»Der Prokaskische Krieg« Band 3 von 3 von W.W. Shols
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»Der Prokaskische Krieg« Band 3 von 3 von W.W. Shols
• Ballett der Roboter • • Das Trojanische Pferd •
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»Ballett der Roboter«
Durch die CORA dröhnte das Summen der Materiewarnanlage. In allen Räumen flammten die gelben Alarmlampen in Abständen von fünf Sekunden auf. Sekunden später flogen fast alle Türen des schmalen Mittelgangs gleichzeitig auf. Schwere Stiefel traktierten den Fußboden. Das Ziel der aus der Ruhe gerissenen Männer war die Kommandobrücke. Captain Barnett traf als erster ein. Er hatte den kürzesten Weg. Ihn empfing die Leere der Maschinenzentrale, in der über viele Lichtjahre hinweg lediglich der Autopilot regiert hatte. Ihn empfing das noch intensiver anschwellende Konzert der Sirenen und das Kaleidoskop bunt aufzuckender Kontrollampen. Auf einer Skala des Zentral-Armaturenbrettes wanderte eine rote Marke langsam nach links. Auf dem Hauptbildschirm spielte die Markierung des Leitstrahls der Radaranlage. Bei jedem Intervall wurde die Reproduktion des automatisch angepeilten Gegenstandes sichtbar. »Alle Mann auf Gefechtsstation!« murmelte der 1. Offizier James Lisman halblaut, und man hörte seiner Stimme an, daß er den ganzen Vorfall als eine langweilige Routineangelegenheit betrachtete. Der Captain schaltete die Alarmvorrichtung ab, nachdem er jedes Besatzungsmitglied auf seinem Platz wußte. Die rote Marke war zum Stillstand gekommen. Das hieß, die Automatik hatte ihre Ausweichmanöver beendet, und der neue Kurs ließ keine unmittelbare Gefahr erwarten. »Alles okay!« erklärte Captain Barnett. Bis dahin hatte die ganze Episode drei Minuten gedauert. »Alarm beendet! Sie können wieder in Ihre Kabinen gehen, meine Herren.« »Aye, aye, Sir«, sagte einer von den Neuen. »Okay!« sagten die Alten und verließen ihre Plätze. »Und du kannst dich wieder aufs Ohr legen, falls dir ein Spielchen mit uns nicht standesgemäß erscheint«, stichelte Lisman den Maschinisten Perkins. Perry Barnett nahm die Aufnahmen, die die Automatik während des Alarms gemacht hatte, und legte sie achtlos in die Roboter-Registratur, wo sie unter dem Datum des heutigen Tages aufbewahrt werden würden. Auch der Captain wollte sich zum Gehen anschicken, zögerte aber, als er den prokaskischen Wissenschaftler Iks-Wol-Esak noch auf seinem erhöhten Spezialstuhl hocken sah. Das Kugelwesen war mit seinem Kameraden Nam-Legak bereits seit Jahren Mitglied der tellurischen CORA-Besatzung. Schon als die Menschen und Prokas noch Gegner gewesen waren, hatte Barnett sie kennengelernt. Inzwischen war eine Reise der CORA ohne die Begleitung der beiden Prokas überhaupt nicht mehr denkbar. »Hallo, Iks! Willst du hier anwachsen?« »Durchaus nicht. Ich gedenke vielmehr, das soeben erarbeitete Material auszuwerten ...« »Hm?« Barnett schob den Kopf so weit vor, wie es sein Hals erlaubte, ohne daß er sich von der Stelle rührte. »Ich höre immer Material?« »Eben. Wir haben gestern bereits die Grenze des erforschten galaktischen Gebietes erreicht. Inzwischen befinden wir uns tief in unerforschten Regionen ...« »Und das berechtigt dich zu der Annahme, Bolidenschwärme seien hier weniger prosaisch als bei euch und uns. Als ernsthafter Wissenschaftler solltest du wissen, daß 2 mal 2 überall 4 ist.« »Ich bezweifle nicht den natürlichen Charakter des Bolidenschwarmes, Captain. Doch ich erinnere dich daran, daß du mich verpflichtet hast, pedantisch zu sein.«
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»Na schön, mein Pedant! Sehen wir uns an, was die Kameras geschossen haben. Es wird deinem wissenschaftlichen Gewissen guttun.« Barnett drückte zwei Knöpfe, und nach einer kurzen Pause einen dritten. Die Registratur gab die Aufnahmen heraus und teilte jede der Folien in zwei Blätter. Eines davon wanderte vor eine erleuchtete Milchglasscheibe, das andere verschwand wieder in einem Schlitz. »Zunächst die Bildblätter! Bitte, bemühe dich hier herüber, Iks! Ich glaube, diese drei sind wohl am deutlichsten geraten, soweit man überhaupt von Deutlichkeit sprechen kann.« »Ich gebe zu, daß wenig zu sehen ist«, räumte der Proka ein. »Es sind kalte Körper, und es gab kaum Licht, das sie hätten reflektieren können. Hast du die Vergrößerungskapazität voll ausgenutzt?« Barnett nickte. »Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.« »Laß nur. Wir haben noch das Spektrogramm und die Physiometertafel auszuwerten. Sie sind oft aufschlußreicher als der optische Text.« Gelangweilt nahm Barnett eine weitere Schaltung vor. Das Spektrogramm war miserabel, und er machte wiederum eine entsprechende Bemerkung. Bei der Physiometertafel stutzte er jedoch und enthielt sich vorerst eines Kommentars. Statt dessen kratzte er sich am Kopf und ging näher an das Gerät heran. »Nun?« fragte Iks-Wol-Esak gedehnt. »Eine verblüffende Regelmäßigkeit in den Maßen der einzelnen Körper. In der Tat ein interessantes Novum. Andererseits dürfte die Ungenauigkeit der Messungen ...« »Du bist ein unverbesserlicher Ignorant«, unterbrach der Proka und legte sogar Leidenschaft in seine Bemerkung, was höchst selten geschah. »Seit wann messen eure tellurischen Geräte ungenau? Diese Physiogramme wurden aus fünf Millionen Kilometer Entfernung gemacht. Auf diese Distanz bestimme ich dir die Länge deiner Barthaare ... Sieh doch endlich einmal richtig hin! Die gleichen Maße, die gleichen Formen, Masse, Volumen, Ausdehnung in Länge, Breite und Höhe ...« »Zum Teufel, Iks«, schimpfte Barnett. »Ich kenne diesen Trick, seit ich das erste Raumschiff flog. Aber das hier sind nach elektronischer Zählung zwölftausendsiebenhundertunddreißig einzelne Körper. Soll ich vielleicht annehmen, es handelt sich um eine Raumschiffflotte? Wenn es so etwas in der unerforschten Galaxis gäbe, dann hätten diese Brüder nämlich uns längst erforscht. Außerdem müßten es Raumschiffe von jeweils 7,44 Meter Länge sein. Also bestenfalls Beiboote. Wo befindet sich nun das Mutterschiff?« »Wir wollen nicht ins Blaue hinein raten«, sagte Iks-Wol-Esak belehrend, ohne daß es bevormundend klang. »Das Physiogramm sagt uns alles.« »Alles?« »Fast alles. Vorläufig streikt es jedenfalls nicht.« Sie fanden heraus, daß der riesenhafte Schwarm seltsamer »Gegenstände« aus teilweise organischen Stoffen bestand. »Leben?« fragte Barnett knapp. »Leben schon«, nickte der Proka mit seinem halslosen Kopf, indem er mühsam seinen ganzen Kugelkörper in Bewegung setzte. »Aber welche Stufe? Viren und Amöben wären wenig aufregend.« »Du erwartest aber etwas Aufregendes, nicht wahr?« »Ich habe etwas gespürt, was mich stutzen ließ ...« »Also daher deine Hartnäckigkeit. Was ist es?« »Ich kann es nicht sagen. Fünf Millionen Kilometer sind eine große Entfernung.« »Du hättest deinen Transmitter einsetzen sollen.« »Inzwischen ist die Distanz zu groß«, erklärte der Proka. »Bleiben wir bei dem, was wir haben!«
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Das Physiogramm war soweit ausgearbeitet, wie es nach menschlichem Ermessen einen Sinn hatte. Der Proka als natürlicher Telepath ging noch einen Schritt weiter. »Noch die Emissionsprobe«, verlangte er. Barnett spielte den Fatalisten. »Wie du willst! Vielleicht hat der Bolidenschwarm einen Funkspruch abgesetzt, nicht wahr?« Völlig ernst stellte Iks fest, daß das durchaus im Bereich des Möglichen läge. Die Meßnadel glitt rasend schnell über das Radiofenster des elektromagnetischen Spektrums hinweg, so daß beide sofort die Hoffnung auf eine Funkpeilung aufgaben. Als die Nadel jedoch anhielt, ließ Barnett ein überraschtes Stöhnen hören. »Der telepathische Frequenzbereich. Hast du das gemeint?« Er griff automatisch nach seinem Telepathie-Relais, das er früher des öfteren zur Verständigung mit dem Kugelwesen benutzt hatte, als der Gedankenaustausch mit ihnen noch etwas im argen lag. Sekundenlang horchte er in den Kopfhörer. Dann gab er es auf. »Ich spüre nichts.« »Du bist ein Mensch. Das Relais hilft dir nicht bei derart schwachen Emissionen.« »Hörst du vielleicht mehr?« »Ich höre gar nichts. Aber ich spüre Gefühlsausstrahlungen.« »Und du hast keine Ahnung, was sie denken?« »Es ist konfus für mich. Auf unsere Mentalität gemünzt, würde ein Durcheinander von Angst und Angriffslust herauskommen ...« Barnett gab an diesem Tag den zweiten Alarm. Die CORA wechselte den Kurs und beschleunigte mit 200 g. Sie mußte so schnell wie möglich auf eine Absolutgeschwindigkeit kommen, die ihr einen Raumsprung gestattete. Die Offiziere und Techniker hatten bald herausgefunden, was Barnett vorhatte – auch wenn er mit keinem Wort seine Pläne verriet. »Jetzt nehmen wir doch tatsächlich den Bolidenschwarm auf die Hörner«, meckerte Perkins. »Und ich hatte angenommen, wir wären froh, daß er sich aus dem Staub macht.« »Der Schwarm trägt Leben. Das einzige Leben, das wir bisher im unerforschten Gebiet aufgestöbert haben.« »Fertigmachen zum Raumsprung!« kommandierte Barnett. »Kurztransition über zwei Milliarden Kilometer!« Die CORA löste sich aus dem vierdimensionalen Kontinuum, indem sie selbsterzeugte Krümmungseffekte des Raumes benutzte. Die Rückkehr in den Normalraum erfolgte bereits nach fünf Sekunden. Allerdings hatte es den Anschein, daß dem Captain bei der Navigation ein Fehler unterlaufen war. Die Außenbildschirme zeigten Szenen, die allem anderen entsprachen als ausgerechnet dem, was man erwartet hatte. Die Konstellation der Fixsterne hatte sich zur Unkenntlichkeit verschoben. Der rätselhafte Bolidenschwarm war im Nichts verschwunden, und an seiner Stelle hatten sechs Raumschiffe eine Position bezogen, die einwandfrei nach einem Sperrgürtel aussah. Den Männern auf der CORA stockte das Blut in den Adern. »Unbekannte Flotte voraus!« stellte Barnett mit trockener Kehle fest. »Erkennungszeichen 2 B absetzen!« Der Befehl galt Praxlomza, der im Augenblick den Funkdienst leitete. Nach zwei Handgriffen rollte ein festes Programm ab, das für Begegnungen mit unbekannten Intelligenzen vorbereitet war. »Bellinski! Sorgen Sie dafür, daß die Situationsstatistik mitarbeitet!« Der Recheningenieur Bellinski war ein reiner Theoretiker, der in schwierigen Situationen die scheinbar unwesentlichste Arbeit zu verrichten hatte. Praktisch rechnete er nichts weiter als die Chancen aus, die man hatte, wenn es brenzlig wurde.
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»Entfernung 4 Millionen Kilometer«, meldete Lisman. »In zwei Minuten ist es nur noch die halbe Distanz. Gibst du Feuer frei, Chef?« Die Frage kam aus Perkins' Ecke, der gern nach dem Motto handelte: Erst schießen, dann fragen. Barnett überhörte es. Er wußte, daß Perkins sich hüten würde, ohne Befehl auf den Knopf zu drücken. »Hast du eine Ahnung, was passiert ist, Iks?« »Eine astreine Fehltransition. Mehr kann ich auch nicht sagen. Der Hyperraum hat fünffach potenzierte Berührungspunkte mit dem Normal-Kontinuum. Wer sich in einer übergeordneten Dimension verirrt, dem kann nur noch der Zufall helfen. Und ich schätze, wir befinden uns in einem Gebiet, für das unser Robotergehirn keine Koordinaten besitzt.« »Das da vorn sind Raumschiffe. Ich halte es für wahrscheinlich, daß wir uns im erforschten Drittel der Galaxis befinden ...« Barnett schaltete die Selektionsanlage des Elektronengehirns ein und ließ das gesamte vorhandene Kartenmaterial durchlaufen. Das dauerte länger als zwei Minuten. »Eins Komma acht Millionen Kilometer«, meldete Lisman. »Wir müssen etwas tun. Praxlomza erhält offenbar keine Antwort.« »Eben«, stellte Perkins wütend fest. »Ihr wartet so lange, bis die uns eins auf den Pelz brennen ...« »Teufel! Seht ihr das?« Daxas zeigte auf einen der rückwärtigen Bildschirme, die in der Aufregung keiner so recht beachtet hatte. Hinter der CORA stand eine kleine Flotte regelmäßig geformter Miniaturkörper, wie sie in dem Bolidenschwarm festgestellt worden waren. Doch das war nichts als ein neues Rätsel. Das Zählwerk meldete, daß es sich um 286 Stück handelte. »Ich würde mich nach vorn konzentrieren«, sagte Iks-Wol-Esak. »Die sechs Raumschiffe sind auf jeden Fall bedeutungsvoller als die 286 Puppen.« »Puppen ...?« Die rhetorische Frage verlor im nächsten Moment schon wieder an Wichtigkeit. Viel aufregender war, daß sich plötzlich sämtliche Bildschirme verdunkelten. Lisman sprang sofort aus seinem Sessel auf und hämmerte auf dem Armaturenbrett herum, als gelte es, ein Furioso als Begleitmusik für den Weltuntergang zu spielen. Bei den Registern, die er zog, kam bloß keine Musik heraus. Ja, nicht einmal der geringste Lichtblick. Die Bildschirme blieben schwarz. Hatte der Gegner gefeuert und die Generatorenanlage zerstört? Der telepathische Proka nahm diesen Gedanken auf. »Die Unbekannten haben auf keinen Fall im gebräuchlichen Sinne geschossen. Ich zweifle jedoch nicht daran, daß sie für den Ausfall der Bildschirme verantwortlich sind. Zerstört sind sie nämlich keineswegs. Sie reagieren nur nicht.« Die nächste Überraschung folgte auf dem Fuße. »Ich habe keinen Empfang mehr«, meldete Praxlomza zähneknirschend. »Ich wußte nicht, daß du welchen hattest ...« »Auf den Frequenzen ist immer etwas los«, erklärte Prax belehrend, als habe er Schüler von der Akademie vor sich. »Schon die Radiosterne sorgen ständig für eine Geräuschkulisse. Im Augenblick aber sind meine Lautsprecher stumm wie ein Friedhof ...« Barnett hatte während der kurzen Debatte versucht, die sechs unbekannten Schiffe durch Radar anzupeilen. Doch auch das Reflexionsverfahren versagte. Die Isolierung der CORA war vollkommen. Die Meßgeräte sprangen auf Null. Das ist das absolute Nichts, dachte Barnett. »Solange innerhalb des Schiffes noch alles in Ordnung ist, sollten wir nicht von dem Nichts reden«, bemerkte der Proka. »Man schießt nicht auf uns. Ich fürchte, wir können im
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Augenblick nichts anderes tun als zu warten.« Innerhalb des Schiffes herrschte noch immer die erforderliche Gravitation von 1 g. Ganz gleich, welche rätselhaften Vorgänge sich draußen abspielten, die Maschinenzentrale der CORA mußte noch einwandfrei arbeiten. So gab es wenigstens einen schwachen Trost, an den man sich halten konnte. Der Zustand wurde unerträglicher, je länger sie warteten. Iks-Wol-Esaks Rat erwies sich nur für eine halbe Stunde als brauchbar. Nach und nach aber machten die Nerven nicht mehr mit. »Zigarren mit zwei gleichförmigen stumpfen Spitzen. Und mit einer Bauchbinde ...« »Eine recht ungewöhnliche Binde. So dick wie der Körper des Schiffes selbst. Allerdings weiß ich nicht, weshalb wir uns jetzt über die Details der fremden Bauart unterhalten sollen ...« »Der Wulst dieser Schiffe könnte sämtliche Aufenthaltsräume der Besatzung beherbergen«, meinte Iks-Wol-Esak mit unnatürlicher Sachlichkeit. »Stellt euch vor, wie das Ding rotiert! Das wäre eine spürbare Entlastung für die Schwerkrafterzeugungsanlage.« »Ihr habt ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!« rief Perkins wütend und verließ völlig disziplinlos seinen Posten an der Maschinen- und Waffensteuerung. »Perky! Bist du verrückt!« »Was soll ich in meiner Wanne hocken, wenn ich nicht beschleunigen und nicht schießen darf! Ihr zerbrecht euch den Kopf, wie diese unbekannten Genies ihre Schiffe bauen könnten. Ich aber will endlich wissen, was hier gespielt wird!« »Dann wären wir uns ja einig. Wir alle wollen es wissen. Da du aber schon aufgestanden bist, kannst du gleich einmal mitkommen.« »Okay! Das hört sich schon besser an.« Das schien anfangs nur ein Unternehmen zu sein, durch das man auf andere Gedanken kam. An der Schleuse selbst aber sah die Sache schon wieder anders aus. Barnett öffnete die Spionlinse, die einen direkten Blick nach draußen gestattete. Das unerwartete grelle Licht zwang ihn, sofort die Augen zu schließen. Nur langsam wagte er, wieder die Lider zu öffnen. Die Weitwinkellinie ließ einen breiten Ausschnitt der Umgebung des Schiffes erkennen. Eine spiegelglatte, bis an den Horizont reichende Betonpiste. Ein paar flache, fensterlose Gebäude. Drei senkrecht stehende Säulen, die an Raumschiffe erinnerten. Perkins drängte sich heran und sah ebenfalls durch den Spion. Obgleich er gewarnt worden war, reagierte er nicht weniger heftig. »Bei Gott! Das ist wie ein Märchen. Ich dachte immer, ein nüchterner, erwachsener Mensch könne so was nicht träumen.« »Schön wär's, nicht wahr? Aber jetzt träume erst einmal weiter! Da draußen liegt eine fremde Stadt, ein Flughafen oder irgend etwas anderes, für das wir keinen Namen haben. Unsere Bildschirme waren verdunkelt. Inzwischen hat uns eine unbekannte, überlegene Macht gezwungen, auf ihrem Planeten zu landen. Und nicht ein einziges Lebewesen ist zu erkennen.« Barnett öffnete das Innenschott und bediente in der Schleuse das Prüfgerät für die äußeren Verhältnisse. »So gut wie Erdatmosphäre«, stellte er ohne Überraschung fest. Jahrelange Raumerfahrung hatte ihn gelehrt, daß Sauerstoffwelten gar nicht so selten waren. Reichlich viel Edelgase. »Kommst du mit?« Anstatt zu antworten, drehte Perkins die Handscheibe für die Schleusen. Das Außenschott öffnete sich langsam und ließ eine brütende, aber gut zu atmende Luft herein. »Reichlich tropisch«, stellte Barnett fest und zog den Reißverschluß seiner Kombination ein Stück herunter. Dann schob er eine Antigravplatte hinaus und schwebte auf ihr nach unten. Perkins wartete, bis die Platte wieder zurück war und legte den Höhenunterschied von 30
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Metern in zehn Sekunden zurück. Mit der Pistole in der Hand sprang er auf und sah sich erwartungsvoll um. »Hm, sehr einsam hier.« In diesem Augenblick kam Leben in die tote Szene. An mehreren Stellen öffnete sich der Boden vor ihnen und spie eine ganze Kompanie metallisch blinkender Wesen aus. »Teufel! Roboter!« stöhnte Perkins. Barnett drückte seinen Arm herunter, der die Pistole in Anschlag bringen wollte. »Idiot! Glaubst du, ich habe dich mitgenommen, damit du diese Leute provozierst?« Der Roboter an der Spitze der Truppe hielt etwa drei Meter vor ihnen. »Folgen Sie mir, meine Herren!« sagte er unbeteiligt. Den Menschen genügte die Überraschung, daß sie dieses Wesen überhaupt verstanden. Freilich sprach der Roboter einen unbekannten Dialekt mit einem stark kehligen Akzent. Doch der Sprachstamm seiner Worte verriet einwandfrei eine tellurische Herkunft. Barnett steckte seine Pistole in den Gürtel zurück. »Sie werden unsere Überraschung verstehen. Können Sie uns sagen, auf welcher Welt wir uns befinden?« »Folgen Sie mir, meine Herren«, wiederholte der Roboter. »Natürlich! Gern. Aber sagen Sie uns wenigstens, wohin Sie uns bringen wollen, und wie wir unsere Anwesenheit hier erklären sollen. Sie wissen, daß wir nicht freiwillig gekommen sind.« »Sie dürfen jetzt nicht reden«, befahl das künstliche Wesen. »Folgen Sie mir, meine Herren.« Die platte Ebene ließ einen ermüdenden Fußmarsch erwarten. Das nächste Gebäude war mindestens noch drei Kilometer entfernt. Die Menschen wunderten sich über den Mangel an Fahrgelegenheit. Barnett sagte sich, daß Roboter auf diese Bequemlichkeit nicht angewiesen waren, und er als Gast – oder Gefangener? Bei dieser Überlegung sank die Hoffnung auf eine bequeme Lösung der Probleme rapide. Das war keineswegs die Feierlichkeit und Zuvorkommenheit, wie man sie von Menschen erwartete, die mit einer unbekannten Zivilisation Verbindung aufnahmen. Die Roboter liefen auf Rollen. Hier auf der spiegelglatten Betonbahn entwickelten sie dabei eine Geschwindigkeit, die Barnett und Perkins nur im Dauerlauf mithalten konnten. Dazu kam diese trockene Hitze. Keuchend hielten sie schließlich an, als auf freier Strecke plötzlich ein Schacht im Erdboden sichtbar wurde. »Hier hinein!« kommandierte der Plastikmann, den sie bisher als einzigen hatten reden hören. Möglicherweise besaßen die übrigen gar keine Vorrichtung zum Sprechen. Das Loch war kaum einen Meter tief. Sobald der Roboter, Barnett und Perkins darin standen, wich der Boden in rasender Fahrt nach unten. Als der Fahrstuhl anhielt, waren sie mehr als hundert Meter tief. »Folgen Sie mir, meine Herren.« Das monotone Plappern des Roboters, der anscheinend auch über keinen sehr großen Wortschatz verfügte, wirkte aufreizend. Gefährlicher aber war das Ungewisse, das auf die beiden Menschen wartete. Sie betraten einen Gang. Sofort waren wieder einige Roboter zur Stelle, die ihnen das Geleit gaben. Sie erreichten eine Abzweigung und wurden nach rechts geführt. Der Weg endete unversehens vor einer massiven Wand. Der Roboter trat ein paar Schritte zurück, und im selben Augenblick senkte sich aus der Decke ein Sperrgitter, das ihn von den beiden Männern trennte ...
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* »Zum Teufel mit dieser Warterei!« schimpfte Praxlomza. »Ich will endlich wissen, was hier vorgeht. Kommen Sie mit, Daxas!« Es war mehr als eine halbe Stunde vergangen, seit Barnett und Perkins sich nach der Schleuse begeben hatten. »Ich denke, Sie haben sie telepathisch verfolgt!« warf Daxas dem Proka vor, der beruhigend mit seinen drei Armen hin und her wedelte. »Ich habe sie bis zur Schleuse im Auge behalten – oder vielmehr in meiner Gehirnpeilung. Dann aber behauptete Praxlomza, er habe plötzlich wieder Radioempfang. Es war eine akustische Täuschung.« »Es war schon mehr ein Durchgehen der Nerven«, wollte es James Lisman besser wissen. »Was haben wir in dieser halben Stunde anderes getan, als uns gegenseitig verrückt zu machen? Also los, Prax! Mach dich mit Mr. Daxas auf die Socken. Solange ich das Kommando auf der Brücke habe, werde ich hier bleiben. Aber wagt euch nicht zu weit vor!« »Du tust, als wäre die Gefahr bereits an Bord ...« »Wenn Iks behauptet, daß er Barnetts Gedanken nicht mehr empfangen kann, dann dürfte auf jeden Fall etwas faul sein. Also, verschwindet! Und nehmt Waffen mit.« Daxas, der ehemalige mistralesische Raumoffizier, machte eine knappe militärische Ehrenbezeigung. Seit Barnett ihn in seine private Scout-Mannschaft aufgenommen hatte, war er zu einem wertvollen Mitglied geworden. Er war ein guter, verläßlicher Kamerad und Navigator. Seine etwas steife Art nahm ihm keiner übel. Praxlomza ging mit ihm hinaus. »In einer Minute möchte ich zwei Mann nachschicken«, sagte Lisman. »Wer meldet sich freiwillig?« Fünf Hände fuhren hoch. Das waren drei zuviel. Lisman bestimmte Doc Bannister und Lopez, den Mann mit den größten Füßen an Bord der CORA. Bannister und Lopez bewegten sich vorwärts, als lauere hinter jedem Knick eine unbekannte Gefahr. Ihr Instinkt war durch jahrelange Raumpraxis noch weiter geschärft worden. Sie kannten die natürlichen Geräusche, von denen auch ein ruhendes Schiff erfüllt war. Sie würden jeden fremden Klang sofort als verdächtig erkennen und entsprechend reagieren können. Ohne Zwischenfall erreichten sie den Wegknoten des Bugdecks. Hier liefen vier Korridore der oberen Ebene zusammen. In der Mitte – von der Längsachse des Schiffes aus gesehen – befand sich der Doppellift. Doc Bannister und Lopez fuhren mit einer der beiden Kabinen nach unten. Der Lift hielt an. Nahezu lautlos glitt die Tür auf den Luftkissen ihres pneumatischen Lagers zurück. Ihr Blick fiel geradeaus auf die Schleuse. Und auf zwei Männer. Daxas und Praxlomza. Wieder mußte Bannister den eiligen Lopez am Arm festhalten. Mit einigen knappen Gesten zeigte er hinaus, tippte an seine Stirn und lehnte sich steif an die Wand. Lopez begriff. Auch Daxas und Praxlomza hatten diese Stellung eingenommen. Sie standen da, als seien sie im Stehen eingeschlafen. Eine Patrouille hätte sich garantiert anders benommen, wenn sie unter für sie normalen Bedingungen hätte operieren können. Bannister schob den Kopf vor. Die vertraute Umgebung lockte ihn, auf den Korridor hinauszutreten. Rechts vom Elevator befand sich eine Leichtmetallstiege. Dahinter war ein toter Winkel. Kurz entschlossen sprang er vor. Nichts regte sich. Obgleich der Stellungswechsel nicht ohne Lärm erfolgte, reagierten Daxas und Praxlomza überhaupt nicht. Sekundenlanges Warten und Lauschen. »He!« schrie Lopez plötzlich in die Stille, und sein Ruf fing sich zu einem hundertfachen
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Echo zwischen den Decks. Dann stand er genau auf dem Gang. Ohne jede Deckung. Idiot, dachte Bannister. Aber wenn du denkst, ich komme dir zu Hilfe, wenn jetzt was passiert, hast du dich getäuscht. Es passierte sehr wenig. Lopez ging weiter. Genau auf die beiden Männer in der Schleuse zu. »Was ist hier los? Habt ihr die Schlafkrankheit?« Er rüttelte an Daxas, der steif hinfiel. Lopez mußte ihn auffangen. »Bei Gott! Spielt ihr Panoptikum?« Das Zittern in seiner Stimme verriet, daß er seinen plötzlichen Mut schon wieder bereute. Er sah sich verzweifelt nach Bannister um, der jetzt ebenfalls langsam aus seinem Versteck kam und paradoxerweise seine Pistole in den Gürtel zurücksteckte. Lopez wollte ihn fragen, ob die Luft rein sei. Im selben Moment entdeckte er dabei, daß er seine Waffe ebenfalls wegsteckte. Was war das? Weshalb habe ich das getan? Eine Reflexbewegung? Nur um es dem als klug verschrienen Akademiker gleichzutun? »Du meinst, die Gefahr ist vorüber, Forry?« »Ich meine, ich habe jetzt einen Fehler gemacht. Aber du benimmst dich ja auch unmöglich.« »Schon gut! Warum hörst du denn nicht auf zu plappern, wenn du ...? Verdammt! Meine Finger ...« Bannister wußte sofort, was Lopez meinte. Denn er spürte zur gleichen Zeit die Gefühllosigkeit in der rechten Hand. Sekunden später sprang sie auf die linke über. »Weg hier!« schrie Lopez. »Irgendwo hat man hier einen Lähmstrahler aufgebaut. Die Brüder machen uns steif wie Prax und Daxas.« Sie wollten weglaufen. Doch daraus wurde nichts. Es blieb nur ein seltsam unbeteiligtes Wundern darüber, daß sie es nicht taten. »Warum verschwindest du nicht, Forry?« »Dort!« schrie Bannister plötzlich dazwischen. Er hatte den Kopf nach links gedreht, zeigte aber sonst keine Reaktion. Vor ihnen standen drei Roboter. Figuren von nahezu zwei Metern Länge. »Das sind doch ...!« »Warten Sie hier!« sagte eines der Wesen mit einem seltsamen, aber verständlichen Akzent, und die drei Figuren setzten sich wieder in Bewegung. Sie betraten den Lift. »Bei Gott! Der Knabe spricht tellurisch, oder mindestens so etwas Ähnliches. Und er tut, als ob wir ein paar hilflose Säuglinge wären. Warum knallst du ihm nicht ein paar freie Elektronen ins Kreuz?« »Ein wunderbares Ziel, natürlich«, stellte Bannister phlegmatisch fest. »Zu schön, um wahr zu sein.« Dann stelzte er mühsam bis zur nächsten Wand und lehnte sich dagegen. Lopez sah, wie der Fahrstuhl mit den drei Robotern nach oben verschwand. »Ich glaube, so idiotisch wie wir hat sich noch kein Mensch in der ganzen Galaxis benommen.« * Perkins sprang mit einem Satz an die gegenüberliegende Wand zurück, als sich die Vorderfront ihres Kerkers plötzlich in Bewegung setzte. Vor ihnen tat sich wieder der lange Gang auf, über den sie gekommen waren. So etwa mochte der Weg in die Freiheit aussehen. Es hätten nur nicht so erschreckend viel Leute dastehen dürfen. Es waren wieder die hochgebauten Roboter, die wortkargen, pedantischen Vollstrecker einer rätselhaften Zivilisation. Aber es waren auch drei Wesen aus Fleisch und Blut dabei. Sie
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standen ganz vorn. In einer gelbschimmernden Uniform, an der jede unsachliche Verzierung fehlte. Während Perkins den plötzlichen Szenenwechsel zum Anlaß nahm, sich zurückzuziehen, faßte Perry Barnett neue Hoffnung. Diese biologischen Wesen mußten die wahren Herren des Planeten sein. Ihre völlig menschliche Gestalt strahlte für einen Tellurier etwas Vertrautes aus. Barnett trat mit hängenden Armen drei Schritte vor und machte eine knappe Verbeugung. Aus dem Hintergrund näherten sich auf den Wink eines der Menschen hin zwei Roboter. Sie nahmen den Gefangenen die Waffen ab. »Ihr seid die Gefangenen des großen Treon«, bequemte sich endlich einer der drei Männer zu sagen. Er tat es mit dem gleichen Akzent und mit derselben Deutlichkeit, wie Barnett es bereits bei der Sprache der Roboter festgestellt hatte. »Die morgatischen Absichten sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der große Treon wird die Aufrührer zertreten und bei euch den Anfang machen. Nur durch absolute Offenheit könnt ihr euer Leben retten. Äußert euch, ob ihr bereit seid, zu sprechen.« Perkins erklärte mit rauher Kehle: »Es steht nicht gut um uns, Chef. Dieser Mann redet offenbar von seinen kleinen Alltagssorgen, die uns völlig fremd sind.« »Ihr verstellt eure Sprache!« behauptete der fremde Sprecher in der gelben Uniform. »Doch wir verstehen euch trotzdem. Also, erklärt euch!« »Es liegt nicht in unserer Absicht, unsere Sprache zu verstellen. Solange das gegenwärtige tellurische Reich besteht, hat es keinen anderen Dialekt gegeben als den, den wir sprechen. Unsere ältesten Tonkonserven sind siebentausend Jahre alt. Die Vorfahren aus dieser Zeit sprachen mit dem gleichen Akzent wie wir. Ich möchte Sie bitten, in Erwägung zu ziehen, daß Sie einem Irrtum zum Opfer gefallen sind.« »Tötet sie!« ertönte es aus dem Hintergrund. »Sie sind ein Volk von Lügnern und Verrätern. Warum sollten diese Spione anders sein?« »Wenn sie zu den Verrätern gehörten, wie du meinst«, sagte der erste Sprecher, »so wäre uns sehr geholfen. Aber da sie offenbar nichts verraten wollen ... Laßt uns sehen, welche Geschichte sie sich zurechtgelegt haben! – Wie heißen Sie, Fremder?« »Perry Barnett, Kapitän des tellurischen Raumschiffs CORA. Selbständiger Scout im Auftrag der Regierung. Ausgeschickt aufgrund der Vereinbarung mit der intergalaktischen Forschungsgemeinschaft, deren Schirmherrschaft Tellurier und Prokas gemeinsam tragen. Mein Begleiter hier ist der erste Maschineningenieur Perkins. Er ...« »Intergalaktische Forschungsgemeinschaft?« unterbrach der Fremde scharf. »Wer anders regiert in der Galaxis als der große Treon?« »Wir wissen es nicht«, reagierte Barnett so demütig und so bestimmt, wie es ihm geraten erschien. »Die Zivilisation, aus der wir kommen, beherrscht lediglich vierzig Prozent unserer gemeinsamen Sterneninsel. Der Rest gilt bisher als unerforscht. Die CORA ist eines der vielen Schiffe, die jenseits unserer Grenzen Kontakte mit unbekannten Kulturen aufnehmen sollen, soweit diese vorhanden sind.« »Soweit vorhanden? Er beleidigt uns, Prysto. Er ist ein unverbesserlicher Frechling. Ich würde keine Sekunde mehr verschwenden.« Wieder schnitt der Mann, der Prysto hieß, dem Rufer aus dem Hintergrund das Wort ab. »Sie sprechen unsere Sprache. Die kleinen phonetischen Unterschiede ändern nichts daran, daß wir uns gut verständigen können. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie einen derart lächerlichen Fehler machen könnten. Sie sind ein schlechter Agent.« »Wir sprechen die Wahrheit«, sagte Barnett so gefaßt wie möglich. »Ihr sogenannter morgatischer Gegner ist uns unbekannt. Wir befanden uns auf einem Hyperraumsprung und wurden von Ihren Schiffen gekapert. Und wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, in welcher Region der Galaxis wir uns befinden. Dies ist die Wahrheit, der wir nichts
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hinzufügen können. Ein erpresserisches Verhör würde nichts anderes ergeben.« »Ich gebe euch sieben Stunden Bedenkzeit«, erklärte Prysto. »Dann liegt es an Ihnen, was Sie aus Ihrer Zukunft machen.« Damit schloß sich das Gefängnis wieder. Barnett und Perkins waren allein. Sieben treonidische Stunden! Oder terranische, tremiksche und poldinische. Letzten Endes war es völlig gleich. Viel später, als sie vergeblich versucht hatten zu schlafen, sagte Barnett: »Elf Stunden nach Bordzeit. Und noch immer scheinen keine sieben treonidischen Stunden herum zu sein.« »Vielleicht rotiert dieser Planet langsamer als die Erde.« »Oder schneller. Weißt du denn, wie viele Stunden hier einen Tag ausmachen?« »Das ist mir auch gleichgültig. Viel mehr interessiert mich, wie wir diesen Leuten klarmachen können, daß wir von ihren morgatischen Rebellen nicht die geringste Ahnung haben.« »Ich werde Prysto anbieten, auf unser Schiff zu kommen. Der Archivroboter kann ihm unsere ganze Historie vorblättern.« »Wäre das ein Beweis?« »Natürlich nicht«, resignierte Barnett. »Sie werden sagen, unser Robby erzählt eine programmierte Phantasiegeschichte. Die Ähnlichkeit unserer Sprache ist der klare Beweis dafür, daß wir Morgaten sind.« »Zum Teufel! Es ist aber nicht so. Was kann ich denn dafür, daß ich ausgerechnet intergalaktisches Tellurisch spreche? Jahrhundertelang hat sich die Menschheit den Kopf darüber zerbrochen, ob transsolare Intelligenzen auch zwei Beine und zwei Arme haben könnten ...« »Nun, und was kam dabei heraus?« »Es gab sie. Aber sie waren trotzdem keine Menschen. Die Paarung zwischen den Rassen blieb eine biologische Paradoxie.« »Und was hat das mit der Sprache zu tun?« »Ich glaube nicht an den Zufall, daß die Tellurier und die Treoniden bei vollkommen unabhängiger Entwicklung über einen gemeinsamen Sprachstamm verfügen können.« »Wir wären uns also einig. Die Treoniden sind Menschen wie wir. Entweder stammen sie von der Erde oder wir von hier. Eine dritte Möglichkeit: wir stammen gemeinsam von einer anderen Welt. Aus dem Verhalten Prystos aber geht hervor, daß solche Zusammenhänge hier überhaupt nicht bekannt sind. Man weiß nichts von Tellus.« Perry seufzte: »Das Grübeln hat nicht viel Sinn. Wir sollten noch einmal versuchen zu schlafen.« Trotz des quälenden Durstes gelang es ihnen, für eine Weile einzunicken. Es mochten aber höchstens ein paar Minuten vergangen sein, als das Ereignis eintrat, auf das sie so lange vergeblich gewartet hatten. Ein schepperndes Geräusch weckte sie. Sie sahen gerade noch, wie das massive Tor oben in der Decke verschwand. Für einen Überfall war es zu spät. Aber auch die Situation war etwas anders als vermutet. Im Gang standen die Roboter. Die Treoniden hielten es offenbar nicht für angebracht, sich noch einmal zu ihren Gefangenen zu bemühen. »Folgen Sie mir, meine Herren«, kommandierte der erste der Plastikmänner. Er drehte sich um, ohne sich um das Verhalten der Gefangenen zu kümmern, und schritt durch die Reihen der spalierstehenden Roboter davon. Ein Dutzend automatischer Waffen sorgten allein durch die unmißverständliche Haltung ihrer Läufe dafür, daß Barnett und Perkins gehorchten. Sie gelangten wieder an die Oberfläche des Planeten. In alle vier Himmelsrichtungen erstreckte sich die glatte Landebahn bis zum Horizont. Es hatte den Anschein, als sei der ganze Globus mit dieser künstlichen Platte bedeckt. Fast im Zenit stand eine weiße, brütende Sonne. Ihr Glühen strapazierte die Haut wie reines
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Feuer. Erst jetzt wußten die beiden Gefangenen, daß es unten relativ kühl gewesen war. »Verdammt! Sie haben die CORA entführt«, stellte Perkins wütend fest. In der Tat war von ihrem Schiff nichts mehr zu sehen. Doch es konnte ebensogut möglich sein, daß man sie an einen anderen Ort nach oben gebracht hatte. Die Entfernung, die sie unterirdisch in einem Schienenfahrzeug zurückgelegt hatten, konnten sie nach dem Gefühl nicht schätzen. Barnett sprach Perkins in diesem Sinne Trost zu. Dann gebot ihnen der Leitroboter, den Mund zu halten. Dieser Befehl war überflüssig. Denn es begann wieder der strapaziöse Dauerlauf. Die Plastikmänner fuhren ihre Rollen aus und beschleunigten. Die beiden Männer hatten Mühe, das Tempo mitzuhalten. Wenn sie langsamer werden wollten, riskierten sie schmerzhafte Rippenstöße. »Los! Lauf schon«, keuchte Barnett, »wahrscheinlich bringt man uns drüben zu der Riesenkugel. Das ist höchstens ein Kilometer.« Perky antwortete mit einer wütenden, aber unverständlichen Bemerkung. Dann schwieg er und widmete sich mit heraushängender Zunge und keuchendem Atem seiner Aufgabe. Der Weg war weiter. Sie merkten es um so deutlicher, je näher sie dem Riesenraumschiff kamen. In seinem Schatten war es erträglicher, doch noch immer galt es, dreihundert Meter zu laufen. »Das Ding hat einen Durchmesser von mehr als einem halben Kilometer«, sagte Barnett. »Wenn das ein bewegliches Raumschiff ist, fresse ich eine Schleusenluke unzerkleinert ...« Es war ein Raumschiff. Kugelrund wie ein Ballon. Sie merkten es spätestens, als sie von ihrer neuen Zelle aus beobachteten, wie der Planet mit der künstlichen Oberfläche plötzlich in rasender Fahrt unter ihnen wegsackte und selbst zu einer immer kleiner werdenden Kugel wurde. »Teufel! Da wächst wirklich kein Baum und kein Strauch«, stellte Perkins fest, ohne in seine Worte eine allzu große Anerkennung für die Baumeister dieser Anlage zu legen. »Ob der ganze Planet künstlich ist?« »Nebensache!« behauptete Barnett. »Ich sehe auch jetzt die CORA nicht. Und das beweist mir, daß man sie wirklich entführt hat.« »Du meinst, auch die anderen sind diesen Treoniden auf den Leim gegangen? Was habe ich mir bloß für einen Captain ausgesucht! Anstatt seinen leidenden Männern Trost zuzusprechen, malt er ihnen die Zukunft schwarz in schwarz. Ich hatte immer noch gehofft, daß Iks-Wol-Esak uns hier herausschlagen würde.« »Ich hatte gehofft, etwas zu essen zu bekommen«, wechselte Barnett schnell das Thema. Ihm war nicht erst jetzt der Gedanke gekommen, daß man sie abhören könnte. Und als Perkins kurz darauf wieder eine verfängliche Äußerung machte, sagte er es ihm offen. »Ich schlage vor, du drückst dich in Zukunft etwas vorsichtiger aus. Solange man uns als Gefangene und nicht als gleichgestellte Partner behandelt, möchte ich den Herren Treoniden nicht gleich alle Geheimnisse tellurischen Wissens auf die Nase binden.« »Wenn du an versteckte Mikrophone und Fotolinsen denkst, warum suchen wir dann nicht?« Der Vorschlag wurde sofort in die Tat umgesetzt. Allerdings ohne Ergebnis. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Ein Roboter stand im Eingang und hielt zwei Würfel in der Hand. »Ihre Verpflegung, meine Herren!« »Das ist aber nett«, wurde Perkins sofort lebendig. »Sie haben ja direkt menschliche Züge, Blechkamerad. Darf man Sie anfassen?« »Nicht nötig«, antwortete der Roboter, warf ihnen die Würfel vor die Füße und verschwand. Während sich Perkins erneut über das schlechte Benehmen der Gastgeber aufregte, probierte Barnett den Nahrungswürfel Zuerst knabberte er skeptisch. Dann biß er kräftig zu. Es war ein fester, synthetischer Brei. Er schmeckte angenehm. Wie eine Mischung aus rohen Pilzen und Nüssen. Und er war feucht.
