verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und die nicht der rechten Religion anhangen von denen, denen das Buch gegeben wurde, bis sie Tribut (gˇizya) entrichten aus ihrer Hand und sich dabei erniedrigen (sāġirūn).
Das spätere islamische Recht hat den gˇ ihād als Gemeinschaftspflicht aufgefaßt, d.h. nicht jeder einzelne Muslim ist zum gˇihād im kriegerischen Sinne verpflichtet, sondern es ist ausreichend, wenn das einige wenige für die gesamte Gemeinschaft tun. Diese Auffassung wies auch den Weg, gˇihād nicht mehr nur im kriegerischen Sinne zu verstehen, sondern das „Mühen um Gott“ und die Religion Gottes, den Islam, im weitesten Sinn in den Vordergrund zu rücken (29, 69): Diejenigen, die sich um uns mühen (gˇāhadū fīnā), die werden wir unsere Wege führen!
So konnte der Mystiker seinen Kampf um Gotteserkenntnis ebenso als gˇ ihäd verstehen, wie ein Prediger seine Missionstätigkeit. Aber das Wort gˇihäd wurde und wird gerade von Mo85
dernisten auch sehr weltlich verstanden; so wurde z.B in Tunesien die Bekämpfung des Analphabetentums als gˇihād deklariert. Wir haben bisher eine Reihe von Vorschriften (ahkām) vorgestellt, die nach unserer Kategorisierung teils eher ritueller, teils rein rechtlicher Art waren. Vollständigkeit konnte und sollte dabei nicht erreicht werden, dazu sind die Vorschriften zu zahlreich und zu vielfältig. Daneben enthält der Koran noch eine große Fülle allgemeiner ethischer Anweisungen. Als Beispiel dafür sei Sure 2, 177 zitiert: Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr wendet Eure Gesichter mal nach Osten, mal nach Westen! Nein, Frömmigkeit gilt für dieses: Wer glaubt an Gott, den Jüngsten Tag, die Engel, Und an das Buch und die Propheten. Und wer da gibt sein Geld, auch wenn’s ihm noch so lieb ist, An die Verwandten und die Waisen und die Armen, Und an den Kämpfer auf dem Wege Gottes, Und an die Bittenden, und zum Freikauf von Sklaven, Und wer verrichtet das Gebet und gibt die Armensteuer, Und wer die Pflichten einhält, die er einging, Und wer geduldig ist in Not und Mißgeschick Und auch zur Zeit des Krieges. Das sind die, die wahrhaftig sind, Und das sind die, die Gott fürchten.
„Frömmigkeit“ (birr) besteht also nicht nur darin, bestimmte Glaubensartikel für wahr zu halten, oder darin, mit „Gebet“ (salāt) und „Almosensteuer“ (zakāt) seine Pflichten zu erfüllen, sondern darüber hinaus aus Opferbereitschaft, Treue und Geduld. Christentum wie Judentum besitzen in den „Zehn Geboten“, dem Dekalog, einen knappen Katalog ethischer Grundnormen. Der Koran enthält zwar kein direktes Gegenstück dazu, stellt jedoch in Sure 17, 22–39 einen Katalog auf, aus dem sich zwölf Grundgebote entnehmen lassen, die eine gewisse Nähe zum Dekalog zeigen (Übersetzung nach Henning): [22] Setze nicht neben Gott einen anderen Gott ... [23] Und bestimmt hat dein Herr, daß ihr Ihm allein dienet Und daß ihr gegen eure Eltern gütig seid ...
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[26] Und gib dem Verwandten, was ihm gebührt, und dem Armen und dem Kämpfer auf Gottes Weg ... [31] Tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung ... [32] Und bleibt fern der Hurerei ... [33] Und tötet keinen Menschen, den euch Gott verwehrt hat, es sei denn um der Gerechtigkeit willen ... [34] Und bleibt fern dem Gut der Waise, außer zu ihrem Besten, bis sie das Alter der Reife erreicht hat. Und haltet den Vertrag ... [35] Und gebet volles Maß, wenn ihr messet, und wäget mit richtiger Waage ... [36] Und fuße nicht auf dem, wovon Du kein Wissen hast ... [37] Und schreite nicht auf der Erde stolz einher ...
8. Die sprachliche und literarische Form des Korans Der Koran ist bekanntlich in arabischer Sprache abgefaßt; weniger bekannt dürfte sein, daß seine Sprachform vom heutigen Arabisch nicht unerheblich abweicht. Dazu muß man zunächst wissen, daß es im Arabischen, für das seit dem 6. Jahrhundert literarische Quellen vorliegen, von Anfang an einen tiefgreifenden Unterschied zwischen der (gesprochenen) Umgangssprache (dem Dialekt) und der literarischen Hochsprache gibt. Dabei ist die Umgangssprache in eine Vielzahl lokaler Dialekte aufgegliedert, die untereinander soweit voneinander entfernt sein können wie beispielsweise das Oberbairische vom Ostfriesischen oder das Alemannische vom Sächsischen. Die in Marokko gesprochenen maghrebinisch-arabischen Dialekte z. B. sind für einen Ostaraber aus dem Irak oder aus Jordanien kaum verständlich. Das sprachlich einigende Band der arabischen Welt von heute ist die moderne arabische Schriftsprache, kurz das moderne Hocharabisch, die Sprachform der Literatur, der Presse, des Radios und Fernsehens. Modernes Hocharabisch oder Standardarabisch ist die moderne Form des Klassischen Arabisch. Darunter versteht man die Sprache der vorislamischen Dichtung und des Korans sowie der in islamischer Zeit entstandenen Literatur, deren Vielfalt 87
und Reichtum beträchtlich ist. Daß die Sprache des Korans und der vorislamischen Dichtung eine Reihe von altertümlichen Zügen und bestimmte grammatische Freiheiten aufweisen, die später praktisch verschwinden, ist damit zu erklären, daß seit der Mitte des 8. Jahrhunderts Generationen von Philologen die arabische Sprache auf das genaueste beschrieben und für sie zugleich ein normatives Regelwerk geschaffen haben. Diese Tätigkeit stand in engem Zusammenhang mit dem Koran, wie später noch zu erörtern sein wird. Für einen heutigen, durchschnittlich gebildeten Araber ist der Koran nicht ohne weiteres verständlich. Beispielsweise bezeichnet das arabische Wort sayyāratun in Sure 12, 19 eine „Gruppe von Reisenden“; im heutigen Arabisch jedoch ist es das übliche Wort für „Auto“. Die „Altertümlichkeit“ der Sprache betrifft jedoch nicht nur den Wortschatz, sondern auch den Bestand an Wortformen, eine teilweise abweichende Orthographie sowie heutzutage als kompliziert empfundene Satzkonstruktionen. Es wäre jedoch weit gefehlt, zu sagen, daß der Koran „unverständlich“ sei. Der Koran ist nämlich in vielfältiger Form im täglichen Leben der Muslime präsent, er wird oft gehört und rezitiert; so gibt es praktisch kein arabisches Radio- oder Fernsehprogramm, in dem die Koranrezitation nicht einen festen Platz hätte. So kann man sagen, daß der Koran gleichsam durch Gewöhnung verständlich ist, und der altertümliche Charakter der Sprache wirkt wie Patina, die den religiösen Charakter des Korans in besonderem Maße unterstreicht. Im übrigen ist die sprachliche Verständlichkeit des Korans für den Muslim natürlich auch das Ergebnis jahrhundertelanger Auslegungsarbeit, die selbst für die sprachlich schwierigsten Stellen eine einsehbare Deutung zu bieten hatte. Wer sich jedoch in die umfangreiche Literatur zur grammatischen Kommentierung des Korans vertieft oder gar versucht, den Koran zu übersetzen, der wird sehr rasch merken, wie zahlreich und vielfältig die sprachlichen Probleme sind, die der Korantext bietet, ja, daß es auch Stellen gibt, deren sichere Deutung nahezu unmöglich erscheint. 88
Grundsätzlich unterscheidet sich die Sprache des Korans nicht von jener der altarabischen Dichtung, die seit etwa 500 n. Chr. bezeugt ist. Im Unterschied zu den Dialekten der einzelnen Stämme war sie eine relativ einheitliche Sprachform, die überall auf der arabischen Halbinsel verstanden wurde. Dichter der verschiedenen arabischen Stämme aus Ost und West trugen auf den Märkten ihre noch heute bekannte und hochgeschätzte Dichtung vor. Die arabischen Philologen, die in den Jahrhunderten nach der Entstehung des Islam diese altarabischen Gedichte sammelten und redigierten, suchten allerdings im Interesse der weiteren Vereinheitlichung der Hochsprache regionale Besonderheiten zu beseitigen. Obwohl altarabische Dichtung und Koran in derselben Sprache verfaßt sind, gibt es auf der formalen Seite bedeutsame Unterschiede. Die altarabische Poesie besitzt nämlich eine Reihe besonderer literarischer Merkmale; jeder Vers (bait, was ursprünglich „Zelt“ bedeutet) ist metrisch gegliedert, und alle Verse eines Gedichtes haben den gleichen, durchlaufenden Endreim (qāfiya). Auf der stilistischen Ebene ist der häufige Gebrauch von Vergleichen und Metonymien besonders charakteristisch. Für den Koran gilt das nicht in gleicher Weise. Typisch für ihn ist das völlige Fehlen der metrischen Gliederung des einzelnen Koranverses, der ja von ganz unterschiedlicher Länge sein kann, wie wir bereits früher gesehen haben, und der deshalb auch einen anderen Namen hat als ein Gedichtvers, nämlich āya. Das herausragende formale Merkmal des Koranverses ist der Reim. Stilistisch spielen Vergleich und Gleichnis im Koran eine wichtige Rolle, kaum jedoch die Metonymie. Von den genannten literarischen Merkmalen der koranischen Sprache ist zweifelsohne der Reim das auffälligste. Da eine metrische Strukturierung fehlt, spricht man von „Reimprosa“ (sagˇ c). Der koranische Reim, der sich auf bis zu drei Silben erstrecken kann, weist nicht nur eine große Formenvielfalt auf, sondern auch wichtige Unterschiede zum Reim in der Dichtung. Sie sind keineswegs nur als Erleichterungen bzw. Nachlässigkeiten im Vergleich zu den strengeren Kon89
ventionen der Dichtung zu verstehen, sondern hier handelt es sich um eine von der Dichtung deutlich unterschiedene neue Redeweise. In den ältesten Suren ist z.B. Reimwechsel häufig, während in den jüngeren Suren der Reim eine ganz neue Funktion erhält; er steht dann nämlich am Ende eigener Reimsätze, die den normalen prosaischen Redefluß in ganz eigentümlicher Weise gliedern und gleichsam theologisch kommentieren; sehr häufig enthalten diese „Reimklauseln“ Aussagen über die Eigenschaften Gottes. Um das soeben Gesagte wenigstens ansatzweise zu erläutern, ist es unumgänglich, Koranübersetzungen heranzuziehen, die ihr Augenmerk auch auf die sprachliche Form, und nicht nur auf die bloße Wiedergabe des Inhalts richten, wie das z. B. Rückert versucht. Als Beipiel für den regelmäßigen Reimwechsel sei hier die sehr alte und kurze Sure 94 genannt; in der Übersetzung Rükkerts lautet sie (in Klammern ist stets das arabische Reimwort hinzugesetzt): [l] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]
Erschlossen wir dir nicht die Brust, Und nahmen ab dir deine Last, Darunter du gebeugt dich hast? Und hoben dein Gedächtnis fast? Wohl kommt durchs Schwere Hehres, Wohl kommt durchs Schwere Hehres, Drum, bist du fertig, hebe dich, Zu deinem Herrn bestrebe dich!
(sadrak) (wizrak) (zahrak) (dikrak) (yusrā) (yusrā) (fa-nsab) (fa-rġab)
Betrachtet man die arabischen Reimwörter, so reimen sich beim erstem Hinschauen in Vers 1–4 nur die letzten Silben (-rak), in Vers 7–8 nur die letzten beiden Buchstaben (-ab). So streng sind die Reimregeln allerdings nicht. So ist z.B. beim Reim, der in Vers 1–4 begegnet, in der ersten Silbe des Endwortes nur die Kürze des Vokals entscheidend, d. h. dort kann jeder der drei kurzen Vokale (a, i, u; Symbol: kV) stehen; ebenso ist die Qualität des Konsonanten vor -rak beliebig (Symbol: K). Das in Vers 1–4 zugrundeliegende Reimschema wäre also: K-kV-K | rak. Entsprechend lautete dasjenige von Vers 7–8: K-kV-K | K-ab. Die Verse 5–6 schließlich haben das
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Reimschema K-kV-K | rā. Diese beiden Verse, deren Text identisch ist, zeigen ein weiteres, im Koran häufiger gebrauchtes Stilmittel, nämlich die unmittelbare Wiederholung eines (manchmal leicht erweiterten) Satzes, wie z.B. einer rhetorischen Frage (82, 17f.; Übersetzung Klamroth): [17] Was lehrt dich den Gerichtstag kennen? [18] Ja, was lehrt dich den Gerichtstag kennen?
