Terra Astra 587
Der mystische Planet von Falk‐lngo Klee Die Hauptpersonen des Romans: Zeus – Er will die ...
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Terra Astra 587
Der mystische Planet von Falk‐lngo Klee Die Hauptpersonen des Romans: Zeus – Er will die fremden Götter besiegen. Hera – Die Gattin des Zeus stellt hohe Ansprüche. Dionysos – Er verlangt einen Weinberg. Balandan – Er tritt zum Kampf gegen Zeus an. Ervi – Balandans resolute Gemahlin. 1. Der gewaltige Nachen wurde von einer Handvoll Delphine und einem riesigen Fischschwarm gezogen. Fackeln und Öllämpchen illuminierten das Schiff, die Schuppen der schlanken Fischleiber glänzten im Licht wie poliertes Silber und überstrahlten das Funkeln der Sterne im unendlichen Raum. Eine bunte Gesellschaft bevölkerte den Kahn, manchmal übertönte Gelächter und ausgelassener Gesang die Musik der Lyra und der Leiern. Tänzelnd und schunkelnd bewegte sich ein Zug von Mänaden und Satyrn vom Bug zum Heck. Sie hatten sich mit Weintrauben und farbigen Stoffetzen behängt. Ihnen voran marschierte Dionysos, der immer wieder einen kräftigen Schluck aus dem mit Wein gefüllten Pokal nahm. Unterstützt von den ekstatischen Frauen und den Fruchtbarkeitsdämonen grölte er: „Und hast du nicht gesehen, sind wir in Athen, dann ziehen wir zur Athene, bewundern ihre Beene, orakeln dann wie toll, in Delphi bei Apoll, besuchen auch die Artemis, weil sie ja doch so reizend ist, der Schritt führt dann zum Meeresbusen, wo wir mit den Musen schmusen, in Sparta trinken wir dann Wein, den schenkt die süße Hebe ein, schon sind wir in Korinth, wo liebliche Hetären sind, dann geht es zum Olymp zurück, und weiter geht das Götterglück. Und hast du nicht gesehen…“ „Dümmere Verse sind dir wohl nicht eingefallen, was?“ fauchte die ewig jungfräuliche Athene, als ihr Halbbruder an ihr vorbeikam und sie frech angrinste. „Nein, Schutzgöttin der Helden und der Künste.“ Dionysos nahm seinen Efeukranz vom Kopf und schwenkte ihn im Takt. „Dann ziehen wir zur Athene, bewundern ihre Beene…“ Der Zug bewegte sich zurück zum Bug. Dionysos löste sich von der Mänade hinter ihm und trat zur Seite, um seinen Kelch zu füllen. Sein Gesicht war vom Genuß des in Strömen fließenden Weines gerötet, doch seine Augen blitzten.
„So liebe ich die Feste.“ Er setzte sich den Efeukranz wieder auf, dann nahm er einen großen Schluck aus dem Weinglas. „Wir Götter verstehen es eben zu feiern.“ „Dabei haben wir keinen Grund dazu“, brummte Hephaistos, der mit Akribie einen Schild bearbeitete. „Du machst mich noch verrückt mit deiner verdammten Schmiederei.“ Wütend stampfte Dionysos mit dem Thyrsos auf, einem Stab mit einem Pinienzapfen daran. „Lege endlich den Hammer aus der Hand und höre auf, zu arbeiten. Erfreue dich wie ich an Wein, Weib und Gesang.“ „Wie soll ich mich an meiner Gemahlin erfreuen? Sie betrügt mich mit Ares.“ „Und wennschon.“ Dionysos leerte den Pokal. „Sie ist von allen Göttinnen die schönste.“ Er brach in homerisches Gelächter aus. „Und bu bist von uns allen der häßlichste.“ Die anderen Götter fielen in das Gelächter ein, lediglich Hera, Athene und Artemis verzogen keine Miene. „Was soll das heißen, daß Aphrodite die schönste ist?“ herrschte Hera Dionysos an. „Es ist die Wahrheit. Schließlich ist sie die Göttin der Liebe, der Schönheit und des Reizes. Oder willst du das bestreiten?“ „Hört auf mit diesem Gezänk.“ Zeus schleuderte einige Blitze über die Häupter der anderen Götter hinweg. „Wir sind schließlich nicht mehr auf Olymp.“ „Vielleicht wäre es besser gewesen, dort zu bleiben“, meinte Athene. „Sieh an, unsere keusche Athene scheint ihr göttliches Auge auf einen Sterblichen geworfen zu haben.“ Dionysos kicherte. „Oder sollte es gar ein Held sein?“ Athene gab keine Antwort. Statt dessen versetzte sie dem Gott der Fruchtbarkeit einen Stoß mit der stumpfen Seite ihres Speeres. Dionysos, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, geriet ins Stolpern, suchte vergeblich nach einem Halt und landete mit dem verlängerten Rücken auf dem Amboß. Dummerweise lag dort immer noch der heiße Schild, den Hephaistos bearbeitet hatte. Mit einem Schmerzensschrei fuhr Dionysos hoch. „Satyrn, herbei, bringt Wein – schnell!“ Zehn, zwölf Fruchtbarkeitsdämonen kamen herbeigeeilt und reichten ihrem Herrn gutgefüllte Pokale. Von jedem trank Dionysos einen Schluck, den Rest goß er zur Kühlung auf sein lädiertes Sitzfleisch. „Ah, das tut gut.“ Er warf Athene einen bösen Blick zu. „Ich hätte nicht übel Lust, dir diesen Streich heimzuzahlen, du Emanze. Es ist eine Sünde, dieses köstliche Naß für so ordinäre Zwecke zu vergeuden.“ „Warum hast du auch gleich nach Wein geschrien? Nimm dir ein Beispiel an mir – ich lasse an meine Haut nur Wasser und OSKS.“ „OSKS?“ fragte Dionysos entgeistert. „Typisch Mann.“ Mißbilligend schüttelte Athene den Kopf. „Wir alle nehmen sie – Olivenschaumkremseife. Drei Jahre vor unserer Abreise war Persephone auf dem Olymp und hat uns eine Probe davon gebracht. Ihre Mutter Demeter hat nämlich die Alleinvertriebsrechte für Griechenland, und ihr Werbespruch lautet: OSKS – die Seife der Götter! Mit achthundert noch so aussehen wie mit achtzehn!“ „Aber wir können doch nicht altern.“
„Darum geht es auch gar nicht. Es ist uns einfach ein Bedürfnis, gepflegt zu sein, einen reinen Teint und eine weiche Haut zu haben.“ Mit offenem Mund starrte der Gott der Fruchtbarkeit die Göttin an, die trotz Helm, Speer und Schild ihre Weiblichkeit zwar nicht verleugnen konnte, aber sich eher maskulin als feminin gab. „Empfehlen kann ich dir das Mandelblütendeo gegen Körpergeruch und Achselschweiß, aber auch die Zahnpasta mit Meeralgenanteil gegen Paradontose und Karies.“ Wer Dionysos kannte und seine Mimik zu deuten wußte, mußte erkennen, daß er nahe daran war, den Verstand zu verlieren. Er übersah das von einer Mänade dargebotene Glas – was ihm noch nie passiert war – und blickte ratlos und hilfesuchend seinen Vater an. „Benutzt du auch OSKS und Mandelblütendeo?“ „Unsinn.“ „Es würde dir aber nicht schaden. Manchmal riechst du schon recht streng“, warf Hera ein. „Vor allem dann, wenn du dich wieder mal in ein Tier verwandelt hattest, um einer irdischen Geliebten zu imponieren.“ „Bitte, Hera, wir wollen uns doch hier vor den Kindern nicht streiten.“ „Da du etliche deiner Seitensprünge und ihre Folgen quasi legalisiert hast, indem du die Nachkommen zu Göttern erhoben hast, dürfte das doch eigentlich belanglos sein.“ Zeus ging nicht darauf ein. „Ich möchte auf das zurückkommen, was Athene gesagt hat. Ich hielt es für nicht mehr tragbar, auf einem Planeten auszuharren, wo kein Mensch mehr an uns glaubt und niemand mehr für uns opfert, wo unsere Tempel verfallen und andere Heiligtümer errichtet werden.“ „Aber die Römer haben uns doch akzeptiert“, wandte Dionysos ein. „Sie haben mich Jupiter genannt, dabei bin ich Zeus. Hera ist Hera und nicht Juno, und du bist nicht Baccus. Ich bin ein Gott, und nicht ein Gott der vielen Namen. Wer die Götter anruft, soll wissen, mit wem er spricht.“ „Aber hier haben wir erst recht keine Anhänger“, wandte Poseidon ein. „Wie die Vagabunden ziehen wir durch den Raum, um eine Welt zu finden, die uns zusagt. Seit Jahrzehnten sind wir unterwegs, und allmählich geht der Proviant zur Neige.“ „Hauptsache, es ist noch Wein da“, rief Dionysos vergnügt. „Wie spät ist es eigentlich?“ „257 nach Christus“, gab Zeus griesgrämig zurück. „Aber dann sind wir doch erst… dann sind wir doch erst…“ „Seit einhundertzweiundzwanzig Jahren unterwegs“, kam ihm Artemis zu Hilfe. „Danke, meine Liebe.“ Dionysos lächelte entwaffnend. „Ihr wißt, daß Rechnen nicht meine starke Seite ist.“ „Das würde sich schlagartig bessern, wenn du weniger trinken würdest“, sagte Hera anzüglich. „Du bist ja nur neidisch, weil deine Aufgaben als Beschützerin der Ehe und der
Frauen so langweilig sind.“ Dionysos lachte. „Hebe, du Göttin der Jugend und Mundschenkin der Götter, gib unserem Väterchen noch ein Schlückchen von dem köstlichen Rebensaft.“ „Nein, er bekommt nichts mehr. Er hat bereits eine Amphore geleert und damit mehr als genug getrunken.“ „Du hältst dich gefälligst zurück!“ herrschte Zeus seine Göttergattin an. „Ich mache dir ja auch keine Vorschriften darüber, wie du dich zu verhalten hast. Hebe, nachfüllen!“ Hebe kam dem Wunsch ihres Vaters nach. Als dieser sein Glas erhob und seiner Gemahlin grinsend zuprostete, wandte Hera sich schmollend ab, bahnte sich einen Weg durch die Tanzenden und trat neben Ares, der sich an die Bugwand gelehnt hatte und in den unendlichen Raum blickte. „Es wird Zeit, daß wir endlich eine geeignete Welt finden. Diese ewigen Gelage widern mich an, und dein Vater merkt gar nicht, daß er immer mehr unter den schlechten Einfluß von Dionysos gerät.“ „Ja, du hast recht, ich wünsche mir auch, daß diese langweilige Reise ein Ende findet, ich sehne mich danach, den Klang der Waffen und die Rufe der Krieger zu hören, wenn sie in die Schlacht ziehen.“ „Darauf kann ich zwar verzichten, aber grundsätzlich stimme ich dir zu. Wir müssen wieder zu einem geregelten Leben finden, in dem jeder die ihm zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen hat.“ „Dionysos tut das bereits, seit wir den Olymp verlassen haben.“ Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf dem bärtigen Gesicht des Kriegsgotts. „Und auch Hephaistos hämmert und schmiedet unermüdlich, als müßte er alle Götter mit Waffen ausstatten.“ „Ihr sollt ihn nicht immer verspotten. Er kann nichts dafür, daß er humpelt und mehr Interesse für das Handwerk als für die Künste zeigt. Er ist nicht nur mein Sohn, sondern auch dein einziger leiblicher Bruder.“ Ares gab keine Antwort. Angestrengt, mit zusammengekniffenen Augen, spähte er nach vorn. „Wir nähern uns einer Sonne. Ich glaube, sie hat mehrere Planeten“, rief er laut, um Gesang und Musik zu übertönen. „Apoll, bist du mal behilflich?“ Der Zwillingsbruder von Artemis legte die Leier aus der Hand und entzündete eine Fackel. Augenblicklich verschwand die Schwärze des Alls, das Universum wurde von einem strahlenden Licht erfüllt, das das Gestirn zu einem Leuchtpünktchen verblassen ließ. Ares hatte sich nicht geirrt: Sieben unterschiedlich große Trabanten schälten sich aus der Dunkelheit heraus, der dritte schimmerte verheißungsvoll in Weiß und Blau. Die Instrumente verstummten, die Tanzenden verharrten auf der Stelle, und selbst Dionysos, der den Kelch bereits an die Lippen gesetzt hatte, vergaß zu trinken. Aller Augen waren auf den erdähnlichen Planeten gerichtet. „Hermes, das ist eine Aufgabe für dich. Sieh nach, ob es dort Menschen gibt und ob uns das Klima zuträglich ist.“ Der anmutige Götterbote vertauschte die Lyra mit dem Heroldsstab, nestelte an den Flügelschuhen und rückte den Reisehut zurecht, dann sprang er über Bord.
Unglücklicherweise verhedderte er sich in der Ankerkette und landete mitten im Schwarm der Zugtiere. Erschreckt sausten die Fische nach allen Seiten davon. Die Nereiden, die Meernymphen und die muschelblasenden Tritonen, die den gewaltigen Fischschwarm unermüdlich umkreist hatten wie Hunde die Herde, folgten den Ausreißern sofort, während sich Hermes bemühte, sich aus dem Gewirr der Kettenglieder zu befreien. Endlich gelang es ihm. Er bewegte sich auf den langsam gewordenen Nachen zu und kletterte mit verschämtem Blick zurück ins Boot. „Kannst du nicht aufpassen?“ wetterte Poseidon. „Mein Gefolge hat Mühe genug, die Fische zusammenzuhalten, und nun kommst du und jagst sie auch noch auseinander.“ „Es wird nicht wieder vorkommen“, murmelte der Götterbote. Er stellte sich auf die Bordwand, stieß sich ab und flog mit angelegten Armen davon. „Halte nach einem geeigneten Berg Ausschau!“ rief Zeus ihm nach. „Er muß so ähnlich sein wie der Olymp!“ Ein echoartiges „Ja!“ war zu hören. Schon war Hermes nur noch ein winziges Pünktchen, dann war er mit bloßem Auge nicht mehr auszumachen. „Trinken wir darauf, daß dieser Trottel – äh, ich meine, daß Hermes Erfolg hat!“ Dionysos klopfte mit dem Thyrsos auf den hölzernen Boden. „Musik und Wein für alle!“ Während die neun Musen unter Apolls Führung ihr unterbrochenes Konzert wieder aufnahmen, waren die Mänaden und Satyrn unter Hebes Aufsicht „damit beschäftigt, die Götter zu bewirten. Dionysos hob sein Glas und wollte gerade einen ordentlichen Schluck nehmen, als er angewidert das Gesicht verzog. In dem mit Wein gefüllten goldenen Pokal schwammen vier winzige Fischchen und eine Muschel. „Verdammt, welcher Idiot hat da die Gefäße verwechselt? Ihr wißt ganz genau, daß ich Poseidons Meeresbowle nicht mag!“ Eilfertig kam ein Satyrn herbei und brachte ein anderes Glas. „Entschuldige, Gott der Fruchtbarkeit, aber die beiden Amphoren sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ein bedauerlicher Irrtum.“ „Warum markierst du die Krüge nicht einfach? Nimm von diesen praktischen Selbstklebeetiketten und beschrifte sie entsprechend.“ „Verzeihung, Gott der Ekstase, aber Selbstklebeetiketten sind noch nicht erfunden worden.“ „Dann laß dir etwas anderes einfallen. Jedenfalls setzt es etwas, wenn du mir noch einmal dieses ekelhafte Gemisch anbietest. Hinweg mit dir!“ Unterwürfig dienernd, entfernte sich der Fruchtbarkeitsdämon. Sonderlichen Eindruck schien Dionysos Standpauke nicht auf ihn gemacht zu haben. Kaum war er aus dessen Blickfeld verschwunden, als er Grimassen schnitt und seinem göttlichen Gebieter die Zunge herausstreckte. Zeus hatte diese Respektlosigkeit jedoch beobachtet und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Jammernd, sich die Wange haltend, schlich der Satyr davon. Die Nereiden und die Tritonen beteiligten sich nicht an dem Gelage. Sie hatten nach
wie vor alle Hände voll damit zu tun, die entflohenen Fische wieder einzufangen und vor den Nachen zu spannen. Zu aller Erleichterung hatte Hephaistos aufgehört zu hämmern, das Werkzeug aber nicht aus der Hand gelegt. Mit grimmiger Miene stand er da und leerte – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – Becher auf Becher. Poseidon hatte sich in seiner Nähe niedergelassen. Als Hebe zu ihm trat und ihm zwei wohlgefüllte Pokale reichte, legte er seinen Dreizack auf den Amboß. Er nahm der Mundschenkin die Gläser ab und gab eines an seine Gemahlin weiter. Diese bedankte sich mit einem Lächeln, prostete ihrem Gatten zu und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder den anmutig tanzenden Musen. Der bärtige Ares hatte sich zu Aphrodite gesellt und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die liebliche Göttin lachte glockenhell, stellte ihren Kelch ab und schmiegte sich an den Kriegsgott. Hephaistos beobachtete die Szene mit düsterem Blick. Als die beiden gar noch Zärtlichkeiten austauschten, schleuderte er wütend seinen Becher über Bord, packte den Hammer mit beiden Händen und ließ ihn mit aller Kraft auf den Amboß niedersausen. Funken stoben nach allen Seiten davon, es gab einen Knall. Die Köpfe der Götter fuhren herum, abrupt verstummte die Musik. Artemis stieß einen spitzen Schrei aus. „Sieh an, was du getan hast.“ Sie deutete auf ihr Gewand, das winzige Brandlöcher zeigte. „Du hast mein Kleid ruiniert.“ „Hera wird es kunststopfen.“ „Du weißt so gut wie ich, daß sie das nicht kann, sie kann ja noch nicht einmal nähen.“ „Verstehst du dich denn darauf?“ schnappte Zeus’ Gemahlin. Artemis wurde einer Antwort enthoben. Poseidon brüllte wie ein waidwundes Raubtier. Anklagend zeigte er auf seinen ruinierten Dreizack, das markanteste Attribut seiner Macht. Das Gerät war als solches kaum noch zu erkennen und sah eher aus wie eine verbogene Mistgabel. Betroffen starrte Hephaistos auf das verunstaltete Gebilde. „Das ist dein Werk, du Tor!“ erregte sich der Meeresgott. „Du bist nicht der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, sondern der Gott der Narren und der Geistesschwachen. Gäbe es hier Wasser, so würde ich dich auf der Stelle ersäufen.“ „Dieser Nachen ist ja das reinste Tollhaus.“ Zeus streckte die Arme empor. „Oh, ihr Götter, steht mir bei.“ „Wir werden dir beistehen, Zeus!“ erklang es wie aus einem Mund. „Warum hast du uns angerufen?“ „Laßt gefälligst diesen Unsinn“, gab Zeus unwirsch zurück. „Ich bin der mächtigste und weiseste der Götter, warum sollte ich euch um Hilfe anrufen? Es war eine Geste, die ich den Menschen abgeschaut habe, nichts weiter.“ „Gut, dann geht es hier weiter.“ Poseidon nahm gegenüber Hephaistos eine drohende Haltung ein. „Was gedenkst du zu tun, um mir zu einem neuen Zeichen meiner Macht zu verhelfen?“ „Ich werde dir einen anderen Dreizack schmieden, schöner und besser als der alte.“
„Nein, nicht schon wieder das pausenlose Hämmern.“ Auf dem Gesicht von Dionysos zeichnete sich Entsetzen ab. Schwankenden Schrittes kam er heran, gestützt auf seinen Stab mit dem Pinienzapfen daran. „Warum machen wir keine Polonaise? Warum weidet ihr euch nicht am Tanz der Mänaden und Satyrn, an ihrem Spiel und Apolls Gesang? Laßt euch von den Musen küssen, trinkt ein Gläschen mit mir, labt euch an diesem Trank der Götter und erfreut euch an den schönen Künsten.“ Er legte dem Meeresgott eine Hand auf die Schulter. „Wir sind hier unter uns, kein Sterblicher ist in unserer Nähe, was bedeutet da schon ein Symbol wie ein Dreizack?“ Poseidons Augen funkelten. „Du meinst also, er ist wertlos?“ „Nein, nicht wertlos, eher überflüssig.“ „Kann ich mal deinen Thyrsos haben?“ „Wenn dir das hilft, den Verlust zu verschmerzen – bitte.“ Bereitwillig reichte Dionysos dem anderen seinen Stab. Der Gott des Meeres nahm ihn und schlug damit auf den Amboß. Splitternd zerbrach der Stecken in zwei Teile. „Nun bist du in der gleichen Lage wie ich. Was sagst du nun?“ Entgeistert starrte der Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase auf die beiden Holzstücke, dann hob er wortlos seinen Pokal und goß den Inhalt über Poseidon. Poseidon stürzte sich wutentbrannt auf Dionysos. Bevor das Handgemenge zu einer handfesten Keilerei ausarten konnte, strafte Zeus die beiden mit einem Blitzschlag. Ernüchtert ließen die Widersacher voneinander ab. Dionysos rückte den verrutschten Efeukranz zurecht und hielt den Pokal an sein blaues Auge, während Poseidon sich von seiner Gemahlin einen Fisch reichen ließ und ihn auf eine schillernde Beule auf der Stirn legte. Hephaistos machte sich mit Feuereifer daran, einen neuen Dreizack anzufertigen. Dionysos ließ sich von einer Mänade deren Thyrsos geben und strich das Pantherfall glatt, mit dem er bekleidet war. „Wir sprechen uns noch!“ zischte er. „Hermes kommt zurück!“ Der Streit war auf einmal vergessen, erwartungsvoll richteten sich die Blicke auf den heransausenden dunklen Fleck, der rasch größer wurde. Ja, das war Hermes, der Götterbote, der Gott des Handels, der Wege und der Wanderer, der Gott der Diebe, des Schlafes und des Traumes, der Begleiter der Geister der Verstorbenen nach der Unterwelt, doch wie sah er aus? Sein Reisehut saß schief auf dem Kopf, an einem Schuh waren die Flügel geknickt, das Gewand zeigte Risse, und ein Ohr war spiralig verdreht. Ein wenig außer Atem, ließ sich Hermes in den Kahn sinken. Hebe reichte ihm ein Glas Wein, das er dankbar annahm. „Wer hat dich denn so zugerichtet?“ erkundigte sich Zeus. „Andere Götter haben mich in eine Rauferei verwickelt“, stieß Hermes hervor. „Sie leben auf diesem Planeten und wachen über ihn.“ „Bei Zeus…“ „Aber das bist du doch selbst“, unterbrach ihn Hera. „Wie? Ach, ja. Also bei mir… Unsinn, ich wollte sagen, ich dulde es nicht, daß