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»Gar nicht schlecht! Ich glaube fast, das löscht auch den Durst.« »Ganz prinzipiell«, stellte Perkins kauend fest. »Es mag schmecken, wie es will. So lange man mir mein Essen vor die Füße wirft, ist es hundsmiserabel. Auch wenn es hier Mikrophone gibt ... Moment, Perry! Jetzt werde ich verrückt ...« Perkins hatte mitten im Satz abgebrochen, seine Würfelverpflegung auf die Pritsche gelegt und auf das Quarzfenster gezeigt. In höchstens dreißig Kilometer Entfernung hing ein schlankes Gebilde im All. »Bei Gott«, sagte Barnett. »Das ist unsere CORA.« * Iks-Wol-Esak spürte ein angenehmes Rieseln in seinen drei Armen. Die Lähmung ließ nach. Noch bevor er die Glieder und den Körper wieder bewegen konnte, trat sein Gehör wieder in Funktion. Man hatte Lisman gerade zurückgebracht. Die Roboter gingen nicht gerade sanft mit ihm um. Das menschliche Wesen im Hintergrund schien nichts dagegen zu haben. Es kam jetzt näher und trat auf den Proka zu. »Irgendeiner von euch Kugelmännern hat behauptet, daß dieser hier der erste Pilot sei. Ich möchte euch nicht noch einmal bei einer Lüge erwischen. Ihre Auskünfte haben der Wahrheit zu entsprechen. Wer sich nicht danach richtet, muß mit seiner Liquidation rechnen.« Es war kein Hörfehler! Der Mensch aus einer anderen Zivilisation gebrauchte tatsächlich das Wort ›Liquidation‹. Lismans Stöhnen verriet, daß man ihn draußen noch viel brutaler hergenommen hatte. Intensiv griff der Proka nach seinen Gedanken und erfuhr, daß der erste Offizier einen ganz bestimmten Plan mit seiner Weigerung verfolgte. Er hatte die CORA vom Boden des Planeten gestartet, dann aber behauptet, er sei nicht in der Lage, einen Raumsprung zu machen. – Auf der Brücke hatte einer behauptet, ihr beiden Prokas wäret bestimmt die eigentlichen Herren dieses Schiffes und wir Menschen nur untergeordnetes Hilfspersonal – kam Lismans Gedankenbotschaft. – Ich denke, du solltest dich mal getrost in den Pilotenstuhl hängen. Du hast ja deine Spezialkonstruktion. Und wenn einer von uns hier frei herumlaufen darf, so bist du für uns am besten geeignet. – Es war klar! Lisman dachte an den Materietransmitter, der hinter der Zentrale im Labor stand. Nur der prokaskische Naturwissenschaftler und vielleicht noch sein Freund Nam-Legak konnten diesen Apparat mit vollendeter Zielsicherheit bedienen. – Noch eins – teilte Lisman konzentriert mit. – Ich habe nicht weit von hier einen riesigen Kugelraumer beobachtet. Vielleicht ist diese Mitteilung wichtig für dich. – Iks-Wol-Esak starrte wie gebannt auf den Fremden, der jetzt ganz dicht vor ihm stand und ihn um das Dreifache seiner eigenen Größe überragte. »Sie wünschen, Herr?« fragte der Proka mit gespielter Demut und konzentrierte sich gleichzeitig auf das Gehirn des Gegners. Noch nie hatte ihm bei vollem Bewußtsein einer der Gegner so nahe gestanden. Die telepathische Verbindung war äußerst klar. Mit Befriedigung stellte Iks fest, daß der andere nicht über die geringsten telepathischen Fähigkeiten verfügte. »Sie werden dieses Schiff navigieren, ist das klar?« »Ich will es versuchen, Herr. Würden Sie bitte meinen Freund Nam-Legak kommen lassen?« »Er versucht es schon wieder! Traut ihm nicht über den Weg!« Das Mißtrauen des Fremden machte Iks Spaß. Um so mehr, als er sicher war, daß sie seine hinterhältigen Gedanken nicht lesen konnten. »Ich versuch's auch mit einem von Ihnen«, sagte er großzügig. »Ist ein guter Pilot unter Ihnen?«
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Man überhörte den beleidigenden Unterton, da den Männern die Zeit immer knapper wurde. Sie mußten Kontakt zu dem benachbarten Kugelraumer halten, der schon siebenmal zurückgefragt hatte, ob man nicht endlich zur Transition ansetzen könne, die aus Gründen der Zielsicherheit gemeinsam durchgeführt werden müßte. Und Iks bekam noch etwas Wichtiges heraus, während er telepathisch nach den Sorgen seiner Gegner forschte. An Bord der Kugel befanden sich zwei Gefangene. Es konnte sich nur um Barnett und Perkins handeln. Irgend jemand sprach von den Robotern. Doch der Chef der Fremden lehnte ab. »Unsere künstlichen Piloten sind auf unsere Technik getrimmt. Es wäre ein Risiko, einen von ihnen an diese unbekannten Apparate zu lassen. Wer von Ihnen fühlt sich stark?« Es war niemand da, der sich stark fühlte, und so willigte man schließlich ein, daß NamLegak geholt wurde. Unter den Prokas war die telepathische Verständigung ein Kinderspiel. Nam-Legak hatte bereits aus seinem Gefängnis alle Einzelheiten verfolgt. Nur zur Tarnung gab ihm Iks-WolEsak ein paar akustische Anweisungen. In diesem Augenblick redete einer der Männer den Chef endlich mit Namen an, so daß auch die Prokas ihn benutzen konnten, ohne sich zu verraten. »Kommen Sie mit, Hauptmann Tretz?« Natürlich ließ Tretz es sich nicht nehmen. Er befahl sogar sechs Roboter zu sich nach hinten. Einer von ihnen konnte jedoch nur noch das Labor betreten, da Iks-Wol-Esaks Anlage für den Transmitter fast den gesamten Raum einnahm. Mit den verwirrenden Einzelheiten konnten die Treoniden nichts anfangen, obgleich sie technisch sehr versierte Leute waren. Sie mußten es einfach akzeptieren, als Iks behauptete, diese Apparatur sei die Gravitationsanlage. Nam-Legak trat an einen Punkt, der zwischen zwei Polen einer Energieantenne lag. Iks forderte noch einmal zum Schein die genauen Zielkoordinaten von Tretz, stellte aber sein Gerät auf das Kugelraumschiff ein. Unglücklicherweise bemerkte der Treonide, daß der Kontrollbildschirm plötzlich den angepeilten Bildschirm zeigte. »Was soll dieser Unsinn? Ich warne Sie ein letztes Mal! Iks-Wol-Esak stellte sich bestürzt. »Ihr Mißtrauen ist mir rätselhaft, Hauptmann. Kennen Sie denn nicht die Vorbereitungen für einen Hyperraumstart?« Iks schaltete den Bildschirm auf eine Nachbarfrequenz und gab ihm eine beliebige Peilung. Auf die kurze Entfernung würde er auch ohne ihn auskommen. »Mein Freund wird jetzt langsam verschwinden«, stellte er erklärend fest. »Ich schicke ihn sozusagen als Relais für meine Transmitterpeilung voraus. Sie brauchen aber nicht zu befürchten, daß ihm dabei etwas geschieht. Nach Beendigung des Raumsprunges werde ich ihn unversehrt zurückholen.« Diesmal widersprach Tretz nicht, obgleich er voller Mißtrauen steckte. Er tröstete sich mit dem Bewußtsein der treonidischen Überlegenheit in der fünften Dimension. Wenn also IksWol-Esak seinen Rassegenossen in den Raum schicken wollte, um dort einen Machtfaktor gegen die Treoniden zu mobilisieren, so würde er schon sein blaues Wunder erleben. Der Materietransmitter durfte also arbeiten. Nam-Legaks Körper verlor langsam an Bestand. Er wurde zuerst durchsichtig, dann schattenhaft wie eine Wolke, und schließlich war er ganz verschwunden. »Jetzt zurück in die Zentrale, Hauptmann! Die Sprungauslösung muß von dort aus erfolgen.« Eine Minute später. »Das Begleitschiff ist immer noch zu sehen. Soll ich warten, bis es verschwunden ist?« »Durchaus nicht. Springen Sie endlich! Die werden uns schon herausfischen, ganz gleich, wo wir herauskommen.«
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»Okay, wie Sie meinen. Ich verlasse mich auf Ihre Technik ...« Und endlich machte der Proka tatsächlich die Handgriffe, die für eine wirkliche Transition notwendig waren. * Nam-Legak kam in einem denkbar ungünstigen Augenblick. In Barnetts Gefängnis war seit Minuten ein Treonide anwesend, der hartnäckig damit beschäftigt war, die Gefangenen nach ihrem Spionageauftrag der Morgaten auszufragen. Und ausgerechnet mußte der Proka noch in der Schußlinie landen. Wenn es nicht sofort Tote gab, so lag es an der grenzenlosen Überraschung des Gelbuniformierten. Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde zu lange. Während er auf die unvorbereitete Erscheinung des kleinen Kugelwesens starrte, traf ihn Barnetts Schlag auf das Handgelenk. Die Pistole wurde noch im Fluge aufgefangen. »Und jetzt stellen wir die Fragen, mein Herr!« triumphierte Perkins. »Ich rate vielmehr, daß wir hier verschwinden«, verlangte Nam-Legak. »Dieser Mann kann uns nicht mehr allzu viel verraten.« Barnett nickte. Sie traten auf den Gang hinaus. Dort war kein Posten zu sehen. »Zwei Türen weiter«, flüsterte der Proka. »Die Kabine ist leer.« Die beiden Männer glaubten es. Denn Nam-Legak stellte mit dem überwältigten Treoniden offenbar ein telepathisches Verhör an. Und das war wirkungsvoller, als es ein Tellurier jemals schaffte. Die Kabine war tatsächlich leer – von Menschen. Aber nicht als Waffenarsenal. Neun Strahlenkarabiner hingen säuberlich in einer Reihe an der Wand. »Wenn nur einer von uns damit umgehen könnte«, wünschte sich Perkins. »Wir können es alle«, teilte Nam-Legak optimistisch mit. »Diese Waffen sind für Menschen gebaut, wie ihr es seid. Und ich als Proka habe mich inzwischen an die Handhabung tellurischer Pistolen und Gewehre gewöhnt. Der Feuerknopf sitzt an der linken Seite, gut erreichbar für den Daumen.« Der Proka gab einen kurzen Bericht über die Lage auf der CORA. »Sie ist vor einer Minute im Hyperraum verschwunden. Auf Befehl von Tretz, der das Prisenkommando führt.« »Aber dann kann Iks uns ja gar nicht zurückholen.« »Im Augenblick nicht. Aber dieser Kugelraumer setzt in Kürze nach. Diese Treoniden sind auf dem Gebiet der fünfdimensionalen Raumfahrt Genies. Du wirst es daran gemerkt haben, daß sie uns kurzerhand aus dem Hyperraum holten und an einer beliebigen Stelle absetzten. Unser Kontakt zur CORA wird also bald wieder hergestellt sein. Aber allein damit ist uns nicht gedient. Selbst wenn wir auf die CORA zurückkehren und dort das Prisenkommando überwältigen, haben wir immer noch dieses Kugelschiff – es heißt übrigens TRILANI – auf den Fersen. Und durch seine Fangvorrichtung ist es uns grenzenlos überlegen. Es kann uns absetzen, wo es will.« »Kennt ihr die Pläne der Treoniden?« »Was man so aus ihren Gedanken herauslesen kann. Sie wollen uns auf ihren Zentralplaneten bringen und dort vor ein Gericht stellen. Ob es dort human und gerecht zugeht, konnten wir leider nicht feststellen. In der Beziehung sind die Gedanken dieser Leute sehr oberflächlich. Fest steht nur, daß wir allen Grund haben, sie zu fürchten.« »Hm«, überlegte Barnett und zog das nasale Geräusch nachdenklich in die Länge. »Durch dein Erscheinen hätten wir also wenig gewonnen. Selbst wenn Iks in den nächsten Stunden Gelegenheit haben sollte, wieder ins Labor zu gelangen und dort den Transmitter zu bedienen, bleiben wir in der Gewalt der Treoniden.«
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»Es gibt nur einen Ausweg«, orakelte Nam-Legak. »Wenn du einen weißt, ist es schon viel«, behauptete Perkins und hing gebannt an dem lippenlosen Mund des Kugelwesens, aus dem er die Offenbarung erwartete. »Was sollen wir tun?« »Die TRILANI darf ihr Ziel nicht erreichen. Wir müssen sie erobern.« * Der Proka konnte seine Informationen nur durch telepathische Beobachtung des Gefangenen erhalten haben, der zwei Räume weiter lag. Er versuchte jetzt, mehr aus ihm herauszuholen. »... es ist schwierig«, murmelte er nach einer längeren Pause. »Wenn man an sein ganzes passives Wissen herankommen könnte. Iks sollte einmal ein solches Gerät entwickeln.« Für ein paar Minuten herrschte wieder Schweigen. Dann merkte Nam-Legak plötzlich auf. »Jetzt denkt er wieder ... Sie werden nach ihm schicken, wenn er zu lange wegbleibt. Er stellt sich die Strecke vor, die man vom Zentrum bis hier zurücklegen muß ... Die TRILANI mißt 600 Meter quer durch. Wir sind fünfzig Meter von der Mitte entfernt ... Es muß mehrere Fahrstühle geben ... Aber überall streifen Roboter umher ... Man könnte sie krank machen ... was meint er mit krank?« »Die Treoniden werden schon ein Mittel haben, um sich die Herrschaft über ihre künstlichen Sklaven zu sichern.« »Still«, befahl der Proka wieder. »Passiviert euer Gehirn soweit wie möglich. Ihr denkt mir zuviel.« Drei Minuten später behauptete Nam-Legak, daß sie eine gute Chance hätten. »Im vierten Deck liegen die Maschinenräume. Dort gibt es auch eine Schaltstation für die Roboter.« »Eine Schaltstation?« »Ja. Diese Wesen verfügen zwar über kleine Reaktoren. Doch die werden nur im Einsatz fern der Basis benutzt, da sie nur für ein paar Stunden Aktivität verleihen. Hier an Bord werden sie aus dem Schiffsreaktor mit Energie gespeist. Durch eine drahtlose Sendeanlage, soweit ich das verstanden habe.« »Und wenn wir diesen Sender außer Betrieb setzen, werden sämtliche Roboter zum Stillstand kommen.« »So ist es«, versicherte der Proka. »Moment! Es kommt jemand!« Die beiden Menschen mußten sich ganz auf Nam-Legak verlassen, der durch seinen »sechsten Sinn« eine gute Kontrolle über die Nachbarschaft hatte. »Es ist ein Treonide mit zwei Robotern. Sie befinden sich im Lift und sind nach hier unterwegs.« »Können wir keinen Stellungswechsel vornehmen?« fragte Barnett. »Ich meine, wenigstens einer von uns sollte auf der anderen Seite Posten beziehen.« »Die Idee ist gut. Der Raum gegenüber der Kabine des Treoniden müßte ebenfalls zugänglich sein. Jedenfalls spüre ich keine verräterischen Gedanken. Auch das Fluidum der Roboter müßte ich schwach feststellen können.« »Okay! Dann gehe ich«, beschloß Barnett. »Wir müssen die drei auf jeden Fall überwältigen. Wie weit ist der Lift?« »Jede Sekunde ist kostbar. Verschwinde!« sagte Nam-Legak. Barnett tat es. Hinter der Wölbung des schmucklosen, nüchternen Korridors vernahm er hallende Geräusche. Es war das Schlagen von Türen. Es waren die schweren Tritte von Robotern. Barnett sprang vor. Schräg gegenüber lag eine Tür, die sich sofort öffnen ließ. Es mußte im letzten Augenblick gewesen sein, denn schon vernahm er Stimmen in der Nähe. Ein Treonide unterhielt sich mit einem Roboter. Barnett ließ seine Tür angelehnt. Das Risiko mußte er eingehen, wenn er jederzeit die
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Kontrolle über die Ereignisse behalten wollte. »Wo war es?« »Raum 984«, meldete eine heisere, metallene Stimme. »Dort!« Das Geräusch des Türöffnens. Ein Ruf der Überraschung. Barnett stieß das Schott auf, hinter dem er Deckung gefunden hatte. Seine schußbereite Waffe spie Energie. Gleichzeitig waren Perkins und der Proka von links erschienen und machten den Überfall vollständig. Auf eine derartige Aktion konnten selbst nervenlose Roboter nicht schnell genug reagieren. Sie stürzten beide auf der Stelle nieder. Der Treonide – noch im Eingang zu der Zelle – fuhr erschrocken herum und starrte in Barnetts Waffe, deren Funktion er nur zu gut kannte. »Hände hoch!« Diese Aufforderung schien ihm vertraut zu sein. Kurz darauf lag er bei seinem Kameraden in der Zelle, ohne seine Aufgabe befehlsgemäß durchgeführt zu haben. »Was hältst du von diesen schicken gelben Uniformen, Perry?« fragte Perkins, nachdem man auch die Trümmer der künstlichen Wesen in einem der Nebenräume versteckt hatte. »Ich finde, sie passen uns.« Der Gedanke war so ideal, daß er gar nicht weiter diskutiert wurde. Barnett und Perkins wechselten die Oberkleidung mit den beiden Gefangenen und fanden, daß sie jetzt wie zwei echte Treoniden aussahen. Sie setzten sich sofort in Marsch, jederzeit darauf bedacht, aktivierte Roboter anzutreffen. Fürs erste hatten sie jedoch Glück. Niemand begegnete ihnen. Und das Schott zum Elevator stand noch offen. Die Bedienung war leicht zu begreifen. Es gab eine Anzahl von Knöpfen, die zweifellos für die einzelnen Decks bestimmt waren. Die Schriftsymbole sahen vertraut aus, blieben aber trotzdem unverständlich. »Von oben bis vier zählen«, riet Nam-Legak. Sie versuchten es. Der Korb setzte sich in Bewegung und hielt nach zwei Minuten automatisch an. Der Proka hatte inzwischen mit Iks-Wol-Esak an Bord der CORA einen Gedankenaustausch vorgenommen. »Wir sind gemeinsam im Hyperraum. Iks weiß noch nicht, wie er wieder ins Labor kommen soll, denn die Treoniden sagen, für die Rückkehr aus der fünften Dimension würde schon die TRILANI sorgen. Da brauchten sie ihn nicht.« »Kommt Zeit, kommt Rat. Unsere Aufgabe scheint die schwierigere zu sein. Können wir hier heraus?« »Es sind mehrere Roboter in den Maschinenräumen beschäftigt, aber keine Treoniden.« »Dann müssen wir uns trennen. Deine Körperform wird den Plastikmännern sofort auffallen. Perky und ich dagegen müssen versuchen, die Rolle von Treoniden zu spielen.« »Wenn sie auf jeden persönlich geeicht sind, werden sie euch sofort als Gegner erkennen. Ich kann nur sagen: seid vorsichtig, Perry. Und schießt, bevor ihr lange fragt.« »Worauf du dich verlassen kannst«, versicherte Perkins. * Zwei Männer in gelben Treoniden-Uniformen betraten den Maschinensaal. Der nächste Roboter stand sechzig Meter entfernt. »Er beachtet uns nicht«, flüsterte Barnett. »Aber sieh dir diese Anlage an! Da brauchen wir Jahre, bis wir den richtigen Hebel gefunden haben. Wir müssen alles auf eine Karte setzen.« Perkins nickte nur entschlossen, obwohl er keine Ahnung hatte, was sich sein Captain dabei dachte. »Komm mit!« sagte Barnett. Offen ging er auf den nächsten Roboter zu. »Hören Sie, Robby! Der gefangene Morgat hat sich befreit und ist im Besitz einer
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Schußwaffe. Er hat zwei von Ihren Männern beschädigt. Sie hängen durch Kurzschluß aneinander. Wir müssen unbedingt für zwei Sekunden die zentrale Lenkung ausschalten.« »Kurzschluß – Unterbrechung behebt Schaden. Sie werden wieder einschalten, Herr.« Barnett hatte den freudigen Eindruck, es mit einem »dummen« Roboter zu tun zu haben. Wahrscheinlich war sein Gehirn mit Beschränkungen auf einen engen Arbeitsbereich konstruiert. Auf jeden Fall schöpfte er keinen Verdacht gegen die beiden Männer, sondern erkannte sie als übergeordnete Wesen an. Er führte sie quer durch den Maschinensaal. Ohne diesen Lotsen hätten sich Barnett und Perkins hoffnungslos verirrt. Die beiden falschen Treoniden schwankten zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Der Weg durch das Labyrinth von Maschinenanlagen schien kein Ende zu nehmen. Und wenn sich die Roboter auch bisher passiv verhalten hatten, so konnten ihre offen zur Schau getragenen eingebauten Strahlwaffen doch nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Der Bursche, von dem sie sich heimlich hatten führen lassen, blieb endlich stehen und wandte sich einer Tafel zu, auf der drei große Hebel auffielen. »Nicht länger als zwei Sekunden, Herr!« sagte er. »Sie wissen, daß bei längerer Unterbrechung die Sicherheit des Schiffes gefährdet ist.« »Wir schalten sofort zurück. Das geht schon klar«, behauptete Barnett. Allerdings war ihm alles andere als wohl zumute. In der Aufregung hatte er bisher nicht daran gedacht, daß durch den Ausfall der robotischen Kontrollen eine Gefahr für die TRILANI verursacht werden könnte. Trotzdem mußte er es wagen. »Worauf warten Sie noch?« fragte Barnett ungeduldig, als der Roboter plötzlich zögerte und sich um neunzig Grad drehte. »Am Eingang ist ein fremdes Wesen, Herr. Ich habe soeben ein Alarmzeichen bekommen. Wir müssen sofort ...« Sie haben Nam-Legak entdeckt, durchzuckte es Barnett. »Was für ein Wesen?« »Ein rundes. Wie eine Kugel soll es aussehen.« »Dann sofort los! Seht zu, daß ihr es vernichtet!« Der unsinnige Befehl animierte den Roboter, sich unverzüglich in Marsch zu setzen. »Bist du verrückt?« zischte Perkins. »Weshalb willst du Nam opfern?« Barnett hörte nicht zu. Er sprang auf die Tafel mit den drei Hebeln zu. Um sicherzugehen, bewegte er sie alle. Das Risiko war ebenso groß wie die verzweifelte Hoffnung. Und wieder klappte es in letzter Sekunde. Am Ende der Halle ertönte ein wilder, vertrauter Schrei. Es war der Warnruf eines Proka, der sich in höchster Gefahr befindet. Der Lärm wild polternder Blechmänner erscholl dazwischen. Das diabolische Peitschen eines Energieschusses zerriß die monotone Sinfonie der Antriebsmaschinen. Dann war es still, bis auf das Summen der Antriebsmaschinen. Um eine Ecke kam der wieselflinke Nam-Legak herangerollt. Wenn Prokas es besonders eilig haben, dann laufen sie nicht, sondern legen die drei Arme eng an den Körper und rollen einfach wie ein Ball. »Okay! Das habt ihr gut gemacht«, lobte er. »Um ein Haar hätte es mich erwischt. Ich war von vier Robotern eingekreist, als sie plötzlich wie tot umfielen ... Jetzt weiter auf die Brücke, bevor die Treoniden ihren Widerstand organisieren. Die wissen natürlich längst, daß hier jemand falsch gedreht hat.« »Einen Moment«, sagte Barnett und machte sich noch einmal an den Armaturen zu schaffen. Als er kein bewegliches Teil fand, schoß er kurzerhand in die Schaltung. »Ich möchte nicht, daß noch irgend jemand die siebenhundert Roboter aktiviert, obwohl ...« »Ich habe mitgehört und kenne deine Sorgen. Wir werden die Treoniden fragen. Also
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kommt endlich.« Im Korridor lagen mehrere Roboter. Ungehindert erreichten sie den Lift und fuhren in die Zentralstation. »Nicht aussteigen!« verlangte Nam-Legak. »Draußen laufen mehrere Treoniden herum. Die haben natürlich längst bemerkt, daß etwas nicht in Ordnung ist. Sie haben auch einen Notruf an die CORA abgesetzt.« »Jetzt hinaus!« befahl er dann plötzlich und stürzte voran. Der Vorraum war frei. Neben ihnen führte eine Leiter zu einer hoch gelegenen Tür. Ohne Zögern nahm der Proka diesen Weg. Sekunden später standen die drei in der Kommandozentrale der TRILANI. Ihre Waffen zeigten auf sechs Treoniden. Einer von ihnen war General Prysto. »Hände hoch!« befahl Barnett. Die Treoniden gehorchten ohne Zögern. Nam-Legak lief zwischen ihnen hin und her und nahm ihnen die Waffen ab. »Jetzt dürfen Sie weiterarbeiten, meine Herren. Ich denke, das Schiff braucht Ihre Bedienung, nachdem die Roboter streiken.« »Das werden Sie bereuen, Barnett«, behauptete Prysto. Doch da er es in unkontrollierter Wut sagte, klang es wenig beeindruckend. »Geben Sie einen Radiospruch an die CORA! Hauptmann Tretz soll die Führung des Schiffes sofort an Iks-Wol-Esak abgeben. Nennen Sie fingierte Gründe. Aber kein Wort darüber, was hier inzwischen geschah.« Die Treoniden erwiesen sich als gehorsame Gefangene. Sie navigierten, wie Barnett es verlangte. Eine Weile später erschienen Lavista und Lopez von der CORA-Besatzung in der Zentrale der TRILANI. Das machte einen gewaltigen Eindruck auf die Treoniden, denn sie hatten absolut keine Vorstellung davon, wie man diese technische Zauberei verwirklichte. »Nicht wahr, da staunen Sie«, bemerkte Perkins zufrieden. »Vielleicht geht Ihnen jetzt auch endlich ein Licht auf, daß wir keine Morgaten sind.« Barnett und Nam-Legak zogen sich zu einer Beratung zurück, während die übrigen drei die Navigation der Gefangenen überwachten. Es waren noch mindestens ein Dutzend Treoniden auf dem Schiff unterwegs. Um sie mußte man sich später kümmern. Sie konnten im Augenblick nicht gefährlich werden. Die Besprechung dauerte nur wenige Minuten. Barnett und Nam-Legak kehrten auf die Brücke zurück und gaben ihre Befehle. Die Genauigkeit der Koordinaten verblüffte Prysto. »Machen Sie sich keine Sorgen, General! Wir setzen Sie früh genug ab. Für uns ist nicht jeder Gegner ein Verbrecher, den man vor ein Gericht stellen muß.« Eine Stunde später meldete Nam-Legak dem Captain, daß man auch auf der CORA einen erfolgreichen Handstreich auf das Prisenkommando durchgeführt habe. Damit waren die Tellurier im Besitz beider Schiffe. Barnett ließ sie in den Normalraum zurückkehren. Seine eigenen Leute konnten die Navigation übernehmen. Die Gefangenen wurden in geeigneten Räumen eingeschlossen und streng bewacht. Nach den noch frei herumlaufenden Treoniden wurde eine Treibjagd veranstaltet. Es dauerte ganze vierundzwanzig Stunden, bis man auch sie hinter Schloß und Riegel hatte. Captain Barnett stellte fest, daß sie nach der treonidischen Karte eine günstige Position zum Start in das System Morgat gefunden hatten. Dieses System lag etwa vierhundert Lichtjahre von der Peripherie des treonidischen Machtbereichs entfernt. Die Gefangenen erhielten eines ihrer Beiboote, aus dem man jedes militärische Gewaltmittel entfernt hatte, und durften sich absetzen. Barnett hatte sich vorgenommen, die Treoniden als Gleichberechtigte zu verabschieden. »Es wäre für mich ebenso interessant gewesen, General, Cares, dem Obersten von Treon, einen Besuch abzustatten. Doch unter den gegebenen Umständen möchte ich vorerst keinen Gebrauch davon machen. Wir kommen aus einem Teil der Galaxis, in dem zwischen Prokas
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und Menschen fast tausend Jahre lang ein unerbittlicher Krieg geherrscht hat. Prokas und Menschen sind vorerst von diesem Übel geheilt. Unsere Arbeit gilt der friedlichen Forschung. Bestellen Sie das Ihrem Herrscher. Der Besuch bei den Morgaten wird allein der Erweiterung unseres Wissens dienen. Wir sind überzeugt, daß einmal der Tag kommen wird, an dem alle Völker dieser Weltinsel gemeinsam an einem Tisch sitzen werden. Haben Sie sich eigentlich noch nie darüber den Kopf zerbrochen, wieso Treoniden und Tellurier äußerlich kaum voneinander zu unterscheiden sind, General? Es würde mich interessieren, was Ihre Historiker darüber sagen. Irgendwo in der fernen Vergangenheit muß es ein Bindeglied zwischen uns geben ... Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt und gesunde Heimkehr. Leben Sie wohl, General!« Schweigend hatten die Treoniden der langen Rede zugehört. Dann hoben sie grüßend die Hände an die Stirn und wandten sich schweigend ihrem kleinen Schiff zu, das Barnett ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Wenig später verschwand das Fahrzeug als irrlichternder Punkt im Meer der Sterne. »Warum können sie nicht unsere Freunde sein?« fragte Barnett sinnierend. »Im Grunde sind sie mir außerordentlich sympathisch.« »Ich denke, auch wir könnten ihnen gefallen«, meinte Bannister trocken. »Aber zuerst hielten sie uns für morgatische Agenten. Und zum Schluß hast du ihnen eines ihrer größten und schnellsten Schiffe abgenommen. Das war nicht gerade diplomatisch.« »Aber unbedingt notwendig.« Es war niemand da, der das abstritt. Zwei Tage später. Es klopfte an Barnetts Tür. »Herein!« Iks-Wol-Esak trat ins Zimmer, das sich Perry auf der TRILANI eingerichtet hatte. Volle achtundvierzig Stunden hatte er auf der zentralen Kommandobrücke verbracht, um wenigstens die wichtigsten Bedienungsfunktionen des fremden Schiffes zu lernen. Lisman hatte ihm dabei assistiert, und auch die anderen Spezialisten waren nur mit wenig Schlaf davongekommen. »Ich bin müde, Iks. Übermorgen dürften wir das System Morgat erreicht haben. Da müssen wir wieder munter sein. Ist es wichtig?« »Ich glaube schon.« Der Proka legte ein Gewirr von Drähten, Metallspangen und bunten Plastikfiguren auf den Tisch. Alle Teile waren miteinander verbunden, aber völlig undefinierbar. »Eine neue Erfindung von dir?« Iks-Wol-Esaks Hobby waren Erfindungen. Wenn der Tag lang war, erfand er zwischen Sonnenauf- und -untergang eine halbe Zivilisation. »Willst du es anprobieren?« »Wie? Ist das ein Anzug?« »Versuche es!« Barnett kannte die Hartnäckigkeit seines prokaskischen Freundes und zeigte Geduld. Spöttisch stellte er sich vor den Spiegel, als er das Gerät ordnungsgemäß um den Brustkorb gelegt hatte. »Es kleidet mich sehr unauffällig, finde ich.« »Es muß noch unauffälliger werden. Zieh die Jacke über!« Barnett tat es. »Jetzt ein Loch in die Tasche und diesen Draht durchziehen. Dann mußt du ihn mit der linken Hand anfassen.« »Teufel! Das Ding ist nicht isoliert. Soll ich mich elektrisieren?« »Es ist nur ein schwacher Strom. Du kannst ihn gefahrlos aushalten.« Iks-Wol-Esak ging bis an das Ende des Zimmers zurück. »Jetzt wünsche dir, hier bei mir zu
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sein. Aber du mußt dich konzentrieren.« Barnett machte einen Teleportationssprung von vier Metern. Als er neben dem Proka materialisierte, mußte er die Überraschung erst eine Weile verdauen. »Träume ich, Iks, oder ist das wirklich wahr?« »Ich mache es dir vor!« Auch Iks-Wol-Esak machte einen Sprung mit einem Gerät, das er bereits angelegt hatte. Sie wiederholten das Experiment noch einige Male, bis Barnett die Einsatzbereitschaft dieser aufregenden Erfindung anerkannte. Den nächsten Versuch machte er gleich über vierzig Meter – durch die Wände mehrerer Decks hindurch. Auch das gelang. Nacheinander wurden Bannister, Lavista und Perkins in Schrecken versetzt, bis die allgemeine Freude über Iks-WolEsaks gelungenes Meisterwerk mit einer kleinen Feier gekrönt wurde. Der Proka bekam die Aufgabe, bis zur Landung auf Morgat noch mindestens fünf solcher Transporter zu bauen. Auf die Frage, wie die Apparate funktionierten, sagte er lediglich: »Es ist das Prinzip der Materietransmitter. Ich beschäftige mich eigentlich schon lange mit dieser Idee. Gestern hatte ich plötzlich einen Lichtblick. Ich spare den energieraubenden Stufenvorgang. Und ich begnüge mich mit geringen Entfernungen bis zu zehn Kilometern. Ferner entfällt die riesige, komplizierte Apparatur für die Programmierung. Das macht hier einfach das Gehirn. Der Kontakt ergibt sich durch den Griff der linken Hand. Der empfindliche Cethi-Nerv läßt sofort das gedachte Ziel in Form elektromagnetischer Impulse im Antennendraht weiterwandern. Der Rest ist der bekannte Vorgang des Dimensionenwechsels.« * Sie übten stundenlang Transitionsmanöver mit der TRILANI. Beim vierten Mal fanden sie außer der CORA noch ein fremdes Schiff im Normalraum. Die Aufregung legte sich bald wieder, als Barnett seine sachlichen Befehle gab. Die TRILANI erfaßte mit ihren Fangstrahlen sowohl die CORA als auch das fremde Schiff. Barnett behielt den Unbekannten in seinem Fangstrahl und zog ihn zu sich heran. Die Batterien der schweren Schiffsstrahler waren soweit wie möglich besetzt. Auch Lisman auf der CORA lauerte gefechtsbereit, denn auf eine unfreundliche Reaktion des anderen mußte man vorbereitet sein. Schließlich würde er die TRILANI unschwer als Treoniden erkannt haben. Zum Erstaunen der Tellurier erfolgte jedoch kein unfreundlicher Akt. Dr. Bannister versuchte, eine Funkverständigung zu erreichen. Niemand war erstaunt, als man sie sofort erhielt. Der morgatische Dialekt war den Menschen durchaus verständlich. Auch die Bildübertragung klappte, nachdem man anfangs einige Schwierigkeiten mit der Frequenzabstimmung hatte. Die Morgaten trugen schwarze Uniformen mit goldenen Litzen, Knöpfen und Gleitverschlüssen. Die Gesichter der Männer waren auffallend blaß, von einem vollen blonden Haar umrahmt. »Nordische Recken aus unserer Frühgeschichte«, meinte Forry Bannister. »Hier Expedition CORA von Terra, Tellus. Kommandant Barnett. Das mitgeführte Kugelschiff TRILANI ist Beutegut von den Treoniden. Wir suchen die Zivilisation Morgat. Bitte, geben Sie Erkennungszeichen und sagen Sie uns, ob Sie uns helfen können.« Vor den Bildschirm trat ein wahrer Hüne von Mann. »Ich bin Gostro-Gosth, Stabsführer des Morgo Zoltyx. Patrouillenfahrt im Regierungsauftrag. Sie haben mit Gewalt unseren Kurs geändert.« »Ein Test für das Beuteschiff. Wir müssen uns erst langsam an die treonidischen Errungenschaften gewöhnen. Ich hoffe, Sie werden uns verzeihen. Da Sie selbst Morgaten
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sind, hoffe ich auf Ihre Unterstützung. Wir würden dem Morgo Zoltyx gern einen Besuch abstatten.« »Wir sind bereit, eine Abordnung von Ihnen zu empfangen, wenn sie nicht stärker als zwei Mann ist. Ebenso bitten wir Sie, zwei Mann von uns an Bord zu nehmen.« Barnett sagte zu und schaltete ab. »Das ist ein Angebot, was meint ihr?« »Natürlich«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Sofern du mich mitnimmst.« »An dich hatte ich weniger gedacht. Ich möchte die Morgaten nicht gleich mit dem Anblick deiner rassischen Merkmale strapazieren.« »Je eher sie einen Proka sehen, um so schneller werden sie dir glauben, daß wir mit den Treoniden nichts zu tun haben.« »Das ist kein triftiger Grund.« »Es gibt noch einen besseren.« »Den möchte ich wissen.« »Die Morgaten haben Telepathen an Bord. Ich konnte schon draußen im Hyperraum starke Gedankenimpulse von hypnotischer Wirkung feststellen. Wir müssen uns darum kümmern.« »Allerdings«, meinte Barnett nachdenklich. »Telepathen unter den Morgaten. Das wäre eine Überraschung, die unangenehm werden könnte.« »Die Morgaten sind keinesfalls telepathisch begabt. Ich stelle nur ein Individuum fest, das Absonderheiten zeigt. Und es denkt bemerkenswerterweise völlig unmenschlich.« »Okay! Natürlich nehme ich nur dich mit. Aber wehe, wenn du mir etwas vorgeflunkert hast!« Der Hüne Gostro-Gosth empfing sie mit einer Verbeugung. Mehr als zwanzig Offiziere standen links und rechts von ihm und salutierten. Iks-Wol-Esaks Anblick begegnete man mit galaktischer Manier. Völker und Rassen, denen die Hyperraumfahrt geläufig war, mußten schon häufig mit andersgearteten Intelligenzen in Berührung gekommen sein, so daß ein Kugelwesen der Prokas keineswegs als ungewöhnlich anzusehen war. Barnett stellte seinen Freund vor und machte ein paar kurze Angaben über seine Herkunft. Danach sprach er mehrere Minuten lang über das tellurische Reich der Menschen, über seine Pläne der friedlichen Entdeckungsfahrten und über die sensationelle Entdeckung, daß jenseits der erforschten Grenzen Menschen gemeinsamer Herkunft existierten. Gostro-Gosth ließ bei seiner Entgegnung durchblicken, daß ihm diese Hypothese doch etwas gewagt erscheine, zumal in der morgatischen Geschichtsschreibung über ein tellurisches Reich nicht die geringsten Quellen vorlägen. Dennoch gab auch er der Verwunderung darüber Ausdruck, daß die Natur Menschen und Morgaten den gleichen Körperbau gegeben habe. Nachdem er sich versichert hatte, daß man seine beiden Abgeordneten auf der TRILANI umherführte, kam er auch Barnetts Bitte nach und zeigte den Gästen sein Schiff. Während Barnett auf der Führung von den Erlebnissen bei den Treoniden sprach, erfuhr er durch Gostro-Gosth, daß von einem Kriegszustand zwischen Treoniden und Morgaten nicht die Rede sein konnte. Das Reich Morgat war im Grunde nichts anderes als eine Kolonie des großen Treon, der auf mehreren Planeten von Morgat eigene Raumflughäfen unterhielt und auf anderen verbriefte Benutzungsrechte besaß. »Eine Auflehnung wäre völlig sinnlos, wie Sie sehen«, erklärte Gostro-Gosth. »Wenn man Ihnen auf Treon vorwarf, in unseren Spionagediensten zu stehen, so sehen Sie nur, welche Angst diese sogenannte Herrenrasse noch heute vor uns hat.« Beim Besuch der mittleren Kugel zeigte Iks-Wol-Esak plötzlich wie unmotiviert auf eine Tür, an der man bereits vorübergehen wollte. »Was haben Sie zum Beispiel hier?« »Es ist nichts Besonderes, Herr. Doch wenn es Sie interessiert ...« Ihnen wurde bereitwillig geöffnet. Sie betraten einen dunklen Raum, in dem man jetzt vorsichtig ein schwaches Licht einschaltete. Zwischen kahlen, runden Wänden stand nichts
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als ein seltsam geformtes Gebilde. Es schien gewachsen zu sein. Nichts Künstliches war daran zu sehen. Und es erschien völlig fremd. Völlig fremd? Barnetts Gedanken kamen plötzlich in hektische Bewegung. Das war eine Riesenpuppe, wie Iks-Wol-Esak sie beschrieben hatte, als sie dem rätselhaften Bolidenschwarm begegnet waren. Der Proka hatte von Gedankenimpulsen gesprochen, obwohl die Quelle fast fünf Millionen Kilometer entfernt gewesen war. Und jetzt wieder diese Feststellung von überstarker telepathischer Aktivität. Perry blickte prüfend auf Iks-Wol-Esak, dem er heimlich seine Gedanken offenbarte. Der Proka sah ihn unauffällig an und nickte nur. »Das meinte ich«, sollte es heißen, und Barnett verstand ihn. Alle drei Schiffe hatten Kurs Morgat III gesetzt. Gostro-Gosth hatte dem Morgo Zoltyx den seltenen Besuch gemeldet und die Erlaubnis erhalten, ihn in der Residenz vorzuführen. »Landung in vier Stunden«, gab Barnett bekannt. »Autopilot bis Bordzeit 19 Uhr 30! Dann volle Fahrwache. Ende!« * In der Messe saßen sie zu viert. Barnett, Iks, Lisman und Bannister. »Ich weiß nicht, was du willst«, wunderte sich der Steuermann und Erste Offizier. »Es gibt keinen Krieg. Die Treoniden haben die Sache nur dramatisiert, weil sie uns für morgatische Spione hielten. Ich denke, wir werden ein paar friedliche Tage erleben.« »Jetzt hast du dich in den Finger geschnitten«, antwortete der Proka trocken. »Seit wann glaubst du alles, was man dir sagt? Du warst schon mißtrauischer.« »Die Burschen machen eben einen günstigen Eindruck auf mich. Sie sind mir sympathisch.« »Du hättest Kinderschwester werden sollen«, stichelte Bannister, obgleich auch er nicht wußte, worauf der Proka hinauswollte. »Iks wird schon seine Gründe haben, wenn er mißtrauisch ist. Schließlich ist er ein guter Telepath.« »Das war in diesem Falle nur gut für einen halben Erfolg«, schränkte dieser ein. »Fassen wir doch einmal die einander widersprechenden Erklärungen zusammen! Wenn die Treoniden uns mißtrauten, so tun es die Morgaten auf jeden Fall auch. Unsere Herkunft von Tellus und Proka ist für die ein Märchen. Die Morgaten sehen in uns treonidische Spione.« »Du mußt es ja wissen.« »Leider weiß ich es nicht genau. Denn die telepathische Kontrolle konnte ich nicht sicher durchführen, da dieses rätselhafte Puppenwesen außerordentlich stört. Ich will wetten, es beeinflußt uns sogar.« »Wieso beeinflußt es überhaupt? Ich merke nichts.« »Keiner merkt es. Vor allem die Morgaten nicht. Nur ein Telepath kann die Gefahr ahnen.« »Also du?« Iks bejahte. »Es ist wie damals gewesen, als wir vor Tagen ihrem treibenden Schwarm begegneten. In diesen Puppen steckt etwas Lebendiges. Es kommt mir vor, als handle es sich um eine Rasse aus den Tiefen des Raumes, die auf ihre eigene Art eine Völkerwanderung macht. Die Wesen befinden sich in einem Zustand, der zwischen Dämmern, Schlafen und Träumen liegt. Vielleicht sind sie Opfer einer Invasion. Ausgestoßene, unterwegs nach neuem Lebensraum. Auf jeden Fall strahlen ihre Gehirne Haß aus. Und dieser Haß überträgt sich hypnotisch auf die Köpfe der Morgaten. Wenn sie bis heute noch in scheinbarem Frieden leben, so werden sie gewiß bald Krieg führen. Mit uns, mit den Treoniden – oder was weiß ich.« »Hm, das sind ja verrückte Perspektiven, die du uns da vorblätterst. Das ist so konfus, daß ich nichts damit anzufangen weiß.«
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»Niemand kann etwas damit anfangen. Ich habe keine klare Antwort. Nur eins steht fest: Wir müssen jeden Augenblick auf der Hut sein.« »Und wie kommt eines dieser Puppenwesen an Bord des Morgatenschiffes? Wie kommt es überhaupt hierher?« Iks-Wol-Esak wedelte unsicher und abwehrend mit dem mittleren Tentakel. »Das weiß ich nicht. Als die Treoniden mit unserer CORA manipulierten, kann ein Teil des Bolidenschwarms mit in dieses Gebiet gerissen worden sein. Vielleicht sind die Morgaten abergläubisch. Vielleicht haben sie aus reiner Neugier diese Puppe an Bord genommen. Vielleicht war es schon eine Wirkung der Suggestion. Sie selbst haben keinen Verdacht. Sie machen ja auch kein Geheimnis aus dem Besitz dieser Puppe. Sonst hätten sie sie uns nicht so bereitwillig gezeigt.« »Dann sollten wir die Herren schleunigst aufklären und ihnen sagen, was für ein Trojanisches Pferd sie sich da in die Mauern geschleppt haben.« »Das liegt ganz daran, wie man uns empfängt. Ich denke, auch Zoltyx wird zunächst gegen alles mißtrauisch sein, was wir ihm erzählen.« * Auf dem zentralen Raumflughafen von Morgat III erwartete sie eine neue Überraschung. Sie zählten mehr als hundert Großraumschiffe verschiedener Bauart. Kugelförmige, linsenförmige und langgestreckte Raketen. Admiral Kertox, der als Lotse mit an Bord der TRILANI geblieben war, erklärte: »Schon daran, daß fast die Hälfte dieser Schiffe unter treonidischer Flagge fahren, mögen Sie erkennen, Barnett, daß an einen offenen Krieg zwischen uns und ihnen nicht zu denken ist. Es wäre militärischer Wahnsinn. Und außerdem sehe ich auch keinen politischen Grund. Was Sie mir vorhin über den endgültigen Friedensschluß zwischen den Prokas und den Menschen gesagt haben, hat mir sehr imponiert. Ich möchte Ihre Geschichte studieren, wenn sich Zeit und Gelegenheit finden sollten.« »An uns soll es nicht liegen, Admiral«, antwortete Barnett. »Es ist ja der Sinn unserer Expedition, Kontakte mit bisher unbekannten Zivilisationen aufzunehmen. Und dazu gehört der Austausch des Wissens und der Erfahrungen.« »Ich danke Ihnen, Captain! – Wir müssen jetzt achtgeben. Das Landemanöver beginnt. Sehen Sie das grüne Kreuz auf dem Hafen von Seronia? Das ist Ihre Markierung.« Die Hauptstadt von Morgat III hieß Seronia. Der Hafen lag ganz in der Nähe und grenzte praktisch an die Vororte. Die Umgebung von Seronia machte einen freundlicheren Eindruck als der kahle Planet der Treoniden, wo sie gefangengenommen worden waren. Hier gab es das Grün einer satten Vegetation. Wälder, Wiesen, Gärten. Die südlichen Vororte von Seronia waren Villenviertel. Die CORA landete zuerst. Zweitausend Meter davon entfernt ging die TRILANI zu Boden. Ihre 600 Meter durchmessende Hülle übertraf alles, was das Flugfeld zu bieten hatte. Barnett hatte anfangs gezögert, die beiden Schiffe hier landen zu lassen. Doch Admiral Kertox konnte seine Bedenken zerstreuen. »Auf Morgat III besitzen die Treoniden nur Stationsrechte. Wir selbst sind autark, und Sie stehen unter dem Schutz unserer Regierung. Kein Treonide hat das Recht, die TRILANI an sich zu bringen, solange Sie sich in unserem Hoheitsgebiet aufhalten.« Barnett, der sich und seinen Leuten eine wohlverdiente Pause gönnen wollte, hatte also von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, seine beiden Schiffe im Schutze der morgatischen Souveränität abzustellen. Alle Maschinen standen auf Null. Draußen hatten sich Tausende von Neugierigen versammelt, denn wenige hatten in ihrem Leben ein Schiff wie die TRILANI gesehen.
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»Ich darf Sie jetzt zu Marschall Gostro-Gosth führen, der Sie an den Hof des Herrschers bringen wird. Ich wünsche Ihnen alles Gute bei uns, Captain Barnett. Und denken Sie an Ihre Zusage?« »Sie meinen unseren Gedankenaustausch?« Kertox nickte und trat etwas näher an Barnett heran. »Hier ist meine Adresse in Seronia. Würden Sie mich besuchen, wenn Sie bei Zoltyx fertig sind?« »Gern, Admiral.« »Ich danke Ihnen. Aber kommen Sie möglichst allein ...« * Perry Barnett hatte enorme Personalschwierigkeiten. Die CORA-Besatzung von 82 Leuten war aufgeteilt worden. Achtundvierzig Mann waren das mindeste, was er auf die TRILANI abkommandieren mußte. Die wenigen eigenen Dienstroboter konnte man nicht zählen, und die treonidischen mußten weiterhin passiviert bleiben, weil man ihnen erst ein neues Programm geben mußte, bevor man sie als vertrauenswürdig ansehen konnte. Barnett legte also aus verschiedenen Gründen Wert darauf, daß seine Schiffe inmitten der fremden Beobachter unter starkem militärischem Schutz zurückblieben. Für den Besuch beim Morgo Zoltyx nahm er lediglich Iks-Wol-Esak und Dr. Bannister mit. Praxlomza übernahm das Kommando auf der TRILANI. James Lisman blieb auf der CORA. Der Blaue Palast von Seronia bedeckte eine Fläche von zwei Quadratkilometern. Es war ein Haus zum Verirren, auch wenn sein Haupttrakt nur fünf Stockwerke besaß. Überhaupt herrschte die flache Bauweise vor. Die Morgaten schienen sehr viel Platz zu haben. Nur wenige Gebäude erstreckten sich in der Senkrechten. Gostro-Gosth zeigte auf einen trichterförmigen Kegel, der auf seiner Spitze stand. »Das ist unser Theater, Captain. Sie müssen es sich bei Gelegenheit unbedingt einmal ansehen.« »Das tun wir gern«, nickte Barnett, und seine Bewunderung für alles, was er sah, war ehrlich. Im Blauen Palast wurden sie mit allen Ehren empfangen. Man konnte direkt tellurische Maßstäbe anlegen. Immer wieder fiel Barnett die Verwandtschaft zwischen den Rassen auf. Zoltyx, der Herrscher von Morgat, war ein Zweimeter-Riese, wie sein Marschall GostroGosth. Blond, breit. Auch sein Gesicht wirkte ebenmäßig, intelligent und sympathisch. Mit einer Einschränkung! Die dunkelgrünen, stechenden Augen verrieten Herrschsucht und Ehrgeiz. Barnett fand, daß er trotz allem kritisch bleiben mußte. Nach der formellen Feierlichkeit, auf der man die Menschen freundlich begrüßt hatte, wurde die Besprechung im engeren Kreise fortgesetzt. »Der Marschall hat mir bereits alles Beachtenswerte berichtet«, erklärte Zoltyx mit einem Seitenblick auf Gostro-Gosth. »Es darf also vorausgesetzt werden, daß wir uns gegenseitig schon recht eingehend instruiert haben. Ferner möchte ich in Ihnen eine schlagkräftige Truppe sehen, Captain.« »Darin täuschen Sie sich nicht, großer Morgo.« »Natürlich! Sie haben das größte Schiff der Treoniden erobert. Soviel ich weiß, gibt es davon zur Zeit nur zwei Stück. Wollen Sie es behalten?« »Es wäre wünschenswert«, sagte Barnett knapp. »Sie sind sich aber auch im klaren darüber, daß General Prysto und Cares, der große Treon, alles daransetzen werden, die TRILANI zurückzuerobern?« »Das bin ich. Solange aber die Treoniden uns mit Mißtrauen begegnen, sehe ich keinen Anlaß, sie als meine Freunde zu betrachten.« »Bravo! So gefallen Sie mir!« lobte Zoltyx. »Betrachten Sie mich als Ihren Verbündeten,
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Captain. Im Hafen von Seronia stehen vierzig treonidische Schiffe, auf denen man Ihnen alles erdenklich Böse wünscht. Solange wir zusammenhalten, schützt uns die gemeinsame Stärke.« Barnett war gar nicht wohl bei diesen Andeutungen. Er spürte schon den Pferdefuß dahinter. »Ich bedanke mich für Ihren Schutz, großer Morgo. Wir sind darauf angewiesen. Aber umgekehrt sehe ich keinen Grund für ein solches Bündnis. Fühlen Sie sich bedroht?« »Wir wollen frei sein«, sagte Zoltyx kurz. »Sind Sie es nicht?« »Nennen Sie es Freiheit, wenn das Reich Treon eigene Stützpunkte in unserem System unterhält? Wenn es verbriefte Lande- und Kontrollrechte auf Morgats Planeten besitzt?« »Natürlich nicht.« »Sehen Sie, Barnett! Und so ist es seit zwei Jahrhunderten. Doch diese Ära ist endgültig vorbei. Ich habe vor einem halben Jahr die Geschicke Morgats in meine Hände genommen. Ich werde Treon erobern. In Zukunft werden unsere Stützpunkte ihre Planeten zieren.« »Ist das nicht lediglich eine Umkehrung des Unrechts?« wagte Barnett vorsichtig zu bemerken. Doch damit schien er schon zu weit gegangen zu sein. In Zoltyx' Augen stand plötzlich ein gefährliches Blitzen. »Wer den Unterdrücker nicht unterdrückt, macht eine halbe Sache. Verstehen Sie mich?« »Natürlich, wenn Sie es so betrachten. Auf jeden Fall ist Ihre Methode die sicherste.« Zoltyx entspannte sich und lobte Barnetts Einsehen. Sie besprachen noch verschiedene Einzelheiten. Als die Tellurier den Blauen Palast verließen, hatte man ein offizielles Bündnis geschlossen. »Mir ist gar nicht wohl dabei«, murmelte Dr. Bannister auf dem Rückweg. »Liebe auf den ersten Blick soll es zwar geben, aber niemals in der Politik.« * Am Abend des 32stündigen Morgattages machte Barnett seinen Besuch bei Admiral Kertox. Er ahnte nicht, daß ihm danach der Kopf noch mehr schwirren würde. Kertox empfing sie freundlich. Er fand sogar für Iks-Wol-Esak einen geeigneten Hocker, so daß sein Kopf bei der Unterhaltung in gleicher Höhe wie die der Menschen war. Der Admiral schenkte einen leichten Wein ein, der sehr angenehm schmeckte. »Wie war es beim großen Morgo, Captain?« »Danke! Wir haben uns wohl gefühlt.« »Ich hörte, es ist zu einem Bündnis zwischen Ihnen und uns gekommen.« »Das stimmt ... Doch sagen Sie, Kertox, weshalb waren Sie nicht bei den Feierlichkeiten? Ich habe Sie vermißt.« »Sie meinen, wegen meines hohen Ranges? Das besagt nichts. Sie überschätzen meinen Einfluß in der Regierung.« Es klang sehr entsagend und bescheiden, wie Kertox es sagte. Und etwas geheimnisvoll, bildete sich Barnett ein. »Sie werden also die TRILANI gegen die Treoniden einsetzen?« fuhr der Admiral fort. »Darüber wurde noch nicht gesprochen«, wich Perry Barnett aus. »Vergessen Sie nicht, daß meine Besatzung erst an den neuen Geräten ausgebildet werden muß. Sie werden uns Zeit lassen müssen.« »Um so besser. Ein Aufschub unseres Angriffes kann nur gut sein. Morgat ist nicht stark genug. Ich bin mehr für den Frieden.« »Dann sehen Sie zu, daß Ihr Wille in der Regierung durchdringt, Kertox! Sie sind Admiral. Ihr Einfluß sollte größer sein, als Sie zugeben wollen.« »Wäre das Ihr Wunsch, Barnett?« »Seit unserer ersten Begegnung an Bord der TRILANI weiß ich, daß Sie ein friedfertiger
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Mensch sind, Admiral. Wenn ich mir die Freiheit erlauben darf, von Zoltyx habe ich nicht den Eindruck.« Kertox stand erregt auf. Aus dem Nebenzimmer holte er einen Krug Wein, obgleich das Gefäß auf dem Tisch noch voll war. »Er ist nervös«, signalisierte Iks-Wol-Esak. »Er will uns etwas Entscheidendes sagen und weiß nicht, ob er es tun darf.« Kertox kam zurück. Umständlich setzte er sich wieder. »Zoltyx ist vor einem halben Jahr durch eine blutige Revolution an die Regierung gekommen. Viele Stabsoffiziere und Minister wurden hingerichtet. Einer der wenigen, die sich halten konnten, war ich. Trotzdem zählt mein Wort nicht mehr viel. Die Emporkömmlinge sehen in mir einen Konservativen. Und Zoltyx regiert diktatorisch.« »Sie sind also die geheime Opposition?« fragte Perry Barnett offen. »Auf die Gefahr hin, daß Sie mich anzeigen, Captain! So könnte man es nennen. Mir liegt an der Freiheit des einzelnen Morgaten. Ein Krieg gegen die Treoniden wäre unser Untergang. Die Trauben hängen uns zu hoch.« »Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Admiral. Meinen Verrat brauchen Sie nicht zu fürchten. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß Sie unter dem Einfluß der Puppen stehen ...« »Was für Puppen?« fragte Kertox verständnislos. Der Proka berichtete ausführlich über ihre Beobachtungen und jagte dem Admiral damit einen nicht gelinden Schreck ein. Die Zusammenhänge waren ihm neu. »Ihre Regierung steht unter dem hypnotischen Einfluß dieser Wesen. Wir haben telepathisch festgestellt, daß es eine ganze Menge davon in dieser Stadt geben muß. Iks hat sogar drei im Blauen Palast festgestellt.« »Die Kuhls«, stöhnte Kertox verzweifelt. »Ausgerechnet diese Kuhls. Dem Aberglauben unseres Volkes ist nicht beizukommen. Und damit wollen sie in einem aufgeklärten Zeitalter einen Angriffskrieg führen.« »Die Kuhls?« »So nennen wir diese Puppen. Als man sie vor wenigen Tagen im Raum entdeckte, begann sofort ein Kampf um ihren Besitz. Ihre Nähe wirkt wie ein Rausch. Man kann geradezu süchtig davon werden ... Vier oder fünf Schiffskommandanten haben es fertiggebracht, sich einen Kuhl zu ergattern. Die meisten gelangten in die Stadt in vornehme Häuser und vor allem in den Besitz der Regierung.« »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Kuhls eingefangen wurden, Admiral?« »Ich schätze knapp zweihundert.« »Und sind Sie sich im klaren darüber, daß Sie diese Wesen vernichten müssen, wenn Sie Ihr Volk nicht ins Unglück rennen lassen wollen?« »Nein, Captain! Bis jetzt wußte ich es nicht. Aber ich hatte nie ein gutes Gefühl dabei. Jetzt weiß ich, daß ich etwas dagegen unternehmen muß.« »Also haben Sie doch Einfluß!« Kertox nickte langsam. »Ja, Barnett. Aber anders, als Sie denken.« Barnett und Iks-Wol-Esak hatten bald wieder gehen wollen. Sie blieben jedoch fast die ganze Nacht. Nam-Legak erhielt eine beruhigende Telepathie-Nachricht, daß es später werden würde. Kertox berichtete seinen Besuchern von der weitverzweigten Untergrundbewegung, deren geheimes Oberhaupt er war. »Wir warten auf den Tag der Befreiung, Captain. Wenn ich auf Ihre Hilfe rechnen dürfte! – Ich weiß, Sie sitzen selbst in einem unerfreulichen Dilemma. Aber Sie sind stark und ehrlich. Vielleicht sieht alles besser aus, wenn wir die Kuhls vernichtet haben. Ich liebe mein Volk, verstehen Sie das?« Als Barnett und der Proka sich gegen Morgen verabschieden wollten, wurde Kertox durch
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ein Summerzeichen abgerufen. Er kehrte sehr nervös ins Zimmer zurück. »Meine Posten melden auffallend starke Patrouillen der Regierungstruppen in diesem Stadtteil. Man umstellt dieses Haus, meine Herren.« »Glauben Sie, daß man Ihnen bereits auf der Spur ist?« »Das möchte ich nicht annehmen. Männer wie ich werden routinemäßig überwacht. Aber es wäre nicht gut, wenn der Morgo herausbekäme, daß Sie die ganze Nacht bei mir waren. Ich weiß nicht, wo ich Sie herauslassen soll. Sie kennen sich in Seronia noch zu wenig aus.« »Das lassen Sie nur unsere Sorge sein«, sagte Barnett beruhigend. »Wir werden verschwinden, daß Sie es nicht einmal bemerken ... Auf Wiedersehen, Admiral!« Die Besucher hatten vorsorglich ihre neuen Teleporterwesten mitgebracht. Sie verließen das Haus auf dem Wege über die fünfte Dimension. Noch bevor sie die Tür erreichten, wurden ihre Körper plötzlich durchsichtig. Schemenhaft verschwanden sie im Nichts und ließen einen Admiral zurück, der sich erregt ein neues Glas Wein einschenkte. * Es war genau einen Morgattag später. Dicht über dem Horizont stand die weiße Morgensonne und warf kilometerlange Schatten über das Flugfeld von Seronia. Und der Himmel brachte eine Überraschung nach der anderen. Perry Barnett stand vor dem großen Zentralbildschirm der TRILANI und starrte mit schlecht verborgenem Zorn auf die nacheinander landenden Raumschiffe. »Sie kommen wie eine Fliegenplage«, grunzte Praxlomza ungemütlich, der sich mit Barnett sehr einsam in der weiten Kommandobrücke des Riesenraumers fühlte. So einsam, wie die beiden von Menschen besetzten Schiffe TRILANI und CORA inmitten einer Flotte morgatischer Raumfahrzeuge. »Beim Allgeist! So viele Maschinen besitzen die Morgaten doch überhaupt nicht. Das ist die reinste Invasion. Ein Wald von Schiffen bis zum Horizont. Das hat doch bestimmt etwas mit uns zu tun.« Die mehr als hundert Kilometer weite Fläche des Raumhafens von Seronia war übersät mit Schiffen. Die Kugelform der Treoniden herrschte vor. Doch hier und da erhoben sich auch langgestreckte Torpedos in den Himmel von Morgat. Den stärksten Eindruck aber machten die beiden Schiffe der Tellurier. Sie waren die unbestrittenen Giganten. Barnett arbeitete an einem kleinen Elektronenrechner, um einen Zielpunkt für sein taktisches Manöver festzulegen. Es mußte ein Ort sein, der relativ frei von Sonnensystemen und Raumschiffahrtslinien war. Soeben hatte er eine brauchbare Koordinate bestimmt und im Rechengerät gespeichert, als das Bordtelekom schnarrte. Es schaltete sich ein. Auf dem Bildschirm erschien Lopez, der zur Zeit den Offizier vom Dienst machte. »Bist du für Keemor zu sprechen, Chef?« »Keemor? Das ist doch einer von Zoltyx' Staatssekretären. Was will denn der ausgerechnet jetzt?« »Er sagt, es wäre dringend. Und er müßte unbedingt persönlich mit dir sprechen. Der Morgo schickt ihn.« »Er soll heraufkommen. Aber gib ihm einen Mann mit. Ich möchte nicht, daß sich ein morgatischer Beamter bei uns verirrt.« »Okay, Chef! Ende.« Also Zoltyx schickte einen Mann aus seiner engsten Umgebung. Barnett entschloß sich, ihm entgegenzugehen und ihn im Hauptquartier zu empfangen. Es war nicht zu empfehlen, daß Keemor die hektischen Vorbereitungen auf der Kommandobrücke sah.
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Am Lift fing er ihn ab. »Ah, welche Ehre, Keemor! Darf ich Sie in meinen Salon führen?« Es war nicht gerade Barnetts Salon, doch immerhin ein komfortables Besprechungszimmer in der Nähe der Kommandozentrale. Ein unbemerkter Handgriff in der Nähe der Tür aktivierte ein verborgenes Tonbandgerät. »Sie können gehen«, sagte Barnett der Ordonnanz. »Nehmen Sie Platz, Keemor!« Der Morgat setzte sich. Er war nur wenig größer als Barnett. »Was führt Sie zu mir?« fuhr der Captain fort und ließ sich nicht anmerken, in welcher Eile er war und wie sehr ihn ausgerechnet in diesem Augenblick der Besuch störte. Nun, zur Not würde er auf Keemors Anwesenheit keine Rücksicht nehmen und ihn einfach mitschleppen. »Es ist keine angenehme Nachricht, die ich Ihnen zu übermitteln habe, Captain Barnett. Wir haben eine Anweisung des Obersten von Treon erhalten ...« »Von Cares?« »Jawohl, Sir! Start- und Funkverbot für Perry Barnett und seine beiden Schiffe.« »Seit wann richten Sie sich buchstabengetreu nach den Befehlen Treons?« fragte Barnett mit zusammengekniffenen Augen. »Denken Sie an unsere gemeinsamen Absichten, Captain! Zoltyx dürfte der Meinung sein, daß gerade im Augenblick die Nichtbeachtung treonidischer Wünsche unsere gesamten Pläne aufs Spiel setzen könnte. Wir müssen den Gegner in Sicherheit wiegen. Sie werden die vielen Schiffe der Zentralregierung von Treon bereits festgestellt haben.« Barnett nickte. Er tat es mit einem derart freundlichen Gesicht, daß es ihn selbst überraschte. Innerlich sah es bei ihm ganz anders aus. »Okay, Staatssekretär! Melden Sie dem Morgo, daß ich mich nach seinen Wünschen richten werde. Daß ich jedoch hoffe, von ihm bald neue Vorschläge zu hören, wie wir uns gemeinsam gegen diese Anordnung zur Wehr setzen können.« Keemor erhob sich. Barnett spürte, daß es den Morgaten hinausdrängte. Er fühlte sich unbehaglich – allein unter achtzig Menschen von Tellus. Nachdem der Ordonnanzoffizier Keemor wieder abgeholt hatte, war es 7.17 Uhr. Barnett betrat die Kommandozentrale, die von Routinegemurmel erfüllt war. Praxlomza gab seine Befehle zur Abstimmung. Die Kopiloten, Navigatoren, Ingenieure und Maschinisten brachten ihre Bestätigungen ein. »Okay! Recht so! – Wo bleibt die Klarmeldung für den Elektronengenerator?« Keine Antwort. »Zum Teufel! Leutnant Hortens! Sind Sie taub geworden?« »Verzeihung, Sir! Ich habe Störungen im Beta-Strahlbereich. Klarmeldung ist nicht möglich.« »Ich werde wahnsinnig«, tobte Praxlomza. »In fünf Minuten müssen wir starten, und Sie finden Störungen. Haben Sie nicht zweiundsiebzig Knöpfe, um die Fehler herauszumanövrieren?« »Komm her, Prax! Hier hast du die Bestätigung«, sagte Barnett. Es handelte sich ganz einwandfrei um Energiestörungen von außen. »Willst du vielleicht behaupten, daß der Morgo uns Schwierigkeiten macht?« fragte Praxlomza kleinlaut. »Es ist offensichtlich. Ich hatte soeben einen Besuch von Keemor, der die Meldung für unser Start- und Funkverbot brachte.« »Wer will uns hier etwas verbieten? Zoltyx etwa?« »Hast du schon einmal etwas von einer hoffnungslosen Übermacht gehört? Wenn wir jetzt verschwinden – falls es überhaupt gelingt – so wird man uns im Raum auflauern. Und in diesem Falle sind Treoniden und Morgaten Verbündete gegen uns ... Also, ein bißchen mehr Diplomatie, mein Lieber! Ich möchte mir nicht sämtliche Intelligenzen dieses Sternhaufens
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zum Feinde machen.« »Also ziehst du das Verrecken vor? Warte noch eine Stunde, und die da draußen rücken mit ihren Truppen an.« »Wir brauchen die Stunde gar nicht erst abzuwarten«, erklärte Barnett mit übermenschlicher Besonnenheit und zeigte dabei auf den Bildschirm für die Bodenbeobachtung. 7 Uhr 23! Interkomanruf von der CORA. »Hallo, Perry! Warum startet ihr nicht?« James Lismans Gesicht wirkte auf dem Bildschirm beinahe bürokratisch. »Weil Cares von Treon es verboten hat. Bring alle Maschinen auf Null, James! Und kümmere dich um unsere gemeinsame Verteidigung. Wir werden von Bodentruppen angegriffen. Weitere Erklärungen später.« Innerhalb weniger Sekunden mußte die allgemeine Konzentration auf die Verteidigung gelenkt werden. Zwischen den benachbarten Schiffen der morgatischen und treonidischen Flotten tauchten Kampfroboter und Elektronenpanzerwagen auf. Es war ein offener Angriff. »Zoltyx läßt die Maske fallen«, fauchte Praxlomza. »Ein ganz plumpes Manöver. Sie konzentrieren sich einwandfrei auf die TRILANI.« »Die TRILANI gilt es zurückzugewinnen«, warf Bannister ein. »Das ist unser Vorteil. Sie dürfen sie nicht zerstören.« »Und wir haben keine Möglichkeit, unsere Abwehrschirme einzuschalten. Die Schiffe stehen einander zu nahe. Und die TRILANI und die CORA würden sich gegenseitig beschädigen ... Abwehrfeuer mit konventionellen Waffen!« Barnetts Befehl wurde aufgenommen und ging an die einzelnen Feuerleitstellen. Konventionelle Waffen! Das hieß für den Kugelraumer treonidischer Bauart: DesintegratorStrahlkanonen. Und für die CORA: Neutronenwerfer und Impulsstrahler. Die ganze Anlage des Angriffs verriet, daß er als eine Überraschungsaktion geplant war. Die einzelnen Roboter und Panzerwagen waren – auch wenn sie zu Hunderten kamen – gegen die Abwehrwaffen von zwei Großraumschiffen absolut unterlegen. Sobald sie erkannt waren, mußten sie in jeder Sekunde mit entscheidenden Verlusten rechnen. Barnetts Batterien schossen mit der Genauigkeit astronomischer Uhren. Der Überfall mußte also auf Anhieb zum Erfolg führen. Bannister hatte mit seiner Behauptung recht behalten. Die einzelnen Gefechtsstände hatten von Perry Barnett sofort völlige Feuerfreiheit erhalten. In einer Entfernung von drei Kilometern lagen die ersten Opfer. Metall- und Plastiktrümmer hochqualifizierter, selbstdenkender Maschinen. Doch das Gros der Angriffswelle drang weiter vor. »2500 Meter«, murmelte Praxlomza, der nichts anderes zu tun hatte, als den Gegner auf seinem Gradnetz zu verfolgen. »Sie verlieren regelmäßig, aber durchschnittlich zehn Prozent zu wenig«, behauptete der Recheningenieur Bellinski. Er war ein Routinier für abstrakte Zahlen. Die Qualität dahinter interessierte ihn nicht. Während eines normalen Raumfluges zählte er Sterne und Milchstraßen, bei Transitionen errechnete er automatisch mögliche Fehlsprünge, die sich aus unwägbaren Faktoren im Verhältnis zwischen der Eigenmasse und der erforderlichen Raumkrümmung ergeben konnten, und während einer Raumschlacht bemühte er sich laufend um eine objektive Beurteilung der Chancen auf beiden Seiten. »Der Gegner beurteilt die Lage anders«, meinte Praxlomza. »Er hält den Einsatz von Verstärkungen für notwendig.« Tatsächlich wurde eine zweite Angriffswelle eingesetzt. »Hat der Gegner Chancen, den Fußpunkt der TRILANI zu erreichen, Bellinski?« fragte Barnett zurück. »Mit sechzig bis siebzig Robotern und vier Panzern, Sir! Und das gilt nur für die erste
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Welle. Die Aussichten der zweiten sind noch größer, wenn wir annehmen, daß der Angriff weiterhin auf uns konzentriert bleibt.« »Danke! Melden Sie sich unaufgefordert, falls die Prognose eine Verschiebung erfährt.« Die Aufforderung verlor innerhalb der nächsten Minute an Bedeutung, denn langsam konnte man sich an den fünf Fingern abzählen, daß der Plan des Gegners gelingen mußte. Sie hatten noch gut 300 Meter bis zum Mittelpunkt der TRILANI zurückzulegen, wo sich der Haupteinstieg befand. * Der Expreßlift jagte nach unten. Keemor und Lopez standen sich in der kleinen Kabine schweigend gegenüber. Auf der Signaltafel leuchteten in rascher Reihenfolge die Nummern der verschiedenen Decks auf, die sie passierten. Drei Etagen vor dem Ziel hielt der Korb plötzlich an. Lopez versuchte es ein paarmal mit dem Fahrtschalter. Ohne Erfolg. Keemor blitzte ihn an. »Was soll das Manöver, Sir? Ich wünsche das Schiff zu verlassen.« »Niemand hindert Sie daran, Herr Staatssekretär. Der Elevator scheint defekt zu sein. Ich kenne mich leider auf diesem Beuteschiff noch nicht so gut aus. Wir können aber die letzten drei Decks zu Fuß gehen.« Lopez stieß die Tür auf. Auf dem Korridor standen drei bewaffnete Soldaten. Einer von ihnen, ein Unteroffizier, kam sofort heran. »Wir haben Alarmstufe I, Sir. Das Betreten der unteren Stockwerke ist nicht mehr gestattet. Gäste müssen in die dafür vorgesehenen Räume geleitet werden.« »Alarmstufe I? Wir waren nicht länger als drei Minuten mit dem Lift unterwegs. Was ist inzwischen vorgefallen?« »Roboterangriff, Sir, soviel ich gehört habe. Genaues kann ich nicht sagen.« »Okay!« Lopez tippte an die Mütze und blickte dann auf Keemor. »Ich muß Sie bitten, mir zu folgen. Sie werden verstehen, unter den gegebenen Um ...« »Wenn die Treoniden Roboter gelandet haben, gehöre ich auf meinen Posten.« »Es heißt, wir sind von allen Seiten eingekreist«, erklärte der Unteroffizier. »Sie können hier nicht mehr heraus, Exzellenz.« Keemor schien sich schnell entschieden zu haben. Sein anfangs wütendes Gesicht glättete sich. »Ich muß mich wohl fügen. Der Alarmzustand erfordert oft unangenehme Konsequenzen. Hoffen wir, daß es bald vorüber ist. – Würden Sie mir ein Zimmer zuweisen, Mr. Lopez?« Bei der chronischen Unterbesetzung der TRILANI gab es Unterkünfte wie in einem Hotel auf einem unbewohnten Planeten. Lopez ging einen Korridor entlang und führte Keemor in eine komfortabel ausgestattete Reisekabine. »Ich hoffe, Sie werden sich hier wohl fühlen, Herr Staatssekretär. Hier, der dritte Bildschirm von rechts gestattet Ihnen die Außenbeobachtung. Sie können sich also über den Stand der Dinge orientieren ...« Mit diesen Worten drehte sich Lopez um und starrte in den Lauf einer Pistole. »Nehmen Sie lieber die Hände hoch! Ich orientiere mich lieber auf die Weise, die ich für richtig halte.« Mehr Worte machte der Morgat nicht. Er krümmte den Finger und löste den Psychstrahl aus. Lopez fiel auf der Stelle um und war entsprechend der Fokuseinstellung der Waffe für mindestens fünf Stunden besinnungslos. Keemor ging hinaus.
