Nr. 364
Der schwarze Kontrolleur Mit Pthor auf neuer Fahrt von Clark Darlton
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der...
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Nr. 364
Der schwarze Kontrolleur Mit Pthor auf neuer Fahrt von Clark Darlton
Pthor, der Kontinent des Schreckens, der dank Atlans und Razamons Eingreifen der Erde nichts anhaben konnte, liegt nach jäh unterbrochenem Hyperflug auf Loors, dem Planeten der Brangeln, in der Galaxis Wolcion fest. Pthors Bruchlandung, die natürlich nicht unbemerkt geblieben war, veranlaßte Sperco, den Tyrannen von Wolcion, seine Diener, die Spercoiden, auszuschicken, damit diese den Eindringling vernichten. Daß es ganz anders kam, als Sperco es sich vorstellte, ist allein Atlans Eingreifen zu verdanken. Denn der Arkonide übernahm beim Auftauchen von Spercos Dienern sofort die Initiative und ging systematisch daran, die Macht des Tyrannen zu untergraben. Inzwischen haben dank Atlans Hilfe die von Sperco Unterdrückten ihre Freiheit wiedererlangt. Der Tyrann von Wolcion ist tot. Er starb in dem Augenblick, als sein Raumschiff bei der Landung auf Loors zerschellte. Atlan selbst, der als einziger die Schiffskatastrophe überlebte, kehrt in Begleitung »Feiglings«, seines mysteriösen neuen Gefährten, zur FESTUNG zurück, wo sich entscheidende Ereignisse anbahnen. Das Geschehen wird eingeleitet durch den »Ruf des Wächters«. Dann, nachdem fast alle Lebewesen auf Pthor in tiefen Schlaf versunken sind, erscheint DER SCHWARZE KONTROLLEUR …
Der schwarze Kontrolleur
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide trifft auf den schwarzen Kontrolleur. Maysie und Dellsell - Zwei alte Rivalen. Algonkin-Yatta und Anlytha - Der Kundschafter und seine Begleiterin kommen zu spät.
1. Die flache, oben offene Flugschale stieg langsam in die Höhe, bis die FESTUNG von Pthor tief unter ihr lag. Die Pyramidenanlage war noch als solche zu erkennen, aber nichts rührte sich dort unten mehr. Atlan war sich nicht sicher, welche Richtung er einschlagen sollte. Er blockierte die Steueranlage des Zugors und ließ ihn bewegungslos in der Luft schweben. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, ehe er einen Entschluß faßte. Was war geschehen? Thalia, die in der Maske Odins zu ihren Brüdern Heimdall, Balduur und Sigurd zurückgekehrt war, wurde entlarvt. Der echte Odin hatte die Brüder im letzten Augenblick davon abhalten können, die Schwester zu töten. Ein wenig früher hatte Razamon in noch unbekannten Gewölben der FESTUNG eine große, schimmernde Kugel entdeckt, die auf einem Schildchen als VONTHARA bezeichnet wurde, also »Wächter«. Atlans Verdacht war mit jenem Razamons identisch. Der VONTHARA konnte nur eine Art Alarmanlage sein, die von den unbekannten Herrschern in der Schwarzen Galaxis auf Pthor installiert wurde. Und dann ertönte plötzlich das seltsame Pfeifen in allen Teilen Pthors und löste einen zunächst rätselhaften Vorgang aus. Sämtliche Lebewesen des Kontinents wurden von einer unwiderstehlichen Lähmung befallen. Wo immer sie standen oder gingen, sanken sie zu Boden und fielen in einen tiefen Schlaf. Die Zeit schien für alle stillzustehen. Atlan war es im letzten Augenblick gelungen, das Goldene Vlies anzulegen, den »Anzug der Vernichtung«. Seine Hoffnung
erfüllte sich. Er wurde nicht von der Lähmung befallen, sondern konnte sich auch weiterhin ungehindert bewegen. Die erste Frage war: Gab es auf Pthor noch andere, die nicht den Dornröschenschlaf schliefen? Wenn ja, mußte er sie finden. Als er die FESTUNG verließ und zum Zugor eilte, fand er den ebenfalls gelähmten Fenrir, seinen alten Begleiter auf seinen Wanderungen auf Pthor. Er schleppte das schwere Tier unter Aufbietung aller seiner Kräfte bis zur Flugschale und beförderte es hinein. Dann erst war er gestartet. Und jetzt? Das nervenzermürbende Pfeifen hatte längst aufgehört, aber die von ihm ausgelöste Wirkung blieb. Atlan war davon überzeugt, daß dies erst der Anfang sein konnte. Der VONTHARA war eine Alarmanlage jener Mächte, die für die schreckliche Mission Pthors verantwortlich waren. Die positive Beeinflussung der neuen Herren der Festung durch Thalia mußte ihnen mißfallen haben. Vielleicht würden sie nun selbst kommen, um die Söhne Odins zu bestrafen und den alten Zustand wieder herzustellen, oder sie würden über einen Fernimpuls den Antrieb Pthors aktivieren und den Dimensionsfahrstuhl in die Schwarze Galaxis zurückholen. So oder so – es würde etwas Grauenhaftes geschehen. Allein, darüber war Atlan sich im klaren, würde er gegen eine eventuelle Inspektion der fremden Mächte nichts unternehmen können. Er brauchte Helfer, die nicht paralysiert waren. Atlan hoffte verzweifelt, daß die Lähmung vielleicht doch nicht alle Teile von Pthor betroffen hatte, aber die Hoffnung allein genügte nicht. Er mußte sich überzeugen. Er saß vor dem Instrumentensockel in der
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Clark Darlton
Mitte der fünf Meter durchmessenden Flugschale und umklammerte den Fahrhebel. Langsam bewegte sich der Zugor voran. Am Rand der Schale lag Fenrir, lang ausgestreckt und kaum atmend. Er schlief wie alle anderen einen unglaublich tiefen und festen Schlaf, aus dem Atlan ihn nicht erwecken konnte. Er setzte den Kurs des Zugors auf Nordwest und ging tiefer. Sein erstes Ziel war das Wache Auge südlich der Dunklen Region mit ihrem Fluß Xamyhr.
* Der Händler aus Orxeya hatte den Regenfluß überquert und den Taamberg umwandert. Er wollte zur FESTUNG gelangen, wo er seine Waren günstig zu veräußern hoffte. Kara Jant war, wie fast alle Orxeyaner, von untersetzter Statur und mit Fellen bekleidet. Sein roter Vollbart war ungepflegt, das lange Haupthaar zu Zöpfen geflochten. Vor einigen Jahren war es ihm gelungen, in der Wüste Kalmlech ein vierbeiniges Echsenmonstrum zu erlegen und dessen Jungtier einzufangen und zu zähmen. Seitdem diente es ihm als Beförderungsmittel für seine Waren. Wenn Kara Jant müde wurde, setzte er sich einfach auf den zusammengeschnürten Ballen und ließ sich mitschleppen, was dem friedlichen und geduldigen Tier, Rumpus genannt, nichts auszumachen schien. An den Ufern des Regenflusses allerdings, der die Wüste Kalmlech und die Senke der Verlorenen Seelen trennte, wurde Rumpus stets ein wenig unruhig und störrisch. Die Echse schien die Nähe ihrer Artgenossen zu ahnen, und Kara Jant hatte stets alle Mühe, sie zu beruhigen. Kara saß auch jetzt auf seinem Warenballen und hielt sich fest, denn Rumpus legte ein beachtliches Tempo vor, da das Gelände nicht allzu unwegsam war. Kara Jant döste allmählich ein, ohne die Hände von den Lederriemen zu lassen, die den Ballen auf dem Gestell hielten, das mit Gurten auf Rumpus' Rücken befestigt war.
Er liebte nichts mehr, als diese langen Handelsreisen, die außerdem noch einen beachtlichen Gewinn brachten. Plötzlich blieb Rumpus ohne jeden ersichtlichen Anlaß stehen. Der Händler wäre fast von dem Ballen gefallen, hielt sich aber im letzten Augenblick noch fest. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte jedoch nichts Verdächtiges entdecken. »Was hast du denn, Rumpus? Eine Pause gefällig?« Die Echse streckte alle Viere von sich und lag damit platt auf dem Bauch. Das hieß soviel wie: ›Absteigen, Herr‹. Kara Jant rutschte über den Rand des Ballens. »Also gut, letzte Pause vor der Nacht. Morgen erreichen wir die FESTUNG.« Aus einem der ledernen Vorratsbeutel holte er getrocknetes Fleisch, gab Rumpus die ihm zustehende Ration und schlang selbst ein gewaltiges Stück herunter. Dazu trank er einen Schluck Kromyat. Die Pause allein schien es jedoch nicht gewesen zu sein, die Rumpus zum Anhalten bewegt hatte. Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, lag er nicht da und döste mit geschlossenen Augen vor sich hin, sondern diese Augen waren weit geöffnet und schienen etwas zu suchen. Kara Jant sah sich nach allen Seiten um, wie er es schon vorher getan hatte. Nichts hatte sich verändert. Er spazierte ein paar Schritte hin und her, um die steifen Glieder zu lockern. Plötzlich blieb er stehen. »Nanu, was soll denn das …?« Ihm war, als hätte sich unter ihm der felsige Boden bewegt. Erschrocken sprang er zur Seite. Kara Jant stierte verwundert auf die Stelle, die sich bewegt hatte. Sie bestand aus Fels, aber ein kreisförmiges Stück davon drehte sich links herum, etwa wie ein Deckel, der herausgeschraubt wird. Der Händler wich erneut zurück und wurde blaß. Der steinerne Deckel, eine ausgezeichnete Tarnung, schraubte sich aus dem
Der schwarze Kontrolleur festen Fels heraus und klappte dann mit einem dumpfen Geräusch ganz um. Aus der so entstandenen Öffnung kam etwas emporgestiegen. »Bei allen Teufeln des Blutdschungels!« stöhnte Kara Jant und war mit einem Satz auf seinem Warenballen. »Hier spukt es! Los, Rumpus! Nichts wie weg hier! Auf deine Stummelbeine, Faulpelz!« Die Echse gehorchte und marschierte los. Eine schimmernde Kugel kam aus der Öffnung, und diese Kugel gab ein pfeifendes Geräusch von sich – ein Pfeifen, das durch Mark und Bein ging und die Ohren schmerzen ließ. Auch der Echse schien es nicht zu gefallen. Ohne Aufforderung erhöhte sie ihre Geschwindigkeit, um sich vom Ort des unheimlichen Geschehens zu entfernen. Kara Jant hielt sich krampfhaft fest, denn Rumpus nahm auf seine Bequemlichkeit keine Rücksicht mehr. Er glitt über Sandflächen, kroch Hügel empor und rutschte steile Dünen wie ein Schlitten hinab. Aber das Pfeifen blieb. Kara Jant begann sich daran zu gewöhnen und gewann seine ruhige Überlegenheit zurück. Es gab auf Pthor viele Dinge, die man nicht immer sofort begriff und über die man sich keine Gedanken machen sollte. Die Kugel und das Pfeifen gehörten dazu. Er spürte eine ungewohnte Müdigkeit, die seine Glieder zu lähmen drohte. Rumpus schien auch langsamer geworden zu sein. »He, schneller, du Faultier! Du schläfst ja ein, bevor wir ein Lager gefunden haben.« Aber Rumpus reagierte nicht. Aus seinem schnellen Dahingleiten war ein langsames Kriechen geworden. Als Rumpus mit einem Fuß in einer kleinen Erdhöhle hängenblieb, gab es einen Ruck, der Kara Jant den Halt verlieren und vom Ballen stürzen ließ. Er richtete sich auf, blieb aber sitzen. Rumpus war stehengeblieben und schloß die Augen. Dann gaben seine vier Füße nach, abermals lag er platt auf dem Bauch – und schlief sofort ein.
