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Rasch und unregelmäßig, fast fliegend ging der Atem des jungen Kriegers. Immer wieder ver...
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Seewölfe 138 1
Roy Palmer 1.
Rasch und unregelmäßig, fast fliegend ging der Atem des jungen Kriegers. Immer wieder verhielt er und lauschte in den nächtlichen Dschungel. Mangrovenblätter umschlossen schwer und ledrig seine Gestalt, als wollten sie ihn niederringen und erwürgen. Geräuschvolle Aktivitäten belebten den Regenwald von Rempang, aber es war nicht das Zirpen und Quaken, das Schlagen der Nachtvögel, das Rascheln und Knacken, das den Inselmalaien beunruhigte. Der Tod nahte schleichend, lautlos. Mannigfache Gefahren lauerten in dem erstickenden Wildwuchs der feuchten, schwartigen Pflanzen, aber nur die eine fürchteten die Orang Laut, die Seemenschen, wirklich. Sie ließ jegliche andere Bedrohung neben sich verblassen, jede Giftschlange, jeden angriffslustigen Affen, jeden Stich, jede Krankheit, von Insekten oder von bösen Geistern übertragen. Bulbas, der Einzelgänger. Bulbas, der größte und am schönsten gezeichnete Tiger, den es auf Inselindien je gegeben hatte, war der unumschränkte Herrscher des Urwalds. Legenden wurden über ihn erzählt, schaurige Geschichten, doch die Orang Laut hatten, als sie vor den Spaniern geflüchtet waren, nicht geahnt, daß der Amokläufer ausgerechnet auf dieser Insel anzutreffen war. Als sie ihm dann begegnet waren, tief im Dschungel, hatte der Tiger vier von ihnen gerissen. Einem fünften Mann war trotz seiner Verletzungen die Flucht zum Wasser gelungen, den anderen jedoch hatte Bulbas den Weg zurück zu den Prahos abgeschnitten - Männer, Frauen, Kindern. Halb wahnsinnig vor Angst hatten sie Zuflucht in Höhlen und Erdlöchern der höhergelegenen Inselregion gesucht. Der junge Krieger packte seine Waffen fester. In der linken Hand hielt er den Kris, den schlangenförmig gewundenen Krummdolch der Malaien. Die Finger der
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Rechten umspannten das Heft eines mit Akribie scharf geschliffenen Parangs, eines Kurzschwerts, dessen Klinge sich nach vorn leicht verbreiterte. Mit beiden Waffen konnte der Eingeborene ausgezeichnet umgehen, aber er wußte wie seine Stammesbrüder, daß Kris und Parang im Kampf gegen den Tiger ebenso lächerliche Verteidigungsmittel waren wie Speer, Pfeil und Bogen oder Blasrohr. Bulbas war so schnell, so gewandt, daß es bisher niemandem gelungen war, ihm etwa einen giftigen Pfeil unter das Fell zu jagen. Der junge Mann pirschte weiter. Überall konnte Bulbas lauern. Vielleicht befand er sich bereits ganz dicht hinter seinem Widersacher. Oder duckte er sich hier, linker Hand, sprungbereit im Gebüsch? Und rechts? Konnte er nicht auch rechts sein und das dolchscharfe, nadelspitze Gebiß mordgierig entblößen, die krallenbewehrten Pranken heben? Kurz zuvor glaubte der Krieger jenes unheimliche Grollen vernommen zu haben, das Bulbas' Kommen ankündigte. Schweiß bedeckte das Gesicht und den Körper des jungen Orang Laut, und er ertappte sich dabei, wie er zitterte. Ja, er hatte Angst. Sie wurde von der Gewißheit genährt, diesem mächtigen Gegner von vornherein unterlegen zu sein. Freiwillig hatte der Krieger sich gemeldet, aber in diesem Augenblick erschrak er vor dem eigenen Mut. Doch er bezwang seine aufsteigende Panik. Die Wassernomaden, sein Stamm, hatten ihn als Retter in der Not vorgeschickt, sie warteten darauf, daß er sich auf ein mörderisches Duell mit Bulbas einließ. Als menschlicher Köder sollte der junge Mann die Aufmerksamkeit des Tigers auf sich lenken, während die Brüder und Schwestern des Stammes den Durchbruch zur See wagten. Dort unten, im Süden von Rempang, hatten sie am späten Nachmittag Schiffe gesichtet, große und kleine Prahos sowie einen stolzen Dreimaster in der Konstruktionsart der weißen Männer, die die Malaien wie den Tod haßten. Die Prahos schienen jedoch das Geschehen zu
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bestimmen, und so hatte der Häuptling der Orang Laut befunden, daß man von diesen Ankömmlingen Hilfe erhoffen könne. So schnell wie möglich wollten sie ans Ufer stürzen und zu den Schiffen schwimmen. Im Interesse der Gemeinschaft konnten sie sich dabei um den jungen Krieger nicht mehr kümmern. Er mußte fallen, wenn die anderen leben sollten. Ein Opfer war nötig. Der junge Mann hatte die Niederungen der Insel erreicht und strebte durch Sumpfgesträuch voran, als ihn ein Laut zusammenfahren und erneut verharren ließ. Dieser Ton gehörte nicht zu den Geräuschen der Fauna des Regenwaldes, er schälte sich kraß aus dem nächtlichen Konzert und schwebte durchdringend und beherrschend über der Szene. Nein, das war kein Orang-Utan, kein behaarter Waldmensch, der dort rief — das konnte nur ein richtiger Mensch sein. Sein Ruf erklang in einer Sprache, die der junge Krieger niemals zuvor vernommen hatte, auch aus dem Mund der Spanier nicht. „Arwenack!“ Dennoch glaubte der Eingeborene etwas zu begreifen, denn keine Verzweiflung, sondern eindeutiger Triumph schwang in dieser fremden Stimme. Der Krieger besiegte sein Mißtrauen, die Zuversicht, in der feindlichen Umgebung einen Bundesgenossen und Mitstreiter zu finden, war größer als jeder Argwohn. Selbst wenn dieser Mann dort ein verhaßter Weißer war, würde die allgegenwärtige Gefahr des Tigers sie eine Art Burgfrieden schließen lassen. „Ar-we-nack!“ Wieder gellte der Schrei, und der Malaie beschleunigte seinen Schritt. Mit der scharfen Schneide des Parangs drosch er widerspenstiges Blatt- und Zweigwerk nieder und schuf sich immer wieder einen Durchlaß, eine Bresche, die ihn näher an den nächtlichen Rufer heranführte. Dann endlich teilte er den letzten Vorhang, der sie beide trennte, und blickte auf einen schmalen Wasserlauf.
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Mit verhaltenem Gurgeln bewegte sich das Wasser des Flüßchens dahin. Ein bleicher Mond schickte sein Licht in Streifen in die Selvas, gerade so viel, daß der Malaie Einzelheiten erkennen konnte. Ein großer Mann stand hochaufgerichtet am diesseitigen Ufer des Flüßchens. Sein schwarzer Haarschopf war wild zerzaust, seine Kleidung zerrissen und blutig, sein Körper schmutzig und von einer erschreckenden Wunde an der rechten Schulter gezeichnet. Sein Zustand hinderte ihn aber nicht daran, immer wieder zu lachen und dieses Wort auszustoßen, das ein Schlacht- und Siegesruf zu sein schien: „Arwenack, ho, Arwenack! Kommt, Freunde, auf was wartet ihr noch? Ich habe den Bruder in der Falle, er kann uns nicht mehr gefährlich werden!“ Der Malaie gewahrte, was zu den Füßen dieses schwarzhaarigen Teufels in Menschengestalt lag — und erstarrte. Er bemerkte nicht, wie Philip Hasard Killigrews Blick ihn traf und abtastete. Der junge Krieger war viel zu gebannt, er befand sich in einem beinah tranceartigen Zustand der Benommenheit. Dort — kaum zu glauben — lag Bulbas, der Mörder, der Menschenfresser, und es steckten nicht nur zwei Pfeile in seinem Fell, seine Hinterläufe wurden auch durch ein dickes Tau zusammengehalten. Die Tauschlinge saß stramm, das helle, gut sichtbare Band führte zu einem tiefhängenden Ast jenes Baumes hinauf, dessen Stamm vorn anderen Ufer emporstrebte, und war dort verknotet. Wäre Bulbas nicht betäubt gewesen — er wäre dennoch besiegt gewesen, denn die Fessel erlaubte ihm kein Fortkommen mehr. Er hätte nur noch höchst schimpflich auf den Vorderläufen herumhüpfen können, wäre dabei jedoch erheblich durch das Tau behindert und wahrscheinlich in das Wasser gezerrt worden, das er so sehr haßte und mied. Die verkrampfte Haltung des Malaien lockerte sich ein wenig. Sein Blick wanderte höher und blieb auf dem freundlichen Gesicht des Seewolfs ruhen.
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Allmählich nahm ein Lächeln auf den Zügen des Kriegers Gestalt an. Hasard bedeutete ihm durch Zeichen, er solle nähertreten. „Die Gefahr ist gebannt“, sagte er dabei, obwohl er keine Hoffnung hatte, daß der Inselmalaie ihn verstand. „Bulbas wird keine Menschen mehr reißen. Ein anderer Tiger nimmt nun die Insel Rempang in seinen Besitz — ein zweibeiniger.“ Hasard grinste, weil er sich in etwa vorstellen konnte, welche Bedeutung Rempang von nun an für den „Tiger von Malakka“ hatte. * Arwenack — der Kampfruf der Seewölfe war bis zu dem wartenden Schiffsverband hin zu vernehmen gewesen. Ben Brighton hatte beim erstenmal noch eine besorgte Miene geschnitten, weil er angenommen hatte, daß Hasard sich mit dem Schrei in den Zweikampf mit Bulbas gestürzt hatte. Dann aber war der Ruf zum zweiten, dritten Male herübergedrungen, und alle Männer der „Isabella VIII.“ hatten ihn eindeutig als Triumph auszulegen gewußt. Sie jubelten, fierten auf Bens Befehl hin die Boote ab und enterten auf den hölzernen Sprossen der Jakobsleitern ab. „Nichts wie hin!“ brüllte Carberry. „Los, ich kenne die Richtung, wir müssen in die versteckte Mündung des kleinen Flusses eindringen, und von dort aus haben wir's nicht mehr weit bis zu Hasard. Hey, ich hab's ja gewußt, daß er es schafft, diesem gestreiften Kater das Fell über die Ohren zu ziehen!“ Ferris Tucker ließ sich neben ihm auf einer Bootsducht nieder. Ed, hör auf“, entgegnete er. „Du warst genauso skeptisch wie wir alle. Du wolltest nicht, daß Hasard allein zum Verband des ,Tigers von Malakka` fuhr, du warst auch dagegen, daß er diese Mutprobe auf sich nahm. Habe ich recht?“ „Meinetwegen. Aber das können wir jetzt vergessen.“ Der Profos wartete, bis die Bootsbesatzung komplett war, dann drückte er seine Fäuste gegen die
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Bordwand der Galeone und sorgte dafür, daß die Distanz groß genug wurde, um die Steuerbordriemen bedienen zu können; „Ferris“, brummte er. „Hast du ein paar Höllenflaschen mitgenommen?“ „Nein, diesmal nicht.“ „Verdammter Klamphauer, man weiß nie, wozu die Dinger gut sind ...“ „Hasard hat es uns untersagt, irgendwelche Waffen mitzuführen, falls wir übersetzen.“ „Das muß ein weiterer Beweis für den ‚Tiger' sein, daß unsere Absichten friedlich sind“, mischte sich jetzt der junge O'Flynn ein. Carberry antwortete mit einer wegwerfenden Geste. „Zum Teufel mit der ganzen Fairneß. Ich weiß nicht, was wir dem Himmelhund noch alles beweisen sollen. Meiner Meinung nach haben wir bereits viel zuviel getan, und er wird uns bei nächster Gelegenheit zum Dank eine volle Breitseite auf die Jacke husten. Dann sieht wohl auch der Seewolf ein, daß die Verbrüderungs- und Verbündungsversuche keinen Zweck haben.“ Ben Brighton hatte sich im Nachbarboot aufgerichtet, weil auf dem Achterdeck des größten, dreimastigen Prahos, den sie gerade passieren wollten, die Gestalt des „Tigers“ hinter dem Schanzkleid hochgewachsen war. „Ihr landet auf der Insel?“ rief der schwarzbärtige Mann in seinem hervorragenden, reinen Kastilisch. „Das war nicht verabredet.“ „Hast du die Rufe unseres Kapitäns nicht gehört?“ rief Ben zurück. „Doch. Arwenack.“ „Willst du mir erzählen, du wüßtest nicht, was das bedeutet?“ „Ich habe das Wort Arwenack heute nacht zum erstenmal in meinem Leben vernommen“, verkündete der Malaie halsstarrig. Und Ben antwortete um eine Spur energischer: „Arwenack ist die alte Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Von daher leitet sich unser Schlacht- und Siegesruf ab. Arwenack!“ „Arwenack!“ brüllten die Männer in den Booten. Sie verspürten den unbändigen
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Drang, sich auf irgendeine Weise Luft zu verschaffen, und es juckte ihnen in den Fäusten. „Zufrieden?“ rief Ben zu dem Achterdeck des Prahos hinauf. „Ich halte es für falsch, zur Insel überzusetzen, ehe der Seewolf einen Schuß abgegeben hat.“ „Ein Schuß war nicht vereinbart, Tiger!” „Das sagst du ...“ „Mir langt es jetzt“, erwiderte Ben Brighton gereizt. Er war ein sonst ruhiger und umsichtiger Mann, aber wenn er richtig wütend wurde, hatte das meist höchst unerfreuliche Folgen. „Hasard hat den Radschloß-Drehling dabei, das stimmt!“ rief er. „Aber erstens weiß ich, daß er den Gebrauch der Feuerwaffe um jeden Preis vermeiden wollte, und zweitens wird er zum Zeichen seines Sieges nicht in die Luft schießen, um die angstschlotternden Leute im Inselinneren nicht noch mehr zu erschrecken. Klar, Tiger?“ „Immer noch nicht ganz.“ „Gut“, sagte Ben Brighton. „Aber uns hinderst du nicht daran, jetzt die Insel aufzusuchen. Wir haben keine Waffen dabei – wie vereinbart. Du wirst ja wohl nicht mit der Heldentat protzen wollen, einen wehrlosen Haufen Männer zusammengeschossen zu haben.“ Damit bedeutete er den Männern der „Isabella“ durch eine Gebärde, weiterzupullen. Die Boote beschleunigten unter dem rhythmischen Eintauchen und Wiederhochschwingen der Riemenblätter und ließen den Verband der Prahos hinter sich. Auf dem Achterdeck des Dreimasters war Yaira, die Tochter des Stammesältesten Otonedju, neben den „Tiger von Malakka“ getreten. Zum erstenmal, seitdem sie sich kennengelernt hatten, wagte sie es, ihm ihre schmale Hand auf die Schulter zu legen. „Immer noch mißtrauisch?“ fragte sie ihn. „Ich spreche mein eigenes Todesurteil, wenn ich von meinen Instinkten ablasse“, erwiderte er, während er den Booten nachblickte.
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„Man muß seine Freunde erkennen können, hat der Seewolf gesagt.“ „Das hört sich fast ehrfürchtig an“, sagte er bitter. „Gefällt dir dieser Mann?“ Sie lachte leise auf. Dann, rasch wieder ernst werdend, entgegnete sie: „Ich habe in seinen Augen gelesen, daß er es ehrlich meint. Warum glaubst du immer noch daran, daß er für die Spanier arbeitet und dir eine Falle stellen will?“ „Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen.“ Der schwarzhaarige Mann mit den ausdrucksvollen Augen und dem empfindsamen Mund drehte sich zu ihr um. „Ich halte es für möglich, daß er Bulbas noch gar nicht begegnet ist, daß er nur seine Männer auf die Insel holen und uns einen heißen Empfang bereiten will, sobald auch wir übersetzen.“ „Niemals ...“ „Der Seewolf hat ein mehrschüssiges, kompliziert gebautes Gewehr mitgenommen. Vielleicht genügen die Schüsse, uns allen den Garaus zu bereiten.“ „Das tut der Seewolf nicht, und du unterliegst einem furchtbaren Irrtum, wenn du es wirklich annimmst“, stieß sie entsetzt aus. „Woher willst du das wissen, Yaira?“ „Ich fühle es.“ Plötzlich trat ein verwegener Ausdruck in die Züge des hochgewachsenen Mannes. „Das Schiff, auf dessen Planken du stehst, ist nie getauft worden, Yaira. Ich ging bei diesem Verhalten davon aus, mich an keinen Praho binden zu dürfen, nicht durch Sentimentalitäten, denn ein Praho kann im Gefecht sinken und mit seinem Rumpf und seinem Namen auch alle Wünsche und Hoffnungen auf den Grund der See entführen. Falls du heute nacht aber recht behältst, schöne Tochter Otonedjus, verleihe ich dem Segler deinen Namen.“ Er drehte sich zu seinen Männern hin, legte eine Hand als Schalltrichter an den Mund und rief: „Boote abfieren, wir folgen den Seewölfen!“ Ungefähr fünf Minuten später lief ihnen am Ufer des zwischen Mangroven versteckten Flüßchens als erster der junge
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Krieger entgegen, der den Bezwinger des mordenden Tigers entdeckt und in seiner Muttersprache beglückwünscht hatte. Als der Anführer der malaiischen Freibeuter die hastig ausgestoßenen Erklärungen des Orang Laut vernahm, beschlich ihn eine Art schlechtes Gewissen und Schuldgefühl. Wirklich, er hatte dem Seewolf unrecht getan, seit sie sich das erste Mal gegenübergestanden hatten. Plötzlich begann er, die Dinge aus Yairas Sicht zu sehen. Hatte er den Bogen nicht längst überspannt? Fassungslos hörte er den Bericht des jungen Eingeborenen. Die Boote der Seewölfe und der Piraten glitten ans Ufer des Gewässers, die Männer sprangen an Land. „Rasch!“ rief der Tiger nun auf spanisch. „Der Seewolf ist an der Schulter verwundet. Er muß dringend verarztet werden!“ Der Kutscher, auf der „Isabella“ Koch, Feldscher und Bader in einer Person, schob sich an Ben Brighton, Ferris Tucker und dem Profos vorbei. „Laßt mich durch“, stieß er heiser hervor. Er stürmte in den düsteren Regenwald, und nicht einmal ein Drache oder Saurier hätte ihn davon abhalten können, sich auf dem schnellsten Weg zu seinem Kapitän durchzuschlagen. Der Orang Laut hatte Mühe, ihn einzuholen, um ihm den Weg weisen zu können. * Die Schmerzen in der rechten Schulter hatten zugenommen und drohten den Seewolf zu übermannen. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, wie stark er blutete. Mit verbissenem Gesicht kauerte er sich neben den reglosen Körper des gestreiften Mörders. In dieser Haltung fanden ihn der Kutscher, der junge Krieger, Ben, Ferris, Carberry und Dan O'Flynn vor, die als erste den Kampfplatz erreichten. „Keine langen Sprüche“, sagte Hasard zur Begrüßung. Sein Lächeln wirkte
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verkrampft. „Hast du Whisky mitgebracht, Kutscher? Her mit dem Zeug.“ Es war das Glück des Kutschers, daß er in weiser Vorsorge eine Flasche aus seinen Geheimbeständen mit eingepackt hatte, bevor er die „Isabella“ verlassen hatte. Jetzt kniete er sich neben den Seewolf, zog den edlen, original schottischen Stoff aus seinem Gepäck und entkorkte die Flasche. Hasard nahm einen Schluck, dann goß er sich eine gehörige Ration auf die Wunde, die die Krallen des Tigers gerissen hatten. Hasard biß die Zähne zusammen und ertrug das Brennen und Beißen, das bis in seinen Kopf hinaufschoß und sich dröhnend ausbreitete. Er wurde fast ohnmächtig, kämpfte das Brausen und Würgen in sich aber nieder und schaute schließlich auf. „Desinfiziert habe ich die Blessur“, sagte er zum Kutscher. „Du kannst jetzt mit dem Verbinden anfangen.“ Der Seewolf schaute zu dem Tiger, der nun ebenfalls am Schauplatz des Geschehens angelangt war. „Der junge Krieger soll seinen Stamm zusammentrommeln“, sagte er auf spanisch. „Es gibt keinen Grund für die armen Teufel, noch länger in ihren Löchern zu hocken.“ Der Tiger nickte und lächelte ein wenig verunglückt. Er verdeutlichte dem Krieger in der etwas gutturalen Sprache der Malaien, was der Seewolf gesagt hatte. Der Eingeborene, der sich Bulbas hatte opfern wollen, um seine Stammesangehörigen zu retten, sprudelte ein paar Worte hervor, warf sich herum und lief los. Die Nacht schluckte seine Gestalt. Der malaiische Piratenführer trat neben den regungslosen Leib des Tigers. „Er ist nur betäubt”, erklärte Hasard. Der Kutscher untersuchte seine Blessur eingehend und hantierte mit Verbandszeug. Aber das hinderte Hasard nicht am Sprechen. „Wie du weißt, haben meine Leute ein Präparat zusammengebraut, mit dem ich die Pfeilspitzen eingerieben habe.“ „Wann wacht Bulbas wieder auf?“ „Noch vor Tagesanbruch.“ „Wir werden einen großen Käfig bauen, in dem er genügend Auslauf hat“, sagte der Tiger von Malakka. Er lenkte seine
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Schritte auf den Seewolf zu. „Was ich empfinde, will ich in wenige Worte kleiden. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nicht eher erkannt habe, welcher Kern in dir steckt. Ich entschuldige mich bei dir und bedanke mich gleichzeitig für das, was du für das malaiische Volk getan hast.“ Er griff zum Gurt, zog die doppelläufige Radschloßpistole heraus, drehte sie um und reichte sie mit dem Kolben voran dem Seewolf. „Erinnerst du dich an das, was ich dir an Bord der ,Yaira' gesagt habe?“ „An Bord der ,Yaira'?“ Hasard hob überrascht die Augenbrauen. Der Tiger grinste breit. „Ja, so heißt mein Praho jetzt.“ „Ich verlangte meine Pistole zurück, und du sagtest, du würdest sie mir erst aushändigen, wenn du völlig von meiner Ehrlichkeit überzeugt wärest“, entgegnete Hasard. Er streckte die Hand aus und nahm die Reiterpistole, die er seinerzeit einem bretonischen Freibeuter abgenommen hatte, entgegen. Er erhob sich trotz des Protestes des Kutschers, steckte die Waffe weg und reichte dem stolzen Malaien die rechte Hand. „Ein nachtragender Mann bin ich nie gewesen. Vergessen wir, was geschehen ist. Besiegeln wir nun unsere Freundschaft.“ Der Tiger nahm die ihm dargebotene Hand sofort an. Er wirkte unendlich erleichtert, als er sagte: „Gleich werden die Orang Laut hier sein, und ich habe bis auf ein paar Bordwachen auch meine Leute von den Schiffen sowie Otonedju und dessen Begleiter rufen lassen. Wir werden auf einer der Lichtungen, die weiter oberhalb liegen, Feuer anzünden und Fleisch und Gemüse zubereiten. Ich möchte ein Fest zu deinen Ehren feiern, Seewolf.“ „Männer!“ rief Hasard. „Habt ihr Lust, daran teilzunehmen? Ein bißchen Abwechslung könnte nach den Strapazen der letzten Tage doch nicht schaden, oder?“ „Aye, Sir!“ rief Dan O'Flynn überschwänglich zurück. „Mit anderen Worten, wir dürfen die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.“
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„Wir reißen ein Faß auf!“ rief Ferris Tucker. Carberry rieb sich mit dem Handrücken über den Mund und schnaufte. „Ja. Das könnte euch so passen, wie? Aber wenn sich auch nur einer die Hucke vollsäuft und über die Stränge schlägt, gibt es dicken Ärger.“ Ungefähr eine Stunde später, als die Malaien eine Lichtung der oberen Dschungelregion als Festplatz hergerichtet hatten und die Feuer munter aufzuckten, begann aber auch der Profos endlich zu grinsen. Yaira, die Tochter von Otonedju, lächelte ihn nämlich auf hinreißende Weise an und beschrieb mit den Händen ein Zeichen, das in der Sprache der Inselbewohner soviel wie Frieden bedeutete. Eine Woge des Frohsinns schien mit den Liedern, die die Eingeborenen anstimmten, über die Insel Rempang zu gleiten. Der Schrecken war gebannt, und die Dankesbezeigungen, die die geretteten Orang Laut dem Seewolf entgegenbrachten, wollten kein Ende nehmen. Hasard hütete sich, die Ovationen abzuwehren. Er hörte sich an, was die Seenomaden ihm zu sagen hatten, ließ es sich von dem Tiger von Malakka übersetzen und schüttelte Hände. Schließlich antwortete er: „Ich danke euch, aber ich weiß, daß der Tiger von Malakka das gleiche wie ich getan hätte, nachdem er den einen von euch aufgefischt hatte, der von der Insel fliehen konnte. Und nicht zuletzt möchte ich auch dem jungen Krieger meine Hochachtung aussprechen, der sich im Namen eures Stammes und um eurer Rettung willen freiwillig in die Klauen Bulbas' begeben hätte.“ Dies hatte zur Folge, daß die Orang Laut, die malaiischen Freibeuter, Otonedju und seine Leute und die Seewölfe nun den jungen Krieger hochleben ließen. Der Tiger von Malakka stand unweit von Hasard und hatte dem Mädchen Yaira eine Hand um die Hüfte gelegt. „Ich werde versuchen, Bulbas zu zähmen“, sagte er auf spanisch. „Er darf nicht sterben.“
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„Solange die Hoffnung besteht, daß aus dem gefährlichen Mörder doch noch ein normal handelndes Tier wird, das frei von der Angriffs- und Tötungslust eines Amokläufers ist“, erwiderte der Seewolf. „Sollte das nicht gewährleistet sein, mußt du den Tiger töten.“ „Ich achte Bulbas.“ „Ich auch, Aber denke daran, was geschieht, wenn er eines Tages wieder ausbricht.“ „Ich werde alles daransetzen, ihn zu besänftigen“, entgegnete der Freibeuter ernst. „Ich will dir jetzt verraten, wo sich mein Versteck befindet. Vier Inseln liegen nördlich von Rempang in dem Wasser, das uns mit dem Festland von Malakka verbindet. Die zweitkleinste davon diente uns bisher als Unterschlupf.“ „Bisher?“ Der Tiger entblößte seine weißen, untadeliger Zähne und lachte. „Ja, du hast dich nicht verhört. Ich gehe ganz einfach von der Tatsache aus, daß die Spanier und Portugiesen, kurzum, alle Feinde der Malaien, auch weiterhin annehmen werden, daß Rempang durch Bulbas ein menschenleeres Stück Wildnis im Meer ist, auf das niemand seinen Fuß zu setzen wagt.“ „Darum wirst du die Insel jetzt zu deiner neuen Domäne machen“, sagte Hasard. „Was ist eine Domäne? Ein Staatsbesitz?“ „So ungefähr.“ „Du ahnst, auf was ich hinaus will, Seewolf.“ „Eben. Du bist mehr als ein Seeräuber.“ Der Tiger von Malakka beschrieb eine ausholende Gebärde, die die Lichtung erfaßte. „Hier werde ich den Grundstein für die Republik legen, die ich gründen will. Die Völker von Malakka und Sumatra, die Stämme der Inseln – alle will ich im Kampf gegen die Spanier vereinen und so ausrüsten, daß sie auch keine Kanonen mehr zu fürchten brauchen.“ „Du hast dir viel vorgenommen“, sagte Hasard ernst. „Glaubst du, ich scheitere?“ „Nein, du schaffst es.“
Der Schatz in der Bengkalis-Bucht 2.