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Er erreichte das vorletzte Deck. Auch hier waren mehrere Passagierkabinen vorhanden, deren Signale auf »frei« standen. Mühelos konnte er sich zurückziehen, als er Schritte vernahm. Durch den Spion in der Tür verfolgte er zwei Soldaten. Sie waren schnell wieder verschwunden. Keemor trug einen Taschenkommunikator bei sich. Er steckte ihn nach kurzem Überlegen wieder in die Kombination zurück. Das stationäre Gerät in der Kabine war zum Spähen weit besser geeignet. Er drückte die Taste. Drei Sekunden später kam das Bild. Das Bild von der entscheidenden Phase der Schlacht. Dreißig Roboter oder mehr hetzten heran. Acht Panzerwagen schlugen ihre schweren Ketten in den Beton der Startpiste. Im Hintergrund die Trümmer. Der weitaus größte Teil der angreifenden mechanischen Einheiten besaß nicht mehr als seinen Schrottwert. Doch das alles war einkalkuliert gewesen. Keemor schloß die Augen, als vier Kampfroboter sich kurz nacheinander von einer zart leuchtenden Wolke umgeben in Energie auflösten. Doch er mußte wieder hinsehen. Er mußte über die letzte Phase in jedem Augenblick orientiert sein. Es war die Aufgabe der Angreifer, die TRILANI zu erobern. Denn eine vernichtete TRILANI war die Beute nicht mehr wert. Nur noch die kielwärts gerichteten Batterien schossen. Und auch sie nur mit stark begrenzter Energie, da die Reflexionswirkung des Bodens wiederum das Schiff bedrohte. »Gewonnen!« stellte Keemor für sich fest. Fünf Panzerwagen und mehr als dreißig Roboter standen unter dem Nadir des Schiffes. Keemor rannte hinaus zur Treppe. Mit drei Sätzen in das untere Deck. Zur Hauptschleuse. Dort empfingen ihn fünf Soldaten unter der Führung von Leutnant Lavista. »Halt! Sie sind ein Morgat. Wie kommen Sie hierher?« »Ich bin nicht nur ein Morgat, sondern Staatssekretär Keemor. Sie wissen gut genug, daß ich bei Mr. Barnett einen Besuch gemacht habe.« »Gehen Sie zurück! Wir befinden uns im Alarmzustand. In wenigen Augenblicken wird hier die Hölle los sein.« »Meine Herren!« sagte Keemor scharf, indem er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. »Wollen Sie mein Amt ignorieren? Sie kennen mich. Und wenn es Zweifel geben sollte, sagt Ihnen meine Uniform das Notwendige. Riskieren Sie keinen diplomatischen Konflikt! Das würde Sie teuer zu stehen kommen.« Lavista deutete mit einem gefährlichen Grinsen auf den Beobachtungsschirm der Hauptschleuse. »Wenn Sie die Augen aufgemacht hätten, Exzellenz, wüßten Sie, daß es sich hier um einen bedeutungsvolleren Konflikt handelt.« »Ich gebe den Blechkameraden noch zwanzig Sekunden. Da kleben sie am Boden und recken die Hälse ...« »Bei Gott! Es sind Menschen dabei!« rief Lavista plötzlich. »Genauer gesagt – Morgaten«, verbesserte Keemor. »Geben Sie den Weg frei, damit ich mit ihnen verhandeln kann.« Der Leutnant lachte gefährlich. Er blickte mißtrauisch auf den morgatischen Staatsmann. Doch seine Aufmerksamkeit kam Sekunden zu spät. Keemor hatte unbemerkt den Schalter für die Hydraulik der Luftschleuse herumgelegt. Für Lavista und seine Männer noch immer unsichtbar, glitt das Außenschott langsam zur Seite. »Treten Sie zurück, Exzellenz! Gehen Sie in die Wachstube. Das ist ein Befehl!« Es sah nicht nach der geringsten Chance für Keemor aus. Er starrte in die Mündungen von sechs Impulsgewehren und konnte keine Bewegung nach seiner eigenen Waffe machen.
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Dann kam der Moment, auf den er gewartet hatte. Die Automatik setzte auch das innere Schott in Bewegung. Das Geräusch ließ die Posten herumfahren. Entsetzt starrten sie auf den unerklärlichen Vorgang. In diesem Moment schoß Keemor. Er zielte und schoß, zielte und schoß. Seine Augen und Hände waren geübt. Ehe die Soldaten reagieren konnten, lagen sie betäubt am Boden. Dann machte Keemor seinen entscheidenden Fehler. Er nahm sich nicht die Zeit, seine Opfer nachzuzählen. Es genügte ihm, daß alle auf der Stelle niederstürzten. Er rannte nach vorn und blickte durch die große runde Öffnung. Unter ihm schwebten die ersten Verbündeten heran. Roboter mit eingebauter Antischwerkraftanlage. Fünfunddreißig Soldaten der morgatischen Armee, die in den beiden Panzern versteckt gewesen waren, schossen sich mit Hilfe von Düsensätzen herauf. Einzelne von ihnen wurden noch im Flug Opfer der Schiffsabwehr. Trotzdem! Die Eroberung der TRILANI durch die Treon-Roboter und morgatische Infanterie nahm ihren Anfang. So jedenfalls sah es Keemor. Lavista sah es anders. Die Kriegslist des Morgaten hatte er zu spät erkannt, um sich und seinen Männern unmittelbar helfen zu können. Seine letzte Rettung war ein Teleportationssprung von fünf Metern gewesen. Auch er gehörte zu den wenigen Männern, die von Iks-Wol-Esaks neuen Westen eine mitbekommen hatten. Instinktiv hatte er sich auf einen Punkt in Keemors Rücken konzentriert. Im gleichen Augenblick hatte er den Ort vor der drohenden Pistolenmündung verlassen. Dann schoß er zurück. Der Staatssekretär stürzte. Sein Stöhnen erstickte in der völligen körperlichen Vernichtung, die über ihn kam, bevor er noch am Boden lag. Lavista hetzte weiter zurück. Aus schrägem Blickwinkel hatte er längst erkannt, daß der Platz an der geöffneten Schleuse von ihm allein nicht mehr zu halten war. Roboter und Morgaten schwebten heran. Deckung hinter der nächsten Wegbiegung! Fünf, sechs Schritte genügten. Von hier aus konnte er auch eine Übermacht aufhalten. Der erste Roboter schoß mit dem Kopf voran hoch. Der Kopf des zweiten tauchte auf, als der erste im Begriff war, festen Boden zu finden. Wieder krümmte Lavista den Finger. Abschuß! Blech und Plastik deformierten. Der zweite Bursche schwenkte herum, da er die Quelle der Gefahr sofort geortet hatte. Lavista mußte sich zurückziehen. Der aufpeitschende Thermostrahl hinterließ glühende Spuren in den Wänden und bohrte sich durch die Tür eines Passagiersalons. Teufel, das konnte hart werden! Lavista bereitete sich auf einen Sprung direkt zu Barnett vor. In dem Augenblick registrierte er ein anderes Geräusch. Ein vertrautes Poltern. Den dumpfen Schritt der verbündeten Zyklopen. Es konnten keine Gegner sein, nicht aus dieser Richtung. Und dann waren sie heran. Zwei Meter große Recken aus den tellurischen Werkhallen. Die Kampfroboter Perry Barnetts. Das Rasseln in ihren Schädeln, das Blinken ihrer stereoskopischen Augen, das Schwenken ihrer Waffenarme wirkte schon rein optisch bedrohlich. Schüsse! Peitschende Energie. Einer fiel, stürzte. Die anderen drängten nach, schossen zurück, gewannen weiter an Raum. Der Korridor schien zu bersten. Energie prallte gegen die Wände und Decken. Der Vormarsch ging weiter. Automatisch hatten die Roboter ihre Abwehrschirme eingeschaltet. Es war ein Kampf gleichwertiger Giganten. Die wenigen Morgaten aus Fleisch und Blut, die
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zwischen die Fronten dieser unbarmherzigen Gegner gerieten, waren verloren, bevor sie die ganze Tragweite des Gefechts erkennen konnten. Für Lavista blieb nichts anderes zu tun, als nach seinem Taschentuch zu greifen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Als der Lärm plötzlich verstummte, wagte er sich ein Stück aus der Deckung heraus. An der Schleuse standen sieben tellurische Blechkameraden und waren damit beschäftigt, die Schotten zu schließen. Jeweils zwei setzten sich nach drei Richtungen in Bewegung und bestrahlten die nächste Umgebung mit ihrer Strahlungsdusche, einem Zusatzgerät, das erst vor wenigen Monaten entwickelt worden war. Die Strahlungsdusche, die in den Kreisen um Perry Barnett längst den Spitznamen »Gießkanne« trug, war ein chemo-physikalischer Mechanismus, mit dem strahlenverseuchte Gebiete noch einmal radioaktiv überzogen wurden. Dieser Antagonismus ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn die Nachbehandlung mit zusätzlicher Radioaktivität geschieht derartig, daß die gefährlichen Strahlungsgebiete in einen Zerfallprozeß von äußerst kurzer Halbwertzeit gezwungen werden. Die Säuberung dauert in der Regel nicht länger als drei Minuten. Im Prinzip handelt es sich also um ein ähnliches Verfahren, wie es die Medizin längst bei den verschiedenen Methoden der Schutzimpfung anwendet. »Treten Sie zurück, Sir!« rief Roboter Nr. 12. »Sie müssen sich noch fünf Minuten gedulden, ehe Sie das Gebiet an der Schleuse betreten können. Es ist noch ziemlich heiß bei uns.« Lavista teleportierte direkt auf die Kommandobrücke, um Barnett ausführliche Meldung zu erstatten. Kurz darauf hieß es beim Roboterkommando, daß das untere Deck wieder von Lebewesen betreten werden könne. Sie fuhren mit dem Lift nach unten. Am Ort der mit Mühe und Glück überstandenen Auseinandersetzung wurde sich mancher bewußt, daß trotz des Sieges kein Anlaß zum Feiern gegeben war. »Das sieht übel aus.« »Es hätte schlimmer werden können«, behauptete Iks-Wol-Esak sachlich. Unter den Robotern waren inzwischen auch Spezialisten für die Schiffswartung aufgetaucht. »Die Hydraulik der Schleuse arbeitet noch einwandfrei. Trotzdem müssen wir Aeroproben machen. Es sieht so aus, als ob die Dichtungen durch die Hitze des Strahlbeschusses gelitten hätten.« »Kümmert euch um die Sache, Robby! Übernimmst du die Aufsicht, Iks?« Der Proka bejahte. »Ich werde nachher noch zwei Ingenieure kommen lassen«, fuhr Barnett fort. »Was schätzt du, wie lange die Reparaturen dauern werden?« »Fünf Stunden.« »Okay.« Auch der Kontrollschirm an der Schleuse war noch intakt. Auf der Piste des Raumhafens waren acht Roboter damit beschäftigt, die Trümmer des Gegners zu kontrollieren. Wo einzelne Kampfmaschinen noch »Leben« verrieten, wurden sie restlos ausgeschaltet. Unmittelbar darauf folgten die Aufräumungstrupps, die das Gelände säuberten. Barnett und seine Männer kehrten in die Zentrale zurück, nachdem sie ein paar Minuten bei den Toten verweilt hatten. »Und wie soll es weitergehen?« fragte Lisman. »Wir werden verhandeln«, entschied Barnett. »Selbst wenn manchmal wenig bei solchen Sachen herauskommt, so haben sie doch einen Sinn. Ich möchte wissen, wieweit der Morgo Farbe bekennt.« Die Tellurier sandten dem großen Morgo Zoltyx ein Interkomtelegramm, in dem er um seine
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Meinung gefragt wurde, ob man die Funk- und Startsperre der Treoniden wirklich so ernst nehmen solle. Auf dem gleichen Wege schickte der Morgo seine Antwort. Sie lautete: »Wir raten trotz allem zur Befolgung der Anordnung. Uns liegt eine Nachricht der Zentralregierung vor, daß der Diebstahl der TRILANI nicht länger geduldet werden könne. Man droht verstärkte Überwachung durch Roboterschiffe an, falls die morgatischen Maßnahmen sich als nicht ausreichend erweisen sollten. Der Befehl des Treon, daß wir die TRILANI zu erobern trachten sollen, bleibt aufrechterhalten. Ich bitte Sie darum, Captain Barnett, alle Aktionen vorher mit uns abzustimmen. Schlagen Sie Ort und Zeitpunkt für eine baldige persönliche Besprechung vor.« »Aha, er hat angebissen«, schnarrte James Lisman zufrieden. Barnett antwortete dem Morgo, daß er ihn gern auf der TRILANI begrüßen würde. Zoltyx nahm an und avisierte seinen Besuch für die nächste Stunde. Er kam mit einem Stab von sechs Ministern und Offizieren. Darunter auch Marschall Gostro-Gosth. Sie wurden mit einem großen Essen empfangen, bei dem terranische und morgatische Spezialitäten in reicher Auswahl geboten wurden. Schon beim ersten Gang überraschte Iks-Wol-Esak alle Anwesenden mit scheinbar sinnlosen Fragen. »Haben Sie die Terroranschläge mit Erfolg zurückweisen können, großer Morgo?« »Terroranschläge? Ach so, Sie meinen die Bombenattentate?« »Ja, ich hörte von Keemor, der uns besuchte, daß kurz vor dem treonidischen Angriff auf unsere Schiffe mehrere Atomreaktoren von Unbekannten gesprengt worden seien.« »Von Keemor? Hm, mir ist es rätselhaft, wieso er davon wußte.« »Wenn es sich um Tatsachen handelt, so wird er seine Information schon von irgendwoher bezogen haben. Mir gegenüber hat er ja auch nur Andeutungen gemacht.« »Ich möchte wissen, wovon man überhaupt spricht«, forderte James Lisman mit kauenden Zähnen. Ein Seitenblick auf Barnett verriet ihm, daß der Chef nicht klüger war als er. »Ja, in den heutigen Morgenstunden sind tatsächlich einige Anschläge auf wichtige Energiestützpunkte unserer Regierung gemacht worden. Wir haben jedoch alle Brände unter Kontrolle.« »Die Nachricht ist überraschend für mich«, sagte Barnett ehrlich. »Mein Freund Iks-WolEsak hat mit keinem Wort darüber zu mir gesprochen. Hat Keemor dir noch Einzelheiten berichtet, Iks?« »Es war wenig Zeit dazu vorhanden. Wir wurden dann durch den treonidischen Anschlag überrascht und hatten mit uns selbst genug zu tun. Ich habe mich schon gefragt, ob es hier eine geheime Untergrundbewegung gibt ...« »Ich bitte dich! Wer sollte n einem solchen Musterstaat rebellieren wollen? Ich kann mir nicht denken, daß Iks recht hat, großer Morgo?« Zoltyx machte eine herrische Handbewegung des Unwillens. »Hinter diesen Anschlägen können nur die Treoniden stecken. Ich halte es nicht für einen Zufall, daß der Angriff auf die TRILANI fast gleichzeitig erfolgte. Wir sollten offen miteinander reden, Captain Barnett.« Barnett war der Meinung, daß er seine Rolle am glaubwürdigsten spielte, wenn er ein gesundes Mißtrauen durchblicken ließ. Er konnte nicht immer nur mit dem Kopf nicken. »Wir sind aufeinander angewiesen, Zoltyx. Doch werden Sie verstehen, daß ich für mich und meine Leute gewisse Sicherheiten brauche. Die Tatsache, daß bei dem Überfall auf mein Schiff Morgaten beteiligt gewesen sind, hat unter der Besatzung eine verständliche Unruhe hervorgerufen. Wir wollen am Kern der Sache nicht vorbeigehen. Keemor fiel im Kampf gegen meine Roboter. Ich ließ Ihnen bereits mein Bedauern über den Zwischenfall mitteilen.
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Keemor war ein fähiger Staatsmann. Doch ...« Barnett zögerte absichtlich. Zoltyx nahm, wie gewünscht, das Thema auf. »Es war ein von Treon angeordneter Angriff. Stellen Sie sich nur einmal die Frage, wie Sie als dienstpflichtiger Vasall gehandelt hätten. Zum Schein mußten wir uns an der Aktion beteiligen. Wir dürfen kein Risiko eingehen und uns verdächtig machen. Wie gering unser Vertrauen ist, das wir bei der Zentralgewalt genießen, erkennen Sie an den Sabotageakten.« »In der Tat eine undurchsichtige Situation«, sagte Barnett mehr zu sich selbst, aber so, daß der neben ihm sitzende Morgo es verstehen konnte. »Wir müssen den Mut haben, eine Entscheidung zu treffen, Captain.« Das Gespräch wurde nun weniger verfänglich, und die morgatischen Abgeordneten schickten sich wieder zum Gehen an. »Ich möchte, daß wir die notwendigen Einzelheiten sehr bald besprechen«, erklärte der Morgo beim Abschied. »Würden Sie uns die Ehre geben, Captain, in der kommenden Nacht mit Ihrem Stab bei mir im Blauen Palast zu erscheinen?« »Gern, natürlich. Doch vergessen Sie nicht die treonidischen Agenten! Ich zweifle nicht an ihnen. Könnte unser offizielles Erscheinen nicht zu auffällig sein?« »Wir werden es auf kultureller Ebene abwickeln«, sagte Zoltyx mit tiefgründigem Lächeln. »Unser Staatsballett gibt heute abend eine Galavorstellung. Sie werden unsere Ehrengäste sein. Die anschließende Besprechung können wir wieder als Essen tarnen. Sie sind uns ohnehin für dieses Mahl einen Gegenbesuch schuldig.« Barnett sagte zu und geleitete seine Besucher persönlich zur Schiffsschleuse, wo sie ein staatliches Flugtaxi abholte. Die nächste Frage galt dem Telepathen. »Was ist mit ihm?« Iks-Wol-Esak machte einen stark erregten Eindruck. »Ich kann es nicht sagen, Perry. Alle Morgaten waren äußerst gedankenpassiv.« »Aber sie sprachen äußerst verständlich«, gab Barnett zu bedenken. »Da stimmt doch etwas nicht.« »Natürlich stimmt etwas nicht. Es lag keine Verschlüsselung der Gedanken zugrunde, sondern eine Gehirnspaltung. Der logische Bereich lenkte das Gespräch und war für uns nicht erkennbar.« »Ich vermute, daß die Kuhls dahinterstecken«, sagte Nam-Legak leise, als sei er selbst nicht ganz überzeugt. »Die Kuhls? Mein Gott, sie hatten doch keine Puppen in der Tasche. Willst du behaupten, daß diese Wesen ihren Einfluß über größere Strecken geltend machen können?« »Posthypnotische Wirkungen«, sagte Iks-Wol-Esak. »Das ist gar nicht so abwegig.« »Ich höre immer ›Kuhls‹!« sagte jemand laut im Hintergrund. Es war Lisman, der jetzt näher kam. »Wieso unternehmen wir nichts gegen diese Parasiten? Solange die im Hintergrund alles verwirren, bringen wir es nie zu einem vernünftigen Verhältnis mit den Morgaten. Ich schlage eine sofortige Großrazzia mit den beiden Prokas vor. Unsere Telepathen riechen die Biester doch ebensogut wie ich die Kombüse.« »Der Plan verfolgt mich schon lange«, sagte Barnett. »Aber wer kann es sich erlauben, den Talisman seines Freundes zu vernichten? Wenn die Morgaten dahinterkommen ...« »Auch die Getreuen des Kertox sind Morgaten. Ihnen täten wir einen besonderen Gefallen damit.« Es entstand eine Pause. Barnett ging ein paarmal im Raum auf und ab. Niemand störte ihn. »Was waren das für Bombenanschläge, Iks? Warum hast du mir nichts davon gesagt, daß Keemor ...« »Ich wußte es nicht von Keemor, sondern vom Morgo selbst. Es war ein einziges Gedankenthema, das ich bei ihm einigermaßen sinnvoll entschlüsseln konnte. Er war sehr
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stark mit diesem Problem beschäftigt, als er sich an den Tisch setzte.« »Also gut! Wir sind heute abend eingeladen. Was man uns bei der Besprechung eröffnen wird, kann niemand sagen. Oder weißt du mehr, Iks?« Der Proka verneinte. »Ich schlage erhöhte Alarmbereitschaft vor.« »Natürlich! Du wirst ein paar Dreiergruppen zusammenstellen, James, die sich gleichzeitig in Seronia umsehen. Jede Gruppe muß mindestens über eine Teleportationsweste verfügen. Wie weit sind die Versuche mit Klammersprüngen?« »Wenn sich zwei Mann an den Träger der Weste klammern, können sie mitteleportiert werden. Es bereitet kaum Schwierigkeiten.« »Okay! Damit ist unser persönliches Risiko stark gemindert. Trotzdem rate ich zur Vorsicht. Vor allem schießt nicht auf Morgaten! Unsere Gegner bei dieser Aktion sind einzig und allein die Kuhls. Verwandelt sie in Energie, dann ist die Frage, wo sie geblieben sind, illusorisch ...« * Das Staatstheater von Seronia war bis auf den letzten Platz gefüllt. Bis auf den letzten Platz! Das hieß, es waren mehr als 120 000 Sitze besetzt, die in siebzehn Ränge unterteilt waren. Die tellurischen Ehrengäste fanden sich bald von ihren Problemen abgelenkt. »Enorm!« stellte Lisman anerkennend fest. »Einmal Tourist sein! Man sollte die ganze ernsthafte Forschung an den Nagel hängen und sich ausschließlich den Sehenswürdigkeiten der Galaxis widmen.« »Schaffe erst die Voraussetzungen«, antwortete Barnett trocken. »Gib der Milchstraße eine einzige rechtmäßige Regierung, die jede Rasse anerkennen kann. Und ächte die Kriege. Sobald du über diese Punkte die Vollzugsmeldung auf den Tisch legst, habe ich nichts dagegen, wenn du für den Rest deines Lebens den Touristen spielst.« Auch die Bauten der Morgaten verrieten ihre treonidische und menschliche Herkunft, obwohl die Rasse seit langem autark war und Gelegenheit gehabt hatte, eine eigenständige Kultur zu entwickeln. Das Theater war ein Gebäude für sich. Seine Form erinnerte an ein weit ausladendes Sektglas. Mit der Spitze ruhte es auf einem kurzen, runden Sockel. Der auf diese Weise innen entstandene Trichter nahm in sich nach oben weitenden Kreisen die Zuschauerränge auf. Genau im Zentrum lag die ebenfalls kreisrunde Bühne. Die Logen der Regierungsmitglieder befanden sich auf halber Höhe, etwa neunzig Meter über dem Boden. »Günstig ist der Platz gerade nicht«, behauptete James Lisman nach einer Pause des stillen Bewunderns. »Wenn dort unten gleich ein Ballett auftritt, kann ich ohne optische Hilfsmittel gewiß nicht die Arme von den Beinen der Damen unterscheiden.« Leichtsinnigerweise hatte er ziemlich laut gesprochen, und seine Reklamation war von Gostro-Gosth aufgeschnappt worden. »Erwarten Sie Frauen, Mr. Lisman?« »Allerdings, Sir! Ein Ballett ohne Weiblichkeit ist auf Terra wie ein Tag ohne Sonne.« »Ich hoffe, Sie werden es trotzdem nett finden. Bei uns tanzen ausschließlich die Männer und deren Pendants in den einzelnen Kategorien. Na, Sie werden ja sehen! Und – sobald es angefangen hat, werden Sie auch gut sehen können.« Gostro-Gosth behielt recht. Nachdem durch einen Lautsprecher die erste Nummer angekündigt worden war, erschienen nicht weniger als hundert Tänzer auf der Bühne und rannten scheinbar sinnlos und ohne Einstudierung durcheinander. Wenig später ertönten dumpfe Schläge. Es war nur ein trockenes, nicht einmal rhythmisches Pochen ohne jede Melodie. Aber die Tänzer schienen etwas damit anfangen zu können.
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Allmählich spürte auch der exotische Beobachter, daß hinter diesen Bewegungen und Klängen eine Gesetzmäßigkeit steckte. Man mußte sich erst daran gewöhnen. Allerdings war es von der Gewöhnung bis zum Genuß noch ein weiter Weg. Vielleicht mußte man es vom technischen Standpunkt aus betrachten und nicht vom musischen. Eindrucksvoll war auf jeden Fall, was man mit der Bühne selbst anstellte. Sie hob sich plötzlich. Ganz langsam begann die Bewegung. Eine mindestens zehn Meter durchmessende Säule wurde sichtbar, die – von gigantischen Kräften getrieben – aus dem Boden wuchs. Die Bühne kam den höher sitzenden Zuschauern näher. Also, so war das gemeint. Lisman begriff. Nach wenigen Minuten befand sich die Bühne in seiner Augenhöhe. Das riesenhafte Rohr ragte bereits neunzig Meter in die Luft und stieg immer noch. »Gigantisch! Gigantisch!« lobte James Lisman. »Aber was machen inzwischen die Leute auf den unteren Plätzen?« »Sehen Sie hin!« sagte Gostro-Gosth. »Es ist an alles gedacht.« Tatsächlich, die Bühne bestand aus einem glasklaren Teller. Man konnte die Akteure von unten erkennen. Natürlich, dachte Lisman, wenn es so ist. Bei diesen unmotivierten Verrenkungen kommt es ja nicht darauf an, aus welcher Perspektive man die Darbietungen betrachtet. Lisman dachte es, hütete sich aber, seine despektierliche Meinung auszusprechen. Die Morgaten würden ihn als Kunstbanausen ansehen. Trotzdem! Das Ganze war nicht ohne Interesse für einen Tellurier. Allein die schwindelerregende Höhe beeindruckte. Die rasenden Akteure wagten sich oft bis nahe an den Rand, der durch nichts gesichert war. »Kann es dabei keine Unfälle geben?« fragte Barnett den Morgo. »Hin und wieder kommt es vor. Aber selten. Durchschnittlich stürzen in zehn Vorstellungen drei Leute ab.« »Hm«, machte Barnett. Einen ausführlicheren Kommentar traute er sich nicht zu geben. »Empfinden Sie es als aufregend?« wandte sich Lisman wieder an Gostro-Gosth. »Im höchsten Grade. Das ist ja der einzige Reiz an der Sache.« »Natürlich, da kann ich Ihnen beistimmen.« »Jetzt sind sie hundertsiebzig Meter hoch ...« Die Bühne senkte sich wieder. Das hektische Geräusch der Schlaginstrumente nahm weiterhin zu. Die Bewegungen der Tänzer steigerten sich bis zur Ekstase. Dann brach die »Musik« plötzlich ab. Die Akteure erstarrten. Ein Schrei im Chor. Das endlich schien einstudiert zu sein. Gleichzeitig sprangen alle Tänzer auf und reckten die Arme nach oben, als wollten sie den Himmel ergreifen. Während ihres Sprunges schoß die Bühne nach unten bis zur ersten Zuschauerreihe. Mit der gleichen Geschwindigkeit wurde sie durch ungeheure hydraulische Kräfte nach oben gestoßen und fing dies springenden Tänzer an der gleichen Stelle wieder auf. Das alles hatte knapp eine Sekunde gedauert. Der Gesamtweg, den die Tellerbühne in dieser Zeit zurückgelegt hatte, betrug immer noch vierzig Meter. Ein ohrenbetäubender Beifall löste die Spannung. Langsam verschwand die Bühne endgültig in der Tiefe. Die Tänzer fielen durch sich öffnende Luken und waren dem Anblick der Zuschauer entzogen. Aber noch minutenlang donnerte der Beifall durch das weite Rund. Beifall – in der Form von Zungenschnalzen. Vom Händeklatschen hatten die Morgaten offenbar nie etwas gehört. »Eine aufregende Sache, in der Tat«, sagte Lisman anerkennend. Bei der zweiten Nummer erfuhren die Tellurier, daß die Morgaten auch die Musik als
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Untermalung für das Ballett benutzten. Sie klang sogar sehr harmonisch und hatte für den tellurischen Geschmack eher einen getragenen, konservativen Charakter. Die Nummer war ohne jede Artistik. Die Bewegungen wirkten ästhetisch. »In dieser Art kennen wir es zu Hause«, bemerkte Perry Barnett und verband ein Lob damit. Bevor die dritte Darbietung begann, forderte der Intendant die Zuschauer auf, sich daran zu beteiligen. Tausende meldeten sich. Die Undiszipliniertheit der Massen kam den Besuchern vertraut vor. Ein Laienauftritt auf der Bühne schien eine ähnliche Auszeichnung zu sein wie auf der Erde. Barnett erkundigte sich und erfuhr von Zoltyx, daß jeder Morgat, der etwas auf sich hielt, einmal auf der Bühne getanzt haben müsse. Zum Beispiel würde eine Frau niemals einen Mann heiraten, der auf diese Weise noch nicht vor die Öffentlichkeit getreten war. Die Theaterverwaltung gab darüber Bescheinigungen aus. Andere Völker – andere Sitten. Das Gedränge war verständlich. Nach zehn Minuten hatte man etwa hundert Männer ausgesucht. Sie legten einen Teil ihrer Kleidung ab und stellten sich dann ihren professionierten Partnern. Nach zwei Stunden wurde eine Pause eingelegt, die man in der Regierungsloge zu weitschweifigen Gesprächen über die Kunst ausnutzte. Der zweite Teil des Galaabends wurde wieder durch eine Nummer mit Zuschauerbeteiligung eingeleitet. Diesmal galt den Mitgliedern der Regierung die Ehre. Zoltyx' gesamtes Gefolge begab sich zu einem Fahrstuhl und tauchte kurz danach auf der Bühne auf. Die Regierungsmitglieder trugen jetzt auffallend bunte Jacken. Dann kamen die Berufspartner. »Jetzt halt mich fest«, kommentierte James Lisman. »Die haben hier ja eine seltsame Auffassung von Würde.« Die Berufstänzer hatten nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Menschen. Es waren spindeldürre Geschöpfe von mindestens drei Metern Länge. Ihre Kleidung bildete ein natürlicher, kurzhaariger Pelz. Ihre Gelenke waren acht Tentakel, von denen man nicht wußte, ob sie mehr Arm oder Bein sein sollten. Der Tanz wirkte grotesk. Die Menge ging jedoch begeistert mit und schien anderer Auffassung zu sein. Die Verrenkungen der Regierungsmitglieder schienen keineswegs einen unwürdigen Eindruck zu hinterlassen. Während die Bühne langsam nach oben wanderte, neigte sich Iks-Wol-Esak zu Barnett hinüber. »Perry! Ich spüre Kuhls. Es müssen welche hier im Theater sein.« »Zum Teufel, Iks!« gab Perry Barnett ebenso leise zurück. »Es sind zwar eine Menge Zuschauer hier. Aber eine Puppe müßte man schnell erkennen können.« »Wahrscheinlich sind sie nicht hier in den Rängen. Vielleicht sogar unter uns. Irgendwo im Verborgenen. Oder sogar im Keller. Aber sie sind da, daran gibt es keinen Zweifel.« »Aktiv?« »Absolut aktiv! Ich wette, daß alle Minister beeinflußt werden. Sobald die Vorstellung beendet ist, müssen wir teuflisch achtgeben.« »Okay! Ich sage es James. Während der Vorstellung dürften wir einigermaßen in Sicherheit sein. Aber spätestens beim Essen müssen wir aufpassen.« James Lisman reagierte mit einem spitzen Zischen, das im schnalzenden Beifall der Morgaten nicht auffiel. »Gut, daß wir Waffen bei uns haben, Perry. Wir sollten hier direkt einmal den Keller untersuchen.« Der Tanz des Morgo und seiner Minister nötigte den Telluriern trotz allem Bewunderung ab. Offenbar besaß jeder Morgat eine gewisse Schulung in diesen Dingen. Denn wie die Männer mit den acht Armen ihrer Partner fertig wurden, das war gekonnt. »Hast du eine Ahnung, was das für Geschöpfe sind, Perry?«
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»Gostro-Gosth sprach von Molteeks. Eine intelligente Rasse aus dem Sternhaufen Q 27. Aber ohne nennenswerte Zivilisation. Ihre Stärke liegt auf künstlerischem Gebiet. Sie sollen sehr gute Literaten und Musiker sein.« »Man sieht's. Hoffentlich sind sie außerdem nicht auch noch Telepathen.« »Mal nicht den Teufel an die Wand! Iks, was meinst du? Können die Impulse vielleicht von den Achtarmern kommen?« Der Proka verneinte. »Die Burschen sind harmlos. Die Impulse stammen zweifellos von den Kuhls!« Die Vorstellung ging weiter. Es war eine Mammutschau. In jeder Hinsicht. Das Publikum, die Akteure, die Dauer des Programms. Alles wirkte auf die Tellurier verwirrend und ermüdend. Die aufgeklappten Luken hatten die Mitglieder der Regierung verschluckt. Während der nächsten Nummer kehrten sie an ihre Plätze zurück. Barnett, Lisman und Iks-Wol-Esak sprachen ihre Anerkennung aus. Dann kam die letzte Darbietung. »Das Ballett der Roboter mit Publikumsbeteiligung!« Sofort waren die Zuschauer wieder von den Plätzen aufgesprungen, und ein ohrenbetäubendes Geschrei erfüllte den trichterförmigen Raum. Das Echo sprang vielfältig von den steilen Tribünen zurück. In diesem Moment erhob sich der Morgo. Seine vielfach verstärkte Stimme aus fast dreihundert Lautsprechern ließ das Volk sofort verstummen. »Wir haben hohe Gäste im Haus, Männer und Frauen von Seronia! Unsere Waffenbrüder von Terra bitten um die Ehre des Tanzes. Ihr werdet soviel Takt haben, zurückzustehen.« »Ich werde verrückt!« stöhnte Lisman. »Ich soll mich für eine solche Hampelei hergeben? Die haben wohl nicht alle Zerstörer im Hangar!« Barnetts Hand drückte ihn in den Sitz zurück. »Du tust jetzt nur, was ich dir vorexerziere, mein Junge. Wir werden die Auszeichnung zu würdigen wissen ...« Und zu Zoltyx gewandt: »Die Ehre, die Sie uns zuteil werden lassen, großer Morgo, macht uns stolz. Doch wir müssen um nachsichtige Beurteilung bitten. Bei unseren Völkern sind derartige Zeremonien unbekannt. Der Tanz ist nur einer Gruppe von Spezialisten vorbehalten, soweit er artistische Übung verlangt.« »Die Ehre gilt uns«, erklärte Zoltyx feierlich und mit einer tiefen Verbeugung. »Ich darf Sie an den Lift bringen.« Im Fahrstuhl waren sie allein. Barnett, Lisman und Iks-Wol-Esak. James machte Anstalten, eine weitere Schimpfkanonade vom Stapel zu lassen, doch der Freund legte ihm den Finger auf den Mund und deutete unter die Decke. Vorsicht! Mikrophone – hieß das. Mit dem Gesicht eines duldenden Religionsfanatikers sackte Lisman in sich zusammen und betrachtete staunend seine Beine, auf denen er in wenigen Minuten eine Schau geben sollte. Die Roboter warteten bereits. Es waren genau dreißig. »Zehnfache Übermacht!« konstatierte Barnett. »Eben«, flüsterte Lisman. »Wenn das nicht unfair ist ...« Ein Herr vom Theater nahm sie einen Augenblick beiseite. »Darf ich um Ihre Oberkleider bitten, meine Herren? Dort drüben hängen die Tanzkostüme.« Die Gäste waren nicht sehr erbaut. Sie waren sogar bestürzt. Barnetts Vorbild folgend, riß
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sich Lisman jedoch zusammen. Der Proka dagegen hatte das Vorbild nicht nötig. Sein Gesicht war für die Morgaten sowieso eine Maske. »Können wir die Kostüme nicht drüberziehen?« »Das ist schlecht möglich. Sehen Sie selbst, wie eng sie gearbeitet sind. Sie geben Ihnen den notwendigen Halt. Fühlen Sie, wie stark und elastisch sie sind!« »Okay«, nickte Barnett und ging mit gutem Beispiel voran. Die Teleporterwesten waren von innen in die Jacken eingenäht. Wenn man sie geschickt weghing, würde kein Morgat etwas davon bemerken. Es sei denn, sie waren darauf aus, die Kleidung zu untersuchen. Die drei Gasttänzer zogen sich um. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, meine Herren«, erklärte der Intendant. »Es handelt sich um ausgesprochene Tanzroboter. Sie haben weiche und nachgiebige Bewegungen und passen sich jedem Lebewesen an.« »Es wäre uns lieber, wir müßten uns ihnen anpassen, denn wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, was man von uns erwartet.« »Auch dafür wird gesorgt. Natürlich werden die Roboter die Führung in den Figuren übernehmen. Darf ich bitten!« Die drei Tellurier sahen sich ins Rampenlicht geführt. Von den Rängen überfiel sie Vorschußbeifall. Dann begann der Tanz mit hektischem Schlagzeugwirbel. Eine Verständigung war nicht mehr möglich. Nur Iks-Wol-Esak, der Telepath, war in etwa über die Sorgen und Bedenken seiner beiden Freunde unterrichtet, soweit er sich auf deren Gedanken konzentrieren konnte. Wenn das keine Falle ist! sorgte sich Lisman. Sind es wirklich Tanzroboter? fragte Barnett. Metallarme griffen nach ihnen, stemmten sie hoch über die Köpfe und warfen sie sanft einem Partner zu. »Sie spielen Ball mit uns!« Die Bühne hob sich. Beifall ebbte ab und rauschte wieder auf. Ganz entspannen, das hilft. Sie sind wirkliche Kavaliere, die Roboter. Wenn sie uns nur nicht zu nahe an den Rand jonglieren! In zehn Vorstellungen gibt es durchschnittlich drei Abstürze. Heute hat es noch keinen gegeben. Es wäre ein Unglücksfall ... Aber Zoltyx wird sich hüten, so etwas vor 120 000 Zuschauern zu arrangieren. Roboter dürften unfehlbar sein. Alles, was sie tun, ist Absicht ... Die Höhe war überwunden. Die Bühne senkte sich. Wieder Beifall und rauschendes Schlagzeugkonzert. Die drei Gäste kamen auf die Beine und versuchten, die Bewegungen der Tanzmaschinen zu kopieren. Es war gar nicht so schwer. Vor allem der Kugelmann zeigte sich als Genie. Seine Gelenkigkeit stand dem Können der Roboter keineswegs nach, und er erntete mehr als einmal Sonderbeifall, wenn er eine akrobatische Improvisation einlegte und seine studierten Partner dadurch in einige Verlegenheit brachte. Die Sohle! Stop! Aus! Der letzte Takt. Beifall, der das Trommelfell strapazierte. Verbeugungen. Die Luken öffneten sich. Die Roboter verschwanden. Die drei Gäste folgten ihnen nach. Dunkelheit. Hier unten müssen die Kuhls stecken, fing Iks einen Gedanken Barnetts auf. Lisman dachte mehr an seine Pistole, deren Kolben er instinktiv suchte und fand. Es nützte ihm nicht mehr viel. »Jetzt muß doch Licht kommen!«
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Etwas Weiches hatte sie aufgefangen, das sich plötzlich in Bewegung setzte. Dann endlich war das Licht da. Es flammte kurz auf, ließ sie ein Kellergewölbe erblicken, in dessen Hintergrund sich die Tanzroboter zum Abmarsch formierten, und erlosch wieder. »Perry! Hölle und Weltall! Was ist das für ein Wagen?« »Er wird uns zum Lift bringen. Allerdings zum falschen, fürchte ich. Die Richtung stimmt nicht.« Der Wagen hielt mit einem heftigen Stoß. Dann setzte er sich wieder in senkrechter Richtung in Bewegung. »Wieder ein Fahrstuhl.« »Und wieder in die falsche Richtung! Wir waren im Erdgeschoß angekommen. Unsere Logen liegen neunzig Meter über uns. Das ist eine Entführung.« Die Geschwindigkeit des Lifts nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Beschleunigung nahezu wie im freien Fall bei zehn Meter pro Sekunde. Kleine Fische für Raumfahrer! Nur die Bremswirkung war unverdaulich. Sie drückte die Eingeweide unter das Zwerchfell und die Organe gegen den Kehlkopf. Alle drei verloren die Besinnung gleichzeitig. Sie hatten nicht einmal mehr Gelegenheit, festzustellen, daß sie sich in einem Lastenfahrstuhl befanden. Als sie wieder erwachten, stimmte auch diese Ortsangabe nicht mehr. * Das Telekom schnurrte. Praxlomza drückte den Knopf und erkannte Leutnant Lopez mit der Binde des Wachhabenden. »Hallo, Prax! Ein morgatischer Offizier ist hier. Er wünscht den Chef zu sprechen.« »Blödsinn! Ihr solltet beide wissen, daß Barnett aus Seronia noch nicht wieder zurück ist.« »Das habe ich ihm auch gesagt. Dann wünscht er den Kommandanten. Und das bist im Augenblick du.« »Ist er bei dir?« »Nein, er wartet im Schleusenraum.« »Welchen Dienstgrad hat der Morgat?« »Es ist General Koostak.« »Koostak? Koostak? Der gehört doch zum Generalstab des Morgo. Well, ich werde ihn empfangen.« Praxlomza kam sich sehr einsam vor, nachdem er abgeschaltet hatte. Er brauchte einen Telepathen, und wenn er nur wenig helfen konnte. Über Interkom sprach er die Kampfgruppen an. Irgendwo mußten die beiden Prokas sitzen. Nam-Legak meldete sich sofort. »Bist du abkömmlich, Nam?« »Für kurze Zeit, ja.« »Dann komme sofort an Bord! Ich habe morgatischen Besuch hier und möchte, daß du bei der Unterhaltung dabei bist.« Nam-Legak kehrte wenige Sekunden später zurück. Mit Hilfe der Teleportationsweste materialisierte er genau in Praxlomzas Zimmer. »Gut, daß du da bist. Dein Freund hat sich nicht gemeldet. Weißt du, was da los ist?« »Seit zwanzig Minuten habe ich keinen Kontakt mehr mit Iks. Vielleicht ist er durch die Ballettvorstellung anderweitig in Anspruch genommen. Was soll ich hier?« Sie fuhren in die äußere Sohle, wo Lopez sie empfing. »Dort, wo das Licht brennt ...« Praxlomza schritt auf die Tür zu und langte nach dem Griff. In diesem Moment riß ihn NamLegaks Tentakel zurück.
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»Einen Moment, Prax!« flüsterte er. »Hast du Waffen bei dir?« »Natürlich! Weshalb? Sag bloß, daß du feindliche Gedanken festgestellt hast!« »Ich bekomme keinen genauen Sinn heraus. Aber Koostak hat Mordgedanken. Ich spüre den unmittelbaren Willen, zu töten.« Prax winkte Lopez heran. »Wir brauchen einen Dienst- und einen Kampfroboter.« Die beiden Maschinen kamen und wurden eingewiesen. Der Dienstroboter ging zuerst, da seine Gestalt am menschenähnlichsten war. Er trug sogar Tuchkleidung. Sein Klopfen an der Tür verriet die Hand eines höflichen Menschen. Der Kampfroboter folgte ihm auf dem Fuße. Durch die offene Tür vernahm man die Begrüßung. Dann sagte der Morgat: »Ich will mich mit Menschen unterhalten. Weshalb schickt man euch?« »Wir sollten nachsehen, wie es Ihnen geht, General. Die Herrschaften kommen sofort.« »Es geht mir ausgezeichnet. Aber je länger ich warten muß, um so schlechter wird es mir gehen. Richtet aus, daß ich wenig Zeit habe.« »Der Besprechung steht nichts im Wege. Sie hängt nur davon ab, daß Sie uns Ihre Waffen aushändigen, bis Sie wieder das Schiff verlassen.« »Seltsam. Ich denke, wir sind Verbündete ...« »Es ist nicht unsere Aufgabe, mit Ihnen zu verhandeln. Wir können auch keine Gründe für die Anweisungen der Menschen angeben.« »Gut. Wie ihr meint ...« Koostak nahm seine Waffe aus dem Gürtel, als wolle er sie übergeben. Doch im selben Moment schoß er. Sein erstes Ziel war der Kampfroboter, den er durch einen Glückstreffer sofort außer Gefecht setzte. Der Dienstmann war anschließend eine leichte Beute für ihn. Über die Trümmer hinweg sprang er zur Tür. Er stieß sie auf und starrte in die drei Gesichter. Seine Hand zuckte hoch. Doch bevor sie ihr Ziel fand, fiel Praxlomzas Schuß. Koostak war tot. Bevor jemand etwas dazu sagen konnte, kam ein Schrei von der Schleusenwache: »Angriff aus der Luft! Wir müssen Alarm geben, Leute!« Die drei rannten los. »Unteroffizier! Was soll dieses undisziplinierte Geschrei? Geben Sie eine vernünftige Meldung an die Brücke!« »Sir! Sehen Sie auf den Bildschirm! Vor einer Viertelstunde verließ das letzte Raumschiff den Hafen. Jetzt stehen nur noch wir und die CORA auf der Piste. Und dort oben kreisen vier Zerstörer. Es muß ...« Weiter kam der Mann nicht. Auf dem Bildschirm zuckte es blendend weiß auf. Praxlomza zerrte an seinem Sender. »Hallo, CORA! Ihr müßt sofort startklar machen!« »Lisman ist nicht an Bord«, antwortete Daxas. »Wenn Sie auf den warten wollen, können Sie schwarz werden. Starten Sie ohne ihn. Sie sehen ja wohl, was hier vorgeht! Wir treffen uns im Raum.« »Natürlich! Ich verfolge die Bewegungen schon ein paar Minuten. In hundert Sekunden schwirren wir ab.« »Hals- und Beinbruch, Daxas! Ende.« Der Expreßlift brachte sie auf die Kommandobrücke, wo bereits Vorbereitungen zum Start getroffen wurden. Nam-Legak verschwand unauffällig, wie er gekommen war. Sein Einsatzgebiet war nach wie vor Seronia, wie Barnett angeordnet hatte. Man konnte bei den gefährlichen Patrouillengängen auf keinen der beiden Telepathen verzichten. Auf der Brücke ging es um Sekunden.