meinen Götterkindern Schaden zugefügt wird, von wem auch immer. Ich werde diese Götter besiegen, so wie ich Kronos und die zwölf Titanen besiegt habe. Eigenhändig werde ich sie in den Tartaros stürzen, den finsteren Abgrund tief unter der Unterwelt, in dem die Verbrecher und die Titanen ebenso büßen wie Tantalus und Sisyphus. Danach werde ich den Planeten verwüsten. Ich werde…“ „Das wäre ein Fehler, Vater“, unterbrach Hermes. „Warum?“ „Diese Welt ist sehr erdähnlich. Es leben dort Wesen, die den Menschen gleichen, und einen Berg wie den Olymp fand ich auch. Wir brauchen nur das andere Göttergeschlecht zu besiegen.“ „Wieviel Götter sind es?“ „Acht.“ „Also eine Kleinfamilie.“ „Sie sind anders als wir, aber doch mächtig.“ „Unsinn. Wahrscheinlich sind alle zusammen über dich hergefallen, aber ich nehme es allein mit ihnen auf, denn es gibt niemanden, der mir gewachsen ist.“ „Ich werde dich unterstützen“, sagte Athene bestimmt, rückte ihren Helm zurecht und nahm Speer und Ägis auf, den von Hephaistos geschmiedeten Schild des Zeus. „Natürlich komme ich ebenfalls mit“, rief Ares. „Nein, ein solcher Kampf ist nichts für euch, Kinder. Apoll, du verstehst dich auf die Heilkunst, also wirst du dich jetzt um Hermes kümmern und ihn versorgen.“ „In deinem Zustand wirst du allein unterliegen, Zeus.“ „Es hätte mich sehr gewundert, Hera, wenn du keine Einwände gehabt hättest. Du mußt ja immer das letzte Wort haben.“ „Du bist ziemlich angeheitert.“ „Ich habe eben ein freundliches Gemüt, meine Liebe – im Gegensatz zu dir.“ „Sei nicht albern. Du bist stark angetrunken und hast in dieser Verfassung keine Chance gegen andere Götter. Im Augenblick würde dich sogar ein Sterblicher besiegen.“ „Das ist eine glatte Lüge“, widersprach Zeus. „Ich bin in Form wie selten zuvor. Sieh her!“ Er nahm Athenes Speer und schleuderte ihn quer durch das Schiff. Zitternd blieb die Waffe in der hölzernen Bordwand stecken. Schwerfällig stapfte Zeus zu der Stelle und zog den Speer am Schaft heraus. Durch das entstandene Loch rann eine Flüssigkeit in das Boot. „Wassereinbruch! Wir haben ein Leck!“ Poseidon sprang auf und wollte zu seinem Bruder eilen, stutzte dann jedoch und blieb stehen. „Aber hier gibt es weit und breit kein Wasser. Wir befinden uns im Weltraum.“ Unschlüssig kratzte Zeus sich am Kopf. „Wo du recht hast, hast du recht!“ Er beugte sich über die Bordwand und blickte hinaus. Als er den Kopf zurückzog, grinste er. „Falscher Alarm. Dionysos ist nur mal austreten gegangen.“ Er deutete auf einen
Satyr. „Du hältst das Loch zu, und ihr anderen wischt auf. Aber zack, zack!“ Zufrieden kehrte Zeus an seinen Platz zurück. „Und jetzt kommt der zweite Streich!“ Aus dem Handgelenk heraus schleuderte er einen Blitz, der durch den Nachen zickzackte. Wunderbarerweise wurde niemand getroffen, doch Artemis stand wohl etwas ungünstig. Ihr Gewand wurde knapp oberhalb des Knies von dem Energiestrahl durchtrennt; der untere Teil mit den winzigen Brandlöchern fiel zu Asche verbrannt zu Boden. „Meinst du, daß das deiner würdig war?“ „Warum nicht?“ erklärte Zeus. „Soeben habe ich den Minirock erfunden. Du wirst sehen, prüde Hera, es wird der Tag kommen, an dem die Frauen Bein zeigen – vor allem dann, wenn sie so ästhetisch sind wie die meiner Tochter Artemis.“ „Kannst du das noch einmal wiederholen?“ Aphrodite schenkte Zeus einen betörenden Augenaufschlag. „Ich finde den Mini sexy.“ „Was ist ,sexy’?“ erkundigte sich der oberste Gott irritiert. „Eine Wortkomposition von mir. Sie bedeutet anziehend, auf reizend und begehrlich zugleich.“ „Ah, ich verstehe.“ „Ich auch, denn in solchen Dingen hast du ja Erfahrung.“ Heras Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, ihre Stimme klang bitter. „Du hast den sterblichen Frauen, die dir gefielen, nicht nur den Hof gemacht, sondern sie auch geschwängert und die Kinder dieser Verbindungen ausgezeichnet und mit besonderen Fähigkeiten bedacht. Halbgötter wurden sie wie Herakles, andere wurden gar Götter wie die Zwillinge Artemis und Apoll, Hermes, Dionysos, die neun Musen und Persephone. Ich betrachte es als eine Fügung des Schicksals, daß sie in die Unterwelt entführt und zu Plutons Gemahlin wurde, sonst hätte ich sie auch noch am Hals.“ „Mußt du denn immer wieder diese alten Geschichten aufwärmen? Unsere gemeinsamen Kinder Hephaistos, Ares und Hebe sind doch auch Götter.“ „Es sind nur drei, mein Göttergatte.“ „Ich möchte auch einen Mini haben“, bettelte Aphrodite. „Später. Heras Geschwätz hat mich so sehr ermüdet, daß ich erst ein Nickerchen machen muß. Dann werde ich die fremden Götter besiegen, und anschließend widme ich mich den aktuellen Modefragen.“ Zeus ließ sich auf einem mit Kissen bedeckten Lager nieder. „Poseidon, du als mein Bruder wirst das Kommando übernehmen. Lenke den Nachen zu diesem Planeten, den wir zur Erinnerung an meine kommende Ruhmestat ,Zeusium’ nennen wollen.“ Er streckte sich und schloß die Augen, gleich darauf war er eingeschlafen. Poseidon piekste Hera mit dem Dreizack in den wohlgeformten Po. „Aus dem Weg, meine gestrenge Schwester, jetzt führt der Gott des Meeres das Regiment.“ „Du bist zwar sowohl mein als auch Zeus’ Bruder, dennoch dulde ich diese plumpen Vertraulichkeiten nicht, Poseidon.“ Die herb wirkende, hoheitsvolle Schönheit mit Stirnreif und Schleier schwenkte ihr Zepter. „Ich achte auf Sitte und Anstand, merke dir das.“
Bei einer Frau wie dir hätte ich auch viele Freundinnen, dachte Poseidon, ließ seine Gedanken jedoch nicht laut werden. Hocherhobenen Hauptes stand er da und stieß seinen neuen Dreizack ruckartig nach oben. Die Fische und Delphine zogen an und wurden schneller. „Dionysos, du ziehst sofort die Angel ein!“ sagte Poseidon mit strenger Miene. „Ich dulde nicht, daß du unsere Zugtiere dezimierst, außerdem sind diese Fische heilig.“ „Dafür schmecken sie aber ziemlich ordinär.“ Der Gott der Fruchtbarkeit holte die Rute ein und warf sie achtlos zu Boden. „Dann trinken wir eben noch ein Schlückchen.“ Er hob sein Glas. „Prost, Onkel Posi!“ Poseidon gab keine Antwort. Er beobachtete die Nereiden und Tritonen, die Fische und Delphine. Mit steigender Geschwindigkeit hielt das Boot auf die blau‐weiße Kugel zu, deren Götter sich bereits rüsteten, die Fremden nicht nur gebührend zu empfangen, sondern auch zu vertreiben. * „Zeus, aufstehen! Wir sind gleich am Ziel!“ Der höchste Gott schlug die Augen auf, blinzelte verschlafen, reckte und streckte sich und setzte sich auf die Kante der Liege. Als Hephaistos’ Hammerschläge sein Ohr erreichten, zuckte er zusammen und verzog das Gesicht. „Aufhören, sofort aufhören!“ brüllte er. Vorsichtig erhob er sich. „Oh, mein Kopf. Und einen Geschmack habe ich im Mund – gräßlich. Dionysos, was für ein gepanschtes Gesöff hast du mir da wieder untergeschoben?“ „Der Wein war vom besten, mein Göttervater. Griechischer Prädikatswein, ohne Stiele und Stengel gekeltert. Hier, trinke einen Schluck, das wird dir guttun.“ Dionysos kam schwankenden Schrittes heran und reichte Zeus seinen halbgefüllten Pokal. Dieser nahm ihn, leerte ihn in einem Zug und schüttelte sich. „Ein eisgekühlter Steinhäger wäre mir jetzt lieber gewesen, aber damit kannst du ja nicht dienen, weil es den noch nicht gibt. Immerhin fühle ich mich besser.“ Er gab das Glas zurück. „Ich weiß wirklich nicht, warum du solche Mengen in dich hineinschütten kannst und ich nicht einmal eine lausige Amphore vertrage.“ „Training, alles Training.“ „Das verschieben wir auf später, jetzt gilt es, die fremden Götter zu besiegen.“ Zeus blickte nach unten. Noch war die Lufthülle dünn, aber Einzelheiten waren bereits zu erkennen. Sechs Kontinente gab es, mehrere Ozeane und zahllose Binnenseen. Der Boden schien fruchtbar zu sein, ausgedehnte Wälder und saftige Savannen bedeckten die Landmassen, die von Flüssen durchzogen wurden. Die Polkappen und die höchsten Gipfel waren von Schnee und ewigem Eis bedeckt, es gab aber auch Gebirge mit Dreitausendern – vor allem in Äquatornähe –, die keinen gefrorenen Niederschlag aufwiesen. Auf dem nördlichsten Kontinent, der aussah wie ein an den Rändern zerfranstes Oval, erstreckte sich ein gewaltiges Bergmassiv von Nordost nach Südwest. Mehrere Erhebungen von mehr als siebentausend Metern durchstießen die Wolkendecke, ausgedehnte Firnfelder schimmerten im Glanz der Sonne. Auf dem höchsten Gipfel
befand sich ein trutziges, aus mächtigen Quadern errichtetes Bauwerk, eine Burg mit einem zinnenbewehrten Turm, düster und abweisend, gebaut für die Ewigkeit. „Das scheint der Sitz der fremden Götter zu sein, aber nicht mehr lange. Die Architektur ist ohnehin ziemlich einfallslos.“ Zeus wandte sich an Poseidon. „Halte auf den Zentralkontinent zu. Siehst du den Berg, der unserem geliebten Olymp ähnelt?“ Als sein Bruder nickte, fuhr er fort: „Dort werden wir uns niederlassen. Als erstes werde ich einen Palast für uns schaffen.“ „Aber bitte mit konrinthischen Säulen“, sagte Hera. „Diese dorischen Konstruktionen sind mir zu schlicht.“ „Gerade die einfache Bauweise wirkt beruhigend und entspannend“, widersprach Athene. „Ich mag diese protzige Architektur nicht.“ „Auch wenn du die Schutzgöttin der Kunst und der Wissenschaft bist – dies ist mein Haus, und es wird so ausgestattet, wie ich es wünsche.“ „Vielleicht könntet ihr euch auf ionische Säulen einigen“, versuchte Zeus zu vermitteln. „Nun gut, aber dann muß ich auf Wasserspielen und Bildhauerarbeiten bestehen.“ Hera hob herrisch ihr Zepter. „Als Material verlange ich weißen Marmor. Und die große Halle soll Meerblick haben.“ „Auf jeden Fall muß ein Garten her – und eine Anzahl von aus Thermen gespeisten Bädern.“ Athenes Stimme klang trotzig. „Sonst ziehe ich dort nicht ein.“ „Garten, Garten – was sollen wir mit einem Garten? Ein Weinberg muß her, und zwar ein großer. Und ein Weinkeller, in dem der Rebensaft richtig gelagert werden und heranreifen kann“, meldete sich Dionysos. „Und nicht zu vergessen die Schmiede.“ „Also die kommt mir nun wirklich nicht ins Haus“, sagte Zeus ärgerlich. „Wenn du hämmern willst, dann richte dir eine Werkstatt im Berg ein.“ „Eine Hobbyecke könntest du ihm zugestehen“, ergriff Hera für ihren Sohn Partei. „Das lehne ich strikt ab.“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein“, entsetzte sich Aphrodite. „Ich soll meine Tage an der Seite von Hephaistos in einem solchen Loch verbringen, während ihr in einem Palast wohnt?“ „Er kann dir ja einen Palast schmieden“, antwortete Zeus wütend. „Hat sonst noch jemand bestimmte Vorstellungen oder Forderungen? Etwa ein Musikzimmer oder ein Salon mit offenem Kamin?“ „Derartige Kleinigkeiten können wir später ja immer noch ändern, aber ein paar Separees“, brauste Hephaistos auf. „Glaubst du, ich wüßte nicht, warum gerade du als meine Gemahlin darauf bestehst? Du willst mich doch auch hier wieder mit Ares, meinem leiblichen Bruder, hintergehen.“ Zeus seufzte. „Also keine Kuschelräumchen, dafür ein Weinkeller und Bäder, eine Halle mit Meeresblick, Wasserspiele und Statuen, ionische Säulen, Garten und Weinberg.“ Er konzentrierte sich auf den besagten Gipfel, hob die Hände und ließ sie nach vorn schnellen. Aus dem Nichts heraus entstand auf dem Berg ein prachtvoller Bau klassischer griechischer Architektur, reichverziert und mit langen Säulenreihen,
Skulpturen und Monumenten, Springbrunnen und kleinen Teichen. Ein kunstvoll gestalteter Garten mit großkronigen, Schatten spendenden alten Bäumen umgab den Palast, auf dessen Terrassen üppiger Blumenflor wuchs. „Na, was sagt ihr zu meinem Werk?“ fragte Zeus stolz. „Der Weinberg fehlt“, entsetzte sich Dionysos. „Das bedeutet, daß es auf Zeusium keine Rebstöcke gibt.“ „Aber wo bekomme ich dann Wein her?“ jammerte der Gott der Fruchtbarkeit. „Ich brauche Wein!“ „Wir werden schon eine Lösung finden. Laßt uns erst einmal einziehen!“ Ein hohles Brausen erfüllte die Luft, der Himmel verfinsterte sich, dunkle Wolken jagten über das Firmament. Es donnerte, Blitze zuckten zur Erde hernieder, orgelnder Sturm peitschte die Wipfel der Bäume und ließ den Kahn schwanken. Das mächtige Tor der düsteren Burg hatte sich geöffnet, eine kräftige Gestalt auf einem pechschwarzen Pferd raste durch die Lüfte auf den Nachen zu. Der Reiter schwenkte einen Speer, auf der Kruppe des Tieres hockten zwei verwachsene Gestalten, die sich am wehenden Umhang des Dunklen festklammerten. „Hoh, Vinir, hoh!“ Zeus ließ sich von Athene seinen Schild Ägis reichen, nahm ihn mit der Linken und stellte sich breitbeinig in Positur. Seine zuversichtliche Miene machte dem Ausdruck des Entsetzens Platz, als er plötzlich den Halt verlor. Rudernd versuchte er, das Gleichgewicht zu bewahren, schaffte es aber nicht und stürzte mit einem dumpfen Laut zu Boden. Mit Seifenschaum im Gesicht und vor dem Mund kam er wieder hoch. „Wer von euch dämlichen Weibern hat hier seine OSKS liegen lassen oder verloren?“ Mit Vehemenz schleuderte der griechische Gott das Stück Seife über Bord. „Ich schäume vor Wut.“ „Das ist deutlich zu sehen“, sagte Dionysos respektlos. „Du siehst wirklich furchtbar aus in deinem Zorn. Betrachte dieses Mißgeschick doch einfach als Doping.“ „Irgendwie habe ich das Gefühl, daß ich die Zeichen der Zeit nicht mehr erkenne“, murmelte Zeus. „Shocking, Doping, sexy – ist das jetzt in?“ „Du solltest dich auf deine Aufgabe konzentrieren!“ mahnte Hera. Schon war die Wilde Jagd heran. „Wer seid ihr, daß ihr es wagt, in mein Reich einzudringen?“ fragte der Fremde mit tiefer Baßstimme, die über den ganzen Planeten zu hallen schien. In einem der Fenster der Burg erschien ein Frauenkopf. Die Gesichtszüge ließen darauf schließen, daß sie eine energische Person war, mütterlich zwar, aber streng. Die zu Zöpfen geflochtenen Haare, rötlichblond und streng nach hinten gekämmt, glänzten wie gesponnenes Gold. „Schneide nicht so auf. Es ist unser Reich, und ich will, daß du ihnen das in jeder Hinsicht verdeutlichst!“ „Natürlich, mein Mauseschwänzchen!“ Das Fenster wurde zugeknallt. „Also, wer seid ihr?“ „Ich bin Zeus, der mächtigste aller griechischen Götter, und ich bin gekommen, um dich zu besiegen und in den Tartaros zu stürzen.“
„Du willst mich besiegen?“ Grollendes Gelächter erschütterte die Erde und die Berge, so daß die Planetarier sich angsterfüllt in ihre Häuser zurückzogen und ihren Göttern opferten. „Ich bin Balandan, der oberste Gott, Toten‐ und Sturmgott, Herr der Blitze und des Donners und Gott des Krieges. Niemand ist mir gewachsen.“ „Balandan“, ertönte wieder die kreischende Frauenstimme. „Lüge nicht.“ „Natürlich nicht, Ervi, mein Wonnepfropfen. Niemand außer dir ist mir gewachsen.“ „Als Herr des Himmels und Beherrscher der Naturgewalten kannst du mir mit diesem Hauch von einem Unwetter nicht imponieren.“ Zeus hob seine rechte Hand und schloß sie zur Faust. Augenblicklich legte sich der Sturm, die Wolken verschwanden, der Himmel riß auf, die Sonne kam heraus; Blitz und Donner blieben aus. Balandan zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt. Er stemmte sich in den Steigbügeln hoch, holte Schwung und schleuderte seinen Speer auf den weißen Marmorpalast. Als die Spitze das Bauwerk berührte, löste es sich in Nichts auf, während die Waffe zu ihrem Herrn zurückkehrte. „Oh, das wirst du mir büßen, ein solches Kunstwerk zu vernichten!“ Zeus Augen funkelten. „Paß auf, was mit dem finsteren Steinhaufen dort geschieht!“ Er schleuderte einen Blitz auf die Burg hinunter. Das trutzige Gemäuer verschwand, als hätte es nie existiert. Sechs rotblonde Gestalten, darunter auch die mollige Ervi, saßen plötzlich auf dem Hang inmitten einer Wolke aus hochgewirbeltem Schnee. Zeus stimmte ein homerisches Gelächter an und wollte sich schier ausschütten vor Lachen. „Balandan!“ „Sofort, mein Rehauge!“ Der in ein zottiges Fell gehüllte Reiter wandte sich Zeus zu. Grollend sagte er: „Du hast die Ehre meiner göttlichen Familie beleidigt und sie lächerlich gemacht. Das schreit nach Rache!“ Er schlug seinem Pferd die Hacken in die Flanken. Wiehernd richtete sich das Tier auf den Hinterbeinen auf. Mit aller Kraft schleuderte Balandan Zeus den Speer entgegen. Der reagierte beinahe lässig und hob seinen Schild hoch. Die langgestreckte Waffe prallte ab und kehrte in die Hand von Balandan zurück. „Ägis ist göttliche Handarbeit!“ Zeus lachte. „Warte es ab!“ Erneut wurde der Speer auf die Reise geschickt. Diesmal wehrte Zeus ihn nicht mit dem Schild ab, sondern ergriff ihn und versuchte, ihn zu zerbrechen. Es gelang ihm nicht, die Waffe entglitt seiner Hand und sauste zu Balandan zurück. „Deignar ist auch göttliche Handarbeit.“ Das bärtige Gesicht des Reiters verzog sich zu einem schadenfrohen Grinsen. „Aber was ist mit deinen Delphinen?“ Schnell wie ein Gedanke raste der Speer durch die Luft. Es sah aus, als würde er einen der Meeressäuger durchbohren, doch er hatte noch nicht die Haut des Delphins berührt, als er abrupt gestoppt wurde – geradeso, als hätte ihn eine unsichtbare Titanenfaust gepackt. Wie gehabt flog Deignar zurück zu seinem Herrn. „Es sind göttliche Tiere, meinem Bruder Poseidon geweiht, dem Gott des Meeres.“ Zeus lächelte überheblich. „Mal sehen, wie es mit deinem Pferd steht.“ Er schleuderte einen Blitz auf den mächtigen Rappen. Bevor er die breite Brust traf, veränderte er seine Richtung und fuhr in den Boden.
