GORDON BLACK Band 9
Der magische Tiger von Norman Thackery
Er wurde als Meister der Magie gefeiert. Seine Tricks ware...
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GORDON BLACK Band 9
Der magische Tiger von Norman Thackery
Er wurde als Meister der Magie gefeiert. Seine Tricks waren unglaublich und bescherten ihm Erfolge auf der ganzen Welt. Sein Publikum feierte ihn jedesmal begeistert. Aber er bewahrte ein entsetzliches Geheimnis, das zugleich der Schlüssel zu seinem gewaltigen Erfolg war. Denn ihn begleitete der Tod in Gestalt seines magischen Tigers, den er mit einem genialen Verwandlungstrick auf die Bühne brachte und sich selber dabei verschwinden ließ.
Aus dem Garten drang ein Geräusch herauf, das Sam Forrest durch Mark und Bein ging. Als würde ein Baum in ungezählte Stücke zerfetzt und zerfasert! Er bildete sich sogar ein, das scharfe Reißen und Kratzen von Krallen zu hören. Etwas unheimlich wurde ihm schon, denn erstens hatte er gar keine Katze, und es gab auch in der Nachbarschaft keine, und zweitens konnte er sich keine vorstellen, die mir nichts, dir nichts einen Baum zerpflückte. »Schwachsinn!« murmelte er. »Weiß der Teufel, was das ist!« Es interessierte ihn aber doch, was sich draußen in der
Nacht abspielte. Also knipste er das Licht aus, öffnete leise die Tür und trat auf den Balkon hinaus. Lauer Nachtwind fächelte über sein Gesicht und wischelte durch die Blumen, die er sich in Kästen auf der Balkonbrüstung hielt. Etwas seltsam roch es ja. Irgendwie streng. Der Wind brachte den Geruch mit. Vielleicht von einem Industriewerk. Allerdings lag das nächste Werk außerhalb der Stadtgrenze, und das waren immerhin vier Meilen. Sam konnte sich auch nicht entsinnen, daß der Wind jemals Industriegestank bis in die Stadt geblasen hätte. Er hegte Argwohn gegen einen Nachbarn, der Abfall im Kamin verfeuerte, statt den Müll in die Tonne zu kippen. Aber Rauch sah er nirgendwo in den Nachthimmel steigen. Es war zudem Hochsommer. Da zündete niemand den Kamin an. Auch nicht, um irgendwelchen Abfall loszuwerden, der besser nicht der Müllabfuhr anvertraut wurde. Und es brannte nirgendwo Licht! In diesem Viertel wohnten rechtschaffene Leute. Die gingen beizeiten schlafen und standen lieber mit den Hühnern auf. Sam Forrest wollte sich schon damit zufrieden geben, daß er sich geirrt hatte und daß ihm sein Gehör einen Streich gespielt hatte. Denn das widerwärtige Kratzen, das ihn herausgelockt hatte, wiederholte sich nicht. Drunten im Garten blieb es still. Dennoch beugte er sich über einen Blumenkasten hinweg und versuchte, in der Finsternis etwas zu erkennen. Seinen Garten liebte er nämlich heiß und innig. Und sein Garten – das war eine gepflegte Rasenfläche und das waren drei Bäume. Es dauerte, bis sich seine Augen an die Dunkelheit dort unten gewöhnten. Auf dem Rasen schimmerte etwas. Zu diffus, um es exakt zu erkennen. Es wollte ihm allerdings scheinen, als hätte jemand
Holzlatten in seinen Garten geworfen. Es ging auf Mitternacht, und er fand es gänzlich ausgeschlossen, daß um diese Zeit jemand von den Nachbarn mit Holzlatten herumschmiß. Außer Nachbarn hatte niemand Zugang zu den Gärten, die hinter den Häusern einen grünen Komplex bildeten. Nur durch die Häuser selber oder durch eine Garage konnte man die Gärten betreten. Sam Forrest verhielt sich mucksmäuschenstill und sperrte nur die Ohren auf. Vielleicht hatten Jugendliche den Rappel gekriegt und spielten nächtlichen Schabernack. Bald fünf Minuten lauschte er angestrengt. So lange konnten auf Unfug sinnende Jugendliche ihr Temperament nicht zügeln. Er war schließlich auch mal jung gewesen, er kannte sich aus. Aber da unten bewegte sich nichts. Trotzdem war er argwöhnisch. Schließlich lag auf seinem Rasen etwas, das da nicht hingehörte. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, verzichtete auf Licht und tappte leise die Treppe hinab. Die Küche lag im Erdgeschoß zum Garten hinaus, und in der Küche hatte er die Taschenlampe. Ein unerklärliches Angstgefühl bedrängte ihn plötzlich. Er stieß gegen einen Küchenstuhl. Das Herz blieb ihm fast stehen, obschon das scharrende Geräusch bestimmt draußen nicht zu hören war. Erst als er die klobige Taschenlampe in der Hand hielt, war ihm wohler. Er konnte sie als Schlagwaffe verwenden. Besser als eine nackte Faust war sie allemal. Auf Zehenspitzen schlich er zur rückwärtigen Tür, entriegelte sie und steckte erst einmal den Kopf hinaus. Dieser seltsame Geruch wehte immer noch ums Haus. Hier unten war er sogar viel strenger wahrnehmbar als oben auf dem Balkon. Aber hören konnte Sam nichts.
Er trat in seinen Garten hinaus und knipste die Taschenlampe an. Der Lichtstrahl wanderte wie ein Geisterfinger über den Rasen und verharrte auf dem, was Sam Forrest als Holzlatten ausgemacht zu haben meinte. Latten waren es nicht. Sondern lange Rindenstreifen. Und mehr als daumenstarke zerfaserte Holzstücke, manche vier Fuß lang. Sam hatte so etwas schon einmal gesehen. Vor zwei Jahren. Als der Blitz in einen uralten Baum vor dem Stadthaus eingeschlagen hatte. Bis zur Treppe und sogar auf der Straße hatten abgepellte Baumteile gelegen. Aber heute hatte es doch kein Gewitter gegeben! Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf den nächsten Baum. Der Anblick bewirkte, daß es ihm die Haut zwischen den Schulterblättern zusammenzog und den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Bis in eine Höhe, in die ein Mensch mit ausgestreckten Armen greifen konnte, war die Rinde in langen Bahnen vom Stamm gefetzt. So tief, daß es sogar Holzfaserstränge herausgerissen hatte. Sam überwand seinen Mordsschrecken rasch und spürte Wut aufsteigen. Jemand hatte seinen Baum ruiniert, hatte ihn böswillig derart beschädigt, daß er wahrscheinlich einging! Es mußte mit einem Eisen passiert sein. Und mit brutaler Gewalt. Sam Forrest besichtigte den Tatort aus der Nähe. Er suchte nach Spuren und Hinweisen, die ihm den Täter lieferten. Oder wenigstens einen Fingerzeig gaben. Der Rasen, gerade unter den Bäumen schon sehr empfindlich, war an mehreren Stellen aufgerissen. Die blanke Erde zeigte sich im Lichtkegel der Taschenlampe, charakteristischer Geruch entstieg dem Boden.
Abdrücke von Schuhen sichtete Sam Forrest nicht. Wohl aber andere. Es konnten nur Tatzenabdrücke von einem riesigen Tier sein. Und das überstieg sein Begriffsvermögen. Zunächst jedenfalls. So große Tiere gab es überhaupt nicht. Bären vielleicht. Aber die lebten ein paar hundert Meilen weiter nördlich, und ganz bestimmt mieden sie bewohnte Gegenden wie die Pest. Und wie hätte ein so gewaltiges Tier auch in den Garten geraten können? Sam Forrest richtete den Lichtstrahl auf den zerfetzten und zerfaserten Stamm. In seinem Kopf entstand die zwanghafte Vorstellung, es könnte sich um einen Kratzbaum eines Raubtieres handeln. In den Rocky Mountains hatte er mal gesehen, wie Pumas eine Zeder zugerichtet hatten. Um die Krallen zu schärfen, hatte der Wildhüter erklärt. Ein seltsamer Laut ließ Sam Forrest herumwirbeln. Wie ein Schnarren und Fauchen hörte es sich an. Dort – am Zaun bewegte sich etwas! Sam leuchtete hin. Vor Entsetzen ließ er fast die Taschenlampe fallen. Bei den Büschen stand ein unvorstellbar großer Tiger und blinzelte aus grün funkelnden Augen herüber. Plötzlich duckte sich die Bestie, für deren Vorhandensein Sam Forrest keine Erklärung einfiel. Der Tiger duckte sich zum Sprung! Nur das begriff er. Er wollte weglaufen. Aber er konnte die Füße nicht heben. Sie schienen mit dem Boden verwachsen zu sein. Der Tiger sprang, und Sam Forrest stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Er spürte noch einen Schlag auf der Brust. Daß ihm der gewaltige Tiger mit einem Tatzenschlag die
Brust öffnete, nahm er nicht mehr wahr. Fünf Minuten später fanden Nachbarn, die der entsetzliche Schrei alarmiert hatte, Sam Forrest auf dem Rücken in seinem Garten liegend. Er war tot. Sein Brustkasten war eine einzige weit klaffende Wunde. Wie es aussah, war ihm das Herz herausgerissen. *** In dieser Nacht machte sich die Polizei bei Sam Forrests Nachbarn noch ziemlich unbeliebt. Sie begann nämlich in scharfer Form unbequeme Fragen zu stellen. Ob jemand vorbestraft sei. Oder wer in den vergangenen zehn Jahren in einer Nervenklinik behandelt worden war. Wissen wollte sie auch, wer eine Macke hatte. Oder von wem man annahm, daß er geistig nicht auf der Höhe war. Sie ging überhaupt sehr indiskret vor, und so mancher Nachbar konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, die Polizei mache ausgerechnet ihn dafür verantwortlich, daß Sam Forrest allein gelebt hatte. Gesehen hatte niemand etwas. Und die Frage nach besonderen Wahrnehmungen beantwortete ein Mann schließlich ergrimmt sinngemäß etwa so, daß man in einem Viertel lebe, in dem es unüblich sei, irgendwelche Wahrnehmungen zu machen. Der Polizeiarzt gab die Leiche nicht zum Abtransport frei, schüttelte ein ums andere Mal den Kopf und beteuerte, so etwas sei ihm in seiner dreißigjährigen Praxis noch nicht untergekommen. Wodurch aber Sam Forrest zu Tode gekommen war, dazu mochte er sich konkret nicht äußern. Einzig die Spurensicherungsabteilung konnte greifbare Ergebnisse vorzeigen.
Eine riesige Raubkatze mußte in die Gärten eingedrungen sein. Dafür gab es unwiderlegbare Spuren, die alle sorgsam numeriert waren. Spuren im zerfetzten Rasen, Spuren am Baumstamm von gewaltigen Krallen, und den Abdruck von Tatzen in einem Blumenbeet am Zaun. Von dort aus hatte die Raubkatze ihr Opfer angesprungen. Der Leiter der Mordkommission hatte den verständlichen Wunsch, zu erfahren, um welche Art Raubkatze es sich handelte. Er ließ weitere Scheinwerfer aufstellen und nach Tierhaaren suchen. Es wurden keine gefunden, was der Polizeiarzt als überaus seltsam empfand. Wenigstens entsann er sich eines Mannes in der Stadt, von dem es hieß, er hätte einige Jahre seines Daseins als Großwildjäger zugebracht. Es war natürlich mächtig spät, es ging auf Mitternacht, und der Polizeiarzt hatte seine Bedenken. Der Leiter der Mordkommission hatte die nicht. Er war überhaupt ein Mann, der wenig Zartgefühl zeigte. Unablässig trieb er seine Leute an. Gerade, als stünde er unter dem Zwang, bis zum Morgen den rätselhaften Mordfall lösen zu müssen. Er deutete auch an, daß es sich wahrscheinlich um einen Unfall mit tödlichem Ausgang handeln könnte, und daß er und seine Leute dann eine Menge Zeit unnütz vertan hätten. Überhaupt schien die Unfalltheorie eine Lieblingsidee von ihm zu sein. Er führte ein energisches Gespräch mit einem Kollegen im Stadthaus und gab den Auftrag, überall herumzutelefonieren, ob nicht aus einem Tierpark oder einem privaten Gehege eine ausgewachsene Raubkatze ausgerissen war. Auch wollte er wissen, ob ein Zirkus in der Stadt oder in der Umgebung gastierte oder kürzlich durchgekommen war. Gründlich war er jedenfalls. Nachdem er den Polizeiapparat angekurbelt hatte, besann er sich auf den Großwildjäger, den ihm der Arzt schmackhaft gemacht hatte.
Es dauerte zehn Minuten, bis die Anschrift bekannt war, und fast eine Stunde, bis der Mann zur Stelle war. Er wohnte am anderen Stadtende und machte ein paar beleidigende Bemerkungen zu der Methode, einen freien und unbescholtenen Bürger zu nachtschlafender Zeit mit dem Streifenwagen abholen zu lassen. Der Leiter der Mordkommission beguckte sich den Mann von oben bis unten und zurück und argwöhnte, der Mensch müßte sich zu lange in den Tropen aufgehalten haben. Jedenfalls kam er ihm reichlich verschrumpelt und eingetrocknet und älter als sechzig vor. Wahrscheinlich hatte er nie Großwild gejagt. Weil die Tiere sich bei seinem Anblick schon totgelacht hatten. Entgegen allen schlimmen Erwartungen schien der Bursche aber etwas von Raubkatzen zu verstehen. Er betrachtete lange die Stelle im Blumenbeet, ließ einen Gipsabguß machen und erklärte dann, hier hätte ein Tiger seinen Absprung gemacht. »Tiger? Sind Sie ganz sicher?« vergewisserte sich der Leiter der Mordkommission. »Ganz sicher.« Der verschrumpelte Großwildjäger nickte wichtig. »Ein Löwe schlägt seine Beute im Lauf. Ein Puma springt aus dem Baum oder vom Felsen auf sein Opfer. Für einen Leoparden sind die Eindrücke nicht tief genug. Also bleibt nur ein Tiger. Kapitales Tier. Zwei bis zweieinhalb Meter lang, mindestens vier Zentner schwer.« »Hören Sie, das sind europäische Maßangaben!« hielt der Leiter der Mordkommission dagegen. Den Großwildjäger rührte es nicht. »Ihr Problem, Officer, nicht meines. Es ist ein Tiger, mein Wort darauf. Ein Man-eater.« »Ein was?« »Ein Menschenfresser. Außerdem bin ich nicht blöd. Die Mordkommission hat sich hier breitgemacht, ein Polizeiwagen
holt mich aus dem Bett, ich sehe einen Baum, an dem sich die Großkatze die Krallen geschärft hat, und dort liegt eine Gestalt unter einer Decke. Man braucht die Tatsachen nur zusammenzuzählen. Der Tiger hat einen Menschen geschlagen.« Der verschrumpelte Mann sagte das mit einer Bestimmtheit, die jede Ausrede überflüssig machte. Dem Officer kam es vor, als wollte der Mann noch etwas anmerken. Jedenfalls blickte er auf die Decke, die über die Leiche von Sam Forrest gebreitet war. Ein sehr nachdenklicher und unzufriedener Ausdruck erschien in seinem Gesicht. »Ist noch was? Ja, zum Teufel, wir haben einen Toten!« Der ehemalige Großwildjäger rammte die Hände in die Hosentaschen. »Ziemlich ungewöhnlich, daß er seine Beute liegen läßt«, sagte er. »Ein Tiger pflegt sie wegzuschleppen. Wo kommt der Tiger her? Und wo ist er jetzt?« »Eine überaus intelligente Frage!« versetzte der Officer sarkastisch. »Hätten Sie eine Idee, wo Sie schon so etwas wie Experte für wildgewordene Raubkatzen sind?« Der verschrumpelte Mann nickte gelassen. »Hunde müssen her«, meinte er. »Ein Tiger hinterläßt eine deutliche Geruchsspur. Sie finden sie. Wann ist es passiert?« »Vor etwas mehr als zwei Stunden.« Der Officer sah eine Chance, in den Ermittlungen einen Riesenschritt voranzukommen. »Dann finden Sie sie in jedem Falle. Drücken Sie die Daumen, daß es nicht regnet, Officer. Ich möchte nach Hause. Ich nehme doch an, daß Sie mir einen Wagen…« »Können Sie das mit den Hunden übernehmen, Mister? Ich lasse welche herbringen. Ich war noch nie auf Tigerjagd, ich weiß nicht, wie man sie organisiert.« Der Officer machte nicht gerade ein glückliches Gesicht zu seinen Worten. Und da hatte er schon gewonnen.
Zwar knurrte der Großwildjäger, er lehnte jedoch auch nicht rundweg ab. Der Officer eilte zum Funktelefon und veranlaßte, daß ausgebildete Suchhunde hergeschafft wurden. Bei dieser Gelegenheit ließ er die Fahndung einschränken. Er habe einen Experten an der Hand, der habe sich stark dafür gemacht, daß ein Tiger den Mann umgebracht hätte. Dieser wertvolle Hinweis führte indes auch nicht zu einem Ergebnis. Denn in der Zwischenzeit hatte man vom Stadthaus aus alle Zoos, Tiergärten und privaten Gehege im Umkreis von fünfzig Meilen angerufen oder Kollegen aus den Städten und Ortschaften hingeschickt. Wie es bis jetzt aussah, fehlte nirgendwo eine Raubkatze. Ein Zirkus war seit Wochen nicht durchgekommen, weder durch Pittsburgh noch durch die benachbarten Städte. Sicherheitshalber ließ der Officer speziell wegen eines Zirkusunternehmens sogar in den angrenzenden Staaten West-Virginia und Ohio nachfragen. Aus dem Mund des Lieutenants, der im Stadthaus die Aktion koordinierte, hörte er ein paar grimmige Bemerkungen. Sie kümmerten ihn nicht. Wenn der Lieutenant die neue Aktion richtig ankurbelte, durfte er dafür sogar pampig werden. Es war schon weit nach Mitternacht, als endlich die angeforderten Hunde eintrafen. Irgendwie hatten etliche Zeitungsleute etwas spitzgekriegt. Nun lauerten sie wie die Aasgeier auf eine Sensation, und obendrein versuchten sie, in das Haus von Sam Forrest einzudringen. Von der Straßenfront her. Der Officer ließ sie hinauswerfen und stellte einen Polizisten vor die Tür. Der Mann erzählte ihnen dann, was sie wissen wollten. Sie gaben sich mächtig enttäuscht. Es war nichts mit dem großen Knüller. Kein Mord. Ein Unfall aller Voraussicht nach. Jemand hatte seinen Haustiger losgelassen, und das Biest hatte
sich ein Opfer geschnappt. Das gab gerade eine Meldung für die Morgenausgabe. Während die Zeitungsleute noch den Polizisten vor der Haustür bedrängten, setzte der Großwildjäger die drei Suchhunde auf die Tigerfährte, und zwar in umgekehrter Richtung. Er wollte wissen, woher der gefährliche Räuber gekommen und wie er in die Gärten gelangt war. Der Officer dachte zwar, daß das die nebensächlichste Sache auf der Welt war, weil er aber die Dienste des verhutzelten Burschen benötigte, machte er eine ausdruckslose Miene und hielt den Mund. Lange jedoch nicht, denn dann klappte er ihn auf und schloß ihn auch so rasch nicht wieder. Die Hunde zerrten nämlich ihre Führer erst einmal zu dem Baum, der so erbarmungswürdig zugerichtet war. Dann zu der Leiche, und dann am Zaun entlang zu Forrests Garage. Dort jaulten und winselten sie zum flachen Dach hinauf. Zunächst einmal war klar, daß der Tiger über die Garage gekommen war. Starke Handlampen mußten her. Die Stelle wurde gefunden, wo der Tiger herabgesprungen war. Damit stand fest, er war von der Straße gekommen. Der Tigerexperte ließ die Hunde vor das Haus bringen. Sofort gingen die Zeitungsleute mit Notizblock oder Kamera und Blitzgerät in Position. Und dann ergab sich die erste Ungereimtheit. Die Suchhunde konnten nämlich nur fünfzehn Schritte weit die Tigerfährte durch Forrests Vorgarten verfolgen. Dann endete sie wie abgeschnitten. Jaulend irrten die Hunde herum. »Was bedeutet das?« fragte der Officer. Ratlos hob der Großwildjäger die Achseln. »Ich weiß es noch nicht, aber bestimmt nichts Gutes«, meinte er. Er ließ mit den starken Handlampen leuchten. Wo die
Tigerfährte endete, setzte sich eine Schuhfährte von einem Menschen zur Straße hin fort. Bald fünf Minuten starrte der verhutzelte Mann auf die unglaubliche Bescherung. Dann erläuterte er dem Officer: »Jemand ist von der Straße gekommen, und wenn’s nicht ganz und gar ausgeschlossen wäre, würde ich sagen, er hat den Tiger getragen und hier abgesetzt. Das ist natürlich Unsinn. Niemand kann ein vier Zentner schweres Biest tragen.« Das war genau der Augenblick, in dem der Officer den Mund aufsperrte. Und es kam noch schlimmer. Der Experte fuhr nämlich fort: »Ich verstehe bloß nicht, was aus dem Mann geworden ist. Seine Fährte führt nicht zurück. Er ist nicht über den Rasen zur Straße zurückgekehrt, und eine andere Möglichkeit hatte er doch bei Gott nicht. Kommt mir vor, als hätte er sich glattweg in Luft aufgelöst.« Einer der Hundeführer sagte gereizt: »Er wird auf die Platten getreten sein.« Dabei wies er nach rechts. Die Platten waren mehr als zehn Schritte entfernt. »Da muß er aber einen Mordssprung gemacht haben«, zweifelte denn auch der Großwildjäger. »Hier kommen wir nicht weiter. Sehen wir mal zu, ob wir den Tiger aufspüren. Vom Garten aus hat er sich ja schließlich irgendwohin verdrückt.« Das komplette Suchkommando wälzte sich durchs Haus zurück in den Garten und nahm dort wieder die Fährte auf. Das war gar nicht so einfach, weil sich immer mehr Nachbarn eingefunden hatten und argwöhnisch dem Treiben der Polizei beiwohnten. Wenn es überhaupt eine fortführende Fährte gab, mußte sie unter den Schuhen beträchtlich gelitten haben. Die Hunde zerrten nach dem sechsten Anlauf ihre Führer auf eine Gruppe von Neugierigen zu. Erschreckt oder betroffen, je nach Einstellung, wichen die Leute beiseite. Dahinter war die nicht zertretene Tigerfährte in ihrer ganzen
gefährlichen Pracht zu sehen. »Ein bemerkenswertes Exemplar, wirklich!« meinte der Experte. »Mehr als vier Zentner schwer. – Sehen Sie, Officer, wie tief die Tatzen eingesunken sind?« Der Officer sah es. Die Fährte führte mitten durch ein frisch geharktes Beet. Ein Mann von der Spurensicherung spannte eine Kordel um das Beet und schrie nach Gips, damit er die Abdrücke ausgießen konnte. Es war erkennbar, daß der Tiger die Gärten in Richtung der Parallelstraße verlassen hatte. Wenn er nicht noch unter einem Busch steckte. Vorsorglich ließ der Großwildjäger Pistolen bereithalten. Das waren großkalibrige Waffen, die auf kurze Distanz eine verheerende Wirkung anrichteten. Sämtliche Beteiligten erlitten einen mittleren Schock, als sie sahen, daß die Tigerfährte mitten in einem langen Beet endete und von dort ab die Schuhabdrücke eines Menschen weiterführten. Genau auf die Ecke eines Anbaues zu. Bei näherem Nachforschen zeigte sich, daß dort ein schmaler Durchlaß zwischen Anbau und Zaun bestand. Wer oder was immer hier gegangen war, es hatte zwanzig Schritte weiter mühelos die Straße erreicht. »Ich glaube, ich spinne!« fürchtete ein Hundeführer. Der Großwildjäger ließ die Hunde auch vor dem Haus suchen, aber sie fanden nichts mehr. Dem Officer brach der kalte Schweiß aus, als er die Konsequenzen der ungeheuerlichen Entdeckung bedachte und ihm die Unmöglichkeit aufging, seinen Vorgesetzten zu erklären, daß ein Mann mit einem Tiger das gräßliche Ende von Sam Forrest verursacht hatte. Daß er die Bestie vielleicht doch getragen hatte. Nur eines war sicher – es sah verteufelt nach Mord und nicht nach einem Unfall aus. Wo die Fährte wechselte, stierte er auf die Abdrücke der
Tatzen und der Schuhe. Hilfesuchend wandte er sich an den Tigerexperten. »Gibt es das, daß ein Tiger sich Schuhe anziehen läßt?« Dem Großwildjäger war die Sache längst unheimlich. »Nie davon gehört, und ich kann’s mir auch nicht vorstellen. – Es trifft auch nicht den Sachverhalt, Officer. Egal, was Sie über die Sache sagen werden. Hier ist der Tiger gegangen – die Abstände stimmen. Und hier plötzlich ein Mensch. Und zwar liegen die Abdrücke in den Abständen, wie ein Mensch die Füße zu setzen pflegt, wenn er’s nicht gerade eilig hat. Haut also nicht hin mit Ihrer Theorie, dem Tiger hätte man Schuhe übergestreift. Dann hätte er trotzdem seinen alten raumgreifenden Schleichschritt gemacht. Und davon sehe ich verdammt nichts.« Er wandte den Kopf, als hätte er mit einem Schlag Angst. Und die nicht zu knapp. Der Officer stand vor einem Rätsel. So langsam dämmerte ihm, daß er einen Fall in der Hand hatte, bei dem er den Verstand verlor, wenn er nicht höllisch aufpaßte. *** Ziemlich genau zehn Stunden später schlug der Lieutenant, der in der Nacht die Anfragen bei den Zoos, Tiergärten und privaten Raubtiergehegen und die Arbeit der Mordkommission im Fall Sam Forrest koordiniert hatte, wütend auf den Tisch. Er hatte drei Einsatzleiter bei sich versammelt. Eine scharfe Nachlese hatte unwiderruflich erbracht, daß nirgendwo ein Tiger ausgerissen war. Auch keine andere Raubkatze, die groß genug war, einen Menschen umzubringen. »Wie stellen Sie sich das eigentlich vor?« pfiff er seine Untergebenen an. »In unserer Stadt lebt ein Irrer, der sich einen Tiger hält und die Bestie auf unschuldige Bürger losläßt, und Sie kommen daher und erklären mir, der wahnsinnige Knilch
lasse sich nicht finden! Ich nehme das einfach nicht zur Kenntnis, haben Sie mich verstanden? Schaffen Sie mir den Kerl her!« Cobbler hatte die Mordkommission geleitet. Wie es aussah, blieb der Fall Forrest bis auf weiteres an ihm und seinen Leuten hängen. Er fingerte eine Zigarette aus der Packung, gab sich Feuer und blies seinem Lieutenant ziemlich respektlos den Rauch unter die Nase. Aber der war so wütend, daß er das gar nicht zur Kenntnis nahm. »Sie verlangen mit anderen Worten ein Wunder, Sir«, meinte Cobbler unterkühlt. »Sie wünschen einen Kerl auf dem Tablett serviert, den es gar nicht gibt! Ich fürchte, Sie haben den Bericht nicht genau gelesen.« »Und ob ich das habe!« giftete der Lieutenant. »Schlechte Ermittlungsarbeit, Cobbler!« Die Handbewegung, die seine vernichtende Kritik begleitete, deutete an, daß sich Cobbler demnächst wohl wieder als Polizist auf Fußstreife betätigen konnte. Die beiden anderen Einsatzleiter ahnten, daß ihnen ein ähnliches Schicksal drohte. Aufsässig sagte einer: »Wozu machen wir überhaupt unsere Arbeit, wenn Sie dann tun, als sei sie weniger als Dreck wert?« Natürlich zog er die ganze miese Laune des Lieutenants auf sich. »Was bei den ganzen Ermittlungen herausgekommen ist, sind Hirngespinste!« entschied der Vorgesetzte. »Und Ihre Abteilung, Finch, macht darin keine Ausnahme. Alle Karteien stehen Ihnen zur Verfügung. Warum finden Sie diesen Wahnsinnigen nicht?« »Er ist nicht in den Karteien drin, ganz einfach«, gab Finch zurück. »Im Gegensatz zu Ihnen müssen wir uns an der Wirklichkeit orientieren. Für hübsche Gedankenspielchen und
anderen theoretischen Kram fehlt uns vielleicht das Gespür. Na ja, dafür haben wir ja Sie.« Das war offene Rebellion! Der Lieutenant guckte, als wollte er Finch wie einen toten Käfer mit der Stecknadel aufspießen und seiner Sammlung einverleiben. Und genau in diesem Moment sah er Cobbler hämisch grinsen. Der hatte es gerade nötig! Die Galle kam dem Lieutenant hoch. Die Mordkommission hatte jede Menge Überstunden produziert und Kosten verursacht, und er mußte vor dem Rechnungsausschuß der Stadt für diese Kosten geradestehen. Wenn er nicht den Täter oder wenigstens einen Verdächtigen vorzeigen konnte, gab es wegen dieser Kosten gehörigen Stunk. Wie immer, wenn die Polizei vermeintlich zu kostspielig arbeitete. Allein schon der Gedanke an den Ausschuß genügte, um seinen Magen Ecken bekommen zu lassen. Diese Officer hatten ja keine Ahnung, womit er sich herumschlagen mußte. Er faßte den grinsenden Cobbler ins Auge. »So lustig wie Sie finde ich den Schwachsinn nicht, den Sie in Ihr Protokoll geschrieben haben. Nehmen wir doch die Sache mit der Spur. Entweder ist da ein Mensch in die Gärten eingedrungen, oder es war ein Tiger. Erzählen Sie mir aber nicht, mal sei es eine Tigerbestie und mal ein Mensch gewesen.« Er griff sich ziemlich theatralisch an den Kopf. »Das hält mein Verstand nicht aus.« Unbeeindruckt meinte Cobbler: »Das sagen aber die Spuren, und zwar einwandfrei. Meine Leute haben nur die Tatsachen festgehalten. Daß dabei eine geheimnisvolle und ziemlich unglaubwürdige Geschichte herauskommt, ist nicht ihre Schuld. Wir sind dazu da, um Mordfälle aufzuklären. Für das Lösen von Rätseln sind wir nicht zuständig.« Und Finch fügte kühl hinzu: »Ob’s Ihnen gefällt oder nicht, Sir, ich kann keinen Verdächtigen aus dem Ärmel schütteln.
