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Nr. 440
Der Ring des Verderbens Lordadmiral Atlan als Bombenleger - und Oberst Cascal als Zeitspringer von Hans Kne...
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Nr. 440
Der Ring des Verderbens Lordadmiral Atlan als Bombenleger - und Oberst Cascal als Zeitspringer von Hans Kneifel Auf Terra und den anderen Planeten des Solaren Imperiums der Menschheit schreibt man Ende April des Jahres 3434. Im Wissen, daß die Menschheit eine unabwendbare Katastrophe zu erwarten hätte, sobald der Todessatellit die Sonne wieder aufzuheizen begänne, ist Perry Rhodan nicht das Risiko eingegangen, auf die Fertigstellung des im Bau befindlichen großen Nullzeitdeformators zu warten. Vielmehr ließ er das erprobte Kleingerät sofort nach der Testreise wieder zur Fidschi-Insel Viti Levu bringen, neu ausrüsten und reisefertig machen. Kurz darauf ging der Nullzeitdeformator mit seiner bewährten Besatzung erneut auf die Reise - diesmal zurück ins Jahr 200 000 vor der Jetztzeit. Dort überschlugen sich die Ereignisse Lordadmiral Atlan mußte mit dem Zeitreisegerät weiter in die Vergangenheit fliehen, um der Vernichtung zu entgehen, die von den starken Streitkräften der Cappins drohte. Perry Rhodan sowie drei seiner Gefährten konnten den Nullzeitdeformator nicht mehr rechtzeitig erreichen und gerieten in Ovarons, des Schirmherrn der Zeit, Gefangenschaft. Inzwischen hat sich die Lage der Gefangenen entscheidend verändert - wie auch Ovarons Situation. Der Cappin, der Mann aus der Vergangenheit, und Perry Rhodan, der Mann aus der Zukunft, treffen ein Abkommen. Und Lordadmiral Atlan trifft Vorbereitungen, um den RING DES VERDERBENS zu sprengen ... Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Lordadmiral sprengt den »Ring des Verderbens«. Dr. Kenoss Bashra - Ein unaufmerksamer Wächter. Joaquin Manuel Cascal - Der Oberst versucht sich in Zeitsprüngen. Jak - Ein Wilder wird kosmetisch behandelt.
zehn Lebewesen wenn man Paladin als ein Lebewesen rechnete Besitz ergriffen. »Ihr Freund Atlan, Rhodan, ist mit dem Nullzeitdeformator erneut um dreitausend Jahre in die Vergangenheit geschlüpft?« fragte der Mann mit den strahlenden, hellblauen Augen und der leicht gebräunten Haut. »Richtig. Um diese Zeit, das wissen wir, gibt es noch keine Angehörigen ihrer Rasse auf unserem Planeten.« Der Mann fuhr mit dem Daumen und gekrümmten Zeigefinger leicht über den Rücken seiner Nase. Dann sagte er lächelnd: »Keine Cappins auf der Erde - für mich ein etwas befremdlicher Gedanke, Rhodan.« Rhodan erwiderte: »Nicht für mich, Ovaron.« Der Cappin, der am Tisch saß, sehr gelassen tat und die Versammelten aufmerksam betrachtete, war nur vier Zentimeter kleiner als zwei Meter, breitschultrig und sehr schmal in den Hüften. Sein kantiges, hartes Gesicht wirkte nicht nur auf Frauen, selbst der kritische Haluter schien fasziniert zu sein. Dominierend in diesem Gesicht war die indianisch gekrümmte Nase. Der Mann sah aus wie ein knapp vierzigjähriger Terraner, aber für den Maßstab der Cappins war er ausgesprochen jung. »Mit der Rückkehr des Nullzeitdeformators in die Relativ-Normalzeit ist nicht vor den nächsten Tagen zu rechnen«, erklärte Rhodan. Die Zeitreise um zweihunderttausend Jahre in die
1. Der Mann, der Perry Rhodan gegenüber saß, war neben dem Großadministrator die dominierende Persönlichkeit innerhalb dieses Raumes, die Blicke der anderen richteten sich auf ihn, als er redete. Er saß gelassen und mit ausgestreckten Beinen in dem großen, federnden Sessel. Sie waren in der Schaltstation OVARON, auf dem Erdteil Lemu. »Ich sehe, die Lage ist ziemlich kritisch«; sagte der Mann halblaut. »So kann man es umschreiben«, erwiderte Perry Rhodan. Er sah sein Gegenüber an während er, ruhig in seinem Sessel schaukelte. Hier, in dem großen Saal der Schaltstation, standen sieben Sessel des gleichen Fabrikates um einen vergleichsweise riesigen Tisch mit mehr als zehn Quadratmetern Fläche herum. Die restlichen drei Personen standen neben dem Tisch, weil die Sessel entweder nicht geeignet waren oder zu schwach konstruiert. Wie ein Turm, wie ein Monument, stand der Haluter in seinem Kampfanzug hinter Rhodan, neben Icho Tolot ragte der Paladin auf, dem Haluter nicht unähnlich. Takvorian scharrte ungeduldig mit dem Vorderhuf, als wolle er Rillen in den Bodenbelag ziehen. Eine deutliche Stimmung der Unruhe schwebte über der Szene und hatte von den
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Vergangenheit dieses Planeten war vom Waringer Team genau berechnet worden. Da sie praktisch ohne Zeitverlust stattfand, deckten sich die Tage und sogar die Stunden im terranisch gültigen Kalenderablauf. Heute schrieb man den fünfundzwanzigsten April des Jahres 3434. Das hatte den Vorteil, daß man in sämtlichen fünf Uhren und Instrumenten die genaue Terminologie beibehalten konnte. Rhodan und seine Mannschaft, zu der Ovaron und Takvorian gestoßen waren, befanden sich in der Schaltzentrale war jene riesenhafte Energiestation, die tief unter dem Meeresgrunde des Tonga-Grabens der Jetztzeit entdeckt worden war. »Was bedeutet das für Sie ... für uns?« fragte der Cappin. Er blickte von Icho Tolot, der ihn aus drei glühenden Augen anstarrte, zu Paladin, der unbeweglich wie ein metallenes Denkmal hinter Alaska Saedelaere stand. Die Siganesen in der riesigen Konstruktion schwiegen und hörten zu, musterten den Pferdekörper mit dem Menschenkopf und den Cappin, der so erstaunlich menschlich wirkte. »Ich habe das Problem noch nicht durchdacht«, sagte Rhodan. »Aber schon vor Beginn der Zeitreise rechneten wir einige der grundsätzlichen Probleme durch Es geht für uns, wie jedermann hier weiß, um den Sonnensatelliten. Alle anderen Vorgänge, Expeditionen und Überlegungen hängen an diesem Problem. Es ist schließlich für das irdische Sonnensystem von entscheidender, lebenswichtiger Bedeutung.« Ras Tschubai warf ein: »Uns war klar, daß der in unserer Zeit existierende Sonnensatellit heute oder in einigen Jahren nicht vernichtet worden ist. Sonst hätte er natürlich nicht existieren und somit auch nicht zur Bedrohung des Systems werden können.« Ovaron stimmte ihm zu und nippte an seinem alkoholartigen Erfrischungsgetränk. »Das wäre auch meine Auffassung dazu. Seit ich Sie hier getroffen habe, denke ich ständig daran, bisher mit wir sehr nebelhaften Ergebnissen. Andere Wissenschaftler werden vermutlich herausgefunden haben, daß die Vernichtung doch gelungen ist daß meine Rasse aber einen zweiten Satelliten gebaut lachen könnte.« Lord Zwiebus meint »Sehr scharfsinnig. Wir könnten dann uns ständig in der Vergangenheit einnisten und pausenlos Satelliten vernichten. Das wäre nicht ganz im Sinn unserer kostspieligen Anstrengungen.« »Jedenfalls konnten die Verhältnisse nicht geklärt werden. Die vorangegangenen Zeitsprünge führten nur um rund fünfzig Jahrtausende in die Vergangenheit. Dazu kamen die Schwierigkeiten mit
dem Zeitläufer, also der Goldenen Spindel, die das Eindringen in die weitere Vergangenheit nachhaltig verhinderten.« Gucky meinte vorwurfsvoll, als wolle er sich entschuldigen: »Und schließlich mußten wir auch noch das Howalgonium zu Sextagonium verwandeln. Auch alles andere als eine leichte Sache.« Rhodan hob die Hand und sagte, an Ovaron gewandt: »Es ist nicht gelungen, sofort um zweihunderttausend Jahre in die Vergangenheit zu springen. Daher wissen wir nur etwas über die Zeitspanne zwischen der Ausgangszeit und etwa fünfzig Jahrtausenden Vergangenheit. Das Wissen, das wir in unseren Archiven haben, bezieht sich auf die Kultur der Lemurer und deren Kampf gegen die künstlich erzeugten Lebewesen.« Rhodans nachdenklicher Blick traf den schmalbrüstigen Zentauren Takvorian. »Das sind eine ganze Reihe von Fragen, die Sie hier aufgeworfen haben, Rhodan«, sagte Ovaron. Er fühlte die Spannung zwischen den Teilnehmern sehr intensiv. Um sie herum ständen die Maschinen und Schaltbänke dieses Saales - in der freien Fläche im Zentrum hielt sich die Gruppe auf. Die Maschinen ragten wie farbige Mauern und ein bizarrer Stahlwald hinter ihnen auf, schlossen sie ein, schufen eine abgezirkelte Zone relativer Behaglichkeit. »Wir sind hier, um nach Möglichkeit alle Fragen zu lösen«, sagte Ras Tschubai. »Und mir persönlich wäre lieber, wenn Atlan und dieser Schreihals Cascal schon da wären.« Gucky sprang empört einen halben Meter von seinem Sitz hoch, warf einen Strunk eines exotischen Gewächses nach Ras, der geschickt in Deckung ging. »Cascal ist kein Schreihals, merk dir das!« rief er. »Ein reizender Bursche. Aber ihr versteht seine Ironie halt nicht, das ist es.« Lord Zwiebus meinte spöttisch: »Aber du verstehst sie, ja?« »Natürlich«, gab der Mausbiber empört zurück. »Ich verstehe alles.« Rhodan hob beschwichtigend die Hand und sagte scharf: »Wir verstehen dich, Kleiner ... aber haben wir jetzt nichts Wichtigeres zu besprechen? Du blamierst dich womöglich noch vor unseren Gästen - oder eigentlich sind wir Ihr Gast, Ovaron.« »Richtig. Aber es scheint mir so, daß unser neandertaloider Freund ein Problem ganz besonderer Struktur hat«, sagte der Cappin. »Natürlich!« sagte Lord Zwiebus und stampfte mit der Keule auf. »Es ist mein eigenes Zeitparadoxon, das mich beschäftigt.« Fellmer Lloyd fragte halblaut: »Woraus besteht es?« Lord Zwiebus entblößte sein mächtiges Gebiß, mit
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dem er, wie Cascal in seiner unnachahmlichen Art behauptet hatte, Kokosnüsse knacken konnte und rief: »Ich bin durch diese Kuppel in die ferne Vergangenheit versetzt worden, und darüber hinaus in eine Zeit, die vor meiner eigentlichen Geburt oder Erschaffung liegt. Ich bin also eigentlich noch nicht da.« Icho Tolot begann zu lachen. Das dröhnende Geräusch klang in der großen, kahlen Halle, zwischen all den stählernen Maschinen, Speicherbänken, Umformern und Schaltpulten wie ein Gewitter. Der Widerhall klang nach, Gläser schienen zu klirren, und Alaska Saedelaere hielt sich ostentativ die Ohren zu. »Was soll dieses dumme Gelächter!« rief Zwiebus zornig und drohte mit seiner haarigen Faust. »Ich bin in einer Zeit, in der an mich noch nicht einmal gedacht wurde. Noch nicht einmal in der Planung, geschweige denn im Stadium der Entwicklung. Das frustiert ungeheuer, falls du dieses Fremdwort in deinem Wortschatz hast!« Icho Tolot klappte seinen Rachen zu und schaute überrascht. Als es wieder ruhig war, deutete Rhodan auf Ovaron und fragte geradeheraus: »Ovaron - Sie sind zum Flüchtling geworden oder gemacht worden. Richtig?« Ovaron stand langsam auf, ging einige Schritte und blieb dann stehen, seine kräftigen Hände auf der schalenförmigen Lehne des Sessels. »Das ist richtig, ich brauche es hier nicht mehr zu betonen. Meine Gegner sind Levtron und der neue Chef der Geheimpolizei Golamo, Tarakan. Sie verfolgen mich, weil mir offiziell vorgeworfen wird, ich hätte Ihr Zeitgerät bewußt entkommen lassen. Das mag bis zu einem gewissen Grad richtig sein, aber so einfach kann man es nicht ausdrücken.« Ovaron wußte noch immer nicht, welche Kräfte in ihm tobten. Er hatte deutliche und sehr bewußte Erinnerungen an die Vergangenheit. Die Jugend, die harte, schwierige und lange Ausbildung, einige Qualifikationen und flüchtige Abenteuer, das lag alles klar vor seinem inneren Bewußtsein. Trotz der Fähigkeit, die er besaß, nämlich gleichzeitig zweigleisig zu denken, eine Art intellektueller Schizophrenie, hatte er ständig das deutliche Gefühl, daß er eine Aufgabe hatte, die er nicht kannte. Als habe man ein Wissen tief in ihm verankert, das er nicht aktivieren konnte. Zum erstenmal schaltete sich der Pferdemutant in die Unterhaltung ein. »Aber dadurch, daß du geflohen bist, Ovaron, ist Merceile in größte Schwierigkeiten geraten.« Ovaron nickte. »Ich weiß. Ich sinne schon die ganze Zeit darüber
nach, wie wir hier eine entscheidende Änderung herbeiführen können.« »Levtron scheint sie für sich zu wollen, jedenfalls habe ich nichts anderes gemerkt. Er ist halb verrückt nach ihr!« erklärte Takvorian. »Aus diesem Grund hat er sie auch vom neuen Chef der Geheimpolizei, Tarakan, verhaften und einsperren lassen!« erwiderte Ovaron wütend. Trotzdem blieb sein Gesichtsausdruck beherrscht und überlegen. Rhodan fragte kurz: »Woher wissen Sie das?« »Schließlich bin ich als ziemlich guter Wissenschaftler auf der Ebene der Hyperphysik bekannt und habe eine Menge von Querverbindungen. Außerdem wirkte bis vor kurzem noch mein Status als Chef der Energieversorgung und der Abwehr.« Ovarons wissenschaftliches Fachgebiet war das der Sextadim-Navigation, das hatten sie vorübergehend vergessen. »Ich verstehe«, sagte Rhodan. »Was können wir unternehmen, oder ich sollte besser fragen: Was kann unternommen werden, um dieses arme Geschöpf aus den Krallen Levtrons zu reißen?« Gucky fragte unternehmungslustig: »Soll ich sie holen?« Alaska winkte ab. »Wir werden etwas Ähnliches unternehmen müssen, wenn wir sie retten wollen«, sagte Takvorian. »Aber Sie wollten uns noch einige Dokumente zeigen, Rhodan, aus denen hervorgeht, wie skrupellos die Rasse der Cappins ist. Begreiflicherweise bin ich daran interessiert.« »Begreiflicherweise!« wiederholte Ovaron. »Ich warte auch darauf, diese Beweise zu sehen. Ich habe da so ein Gefühl ...« Er ließ den Satz offen. Ras Tschubai und Alaska Saedelaere schleppten zwei kleine, aber ziemlich schwere Koffer herbei, öffneten sie und stapelten Teile des Inhalts methodisch auf den Tisch. »Wie gut, daß wir die Dokumentation in Mikroformat mitgenommen haben«, sagte Fellmer Lloyd. »So ist es«, sagte Rhodan. »Wo nur Atlan bleibt?« Gucky sagte: »Er sollte genau vor elf Stunden eingetroffen sein. Bisher ist nichts geschehen - ich weiß auch nichts. Aber sicher hat Freund Atlan, der weißhaarige Beuteterraner, seine guten Gründe.« Den beiden Fremdlingen wurde erklärt, wie die Projektoren zu bedienen wären, und was sie schildern würden. Während die anderen Expeditionsteilnehmer sich in der Station verteilten und ihre Routinearbeiten erledigten, sich schlafen legten oder etwas aßen, erläuterten Rhodan und Ras Tschubai Ovaron, was die Projektoren zeigten. Es war Beweismaterial aus den Archiven der
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Administration. Die Abenteuer Rhodans und seines Teams wurden wieder lebendig, daneben die Folgerungen und Berechnungen dieser Erlebnisse und die scharfsinnigen Analysen von Rechenmaschinen und historischer Forschung. Noch einmal tobten die Kämpfe der Lemurer gegen die Präbios. Noch einmal geschahen die bedrohlichen Vorgänge zwischen Sonne und dem dritten Planeten, noch einmal drohte die Sonne, das System zu verschlingen, wurden die letzten überlebenden Cappins getötet. Ein zweites Mal wurde das Land der Türme geschildert, in denen sich die riesigen Herden von drei verschiedenen biologischen Zuchtergebnissen vermehrten. Filme liefen ab, Bilder wurden gezeigt, Berichte wurden gesprochen, Kurven und Zahlen erschienen. Langsam begriff Ovaron mehr und mehr die Dinge durch dieses Beweismaterial aus der Ausgangszeit, aufgenommen bei den verschiedenen Gelegenheiten, bei den Vorstößen in die nähere Vergangenheit, erfuhr er alles über die verbrecherischen biologischen Experimente der Cappins und deren unglaublichen Erfolg. Einmal sagte er erschüttert und leise: »Vermutlich wollte niemand aus meiner Rasse das, was wir hier sahen. Diese Entwicklung geschah ungewollt.« Rhodan teilte seine Ansicht. »Die Lemurer!« sagte Rhodan und wechselte eine der eckigen Bildspulen aus. Die Geschichte ging weiter. Der Untergang der Lemurer wurde geschildert und dann die Anfänge einer neuen Menschheit, derjenigen, aus der Rhodan und seine terranischen Mitarbeiter stammten. Schließlich endete die schlüssige Beweisführung. »Verdammt!« rief Rhodan, nachdem er auf die Uhr geschaut hatte. Alaska sagte erläuternd: »Drei Stunden, Sir. Kürzer sind Einsichten solcher Tragweite kaum zu vermitteln.« Sie begannen die Ausrüstung wieder einzupacken und verschlossen die Koffer. »Ich ...«, begann Ovaron, dann schüttelte er den Kopf und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Der Pedotransferer, Träger der Tryzom-Körperchen, überlegte. Er überlegte gleichzeitig zwei verschiedene Aspekte dieser vermittelten Erkenntnisse. Die beiden polaren emotionellen Empfindungssysteme arbeiteten in seinem Körper, und er wußte plötzlich, ohne sagen zu können woher, daß diese Beeinträchtigung seines Unterbewußtseins auf gehört hatte. Das konnte nur eines bedeuten: Etwas in seinen
verborgenen Empfindungen oder seinem versteckten Bewußtsein hatte mit dieser Schilderung hier und den erfolgten Überlegungen seine Aufgabe gefunden. Anscheinend war er irgendwie auf diesen Moment programmiert oder hypnotisiert worden. Die Zweifel, die ihn jahrelang gequält hatten, waren wie weggeblasen. Verschwunden. Weg. »Ich glaube, Ihnen zwei Dinge von großer Wichtigkeit sagen zu können, Rhodan«, meinte Ovaron. »Ich höre zu«, erklärte Rhodan. Ihm war ein gewisser feierlicher Ton in der Aussprache nicht entgangen. »Ich wurde bisher von einem inneren Zwang beherrscht«, sagte der Cappin entschlossen. »Dieser Zwang schob mich in Richtung gewisser Ziele oder Aufgaben, die nicht meiner Art entsprachen.« »Ja!« »Ich sehe jetzt, hier und heute alle diese Aufgaben als beendet an. Nicht gelöst, aber gegenstandslos geworden. Ich habe eine neue Aufgabe, Rhodan!« Rhodan sah ihm fest in die großen, blauen Augen. »Welche?« Ovaron streckte ihm die Hand entgegen. Rhodan zögerte noch und wartete auf die Antwort. »Ich schließe mich rückhaltslos Ihnen an. Nicht unbedingt Ihnen persönlich, sondern der Aufgabe, die Ihnen gestellt worden ist. Ich werde sie mit allen Mitteln und allen meinen Möglichkeiten vertreten und unterstützen. Mit anderen Worten: Ich biete Ihnen und somit allen Terranern meine Freundschaft an. Bedingungslos. Und ich spreche auch für meinen Freund Takvorian. Tak?« »Selbstverständlich«, bestätigte der Pferdemutant. Rhodan schüttelte Ovarons Hand, dann die Hand Takvorians und sagte schließlich sehr ernst: »Ich habe in meinem Leben viele Fehler gemacht, aber niemals den Fehler, Freundschaftsangebote auszuschlagen. Aber welche Garantie habe ich?« »Ich meine es ... wir meinen es ehrlich, Rhodan!« sagte Ovaron entschlossen und ohne zu zögern. »Ich soll Ihnen sozusagen blind vertrauen?« fragte der Großadministrator. »Ich bitte darum. Ich werde versuchen, Ihnen zu beweisen, was ich meine.« »Ich werde darauf zurückkommen.« Wieder sprang der Cappin auf und glng aufgeregt hinter seinem Sessel hin und her. Er blieb stehen und beugte sich vor, streckte beide Arme aus und rief leise: »Ich weiß nicht genau, woher ich komme und wer ich eigentlich bin. Aber ich weiß auch sehr genau, daß ich mir all diesen Scheußlichkeiten nichts zu tun haben möchte. Ich weiß auch keineswegs, wer mir das Fachwissen verliehen hat, die Begabungen und viele andere Dinge ... ich glaube fast, ein anderer ist
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für meine persönlichen Erinnerungen verantwortlich. Bis auf Merceile, das ist etwas anderes.« »Gut«, sagte Rhodan. »Ich habe mich entschlossen, Ihnen zu glauben. Aber nehmen Sie niemals an, daß wir lahme oder zögernde Partner sind. Wir sind eine typisch junge Rasse, die sich behaupten muß und wird. Wir sind so friedliebend wie eine Taube, aber wer uns angreift, wird merken, daß wir schnell wie die Falken sind. Das ist auch meine Einstellung«, sagte Ovaron. »Es wird uns die Zusammenarbeit erleichtern. Unerschütterliche Freundschaft - das ist etwas Schönes. Aber es ist gleichzeitig so schwer wie selten etwas im Leben eines Wesens. Es klingt kitschig, ich weiß, aber es ist nun einmal so. Aber wir haben einige dringendere Probleme als ethische Erörterungen. Ja, Alaska?« Saedelaere klopfte mit dem Nagel des rechten Zeigefingers auf das Glas seiner Digitaluhr. »Atlan und Cascal sind vierzehn Stunden überfällig.« Rhodan stand auf und sah sich in der Halle um. Die Anzeigen der Ge- räte starrten wie glühende Augen von unbeweglichen Fabelwesen. »Es wird Zeit zum Handeln«, erklärte der Großadministrator. »Aber wie sollen wir das anpacken?« Rhodan wandte sich an Takvorian und Ovaron und sagte: »Damit wir ruhig schlafen und guten Gewissens handeln können, da Ihnen auch etwas an Merceile liegt ... holen wir das Mädchen hierher.« Der Pferdemutant lachte und fuchtelte mit seinen dünnen Armen. Er sagte: »Das ist das richtige Wort in der rechten Stunde.« Ras Tschubai schaute fragend zu Rhodan. »Soll ich ...?« fragte er. »Ja. Geht nach Matronis und holt das Mädchen aus dem Bereich von Levtron heraus. Ich würde vorschlagen - Gucky, Ras Tschubai, Ovaron und Takvorian. Sie können Ihre Fähigkeiten als Movator hier sehr gut einsetzen. Takvorian ... ich darf Sie doch Tak nennen?« »Es würde mich freuen«, sagte Takvorian und trabte vorsichtig halb um die Sitzgruppe herum. »Wieviel Zeit haben wir?« Rhodan sah auf die Uhr und überlegte. »So viel wie nötig und so wenig wie möglich«, erwiderte er zögernd. »Wir wissen nicht, wann Atlan kommtff Treffpunkt ist hier, weil wir hier vor Entdeckungen so gut wie sicher sind. Wenigstens vorläufig.« »So ist es. Ich esse nur noch etwas, stelle dann meine Ausrüstung zusammen, dann können wir aufbrechen.« Neben Ovaron verschwand auch der Pferdemensch