„Wie du siehst, ist mein Totenroß Vinir unverletztlich.“ „Balandan, hör endlich mit dieser Spielerei auf und verjage den fremden Pöbel.“ „Natürlich, meine liebliche Rabenkrähe.“ „Zuerst muß die Burg wieder her. Mir wird kalt.“ „Wie du meinst, meine Hasenpfote.“ Der bärtige Reiter wendete sein Pferd und fuchtelte mit dem Speer in der Luft herum. Dort, wo eben noch die sechs Gestalten gesessen hatten, erhob sich wieder der trutzige Bau mit dem Turm. „Zeus, da siehst du einmal, wie andere Götter ihre Gemahlinnen behandeln“, beschwerte sich Hera. „Unsinn, der Bursche steht unter dem Pantoffel dieser keifenden Vettel. Und so etwas will hier oberster Gott sein.“ „Das werde ich dir schon beweisen“, schrie Balandan. „Du hast gehört, was meine Göttergattin gesagt hat. Verschwindet endlich, oder ihr werdet es bereuen.“ „Willst du dein Weib schicken?“ „Oh warte!“ Balandan gab Vinir die Sporen. „Hoh, Virnir, hoh!“ Der Rappe galoppierte auf den Nachen los. Athene schleuderte dem Pferd ihren Speer entgegen, der aber abgelenkt wurde, ebenso wie die Pfeile von Artemis und Apoll; es sah aus, als wären sie gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt. Balandan lachte schaurig und trieb das Tier zu größerer Schnelligkeit an. Das Totenroß streckte sich und setzte zum Sprung über die Bordwand an, doch da war Hephaistos herbeigehumpelt. Mit beiden Händen schwang er seinen Hammer und traf den Rappen damit an einer Stelle zwischen Augen und Ohren. „Urks“, machte das Totenroß und stoppte so abrupt, als wäre es gegen eine Mauer gerannt. „Urks urks.“ Es hatte die Augen verdreht, so daß man das Weiße sehen konnte. Mit schwankendem Schritt drehte es sich im Kreis, stolperte über seine eigenen Hufe und tänzelte albern herum wie ein Zirkuspferd. Dort, wo Hephaistos den Kopf getroffen hatte, wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit eine Beule aus dem Fell, die dünn und spitz war und Armlänge erreichte. „Gut gemacht, Hephaistos“, rief Dionysos freudig. „Jetzt ist aus dem Totenroß ein Einhorn geworden.“ Die anderen Götter kümmerten sich weniger um Vinir als vielmehr um Balandan. Er war mitsamt den Wichten aus dem Sattel geschleudert worden und wäre sicherlich unsanft zu Boden gegangen, wenn ihn Poseidon nicht in letzter Sekunde mit dem Dreizack am Umhang erwischt hätte. Wie eine überreife Frucht baumelte Ervis Gemahl vor Poseidons Gesicht herum, wobei er alles andere als göttlich wirkte. Die beiden Gnomen winselten wie junge Hunde, hielten sich aber nach wie vor an den Zipfeln des Überwurfs fest. „Soll ich ihm auch ein Horn verpassen?“ erkundigte sich der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. „Nein, wir machen das kultivierter!“ Zeus trat zu Balandan und verdrehte dessen linkes Ohr zu einer Spirale. „Das ist die Strafe für das, was ihr meinem Sohn Hermes angetan habt.“ Er griff in
den Bart und riß ein Haar aus. „Das ist für den unfreundlichen Empfang.“ Ein weiteres Barthaar verlor den Kontakt zu seinem Träger. „Das ist für die Vernichtung des Palasts.“ Mit spitzen Fingern ergriff er ein drittes Haar, ein viertes und ein fünftes. „Das ist für deine Frechheit, das ist für deinen Hochmut, das ist zu meiner Erbauung…“ „Hör auf, mich kahlzurupfen!“ zeterte Balandan. „Vinir, Deignar – greift ihn an!“ „Das ist für diesen unsinnigen Befehl“, fuhr Zeus fort. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, daß Athene mit dem Schild Ägis den Speer abwehrte und Hephaistos seinen Hammer schwang, um den Rappen zu vertreiben. „Das ist für den Angriff auf den Delphin, das ist für den Angriff auf mich…“ „Ervi!“ brüllte Balandan. Der letzte Ton war noch nicht ganz verklungen, als Balandans Familie aus der Burg stürmte, an der Spitze die resolute Gemahlin des obersten Gottes. An einer Stelle riß die Bergflanke auf, eine düstere Gestalt schwang sich an die Oberwelt – unverkennbar ein Sohn Balandans – und schloß sich den vorwärtsstürmenden Göttern an. Und dann prallten die Clans von Balandan und Zeus aufeinander. Der Flußgott Selta attackierte mit seinem Fischerspeer Poseidon, Albatron, der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, schwang seinen Hammer gegen Hephaistos, Lustrap, der Lichtgott und Verteidiger der Welt der Götter und der Menschen gegen Riesen und Ungeheuer, hatte sich Apoll als Gegner ausgesucht, Friesothia, die Göttin der Jagd, trat gegen ihr griechisches Pendant Artemis an, und Hermes stellte sich Dolandon, dem Gott der Unterwelt. Metrigus, die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit, lag sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Aphrodite in den Haaren, und Zeus kreuzte die Waffen mit Balandan, der sein luftiges Plätzchen an Poseidons Dreizack verlassen hatte. Am furchtbarsten aber wütete Ervi, die Göttin der Familie und des Herdfeuers. Sie hatte sich Hera als Gegnerin ausgesucht, doch die war ihr bei weitem nicht gewachsen und auf die Unterstützung von Athene und Ares angewiesen, um nicht zu unterliegen. Amphitrite, die Gemahlin Poseidons, hatte keine direkte Gegenspielerin, ebensowenig wie Hebe. Die beiden Göttinnen sorgten dafür, daß den Tritonen und Nereiden, den Mänaden und Satyrn kein Leid geschah, während Dionysos sich mit der Rolle des Zuschauers begnügte. Jede gelungene Aktion seiner Sippe kommentierte er mit den Worten: „Der Kandidat hat hundert Punkte! Prost, auf unseren Sieg!“ * Das Gebirge hallte vom Geklirr der Waffen und den Schlachtrufen der Götter wider, jeder Hammerschlag ließ die Erde erbeben, und Blitz und Donner schienen den Weltuntergang anzukündigen. Die Menschen in den Niederungen zitterten und fürchteten sich, weil sie ihr baldiges Ende kommen sahen. Eine plausible Deutung hatten auch die Priester parat. Hatten
sich Riesen und Ungeheuer erhoben, um gegen die Götter zu kämpfen, oder war es ein Strafgericht der Götter gegen die Menschen? Pausenlos brachten die Priester immer neue und immer größere Opfer, beteten zu Balandan und Lustrap, riefen auch die anderen Götter an, aber es half nichts. Die Nacht wurde zum Tag, die Sonne am Himmel wurde vom Licht der Götterfackeln überstrahlt, und das Toben der unbegreiflichen Gewalten schien kein Ende nehmen zu wollen. Kaum jemand wagte sich ins Freie. Feste und Familienfeiern fanden nicht mehr statt, geplante Feldzüge wurden ausgesetzt oder der Gedanke daran fallengelassen. Man plante nur noch bis zum nächsten Morgen und nicht mehr in Zeiträumen wie Monaten oder gar Jahren. * Acht Tage und Nächte lang hatten die Götter pausenlos gekämpft, nun waren sie müde und erschöpft. Ernsthaft Verletzte oder gar Tote hatte es nicht gegeben, dafür aber eine Menge Blessuren. Gegenseitig am übelsten zugerichtet hatten sich die beiden Göttinnen der Liebe. Von ihren kunstvollen Frisuren war nichts mehr übriggeblieben, büschelweise hatten sie sich die Haare ausgerissen. Die Fingernägel waren abgebrochen, die Gesichter zerkratzt, die Kleider waren eingerissen und fleckig. In der Auseinandersetzung mit ihrer etwas stämmigeren Kontrahentin hatte Aphrodite ein blaues Auge davongetragen und sich durch einen Biß in die Nase von Baladans Tochter gerächt. Wie eine Löwin gekämpft hatte Ervi. Die mit einem ledernen Brustpanzer und einem gehörnten Helm angetane Göttin hatte nicht nur bravourös ihr Schwert gehandhabt, sondern mit Athene und Ares auch zwei der streitbarsten griechischen Götter gegen sich gehabt. Ihr hatten es Balandan und ihre Kinder zu verdanken, daß sie nicht unterlegen waren, obwohl sie in der Minderzahl waren. Hephaistos hinkte noch stärker als sonst. Der Hammer seines Gegners hatte seinen linken Fuß getroffen. Der große Zeh hatte sein Volumen fast verdoppelt, dafür hatte der andere Gott des Feuers einen Schneidezahn eingebüßt. Poseidon hatte einen Stich in die Oberlippe erhalten, doch er hatte es dem Flußgott heimgezahlt. Der Arme hatte an seiner empfindlichsten Körperstelle Bekanntschaft mit dem Dreizack gemacht und würde die nächsten Tage weder sitzen noch auf dem Rücken liegen können. „Daß es zu diesem unrühmlichen Patt gekommen ist, ist einzig und allein deine Schuld, Dionysos“, grollte Zeus. „Hättest du uns richtig angefeuert, hätten wir über Baladan und seine Walküre den Sieg davongetragen.“ „Jetzt bin ich wieder der Sündenbock“, maulte der Gott der Fruchtbarkeit. „Dabei kann ich mich erinnern, daß du es urpsrünglich allein mit ihnen aufnehmen wolltest.“ „Wenn das so ist, kannst du ja mal gegen mich antreten“, rief Ervi streitlustig. Sie stand auf, trat zu Zeus und entriß ihm seinen Schild. „Na, was ist, du Memme?“ „Ich kämpfe nicht gegen Frauen, und gegen Weiber deines Schlages schon gar nicht“, sagte Zeus übellaunig. „Gib mir Ägis zurück!“
„Da hast du ihn!“ Mit Wucht schmetterte sie ihm den Schild auf den Schädel. „Hat noch jemand Bedarf?“ Zeus stieß einen Schmerzensschrei aus und sprang auf. Wutentbrannt packte er Ervi an einem Zopf und riß sie zu Boden, fand sich zu seiner Überraschung aber ebenfalls im Schnee wieder. Bevor er wußte, wie ihm geschah, wurde er geohrfeigt und erhielt einen Schlag auf das Kinn. Als er aufblickte, stand die stämmige Göttin über ihm, die Hände in die Hüften gestemmt. „Versuche so etwas nicht noch einmal, sonst beziehst du Prügel, daß du dir wünschst, diesen Planeten nie gesehen zu haben. Hast du mich verstanden?“ Zeus gab keine Antwort und rappelte sich auf. Er tastete sein Gesicht vorsichtig ab; mit einer gewissen Erleichterung stellte er fest, daß nichts gebrochen war und kein Zahn fehlte. „Von wegen Hasenpfote“, knurrte er. „Du wärst als Strafe eine echte Bereicherung für den Tartaros.“ Ervi lächelte. „Solche Komplimente gefallen mir.“ „Schlimmer hätten wir es nicht treffen können. Wie müssen da erst die Menschen sein, wenn ihre Götter schon solche Barbaren sind?“ Zeus fuhr sich über den schmerzenden Kopf. „Ich halte es für besser, wenn wir wieder abziehen.“ „Ich bin auch dafür“, krähte Dionysos. „Hier gibt es ja noch nicht einmal Rebstöcke.“ „Wir bleiben“, sagte Hera bestimmt. „Von diesem Pack haben wir nichts zu befürchten, und diese Welt gefällt mir. Außerdem wird es Zeit, daß unser Leben wieder in geregelten Bahnen verläuft und jeder seine Aufgaben erfüllt. Diese ewigen Gelage und das tatenlose Herumlungern im Nachen habe ich satt, außerdem übt Dionysos einen denkbar schlechten Einfluß auf dich aus.“ „Aber…“ „Nein, Zeus, versuche nicht, dich herauszureden. Du weißt selbst, daß du in den letzten Jahrzehnten viel zuviel getrunken hast. Apoll meint, daß es nicht mehr lange dauert, und du hast eine Schrumpf leber wie Richard Burton.“ „Wer ist denn Richard Burton?“ „Ich weiß es auch nicht, aber das Orakel in Delphi hat seinen Namen genannt. Er soll ein Schauspieler sein, der irgendwann in der Zukunft leben wird. Ihm wird ein selbstzerstörischer Hang zum Alkohol nachgesagt.“ Hera strich ihr zerdrücktes Kleid glatt. „Ich möchte mich jetzt zurückziehen, mich frisch machen und ein wenig ausruhen. Bitte lasse den Palast wieder entstehen.“ Zeus konzentrierte sich auf den olympähnlichen Gipfel, hob die Hände und ließ sie nach vorn schnellen. Aus dem Nichts heraus entstand ein prächtiges Bauwerk. „Balandan, ich dulde nicht, daß du es hinnimmst, daß dieses fahrende Volk sich hier häuslich niederläßt“, keifte Ervi. „Auf der Stelle läßt du diese neureiche Ruine verschwinden.“ „Ich tue es, mein Zicklein, aber ich fürchte, im Gegenzug wird auch unsere Burg verschwinden.“ „Darauf lasse ich es ankommen!“ Balandan seufzte leise. Hinter Ervis Rücken warf er Zeus einen Blick zu, der
Hilflosigkeit und Bedauern zugleich ausdrückte, dann schickte er Eignar auf die Reise. Kaum berührte die Speerspitze das strahlende Bauwerk, als es sich in Nichts auflöste mitsamt dem Garten und den alten Bäumen. Noch während die Waffe zurückkehrte, schleuderte der oberste Griechengott einen Blitz auf die Burg. Sie verschwand auf der Stelle. „Na, was ist? Soll ich ewig hier stehen? Die Burg muß wieder her, aber ein bißchen plötzlich!“ „Gewiß, meine Himmelstaube.“ Balandan fuchtelte mit dem Speer in der Luft herum, gleich darauf war das trutzige Gemäuer wieder existent. „Zeus, worauf wartest du denn? Ich bin müde.“ Hera schwenkte ihr Zepter. „Und vergiß die Thermen und die Bäder nicht. Mein Körper schreit förmlich nach einer gründlichen Reinigung mit warmem Wasser.“ Der Herr des Himmels und Beherrscher der Naturgewalten kam dem Wunsch seiner Gemahlin nach. Erneut entstand auf dem Berg der von Säulen getragene Paläst. „Hast du das gehört, Balandan? Ihr Körper schreit nach warmem Wasser, und wir haben nur einen lausigen kalten Brunnen. Warum änderst du das nicht? Wir haben nicht ein einziges Bad, geschweige denn eine vernünftige Toilette, nur diesen verdammten Balken draußen auf dem Hof in der zugigsten Ecke.“ „Aber mein Honigmäulchen, wir sind doch bisher auch ohne solchen Schnickschnack ausgekommen.“ „Schnickschnack nennst du das? Willst du dir von solchem Gesindel nachsagen lassen, wir hätten keine Kultur?“ zeterte Ervi. „Und dann dein Baustil. Düster, eckig, phantasielos. Sieh dir das Haus auf dem anderen Gipfel an, betrachte die astlosen Stämme, die das Dach stützen…“ „Es sind Säulen, mein…“ „Unterbrich mich nicht. Natürlich weiß ich, daß es Säulen sind, aber man muß ja nicht gleich jedes Fremdwort übernehmen.“ „Soll ich das Bauwerk wieder zerstören?“ „Nein, du sollst es dir ansehen. Ich möchte, daß wir auch in so einem Haus wohnen. Die Burg muß weg.“ „Aber Ervi, mein Sonnenschein, vor wenigen Augenblicken hast du doch noch…“ „Was habe ich?“ „Ich sollte…“ „Du solltest?“ „Nun, ich meine…“ „Was meinst du?“ „Ich dachte…“ „Du denkst?“ Ervi gab einen schrillen Lacher von sich. „Es wäre das erste Mal. Wenn hier einer denkt, dann bin ich es, und du tust, was ich sage. Und ich sage dir, ich will einen solchen Palast, klar?“ „Sicher, nur – wir sind nordische Gottheiten“, wagte Balandan einzuwenden. „Ein solches Bauwerk ist für uns als Wohnsitz denkbar ungeeignet, es ist für südliche Gefilde konstruiert. Es ist nach allen Seiten offen und läßt sich nicht beheizen.“
„Dann lasse dir gefälligst etwas einfallen. Schließlich prahlst du ja immer damit, daß du der oberste Gott bist. Und nun will ich endlich Taten sehen.“ „Ich kann die Burg nur einreißen, aber nicht völlig verschwinden lassen. Das kann nur ein anderer Gott.“ „Du meinst diesen kraftlosen Zeus, nicht wahr?“ „Ja.“ „Zeus, du mußt dieses gräßliche Gemäuer verschwinden lassen.“ „Ich muß weder, noch sehe ich eine Veranlassung dazu.“ „Ah, ich verstehe, du bist eingeschnappt, nicht wahr?“ Ervi zeigte ein Raubtierlächeln. „Ich habe deinen männlichen Stolz verletzt, doch wie ist das möglich, da ich nur eine kleine schwache Göttin bin?“ „Das weiß ich besser. Wenn du an meiner Stelle gewesen wärst, hättest du mit den Titanen Halma gespielt, doch sie wären nicht deine Partner gewesen, sondern die winzigen Figuren auf dem Spielfeld.“ „Was für ein reizender Vergleich“, gurrte die Göttin der Familie und des Herdfeuers. „Bitte tue mir den kleinen Gefallen und lasse die Burg verschwinden. Ich werde mich erkenntlich zeigen.“ „Inwiefern?“ „Nun, ich gewähre euch Asyl auf dieser Welt unter der Voraussetzung, daß ihr nicht versucht, Stimmung gegen uns zu machen und unsere Anhänger abwerbt.“ „Ein ziemlich klägliches Angebot. Wie du erkannt haben wirst, sind wir euch mindestens ebenbürtig.“ „Das läßt sich nicht leugnen, da ihr in der Überzahl seid, doch wir kennen die Verhältnisse hier und könnten euch mancherlei Schwierigkeiten bereiten.“ „Unter gewissen Einschränkungen stimmen wir zu“, antwortete Hera an Zeus Stelle, „aber was ist mit unserem Palast? Wenn mein Göttergatte deinem Wunsch nachkommt, wird dein Gemahl wieder aktiv – ob aus eigenem Antrieb oder auf deinen Befehl hin, lasse ich dahingestellt –, und unser Haus ist wieder verschwunden.“ „Um Balandan braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, er hat keinen eigenen Willen und tut nur, was ich ihm sage, und was mich betrifft, so habt ihr mein Wort darauf, daß ihr unbehelligt bleibt.“ Ervi rammte ihr Schwert in den Boden. „Und was ich sage, halte ich auch. Euer Palast bleibt unangetastet.“ „Du solltest ihrem Wunsch nachkommen!“ Zeus nickte ergeben. Er schleuderte einen Blitz, und wieder verschwand die Burg. „Das hast du gut gemacht, dafür bekommst du auch ein Küßchen von mir“, flötete Ervi. Von Entsetzen gepackt, floh Zeus in Heras Arme. Verstört stammelte er: „Du mußt mich vor ihr beschützen, Hera, ich flehe dich an!“ „Dann eben nicht.“ Die dralle Göttin wandte sich um. „Na, los, Balandan, worauf wartest du? Her mit dem Palast!“ Balandan schwenkte seinen Speer. Dort, wo vorher das wuchtige Bauwerk gestanden hatte, erhob sich ein abenteuerliches Gebilde. Es hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem griechischen Tempel, besaß an einer Stirnseite allerdings einen Bergfried. Die
Säulen waren ziemlich wuchtig geraten und standen so eng zusammen, daß man gerade noch eine Hand dazwischenschieben konnte, außerdem waren sie unterschiedlich hoch. Das Dach war zur Mitte hin geneigt und schaukelte hin und her wie eine Wippe. Auf der obersten Turmebene plätscherte ein Springbrunnen, die Terrasse war etwas zu hoch geraten und lag gut zehn Meter über dem Boden; dummerweise bestand die Treppe, die zu ihr hinführte, nur aus drei Stufen. Ein eigenwillig gestalteter Garten umgab das skurrile Bauwerk. Nadelbäume und windgepeitschte blattlose Baumriesen standen kunterbunt durcheinander, zwischen ihnen erstreckte sich eine Wildnis aus Disteln, Brennesseln, Löwenzahn und Kamille, unterbrochen von einigen Beeten, auf denen Heilkräuter und Gemüse wuchsen. Angesichts dieses „Kunstwerks“ verschlug es sogar der resoluten Ervi für einen Moment die Sprache. Entgeistert starrte sie erst dieses Machwerk an, dann ihren göttlichen Gemahl. „Ich wollte einen Palast und keine Bruchbude!“ keifte sie. „Du machst uns ja zum Gespött des ganzen Planeten.“ „Du mußt das verstehen, meine Schwalbe, die Architektur ist mir fremd.“ „Das sehe ich, aber glaube ja nicht, daß ich in dieses Monstrum einziehe.“ „Aber…“ „Zeus, laß diese Ruine verschwinden.“ „Gleich, erst werden wir den Nachen besteigen.“ Nachdem alle griechischen Götter an Bord waren, sagte er zu Poseidon: „Sieh zu, daß wir so schnell wie möglich zu unserem Palast kommen!“ Der Gott des Meeres nickte stumm und gab mit seinem Dreizack das Startzeichen. Die Delphine und die Fische zogen an, das Boot wurde immer schneller. Erst jetzt schleuderte Zeus einen Blitz auf das verunglückte Bauwerk und ließ es erneut verschwinden. Kurz darauf war erneut Ervis Gezeter zu hören. Wahrscheinlich hatte Balandan den Geschmack seiner Herzensgöttin wieder nicht getroffen. 2. Seit unzähligen Jahren lebten die griechischen Götter in ihrem schmucken Palast auf dem NeoOlymp. Mit den Planetariern hatten sie – sah man von Dionysos und seinem Gefolge einmal ab – so gut wie keinen Kontakt, der mit ihren rauhbeinigen göttlichen Nachbarn beschränkte sich auf das Nötigste. Nur noch einmal hatte Zeus eingreifen müssen, um den Schandfleck von einer Palastkopie zu beseitigen. Ervi hatte eingesehen, daß ihr Balandan mit der klassischen Architektur nicht zurechtkam und schweren Herzens auf ein Haus mit Säulen verzichtet; nun hausten sie wieder in ihrer altbekannten Burg, genossen aber den Luxus eines Bades. Auf Heras inständiges Bitten hin hatte Zeus Hephaistos im entlegendsten Trakt eine Schalldichte Werkstatt eingerichtet. Dort hockte der Gott des Feuers den ganzen Tag vor dem Amboß und der Esse und hämmerte und schmiedete, was das Zeug hielt.
Den Schild Ägis gab es mittlerweile in sechshundertdreiundvierzig Ausführungen, Poseidon hatte die Qual der Wahl bei vierhundertsiebzehn Dreizacken, und Athene konnte über ein Jahr lang täglich einen anderen Helm aufsetzen mit jeweils dem passenden Speer dazu. Seine Gemahlin Aphrodite hatte gegen diesen göttlichen Schaffensdrang durchaus nichts einzuwenden, denn ihr blieb so Zeit genug für Ares, der sie ausgezeichnet zu trösten verstand. Je nach Neigung vertrieben sich die Götter die Zeit mit Tanz und Gesang oder dem Spiel auf Lyra und Laute, mit Bogenschießen, Speerwurf oder Waffentraining. Ausgiebige Körperpflege stand täglich ebenso auf dem Programm wie ein Gang durch den herrlichen Garten, man genoß Nichtstun und Erholung. Allerdings gab es auch ein paar Kleinigkeiten, die dazu geeignet waren, den Urlaub zu vergällen; so litt beispielsweise Dionysos sehr darunter, daß der heißgeliebte Wein fehlte… Der Gott der Fruchtbarkeit war nicht nur ein schlechter Rechner, sondern hatte auch nicht gerade das beste Gedächtnis; schuld daran war der Wein, denn in ihm liegt nicht nur die Wahrheit, nein, er enthält auch Alkohol, und in Mengen genossen, trübt er das Wahrnehmungs‐ und Erinnerungsvermögen. Immer und immer wieder hatte Dionysos die entladenen und mittlerweile geleerten Amphoren gezählt und war zu der Überzeugung gekommen, daß eine fehlte. Anfangs hatte er sowohl Zeus als auch Hera in Verdacht gehabt, das Gefäß konfisziert zu haben, aber bei der Durchsuchung ihrer Gemächer hatte er nichts gefunden; seine Suche in den Zimmern der anderen Götter war ebenfalls vergeblich gewesen. Es blieb nur noch die Möglichkeit, daß Hephaistos den Wein versteckt hatte. Nicht, um ihn selbst zu trinken, nein, dazu kannte er seinen von der Schmiedekunst besessenen Halbbruder zu gut, aber es war denkbar, daß er von Hera dazu angestiftet worden war, weil auch Zeus einen guten Tropfen zu schätzen wußte. Es war später Vormittag. Die anderen Götter aalten sich in der Sonne und frönten ihrem Hobby. Dionysos hatte einen günstigen Augenblick genutzt, um sich davonzustehlen; heimlich, wie ein Dieb hatte er sich in jenen Teil des Palasts begeben, der von den anderen ein bißchen gemieden wurde, weil Hephaistos hier sein Domizil aufgeschlagen hatte. Der grobschlächtig wirkende Schmied bot in seiner einfachen Handwerkerkluft durchaus keinen göttlichen Anblick, zumal er auch noch verschwitzt und rußverschmiert war, wenn er den Hammer schwang. Auf leisen Sohlen bewegte sich Dionysos durch den lichtdurchfluteten Gang aus Marmor. Er wußte, wo die Räume lagen, die Hephaistos und Aphrodite bewohnten; er inspizierte sie nur kurz, denn sie boten keinerlei Versteckmöglichkeiten, zumindest ließ sich keine Amphore verbergen. Eine massiv wirkende Tür, die mit einem schweren Riegel verschlossen war, erweckte seine Aufmerksamkeit. Das helle Holz wies Rußflecke auf und zeigte dunkle Handabdrücke. Man mußte kein Geistesriese sein, um sich zusammenzureimen. daß das dahinterliegende Zimmer zu Hephaistos’ Reich gehörte, nur – es war nicht seine Werkstatt, denn die lag am Ende des Flures. Was mochte sich dahinter der Tür
verbergen? Dionysos vergewisserte sich, daß er nicht beobachtet wurde, dann schob er die Bohle zurück. Die Tür sprang auf, und bevor er es verhindern konnte, wurde sie ihm förmlich aus der Hand gerissen. Ein Strom von kleinen Metallteilen ergoß sich mit ohrenbetäubendem Lärm auf den Flur, riß den Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase von den Beinen und begrub ihn unter sich. Mühsam befreite sich Dionysos von der auf ihm liegenden Last und kam ächzend hoch. Erst jetzt hatte er Gelegenheit, die Gegenstände näher zu betrachten. „Kleiderspangen“, murmelte er fassungslos. „Tausende von Kleiderspangen.“ Wütend trat er in den Haufen Clips. „Hephaistos muß verrückt geworden sein.“ Das Klappern von Sandalen war zu hören. Gehetzt sah sich Dionysos nach einem Versteck um. Das einzige, was sich in seiner Nähe befand, war eine monumentale Zeus‐Plastik. Geschwind huschte er zu ihr hin und verbarg sich dahinter. Keine Sekunde zu früh. Athene tauchte auf. Als sie den Berg von Verschlüssen sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. Suchend blickte sie sich um, dann, als sie niemanden sah, balancierte sie vorsichtig über die Metallspangen hinweg und verschwand in der Werkstatt von Hephaistos. Dionysos zögerte nicht länger und machte sich aus dem Staub. Ungesehen gelangte er in die Halle zurück, wo er sich erschüttert auf einen Schemel sinken ließ. Was wollte Hephaistos mit diesem Vorrat an Spangen, der ausreichte, um das ganze griechische Reich zu versorgen? Athene betrat den Raum. Rasch nahm Dionysos den Efeukranz vom Kopf und tat so, als hätte er etwas daran in Ordnung zu bringen. „Seit wann benutzt du denn Gewandverschlüsse?“ Betroffen blickte Dionysos an sich herunter. Vier, fünf der verräterischen Metallklammern hatten sich im Pantherfell verhakt. Mit flinken Fingern entfernte er sie und ließ sie hinter ein Polster gleiten. „Da haben mir die Mänaden wieder einen Streich gespielt“, sagte er leichthin. „Auf eine Spange mehr oder weniger kommt es auch nicht an.“ Die Göttin nahm ihren Helm ab und legte ihn auf den Boden. „Hephaistos hat mehr als zehntausend von diesen Dingern hergestellt.“ „Ach, was du nicht sagst“, tat Dionysos überrascht. „Woher weißt du das denn?“ „Irgend jemand hat heimlich sein Vorratslager geöffnet. Ich sah die Bescherung und habe ihn zur Rede gestellt, und da mußte er mit der Sprache heraus.“ „Ja, ja, unser Schmied. Manchmal glaube ich, daß er sich seinen Verstand systematisch weggehämmert hat und sein Amboß mittlerweile intelligenter ist als er selbst.“ „Nun übertreibst du aber schamlos.“ Athene streckte sich auf einer Liege aus. „Ich möchte nur wissen, wer Hephaistos diesen Schabernack gespielt hat. Es muß jemand sein, der von dem Lager gewußt hat.“ „Aber unser göttlicher Bruder hat doch nie davon gesprochen.“ „Jedenfalls will er den Schuldigen finden und ihm die Possen austreiben.“ Hermes kam herangeschlendert. Er wirkte mißmutig und verdrossen. Umständlich
hockte er sich auf die Kante eines Ruhebettes. Froh, das anfängliche Thema wechseln zu können, sagte Dionysos: „Du machst ein Gesicht, als wenn dir ein Titan über die Flügelschuhe getrampelt wäre. Was bedrückt dich?“ „Wenn ich nicht unsterblich wäre, hätte ich mich schon zu Tode gelangweilt. Du hast ja deinen Job.“ „Von wegen“, protestierte Dionysos. „Die einzigen, die noch in Ekstase geraten, sind meine Mänaden und Satyrn, und mit der Fruchtbarkeit ist es auch nicht weit her, außerdem habe ich seit Jahren keinen Tropfen Wein mehr getrunken. Im Vergleich zu dir geht es mir miserabel, denn du bist ja immerhin der Gott des Schlafes und des Traumes. Und geschlafen und geträumt wird immer.“ „Aber das ist doch kein Leben. Der einzige, der es wirklich gut getroffen hat, ist Poseidon. Die Barbaren haben nur einen lausigen Flußgott, und Poseidon kann nach Herzenslust über die Meere herrschen. Wenn ihm das zu langweilig wird, kann er mit dem Flußgott einen Streit vom Zaun brechen, eine nette kleine Springflut loslassen oder sich an einem Meeresbeben ergötzen.“ „Anhänger hat er aber auch nicht“, wandte Athene ein. „Und das ist nämlich der springende Punkt.“ Unbemerkt von den dreien war Zeus eingetreten. „Es macht keinen Spaß, Gott zu sein, wenn niemand da ist, der uns anbetet und an uns glaubt.“ „Das läßt sich ändern. Es gibt hier Sterbliche genug, und vielleicht warten viele nur darauf, Balandan und seiner Sippe abtrünnig zu werden. Wir erscheinen ihnen, und schon sind sie bekehrt.“ „Das mag richtig sein, Dionysos, doch willst du dich mit dieser Ervi anlegen?“ Der Gott der Fruchtbarkeit hob abwehrend die Hände. „Zeus bewahre mich davor!“ „Und eben das kann ich nicht. Diesem Weib sind wir nur zu zweit oder zu dritt gewachsen.“ Ein hallender Gongschlag dröhnte durch das großzügig gestaltete Haus. „Ah, es gibt Mittagessen“, sagte Hermes nach einem Blick auf seine Armbanduhr. Zeus verdrehte die Augen. „Freust du dich etwa darauf?“ „Nein, aber Hunger habe ich trotzdem. Lassen wir uns überraschen.“ „Ich möchte wissen, wo die beiden Satyrn bleiben, die ich ausgeschickt habe, Bier zu besorgen.“ Dionysos setzte seinen Efeukranz wieder auf. „Das Zeug schmeckt zwar ekelhaft, aber es wirkt wie unser köstlicher Wein.“ Er schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Was gäbe ich jetzt darum, eine Amphore davon leeren zu können.“ Sein Blick verklärte sich, und auch Zeus leckte sich die Lippen. „Ja, das waren schöne Jahre auf dem Olymp und im Nachen.“ Noch während die beiden ihren Gedanken nachhingen, trudelten die anderen Götter ein. Als Hera an der Marmortafel Platz genommen hatte, trugen die Mänaden und Satyrn silberne Platten, Teller und Schüsseln auf. Mit Todesverachtung trank Dionysos einen Schluck von dem Quellwasser, mit dem Hebe seinen goldenen Pokal gefüllt hatte. Und dann wurden die Speisen aufgetragen.