In dieser warmen Mainacht 1585 drang ein spanischer Schiffsverband von Norden her tief in die Malakkastraße ein. Aus einer 300-TonnenGaleone mit dem Namen „Santa Trinidad“ sowie zwei leichteren, jedoch gut armierten Kriegskaravellen bestand dieser kleine Verband, und er wurde von dem Kommandanten Francisco Lozano der Dreimast-Karavelle „San Rafael“ befehligt, dessen Order sich der Kapitän der Zweimast-Karavelle „Estremadura“, Raoul Souto Alonso, und der Kapitän der „Santa Trinidad“, Rafael de Cubas, zu unterwerfen hatten. Vor zwei Nächten waren die drei Schiffe in Ban Na Kah am Isthmus von Kra ankerauf gegangen, und den Berechnungen des Comandante Francisco Lozano zufolge hätten sie eigentlich bereits am Nachmittag dieses heutigen Tages die spanische Niederlassung Bengkalis erreichen müssen. Doch der wechselhafte, ständig umspringende Wind bei der Überfahrt und ein kurzer, jäh über die Andamanensee fegender Sturm hatten Lozano einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen. Er konnte noch froh sein, nur die Verzögerung in Kauf nehmen zu müssen. Es hätte schlimmer kommen können — was wäre gewesen, wenn die „Santa Trinidad“ in Havarie geraten wäre, was, wenn sie im Sturm den Kontakt mit ihrem Geleitschutz verloren hätte und möglicherweise Piraten in die Hände geraten wäre? Lozano grauste es, wenn er nur daran dachte. Im Grunde genommen durfte er zufrieden sein. Bengkalis war fast erreicht und die kostbare Fracht der „Santa Trinidad“ somit nahezu vor allen Unbilden der Natur und menschlichen Hinterhältigkeiten bewahrt. Der Verlust dessen, was in den Frachträumen der „Santa Trinidad“ ruhte und ihr ansehnlichen Tiefgang verschaffte, hätte sehr ernste Konsequenzen für den Kommandanten nach sich gezogen. Man hätte ihn nicht nur degradiert, sondern mit
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größter Wahrscheinlichkeit auch vor ein Gericht gestellt. Seine unrühmliche Rückkehr ins Mutterland wäre unabwendbar gewesen. Die „San Rafael“, ein wendiges Schiff mit Lateinersegeln wie die „Estremadura“ und wie diese ein guter Am-Wind-Segler, führte den Verband und geleitete ihn auf die Einfahrt der langgestreckten BengkalisBucht zu. Die Pulau Rupat, die Insel Rupat, Sumatra im Nordosten vorgelagert, lag bereits achteraus. Bald mußte jene Passage erreicht sein. die zwischen Sumatra und der Insel Bengkalis hindurch auf den nördlichen Einlaß der großen Bucht zu verlief. Auf dem Achterdeck der „San Rafael“ trat der etwas untersetzte Comandante mit dem gewellten Haupthaar und dem sorgfältig gestutzten Knebelbart zu dem Steuermann, der sich hinter dem Rudergänger postiert hatte und ihm immer wieder Kurskorrekturen angab. „Wir laufen Bengkalis ohne Aufenthalt an“, sagte Francisco Lozano. „Wenn nötig, werden wir die Wassertiefe ausloten.“ „Comandante ...“ „Ich weiß, was Sie sagen wollen, Timonero. Wir haben den Wind aus OstNord-Ost. Wir müssen sehr hoch darangehen, um die Buchteinfahrt bis zum Hafen Bengkalis durchsegeln zu können. Aber glauben Sie mir, die Passage ist breit genug, auch bei Nacht.“ „Trotzdem ist es ein Wagnis.“ „Das Mondlicht reicht aus, uns den rechten Weg zu weisen, Timonero.“ „Im westlichen Bereich der Bucht befinden sich tückische Korallenriffe“, erwiderte der Steuermann. „Ich fahre diese Strecke nicht zum erstenmal.“ „Ich auch nicht!“ „Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, daß wir durch den Wind auf die Korallenbänke gedrückt werden könnten.“ „Danke, das reicht“, entgegnete Francisco Lozano scharf. „Weitere Ausführungen können Sie sich ersparen, Senor. Ich führe das Kommando, und ich lasse mir nicht
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gern aufschwatzen, was ich zu tun oder zu lassen habe.“ Die Augen des Steuermannes verengten sich ein wenig, aber er gab sich Mühe, so freundlich wie irgend möglich zu bleiben. „Comandante, das lag auch nicht in meiner Absicht ...“ „Dann halten Sie den Mund“, fuhr Lozano ihn an. „Ich trage die Verantwortung, nicht Sie. Haben Sie vergessen, was wir durch eine von Piraten verseuchte Gegend transportieren? Ich habe in Ban Na Kha stundenlang gedrängt, man solle mir mehr Kriegsschiffe zur Verfügung stellen, damit eine ausreichende Sicherung der Galeone gewährleistet sei. Spanien könne mit seinen Schiffen keine Verschwendung treiben, hat mir der hochverehrte Generalkapitän geantwortet, der dort den Ton angibt und für die Verladung der Ausbeute aus den Minen sorgt. Was hätten Sie dem entgegengehalten, Timonero?“ Der Steuermann schwieg, er hatte weder Lust, sich die Rechtfertigungen des Kommandanten anzuhören, noch das Verlangen, sich auf größere Diskussionen einzulassen. Lozano war ein hitziger, streitsüchtiger Mensch, der seine Position rücksichtslos ausnutzte. „So müssen wir uns also mit zwei lächerlichen Karavellen zufriedengeben!“ rief der Kommandant anklagend aus. „Falls wir dem gefürchteten Tiger von Malakka und seiner Horde begegnen, haben wir wenig Chancen, die Nacht zu überleben. Dieser hartgesottene, mit allen Wassern gewaschene Pirat und Schlagetot soll ein ganzes Dutzend Schiffe zur Verfügung haben, mit denen er immer wieder unsere Konvois angreift und spanische Siedlungen überfällt.“ Der Timonero konnte sich jetzt doch nicht verkneifen, zu entgegnen: „Das ist mir bekannt. Der Kerl stammt von der Landenge von Kra. Einmal, unter anderem Kommando auf einem anderen Schiff, habe ich das zweifelhafte Vergnügen gehabt, an einer Jagd auf seine Prahos teilzunehmen. Fast hätte er den Spieß umgedreht und uns arg in die Klemme gebracht. Dann aber verschwanden seine
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Schiffe irgendwo zwischen den Inseln. Die Ortskenntnis und die seemännischen Fähigkeiten dieses Tigers sind phänomenal, das versichere ich Ihnen. Comandante.“ „Schon gut, schon gut“, wehrte Lozano ab. „Ich habe jetzt anderes im Sinn, als die Taten dieses Halunken aneinanderzureihen. Fest steht jedenfalls, daß wir ein ungeheures Risiko eingehen, wenn wir Station einlegen, etwa eine geschützte Bucht suchen und dort bis zum Morgengrauen vor Anker gehen. Es braucht uns nur ein Späher der malaiischen Bastarde zu bemerken, dann sind wir geliefert und sitzen in der Falle.“ „Der Schatz muß nach Bengkalis“, erwiderte der Steuermann, der sich von dem im Bauch der „Santa Trinidad“ verstreuten Reichtum viel lieber selbst einen kleinen Anteil eingesteckt hätte. „Recht so, Timonero“, sagte Lozano. „Sie begreifen jetzt also doch, wie richtig meine Entscheidung ist.“ Der Steuermann äußerte sich nicht zu dieser Bemerkung, er wußte, daß man sich mehr schlecht als recht durch die Bucht tasten würde. Aber wenn der Kommandant es so brandeilig hatte — bitte. Wertvoll und daher hochbrisant war die Fracht der „Santa Trinidad“ allemal, das mußte jeder Mann an Bord der drei Schiffe eingestehen. Erst vor kurzem war es den Spaniern gelungen, auf dem Isthmus von Kra die Minen zu entdecken, die von den Eingeborenen als Geheimnis gehütet wurden. Jetzt waren die Malaien zu Sklaven der neuen Herrscher herabgewürdigt worden und mußten unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Minen arbeiten, um Steinchen um Steinchen aus dem rauhen Erdreich zu lösen. Diamanten! Hunderte — nein, Tausende davon lagen in den Truhen und Kisten, die die „Santa Trinidad“ beförderte. Wie groß der Wert dieser . einzigen Schiffsladung hochkarätiger Edelsteine war, vermochte vorerst keiner zu ermessen. Erst viel, viel später würden die Beamten der Casa de
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Contratacion das Meer glitzernder „Tränen der Götter“ durchwühlen, Listen anfertigen und Schätzungen anstellen. Bis dahin war noch ein weiter Weg. Von Bengkalis aus mußten die Diamanten innerhalb der nächsten Tage unter strenger Aufsicht weiterverschifft werden, nach Manila, wo alle asiatischen Kostbarkeiten bis zur nächsten Reise der legendären „Nao de China“ gehäuft wurden. Mit der Manila-Galeone würde der Schatz nach Acapulco hinübertransportiert werden, dann auf dem Landweg nach Vera Cruz, von dort aus nach Havanna hinüber, wo die großen Geleitzüge, die Konvois dickbäuchiger Galeonen. zusammengestellt und nach Spanien auf Reise gesandt wurden. Der Timonero befand im stillen, daß es bei allem Wert der Ladung doch besser gewesen wäre, die Bucht bei Tageslicht zu durchsegeln. In diesem Punkt ließ er sich nicht beirren. Aber selbstverständlich fügte er sich der Willkür von Francisco Lozano. Anderenfalls wäre er vielleicht noch als Meuterer bezeichnet worden. Die Kapitäne Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso schienen keine Einwände gegen das Unternehmen zu haben, sonst hätten sie mit den Hecklaternen ihrer Schiffe herübersignalisiert. So komme denn, was will, dachte der Steuermann gottergeben. * Leise, eigentümliche Musik, von den Europäern unbekannten Instrumenten erzeugt, wurde vom Wind gegen die Hänge Rempangs gedrückt, die Höhen hinaufgetragen und verlor sich irgendwo wieder im Regenwald, der alles schluckte. Mädchen aus Otonedjus Stamm und aus den Reihen der Seenomaden tanzten mit Seewölfen und malaiischen Freibeutern um die zuckenden Feuer, es wurde gescherzt, gegessen, getrunken, ohne daß einer der Beteiligten auch nur einen Augenblick über das Maß hinausging, das die Ausgelassenheit erreichen durfte.
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Hasard hatte sich mit dem Tiger, Yaira, Otonedju und einigen anderen Malaien an einem der Feuer niedergelassen. Am Rand der Lichtung erhob sich jetzt ein aus starken Baumästen und Rohr gezimmerter Käfig, in dem der Tiger Bulbas schlummerte. Ferris Tucker hatte bei der Herstellung des Gitterbaues tatkräftig mitgeholfen. Hin und wieder blickten die Männer zu dem Käfig hinüber, aber noch gaben die dort postierten Wachen kein Zeichen, noch regte die große Raubkatze sich nicht und bestand kein Anlaß zur Besorgnis. Ließ die Wirkung des Betäubungsmittels nach, würde der Tiger sich erheben und im Nachlassen seiner Benommenheit gewiß den ersten Ausbruchsversuch unternehmen. Dann mußte sich zeigen, ob der Käfig seiner Wut standhielt. Hasard schaute den Mann an, der seinen Beinamen von Bulbas' Rassenbezeichnung ableitete. „Wie lautet dein wirklicher Name? Jetzt kannst du ihn mir verraten.“ „Sotoro. Und deiner?“ „Philip Hasard Killigrew.“ Sotoro lachte auf. „Dreimal so lang wie der meine. Bist du etwa adliger Abstammung?“ „Wenn man es genau nimmt, ja. Aber meine Feinde nennen mich gern einen Bastard, wobei sie sich auf gewisse Tatsachen berufen.“ Hasard setzte dem Tiger auseinander, warum das so war. Sotoro nickte ernst und nahm nach dem Seewolf einen Becher mit Reiswein aus den Bordbeständen der Prahos entgegen, der von Yaira aus einem Krug eingeschenkt wurde. Sotoro nahm einen Schluck zu sich, setzte den Becher dann wieder ab und entgegnete: „Ich bin als Sohn eines malaiischen Reishauern und einer Inderin auf der Halbinsel Kra zur Welt gekommen. Aber ich will mich kurz fassen, was meine Kindheit betrifft.“ Sein Mund verzog sich zu einem Ausdruck der Bitterkeit und des tiefen Hasses. „Bei einem Überfall auf mein Dorf wurden meine Eltern von Spaniern getötet. Man verschleppte mich an Bord eines spanischen Seglers, wo ich
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als Aufklarer und Decksjunge die niedrigsten Arbeiten verrichten mußte. Ich wurde wegen meiner Herkunft und Hautfarbe verhöhnt, getreten und geschlagen. Aber ich lernte die spanische Sprache, ein paar Brocken Englisch und die Kunst, ein Segelschiff sicher übers Meer zu lenken. Später bin ich auf und davon, habe mich zu den Freibeutern von Malakka durchgeschlagen und wurde einer der ihren. Nach verschiedenen Machtkämpfen, Verrat und Intrigen bin ich der geworden, den die Spanier zu respektieren gelernt haben.“ „Der Tiger von Malakka“, murmelte Hasard. „Als Rebell hast du es dir nun zum Ziel gesetzt, Malakka, Sumatra und die übrigen Teile Inselindiens nach und nach von allen Fremdländern freizufegen.“ „Nur von den Besatzern“, stellte Sotoro richtig. „Für weiße Freunde wie dich und deine Männer ist in unserer künftigen Republik immer Platz.“ „Eine gerechtere Art, die Geschicke eines Volkes zu leiten“, sagte Hasard. „Das sind hochgesteckte Ziele, aber Rempang könnte ein echter Anfang sein. Nur darfst du den Gegner nicht unterschätzen.“ „Tue ich das?“ „Ich habe den Eindruck, die Spanier haben ein regelrechtes Kesseltreiben begonnen, dem du früher oder später zum Opfer fallen mußt“, erwiderte der Seewolf gedämpft. „Übersetze das weder Yaira noch jemand anderem, behalte es für dich. Der Überfall auf Otonedjus Insel, die Vertreibung der Seenomaden — es sind die ersten Zeichen, daß etwas Einschneidendes im Gang ist.“ „Das ist mir durchaus klar. Was du nicht weißt: In Bengkalis nutzt ein elender Verräter jede Gelegenheit aus, die Spanier gegen mich aufzuhetzen und ihnen Hinweise zu liefern, wie sie mich stellen könnten.“ „Siabu? Der ist tot.“ „Nein, nicht der Batak. Es handelt sich um einen Atjeh aus dem Norden Sumatras. Sein Name ist Uwak. Früher hat er zu uns gehört, aber dann ist er zu den Spaniern übergelaufen. Wegen Geldes ist er zum Abtrünnigen geworden, sie haben ihn
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gekauft wie Siabu. Wir mußten daraufhin unser Versteck wechseln, denn auch das hat er seinen neuen Herren natürlich sofort verraten.“ „Ich verstehe jetzt, warum du so unendlich mißtrauisch bist“, erwiderte der Seewolf. „Tausend Tücken und Intrigen, Repressalien und Verrat durch Männer aus den eigenen Reihen — so was zermürbt und kann einen Mann innerlich zerbrechen. Wie kannst du trotzdem ein so großer Idealist sein?“ „Weil die Zahl derer, die für mich den Tod riskieren, größer ist als die Zahl der räudigen Hunde, die es nur verdienen, für alle Zeiten von uns ausgestoßen zu werden. Man muß die Spreu vom Weizen trennen.“ Diese Sätze klangen vielleicht etwas zu markig, aber Hasard wußte ihnen den richtigen Stellenwert zu verleihen. Er konnte nicht umhin, Sotoro zu bewundern, denn nach allem, was er bisher erfahren und von ihm gesehen hatte, schienen die Ziele dieses Mannes völlig uneigennützig zu sein. Der Tiger war weniger darauf aus, sich durch blitzschnelle Raids gegen die Spanier zu bereichern, als vielmehr ihren Machteinfluß in und um Malakka zu schmälern. „Uwak hat dem Kommandanten Escribano den Tip gegeben, Otonedjus Insel anzulaufen und nach dir und deinen Männern abzukämmen“, sagte Hasard. „Ja.“ „Uwak wußte also, daß Otonedju zu euch Rebellen hält?“ „Ja. Er nahm richtig an, daß wir wieder auf der Insel landen würden“, antwortete der Malaie. „Erst jetzt wird mir richtig klar, welchen Dienst du uns erwiesen hast, indem du die drei Kriegsschiffe der Spanier versenkt hast. Sie sind ja tatsächlich gesunken, und damit hast du den Spaniern einen empfindlichen Hieb versetzt.“ Hasard lächelte. „Die Dons werden mich deswegen noch inniger verehren. Ich habe sie mal wieder bis aufs Blut gereizt. Etwas anderes, Sotoro. Welche Rolle spielen die Orang Laut, die Seenomaden?“
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„Ich habe ihren Stamm erst durch diese dramatische Begegnung auf Rempang kennengelernt. Sie kommen von einer der kleinen, südöstlich der Pulau Bintan gelegenen Inseln, zu denen wir bislang noch keinen Kontakt hatten. Übrigens habe ich von ihrem Häuptling Kutabaru erfahren, daß sie von Escribanos Verband aufgescheucht wurden, bevor dieser Otonedjus Insel heimsuchte. Im Gegensatz zu Otonedju und dessen Leuten gelang den Nomaden jedoch die Flucht. Nur ein paar Krieger fielen dem Angriff der Spanier zum Opfer.“ „Weiß Kutabaru, weshalb dies geschah?“ „Ich habe ihm auseinandergesetzt, warum die Spanier überall nach mir suchen. Ich glaube, ich kann die Orang Laut, die von Insel zu Insel ziehen, für meine Sache gewinnen.“ Er hob die Hände leicht an und ballte sie. „Und ich werde Uwak, diesen Hund, töten, dann sind wir wieder beweglicher, weil die Spanier allein nicht alle Verstecke kennen können, in denen wir immer wieder unterschlüpfen.“ Hasard sagte: „Du willst also nach Bengkalis?“ „Ja. Ich werde dieses Nest überfallen. Und du? Was hast du vor, Seewolf?“ „Eigentlich wollen wir morgen früh aufbrechen und weitersegeln, in den Indischen Ozean. Wir wollen nach England zurückkehren.“ Hasard grinste plötzlich, und in seinen eisblauen Augen tanzten jene tausend Teufel, die bei ihm immer eine kühne Initiative ankündigten. „Doch ich sehe nicht ein, warum wir nicht mit dir zusammen einen Abstecher nach Bengkalis unternehmen sollten“, sagte er. „Das liegt schließlich auf unserem Kurs, wenn ich nicht irre.“ Er schaute auf, weil der aus Ost-Nord-Ost wehende Wind plötzlich aufgefrischt hatte. Er zerzauste den Männern, Frauen und Kindern auf der Lichtung die Haare, griff nach den Feuern und ließ die Flammen heftig hin- und herlecken. *
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Der Steuermann der Dreimast-Karavelle „San Rafael“ konnte sich einen Ausdruck der Schadenfreude nicht verkneifen, als der Wind an Stärke gewann und von frisch bis handig auf steif bis stürmisch aufbriste. Der Wind pfiff über die nördliche Einfahrt der Bengkalis-Bucht, in der sich der Dreierverband jetzt befand. Der Kommandant Francisco Lozano stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Vordeck der Karavelle und konnte nicht sehen, wie sein Timonero heimlich und verschlagen grinste. Lozano hatte einen Decksmann auf die Galionsplattform hinabkommandiert. Der Mann lag bäuchlings schräg unter ihm und hielt Senkblei und Faden bereit, um die Wassertiefe auszuloten, falls der Kommandant es für notwendig erachtete. Die Galeone „Santa Trinidad“ segelte im Kielwasser der dreimastigen Karavelle, und den Abschluß bildete die „Estremadura“. Hoch am Wind lagen die Schiffe. Aber während die wendigeren Karavellen mit ihren Lateinersegeln kaum Mühe hatten, den Kurs zu halten, mußte der Kapitän Rafael de Cubas an Bord der „Santa Trinidad“ sein ganzes seemännisches Können aufbieten, um mit dem schwerfälligeren Rahsegler den Kurs halten zu können. Dem Rudergänger am Kolderstock der Galeone lief der Schweiß übers Gesicht — wegen der nervlichen Anspannung und des barschen Kommandierens des Kapitäns und der Offiziere, das pausenlos auf ihn einhagelte. Der Zuchtmeister brüllte die Decksleute an, die Schoten noch dichter zu holen, obwohl das nicht möglich war. Er drohte mit der neunschwänzigen Katze. Die Stimmung an Bord war alles andere als rosig - und nun auch noch das! Francisco Lozano konnte froh sein, keine Perücke zur Hebung seiner Amtswürde übergestülpt zu haben. Sie wäre ihm im jähen Aufbrisen des Windes zweifellos vom Haupt gerissen worden. Seine wellige Frisur löste sich auf, seine Knebelbartenden zitterten im Wind. Sein wütendes Geschrei tönte über Oberdeck und war fast bis zur „Santa Trinidad“ zu hören.