zwischen den dunklen Schächten in der Halle. Rhodan sah ihnen schweigend nach. 2. Gucky und Ras Tschubai sprangen mit einem Satz bis an den Rand der Stadt Matronis. Die vier Lebewesen, denn der Pferdemutant Takvorian und Ovaron waren von den Teleportern mitgenommen worden, rematerialisierten auf einer Klippe, die mit dichtem Wald bestanden war und sich sechshundert Meter über die Stadt erhob, etwa zweihundert Meter von den ersten, vereinzelt stehenden Häusern entfernt. »Dort liegt Matronis«, sagte Gucky. »Wie aber können wir unbemerkt eindringen?« Takvorian deutete nach vorn und erklärte: »Es bieten sich uns mehrere Möglichkeiten an. Deflektorschirme, die aber wegen der hervorragenden Abwehrmechanismen der Galamo nutzlos werden können.« Ras sagte: »Teleportation?« »Das auch«, meinte Ovaron, der durch ein scharfes Glas das Gelände absuchte. »Aber nur in Verbindung mit der speziellen Fähigkeit unseres Freundes.« Takvorian scharrte verlegen mit den Hufen und schlug mit dem Schwanz nach einigen Fliegen, die ihn umschwirrten. »Jedenfalls wird es ein Kunststück. Ich würde vorschlagen, Gucky bleibt hier und wartet auf ein Signal von uns - das ist eine vernünftige Sicherheitsreserve.« Gucky teleportierte sich auf einen dicken Ast, lehnte sich an den Stamm und erklärte: »Einverstanden, aber beeilt euch!« Die Stadt, die annähernd rund angelegt, unter ihnen lag, beherbergte mehrere Millionen Cappins. Obwohl die Gebäude massiv waren und die Straßen breit, obwohl über allem eine lebendige Planung zu erkennen war, schien die Stadt tot. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, daß Ras Tschubai wußte, wie wenig von ihr übrig geblieben war. Das, was hier in Form von Kuppeln, Hochhäusern, lang gestreckten, flachen Gebäuden und gespannten Brücken zu sehen war, lag in seiner Zeit tief unter dem Wasserspiegel, zerstört, schlammbedeckt und unkenntlich geworden. Ras fragte: »Wo ist der Knast?« Ovaron wandte sich irritiert um. »Was meinen Sie, Ras?« »In welchem Gebäude das Gefängnis untergebracht ist, in dem Merceile schmachtet.« »Dort drüben, der würfelartige Bau mit den rundumlaufenden Plattformen.« Ras nickte, spähte dann durch das Glas und sah das
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Gebäude deutlich. Es war ein Würfel aus Kunststoffelementen auf einem steinernen Sockel, etwa dreißig Stockwerke hoch. Zehn Balkone oder Terrassen waren um mindestens zwanzig Meter nach außen verlängert, so daß sich der Eindruck ergab, der Würfel sei von zehn Plattformen durchteilt. Rund um dieses Gefängnis erstreckten sich eine Parkzone mit alten, großen Bäumen, einige andere Gebäude und ein schlanker Turm. »Ovaron?« wandte sich Ras fragend an den Cappin. »Ja?« »Ohne Plan ist der schönste Entführungsversuch nutzlos. Wo befindet sich das Mädchen?« Ovaron überlegte kurz. Etwas unsicher sagte er: »Vermutlich in den wenigen Zellen, die Levtron für seine persönlichen Zwecke gebraucht. Das wäre das zweitoberste Geschoß unter dem Dach sind die Sicherheitseinrichtungen untergebracht.« Ras entschied: »Sie bleiben hier und warten - ich springe dorthin und versuche, die Lage auszukundschaften. Ich bin in einer Stunde zurück. Komme ich nicht zur versprochenen Zeit, lassen Sie sich nach zehn Minuten Warten von Gucky in die Kuppel zurückbringen, in die Schaltstation. Hast du verstanden, Kleiner?« »Bin ich begriffsstutzig?« fragte der Ilt empört. »Nein, aber manchmal willst du nicht hören, obwohl du genau verstehtst.« »Ja, ja«, sagte Gucky verdrossen, »macht nur eure Spielchen!« Ras nickte, konzentrierte sich auf einen Platz des Gebäudes und schaltete den Deflektorschirm ein. Dann rematerialisierte der Teleporter auf der obersten Plattforen, direkt am Rand, sah sich um und ging zwei Schritte vor. Nur wenige Gebäude der Stadt waren höher als dreißig Stockwerke - aber sie wirkten von hier wie himmelstürmende Säulen. Ras zählte insgesamt zehn solcher Riesenbauwerke mit mehr als hundert Stockwerken; es waren schlanke rasterförmige Riesen mit rechteckiger Grundfläche, deren Antennen schon nicht mehr deutlich sichtbar waren ... mindestens fünftausend oder mehr Menschen oder Cappins konnten in einem solchen Wohnhaus leben. Der Deflektorschirm machte ihn unsichtbar, aber er mußte vorsichtig bleiben. Man hatte es hier nicht mit Steinzeitmenschen zu tun, sondern mit der Bevölkerung einer luxuriösen Stadt, der Hauptstadt dieses Erdteils. »Und vermutlich der geplanten Hauptstadt des Solsystems«, ergänzte Ras und machte einen Satz bis an die Mauer vor ihm. Er drehte sich um, die Hand am Griff der Waffe. Nichts war zu hören, kein Alarm, keine Stimmen
und keine Schreie. Ras Tschubai sah die kleinen Erhebungen auf dem glatten Betonmaterial, stellte die Warnzellen darin fest. Wäre er vom Rand des Vorsprungs bis hierher gegangen, hätte er Strahlensperren durchbrochen und den Alarm ausgelöst. Er blieb neben einer Scheibe stehen. Er drehte den Kopf und spähte hinein - dort unterhielten sich zwei Cappins in ihren engen, silbernen Uniformen. Die Helme lagen auf einem Schreibtisch, die wappenähnlichen Symbole auf der linken Brusttasche wiesen beide Männer als Angehörige der Wachtruppe dieses Hauses aus. Eine Sekunde später stand Ras unsichtbar neben ihnen und drückte sich an die Wand neben einem Schrank. Er grinste, ohne daß er es wollte. »Ist ganz verrückt. Die erste Gefangene dieses Hauses, um die sich Levtron mehr Sorgen macht als um sich selbst«, sagte einer der Cappins. »Sie meinen, er hat sie nun aus dem Bereich Ovarons weggebracht und will sie für sich selbst?« »Natürlich. Wissen Sie das nicht? Das weiß doch inzwischen das ganze Haus.« Nicht nur dieses Haus, dachte Ras amüsiert. »Und diese Vorsichtsmaßnahmen ... ich habe noch niemals einen solchen Aufwand erlebt. Alle möglichen Sperren, die nur im Wachbüro selbst ausgeschaltet werden können. Strahlen und um die Zelle ein sechsdimensionales Abwehrfeld, würfelförmig. Levtron rechnet wohl damit, daß sich Ovaron seine Braut holen will?« Der Wachtposten sagte nachdenklich: »Ob er wirklich umgekommen ist? Ovaron war ein reizender Kerl. Es tut mir leid, daß er nicht mehr lebt.« Der andere nickte, schaute auf einen Bildschirm, und drückte dann an einem Schaltpult des Tisches eine Nummernkombination; sie bestand aus drei Symbolen, die den Zahlen 844 entsprachen. »Da ist sie!« sagte er und deutete auf den Sichtschirm, der sich von der Mitte der Wand bis zur Decke erstreckte. »Merceile«, rief der andere Posten. Ras Tschubai beugte sich vor und blickte den Kontrollschirm an, reit dessen Hilfe man jederzeit alle Gefangenen dieses Hauses kontrollieren konnte. Ras nickte anerkennend. Eine ganz nette Feierabendbeschäftigung, dachte er, sowohl für Levtron, den Düsteren, als auch für Ovaron. Ein großes Mädchen, etwa dreißig irdische Jahre alt, also rund achtzehn für die Verhältnisse dieser Rasse. Als erstes fiel ihm ihr Haar auf. Ras hatte einmal gesehen, wie Kupfer geschmolzen wurde ...die Haare, die bis zu den Hüften fielen, hatten die Farbe dieses Metalls. Sie waren hinter den Ohren mit einem bunten Band zusammengehalten.
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Eine ausgesprochen schlanke Schönheit, mit allen Attributen gereifter Weiblichkeit. Das Mädchen saß mit angezogenen Knien auf der Liege und hielt in den Händen etwas, das wie ein Lesegerät aussah. Ihre Augen, mit denen sie voll in die Linsen des Beobachtungsgerätes blickte, waren ockergelb, die Hautfarbe bräunlich, wie bei allen Cappins. »Ist schon ein schönes Stück!« sagte ein Posten anerkennend. »Wahrscheinlich ist der SextadimSchirm nicht deswegen da, um sie einzusperren, sondern um uns abzuhalten«, sagte der andere Posten. Merceile, Zelle 844, zweitoberstes Geschoß, schwer bewacht, Sextadim-Schirm, also für Mutanten undurchdringlich ... Ras hatte genug gesehen, konzentrierte sich auf den Erdboden vor dem Gebäude und landete. Er sah sich wieder um. Ras Tschubai stand, unsichtbar in seinem kugelförmigen Deflektorschirm, auf einer breiten, geschwungenen und mit einem durchbrochenen Geländer aus Plastikbeinen verzierten Fußgängerbrücke, die über eine stark befahrene Straße führte. Er zog sich bis an den Rand zurück, um nicht angerempelt zu werden und dadurch aufzufallen. Wachsam glitten seine Augen umher. Er erfaßte die Umgebung, sah die vielen beschäftigten Cappins und die Gleiter, die Geschäfte und die Dienstleistungsbetriebe. Dann betrachtete er aufmerksam die Fluchtlinie des Gefängnisses. Anschließend teleportierte er sich vor den Eingang des Gefängnisses. Er sah vier Posten, hinter denen die Roboter standen. Ein Stück Korridor Ras war plötzlich, ohne eine der Strahlenschranken zu durchbrechen, im Innern des Gebäudes und sah nach einer weiteren halben Stunde ein, daß es sinnlos war, würde er allein versuchen, das Mädchen aus der gesicherten Zelle zu holen. Er brauchte die anderen. »Nun gut«, sagte er. »Und ich habe auch schon genaue Vorstellungen, wie wir es anstellen.« Er teleportierte. Plötzlich stand er wieder neben den anderen. Gucky turnte von seinem Ast herunter und setzte sich auf Takvorians Rücken, ließ die Beine baumeln. »Na, wie geht's?« fragte er. Ras atmete tief ein und aus, dann erklärte er ihnen seinen Plan. Sie hörten konzentriert zu. »Wir warten, bis es dunkel wird.« »Das ist zweifellos besser.« Sie machten Zeichnungen in den Waldboden, sprachen die einzelnen ineinandergreifenden Aktionen durch und verteilten die Rollen. Sie warteten noch einige Zeit, dann handelten sie. Sie erschienen plötzlich, ohne Übergang, in einer Kreuzung von vier Korridoren des Gefängnisses.
Gucky teleportierte sofort in ein Versteck, hinter einige Computerelemente eines offenen Raumes. Von hier aus konnte er eingreifen, wann immer er gebraucht wurde. Ein Alarm wurde ausgelöst, als Ras Tschubai mit Ovaron in das Büro sprang. Die Männer in diesem Raum schienen unter einem seltsamen Bann zu stehen. »Los, schnell!« rief Tschubai. Es war wie in einem Film. Die Wachen bemerkten erst jetzt, daß zwei Männer im Raum waren. Sie bewegten sich schnell und entschlossen, aber für Ovaron und Ras verwandelten sie sich in Standbilder. Jede Bewegung der Wächter in den silbernen Anzügen schien Jahre dauern zu wollen. Geradezu unerträglich langsam griffen die Männer zu den Waffen, aber Ovaron und Ras waren viel schneller, obwohl sie sich nicht sonderlich beeilten. Sie identifizierten sehr schnell die Anlage, schalteten für einen ganzen Zellentrakt die Sicherheitsanlagen aus, einschließlich der Alarmanlagen, dann sondierten sie rasch das Gelände. »Alles klar?« »Nicht ganz«, antwortete Ras, zog seine Waffe und stellte sie auf minimale Kraft ein, dann feuerte er dreimal, viermal. Inzwischen hatte der Mausbiber zu tun, um den Korridor freizuhalten. Er wandte seine telekinetischen Kräfte an und wirbelte die Männer durch die Luft und verhinderte, daß sie einen festen Halt bekamen. Immer dann, wenn einer von ihnen eine Waffe ergriffen hatte, schlug er sie Ihm telekinetisch aus der Hand. Gucky blieb unsichtbar, aber er versäumte keine Gelegenheit. Während vier der Wachen im Büro die ihre Waffen In den Händen hielten in Zeitlupe umkippten, ganz langsam wie ein extrem verlangsamter Film verschwunden Ras und Ovaron, Sie rematerialisierten kurz bei Takvorian, der als Movator für den zeitverschiebenden Effekt verantwortlich war. Sie nickten sich zu, dann standen Ovaron und Ras in der Zelle von Merceile. Das Mädchen sprang erschrocken auf, als sie Ovaron erkannte. »Schnell«, sagte der Cappin. »Kommen Sie.« Er nahm das Mädchen an der Hand, faßte Ras an und verschwand. Der Movator warf sich vorwärts und galoppierte rutschend und auskeilend den Korridor entlang, brach durch eine Mauer schwebender Männer und schlitterte mit allen vier Hufen auf die Kreuzung hinaus. Gucky machte einen kurzen Sprung und teleportierte, sobald er auf dem Rücken des Pferdemutanten saß. Sie trafen sich wieder auf dem schräg aufragenden Felsen. »Tadellose Arbeit!« kommentierte Gucky. »Zurück in die Schaltstation.«
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Merceile sah von Ovaron zu dem dunkelhäutigen Teleporter und sagte leise: »Ich verstehe nichts mehr. Wie war es möglich, in diese Festung einzudringen und mich herauszuholen?« Ovaron strich über seinen Nasenrücken und lächelte kurz. »Das war nur mit Hilfe unserer beiden Freunde möglich. In einer konzertierten Aktion.« Takvorian kämmte sich mit den Fingern seinen handlangen Bart und nickte. »Mit flankierenden Maßnahmen. Wir sollten wirklich zurückgehen - Rhodan wird warten.« Das Mädchen lehnte sich leicht an Ovaron und fragte neugierig: »Wer ist Rhodan?« Gucky rief stolz: »Er ist der Größte.« »Dann«, sagte Ras Tschubai entschlossen, »suchen wir den Größten auf. Er wird warten, und außerdem ist Atlan überfällig. Beunruhigen wir ihn und das Team nicht noch mehr. Was, Freunde.« Er teleportierte mit Takvorian, und Gucky nahm Ovaron und Merceile mit sich. Sie standen plötzlich wieder neben dem Tisch im Innern der Schaltzentrale. Elf Personen befanden sich jetzt in diesem Versteck, das offensichtlich keinem anderen Cappin bekannt war. Rhodan verbeugte sich leicht und nahm die Hand Merceiles. Er sagte herzlich: »Ich begrüße Sie, Merceile, in unserem Kreis. Ich hoffe, Sie fühlen sich unter den etwas ungewöhnlichen Umständen einigermaßen wohl.« Merceile lächelte ihn in deutlicher Verwirrung an. »Ich werde es versuchen«, sagte sie. Rhodan ließ sich von Ras Tschubai erklären, wie sie es geschafft hatten, das Mädchen zu befreien. Dann sah er auf die Uhr und sagte »Atlan ist inzwischen mehr als vierundzwanzig Stunden überfällig.« Rhodan war sichtlich nervös. Er wußte, daß alle möglichen Gefahren drohten. Er sah auf, als der Mausbiber zu sprechen begann. »Perry«, sagte er, »wir sollten schnellstens die Grüne Grotte an der Küste aufsuchen.« »Ja«, erwiderte der Großadministrator halblaut, »das sollten wir tun. Und zwar unverzüglich!« Ras fragte: »Nervös, Sir?« »Natürlich«, sagte Rhodan. »Schließlich sind wir nicht auf einem Ferienausflug.« Alaska Saedelaere lehnte regungslos an einem Schaltschrank und sah schweigend von einem der Versammelten zum anderen. Er sah das bärtige, langhaarige Gesicht des Pferdemutanten, die große, schlanke Gestalt des Mädchens, das sich ebenfalls neugierig umsah eine sehr gemischte Gesellschaft, fand er, einschließlich des Mausbibers und des
Haluters. Je mehr und je länger sich die Menschheit mit dem Kosmos beschäftigt, desto mehr Lebensformen lernte sie kennen. Es waren seltene Fälle, daß die neuentdeckten Wesen dem Homo Sapiens glichen. Akonen, Arkoniden, jetzt die Cappins - war nicht häufig. Das andere war öfter anzutreffen. »Das sicher nicht«, sagte gerade der riesige Ovaron. »Ich habe noch ein Problem, Rhodan.« Rhodan sah ihn aufmerksam an. »Ja? Welche?« »Ich sollte noch einmal den Asphaltsee mit eigenen Augen sehen. Schließlich interessiert er mich. Ferner möchte ich mein Bild von allen diesen Ereignissen abrunden.« Rhodan sah auf die Uhr und hob dann den Kopf. »Wenn Sie diesen Ausflug innerhalb von neunzig Minuten abwickeln können, ist es mir recht. Wir werden inzwischen packen und weiter auf Atlan warten. Kommt er innerhalb der neunzig Minuten nicht, lassen wir uns von den Teleportern in die Grüne Grotte bringen. Einverstanden?« »Selbstverständlich«, sagte Ovaron. »Ras Tschubai ... nehmen Sie mich mit?« »Ja. Sind Sie fertig? Ich sehe unser Ziel vor Augen.« Ras Tschubai nahm Ovaron am Arm und verschwand, zusammen mit dem hochgewachsenen Cappin. Rhodan nahm in einem Sessel Platz, streckte seine Beine aus und sah wieder auf die Uhr. Es mußte etwas geschehen. Alaska Saedelaere, der noch immer kühl betrachtend an der Maschine lehnte, sah Merceile scharf an. Er bemerkte jetzt deutlich, was er schon bei der ersten Begrüßung zu sehen geglaubt hatte. Merceile war vom Großadministrator fasziniert. Aber Rhodan hatte zur Zeit andere Sorgen. Sie landeten am Rand der Insel. Ovaron sagte leise: »Abenddämmerung - ein Bild der Ruhe.« »Ein trügerisches Bild«, erwiderte Ras Tschubai. »Dort!« Ringsum befand sich der kochende, blasenwerfende Asphalt. Aus den kleinen und großen Blasen, die mit häßlichen Geräuschen aufplatzten, kamen Gaswolken, dünne Flammen und ein mörderischer Gestank. Die Insel, die wie der Rücken eines rätselhaften Meerestieres aus der graubraunen Masse aufragte, war ein Stück Erdoberfläche, auf dem nichts wuchs, niemals etwas wachsen würde. Ovaron folgte der Richtung des ausgestreckten Armes. »Ich sehe es«, sagte er. Es war eine geheimnisvolle, todbringende Insel. Die beiden Männer gingen ein paar Schritte geradeaus. »Das ist der von uns so genannte Zeitläufer«, sagte
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der dunkelhäutige Teleporter. Ovaron schüttelte den Kopf. »Von diesen Zeitläufern hat nicht einmal der Chef der Galamo eine Ahnung, und wir waren über so ziemlich alles orientiert, was es auf diesem Planeten gibt«, sagte er fassungslos. »Keine Ahnung, wozu diese Spindel diente?« »Nein«, erklärte der Cappin. Es war, das erkannte Tschubai sofort, das gleiche Exemplar, auf das von den Terranern damals bei ihrem ersten, beinahe verunglückten Vorstoß In die Vergangenheit geschossen worden war. »Sehen Sie die Zerstörungen, Ovaron?« fragte er. »Ja. Was hat das zu bedeuten?« Tschubai erklärte es ihm in wenigen Sätzen. Das Metall der Goldenen Spindel War an einigen Stellen geschmolzen und bildete an der glatten Fläche tropf und Schmelzspuren. Der Überzug dieser Maschine glänzte im letzten Licht der Sonne. »Nicht, daß Sie mich mißverstehen«, wandte Ovaron ein und ging wieder um einige Schritte näher an den merkwürdigen schwebenden Gegenstand heran. »Ich weiß, daß es diese Spindel gibt. Ich kenne natürlich auch ihren Zweck ...« »Zeitreisende, gleich welcher Art, aus welcher Zeit und aus welchem System, sollen durch die Spindel daran gehindert werden, hierher vorzudringen. Richtig?« fragte Tschubai. »Richtig. Ich kenne den Zweck, aber nicht den Hersteller. Vielleicht waren es nicht einmal die Cappins, meine Rasse, die ihn gebaut hat.« Ras lächelte und erwiderte: »Ich glaube Ihnen, Ovaron.« Der Cappin war etwas verstört. Inmitten dieser unwirklichen Umgebung schien der geheimnisvolle Gegenstand, mit den Narben der Einschüsse bedeckt, besonders rätselhaft zu sein. Beinahe wäre es dem Team um Rhodan und Atlan gelungen, beim ersten Eindringen in die Vergangenheit diese Spindel zu vernichten. Die Tatsache, daß dieses Gerät Schußspuren trug, wirkte nicht gerade erhellend. Ras ahnte, daß noch eine ganze Serie von unwahrscheinlichen Beobachtungen und eine nicht kleine Menge von Theorien ausreichen würden, um die Geheimnisse gänzlich zu klären. Das blubbernde, brodelnde Geräusch des Asphaltsees schläferte ein. Sie beschlossen, unverzüglich aufzubrechen. Ras schob seinen Arm unter den von Ovaron, stellte sich sein Ziel vor und teleportierte. Sie kamen mitten in den Aufbruch hinein. Genau zehn Minuten später war die Schaltstation leer. Nur noch wenige Spuren ließen erkennen, daß elf sehr verschiedene Wesen hier eine KURZE Zeit Unterschlupf gefunden hatten. Alle elf Personen kamen wohlbehalten an.
Die Grotte wurde durch einige kleine Leuchtkörper notdürftig erhellt. Einige Männer des Teams standen Wache, und auf dem Boden standen und lagen die Ausrüstungsgegenstände. Zwei Mann des Teams lagen in ihren Schlafsäcken und schienen zu schlafen. Mit Hilfe von Schwemmholz war ein Feuer angefacht worden, das im Zentrum einer runden Nebenhöhle brannte. Rhodan und einige andere saßen um das Feuer herum, über dem ein Grill befestigt war, auf dem die Dosen einiger Konserven standen und langsam erhitzt wurden. »Wie alt sind Sie?« fragte Merceile entgeistert. Rhodan, der sich gegen eine schwere Kiste mit wuchtigen Griffen lehnte, wiederholte die Altersangabe. »Allerdings mit einigen Hilfsmitteln«, sagte er. Bernsteinfarbene Augen strahlten ihn an. Zu sehr, fand Alaska Saedelaere, der schweigend zuhörte. Das Mädchen war, wie Rhodan inzwischen erfahren hatte, Biotransfer-Korrektorin. Er ließ sich von ihr das Wortungeheuer erklären und verstand schließlich, was sie meinte. Er revanchierte sich, während er auf Atlan wartete, mit einer Kurzfassung der Geschichte des Solaren Imperiums. Ovaron kam heran und setzte sich neben Merceile in den kühlen Sand. Er hörte fasziniert zu. Offensichtlich, dachte Ras, der sich neben Alaska an die rauhe Felswand lehnte und einen Kaugummi auswickelte und ihn zwischen die Zähne schob, wird es in Kürze soweit kommen, daß Merceile in einem schweren inneren Zwiespalt gerät. »Ich lasse meine Augen zwischen Rhodan, Ovaron und der Dame hin und hergehen«, flüsterte der hagere, schwarzhaarige Transmittergeschädigte. »Ich auch. Siehst du, was ich zu sehen glaube?« Alaska nickte langsam. »Ich sehe es, und meine Phantasie rotiert sehr schnell.« Kauend fragte der Mutant: »Wie sind die Aussichten?« Alaska erklärte leise: »Die Zuneigung dieses Mädchens scheint ernsthaft zwischen Rhodan, dem neuen, und dem guten alten Ovaron zu schwanken. Seelischer Zwiespalt ersten Ranges. Und da unser verehrter Herr Chef alle intensiveren weiblichen Bekanntschaften zu heiraten pflegt, sehe ich inzwischen bereits die kleine, schlichte Trauungsfeier im Kreis der engsten Freunde. Im Kreis von etwa dreihundert Milliarden engster Freunde. Terra Vision und so weiter.« Ras sagte erschrocken: »Deine Phantasie galoppiert schneller als unser Freund Takvorian. Wo steckt er eigentlich?« Alaska konnte nicht grinsen, hätte er dies unter seiner Maske tun können, wäre es ein sehr breites Grinsen geworden.