5 Kara Jant verzichtete auf seine üblichen Beschimpfungen, dazu fühlte er sich zu müde. Mühsam rollte er sich auf den Rücken und schloß die Augen. Als das endlose Pfeifen endlich aufhörte, war der Händler längst bewegungsunfähig. Er schlief tief und fest, wie alle anderen auf Pthor auch. Fast alle …
* Die Reise durch die Dimensionen von Raum und Zeit brachte Pthor vor Jahrzehnten auch zu dem Planeten Golzo-Warp in einer fernen Galaxis. Die friedliche Sauerstoffwelt war die Heimstätte der Proluren, eines harmlosen und technisch nicht sehr hoch entwickelten Volkes. Sie waren breite und untersetzt gebaute Lebewesen und nur etwas größer als einen Meter. Kurze und stämmige Beine trugen den Körper, der fast genauso breit wie hoch war. Mit den muskulösen Armen und kräftigen Händen konnten die Proluren Arbeiten jeder Art verrichten und weitgehend auf komplizierte Werkzeuge verzichten. Ihre Hautfarbe war dunkelgrau mit schwarzen Flecken, und ein bandlanger Schwanzansatz am Hinterteil verriet die Herkunft von Primaten, die noch in den unberührten Urwäldern von Golzo-Warp lebten. Volksmann Maysie und Volksmann Dellsell arbeiteten beide in einer großen Verteilerstelle für landwirtschaftliche Produkte, die weit außerhalb der eigentlichen Stadt lag. Täglich trafen die mit Dampfkraft betriebenen Lastzüge ein und wurden entladen, um dann wieder leer in die riesigen Anbaugebiete zu fahren. Von der Verteilerstelle aus wurden die Produkte nach dem Aussortieren von kleineren Fahrzeugen zu den Märkten in der Stadt gebracht. Dellsells schnauzenförmig ausgebildeter Kopf war nicht ganz so groß wie der Maysies, was ihn glauben ließ, er sei ein beson-
6 ders schönes Exemplar seines Volkes. Auch seine weiße Borstenquaste auf dem Scheitel entsprach dem Schönheitsideal der Proluren. Damit wäre für Dellsell die Welt in Ordnung gewesen, aber leider gab es einige Umstände, die das weitgehend verhinderten. Besonders schlimm war der Umstand, daß er nur ein Volksmann war und somit zur niedrigsten Kaste gehörte. Die Kastenunterschiede auf Golzo-Warp waren streng und konnten nur in den seltensten Fällen überbrückt werden. Wer als Volksmann geboren wurde, starb auch meist als solcher. Das Einheiraten in eine höhere Kaste war zwar möglich, aber mit unvorstellbaren Schwierigkeiten verbunden. Vor solchen Schwierigkeiten sah sich Dellsell jetzt. Vor einigen Wochen hatte er einen größeren Lebensmitteltransport in die Stadt begleitet und die freie Zeit dort genutzt, um sich ein wenig umzusehen. Sein Freund Maysie leistete ihm dabei Gesellschaft. Sie suchten ein paar Vergnügungslokale auf und amüsierten sich bestens. Spät am Nachmittag kehrten sie ziemlich angeheitert zum Großmarkt zurück und mußten feststellen, daß die Entladearbeit noch im Gange war. Man würde die Nacht in einem Hotel verbringen müssen. Es war reiner Zufall, daß der Verwalter des Marktes an diesem Tag seine hübsche Tochter Elitefrau Carmy mitgebracht hatte, bei deren Anblick Volksmann Dellsell fast den Verstand verlor. So eine vollkommene Schönheit hatte er noch nie im Leben gesehen. Zwei Sekunden später wußte er, daß er sich unsterblich in das Mädchen der höheren Kaste verliebt hatte. Es war kein Problem, mit ihr ins Gespräch zu kommen, seine Arbeit als Transportbegleiter gestattete das ohne weiteres. Sie zeigte sich auch sehr angetan, als er ihre Fragen bereitwillig beantwortete und ihr alles zeigte. Ihr Vater hatte sie sonst nie mitgenommen, alles war neu für sie. Dellsell führte sie also überall herum, hat-
Clark Darlton te aber insofern Pech, als Maysie sich nicht abschütteln ließ. Getreulich folgte er den beiden auf Schritt und Tritt, und es war ganz offensichtlich, daß es ihm ähnlich erging wie Dellsell. Elitefrau Carmys Vater war viel zu beschäftigt, um auf seine Tochter aufzupassen, und so kam es, daß er die Dreiergruppe aus den Augen verlor. »Auf dem Land ist es viel schöner als hier in der Stadt«, schwärmte Maysie voll Begeisterung. »Sie sollten uns dort draußen mal besuchen.« »Ich darf ohne meinen Vater das Haus nicht verlassen«, machte Carmy ihn schüchtern aufmerksam. »Und heute hat er mich nur deshalb mitgenommen, weil ich Geburtstag habe.« Sie gratulierten ihr und meinten, das müsse gefeiert werden. »Das ist ganz unmöglich«, enttäuschte sie ihre beiden glühenden Verehrer. »Heute schon gar nicht, weil meine Eltern Gäste eingeladen haben.« Sie sah sich suchend um. »Wo ist überhaupt mein Vater?« »In der Lagerhalle«, vertröstete sie Dellsell. »Er kontrolliert den Eingang der Waren. Das wird einige Zeit dauern.« Sie befanden sich jetzt abseits der Hallen zwischen gestapelten Kisten und abgestellten Fahrzeugen. Elitefrau Carmy hatte ein ungutes Gefühl, auf der anderen Seite gefiel es ihr, daß zwei ausgewachsene Proluren ihr den Hof machten. »Er wird sich Sorgen um mich machen«, sagte sie trotzdem. »Können wir uns wiedersehen?« flüsterte Dellsell ihr zu, als Maysie ein Stück zurückblieb. »Antworten Sie schnell, mein Freund muß nicht alles wissen.« »Er ist aber auch sehr nett.« »Er ist überhaupt nicht nett, höchstens lästig«, belehrte er sie ohne sichtbaren Erfolg. »Also bitte, wo und wie könnten wir uns treffen?« Maysie hatte sie wieder eingeholt und lauschte neugierig. Unbefangen sagte Carmy:
Der schwarze Kontrolleur »Ich werde jetzt öfter mit meinem Vater hierher kommen. Er möchte, daß ich ein wenig von seinen Geschäften kennenlerne und später jemand heirate, der seinen Posten übernimmt.« Ihre Worte wirkten auf die beiden Proluren wie eine kalte Dusche, denn es war so gut wie ausgeschlossen, daß einer von ihnen jemals Leiter des Großmarkts wurde. Aber so schnell ließen sie sich nicht entmutigen. »Fein, dabei können wir Ihnen helfen«, sagte Dellsell gönnerhaft. »Schließlich sind wir in dieser Branche aufgewachsen und kennen sie in und auswendig, auch wenn wir nur Volksmänner sind.« Die bloße Erwähnung der geringsten Kaste ernüchterte Carmy. »Ich muß zurück zu meinem Vater«, drängte sie. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten. Sie liefen dabei dem Elitemann direkt in die Arme. »Ich sehe es nicht gern«, sagte dieser mit strenger Miene, »daß meine Tochter sich mit Volksmännern abgibt.« Dellsell versuchte, die Situation zu erklären. Sein Argument, es sei nur gut für die Elitefrau Carmy, wenn sie schon jetzt den Betrieb kennenlerne, wirkte auf ihren Vater überzeugend. Besänftigt meinte er: »Also gut, wenn Sie die Angelegenheit von dieser Seite sehen, habe ich nichts dagegen, wenn Sie mit ihr sprechen. Aber ich verbiete es nachdrücklich, daß Sie sich allein treffen. Sie haben jedesmal vorher meine Erlaubnis einzuholen.« »Das ist selbstverständlich«, versicherte Dellsell mit der Absicht, dieses Verbot zu ignorieren. Auf dem Weg ins Hotel schwiegen er und Maysie sich aus. Carmy schien vergessen zu sein. In Wirklichkeit hatten sie alle beide ihre Gründe, den Namen des Mädchens nicht zu erwähnen. Dellsell ging auf sein Zimmer und schloß ab. Er zog sich aber nicht aus, sondern legte sich mit den Kleidern aufs Bett. Von nebenan waren Geräusche zu hören, die nach einiger Zeit aufhörten. Maysie schien sich schla-
7 fen gelegt zu haben. Das war gut so. Dellsell war es gelungen, von einem der im Großmarkt arbeitenden Proluren die Adresse des Leiters zu erfahren. Er war davon überzeugt, daß er Carmy genausogut gefiel wie sie ihm. Vielleicht ließ sie sich trotz der Geburtstagsfeier aus dem Haus locken. Er wartete noch eine Weile, dann stand er auf, schloß leise die Tür auf und verließ das einfache Hotel, ohne gesehen zu werden. Zu Fuß marschierte er zum Stadtrand und fand auch nach einigem Suchen die angegebene Adresse. Es war ein vornehmes Haus in einem Park, der von einer Mauer umgeben war. Aus fast allen Fenstern des zweistöckigen Gebäudes fiel Licht. Die Party war in vollem Gang. Da drinnen amüsierte sich Elitefrau Carmy mit anderen Proluren, das war ein Gedanke, der Dellsell schmerzte. Mühsam kletterte er über die Mauer und stand dann lauschend zwischen den Büschen. Ihm war, als hätte er irgendwo im Park ein Geräusch gehört. Ahnte die Geliebte vielleicht, daß er heute nacht kommen würde, um sie zu sehen? Vorsichtig schlich er weiter auf das Haut zu. Gegen den Lichtschein, der aus dem Haus in die Dunkelheit des Parks drang, sah er flüchtig eine Gestalt, die zwischen den Büschen verschwand. Das konnte nur Carmy sein, die ihn sehnsüchtig erwartete. Sich stets im Schatten haltend, schlich er auf die Stelle zu, an der er Carmy hatte verschwinden sehen. Da – wieder der Schatten! Sie stand mit dem Rücken zu ihm und beobachtete das Haus. Nur ihre Umrisse waren zu erkennen. Noch zwei oder drei Schritte, dann stand er unmittelbar hinter ihr. Behutsam streckte er die Hand aus und legte sie auf ihre Schulter. »Geliebte, hier bin ich!« flüsterte er. Sie fuhr erschrocken herum. Dellsells Schnauzenmaul klappte auf, als er Maysie erkannte.
8 »Du …?« stammelte er mit schmerzhafter Enttäuschung. Dann übermannte ihn die Wut. »Was hast du hier zu suchen? Mußt du deine Nase immer in meine Angelegenheiten stecken? Wie hast du überhaupt die Adresse herausbekommen?« »Sicher so ähnlich wie du«, vermutete Maysie, der ebenfalls wütend wurde. »Wieso soll Carmy eigentlich deine Angelegenheit sein? Ich liebe sie ebenso wie du!« »Du liebst sie?« Dellsell stieß ein knurrendes Lachen aus und boxte Maysie gegen die muskulöse Brust. »Schlag dir das aus dem Kopf! Wenn sie schon jemand liebt, dann mich!« »Du Dummkopf!« knurrte Maysie zurück und stieß die Hand seines bisherigen Freundes zur Seite. »Verschwinde hier, oder du kannst was erleben!« »Eine Drohung?« brüllte Dellsell unbeherrscht und so laut, daß er selbst den Lärm übertönte, der aus dem Haus drang. »Du willst dich mit mir prügeln? Schön, das kannst du haben …« Fenster und Türen öffneten sich, Stimmen erschollen. Jemand rief: »Da muß einer im Park sein! Seht doch mal nach!« Maysie ließ die erhobenen Fäuste sinken. »Ich glaube, wir verschwinden besser. Wenn man uns erwischt, kann das schlimm werden.« »Die Prügel bekommst du später«, versprach Dellsell und setzte sich in Trab. Sie kamen gut über die Mauer, obwohl ihnen zwei oder drei Verfolger dicht auf den Fersen waren. Sie liefen, bis sie fast das Hotel erreicht hatten, dann erst gönnten sie sich eine Atempause und gingen langsamer. »Das ist alles nur deine Schuld«, beklagte sich Maysie bitter. »Wenn du nicht gekommen wärst …« »Wenn du nicht gekommen wärst!« korrigierte Dellsell zornig. »Schließlich liebt sie mich, nicht dich!« Sie stritten sich, bis sich ihre Wege vor den Hotelzimmern trennten.
Clark Darlton
* Die folgenden Tage und Wochen waren mit erbitterten Rivalenkämpfen angefüllt, die zu keinem Resultat führten. Dellsell und Maysie schlugen sich förmlich darum, die Transporte in die Stadt zu begleiten, aber weder Dellsell noch Maysie gelang es, Kontakt mit Carmy aufzunehmen. Ihr Vater, der seit jenem Geburtstagsabend Verdacht geschöpft hatte, behütete seine Tochter wie ein kostbares Juwel. Die beiden Rivalen umschlichen abends die elterliche Villa, traten sich gewissermaßen gegenseitig auf die Füße, ohne das ersehnte Objekt auch nur zu Gesicht zu bekommen. Aus der verblassenden Freundschaft wurde langsam eine offene Feindschaft, aber die tägliche Arbeit brachte sie immer wieder zusammen. Notgedrungen mußte jeder darauf verzichten, den anderen bei erstbester Gelegenheit zusammenzuschlagen. Und dann, eines schönen Tages, geschah etwas Furchtbares. Die beiden Volksmänner begleiteten einen Transport in die Anbaugebiete, wo neue Werkzeuge für die Landbestellung benötigt wurden. Der Zug quälte sich die flachen Hänge hinauf, bis er endlich die große Ebene erreichte, die sich bis zum Horizont erstreckte. Am Hauptdepot hielt er an. Er hatte sein Ziel erreicht. Maysie war wütend, weil er sich für den Stadttransport gemeldet hatte und anders eingeteilt worden war. Unlustig leitete er die Entladearbeiten und hoffte stark, daß der Zug noch in der Nacht zum Verteilerzentrum zurückfuhr. Auch Dellsell war nicht bester Laune. Immerhin tröstete er sich damit, daß auch Maysie nicht in die Stadt gefahren war und nun dort unbeobachtet sein Unwesen trieb. Noch bevor es dunkelte, kam aus dem Himmel ein dumpfes Brausen, das sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm verstärkte. Eine gewaltige Luftdruckwelle fegte über
Der schwarze Kontrolleur die Ebene dahin, während fast gleichzeitig der ganze Horizont von einer schwarzen Wolke bedeckt wurde, die sich herabsenkte und mit furchtbarem Getöse die Oberfläche des Planeten berührte. Die Wolke war Pthor, aber das wußte niemand auf Golzo-Warp. Der Orkan riß Bäume und Häuser nieder. Die Anpflanzungen wurden vernichtet. Selbst in der fernen Stadt wurden Zerstörungen angerichtet, deren Beseitigung Jahre in Anspruch nehmen sollte. Dellsell stand ein wenig abseits der Depotgebäude und bewunderte das beginnende Naturschauspiel, als ihn eine Druckwelle erfaßte und zu Boden schleuderte. Sehr zu seinem Mißvergnügen landete Sekunden später Maysie auf seinem Rücken und klammerte sich an ihm fest. Die beiden so wieder vereinigten Todfeinde rollten in eine natürliche Mulde und blieben dort liegen, während der Orkan über sie hinwegraste. »Was ist passiert?« japste Maysie. »Keine Ahnung! Ein Unwetter, nehme ich an.« »Komisches Unwetter. Es ist, als wäre einer unserer Monde herabgefallen.« Am Horizont, wo die Wolke stand, war nun ein glühender Schimmer, der sich wie eine riesige Glocke wölbte. Pthor hatte den Wölbmantel eingeschaltet. Inzwischen war es völlig dunkel geworden, obwohl es noch nicht sehr spät war. Der Brocken, der vom Himmel gefallen war, hatte soviel Dreck und Staub aufgewirbelt, daß die untergehende Sonne unsichtbar wurde. Der Orkan hatte ein wenig nachgelassen, aber die beiden Prolurer blieben in der schützenden Mulde. Die gemeinsame Gefahr ließ die Feindschaft fast vergessen. »Was machen wir jetzt?« fragte Dellsell. Er begann zu frieren. »Wir können doch nicht hier liegen bleiben.« »Wo willst du denn hin? Es ist dunkel, man sieht nichts. Vielleicht geht unsere Welt unter. Hat man schon gehört, daß ein Mond vom Himmel gefallen ist …?« »Alles passiert zum ersten Mal«, sinnierte
9 Dellsell und blickte hinüber zu der schimmernden Glocke. »Der Mond brennt.« »Vielleicht ist es doch kein Mond«, begann Maysie zu zweifeln. Sie sollten bald Gewißheit erhalten, was geschehen war. Es war Nacht und die Luft war reiner geworden. Erste Sterne blinkten auf und verbreiteten ein wenig Zwielicht. Dellsell und Maysie lagen noch immer in der Mulde und froren, aber ihre Furcht war größer als die Kälte. Schließlich sagte Dellsell: »Ich halte diese Ungewißheit nicht mehr aus. Bleibe hier, ich werde beim Depot nachsehen, was dort passiert ist.« »Gut, ich warte«, stimmte Maysie erleichtert zu. Dellsell kroch aus der Mulde, erhob sich und rannte hinüber zu den Trümmern, die einst Gebäude und ein Transportzug gewesen waren. Einige tote Proluren lagen umher, ihnen war nicht mehr zu helfen. Die anderen mußten unter den Trümmern begraben sein. Die Lampen waren erloschen, Dellsell fand sich kaum zurecht. Man mußte bis zum Morgengrauen warten, jetzt war alles Suchen sinnlos. Also kehrte er zur Mulde zurück. »Sieht schlimm aus«, berichtete er. »Alles kaputt. So etwas hat es in unserer Geschichte noch nicht gegeben.« »Die Arbeiter?« »Ich habe keinen gesehen. Morgen, wenn es hell ist, suchen wir nach ihnen. Jetzt wäre es gut, einige Stunden zu schlafen.« »Schlaf mal, wenn du vor Kälte klapperst …« Aber die Erschöpfung ließ sie dennoch einschlafen, doch das Erwachen war dafür um so gräßlicher. Eine Horde unbeschreiblicher Ungeheuer raste in einer Stampede über die Ebene, genau auf das ehemalige Depot zu. Sie kamen von dort, wo der schimmernde Schirm über dem Horizont stand.
*
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Dellsell und Maysie waren vor Schreck und Entsetzen wie gelähmt. Regungslos lagen sie in der Mulde und spähten über ihren Rand. Sie ahnten nicht, was da auf sie zukam und schließlich an ihnen vorbeistürmte, auf die ferne Stadt zu. In ihrer Deckung blieben sie unbemerkt. Vorerst wenigstens. Dann kamen die fliegenden Schalen. Außer Insekten und Vögeln hatte noch kein Prolurer jemals in seinem Leben etwas gesehen, das fliegen konnte, schon gar nicht so große Gegenstände. Einige der Schalen flogen sehr niedrig. Über ihren Rändern waren Gesichter, die nach unten blickten, als suchten ihre Besitzer etwas. Dellsell und Maysie erfuhren sehr schnell, was sie suchten. Einer der Schalen kippte ein wenig zur Seite und landete dicht neben der Mulde, in der die beiden Volksmänner Schutz gefunden hatten. Man hatte sie gesehen. Drei seltsame Wesen kamen aus der Schale, fast doppelt so groß wie die Proluren, aber viel schmaler. Sie gingen auf zwei Beinen und hielten in ihren Händen metallisch blitzende Werkzeuge. Dellsell und Maysie zitterten vor Angst und Entsetzen, als die trichterförmigen Enden der Werkzeuge auf sie gerichtet wurden. Dann spien die Waggus ihre Energiebündel gegen sie. Die beiden Proluren wollten aufspringen und davonlaufen, aber dazu war es bereits zu spät. Ein kribbelnder Schmerz raste durch ihren Körper und lähmte sie. Noch während ihr Bewußtsein schwand, wurden sie aufgehoben und über den Rand der gelandeten Schale geschoben. Als sie wieder zu sich kamen, waren Jahrzehnte vergangen.