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»Alles klar für Alarmstart! Schleusen schließen! Kontrollen melden!« Zwischen den beiden Raumschiffen gähnte bereits ein tiefer Krater. Der erste Schuß aus einer schweren Bordwaffe war durch Daxas' Aufmerksamkeit abgelenkt worden, als dieser rechtzeitig den Schiffsschirm eingeschaltet hatte. Mit Rücksicht auf den Nachbarn konnten beide nur mit gedrosselter Energie arbeiten. Doch das war im Augenblick der einzige Schutz. »CORA startklar!« meldete Daxas. »In Ordnung! Verschwinden Sie, ehe wir uns aufblähen. Nehmen Sie unmittelbar über der 1000-Meter-Grenze volle Energie auf die Schutzschirme. Keine Rücksicht auf uns nehmen. Und erst recht nicht auf die Morgaten. Wir folgen in hundert Sekunden nach.« In den Start der CORA fiel der zweite Angriff der Morgaten. Er wurde von vier Zerstörern gleichzeitig gefahren. Die Abwehrschirme bäumten sich in ihrem gedrosselten Gang auf. Ein drohendes Pfeifgeräusch ging durch das Schiff, da sich die Berührung zwischen beiden Schiffen bemerkbar machte. »Daxas ist weg. Wir haben freien Start.« Eine mechanische Stimme aus dem Elektronengehirn zählte den Countdown. Bei ›zwölf‹ wurde der dritte Morgatenangriff geortet. Die Sekunde ›Null‹ kam. Der gigantische Schiffsleib der TRILANI erzitterte in seinen hunderttausend Spanten und setzte vom Boden ab. Die volle Schirmenergie peitschte über das Flugfeld und riß kleine Installationen wie der leibhaftige Weltuntergang um. Und in einer Höhe von zwanzigtausend Metern erfaßte die große Schutzglocke die ersten Angreifer, die mit einem derart prompten Start nicht gerechnet hatten. Die Energiestöße der Morgaten trafen auf unsichtbare Mauern. Sie waren in unmittelbarer Nähe der eigenen Zivilisation stark gedrosselt. Ihre Wirkung gegen das größte und stärkste Schiff der galaktischen Geschichte blieb daher gleich Null. Wenn es überhaupt eine Wirkung gab, so war es die des Schirmsogs der TRILANI. Mehr als ein Dutzend kleinerer Morgatenboote zerschellte und verglühte allein in der plötzlich auftretenden Abwehrenergie. Praxlomza gab keinen Schuß ab und hatte doch bereits eine Schlacht gewonnen, als sie die obere Grenze der Atmosphäre durchstießen. Sie ließen das Chaos hinter sich und trafen sich am vereinbarten Ort – mehr als dreihundert Lichtjahre von der Sonne Morgat entfernt. * Nam-Legak zuckte zusammen, als er das schwere Landfahrzeug auf sich zubrausen sah. Der Lastwagen – oder war es gar ein Panzer? – raste mit abgeblendeten Lichtern heran, als gehe es ihm einzig und allein darum, den kleinen, kugelförmigen Proka niederzuwalzen. Doch erstens konnte der Fahrer bei Nacht das kleine Wesen unmöglich erkennen, und zweitens hatte Nam-Legak genügend Reserven in seinem Philosophengehirn, um selbst dieser Situation gerecht zu werden. Er zuckte nur deshalb zusammen, weil er von Natur aus etwas schreckhaft war. Er wurde dadurch noch kleiner und verschwand schließlich ganz, nachdem er sich entschlossen hatte, mittels der Teleporterweste ein Ausweichmanöver durchzuführen. Es genügten sieben, acht Meter. Danach befand er sich noch immer auf der dunklen Vorstadtstraße an der Peripherie Seronias und grinste dem Ungetüm von Lkw nach. Doch plötzlich zuckte es aufreizend in seinen Tentakeln. Das Grinsen verging ihm, als er die aufpeitschenden Gedanken wie Nadeln in seinem Gehirn spürte. Die Quelle dieses gefährlichen Ideengutes konnte sich nur auf dem davonrasenden Fahrzeug befinden. Denn je weiter er sich entfernte, um so schwächer wurden auch die verräterischen Impulse. Und auch die Richtung stimmte. Nam-Legak peilte vorsichtig nach allen Seiten und sah, daß ihn niemand beobachtete. In der
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Ferne leuchteten die ersten verräterischen Lichter. Die Außenbeleuchtung der Hauptstadt, die ein Kuhl sich zu seinem Ziel gewählt hatte. Die Puppenwesen waren wieder im Anmarsch. In den Gehirnwindungen des kompliziert gewachsenen Proka-Schädels jagten sich die Fragen. Wie kam das Ding mit seinem ungefügen Kokon auf den Lastwagen? Warum war es dort? – Nam-Legak hockte noch immer auf der breiten, langen Straße und starrte dem davonrasenden Auto nach, als habe er keine Eile. Vor zwei Minuten erst war er von der TRILANI zurückgekehrt, die sich zum Start in den Raum anschickte. Unter Anstrengung aller telepathischen Kräfte hatte er versucht, mit IksWol-Esak Kontakt aufzunehmen. Seit einer halben Stunde war er unterbrochen. Er mußte etwas unternehmen! Doch hier war der Kuhl auf dem Wagen. Der Befehl hieß: Alle Kuhls sind zu vernichten! Nam-Legak entspannte sich. Der Wagen verschwand hinter einer Kurve, wo bereits die ersten Gebäude der Stadt standen. Nam-Legak sprang. Sekunden später materialisierte er auf der Ladefläche des Wagens und wunderte sich nicht, daß er sich tatsächlich einer dieser Puppen gegenübersah. Der Gegenstand war verhältnismäßig schwer. Die Kuhls waren offenbar von Natur aus derart massig und kompakt gebaut. Oder handelte es sich doch um eine künstliche Hülle? Er hätte jetzt gern ein wenig experimentiert. Hier waren zwei Telepathen unter sich, und die massiven Wände des Kokons konnten einem Gedankenaustausch nicht hinderlich sein. Trotzdem wurde nichts aus der Unterhaltung, denn der Kuhl zeigte wenig Bereitschaft dazu. Nam-Legak spürte etwas durchaus Primitives in der Emission. Ein uniformer Wille schien die Kuhls in ihrer Gesamtheit zu leiten. Der Wille zur Macht über Treon überlagerte alles, was sonst noch in den Gehirnwindungen des Wesens existieren mochte. Der Wagen rollte weiter. Der Proka suchte nach den Gedankenwellen des Fahrers. Er fand keine. Als er nach vorn auf den Führersitz spähte, erkannte er, daß es keinen Fahrer gab. Der Lkw wurde ferngelenkt. Von irgendeinem unbekannten Ort aus. Wieder durchzuckte Nam-Legak die Erkenntnis einer neuen Situation. Wer diesen Wagen aus der Ferne steuerte, mußte jederzeit über seinen Standort im Stadtverkehr orientiert sein. Der mußte auch eine optische Verbindung zu ihm haben. Nam-Legak fühlte sich beobachtet. Er empfand es als ungeheuren Nachteil. Und darum verzichtete er auf weitere Experimente. Er konzentrierte sich auf die Puppe, umschlang sie an der Stelle ihres geringsten Durchmessers im Mittelpunkt mit allen drei Tentakeln und bekam sie fest in den Griff. Würde der fernlenkende Kontrolleur die Vorgänge beobachten und mit Waffengewalt eingreifen können? Nam-Legak konzentrierte sich auf einen kurzen Klammersprung. Dann verschwand er mit seiner Beute von der Ladefläche, und der Wagen machte aufgrund der plötzlichen Erleichterung einen Satz nach vorn. Die Materialisation auf der Straße war kaum beendet, als Nam-Legak sofort zwanzig Meter zurücksprang. Dennoch sah er sich inmitten von morgatischen Passanten, die in dieser Abendstunde ihrem Vergnügen nachzugehen gedachten. Der Vorgang hatte einige Verwirrung gestiftet. Die Leute waren im ersten Schreck auseinandergerannt, denn für unvorbereitete Augen mußte der seltsame Gegenstand wie ein vom Himmel gefallener Bombenblindgänger wirken. Dann aber siegte die Neugierde. Einige Morgaten kamen näher. Während sich das innerhalb weniger Sekunden abspielte, mußte Nam-Legak handeln. Bevor
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ihm ein Passant in die Schußlinie geriet, hatte er sein Ziel über das Visier des Impulsstrahlers angepeilt und drückte ab. In diesem Augenblick entdeckte man ihn. Er zog durch bis zum Anschlag. Ganze vier Sekunden lang setzte er sein Opfer den tödlichen Strahlen aus. Dann war es nicht mehr. Die Menge brach in ein Schreckensgeschrei aus. Sein zwergenhafter Wuchs hatte in der ersten Aufregung keinerlei Aufmerksamkeit erregen können. Die drei Meter lange Puppe war auffallender gewesen. Sobald er jedoch seine Waffe aktivierte, interessierte man sich auch für den Schützen. Die Morgaten reagierten unterschiedlich. Einige entschlossen sich, einfach davonzulaufen. Denn dieses kleine Wesen, das einen solchen Aufruhr verursachte, konnte nur eine Art Gespenst sein. Andere ließen sich durch Nam-Legaks geringe Größe zu der Annahme verleiten, er wäre harmlos. Was Nam-Legak störte, war, daß man ihn überhaupt erkannt hatte. Jetzt auch noch auf Morgaten zu schießen, das ging über seine Kompetenzen hinaus. Aber sie brauchten einen Denkzettel. Ihr Erlebnis mußte derart ins Irrationale gesteigert werden, daß sie später zu keiner logischen Rekonstruktion der Vorgänge mehr kommen konnten. Nam-Legak stützte sich auf zwei seiner Arme und beugte sich zum Sprung. Dann stürzte er sich auf den nächsten Passanten, umschlang ihn, konzentrierte sich auf die Teleportation und riß sein Opfer drei Meter hoch in die Luft. Dort ließ er es rematerialisieren und wieder zu Boden stürzen. Das gleiche wiederholte er mit einem anderen Morgaten, ehe er sich ganz aus dem Staub machte. Schreie und Stöhnen wurden laut. Schmerz, Angst, Verwirrung beherrschten das Bild. Man verlangte nach der Hilfe der Obrigkeit. »Polizei!« »Ein Arzt!« In der Ferne heulten Sirenen auf. Als das Verkehrssicherheitskommando eintraf, konnte man ihm nicht einmal die Reste des Kuhls zeigen, weil es in materieller Form keine mehr gab. Jeder aber, der von einem kleinen, kugelförmigen Teufel sprach, der sich noch vor wenigen Sekunden hier äußerst verdächtig herumgetrieben haben sollte, wurde unter dem Vorwand einer vorsätzlichen Mystifikation in Haft genommen. Nam-Legak hockte in der Dunkelheit hoch oben auf einer Dachkante und grinste mit gemischten Gefühlen auf die Szene hinab. Seine kleinen, klugen Augen blitzten verräterisch im Licht der klaren Sterne. Doch niemand kam auf den Gedanken, seine Aufmerksamkeit dem Dach zuzuwenden. * Das grelle Licht blendete sie. Im Reflex schlossen sie die Augen, und nur langsam gaben die sich öffnenden Lider den Blick auf die neue Umgebung frei. Es war ein hallenartiger, weißer Raum. Es sah alles sehr nach Technik aus. Etwa wie eine automatische Steuerungsanlage für die Versorgung eines überzivilisierten Planeten. Ein dumpfes Summen lag in der Luft. Metallschränke, Rohr- und Kabelleitungen, spiralenförmige Anordnungen und beinahe an abstrakte Gemälde erinnernde Konstruktionen bildeten die Dekoration des Raumes. Perry Barnett hatte versucht, aufzustehen. Es gelang nicht. Er lag auf einem kühlenden Kunststoffbett und fühlte bei der ersten Bewegung die Fesseln. Nur den Kopf konnte er
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bewegen. Rechts neben sich erkannte er James Lisman. Zu seiner Linken hockte Iks-Wol-Esak. James schlief noch. Der Proka dagegen blinzelte ihm zu. »Wir sitzen in der Falle, Chef.« »Eine äußerst überzeugende Feststellung«, murrte Barnett. »Bist du schon lange wach, Iks?« »Gerade erst aufgewacht. Mir dreht sich noch alles im Kopf.« »War jemand hier?« »Keinen gesehen. In unmittelbarer Nähe scheint sich auch niemand aufzuhalten. Ich spüre nicht den geringsten Gedanken in der Luft.« Kurz darauf erwachte auch Lisman. Er tat es mit einem Schnaufen und Gurgeln, als befände sich sein Kopf unter Wasser. Seine Reaktion auf die Fesseln war weniger fatalistisch. Soweit sie ihm bekannt waren, bediente er sich sämtlicher in der Galaxis gebräuchlicher Flüche. Als er eine Pause einlegte, war ihm nicht im geringsten wohler. »Wir sitzen in der Falle«, stellte er endlich fest. »Das haben wir bereits herausgefunden, als du noch schliefst. Erinnerst du dich nicht an mehr?« »Ich erinnere mich, daß ich in meinem Leben noch so strapaziös getanzt habe wie mit den Ballettrobotern, und daß man meine künstlerischen Leistungen noch nie so schlecht belohnt hat wie heute. Und außerdem habe ich noch nie einen derart großen Keller gesehen. Ob das hier die Maschinen sind, mit denen sie die Bühnensäule in den Himmel heben?« »Ruhe!« sagte Iks-Wol-Esak plötzlich. »Ich spüre etwas.« Barnett und Lisman verstummten. Nach einer Pause fuhr der Telepath fort: »Schwache Gedanken, die immer stärker werden. Aber sie sind zerhackt. Wir dürften in Kürze Besuch erhalten.« »Hast du Verbindung mit Nam-Legak? Wenn ihm nicht etwas Ähnliches passiert ist, wird er sich schon das Gehirn nach dir ausrenken. Und ehe die hier etwas Illegales mit dir anstellen, möchte ich, daß man draußen über unser Schicksal orientiert ist.« »Nam muß mit etwas anderem beschäftigt sein. Ich bekomme keinen Kontakt.« »Teufel, das kann ja heiter werden!« stöhnte Lisman. »Still jetzt!« zischte Barnett. »Es kommt jemand.« Bald darauf tauchten Zoltyx und Gostro-Gosth auf. Ihre zufriedenen Gesichter ließen kaum noch Zweifel an der Lage der Gefangenen. Sie traten an Barnetts Lager. »Ich möchte mich zuerst mit Ihnen befassen, Barnett.« Der Captain antwortete nicht. Er hielt es für besser, Iks-Wol-Esak möglichst viele Pausen zu gönnen, damit dieser sich um so besser auf die Gedanken der Morgaten einstellen konnte. Gostro-Gosth gehorchte einem Wink des Morgo und bewegte Barnetts Bett, das auf Rädern lief. Er schob es ein Stück weiter unter eine blitzende Metallhaube, die durch eine verwirrende Anzahl von Kabeln mit den Geräten in der Nachbarschaft in Verbindung stand. Die Vorbereitungen sahen bedrohlich aus. Barnett verzichtete auf sein stolzes Schweigen. Und wenn er durch einen Wortwechsel auch nur etwas Zeit gewann. Man wußte nicht, wofür es gut sein konnte. »Ein Diktator als Marterknecht ... Sagen Sie, Zoltyx, gibt es so wenige vertrauenswürdige Männer in Ihrer Umgebung, daß Sie solche Handgriffe selbst ausführen müssen? Ich verstehe Ihre Handlungsweise nicht.« »Es ist auch nicht nötig.« »Zum Teufel! So können Sie doch kein Weltreich erobern oder auf die Dauer fest unter Kontrolle behalten. Sie brauchen hunderttausend Freunde, denen Sie vertrauen können wie sich selbst. Wenn Sie aber Ihre Verbündeten derartig behandeln, werden Sie schnell allein dastehen.« »Ihre Sentimentalität ist faszinierend, Barnett. Wußten Sie nicht, daß starke Männer zum
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Alleinsein verurteilt sind? Was faseln Sie von Freunden? Ich begreife nicht, daß Sie mit solchen Ansichten überhaupt ein Raumschiff durch die Galaxis dirigieren konnten.« »Hooo!« rief Lisman aus dem Hintergrund. »Er gibt zu, daß er etwas nicht begreift. Da fängt dann wohl schon die Fehlbarkeit an!« »Ich weiß nicht, was Sie mit uns vorhaben, Morgo«, fuhr Barnett fort. »Aber halten Sie es nicht für vernünftiger, wenn wir uns offen über alles aussprechen?« Zoltyx' gekünstelt freundliches Gesicht verzerrte sich zu einem stolzen Grinsen. »Eine Aussprache ist nicht mehr notwendig. Es sind mehrere Agenten der morgatischen Untergrundbewegung bei den letzten Terroranschlägen verhaftet worden. Einer davon wußte auffallend gut über Sie Bescheid. Sie sehen also, daß es keinen Sinn mehr hat, mit uns falsches Spiel zu treiben.« Zoltyx gab Gostro-Gosth einen Wink. Dieser trat ein paar Schritte zurück und betätigte einen Schalter. Barnetts Kopf lag genau unter der Haube, die sich jetzt langsam tiefer senkte. Er hatte das Gefühl, als käme ein primitives Fallbeil aus überwundenen Kulturen im Zeitlupentempo auf ihn zu. Unwillkürlich wollte er den Kopf zwischen die Schultern ziehen, obgleich es sinnlos war. Die Glieder waren erstarrt wie nach einer Injektion. Nur die Augen ließen sich noch bewegen, und die Organe arbeiteten nach wie vor. Barnett erlebte die Prozedur mit vollem Verstand. Die Haube hatte die Form eines großen Stahlhelms. Das Gelenk, an dem sie geführt wurde, stellte die Abwärtsbewegung plötzlich ein, als Barnetts Gesicht schon im Halbdunkel lag. Er sah nur noch die schwarze Schale über seinem Gesicht. Dann spürte er einen Stich an der rechten Schläfe und wußte genau, daß eine mikrofeine Kanüle in seinen Schädel getrieben wurde. Im selben Augenblick schien sich die Umgebung zu verändern. Sie verlor an Wirklichkeit. Ein Prickeln lief durch das Nervensystem. Es war nicht einmal unangenehm. Es übte einen seltsamen, nie gekannten Reiz aus. Der Schmerz des Einstichs ließ nach. Nicht, weil er abgeklungen war, sondern weil die vielen anderen Eindrücke das Gehirn weit mehr in Anspruch nahmen. Der Körper drängte sich danach, der Bequemlichkeit zu gehorchen. Der Verstand signalisierte eine Warnung nach der anderen. Du bist starr, Barnett! Du kannst dich nicht bewegen. Aber dein Gehirn hat noch einen Willen und kann sich wehren. »Sie kennen die Untergrundbewegung, Barnett. Sie kennen auch den Führer. Nennen Sie den Namen, und wir werden Sie sofort auf freien Fuß setzen.« Barnett öffnete den Mund, um etwas zu antworten. Der Körper war voreilig, soweit ihm der Starrkrampf die Bewegung erlaubte. Im Gehirn aber war wieder der Schmerz von der Nadel. Vielleicht sind sie nicht einmal darauf angewiesen, was ich spreche. Vielleicht genügt ihnen, was ich denke. Wenn diese Verbindung zu meinem Kopf eine Gedankenkontrolle ermöglicht ... Ich meinte es ehrlich, Morgo. Ich hatte Großes mit dir vor, denn was hilft mir irgendeine Gewalt so fern meiner Welt? Du hast meinen Ehrgeiz überschätzt und das Bündnis mit mir verspielt. Dir standen die Tore nach Treon offen, wenn du etwas mehr Vertrauen zu uns gehabt hättest. »Sie kennen die Untergrundbewegung, Barnett! Und Sie kennen den Namen des Führers! Sagen Sie nur diesen Namen! Der Lohn wird das Glück sein. Sie spüren das Glück. Sie merken, wie wunderbar leicht es ist, das Dasein zu genießen, anstatt sich in ihm zu strapazieren.« Ich bin im Glück. Keine Verantwortung. Alles gelingt von selbst. Ich möchte, daß es immer so bleibt ... Du willst mir eine Falle stellen, Zoltyx ... Barnett spürte einen zweiten Nadelstich. Diesmal in die linke Kopfhälfte. Die Eindrücke wiederholten sich mit wachsender Intensität. Die Verlockungen der Bequemlichkeit wurden überzeugender. Der Rausch seligen Genießens drohte die letzte Skepsis zu überspülen. Das
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Gehirn war nicht mehr in der Lage, Lügen im Sinne der Verteidigung zu erfinden. Es mußte sich nur noch gegen die hypnotischen Angriffe wehren und darauf bedacht sein, daß kein logischer Gedanke mehr zustande kam. Ich werde nichts sagen, als daß ich mich verraten fühle. – »Der Name des Rebellen, Barnett! Sagen Sie ihn! Der Name des Rebellen! Er liegt Ihnen auf der Zunge, und Sie vergessen das Glück, daß Sie eintauschen sollen.« Schmerzen! Die Nadel hat kein Ende. Ich spüre Schweiß, der von der Stirn in die Augen rollt. Ich denke nicht mehr. – »Ich habe die Macht, Sie zu töten, Barnett! Sie sind völlig wehrlos. Wie heißt der Rebell, Barnett? Wie heißt der Rebell?« Ich kenne ihn nicht. Ich kenne ihn doch ... Aber ich weiß nicht, wer es ist. Wenn es einen Rebellen gibt, werde ich ihn kennen. Wenn ich ihn nicht kenne, kann es einen geben ... Ihr tut mir unrecht. – Der Morgo tut immer unrecht. Eine dritte Nadel, Gostro-Gosth!« »Sie ist bereit. Wo soll ich sie ansetzen?« »Im Rückgrat, denke ich. Die Lähmung wird seinen letzten Widerstand brechen ...« * »Deckung!« zischte Nam-Legak, faßte seine beiden Kameraden im Genick und drückte ihre Gesichter wieder zu Boden. Er lag in der Mitte. Rechts neben ihm Lavista. Auf der anderen Seite Dr. Bannister. Vor ihnen erhob sich die massive Mauer eines Depots, das sie seit sechs Minuten belagerten. Der Proka hatte hypnotische Versuche auf telepathischem Wege festgestellt. In dem Gebäude mußten sich mehr als ein Dutzend Kuhls befinden. Und ihre Zahl schien immer noch zu wachsen. Sie waren einmal um den ganzen Komplex geschlichen, ohne Fahrzeuge zu entdecken, mit denen man einzig und allein die Kuhls hätte heranbringen können. Jetzt plötzlich war das Tor des Depots geöffnet worden. Der dunkle Schlund stand eine Zeitlang offen. Dann rollte ein Lastwagen heraus und dicht an ihnen vorbei. Sie preßten die Gesichter an die Erde und lauschten auf das schwächer werdende Zittern des Bodens. Das Motorgeräusch verschwand in der Dunkelheit. »Wir müssen wissen, wohin sie fahren«, meinte Lavista. »Es kommt mehr dabei heraus, wenn wir uns das Depot vornehmen. Wir können uns nicht um jeden einzelnen Kuhl kümmern. Aber hier haben wir ein ganzes Nest voll. Der Boden des Planeten scheint die Bestien geradezu auszuspucken. Wie ist es, Nam, spürst du keine klassischen Gedanken?« »Einen Moment, Forry«, machte der Proka leise. »Bleibt hier in Deckung und wartet auf mich. Unternehmt nichts allein. Ich komme so schnell wie möglich zurück.« »Bleibt hier in Deckung und wartet auf mich. Unternehmt nichts allein. Ich komme so schnell wie möglich zurück.« Bevor die beiden Menschen eine Frage stellen konnten, war der Proka verschwunden. Auch sie gehörten zwar zu den Auserwählten, die eine Teleporterweste bekommen hatten. Doch es hatte keinen Sinn, Nam-Legak zu suchen. Er hatte ihnen sein Ziel nicht verraten. Nach zehn Minuten wurde Doc Bannister nervös. Bevor er jedoch unsinnige Vorschläge für einen Alleingang machen konnte, war der Proka plötzlich wieder da. »Das ist ein Wespennest! Wir müssen gleichzeitig springen, dann können wir eine Menge Kuhls vernichten.« Jeder machte einen Probesprung, um sich zu orientieren. Um die Halle herum lief eine Empore. Es gab einen leerstehenden Raum, von dem aus sie operieren konnten.
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Sie besprachen noch ein paar Einzelheiten und wurden sich einig. Bannister übersprang die Weite der Halle in der fünften Dimension und landete am anderen Ende der Empore. Von dort aus eröffnete er das Feuer auf vier Kuhl-Puppen. Es war ein blitzartiger Überfall, den er nach drei Sekunden wieder einstellte. Ehe die aufgescheuchten Morgaten nach dem Ursprung der Vernichtungsstrahlen forschen konnten, hatte der Teleporter sich wieder aus dem Staub gemacht. Er tauchte hinter Lavistas Rücken auf. »Das hat geklappt. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Beim nächsten Mal beginnst du, Nam. Aber begnüge dich mit einem Schuß. Dann sofort wieder hierher in Deckung! Ich werde sie mit einem dritten Angriff ablenken.« So geschah es. Das Feuer aus verschiedenen Richtungen machte die Morgaten völlig kopflos. Hier und da glaubte jemand, einen Schatten gesehen zu haben, doch ehe sie sich darauf konzentrieren konnten, war der Schütze bereits wieder verschwunden. Jetzt endlich gab man Alarm. Die großen Tore schlossen sich. Ein Mann stürzte die Treppe herauf – genau auf das Büro zu. Nam-Legak zog sich zurück und versuchte, Deckung hinter einem Schrank zu finden. Der Morgat bemerkte ihn nicht, da er sich ganz auf sein Visifon konzentrieren mußte. Er schrie nach Verstärkung und Polizeischutz und gab einen äußerst konfusen Bericht. Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung machte ein äußerst ungnädiges Gesicht. Nam-Legak glaubte, einen bekannten Stabsoffizier zu erkennen, und hatte bald endgültige Gewißheit. Mehr Gewißheit, als ihm lieb war. »Wozu sind Sie Kommissar?« donnerte der Generalstäbler. »Sie kennen doch den Dienstweg!« »Aber Admiral! Dies ist ein Sonderfall. Wir werden von unsichtbaren Gegnern angegriffen. Das ist nationaler Notstand.« »Wollen Sie mir Vorschriften machen, Kommissar? Ihre Meldung ist innerhalb von einer Stunde die fünfte dieser Art. Wir haben im Stab also genug zu tun. Mobilisieren Sie alle verfügbaren Kräfte und – vor allem, sollten Sie Tellurier aus der Barnett-Expedition sehen, schießen Sie sofort darauf!« Der Kommissar bemühte sich um eine klare Stimme. »Die Tellurier? Seit wann soll ich auf Verbündete schießen?« »Seit heute. Barnett und zwei seiner wichtigsten Leute befinden sich in unserer Hand. Sie sehen also, daß es gar nicht so schlecht um unsere Sache steht. Tun Sie Ihre Pflicht, Kommissar! Ende!« »Ende«, hauchte der Morgat mit trockener Zunge und drehte sich um. In diesem Moment kehrte der ahnungslose Bannister teleportierend zurück. Ehe er ganz rematerialisiert war, hatte der Morgat seine Waffe in Anschlag gebracht. Forry reagierte zunächst nur mit aufgerissenen Augen. Jeder Teleporter braucht eine kurze Gewöhnungszeit, um sich auf einen neuen Sprung vorzubereiten. Und hier half nur ein Sprung. Nein! Hier half nicht einmal das. Der Kommissar hatte längst die Hand am Pistolengriff gehabt. Dazu hatte ihn schon die Angst gezwungen. Er brauchte nur noch mit dem Daumen abzudrücken. Nur ein Dritter war noch schneller als diese beiden Kontrahenten. Nam-Legak schoß zuerst und rettete dem Arzt das Leben. Beim Anblick des Toten bekundete Bannister keinerlei Dank. Im Gegenteil, er hatte einen Vorwurf auf der Zunge. Nam-Legak ließ ihn aber nicht ausreden. »Halte jetzt bitte keine Predigten! Deine Freundschaft für die Morgaten mußt du fürs erste
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vergessen. Dieser Mann hier sprach soeben mit dem Stab des Morgo und erhielt die Nachricht, daß Perry mit Lisman und Iks-Wol-Esak gefangengesetzt wurde. Alle Morgaten haben Befehl, auf uns zu schießen.« »Barnett – unser Chef – ist in Zoltyx' Gefangenschaft? Wie reimt sich denn das zusammen?« Jetzt wagte sich aus dem Nebenzimmer auch Lavista wieder hervor. »Wir müssen endlich was unternehmen. Seit die Gedankenverbindung zwischen euch Prokas abgebrochen ist, wissen wir genau, daß irgend etwas schiefgegangen ist. Aber trotzdem sitzen wir hier am Stadtrand und schießen auf einzelne Kuhls. Die Morgaten sind unsere Feinde. Jetzt habt ihr es wohl begriffen.« »Ruhig Blut, mein Junge«, erklärte Bannister besonnen. »Den Chef können wir nur heraushauen, wenn wir wissen, wo er sich befindet. Es wäre völliger Unsinn, wenn wir in ganz Seronia suchen wollten. Außerdem besagt die Nachricht, daß unsere Leute noch leben.« »Ich hoffe, du behältst recht ...« Die Folgen ihres ersten Angriffes waren noch immer bestimmend für die Situation. Neun Puppen lagen vernichtet am Boden. Ein schreiendes Knäuel von Morgaten versuchte, die Trümmer beiseite zu räumen, um Platz zum Verladen der noch unbeschädigten Kuhls zu erhalten. Sie entwickelten dabei eine hektische Aktivität. »Die Kuhls haben sie ganz unter ihrer Kontrolle«, versicherte der Proka. »Die Morgaten kümmern sich um die Puppen, als ob ihre Seligkeit davon abhinge ... Aufgepaßt! Da kommt wieder ein Mann herauf! Wahrscheinlich vermissen sie bereits den Kommissar. Geht in Deckung! Dort hinter der Tür.« Nam-Legak empfing den Morgaten allein. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite, und er hatte keine Schwierigkeiten mit dem Mann. Dann starteten sie einen Großangriff. Bannister wagte Feuerüberfälle von mehr als fünf Sekunden Dauer, ehe er sich durch einen Sprung an einen anderen Ort versetzte. Er deformierte die nördliche Ausfahrt der Halle, so daß das Tor nicht mehr zu öffnen war. Der Plan, den er damit verfolgte, gelang. Nachdem sich das Chaos im Depot vollendete, ließ offenbar auch die Wirkung der Kuhls nach. Die ersten Morgaten wandten sich zur Flucht. Der einzige Weg in die Freiheit führte nach Süden. Lavista wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine T-Weste war beschädigt worden. Da er nicht mehr teleportieren konnte, war ein Stellungswechsel für ihn immer sehr anstrengend und gefährlich. Dennoch ging die Vernichtung von mindestens vier Puppen auf sein Konto. Dann stand plötzlich wieder der Proka neben ihm. »Sie verschwinden am Südeingang.« Nach kurzer Pause unternahm der Teleporter seinen nächsten Angriff. Von der Empore aus erkannte er noch, wie der letzte Morgat das Depot verließ. Dann sprang er und landete hoch unter dem Dach. Genau unter ihm gähnte der Schlund, aus dem der unerschöpfliche Nachschub der Kuhls gekommen war. Doch er konnte nichts erkennen. Unten herrschte völlige Dunkelheit. Er gab einen Schuß aus dem Impulsstrahler ab. Ein mattes Aufleuchten war die Reaktion. Sonst nichts. Er sprang zurück. »Wir müssen in diesen Schacht hinunter. Ich nehme dich mit, Lavista. Klammere dich fest an mich. Forry macht es allein.« Mehr als hundert Meter tief lag die Sohle des Schachts. *
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Zoltyx tobte in ungezügelter Wut. »Das hat es noch nie gegeben, Gostro! Eine Gehirnwäsche ist eine Gehirnwäsche. Und wenn diese Leute halb so sensibel sind wie Morgaten. Überprüfen Sie noch einmal alle Verbindungen. Es kann sich nur um einen Leitungsdefekt handeln.« »Es ist keiner festzustellen, Morgo. Ich habe alles mehrfach überprüft. Die Gehirne dieser Menschen müssen präpariert sein.« »Reden Sie keinen Unsinn. Wir haben gesehen, wie Barnett und der Proka am Ende ihrer Kräfte standen. Es fehlt wahrscheinlich nur noch ein Tropfen Energie, und sie werden ihre Geheimnisse ausspucken.« »Auch unser Gerät hat seine Grenzen. Aber vielleicht ist Lisman weniger widerstandsfähig.« »Also gut! Reden Sie nicht soviel! Handeln Sie!« James Lisman wurde mit seiner Bahre unter die Haube geschoben. »Sofort beide Schläfennadeln!« befahl Zoltyx finster. »Der Mann wird nicht gleich davon sterben.« Die Haube senkte sich. Barnett und Iks-Wol-Esak hörten das Stöhnen ihres Freundes und die dauernden Vorschriften des Morgo, mit denen er Gostro-Gosth anzutreiben versuchte. - Zoltyx ist überdreht. In der Stimmung habe ich ihn am liebsten – dachte Barnett. Der Proka, der seine Gedanken klar empfing, gab seine Zustimmung mit einem Pendeln seines rechten Tentakels. Man hatte sie abseits gestellt. Sie waren weder gefesselt noch gelähmt. Sie waren nur total geschwächt. Bleibe auf Empfang, Iks! Wir haben jetzt nur die Möglichkeit der Ein-Weg-Verständigung. Aber du kannst mich korrigieren, indem du bejahst oder verneinst. – Wieder stimmte der Telepath mit einer vorsichtigen Armbewegung zu. – Zoltyx hat behauptet, dieser Raum sei gegen jegliche Frequenz abgeschirmt, also auch gegen Gedankenwellen. Das erklärt auch, weshalb du keine Verbindung mehr zu Nam-Legak bekommst. Ich kann mir denken, daß er sehr in Sorge ist ... Und leider hat er Grund dazu. – Ein aufpeitschender Ruf des Morgo, der sich immer mehr in unkontrollierten Zorn steigerte. Wenn wir telepathisch Hilfe herbeirufen wollen, müssen wir von hier weg. Vielleicht genügt ein anderer Raum. Fühlst du dich stark genug für einen Ausbruchsversuch? – Iks-Wol-Esak verneinte. Wenn James einigermaßen durchhält, haben wir mindestens eine Viertelstunde Zeit. Kann ich auf dich rechnen, wenn wir noch zehn Minuten warten? – Iks-Wol-Esak bejahte. Hast du unsere Waffen gesehen? – Nein. Sie liegen auf dem grünen Schrank dort rechts. Zehn bis zwölf Meter von hier. Wenn du dich hochstemmst, kannst du sie sofort finden. Ziel erkannt? – Ja. Die Morgaten wenden uns den Rücken zu. Sie kümmern sich kaum um uns. Wir werden also vorsichtig aufstehen und uns langsam bewegen. Es kommt nur darauf an, daß wir keine Geräusche verursachen. Klar? – Ja. Und jetzt entspanne dich! – * »Sie fühlen sich glücklich. Sie schwelgen in den Wonnen der Galaxis. Es gibt keine Gefahr mehr für Sie, James Lisman. Sagen Sie den Namen des Terroristenführers! Sagen Sie den Namen und Sie haben die Freiheit!«
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Zoltyx sprach beschwörend und drohend zugleich. Immer wieder stellte er die gleiche Frage. James Lisman stöhnte. Hält er sich gut? – fragte Barnett in Gedanken. Ja. Besteht die Hoffnung, daß er es bis zum Ende schafft? – Ja und nein. Entspanne dich, Iks! Gib ein Zeichen, wenn du dich stark genug fühlst, die Flucht zu wagen. – Es waren höchstens drei oder vier Minuten vergangen, als Iks den Tentakel hob. Jetzt schon? – fragte Barnett. Ja. Ist es wegen James? – Ja. Zoltyx stieß einen triumphierenden Ruf aus. »Ha! Gostro-Gosth! Habe ich es nicht gesagt? Er fällt um! Den Namen noch! Nur jetzt den Namen noch! Es gibt also eine Untergrundbewegung, und unsere scheinheiligen Verbündeten haben bereits Absprachen mit ihnen getroffen ... Los, Gostro! Die Nadel für das Rückgrat! Er wird plaudern.« Iks-Wol-Esak stellte den rechten Tentakel auf die Erde. Vorsichtig ließ er den mittleren folgen. Zoltyx schnaufte und drohte, ohne zu erkennen, was hinter ihm vorging. Dann stand der Telepath auf drei Beinen und machte die ersten Schritte ... Zehn, zwölf Meter bis zum grünen Schrank. Die Waffen! Dann stand Barnett hinter ihm – immer noch ohne Deckung, aber bewaffnet. Allerdings machte der Proka noch keinen sehr zuversichtlichen Eindruck. Er hatte immer noch gegen die körperliche Schwäche anzukämpfen, zumal er später als Barnett unter der Haube gelegen hatte. Schießen! – befahl Barnett. Du Gostro-Gosth, ich Zoltyx. – Sie hoben gleichzeitig die Waffen. In dem Augenblick trat Gostro-Gosth hinter den Morgo und fing Barnetts Schuß ab. Der Proka traf nicht. Gostro-Gosth stürzte zu Boden. Zoltyx war geistesgegenwärtig genug, sofort hinter Lismans Bahre Deckung zu suchen. Er fluchte laut und wütend und ließ seine Waffe sehen. »Eine falsche Bewegung, meine Herren, und Ihr Freund hat die längste Zeit gelebt!« Der Diktator lachte mit dem fanatischen Unterton eines Irren. Und Irre sind unberechenbar. »Verschwinde, Iks!« flüsterte Barnett leise. »Ich halte hier die Stellung. Aber du mußt diesen Raum verlassen und telepathisch Hilfe heranholen.« »Okay«, nickte der Proka und zog sich schweigend zurück. Da Barnett und Iks ebenfalls längst in Sichtdeckung gegangen waren, konnte der Morgo nichts von diesem Manöver erkennen. * Nach kurzer Zielberechnung teleportierten sie gemeinsam ins Freie. Um sie war die Nacht mit klaren Sternen. Das Depot lag einige hundert Meter hinter ihnen. Zwischen dichtem Unterholz hatten sie fürs erste gute Deckung gefunden. »Und nun?« fragte Lavista. »Habt ihr vergessen, daß wir unseren Chef und seine Begleiter retten sollen?« »Wir brauchen einen ruhigen und geschützten Platz, um unsere Pläne in Ruhe ...« »In Ruhe?« schrie Lavista halb hysterisch. »Ich verstehe eure Engelsgeduld nicht. Und wenn
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ihr noch ein bißchen Mitgefühl für die anderen im Leibe hättet ...« »Still!« zischte Nam-Legak. »Ich glaube, ich habe Kertox gefunden. Ihr müßt jetzt einmal für eine halbe Minute den Mund halten. Die Gedanken sind stark überlagert ...« * Iks-Wol-Esak stand in der Nebenhalle. Die Tür war hinter ihm zugeschlagen. Das Geräusch erschreckte ihn, weil es ihn verraten haben mußte. Doch es waren zu viele neue Eindrücke, die auf ihn eindrangen. Er hatte die Frequenzsperre durchschritten, und die breite Skala lebenshungriger und gebietender Kuhl-Gedanken drang auf ihn ein. Mit äußerster Konzentration verdrängte er sie aus seinem Gehirn und suchte die fernen Impulse seines Freundes. »Hallo, Nam! Hallo, Nam! Melde dich, wenn du mich wahrnimmst. Peile dich auf meinen Standort ein. Ich bin mit Barnett und Lisman gefangengenommen worden. Wir sind in der Gewalt des Morgo, wissen aber den Ort nicht. Melde dich, Nam! Peile dich auf meinen Standort ein!« Prompt kam die Antwort. »Endlich, Iks! Wir hatten euch schon aufgegeben. Ich habe dich im Kopf. Wenn ich jetzt nur noch die Entfernung und die Richtung wüßte! Aber bleibe auf Sendung! Denke, so intensiv du kannst. Ich teleportiere die Strecke ab. Moment! Warte zehn Sekunden ...« Und wieder Nam-Legak. »Hallo, Iks! Wie ist die Verständigung? – Okay, die Richtung stimmt. Wir sind uns schon näher gekommen. Denke nur fleißig! Immer denken, mein Junge ...« Und Iks-Wol-Esak dachte! In seiner unmittelbaren Nähe standen sieben Kuhl-Puppen, in denen eine äußerst negative Gedankenkonzentration arbeitete. Er dachte mit ihnen um die Wette. Er dachte gegen sie und durch sie hindurch. Plötzlich erschrak er. Ein Schuß war in der Nebenhalle gefallen. Doch seine Gedanken waren noch intensiver. Die Sorge teilte sich Nam-Legak mit, der sich irgendwo draußen befand. Gleichzeitig rannte er zurück, riß die Tür auf und stand innerhalb des Raumes, in dem sich Perry Barnett befand. Barnetts Gedanken waren ein einziges Chaos. »Der Schuft hat auf James geschossen ...« * Bannister und Lavista zogen sich tiefer in ihre Kombinationen zurück und kauerten sich an den Boden unter dem großblättrigen Strauch. Die Nacht auf Morgat war kühl geworden. »Und nun?« »Wir haben eine Weste. Und nicht nur eine x-beliebige. Wir werden handeln ...« Der Kampf an zwei Fronten hatte sie eine Weile nervös gemacht. Denn Legak hatte vor einer Minute behauptet, wieder Verbindung mit dem anderen Proka zu haben. »Ihr kümmert euch weiter um Kertox und die Untergrundmänner. Hier habt ihr meine Hypnoseweste. Mehr kann ich euch im Augenblick nicht bieten. Ich nehme dafür die von Bannister.« Dann war er in der fünften Dimension verschwunden ... mit Bannisters Weste. Bannister und Lavista lagen noch immer in der Nacht und sollten sich auf Kertox konzentrieren. Die Richtung kannten sie. Und auch etwa die Entfernung. Nam-Legak hatte alles auf ein Blatt gezeichnet. Da war ein Kreuz, wo Kertox sich in einer unterirdischen Festung befinden
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mußte. Und da war ein doppelter Kreis, der den Einschließungsring der morgatischen Truppen kennzeichnete. Die Widerstandskämpfer wurden belagert. »Halte dich fest«, sagte Forry Bannister. »Ich springe jetzt.« Sie landeten zehn Kilometer weiter von der Stadt Seronia entfernt. Die Landschaft ähnelte der, aus welcher sie kamen. Ein freies Buschgelände mit sanften Hügeln. Lavista wunderte sich, daß die Untergrundbewegung sich bereits so nahe der Hauptstadt eingenistet hatte. Dann vertrieben sie jeden nebensächlichen Gedanken. »Wir müssen den Kommandeur finden. Wenn der Hypnoseapparat auch bei uns funktioniert, werden wir ihm schon unsere Meinung beibringen.« »Willst du jetzt vielleicht kneifen?« »Rede keinen Unsinn. Weshalb bin ich wohl hergekommen?« »Na, eben! Wenn Nam uns seine Weste gegeben hat, traut er uns auch zu, daß wir etwas mit der Hypnoseschaltung anfangen können.« Das Ziel der Angreifer war die Kuppe eines kleinen Hügels. Nichts wies darauf hin, daß sich hier unterirdische Anlagen befanden. Und doch mußte es so sein. Denn der Morgo würde kaum einen Haufen Dreck stürmen lassen. Noch eine Kurzteleportation. Dann waren sie so dicht hinter der morgatischen Linie, daß sich kein Sprung mehr lohnte. »Vor uns ein Doppelposten«, sagte Lavista plötzlich. »Wie weit?« »Fünfzig Meter – in dieser Richtung.« »Okay! Ich habe ihn.« »Er sieht uns noch nicht. Es kann aber nicht mehr lange dauern, bis er uns entdeckt. Wenn du es mit der Suggestion versuchst, denke an deine Konkurrenz, die Kuhls.« »Keine Angst! Wir gehen einfach dicht heran. Dann schaffe ich's.« »Wie du meinst, Perry!« »Ich bin nicht Perry. Aber deine Äußerung beruhigt mich.« »Habe ich Perry gesagt?« »Du hast auch geglaubt, ich sei es. Nur eine kurze Generalprobe. Traust du mir jetzt zu, daß ich hypnotisieren kann?« Sie kamen heran. Vor ihnen tauchten zwei Soldaten auf, die zur Bewachung der Troßfahrzeuge abgestellt worden waren. Sie fragten nach der Parole. »Wir sind Abgeordnete Barnetts, des Telluriers, der zur Zeit mit Zoltyx konferiert. Man schickt uns nach dem Kommandeur dieser Truppe. Von einer Parole ist nichts bekannt.« Mit dieser fadenscheinigen Ausrede hätte sich normalerweise jeder Fremde den Tod eingeheimst. Doch Bannisters Hypnose wirkte einwandfrei. »Captain Parnzit befindet sich in der vorderen Linie. Wir können ihn unmöglich zurückrufen ...« »Wir gehen zu ihm. Die Angelegenheit ist dringend genug. Können Sie mir sagen, wo wir hier einen Passierschein bekommen?« Ein Passierschein mitten in der Schlacht! Wenn Forry Bannister die Morgaten nicht völlig unter Kontrolle gehabt hätte, wären sie wahrscheinlich von einem Lachkrampf ergriffen worden. So aber sagte der eine von ihnen nur: »Ich werde Sie begleiten, Herr!« Der Hügel glänzte im Schein freigewordener Energie. Drei Batterien feuerten in regelmäßigen Intervallen hochgradig saubere Atomgeschosse. »Die müssen mindestens dreihundert Meter in der Erde sitzen«, stellte Bannister beiläufig fest. Dann erreichten sie das erste Geschütz. Der Leutnant hatte eine Zurechtweisung auf der Zunge, als Bannister ihn bezwang. Sie wurden durchgelassen.
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»Dort drüben das sechste Geschütz ist es, meine Herren.« Der Soldat blieb zurück, und sie gingen allein weiter. Es gelang ihnen offenbar alles ohne Schwierigkeiten. »Captain Parnzit.« »Er hat uns erkannt.« Ein Morgat tauchte aus der Dunkelheit auf und kam ihnen entgegen. »Sie wünschen, meine Herren?« »Wir kommen von der Konferenz des Morgo. Man hat sich mit Barnett geeinigt. Bis neue Befehle herauskommen, sollen sofort alle Kampfhandlungen eingestellt werden.« »Das dürfte ein Irrtum sein. Die Konferenz, von der Sie sprechen, fand gar nicht statt. Barnett befindet sich in unserer Hand, und ich bitte Sie, sich ebenfalls als Gefangene des Morgo zu betrachten.« Der Doc spürte klar, daß er den Morgaten nicht unter seinen Willen bekommen hatte. Dieser Mann stand unter sehr starkem Kuhl-Einfluß. Die Lage war äußerst kritisch. Bannister nahm alle Kraft zusammen, die ihm zur Verfügung stand. Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er so angestrengt an eine ganz bestimmte Sache, daß ein körperlicher Schmerz daraus wurde. Ich bin der Morgo! Ich bin Zoltyx, der Diktator! – »Geben Sie sofort Befehl, Captain, das Feuer einzustellen. Lassen Sie antreten und die Truppe an ihren Standort abrücken! Sobald das geschehen ist, melden Sie sich im Blauen Palast bei Gostro-Gosth. Sie werden dort für Spezialaufgaben gebraucht.« »Jawohl, großer Morgo!« Parnzit gab die suggerierten Befehle. Die Truppe trat ab, bespannte die Motorlafetten und rückte ab. Alles geschah mit einer traumhaften Selbstverständlichkeit, obwohl es für einen Morgaten der größte nur denkbare Unsinn war. Bannister und Lavista blieben zurück. Sie drehten sich nach dem Hügel um. »Ob sie uns beobachten können?« »Wenn sie hier einen Bunker haben, werden auch Beobachtungsmöglichkeiten vorhanden sein. Kein guter Stratege läuft blind durch die Welt. Und Kertox ist ein gescheiter Mann.« »Dann sollten wir teleportieren und ein Stück näher an die Festung herangehen.« »Okay! Klammere dich an mich. Ich werde versuchen, den Buschwald dort links zu erreichen.« Sekunden später hatten sie das neue Ziel erreicht. Um sie herum war wieder die Einsamkeit. Nur ein diffus schimmernder Lichtfleck, der etwa hundert Meter vor ihnen aufleuchtete, erinnerte sie daran, daß das hier kein Spaziergang war. Das Leuchten lag über einem sanften Hügel, der die fast platte Landschaft unmerklich auflockerte. Sie verließen den Schutz der Bäume und winkten mit ihren Handleuchten. Obwohl mit keinem Morgaten ein Zeichen abgesprochen worden war, gab Bannister ein paar Blinkzeichen, um die Aufmerksamkeit der Widerstandskämpfer auf sich zu lenken. »Leuchte mir ins Gesicht!« forderte er Lavista auf. »Aber so, daß die mich da drüben erkennen können.« Lavista tat es und versuchte dann, mit seinem Taschensender eine Verbindung zu Kertox herzustellen. Doch es gelang nicht. Die Rebellen mußten auf einer anderen Welle arbeiten, die den tellurischen Modellen nicht zugänglich war. Dann stieß Lavista plötzlich einen leisen Warnruf aus. »Dort kommt jemand!« Er zeigte nach vorn, wo auch Bannister jetzt einen Schatten gewahrte. Es war ein Mann, der genau auf sie zukam und dabei keinerlei Deckung suchte. »Hallo, sind Sie Dr. Bannister?« »Ja, der bin ich.«
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»Mich schickt Kertox. Er hat Sie als einen von Captain Barnetts Leuten erkannt. Der Admiral wünscht Sie zu sprechen, meine Herren.« »Und wir brauchen den Admiral. Ihre Festung liegt unter der Erde?« »Ich werde Sie hinführen, meine Herren. Aber seien Sie vorsichtig! Das Gelände ist mit Minen verseucht. Bleiben Sie genau hinter mir!« Bannister unterbrach ihn, da er einen besseren Plan hatte. Er ließ sich von dem Rebellenoffizier genau die Lage der unterirdischen Festung beschreiben und bat den Mann dann, sich eng an ihn zu klammern. Nach kurzem Zögern gehorchte der Mann verständnislos. Als er jedoch innerhalb weniger Sekunden plötzlich im Innern der Festung materialisierte, war seine Begeisterung ebenso ehrlich wie sein Erstaunen. Forry Bannister vergeudete keine Zeit mit langen Erklärungen. Er holte auf die gleiche Weise Lavista nach unten und verlangte, sofort zu Kertox geführt zu werden. Der Chef der Widerstandsbewegung trat im selben Moment aus einer Tür und begrüßte seine Verbündeten. »Sie haben ein Wunder vollbracht, meine Herren. Ich danke Ihnen im Namen aller aufrechten Morgaten. Wir hätten dem Feuer der Batterien nicht mehr lange standgehalten. Wie war es nur möglich, daß Sie die Truppen des Diktators zum Abmarsch veranlassen konnten?« »Verzeihung, Admiral! Betrachten Sie es vorerst als ein Wunder. Wir werden es Ihnen erklären, sobald dafür Zeit ist. Doch im Augenblick geht es nicht nur um die Freiheit Ihres Volkes, sondern auch um das Leben unserer Freunde von Terra ...« Forry Bannister beschrieb ihm die Lage in zehn knappen Sätzen. »... fühlen Sie sich stark genug, mit uns zusammen loszuschlagen, Admiral?« »Wenn Sie endlich offen gegen den Morgo vorgehen wollen, haben Sie meine ganze Unterstützung. Der Zeitpunkt ist günstig und auch für uns dringend. Nach den Attentaten sind einige unserer Gruppen aufgerieben worden. Nur unsere Taktik der getrennten Arbeit mit nur ganz wenigen Verbindungsmännern hat uns vor einem allgemeinen Verrat bewahrt. Rechnen Sie auf uns. Ich werde unsere Truppen bereitstellen lassen. Die Mobilmachung nimmt höchstens eine halbe Stunde in Anspruch. Wie können Sie mich unterrichten?« »Greifen Sie an, sobald Sie können, Admiral. Ich muß mit Lavista sofort in die Gewölbe des Blauen Palastes teleportieren, denn der Kampf zwischen Barnett und Zoltyx hat längst begonnen.« Bannister und Lavista verschwanden wieder. In drei Teleportationen erreichten sie das unterirdische Labyrinth beim Depot. Dort fanden sie einen abgelegenen Raum, in dem man sie nicht so schnell entdecken würde. Über Telekom riefen sie Nam-Legak. Nach drei bangen Minuten erhielten sie endlich Verbindung. »Zum Teufel, Iks! Warum meldest du dich nicht?« »Ich war im abgeschirmten Gewölbe bei Barnett. Lisman ist noch immer in der Gewalt des Morgo. Wir brauchen Verstärkung für einen Gegenangriff von allen Seiten. Wartet! Ich komme zu euch und lotse euch durch. Der Keller des Depots hat eine direkte Verbindung zum Blauen Palast. Bleibt auf Sendung, damit ich die Richtung nicht verfehle!« Kurz darauf erschien der Proka. Anhand einer Skizze erklärte er den Freunden die Lage der Gänge. Nam-Legak wartete nicht einmal Bannisters Nicken ab und verschwand. Bannister und Lavista nickten sich stumm zu. Ans gemeinsame Springen waren sie mittlerweile gewöhnt. Der Zielort stimmte. Doch es war niemand zu sehen. Sie erkannten lediglich die offen stehende Tür, von der der Proka gesprochen hatte. Und sie hörten den lauten Ruf, der sich in
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der weiten Halle in vielfachem Echo verfing. »Zoltyx hat wieder auf Lavista geschossen. Vielleicht blufft er nur ...« »Er blufft so lange, bis er wirklich trifft. Und das kann in zwei Sekunden sein«, knirschte Bannister. Sie stürmten weiter. Durch die große Tür in die abgeschirmte Halle. Beinahe hätten sie Nam-Legak umgerannt. »Beim Weltall! Bleibt in Deckung. Doc, Sie brauche ich. Wir müssen Zoltyx in die Zange nehmen.« Wieder fiel ein Schuß. Ein erstickter Aufschrei folgte. »Jetzt hat er Lisman erwischt! Der Schuft.« »Ihr Idioten!« tobte Lavista. »Warum unternehmt ihr auch nichts?« Der Leutnant rannte einfach davon und feuerte wild um sich. Es war ein reiner Amoklauf. Ohne zu wissen, wo sich Freund und Feind befanden, zerstörte er nichts als ein paar Einrichtungsgegenstände und setzte sich lediglich der Gefahr aus, in Zoltyx' Visierlinie zu geraten. Nach zehn Schritten allerdings passierte er Iks-Wol-Esaks Versteck. Der Proka griff nur mit seinen Zwei-Meter-Tentakeln zu und riß Lavista in seine Nische hinein. »Wenn du jetzt nicht augenblicklich vernünftig wirst, breche ich dir sämtliche Knochen im Leibe.« Lavista stöhnte verzweifelt auf und zeigte plötzlich Resignation. Er wußte, daß der Proka nicht übertrieb. Seine langen, gliedlosen Arme konnten sich in vielen Windungen um den Körper des Gegners wickeln und diesen spielend erdrücken. An der Tür legte sich die Erregung nicht so schnell. »In dieser Verfassung werden wir noch mehr Leute verlieren«, stellte Forry Bannister knapp fest. »Wo ist der Chef?« Nam-Legak zeigte die Richtung. »Okay! Teleportiere zu ihm und mache einen dreiseitigen Angriff auf Zoltyx aus. Und zwar in Sekunde 60 in der übernächsten Minute.« Der Tellurier peilte den Ort an, den er sich bereits ausgesucht hatte. Es war ein herabhängender Scheinwerfer. Er starrte auf das Zifferblatt. Sieben Sekunden vor Ablauf der verabredeten Zeit sprang er. Der Scheinwerfer schwankte nur leicht. In diesem Augenblick peitschten die gezielten Schüsse der drei Angreifer von unten auf. Bannister erkannte ihren Schnittpunkt, erkannte die Stellung des Morgo und den Morgo selbst. Von oben war Zoltyx ohne jede Deckung. Bannister zielte und drückte ab. Schon der erste Schuß tötete Zoltyx. Merkwürdigerweise war Lavista am schnellsten an James Lismans Lager. »Er lebt noch!« schrie er aufgeregt. »Kommt her! Der Schuß muß die Bahre getroffen haben, aber nicht unseren Chefpiloten.« Ehe Barnett heran war, hatte Lavista Lismans Bett unter der Haube hervorgezerrt. Sofort begann er, den unfreiwilligen Patienten zu massieren. Dann erschienen die beiden Prokas. »Die Roboter kommen! Sie haben den Vorraum erreicht.« Barnett rief es. Und Lisman wurde lebendiger als je zuvor. »Roboter!« Mit diesem Schnaufer fuhr er von seinem Lager auf. »Hat hier jemand Roboter gesagt?« Offenbar war der Abend im Theater noch in seiner intensivsten Erinnerung.
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»Roboter kommen hierher? Dann laßt sie nur! Wir werden ihnen zeigen, wie man auf Terra ein Ballett tanzt.« Barnett hatte keinen Sinn für diesen unglaubwürdigen Humor. Er reichte Lisman einen Impulsstrahler. »Männer mit Teleporterwesten nach vorn.« Das Tor hatte man noch schließen können. Doch die Roboter stießen es auf. Die ersten vier stürmten in fliegendem Start in die Halle hinein, ohne sich um einzelne Gegner zu kümmern. Ihre Taktik war sofort klar. Sie wollten im ersten Ansturm gleich eine größere Menge Kampfmaschinen in die Halle bringen. Dieser Plan gelang nicht ganz, aber doch wesentlich besser, als die Verteidiger es sich gewünscht hatten. Fluchend drückte Lisman auf den Feuerknopf seiner Waffe und erfaßte den siebten Roboter in der Flanke. Sechs waren also schon durchgebrochen, bevor er reagieren konnte. Trotzdem machte ihn der erste Erfolg sicher. Er nahm den nächsten aufs Korn und einen dritten. Dieser lag bereits im Eingang und versperrte den nachdrängenden Kämpfern den Weg. Die ersten sechs hausten wie die Berserker in der kostbaren Einrichtung. Da die Menschen überall gut in Deckung waren, litt in erster Linie das Inventar. Da sprang plötzlich Nam-Legak mit einer Teleportation genau hinter einen Roboter, umschlang ihn mit seinen drei Tentakeln, teleportierte noch einmal hoch unter die Decke und überließ die Kriegsmaschine dort kurzerhand der natürlichen Schwerkraft. Die Folge war ein Absturz, der ihm das Genick brach. »Los! Die nächsten beiden!« schrie Lisman. »Noch jeder einen Blechkameraden ... und diesen hier!« Mit dem letzten Satz meinte er einen neuen Angreifer, der sich über die Trümmer am Eingang heranarbeiten wollte. James Lisman schoß aus guter Deckung und hatte wieder Erfolg. Seine laut gesprochenen Kommentare waren zwar wenig angebracht, doch sie schienen ihm die Arbeit zu erleichtern. »Jawohl! Bravo! So ist es gut! Sie tanzen wie Ihre Kollegen vom Ballett! Nur nicht so graziös ... Feuer, mein Junge! Well, da mußt du schon früher aufstehen, wenn du dem alten James eins aufbrennen willst.« Die eingedrungenen Roboter waren schließlich vernichtet, ohne daß Menschen und Prokas Verluste hatten hinnehmen müssen. »Konzentriertes Feuer auf den Eingang!« befahl Barnett. »James, Forry, Nam ... Zurück!« Sie gehorchten. Kurz darauf zerschmolz das Tor. Die Decke drückte nach und bildete eine unüberwindliche Barriere. »Okay! Von dort aus kann uns niemand mehr erreichen. Wir verschwinden über den Westausgang.« In einem abgelegenen Raum hielten sie kurzen Kriegsrat. Die Männer von draußen gaben einen knappen Lagebericht. Barnett nickte. »Die Aktion kann nur sinnvoll verlaufen, wenn wir uns sofort mit Kertox verbünden und mit ihm gemeinsam vorgehen. Wir haben genügend Teleporterwesten, um jeweils zu zweit aus diesem Hexenkessel zu verschwinden.« Nähere Anweisungen waren nicht notwendig. Die Aktion verlief reibungslos. Barnett und Iks-Wol-Esak, die als letzte das Gewölbe verließen, legten noch mehrere DesintegrationsHandgranaten mit Zeitzünder. »Einstellen auf sieben Minuten!« »Okay! Sieben Minuten.« Sie erreichten Kertox' Hauptquartier. Aus der Ferne beobachteten sie das Schauspiel. »Wie stark waren die Ladungen?« fragte der Admiral der Rebellen. Barnett hörte die Sorge heraus.
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»Es wird mehr ein Schauspiel als eine Vernichtung. Ich begnüge mich mit der moralischen Wirkung. Sehen Sie hin!« Ein dumpfes Grollen und Beben erfüllte den Boden Seronias. Die fressenden Energien erschütterten die Kellergeschosse des Blauen Palastes. Seine wuchtige Silhouette löste sich plötzlich auf und zerfiel in undefinierbare Fragmente. Sie starrten noch minutenlang auf das imponierende Bild am Horizont und hatten dann die Gewißheit, daß die Vernichtung nicht auf die Umgebung des Palastes übergegriffen hatte. »Ich glaube, Sie sollten jetzt angreifen, Admiral.« Kertox nickte stumm und wandte sich zwei Offizieren zu. »Plan ›Freiheit‹ kann anlaufen, meine Herren. Wir sehen uns in Seronia wieder ...« * Die Nacht war schon alt, und der Morgen mußte bald hereinbrechen. Dennoch wurde es die Nacht der Befreiung von der Diktatur des Morgo Zoltyx. Überall, wo auf Morgat die Kommandos der Rebellen warteten, wurde zur selben Stunde losgeschlagen. Plötzlich jagten Raumschiffe über den Himmel, die die Farben der Revolution trugen. Mit Hilfe des Barnettschen Teleporter-Korps wurde der Admiral mit einem schwerbewaffneten Stoßtrupp in den Studios des Staatssenders abgesetzt. Die späte Musiksendung erfuhr eine Unterbrechung. Kertox hielt eine Ansprache an alle Bewohner Morgats. Er erwies sich als ein guter Propagandist, denn schon im ersten Satz teilte er der Bevölkerung mit, daß der Morgo und sein engster Vertrauter Gostro-Gosth gefallen seien. Danach erwähnte er die Sprengung des Blauen Palastes, von der sich die Bewohner der Hauptstadt längst hatten überzeugen können. Abschließend forderte er alle Morgaten zur Besonnenheit auf und sicherte ihnen eine frei gewählte Regierung zu. Als der Morgen heraufdämmerte, waren die wichtigsten strategischen Punkte des Planeten in der Hand der Rebellen. Ganze Truppenteile waren mit ihren Offizieren an der Spitze zu Kertox übergelaufen. Trotz mancher Verluste wurde es eine nahezu unblutige Revolution. Lediglich ein Umstand brachte Verwirrung unter die Bevölkerung. Die Bedeutung der Kuhls war von den wenigsten richtig erkannt worden. Nachdem Barnett darüber auf allen Radiowellen sprach und die Wahrheit langsam an Glaubwürdigkeit gewann, vollendete sich die Verbrüderung zwischen den feindlichen Parteien. * Die schlanke CORA jagte auf Morgat III zu. Sie war soeben aus dem Hyperraum aufgetaucht, als die Ton- und Bildempfänger bereits die neuesten Sensationen meldeten. Revolution im Morgat-System! Der Morgo Zoltyx gefallen. Seine Truppen in alle Winde zerstreut. Seine Anhänger – bis auf eine kleine Gruppe von Unverbesserlichen – zu Recht und Ordnung bekehrt. Und neben Kertox feierte das Volk Barnett und die Tellurier als seine Befreier. Praxlomza holte die Landeerlaubnis ein und erhielt sofort ein Feld zugewiesen, obgleich nach dem Angriff vom Vortage sechzig Prozent des Hafens von Seronia nicht benutzbar waren. Barnett ging mit seinen Männern an Bord. Sie mußten sich ein strapazierendes Händeschütteln gefallen lassen. Die Gefeierten winkten lächelnd ab und baten um Nachsicht. »Beim Weltraum! Ihr setzt uns ja mehr zu als alle Zoltyx-Anhänger zusammengenommen«, stöhnte Lisman. »Da glaubt man, der Hölle entronnen zu sein, und fällt hier der Begeisterung der Massen zum Opfer. Wenn ich mir unseren Chef ansehe, habe ich das Gefühl, daß es noch
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eine Menge Arbeit gibt, bevor wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen können.« »In der Tat, Prax. Es wird noch ein paar heiße Tage geben. Die Morgaten brauchen unsere Unterstützung. Mit den Aufräumungsarbeiten müssen sie allein fertig werden. Und die dürften noch ein paar Wochen dauern. Unser Problem sind die Kuhls. Den amtlichen Schätzungen nach müssen noch etwa ein Dutzend Puppen existieren ...« Die Vernichtung der letzten Kuhl-Puppen dauerte ganze drei Tage. Dann hatte man ihren letzten Schlupfwinkel gesäubert. Die beiden tellurischen Schiffe lagen wieder dicht beieinander auf dem Flugfeld von Seronia. Barnetts gesamte Mannschaft war ununterbrochen im Einsatz. An Bord herrschte Vollalarm. Die schweren Waffen waren Tag und Nacht einsatzbereit. Während die kleinen Teleportertrupps einen Kuhl nach dem anderen ausschalteten, achteten die Männer in den Kommandozentralen auf ihre Warngeräte, um auf jeden Angriff aus dem Weltall vorbereitet zu sein. Barnett hatte kalkuliert, daß die Vorgänge auf Morgat den Treoniden nicht entgangen waren. Der Bürgerkrieg zwischen den unbotmäßigen Morgaten konnte ihnen ein willkommener Anlaß sein, selbst einzugreifen. Im weiten Sternhaufen Q 27 regte sich jedoch nichts Verdächtiges. Kertox und Barnett konnten ihren gemeinsamen Kampf gegen die Kuhls erfolgreich zu Ende führen. Die Militärregierung schrieb bereits am zweiten Tage neue Wahlen aus, wodurch in Zukunft eine gesunde demokratische Ordnung auf Morgat garantiert werden sollte. Kertox selbst stellte sich als Kandidat für den Posten des Staatspräsidenten. Die Tellurier bekamen ihn nur selten zu Gesicht, da er durch den laufenden Wahlkampf sehr in Anspruch genommen war. »Wir haben es geschafft, Perry«, sagte James Lisman fünf Tage nach dem Sieg über den Morgo. »Wie lange gedenkst du noch zu bleiben?« »Ich möchte noch den Ausgang der Wahlen abwarten. Vielleicht können wir mit der neuen Regierung ein Abkommen treffen, daß man uns für die TRILANI hier Asyl gewährt. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wohin mit dem erbeuteten Schiff.« »Bedarf das noch einer Frage? Wir nehmen es natürlich mit nach Hause.« »So natürlich ist das nicht, mein Junge. Ich könnte mir denken, daß es dadurch neue Komplikationen geben wird. Selbst wenn uns die Heimkehr unversehrt gelingen sollte, möchte ich nicht, daß wir hier einen neuen Krisenherd in der Galaxis hinterlassen. Das wäre nicht der Sinn unserer Aufgabe.« »Ich weiß, wir sollen dem Frieden dienen.« In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen, und Iks-Wol-Esak trat ein. Der abgeklärte Proka verriet nur selten Erregung. Heute aber war er das reinste Nervenbündel. »Nanu, Iks, du bist ja aufgeregt, als hättest du wieder eine Erfindung gemacht«, sagte Lisman hänselnd. »Diesmal ist es keine Erfindung. Trotzdem genauso aufregend. Seit gestern habe ich ununterbrochen mit dem Elektronengehirn experimentiert und alle Programme durchlaufen lassen, die es nur hat.« »Und was ist dabei herausgekommen?« »Ich habe eine Notiz aus dem Jahre 5304 gefunden. Damals waren unsere sirianischen Kolonien bereits so stark übervölkert, daß man mehrere Auswandererexpeditionen zusammenstellte. Über 300 Millionen Menschen sind damals auf die große Reise ins Unbekannte gegangen.« »Ich erinnere mich«, sagte Barnett. »Doch was hat das mit uns zu tun?« »Es ist historisch belegt, daß alle Auswanderer im Laufe eines Jahrhunderts wieder Verbindung mit der Heimatwelt bekamen.« »Natürlich, es war das Zeitalter der tellurischen Expansion. Auch das habe ich im
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Geschichtsunterricht gelernt.« »Offenbar waren eure Pädagogen aber zu penibel, einzugestehen, daß eine größere Gruppe von mehr als fünfhunderttausend Menschen für immer verschollen blieb.« »Bei insgesamt 300 Millionen ist das eine durchaus niedrige Verlustquote. Man wird die Gruppe auf die Verlustliste gesetzt haben. Sie sind ja seitdem auch nicht wieder aufgetaucht.« »In diesem Punkt möchte ich dir widersprechen. Die verschollene Expedition nahm von Tellus aus den gleichen Kurs wie wir. Das Elektronengehirn läßt keinen Zweifel darüber ...« »Beim Weltall!« rief Barnett und sprang auf. »Du willst doch nicht etwa behaupten ...« »Natürlich will ich das. Im Q 27 spricht man eure Sprache und schreibt eure Schrift. Mit Abweichungen, aber der gemeinsame Stamm mit dem Tellurischen ist nicht zu leugnen.« »Es klingt verführerisch, Iks. Doch wieso wissen die Morgaten und Treoniden selbst nichts über ihre Herkunft? Warum haben sie mit Tellus keine Verbindung mehr aufgenommen, wenn sie schon über eine derartige Technik verfügten?« »Es muß eben doch einiges schiefgelaufen sein. Vielleicht haben sich nur wenige auf bewohnbare Planeten retten können. Vielleicht mußten sie wieder ganz von vorne anfangen. In achttausend Jahren kann sich bequem eine eigenständige Kultur entwickeln und wieder zu neuen technischen Höhen emporgelangen.« »Wir müssen es Kertox sagen. Ich weiß, daß er ein ebenso interessierter Forscher wie Offizier ist ... Wenn deine Vermutung stimmt, Iks, dürften wir kaum Schwierigkeiten mit der Rückreise haben.« »Natürlich«, nickte Lisman. »Wir starten mit einem Kurs, der nach Iks-Wol-Esaks Theorie der richtige sein muß. Wenn wir dann wirklich wieder nach Hause finden, ist es bewiesen, daß Treoniden und Morgaten von jener verschollenen Expedition abstammen ...« Die drei Männer debattierten noch stundenlang. Das Thema war zu aufregend. Sie hätten wahrscheinlich das Abendbrot darüber vergessen, wenn nicht eine neue Meldung gekommen wäre. Praxlomza suchte über Bordsprech nach Barnett. Der Chef meldete sich. »Was ist los, Prax?« »Eine persönliche Botschaft des Großen Treon Cares ist soeben eingegangen. Willst du sie hören, Perry?« »Was dachtest du denn, du Spaßmacher. Deinem Gesicht nach müßte es eine Geburtstagsüberraschung sein.« »Cares, Treon der Treoniden, an Captain Perry Barnett! Wir haben Ihren Kampf gegen Zoltyx aufmerksam verfolgt, Sir, und bitten um Verzeihung für unser anfängliches Mißtrauen. Nachdem Sie an der Seite der Kertox-Rebellen die Zoltyx-Diktatur erfolgreich bekämpft haben, ist unser Verdacht gegen Sie gegenstandslos geworden. Durch Ihren persönlichen Einsatz haben Sie für Treon praktisch eine Schlacht gewonnen und uns das Risiko eines umfassenden Flotteneinsatzes erspart. Ich dokumentiere daher mit unwiderruflicher Gültigkeit, daß das Raumschiff TRILANI in Ihren persönlichen Besitz übergeht. Ferner verleihe ich Ihnen den Dienstgrad eines treonidischen Ehrenadmirals und die Platinmedaille des Großen Treon. Ich bitte Sie, Ehrenadmiral Barnett, mir Nachricht zukommen zu lassen, wann ich Sie und Ihre Männer bei mir empfangen darf. Unterschrift, Cares, der Treon der Treoniden.« Irgendwer brüllte: »Hurra!« Es war Lisman. Er tanzte vor Begeisterung sogar auf einem Bein. »Bei Gott, Perry! Wie machst du es eigentlich, daß du immer wieder auf die Füße fällst? Ich habe schon manches Abenteuer mit dir erlebt, daß mir die Spucke wegblieb, weil ich einfach keinen Ausweg mehr sah. Zum Schluß aber kassierst du stets alle Chips und sprengst die Bank.« Barnett begab sich am nächsten Tage zu Kertox und erlebte die ganze Schwüle des Wahlkampfes und seiner Entscheidung am Nerv der Sache mit.