Doch zurück zum Reim! Als Beispiel für eine Sure aus der zweiten mekkanischen Periode sei hier Sure 54 genannt; sie hat in allen 55 Versen den gleichen Reim des Schemas K-kV I K-kV-r (d.h. in der letzten Silbe Kar, Kir oder Kur). Rückert hat die Sure nicht vollständig übersetzt, benutzt aber in den übersetzten Versen (1–8. 52–55) stets den gleichen Reim auf -altet (in Klammern das arabische Reimwort, das allerdings meist nicht dem Reimwort Rückerts, der sehr frei übersetzt, entspricht): [1] Die Stunde naht, es ist der Mond gespaltet. [2] Doch wenn sie sehn ein Zeichen, wenden sie sich ab, Und sagen: Zauber waltet. [3] Sie zeihn der Lüg’ und folgen ihren Lüsten; Doch alles Ding ist fest gestaltet. [4] Wohl zur Abschreckung könnten dienen Die Mahnungen, die ihr erhaltet, [5] Ausreichende Belehrungen, Und Warnung, die ihr schaltet. [6] Laß du sie gehn! Einst wann der Rufer Ruft zu dem Dinge schlimm gestaltet! [7] Die Augen niederschlagend, gehn sie aus der Gruft, Wie sich ein Heuschreckzug entfaltet; [8] Hinzitternd zu dem Rufer, sagen dann die Leugner: Das ist ein Tag, der hitzt und kältet. [52] Doch alles ist im Buch entfaltet, [53] Geschrieben, was für groß und klein ihr haltet. [54] Die Frommen in den Gärten, An Strömen, ungealtet, [55] Im Sitze der Gerechtigkeit, Beim Könige, der waltet.
(’l-qamar) (mustamir) (mustaqar) (muzdagˇir) (’n-nudur) (nukur) (muntašir) (casir) (’z-zubur) (mustatar) (wa-nahar) (muqtadir)
In Vers 54 könnte man am seltenen Wort „ungealtet“ Anstoß nehmen; aber wahrscheinlich ahmt Rückert hier eine poeti91
sehe Freiheit des arabischen Textes nach; für die hier vom Reim geforderte Form nahar steht normalerweise nahr – analog setzt Rückert aus Reimzwang „ungealtet“ für „ungealtert“. Derartige speziell des Reimes wegen abgewandelte Wörter sind im Koran übrigens keine Seltenheit. In allen bisher angeführten Beispielen sind die Wörter, die den Reim tragen, unverzichtbarer Bestandteil des Textes. Man kann, anders gesagt, keinen Reim aus dem Text herauslösen, ohne dessen Zusammenhang entscheidend zu beeinträchtigen. Genau das aber ändert sich in den jüngeren Suren durch sog. „Klauselverse“. Freilich ist das keineswegs erst in den medinensischen Suren der Fall, sondern beginnt schon wesentlich früher. Einige wenige Beispiele sollen das Phänomen des Klauselverses erläutern. In Sure 44, 2–8 wird die Nacht der Offenbarung, also die der erstmaligen Herabkunft des Korans, der „Lesung“, beschrieben; diese Stelle ist eine jüngere Parallele zu der sehr alten Sure 97 (s.o. S. 21), in der die Reimwörter integrale Bestandteile des ohnehin knappen Textes bilden. Im Abschnitt aus Sure 44 sind jedoch reimtragende Sätze erkennbar, die nicht unmittelbar zur „Handlung“ beitragen, sondern ein neues, gleichsam deutendes oder auch wertendes Element in den Text hineintragen (kursiv markiert). Dabei weisen die Reimwörter in der gesamten Sure den einfachsten Reim überhaupt auf, der sich aus den sehr häufigen Pluralendungen auf -ūn bzw. -īn (die trotz Vokalwechsel als reimend gelten) ergibt, und der noch dazu die Ausweitung erfährt, daß am Ende stehendes -n und -m als gleichwertig gelten; dadurch können in das Reimgefüge auch solche Adjektive Eingang finden, die häufig als Prädikate Gottes verwendet werden, wie z.B. „wissend“ (calīm, 140mal in dieser Form im Koran), „barmherzig“ (rahīm, 95mal), „gewaltig“ (cazīm, 85mal) oder „weise“ (hakīm, 81mal). Davon kommen in dem folgenden Text (Sure 44, 2–8) immerhin zwei vor: [2] Beim Buch, das klarmacht! (mubīn) [3] Siehe, wir haben es herabgesandt in einer gesegneten Nacht, – Siehe, wir haben die Warnung gebracht! (mundirīn)
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[4] In der jeder weise Befehl wird zur Entscheidung gebracht, [5] Als Befehl von uns, Siehe, wir haben die Gesandten gebracht! [6] Als Barmherzigkeit von deinem Herrn, Siehe, er ist’s, der hört und weiß mit Vollmacht! [7] Dem Herrn der Himmel und der Erde und was dazwischen ist, Wenn ihr euch das zur Gewißheit gemacht. [8] Es gibt keinen Gott außer ihm! Der da leben und sterben macht, Eurem Herrn, und dem Herrn Eurer Vorfahrenschaft,
(hakim) (mursilln) (calim) (müqinin) (awwalin)
Man kann sehr gut sehen, wie hier ein an sich zusammengehöriger Text durch „Klauselverse“ auseinandergezogen wird. Das ist vielleicht überhaupt ein Stilmittel, das für den Koran in seinen Hauptpartien besonders charakteristisch ist, und das sehr eng mit der Darbietung der Texte in einer mündlichen Verlesung verknüpft zu sein scheint. Ja man kann sich sogar vorstellen, daß mit verteilten Rollen gelesen wurde, daß die Lesung (qirā’a) des „Rezitationstextes“ (qur’ān) in der Art eines Responsoriums geschah, wobei die Klauselverse bei der gottesdienstlichen Aufführung als Antworttexte der Gemeinde fungierten. Eine solche Vermutung wird übrigens durch andere Textgattungen gestützt. Das gilt z. B. für alle Gebetstexte, in denen Gott angerufen wird. Die lange Sure 2 endet in den Versen 285 und 286 mit einem solchen Gebet (Übersetzung Rückert): [285] Der Abgesandte glaubt an das, Was ihm ist offenbart von seinem Herren, Und auch die Gläubigen alle glauben An Gott und seine Engel Und Schriften und Gesandte, (Wir machen keine Scheidung zwischen einem der Gesandten), Und also sprechen sie: Wir hören und gehorchen. Verzeihung, Herr! Und zu dir ist die Heimkehr. [286] Gott mutet keiner Seele mehr zu als sie kann; Für sie ist, was sie wirkte, gegen sie, was sie verwirkte. Herr, straf uns nicht, wenn wir vergaßen oder fehlten, O Herr, und leg’ auf uns nicht Bürden, Wie du auf die vor uns sie legtest,
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Herr, und laß uns nicht tragen, was wir nicht vermögen! Vergib uns und verzeih uns, und erbarm dich unser! Denn du bist unser Schutzherr, steh uns Bei gegen die Verleugner!
Dieser Text hat eindeutig einen liturgischen Charakter, allein schon durch die katechismusartige Zusammenfassung wichtiger Glaubensinhalte. Den Satz „Und also sprechen sie“ könnte man auch als eine Art „Regieanweisung“ verstehen und übersetzen: „Und also sollen sie sprechen!“ Aber auch in der zitierten Fassung wird die dialogische Struktur des Textes deutlich, die auf eine Verwirklichung im Gottesdienst verweist. Nur eine einzige Sure hat jedoch bis heute einen festen, unverzichtbaren Platz im rituellen Gebet (salāt) bewahrt: Sure 1 (al-Fātiha „Die Eröffnende“; Übersetzung Rückert): [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]
Im Namen Gottes, des allbarmherzigen Erbarmers. Gelobt sei Gott, der Herr der Welten! Der Allbarmherzige, der Erbarmer, Der König des Gerichtstags. Dir dienen wir, dich rufen wir um Hilf an. Führ’ uns den Weg, den graden! Den Weg derjenigen, über die du gnadest, Derer, auf die nicht wird gezürnt, und derer, die nicht irrgehn.
In die gleiche Richtung, daß nämlich die Suren ursprünglich in einen gottesdienstlichen Zusammenhang gehören, deutet die Beobachtung, daß einige Suren strophisch gegliedert sind bzw. strophisch gegliederte Bestandteile enthalten und daß es, eng damit zusammenhängend, auch Verse gibt, die als Refrain dienen, wie z.B. in Sure 55 der noch 30mal wiederholte Vers 13 (Übersetzung Henning): Und welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr beide wohl leugnen?
In einer Reihe weiterer Suren gibt es refrainartige, z.T. textlich nicht ganz identische Verse, die einerseits der inneren Gliederung der Suren dienen, andererseits aber bestimmten Sprecherrollen zugeordnet sein könnten. Doch noch einmal zurück zu den älteren Suren! Sie weisen oft ein besonderes Charakteristikum auf, nämlich Schwur94
formein (wie z.B. „Bei der Sonne!“, „Beim Stern!“ usw.), die häufig zu Beginn von Suren stehen, wo sie besonders augenfällig sind. Schwüre kommen jedoch auch im Inneren von Suren vor (64, 7): Die Ungläubigen behaupten: Nicht werden wir auferweckt! Sprich: O doch, bei meinem Herrn (wa-rabbī), ihr werdet auferweckt!. Dann wird man euch sagen, was ihr getan! Das ist ein leichtes für Gott!
Die Funktion des Schwurs ist hier aus dem Zusammenhang klar; er soll einer Aussage, die die Ungläubigen abstreiten, besonderen Nachdruck verleihen (ähnlich z.B. 34, 3). Schwüre können eine Reihe unterschiedlicher Formen aufweisen und stehen meistens vor besonders wichtigen, zentralen Aussagen. Wobei wird geschworen, anders gesagt: Was sind die Schwurgegenstände? Wir haben bereits einen Schwur „bei meinem Herrn“ kennengelernt; andere Schwurformeln beginnen mit „bei Gott“ (ta-llāhi), z.B. in Sure 12, 73. 85. 91 und 95. Am häufigsten sind jedoch Naturerscheinungen wie Sonne, Mond und Sterne, Himmel und Erde, Zeiten wie Tag und Nacht, Morgen und Abend, die Dämmerung am Morgen und am Abend oder der Nachmittag, Orte wie der Berg Sinai und schließlich das Buch, nämlich der Koran. In manchen Schwurformeln sind mehrere Schwurobjekte aneinandergereiht, z.B. am Beginn von Sure 52: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]
Beim Felsen, Und einem geschriebenen Buch Auf ausgebreitetem Pergament, Und beim besuchten Haus, Und bei dem hochgehobenen Dache, Und beim aufgewühlten Meer: Wahrlich, die Strafe deines Herrn wird eintreffen! Und keiner kann sie abwehren.