„Verdammt, Hera, das ist schon das dritte Mal in dieser Woche, daß du Fisch auf den Tisch bringst“, erregte sich Zeus. „Du solltest froh sein, daß Poseidon ihn geschickt hatte, sonst würden wir nämlich am Hungertuch nagen“, gab seine Göttergattin spitz zurück. „Eben nicht. Vorgestern war Artemis auf der Jagd und hat einen jungen Rehbock erlegt, doch was hast du getan? Du hast ihn nicht einmal ausgenommen und mit dem Fell gebraten.“ „Es gibt Götter, denen man nichts recht machen kann.“ „Ganz recht, denn die Heringe am Montag waren noch fast roh, die Schollen am Mittwoch schmeckten abscheulich, weil du sie in Lampenöl gedünstet hast, und heute… Was ist das überhaupt?“ „Kabeljau, aber ich habe ihn anders zubereitet als sonst.“ „Das sehe ich. Wäre nicht der penetrante Fischgeruch, würde ich die verbrannten Stücke für Holzkohle halten.“ „Du mußt den Fisch ja nicht essen, es gibt schließlich noch eine Beilage.“ „Ja, Löwenzahnsalat. Er ist die Beilage des Jahres und der Woche, es gibt ihn von Montag bis Sonntag und von Januar bis Dezember. Ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß er bitter schmeckt, daß du zuviel Olivenöl und zuwenig Essig nimmst. Salz verwendest du reichlich, dafür fehlt Pfeffer. Zwiebel nimmst du nicht, aber Knoblauch dafür pfundweise.“ Zeus erhob sich. „Ich mag Süßspeisen, wie du weißt, aber dein Nachtisch schmeckt mir nicht.“ „Und was hast du daran auszusetzen?“ „Ich bin kein Fachmann, doch soviel ist sicher: Um Honig zu gewinnen, muß man keine Bienen auspressen.“ „Du vergißt, daß ich diese Dinge nie gelernt habe. Ich bin eine Göttin und keine Köchin!“ „Das eine schließt das andere nicht aus!“ „Oh, doch, mein Lieber. Du hättest eine deiner Hetären heiraten sollen, aber berechnend, wie du nun einmal bist, hast du bestimmt in Erwägung gezogen, daß sie sterblich sind und altern.“ „Versuche nicht, abzulenken. Tatsache ist, daß du eine erbärmliche Köchin bist, und ich bin nicht länger gewillt, diesen Fraß zu mir zu nehmen.“ „Deine Töchter können auch nicht kochen.“ „Ich sehe auch keine Veranlassung dazu, daß sie sich an den Herd stellen, denn wer Zeus zum Vater hat, ist über solche Dinge erhaben.“ „Ach, aber wer Zeus zum Gemahl hat, der muß in allen Dingen perfekt sein, nicht wahr? Kochen, backen, spülen, aufräumen, Wäsche waschen, stopfen, bügeln, staubsaugen – bin ich denn eure Sklavin?“ „Du übertreibst wie immer. Kochen und backen kannst du nicht, und die schmutzigen Teller von einem Satyr ablecken zu lassen, bis sie sauber sind, ist keine Kunst.“ „Außerdem ist das Satyrquälerei“, warf Dionysos ein. „Das Aufräumen besorgen die Mänaden…“ „Komme mir nur nicht mit denen“, ereiferte sich Hera. „Du mußt sie einmal erleben,
wenn sie zur Hausarbeit eingeteilt und gleichzeitig in Ekstase sind. Erst neulich habe ich sie dabei ertappt, daß sie… daß sie…“ „Daß sie was?“ „Sie haben einen meiner Baumwollschlüpfer zwischen deine Socken gepackt“, hauchte Hera errötend. Aphrodite kicherte. „Trägt sie wirklich diese altmodischen langen Dinger?“ „Ja, denn es gehört nicht hierher.“ Zeus hob dozierend den rechten Zeigefinger. „Die Wäsche waschen die Nereiden, natürlich im Meer und ohne einen Weichspüler zu benutzen…“ „Jetzt weiß ich auch, warum meine Sachen immer so auf der Haut kratzen“, rief Apoll. „Da du weder stopfen noch nähen kannst, können wir diesen Punkt getrost überspringen. Bügeln tust du eh nicht, weil das Bügeleisen noch nicht erfunden ist. Daß unsere Gewänder relativ glatt sind, haben wir Hephaistos zu verdanken, denn einmal wöchentlich bekommt er einen Packen Wäsche untergeschoben, um die Falten herauszuhämmern. Und was das Staubsaugen betrifft, meine liebe Hera, da machst du es dir auch verdammt leicht.“ „Inwiefern?“ „Ich habe festgestellt, daß du dir täglich bei Dionysos einen Satyr ausleihst und ihn zwingst, so lange die Luft anzuhalten, bis er fast erstickt.“ „Es ist noch nie einer erstickt.“ „Das habe ich auch nicht behauptet. Schlimm finde ich es nur, daß der arme Fruchtbarkeitsdämon in der Mitte des Zimmers liegt und erst wieder atmen darf, wenn du es ihm erlaubst. Natürlich schnappt er dann so heftig nach Luft, daß ein Sog entsteht, der jedes Partikelchen anzieht und ansaugt.“ „Ich werde nicht zulassen, daß meine Satyrn eine Staublunge bekommen.“ Wohlwollend klopfte Dionysos einem von ihnen auf die Schulter. „Fast wärt ihr berufsunfähig geworden, und ich hätte nicht einmal gewußt, warum. Ihr müßt mir sagen, wenn ihr schlecht behandelt werdet. Wer von euch hat Grund zur Klage?“ „Vielleicht erinnerst du dich noch, Gott der Furchtbarkeit, daß ich dir während unserer Reise versehentlich ein Glas Meeresbowle gereicht habe.“ „Natürlich, aber du hast deinen Fehler wieder gutgemacht.“ „Dennoch hat mir Zeus eine Ohrfeige gegeben.“ „Ja, weil du Grimassen geschnitten und Dionysos die Zunge herausgestreckt hast.“ Dionysos sprang auf und versetzte dem Satyr einen Tritt in den verlängerten Rücken. Aufheulend schoß der Fruchtbarkeitsdämon aus der Halle. „So eine Frechheit! Zeigt sich respektlos und beschwert sich dann auch noch!“ „Wir kommen vom Thema ab, also zurück zum Essen. Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der diese Mahlzeiten für ungenießbar hält, deshalb beschließe ich, daß wir Anhänger gewinnen, die uns opfern.“ „Und was ist mit dieser Walküre Ervi?“ erkundigte sich Athene. „Du und Ares werdet sie in Schach halten, während ich ausschwärme.“ „Warum nimmst du die Kinder nicht mit?“ fragte Hera.
„Sie haben in diesen Dingen keine Erfahrung.“ Zeus winkte den Mänaden und Satyrn. „Ihr könnt wieder abräumen.“ Während Dionysos’ Gefolge das Geschirr wieder aus der Halle trug, schlichen zwei andere Fruchtbarkeitsdämonen herein. Sie waren über und über mit Beulen und blauen Flecken bedeckt. „Wie seht ihr denn aus?“ „Wir haben Pech gehabt, Gott der Ekstase. Gemäß deinem Auftrag haben wir den Eingeborenen zwei Krüge Bier entwendet, blieben auch unentdeckt, aber auf dem Heimweg ist uns Balandan begegnet. Er konnte sich natürlich denken, daß wir das Bier nicht Spazierengetragen oder von den Planetariern geschenkt bekommen haben. Er ist über uns hergefallen und hat uns übel zugerichtet.“ „Und das Bier?“ „Das hat er mitgenommen.“ „Das sieht ihm ähnlich, harmlose schwache Satyrn zu verprügeln und ihnen das für mich bestimmte Bier zu stehlen.“ Erregt ging Dionysos auf und ab. „Was mache ich jetzt? Wo habt ihr überhaupt so lange gesteckt?“ „Wir sind nach unserem Mißerfolg noch beim Meeresgott gewesen und haben Tang und Algen geholt, damit wir wenigstens ,Magentod’ für dich herstellen können.“ Angewidert verzog Dionysos das Gesicht. „Ihr wißt, daß ich dieses Gebräu wirklich nur dann trinke, wenn nichts anderes als Wasser da ist.“ „Ist es dieses grünliche Gesöff, das nach Salz und Fisch schmeckt und von dem man einen Brummschädel bekommt, wenn man mehr als acht Becher trinkt?“ fragte Zeus. „Ja, aber ich bekomme erst nach neunzehn Bechern einen dicken Kopf, doch was ist das schon für einen Gott, neunzehn klitzekleine Becher?“ „Es sind achteinhalb Liter, und ,Magentod’ hat vierundzwanzig Prozent.“ „Stammwürze“, versuchte Dionysos abzuschwächen. „Nein, Alkoholgehalt“, widersprach Hera. „Ich habe es selbst nachgemessen.“ „Gut, gut, streiten wir uns nicht wegen Kleinigkeiten.“ Der Gott der Fruchtbarkeit winkte ab. „Und ihr Narren schert euch auf der Stelle in die Küche und macht euch an die Herstellung von ,Magentod’!“ schrie er die überraschten Satyrn an. „Wenn ihr damit fertig seid, kann sich Apoll eure Blessuren ansehen, aber zur Strafe dafür, daß ihr beide euch so dämlich angestellt habt, werdet ihr morgen erneut losziehen und Bier besorgen. Und wehe euch, ihr versagt wieder!“ Überhastet zogen sich die Fruchtbarkeitsdämonen zurück. „Also ein Personal ist das!“ Dionysos schüttelte den Kopf. „In dieser Woche haben sie ganze fünfzig Liter Bier in den Palast gebracht. Wahrscheinlich halten sie das noch für eine Ruhmestat, dabei sollten sie allmählich meine göttlichen Bedürfnisse kennen.“ „Vielleicht bist du zu vertrauensselig, Sohn. Alles, was mit uns Göttern zusammenhängt – sei es nun dieser Palast, die Satyrn oder wir selbst – ist üblicherweise für einen Sterblichen unsichtbar; er kann es erst wahrnehmen, wenn wir es wollen. Glaubst du, es bereitet deinem unsichtbaren Gefolge Schwierigkeiten, den Planetariern Bier zu stehlen?“ „Nein, aber Balandan kann die Satyrn sehen.“
„Gut, doch nicht jedesmal, wenn die Fruchtbarkeitsdämonen mit leeren Händen zurückkommen, hat er ihnen die Beute abgejagt, denn er pflegt sie ja zu verprügeln, wenn er sie erwischt.“ „Du meinst…“ „Ja, sie trinken es selbst.“ „Das wäre ja eine ungeheure Ungeheuerlichkeit, eine maßlose Frechheit, eine Insubordination, eine…“ Dionysos war außer sich. „Mir fehlen die Worte, aber du hast recht. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und gleich morgen werde ich kontrollieren.“ Er wandte sich an die Musen und an Athene. „Ihr seid doch unter anderem die Göttinnen der Wissenschaft, ihr zehn müßt mir helfen. Ich benötige ein Alkoholtestgerät – je einfacher, desto besser. So ein Pusteröhrchen wäre optimal. Könnt ihr das für mich erfinden?“ „Wir werden es versuchen“, versprach Athene. „Soll es mit Promilleeinteilung sein?“ „Auf jeden Fall.“ Der Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Ich werde nämlich danach strafen, was mir unterschlagen wurde.“ „Da wir gerade beim Thema sind – dein Gefolge hintergeht dich nicht nur, sondern ist auch bestechlich“, sagte Hera genüßlich. „Ist dir nicht aufgefallen, daß ein Satyr sich sieben Wochen lang hintereinander freiwillig zum Küchendienst und zum Staubsaugen gemeldet hat?“ „Schon, aber ich denke, er hat es gemacht, um dir einen Gefallen zu tun. Immerhin bist du Zeus Gemahlin.“ „Falsch, mein Lieber. Es hat sich nämlich herumgesprochen, daß der Job kein Zuckerlecken ist, und um Personal zu bekommen, mußte ich außertarifliche Zuwendungen machen. Glücklicherweise habe ich eine Amphore Wein retten können, und zur Belohnung bekam der Satyr nach getaner Hausarbeit jedesmal einen Pokal voll.“ „Ich werde verrückt!“ Dionysos riß sich den Efeukranz vom Kopf und stampfte darauf herum. „Ich habe diese Amphore überall gesucht. Wo hast du sie versteckt?“ „In der Küche, doch sie ist mittlerweile leer.“ Mit einem dumpfen Laut stürzte Dionysos zu Boden. Apoll eilte sofort zu ihm und untersuchte ihn kurz. „Er ist ohnmächtig.“ „Kümmert euch um ihn.“ Zeus strebte zum Ausgang. „Ich gehe missionieren. Heute abend haben wir die ersten Fans.“ * Mehr als einhundert Krieger hatten sich um die alte Eiche versammelt. Es waren kräftige Gestalten, bärtig und wild. Ihre Kleidung war aus Fell und Leder gefertigt, jeder war mit einem Schwert und einem Schild bewaffnet, auf dem Kopf trugen sie Helme mit dem ausladenden Gehörn des Urs. Die Planetarier hatten sich im Kreis niedergelassen. Niemand sprach ein Wort, alle starrten erwartungsvoll auf den Stammesältesten, der als einziger eine mächtige
Streitaxt und einen Ger trug, den Speer, den schon die Ahnen benutzt hatten. Der Alte rammte den Speer mit dem Krähenbalg daran in den Boden, dann zog er mit der Axt einen magisehen Kreis um den Baum. Als er damit fertig war, stellte er sich neben den Ger, reckte die Arme mit der Streitaxt empor und stimmte einen monotonen Singsang an, in den die anderen mit rauher Kehle einfielen. Mehrere Minuten lang wurde die Beschwörungsformel und der Text zu Ehren der Götter gesungen, dann ließ der Älteste die Axt sinken, die Krieger verstummten. Mit der ihm eigenen Würde nahm er eine gebratene Hirschkeule und einen Krug Bier und legte beides in den geweihten Kreis. „Oh Balandan, du Gott der Toten und des Sturmes, du Herr der Blitze und des Donners, du Gott des Krieges, erhöre uns und nimm unser Opfer an!“ Zeus, der unsicher hinter einer stämmigen Buche stand, lief das Wasser im Mund zusammen. Eingedenk dessen, daß er noch nichts zu Mittag gegessen hatte, machte er Braten und Krug kurzerhand unsichtbar und ließ sich unter der Eiche nieder. Gierig biß er in die saftige Keule. „Balandan hat unser Opfer angenommen“, jubelte der Alte. Die Krieger stimmten ein Freudengeheul an. „Er hat uns erhört und ist uns gnädig gesinnt. Balandan steht auf unserer Seite und wird uns voranziehen, wenn wir uns rüsten, die aufmüpfigen Kimbern niederzuwerfen! Der Sieg in dieser Schlacht wird unser sein, tapfere Krieger! Laßt uns danken!“ Wieder stimmten die Versammelten ein Lied an. Zeus blieb davon unbeeindruckt und tat sich an dem Wildbret und dem Bier gütlich. Plötzlich kam Sturm auf, es blitzte. Nichts Gutes ahnend, blickte der Griechengott auf. Schon war der für Sterbliche ebenfalls unsichtbare Balandan auf seinem Totenroß Vinir heran, drohend schwenkte er den Speer Deignar. Wie immer hockten auf der Kruppe des Pferdes die Kobolde Ama, der Gedanke, und Iti, das Gedächtnis, die ihrem Herrn täglich vom Weltgeschehen berichteten. „Was fällt dir ein, dich an meinen Opfergaben zu vergreifen?“ „Hör zu, Balandan, ich wollte dir nicht zu nahe treten, doch du mußt wissen, daß Hera eine lausige Köchin ist. Der Hunger trieb mich zu diesem Mundraub“, sagte Zeus kauend. „Was hältst du von einem Gentleman’s Agreement? Du überläßt mir ein, zwei Stämme, die mir opfern, und du behältst den Rest.“ „Es geht nicht, selbst wenn ich wollte. Arna und Iti würden Ervi davon berichten, und die würde mich windelweich schlagen.“ Er entriß Zeus den Krug und trank ihn aus. „Also verschwinde, sonst mache ich dir Beine.“ „Gut, wenn du Streit willst, kannst du ihn haben!“ Zeus vergrößerte sich um den Faktor fünf und machte sich sichtbar. Die bestimmt nicht ängstlichen Krieger stießen Schreckensrufe aus und wichen zurück. „Hört mich an, ihr tapferen Streiter“, rief Zeus mit hallender Stimme. „Ihr opfert dem falschen Gott. Nicht Balandan ist allmächtig, sondern ich, Zeus, Beherrscher der Naturgewalten und Herr des Himmels, Sieger über Kronos und die Titanen. Seht her!“
Er schleuderte einen Blitz auf die Eiche, die darauf verschwand. Ein Raunen ging durch die Reihen der Versammelten. „Wie schwach muß ein Gott sein, der das nicht verhindern kann, wie arm muß er sein, daß er euch nur einen lächerlichen Baum als Heiligtum bieten kann?“ Zeus hob die Hände. Dort, wo eben noch die Eiche gestanden hatte, erhob sich ein prächtiger griechischer Tempel. „Ein Wunder!“ rief der Stammesälteste und warf sich zu Boden. „Wir erkennen deine Allmacht an, großer Zeus!“ Die anderen folgten dem Beispiel ihres Anführers. „Wir erkennen deine Allmacht an, großer Zeus!“ klang es im Chor. „Dann geht in meinen Tempel und opfert mir, doch nehmt nur vom Besten – und keine Naturalien wie Getreide, sondern nur fertige Gerichte und Bier!“ Balandan wurde sichtbar. Er hatte sich gleich um das Zehnfache vergrößert und wirkte auf seinem Rappen noch beeindruckender. „Balandan auf dem Totenroß Vinir!“ schrie die Menge. „Gnade, mächtigster aller Götter!“ Triumphierend blickte Balandan Zeus an, der sich recht klein vorkam und dieses Manko rasch korrigierte, indem er ebenfalls wuchs, bis er die gleiche Größe besaß wie sein Widersacher. „Niemand ist mir gewachsen!“ rief Balandan mit Donnerstimme. „Außer Ervi!“ Der Reiter überging den Einwand. „Ihr habt euch von diesem Tempel beeindrucken lassen, doch er ist nur Blendwerk!“ Balandan berührte mit dem Speer das Bauwerk, es verschwand, dann fuchtelte er mit Deignar in der Luft herum, und schon stand die Eiche wieder an ihrem Platz. „Wir werden nur dir folgen und opfern, du mächtigster aller Götter!“ riefen die Krieger, hin und her gerissen zwischen Furcht und Staunen. „Ich dulde das nicht!“ brüllte Zeus. Erneut ließ er mit einem Blitzschlag die Eiche verschwinden und einen Tempel entstehen. „Marsch in den Tempel mit euch und geopfert!“ „Wir erkennen deine Allmacht an, großer Zeus!“ Der Stammesälteste wollte sich erheben, sank aber gleich wieder auf die Knie, als Balandan den Vorgang rückgängig machte. „Gnade, unüberwindbarer Balandan.“ „Unüberwindbar? Daß ich nicht lache!“ Zeus stieß ein homerisches Gelächter aus. „Er ist ein Wicht gegen mich!“ Der Baum löste sich in Nichts auf und machte dem griechischen Heiligtum Platz. „Ich dulde das nicht!“ grollte Balandan und setzte wieder seinen Speer ein. „Hier steht nur meine Eiche und sonst nichts!“ Zeus schleuderte wieder einen Blitz. „Mein Tempel bleibt auf diesem Platz, basta.“ Während die Götter völlig damit beschäftigt waren, pausenlos neue Eichen und Tempel entstehen zu lassen, erhob sich der Alte.