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»Ich weiß es noch nicht«, sagte er. »Entweder äst er, oder ein Steak liegt vor ihm. Was meinst du? Ist er Vegetarier wie ein Gaul oder Feinschmecker wie ein Terraner?« Ras schlug vor: »Frage ihn!« »Das wäre in diesem jungen Stadium der Freundschaft alles andere als höflich. Und Warmblüter, hörte ich, reagieren empfindlich«, sagte Alaska. Natürlich - es war kaum anders zu erwarten. Nicht nur die Männer bewunderten den großen ernsten Mann mit dem dunkelblonden Haar und den harten grauen Augen, allein rein wissenschaftlich mußte ein Mann, der um zweihunderttausend Jahre aus der Zukunft kam, von der Warte der Cappins aus Aufsehen erregen. Und wenn es nun der enorm jung aussehende Großadministrator selbst war ... unvorstellbar. Aber für das Mädchen war es natürlich irrsinnig schwer. Sie hatte es nicht mit schnellen Entscheidungen - schon gar nicht angesichts solch hoher Jahreszahlen, wie sie hier ständig in die Debatte geworfen wurden. War Rhodan nicht etwas zu alt für sie? Sie blieb zurückhaltend, aber von liebenswürdiger Aufmerksamkeit. Schließlich sagte Ras Tschubai: »Wie ich die Frauen kenne - und ich kenne eine erhebliche Anzahl, Alaska! wird dieses entzückende, junge Persönchen lange Beobachtungen anstellen und viel Zeit brauchen, um Klarheit zu erlangen.« Alaska war derselben Ansicht. Als die Rede auf Atlan kam, meinte er: »Sicher hat er sich inzwischen über Joaquin Manuel Cascal totgeärgert, und wir sind dazu verdammt, hier zusammen mit den Cappins aufzuwachsen. Bei solchen Zeitdistanzen helfen nicht einmal Zellaktivatoren.« Wenn er geahnt hätte, daß diese Äußerungen gar nicht so lustig waren, sondern in gewisser Weise Bedeutung erlangen würden, hätte er geschwiegen. Das Gerät war etwa handgroß, wurde von einer kleinen Energiezelle angetrieben und diente dazu, Menschen wahnsinnig werden zu lassen. Joaquin Manuel Cascal tippte auf eine Stelle des Rückens, und das Ding begann sich zu bewegen und Töne von sich zu geben. »Seit ich Sie kenne, Cascal, frage ich mich, auf welche Ideen Sie noch kommen werden«, sagte Atlan. Sie saßen sich an einer Arbeitsplatte gegenüber, die neben einem Schaltpult angebracht war. Die Kuppel des Zeitdeformators war derartig mit Maschinen, Fahr- und Flugzeugen und ähnlichen maschinellen Dingen vollgepfropft, daß für die Menschen, deren Fortbewegung sie ausschließlich dienten, nur noch Quadratzentimeter übrigblieben wie Big-B ständig zeternd betonte. Auf der Arbeitsplatte marschierte eine handgroße
Figur hin und her und sang. »Der Barde!« sagte der Lordadmiral staunend. »Richtig!« sagte Cascal. »Der Barde Zodiak Goradon, der Mann mit der sechzigsaitigen Gitarre.« Der Barde, kenntlich durch seine verwegene Kleidung und den ringförmigen Bart, der Mund und Kinn umgab, strich mit einer Hand über die Saiten der winzigen Gitarre und sang. Natürlich kam seine Stimme von einem winzigen Tonbandgerät über einen Lautsprecher, der sich dort befand, wo der Nabel des Originals sein mochte. »Ein schönes Lied!« sagte Cascal. »Lieben Sie Musik, Sir?« Die beiden Männer grinsten sich an. Atlan mochte Cascal, und er fand es mehr als schade, daß sich solche Männer nicht über Jahrhunderte erhalten ließen. Cascal war für ihn der lebende Beweis für die Vergänglichkeit alles Irdischen. »Selbstverständlich«, sagte der Lordadmiral und rührte in seinem Kaffee. »Das sollte Sie aber nicht dazu verleiten, laut zu singen.« Cascal bestätigte: »Es wäre schrecklich!« Der Spielzeug-Barde, den Cascal am Raumhafen Olympias gekauft hätte, voller Freude an dieser nervtötenden Spielerei, sang eine Strophe des Liedes, das ihn interstellar, fast schon galaktisch bekannt gemacht hatte. Er war inzwischen ein steinreicher Mann geworden und sang nur noch, wie er kürzlich einem Video-Reporter anvertraut hatte, um seine Stimme in Übung zu halten. »Die Wolken werden sich spalten, und ein Donner ertönt durch die Wolken. Die Wellen der See werden höher und schneller, der Sand rauscht in den Gezeiten, die Vögel über dem Raumhafen, sie fliegen hoch in der Stunde in der das Schiff landet. Die Sonne geht auf, die Wolken spalten sich, der Regen hört auf, in der Stunde, in der das Schiff ...« Die Puppe, die sich genau wie der einunddreißigjährige Rothaarige bewegte, Gitarre spielte und sang, marschierte über die Arbeitsplatte hin und her, drehte sich vor Atlan um und ging wieder, während die komplizierte, stark rhythmische Musik des Saiteninstrumentes aus dem Lautsprecher ertönte, auf Cascal zu. »Was ist jetzt zu tun?« fragte Cascal laut, um sich verständlich zu machen. Atlan schnappte sich den Sänger, legte ihn auf den Bauch und schaltete die Anlage aus, ehe sie weitere Ergüsse über die Stunde der zu erwartenden Schiffslandung von sich gab. »Wir führen meinen Plan aus«, sagte der Lordadmiral. »Fein. Ich bin nicht abgeneigt, mich auf das Feuerwerk zu freuen«, sagte der Oberst der Abwehr
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mit der Terkonitplatte im Hinterkopf. »Allerdings freue ich mich, wie immer, auch auf das Ende des Abenteuers.« »Das«, sagte der Lordadmiral rasch, »durch diese Ausführung erheblich näher kommen wird.« Der Nullzeitdeformator stand nach wie vor im Enadatal. Aber von den wartenden Cappins war er durch drei Jahrtausende getrennt, stand also im Jahr 203 000 vor der Zeitangabe, die man auf der Erde verwendete, aus der die Männer kamen. Draußen breitete sich die wundervolle Landschaft aus. Sie war genau vermessen worden; mit einer Vielzahl verschiedener Methoden. Eine Landschaft, in der es sogar noch Saurier gab. Unglaublich, dachte Cascal, während er mit Atlan in dieser kurzen Pause Kaffee trank und ruhig eine Zigarette rauchte, daß er selbst noch einen irdischen Saurier gesehen hatte, sogar einen fleischfressenden. Genau genommen, deren mehrere. Es stand für alle Wissenschaftler innerhalb der Kuppel fest, daß diese Relikte einer noch ferneren Vergangenheit in relativ wenigen Exemplaren einzig und allein auf dem Erdteil Lemuria existierten. An allen Teilen des Planeten waren sie ausgestorben, begraben unter dicken Schichten von Erdreich, Gestein und Wäldern, die zu Kohle geworden waren. Lebende Fossilien, hatte Kenosa gesagt und begeistert Aufnahmen von ihnen gemacht. Aber auf diesem Erdteil gab es, abgesehen von den fleischfressenden Riesenechsen, noch serienweise ändere Überraschungen, die vergleichsweise weniger harmlos waren als ein wütender, aber einfältiger Tyranosaurus rex. »Wann fangen wir an?« fragte Cascal. »Aus taktischen Gründen müssen wir die Morgendämmerung abwarten«, sagte Atlan. »Ausgezeichnet. Bis dahin können wir noch einmal alle unsere Systeme überprüfen«, sagte Cascal zufrieden. Atlans Plan war relativ einfach und sehr wirkungsvoll. Als am 16. April der Nullzeitdeformator genau einundvierzig Sekunden lang aufgetaucht war, waren Gucky und die anderen in die Grüne Grotte entkommen. Gleichzeitig hatte der Nullzeitdeformator einige seiner kleinen, aber sehr teuren Geräte in Betrieb gesetzt. Mit Hilfe der Bordkameras wurden Serien von stereoskopischen Aufnahmen in allen Wellenbereichen gemacht. Ortungssonden waren aufgestiegen und hatten Photos und Diagramme zurückgesendet. Das gesamte Enadatal und die umliegenden erge waren detailliert abgebildet, vermessen und geprüft worden. Aus sämtlichen Winkelbereichen wurden Aufnahmen gemacht, dieselben Aufnahmen existierten bereits aus
den Tagen, in denen der Nullzeitdeformator zum allerersten Mal gestartet war. In der vergangenen Zeit hatten Atlan, Cascal und zwei der anderen diese Aufnahmen ausgewertet. Eine mühevolle, langwierige Arbeit. Das Resultat lag zwischen Atlan und Cascal auf dem Tisch. Es war eine Karte. »Wir werden sehr schnell arbeiten müssen«, sagte Cascal und dachte daran, welche Mengen sie aus der Kuppel hinausschleppen mußten. »Kein Preis ohne viel Fleiß«, sagte Atlan. »Altes arkonidisches Sprichwort.« Cascal grinste sarkastisch und sagte-»Der einzige Vorteil von Binsenwahrheiten ist, daß sie stets zutreffen.« Die Karte war ein kleines Meisterwerk topographischer Kunst. Sie schilderte haargenau den Zustand dieses Geländes in der Zeit, in der der Nullzeitdeformator Rhodan treffen sollte. Es war eine Art extrapolatorischer Arbeit gewesen, die Geländeverformungen durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg zu bestimmen. Jede Bergspitze, jede Bodenwelle, jeder Erdspalt und jede einzelne Geröllverschüttung waren eingezeichnet. Aber ... Eingezeichnet waren auch die genauen Standorte aller cappinschen Geschützstellungen, die Gleiterdepots, die Warteposten und der beweglichen Anlagen. Ebenso die Orte, an denen die schweren Meiler der Energieversorgung standen, die für die Schutzschirme der Angriffsforts wichtig waren. Die eingezeichneten Punkte, Linien und Quadrate stellten einen mathematisch exakten Kreis von einigen Kilometern Durchmesser dar. Unregelmäßig nach innen und außen ausgebeult, dort, wo einige besonders strategisch wichtige Punkte lagen. »Ein Dreitausend-Jahres-Plan!« meinte Cascal. »So etwas gab es also auch schon in der Vergangenheit der Erde.« Atlan sagte nachdenklich: »Sie machen eine kritische Bemerkung?« »Ja«, erklärte Cascal. »Kritik tut Not, allerorten. Halten Sie mich bitte nicht für einen Gegner unserer Pläne, aber ich sehe selbst mit meiner geringen Erfahrung, daß sich alles wiederholt. Ein ewiger Reigen, nicht einmal die Musik ist darin neu.« Er griff wieder nach dem Barden und wollte ihn einschalten, aber Atlan nahm die Puppe aus Cascals Hand und steckte sie in ein Fach. »Eines Tages werden Sie in der Administration in Terrania City erscheinen und dort im Flur einen aufziehbaren Großadministrator herumlaufen lassen. Das dürfte dann das Ende der Karriere sein, fürchte ich.«
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»Wessen Karriere? Rhodans?« fragte Cascal unbewegten Gesichts. Atlan lachte laut auf. »Ihrer Karriere, Joak!« Cascal schüttelte energisch den Kopf und besah sich den Berg von würfelförmigen, kugelartigen und schachtelähnlichen Dingen, die zwischen einem Meiler und dem antiken Jäger gestapelt waren. »Ich habe schon einen Rhodan Poster, der über meiner Junggesellencouch klebt«, sagte er. »Und einen eingerahmten Bully, mit Autogramm. Hätten Sie nicht auch ein nettes Bild mit Ihrer Widmung für mich? Dann brauche ich mir nicht solche Ersatzdinger wie diesen rotbärtigen Barden zu kaufen. Noch lieber wäre mir allerdings ein Exemplar Ihrer reichhaltigen Memoiren ... handsigniert: Sie waren seinerzeit ganz hübsch aktiv, Lordadmiral Ich meine so unter unseren irdischen Vorfahren.« »Ja«, Nagte Atlan. »Es war eine recht interessante Arbeit, stellenweise. Was mir am meisten fehlte, waren Mittel gegen Insekten und Dummheit.« Cascal nickte in deutlichem Bedauern. »Ich sage es ja«, meinte er und schlug mit einem Stapel Photos nach einer surrenden Mücke, die um die heruntergebogene Arbeitslampe kreiste wie der Todessatellit in der Sonnenkorona, »nichts hat sich geändert.« »Sie bekommen ein Exemplar!« tröstete ihn Atlan. Cascal versicherte glaubwürdig: »Ich bin einer Ihrer treuesten Leser, Sir.« »Aha«, sagte Atlan heiter. »Sie sind der Herr, der mein Buch gekauft hat.« »So ist es.« Die Ruhe täuschte. Der. Laderaum und ein Teil der Personenkanzel des diskusförmigen F-2020 waren dazu ausersehen, die relativ kleinen Päckchen zu transportieren. Diese Geräte enthielten Ausnahmslos einen Empfänger, der Hyperwellen empfing. An die Empfänger waren Auslösemechanismen angeschlossen - den Rest des jeweiligen Paketes bildete eine Mikrowaffe, die aus den Arsenalen der Abwehr stammte. Atlan hatte sie vorsorglich mitgebracht, und jetzt war der Zeitpunkt nahe, in der sich die kluge Voraussicht der Abwehr und des Lordadmirals auszahlen sollte. Cascal sah auf die Uhr. »Wir kommen mit einer phantastischen Verspätung an«, sagte er. »Aber schneller war es einfach nicht möglich.« Lordadmiral Atlan strich das weißblonde Haar aus der Stirn und sagte lächelnd: »Ich nehme an, es wird mir gelingen, meinen Freund Perry von der Notwendigkeit zu überzeugen.« Cascals Hand deutete auf den Haufen der Mikowaffen. »Er wird sehen und staunen, fürchte ich.« Die Kleingeräte waren hervorragende, gut isolierte
Konstruktionen. Sie litten nicht unter der langen Zeit, die zwischen jetzt und dem Zeitpunkt lag, an dem die Waffen gebraucht wurden. Auch die kochempfindlichen Mikropositroniken konnten der Zeit widerstehen. »Es wird für uns alle ein hartes Stück Arbeit«, sagte Cascal. »Ich denke nur an die Wege, die zurückgelegt werden müssen.« »Mit Hilfe unserer Technik, wird manches Leichter«, meinte Atlan. »Frisch ans Werk.« Cascal drückte die Zigarette energisch aus. »Einverstanden, Sir«, sagte er. Beim ersten Licht des Morgens begannen sie zu handeln. Die F-2020 war beladen; neben Cascal saßen Atlan und Kase. Cascal setzte die dunkle Brille auf, rollte mit dem Jäger vorsichtig aus der Schleuse des Nullzeitdeformators heraus und startete. Er flog nach der Karte und landete am ersten Platz. Dort wurden einige der Kistchen, Kugeln und Würfeln ausgeladen, und Kase stieg aus. Er trug eine Art Bohrer bei sich, mit dem er fast jede Art Material bearbeiten konnte, auch den Fels. Eine Stunde später landete Cascal auf einem Hochplateau zum letzten Mal. Er war jetzt allein, aber wenn er genau hinunterschaute; konnte er die gesamte Besatzung der Zeitkuppel sehen, die sich auf ihre Plätze zubewegte. »Fangen wir an«, sagte er. Er nahm eine Teilkarte zur Hand, breitete sie auf dem Boden aus und orientierte sie nach Norden, dann suchte er das Gelände ab. »Hier drüben.«, sagte er. Hier würde, unter dem Schutz einer mächtigen Felsbarriere, ein atomares Kraftwerk stehen - das hieß, es stand bereits dort, drei tausend Jahren In der Zukunft, dreitausend Jahren näher an der Zeit, aus der Cascal wirklich kam. Cascal holte seinen Ultraschallbohrer, schaltete ihn ein und grub direkt dort, wo nach genauesten Berechnungen die Turbine des Meilers stehen würde, ein Loch. Nach zwanzig Zentimetern stieß er auf gewachsenen Fels. Der Ultraschallbohrer trat in Tätigkeit und schuf binnen Minuten ein Loch. Zwanzig Zentimeter im Quadrat und eineinhalb Meter tief. Nachdem Cascal fast alle Rückstände aus dem Loch geschaufelt hatte, versenkte er das erste Gerät hinein, schaufelte wieder etwas von dem staubähnlichen Geröll hinein und warf dann Steine und Felsbrocken darauf. Dann nahm er seinen Strahler, stellte ihn ein und schmolz das Gestein aus sicherem Abstand. Als sich der Rauch verzogen hatte, sah er, daß das Loch vollkommen zugeschmolzen war, als habe er flüssiges Glas oder Lava hineingeschüttet. »Immerhin«, sagte er. »Ein Erfolg.« Er zog die Karte wieder zum Vergleich heran. Dort drüben, zweihundert Meter weit vom
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Nullzeitdeformator entfernt, befand sich in dreitausend Jahren ein Truppenlager. »Und dieses Mal arbeiten wir mit subtileren Mitteln!« sagte er. Wichtig für das Gelingen von Atlans Plan war, daß die drei Jahrtausende den Bomben nichts anhaben durften. Das bedingte eine besondere Auswahl bei der Deponierung. Am sichersten waren Stücke gewachsenen Felsens, der sich bewegen konnte, aber in sich stabil blieb. Cascal erkletterte mit einem kugelförmigen Gerät und seinem Spezialbohrer eine Felswand, die genau über dem zukünftigen Lager hing. Dort arbeitete er ein weiteres Loch heraus und versteckte diese Art der Bombe in gleicher Weise. Die gesamte Besatzung des Nullzeitdeformators arbeitete so. Zwanzig Minuten später hatte Cascal seinen Vorrat, insgesamt fünf Mikrowaffen, vergraben. Geschützkuppeln, Meiler, Gleiterstationen und Lager, Magazine und transportable Geschütze würden dort stehen, an den Orten, die er eben verlassen hatte. Als er wieder in den Jäger stieg, um seinen Nachbarn zu besuchen, ihm zu helfen und möglicherweise zurückzufliegen, hörte er das Signal im Minikom. Er hob den Arm und sagte laut: »Hier Cascal. Wer ruft?« »Kase. Schnell. Ich werde angegriffen!« Ohne zu zögern, kletterte Cascal in die Maschine und schob den Starterhebel vor. »Von wem?« rief er ins Mikrophon. Er bekam keine Antwort. Die Kreisrotoren drehten sich, die wabernden Feuerströme schossen heulend und jaulend aus den gegenläufigen Rotorkränzen. Der Jäger hob ab, schwang sich in einer weiten Kurve von dem Plateau und raste auf den Standort des ertrusischen Wissenschaftlers zu. Cascal hatte nicht einmal das Fahrgestell eingezogen. Als Cascal zielsicher auf der winzigen Sandfläche aufsetzte, die von Felsen umgeben war, sah er den mehr als zweieinhalb Meter großen Wissenschaftler. Und er sah noch vieles andere. Die Maschine federte noch durch, als sich Cascal schon mit einem Satz auf den Sand warf, sich halb überschlug und augenblicklich wieder auf die Beine kam. Er stürmte auf Tajiri Kase zu, riß im Laufen die Waffe heraus und sah, daß er durch die Schmelzvorgänge verbraucht war. Mit bebenden Fingern wechselte er das Magazin aus, und das schauerliche Brüllen, das er hörte, ließ ihn noch schneller werden. Ein Höhlenbär lag neben Kase am Boden. Aus einer breiten Kopfwunde quoll das Blut. »Gehen Sie aus der Schußlinie!« rief Cascal. Der schwarze Höhlenbär, der sich aufrichtete und
mit den blutigen Pranken nach Kase schlug, drehte sich um den Wissenschaftler, den er um nicht weniger als zwei Meter überragte. »Ich kann nicht!« schrie Kase zurück. Er richtete seinen Ultraschallbohrer auf den angreifenden Höhlenbären, der aus einer der Felsspalten gekommen war, den tiefen Spuren im Sand nach zu urteilen. Cascal feuerte dich über den Kopf des Ertrusers hinweg und traf zielgenau den Bären, der wütend aufschrie. Jedesmal, wenn er zuschlagen wollte, stieß ihm Kase den eingeschalteten Bohrer entgegen. Die schnellvibrierende spatelförmige Schneide schlug tiefe Wunden, der Schmerz machte das Tier rasend. Offensichtlich war der Bär direkt mit dem Kopf in den Bohrer gerannt, und die Maschine hatte ihm förmlich den Schädel gespalten. »Vorsicht!« schrie Cascal und rannte näher. Wie um einen gemeinsamen Mittelpunkt drehten sich der blutende, schreiende Bär und Kase umeinander. Jetzt stand der Bär mit dem Rücken zu Cascal, der Major zielte sorgfältig und feuerte drei Schüsse ab. Der erste schnitt die Wirbelsäule des Bären auseinander, der zweite detonierte in dessen Schädel, der dritte kappte die Sehnen der Hintertatzen. Das riesige Tier brach sterbend auf der Stelle zusammen. Cascal rannte um das Tier herum und blieb dicht vor Kase stehen. »Verletzt, Tajiri?« fragte er besorgt. »Nein, nur erschrocken - und aufgehalten.« Kase steckte den ausgeschalteten Bohrer in den Sand, der voller Spuren und Blutflecken war und flocht seinen Zopf neu. Er war aufgegangen und sah sehr unordentlich aus. »Ich wollte gerade dort drüben ein veritables Loch bohren«, sagte er, »da sah ich einige zerbrochene Schneckenhäuser. Ich schaltete den Bohrer aus und ging den Bruchstücken nach ... und das hier habe ich dann gefunden.« »Der Bär hat Sie gefunden«, sagte Cascal. »Vermutlich ist das Fleisch voller Trichinen, sonst würde ich etwas mitnehmen und zubereiten. Immerhin ... wie weit sind Sie?« »Fast fertig. Wissen Sie, hier kommt nämlich ...« Cascal nahm den Bohrer und beendete den Satz: » ... nämlich der Hauptmeiler für die drei Geschütze dort oben in der Felswand. Strategisch hervorragender Platz - wir könnten den Meiler vom Nullzeitdeformator nicht treffen. Diese Bombe hier, nicht wahr?« Cascal und Kase hoben eine Grube aus, kleideten sie mit Steinen aus und versenkten die Bombe. Wieder verschmolz Cascal die Steine und warf mit dem Fuß Sand über alles. »Fertig?« fragte er und drehte sich verwundert um, als er keine Antwort bekam. Er schüttelte den Kopf, schulterte den Bohrer und
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holte die Waffe hervor. Vielleicht suchte Kase noch ein oder zwei Säbelzahntiger, mit denen er spielen konnte. Es war unfaßbar, wie weltfremd diese Wissenschaftler manchmal sein konnten. Nichts gegen Risikobereitschaft, aber viel gegen Gedankenlosigkeit. »Kase!« Langsam ging er auf die Felsspalten zu. »Hier, kommen Sie!« kam eine hohl und nachhallend klingende Stimme zwischen den blauen Felsen hervor. »Was haben Sie?« rief der Major. »Etwas gefunden!« »Wie schön«, sagte Cascal und zwängte sich durch die Felsspalten. Doktor rer. nat. Tajiri Kase kniete auf dem Boden, der mit Sand, Knochen, Ästen und trockenem Laub bedeckt war. Er schaufelte wie ein Wahnsinniger mit beiden Händen den Sand auf der, wie bei einem scharrenden Dackel, in zwei hohen Fontänen nach hinten flog und über Hosen und Stiefel des Ertrusers rieselte. Es schien, als versuche Kase, sich dem flüssigen Erdmittelpunkt entgegenzugraben. Cascal räusperte sich, lehnte sich an die Felswand und fragte, stark beunruhigt: »Suchen Sie die Erkenntnis oder den Teufel in der Hölle?« »Sie sind ein Ignorant!« rief Kase. »Zugegeben«, sagte Cascal. »Trotzdem scheint mir ihr Eifer verwunderlich.« Plötzlich hielt Kase inne. »Heureka!« schrie er, daß es zwischen den Felsen widerhallte wie ein Donnerschlag. »Griechisch auch noch«, sagte Cascal seufzend, doch dann ging ihm ein Licht auf. »Wie sehr ich mich für Sie freue!« sagte er. »Zeigen Sie her ... nein, ich rühre das Ding sicher nicht an. Soll ich etwas Watte aus dem Verbandskasten holen?« Dr. Kase stand auf und hielt mit beiden Händen seinen Fund entgegen. Es war ein Schneckenhaus, blau, mit gelben, weißen und goldenen Streifen, die sich, wie kaum anders zu erwarten, spiralförmig den Windungen entlangzogen und in einer Spitze endeten. »Linksgewinde?« fragte Cascal. »Linksgewinde!« bestätigte Kase andachtsvoll. »Ein Schneckenhaus mit Linksgewinde.« Seine sonst so dröhnende Stimme war zu einem geheimnisvollen Flüstern abgesunken. Er hatte feuchte Augen, und sein Mund stand offen. Cascal fühlte sich dringend an Kinder erinnert, die eben Osterhasen, Weihnachtsmann, Klapperstorch und einen Engel gleichzeitig gesehen hatten. »Nehmen Sie Ihre linksgewundene Schnecke, Kase, und kommen Sie.