(wa-t-tūr) (mastūr) (manšūr) (’l-macmūr) (’l-marfūc) (’l-masgˇūr) (la-wāqic) (dāfic)
Durch diese Serie von Ausdrücken, die alle durch Reim (K-ūr, bzw. K-ū-K) bzw. von Vers 2–6 durch eine gleiche Wortart verbunden sind, bekommt der Text einen beschwörenden Charakter; hinzu kommt, daß die Schwurobjekte in diesem Fall nicht direkt, sondern eher umschreibend bezeichnet sind: 95
mit dem „Fels“ (tūr) ist gewiß der Sinai gemeint, mit dem „Buch auf Pergament“ der Koran, mit dem „besuchten Haus“ die Kacba in Mekka, und mit dem „hochgehobenen Dach“ der Himmel. Hier werden Orte bzw. Gegenstände angedeutet, die in wichtiger Beziehung zum Offenbarungsgeschehen (Mekka, das Buch) und seinem heilsgeschichtlichen Hintergrund (Berg Sinai) stehen. Man hat im koranischen Gebrauch von Schwurformeln lange Zeit den Einfluß altarabischer Orakelpriester (kāhin, Pl. kuhhān) sehen wollen, die auf diese Weise ihren Sprüchen Nachdruck verleihen wollten. Die Informationen, die heute über altarabische kuhhān zur Verfügung stehen, sind jedoch deshalb mit großer Vorsicht zu benutzen, da sie nahezu ausschließlich islamischen Quellen entstammen; ob sie jene Priester authentisch schildern, gerade in dem, was sie an Sprüchen überliefern, ist zweifelhaft. Allerdings erscheint es plausibel, daß Mohammed in seiner Verkündigung an geprägte Formen anknüpfte. Entscheidend für die Schwurformeln im Koran ist die Tatsache, daß sie in der Wahl der Schwurobjekte eine Entwicklung erkennen lassen; wenn z.B. Sonne und Mond oder die Tageszeiten als Gegenstände, bei denen man schwört, im Munde eines vorislamischen kāhin durchaus vorstellbar sind, so gilt das für „das deutliche Buch“ (43, 2) oder „den weisen Koran“ (36, 2) nicht, zumal eine so kunstvoll komponierte Schwurreihe wie die eben besprochene aus Sure 52 deutlich die Loslösung von „heidnischen“ Vorbildern zeigt. Eine ganz andere Herkunft verraten die zahlreichen Vergleiche und Gleichnisse im Koran: „Gott prägt den Menschen Gleichnisse“, heißt es mehrfach. Daß diese Redeweise offenbar ungewöhnlich war, kann man folgender Stelle entnehmen (2, 26, Übersetzung Paret): Gott schämt sich nicht, irgendein Gleichnis zu prägen, sei es auch nur mit einer Mücke.
Ebenso wie im Neuen Testament ist das Gleichnis ein besonders beliebtes Mittel der lehrhaften Mahnrede; interessanterweise findet sich auch im Koran das Wissen um den ambiva96
lenten Charakter des Gleichnisses; es dient nämlich der Klärung ebenso wie der Verschlüsselung, ja, kann sich insofern vor allem an die „Wissenden“ bzw. „Glaubenden“ wenden. Genau in diesem Sinne heißt die Fortsetzung des eben zitierten Verses (2, 26): Diejenigen nun, die glauben, wissen, daß es Wahrheit ist von ihrem Herrn. Diejenigen aber, die ungläubig sind, sagen: Was will denn Gott mit einem solchen Gleichnis? Er führt damit viele irre. Aber er leitet damit viele recht. Und nur die Frevler führt er damit irre.
Neben vergleichsweise kurzen Gleichnissen gibt es auch längere und komplexere Gebilde. So wird in Sure 18, 32–44 von zwei Männern erzählt, von denen der eine zwei Gärten besitzt; gegenüber dem ärmeren Mann brüstet er sich mit den reichen Erträgen seiner Gärten und äußert die Überzeugung, seine Gärten würden nie verdorren. Im Gespräch ermahnt ihn sein Gefährte, an seine eigene Vergänglichkeit und die Schöpfermacht des Einen Gottes zu denken. Am nächsten Morgen bricht dann ein Strafgericht über den Frevler herein und vernichtet seine Ernte. Gerade in den Vergleichen spiegelt sich übrigens die Lebenswelt Mohammeds in besonderer Weise wieder, so z.B., wenn von der Fata Morgana die Rede ist (24, 39): Die Taten der Ungläubigen, sie sind Wie eine Luftspiegelung in der Ebene, Die Dürstende für Wasser halten; Doch kommen sie dorthin, so finden sie, Daß sie nichts ist!
Schließlich bleibt noch die Frage zu erörtern, ob die „Sure“ eigentlich eine eigene literarische Gattung gebundener religiöser Rede darstellt. Wenn dem so wäre, müßte man formale wie inhaltliche und kompositorische Kriterien finden, die für alle Suren wenigstens im großen und ganzen Geltung beanspruchen könnten. Ein literaturwissenschaftlich begründeter Versuch, dies zumindest für die mekkanischen Suren nachzuweisen, wurde 1981 von Angelika Neuwirth vorgelegt. Für diese Suren läßt sich auch ein sog. „Sitz im Leben“ finden, 97
nämlich die im Entstehen begriffene Liturgie der jungen islamischen Gemeinde. Das gilt jedoch nicht in gleicher Weise für die längeren und komplexeren medinensischen Suren, deren Kompositionsprinzipien noch der Aufhellung bedürfen.
9. Sammlung, Redaktion und Textgeschichte des Korans Wer sich mit dem Koran in seiner heutigen Form eingehender beschäftigt, wird kaum den Eindruck gewinnen, daß es sich um ein Buch „aus einem Guß“ handelt. Schon die Anordnung der Suren ist ungewöhnlich; die langen (mit Ausnahme von Sure 1) stehen zu Beginn, die kurzen am Ende. Wer sich dann den einzelnen Suren zuwendet, wird rasch bemerken, daß besonders die längeren von ihnen keine in sich geschlossene Einheit bilden, sondern aus einzelnen Abschnitten bestehen. Das gilt z.B. für die längste aller Suren, die medinensische Sure 2. Sie beginnt mit einem Abschnitt, den man als programmatische Einleitung für den gesamten Koran auffassen kann: [1] Alif Lām Mīm. [2] Dies ist das Buch, an dem kein Zweifel ist; Rechtleitung ist es denen, die Gott fürchten, [3] Die glauben ans Verborgene, Verrichten das Gebet, Und die von dem, was Wir Zur Nahrung ihnen gaben, spenden; [4] Die daran glauben, was zu dir herabkam, Und daran auch, was vor dir schon herabkam, Und die Gewißheit haben übers Jenseits: [5] Die sind von ihrem Herren rechtgeleitet, Und ihnen ergeht es wohl.
Hier wird das heilige „Buch“ (al-kitāb) gleichsam als schon bestehend vorausgesetzt, und eine wesentliche Eigenschaft, daß nämlich kein Zweifel an ihm bestehe, ebenso hervorgehoben wie sein Zweck als „Rechtleitung“ für eine bestimmte 98
Gruppe von Menschen, die in den folgenden Sätzen in dem, was sie glauben und tun, genauer beschrieben werden. Ebenso wohlkomponiert erscheint der Schlußabschnitt der Sure (Vers 285 f.), der bereits auf S. 93 f. vorgestellt wurde. Für die gut 280 Verse, die dazwischen stehen, ist es jedoch sehr schwierig, die Prinzipien zu erkennen, nach denen sie angeordnet sind. Die behandelten Themen sind ganz unterschiedlicher Art, und erzählende Abschnitte wechseln mit solchen ermahnenden oder gesetzlichen Charakters. Auf der anderen Seite steht ein großer Teil der mekkanischen Suren, bei denen man aufgrund der Ergebnisse neuerer literaturwissenschaftlicher Forschungen kaum ernstlich bestreiten kann, daß ihnen bestimmte kompositorische Prinzipien zugrunde liegen. Allerdings ist die Komposition nicht selten beeinträchtigt durch spätere medinensische Zusätze, die die islamische exegetische Tradition teilweise übrigens ausdrücklich anerkennt (z.B. Sure 73, 20). Freilich sagt diese Tradition nichts darüber, wie man sich die Entstehung solcher Zusätze vorzustellen hat. Frühe Koranbewahrung Die Frage, wie der Koran seine gegenwärtige Form erhalten hat, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Was dabei zunächst die Entwicklung der Gattung „Sure“ betrifft, so ist zu bedenken, daß die islamische Tradition die Herabkunft der einzelnen Offenbarungen nicht durchweg mit ganzen Suren in Verbindung bringt, sondern viel öfter nur mit Surenteilen oder einzelnen Versen. Andererseits dürfte klar geworden sein, daß der liturgische Vortrag (qur’ān) der Offenbarungen die Ausarbeitung bestimmter Formen sehr wahrscheinlich macht. Das ist auch als mündlicher Vorgang durchaus vorstellbar, setzt also nicht unbedingt von Anfang an eine schriftliche Fixierung der Offenbarungen voraus. Diese Annahme wird durch Berichte der islamischen Tradition in der Weise bestätigt, daß es schon zu Lebzeiten des Propheten eine Reihe von Personen gab, die „den Koran 99
sammelten“, wie es auf arabisch ausgedrückt wird (gˇamacu l-qur’āna), worunter zu verstehen ist, daß sie die vorgetragenen Offenbarungstexte auswendig lernten und im Gedächtnis bewahrten. Von den Namen solcher Korankenner seien hier cAbdallāh Ibn Mascūd, Ubaiy Ibn Kacb und Zaid Ibn Tābit genannt. Zaid Ibn Täbit wird in vielen Quellen gleichzeitig auch als „Sekretär“ Mohammeds bezeichnet, der zahlreiche Offenbarungen schon zu Lebzeiten des Propheten auf dessen Anweisung hin aufgeschrieben habe. Anders als noch zu Beginn der kritischen Koranforschung im 19. Jahrhundert hat man heute genauere Kenntnisse über das Überlieferungswesen in Arabien in vor- und frühislamischer Zeit. Danach schließen mündliche und schriftliche Überlieferung einander keineswegs aus. Allerdings besitzt die mündliche Überlieferung eindeutig den Vorrang, d.h. schriftliche Aufzeichnungen dienen lediglich als Gedächtnisstütze für den prinzipiell auswendig gekonnten Text. Ein „Buch“ lesen heißt also in erster Linie, es zu „hören“. Ob der Koran anfangs nur mündlich oder auch schon schriftlich tradiert wurde, sollte man übrigens nicht mit dem vieldiskutierten Problem in Zusammenhang bringen, ob Mohammed lesen und schreiben konnte. Auch wenn es historisch wahrscheinlicher ist, daß er es konnte, hängt die Überlieferungsweise des Korans in den frühen Stadien eher von den Rahmenbedingungen ab, die damals generell für die Tradierung dieser Art von Literatur gültig waren. Was nun die „Sammlung des Korans“ betrifft, also die Zusammenstellung der einzelnen „Korane“ bzw. Suren zu einem Buch, so ist sich die islamische Tradition in einem Punkt vollkommen einig: Als Mohammed starb, existierte der Koran in seiner heutigen Form noch nicht. Vielmehr gab es Personen, die Teile des Korans auswendig kannten, und ebenso gab es schriftliche Aufzeichnungen; in diesem Zusammenhang wird eine Reihe unterschiedlicher Materialien genannt, auf denen man Teile des Korans aufzeichnete, von Papyrus- oder Pergamentzetteln über Palmstengel und Tonscherben bis hin zu Lederfetzen und Knochen. Diese Aufzählung von Schreibma100
terialien, auf denen immer nur relativ kurze Texte Platz finden konnten, kommt zwar der traditionellen islamischen Auffassung der „kleinteiligen“ Entstehung der koranischen Texte entgegen, ist aber gerade deshalb nicht ohne weiteres vereinbar mit den Erkenntnissen, die sich aus einer literaturwissenschaftlichen Analyse gerade der frühen Suren gewinnen lassen. Sicherlich hatte Mohammed von Anfang an die Absicht, ein eigenes „Buch“ zusammenzustellen, und zwar ganz nach dem Vorbild der „Buchbesitzer“ (ahl al-kitāb), d.h. der Juden und der Christen, die über die Thora und das Evangelium verfügten. Sonst wäre es nicht verständlich, daß es an mehreren Stellen im Koran heißt: „Und erwähne im Buch ...“ (vgl. 19, 16. 41. 51. 54). Dann folgen stets Namen von Gestalten der biblischen Heilsgeschichte, wie Maria, Abraham, Mose oder Ismael; einmal wird in einem ähnlichen Zusammenhang jedoch auch auf einen der arabischen Gesandten, nämlich Hüd, angespielt (46, 21). Daß also einige Suren des Korans ihre heutige Form im wesentlichen dem Propheten Mohammed verdanken, erscheint durchaus wahrscheinlich. Anders war es jedoch mit der Reihenfolge der Suren; als gottesdienstliche „Vortragstexte“ waren sie ursprünglich sicherlich in sich abgeschlossene Kompositionen, für deren Aufeinanderfolge in einem „Buch“ es zunächst keine inhaltlich naheliegenden Gesichtspunkte zu geben schien. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß es ganz unterschiedliche Angaben über die Reihenfolge der Suren in den frühesten Koranausgaben gibt. Übrigens liefert die von der gottesdienstlichen Aufführungspraxis her zu verstehende Geschlossenheit der einzelnen Kompositionen auch einen plausiblen Grund dafür, warum es im heutigen Korantext so viele Wiederholungen gibt. Das „Buch“ war also, als Mohammed 632 ganz unerwartet starb, noch nicht fertig. Damit stand die junge Gemeinde vor einem Dilemma. Denn in wessen Hand lag nun die durch Gott legitimierte Autorität, die der Prophet besaß und die ihren Ausdruck in der Verkündigung des Korans fand? Die islamische Tradition weiß zu berichten, daß die Sammlung des 101