„Kommt, meine Krieger, wir gehen!“ Die bärtigen Gestalten erhoben sich und folgten ihrem Anführer, unbeeindruckt vom Streit der gigantischen Erscheinungen. „Halt, wo wollt ihr hin?“ rief Balandan. „Nach Hause“, gab der Stammesälteste zur Antwort. „Das dürft ihr nicht, ich verbiete es euch!“ Als die Planetarier keine Anstalten machten, seinem Befehl nachzukommen, setzte er wütend hinzu: „Bleibt, oder ich werde euch vernichten, ihr armseligen Kreaturen!“ „Zeus wird uns davor bewahren.“ „Ganz recht, meine Kinderchen, ich werde meine schützende Hand über euch halten.“ Zeus grinste zufrieden. „Ihr werdet es nicht bereuen, mich gewählt zu haben, wenn ihr mir in Zukunft reichlich opfert.“ „Wir werden dir nicht opfern“, widersprach der Alte. „Aber ihr könnt doch nicht an mich glauben und Balandan opfern.“ „Wir werden niemandem mehr opfern“, sagte der Stammesälteste, bevor er in der Hütte verschwand. „Ab heute sind wir Atheisten.“ „Ich werde euch ein Unwetter schicken, ich werde eure Häuser zerstören!“ tobte Zeus. „Ich werde eure Weiber unfruchtbar machen, eure Felder verwüsten und eure Tiere durch Blitzschlag töten.“ Ein Fenster wurde geöffnet, der bärtige Häuptling streckte seinen Kopf nach draußen. „Das wird Balandan nicht zulassen, und wenn er es doch tut, werden wir allen erzählen, wie töricht die Götter sind.“ Die Luke wurde wieder geschlossen. „Verdammt, das ist einzig und allein deine Schuld!“ stieß Balandan hervor. „Jetzt haben wir den Salat.“ „Wenn du nicht so geizig gewesen wärst und mir einen oder zwei Stämme überlassen hättest, wäre es dazu überhaupt nicht gekommen“, sagte Zeus. „Ervi wird das nicht gefallen“, murmelte der Reiter bedrückt. „Wenn du die Sterblichen strafst und ich ihnen nicht beistehe, werden sie ihre Drohung wahrmachen, und dann bin ich bald meine ganzen Anhänger los. Und alles wegen einer lausigen Hirschkeule und einem Krug Bier. Warum hast du dich auch gleich sichtbar machen müssen?“ „Soll ich mich in ein Gebüsch setzen und zaubern?“ „Man kann auch unsichtbar wirken.“ „Ich kann auch ins nächste Dorf gehen und dort einen Tempel entstehen lassen.“ „Nein, das darfst du mir nicht antun. Mir schadet es nur, und dir nützt es nichts, wie du gesehen hast.“ „Ich habe eine Idee, wie uns beiden geholfen ist.“ „Und die wäre?“ fragte Balandan mißtrauisch. „Schicke erst deine Spitzel weg.“ „Ama, Iti, seht euch mal auf der anderen Seite des Planeten um.“ Gehorsam erhoben sich die beiden Kobolde und schwangen sich in die Lüfte. „So, jetzt sind wir unter uns. Was schlägst du vor?“
„Mir geht es vorrangig darum, daß wir im Palast versorgt sind mit Braten, Bier und Früchten. Zwei Möglichkeiten gibt es: Entweder gestehst du mir eigene Fans zu, die mir diese Dinge opfern, oder du selbst lieferst.“ „Wie stellst du dir das vor? Ervi wird das nie und nimmer zulassen – schon gar nicht, daß andere Götter als wir verehrt werden.“ „Als Gegenleistung würde ich dir die Atheisten vom Hals schaffen, so daß sie dir nicht mehr schaden können.“ „Willst du sie vernichten?“ „Nein, ich habe eine elegantere Lösung.“ Nachdenklich blickte Balandan auf seinen Speer. „Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit.“ Das bärtige Gesicht des Reiters verzog sich zu einem Grinsen. „Mein Sohn Dolandon ist der Gott der Unterwelt. Er könnte die Speisen und Getränke subplanetar in deinen Keller schaffen, so daß Ervi es nicht sieht. Er ist auch verschwiegen und so gut wie nie in der Burg.“ Er reichte Zeus die Hand. „Ab morgen werde ich liefern.“ „Abgemacht, dann werde ich meinen Teil auch erfüllen.“ Zeus wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit, bis er zwölf Kilometer groß war, dann bückte er sich, grub seine rechte Hand in den Boden und nahm das gesamte Dorf einschließlich der Bäume hoch. Da das nicht ganz ohne Erschütterungen abging, wurden die Bewohner aufmerksam. Der Stammesälteste erschien in der Tür seiner Hütte. „Balandan, zu Hilfe!“ brüllte der Alte. „Schnell, oder ich sage allen, daß die Götter Narren sind.“ „Tue das, du Schreihals.“ Zeus lachte dröhnend. „Ihr werdet nämlich umziehen.“ Der riesige Gott watete ins Meer hinaus zu einer unbewohnten Insel ohne Vegetation. Dort setzte er den gewaltigen Erdbrocken ab und kehrte zu Balandan zurück. „So, nun können sie meinem Bruder Poseidon ihr Leid klagen.“ „Das werde ich mir für die Zukunft merken.“ „Ja, so schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen schaffst du dir unliebsames Volk vom Hals, zum anderen werden so die Inseln besiedelt.“ „Weißt du, Zeus, eigentlich bist du kein übler Bursche, aber Ervi hat da ihre eigene Meinung.“ „Ja, ja, die Frauen.“ Der griechische Gott hob zum Abschied die Hand. „Grüß Zeus!“ „Heißt es nicht ,Grüß Gott’?“ „Bin ich nicht einer?“ „Du hast recht – und ich ja auch.“ Balandan gab Vinir die Sporen und flog davon. „Grüß Balandan!“ Zufrieden mit sich und der Welt erstieg Zeus mit einem Schritt den Neo‐Olymp und verkleinerte sich wieder auf seine normale Größe. „Ab morgen brechen goldene Zeiten an“, murmelte er freudig erregt. Ein hohles Brausen ließ ihn aufhorchen. Er drehte den Kopf und erblickte eine mattschwarze Kugel, die fünfhundert Meter Durchmesser besaß und an den Ausläufern des Olymps niederging. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. Ein
derartiges Gebilde hatte er zuvor noch nie gesehen. Was mochte es sein? „Das ist eine Aufgabe für den Götterboten. Ich werde Hermes loschicken.“ Er hatte kaum ausgesprochen, als Apoll aus dem Haus stürzte und ihn einfach umrannte. Ohne sich um seinen Vater zu kümmern, stürmte er die Treppen zur Terrasse herunter. „Ist das denn eine Art, so…“ Zeus hatte sich gerade auf die Knie erhoben, als er einen Tritt in die hinteren Weichteile erhielt und erneut zu Boden ging. Ares war seinem Halbbruder gefolgt, dann trampelten Dionysos, Athene, Artemis und die Musen über ihren Göttervater hinweg. Aufstöhnend kam Zeus hoch und spuckte den Sand aus, den er unfreiwillig geschluckt hatte. „Später, Vater, später. Ein Raumschiff von der Erde ist soeben gelandet“, rief Apoll mit glänzenden Augen. 3. Nur mit Mühe hatte Zeus es durchsetzen können, daß Hermes das Raumschiff seiner Aufgabe gemäß als erster in Augenschein nahm und nicht die ganze Familie zu dem Objekt pilgerte. Seit mehr als einer Stunde schlich der Götterbote um die gewaltige Kugel herum, die in bekannten Lettern den Schriftzug „HELLAS“ trug. Unsichtbar, wie der Gott war, bereitete es ihm keine Mühe, sich unter die geschäftig hin und her eilenden Menschen zu mischen. Ihre Sprache klang vertraut, und dann entnahm er ihren Unterhaltungen Informationen, die ihn freudig erregten: Die Menschen stammten aus Griechenland und wollten hier siedeln, weil sie an ihrer Sprache und Kultur festhielten und auf diesem Planeten eine Art Neu‐Griechenland entstehen lassen wollten; zu seinem Leidwesen war aber weder von ihm noch von Zeus und den anderen Göttern die Rede, und einen Tempel brachten sie auch nicht ins Freie, sondern allerlei merkwürdige Dinge, die ihm fremd waren. Obwohl er das meiste von dem, was vorging, nicht begriff, sah er ihrem Treiben fasziniert zu. Sie hatten Diener dabei, die ihnen irgendwie ähnelten, gleichzeitig jedoch ganz anders aussahen. Ihre Gesichter waren starr und ohne Mimik, die Köpfe haarlos, den Augen fehlten die Lider, Nase, Mund und Ohren konnte er beim besten Willen nicht entdecken. Da sie unbekleidet waren, konnte Hermes jede Einzelheit ihres Körpers studieren. Sie waren geschlechtslos, dabei konnte sich der Götterbote nicht daran erinnern, je davon gehört zu haben, daß ein Mensch weder Mann noch Frau war. Wie mochten die Griechen an diese Sklaven gekommen sein? Auch ihre Kleidung war ganz anders, eigenartige, enge Gewänder, die die Gestalt zwar verhüllten, aber den Körper nachzeichneten. Ob das bequem war, Beine und Brust förmlich abzuschnüren? Und dann fielen Hermes fast die Augen aus dem Kopf: Aus dem Raumschiff kamen
Platten, die mit riesigen Kisten beladen waren – und sie schwebten! Götter konnten es nicht sein, denn die kannte er alle persönlich, aber vielleicht Halbgötter? Unwillkürlich schüttelte der Sohn des Zeus den Kopf. An eine so zahlreiche Verwandtschaft konnte er sich nicht erinnern. Ein abenteuerlicher Gedanke kam ihm. Die Titanen, die zwölf Kinder des Uranos und der Gaia, waren das zweite Göttergeschlecht. Sein Vater hatte sie zwar besiegt und in den Tartaros gestürzt, was aber, wenn sie sich aus dem finsteren Abgrund befreit und Nachkommen gezeugt hatten – eben diese Siedler? Denn wer sonst als jemand, der göttlicher Abstammung war, konnte die Kräfte der Natur überwinden und Dinge durch die Luft fliegen lassen ohne Einsatz von Muskelkraft? Dem stand entgegen, daß ihn niemand bemerkt hatte, dabei war er nur für Sterbliche unsichtbar. Selbstvergessen kratzte er sich am Kopf und schob sich den Reisehut tiefer in die Stirn. „Was tun, sprach Zeus?“ Blicklos starrte er vor sich hin und dachte angestrengt nach, dann beschloß er, die Probe aufs Exempel zu machen. Schließlich erwarteten die anderen von ihm als Götterboten, daß er Informationen mitbrachte und keine Wunder auftischte. Ein älterer Mann mit Stirnglatze und schütterem Haarwuchs kam auf die Stelle zu, an der er stand. Hermes machte sich sichtbar und ging ihm entgegen. Wie vom Donner gerührt, blieb der Grieche stehen und starrte mit offenem Mund auf die Gestalt, die da plötzlich aus dem Nichts heraus aufgetaucht war. „Grüß Zeus!“ sagte der Gott lächelnd, ging an dem Siedler vorbei und machte sich wieder unsichtbar. Mit weitaufgerissenen Augen blickte der Mann auf jenen Fleck, wo er die Person zuletzt gesehen hatte, drehte sich einmal um seine eigene Achse und tappte dann vorsichtig und mit ausgestreckten Armen vorwärts. Hermes war mittlerweile ein paar Schritte zur Seite gegangen, so daß die tastenden Hände ins Leere faßten. „Aber ich bin doch nicht verrückt“, murmelte der Grieche. „He, Theophil!“ rief er einem in der Nähe arbeitenden Landsmann zu. „Hast du vielleicht gerade jemanden gesehen, der ein Laken trug, einen Stock in der Hand und einen komischen Hut auf dem Kopf hatte?“ „Hör mit deinen blöden Witzen auf“, sagte der andere ärgerlich. „Faß lieber mit an.“ „Das ist kein Witz. Ich habe diesen komischen Kerl mit eigenen Augen gesehen. Er war auf einmal da und dann plötzlich wieder weg, als hätte er sich in Luft aufgelöst.“ „Entweder hast du Halluzinationen oder einen Sonnenstich. Du solltest mal ins Medocenter gehen.“ „Ich bin kerngesund – auch geistig!“ Während sich die zwei stritten, lachte der Götterbote sich ins Fäustchen. Nach diesem einfachen Test stand es für ihn fest, daß er es mit ganz ordinären Menschen zu tun hatte und weder mit Halbgöttern noch mit Göttern, doch welches Geheimnis verbarg sich hinter den Scheiben, die durch die Luft flogen? Er beschloß, auch dieser Sache auf den Grund zu gehen und bewegte sich spornstreichs auf eine der Platten zu, die sich mit mäßiger Geschwindigkeit bewegten. Als er nur noch ein paar Meter entfernt war, vernahm er ein feines
Summen. Sofort kombinierte er: Summen, fliegende Bienen. „Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin!“ Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Klarer Fall, sie benutzen Bienenschwärme. Kein schlechter Einfall, nur – wie lenken sie die Tiere?“ Er ging in die Hocke und blickte unter die Schwebeplattform. Diesmal bekam er große Augen, denn er konnte nicht ein einziges Insekt entdecken. „Bei Zeus, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Vorsichtig schob er seinen Heroldsstab unter die Scheibe, aber er stieß auf kein wie auch immer geartetes Hindernis. Kurzentschlossen schwang er sich auf die Platte. Er hatte erwartet, daß sie nun zu Boden sinken würde, doch sie veränderte weder den Bodenabstand noch die Geschwindigkeit. Sein Blick fiel auf eine Schaltkonsole. Fasziniert betrachtete er die Schalter und die bunten Kontrollichter. Welchem Zweck sie dienten, vermochte er nicht einmal zu erahnen, doch seine Neugier war geweckt. Er berührte eines der Lämpchen, zuerst mit dem Stab, dann mit dem Finger. Als nichts geschah, wurde er dreister, griff nach einem Regler und veränderte dessen Stellung von eins auf neun. Der Summton verstärkte sich, die Geschwindigkeit stieg rapide an. Mit mehr als achtzig Stundenkilometern raste die Plattform dahin. „Welcher Idiot hat denn den Antigravtransporter Delta 9 programmiert?“ brüllte ein stämmiger Hüne. Bevor er eine Antwort erhielt, mußte er sich mit einem gewaltigen Sprung in Sicherheit bringen, weil ihn die Schwebeplattform sonst gerammt hätte. Hermes schaltete unbekümmert wie ein Kind und hatte dabei auch rein zufällig die automatische Steuerung desaktiviert. „Das ist ja das reinste Göttergefährt“, jubilierte der Gott des Handels und beförderte mit einem Fußtritt den Container von der Ladefläche. „Welch ein Spaß!“ Polternd fiel die riesige Kiste zu Boden. Der Kleiderschrank von einem Mann stand vor einem Nervenzusammenbruch. „Den dämlichen Verladetechniker verarbeite ich zu Hackfleisch“, tobte er. „Auf dem Behälter steht groß und deutlich ,Zerbrechlich’. Warum wurden die Magnethalterungen nicht eingeschaltet?“ Seine Frage verhallte ungehört. Ein wilder Schlenker nach links brachte die Scheibe auf Kollisionskurs mit einer anderen Plattform. Deren Robotik reagierte sofort und beschleunigte mit Maximalwerten, dennoch entging der Transporter einem Zusammenstoß nur denkbar knapp. Im Bewußtsein göttlicher Unangreifbarkeit betätigte Hermes wahllos Hebel, Knöpfe und Schalter. Dem Götterboten bereitete die Amokfahrt nun sichtliches Vergnügen. Aus purem Übermut machte er sich sichtbar und schwenkte seinen Heroldsstab. „Grüß Zeus!“ rief er lachend. Dem Hünen fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Wo kommt denn der Verrückte mit dem Nachthemd und der Bratpfanneauf dem Schädel her?“ Wütend stampfte er mit dem rechten Fuß auf. „Du stellst sofort den
Antrieb ab, Kerl, oder du lernst mich kennen.“ „Es wird mir ein Vergnügen sein.“ „Na, warte, Bursche.“ Grimmig ballte der Grieche die Fäuste. „Wenn dein Gesicht mit meinen Patschhändchen Bekanntschaft gemacht hat, wirst du dich im Spiegel nicht mehr wiedererkennen, aber ich habe dich gewarnt“ Der Zwei‐Meter‐Mann rannte zu einem entladenen Antigravtransporter, sprang auf die Ladefläche und übernahm die Steuerung manuell. Aufheulend schoß die Schwebeplattform nach vorn und erreichte binnen weniger Sekunden ihre Höchstgeschwindigkeit. Mit Maximalwerten folgte Alpha 3 Delta 9. Schon waren beide gleichauf, doch als sich der Raumfahrer anschickte, auf die andere Scheibe überzuwechseln, änderte diese abrupt ihre Richtung. Mit verbissenem Gesicht nahm der Siedler eine Kursänderung vor und riß sein Gefährt so brutal herum, daß die Aggregate ein schrilles Jaulen von sich gaben. „Hasch mich, ich bin Hermes, der Götterbote.“ „Und ich bin Robin Hood, der Rächer der Enterbten“, knurrte der Siedler. „Für einen Griechen ist das ein merkwürdiger Name. Bist du ein entlaufener Sklave?“ Das Gesicht des Hünen lief rot an. „Wenn ich dich zwischen die Finger bekomme, wirst du den Tag deiner Geburt verfluchen, das schwöre ich dir.“ „Schwörst du das bei Zeus?“ „Nein, bei Gott.“ „Aber Zeus ist ein Gott, sogar der mächtigste und weiseste aller Götter. Er ist mein Vater.“ „Zeus ist eine Sagengestalt, du Dummkopf.“ „Das weiß ich besser. Warum verfolgst du mich, anstatt mir zu opfern – mir, dem Gott des Handels, der Wege und der Wanderer. Ich bin der Götterbote Hermes, Sohn des Zeus und der Gaia und Erfinder der Lyra.“ „Schon gut, vielleicht bist du wirklich geistig nicht zurechnungsfähig, aber bevor du in psychiatrische Behandlung kommst, werde ich dir eine Abreibung verpassen.“ Anders als sein sterblicher Verfolger kümmerte sich Hermes, der ja ohnehin nichts von Technik verstand, herzlich wenig um die Flugbahn. Von Entsetzen und Angst gezeichnet, spritzten immer wieder Gruppen von Siedlern auseinander, die um die Unversehrtheit ihrer Knochen und Körper fürchteten, weil der Götterbote sie mit seinem fliegenden Untersatz ungewollt aufs Korn nahm. Auch sonst herrschte ein ziemliches Chaos. Die übrigen Transporter mußten ihren Kurs ändern, um einem Zusammenstoß zu entgehen, kamen dadurch wieder anderen Antigravscheiben in die Quere und schlängelten sich mühsam an Menschen und Robotern vorbei, die gleichfalls gezwungen waren, Haken zu schlagen wie Hasen. Für Hermes war dieses Gewimmel ein unerhörter Spaß, nicht jedoch für seinen Verfolger. Der hatte allen Widrigkeiten zum Trotz mittlerweile aufgeschlossen und die Geschwindigkeit seiner Plattform der des Götterboten angepaßt. Gerade wollte er zum Sprung ansetzen, als er voller Schrecken erkannte, daß die beiden
Antigravscheiben auf einen Container, zurasten, der mit geringem Aufwand in eine Behelfsunterkunft verwandelt werden konnte. Der Hüne schluckte, behielt aber die Nerven. So schnell er konnte, tastete er eine Richtungsänderung ein und atmete erleichtert auf, als die Plattform förmlich in letzter Sekunde nach rechts abbog. Hermes winkte hoheitsvoll mit seinem Stab hinterher, weil er annahm, daß der andere endlich seinen göttlichen Status akzeptiert hatte, doch dann sah auch er das Hindernis. „Halt!“ rief er, aber das Gefährt reagierte nicht. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste die Scheibe auf den Behälter zu. Mit der überlegenen Logik eines Götterboten erkannte Hermes, daß sein Transportmittel göttlichen Befehlen nicht zugänglich war und ihnen sogar trotzte, also entschloß er sich, abzuspringen und davonzufliegen. Aus alter Gewohnheit rückte er seinen Reisehut zurecht, legte die Arme aus – und dann wurde ihm schwarz vor Augen. Mit ohrenbetäubendem Lärm bohrte sich der Antigravtransporter in den Container, zerfetzte die Außenhülle aus Leichtmetall und prallte gegen eine Zwischenwand, die die Amokfahrt stoppte. Funkensprühend stellte das Aggregat seine Tätigkeit mit einem lauten Knall ein. Hermes bekam davon nichts mehr mit. Er war bei dem Zusammenprall ohnmächtig geworden und hatte sich sozusagen in sein eigenes inneres Reich begeben, das sich den wachen Sinnen entzog. * Entgegen seiner Drohung hatte es der Hüne nicht übers Herz gebracht, den bewußtlosen und lädierten Götterboten zu verprügeln. Dafür lernte dieser die Medostation kennen. Zwei Männer hatten ihn auf einer Antigravbahre zu einem medizinischen Versorgungszentrum transportiert. Zeus Sohn war mittlerweile wieder zu sich gekommen. Obwohl sein Schädel dröhnte und die Glieder schmerzten, nahm er an dem Anteil, was um ihn herum vorging. Die fremdartige Umgebung musterte er nur flüchtig, weil ein Disput zwischen zwei Siedlern und einem silbern glänzenden Kasten mit Anhängseln seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Verwundert registrierte er, daß der Silberne sprechen konnte – ja, er vermochte sich sogar zu bewegen. Hermes zweifelte keinen Augenblick lang daran, daß er ein Lebewesen war, nur – so absonderliche Sklaven kannte er nicht. Was mochte das für ein Volk sein, das so aussah und trotzdem griechisch sprach? „Was soll ich denn untersuchen und behandeln, wenn ihr mir eine leere Bahre bringt?“ „Hör zu, Medo, aber sehr genau, denn ich habe keine Lust, mein Sprüchlein ein drittes Mal aufzusagen. Dieser Kerl dort ist verrückt, das beweist schon das Laken, das er sich umgehängt hat, doch er hatte einen Unfall mit einem Transportgleiter und hat deshalb Anspruch auf medizinische Betreuung. Walte endlich deines Amtes!“ „Ihr habt also einen Mann zu mir gebracht, und er liegt auf der Bahre, richtig?“