Wir haben alle Burschen knochenhart überprüft, die wir jemals wegen Mordversuchs oder Mordes am Kragen hatten. Einige brummen noch, andere sind draußen und führen sich gut, und alle haben so gut wie ein wasserdichtes Alibi. Fehlanzeige auf der ganzen Linie.« Der jammervolle Seufzer des Lieutenants drückte aus, was er von Finchs Abteilung hielt. Weil er Finch und Cobbler nicht beikommen konnte, nicht im Augenblick jedenfalls, knöpfte er sich den dritten Mann vor. »Und Sie haben natürlich auch keine neuen Erkenntnisse gewonnen, Chandler, was?« Zur allseitigen Verblüffung sagte der Mann: »Wie man’s nimmt, Sir. Kommt ja nicht alle Tage vor, daß sich die Gerichtsmedizin mit einem herausgerissenen Herzen herumschlagen muß. Ich habe heute früh das Zentralregister von Pennsylvania abgefragt und der Korrektheit wegen Anfragen an die Nachbarstaaten gerichtet.« »Und? Zum Teufel, machen Sie es nicht so spannend!« Chandler war mehr Wissenschaftler. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen schlug er eine dünne Akte auf. Bogen wurden sichtbar, wie sie der Zentralcomputer ausspuckte. »Vor zehn Tagen hatten sie in Ohio so einen Fall, wo einer jungen Frau das Herz herausgerissen wurde. In Indiana gab’s ebenfalls einen Fall. Da war das Opfer ein Rechtsanwalt. Und in Illinois waren es zwei Frauen. Die Spur zieht sich wie ein roter Faden aus dem Mittelwesten zu uns.« Cobbler, Finch und der Lieutenant beugten sich vor. Die Gesichter drückten die übergroße Anspannung aus. »Aber nicht einen Hinweis auf einen Tiger oder sonst etwas. Es gibt auch keine Augenzeugen. Die Kollegen stehen vor einem Rätsel.« Chandler blätterte um. »Die Überlegung ist ins Spiel gebracht worden, es könnte sich um die Taten religiöser
Spinner handeln wie damals in Kalifornien, als Sharon Tate und die anderen so bestialisch umgebracht wurden.« Er ließ seine Worten wirken. Der Lieutenant zupfte aufgeregt am Ohrläppchen. »Das fehlte uns noch«, meinte er dann dumpf. »Gibt es irgendeine Tatsache, die diese Überlegung stützt?« »Keine, Sir«, bekannte Chandler. »Das ist verdammt wenig. Aber schön, verfolgen Sie diese Möglichkeit. Schicken Sie Ihre Leute raus, spitzen Sie Ihre Verbindungsmänner an, arbeiten Sie mit dem Drogendezernat und mit der Abteilung für verbotenes Glücksspiel und illegale Prostitution zusammen, hören Sie herum, ob eine Sekte in der Stadt ist oder bis vergangene Nacht war, die durch Illinois und Indiana und Ohio gekommen ist. Da. ziehen doch immer wieder solche Gruppen herum. Quetschen Sie die Leute aus.« Der Lieutenant entwickelte Aktivität und eine Menge Gedanken. »Und denken Sie daran, daß wir es auch mit einem Zirkus zu schaffen haben könnten. Verfolgen Sie auch da alle Spuren.« Finch nickte und machte ein Gesicht, als sei das alles ein Klacks. »Wir werden jedem Fremden so kräftig auf den Schlips treten, bis er ganz fest daran glaubt, daß die Polizei von Pittsburgh der unfreundlichste Verein in den ganzen Staaten ist, Sir.« Der Lieutenant guckte argwöhnisch. Er witterte Hohn. Aber Finch machte ein kreuzbraves Gesicht, und auch Cobbler und Chandler schauten, als hätten sie noch nie ein Wässerchen trüben können. Soviel Harmlosigkeit auf einem Haufen zerstreute allen Verdacht, die drei könnten sich auf seine Kosten lustig machen. Drei Stunden nach dieser Zusammenkunft flatterte dem Lieutenant ein erstes mageres Ergebnis auf den Tisch.
Eine Sektierergruppe, die sich für irgendeine indische Heilslehre stark machte, war zum Zeitpunkt des zweifachen Mordes in Illinois gewesen. Auch anschließend in Ohio, als die junge Frau umgebracht wurde. Und sie war hier in Pittsburgh aufgefallen. Weil sie nämlich Streit mit Polizisten bekommen hatte und mit Geschäftsinhabern und Passanten. Die Sektenmitglieder hatten in ziemlich dreister Art und Weise jeden um Almosen angeschnorrt, der ihnen in den Weg kam. Und da hatten sie den Bogen überspannt, und die in religiösen Fragen sonst sehr tolerante Polizei hatte einschreiten müssen. Aber die Leute hatten gestern um die Mittagszeit in drei fast schrottreifen Bussen die Stadt verlassen und bewegten sich auf Altoona zu. Das war überprüft. Sam Forrest war erst ungefähr zwölf Stunden später auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Die Stadt in Indiana, wo der Rechtsanwalt mit herausgerissenem Herzen aufgefunden worden war, hatten die Leute überhaupt nicht betreten. Außerdem predigten sie Gewaltlosigkeit und faselten von ewigem Frieden. All das paßte nicht recht zusammen, befand der Lieutenant. Er wollte jedoch nichts versäumen und schickte ein Fernschreiben nach Altoona, damit man die Leute dort verhörte. *** Die Zeitungen von Pittsburgh brachten den Mordfall Forrest zunächst als Meldung. Dann begann ein Blatt, die schaurige Tragödie breitzuwalzen. Ein findiger Reporter hatte der Polizei Konkurrenz gemacht und auf eigene Faust ermittelt. Er war auf etliche Ungereimtheiten gestoßen.
Erstens war aus Forrests Haus nichts gestohlen worden, zweitens war der Mann alleinstehend, und drittens hatte niemand einen Nutzen von seinem Tod. Und Feinde hatte Forrest schon gar nicht gehabt. Mithin fehlte jegliches Motiv. Dann biß sich der Reporter an einer Tatsache fest, die die Polizei nicht dementieren konnte. Das war die Geschichte vom Vorhandensein zweier Spuren, die doch nur eine war. Recht grimmig richtete der Reporter die offene Frage an die Polizei, ob denn nun ein Mensch oder ein Tiger den bedauernswerten Mann umgebracht hätte. Oder möglicherweise beide. Der letzte Artikel war besonders bösartig, steigerte aber die Auflage des Blattes spürbar. Die Polizei war verschnupft. Dann stellten sich die Folgen ein. Plötzlich wollte fast jeder zehnte Bürger der Stadt nachts geheimnisvolle Schatten gesehen haben. Nicht eine Meldung hielt der ernsthaften Nachprüfung stand. Am Abend des Tages, als der bösartige Artikel erschien, ging es dann auch mit den blinden Alarmen los. Bis zwei Stunden vor Mitternacht zählte die Einsatzleitung achtzehn Anrufe von aufgeregten und sehr besorgten Bürgern. Überall wurde ein Tiger gesichtet. In einem Falle exakt zur selben Minute an vier verschiedenen Stellen der Stadt, die untereinander mehr als drei Meilen auseinander lagen. In der Einsatzzentrale wünschten sie, den Reporter zwischen die Finger zu kriegen. Aber es half nichts, sie mußten die Streifenwagen reihum schicken. In der Mehrzahl waren die vermeintlichen Tiger Hunde. Es wurden auch zwei Katzen verdächtigt. Drei Anrufer mußten den wütenden Polizisten gestehen, sich einen Jux erlaubt zu haben. Die ganze Aktion brachte ein paar Anzeigen gegen Bürger wegen Irreführung der Polizei ein und einen Waschbär, der
sich in die Stadt verirrt hatte und der aus einer vergitterten Kiste heraus verständnislos auf die ganze Aufregung blickte, die er ausgelöst hatte. Nach Mitternacht gab die Einsatzzentrale im Stadthaus jedem Anrufer, der eine Raubtiersichtung meldete, den hinterlistigen Ratschlag, die Bestie mit Zucker zu füttern und in einer halben Stunde wieder zu berichten, wie das Tier sich nun verhielt. Schlagartig ging die Zahl der Anrufe zurück. Es meldete sich auch niemand, der über den Erfolg oder Mißerfolg der Zuckerfütterung etwas sagen wollte. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Nachtbereitschaft der Polizei aufzuatmen begann, ging in der Nachtredaktion des Blattes, das dem Fall Forrest die Titelseite und eine ganze Artikelfolge widmete, ein Anruf ein. Ein Mr. Gulick meldete sich. Er sprach unheimlich aufgeregt, aber er machte präzise Angaben, buchstabierte seinen Namen und nannte seine Adresse und wollte dringend den Reporter sprechen, der seit Tagen der Polizei am Zeug flickte. »Hören Sie, Mister Gulick, es ist zwei Uhr in der Früh!« gab ein Nachtredakteur zu bedenken. »Mister Tidball schläft jetzt, was ja auch mal sein gutes Recht ist. Sie können gern eine Nachricht für ihn hinterlassen…« »Holen Sie ihn aus dem Bett!« sagte Mr. Gulick eigensinnig. »Egal, wie Sie das anstellen. Er soll herkommen.« »Sie meinen jetzt? Sofort?« Der Nachtredakteur fürchtete, daß Gulick nicht irgendein Freund von Zachary Tidball war, sondern ein elender Spinner. »Auf der Stelle – wenn er die Story seines Lebens haben will«, versetzte Ed Gulick. Er sprach keuchend. Etwas schien ihn in große Aufregung zu versetzen. »Machen Sie ‘ne Andeutung!« lockte der Nachtredakteur. »Schließlich muß ich Tidball ja was sagen können, wenn ich ihn schon aus dem Bett hole.«
Ed Gulick zögerte merklich. Aber dann kam er doch damit heraus: »Sagen Sie ihm, der Tiger ist da, und er sei auf der richtigen Spur.« »Soso, der Tiger!« machte der Redakteur. »Ist er bei Ihnen?« »Reden Sie kein Blech!« fauchte Gulick. »Ich weiß selber, wie blödsinnig es klingt, wenn weit nach Mitternacht ‘n wildfremder Mensch anruft und behauptet, gerade spaziere ein Elefant oder ein Krokodil oder ein Tiger durch seinen Garten. Der Tiger, den ich sehe, klettert gegenüber auf dem Schrägdach vom Anbau meines Nachbarn herum, und dazwischen liegt die Lebanon Road in ihrer ganzen Breite.« »Na, vielleicht ist der Tiger mondsüchtig!« vermutete der Redakteur; der Spott troff aus seinen Worten. »Verständigen Sie besser die Polizei!« »Das ist nichts für die Polizei«, beharrte Gulick. »Mister Tidball soll sofort zu mir kommen, und er hat die Story seines Lebens! Mann, ich weiß, was ich sage!« Dem Redakteur kam der Anruf immer noch ohne Hand und Fuß vor. Andererseits hatte Tidball die unmöglichsten Bekannten und Freunde und Zuträger, und er wollte dem Reporter nichts vermasseln. »Ich sehe zu, daß ich ihn wachkriege, Mann, aber versprechen kann ich wirklich nichts.« »Er soll sich beeilen!« verlangte Gulick noch einmal und legte auf. Der Redakteur blickte auf die Notizen, die er sich während des Gesprächs gemacht hatte. Der Anrufer wohnte in West Mifflin; das war eine Vorstadt von Pittsburgh. Ganz unten im Süden. In der großen Schleife vom Monongahela River. Zachary Tidball würde seine helle Freude haben! Vielleicht wünschte er ihn auch in die Hölle, Wenn er ihn wegen eines angeblichen Tigers auf einem Dach aus dem Bett klingelte.
*** Ed Gulick trat wieder ans Fenster und griff nach dem Fernglas, das er bereitgelegt hatte. Den Tiger hatte er ganz zufällig entdeckt. Als er vor dem Zubettgehen aus alter Gewohnheit noch einmal auf die Straße geblickt hatte. Es war üblich, daß er erst um diese Zeit zur Ruhe ging. Er war alt, und alte Menschen brauchten nur ganz wenig Schlaf. Oder war es doch kein Zufall? Er fühlte sich fast in die alten Zeiten zurückversetzt, von denen er geglaubt hatte, sie seien im Dunst der Vergangenheit verblaßt. Einst hatte er einen großen Namen gehabt. Kaido, der Hellseher. Zwei Jahrzehnte lang war er durch die Weltgeschichte gereist und hatte seine Zuschauer und Zuhörer verblüfft. Er hatte nur ganz wenige Tricks eingesetzt, der Rest war seine natürliche Begabung gewesen, Dinge mitzuerleben oder zu begreifen, die sich zur selben Zeit viele Meilen entfernt abspielten. Insofern waren die Ankündigungen auf seinen Plakaten natürlich Schwindel, er könnte in die Zukunft sehen. Möglich, daß es Menschen gab, die es konnten. Er hatte diese Begabung nicht. Aber eine andere. Er erlebte Dinge mit, die ihn nichts angingen. Er hatte sehr darunter gelitten. Dann war seine Frau in das Flugzeug gestiegen, das ein Verrückter mit einer Bombe sprengte. Um eine Lebensversicherungssumme zu kassieren. Wäre er wirklich ein Hellseher gewesen, hätte er Ann zurückgehalten. Aber das war er nicht. Er hatte nur ganz plötzlich den
Absturz miterlebt. In höchster Todesangst hatten ihn Anns Gedanken erreicht, und da hatte er den Kontakt und erlebte die grauenvollen Szenen bis zum Aufprall auf der Erde mit. Nach dem Unglück sagte er seine Tournee ab und trat nie wieder als Kaido, der Hellseher, auf. Die schreckliche Begabung aber blieb ihm. Und darum hatte er wohl den Blick gehoben, als er auf die Straße geschaut hatte. Sonst, das wußte er genau, spähte er nie zu den Dächern der Häuser gegenüber. Heute hatte er es getan. Gerade, als hätte ihn dazu etwas aufgefordert. Er setzte das Glas an die Augen und suchte den Tiger, von dem so viel und so vage geschrieben wurde. Das Fernglas taugte nicht für die Nacht. Ed Gulick stellte es aufs Fensterbrett und strengte seine alten Augen an. Da – die Bestie war noch da. Sie streckte sich auf dem Schrägdach, als hätte sie gerade ein Mittagsschläfchen gehalten und sei noch unentschlossen. Besonders gut sah Ed Gulick das Vieh nicht, er bildete sich aber ein, daß die gewaltige Raubkatze den Kopf wandte und genau zu ihm herüberschaute. Ed Gulick spürte einen solchen Anprall von Gier, Hunger und Blutdurst, daß er entsetzt vom Fenster zurücktrat. Es nützte nur nichts. Die bösen Gedanken erreichten ihn auch in der Tiefe des dunklen Zimmers. Dann entstand durch die gedanklichen Einflüsse des Tigers wieder das Bild in seinem Kopf, das ihn veranlaßt hatte, den Reporter der Zeitung anzurufen. Ein Mädchen! Es lag schlummernd in einem Bett. Es mochte zwanzig Jahre alt sein. Jetzt bewegte es sich unruhig, als würde es durch schwere Träume behelligt. Ein dunkelhaariges Mädchen. Es hatte markante Gesichtszüge.
Wo sich das Zimmer befand, das wußte Ed Gulick nicht. Aber er hatte eine schwache Ahnung. Drüben auf der anderen Straßenseite wohnten mehrere Familien, die von Hawaii gekommen waren. Es mußte drüben in dem Haus sein, auf dessen Schrägdach der Tiger zu schleichen begann. Elegant, aber gefährlich. Eine Todesmaschine. Ed Gulick wunderte sich nicht darüber, weshalb er das Mädchen sehen konnte. In dem Zimmer brannte garantiert kein Licht. Aber er sah es. Das heißt, das Bild entstand in seinem Kopf. Es war seine unselige Begabung, an Geschehnissen teilhaben zu müssen, von denen er lieber gar nichts wissen wollte. Das Mädchen warf sich herum. Als könnte es das nahende Verhängnis spüren. Ed Gulick zwang das Bild aus seinem Kopf und konzentrierte sich gedanklich auf den Tiger. Mit der Bestie war etwas, und es war nicht normal. Er war froh, bei der Zeitung angerufen zu haben. Hoffentlich kam dieser Zachary Tidball bald. Der Bursche schrieb zwar schwungvoll, im Leben schien er aber recht lahm zu sein. Gulick verlor den direkten Blickkontakt zu der Raubkatze. Sie war auf dem Dach in einen ganz finsteren Schatten geraten. Er wartete darauf, daß sie wieder zum Vorschein kam. Den Gefallen tat sie ihm jedoch nicht. Er versuchte jetzt, gedanklichen Kontakt herzustellen. Das klappte. Der Tiger schlich geschmeidig auf ein Fenster zu, zu dem das Schrägdach hinaufführte. Er verharrte. Gerade, als lausche er. Dann hob er die linke Tatze und streckte sie nach dem geschlossenen Fenster aus. Aus der Tatze wurde im selben Augenblick eine
menschliche Hand, extrem stark behaart und auch nicht sehr groß. Die Hand faßte geschickt den Außengriff des Fensters und schob es ganz in die Höhe. Ein Windzug ließ eine Gardine aus der dunklen Öffnung wehen. Der Tiger verharrte, die Hand verwandelte sich zurück. Dann glitt der mächtige Tigerleib in das dunkle Zimmer. Die Erkenntnis traf Ed Gulick wie ein jäher Blitzstrahl. Es war das Zimmer mit dem schlafenden Mädchen! Er ächzte unter dem Ansturm entsetzlicher Eindrücke. Gier und Haß und Hunger nach Leben quälten sein Gehirn. Dann peitschte die unvorstellbare Angst eines Menschen hinein und ließ ihn taumeln. Und dann spürte Ed Gulick gar nichts mehr. Aber er wußte, daß der Tiger sich ein Opfer geholt hatte. Dort drüben in dem Haus. Ein Mädchen, das mit seiner Familie aus Hawaii gekommen war. Nach einer Weile stolperte er zum Fenster und blickte hinaus, als sähe er diese nächtliche Straße zum ersten Mal in seinem Leben. Drüben waren alle Fenster dunkel. Niemand war wach geworden. Auf dem Dach rührte sich nichts. Ed Gulick konnte den Tiger nicht aufspüren. Es gelang ihm nicht, Kontakt herzustellen. Er schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Er war aus der Übung. Mit allen Sinnen lauschte er. Nichts. Es kamen keine Strömungen bei ihm an. Als er die Augen öffnete, sah er drüben auf dem Gehweg einen Mann stehen, der über die ganze breite Straße genau auf sein matt erhelltes Fenster starrte. Er bewegte sich nicht, er stand nur da. Wie eine böse, unheimliche Drohung. Ed Gulick empfand mit einem Schlag eine nie gekannte Angst.
Das war nicht Zachary Tidball, der Reporter. Das war das Böse. Das Grauen. Das Verderben. Der Mann setzte sich in Bewegung und kam über die Straße. Genau auf das Haus zu. Ed Gulick verfolgte die geschmeidigen Bewegungen. Genauso schleichend und gleitend hatte sich der Tiger auf dem Dach drüben bewegt. Gulick spürte etwas, und im nächsten Moment zuckte er zusammen, als hätte ihm jemand einen Stahlnagel ins Gehirn getrieben. Der Mann da unten kam zu ihm! Es war zwecklos, fortzulaufen. Er war zu alt. Und der Fremde war schon vor der Tür drunten. Ed Gulick seufzte. Dann setzte er sich hinter den Schreibtisch und warf mit fliegender Hand Zeile um Zeile auf einen Briefbogen. Jedes Wort war eine wichtige Information. Er zog einen Umschlag aus der Schreibmappe, blätterte in einem kleinen Kalender nach einer Adresse und schrieb sie auf das Kuvert. Gerade hatte er den Briefbogen gefaltet und in den Umschlag geschoben, als er Geräusche vor der Wohnungstür hörte. Rasch leckte er den Klebefalz an und pappte das Kuvert zu. Dann legte er eine entwertete Eintrittskarte in den Kalender. »Die Tür ist auf«, sagte er mit gefaßter Stimme. »Ich schließe nie ab.« Der Türknopf drehte sich, langsam schwang die Tür nach innen. Auf dem Flur brannte die Beleuchtung, hier im Wohnzimmer war nur eine Stehlampe eingeschaltet. Ihr gedämpftes Licht reichte nicht einmal in die Zimmerecken. Ein hoher dunkler Schatten fiel ins Zimmer. Dann wurde der Schatten kleiner, streckte sich, bis er überhaupt nicht mehr zu sehen war. Und dann glitt der Tiger um die Türkante und starrte aus grünlich phosphoreszierenden
Augen auf den alten Mann hinter dem Schreibtisch. Ed Gulick schob den Brief an den rechten Rand der Schreibplatte. Er nickte, er hatte es sich genau so gedacht, und er hatte es so niedergeschrieben. Hoffentlich fand man den Brief und kümmerte sich darum, daß er seinen Empfänger erreichte. Für ihn war nichts mehr zu tun. Seine Zeit war abgelaufen. Er bedauerte es nicht. Er hatte sein Leben gelebt. Als er den Tiger springen sah, dachte er an Ann und daß er nun bald bei ihr war. Kein Laut kam über seine Lippen, als ihm ein fürchterlicher Tatzenschlag die Rippen zertrümmerte und die Brust aufriß. *** »Hier ist es«, sagte der Nachtredakteur und deutete auf das Hans. »Die Nummer stimmt jedenfalls. In dem Punkt hat der Knabe nicht gesponnen.« »Das will alles noch nichts besagen«, knurrte Zachary Tidball. »Von einem Tiger kann ich nichts sehen. Du etwa?« Er war sauer. Erst hatten sie ihn aus dem Bett geklingelt, und dann hatte sein Chef bestimmt, er müßte los, die Sache sei vielleicht wichtig. Alles, was mit einem Tiger zusammenhing, sei von Bedeutung. Na ja, Tidball hatte vor Mitternacht gehörig einen zur Brust genommen. Es konnten auch zwei oder drei mehr gewesen sein. Jedenfalls hatte er sich für fahruntüchtig erklärt. Aber sein Chef war ein findiger Mann. Der hatte einfach den Nachtredakteur zum Fahrer für Tidball umfunktioniert. Unterwegs hatten die beiden überlegt, ob sie den Namen Gulick kennen mußten. Tidball meinte, ihn mal gehört zu haben. Es war aber schon sehr lange her. Noch vor dem Beginn seiner Reporterlaufbahn. Dem Nachtredakteur fiel zu dem Namen gar nichts ein.
»Oben brennt Licht«, brummte Tidball. »Könnte der Bursche sein. Also, ich geh mal rauf, und du wartest, klar?« »Ja doch, ich bin deine Amme!« spottete der Redakteur und sah Zachary Tidball über den Gehweg zum Haus schwanken. Ein paar Autos rauschten stadtauswärts. Eine Hupe dröhnte unverschämt laut. Tidball erreichte die Haustür. Der Redakteur sah ihn im Haus verschwinden und die Beleuchtung im Treppenhaus angehen. Es wunderte ihn, daß man hier nicht abschloß. Aber vielleicht hatte Gulick die Tür aufgesperrt. Er schien mit dem Kommen des Reporters fest gerechnet zu haben. Achselzuckend lehnte sich der Redakteur zurück. Was ging’s ihn an? Es war ja nicht sein Haus. Das Licht im Treppenhaus erlosch. Die Zeit verstrich. Er bereute schon, nicht mit hinaufgegangen zu sein. Allein im Wagen war’s stinklangweilig, und die örtlichen Radiostationen hatten auch nichts drauf, was einen müden Mann munter machte. Plötzlich nahm er eine Bewegung wahr. Ein Mann verließ das Haus. Er schaute nur ganz kurz her und ging in entgegengesetzter Richtung davon. Seltsam, dachte der Redakteur, wie der geht! Als hätten sie ihm die Waden und die Kniekehlen geklaut! Dann fiel ihm auf, daß überhaupt nicht die Treppenhausbeleuchtung angegangen war. Der Mann war im Dunkeln aus dem Haus getreten. Na ja, vielleicht wohnte er schon eine halbe Ewigkeit hier und kannte sich so gut aus, daß er auf Licht verzichten konnte. Aus dem Süden kamen Wagen herauf. Zwei Trucker machten stadteinwärts eine Wettfahrt. Der Redakteur sah in der Ferne den Mann mit dem seltsam schlenkernd-schleichenden Gang verschwinden.
Er blickte auf die Uhr. Es ging auf drei in der Frühe zu. Nach einiger Zeit wurde er ungeduldig. Er konnte sich nicht vorstellen, daß dieser Mister Gulick derart gesprächig war, daß er Tidball festnageln konnte. Und es war nicht Zachary Tidballs Art, länger als eine halbe Stunde irgendwo herumzuhängen. Der Redakteur gab ihm noch dreißig Minuten. Immer wieder schaute er auf die Uhr. Der Zeiger der Borduhr wollte nicht vorwärtsrücken. Noch nie waren ihm Minuten länger vorgekommen als jetzt. Von den zusätzlich zugebilligten dreißig Minuten waren gerade zwanzig um, als es ihn nicht länger hinter dem Lenkrad hielt. Er stieg aus. Durch die Nacht drang aus westlicher Richtung der dumpfe Lärm von einigen Trucks. Er schien von Pleasant Hills zu kommen, wo die Ausfallautobahn eine saftige Steigung hinanzog. Nervös stapfte er vor dem Haus herum und steckte sich eine Zigarette an. In der Redaktion war jetzt Feierabend, die Morgenausgabe wurde angedruckt, und die Kollegen gingen heim. Und er spielte hier den Chauffeur für Tidball und kam sich vor wie bestellt und nicht abgeholt. Er hob den Kopf und schaute an der Hausfront hinauf. Da oben brannte immer noch hinter einem Fenster das Schummerlicht. Mußte schon eine tolle Story sein, die Gulick auftischte. Oder der Mann war bloß ein Schwätzer und kam nicht zur Sache. Er rauchte die Zigarette auf, zertrat die Kippe unter dem Schuh und ging entschlossen auf die Haustür zu. Unter dem Druck seiner Hand ging sie auf. Er leuchtete mit der Feuerzeugflamme und knipste die Treppenhausbeleuchtung an. Er hatte erwartet, eines von diesen anonymen und etwas
heruntergekommenen Wohnhäusern zu betreten, weil das Haus von außen nicht gerade berückend aussah. Inwendig war es aber ganz gut in Schuß. Sogar ein hölzernes Treppengeländer mit kunstvollen Verzierungen war da, und auf den Stufen sah er einen weinroten Treppenläufer. Bloß einen Aufzug gab es nicht, nach dem hielt er vergeblich Ausschau. Dafür war an der linken Wand hinter dem Eingang eine ganze Sammlung von individuellen Briefkästen vorhanden. Ein Mieter- oder Eigentümerverzeichnis fehlte. Immerhin wohnte aber ein Ed Gulick im Haus. Er hatte einen Briefkasten. Außerdem stand auf dem kleinen Schild, daß er im zweiten Stockwerk seine Bleibe habe. Wenigstens etwas, dachte der Redakteur und stieg hinauf. Ed Gulick hatte seinen Namen in kleinen Messingbuchstaben an die Tür geschraubt. Gerade, als der Redakteur die Hand nach dem Klingelknopf ausstreckte, erlosch die Beleuchtung. Ganz finster wurde es aber nicht. Aus einem Türspalt sickerte schummriges Licht. Gulicks Wohnungstür war gar nicht richtig zu! Neugierig lauschte der Redakteur. Tidball hatte eine recht durchdringende Stimme, die hörte man sogar durch Wände. Er hörte aber nichts. Keinen Ton von Tidball und kein Wort von diesem Gulick. Eine unerklärliche Unruhe befiel ihn. War der Bursche, den er vor einer Weile hatte fortgehen sehen, Gulick gewesen? Hatte der mit Tidball wegen irgendeines spitzfindigen Artikels ein Hühnchen zu rupfen gehabt, hatte den Reporter ins Haus bestellt und ihm mächtig was auf die Birne gehauen? Seit er bei der Zeitung war, hielt er nichts mehr für ausgeschlossen.
Er schob sacht die Wohnungstür auf. Im Flur dahinter brannte zwar kein Licht, es sickerte aber genug Helligkeit aus einem Raum am Ende des Ganges links, dessen Tür fußbreit aufstand. Noch immer hörte er keinen Ton. Als dreister Eindringling wollte er sich nun auch nicht gerade betätigen. Er trat zwei Schritte zurück und schellte. Das Scheppern der Glocke empfand er überlaut und ließ ihn außerdem an Rost und Schrott und alles mögliche denken. Angenehm war der Ton jedenfalls nicht. Zum Teufel, jetzt mußte doch jemand kommen! Er erwartete, die Tür ganz hinten weit aufgehen zu sehen. Aber es passierte gar nichts. »Hallo? Hey, Mister Tidball? Mister Gulick?« Seine Stimme klang seltsam. Vielleicht lag es auch an den kahlen Flurwänden. Nichts dämpfte den Schall. Auf der Straße donnerte ein Truck vorbei und erzeugte leichte Erschütterungen. Die aufstehende Tür hinten bewegte sich nicht um eine Haaresbreite. Schritte waren auch nicht zu hören. Hockten die zwei auf den Ohren? Er tappte in den Flur. Plötzlich schnupperte er. Etwas eigentümlich roch es ja schon bei diesem Gulick. Fast wie im Zoo. Und dazwischen ein Hauch von Schlachthof. »He, Mister Gulick?« Er bekam keine Antwort. Das Schweigen hockte wie ein böses Tier in der Wohnung. Die Stille wurde beklemmend und unheimlich. Es lief auch kein Radio oder ein Bandgerät, das möglicherweise die Aufmerksamkeit von Tidball und Gulick voll und ganz in Anspruch nahm. Mit der Schuhspitze schob der Redakteur die Tür auf. Zachary Tidballs unverwechselbarer Hut lag auf dem Teppich im Zimmer. Mit der Öffnung nach oben.