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Lozano brüllte, bis er rot anlief, als der Bootsmann auf der Back eintraf und auch noch verkündete: „Das Schiff läuft aus dem Ruder, wenn das so weitergeht! Wir werden auf Legerwall gedrückt und können den Kurs nicht halten, Senor Comandante!“ „Vayase al diablo!“ brüllte Lozano ihm ins Gesicht. „Zum Teufel, ich lasse euch alle kielholen und an der Rahnock aufbaumeln, wenn das passiert!“ „Si, Senor Comandante“, sagte der erbleichende Bootsmann. Er drehte sich um und stürzte an die Querbalustrade, die zur Kuhl wies. Sein Wortschwall ging auf den Stockmeister nieder, und dieser leitete die Anordnungen an den Steuermann weiter. Der Timonero wußte ganz genau, daß Lozano imstande war, seine wüsten Drohungen in die Tat umzusetzen. Das Grinsen des Timoneros fror ein, er trat dem Rudergänger mit dem Stiefel ins Gesäß, scheuchte ihn weg und übernahm selbst den Kolderstock der „San Rafael“. „Ich habe das Unheil kommen sehen“, stieß er zischend hervor. „Auf mich hat keiner hören wollen, und jetzt müssen wir die Köpfe dafür hinhalten, Hölle und Teufel.“ Der Wind heulte und pfiff in den Luvwanten und Pardunen der Schiffe und rüttelte an den Masten. Auf Steuerbordbug liegend liefen die drei Segler mit starker Krängung weiter auf Bengkalis zu, dessen Lichter wegen leichter Nebelbildung im Süden noch nicht zu erkennen waren. Der Wind wurde stärker und ruppiger. Der Timonero der „San Rafael“ wußte, daß das Schicksal unabwendbar war, und er bekreuzigte sich. „Wir segeln in die Hölle“, sagte der entsetzte Bootsmann auf der Back, aber Francisco Lozano war an dem Bootsmann vorbei, hastete den Niedergang zur Kuhl hinunter, und beachtete die Worte des Mannes überhaupt nicht. Lozano tobte, wurde handgreiflich und schlug auf einige Männer ein, aber dadurch änderte er auch nichts an den Gegebenheiten. Immer weiter wurden die
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Karavellen und die Galeone auf Legerwall zu geschoben. Wenig später war das Unheil perfekt. Den manövrierfähigeren Karavellen gelang es, so weit nach Süden abzulaufen, daß die gefährlichen Korallenbänke Steuerbord achteraus zurückblieben. Doch die Galeone „Santa Trinidad“ war mittlerweile viel zu weit nach Westen versetzt worden. Rafael de Cubas brüllte wie ein geistig umschatteter Mann, aber auch das nutzte nichts. Im Moment des Aufpralls aufs Riff wurden er und seine Männer aus dem Stand auf Deck gerissen und durcheinander geschleudert. Sie überrollten und wälzten sich. Einige schlugen so hart gegen das Schanzkleid oder andere Widerstände, daß sie sich Verletzungen zuzogen. Ja, zwei Decksleute kippten sogar außenbords und verschwanden in der Nacht. Es krachte und knirschte. Der Rumpf der 300-Tonnen-Galeone wurde von den harten, scharfen Formationen der dicht unter der Wasseroberfläche befindlichen Baum- und Rindenkorallen aufgeschlitzt. Gähnende Lecks klafften plötzlich in der hölzernen Schiffshaut, gurgelnd drangen die Fluten ein. Der Schiffszimmermann und ein paar Helfer, die sofort in die unteren Räume eilten, wurden durch die rauschenden Wassermassen gestoppt. Obwohl der beherzte Zimmermann ein paar Tauchversuche unternahm, gelangte er an die Lecks nicht heran. Es war ausgeschlossen, die Galeone von innen her auch nur notdürftig abzudichten. Die Männer kehrten auf Oberdeck zurück und erstatteten Meldung. Panik drohte um sich zu greifen. Die Galeone krängte bedrohlich und schien jeden Moment querzuschlagen. „Löscht die Ladung, verstaut sie in den Booten!“ schrie der Capitan de Cubas. „Wir müssen das Schiff aufgeben.“ „Senor Capitan!“ rief der Zimmermann zurück. „Wir müssen das Frachtgut im Stich lassen. Wir schaffen es nicht mehr . „Niemals! In die Frachträume!“ Rafael de Cubas' Stimme steigerte sich zu einem Heulen. „Das ist ein Befehl, und ich werde
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jeden, der ihn nicht befolgt, wegen Meuterei und Feigheit zur Rechenschaft ziehen!“ Den Männern blieb nichts anderes übrig, sie mußten in die tosende, unheimliche Tiefe des Schiffsrumpfes zurückkehren. Unter Aufbietung all ihren Mutes bildeten sie eine Kette, dessen unterste Glieder in den Frachträumen immer wieder in die schwärzlichen, brodelnden Fluten tauchten und Kisten und Truhen, prall gefüllt mit Diamanten von Kra, heraufzerrten. Der Zimmermann befand sich unter diesen beherzten Männern. Die Kisten wurden auf Oberdeck gemannt und in die bereits ausgebrachten Beiboote abgefiert, was nicht ohne Schwierigkeiten abging, weil die „Santa Trinidad“ immer weiter nach Steuerbord krängte. So sehr de Cubas sich auch bis zuletzt dagegen sträubte - ihm blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich in ein Boot zu begeben und das sinkende Schiff zu verlassen. Nur einen Teil des Diamant-Schatzes hatte er bergen können, etwa ein Viertel. Während aber die Beiboote an Steuerbord der Galeone dümpelten, während sich Masten und Rigg bedrohlich den Männern auf den Duchten entgegenneigten, hörten die auf dem Dreimaster Zurückgebliebenen nicht auf, Kisten und Truhen aus dem Schiffsbauch zu mannen. Die Wassermengen füllten die „Santa Trinidad“ und ließen sie noch mehr nach Steuerbord krängen. Der jaulende Wind tat ein weiteres — die Galeone schlug endgültig quer. Ein einziger Schrei des Entsetzens ging durch die Reihen der Spanier. Mit wilder Kraft der Verzweiflung pullten sie unter dem niederächzenden Mastwerk, der Takelung und dem laufenden und stehenden Gut fort. Zwei Booten gelang es, sich zu lösen, ein drittes, kleineres, wurde untergegraben. Nur ein Teil seiner Besatzung vermochte sich durch Wegtauchen zu retten. De Cubas war für Minuten seiner Stimme beraubt. Er ließ in die Bucht hinauspullen, hatte sich auf der Heckducht seines Bootes
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umgewandt und verfolgte fassungslos die letzte Phase des Unglückes. Knarrend rutschte die „Santa Trinidad“ vom Riff. Unglaublich schnell vollzog sich das. Man war versucht, an einen bösen Traum zu glauben. Die Schatz-Galeone nahm den Großteil der Diamantenausbeute aus den Minen von Kra mit in die Tiefe, außerdem ein paar Männer, die nicht mehr rechtzeitig den Weg aus den unteren Schiffsräumen zurück auf Oberdeck fanden. Unter ihnen war auch der Zimmermann. Sie ertranken in Gesellschaft des phantastischen, unermeßlichen Juwelenreichtums. Die Überlebenden pullten zu den wartenden Karavellen. Der Kapitän Rafael de Cubas wußte, daß sein Davonkommen vor dem so nahen Tod kein dauerhafter Trost für den Verlust des Schatzes war. Man würde ihn wie den Kommandanten Francisco Lozano und den Kapitän der „Estremadura“, Raoul Souto Alonso, für das Unglück zur Rechenschaft ziehen. Ob man die Diamanten vom Grund der Bengkalis-Bucht bergen konnte, hing in erster Linie davon ab, wie tief die „Santa Trinidad“ sank. 3. Sotoros Männer hatten die Feuer auf Rempang rechtzeitig gelöscht, dann hatten sich alle an dem Fest Beteiligten zu den Booten begeben —außer den Wachen, die am Käfig des Tigers verharrten und die mit gemischten Gefühlen darauf warteten, daß das Tier wieder erwachte. Im Sturmwind hatten die Männer und Frauen zu ihren Schiffen übergesetzt und die Prahos und die „Isabella“ in eine geschützte Bucht an der Leeseite der Insel Rempang verholt. Den Orang Laut war es im weiteren Verlauf der Nacht auch gelungen, ihre Auslegerboote von dem Landeplatz in die Bucht zu verholen. Bei ihrem Eintreffen waren sie an der Nordküste an Land gegangen und mußten jetzt mit den Booten die halbe Insel runden, was kein leichtes Stück Arbeit
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war. Aber sie waren glücklich, feststellen zu können, daß die kleinen Prahos keinerlei Schaden genommen hatten. Der Seewolf hatte vor seinem Kampf gegen Bulbas angenommen, der Tiger habe die Boote kurz und klein geschlagen, aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Bulbas heiliger Respekt vor dem Wasser hatte eine schützende Barriere vor den Booten errichtet, die der Mörder nicht hatte überbrücken können. Die geschützte Bucht wurde zum provisorischen Lager der Seewölfe und der Malaien. Kutabaru, der Häuptling der Wassernomaden, hatte sich inzwischen bereiterklärt, für Sotoros Sache mitzukämpfen. Mit Otonedjus Männern und den Orang Laut zählte der Trupp des Tigers von Malakka mittlerweile also weit über hundert Köpfe. „Genug, um eine Republik zu gründen“, sagte Sotoro zu Hasard, als er sich auf die Einladung des Seewolfs hin mit Yaira an Bord der „Isabella“ begab. „Wir werden auf Rempang Dörfer bauen, das Land urbar machen und als Alleinversorger auf keine Hilfe von außen angewiesen sein.“ „Die Spanier dürfen davon nichts merken“, gab der Seewolf zu bedenken. „Wir werden den Dschungel als Sichtschutz an den Ufern wuchern lassen“, erwiderte der Tiger. „Und für unsere Schiffe gibt es genügend Versteckmöglichkeiten. Ich denke, wir können Jahre unter diesem Tarnmantel leben, ohne eine Invasion befürchten zu müssen.“ „Meinen Segen dazu habt ihr“, sagte Hasard. „Sotoro, ich möchte dir jetzt ein paar Seekarten zeigen, die ich auf dem Weg von China hierher ergattert habe. Vielleicht kannst du mir noch ein paar Hinweise geben, die für die Fortsetzung unserer Reise von großem Wert sind.“ „Du weißt ja, ich bin unter den Spaniern gefahren.“ „Eben deswegen. Gehen wir in meine Kammer im Achterkastell.“ Kurze Zeit darauf betraten sie die gemütliche Kammer im Heck der leicht
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schwankenden „Isabella“. Ein mittelschwerer Sturm tobte über die Insel Rempang weg, doch die Bucht lag behütet genug in Lee, und die beiden Männer und das schöne Mädchen konnten noch lange über den Karten und in ihre Erzählungen vertieft beim Schein der Öllampe zusammensitzen. Erst kurz vor Anbruch des neuen Tages verließen Sotoro und Otonedjus Tochter die große Galeone wieder, um auf die „Yaira“ zurückzukehren. Hasard legte sich in seiner Koje zur Ruhe. Er wollte wenigstens noch ein oder zwei Stunden schlafen. * Im Morgengrauen ließ der Wind wieder nach, und die Wogen auf offener See glätteten sich. Hasards traumdurchwebtes Dahindämmern wurde jedoch abrupt durch einen Ruf unterbrochen, der über die Bucht hallte. „Mastspitzen in Südost!“ Hasard war sofort wach. Kein Zweifel, es war Bill gewesen, der die Worte ausgestoßen hatte. Bill, der Schiffsjunge der „Isabella“, hockte seit der Wachablösung im Großmars und hielt weisungsgemäß die Augen offen, wie sich das für einen Ausguck gehörte. Jetzt, in aller Frühe, bewies er, daß er nicht geschlafen hatte. Hasard sprang aus der Koje, stieg in seine blaue Hose und die ledernen Stulpenstiefel, zog sich Hemd und Wams über, dann lief er durch den mittleren Achterdecksgang nach vorn, nahm den Niedergang zum etwas höher befindlichen Schott mit einem Satz und stieß das Schott auf. Er lief auf die Kuhl hinaus. Sonnenglast ließ die frisch geschrubbten Planken der „Isabella“ schimmern und verhalf den kleinen Wellen in der Bucht zu glitzernden Kronen. So kurz nach ihrem Aufgang besaß die Sonne hier bereits große Macht, während ihr Licht weiter westlich über, der Insel von aufsteigenden Nebelstreifen gefiltert wurde.
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Hasard mußte die Hand als Schutz über die Augen legen, um zu Bill in den Hauptmars aufzublicken. Ben Brighton, Carberry und Shane hatten sich ebenfalls auf Oberdeck eingefunden und gesellten sich zum Seewolf. Ferris Tucker, Smoky, Stenmark und die beiden O'Flynns stürmten ihnen soeben nach. Der alte Donegal wetterte und rief den Deckswachen Sam Roskill und Jeff Bowie zu: „Was zum Teufel ist jetzt wieder los? Kann man nicht mal in Ruhe einen Törn an der Koje horchen?“ „Mastspitzen, du hörst es doch!“ rief Roskill eher mürrisch zurück. Auf der „Yaira“ und den anderen Prahos war es inzwischen auch lebendig geworden, und an Land richteten sich überall die Gestalten jener Eingeborenen auf, die die Nacht allen Gefahren der Selvas zum Trotz zwischen den Büschen verbracht hatten, weil sie den Wächtern des Tigers sofort zu Hilfe eilen wollten, falls Bulbas sich regte. Bill lehnte sich über die Umrandung des luftigen Postens, legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund und rief seinem Kapitän zu: „Fünf Schiffe der großen Klasse, Sir. ich kann sie jetzt deutlich auseinanderhalten.“ „Welchen Kurs nehmen sie?“ „Offenbar Westen.“ „Also an Rempang vorbei?“ „Sieht so aus, Sir!“ „Sieht so aus“, äffte Old O'Flynn einen Yard neben der Kuhlgräting den Schiffsjungen nach. „Kann der Bengel sich nicht deutlicher ausdrücken?“ „Kann er nicht“, nahm Carberry Bill in Schutz. „Denn wenn die Himmelhunde, die die Schiffe führen, uns sichten, schlagen sie möglicherweise einen anderen Kurs ein — wer immer sie sein mögen. Holzauge, sei wachsam.“ „Meinst du damit mich?“ fragte der Alte mit verkniffener Miene. Carberry grinste, was seinem Narbengesicht einen fratzenhaften, beinah monströsen Ausdruck verlieh. „Natürlich nicht, Donegal. Niemals würde ich so was zu dir sagen. Du hast ja auch gar kein
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Holzauge, sondern nur ein Holzbein. Oder?“ „Ach, geh doch zum Teufel“, knurrte der Alte. Insgeheim maß noch keiner von der Crew den fremden Schiffen im Südosten große Bedeutung bei. Man nahm allgemein an, die Segler würden auf ihrem Kurs weiterziehen. Hasard aber wollte es genau wissen. Er enterte katzengewandt in den Wanten auf, kletterte zu Bill in den Mars und richtete sein Spektiv in die angegebene Richtung. Der kreisrunde Ausschnitt der Optik fing zunächst die Mastspitzen ein, die sich da über die Kimm geschoben hatten, dann die dazugehörigen Rümpfe, die mittlerweile auch sichtbar geworden waren. Etwas blaß nahmen sich die Konturen unter dem Glanz der jungen Morgensonne aus, aber der Seewolf konnte genug Einzelheiten erkennen. „Wirklich fünf Schiffe“, bestätigte er Bills Aussage. „Vier Dreimaster -und ein imposanter Viermaster. Muß ein wirklich bildschönes Schiff sein. Lassen wir sie noch ein bißchen näher heran, dann kann ich dir auch sagen, ob es sich um Kriegsoder Frachtschiffe oder um einen gemischten Verband handelt.“ Bill beobachtete ebenfalls unausgesetzt durch seinen Kieker. „Das letztere ist doch wohl naheliegend, Sir.“ „Glaubst du? Und noch schöner wäre es, wenn eine dieser Galeonen wertvolle Ladung an Bord hätte, nicht wahr?“ „Oder zwei, drei Galeonen ...“ „In dem Fall würden wir sie angreifen, entern und von den Mastspitzen bis zum Kielschwein ausnehmen wie fette Gänse“, entgegnete der Seewolf schmunzelnd. „Das wolltest du doch ausdrücken, Bill, nicht wahr?“ „Äh - ja, Sir.“ „So erpicht darauf, daß es mal wieder Zunder gibt?“ „Ganz ehrlich?“ „Sicher doch.“ „Ja, Sir, und wir haben eine richtige Streitmacht zur Verfügung, mit der wir einen solchen Verband knacken könnten“,
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stieß der Junge mit stolz geschwellter Brust hervor. Hasard hatte das Spektiv nicht abgesetzt, und der heitere Ausdruck verschwand jetzt von seinen Zügen. Sein Mund erstarrte, die Lippen schienen von granitener Härte zu sein. „Ich schätze, daraus wird nichts, jedenfalls nicht so, wie du es dir vorstellst, Junge. Das da sind fünf Kriegs-Galeonen spanischer Herkunft, augenscheinlich gut armiert und unter vollen Segeln.“ Er setzte -das Fernrohr mit einem Ruck ab und wandte den Kopf. Sein Blick bohrte sich in Bills Augen. „Sie haben angeluvt und halten auf uns zu. Die Brüder haben uns entdeckt, wie auch wir sie entdeckt haben, mein Freund.“ Bill, der seinen Kieker auch hatte sinken lassen, sagte: „Und - was gedenken Sie nun zu tun, Sir?“ Der Laut, der von der Insel herüberdrang, unterbrach ihr Zwiegespräch. Bulbas' Brüllen klang so schaurig, als stiege es geradewegs aus den Schlünden der Hölle hervor. Es fuhr Bill, dem Moses, unter die Haut und trieb ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Hasard traf Anstalten, auf Deck zurückzuklettern. „Der Wächter der Insel ist erwacht, später, als ich mir ausgerechnet hatte. Jetzt trifft uns sein ganzer Groll, und ich habe die Befürchtung, das ist ein schlechtes Omen für diesen Vormittag.“ Er hangelte in den Webeleinen der Wanten nach unten, traf auf der Kuhl ein und drehte sich sofort seinem Profos zu. „Ed, alle Mann auf Gefechtsstation und klar zum Gefecht rüsten. Sieh zu, daß ihr in Windeseile fertig seid, ich will nicht von den Dons überrumpelt werden.“ „Zum Teufel, nein!“ „Wie bitte, Mister Carberry?“ „Ich meine - aye, aye, Sir!“ brüllte der Profos. Hasard lief in Richtung Achterdeck und rief: „Wir gehen ankerauf und laufen mit Kurs Süd-Süd-Ost hart am Wind aus der Bucht!“ „Verstanden“, erwiderte Ben Brighton.
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Auf der Kuhl hasteten die Männer auf und ab, die Geschütze rumpelten aus, als die Stückpforten aufschwangen, es wurden alle erforderlichen Vorkehrungen für ein bevorstehendes Gefecht getroffen. Je zwei Mann stürzten mit Handspaken bewaffnet an die Gangspille auf Vor- und Achterdeck, wenig später hoben sich Bugund Heckanker an ihren schweren Trossen vom Grund der Bucht. Stenmark, Sam Roskill, Batuti, Will Thorne und ein paar andere krebsten in den Wanten hoch, um die Segel zu setzen. Hasard trat auf dem Achterdeck ans Schanzkleid und blickte zur „Yaira“, die keine zwanzig Yards querab von der „Isabella“ lag. Sotoro, Otonedju, Yaira und ein paar andere drehten sich auf seinen Ruf hin ihm zu. „Wir müssen auf alles gefaßt sein!“ schrie der Seewolf. „Ich denke, die Dons werden uns einen guten Morgen wünschen wollen.“ „Wir rüsten bereits zum Kampf“, erwiderte der Tiger von Malakka, ebenfalls spanisch sprechend. „Hast du eine Ahnung, wer den Verband befehligt?“ „Nein. Ich kenne die Schiffe nicht.“ „Seewolf!“ „Ich höre dich, Tiger!“ „Einer unserer Freunde vom Stamm der Orang Laut hat mir vom Ufer aus ein Zeichen gegeben. Die Nachricht der Wächter am Käfig von Bulbas lautet: Der Tiger sitzt sicher, er konnte trotz aller Versuche nicht aus seinem Gefängnis ausbrechen.“ „Den Rücken haben wir also frei“, sagte Hasard mit galligem Humor. Etwas leiser meinte er mehr zu sich selbst als zu seinen Männern: „Ein gutes Omen war Bulbas' Brüllen aber trotzdem nicht. Eine Gefahr ist gebannt, jetzt rückt die nächste an.“ Ben Brighton hatte das Achterdeck ebenfalls erreicht und trat zu Hasard. „Ob das unser lieber Freund Arturo Diaz Escribano ist?“ fragte er mit einer Geste zu dem rasch näher rückenden Verband hin. Hasard schüttelte den Kopf. „Selbst wenn er kurz nach seiner Niederlage aufgefischt worden ist, hat er einen neuen Verband
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nicht so schnell wieder zusammenstellen können. Unmöglich.“ Er blickte nach Südosten. Wie eitle Schwäne schoben sich die fünf Galeonen heran. Die „Isabella“ legte sich derweil mit Backbordhalsen an den Wind und verließ die Bucht. „Ich möchte wirklich wissen, mit welchem Draufgänger wir es da zu tun haben“, sagte der Seewolf. Er ahnte nicht, daß er dem Mann, der das Kommando über den spanischen Kriegsschiff-Verband führte, schon einmal unter nicht weniger dramatischen, verhängnisvollen Gegebenheiten begegnet war — ohne dessen Namen erfahren zu haben. * Lucio do Velho, der Mann mit dem ausdrucksstarken Gesicht und den Fähigkeiten eines Mimen, stand in erhabener Pose auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes. Er suchte nirgends mit den Händen Halt, sondern hatte die Arme vor der Brust verschränkt und glich die Decksbewegungen durch geschickte Beinarbeit aus. Sein Blick war voraus gerichtet, über die Back der Viermast-Galeone „Candia“ hinaus, rechts an ihrem Bugspriet vorbei auf die Bucht, in der die vielen Schiffe lagen. „Killigrew“, sagte der Portugiese do Velho. Fast schwang Ergriffenheit in seinem Tonfall mit, aber man hätte diese Färbung leicht falsch interpretieren können. Do Velho war bewegt, aber nicht wegen des Wiedersehens, sondern wegen seines Geschickes, seiner Fähigkeit, eine im Nichts verlaufende Fährte wieder aufzunehmen. „Seewolf“, sagte er. „Du elender Bastard, seit mehr als vier Monaten suche ich dich jetzt. Endlich habe ich es geschafft. Diesmal gelingt es dir nicht, dich aalglatt und gerissen meinen Fängen zu entziehen.“ „Sind Sie sicher, daß wir die ‚Isabella' vor uns haben, Senor Comandante?“ erkundigte sich eine Stimme hinter seinem Rücken.
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Unwillig wandte do Velho sich um. Sein zurechtweisender Blick fiel auf das derbe Gesicht von Ignazio, dem Mann aus Porto, der nicht nur sein Landsmann, sondern auch sein treuester Mitstreiter war. „Wie oft soll ich dir noch sagen, daß man seinen Comandante nicht von hinten anspricht, Ignazio?“ „Verzeihung.“ Ignazio tat zwei Schritte und stand neben seinem Herrn und Gebieter. „Ich habe das vergessen.“ „Du hast überhaupt ein schlechtes Gedächtnis“, erwiderte do Velho ungnädig. „Du kannst von Glück sprechen, daß ich dich auf diesem stolzen Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät überhaupt dulde. Aber man ist eben sentimental.“ Ignazio war außer do Velho der einzige Mann, der seinerzeit nördlich von Formosa lebend jene kleine Insel verlassen hatte, in deren Bucht der Seewolf die „Sao Fernao“ zusammengeschossen hatte. „Dir scheint wohl ganz entfallen zu sein, wie das verdammte Schiff des verfluchten ,Lobo del Mar' aussieht?“ „Comandante, ich kann es auf diese Distanz nicht so gut erkennen.“ „Dann nimm ein Spektiv zu Hilfe.“ „Ich habe es getan. Aber die Sonne blendet mich, und die vielen kleineren Schiffe in der Bucht verdecken mir die Sicht auf die Dreimast-Galeone.“ Do Velho winkte ärgerlich ab. „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Du taugst zum Dreinschlagen, Ignazio, zu mehr aber nicht.“ „Ich bin betrübt, Senor“, murmelte der Mann aus Porto. Er schien es wirklich zu sein, denn er senkte den bulligen Schädel und starrte auf die Decksplanken. „Vorhin, als der Ausguck die Schiffe in der Bucht von Rempang erspäht hat, bin ich selbst in den Vormars aufgeentert“, setzte Lucio do Velho dem einfachen Mann auseinander. „Von dort oben habe ich die ‚Isabella' einwandfrei identifiziert.“ „Si, Senor. Aber was haben die verflixten Kähne der Eingeborenen in der Nähe der Galeone verloren?“ „Das sind Prahos, du Einfaltspinsel. Ich frage mich, wie ich in Manila so närrisch
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sein konnte, dich durch meinen Zuspruch zum Bootsmann avancieren zu lassen.“ „Ich habe Ihnen das Leben gerettet.“ „Das war deine Pflicht. Brüste dich bloß nicht damit. Außerdem wäre ich auf der Insel auch allein mit den Meuterern fertig geworden. Du brauchst dir auf deine Tat nichts einzubilden.“ „Nein, Senor“, antwortete der Mann aus Porto untertänigst. „Also - ich kann dich jederzeit selbst wieder zum einfachen, dreckigen Decksmann degradieren, vergiß das nicht. Unterlasse deine idiotischen Bemerkungen, sie beleidigen meine Ohren und verletzen meinen Geist. Ignazio, es interessiert mich nicht, warum die Prahos der Malaien bei den Seewölfen liegen, ich frage auch nicht danach, welche Begleit. umstände dazu beigetragen haben, daß wir hier und heute auf die Hunde stoßen konnten.“ Sein Blick wanderte zur Kuhl ab, wo zwanzig bronzene 17-PfünderCulverinen ausgerollt und schußbereit gestellt worden waren. Auf dem darunter befindlichen Batteriedeck der „Candia“ stand noch einmal die gleiche Zahl Kanonen desselben Kalibers bereit, das Feuer auf den verhaßten Feind zu eröffnen. „Ich bin jetzt froh, heute nacht den Sturm abgeritten zu haben“, sagte der Portugiese. „Anderenfalls hätte uns der Zufall nicht auf Rempang zugetrieben.“ „Niemals, Senor“, sagte Ignazio. „Aber mir ist etwas eingefallen. Die Eingeborenen auf den Prahos könnten Verbündete des Seewolfs sein.“ „Sehr gut, Ignazio. Ich rechne fest damit, daß es so ist. Da sie offenbar in trautem Einvernehmen bei den Bastarden von Engländern weilen, stufen wir auch die Malaien als unsere Todfeinde ein, die keine Rücksicht verdienen.“ „Mehr als ein Dutzend Schiffe gegen uns, Senor Comandante ...“ „Mit unserer Armierung sind wir denen haushoch überlegen“, entgegnete do Velho. „Wage nicht, auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln.“ „Gewiß nicht. Welches ist nun aber Ihr Plan?“
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Lucio do Velhos Züge verhüllten die Grausamkeiten, die sein Geist sich ausmalte, um keinen Deut. „Wir greifen ohne jede Vorwarnung an. Wir schießen sofort aus vollen Rohren, das ist die einzige Art, diesem Dreckskerl von einem Korsaren zu begegnen.“ 4. Die „Isabella VIII.“ hatte die Bucht als erstes Schiff verlassen, jetzt ließ der Seewolf noch weiter anbrassen, luvte so weit wie möglich an und segelte tollkühn direkt auf den feindlichen Verband zu. Die „Yaira“ folgte der großen Galeone in nach Backbord schräg versetzter Kiellinie und segelte somit am dichtesten unter Land. Sechs Kanonen schwer bestimmbaren Kalibers fuhren auf dem dreimastigen Praho des Tigers von Malakka mit. Sotoro hatte sie von einem chinesischen Freibeuter ergattert, dessen Dschunke er gekapert und anschließend versenkt hatte, als dieser ihm gefährlich geworden war. Al Conroy hatte die Geschütze als 15-Pfünder eingestuft, als die Seewölfe in der Nacht einen kurzen Abstecher an Bord der „Yaira“ unternommen hatten. Nach und nach stießen nun auch die anderen Prahos der Rebellen von Malakka aus der geschützten Bucht, und danach glitten auch die kleinen, einmastigen Fahrzeuge der Orang Laut auf die offene See hinaus. Kutabaru und seine Krieger hatten kernen Augenblick gezögert, an dem drohenden Gefecht teilzunehmen. Ben Brighton stand neben seinem Kapitän an der Five-Rail. Er hätte den Seewolf fragen können, wieso sie nicht durch rasches Runden der Insel nach Nordwesten und Nordenversuchten, den Spaniern zu entgehen. Sotoro hätte ihnen auch helfen können, irgendwo zwischen den weiter nördlich verstreut liegenden Eilanden unterzutauchen. Aber das wäre nicht nur ein Schwächebeweis gewesen. Sie hätten den auf sie lauernden Verband auch weiterhin ständig am Hals gehabt.