Korans ganz wesentlich durch ein kriegerisches Ereignis gefördert wurde, und zwar die Bekämpfung des rivalisierenden Propheten Musailima in der ostarabischen Landschaft Jamama (ca. 632/33). Da in der entscheidenden Schlacht viele „Koranleser“ (qāri’, Pl. qurrā’) fielen, fürchtete man um den Fortbestand des Korans. Aus diesem Ereignis, über dessen Historizität man streiten kann, läßt sich die Bedeutung, die die mündliche Koranüberlieferung hatte, klar erkennen. Da es aber, wie wir oben sahen, ganz wahrscheinlich ist, daß es zu Mohammeds Lebzeiten auch schon schriftliche Koranaufzeichnungen gab, kann das nicht der einzige Grund für die Bemühungen um eine endgültige Koransammlung und -redaktion gewesen sein. Sicherlich hat auch das Aufkommen divergierender Lesetraditionen, die ein einheitliches Textverständnis erschwerten, das Bedürfnis nach der Schaffung eines verbindlichen Korantextes laut werden lassen. Die Redaktion des Korans unter cUtmān Schon unter den beiden ersten Nachfolgern Mohammeds, den Kalifen Abu Bakr (reg. 632–634) und cUmar (reg. 634–644), gab es Bemühungen, eine Koranausgabe zu schaffen. Endgültig gelang das aber erst unter dem dritten Kalifen cUtmān Ibn c Affān (reg. 644–656). Mit Hilfe von Mohammeds Sekretär Zaid Ibn Täbit und anderen wurde nun auf der Grundlage der von Zaid früher schon hergestellten Niederschrift eine Ausgabe geschaffen, deren Abschrift in die fünf Städte Mekka, Medina, Damaskus, Basra und Kufa geschickt wurde. Andere Handschriften sollten, so der Befehl cUtmāns, vernichtet werden. Dies geschah allerdings erst während eines längeren Prozesses, in dessen Verlauf sich der sog. „cutmānische Text“ durchsetzte und alle anderen Textformen verdrängte. Die Kenntnis zahlreicher abweichender, sog. „unkanonischer“ Lesarten wurde dennoch auf verschiedenen Wegen weitergegeben, und zwar sicherlich deshalb, weil sie für die Interpretation auch des cutmānischen Textes von Interesse waren. Differenzen sind ganz überwiegend dort zu beobach102
ten, wo der Text mehrere Deutungen zuläßt oder schwierigere grammatische oder auch inhaltliche Probleme bietet. Vergleicht man den cutmānischen Text mit überlieferten Varianten aus der wohl bedeutendsten vor-cutmānischen Koransammlung des cAbdallāh Ibn Mascūd, die als ganze verloren ist, so erkennt man rasch, daß Ibn Mascūd eher zu einer „leichteren“ und „längeren“, häufig paraphrasierenden Textform neigt. Das spricht dafür, daß dem cutmānischen Text, gerade weil in ihm die Schwierigkeiten nicht geglättet sind, ein hohes Maß an Authentizität zukommt. Jedenfalls dürfte es schwer, wenn nicht gar unmöglich sein, einen vor-cutmānischen Ur-Koran rekonstruieren zu wollen. Um die Bedeutung des cutmānischen Textes richtig beurteilen und die weitere Textgeschichte des Korans verstehen zu können, ist es wichtig, etwas über die arabische Schreibpraxis der damaligen Zeit zu sagen. In der frühen arabischen Schrift, die sich aus einer aramäischen Schrift, dem Nabatäischen, entwickelt hat, sind nur die Konsonanten und Diphthonge (ai, au) wiedergegeben, während die langen Vokale (ā, ī, ū) nicht immer und die kurzen Vokale (a, i, u) überhaupt nicht notiert wurden. Hinzu kommt, daß die frühesten arabischen Schriftstile bei weitem nicht für jeden der insgesamt 28 Konsonanten ein eigenes Schriftzeichen hatten: Es gab deren lediglich 18. So hatte man z. B. nur ein Schriftzeichen für r und z oder für s und š. In bestimmten Fällen (die Buchstabenformen variieren je nach der Position im Schriftzug) stand für fünf verschiedene Konsonanten (nämlich für b, t, t, n, y im Wortinneren) nur ein einziges Schriftzeichen zur Verfügung. Erst in späterer Zeit behob man diese Mehrdeutigkeiten, indem man die Schriftzeichen mit zusätzlichen Punkten (manchmal auch Strichen), sog. diakritischen Zeichen, versah, um sie voneinander zu unterscheiden. Auch die Vokale bezeichnete man durch bestimmte über, neben oder unter die Konsonanten gesetzte Zeichen. Die ältesten bekannten Koranhandschriften sind daher alles andere als leicht zu lesen; sie lassen oftmals ganz verschiedene Lesungen zu. Auch den cutmānischen Text hat man sich in 103
dieser Weise vorzustellen: Ihm lag gewiß eine genau definierte „Lesart“ (qirā’a) zugrunde; sie war wegen der beschriebenen Eigentümlichkeiten der arabischen Schrift aber nicht mit der gleichen Genauigkeit auch schriftlich fixierbar. Im cutmänischen Text ist daher nur das konsonantische Gerüst ohne diakritische Zeichen, der sog. rasnt, festgelegt. Wenn man ihn exakt deuten wollte, setzte das unbedingt die Kenntnis der „Lesung“ voraus. Kannte man sie nicht, ließ wiederum die schriftliche Form an nicht wenigen Stellen unterschiedliche Deutungen zu. Eben das passierte nun im Lauf der Zeit mit dem cutmänischen Text. In den Städten, in die Abschriften mit dem cutmänischen Konsonantentext (rastn) gesandt wurden, entwikkelten sich nämlich auf dessen Basis bestimmte Lesetraditionen oder Lesarten (qirā’a, Pl. qirā’āt). Die heutige islamische Tradition hat sieben solcher Lesetraditionen als „kanonisch“, d. h. als gültig, anerkannt. Darin kommt eine charakteristische Eigenschaft des Islams insgesamt zum Tragen, nämlich seine ganz erstaunliche Fähigkeit, dem Prinzip der Pluralität Rechnung zu tragen, dies aber zugleich in der Weise einzugrenzen, daß daraus keine Tendenzen zur Spaltung entstehen. Es bleibt also das überaus bemerkenswerte Faktum zu betonen, daß der Text von Gottes geoffenbartem Wort keineswegs eindeutig fixiert ist, sondern in einem genau festgelegten Rahmen Varianten der Lesung und damit auch der Interpretation zuläßt. Die einzelnen Lesetraditionen werden übrigens benannt nach dem ersten „Leser“ der in den fünf oben genannten Städten sich entwickelnden Traditionen; und dann nach den Überlieferern, die sich auf ihn berufen. Bis heute ist für die genaue Textgestalt des Korans die ununterbrochene mündliche Tradierung des Korans durch die Schulen der Koranleser maßgebend – und keineswegs irgendeine schriftliche Urform des Korans. Jede „gültige“ Koranausgabe bedarf daher des Hinweises auf die Freigabe durch ein berufenes Koranlesergremium, wie z. B. das der Azhar-Universität in Kairo. In der langen Geschichte der Tradierung des Korans gewannen zwei „Lesarten“ besondere Bedeutung. Die eine be104
ruht auf der von Medina ausgehenden Lesetradition, die mit den Namen des Ersttradenten Näfic und seines Überlieferers Warš (arab. „Warš can Nāfic“, d.h. „Nāfic in der Überlieferung des Wars“) bezeichnet wird. Diese Tradition hat sich vor allem im Westen der islamischen Welt (Marokko, Algerien, Tunesien; früher auch in Spanien) durchgesetzt und herrscht dort bis zum heutigen Tag vor. Die andere Lesetradition ist in der irakischen Stadt Kufa beheimatet; sie wird nach dem Ersttradenten cĀsim und seinem Überlieferer Hafs kurz als „Ḥafs can cĀsim“ („cĀsim in der Überlieferung des Ḥafs“) bezeichnet. Sie war im Osten der islamischen Welt verbreitet und liegt der Koranausgabe zugrunde, die auf Veranlassung von König Fuad von einem Gremium von Azhar-Gelehrten erarbeitet und 1923 in Kairo erstmals gedruckt wurde. An der ununterbrochenen mündlichen Überlieferung des Korans hat sich stets auch die schriftliche Überlieferung orientiert. Aber die schriftliche Aufzeichnung ist nahezu bedeutungslos für die Textgeschichte, abgesehen vielleicht von den allerältesten Handschriften. Die meisten Handschriften entstanden als Hilfsmittel bei der Koranmemorierung. Daneben aber liegt ihre Bedeutung auf künstlerischem Gebiet. Hier konnte sich die für die islamische Kultur so charakteristische Kunst der Kalligraphie entwickeln. Jede Epoche der islamischen Geschichte hat dabei ihren eigenen kalligraphischen Stil gefunden. Natürlich galt die Herstellung von Koranhandschriften auch als frommes Werk. Da der Buchdruck in der islamischen Welt in großem Umfang erst ab dem 19. Jahrhundert aufkam, ist der Koran in arabischer Sprache bemerkenswerterweise zuerst in Europa gedruckt worden. Die älteste Ausgabe wurde ca. 1537/38 in Venedig hergestellt. Da lange Zeit keine Exemplare auffindbar waren, kam das Gerücht auf, der Papst habe diesen Koran verbrennen lassen. Aber das ist schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil es zur damaligen Zeit in Europa kaum Arabischkenner gab. Für eine so geringe Zahl von Kunden hätte wohl kein Buchdrucker irgendein Werk gedruckt. Vielmehr war dieser Koran aller Wahrscheinlichkeit nach für den Export 105
Abb. 2: Korandruck aus St. Petersburg (1787)
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in das Osmanische Reich bestimmt. Wohl wegen der großen Fehlerhaftigheit wurde die Auflage jedoch fast vollständig vernichtet. Die zweite in Europa gedruckte arabische Koranausgabe erschien 1694 in Hamburg. Ihr Herausgeber war Abraham Hinckelmann, ein orientalistisch gebildeter Pastor. Hinckelmann ging es mit dieser philologisch durchaus brauchbaren, wenngleich nicht ganz fehlerfreien Ausgabe weniger um die Förderung der Kenntnis des Islam, als vielmehr um die der arabischen Sprache und Literatur, als deren Hauptwerk er den Koran betrachtete. Nur vier Jahre später (1698) erschien in Padua eine arabisch-lateinische Koranausgabe. Herausgeber und Übersetzer war der italienische Pater Ludovico Marracci. Sowohl die Textausgabe wie die Übersetzung sind von bemerkenswerter Qualität; allerdings fügte er der Übersetzung abschnittweise ausführliche theologische Widerlegungen hinzu. Dies und der hohe Preis haben eine größere Verbreitung dieser Ausgabe verhindert. Gut hundert Jahre später (1787) ließ Zarin Katharina II. in St. Petersburg eine von muslimischen Gelehrten besorgte, leicht kommentierte Ausgabe drukken (Abb. 2). Sie war bestimmt für die türkischsprachigen Muslime in den neueroberten Territorien Mittelasiens und wurde nicht nur in St. Petersburg, sondern im Laufe des 19. Jhs. mehrfach in der Stadt Kasan an der Wolga, einem Zentrum muslimischer Gelehrsamkeit, nachgedruckt. Noch heute ist sie in Rußland – zusammen mit einer russischen Übersetzung (Sablukov) – verbreitet. Von größtem Einfluß außerhalb der islamischen Welt wurde die arabische Koranausgabe, die 1834 in Leipzig erschien und dann eine Reihe von Nachauflagen erlebte. Ihr Herausgeber war Gustav Flügel (1802–70), der als Privatgelehrter wichtige Beiträge zur Arabistik lieferte. Er folgte im wesentlichen der kufischen Lesung „Ḥafs can cĀsim“, gab aber den Text orthographisch nicht genau wieder. Zumal in der Verszählung ist er keiner bestimmten islamischen Tradition verpflichtet. Trotz dieser Mängel ist Flügels Ausgabe jedoch deshalb von großer Bedeutung, weil mit ihr der westlichen Forschung erstmals ein akzeptabler Text in einer preisgünstigen Ausgabe 107
Abb. 3: Azhar-Koran nach der Ausgabe von 1923
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vorlag. Für gut ein Jahrhundert wurde daher „der Flügel“ zur autoritativen Koranausgabe im Westen. Ihre Mängel wurden erst in vollem Umfang erkennbar, als 1923 der schon erwähnte Kairiner Koran der Azhar-Gelehrten erschien. Er stellte erstmals einen Korantext in ausgezeichneter, wissenschaftlich zuverlässiger Form zur Verfügung, der einerseits den rituellen Erfordernissen des muslimischen Gläubigen nachkam, andererseits aber die Verschriftung so exakt abbildete, daß ein Rückschluß auf den cutmānischen Konsonantentext jederzeit möglich war (Abb. 3 ) . Durch diese Ausgabe waren praktisch alle seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Persien, der Türkei und Ägypten gedruckten Koranausgaben überholt. Die meisten heute in der islamischen Welt gedruckten Korane orientieren sich an diesem Kairiner Koran – mit Ausnahme der Korane in den Maghrebländern, die – wie gesagt – der medinensischen Lesetradition folgen und übrigens auch die maghrebinische Variante der arabischen Schrift benutzen. Aber auch hier beginnt in jüngster Zeit der östliche Texttypus einzudringen, so daß man sagen kann, daß es gegenwärtig durchaus eine Tendenz zur völligen Vereinheitlichung des Korantextes gibt – ein Faktum, das es bisher in der Geschichte des Islam nicht gegeben hat.