Atlan wartet. Sie wissen, wie er manchmal sauer werden kann.« Kase ging feierlich neben ihm her, nahm in einem Sessel des Jägers Platz und betrachtete fassungslos, schweigend, seinen seltenen Fund. Dieser Fund, wußte er mit geradezu hellseherischer Genauigkeit, würde der irdischen Wissenschaft manches Kopfzerbrechen bereiten. Als am späten Vormittag Cascal mit Atlan zusammen sämtliche Positionen abgeflogen hatte, waren rund dreihundert verschiedene Mikrobomben versteckt. »Und zwar so«, stellte der Lordadmiral befriedigt fest, »daß die drei Jahrtausende ihnen nichts anhaben werden.« Cascal nickte. Sämtliche Geräte waren von Atlan und Professor Dr. Bhang Pacek auf Funkzündung per Hyperwelle justiert worden. Der Jäger war eingeschleust worden, und die Besatzungsmitglieder machten sich daran, sämtliche Abwehreinrichtungen der Kuppel zu testen und besonders die Projektoren für den HÜ-Schirm. »Wann tauchen wir auf?« fragte Waringer. Atlan sah nachdenklich die große Uhr inmitten der zahlreichen Kontrollen an. »Um genau zwölf Uhr.« Geoffry Abel Waringer stellte einige Ziffern ein und erwiderte halblaut: »Zwölf Uhr am 27. April. Einverstanden. Ich richte den Countdown darauf aus. Wir werden diesmal nicht mit einundvierzig Sekunden davonkommen, Lordadmiral Atlan!« »Ich weiß. Es muß trotzdem so schnell wie möglich gehen.« »Natürlich!« Die Sonne stand bereits hoch über dem Landstrich, der einmal von den Fluten des Ozeans bedeckt werden würde. Die Schatten wurden kürzer, nur die Kuppel warf so gut wie keinen Schatten. Sie war verschlossen, eine Halbkugel, von merkwürdig strahlendem Äußeren, in der Landschaft der Eiszeit, in der es sogar noch Saurier gab. In dreitausend Jahren würde es hier anders aussehen und gefährlicher. Cascal sah sich um und beobachtete die Männer an ihren Plätzen, sah auch Claudia Chabrol und lächelte. Ihr auf Schlagabtausch sarkastischer Bemerkungen aufgebautes Verhältnis hatte sich geändert. Sie verkehrten jetzt wie gute Freunde miteinander, die sich sehr lange kannten. Claudia merkte, daß er sie ansah, drehte den Kopf und lächelte ihn an. Cascal hielt die Flamme des Feuerzeugs an seine Zigarette und lächelte zurück. Den Blick, den ihm Gosling zuwarf, sah er nicht. Die Maschinen des Nullzeitdeformators liefen zum Probelauf dröhnend an. Waringer hatte sich geschworen, nichts dem Zufall zu überlassen.
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Atlan blieb neben Cascal stehen. »Woran denken Sie?« fragte er. Cascal blies den Rauch in die Richtung auf einen Ventilator. »An die Zukunft!« sagte er.
nach dem Frühstück zügeln«, versicherte Perry Rhodan, als er sich in der Nähe des glühenden Feuers rasierte. »Aber nicht länger. Es wird höchste Zeit.« Gucky teleportierte einen Topf bis in die Ecke einer Nebenhöhle und stellte ihn unter den Wasserstrahl einer Quelle. Als etwa vier Liter frisches Wasser eingeflossen waren, teleportierte er ihn vorsichtig wieder zurück und stellte ihn auf den stählernen Rost über dem Feuer. »Feuer!« schrie er. Icho Tolot brachte einen Arm voller Schwemmholz herbei, was einer normalen Gleiterladung entsprach. Er zerbrach das Holz mit seinen Pranken in handliche Stücke und warf sie unter den Topf. Fellmer Lloyd zog seinen Strahler, zielte sorgfältig und feuerte einen bleistiftdünnen Strahl in das Holz. Sekunden später loderte ein mächtiges Feuer. »Zwiebus, bringst du bitte den Pulverkaffee?« rief Gucky. »Wenn es in diesem Landstrich schon keine Mohrrüben gibt, dann will ich wenigstens einen Morgenkaffee mit viel Dosenmilch.« Alaska bemerkte spöttisch: »Und noch mehr Zucker. Brrrrr !« Ovaron lächelte das Mädchen an und sagte beschwichtigend: »Wenn wir dich netten Burschen früher kennen gelernt hätten, dann würden wir Cappins riesige Kulturen der Mohrrüben angelegt haben.« »Mohrrüben!« sagte Gucky strahlend. »Möhren, gelbe Rüben. Spargel esse ich übrigens auch.« Eine Proviantkiste wurde geöffnet und ausgeleert. Eine halbe Stunde dauerte das Frühstück, aber die Wachsamkeit und die Spannung ließen auch während des Essens nicht nach. Ovaron, der Pferdemutant und das Mädchen Merceile hatten sich überraschend schnell diesem Team angepaßt, aber natürlich blieb eine gewisse Distanz klar zu erkennen. »Muß ich tatsächlich mitkommen in diesen Nullzeitdeformator?« fragte Merceile irgendwann. »Es ist unter allen Umständen das beste!« sagte Ovaron mit Nachdruck. ».Außerdem habe ich ein sehr persönliches Interesse daran.« »Ich bin nicht sicher. Keineswegs«, sagte Merceile und schüttelte den Kopf. Rhodan schwieg. Perry Rhodan sah, nachdem er die Gesichter des Teams betrachtet hatte, Ras Tschubai an. »Wir müssen etwas tun«, sagte Großadministrator. »Wir gehen A1.lan sozusagen entgegen« Er schüttete den Rest seines Kaffees ins Feuer. »Paladin, Icho Tolot ... wenn ich Sie beide in die Nähe des Enadatales bringen lasse?« Über Lautsprecher erwiderte Harl Dephin: »Eine ausgezeichnete Idee. Auf diese Weise wird wenigstens die Zentralschmierung meiner Gelenke
4. Als der erste Sonnenstrahl über die Küstenlinie zuckte, offenbarte die Grüne Grotte ein weiteres Geheimnis. Sie leuchtete auf. »Unbezahlbar!« sagte Alaska Saedelaere und kroch, nicht gerade rosiger Laune, aus dem Schlafsack. Er hatte ausgezeichnet, wenn auch zu kurz geschlafen. Neben ihm fragte der Teleporter: »Was?« Alaska rief etwas lauter: »Unbezahlbar, sagte ich. Sozusagen phantastisch, hervorragend, einmalig und so weiter.« »Wer? Du?« fragte Ras Tschubai ratlos. »Nein. Hier, oben. Das Licht!« Ras legte sich zurück und betrachtete die Decke. »Du hast recht. Das muß gefilmt werden. Schließlich wird kein Mensch wieder die Chance bekommen, diese Höhle zu betreten. Ohne Unterseeboot, meine ich« »So ist es.« Tschubais Kamera summte auf. Die grüne Höhlung in dem riesigen Uferfelsen war durch mehrere Launen der Natur angelegt, wie ein gewaltiger Saal, dessen Bodenfläche in eine Vielzahl von verschieden hohen Plattformen aufgeteilt war. Zwischen den Plattformen blieben, wenn man diesen Vergleich weiter strapazierte, lange Reihen verschieden geformter Säulen, die wie Tropfsteine aussahen. Auf dem Boden der Höhle lag feiner, weißer Korallensand. Jetzt, da von Osten die flachen Sonnenstrahlen eindrangen, schimmerte und leuchtete das Gewirr von Kuppeln, Säulen, durchlässigen Felsritzen und bizarr ausgebrochener Öffnungen auf. Funken schienen zwischen den Säulen hin und her zu schwirren. Ein schwarzer Vogel flog im Zickzack weit oben hindurch und in Richtung auf die See, nach Westen. Staubpartikel leuchteten wie Sterne in einem hellgrünen All. »Sie sehen hier die Ästhetik eines Verstecks!« deklamierte Ras Tschubai und lief mit der Kamera in einen anderen »Saal« hinüber. »Und einen ausgeschlafenen Teleporter!« erwiderte Alaska mürrisch und legte seinen Schlafsack zusammen, nachdem er sorgfältig den Sand ausgeschüttet hatte. Die elf Personen warteten seit geraumer Zeit auf den ausgemachten Kodeimpuls, den Atlan ausstrahlen sollte. »Ich kann meine Ungeduld höchstens noch bis
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wieder in Tätigkeit versetzt.« Der halutische Gigant erklärte: »Ich mache natürlich mit. Welcher Berg soll denn zur Seite geschoben werden?« Rhodan stand auf und nach einer Überlegungspause legte er die Hand an den Kolben seiner Waffe. »Das Enadatal ist von einem Ring Belagerer umgeben«, sagte Rhodan. »Das wissen wir genau. Es besteht ein dichter Abwehrriegel; die Capins wollen nicht diskutieren, sondern feuern.« Icho Tolot stampfte durch den Sand der Höhle näher und blieb neben dem dampfenden Feuer stehen, das jetzt abgelöscht wurde. »Ich werde versuchen, mich unbemerkt durchzuschleichen«, sagte Tolot. »Aber es wird nicht einfach sein.« Ras Tschubai sagte: »Was ist schon einfach in Zeiten!« Paladin riß seinen ungeheuren Rachen auf und bewegte die Arme wie ein Roboter. »Haben wir einen bestimmten Auftrag, Sir?« fragte der Siganese Dephin. »Lassen Sie mich überlegen«, sagte er. »Sie sollen versuchen, sich unbemerkt bis in die Nähe des Abwehrriegels vorzuarbeiten. Das bedeutet in letzter Konsequenz, daß wir einen zusätzlichen Sicherheitsfaktor haben.« »So ist es«, sagte der Haluter donnernd, und alle hielten sich die Ohren zu. Rhodan winkte mit beiden Händen, Tolot sollte etwas weniger laut sprechen. Gemäßigten Tones fuhr Icho Tolot fort: »Wenn der Nullzeitdeformator auftaucht, ist höchste Eile geboten. Wir preschen in diesem Augenblick wild um uns feuernd durch die Gegend und bis zur Schleuse der Kuppel« Rhodan nickte und sagte zufrieden: »Etwa so habe ich es mir vorgestellt, Tolots.« Er verwendete die Anrede, die Haluter nur sehr guten, alten Freunden gestatten. Gucky fuchtelte mit den Armen und sagte: »Ras soll den Stahlklumpen dort transportieren, ich nehme Icho auf den Arm.« Dröhnendes Gelächter von allen Umstehenden. Merceile blickte fragend von Rhodan zu Ovaron. »Ich erkläre es später«, sagte der Cappin. Rhodan sah auf die Uhr. »Alles klar?« fragte er entschlossen. »Klar!« sagte Icho Tolot, streckte einen seiner Handlungsarme aus, bückte sich und hob Gucky am Gürtel von dessen maßgeschneiderten leichten Kampfanzug hoch. »Gehen wir.« Die beiden Teleporter konzentrierten sich, nachdem sie sich miteinander kurz verständigt hatten, auf einen Platz weit außerhalb des Tales und rematerialisierten dort mit ihrer Last.
Ras deutete nach Westen und sagte leise: »Ich kenne direkt hinter dem Bergkamm, auf dem die Geschütze stehen, ein Tal. Es ist ein tiefer Einschnitt, sumpfig und dunkel, aber Sie werden sich hervorragend tarnen können. Luftlinie bis zum Nullzeitdeformator, fünf Kilometer, also einige Minuten für den Mechanismus. Dort werde ich Sie absetzen. Einverstanden?« Harl Dephin antwortete: »Natürlich. Los!« Ras Tschubai und Paladin-III verschwanden. Gucky thronte auf der Schulter des Haluters, schnupperte mit entblößtem, gelbem Nagezahn in der frischen Luft des Morgens und sagte laut: »Wenn der Paladin sich im Westen befindet, sollten wir von Osten angreifen oder durchzubrechen versuchen. Dort hinten, jenseits des Horizontes ... aber ich weiß schon, wohin ich dich bringen werde, mein Kleiner.« Tolot lachte dröhnend. Dann verschwanden auch sie, nur die tiefen Abdrücke blieben im Sand zurück. Ein großer Vogel kam angeflogen, ließ sich fallen und schwang sich wieder in die Luft, ein Tier in den Fängen. Aber wenige Kilometer entfernt hatte sich die leere, urzeitliche Landschaft dieses Erdteils in einen gepanzerten Ring von Abwehrstellungen verwandelt. Ras Tschubai setzte Paladin-III ab, sprang ein weiteres Mal und sondierte die Lage, dann kehrte er ohne Zeitverlust in die Grüne Grotte zurück. »Geschafft?« fragte Rhodan. »Ja«, sagte Ras. »Wir haben doch die Karten da ... Alaska?« Saedelaere warf ihm einen Klarsichtumschlag zu, aus dem Tschubai die Karte nahm und ausbreitete. Er zeigte auf die Stelle, die als Taleinschnitt gekennzeichnet war. »Hier steckt der Paladin. Er braucht nur gerade weiterzulaufen, dann stolpert er direkt über den Deformator. Sofern er vorher nicht zerschmolzen worden ist - dort auf den Hängen sieht es ziemlich schrecklich aus. Lauter Cappins und viele Geschütze, Meiler, Abwehreinrichtungen und Luftaufklärer in schweren bewaffneten Gleitern.« Rhodan bemerkte: »Die Station hat einen HÜ Schirm.« »Aber nicht wir«, sagte Tschubai. »Gucky müßte eigentlich schon da sein ... wo er nur bleibt?« Dann kam der Mausbiber. »Aha«, sagte er. »Ihr seid bereits beim Kartenstudium. Hast du ihnen geschildert, wie schwer das Tal bewacht wird?« »Ja«, sagte Ras einsilbig. »Auch Icho Tolot ist abgesetzt, er steht ungefähr hier.« Gucky deutete auf einen Flußlauf, der in den Bergen direkt oberhalb des Tales entsprang und nach Osten floß.
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Gucky grinste auffallend. »Es ist ein Flußlauf, der schmaler wird, je höher das Gelände ansteigt. An beiden Ufern ist ein breiter Streifen Grün, Wälder, fast tropischer Urwald. Dort kann sich Icho Tolot ungesehen bis fast unmittelbar in den Rücken der Barriere vorpirschen. Zufrieden, Perry?« »Ja«, sagte Rhodan. »Vielen herzlichen Dank.« Jetzt waren nur noch neun Personen in der Grünen Grotte. Sie sollten, wenn alles glatt verlief, mit Hilfe der Teleporter in zwei oder drei Sprüngen in den Nullzeitdeformator gebracht werden. Rhodan sah auf die Uhr - es war acht Uhr morgens, am 27. April. »Meine lieben Freunde«, sagte er laut, »wenn wir die Grotte verlassen, muß es schnell gehen.« Gucky machte geltend: »Schneller als mit Teleportation geht's nicht, Perry!« »Ich weiß«, sagte Rhodan. »Ich wollte auf etwas ganz anderes hinaus. Wir haben eine ziemlich große Menge Ausrüstungsgegenstände dabei. Diese Ausrüstung muß natürlich weitestgehend zurückbleiben. Jeder von uns wird jetzt aus dem Gepäck heraussuchen, was er leicht tragen oder in den Taschen seines leichten Kampfanzuges verstauen kann.« Alaska Saedelaere nickte Ras Tschubai zu. »Hauptsächlich Filme, Tonbänder und ähnliche Beweismittel sollten auf alle Fälle mitgenommen werden. Schlafsäcke und Konserven scheinen mir für den Bestand des Imperiums weniger wichtig zu sein.« Alaska und Ras sahen sich überrascht an. Alaska stellte fest: »Die Nähe einer jungen, reizvollen Dame scheint unseren verehrten Chef zu ironischen Glanzleistungen zu beflügeln.« »Vermutlich.« Perry Rhodan begann mit der Arbeit. Er sonderte aus, was er nicht mitnehmen würde, und alle Ausrüstungsgegenstände, die hier blieben, wurden rund um das Feuer auf einen großen Haufen zusammengetragen. Ras und Alaska steckten die Filmkassetten ein, nahmen die Bänder aus den kleinen Tonbandgeräten heraus, verstauten sie in den Schienbeintaschen und den Brusttaschen der Kampfanzüge. Gucky sortierte die Konserven und suchte nach Mohrrüben, Spargeln, oder Gurken, fand aber nur einen Riegel Marzipanschokolade, den er gierig schmatzend verspeiste, bis ihn ein strafender Blick Rhodans traf. Ovaron und Merceile standen etwas hilflos und unschlüssig herum und beteiligten sich dann zögernd an den Arbeiten. Um neun Uhr dreißig am Morgen war die Gruppe
fertig. »Jetzt kann Atlan kommen!« erklärte Rhodan, noch immer stark beunruhigt und nervös wegen der auffälligen Verspätung des Lordadmirals. »Wenn er kommen kann, Sir, wird er zweifellos kommen«, sagte Fellmer Lloyd und betrachtete nachdenklich die ausgesuchten Gegenstände. Würden sie noch einmal gebraucht werden? Rhodan setzte sich in den Sand, sah schweigend Merceile an und fragte sich laut: »Und was bleibt uns?« Ovaron gab die Antwort: »Warten, Rhodan«, sagte er. »Eine Tätigkeit, die wohl keiner von uns schätzt und die obendrein noch gefährlich ist.« Rhodan nickte schweigend. Seine Gedanken waren bei Atlan und den beiden Riesen, dem Haluter und Paladin-III, die sich seiner Meinung nach langsam im Rücken de Barriere vortasteten. Ein Schwarm von Urvögeln umflatterte aufgeregt seinen Kopf. »Weg mit euch!« bemühte sich Icho Tolot betont leise zu sagen. Aber die Vögel waren nicht zu verscheuchen. Der Haluter stampfte mit seinen säulenartigen Beinen dicht neben dem Ufer durch das Wasser. Fische flohen vor seinen Schritten. In der Hand seines Handlungsarmes hielt Icho Tolot seine Waffe. Hier war Urwald, unberührte Natur. Neben dem Ufer begann ein etwa zweihundert Meter breiter aber unendlich verfilzter Urwald. Dumpfe, schwüle Luft hing zwischen den Saumriesen entlang beider Ufer, kein Windhauch bewegte die Lianen, die wie Spinnweben von den Ästen herunterhingen und das Wasser berührten. »Nicht gerade der bequemste Weg aber was tue ich nicht alles für meinen kleinen Perry«, sagte sich Tolot. Er brauchte zwar keine Drang Wäsche, aber Abenteuer dieser Art waren für ihn eine Art Lebenselixier. Er stapfte weiter. Über den Bergen, die direkt hinter dem Waldstreifen aufragten und immer steiler wurden, braute sich ein Gewitter zusammen. Eine dunkle Wolkenbank schob sich aus dem Westen heran, an der Oberseite mit einem breiten, weißen Streifen versehen. Das Sonnenlicht wurde intensiver und durchdringend, und die Hitze nahm zu. Prüfend trat Icho Tolot auf einen Baum, der quer über dem Fluß lag. Der Baum knirschte, splitterte, und eine Wolke von kleinen Insekten stieg aus dem morschen Holz auf, schwirrte um die Augen des Riesen. Icho Tolot schob die Trümmer des Stammes vor sich her, brach den Stamm restlos auseinander und ging weiter, als sei er auf einen morschen Ast getreten. Die drei Augen musterten die Umgebung
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eingehend. Zehn Meter weiter trat der Haluter auf eine Steinplatte, die im Wasser lag. »Hopp!« sagte er, als er das Gleichgewicht verlor. Die Platte kippte unter seinem Gewicht, und er sank tiefer ein, riß den Arm hoch, und hob die empfindliche Waffe quer über seinen Kopf. Er fiel in ein zwei Meter tiefes Loch im Bachbett, und ein riesiger Fisch schnellte aus dem Wasser und überschüttete ihn mit einem Sprühregen. Im gleichen Moment traf ein harter Schlag den hochgehobenen Handlungsarm des Riesen, und die Waffe wirbelte davon und bohrte sich mit der Spitze in den Sand des Ufers. Icho schrie auf, arbeitete wie wild und kam aus dem tiefen Wasser wieder hoch. Er drehte sich um. Da sah er den Saurier. Ein kleineres Exemplar des Tyranosaurus rex, des Königs der Schreckechsen, die sich auf diesem Erdteil noch bis in diese Zeit gehalten hatten: vielleicht der eigentliche Ursprung vieler Sagen von Lindwürmern, Drachen und Tatzelwürmern. Der Saurier starrte Icho mit seinen kleinen, wütenden Äuglein an, sein mächtiger, fünf Meter langer Echsenschwanz pfiff durch die Luft, köpfte kleine Bäume und hatte unbeabsichtigt oder gezielt - die Waffe aus dem Arm des Haluters geschlagen. Jetzt schrie der Saurier. Vor ihm auf dem Boden des niedergetrampelten Buschwerks lag ein fast zerfetztes Tier. »Nur nicht übertreiben!« sagte der Haluter. Er öffnete seinen Rachen und schrie zurück. Das Brüllen der beiden Giganten, eines riesigen Tieres mit wenig Intelligenz und so gut wie keinem Hirn und eines hochintelligenten Lebewesens, dessen Gestalt der des Sauriers kaum nachstand, vermischte sich und rief eine wahre Panik an beiden Ufern des Flusses hervor. Tiere stürzten sich ins Wasser und schwammen verzweifelt davon, Fische sprangen meterhoch in die Luft, landeten klatschend im Wasser und rasten im Zickzack durch die Wellen. Ein Vogelschwarm erhob sich zwischen den Asten, und kleine, affenähnliche Tiere hüpften kreischend herum. Der Saurier senkte seinen Schädel und wiegte ihn hin und her. Vier Meter von ihm entfernt steckte die Waffe im Sand. Icho Tolot wußte, daß sie nicht verbogen oder zertrampelt werden durfte. Erneut erklang sein Brüllen in der Gegend, noch schrecklicher als vorher. Der Saurier antwortete, bewegte zitternd die kleinen, winzigen Greifärmchen unterhalb des faltigen Halses und schlug mit dem Schwanz aus. Tolot packte ihn und riß kräftig daran. Der Saurier wankte und stolperte, dann stemmte er seine mächtigen Hinterfüße in den Grund und
schnellenden 5chwanz zurück, Ein Baumstamm krachte, als ihn der Schwanz traf. »Ganz hübsch kräftig!« sagte der Haluter, ging zwanzig Meter den Fluß hinauf und nahm einen Anlauf. Er ließ sich auf die Laufarme nieder und beschleunigte aus dem Stand, so schnell er es vermochte. Für die Strecke, die ihn von dem aufgerichteten, laut schreienden Saurier trennte, brauchte der heranstürmende Koloß nur Sekunden. Kurz vor dem Aufprall verwandelte er seine Körperzellen in jene stahlähnliche Substanz, die ihn nahezu unangreifbar machte. Mit der Geschwindigkeit und der Wucht einer Space-Jet prallte er dicht unterhalb der Kehle des Sauriers auf dessen blauschwarzen Körper. Es gab einen lauten, knirschenden Schlag. Der Saurier wurde hochgerissen und rundete hilflos mit allen vier Füßen in der Luft, dann fiel er um, weil der Haluter sich weiter unter ihn schob. Dann warf Tolot sich mit wütendem Gebrüll auf die Echse. Er sprang mit aller Kraft auf den breiten, von Muskelsträngen durchzogenen Hals, dessen Adern zuckend hervortraten. Die Hinterbeine des Sauriers rissen tiefe Furchen in den Boden, und der Schwanz riß mit einem einzigen Schlag einen Baum aus der Erde und wirbelte ihn fünfzehn Meter durch die Luft, bis er mitten im Fluß liegenblieb. »Jetzt zu dir, Freund Tyrrie!« schrie der Haluter. Er warf sich über den Schädel des Tieres, klemmte den furchtbaren Rachen unter einen Arm und griff mit dem anderen unter der Kehle hindurch. Dann zog er solange, bis die Wirbelsäule knackte. Unaufhörlich hatte der Saurier sich gewehrt und geschrien, jetzt riß der trompetende Schrei plötzlich ab. Tolot sprang zurück auf den Waldboden. Diesen Geschrei fiel nicht, auf, sagte er »Aber ein einziger Schuß hätte die (leben Cappins alarmiert.« Er zog die Waffe aus dem Boden. Er säuberte den Lauf und die komplizierten Mechanismen vom Erdreich und Sand, testete das Gerät schnell durch und stapfte dann weiter. Ein Blick auf die Uhr. »Elf Uhr. Eile tut not!« stellte der Riese fest. Er ging zurück ins Wasser, arbeitete sich relativ langsam aber zielbewußt immer mehr flußaufwärts. Alle hundert Meter blieb er stehen und sicherte nach allen Seiten. Der Fluß wurde zusehends schmaler, auch der Grünstreifen an seinem Rand zog sich immer mehr zum Wasser zurück. Bald werde ich keine Deckungsmöglichkeiten mehr haben, dachte der Haluter: Er ging weiter, mit der Regelmäßigkeit eines Automaten.