Dann stieß die Tür an die Wand. Das schummrige Licht kam von einer Stehlampe in der Zimmerecke. Sie war die einzige eingeschaltete Lichtquelle. »He, wo sind Sie, Tidball? Sagen Sie doch et…« Die restlichen Worte blieben dem Redakteur im Halse stecken. Er sah zwei Hosenbeine und zwei Füße, die in Schuhen steckten, hinter einem Sofa hervorragen. Dort lag jemand. Er hatte sich Tidball nicht daraufhin angesehen, was er zu seiner seltsamen nächtlichen Verabredung angezogen hatte. Aber das Bild schien sich zu runden, daß der Reporter was auf den Schädel gekriegt hatte. Vielleicht war es besser, die Polizei zuzuziehen, bevor dieser Gulick über alle Berge war. Andererseits sah es im Raum nicht so aus, als hätte der Wohnungsinhaber in großer Hast seinen wertvollsten Besitz zusammengerafft. In kunstvollen Wandregalen und Vitrinen standen Silberpokale und Dinge, die einen beträchtlichen Wert darstellten. Er machte drei Schritte ins Zimmer, bemüht, nicht auf etwas zu treten, das vielleicht eine Spur abgab. Er stutzte. Seine Augen quollen vor, sein Gesicht nahm einen entsetzten und starren Ausdruck an. Auf dem Sofa war Blut. An der Armlehne, an der Rückenlehne und auch auf der Sitzfläche. Sogar auf dem Boden. Als sei ein blutiger Lappen oder etwas in der Art dort herumgezerrt worden. Er wagte sich nicht weiter ins Zimmer vor. Sein Blick irrte herum. Und da sah er noch zwei Beine. Sie ragten hinter dem Schreibtisch hervor. Dort lag noch ein Mensch! In einer Sekunde gingen ihm hundert verrückte Ideen durch den Kopf, was hier wieso passiert sein mochte. Hatten sich Tidball und Gulick in die Wolle gekriegt? Am besten, er rief einen Krankenwagen her. Oder
wenigstens mal einen Arzt, damit festgestellt wurde, wie groß der Schaden war. Das Telefon war vom Schreibtisch gestürzt. Der Redakteur bewegte sich mit äußerster Vorsicht, kam seitlich am Schreibtisch vorbei und wollte sich nach dem Telefon bücken. Er sah drei Dinge gleichzeitig – das zerbrochene Telefon am Boden, einen Brief, der unter dem umgefallenen Sessel hervorlugte, und einen alten Mann mit feinen Fingern und grauem Haar. Der Mann lag auf dem Rücken, und sein Brustkorb klaffte weit auf. Hemd und Jacke und der Bodenteppich waren voller Blut. Mit einem Schrei prallte der Redakteur zurück. Er war hartgesotten, das brachte sein Beruf mit sich. Aber dieser Anblick war so entsetzlich, daß ihm die Knie nachgaben. Er atmete krächzend und keuchend. Dieser Mann war tot. So tot wie jener Sam Forrest, dem man das Herz aus dem Leib gerissen hatte und um den Tidball seine haarsträubenden Artikel verfaßte. Um einen Tiger ging es dabei! Das war Schwachsinn in seiner reinsten Form! Aber die Leute lasen solchen Krampf! Der Redakteur kriegte allmählich wieder seinen Verstand zusammen. Er ließ das zerborstene Telefon, wo es war, und zog sich schrittweise zurück. Fast auf Zehenspitzen bewegte er sich in eine Position, die es ihm gestattete, hinter das Sofa zu blicken. Er ahnte das Entsetzliche, aber er wollte es sehen. Zachary Tidball lag am Boden. Die Arme waren zur Seite gesunken, sein Gesicht drückte namenloses Entsetzen aus. Sein Brustkorb war zerfetzt und klaffte weit und tief. Und sein Herz war herausgerissen. Das war zuviel. Mit einem grauenhaften Schrei wirbelte der
Redakteur herum und lief aus dem Zimmer und der Wohnung, als sei der Teufel selber hinter ihm her. Sein gellender Schrei bewirkte, daß es im Haus laut wurde. Er achtete nicht darauf. Er stürzte aus dem Haus, rannte an seinem Wagen vorbei und kam erst zur Besinnung, als er eine kümmerlich erleuchtete Telefonkabine an der Kreuzung Lebanon und Church Road sah. Da besann er sich darauf, was er zu tun hatte. Er hastete hinein und wählte mit schrecklich zitternder Hand den kostenlosen Notruf. In dem Moment, als er Verbindung mit der Polizei bekam, packten ihn zwei Männer, die ihm aus dem Haus nachgeeilt waren, derb am Kragen und zerrten ihn aus der Telefonkabine. Es dauerte Minuten, bis der verstörte Redakteur den Männern verständlich machen konnte, daß ein Mißverständnis vorlag und daß er bereits die Polizei herholen wollte. Der Hörer baumelte noch an der Schnur in der Kabine. Sie überzeugten sich, daß er nicht log. Ein geduldiger Sergeant sprach am anderen Ende der Verbindung. Der Redakteur mußte sich die Taschen abklopfen lassen. Offensichtlich hatte er nichts aus dem Haus und aus Gulicks Wohnung geraubt. Von den mißtrauischen Männern beobachtet, durfte er dem Sergeant sagen, was er vorgefunden hatte. »Fassen Sie bloß nichts an!« ermahnte ihn der Polizist. »Und halten Sie irgendwelche Leute von der Wohnung fern. Bleiben Sie dort, bis unsere Leute kommen. Ich schicke die Jungens gleich raus.« *** Es wäre doch noch fast zu einem Lynchmord gekommen. Der Redakteur bewachte nämlich den Zugang zu Gulicks Wohnung wie ein hungriger Wachhund, und das brachte die
Hausbewohner gegen ihn auf. Sie wollten als erste sehen und wissen, was bei Gulick los war. Der Redakteur kassierte ein paar Faustschläge, aber er war nicht untätig und zahlte mit gleicher Münze zurück. Uniformierte Polizisten befreiten ihn aus seiner immer prekärer werdenden Lage. Auf dem Fuß folgte die Mordkommission. Der Redakteur gab zu Protokoll, wie und was ihn so spät in der Nacht oder früh am Morgen zu Gulick geführt hatte. Sein Gedächtnis war trainiert. Bloß eine exakte Beschreibung des Mannes, der das Haus verlassen hatte, konnte er nicht geben. Dafür wies er nochmals auf den seltsam schleichenden Gang des Burschen hin. Ein Polizeiarzt trat zu dem Officer, der den Redakteur vernahm. Er winkte ab, als könne die Befragung abgebrochen werden. »Wie bei Forrest«, sagte er und zog die blutigen Gummihandschuhe von den Fingern. »Eindeutige Reißspuren von einem Raubtiergebiß. Schließt menschliche Mitwirkung völlig aus. Aber ich lasse die Leichen doch in die Gerichtsmedizin bringen. Wäre möglich, daß wir eine Speichelbestimmung machen können. Die brächte letzte Klarheit.« »Mensch, wo sollte denn hier ein Tiger herkommen? Und wie in diese Wohnung?« fauchte der Officer. Der Redakteur schaltete sich ein. »Sir, genau das habe ich Ihnen doch schon erklärt! Ich habe den Anruf von Mister Gulick entgegengenommen, und er sprach von einem Tiger. Er sei da, hat er gesagt!« Scheu deutete er auf den Toten hinter dem Schreibtisch. »Ist das Mister Gulick?« »Yeah«, knurrte der Officer. Es war Cobbler, und seine Stimmung hatte den absoluten Gefrierpunkt erreicht. Daß auch ausgerechnet diese Fälle an ihm und seiner Truppe hängen
blieben! Der Polizeiarzt verließ den Raum. Dafür kam ein anderer Mitarbeiter des Officers. Er schleppte ein Album und meinte: »Das finde ich aber reichlich seltsam, finde ich das! He, Boß, sieh mal her! Der Knabe scheint früher so ‘ne Art Berühmtheit gewesen zu sein. Lauter Bilder mit bekannten Leuten. Sogar eins mit Eisenhower im Weißen Haus. Und drüben sind ‘ne Menge Ordner mit Zeitungsausschnitten. Gulick hat Hellseherei oder was in der Art gemacht. Ich denke, ich kriege eins mit dem Hammer drauf, wie ich das Zeug alles sehe.« Der Mann hatte den Finger zwischen zwei Albumblättern und zeigte jetzt die Aufnahme. Der Redakteur konnte auch einen Blick darauf werfen. Gulick tauschte mit Ike Eisenhower einen Händedruck. Unter dem Foto stand in markanter Schrift: Ike and Kaido. »Ja, ja, ist ja schon gut«, meinte Cobbler. Seine Hand schnellte hoch. »Halt! Was ist das? Kaido?« Er überzeugte sich, dann winkte er einen Mann seiner Truppe heran. »He, wir haben doch einen Brief an einen gewissen Gordon Black gefunden, der offensichtlich von Gulicks Hand stammt, aber mit Kaido unterschrieben ist. – Ich denke, das ist jetzt klar. Gulick trat früher unter dem Künstlernamen Kaido auf. – Hm, was meinst du, Fenner, sollen wir den Brief an diesen Black abschicken? Gulick macht ja ein paar reichlich unverständliche Angaben. Das mit dem Tiger gegenüber habe ich aber schon kapiert.« »Schaden kann’s ja nichts«, meinte Fenner. »Und befördert werden muß der Brief so oder so. Gewissermaßen das letzte Vermächtnis von Gulick. Schreiben Sie diesem Black ein paar Zeilen dazu, das macht sich besser und besänftigt ihn vielleicht. Rechtsanwälte können ja ganz komische Heinis sein, wenn sie meinen, man sei ihnen nur ein ganz klein wenig auf den Schlips getreten.« Cobbler wedelte mit der Hand und brachte den Mann zum
Schweigen. »Kommen Sie mit diesem besagten Brief in der Frühe zu mir. Ich muß das mit dem Lieutenant besprechen, allein will ich nichts entscheiden.« Er wandte sich dem Redakteur zu. »So, Mister, und nun wieder zu uns. Machen wir weiter.« Daraus wurde nicht viel. Aus dem Treppenhaus erscholl Lärm. Es schien Streit zu geben. Dann tauchten zwei uniformierte Polizisten auf und hatten einen in Tränen aufgelösten Mann zwischen sich, der wie ein Philippino aussah. »Das ist Mister Kena«, sagte ein Polizist zu Cobbler. »Wohnt gegenüber. Über der Straße, meine ich. Als unsere Wagen hier anrauschten, ist die ganze Gegend wach geworden. Seine Familie und er auch. Bloß seine Tochter Moana nicht. Er wollte sie wecken. – Chief, halten Sie sich bloß fest! Der Tiger war auch drüben – oder was es immer ist! Ich habe mir das Mädchen angesehen! Ist genau wie bei Gulick und Tidball. Die Brust zertrümmert und aufgerissen, und das Herz ist heraus.« »Lieber Himmel!« murmelte Cobbler, und obschon bei seinen Leuten bekannt war, daß er kein frommer Mann war, glaubte ihm der Polizist dieses Stoßgebet. Drei Menschen, die ein geheimnisvoller Tiger in einer Nacht getötet hatte! Da konnte sogar ein Officer fromm werden. Oder überschnappen. »Okay, lassen Sie den Mann los. Nehmen Sie sich ‘n paar Leute und sichern Sie drüben den Tatort, bis wir hier fertig sind.« Er winkte den Polizisten zu sich nieder und fragte leise: »Sind das Philippinos?« »Hawaiianer, Chief«, gab der Polizist zurück und begann, seine Kollegen einzusammeln. »Okay, wo waren wir stehengeblieben, Mister? Also machen wir genau da weiter!« Cobbler klopfte sich eine Zigarette aus der Schachtel und schaute den Redakteur an, als
wollte er den für die entsetzlichen Ereignisse dieser Nacht verantwortlich machen. *** In der Anwaltskanzlei von Gordon Black in New York klapperte Hanako Kamara geschäftig mit dem Posteingangskorb. Sie war Gordons Sekretärin. Das in erster Linie. Sie war außerdem seine Freundin. Und sie war seine unersetzliche Mitarbeiterin, wenn er sich als Geisterjäger und Kriminalist für Übersinnliches und ähnliche Phänomene betätigte. Davon verstand sie mindestens soviel wie von den Anforderungen, die an sie als Sekretärin und Freundin gestellt wurden. Sie stammte aus Japan. Ihre Familie hatte eine lange Tradition im Bekämpfen von Dämonen und bösen Geistern. Und obschon es ebenfalls Tradition war, daß das geheime Wissen nur an die männlichen Zweige der Familie weitergegeben wurde, hatten die Frauen doch Kenntnis von vielen gelösten Rätseln. Da sie außerdem dazu herangezogen wurden, bestimmte Gegenstände herzustellen, die enorme kultische Bedeutung hatten, blieb es nicht aus, daß sich zu den Kenntnissen auch gewisse Fähigkeiten gesellten. Als Gordon Black Hanako kennengelernt hatte, war er verblüfft über den höhen Stand ihres Wissens über die Weiße Magie und die gefährliche Schwarze Magie und insbesondere über ihr Können. Sie beherrschte Beschwörungsriten, an die er nicht einmal zu denken wagte. Zu erlernen waren die auch nicht. Nicht von einem, dem die fernöstliche Geister- und Dämonenwelt fremd war und fremd blieb.
Wiederum konnte Gordon sie mit Praktiken verblüffen, die ihr unverständlich waren. Dazwischen aber gab es viele Gemeinsamkeiten, weil jeder Zauber, ob gut oder böse, gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Die konnte nicht einmal der Teufel umstoßen. Hanako brachte den Posteingangskorb aus dem Vorzimmer herein. Obenauf hatte sie einen Umschlag liegen, dessen Aufschrift ihm einen ganz offiziellen Charakter gab. »Im Gegensatz zur Anwaltskammer dieses löblichen Staates scheinst du dich bei der Polizei zunehmender Beliebtheit zu erfreuen«, sagte sie nicht ohne einen Schuß Ironie. Aber der war auf die Anwaltskammer gemünzt und nicht auf Gordon Black. Der Anwaltskammer mißfiel es nämlich sehr, daß sich ihr Mitglied Black dem Aufspüren und der Jagd auf Geister verschrieben hatte und auch sonst mit allerlei okkulten Dingen gerne beschäftigt war. Offiziell gab’s keine Geister, mithin war die Jagd auf sie unseriös, Basta! Es gab indes eine ganze Menge Leute, und zwar solche von untadeligem Ruf, die der Anwaltskammer eidesstattlich das genaue Gegenteil hätten erklären können. Irrsinnigerweise waren es Polizeieinheiten. Und auch etliche Staatsanwaltschaften. Die hatten sich nämlich nicht geniert, Gordon Black um seine diskreten Dienste in Fällen zu bitten, wo mit logischem Verstand, mit Erfahrung und dem herkömmlichen Fahndungsapparat rein gar nichts auszurichten war und wo offensichtlich übergeordnete oder wenigstens jenseitige Mächte ihre Hand im Spiel hatten. Deshalb wurde Gordon Blacks Name auch bei den Polizeiorganisationen gehandelt wie ein heißer Börsentip bei den Spekulanten und Jobbern. »So?« machte Gordon Black skeptisch. »Und wie hoch ist diese Beliebtheit anzuschlagen?«
»Die Polizei in Pittsburgh in Pennsylvania beißt sich an einigen unerklärlichen Mordfällen die Zähne aus, scheint’s. Ein Officer Cobbler schreibt dir. In offiziellem Auftrag. Ganz so kraß drückt er sich natürlich nicht aus, aber aus jedem seiner Worte spricht, daß sie unter den Vorkommnissen schwer zu leiden haben. Er hat einen Brief beigelegt. Der ist an dich adressiert, und man hat ihn bei einem der Opfer gefunden.« »Opfer wovon?« »Ein Tiger soll den Unglücklichen das Herz aus der Brust reißen.« Hanako machte ein schwer zu durchschauendes Gesicht. Fürs erste ließ sie offen, was sie von diesem Brief des Polizisten hielt. Gordon Black schaute auch einigermaßen ratlos. »Ein Tiger? Nie von so etwas gehört. Der gute Mann sollte sich vielleicht mal besser nach einem Mediziner umtun, der Herzverpflanzungen versucht. Ist ja derzeit die große Mode.« Hanako schüttelte den Kopf, daß ihre blauschwarzen Haare flogen. »In die Richtung geht das nicht. Lies erst mal.« Das tat Gordon Black, und je weiter er las, desto steiler wurde die Falte über seiner Nasenwurzel. Dann griff er nach dem Brief, den die Polizei bei einem der Opfer gefunden hatte. Absender war ein gewisser Ed Gulick. Unterschrieben war der Brief mit Kaido. Den Anwalt durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. »Kaido der Seher!« sagte er. »Bitte?« Hanako beugte sich über den Schreibtisch. Der Pullover, den sie heute trug, machte gerade jetzt deutlich, daß sie oben ungestützt ging. Leisten konnte sie es sich. Für den verlockenden Anblick hatte Gordon Black keine Verwendung. »Kaido. Das war mal ein berühmter Seher. Er gehörte lange Jahre der Loge der Weißen Magier im Mittelwesten an. Ich dachte, er wäre längst tot. Ich habe nichts mehr von ihm
gehört.« Während er redete, studierte er Kaidos Brief. Ed Gulick schrieb in knapper Form von seiner Beobachtung des Tigers auf dem Dach eines Nachbarn, von seinem Bemühen, gedanklichen Kontakt herzustellen, von der Wandlung der Tigertatze zur menschlichen Hand und von dem furchtbaren mentalen Miterleben des Augenblicks, als die Tigerbestie ein Mädchen im Haus eben jenes Nachbarn tötete und ihm das Herz herausriß. Und auffraß. Nach Ed Gulicks eigenen Worten verstand er den Sinn nicht. Er vermutete, daß der Tiger oder das Wesen, das seine Gestalt angenommen hatte, damit Kraft schöpfte. Kraft zu neuerlicher Wandlung. Kraft zum Weiterexistieren. Aber er bezeichnete es als bösartig. Dann kamen Passagen, die Gulick niedergeschrieben hatte, als hätte er unter Zeitnot gestanden. An Klarheit waren sie indes unübertroffen. Ich kann einen Mann beobachten, er steht vor dem betreffenden Haus, ohne daß ich zu sagen vermag, woher er gekommen ist. Ich spüre den Ansturm feindlicher Gefühle. Er schaut zu mir herüber. Und jetzt überquert er die Straße. Er wird mein Besucher sein, und er wird sich wandeln und mich töten. Ich fühle, daß die Tatsachen diese meine Vermutung bestätigen werden. Ich will nicht weglaufen, es wäre zwecklos. Da ist eine Macht, die stärker ist als ich. Und ich bin auch müde und alt. Es wird schnell vorübergehen, denke ich. Verehrter Mister Black, er ist der Tiger, er ist jetzt im Haus und kommt näher. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, nur seine Gestalt. Ein Mann. Sein Geist ist übermächtig und so unsagbar fremd. Gordon Black spürte aus den Zeilen, daß Ed Gulick noch etwas hatte anfügen wollen. Offensichtlich hatte er es sich anders überlegt. Oder er war nicht mehr dazu gekommen. Es folgte nur noch seine Unterschrift. Kaido.
Und genau auf diese letzten Passagen bezogen sich die ziemlich scharf formulierten Fragen des Polizisten Cobbler, der in Pittsburgh eine Mordkommission leitete, wie er in einem Nebensatz anmerkte. Ob eine solche Wandlung denn denkbar wäre, wenn andere als irdische Mächte im Spiele seien? Und wieso sich Gulick gerade an ihn in New York gewandt habe? »Als Hilfsersuchen möchte ich das Schreiben nun nicht gerade bezeichnen«, befand Gordon Black. »Cobbler kann nicht über seinen eigenen Schatten springen. Ein Mann, der sich zum Tiger wandelt und wieder zurück, so was kommt in den Dienstvorschriften nicht vor.« Er legte den Brief zusammen und hielt die Zeilen von Ed Gulick nachdenklich in der Hand. »Du wirst nach Pittsburgh fliegen, nicht wahr?« orakelte Hanako. »Das ist noch nicht heraus. Zuerst muß ich telefonieren.« »Mit Pittsburgh?« »Mit der hiesigen Loge der Weißen Magier«, erklärte der Anwalt. »Kaido oder Gulick gehörte der Bruderschaft an, auch wenn seine Loge woanders existiert. Ich kann in diesem Falle nicht eigenmächtig vorgehen.« »Aber du würdest gerne. Es reizt dich, das sehe ich dir an.« »Kunststück! Sein Brief ist sein Vermächtnis an mich. Und eine Bitte, obwohl er im ganzen Brief um nichts bittet. Dieser Tigermann ist ein furchtbares Verhängnis. Gulick hat es erkannt, und er hat seinen eigenen Tod in unerbittlicher Konsequenz vorausgesehen. Er war immer ein guter Seher, einer der besten dieses Jahrhunderts. Er ist sich selber treu geblieben.« Hanako sortierte die übrige Post aus dem Plastikkorb und zog sich ins Vorzimmer zurück. Sie enthob Gordon damit der Peinlichkeit, sie zum Gehen aufzufordern. Es gab ein paar Geheimnisse, die er auch ihr gegenüber
wahrte. Oder wahren mußte. Das war zum Beispiel seine Loge. Sie wußte nur, daß er ihr angehörte und daß er die Mitgliedschaft durch seinen Vater ererbt hatte. Der war Großmeister gewesen. Wer aber sonst der Loge angehörte, das wußte sie nicht. Sie hörte Gordon drinnen telefonieren. Nach nicht einmal zwei Minuten erlosch das rote Lämpchen auf ihrem Telefonterminal. Das Gespräch war schon beendet. Die Tür ging auf, Gordon Black erschien in der Tür. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck von großer Anspannung. »Sie wußten es schon. Gulick hat doch eine Menge Freunde. Die Zeitungen in Pittsburgh haben sich über den Fall und die der anderen Opfer in geschmackloser Form hergemacht. Verschiebe anstehende Termine und bestelle zwei Flugtickets. Wir machen einen Besuch hinter den Allegheny-Bergen.« »Höre ich richtig? Zwei? Wie kommt’s?« »Das Stichwort ist Tiger. Dazu fällt mir rein gar nichts ein. Tiger kommen weder in Amerika noch in der alten Welt vor. Sie sind eine asiatische Einrichtung, und dafür bist du doch Expertin. Was fällt dir zu Tiger ein?« »Daß sie fast ausgerottet sind.« »Was noch?« »Daß sie privilegiertes Jagdwild reicher Potentaten waren, daß jeder, der als weitgereister Mann gelten wollte, daheim ein Tigerfell an die Wand nageln mußte. Die Schnurrbarthaare, eigentlich Tasthaare, sollen ein einstmals außerordentlich geschätztes Mittel gewesen sein, Feinde langsam, aber absolut sicher umzubringen. Man brauchte nur ein, zwei Haare kleinzuschneiden und dem ausersehenen Opfer ins Essen zu mischen. Die Haare bohrten sich durch Magen- und Darmwände, verursachten Geschwüre und Durchbrüche und führten zum qualvollen Tod. Tigerhaare sollen mit winzigen Widerhaken versehen sein. Wo sie sich einbohren, kann man sie nicht mehr entfernen.«
»Aha. Ich werde nie wieder etwas anrühren, das du in deiner Küche zurechtgebrutzelt hast. Was noch?« »Na ja, je nach Landschaft werden dem Tiger auch noch dämonische Kräfte zugesprochen. In China ist er sogar der auf Erden hausende Dämonenkönig. Diverse Bestandteile des Tigers helfen gegen mancherlei körperliche Gebrechen, die Krallen dienen bei Götterbesänftigungen als Opfergabe.« »Wir kommen der Sache schon näher.« Gordon Black setzte sich zwanglos auf Hanakos Schreibtisch, nachdem er einen Stapel Akten beiseite geschoben hatte. »Und wo ist oder war es üblich, einem Gott Herzen von Menschen zu opfern?« »Im alten Mexiko«, sagte Hanako ohne langes Nachdenken. »Ja, Quetzalcoatl hieß glaube ich der Bursche, dem die Blutpriester der Azteken solche schaurigen Gaben darbrachten. Aber in Mexiko hat es nie Tiger gegeben. Das ist der Haken dabei.« »Du meinst, ein Kult spiele bei den Morden in Pittsburgh eine Rolle?« »Ich muß auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen, und ich will nicht dastehen wie der dumme Junge und in der Nase bohren, bis mir was einfällt. Ich will vorher alle denkbaren Möglichkeiten abklopfen.« Zwei feine Falten erschienen über Hanakos Nasenwurzel. »Dann fällt mir nur noch eine indische Sekte ein. Die pflegte ihrer Gottheit auch Menschenherzen zu opfern. Ich glaube, die Göttin ist Kali, und die Sekte waren die Thugs. Sie sind aber schon während der englischen Kolonialzeit in Indien verfolgt und verboten worden.« »Und haben wahrscheinlich weiterexistiert wie so vieles, das man verboten hat«, meinte Gordon Black. »Hm, Indien! Gar nicht so übel. Das Land voller Geheimnisse, versunkener Tempel, verschwundener Städte. Das Paradies der Fakire und Ghurus und anderer Leute, die mit Hilfe ihrer Geisteskraft zu unglaublichen Leistungen fähig sind.«
Mißtrauisch schaute ihn Hanako an. »Der träumerische Ausdruck in deinen Augen ängstigt mich«, meinte sie halb schalkhaft. »Du willst doch nicht auch noch nach Indien? In zehn Tagen ist der Prozeß gegen Bowman, und einen Tag später vertrittst du Bremser-Jack gegen den Präsidenten seiner Eisenbahngesellschaft. Du kannst sie nicht im Stich lassen.« »Mach mir den Mund nicht wäßrig, ich wollte immer mal nach Indien. Aber jetzt geht das nicht, da hast du vollkommen recht.« Gordon Black dachte intensiv an Bremser-Jack, der gewissermaßen ein Original auf den nördlichen Eisenbahnlinien war, die noch Personenverkehr betrieben. Der Präsident der Gesellschaft, bei der Jack in Lohn und Brot stand, hatte eine Reise mitgemacht, inkognito, und sich dabei ziemlich flegelhaft aufgeführt. Außerdem zog er dann auch noch an der Stelle, an der er zur Jagd aussteigen wollte, die Notbremse. Da hatte ihm Bremser-Jack eine gelangt, die nicht von schlechten Eltern war. Außerdem hatte er ihn am Kragen in den Gepäckwagen gezerrt und hinter der Tür eingesperrt, bis der Zug in einem Nest mit einem Sheriff hielt. Der Gesetzesbeamte sollte den Burschen wegen groben Unfugs und Transportgefährdung einlochen. Bloß kam dann alles ganz anders, denn der seltsame Reisende gab sich zu erkennen, und Bremser-Jack bekam die Kündigung und allerhand Unannehmlichkeiten wegen der Ohrfeige. Er klagte auf Wiedereinstellung. Seine Gewerkschaft hatte ihn im Stich gelassen. Gordon Black nicht. Die Verhandlung versprach einige heitere Stunden, und heitere Verhandlungen hatten ohnehin einen hohen Seltenheitswert, so daß Gordon den Tag keinesfalls versäumen wollte. Richter Blake hatte den Vorsitz, und bei ihm mußte jeder Anwalt höllisch auf der Hut sein, weil Blake recht eigenwillige Entscheidungen zu treffen pflegte.