* Als die Schläfer in der Senke der verlorenen Seelen erwachten, herrschte allgemeines
Chaos. Dellsell und Maysie, die nicht ahnen konnten, wieviel Zeit inzwischen verronnen war, fanden sich in einer ihnen fremden Umgebung wieder. Ihr erster Gedanke galt der Elitefrau Carmy, aber dann erinnerten sie sich der Ungeheuer, die in Richtung der Stadt an ihnen vorbeigelaufen waren. Was war in der Stadt geschehen? Die augenblicklichen Ereignisse ließen ihnen nicht viel Zeit zum Nachdenken. Um sie herum tobten sich die unterschiedlichsten Lebewesen nach Herzenslust aus, fielen übereinander her und versuchten sich sogar umzubringen. Es gelang den beiden Volksmännern, in dem allgemeinen Gemenge ins Freie zu gelangen und sich nach Süden zu wenden. So schnell wie möglich ließen sie die gläsernen Gebäude hinter sich, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Die Vegetation nahm zu, je weiter sie nach Süden vordrangen. Sie rannten viele Stunden, bis es zu dunkeln begann. Einmal begegnete ihnen ein vierbeiniges Wesen, das bei ihrem Anblick aber die Flucht ergriff. Dellsell hielt erschöpft an. »Ich kann nicht mehr weiter. Wo sind wir eigentlich? Ich habe diese Landschaft noch nie gesehen. Wohin hat man uns gebracht?« Maysie setzte sich auf einen Baumstamm. Er schien am Ende seiner Kräfte zu sein. »Die Sonne sieht ganz anders aus als sonst. Man könnte meinen, es wäre gar nicht unsere Sonne …« »Du bist verrückt! Zuerst glaubst du, der Mond falle vom Himmel, und nun soll man sogar die Sonne umgetauscht haben! Los, wir müssen weiter! Die Stadt …« »Aha!« machte Maysie. »Du denkst wohl an Carmy, was?« »Du vielleicht nicht? Wenn schon, dann sollten wir uns gemeinsam um sie kümmern.« Maysie seufzte. »Schön, suchen wir weiter.« Sie marschierten weiter, pflückten ein paar ihnen völlig unbekannte Früchte und
Der schwarze Kontrolleur Beeren, um den ärgsten Hunger zu stillen, und hörten schließlich in einiger Entfernung ein gleichmäßiges Rauschen. Dellsell blieb stehen. »Ein Wasserfall? Das ist doch nicht gut möglich in dieser Gegend. Wir haben nur einen Fluß im Umkreis von zwei Tagesmärschen, und der fließt durch flaches Land.« Auch Maysie war stehengeblieben und lauschte. »Ja, ein Wasserfall. Das verstehe ich nicht.« Er schüttelte den Kopf mit der Hundeschnauze. »Manchmal glaube ich, daß wir gar nicht mehr auf unserer Welt sind.« »Wie meinst du das?« fragte Dellsell erschrocken. »Du glaubst doch nicht etwa …?« »Es wäre doch möglich, Dellsell. Diese fliegenden Schalen, die fremden Lebewesen, die uns betäubten, die Ungeheuer – all das hat es auf Golzo-Warp nie gegeben.« Es dauerte eine Weile, bis Dellsell die ungeheuerliche Vermutung soweit verdaut hatte, daß er sie als glaubhaft empfinden konnte. Dann allerdings explodierte die Erkenntnis wie eine Bombe in seinem Schädel. »Ich glaube, du hast recht«, gab er zu. »Es wäre die einzige Erklärung für alles, was geschehen ist. Aber dann müssen wir lange bewußtlos gewesen sein.« »Ganz bestimmt«, erinnerte sich Maysie plötzlich. »Denke nur an die durchsichtigen Kästen, in denen wir fremdartige Wesen sahen, als wir erwachten. Auch wir waren in einem solchen Kasten. Er war durch Schläuche oder Leitungen mit Geräten verbunden. Damit hielten sie uns am Leben.« Der Wald war dichter geworden. Unterholz erschwerte das Vorankommen für die beiden Wanderer, und das Rauschen wurde lauter. Endlich gelangten sie an einen kleinen Bach, dem sie folgten. Er würde sie unweigerlich zu dem Fluß führen. Das Gelände war noch unwegsamer geworden. Es gab Hügel und steil aufragende Felsen, nicht besonders hoch, aber breit und wuchtig. Noch bevor sie den Fluß erreichten, spür-
11 ten sie den feinen Wasserstaub, der zu ihnen herüberwehte. Das Rauschen war zu einem Brausen geworden. Staunend standen sie dann am Fuß des breiten Wasserfalls, bereits bis auf die Haut durchnäßt. Es war schon später Nachmittag, und es wurde Zeit, einen geeigneten Lagerplatz für die Nacht zu finden. Am Ufer entlang führte ein schmaler Pfad flußabwärts. Sie folgten ihm und vermieden so die Felsen, die den Katarakt bildeten. Unterhalb des Wasserfalls staute sich der Fluß und wurde breiter. Ruhig strömte er dahin. »Es ist besser hier«, stellte Dellsell nach einem Rundblick fest. »Wir bleiben hier für eine Weile.«
* Einige Wochen nach ihrer Flucht aus dem Chaosgebiet der großen Senke stießen die beiden Proluren zum ersten Mal wieder auf Spuren von intelligentem Leben. Sichere Anzeichen dafür waren erkaltete Feuerstellen am Flußufer und verlassene Baumhütten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß hier ein Stamm Wilder gehaust hatte. Dellsell durchstöberte eine der Hütten und kam mit einem Wurfspeer wieder zum Vorschein. »Such dir auch eine Waffe, Maysie. Früher oder später werden wir uns wehren müssen, oder glaubst du, daß diese Wilden friedlicher sind als jene, die uns entführten?« Maysie machte sich auf die Suche und fand ein Beil mit scharfer Metallschneide. Die Wilden konnten es nicht hergestellt haben, also hatten sie es erbeutet. Von wem? »Ich weiß jetzt genau, daß wir auf einer anderen Welt sind, auf einer grausamen und schrecklichen Welt«, sagte Maysie und starrte trübsinnig in die kalte Asche der Feuerstelle. »Ausgerechnet wir beide müssen hier sein. Hätte ich mich doch nur an jenem Tag, an dem alles begann, krank gemeldet.« Dellsell betrachtete ihn mißtrauisch.
12 »Ich glaube nicht, daß es dir viel besser ergangen wäre. Wer weiß, ob unsere Freunde und Carmy noch leben.« »Carmy …!« sann Maysie vor sich hin und blickte auf. »Weißt du eigentlich, daß ich schon den Plan erwogen hatte, dich umzubringen?« Dellsell war ehrlich erschrocken. »Mich umbringen? Wann?« »Damals, als wir uns in der Straße begegneten, die zum Haus von Carmys Eltern führt.« Dellsell überlegte. »Das war kurz vor dem Überfall durch die Fremden.« Er schüttelte den Kopf. »Jetzt hat es ja keinen Zweck, mich umzubringen. Eine Carmy gibt es nicht mehr.« »Ich denke schon lange nicht mehr daran«, gab Maysie zu. »Aber ich bin noch immer wütend auf dich.« »Ich liebe dich auch nicht gerade, aber die Situation hat sich geändert. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, sind wir verloren. Vielleicht finden wir Golzo-Warp eines Tages wieder …« Maysie rührte in der Asche herum. »Dann ändert sich die Lage wieder«, murmelte er. Dellsell stürzte sich auf seinen Speer. »Wir müssen weiter. Vielleicht können wir ein Tier erlegen und finden eine noch warme Feuerstelle mit Glut.« Sie folgten erneut dem ausgetretenen Pfad flußabwärts. Hier mußte noch kürzlich reger Verkehr gewesen sein, die vielen Spuren verrieten es eindeutig. Der Baumbestand war wieder dichter geworden und artete in eine urwüchsige Wildnis aus. Immer wieder mußten die Proluren Bäche überqueren, die den Hauptstrom speisten. Dellsell blieb mit einem Ruck stehen, als plötzlich rechts von ihm das Buschwerk raschelte und sich die Zweige teilten. Er dachte im ersten Augenblick an ein größeres Tier und packte den Speer fester, aber dann ließ er ihn verblüfft sinken. Vor ihm stand ein schmales Wesen, etwas größer als er selbst, und mit einer Art Lendenschurz bekleidet.
Clark Darlton In der braunen Hand des Wilden blitzte ein Messer. Dellsell wich einen Schritt zurück und hob die freie Hand, um seinen Friedenswillen zu bekunden. Das Gesicht des Wilden verzerrte sich, aber es war nicht klar, ob es eine freundliche Geste sein sollte. Und dann warf der Wilde das Messer. Es geschah so schnell und überraschend, daß Dellsell gerade noch beiseite springen konnte. Allerdings bekam Maysie dafür die Klinge in den linken Arm, was ihn blitzschnell handeln ließ. Mit der rechten Hand schleuderte er das Beil auf den Gegner und traf ihn mitten in die Brust. Tot sank der Wilde zu Boden. Maysie holte sich das Beil wieder. »Du bist ein Feigling!« fuhr er Dellsell an. »Das wäre dir wohl recht gewesen, wenn der Wilde mich erwischt hätte, was? Bist du deshalb beiseite gesprungen?« »Rede keinen Unsinn, es war eine Reflexhandlung. Ich dachte doch nicht, daß er dich treffen würde.« Maysie wischte das Blut von der Schneide des Beils. »Na schön, aber das nächste Mal paß besser auf. Übrigens: Wo ein Wilder ist, da sind noch mehr. Wenn sie alle so feindselig sind, steht uns noch einiges bevor.« Dellsell hatte das Messer an sich genommen, obwohl es nun eigentlich Maysie gehörte. Aber der protestierte nicht. Er schien mit seinem Beil zufrieden zu sein. Etwas später begegneten ihnen zwei Eingeborene, die jedoch sofort die Flucht ergriffen und im Wald verschwanden. Die Proluren hörten sie rufen und aus größerer Entfernung die Antwort. Ein ganzer Stamm der Wilden mußte sich dort befinden. Sie überlegten, ob sie nicht lieber nach Norden ausweichen und das gefährliche Gebiet umgehen sollten, aber als sie endlich einen Entschluß faßten, war es zu spät. Der Überfall geschah so überraschend, daß sie nicht einmal an eine Gegenwehr denken konnten. Von allen Seiten drangen die halbnackten Wilden mit geschwungenen
Der schwarze Kontrolleur Keulen auf sie ein und überwältigten sie in wenigen Sekunden. Die Waffen wurden ihn abgenommen. Grob wurden sie gepackt und davongeschleppt.
* Die Wilden tanzten um das große Lagerfeuer in der Mitte des Dorfes. Die Hütten aus Baumästen und mit Dächern aus Laub standen im Kreis um den freien Platz in der Mitte. Mit Lianen gefesselt standen die beiden Gefangenen an zwei Bäumen. Sie ahnten, was ihnen bevorstand, aber noch war es nicht soweit. Die Wilden dachten nicht daran, sie sofort zu töten. Sie wollten ihren Spaß haben. Die Frauen saßen vor den Hütten und feuerten ihre Männer mit einem rhythmischen Gesang an, der in den Ohren der Proluren schaurig genug klang. Vergeblich versuchte Dellsell, die Fesseln zu lösen, aber die Schlingpflanzen waren zäh und gaben keinen Millimeter nach. Irgendwo in weiter Ferne war plötzlich ein anderes Geräusch. Dellsell drehte ein wenig den Kopf und sah, daß auch Maysie lauschte. Es war also keine Einbildung. Das Geräusch erinnerte ihn an etwas, das er kannte, aber er kam nicht sofort darauf. Es schwoll ganz allmählich an und wurde zu einem eintönigen Pfeifen, das näher zu kommen schien. Vielleicht lag das aber nur daran, weil es lauter wurde. Auch die Wilden hörten es nun, denn es übertönte den Gesang der Frauen. Ihre Tanzbewegungen wurden langsamer, denn ein solches Geräusch hatten sie noch nie vernommen. Sie warfen scheue Blicke hinüber zu ihren Gefangenen, aber dann wurde ihnen klar, daß diese das fremdartige Pfeifen nicht verursachen konnten. Der Häuptling rief etwas, dann ging der Tanz weiter. Aber die Frauen sangen nicht mehr. Zusammengekauert hockten sie vor ihren Hüt-
13 ten und starrten auf die tanzenden Männer. »Siehst du auch, was ich sehe?« fragte Dellsell leise. »Man könnte meinen, sie schliefen allmählich ein«, gab Maysie zurück. »Ihre Bewegungen werden immer langsamer. Dafür ist das verrückte Pfeifen lauter geworden. Hört sich an wie einer von unseren Lastzügen, wenn er sich dem Depot nähert …« »Aufpassen!« rief Dellsell. Seine Warnung bezog sich auf den Häuptling, der plötzlich zu taumeln begann und aus der Reihe tanzte. Er schwang eine Holzkeule und näherte sich mit unsicheren Schritten den wehrlosen Gefangenen. Dann blieb der Häuptling stehen. Die Hand mit der Keule sank herab, als habe der Arm nicht mehr die Kraft, sie zu halten. Und dann, wie vom Blitz erschlagen, fiel er zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die übrigen Wilden standen einen Augenblick wie erstarrt. Sie mußten denken, die Gefangen besäßen Zauberkräfte und hätten ihren Anführer mit ihren Blicken getötet. Aber dann fiel ein anderer von ihnen um und rollte beinahe ins Feuer, dessen Flammen die ganze Szene gespenstisch beleuchteten. Zwei weitere sanken zu Boden. Die Weiber sprangen kreischend auf, aber sie kamen nicht weit. Die unheimliche Lähmung befiel auch sie nach wenigen Schritten. Bald lagen sie alle bewegungslos auf dem festgetrampelten Waldboden, als wären sie tot. Zwei der Männer waren widerstandsfähiger. Mit wildem Aufschrei griffen sie nach ihren Speeren und rissen die Wurfarme zurück, um sie gegen die Gefangenen zu schleudern. Doch mitten in der Bewegung schienen sie plötzlich zu erstarren, so als stünde die Zeit für sie still. Das dauerte aber nur wenige Sekunden, dann brachen sie beide blitzschnell zusammen und rührten sich nicht mehr. Wie eine Seuche griff nun die Lähmung um sich und raffte einen Wilden nach dem anderen dahin. Bald lagen sie alle ausnahmslos auf dem Dorfplatz.
14 Das Pfeifen hielt weiter an. Dellsell spürte, daß sich seine Fessel um das rechte Handgelenk merklich gelockert hatte. Er verdoppelte seine Anstrengungen und begann sich gleichzeitig darüber zu wundern, daß er sich noch ungehindert bewegen konnte. Die allgemeine Lähmung ergriff weder ihn noch Maysie. Endlich bekam er eine Hand frei. Der Rest war eine Kleinigkeit. Triumphierend trat er vor Maysie, der noch immer gefesselt am Baum stand. »Du hattest also die Absicht, mich umzubringen?« fragte Dellsell hämisch. »Was wäre, wenn ich deinen Gedanken jetzt aufgriffe?« »Dann wärest du ein Idiot!« brüllte Maysie. »Was willst du denn allein auf dieser verdammten Welt anfangen? Mach mich endlich los, damit wir verschwinden können.« Dellsell fand nahe beim Feuer ein Messer. Er ging zurück zum Baum und durchschnitt die Fesseln. »War ja nur ein Scherz«, entschuldigte er sich. Maysie rieb seine Handgelenke. »Was ist passiert?« fragte er. »Keine Ahnung. Erst kam das Pfeifen, dann fielen die Wilden um. Scheint eine Waffe der Beherrscher dieser Welt zu sein. Für uns war es jedenfalls die Rettung in letzter Sekunde. Was nun?« »Das Feuer! Am Spieß dreht sich ein Braten – daß heißt, jetzt dreht er sich nicht mehr. Er verbrennt!« Maysie rannte zum Feuer, um das Fleisch zu retten. Dellsell untersuchte die gelähmten Wilden und fand bei allen die gleichen Symptome. Sie atmeten noch schwach, waren aber bewußtlos. »Hoffentlich hält das so lange, bis wir in Sicherheit sind«, sagte er und nahm das Stück Fleisch, das Maysie ihm abschnitt. »Ich möchte nur wissen, warum wir nicht betroffen sind. Ob es wirklich das Pfeifen ist, das sie umfallen ließ?« »Keine Ahnung«, gab Maysie kauend zu-
Clark Darlton rück. »Im Augenblick ist es mir auch ziemlich egal. Ich habe Hunger.« »Dann iß!« Sie aßen beide, bis sie nichts mehr herunterbekamen. Dellsell fand in einer der Hütten einen Beutel aus Leder, in den sie den Rest des Bratens und andere nützliche Gegenstände packten, darunter auch zwei Feuersteine. Auch nahmen sie einen Bogen mit Pfeilen mit, und natürlich Messer und Speere. Nach einem letzten Blick auf die wie tot herumliegenden Wilden machten sie sich erneut auf die Wanderschaft. Immer weiter nach Westen, flußabwärts.