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Während er spürte, daß es immer steiler bergauf ging, verdunkelte sich der Himmel mehr und mehr. Die Wolkenbank hatte fast die Sonne erreicht, und zwischen einzelnen Ausläufern schossen breite Strahlenbündel zur Erde. Irgendwoher erscholl ein donnerndes Geräusch, aber es konnte auch ein Vulkan sein oder ein versehentlich ausgelöster Schuß eines Cappins. Aus dem Fluß wurde ein Bach, der über natürliche Felsterassen fiel. Der Urwald ging in einen breiten Streifen Buschwerk über, aus dem hier und da einige kleinere Bäume aufragten. Palmenartige und weidenähnliche Gewächse wechselten sich ab. Der Bach führte im Zickzack nach oben, das Wasser wurde immer spärlicher. Icho Tolot begann zu klettern, bis er ein breites Felsband erreichte, das struppigen Graswuchs aufwies. Er war jetzt nur noch wenige hundert Meter Luftlinie von der Barriere der Geschütze entfernt. Er kletterte weiter, schneller jetzt, und sorgfältiger auf Deckung achtend. Zwei Aufgaben waren den beiden Riesen übertragen worden. Sie wollten Verwirrung unter den Cappins stiften und versuchen, ohne die Hilfe von Teleportation die Eingangsschleuse des Nullzeitdeformators zu erreichen. Icho Tolot ging auf das Felsband bis zu dessen Ende, und häufte vorsichtig Sand und Steine auf sich, bis er fast völlig damit zugedeckt war. Aufmerksam beobachtete er die glänzenden Kuppeln, die fest einjustierten Geschützprojektoren und die dicken Kabel, die sich zwischen den einzelnen Maschinen ringelten. Einmal kam ein Gleiter an, einige Cappins stiegen aus, andere stiegen ein, der Gleiter schwebte wieder weg. Dreißig Minuten vergingen. Vorsichtig bewegte sich Icho Tolot, bis er den Arm mit dem Minikom an seine Höröffnung heben konnte. Rhodan würde ein Signal geben, wenn die Aktion begann. Und dann wartete der Haluter weiter. Regungslos und geduldig, als sei er ein Stück Felsen, die ihn umgaben.
Die Maschinen liefen an. Die Mannschaft saß gespannt an ihren Plätzen, beobachtete die Uhren und Skalen und versuchte sich vorzustellen, was sie erwarten würde. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß die Maschine nicht plötzlich aktivierte und in einer anderen Zeit erschien, sondern daß es ein Übergangsfeld gab, daß sich kurze Zeit stabilisierte. Natürlich war es das erste Gebot, den Aufenthalt in der Zeit, in der Rhodan auf sie wartete, so kurz wie möglich zu halten. »Absorber klar!« sagte Atlan. Sorgfältig las er die Werte ab. Bis auf das Geräusch der laufenden Meiler und das Knacken zahlreicher Schaltungen war es still in dem vollgestopften Gerät, das nur wenig freien Raum für die Zeitreisenden ließ. Wenn Rhodan und seine beiden Giganten eintrafen, würde es noch enger werden. Lieber eng als tot, dachte Cascal. »Noch, zweihundert Sekunden«, sagte Atlans Stimme. »Beachten Sie die Sichtschirme und die Uhren.« Cascal sah hinüber zu Gosling, der die Bordroboter programmiert hatte. Auf ihn kam es jetzt an. Zwölf Uhr minus hundertachtzig Sekunden! Was würden sie vorfinden! Wie würden die Cappins reagieren? Wo steckte Rhodan? Diese Fragen würden binnen weniger Minuten beantwortet sein -- so oder so. Aber bis es soweit war, hatten die Männer unter einer unerträglichen Spannung zu leiden. »Achtung!« sagte Waringer. Der Nullzeitdeformator raste die Zeitlinie zurück und wurde dreitausend Jahre in der Zukunft angehalten. In der Zukunft, berechnet aus der Vergangenheit. Paczek, dessen brennende Zigarette fast seine Lippen verbrannte, sagte laut: »Wir materialisieren!« Atlan legte seine Hand auf den wuchtigen Schalter des Paratronschutzschirmes. Er nickte Cascal zu. Eine Serie harter Erschütterungen traf die Zeitmaschine. Sie schüttelte sich und zitterte, als würde sie über eine Geröllhalde gleiten. Die Schirme der Außenbeobachtung flimmerten auf, kräftige Farblinien durchzogen den grauen Hintergrund. Dann, einen winzigen Sekundenbruchteil lang, waren sämtliche Mitglieder der Expedition gelähmt. Dieses Gefühl ging sehr schnell vorbei, manche von ihnen merkten es in der nervlichen Anspannung gar nicht. »Wir sind da!« Atlan grinste Cascal an und drückte mit dem Zeigefinger auf einen breiten, rechteckigen Schalter von leuchtendem Rot. Die farbigen Linien, Punkte und Flecken flossen ineinander, vermischten sich und ergaben schließlich kristallklare, dreidimensionale Bilder. Die Bilder
5. Waringer saß an der Hauptschaltkonsole. Er beugte sich nach vorn, ein krummer, schmaler Rücken, war alles, was Cascal von seinem Platz aus erkennen konnte. Die Mitglieder der Zeitexpedition hatten ihre leichten Kampfanzüge angelegt und sich mit Waffen versehen. Neben den kleinen Mannschleusen, neben der Hauptschleuse und hinter einigen Blenden standen die Kampfroboter, genau programmiert und aktiviert.
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zeigten, was die Linsen aufnahmen- sie waren nach der Karte und deren Höhenlinien genau ausgerichtet worden. Die Barriere der Cappins war nach wie vor vorhanden. Aber nicht nur sie. Der Spezialsender hatte eine Sekunde vor dem Zeitpunkt zu arbeiten begonnen, an dem die Kuppel deutlich sichtbar und vollständig rematerialisiert im Tal erschien. Der Sender auf Hyperbasis löste die Funkempfänger in den Mikrobomben aus, die dreitausend Jahre ohne Beschädigungen überstanden hatten. Thermische Atombomben wurden gezündet. Sie entwickelten keine Druckwelle, aber unter jedem Meiler, der für die Geschütze arbeitete, schien eine kleine Sonne aufzugehen. Die Hitze, mehrere Millionen Grad, fraß sich in die Zellen hinein, zerstörte die gesamten Abschirmungen und ließ die Meiler in krachenden, rauchenden Explosionen detonieren. Unhörbar, aber deutlich fühlbar, begannen Schallbomben, ihre nervenzerfetzende Energie auszustrahlen. Lähmungsgas wurde frei, Rauchbomben explodierten und hüllten die Berggipfel ein. Trotzdem schlug wütendes Feuer gegen den Paratronschirm der Kuppel. Gosling gab einen Befehl. Die Roboter handelten unverzüglich. Sie liefen hinaus und eröffneten das gezielte Feuer aus sämtlichen Waffen. Sie legten einen Kreis von Flammen, Detonationen und Rauch um den Nullzeitdeformator und schossen sich ein. Sie feuerten dorthin, woher der Beschuß kam. »Gosling!« Schrie Cascal durch den Lärm. »Ja?« »Haben Sie Tolot und Paladin berücksichtigt?« fragte der Major. »Natürlich«, rief Gosling zurück. Atlan hatte sowohl das Funksignal ausgestrahlt als auch die Funknachricht an Perry Rhodan. Jetzt warteten Sie. Die Barriere, die von Levtron und Tarakan so sorgfältig ausgeklügelt worden war, schien zusammenzubrechen. Rings um den Nullzeitdeformator erhob sich eine Mauer aus Rauch, Flammen und Detonationen. Auf den Bergen stachen Feuerzungen in den Himmel, dann rollte ein Donnerschlag über den Geräuschorkan, ein Blitz schlug in einen Felsen ein. Sekunden nachher begann ein Regen, wie ihn die Terraner auf diesem Erdteil noch nicht erlebt hatten. Vom Himmel kamen Wassermassen unvorstellbaren Ausmaßes. Cascal und Atlan beobachteten die Rundumschirme. Das Inferno kam von zwei Seiten. Vom
Nullzeitdeformator in die Richtung der Barriere und von den Bergen, aus den Felsspalten und aus der Luft in Richtung auf die Kuppel. Noch war der Paratronschirm gespannt, noch war die Maschine nicht getroffen worden. Eine grüne Lampe leuchtete auf. »Das Signal!« rief der Lordadmiral durch den Lärm. Seine Band kippte den Schalter. Während die Roboter und die fest eingebauten Geschütze arbeiteten, feuerten, sich einrichteten und wieder feuerten, während der prasselnde Hagel von kleinen Exlosionen gegen den Schirm schlug und abgeleitet wurde, während auf den Bergen ständig neue Detonationen stattfanden und alles von einem bleigrauen, heftigen Regen niedergeschlagen wurde, traf der erste Teleporter ein. Gucky brachte Perry Rhodan und Ovaron. Atlan spähte nach drüben, sah drei Gestalten und begann zu zählen. Er beobachtete das Signal und die Schirme und erschrak heftig, als ein harter Schlag den Deformator traf. Vor der Hauptschleuse bildeten die Roboter einen Halbkreis, der wie ein Igel nach allen Seiten feurige Stacheln warf. Er brachte ein Pferd? dachte Cascal verwundert. Dann sah er Alaska Saedelaere und bemerkte Ras' Verschwinden. Jetzt kam Ras Tschubai an. Lord Zwiebus und Fellmer Lloyd erschienen, von Gucky transportiert. »Wie lange halten wir es noch aus?« fragte Cascal laut. »Noch eine ganze Weile - hoffentlich!« schrie Atlan. Rhodan spurtete zwischen den Ausrüstungsgegenständen hindurch und blieb hinter Atlan stehen, die Hände um die Lehne des Sessels gekrampft. »Wir warten noch«, sagte der Großadministrator. Die Neuankömmlinge verteilten sich, um bei der letzten Teleportation nicht mit den letzten Mitgliedern zusammenzustoßen. Schließlich war Ras Tschubai wieder da. Er ließ die Hand eines Mädchens los, und Cascal zwinkerte überrascht mit den Augen. Das war neu, dachte er schnell. Rhodan hat liebe Gäste. Gleichzeitig schaltete Atlan wieder, und der Paratronschirm legte sich um die Kuppel. Der donnernde Lärm des gegenseitigen Beschusses wurde etwas leiser. »Icho Tolot und Paladin kommen noch!« rief Rhodan. Waringer deutete auf die Uhr und sagte: »Wir sind sechzig Sekunden hier. Viel länger darf es nicht dauern.« Atlan nickte, er wußte es ebenso gut. Noch immer wehrten sich die automatischen Waffen des Nullzeitdeformators. Was die Bomben nicht geschafft hatten, vernichteten die Strahlen der
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Geräte, die teilweise ihre Ziele selbst suchten. Rhodan gab den Befehl: »Schaltet die Projektoren eins bis sieben aus. Sie treffen sonst Paladin oder Icho. Sie müssen die beiden als Angreifer identifizieren.« Cascal reagierte sofort und zog nacheinander sieben Hebel zu sich heran. Der Lärm, der die glockenähnliche Zelle erschütterte und die Trommelfelle unaufhörlich in Schwingungen versetzte, ließ nach. Draußen tobte immer noch das Unwetter, und eine breite Wand aus Rauch, in dem Flammen züngelten, trieb von Westen her auf den Deformator zu. Und dann, in kurzen Augenblicken der Aufhellung, wenn die Rauchschleier aufrissen, waren Paladin und der Haluter zu erkennen. Sie stürmten heran wie Naturereignisse. Der Paladin wirkte wie eine rollende Festung, die aus allen Rohren schoß. Der Gigant, der sich auf seine Laufarme niedergelassen hatte, raste einen Hang mit einer Geschwindigkeit nicht unter achtzig Stundenkilometern herunter. Unaufhörlich schossen seine verschiedenen Waffensysteme nach allen Seiten. Raketen heulten und orgelten durch die Luft, fanden ihre Ziele und detonierten mit blauweißen Feuerbällen. Strahlen sprühten auf. Und ein urweltliches Gebrüll, laut wie der Donner, war zu hören. Paladin-III hatte auf seinem Weg zuerst eine bewegliche Stellung niedergerannt, indem er schreiend und mit gesenktem Kopf einfach auf den Gleiter losgerannt war, auf dessen Ladefläche das Geschütz stand. Der Gleiter war, nachdem der Paladin über ihn hinweggerannt war, nur noch ein Trümmerhaufen, und das Geschütz feuerte steil in die Regenwolke hinein. Ein mächtiger, tosender Dampfstrahl entstand hinter der Maschine. Dann warf sich der Paladin vorwärts und nahm den Hang. Einen Kilometer lang, schräg und von Geröll bedeckt. Die Maschine stob herunter, riß kleinere Felsen um, schürfte eine Spur, die einen Meter tief war, und wirbelte hinter sich Kies, Steine und Schlamm hoch wie ein Panzer. Ein Gleiter der Cappins sah Paladin und kippte schräg ab. Der dahinrasende Roboter wurde von den Cappins unter schweren Beschuß genommen. Ohne im Laufen innezuhalten, feuerte der Paladin einige Torpedos ab. Ein Gleiter explodierte in der Luft, zerbrach in mehrere Teile und fiel auf den Rücken Paladins herunter. Der Roboter schüttelte sich nicht einmal, sondern rannte weiter, wie ein stählernes Nashorn. Am Fuß des Hanges richtete er sich auf, stieß einen markerschütternden Schrei aus und raste gerade auf die Schleuse zu.
Cascal sah das Bild auf dem Schirm und rief entsetzt: »Diese Siganesen ruinieren unsere Schleuse.« »Keine Angst«, sagte Rhodan. »Harl wird jetzt bremsen.« Harl bremste. Seine gedankliche Steuerung wurde von den SERT-Mechanismen auf die Gelenke der Maschine übertragen. Er kam etwa mit hundert Stundenkilometern an, setzte jetzt seine Laufarme ein und vollführte eine Reihe von merkwürdig anmutenden Manövern. Die Hinterbeine blockierten, die Vorderbeine verankerten sich im Boden und führten eine Richtungsänderung um hundertachtzig Grad herbei. Der stählerne Körper wurde hart abgebremst, bohrte sich in den Boden und schob direkt vor der Schleuse einen Erdwall von zwei Metern Höhe und drei Metern Breite auf, Dann richtete sich der Mechanismus auf, feuerte eine Zehnerserie von Spezialraketen ab und drehte sich um. Langsam und gemessenen Schrittes kam Paladin bis an den Schirm heran, den Atlan blitzschnell abschaltete. »Hundert Sekunden!« kam von Waringer die Warnung. Auf den Schirmen war noch nichts zu sehen, aber die Männer ahnten, daß der totale Zusammenbruch der Barriere die Raumschiffe anlocken würde. Waren sie schneller als der Haluter, der jetzt, mit einer Felslawine zusammen, auf eine rauchende kleine Festung zukollerte? Für einen Sekundenbruchteil war der Schirm geöffnet worden, aber zwei kleinere Schüsse hatten die Kuppel voll getroffen. Auf den Instrumentenleisten leuchteten jedoch noch keine Warnlichter auf. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis auch Icho Tolot eintraf. »Soll ich den Haluter holen?« rief Gucky. »Überanstrenge dich nicht«, sagte Cascal laut. »Du schlaffe Type«, sagte Gucky verächtlich. »Du kannst auch nichts anderes als dumm daherreden und den Damen schöne Augen machen.« Atlan sagte lächelnd: »Das sind Arbeiten, die das Leben eines Mannes zur Gänze ausfüllen können. Icho kommt im Dauerlauf.« Icho Tolot hatte, als ihn die Lawine mitriß, seinen Körper verwandelt. Ein Gebilde aus tonnenschwerem Stahl rumpelte, krachte und rollte den abschüssigen Hang hinunter, walzte dir Reste der Geschützstellung nieder, und zwei Cappins im Panzeranzug sprangen entsetzt zur Seite und suchten Deckung. Als die Lawine zum Stillstand kam, richtete sich der Haluter auf, nahm in aller Ruhe sein Ziel an und schnitt einen Roboter der Cappins in zwei Teile.
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Einen anderen, der mit leergeschossenen Magazinen auf ihn losstürmte, empfing er mit seinen beiden Armen, hob ihn hoch und warf ihn zwanzig Meter hoch, ehe er sich wieder in die Rennstellung begab und losspurtete. Einen Meter hinter ihm krachte der Robot in den Boden. Der Haluter raste geradeaus auf die Schleuse los, richtete sich im vollen Lauf auf und wartete einen Sekundenbruchteil, ehe der Schirm erlosch. Er warf sich nach vorn und polterte durch die Schleuse. »Fertig!« Schrie Waringer und zog die Hebel. Die Maschinen heulten auf. Der Nullzeitdeformator raste die Zeitlinie wieder zurück. Rhodan hatte, nachdem der Paladin-III angekommen war, die Zahlen eingestellt. 6-0-0 Die Kuppel, die in dem schlüsselförmigen Tal stand, umgeben von Rauchwolken, explodierenden Bomben, von einem dichten Regenvorhang fast verdeckt, verschwand. Der Paratronschirm war wieder aufgeflammt, und nur ein paar tiefe Schrammen, von geschwärzten Stellen umgeben, zeugten von dem Beschuß. Als die Kuppel verschwunden war, erschienen die ersten Raumschiffe mit feuerbereiten Projektoren. Ein fast zerstörter Ring aus schwelenden Festungen, Resten von Meilern, abgestürzten und am Boden vernichteten Gleitern bot kein Angriffsziel mehr. Über allem zuckten die Blitze, krachten die Donnerschläge, und der sintflutartige Regen schwemmte den Sand von den Hängen.
. Außerdem hatte man wieder einmal nur beinahe erreicht, was als Ziel angegeben worden war. Nachdem die Maschinen angelaufen waren, die Geräusche leiser wurden, richtete sich der Großadministrator auf und sagte laut: »Darf ich einmal kurz um Ruhe bitten?« Das Murmeln der Unterhaltungen erstarb. »Nachdem unsere beiden Freunde Paladin-III und Icho Tolot durch ihr Vorgehen, ihre Erscheinungsform und die Wirkung ihrer Waffen unter unseren Belagerern Panik hervorgerufen haben, haben wir allen Grund, froh zu sein, daß wir den Nullzeitdeformator erreichen konnten.« »Allerdings«, sagte Atlan. »Sie sehen hier drei Wesen, die nicht unbedingt zu unserer alten Besatzung zu zählen sind«, fuhr Rhodan fort. »Es sind zwei Cappins und ein indirekter Verwandter von Lord Zwiebus.« Takvorian sah zu Perry Rhodan hinüber. Der Ausdruck seiner Augen war nicht zu deuten. Atlan und auch Cascal warteten gespannt auf Perrys Erklärung. Cascal blickte von Merceile zu Claudia Chabrol und lächelte spöttisch. »Dieser Herr dort«, sagte Rhodan und deutete auf Ovaron, der neben Merceile an einer Schaltbank lehnte, »heißt Ovaron. Er ist ein Cappin. Ich muß sagen, einer der wenigen sympathischen Cappins, die ich kenne.« Alaska sagte zu Tschubai: »Diesmal macht es der Chef aber sehr förmlich. Ich liebe diesen Zug an ihm. Wenn er verlegen ist, wird er vornehm.« »Ovaron wird uns helfen«, sagte Rhodan. »Und zwar in unseren Versuchen, die Gefahr des Sonnensatelliten auszuschalten« Ovaron hob die Hand und erwiderte: »Sie dürfen nicht glauben, Rhodan, daß wir damit so schnell Erfolg haben werden. Der Umstand, daß meine Leute zwar schnell, aber ohne Wirkung gehandelt haben, sollte Sie nicht zu riskanten Erwartungen hinreißen!« »Keineswegs«, sagte Atlan betont. »Die Cappins haben so schnell gehandelt, wie man es von denkenden, intelligenten Lebewesen verlangen und erwarten konnte« Ovaron öffnete den hohen Kragen seiner silbernen Montur und sagte: »Darf ich eine Erklärung verlangen?« Der Arkonide warf sein Haar in den Nacken und sagte: »Selbstverständlich. Wir drangen drei Jahrtausende weit in die Vergangenheit vor und legten überall dort, wo vorhin die Geschütze standen, Sprengkörper aus. Das konnte natürlich niemand erwarten.« Ovaron nickte verständnisvoll. Er spürte an seiner Schulter die Berührung des Mädchens Merceile, und das gab ihm etwas von der Sicherheit zurück, die er
6. Kenosa Bashra, der Anthropologe und Fachmann für die lemurische Geschichte, drehte seinen Sessel herum, holte tief Atem und betrachtete die drei neuen Ankömmlinge mit großen Augen. »Ich weiß nicht, Großadministrator«, sagte er mit seiner durchdringenden Stimme, »aus welchem Grund Sie es so dringend fanden, in den Nullzeitdeformator zurückzukehren« Rhodan sah ihn erstaunt an. »Wie darf ich das verstehen?« fragte er. »Eine kulturelle Landschaft, in der solch bezaubernden Geschöpfe wie dieses junge Mädchen herumschwirren, muß doch liebenswert sein.« Er betrachtete Merceile wie ein Facharzt. »Leider war die Landschaft nicht nur voller solcher Blüten«, sagte Alaska Saedelaere, »sie wies auch ansehnliche Dornen auf.« Natürlich bestand keine Unklarheit darüber, wie wichtig es gewesen war, wieder in den Nullzeitdeformator zurückzukehren. Die Aussicht, für alle Zeiten zweihundert Jahrtausende in der Vergangenheit bleiben zu müssen, war furchtbar.