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Nein, Ben konnte sich die Frage wirklich sparen. Einige Chancen rechnete er sich noch aus, daß sie sich dem Kriegsverband gegenüber erfolgreich als Spanier ausweisen konnten. Mit diesem Trick hatten sie den Gegner schon oft genarrt. Die Anwesenheit der Eingeborenen ließ sich dadurch motivieren, daß die Malaien beispielsweise der „Isabella“, einem harmlosen Handelsfahrer, im Sturm geholfen hatten. Oder daß sie dem Kapitän der Kriegsgaleone „Isabella“ wertvolle Tipps zur Ergreifung des gefürchteten Tigers von Malakka geliefert hatten. Es gab viele Möglichkeiten. Ben lachte rauh. „Das glaubst du doch selbst nicht.“ Hasard wandte den Kopf und musterte ihn erstaunt. „Was denn?“ „Ach, ich rede mit mir selbst. Ich schätze, die Dons dort wissen, wen sie vor sich haben. Entweder kennen sie die ‚Isabella', die ja allmählich bekannt wird wie ein bunter Hund –oder die Prahos des Tigers. Oder gleich den ganzen Verband.“ „Ben, ich bin sicher, daß sie uns darüber nicht lange im unklaren lassen“, versetzte der Seewolf. So war es. Vom Bug des Viermasters, der nach Hasards Schätzungen jetzt nur noch knapp eine Meile entfernt an der Spitze des Fünferverbandes segelte, stieg eine weiße Rauchwolke hoch. Das Buggeschütz sandte eine Kugel herüber, die auf diese Distanz zwar nur in etwa gezielt sein konnte, die aber die Reichweite hatte, dicht vor dem Vorsteven der „Isabella“ in die Fluten zu klatschen und eine rauschende Fontäne hochzujagen. „Jetzt schlägt's aber dreizehn!“ brüllte Carberry, dem solche Manieren sofort erheblich auf den Magen schlugen. „Sir!“ rief Bill aus dem Großmars. „Der Don signalisiert uns aus den Toppen!“ „Was will er? Daß wir uns zu erkennen geben?“ fragte der Seewolf zurück. „Das kann er haben“, sagte Ben Brighton. „Haltet die Flagge der spanischen Galeonen bereit. Vielleicht fallen die
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Hurensöhne ja doch auf unsere Parade herein.“ „Sir!“ schrie Bill entsetzt. „Der Don gibt uns zu verstehen, wir sollen unverzüglich die Flagge streichen!“ „Da schau mal einer an“, sagte Hasard. Sein Lächeln war verwegen. „So packt er es also an. Er will uns gar nicht erst zum Zug kommen lassen. Was antworten wir darauf, Ben?“ „Daß wir ihm was husten.“ Carberry drückte es mal wieder drastisch aus. „Wir scheißen diesen Kakerlaken und Bastarden was. Wir hauen ihnen die Jacke voll, daß ihnen die Ohren wackeln und ihnen der Hintern abfällt, Männer!“ dröhnte sein mächtiges Organ über Deck. „Dan“, sagte Hasard zu dem jungen O'Flynn, der schräg hinter ihm in Nähe des Besanmastes stand. „Ich frage dich, wie können wir kapitulieren, wenn wir uns überhaupt nicht mit dem überheblichen, krankhaft siegessicheren Don herumgeschlagen haben?“ „Praktisch ist das kaum drin“, erwiderte Dan grinsend. „Jedenfalls nicht, soweit es unsere Gewohnheiten betrifft.“ „Dann hiß mal schnell unsere Flagge.“ Dan befolgte die Aufforderung des Seewolfs, und Sekunden später flatterte der White Ensign, die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz, munter im Besantopp unter dem Einfluß des frischen Morgenwindes. „So“, sagte Big Old Shane, dessen Platz vorläufig noch auf dem Achterdeck war. „Jetzt spielen wir mit offenen Karten.“ Den Köcher mit den Pfeilen hatte er sich schon umgehängt, und auch der Bog hing von seiner breiten Schulter. Im Getümmel würde er zweifellos wieder seine Position im Großmars beziehen und mit Batuti, der in den Vormars aufzuentern pflegte, ein Zielschießen auf die Gegner verüben. Daß es ein Getümmel gab – daran zweifelte keiner der Seewölfe. Das Flaggschiff des spanischen Verbandes ließ mit der Reaktion auf den White Ensign nicht auf sich warten. Die rasch nachgeladene Kanone im Vordeck und das zweite Buggeschütz krachten, wieder
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stiegen weiße Qualmgebilde in den Himmel auf, und bedrohlich nah heulten die Kugeln heran. Eine saß sehr, sehr nah vor dem Bug der dahinrauschenden „Isabella“, die zweite schlug an Steuerbord in Höhe der Fockwanten in die See. Gleich darauf eröffneten auch die anderen vier Galeonen der Spanier das Feuer. Etwas nach achtern versetzt pflügten sie in breiter Formation zusammen mit ihrem Flaggschiff „Candia“ die Fluten. Die Meile Abstand zwischen ihnen und der „Isabella“ schrumpfte schnell auf eine halbe zusammen. Acht Buggeschütze donnerten hervorragend koordiniert — fast gleichzeitig los. Die Seewölfe zogen instinktiv die Köpfe ein und standen mit ausgebreiteten Armen und abgespreizten Fingern, um sich notfalls platt auf Deck zu werfen. Hasard stand mit schmalen Augen hinter der Five-Rail. „Noch warten wir“, sagte er kaum verständlich. „Lassen wir uns nicht nervös machen, Männer. Wenn wir vielleicht auch scheitern, die Probe bestehen wir.“ Die Geschosse der Spanier waren heran und orgelten gegen die „Isabella“ an. Das Gros ging fehl, aber eine Kugel hieb in die Steuerbordrüsten der Fockwanten und richtete zu Ferris Tuckers Wut beträchtlichen Schaden an. Eine zweite knallte knapp unterhalb des Bugspriets in die Galion, so daß ein feiner Ruck durch das ganze Schiff lief. „Satansbraten!“ tobte der Profos. „Hurensöhne von Dons! Das werdet ihr büßen!“ Von der „Yaira“ gellte ein Schrei herüber. Hasard und seine Männer fuhren herum und spähten zu dem in Backbord laufenden Schiff des Tigers. Zunächst dachten sie, eine der Kugeln habe den großen Praho erreicht und jemand verletzt oder gar getötet, aber dann stellte sich heraus, daß es Sotoro gewesen war, der diesen Schrei ausgestoßen hatte. Wild schwang er seinen Parang.
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„Hitzkopf“, sagte Hasard. „Seiner Meinung nach ist das Maß voll. Er fragt sich, wieso wir uns das gefallen lassen.“ „Leider können wir es ihm nicht erklären“, meinte Ferris Tucker. .Aber er wird auch so begreifen, wie unsere Taktik ist.“ Hasard blickte bereits wieder zum Gegner. Er hob das Spektiv vors Auge und gewahrte, wie die Galeonen sich anschickten, abzufallen, um ihnen auf diese Weise die Steuerbordbreitseiten zu präsentieren -alle fünf. „Das wird ein eindrucksvolles Manöver“, befand Ben Brighton, der ebenfalls durchs Fernrohr beobachtete. „Übrigens hat der Viermaster meiner Ansicht nach vierundvierzig Geschütze, die Bug- und Heckkanonen mitgerechnet.“ „Ja“, entgegnete Hasard. „Ich versuche, die Männer auf seinem Achterdeck zu erkennen, aber es gelingt mir noch nicht. Dieser fanatische Bursche, der dort das Kommando führt - wer ist das bloß?“ „Weiß der Henker, wie sein Name lautet und welche Hure ihn gezeugt hat“, brummte Shane. „Bitte um Erlaubnis, in den Großmars aufentern und anfangen zu können, Hasard -Sir.“ Hasard grinste. Er sah verwegen aus mit seinem sonnengegerbten Gesicht und der Narbe, die von der Stirn über seine Wange lief, mit dem Verband der rechten Schulter, der unter dem Hemd hervorschaute, aber es war mit einemmal auch etwas beinahe Lausbübisches in seinen Zügen. „Ab mit dir“, sagte er. „Und Batuti soll 'rauf in den Vormars. Ben, wir fallen ab und gehen platt vor den Wind.“ „Ed, Pete!“ rief Brighton dem Profos und dem Rudergänger zu. „Abfallen und vor den Wind!“ „Aye, aye!“ schallte es zurück, und Pete Ballie legte mit seinen schwieligen Pranken Hartruder, während Carberry „Schrickt weg die verdammten Schoten, ihr elenden Rübenschweine!“ schrie und die Rahen der Galeone herumschwangen. Schnell vollzog die „Isabella“ das Manöver, geradezu unheimlich schnell und mit überragender Präzision. Obwohl sie später angesetzt hatte als die spanischen
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Kriegsschiffe, war sie um Sekunden eher auf dem neuen Kurs und beschleunigte ihre Geschwindigkeit vor dem Wind segelnd von zwei auf vier, schließlich auf über fünf Knoten. Rund zweieinhalb Kabellängen trennten die feindlichen Parteien. Hasard kannte die Vorzüge seines Schiffes, die zum Teil in einer überaus fortschrittlichen Bauweise begründet lagen —nicht umsonst hatten er und seine Crew sich an Englands besten Schiffsbauer gewandt, als sie den großen Dreimaster käuflich erständen hatten. Die flache, schlüpfrige Konstruktion des Rumpfes, die niedrigen Kastelle und die überhohen Masten mit der großen Segelfläche verliehen der „Isabella“ den berechtigten Ruf eines der schnellsten und wendigsten Rahschiffe seiner Zeit. Und noch etwas sollte jetzt zum Tragen kommen: die ungewöhnlich langen Rohre der 17-Pfünder-Culverinen, mit denen die Seewölfe ein Ziel auf fast eine Seemeile genau treffen konnten. Acht Geschütze waren es an Steuerbord der Kuhl, ebenso viele an Backbord. Hasard fackelte nicht lange, er nutzte den zeitlichen Vorteil aus. „Klar bei Lunten!“ rief er. „Feuer!“ „Feuer!“ brüllte auch Carberry auf der Kuhl. Sein Organ war die natürliche Verstärkung der Stimme Hasards, die die Männer nicht nur zusammenstauchte, sondern sie in Situationen wie dieser auch anspornte. Knisternd fraß sich das Luntenfeuer durch die Zündkanäle in den Bodenstücken der Backbordkanonen. Rasend fuhr die Glut in das trockene Zündkraut, wie ein einziger Donnerschlag erfolgten die Explosionen, und heiß stoben die Kugeln aus den acht Rohrmündungen. Wie gebannt blickten die Geschützführer zum Feind hinüber, während die Culverinen in ihrem vehementen Rückstoß von den Brooktauen aufgehalten wurden. Drüben bei den Spaniern krachte und splitterte es plötzlich — und die Männer der „Isabella“ pfiffen und johlten vor Begeisterung. Bob Grey warf seine Mütze
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hoch und fing sie wieder auf, ehe er wie die anderen in die Hände spuckte und daranging, die Geschütze in Ladestellung zu hieven. Zwei Schiffe der Spanier waren getroffen worden — nicht die „Candia“ allerdings, an deren Bugpartie eine der 17-PfünderKugeln haarscharf vorbeigefegt war. Die inzwischen vor dem Flaggschiff segelnden zwei Dreimast-Galeonen jedoch, denen der neue Kurs die führende Position im Verband verliehen hatte, hatten die restliche Breitseite, sieben Kugeln, in ihre Bordwände erhalten. Da wirbelten Balken, Trümmer, Menschen, da klafften Lecks über der Wasserlinie. Auf Hasards Geheiß hin war die erste Breitseite der „Isabella“ hoch angesetzt worden. Er wollte mit eisernem Besen auf den Decks des Gegners kehren, Verwirrung und Panik stiften, um den Zusammenhalt des Verbandes zu zerrütten. Der Seewolf hatte immer noch nicht erkunden können, mit wem er es bei dem Flaggschiffkommandanten zu tun hatte. Aber ob er den Mann möglicherweise kannte oder nicht, interessierte ihn auch nur am Rande. Fest stand, daß er, Hasard, genauso unnachgiebig und draufgängerisch kämpfen würde wie der Gegner, der von Anfang an keinerlei Fairneß gezeigt, sondern die Partie mit einem Hieb ins Gesicht eröffnet hatte. Die „Yaira“ hatte ins Kielwasser der „Isabella“ gedreht, Sotoro ließ nun gleichfalls das Feuer eröffnen. Die anderen zwei- und einmastigen Prahos der Malaien glitten heran und beteiligten sich an dem Gefecht, als die spanischen Kriegssegler ihre vollen Steuerbordbreitseiten in Richtung auf die dschungelbedeckten Hänge Rempangs zündeten. Zu diesem Zeitpunkt hatte die „Isabella“ noch mehr an Fahrt gewonnen. Sie überholte den in Kiellinie segelnden Feindverband und schickte sich an, nach Backbord anzuluven. Das Gefecht wütete erbittert hin und her und trieb rasch ihrem infernalischen Höhepunkt entgegen. Der Ausgang schien
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nur in einem alles vernichtenden Höllenbrand liegen zu können. * Der Kapitän der vorn segelnden Kriegsgaleone fluchte Mord und Verrat. Selbst durch die Kanonenschüsse der „Isabella“ bereits erheblich angeschlagen, hatte er jetzt nur eine unvollständige Breitseite auf den Gegner abfeuern können, weil die Steuerbordpartie seines Schiffes halb zerfetzt war. Am größten war der Schaden auf der Kuhl. Männer lagen unter Trümmern des Schanzkleides begraben oder wälzten sich in ihrem Blut. Die Unversehrten hatten noch sechs Geschütze zünden können, und von diesen Kugeln hatten nur zwei im Ziel gelegen. Zwar hatte die „Isabella“ jetzt ein Loch im achteren Bereich ihrer Bordwand, doch konnte es sie weder in ihrer Manövrierfähigkeit noch in ihrer Wehrhaftigkeit beeinträchtigen, denn es lag zu hoch, um zu einem echten Leck zu werden, und zu tief, um die Männer auf Oberdeck zu behindern. Die andere Kugel hatte ein Stück von der Heckgalerie der großen Galeone abrasiert. Aber das eigentliche Ziel des spanischen Kapitäns, die Ruderanlage der „Isabella“ zu zerstören, war verfehlt worden. Im über See streichenden Pulverrauch zog die „Isabella“ an der spanischen Galeone vorbei. Im Größer werden der Distanz zwischen beiden Schiffen drehte sich der Vorsteven der „Isabella“ allmählich nach Süden. „Madre de Dios!“ schrie der spanische Kapitän. „Dieser Bastard luvt an — er will uns rammen!“ Zwar war das eine totale Fehleinschätzung dessen, was der Seewolf wirklich plante, aber im Endeffekt wurde das erreicht, was Hasard vorhatte. Der Kapitän der ersten DreimastKriegsgaleone wechselte gleichfalls den Kurs und ließ anluven. So vollzog er gemeinsam mit der „Isabella“ praktisch das gleiche Manöver — aus Angst, es könnte wirklich die Absicht dieses offensichtlich
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verrückten Korsaren sein, eine Kollision hervorzurufen. Aber nach einem Entermanöver sah das Ganze wahrhaftig nicht aus. Hasard hatte hart anbrassen lassen und schaffte es nun, in einem engeren Bogen und flinker als das spanische Schiff zu drehen. Während der erste Gegner in großer Schleife nach Süden ablief, drehte die „Isabella“ in den Wind. „Wir gehen über Stag!“ schrie Hasard seinen Männern zu. Wenig später hatten sie die zweite Dreimast-Galeone der Spanier vor dem Bug. Für Sekunden segelten beide Schiffe direkt aufeinander zu. Dann feuerte der Don seine Buggeschütze ab und luvte ebenfalls in der gleichen Kursrichtung wie die erste Galeone an. „Vordeck!“ kommandierte der Seewolf. „Drehbässen Feuer!“ Smoky und Al Conroy zündeten die in drehbaren Gabellafetten gelagerten Hinterlader und trafen unter dem Jubel der Kameraden das Vorkastell des Spaniers. Hasard stieß einen grellen Pfiff aus. Er genügte, um auch Big Old Shane und Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, in Aktion zu versetzen. Kleine Feuerzungen loderten in Groß und Vormars aus, sie verließen das Schiff und huschten zu der spanischen Galeone hinüber. Das Zielschießen mit Pfeilen hatte begonnen, die Takelung des Dons begann zu brennen, aber die pulvergefüllten Pfeile, eine Spezialität, bewahrte sich Shane noch für später auf. Der Tiger von Malakka war derweil in die Flanke des Gegners gefallen. Seine „Yaira“ und die anderen Prahos waren ungemein beweglich und dem Feind in dieser Beziehung weit überlegen. Hasard hatte erreicht, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Der Fünferverband war aufgesplittert. Die „Isabella“ legte sich hoch am Wind auf den Backbordbug. Carberry brüllte, daß die „Isabella“ bis in ihre Maststengen erzitterte, und dann raste die Steuerbordbreitseite, achtmal siebzehn Pfund massiven Eisens, aus dem Schiff.
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Ferris Tucker hatte eins der Geschütze bedient, aber er schaute auf und sah zu dem eigentümlichen hölzernen Gestell, das er auf dem Quarterdeck placiert hatte. Hasard bemerkte es und rief ihm zu: „Noch nicht, Ferris. Deine Höllenflaschenabschußkanone bedienst du erst, wenn ich es dir sage.“ „Aye, Sir!“ rief Ferris zurück. Dann betätigte er sich als Ladenummer, indem er sich unter die Brüstung des Schanzkleides kauerte,- um vor dem Feuer des Gegners geschützt zu sein, und mit dem Borstenschwamm zunächst das Rohr der Culverine reinigte. Bill, der Schiffsjunge, stand hinter dem Bodenstück der Kanone und hielt die Zugtalje, die verhinderte, daß der 17-Pfünder auf seiner Lafette vorrollen konnte. Ferris führte mit Hilfe der Kelle eine Kartusche in das Rohr und preßte dann mit einem Ansetzer, der einen biegsamen Griff hatte, ein Knäuel Kabelgarn aufs Pulver. Darauf kam zuletzt die Kugel, die wiederum mit einem Wergknäuel in ihrer Lage festgehalten wurde. Unterdessen griff das Feuer auf der zweiten spanischen Galeone um sich. Der Besatzung gelang es nicht, die Flammen zu ersticken. Hasard wollte an das Flaggschiff des Verbandes heran, doch der Kommandant war mit dem Kurs auf Nordosten nun seinerseits Überstag gegangen und segelte auf den tollkühnen Sotoro und dessen „Yaira“ zu. Die vierte und die fünfte Galeone rauschten am Heckspiegel der „Candia“ vorbei und steuerten auf die „Isabella“ zu. Das Feuer aus leichten Bordgeschützen und Musketen sowie die Brandpfeile, die die kleineren Prahos verließen, konnten diese beiden Schiffe nicht beeinträchtigen. Sie waren noch unversehrt, und ihre Kapitäne hatten nichts von ihren Energien und ihrem Drang, dem Feind jetzt die Hölle heiß zu machen, eingebüßt. Die zwei Dreimaster schoben sich zwischen die „Candia“ und die „Isabella“, ehe Hasard ihnen mit einem entsprechenden Manöver zuvorkommen
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konnte. Plötzlich hatten die Seewölfe alle Hände voll zu tun, den anrückenden Spaniern zu trotzen, denn die Steuerbordbatterie war noch nicht wieder vollständig geladen. Ferris Tucker eilte auf Hasards Wink hin an die „Höllenflaschenabschußkanone“ und ließ sofort die erste Explosionsflasche mit einer glimmenden Lunte und hochbrisantem Inhalt zu der vierten Galeone hinüberwirbeln. Shane und Batuti richteten ihr Pfeilfeuer auf diesen Gegner. Big Old Shane entschloß sich, die Pulverpfeile einzusetzen. Hasard selbst opferte einen Brandsatz, den er vom Hof des Großen Chan Wan Li mitgebracht hatte. Fauchend stieg das gleißende Feuerbündel vom Achterdeck der „Isabella“ auf und raste auf die fünfte Galeone los. Hasard hatte die Distanz richtig kalkuliert. Wie ein Geisterfeuerwerk, eine großartige Lichtermesse zum Mondkuchenfest der Chinesen, tanzte der Zauber über das Oberdeck des feindlichen Dreimasters. Schreie wehten zur „Isabella“ herüber. Über Hasards Züge huschte ein grimmiger Ausdruck. Magnesitfeuer und chinesischer Schnee ließen sich nur schwer löschen. Die Besatzung der Galeone hatte vollauf damit zu tun, sich selbst vor den Flammen zu schützen und sich von der Kuhl auf die höhergelegenen Decks zu retten. Ins Gefecht konnte sie momentan nicht mehr eingreifen. Hasard und seine Crew widmeten sich nun voll und ganz der vierten Galeone, und empfingen sie mit einer halben Steuerbordbreitseite, während unter Carberrys heiserem Gebrüll die restlichen vier Kanonen in Schußposition bugsiert wurden. Die erste Galeone des Verbandes hatte inzwischen auch über Stag gedreht, während die zweite brennend nach Süden lief. Der Kapitän der ersten Galeone versuchte, dem wie eine Fackel lodernden fünften Schiff zu Hilfe zu eilen. Sotoro hatte diese Entwicklung von seinem Praho aus beobachtet. Jetzt wechselte er den Kurs, und seine Kampfesgenossen in
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den anderen kleinen Schiffen nahmen die „Candia“ unter Beschuß. Es bedurfte keiner Absprache, keiner Signale, die Malaien wußten auch so, was sie zu tun hatten. Do Velho und seine Mannschaft hatten so intensiv mit den Eingeborenen zu tun, daß es dem Tiger von Malakka tatsächlich gelang, in Lee an dem Flaggschiff vorbeizuschnüren. Sotoro ging an dem von dem chinesischen Brandsatz getroffenen Dreimaster vorbei und hielt auf die erste Galeone zu, bereit zum Entern. Als ein paar wutentbrannte Gegner der fünften Galeone mit Musketen und Arkebusen auf die „Yaira“ zu schießen trachteten, schwirrten die Pfeile von den Bogensehnen der Freibeuter. Ein wahrer Hagel prasselte auf das Deck der Galeone ein, als die Schiffe einander in geringem Abstand passierten. Die Spanier mußten in Deckung gehen. So gelang dem malaiischen Freibeuter der Durchbruch zu der ersten Galeone. Die Seewölfe schlugen sich unterdessen erbittert mit der vierten Galeone herum. Hasard gewann in einer Atempause den Ausblick auf die „Candia“. Deutlich sah er die Gestalt des Kommandanten auf dem Achterdeck. Sie erschien ihm bekannt. Er griff zum Spektiv, führte es ans Auge, hatte den Don in voller Lebensgröße in der Optik vor sich — und ein Fluch löste sich von seinen Lippen. Der Kerl dort war derjenige, der ihn nördlich von Formosa in eine tödliche Falle hatte locken wollen. Täuschend echt hatte er seine „Sao Fernao“ so hergerichtet gehabt, daß alles nach einem überfall durch Piraten oder Kopfjäger ausgesehen hatte. Nur knapp waren die Seewölfe diesem gemeinen Hinterhalt entronnen. Solcher Tricks bediente sich jener Hundesohn, dessen Namen Hasard immer noch nicht wußte. Und auch heute früh hatte er ja wieder bewiesen, welche Mittel ihm recht waren, den Seewolf gefangen zu setzen und sich möglicherweise die von Philipp II. höchstpersönlich ausgesetzte Belohnung zu verdienen.