„Ja.“ „Seht ihr noch andere Leute in diesem Raum?“ „Nein, verdammt. Worauf willst du hinaus?“ „Auf der Antigravbahre liegt niemand.“ Hermes fand es an der Zeit, sich unsichtbar zu machen, um sich unauffällig entfernen zu können. „Der Patient ist so real wie du und ich. Reinige deine Sehlinsen und sieh genau hin.“ Der Raumfahrer wandte sich der Liege zu. „Er ist… Zum Teufel, er muß geflohen sein. Eben war er noch da.“ Suchend sah er sich um. „Er kann den Raum nicht verlassen haben. Los, Medo, hilf uns bei der Suche!“ „Ihr müßt dringend einer intensiven Untersuchung unterzogen werden“, schnarrte der Silberne. „Ich werde euch ruhigstellen und anschließend verschiedene Tests durchführen, um festzustellen, ob eine psychiatrische Behandlung erforderlich ist oder ob es sich um eine Bewußtseinsstörung handelt.“ Der Kastenförmige ruckte herum, zwei der kopflosen Schlangen an seinem Körper schnellten nach vorn und berührten die beiden Männer am Hals. Wie vom Blitz gefällt brachen sie zusammen. Langsam wurde der Silberne Hermes unheimlich. Er griff nach Heroldsstab und Reisehut und schwang die Beine über den Rand der in der Luft schwebenden Trage. Heftiger Schwindel übermannte ihn. „Ein Königreich für ein Aspirin“, murmelte der Götterbote. „Ich habe eine Fehldiagnose gestellt, bei mir muß ein Defekt des optischen Systems vorliegen. Niemand ist zu sehen, aber ich höre eine Stimme. Ich werde mich bis zum nächsten Wartungsintervall desaktivieren.“ Für Hermes war der Monolog des Medos ein Kauderwelsch, dessen Sinn er nicht verstand. Mißtrauisch beobachtete er den glänzenden Sklaven, doch der rührte sich nicht mehr. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, schlich der Sohn des Zeus zum Ausgang. Zu seinem Leidwesen war er verschlossen, die Flügelhälften bewegten sich trotz heftigen Rütteins um keinen Millimeter. Mit seinem Heroldsstab pochte der dagegen. „Öffne dich in Zeus Namen, du widerspenstige Pforte, oder du findest dich im Tartaros wieder!“ Das Schott war mit einer solchen Drohung ebensowenig zu beeinflussen wie die Steuerungsautomatik, die nach dem Lichtschrankensystem arbeitete. „Was jetzt kommt, hast du dir selbst zuzuschreiben, du alberne Tür“, grollte der Gott des Handels. „Ich werde dich rammen und aufbrechen.“ Der Handgriff fest umklammert, die Liege vor sich her schiebend, rannte er los, fest entschlossen, durchzubrechen und der ungehorsamen Pforte den Garaus zu machen. Als die Trage die Lichtschranke unterbrach, rollten die Flügelhälften lautlos zurück und gaben den Durchlaß frei. Hermes registrierte es mit Zorn und Erleichterung zugleich, vermochte aber seinen ungestümen Lauf nicht mehr abzubremsen. Vom eigenen Schwung getragen, sauste er nach draußen prallte mitsamt der Trage gegen die gegenüberliegende Gangwand und ging benommen zu Boden, dabei machten
sich Stab und Hut selbständig. Ersterer wurde ihm aus der Hand geprellt und traf unsanft seine Stirn, letzterer verwandelte sich nach einem Abpraller an der Wand in einen Bumerang und landete mit Effekt an seinem Unterkiefer. Der Götterbote setzte sich aufrecht, klaubte die auf dem Boden liegenden Utensilien auf und stemmte sich hoch. Er fühlte sich ziemlich wacklig auf den Beinen. Auf seinen Heroldsstab gestützt, den Reisehut tief in die Stirn gezogen, wankte er davon. * Hermes’ Zustand hatte sich erheblich gebessert. Dafür verantwortlich waren nicht die Zeusschen Erbanlagen, sondern vielmehr der Umstand, daß er schon seit Stunden durch das Schiff irrte; die Selbstheilungskräfte seines Körpers hatten also Zeit genug gehabt, den Organismus wieder ins Lot zu bringen. Vergeblich hatte er nach einem Ausgang gesucht. Alle Gänge und Decks waren zwar gekennzeichnet, aber die Symbole waren ihm unbekannt. Als er sich zum achten Mal im Verteiler Beta‐Grün‐Sieben wiederfand, obwohl er stets eine andere Abzweigung gewählt hatte, beschloß er, seinen göttlichen Stolz zu überwinden und einen Sterblichen nach dem Weg zu fragen. Schon bald ergab sich die Gelegenheit dazu. Mit forschem Schritt näherte sich ein Uniformierter. Ohne nach rechts oder links zu blicken, hastete er durch den Kreisel. Er bemerkte den Götterboten nicht, der sich sichtbar gemacht hatte. „Grüß Zeus“, sagte Hermes leutselig. „Grüß Zeus“, gab der Mann geistesabwesend zurück und eilte auf einen Flur zu, der besonders auffällig markiert war, sich ansonsten aber nicht von den anderen Gängen unterschied. Plötzlich blieb der Grieche abrupt stehen. Ihm war der Sinn der Worte aufgegangen. „Grüß was?“ Er drehte sich um und verdrehte ungläubig die Augen, als er die Gestalt des anmutigen Jünglings bewußt wahrnahm. „Was soll der Unsinn mit der lächerlichen Verkleidung? Bist du betrunken?“ „Erlaube mal, ich trinke nie im Dienst“, empörte sich Hermes. „Und was ich trage, ist ein göttliches Gewand.“ „Wenn der Chef dich in diesem Aufzug erwischt, gibt es ein Donnerwetter, also laß den Unsinn. Zieh den Blechdeckel ab und das Laken aus und mach dich nützlich, anstatt in Verkleidungen herumzutollen. Für die Unterhaltung haben wir Videobänder an Bord, und die sind weitaus besser, als du verkappter Schauspieler je sein wirst.“ „Jetzt vergreifst du dich im Ton. Du sprichst mit Hermes, dem Götterboten.“ „Ich habe im Augenblick keine Zeit, mich näher mit dir zu befassen, aber ich denke, du solltest die nächste Medostation aufsuchen oder deinen zuständigen Psychiater konsultieren.“ Der Raumfahrer wandte sich ab und strebte einem nahegelegenen Schott zu. Automatisch öffnete es sich. „Halt, warte, ich will dich etwas fragen!“
„Keine Zeit!“ Hermes rannte hinter dem Mann her, doch bevor er ihn erreichte, hatten sich die Flügelhälften bereits hinter ihm geschlossen. Ziemlich perplex stand der Götterbote vor dem mächtigen Portal, das auf seine Annäherung nicht reagierte. Wütend hämmerte er gegen die massiven Metallplatten, ohne etwas zu erreichen. Der Götterbote schob sich den Reisehut in den Nacken. „Die Nachfahren unseres Lieblingsvolks haben sich zu ausgesprochenen Rüpeln entwickelt und sind die Unfreundlichkeit in Person.“ Ein leises Summen riß ihn aus seiner Betrachtung. Als er den Kopf drehte, erblickte er ein merkwürdiges Gebilde, das sich mit mäßiger Geschwindigkeit auf ihn zubewegte. „Bei Zeus, wo kommt denn diese Riesenschildkröte her? Sie besitzt weder Kopf noch Beine, und dennoch läuft sie. Wie ist so etwas möglich?“ Furcht verspürte er nicht in seinem Bewußtsein göttlicher Unangreifbarkeit. Ihn beschäftigte ausschließlich die Frage, wie sich ein Tier ohne Extremitäten fortbewegen konnte. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu“, murmelte er. „Überhaupt geschieht hier einiges, was sehr mysteriös ist, dabei hat mich mein Vater gelehrt, daß einem Gott nichts verborgen bleibt. Sollte er so schamlos übertrieben, vielleicht sogar gelogen haben? Nein, das hat ein Gott nicht nötig, es ist seiner unwürdig, vor allem dann, wenn es sich um den mächtigsten der Götter handelt.“ Plötzlich verspürte der als erfinderisch und verschmitzt geltende Götterbote einen starken Sog, der ihn jäh erfaßte. Bevor er reagieren konnte, fand er sich unversehens in einem dunklen Behälter wieder, in dem drangvolle Enge herrschte. Pausenlos wurde er mit Staub‐ und Schmutzpartikeln bombardiert. „Das ist ja grauenhaft.“ Er hustete. „Ich muß im Tartaros der Putzfrauen gelandet sein.“ Sogleich bereute er es, den Mund aufgemacht zu haben. Eine konzentrierte Ladung landete in Gesicht und Rachen. Würgend, von Hustenanfällen geschüttelt, rief er sich gedanklich selbst um Hilfe an. Das half, er bekam wieder Luft. „Wohl dem, der ein Gott ist und auch an sich glaubt.“ Er spie prustend aus. Fast war er geneigt, sich selbst zu streicheln, verschob es aber angesichts der widrigen Umstände auf später, weil er zu der Einsicht kam, daß er sich zuerst aus seiner mißlichen Lage befreien mußte. Nun war der Schmutzauffangkasten eines Reinigungsroboters – denn in einem solchen steckte Hermes – ein recht enges und ungemütliches Gefängnis. Er strukturierte seinen Körper um und versuchte, durch die Ansaugöffnung nach draußen zu gelangen, doch die hereingepreßte, staubgesättigte Luft trieb ihn immer wieder zurück. Der Mißerfolg erfüllte ihn mit Zorn. Er verformte seinen Heroldsstab und rammte ihn wütend in das faustgroße Loch. Das Pfeifgeräusch ging in einen tiefen Brummton über, kein Lüftchen bewegte sich mehr. Die Freude über diesen Erfolg währte nur wenige Sekunden, dann wurde der Stab aus der Öffnung herauskatapultiert. Trotz seiner geänderten Zustandsform verging
dem Götterboten Hören und Sehen, als ihm der Stock um die nunmehr imaginären Ohren flog und ein wahrer Schmutzorkan durch den finsteren Behälter tobte. „Diese Schmach schreit nach Rache“, schimpfte der Griechengott, als die Luftwirbel abebbten. „Jetzt werden Taten folgen. Heroldsstab, werde zum Wurm und trotze dem Sturm.“ Auf der Stelle verwandelte sich der Stab in ein schlangenähnliches Pseudolebewesen, das sich in die Ansaugöffnung zwängte und nach und nach darin verschwand. Triumphierend folgte Hermes. „We… welch… ei… ein… merk… merkwür… merkwürdiges… ges… Ge… Ge… Gefühl“, stieß er hervor, als er das rotierende Flügelrad passierte. „Es… kom… kommt… mi… mi… mir… so… so… vor…. a… als… wür… würde… ich… i… in… Stü… Stücke… zer… zer… zerhackt… hackt.“ Plötzlich sah er einen Lichtschimmer, und dann wurde es hell. Das Geräusch erstarb, unmittelbar darauf fand er sich auf dem Gang wieder, aber irgendwie hatte er ihn anders in Erinnerung, die Perspektiven hatten sich verändert. Der Boden befand sich nur noch gut eine Handbreit unter ihm, dafür waren die Wände höher geworden. Er drehte den Kopf. Die Riesenschildkröte verharrte bewegungslos auf der Stelle und gab keinen Laut mehr von sich, aber es kam ihm vor, als wenn sie gewachsen wäre, denn er konnte nicht mehr auf ihren Panzer blicken. „Dieses Bauwerk steckt voller Merkwürdigkeiten. Erst werde ich von einer kopflosen Riesenschildkröte verschlungen, und nun haben sich auch noch die Proportionen verschoben.“ Der Götterbote wollte sich am Kopf kratzen, doch seine Hand griff ins Leere. „Was bedeutet das nun wieder?“ Unbewußt machte er einen Schritt nach vorn – und schlug der Länge nach hin. Hermes stieß eine Verwünschung aus und wollte sich aufrappeln, doch es gelang ihm nicht. Endlich erkannte er die Ursache dafür: Seine äußere Gestalt war erheblich durcheinandergeraten. Das linke Bein befand sich dort, wo es hingehörte, war aber zugleich zu einer Art Ersatzhals geworden, denn auf dem Spann thronte der Kopf. Das rechte Bein ragte nutzlos aus der Brust, der linke Arm wuchs aus der Hüfte. Hals und rechter Arm bildeten eine Einheit als verlängertes Greiforgan, während das Gesäß zwischen die Schulterblätter gerutscht war. „Bei Zeus, dieses Tier hat ein Monstrum aus mir gemacht“, entsetzte sich der Gott. Rasch machte er sich unsichtbar und strukturierte seinen Körper um, so daß sich alle Extremitäten und das Hinterteil wieder an ihrem Platz befanden. Es war diese Andersartigkeit der Materie, die bewirkte, daß ihn robotische Systeme und Optiken weder im sichtbaren noch im unsichtbaren Bereich wahrnehmen konnten, während das menschliche Auge die Götter in der ersteren Seinsform sehr wohl sehen konnte. Das wußte Hermes natürlich nicht. Unschlüssig blickte er sich um und stützte sich auf seinen Heroldsstab, den er mittlerweile wieder zurückverwandelt hatte. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. „Heureka!“ rief er. „Ich werde mich auf meine göttliche Spürnase verlassen.“ Er ließ sich auf allen vieren nieder und schnüffelte. „Ich rieche Spuren von frischem Erdreich. Ausgang, ich komme!“
4. Hermes wurde von den anderen Göttern bereits sehnsüchtig erwartet. Als er in den Palast zurückkehrte, wurde er von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Der Götterbote beantwortete sie, so gut er konnte, doch sein Bericht verwirrte mehr, als daß er aufklärte. Immerhin kristallisierte sich heraus, daß die Griechen nicht nur höchst sonderbare Sklaven besaßen, sondern auch sehr merkwürdige Geräte. „Lange wird uns der Sinn dieser Dinge nicht verborgen bleiben, denn was Sterbliche tun, ist für einen Gott wie mich kein Rätsel“, sagte Zeus leichthin. „Wichtig ist, daß sie uns verehren und opfern, damit wir von Balandan und seinem Clan unabhängig sind.“ „Sie sind heterodox.“ Der mächtigste Griechengott zeigte sich geschockt. „Mein Lieblingsvolk soll sich anderen Göttern zugewandt haben? Welchen?“ „Das konnte ich nicht in Erfahrung bringen.“ „Es sollte mich nicht wundern, wenn die verdammten Römer sie dazu gezwungen haben, mir und euch abzuschwören, aber das werden wir ändern.“ Zeus war außer sich. „Gleich morgen werde ich damit beginnen, sie zu bekehren. Als Gott ihrer Väter habe ich Anspruch darauf, daß sie mir ebenfalls huldigen – es ist die Pflicht eines jeden, der griechisches Blut in den Adern hat und der griechischen Zunge mächtig ist.“ „Als wir die Erde verließen, war die Situation ähnlich wie jetzt, dennoch sind wir emigriert“, warf Hera ein. „Du sollst nicht immer diese widerwärtige Sprache der Römer benutzen“, zürnte ihr Göttergatte. „Wir sind ausgewandert, schlicht und einfach ausgewandert.“ „Ich sehe da keinen Unterschied.“ „Aber ich. Kulturlose Emporkömmlinge wie die Römer emigrieren, wer auf sich hält, ist ein Auswanderer. Und außerdem läßt sich die Erde nicht mit Zeusium vergleichen. Bisher lebten hier nur Barbaren, doch nun sind die Nachkommen meines Lieblingsvolkes angekommen. Hier gibt es keine Römer, denen sie sich beugen müssen, hier gelten nur mein Wort und mein Befehl.“ Zeus geriet ins Schwärmen. In den leuchtendsten Farben malte er ein Bild von der Zukunft. Einwände und Schwierigkeiten wischte er mit einer Handbewegung beiseite. Dionysos interessierte weniger das, was kommen konnte, als vielmehr das, was war. Tatsache war, daß es keinen Wein mehr gab. Er zog seinen Halbbruder beiseite. „Sag, Hermes, haben sie den göttlichen Tropfen dabei, der aus Reben gewonnen wird?“ Der Götterbote zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Alkohol kennen sie jedenfalls, denn einer hielt mich für betrunken.“
„Wunderbar, ganz wunderbar.“ Dem Gott der Fruchtbarkeit lief das Wasser im Mund zusammen. „Es kann sich nur um Wein handeln, jedes andere Getränk wäre eines Griechen unwürdig.“ „Was hast du vor? Willst du deine Satyrn losschicken, um Wein zu stehlen?“ „Welch ein garstiges Wort. Es ist ein Vorgriff auf die Opfergaben, nichts weiter.“ Dionysos schob sich den Efeukranz mit dem Thyrsos in den Nacken. „Natürlich werde ich selbst gehen, denn die Satyrn sind zu dumm und zu ungeschickt, um einen solchen Auftrag zu erledigen.“ „Es ist ein unorthodoxes Haus, verwirrend und fremdartig. Du könntest dich verirren.“ „Unsinn!“ „Vor den bein‐ und kopflosen Riesenschildkröten solltest du dich in acht nehmen“, warnte Hermes. „Sie verschlucken dich – ich weiß nicht wie – und machen aus dir ein Monstrum.“ „Ich werde schon aufpassen. Lenke die anderen ab, wenn Zeus seine Ode an die Zukunft beendet hat.“ Damit zog er sich unauffällig aus dem Saal zurück und verschwand in der nächtlichen Dunkelheit des Palastgartens. Sein Ziel war die HELLAS. * Der Herrscher über die Mänaden und Satyrn hatte es leichter als sein Halbbruder, da er bereits über dessen Informationen verfügte. In der Nähe des Raumschiffs war es still geworden, die meisten Siedler hatten sich zur Ruhe begeben, nur noch wenige arbeiteten im Licht einiger Tiefstrahler oder genossen die laue Nacht. Dionysos wunderte sich über die ungewöhnlich hellen Fackeln, machte sich aber weiter keine Gedanken darüber. Mehrere Minuten lang beobachtete er die Leute und wandte seine Aufmerksamkeit dann dem Raumer zu. In einigem Abstand wurde er von einer Art Mauer umgeben, die diffuses Licht verbreitete. Hermes hatte davon nichts erwähnt, demnach schien sie für einen Gott nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Weit wichtiger war da schon die gewaltige Öffnung im Leib der HELLAS. Sie war taghell erleuchtet und wirkte direkt einladend. Daß sie von zwei nackten Sklaven bewacht wurde vermerkte der göttliche Weinliebhaber nur am Rande. Er fürchtete sie nicht, da er sich unsichtbar gemacht hatte. In freudiger Erwartung rannte er auf die Absperrung zu. Dionysos machte sich nicht die Mühe, nach einem Durchlaß zu suchen, sondern schickte sich an, sie zu überklettern. Als er mit seinen Händen danach faßte, verformte sich die Absperrung. Farbenspiele durchzogen sie, und gleichzeitig verspürte er ein merkwürdiges Prickeln am ganzen Körper. Dionysos kicherte. „Welch ein lustiger Einfall – eine Lach‐ und Kribbelmauer!“ Er stemmte die Füße dagegen und zog sich hoch. Das Kribbeln intensivierte sich, wider Willen mußte er lachen. Wie Donnerschläge zerriß sein Gelächter die friedliche Stille.