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Um 28 Uhr wurde es endgültig bekannt, daß Kertox 76,75 Prozent aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt hatte. Er würde der neue Präsident von Morgat sein. Barnett kehrte am späten Abend auf die CORA zurück und brachte seinen Leuten die Einladung des großen Morgo mit, der sämtliche Tellurier und Prokas anläßlich seiner Amtseinsetzung bei seinem großen Bankett dabei haben wollte. »Okay«, nickten Lisman und Perkins zufrieden. Und Lisman fügte händeringend hinzu: »Diese Treoniden- und Morgatenkultur wird mir immer sympathischer. Sie mögen ihre Schwächen wie wir alle haben. Aber sie verstehen zu feiern. Wenn ich bedenke, daß wir nächste Woche schon wieder beim Treon eingeladen sind ...« »Erst mal hier das Fest«, lächelte Perry Barnett. Er hantierte an der Tasche seiner Kombination und holte ein schwarzes Plastikblatt hervor, das mit hellgelber Schrift bedruckt war. »Dies sollte ich dir noch von Kertox übergeben.« »Mir? Das sieht ja nach einer amtlichen Vorladung zur Steuerzahlung aus.« »Es ist eine Eintrittskarte«, berichtigte Barnett. »Eine Eintrittskarte für das morgatische Staatstheater. Vor dem Ballett werden wir noch eine Vorstellung besuchen.« »Doch nicht etwa ein Ballett?« stotterte Lisman. »Ich glaube schon«, sagte Barnett, und sein Gesicht war wie die Maske eines genialen Schauspielers. »Es sollen noch ein paar Roboter übriggeblieben sein. Und ich finde, sie tanzen das Ballett recht gut.«
ENDE
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»Das Trojanische Pferd«
Auszug aus den Annalen des Keth-Darg: Es ist ein Irrtum des halbgebildeten modernen Telluriers, wenn er die sogenannte Barnettsche Ära mit dem Galaktischen Krieg identifiziert. Letzterer dauerte 920 Jahre – von 12 348 bis 13 268. Perry Barnett wurde erst in den letzten beiden Jahren des Krieges bekannt. Bis dahin war er ein ›kleiner Mann in der Masse des Volkes‹. Wenn unsere heutige Jugend in ihm den vorbildlichen Soldaten und Kämpfer, den Rebellen des Weltraums sieht, so ist das durchaus keine falsche Romantik. Seit Barnett erhielt das Wort ›Rebell‹ eine Sinnesänderung ins Positive. Und seine Taten überstrahlen – soweit es die Popularität betrifft – alles, was die Gesamtheit der tellurischen und prokaskischen Völker nach dem Kriege an bewundernswerter Aufbauarbeit geleistet hat. Nichtsdestoweniger war Perry Barnett der Kämpfer im Frieden für den Frieden. Sein schicksalhaftes Eingreifen im Jahre 13 267 führte sehr schnell zur Beendigung des gewaltigen Krieges zwischen der Sol-Sirius-Union und den Prokas. Universalgeschichtlich gesehen war das freilich seine bedeutendste Tat, denn er rettete damit praktisch die führenden Zivilisationen der Galaxis vor dem Untergang. Doch erst hier hat der verantwortungsvolle Chronist den Anfang der ›Barnettschen Ära‹ zu suchen. Der Friede in der Milchstraße brachte ein unendliches Maß an kleinen Aufgaben mit sich. In entlegenen Regionen mußte er noch erkämpft werden. Kleine Hilfsvölker, die den Wandel der Zeit nicht begriffen hatten, revoltierten und bedurften der starken Hand der Zentralregierung. Weit mehr als die Hälfte der Galaxis hatte noch als ›terra incognita‹ zu gelten, und die Vorstöße vieler Expeditionen in unbekannte Gebiete machten Menschen und Prokas vor Überraschungen nicht sicher. So sehr Barnett es sich gefallen lassen mußte, als der Rebell gefeiert zu werden, so sehr wurde er in den Jahrzehnten des Aufbaus und der Forschung zum Pionier. Seine Expeditionen in die unbekannten Weiten der Galaxis sind das Hohelied auf den Wagemut des Mannes. Dennoch wissen wir, daß Barnett nicht wegen des Abenteuers an sich auszog, sondern daß ihn immer nur der Wille trieb, der Menschheit zu dienen. * Krut versuchte noch einmal, die Luftblase vollzupumpen und sich vom Boden abzustoßen. Doch es ging nicht mehr. Er klebte wie ein Wurm an der Erde. Seine wunden Sohlen standen auf schroffem Stein. Aus dem rechten Vorderballen floß etwas Blut. Er zog ein noch frisches, abgefallenes Blatt aus dem Unterholz zu sich heran, drehte die Unterseite nach oben und stellte den verletzten Fuß darauf. Das tat wohl. Das Blatt war groß wie ein Tropakopf. Und es war zäh. Es stammte von einem Lederbaum. Die vielen tausend Härchen an der Unterseite waren wie ein Teppich aus Mehltau, weich wie Samt und saugfähig wie ein Löschblatt. Sie stillten die blutende Wunde. Krut nahm den nach allen Seiten überstehenden Rand des Blattes und schlug ihn nach oben. Mit einem Grashalm band er den so entstandenen Schaft am Beingelenk fest. »Ein guter Schuh«, stellte er schweigend fest. »Wenn Tsou schon das Schweben am heiligen Berg verbietet, so läßt er mich doch wenigstens ein Lederblatt finden ... Tsou ist ein guter Gott. Und deshalb will ich ihm dienen.« Die Ebene dort unten war seine Heimat. Von den Wiesen der Tropas aus sah die Welt ganz anders aus. Kleiner und kürzer. Bäume und Sträucher verwehrten den Blick in die Weite. Nur
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eins kam noch hinzu, wenn man die Welt in den Wiesen erlebte. Der Berg. Der große Berg Tsous, des Gottes der Götter. Die neue Perspektive machte Krut unsicher. Scheu drehte er sich um und blickte wieder auf den Berg vor sich. Ja, da war er noch. Bis zur halben Höhe hatte er ihn bezwungen, und doch sah er jetzt noch gewaltiger aus als je zuvor. Spitz stieß er durch die Wolken und ragte in den Himmel. Krut hob zwei Beine und verlagerte sein ganzes Gewicht auf den rechten Vorderballen. Die Prüfung verlief zu seiner Zufriedenheit. Das Lederblatt tat der Wunde gut. Er würde gehen können. Er mußte gehen, denn die Männer in den Wiesen schienen tatsächlich recht zu behalten. »Zu Tsou mußt du auf den Füßen laufen«, hatte Psröi gesagt. »Wenn du es schaffst, mein Guter. Tsou hat allerdings verboten, daß überhaupt jemand zu ihm kommt, denn keiner darf ihn jemals sehen. Darum hat er das Schweben nicht nur verboten, sondern es auch unmöglich gemacht. Du wirst es sehen.« Und so weiter und so weiter ... Psröi hatte noch eine Menge zu Kruts Plänen gesagt. Es hatte alles sehr klug und weise geklungen, aber auf die Gegenfrage, ob er denn schon einmal auf dem Berg gewesen sei, hatte Psröi auch nur den Kopf in die Brust ziehen können. Er hatte das alles gewiß nur von anderen erfahren, und die auch wieder nur von anderen. Keiner wußte eigentlich so genau, wie es auf dem Berg aussah und wie man sich Tsou vorzustellen hatte. Nur ... Nur in diesem einen Punkt stimmte tatsächlich, was ihm Psröi prophezeit hatte. Er konnte nicht mehr schweben. Noch einmal sog Krut den Körper voller Luft. Er atmete so tief und so lange ein, daß seine Außenhaut sich spannte und schmerzte. Noch nie im Leben hatte er seine Schwebeblase so sehr gefüllt, noch nie hatte er alle Vaku-Euter gleichzeitig pumpen lassen und den Schraubenschwanz bewegt. Und alles nützte nichts. Er blieb am Boden. Wie ein Wurm, der zum Kriechen verdammt ist. Verbissen starrte er auf den Berg, der steil vor ihm anstieg. Wie eine Mauer, wie eine Festung. Ich will dir doch dienen, dachte Krut naiv und verzweifelt. Warum soll ich nicht zu dir kommen dürfen, Tsou? Seine plumpen Finger griffen in den Stein. Meter um Meter arbeitete er sich an der steilen Wand nach oben. Es war ein Handikap, daß er nur drei Arme benutzen konnte, da der rechte Vorderballen mit dem Lederblatt verschnürt war. In der Wand hängend, kamen ihm die ersten Zweifel an seiner Ausdauer. Er wollte sich fallenlassen, so tief hinunterrollen, daß Tsou ihm nicht mehr zürnte, und dann nach Hause schweben. Aber die Gesichter in den Wiesen! Der Spott! Lange und laut genug hatte er die anderen wissen lassen, daß er auf den Berg schweben würde, um mit Tsou zu sprechen. Den Spott für die verunglückte Expedition würde er nicht ertragen können. Eilig suchte er nach einem neuen Lederblatt, um den Verband zu wechseln. Dann ging er weiter, bis es dunkel geworden war. In einer Felsnische legte er sich zum Schlafen nieder. Am nächsten Morgen würde er neue Kräfte gesammelt haben, und auch die Wunde würde fast verheilt sein. Krut war zu optimistischen Träumen bereit, als er einschlief. Es kam allerdings nicht dazu, denn lange bevor es wieder hell wurde, weckte ihn höllischer Lärm. Erschreckt schnellte er aus seinem Winkel hervor, zog sich dann aber sofort wieder in die Deckung zurück. »Tsou! Gott der Götter«, jammerte er. »Komme nicht zornig zu mir, denn ich bin dein
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gehorsamer Diener.« Wo die Nacht nur hätte schwarz sein dürfen, stand ein strahlendes, feuriges Licht am Himmel, begleitet von dem donnernden Zorn aller Götter. Die Wand im Rücken gebot ihm Einhalt. Er mußte stehen und zuschauen. Und warten, ob ihn der Groll des Mächtigen treffen würde. Das Licht kam aus der Höhe, wo tagsüber die Sonne wanderte. Aber nachts hatte es noch nie ein Licht gegeben. Und erst recht keins, das derart zornig donnerte. Wenn er hätte schweben können! Er wäre in die Wiesen hinuntergehuscht und hätte sich zwischen den Bäumen verkrochen. So aber gab es kein Entrinnen. Laufen konnte er nicht mehr. Nicht so schnell, wie Tsous Zorn auf ihn herabregnete. Es waren tausend spitze Strahlen – zu einem Bündel geformt. Gelb, rot und blau glänzte Tsou, während er majestätisch niedersank. Erst als das Geräusch verstummte und das Licht im Tal erlosch, löste sich Krut aus seiner Erstarrung. Er konnte nicht mehr einschlafen. Bis zur Morgendämmerung war es keine ganze Stunde mehr. Sobald der erste Sonnenstrahl die geringste Orientierung erlaubte, wollte Krut losmarschieren. Instinktiv hatte Krut lange in die Richtung geblickt, in der das Licht verschwunden war. Sehr bald gewöhnte sich sein Auge wieder an die plötzliche Dunkelheit, und da stellte er fest, daß die Flamme noch nicht ganz erloschen war. Immer noch lag ein gelblicher Funke über dem Wald, der sich jetzt allerdings nicht mehr bewegte. Vielleicht schlief auch Tsou jetzt, bevor er sich auf den Weg zu den Tropas machte. Warum sollte ein Gott nicht schlafen, wenn er müde war? * Dann kam der erste Sonnenstrahl. Krut machte sich auf den Weg ins Tal. Abwärts war es nicht sehr schwierig, trotz des verwundeten Ballens. Als er dann schweben konnte, vergaß er seine Furcht. Seine einzige Sorge war, daß er den Weg verfehlte, und deshalb machte er sich die Mühe, auf einen großen Lederbaum hinaufzuschweben, um das unübersichtliche Talgelände zu rekognoszieren. Das Ergebnis verblüffte ihn. Aus dem sich langsam lichtenden Frühnebel schälte sich eine hohe symmetrische Gestalt. Er konnte nur einen grauen Schatten und keine Einzelheiten erkennen. Lediglich der Umriß des Fremden war klar und deutlich. Und man konnte seine Größe ahnen. Seine Größe ... fast wie ein Berg. Aber runder. Vielleicht wie der obere Teil eines Tropakopfes. Wie eine Sonne, die über den Wiesen aufgeht und erst zur Hälfte hinter dem Horizont erscheint. Aber die Sonne war es natürlich nicht. Denn dieser bucklige Berg war grau und neblig. Er leuchtete auch nicht und schien zum Greifen nahe. Krut wartete einen Augenblick, ob sich das Ding bewegen würde. Sehr schnell verlor er die Geduld und schwebte vom Baum herab, holte am Boden tief Luft, pumpte mit den VakuLungen und startete erneut zu einem Schwebeflug dicht über der Erde. Je näher er kam, um so unruhiger wurde er. Er sah verbrannte Erde und umgestürzte Bäume. Tsou schien zornig gewesen zu sein. Wahrscheinlich über ihn und seinen Besuch. Aber jetzt lag er still und friedlich. Die Neugier war größer als die Furcht. Das letzte Stück ging Krut auf den Armen. Die Äste der umgestürzten Bäume waren zu dicht, als daß er noch hätte schweben können. Dann stand er auf der Lichtung, auf der das Feuer gebrannt haben mußte, als es in der Nacht
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vom Himmel kam. Hier und da war noch Glut im feuchten Unterholz. Doch die Nässe verhinderte, daß sie sich entzündete. Es stieg nur viel dichter Dampf auf, der die Sicht behinderte. Krut erkannte trotzdem genau, daß das Ding eine Kugel war. Aus der unmittelbaren Nähe gab es keinen Zweifel mehr daran. »Ich bin dein Diener«, hauchte Krut ehrfürchtig. Nach einer Pause wiederholte er seine Versicherung, ohne daß das Ding reagierte. Daraufhin ging er noch näher heran, bis er genau unter der Kugel stand. Vom Boden aus konnte er sie nicht erreichen. Aber wenn er etwas hinaufschwebte, würde er sie anfassen können. Er wollte einatmen, als ihn eine Bewegung an der Kugel erstarren ließ. Die glatte Wand hatte plötzlich ein rundes Loch bekommen. Ein Loch – schwarz wie die Nacht. Dann tauchte ein Tier auf, wie er es noch nie gesehen hatte. Es war lang und dünn wie eine Spindelschrecke. Aber wesentlich größer. Größer als Krut selbst. Sofort ließ er alle Luft fahren, die er bereits angesaugt hatte, und drückte sich tief ins Gras. Das Tier schwebte zu ihm herab. Wenn es nun kein Tier war? Niemand hatte ihm bisher sagen können, wie Tsou aussah. Keine Erfahrung widersprach der Annahme, daß Tsou genau wie eine riesige Spindelschrecke aussehen mochte. »Ich bin dein Diener, Tsou!« schrie Krut. »Sage mir, was ich tun soll! Ich bin dein Diener am Berg und in den Wiesen.« Er drehte das Gesicht nach oben und schob die Augen über das Gras hinaus. Dicht über ihm schwebte ein blasses Gesicht. Wie zum Angriff hatte sich die Spindelschrecke senkrecht aufgerichtet und streckte zwei Arme nach ihm aus. * Krut gab es auf, die tausend Fragen und Vermutungen zu ordnen. Ob Tsou oder nicht, ob eine Riesenschrecke oder ein Alptraum. Was hier geschah, war so fremd, daß er sich nur noch fürchten konnte. Schweben und fliehen war sein letzter Gedanke. Dann fühlte er den harten Griff der beiden Arme, fühlte, wie sie ihn hochhoben. Aber sie erdrückten ihn nicht. Sie hielten ihn fest und warm und ließen ihn plötzlich schweben, ohne daß er seine Blase bewegte. Das schwarze Loch in der Kugel kam näher. Sie tauchten hinein. Und dann war es plötzlich hell. Die Arme ließen ihn fahren. Er spürte festen, glatten Boden unter sich, so glatt, wie ihn noch kein Tropa gesehen hatte. Genauso glatt waren die Wände rechts und links. Und der Himmel über ihm. Es war ein schmaler, langer Himmel. Niedrig zum Greifen und mit vielen kleinen Sonnen, die geradlinig hintereinander lagen. Wenn es dunkel gewesen wäre, hätte er meinen können, in einer Höhle zu sein, wie sie die Tropas unter den Wiesen bewohnten. Aber natürlich! Tsou als Gott der Götter konnte sich unter Umständen viele kleine Sonnen leisten, die er in seiner Wohnhöhle aufhängte, um auch dort Licht zu haben. Krut streckte die vier Arme von sich, um seine Demut auszudrücken. »Ich bin dein Diener, Tsou ...« Er wollte nicht müde werden, diese Versicherung zu geben. Denn wenn es eine Rettung für ihn gab, dann nur auf diese Weise. Doch sofort verließ ihn wieder sein unerschütterlicher Glaube, als neben der hohen, schlanken Gestalt eine zweite auftauchte, die ihr genau glich. Nicht genug damit! Eine dritte und vierte kam, und alle verbreiteten einen heftigen Lärm um sich. Krut ließ die Hoffnung fahren, daß er es mit Tsou zu tun hatte. So viele Tsous konnte es gar nicht geben. Je mehr aufrechte Gestalten sich in der erleuchteten Höhle blicken ließen, um so überzeugender
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machten sie auch den Eindruck, daß sie ein Schwarm Spindelschrecken waren. Und Schrecken von dieser Größe waren keine angenehme Mahlzeit, sondern schienen eher geeignet, einen Tropa verspeisen zu können. Dann aber kam ein Wesen heran, dessen Fluidum ein angenehmes Rieseln in seinem Körper verursachte. Es war auf den ersten Blick schön und absolut ästhetisch. Wohlgeformt wie eine Kugel, mit einer transparenten, leuchtenden Haut. Es war auch nicht so unverschämt groß wie die abscheulichen Schrecken. »Ich bin dein Diener, Tsou!« schnatterte Krut aufgeregt, sprang auf das Kugelwesen zu und warf sich wieder zu Boden. »Schicke deine Knechte weg, Tsou! Diese Spindeln sind es nicht wert, dir zu dienen. Ich werde alles für dich tun, was du willst. Schicke sie weg, ehe sie mich fressen!« Tsou hatte drei Arme, was für einen Gott eigentlich sehr wenig war. Aber diese Arme waren lang. Und das imponierte Krut wiederum. Sie waren weich und elastisch. Die Hand, die nach ihm griff, hatte nichts Bedrohliches an sich. Nur diese Geräusche, die zu laut und zu fremd klangen, als daß man sie als ›Sprache‹ erkennen konnte, hinderten ihn daran, volles Vertrauen zu fassen. Eine von den Spindelschrecken – es waren inzwischen mindestens neun oder zehn geworden – reichte dem Kugelwesen einen kleinen Kasten. Tsou nahm ihn an, woraus Krut schloß, daß der Gott seinen Vorschlag, die Diener zu wechseln, wenigstens noch nicht sofort angenommen hatte. Die Geräusche der Fremden nahmen wieder an Heftigkeit zu. Sowohl Tsou als auch seine Diener schienen heftig auf ihn einzureden. Tsou nahm den Kasten und schob ihn langsam näher. Krut hätte ihn mit seinem kurzen Arm bequem erreichen können. Doch vor einer solchen Reaktion fürchtete er sich noch. »Ich bin dein Diener, Tsou!« wiederholte er verzweifelt. Und für sich dachte er: Wenn du ein Gott bist, mußt du mich doch wenigstens begreifen. Dann sagte Tsou plötzlich klar und verständlich: »Wir dir helfen – du uns helfen ...« Das war zuviel für Kruts Horizont. Anstatt sich zu freuen, daß er die anderen verstehen konnte, ergriff ihn eine große Enttäuschung. Ein Gott, dem er helfen sollte, konnte kein Gott sein. Und Fremde, die keine Götter waren und obendrein aussahen wie überdimensionale Spindelschrecken, hatten gewiß nichts Gutes im Sinn. Er sammelte Luft in der Schwebeblase, spannte die Muskeln der Vaku-Lunge und stieg blitzschnell auf. Dabei hatte er allerdings die geringe Höhe des ›Höhlenhimmels‹ nicht richtig eingeschätzt und stieß kräftig gegen eine Metallschiene. Sein Aufschrei erstarb in einer wohltuenden Ohnmacht. Steif wie ein Stein stürzte er auf den Boden zurück und blieb regungslos liegen. * »Mein Gott«, stöhnte James Lisman. »Jetzt hat er sich das Genick gebrochen. Mit einem so zarten Wesen geht man auch vorsichtiger um.« »Ich wette, diese Wurst hat überhaupt kein Genick«, behauptete Perkins. »Und wenn doch, dann ist es das Genick eines Meerschweinchens. Jedenfalls hätte uns dieses Individuum niemals helfen können. Ich schlage vor, wir spielen nicht länger die sorglosen Zoologen, sondern zerbrechen uns lieber den Kopf, wie wir die TRILANI wieder flott kriegen.« Ohne dem Maschinisten eine Antwort zu gönnen, drängte sich Dr. Bannister nach vorn. Er war der Bordarzt des großen Kugelraumers. Iks-Wol-Esak, der kleine, kugelförmige ProkaWissenschaftler, machte mit dem mittleren Tentakel ein heftiges Zeichen zu Perkins hinüber, daß dieser für eine Weile seinen vorlauten Mund halten möchte. Forry Bannister erhob sich schnell wieder.
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»Diagnosen sind bei unbekannten Lebensformen freilich immer gewagt. Ob der Bursche Verletzungen davongetragen hat, kann ich nicht sagen.« »Aber er lebt wenigstens?« wollte Perry Barnett wissen. Forry nickte. »Das auf jeden Fall. Ich werde ihn ins Krankenrevier bringen und versuchen, ihn zu behandeln. Es handelt sich jedenfalls um den Organismus eines Sauerstoffatmers. Vielleicht gibt uns die Röntgenuntersuchung schon einige Anhaltspunkte.« »Der Doc hat wieder ein Opfer«, stellte Perkins bissig fest. »Wenn das Röntgen nichts aussagt, dann fängt er an zu schnippeln. Und wenn wir nach Hause kommen sollten – was ich übrigens bezweifle –, so hat er lediglich wieder etwas zum Ausstopfen für die KemmerlinUniversität.« »Hast du etwas dagegen?« fragte Perry Barnett trocken. »Du selbst stufst diesen Burschen bereits als Meerschweinchen ein und erhoffst dir von ihm zuallerletzt Hilfe. Also laß Forry damit machen, was er für richtig hält. Im übrigen bleibt es bei den zuletzt gegebenen Anweisungen. Probe- und Erkundungsflug für alle Beiboote.« Die TRILANI, Perry Barnetts 500 Meter durchmessendes Kugelraumschiff, war trotz der Havarie noch verhältnismäßig gut zu Boden gekommen. Es hatte lediglich eine Schräglage von 5 Grad. Da der energetische Landeschirm noch bis zuletzt für eine ausreichende Stabilisierung hatte sorgen können, war auch die Außenhaut nicht beschädigt. Die Bäume des Waldes waren bereits umgeknickt, als der unsichtbare Energieschirm sie berührt hatte. Die Flugschotten der Hangarschleusen öffneten sich. »Boot 1, James!« rief Barnett über Interkom von der Zentrale aus. »Boot 1 klar«, bestätigte James Lisman. »Boot 2, Prax!« »Boot 2 klar!« rief Praxlomza, der seit Ende des Galaktischen Krieges vom Schiffsjungen zum Oberleutnant avanciert war. »Boot 3 klar«, meldete Daxas, der Mistralese, knapp. »Okay! Start frei! Ich erwarte laufend Meldungen, auch wenn die genaue Auswertung erst später durch die Filme erfolgt.« Lopez, der Mann mit den unnormal großen Füßen, der schwarze Lavista und die beiden Prokas Nam-Legak und Iks-Wol-Esak taten in der Zentrale Dienst. Nachdem Perkins die Schleusen geschlossen hatte, kam auch er dazu. Auf drei getrennten Bildschirmen verfolgten sie den Flug der Boote. Es wäre eine langweilige Routinearbeit gewesen, wenn sie nicht so hoffnungslos tief im Dreck gesteckt hätten. Was war geschehen? Ein kleiner Fehler im Hyperdrive. Ein kleiner Fehler mit großen Folgen. Eine Fehltransition aus der fünften Dimension hatte sie ins normale Kontinuum zurückgeworfen. Leider nicht dort, wohin sie gezielt hatten. Das zentrale Elektronengehirn hatte eine Fehlanzeige gegeben, als sie es nach dem Standort fragten. Es gab keine bekannten Koordinaten dafür. »Gestrandet in unerforschtem Gebiet«, war das erste Fazit. Das zweite Fazit: Der Fehler war in der Schwerkraftanlage aufgetreten. Die Erzeugung künstlicher Anti-Gravitation war plötzlich abgesunken. Alle Bewegungen im Hyperraum haben jedoch zur Bedingung, daß zum Zwecke einer genauen Navigation jede natürliche Schwerkraft zunächst auf Null absorbiert wird. Das dritte Fazit: Reparaturen an der Gravitationsanlage müssen im Vakuum durchgeführt werden. Ein absolutes Vakuum erhält man nur im Weltraum. Man hätte also zunächst wieder aus der Atmosphäre des Planeten herauskommen müssen. Dazu gehörte aber eine funktionsfähige Antigravanlage, die es auf der TRILANI nicht mehr gab. Viertes Fazit: »Aus!« Mit 85 Prozent aller verfügbaren Bremskraft war die TRILANI auf der Nachtseite eines völlig
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unbekannten Planeten in einem ebenso unbekannten Sonnensystem gelandet. Der einzige Lichtblick war seitdem gewesen, daß man eine fast erdähnliche Sauerstoffatmosphäre vorgefunden hatte. Sie hatten Luft zum Atmen, auch wenn sie draußen herumspazieren wollten. Im Schiff selbst war die Sauerstoffversorgung sowieso kein Problem. Sie verfügten über hydroponische Anlagen mit botanischen Gärten. Sie besaßen Nahrungsmittel für dreihundert Jahre. Trotzdem würde Perkins recht behalten mit seinem »Aus!«. Raumfahrer, die nicht mehr wegkönnen, fühlen sich als Gefangene. Als Lebenslängliche. Keiner wagte es auszusprechen. Aber jeder sah dem anderen an, daß er dieses Gespenst im Nacken fühlte. Perry Barnett war ruhig wie immer. Mancher seiner Männer hatte sich schon gewünscht, einmal zu sehen, daß er Nerven hatte, daß seine Hand einmal zitterte oder daß er verbissen mit den Zähnen mahlte. Das hätte ihnen wenigstens seine Menschlichkeit bewiesen. Wenn sie aber vergeblich auf solche Regungen warteten, konnten sie sich einsam fühlen und glauben, ihr Kommandant sei nicht mehr als ein Roboter. Perkins registrierte es mit Genugtuung, als Barnett einen Schaltknopf ein wenig heftiger als sonst drückte. »Er ist doch ein Mensch. Und er ist auch nervös«, flüsterte er Lavista zu. »Mensch, ich würde ersticken, wenn ich nicht einmal richtig aus der Haut fahren dürfte.« Lavista zischte den Maschinisten an, daß er schweigen solle. Barnett rief ins Interkom: »Seid ihr da draußen eingeschlafen? Ich habe laufende Lagemeldungen verlangt.« »Es ist nichts zu melden, Perry«, antwortete Praxlomza als erster. »Wälder und Wiesen«, wußte Daxas zu berichten. »Ein paar Flußläufe. Wir kartografieren laufend.« »Okay«, brummte Barnett. »Standorte bitte!« »– – –« »Danke! Ihr könnt zurückkommen, bis auf Lisman. Ab sofort bleibt immer nur eine Maschine draußen. Sonst haben wir nächste Woche den ganzen Planeten vermessen und dann nichts mehr zu tun.« Daxas und Praxlomza kehrten zurück. Sie warfen ihre Sofortfilme in die Projektoren und führten vor, was sie mitgebracht hatten. Es stimmte. Flüsse, Wiesen, Wälder ... Ebene ... Und ein Berg. »Das ist das Ding genau vor unserer Nase. Wenn dieser Planet noch weitere Gebirge haben sollte, so müssen sie auf der anderen Halbkugel liegen.« Nachdem Prax berichtet hatte, kam Daxas an die Reihe. Die gleichen Bilder, das gleiche Einerlei. Lediglich im Elektronenatlas würden sie sich unterscheiden; in ihm erhielt jedes eine andere Gradnetz-Numerierung. »Da ist noch eine interessante Aufnahme vom Rückflug«, unterbrach der Mistralese das Schweigen. »Man sah, daß sich etwas schnell bewegte. Schwebende wurstähnliche Körper, die plötzlich in der Erde verschwanden.« »Eingeborene«, kommentierte Iks-Wol-Esak trocken. »Ihr werdet die gleiche Gestalt festgestellt haben, wie sie unser Patient besitzt.« »Ich nehme an, sie sind vor uns geflohen«, vermutete Daxas. Die beiden Prokas, die ja Halbtelepathen waren, spürten die Abneigung der Menschen gegen diese skurrilen Wesen. »Diese Wesen sind keine Tiere«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Und es sind auch keine Würste, wie Perkins zu denken beliebt.« »Natürlich, auf einem müßt ihr ja herumhacken, wenn ihr nicht weiter wißt«, beschwerte sich Perkins. »Ich kann dir nur sagen, du kleine Proka-Kugel, es ist nicht fair, daß du immer
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in unseren Gedanken schnüffelst.« »Wenn du Geheimnisse hast, dann lauf doch mit dem Gedankenschirm herum. Es ist nicht verboten, soviel ich weiß.« »Aber er zwickt hinter den Ohren. Ich werde auch nicht euretwegen hier im steifen Anzug herumlaufen. Meinetwegen sollst du ruhig wissen, was ich über dich denke.« »Du bist eher neidisch als hochmütig, wie ich gerade feststelle. Und außerdem hältst du mich für klüger als dich selbst. Deshalb erhoffst du von mir eine Patentlösung.« »Na bitte, wäre das zuviel verlangt? Sieh doch nur ins Bordbuch! Nach jeder kitzligen Expedition wird dein Name besonders erwähnt. Wenn alles stimmt, was da drin steht, dann hat dein kluger Kopf uns jedesmal gerettet.« »Wenn mein Name zu oft erwähnt wird, dann liegt es wohl an der Bescheidenheit unseres Captains ...« »Schluß, zum Teufel!« unterbrach Perry Barnett das unfruchtbare Duell. »Ich verlange von jedem, daß er sich den Kopf zerbricht. Jeder tut's letzten Endes für sich selbst.« »Okay, Chef! Ich wüßte schon was.« »Na, und ...?« »Fragt die Würstchen draußen in den Wiesen. Oder besser noch Forrys Patienten. Iks hat vorhin behauptet, sie seien keine Tiere.« »Sie sind intelligent«, versicherte der Proka und wedelte dazu energisch mit seinem mittleren Greifarm. »Als ich mit dem Telepathie-Relais an ihn heranging, hat er den Grundgedanken meiner Worte begriffen. Deshalb reagierte er ja auch so heftig.« »Du meinst, er sprang unter die Decke.« »Er sprang nicht. Im Gegenteil! Er entspannte die Arme.« »Was tat er dann?« »Irgend etwas anderes. Ich habe es nicht sofort erkannt.« »Aber er ging unter die Decke, mein Junge. Daran zweifelt doch wohl niemand von euch.« »Ganz recht. Es hat mich sehr verblüfft. Ich habe ihn im Verdacht, daß er ein uns unbekanntes technisches Hilfsmittel benutzt hat. Wir müssen der Sache nachgehen. Wir müssen den Planeten und alle seine Hilfsquellen erforschen, ehe wir den falschen Weg einschlagen und sinnlose Maßnahmen ergreifen.« * Barnett hatte einen regelmäßigen Patrouillendienst angeordnet. Daxas löste James Lisman ab. Nam-Legak sammelte die laufend eingehenden Vermessungsunterlagen und fügte sie dem Programm des Elektronengehirns ein. Außer dem rein optischen Kartenbild des Planeten speicherten sie auch Angaben über die Bodenanalysen, die sie durch Energie-Spektogramme erhielten. Doc Bannister meldete, daß es seinem Patienten gut gehe. »Ich möchte mir das Kerlchen einmal ansehen«, erklärte Iks-Wol-Esak. »Da komme ich mit«, entschied Perry Barnett. Bannister hatte das ›Würstchen‹ auf ein Bett gelegt. Der größte Teil seines Körpers war zugedeckt. Es liegt da wie ein richtiger Mensch, dachte Perry Barnett. Und es sieht tatsächlich aus wie ein Würstchen. Der Proka schien seine Gedanken verfolgt zu haben. »Natürlich, genau wie ein Würstchen. Aber wenn Perkins es sagt, klingt es so abwertend.« »Seit wann bist du empfindlich, mein Junge?« »Er ist bei Bewußtsein«, sagte Forry Bannister. »Wenn wir seine Sprache verstünden, könnten wir mit ihm reden. Aber das ist nicht mein Gebiet.«
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Der Proka drängte sich nach vorn und sprang auf einen Stuhl. Die beiden Menschen sahen schweigend seinen Bemühungen zu. Nach ein paar Minuten sagte Iks: »Es wird nicht leicht sein. Die Tropas haben einen sehr kleinen Vokabelschatz, aber ein völlig verwirrendes Denksystem. Ich brauche ein Elektronengehirn und mein Psycho-Schulungsgerät. Vielleicht kommen wir dann weiter. Außerdem ist der Bursche ängstlich. Vor allem euch Menschen kann er nicht leiden. Ich scheine ihm etwas sympathischer zu sein.« »Sei froh, daß Perkins nicht in der Nähe ist! Der würde dir jetzt eine andere Antwort geben.« Bannister nahm Barnett am Arm. »Komm hinaus, Perry! Es ist tatsächlich besser, wenn wir verschwinden. Man soll auf die Empfindlichkeit fremder Rassen Rücksicht nehmen.« Sie fuhren ins erste Deck hinauf, wo die privaten Kabinen der Mannschaft lagen. »Ich verstehe eure Psychologie durchaus«, sagte der Captain unterwegs. »Wenn ich mir die Figur dieses Fremden betrachte, dann kann ich verstehen, daß er die Kugelform der Prokas als angenehm empfindet. Wir dagegen müssen ihm wie gefährliche Heuschrecken erscheinen. Hast du übrigens bemerkt, daß Iks die Bezeichnung ›Tropa‹ gebrauchte?« »Die gleichen Vokale wie bei Proka. Das kann eine Lautassimilation sein, eine willkürliche Übersetzung in unser Sprachverständnis. Auf jeden Fall wird er schon an den Geist dieses kleinen Wesens herankommen.« »Well, das will ich hoffen. Wofür ist er schließlich ein Halb-Telepath? Wenn es sich um eine intelligente Rasse handelt, müssen wir auf jeden Fall Verbindung mit ihr aufnehmen. Allerdings erwarte ich nicht sehr viel von ihrer Entwicklungsstufe. Bist du eigentlich schlau aus seinem Körper geworden?« »Noch nicht ganz. Das dauert mindestens ein paar Tage ... Wenn man mir Zeit läßt. Trotzdem kann ich schon Grundsätzliches sagen. Er ist ein Sauerstoffatmer, wie anzunehmen war. Er hat ein Herz mit Blutkreislauf und einen Verdauungsapparat. Die Atmung erfolgt ebenfalls durch spezielle Organe und nicht etwa nur durch das Blut oder durch die Haut, wie wir es schon des öfteren erlebt haben.« »Spezielle Organe? Warum sagst du nicht Lunge?« »Es ist mehr als eine Lunge. Ein absolut umständliches System hängt daran, und ich habe keine Ahnung, warum dieses Wesen ausgerechnet für die Atmung einen solchen Aufwand entwickelt haben.« »Vielleicht liegt es an den atmosphärischen Bedingungen.« »Das wohl zuallerletzt. Wenn hier etwas der Erde ähnelt, so ist es die Luft. Aber ich werde noch dahinterkommen, wenn Iks-Wol-Esak es nicht durch sein Verhör herausbekommt.« »Seltsam finde ich den Schwanz«, meinte Perry Barnett. »Wenn ich den Burschen mit irdischen Verhältnissen vergleiche, werde ich an eine Kaulquappe erinnert. Aber wozu das, wenn die Tropas nicht im Wasser leben?« Doc Bannister blieb verblüfft stehen und machte große Augen, dann ging er nickend weiter. »Anscheinend hatte ich wieder mal einen genialen Einfall«, riet Barnett, ohne zu wissen, was den Arzt so beeindruckt hatte. »Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir machen es uns leicht, indem wir voreilig ›Schwanz‹ sagen. Aber um eine Verlängerung des Rückgrats handelt es sich nicht. Dann hatte ich weiterüberlegt und war so weit gekommen, daß ich das Glied halb für einen Flügel wie beim Federvieh und halb für eine Schiffsschraube hielt.« »Schiffsschrauben in der Luft hat es in den Anfängen der Aeronautik auch gegeben«, behauptete der Captain. »Ja«, sagte Bannister, und es klang mehr nach einer Überlegung als nach einer Feststellung. »Ein Schwanz als Antriebs- und Steuerruder zugleich. Wenn ich eine Leiche von dieser Rasse hätte! Wenn man ...«
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»Du wirst dich zurückhalten«, unterbrach ihn der Captain. »Ich habe dich hier nicht als Tierarzt engagiert, und du kennst die Vorschriften.« »Paragraph 6733 über die Vivisektion mit unbekannten Lebensformen«, deklamierte Doc Bannister phlegmatisch. »Ich weiß, daß ich nicht an ihm herumschnippeln kann. Aber ich werde es auch so herausbekommen.« »Genau das wird man von dir erwarten«, sagte der Freund. Er gab dem Arzt einen leichten Klaps auf die Schulter und erklärte, daß er eine halbe Stunde allein sein müsse. »Ich bin seit Tagen nicht aus dem Anzug gekommen, Forry. Wir sehen uns später.« »Bis nachher, Perry!« Barnett blickte ihm nach, bis er im Lift verschwand. Er selbst fuhr ins Wohndeck, ging in seine Kabine und rief nach dem Dienstroboter. »Mach das Bad fertig, Robby!« Kurz darauf nahm er eine Trockendusche und eine Rasurmassage. Dann folgte die Elektrosauna, die ihn vollends frisch machte. Frischer Körper – gute Laune! Er ertappte sich dabei, wie er ein Lied pfiff. Als er sich dabei im Spiegel betrachtete, brach die harmlose Melodie plötzlich ab. Verdammt, woher nimmst du den Optimismus? Das Gesicht im Spiegel verlor den sorglosen Blick und wurde verschlossen und mißtrauisch. Er zog sich schweigend an und hatte es plötzlich sehr eilig, auf die Kommandobrücke zu kommen. * In der Zentrale empfing ihn ein undisziplinierter Lärm. Er schob das Schott auf und blieb einen Augenblick stehen. Niemand schien seine Ankunft zur Kenntnis zu nehmen. Der Recheningenieur Bellinski saß vor seiner Situationsstatistik, geradezu eingekeilt von Praxlomza, Perkins und Lopez. Alle drei redeten auf ihn ein, als habe er Schulden bei ihnen. »Zum Teufel, was ist hier los?« polterte Barnetts Stimme. »Soll ich für euch vielleicht noch eine Kindergärtnerin anstellen?« Perkins fuhr etwas schneller herum als die andern beiden, schnappte nach Luft, ließ die Hand von Bellinskis Lehne und schob sich an den Captain heran wie ein Mondpanzerwagen. Während er den Mund aufmachte, zeigte er die ganze Zeit hinter sich auf Bellinski. »Ich habe gesagt, wir müssen eine Meldung machen. Ich habe gesagt, das muß sofort der Chef erfahren. Aber nein; er weigert sich und will erst einen Haufen Wahrscheinlichkeitsberechnungen anstellen, um dir vielleicht die Aufregung zu ersparen. Ich wette, er hält dich für sensibel ...« »Okay, worum handelt es sich?« »Daxas ist verschwunden. Abgestürzt, desertiert oder verrückt geworden. Was weiß ich ...« Barnett schob Perkins beiseite und ging auf Praxlomza zu. »Hast du jetzt Wache, Prax?« Der junge Offizier nickte knapp. »James machte sich gerade zum Start fertig, um Daxas beim Patrouillenflug abzulösen. Daxas meldete sich zum Einflug und kam über den Berg herunter. Genau über dem Gipfel war er plötzlich nicht mehr da. Radar und Optik zeigten ihn nicht mehr an. Das ist der Sachverhalt.« »Der bisher bekannte Sachverhalt«, fügte Perkins hinzu. Barnetts Blick fiel auf den Recheningenieur, der bescheiden im Hintergrund geblieben war. »Stimmt das, Bellinski?« »Nicht ganz, Sir. Ich gebe zu, davon abgeraten zu haben, Ihnen sofort Nachricht zu geben. Es ist eine Sache von Minuten, Spektrogramm und Physiometer auszuwerten. Inzwischen
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kann ich mehr dazu sagen. Und es wäre zweifellos noch schneller gegangen, wenn diese drei nicht Irrenhaus gespielt hätten.« »Schon gut! Kommen Sie zur Sache!« Bellinski machte eine einladende Handbewegung. »Bitte, Captain! Hier ist die Auswertung. Daxas hat nicht einfach aufgehört zu existieren. Dieses Diagramm zeigt deutlich eine Aufwärtsbewegung seiner Maschine, obgleich er zur Landung angesetzt hatte. Die Kurve liegt genau über dem Berggipfel.« »Kann ich seine letzte Meldung hören?« fragte Barnett. »Hat er irgend etwas Verdächtiges entdeckt?« »Nicht früh genug, um es noch mitteilen zu können. Es gibt keine letzte Meldung von ihm, bis auf das Verständigungsgespräch in Quatschgruppen. Es war seine Anweisung, daß wir die C-Schleuse des Hangars öffnen sollten.« »Okay! Dieses Physiogramm ist aber nicht in Ordnung. Wo ist die andere Hälfte?« »Es gibt keine. Die Kurve der Aufwärtsbewegung geht steil nach oben und nähert sich der Senkrechten über dem Gipfel ...« »Aber dann hört sie auf, mein Gott! Daxas war immer noch im Meßbereich. Was ist mit ihm geschehen?« Die Antwort war Schweigen. Jetzt, wo sie hätten reden sollen, wußte keiner etwas Gescheites zu sagen. »Das Ende der Kurve ist sehr unregelmäßig, Captain«, wagte Bellinski schließlich ein Wort. »Wir haben an dieser Stelle auch ein starkes gravitatorisches Feld gemessen. Dem Verlauf nach muß es sich um eine Art Wirbelsturm in Schwerkraftfeldern gehandelt haben. Wenn wir in einer fremden Zivilisation wären, würde ich sagen, es handelt sich um eine Energiewaffe, die Daxas vernichtet hat. Aber hier, wo es nur die fliegenden Würste gibt ...« Wieder schwiegen die Männer und starrten auf die Armaturen der Situationsstatistik. Es gab keine endgültigen Fakten. Dafür um so mehr Ungewißheit und Wenn und Aber. »Soll ich eine Wahrscheinlichkeitsberechnung anstellen, Sir?« fragte Bellinski. »Tun Sie das«, nickte Barnett, ohne viel Interesse zu verraten. »Und was machen wir mit Lisman?« fragte Praxlomza. »Der bleibt an Bord. Die Patrouillenflüge werden vorläufig eingestellt. Du kannst ihn herholen. Er soll für die nächsten Stunden auf der Brücke Dienst tun. Ab sofort verschärfte Beobachtung unserer Nachbarschaft. Für alle Standardmeßarten Richtstrahler auf den Berg einstellen. Beim geringsten Verdacht Alarm geben. Außerdem holt euch Nam-Legak herauf! Er soll versuchen, Funkverbindung mit Daxas zu bekommen ...« ...für den Fall, daß er noch lebt, setzte Barnett in Gedanken hinzu. Dann verließ er die Kommandozentrale und fuhr ins Krankenrevier. * Das Krankenzimmer war leer. Doch von nebenan hörte er Stimmen. Im Labor saßen Bannister, Iks-Wol-Esak und der Tropa. »Hallo, Perry! Da staunst du, was?« Barnett hätte sich gern darüber gefreut, daß es dem Fremden gutging. Aber erst mußte er die Sache mit Daxas loswerden. Bannister hörte den Freund schweigend an, und der Proka rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl. Sein langer Tentakel reichte vier Meter weit bis zu Barnetts Schulter. Er gab ihm einen leichten Tip. »Der Berg ist es also ... Ihr seid völlig sicher, Perry?« »Irgendwie muß es mit dem Berg zu tun haben, wenn wir unseren Geräten noch länger trauen wollen. Ich möchte, daß du einen unwichtigen Gegenstand mit dem Transmitter
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hinüberteleportierst ... Wie kommst du übrigens mit dem Wesen klar? Es hat die Betäubung überstanden, wie ich sehe.« »Die Verständigung ist nur telepathisch möglich, jedenfalls, solange wir die seltsame Gesetzmäßigkeit der Tropa-Sprache nicht genau entschlüsselt haben. Ihre Gedanken sind eher zu begreifen. Mit dem Relais geht es ganz gut.« »An ihrer Intelligenz ist also nicht zu zweifeln?« »Keineswegs. Die Tropas sind die herrschende Rasse hier. Sie haben einen ausgeprägten Gesellschaftstrieb und leben in Gemeinschaften.« »Hm, dann möchte ich mit einem maßgebenden Vertreter sprechen, falls sie uns akzeptieren und nicht als Feinde betrachten.« »Dieser Bursche hier heißt Krut. Er hält uns für Götter. In mir sieht er den höchsten Gott Tsou. Wegen meiner Gestalt, verstehst du.« »Um so besser! Das dient unserer Autorität.« »Ist aber von Nachteil, wenn wir Fragen zu stellen haben. Als Götter können wir uns nicht dümmer stellen, als es die sterblichen Tropas sind.« »Dann denke daran, daß du ein Diplomat bist. Unter allen Umständen müssen wir herausbekommen, was hier über die Naturerscheinungen bekannt ist. Vielleicht können sie uns sogar etwas über den Berg erzählen.« * Mit einem feurigen Schweif voraus senkte sich das Raumboot heckvoraus auf die Wiese. Frisches Gras kochte, trocknete und verbrannte. Iks-Wol-Esak wedelte zufrieden mit den beiden äußeren Tentakeln. »Absolut wirkungsvoll«, versicherte er. »Absolut wirkungsvoll. Wir kommen mit feurigem Schweif auf einer Wolke geritten.« Solange er Tellurisch sprach, würde sein seltener Sarkasmus keinem Tropa auffallen. Krut forderte er telepathisch auf, voranzugehen. Der kleine unförmige Vierbeiner, dessen runder Walzenkörper keinerlei Tailleneinschnitt aufwies, gehorchte. Er gehorchte sogar über die Aufforderung hinaus, indem er nicht etwa an der Luftschleuse – fünfzehn Meter über dem Boden – wartete, sondern einfach hinuntersprang. Forry Bannister stieß einen Fluch aus, den ihm der Schreck entlockte. Normalerweise machte er von vulgären Wörtern keinen Gebrauch. Dann stellte er fest, daß seine Sorge unbegründet gewesen war. Krut stürzte nicht etwa ab, sondern schwebte in einer eleganten Schleife sanft zu Boden und landete in der Manier eines versierten Sportseglers. Dem Arzt war mittlerweile auch aufgefallen, daß Krut während seines kurzen Fluges mindestens um das Dreifache seines Körperumfangs gewachsen war. Er fühlte sich an einen Luftballon erinnert, kam aber nicht dazu, diesen Vergleich auszusprechen. »Seht zu, daß ihr auf euren Antigravplatten schnellstens nachkommt«, zischte Iks-Wol-Esak und sprang aus der Luke wie eine Katze. Die Menschen nahmen die Technik zu Hilfe und folgten ihm. Krut zeigte den Weg und ging voran. Nach einigen Minuten stieß er einen Schrei aus. Die Antwort kam ganz aus der Nähe. Es folgte ein weiteres Duett in unartikulierten Worten. Dann tauchte eine Mauer aus dem Dunst auf. Eine graue Mauer aus vielen hundert kleinen Tropas, die sich sofort flach auf die Erde warfen, als sie die Besucher erkannten. Es scheint, sie akzeptieren uns als ihre Götter«, vermutete Barnett. »Das ist Kruts Werk«, nickte Iks. »Aber bleibt bitte hinter mir, wie es verabredet war.« Ist euer Chef dabei? fragte Iks den Tropa. Er wiederholte den Gedanken fünfmal. Dann kam die Antwort. Der Chef hieß Fnask und schwebte gehorsam näher. Sobald Iks einen sinnvollen Gedanken
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der Wesen aufnahm, wiederholte er ihn in tellurischer Sprache, so daß Barnett und Bannister immer auf dem laufenden waren. Freilich blieb die Verständigung schwierig und zeitraubend, doch man durfte froh sein, überhaupt etwas zu erfahren. (Der Chronist muß sich hier darauf beschränken, das Gespräch zusammengefaßt wiederzugeben, denn es bestand in erster Linie aus Wiederholungen) Krut zu den Tropas: »Ich kam zum Berg, Herr, aber nicht hinauf. Auf halber Höhe verbot Tsou das Schweben und verhinderte es auch. Psröi hatte recht ... Doch Tsou kommt zu uns. Er rief mich durch sein Licht, und ich eilte zu ihm. In einer Wolke aus Stein und Feuer kam er herab mit hundert Nebengöttern. Und er wollte dich sprechen, Chef. Er sagte, die Zeit des Verborgenen sei um und er komme, um seine Herrschaft anzutreten.« Fnask zu Krut und Iks-Wol-Esak: »Wir dienen dir aus der Ferne, und wir dienen dir, wenn du bei uns bist, ewiger Tsou! Prüfe uns und fordere, auf daß wir deine Knechte sind.« »So weit – so gut«, murmelte Forry Bannister. »Gut, daß wir Perkins nicht mitgenommen haben. Der würde sich jetzt die Schuhe putzen lassen ...« Iks zu Fnask und Krut: »Ich bin Tsou und schuf den Berg und die Welt. Ich bin Tsou und schuf euer Tal und euer Leben. Ich wachte für euch gegen den Bösen.« An diesem Punkt wurde die Verhandlung kritisch. Die Tropas kannten den ›Bösen‹ nicht. Nicht mit Luzifer, dem Teufel, und mit Krems, dem Unterweltgott der Prokas, war dieser Begriff den Wesen deutlich zu machen. Nach langem Hin und Her – bei dem die Diplomatie nicht vernachlässigt wurde – schälte sich ein klareres Bild dieses kleinen Völkchens heraus. Sie kannten das Böse nicht, weil sie auch die Versuchung nicht kannten. Es gab wohl ungeschriebene Gesetze, aber niemand hatte jemals den Ehrgeiz gehabt, eines davon zu übertreten. Schließlich kam aber Iks-Wol-Esak auch dahinter, daß selbst diese paradiesische Version ein Trugbild war. Er hatte von Kruts Expedition erfahren, die ihn den halben Berg hatte erklimmen lassen. Und je hartnäckiger er diese Spur verfolgte, um so deutlicher wurde ihm, daß auch manch anderer vor Krut versucht hatte, den Berg zu ersteigen, auf dem man Tsou wähnte. Die Furcht der Tropas vor ihrem Gott und ihre Beteuerungen, ihm zu dienen, waren der Beweis für das schlechte Gewissen der Kreatur. Und ohne das Böse ist ein schlechtes Gewissen nicht denkbar. Erst später wurde sich Iks klar darüber, daß er mit den Begriffen ›Gut und Böse‹ eine neue Ethik für die Tropas gegründet hatte. Der Proka ging endlich zum entscheidenden und schwierigsten Teil seiner Verhandlung über. Nachdem er den Begriff des Bösen hinreichend definiert glaubte, personifizierte er das Böse und nannte es Teufel. Er schilderte ihn als einen mächtigen Widersacher, der sein Reich jenseits der Wolken habe und gekommen sei, um die Tropas heimzusuchen und den Berg der Götter in Besitz zu nehmen. »Ich brauche Tropas, die mir treu dienen«, versicherte er den verschüchterten Wesen. »Ich brauche eure Treue und euren Dienst. Der Beste von euch soll mit mir kommen. Es muß einer sein, der selbst schon den Berg erklommen hat.« Nachdem die Tropas diese Andeutung offenbar nicht sofort verstanden, fragte er in verschiedenen Gedankenformulierungen: »Wer von euch kennt den Berg? Wer von euch war schon einmal auf dem Gipfel, um mich zu sehen und um mir nahe zu sein?« »Ich wette«, sagte er auf Tellurisch zu den beiden Menschen, »daß ein paar von ihnen schon oben waren. Sie müssen nur begreifen, daß es keinesfalls eine Sünde war.« Die klobigen Tropas drückten sich noch flacher ins Gras. Niemand meldete sich. Iks-Wol-Esak entschloß sich zu einem stärkeren Geschütz, selbst wenn er dabei an Glorie verlieren sollte. Er versicherte, daß der Teufel bereits die große Feuerwolke behext habe und daß sie nicht mehr zum Himmel aufsteigen könne. Er versuchte, in eine völlig fremde