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Hasard trieb seine Männer an, die vierte Galeone außer Gefecht zu setzen. Er wollte die „Candia“ endlich erreichen und sich diesen ausgekochten, heimtückischen Portugiesen kaufen. Pulverpfeile, Höllenflaschen, Culverinenund Drehbassenkugeln verwandelten das Heck der vierten Galeone in eine rotwabernde, berstende Hölle. Hasard ließ den Feind nicht zum Zug kommen, er trieb die Spanier von ihren Geschützen weg und schickte sich an, diesen Dreimaster zu versenken. * Die erste Galeone war angeschlagen, aber sie brannte nicht, und das war in diesem Kampf voll lodernden Feuers schon ein erheblicher Vorteil. Der Kapitän hatte seiner Mannschaft wieder den nötigen Schneid und die Disziplin eingedrillt, die für ein einwandfreies Manövrieren und das Nachladen und Richten der Kanonen nötig waren. Bevor sein Schiff jetzt jedoch auf Backbordbug liegend hoch am Wind zu der fünften Galeone gelangte, war die „Yaira“ heran. Geradezu unheimlich schnell versuchte sie sich längsseits der Bordwand des Spaniers zu schieben. „Feuer!“ schrie der Kapitän der Kriegsgaleone. Die Steuerbordbatterie des Oberdecks dröhnte, raste aber über den flachen Praho weg und knickte nur dessen Fockmast. Die Batterie des Unterdecks entließ ebenfalls ihre verheerende Ladung, doch der Tiger von Malakka ließ sich nicht abschrecken, er warf sich mit seinen Gefährten flach auf Deck, so daß die Eisenkugeln über sie hinwegröhrten. Daß der Großmast der „Yaira“ zu Bruch ging, berührte den Tiger in diesem Augenblick nicht weiter. Enterhaken flogen und krallten sich mit ihren Eisendornen in Schanzkleid, Rüsten und Berghölzer der spanischen Galeone. Die „Yaira“ erhielt direkten Kontakt zu dem Feindschiff, als die Malaien an den Tauen der Enterhaken zerrten - und dann
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enterten die Piraten! Sotoro stürmte allen voran, das Mädchen Yaira und sogar der alte Otonedju waren an seiner Seite. Die Freibeuter von Malakka kletterten an der Bordwand des Spaniers hoch, krochen durch die Stückpforten, drangen ins Unterdeck und auf die Kuhl ein. Die fluchenden Gegner verteidigten sich zunächst mit ihren Schußwaffen, konnten auch ein paar Eingeborene niederstrecken, aber zu schnell war die Flut der Leiber heran, zu hurtig blitzten Parang und Kris auf und fochten und stachen den Widerstand nieder. Ehe die Spanier richtig begriffen, daß sie diesen Feind erheblich unterschätzt hatten, hatten die Malaien das Schiff bereits in ihren Besitz gebracht. Der Kapitän faßte einen verzweifelten Plan. Er focht sich mit seinem Säbel den Weg in die unteren Schiffsräume frei, tötete einen Piraten, der ihm mit gezücktem Krummdolch entgegensprang, und suchte in aller Hast und mit rasendem Herzen die Pulver- und Munitionsdepots der Galeone auf. Seine Finger flogen, als er Pulverfässer öffnete und umkippte. Er legte eine Spur aus Pulver bis zum offenen Schott und auf den Gang hinaus, dann schlang er vor Nervosität bebend Feuerstein und Feuerstahl gegeneinander und erzeugte den Funken, der nötig war, um die Hölle zu entfesseln. Zischend sprang der Funke in das Pulver. Der Kapitän fuhr herum, stürzte fort, einen Niedergang hinauf, dann zum unteren Batteriedeck. Hier schlug ihm kein Widerstand entgegen, denn die Malaien hatten nun allesamt das Oberdeck aufgesucht. Hier unten lagen nur reglose Gestalten neben den Geschützen, die nie wieder ein Mensch bedienen würde. Der Kapitän bückte sich und zwängte sich an der Mündung eines 17-Pfünders vorbei durch eine der offenen Stückpforten. Er tat das, was ein Mann seines Ranges nur im äußersten Notfall und als letztes Mitglied einer Schiffsbesatzung tun durfte: er verließ den Segler.
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Mit einem Hechtsprung tauchte er kopfunter in die Fluten, an Backbord, wo der Fluchtweg nicht durch die „Yaira“ versperrt wurde. Mit kräftigen Zügen brachte er sich von dem der Verdammung preisgegebenen Schiff fort, und jeder Zoll, den er an Abstand gewann, vergrößerte die Garantie, daß er als einziger der Galeone überleben würde. Die Explosion hob die Kriegsgaleone ein Stück hoch und fetzte sie fast genau in ihrer Mitte auseinander. In dem Feuerblitz, der himmelan stob, in dem auseinanderfasernden fetten schwarzen Rauch wirbelten Trümmerteile und menschliche Gestalten durch die Luft. Ein einziger Schrei begleitete den Explosionsdonner. Sotoro, Otonedju, Yaira und die anderen malaiischen Freibeuter waren mit den spanischen Widersachern von dem zerspringenden Schiff katapultiert worden. 5. Lucio do Velho fuhr auf dem Achterdeck seiner Viermast-Galeone herum, als der vom detonierenden Pulver verursachte Feuer- und Rauchpilz aus der See wuchs. Er stöhnte auf, aber sein Entsetzen war nur von kurzer Dauer, weil er im selben Moment feststellte, daß auch der dreimastige Praho mit von dem donnernden Unheil erfaßt wurde. Ja, auch die „Yaira“ zerhieb es. Bis zu den in der Nachbarschaft der gesprengten Galeone segelnden Schiffen wirbelten ihre Trümmer. Selbst auf dem Flaggschiff duckten sich die Decksleute und Offiziere instinktiv vor heransegelnden Resten. Eine halbe Spiere und einige andere Teile krachten auch tatsächlich auf das Deck der „Candia“. Lucio do Velho war ebenfalls in Deckung gegangen, weil er um seine helle Kommandantenmontur und die Unversehrtheit seines Gesichtes bangte. Er behielt jedoch den Überblick und zwang sich zur Ruhe. Kaum war die Gefahr der fliegenden Trümmerteile vorbei, lief er ans Heck seines Viermasters und blickte in die
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Fluten hinunter. Er stellte fest, daß menschliche Körper als Wrackreste im Kielwasser seines Schiffes schwammen — und einige dieser Körper regten sich noch. Teils verletzt, teils nur zwischen Benommenheit und einsetzender Besinnungslosigkeit schwebend, versuchten diese Gestalten sich an Holzteilen festzuklammern, die im Wasser trieben. „Ignazio!“ rief der Portugiese seinem Bootsmann zu. „Sofort ein Boot abfieren lassen!“ „Si, Senor, aber dazu müssen wir Fahrt aus dem Schiff nehmen!“ „Natürlich, du Idiot. Ich will die Schiffbrüchigen an Bord nehmen“, entgegnete do Velho. Soviel Menschlichkeit kannte der Mann aus Porto von seinem Befehlshaber sonst eigentlich nicht. Aber Ignazio hütete sich, auch nur noch einen einzigen Kommentar zu dem Beschluß Lucio do Velhos abzugeben. Vielmehr leitete er die Order an den Zuchtmeister weiter, das Schiff zu stoppen und ein Beiboot abzufieren, dann eilte er, Ignazio, zu seinem Herrn aufs Achterdeck. „Ich sehe vier, fünf malaiische Piraten“, stieß do Velho soeben aus. „Diese Hunde will ich haben. Als Geiseln. Und um mich für das zu bedanken, was sie uns gemeinsam mit dem Seewolf angetan haben. Ignazio!“ „Comandante?“ „Wir müssen die Kerle auffischen, bevor es ihre Spießgesellen tun. Du weißt, was das bedeutet.“ Diesmal begriff der schwere, sonst kaum selbständig handelnde Mann aus Porto sofort. Er entblößte seinen Oberkörper, streifte dann auch seine Stiefel aus weichem Ziegenleder und die aufgebauschte Leinenhose ab, bis er nur noch eine kurze Hose trug, die ihn hei seinem Vorhaben nicht behinderte. Ein Messer im Gurt und zu allem entschlossen, so kletterte Ignazio auf das achtere Schanzkleid. Er zögerte nicht, stieß sich mit den Füßen ab und stürzte in
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elegantem Bogen der schillernden Wasserfläche entgegen. „Beachtlich“, sagte do Velho, als sein Untertan eintauchte. „Dazu taugt er eben.“ Inzwischen war die „Candia“ nahezu in den Wind gegangen. Die Segel wurden aufgegeit, ein Boot senkte sich rasch der See entgegen. In Lee enterte die vom Zuchtmeister zusammengestellte Besatzung ab, bemannte das Boot, legte ab und pullte auf den schwimmenden Ignazio zu. „Gebt ihnen Feuerdeckung!“ schrie Lucio do Velho. Zehn Soldaten stürzten daraufhin mit Musketen und Arkebusen an das Steuerbordschanzkleid der Kuhl und legten auf etwaige Gegner an. Aber ein Umstand half dem portugiesischen Kommandanten: schwer und träge breiteten sich die Rauchschwaden der Explosion immer noch nach allen Seiten aus. Sie hingen tief über den Wellen, und der Wind schaffte es nicht, sie fortzuräumen. Die malaiischen Freibeuter in den Prahos, die Männer von Otonedjus Stamm und die Krieger der Orang Laut bemerkten daher erst wertvolle Sekunden später, was sich in Lee der viermastigen Galeone tat. Auch Hasard und seine Männer konnten durch die Rauchschwaden so gut wie gar nichts mehr erkennen. Erschüttert hatten sie nur verfolgt, wie die Explosion die zwei Schiffe zerfetzt hatte. Das verzweifelte Bestreben der Spanier an Bord der vierten Galeone jedoch, der „Isabella“ doch noch einen vernichtenden Treffer zu verpassen, vereitelte das Vorhaben des Seewolfs, die Unglücksstelle aufzusuchen und nach dem Rechten zu sehen. So ergab sich aus einem tragischen Zusammentreffen von Fakten, daß Ignazio ungehindert die treibenden Schiffbrüchigen erreichte. Er glitt auf einen blutenden Mann zu, der gerade im Begriff war, unter den Wasserspiegel zu rutschen. Ignazio registrierte, daß es sich bei diesem schwarzbärtigen, wild aussehenden Kerl um einen der malaiischen Piraten handelte, und er war eher versucht, diesem das
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Messer in den Leib zu rammen, um das Werk zu vollenden, das die Wirkung der Explosion begonnen hatte. Aber rechtzeitig besann er sich auf den Befehl, den do Velho ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Ignazio schwamm zu dem Malaien. Der Mann war bewußtlos. Ignazio griff in seinen vollen Haarschopf, zerrte ihn zu sich heran und schleppte ihn ohne sonderliche Mühe zu dem heranpullenden Boot hin ab. Die Bootsbesatzung stellte die Riemen in den Dollen hoch, so daß der Mann aus Porto bis an das Dollbord gelangte. Ignazio hievte den ohnmächtigen Eingeborenen ein wenig empor, und die Kameraden von der „Candia“ packten zu und nahmen den Reglosen über, wobei sie alles andere als sanft mit ihm umsprangen. Auf die gleiche Weise holte der Mann aus Porto auch die anderen Überlebenden der Katastrophe bis an das Boot. Insgesamt wurden es sieben Mann, fünf Malaien und zwei Spanier. Die letzteren zählten zu den einfachen Decksleuten, nicht zu den Offizieren oder Soldaten der Galeone. So sehr Ignazio sich auch umschaute, er konnte weitere Besatzungsmitglieder der vernichteten spanischen Galeone nicht entdecken. Auf der „Candia“ krachten plötzlich die Musketen und Arkebusen. Ein einmastiger Praho hatte die Rauchbarriere durchstoßen und schickte sich an, zu dem Beiboot des Flaggschiffes zu segeln. Die Malaien schienen begriffen zu haben, was hier geschah, und stimmten ein wütendes Geschrei an. Ignazio beeilte sich, zu dem Boot zurückzugelangen. Er klomm an Bord, die Jolle schwankte bedenklich, dann begannen die Spanier in fiebernder Hast zu pullen. Ob sie heil zur „Candia“ zurückgelangten, war inzwischen in Frage gestellt, da die Rebellen von Malakka sich auch durch das stakkatohafte Musketenfeuer nicht abhalten ließ, an der „Candia“ vorbeizurauschen. Erst als drei Kanonen des unteren Batteriedecks der „Candia“ ihren
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Gluthauch auf den Praho ausspien, ließen sich die Malaien vom Kurs abbringen. Die Bootsbesatzung do Velhos gewann Zeit und Vorsprung und pullte wie rasend auf die Bordwand des imposanten, behäbig daliegenden Viermasters zu. Von der Luvseite her setzten die Freibeuter der „Candia“ inzwischen auch wieder zu. Aus Lucio do Velhos Sicht gehörte viel Nervenstärke dazu, ein gerüttelt Maß an Kaltblütigkeit, mit aufgegeiten Segeln auf die Übernahme von Boot und Insassen zu warten. Doch do Velho besaß diese Abgeklärtheit. Er geriet auch dann nicht aus der Fassung, als kleine Kanonenkugeln der Prahos klaffende Lücken in das Backbordschanzkleid seines Schiffes hackten. Die Männer aus der Jolle enterten an der Jakobsleiter auf, Ignazio folgte als letzter. Er schleppte den schwarzbärtigen, muskulösen Malaien auf der Schulter mit, als handle es sich um ein nicht sonderlich schweres Bündel Segeltuch. Die übrigen Schiffbrüchigen wurden vermittels Tauen hochgehievt, dann wurde auch das Boot so schnell wie möglich binnenbords geholt — und Lucio do Velho ließ das Großsegel und die Fock setzen. Kommandorufe hallten über Deck der „Candia“. Sie ging überstag und wandte sich mit ihrem Vorsteven nach Süden. Do Velho bedeutete Ignazio und einigen anderen Männern, die fünf malaiischen Gefangenen herbeizuschleppen. Nur einer von ihnen hatte das Bewußtsein wiedererlangt — der Schwarzbärtige. Sein glühender, haßlodernder Blick traf den portugiesischen Kommandanten. „Haltet den Kerl fest“, ordnete do Velho an. „Die anderen richtet ihr so am Schanzkleid des Hecks auf, daß die Hundesöhne unten in den Prahos ihre Kumpane deutlich genug sehen können.“ Er schaute wieder zu dem Schwarzbärtigen. „Du da. Verstehst du mich?“ Kein einziges Wort erwiderte der Pirat, aber seine durchbohrenden Blicke sprachen Bände.
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„Ich habe dich was gefragt!“ brüllte do Velho ihn unbeherrscht an. Jetzt, diesem triefend nassen, blutenden, in Fetzen gehüllten Mann gegenüber, verlor er tatsächlich seine souveräne Haltung. „Ignazio, bring den Dreckskerl zum Sprechen!“ Ignazio hieb mit der Faust zu und traf den Nacken des hochgewachsenen Malaien. Der Mann ging in die Knie, stöhnte aber nicht. Er versuchte herumzufahren und den Mann aus Porto anzugreifen, aber Ignazio schlug noch einmal zu. Da sank der Malaie auf die Körperseite. Sein Gesicht war verzerrt, er stieß etwas in seiner Muttersprache aus und spuckte Lucio do Velho vor die Füße. Ignazio wollte mit beiden Fäusten auf ihn losgehen. „Nicht“, sagte sein Kommandant jedoch. „Er scheint wirklich nicht zu verstehen. Aber wir setzen seinen Spießgesellen auch so auseinander, was wir verlangen. Stell diesen Bastard auf die Beine.“ Seine letzten Worte gingen in dem Donnergrollen unter, das von der „Isabella“ herübertönte. Hasard hatte weitere vier Culverinen der Steuerbordseite auf die vierte Galeone des spanischen Verbandes abfeuern lassen, und diesmal war das Ergebnis im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagend. Schwer getroffen krängte die Galeone nach Backbord und begann zu sinken. Die fünfte Galeone stand in gierig hochschießenden Flammen, das Feuer verzehrte die Masten samt ihrem laufenden und stehenden Gut und sengte über den oberen Teil des Holzrumpfes. Die Besatzungen beider Schiffe flohen mit den Beibooten. Die zweite Galeone indes lief brennend immer weiter nach Südwesten ab. Ihrer Mannschaft gelang es nicht, das Feuer unter Kontrolle zu kriegen. Do Velho ließ seine fünf eingeborenen Gefangenen wie die Marionetten am Heckschanzkleid der „Candia“ hochstemmen. Er blickte auf die Gegner hinunter. Zwei Prahos trachteten gerade, sich von achtern an die Galeone
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heranzupirschen und ein Entermanöver zu beginnen. „Haltet ein!“ schrie do Velho den Piraten zu. „Wir töten eure Kameraden, wenn ihr nicht die Flagge streicht!“ Als die Piraten von Malakka keinerlei Reaktion zeigten, hob do Velho die Hand zu einer Gebärde. Ignazio und die anderen Bewacher der Gefangenen begriffen. Sie zückten ihre Messer und hielten die Klingen den Geiseln an die Gurgeln. * Die Geste war unmißverständlich. Dennoch hatte der Portugiese sich in den Männern der Prahos getäuscht, und zwar gründlich. Sie ließen sich nicht aufhalten. Wieder blafften die kleinen Bordgeschütze auf, Musketen und Tromblons wurden gegen die nur langsam dahinziehende _Candia“ leergeschossen. Ein Hagel von Pfeilen schwirrte über die Galerie des Viermasters hinaus ganz nach oben, zum erhöhten Deck - nicht nur do Velho, Ignazio und die übrigen Besatzungsmitglieder liefen Gefahr, getroffen zu werden, auch die fünf Malaien in ihrer Gewalt waren bedroht. „Die sind ja wahnsinnig!“ schrie der Kommandant außer sich vor Zorn. „Gefährden ihre eigenen Kumpane! Sind die denn von allen Geistern verlassen?“ „Ich glaube nicht, Sonor“, erwiderte sein erster Offizier. „Ganz im Gegenteil.“ „So? Dann werden wir ein Exempel statuieren und einen dieser Halunken zum Schreien bringen. Ignazio, kitzle diesen Schweinehund von einem Schwarzbart ein wenig mit dem Messer.“ Der Mann aus Porto grinste, es bereitete ihm keinerlei Skrupel, einen Wehrlosen zu traktieren. Der erste Offizier allerdings sagte zu do Velho: „Sonor, ich habe den Eindruck, diese fünf Kerle krepieren lieber langsam und qualvoll, als ihre Landsleute zur Aufgabe zu bewegen. Und genauso ist die Einstellung der Piraten unten in den Prahos ...“
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Do Velho zog den Kopf ein, weil Brandpfeile über sie hinwegzischten. Einer blieb im Besanmast stecken. Die Flamme drohte das Segel in Brand zu stecken, aber ein beflissener Decksmann war heran und kippte ein Segeltuchpütz Seewasser über dem Geschoß aus, ehe sich das Feuer richtig entwickeln konnte. „Primero!“ schrie der Kommandant seinen Ersten an. „Zu wem halten Sie eigentlich? Ich werde Ihre Gesinnung überprüfen ...“ „Sie verstehen mich falsch, Senor!“ „Soll ich anfangen?“ fragte der verwirrte Ignazio. Do Velho hatte sich entschlossen, die Erklärung des Primeros abzuwarten, bevor er dem bulligen Mann aus Porto antwortete. „Diese Leute haben eine Mentalität, die uns fremd ist!“ rief der erste Offizier. „Ich weiß, das ist Ihnen bekannt, Senor Comandante, oder zumindest können Sie es sich sehr gut vorstellen. Aber ich habe auf den Philippinen sehr lange mit den Wilden zu tun gehabt und weiß, unter welchen Voraussetzungen sie durchaus bereit sind, all ihr Eigentum, ja, sogar ihre Freunde und ihre Familienangehörigen aufs Spiel zu setzen und aufzugeben, falls es ihrer Sache dient.“ „Blinde Fanatiker also?“ „Nicht mehr als wir ...“ „Ich verbitte mir diese Bemerkungen!“ brüllte do Velho. „Sie wollen also allen Ernstes behaupten, daß diese braunen Kanaillen ohne weiteres ihre fünf Blutsbrüder abmurksen lassen, daß sie sie opfern, nur, um weiterkämpfen zu können?“ „Ja.“ Do Velho wollte aufbegehren, auf seine Erfahrungen, seine Privilegien als Kommandant pochen und jeden weiteren Einwand niederbrüllen. Doch da schob sich auch die „Isabella VIII.“ heran. Ihre Konturen entwickelten sich zu einem drohenden Schemen; der aus Rauch und Feuer hervorwuchs. Kaltschnäuzig und fast ohne Rücksicht auf sein Schiff segelte der Seewolf zwischen der lodernden, sinkenden vierten und der
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nach West-Süd-West abtreibenden fünften Galeone des Feindverbandes hindurch und nahm Kurs auf die „Candia“. Er drohte in den Wind zu laufen, und Lucio do Velho hoffte es, drückte insgeheim die Daumen, daß es eintrat, aber er hatte sich getäuscht. Eine hervorragende Crew manövrierte die „Isabella“. Ohne Zwischenfall pflügte die große Galeone heran. In diesem Augenblick beschloß do Velho, doch lieber die Flucht anzutreten. Was nützte es, die fünf Malaien zu massakrieren? Waren sie tot, fielen die Engländer und die Malakka-Piraten wie die Teufel über das Flaggschiff her — eine Übermacht, der die „Candia“ allein trotz ihrer vierundvierzig Kanonen nicht mehr Paroli zu bieten vermochte. Do Velho ließ Vollzeug setzen. Das Blatt hatte sich gewendet. Der Jäger war zum Gejagten geworden. 6. Hasard brauchte nur einen kurzen Blick durch das Spektiv zur „Candia“ hinüber zu werfen, um die Situation zu erfassen. „Allmächtiger“, stieß er aus, als er den schwarzbärtigen Malaien in Ignazios Griff erkannt hatte. „Sie haben den Tiger.“ „Was?“ Ben Brighton wollte seinen Ohren nicht trauen. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“ „Mein voller. Sieh selbst hin.“ Der Seewolf zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. „Es ist klar, was der Hund von einem Portugiesen vorhat. Ob er nun weiß, wer Sotoro ist, oder nicht — er nutzt die fünf Gefangenen als Faustpfand aus. Aber er bringt es nicht fertig, die Rebellen von Malakka zur Aufgabe zu zwingen.“ „Das ist Sotoros Ende“, murmelte Old O'Flynn in Hasards Rücken. „Ungeachtet der Tatsache, daß ihr verehrter Anführer sich in den Händen des Feindes befindet, kämpfen sie weiter“, sagte der Seewolf. „Ja, sie verdoppeln ihre Anstrengungen. Sotoro hat mir erzählt, daß es eine Vereinbarung zwischen ihm und ihnen gibt. Falls er den Spaniern in die Netze geht und die Dons ihn als Geisel zu
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benutzen versuchen, sollen die Männer der Prahos ihn bedingungslos opfern — ihn und alle anderen Gefangenen.“ „Ein hartes Prinzip“, stellte Ben Brighton fest. „Hasard, wir müssen es schaffen, den Tiger und seine vier, Begleiter irgendwie zu befreien. Ich schlage vor, eine kleine Gruppe Männer versucht, hinüberzutauchen und ...“ Weiter gelangte er nicht. Bill, der wieder den Ausguckposten im Großmars innehatte, schrie unversehens los: „Deck, wir haben was an Backbord! Das kann nur das Mädchen sein! Otonedjus Tochter!“ Hasard wirbelte herum, raste ein Stück nach achtern und beugte sich weit über das Schanzkleid. Sein Blick verharrte auf der schlanken, geschmeidigen Gestalt zwischen den treibenden Trümmern der explodierten Schiffe. Die langen, nassen Haare schmiegten sich an Yairas Kopf, und die Ebenmäßigkeit und Weichheit ihrer Züge ließ fast vergessen, in welch verzweifelter Lage sie sich befand. Sie wollte die „Isabella“ erreichen. „Backbrassen!“ schrie der Seewolf. „Haltet den Kahn an, verdammt noch mal, ich hole das Mädchen selber!“ Im Nu hatte er sich die Kleider vom Leib gerissen, bis auf die Hose. Er hechtete außenbords, tauchte tief ein, brachte sich im warmen Seewasser in schräge Aufwärtsposition und stieß zu dem Mädchen hoch, deren Leib er jetzt gegen das funkelnde Sonnenlicht über dem Platz des Gefechts zu erkennen vermochte. Wenig später hatte er sie bei den Schultern ergriffen und schleppte sie zur „Isabella“ hin ab, wo sie beide in Lee übergenommen werden konnten. „Mein Vater“, stammelte das Mädchen immer wieder. „Mein Vater, mein Vater — und Sotoro, der Tiger —wo sind wir nur?“ Sie bediente sich ihrer Muttersprache, des Spanischen oder gar des Englischen war sie nicht mächtig. Aber ein paar Vokabeln der malaiischen Sprache hatte Hasard bereits erlernt, und er verstand, was sie meinte. Otonedju war mit dabei gewesen, als die Männer und das Mädchen von Bord der
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„Yaira“ aus die erste Galeone der Spanier geentert hatten. Hasard, dem dies erst jetzt richtig aufging, lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wo der Tiger von Malakka inzwischen angelangt war, wußte er ja, aber gab es für den alten Otonedju noch Hoffnung? Hasard ließ ein Zeichen zu den Prahos hinüber geben. Einige Piratensegler ließen daraufhin von der viermastigen „Candia“ ab und steuerten mit dem Wind auf die „Isabella“ zu. Ihre Führer wollten sich mit Hasard verständigen. Lucio do Velho nutzte die Gelegenheit aus. Im Nachlassen des Feindfeuers lief er mit seinem Flaggschiff nach Südwesten ab. Er mußte fliehen, wenn er die Haut retten wollte. Die „Candia“ nahm die Überlebenden der übrigen Galeonen auf, die sich mit den Booten hatten retten können — auch die des zweiten Dreimasters, der weit nach Süden abgetrieben war und aufgegeben werden mußte, weil die Flammen inzwischen über den Toppen zusammenschlugen und das Schiff zum Sinken brachten. * Um die Mittagsstunde dieses Tages hatte die „Isabella VIII.“ auf der Jagd nach der „Candia“ mit rauhem Wind die Insel Kundur passiert und achteraus gelassen, die zu dem Kepulauan Riau, dem RiauArchipel an der südöstlichen Einfahrt zur Straße von Malakka, zählte. Backbord voraus lag nun die Pulau Rangsang, die Insel Rangsang. Sie war ungefähr. doppelt so groß wie Rempang. Unwillkürlich mußte Hasard daran denken, welche Schlachten der Tiger von Malakka wohl noch zu kämpfen hatte, bis er auch Rangsang dem Griff der Spanier entreißen konnte. Ein schwieriges Stück Arbeit, denn Rangsang lag unweit von Bengkalis. Aber: Würde der Tiger jemals wieder kämpfen? Die „Isabella“ war trotz ihrer Löcher in der Bordwand, des lädierten Schanzkleides,
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kaputter Rüsten und einer ziemlich ramponierten Heckgalerie nach wie vor vollauf seetüchtig. Ferris Tucker hatte die Lecks über der Wasserlinie mittlerweile notdürftig abgedichtet und auch festgestellt, daß die Galeone keinerlei Lecks unter der Wasserlinie aus dem Gefecht davongetragen hatte und von Wassereinbruch keine Rede sein konnte. Die in den Frachträumen gehäuften Kostbarkeiten aus vielen Raids lagen also nach wie vor im Trockenen. Hasard hätte in dieser Hinsicht zufrieden sein können, aber er fühlte sich in einem anderen Punkt niedergeschlagen, fast entmutigt. Die Rebellen von Malakka waren seine Freunde geworden, und sie hatten sich mit ihm gegen den spanischen Kriegsverband behauptet, nachdem der elende Portugiese, der das Flaggschiff führte, ganz offensichtlich die „Isabella“ identifiziert hatte. Hasard litt mit den Malaien, die Verluste zu beklagen hatten. Und er fühlte sich verantwortlich für das, was geschehen war. Sotoro in der Gewalt der Spanier, mit ihm vier seiner besten Kämpfer in Gefangenschaft! Otonedjus Leichnam war nach einiger Suche aus den Trümmern an der Schlachtstätte aufgelesen worden, mit kurzem, ergreifendem Zeremoniell hatte sein Stamm ihn beigesetzt. Yaira, die wie durch ein Wunder nahezu unversehrt die Explosion überstanden hatte, war tränenlos geblieben, als sie ihren toten Vater erblickt hatte. Aber Hasard wußte, was in ihrem Inneren vorging. Vielleicht hatte nie ein Mensch innigere Rache geschworen, vielleicht verblaßte sogar Sotoros Haß gegen die Spanier neben Yairas Empfindungen. Das weitere Fazit der Schlacht: vierzehn Männer von dem Praho „Yaira“, Otonedju nicht mitgerechnet, hatten ihr Leben gelassen. Hasard hatte einem Praho-Führer, der wenigstens ein bißchen Spanisch konnte, verdeutlicht, was er vorhatte, dann hatte er mit der „Isabella“ die Nähe der Insel Rempang verlassen.