»Dann also nur bis Pittsburgh«, sagte Hanako aufatmend. »Zweimal«, bestätigte der Anwalt. »Und vielleicht fällt dir noch etwas zu Tigern ein.« »Am besten kaufe ich mir ein Buch«, sagte Hanako. »Wann fliegen wir?« »Morgen. Jemand von der Loge wird uns abholen. Wir sehen uns erst einmal die Umgebung von Gulicks Wohnung an, denke ich, bevor wir diesem Officer Cobbler unsere Aufwartung machen.« »Du willst ihn nicht von unserem Kommen verständigen?« »Sollen wir auf Schritt und Tritt gleich einen Aufpasser auf den Fersen haben? Cobbler hat sich schon etwas dabei gedacht, als er Gulicks Brief weitergeleitet und mit einem Begleitschreiben versehen hat. Der Mord ist vor vier Tagen verübt worden. In Gulicks Wohnung. Auch ein Reporter eines Pittsburgher Blattes ist dem geheimnisvollen herzenfressenden Tiger in der Wohnung zum Opfer gefallen. Und ein Mädchen in der Nachbarschaft. Der Brief wurde gestern gestempelt. Somit hatte Cobbler zwei Tage lang reichlich Gelegenheit, Erkundigungen über mich einzuziehen. Ich weiß nicht, was er von mir erwartet. Ich möchte ihn nicht zu sehr enttäuschen.« »Ein Wunder natürlich.« Gordon Black schaute sie mißbilligend an. »Daß ich ihm den Mörder oder den Tiger oder beides frei Haus auf dem Tablett serviere, nichts anderes. Sei ein liebes Mädchen und rufe wegen der Tickets an, ich habe hier noch kräftig zu arbeiten.« Er zog sich in sein Büro zurück. Hanako griff zum Telefon. *** Der Flug über die Apalachen und die Alleghenys war nicht gerade das, was Gordon eine Freude zu nennen pflegte. Die Maschine geriet schon bald nach dem Start in Turbulenzen,
und die hielten bis kurz vor der Landung in Pittsburgh an. Er war nicht abergläubisch im landläufigen Sinne, doch der miserable Flug erschien ihm irgendwie als böses Omen. Er konnte auch nicht sagen, warum. Hanako hatte sich wahrhaftig ein Buch über Tiger besorgt. Bei der erbärmlichen Rüttelei und dem Aufruhr der jammernden Passagiere kam sie jedoch nicht dazu, tiefschürfende Einblicke zu nehmen. Überhaupt gewann sie beim Durchblättern des bebilderten Werkes den starken Eindruck, daß es sich eher um eine biologische denn um eine mythologische Publikation handelte. Wie es aussah, hatte der Verkäufer in der Buchhandlung gegenüber der Grand Central Station in New York sie angeschmiert und nur den Ladenhüter für acht Dollar losschlagen wollen. Der Captain oder sein wackerer Co-Pilot hatte den Nerv, beim Überfliegen von Pittsburgh auf touristische Besonderheiten aufmerksam zu machen und auf die zwei respektablen Flußläufe, die sich innerhalb des Stadtgebietes vereinigten und als Ohio River weiterflossen. Das eine Gewässer von Nordosten war der Allegheny River, das aus Südosten in großen Windungen herankommende der Monongahela. Dann tauchte die Maschine in tiefziehende Wolkenbänke, und nach einem letzten tüchtigen Rütteln setzte sie hart auf. Gordon Black fingerte eine weiße Nelke aus einem Plastiktütchen, in dem etwas Wasser schwappte. Er hatte die Blume samt Frischhaltegarnitur in New York auf dem Weg zum Flughafen erstanden. Er zog sie sich durchs Knopfloch im linken Revers seiner Jacke und brachte sie in Form. »Ich dachte schon, du wolltest sie einer alten Liebe zum Geschenk machen«, flachste Hanako. »Weil du überhaupt keine Erklärung dazu gegeben hast. Es hätte mich eigentlich
auch sehr gewundert. Seit wann verschenkst du Blumen?« »Wenn das ein Vorwurf ist, nehme ich an, er ist berechtigt«, sagte er nach kurzem Nachdenken. Mit Blumengebinden war er wirklich nicht verschwenderisch umgegangen. Weder bei Hanako noch sonst wo. Er löste den Gurtverschluß, als die Maschine zum Stillstand kam und die Bordlichter erloschen. Hanako betrachtete ihn von der Seite. Die einsame Nelke im Knopfloch gab ihm den Anstrich von einem Schwerenöter, der mal eben in eine andere Stadt geflogen ist, um sich mit einer Bekannten zu treffen. Sie schätzte aber, daß es ein Erkennungszeichen war. Es entsprach nicht Gordons Art, sich eitel aufzuputzen. Der Strom der Passagiere schwemmte sie mit hinaus. Auf dem entsetzlich langen Flugsteigkorridor löste sich das Gedränge auf. Hinter der Kontrollstelle, wo hereinkommende Passagiere von den Sicherheitsleuten und dem Metalldetektor gefilzt wurden, wartete ein schwarzgekleideter Mann, der ebenfalls eine weiße Nelke im Knopfloch spazieren führte. Er machte ein unsagbar trauriges Gesicht, und dennoch ließ ihn seine Hakennase wie einen Raubvogel oder einen pensionierten Piraten aussehen. Der ganze Mann machte einen sehr düsteren Eindruck. Er kam Gordon und Hanako gerade drei Schritte entgegen, deutete eine winzige Verbeugung an und meinte: »Mister Black?« »Schon recht«, sagte der Anwalt. »Ich habe meine Mitarbeiterin mitgebracht – Miß Kamara.« Der Mann klappte fast wie ein Taschenmesser zusammen. »Toff Wanamaker«, stellte er sich vor und zupfte dann sichtlich irritiert an seiner Nelke. »Der Wagen steht bereit.« Es klang aber, als wollte er etwas ganz anderes sagen. Die weiße Nelken! Das Erkennungszeichen! schoß es
Hanako durch den Kopf. Wanamaker ist von der Loge der Weißen Magier geschickt! Der Wagen entpuppte sich als respektabler Cadillac, einer von der Sorte, dessen Tank man nie gefüllt bekommt, wenn man mit laufendem Motor an der Zapfsäule steht. Aber schön bequem war er. Und geräumig. Wanamaker streifte sich schwarze Handschuhe über, und Hanako kam es in den Sinn, daß sich der Mann zurechtmachte wie für eine Beerdigung. Aus den Verkehrsschildern wurde erkennbar, daß Wanamaker nicht dem Stadtzentrum zuhielt, sondern auf einen Stadtteil namens Mount Lebanon zuhielt. Der Ort schien den Namen zu Recht zu tragen, die Gegend wurde mächtig bergig, und die Straße zog sich steil zu einem bewaldeten Bergrücken hoch. Unverschämt rußende Trucks klebten an der Steigung fest, weiter oben stand eine Straßenpatrouille der Verkehrspolizei und fischte sich offensichtlich die schlimmsten Umweltverpester aus der dröhnenden Schlange heraus. Vom Bergrücken oben bot sich ein phantastischer Blick auf die Stadt mit ihren Wasserläufen und auf die Allegheny-Berge, die sich im Dunst der Ferne von Nordosten heranzogen. Aber für den Ausblick hatte niemand rechte Verwendung. Schon gar nicht Wanamaker. Vielleicht kannte er ihn auch sattsam. Er steuerte den Cadillac in einer fast aggressiven Art auf der anderen Seite hinab. Und erst, nachdem er fast eine Stunde lang geschwiegen hatte, sagte er: »Sicher wollen Sie sich am Ort umsehen.« »Ganz recht, ich hätte dort auch gerne ein Quartier, wenn es sich einrichten läßt.« Wanamaker wandte höchst überrascht den Kopf. Das war aber auch die einzige erkennbare Gemütsregung, die er sich gestattete. Dann räusperte er sich diskret. »Mister Black,
möglicherweise sind Mißverständnisse eingetreten. Es erschien nicht zweckmäßig, Sie am Ort einzulogieren.« Er sagte nicht, wer es für zweckmäßig erachtet hatte, aber es war klar, daß er damit die Loge der Magier meinte. »Und warum nicht?« Gordon Black horchte auf. Er hatte ein Ohr für Nuancen in der Stimme anderer Leute. Da war noch etwas, über das er nicht informiert war. »Es sind Umstände bekanntgeworden, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß der Ort mit der Ursache gar nichts zu tun hat. Ich meine, daß es da überhaupt keine Zusammenhänge gibt.« »So, meinen Sie das?« fragte Gordon Black nicht ohne einen Schuß Sarkasmus. Wanamaker griff betulich in die Innentasche seines feierlichen Rockes und förderte einen schmalen braunen Umschlag zutage. Den reichte er mit spitzen Fingern über die Achsel nach hinten. Er zog nicht einmal den Handschuh aus. Gordon Black riß den Umschlag auf. Als erstes rutschte ihm eine Karte entgegen, die von zwölf Unterschriften geziert war. Die Meister der Loge von Pennsylvania baten ihn im vorangestellten Text offiziell in seiner Eigenschaft als Geisterjäger um die Aufklärung des Mordes an dem Logenbruder Kaido und um die Überstellung des Täters an die Justiz. Oder, falls dies nicht möglich war, um gehörige Bestrafung. Die guten Leute hatten aber nicht nur das Schicksal von Kaido im Sinn. Sie ersuchten zudem um die Aufklärung der anderen Fälle. Gordon Black war damit zufrieden, denn oberstes Ziel jeder Loge war noch immer die Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen und die Humanität. Er steckte die Karte ein und widmete sich dem weiteren Inhalt. Es handelte sich um Zeitungsausschnitte. Ein Reporter
namens Zachary Tidball hackte in brillanter, aber ätzend bösartiger Form auf der Polizei herum. Seine Artikelfolge zog er an einem Fall Forrest hoch. Ein gewisser Sam Forrest war vor mehr als einer Woche unter reichlich mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. In der Umgebung seiner Leiche und auf seinem Grundstück hatte man Tigerspuren ausgemacht, die übergangslos in menschliche Spuren überwechselten. Und umgekehrt. Und Sam Forrest war offensichtlich von einer gewaltigen Raubkatze das Herz aus der Brust gerissen worden. Von einem Tiger, wie ein Experte festgestellt hatte. Ausnahmsweise hätte nicht die Polizei diesen Experten gestellt, darum sei gerade seinen Feststellungen absolute Glaubwürdigkeit beizumessen. Das war frech und unverfroren und sollte nichts anderes besagen, als daß die Polizei entweder Erkenntnisse unterdrückte oder lauter Flaschen beschäftigte. Jedenfalls mußte Zachary Tidball mit der örtlichen Polizei im Clinch gelegen haben, und das nicht wenig. Aus dem Begleitschreiben des Officers Cobbler nach New York hatte Gordon Black entnommen, daß zusammen mit Ed Gulick ein Zeitungsmann zu Tode gekommen war. In Gulicks Wohnung. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, um zu dem Schluß zu gelangen, daß Zachary Tidball dieser Zeitungsmann war. Außerdem lagen der Sammlung Zeitungsausschnitte keine von neuerem Datum bei. Der letzte Artikel war vor sechs Tagen erschienen. Mit Tidballs vollem Namen. So ein wenig vermochte Gordon Black zwischen den Zeilen herauszulesen, daß Tidball die Polizei verdächtigte, weit umfassendere Informationen zu besitzen, als sie bisher offengelegt hatte. Das waren ganz klare Anspielungen. Tidball schien ebenfalls Informationen gehabt zu haben. Wie zwei
ausgebuffte Pokerspieler hatte jeder auf die Reaktion des anderen gewartet. »Tidball ist tot, nicht wahr?« wandte sich Gordon Black fragend an Wanamaker. Der Mann nickte, und seine Raubvogelnase schien noch spitzer zu werden. Es konnte aber auch eine Täuschung sein. »Es ist in Bruder Kaidos Wohnung geschehen?« Wieder fuhr die Habichtnase herab und herauf. »Gut, und welche Umstände sind bekanntgeworden, die vermuten lassen, daß es keine tieferen Zusammenhänge zwischen dem Ort des Geschehens und der Ursache gibt?« Der Geisterjäger beugte sich etwas vor. »Tidball hat es nur vermutet«, sagte Wanamaker. »Mehr oder weniger. Es sind viel mehr Fälle bekanntgeworden, wo den Opfern das Herz herausgerissen war. Die Polizei wußte es nach dem Tod von Sam Forrest, aber sie hat es erst jetzt zugegeben. Es ist wie eine Spur, sie zieht sich durch mehrere Staaten. Wo sie begonnen hat, ist noch gar nicht abzusehen.« Tausend Möglichkeiten gingen Gordon Black sofort im Kopf herum. Bei einer so deutlichen Spur mußte es doch der Polizei leichtfallen, das Geheimnis dieser Morde zu lüften. Er sagte sich, daß zwar einzelne Polizeiabteilungen höchst ungern mit Kollegen vom Nachbarstaat zusammenarbeiteten, daß sie aber gewiß keine Dummköpfe und Schlafmützen beschäftigten und daß diese Leute längst alle denkbaren Möglichkeiten abgeklopft hatten. Vor allem konnten sie Computer einsetzen. Offensichtlich waren sie nicht einmal auf etwas gestoßen, das einen Verdacht zuließ. Mit anderen Worten lagen Motiv und Täter außerhalb der kriminalistischen Erfahrungswelt, und wie es aussah fielen sie auch durch jedes Fahndungsraster. Gordon Black nannte in Gedanken diesen Officer Cobbler ein geriebenes Schlitzohr. Der Mann oder seine Dienststelle hatten Gulicks Brief wenigstens zwei Tage festgehalten. In
diesen zwei Tagen hatte die gesamte Polizeitruppe offenbar versucht, den oder die Fälle im Hauruckverfahren zu klären. Nachdem das gescheitert war und die Fahndungsarbeit offensichtlich einem Phantom galt, hatte Cobbler so getan, als sei fast gar nichts gewesen, hatte sich hingesetzt und einen halbwegs netten Brief verfaßt und den zusammen mit Ed Gulicks Vermächtnis nach New York geschickt. Mit anderen Worten hatte die Polizei ihr Pulver verschossen und erwartete mit Sicherheit ein Wunder von ihm. Genau das hatte Hanako vorausgesagt. Wanamaker schaute in den Innenspiegel. Seine und Gordon Blacks Blicke begegneten sich. Hoffentlich erwarten sie nicht von mir, daß ich den Anfang dieser blutigen Spur suche, dachte der Geisterjäger, und weil Wanamaker eine Antwort erwarten durfte, sagte er: »Durch mehrere Staaten, so? Ist das sicher?« »Unumstößlich, Mister Black. Die Spur endet vorläufig hier. Das heißt, es sind in der Umgebung bisher keine neuen Morde bekanntgeworden. Zumindest hat man keine Opfer gefunden.« »Und aus welcher Richtung kommt die Spur nun?« »Aus Westen.« Gordon Black brummte in einer Tonlage, die es offen ließ, ob er seinen Unwillen äußerte oder Zustimmung. Was Wanamaker da berichtete, war natürlich auch der Polizei bekannt. Mit Sicherheit hatte sie alles unter die Lupe genommen, was auch nur annähernd so aussah, als könnte es mit einem Tiger in der Gegend herumgereist sein. Mit Sicherheit war dieser Polizist Cobbler ergiebiger, wenn er mit dem erst ein Gespräch anläßlich seines Antrittsbesuches hatte. Vielleicht war Cobbler auch verschnupft, weil er sein Kommen nicht offiziell angekündigt hatte. Aber mit solchen Feinheiten konnte man sich gelegentlich nicht aufhalten. Wanamaker steuerte den Cadillac jetzt scharf in östliche
Richtung. Er bog dann wieder nach Süden ab und verlangsamte auf einer breiten Ausfallstraße ohne erkennbarem Grund das Tempo. Schließlich steuerte er den Wagen rechts an den Bordstein und hielt vor einem Haus, das nicht gerade berückend aussah, »Das ist es«, meinte er erläuternd. »Im zweiten Stock. In derselben Nacht ist ein Mädchen ums Leben gekommen. Dort drüben.« Er zeigte nach links über die breite Straße hinweg auf ein Haus, das an einer Seite über einem Anbau ein ausladendes Schrägdach aufwies. Sofort hatte Gordon Black die Szene vor Augen, wie Ed Gulick sie in seinem Brief beschrieb. Demnach hatte Gulick dort drüben diesen ominösen Tiger auf dem Dach bemerkt und sein Treiben beobachtet. Mit Hilfe seiner besonderen Fähigkeit hatte er auch die Wandlung der Tigertatze in eine Menschenhand und die Rückverwandlung wahrgenommen. Dann hatte er den Tod des Mädchens miterlebt. Es mußte ihn ungeheuer erschüttert haben, gewissermaßen Zeuge zu sein und doch nicht helfen zu können. Seine nächste Beobachtung war dann der Mann gewesen, den er vor jenem Haus da drüben stehen sah. Der Mann war über die Straße gekommen. Und Gulick hatte gewußt, daß dieser Mann den Tod zu ihm brachte. In irgendeiner Form. Genau so war es auch eingetreten. »Und wo geschah es mit Forrest?« fragte der Geisterjäger. »Am entgegengesetzten Stadtende«, erklärte Wanamaker. »In Oakmont. In der Luftlinie sind es sechs Meilen.« »Dann allerdings glaube ich auch, daß es sich um Zufälle handelt«, pflichtete Gordon der Meinung Wanamakers bei. »Bitte, wie ist denn der Zeitungsmann da reingeraten?« »Er erhielt einen Anruf von Gulick. Mitten in der Nacht. Die Redaktion mußte ihn wecken, und ein Mann hat ihn hergefahren. Die Polizei hat eine Rekonstruktion versucht.
Tidball muß die Wohnung betreten haben, als der Mörder noch zugegen war. Er kam nicht einmal zu einer Gegenwehr. Wurde völlig überrascht. Der Redakteur, der ihn hergefahren hatte und ungefähr an dieser Stelle im Wagen auf ihn wartete, sah nach einiger Zeit einen Mann das Haus verlassen.« »Einen Mann? Hat der Zeuge sich auch nicht geirrt?« »Bestimmt nicht. Er konnte immerhin einige Besonderheiten angeben. Erstens fiel ihm auf, daß der Mann sich offensichtlich gut auskannte, denn er verzichtete auf die Treppenhausbeleuchtung. – Hm, es gibt keine Aufzüge, müssen Sie verstehen. – Also, zweitens stieß er sich am sonderbaren Gang des geheimnisvollen Mannes. Ein schlenkernd-schleichender Schritt, falls Ihnen das etwas sagt, Mister Black.« »Gar nichts, aber sprechen Sie bitte weiter!« »Liser gebrauchte einen sehr treffenden Vergleich im Verhör – als ob der Mann weiche Knie gehabt hätte. Oder als ob man ihm die Waden gestohlen hätte.« Hanako hielt sich die Hand vor den Mund. Jede Heiterkeitsbekundung wäre in dieser Situation mehr als unpassend gewesen. Aber der plastische Vergleich, den Wanamaker zitierte, reizte unwillkürlich zum Lachen. Wanamaker guckte etwas irritiert in den Innenspiegel. Gordon Black überbrückte die Stille, die peinlich zu werden begann. »Liser ist der Redakteur, nehme ich an. Können Sie uns mit ihm zusammenbringen?« »Wann immer Sie es wünschen.« »Dann schon heute abend. Arrangieren Sie das bitte.« »Ich stehe zu Ihrer Verfügung.« Wanamaker nickte bekräftigend. Gordon Black klinkte die Tür auf. »Dann möchten wir uns oben mal umsehen. Oder ist die Wohnung schon aufgelöst?« Mit dieser Entwicklung hatte Wanamaker wohl nicht gerechnet. Er schaute verwundert und etwas ratlos, dann
meinte er: »Die Polizei hat die Wohnung verschlossen.« »Auch versiegelt?« Gordon Black verständigte sich mit Hanako durch einen raschen Blick. »Nein, ich glaube nicht. Nein, bestimmt nicht.« Wanamakers Hakennase fuhr hin und her, daß der Geisterjäger fürchtete, sie könnte ihm abbrechen. »Dann müßten Sie freundlicherweise mal den Kofferraum öffnen«, sagte Gordon Black mit einem unschuldsvollen Lächeln. »Wir müßten mal ans Gepäck.« Dieser Wunsch erstaunte Wanamaker noch viel mehr. Aber er war von der Loge nicht dazu abgestellt, ein dummes Gesicht zu schneiden, sondern dem Geisterjäger Black zur Hand zu gehen und sich auch sonst nützlich zu machen. Also stieg er aus und öffnete den Kofferraum. Und als wäre er auf eine Butler-Schule gegangen, trat er zurück und schaute angestrengt in eine andere Richtung, als Hanako Kamara in ihrem Flugkoffer zu wühlen begann. Hanako griff das Dogu heraus und hielt es fragend Gordon hin. Der nickte. Das Dogu war genau das, was sie hier brauchten. Wenn die Wohnung wirklich nur abgeschlossen war. Ein unbefangener Zeitgenosse hätte das Dogu für eine Götzenfigur halten können. Andere Leute behaupteten, es seien stilisierte Minaturen von Samurai. Und Samurai wiederum waren japanische Ritter. Es gab auch ein paar Burschen, die meinten, Dogus seien Nachbildungen von außerirdischen Astronauten. Was sie wirklich waren, wußten wahrscheinlich nur eine Handvoll Eingeweihte, und die hielten verständlicherweise den Mund. Hanako besaß ein Dogu, und sie setzte es als das ein, wofür es mit Sicherheit gedacht war – als Zaubermittel. Sie stopfte es in ihre Umhängetasche, schloß den Koffer und trat zurück. Wanamaker klappte den Kofferraumdeckel zu.
»Ich warte hier«, versprach er. Das war Gordon Black auch entschieden lieber. Er wollte den Mann nicht in Gewissenskonflikte stürzen. Die Haustür war unverschlossen. Der Geisterjäger und Hanako staunten über das Hausinnere. Aber das erging wohl jedem Besucher so, der erstmals seinen Fuß hinein setzte. Im zweiten Stockwerk fanden sie die Wohnung von Ed Gulick, wie Wanamaker gesagt hatte. Gordon Black atmete hörbar auf, als er sah, daß die Tür nicht versiegelt war. Hanako kramte das Dogu aus der Tasche, und Gordon gab ihr Rückendeckung gegen eventuelle Blicke neugieriger Hausbewohner. Mit geschlossenen Augen faßte Hanako das Götzenbild und streckte es gegen das Türschloß aus. Sie konzentrierte sich voll und ganz. Der Kniff war, daß sie dem Dogu Kraft geben mußte, damit dieses seine Mächte freisetzen und gezielt wirken lassen konnte. Ein zweimaliges scharfes Knacken kam aus der Gegend des Türschlosses. So schnell, wie jemand unmöglich ein Schloß aufschließen konnte. Zwei Atemzüge später öffnete Hanako die Augen. Ihr Blick reichte noch in weite Fernen. Sie fand aber rasch in die Wirklichkeit zurück und streckte die Hand nach dem Türknauf aus. Spielend leicht ließ er sich drehen. Die Tür schwang unter einem sanften Schubs auf. Gordon Black und die Asiatin standen mit angespannten Sinnen und warteten darauf, etwas empfangen zu können. Sie spürten auch etwas – Ruhe, tiefen Frieden und Ausgeglichenheit. Ein fortschrittlicher Physiker hätte es die Reststrahlung von Ed Gulicks Lebensbereich genannt.
Der Geisterjäger und Hanako empfanden es nicht so nüchtern. Sie stellten feine Abstufungen fest. Ed Gulick oder Kaido hatte zufrieden und beschaulich gelebt und den Abend seines Lebens genossen. Aber eine gewisse Sehnsucht hatte ihn begleitet. Diese Sehnsuchtsstrahlung war kalt und düster und ließ den Geisterjäger an die Farbe Schwarz denken. Also hatte Kaido auch eine Idee Todessehnsucht gehabt. Aber bestimmt nicht nach einem Tiger. Oder einem Tigermann, der ihm das Herz aus der Brust riß. Leise betraten Gordon Black und Hanako die Wohnung. Sie verstanden sofort, warum sie Reststrahlung oder Restströmung spürten. Alle Möbel, alle persönliche Habe von Ed Gulick war noch vorhanden. Es war nicht zu übersehen, daß gesucht worden war. Wahllos, eben so. Aber es waren keine Verwüstungen angerichtet worden. Man hatte sich bemüht, die musterhafte Ordnung zu bewahren. Die Polizei hatte sich zuerst einmal bemüht, ein Motiv für das grauenhafte Verbrechen zu finden. Sie war davon ausgegangen, daß sich Anhaltspunkte unter Gulicks Hinterlassenschaft befanden. Daß dabei nichts herausgekommen war, hatte Cobbler ja indirekt in seinem Begleitschreiben zugegeben. Gordon Black betrachtete die Kreidestriche im Wohnzimmer, die die Umrisse von zwei Körpern markierten. Er schloß die Augen, versuchte, etwas von dem aufzufangen, was sich an böser Atmosphäre während der Tat in diesem Raum ausgebreitet hatte. Er bemühte sich erfolglos. Es hatte zu kurz gewirkt, und es waren schon zu viele Tage verstrichen. Es war nur das wahrnehmbar, was Ed Gulick in Jahren an beschaulicher Zufriedenheit hinterlassen hatte. Es drang aus den Möbeln, aus den Wänden, aus dem Boden. Hanako ging herum und betrachtete die Bilder. Sie erhoffte
sich von ihnen einen Hinweis. Sie erlebte ebenso eine Enttäuschung wie ihr Chef. Gordon Black trat ans Fenster und schaute auf die Straße. Unten stand Wanamaker wie ein Wachsoldat neben dem Cadillac. Drüben lag das Haus mit dem Schrägdach an der einen Seite. Schräg vor dem Haus ragte ein Lichtmast empor. Dahinter stand im Nachbargarten ein Baum mit ausladendem Geäst. Nachts brannte diese Straßenlaterne. Die Baumkrone mußte einen Schatten auf das halbe Schrägdach werfen. Gordon Black versuchte sich die nächtliche Szene vorzustellen. Gulick hatte natürlich einen ausgezeichneten Blick auf das Haus gehabt. Wahrscheinlich war sein ganzes Verhängnis gewesen, daß er am Fenster gestanden und zugesehen hatte. Das Wesen, ob Mensch oder Tier, hatte ihn bemerkt, und es hatte diesen Zeugen keinesfalls am Leben lassen können. Das setzte überlegtes Handeln voraus. Und die Fähigkeit zum logischen Denken. Damit schied ein Tier völlig aus. Denn ein Tier gehorcht seinem Instinkt. Oder der Dressur. Aber nicht eiskaltem Kalkül. Dafür sprach auch Gulicks Beobachtung von dem Mann, der plötzlich auf dem Bürgersteig drüben gestanden hatte. Also ein Mensch, der über die Fähigkeit verfügte, sich in ein Tier zu verwandeln. In einen Tiger. Das erinnerte den Geisterjäger stark an die Mythen von der Seelenwanderung. Es gab Religionen, die glaubten sogar ganz fest daran, daß die Seele verschiedene Daseinsformen durchwandern mußte, bevor sie alle im ersten Leben begangenen Untaten abgebüßt hatte und endlich ins Nirwana eingehen konnte. Nirwana! Indien! Er wandte sich um und sah Hanako eine kleine Statue auf einem Bücherbrett betrachten.