10. Korankommentare und muslimische Koranphilologie Dem Leser wird deutlich geworden sein, wie schwierig das Verständnis des Korans nicht nur im allgemeinen, sondern auch in vielen Einzelfällen ist. Daß diese Schwierigkeit von Anfang an bestanden hat, läßt sich aus der überreichen Kommentarliteratur zum Koran deutlich erkennen. Im Koran selbst gibt es einen Vers, der die Erklärungsbedürftigkeit einiger Koranverse thematisiert. Gott, so heißt es dort (3, 7), wobei Mohammed angeredet wird, 109
ist es, der das Buch auf dich herabgesandt hat. In ihm gibt es deutliche Verse (āyāt muhkamāt); sie stellen das eigentliche Buch (umm al-kitāb, wörtl. „die Mutter des Buches“) dar; und andere, mehrdeutige (mutašābihāt).
Wichtig ist in unserem Zusammenhang, daß hier zwei Arten von Versen einander gegenübergestellt werden. Die einen werden muhkam genannt, und das kann nach dem koranischen Sprachgebrauch nur etwas Positives im Sinne von „wohlangeordnet, klar, eindeutig“ sein. Dem stehen nun andere Verse gegenüber, die als mutašābih bezeichnet werden. Das heißt, wörtlich übersetzt, „einander ähnlich, gleich“, wie Äpfel oder Granatäpfel, von denen es in Sure 6, 99 und 141 heißt, sie seien einmal einander ähnlich, ein andermal jedoch nicht. Wenn also mutašābih hier mit „mehrdeutig“ übersetzt wird, dann deshalb, weil sich aus der „Ähnlichkeit“ der Verse in jeweils anderem Zusammenhang auch mehrere Deutungsmöglichkeiten ergeben. In diesem Sinne jedenfalls hat die islamische Tradition das Wort ganz überwiegend verstanden. Das allgemein übliche Fachwort für einen Korankommentar heißt auf arabisch tafsīr (wörtl. „Erklärung“). In den ersten Jahrhunderten wurde in gleicher Bedeutung ta’wīl (wörtl. „Auslegung“) gebraucht; heute bezeichnen tafsīr und ta’wīl zwei unterschiedliche Arten von Korankommentaren. Während es in einem tafsīr primär um die Erklärung des „äußeren“ Wortsinnes und die damit verbundenen philologischen, überlieferungsgeschichtlichen und rechtlichen Fragen geht, wird unter ta’wīl die Aufhellung des „verborgenen“, „geheimen“ Sinnes verstanden; ta’wīl ist daher die Kommentarform, die in Kreisen von Mystikern und bestimmten religiösen Randgruppen üblich war. Auch die Schiiten haben sehr viel ta’wīl betrieben, um bestimmte Sondermeinungen aus dem Koran zu begründen; es gibt jedoch auch eigene, von Schiiten verfaßte Korankommentare, die insgesamt eher als tafsīr aufzufassen sind. Tafsīr und ta’wīl waren lange Zeit gleichbedeutende Oberbegriffe für eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, den Korantext zu „erklären“. An erster Stelle stand die sichere Her110
Stellung der „Lesung“ (qirā’a) des Textes bzw. die Diskussion anderer möglicher Lesungen. Das wiederum war auf das engste verbunden mit einer genauen grammatischen Analyse des Textes, wobei sich keineswegs immer eine „Lesung“ und die damit verbundene grammatische Deutung als allein „richtig“ durchsetzen konnte. Eine unentscheidbare Streitfrage wurde (und wird noch!) häufig beendet mit der Feststellung Allāhu aclam!, was soviel heißt wie „Gott weiß es am besten!“ Damit ist nicht in erster Linie das Eingeständnis eigener Unwissenheit gemeint, sondern viel eher die Anerkennung des Reichtums von Deutungsmöglichkeiten, die geradezu als göttliche Gnade verstanden werden kann. Spielraum besteht beispielsweise bei der Auslotung der verschiedenen Bedeutungen bzw. Bedeutungsschattierungen (wugˇ ūh, wörtl. „Gesichter“) der einzelnen Wörter. Damit in engem Zusammenhang stehen Versuche, seltene, oft nur ein einziges Mal im Koran vorkommende Wörter auf die Weise zu erklären, daß man einen Vers aus der alten Dichtung benennt, in dem eben dieses Wort vorkommt. Diese Art der Worterklärung, die im Rahmen des tafsīr große Bedeutung erlangen sollte, wird auf folgende Begebenheit zurückgeführt. Nāfic Ibn al-Azraq (gest. 65/685), einer der Führer der Sekte der Charidschiten, trifft in Mekka den Vetter des Propheten Mohammed, cAbdallāh Ibn cAbbās (über den weiter unten noch mehr zu sagen ist) und fragt ihn nacheinander über bestimmte Koranstellen, bei denen ihm jeweils die Kenntnis eines Wortes fehlt, so z.B. nach dem Wort wazar in Sure 75, 1, wo es im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht heißt: Nein, es gibt dann keinen wazar.
Nāfic fragt in diesem Fall: Sag mir, was ist die Bedeutung von wazar. Ibn cAbbäs antwortet dann zunächst: Die Bedeutung von wazar ist malga’ (d.h. „Zuflucht“). Eigentlich könnte sich Näfic mit dieser Antwort zufrieden geben, aber er fragt weiter: Haben denn die Araber dieses Wort schon vor dem Koran gekannt? Und darauf antwortet Ibn cAbbās jeweils mit einem Dichtervers. Man gewinnt, wenn man diesen Dialog 111
liest, den Eindruck, daß es dessen Verfasser nicht nur darauf ankommt, Wörter zu erklären, sondern daß er auch den „arabischen Charakter“ des Korans beweisen will, indem er auf die Kontinuität verweist zwischen der Sprache der alten Dichtung auf der einen und dem Koran auf der anderen Seite, – und damit die im Koran ausgesprochene Distanzierung zur Dichtung relativiert. Die sog. „Fragen des Nāfic Ibn al-Azraq“ (Masā’il Nāfic Ibn al-Azraq) sind mithin der – sehr erfolgreiche – Versuch, den ganzen Reichtum der vorislamischen heidnischen Literatur für die sprachliche Deutung des Korans zu nutzen, ja diese Vorgehensweise auch zu legitimieren. Davon kann übrigens auch die moderne Koranforschung nur profitieren, da noch längst nicht alle alten Korankommentare in dieser Hinsicht ausreichend ausgewertet sind. Andere Arbeiten beschäftigen sich z.B. mit Wörtern bzw. Textteilen, die als ungewöhnlich (ġarīb) oder schwierig (muškil) angesehen werden. Ebenso wichtig für die Koraninterpretation sind die Werke, die sich lediglich mit den sprachlichen Konstruktionen, also der Syntax des Korantextes beschäftigen. Die älteren unter ihnen zeigen, daß der Korantext noch eine erstaunliche Offenheit aufweist. Die Werke der bisher genannten Unterarten des tafsīr haben gemeinsam, daß sie nie den gesamten Korantext, sondern nur eine Auswahl von erklärungsbedürftigen Stellen behandeln, indem sie einzelne Wörter erläutern oder ganze Sätze paraphrasieren. Neben der primär philologisch orientierten Korankommentierung entwickelten sich jedoch auch andere Zweige der Koranwissenschaft. Einer davon betraf die sog. Isrā’īlīyāt, d.h. die aus der biblischen Überlieferung stammenden Erzählungen, die wegen ihrer oft knappen, Einzelheiten nur andeutenden Erzählweise in zahlreichen Fällen näherer Erläuterung bedurften. Daß man zu solchen Textstellen auch Christen und Juden befragen durfte, war durch Koranstellen ausdrücklich sanktioniert; in Sure 10, 94 (vgl. 17, 101) heißt es: Wenn du über etwas im Zweifel bist, was wir auf dich herabgesandt haben, so frage diejenigen, die vor dir das Buch vorgetragen haben.
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Ein berühmter Fall, in dem die Präzisierung einer unvollständigen Darstellung unbedingt notwendig erschien, war die Geschichte der Opferung von Abrahams Sohn (37, 101f.; Übersetzung nach Rückert): [101] Darauf verkündigten wir ihm Einen tapferen Knaben. [102] Als er mit ihm den Lauf vollbracht, Sprach er: Mein Sohn, ich seh’ im Traume, Daß ich dich opfern soll; Sieh zu nun, was dich gutdünkt. Er sprach: Mein Vater, tu was dir geboten ist. Mich finden wirst du, so Gott will, geduldig.
Der Name des Sohnes wird hier nicht genannt. Da im Koran nun aber sowohl Isaak (Ishāq) als auch Ismael (Ismācīl) als Söhne von Abraham (Ibrāhīm) bekannt sind, ergab sich die Frage, welcher Sohn der zu opfernde war, Isaak oder Ismael. Für Isaak sprach vor allem die biblische Überlieferung, für Ismael die Tatsache, daß einige Verse später Abraham die Geburt Isaaks angekündigt wird (37, 112): Und wir verkündigten ihm Isaak Als Propheten, einen von den Guten.