2. Atlans erste Feststellung war die Tatsache, daß nicht nur Technos, Dellos und alle anderen von der Dauerlähmung befallen worden waren, sondern auch sämtliche Säugetiere und Echsen. Wenigstens hatte er keines entdecken können, das sich noch bewegte. Beim Wachen Auge war alles wie tot, und auch in der Dunklen Region rührte sich nichts. Mehrmals landete er, um Schlafende zu untersuchen, aber alle Bemühungen, sie zu wecken, blieben erfolglos. Er steuerte den Zugor wieder nach Süden und näherte sich dem wüstenähnlichen Gebiet östlich es Taambergs. Hier, nördlich von Donkmoon und der Straße der Mächtigen, hatte sonst immer reger Verkehr geherrscht, jetzt war alles still und ruhig. Um so erstaunter war Atlan, als er die beiden dunklen Punkte unter sich sah. Sie mußten ausgerechnet hier von der Lähmung überrascht worden sein, denn sie bewegten sich nicht. Noch während er landete, erkannte Atlan Einzelheiten. Der Mann war zweifellos ein Händler aus Orxeya. Sein Lasttier, eine riesige Echse, war schwer beladen. Wahrscheinlich war der Mann nach Donkmoon oder zur FESTUNG unterwegs gewesen. Obwohl Atlan wußte, daß es zwecklos
Der schwarze Kontrolleur sein würde, stieg er aus der Flugschale und untersuchte den Mann. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er hoffte immer noch auf ein Wunder. Sicher, ihn selbst schützte der Anzug der Vernichtung, vielleicht auch der Zellaktivator, aber es mußte auch andere Ausnahmen geben. Das Herz des Händlers schlug nur schwach, aber er lebte. Vergeblich stellte Atlan seine Weckversuche an, gab es aber bald auf. Als er sich der Echse näherte, die platt auf dem Bauch lag und schlief, glaubte er ein Geräusch wahrgenommen zu haben, das aus der Ferne zu ihm drang. Instinktiv ging er hinter dem massigen Körper der Echse in Deckung, obwohl er die Ursache des Geräusches noch nicht erkannt hatte. Sein Zugor lag etwas schräg am Fuß einer Sanddüne, etwa zehn Meter entfernt. Wenn Gefahr drohte, würde er ihn schnell erreichen und damit starten können. Vorsichtig schob er den Kopf über den Rücken der Echse und sah in die Richtung, aus der das summende Geräusch kam. Zuerst erblickte er nur einen dunklen Punkt dicht über dem Horizont, der sich auf ihn zu bewegte. Das Ding sah aus wie ein Zugor. Erst als es sich weiter näherte, erkannte Atlan, daß es mindestens zehnmal größer war. Es war schwarz und geformt wie eine riesige Schüssel mit dickem Wulstrand. Aus dem Innern ragten mehrere Aufbauten hervor, fast wie bei einem Schiff. Der Durchmesser des Objekts betrug mindestens fünfzig Meter, seine Höhe etwa zwanzig. Das Ding stammte nicht von Pthor, das war Atlan sofort klar. Außerdem deutete sein ganzes Verhalten darauf hin, daß die Besatzung etwas suchte, falls es überhaupt eine Besatzung gab. Für Atlan waren die Zusammenhänge klar. Der »Schwarze Kontrolleur«, wie er das Ding unwillkürlich getauft hatte, suchte alle Gebiete von Pthor ab, um festzustellen, ob die Lähmaktion erfolgreich gewesen war. Er tat es im Auftrag der Unbekannten, auf Befehl der wirklichen Herrscher des Dimensionsfahrstuhls in der Schwarzen Galaxis.
15 Der Kontrolleur verringerte seine Fluggeschwindigkeit. Er mußte den Zugor, die Echse und den Händler bemerkt haben. Atlan hoffte, daß man ihn noch nicht gesehen hatte. Er lag fast direkt unter dem Bauch der Echse. Das Fluggeräusch des Objekts veränderte sich, als es tiefer ging und dann fast stillstand. Die Höhe betrug noch immer fünfzig Meter. Atlan hielt den Atem an, als er wieder einen kurzen Blick riskierte, um sich zu informieren. Blitzschnell duckte er sich jedoch, als er es grell aufblitzen sah. Ganz in der Nähe gab es eine heftige Detonation, dann war Stille. Der Zugor! Fenrir! Jetzt war Atlan alles egal. Er schob sich aus seiner merkwürdigen Deckung heraus und mußte feststellen, daß seine schlimmste Befürchtung eingetroffen war. Der Schwarze Kontrolleur hatte auf den Zugor das Feuer eröffnet, zum Glück nur mit einem einzigen Energiestrahl. Der hatte jedoch genügt, die Flugschale restlos zu zerstören. Wo war Fenrir? Atlan entdeckte ihn gut zehn Meter von dem Zugor entfernt zwischen einigen verdorrten Büschen. Die Wucht der Explosion mußte ihn dorthin geschleudert haben. Die Sorge um das treue Tier ließ Atlan jede Vorsicht vergessen. Er richtete sich halb auf und sprang mit wenigen Sätzen in die Büsche, deren Zweige Fenrirs Aufprall gemildert hatten. Die hastige Untersuchung bestätigte Atlan, daß der Wolf keine äußeren Verletzungen oder Knochenbrüche erlitten hatte. Der Schock hatte ihn allerdings auch nicht geweckt. Sein Atem ging schwach, wenn auch etwas unregelmäßig, aber das hatte nichts zu bedeuten. Atlan fand wieder Zeit, einen Blick nach oben zu werfen. Der Schwarze Kontrolleur zog langsame Kreise in geringer Höhe. Sein Kommandant
16 – ob Roboter oder lebendes Wesen – schien sich nicht schlüssig zu sein, was nun unternommen werden sollte. Vielleicht hatte er auch den sich bewegenden Atlan bemerkt und wartete auf neue Anweisungen. Dieser wiederum hielt es für das beste, sich vorerst wieder tot oder schlafend zu stellen. Wenn es allerdings abgestrahlte Impulse seines Zellaktivators waren, die von dem Kontrolleur angemessen werden konnten, nützte auch das Totstellen nichts. Immerhin würde die Neugier der Unbekannten geweckt worden sein. Sie würden ihn auf keinen Fall töten. Während diese und andere Überlegungen ihn beschäftigten, sank das fremde Schiff nieder. Etwa hundert Meter von dem zerstörten Zugor entfernt setzte es auf. Vorsichtig drehte sich Atlan, um besser beobachten zu können. Er lag noch immer dicht neben Fenrir unter den Büschen, ein Stück weiter weg schliefen die Echse und der Händler. Im Schwarzen Kontrolleur öffnete sich eine seitliche Luke. Atlan wußte, daß sich nun eine seiner Hauptfragen ganz von selbst beantworten würde. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Luke. Wer oder was würde dort zum Vorschein kommen? Zwei scheibenförmige Gebilde waren es, die scheinbar schwerelos aus dem Inneren des Schiffes schwebten und sich näherten. Sie waren so schwarz wie der Kontrolleur, und zweifellos waren sie Roboter. Atlan blieb ganz ruhig liegen und beobachtete. Die beiden Scheiben glitten dicht über der Oberfläche direkt auf Atlans Versteck zu, ohne sich um den Händler, sein Tier oder den Zugor zu kümmern. Der Verdacht, daß sie durch den Zellaktivator angelockt wurden, verstärkte sich, ja, er wurde zur Gewißheit. Atlan rührte sich nicht, als die beiden Scheiben ihn erreichten und Greifwerkzeuge ausfuhren. Es schmerzte, als die stählernen Klauen zupackten und ihn aufhoben. Jede
Clark Darlton Gegenwehr wäre sinnlos gewesen, denn er besaß keine Waffen. Die Roboter ignorierten Fenrir, der zurückbleiben mußte. Schlaff und wie leblos hing Atlan in den »Armen« der Scheiben, die sich langsam dem Schwarzen Kontrolleur näherten und auf die geöffnete Schleuse zusteuerten. Atlan hielt seine Augen immer ein wenig geöffnet, denn er hielt nichts davon, sich blind in sein Schicksal zu ergeben. Beim geringsten Anzeichen einer ernsten Gefahr würde er sehr schnell lebendig werden. Die Aufbauten im Innern des Schalenschiffs erinnerten Atlan an Kommandobrücke und Kabinenaufbauten eines größeren Wasserfahrzeugs. Das Deck selbst lag frei und konnte nur bei Flügen durch eine atembare Atmosphäre benutzt werden, falls keine Schutzanzüge getragen wurden. Das galt natürlich nicht für Roboter. Seine Hoffnung, daß man ihn auf dem Deck ablegen würde, erfüllten sich nicht. Die schwarzen Automaten bugsierten ihn durch eine nicht sehr breite Luke in das Innere des Schiffes, das hell erleuchtet war. Die Luke schloß sich hinter ihnen. Soweit Atlan erkennen konnte, handelte es sich um eine Art Kontrollraum, durch den er hindurchgeschleppt wurde. Schließlich lösten sich die stählernen Klammern und gaben ihn frei, nachdem weitere Räume durchquert und ein Lift benutzt worden war. Die beiden Roboter entfernten sich. Einen Augenblick blieb Atlan ruhig liegen. Während des ganzen Transports waren er und seine beiden Entführer keinem lebenden Wesen begegnet. Die Kontrollanlage selbst, die sie passiert hatten, wies alle Charakteristiken einer vollautomatisch gesteuerten Einrichtung auf. Die Frage blieb: konnte der Schwarze Kontrolleur absolut autark handeln, oder war er auf Befehlsimpulse von außen angewiesen? Atlan spürte, wie ein Vibrieren durch die Metallplatten ging, während sich das Summgeräusch verstärkte.
Der schwarze Kontrolleur Der Schwarze Kontrolleur startete. Früher oder später, nahm Atlan sich vor, würde er etwas unternehmen müssen. Vielleicht gelang es ihm, das Schiff in seine Gewalt zu bringen, um so mehr über seine Herkunft zu erfahren. Vielleicht gab es auch mehrere dieser Kontrolleinheiten, die Pthor nach Personen absuchten, die immun gegen die allgemeine Paralyse waren. Er blieb auf dem kühlen Metallboden liegen, da er nicht wußte, ob er beobachtet wurde. Diese Vorsichtsmaßnahme erschien ihm zwar überflüssig, aber in seiner jetzigen Situation blieb ihm kaum etwas anderes übrig. Schon eine halbe Stunde später hielt er die Untätigkeit nicht mehr aus. Sie brachte ihn nicht weiter. Außerdem wurde es unerträglich, nicht zu wissen, welchen Kurs das Schiff eingeschlagen hatte und wo es sich befand. Und noch etwas kam hinzu, was ihn zum Handeln veranlaßte: wenn er sich im Schiff bewegte, soweit das möglich war, würde er auch sehr bald wissen, ob man ihn beobachtete oder nicht. Vielleicht hielten sich auch noch andere Gefangene an Bord auf, mit denen er sich in Verbindung setzen konnte. Er richtete sich auf und begann mit der Durchsuchung des Raumes, der keinerlei Einrichtungsgegenstände aufwies. Besonderes Augenmerk richtete er auf verborgene Kameras oder Mikrophone, konnte jedoch keins von beiden finden. Der Schwarze Kontrolleur mußte sich eventueller Gefangener sehr sicher sein. Dann kümmerte Atlan sich um die Tür, die einen massiven Eindruck machte. Im Gegensatz dazu wirkte der Verschluß eher primitiv. Offensichtlich diente dieser Raum ursprünglich nicht als Gefängnis, sonst hätte man den Sperriegel nicht so angebracht, daß er sich auch von innen öffnen ließ. Ein kurzer Ruck, und schon entstand ein Spalt in der Tür. Atlan lauschte, aber außer dem gleichmäßigen Summen war nichts zu hören. Die Roboter schienen in Ruhestellung gegangen zu
17 sein. Der zweite Raum enthielt einiges Mobiliar, das kaum für die Robotbesatzung gedacht sein konnte. Es ließ die Vermutung zu, daß sich manchmal auch Personen aus Fleisch und Blut an Bord aufhielten. Als Atlan sich der nächsten Tür näherte, blieb er plötzlich stehen. Irgend etwas ließ ihn aufhorchen, aber er wußte im ersten Augenblick nicht, was das war. Das Summen …? Richtig, der bisher gleichmäßige Ton hatte sich verändert. Ein leichter Ruck ging durch den Schiffskörper, dann wurde das Geräusch leiser und verstummte schließlich. Der Schwarze Kontrolleur war gelandet. Hastig huschte Atlan in sein ursprüngliches Gefängnis zurück und verschloß die Tür wieder. Im Notfall würde er sie in Sekunden öffnen können. Er streckte sich auf dem Boden aus und schloß die Augen. Angestrengt lauschte er.
3. Selbst wenn der Fleischvorrat nicht im Lederbeutel gewesen wäre, hätten Dellsell und Maysie immer genug zu essen gehabt. Auf ihrem Weg nach Westen, immer flußabwärts, fanden sie schlafende Tiere aller Art. Es hätte keine Mühe gekostet, das eine oder andere von ihnen zu schlachten. Die Nacht verbrachten sie auf einer trockenen Lichtung dicht am Ufer. Da sie während des Marsches am Tag ein wenig ihrer ursprünglichen Furcht verloren hatten und keinem Wilden mehr begegnet waren, besaßen sie auch den Mut, ein Feuer anzufachen. Sie sprachen nicht viel, kauten auf ihrem kalten Fleisch herum und lauschten in die Dunkelheit hinaus. Der Urwald war wie ausgestorben, kein Laut war zu hören. Die Welt, auf der sie sich befanden, schlief. Am anderen Morgen setzten sie ihren Marsch ins Unbekannte fort.
18 Gegen Mittag erreichten sie das Ufer eines breiten Nebenflusses, der von Nordwesten kam. Das Wasser war ziemlich seicht, so daß sie mit Hilfe eines schnell zusammengebundenen Floßes leicht an die andere Seite gelangen konnten. Sie marschierten den ganzen Tag und die halbe Nacht. Einmal fanden sie ein schlafendes Dorf voller Eingeborener und ließen es mit einem unheimlichen Gefühl zurück. So froh sie auch darüber sein mochten, daß alles Lebende um sie herum paralysiert und wehrlos war, so sehr lastete die unbekannte Drohung auf ihnen. Dann begann sich die Landschaft zu verändern. Der Boden wurde naß und sumpfig, das Vorwärtskommen schwerer. Immer wieder mußten sie träge Nebenarme des Hauptstroms überqueren, dessen Wasser eine merkwürdige Veränderung erfuhr. Es schien schwarz zu werden. »Wir nähern uns der Mündung des Flusses«, vermutete Dellsell, als sie auf einer relativ trockenen Insel zwischen den Deltaarmen standen und nach Westen blickten. »Dort muß ein Meer sein.« Er konnte nicht wissen, daß sie dem Regenfluß bis zu seiner Mündung in den Dämmersee gefolgt waren. Die Wasserfläche war groß genug, um aus einiger Entfernung wie eine Meeresbucht zu wirken. Das andere Ufer blieb unsichtbar. »Dann kommen wir nicht mehr weiter«, befürchtete Maysie. »Vielleicht finden wir ein Schiff, das wäre noch besser als die Lauferei. Natürlich müßte es ein kleines Schiff sein, denn eine Mannschaft gibt es nicht mehr. Wir müssen es allein steuern können.« »An jeder Küste gibt es Häfen«, sagte Maysie zuversichtlich. Sie waren sich ausnahmsweise mal einig. Aber nur für wenige Minuten. »Los, weiter!« befahl Dellsell. Maysie setzte sich ostentativ auf einem umgestürzten Baumstamm. »Ich mache Pause«, erklärte er. »Auf ein
Clark Darlton paar Stunden mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an.« »Wir verlieren nur unnötig Zeit.« »Findest du die kleine Insel nicht geschaffen für einen kleinen Aufenthalt? Es ist trocken hier, und drüben im Schilf habe ich ein halbes Dutzend schlafende Großvögel gesehen. Ein frischer Braten würde uns guttun.« Der Gedanke daran war auch Dellsell nicht unangenehm. Zögernd willigte er ein und begann, trockenes Gras und Holz zu sammeln, während Maysie zum Schilfufer hinabschlenderte, um einen der großen Vögel zu holen. Wenig später saßen die beiden wieder friedlich vereint am lodernden Feuer und sogen genußvoll den Duft des gebratenen Fleisches in sich hinein. Zu ihrem Leidwesen blieb es jedoch bei der Vorfreude. Dellsell hörte das seltsame Geräusch zuerst. Er neigte den Kopf und lauschte. Das ferne Summen verstärkte sich allmählich, als käme es näher. »Da kommt etwas«, sagte er und drehte weiter den Spieß. Nun hörte es auch Maysie. Er stand auf und blickte nach Norden, denn von dort kam das Geräusch. Zuerst konnte er nichts wahrnehmen, dann glaubte er dicht über dem Horizont einen dunklen Punkt zu sehen, der allmählich größer wurde. »So ein fliegendes Ding – erinnerst du dich? Die Fremden holten uns mit so einer Maschine von Golzo-Warp fort. Diese hier scheint aber viel größer zu sein.« Dellsell wurde von Panik ergriffen. Er sprang auf und sah in die Richtung, in die auch Maysie blickte. Das summende Geräusch war lauter geworden. Der Punkt entpuppte sich als eine riesige fliegende Schüssel. »Das Feuer!« sagte Maysie. »Der Rauch hat uns verraten.« Er nahm den Spieß mit dem halbfertigen Braten und verteilte brennende Äste und die Glut. Die Rauchentwicklung, die vorher
Der schwarze Kontrolleur nicht besonders groß gewesen war, verstärkte sich dadurch nur noch mehr. »Wasser!« schlug Dellsell vor, aber sie hatten kein Gefäß. Inzwischen war das schwarze Riesending näher gekommen und begann über der kleinen Insel im Delta des Regenflusses zu kreisen. Dabei senkte es sich langsam tiefer. Maysie rannte zum Nebenarm im Westen, mußte aber feststellen, daß hier das Ufer besonders schlammig war. Nach wenigen Schritten in die dunkle Brühe machte er verzweifelt kehrt. Dellsell, der am Ufer stehengeblieben war, rief ihm zu: »Was ist los? Warum gehst du nicht weiter?« »Hier kommen wir nicht durch. Wir müssen zurück in den Wald.« Aber dazu war es bereits zu spät. Der Schwarze Kontrolleur war inzwischen gelandet und schnitt ihnen den einzigen Fluchtweg ab. Eine Luke hatte sich geöffnet, und zwei scheibenförmige Flugmaschinen kamen heraus, die lange metallene Arme mit Greifwerkzeugen an den Enden hatten. Zielstrebig schwebten sie auf die beiden Proluren zu, die wie erstarrt dem Unfaßbaren entgegensahen. Der Schreck und das Entsetzen schien sie gelähmt zu haben. Doch dann, als die metallenen Arme nach ihnen griffen, fiel die Lähmung von ihnen ab. Maysie stürzte sich mit einem Aufschrei auf eine der Scheiben, packte den nach ihm ausgestreckten Arm und versuchte ihn zu verbiegen. Natürlich hatte er damit keinen Erfolg, doch der Angreifer wich ein wenig zurück. Dellsell bückte sich und nahm einen dicken Baumast. Sich um seine eigene Achse drehend, schwang er ihn gegen die zweite Scheibe, die einige Treffer erhielt und in der Luft hin und her schwankte. »Das sind Maschinen!« keuchte Maysie und bückte sich ebenfalls nach einem starken Ast. »Vielleicht können wir sie kaputt machen.« Einer der Roboter erhielt einen schweren
19 Treffer und taumelte in Richtung des gelandeten Schiffes davon, verfolgt von dem Triumphgebrüll Dellsells. Aber die Freude des Siegers hielt nicht lange an. Aus der Luke des Schwarzen Kontrolleurs kamen drei weitere Scheiben geflogen und näherten sich mit ausgefahrenen Greifarmen dem Schauplatz des Kampfes. Die beiden Proluren, rettungslos in die Enge getrieben und ohne Ausweg, wehrten sich mit bemerkenswertem Mut und einer Ausdauer, die sie wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten hätten. Immer wieder vertrieben sie die vier Angreifer. Der fünfte war inzwischen in dem Schiff verschwunden. Dellsell und Maysie hatten nun jeder zwei Gegner, die ihre Aktionen koordiniert durchführten. Maysie war der erste, der aufgeben mußte. Seine beiden Roboter entrissen ihm seine Waffe und packten ihn fest an den Armen, um ihn dann einige Meter in die Höhe zu heben. Hier wagte der Prolure keine Gegenwehr, denn er fürchtete, sich bei dem Sturz zu verletzen. Sie schleppten ihn ins Schiff. Dellsell sah es und wurde für einen Augenblick abgelenkt. Das genügte. Die Roboter packten auch ihn und segelten auf die Luke zu. Er wehrte sich aber immer noch, stemmte sich gegen den Lukenrand und brüllte seine Wut und Verzweiflung heraus. Er trat nach den Scheiben, aber auch das nützte ihm nichts. Einmal auf dem Deck des Schiffes schloß sich die Luke, und die metallene Bordwand war mindestens vier Meter hoch. Selbst wenn seine Gegner ihn jetzt frei ließen, würde das nichts nützen. Minuten später fanden sich die tobenden Proluren in einem kahlen Raum wieder, dessen Wände ebenfalls aus Metall bestanden. In der Decke brannte Licht. Mit einem dumpfen Laut schloß sich die Tür. Sie waren allein.