»Hast du noch etwas über Tiger in Erfahrung gebracht?« »Wie man’s nimmt.« Sie wandte sich ihm zu. »Solange ein Tiger die Menschen nicht behelligt, genießt er in verschiedenen Gegenden eine fast göttliche Verehrung. Sobald er aber Haustiere schlägt oder gar Menschen jagt, trachtet man ihm nach dem Leben.« »Mehr steht nicht in dem dicken Buch?« »Ich überlasse es dir gerne zum Selbstkostenpreis.« »Das sieht mir sehr nach einem faulen Geschäft aus. Ich mache dir einen Vorschlag – behalte du das Buch und ich behalte mein Geld. Komm, hier ist nichts, und die Polizei hat schon alles abgegrast.« »Gibst du auf?« fragte Hanako mächtig verwundert. »Ich beginne gerade. Die Loge bringt mich nicht weiter. Sie will nur, daß der geheimnisvolle Tod von Ed Gulick geklärt wird. Ich muß mich an die Polizei wenden.« »Wanamaker wird es nicht gerne hören«, gab Hanako zu bedenken. »Mein Eindruck ist, er mag die Polizei nicht sonderlich.« »Das ist sein Problem und geht mich nichts an.« Sie verließen die Wohnung. Der dumme Zufall richtete es so ein, daß der Nachbar von der gegenüberliegenden Wohnung im Treppenhaus stand und Mund und Augen aufsperrte, weil er das Paar aus der fest verschlossenen Wohnung von Gulick kommen sah. »He, wer sind Sie?« knurrte er ungemütlich. »Freunde, guter Mann, Freunde des Verstorbenen!« beschwichtigte Gordon Black den Nachbarn. Aber der wurde nur noch mißtrauischer. »Hat die Polizei Ihnen erlaubt, da reinzugehen?« fragte er listig. »Sie können sich ja bei Officer Cobbler erkundigen, wenn Sie möchten«, bot der Geisterjäger an und stellte sich so, daß Hanako hinter seinem Rücken mit der Macht des Dogu die Tür
verschließen konnte. »He, verstecken Sie sich nicht, meine Dame!« lärmte der Nachbar und wurde immer mißtrauischer. »Kommen Sie da vor! Und zeigen Sie mir mal den Schlüssel, den Ihnen die Polizei gegeben haben soll.« Gordon Black bluffte eiskalt. »Dazu bin ich nicht befugt.« Er hörte hinter seinem Rücken das unglaublich schnelle Knacken im Schloß. Hanako hatte die Tür zugesperrt. Sie konnten gehen. Vorausgesetzt, der Nachbar ließ es zu. Als der Geisterjäger genau auf ihn zuschritt, überlegte der Mann, ob er mit einem gezielten Faustschlag durchkam und die Polizei fix genug zur Stelle war. Seine Gedanken waren in seinen Augen zu lesen. »Tun Sie’s nicht«, mahnte Gordon Black freundlich. »Ich bin derzeit gut im Form.« Er machte noch einen Schritt. Der Nachbar wich zurück und schoß unvermittelt zu seiner Wohnungstür hinein. Drinnen brüllte er lauthals: »Millie, ruf die Polizei an, schnell! Da sind welche bei Gulick eingebrochen…« Das Gezeter in den Ohren, verließen Gordon Black und Hanako das Haus. Wanamaker machte ein bedenkliches Gesicht. Er hatte den Lärm inzwischen auch vernommen und guckte unbehaglich am Haus hinauf. »Wir verlassen diese Gegend besser«, meinte er weise wie ein alter Uhu und half Hanako in den Caddy. Er wendete auf der Ausfallstraße, was ihm Gordon Black nicht einmal im Traum zugetraut hätte. Offensichtlich steckten in Wanamaker verborgene Qualitäten. Der Mann fuhr stadteinwärts und stoppte schließlich auf der Rampe eines respektablen Hotels am Ufer des Ohio River. Er marschierte vorneweg und begann ein gedämpftes Palaver mit dem Portier, worauf dieser abschätzende Blicke herwarf, die
besonders Hanako galten. Endlich nickte der Hotelmensch, der wie der Geiz in Person aussah. Gordon Black reimte sich den Sinn der geheimen Verhandlung zusammen. Die Loge der Magier hatte nur für ihn ein Zimmer bestellt. Aber Hanako mußte ja schließlich auch unterkommen. Wanamaker regelte das auf eine unaufdringliche Art. Er kam mit zwei Schlüsseln und winkte den Gepäckboy näher. »Haben Sie ein Programm, Mister Black?« fragte er höflich und händigte die Schlüssel aus. »Sie erreichen mich hier in der Halle.« »Ich weiß Ihre aufopfernde Tätigkeit zu schätzen, aber ich möchte Sie keinesfalls vierundzwanzig Stunden am Tag beanspruchen. Wir wollen uns lediglich etwas erfrischen, anschließend dürfen Sie uns zu Officer Cobbler bringen. Und arrangieren Sie ein Treffen mit dem Redakteur Liser, Heute noch.« *** Cobbler entpuppte sich als ein Mann, der nicht viele Umstände machte. Er betrachtete Hanako und grinste wohlgefällig. Dann fixierte er den Geisterjäger und meinte trocken: »Sie sehen nicht aus wie einer, der spinnt.« Er schraubte sich von einem abgewetzten Stuhl hoch und streckte Gordon Black die Hand hin. »Ich war ja auf einiges gefaßt – nach all dem, was ich so über Sie in Erfahrung brachte.« »Das erklärt die Verspätung von Ed Gulicks Brief. Ich dachte mir gleich, daß Sie Erkundigungen eingezogen haben. Erwarten Sie nicht zuviel.« »Es ist mir schon eine gewisse Beruhigung, Sie hier zu
sehen«, gestand Cobbler freimütig. »Ich glaube nicht an Geister, aber ich lasse mich gern überzeugen. Der Mensch lernt ständig hinzu.« »Freut mich. Ich sehe aber in den Tigermorden nichts Geisterhaftes. Eben kommen wir von der Lebanon Road, wir haben uns die Örtlichkeiten angesehen. – Hm, sollte vielleicht ein Hausbewohner Alarm geschlagen haben, dann blasen Sie jegliche Aktion wieder ab.« »Aha!« meinte Cobbler und bekam schmale Augen. »Dann sind Sie beide aus der Wohnung gekommen, ich weiß schon Bescheid. Seltsam, muß ich schon sagen!« Er zog die Schublade auf und holte einen flachen und ziemlich kompliziert aussehenden Schlüssel heraus. Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt er ihn hoch. »Das ist der einzige Schlüssel zu Gulicks Wohnung, und die Tür habe ich eigenhändig zugesperrt, und seitdem ist kein Mensch an diesen Schlüssel herangekommen.« »Man hat so seine kleinen Geheimnisse«, sagte Gordon Black. »Überhaupt sollten Sie sich nicht wundern. Über gar nichts.« Cobbler war nicht auf den Kopf gefallen. »Also verstehe ich richtig, daß Sie unsere Arbeit unterstützen werden?« »Ihre Arbeit steckt in der Sackgasse, die Ermittlungen haben sich festgefahren«, übersetzte Gordon Black die diplomatische Ausdrucksweise Cobblers in eine besser verständliche Form. »Informieren Sie mich erst einmal, wo Sie überall den Hebel angesetzt haben.« Der Officer ließ sich die Ermittlungsakten kommen und drei Tassen Kaffee. Dann leierte er herunter, was seine Abteilung und andere alles auf die Beine gestellt hatten, um Licht in das Dunkel der seltsamen Mordfälle zu bringen. »Also irgendwie spielt ein Tiger mit, das habe ich inzwischen kapiert«, meinte er. »Alle Tierparks, Zoos,
Tierhandlungen, die mit solchen Biestern handeln, und private Liebhaber sind bis auf die Knochen durchleuchtet. Da haben wir nichts gefunden. Wir haben sogar Dompteure ausgequetscht, die mal mit Tigernummern gearbeitet haben. Sechs wohnen in einem Umkreis näher als hundert Meilen. War glatt ein Schlag ins Wasser. Vier hatten ein astreines Alibi für die fraglichen Zeiten, einer sitzt, und einer ist so alt, daß er sich nicht aus eigener Kraft bewegen kann. Und Tiger hält nicht einer von ihnen.« Cobbler schlürfte ungeniert von seinem Kaffee. »Wir haben auch die Möglichkeit abgeklopft, es könnte sich um Organdiebstahl handeln, der auf einen reißenden Tiger zurechtgefeilt wird, um Verwirrung zu stiften. In unserem Beruf muß man auch mit dem Unmöglichen rechnen. War natürlich auch nichts. Außer, daß sich elf Organbanken und eine Menge Krankenhäuser über uns beschwert haben.« Er seufzte. »Man kann nicht überall Freunde haben. Wir stehen wieder ganz am Anfang. Auch die Spuren, die in anderen Städten verfolgt wurden, führten zu keinem Ergebnis.« »Ein ganz wichtiger Punkt, will mir scheinen. Man hat in anderen Städten und anderen Bundesstaaten ebenfalls Opfer gefunden, die stets dieselben Merkmale aufwiesen – aufgerissene Brust und fehlendes Herz, wobei das Alter der Opfer keine Rolle gespielt zu haben scheint.« Cobbler schaute den Geisterjäger fast grimmig an. »Ich hatte keine Ahnung, was ich anrichten würde, als ich um Meldung von identischen Fällen bat. Inzwischen sind es achtzehn, und sie liegen bis zu einem Jahr zurück. Es zeichnet sich ab, als hätte die Serie in Kalifornien begonnen.« »Zwecklos, diese Spur von hinten her aufzurollen«, sagte Gordon Black und fand, daß Cobbler alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, wer für die Morde zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Fast alle Möglichkeiten!
Denn in diesem Moment entsann er sich eines Plakates, das er flüchtig bei ihrem überhasteten Aufbruch in der Lebanon Road an einer Holzwand hatte kleben sehen. Irgend etwas mit einem Varieté war es gewesen, und auf dem Plakat war ein Tigerkopf abgebildet. Wenn das hieß, daß jemand in einem Varieté mit einem Tiger auftrat, dann klebten solche Plakate bestimmt auch an anderen Stellen der Stadt. Da brauchte er Wanamaker nicht zu bitten, ihn und Hanako noch einmal in den südlichen Vorort hinauszukutschieren. Er analysierte Cobblers Bericht. Der Officer hatte säuberlich aufgezählt, wo und bei wem die Polizei wegen eines Tigers geforscht hatte. Er war ganz sicher, daß ein Varieté dabei nicht vorgekommen war. Dieser Spur mußte er unbedingt nachgehen. Cobbler war noch nicht fertig. So leicht kam der Geisterjäger nicht fort. »Was mir starke Kopfschmerzen bereitet, ist dieser blödsinnige Widerspruch der Trittspuren, Mister Black. Mal vom Tiger, mal vom Menschen. Gulick schreibt was von einer Wandlung, und ein Zeuge will einen Mann aus dem Haus in der Lebanon Road kommen gesehen haben, aber keinen Tiger.« Er machte eine Handbewegung, die zum Ausdruck brachte, daß er dieser Aussage des Zeugen nicht absolut größtes Gewicht beimaß. »Außerdem ist er ein Kollege des Reporters und hat den – na, ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken – Doppelmord in Gulicks Wohnung entdeckt. Seine Aussagen können dadurch beeinflußt worden sein. Dem Zeugen will ein ungewöhnlich schlenkernd-schleichender Schritt an dem Unbekannten aus dem Haus aufgefallen sein.« »Den Mann mit dem auffälligen Gang hat man natürlich nie mehr gesehen, oder?« Cobbler zeigte auf die beiden Kaffeetassen. »Trinken Sie, ich habe die Brühe für Sie kommen lassen. Andere Genüsse kann ich Ihnen nicht anbieten. – Also, was Ihre Frage betrifft –
nein, den richtigen Mann nicht. Aber unsere Leute haben eine ganze Menge Bürger angeschleppt, die sich anders als normal bewegen. Wir haben sie überprüft, und ich habe mir einen ganzen Sack voll Ärger eingehandelt.« So, wie Cobbler dies sagte, und sein Gesichtsausdruck, den er dazu machte, ließ Hanako und Gordon Black ahnen, was sich abgespielt hatte. Wahrscheinlich waren auch Bürger von böswilligen Nachbarn aus Gehässigkeit denunziert worden. Es lag auf der Hand, daß es sich bei den überprüften Leuten um Menschen mit Gehschwächen handelte, mit mehr oder weniger stark ausgeprägten körperlichen Leiden. Möglicherweise sogar um Prothesenträger. Cobbler war wahrhaftig nicht zu beneiden. Nirgendwo lagen die Licht- und Schattenseiten enger beisammen als bei der Arbeit einer Mordkommission. Der Officer schlürfte den Rest seines Kaffees. Gordon Black und Hanako bemächtigten sich der Tassen, um Cobbler nicht zu vergrämen. Wenn Gordon Black den Erfolg oder Nichterfolg der Fahndungsaktion nach einem Mann mit auffälligem Gang richtig wertete, dann waren zusätzlich Menschen durch das Netz der Polizei gesiebt worden, und es war niemand in den Maschen hängengeblieben. Cobbler hob den Telefonhörer ab und verlangte von jemand, daß die Abgüsse gebracht würden. Abgüsse? Hanako runzelte die Stirn, und der Geisterjäger beobachtete Cobbler. Der Polizist schnitt ein Gesicht, als fürchte er, sich gleich unsterblich zu blamieren. Starr blickte er auf die Tür, als käme dort das Verhängnis herein. Ein uniformierter Mann mit geknickter Boxernase und gewaltigen Blumenkohlohren trug eine flache Holzkiste herein, die fast wie eine Schublade aussah. Er schien froh zu sein, das Zeug vorerst los zu haben.
Jedenfalls richtete er einen hoffnungsvollen Blick auf den Geisterjäger und Anwalt aus New York und einen überaus nachdenklichen auf die bildhüsche Asiatin auf dem zweiten Besucherstuhl. »Danke, Sie können gehen«, meinte Cobbler und machte eine wedelnde Handbewegung. Einen Augenblick lang sah es aus, als wollte der uniformierte Mann etwas zu den Besuchern sagen. Er entschied sich anders. Vielleicht war es etwas, das seinen Vorgesetzten gegen ihn aufbrachte, wenn er’s los wurde. Cobbler wartete, bis die Tür geschlossen war. Dann wies er auf die Kiste. »Das ist die Ausbeute. Eigentlich wäre es etwas fürs Kuriositätenkabinett.« Er langte hinein und brachte Gipsabgüsse von gewaltigen Tatzen zum Vorschein. »Das sind die Andenken an den Tiger. Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich von diesen Souvenirs entzückt bin.« Nacheinander deponierte er die Abdrücke auf seinem Schreibtisch. Die Gipstatzen waren numeriert. »Diese stammen aus dem Mordfall Forrest«, erläuterte er und wies auf die Mehrzahl der Abgüsse. »Ein Mann, der wahrscheinlich mal Großwildjäger war, sagte mir in der Mordnacht, kaum daß er einen Blick auf die Spuren geworfen hatte, es sei ein Tiger, und das Biest sei ungefähr zweieinhalb Meter lang und ungefähr vier Zentner schwer. Zoologische Experten haben dies später bestätigt…« »Hat es etwas zu bedeuten, daß der Mann europäische Maßangaben gemacht hat?« unterbrach Gordon Black den Officer. Cobbler lächelte jovial. »Das ist mir erst auch aufgestoßen, aber ich habe dann gehört, daß der Mann viele Jahre in Europa gelebt hat. Der Großwildjäger natürlich.« Und damit griff er wieder in die Kiste und brachte Abgüsse von Schuhabdrücken ans Licht. »Es hat also überhaupt nichts zu bedeuten. – Das
hier schon! Ich stand selber vor der Spur, wo die Tigerfährte plötzlich in eine Menschenfährte überging. Ich verstehe es immer noch nicht. Als es hell war, habe ich meine besten Leute noch einmal hingescheucht. Mit Lupen mußten sie den Boden abgrasen. Es hätte ja sein können, daß jemand mit einer Harke herumhantiert hat und uns hereinlegen wollte.« Um zu unterstreichen, daß es über sein Begriffsvermögen ging, schüttelte Cobbler den Kopf. Hanako schlug die Beine übereinander, und es war ein recht sehenswerter Anblick. Der Polizist war für Sekunden abgelenkt. Gordon Black lächelte verständnisvoll, und das in zweifacher Hinsicht. Cobbler war schließlich auch bloß ein Mann und zeigte sich empfänglich für weibliche Reize. Aber er hatte so gar keinen Draht zu okkulten Vorgängen. Deshalb sagte der Geisterjäger auch: »Nehmen Sie es doch, wie es ist – daß aus einem Menschen ein Tiger wird und aus dem Tiger wieder ein Mensch. Zumindest würde diese Reihenfolge diese verwirrenden Spuren erklären.« »Da verlangen Sie aber reichlich viel von mir«, regte sich Cobbler auf. Dann fügte er etwas versöhnlicher hinzu: »Na ja, so ganz mit rechten Dingen scheint es nicht zuzugehen. Deshalb dachte ich ja auch, ich schreibe Ihnen und profitiere von Ihrem seltsamen Job.« »Das ist kein Job«, widersprach Gordon Black. »Sondern eine Notwendigkeit. Aber das wollen wir jetzt nicht erörtern. Haben Sie auch im Falle Gulick und in den begleitenden Todesfällen Tigerspuren gefunden?« Diese Frage traf unbeabsichtigt den empfindlichsten Nerv von Cobbler. Er wurde kiebig. »Werden Sie nur nicht ulkig! Wie hätten wir auf Beton und Stein und Teppichboden Tigerfährten oder was anderes feststellen können? Die Gerichtsmediziner haben dennoch einwandfrei nachgewiesen, daß ein mörderisches Raubtiergebiß zugepackt und den Opfern
das Herz herausgerissen hat. Wie übrigens auch in den auswärtigen Fällen. Also, welche Vorschläge können Sie mir machen?« »Vorerst keine«, sagte Gordon Black gerade heraus. »Ich kümmere mich auf meine Art um dieses Phänomen. Ich habe eine Bedingung.« »Und die wäre?« fragte Cobbler mißtrauisch. »Wollen Sie mir in die Arbeit hineinpfuschen?« »Höflich sind Sie nicht gerade«, bemängelte der Geisterjäger und zählte mit gleicher Münze zurück. »Soweit ich sehe, ist Ihre Arbeit in die Sackgasse geraten.« »Sie wiederholen sich!« »Um so besser. Also versuche ich es mal mit meiner Methode, und es wäre für beide Seiten nützlich, wenn Sie oder Ihre Leute mir nicht ins Gehege geraten. Ein anderer Ausweg bietet sich Ihnen gar nicht.« »Sie legen wohl keinen gesteigerten Wert darauf, sich beliebt zu machen, wie?« versetzte Cobbler ergrimmt. »Überhaupt keinen.« Der Officer schluckte die Antwort. Weil er schon alles versucht hatte und ehrlich genug war, sich nicht länger etwas vorzumachen, sah er ein, daß höchstens noch eine unkonventionelle Methode die mysteriösen Fälle der Aufklärung zuführte. »In Ordnung, Sie haben freie Hand!« räumte er widerwillig ein. »Danke, das wollte ich nur hören. Ich melde mich wieder.« Gordon Black schob die geleerte Kaffeetasse zurück und stand auf. Hanako entwirrte die Beine, was Cobbler erneut fasziniert verfolgte. Er brachte seine Besucher bis zur Tür. Immerhin. Er wollte sich nicht nachsagen lassen, die Polizisten in Pittsburgh seien ungalant oder gar richtige Stoffel. Als der Geisterjäger und die
Asiatin schon auf dem Flur standen, hielt er sie mit der Frage auf: »Was hat es eigentlich damit auf sich, daß Gulick einen Brief unmittelbar vor seinem Tod verfaßt und mit Kaido unterzeichnet hat? Er war früher ein berühmter Hellseher, wir haben jede Menge Fotos und Zeitungsausschnitte in der Wohnung gefunden. Aber das erklärt den Brief nicht. Ihr Name samt Adresse stand nur in einem kleinen Notizbuch, das er bei sich hatte.« »Er gehörte den Weißen Magiern an«, sagte Gordon Black mit Ernst und Feierlichkeit in der Stimme. »Weiße Magier, so?« machte Cobbler und schluckte. »Scheint nicht ganz ungefährlich zu sein.« Gordon Black startete erst gar nicht den Versuch, Cobbler auseinanderzusetzen, wer und was die Weißen Magier waren. Der Mann hatte Vorurteile, und die würde er nie aufgeben. Und daß Ed Gulick diesem magischen Tiger zum Opfer gefallen war, beruhte auf einem Zufall. Einem grausamen allerdings. Dieses bedauernswerte Mädchen der Familie von Hawaii gehörte so wenig zur Loge der Weißen Magier wie Zachary Tidball oder Sam Forrest. Also war es einwandfrei ein Zufall. Cobblers Vermutung, die Zugehörigkeit zu den Weißen Magiern sei nicht ganz ungefährlich, war blanker Unsinn. »Sie machen sich völlig falsche Vorstellungen«, sagte Gordon Black und faßte Hanako am Arm. »Weiße Magier sind Leute wie Sie und ich – zum Beispiel.« Das Gesicht, das Cobbler schnitt, machte ihm klar, daß er den Mann nicht die Bohne überzeugt hatte. *** Wanamaker schien getreulich neben dem Caddy ausgeharrt zu haben. Jedenfalls stand er dort wie der Zerberus vor dem
Höllentor. Er war aber doch tätig geworden. Seine Habichtnase war noch spitzer. »Ich habe Kontakt mit Mister Liser aufgenommen. Sie wünschten ja ein Treffen mit ihm«, sagte er und räusperte sich anhaltend. Liser war der Mann, der diesen Zachary Tidball zu Gulick gefahren und den Mann mit dem schlenkernd-schleichenden Gang gesehen hatte. »Ja, und?« fragte Gordon Black und hatte wegen Wanamakers Räuspern kein gutes Gefühl. »Der Mann ist ein habgieriger Wicht.« Wanamaker schaute, als müßte er eine tote Ratte anfassen. »Er will Geld aus der Sache herausschlagen. Tausend Dollar verlangt er.« »Ist er übergeschnappt?« staunte der Geisterjäger. »Haben Sie ihm nicht gesagt, daß ich kein Interview mit ihm will, sondern bemüht bin, den Tod seines Kollegen Tidball aufzuklären?« »Das habe ich wohl«, meinte Wanamaker, »und unter diesen Umständen gewährt er einen Rabatt von zweihundert Dollar. Drunter tut er’s nicht, sagt er.« Helle Empörung sprach aus den Worten. Wanamaker mochte zwar unheimlich aussehen, aber das hatte nichts mit seinem Gemüt und seinem Charakter zu tun. Er wußte, was Anstand war. Was Liser verlangte, war unanständig. Im höchsten Grade. Die Wut packte den Geisterjäger. »Sind Sie gut zu Fuß und sportlich?« fragte er mit einem wilden Gesichtsausdruck Wanamaker. »Ich war einmal ein gefragter Baseballspieler«, gestand der Mann. Danach sah er bei Gott nicht aus. Er war ein unerschöpflicher Quell immer neuer Überraschungen. »Okay, wenn Sie diesen Liser treffen, dann holen Sie kräftig mit dem Fuß aus und treten Sie den Kerl in den Hintern!«
»Ich werde es zu Ihrer Zufriedenheit erledigen«, versprach Wanamaker, ohne eine Miene zu verziehen. »Welchen Schritt unternehmen Sie jetzt? Sie sehen nicht wie ein besonders zufriedener Mann aus. Mit Officer Cobbler auszukommen ist fast unmöglich.« »Genau dieser Eindruck hat sich mir auch aufgedrängt. Aber ich bin ja nicht hergekommen, um bei der hiesigen Polizei eine Filiale zu eröffnen.« Gordon Black dachte an dieses Tigerplakat. »Fahren Sie uns in der Stadt herum. Einfach so. Oder falls dies Ihrer Auffassung von korrekter Pflichterfüllung widerstrebt, dann bringen Sie uns meinetwegen zu dem Ort, wo Forrest umgekommen ist.« »Das Haus werden Sie und Miß Kamara nicht betreten können. Der Staatsanwalt hat die Hand darauf.« »Ich denke nicht, daß es uns weiterbringt, wenn wir das Haus aufsuchen.« »Ja, dann!« machte Wanamaker etwas ratlos. Er konnte sich nicht vorstellen, wozu eine Spazierfahrt sonst gut sein mochte. Aber er hatte seine Anweisungen bekommen, dem Gast aus New York jeden realisierbaren Wunsch zu erfüllen. Also fuhr er den Geisterjäger und die charmante junge Dame in Pittsburgh herum. Gordon Black hielt Ausschau nach einem Plakat. Seine Phantasie war bereits voll damit beschäftigt, was es damit wohl für eine nähere Bewandtnis hatte. Wanamaker brachte den Cadillac keine Meile weit, als der Geisterjäger ein solches Plakat sichtete. Es war identisch mit dem in der Lebanon Road. Der Wagen rollte genau darauf zu, weil die Straße sich voraus gabelte. Aufmerksam peilte Gordon Black durch die Windschutzscheibe. Einen besonders hohen künstlerischen Anspruch erhob das greuliche Plakat gewiß nicht. Es war eben auffällig, und das sollte es auch sein.
In der rechten oberen Ecke prangte ein Tigerkopf, links oben lächelte ein Mann in besticktem Jäckchen und mit einem Turban auf dem Kopf vom Papier wie ein pensionierter Maharadscha. ›Bahadur und sein Bengaltiger – die Weltsensation‹ verkündete das Plakat in kühner Übertreibung. Gordon Black hatte noch nie etwas von Bahadur gehört, geschweige denn von einem Bengaltiger, der in einer Weltsensation mitwirkte. Aber Amerika war bekanntlich ein großes Land, und vor allem war es immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der persönlichen Freiheiten. Es räumte auch diesem Bahadur jede Freiheit ein, solange sie auf dem Boden der Legalität stand. Was den phantasievollen Namen betraf, so schätzte der Geisterjäger, daß dieser Bahadur im zivilen Leben Smith oder Brown hieß. Wanamaker näherte sich langsam der Straßengabelung, und Gordon Black hatte reichlich Gelegenheit, die weiteren Reklamesprüche auf dem Plakat zu genießen. Bahadur wollte überall auf der Erde Riesentriumphe gefeiert haben. In Sidney, in Rom, in Stockholm, in Paris und Madrid, in London und Buenos Aires ebenso wie in Rio und Mexiko Stadt. Natürlich auch in den USA. In Los Angeles und San Francisco, Las Vegas und Houston. Der Mann schien mit seinem Tiger immer nur die großen Städte zu beehren. Das ließ sich natürlich werbewirksam ausschlachten. Hier in Pittsburgh trat Bahadur in einem Varieté namens ›Paradiesvogel‹ auf. Gordon Black stieß Hanako an und machte eine Kopfbewegung gegen das Plakat draußen, dem sie näher kamen. »Schon gesehen«, meinte sie.
In diesem Augenblick bog Wanamaker links ab. Voraus tauchten Bäume auf, ein Stück Fluß war zu sehen. Es mußte der Allegheny River sein. »Kennen Sie den ›Paradiesvogel‹?« fragte der Geisterjäger ohne irgendwelche böse Absicht. Wanamaker tippte so energisch auf die Bremse, daß Gordon und Hanako ums Haar zur Windschutzscheibe hinausgerauscht wären. »Mister Black!« sagte Wanamaker dann, und diese beiden Worte brachten seine ganze Erschütterung zum Ausdruck. »Verstehe«, meinte Gordon Black. »Eine Lokalität von etwas zweifelhaftem Charakter.« »Ein Sündenpfuhl!« schnaubte Wanamaker. »Ein Ort des Lasters und der Verderbnis!« »Auch solche Orte haben ihre Existenzberechtigung«, sagte der Geisterjäger. »Fahren Sie uns zum ›Paradiesvogel‹.« Wanamaker kämpfte sein Entsetzen nieder und schluckte hörbar. »Wenn es unbedingt sein muß!« meinte er dann und bog in die nächste Straße rechts ein. Nach einer halben Stunde hielt er vor einem Etablissement, das ursprünglich wohl als Supermarkt konzipiert war. Vielleicht hatte der Supermarkt zu wenig Profit abgeworfen, jedenfalls war jetzt das anrüchige Varieté darin untergebracht – neben einem Kino, einer Automatenspielhalle und einem Popcorn-Imbiß. Der Anlage haftete so gar nichts Paradiesisches an. Dazu mußte es wohl Nacht sein. Wenn eine Unmenge Lampen und bunte Lichter brannten, erlag man wohl eher einer Illusion. Gordon Black bedeutete Wanamaker, er möge warten. Mit Hanako betrat er den ›Paradiesvogel‹ und wäre fast wieder rückwärts hinausbefördert worden., Es war noch kein Betrieb, es wurde geprobt, und ein Bursche mit verschwitztem Hemd und einer zerkauten Zigarre im Mundwinkel spielte sich als der wichtigste Mann in diesem
Laden auf. Erst als der Geisterjäger reaktionsschnell zu verstehen gab, er sei extra wegen der Tigersensation gekommen, wurde der verschwitzte Mensch zugänglicher. Er musterte obendrein Hanako und gestattete sich ein vertrauliches Grinsen. »Geschmack haben Sie, Mister, was Puppen betrifft«, meinte er. Hanako zog unwillig die Brauen hoch. Gordon Black wedelte mit der Hand. »Sie kommen vom Thema ab, fürchte ich. Also, ich möchte zwei Karten für heute abend. Gute Plätze. Und für Sie ist was drin.« Der Mensch kratzte sich am Kopf. »Fünfzig Dollar, alles inklusive?« schlug er dann vor. Es war gut, daß Gordon Black neben einer Säule stand. Haltsuchend klammerte er sich fest. Fünfzig Dollar? War der Mann übergeschnappt? Aber der Bursche sah eigentlich schon aus, als sei er geistig auf der Höhe. »Zu uns kommen nur die besten Herrschaften«, sagte er. »Bahadur ist ‘ne echte Sensation. Jede Vorstellung ausverkauft, ehrlich. Sie können natürlich auch auf Karten zu regulären Preisen hoffen – vielleicht erwischen Sie in zwei Wochen welche.« »So lange kann ich nicht warten«, klärte der Geisterjäger den Mann auf und deutete das gierige Funkeln in dessen Augen richtig. Die Karten kosteten wahrscheinlich nur zwanzig Dollar. Den satten Profit von dreißig Dollar steckte er ein, und er schien Geschäfte dieser Art nicht zum ersten Male zu machen. Gordon Black fingerte fünfzig Dollar aus der Brieftasche und gab sie dem Mann. Der entschuldigte sich für ein paar Minuten und kam mit zwei Karten für den Abend zurück. Er zeigte auch die Plätze. Sie befanden sich ganz vorne in der ersten Tischreihe.