Wenn man nun Vers 101 mit Vers 112 kombinierte, ergab sich eine zeitliche Abfolge; dann war mit dem in Vers 101 nicht namentlich genannten Sohn Ismael gemeint; er war somit der Erstgeborene und gleichzeitig auch derjenige, den Abraham opfern sollte. Für die traditionelle Art der Korankommentierung waren die Überlieferungen von den Taten und Aussprüchen des Propheten Mohammed besonders wichtig. Jede dieser Überlieferungen (hadīt) mußte durch die möglichst lückenlose Angabe derjenigen, die sie weitergegeben hatten, legitimiert werden; die sog. Tradentenkette (isnād, wörtl. „Stütze“) bildet also einen wichtigen Bestandteil der eigentlichen Information. Bei allen mit der Erklärung des Korans zusammenhängenden Überlieferungen kam es darauf an, die Tradentenkette bis in die größtmögliche Nähe des Propheten bzw. seiner Familie und seiner Gefährten genau verfolgen zu 113
können. Dabei sind bestimmte Personen von besonderer Bedeutung, wie z.B. Mohammeds Lieblingsfrau cĀ’iša, der zweite Kalif cUmar Ibn al-Hattāb, der einer der ersten Anhänger Mohammeds war, und manch anderer. Gerade bei der Auslegung von Koranstellen beruft man sich nun sehr häufig auf cAbdallāh Ibn cAbbās (gest. 687/88), einen Vetter Mohammeds; sein Geburtsdatum ist nicht genau bekannt, jedenfalls war er, als Mohammed 632 starb, erst ein Knabe. In der islamischen Überlieferung genießt er hohes Ansehen, ja er wird geradezu der „Religionsgelehrte der Gemeinde“ (arab. hibr al-umma) genannt. Daher spielt Ibn cAbbās auch im Korankommentar von Tabarī, den es nun vorzustellen gilt, eine sehr prominente Rolle. Der aus der persischen Landschaft Tabaristan stammende ˇ arir at-Tabarī (839–923) ist ˇ acfar Muhammad Ibn G Abǔ G vielleicht der bedeutendste Gelehrte der ersten drei Jahrhunderte islamischer Geschichte, deren Ereignisse er in seinem monumentalen Werk „Geschichte der Gesandten und Könige“ aufzeichnete. Sein zweites bedeutendes Werk ist sein großer Korankommentar, genannt die „Umfassende Erläuterung: ˇ ämic al-bayān fī tafsīr al-qur’ān). Kommentar zum Koran“ (G Was ist das Besondere an diesem Werk? Zunächst einmal kommentiert Tabarī den gesamten Koran, Satz für Satz. Und zum anderen praktiziert er die Methoden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt für das Überlieferungswesen im Islam herausgebildet hatten. Er stellt also zunächst den Korantext vor und nennt dann das Auslegungsproblem. Das kann aus sehr verschiedenen Sparten der Korangelehrsamkeit stammen, es kann also eine Lesart, eine Wortbedeutung oder eine bestimmte grammatische Konstruktion betreffen, aber auch die äußeren Umstände oder die Gründe, die die Offenbarung des zu kommentierenden Koranabschnittes veranlaßt haben. In der Regel zählt Tabarī dann, immer unter Nennung seiner Gewährsleute, alle Überlieferungen auf, die das Auslegungsproblem lösen. Dabei werden häufig kontroverse Ansichten vorgeführt. Darin liegt die große Bedeutung dieses Kommentars: Er bietet einen großen Reichtum an Informationen, die aus 114
nahezu allen Bereichen der Koranwissenschaft stammen. Tabarīs Kommentar bedeutet also in gewisser Weise einen Endpunkt, insofern er die Arbeit seiner Vorgänger sammelt, sichtet und kritisch bewertet. Zugleich aber ist er wiederum Ausgangspunkt für eine neue Generation von Korankommentaren, an die vor allem die Forderung gestellt wird, das für das Koranverständnis notwendige Wissen in einer handlicheren Form bereitzustellen. An erster Stelle ist hier der „Enthüller der Wahrheiten der Geheimnisse der Offenbarung“ (al-Kassāf can haqā’iq gawāmid at-tanzīl) des, wie Tabarī, aus Persien stammenden Gelehrten az-ZamahÆ šarī (gest. 1144) zu nennen. Der Kaššāf, wie man diesen Kommentar kurz nennt, verdankt seinen Ruhm vor allem der brillanten sprachlichen und rhetorischen Kommentierung des Korantextes. In ihm wird der Text zwar auch fortlaufend, aber längst nicht zu allen Fragen kommentiert. Vor allem kürzt ZamahÆ šarī die Tradentenketten auf das Notwendigste ab. Die Wirkung des Kaššāf wurde nur dadurch eingeschränkt, daß ZamahÆ šarī in ihm an vielen Stellen ausdrücklich die Ansichten der Muctaziliten vertritt, einer theologischen Richtung im Islam, die z.B. anthropomorphistische Vorstellungen von Gott ablehnte und die Willensfreiheit des Menschen forderte. Diese Forderung widerspricht jedoch der im Sunnitentum allgemein akzeptierten Auffassung, wonach der Mensch nur die Möglichkeit hat, die für ihn geschaffenen Handlungen zu „ergreifen“ (kasb). Diese Position wird beispielsweise in dem Kommentar vertreten, den man ganz zu Recht als sunnitisches Gegenstück, ja sogar als dogmatisch gereinigte Imitation des Kaššāf angesehen hat. Er heißt „Die Lichter der Offenbarung und die Geheimnisse der Erklärung“ (Anwār at-tanzīl wa-asrār at-ta’wīl) und ist verfaßt von alBaidäwl (gest. nach 1286), einem Richter aus Schiraz in Persien. Dieser Kommentar hat eine ganz enorme Verbreitung gefunden, was schon allein daraus ersichtlich ist, daß es über 80 arabische und rund 70 osmanisch-türkische Kommentare zu ihm gibt. Daß Baidäwis Kommentar daher auch in Europa schon früh bekannt wurde, wo ihn erstmals Andre du Ryer 115
für seine französische Übersetzung (1647) benutzte (s. S. 14f.), ist nicht erstaunlich. Noch ein dritter kürzerer Kommentar ist sehr populär geˇ alāl“ (Tafsīr al-G ˇ alāworden, der „Kommentar der beiden G lain); damit ist auf zwei Verfasser mit dem gleichen Vornamen ˇ alāl ad-Dīn angespielt, nämlich auf den berühmten und äuG ˇ alāl adßerst produktiven ägyptischen Universalgelehrten G ˇ alāl ad-Dīn Dīn as-Suyūtī (1445–1505) und dessen Lehrer G al-Mahallī (gest. 1459). Suyūtī vollendete im Jahr 1465 den von Mah allī unvollendet hinterlassenen Kommentar. Der ˇ alālain ist eine äußerst kurzgefaßte Paraphrase des Tafsīr al-G Korans. In den fortlaufenden Text sind nicht nur die für dessen Verständnis notwendigsten Angaben philologischer Art eingearbeitet, sondern auch erstaunlich viele erzählende Stükke. Auch diesen Kommentar benutzte der gerade genannte französische Koranübersetzer du Ryer. Im Hinblick auf die Korankommentierung brachte das 19. Jahrhundert neue Entwicklungen in Gang. Durch den erst damals in der islamischen Welt aufkommenden Buchdruck konnten einige ältere und umfangreichere Kommentare, die normalerweise nicht zur Verfügung standen und im islamischen Lehrbetrieb längst durch jüngere Kompendien ersetzt waren, wieder bekanntgemacht werden. Das gilt nicht nur für den Kommentar von at-Tabarī, der (im Westen lange für verschollen gehalten) erstmals 1321/1903–4 in Būlāq (einem heutigen Stadtteil, damals Vorort Kairos) gedruckt wurde, sondern auch für den vielleicht umfangreichsten Korankommentar überhaupt, genannt „Der große Kommentar“ (at-Tafsīr alkabīr) oder „Die Schlüssel des Geheimnisses“ (Mafātīh alġaib), von FahÆ r ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 1209), den man schon 1278/1861–2 in Būlāq und 1294/1877 auch in Istanbul druckte. Bis heute sind zahlreiche klassische Korankommentare und vor allem auch viele Spezialwerke zu den verschiedenen Gebieten der Koranwissenschaften gedruckt worden, leider gibt es jedoch noch keine komplette Übersetzung eines der großen hier beschriebenen Kommentarwerke in eine westliche Sprache. 116
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem im 20. Jahrhundert kamen neue Methoden der Koranauslegung auf, die sich bewußt von den klassischen Idealen abwandten. In einem Kommentar, der in Fortsetzungen zuerst in der Zeitschrift „Der Leuchtturm“ (al-Manār) erschien und auf Vorlesungen und Rechtsgutachten zurückgeht, versuchte der ägyptische Reformer Muhammad cAbduh (1849–1905), drängende Fragen der Moderne vom Koran aus zu beantworten. Dieser später von seinem Schüler Muhammad Rasid Ridā (1865–1935) ergänzte und herausgegebene „Kommentar des weisen Koran“ (Tafsīr al-qur’ān al-hakīm), der jedoch nur die ersten zehn Suren behandelt, gilt als der erste „moderne“ Korankommentar. Eines seiner Charakteristika besteht im Bestreben, anhand zahlreicher Koranstellen zu beweisen, daß der Islam modernitätsfähig sei, der Koran also kein Hindernis für den „Fortschritt“ darstelle. Vielleicht den einflußreichsten Kommentar dieses Jahrhunderts verfaßte der zu den Muslimbrüdern gehörende Ägypter Sayyid Qutb (1906–1966). Sein Kommentar „Im Schatten des Koran“ (Fī zilāl al-qur’ān) ist das Werk eines ausgesprochenen „Laien“. Seine erbauliche Auslegung ist jedoch gerade wegen ihrer Lesbarkeit und der eindringenden Textanalyse sehr beliebt. Das Anliegen von Sayyid Qutb ist es, bereits im Koran die Wurzeln für den Islam als umfassendes religiös-soziales „System“ (nizām) aufzudecken. „Fundamentalistisch“ kann man diesen Kommentar deshalb nennen, weil er den direkten Weg zum Text sucht, d.h. die Tradition und deren hermeneutische Vorgaben absichtlich außer acht läßt. Außerhalb des Islam sind Kommentare zum Koran ausschließlich im Zusammenhang mit Koranübersetzungen erschienen. Einen den Bibelkommentaren vergleichbaren historisch-kritischen Kommentar zum gesamten Koran gibt es bis heute nicht.
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11. Koranübersetzungen und das Problem der „Übersetzbarkeit“ des Korans Da die Araber die ersten Adressaten von Mohammeds Verkündigung waren, mag es als selbstverständlich erscheinen, daß der Koran in arabischer Sprache offenbart worden ist. Doch ist es auffällig, daß im Koran mehrfach sein arabischer Charakter betont wird, und zwar meist an herausgehobenen Stellen wie dem Surenbeginn; Sure 12, 2 lautet: Siehe, wir haben es (d. h. das, was jetzt in der Sure folgt) als einen arabischen Vortrag[stext] (qur’ān) herabgesandt, auf daß ihr’s vielleicht versteht!
Es wird also ausdrücklich betont, daß die Botschaft des „Buches“ nicht in einer fremden Sprache verkündet wird, sondern in der Sprache des Volkes, zu dem je ein Gesandter geschickt wurde; also bringt Mohammed den Arabern das Buch in Gestalt einer arabischen Lesung (qur’ān), man könnte auch sagen: auf gut arabisch! Gleichsam als Nachtrag zum vorhergehenden Kapitel über Korankommentare muß noch eine weitere Unterdisziplin der Koranwissenschaften erwähnt werden, nämlich die rhetorische Kommentierung des Korans. Ihr Ziel war es, die sprachliche Unnachahmlichkeit des Korans, den sog. icgˇāz (wörtl. „Unfähigmachung“) zu beweisen. Ein solches Unternehmen mag zunächst befremden – was sollte damit gewonnen sein? Um das zu verstehen, ist eine wichtige Koranstelle zu besprechen, wo von Mohammeds Gegnern gesagt wird (11, 13): Oder sprechen sie: Er hat ihn [d. h. den qur’ān] nur erfunden, Sprich: Bringt zehn Suren gleicher Art, von euch erfunden, Und rufet an, wen ihr anrufen könntet, – außer Gott! Wenn ihr die Wahrheit sagt.
Wenn man sich hier noch einmal kurz in Erinnerung ruft, daß das arabische Wort sūra in seiner ursprünglichen Bedeutung ebenso wie qur’ān den geoffenbarten, vorzutragenden Text bezeichnet, dann lautet der Vorwurf der Gegner hier, daß das, 118
was Mohammed ihnen vortrage, reine Erfindung sei, ja Lüge. Mohammed kontert diesen Vorwurf, indem er seine Gegner auffordert, doch zehn „Vortragstexte“ (wofür hier das Wort sūra steht) zu „erfinden“, die von „gleicher Art“ sind; diese „Gleichartigkeit“ kann sich natürlich sowohl auf den Inhalt als auf die sprachlich-literarische Form, die für die „Vortragstexte“ (d.h. qur’ān bzw. sūra!) charakteristisch war, beziehen. Das galt dann auch für eine Stelle wie Sure 17, 88: Sprich: Täten sich Menschen auch und Dschinn zusammen, Etwas zu bringen, das diesem Vortrag (qur’ān) gleicht, Sie könnten’s nicht, selbst wenn sie sich einander hülfen.