*
20 Atlan hatte den Lärm des Kampfes gehört und geahnt, was geschehen war. Aus einem ersten Impuls heraus wollte er die Gelegenheit nutzen, die Flucht zu versuchen, aber dann kam ihm der Gedanke, daß es besser sei, damit noch zu warten. Die Roboter mußten mindestens zwei nicht paralysierte Gefangene gemacht haben, das bedeutete, daß es außer ihm noch andere Immune gab. Er war ausgezogen, solche Immune zu finden. Wenn er jetzt floh, verpaßte er diese Chance. Also blieb er. Inzwischen startete der Schwarze Kontrolleur. Atlans Plan war es, heimlich mit den anderen Gefangenen Verbindung aufzunehmen und dann zu versuchen, das Schiff in seine Gewalt zu bekommen. Wenn es nicht ferngesteuert wurde, traute er sich zu, mit den Kontrollen fertig zu werden. Doch zuerst mußten die Roboter ausgeschaltet werden. Das stellte er sich nicht allzu schwer vor, denn seiner Meinung nach waren die Maschinen so programmiert, daß sie die Gefangenen nicht töten durften. Nur lebend nützten sie den Unbekannten, wenn sie die Ursache der Immunität herausfinden wollten. Er wartete, bis das Summen des Antriebs regelmäßig wurde, dann öffnete er die Tür und vergewisserte sich, daß niemand im Nebenraum war. Vorsichtig und ohne ein Geräusch zu verursachen, schlich er sich weiter bis auf den Korridor. Irgendwo wurde heftig gegen Türen oder Wände geklopft, dazwischen hörte Atlan wütendes Rufen in einer ihm unbekannten Sprache. Das mußten die Gefangenen sein, die man an Bord geschleppt hatte. Sie galt es zu finden und zu überzeugen, daß man ein Verbündeter war. Hoffentlich verstanden sie Pthora. Er brauchte keinen Lift zu benützen, denn die Zelle der Gefangenen befand sich auf gleicher Ebene. Schweberoboter waren nicht in Sicht. Wahrscheinlich waren sie wieder auf Deck zurückgekehrt und befanden sich
Clark Darlton in Bereitschaftsstellung. Hastig eilte Atlan an den vielen Türen vorbei und hielt vor jener an, hinter der die Gefangenen einen Höllenlärm verursachten. Ob sie nicht wußten, daß man den Sperriegel auch von innen öffnen konnte? Ein Griff, eine knappe Drehung – und die Tür ging einen Spalt weit auf. Gleichzeitig prallte von innen etwas mit voller Wucht dagegen, ein merkwürdiges Lebewesen, wie Atlan noch nie eines gesehen hatte. Es erinnerte bei einiger Phantasie an einen Würfel mit Gliedmaßen und einen Kopf mit einer Hundeschnauze. Atlan sprang zur Seite, um Platz zu machen. Der Ausbrecher rutschte an der sich weit öffnenden Tür entlang, flog quer über den Korridor und knallte mit ziemlichem Schwung auf die gegenüber befindliche Wand. Es klatschte dumpf, dann drehte sich der Würfel um und musterte Atlan, der mit beiden Händen beruhigende Gesten zu machen versuchte. Der Fremde mußte die Zeichen verstanden haben, denn er griff nicht an. In der Tür erschien ein zweites Exemplar. Zum Glück hatten sie beide mit dem Brüllen aufgehört. »Ich bin Gefangener wie ihr«, sagte Atlan, aber er wußte sofort, daß sie Pthora nicht verstanden. Sie mußten aus der Senke der Verlorenen Seelen stammen, aufgewachte Schläfer also, die ausgerissen waren. Lebewesen, die von einer jener Welten geholt worden waren, die Pthor überfiel. »Ich will euch helfen.« Wenn sie auch nicht begriffen, was er sagte, so deuteten sie zumindest den Tonfall richtig. Sie folgten ihm in ihre eigene Zelle. Atlan verschloß die Tür und zeigte ihnen, wie man sie wieder öffnete. Dann folgte eine mühsame »Unterhaltung« in der Zeichensprache. Atlan fand seine Vermutung bestätigt, was die Herkunft der beiden seltsamen Wesen betraf, aber sie schienen selbst nicht zu wissen, warum sie von der allgemeinen Lähmung verschont geblieben waren. Vielleicht besaßen sie einen natürlichen organischen
Der schwarze Kontrolleur Schutz vor der Paralyse oder hatten parapsychische Eigenschaften, von denen sie nichts ahnten. Jedenfalls drückten sie ihre Bereitschaft aus, Atlan zu helfen. Sie würden sich der Schweberoboter annehmen und sie außer Gefecht setzen, sobald sie entsprechende Waffen aufgetrieben hatten. Wenn man die Scheiben einzeln überraschte, konnte das nicht allzu schwer sein. Die Maschinen waren verwundbar, das wußte man bereits. Atlan würde sich um die Kontrollen des Schiffes kümmern und es notfalls zur Landung zwingen. Nachdem man so einen Schlachtplan entworfen hatte, ging man an dessen Verwirklichung. Die Tatsache, daß keine neue Landung erfolgt war, deutete darauf hin, daß der Schwarze Kontrolleur keine weiteren Immunen entdeckt hatte. Atlan bedauerte diese Tatsache, denn er wäre über weitere Verbündete recht froh gewesen. Außerdem hätten sich die Chancen für eine erfolgreiche Flucht verbessert. In einem Raum, der am Ende eines Seitengangs lag, fanden sie genau das, was sie suchten. Es mußte sich um eine Art Werkzeuglager handeln, vielleicht auch um Ersatzteile. Jedenfalls griffen die beiden Proluren sofort nach den Eisenstangen, die säuberlich gestapelt in einem Regal lagen. Wenn sie schon mit einem Baumast einen Scheibenroboter außer Gefecht gesetzt hatten, würde das mit einer Eisenstange noch besser klappen. Atlan zog zwei massive Werkstücke vor, die gut zu handhaben waren. Sie erinnerten an schwere Schraubenschlüssel. Einen davon schob er in die geräumige Tasche seines Anzugs, den anderen behielt er in der Hand. Einen ersten Eindruck von dem Können seiner kleinen Armee erhielt Atlan wenige Minuten später auf dem Korridor, als sie plötzlich einem lautlos heranschwebenden Scheibenroboter gegenüberstanden.
*
21 Dellsell rief seinem Artgenossen etwas zu, das Atlan nicht verstand, aber er sah die Wirkung und brauchte nicht einzugreifen. Die beiden Proluren hieben mit gezielten Schlägen auf die Scheibe ein, die sofort zu taumeln begann und schräg gegen die Wand segelte, an ihr herabrutschte und bewegungslos liegenblieb. Das alles hatte keine zehn Sekunden gedauert. So großartig dieser Erfolg auch sein mochte, er bedeutete noch lange nicht den endgültigen Sieg. Atlan war davon überzeugt, daß der Roboter mit den anderen im Schiff in Funkverbindung stand und sie informierte. Das würde bedeuten, daß die Jagd auf die entflohenen Gefangenen bald begann. Atlan mußte verhindern, daß der Zutritt zur Kontrollzentrale blockiert wurde. Die beiden Proluren unterhielten sich in ihrer knurrigen Sprache so ungeniert, als wären sie bereits die Herren des Schiffes. Atlan bedeutete ihnen, ihm zu folgen und leiser zu sein. Sie benutzten den Lift, um in die höheren Regionen zu gelangen. Der Kontrollraum befand sich auf gleicher Ebene mit dem Deck, darüber waren weitere Aufbauten, wahrscheinlich mit Beobachtungsstationen und vielleicht sogar eine Feuerleitstelle, falls der Schwarze Kontrolleur bewaffnet sein sollte. Als sie den Lift verließen, glitten drei Roboter auf sie zu und griffen sofort an. Diesmal hatten die Proluren es nicht so leicht, mit dem Gegner fertig zu werden. Jeder hatte einen von ihnen gegen sich, und der dritte kümmerte sich um Atlan, der nun selbst genug mit sich zu tun hatte. Der kürze Schraubenschlüssel war keine geeignete Waffe, wenn es nicht gelang, damit eine empfindliche Stelle zu treffen. Zweimal prallte er von der harten Metallfläche der Scheibe ab, und Atlan hatte das Gefühl, als zerbreche sein Handgelenk. Oberhalb der Scheibe saß der eigentliche Robotkörper mit den Greifarmen. Er mußte hohl sein und das Instrumentarium beherber-
22 gen. Ein Schlag darauf bestätigte Atlans Vermutung. Zwar prallte auch hier sein Werkzeug ab, aber der Klang war anders. Die Hülle war demnach nicht so massiv wie jene der Scheiben, die den Antigrav enthielt. Trotzdem würde er die Metallwand nicht zertrümmern können. Die Metallklauen, mit denen er schon vorher Bekanntschaft gemacht hatte, griffen nach ihm. Als er darauf schlug, wichen sie zurück, aber nur für einen Moment. Die Hände des Roboters waren demnach kein neuralgischer Punkt. Im dem kurzen Rumpf leuchtete ein Lämpchen. Es erinnerte Atlan an das Auge einer Selenzelle. Es mußte das Seh- und Tastorgan des Roboters sein. Wenn er es traf, bestand die Möglichkeit, daß er die Orientierung verlor. Beim vierten Schlag zielte er sorgfältig, um die kleine Linse zu treffen. Es gelang ihm. Die Lampe zersplitterte und erlosch. Der Erfolg stellte sich sofort ein. Der Flugroboter begann zu taumeln und hilflos mit seinen Greifwerkzeugen in der Luft herumzufuchteln. Immer dann, wenn er die Wand berührte, nahm sein unsicherer Flug eine andere Richtung. Er war erblindet. Atlan setzte nach und zertrümmerte mit einem einzigen Schlag die winzige Kugelantenne, die oben auf dem Walzenkörper saß. Er hielt das Gebilde wenigstens für eine Empfangsantenne, die entweder der Kommunikation mit den anderen Robotern diente oder einer Fernsteuerung. Jedenfalls traf er damit den Lebensnerv der Flugscheibe. Sie taumelte nicht mehr, sondern stürzte ab. Schwer schlug sie auf dem Boden auf und blieb reglos liegen. Und die Proluren? Mit ihren Eisenstangen hatten sie sich zuerst gegenseitig bei der Abwehr ihrer Angreifer behindert, dann aber eine neue Taktik entwickelt. Sie sorgten dafür, daß sie nicht zu nahe beieinander standen, um mehr Bewegungsfreiheit zu erhalten. Da der Korridor breit genug war, konnten sie nun ihre
Clark Darlton Standen schwingen, ohne sich gegenseitig zu gefährden. Ihre Schläge blieben anfangs ziemlich wirkungslos, aber dann sahen sie, wie Atlan seinen Gegner kampfunfähig machte. Sie lernten schnell. Kurz nacheinander rasierten sie mit ihren Stangen die Kugelantennen regelrecht ab, die Roboter schienen plötzlich ohne jede Energiezufuhr zu sein und landeten unsanft auf dem Boden, wo die Proluren ihnen den Rest gaben. Aber Atlans heimliche Hoffnung, daß damit der Weg zur Zentrale freigekämpft war, erfüllte sich nicht. Die ausgeschalteten Roboter mußten noch Gelegenheit gehabt haben, ihre Befehlsstelle zu alarmieren. »Kommt mit!« rief er seinen beiden Verbündeten zu und unterstrich seine Aufforderung mit entsprechender Geste. »Wir müssen auf Deck gelangen, ehe sie uns hier einkreisen.« Er hatte am Ende des Korridors ein halbes Dutzend Roboter bemerkt, die auf sie zuschwebten. Wenn auch noch welche aus der anderen Richtung kamen, blieb zu wenig Raum für eine wirkungsvolle Verteidigung. Die Proluren begriffen und folgten ihm. Er öffnete mehrere Türen, aber hinter ihnen lagen nur weitere Räume. Der Ausgang zum Deck mußte weiter vorn und oben sein. Ein Lift brachte sie einige Etagen höher. Als sie aus dem Schacht auf den Gang traten, wurden sie bereits erwartet. Atlan zählte zehn Roboter, die sich schwebend vor den Liftausgang postiert hatten und so einen Kordon bildeten, der kaum zu durchbrechen war. Immerhin war es ein Glück, daß die fliegenden Scheiben nicht über Waffensysteme verfügten, sondern mit ihren Greifwerkzeugen auskommen mußten. Dellsell und Maysie stießen ein drohendes Knurren aus und schwangen ihre Stangen, um sich den Weg freizukämpfen. Atlan erspähte aus den Augenwinkeln heraus eine Lücke in der Absperrung und tauchte blitzschnell durch sie hindurch, so in den Rücken der Roboter gelangend.