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Dan O'Flynn war zur Verstärkung Bills, des Ausgucks, in den Vormars aufgeentert. Dan hatte immer noch die besten Augen an Bord der großen Galeone, aber herzaubern konnte auch er die „Candia“ nicht. Der Viermaster war verschwunden. Zu allem Überfluß zogen jetzt auch noch feine Nebelschwaden über die Wasseroberfläche. Sie drangen nach Hasards Auffassung von den sumpfigen, parasitenverseuchten Niederungen der Inseln aus herüber. Am Nachmittag würden sie sich verdichten. Der Nebel der Mangrovensümpfe beeinträchtigte die Sicht immer mehr. Hasard verspürte ein feines Brennen in der Blessur auf der rechten Schulter. Außer den Striemen, die Bulbas ihm beigebracht hatte, hatte er erstaunlicherweise keine Verwundung mehr davongetragen. Er wußte aber, daß er dem Portugiesen gefolgt wäre, selbst wenn er nicht mehr aufrecht hätte dastehen können. Die „Isabella“ war in ihrem jetzigen Zustand durchaus in der Lage, wieder ein Gefecht einzugehen. Aber dazu mußte sie die „Candia“ erst einmal vor den Rohren haben. Hasard blickte zu Yaira. Das Mädchen hatte sich vor der Five-Rail niedergelassen, kauerte mit umschlungenen Knien da und starrte gedankenverloren auf die Planken. Durch den spanisch sprechenden PrahoFührer hatte sie Hasard vor dem Verlassen Rempangs zu verstehen gegeben, daß es ihrer Meinung nach dem Tiger kein Glück gebracht hatte, den Dreimaster nach ihr zu taufen. Ja, sie war überzeugt davon, daß dies ein schlechtes Omen gewesen war. Hasard hätte ihr gern das Gegenteil eingeredet, aber selbst wenn er sich mit ihr hätte verständigen können — es hätte keinen Zweck gehabt. Hasard lehnte sich rücklings gegen das Backbordschanzkleid des Achterdecks, stützte die Hände auf, sah zu Ben, Ferris, Shane, Smoky und dem alten O'Flynn, die mit nicht sehr viel weniger düsteren Mienen in seiner Nähe verharrten.
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„Der Viermaster ist ein solide gebautes und schnelles Schiff, das im Gefecht nicht groß angeknackst worden ist“, sagte der Seewolf. „Dank seines Vorsprungs und der großen Segelfläche, über die er verfügt, hat er uns auf Distanz halten können. Ich sage nicht abhängen —aber es kommt aufs gleiche heraus.“ „Bist du sicher, daß sein Kurs nach Bengkalis führt?“ erkundigte sich Ferris Tucker. „Bengkalis ist die einzige spanische Niederlassung weit und breit. Ehrgeizig, wie er zu sein scheint, sucht der Portugiese dort Verstärkung. Vielleicht gelingt es ihm ja, einen neuen Verband zusammenzustellen.“ „Verrecken soll der Bastard“, stieß der alte O'Flynn aus. Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, trat er mit seinem Holzbein auf. „Die Pest wünsche ich ihm an den Hals.“ „Ein frommer Segensspruch'', erwiderte Ben Brighton nüchtern. „Aber damit sind wir auch keinen Schritt weiter. Ich schätze, wir müssen bald die Suche nach dem Flaggschiff abbrechen. Erstens wegen des zunehmenden Nebels, zweitens wegen der Gefahr, dem Feind in Bengkalis geradewegs in den Rachen zu segeln.“ „Sehr richtig“, sagte der Seewolf. Shane horchte auf und zeigte eine verblüffte Miene. „Heißt das etwa, daß wir den Tiger abschreiben?“ „Wir können doch nicht einfach davonsegeln“, entrüstete sich nun auch Smoky. „Und was tun wir mit seinem Mädchen? Das arme Ding hat seinen Vater verloren, aber wenigstens den Tiger sollten wir ihr zurückgeben. Sie liebt Sotoro doch, oder täusche ich mich?“ „Nun mal langsam“, versetzte der Seewolf. „Traut ihr mir so was zu? Ein feiner Haufen seid ihr. Was schlagt ihr eigentlich vor? Wie verhalten wir uns? Na los, Wortmeldungen.“ Old O'Flynn räusperte sich, zog den Mund schief und verengte die Augen zu Schlitzen. „Freunde, wir sollten uns heimlich nach Bengkalis pirschen. Gut möglich, daß der Nebel unser Verbündeter
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ist. Klopfen wir den Dons auf die Finger und pauken wir Sotoro und die anderen vier 'raus. Das ist meine Meinung.“ „Dem habe ich nichts hinzuzufügen“, meinte Big Old Shane. „Diesmal stehe ich ganz auf Donegals Seite, wenn du meine ehrliche Überzeugung hören willst, Hasard.“ Der Seewolf zeigte den Anflug eines Lächelns. „Ich lege größten Wert darauf. Ben, Ferris, ihr seid mit den eben gesprochenen Worten einverstanden, das sehe ich euch an. Gut so. Ich hätte es bedauert, wenn euch das Schicksal des Tigers und seiner Kameraden gleichgültig gewesen wäre. Folgendes nun. Der Viermaster ist uns durch die Lappen gegangen, aber auch er kann uns — im Fall, daß er Verstärkung erhält und wieder aus dem Hafen von Bengkalis ausläuft — so schnell nicht aufstöbern. Wir tasten uns bis zum Nordwestufer der Insel Rangsang vor und verholen uns in irgendeinen Schlupfwinkel.“ „Und weiter?“ fragte Ben Brighton erstaunt. „Dort warten wir auf das Eintreffen der Prahos.“ „Wie sollen die uns finden?“ wollte Ferris wissen. „Ich habe das Nordwestufer der Insel als Treffpunkt mit dem Mann vereinbart, der Spanisch kann. Wir brauchen die Hilfe der Rebellen von Malakka, wenn wir in Bengkalis einen vernichtenden Schlag landen wollen“, sagte der Seewolf. * Der Kriegsschiffskommandant Arturo Diaz Escribano war zur Stelle, als der große Viermaster aus Manila an einer Pier im Hafen von Bengkalis vertäute. Escribano befand sich in Gesellschaft des Hafenkapitäns und des Stadtkommandanten. Obwohl er noch von den Ereignissen, die er hinter sich hatte, körperlich ausgelaugt und nervlich zerrüttet war, wollte Escribano keinesfalls darauf verzichten, als kompetente Persönlichkeit mit dabei zu sein, wenn sich
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herausstellte, welche Bedeutung das unangemeldete Auftauchen dieser Galeone hatte. Wenig später, auf dem Achterdeck der „Candia“, sah er dann die fünf Gefangenen Lucio do Velhos vor sich und vernahm gemeinsam mit den anderen Autoritäten den Bericht des Portugiesen. Escribano fiel aus allen Wolken. Gleichzeitig fühlte er unbändigen Haß in sich aufsteigen. Wieder dieser unheimliche Engländer, dieser Teufel von einem Seewolf! Escribanos Verband war von den Korsaren vernichtet worden, und nach dem schmählichen Verlassen von Otonedjus Insel in den Beibooten der drei versenkten Kriegsgaleonen hatte Escribano dann noch von Glück sprechen können, am darauffolgenden Morgen von einer Handelsgaleone entdeckt worden zu sein, deren Besatzung ihn und die anderen Schiffbrüchigen von dem Los befreit hatte, ganz bis Bengkalis pullen zu müssen. Aber nun dies! Bleich vor Wut wies er mit dem ausgestreckten Finger auf die fünf malaiischen Freibeuter. „Auf was warten wir noch? Knüpfen wir diese Hunde an der nächsten Rah auf. Sie haben nichts Besseres verdient.“ Do Velho trat vor seinen Kollegen hin und musterte ihn von oben herab. „Bestimmen Sie das, Senor? Ich will diese Kerle noch verhören, bevor ich sie vors Bordgericht stelle. Da die Hunde aber kein Wort Spanisch oder Portugiesisch verstehen, benötige ich dringend einen Dolmetscher. Gibt es hier irgendjemanden, der des Kauderwelsches mächtig ist, mit dem sich die Bastarde untereinander verständigen?“ Arturo Diaz Escribano preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Es widerstrebte ihm erheblich, sich ausgerechnet von einem Portugiesen maßregeln und gängeln zu lassen. Was bildete sich dieser hergelaufene, eingebildete Hidalgo, dieser Parvenü, denn eigentlich ein? Escribano schwieg. Der Hafenkapitän und der Stadtkommandant, bislang fast als Statisten
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in den Hintergrund gedrängt, wurden nun aktiv. Während der Hafenkapitän mit do Velho sprach, ließ der Stadtkommandant nach jenem Atjeh schicken, auf dessen Hinweis hin Escribano vor Tagen mit seiner kleinen Streitmacht ausgelaufen war, um dem Tiger von Malakka den Garaus zu bereiten. Uwak erschien im Laufschritt, nahm die Gangway von der Pier zur Kuhl der „Candia“ und erklomm das Achterdeck. Er trug die zivile Kleidung spanischer Bürger und hatte im übrigen ganz das Gebaren seiner neuen Herrn angenommen. Er wollte militärisch-zackig grüßen, blieb aber plötzlich drei, vier Schritte von den Gefangenen entfernt wie angewurzelt stehen. In Spanisch stieß er hervor: „Senores, das — ja, hat denn keiner erkannt, wer das ist? Senor Comandante Escribano, lassen Sie diesen Kerl sofort in Ketten legen!“ Seine Stimme schraubte sich in schrille Höhen hinauf, er begann sehr unkontrolliert zu gestikulieren und deutete auf den schwarzbärtigen Malaien, in dessen Augen wieder ein wildes Feuer loderte. „Das ist er! Der Tiger von Malakka!“ Escribano, der Sotoro nur aus Beschreibungen von Uwak gekannt hatte, stieß einen ellenlangen Fluch aus. „Der Hund kann Spanisch“, brüllte er dann. „Er hat uns hinters Licht geführt und jedes Wort verstanden, das wir gesprochen haben!“ Wutentbrannt wollte er sich auf Sotoro stürzen. Sotoro, der einen Kopfverband trug und dem die Hände auf den Rücken gefesselt worden waren, setzte sich im selben Augenblick in Bewegung. Er stürmte auf den Achterdecksplanken vor, um Uwak, dem Verräter, den Kopf in die Bauchgrube zu rammen. Escribano und der Tiger prallten zusammen. Escribano erhielt statt des Atjehs den harten Schädel des malaiischen Rebellenführers in den Magen, er stöhnte auf und krümmte sich zusammen. Dann hatte er aber noch genügend Geistesgegenwart, sich auf den zornigen Sotoro zu werfen. Mit zwei Hieben hatte er
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den Gefesselten niedergeworfen, aber er hörte nicht auf, ihn mit Schlägen und Tritten zu traktieren. Do Velho stoppte Escribano. „Senor“, sagte der Portugiese rauh. „Es ist eines spanischen Offiziers der oberen Rangklasse unwürdig, auf einen Wehrlosen einzudreschen. Sie töten ihn, wenn Sie so weitermachen. Der Mann ist bereits bewußtlos.“ „Er täuscht das nur vor!“ „Diesmal irren Sie sich.“ „Do Velho!“ brüllte der Kommandant Escribano. „Halten Sie sich da 'raus! Sie wissen ja nicht, wer dieser schwarze Teufel ist.“ Kalt gab der Portugiese zurück: „Der Tiger von Malakka. Und ich habe ihn gefaßt, nicht Sie, Escribano. Treten Sie zurück. Ignazio, der Feldscher soll anrücken, und zwar sofort!“ Escribano wich mit gesenktem Haupt von dem reglos liegenden Sotoro zurück. Er sah wirklich so aus, als wolle er sich auf Lucio do Velho stürzen. Uwak hatte ein Messer gezückt, um Sotoro den Rest zu geben, aber der Hafenkapitän bremste ihn, indem er ihn am Arm festhielt. Sotoros vier Männer trafen Anstalten, sich trotz ihrer Fesseln den Todfeinden entgegenzuwerfen, doch auf do Velhos Wink hin legten zehn Soldaten der „Candia“ mit ihren Musketen auf die Rebellen an. Kurze Zeit darauf stellte der eingetroffene Feldscher des Viermasters nach einer kurzen Untersuchung Sotoros nüchtern fest: „Dieser Mann muß dringend von einem Arzt behandelt werden, denn seine Kopfwunden sind wieder aufgeplatzt, und ich kann die Blutungen nicht aufhalten. Meine Kunst ist hier am Ende.“ „Das macht nichts!“ rief einer der beiden Decksmänner, die zu der Besatzung der explodierenden Kriegsgaleone gehört hatten. Er hatte den Backbordniedergang bestiegen und blickte zu den Offizieren und den Gefangenen. „Soll der Hund doch verrecken! Wollen wir ihm etwa ein Gnadenbrot gewähren?“
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Do Velhos Stimme war schneidend. „Wer hat dich um deine Meinung befragt? Was hast du auf dem Achterdeck zu suchen? Verschwinde, oder ich lasse dich trotz deiner Verwundungen auspeitschen!“ Hastig kehrte der Seemann auf die Kuhl zurück. Lucio do Velho wandte sich an die Autoritäten von Bengkalis. „Senores, ich bin sehr stolz darauf, den berüchtigten Tiger von Malakka gefaßt zu haben. Was nach seiner Aburteilung mit ihm zu geschehen hat, was auch das gerechte Schicksal seiner vier Spießgesellen sein wird, darüber gibt es keinerlei Diskussion. Doch bin ich der Ansicht, daß wir nicht voreilig handeln dürfen.“ Er blickte in die Runde und stellte zu seiner Genugtuung fest, daß man ihm nicht nur auf dem Schiff, sondern auch von der Pier aus gespannt lauschte. Wieder hatte er ein Publikum gefunden, und er legte nun all sein mimisches Können in die bühnenreife Rezitation, mit der er die Schlacht von Rempang schilderte. Am Ende sagte er: „Wenn dieser Malaie also ein gefürchteter Rebell ist, wie ich eben vernommen habe und wie auch in Manila gelegentlich erzählt wurde, so sollten wir ihn eingehend über seine Pläne aushorchen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß seine Landsleute, die heil aus dem Gefecht hervorgegangen sind, mit ihrem Verbündeten, dem Seewolf, einen Schlag gegen die spanische Krone, gegen unsere Niederlassungen in Malakka und Sumatra durchführen. Etwas Großes kündigt sich an. Wir müssen dagegen gewappnet sein. Eben deswegen müssen wir um jeden Preis aus dem Tiger, der sogar spanisch spricht, herausholen, was er weiß. Des weiteren kann er uns Hinweise geben, wie wir den Spanienhasser und Schnapphahn Philip Hasard Killigrew am besten greifen können. Dies alles scheint mir von so fundamentaler Bedeutung zu sein, daß es ein Fehler wäre, den Tiger und seine vier Halunken vorschnell hinzurichten —oder gar Selbstjustiz zu üben.“ Er hob sein Kinn ein wenig an und genoß die stumme Anerkennung, die man seinen
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Worten zollte. Er hatte flüchten müssen, aber die Tatsache, einen nicht minder gefährlichen Gegner wie den Tiger dingfest gesetzt zu haben, verlieh ihm wieder ungeheuren Auftrieb. Die Chancen, auch den Seewolf noch zur Strecke zu bringen, wuchsen wieder. „Wir sind einverstanden“, sagte der Stadtkommandant im Einvernehmen mit dem Hafenkapitän und den anderen Honoratioren, die inzwischen eingetroffen waren. „Die Stadtgarde wird die Gefangenen in den Kerker überführen, falls Sie keine Einwände haben, Comandante do Velho.“ Nicht nur die Ergreifung Sotoros, auch die Sondervollmachten, die er vorgewiesen hatte, hatten Lucio do Velho zu einem derart hohen Ansehen verholfen, daß der Stadtkommandant ihn jetzt sogar um seine Erlaubnis für die Inhaftierung der Piraten ersuchte. „Ignazio!“ rief do Velho. „Laß die fünf Hundesöhne in Ketten legen, danach überantwortest du sie der Stadtgarde, verstanden?“ „Si, Senor.“ Auf der Pier entstand Bewegung, weil drei betreßte Männer sich mit hochmütigem Gebaren Durchlaß verschafften. Der Comandante Francisco Lozano und die beiden Kapitäne Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso erschienen verspätet, weil sie offiziell nicht über das Auftauchen der „Candia“ unterrichtet worden waren. Erst durch einen Zivilisten hatten sie erfahren, daß sich im Hafen etwas Bedeutungsvolles abzuspielen schien. Entsprechend konsterniert drängte Lozano das gemeine Volk auf der Pier beiseite, musterte das große, schwere Schiff, dem man die Spuren des Gefechts deutlich genug ansah, und betrat die Laufplanke. Beim Erreichen des Achterdecks der „Candia“ entnahm er dem Gespräch zwischen Stadtkommandant und Hafenkapitän, wen der portugiesische Kommandant da aus der See gezogen hatte und wie man mit Sotoro nun verfahren würde.