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während der letzten Minuten verloren hatte. »Ihr Plan scheint glänzend funktioniert zu haben«, sagte er und musterte überrascht den Arkoniden. Später sagten die Beobachter dieser Szene, sie hätten ein schnelles, deutliches Verstehen zwischen den beiden Männern gesehen. »Ja. Der Beschuß ist an unserem Schutzschirm wirkungslos verpufft.« Atlan machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort: »Und daß sehr schwere Energiewaffen in der Eile nicht herbeigeschafft werden konnten, war vorauszusehen. Die Geräte haben drei- tausend Jahre Lagerung im Fels und im Sand gut überstanden - es war unsere einzige Chance, mit diesem zerbrechlichen Ding gegen den mas- sierten Beschuß auszuhalten.« Atlan verbeugte sich etwas und legte Rhodan kurz den Arm auf die Schultern. »Ich übergebe dir hiermit wieder das Kommando über diese Kuppel«, sagte er. »Danke«, sagte Rhodan und deutete auf Merceile. »Diese junge Dame haben wir deswegen mitgenommen, weil Ovaron offensichtlich persönliche Interessen hat. Sie hat allerdings lange gezögert, in eine Zeit zu gehen, die ihr unbekannt ist.« Merceile erklärte mit lauter Stimme: »Aber ich habe mich entschlossen, mit Ihnen zu gehen, weil ich Ihren Mut bewundere und neugierig bin, woher Sie kommen.« »Hört, hört!« sagte Bashra verwundert. »Eine Frage«, meldete sich Ovaron. »Bitte.« Ovaron rieb unschlüssig seinen Nasenrücken, dann meinte er: »Wir haben in der Schaltstation festgestellt, daß wir, gerechnet von dem Zeitpunkt, an dem Sie auftauchen«, er bewegte die Hand in Richtung auf Rhodan, »knapp fünfhundert Jahre auf diesem Planeten waren.« Rhodan bestätigte das. Worauf wollte der Cappin hinaus? »Wenn Sie einen Aufenthaltsort außerhalb Ihrer Zeit suchen, sollte ein Vorstoß um etwa sechshundert Jahre reichen.« »Genau diese Zahlen wurden programmiert!« erklärte Waringer. Die Zeitmaschine war also weniger weit in die Vergangenheit zurückgegangen als vorher. Sie befanden sich zweihunderttausendsechshundert Jahre in der Vergangenheit, gerechnet vom Jahr 3434 an. Waringer meldete nach einem Blick auf die Schirme: »Alle Geräte aus. Wir können ungefährdet aussteigen.« »Ausgezeichnet. Aber zuerst muß ich noch unseren exotischen Gast vorstellen. Es ist Takvorian.«
Die Blicke der Zeitkuppel-Besatzung richteten sich auf den Pferdemutanten. Der Körper dieser Cappin-Züchtung ähnelte dem eines hochrückigen, starkknochigen Halbbluthengstes, das Fell glänzte in hellblauer Farbe. Er wirkte wie eine Zeichnung von Franz Marc. Der Schweif leuchtete tief ockergelb, über jedem Huf schimmerte eine weißgelbe Zeichnung. Alaska Saedelaere wandte sich an Cascal und sagte leise: »Ein Pferd in Pop-Farben, Joak.« Der menschliche Körper, der aus dem Pferderumpf herauswuchs, war schmal wie der eines Kindes, aber noch mehr wirkte der Kopf wie der eines Zwölfjährigen. Nur der Haß, der aus den Augen sprach, schilderte etwas von den Gemütsbewegungen, die diesen Mutanten heimsuchten. Der Haß konzentrierte sich ausschließlich auf die Cappins, die ihn und seine mutierten Artgenossen erzeugt hatten. Ovaron und Merceile aber waren von diesem Haß ausgenommen. Rhodan sagte laut: »Takvorian ist ein Movator.« Unschuldig und ahnungslos fragte Gunnison, der Feldlinienformer: »Was ist das, bitte?« Rhodan erklärte: »Bis auf seinen eigenen Körper, das ist die Ausnahme, kann Takvorian den zeitlichen Ablauf verlangsamen oder beschleunigen. Er hat mitgeholfen, Merceile aus einem Gefängnis zu befreien, indem er die Handlungsgeschwindigkeit der Wächter enorm verlangsamte.« »Aha.« Waringer verließ sein Pult und forderte die Anwesenden auf: »Verlassen wir die Kuppel, wir sind in Sicherheit.« Da sie zeitsynchron arbeiteten, war es jetzt, sechshundert Jahre früher, kurz nach Mittag. Als sich die Schleusen öffneten, waren Sie in einer unberührten, leblosen Gegend, über der ein stahlblauer Himmel mit weißen, riesigen Wolken stand. Aber eine leere Landschaft, wußten sie, war nicht unbedingt eine ungefährliche. Rhodan hatte einen neuen Erfolg für sich zu verzeichnen. Aber dieser Erfolg war nur ein Teil von einem verwirrenden, komplizierten Ganzen. Er hatte drei neue Freunde gewonnen: Ovaron, Merceile und den Movator. Diese Personen würden mit ihnen zusammen in die Realzeit zurückkehren und ihnen helfen. Langsam und nachdenklich verließ Perry Rhodan die Nullzeitkuppel und ging hinaus, setzte sich auf einen Felsen und dachte daran, in welchem Zustand er das Gelände vor etwa einer Stunde verlassen hatte. Joak Cascal kam näher und fragte: »Woran denken Sie, Sir?«
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Rhodan hob den Kopf, sah Cascal lange an und erwiderte ernst: »An die Dinge, die vor uns liegen.« »Ich verstehe«, sagte Cascal. »Die meisten Schwierigkeiten liegen deshalb vor uns, weil wir nicht wissen, wie groß sie wirklich sind.« Er setzte sich neben Rhodan auf den Felsen und begann, nachdenklich an einem Grashalm zu kauen.
langsam auf, einen zur Hälfte brennenden Ast in der Hand. »Einsam, Sie?« fragte er. Merceile machte eine Bewegung, die den gesamten Himmel und die nähere Umgebung umfaßte. »Ja, es ist so still hier. Zu still. Ich beginne mich zu fürchten.« »Alaska«, sagte Cascal entschlossen. »Hol die Flasche!« »Wen?« fragte der Transmittergeschädigte. Cascal und er brachen in ein gewaltiges Gelächter aus. »Aus meinem Gepäck, das Feuerwasser. Hier liegt eindeutig ein medizinischer Fall vor. Die Dame wird hiermit eingeladen, an unserem Lagerfeuer zu sitzen, einen Schluck zu nehmen und große Stücke besten Bratens zu essen. Wo bleibt eigentlich Paladin-III?« Alaska ging langsam zum Nullzeitdeformator zurück, ein hagerer Mann, fast nur ein Schatten in der Dunkelheit. Dann, Sekunden später, kam der Paladin und warf ein Stück Wild neben das Feuer, etwa fünfzig Pfund schwer. Cascal zerrte das toter Tier hinüber zu der Quelle, nahm es aus und wusch es, dann häutete er es ab und trug es zurück ans Feuer. Kurzeit später, als das Fett zischend In die Glut fiel, war die kleine Flasche leer, und Merceile fühlte sich nicht mehr so verloren. Joak Cascal, die Ärztin, Alaska Saedelaere, Ras Tschubai, Multer Prest und Merceile saßen an diesem Feuer und Cascal begann, Raumfahrergarn zu erzählen. Stunden vergingen, niemand dachte an Aufbruch. Unter den Teilnehmern der Zeitexpedition schien sich eine heitere Stimmung breit zu machen. Einmal, mitten im Gelächter, hörte Cascal, wie sich der letzte Satz des Barden-Liedes ständig; wieder holte - wahrscheinlich war, Bashra eingeschlafen. Drei fast weißglühende Feuer, der Geruch nach verbranntem Fell und nach Braten, die Gespräche und das Lied-eine Szene, die wie geschaffen dafür war, Gäste anzulocken. Der erste kam in Gestalt eines Tieres das sich ohne Scheu zwischen den Männern bewegte und erst floh als Multer Prest einen Stein nach ihm warf. Man hörte nur ein entrüstetes Schnauben und dann schnelle Hufschläge. »Dieser Refrain ... Kenosa mull wirklich ein Gehör haben wie ein Mammut«, sagte Cascal. »Vermutlich ist er eingeschlafen.« Er stand auf und warf einen Knochen in die Glut. »Entschuldigung«, sagte er. »Ich sehe einmal nach und schalte diesen verdammten Mechanismus aus Wer auch solchen Unfug auf einer- Zeitexpedition mitschleppt.«
7. Es war frühe Nacht. Sie hatten beschlossen, sich auszuruhen, einige Stück Wild zu schießen und zu braten und dann, nach einer kurzen Diskussion, in die Realzeit zurückzukehren. Drei mächtige Feuer brannten, und die Männer waren dabei, die Bratspieße und die Gewürze bereitzustellen. »Sie wollen im Ernst sagen, daß der Paladin auf Jagd gegangen ist?« fragte Alaska. Cascal, der im Feuer stocherte, nickte und grinste. »Eine etwas befremdliche Vorstellung, ich weiß, aber immerhin - mit solchen technischen Einrichtungen überholt er jedes Stück Wild im Lauf und treibt es förmlich an den Spieß. Haben Sie etwas gegen Wildbret, nach Art des Imperiums?« Claudia Chabrol schüttelte den Kopf. »Nehmen Sie es etwa aus?« fragte sie den Oberst der Abwehr. »Natürlich«, sagte Cascal lächelnd. Er sah hinüber zu der Schleuse des Nullzeitdeformators. Sie war ein helles Viereck gegen den dunklen Grund. »Wer wacht eigentlich in dem Gerät?« fragte er leicht beunruhigt. »Dr. Kenosa Bashra«, erwiderte Claudia. »Er liegt neben dem Eingang in einem Sessel und hört das Band von Ihrem Spielzeug-Barden Das Lied scheint ihm zu gefallen.« Alaska fügte hinzu: »Vielleicht träumt er wieder von seinen unzähligen Romanzen mit edlen Frauen an Fürstenhöfen oder dergleichen.« Die Mitglieder des Zeitreiseteams saßen, lagen oder standen um die drei Feuer herum, soweit sie nicht im Nullzeitdeformator Wache hielten. Gelächter und Gespräche waren zu hören. Das Lied des Barden hallte weit in die Nacht hinaus. »Perry Rhodan, Atlan und Ovaron scheinen sich schnell angefreundet zu haben«, sagte Merceile, die unbemerkt ans Feuer getreten war. Unbemerkt? Cascal hatte sie kommen sehen und geflissentlich ignoriert. »Haben Sie die Quelle gefunden?« fragte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. »Jagdort drüben«, sagte das Mädchen. »Mich trieb es zu der Gruppe, bei der am meisten gelacht wurde Ich fühle mich etwas einsam.« Cascal glaubte, sich verhört zu haben und stand
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Er tat entrüstet, und Claudia rief ihm nach: »Das sind die Leute, denen sonst nichts Originelles einfällt.« Aus zehn Metern Entfernung gab Cascal grimmig zu Antwort: »Erinnern Sie mich daran; wenn ich wieder zurückkomme - mir fällt noch ganz hübsch was ein für mein Alter.« Er ging bedächtig auf den Eingang des Nullzeitdeformators zu. Er blieb stehen, die Hand am Rahmen der Schleuse. Es bot sich ihm ein seltsames Bild. Der Torso des Barden, der Spielzeugpuppe, lag mitten in einem Lichtstreifen; der von einer Pultbeleuchtung kam. Kopf, Arme und Beine waren ausgerissen und verstreut. Cascal faßte an seinen Gürtel, zog die Waffe heraus und ging näher. Dr. Kenosa Bashra lag in seinem leichten Expeditionssessel, aber der Sessel war fast zertrümmert. Bashras Kopf war zu Seite gefallen, und Cascal sah das Blut, das über die rechte Seite des Oberkörpers gelaufen war. Es trocknete bereits ein. »Verdammt«, sagte er und winkelte den Arm an, um Rhodan anzurufen. Aber als er gerade mit dem kleinen Finger den Kontakt herumkippen wollte, denn in den übrigen Fingern hielt er die Waffe, traf ihn ein wuchtiger Schlag in den Nacken, und er krachte mit aller Gewalt auf den harten Boden. Der Refrain hörte nicht auf, immer wieder ertönte er, solange bis ... Er rührte sich nur um wenige Zentimeter, um die zitternden Grashalme zur Seite zu schieben. Sie hinderten ihn daran, die Gestalten an den Feuern zu sehen und die große Höhle neben ihnen, in der ein viertes Feuer brannte. Er atmete ganz flach ein und aus, wie immer, wenn er sich an ein besonders scheues Wild heranschlich. Sein Speer, ein gerades Stück Holz mit einer im Feuer gehärteten Spitze und einer langen Steinklinge, die mit Sehnen befestigt war, lag neben ihm und berührte seine Wange. Es war hell, es roch nach Braten. Er richtete sich halb auf, blieb aber in der Dunkelheit hinter dem großen Findlingsblock. »Jag«, sagte er vor sich hin. Dann verschwand er mit drei, vier schnellen Sätzen nach links. Wenn die fremden Jäger dort an ihren Feuern saßen, waren nur Frauen und Kinder in der Höhle. Dann konnte er etwas mitnehmen - ein Fell, einen Speer, ein Weib vielleicht, wenn sie nicht schrie. Er wiederholte leiser: »Jag ... jaaag.« Er war ein Mann, breitschultrig, mit langem Haar und einem langen Bart. Seine Füße steckten in Fellen, die mit Sehnen zusammengeschnürt waren. Ein zweites Fell spannte sich eng um seine Hüften.
Er nahm den Speer fest in die Faust, klammerte sich mit der anderen an dem schlanken, spitzen Steinsplitter fest, der in dem Fell steckte, und bewegte sich absolut geräuschlos, das Gesicht immer zum Feuer, auf die Höhle zu. Niemand sah ihn. Er dachte: Schlechte Jäger. Er brauchte lange, bis er endlich an der Höhle war. Die Jäger dort unten schienen satt und faul zu sein und über die Jagd zu schnattern. Er berührte den Felsen der Höhle. Vor einigen Tagen hatte er seinen Stamm verlassen, um auf einen langen, einsamen Streifzug zu gehen. Er kam von weither und war lange gewandert, aber er würde zurückfinden, denn er hatte seinen Weg markiert. Licht. Er näherte sich leise und wie ein Schatten, ohne Atemgeräusche und Schrittlärm, dem Lichtstreifen, der aus der Höhle kam. Dann hörte er den Zaubergesang, daß jemand in der Höhle anstimmte sicher ein Weib, das sang, um sich Mut zu machen, weil alle Männer am Feuer saßen. Er kauerte sich auf den Boden nieder, kroch bis zum Licht und spähte in die Höhle. Ein kleiner Jäger saß dort auf einigen Stöcken- und etwas Fell dazwischen und hielt eine Figur in der Hand, wie man sie aus Lehm machte, um sie ins Feuer zu werfen und den Göttern zu opfern. Der Jäger sang, aber er bewegte den Mund nicht dabei. Jag hielt den Atem an. Das ging über seinen Horizont. Er drehte den Speer um, trat dann geräuschlos in das Licht hinein. Dann sah er, daß es die Figur war, die sang. Geheimnis. »Jag«, sagte er und blieb vor dem Jäger stehen, richtete den Speer auf dessen Brust. Der Jäger war in Felle gekleidet, die er, Jag, nicht kannte. Er sah ganz anders aus als alle anderen Jäger, denen er begegnet war. Der Jäger mit dem Haar in der Farbe des brennenden Holzes sprang auf. »Jag«, sagte der Wilde. Der - Jäger sagte etwas, blieb vor dem Ding stehen, auf dem er gesessen hatte, und schüttelte verwirrt den Kopf, dann zeigte er die Zähne und wollte fliehen. Jag schlug ihn mit einem einzigen Hieb mit dem Speerschaft nieder, dann riß er die Figur an sich und hielt sie an sein Ohr. Sie sang! Ein langsames Lied mit Tönen, die wie die Grillen klangen. Auch sie bewegte aber den Mund nicht. Jag suchte nach einem Feuer, in das er sie werfen konnte, aber er sah nur viele kleine Feuer in der Höhle, die ohne Flammen brannten. Er merkte, daß sich die Glieder der Figur In seinen Fingern
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bewegten. ».lag! Gam ...Tok!« sagte er laut und wütend. Er lehnte den Speer gegen seine Schulter, drehte sich rum Eingang um und sah hinaus zu den drei Feuern dann bewegte er vorsichtig den Arm der Figur. Er ließ sich drehen, und Jag riß ihn heraus, erschrak und ließ ihn fallen. Der zweite Arm. Die Figur sang weiter, immer dasselbe Lied, an einen unbekannten Jagdgott, fr einen Jagdzauber. Jag riß ein Bein aus, das andere. Er ließ sie fallen, aber die Figur sang noch immer. Sie sang auch noch, als er ihr den Kopf abriß. Dann holte er aus und schmetterte die Figur gegen den harten Boden der Höhle. Es gab ein Geräusch, als wenn ein Knochen brach, aber der Gesang ertönte unentwegt. Niemand schien in der Höhle zu sein. Jag ging ein paar Schritte weiter und stieß an ein Ding, daß er nicht kannte. Als er vorsichtig die Hand über die kleinen farbigen Feuerchen hielt, spürte er, daß sie nicht warm waren, aber trotzdem brannten. Das kannte er nicht. Er fuhr herum, als er spürte, daß sich ein Jäger näherte. Flucht! Er versteckte sich neben dem Ausgang der Höhle im Schatten, und als der Jäger die Bewegung des Gesicht Versteckens machte, indem er den angewinkelten Arm hob, schlug ihn Jag ebenfalls mit dem Speerschaft nieder. Dann lief er schnell in die Höhle hinein. Sie war Voller Zauber. Überall kleine Knochen, die aus glatten, mit Feuern verzierten schrägen Flächen herausragten. »Jag! Tok!« Schrie der Wilde. Er hob den Speer und stieß einen Knochen heftig an. Der Knochen, schwarz war er, kippte herum, und im Hintergrund der Höhle begann ein großes Tier zu brummen. Jag zog an einem anderen Knochen, an einem dritten, an einem vierten, und dann hörte er ein dröhnendes, holperndes Geräusch. Das Licht flackerte, viele der kleinen Feuerchen ging aus, andere wuchsen wieder aus der felsenglatten Fläche rings um ihn. Langsam wich Jag zurück, bis er an etwas stieß und stolperte, sich hinsetzte und er saß in einem solchen Ding, in dem der erste Jäger gesessen hatte. Er atmete schwer, denn er fürchtete sich. Das Dröhnen hörte auf, einige der Knochen sprangen wieder zurück, und dann bewegte sich die Höhle ein zweites Mal. Schließlich hörte das Tier auf zu brummen und zu fauchen. Der Wilde stand auf, ging an den beiden bewußtlosen Jägern vorbei und wollte die Höhle
verlassen, denn er fürchtete sich. Aber dort, wo er die Höhle betreten hatte, war jetzt eine glatte, schwarze Wand, die wie dunkles Wasser schimmerte. Hilflos hämmerte der Wilde mit dem Speerschaft an die Wand, schrie und tobte, zerbrach seinen Faustkeil bei dem Versuch, sich ein Loch durch diesen Felsen zuschlagen. Er war gefangen in der Höhle der Ungeheuer. Als es kalt wurde und ein schneidender Wind aufkam, hörten die Gespräche auf, der Braten war verzehrt und die Teilnehmer sehnten sich nach Schlaf. Atlan stand auf und sah hinüber zum ... »Was ist los?« fragte er verstört. Der Tonfall alarmierte Rhodan, der neben ihm auf einer leeren Kiste saß. »Wie?« fragte er. Atlan deutete in die Dunkelheit und rief aufgeregt: »Eine Lampe, schnell!« Sekunden später zuckte ein Lichtstrahl durch die Dunkelheit. Aber dort, wo er auf das glänzende Material der Kuppel stoßen sollte, war nichts. Nur Dunkelheit, und dahinter die Berge. Atlan sagte flüsternd: »Der Nullzeitdeformator ... weg.« Schlagartig verstummten die Gespräche. Aus den Scheinwerfern des Paladin ergoß sich eine Lichtflut auf das Gelände und schuf eine kristallene Helligkeit vor dem Roboter. Paladin stürmte, dicht gefolgt von Atlan, den leichten Hang hinauf. »Nichts!« hallte der Lautsprecher. »aber ich habe eben eine Spur angemessen. Sie kam von dort und führt hierher, wo die Schleuse offen stand.« Jemand schrie: »Wer hat die Schleusenwache übernommen?« Ras Tschubai rief zurück: »Kenosa Bashra. Und ... Mann! Cascal wollte ihn aufwecken.« Sie waren wie gelähmt. Dann sagte Perry Rhodan mit scharfer Stimme, schlagartig aus seiner guten Laune gerissen: »Ein fremder Besucher, offensichtlich. Cascal und Bashra sind im Nullzeitdeformator und haben ihn eingeschaltet. Verdammt!« Eine schnelle Zählung mit Namensaufruf ergab, daß tatsächlich von den Expeditionsteilnehmers nur Joaquin Manuel Cascal und Dr. Kenosa Bashra fehlten. »Zweihunderttausend Jahre in der Vergangenheit gefangen!« sagte Waringer! »Und ich habe die Zentralschalter deshalb nicht umgelegt, weil ich dachte, unser Aufenthalt dauert ohnehin nur einige Stunden. Ich könnte mich ohrfeigen« »Es gibt drei Möglichkeiten«, sagte der Lordadmiral.