Der schwarze Kontrolleur Zwei von ihnen durchschauten seine Absicht und folgten ihm auf dem Weg zum Deck. So schnell er auch rannte, sie holten ihn ein, ehe er sein Ziel erreichen konnte. »Ihr wollt es nicht anders!« rief er ihnen zu und stellte sich. Die leicht verwundbare Blinklinse des Gegners, der ihm am nächsten war, schien ihn tückisch anzuflimmern. Atlan verspürte so etwas wie Mitleid mit der Maschine, als er das Licht zertrümmerte und sich dann sofort dem zweiten Gegner zuwandte, der ebenfalls blind wurde, ehe er ausweichen konnte. Der Weg war wieder frei. Atlan wußte, daß die beiden Proluren – er kannte diesen Namen natürlich nicht und nannte sie bei sich »die Fremden« – die anderen Roboter vollauf beschäftigten, ohne daß sie dabei in ernsthafte Gefahr gerieten. Damit deckten sie ihm den Rücken, falls er nicht erneut angegriffen wurde. Er fand eine Tür und stand Sekunden später auf dem Deck. Über ihm war der Himmel, grau bezogen und regnerisch. An den Aufbauten führte außen eine Leiter nach oben zu einer kleinen Plattform. Er stieg hinauf, um sich zu orientieren. Der Schwarze Kontrolleur glitt in geringer Höhe über eine Steppenlandschaft dahin, die Atlan vage bekannt erschien. Sie mußten sich südlich des Wachen Auges befinden und flogen nach Osten, in Richtung der FESTUNG. Es würde besser sein, wenn das Schiff die Pyramiden nicht erreichte. Noch immer waren keine neuen Roboter zu sehen. Soweit Atlan sich auskannte, befand sich der Zugang zum Kontrollraum im Innern der Aufbauten. Er mußte also wieder zurück, wenn er zu ihm gelangen wollte. Hastig stieg er die Leiter hinab und verließ das Deck. Nach einigem Umherirren fand er den Weg zum Kontrollraum, durch den man ihn bei seiner Gefangennahme geschleppt hatte. Er begegnete keinem einzigen Roboter, was der vorangegangenen Ereignisse wegen
23 sehr erstaunlich war. Schließlich mußte der Alarm sämtlicher Maschinen an Bord des Schwarzen Kontrolleurs mobilisiert haben. Nichts dergleichen schien der Fall zu sein. Trotzdem blieb er vorsichtig, und schließlich stand er vor der Tür zur Kommandozentrale. Durch einen leichten Druck mit der Hand ließ sie sich öffnen. Sie war bis auf das komplizierte Instrumentarium einer automatisch gesteuerten Anlage leer. Es war nicht das erste Mal, daß Atlan einer ihm völlig fremdartigen Technik gegenüberstand. Er wußte aus Erfahrung, daß die technische Entwicklung im Universum in den meisten Fällen in ähnlichen Bahnen verlief und die Ergebnisse oft identisch waren. In einer Hand hielt er noch immer den Schraubenschlüssel, seine einzige Waffe. Er zog die Tür hinter sich zu und hoffte, daß die Proluren inzwischen die Roboterbesatzung des Schiffes genügend beschäftigten. Mit äußerster Konzentration studierte er die Kontrollkonsolen und Schalttafeln, von denen einige manueller Bedienung vorbehalten waren. Wenn es ihm gelang, die Automatik des Schwarzen Kontrolleurs außer Betrieb zu setzen, war es durchaus möglich, daß er selbst das Schiff nach Belieben steuern konnte. Vor allen Dingen war es wichtig, die Fernkontrolle für die Roboter zu finden, damit diese nicht mehr störten. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Atlan eine Bewegung, die er nicht sofort exakt lokalisieren konnte. Erst beim näheren Hinsehen entdeckte er eine kameraähnliche Einrichtung, die an einem Schwenkarm saß. Die Linse am vorderen Ende war unverkennbar. Atlan machte einen schnellen Schritt zur Seite – die Kamera folgte seiner Bewegung. Sie wurde automatisch gesteuert. Die Frage war nur, wer das Bild empfing. Ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sich diese Frage selbst zu beantworten, zerschmetterte der Arkonide die empfindliche Linse mit einem Schlag des Schraubenschlüssels. Seine Suche nach weiteren Instrumenten dieser Art blieb erfolglos.
24 Über den Hauptkontrollen befand sich ein breiter Bildschirm, der in Betrieb war. Er zeigte das Gebiet, das von dem Schiff gerade überflogen wurde. Im Augenblick machte es sehr geringe Fahrt und schien fast auf der Stelle zu stehen. Das Gelände hatte sich kaum verändert. Nach Atlans Schätzung befand man sich südöstlich der Senke der verlorenen Seelen, also westlich der FESTUNG. Ein besonders auffällig angebrachter Hebel lenkte Atlans Aufmerksamkeit auf sich. Er beherrschte eine jener Konsolen, die aller Wahrscheinlichkeit nach handbedient werden konnten. Der Arkonide kam nach einiger Kombinationsarbeit zu dem Schluß, daß er die Handkontrollen aktivierte und die Automatik ausschaltete. Es war ihm klar, daß jede Veränderung, die ohne einen entsprechenden Befehl vorgenommen wurde, die Aufmerksamkeit der eigentlichen Kommandostelle erregen mußte, aber das störte ihn kaum noch. Die Kamera mußte seine unbefugte Anwesenheit längst verraten haben. Kurz entschlossen trat er vor die Kontrolltafel und legte den Hebel von oben nach unten. Einige Lämpchen leuchteten auf, andere erloschen. Sonst geschah nichts. Draußen auf dem Korridor war Lärm zu hören. Metall schlug gegen Metall, dazwischen ertönte das knurrige Geschrei der beiden Fremden, die sich offensichtlich auf dem Rückzug befanden und automatisch die Richtung einschlugen, in der sie Atlan hatten verschwinden sehen. Der Arkonide ahnte, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Wenn es ihm schon nicht gelang, das Schiff unter seine Kontrolle zu bringen, mußte er es zur Landung zwingen. Auf keinen Fall durfte es sein Ziel erreichen, solange er sich als Gefangener und waffenlos an Bord aufhielt. Der Lärm kam näher. Atlan sprang zur Seite, als einer der Scheibenroboter von außen gegen die Tür prallte und sie dabei öffnete. Mit unsicheren
Clark Darlton Taumelbewegungen segelte er in die Kommandozentrale. Seine Sehlinse war zertrümmert. Hinter ihm stürzte einer der Proluren in den Raum und schwang seine Eisenstange. In seiner Rage schien er Atlan nicht zu bemerken, der seitlich vor den Instrumenten stand. Seine Stange traf den Roboter, ohne ihn ernsthaft zu beschädigen, aber der Aufprall genügte, die Maschine gegen die Kontrollen zu schleudern. Es gab einen Lichtblitz und einen Knall. Der Prolure wich erschrocken zurück, ging aber sofort wieder in Abwehrstellung, als der Roboter sein Gleichgewicht zurückerlangte und blind seinen Gegner zu suchen begann. Atlan griff blitzschnell ein und zertrümmerte die Antenne. Kaum war das geschehen, als eine Erschütterung durch das Schiff ging. Fast gleichzeitig erschienen in der noch offenen Tür zwei neue Roboter, deren Antennen und Linsen intakt waren. Zielstrebig griffen sie sofort an. Als Atlan sicher war, daß sich der Prolure die beiden Gegner ohne Schwierigkeiten vom Leib halten konnte, widmete er sich wieder seiner ursprünglichen Aufgabe. Auf dem Bildschirm konnte er sehen, daß der Flug des Schwarzen Kontrolleurs unsicher geworden war. Die Wüstenlandschaft kam langsam näher. Stürzte das Schiff ab?
* Dellsell und Maysie wuchsen über sich selbst hinaus. Die alte Rivalität zwischen ihnen war – für den Augenblick wenigstens – erloschen. Rücken an Rücken wehrten sie die pausenlosen Angriffe der Roboter ab und legten einen nach dem anderen lahm. Dann wurden sie getrennt. Während Maysie von einer Übermacht bis ans Deck gedrängt wurde und dort wieder erfolgreich seine Stange schwingen konnte, zog sich Dellsell in den Korridor zurück und
Der schwarze Kontrolleur verirrte sich zunächst in den zahllosen Gängen und Abzweigungen. Immer wieder holten ihn die schnelleren Roboter ein, aber sie bekamen ihn nicht zu fassen. Es war ein Glück, daß sie alle nach dem gleichen Prinzip konstruiert waren und daher auch die gleichen verwundbaren Stellen hatten. Sie konnten nicht als gleichwertige Gegner bezeichnet werden, wenn man diese Stellen kannte. Jetzt zählte nur noch ihre zahlenmäßige Übermacht. Und die war auf die Dauer zu groß. Dellsell spürte kaum noch seine Arme. Er wußte, daß er die pausenlose Anstrengung nicht mehr lange aushalten konnte. Er mußte sich für ein paar Minuten ausruhen, sonst wurde er wieder in eine Zelle gesperrt. Um Maysie konnte er sich nicht kümmern, der mußte über ihm auf dem Deck sein. Von zwei Robotern verfolgt, lief er den breiten Hauptkorridor entlang und rannte gegen eine dritte Flugscheibe, die um eine Ecke bog. Der Aufprall war so heftig, daß sowohl die Scheibe wie auch Dellsell zu Boden geschleudert wurden. Einen Augenblick blieb der Prolure halb betäubt liegen, aber er rappelte sich schnell wieder auf, als der Roboter hochkam und ihn angriff. Mit einem Schlag seiner Eisenstange zertrümmerte Dellsell das Auge des Gegners, der – nun blind geworden – gegen eine Tür prallte, die sofort aufging und den Blick in den Kontrollraum freigab. Dellsell sah Atlan und folgte dem Roboter, um ihm den Rest zu geben. Der Arkonide nahm ihm die Arbeit ab. Dann ereignete sich eine Explosion. Das Geschehen nahm eine dramatische Wende.
4. Als Dellsell die beiden Roboter außer Gefecht gesetzt hatte, machte Atlan ihm klar, daß er außerhalb des Kontrollraums darauf achten sollte, daß keine Flugscheibe mehr in die Nähe kam. Er deutete auf die Kontrollen
25 und auf den Schirm mit dem schwankenden Bild der Oberfläche von Pthor. Dellsell begriff und verschwand auf den Korridor. Wahllos begann Atlan nun mit den Kontrollen zu hantieren. Er wußte, daß er nicht mehr viel zu verlieren hatte, denn zweifellos hatte der Kurzschluß die Steuerautomatik beschädigt. Wenn es ihm nicht gelang, den Flug des Schiffes zu stabilisieren, war der Absturz unvermeidlich. Einige der Schaltungen befanden sich unter einer transparenten Platte, deren Öffnungsmechanismus Atlan nicht finden konnte. Kurzerhand zertrümmerte er sie mit dem Schraubenschlüssel. Er betätigte einen Schalter nach dem anderen und drückte schließlich einen auffallenden Knopf in der Mitte tief in den Sockel. Eine Sekunde später verstummte draußen der Kampflärm. Eine unheimliche Stille folgte. Dann hörte er die knurrigen Stimmen der beiden Fremden. Sie kamen näher. Atlan ahnte, was geschehen war. Er hatte die Robotbesatzung des Schwarzen Kontrolleurs desaktiviert. Sie erhielten keine Befehle und vielleicht auch keine Energie mehr. Dellsell und Maysie erschienen in der Tür und ließen einen Redeschwall los, von dem Atlan natürlich kein Wort verstand. Sie schwiegen, als er auf den Bildschirm deutete. Dann machten sie kehrt und rannten in den Gang, der zum Deck führte. Atlan war wieder allein, diesmal auch sicher vor den Robotern. Er schlug eine zweite Transparentplatte ein und setzte seine Versuche fort, aber ohne sichtbares Ergebnis. Die Oberfläche von Pthor kam weiterhin näher, wenn auch nicht sehr schnell. Das Schiff stürzte zum Glück nicht senkrecht und völlig unkontrolliert ab, aber es befand sich in einem unsicheren Sinkflug, der es unweigerlich früher oder später zu Boden bringen mußte. Atlan zögerte, weitere Experimente durchzuführen. Viel hatte er bisher nicht erreicht, wenn man von der Ausschaltung der Roboter absah. Das Schiff selbst hatte er
26 nicht unter seine Kontrolle bringen können. Aber es würde auch sein befohlenes Ziel nicht erreichen. Ein Blick auf den Bildschirm zeigte ihm, daß die Höhe kaum noch dreihundert Meter betrug. Noch fünf Minuten etwa blieben bis zur unfreiwilligen Landung. Wenn es nicht zu hart aufsetzte, konnte nicht viel passieren. Das Deck würde der sicherste Ort sein, denn bei einer allzu harten Landung mußte mit einer Explosion gerechnet werden. Atlan war sich darüber im klaren, daß ihn bisher nur der Anzug der Vernichtung vor Schäden bewahrt hatte. Er war mit mehreren Stromleitern in Berührung gekommen, aber es hatte keine Überschläge gegeben. Hastig verließ er den Kontrollraum und gelangte nach wenigen Minuten auf Deck. Die beiden Proluren erwarteten ihn dort mit Gesten, die Beunruhigung ausdrückten. Sie hatten begriffen, in welcher Lage sie sich befanden. Atlan vermochte sie nicht mehr zu ändern. Er kletterte drei Meter an den Aufbauten empor, um so über den Rand der großen Schüssel blicken zu können. Pthors Oberfläche war nur noch knapp hundert Meter entfernt. Einige kreisrunde Seen mit fast schwarzem Wasser zogen vorbei und blieben schnell zurück. Je tiefer das Schiff sank, desto höher schien seine Geschwindigkeit zu werden, aber das war nur eine optische Täuschung. Sie flogen jetzt genau nach Süden, würden also das Wache Auge in einiger Entfernung auf der westlichen Seite passieren, wenn sich das Schiff noch lange genug in der Luft hielt. Es mußte ungefähr die Gegend sein, dachte Atlan, als er wieder hinab aufs Deck kletterte, in der er gefangengenommen worden war und wo er den Händler aus Oxeyan mit seiner Echse gefunden hatte. Von dort aus waren es noch mehr als hundert Kilometer bis zur FESTUNG, also zwei gute Tagesmärsche. Unter seinen Füßen spürte Atlan plötzlich
Clark Darlton ein unregelmäßiges Vibrieren, das stärker wurde und schließlich auch regelmäßiger. Das Begleitsummen kannte er nur zu gut. Er hatte es schon zweimal gehört, als der Schwarze Kontrolleur Fahrt aufnahm nach dem Start. Sollte …? Er dachte den Gedanken nicht zu Ende, sondern bedeutete den beiden Proluren, hier auf ihn zu warten und nichts zu unternehmen. Jene Unbekannten, die Pthor durch die Dimensionen steuerten, hatten das Schiff wieder unter ihre Kontrolle bekommen. Es änderte abermals die Flugrichtung und nahm Kurs auf die FESTUNG. Dabei gewann es wieder an Höhe. Jetzt war Atlan alles egal. Er mußte unter allen Umständen verhindern, daß der Schwarze Kontrolleur das befohlene Ziel erreichte, wo immer es auch liegen mochte. Zum Glück blieben die Roboter noch desaktiviert, aber auch das konnte sich jeden Moment ändern. Dann würde der Kampf erneut beginnen, und vielleicht erhielten sie diesmal den Befehl, die Gefangenen nicht mehr so schonend zu behandeln, wie das bisher geschehen war. Atlan sprang in den Korridor und rannte in den Kontrollraum. Der Bildschirm zeigte ihm, daß sie wieder fünfhundert Meter hoch waren und schneller flogen. Es wurde also höchste Zeit, dem ungewissen Spiel ein Ende zu bereiten. Viel Gelegenheit zum Nachdenken und Kombinieren blieb nicht. Wahllos schlug er mit dem schweren Schraubenschlüssel auf die Schaltkonsolen und Kontrollen. Abermals bewahrte ihn das Goldene Vlies, der Anzug der Vernichtung, vor Verletzungen und körperlichen Schäden, denn sein Zerstörungswille verursachte einen Kurzschluß nach dem anderen. Seine Bemühungen blieben lange Zeit erfolglos, aber dann traf sein Schraubenschlüssel eine der Hauptleitungen. Die Detonation war derart stark, daß er von dem Luftdruck in die andere Ecke des Raumes geschleudert
Der schwarze Kontrolleur wurde. Er blieb auf dem Boden sitzen und beobachtete den Bildschirm. Zuerst änderte sich nichts, aber das bisher gleichmäßige Summen des Antriebs klang plötzlich anders. Hinzu kam das bekannte Vibrieren, das durch das ganze Schiff ging. Atlan wußte sofort, daß er den Lebensnerv der Automatik getroffen hatte. Sekunden später erhielt er durch den Bildschirm den Beweis. Es war wie beim ersten Mal. Das Bild begann zu schwanken, weil das Schiff schlingerte und nicht auf Kurs blieb. Außerdem verlor es schnell an Höhe. Es stürzte ab. Diesmal endgültig. Achtlos ließ Atlan den Schraubenschlüssel liegen, der ihm so gute Dienste erwiesen hatte. Er mußte hinaus aufs Deck. Er tastete sich an den Wänden des Korridors entlang, weil der Boden unter ihm schwankte. Der Lift funktionierte noch, obwohl er das eigentlich nicht erwartet hatte. Unterwegs sah er mindestens ein Dutzend der nun bewegungslosen Flugroboter herumliegen. Der Kontakt zwischen ihnen und der Befehlszentrale war endgültig unterbrochen. Auf dem Deck angelangt, entdeckte er die beiden fremden Verbündeten dicht am Rand der Flugschüssel. Auch sie spürten den Absturz, außerdem schwankte der Flugkörper so hin und her, daß ein Blick über den Rand möglich wurde. Die Wüstenfläche der vereinzelten Felsen und Baumgruppen kam schnell näher. Atlan verlor den Halt und stürzte zu Boden. Mühsam kroch er weiter, bis er sich an einigen Verstrebungen festklammern konnte. Durch Zeichen gab er den Proluren zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten sollten. Mehr konnte er nicht für sie tun. Aber Dellsell und Maysie waren klug genug, dem Beispiel Atlans zu folgen. Auch sie suchten sich einen festen Halt und klammerten sich daran, um den zu erwartenden Aufprall abzumildern. Er mußte nun jeden Augenblick erfolgen.