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Francisco Lozano trat auf do Velho und Escribano zu. ,.Interessant“, sagte er. „Wenn mir als Kommandant der Kriegskaravellen ,San Rafael' und ‚Estremadura' eine Bemerkung gestattet ist — für uns ist das Verhör des Tigers von Malakka ebenfalls von größter Bedeutung. Wenn ich richtig unterrichtet bin, stammt dieser blutrünstige Pirat von der Landenge von Kra.“ „Das ist richtig“, entgegnete Uwak, der Atjeh, als er von dem heranrückenden Stadtkommandanten dazu aufgefordert wurde. „Kein Mann dürfte besser über Kra Bescheid wissen als der Tiger“, sagte Lozano mit einem verächtlichen Blick auf den bewußtlosen Sotoro. Zwei Männer, von Ignazio herbeikommandiert, legten dem Tiger vorsichtshalber Ketten an, ehe sie ihn abtransportierten. „Er könnte uns Aufschluß darüber geben, ob es noch mehr Diamantenminen auf dem Isthmus gibt“, fuhr Lozano gedämpft fort. „Die Eingeborenen hüten ihr Geheimnis mehr als ihre Gesundheit, aber es gibt Mittel, mit denen man jeden Kerl zum Sprechen bringt. So haben wir auch die Minen entdeckt, die uns jetzt eine ansehnliche Edelstein-Produktion auch aus diesem Teil der Welt sichern.“ Nachdem er von dem Mißgeschick der Galeone „Santa Trinidad“ berichtet hatte, entgegnete Lucio do Velho: „Warum haben Sie heute früh nicht versucht, die Galeone zu heben oder wenigstens nach den Schatztruhen in ihren Frachträumen zu tauchen?“ „Haben Sie den Nebel über der BengkalisBucht nicht bemerkt, Senor?“ „Selbstverständlich. Aber der dürfte Sie und Ihre Helfer nicht am Tauchen hindern.“ „Senor“, versetzte Lozano mühselig beherrscht. „Es ist uns nicht gelungen, uns nah genug an die Korallenriffe heranzutasten, ohne Gefahr zu laufen, mit unseren Schiffen und Booten das gleiche Schicksal zu haben wie die ,Santa Trinidad`.“
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„Ich verstehe. Sie warten also auf besseres Wetter?“ „Ja.“ Do Velho musterte den Capitan. „Sie hätten mit ihren Galeonen besser navigieren sollen. Wenn es nicht gelingt, den Diamant-Schatz zu bergen, wird man Sie zur Rechenschaft ziehen.“ „Das ist mir bekannt“, sagte de Cubas gepreßt. „Aber ich hätte gern erfahren, was Sie an meiner Stelle getan hätten, um das Unglück zu verhindern, Senor.“ „In einer ähnlichen Situation würde ich es Ihnen beweisen. Das ist doch wohl nur eine Frage des seemännischen Geschicks.“ Lozano sagte: „Was, zum Teufel, gehen Sie eigentlich unsere Angelegenheiten an, Comandante do Velho? Sind Sie etwa ein Sonderbeauftragter der Casa de Contratacion?“ „Nein, meine Aufgabe ist es, den Seewolf zu fassen.“ „Dann unterlassen Sie gefälligst Ihre unpassenden Bemerkungen“, sagte Francisco Lozano, dessen Gemüt nunmehr auf das Äußerste gereizt war. Jeden Augenblick drohte er in Jähzorn auszubrechen. Do Velho betrachtete ihn so abfällig wie einen Eindringling, der auf der „Candia“ nichts zu suchen hatte. Dann besann er sich aber eines anderen. „Comandante Lozano“, erwiderte er ruhig und beherrscht. „Verzeihen Sie mir meine Offenheit. Unter hohen Offizieren werden wir uns schon verstehen, was meinen Sie? Lassen Sie mich nun eines vorschlagen. Ich rechne damit; daß sich der Seewolf auf meiner Spur befindet. Es wäre ratsam, mit einem neuen Verband auszulaufen und ihm eine Falle zu stellen. Auch im Nebel muß das möglich sein. Die einzigen Kriegsschiffe, die ich hier im Hafen gesehen habe, scheinen tatsächlich Ihre Karavellen zu sein ...“ „Was wollen Sie damit sagen?“ „Daß Sie nach der ,Santa Trinidad' heute doch nicht mehr forschen können, weil der Nebel sich nicht mehr lichtet. Stellen Sie daher Ihre Karavellen unter mein
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Kommando, bis wir den Seewolf, diesen Hund, aufgespürt haben:“ Lozano lief im Gesicht dunkelrot an, und de Cubas und Raoul Souto Alonso, die ihn besser kannten als alle anderen Anwesenden, traten vorsichtshalber zwei Schritte zurück: „Nein!“ brüllte Francisco Lozano. „Niemals tue ich das, und wenn es mich den Kopf kostet! Gehen Sie zum Teufel, do Velho, Sie und Ihr elender Lobo del Mar! Ich unternehme heute nachmittag einen neuen Versuch am Riff, und wissen Sie, was Sie mich können?“ Lucio do Velho antwortete nicht darauf, er wandte sich ab und sorgte dafür, daß der Abtransport der Gefangenen nunmehr zügig verlief. Arturo Diaz Escribano empfand im stillen eine große Befriedigung über die Art, wie Lozano den eitlen, eingebildeten Portugiesen abgekanzelt hatte. Spontan bot er Lozano seine Hilfe an. Der Nebel legte sich jedoch in noch dichteren Schwaden über die BengkalisBucht, griff auch nach der Siedlung und dem Hafen und ließ am Nachmittag jeden Versuch, den Schatz der „Santa Trinidad“ zu heben, scheitern. Ja, eins der Boote, das sich durch die milchigen Schleier dem Korallenriff näherte, lief sogar auf und mußte geborgen werden, wobei fast ein zweites Unglück passierte. Entmutigt kehrten Lozano, Escribano und die anderen Spanier in den Hafen zurück. Trotz do Velhos neuerlichen Drängens gab Lozano aber nicht nach. Er lehnte es ab, die Karavellen dem Kommando des Portugiesen zu unterstellen. Do Velho drohte Konsequenzen an, aber Lozano verwies auf den Nebel, der jedes Seeunternehmen verbot. Sotoro kam unterdessen auch im Kerker nicht wieder zu sich. Ein Arzt bemühte sich, den Malaien wieder auf die Beine zu bringen, aber auch, als er den Blutfluß zum Stillstand gebracht hatte, fruchteten seine weiteren Bestrebungen nichts. Der Stadtkommandant und der Hafenkapitän ließen in do Velhos Beisein
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und in Gegenwart aller anderen Offiziere die vier Kameraden des Tigers vernehmen. Das einzige, was Uwak, der Atjeh, aus ihrem Munde vernahm, war, daß sich Seewölfe wie malaiische Rebellen in der Vornacht in die Bucht von Rempang verholt hätten, um vor dem Sturm sicher zu sein. Hier waren sie von dem Tiger Bulbas bedroht worden, der jedem Menschen Angst einjagte und durch keine List zu erlegen war. Daher hätten sie statt an Land auf den Schiffen nächtigen müssen. Bei allen rauhen Methoden, die die Spanier anwendeten - mehr holten sie aus den Malaien, eingeschworenen Blutsbrüdern einer alles überlagernden Idee, nicht heraus. 7. Am späten Nachmittag schob sich ein einmastiger, schmaler Praho mit nur einem Ausleger den Selat Pandjang hinauf, jenem Meeresarm, der von Süden her auf die langgestreckte Bengkalis-Bucht zu verlief. An Bord befanden sich Hasard und Dan O'Flynn, als Eingeborene verkleidet, sowie Yaira, die sich in Männerkleidung gehüllt hatte, Kutabaru, der Häuptling der Orang Laut, und Tiku - so hieß der Unterführer Sotoros, mit dem der Seewolf sich auf spanisch verständigen konnte. Wie vereinbart, hatten die Prahos die „Isabella“ am Frühnachmittag in der Bucht des Nordwestufers der Insel Rangsang eingeholt. Nur sechs schwer bewaffnete Bewacher waren auf Rempang bei Bulbas zurückgeblieben, alle anderen schlossen sich dem Seewolf an. Nach kurzer Beratung hatte es auch für die Freibeuter Sotoros, für Otonedjus Stammesangehörige und für die Wassernomaden festgestanden, daß Sotoro und die anderen vier Rebellen nach Bengkalis verschleppt worden waren. Hasard hatte den Plan entwickelt, alle hatten zugestimmt. Dan hatte er auf dessen Drängen hin auch in die Verkleidung eines Bataks steigen lassen, Yaira jedoch hatte der Seewolf nicht mitnehmen wollen. Doch das
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Mädchen hatte Hasard erklärt, daß sie nach den Gesetzen ihres Stammes persönlich für die Befreiung des Mannes, den sie liebe, sorgen müsse. Nach einigem Hin und Her hatte Hasard nachgegeben, obwohl er immer noch davon überzeugt war, daß es zu riskant für das Mädchen war, mit nach Bengkalis zu fahren. Tikus Ortskenntnisse waren hervorragend. Besser als jeder Atjeh, Kubu, Weddide oder Mann von der Halbinsel Malakka wußte er auf der Insel Sumatra Bescheid, denn er stammte aus dieser Gegend. So führte er den Praho sicher in ein dichtes Mangrovendickicht nur wenige Meilen östlich der spanischen Siedlung —trotz des Nebels, der wie eine breiige Masse immer tiefer auf das Wasser des Selat Pandjang herabsackte und auch den Utan, den Regenwald, einhüllte. Unbeirrt ließ Tiku den Praho ins Gestrüpp schlüpfen und lenkte ihn noch ein Stück auf einem Wasserarm voran, der so schmal war, daß der Ausleger und die freie Rumpfseite die Ufer ständig zu berühren drohten. Dann gab Tiku seinen vier Begleitern ein Zeichen. Sie verließen den Praho, vertäuten ihn und tarnten ihr Fahrzeug mit Mangroven, Bambus und den riesigen Blüten der Raflesia, einer Dschungelblume. Auch der beste Fährtenleser konnte den Praho jetzt nicht mehr entdecken. Unbemerkt konnten die fünf sich nun an die Ortschaft heranschleichen. Bengkalis war keine festungsgleich angelegte Stadt wie Manila. Die Anordnung der Häuser, die Hasard in der nebeldurchsetzten Dämmerung erkannte, erinnerte ihn eher an Porto Bello, die spanische Niederlassung auf dem Isthmus von Panama. Es war also kein Kunststück, sich bis in das Herz der Siedlung zu schleichen. Tiku und Kutabaru benötigten keinerlei Tarnung, sie fielen in ihrem Aufzug nicht weiter auf und riefen unter der bunt zusammengewürfelten Bevölkerung aus
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Eingeborenen und Spaniern keinen Argwohn hervor. Yaira hatte ihre Haare hochgesteckt und unter einer Kopfbedeckung aus rotem, von hellen Fäden durchwirktem Tuch verborgen. Sie sah in ihrer Männerkleidung wie ein Junge aus, ein Umstand, der Hasard in gewisser Weise an die Erlebnisse mit dem chinesischen Mädchen Ch'ing-chao Li-Hsia“, „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“, erinnerte. Hasard und Dan hatten sich mit der einfachen, groben Kleidung der Fischer von Sumatra angetan. Auf den Köpfen trugen sie eine Art Mischung aus Hut und Mütze, ein Zwischending, das keiner genau zu definieren vermochte. Es war ganz aus hartem Stroh geflochten und ließ sich — was der wesentliche Vorteil war — tief in die Stirn ziehen. Als die Nacht sich von See her in die Siedlung schlich und im Verbund mit dem Nebel eine kaum durchdringbare Sphäre bildete, hatten die fünf den Hafen erreicht und sahen die Viermast-Galeone „Candia“ an der Pier liegen. Sie registrierten des weiteren, daß auf der Reede ein paar Segelschiffe an ihren Ankerketten schwojten. Wie viele und welche Art von Fahrzeugen, das ließ sich in der schwärzlichen, nur hier und dort von Lichttupfern durchsetzten Nebelsuppe jedoch nicht erkennen. Tiku sonderte sich für eine Weile von der Gruppe ab. Als er zurückkehrte, hatte er mit ein paar Eingeborenen gesprochen und erfahren, daß sich die gefangenen Rebellen nicht mehr an Bord der „Candia“, sondern im Kerker der Stadtkommandantur befanden. Ohne Mißtrauen zu erregen, hatte er sich daraufhin nach dem Weg zur Stadtkommandantur erkundigt. Knappe zehn Minuten später hatten sie die Stadtkommandantur vor sich. Sie entpuppte sich als ein großer und wuchtiger Bau aus groben Quadersteinen, bei dessen Errichtung man sich offenbar alle erdenkliche Mühe gegeben hatte, architektonische Schönheiten zu mißachten. Mit anderen Worten, es war die
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häßlichste Konstruktion, die Hasard seit langem gesehen hatte. Vor dem Tor lungerten ein paar Neugierige herum, die darauf warteten, daß man die Gefangenen wieder ins Freie brachte, vielleicht zu ihrer Hinrichtung oder Gott weiß wohin. Der Seewolf überließ diese Leute ihrem Müßiggang. Er nahm jetzt die Initiative in die Hand. Wie die Kommandantur im einzelnen angelegt war, glaubte er begriffen zu haben. Ähnliche, wenn auch ansehnlichere Klötze kannte er ja schon aus den Häfen der Spanier. Der Grundriß wiederholte sich in den wesentlichen Zügen. In dieser Beziehung war es mit der Phantasie der Dons nicht weit her. So schlich er der kleinen Gruppe voran zur rückwärtigen Partie des großen Gemäuers: Wie erwartet lief der nach Norden versetzte Flügel in einem Söller und einem Wehrgang aus, wobei der Wehrgang eine gewaltige Mauer krönte, hinter der sich garantiert ein quadratischer Innenhof ausdehnte. „Und von dort aus geht es in den Kerker hinüber“, raunte Hasard den Freunden zu. „Dafür lege ich meine Hand ins Feuer oder verwette meine Stiefel.“ „Pst!“ zischte Dan O'Flynn. „Auf dem Wehrgang habe ich die Umrisse von zwei Posten gesichtet.“ „Die müssen wir ausschalten, wenn wir zu Sotoro und den anderen vier wollen“, flüsterte Hasard. Tor gibt es an dieser Seite nicht, alles, was wir tun, muß also zwangsläufig auf die Überquerung der verdammten Mauer ausgerichtet sein. Ein Glück, daß es dunkel ist und wir den Nebel zu unserem Schutz haben. Wir pirschen uns einer nach dem anderen zur Mauer. Tiku, übersetze das bitte Kutabaru und Yaira.“ Wenig später huschten fünf Schatten in kurzen Abständen auf die Mauer zu und preßten sich gegen die grobgehauenen, feuchten Quader, ehe die Posten sie erspähen konnten. Die erste Etappe war zurückgelegt. Hasard bereitete sofort die nächste vor.
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Einen Enterhaken und ein Tau hatte er vorsichtshalber von Bord der „Isabella“ mitgenommen. Den Enterhaken hatte er unter seiner bauschigen Kleidung zu verstecken gewußt, das Tau hatte er sich um die Taille geschlungen. Geschickt brachte er die Hilfsmittel nun zum Vorschein. Dan grinste, als er sah, daß sein Kapitän die spitzen Enden des Enterhakens mit Rohlederpuffern umwickelt hatte. Ihre Greiffähigkeit wurde dadurch nicht gemindert, wohl aber das Geräusch, das die Eisenspitzen verursachten, wenn sie irgendwo aufschlugen. Hasard fackelte nicht lange. Jede Sekunde war kostbar. Er streckte den rechten Arm von sich, ließ den Haken am Tau wirbeln und schleuderte ihn schließlich unter den gebannten Blicken von Dan, Yaira, Tiku und Kutabaru in die Höhe. Fast schluckten Nacht und Nebel die Umrisse des Enterhakens. Dann hatte es den Anschein, als habe der Haken Halt gefunden, und die fünf wollten bereits aufatmen. Doch die Eisenkralle taumelte aus der Luft über ihren Köpfen zu Hasard herab. Der Seewolf konnte einen Fluch kaum unterdrücken. Aber er riß sich zusammen, ließ den Haken erneut schwingen, und warf ihn noch einmal mit vehementer Geste zur Mauer hoch. Diesmal hatte er Erfolg. Der Haken kehrte nicht zu ihm zurück. Lächelnd zerrte er an dem Tau und prüfte, ob es sein Körpergewicht auch wirklich tragen konnte. Das Ergebnis war positiv, und Hasard schwang sich hinauf. Er hangelte völlig lautlos an dem Tau hoch und verharrte erst wieder, als er sich dicht unterhalb zweier wuchtiger Zinnen befand. Der Enterhaken hatte sich - ohne einen Laut zu verursachen - hinter die Innenkante der Schießscharte geklemmt. Der Seewolf wollte schon frohlocken und sich auf den Wehrgang schwingen, als er Stimmen vernahm. Er erstarrte und verhielt sich mucksmäuschenstill. Der Doppelposten! Die Soldaten marschierten von rechts heran, doch dann blieb der eine stehen,
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soviel vernahm Hasard. Er hörte auch, was der Don zu seinem Kameraden sagte. „Und ich sage dir, da war etwas. Ich hab's gehört, ganz deutlich sogar. Ein Füßescharren oder so ähnlich.“ „Oder so ähnlich“, ahmte ihn der andere nach, während er näher auf den Seewolf zuschritt. „Wenn du so sicher bist, dich nicht getäuscht zu haben, mußt du doch auch wissen, was das für ein Geräusch war.“ „Ich finde, einer von uns sollte 'runtersteigen“, ließ sich nun der erste vernehmen. „Und ganz um den Bau herumlaufen?“ „In der Milchsuppe ist von hier oben aus wenig zu erkennen ...“ „Ach hör doch auf. Du siehst Gespenster, das ist es.“ Der erste Soldat stieß eine unflätige Verwünschung aus, die Yaira zweifellos in Verlegenheit gebracht hätte, hätte das Mädchen sie verstanden. Hasard gewahrte, wie der zweite Sprecher hinter den Zinnen erschien. Blieb der Kerl jetzt stehen und beugte sich aus der Schießscharte, war es um den Seewolf geschehen. Dann brauchte der Spanier nur noch mit der Muskete anzulegen, da nutzte kein noch so eiliges Abwärtshangeln etwas. Gewiß, Hasard konnte ihm zuvorkommen und mit der Pistole auf ihn feuern. Aber damit verfehlte er den Zweck der Übung. Durch eine solche Aktion hätte er die komplette Kommandantur, in der bekanntlich auch die Stadtgarde zu Hause war, wachgetrommelt. Wie man es auch drehte - er mußte scheitern, falls der Posten ihn entdeckte. Aber der Soldat schritt weiter. Seine Stiefel schlugen hart auf die steinerne Plattform des Wehrganges. Hasard regte sich. Er zog sich affengewandt das letzte Stück Tau hoch, war in der Schießscharte und glitt auf den Wehrgang. Auf den Fußspitzen pirschte er dem davon marschierenden Wächter nach. Er brachte es fertig, keinen Laut zu verursachen, und erreichte den Mann.
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Einen Arm schlang er ihm von hinten um den Kopf und preßte die Hand auf dessen Mund. Mit der anderen Hand schlug er so zu, wie Sun Lo, der Mönch von Formosa, es ihm beigebracht hatte. Schwielig waren Hasards Handkanten noch nicht geworden, aber das brauchten sie auch nicht zu sein, um einen Gegner ins Reich der Träume zu schicken. Der Soldat sank zu Boden. Hasard mußte aufpassen, daß der Brustpanzer nicht auf dem Gestein schepperte. Den Helm nahm er seinem schachmatt gesetzten Kontrahenten ab und stülpte ihn sich selbst über, nachdem er sich seiner BatakFischermütze entledigt hatte. Zügig schritt er nun auf den anderen Posten zu. Der hatte es aufgegeben, von den Zinnen in die Tiefe zu blicken, und setzte jetzt seinen Weg fort. Er wollte etwas zu der vor ihm aus dem Dunst wachsenden Gestalt sagen, doch als er bemerkte, daß dieser Mann nicht mit seinem Kameraden identisch war, blieb ihm das Wort im Halse stecken. Er wollte die Arme hochreißen, eine Waffe zücken, doch der Seewolf fällte ihn mit beiden Fäusten. Hasard überzeugte sich, daß auch dieser Mann nicht so rasch wieder zu sich kam, dann schlich er zu der Schießscharte, in der der Enterhaken klemmte. Er beugte sich weit vor und stieß einen leisen Pfiff aus. Daraufhin kletterte Dan O'Flynn herauf. Er begutachtete die beiden besinnungslosen Soldaten, grinste und wollte etwas Anerkennendes zu Hasard sagen. Der aber wehrte mit der Hand ab. „Sag den anderen Bescheid“, raunte er. „Sie sollen auch hochklettern. Ich schätze, daß wir den Hof unbehelligt passieren können, aber wir beide, Dan, unternehmen auf jeden Fall ein kleines Bäumchenwechslech-Spiel.“ Dan tickte den einen Ohnmächtigen mit der Stiefelspitze an. „Verstehe. Wir bilden sozusagen die Vorhut, die jeden aus dem Weg räumt, der uns in die Quere gerät. Tiku, Kutabaru und das Mädchen halten uns den Rücken frei, indem sie uns nachpirschen.“
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„Du hast es mal wieder erfaßt, Dan.“ „Bin doch nicht auf den Kopf gefallen.“ „Ich hoffe, daß du dir auch innerhalb der nächsten Minuten nicht die Rübe quetschst“, gab Hasard leise zurück, „denn es wird heiß, höllisch heiß.“ 8. Lucio do Velhos Wunsch war natürlich stattgegeben worden. So stieg er vom Kommandantur-Hauptgebäude aus die rohen Stufen in den unterirdischen Kerker hinunter, während oben erneut zwei der malaiischen Freibeuter in Gegenwart des Stadtkommandanten, des Hafenkapitäns, Escribanos und Lozanos verhört werden sollten. „Lassen Sie sich von dem Tiger nicht täuschen“, hatte Uwak, der Atjeh, ihn gewarnt. „Deswegen will ich ihn besuchen –weil ich mich nicht täuschen lasse“, hatte do Velho auf seine unnachahmbare Art zurückgegeben. Nachdem er die beiden Posten am einzigen Zugang des Kerkers hinter sich gebracht hatte, schritt er zwischen den düsteren Zellen auf einem durch blakende Pechfackeln erhellten Gang entlang. Dabei überlegte er, welche Fluchtmöglichkeiten der Tiger von Malakka hatte. Falls er sich seiner Ketten entledigen konnte, würde es ihm dann jemals gelingen, eine der beiden zum vergitterten Eingang des Kerkers führenden Treppen zu passieren? Wie sollte er die beiden Posten überwältigen, wie durch die Kommandantur ins Freie gelangen? Unmöglich. Und die zweite Treppe, die auf den hinteren Innenhof hinausstrebte? Nun, dort gab es kein Tor in der Mauer, und der Wehrgang wurde ständig durch Soldaten unter Aufsicht gehalten. Sotoro saß gewissermaßen hermetisch eingeschlossen. Der portugiesische Kommandant trat vor die enge Zelle des Malaien und wünschte sich inständig, schon bald auch den Seewolf in einer derartigen Situation zu sehen – festgekettet, auf einem Bündel Stroh
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ausgestreckt, völlig ermattet, zerlumpt, verletzt, verlaust. Einem schwer zu beschreibenden Antrieb folgend, entnahm do Velho eine der Fackeln ihrem eisernen Halter und hielt die Flamme dicht vor das Gitter von Sotoros Zelle. Der Tiger von Malakka rührte sich nicht. Sein Kopf hing bedenklich nach hinten über, sein Mund war halb geöffnet, die Augen hielt er fest verschlossen, seine Brust schien sich nicht mehr zu heben und zu senken. Do Velho war unwillkürlich versucht, an den Tod des Mannes zu glauben. Dann aber besann er sich. Er kehrte zu den Wachtposten am Eingang zurück, ließ sich die Schlüssel aushändigen, gab ihnen ein paar knappe Anweisungen und suchte dann wieder die Gittertür von Sotoros Verlies auf. Ohne zu zögern schloß er sie auf. Er trat neben die reglose Gestalt, ließ die Fackel ein Stück sinken und betrachtete seinen kostbaren Gefangenen noch einmal ganz genau. Minuten verstrichen so. Schließlich sagte Lucio do Velho in reinstem, unverfälschtem Kastilisch: „Wir wissen, daß du Spanisch kannst wie deine eigene Muttersprache. Ich bin auch sicher, daß du mich in diesem Moment hörst und jede meiner Gesten studierst. Du mußt dich zwingen, nicht die Augen zu öffnen. Mein lieber Freund, ich bin selbst ein geborener Darsteller. Laß dir deshalb sagen, daß deine Anstrengungen zumindest mir stümperhaft erscheinen.“ Er erhielt keine Erwiderung. „Ich könnte dir das Gesicht mit der Fackel versengen“, hob do Velho wieder an zu sprechen. „Aber solche Methoden halte ich nicht für angebracht. Unter uns, ich finde sie ekelhaft. Deshalb habe ich die Kommandantur auch verlassen, wo man sich jetzt auf eine Weise mit deinen Kumpanen befassen wird, die alles Bisherige übersteigt. Es liegt in deiner Hand, diese Unmenschlichkeiten abzubrechen, Sotoro. Ich will dich jetzt nicht auf die milde Art zwingen, ein
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Geständnis abzulegen und deine Pläne zu offenbaren. Ich will dir ein Geschäft vorschlagen. Es lautet: Du hilfst mir, den Seewolf zu fassen, und ich gewähre dir die Freiheit. Ich will nicht die gesamte Inselwelt absuchen, ich will diesem Killigrew eine gezielte Falle stellen.“ „Wer bist du?“ fragte Sotoro, ohne die Augen zu öffnen. Do Velho sagte es ihm. Er konnte kaum seinen Triumph darüber unterdrücken, diesen schwarzbärtigen, dunkelhäutigen Rebellen zum Sprechen gebracht zu haben. Wenn es auch nur ein bescheidener Anfang war, die Hauptsache war, daß er sein Schweigen gebrochen hatte. „Lucio do Velho“, versetzte Sotoro auf die Erläuterungen des Portugiesen hin. „So heißt also der Kommandant des großen Viermasters. Weißt du, wer das Feuer gelegt hat, das die Galeone explodieren ließ, die wir Rebellen geentert hatten?“ „Einer von euch.“ „Nein. Warum sollten wir uns selbst in die Luft jagen? Es war der Kapitän. Ich sah ihn noch von Bord springen, diesen feigen Hund. Ja, ich beobachtete ihn, wie er das Weite suchte.“ „Wir haben ihn aber nicht mit den Schiffbrüchigen aufgefischt“, erwiderte do Velho überrascht. „Dann hat ihn ein fliegendes Trümmerstück bei der Explosion getroffen, eine Spiere oder ein Balken. Geschieht ihm recht. Siehst du, wie ihr seid? Durch und durch feige und verlogen. Auf was wartest du? Zieh mir die Fackel doch durchs Gesicht. Du wirst mich nicht schreien hören.“ Do Velho schüttelte den Kopf. „Rede keinen Unsinn, Sotoro. Ich verfolge ein bestimmtes Ziel. Bei mir konzentriert sich alles auf den Seewolf. Ich will, wie gesagt, ein Geschäft mit dir abschließen.“ Sotoro lachte auf. „Wer garantiert mir denn, daß du mich wirklich freiläßt, wenn ich einwillige?“ „Ich könnte es dir schriftlich geben ...“ „Auf eure Dokumente gebe ich nichts, Portugiese.“