»Abendanzug«, raunte er wie ein Verschwörer. »Die Damen kommen auch seriös.« Es fehlte nicht viel, und Hanako hätte prustend losgelacht. »Wir werden uns bemühen, den hohen Anforderungen gerecht zu werden«, sagte Gordon Black ernsthaft. »Wissen Sie, wir sind extra aus New York herübergekommen.« »Was Sie nicht sagen!« Das Staunen des tüchtigen Kartenhändlers war echt und aufrichtig. »Ich bin Anwalt«, klärte Gordon Black weiter auf und überging das schmerzvolle Zusammenzucken seines Gegenübers. »Ich muß wie jedes Jahr das Fest der Anwaltskammer organisieren. Und mir schwebt vor, die Tigersensation in dieses Jahresfest einzubauen. Mit wem verhandle ich?« »Na, mit Bahadur ganz bestimmt nicht. Das ist ein ganz komischer Heiliger, und das meine ich so, wie ich’s sage. Der redet überhaupt mit keinem von uns. Hockt nur da und medi... medi... also, er denkt über irgendwas nach…« »Er meditiert«, half Gordon Black dem Mann auf die Sprünge. »Sag ich doch. Ein hochnäsiger Pinsel ist der trotzdem. Aber er hat was auf dem Kasten, sage ich Ihnen. Wenn er auf der Bühne steht. Er hat Tricks drauf, da legen Sie glatt die Ohren an! Wenn Sie ihn für Ihren Verein nach New York holen wollen, müssen Sie mit seiner Agentur verhandeln.« »Und welche ist das?« »Muß ich erst fragen.« Er latschte davon und war fünf Minuten später zurück. »Also, unser Boß hat ihn über die Künstleragentur Stone und Martin in Los Angeles bekommen. – Mann, wird ‘n teurer Spaß für Ihren komischen Verein, kann ich Ihnen sagen. Brauchen Sie nicht auch ‘n paar andere Nummern? Ich hätte da was an der Hand und könnte Ihnen einen Vorzugspreis machen.« »Darüber könnte man zur gegebenen Zeit sprechen«, meinte
Gordon Black vage. Das verpflichtete ihn zu nichts und hielt ihm alle Türen offen. »Und mit Bahadur selber kann man also nicht reden?« »Ausgeschlossen!« wehrte der Mann ab. »Der Meister schwebt irgendwo da oben und gibt sich mit Gewürm wie unsereinem nicht ab.« »Aha!« machte der Geisterjäger und dämpfte die Stimme. »Im Vertrauen, was ist er eigentlich für ein Landsmann?« »Na, ‘n Inder, denke ich doch. Ein echter, Mister, ich bin lange genug in dem Job, ich glaube schon, daß er einer ist. Oder er hat lange in Indien gelebt.« »Dann ist er wohl schon älter?« bohrte Gordon Black sofort nach. »Versuchen Sie mal Leute vom Varieté aufs richtige Alter zu schätzen! Mann, eher tippen Sie die Anzahl Flöhe richtig, die ein Hund mit sich rumschleppt! Also, beim Meister kann ich Ihnen wirklich nicht helfen. Vielleicht ist er erst vierzig, er kann ebensogut auch sechzig sein. Manchmal sieht er mächtig alt und verschrumpelt aus, dann wieder ist er glatt wie ein frisch geölter Kinderpopo. Ich leg mich da lieber nicht fest.« Der Geisterjäger nickte verständnisvoll. »Und der Tiger ist hier im Haus?« »Sicher. Das ist die Grundbedingung. Der Meister tritt nirgendwo auf, wo er seine Raubkatze nicht immer um sich haben kann. Er steckt das Biest natürlich in ‘nen Käfig, denn frei rumlaufen lassen mag er es nicht. Aber er läßt dennoch keinen ran. Jeder hat eben so seine Macken.« Das konnte sich Gordon Black lebhaft vorstellen. Künstler und Artisten waren ein ganz besonderes Völkchen. »Und was bietet er denn so?« erkundigte er sich. Auf dem Ohr war der Kartenhändler schwerhörig. »Kommen Sie und sehen Sie selber, Mann! Der ganze Witz ist ja beim Teufel, wenn ich Ihnen sein Programm aufsage. Aber seine Tricks sind große Klasse.«
Das hatte er schon einmal gesagt. »Dann bis heute abend«, meinte Gordon Black. »Ich bin wirklich gespannt, ob der Mann so gut ist, wie auf den Ankündigungen behauptet wird.« »Besser, viel besser«, versicherte der verschwitzte Mensch. Damit wandte er sich ab und scheuchte auf der Bühne ein paar Mädchen herum, die eine recht anspruchsvolle Hopserei boten. Sie steckten in Übungstrikots. Wenn sie zur Vorstellung Kostüme anhatten, sah die Schau bestimmt fabelhaft aus. Der Geisterjäger verließ mit Hanako den ›Paradiesvogel‹. »Ich bin gespannt«, sagte sie. »Vor allem, weil du nie etwas ohne Grund tust. Denkst du, dieser Bahadur hat mit den Mordfällen etwas zu schaffen?« »Ich muß irgendwo ansetzen, und Cobbler hat zwar alle möglichen Einrichtungen und Leute erwähnt, die mit Tigern zu tun haben, aber dieses Varieté ist in seiner Aufzählung nicht vorgekommen.« »Er wird’s vergessen haben.« »Seine Vergeßlichkeit würde mich fünfzig Dollar kosten. Wir sehen uns den Auftritt jedenfalls an. – Meister, hat er gesagt. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich davon halten soll.« Wanamaker empfing sie draußen mit einem Gesicht, als seien sie in den zehn Minuten, die sie im ›Paradiesvogel‹ verbracht hatten, kräftig vom Pfad der Tugend abgekommen. Ziemlich unterkühlt fragte er nach den weiteren Plänen, und er schlug vor, doch erst einmal der Wohngegend von Sam Forrest den Besuch abzustatten. Gordon Black winkte ab. »Das hat sich erledigt«, meinte er, »ich schätze, ich käme dadurch keinen Schritt weiter. Bringen Sie uns zum Hotel zurück.« Wanamaker ließ sie einsteigen. Als er den Wagen in Bewegung gesetzt hatte, fragte er verschnupft: »Sind Sie mit meinen Diensten nicht zufrieden?« »Doch, sehr, und Sie können sich auch weiterhin nützlich
machen. Beschaffen Sie mir sämtliche Zeitungen der Stadt, alle Ausgaben der letzten vierzehn Tage. Wie lange ist dieser Bahadur mit seiner Tigernummer eigentlich in Pittsburgh?« Wanamaker riß die Augen auf und wandte den Kopf. Aber rasch konzentrierte er sich wieder auf die Straße und den Verkehr. »Das weiß ich nicht, aber ich werde es für Sie herausfinden.« »Tun Sie das, und lassen Sie es mich vor dem Abend wissen. Miß Kamara und ich werden übrigens die Vorstellung im ›Paradiesvogel‹ besuchen. Wenn Sie uns fahren möchten?« »Jederzeit«, versicherte Wanamaker. Zufällig sah Gordon Black einen Wagen schräg gegenüber vom ›Paradiesvogel‹ vom Bordstein wegscheren, einen haarsträubenden Bogen fahren und ihnen dann folgen. Das konnte natürlich ein Zufall sein, aber er wollte sich lieber nicht darauf verlassen. Er schaute immer häufiger aus dem Heckfenster. Der Wagen blieb dran. Gordon Black sah zwei Insassen, er konnte sie aber nicht erkennen. Wanamaker war nicht auf den Kopf gefallen. Er schien ein unheimliches Gespür für besondere Situationen zu haben. Jedenfalls entging ihm der hartnäckig folgende Wagen nicht. »Ich würde sagen, wir werden verfolgt«, meinte er schließlich in unglaublich trockenem Ton. »Wünschen Sie, daß ich die Gentlemen versetze?« »Mich interessiert ungemein, wer sich da an uns klammert.« »Auch das läßt sich arrangieren«, versicherte Wanamaker und drückte schon das Gaspedal durch. Der Cadillac machte einen Satz vorwärts. Mit beängstigend steigendem Tempo knüppelte der Mann das Fahrzeug die Straße entlang und kurvte ohne Vorwarnung in eine verzweifelt schmale Gasse. Die Reifen kreischten zum Gotterbarmen.
Der Caddy hob sich rechts. Einen entsetzlich langen Augenblick sah es aus, als würde er sich überschlagen oder zumindest auf dem Dach liegenbleiben. Gordon Black wurde gegen die Innenverkleidung gedrückt, und Hanako flog mit Wucht auf ihn und klebte an ihm fest, bis die Fliehkraft nachließ. Wanamaker murmelte: »Ich bitte um Nachsicht!« Und dann lenkte er ebenso rüde wie zuvor den Wagen in eine Fabrikeinfahrt, wie es schien. Seine Fahrkünste mußte er in einem Rennstall erworben haben. Er ließ den Cadillac herumschleudern, daß er mit dem Kühler wieder zur Einfahrt zeigte, und trieb den Wagen hinaus in die Gasse. Und dann stieg er auf die Bremse. Gordon Black und Hanako meinten, ihr letztes Stündlein sei jetzt abgelaufen. Denn mit unverschämter Fahrt schoß der Wagen, der ihnen so hartnäckig folgte, von der Straße her in die Gasse herein und genau vor den Kühler des Cadillac. Aber Wanamaker hatte sein Fahrzeug in der Gewalt und brachte es zum Stehen. Allerdings hätte keine gefaltete Zeitung mehr zwischen den Kühler vom Caddy und die Beifahrertür des anderen Wagens gepaßt. Ein entsetztes Gesicht starrte aus dem Fenster. Na, das kam Hanako und Gordon Black aber mächtig bekannt vor. Es gehörte Cobbler. Der Officer beschattete sie eigenhändig! Das war schon ein starkes Stück! Wanamaker setzte den Cadillac etwas zurück. Cobbler sprang aus dem Wagen wie vom Affen gebissen. Sein Gesicht wurde krebsrot und sein Hals dick. »Völlig verrückt geworden?« brüllte er Wanamaker an. Sein Chauffeur krabbelte auf der anderen Seite heraus, und die Jacke des Mannes hatte unter der linken Achsel eine
verdächtige Ausbuchtung, die bestimmt nicht von einer zu dicken Brieftasche herrührte. »Das ist Cobbler!« zischte Gordon Black Wanamaker zu. Der nickte. »Ich kenne ihn. Er platzt gleich.« »Besser nicht. Reizen Sie ihn nicht, er ist schrecklich geladen.« Wanamaker leierte das Fenster herunter. »Oh, Sie sind das, Officer? Das konnte ich natürlich nicht ahnen? Ich dachte, ein schräger Vogel ist hinter meinen Fahrgästen her. Nichts für ungut.« Er sprach leidenschaftslos. Aber Cobbler merkte bei jedem Wort, daß er auf den Arm genommen wurde. Cobbler wischte sich die Stirn ab, machte eine wütende Handbewegung und starrte zu Hanako und Gordon Black herein. »Für solche Scherze haben wir hier verdammt wenig Verständnis, Mister! Merken Sie sich das und verbieten Sie dem Burschen künftig solche Manöver. Im übrigen können Sie sich diesen Tigerfritzen vom ›Paradiesvogel‹ abschminken. Den haben wir auch durchleuchtet. Außer, daß er ‘nen leichten Knall hier oben hat«, er tippte sich an den Kopf, »ist dem Burschen nichts vorzuwerfen. Hat ‘ne reguläre Aufenthalts-, Arbeits- und Künstlererlaubnis, seinen Tiger hat er ordnungsgemäß eingeführt und sechs Wochen in Quarantäne gehalten, und seine Alibis sind wasserdicht wie ‘n U-Boot.« »Davon haben Sie aber kein Wort erwähnt«, entgegnete Gordon Black recht frostig. »Ich hielt es nicht für wichtig, und das ist es wohl auch nicht«, sagte Cobbler noch immer aufgebracht. »Tja, ich hoffte hier jedenfalls auf eine Spur zu stoßen«, gestand der Geisterjäger. »Es war ein Versuch.« Cobbler grinste, und Gordon Black meinte fast auch Schadenfreude im Gesicht des Officers zu erkennen. Natürlich hielt der große Stücke auf seine polizeiliche Arbeit und die Sorgfalt, mit der er und seine Leute die Ermittlungen geführt
hatten. Vielleicht war es auch die Genugtuung darüber, daß ein sogenannter Geisteriäger auch nur mit Wasser kochte. »Dann wünschen wir Ihnen noch einen angenehmen Tag«, sagte Gordon Black. Wanamaker faßte die Worte als Aufforderung auf, die Gegend möglichst rasch, aber gesittet zu verlassen. Also kitzelte er mit Feingefühl das Gaspedal und rollte an dem verbissen schauenden Cobbler und seinem ausgebeulten Fahrer vorbei in die Gasse und weiter auf die Straße. »Der gute Mann ist hartnäckig«, orakelte Wanamaker. »Er wird sich etwas anderes einfallen lassen.« »Ja, ich merkte schon im Stadthaus, daß er darauf brennt, wie ich diese Fälle angehe. Es ändert sich überhaupt nichts. Beschaffen Sie mir die Zeitungen und die Auskunft über den Tigermann, der im ›Paradiesvogel‹ auftritt.« Gordon Black sank in die Polster zurück. Im Gegensatz zu seinen starken Worten hatte er aber gewaltige Zweifel, ob die Mühe überhaupt lohnte, sich mit dem Meister Bahadur zu befassen. Aber irgendwo mußte er schließlich beginnen. Das durften die Weißen Magier von ihm erwarten. Außerdem hatte er seinen Ruf als Geisterjäger zu verlieren. Und da waren die Opfer der scheußlichen Verbrechen. Und Kaidos Vermächtnis in Gestalt seines letzten Briefes. *** In der Hotelhalle hatte er das Gefühl, angestarrt zu werden. An Hanakos Reaktion merkte er, daß es ihr nicht anders erging. Sie sagte auch noch: »Da ist jemand, und er interessiert sich für uns.« In der Hotelhalle hielten sich mindestens fünfzig Menschen
auf. Da den richtigen herauszufinden war unmöglich. Der Geisterjäger tippte auf einen Mann von Cobbler. Er kannte dessen Mitarbeiter ja nicht, aber der Officer hatte sich als unangenehm neugierig erwiesen, daß er ihm auch zutraute, inzwischen ihr Quartier ausfindig gemacht zu haben. Während sie mit dem Lift hinauffuhren, fragte Hanako: »Hast du einen Abendanzug im Gepäck?« »Nicht die Spur, auf einen Galaabend in einem anrüchigen Etablissement war ich nicht eingerichtet. Sieht so aus, als würde der Ausflug hierher noch ganz schön teuer.« »Deine Freunde übernehmen die Kosten«, hielt Hanako dagegen. »Ein Kleid für mich müßte heraussprengen.« Der Geisterjäger seufzte entsagungsvoll. »Sie werden glauben, meine Kanzlei ernähre ihren Mann nicht. Also gut, wir werden uns nachher noch nach passender Garderobe umtun.« Sie hatten nebeneinanderliegende Zimmer. Gordon Black machte sich Notizen, während er nebenan Hanako unter der Dusche rumoren hörte. Nach einer Weile klopfte es dezent an der Tür. »Ist offen!« rief er. Es war Wanamaker. Er schleppte einen gewaltigen Stapel Zeitungen herbei und sah sich nach einer geeigneten Ablagemöglichkeit um. Das Sideboard schien ihm schließlich gerade recht zu sein. »Bahadur ist seit zehn Tagen in Pittsburgh«, sagte er. Mochte der Himmel wissen, wie und wo er diese Information so rasch bekommen hatte. Eine nicht minder großartige Leistung war das Beschaffen der Zeitungen. »Um wieviel Uhr wünschen Sie abgeholt zu werden?« erkundigte er sich und zog sich bis zur Tür zurück. »Die Vorstellung beginnt um acht Uhr. Sagen wir, Sie sind eine halbe Stunde vorher hier.« Wanamakers Raubvogelnase hackte durch die Luft. Dann
verschwand der Mann. Gordon griff zum Zimmertelefon und lockte Hanako an den Apparat. »Die Zeitungen sind schon eingetroffen, Wanamaker ist unschlagbar«, sagte er. »Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.« Fünf Minuten später war Hanako zur Stelle. Sie hatte das Haar in ein Handtuch eingebunden und rubbelte es trocken. »Ach du liebe Güte!« entsetzte sie sich, als sie der Zeitungen ansichtig wurde. »Wollen wir die alle lesen?« »Das fehlte noch! Mir kommt es auf eine bestimmte Anzeige an – ich hoffe jedenfalls, daß man das Gastspiel von Bahadur mit einer Anzeige angekündigt hat.« Leicht irritiert schaute sie ihn an. »Und wo ist der Nutzen?« »Noch versteckt.« Er grinste. »Du machst ein Gesicht wie Cobbler. Ich wette, der hält mich für leicht schwachsinnig. Also, hör zu. Wenn wir eine Anzeige finden, dann lassen wir die Blätter in allen Städten durchforsten, in denen sich solche Tigermorde ereignet haben. Werden wir fündig, dann ist Bahadur unser Mann.« Hanako ließ sich in komischem Entsetzen in einen Sessel plumpsen. Sie achtete dabei nicht sehr auf das mächtige Badetuch, in das sie ich gehüllt hatte. Jedenfalls klaffte es auseinander. »Du scheinst nicht zu beachten, daß Cobbler den Mann bereits durchleuchtet hat«, erinnerte sie. »Junge Damen, besonders, wenn sie die Mitarbeiterin eines Geisterjägers sind, sollten näherliegende Dinge beachten. Zum Beispiel aufklaffende Badetücher«, sagte er schmunzelnd. Mit einem Fauchen raffte Hanako das Tuch um sich. »Nachdem du nun ordnungsgemäß bekleidet bist, könnten wir eigentlich mit der Arbeit beginnen«, schlug er vor. Sie knieten sich in ihr Vorhaben hinein. Hanako fand die Anzeige. Mit mächtig viel Tamtam wurde auf die Galapremiere des unvergleichlichen Meisters am
heutigen Abend im ›Paradiesvogel‹ aufmerksam gemacht. Die Zeitung war elf Tage alt. Gordon Black schnitt sie aus. Dann rief er die Hotelvermittlung an und ließ sich eine Verbindung mit der Künstleragentur Stone und Martin in Los Angeles geben. Er wollte in der Leitung bleiben, aber die Hotelzentrale bedeutete ihm, es könnte dauern. Also legte er auf. Hanako schaute ihn mächtig gespannt an. »Was versprichst du dir jetzt davon wieder?« »Wenn ich den schlitzohrigen Kartenhändler im ›Paradiesvogel‹ richtig verstanden habe, macht die Agentur die Verträge für den großen Meister. Also werden sie auch wissen, in welche Städte sie ihn vermittelt haben. Ich lege eine Liste an und ziehe morgen Cobbler die Würmer aus der Nase. Du hast doch gehört, was er gesagt hat. Bisher hat es achtzehn Tote gegeben, die man ohne Herz gefunden hat.« »Von der Seite habe ich das gar nicht betrachtet«, räumte sie ein. »Und jetzt fällt mir etwas auf. Die Beschreibung deines obskuren Freundes in diesem Varieté von Bahadur war reichlich konfus. Man sieht doch einem Menschen an, ob er vierzig oder sechzig Jahre alt ist.« »Du hast ein kluges Köpfchen. Ich denke sogar daran, dem großen Meister nach der Vorstellung meine Aufwartung zu machen. Ich will ihm auf den Zahn fühlen.« »Wenn er überhaupt noch einen hat«, meinte Hanako anzüglich. Gordon Black barg die Anzeige in der Brieftasche und stapelte die Zeitungen auf den Papierkorb, weil der Behälter die Masse gar nicht aufnehmen konnte. Das Telefon klingelte. Die Hotelzentrale stellte das Gespräch nach Los Angeles durch. »Bin ich mit der Vermittlungsagentur Stone und Martin verbunden. So, Mister Stone ist selber am Apparat?« sagte Gordon. »Das trifft sich ja, ausgezeichnet. Sir, ich wäre Ihnen
für einige Informationen über Bahadur, den unvergleichlichen Meister, sehr verbunden. Ich möchte eine Artikelserie bringen, und Sie wissen ja, wie unzugänglich der Meister ist. – Richtig, das dachte ich mir, darum wende ich mich an Sie. Wann ist er denn erstmals aufgetreten? Nein, in den USA natürlich. Mein Name? Black, Sir. Gordon Black, ja.« Der Geisterjäger griff nach einem Block, Hanako drückte ihm einen Kugelschreiber zwischen die Finger. Dieser Mister Stone hatte eine unangenehm knarrende Greisenstimme. Aber den Wert kostenloser Reklame erkannte er natürlich. Er nannte Los Angeles als erste Stadt, in der Bahadur aufgetreten war, und er versäumte keineswegs zu erwähnen, daß es ein Riesenerfolg gewesen sei. Gordon Black hatte den richtigen Köder ausgeworfen. Er fragte Stone fast Löcher in den Bauch und bekam eine sehenswerte Liste von Städten zusammen. Pittsburgh kam darin auch vor. Die Tournee sollte weiter in den Osten führen und in New York enden. »Wann hat denn die Tournee begonnen?« fragte der Geisterjäger. »Vor einem Jahr, ziemlich genau sogar«, antwortete Stone. »Mann, in welchem Blatt erscheint denn überhaupt Ihre Story?« »Blatt?« entrüstete sich Gordon Black überzeugend. »Mister Stone, ich schreibe für sämtliche Hotelzeitungen, und die Artikelserie wird überall erscheinen.« Das hörte Stone gerne, jedenfalls klang seine Stimme mächtig entzückt und nicht mehr so knarrend. »Jetzt hätte ich natürlich noch gerne Persönliches über den großen Meister gehört«, sagte Gordon Black. »Ist er Inder?« »Ich glaube nicht«, sagte Stone vorsichtig. »Er hat einen australischen Paß, aber dort ist wirklich der Name Bahadur eingetragen. Einen anderen kenne ich nicht.«
»Hat er Familie? Kinder?« forschte Gordon Black, um sein Interview glaubwürdig klingen zu lassen. »Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich glaube auch nicht, daß diese Information für Sie wichtig ist«, belehrte Stone den Geisterjäger. »Die Leser mögen so etwas«, sprach Gordon Black dagegen. »Aber verzichten wir darauf.« Er legte sich die Liste zurecht. »Mister Stone, wir bringen auch Statistiken. Wie lange jemand wo aufgetreten ist. Für den Hotelverband ist das zusammen mit anderen Informationen aufschlußreich. Es sagt etwas aus über die Amüsierfreudigkeit der Bewohner. Können Sie mir sagen, wann der große Meister in welchen Städten wie lange aufgetreten ist?« Stone konnte, wenn er auch seiner sanften Verwunderung Ausdruck gab. Gordon Black notierte säuberlich alle Daten hinter den Städtenamen und bedankte sich bei Stone überschwenglich für die Auskünfte, und selbstverständlich werde er dafür sorgen, daß Belegstücke der Hotelzeitungen an die Agentur gingen, sobald die Artikel erscheinen würden. Er legte auf und starrte auf das Telefon. »Du bist der hartgesottenste Anwalt, den ich kenne«, gestand Hanako. »Von dir habe ich schon lange kein Kompliment mehr vernommen«, sagte er grinsend. »Dieses freut mich doppelt. Morgen werde ich bei Cobbler auf der Matte stehen und mal seine Liste mit meiner vergleichen.« »Was versprichst du dir davon?« »Ich bin kein Orakel, aber ich habe das Gefühl, daß ich dem guten Mann beweisen werde, daß ein Geisterjäger mindestens so gewissenhaft arbeitet wie der gesamte Polizeiapparat. – So, und jetzt bedecke deine Reize, wir haben noch Einkäufe zu tätigen.«
*** Wanamaker verzog keine Miene, als er zur vereinbarten Zeit den Geisterjäger und Hanako Kamara abholte. Die beiden hatten sich in Schale geworfen. Gordon Black schwitzte in einem mitternachtsblauen Anzug, von dem er behauptete, es sei ein Ladenhüter, was der Preis von hundertfünfzig Dollar schon beweise, und außerdem kneife die Jacke unter den Armen. Hanako war mit ihrem Einkauf hingegen zufrieden, und sie sah darin hinreißend aus. Das Kleid reichte bis zum Boden und wurde oben von bedenklich dünnen Spaghettiträgern gehalten. Die Farbe war identisch mit der ihres Haares. In der Halle hatte Gordon Black wieder die Anwandlung, daß er beobachtet wurde. Das beunruhigte ihn. Und auch jetzt fand er wieder nicht den Mann oder die Frau, die sich derart angelegentlich mit ihm und Hanako befaßte, daß er es körperlich spüren konnte. Denn zu viele Leute schauten her. Die Aufmerksamkeit galt aber nicht ihm, sondern seiner Begleiterin. Hanako sah umwerfend aus. Wanamaker stolzierte vor ihnen her und öffnete den Wagenschlag. Über die Achsel peilte Gordon Black zurück, um zu sehen, ob ihnen jemand folgte. Zwei Paare traten aus dem Hotel. Aber nur, um ein bereitstehendes Taxi zu besteigen. Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Er war mit diesem Auftakt nicht zufrieden. Die Fahrt zum ›Paradiesvogel‹ dauerte zwanzig Minuten. Beim Anblick der Gäste, die in den Amüsiertempel hineinmarschierten, schluckte er zweimal trocken. Der listige Kartenhändler hatte nicht die Spur übertrieben, als er Abendgarderobe verlangt hatte. Die Leute waren angezogen,
als ginge es zu einer Opernpremiere in der Metropolitan Oper in New York. Gordon Black gewann die Überzeugung, daß die fünfzig Dollar für die Karten gut angelegt waren, wenn das Programm so gut war wie die Gäste. Wanamaker wollte vor dem Varieté ausharren, aber der Geisterjäger schickte ihn nun heim und meinte, das Ende des Abends sei unbestimmt, und sie könnten auch ein Taxi nehmen. Ein leichtgeschürztes Mädchen kontrollierte die Karten und wies Gordon und Hanako den Tisch zu. Die Plätze waren wirklich hervorragend, die Bühne war nicht mehr als drei Armlängen entfernt. Was auch immer dort geboten wurde, sie bekamen es hautnah mit. Schlag acht Uhr war der Raum bis auf den letzten Platz besetzt. Hinten gab es sogar Gedränge. Da quetschten sich die Stehplatzbesucher. Ein verborgenes Orchester begann zu musizieren und fiedelte den Gästen fast die Ohren ab. Dann erschien der Ansager und machte die üblichen faden Späße, vorwiegend auf Kosten der Besucher. Überhaupt war die Gangart etwas derb. Aber die Preise der Getränke waren so gepflegt wie in New York auf dem Broadway. Es traten Gaukler und Feuerschlucker auf, eine Dame, die sich mit vier ausgewachsenen Riesenschlangen abmühte, ein muskulöser Mann, der mit einem fast zahnlosen Alligator Ringkämpfe aufführte, und die Mädchen, die Gordon und Hanako schon am Nachmittag auf der Bühne hatten die Beine schwingen sehen. Jetzt steckten sie in Flitterkostümen und boten wirklich einen sehenswerten Anblick. Von einem Programmzettel bekam der Geisterjäger nicht einmal eine Ecke zu sehen, aber die Gäste schienen über den
Ablauf bestens informiert zu sein, jedenfalls erhob sich kein Murren. Demnach schien der Auftritt Bahadurs ganz zum Schluß stattzufinden. Gewissermaßen als Höhepunkt und Finale. Gar so übel, wie es zuerst ausgesehen hatte, war das Programm gar nicht. Daran änderte nicht einmal die Darbietung eines Mädchens etwas, das einen Strip bot. Der Ansager kam hinzu und machte ein paar blöde Witze. Nach drei Stunden machte sich Unruhe bemerkbar. »Aha, der große Meister kündigt sich an«, raunte Gordon. Ein wütendes Zischen erklang vom Nachbartisch. Dann kam er, der gefeierte Bahadur, die Weltsensation. Das Publikum klatschte frenetisch Beifall, obgleich der Mann noch gar nichts gezeigt hatte. Gordon versuchte ihn zu schätzen. Er wurde nachdrücklich an die vage Angabe des Kartenhändlers erinnert. Bahadur war sozusagen ein zeitloser Mensch. Er konnte wahrhaftig vierzig wie auch sechzig Jahre alt sein. Seine Haut war dunkel, aber ein Inder war er bestimmt nicht. Vielleicht hatte er mit Farbe nachgeholfen. An seinem Turban glitzerten Steine, die, wenn sie echt waren, ein großes Vermögen darstellten. Über den nackten Oberkörper hatte Bahadur ein ärmelloses Jäckchen gezogen, genau wie auf den Plakaten. Neben der Pracht der glitzernden Steine sah es aber direkt schäbig aus. Der große Meister machte mit zusammengelegten Händen eine tiefe Verbeugung vor dem Publikum, was ihm erneut rasenden Beifall bescherte. Die Leute schienen zu wissen, daß sie auf ihre Kosten kamen. Das machte Gordon Black und Hanako natürlich neugierig. Und weil sie einen hervorragenden Platz hatten, schauten sie Bahadur ganz genau auf die Finger. Er stellte sich nämlich in Positur, schaute von der Bühne in den abgedunkelten Saal, klopfte seine Pluderhosen aus und konzentrierte sich. Seine Augen schienen sich zu verändern. Als er
hereingekommen war, hatten sie braun geleuchtet. Oder gar dunkel. Jetzt gewannen sie einen grünlichen Schimmer und schauten stechend. Hanako zog fröstelnd die nackten Schultern hoch, als der Mann gerade sie anschaute. Sie empfand eine fremde Kraft, die Gewalt über sie gewinnen wollte. Sofort blockte sie das Fremde ab. Kaum jemand bemerkte, daß Bahadur unwillig den Kopf schüttelte und dann noch einmal die Asiatin fixierte. Gordon bekam es mit, und er hatte sofort ein wachsames Auge auf seine Begleiterin und den Magier. Hanako mied den Blick des Meisters. Sie starrte auf einen imaginären Punkt auf dem dunklen Vorhang im Hintergrund der Bühne. Bahadur fuhr in seiner Konzentrationsübung fort. Atemlose Stille breitete sich aus. Ein dünnes Hüsteln drang von hinten. Dann griff der Mann mit der linken Hand in die Luft und hielt plötzlich eine Art Salzstreuer zwischen den Fingern. Diesen begann er zu schütteln, als wollte er die Bühne einsalzen. Sand rieselte heraus. Das Geräusch der Körnchen auf den Brettern war deutlich zu hören. Bahadur schüttelte unentwegt. Der Streuer mußte längst leer sein, aber es rieselte weiter Sand herab. Bald bildete sich ein kleiner Hügel. Und dieser wuchs. Der Trick war großartig. Bahadur war wirklich ein As. An seinen nackten Armen konnte er keine Hilfsmittel angebracht haben, in keinem Falle Behälter, die eine solche Menge Sand enthielten, wie mittlerweile auf der Bühne lag. Er schüttelte immer noch den Streuer, bis sich der Hügel kniehoch erhob. Da erst hörte er auf, betrachtete den Streuer, holte aus und
warf ihn ins Publikum. Scheinbar. Wie durch Zauberei war das Gefäß verschwunden, ohne im Saal angekommen zu sein. Hanako bekam schmale Augen und beugte sich vor. Gordon Black rätselte darüber, wie der Mann das Kunststück geschafft hatte. Bahadur fuhr fort, sein Publikum zu verblüffen. Wieder griff er mit der linken Hand in die Luft. Er fing aus dem Nichts etwas, das er zwischen Daumen und Zeigefinger präsentierte. Er kam damit sogar an die Rampe und zeigte es. Es war nichts weiter als eine ganz gewöhnliche Bohne. Diese steckte er in den Sandhaufen. Dann angelte er sich aus der Luft eine Flöte, wie Gordon Black sie von Bildern kannte, die Schlangenbeschwörer zeigten. Bahadur setzte das Instrument an die Lippen und entlockte ihm quäkende Töne, die sich ganz schaurig anhörten. Dazu vollführte er mit dem Oberkörper pendelnde Bewegungen, als wollte er eine unsichtbare Schlange beeindrucken. Er brachte damit aber zum Entzücken der Zuschauer die Bohne zum Keimen und Wachsen. Jedenfalls rieselte an der Spitze des Hügels etwas Sand, und dann tauchte dort im Zeitlupentempo ein Gewächs auf, das seine Blätter entfaltete und in die Höhe strebte. Bahadur dirigierte seine Zauberbohne in die Höhe, in der er sie haben wollte. Die Pflanze blieb stehen, und die Blätter sahen verdammt echt aus. Der Mann knipste mit dem Fingernagel auch welche ab und verteilte sie an Gäste. Ein Blatt gelangte an den Nebentisch. Es wurde geprüft, während Beifall aufbrauste. Gordon Black beugte sich hinüber und bat um das Blatt. Es war tatsächlich von einer Bohne. Wie der Magier dies geschafft hatte, war dem Geisterjäger ein echtes Rätsel. Allmählich dämmerte ihm, daß Bahadur viel
mehr auf dem Kasten hatte, als die marktschreierische Reklame versprach. Der Mann war unbestritten der König der Illusionisten. Die Bohnenpflanze durfte auf dem Sandhaufen stehenbleiben. Bahadur beschaffte sich jetzt auf unerklärliche Art ein kräftiges Tau. Er fischte es nämlich auch einfach aus der Luft. Es blies wieder auf der Flöte und ließ ein Ende des Taues Bewegungen wie eine Schlange vollführen. Dann blies er schriller, und das Tau hob sich, wickelte sich ab, bis es senkrecht auf der Bühne stand. Bahadur blies einen falschen Ton. Mit einem dumpfen Klatschen und Rumpeln stürzte das Tau herab und bildete ein wirres Knäuel am Boden. Jemand klatschte. Der Meister hob abwehrend die Hand. Er trat auf das Tauknäuel, setzte sich nieder und kreuzte die Beine. Dann blies er wieder, diesmal eine unsagbar fremdartige Melodie. Gordon Black empfand plötzlich, welche ungeheuren Energien dort auf der Bühne vor ihm frei wurden. Sie äußerten sich wie Elektrizität. Er hörte seinen nagelneuen Anzug knistern, und er spürte, wie seine Haare sich anders legten. Statische Aufladung, registrierte er. Hanako mußte ähnliche Beobachtungen an sich machen, denn sie schaute den Geisterjäger besorgt an. Gordon machte aber eine knappe Kopfbewegung zur Bühne. Was sich dort ereignete, war schier unmöglich. Das Tau hob sich wieder. Und auf seinem langsam emporsteigenden Ende saß Bahadur wie ein Fakir auf einem Pfahl. Immer höher stieg er, das Tau streckte sich wieder, bis es senkrecht stand und der Magier irgendwo in den Höhen des Schnürbodens den Blicken des Publikums entzogen war. Nur die quäkende Flöte blies er munter weiter. Dann brach die Melodie ab, und das Tau purzelte zu Boden. Aber ohne den
großen Meister. Im Saal war es totenstill. Nach einer Weile quäkte die Flöte wieder los, das Tau richtete sich auf und schwebte mit einem Ende hoch hinauf, und als es dann langsam wieder auf die Bühne sank, thronte Bahadur wieder mit untergeschlagenen Beinen auf ihm. Er ließ sich ganz auf die Bretter sinken und verharrte dort eine Weile. Dann stand er auf und wickelte sich das Tau um den rechten Arm. Es war ausgeschlossen, daß ein Schwindel dahintersteckte. Der Mann hatte keinerlei Hilfsmittel auf die Bühne mitgebracht. Was er benötigte, griff er aus der Luft. Scheinbar zumindest. Gordon Black hatte allerdings die fürchterliche Ahnung, daß nicht ein Trick dabei war, sondern daß Bahadur über die Fähigkeit verfügte, sich all das aus dem Nichts zu greifen, was er gerade benötigte. Dazu waren unvorstellbare Energien nötig. Er fragte sich, woher Bahadur diese Energien holte und wie er sie aufnahm. Der Magier warf die Flöte in die Luft. Und natürlich verschwand sie von einem Augenblick zum anderen. Zugleich erwachte das Tau zu schaurigem Leben. Es hatte sich plötzlich in eine mächtige Schlange verwandelt, die sich um den rechten Arm wand und zum Hals hinaufkroch. Der Turban geriet in Gefahr, herabzufallen, als sich die Schlange aufbäumte. Bahadur bändigte sie, ließ sie kreuz und quer an seinem Körper herumkriechen und hielt sie schließlich auf den ausgestreckten Armen. Kopf und Schwanz hingen so tief herab, daß sie fast die Bühnenbretter berührten. Der Magier trat an die Rampe und warf die Schlange ins Publikum. Ein vielstimmiges Kreischen erhob sich. Da und dort stürzten Stühle von schreckhaften Gästen um, die sich in Deckung begaben. Ein Mann fluchte unbeherrscht. Die Schlange wand sich in der Luft, das war ganz klar zu erkennen. Und plötzlich war sie verschwunden. Einfach weg,
als hätte es sie nie gegeben. Befreiendes Gelächter übertönte den schreckhaften Aufruhr. Eine ganze Menge Gäste erhoben sich spontan und applaudierten dem großen Meister. Gelassen nahm Bahadur diese Ovation entgegen. Der Mann am Nebentisch, der Gordon Black das Bohnenblatt gegeben hatte, schüttelte immer wieder den Kopf und schrie: »Das gibt es nicht, das gibt es doch wahrhaftig nicht!« Gordon Black verstand es auch nicht. Er begriff aber, daß die Fähigkeiten Bahadurs geeignet waren, Furcht und Entsetzen zu wecken. Zwei Bedienstete des Varietés erschienen jetzt auf der Bühne mit zwei Schubkarren und Schaufel. Sie häufelten den Sand in die Schubkarren und nahmen auch das Bohnengewächs mit. Ein dritter Mann tauchte mit einem Besen auf und fegte den Rest Sand zusammen. Während dieser fünfminütigen Pause stand Bahadur mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen auf der Bühne. Er konzentrierte sich schon wieder. Das verborgene Orchester intonierte eine fremdartige Musik. Stille trat im Saal ein. Bahadur schritt mit geschlossenen Augen bis in die Mitte der Bühne. Dort verharrte er, und jetzt sah er sogar viel älter als sechzig aus. Seine geistige Leistung zehrte brutal von seinen Körperkräften. Die Musik wurde leiser, die Beleuchtung auf der Bühne wurde zurückgefahren, bis nur noch Dämmerlicht herrschte. Aber der Magier blieb gut sichtbar. Plötzlich gingen die Lichter aus. Für höchstens eine Sekunde. Und dann blendeten sie grell und mit höchster Intensität auf und überfluteten die Bühne mit schmerzhafter Helligkeit. Bahadur war verschwunden.