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»Ja?« »Entweder hat der unbekannte Fremde Cascal und Bashra niedergeschossen und den Nullzeitdeformator entführt, oder es liegt ein relativ einfacher Unglücksfall vor, oder Joak hat sich einen besonders delikaten Scherz erlaubt.« Claudia Chabrol erklärte: »Das glaube ich nicht. Cascal ging von unserem Feuer weg, um Bashra zu wecken.« Waringer erkundigte sich halb laut: »Woran erkannte er, daß Bashra schlief?« Ras Tschubai übernahm die Antwort. »Sie erinnern sich doch noch an diese Puppe. Der Barde mit seinem Erfolgsblues. Wir hörten einige Male den Refrain, als ob der Mechanismus kaputt wäre. Cascal schloß daraus, daß Bashra während der Darbietung eingeschlafen war.« Atlan nickte und sagte: »Aslo kein Scherz. Da es wenig Sinn hat, hier herumzustehen und Däumchen zu drehen, erhebt sich die Frage: Was können wir tun, um diese Maschine wiederzubekommen?« Nach einigen Sekunden bangen Schweigens sagte Rhodan lakonisch: »Nichts.« Er wußte wenigstens noch, wer er war, immer zwischen den Wellen des Schmerzes, die seinen Schädel und, von dort ausgehend, seinen ganzen Körper heimsuchten. Joaquin Manuel Cascal, Oberst der Solaren Abwehr, freier Prospektor und Geologe. Er rang nach Luft, denn er schwamm. Er schwamm in einem sirupartigen Brei, der übel roch, noch übler schmeckte und an ihm zog wie ein Sumpf. Er konnte nicht einmal mehr stöhnen. Er öffnete die Augen, sah eine Dunkelheit, in der die Farben schwammen. Auf den Lippen spürte er Blut, und er sah nichts außer den verschwimmenden Nebeln. Als er versuchte, etwas zu sagen, wurde er wieder ohnmächtig. Seine Stirn, die er leicht erhoben hatte, schlug auf den Boden. Einige Stunden Vergingen. Wieder erwachte er unter Schmerzen Er öffnete die Augen und nach einiger Zeit wurde aus den schwimmenden Farben ein festes undeutliches Bild Er sah kleine Lichter und dicht vor sich einen Lichtstreifen. In diesem Streifen erkannte er einige Dreckklümpchen und den Torso des Barden. Der Barde. Endlich ein fester Gedanke. Der Barde ... das Lied ... Kenosa Bashra ... Blut, Niederschlag, Dunkel. Cascal hob den Kopf, stützte sich auf eine Hand und drehte sich auf den Rücken. Er stöhnte schmerzgepeinigt. Jetzt sah er schon deutlicher. »Was ... ?« wollte er sagen, aber er fühlte Blut von zerbissenen Lippen auf der Zunge. Blut verkrustete
auch seine Augenbrauen, und als er mit einer unsäglichen Anstrengung den Kopf drehte und die Hand in den Nacken legte, fühlte er auch dort den Schorf. »Wo bin ich?« Sein Blick fiel auf den Anthropologen, der mit seinem zusammengebrochenen Feldsessel vier Meter von ihm entfernt dalag. Er schien tot zu sein. »Im Nullzeit ... de ... deformator!« brachte Cascal heraus. Dann vergaß er vorübergehend wieder alles, lehnte mit dem Oberkörper an einer stählernen Verstrebung und erinnerte sich an nichts mehr. Eine Gehirnerschütterung und vermutlich auch ein gebrochener Wirbel ... wieder fiel er auf der. Boden zurück und brach sich fast die Nase dabei. Eine Stunde später wachte er erneut auf. Diesmal gelang es ihm, aufzustehen. Er sah vor sich auf dem Boden ein L-förmiges Ding liegen und versuchte verzweifelt, sich an den Verwendungszweck zu erinnern. Schwarz gefährlich, Stahl ... eine Waffe. Er wagte nicht, sich zu bücken, also ging er vorsichtig in die Knie und verfluchte seinen Zustand, der ihm kein klares Denken gestattete. Er fand instinktiv die Sicherung der Waffe, und sein Daumen tat etwas mit einem kleinen Flügel. Dann leuchtete eine Lampe in der Waffe auf. »Ich kann schießen«, sagte er stockend. Was konnte er tun, um seine Gedanken aus dem Nebel zu holen? »Wasser.« Er taumelte nach rechts, verschwand zwischen zwei Stapeln von irgend etwas, rannte mit dem Schienbein gegen etwas Hartes und schaltete zwei Lampen ein. Schließlich fand er die eingebaute Toilette und schrak zusammen, weil vor ihm ein rotes Gesicht auftauchte und immer näher kam. »Das muß ein Spiegel sein«, sagte er laut. Er steckte die Waffe in den Gürtel und suchte einen Wasserhahn. Schließlich gelang es ihm, das Handwaschbecken vollaufen zu lassen. Er ging in die Knie, legte das Kinn auf den geröteten Rand des Beckens und steckte den Kopf ins Wasser-ein rasender Schmerz zuckte durch seinen Nacken. »Wasser!« Er gurgelte, sah, wie sich das Wasser verfärbte, aber immerhin konnte er sich erkennen. Er war Cascal und sah aus, als ob er überfallen worden wäre. Er fand ein Handtuch und wischte sein Gesicht ab, es war alles nur angetrocknetes Blut gewesen. »Mein Gott!« sagte er plötzlich. Er riß die Tür des kleinen Arzneischrankes auf, in dem nur die nötigsten Medikamente und ein paar Binden lagen. Bevor er in der Lage war, die Aufschriften zu lesen, ließ er das Wasser auslaufen und warf ein Handtuch unter den laufenden Hahn.
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Das eiskalte triefende Handtuch legte er dann auf den Nacken und biß die Kiefer aufeinander, bis die Zähne zu schmerzen begannen. »Bashra!« Er nahm drei Kopfschmerztabletten und zwei Aufputschmittel der stärksten Konzentration und spülte sie mit Wasser herunter. Sofort danach fühlte er sich besser, aber das war natürlich Einbildung. »Bashra ... tot?« fragte er sich laut. Er riß das tropfende Handtuch vom Genick, warf es irgendwohin und stolperte aus der Kabine, den Gang zurück und bis zu Bashra, der sich nicht gerührt hatte. Cascal kniete sich vor Bashra hin und legte die Hand an den Puls ... er schlug noch, »Also nicht tot. Was jetzt?« fragte er laut. »Jag«, sagte jemand hinter ihm. Er drehte sich langsam herum, und der Speer den der Wilde schleuderte, pfiff zwischen seinem Arm und der Brust hindurch und splitterte an einem Strahlträger. Cascal nahm bedächtig die Waffe heraus, zielte schwankend und drückte ab. Schreiend brach der Wilde zusammen. Der Schuß hatte seine Arme versengt und die Brust. Es stank nach schmorendem Haar. Cascal steckte die Waffe ein, zerrte Bashra aus den Trümmern des Sessels und zog ihn in den schmalen Gang bis zu der sogenannten medizinischen Station. »Roboter.« Cascal schrak auf. »Was?« fragte er. Aber es gab kein Echo, keine Antwort. »Roboter. Medorobot«, sagte Cascal zu sich selbst, wie um sich zu erinnern. Er schaltete den Robot Nummer Drei ein, weil er ihm am nächsten stand. Der Robot erwachte zum Leben, sah mit zwei Blicken, daß Bashra bewegungslos zu Füßen Cascals lag und begann automatisch und sehr schnell zu handeln. Er fuhr seine Arme aus, knickte sie ab und hob Bashra auf den Sessel, der sich augenblicklich aufklappte. »Der ist versorgt«, sagte Cascal. »Nummer Eins.« Er aktivierte den zweiten Robot und sah zu, wie ihm die Maschine durch den Korridor folgte. Er war fast zu eng für den Robot. Cascal blieb stehen und deutete auf den zusammengebrochenen Wilden. »Und außerdem einschläfern!« befahl er. Der Robot verstand. Jetzt begannen die Medikamente zu wirken. Der Herzschlag Cascals wurde rascher, und die mörderischen Kopfschmerzen verschwanden langsam. Und als er klar sehen konnte und in einen der Schirme starrte, sah er ein Bild, das er sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen würde. Vor dem Nullzeitdeformator stand ein ausgewachsenes Mammut.
Im Licht der frühen Sonne schimmerten die riesigen, einwärts gebogenen Stoßzähne. Die Landschaft, in der die Maschine diesmal gelandet war, konnte Cascal nicht einmal erahnen. Er wußte, daß es eine irdische Landschaft war. Aber nicht, wann es diese Landschaft gegeben hatte. Er fiel in einen Sessel und schlief ein. In wenigen Augenblicken waren alle Feuer verlassen. Die Teilnehmer der Zeitexpedition standen in einem dichten Kreis zusammen. »Wir haben wenig Hoffnung«, sagte Rhodan niedergedrückt. Atlan sah in die Gesichter der beiden Mädchen und der Männer. Sie waren teilweise verstört, aber die Niedergeschlagenheit hatte sich noch nicht so breit gemacht, daß AtIans optimistische Worte vergeblich waren. »Wir haben durchaus noch reale Chancen«, sagte er. »Nach dem, was wir bisher festgestellt haben, ist ein einzelner Wilder ... oder Urmensch, Halbaffe wie Sie wollen.« Professor Waringer warf ein: »Warum er kam, wissen wir nicht.« »Nein«, meinte Gucky. »Aber er wurde vermutlich von den Stimmen, dem Licht und vor allem dem Bratengeruch angelockt. Verständlich, würde ich sagen.« »Aber fatal für uns«, schränkte Rhodan ein. »Sollen wir uns häuslich einrichten oder Weiterwarten?« Atlan sagte beschwörend: »Perry ... du hast keinen Grund zu einer panischen Reaktion. Cascal und Kenosa sind an Bord der Maschine.« Ras Tschubai rief: »Das ist eine Chance, aber ich würde mich nicht darauf verlassen, daß Cascal und Bashra uns binnen Minuten den Deformator zurückbringen können. Jedenfalls schließe ich für mich jeden Versuch eines Scherzen aus. Cascal weiß, was ein guter Witz ist.« »Ich auch!« meinte Lord Zwiebus. Er schwang seine Keule auf die Schulter und brüllte: »Wenn ich diesen irrsinnigen Affenmenschen sehe, schlage ich ihm den Schädel ein! Wie er das nur geschafft hat!« Sie standen etwa hundert Meter neben dem Platz, an dem der NuIIzeitdeformator gestanden hatte, wenn ihn der Wilde nicht in die Vergangenheit oder sogar, von ihrem jetzigen Standort in der Zeit, in die Zukunft entführt hätte. »Ich kann, unter Zuhilfenahme meines Extrasinnes, folgendes sagen«, meinte der Lordadmiral halblaut »Der Wilde schlich sich an, überrumpelte Bashra und ließ sich von der Puppe faszinieren.«
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Lord Zwiebus rammte seine Keule dreißig Zentimeter in den sandigen Boden und rief: »So sehr, daß er Bashra und Cascal niedergeschlagen, erwürgt oder erstochen hat?« Atlan gab zur Antwort: »Wir dürfen bei der Betrachtung dieses Problems nicht davon ausgehen, was einer von uns getan hätte. Der Wilde weiß nicht, was er tat- alles, was er ah, roch, fühlte und unternahm, war ihm fremder als uns etwa seine Umgebung.« Harl Dephin fragte durch das Lautsprechersystem Paladins: »Sie glauben also, daß Bashra und Cascal noch leben?« Atlan bestätigte nach einigen Minuten ernsten Nachdenkens: »Ja, ich glaube es.« Rhodan fragte seinen Freund: »Aus welchem Grund glaubst du das? Ich rechne nicht damit, daß Cascal oder Bashra noch leben. Ein Steinzeitmensch hat einen ziemlich harten Schlag, weil er ein ausgebildeter Jäger ist, der sein Wild nicht entkommen lassen darf.« Atlan gab zurück: »So schnell stirbt man nicht. Ich rechne damit, daß die beiden Männer bewußtlos geschlagen würden und nach einiger Zeit wieder aufwachen.« Waringer äußerte deprimiert: »Aber keiner von ihnen kann diese Maschine steuern!« Rhodan gab sich zuversichtlich: »Die Steuerung des Nullzeitdeformators ist so einfach, daß sie der Wilde auslösen konnte. Ein Zufall, sicher ... aber zumindest Cascal ist mit Maschinen aufgewachsen. Er weiß, wie eine Schaltung funktioniert.« Atlan pflichtete ihm bei und sagte betont: »Selbst wenn er etwas ungenau steuert und lange dazu braucht, wird er den Nullzeitdeformator zurückbringen. Er kann ja ablesen, um welche Distanz der Wilde die Maschine transportiert hat.« Waringer löste sich von der Gruppe und blieb vor Rhodan und Atlan stehen. »Nicht, wenn das Zählwerk nicht bewußt eingeschaltet ist.« Blitzschnell fragte der Großadministrator: »Hast du es eingeschaltet gelassen?« Waringer schüttelte den Kopf. Jetzt wußten es alle: Selbst wenn Cascal und Bashra noch lebten, selbst wenn es ihnen gelingen sollte, die Steuerung wieder zu aktivieren sie wußten dennoch nicht, wo sie sich befanden. Die Linie der Zeit, ein straff gespannter Faden, war für sie ihre Markierungen und Orientierungspunkte. Icho Tolot drückte aus, was die meisten dachten. Er sagte dröhnend: »Wir können im Augenblick nichts anderes tun, als hoffen und warten. Ich schlage vor, wir versuchen zu schlafen. Etwas Besseres ist sicher nicht zu tun.«
Schweigend gingen sie zu den Feuern zurück. Jetzt waren sie wirklich Gefangene der Vergangenheit. Joaquin Manuel Cascal kämpfte einen schweigenden, verbissenen Kampf mit sich selbst, mit der Unfähigkeit, einen annähernd klaren Gedanken zu fassen. Zustände der halben Besinnungslosigkeit und Sekunden, in denen er seine Umgebung klar erfaßte, wechselten sich ab. Inzwischen wußte er, daß er in Waringers Sessel kauerte, fror und mit den Zähnen klapperte. Er beugte sich nach vorn und sah die Zahlreihe an, die in acht Feldern zu sehen war; Computerzahlen, die matt leuchteten. Zwei Felder waren leer ... Cascal las ab: --2-0-0-6--0-0 »Die Zahlen ...«, sagte er, um sich Mut zu machen, um eine menschliche Stimme zu hören. Sie stimmten nicht. Er schaltete einen Knopf ein, und die Zahlen leuchteten jetzt stärker. Draußen weideten noch immer die Mastodonten, im eisigen, hellen Licht des Morgens. Wenn der Wilde, der jetzt an einen der Behandlungsstühle gefesselt war, einen Zeitsprung herbeigeführt hatte, dann müßten die Zahlen anderslauten. »Aber wie?« Cascal dachte angestrengt nach. Er konnte mit der Zeitmaschine weit in die Vergangenheit zurückgerutscht sein, aber auch nur um zehn Minuten. »Nein!« sagte er laut. »Nein, nein!« Die Herde der riesigen, schwarzen Tiere dort draußen machte diese Überlegung zunichte. Er konnte auch nicht langsam die Zeitlinie entlanggleiten und auf den Schirmen die Umgebung beobachten, bis er Rhodan und dessen Team fand. Was sollte er tun? Er lehnte sich zurück; sah auf dem Schirm die Mastodonten an und fragte sich verzweifelt, in welcher Zeitspanne auf der Erde diese Tiere gelebt hatten. Gleichzeitig mit der Formulierung dieser Frage erkannte er die Antwort. Der Zeitraum, innerhalb dessen diese Riesentiere gelebt hatten, umfaßte mehrere hunderttausend Jahre. Sein Herz schlug wie wild, seine Kopfschmerzen waren vergangen, aber der Nacken und der Rücken schmerzten noch immer. Und ebenso stark spürte er den Gedächtnisverlust, der durch die Gehirnerschütterung hervorgerufen worden war ... Aber er durfte nicht aufgeben. »Das wird ein Problem«, sagte er. Wenn er in die Nähe eines der spitzkegligen Robots kam, würde derjenige ihn behandeln und ihm verbieten, zu gehen und zu handeln. Also blieb nur ein Ausweg übrig er mußte alles selbst durchstehen. Mit dem Wilden brauchte er
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nicht zu verhandeln; die Aussicht, von einem aufrechtgehenden Affen zu erfahren, wieviel Jahre die Zeitreise gedauert hatte, brachte Cascal zum Lachen. Welcher Methoden gibt es um festzustellen ... wie lange der Sprung gedauert hatte? Er hohe aus der Brusttasche ein feuchtes Päckchen Zigaretten heraus und zündete sich eine an, rauchte dann mit kratzender Kehle und geschlossenen Augen. »Die Energie?« »Ja. Das könnte helfen!« sagte er. Er stand auf, bekämpfte einen Schwindelanfall und ging langsam, sich ständig irgendwo festhaltend oder abstützend, auf die Energiezähler zu, die in kastenförmigen Elementen in einer runden Stahlsäule der Innenverstrebungen angebracht waren. Davor stand ein hochlehniger Sessel, dessen Sicherheitsgurte schlaff herunterhingen. »Zahlen, nichts als Zahlen!« sagte Cascal entmutigt. Er verglich die einzelnen Angaben miteinander und suchte etwas Ähnliches wie eine Zählapparatur, dir angab, wieviel Energie ein Sprung von zwanzigtausend Jahren und einer von beispielsweise sechshundert Jahren brauchten. Die Differenz zwischen beiden Zahlen konnte ihm als Orientierungspunkt dienen. »Und ich maß verdammt vorsichtig sein«, meinte er, »denn die Cappins warten noch immer oder schon wieder.« Es war ihm klar, daß er unter Umständen bereits in einer Zeit gelandet war, in der entweder das Auftreten der Cappins zu erwarten war, ein regelrechtes Gefecht - oder etwas anderes, beispielsweise der Kampf der Lemurer mit den Halutern. Er fand Zahlen, mehr als genug. Aber er wußte nicht, welche für ihn und seine Absichten von Bedeutung waren. Schließlich entdeckte er ein Gerät das einer kleinen Rechenmaschine glich. Er drückte die Taste Ausdrucken und wartete sekundenlang, bis ein weißer Kunststoffstreifen mit erhabener schwarzer Prägung herausglitt und abgetrennt wurde. Einige Zahlenkolonnen standen unter einander. »Die letzte ...«, fragte er halblaut. Sie war die kleinste Zahl. Wenn dies eine Art Energieverbrauch bedeutete, dann hatte er die erste Runde gewonnen. »Nur Mut!« Er drehte sich um, zertrat seinen Zigarettenrest und ging zwischen den Einrichtungen nach hinten in das Abteil, in dem die beiden Medorobots arbeiteten. Cascal setzte sich und atmete tief ein und aus. »Das Wunder der Programmierung!« sagte er. »He, du, Nummer Drei!« Der Roboter drehte sich und fragte zurück:
»Ja, Sir?« Cascal deutete auf Bashra, der unter einer leichten Decke lag. Einige Verbände waren zu erkennen. Alles war weiß, steril und roch nach medizinischen Substanzen. »Dieser Mann hier ... wie geht es ihm?« Cascals Stimme wurde immer schwächer, und als der Robot zu sprechen begann, riß er sich wieder zusammen und hörte zu. »...bewußtlos. Wir halten ihn in heilendem Tiefschlaf, Sir. Er hat einen leichten Bruch des Schädelknochens, aber wir haben die entsprechenden Maßnahmen getroffen, Sir. Gleichzeitig haben wir an seinem Körper die Spuren einiger schlechtvernarbter Wunden beseitigt, Sir. Das Haar war verfettet und vom medizinischen Standpunkt aus gesehen Bakterienträger, Sir. Wir haben es gewaschen.« »Kann der Mann geweckt werden?« fragte Cascal. »Nein. Das würde den Heilungsrozeß unterbrechen. Zu gefährlich, Was aber mit dem anderen Mann, dem Wilden, geschehen war, sah Cascal selbst, und er mußte grinsen. Sie hatten den Wilden betäubt. Dann hatten die Maschinen, die zwar auf die persönlichen Merkmale der Teilnehmer, aber darüber hinaus nicht auf die von Steinzeitmenschen programmiert waren, den hohen Grad der Verwahrlosung entdeckt.« Das Haar des Wilden war auf Flottenschnitt gestutzt, gewaschen, getrocknet worden. Der Bart war abrasiert, die Gesichtshaut zeigte Spuren einer maschinenhaft sanften, aber auch maschinenhaft perfekten Bearbeitung. Cascal ahnte alles ... Rasur, Massage, Waschen mit verschiedenen Substanzen, Nährcreme, Mitesser entfernen, kleine Wunden behandeln, Heiß- und Kaltbehandlungen. Und das am ganzen Körper. »Seine Sippe wird ihn nicht mehr erkennen«, sagte er. Die Brust des Mannes, seine beiden Oberarme waren verbunden, die Arme und Beine mit breiten Bändern locker, aber unaufbrechbar an den Behandlungssessel gefesselt. Dieser hatte sich jetzt in eine Art Bett aufgefaltet und aufgeblasen. »Nummer Drei?« »Ja, Sir?« »Ich habe ein Problem. Es hängt mit mir zusammen und mit den Robotgesetzen. Ich habe eine Gehirnerschütterung. Gleichzeitig warten auf mich die anderen Personen des Zeitreiseteams. Sie müssen sterben, wenn ich handlungsunfähig bin. Verstanden?« Mit summender Stimme sagte der Robot: »Ja, Sir. Sie benötigen ärztliche Hilfe, aber Sie dürfen nicht in stationäre Behandlung. Richtig, Sir?« Cascal nickte und fühlte förmlich, wie etwas in ihm im Takt der Bewegung schmerzte. »Ja. Das ist das richtige ... Wort. Ich muß schnell und hundertprozentig handeln können. Also nur eine
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... wie heißt es?« »Ambulante Behandlung, Sir.« »So ist es. Und nicht ausziehen und so, nicht anbinden - meiner Verletzung steht das Leben der anderen gegenüber. Das ist ein wichtiger Einwand.« Der Robot erklärte: »Wir haben alle Mittel, Sie zu behandeln. Es wird etwa drei Stunden dauern.« Cascal sah auf die Uhr, die Zahlen verschwammen vor seinen Augen. So ging es nicht mehr weiter ... wenn er umkam oder noch einmal bewußtlos wurde, konnte die ganze Mission scheitern. Immerhin ... Rhodan war im Augenblick nicht gefährdet ... so weit gingen noch seine Überlegungen. »Ich schalte Nummer Eins nicht an, ein Chirurg wird wohl nicht gebraucht.« Der Robot Nummer Drei sagte leise: »Aber vielleicht benötige ich seinen medizinischen Speicherfundus, Sir!« Cascal aktivierte auch diesen Robot. Bevor er sich auf den eingeklappten Behandlungssessel setzte, schob er die Plastikkarte in die Brusttasche. Als der Robot die Hochdruckspritze absetzte, war Cascal schon bewußtlos. Wieder verstrich kostbare Zeit.