Die Menschen, die sich noch draußen aufhielten, zuckten erschreckt zusammen und griffen nach ihren Waffen. „Da, seht, der Energiezaun verfärbt sich.“ „Was sind das für Geräusche?“ „Los, wir müssen nachsehen!“ Aufgeregt liefen die Leute durcheinander, während die Beherzteren zum Schirmfeld rannten, um die Ursache für die Instabilität zu finden. Bevor sie ihn erreichten, nahm der Energiezaun wieder die gewohnte Farbe an, lediglich ein auf‐ und abschwellendes Grollen war noch zu hören, das aber nicht zu lokalisieren war. Scharen von Robotern und aus dem Schlaf gerissenen Siedlern quollen aus der Schleuse, Hochleistungsleuchten flammten auf und tauchten den Landeplatz der HELLAS in grelles Licht. Die Wache in der Zentrale hatte die Veränderung an der Umzäunung anhand der Kontrollen sofort bemerkt und Alarm geschlagen. Dionysos war vor lauter Lachen abgestürzt und in das Innere der Absperrung gefallen. Anfangs hatte er sich regelrecht gekugelt, dann, als das Prickeln nachließ, verhallte auch sein Gelächter, er kicherte nur noch, bis er sich endgültig wieder in der Gewalt hatte. Die hektischen Aktivitäten der Griechen und der vermeintlichen Sklaven quittierte er mit einem Kopfschütteln. Er wußte ja nicht, daß er den Energiezaun an dieser Stelle, allein durch die Berührung fast hatte zusammenbrechen lassen und daß er für die unerklärliche Aufregung der Siedler verantwortlich war. Unbekümmert marschierte der Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase durch das Gewimmel. Die Aussicht, bald in den Besitz seines geliebten Rebensafts zu gelangen, machte ihn nahezu blind für das, was um ihn herum vorging. Mit raumgreifenden Schritten passierte er das geöffnete Außenschott und verschwand in der dahinterliegenden Schleuse, nachdem er den Automaten ein freundliches „Grüß Zeus!“ zugerufen hatte. Die Wirkung war verblüffend: Beide Roboter desaktivierten sich auf der Stelle, aber das bekam Dionysos nicht mit; es wäre ihm auch ziemlich gleichgültig gewesen, denn ihn beherrschte nur ein Gedanke: Wein. Aufgekratzt summte er: „Griechischer Wein, das ist wie das Blut der Erde, ich lade mich ein…“ Er verstummte, weil er auf einen Verteiler gestoßen war. Vergeblich versuchte er, die Zeichen zu entziffern, dann wandte er sich nach rechts. Wein pflegte man in Kellern aufzubewahren, und da er sich ohnehin auf der untersten Ebene aufhielt, war es egal, in welche Richtung er ging. Eine halbe Stunde lang irrte er durch Gänge und Korridore, dann fand er sich plötzlich in einem spärlich beleuchteten Flur wieder, der sich als Sackgasse entpuppte. Bisher war Dionysos keiner Menschenseele begegnet, und auch hier hielt sich niemand auf. Schon wollte der Liebhaber geistiger Getränke enttäuscht umkehren, als eine beschriftete Tafel seine Aufmerksamkeit erweckte, deren Text aus dieser Entfernung nicht zu lesen war. Nicht sonderlich zuversichtlich ging er darauf zu, doch dann machte er plötzlich einen Luftsprung. „Heureka, ich hab’s geschafft!“ jubelte er. Geradezu genüßlich wiederholte er die
Aufschrift: „Weinkammer. Unbefugten ist der Zutritt strengstens verboten. Eltern haften für ihre Kinder.“ Er grinste. „Als Gott, zu dessen Symbolen und Attributen das Weinglas gehört, bin ich natürlich befugt wie kaum ein anderer, und sollte ich mich wirklich irren, haftet Zeus als mein Vater. Eine ausgezeichnete Formulierung. Doch nun frisch ans Werk!“ Dionysos schwang seinen Stab mit dem Pinienzapfen daran und klopfte gegen das Schott. „Du Tor der Weinkammer, Hüter des Götternektars und Beschützer des edlen Rebensafts, öffne dich im Namen dessen, der hier Einlaß verlangt. Ich bin Dionysos, der Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase, Sohn des allmächtigen Zeus und der Semele.“ Nichts geschah. „Aufmachen, du störrische Pforte!“ Ärgerlich trommelte der Eindringling mit dem Thyrsos gegen die Flügelhälften. „Laß mich herein, du Brut der Titanen, oder du lernst mich kennen. Ewige Verdammnis wartet auf dich!“ Das Portal rührte sich nicht. „Hermes hat recht gehabt, dabei habe ich geglaubt, er hätte sich wie üblich nur zu dumm angestellt.“ Gedankenverloren rieb er sich am linken Ohrläppchen und bemerkte nicht, daß es in Wirklichkeit ein Blatt von seinem Efeukranz war. „Was tun, sprach Zeus, die Götter sind noch nicht besoffen.“ Als wäre damit ein Stichwort gefallen, tauchte ein. Uniformierter auf. Sein Schritt war unsicher, er schwankte, und mehr als einmal mußte er sich an der Wand abstützen, um auf den Beinen zu bleiben. „Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein“, grölte er, „und den Kummer tu auch mit hinein. Und eins, zwei drei, wirst du gleich sehen, ist das Leben noch einmal so schön…“ Dionysos hielt sich entsetzt die Ohren zu, doch das war mehr eine den Menschen abgeschaute Geste, denn er hörte trotzdem alles. „Seid bereit, ihr Rebengeister, hier nähert sich der Kellermeister.“ Der Mann rülpste ungeniert. Zeus’ Sohn witterte Morgenluft. Da er es mit jemandem zu tun hatte, der ihm in Zukunft opfern würde, hatte er keinerlei Bedenken, sich sichtbar zu machen. „Hallo!“ „Teufel, du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt“, brabbelte der ältere Mann. „Wo bist du so plötzlich hergekommen?“ „Ich habe hier auf dich gewartet, um ein Schlückchen mit dir zu trinken.“ „Eine famose Idee. Alle sagen immer zu mir ,Konstantin, du säufst zuviel’, aber du scheinst mich zu verstehen, Kumpel. Warum bist du nicht schon früher zu mir gekommen?“ Der raumfahrende Kellermeister schien keine Antwort zu erwarten, denn er fuhr gleich fort: „Ich habe dich noch nie an Bord der HELLAS gesehen, aber das muß nichts bedeuten, denn du scheinst ein hohes Tier zu sein.“ „Wieso?“ „Na, wer wartet schon auf Konstantin und macht eine Weinprobe im dunklen Anzug?“ Der Grieche kicherte. „Allerdings hast du deinen Frack zu heiß waschen
lassen. Er ist eingelaufen.“ „Du sprichst in Rätseln, aber wenn du mein Gewand meinst, so muß ich dich korrigieren. Es handelt sich um ein Pantherfell.“ „Raubtiere gibt es nur noch in Zoos. Der letzte wildlebende Panther wurde auf Terra vor gut fünfzig Jahren erlegt, die Löwen hat es vor zwanzig Jahren erwischt, aber warum erzähle ich dir das? Du wirst es besser wissen.“ Der Mann tappte zum Schott und zog einen für Dionysos undefinierbaren Gegenstand aus der Tasche, den er gegen das Metall preßte. Wie von Geisterhand bewegt, glitten die Flügelhälften zurück. Konstantin machte eine einladende Geste. „Tritt ein, mein Freund!“ Zeus Sohn ließ sich nicht zweimal bitten. Jede Faser seines Körpers lechzte nach Wein, Euphorie beherrschte ihn. Leichtfüßig trat er näher und blickte erwartungsvoll in den Raum. Überwältigt verharrte er auf der Schwelle. Er hatte Amphoren erwartet, sah jedoch nur unzählige keulenförmige Behälter aus einem durchsichtigen Material, das ihm unbekannt war. Sie lagerten in eigens dazu angefertigten Gestellen. „Und in jedem dieser merkwürdigen Krüge ist Wein?“ vergewisserte er sich. „Natürlich“, gab der Grieche leicht pikiert zurück. „Glaubst du, ich würde dich zu einem lausigen Saft einladen? Ich kann dir einen Samos anbieten, wie du ihn noch nie in deinem Leben getrunken hast. Komm, wir genehmigen uns einen davon.“ Mit leuchtenden Augen folgte der Gott der Fruchtbarkeit dem Uniformierten, blieb dann aber stehen. „Was ist?“ „Moment, ich sehe nur nach, ob uns keiner stört.“ Dionysos kehrte noch einmal zum Ausgang zurück und blickte auf den Gang hinaus, dabei ignorierte er, daß sich die Schotthälften langsam schlossen. Als Gott stand er über solchen Banalitäten, doch als er eingeklemmt wurde, schrie er auf und machte sich vor Schreck unsichtbar. Konstantin, der damit beschäftigt war, einen besonders guten Tropfen herauszusuchen, fuhr alarmiert herum, sah aber niemanden mehr. Verstört stapfte er zum Schott, das sich bei seiner Annäherung öffnete. „He, Kumpel, wo bist du?“ Schmerzerfüllt schrie Dionysos auf und machte sich sichtbar. „Hier unten, du Narr. Warum trampelst du auf mir herum?“ Der Grieche blickte nach unten. „Tatsächlich. Wie kommst du dahin?“ „Hättest du vielleicht die Güte, deine Füße so zu stellen, daß mein Rücken nicht mehr dein Gewicht tragen muß?“ „Entschuldige, das habe ich überhaupt nicht bemerkt.“ Der Mann wischte sich über die Augen. „Meine Sehkraft scheint nachzulassen.“ Schwankend trat Konstantin zur Seite. „Das ist mir aber peinlich.“ Er schüttelte den Kopf. „Und daß ich dich nicht gesehen habe – sehr sonderbar.“ Ächzend stemmte Dionysos sich hoch. Der Grieche entnahm einem Regal zwei Flaschen und öffnete sie, dann reichte er eine
dem nächtlichen Besucher. „Auf Gläser müssen wir leider verzichten, aber dieses Stöffchen wird dir auch so schmecken.“ Er hob seine Flasche und prostete Dionysos zu. „In vino veritas, wie der Lateiner zu sagen pflegt.“ Der Herrscher über die Satyrn und Mänaden zuckte nervös. „Das solltest du Zeus nicht hören lassen. Er ist auf die Römer nicht gut zu sprechen.“ „Zeus? Wer ist denn Zeus?“ „Er ist der mächtigste aller Götter und mein Vater dazu.“ „Ach!“ Der Mann riß überrascht die Augen auf. „Und wer bist du?“ „Dionysos, der Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase.“ „Donnerwetter, ich habe gar nicht gewußt, daß wir so hohe Tiere an Bord haben“, brabbelte der alkoholisierte Kellermeister. „Was tust du denn den ganzen Tag über?“ „Gammeln und dieses lausige Bier der Planetarier trinken.“ Ein wehmütiger Ausdruck erschien auf dem Gesicht von Zeus Sohn. „Wie schön war es doch dagegen in Griechenland auf dem Olymp. Man opferte mir, der Wein floß in Strömen und jeden Tag wurde gefeiert.“ „Feiern können wir hier auch. Prost, Gott der Ekzeme!“ * Es wurde eine lange Nacht, in der dem Rebensaft kräftig zugesprochen wurde. Über zwanzig leere Flaschen legten Zeugnis davon ab. Dionysos und Konstantin hatten sich über Gott und die Welt unterhalten, und gegen Ende des Zechgelages hatte der Grieche hoch und heilig versprochen, Dionysos täglich einige Liter Wein zu opfern, dafür hatte der Gott zugesagt, seine schützende Hand über Konstantin zu halten. Der Mann war eingeschlafen. Ob Hermes als Gott des Schlafes und des Traumes seine Finger im Spiel hatte, ob der genossene Alkohol dafür verantwortlich war oder ob der Körper ganz einfach sein Recht verlangte, ließ Dionysos dahingestellt. Immerhin kam er zu der Überzeugung, daß es allmählich auch für ihn Zeit wurde, sein Lager aufzusuchen. Um den zu erwartenden Nachdurst wirksam bekämpfen zu können, klemmte sich der trinkfreudige Efeukranzträger noch zwei Flaschen unter den Arm und marschierte auf nicht mehr ganz sicheren Beinen zum Ausgang. „Öffne dich in Zeus Namen!“ rief er, als er noch einige Schritte entfernt war. Zufällig hielt er die Weinflaschen so, daß sie die Lichtschranke unterbrachen. Lautlos glitten die Flügelhälften zurück. „Na, wenn das kein Erfolg ist“, murmelte der Gott der Fruchtbarkeit. „Innerhalb weniger Stunden habe ich einen Siedler und eine ungläubige Pforte bekehrt. Daddy wird stolz auf mich sein, wenn ich ihm das erzähle. Vielleicht macht er mich zur Belohnung sogar zum Gott der Missionare.“ Er biß sich auf die Lippen. „Verflixt, das war ja römisch. Nein, damit kann ich ihm nicht kommen.“ Dionysos trat auf den menschenleeren Gang hinaus und machte sich unsichtbar. Sein Mitteilungsbedürfnis war gestillt, und falls er wider Erwarten doch jemandem begegnen sollte, wollte er nicht bemerkt werden. Nach seinem Dafürhalten war es
mit seinem göttlichen Image nicht vereinbar, daß er sich ihm zugedachte Opfergaben – eben Wein – selbst besorgen und abholen mußte. Er schritt forsch aus und war selbst am meisten überrascht, daß er auf Anhieb zum Ausstieg zurückfand. Nach wie vor war er geöffnet, aber er wurde nicht mehr von den nackten Sklaven bewacht, sondern von einem jungen Mann. Der diensthabende Offizier hatte der plötzlichen und unerklärlichen Desaktivierung der Roboter Rechnung getragen, aber das wußte der Gott natürlich nicht. Unbekümmert schritt er an dem bewaffneten Posten vorbei ins Freie. Einem Sproß von Zeus konnte nichts geschehen, und außerdem war er unsichtbar. Tatsächlich sah der Raumfahrer ihn auch nicht, dafür aber die Flaschen, die sich auf unerklärliche Weise durch die Luft bewegten und dem Gesetz der Schwerkraft zu trotzen schienen, augenblicklich sogar über einen eigenen Antrieb verfügen mußten. Der Uniformierte überlegte nicht lange. Sein Vorgesetzter – verunsichert durch den Ausfall der Automaten und den Zwischenfall am Energiezaun – hatte ihm Schießbefehl erteilt, falls ihm etwas nicht geheuer sein sollte. Dieser Fall war nun eingetreten. Der Grieche riß seinen Strahler aus der Gürteltasche und feuerte ihn sofort ab. Dionysos erstarrte förmlich, als die Flasche in seiner linken Hand plötzlich zerplatzte und ein Schwall kochendheißer Luft seine Finger streifte. Zugleich spürte er ein merkwürdiges Ziehen, als wollte etwas seinen Arm umstrukturieren und seiner Substanz berauben. Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erkenntnis, daß die Sterblichen etwas besaßen, was selbst einem Gott gefährlich werden und ihm möglicherweise sogar den Garaus machen konnte. Vor Schreck ließ er die andere Flasche fallen und suchte sein Heil in der Flucht. Er rannte und stolperte über den Landeplatz auf die Absperrung zu und zog furchtsam den Kopf ein, als eine Salve dicht über ihn hinwegstrich. Vor ihm tauchte die diffus leuchtende Kitzelmauer auf. Da er befürchtete, sich durch sein Gelächter zu verraten, wenn er sie überkletterte, verfiel er darauf, seinen Stab einzusetzen. Wie ein Stabhochspringer rammte er seinen Thyrsos in den Boden und schwang sich über das Hindernis. Wohlbehalten landete er auf der anderen Seite. Erst jetzt fühlte er sich sicher. Bevor er in den Palast zurückkehrte, warf er noch einen Blick auf das Raumschiff. Als dunkle Silhouette hob es sich gegen den nächtlichen Himmel ab, dabei wirkte der erleuchtete Einstieg wie der feurige Rachen eines Drachen. „Pack!“ sagte Dionysos verächtlich. „Götterschänder! Und so etwas trinkt den guten griechischen Wein. Hoffentlich landen sie alle bis auf Konstantin im Tartaros.“ 5. Während Zeus am Morgen aufgekratzt am Frühstückstisch erschien, wirkte Dionysos eher griesgrämig, unausgeschlafen und verkatert. Mit mürrischem Gesicht ließ er sich auf seinem Platz nieder.
„Du verrichtest deine Arbeit auch immer schlechter“, fuhr er den rechts neben ihm sitzenden Götterboten an. „Mein Schlaf war alles andere als erquicklich.“ Entsetzt beugte sich Hermes zur Seite. „Allein der Alkoholdunst deines Atems reicht aus, um uns alle betrunken zu machen.“ „Lenke nicht vom Thema ab“, gab der Gott der Fruchtbarkeit übellaunig zurück. „Hier ist die Rede von erholsamem Schlaf und nicht von Wein.“ „Gib zu, daß du dir gestern einen hinter die Binde gegossen hast“, stichelte Apoll. „Und wenn schon – was geht euch das an?“ brauste Dionysos auf. „Siehst du, Zeus, ich habe dir schon gestern abend gesagt, daß er zu einer Sauftour aufgebrochen ist“, rief Hera mit schriller Stimme. „Von mir läßt er sich ja nichts sagen, weil ich nicht seine Mutter bin; aber du solltest endlich ein Machtwort sprechen, denn du bist sein Vater. Er wird uns noch bei den anderen Göttern in Verruf bringen. Unter den Kindern von Balandan und Ervi ist kein einziger Trunkenbold.“ „Hör auf zu keifen, alte Vettel!“ brüllte Dionysos. „Das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen“, schnappte Hera. „Am allerwenigsten von einem Wechselbalg wie dir. Was bildest du dir überhaupt ein, du Emporkömmling?“ Sie wandte sich ihrem Göttergatten zu. „Zeus, ich verlange, daß du dieses Produkt deiner Liaison mit einer Sterblichen in die Schranken weist!“ „Kinder, so hört doch auf, zu streiten, das führt zu nichts. Warum können wir denn nicht friedlich zusammen frühstücken wie andere Familien auch?“ „Weil es in dieser Runde Typen gibt wie deinen unehelichen Sohn Dionysos“, sagte die Schwesterfrau von Zeus spitz. „Du solltest lieber deine Sprößlinge im Auge behalten“, rief der Efeukranzträger. „Warum verbietest du Hephaistos nicht, die Konfitüre mit seinem schmutzigen Hammer aus der Schale zu angeln? Jeden Morgen bittest du ihn, unsere Frühstückseier von der Schale zu befreien, und was tut dieser Klotz? Er haut sie mitsamt dem Eierbecher durch die Tischplatte oder hämmert sie platt.“ „Er übt ja noch, aber vor allem zeigt er guten Willen.“ „Bei seinem Intelligenzquotienten wird es wohl auch dabei bleiben. Er ist einer von denen, die über das Versuchsstadium nie hinauskommen.“ „Das ist nicht wahr“, empörte sich der Gott des Feuers und der Schmiedekunst. „Jeder hat mir bestätigt, daß mir beispielsweise die vielen Spangen, die ich angefertigt habe, sehr gelungen sind.“ „Stimmt. Auch Wahnsinn hat Methode.“ „Beenden wir das Thema, und wenden wir uns erbaulicheren Dingen zu.“ Zeus biß in ein Stück Brot, das Hephaistos über seinem Feuer getoastet hatte. „Wie ihr wißt, beabsichtige ich, die Nachfahren meines Lieblingsvolks für mich und damit für uns alle zu gewinnen.“ „Das wird nicht nur schwierig, sondern auch sehr gefährlich werden“, warf Dionysos ein. „In der vergangenen Nacht gelang es mir, einen Mann und eine ungläubige Pforte zu bekehren, doch als ich die HELLAS verließ, wäre es fast um
mich geschehen gewesen.“ „Unsinn, wir sind unsterblich und Götter dazu. Sterbliche vermögen uns nichts anzuhaben.“ „Bis gestern war ich auch davon überzeugt, wurde dann aber eines Besseren belehrt.“ Der oberste Griechengott wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. „Nachts sind alle Katzen grau, und Alkohol trübt die Sinne.“ „Es ist gut, daß du das endlich einsiehst. Jahrhundertelang habe ich es vergeblich gepredigt und dich immer wieder vor den Folgen gewarnt.“ „Allmählich geht mir dieses dumme Gerede auf die Nerven“, grollte Zeus. „Ich rede hier von Dingen, die Priorität haben und über unsere Zukunft entscheiden, und ihr kommt mir mit euren lächerlichen Zwistigkeiten. Von mir aus könnt ihr euch nachher sogar prügeln, aber jetzt hört ihr erst mal zu, was ich zu sagen habe.“ „Wir sind ganz Ohr“, erklärte Ares und grinste, was ihm einen verweisenden Blick seines Vaters einbrachte. „Ich habe mir überlegt, daß es von Vorteil ist, wenn ich zuerst einen Tempel in der Nähe des Raumschiffs entstehen lasse. Ein prächtiges Bauwerk macht immer einen guten Eindruck. Ihr alle werdet euch unsichtbar darin aufhalten und diejenigen bekehren, die als neugierige Besucher kommen, während ich mir die Leute in der HELLAS vornehme.“ „Warum zwingen wir sie nicht einfach?“ fragte Athene, die wie immer ihren Helm trug und Speer und Ägis in Reichweite hatte. „Mit Waffengewalt und unseren göttlichen Kräften würde es sicherlich schneller gehen, aber ich möchte es zuerst auf die sanfte Tour versuchen. Wir müssen uns als die guten Götter darstellen, die besser, weiser und mächtiger sind als die, die sie jetzt anbeten.“ „Also fishing for compliments“, meinte Aphrodite. „Fishing für was?“ erkundigte sich Zeus stirnrunzelnd. „Es bedeutet soviel wie die Hascherei nach Komplimenten.“ „Ich möchte wissen, wie ihr an dieses neumodische Zeug kommt“, brummte der Göttervater verdrießlich. „Die neun Musen singen in der letzten Zeit nur noch im Discosound, Apoll trägt nur noch Jeans, und Hebe hat sich eine Punkerfrisur zugelegt. Jeder pfeift auf die jahrtausendalte Tradition.“ „Aber Dad, als Göttin der Jugend muß ich doch mit der Zeit gehen“, flötete Hebe. „Wir haben eben keinen Bock mehr auf die alten Sitten und Gebräuche, und die Klamotten, die du dir um die Figur gehängt hast, sind schon lange out. Du und Ma, ihr seid altmodisch.“ „Oh Zeus, womit habe ich das verdient?“ „Du wirst auch immer zerstreuter, Zeus“, sagte Hera vorwurfsvoll. „Jetzt hast du dich schon wieder selbst angerufen.“ „Ist das ein Wunder bei diesen Kindern?“ Pathetisch schlug der mächtigste Griechengott die Hände zusammen. „Aber zurück zum Thema. Gibt es noch Einwände oder Vorschläge?“ „Ich denke, eine Werbekampagne ist am wirksamsten“, ließ sich Apoll vernehmen.