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„Dann verrate ich dir etwas, das du leicht gegen mich verwenden könntest“, erwiderte do Velho. Er setzte eine Verschwörermiene auf und senkte die Stimme. „Du hast doch an Bord meines Schiffes vernommen, wie der Kommandant Francisco Lozano von den Diamanten von Kra gesprochen hat, nicht wahr?“ Der Tiger richtete sich von seinem erbärmlichen Lager auf. Die Ketten rasselten. „Diamanten von Kra? Nein. Du vergißt, daß Escribano mich niederschlug.“ „Dann war die Ohnmacht also nicht vorgetäuscht?“ „Ich bin erst vor etwa einer halben Stunde wieder zu mir gekommen.“ Do Velho holte tief Luft. „Gut, ich will glauben, daß es der Wahrheit entspricht. Also hör mir gut zu. Die Spanier haben die geheimen Diamantminen des Isthmus entdeckt und deinen Leuten entrissen. Die Malaien arbeiten jetzt als Sklaven in den Minen. Lozano erhofft sich von einem peinlichen Verhör, durch das dich der Stadtkommandant mangeln wird, Auskunft über weitere versteckte Minen der Eingeborenen, wo du doch von Kra stammst. Sicherlich gibt es noch viele Quellen, aus denen sich die edlen Steine holen lassen ...“ „Hunde“, stieß Sotoro hervor. Lucio do Velho berichtete ihm über das Unglück der „Santa Trinidad“, beschrieb auch, wo das passiert war, und fügte hinzu: „Und ich werde dir auch sagen, wo meine liebenswerten Verbündeten, die Spanier, auf der Landenge von Kra die Diamanten verschiffen, damit du dort später einen Schlag landen kannst. Du siehst, ich bin bereit, mich in deine Hand zu begeben, wenn du mir den Seewolf auslieferst. Eine Hand wäscht die andere, so kann man es auch ausdrücken.“ Ja, dachte Sotoro, und falls ich dich zum Seewolf führe, wirst du nach seiner Festnahme nichts Eiligeres zu tun haben, als mich zu töten, so sieht die praktische Endlösung aus. Laut entgegnete er: „Wie willst du das dem Stadtkommandanten, dem Hafenkapitän
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und den anderen Halunken dort oben erklären?“ „Ich schaffe dich heimlich fort. Noch heute nacht. Deine vier Mitstreiter werde ich auch mit an Bord der ,Candia` nehmen. Verlaß dich darauf, ich habe den Einfluß, das fertigzubringen, ohne daß beispielsweise Escribano oder Lozano mir ins Handwerk pfuschen.“ „Du handelst auf eigene Faust?“ „Ich riskiere das.“ Der Tiger von Malakka tat, als überlege er angestrengt. Dann nickte er. „Gut. Ich bin einverstanden. Meine Sache ist mir mehr wert als die Freundschaft des Seewolfes. Löse meine Ketten, dann folge ich dir.“ Do Velho lächelte plötzlich. „Hocherfreut, Sotoro. Aber ich sehe es als meine Pflicht an, dich vor Dummheiten zu warnen. Ich habe Vertrauen in deine Klugheit, doch du sollst wissen, daß die Wachtposten am Ausgang des Kerkers mit schußbereiten Musketen dastehen. Ich habe ihnen aufgetragen, sie sollen wie die Luchse aufpassen.“ „Ich bin kein Narr, Portugiese“, sagte Sotoro. „Ich unternehme keinen Fluchtversuch. Ich weiß, daß ein Ruf von dir genügt, und ich bin ein toter Mann. Halte dich an unseren Pakt, befreie auch meine vier Brüder, und ich breche mein Wort nicht.“ Do Velho suchte den passenden Schlüssel für die Kettenschlösser des Malaien aus dem Bund, bückte sich und ließ tatsächlich die Schlösser aufschnappen, die die im Mauerwerk des Verlieses verankerten Ketten um Sotoros Hand- und Fußgelenke gespannt hielten. In diesen Sekunden war der Portugiese sich der Gefahr bewußt, in der er schwebte, aber er wollte den Tiger auf diese Probe stellen. Sotoro dankte durch ein knappes Kopfnicken und erhob sich schwerfällig. Do Velho brauchte nicht zu wissen, daß Sotoro die Stunden des Alleinseins dazu genutzt hatte, durch konzentrierte Ruhe zu regenerieren und sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. In Lucio do Velhos Rücken ertönte eine Stimme. Sie bediente sich eines sauberen
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Spanisch, wie man es von einem Soldaten Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipp II., eigentlich auch erwarten sollte. „Senor ...“ Do Velho drehte sich um und sah einen behelmten, gepanzerten Posten in der Zellentür stehen, erkannte aber zu spät, daß das Gesicht dieses Kerls erhebliche Übereinstimmungen mit der Physiognomie des Seewolfes aufwies. Do Velho wollte reagieren, aber Sotoro trat ihm mit voller Wucht in den Rücken. Die Fackel fiel zu Boden und loderte hoch auf. Do Velho stolperte auf Hasard zu und wurde von diesem aufgefangen. Dan, der neben den Seewolf getreten war, zielte mit der Muskete direkt auf den Bauch des Portugiesen. „Danke, Amigo, daß du uns die Mühe abgenommen hast“, sagte Hasard verhalten, während er den Todfeind in einem schraubstockartigen Griff hielt. „Wir hätten wirklich viel Zeit verloren, wenn wir erst lange Mit Schlüsseln hätten hantieren müssen. Ich warne dich. Portugiese. Wage es nicht, zu schreien. Du bist ein toter Mann, wenn du auch nur sagst.“ Sotoro glitt auf sie zu. „Allmächtiger, Seewolf, du hast doch wohl nicht etwa gehört und geglaubt, was ich diesem Hundesohn versprochen habe?“ „Doch“, sagte der Seewolf fast vergnügt. „Aber du kannst ganz beruhigt sein, ich weiß, was ich von dir zu halten habe. Ähnlicher Tricks habe ich mich auch schon bedient. Wenn man nur noch einen Weg sieht, einer tödlichen Klemme zu entgehen, muß man diesen Weg auch ohne Zögern beschreiten. Nimm jetzt die Schlüssel und hole deine Freunde aus den Zellen.“ „Zwei sind oben ...“ „Dann hauen wir sie eben dort heraus“, sagte Dan O'Flynn grimmig. * Die Tür des Amtsraumes des Stadtkommandanten von Bengkalis, der in ein Vernehmungszimmer umfunktioniert worden war, flog plötzlich auf und knallte
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gegen die Wand. Der Stadtkommandant, der Hafenkapitän, Escribano, Lozano, de Cubas, Alonso, Uwak und die anderen Anwesenden fuhren wie auf ein Kommando herum. Dan O'Flynn in der Uniform eines spanischen Soldaten, Sotoro und die beiden anderen malaiischen Freibeuter aus dem unterirdischen Kerker stürmten herein. Hasard dirigierte Lucio do Velho unter dem Türpfosten hindurch, blieb dann stehen und rief: „Keiner rührt sich, sonst ist dieser ein Mann des Todes!“ Dan glitt zur gegenüberliegenden Wand, verharrte und hob die Muskete. Er hatte sich noch eine zweite Muskete am Schulterriemen umgehängt, sie stammte wie die erste Waffe von den beiden Posten des Wehrganges. Hasard indes, auch immer noch als Spanier kostümiert, trug die Musketen der am Kerkereingang niedergeschlagenen Posten bei sich. Durch ihre Maskerade hatten Dan und er die beiden Burschen vor Sotoros Befreiung ziemlich leicht überwältigen können. Auf dem Flur vor dem Allerheiligsten des Stadtkommandanten standen Yaira, die von Sotoro stürmisch begrüßt worden war, Tiku und Kutabaru, um wieder für die nötige Rückendeckung zu sorgen. Sotoro und seine beiden Landsleute schickten sich an, die zwei schwer angeschlagenen Freibeuter zu holen, die sich in diesem Augenblick dem Griff von drei bulligen Schergen entwanden. Da stieß Arturo Diaz Escribano einen schrillen Ruf aus. „Niemals! Opfert do Velho! Was bedeutet er im Gegensatz zu der Festnahme des Tigers, des Seewolfes und dieser anderen Bastarde?“ „Ja, lassen wir ihn draufgehen!“ brüllte nun auch Francisco Lozano, der den Portugiesen ebenso wenig leiden konnte wie Escribano. Sie griffen zu den Waffen. Uwak, der Atjeh, riß den Kris aus seinem Gürtel und stürzte auf Sotoro zu. Im Nu entbrannte ein Kampf, der das Amtszimmer des Stadtkommandanten in eine tobende Hölle verwandelte. Der Tiger
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von Malakka stellte sich dem Verräter Uwak. Dan schoß auf Escribano, der gerade den Abzug seiner Schnapphahnschloß-Pistole bediente. Die beiden Malaien in Sotoros Begleitung stoben auf die ramponierten Stammesbrüder zu, und Hasard trat dem Lumpen do Velho mit voller Wucht in den Achtersteven, um auf Lozano schießen zu können. Donnernd brach der Schuß seiner Muskete. Beißender Pulverschmauch wehte durch den Raum. Sotoro ließ sich unter Uwaks Kris-Stößen fallen, riß den Todfeind zu sich herab und konnte ihm den gewundenen Dolch entringen. Blitzschnell drehte der Tiger die Waffe, führte sie schwungvoll hoch – und traf Uwaks Herz. Escribano und Lozano fielen im Musketenfeuer. ohne ihrerseits die beiden Männer der „Isabella“ oder die Malaien getroffen zu haben. Lucio do Velho gelang die Rettung auf die andere Raumseite hinüber. Er stieß eine Verbindungstür auf, taumelte auf einen Korridor hinaus, schrie um Hilfe, schlug Alarm und rief die Garde auf den Plan. Hasard, Dan und Sotoro drängten zum Rückzug. Hasard hätte sich liebend gern noch intensiver mit do Velho befaßt, aber dazu blieb nun keine Gelegenheit mehr. Ehe die Übermacht der Soldaten anrückte, mußten sie die Kommandantur verlassen haben, ihr Heil lag jetzt nur noch in einer schnellen Flucht. Tiku und Kutabaru stürmten auf dem Flur mit gezückten Parangs auf zwei Soldaten zu, die gerade eine Treppe hinunterstürmten. Ob der Zufall dabei eine Rolle spielte, daß diese Spanier derart schnell auftauchten, oder ob sie schon vor dem Schußwechsel durch irgendetwas auf die Vorgänge im Erdgeschoß aufmerksam geworden waren – es ließ sich nicht klären und hatte in diesem Moment auch keinerlei Bedeutung. Tiku focht seinen Gegner mit dem wilden Kampfruf der Rebellen nieder, Kutabaru hingegen geriet in Bedrängnis. Zum Glück war aber jetzt Dan O'Flynn heran. Der
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legte mit seiner zweiten Beutemuskete an und streckte den zweiten Soldaten durch einen wohlgezielten Schuß nieder. Danach verließ der kleine Trupp unter Hasards Führung durch das vordere Tor die Kommandantur. Die Neugierigen vor dem Tor hatten sich in Deckung geworfen und trafen keine Anstalten; die Eindringlinge aufzuhalten. Hasard, Dan und die acht Malaien hetzten an ihnen vorbei. Kurz darauf hatten die Nacht und die wabernden Nebelschleier ihre Gestalten verschluckt. Die Garde des Stadtkommandanten, die nur Sekunden später ins Freie stürmte, konnte schon nicht mehr sehen, in welcher Richtung die Gegner auf und davon waren. 9. Tikus Ortskunde erwies den Männern wieder einen Dienst von unschätzbarem Wert. Die Freibeuter verließen den kleinen Ort Bengkalis in westlicher Richtung, und der Seewolf gab die Führung der Meute bedenkenlos an den Batak ab. In den darauffolgenden Stunden konnten sie ihre Verfolger irreführen. Tiku, Sotoro und Kutabaru legten eine falsche Spur, die tief ins Inselinnere führte, später kehrten sie wie ein Spuk aus dem Mangrovendickicht wieder zu den wartenden Freunden zurück. Yaira umarmte den Tiger von Malakka. „Yaira“, sagte er dann zu ihr. „Unsere Wege trennen sich für kurze Zeit. Nein, widersprich mir nicht. Du kehrst mit diesen vier Freunden, die ihr mit mir aus den Klauen des Feindes befreit habt, zu dem einmastigen Praho zurück, den wir versteckt haben. Tiku beschreibt dir jetzt, wo der Praho genau liegt.“ . „Ja“, antwortete das Mädchen. „Und du?“ „Ich will den Schatz in der nördlichen Bengkalis-Bucht heben. Er gehört dem Volk von Kra. Seewolf, kommst du mit?“ fragte er auf spanisch. „Ich bin dabei.“ „Ich auch“, sagte Dan O'Flynn. „Tiku und Kutabaru, begleitet uns“, ergriff nun wieder der Tiger in seiner
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Muttersprache das Wort. „Ihr anderen fahrt mit dem Praho den Selat Pandjang hinunter und stoßt vor Rangsang zu unseren Freunden des Verbandes. Sie wissen, was im Morgengrauen zu tun ist, wenn ich den Seewolf richtig verstanden habe.“ Er richtete diese letzte Frage auf spanisch an den Seewolf, und dieser nickte. „Ja, Ben Brighton hat seine klaren Anweisungen, und Tiku hat meine Worte an die Besatzungen der Prahos übersetzt,“ „Außer der ,Candia` liegen nur zwei Kriegskaravellen und zwei Handelsschiffe im Hafen von Bengkalis, Seewolf.“ „Ganz sicher, Sotoro?“ „Bei allem, was mir heilig ist. Ich habe es gesehen, als wir einliefen.“ „Glaubst du, daß der Nebel sich zum Tagesanbruch lichtet?“ „Fragen wir Tiku, den Batak“, erwiderte der Tiger von Malakka. Tiku bejahte, nachdem Sotoro übersetzt hatte, er grinste und bedeutete ihnen dadurch, daß er ein ausgesprochener Optimist war. Hasard hoffte nur, daß es keine reine Euphorie war, ausgelöst durch die Tatsache, daß ihr Überfall auf die Kommandantur von Bengkalis so erfolgreich verlaufen war. So etwas führte leicht zu übersteigerter Selbstsicherheit. Hasard nahm aber an, daß die Naturmenschen von Inselindien über solche Regungen erhaben waren. * Yaira war mit ihren vier Begleitern im nebligen, feucht-stickigen Regenwald verschwunden. Hasard, Dan, Sotoro, Tiku und der Häuptling der Wassernomaden erreichten noch während der Nacht ungehindert den nördlichen Bereich der Bengkalis-Bucht. Wachtposten hatten die Spanier an diesem von Lucio do Velho ziemlich genau beschriebenen Platz nicht aufgestellt. Sie rechneten natürlich nicht damit, daß jemand Unbefugtes nach einem Schiff forschte, das nicht zu sehen war. Bis vor kurzem hatte außer den Dons ja auch niemand von der Tragödie der „Santa
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Trinidad“ gewußt, auch nicht davon, was in den Frachträumen der Galeone lagerte. „Do Velho wird darauf drängen, ein Schiff mit Soldaten hier herüberzuschicken“, sagte Hasard, als sie das steinige Ufer unter den Füßen hatten und auf die schwache Brandung zumarschierten. „Vielleicht rechnet er damit, daß wir seinen Tip bezüglich der Diamanten ausnutzen.“ Sotoro blieb- stehen, bückte sich und griff mit einer Hand in das Seewasser, wie um die Temperatur zu prüfen. „Wir müssen auf der Hut sein“, murmelte er. „Der Portugiese ist zu allem fähig, und er wird vor Wut, mir alles über die Diamanten von Kra erzählt zu haben, schreien. Aber ich glaube, der Stadtkommandant und die anderen Hunde richten sich jetzt nicht mehr nach seiner Order.“ Dan gab zu bedenken: „Immerhin könnte dieser Bursche auf eigene Faust mit seiner ,Candia` lossegeln und uns hier oben suchen.“ Hasard wies auf die flach über der See treibenden Nebelschwaden. „Er weiß aber auch, daß er dann riskiert, wie die ,Santa Trinidad' auf ein Riff zu laufen.“ „Es wäre mir ein Vergnügen, seinem Untergang zuzuschauen“, sagte der junge Mann. „O Sir, was wäre das für ein Fest. Warum haben wir diesen Sohn einer abgetakelten Hafenhure eigentlich nicht auch niedergeknallt?“ „Das weißt du ganz genau.“ „Richtig, er konnte sich nicht wehren, weil wir ihm die Waffen abgenommen hatten. Aber das eine ist sicher. Der Kerl ist gefährlicher als ein ganzer Sack voll Schlangen. Es wäre mir lieber gewesen, statt Uwak, Escribano und Lozano den portugiesischen Bastard fallen zu sehen.“ Sotoro hatte sich seiner Kleidung bis auf einen Lendenschurz entledigt. Tiku und Kutabaru, der Anführer der Orang Laut, folgten seinem Beispiel. Hasard streifte seine spanische Soldatenkluft nun ebenfalls ab. „Moment!“ rief Dan O'Flynn. „Was soll denn das bedeuten?“
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Hasard legte den Zeigefinger gegen die Lippen. „Ruhe, Mann, willst du ganz Sumatra auf den Plan rufen? Du bleibst an Land und paßt auf, während wir die ersten Tauchversuche unternehmen, das ist doch sonnenklar.“ Der Tiger von Malakka hatte mit Tiku und Kutabaru gesprochen, jetzt trat er noch einmal auf den Seewolf zu. „Ist es wahr, was du uns vorhin über Feuer gesagt hast, das auch unter Wasser brennt?“ fragte er. „Ja. Ich habe zwei dieser Fackeln von der ‚Isabella' mitgenommen“, entgegnete Hasard. „Der Große Chan hat sie mir geschenkt, als wir ihn in der Verbotenen Stadt besucht haben. Es handelt sich um eine Art Magnesit, das auch durch Flüssigkeit nicht zum Erlöschen zu bringen ist.“ Er ging in die Hocke und beschäftigte sich mit den Stiefeln, die er gerade ausgezogen hatte. Auf dem Wehrgang des hinteren Traktes der Stadtkommandantur hatte er wohlweislich darauf geachtet, die beiden Stäbchen, die er jetzt aus den ledernen Stiefelschäften holte, nicht in seiner BatakTracht zurückzulassen. „Wir müssen nur sparsam mit dem Licht umgehen“, sagte er. „Dan, hast du Feuerstein und Feuerstahl dabei?“ „Immer noch“, sagte O'Flynn junior. „Man sorgt schließlich vor. Soll ich deine Chinesenfunzel anzünden?“ „Noch nicht. Wir lassen die Magnesitfackeln hier zurück und holen sie erst, wenn wir wissen, wo die ,Santa Trinidad' liegt“, erwiderte Hasard. „Paß gut auf sie auf. Ich trete dir auf die Füße, Dan, wenn die Dinger verlorengehen.“ Er watete mit den Malaien ins Wasser. Durch die lauwarmen Fluten drangen sie bis zu dem Platz vor, an dem Sotoro und der Batak das Wrack der Galeone vermuteten. Die ersten beiden Unternehmungen brachten ihnen keinen Erfolg, aber als sie das dritte Mal in die düstere Tiefe tauchten, stießen sie sich fast an den bizarren Korallenformationen. Eine halbe Stunde später hatte der Seewolf die „Santa Trinidad“ entdeckt. Sie lag nicht sehr tief, nach seinen Schätzungen etwa
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vier Faden. Jetzt kehrte Hasard an Land zurück und verschnaufte eine Weile, während auch Sotoro, Tiku und Kutabaru mit ruhigen Zügen zum Ufer zurückschwammen. „Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Dan O'Flynn trocken. „Darf ich jetzt auch mal oder verdonnerst du mich weiterhin zur Landwache?“ Hasard lachte leise. „Du hast es erraten. Dan, dich läßt man notfalls noch einmal als spanischen Posten durchgehen, deswegen beiß die Zähne zusammen und halte tapfer die Ohren steif. Los, zünde mal die erste Magnesit-Fackel an.“ Mit dem weißlichen Licht, das man wegen der Dunkelheit und des Nebels bis Bengkalis sicher nicht sehen konnte, begab sich der Seewolf zurück zu dem Riff, gefolgt von den drei malaiischen Rebellen. Wieder suchten sie die Tiefe auf und drangen mit ihrem Luftvorrat in den Lungen bis zu der zwischen schartigen, farbigen Phantasiegebilden der Natur placierten Dreimast-Galeone vor. Nach weiteren zwei Vorstößen geriet Hasard zum erstenmal mit seiner Fackel in den Frachtraum der „Santa Trinidad“. Hier bot sich ein scheußliches Bild. Der Wasserdruck hatte die Toten, die bis zuletzt Truhen des Schatzes auf Oberdeck gemannt hatten, unter die Deckenbalken gepreßt. Einer wandte dem Seewolf sein Gesicht zu. Hasard drehte sich von ihm weg und widmete sich den Truhen und Kisten, die im Licht der chinesischen Fackel deutlich zu erkennen waren. Er schaffte es, die erste Kiste zu bergen. Später holten sie immer mehr Kisten herauf, prall gefüllt mit den Diamanten, die für Sotoro so unendlich viel bedeuteten. Sie schafften sie in eine Höhle des nahen Felsenufers. Dan hatte diese Kaverne entdeckt. Sie stellte während der Hebung des Schatzes ihren Unterschlupf dar. Lucio do Velho erschien nicht, der Nebel hielt ihn und seine „Candia“ zurück. Die Bemühungen des Portugiesen, von Bengkalis aus wenigstens einen Landtrupp Soldaten in Marsch zu setzen, stießen auf den Widerstand des Stadtkommandanten,
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der bis zum Morgengrauen im Landesinneren nach den Flüchtigen fahndete und andere Sorgen hatte als den „idiotischen Kahn mit den verdammten Juwelen“. * Im Morgengrauen lichtete sich der Nebel. Er zerfaserte und fächerte nach Westen ab. Lucio do Velho witterte überall Unrat, er hatte deswegen die Deckswachen auf seinem Viermaster verdoppeln und verdreifachen lassen. So war er der einzige, der wirklich gewappnet war und sein Schiff gefechtsbereit hielt, als die „Isabella“ und die Prahos von der zweiten, nordöstlich gelegenen Buchteinfahrt her auftauchten und Feuer und Tod säten. Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso, noch verwirrt und bestürzt über den Verlust von Lozano, handelten viel zu spät. Sie saßen noch in Booten und ließen sich zu den Kriegskaravellen „San Rafael“ und „Estremadura“ hinüberpullen, als die „Isabella“ als erstes feindliches Schiff in den Hafen von Bengkalis lief. Der Durchbruch gelang, die Kanonen wummerten los. Lucio do Velho hatte eine volle Breitseite abgeben lassen, doch die Galeone der englischen Korsaren wich nicht von ihrem Kurs ab und war nicht wrackreif ramponiert. Kein Schmerzgeschrei drang herüber, kurz, die Schüsse des Viermasters waren zu hastig und zu schlecht gezielt abgegeben worden! Do Velho und seine Leute mußten sich in Deckung werfen, als eine Kette von Explosionen über das Oberdeck raste — Höllenflaschen aus der Produktion eines rothaarigen Teufels namens Ferris Tucker. Ben Brighton schoß auch die beiden Karavellen vor den Piers an, dann rückten die Prahos nach und deckten Hafen und Ortschaft mit ihrem gezielten Feuer aus kleinkalibrigen Geschützen ein. Die Frachtsegler auf der Reede stellten keine ernsthafte Gefahr für den Verband dar. Und in Bengkalis brach Panik aus, weil die Bevölkerung glaubte, die Feinde würden nun landen und die Häuser
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anzünden. Ganze Menschenpulks ergriffen die Flucht in die Selvas. Vergeblich trachteten der Stadtkommandant und der Hafenkapitän, die allgemeine Disziplin wiederherzustellen. Als aber die Angreifer urplötzlich von der Siedlung abließen und zur nördlichen Ausfahrt der Bucht abdrehten, war so schnell niemand da und bereit, den „Bastardos“ nachzusetzen. Etwas später nahmen Ben und die anderen Männer der „Isabella“ in aller Ruhe den Seewolf, Dan O'Flynn, Sotoro, Tiku und Kutabaru bei den Korallenriffen auf. Boote wurden abgefiert und bemannt, die fünf Schatzsucher wiesen den Besatzungen den Weg durch die tückische Barriere — bis zu der Höhle, in der sich mittlerweile die Diamanttruhen stauten. Die Boote glitten hin und her, während die Prahos die „Isabella“ gegen den Hafen von Bengkalis abschirmten. Lucio do Velho scheuchte derweil seine Männer und veranlaßte sie durch rüde Befehle, das Feuer an Deck und im Rigg in fliegender Hast zu löschen. Er hielt Bilanz, befand, daß die „Candia“ noch seetüchtig und kampffähig war, ging von neuem ankerauf und jagte mutig dem Todfeind Spaniens nach. Doch die „Isabella“ und die Prahos segelten bereits mit dem Schatz an Bord in die Straße von Malakka hinaus. Es gelang, den Verfolger abzuhängen und in eine Bucht der Insel Rupat zu verholen.
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„Wir teilen die Beute“, erklärte Sotoro, aber Hasard schüttelte den Köpf. „Die Diamanten gehören dem Volk von Kra“, erklärte er dem Tiger. Dieser verneinte nun seinerseits. „Sie würden alle Tränen der Götter opfern, um ihre Freiheit wiederzuerlangen. Ich kann sie ihnen vielleicht schenken, weil du .mich vor dem Henker bewahrt hast. Nimm diese Juwelen als Dank, Seewolf. Nein, keine Widerworte. Wir alle wären zutiefst gekränkt, wenn du unserer Bitte nicht entsprechen würdest.“ Hasard blieb nichts anderes übrig, er mußte annehmen. Im Sonnenlicht auf dem Achterdeck der „Isabella“ sah er Sotoro und Yaira und die anderen braunhäutigen Gäste auf seinem Schiff an. “Die Stunde der Trennung ist gekommen“, eröffnete er ihnen. „Wir nehmen Kurs auf die Andamanensee und den Indischen Ozean. Und du, Tiger, was planst du?“ „Zunächst segeln wir nach Rempang zurück. Die Spanier werden die Insel wegen der Legende um Bulbas weiterhin meiden. Auf diese Weise beschützt uns der Amokläufer, und, wie ich dir schon sagte, ich werde versuchen, ihn zu zähmen. Unsere Republik soll wachsen, neue Ziele wie Kra warten auf uns. Der Kampf gegen die Spanier endet hier nicht.“ „Nein“, erwiderte Philip Hasard Killigrew. „Das ganz gewiß nicht. Er hat erst richtig angefangen.“
ENDE