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Vorstellungswelt das Bild des Infernos zu tragen und verkündete das Ende der Wiesen, Wälder und Wolken, wenn die Tropas und ihre Götter nicht treu zueinanderstünden. »Kommt zu mir, wenn ihr eure Furcht überwunden habt! Aber überwindet sie schnell, wenn ihr in Frieden leben wollt!« Iks-Wol-Esak machte weit ausholende Bewegungen mit seinen drei Greifarmen. Dann wandte er sich ab und ging durch die Wiese auf das Beiboot zu. »Würde!« zischte er Barnett und Bannister zu. »Geht langsam und bleibt hinter mir! Sie sollen auf unsere Rücken starren und mit ihren Problemen in den kleinen Gehirnen fertig werden. Und bloß nicht laufen!« Sie hatten die Hälfte des Weges zu dem Raumboot zurückgelegt, als sie hinter sich das Flattern eines schwebenden Tropas vernahmen. Es war ein heftiges Geräusch, das die Elle des Wesens verriet. »Bloß nicht umdrehen! Kümmert euch nicht um ihn. Jetzt müssen die Tropas zu uns kommen.« Der wurstartige Balg zog eine Schleife um die drei und sank genau vor Iks-Wol-Esak ins Gras. Dort streckte er sofort wieder alle Viere von sich und ließ ein scharfes Krächzen hören. Der Ruderschwanz zuckte nervös hin und her und peitschte den Boden. »Nanu, Krut?« überlegte Barnett. »Es ist nicht Krut«, versicherte der Proka. »Er denkt anders.« »Wenn du ihn an seinen Gedanken erkennst, will ich es glauben. In den Gesichtern erkenne ich wenigstens keinen Unterschied.« »Schweigt jetzt. Er will etwas sagen!« Die Gedanken des Tropa waren ein Gewirr von Angst, Sehnsucht und Neugier. Der Appell an das schlechte Gewissen hatte doch etwas genützt. »Du bist Psröi, nicht wahr?« »Ich bin Psröi, dein Diener, Tsou! Ich bekenne, auf dem Berg gewesen zu sein, um dich zu finden. Aber ich sah dich nicht, und keinem konnte ich sagen, daß ich dir gedient hatte. Aber glaube mir, Tsou, daß ich keinem verriet, was ich dennoch sah ...« »Du mußt es mir sagen, denn ich will deinen Sinn und deine Augen prüfen. Wenn du die Wahrheit sprichst, soll dir nichts geschehen. Vielmehr werde ich dich belohnen als meinen treusten Diener.« Ein neuer telepathischer Dialog begann. Der Proka übersetzte zwischendurch, so daß Bannister und Barnett immer wieder auf dem laufenden blieben. »Er hat ein Loch im Gipfel gesehen, aus dem Licht kam.« * »Hallo, Würstchen!« rief Perkins kollegial aus der Schleusenluke, als die Freunde zum Schiff zurückkehrten. Und zu Barnett gewandt fuhr er fort: »Ich hatte gedacht, ihr liefert den Burschen zu Hause ab. Glaubt ihr im Ernst, daß uns seine Gesellschaft etwas nützen wird?« »Darf ich dir Psröi vorstellen?« »Psröi? – Heute morgen hieß er noch Krut, denke ich.« »Es ist ein anderer, mein Lieber. Übe dich im Erkennen tropaischer Physiognomien! Sobald du das verstehst, darfst du dir auch Urteile über diese erlauben. – Wo ist James?« »Auf der Brücke.« »Okay!« Sie begaben sich in die Kommandozentrale, wo Iks-Wol-Esak einen knappen Bericht ihrer Expedition gab. Alle Offiziere der TRILANI waren anwesend. »Wir haben keinen Anlaß, noch auf irgend etwas zu warten«, schloß der Captain die Ausführungen des Proka. »Bellinski, Sie versuchen weiter, mit Daxas Verbindung zu
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bekommen! Teilen Sie sich mit Lopez die Wachen. Ich kann Ihnen nicht helfen. Solange wir über das Schicksal des Mistralesen nicht Bescheid wissen, müssen wir alle Radiofrequenzen weiter beobachten. Du übernimmst das Kommando, James!« Lisman nickte und schwieg. Nur seine Augen fragten. »Prax bleibt ebenfalls zu deiner Unterstützung hier. Ich wünsche, daß jederzeit vierzig Mann alarmbereit sind. Vorerst keine Patrouillenflüge. Die Beiboote bleiben im Hangar.« »Ich denke, ihr habt etwas vor. Wollt ihr nicht von Bord?« »Allerdings. Und zwar mit einem größeren Stoßtrupp. Forry, Iks, Perkins und Psröi kommen mit mir. Nam-Legak wird von hier aus den Transmitter bedienen. Ich möchte, daß du uns auf dem Gipfel des Berges absetzt, Nam.« Ein Hebeldruck ließ den Transmitter aus der Wand rollen. Es folgte eine kurze Befehlsausgabe. Nam-Legak machte die Peilung auf einem besonderen Bildschirm sichtbar. Die energetische Tastantenne bohrte sich in die dichten Wolken, die den Gipfel des Götterberges umgaben. UV-Strahlen bereiteten den Weg zur klaren Zielansprache. Das also war der Berg! Die Männer sahen ihn zum erstenmal so deutlich. Die Vergrößerung ließ faustgroße Steine unschwer erkennen. Es war ein Berg wie viele im Universum. Kahler Sand, Geröll. Zum Gipfel hin steiniger und ohne jeden Grashalm. Schließlich glatter Fels, senkrechte Wände ... »Frage Psröi, wie er da hinaufgekommen ist, Iks!« »Er hat sich angeseilt.« »Hm, das klingt sehr alpin. Warum schwebte er nicht hinauf? Sie haben doch nun einmal von der Natur diese beneidenswerte Fähigkeit mitbekommen.« »Ich weiß nicht. Kruts Aussage deckt sich mit der seinen. Ab einer bestimmten Höhe konnten sie am Berg nicht mehr schweben. Ich bin noch nicht dahintergekommen, weshalb. Wenn es biologisch bedingt ist, wäre das ein Fall für Forry. Allerdings kann es auch mit dem Rätsel des Berges zusammenhängen ...« »Von dem wir leider nicht das geringste wissen.« »Nichts, als daß Daxas über ihm senkrecht in den Himmel stieg. Wie wär's, wenn wir einmal den Luftraum über dem Gipfel graviskopisch untersuchten?« »Schon geschehen. Keine Abweichungen festzustellen.« »Hm, dann müßte auch unsere Expedition einige Erfolgsaussicht haben.« Barnett brach das Gespräch ab. Es gab keine konkreten Anhaltspunkte mehr, die des Mitteilens wert gewesen wären. Nur das Experiment konnte sie weiterbringen. Nam-Legak teleportierte einen alten Schuh, den er sich aus dem Müllschacht organisiert hatte. Sekunden später tauchte der Testgegenstand genau auf dem Grat des Kraters auf. Er stand als scharfe, dunkle Silhouette gegen den milchigen Himmel. »Versuch gelungen«, stellte Barnett knapp fest. »Du kannst anfangen, Nam. Ich gehe zuerst. Dann folgen Iks, Psröi und Perkins.« Barnett trat in die Kabine. Ein leises Summen meldete die steigende Aktivität der Maschine. Dann verblaßte des Captains Gestalt plötzlich vor den Augen der anderen. Es war, als ob er im Nichts verschwände und wieder auftauchte. Genau auf dem Schuh stand er und winkte. Aus dem Lautsprecher kam seine Stimme. »Der nächste, bitte! Es ist etwas windig hier oben. Auch die Luftdichte scheint auf diesem Planeten schneller abzunehmen als auf Terra. Sonst aber keine Beanstandungen.« Iks-Wol-Esak teleportierte als nächster. Dann folgten Psröi und Perkins. Sie hockten auf dem Grat wie auf dem Rücken eines Reittieres. Nach beiden Seiten fiel die Wand schräg ab. Der Krater hatte einen Durchmesser von nicht ganz fünfzig Metern. Mit Geigerzähler und Energiemesser untersuchten sie die nächste Umgebung, ohne etwas
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Verdächtiges festzustellen. Der Schlund des Berges blickte sie dunkel und geheimnisvoll an. »Wo ist denn das Licht, von dem das Würstchen erzählt hat?« wollte Perkins wissen. »Lichter kann man aus- und wieder anmachen«, sagte Iks humorlos. »Ich schlage vor, wir wagen den Abstieg.« Die Antigrav-Taschengeräte erleichterten ihnen den steilen Weg nach unten. Kurz darauf gerieten sie in den Schatten des Kraterrandes. Von hier an nahm die Dunkelheit rasch zu. Das Loch im Berg wurde enger und lag wie ein geheimnisvoller schwarzer Fleck unter ihnen. »Da ist das Licht!« brüllte Perkins plötzlich, und im selben Augenblick verlor er auch den Halt. Sein Schrei endete in einem unartikulierten Hilferuf, dann hatte ihn der Abgrund geschluckt, und das Licht, das alle gesehen hatten, war wieder verschwunden. »Ist der Kerl von allen guten Geistern verlassen? Warum bedient er nicht den Taschenantigrav?« »Weil es zu überraschend kam. Und weil es vielleicht gar nichts genützt hätte. Natürlich hat er den Antigrav bedient. Aber der andere war eben stärker.« »Was redest du für einen Unsinn? Wenn sich hier plötzlich die Schwerkraftverhältnisse geändert hätten, dann wären auch wir abgestürzt. Und wer ist der andere? Hast du jemanden gesehen?« »Das Licht. Sonst nichts. Und jetzt ist es wieder verschwunden.« Barnett gab sich die größte Mühe, etwas in dieser trüben Dämmerung zu erkennen. Tatsächlich änderte sich der Boden unterhalb. Es war kein gewachsener Stein mehr. Die Wand war glatt wie bearbeiteter Fels oder gar künstlicher Beton. »Teufel! Dort unten hört die Wildnis auf. Willst du aber daraus schließen, daß ein paar Meter weiter eine Zivilisation anfängt?« »Man kann mit einer einzigen Voraussetzung nicht zehn Unbekannte lösen«, dozierte IksWol-Esak. »Wir müssen notgedrungen weiterklettern.« Barnett übernahm wieder die Spitze. Eigentlich hätte es der Proka machen sollen, da er auf Grund seines leichteren und gelenkigeren Körperbaus in diesem schwierigen Gelände besser fertig wurde. Doch es war ausgemacht, daß er sich mit Bannister in erster Linie um Psröi kümmerte. Das eingeborene Wesen konnte sehr wichtig für sie sein. Minuten später sah man ein, daß es völlig gleichgültig gewesen war, wer die Spitze übernahm. Sie stürzten alle ab, ohne daß die Reihenfolge von Bedeutung war. Und es gab keinen Zweifel, sie standen in einem Stück Zivilisation. Alles um sie herum war künstlich. Nicht ein Steinchen ließ darauf schließen, daß dieser Berg einmal ein feuerspeiender Krater gewesen war. Aus dem einen rätselhaften Licht waren mehrere hundert geworden. Es waren kleine bunte Lampen, die teils anhaltend ruhig, teils in regelmäßigen Abständen aufblitzend und teils unruhig flackernd leuchteten. Dennoch reichte ihre Kraft nicht aus, das Innere des Berges klar erkennbar zu machen. Nur die Lichter selbst bewiesen, welchen Dimensionen die Eindringlinge selbst gegenüberstanden, und erst in unmittelbarer Nähe ließ ein Scheinwerfer erkennen, daß sie auf einem spiegelglatten Boden zwischen aufragenden Instrumenten standen. »Hallo, Perkins«, schnarrte Bannister erschöpft. »Sind deine Knochen in Ordnung?« »Keine Höflichkeitsformeln, bitte, Doc! Ihr wart nicht gescheiter als ich und habt euch genauso reinlegen lassen. Wenn das die Antischwerkraft war, mit der ihr Daxas' Verschwinden begründen wollt, dann studiert lieber erst noch ein paar Semester Physik.« »Zweifellos war es die gleiche Kraft«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Wahrscheinlich kann man sie steuern. Nach oben, nach unten, nach den Seiten ... Warum nicht?« »Well! Man kann also. Aber wer ist ›man‹? Ich sehe niemanden.« Das Zwielicht war gespenstisch. Die unruhigen Lichter machten nervös. Nur in
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unmittelbarer Nähe der Lampen war etwas zu erkennen. Alles andere lag in geheimnisvollem Dunkel und war eine einzige große Drohung. »Wenn dieses verdammte Schweigen nicht wäre!« stöhnte Perkins. »Oder habt ihr vielleicht noch nicht bemerkt, daß es hier stumm wie in einem Grabe ist?« Barnett hatte inzwischen seinen Handscheinwerfer eingeschaltet und leuchtete die nähere Umgebung ab. Es war nichts zu entdecken, was man nicht in dem Dämmerlicht schon geahnt hatte. Ein Arsenal von Schränken füllte das gesamte Blickfeld aus. Sie standen scheinbar wirr durcheinander, aber der Boden war eben und sauber wie die Tischplatte in einem Speiserestaurant. Und das tödliche Schweigen wurde von dem Tanz der Irrlichter widerlegt. Trotz der Stille herrschte Leben in diesem Raum. »Wenn wir hier Spähtrupps ausschicken wollen, brauchen wir tausend Leute«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Wir werden zusammenbleiben«, entschied Barnett. Seine forschenden Augen waren dabei ununterbrochen unterwegs, und sein Blick wandte sich nach oben. Das Kraterloch über ihnen war klein wie ein Fünf-Solar-Stück. Iks ahnte seinen Gedanken und sagte: »Wir befinden uns mindestens 500 Meter unterhalb der Kratermündung.« Iks-Wol-Esak verhandelte minutenlang mit Psröi. Da die anderen so gut wie nichts davon verstanden, beobachteten sie die Umgebung. Ohne daß Barnett einen besonderen Befehl dazu gegeben hatte, hielt jeder eine Pistole in der Hand. Man würde kaum damit schießen. Es war nur zur eigenen Beruhigung. Perkins dauerte die halb telepathische Verhandlung zu lange. »Was ist nun, Iks? Spielst du immer noch den lieben Gott Tsou? Ich kann mir nicht denken, daß wir im Augenblick einen überwältigenden Eindruck auf das Würstchen machen. Vielleicht ist es auch besser, du schenkst ihm reinen Wein ein und erklärst ihm, wie dreckig es uns in Wirklichkeit geht und daß wir dringend seine Ratschläge brauchen.« »Auf Psröi braucht ihr vorläufig nicht zu hoffen«, sagte Iks-Wol-Esak. »Die Tropas sind für unsere Begriffe primitiv. Niemand von ihnen kann jemals eine solche Anlage gebaut haben.« »Wo soviel Technik auf einem Haufen steht, müßte es auch einen Lichtschalter geben«, überlegte Bannister plötzlich laut. »So? Und wenn die Leute, die das hier erbauten, kein Licht brauchten? Wenn sie überhaupt keine Augen hatten?« »Immerhin sieht man Kontrollichter.« Barnett hatte noch weiterreden wollen, aber ein Geräusch ließ ihn verstummen. Und ein Geräusch in dieser Grabesstille war so bemerkenswert, daß man es beachten mußte. Sie hörten ein dumpfes unmelodisches Summen. Es schwoll schnell zu einem hellen Singen an. Gleichzeitig nahm die Zahl der Lichter zu. Sie tauchten weit im Hintergrund auf und schossen heran. Sie waren nicht zu zählen. Es mußten ein paar Hundert sein. Die Männer duckten sich instinktiv und brachten ihre Waffen in Anschlag, denn was da in einer wilden Phalanx heranschoß, wirkte im ersten Augenblick absolut feindlich. »Nicht schießen!« schrie Barnett. Die Lichter waren eine Armada einzelner Punkte und als Ziel kaum geeignet. Vielleicht hätte man durch Energiebeschuß einige von ihnen vernichten können. Doch wozu dann die anderen imstande waren, konnte sich nur die Phantasie ausmalen. Sie hockten am Boden und hielten die Luft an. Die Lichter waren Punkte, und die Punkte waren Kugeln. Kleine blanke Kugeln, die eine enorme Helligkeit ausstrahlten. Über den Eindringlingen gingen sie in eine enge Kreisbahn. Wie tausend Planeten auf einer Schnur. Dabei rückten sie immer mehr zusammen. Ihr Geräusch schwoll weiter an, wurde zu einem kreischenden Singen und verlor sich dann plötzlich – jenseits der Gehörgrenze – wieder in dem Schweigen, aus dem es gekommen war. Aber die Kugeln blieben, drängten sich dicht zusammen, ohne sich zu berühren, verharrten
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schließlich auf der Stelle und rotierten nur noch um sich selbst. »Da haben wir unsere Luziferlampe«, schnarrte Iks-Wol-Esak und drückte sich mit seinen drei Armen vom Boden hoch. Auch die Menschen und der Tropa standen wieder auf. Die Kugeln schwebten mindestens in einer Höhe von zehn Metern. Zu weit, um sie mit der Hand greifen zu können, und weit genug, um die Menschen nicht zu einer unüberlegten aggressiven Handlung zu verleiten. Wenn es Absicht war, so gebührte dem Geist und dem Willen, der hinter dieser Bewegung stand, Anerkennung. Der gigantische Raum war weit ausgeleuchtet. Ob die Kugeln aber nur eine Lampe ersetzen sollten, konnte niemand sagen. Perkins meinte, sie sähen eher wie Wachhunde aus. »Egal«, sagte Barnett. »Wir haben Licht. Und das dort oben scheint fast ein konventioneller Bildschirm zu sein.« Er zeigte auf eine gläsern schimmernde Glocke, die aus einer senkrechten Wand herausragte. Sie gab ein Bild wieder – die Umgebung der Eindringlinge. Vielleicht war sie nur ein Spiegel. In der Nähe der Glocke entdeckten sie Knöpfe und Hebel. »Warum sind die Dinger wohl so hoch montiert? Als tellurischer Intelligenzler hätte ich die Armaturen ein wenig handlicher angebracht.« »Wenn die Erbauer dieser Anlage zwanzig Meter hoch waren, brauchst du an ihrer praktischen Veranlagung nicht zu zweifeln. Außerdem steht noch längst nicht fest, daß diese Hebel von lebendigen Wesen bedient werden sollen.« Iks-Wol-Esak war – abgesehen von den Tropa-Wesen – der kleinste von ihnen. Aber er hatte die längsten Arme und die größte Sprungkraft. Er langte nach oben und schnellte gleichzeitig vom Boden ab. Sein mittlerer Tentakel hätte bei einiger Mühe den unteren Hebel des Gerätes vor ihnen erreicht. Aber in diesem Moment löste sich eine der Kugeln aus ihrem Schwarm und schoß auf ihn zu. Der Proka erschrak und griff daneben. Kurz darauf stand er wieder auf der Erde. Die Kugel ordnete sich sofort wieder in den Haufen ein. »Teufel«, stöhnte Perkins. »Schwebende Lampen, die dazu auch noch denken können! Das langt für meiner Mutter Sohns Nerven. Ich habe ja gesagt, daß es Wachhunde sind.« »Man müßte herausfinden, ob sie auch beißen«, sagte Iks-Wol-Esak. »Ich habe mich bluffen lassen. Paßt auf! Ich mache das Ganze noch einmal.« »Bleib hier! Du bist verrückt, Iks! Wenn das Ding harmlos ist, wirkt es immer noch wie ein Geschoß. Aber es kann Schlimmeres mit dir anstellen.« Perry Barnett brauchte sich keine Drohungen mehr auszudenken. Iks, der natürlich seine Ankündigung sofort wahrgemacht hatte, erreichte den Hebel, kam aber nicht dazu, ihn zu bewegen. Wieder schoß eine Kugel aus dem Knäuel hervor, und der Proka reagierte mit einem Aufschrei. Er stürzte zu Boden. Ohne seine natürliche Eleganz. Wie ein toter Gegenstand. Barnett und Bannister stürzten gleichzeitig auf ihn zu. Aber Iks bewegte sich noch. Heftiges Zittern durchlief seinen Körper, ein Zeichen höchster Erregung. Dann rollte er sich über zwei Arme ab und stand wieder. Sein transparenter Körper schimmerte in allen Farben des Spektrums und nahm nur langsam seine normale Färbung an. Perry Barnett faßte nach seiner Mittelhand, die er immer noch heftig auf und ab schwenkte. Es war die Hand, die nach dem Hebel gegriffen hatte. Iks zeigte ihnen eine Brandwunde. »Ich hätt's tatsächlich nicht tun sollen ...« »Beim Weltraum! Du bist der letzte, der von uns den Kopf verlieren darf. Ich hoffe, du bist jetzt von deinem Leichtsinn kuriert und richtest dich in Zukunft nach dem, was wir gemeinsam beschließen. Hast du Schmerzen?« »Nein, ich habe vor Vergnügen geschrien ...«
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Bannister nahm seine Hand und grinste. Man sah, daß es ihn erleichterte, einmal grinsen zu dürfen. Er gab Iks einen Klaps auf die sechs Finger. »Okay, Bursche! Du bist noch einmal davongekommen.« Barnett führte ein kurzes Verständigungsgespräch mit Lisman an Bord der TRILANI. Dann winkte er den anderen, zu gehen. Iks-Wol-Esak hatte willkürlich eine Richtung gewählt. Doch schon nach drei Schritten hielt er inne. Das Geräusch war wiedergekommen, und die Männer blickten automatisch nach oben. Die ruhig rotierenden Kugeln begannen wieder zu kreisen. Mehr und mehr zog sich ihre Bahn zu einer langen Ellipse auseinander, und dabei blieb die Lage der Bahn immer dieselbe. »Das bedeutet doch etwas«, behauptete Doc Bannister. »Ich zweifle nicht daran. Nehmen wir an, die Kugeln wollen uns eine Richtung zeigen ...« Dann hielt der Pulk unvermittelt an. Das Geräusch, das den langsamen Flug begleitet hatte, verstummte wieder. Die Männer standen auf einem Platz, auf dem es keineswegs mehr nach Raumnot aussah. In der Mitte der freien Fläche ragte ein Gebäude auf. Ja, es war ein Gebäude! Maschine oder Gerät konnte man schon nicht mehr dazu sagen. Sie wurden wieder mit glatten Wänden konfrontiert. Weit oben, in schwindelnder Höhe von mindestens zwanzig Metern, war eine Plattform zu erkennen, an der es sogar ein Geländer gab. Ein erster vertrauter Anblick. Perkins allerdings war keineswegs zufrieden. »Was sollen wir damit? Selbst wenn ich mit all euren Taschen-Gravos hinaufkommen könnte, würde ich es nicht tun. Ich habe keine Lust, mir von diesen Glühwürmchen die Hände durchbrennen zu lassen.« »Aber einer muß hinauf.« »Freiwillige vor!« sagte Perkins und drängte sich bescheiden in den Hintergrund. »Meinetwegen können wir auch weitergehen. Jedenfalls bin ich der letzte, der den Kugeln vertraut.« »Die Bewegung der Kugeln hat einen Sinn«, versicherte Iks-Wol-Esak. »Wir müssen hier bleiben. Gebt mir eure Taschen-Gravos.« »Dreh dich um, Iks! Ich glaube, du brauchst die Gravos nicht mehr.« Eine neue Überraschung. In der Wand des Gebäudes war plötzlich ein Eingang entstanden. Keiner hatte darauf geachtet. Das dunkle Loch war plötzlich da. Reichlich niedrig für einen Menschen. Man mußte sich bücken. Nur Psröi und Iks konnten bequem hindurchgehen. »Kommt!« sagte der Proka und winkte mit dem mittleren Tentakel. »Nicht alle!« entschied Barnett. »Forry, du bleibst mit Perkins zurück. Aber wagt euch nicht vom Eingang weg.« »Okay, Onkel«, nickte Perkins, setzte sich prompt hin, lehnte sich an die Wand und kramte eine Nährtablette aus der Tasche. Perry Barnett ging als erster durch das kleine Tor. Das heißt, er kroch. Im Inneren hatte er jedoch genügend Platz, sich wieder aufzurichten. Er konnte auch alles gut erkennen, denn ein Teil der Kugeln war ihm gefolgt und erleuchtete das Innere des Gebäudes. Kurz darauf standen auch der Kugelmann und das Tropa-Wesen neben ihm. Iks-Wol-Esak ließ ein scharfes Krächzen hören, das Erstaunen und Bewunderung bedeutete. Sie standen in einer überdimensionalen Röhre, die bis in die Spitze des Gebäudes hinaufführte. »Das Treppenhaus wahrscheinlich«, vermutete Barnett. »Aber ohne Treppen«, wedelte der Proka. »Was sich dort bewegt, könnte ein Fahrstuhl sein.« An der Wand bewegten sich auf zwei senkrechten Linien eine Kette von Lichtern. Auf der linken ging es abwärts, auf der rechten aufwärts. Dem Sinne nach war es ein Paternoster, aber er besaß keine Kabinen.
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Iks-Wol-Esak ging sofort darauf zu, um die Sache zu untersuchen. Er war noch zwei Schritte von der Wand entfernt, als er plötzlich nach oben gerissen wurde. »Hallo, Iks! Was soll das?« »Ich sitze im Lift. Eine reine Schwerkraftmanipulation. Mach es genau wie ich und komm mir nach. Und vergiß Psröi nicht!« Die Erscheinung war nicht so ungewöhnlich, daß Barnett sie nicht sofort begreifen konnte. Schließlich kannte die tellurische Technik ein ähnliches Verfahren. Er gab Psröi einen sanften Stoß und winkte ihm, ihm zu folgen. Kaum waren sie dicht genug an die Wand herangetreten, so griff eine unsichtbare Kraft nach ihnen und ließ sie nach oben schweben. Auf halber Höhe empfing sie Iks auf einer Plattform. »Hiergeblieben! Ich denke, diesen Sektor sollten wir uns ein wenig näher ansehen.« Die Plattform lief im Kreis um das Innere der Röhre. In der Wand gab es sechs kleine, dunkle Eingänge. Und wieder schwebten die Leuchtkugeln über ihren Köpfen. Barnett betrachtete sie einen Augenblick mit gemischten Gefühlen und sah, daß sie sich wieder zu einer langgestreckten Ellipse auseinanderzogen. Sie zeigten deutlich auf einen bestimmten Eingang. Sie betraten einen Saal, dessen Einrichtung fast tellurischen Geschmack verriet. Nicht in der Form der Möblierung, aber in der Sparsamkeit der Dekoration. Nur an den Wänden standen Hunderte von weißen Schränken – übersät mit Armaturen. Der Platz in der Mitte war für ein sechsbeiniges Gestell freigehalten, das sich nach oben verjüngte und in der Spitze eine goldfunkelnde Kugel trug. Die Kugeln wanderten wieder mit uns sorgten für die notwendige Beleuchtung. Am Fuße des sechsbeinigen Gestells angekommen, erkannten sie weitere Einzelheiten. Hinter sechseckigen Klarsichtscheiben, die für Iks-Wol-Esak in Augenhöhe angebracht waren, erkannten sie faustgroße Kugeln, und auf der Oberfläche der Kugeln spiegelten sich bildliche Darstellungen. Die konvexe Wölbung verzerrte alles zu einer ungewöhnlichen Perspektive, aber die Eindringlinge erkannten, was es darstellen sollte. »Das sind die Wiesen im Tal«, stellte Barnett fest, der sich tief bücken mußte, um etwas sehen zu können. »Und außerdem steht fest, daß diese Technik von Wesen erbaut wurde, die mir höchstens bis zur Hüfte reichen.« »Viele Intelligenzen haben sich dazu entschlossen, eine Körpergröße anzunehmen, wie sie die Prokas besitzen«, sagte Iks-Wol-Esak mit einem Schuß Ironie. »Und hier! Sieh dir dieses Bild an! Es ist noch aufregender.« Hinter der nächsten Scheibe zeigte eine Kugel die TRILANI, wie sie hilflos im Holz der tropischen Wälder lag. »Teufel! Wir scheinen hier genau in der Sicherheits- und Abwehrzentrale gelandet zu sein.« »Möglich ... Oder es ist die Regierung einer uns unbekannten Autorität selbst. Oder auch eine Untergrundbewegung und Zentrale einer Rebellion.« »Hm«, machte Barnett. »Du läßt wieder alle Möglichkeiten offen. Forschen wir also weiter, bevor wir uns ein Urteil bilden.« »Genau das meinte ich.« Sie gingen von einem Bildschirm zum anderen. Die nächsten drei zeigten wieder die eintönige Landschaft des Planeten. Auf dem vierten fanden sie ein Gebirge, offenbar eine Darstellung von der südlichen Halbkugel. Zwei weitere Bilder zeigten den tropischen Ozean. »Da ist ein Schiff«, behauptete Barnett plötzlich, der schon vor dem nächsten Schirm stand. »Unser Beiboot«, stellte der Proka fest. Immer dann, wenn wirklich etwas Aufregendes passierte, blieb er die Ruhe selbst. »Nicht irgendeins, sondern Daxas' Boot.« »Ich zweifle nicht daran. Und was mir besonders bemerkenswert erscheint, es befindet sich im Weltraum, wenn diese Wiedergabe stimmt.«
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»Demnach haben wir die Chance, daß Daxas lebt.« »Ich habe es eigentlich immer noch gehofft. Jetzt sollten wir versuchen, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Wenn es mit unseren Geräten nicht geklappt hat, so doch vielleicht mit diesen hier.« »Bitte, dann studiere sie. Ich habe dich eigentlich selten im Leben unterschätzt, aber wie du mit diesen fremden Apparaten fertigwerden willst, ist mir vorläufig ein Rätsel.« »Mir selbst auch. Doch man sollte es wenigstens probieren.« * Barnett versuchte einen Anruf bei der TRILANI. Die Verbindung klappte ohne Schwierigkeiten. Warum eigentlich nahm er an, daß sie nicht klappen könnte? Seit wann hatte er einen derartigen Respekt vor fremden Mächten, daß er innerlich bereit war, ihnen nachzugeben? Iks-Wol-Esak machte einen durchaus optimistischen Eindruck. »Sage James, daß sie Geduld haben sollen, Perry! Es kann lange dauern, bis wir hier zu einem Ergebnis kommen. Aber er soll gleich wissen, daß wir uns etwas davon versprechen.« Barnett gab also einen hoffnungsvollen Zwischenbericht und schaltete dann wieder ab. Sie musterten den großen Turm. Noch einmal umrundeten sie ihn, um die Kugelbilder zu vergleichen. Sie zeigten noch immer dieselben Gegenstände. Trotzdem hatte es geringe Veränderungen gegeben. »Es sind lebende Bilder«, behauptete Iks. »Ich tippe auf Direktübertragungen. Wenn von hier aus also eine Verbindung zu Daxas besteht, so müßten wir herausbekommen, auf welche Weise. Vielleicht können wir mit ihm sprechen oder auch seinen Standort feststellen.« »Bitte, das wäre eine Aufgabe.« Barnett gab zu, daß das Gerüst ein Buch mit sieben Siegeln für ihn sei. Und der Proka fühlte sich kaum gescheiter. Mit einem Seitenblick auf die rotierenden Kugeln griff er nach einem Stab in der Wand. Nichts geschah. Er zog sich ein Stück hoch und griff nach der zweiten Sprosse. »Eine konservative Leiter, Perry. Die Kugeln scheinen nichts dagegen zu haben. Gehen wir weiter nach oben!« Ein wenig unterhalb der goldenen Kugel erreichten sie einen weiteren Eingang. Der Baum war nicht größer als die Kommandozentrale eines mittleren Raumschiffes. Er war konisch und sechseckig wie das Gerüst von außen. Die Kugeln sorgten wieder für ausreichendes Licht. Fünf Wände waren mit einer Unzahl von Armaturen übersät. Vor der sechsten schwebte eine grün leuchtende Kugel. Sie war fast so groß wie ein Prokakörper. Und genauso transparent. Im Inneren fand eine heftige Bewegung statt. Als ob eine farbige Flüssigkeit darin kochte. Das Bild einer Retorte. Aber auch der Vergleich mit Sonnenprotuberanzen schien zu passen. »Da stecken Energien drin«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Fällt dir auf, daß die Kugel an keiner Stelle befestigt ist?« - Ich bin immer noch Tsou, der Gott der Götter – »Was hast du gesagt?« »Ich? Gar nichts. Aber du ...« - Ich bin Tsou, für Halbwilde, für Intelligenzler und für Kultivierte. Zeigt mir eure Gesichter – »Beim Weltall! Wer spricht da?« »Keiner spricht«, stellte Iks fest. »Es hat jemand gedacht. Und zwar völlig konkret, ohne jede Beimischung sprachlicher Vorstellungen. Die Kugel, mein Junge! Die grüne Kugel.« Längst starrten sie wieder auf das grüne Gebilde, als ob sie dem Befehl »Zeigt mir eure
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Gesichter« willenlos gefolgt wären. Barnett faßte seine Befürchtung in Worte: »Achte auf dich selbst, Iks, ob du deinen Willen behalten hast.« »Ich denke schon. Trotzdem vielen Dank für den Hinweis. Dieses Ding ist ein selten starker Telepath. Er muß aber nicht unbedingt hypnotisieren können ... Guten Tag, Tsou! Das ist ein Gruß, wie ihn die Höflichkeit bei uns verlangt. Verstehst du uns?« - Ich bin Tsou, der Gott der Götter – Das war wenig für einen Intelligenzler. Konnte er sich nicht klarer ausdrücken? Lediglich Psröi war absolut beeindruckt. Er hatte den richtigen Tsou erreicht und schwor Iks bedenkenlos ab. »Der Knabe wird uns nicht viel helfen können. Wir hätten ihn längst zurücklassen sollen.« »Kümmere dich nicht um ihn. Sieh dir diese Kugel an. Sie kocht heftiger als vorhin. Das ist wie ein Sturm in dem Gehirn.« »Gehirn ...?« »Ich sagte es intuitiv. Möglicherweise ist es ein Gehirn ... Kannst du uns sehen, Tsou?« - Ich bin Tsou, der Gott der Götter – »Beim All! Das Ding ist begriffsstutzig oder schwerhörig.« »Es braucht nicht zu hören, wenn es die Gedanken direkt empfängt. Aber es müßte uns verstehen ... Wir brauchen deine Hilfe, Tsou! Du weißt, daß wir nicht von hier sind. Deine Bildschirme zeigen das Weltall. Wir wissen also, daß du mehr vom Universum kennst, als man von hier mit den Augen sehen kann. Wir kommen von fremden Sternen. Sie sind so weit, daß das Licht 35 000 Jahre braucht, um diesen Weg zurückzulegen. Das Schiff, das uns trug, ist hier auf Tropa gescheitert. Wir können die Schwerkraft nicht mehr überwinden. Wirst du uns helfen?« »Die Rede war viel zu lang«, behauptete Barnett. »Wenn Tsou schon einen Gedanken nicht begreift, so wird ihm bei deinen Romanen nur der Kopf brummen.« - Ich bin Tsou, und du sollst mich anfassen – Dieser Aufforderung folgten beide, weil jeder sich angesprochen fühlte. Doch schon bei der ersten Berührung schoß die Kugel unter die Decke, prallte dort ab und kehrte zurück. IksWol-Esak griff nach ihr und hielt sie mit seinen drei Tentakeln fest. Sie war gewichtslos, wie er sofort verblüfft feststellte. Barnett war es nicht wohl bei diesem Anblick. In der Tasche hielt er die Strahlpistole umklammert. Verstohlen sah er nach den Kugeln hinauf. Sie rotierten und verhielten sich still, schienen also mit allem einverstanden zu sein. Oder waren sie jetzt zu wirkungsloser Dekoration herabgesunken, seitdem Tsou selbst agierte? Iks-Wol-Esak stand da wie ein kleiner Junge mit einem viel zu großen Fußball. »Eiskalt fühlt er sich an ... Genügt dir das, Tsou? Soll ich dich wieder loslassen?« Barnett sah im Hintergrund, daß sich etwas an den Armaturen verändert hatte. Er ›überraschte‹ Hebel und Knöpfe, die sich selbst bewegten. Kontrollichter wechselten ihre Farben. Telepathische Schaltung? Machte das alles diese grüne Kugel, die sich Tsou nannte? Er trat zu Iks-Wol-Esak und versuchte selbst, die Kugel zu umfassen. Seine Arme waren zu kurz. Daraufhin stieß er sie mit der Faust zur Seite. In diesem Augenblick schien sie die Gravitation eines Planeten zu erhalten. Sie wich ihm um keinen Millimeter aus, zog ihn aber gleichzeitig an. Er stieß heftig mit dem Kinn auf, daß es schmerzte. Dann drückte er sich ab, als wäre es der Boden, auf dem er stand. Daraufhin stand er wirklich. Auf der Kugel! Sein Körper schwebte waagerecht zum Fußboden in der Luft.
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Iks-Wol-Esak machte es ihm nach und wurde so zu seinem Antipoden. »Ein toller Trick, was?« »Ein Trick zum Fürchten ... Oder zum Überlegen. Alles Gravitation, mein Lieber. Das sind Kräfte, die wir brauchen. Und bisher sind unsere Experimente nicht gefährlicher als eine Raubtierdressur im Zirkus gewesen ... Beim Weltall, Tsou! Wann willst du uns endlich begreifen? Unsere Welt ist von deiner so weit entfernt, daß du kein Interesse an ihr haben kannst. Und auch an uns nicht. Hilf uns, und wir werden deine Kreise nicht länger stören.« »Na gut«, wedelte der Proka. »Versuch's einmal mit eurem tellurischen Humanitätsfimmel. Er ist fast so verrückt wie der prokaskische.« Tsou reagierte lediglich mit der sturen Behauptung, daß er der Gott der Götter sei. »Er denkt genauso verrückt und sonderbar wie diese Wurstwesen. Dem fehlt die Antenne für unsere Vorstellungswelt, fürchte ich.« Barnett sah wieder auf die Armaturen. Fünf Wände waren übersät damit. Nein, nur vier. Eine hatte in der Mitte nur ein Loch. Da gab es nichts zum Anfassen. Das Loch war rund und tief und schwarz wie das Weltall. - Wahrscheinlich kann man hineindenken – »Wie du meinst.« Barnett hielt es für eine Aufforderung des Proka. Der hielt ihm auch schon das Telepathie-Relais hin. Der Captain griff danach und schrie in das Loch hinein: »Alle Schaltungen auf Null! Keine Angriffshandlung gegen die Eindringlinge! Gravitationszentrum bleibt aktiv!« In diesem Augenblick verlosch das Licht. Sie hörten es poltern und donnern wie ein Venusgewitter. Aber der Boden unter ihren Füßen erzitterte nicht. »Licht, zum Teufel!« schrie Barnett. Er hatte Iks-Wol-Esak gemeint, der noch einen Handscheinwerfer trug. Aber auf seinen Befehl reagierte ein anderer. In der Spitze des Raumes wurde es hell. Eine runde Kugellampe erstrahlte. Auf dem Fußboden lagen hundert kleine Leuchtkugeln wie verlorenes Kinderspielzeug. Stumpf und matt. Ohne jeden Glanz, ohne Leben und ohne Energie. Die große Kugel, die sich Tsou genannt hatte, sah nicht erhabener aus. Auch sie hatte ihr Licht verloren. Sie war nicht mehr transparent. Sie hatte kein Feuer und keine Seele mehr. Und ob sich in ihrem Inneren die heftigen Stürme eines erregten Gehirns abspielten, war hinter der metallischen Haut nicht zu erkennen. »Teufel!« stöhnte Iks-Wol-Esak. »Dein Elan wird uns noch ins Unglück stürzen ...« »Rede keinen Unsinn, Iks. Jetzt bist du an der Reihe. Sieh dir Psröi an! Er wechselt die Götter wie Menschen ihr Hemd. Nachdem die Kugel tot scheint, liegt er wieder vor dir im Staub.« »Irrtum«, behauptete Iks-Wol-Esak. »Er glaubt immer noch an den einzigen Tsou. Nur hat er ihn noch nicht gefunden und sucht ihn weiter. Solche Gottsucher hat es immer und überall gegeben.« »Okay, wie du meinst. Überleg dir, was du machen willst. Ich spreche inzwischen mit James. Solange die Anlage ausgeschaltet ist, wird er wohl mit dem Transmitter kommen.« Perry Barnett schaltete den Mikrosender ein und rief Lisman. Der meldete sich sofort. »Noch alles in Ordnung bei euch, Perry?« »Soweit es unsere Gesundheit angeht, ja. Im übrigen bleibt die Nuß noch zu knacken ...« Er forderte das kleine Teleportergerät an, das durch das große Hauptgerät transportiert werden konnte. Damit würde es möglich sein, auch Dinge aufs Schiff zu bringen, die man von hier mitnehmen wollte. Diese Mühe war notwendig, weil man durch den Transmitter nur solche Gegenstände bewegen und zurückholen kann, die auch gesendet wurden. Darüber hinaus ist es auch möglich, daß ein teleportierter Mensch einen anderen kräftig umfaßt und
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diesen dann einfach zurückbringt. Bei schweren Gegenständen ist das aber nicht durchführbar, so daß also ein zweites Gegengerät notwendig wird. »Ich werd's probieren«, versicherte Lisman und gab den Befehl an Nam-Legak weiter. Der Versuch gelang. Die gesamte Anlage des Berges schien tatsächlich ausgeschaltet zu sein, und es gab keine abschirmenden Energien mehr, die der Transmitterfunktion im Wege standen. Das kleine Teleportergerät tauchte gespenstisch aus dem Nichts. Zuerst nur ein Nebel, dann flimmernde Figuren und schließlich die konkreten Umrisse. Nam-Legak hatte gut gezielt. »Danke«, sagte Barnett trocken, während die beiden Prokas sich bereits telepathisch diese Formel der Höflichkeit signalisiert hatten. Dann begann der schwierigste und langwierigste Teil der Expedition. Wahrscheinlich war die Gefahr im Augenblick nicht so groß, da sich tatsächlich nichts entdecken ließ, was bedrohlich wirkte. Trotzdem schlummerten irgendwo die Energien. Ein einziger Hebeldruck konnte sie wieder wachrufen. Und einmal würde das auch geschehen müssen. Zunächst galt es jedoch, den gescheiten Einfall zu haben, wie Perkins es gern in seiner eigenen Denkfaulheit von den anderen zu verlangen pflegte. Iks-Wol-Esak, der prokaskische Techniker und Naturwissenschaftler, hatte seine tellurischen Freunde in den letzten Jahren so oft mit ›kleinen Erfindungen‹ überrascht, daß es fast wie eine Selbstverständlichkeit anmutete, jetzt von ihm auch die Patentlösung aus dieser Situation zu finden. Iks stellte sie jedoch auf eine harte Probe. Er ließ einen Elektronenrechner von Nam-Legak schicken. Darin speicherte er sämtliche Symbole, die an den Armaturen der geheimnisvollen Geräte zu finden waren. Der Elektronenrechner gab schließlich zu wissen, daß er mit den geschluckten Daten allein nichts anfangen könne. Es war ihm zwar möglich, interessante Statistiken über die fremden Symbole anzufertigen, sie sinnvoll zu ordnen und auch Aussagen über den Grad ihrer Bedeutung zu machen. Doch damit war es aus. Das Ergebnis blieb in quantitativer Beurteilung haften. Das erarbeitete Gedankengebäude konnte als Ganzes genausogut auf die Untersuchung über einen historischen Zeitabschnitt wie auf die künstlerische Konstruktion einer Musikpartitur angewandt werden. »Ich brauche einen qualitativen Impuls«, ärgerte sich Iks-Wol-Esak. »Robby erzählt nur rein abstraktes Zeug und hat keine Ahnung, worum es eigentlich geht.« »Das hat man nun davon, wenn man selbstdenkende Roboter mit eigenem Bewußtsein konstruiert.« »Auch du hast ein eigenes Bewußtsein und kannst mir auch keinen qualitativen Hinweis geben.« »Und ob ich das kann«, protestierte Barnett. »Ich kann dir mit Sicherheit sagen, daß unser Problem weder mit historischer Romantik noch mit der Partitur einer Symphonie zu tun hat. Wir sitzen in der Falle. Dieser Planet hält uns fest. Und diese Technik hier unten im Berg ist kybernetisch.« »Es käme darauf an, zu wissen, in welchem Grade und in welcher speziellen Richtung. Bisher ist nur klar, daß Schwerkraftmanipulationen dabei eine Rolle spielen ... Aber das genügt nicht.« »Warum überhaupt schalten? Welchen Hebel habe ich berührt, als ich die ganze Anlage auf Null brachte?« »Gar keinen.« »Siehst du, Iks! Ich habe einfach in das Loch gerufen. Ich verlangte, daß alles auf Null geht. Und so geschah es. Wenn ich nun eine einzige Teilreaktion auf gleichem Wege wieder aktiviere ...« *
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Barnett stand vor dem Loch. Er zögerte noch, weil er möglichst etwas sehr Kluges denken und sagen wollte. Dann sprach und dachte er: »Gravitationszentrum halbe Planetenschwere absorbieren!« Es dauerte drei Sekunden. Dann fühlten sie sich plötzlich leichter. Iks probierte es sofort aus. Er tippte auf den Boden und wurde sofort ein Stück in die Höhe geschleudert. Langsam schwebte er zurück. »Ich bin tatsächlich leichter geworden, Perry. Das ist der richtige Weg. Es genügt nur noch nicht. Verlange mal was von den Bildschirmen.« »Alle optischen Meßwerkzeuge aktiv«, sagte Barnett rauh und konzentrierte sich auch in den Gedanken auf diesen Wunsch. An mehreren Stellen erschienen plötzlich Bilder. An Stellen, wo vorher nicht einmal ein Bildschirm zu vermuten gewesen war. »Beim Weltall! So ist es gut«, machte Iks begeistert. »Fordere den Geist dieser Höhle nicht noch mehr heraus. Laß mich weitermachen ...« Der Proka war wie ausgewechselt. Er zeigte auf eine Scheibe. »Die hat sich gedreht. Und auch das Licht daneben ist angegangen. Es ist vollkommen klar, daß diese ganze Bedienungsbatterie hier zur Optik gehört.« Er probierte es manuell aus und fand seine Vermutung bestätigt. Den entsprechenden Symbolen gab er vorsichtig eine Bedeutung und teilte sie dem Elektronenrechner mit. Iks-Wol-Esak brauchte noch zwei Stunden. Dann behauptete er, das Rätsel gelöst zu haben. Wenigstens soweit es interessant für sie war. »Unsere Vermutung hat sich bestätigt, Perry. Gravitation war ein Steckenpferd der alten Tropas, die gewiß ebenso intelligent waren wie ihr und wir ...« »Vielleicht noch ein bißchen intelligenter.« »Bitte, jetzt keine Haarspalterei! Robby hat alles gefressen, was wir brauchen. Und das ist gar nicht viel. Gesamtgewicht der Ladung zehn Tonnen.« »Bei Normalzustand?« »Bei Normalzustand – 1 g. Hier ist die Liste.« Aus einem Schlitz des kastenförmigen Rechners fiel ein Streifen. Die Mitteilung war bereits in Klartext. Perry Barnett strahlte. Wie er den Proka mit seinen stahlblauen Augen anblickte, sah er um eine Generation jünger aus. Es gab Handarbeit. Perkins durfte endlich seinen Platz verlassen und mit Bannister heraufkommen. Es machte ihm nichts aus, daß er arbeiten mußte. Er wollte nur beschäftigt sein, damit er das bedrückende Milieu vergaß, mit dem er nicht fertig wurde. »Lieber schieße ich mich mit unheimlichen Entitäten herum, als daß ich in dieses Schweigen lausche, bei dem man doch nicht einschlafen kann.« »Schon gut! Hier ist Handwerkszeug. Jetzt kannst du Lärm machen und wieder mutig werden.« Der Proka gab die Anweisungen. Die Gerte, die mitgenommen werden mußten, befanden sich alle im Zentralturm. Noch bevor die Arbeit getan war, fühlte Perkins sich wieder wohl. Das verriet seine Neugier. »Jetzt möchte ich bloß noch wissen, wozu das alles gut ist.« »Es ist gut, mein Junge. Alles andere später.« Das zweite Teleportergerät trat in Aktion. Iks peilte die TRILANI an und expedierte alles an Bord, was man aus dem technischen Koloß herausmontiert hatte. Auch die Männer nutzten die Gelegenheit. Sie brauchten nicht erst den mühsamen Weg zum Kraterrand hinauf zu machen, wo sie das Grundgerät hätten abholen können, das sie hergebracht hatte. Diese Arbeit konnte das kleine Transmittergerät gleich an Ort und Stelle erledigen. Auf der TRILANI kamen sie in zwangloser Reihenfolge an, wie Lisman behauptete. Erst drei
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undefinierbare Metallkörper, dann Psröi. Dann wieder ein tropaischer Metallkasten, gefolgt von Bannister und Perkins. Danach die grüne Kugel, ein paar Kunststoffflaschen, Iks, Barnett und zum Schluß der Teleporter mit dem Elektronenrechner. Perkins behauptete, daß es in der Kommandozentrale wie auf einem Postamt aussehe. Sodann kam er gleich wieder auf seine Frage zurück. »Wir sind zu Hause, Perry, und verlangen nur eine Erklärung. Für dezente Werbegeschenke zu Weihnachten erscheint mir diese Ladung ein wenig zu üppig.« »Das Ganze ist ein Gravosatz. Eine Batterie, mit deren Hilfe wir das Gesamtgewicht unseres Raumschiffes auf nahezu Null herabdrücken können.« »Ja, Kinder! Das hieße ja, daß wir praktisch mit dem Rückstoß aus unseren Lungen von diesem verbiesterten Planeten starten können.« »Mit der Kraft unserer eigenen Maschinen«, versicherte Iks-Wol-Esak korrekt. »Wir können in eine Kreisbahn gehen, draußen ein Vakuum erzeugen und mit seiner Hilfe den HyperdriveGravitator reparieren. Wenn wir dann noch Daxas finden, steht einem Rückflug zur Erde kaum noch etwas im Wege.« »Okay!« sagte einer. Dann sah Lisman als erster, was Barnett vorher schon bemerkt hatte, während alle anderen mit der geheimnisvollen neuen Ladung beschäftigt gewesen waren. Er sah auf den Bildschirm. »Beim Weltall! Da kommt Daxas!« Es war tatsächlich das verschwundene dritte Beiboot der TRILANI, und niemand zweifelte daran, daß es von Daxas gesteuert wurde. Es stieß in navigationsgerechter Kurve aus dem All herab. Barnett ging ans Telekom. Daxas meldete sich sofort. »Okay, Captain! Alles in Ordnung. Sind die Schleusen offen, daß ich in den Hangar einfliegen kann?« »Die Schotten werden gerade geöffnet«, rief Lisman. »Danke, James«, sagte Daxas. »Ich muß einen tollen Satz gemacht haben. Habt ihr es beobachtet?« »Es sah sehr beängstigend aus ...« Daxas lachte. »Na gut, die Aufregung ist vorbei. Nach einer halben Minute hatte ich die Maschine wieder klar. Aber in der Zwischenzeit habe ich Blut und Wasser geschwitzt.« »Nach einer halben Minute?« fragte Barnett. »Du bist dir doch hoffentlich klar darüber, daß wir fast eineinhalb Tage auf dich gewartet haben.« Daxas gab nicht sogleich Antwort. Dann behauptete er, daß mit der Zeitrechnung auf der TRILANI wohl etwas nicht stimmen könne. Perkins widersprach sofort laut und vernehmlich. »Nehmen Sie erst mal Quartier bei uns, Daxas. Und dann gucken Sie sich unsere Chronometer an. Wir werden kaum mit Ihnen streiten, wo wir froh sind, Sie endlich wiederzuhaben.« Daxas flog in den Hangar ein und begab sich mit dem Expreßlift sofort in die Zentrale. Das Hangarpersonal nahm sich der Maschine an und verabreichte ihr die routinemäßige Pflegekur. Daxas war blaß, als er in seiner schweren, roboterhaften Kombination die Brücke betrat. Den Helm hatte er am Gürtel hängen. In militärisch straffer Haltung meldete er sich bei Perry Barnett zurück. Der Uhrenvergleich bestätigte tatsächlich den aufgekeimten Verdacht. Es hatte zwischen den Männern auf der TRILANI und Daxas eine Zeitverschiebung gegeben. Iks-Wol-Esak bremste das hitzig werdende Streitgespräch. »Wir werden den kleinen Zeitsprung zu notieren haben. Er hat etwas mit dem Wirken dieser tropaischen Technik zu tun, von der wir leider noch sehr wenig wissen.« *
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Die Beute aus dem Krater wurde mit Hilfe des kleinen Teleporters in die Versuchshalle gebracht. Dort war genügend Platz vorhanden und die Lage günstig, nämlich in der Nähe des Schiffszentrums. Dadurch würde es bei den folgenden Antischwerkraftversuchen nur eine geringe Verschiebung des Schiffsschwerpunktes geben, und zum anderen war man gleichzeitig in der Nähe der Antriebsgeneratoren, so daß man bei auftretenden Schwierigkeiten immer Ersatzpersonal in greifbarer Nähe hatte. Unter James Lismans Kommando bereiteten die erste und zweite Wache den Start der TRILANI vor. Die Arbeit hatte das hoffnungsvolle Warten abgelöst. Bis plötzlich jemand merkte, daß einer im Wege stand. Es war der kleine Psröi, der alles mit verständnislosem Blick betrachtete und sich wahrscheinlich äußerst überflüssig vorkam. Barnett sah, wie Bannister sich Mühe gab, mit ihm zu spielen. Er ging auf die beiden zu. »Wir sollten Psröi bald nach Hause bringen, Forry. Willst du das übernehmen?« Der Arzt erhob sich aus der Kniebeuge. »Ehrlich gesagt, Perry, nicht gern. Ich möchte, daß wir ihn mitnehmen.« »Ist das Sentimentalität oder der Ehrgeiz des Forschers?« »Beides. Du siehst, daß ich mir ein Telepathie-Relais genommen habe. Es ist mir bereits gelungen, mit Psröi Gedanken auszutauschen. Außerdem reizt mich natürlich sein Körperbau. Er geht in die Luft, aber er fliegt nicht. Er schwebt ...« »Dein Interesse glaube ich dir aufs Wort. Aber was soll aus Psröi werden, wenn wir ihn aus seinem Milieu reißen? Er wird uns eingehen wie ein Fisch auf dem Trockenen.« »Vielleicht hast du recht. Natürlich, Perry, gib mir zwei Leute mit. Am besten auch IksWol-Esak, wenn er sich für ein paar Minuten frei machen kann.« Dem Proka war es gar nicht recht, daß er abgerufen wurde. Er murmelte etwas von vergeudeter Zeit und erklärte, daß auch er mit dem Gedanken gespielt habe, Psröi mitzunehmen. Was freilich nicht human sei, wie er einschränkte. Allein deshalb erklärte er sich bereit, den Tropa nach Hause zu begleiten. Mit dem Beiboot flogen sie nach den Wiesen hinüber, während an Bord der TRILANI die Arbeiten weitergingen. Gegen Abend des langen Tropatages kehrte das Beiboot zurück. Barnett sah Bannister am Gesicht an, daß nicht alles programmgemäß verlaufen war. Und gleich hinter ihm schob sich der plumpe Kopf eines Tropa durch die Tür. »Was bedeutet denn das? Ist das Psröi?« »Psröi und Krut. Du kannst mich totschlagen, Perry. Wir sind sie nicht losgeworden. Vielleicht ... wenn Iks nicht mitgekommen wäre. Aber du weißt ja, was er für sie bedeutet. Psröi fürchtete sich, die Götter enttäuscht zu haben. Als wir ihnen klarzumachen versuchten, daß wir für immer Tropa verlassen wollten, verstanden sie Gott sei Dank nicht sofort. Iks meinte, wir würden das ganze Volk zugrunde richten, wenn es in der Gewißheit zurückbliebe, daß Tsou endgültig die schützende Hand von ihnen abgezogen habe. Da haben wir Krut schließlich gefragt, ob er Psröi bei uns Gesellschaft leisten wolle, und der Bursche hat natürlich sofort zugegriffen.« Barnett atmete tief. Als er hinter Psröi auch Krut auftauchen sah, mußte er lächeln. »Nun gut, wenn ihr meint. Zwei Tropas werden sich wenigstens nicht so einsam fühlen wie einer.« Damit war das Problem fürs erste erledigt. Es gab auch dringendere. Während über die Wiesen, den Berg und die TRILANI die Nacht hereinbrach, meldete IksWol-Esak endlich, daß die Gravobatterie fertig sei. Ein Versuch hatte bewiesen, daß sie funktionierte. Die TRILANI startete. Sie löste sich geräuschlos aus dem Unterholz des Waldes, nahm in der freien Luft sofort wieder eine exakt nivellierte Haltung ein und hinterließ für das zurückbleibende Tropavölkchen eine durchaus glaubhafte Demonstration göttlicher Allmacht.