„Die Satyrn könnten überall Plakate anbringen, und die Mänaden schreien pausenlos Werbespots. Hermes könnte mehrmals täglich zu einem Rundflug starten und ein Transparent hinter sich her ziehen. Athene und die Musen sind ja künstlerisch begabt. Sie können Schildchen herstellen, die wir an den Kleiderspangen befestigen, die Hephaistos hergestellt hat. Aufschrift: I love Zeus oder ein ähnlich einprägsamer Slogan. Artemis und ich würden Pfeile mit Werbewimpeln verschießen, und auch für die anderen sollte sich ein Job finden.“ Zeus hatte aufmerksam zugehört. „Dein Einfall ist nicht schlecht, aber für meinen Geschmack zu progressiv. Würde ich einen Wahlkampf bestreiten wollen, würde ich dir zustimmen, aber so…“ Er suchte nach einem passenden Ausdruck. „Es ist einfach unter meiner göttlichen Würde, mich den Sterblichen anzupreisen wie eine Ware. Nein, ich denke, wir setzen meine Idee in die Tat um.“ Er stand auf. „Folgt mir unauffällig, ihr Götter!“ „Sollen wir mitkommen?“ erkundigte sich ein Fruchtbarkeitsdämon. „Seit wann seid ihr Götter?“ fuhr Zeus den Satyr an. „Ihr und die Mänaden bleibt hier. Räumt den Tisch ab, spült, räumt auf – na, ihr wißt schon.“ „Ja, die gewohnte Hausarbeit.“ „Ganz recht, und diesmal ohne die übliche Pfuscherei. Ich möchte bei meiner Rückkehr nicht erleben, daß der Schmutz wie sonst unter den Teppich gekehrt und nur um die Figuren herum Staub gewischt wurde, klar?“ „Bekommen wir wenigstens ein paar Liter Bier oder ,Magentod’?“ „Untersteht euch, an meine Vorräte zu gehen!“ wetterte Dionysos. „Es genügt, wenn ich euch nach meinem Mittagstrunk anhauche.“ Verfolgt vom Gejammer und Wehklagen der ekstatischen Frauen und der Fruchtbarkeitsdämonen, eilte Dionysos hinter seinem Vater und den anderen her. Wollte man Zeus glauben, dann brach für die griechischen Götter eine neue Zeit an, eine Wiedergeburt alter Götterherrlichkeit wie weiland auf dem Olymp. Der Gott der Fruchtbarkeit wünschte sich nichts sehnlicher, doch er hatte da gewisse Zweifel. Nicht alle Griechen waren Konstantins. Die unsichtbaren Götter hatten sich im Halbkreis versammelt. Gerade wollte Zeus ihnen letzte Anweisungen geben, als ein hohles Brausen die Luft erfüllte. Von dunklen Ahnungen erfüllt, blickte der Bezwinger der Titanen nach oben, und richtig, Balandan kam auf seinem Totenroß Vinir herangeprescht. Wie üblich wurde er von den Kobolden Ama und Iti begleitet. „Du kommst denkbar ungelegen“, sagte Zeus anstelle einer Begrüßung. „Das war auch meine Absicht. Du weißt, daß Ama, der Gedanke, und Iti, das Gedächtnis, täglich vom Weltgeschehen berichten. Sie hinterbrachten mir, daß du einen Tempel entstehen lassen willst. Ervi war der Ansicht, daß ich das verhindern muß.“ „Du läßt mich also bespitzeln!“ schnaubte der Göttervater aufgebracht. „Das verstößt gegen Paragraph 3, Absatz 8 und 9 des Göttergrundgesetzes. Soll ich zitieren?“ „Nein, wahrscheinlich hast du recht, aber du kennst doch Ervi.“ Balandan zuckte mit den Schultern und machte eine entschuldigende Geste. „Ich muß es tun, sonst habe ich keine ruhige Stunde mehr.“
„Hör zu, diese Leute, die mit ihrem Raumschiff auf Zeusium gelandet sind, stammen von der Erde, genauer gesagt aus Griechenland. Ihre Vorfahren haben uns schon verehrt und geopfert, deshalb werden sie dich und deinen Clan niemals akzeptieren.“ „Ich habe auch nicht die Absicht, sie zu bekehren. Ich überlasse sie dir ja, aber mein Weib duldet eben nicht, daß hier ein protziges Bauwerk entsteht. Wie du weißt, begnüge ich mich mit alten Eichen als Heiligtümern, doch ein Baum ist unscheinbarer als ein steinerner Tempel. Ervi ist der Meinung, daß dies für uns nachteilige Folgen haben kann, wenn unsere Anhänger das sehen.“ „Zeus, ich halte diese Unterhaltung nicht nur für überflüssig, sondern auch für sinnlos“, sagte Hera kühl. „Die Sache mit dem Tempel war deine Idee, warum zögerst du noch?“ „Du hast gehört, was Hera gesagt hat. Es sei also!“ Der Griechengott hob die Hände und ließ sie nach vorn schnellen. Aus dem Nichts heraus entstand ein prachtvoller Bau, der dem Palast auf dem Neo‐Olymp in Größe und schmückendem Dekor kaum nachstand. „Der Tempel ist mir wirklich sehr gut gelungen“, sagte Zeus erfreut. „Er gefällt mir ebenfalls ganz ausgezeichnet. Du kannst mir glauben, daß es mir leid tut, ihn wieder verschwinden lassen zu müssen, aber wenn ich das nicht tue, läßt Ervi die Nudelrolle auf meinem Kopf tanzen.“ Der Toten‐ und Sturmgott seufzte abgrundtief. „Damit nicht genug, wirft sie mich auch aus dem Schlafzimmer und streicht meine Bierration. Du mußt verstehen, Zeus, daß ich das nicht auf mich nehmen kann, nur um dir einen Gefallen zu tun.“ „Ja, ja, es ist ein Kreuz mit den Weibern. Erst umgarnen sie dich, und wenn du endlich bemerkst, daß die Seide in Wirklichkeit ein Hanfseil ist, bist du schon gefesselt, geknebelt und angepflockt.“ „Komm du mir nach Hause!“ fauchte Hera. „Von wegen gefesselt und angepflockt. Hätte ich nicht immer die Augen offengehalten, würde es auf der Erde von deinen Nachkommen nur so wimmeln, du Tunichtgut.“ „Jetzt bekommst du auch noch Ärger mit deiner Gemahlin. Das habe ich nicht gewollt.“ „In dieser Beziehung bin ich Kummer gewöhnt.“ „Ich bin froh, daß du mir nicht die Schuld gibst. Kann ich Deignar jetzt auf die Reise schicken?“ „In Zeus Namen… Verflixt, das bin ich ja selbst. Ich glaube, ich werde alt.“ „Hoffentlich, denn dann werden wohl auch mal deine Affären ein Ende finden.“ „Du solltest keine falschen Schlüsse ziehen, liebste Hera.“ Zeus grinste. „Körperlich bin ich durchaus noch fit.“ „Senile Playboys sind nicht gefragt.“ „Uralte verklemmte Weiber auch nicht.“ Balandan kümmerte sich nicht um den „liebevollen“ Dialog der beiden, die nicht nur ein Ehepaar, sondern auch Geschwister waren. Er hatte sich in den Steigbügeln aufgerichtet und schleuderte seinen Speer auf das Bauwerk. Es verschwand, kaum daß Deignars Spitze den Tempel berührt hatte, und wie üblich kehrte die Waffe in
die Hand ihres Herrn zurück. „Willst du den Bau erneut entstehen lassen?“ erkundigte sich Balandan. „Ich meine, durch deine göttliche Kraft?“ „Nein, dieses Spiel ist mir zuwider, das hatten wir ja schon.“ Zeus winkte ab. „Wir werden den Tempel errichten, wie es die Sterblichen auch tun – wir bauen ihn Stein für Stein auf. Da wir Götter selbst Hand anlegen, kannst du ihn nicht mehr zerstören.“ „Eine ausgezeichnete Idee. Ervis Wunsch habe ich erfüllt, und dir entsteht kein Nachteil.“ Die Erleichterung war Balandan deutlich anzusehen, gleich darauf nahm sein Gesicht einen bekümmerten Ausdruck an. „Ihr werdet euch ordentlich schinden müssen. Bist du mir deswegen böse?“ Zeus schüttelte den Kopf. „Grüß Balandan!“ Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen. „Und viel Erfolg!“ Wie die Wilde Jagd stürmte das Totenroß Vinir davon. Als es den Blicken entschwunden war, erkundigte sich Dionysos: „Sag mal, ist es dein Ernst, daß wir Götter den Tempel bauen sollen?“ „Nur indirekt. Warte es ab.“ Zeus konzentrierte sich, dann hob er die Hände und senkte sie wieder. Aus dem Nichts heraus entstand ein gewaltiger Haufen behauener Steine, daneben lagen unzählige Säulen, Mosaikplättchen in bunten Farben und Skulpturen und Bildhauerarbeiten. Und dann tauchten zu aller Verblüffung zehn der nackten Sklaven auf, die die Griechen mitgebracht hatten. Sie waren jetzt nur noch für Götteraugen sichtbar. „So, frisch ans Werk. Ihr braucht das Baumaterial nur noch zu berühren und die Sklaven einzuweisen und zu beaufsichtigen – sie werden die eigentliche Arbeit tun.“ „Das hast du wirklich gut gemacht.“ Hermes tippte auf einen mächtigen Quader. „Los, Sklaven, nun wird gemauert.“ Er ging ein paar Schritte und rammte seinen Heroldsstab in den Boden. „Dieser Stein kommt hierhin.“ Die Roboter setzten sich in Bewegung, verhielten jedoch mitten im Schritt und stürzten zu Boden. Optische und akustische Sensoren hatten widersprüchliche Meldungen an die Steuerpositronik geleitet, so daß sie sich desaktivierte, um keinen Schaden zu nehmen. Der Götterbote schrie, tobte, fluchte, drohte, verteilte Tritte und Hiebe, doch die vermeintlichen Knechte waren durch nichts zu bewegen, aufzustehen. „Sie gehorchen mir nicht.“ „Das sehe ich selbst“, knurrte Zeus. „Diese Kreaturen scheinen noch fauler als die Satyrn und Mänaden zu sein. Ich werde sie austauschen.“ Er streckte die geöffneten Hände empor und drehte sie nach unten. Die gestürzten Automaten verschwanden, zehn neue tauchten auf. „Laß mich es mal versuchen.“ Als der Göttervater nickte, befahl Apoll: „Los, Steine aufheben, aber zack, zack!“ Das Schauspiel wiederholte sich, die Maschinen schalteten sich ab und fielen um. „Jetzt werde ich rabiat!“ grollte Zeus. „Hephaistos, verpasse ihnen ein Ding mit deinem Hammer!“
Der Gott der Schmiedekunst und des Feuers ließ sich nicht zweimal bitten und humpelte heran. Aus dem Handgelenk heraus ließ er sein Werkzeug gegen den Rücken der ersten Maschine schwingen. Es gab einen dumpfen Laut, ein Schnarren und Schnurren war zu hören, dann erhob sich der Roboter und nach ihm auch alle anderen, die einen Schlag mit dem Hammer bekamen. „Ausgezeichnet, mein Sohn“, lobte Zeus. „Manchmal bist sogar du zu etwas nütze.“ Er wandte sich an die Automaten. „Und ihr geht augenblicklich an die Arbeit, aber ein bißchen flott. Nehmt die Steine auf und tragt sie zu Hermes.“ „Wer ist Hermes, wo ist Hermes was ist Hermes?“ Schon wollte der oberste Griechengott aufbrausen, als ihm einfiel, daß die Sklaven sie ja nicht sehen konnten, weil sie sich unsichtbar gemacht hatten. Er kicherte albern. „Hebt die Blöcke auf und geht geradeaus, bis ich euch befehle, anzuhalten.“ Widerspruchslos gehorchten die Roboter. Jeweils zwei von ihnen griffen nach einem der mehrere Zentner wiegenden Granitklötze und schleppten sie davon. „Halt! Legt sie ab und kommt zurück!“ Die Quader wurden abgelegt, die Maschinen kehrten an den Ausgangspunkt zurück. „So gefallt ihr mir. Sklaven müssen willig, stark und arbeitsam sein. Macht weiter!“ Wohlgefällig betrachtete Zeus die schwer arbeitenden Automaten. „So, nachdem hier alles seinen geregelten Gang geht, werde ich mich um die Leute im Raumschiff kümmern. Ich denke, daß ich gegen Abend zurück bin. Grüß Zeus!“ Ohne sich noch einmal umzusehen, eilte er mit raumgreifenden Schritten auf die HELLAS zu. Aufgekratzt summte er ein Liedchen, das einst auf der Erde zu seinen Ehren komponiert worden war. Seine Aufgabe stellte er sich nicht allzu schwer vor. Wenn er zielstrebig vorging, blieb ihm möglicherweise sogar noch Zeit für eine Romanze oder einen Flirt mit einem Siedlermädchen. Hera kannte ihre Pappenheimer. Daß sich ihr Göttergatte auf Zeusium nicht als der alte Schwerenöter gezeigt hatte, der er eigentlich war, lag nur an den mangelnden Gelegenheiten. Die boten sich ihm nun aber, und deshalb beschloß sie, Zeus heimlich zu folgen. * Die Griechen waren in heller Aufregung. Urplötzlich waren zehn Roboter spurlos verschwunden. Bevor man gezielt nach ihrem Verbleib forschen konnte, tauchten sie wieder auf, waren aber desaktiviert. Im gleichen Augenblick lösten sich zehn andere scheinbar in Luft auf. Als man dem Hünen eine diesbezügliche Nachricht überbrachte, war der Siedler einem Nervenzusammenbruch nahe. „Nein, nein, das gibt es nicht!“ Er riß sich den Sonnenhut vom Kopf und trampelte wie ein Verrückter darauf herum. „Roboter schalten sich nicht einfach ab oder sind auf einmal unsichtbar. Es sind simple Maschinen ohne Grips und ohne Geheimnisse.“ „Das weiß ich selbst, aber ich kann dir nur das berichten, was geschehen ist. Niemand von uns hat eine Erklärung dafür.“
„Es gibt auch keine, denn was du erzählst, ist völliger Unsinn. So etwas ist unmöglich, absolut unmöglich.“ „Du kannst dich ja selbst davon überzeugen“, sagte der Uniformierte beleidigt und ließ den Mann einfach stehen. „Das werde ich auch!“ schrie der Hüne mit hochrotem Kopf und marschierte zu einer Gruppe heftig diskutierender Siedler. Er bahnte sich einen Weg durch das Gewühl und stand wenig später vor den Automaten, die deaktiviert auf dem Boden lagen. Der stämmige Hellene ging in die Hocke und untersuchte die Maschinen oberflächlich, entdeckte jedoch nichts Außergewöhnliches. Der Hüne stemmte sich hoch und wandte sich an die Umstehenden. „Wer war Augenzeuge, als die Roboter – äh – verschwanden?“ Drei Männer meldeten sich. Einer war Offizier der HELLAS, die beiden anderen arbeiteten augenblicklich am Aufbau der Siedlung mit waren aber von Haus aus Agraringenieure. „Schildert mir den Vorfall.“ Sich gegenseitig ergänzend, berichteten sie, was sich ereignet hatte. Ihre Darstellung bestätigte das, was der Siedler bereits wußte, beziehungsweise erfahren hatte. Eine junge Frau gesellte sich hinzu. Die Kybernetikerin zeigte auf ein kleines Gerät in ihrer Rechten. „Ich habe versucht, mit dem Kodegeber Funkkontakt zu den Robotern aufzunehmen, die immer noch verschwunden sind. Es hat nicht geklappt, obwohl die Reichweite dreihundert Kilometer beträgt. Mir ist das völlig unerklärlich.“ „Jedem ist hier alles unerklärlich, was geschieht, ist sogar den Fachleuten unverständlich, alles ist mysteriös.“ Der mächtige Brustkorb des Hünen hob und senkte sich, seine gewaltigen Pranken ballten sich zu Fäusten. „Verdammt, es gibt für alles eine natürliche Ursache. Findet sie endlich, oder wollt ihr mir weismachen, daß es Hexen, Geister und Zauberer gibt?“ „Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumen läßt“, zitierte Konstantin. „Ja, zu Shakespeares Zeiten“, schnappte der massige Mann. „Das war vor ein paar hundert Jahren, aber inzwischen hat die Wissenschaft Fortschritte gemacht. Es gibt keine Geheimnisse mehr.“ „Oh doch. Gestern hatte ich Besuch von Dionysos, dem Gott der Furchtbarkeit und der Exkremente. Er ist der Sohn von Zeus und einer der Götter, denen unsere Vorfahren gehuldigt haben. Was sagst du nun, du Besserwisser?“ Zaghaftes Gelächter kam auf, und selbst der Hüne konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Verwirrt blickte sich Konstantin um. „Warum lacht ihr? Es ist die Wahrheit!“ „Du wirst wieder wie üblich betrunken gewesen sein und hast Gespenster gesehen. Dionysos ist ebenso wie Zeus eine Sagengestalt der antiken Mythologie, und er wurde nicht Gott der Furchtbarkeit und der Exkremente genannt, sondern Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase.“ „Tituliere ihn, wie du willst, Tatsache ist jedenfalls, daß ich ein paar Flaschen mit
ihm zusammen geleert habe, und zwar im Raumer. Und obwohl er ein so hohes Tier ist, ist er ein prima Kumpel.“ Der stämmige Mann wollte etwas erwidern, als sein Miniaturfunkgerät einen Summton von sich gab. Er ging auf Empfang. „Ja, was gibt es?“ „Hier Ortungsabteilung. Wir haben eine merkwürdige Beobachtung gemacht. Knapp fünfhundert Meter von der HELLAS entfernt haben wir in Nordnordwest eine Baustelle lokalisiert.“ „Was ist an einer Baustelle merkwürdig? Immerhin ist dieser Planet bewohnt.“ „Ganz recht, aber das Gebäude wächst, ohne daß jemand daran zu arbeiten scheint. Wir haben deshalb Messungen angestellt und Reflexe empfangen, die typisch für die Roboter der AR‐Baureihe sind.“ „Und?“ „Nichts ,und’. Ein ausgesandter Trupp registrierte, daß die Stärke der Signale mit jedem Schritt zunahm, doch optisch war selbst mit Infrarotkameras nichts auszumachen. Daraufhin wurden sämtliche Spezialgeräte eingesetzt, aber ohne Erfolg. Verwunderlich ist in diesem Zusammenhang der übereinstimmende Bericht aller, daß sie in ihrer Arbeit behindert wurden.“ „Inwiefern?“ „Die Männer wurden gestoßen und zu Fall gebracht, Geräte gingen zu Bruch, Instrumente wurden ihren Händen entrissen und schwebten davon. Einige sagten aus, daß sie von Faustschlägen getroffen wurden, andere erhielten regelrechte Stockhiebe. Alle haben Stimmen gehört, aber niemand hat etwas gesehen.“ „Es scheint mein Schicksal zu sein, daß ich nur von Blinden und Verrückten umgeben bin“, erregte sich der Hüne. „Ich komme mir vor wie im Irrenhaus. Habt ihr den Rechner mit den Problemen konfrontiert?“ „Du scheinst uns für Spinner zu halten, doch selbst wir haben manchmal einen lichten Moment“, kam es bissig aus dem Lautsprecher. „Die Positronik streikt mangels verwertbarer Daten. Ende.“ „Idiot“, brummte der Siedler und schaltete ab. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich über die Stirn. „Diese Anhäufung von Unmöglichkeiten bringt mich noch um den Verstand.“ „He, seht mal, da läuft ja ein Braten herum!“ rief jemand. Der stämmige Hellene blickte sich um. In der Nähe der HELLAS war ein Stier aufgetaucht, wie man ihn eigentlich nur auf der Erde kannte. „Wahnsinn“, stöhnte der Hüne. * Der Anblick einer rassigen Schönheit ließ Zeus alle guten Vorsätze vergessen. Das glutäugige Mädchen mit den langen schwarzen Locken trug eine enge Kombination, die den wohlgeformten Körper deutlich unterstrich. Das Gesicht war ebenmäßig, von klassischem Schnitt, der Gang aufreizend. „Welche Maße, welch ein Weib“, hauchte der Griechengott. „Sie ist die
fleischgewordene Sünde – und bald auch die Geliebte des Zeus.“ Er überlegte, wie er sich ihr nähern sollte und verfiel – wie so oft in der Vergangenheit – auf ein Tier. Er ging sein gesamtes Repertoire durch und entschied sich dafür, als Stier aufzutreten. Gedacht, getan. Zeus verwandelte sich in einen Stier und machte sich sichtbar. Gut sah er aus mit dem dunklen, seidig glänzenden Fell, ein Bild der Kraft und der Schönheit. Feurig tänzelte er auf der Stelle, schnaubte und blähte die Nüstern, scharrte mit den Hufen und trabte dann los. „He, seht mal, da läuft ja ein Braten herum!“ Der mächtigste Griechengott sah und hörte nicht, was um ihn herum vorging, er hatte nur Augen für die ranke Schöne. So entging ihm auch, daß mehrere Siedler ihre Waffen zogen und auf ihn anlegten. Ein Feuerstoß fuhr vor ihm in den Boden und verbrannte die Grasnarbe. Zeus reagierte nicht darauf. Im Bewußtsein göttlicher Unangreifbarkeit verfiel er in einen leichten Galopp, den markanten Schädel mit dem ausgeprägten Gehörn stolz erhoben. Und dann wurde er an der Unken hinteren Flanke getroffen. Stechender Schmerz erfaßte das gesamte Hinterteil, er spürte ein unangenehmes Ziehen und Zerren, als wollte ihn etwas umstrukturieren und seiner Substanz berauben. Entsetzt schrie Zeus auf. Unbewußt, mehr reflexhaft, machte er sich unsichtbar und nahm seine ursprüngliche Gestalt wieder an. Er fand sich auf dem Boden wieder, sein Gesäß brannte wie Feuer. Wimmernd blieb er auf der Seite liegen und befühlte vorsichtig sein schmerzendes Hinterteil. Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn, als er ein faustgroßes Loch ertastete. „Bei mir, was ist nur aus meinen geliebten Griechen geworden?“ Zeus erschauerte. „Jetzt versuchen sie sogar, ihre Götter umzubringen. Weh mir!“ Unbemerkt war Hera an seine Seite getreten, die ebenfalls unsichtbar war. „Hoffentlich ist dir das eine Lehre für die Zukunft. Deine alten Tricks ziehen nicht mehr.“ „Wie kannst du nur so herzlos sein? Ich bin schwer verwundet, und du weidest dich an meinen Qualen.“ „Hör auf zu jammern. Ich helfe dir, aber nur unter der Bedingung, daß mit den Romanzen ein für allemal Schluß ist.“ „Das ist typisch für dich, meine Notlage schamlos auszunutzen“, ächzte Zeus, „aber ich habe keine andere Wahl.“ Mit Heras Hilfe richtete er sich stöhnend auf und gruppierte den lädierten Teil seines Körpers um, so daß sich die Wunde schloß. Auf seine sittenstrenge Gemahlin gestützt, verließ der mächtige Griechengott die Stätte seiner schmachvollen Niederlage. * Humpelnd bewegte Zeus sich auf jene Stelle zu, wo der Tempel entstehen sollte. Er registrierte lediglich, daß die Arbeiten zügig fortgeschritten waren, achtete aber auf
keine Details, da er zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Für ihn war es unbegreiflich, daß die Sterblichen über Waffen verfügten, die selbst den Göttern gefährlich werden konnten. Ihn schmerzte die Schande mehr als die Verletzung, am meisten aber ärgerte ihn, daß Hera Zeuge seiner Erniedrigung geworden war. Mittlerweile hatte sich das göttliche Paar dem Bau soweit genähert, daß er nicht mehr zu übersehen war. Zeus richtete seinen Blick darauf – und erstarrte. „Mich trifft der Schlag“, japste er. „Was ist das denn für eine Ruine?“ Waren die Mauern noch einigermaßen akzeptabel, so konnte man dies vom Grundriß und der übrigen Gestaltung nicht sagen. Die umbaute Fläche war quadratisch, knapp mannshohe Sockel unterteilten sie in würfelförmige Kammern. Völlig ihrer Funktion beraubt worden waren die Säulen. Mal waren sie tragendes Element, dann wieder dienten sie zur Abstützung einsturzgefährdeter Gebäudeteile, etliche waren waagrecht eingemauert worden als Querpfeiler bei Fenster und Türen, und zwei zierten als Handlauf ein Treppengeländer. „Seid ihr denn ganz und gar verrückt geworden?“ brüllte Zeus. „Wißt ihr denn nicht, wie ein Tempel aussieht?“ „Wir schon, aber die Sklaven haben von klassischer Architektur keine Ahnung“, verteidigte sich Dionysos. Die anderen nickten beifällig. „Ihr hättet es ihnen zeigen können, anstatt zuzulassen, daß ein solches Machwerk entsteht. Dagegen waren Balandans Versuche, unseren Palast zu kopieren, direkt ästhetische Kunstwerke.“ „Wir sind nun einmal keine Baulöwen“, sagte Apoll. „Und außerdem hatten wir alle Hände voll zu tun, um eine Gruppe Siedler abzuwehren.“ „Oh, wenn man nicht alles selbst macht.“ Zeus raufte sich die Haare. „Ihr solltet sie bekehren und nicht verjagen, ihr Dummköpfe.“ „Wir haben nicht alles verstanden, was sie taten und sagten, doch wir sind übereinstimmend zu dem Schluß gekommen, daß sie ihre Sklaven zurückholen wollten. Das konnten wir nicht zulassen.“ „Ihr habt alles verpatzt, restlos alles.“ „Und du? Hast du denn Erfolg gehabt?“ „Wenn man es einen Mißerfolg nennt, dann ist das noch sehr geschmeichelt“, antwortete Hera mit kaum verhohlener Schadenfreude. „Welch ein Tag.“ Zeus ließ sich ins Gras sinken und schoß mit einem Aufschrei wieder in die Höhe, weil sein Sitzfleisch noch immer ausgesprochen empfindlich auf Druck und Berührung reagierte. „Apoll, du mußt mich verarzten – auf der Stelle.“ „Hermes flieg los und hole meinen Sanitätskoffer.“ „Immer ich“, maulte der Götterbote. „Troll dich, oder ich vergesse mich!“ donnerte der oberste Gott. Hermes zuckte zusammen, streckte die Arme aus und segelte davon. „Wißt ihr, warum heute alles schiefgegangen ist?“ krähte Hephaistos und schwenkte fröhlich seinen Taschenkalender. „Wir haben Freitag, den 13.“ „Warum hat mir das heute morgen niemand gesagt?“ begehrte Zeus auf. Mit weinerlicher Stimme sagte er: „Ihr wißt doch, daß dies mein Unglückstag ist. An
einem Freitag, den 13. habe ich Hera geheiratet.“ Der plötzlich aufgetauchte Stier, der unmöglich von diesem Planeten stammen konnte und sich dann einfach in Luft auflöste, als er getroffen wurde, brachte das Faß zum Überlaufen. Niemand mochte auf einer Welt siedeln, auf der die Naturgesetze auf den Kopf gestellt wurden und man ständig mit Verrücktheiten rechnen mußte, die jeden an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln ließen. Einstimmig wurde der Beschluß gefaßt, diesen Planeten zu verlassen. Das ausgeschleuste Material wurde wieder an Bord gebracht und eingelagert, die provisorischen Unterkünfte wurden demontiert und in den Containern verstaut. Nach zwei Tagen hektischer Betriebsamkeit befand sich alles wieder im Raumer, und nichts erinnerte mehr daran, daß hier der Brückenkopf einer griechischen Zivilisation und Kultur gebildet werden sollte. Es ging auf den Abend zu, als die HELLAS abhob und erneut in den Weltraum vorstieß, um eine geeignete Welt ausfindig zu machen. * „Und hast du nicht gesehn, sind wir in Athen, dann ziehn wir zur Athene, bewundern ihre Beene, orakeln dann wie toll, in Delphi bei Apoll, besuchen auch die Arthemis, weil sie ja doch so reizend ist, der Schritt führt dann zum Meeresbusen, wo wir mit den Musen schmusen, in Sparta trinken wir dann Wein, den schenkt die süße Hebe ein, schon sind wir in Korinth, wo liebliche Hetären sind, dann geht es zum Olymp zurück, und weiter geht das Götterglück…“ Ausgelassenes Gelächter und Musik erfüllten den Hangar, der Wein floß in Strömen. Poseidon, seine Gemahlin und das Gefolge des Meeresgottes hockten auf dem Rand des unbenutzten Nachens und sahen dem bunten Treiben zu. Besonders ausgelassen waren wie immer bei solchen Gelegenheiten Dionysos, die Mänaden und Satyrn, aber auch Zeus feierte kräftig mit. Hebe sorgte dafür, daß die Becher der Götter nie leer wurden. „Das war wirklich die beste Idee, die du je hattest, mein Sohn.“ Krachend schlug Zeus dem Gott der Fruchtbarkeit auf die Schulter. „Wenn die Griechen nicht zu uns kommen, kommen wir eben zu ihnen.“ Er wollte sich ausschütten vor Lachen. „Was glaubst du, was die für dumme Gesichter machen würden, wenn sie wüßten, daß sie blinde Passagiere an Bord haben?“ Zeus hob sein Glas. „Es leben die Götter und die griechische Raumfahrt! Prost!“ ENDE