nach und nach versumpfte, zuwuchs und jetzt ein ziemlich großes Moor ergab. Das Leittier blieb am Rand des Moores stehen und schlug den Rüssel hoch und stieß einen markerschütternden Schrei aus, der von den anderen erwidert wurde. Sie wälzten sich kurze Zeit später in dem Morast, bedeckten ihre Körper mit dem schwarzen stinkenden Schlamm und vertrieben die anderen Tiere, die hier hausten. Die ersten Tiere erhoben sich, wohlig grunzend und brummend, wieder aus dem Schlamm und begannen zu äsen. Sie kamen der »glänzenden Kuppel« immer näher. Hinter ihnen kennzeichnete eine Schneise von zweitausend und mehr Metern Breite ihren Weg. Irgendwo in der Ferne lag ein totes Tier, das unterwegs zusammengebrochen war. Jetzt hackten,die Geier darauf herum. Weiter ging der Zug, hinunter ins Tal, in der die Kuppel blitzte. Das Leittier entdeckte den strahlenden Gegenstand zuerst, hob den Rüssel und beäugte den Fremdkörper. Keine Geräusche, keine Bewegungen. Das Leittier senkte den Kopf, brüllte drohend und lief langsam, in einem schaukelnden, schwerfällig wirkenden Gang auf die Kuppel zu und blieb stehen, als sie sich nicht rührte, nicht zur Seite ging. Der Rüssel betastete die glatte Fläche, griff unter ihren Rand und versuchte sie hochzuheben aber ohne Erfolg. War es ein Feind? Der Stoßzahn gab ein langhallendes Geräusch, als er an dem Metall entlangfuhr. Oder schrie dieser Feind? Das Leittier nahm einen Anlauf, senkte den Kopf und donnerte mit der Stirn gegen die Fläche. Wieder - einlautes, hallendes Geräusch. Ein zweiter Angriff. Einige riesige Bullen kamen näher, und die Kühe in der Umgebung versteckten die Kälber unter sich. Ein Teil der Herde schrie jetzt, drängte sich zusammen. Sie kannten den Grund der Panik nicht, die sie zu ergreifen drohte, aber sie gehorchten dem Instinkt, der ihnen sagte, daß das Leittier einen mächtigen Gegner gesehen hatte. Dann ließ endlich das Leittier von dem glänzenden Ding ab. Es war wohl ein merkwürdiger Felsen. Aber als der Säbelzahntiger einem Kalb ins Genick sprang, geriet die Herde endgültig in Aufruhr. Die dreihundert Tiere begannen zu fliehen, während sich das Leittier und drei Bullen absonderten und auf den Ort zu rannten, an dem der Tiger das Kalb gerissen hatte. Tobend und schreiend, drängend und stoßend rannte ein breiter Strom von Tieren auf den Nullzeitdeformator zu. Rhodan verschränkte die Hände Ineinander, bückte
8. Die Landschaft war nicht besonders nahrungsreich, aber auf ihrem Zug in ein frisches Lebensgebiet hatte die Mammutherde hier kaltgemacht. Denn hier gab es einen kleinen Sumpf, ein Hochmoor, und eine Anzahl kleiner Bäume mit weicher Rinde und zarten Blättern. Fast dreihundert Tiere wälzten sich wie ein Strom dunkler Lava, von Westen nach Osten, über die Hänge, hinunter in das Tal zwischen den kesselförmigen Bergen. Es waren riesige, fast schwarze Tiere. Sie trugen ein langes, zotteliges Fell, ein dichtes Büschel Fell auf der Stirn und lange, geschwungene Stoßzähne. Sie rissen mit dem Rüssel die Zweige ab und zogen sie durch die Mäuler, streiften die Blätter ab. Die Tiere schrien, stießen gegeneinander, schaukelten hin und her und zogen langsam dem Anführer der Riesenherde nach. Ein wahrer Gigant, schwarz, zornig und klug. Er kannte die wenigen Jäger, er witterte die Fallgruben und kannte auch die wenigen Raubtiere, die einem Mammut, besonders einem der hilflosen Jungen, gefährlich werden konnten. Die ersten Tiere erreichten das Hochmoor. Vor langer Zeit hatten Felsen, umgestürzte Bäume und heruntergespültes Erdreich hier einen Damm gebildet. Aus einer der vielen Quellen war Wasser hereingeströmt und hatte einen See geschaffen, der
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sich und trank in hastigen langen Schlucken das eiskalte Quellwasser. Als er, nachdem er sich Gesicht und Hände gewaschen hatte, wieder auf die Beine kam, stand der Cappin Ovaron neben ihm. »Hier«, sagte er. »Kaltes Frühstück. Es genügt, wenn wir verzweifelt sind. Zu verhungern brauchen wir deswegen nicht.« Rhodan sah in das junge Gesicht des Mannes und dankte lächelnd. Dann nahm er das große Stück Braten in die Hand und biß hinein. Es schmeckte hervorragend, dank der Gewürze, die Cascal aus dem Deformator herausgeschleppt hatte. »Danke«, sagte Rhodan. Ovaron fragte leise: »Ich sehe es an Ihrem Gesicht - Sie scheinen wieder etwas Hoffnung zu haben, ja?« Sie gingen nebeneinander auf den Lagerplatz zu, der jetzt vorsichtshalber von Paladin und Icho Tolot bewacht wurde. »Ich steile mir unaufhörlich Fragen«, erwiderte Rhodan, »unter anderem die, was wir tun sollen, wenn der Nullzeitdeformator tatsächlich zurückkommt.« Ovaron lachte belustigt. »Hineingehen, meine ich«, sagte er. »Ich meine den Sonnensatelliten und dessen Zerstörung«, erläuterte Rhodan. »Sie müssen ihn zuerst finden.« Rhodan nickte. »Das ist die geringste Schwierigkeit«, sagte er. »Finden und zerstören.« Ovaron hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. Sie sahen sich an und prüften diesen Gedanken nach. Ovaron, der bisher stets bewiesen hatte, daß er ein klarer Denker war und selbstverständlich die Lage genau kannte, da er als früherer Chef des Geheimdienstes über die Kapazitäten der cappinschen Wirtschaft mehr als nur Bescheid wußte, sagte zögernd: »Eine Zerstörung ist vollkommen gegenstandslos, Rhodan. Meine Leute sind selbstverständlich in der Lage, selbst nach einer vollkommenen Zerstörung des Satelliten, einen zweiten oder dritten, meinetwegen sogar hundert nacheinander zu bauen. Damit schaffen Sie das Problem nicht aus der Welt.« Rhodan sah dies ein und betrachtete die öde, kreisrunde Fläche. Hoffentlich, dachte er, befand sich der Nullzeitdeformator nicht unter Wasser, tief im Erdreich oder in einer ähnlichen Lage, die ihn unter Umständen vernichten konnte. Ovaron fuhr fort: »Ich selbst habe von dem Plan, diesen Satelliten zu bauen, noch nie etwas gehört. Ich weiß also nichts davon.« Rhodan meinte niedergeschlagen: »Wenn Sie selbst nichts davon wissen, Ovaron, wer weiß es sonst?« Ovaron schwieg. Auch er konnte nichts konkretes sagen. Rhodan kaute auf dem
langfaserigen Fleisch des Bratens. »Ich bezweifle, daß es in meiner Zeit überhaupt ein Cappin weiß.« Rhodan sah ihn überrascht an. Die Sonne des Nachmittags brannte auf die beiden Männer herunter, als sie die Gruppe der Wartenden erreichten. »Tatsächlich?« »Ja. Das ist meine feste Überzeugung.« Das Paradoxon lag nunmehr klar auf der Hand. Wenn der Sonnensatellit jetzt in der Vergangenheit zerstört werden würde, wäre er nicht in der Sonne des Jahres 3434 aufgetaucht. Also mußte der Gedanke weitergesponnen werden. Wie stellte man es an, ein Paradoxon zu vermeiden und trotzdem die Gefahr auszuschalten? Rhodan war sehr nachdenklich, als er seine Partner anblickte. Die Gefangenen der Vergangenheit saßen um die drei Feuerstellen und richteten sich mit Hilfe von Holz, Blättern und Gras einigermaßen wohnlich ein das Lager glich in seiner Primitivität nicht einmal dem einer wandernden Söldnertruppe des Dreißigjährigen Krieges. Und sie konnten nicht einmal via Teleportersprung die Reste ihrer Ausrüstung aus der Grünen Grotte holen; sie lagen sechshundert Jahre in der Zukunft. Ratlosigkeit, vage Hoffnungen und Niedergeschlagenheit bestimmten die Gedanken der Wartenden. Dabei wußten sie nicht einmal, ob sich das Warten lohnen würde. Achtundzwanzigster April des Jahres 3434. 9. Als er erwachte, fühlte er sich besser. Wesentlich besser. Seine Gedanken waren von jener Klarheit, die vielleicht während eines leichten Rausches auftrat ... Aber ohne die Nebenwirkungen des Alkohols. Das Bild verschwamm auch nicht vor seinen Augen, als er sich aufrichtete. »Sie fühlen sich gut, Sir?« fragte der Medorobot. Cascal schwang die Beine auf den Boden und holte Luft. Es stach nicht mehr, wenn er einatmete. »Leidlich!« erklärte er. »Ihr Hungergefühl dürfte vergangen sein, denn wir haben Sie flüssig ernährt«, sagte der Robot. Cascal sah sich um. Bashra lag noch immer im Tiefschlaf, der Wilde ebenfalls. Er war mit den Robots und dem Mechanismus der Kuppel allein. »Die Wirkung der Medikamente wird zwei Stunden anhalten«, sagte der Robot. »Kurz davor müssen Sie wieder hierherkommen, ein schwerer Zusammenbruch wäre sonst nicht zu vermeiden. Fühlen Sie sich stark genug, Sir?« »Ja.«
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Cascal stand auf und tastete nach dem Plastikstreifen in seiner Brusttasche. Er ging langsam an Waringers Platz zurück, legte den Streifen vor sich auf das Pult und sah die Zahlen an. Dann betätigte er die kleine Rechenmaschine und stellte fest: »Der letzte Sprung, dessen Daten ich kenne, dauert sechshundert Jahre.« Er tippte die vorletzte Zahl in den Computer. »Die letzte Zahl?« Sie war nichts anderes als eine lange Aneinanderreihung von Ziffern, die ihm nicht viel sagte, aber sie betrug nur einen Bruchteil derjenigen Zahl, die irgendeiner Reaktion auf den vorletzten Sprung entsprach. Er tippte sie ebenfalls in den Computer, schrieb dann das Problem aus. Wieviel Prozent? Das Gerät summte auf und gab eine Zahlenreihe aus. 8,379 Prozent. Cascal grinste und rechnete acht eindrittel Prozent von sechshundert aus, natürlich mit der Maschine. Wenn er richtig gehandelt hatte, dann hatte der Wilde die Maschine um fünfzig Jahre und zweihundertvierundsiebzig Tausendstel Jahre bewegt. Aber ... in welche Zeit? Zukunft oder Vergangenheit? Ersah auf die Schirme: Die Umgebung des Nullzeitdeformators war leer und verwüstet. Rund um die Maschine zog sich ein breiter Streifen aufgewühlten Landes hin, schlammbespritzt, mit Ästen und Blättern übersät, mit tiefen Löchern und ohne Spuren des Grases, das hier gewachsen war. Nicht ein einziger Baum stand mehr. Cascal überlegte. Vermutlich hatte die Herde der Mastodonten in einer Stampede beinahe die Platten der Schutzhülle eingerannt. Cascal stellte, nachdem er minutenlang gesucht hatte, die Zahl ein. Aber der Deformator war so geschaltet, daß er nur volle Jahre springen konnte daher die zeitsynchrone Bewegung entlang der Zeitlinie. »Fünfzig Jahre«, sagte Cascal. Es war wahrscheinlich, daß die Cappins ihren Verteidigungsgürtel noch lange Zeit aufrechterhalten hatten, bis er später einmal, da die Maschine nicht wieder erschien, abgebaut wurde. Die Wahrscheinlichkeit, daß der unbeabsichtigte Zeitsprung in die relative Zukunft führte, war für Cascal gegeben. Er stellte die Zeit ein, drehte an einigen Hebeln und testete den Ausschlag der Zeiger. Dann schnallte er sich an. Er tat alle die Handgriffe, die er Waringer abgesehen hatte, beobachtete die Uhren, die er kannte, aber er war ziemlich sicher, daß er etwas
vergessen hatte. Andererseits konnte der Wilde ... aber diese Überlegungen schienen nicht sinnvoll zu sein. »Also los, Joak ... keine Müdigkeit vorschützen« sagte er. Er sah noch einmal die Schaltungen auf dem Instrumentenpaneel nach, ließ dann die Maschinen anlaufen und wartete Minuten, bis die Werte der Energieabgabe, die grünen Markierungen der Skalen erreicht hatten. Dann schaltete er. Durch die Konstruktion ging ein leichter Ruck, ein hartes, ausdauerndes Schütteln, und der feine Schmerz des Überganges. Cascal zuckte zusammen und wartete. Wieder ein Rucken - dann stand der Nullzeitdeformator wieder still. Die Bilder auf den Schirmen stabilisierten sich wieder. »Wo sind wir?« fragte Cascal laut. Er sah auf die Farbschirme. Später Nachmittag, fast Abend. Nichts zu sehen - natürlich war der Boden nicht mehr aufgewühlt, sondern so, wie er ihn von seinem letzten Besuch kannte, damals ... als er neben dem Feuer gesessen und mit Ras gesprochen hatte. »Wo bin ich, in welcher Zeit?« fragte er leise. Er fühlte sich hundeelend. Vielleicht waren die anderen ein Stück von ihren Plätzen weggegangen? Er starrte die Schirme an, bis seine Augen zu schmerzen anfingen. Nichts. Kein Licht, keine Bewegungen. Eine tote. Landschaft. Er nahm seine Waffe in die Hand, vergewisserte sich, daß sie feuerbereit war, und ging zur kleinen Mannschleuse, öffnete sie und wartete darin. Er sah sich um. Zwischen seinem Betreten der Maschine, als er niedergeschlagen wurde, und jetzt waren fast vierundzwanzig Stunden vergangen. »Offensichtlich bin ich in die falsche Richtung geschwirrt«, sagte er. Bei jedem Schritt, den er in die Gegend hinaus tat, fühlte er sich mehr und mehr beobachtet und unsicherer. Menschen? Nein ... er sah keine Spuren. Weder Feuer noch niedergetretenes Gras. Er drehte sich um. Langsam und niedergeschlagen ging er auf die Schleuse zu, ließ sie geöffnet und setzte sich wieder in den Sessel vor der Steuerung, Er arbeitete langsam und konzentriert und stellte die gleiche Zahl ein, änderte aber die Bewegungsrichtung innerhalb der Zeit. Für ihn war der Faden der Zeitlinie längst zu einem Knäuel geworden, das er nicht mehr entwirren konnte. »Nun«, meinte er mit Galgenhumor, »vielleicht kann Waringer sich daraus einen warmen Ohrenschützer häkeln für die kalte Zukunft.« Er kontrollierte, während die Meiler wieder anliefen, sorgfältig die Uhren und Schaltungen, die
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Stellungen der Regler, Schalter, Knöpfe und Drucktasten. Dann machte er Pause. Er hatte getan, was er konnte. »Zurück in die Vergangenheit«, sagte er. Er merkte jetzt, daß der Robot nicht übertrieben hatte. Von seinem Nacken ausgehend, breitete sich eine fürchterliche Schwäche in seinem Körper aus. Seine Reserven schienen erschöpft zu sein, denn er konnte sich nicht mehr dagegen wehren. Er lehnte den Kopf gegen die wenig gepolsterte Stütze des Sessels und schloß die Augen. »Nein!« Schrie er dann und trommelte verzweifelt mit beiden Fäusten auf dem Pult herum. »Ich darf nicht einschlafen Dann, als die Maschinen genügend Energie lieferten, zog er den Starthebel.« Wieder durchlief die riesige Kuppel sämtliche Phasen des Starts, die Übergangszone kurz danach, das Dahinrasen entlang der imaginären Linie der Zeit, dann wieder das Rütteln und Poltern. Schließlich stand die Kuppel still. Seit dem kurzen Ausflug waren in Wirklichkeit zehn Minuten vergangen - hundert Jahre rund seit ... seine Gedanken verloren sich wieder. »Bin ich jetzt richtig gelandet?« fragte er. Die Schirme zeigten eine Landschaft am frühen Abend. Cascal stand auf, stemmte sich unter Aufbietung aller Kräfte aus dem Sessel und ging mit gezogener Waffe auf die Mannschleuse zu. Er ging fünf Meter hinaus und starrte dorthin, wo damals sein Feuer gewesen war. Nichts. »Ich werde wahnsinnig!« sagte er. »Ich werde noch verrückt, mit dieser blödsinnigen, verdammten Maschine!« Er hob die Waffe, richtete sie senkrecht nach oben und drückte dreimal los. Drei donnernde Explosionen hallten, von drei weißglühenden Blitzen geschnitten, über die Landschaft. Cascal fühlte die Schwäche in seinen Knien. Er ging rückwärts, bis er gegen das Metall der Hülle stieß. Er lehnte sich dagegen. Langsam, mit fahrigen und automatischen Bewegungen, zündete er sich eine Zigarette an. In ihm tobte eine kalte Wut, die durch die Überlegungen gesteigert wurde, daß er nichts tun konnte. Er war hilflos. In der Zukunft war Rhodan nicht gewesen. In der Vergangenheit, also jetzt, war er rauch nicht. Da es kaum wahrscheinlich war, daß sich die Gefangenen der Vergangenheit weit vom Deformator entfernt hatten beziehungsweise von dem Platz, an dem er stehen würde, waren sie auch nicht hier. »Wo sind sie denn, verdammt?« fragte Cascal laut. Er rauchte langsam und dachte intensiv nach. Das heißt, er versuchte nachzudenken. Es war ein
unwürdiges, sinnloses Spiel. »Es muß an mir liegen!« sagte er leise. »Ich habe etwas falsch gemacht.« Er schnippte die Zigarette in die halbe Dunkelheit hinaus und ging zurück in die Maschine. Wieder saß er in Waringers Sessel. Plötzlich fiel es ihm ein. »Die Differenz!« sagte er. »Die Differenz von ... warte, Joak ... von etwa fünfundsiebzig Tagen.« Er betrachtete die Instrumente vor sich. Gab es für ihn eine Möglichkeit, diese Feineinstellung vorzunehmen? Fünfundsiebzig Tage, das war vermutlich das Resultat der »ungenauen« Schaltung des Wilden. Er fing ganz links an und las jede einzelne Unterschrift, jede Bezeichnung, die unter oder über den Uhren und Schaltern eingedruckt war. Schließlich, nach etwa einer halben Stunde, sah er eine kreisrunde Armatur, die eine Einteilung von Dreihundertfünfundsechzig Teilstrichen aufwies. Darunter lag ein Schalter, der abgebrochen war offensichtlich hatte der Wilde mit dem Speer oder seinem Faustkeil den Schalter abgebrochen. Der Zeiger des Instrumentes stand auf der Zahl fünfundsiebzig. »Das ist unmöglich!« sagte Cascal. »Ein Halbaffe ruiniert die Technik dieses gigantischen Experiments« Er versuchte, den metallenen Stift zu bewegen, der aus dem Schaltpult herausragte, nachdem die Plastiktrümmer des Schalters heruntergefallen waren. Seine schweißnassen Finger glitten von dem bleistiftdünnen Stück Rohr ab. »Werkzeug!« sagte er. Fieberhaft wühlte er In der Ausrüstung und entdeckte nach einer halben Stunde eine isolierte Kombizange. Die Erregung über diese Entdeckung hatte von ihm Besitz ergreifen und kämpfte erfolgreich gegen die Müdigkeit an. Er stellte den Zeiger auf Null dann wiederholte er langsam und nachdenkend die Einstellungen, ließ wieder die Maschine anlaufen und wartete. Kurzentschlossen zog er den Hebel. Sekunden später, als er draußen die Lichter sah, legte er seinen Kopf an die Hände und schlief auf dem abgeschrägten Instrumentenpaneel ein. Er hatte sein Möglichstes getan. Das Feuer brannte, aber die romantische Stimmung, die einen Tag vorher hier geherrscht hatte wollte sich nicht einstellen. Icho Tolot, der langsam Runden um das Lager zeig, sah auf die dunklen Bündel schlafender Gestalten rund um das Feuer Plötzlich spürte er einen Wind hauch. Er drehte sich um, er wollte herausfinden, wer oder was diese Luftbewegung hervorgerufen hatte. Er sah neben sich eine dunkle, kuppelförmige Masse erscheinen, aus einem winzigen Viereck, fünfzig
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Meter von dem Haluter entfernt, drang schwacher Lichtschimmer. »Freunde!« rief Icho Tolot. Seine Stimme ließ die Schlafenden hochschrecken. »Das Ding ist da!« brüllte der Teleporter. Ras Tschubai setzte sich mit einem Ruck auf,blinzelte ungläubig und teleportierte augenblicklich. Er rematerialisierte neben dem Schaltpult, auf dem Cascal lag und sah sich um, die Waffe in der Hand. Dann drückte er nacheinander drei Schalter herunter, die am obersten Rand des Pultes angebracht waren. Jetzt waren es vier rechteckige Lichter, die rot glühten - vier Schleusen waren offen oder öffneten sich gerade. Schreie, Gelächter, erleichterte Ausrufe - die gesamte Skala der Reaktionen, mit denen sich Menschen Luft machten und ihre Ängste ablegten waren zuhören. Rhodan blieb keuchend neben Ras stehen. »Cascal!« Ras nickte und erwiderte ruhig: »Er schläft. Aber dieser Verband hier ... sie haben ihn behandelt. Die Roboter, meine ich.« Sie gingen langsam nach hinten und betrachteten die beiden schlafenden Männer. Das Gesicht des Wilden war eine kleine Sensation - der nachweislich erste Halbaffe dieses Planeten, der von einem Medorobot rasiert und mit einer fast kosmetischen Gesichtsbehandlung versehen worden war. Atlan, der neben ihnen stand, sah nach den Werten, die von den überwachenden Instrumenten angezeigt wurden. »Bashra schläft«, sagte er. »Und nach diesen Angaben zu urteilen, wird er uns bald in seiner ganzen Schönheit wieder zur Verfügung stehen.« Ras Tschubai betrachtete fasziniert das Gesicht des Wilden und fragte laut: »Was tun wir mit unserem Freund hier?« Rhodan sagte leise: »Jedenfalls nicht das, was Lord Zwiebus ihm androhte. Wir werden ihn aber nachdrücklich aus der Kuppel entfernen!« Binnen weniger Minuten hatten die Mitglieder des Zeitreiseteams ihre Plätze eingenommen, und trotz der Enge fühlten sie sich so wohl wie noch nie in ihrem Leben. Alles das, was sie während der langen Wartezeit entbehrt hatten, bekam jetzt plötzlich eine ungeahnte Wichtigkeit. »Jetzt steht der Rückkehr ins Jahr 3434 nichts mehr im Weg, Rhodan?« erkundigte sich Ovaron. »Nein. Und Sie werden keinen Grund haben, sich über den Empfang zu ärgern«, versprach Rhodan. Waringer schüttelte den Kopf und wies auf den schlafenden Wilden. »Nein. Wir bringen ihn zuerst aus der Anlage. Gebt ihm ein paar Kleinigkeiten mit auf den Weg!«
Sie brauchten Stunden, bis sie sämtliche Vorgänge rekonstruiert hatten. Anstelle des Halbwilden lag jetzt Joequin Manuel Cascal im Tiefschlaf unter der Obhut der Maschinen und ließ sich von Dr. Claudia Chabrol umsorgen. Leider sah, merkte und fühlte er nichts davon - er roch nicht einmal ihr exzellentes Parfüm. »Da staunst du, was?« fragte Gucky und meinte den Wilden. Der Wilde, von Icho Tolot und Lord Zwiebus festgehalten, zitterte und keuchte: »Jag! Tok!« »Selbstverständlich!« sagte Tschubai und zog dem Wilden mit Gewalt eines der mitgenommenen Hemden an. In einer kurzen Hose, die einfach abgeschnitten worden war, in einem Paar Flottenstiefel, mit einem breiten Gürtel, an dem ein riesiges Messer steckte, mit einem dünnen Stahlrohr in der Hand und den beiden Verbänden um die Arme sah der Halbaffe wirklich bemerkenswert aus. »Braucht er noch etwas?« fragte Atlan und lachte hellauf. Die Mannschaft stand in einem großen Kreis um dieses unvergeßliche Bild. Sie hatten den Mann mit Teilen ihrer eigenen Ausrüstung ausgestattet, natürlich nur solchen, die er brauchen konnte. Er roch nach Bashras Parfüm, das einen unbeschreiblichen Charakter hatte. Sein Haar war kurz, und ein Spaßvogel hatte ihm ein Tuch um die Stirn gebunden und am Hinterkopf eine gefundene Geierfeder hineingesteckt. Dazu das lange Hemd, der Gurt, die Hose, die Stiefel ... es war ein umwerfend komischer Anblick. Schließlich machte Rhodan der Schau ein Ende. »Lassen wir ihn laufen. Paladin, weg vom Eingang!« Der Roboter machte einige Bewegungen und gab die breite Schleuse frei. Lord Zwiebus und Icho Tolot ließen den Halbaffen los, und Zwiebus griff dröhnend lachend nach seiner Keule und schrie den Wilden an: .»Hinaus mit dir, du Unhold!« Der Wilde riß das Stahlrohr an sich, drehte sich um und schrie: »Jak, Jak!« Dann spurtete er davon. Er raste die zehn Meter bis zur Schleuse, warf sich nach vorn und stolperte. Er überschlug sich, raffte die Stange an sich und verschwand in einem wahnwitzigen Tempo in der Nacht. Der Paladin-III sagte voller Ernst: »Ich habe ihn in meinen Ortungseinrichtungen inzwischen hat er sich fünfhundert Meter vom Deformator entfernt. Gestoppte Zeit für diese Strecke - sechsundvierzig Komma drei-Sekunden.« Sein stählernes Gesicht blieb in bewegt, als die Versammelten in ein langanhaltendes Gelächter ausbrachen, das so laut war, daß sogar Cascal aufwachte. Er sah über sich das Gesicht der Ärztin
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und murmelte: »Was ist los?« Claudia erwiderte leise: »Nichts. Sie lachen nur« Cascal gab zur Antwort. »Verständlich. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.« Er drehte seinen Kopf und war froh, daß er diese Arbeit hinter sich hatte. Er verdiente seinen schäbigen Sold wirklich im Schweiß seines Angesichtes, mit schmerzenden Knochen und
Wunden am Hinterkopf und mit einem sehr unangenehmen Gefühl, das ihm sagte, daß jetzt der leichte Teil der Arbeit beendet war. Das Schwerste würde noch kommen.
ENDE
Perry Rhodan hat In den Cappins Ovaron und Merceile und in dem Pferdemutanten Takvorian drei neue Freunde gefunden. Mit Ihnen zusammen soll ein neues Unternehmen gestartet werden, das die Baustelle des Todessatelliten zum Ziel hat. Sie befindet sich ZWISCHEN MARS UND JUPITER ... ZWISCHEN MARS UND JUPITER - das Ist auch der Titel des nächsten Perry-Rhodan-Romans. Als Verfasser zeichnet H. G. Ewers.
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