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Die Reparatur auf der Kreisbahn verursachte keinerlei Schwierigkeiten. Im freien Raum ließ sich schnell das erforderliche Vakuum herstellen. Die Männer des Bautrupps stiegen mit Raumanzügen in den luftleeren Sektor und verrichteten dort ihre Arbeit. Drei Terratage nach der Havarie war die TRILANI wieder voll einsatzfähig, und Barnett konnte das Kommando zum Start nach Sol geben. Das dreifache Startsignal, das in allen Lautsprechern des Riesenraumers zu hören war, bedeutete endgültig, daß man aufatmen durfte. Die TRILANI war monatelang in unerforschtem Gebiet unterwegs gewesen, hatte lichtjahrtief den D-Arm der Milchstraße vermessen und elektronisch kartografiert und war ausgerechnet während der Rückkehr auf Tropa in die Schwerkraftfalle geraten. Es gab auch jetzt noch zu tun, und es bedurfte einer geschickten Navigation, um den endgültigen Anschluß an die zivilisierte Galaxis zu finden. Doch ein alter Fuchs wie Perry Barnett würde das spätestens nach dem dritten Risikosprung hinbekommen. Viel unsicherer war Iks-Wol-Esaks Zumutung, der die lakonische Frage stellte, wie man jetzt das grüne Kugelgehirn und die anderen Geräte aus dem Krater wieder loswürde. Barnett verstand ihn nicht sofort, obwohl man ihm am wenigsten anhängen konnte, daß er auf den Kopf gefallen sei. »Es genügt nicht, daß wir das Zeug in den Müllschacht werfen, denn dann ist es noch immer an Bord. Ich möchte es endgültig loswerden, denn es hat seine Schuldigkeit getan.« »Du gestattest, Iks, daß ich noch immer nicht begreife«, sagte Barnett geduldig. »Keiner ist wissensdurstiger als du in meiner Besatzung. Ich dachte, du wolltest die nächsten drei Wochen dazu benutzen, das grüne Gehirn restlos zu sezieren.« »Ich werde mich hüten. Auch meine Neugier hat ihre Grenzen. Ich komme nicht von dem Verdacht los, daß dieses Ding gefährlich ist.« * Iks-Wol-Esaks Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die TRILANI fand nach dem zweiten Risikosprung bereits in eine bekannte und kartografierte Zone zurück. Der Elektronenatlas warf schon drei Minuten nach der Transition den vermessenen Standort heraus. Das Besteck für den endgültigen Raumsprung, der sie innerhalb von drei Wochen ins tellurische Zentralgebiet bringen würde, wurde aufgenommen und in den Maschinenpiloten programmiert. Startrichtung, Startimpuls und künstliche Startschwere bestimmten von vornherein das Ziel. Während des fünfdimensionalen Hyperdrives durfte die Navigation nicht mehr beeinflußt werden. Noch einmal stieg die Spannung, als Barnett die letzten Kommandos gab. Dann fühlte man sich wohler. »Transitionseinsprung beendet!« Für die Mannschaften begann eine bequeme Zeit. Auf der Brücke regierte der Autopilot – also die Maschine. Nur zwei Mann brauchten die Pro-Forma-Wache zu halten, um in kritischen Momenten zur Stelle zu sein, was praktisch niemals vorkam. Krut und Psröi gewöhnten sich schnell an das Leben der Götter und fanden, daß diese durchaus viel ›Menschliches‹ an sich hatten. Sie hüpften und schwebten durchs Schiff, das sie keineswegs als Fahrzeug ansahen, sondern vielmehr als eine Welt für sich, als den schwebenden Thron der Götter, der sich mit der Selbstverständlichkeit allmählicher Geister durchs All bewegte. Das eine hatten sie schnell hinzugelernt, nämlich, daß die Welt größer war als ihre Wiesen und der Berg Tsous, daß sie nicht hinter den Wolken von Tropa aufhörte. Bannister beschäftigte sich mit ihnen ebenso viel wie Iks-Wol-Esak. Beide gestanden Barnett, daß es ihnen längst nicht mehr leid tue, sie mitgenommen zu haben, zumal sich die
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beiden Burschen durchaus wohl fühlten. »Wir haben das Geheimnis des Schwebens gelöst«, behauptete der Arzt nach einer Woche. »Was wir für eine zu große Lunge hielten, ist absolut kein Atmungsorgan, sondern die Schwebeblase. Dieses Organ kann bis zur dreifachen Größe des tropaischen Normalkörpers aufgeblasen werden. Zum Schwebeorganismus gehören noch mehrere Vakupumpen, Ventilschläuche und ein Sekret, das durch nach innen gelagerte Drüsen der leergepumpten Schwebeblase einen festen Halt gibt. Die Tropas bringen es auf diese Weise fertig, wie ein Luftballon aufzusteigen.« Barnett war begeistert über diese erfolgreiche Forschungsarbeit. Er war mit Bannister und Iks sofort in ein ausführliches Gespräch verwickelt. »Gleich eine Frage, Forry. Du hast die Wirkung des Schwebeorgans absolut verständlich geschildert. Warum aber funktioniert die Blase nicht überall auf dem Planeten?« »Hm, du meinst den Berg?« »Genau! Wir wissen aus Kruts Bericht, daß Tsou das Schweben in einer bestimmten Höhe verbietet und sogar unmöglich macht. Die religiösen Vorstellungen der Tropas können wir hier aber doch wohl außer acht lassen.« »Aber sicher, Perry. Das eine erklärt sich rein physikalisch wie das andere. Oben am Berg wird eben einfach die Luft zu dünn, als daß sie einen Tropa noch tragen könnte.« »Demnach müßte der atmosphärische Druck auf Tropa schon in verhältnismäßig geringer Höhe nachlassen.« »Iks-Wol-Esak hat es nachgeprüft. Die Luftschicht um Tropa ist in der Tat die dünnste, die wir je auf einem Planeten angetroffen haben.« »Hm, das erklärt natürlich das Wunder ...« Barnett hatte den Freund und die beiden Tropas längst wieder verlassen und war zu seiner wohlverdienten Freiwache in seine Privatkabine gegangen. Er hatte sich auf die Koje gestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und auf einen imaginären Punkt unter der Decke gestarrt. Er hatte herzhaft befreiend gegähnt und seine Gedanken der TRILANI voraus ans Ziel geschickt. Da krächzte plötzlich Praxlomzas heisere Stimme im Interkom-Lautsprecher: »Der Chef wird gesucht. Wer hat den Chef gesehen? Er soll sofort auf die Brücke kommen. Es ist eilig.« Barnett griff hinter sein Kissen und schaltete sich ein. »Auf die Idee, daß ich noch ein Privatleben habe, ist wohl keiner von euch gekommen, Prax. Ich bin im Begriff, einzuschlafen.« »Hallo, Perry! Komm sofort herauf. Perkins hat sich den ganzen Arm verbrannt ...« »Tolpatsch«, stöhnte Barnett. »Bin ich der Bordarzt? Holt Forry! Der braucht nicht unausgesetzt seine Tropas zu dressieren.« »Ja natürlich! Iks ruft ihn ja schon. Aber du mußt auch kommen. Erst war nur die Hand verkohlt. Jetzt frißt es sich plötzlich weiter und ist schon am Ellbogen. Du mußt uns helfen.« »Teufel, ich komme. Ende!« Barnett sprang aus der Koje, warf sich die Kombinationsjacke über und rannte zum nächsten Lift. Zwanzig Sekunden später betrat er die Kommandozentrale. * Es waren mehr Leute anwesend, als für eine Routinewache und für drei Skat-Teams notwendig gewesen wären. Alle standen um Perkins herum, der am Boden lag und wie ein Fieberkranker stöhnte. »Zur Seite!« schnaufte Barnett. »Was ist los?« Bannister hatte neben Perkins gekniet. Jetzt stand er auf. Perry hatte ihn selten so ratlos
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gesehen. »Er ist krank. Ich kann nicht sagen, was mit ihm los ist. Ich kenne die Krankheit nicht.« »Du bist Weltraumarzt und hast jede Krankheit zu kennen. Auch solche, die es noch gar nicht gibt. Laß sehen ...« Die letzten zwei Worte waren schon fast eine Phrase. Barnett konnte sich lediglich von dem bedauernswerten Zustand Perkins' überzeugen. Helfen konnte er nicht. Perkins' linker Ärmel war verbrannt. Aus den Geweberesten sah ein Armstumpf hervor und ein Stück, das früher einmal eine Hand gewesen war. Das Stöhnen des Verwundeten wurde schwächer. Dann rollte der Kopf zur Seite. Sofort beugte Bannister sich wieder hinunter. Zuerst fühlte er sich verpflichtet, die anderen zu trösten. »Er lebt, aber er ist jetzt bewußtlos.« »Bringt ihn schnell ins Revier!« Drei Männer faßten zu. »Wer hat gesehen, wie das kam?« Keiner meldete sich. »Zum Teufel! Es muß doch jemand hier gewesen sein!« »Es war nicht hier, Perry«, versicherte Praxlomza. »Lavista kam mit der Nachricht.« »Ach nein! Und warum redest du nicht? – Paß du auf, Forry, und geh mit. Du auch, Iks. Ich komme gleich nach. Aber laßt euch nicht einfallen, Perkins sterben zu lassen. Ich will ihn gesund wiedersehen und möglichst in einer halben Stunde mit ihm sprechen. – Also, wie war das, Lavista?« »Ich fand ihn im Maschinendeck. Es muß ein Anfall gewesen sein. Sein Schrei machte mich erst aufmerksam, sonst wäre ich glatt vorbeigegangen. Und nach dem Schrei kam erst der Aufprall.« »Du hörtest also, wie er stürzte?« »Ja natürlich. Zuerst dachte ich, hier spuke es und irgendeiner von den Wurstmännern hätte sich einen Spaß erlaubt. Man weiß ja nicht, ob diese beiden Kerle nicht zu einer Raubtiergattung gehören ...« »Weiter! Keine Vermutungen, bitte. Was geschah dann?« »Well, ich rannte hin und sah ihn am Boden liegen. Er stöhnte, hockte auf den Knien und versuchte, sich vergeblich aufzurichten. Seine linke Hand hing schlaff herunter, und ich sah, daß ein großes braunes Loch drin war. Ein Loch durch die ganze Hand.« »Und wer war der andere?« »Welcher andere?« »Bei Gott, es muß doch jemand mit einer Strahlpistole dagewesen sein!« »Kein Stück. Die Würstchen tragen keine Pistolen, soviel ich weiß. Und überhaupt ... es war keiner da. Kein Nichts. Alle Schotten waren dicht. Und ich habe mich verdammt beeilt, das kannst du mir glauben.« »Hatte Perkins selbst eine Waffe bei sich?« »Du denkst an Selbstverstümmelung? Unmöglich! Aber du hast ja etwas gegen meine Vermutungen. Das waren die Tatsachen. Ich habe auf den nächsten Sprechknopf gedrückt und die Brücke angerufen. Dann kamen Lisman und Daxas herunter und brachten ihn her. Prax hat dich wie eine Stecknadel gesucht und kam endlich auf die Idee, daß du eventuell Schlaf nötig gehabt hast ...« »Okay«, unterbrach ihn Praxlomza. »Das andere kannst du mir überlassen. – Hast du den Brand gesehen, Perry? Als sie ihn herbrachten, war nur die Hand verletzt, aber kein Ritz am Anzug. Es muß etwas an Bord sein, von dem niemand eine Vorstellung hat. Perkins' Arm wird wie von einer rasenden Krankheit aufgefressen ...« »Dann waren es doch die Wurstleute. Die haben uns angesteckt«, behauptete Lavista. »Ihr könnt mir viel mit euren Bazillenproben erzählen. Ich wette, wir kriegen jetzt eine Epidemie
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an Bord, gegen die kein Arzt was machen kann. Keiner von Paracelsus bis Bannister.« Lisman schnaufte nur. Damit hatte er Lavista zum Schweigen gebracht. »Du hast jetzt Dienst, Prax?« Praxlomza nickte. »Dann komm du mit, James! Wir gehen ins Revier.« Nam-Legak schloß sich ihnen an. In der Krankenstube hatten sie Perkins gerade hingelegt und von der Oberkleidung befreit. Ein Blick auf den Arm erstickte jede überflüssige Frage. Egal, was das war! Es kam jetzt nur darauf an, Perkins zu helfen. Der war immer noch ohnmächtig. Bannister hantierte bereits an seinem Besteckschrank. »Alles zurück, bitte. Iks wird mir assistieren.« Keiner sprach, während Forry und der Proka arbeiteten. Sie trennten den Arm eine Handbreit unterhalb der Achselhöhle ab. Der Stumpf wanderte in einen sterilisierten Behälter, der sich sofort hermetisch schloß. Auf die Wunde praktizierte Bannister ein Homogen-Präparat. Es wurde in flüssiger Form gespritzt, erstarrte sofort zu einer Gelatinemasse und würde tagelang in diesem Zustand bleiben. Trotz des unterbrochenen Kreislaufes würde das Blut nicht gerinnen. Die Wunde wurde gleichzeitig schmerzunempfindlich gemacht und frisch gehalten. Ein zusätzlicher Verband war nicht nötig. Bannister fühlte den Puls am rechten Arm. »Unregelmäßig, aber kein Grund zur Besorgnis. In ein paar Minuten ist Perkins bei Besinnung.« »Das ist fast beruhigend«, verkündete Barnett trocken. Sein Blick verriet, daß er es wesentlich leidenschaftlicher meinte. »Besorgt bin ich trotzdem, Forry.« »Ich weiß, du denkst an einen Bazillus, den wir eingeschleppt haben. Du erwartest, daß jeden Augenblick ein zweiter von uns umfällt. Und wenn noch eine Handvoll überlebt, so gilt das freiwillige Quarantänegesetz. Wir dürfen nicht auf Terra landen, solange dieser Fall ungeklärt ist.« »Hat Lavista euch schon erzählt, was er beobachtet hat?« »Er hat es. Aber es war sehr wenig. Krut und Psröi haben ihr Quartier in den letzten drei Stunden nicht verlassen. Sie haben nichts mit der Sache zu tun.« »Du bist für die beiden sehr eingenommen. Trotzdem ist der Verdacht einer Infektion am naheliegendsten. Das hat nichts mit ihrer Böswilligkeit zu tun.« »Es kommt zunächst drauf an, Perkins zu retten«, versuchte Bannister abzulenken. »Wir werden ihn fragen, wenn er aufwacht. Die Hauptsache ist, ich habe den Fleischfraß total beseitigt. Arme kann ich ersetzen, aber keinen Kopf ...« Iks-Wol-Esak machte eine auffällige Bewegung mit dem mittleren Tentakel. Die Menschen sahen ihn. Er saß sofort wieder sehr zurückhaltend da und wollte nicht gleich sprechen. Schließlich intonierte er in seiner seltsamen Imitation der menschlichen Sprache: »Eure Gedanken sind beängstigend zuversichtlich.« »Hast du etwas dagegen?« »Schlimmstenfalls befürchtet ihr eine ansteckende Krankheit. Aber dann denkt ihr wieder, daß wir ja die Atmosphäre von Tropa gründlich untersucht haben, bevor wir uns ihr anvertrauten. Wenn's trotzdem schiefgeht, habt ihr ja einen Arzt, der Arme anflickt und neue Herzen einbaut.« »Eben«, nickte Barnett. »Und ohne Telepath zu sein, weiß ich auch, was du denkst ... Du hattest dir in den Kopf gesetzt, den tropaischen Gravosatz über Bord zu werfen, als die Reparatur beendet war. Du hast einen Narren an der Vorstellung gefressen, die grüne Gehirnkugel könne es nicht gut mit uns meinen. Denkst du vielleicht, sie habe Perkins durch drei isolierte Decks hindurch hypnotisiert und einen Stigmatiker aus ihm gemacht?«
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»Ich werde mich hüten, solche konkreten Behauptungen aufzustellen, Perry. Aber den Verdacht weise ich nicht von mir. Im Gegenteil! Seit du im Krater in das Loch hineingedacht hast, ist etwas unlogisch. Und dieses Etwas, das ich selbst nicht definieren kann, könnte zur Gefahr für uns werden.« »Du bist also immer noch dafür, alle Geräte aus dem Krater über Bord zu werfen?« Iks-Wol-Esak machte eine heftige Bewegung des Einverständnisses. * Perkins erwachte. Zuerst rührten sich lediglich die Augenlider. Er hatte sie nur zu einem Blinzeln geöffnet, dann drückte er sie wieder fest zu. Und gleichzeitig fuhr sein gesunder Arm schützend vor das Gesicht. Dabei versuchte er sich mit dem ganzen Körper zur Seite zu rollen. Das verursachte Schmerzen, und er schrie auf. Dem Schrei folgten ein paar ersterbende Worte, die keiner verstand. Bannister war sofort aufgesprungen und drückte ihn sanft in die Koje zurück. Als Perkins eine menschliche Hand fühlte, wurde er wieder ruhiger und sah den Arzt mit fragenden Augen an. »Es ist alles in Ordnung, Perkins«, sagte Forry Bannister. »Allerdings wirst du für die nächsten Tage ein gehorsamer Patient sein müssen, wenn ich dich bis zur Landung auf Terra wieder gesund machen soll. Im Augenblick fehlt dir der linke Arm.« »Im Augenblick ...?« »Sei ganz beruhigt. Ich weiß, daß es das erste Mal ist, daß dir so etwas passiert. Du weißt aber auch, daß ich nicht zum ersten Mal eine solche Operation mache. Ein Teil deines Armes ist noch vorhanden und sichergestellt. Vor allem die Schnittfläche kann nicht besser sein. Es wird ein astreiner Anschluß, und in vierzehn Tagen wirst du behaupten, daß nichts gewesen wäre. Ich beginne noch heute, den neuen Arm zu präparieren.« »Danke, Forry ... Und was habt ihr mit dem Licht gemacht?« »Welches Licht meinst du?« »Das Licht, zum Teufel! Habt ihr es nicht erwischt?« Perkins stöhnte noch einmal auf, als er feststellte, daß er sich mit seiner heftigen Bewegung übernommen hatte. Es war tatsächlich noch nicht wieder an der Zeit, den zornigen Mann der Besatzung zu spielen. »Lavista hat dich gefunden. Und er sah nichts als ein Häufchen Elend namens Perkins ...« »Da wir absolut keine Ahnung haben, was passiert ist«, mischte sich Barnett ins Gespräch, »wirst du uns es jetzt erzählen.« »Beim All! Die Kugeln waren wieder da. Die kleinen Kugeln, die Iks im Krater so zugesetzt haben. Und mit mir sind sie noch ganz anders umgesprungen.« »Die Kugeln!« intonierte Iks-Wol-Esak in seiner krächzenden Sprachimitation, und es klang fast wie Triumph. »Ich habe euch gewarnt.« »Einen Moment!« unterbrach ihn der Arzt. »Wir wissen genau, was wir aus dem Krater mitgebracht haben. Kugeln waren nicht dabei.« »Die Tatsachen beweisen, daß wir darüber gar nichts wissen«, behauptete der Proka. »Hast du vielleicht das ganze Gepäck durchsucht? Irgendein Behälter kann einen doppelten Boden gehabt haben ...« »Jetzt geht aber die Kriminalromantik mit dir durch, Iks«, sagte Barnett staunend. »Die Robotanlage auf Tropa konnte kaum jemals mit einem Besuch aus dem Weltraum rechnen. Und wenn schon, dann gewiß nicht mit Schiffbrüchigen. Die absolute Wahrscheinlichkeit spricht also dagegen, daß man sich in Tsous Gemächern auf einen derartigen Trick vorbereitete.«
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»Well, ich sehe, du nimmst den Ausdruck vom doppelten Boden wieder wörtlich. Ich wollte dir natürlich nur die Tatsache in einem menschlich verständlichen Bild zeigen. Ich habe tatsächlich keine Ahnung, wie es geschehen konnte. Mir genügt aber im Moment, daß die Kugeln an Bord sind und daß keiner weiß, wie er sich dagegen wehren kann.« »Es muß ja nicht stimmen, daß sie gefährlich sind«, wagte Bannister einzuwerfen. Der Arzt hatte offenbar keinen anderen Vorsatz, als die allgemeine Aufregung an Bord zu dämpfen. Dafür erntete er ein schallendes Gelächter seines Patienten. Es klang fast so böse, als habe Perkins längst vergessen, wer ihm das Leben rettete. »Wie gefährlich sie sind, dürfte dir ja wohl mein Arm beweisen ...« »Keine für einen friedlichen Zweck gebaute Maschine ist gefährlich«, blieb Bannister hartnäckig. »Sie wird es bestenfalls durch die Unachtsamkeit des Menschen.« »Ach so, du willst auf einen Unglücksfall hinaus?« »Warum nicht?« »Schön wär's, wenn du recht behieltest«, stellte Perry Barnett fest. »Aber in diesem Falle schließe ich mich doch lieber Iks-Wol-Esaks Auffassung an. Es ist besser für uns, wir beugen vor. Sollte sich herausstellen, daß du recht hattest, Forry, wollen wir dankbar sein ... Ich werde zunächst eine Warnung durchgeben, damit die Besatzung Bescheid weiß ...« Der Aufruf des Captains wurde mit Fassung getragen. Perkins' Mißgeschick hatte sich inzwischen in allen Decks herumgesprochen. Und überall spürte man die bedrückende Ungewißheit hinter dem Rätsel. Es war eine Stimmung, wie sie keinem Weltraumfahrer fremd ist. Besonders nach einer Begegnung mit fremden, unbekannten Welten weiß er, daß er auf alles gefaßt sein muß. Einige atmeten sogar auf. »Aha, die Kugeln sind es. Diese feurigen, flinken Dinger, von denen Iks erzählt hat. Jetzt wissen wir doch wenigstens, woran wir sind.« So und ähnlich sagten und dachten die meisten, die bei der Expedition im ›Berg des Tsou‹ nicht dabeigewesen waren und die Dinge nur vom Hörensagen kannten. Andere teilten diese Meinung nicht. »Mir wäre es lieber gewesen, wenn Perkins sich selbst in den Arm geschossen hätte ... Oder wenn es ein tödliches Bazillus gewesen wäre. Wir hätten dann halt bis ans Ende der Reise mit Luftmasken herumlaufen müssen.« Praxlomza verkündete als Wachoffizier die höchste Alarmstufe. Ein Stoßtrupp für das Maschinendeck wurde zusammengestellt. »Ich selbst leite den Einsatz«, gab Barnett durch. »In fünf Minuten bin ich auf der Brücke. Ende!« Er wandte sich den Männern im Revier zu. »Eine letzte Frage an dich, Perkins! Was hast du gesehen? Ich will es klipp und klar wissen, und nichts, was du dir einbildest.« »Die Kugeln waren da, zum Teufel. Ich war im Begriff, den Maschinenraum durch den Zentraleingang zu betreten. Aber mindestens zehn Schritte vor dem Schott wurde ich überrascht.« »Okay, das war die Stelle, an der dich Lavista fand. Aber dort sind in unmittelbarer Nähe vier Türen. Welche wurde geöffnet?« »Keine.« »Well, das ist besser, als wenn du uns eine falsche nennst.« »Du glaubst mir natürlich nicht, Chef. Es ist nicht so, daß ich nichts gesehen habe. Ich beschwöre, daß sich alle Türen in geschlossenem Zustand befanden. Und die Kugeln kamen trotzdem von vorn auf mich zu. Sie waren plötzlich da.« »Also kamen sie aus der Wand?« »So wird es wohl gewesen sein.«
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* Nam-Legak und Bannister blieben bei dem Kranken zurück. Iks und Lisman eilten mit Barnett zur Brücke. Der Stoßtrupp war bereits angetreten. Sechs Männer unter Führung von Lopez. Männer, die Barnett alle gut leiden mochten. Es war keiner unter ihnen, den er nicht schon einmal besonders gelobt hatte. »Danke, Lopez! – Sie wissen, worum es geht. Es steht außer Zweifel, daß des Gegners Zentrale die Geräte sind, die wir aus dem Krater mitbrachten., Es handelt sich im einzelnen um eine kopfgroße Kugel, die im aktiven Zustand grün schimmert. Ferner um vier schrankartige Metallgehäuse, deren Inneres bisher nicht erforscht werden konnte; außerdem um fünf Kunststoffflaschen, die Iks-Wol-Esak alle zu einem Gravosatz installiert hatte. Über die Kugeln war bisher hier an Bord nichts bekannt.« »Sie werden in einem der Behälter verborgen gewesen sein«, warf Lopez ein. »Schon möglich«, fuhr Barnett fort. »Allerdings betone ich, daß es nicht die Aufgabe unseres Stoßtrupps ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln oder den Kriminalisten zu spielen. Nach der Lage der Dinge hat unsere einzige Aufgabe zu sein, die unbekannten Geräte zu vernichten. Wer hat noch eine Frage?« »Danke, Chef, das genügt.« »Well, euch zwei brauche ich ebenfalls.« Barnett sah auf Lisman und Iks-Wol-Esak. »Zur Taktik: Wir gehen in drei Gruppen vor. Lopez mit drei Mann vom Eingang in Deck 3. Du, James, mit drei Mann über den C-Einstieg auf Deck 4. Ihr müßt euch besonders beeilen, weil ihr den weitesten Weg habt. Durch Interkom Bereitschaft melden. Klar?« »Okay! Iks und ich teleportieren mit Westen direkt in die Maschinenzentrale. Die Lage der fremden Geräte ist jedem von uns bekannt. Oder nicht?« Alle nickten. »Gut, dann kann's losgehen ...« Lismans Trupp verschwand als erster. Dann ging Lopez mit seinen Männern. Barnett und der Proka stiegen in ihre Teleporterwesten, die in der Zentrale bereitlagen. »Noch eins, Prax! Ihr bleibt in dauernder Sichtverbindung mit uns. Nach der Teleportation schaltet ihr Interkom sofort auf unseren Zielpunkt. Du weißt, wo das ist?« »Beim grünen Gehirn, Perry.« Der Captain und Iks waren fertig. Sie warfen einen Blick auf den Chronometer, als ob sie feststellen wollten, ob die Zeit auch nicht stillstünde. Dann schalteten sie am Armbandinterkom. Der kleine Sechs-Quadratzentimeter-Schirm brachte abwechselnd die Bilder der beiden Trupps. Lopez erreichte mit seinen Leuten als erster die Bereitstellung. Lisman war noch im Lift und stieg gerade in Deck 4 aus. »Schätzungsweise noch zwei Minuten«, sagte Barnett. Er fühlte sich dazu veranlaßt, weil er meinte, daß das plötzliche Schweigen auf der Brücke nicht gut sei. Die Männer warteten zu sehr auf den kritischen Augenblick. Denn obwohl noch keiner davon gesprochen hatte, dachten doch alle an diese eine Möglichkeit. Barnett sprach es aus. »Die Anweisungen für den Gammastrahler gelten für jeden an Bord. Natürlich ist es auch möglich, daß die Kugeln plötzlich hier auftauchen, bevor wir entscheidend gegen die TropaGeräte vorgehen konnten. Ich kann nur sagen, paßt auf, Jungens!« »Gleich sind sie da«, schnarrte Iks-Wol-Esak. »Hast du dein Ziel angepeilt, Perry?« »Alles klar! Sie sind am Schott. Offenbar noch keine Belästigung durch die Kugeln. Wir werden dort sein, wenn sie eintreten ...« In die letzten Sekunden des Wartens schien sich eine ganze Ewigkeit pressen zu wollen. Sie sahen noch einmal auf den großen Wandbildschirm, der das Innere des Maschinenraums
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zeigte. Sie sahen die grüne Gehirnkugel, die wie ein vergessener Spielball am Boden lag und nur matt schimmerte. Sie sahen die vier kantigen Metallkästen und die fünf Flaschen. »Beim Weltall, Perry!« schimpfte Iks-Wol-Esak plötzlich. »Sieh dir die eine Flasche an! Sie ist ausgelaufen. Es war eine Flüssigkeit drin ...« »Keine Unterbrechung jetzt, Iks! Noch acht Sekunden. Sie sind am Schott. Die Flaschen werden in Kürze sowieso nur noch Scherben sein. Drei – zwo – ich springe!« Sie drückten gleichzeitig die Schalter an ihren Teleporterwesten. Und gleichzeitig verblaßten ihre Körper. Für kurze Sprünge waren die Dimensionsaggregate auf einen schnellen Wirkungsgrad eingestellt. Ehe jemand nach ihnen greifen konnte, waren die beiden Springer verschwunden. Es war Routine. Praxlomza drehte sich nach dem Bildschirm um, der auf die Maschinenzentrale eingestellt war. Man würde jetzt bis »drei« zählen müssen, um die Springer am Ziel materialisieren zu sehen. Bellinski saß am dichtesten an der Mattscheibe. Das war nur einen Sprung neben dem Elektronenrechner und der automatischen Statistik. Er lehnte sich noch ein Stück zurück, um besser sehen zu können. Doch er sah nicht mehr als die anderen. Am Ziel ereignete sich nichts. Man hätte inzwischen bis sieben oder acht zählen können. Weder Lopez, Lisman noch die beiden Springer tauchten auf. Nach neun Sekunden stand Praxlomza ganz dicht am Bildschirm. Wie ein Kurzsichtiger, der in seine Lektüre hineinkriecht. Aber auch das half nichts. »Perry!« stöhnte er. Es klang fast lächerlich, wie er wütend den Namen des Freundes rief. Doch niemand wollte die Gelegenheit ausnutzen, über diese Reaktion zu lachen. Lavista, Bellinski und die anderen faßte das Grauen. »Wenn eine Teleportation falsch gezielt ist, muß der Gegenstand wieder zurückkehren ...« Ein ganz junger Kadett redete diesen Unsinn. Niemand von den Älteren achtete darauf. Praxlomza drehte vielmehr wie ein Rasender an den Knöpfen des Interkom. Als ob es an einer Fehlschaltung liegen könne. Aber auch das half nichts. »Bei Gott! Wo bleiben diese Irrsinnsakrobaten? – Lisman, Lopez!« Drei Angriffsspitzen waren auf das Ziel angesetzt worden, und nicht eine hatte es erreicht. »Umschalten!« schrie Praxlomza. Er tat es selbst, da keiner so schnell reagieren konnte, wie er dachte. Deck 3: Ein geschlossenes Schott und taumelnde Männer! Im Lautsprecher Schreie! Es war ihnen plötzlich, als sei dieser Lärm Stunden alt, als dröhne er schon eine Ewigkeit in den Ohren, obwohl sie ihn jetzt erst hörten. Dann schien einer von ihnen eine Stimme erkannt zu haben. »Mein Gott! Hört ihr denn nicht, was Lisman gesagt hat?« »Die Kugeln!« – hatte er geschrien. * Wo war Perry Barnett? Wo war Iks-Wol-Esak? »Die Kugeln!« »Das ist Lopez' Stimme! – Hallo, Lopez! Hier Kommandobrücke. Was ist passiert? Braucht Ihr Hilfe?« Zwei Männer lagen am Boden. Der eine auf dem Gesicht, der andere verkrümmt auf der Seite.
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»Kümmert euch nicht um uns! Wir kommen allein zurück. Aus dem Angriff wird vorläufig jedenfalls nichts. Jackson muß ins Lazarett. Ich hoffe, Doc Bannister hört uns ...« Bellinski hatte inzwischen den Bildschirm seiner Statistik der gefährlichen Gegenwart geopfert und Deck 4 auf die Scheibe genommen. Bei Lismans Trupp sah es schlimmer aus. Vier Männer lagen am Boden und rührten sich nicht. Lisman, der vorn gegangen war, hing verkrümmt auf den drei Metallstufen, die zu dem Nebenschott der Maschinenzentrale führten. »James!« rief Praxlomza ins Mikrophon am Handgelenk. »Ich verlange eine Meldung von Trupp Lisman!« Einer der Männer machte eine verzweifelte Bewegung. Er konnte nur den Arm heben, ließ ihn aber sofort wieder sinken. Eine Meldung erfolgte nicht. - Wo war Perry? – - Wo war Iks-Wol-Esak? – Nicht länger als eine Sekunde verharrte Praxlomza bei dieser Frage, obwohl sie die brennendste für ihn war. Die beiden Springer schien das All verschluckt zu haben. Bellinski ließ ganze Batterien von Kleinbildschirmen aktivieren und mit elektronischer Pedanterie alle Decks des 500-Meter-Raumers durchkämmen. Praxlomza mußte sich um die Not kümmern, die er sah. »Robot-Trupp 7 sofort nach Deck 4! Transport von vier Verwundeten ins Krankenrevier sicherstellen und durchführen. Zwischenwache von dritter Verbindung Deck 6 und 7 sofort zur Unterstützung abrücken ... Lopez! Wie kommt ihr zurecht?« Das Bild wechselte auf dem Hauptschirm. Lopez verfügte über vier gesunde Männer. Sie trugen die beiden Verwundeten zur Liftachse, um sie sofort ins Krankenrevier zu bringen. Verwundete? Oder waren es Tote? »Was ist mit deinen Leuten, Lopez? Kannst du keine vollständige Meldung zur Brücke geben?« »Briggs hat ein Loch in der Hand, sonst nichts. Fellmer ist ohnmächtig. Ich sehe keine Verwundung an ihm.« In der Kreisverbindung meldete sich Nam-Legak und erklärte sachlich, daß im Krankendeck an der Hauptachse bereits vier Sanitätsroboter warteten, um die Verwundeten und Kranken einzuweisen. Drei Minuten später gab die Zwischendeckwache von 6/7 durch, daß Lisman und seine drei Leute lebten. Einer von ihnen habe ein verbranntes Ohr. Die anderen seien nur betäubt. Praxlomza suchte nach einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Es sah nicht danach aus, als fühle er sich dort wohl. Er wirkte eher wie ein Sprinter im Startloch, und er hätte weiß Gott was dafür gegeben, wenn er gewußt hätte, wohin er jetzt gehen sollte. Er war der wachhabende Offizier, und der Befehl des Captains fesselte ihn an diesen Platz. »Wo haben Sie Ihre Augen, Bellinski? Wann melden Sie endlich, daß Sie den Captain und Iks-Wol-Esak gefunden haben?« »Wollen Sie eine Falschmeldung, Prax? Ich weiß sowenig wie Sie, wo die beiden stecken.« »Dann suchen Sie sie! Schließlich kann auf der TRILANI kein Mensch verlorengehen. Wozu haben Sie Ihre Geräte?« »Die Suchaktion läuft elektronisch gesteuert. Genauer kann es kein Mensch machen, Prax. Ich schlage vor, Sie nehmen sich ein bißchen zusammen und verlangen nicht, daß ich zaubere.« Überall diese Gereiztheit! Kurz darauf kam James Lisman auf die Brücke. Er hatte bei der Aktion keinen Schaden genommen und war – den Umständen angemessen – sogar aufgekratzt. Als Prax ihm die Lage schilderte, ließ das Strahlen auf seinem Gesicht allerdings merklich nach.
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»Bei Klono! Für eine solche Aufgabe braucht man Männer wie Iks. Und ausgerechnet der ist mit verschwunden ... Du, Prax, wenn Perry etwas zugestoßen ist, dann weiß ich nicht, was ich mache. Aber es wird etwas Nie-Dagewesenes sein.« »Du kannst umkehren und den ganzen Planeten Tropa vernichten. Mit all seinen harmlosen Wurstwesen. Aber an Perrys Schicksal ändert das nicht einen Deut.« »Sagtest du harmlose Wurstwesen? Mir zuckt es in den Fingern, sie beide hinauszuwerfen. Mit ihnen begann dieses ganze Theater.« »Deine Haßtiraden helfen uns nicht weiter, James. Als Erster Offizier bist du Perrys Stellvertreter. Laß dir jetzt was Vernünftiges einfallen!« »Und du bist verrückt, Prax! Der Chef hat dir das Kommando übertragen. Als Captain aber fungiere ich nicht, solange er lebt.« »Glaubst du denn, daß er noch lebt?« »Barnett und Iks-Wol-Esak befinden sich nicht an Bord«, sagte Bellinski hölzern. »Also tot! – Aus, Finis!« »Das darf man noch nicht sagen. Solange ich die Leichen nicht sehe, kann ich ihren Tod nicht beweisen.« »Sie sind ein unverbesserlicher Theoretiker, Bellinski. Oder wollen Sie uns vielleicht gar trösten? Was, glauben Sie wohl, ist inzwischen mit Barnett und Iks geschehen, wenn sie tatsächlich außerhalb des Schiffes geschleudert wurden? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß eine Teleporterweste kein Raumanzug ist.« Bellinski hütete sich, eine Antwort zu geben. Er hätte doch nur neue Theorien aufstellen können. Und davon wollte weder Prax noch Lisman etwas hören. Praxlomza wählte eine Sammelschaltung und sprach über Interkom zur Besatzung. Er bemühte sich, in zehn Sätzen die Lage zu erklären und den Leuten so schonend wie möglich klarzumachen, daß mit Perry Barnetts Tod gerechnet werden müsse. »... wir haben keine Beweise und keine Gewißheit. Doch das Leben an Bord muß weitergehen. Wir werden versuchen, auch ohne unseren Captain die Heimat zu erreichen. Es wird schwer und gefahrvoll sein, denn keiner war so umsichtig wie er. Trotzdem, meine Herren ... Das Kommando übernimmt ab sofort unser Erster Offizier Lisman.« * Daxas hatte für weitere Verstärkung gesorgt. Das dritte Deck war jetzt von allen Seiten eingekreist. Nicht nur an den eigentlichen Zugängen, sondern praktisch überall. Falls die Kugeln, die offenbar jede Materie durchdringen konnten, irgendwo auftauchten, so würde man sie erkennen. Ob man sie vernichten konnte, war eine zweite Frage, die sich am liebsten niemand stellte. Doc Bannister gab nach einer halben Stunde einen ersten Lagebericht. Sein Gesicht war weiß wie Kalk. Und jeder wußte, daß es nicht etwa wegen der Anstrengungen war, die er in den letzten Minuten als Chirurg gehabt hatte. Er besaß keine Nerven, wenn es darum ging, an Menschen herumzuschneiden. Aber er war von allen an Bord Perry Barnetts ältester Freund. Auch wenn er nicht ein einziges Mal seinen Namen nannte, so wußte doch jeder, wie ihm zumute war. »Fellmer ist soeben gestorben. Gehirnschlag. Er ist nicht mehr zu sich gekommen. Die anderen kriegen wir durch.« »Danke, Forry! Kannst du vielleicht Nam-Legak entbehren?« »Wenn ihr ihn braucht ...« Der Proka kam kurz darauf zur Brücke. »Wir brauchen deine Hilfe, Nam«, sagte Lisman knapp. »Ich glaube nicht, daß ich dir viel erklären muß.«
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»Ich weiß, James. Es kommt darauf an, weitere Verluste zu verhindern. Außerdem, ohne Risiko zu untersuchen, was gegen diese fremden Dinge im Maschinenraum unternommen werden kann. Und drittens, vielleicht etwas über Perrys und Iks' Schicksal zu erfahren. Wir werden versuchen, einen toten Körper zu teleportieren. Einen Körper, um den es nicht schade ist, wenn er verlorengeht.« Man besorgte einige Kisten aus dem Vorratsdeck. Die reichten für zehn Versuche. Und alle zehn schlugen fehl. Die Kisten verschwanden vorschriftsmäßig, aber keine kam im Maschinenraum an. »Es ist verrückt und unheimlich«, sagte Daxas. »Wem erzählst du das? Wenn sich dort drüben wenigstens etwas rühren würde! Aber die grüne Kugel, die Flaschen und Kisten stehen da wie totes Gerümpel. Es ist nichts als Hohn. Aber der, der uns verhöhnt, sitzt vorn in diesem Spiel. Er weiß mehr über uns als wir über ihn.« »Wer etwas weiß, hat auch ein Gehirn«, überlegte Praxlomza. Nam-Legak wedelte bejahend. »Das grüne Ding muß es sein. In ihm allein erkennt man Aktivität.« »Bei Klono«, meldete sich Lisman. »Wenn es denkt, mußt du es doch spüren. Wozu bist du Telepath!« »Halbtelepath«, verbesserte Nam-Legak. »Egal! Mit deinem Relais kannst du schon einiges ausrichten. Warum versuchst du nicht, an diesen Geist heranzukommen?« »Iks und ich haben es immer wieder versucht. Bis auf das tropaische Durcheinander ist nichts festzustellen. Schon ein klarer Tropagedanke ist für uns sehr schwer zu interpretieren.« »Okay, dann besorge dir einen klaren Tropagedanken von ihnen ...« Lismans ungehaltenem Ausspruch folgte ein kurzes Schweigen. Gleichzeitig schien es in ihren Köpfen aber auch geschaltet zu haben. Jedenfalls behaupteten Nam und Praxlomza später, als erste auf die Idee gekommen zu sein. »Natürlich, man müßte es mit den Wurstmännchen versuchen. Wir werden Psröi heraufkommen lassen.« Bannister brachte ihn selbst. Die Verwundeten waren fürs erste versorgt und in der Obhut eines Assistenten. Auf der Brücke wurde eine Sechser-Batterie von Telepathie-Relais aufgebaut, und NamLegak begann eine Unterhaltung mit Psröi. Sie dauerte sehr lange. Schließlich wedelte der Proka heftig mit dem Arm und erklärte, daß Psröi endlich begriffen zu haben schien. »Frage den Teufel, was er von uns will! Frage ihn, wo die vermißten Springer sind, unter denen sich Tsou befand!« Psröi eröffnete das geräuschlose Zwiegespräch. Kurz darauf warf er sich zu Boden. Eine Zeitlang sah es aus, als beuge er sich in Demut vor seinem Gott, und Nam-Legak wußte sofort, daß die grüne Kugel die Situation für sich ausgenutzt hatte. Dann aber rollte sich Psröi wie wild auf dem Boden, stieß laute, unartikulierte Schreie aus, sprang auf und traktierte mit allen Vieren die Wände. Von dort sprang er auf die Armaturen ... Es war ein Amoklauf. Lisman wartete nur drei Sekunden. Dann hatte er einen Lähmstrahler in der Hand und machte den Tropa unschädlich. Psröi fiel hart auf den Boden und blieb bewegungslos liegen. Bannister sprang zu ihm hin und untersuchte ihn. »Er lebt ...« »Hast du etwas anderes erwartet? Es ist eine leichte Lähmung, falls du nichts dagegen hast. Oder verlangst du vielleicht, daß ich ihn im Hyperraum navigieren lasse? Wir wären am Ende der Welt herausgekommen, wenn der Bursche auch nur einen Schalter berührt hätte.« »Schon gut! Ich weiß deine Übertreibungen richtig einzuschätzen. Du hast wohl nichts
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dagegen, wenn ich Psröi ins Revier bringe und zu den anderen Kranken lege.« »Durchaus nicht. Du kannst dann gleich Krut mitbringen.« »Damit ihr mit ihm dasselbe anstellt?« »Frage Nam-Legak. Wir richten uns ganz nach seinen Wünschen.« Der Proka hatte keine Eile mit einem zweiten Versuchsobjekt. »In diesem Zustand kann ein Tropa keine Hilfe für uns sein. Mit einem Nervenzusammenbruch erst recht nicht. Sieh zu, Forry, daß du diesen Kleinen wieder auf die Beine bekommst.« Als Bannister mit Psröi gegangen war, rekapitulierte Nam-Legak: »Der Gegner hat sich zweifellos mit einem Energieschirm umgeben, der in etwa mit den Wänden des Maschinenraums übereinstimmt. Auch die kleinen bunten Kugeln dürfen wir als reine Energieerscheinungen ansehen. Ich glaube, das hat Iks auch schon erkannt.« »Gewiß! Sonst hätte er das Schwerkraftmanöver mit der TRILANI niemals durchführen können«, versicherte Praxlomza. »Wie nun, wenn wir selbst mit allen verfügbaren Energiequellen gegen den Maschinenraum vorgehen?« »Schirm gegen Schirm ... Du willst es auf eine Kraftprobe ankommen lassen?« »Wenn alle Stricke reißen, ja. Diese geheimnisvollen Geräte mögen noch soviel Energie zur Verfügung haben, mit dem Reservoir unseres Raumschiffes werden sie es letzten Endes nicht aufnehmen können. Mich hält nur eins von dieser Kraftprobe ab ... Unsere Antriebsaggregate könnten nämlich dabei zum Teufel gehen. Und die brauchen wir, solange wir nicht in tellurischem Gebiet sind, wo uns andere Schiffe helfen könnten.« »Also auch keine Kraftprobe ...« Lärm unterbrach Nam-Legak. Er kam aus keinem Lautsprecher und wurde auch nicht im Kommandoraum verursacht. Im selben Moment flog das Schott auf. Wenn Lisman überlegte, mit welcher Energie er Psröi gelähmt hatte, so war der Anblick um so verblüffender. Jeder Mensch wäre mindestens eine Stunde lang apathisch und vollkommen passiv gewesen. Der Tropa dagegen tobte wie nach einer Vitanspritze. Er jagte auf Praxlomza zu, sprang an ihm hoch und versuchte ihn zu beißen. Jetzt hatte Psröi nichts mehr von einer Halbintelligenz an sich; er war entschieden ein Tier. James Lisman schoß noch einmal. Psröi ließ von einem Opfer ab, heulte wütend auf und wandte sich dem Schützen zu. Der hatte keine Zeit, verblüfft zu sein, sondern mußte den Bruchteil der Sekunde nutzen, um dem Einstellhebel für den Fokus mit dem Daumen einen unkontrollierten Stoß zu geben. Psröis verzerrtes Gesicht war dicht vor ihm, als ihm der zweite Schuß gelang. Diesmal reichte die Energie. Der Tropa krümmte sich im Sprung zusammen und stürzte hart auf den Boden. Lisman blieb sichernd vor ihm stehen, die Pistole im Anschlag. Er traute dem Wahnsinnigen noch immer nicht, denn schon der erste Schuß war stark genug gewesen, einen Tremikbären für zwei Minuten außer Gefecht zu setzen. Psröi dagegen hatte sich nur ein bißchen geschüttelt. Auch Praxlomza zog die Waffe und stellte sich neben dem Tropa auf. Dann erst trat Doc Bannister ein. Er keuchte, als sei er schnell gelaufen. »Gott sei Dank! Ihr habt ihn. Ist er tot?« »Es wäre deine Sache, das festzustellen. Aber ich glaube es nicht. Freilich habe ich ihm einen Schock höchsten Grades versetzt, doch bei Einstellung 6 hat er kaum Wirkung gezeigt. Ich weiß nicht, woher der Bursche die Widerstandskraft nimmt.« Forry Bannister kniete neben der reglosen Gestalt. Sie gab willenlos nach, als er sie kräftig schüttelte, und rollte ein Stück zur Seite. »Er ist tot, Kinder. Es besteht kein Zweifel.« Wie wenig Lisman davon überzeugt war, zeigte er durch seine Haltung. Er behielt die Waffe in der Hand und näherte sich vorsichtig dem Leichnam. Schließlich schien er sich selbst
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überzeugt zu haben. »Begreifst du das, Forry?« »Das Ergebnis deines zweiten Schusses ist keineswegs unwahrscheinlich. Und wenn er beim ersten nicht schon gelähmt war, so beweist das, wie stark sein Wille im Wahnsinn wurde.« »Wenn du als Arzt den Begriff ›Wahnsinn‹ gebrauchst, so muß ich ihn medizinisch ernst nehmen und nicht als Redensart. Freilich gebe ich zu, daß Psröi absolut wahnsinnig wirkte, soweit ich das als Mensch beurteilen kann.« »Er war es, James. Du weißt nicht, was inzwischen geschehen ist ... Ich war unterwegs auf dem Flur mit Psröi allein. Ich mußte ihn noch etwas stützen, weil er die erste Lähmung noch immer nicht überwunden hatte. Im zweiten Deck sahen wir uns plötzlich drei Kugeln gegenüber. Ich warf mich sofort zu Boden, obgleich das im Ernstfall wahrscheinlich nicht die richtige Methode ist, ihnen auszuweichen. Diesmal gelang es jedoch. Die Kugeln konzentrierten sich auf Psröi. Der blieb wie erstarrt stehen. Auch er hatte Glück. Wenigstens, was eine direkte Berührung mit den Kugeln betrifft. Sie umkreisten ihn vielleicht sechs oder sieben Sekunden lang. Dann verschwanden sie einfach durch die Decke. Als ich mich dem Tropa wieder nähern wollte, um ihn zu stützen, stieß er mich plötzlich zurück. Von diesem Augenblick an war er wieder wie bei seinem ersten Anfall. Schlimmer noch. Er rannte zur Brücke ... Na ja, das andere wißt ihr.« »Ich möchte sagen, wir wissen sehr wenig. Eine verrücktgewordene Halbintelligenz kam herein, und wir mußten sie töten. Aber wieso und warum das alles so ist, möchte ich gern noch erfahren, bevor vielleicht meine eigene Stunde schlägt. »Können die Kugeln ihn beeinflußt haben?« fragte Praxlomza. »Du meinst ... Hypnose oder etwas Ähnliches?« Prax nickte. »Es war Hypnose«, versicherte Nam-Legak, der sich während der aufregenden Augenblicke etwas im Hintergrund gehalten hatte. »Oder es war religiöser Fanatismus. Jedenfalls spürte ich genau den Willen, uns alle zu vernichten. Und diesen Wunsch hatte es bei Psröi bis dahin niemals gegeben. Die Kugeln haben ihn aufgehetzt. Ihr wißt jetzt, wie gefährlich die Kugeln sind.« »Noch gefährlicher, als wir bisher ahnten ...« Diese letzten Worte kamen aus dem hinteren Teil der Kommandozentrale, in dem sich eigentlich niemand aufhielt. Und sie wurden in ihrem Rücken gesprochen, weil alle noch damit beschäftigt gewesen waren, auf den toten Tropa zu sehen. Barnetts Stimme aber riß sie herum wie Marionetten an einer Schnur. »Perry!« stöhnte Praxlomza. »Bei Klono, Perry!« Ein schwaches Geräusch war auch das Zeichen für Iks-Wol-Esaks Ankunft. Er und Barnett schüttelten sich wie nach einer kalten Dusche. Sie wirkten benommen, und ihre Gesichter verrieten, daß sie Schmerzen hatten. Mehr aber noch wunderten sie sich über den feierlichen Empfang. »Zum Teufel, was ist los mit euch?« wurde der Captain sofort grob. »Natürlich besteht kein Zweifel daran, daß unsere Teleporterwesten versagt haben. Aber das ist wohl in erster Linie unser eigener Schaden. Ich habe mindestens zehn Sekunden so gut wie im Nichts gehangen. Und dieses Nichts war die Hölle. Hast du eine schmerzstillende Tablette da, Forry?« Wie der Freund auf Barnett zuging, sah er aus wie ein Schlafwandler. »Beim Weltall, Forry! Was für eine Epidemie ist hier ausgebrochen? Mit dieser getragenen Haltung seid ihr reif für die Oper.« Es kam noch schlimmer. Forrest J. Bannister faßte den Captain an beiden Schultern, als müsse er sich noch immer von der Realität dieses Augenblicks überzeugen. Dann kramte er schließlich bereitwillig in seiner Tasche und gab Barnett die gewünschte Tablette.
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»Du scheinst wenigstens gesund zu sein, Perry, und außerdem keine Ahnung zu haben, was sich während eurer Abwesenheit hier abgespielt hat ...« »Was soll sich in zehn Sekunden abspielen? Ich sehe dort einen Tropa liegen. Und es interessiert mich freilich, was ihr mit ihm angestellt habt. Aber was hast du hier zu suchen, James? Du solltest mit deinem Trupp ...« Lisman hatte einen Sessel ergriffen und schob ihn dem Captain einfach hinter die Kniekehlen. »Hier nimmst du erst einmal Platz! Und dann reden wir. Vorher darfst du einmal auf den Chronometer sehen, damit du über die genau Zeit orientiert bist.« Barnett gehorchte. Wie er dabei sein Gesicht im Zaum hielt, war eine Meisterleistung seiner Beherrschung. »Okay! Ich ahne etwas. Es erging uns nicht besser als Daxas. Wenn euere Uhren stimmen, dann hat unser Tele-Sprung eineinhalb Stunden gedauert.« »Genau das sind die Tatsachen. Es wird dich nicht verwundern, daß man mich inzwischen gezwungen hat, offiziell das Kommando über die TRILANI zu übernehmen.« »Es hätte in keinen schlechteren Händen gelegen.« »Danke für das Lob, Perry. Es war seit drei Jahren fällig. Aber jetzt hör zu, damit du über die letzten Ereignisse orientiert bist ...« * »Achtung Deck 3!« schrie der Recheningenieur, dessen Pedanterie es zu verdanken war, daß wenigstens noch einer die Bildschirme beobachtet hatte. Die Männer fuhren herum. Sie sahen ein groteskes Schauspiel. Der Kampftrupp im dritten Deck drückte sich scheu in die Defensive. Einige Männer hatten sich hingeworfen. Andere versuchten, sich flach an die Wand zu pressen. Über ihren Köpfen schwebten kleine bunte Kugeln. Niemand wehrte sich. Sogar die Roboter hielten still. »Das Vernünftigste, was sie machen können«, stellte Barnett zufrieden fest. »Es wäre sinnlos, einen Arm oder sogar das Leben zu riskieren. Noch haben wir keine Waffe gegen diese Energiegebilde.« »Vielleicht haben wir eine, ohne es zu wissen«, warf Iks-Wol-Esak orakelhaft ein. Weiter kam er nicht, denn das groteske Schauspiel war noch nicht zu Ende. Die Kugeln verschwanden, als ob sie plötzlich einfach nicht mehr existierten. Sie zogen sich zurück wie Henker, die ihre unangenehme Pflicht erfüllt hatten. Im dunkeln, verblassend, auf Wegen, die keinem gewöhnlich Sterblichen zugänglich waren. Und gleichzeitig kam ungelenkes Leben in die erstarrten Menschen. Sie drückten sich von der Wand weg, standen auf und formierten sich. Sie gingen wie Roboter. Die Roboter selbst taten es ihnen gleich. »Bei Klono!« schrie James Lisman. »Wer hat da einen Befehl zum Rückzug gegeben?« Er sprang in drei großen Sätzen zum Befehlsstand, schlug mit der Faust auf den Sammelschalter und brüllte ins Mikrophon: »Leutnant Frigo! Sofort stoppen Sie Ihre Mannschaft und kehren in die Bereitstellung zurück! In zehn Sekunden ist die Lage wiederhergestellt und Ihre Erklärung hier auf der Brücke! – Leutnant Frigo, zum Teufel! Ich werde Sie ...« Niemand in Deck 3 reagierte auf Lismans Stimme. Der Erste Offizier mußte eine kurze Pause machen, um Luft zu holen. Dann schnarrte es weiter aus ihm heraus. »Perry! Sieh dir diese Wahnsinnsakrobaten an! Ich werde sie vier Monate in den Karzer sperren, Leutnant Frigo! Neben mir steht Captain Barnett ...« Diese Nachricht schlug auf der ganzen TRILANI wie eine Bombe ein. In allen Decks, wo sich Menschen aufhielten, mußte sie einen Freudentaumel auslösen. Nur Leutnant Frigo und seine
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Leute schienen davon nicht im geringsten beeindruckt zu sein. Barnett selbst ging zum Befehlsstand und schaltete die Bildübertragung hinzu. »Komm her, Iks, auch dich sollen sie sehen ... Männer der TRILANI, ich bin zurück. Einzelheiten erkläre ich später. Es war ein Irrtum des Schicksals, den wir inzwischen korrigiert haben. Befehl an die Truppen in den Decks zwo und vier. Deck drei ist sofort total zu sperren. Kein Mensch darf heraus oder hinein. Wer diesen Befehl mißachtet, wird ohne Warnung erschossen. Der gleiche Befehl gilt für die Roboter ... Außerdem: Sofort Gedankenschirme anlegen. Die Wache im dritten Deck steht offenbar unter gegnerischem telepathischem Einfluß. Vorsicht vor den bunten Kugeln. Nicht darauf schießen! Bei Annäherung absolut ruhig verhalten ... Die Sammelschaltung bleibt aktiv. Weitere Anweisungen folgen in Kürze.« Barnett trat zurück und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Wenn du jetzt eine vernünftige Idee hast, Iks, dann sage sie uns.« »Du hattest sie schon«, versicherte der Proka. »Wir müssen jetzt abwarten, ob die Schirme gegen das grüne Gehirn stark genug sind.« Auch die Männer auf der Brücke legten ihre Schirme an. Die Verständigung mit den beiden Prokas wurde dadurch erheblich erschwert; denn allein mit der rein akustischen Sprache hatten sie doch erhebliche Schwierigkeiten. Unter den gegebenen Umständen mußte das allerdings in Kauf genommen werden. Dann galt ihre Aufmerksamkeit den Bildschirmen. Frigos Truppe schritt dahin wie bei einem Trauermarsch. Ihr Verhalten wirkte dadurch um so beständiger. »Die sind für uns verloren«, behauptete Praxlomza. »Die gehorchen dem fremden Willen bis zur Selbstzerfleischung. Unsere Leute werden sie abknallen wie fremdes Wild ...« »Wenn es nötig ist ...« Barnett hatte selten so hart gesprochen. Eine Schießerei zwischen der TRILANI-Besatzung! Das hatte es noch nie gegeben. Das Bild wechselte. Es zeigte jetzt die unmittelbare Umgebung des Hauptachsen-Elevators. Frigo trat als erster an den Lift und drückte den Rufknopf. »Was werden sie machen, wenn der Fahrstuhl nicht kommt?« »Abwarten! Und hinsehen. Zum Schießen sind jetzt die anderen da. Du brauchst dein zartes Gewissen nicht zu strapazieren.« Frigo schien einen Moment ratlos. Der fremde Wille in ihm hatte offenbar Schwierigkeiten, ihm ein gewandtes und glattes Benehmen zu suggerieren. Oder existierte da noch ein Rest des ursprünglichen Ichs, das den Zwiespalt in seinem Gehirn zu einem hoffnungslosen Duell werden ließ? Daxas meldete, daß seine Männer die neuen Stellungen bezogen hätten. Danach trat wieder Schweigen in der Kommandozentrale ein. Es war so still, daß man den hastig pulsierenden Atem der beiden Prokas hörte. »Es gibt jetzt mehrere Möglichkeiten«, brach Iks-Wol-Esak das bedrückende Schweigen. »Erstens, die Gedankenabschirmung schützt uns gegen den hypnotischen Einfluß. Zweitens, sie verhindert sogar, daß das grüne Gehirn unseren Willen länger kontrolliert. Drittens, unsere Gehirnströme sind zu schwach, um uns gegen den geistigen Angriff zu schützen.« »Zwischen Hoffnung und Resignation ist also alles möglich. Da ich aber als Stratege noch immer nicht weiß, wie ich mich bei einem neuen Angriff zu verhalten habe, sollte die Wissenschaft versuchen, eine Klärung zu bringen.« »Du hast kürzlich die Vermutung ausgesprochen, Iks«, meldete sich Doc Bannister, »daß die hochentwickelte Technik im Krater des Berges in der Vergangenheit eine Verbindung mit den Vorfahren der Tropas haben könnte.« »Es ist eine reine Vermutung, die auf keiner anderen Beobachtung beruht, als daß wir eben die Tropas und die Technik auf ein und demselben Planeten angetroffen haben. Wir brauchen
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nur die Raumfahrt aus dieser Entwicklung wegzudenken, und wir haben den Beweis für historische Zusammenhänge. Das hieße, die Tropas waren einmal eine hochentwickelte Rasse, sie haben mit nuklearen Elementen experimentiert und sich selbst zu Grunde gerichtet. Sie mußten biologisch und kulturell wieder von vorn anfangen.« * Frigos Leute hatten es endgültig aufgegeben, den Lift in ihrem Deck zum Halten zu bringen. Sie wandten sich den Nottreppen zu. Über und unter ihnen warteten die loyalen Männer Perry Barnetts. Mit schußbereiten Waffen standen sie in den Gängen. Fast ohne Deckung, aber in guter Position. Kein Hindernis war zwischen den Rebellen und ihnen. Keine verschlossenen Schotten, keine Energieschirme. »Sie kommen«, stöhnte Lisman. »Willst du sie abknallen lassen wie Tiere, Perry? Verräter sind sie nicht. Das weißt du genau.« »Aber sie sind eine Gefahr. Nur das zählt.« Barnett sagte es mehr zu sich selbst und wie zu seiner Rechtfertigung. Jeder wußte, wie ihm in diesem Augenblick zumute war. Sekundenlang blickte er starr auf die Bilder, die die Situation in den Decks 2 bis 4 wiedergaben. Frigo war nicht mehr so steif wie am Anfang. Er schlich fast wie eine Katze, drückte sich an die Wand und nahm die ersten Stufen. Auf der anderen Seite folgte ihm ein Unteroffizier. Zwei Roboter gingen in der Mitte. Auf Deckung schienen sie keinen Wert zu legen. So kam es, daß auch ein Roboter als erster daran glauben mußte. Als sein Kopf sich aus dem Schacht ins zweite Deck schob, fraßen ihn die Gammastrahlen aus Daxas' Waffe. Deformiert sank er zurück. Der Lautsprecher übertrug den plötzlichen Lärm. Mehrere Männer aus Frigos Truppe mußten zur Seite springen, um von dem zertrümmerten Metallklumpen nicht getroffen zu werden. Leutnant Frigo und der Unteroffizier stoppten ihren Vormarsch. »Sie haben doch noch so etwas wie einen Selbsterhaltungstrieb«, stellte Barnett fest. »Beim Weltall! Wenn man nur wüßte, ob das grüne Gehirn uns jetzt belauschen kann!« »Sie kommen wieder«, preßte Praxlomza durch fast geschlossene Lippen. »Angriff auf Deck 2!« rief Barnett ins Interkom. »Aufpassen, Daxas! Laß jeden zweiten Mann mit Lähmstrahlen schießen! Auf Menschen nur Starrkrampffeuer. Roboter können sofort vernichtet werden.« »Okay, Captain«, versicherte der Mistralese. »Das ist ein guter Befehl. Wir werden die Stellung halten.« Im Nu war die Hölle los. Frigo mußte einen Befehl gegeben haben. Sechs Männer sprangen auf und nahmen die zwölf Stufen zum oberen Deck im Sturmangriff. Sie quollen fast gleichzeitig aus dem Schacht. Machten noch einen Satz nach vorn und zur Seite und warfen sich flach auf den Boden. Noch bevor sie dort in Stellung gingen, feuerten sie unkontrolliert um sich, so daß Daxas' Leute sich nach einem ersten Abwehrfeuer zurückziehen mußten. Doch dieser Rückzug war vorbereitet. Sie brauchten nicht so weit zu springen, bis ihnen die Wölbung des Runddecks Sichtschutz gab. Kurz hinter ihnen öffneten sich die Türen mehrerer Kabinen. Jede schluckte einen Mann. Bis auf einen, der reglos auf dem Flur lag. »Prentiss ist tot«, stellte Lisman fest. »Ihr seht, Frigo ist nicht so zimperlich, mit Lähmstrahlern zu schießen.« Die Angreifer wurden leichtsinniger, als sie keinen Gegner mehr sahen. Frigo sprang auf und feuerte seine Männer an. Er kam kaum zehn Meter weit. Die Spitze brach unter massiertem Lähmfeuer zusammen. Arme griffen aus dem Schacht und versuchten die Füße der Männer zu erreichen, die noch nicht so weit entfernt waren. Zwei Rebellen konnten auf diese Weise in den Schutz der Nottreppe zurückgezogen werden.