An seiner Stelle stand ein mächtiger Tiger auf der Bühne, der sofort den Kopf zum Publikum wandte, mit dem Schweif peitschende Bewegungen ausführte und dann ein fürchterliches Fauchen aus dem weit aufgerissenen Rachen stieß. Ungläubig kniff sich Gordon Black in den Arm. Der Schmerz war teuflisch. Also entschied er, daß er nicht träumte und auch keine Halluzinationen erlebte, sondern daß dort wahrhaftig ein mächtiger Tiger stand und auch noch ihn böse anstarrte. Wie hatte Cobbler gesagt? Zweieinhalb Meter lang und rund vier Zentner schwer! Cobbler kam der Wahrheit verdammt nahe. Gordon Black hatte allerdings keine Ahnung, woran man einen Bengaltiger von einem anderen unterschied. Er fand, daß sie alle verdammt gefährlich waren, wenn man ihnen auf so geringe Distanz gegenübersaß. Der Tiger fauchte wieder, und die Gäste, die doch genau gewußt hatten, was sie erwarten würde, wichen von der Rampe zurück. In diesem Falle war Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit. Irgendwo fiel sogar ein Gast in Ohnmacht. Jedenfalls wurde nach einem Doktor gerufen. Den Tiger kümmerte es nicht. Er strich auf der Bühne herum, schlug mit einer Tatze in die Luft und leckte sich das Fell, bevor er an der Rampe entlangschnürte und die Gäste wieder ängstigte. Er tat jedenfalls alles, um die Zuschauer davon zu überzeugen, daß er keine Attrappe war. Das konnte auch nur ein Schwachsinniger glauben. Denn die unverkennbare Raubtierausdünstung, die sich beklemmend in den Saal legte, war echt. Das riesige Raubtier blieb stehen und beäugte Hanako aus grünschillernden Augen. Ein sonderbarer Zwang ging von ihnen aus. Hanako verspürte zwar den Wunsch, aufzustehen
und nach hinten zu laufen, aber eine fremde Macht hielt sie auf dem Stuhl fest. Gordon Black merkte, was sich abspielte. Seine Mitarbeiterin war in den geheimnisvollen Bann der Raubkatze geraten und konnte sich nicht daraus befreien. Er streckte die Hand aus und berührte ihren Oberarm. Sofort fauchte der Tiger, sank mit dem Bauch zu Boden, peitschte mit dem Schweif die Bühnenbretter und zog die Hinterläufe zum Sprung unter den Körper. Das geflammte Fell leuchtete wie gelbes Gold, die schwarzen Streifen erwachten zu einem eigenartigen Leben. Rechts und links flüchteten die letzten standhaften Gäste. Gleich geschah ein Unglück. Jemand schrie gellend nach dem Wasserschlauch. Ein böser Tumult erhob sich. Gordon Black schloß aus dem Lärm, daß dieses Verhalten des Tigers nicht im üblichen Programm vorkam. Die Dinge entwickelten sich jetzt anders. Er sprang auf, riß seinen Stuhl hoch und schwang ihn mit den Füßen voran gegen den Tiger auf der Bühne. Wenn der Bursche sprang, sauste er erst einmal in die spitzen Hölzer hinein. Aber mit seinem Gewicht würde er natürlich den Stuhl zu Boden reißen. Das war die logische Konsequenz. Gordon versuchte, den Tiger etwas zurückzutreiben und am Sprung zu hindern. Mit der linken Hand tastete er hinter sich, bis er Hanako zu fassen bekam. Er zog sie hoch und schob sie rückwärtsgehend an dem Tischchen vorbei nach hinten. Erst in der Mitte des Raumes, als er in dem Tiger keine unmittelbare Bedrohung mehr sah, stellte er den Stuhl ab. Hanako schien in diesem Moment aus einer Art Trance zu erwachen. Sie schüttelte sich, als wollte sie eine ekelhafte Berührung loswerden, und dann riß sie die Augen auf und schaute bestürzt um sich.
»Was ist passiert, Gordon?« fragte sie keuchend, »Wie komme ich hierher?« »Na, du warst die ganze Zeit da. Körperlich jedenfalls, aber ich fürchtete, du warst geistig weit fort.« »Ich weiß es nicht. Mein Kopf!« Sie taumelte. Besorgt stützte Gordon Black sie. »Was ist?« »Bringe mich hier heraus«, bat sie mit schwacher Stimme. »Mir ist, als sei mein Gehirn leer. Ich kann nicht denken.« Der Geisterjäger schoß einen finsteren und sehr nachdenklichen Blick auf den Tiger, den anscheinend niemand einzufangen wagte. Jedenfalls strich das Tier weiter auf der Bühne herum, nachdem es kein lohnendes Opfer für einen Sprung fand, und plötzlich trabte es mit unglaublich geschmeidigen Bewegungen hinter den Vorhang. Es war eine Maschine aus Muskeln und Kraft, wunderschön anzusehen. Aber tödlich gefährlich, wenn man ihr zu nahe kam. Kaum war der Tiger von der Bildfläche verschwunden, legte sich die allgemeine Aufregung auf wundersame Art. Die Mehrzahl der Gäste strömte zu den Tischen zurück. Aber den Geisterjäger verlangte es nicht, im ›Paradiesvogel‹ auszuharren. Er hörte auch, daß jemand sagte, das Programm sei zu Ende. Die Leute wollten aber ganz einfach noch bei ihren sündhaft teueren Getränken sitzen, soweit sie nicht umgestoßen waren, und sich dem Nacherlebnis hingeben. Der Magier Bahadur war einmalig. Das räumte auch der Geisterjäger ein. Sogar neidlos. Aber mit dem Mann war etwas. Er hatte keine Tricks geboten. Seine Darbietungen waren Realität. Und der Glanzpunkt war natürlich die Vertauschung von Mensch gegen Tiger. Das betroffene Gesicht von Cobbler tauchte vor Gordons Erinnerung auf, als der Officer sich darüber verwundert hatte,
wie sich eine Tigerfährte urplötzlich in eine Menschenfährte verwandeln konnte. Gordon blieb so abrupt stehen, daß jemand auf ihn prallte und gegen Hanako schob. Zum Teufel, wenn auf der Bühne eben gar kein Austausch stattgefunden hatte? Wenn er und die vielen Gäste Zeuge einer Umwandlung geworden waren, wie Ed Gulick sie in seinem Brief beschrieben hatte? Den Gedanken mochte er besser nicht zu Ende führen. Aber dann dachte er auch an die Zeugenaussage dieses habgierigen Liser. Ein Tiger hatte in Gulicks Wohnung gewütet, aber ein Mann mit seltsamem Gang hatte das Haus verlassen! Statt mit Hanako zum Ausgang zu gehen, schob er seine Partnerin in Richtung Bar und half ihr auf einen frei werdenden Hocker. Er flößte ihr ein scharfes Getränk ein, das die Spezialität des ›Paradiesvogel‹ sein sollte. Der Geruch ließ ihn fast benebelt zu Boden sinken. Hanako schüttelte sich nach dem ersten Schluck und fragte, ob er sie umbringen wolle. Er atmete auf, immerhin fand sie zu sich. Ihr Gemütsleben kam wieder ins Gleichgewicht. Er befand sich in einer Zwickmühle. Gar zu gerne wäre er hinter die Bühne gegangen, um zu überprüfen, ob sein Verdacht zutraf. Wenn Bahadur wirklich Tigergestalt annehmen konnte, dann war es doch nur logisch, daß er nicht zugleich als Magier und als Tiger gegenwärtig sein konnte. Das eine oder das andere – anders ging es nicht. Aber er konnte Hanako nicht so zurücklassen. Nicht einmal an der Bar unter vielen Menschen. Der Magier oder er als Tiger hatte Macht über sie gewonnen. Und das konnte wieder geschehen. Jetzt. Hier drinnen. Morgen war auch ein Tag. Soweit er auf dem Aushang im Foyer des Varietés gelesen
hatte, gastierte Bahadur noch zwei Tage in Pittsburgh. Er bezahlte für die Mixtur, die Hanako schwanken ließ und seinen Verstand wieder zu umnebeln drohte, satte elf Dollar. Er fand diese Art von Räuberei unverschämt. Aber er hielt den Mund. Er war an diesem Abend auf seine Kosten gekommen. Und er hatte das starke Gefühl, auch einen Riesenschritt vorwärts. Er faßte Hanako kräftig unter und steuerte sie ins Foyer. Und wen sah er dort stehen? Den unvermeidlichen Cobbler. Der Officer redete, mit einem Mann, den Gordon in der Uniform eines Gepäckträgers im Hotel gesehen hatte. Wenn er sich auf etwas verlassen konnte, dann auf sein Gedächtnis für Gesichter. Im Vorbeigehen klopfte er Cobbler auf die Schulter, der ihn bis jetzt gar nicht bemerkt hatte. Der Officer zuckte zusammen und bekam einen verkniffenen Zug um den Mund. Wahrscheinlich war das der Ausdruck der Peinlichkeit, in die er sich gestürzt sah. Und dem falschen Gepäckträger schenkte er ein Grinsen. Jetzt wußte er, wer ihm das Gefühl vermittelt hatte, angestarrt zu werden. Er hatte einen Gast im Verdacht gehabt. An eine untergeschobene Figur unter dem Personal hatte er überhaupt nicht gedacht. Dieser Cobbler schien ein sehr mißtrauischer und mit allen Wassern gewaschener Mann zu sein. »Ich hoffe, Sie haben Ihre Karte billiger erstanden als ich«, sagte der Geisterjäger. »Aber ich bereue die Ausgabe nicht. Die Darbietung war wirklich eindrucksvoll.« Cobbler gab ein Knurren von sich, der Mann an seiner Seite zeigte die Zähne. »Ich besuche Sie um acht Uhr in der Frühe in Ihrem Büro«, versprach der Geisterjäger. »Ich hoffe, Ihre Mörder sind rücksichtsvoll genug, Ihnen nicht gerade zu der Zeit einen Fall zu bescheren. Unsere Unterhaltung könnte für beide Seiten
recht nützlich sein. Bis dann, Officer! Und wärmsten Dank für die aufmerksame Bewachung. Man fühlt sich direkt gut aufgehoben in dieser schönen Stadt.« Vor der Tür machte sich Gordon Black den Bell Captain mit einer Fünf-Dollar-Note gewogen. Der Mann pfiff sofort ein Taxi herbei. Auf dem Rücksitz drängte sich Hanako eng an Gordon. »Immer noch Angst? Ich glaube, die brauchst du nicht mehr zu haben. Bahadur ist unser Mann. Ich muß es nur beweisen.« Er streichelte ihr Haar. Und dabei dachte er, daß es leichtere Aufgaben gab, als einen Magier zu überführen. *** Da er die Grenzen der Fähigkeiten von Bahadur nicht kannte, ging er auch kein Risiko ein, was Hanako betraf. Er quartierte sie in seinem Zimmer ein und schlief dafür in ihrem Bett. Und um gegen alle Zufälle gerüstet zu sein, hielt er sein Hexenmesser bereit. Von der Dämonenpeitsche hielt er nichts. Bahadur war kein Dämon und kein Geist. Er war ein Mensch. Einer allerdings mit fast dämonischen Fähigkeiten. Das Erlebte im ›Paradiesvogel‹ wirkte im Nachhinein derart aufwühlend, daß er kaum zum Schlafen kam und wenn, dann döste er nur ganz flach und schreckte beim geringsten Geräusch hoch. Sogar die Klimaanlage konnte ihn mit ihrem Knacken narren. Mehrmals stand er auf, huschte auf den Flur und lauschte an Hanakos Tür. Es gab keine Verbindung zwischen ihrem und seinem Zimmer. Er hörte ihre tiefen und ruhigen Atemzüge. Das ließ ihn hoffen, daß sie rasch über das Erlebnis wegkam. Erst gegen Morgen spürte er gewaltige Müdigkeit, aber selbst die konnte nicht über seine Sorge siegen.
Um sieben Uhr saß er mit Hanako schon am Frühstückstisch. Sie musterte ihn voller Argwohn. »Hast du einen draufgemacht?« erkundigte sie sich. »Du bist ja völlig zerknittert.« »Kunststück!« meinte er grämlich. »Die ganze Nacht habe ich gewacht, damit dir der verdammte Tiger oder Bahadur nichts anhaben kann, falls er dich im Hotel aufgespürt hätte. Und was ist der Dank? Man wird verdächtigt, einen Zug durch das Pittsburgher Nachtleben gemacht zu haben. Es geht schon sehr ungerecht auf der Welt zu.« »Du wirst es verwinden«, tröstete sie ihn und schaute ihn liebevoll an. »Mir war, als hättest du heute nacht gesagt, daß der Magier unser Mann ist.« »Du hast richtig gehört.« Er strich Ahornsirup auf ein süßes Brötchen. »Ich will mich aber nicht gern blamieren. Aus diesem Grund muß ich erst zu Cobbler.« »Mit der Liste, die du gestern diesem Mister Stone in Los Angeles telefonisch abgeschwatzt hast«, meinte Hanako gelassen und schenkte Kaffee ein. »Du bist wahrhaftig ein kluges Mädchen. Gepriesen sei der Tag, an dem ich dich kennenlernte;« Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick, und dann lachten sie. Es war ein befreiendes Lachen. Als sie vor das Hotel traten und nach einem Taxi Ausschau hielten, schob sich Wanamaker aus einer Mauernische. »Stehen Sie etwa die ganze Nacht hier?« entsetzte sich Gordon Black, weil er tiefe Falten in Wanamakers grauem Gesicht bemerkte. »Erst seit einer Stunde«, bekannte der Mann. »Wohin darf ich Sie fahren?« »Sie sehen krank aus«, warnte der Geisterjäger. »Es geht vorüber, ein kleines Unwohlsein«, wehrte Wanamaker ab. »Der Tiger hat wieder zugeschlagen, ich bin
zufällig dort vorbeigekommen. Das wird es wohl sein.« Gordon Black und Hanako schauten ihn wie einen Verrückten an. Aber sie hatten Wanamaker als sehr ernsthaften Mann kennengelernt. Der machte keine makabren Spaße. »Fahren wir hin!« entschied der Geisterjäger. »Dort werden wir mit Sicherheit den Officer treffen.« Der magische Tiger hatte im Stadtteil Swissvale zugeschlagen. Das Opfer war eine junge Frau. Irgendwie kam sie dem Geisterjäger bekannt vor – trotz des in Todesangst verzerrten und erstarrten Gesichts. Cobbler war natürlich zur Stelle und dirigierte immer noch seine Leute, obschon die wichtigsten Arbeiten gemacht waren. »Sie müssen schon eine besondere Nase haben, Black!« knurrte er unfreundlich zur Begrüßung. »Ich dachte, Sie gehen auf diese geisterhafte Bestie los, wie immer Sie das auch anstellen, statt dessen amüsieren Sie sich im ›Paradiesvogel‹ und erscheinen dann frisch und ausgeruht an einem neuen Tatort.« »Es irrt der Mensch, solang er denkt«, zitierte Gordon Black treffend, wenn auch nicht korrekt. »Weder bin ich frisch noch ausgeruht. Im übrigen war das Opfer gestern Gast im ›Paradiesvogel‹.« Jetzt klappte dem Officer der Mund auf. »Sind Sie sicher?« fragte er dann grollend. »So sicher, daß ich meine Hand dafür hergebe. Die Frau saß einen Tisch hinter uns.« Cobbler schickte seine Leute auf die Suche nach der Kleidung und der Tasche, die die Frau gestern dann angehabt haben mußte. In einer mit Perlen bestickten Tasche fand sich die Eintrittskarte. Gordon Black konnte den ersten Pluspunkt buchen. Der Polizeiarzt machte sich an der Leiche zu schaffen und deckte sie ganz auf. Der Geisterjäger brachte Hanako aus dem
Zimmer. Als die Leiche abtransportiert war, ließ er sich von Cobbler erklären, wie der Tiger in den zweiten Stock des Hauses gekommen war. »Das Dach scheidet aus«, murrte der Officer. »Alle Fenster sind geschlossen und die Tür ist unversehrt. Ich verstehe es nicht.« Er griff sich an die Stirn. »Es stellt alles auf den Kopf.« »Phänomene dieser Art werden auf der Polizeischule freilich nicht behandelt«, erläuterte der Geisterjäger. »Ich nehme an, Sie haben sich auch schon mal die großartige Vorstellung des Magiers Bahadur angesehen. Ich könnte mir vorstellen, daß er durch verschlossene Türen gehen kann. Oder daß er sie zu öffnen vermag, ohne das Schloß zu beschädigen oder Fingerabdrücke zu hinterlassen.« »Mann, hören Sie mir bloß damit auf!« Cobbler blies die Backen auf. Gordon Black winkte lässig ab. »Jaja, Sie haben ihn durchleuchtet, ich weiß, Sie haben es mir gesagt. An dem Mann ist nichts dran. Haben Sie eigentlich auch selber mit ihm gesprochen?« »Wozu denn das?« »Na, ich denke, der leitende Beamte der Ermittlungsabteilung guckt sich in einem so brisanten Fall den Mann, der einen Tiger besitzt, selber an.« »Da hätte ich eine Menge zu tun, wenn ich mir jeden Überprüfungskandidaten selber zu Gemüt führen wollte.« Gordon Black blieb hartnäckig, und das mißfiel dem Officer. Dessen Antworten wurden patziger. »Hat der Tigermann überhaupt einen Paß?« forschte der Geisterjäger, um noch mehr auf den Busch zu klopfen und Cobbler vielleicht auf ein grobes Versäumnis zu stoßen. In diesem Punkt schnitt er sich jedoch in den Finger. Der Officer sagte wie aus der Pistole geschossen: »Und ob er einen Paß hat! Einen australischen. Hat mich besonders gewundert,
weil der komische Name von dem Burschen echt zu sein scheint. Sonst noch was?« »Ja. Wann kehren Sie in Ihr Büro zurück?« »Wenn ich hier fertig bin. Das kann noch eine Stunde dauern.« »Dann lassen Sie doch mal überprüfen, ob das eine oder andere Opfer ebenfalls Besucher der Vorstellung von Bahadur war. Ich denke jetzt nicht bloß an Pittsburgh, sondern auch an die anderen Städte. Es muß nicht in jedem Falle was dabei herauskommen. Bei Ed Gulick schon mal gar nicht, denn sonst hätte er wohl in seinem Brief eine Andeutung gemacht.« Cobbler grinste auf eine Art, die Gordon Black nicht gefallen wollte. »Jetzt halten Sie sich aber für einen ganz schlauen Eierkopf, wie? Hören Sie, bloß weil Sie aus New York kommen, brauchen Sie uns hier nicht für die dummen Farmer hinter den Bergen anzugucken. Gulick war in der Schau.« »Das sagen Sie nur, um mich zu ärgern!« »Quatsch! Erinnern Sie sich, daß ich von dem kleinen Buch sprach, in dem auch Ihre Adresse stand? Dort lag seine Eintrittskarte drin. Benützt natürlich.« »In dem Buch?« Gordon Blacks Augen weiteten sich. »Ja doch! Mann, das ist doch nicht gleich was zum Fürchten!« beschwichtigte der Officer. »Das ist ein Hinweis von Gulick, verstehen Sie endlich?« Cobbler wiegte den Schädel. Er bedachte den Fall nach allen Seiten und meinte endlich: »Könnte schon sein. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, ich würde meine Knochen nicht bewegen. Ich werde die Anfrage rausschicken. Dazu müßte ich natürlich wissen, ob der Mann überhaupt in den betreffenden Städten Gastspiele gegeben hat.« »Diese Mühe habe ich Ihnen abgenommen«, sagte der Geisterjäger im Brustton des Mannes, der ein ordentliches Stück Arbeit geleistet hat. »Ich besitze eine lückenlose Liste.«
»Die besaßen Sie vergangene Nacht schon.« In Cobblers Augen blitzte es verstehend auf. »Deshalb wollten Sie heute ganz früh unbedingt in mein Büro kommen. Okay, bleiben Sie hier, wir fahren nachher gemeinsam zum Stadthaus. Sie können Ihren Totengräber nach Hause schicken.« ›Totengräber‹ war eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung für Wanamaker. Der konnte ja schließlich nichts für sein Aussehen. »Er ist ein sehr guter Fahrer, ich möchte ungern auf ihn verzichten«, gab der Geisterjäger zurück. Er suchte draußen Hanako, der er den Anblick der Frau erspart hatte. Der Toten war der Brustkorb aufgerissen gewesen, und wo eigentlich das Herz sein mußte, war nur eine blutige Leere gewesen. Er setzte sich mit Hanako vor dem Haus auf eine Gartenmauer, von Wanamaker diskret aber zuverlässig beobachtet. »Ich sammle Mosaiksteinchen und versuche sie zu einem Bild zusammenzufügen«, sagte Gordon Black. »Ich komme an Bahadur nicht vorbei. Er verkauft sich als Inder, er reist mit seiner Tigernummer, obschon auch seine anderen Vorführungen fabelhaft sind. Spitze, was ich ihm neidlos zugestehe, und da war gestern abend der Zwischenfall mit dir. Außerdem höre ich gerade, daß Ed Gulick eine Karte vom Varieté in sein kleines Adreßbuch gelegt hat. Möglich, daß er Ahnungen hatte oder noch einen deutlichen Hinweis hinterlassen wollte. Jetzt überlege mal mit – wenn Bahadur lange Jahre in Indien lebte, und das hat er, denn nirgendwo sonst findet man Lehrmeister, die einem den Geist derart trainieren, daß man zu solchen Wunderleistungen wie er gestern abend fähig ist, dann hat er doch sicher auch Kontakt mit verschiedenen Glaubensbewegungen in Indien bekommen…« »Du steuerst wieder haarscharf auf deine grausigen Thugs
zu, die ihrer Göttin Menschenherzen zum Opfer brachten.« »Kali, der Gefräßigen, der Göttin, die sich einen Kranz aus Totenschädeln um den Hals gehängt hat.« Gordon Black nickte. »Ein Kult, sicher. Aber weiß ich, ob er ausgerottet ist? Jetzt denke mal daran, zu welchen uns unverständlichen Leistungen ein Mensch fähig ist, der mittels seiner Geisteskräfte seine Körperfunktionen soweit beeinflussen kann, daß er keinen Schmerz verspürt. Ich denke an Fakire oder andere heilige Männer, die sich Eisenstangen durchs Gesicht oder den Bauch bohren und Gewichte daran aufhängen und keinen Tropfen Blut verlieren, wenn sie die Stangen wieder herausziehen. Man sieht nicht einmal Wunden. Jemand, der diese Willenssteuerung perfekt beherrscht, kann seinem Körper vielleicht auch befehlen, eine andere Gestalt anzunehmen. Die eines Tigers zum Beispiel. Aber so eine Willenssteuerung verschlingt enorme Kräfte. Gestern abend habe ich Energieströme gespürt, wir saßen nah genug an der Bühne. Ich habe auch nicht vergessen, daß sich Bahadurs Augenfarbe verändert hat.« »Du, das ist mir auch aufgefallen, ich wollte es dir die ganze Zeit sagen«, meinte Hanako. »Aber die wichtigste Beobachtung kommt jetzt, Mädchen. Als der Magier mit seiner Konzentrationsübung für seinen letzten großen – na, sagen wir mal Trick – also, als er sich auf den Tigerpart geistig eingestimmt hatte, sah er aus wie sein eigener Großvater. Grau und verfallen im Gesicht. Er muß seinem Körper alle Kraftreserven und Energien entzogen haben, um sie in die bevorstehende Wandlung zu werfen. Diese Metamorphose ist ihm geglückt, die Leute hielten’s für einen gewaltigen Trick, als Bahadur von der Bühne verschwand und an seiner Stelle der Tiger rumfauchte. Bahadur hat in Wirklichkeit die Bühne gar nicht verlassen. Er war da – aber in Gestalt des Tigers.« »Deine Beweisführungen erbosen immer wieder Richter und
Staatsanwälte, sie entbehren aber nicht einer gewissen Logik«, meinte Hanako. »Ich kann dir noch folgen.« »Danke! Die Frage ist also jetzt – woraus schöpft Bahadur die Kraft, um täglich diese Metamorphose zu vollziehen? Um davon seine sagenhaften Darbietungen durchzustehen?« »Vielleicht kann er wirklich fliegen«, schlug Hanako nicht ganz ernsthaft eine Möglichkeit vor. »Wie er auf dem Seil in die Höhe ritt, das hat mich doch kolossal beeindruckt. Oder wie er sich seine Requisiten aus der Luft gegriffen hat.« »Aus dem Nichts, sagen wir mal so. Siehst du, und dazu benötigt er unvorstellbare Energien. Warum hat man in alten Kulturen, die es zu einer Hochblüte brachten, als liebstes Opfer den Göttern die Herzen von Menschen angeboten? Weil die Alten damals vermutlich mehr von diesen Dingen wußten als wir heute. Im Herz sitzen gewaltige Energien. Medizinisch gesehen ist es der Motor des Lebens, ein spezieller Hohlmuskel, der das Blut im Körper herumpumpt. Damit geben wir uns zufrieden. Und als die Prärieindianer das Herz von besonders mutigen Feinden aufaßen, um sich so ihre Tapferkeit und ihren Mut einzuverleiben, da grinste man mitleidig über soviel finsteren Aberglauben und entrüstete sich über soviel brutale Scheußlichkeit. Aber erforscht haben wir nie, warum die Prärieindianer so handelten. Was jetzt unseren seltsamen Magier und seinen magischen Tiger betrifft, ich schätze, Bahadur kennt die Kraft, die den Herzen innewohnt. Um seine Wandlung vollziehen zu können, muß er immer wieder Herzen fressen. Mit ihnen nimmt er die Kraft und Energie auf. Die Leute machen es ihm auch noch ziemlich einfach. Sie kommen in seine Vorstellung, und er braucht nur ihr Gedankenmuster oder was sonst immer aufzunehmen und kann dann später seine Opfer in der Stadt aufspüren.« »Das kannst du nicht beweisen!« Hanako drohte mit dem Finger. »Ich kann überhaupt nichts beweisen, alles sind Annahmen.