27
* Das Schiff lag schräg im Himmel und glitt im Steilflug der Oberfläche entgegen. Manchmal schien es, als wolle es wieder auf Kurs kommen und dem Aufprall ausweichen. Es war offensichtlich, daß jemand versuchte, die fliegende Schüssel vor der Vernichtung zu retten. Aber es gelang ihm nicht. Zwar wurde die Flugkurve etwas flacher dicht über der Oberfläche, aber die Geschwindigkeit war noch zu hoch, um eine sanfte Landung zu ermöglichen. Außerdem bildeten Felsbrocken und Baumgruppen erhebliche Hindernisse. Das Schiff setzte platt auf und rutschte weiter. Mit voller Wucht prallte es dann gegen einen haushohen Felsen, der die Fahrt abrupt bremste. Der Schwarze Kontrolleur kam mit einem Ruck zum Stehen und neigte sich langsam auf die Seite. Dann blieb er ruhig liegen. Atlan hatte die Versuche der unbekannten Herren von Pthor bemerkt, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bekommen, aber er konnte jetzt nichts mehr dagegen unternehmen. Das harte Aufsetzen war fast eine Erleichterung für ihn, denn er wußte nun, daß der Versuch der anonymen Gegner mißlungen war. Der Erleichterung folgte der Aufprall auf den Felsen. Darauf war niemand gefaßt gewesen. Atlan wurde regelrecht von seiner Verstrebung weggerissen und rutschte quer über das glatte Deck auf den Rand des Flugkörpers zu, der sich zur Seite neigte und so eine ansteigende Fläche bildete, die das Tempo verringerte. Trotzdem flog Atlan über diesen Rand hinaus, fiel etwa zehn Meter in die Tiefe und landete in einer Sanddüne, die der Wind hinter dem Felsen angehäuft hatte. Den beiden Proluren erging es nicht viel besser. Allerdings befanden sie sich während des Aufpralls bereits am Rand der Schüssel und
28 flogen durch den Ruck nicht über ihn hinweg, sondern schlitterten auf den Bug zu. Ein Aufbau versperrte ihnen dann den Weg. Dellsell verlor das Bewußtsein, als er mit dem Kopf gegen das Metall krachte, Maysie hingegen verstauchte sich nur den Fuß. Er kümmerte sich um seinen Gefährten. »Jedenfalls sind wir unten«, versuchte er sich selbst zu trösten, weil Dellsell ihn nicht hören konnte. »Wo ist nur der seltsame Fremde geblieben …?« Dellsell bewegte sich und erlangte allmählich das Bewußtsein zurück. Mühsam richtete er sich auf. »Wo sind wir?« »Unten«, wiederholte Maysie und massierte sein Fußgelenk. »Ich bin froh darüber. Fliegen ist nicht das Richtige für uns.« »Wo ist der Fremde? Ich sehe ihn nicht.« »Er muß aus dem Schiff gefallen sein.« Dellsell stand vorsichtig auf, aber er mußte sich dabei noch stützen. »Was ist mit deinem Fuß? Kannst du aufstehen?« »Verstaucht, nicht so schlimm.« Maysie kam hoch, konnte sich aber der Schräglage des Schiffes wegen nicht halten und rutschte bis zum Rand der Schüssel. Er kroch weiter und sah über ihn hinweg. Er winkte. »He, Dellsell, da unten liegt unser Freund. Er ist ganz schön tief gefallen, aber er bewegt sich. Wir müssen ihm helfen.« »Ich komme schon …« Bald lagen sie beide nebeneinander auf der schrägen Fläche, deren oberer Rand gut zehn Meter über der Sanddüne war. Atlan war gerade dabei, sich aus dem lockeren Erdreich zu graben. Soweit er feststellen konnte, hatte er keine Verletzungen davongetragen, wohl aber den zweiten Schraubenschlüssel verloren. Als er nach oben blickte, entdeckte er die beiden Hundeschnauzen der Proluren. Sie waren noch im Schiff! Hastig winkte er ihnen zu. »Runterspringen, schnell! Wir müssen weg von dem Schiff! Wenn eine Detonation
Clark Darlton erfolgt, sind wir verloren.« Sie verstanden ihn nicht, begriffen aber, daß er sie aufforderte, zu ihm zu kommen. Das war natürlich leichter gesagt als getan. Maysie mit seinem verstauchten Fuß verspürte keine Lust, sich auch noch den anderen zu verletzen oder gar zu brechen. Dellsell schon gar nicht. Atlan ahnte ihre Bedenken, aber es gab keine andere Möglichkeit, um das Schiff zu verlassen. Die Hülle war glatt und ohne Vorsprünge. Die Luke war versperrt, und das ganze Gewicht des Schiffes lag auf ihr. Wenn er wenigstens ein Seil gehabt hätte, wäre es vielleicht möglich gewesen, es den beiden Fremden hinaufzuwerfen. Während Atlan noch überlegte, was er zur Rettung der Proluren tun konnte, half ihm genau das, was er befürchtet hatte. Im Innern des Schwarzen Kontrolleurs erfolgte eine erste Detonation. Sie richtete an der Außenhülle keinen Schaden an, aber sie ließ Spekulationen zu, was noch geschehen konnte. Wenn erst einmal der Energiespeicher explodierte … »Springen!« rief Atlan und kroch auf allen vieren den Schräghang der Düne hinab. »Nun macht schon!« Dellsell gab Maysie einen Stoß. »Er meint, wir sollen 'runter, bevor das Schiff in die Luft fliegt«, sagte er. »Spring du zuerst!« »Warum gerade ich? Spring du doch!« »Wieso? Du bist es doch, der immer den Anführer spielen möchte. Das hast du doch schon immer getan, besonders wenn Carmy …« »Halt den Mund!« fuhr Maysie ihn wütend an, aber ehe der alte Streit wieder ausbrechen konnte, erfolgte die zweite Detonation. Sie riß einen Teil der Aufbauten weg und schleuderte die Trümmer hoch in die Luft. Weit verstreut regneten sie wieder herab. Eine abgebrochene Verstrebung landete dicht neben den beiden Proluren. Dellsell sah sie kommen und warf sich ein Stück zur Seite, wobei er prompt das Gleichgewicht verlor und über den Bordrand
Der schwarze Kontrolleur rutschte. Mit einer Hand hielt er sich noch fest und brüllte um Hilfe. Die Strebe landete dort, wo er eben noch gelegen hatte. Sie kippte langsam um, und sie wäre genau auf Dellsells Hand gefallen, wenn dieser vor Schreck nicht losgelassen hätte. Mit einem markerschütternden Schrei stürzte er in die Tiefe und landete in dem Loch, das Atlan kurz zuvor aufgewühlt hatte. Der Sand war weich und locker, Dellsell sank bis zur Hüfte ein und blieb stecken. Er schrie noch immer, obwohl er keine Verletzungen davongetragen hatte. Atlan rannte ihm ein Stück entgegen, als er den Hang herabrutschte. Er half ihm auf die Beine. Eine dritte Explosion brachte beiden den unglücklichen Maysie in die Erinnerung zurück, der noch immer oben auf der Bordwand lag. Maysie hatte den Sturz seines Gefährten verfolgt und gesehen, daß diesem nichts passiert war. Das gab ihm neuen Mut. Er kroch weiter vor und sah hinab zur Düne. Ein Stück von ihr entfernt standen Atlan und Dellsell. Sie winkten ihm aufmunternd zu. In diesem Augenblick gab es abermals eine Detonation. Dicht hinter Maysie brach die Wand der Aufbauten auseinander, und die im Innern des Schiffes zusammengepreßte Luft fand den Weg ins Freie. Die Druckwelle ergriff den Proluren und riß ihn mit. Maysie flog ein Stück waagerecht vom Schiff weg, ehe er in einem steiler werdenden Bogen nach unten fiel. Er hatte Glück und landete am Fuß der Düne, wo der Sand noch weich genug war, den Aufprall abzumildern. Atlan und Dellsell eilten sofort zu ihm. Der verstauchte Fuß war angeschwollen, aber sonst war nichts verletzt oder gebrochen. Maysie stöhnte, als Atlan ihn untersuchte. »Wir müssen hier weg, schnell!« sagte der Arkonide mit einem Blick auf das Schiff. »Kommt!« Er hob Maysie auf und stützte ihn. Der
29 weiche Sand war hinderlich und erschwerte das Vorwärtskommen, aber die nun akut gewordene Gefahr verlieh ihnen neue Kräfte. Je schneller sie von dem Wrack wegkamen, desto besser für sie. Es war für Atlan selbstverständlich, daß der Schwarze Kontrolleur über eine Selbstzerstörungsanlage verfügte, und wenn nicht, so war das Schicksal des Schiffes ohnehin besiegelt. Die bisherigen Explosionen verrieten das nahende Ende. Sie benötigten für einen knappen halben Kilometer fast zwanzig Minuten, dann waren sie gezwungen, eine Ruhepause einzulegen. Atlan wählte dafür eine Mulde, die durch an ihrem Rand liegende Felsbrocken einigermaßen geschützt war. Maysies Fuß war noch mehr geschwollen, aber der Schmerz hatte nachgelassen. Zum Glück gab es ein schmales Rinnsal mit frischem Wasser, das wenig später wieder im Sand versickerte. Der Prolure konnte den Fuß kühlen, und wenig später ließ auch die Schwellung nach. Dellsell trank den kleinen Bach fast aus, so durstig war er. Mit Gesten deutete er an, daß er Hunger habe, aber da vermochte ihm niemand zu helfen. Besorgt sah Atlan immer wieder hinüber zu dem Wrack des Schwarzen Kontrolleurs, dann nach Osten. Dort mußte die FESTUNG liegen, vielleicht nur zehn oder zwanzig Kilometer entfernt. Aber er konnte sich auch irren. Von den Pyramiden jedenfalls war noch nichts zu bemerken. Und dann schoß drüben beim Schiff ein greller Lichtblitz empor, dem eine ungeheure Detonation folgte, die das Wrack völlig zerriß. Atlan drückte die beiden Proluren tiefer in die Senke hinein, und Sekunden später raste die Druckwelle über sie hinweg. Trümmerstücke flogen, aber keines fiel in die schützende Mulde. Als Atlan vorsichtig den Kopf hob und über den Rand der Senke blickte, sah er eine dunkle Rauchwolke senkrecht in den Himmel steigen, und dort, wo das Schiff gelegen hatte, nur noch einen flachen Krater.
30
Clark Darlton
Der Schwarze Kontrolleur war für immer vernichtet.
* Atlans Entschluß stand fest: Er würde zur FESTUNG zurückkehren müssen, um sich einen neuen Zugor zu besorgen. Ohne ein Beförderungsmittel war er hilflos und konnte nichts unternehmen. Er mußte die anderen finden, die nicht von der Paralyse betroffen waren. Aber vorerst war an den Aufbruch noch nicht zu denken. Die beiden Fremden waren noch zu schwach. Hinzu kam der verstauchte Fuß des einen. Und mit zur FESTUNG wollte er sie auch nicht nehmen. Also mußte er noch ein oder zwei Tage bei ihnen bleiben. Weiter im Süden, ein paar tausend Meter von der Absturzstelle entfernt, waren die Wipfel von Bäumen zu sehen. Wo aber Wald war, da gab es auch Fleisch und Früchte. Er gab seinen Gefährten zu verstehen, daß man weitergehen müsse. Zuerst wurden Proteste laut, aber diesmal blieb Atlan energisch. Als die Proluren liegen bleiben wollten, verließ er einfach die Senke und wanderte allein weiter. Als er sich nach einigen hundert Metern umdrehte, sah er, daß die beiden ihm folgten. Dellsell stützte Maysie. »Er will hin zu dem Wald, glaube ich. Wenn er uns allein läßt, bevor wir etwas zu essen finden, sind wir verloren.« »Vielleicht ist es der Wald, in dem wir schon waren. Dort finden wir alles, was wir brauchen.« »Diesmal lassen wir uns nicht noch einmal einfangen. Wir werden im Wald bleiben, und am Fluß.« Maysie humpelte tapfer weiter. »Ich glaube nicht, daß es derselbe Wald ist. Wir waren zu lange in dem fliegenden Ding, das eine weite Strecke zurückgelegt hat. Ich finde mich auf dieser fremden Welt überhaupt nicht mehr zurecht.«
Atlan ließ die beiden Proluren reden, ohne sich einzumischen. Da er kein Wort verstand, hätte das ohnehin keinen Sinn gehabt. Die Hauptsache war, sie gingen weiter, und er konnte sie bis zum Wald begleiten, der Nahrung und Wasser bot. Außerdem hatte er die Absicht, sich selbst ebenfalls mit einigen Vorräten zu versorgen. Immer wieder suchte er den Himmel ab, um das Auftauchen eines zweiten Schwarzen Kontrolleurs rechtzeitig zu bemerken. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es nur einen von ihnen gegeben hatte. Aber er sah nichts Verdächtiges. Endlich, nach gut zwei Stunden, erreichten sie den Wald. Die Bäume standen nicht sehr dicht, und der Boden war trocken. Trotzdem fanden sie nach einigem Umherirren eine kleine Quelle, die genügend Wasser gab. Maysie kühlte seinen Fuß. Atlan und Dellsell gingen auf die Suche nach einem schlafenden Stück Wild und Früchten. Sie fanden beides und kehrten zu Maysie zurück. Der hatte inzwischen ein Feuer angezündet und gab zu verstehen, daß er schon fast keine Schmerzen mehr verspürte. Atlan war sicher, schon am anderen Tag allein weitergehen zu können. Er würde den Proluren klarmachen, daß sie hier auf Hilfe warten sollten. Doch wieder einmal kam alles anders, als Atlan es sich vorgestellt hatte …
5. Mitten in der Nacht wurde Atlan wach. Die beiden Proluren lagen dicht bei dem noch glimmenden Lagerfeuer, er selbst hatte sich etwas abseits zur Ruhe niedergelegt und tief geschlafen. Die Erschöpfung war zu groß gewesen. Atlan wußte zuerst nicht, was ihn aufgeweckt hatte. Die Welt um ihn herum war so gut wie tot. Trotzdem glaubte er, eine Berührung gespürt zu haben. Irgend etwas hatte sich bewegt. Die Proluren konnten es nicht gewesen
Der schwarze Kontrolleur sein; sie lagen zu weit entfernt und schliefen fest. Was aber sonst? Er atmete ganz flach und lauschte in die Nacht hinaus. Nichts war zu hören, und eine unheimliche Stille lag über der in Finsternis getauchten Landschaft. Das einzige Geräusch kam von den Baumwipfeln, wenn ein Windstoß die Blätter bewegte. Atlan lag ganz still auf dem Rücken und starrte hinauf in den dunklen Himmel, an dem keine Sterne zu sehen waren. Pthor befand sich noch immer auf dem Planeten Loors in der Ebene Jell-Cahrmere. Da war es wieder …! Jetzt spürte Atlan es ganz deutlich: Unter seinem Rücken hatte sich das Laub bewegt, mit dem er sich das Lager bereitet hatte. Oder war es die Erde darunter gewesen? Ein Erdbeben? Nein, es war mehr ein leichtes Vibrieren, etwa wie im Schwarzen Kontrolleur, wenn dessen Antrieb summte. Eine ungeheuerliche Vermutung durchzuckte Atlans Gehirn, aber sein Extrasinn meldete sich nicht dazu. Er blieb stumm und gab keine Ratschläge. Pthors Antrieb – die »Seele«, tief unter der Oberfläche verborgen und teilweise von Wasser überflutet –, war er es, der wieder zum Leben erwachte? Das Vibrieren erstarb und hörte auf. Atlan erschien es wie eine Vorwarnung gewesen zu sein, die er nicht ignorieren durfte. Aber was sollte er jetzt in seiner Lage tun? Er war allein, denn die beiden Proluren zählten nicht. Als Helfer kamen sie kaum in Betracht. Aber durfte er sie jetzt im Stich lassen? Als weitere Erdstöße ausblieben, begann sich Atlan wieder zu beruhigen, wenn er mit seinen Überlegungen auch zu keinem endgültigen Schluß kam, die beiden kurzen Erschütterungen mußten nicht unbedingt etwas mit Pthor und dem Antrieb zu tun haben. Sie konnten ganz natürlichen Ursprungs sein und von dem Planeten Loors stammen. Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief
31 Atlan endlich erneut ein.
* Am östlichen Rand des Blutdschungels bewegte sich eine riesige Gestalt schwerfällig nach Norden auf die Stadt der Händler zu. Es war die Rüstung Porquetors, die von innen heraus durch das Grizzard-Bewußtsein in Kennons Körper gesteuert wurde. Die Rüstung war es, die Grizzard-Kennon vor der Lähmung geschützt hatte. Er hatte miterleben müssen, wie die Eingeborenen und die Tiere des Dschungels von der schleichenden Paralyse befallen wurden, ohne sich das Ereignis erklären zu können. Die Welt um ihn herum schien zu sterben, und bald schien selbst seine Waffe, die Lanze, überflüssig geworden zu sein. Trotzdem behielt er sie noch. War er das einzige Wesen von Pthor, das sich noch bewegen konnte, oder gab es auch andere? Wenn ja, dann mußte er sie finden. Vielleicht in Orxeya? Grizzard-Kennon hätte wissen müssen, daß auch die Händler von der allgemeinen Lähmung betroffen waren, aber er klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, daß ausgerechnet die zähen und bulligen Orxeyaner verschont geblieben waren. Langsam wanderte er weiter. In ein oder zwei Tagen konnte er die Stadt erreichen. Aber dazu sollte es nicht so schnell kommen.