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Frigo und zwei seiner Männer lagen betäubt in Deck 2. »Daxas, laßt die drei abholen und auf die Brücke bringen. Aber sorgt für ausreichenden Feuerschutz von der andere Seite!« Das war ein heikler Befehl. Denn wenn jetzt ein erneuter Angriff aus dem Schacht erfolgte, standen sich Daxas' Leute genau gegenüber. Wenn sie den Gegner verfehlten, konnten sie leicht ihre eigenen Männer treffen. Barnett sah es und teilte Daxas mit, noch einen Augenblick zu warten. Zu den Männern auf der Brücke gewandt, fuhr er fort: »Beim nächsten Feuerwechsel kann es Tote geben. Wir müssen uns entscheiden, ob bei uns oder bei den Rebellen. Ich brauche eine Teleporterweste.« »Du hast sie an«, erinnerte ihn Lisman. »Für dich, James.« »Okay! Das läßt sich hören.« Der Erste Offizier fragte gar nicht erst, worum es ging. Ihm genügte, daß Barnett einen Plan hatte. In der jetzigen Verfassung machte er alles mit, was verlangt wurde. Er wollte nur nicht hier auf der Brücke hocken und zusehen, wie die Besatzung der TRILANI nach und nach dezimiert wurde, ohne daß er einen Finger krümmte und etwas dagegen unternahm. »Ich bin fertig, Perry.« »Well, wir springen genau zwischen Frigos Leute, praktisch in ihr Hauptquartier.« Barnett zeigte auf den Nebenbildschirm, auf dem die Liftstation der Hauptachse in Deck 3 zu sehen war. »Von hier aus richtet sich Frigos Bereitstellung nach oben und unten. Hier die sichernden Roboter. Hier der abwartende Trupp, der für Deck 4 vorgesehen ist. Was auf der Treppe nach oben geschehen wird, weiß man nicht genau. Aber wir dürfen damit rechnen, daß die Mehrzahl der Gegner uns den Rücken zukehren wird.« Lisman ließ plötzlich durchblicken, daß ihm doch nicht ganz wohl bei der Sache sei. »Ein guter Kriegsplan. Aber was, wenn die grüne Kugel ihn bereits kennt?« »Das ist unser Risiko ... Wir müssen es wagen ... Eine andere Möglichkeit haben wir nicht ...« Barnett redete noch eine Weile weiter und sprach mit Iks gleichzeitig in der Manier eines Taubstummen. Er winkte ihm, die Teleporterweste abzustreifen und sie dem toten Psröi anzulegen. Der Anzug des Proka mußte auch dem Wurstwesen einigermaßen passen. Barnett legte noch einmal den Finger an den Mund und machte ungeduldige Zeichen, daß man ihm schnell helfen solle. Währenddessen sprach er laut zu Lisman. »Sprich mit Daxas, James! Sage ihm, was wir vorhaben, und daß er noch etwas warten soll ... Ich gebe rechtzeitig das Kommando ...« »Okay, Perry!« Lisman zwinkerte mit den Augen, und Barnett wußte, daß er ihn verstanden hatte. Psröis Leichnam war inzwischen verpackt. Da ein Toter sich nicht allein in einer Teleporterweste bewegen kann, übernahm Barnett die Programmierung. Er stellte sie auf automatischen Rücksprung auf fünf Sekunden Laufzeit. Während Lisman noch mit Daxas über Interkom sprach, schickte man Psröi als Versuchsballon auf die Reise. Er verschwand aus der Kommandozentrale und materialisierte kurz darauf im Hauptliftsektor des dritten Decks. Dort lag er wie ein Stein in der Wüste. Niemand beachtete ihn. »... vier und fünf und sechs«, zählte Praxlomza. Dann verblaßte die Erscheinung, und Psröis Körper tauchte im nächsten Moment wieder auf der Brücke auf. »Well«, nickte Barnett, und ins Mikrophon: »Hallo, Daxas! Uhrenvergleich ... Stimmt! ...in 65 Sekunden schlagen wir gemeinsam los. Frigos Leute warten im Augenblick ab. Verständige dich mit deinen Männern.«
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Barnett hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als er Lisman bereits einen Wink gab. Dabei hob er die rechte Hand und krümmte im Sekundenrhythmus nacheinander die Finger. Erst den kleinen, dann den Ringfinger, dann den ... Es war ein altes, gewohntes Zeichen unter den Männern der TRILANI, das sie immer dann angewendet hatten, wenn sie nicht sprechen konnten. Lisman nickte ihm grinsend zu zum Zeichen, daß er verstanden hatte. Barnett wollte also keineswegs die 65 Sekunden abwarten, sondern etwa eine Dreiviertelminute eher losschlagen. Natürlich wußte auch Daxas nichts von diesem Plan. Aber man mußte in Kauf nehmen, daß er sich überraschend einer neuen Situation gegenübersah. In erster Linie kam es darauf an, das grüne Gehirn irrezuführen. Und wenn das gelang, war man sicher, daß es verwundbar war. Barnetts Hand war im Laufe von vier Sekunden zur Faust geworden. Sein Daumen zeigte die ›5‹ an. Er und Lisman sprangen gleichzeitig. Noch einmal fünf Sekunden. Dann tauchten sie genau unter den behexten Rebellen auf. Sie hatten nur scharfe Waffen mitgenommen. Gammastrahler, mit denen es keine Kompromisse gab. Als sie unbemerkt im Rücken des Gegners auftauchten, zögerten ihre Nerven einen Moment. Eine Teleportation ist mit keinerlei Geräusch verbunden. Sie ist ein geisterhafter Vorgang, soweit es die optische Wirkung betrifft. Und jeden Soldat, jeden einfachen Mann, der sich zeit seines Lebens keinerlei Gedanken um die naturwissenschaftlichen Hintergründe macht, den mutet es gespenstisch an. Barnett starrte auf den Rücken seiner Männer. Jawohl, es waren immer noch seine Männer. Er kannte ihre Namen. Sie trugen seine Uniformen. Lisman zögerte ebenfalls. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er zu seinem Captain hinüber, um dort ein Beispiel zu finden, wie er sich weiter verhalten sollte. Barnett riß die Waffe hoch. »Nur die Roboter!« schrie er. Es waren tatsächlich genug Roboter vorhanden. Ihre breiten Oberkörper boten ein bequemes Ziel. Der erste Feuerstoß bohrte sich in den nächsten Metallkörper und warf ihn um. Bevor er den Boden erreichte, war er ein Torso. Doch in diesen Augenblicken gab es mehr als ein Ereignis, bei dem die anderen Anwesenden den Zuschauer hätten spielen können. Doch hier gab es keine Zuschauer, sondern nur Akteure. Schon Barnetts Ruf hatte natürlich ihre Stellung verraten. Sein Befehl, für diese Demonstration lediglich die Roboter zu benutzen, war aus einer Sentimentalität entsprungen, mit der er sich selbst und Lisman in Gefahr brachte. Er hatte das gewußt. Trotzdem konnte er nicht anders handeln. Und sein Instinkt schien ihm recht zu geben. Sein Zuruf an Lisman war noch nicht verklungen, als er den ersten Schuß löste. Sein zweiter fiel mit Lismans erstem fast zusammen. Sie streckten bis zur dritten Sekunde nach der Materialisation fünf Roboter nieder, ohne selbst getroffen zu sein. Die Rebellen litten unter dem fremden telepathischen Zwang. Während die Roboter auf Grund ihres kybernetischen Gesetzes, keine Menschen zu töten, erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden hatten, um ihrem sonst beispiellosen Reaktionsvermögen gerecht zu werden, waren die Menschen durch die Hypnose sowieso gehemmt. Nur diesem Umstand hatten Barnett und Lisman es zu verdanken, daß sie bis zur dritten Sekunde ungeschoren davongekommen waren. Dann allerdings hatten sie das zweifelhafte Vergnügen, ein halbes Dutzend Strahlgewehre gleichzeitig auf sich gerichtet zu sehen. Die Teleportation war mit Rückkopplung auf sechs Sekunden eingestellt. Sie hatten keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Außerdem wäre ein Griff an den Schalthebel in jedem Falle zu spät gekommen. Die Reaktion einer Menschenhand war zu langsam, um den Fingern
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am Feuerknopf eines Strahlgewehres zuvorzukommen. Barnett machte einen Hecht nach vorn, riß dabei Lisman mit zu Boden und entkam so dem ersten gezielten Gammastrahlstoß. Während er selbst noch einmal auf einen Roboter abdrückte, war ihre Zeit abgelaufen. Das Inferno der wild um sich schießenden Rebellen verblaßte vor ihren Augen. Die Gestalten wurden nebelhaft, das Peitschen der Schüsse verklang in einem unharmonischen Wimmern. Dann standen sie in der Zentrale. Jawohl, sie standen. Und dieser Umstand allein ersparte den Freunden eine Untersuchung, ob sie beide auch noch lebten. Barnett kümmerte sich allerdings kaum um Iks-Wol-Esak, Praxlomza und Bellinski. Er sprang zum Kommandostand und gab sofort weitere Befehle, die jeder hören durfte. Auch das grüne Gehirn. »Das war nur eine kleine Zwischenmusik, Daxas. Countdown geht für euch weiter. Wir sind bei – fünfunddreißig, vierunddreißig, dreiunddreißig ... Keine Änderung der Befehle! Wir sind zur Stelle, wenn ihr uns braucht. Ende.« »... neunundzwanzig, achtundzwanzig, siebenundzwanzig ...« Lisman sah Barnetts Wink. Er folgte ihm auf den Sprung und ließ sich durch das aufgerissene Schott nach draußen in den Gang stoßen. »Interkom-Kamera – Beiboot mit Außenbordstartvorrichtung – Lift – das letzte Essen war sauer, James, ich habe starke Magenschmerzen ...« Das Kauderwelsch brachte Lisman nicht aus dem Gleichgewicht. Er sah Barnetts Augenzwinkern und wußte, daß das alles seine Bedeutung hatte. Bei dem Wort »Lift« hatte Barnett mit Nachdruck auf den Einstieg des Elevators gezeigt und damit deutlich gemacht, daß es einzig und allein auf diesen Punkt seiner Rede ankam. Die Kabine im D-Schacht stand bereit. Sie stiegen ein. Das Schott schloß sich. »... zwölf, elf, zehn, neun, acht ...« Bei ›fünf‹ hielt der Lift im dritten Deck. »Warten!« zischte Barnett. »Bei Null öffnen und stehenbleiben. Jetzt!« Sie sahen das Schlachtfeld, das sie vor einer knappen Minute verlassen hatten. Es war ein Chaos. Über Trümmer hinweg stiegen Frigos Vasallen, um die Treppen zu erreichen. Schreie verkündeten, daß die ersten bereits im zweiten Deck angekommen waren. Dann fielen Schüsse. Ihr Echo verfing sich hundertfach in den Gängen und Schächten. »Es sind keine Roboter da«, flüsterte Lisman. »Die nehmen am Angriff teil. Aber da drüben liegt ein Betäubter. Gib mir Feuerschutz, falls jemand zurückkommt.« Barnett sprang in den Gang. Neben dem bewegungslosen Soldaten lag ein Lähmstrahler. Perry nahm ihn an sich und hetzte mit drei Sätzen zum Treppenschacht. Dort hatte er Zielmöglichkeiten für einen ganzen Energiesatz. Mit dem Daumen schob er den Fokusschalter in die Mittelstellung und schoß blindlings in die Menge. Die Wirkung war verblüffend. Fünf Männer drehten sich gleichzeitig nach ihm um. Verwunderte Blicke starrten ihn an. Offene Münder ... Der Griff nach dem Abzug kam für alle zu spät. Sie verloren zum zweiten Mal ihren Willen. Barnett mußte sie auffangen, damit sie sich bei dem Sturz nicht etwa noch das Genick brachen. Er hätte es allein nicht geschafft, wenn Lisman nicht im letzten Moment hinzugesprungen wäre. Allerdings hatten sie nicht viel Zeit, sich ganz dem Samaritertum zu widmen. Es gab Männer in Frigos Mannschaft, die die Besinnung behielten. Sie kamen um die letzte Biegung der Treppe zurück und feuerten mit Gammastrahlern. An diesem Punkt hatte Lismans Korpsgeist kaum noch Bedeutung. Er sah nur noch die Gefahr für sich und Barnett. Den Captain rettete nur der Mann in seinem Arm. Der Besinnungslose fing die erste gezielte Ladung ab. Da schoß Lisman scharf. Und er tötete.
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Deck 3 war ein Schlachtfeld. Weite Flächen in den Wänden waren unter der Strahlungshitze flüssig geworden. »Zurück!« schrie der Captain und stürzte in den Schutz des Fahrstuhls. Seine Kombination war zerrissen und verschmort. Seine Kopfhaare und Augenbrauen hatte die Hitze gefressen. Lisman war neben ihm, die Tür schlug zu, der Korb ging ab. Kurz darauf erreichten sie wieder die Brücke. Ihr wildes Aussehen wollte den anderen unwichtige Fragen entlocken. Barnett schnitt sie mit einer Handbewegung ab. Ihm genügte, daß die Zentrale immer noch wie eine uneinnehmbare Festung wirkte, wenn auch keiner wußte, wie lange noch. Er ging sofort zum Leitstand. Die Bildschirme ...! »Zum Teufel, James! Iks! Bellinski ...« Über die Mattscheiben tanzten bunte Streifen. Der Recheningenieur drehte sich zu Barnett um und grinste ihn kollegial an. »Ein schönes Muster, nicht wahr, Captain? Ein Muster, das ich mit meiner künstlerischen Ader schuf.« Bellinski drehte der Bildschirmbatterie den Rücken, ohne an der Fehlschaltung etwas zu ändern. Er stand von seinem Sessel auf, schob die Hände in die Hosentaschen und ging völlig unmilitärisch auf den Kommandanten zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. Sein Gesicht änderte sich von einem Augenblick zum anderen. Das Grinsen verschwand, und Haß trat an seine Stelle. Dabei kamen langsam die Hände aus den Taschen. Bellinskis Arme winkelten sich an. »Sie sind ein Mensch, der keine wahre Größe versteht, Barnett. Und deshalb wird bald Schluß sein mit diesem verdammten Heldentheater.« »Bellinski! Ich befehle Ihnen ...« Der Ingenieur lachte schallend. Er, der Mann, der immer nur pedantisch die Situationsstatistik bedient hatte, der immer einer der unsoldatischsten Uniformträger an Bord gewesen war und der jeder persönlichen Auseinandersetzung mit wohlbedachten Worten aus dem Wege ging, lachte Barnett ins Gesicht und ließ ihn nicht ausreden. »Sie befehlen mir gar nichts, Mr. Barnett! Uns Sie hören zu, wenn ich rede ...« Es gab keine Parallele zu dieser Situation auf der TRILANI. Niemand konnte also aus Erfahrung sagen, was Barnett jetzt tun würde. Aber Praxlomza und Lisman zweifelten keinen Moment dran, daß es jetzt eine kurze handgreifliche Auseinandersetzung geben würde. Ihre Hände wurden bereits instinktiv zu Fäusten, obwohl sie keinen Augenblick daran zweifelten, daß der Captain den langen Bellinski mit einem einzigen Faustschlag zu Boden strecken würde. Er brauchte ihre Hilfe nicht. Er schlug sich aber auch nicht. In Bellinskis Rücken war Iks-Wol-Esak aufgetaucht. Mit einem einzigen Griff hatte er die Bildübertragung wieder klar. Der Kampf um das dritte Deck war vorläufig entschieden. Man sah Daxas winken und ein wenig müde lächeln. Zwei Männer neben ihm hielten den Besinnungslosen Leutnant Frigo. »Bringt die Gefangenen herauf«, gab der Proka die Anweisung für Barnett ins Mikrophon. »Ende!« Der Captain hatte diese Episode und das Ergebnis am Rande mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Iks-Wol-Esaks Wink half ihm, sich mit aller Geduld dem verrückt gewordenen Recheningenieur zu widmen. »Also gut, Leutnant Bellinski, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, dann reden Sie. Sie waren bisher ein verschlossener Mensch, und es dürfte interessant sein, zu wissen, wie es in Ihrem Innenleben aussieht. Ich gebe Ihnen drei Minuten.« »Sie geben mir, was ich nehme, Mr. Barnett. Und Sie werden abtreten. Sie haben den Galaktischen Krieg beendet – denkt die Welt. Sie sind der Held des Wiederaufbaus – denkt
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die Welt. Sie sind der vergötterte Mann des Jahrtausends – denkt die Welt. Journalisten beginnen bereits damit, unser Zeitalter nach Ihrem Namen zu benennen. Begreifen Sie nicht, wie lächerlich das ist?« »Letzteres ja, Leutnant. Wir sind da ganz einer Meinung. Aber was machen wir gegen die Propaganda der Journalisten?« »Wir machen einen Strich darunter! Sie werden Terra in Ihrem Leben nicht mehr wiedersehen, Barnett, weil ich Sie töte ...« Bellinski hatte keine Waffe bei sich. Aber seine angewinkelten Arme hoben sich bedrohlich. Seine Hände schnellten vor und umklammerten Barnetts Hals ... Drückten zu. Da endlich kam die Reaktion, auf die Lisman zitternd gewartet hatte. Ein kurzer, trockener Schlag auf den Solarplexus. Bellinski fiel hin wie ein gefällter Baum. * Daxas kam auf die Brücke, begleitet von vier Männern seines Trupps. Sie brachten drei Gefangene mit, die sich noch immer nicht vom Beschuß der Lähmstrahler erholt hatten. »Legt sie auf die Seite dort und beobachtet sie genau. Wir wissen nicht, wie sie geistig eingestellt sind, wenn sie erwachen.« Daxas mußte sofort wieder zurück in die Decks, wo seine Leute mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt waren. Sie trugen dabei Schutzanzüge gegen die während des Kampfes entstandene Radioaktivität. Unter den Menschen hatte es fünf Tote gegeben. Vier bei den Rebellen, einen bei Daxas' Leuten. Außerdem waren sieben Roboter vernichtet worden. Der Trupp arbeitete mit der Strahlungsdusche, der sogenannten ›Gießkanne‹, mit deren Hilfe radioaktive Gebiete kleineren Ausmaßes innerhalb weniger Minuten wieder strahlungsfrei gemacht werden konnten. »Eine schöne Schweinerei«, sagte Praxlomza. »Bellinski hat einen Rappel bekommen, weil grad an Bord überall so männlich herumgeschossen wurde. Ihr wißt doch alle, daß der ein paar Minderwertigkeitskomplexe abzureagieren hat. Und das tat er halt heute im ungeeignetsten Augenblick.« »Deine Psychologie ist nicht ganz von der Hand zu weisen, Prax. Aber ohne den feindlichen Stachel im Gehirn hätte er sich immer noch vorsichtiger ausgedrückt. Auf keinen Fall hätte er Perry mit Mord gedroht ... Nein, nein, es steht für mich vollkommen fest, daß Bellinski ein Opfer Tsous geworden ist.« »Natürlich, ab heute ist Tsou an allem schuld.« »Irrtum! Es waren Kugeln hier im Raum. Nur für eine ganz kurze Zeit schwebten sie über Bellinskis Kopf. Dann waren sie durch die Wand verschwunden.« »Ach nein! Und ausgerechnet du allein hast sie gesehen?« »Du hast nicht aufgepaßt, Prax. James und der Captain waren ja mit dem Lift unterwegs.« Barnett verlangte, daß Iks das genauer erzähle. Viel mehr konnte er allerdings nicht sagen. Die Kugeln – es waren nur drei – kamen, blieben etwa vier bis fünf Sekunden und verschwanden dann wieder. »... während wir uns über den Kampf in den Decks die Köpfe zerbrachen, habe ich mich nebenbei schon lange gefragt, weshalb das grüne Gehirn nicht einfach gegen uns die Kugeln einsetzt. Es wäre doch naheliegend gewesen, uns alle auf einmal zu seinen Marionetten zu machen. Aber natürlich muß die Sache noch einen Haken haben.« »Ich wette, sie hat eine Menge Haken«, bekräftigte Barnett die Feststellung seines Freundes rauh und freudlos. »Was Tsou – oder wie wir dieses grüne Kugelgehirn nun nennen wollen – bisher gezeigt hat, muß uns auf jeden Fall zur Vorsicht raten lassen. Er ist uns zweifellos in vielem überlegen. Und das kann ins Auge gehen. Andererseits unterläßt er Aktionen, die jeder
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von uns an seiner Stelle schon durchgeführt hätte ...« Barnett hatte sich inzwischen den Bildschirmen zugewandt. Für einen interessierte er sich besonders. Es war das Gerät, das das Innere des Maschinenraums zeigte. Dort hatte sich noch immer nichts gerührt. Das grüne Gehirn, die kastenartigen Behälter und die Flaschen lagen regungslos da, wie man sie zum Zweck des Gravosatzes hingepackt und zusammengebaut hatte. Nicht einmal die komplizierten Drahtverbindungen, die Iks-Wol-Esak nachträglich geschaffen hatte, waren verändert worden. Das alles sah weit mehr nach einem Stilleben aus einer Gepäckaufbewahrung aus als nach dem Hauptquartier eines tödlichen Gegners. »Vielleicht betrachtet uns das grüne Gehirn gar nicht als Feind«, wagte Praxlomza eine Vermutung, wobei allerdings der Wunsch der Vater des Gedankens war. Iks-Wol-Esak räumte ein, daß eine solche Möglichkeit durchaus bestünde. Es wäre nur falsch, sie überhaupt in Erwägung zu ziehen. Immerhin waren die Toten des Gefechts im dritten Deck eine eindeutige Mahnung. Und selbst wenn sie das Opfer eines Mißverständnisses geworden waren, so änderte doch nichts etwas an der Tatsache, daß sie tot waren. »Tsou hat uns ausgesperrt«, überlegte Barnett laut. »Er hat sogar einen Energieschirm errichtet, der die fünfdimensionale Existenzform abweist. Wir können also weder auf normalem Wege noch durch Teleportation den Maschinenraum betreten. Trotzdem ist die Absperrung nicht vollständig. Wir können zum Beispiel das ganze dritte Deck noch optisch von hier aus kontrollieren.« »Er hat es nicht nötig, sich weiter abzusichern«, kalkulierte Iks-Wol-Esak, »die für uns bedrohlichen Vorgänge spielen sich im Inneren der Geräte ab. Wir wissen nicht einmal, wo sich die kleinen Kugeln befinden. Ob sie überhaupt existieren oder ob Tsou sie bei Bedarf jedesmal erzeugt. Die Sache hat einen Haken, und dabei bleibe ich.« »Dann finde ihn, ehe man dich daran aufhängt«, riet Lisman. »Ich will es versuchen. Allerdings, wenn Tsou nach wie vor unsere Gedanken kontrolliert und dieses ganze Gespräch mit anhört, so müssen wir ihn irreführen.« »Und diese Irreführung muß gelingen, obgleich er weiß, was unsere Ansicht ist«, sagte Barnett trocken und sachlich, als zweifele er keinen Moment daran, daß so etwas möglich sei. »Und das grüne Gehirn hört mit«, murmelte Prax. »Soll es, mein Junge! Denn unser Plan ist ja darauf aufgebaut, daß es mithört. Es muß zum Beispiel damit rechnen, daß er gar nicht durchgeführt wird, daß wir uns plötzlich eines anderen besinnen und das Gegenteil davon tun. Führen wir ihn aber doch durch, so hat Tsou keine Chance, uns später noch beizukommen.« »Jetzt werde ich langsam neugierig«, sagte Praxlomza aufgeregt. »du wirst uns jetzt also einen Plan entwerfen, der gar keiner ist?« »Unsinn! Natürlich ist es ein Plan. Nur weiß ich nicht, ob wir ihn durchführen. Denn wenn ich es wüßte, wüßte es auch Tsou. Und das muß ja verhindert werden.« »Okay, ich halte jetzt den Mund, damit du endlich reden kannst.« »Well, die Beurteilung unserer Lage hat bei dem Grundsätzlichen anzufangen. Das gilt für uns genauso wie für Tsou. Die TRILANI befindet sich im Hyperraum. Sie hat den Zielimpuls direkt beim Start in den Hyperraum bereits erhalten, so daß zum Zwecke einer richtigen Navigation keinerlei Veränderungen vorgenommen werden dürfen. Soweit wir das beurteilen können, ist derlei auch noch nicht geschehen. Selbst wenn Tsou dazu in der Lage sein sollte, glaube ich auch nicht, daß er davon Gebrauch machen wird. Denn er dürfte doch Schwierigkeiten haben, unsere Technik so genau zu beherrschen. Wir dagegen sind mit unseren Geräten so vertraut, daß wir uns auch Kursänderungen im Hyperraum erlauben können ... Ich schlage also vor, daß die drei Beiboote sofort die ganze Programmierung des Bordgehirns der TRILANI auf ihre Elektronen-Robots übernehmen. Gleichzeitig müssen alle
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Besatzungsmitglieder die Beiboote besteigen, so daß wir zu einem noch festzulegenden Zeitpunkt die TRILANI verlassen.« »Bei Klono! Wir sollen das beste und größte Schiff in der ganzen Galaxis aufgeben?« »Wenn wir unser Leben retten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig ... Die drei Beiboote werden lediglich einen geringen Fehlimpuls erhalten, damit sie sich weit genug vom Mutterschiff entfernen.« »Aber dann stimmt unsere ganze Navigation nicht mehr«, gab Praxlomza zu bedenken. »Wir werden Korrekturen vornehmen. Das wird freilich eine komplizierte Rechnung geben, aber mit den Unterlagen der Elektronengehirne wird es ohne weiteres gehen. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich unser Transitionspunkt um einige Lichtjahre verschiebt. Wenn wir beispielsweise im Sirius-Sektor materialisieren und Tsou abgeschüttelt haben, können wir getrost behaupten, gerettet zu sein. Meinetwegen steuern wir auch Poldini an. Ein Drittel und etwas mehr vom ganzen Milchstraßensystem steht uns zur Verfügung, um irgendwo unterschlüpfen zu können. Mit solchen Kleinigkeiten brauchen wir uns also gar nicht aufzuhalten. Die Aufgabe heißt: Tsou muß weg! Und wenn dabei die TRILANI mit draufgeht.« Der Proka-Wissenschaftler schwieg erschöpft. »Ganz recht«, nickte Perry Barnett. »Dieses Schiff ist mein Privateigentum. Ich bin niemandem Rechenschaft darüber schuldig, wenn wir es verlieren.« »Du vergißt die Versicherungsgesellschaft.« »Mit der werden wir schon klarkommen. Also, Iks, was hast du uns noch zu sagen?« »Eigentlich nichts mehr. Uns trennen noch zwölf Tage vom Transitionspunkt. Um Tsou die Sache etwas schwieriger zu machen, wollen wir den Termin des Ausschleusens noch nicht festlegen, aber ab sofort sollten Übungen mit der Besatzung durchgeführt werden. Übungen, die im Ernstfall sofort als endgültige Maßnahme anzusehen sind.« »Gut«, nickte Barnett. »ich werde ab sofort zwei volle Wachen auf den Beibooten stationieren.« »Nicht nur das. Du läßt sie eine Stunde später wieder ins Mutterschiff umziehen. Durch die Praxis muß Tsou verwirrt werden. Er darf nicht wissen, woran er ist. Trotzdem muß Deck ›drei‹ nach wie vor unter strenger Bewachung bleiben.« »Dafür nehmen wir in erster Linie die Kampfroboter. Ich denke, wir bitten alle Offiziere auf die Brücke für die Befehlsausgabe.« »Well«, sagte Iks-Wol-Esak. »Ich werde mich inzwischen um die Elektronengehirne kümmern, damit auch die Beiboot-Geräte sofort programmiert werden. Es genügt, wenn mir Nam dabei hilft.« * Kurze Zeit später sah es auf der TRILANI aus wie in einem Bienenstock. Trotz erhöhter Alarmbereitschaft der verminderten Wachtrupps änderte sich auch jetzt nichts an der sogenannten heißen Front. Tsou rührte sich nicht. Tsou schickte keine kleinen Kugeln, und wie die Bildschirme bewiesen, lagen die geheimnisvollen Geräte noch immer regungslos im Maschinenraum. »Ich wette«, sagte Praxlomza irgendwann in der Hetze zu Barnett, »ich wette, die Dinger können sich allein überhaupt nicht bewegen. Sie können alles mögliche anstellen, nur nicht laufen.« »Eben. Schließlich haben sie ja keine Beine.« Die Wachen 1 und 3 rückten auf die Beiboote ab. Der überdimensionale Schiffshangar lag im Mitteldeck der TRILANI, ganz in der Nähe der Strahlgeschützbatterien, die den Ringwulst um die Äquatorzone der Raumkugel zierten. Wache 1 hatte sich kaum für zwei Stunden bequem eingerichtet, als ein neuer Befehl kam.
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Daxas ließ die Männer antreten und in die alten Kojen auf der TRILANI abrücken. Dafür besetzten die Männer der vierten Wache das Nachbarboot. Iks-Wol-Esak sprach offen über Interkom von seiner Arbeit. Wie weit er war, wo er Schwierigkeiten hatte und wie lange es noch dauern würde. Bannister war mit Krut und den Verwundeten in das Boot B umgezogen. Die laufenden Meldungen der Posten in Deck ›drei‹ waren beruhigend. Sie hatten strengstes Verbot, auch nur den Versuch zu machen, in die Maschinenräume einzudringen, und es schien, als ob das grüne Gehirn dieses passive Verhalten mit gleichen Mitteln quittierte. Bis etwa sechs Stunden später aus Boot C Alarm gegeben wurde. Der Bienenschwarm wurde zum Hexenkessel. Daxas meldete zwei Dutzend bunte kleine Kugeln in der Kommandozentrale des Beibootes. Barnett, der sich die meiste Zeit auf der Brücke der TRILANI aufhielt, schaltete sofort einen Bildschirm auf den kritischen Ort. Er sah den Mistralesen dicht vor der Kamera. Und er sah die Kugeln. »Sie greifen nicht an, Perry. Aber sie sind da. Seit einer halben Minute kleben sie dort unter der Decke.« Iks-Wol-Esak wurde zugeschaltet. Er steckte in seinem Privatlabor. »Laßt sie kleben, zum Teufel«, schimpfte er. »Solange ihr stillhaltet, werden sie euch nichts tun. Ihr habt ja eure Gedankenschirme ...« Nach all den offenen Besprechungen war Iks-Wol-Esaks Einstellung verblüffend. Oder gehörte sie zu seinem Plan? Wie dem auch war, er spielte den Nervösen und behauptete, daß er mit der Programmierung der Beiboot-Gehirne auf unvorhergesehene Schwierigkeiten gestoßen sei. Man möge ihn deshalb nur stören, wenn wirklich etwas Bemerkenswertes passiert sei. Schließlich fühle er sich verantwortlich für seinen Plan. Er schaltete die Interkom-Verbindung kurzerhand ab und schien mit seinem Optimismus recht zu behalten. Die Kugeln verhielten sich ruhig. Trotzdem wirkten sie wie ein Damoklesschwert. Sie waren da. Welche Funktion sie hatten, blieb allen ein Rätsel. Und dazu kam die unangenehme Erkenntnis, daß Tsou bereits seinen Bereich auf die Beiboote ausgedehnt hatte. Würde es überhaupt einen Sinn haben, die TRILANI zu opfern? Würde Tsou nicht auch auf den Beibooten wieder mit von der Partie sein? Die Furcht, daß es kein Entrinnen gab, beherrschte wieder die Gemüter. Und das war der Zweck dieser Aktion. * »Du hast einen Versuch gemacht? Und er ist geglückt? Spanne mich nur nicht auf die Folter, Iks. Die Aufregungen der letzten Stunden haben mir gereicht. Ich bin auch bloß ein Mensch.« »Laß uns auf die Brücke gehen, Perry. Die Nachricht ist für alle wichtig.« Barnett war einverstanden. Vom Labor aus bat er alle Offiziere, die abkömmlich waren, sich in der Zentrale einzufinden. Es waren nicht mehr als sieben. Für die anderen wurden die Bordlautsprecher eingeschaltet, so daß jeder Iks-Wol-Esaks Ansprache mithören konnte. »Ich habe einen Versuch gemacht«, begann der Proka, »und er ist gelungen. Ich habe zwölf Telepathie-Relais parallel geschaltet. Alsdann habe ich einen Richtstrahl des Materietransmitters aktiviert und auf das Maschinentransmitters aktiviert und auf das Maschinendeck eingestellt. Da dieser Richtstrahl von der Aufgabe entbunden war, Materie zu teleportieren, konnte ich seine ganze Energie als Trägerquelle für die modulierten Telepathiefrequenzen ausnutzen. Auf diese Weise ist es mir gelungen, den Abwehrschirm des grünen Gehirns zu durchdringen ... Ich bin mir im klaren darüber, liebe Freunde, daß der
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Gegner jetzt mithört, oder genauer gesagt, mitdenkt. Doch lassen Sie sich dadurch nicht irritieren. Tsou wird jetzt wie Sie alle erfahren, worin mein Erfolg bestand. Trotzdem kann er noch nicht zum endgültigen Schlag gegen uns ausholen ...« »Es ist aber eventuell mit Störaktionen zu rechnen?« »Allerdings, Perry. Ich rate allen Besatzungsmitgliedern, sich gegen einen Angriff der kleinen Kugeln einzustellen. Parole also: Stillhalten, solange niemand von unseren eigenen Leuten geistig beeinflußt wird ... Ich fahre fort. Mit der soeben geschilderten Konstellation ist es mir gelungen, aktivierte Gedanken Tsous aufzufangen. Es war der Sinn eures ganzen Manövers, diese erhöhte Gedankenaktivität in der grünen Kugel zu erzeugen. Denn nicht aktivierte Gedanken lassen sich nun einmal telepathisch nicht leicht lesen.« James Lisman pfiff anerkennend durch die Zähne. Barnett warf ihm einen Blick zu, daß er schweigen solle. »Go on, Iks!« »Es ist nun an der Zeit, daß jeder von uns erfährt, womit wir es zu tun haben. Dabei interessieren technische Einzelheiten weniger als die Absicht des Gegners. Tsou hat uns bereits seit unserer Landung aufs Korn genommen. Als Perry Barnett im Krater eine Patentlösung gefunden zu haben schien, waren wir bereits ein Opfer der feindlichen Strategie. Wir wollten den Planeten verlassen. Das künstliche Gehirn im Krater wollte es ebenfalls. Es hat vor Jahrtausenden auf Tropa ein großes Volk regiert. Seit dort die biologischen Wesen degenerierten und langsam ausstarben, fehlt ihm die Gelegenheit, nach seiner Fasson zu herrschen. Als Tsou in unsere Gedanken eindrang, war er fasziniert von der Möglichkeit, eine neue Welt unter seinen Zwang zu bekommen. Er ließ uns also mit Absicht einen Weg finden, die TRILANI wieder von der Schwerkraft des Planeten freizubekommen. Der eigentliche Gravosatz für dieses Manöver bestand lediglich aus einem der kantigen Behälter. Alles andere – die grüne Kugel, die Flaschen und drei weitere Kästen – brachten wir zusätzlich an Bord. Sie alle wissen, was man unter einem ›Trojanischen Pferd‹ versteht ...« »Es ist ein Begriff aus der tellurischen Frühgeschichte.« »Well, der größte Teil dieser anderen Geräte war nichts anderes als so ein Trojanisches Pferd. Tsou wartet in unserem Maschinenraum auf die Gelegenheit, auf Terra an Land zu gehen und eine neue Diktatur zu errichten. Sein hypnotischen Fähigkeiten wären durchaus geeignet gewesen, einflußreiche Regierungskräfte unter seinen Zwang zu bekommen. Es besteht also kein Zweifel mehr, daß Tsou eine allgemeine Gefahr für unsere Zivilisation ist. Wir werden alles daransetzen müssen, seine Pläne zu durchkreuzen.« »Wie du sagst, Iks, klingt es einleuchtend und selbstverständlich. Unlogisch aber ist Tsous Verhalten. Warum machte er sich schon jetzt verdächtig? Für ihn kam es doch darauf an, sein Geheimnis so lange wie möglich zu wahren.« »Perkins hat einen Fehler gemacht, Perry. Einen Fehler, der auf Tsou zurückfällt. Perkins hat mir gestanden, daß er doch im Maschinenraum war, bevor Tsou den Schirm errichtete, und er eine der Flaschen in die Hand nahm und sie untersuchte, dabei ist sie ausgelaufen.« »Du meinst, wenn Perkins nicht an der Flasche gespielt hätte, wäre das alles nicht passiert.« »Ganz recht. Tsou wollte sich ruhig verhalten, bis wir auf Terra gelandet sind. Die auslaufende Flasche verursachte eine logische Abwehrreaktion. Er griff zu früh an, er zeigte die kleinen Kugeln, die er bis zur Landung auf Terra verborgen halten wollte. Nachdem das geschehen war, entschloß Tsou sich zu einer neuen Taktik. Es lag und liegt ihm auch heute noch nicht daran, uns zu vernichten. Denn er braucht uns, um die TRILANI sicher zu landen. Erst dann sind wir überflüssig. Erst dann müssen wir vernichtet werden, weil wir zuviel wissen.« »Die endgültige Auseinandersetzung steht uns also noch bevor.« »Sie wird unausbleiblich sein. Uns erwartet ein Kampf auf Sein oder Nichtsein. Nur heute noch nicht.«
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* Barnett ging auf die Brücke der TRILANI und überwachte von dort die laufenden Manöver der Mannschaft. Auch das Krankenrevier wurde wieder auf das Mutterschiff zurückverlegt, um drei Stunden später erneut auf das B-Boot verlagert zu werden. Iks-Wol-Esak hatte sich zurückgezogen. Er hatte die Aufgabe, die abstrakten Zahlen von der Elektronenstatistik durchrechnen zu lassen. Der Bordroboter gab ihm eine Chance von 1 zu 10. Und das war herzlich wenig. Lediglich dieser eine Gedanke, den er nicht programmieren durfte, weil Tsou ihn nicht erfahren durfte, konnte das Bild noch ändern. Aber war es gelungen, dieses Geheimnis vor der grünen Kugel zu verbergen? Iks-Wol-Esak schwang sich auf den Hocker seines Leitstandes. Dieser Platz war eigens für ihn eingerichtet. Für ein Wesen in Kugelform, für ein Wesen von 80 cm Größe, für ein Wesen mit drei, vier Meter langen, sechsfingrigen Armen. Achtzehn Finger drückten Knöpfe für hundert verschiedene Reaktionen. Telepathische Energie durchdrang den Abwehrschirm Tsous und tastete sich an die kalte Wand der grünen Gehirnkugel heran, verharrte ... und stieß durch. »Ich habe dich, Tsou. Du bist Kybernetik. Du hast kein Recht, biologisches Leben zu bevormunden. Dir steht kein eigener Wille zu. Ich befehle dir, den Abwehrschirm zu löschen und den Menschen und Prokas ihren rechtmäßigen Bereich zu überlassen. Dein Geist und deine Intelligenz sind zum Dienen geschaffen. Und wenn du jemals herrschen solltest, so darfst du es nur im Sinne der Herren, deren Diener du bist. Die Tellurier werden dir den Platz geben, der dir zusteht, nicht mehr und nicht weniger. Lösche den Abwehrschirm! Lösche den Abwehrschirm!« Iks-Wol-Esak dachte, und eine Batterie von Telepathie-Relais sandte den Befehl hundertfach verstärkt in Tsous Gehirnwindungen. Dieses Denken ging auch über seine Kräfte. Er machte eine Pause und wischte erschöpft über die transpirierende Haut seines glatten Körpers. Würde Tsou sein Verlangen akzeptieren? Würde Tsou sich der Gewalt seiner Gedanken unterwerfen? Dann sprach Tsou. Der Proka hörte zum ersten Male seine ›Stimme‹. Es waren prokaskische Worte, aus dem abstrakten Verstehen heraus in eine beliebige Sprache übersetzt, die die grüne Gehirnmasse innerhalb von Minuten erlernt hatte. Dein Verlangen ist unbillig, Proka. Vollendete Kybernetik ist vollendetes Denken. Vollendetes Denken ist vollendete Selbständigkeit. Vollendete Selbständigkeit ist vollendeter freier Wille. Ich werde die Welt regieren. Aber ich werde Diener brauchen. Nicht ich werde der deine sein, sondern du der meine. Ich gebe dir eine Chance, zu deinem eigenen Vorteil. Tsous Versuchungen nahmen kein Ende. Iks-Wol-Esak wollte sich die Ohren zuhalten, so sehr machten die Gedanken des Gegners einen akustischen Eindruck. »Aufhören!« schrie der Proka. Du wirst mein Diener sein, quälte ihn Tsou weiter. Mein freier Wille wird dir helfen, glücklich zu leben ... Iks-Wol-Esak drückte einen Schalter. Dann wagte er das letzte Experiment. Er dachte Dinge, die der Gegner nicht wissen durfte. Er dachte sein letztes Geheimnis. Tsou reagierte nicht darauf. Tsou war in seinem Element. Tsou redete sich immer fanatischer in die Rolle des Demagogen. Tsous Wille wurde zum Wahnsinn ... Und der Proka vermißte eine Reaktion auf sein Geheimnis. Durfte er aufatmen? Oder hatte Tsou sich so vollendet in der Gewalt, daß er sich durch nichts verriet?
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Noch ein Knopf! Iks-Wol-Esak hatte damit das Repeat des Gedankenkonservators eingeschaltet. Das Gerät würde jetzt laufend seine eigene Rede an Tsou wiederholen. So lange, bis es abgestellt wurde. Iks verließ das Laborzentrum und ging in einen Nebenraum. Drei flinke Hände sortierten Gedanken- und Wortaufnahmen, die in den letzten Stunden während der verwirrenden Truppenmanöver entstanden waren. Es waren viele Abschnitte darunter, die intensiv das Problem des Umzugs auf die drei Beiboote behandelten. Mit allen Nebengedanken, mit allen Hoffnungen, mit aller Skepsis und mit aller Angst, zu denen die Individuen in Barnetts Mannschaft fähig gewesen waren. »Nein, Tsou, wenn das jetzt endlich mein Geheimnis ist, wirst du einen Fehler machen. Aber nur ... wenn es mein Geheimnis ist.« Iks kroch in einen Anzug, den es vor drei Stunden noch nicht gegeben und in dem ihn noch niemand gesehen hatte. Er hatte die Taschen voller Utensilien, die keinen etwas angingen. Nicht Tsou, nicht Barnett und erst recht keinen von der übrigen Besatzung. Iks-Wol-Esak verließ das Labor wie ein Einbrecher. Er sicherte nach allen Seiten, bevor er den Gang betrat. Zurück ließ er den Gedanken-Repetitor, der sich intensiv mit dem grünen Gehirn zu beschäftigen hatte. Er erreichte eine Nottreppe, die nicht bewacht wurde. Dadurch gelangte er ins vierte Deck. Hier wurde es gefährlicher. Daxas' Wachtposten standen überall. Patrouillen streiften durch alle Gänge. Iks hörte Schritte. Mechanisch regelmäßige Schritte von zwei Robotern. Er zog sich zurück in eine Gerätekammer. Eine Minute später wagte er einen erneuten Vorstoß. Die Luft war rein. Keine kleinen bunten Kugeln, keine Roboter, keine Soldaten der Besatzung. Sein Ziel war eine kleine Kabine im vierten Deck. Hastig zog er die Tür hinter sich zu. Der Raum war dunkel. Iks schaltete einen Taschenscheinwerfer an. Er sah nichts als Kabel und Röhren. Er befand sich in einer der Schaltstationen für das Versorgungssystem des Raumriesen TRILANI. Ein Bündel Werkzeuge quoll aus seiner Tasche. In zwei Minuten war das Sicherheitsventil der zentralen Entlüftungsanlage geöffnet. Er nahm ein etwa zehn Pfund schweres Plastikpaket aus der Jacke und entleerte den mehligen Inhalt in die Röhre. Komprimierte Saugluft der hydraulischen Pumpstation riß das Gift mit sich, verteilte es minutenschnell über alle Decks und ließ es durch die Frischluftdüsen in den letzten Winkel der TRILANI dringen. Iks-Wol-Esak war längst wieder auf dem Rückzug. Von seinem Labor aus führte ein anderer Weg an wichtigen Energieleitungen vorbei. Jeden Fußbreit in der näheren Umgebung seiner Arbeitsräume kannte er im Schlaf. Er öffnete die Kammer einer Verteilerstation. Die Kabel für die kybernetische Kontrollzentrale! Aus reinen Sparsamkeitsgründen wurden die Roboter, solange sie an Bord der TRILANI waren, aus einer gemeinsamen Quelle mit Energie gespeist. Iks-Wol-Esak zerschnitt die Verbindung zum Sender. In diesem Augenblick hatten die künstlichen Soldaten noch Aktivität für zehn Sekunden. Dann würden sie stillstehen, und ihre Gehirne würden ausgeschaltet sein. Der Schnitt – und zurück! Mit wenigen Sätzen erreichte Iks-Wol-Esak sein Schaltpult, riß die Verbindung des Repetitors heraus und dachte selbst in die Antenne seiner Telepathie-Batterie. »Hör zu, Tsou! Hör zu! Wenn du nicht nachgibst, kann es nur einen Kompromiß geben. Überlege dir Vorschläge, wie wir uns einigen können. Aber es ist unannehmbar für mich, daß du die absolute Gewalt über Tellus ausübst. Mache mir einen Kompromißvorschlag!« Stoptaste! Wiederholung der Aufnahme! Iks-Wol-Esak nahm sich nicht die Zeit, Tsous Reaktionen abzuhören. Er brauchte jede Sekunde für seinen Plan. Wie nebensächlich griff der linke Tentakel hoch hinauf zu einem Schaltbrett und aktivierte
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die Bildübertragung zur Kommandozentrale. Barnett, Lisman, Praxlomza und Bellinski waren besinnungslos zu Boden gesunken. Das Gift hatte bereits gewirkt. Es hatte schnell gewirkt. Schnell und unauffällig für die Betroffenen. Wäre es anders gewesen, hätten sich noch Abwehrreaktionen in den Köpfen der Betroffenen bilden können, so müßte der ganze Plan sinnlos werden. Iks-Wol-Esak hatte keinen Beweis dafür, daß bis jetzt alles geklappt hatte. Er durfte nur hoffen. Und handeln! Der Materietransmitter! Der Proka entleerte weiterhin die Taschen seines neuen, skurrilen Anzuges. Kapseln mit stundenalten Gedankenkonserven. Kapseln, die in fast hundert kleine Sender eingebaut waren und ihren Weg in alle Decks der TRILANI nahmen. Es war eine mühselige Arbeit. Achtzig Abschüsse mit dem Materietransmitter. Achtzig verschiedene Gedankenpakete an achtzig verschiedene Adressen. 78, 79, 80 – Ende! Fertig! Schweißgebadet sank Iks-Wol-Esak in sich zusammen. Während sein Geist der Müdigkeit nachgeben wollte, signalisierte sein Gehirn ›Gefahr‹. Wenn er jetzt schlappmachte, war alles vergeblich und nutzlos! Der Plan mußte weiterlaufen! Bis zu seinem kritischsten Punkt, bis zu dem Punkt, wo das grüne Gehirn Tsou das große Fragezeichen blieb. Bis zur Entscheidung ... Die mit dem Transmitter verschickten Kapseln fingen an zu senden. Konservierte Gedanken. Für Tsou mußten sie wie eine Livesendung wirken. Iks-Wol-Esak sprang in den Nebenraum für Ersatzteile. Hier warteten sechs inaktive Navigations-Roboter auf ihren Teil der Aufgabe. Er rüstete sie mit Individual-Batterien aus, so daß sie unabhängig von der zentralen Energiezufuhr agieren konnten. Rote Stirnlichter signalisierten die Aktivierung. »Achtung, Robots!« »Sie wünschen, Sir?« »Je zwei von euch besetzen die drei Beiboote und machen sie startklar. Ich komme mit euch, kann mich im übrigen aber nicht um euch kümmern. Ihr müßt absolut selbständig handeln und auch die Schleusen der Hangars öffnen. Aber meinen Startbefehl abwarten, verstanden?« »Jawohl, Sir!« »Okay! Dann ab und keine Fragen mehr!« Iks sammelte in seinem neuen Anzug den gesamten Vorrat an Teleporterwesten, den er in den letzten zwei Stunden zusammengehamstert hatte. Es waren genau 23 Stück. Viel mehr hätte er auch nicht schleppen können. Hinzu kam noch die eigene, die er auf der nackten Haut trug. Bevor er selbst sprang, trat noch einmal der Transmitter in Aktion und beförderte 25 Gedankenkapseln an Bord der drei Beiboote. Dann folgte er selbst. Auf der Brücke des A-Bootes lagen Lopez und drei Unteroffiziere. Iks zwängte sie in die mitgebrachten Jacken und gab ihnen ein Programm für die Zentrale des Mutterschiffes. In Sekundenschnelle teleportierten die Besinnungslosen. Iks hetzte weiter durch das Schiff. Er wollte alle retten und auch bei den unteren Dienstgraden keine Ausnahme machen. Es ging an die Grenze seiner Kräfte. Und trotzdem ließ er keinen Winkel der drei Beiboote undurchsucht. Zum Glück hatte während seines Manövers das gesamte Lazarett gerade wieder Position in der TRILANI bezogen. So blieb ihm wenigstens diese Arbeit erspart. 23 Teleporterwesten hatte er mitgebracht. Er brauchte nur 21. Zwei brachte er wieder mit. Um so besser. Wenn jetzt nur nicht die Kugeln kamen!
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Der Gedanke war lästig und unangenehm. In der Eile vielleicht sogar überflüssig. Eine von Iks-Wol-Esaks ersten Erkenntnissen bei der Erforschung von Tsous Elementen war die Tatsache, daß er sich auf optische Eindrücke nicht verließ. Tsou konnte nicht sehen. Tsou wickelte alle seine Informationen über den Frequenzbereich der Gedankenwellen ab. Deshalb hatte er auch nie Wert darauf gelegt, die optische Einsicht seiner Gegner zu sperren. So war es gewesen, und so war es auch jetzt. Noch hielt die größte Ungewißheit den Proka in Bann. Als er die Brücke der TRILANI betrat, wäre er am liebsten in ein Freudengeheul ausgebrochen. Der Bildschirm zeigte es! Die grüne Kugel hatte den Maschinenraum verlassen. Die Kästen waren verschwunden, und es gab keine von den geheimnisvollen Flaschen mehr. Nur ein dunkler grüner Fleck, zäh und gallertartig, erinnerte noch an das Mißgeschick des Maschinenoffiziers Perkins, an das Mißgeschick, das in seiner Auswirkung dem Wunder der Rettung gleichkam. * Iks-Wol-Esak streckte den mittleren Tentakel nach oben aus und zog sich auf die Lehne von Bellinskis Sessel. Dann änderte er die Schaltung der Beobachtungsschirme. Brücke Boot A! Zwei Roboter waren anwesend und bedienten die Armaturen. Brücke Boot B! Zwei Roboter waren anwesend und hantierten an den Armaturen. Brücke Boot C! Zwei Roboter waren anwesend und schalteten an der Armaturentafel. Wieder kam ein Stoß klebrigen Schweißes aus den Poren der Prokahaut. Der Ärmel des neuen Anzuges mußte ihn wegwischen ... Maschinenraum Boot A! Nichts. Maschinenraum Boot B! Da war es! Tsou, das grüne Kugelgehirn. Die Flaschen, die Kästen. Nichts fehlte. Iks-Wol-Esaks Spannung löste sich etwas. Es war leichter, den Triumph zu kosten. Und wenn es erst der Vorgeschmack war. So schmeckte es besser als der feuchte Schweiß, den die Ungewißheit aus dem zitternden Körper trieb. Die Gedankenkapseln auf den Beibooten sendeten immer noch. Die Kapseln auf der TRILANI dagegen ließen jetzt rapide nach. Immer mehr fielen aus, denn ihre bemessene Sendezeit war abgelaufen. Für Tsou mußte das Bild einer Flucht der Besatzung vollständig sein. Das Mikrophon! »Befehl an Beiboot B! Klar zum Start?« »Klar zum Start!« »Hangarschotten öffnen!« Der Robot bestätigte die Fernsteuerung von seinem Boot aus. Luken im Ringwulst der TRILANI glitten gespenstisch und lautlos zur Seite. Vor dem Bug des B-Bootes lag das schwarze, ewige Weltall, die Dimension des Hyperraums. »Kurs geradeaus! Abschweben, nach zehn Sekunden Startfeuer! Nach zwanzig Sekunden 100 g Beschleunigung bis auf Widerruf!« Der Robot wiederholte den Befehl. »Okay«, grunzte Iks-Wol-Esak heiser und kaum noch menschlich, wie es die Sprache der Tellurier verlangte. »Start frei!« Das Beiboot glitt hinaus. Der Robot bestätigte die vorgeschriebenen Schaltungen. Nach
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einer Minute war der Sarg des grünen Gehirns nur noch ein Punkt am Firmament. Iks-Wol-Esak hangelte sich zum Feuerleitstand hinüber, drückte ein paar Knöpfe für das Grobvisier und hatte das Opfer im Fadenkreuz. »Eine Zivilisation für ein Beiboot der TRILANI! Kein schlechtes Geschäft, großer Tsou, Gott der Götter und Habgierigen!« Ein schwerer Gamma-Strahl-Drilling reckte seine Zielantenne nach dem Opfer. Der Proka drückte den Feuerknopf. Ein Licht, ein Stern, eine Nova ... Iks sprang auf, drückte alle drei Arme auf den Boden und stemmte seinen Kugelkörper in die Höhe. Diese Art von Handstand war eine typisch prokaskische Begeisterungsschau. Es waren nur zu wenig Zuschauer. Ein einziger ... Nein, zwei ... Immerhin mehr, als er erwartet hatte. »Was ist denn in dich gefahren, Iks?« Das war Barnetts Stimme. Er kam sofort wieder herab und schwang zu seinem Captain herum. »Das ist meine Siegesfeier, Chef. Hast du etwas dagegen, daß ich sie allein bestreite, wenn die gesamte Besatzung sich schlafengelegt hat?« »Sprich bitte nicht in Rätseln, Iks. Mir ist verdammt elend zumute. Wenn mich nicht alles täuscht, bin ich sogar vor Müdigkeit umgekippt. Was ist denn mit denen da los? He, James! Du siehst mich an, als sei ich die Morgenröte. Iks ist verrückt geworden und hält eine Siegesfeier ab.« »Bei Klono, Perry, das sind genau meine Fragen. Wie kann ich eine Antwort darauf wissen. Mir ist, als müsse ich jetzt aus dem Bett aufstehen. Aber ich habe schlecht geträumt. Und wieso sich die anderen dazugelegt haben, kann ich nicht begreifen ... Hallo, Iks! Ist dir nicht gut?« Der Proka sah tatsächlich wacklig aus. Aber er mußte wenigstens noch das Wichtigste erzählen, ehe er sich endlich irgendwohin legen und drei Tage lang schlafen konnte. »Laß nur, James! Da ist der Bildschirm mit dem Maschinenraum ...« »Das grüne Gehirn!« schrie Lisman. »Wo ist das grüne Gehirn?« »Tot«, sagte Iks. »Ich werde es euch erzählen.« Er nahm noch eine Energietablette, schaltete das interne Interkom ein und sagte: »Ihr seid mir im Wege gewesen mit euren Gedanken. Deshalb mußte ich die Sache allein durchstehen. Ich hatte euch eingeschläfert, damit eure Gedanken meinen Plan nicht verraten konnten.« Und dann begann Iks-Wol-Esak ganz von vorn. Pedantisch, ausführlich, aber mit einer Bescheidenheit, wie sie nicht nur Perkins gut gestanden hätte.
ENDE
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Der Prokaskische Krieg erscheint bei story2go Verlag Thomas Knip, Pestalozzistr. 57A, 10627 Berlin. © Copyright 2009 bei Shols Erben und Mohlberg Verlag. © Copyright 2009 der eBook-Ausgabe bei story2go. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Dieser Band kann beim Mohlberg Verlag (www.mohlberg-verlag.de) als gedruckte Ausgabe bezogen werden.
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
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