Du mußt aber zugeben, daß ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für meine Theorie spricht.« »Mit einer schönen Theorie kannst du den Fall nicht lösen.« »Ich vielleicht nicht, aber du.« Gordon Black klopfte sich eine Zigarette aus der Packung und rauchte. »Wieso ich?« verwunderte sich Hanako. »Bahadur hat gestern abend etwas gemerkt. Vielleicht kann er ebenso Gedanken lesen wie Kaido. Er hat sich mit dir befaßt, du warst ja kaum ansprechbar gewesen. Er hatte dich ganz in seinen Bann gezwungen. Gehen wir davon aus, er weiß, zu welchem Zweck wir hier sind. Möglich, daß er in Panik geriet, als er merkte, was unsere Absicht ist. Oder deine. An mir hat er sich nur ganz kurz versucht. Deshalb ist es zu dem Zwischenfall mit dem Tiger gekommen. Er wollte springen und dich töten, der Wunsch war übermächtig, aber er sagte sich, daß er sich damit verriet. Vorgesehen war die Einlage jedenfalls nicht.« »Oh, darum hast du mich vergangene Nacht umquartiert? Ich dachte nicht an diese Möglichkeit.« »Ich schon. Der Tiger hat sich ein anderes Opfer geholt.« Hanako dachte nach und schaute auf den Glutpunkt seiner Zigarette. »Du willst mich als Köder auslegen, nicht wahr?« »Ausdrücke hast du!« Tadelnd schüttelte der Geisterjäger den Kopf. »Nein, ich will Bahadur nur etwas unter Druck bringen. Mir schwebt ein Besuch bei ihm vor, ob ihm das nun paßt oder nicht. Und du solltest mitkommen. Vielleicht reagiert er. Wenn meine Überlegung richtig ist, dann ist er gedanklich auf dich fixiert. Dein Gedankenmuster ist bei ihm irgendwo gespeichert.« Hanako überlegte und nickte dann. Plötzlich sagte sie: »Weißt du, wie man überhaupt die Tigerjagd betreibt?« »Man schießt die Tiere, was denn sonst?« »Man bindet eine Ziege an einem Pfahl fest und lockt den Tiger herbei. Es ist nicht nett, daß du mich die Ziege spielen
läßt.« »Blasen wir es halt ab.« »Nein, das sollten wir nicht tun. – Da kommt dein Polizistenfreund!« Cobbler trat aus dem Haus und schaute grimmig in den frühen Vormittag wie ein streitsüchtiger Kater. Er winkte knapp. Der Geisterjäger erwiderte den Gruß und ging mit Hanako zu dem wartenden Wanamaker, um sich zum Stadthaus bringen zu lassen. *** Cobbler starrte auf Gordon Blacks Liste und auf seinen polizeilichen Computerbogen. Sein Kopf fuhr hoch, sein krebsrotes Gesicht wandte sich dem Geisterjäger zu. »Mann, seit wann wissen Sie das? Das haut hin wie die Faust aufs Auge. Hier – da – und da – und dort – Opfer mit herausgerissenen Herzen, und genau zur selben Zeit hat dieser verdammte Magier dort seine Gastspiele gegeben! Das ist vielleicht ein Ding!« »Ich weiß es erst seit gestern. Korrekterweise – ich besitze diese Liste erst seit gestern, und ich dachte mir, es wäre doch die Mühe wert, sie mit Ihren Daten zu vergleichen.« »Den Kerl hole ich mir eigenhändig. Jetzt! Auf der Stelle! Ich drehe ihm die Nase nach hinten, daß er seinen blöden Turban dran aufhängen kann!« wetterte Cobbler und rief nach einem Mitarbeiter. Gordon Black vermutete, daß der Officer gleich mit einem Haftbefehl losziehen wollte. Vielleicht fand er sogar einen Richter, der ihm einen ausstellte. »Und was von dem, das Sie ihm vorwerfen, können Sie ihm beweisen?« fragte der Geisterjäger. »Na, ich… Zum Teufel, Sie werden spitzfindig!« »Ich bin Anwalt, vergessen Sie das nicht. Ich würde jeden
Mandanten, der unter so fadenscheinigen Vorwürfen festgenommen wird, binnen fünf Minuten aus dem Untersuchungsgefängnis herausholen, und ich würde jeden Richter, der so leichtfertig einen Haftbefehl unterschrieben hat, und jeden Polizisten, der ihn vollzogen hat, kaltlächelnd auf offener Straße schlachten. Officer, Sie können Bahadur oder dem Tiger gar nichts beweisen. Wir müssen uns jetzt einer anderen Methode bedienen als der herkömmlichen….« »Sind Sie mit dem Kopf irgendwo angestoßen, oder habe ich mich eben verhört? Dem Tiger wäre auch etwas zu beweisen? Wollen Sie sich nun öffentlich über mich lustig machen?« »Keine Spur. Aber Sie sollten zunächst mal Ihr maßloses Mißtrauen aufgeben. Andere Leute sind schließlich nicht ihr ganzes Leben lang dumm geblieben und haben ausschließlich Ihnen die ganze Weisheit der Erkenntnis überlassen. Bahadur ist der Tiger – und der Tiger ist Bahadur. Verlangen Sie nicht von mir, Ihnen das nun zu verklickern – es ist eben so. Und damit bekämen Sie einen Beweis in die Hand. Entweder ist der Magier gegenwärtig, oder der Tiger. Beide können nie gleichzeitig vorhanden sein.« »Fein! Das erzähle ich dem Richter und dem Staatsanwalt, und die zwei lassen mich in die Klappsmühle bringen!« »Das erzählen Sie keinem Menschen, nicht einmal Ihrem falschen Gepäckträger. Außerdem sollten wir jetzt losfahren. Er hat letzte Nacht zugeschlagen, und er wird sich jetzt in einer Art satten Ruhephase befinden.« »Ich werde eine Pistole mitnehmen! Ich kann die Dinger nicht ausstehen, aber es gibt leider Situationen, in denen man nicht ohne sie auskommt.« Cobbler langte ein Schulterholster aus der Schublade, zog ungeniert die Jacke aus und legte das Riemenwerk an. Als er die Jacke überzog, beulte sie unter der linken Achsel. Sein Blick heftete sich auf Hanako. »Ihre Assistentin wird
doch wohl nicht dabei sein?« »Aber doch!« widersprach Gordon Black. »Gestern abend hatte Bahadur sie in seinem Bann. Wenn sie mit uns kommt, reagiert er wahrscheinlich. Wir müssen allerdings höllisch auf der Hut sein. Er hat wahrscheinlich ihre Gedanken gelesen und weiß, warum wir in der Stadt sind. Wenn wir bei ihm auftauchen, wittert er Gefahr. Er ist zu allem fähig, und er verfügt über unvorstellbare Kräfte geistiger Natur. Ein unachtsamer Moment – und er vernichtet uns alle.« »Wollen Sie sich wichtig machen, oder soll ich Angst bekommen?« knurrte Cobbler. Er klopfte auf die Ausbuchtung unter seiner Achsel. »Das ist ein prima Beruhigungsmittel.« Gordon Black gab es auf, Cobbler zu überzeugen, daß es Dinge gab, die mächtiger waren als ein Schießeisen und wirkungsvoller. Und die vor allem nicht soviel Lärm machten. *** Sie verzichteten auf Wanamakers Dienste und fuhren in einem Polizeiwagen mit. Das Fahrzeug war neutral, es erregte vor dem ›Paradiesvogel‹ kein Aufsehen. Der listige Kartenhändler scheuchte wieder seine Mädchen über die Bühne und meckerte am Ausdruck herum. Er erkannte Gordon Black und Hanako und grinste vertraulich. »Hatte ich zuviel versprochen? Der Abend war wieder ‘ne Wucht. Sie hatten unverschämtes Glück.« »Kann man wohl sagen«, bestätigte Hanako. »Der Tiger wäre fast auf mich losgesprungen.« Der Mann guckte ein wenig verwundert und winkte dann aber ab. »Nein, deswegen nicht. Der große Meister bricht nämlich die Tournee ab. Was glauben Sie, was hier los ist? Er will nicht mehr auftreten, die Leute würden ihn kennen, das genüge. Er wolle weiter. Dabei hat er noch zwei Abende seinen Auftritt.«
Cobbler fiel bald die Zigarette aus dem Gesicht. Er zwinkerte mit einem Male aufgeregt und guckte den Geisterjäger an, als könnte der ihm zur Erleuchtung verhelfen. Für den Geisterjäger und Hanako war es zwar auch eine Überraschung, aber sie wurden besser damit fertig. »Wir müßten uns dennoch mal mit dem großen Meister unterhalten«, beugte Gordon Black vor. »Sie wissen ja – wir sind extra aus New York gekommen, und das Jahresfest muß vorbereitet werden.« »Versuchen können Sie es, aber Glück werden Sie keines haben«, meinte der Mann. Er zeigte mit dem Daumen schräg über die Achsel. »Der Bühneneingang ist da hinten.« Er beobachtete wieder seine Mädchen auf der Bühne. Die Welt des ›Paradiesvogel‹ hinter den Kulissen war eine verwinkelte Angelegenheit von Gängen, Kabinen und Kämmerchen. Es war Vormittag, und da waren nicht zu viele Leute zu den Proben da. Gordon Black fragte einen Bühnenarbeiter nach dem Weg zu Bahadur. »Sind Sie sein Agent?« kam die Gegenfrage. »Nach dem verlangt er.« Gordon Black genierte sich nicht, sofort zu nicken und zu sagen: »Sehr richtig. Stone von Stone und Martin aus Los Angeles, wir sind mit der Frühmaschine heraufgekommen.« Cobbler sperrte den Mund weit auf. Das ging ihm alles etwas zu flink. Er hatte es gern, wenn’s solide und überschaubar blieb. »Den Gang runter, die Eisentreppe rauf und dann links runter zum alten Bühnenhaus. Sie finden ihn schon irgendwo. Er hockt herum und brütet vor sich hin.« Der Arbeiter rammte die Hände in die Taschen. »Und seinem Tiger geht es doch hoffentlich gut?« Gordon Black heuchelte besorgte Anteilnahme. Der Arbeiter musterte ihn, als hätte er sie nicht alle
beisammen. »Das denke ich schon«, meinte er dann, und mit einem Schlag hatte er es eilig, fortzukommen. Sie folgten der angegebenen Richtung und gelangten ins alte Bühnenhaus. Weit und breit war nichts von dem großen Magier oder seinem Tiger zu sehen, und von einem Arbeiter oder sonst jemand, der sich auskannte, ebenfalls nichts. Cobbler hatte plötzlich eine Eingebung. »Vielleicht sollen wir uns trennen, vielleicht ist das Absicht«, raunte er und langte unter die Jacke. »Lassen Sie stecken!« Gordon Black machte eine Handbewegung. »Er ist da, ich spüre, wie er mit Geisteskräften nach uns tastet. Er will herausbringen, warum wir gekommen sind.« »Das kann er auf der Stelle erfahren!« polterte Cobbler. »Wo steckt denn der merkwürdige Knabe?« Hanako hob langsam die Hand und zeigte auf die Rückseite des Bühnenhauses. Es herrschten nicht gerade berückende Lichtverhältnisse. Jetzt, da sich ihre Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten, sahen sie die alten Garderobeneingänge wie Löcher zu unbekannten Höhlen… Eine Öffnung war mit rotem Tuch verhängt. Es war eine schön kitschige Farbe, wie sie aus der Nähe feststellten, und sie paßte irgendwie zu dem überladenen Turban des Magiers. »Mister Bahadur?« rief Gordon Black vor dem Eingang. Ein unwilliges Murmeln erklang drinnen. Es war unschwer zu erraten, daß es zum Weitergehen aufforderte. Aber der Geisterjäger beschloß, nicht so empfindlich zu sein. »Mister Bahadur, wir haben dringend mit Ihnen zu reden!« Gordon Black sprach energischer, und Cobbler leckte sich vor Aufregung über die Oberlippe und nahm die Hand nicht mehr unter der Jacke heraus. »Sie wissen, weshalb wir gekommen sind. Sie lesen in unserem Gehirn. Sie kennen unsere Gedanken. Kaido beherrschte diese Kunst auch. Haben Sie ihn
deshalb umgebracht?« Er streckte die Hand aus und schob den roten Stoff einfach beiseite. Der Raum dahinter war zur allgemeinen Überraschung ganz gemütlich eingerichtet und in keiner Weise orientalisch oder fernöstlich oder indisch. Was überhaupt an Bahadurs Künstlerkarriere erinnerte, waren der Turban an einem Wandhaken und das ärmellose Jäckchen nebst anderen Textilien. Der Mann selber hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einer Decke am Boden, hatte ein farbiges Tuch um sich gewickelt und machte trotz seiner offensichtlichen Empörung über die dreiste Störung ein ganz zufriedenes Gesicht. Jedenfalls sah er jetzt wieder wie ein Mann mit vierzig aus und nicht wie ein steinalter Mensch. Blitzartig begriff der Geisterjäger. Bahadur war satt. Er hatte in der Nacht Energie aufgenommen – denn er hatte einem Opfer das Herz aus der Brust gerissen und aufgefressen. In der Gestalt des Tigers. Jetzt war er satt und zufrieden. Er genügte der Pflicht der Höflichkeit und beugte den Oberkörper leicht. »Dieses Land und seine Bewohner sind für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt. – Mister, wer ist Kaido? Was reden Sie überhaupt?« Er betrachtete Gordon Black, seine Stimme war fast akzentfrei. Der Geisterjäger starrte auf die Augen. Sie waren dunkel. »Halten Sie uns nicht zum Narren, Sie wissen ganz genau, wovon wir hier sprechen. Sie sind ein Teufel, Bahadur. Sie beherrschen die Kunst der Metamorphose, aber Sie beherrschen Sie nur ungenügend. Wie ein Stümper. Denn Sie brauchen lebende Menschenherzen. Ein wirklicher Meister hätte sie nicht nötig.« Das Gesicht des Magiers verzog sich spöttisch. »Sie reden ungezogen und sind beleidigend. Sie sollten sich in Behandlung bei einem guten Arzt begeben. Meist ist der
Zustand heilbar.« Gordon Black ließ sich nicht provozieren, den Mann für einen harmlosen Gaukler zu halten. Er spürte, wie Bahadur auf eine Schwäche lauerte. Es war ein stilles, aber erbittert ausgetragenes Gedankenduell. »Vielleicht, wenn ich mit Ihnen hier fertig bin«, sagte Gordon Black. »Sie sind der Tiger, und der Tiger ist Bahadur. Wenn man es nachvollziehen kann, gedanklich, meine ich, ist es gar nicht so schwer. Wir sind Ihnen auf die Schliche gekommen. Entlang Ihrer Route, wo Sie überall aufgetreten sind, hat man Menschen mit aufgerissener Brust und ohne Herz gefunden. Immer genau zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie gastierten.« »Dumme Zufälle, üble Konstruktionen der Polizei«, wehrte Bahadur ab. »Aber das kann mich nicht beeindrucken. Ich bin nur entsetzt über Ihre Dummheit. Es gibt keine Metamorphose, wußten Sie das nicht? Sie ist nicht möglich. Also kann ich nicht der Tiger sein, und der Tiger kann nicht ich sein. Oder widerspricht dies Ihrer Logik?« Gordon Black hatte zwar das verteufelte Gefühl, in eine Ecke gelockt zu werden, in die er gar nicht wollte, aber es rutschte ihm so heraus: »Das widerspricht ihr nicht. Wo, zum Teufel, ist denn Ihr Tiger? Ich sehe ihn nicht, ich höre ihn nicht, gestern abend aber hat er sich recht rabiat aufgeführt…« Was der Geisterjäger noch sagen wollte, blieb ihm quasi im Hals stecken. Der Magier grinste auf eine geradezu beleidigende Weise und wies irgendwo nach rechts. »Bitte, dann überzeugen Sie sich eben«, bot er an. »Der Tiger befindet sich im letzten Raum. Aber seien Sie vorsichtig, er ist nicht angekettet.« »Was denn? Was denn?« machte Cobbler und brachte die Hand zum Vorschein. Ohne Pistole. »Ich denke, er und sein verfluchter Tiger sind eins, und nun sind sie es doch nicht! Black, wollen Sie mir das freundlichst erklären?«
»Noch nicht«, stieß der Geisterjäger hervor. »Ich blicke nämlich selber noch nicht durch.« Er verließ die Garderobe, die Bahadur als Bleibe diente, und sauste zur letzten Umkleide hinüber. Hanako und Cobbler polterten hinter ihm her. Der Zugang war mit einem dunklen Tuch verhängt. Aus der Entfernung hatte es ausgesehen, als sei die Tür offen oder ausgehängt. Scharfe Raubtierausdünstung stach Gordon Black in die Nase, als er vorsichtig in den Stoff griff und ihn beiseite schob. In dem Raum brannte eine nackte Glühbirne an der Decke. Auf dem Boden lag der Tiger und blinzelte zum Eingang her. Er machte einen ungemein satten, zufriedenen und ganz und gar ungefährlichen Eindruck. Wenn Gordon nicht gewußt hätte, daß es unmöglich ist, hätte er schwören wollen, daß in den grünen Augen ein spöttisches Funkeln zu sehen war. Cobbler warf einen Blick in den Raum und fluchte heftig. Zugleich überschüttete er den Geisterjäger mit Vorwürfen. »‘ne feine Pleite, Mann! Meiner Lebtag lasse ich mich nicht mehr mit einem Geisterjäger ein! Alles Humbug! Und ich hätte Ihnen heute morgen fast geglaubt, daß es möglich ist, mal Tiger und mal Mensch zu sein. Wissen Sie, was Sie sind?« »Behalten Sie’s für sich, bis ich den Fehler in meinen Überlegungen gefunden habe«, sagte Gordon Black drohend. Hanako betrachtete die daliegende gewaltige Raubkatze und rechnete sich aus, daß ein Mensch gegen diese Muskelmaschine nicht die Spur einer Chance hatte. Gordon hatte sie als eine Art Köder mitgenommen. Sie hatte sich darauf eingestellt, und sie rechnete jeden Augenblick mit einem Angriff von irgendeiner Seite. Aber sie spürte gar nichts. Nicht einmal dieses Bohren und Ziehen im Gehirn wie gestern abend. Sollte sich Gordon wirklich so verkalkuliert haben? »Na ja, also, ich bin hier fertig!« schnauzte Cobbler und
stapfte davon. Hanako schaute ihm nach. »Wir haben verloren«, sagte sie leise. »Ich weiß, daß du auf dem richtigen Weg warst, aber du kannst nichts beweisen.« »Sieht so aus.« Gordon war reichlich niedergeschlagen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, daß die Morde ungesühnt bleiben sollten, ja, daß Bahadur in die Lage versetzt wurde, weiter seinem blutigen Gewerbe nachzugehen, das ihm die Metamorphose gestattete. Er faßte Hanako am Arm und folgte mit ihr Cobbler. Als sie an der Garderobe Bahadurs vorbeikamen, hörten sie den Mann unterdrückt lachen. Der kitschige Vorhang war noch nicht zugezogen. Der Geisterjäger warf einen Blick in die Garderobe. »Ich weiß, daß ich recht habe«, sagte er. »Ich weiß, daß Sie Tigergestalt annehmen können. Auf diesen Trick war ich allerdings nicht vorbereitet. Ich weiß nicht, wie Sie das geschafft haben. Aber ich werde Ihnen auf den Fersen bleiben, und eines Tages habe ich Sie, das ist ein feierliches Versprechen.« Bahadur machte eine wegwerfende Handbewegung, in die er all seine Geringschätzung legte. Seine Augen funkelten vergnügt. Gerade wie die Tigeraugen. Gordon Black wandte sich ab und holte Hanako mit raumgreifenden Schritten ein; sie war vorausgegangen. Cobbler hatte schon fast die eiserne Treppe erreicht. Seine wüsten Flüche schallten schaurig durch das alte Bühnenhaus. Gerade wie die Tigeraugen! Dieses höhnische Funkeln ging Gordon Black nicht aus dem Sinn. Bahadur war ein Monstrum und vielleicht schon mehr Tiger als Mensch. Er konnte sich von nun an in Sicherheit wiegen. Man konnte ihm nichts beweisen – nie. Bis in alle Ewigkeit nicht. Mit einem Ruck blieb Gordon Black stehen. Seine Hand schnellte vor, die Finger gruben sich schmerzhaft in Hanakos Schulter.
»Ich Esel!« keuchte er. »Er hat uns reingelegt. Er beherrscht seinen Meistertrick auch wirklich meisterlich. Cobbler, schnell! Kommen Sie zurück!« Der Officer hatte bereits die eiserne Treppe betreten. Er blieb stehen und reckte den Hals. »Ohne mich!« brüllte er. »Ich erliege nicht noch mal Ihrem honigsüßen Geschwätz!« »Er hat uns reingelegt, Officer! Kommen Sie schon!« Etwas in der Stimme des Geisterjägers bewog Cobbler doch, zurückzukehren. Aber seine Miene drückte Sturm und Donnerwetter aus. »Wie soll er uns hereingelegt haben?« fragte er grollend. »Er kann sich umwandeln«, sagte der Geisterjäger hastig. »Daran hätte ich denken sollen. Als wir seine Garderobe verlassen hatten, nahm er Tigergestalt an und verkörperte sich in der letzten Garderobe, weit genug weg, damit wir nichts von seinem Verschwinden als Bahadur mitkriegen sollten.« »So ein Blödsinn ist mir wahrhaftig noch nie zu Ohren gekommen!« schimpfte Cobbler. Auch Hanako schaute bedenklich und etwas verlegen. Gordon Black fuhr seine einzige Trumpfkarte aus. »Hat jemand seine Augen gesehen, als wir zuerst reinkamen? Sie waren braun, oder dunkel, nicht?« Zögernd nickte Cobbler. »Und jetzt hat er grüne Augen, genau wie der Tiger, und genau wie gestern abend.« »Unmöglich!« brauste der Officer noch einmal auf. »Das läßt sich doch ganz leicht feststellen«, sagte Gordon. »Einer schaut in den Raum, wo der Tiger ist, einer sieht nach Bahadur. Ich wette, es ist immer nur der eine oder der andere zu sehen.« »Die Wette gilt! Eine Flasche Whisky dagegen, daß Sie wieder falsch liegen«, sagte Cobbler und marschierte zur Rückseite des Bühnenhauses zurück. Er entschied sich also für den Tiger.
»Dann übernehmen wir den großen Meister!« versetzte Gordon Black etwas nervös. Er hatte es erwartet – die Garderobe war leer, von Bahadur war nichts zu sehen. »Sie Schlaumeier!« brüllte Cobbler. »Der Tiger zwinkert mir freundlich zu.« »Ich wünschte, ich könnte das von Bahadur auch sagen«, gab der Geisterjäger zurück. »Er ist nicht da.« »Machen Sie bloß keine weiteren Witze mit mir!« drohte der Officer. »Es stimmt schon!« bestätigte Hanako. Gordon Black hob die Stimme und schrie: »Ich war doch ein Stückchen schlauer als Sie, Bahadur! Jetzt wissen wir, wie das Spiel läuft. Sie haben keine Chance. Sie kommen damit nicht mehr durch. In einer Stunde haben alle Künstleragenturen der Welt Ihre Beschreibung, in zwei Stunden weiß die halbe Welt bereits, daß Sie ein vielfacher Mörder sind. Geben Sie auf, kommen Sie und nehmen Sie Ihre menschliche Gestalt an. Die ist mir entschieden lieber.« Es war ein Fehler, den Magier darauf hinzuweisen. Cobbler fluchte plötzlich und schrie: »Der Tiger ist fort – einfach weg!« »Vorsicht!« schrie Gordon Black. »Er kommt!« Er schob Hanako hinter sich. In der Garderobe erschien plötzlich der Bengaltiger und duckte sich sofort zum Sprung. Die Bestie wollte noch ein Herz – seines. Dem Geisterjäger wurden die Knie weich. Er hatte keine Waffe bei sich außer dem Hexendolch. Na, und seine Fäuste. Aber mit denen konnte er gegen den Tiger nichts ausrichten. Die Bestie sprang. Gordon schleuderte Hanako beiseite und brachte sie aus dem Gefahrenbereich. Dann konnte er sich selber gerade noch mit einem Sprung zur Seite retten.
Aus den Augenwinkeln sah er hinten Cobbler angelaufen kommen und unter der Jacke herumfummeln. Der Tiger landete geschmeidig. Mit einer unglaublich eleganten Bewegung warf er sich herum, schlug mit einer Tatze in die Luft und entblößte das schreckliche Gebiß, mit dem er die Herzen seiner Opfer herauszureißen pflegte. Gordon Black hätte gerne wenigstens einen Stuhl wie gestern abend als bescheidene Abwehrwaffe gehabt, aber Stühle gab es hier nicht. Er zog das Hexenmesser, packte es fest mit der linken Hand und erwartete den Ansturm der Bestie. Bahadur, dessen Seele im Tiger weilte, kostete die Angst des Geisterjägers aus. Er schickte ihm ein Fauchen entgegen, schlug noch einmal in die Luft und machte dann einen Satz, der ihn näher an sein Opfer heranbrachte. Von der blitzenden Messerklinge ging Gefahr aus. Er spürte, daß die Klinge anders war als andere Messer. Plötzlich peitschten ohrenbetäubende Schüsse durch das alte Bühnenhaus. Cobbler war bis auf zwanzig Schritte herangekommen. Er stand mit gespreizten Beinen und in den Knien federnd und feuerte das Pistolenmagazin leer. Die Kugeln rissen den Tiger herum und schleuderten ihn zu Boden. Aber die Bestie raffte sich auf und schaffte noch einen matten Sprung in Richtung des Geisterjägers. Dann landete sie am Boden. Hanako schrie auf, als sie erste Anzeichen einer Veränderung bemerkte. Der Tigerkörper zerfiel, und Bahadur wurde nach und nach erkennbar. Er starb, aber er wollte nicht als Tiger sterben. Er blutete aus großen Wunden, die die Kugeln gerissen hatten. Sein Kopf entstand, seine grünen Tigeraugen blickten in unsagbarem Haß auf Hanako, den Geisterjäger und den Officer, der ihm den Tod
gebracht hatte. Er bäumte sich wild auf, noch ehe seine Rückverwandlung abgeschlossen war. Am Boden lag ein Wesen – halb Tiger, halb Mensch, und der rote Lebenssaft rann vollends aus ihm heraus. Cobbler stierte auf das Wesen und dann auf seine Pistole. Er ächzte und wurde leichenblaß. »Black, Sie müssen in der Stadt bleiben, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind, verstehen Sie? Mir glaubt kein Mensch. Lieber Himmel, ein Tigermann!« »Ich sagte es Ihnen doch, aber Sie glaubten mir nicht.« »O Mann, vergessen Sie es.« Cobbler steckte die Waffe weg, als jagende Schritte und aufgeregte Stimmen näherkamen. Man hatte die Schüsse gehört und kam, um zu sehen, was sie zu bedeuten hatten. »Sie haben außerdem ein unschlagbares Beweisstück«, sagte Gordon Black und zeigte auf das Wesen am Boden. »Sie halten alle Trümpfe in der Hand.« »Das sagen Sie! Mann, ich bin kein Anwalt, ich kenne mich da nicht so aus.« »Sie können sich ganz gut Ihrer Haut wehren«, erwiderte der Geisterjäger. Er wies auf die heranstürmenden Leute vom ›Paradiesvogel‹. »Halten Sie die Menschen auf, ich breite eine Decke über Bahadur. Oder den magischen Tiger.« Als er ihn zudeckte, dachte er daran, daß es vielleicht ganz gut war, daß Bahadur das Geheimnis seiner Metamorphose für sich behalten hatte und nun mit in die Ewigkeit nahm. Ein ganz klein wenig dauerte ihn die tote Kreatur aber doch. Gordon faßte Hanako am Arm. »Er braucht uns hier nicht mehr, das ist jetzt sein Fall.« Cobbler war in seinem Element. Er scheuchte die Leute davon und brüllte, man möge die Mordkommission verständigen. Gordon Black und Hanako kamen ungehindert aus dem
alten Bühnenhaus heraus. Cobbler bemerkte gar nicht ihr Verschwinden. ENDE
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