Seit dem Zeitpunkt jedoch, da das Wort qur’ān für das gesamte Offenbarungsbuch, den „Koran“ also, verwendet wurde, bot sich eine andere Interpretation an, die sich nun nur auf die sprachliche Form bezog. Sie hängt zusammen mit der Rivalität zwischen Arabern und Persern im frühen Islam – und ein Argument für die Überlegenheit der Araber lag darin, daß Gott sein Buch auf arabisch geoffenbart hatte! Der „arabische“ Koran, und nur er in seiner durch die cutmänische Redaktion festgelegten Form, wurde damit zugleich zum „Beglaubigungswunder“ für die Sendung des Propheten Mohammed. Denn mit dem Koran war verbunden, daß er Menschen wie Geister (gˇinn) „unfähig machte“, ihn nachzuahmen, – genau das ist mit der Lehre von der Unnachahmlichkeit des Korans, dem icgāz, der „Unfähigmachung“, gemeint. Diese Lehre hatte eine theologisch-rechtliche und eine literarische Dimension. Die literarische bedeutete, daß man die sprachlichen Vorzüge des Korans im Gesamtzusammenhang der altarabischen Literatur, vor allem der Dichtung, ausführlich zu begründen hatte; das tat u.a. der bedeutende Grammatiker cAbdalqāhir al-Gurgānī (gest. 471/ 1078) in seinem Buch „Beweise für die Unnachahmlichkeit des Korans“ (Kitāb dalā’il icgˇāz al-qur’ān). Die theologisch-rechtliche Dimension bedeutete, daß aus der Überzeugung von der Unnachahmlichkeit des Korans die von seiner Unübersetzbarkeit folgte. Aber hier ergab sich ein wichtiges praktisches Problem. 119
Denn auch wenn die islamische Orthodoxie Koranübersetzungen mißbilligte, so war gleichwohl von Anfang an die Notwendigkeit gegeben, den Inhalt des Korans denjenigen Neumuslimen nahezubringen, die über keine oder nur sehr geringe Arabischkenntnisse verfügten. Gewiß, der Koran wurde auswendig gelernt, das galt als frommes Werk und gleichzeitig als Grundlage der Bildung. Allerdings bedeutete die jederzeit abrufbare Kenntnis des Korantextes keineswegs, daß damit auch sein inhaltliches Verständnis gegeben war; das mußte auf einem anderen Wege als dem des Auswendiglernens vermittelt werden. Während bei der Verbreitung des Christentums die Übersetzung der Bibel in die jeweilige Volkssprache eine entscheidende Rolle spielte, waren die Koranübersetzungen nur von untergeordneter Bedeutung; sie galten lediglich als Hilfe zum Verständnis des Korans, so wie es z.B. im Titel einer modernen deutschen Übersetzung zum Ausdruck kommt: „Al-Qur’ān al-Karīm und seine ungefähre Bedeutung in deutscher Sprache“. Im religiös-rechtlichen Bereich durfte der Koran nur auf arabisch zitiert oder rezitiert werden. Vereinzelt war jedoch der Gebrauch einer Volkssprache (z.B. Persisch) bei der Koranrezitation während des Gottesdienstes erlaubt, jedenfalls für diejenigen, die nicht Arabisch konnten. Daß Koranübersetzungen nichts Außergewöhnliches waren, zeigt sich z.B. an zahlreichen alten, zweisprachig angelegten Koranhandschriften. Eine oft angewandte Methode bestand darin, die Wortbedeutungen in der jeweiligen Muttersprache (z.B. Alttürkisch oder Persisch) über den arabischen Text zu schreiben. Eine solche „Interlinearversion“ ergab zwar keine zusammenhängende Übersetzung, aber immerhin eine wichtige Verständnishilfe. Daneben sind jedoch schon verhältnismäßig früh zusammenhängende Übersetzungen, etwa ins Persische aus dem späten 10. Jahrhundert im Rahmen der persischen Übersetzung des großen Korankommentars von Tabarī, bezeugt. Überhaupt spielt die Koranauslegung, z.B. in der Freitagspredigt, eine große Rolle bei der volkssprachlichen Vermittlung des Korans. 120
In einem weitverbreiteten Kompendium der Koranwissenschaften des Ägypters as-Suyūtī ist die „klassische“ Einstellung des orthodoxen sunnitischen Islam gegenüber Koranübersetzungen am klarsten formuliert. Die Ersetzung eines Wortes in seiner genau fixierten lautlichen Gestalt durch ein anderes, wie das in einer Übersetzung notwendigerweise geschieht, ist für den Koran, so Suyütl, nicht möglich, denn dadurch würde ja die sprachliche Unnachahmlichkeit des Korans, also das eigentliche Wunder, zunichte gemacht. Möglich ist nur ein tafsīr, d.h. eine Erläuterung, eine Erklärung. Das nennt man dann nicht „Übersetzung“, sondern eine „Übersetzung der Bedeutung(en) des Korans“ (targˇ amat macānī l-qur’ān); mit dieser Formulierung ist der Tatsache Rechnung getragen, daß die sprachliche Form, als Träger der „Unvergleichlichkeit“, schlechterdings unnachahmlich ist. In unserem Jahrhundert ist die innerislamische Debatte um die Rolle und Bedeutung von Koranübersetzungen im Gefolge der von Kemal Atatürk durchgesetzten Säkularisierung erneut aufgeflammt. Atatürk wollte auch im Gottesdienst die Verlesung des türkischen statt des arabischen Textes, ja, es existierte sogar ein in Lateinschrift transkribierter Korantext. Dagegen gab es Proteste von Seiten der Azhar-Universität. Einen wichtigen Ansporn erhielt die Übersetzungsbewegung durch die in Indien im 19. Jahrhundert entstandene Sekte der Ahmadlya, die ein starkes Missionsinteresse besaß. In mehreren europäischen Sprachen, allen voran Englisch, veröffentlichten AhmadlGelehrte Koranübersetzungen, die stets auch den arabischen Text enthielten und sehr reichhaltig kommentiert waren. Diese Methode zweisprachiger Koranübersetzungen hat sich in den letzten Jahren unter Muslimen immer mehr durchgesetzt. In einem großangelegten Projekt hat die „König-FahdAkademie für den Druck des Heiligen Buches“ (Magˇmac almalik Fahd li-tibācat al-mushaf aš-šarīf) in Medina zweisprachige Koranausgaben in allen wichtigen Islamsprachen drukken und kostenlos verteilen lassen. Von Muslimen angefertigte Koranübersetzungen sind also heute keine Seltenheit, und das gilt auch im deutschen Sprachraum. 121
Die erste deutsche, für Muslime herausgebene Koranübersetzung erschien 1938; ihr Übersetzer war Maulana Sadr-udDin.(gest. 1981), der damalige Imam der Berliner Moschee, die zu einer in Lahore ansässigen Minderheit der AhmadīyaBewegung gehörte; 1964 in einer um die ausführliche Einleitung gekürzten Ausgabe erneut gedruckt, wurde sie weitgehend von der Übersetzung der Ahmadīya-Mehrheitsbewegung (Sitz in Rabwah, Pakistan) verdrängt, die unter dem Namen von Mirza Bashiruddin Mahmud Ahmad erstmals 1954 herauskam und seither mehrfach neubearbeitet wurde (zuletzt von Hazrat Mirza Tahir Ahmad, 1989). Eine dritte, nun von der Ahmadīya-Bewegung völlig unabhängige Übersetzung, die den Bedürfnissen deutscher Muslime entgegenkam, veröffentlichte Muhammad Ahmad Rassoul 1986 (Köln: Islamische Bibliothek; mehrere Übearbeitung und Neuauflagen). Ein Gemeinschaftsunternehmen deutscher Muslime aus dem Umkreis der Münchener Moschee ist das fünfbändige Werk „Die Bedeutung des Korans“ (München 1997). Es enthält neben dem arabischen Text und der deutschen Übersetzung reichlich Anmerkungen zum Textverständnis in Form von Auszügen aus wichtigen islamischen Korankommentaren. Ohne arabischen Text war im Jahr 1996 die deutsche Übersetzung von Ahmad von Denffer erschienen, die erste Übersetzung eines deutschen Muslims, dessen Muttersprache auch Deutsch ist. Das gemeinsame Merkmal aller in diesem Abschnitt genannten Übersetzungen liegt darin, daß es ihnen allein darauf ankommt, eng am arabischen Text den „Inhalt“, die „Botschaft“ des Korans zu vermitteln, ohne irgendeine Anstrengung zu unternehmen, die ästhetischen, d.h. auch literarischformalen Qualitäten des Originals zu erreichen. Darum bemühten sich v. a. nichtmuslimische Übersetzer wie der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert (1788–1866). Aber solche Versuche stehen vereinzelt da und sind bis heute unter Muslimen nicht unumstritten.
Mekkanische und medinensische Suren Chronologische Anordnung der Suren nach Theodor Nöldeke (s.o. S. 31): a) Mekkanische Suren 1. Periode: 96, 74, 111, 106, 108, 104, 107, 102, 105, 92, 90, 94, 93, 97, 86, 91, 80, 68, 87, 95, 103, 85, 73, 101, 99, 82, 81, 53, 84, 100, 79,77, 78, 88, 89, 75, 83,69,51,52,56, 70, 55,112,109,113,114,1. 2. Periode: 54, 37, 71, 76, 44, 50, 20, 26, 15, 19, 38, 36, 43, 72, 67, 23,21,25,17,27,18. 3. Periode: 32, 41, 45, 16, 30, 11, 14, 12, 40, 28, 39, 29, 31, 42, 10, 34, 35, 7, 46, 6, 13. b) Medinensische Suren 2, 98, 64, 62, 8, 47, 3, 61, 57, 4, 65, 59, 33, 63, 24, 58, 22, 48, 66, 60, 110,49,9,5.
Verzeichnis der benutzten Koranübersetzungen a) Vollständige Übersetzungen: Henning, Max: Der Koran. Aus dem Arabischen übertragen. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel, Stuttgart 1960. Durchgesehene u. verbesserte Ausgabe 1991; dass., hg. von Kurt Rudolph und Ernst Werner. Leipzig 1979, 19846; Wiesbaden o. J. [mit ausgezeichneten Anmerkungen und sehr gutem Register]. Paret, Rudi: Der Koran. Stuttgart u.a. 1966. 2., verbesserte Aufl. 1982. TB-Ausgabe 1979 u.ö. – Dazu Kommentar und Konkordanz 1971, TBAusgabe 1980. Khoury, Adel Theodor: Der Koran. Gütersloh 1987 (auch als TB-Ausgabe) – Zweisprachige Ausgabe: Der Koran. Arabisch-Deutsch. Übersetzung und wissenschaftlicher Kommentar, Bd. 1 ff., Gütersloh 1990 ff. b) Auswahlübersetzungen: Klamroth, Martin: Die fünfzig ältesten Suren des Korans in gereimter deutscher Übersetzung, Hamburg 1890. Grimme, Hubert: Der Koran. Ausgewählt, angeordnet und im Metrum des Originals übertragen, Paderborn 1923. Rückert, Friedrich: Der Koran in der Übersetzung von F. R., hg. v. Hartmut Bobzin. Mit erklärenden Anmerkungen von Wolfdietrich Fischer, Würzburg 1995. Die heute verfügbaren islamischen Übersetzungen sind oben S. 122 genannt; weitere hier nicht erwähnte, aber noch auf dem Markt befindliche ältere Übersetzungen (z.B. von Lion [bzw. Ludwig] Ulimann und Lazarus Goldschmidt) entsprechen nicht mehr heutigen wissenschaftlichen Anforderungen.
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Weiterführende Literatur Andrae, Tor: Mohammed, sein Leben und sein Glaube. Göttingen 1932. Bell, Richard: Introduction to the Qur’ān. Edinburgh 1953. Blachere, Regis: Introduction au Coran. Paris 19772. Bobzin, Hartmut: Der Koran im Zeitalter der Reformation. Beirut 1995. Buhl, Frants: Das Leben Muhammeds. Leipzig 1930, Darmstadt 19613. Busse, Heribert: Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum und Christentum. Darmstadt 1988, 199R Gätje, Helmut: Koran und Koranexegese. Zürich u. Stuttgart 1971. Goldziher, Ignaz: Die Richtungen der islamischen Koranauslegung. Leiden 1920 (ND 1970). Graham, William A.: The Earliest Meaning of ‘Qur’ān’, in: Die Welt des Islam, NS 23/24 (1984) 361–77. Grimme, Hubert: Mohammed. Zweiter Teil: Einleitung in den Koran. System der koranischen Theologie. Münster 1895. Hawting, G. R. & Abdul-Kader A. Shareef (eds.): Approaches to the Qur’ān. London & New York 1993. Horovitz, Josef: Koranische Untersuchungen. Berlin u. Leipzig 1926. Izutsu, Toshihiko: God and Man in the Koran. Semantics of the Koranic Weltanschauung. Tokio 1964, repr. North Stratford, NH 1998. Kermani, Navid: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran. München 1999. Nagel, Tilman: Der Koran. Einführung, Texte, Erläuterungen. München 1983. ders., Medinensische Einschübe in mekkanischen Suren. Göttingen 1995. Neuwirth, Angelika: Studien zur Komposition der mekkanischen Suren. Berlin u. New York 1981. dies., Koran, in: Gätje, Helmut: Grundriß der arabischen Philologie, Bd. II: Literaturwissenschaft. Wiesbaden 1987, S. 96–135. Nöldeke, Theodor: Geschichte des Qoräns. Göttingen 1860; 2. Aufl., Teil 1–3, bearb. von Friedrich Schwally (Teil 1–2), Goffhelf Bergsträsser u. Otto Pretzl (Teil 3). Leipzig 1909–1938 (ND Hildesheim 1970 u.ö.). – [Grundlegendes Standardwerk] Paret, Rudi: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten. Stuttgart etc.: 1957 u.ö., 19805. ders. (Hg.): Der Koran. Darmstadt 1975. Radscheit, Matthias: Die koranische Herausforderung. Die tahaddi-Verse im Rahmen der Polemikpassagen des Korans. Berlin 1996. Rippin, Andrew (ed.): Approaches to the History of the Interpretation of the Qur’ān. Oxford 1988. Robinson, Neal: Discovering the Qur’an. A Contemporary Appoach to a Veiled Text. London 1996.
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Speyer, Heinrich: Die biblischen Erzählungen im Qoran. Gräfenhainichen 1931, Hildesheim 19612. Wansbrough, John: Quranic Studies. Sources and Methods of Scriptural Interpretation. Oxford 1977. Watt, W. Montgomery: Bell’s Introduction to the Qur’ān completely revised and enlarged. Edinburgh 1970 u.ö. ders.: Der Islam I. Mohammed und die Frühzeit – Islamisches Recht – Religiöses Leben. Stuttgart u.a. 1980. ders.: Muhammad’s Mecca. History in the Qur’ān. Edinburgh 1988. Weil, Gustav: Historisch-kritische Einleitung in den Koran. Bielefeld 1844. Wild, Stefan (Hg.): The Qur’ān as Text. Leiden 1996.
Personen- und Sachregister Aaron 68 f. c Abdalmalik 56 f. c Abduh, Muhammad 117 Abraham 50–54, 61, 66, 69 f., 101, 113 Abrogation 77 f. Abū Bakr 102 Ad 46 f. Adam 64, 69 f. Ahmadlya 121 f. c Ā’iša 34f., 114 Ali, Yusuf 82 Alkoholverbot 75 ff. Allah 58–62 Almosensteuer → zakāt Amin, Qāsim 80 Analogieschluß (qiyās) 72 Antitrinitarier 14 Arabisch 87 f., 118 ff. asketische Ideale 44 Atatürk, K. 121 Auferstehung 36–39, 45 Auspeitschung 83 āya 23–24 Azhar 104f., 121 Azhar-Koran 30, 108 f. Baidāwī, al- 115 f. Basmala 62 Bibelll, 15 ff., 120
Bibliander, T. 14 Buch → kitāb Buchbesitzer 12, 67 f., 70, 84 f., 101 Bücher 66–68 Buchdruck 105 ff. Būlāq 116 Bund 70 Chronologie der Suren 30 f. David 69 Dekalog Denffer, A. v. 122 Dichter 45 Dichtung 45, 87–90, 112,119 Diebstahl 82 f. Drohrede 42 Dschinn gˇ inn 45 Du Ryer, A. 14, 115f. Eherecht 80–83 Elia 68f Elisa 69 Enge) 40, 55, 63–65 Erbrecht 82 Erwählung 70 Eschatologie 37 Evangelium 67, 71 Fasten → saum Felsendom 57 Flügel, G. 107
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Freitagsgebet 74 Fuad 105 Gabriel 32, 34 f., 65 Gebet → salāt Gebetsruf (’adān) 74 Gebetstexte 93 f. Gemeinde (umma) 54 Gericht 36–40 Gesandter → rasūl Gesandter Gottes 26 gˇ ihād 83–86 Glaube 55 ff. Gleichnis 89, 96 f. Goethe 9, 15 Gott → Allāh Gottesnamen 63 Göttinnen 58–60 Gurgˇ āni, al- 119 hadd → hudūd hadīt 113f. Ḥafs 105 hagˇ gˇ 71 Hagar 52 hanīf 50, 52–54 Heiliger Krieg (gˇ ihād) 83 ff. Hidschra 30 higˇ äb 35, 80 Hiob 69 Hinckelmann 107 Hölle 38, 41 Hūd 47, 69 hudūd 82 f. hukm 71 Iblis 64 Ibn cAbbās, cAbdallāh 111, 114 Ibn cArabi, Abū Bakr 73, 76 Ibn Mascūd, cAbdallāh 100, 103 Ibn Salāma, Hibatallāh 77 c Imrān 70 Isaak 61, 69, 113 Islam 53 f. Ismael 52, 68 f., 101, 113 Jakob 61, 69 Jerusalem 10f., 57 Jesus 9 f., 16, 18, 26, 57, 61, 63, 65, 68–70 Johannes v. Damaskus 11
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Johannes d. Täufer 69 Jona 68 f. Josef 69 Kacba 51f. Kaffee 77 kāhin 96 Katharina II. 107 kitāb 18f., 40, 66 ff., 98, 101 f. Klauselverse 92 f. Kodex → mushaf Konsens (igˇ māc) 72 Kopfsteuer (gˇ izya) 85 Koranhandschriften 103 ff. Koranlesart → qirā’a Kreuzzug 13 Kufa 24, 105 kufische Verszählung 24 Lichtvers 25 f. Lohn 38 Lot 47, 68 f., Luther, M. 11ff. Mahallī, al–116 Maria 26 f., 65, 70, 101 Marracci, L. 107 Medina 30 f. Megerlin, F. 15 f. Mekka 10, 28, 30f., 51 f. Michael 65 Michael III. (byz. Kaiser) 13 Möhler, A. 16 f. Mohammed 10–20,26–35,39,44–48, 50, 52, 54, 58–62, 65, 71, 79, 84, 96 f., 99–102, 109, 111, 114, 118 f. Monotheismus 50 f., 55–61, 69 Mose 23, 47–50, 61, 66, 68–70, 101 Musailima 102 mushaf 18, 22 muslim 53 mušrik 53 nabīy 12, 27, 51, 69 ff. Nachtreise 10 Nāfic 105 Nāfic Ibn al-Azraq 111 f. Nestorius 12 Niketas v. Byzanz 13 Noah 47f., 58, 69 Nöldeke, T. 31
Offenbarung 69, → tanzīl, wahy Offenbarungsanlaß 27, 29, 78 Paradies 38, 41, 43, 85 Paret, R. 7 Petrus Venerabilis 13 Pharao 47 ff. Priester → kāhin Prophet → nabīy Prophetologie 68–71 Psalmen, Psalter 22, 67 qirā’a 93, 111 qur’ān 18–22, 24, 32, 44, 93, 99 f., 118 f. Qutb, Sayyid 117 Ramadan 20 f.,32 rabb 62 rahmān 62 f. Rassoul, M. A. 122 rasūl 12, 54, 68–71 Rāzī, FahÆ r ad-Dīn ar- 116 Rechtleitung (hudā) 71, 98 Reichtum 42f. Reim 89–92 Reinigung 73 f. Ricoldo 9 ff. Ridā, Muhammad Rašīd 117 Robert v. Ketton 13 f. Rücken, F. 7, 90 ff., 122 Sadr-ud-Din, M. 122 Šāficī, as- 72 salāt 19, 71–74, 86 Sālih 47, 69 Salomo 10,69 Satan 45, 60, 64 satanische Verse 60, 77 saum 71, 82 Schiiten 110 Schlachtvorschriften 78 Schleier → higˇ āb Schriftverfälschung → tahrīf Schwurformeln 94 ff. Seher 45 Sintflut 48 Speisegesetze 74–78 Steinigung 83 Strafe 38
Strafgericht 69 Straflegenden 46–49 Strophen 94 Šucaib 47, 69 Sure (sūra) 21 f., 24, 971f., 118 f. Surennamen 24 f. Suyūti, as–116, 121 Tabarī, at- 114 ff., 120 tafsīr 110 tahrīf 68, 71 tanzīl 19 f. ta’wīl 110 Thamud 46f. Thora 67, 71 Thronvers 25 Tod 39 Tradition (sunna) 72 Trinität 11 f., 14, 57, 61 Ubaiy Ibn Kacb 100 c Umar Ibn al-H Æ attāb 13, 102, 114 umma 54, 67, 69, 71 Unnachahmlichkeit des Korans 118 ff. Unzucht 82 f. c Utmān Ibn cAffān 102 c utmānischer Text 102 ff., 109 Vergleich 89, 96 f. Verleumdung 82 f. Vers → āya Verschleierung 78 ff. Verszählung 24 Visionsberichte 33 ff. Voltaire 15 wahy 19 f., 35, 51, 80 Wallfahrt – hagˇ gˇ Warš 105 Weil, G. 31 Wein 75 ff. Weltuntergang 36 f. Zacharias 23, 69 Zaid Ibn Tābit 100, 102 zakāt 71 f., 86 ZamahÆ šarī, az- 115 Zeichen (āya) 23
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Verzeichnis der übersetzten Koranstellen 1: 94 2,1–5: 98 2,26: 96 f. 2,97: 20 2,106: 77 2,110: 72 2,124: 50 2,125: 52 2,127: 52 2,154: 85 2,177: 86 2,185: 20 f. 2,190 f.: 10 2,213: 71 2,219: 75f. 2,255: 25 2,256: 85 2,285–286: 93 f., 99 3,7: 109 f. 3,33–34: 70 3,58: 18 3,67: 53 3,80: 63 3,96–97: 51 f. 3,110: 54 3,144: 26 3,184: 67 4,2–3: 81 4,43: 74f. 4,74: 84 4,125: 50,52 4,129: 81 4,136: 55 4,164: 49 4,171: 11f. 5,3: 54,78 5,6: 73 5,38–39: 83
5,48: 67 5,58: 74 5,73: 12 5,75: 26f. 5,90–91: 76 6,79: 50 6,103: 35 7,157: 67f. 8,31: 23 8,39: 84 f. 9,29: 10,85 9,33: 54,56 9,36: 84 9,73: 84 10,18: 59 10,37f.: 22 10,47: 69 10,94: 112 11,7: 45 11,13: 118 11,114: 72 12,2: 118 15,28–31: 64 16,25: 10 16,65: 23 16,67: 75 17,1: ll,24f., 35 17,22–39: 86f. 17,78: 19,73 17,88: 119 17,93: 66 17,110: 63 17,111: 61 18,110: 58 19,10: 23 19,43: 51 19,52: 49 20,14: 19 20,130: 72 f.
23,44: 69 24,1: 22 24,2: 82 f. 24,4: 83 24,30–31: 79 24,35: 25 f. 24,39: 97 25,32: 20f. 25,59–60: 62£. 26,63–67: 23 27,17 ff.: 10 27,69: 46 29,61+63: 59 29,65: 59 29,69: 85 30,30–32: 54 32,11: 65 33,7: 70 33,40: 27, 70 f. 33,53: 80 33,59: 79f. 36,69: 45 37,101–102: 113 37,112: 113 38,5–6: 58 38,12–14: 47 38,75–76: 64 42,51: 35 44,2–8: 92 f. 45,24: 39 47,27: 65 48,1: 24 51,1–6: 37 51,15–19: 43 f. 52,1–8: 95 f. 52,48–49: 44 53,1–18: 33 ff. 53,19–23: 60 53,44–47: 39
54,1–8: 91 54,2–5: 46 54,9–17: 48 54,52–55: 91 55,13: 94 56,12–25: 41 56,42–44: 41 56,77: 18 56,77–80: 66f. 62,9–10: 74 64,7: 95 69,8: 47 69,13–15: 38 69,28–29: 42 70,43: 38 73,1–5: 44 74,1–7: 32 f. 75,1: 111 75,16–18: 19 f. 79,6–14: 38 f. 79,42–45: 37 81,1–14: 36f. 82,1–5: 36 82,10–12: 65 82,17–18: 91 84,7–12: 40 86,8–9: 39 87,1–6: 62 88,2–7: 41 89,5–13: 46 f. 90,13–18: 43 93: 28 94: 90f. 96,1–5: 31 ff. 97: 21 99,6–8: 40 101: 40 104: 42 112: 56 f.