* Als Atlan erwachte, hatte sich Dellsell bereits auf den Weg gemacht, um Früchte zu sammeln. Es gab hier einige Bäume, die bittere herbe Knollen trugen, nicht sehr schmackhaft, aber sättigend. Maysies Fuß hatte sich wesentlich gebessert. Die Schwellung war zurückgegangen, und der Schmerz hatte nachgelassen. Durch Gesten gab er jedoch zu verstehen, daß er
32 noch nicht in der Lage sei, weite Strecken zurückzulegen. Nach einigen Überlegungen entschloß sich Atlan dazu, einen weiteren Tag bei den Proluren zu bleiben. Ganz in der Nähe, am nördlichen Waldrand, erhob sich ein Hügel, dessen flacher Rücken eine relativ gute Rundsicht versprach. Als Dellsell von seiner erfolgreichen Suche nach Früchten zurückkehrte, teilte Atlan ihm mit, daß er sich umsehen möchte und bald zurück sei. Er schritt kräftig aus und stand dann auf dem Hügelkamm. Er konnte sogar den Krater sehen, den der Schwarze Kontrolleur in Pthors Oberfläche gerissen hatte. Nach Osten zu war das Gelände eben, nur mit einzelnen kleinen Höhenzügen durchzogen. Die Spitzen der Pyramiden lagen noch unter dem Horizont, konnten aber kaum mehr als zwanzig Kilometer entfernt sein, wie er schon vorher vermutet hatte. Der Rauch des Lagerfeuers wehte zu ihm herüber. Er setzte sich in das trockene Gras und war froh, wieder in Ruhe nachdenken zu können. Das nächtliche Beben hatte sich nicht wiederholt, es schien also in der Tat nur ein Naturereignis gewesen zu sein. Sein Ausflug war sinnlos gewesen, er hätte genausogut in der FESTUNG bleiben können. Als einzige Immune hatte er die Proluren gefunden, und ehe er andere entdecken konnte, war er in die Hände des Schwarzen Kontrolleurs gefallen. Wenn er wenigstens noch seinen Zugor besessen hätte. Was mochte aus Fenrir geworden sein? Solange alle anderen Lebewesen auch schliefen, drohte ihm keine Gefahr. Und wenn er wieder erwachte, würde er schon allein den Weg zurück zur FESTUNG finden. Um ihn brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Plötzlich fiel Atlan jemand ein, den er beinahe vergessen zu haben schien: La'Mghor, den ehemaligen Kommandanten des aggiarischen Schiffes ARMOSTUZ. Das intelligente Pflanzenwesen mit dem überaus
Clark Darlton begabten technischen Verstand und seinen Mutanteneigenschaften befand sich noch in den unterirdischen Antriebsanlagen von Pthor, die es so fasziniert hatten. La'Mghor hatte versprochen, den Versuch zu unternehmen, die »Seele Pthors« unter Kontrolle zu bekommen, was bedeuten würde, daß man den Flug des Dimensionsfahrstuhls künftig nicht mehr dem Zufall oder den unbekannten Herrschern überlassen mußte. Bisher schien der »Steuermann«, wie Atlan ihn gern nannte, keinen Erfolg gehabt zu haben. Aber die Anlage stand unter Wasser und Öl, und nur der besondere Metabolismus gestattete es dem Aggiaren, sich lange Zeit darin aufzuhalten. Ja, um La'Mghor würde er sich noch kümmern müssen, wenn er die FESTUNG erreichte. Gerade als Atlan diesen Entschluß faßte, begann die Erde unter ihm erneut zu beben, diesmal wesentlich stärker als in der vergangenen Nacht. Der Stoß war sogar so heftig, daß Atlan erschrocken aufsprang und dann Mühe hatte, das Gleichgewicht zu behalten. Dann ließ das Beben ein wenig nach, aber das gleichmäßige Vibrieren blieb. Eine Erinnerung stieg in Atlan auf, die seine Vermutung zur Gewißheit werden ließ. So war es damals gewesen, entsann er sich, als Pthor-Atlantis die Erde verließ und die Irrfahrt entlang der Dimensionslinien begann. Also doch der Antrieb? Unten am Waldrand sah er die beiden Proluren aufgeregt hin und her laufen und wild gestikulieren. Hoffentlich gerieten sie nicht in Panik und rannten davon. Atlan kümmerte sich nicht um den vibrierenden Boden und begann mit dem Abstieg in die Ebene, um zu seinen Gefährten zu eilen. Er mußte sie beruhigen. Jemand versuchte, das war nun klar, den Antrieb zu aktivieren, um Pthor in Fahrt zu bringen. Vielleicht war die allgemeine Paralyse die Vorbereitung gewesen, aber dann fiel möglicherweise auch der »Steuermann«
Der schwarze Kontrolleur La'Mghor als Verantwortlicher für das jetzige Geschehen aus. Ein automatischer Mechanismus etwa, der von den Unbekannten gesteuert wurde? Das paßte recht gut in das bunte Mosaik der letzten Ereignisse. Der Schwarze Kontrolleur mußte als Spion gut funktioniert haben. Dellsell und Maysie bemerkten ihn und rannten ihm entgegen, wobei Maysie sogar seinen verstauchten Fuß vergaß. Sie schrien, und Atlan konnte sich denken, was sie ihm zuriefen. Das Beben setzte erneut ein, und diesmal war es so stark, daß einige Bäume am Waldrand mit ihren Wurzeln aus dem Erdreich gehoben wurden und umstürzten. Vom Hügel herab rollten große Felsbrocken und blieben in der Ebene liegen. Maysie war hingefallen und begann zu jammern. Für ihn schien die Welt untergehen zu wollen. Sicherlich hatte er noch niemals ein solches Beben mitgemacht. Wenn Atlans Vermutungen stimmten, würde es bald noch schlimmer werden. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Er stellte Maysie auf die Beine und sah sich nach einem sicheren Platz um, denn der Wald bot nicht mehr Schutz. Eine große Senke, fast ein kleines Tal, schien das Richtige zu sein. Dorthin führte er die Proluren und begann dann mit der schwierigen Unterhaltung, die etwa folgenden Verlauf nahm: »Ich muß euch jetzt hier zurücklassen, um so schneller an mein Ziel zu gelangen. Maysie kann nur langsam gehen.« »Ohne dich sind wir verloren.« »Nein, das seid ihr nicht, denn es kann nicht mehr viel passieren. Bleibt hier in diesem Tal. Die Hänge sind viel zu flach, um einstürzen zu können. Das Beben kann euch nichts anhaben.« »Wir werden verhungern.« »Unsinn! Holt euch vom Waldrand die restlichen Lebensmittel und bringt sie hierher, aber paßt auf stürzende Bäume auf. Ich selbst werde mich auf den Weg machen und zu euch zurückkehren, sobald es möglich
33 ist.« »Warum willst du uns verlassen? Können wir nicht mitkommen?« Atlan erklärte noch einmal, warum er allein gehen müsse und fühlte, wie sich seine Geduld allmählich erschöpfte. Wenn er sich noch lange mit den beiden Proluren aufhielt, würde Pthor seine Reise ins Ungewisse antreten, ehe er die FESTUNG erreichen und etwas unternehmen konnte. Dellsell schien der Vernünftigere der beiden zu sein. Wort- und gestenreich versicherte er Atlan, daß er ruhig gehen könne. Er würde schon auf Maysie aufpassen und dafür sorgen, daß ihm nichts passiere. Außerdem habe er keine Furcht. Erleichtert nahm Atlan Abschied und verließ das Tal. Das Beben hatte sich nicht verstärkt.
* Atlan ging nur zwei Stunden, und als er sicher sein konnte, daß die Zurückgebliebenen ihn nicht mehr sahen, hielt er an. Er mußte sich in aller Ruhe konzentrieren können, um das durchzuführen, was er plante. Er hatte sich mit dem Aggiaren La'Mghor nur auf telepathischer Basis verständigen können, und bei einem solchen Kontakt spielte die Entfernung keine Rolle. Da Atlan selbst kein Telepath war, war diese Art der Kommunikation für ihn ungewohnt und schwierig. Die Erde bebte noch immer, aber es war nicht schlimmer geworden. Auch fehlten alle anderen Anzeichen des beginnenden Fluges in den Weltraum und durch die Dimensionen. Offensichtlich gab es Komplikationen mit dem Antrieb. Das galt es zu nutzen. Atlan suchte sich einen sicheren Platz, an dem es weder Bäume noch Felsen gab, die ihn erschlagen konnten. Ein Blick zum Himmel zeigte ihm, daß sich dort noch nichts verändert hatte. Pthor lag vorerst noch immer auf dem Planeten Loors fest.
34
Clark Darlton
Telepathie funktionierte am besten, wenn man sich das Ziel bildlich vorstellte, in diesem Fall also den »Steuermann« und die unterirdische Antriebsanlage. Alles war Atlan bekannt, und die verblaßte Erinnerung begann schärfer zu werden, als er sich konzentrierte. Das ständige Beben und Vibrieren lenkten nicht mehr ab. Nichts störte den Strom der Gedankenimpulse, die Atlan ausschickte. Selbst wenn La'Mghor die Botschaft nicht erwartete und in dieser Hinsicht unaufmerksam war, mußte er die Impulse empfangen und verstehen können. Nach einer Weile »schaltete« Atlan auf Empfang, aber so sehr er sich auch konzentrierte, es geschah nichts. Er versuchte es mehrmals, dann gab er schließlich auf. Mühsam nur unterdrückte er die aufsteigende Enttäuschung. Der »Steuermann« war eine seiner letzten Hoffnungen, das Schicksal Pthors doch noch nach eigenem Ermessen lenken zu können. Wenn er versagte, blieb nichts anderes übrig, als selbst noch einmal in das unterirdische Labyrinth vorzudringen, was dank des Goldenen Vlieses auch möglich war. Was aber, wenn auch La'Mghor gelähmt war? Jetzt, als Atlan bewußt an diese Möglichkeit dachte, fiel ihm noch eine weit verhängnisvollere ein. Er wußte, daß sogar die Robotbürger von Wolterhaven paralysiert worden waren. Aus diesem Grund war es durchaus nicht unmöglich, daß auch die »Seele von Pthor«, der Dimensionsantrieb, lahmgelegt worden war. Warum aber dann die ersten Anzeichen der beginnenden Reise? Fragen über Fragen, und keine Antwort. Zumindest eine mußte er finden: Was war aus La'Mghor geworden?
* Dellsell und Maysie sahen Atlan nach, bis er hinter einigen Geländeerhebungen ver-
schwand. Ihre Laune war alles andere als gut, und von Zuversicht konnte überhaupt keine Rede sein. Als Maysie einmal den Namen der Elitefrau Carmy erwähnte, gab es eine hitzige Auseinandersetzung, und Dellsell drohte, seinen Leidensgefährten im Stich zu lassen, wenn er noch einmal davon anfinge. »Ich laß dich hier liegen, verlaß dich darauf! Wir sind auf einer fremden Welt, die auch noch unterzugehen droht. Was soll da unser alter Streit? Vergiß ihn endlich!« »Glaubst du wirklich, daß wir nie mehr unsere Heimat wiedersehen werden? Ich jedenfalls habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.« Dellsell biß in eine Frucht und kaute. Dann machte er eine unbestimmte Geste. »Nein, die Heimat, wie wir sie in Erinnerung haben, werden wir niemals wiedersehen. Als wir in dem gläsernen Haus erwachten, hörte ich, wie sich andere Erwachte unterhielten. Natürlich verstand ich nicht viel, aber ich begriff manches ihrer Zeichensprache, denn die anderen waren sich ja auch fremd und nahmen sie zu Hilfe.« »Ja, und?« »Aus der Unterhaltung ging hervor, daß wir uns in einem ganz anderen Teil des Universums befinden und viele Jahre geschlafen haben. Carmy wäre also längst tot.« Maysie, der in dem Gras saß, betastete seinen Fuß. »Tot …?« murmelte er und schien es nicht fassen zu können. »Jawohl, tot!« bekräftigte Dellsell, als könne er damit ein für allemal den strittigen Punkt ihres Lebens aus der Welt schaffen. Maysie ging nicht mehr auf das heikle Thema ein. Zu dem fast gleichmäßig gewordenen Beben und Vibrieren gesellte sich ganz allmählich ein fernes Brausen, so als käme ein starker Wind auf. Dellsell stieg ein Stück den Abhang hinauf und blickte angestrengt nach allein Seiten, aber er konnte nichts von den typischen Anzeichen eines nahenden Sturms bemerken.
Der schwarze Kontrolleur Das Brausen schien außerdem gleichmäßig von allen Richtungen zu kommen. Dellsell kehrte zu Maysie zurück. »Ich weiß nicht, ob wir hier bleiben und warten sollen.« »Der Fremde will es aber so.« »Er ist fort und hat uns zurückgelassen.« »Und wohin willst du? In den Wald gehe ich nicht mehr. Dauernd fallen Bäume um, die uns erschlagen können.« »Dann gehen wir in die Steppe.« »Und was willst du dort essen?« Das allerdings war der wunde Punkt. Sie einigten sich und beschlossen, vorerst noch in dem kleinen und flachen Tal zu bleiben, das einigermaßen Schutz bot.
* Mit Besorgnis stellte Atlan fest, daß sich die Anzeichen eines baldigen Aufbruchs von Pthor mehrten. Das langsam anschwellende Brausen, das aus weiter Ferne an seine Ohren zu dringen schien, rief alles andere als angenehme Erinnerungen in ihm wach und bestätigte alle seine Vermutungen. Bald würde das Brausen zu einem gleichmäßigen Rauschen werden, so als stünde man nicht weit von einem mächtigen Wasserfall. Verzweifelt versuchte er noch einmal, Kontakt mit La'Mghor zu erhalten, auf den er alle seine Hoffnungen setzte. Vergeblich. Der »Steuermann« antwortete nicht. Wenn es die Herren der Schwarzen Galaxis waren, die den Antrieb aktivierten, wurde die Lage hoffnungslos. Mit einer Wiederholung des Zufalls, der Pthor nach dem Start von der Erde mit einem Wasserball zusammenstoßen und vom Dimensionskurs abweichen ließ, war kaum zu rechnen. Atlan ging weiter, immer nach Osten. Er beeilte sich nicht sonderlich, um seine Kräfte zu schonen, die er noch brauchen würde. Wenn die Anzeichen auch eindeutig waren, so konnte es noch lange dauern, bis Pthor sich von dem Planeten Loors erhob. Hinzu
35 kam, daß offensichtlich etwas mit dem Antrieb nicht stimmte. Vor Atlans geistigem Auge entstand eine Vision, die ihm nur allzu deutlich zeigte, was geschehen könnte, wenn der Start mißlang oder die unterirdische Anlage, die »Seele«, explodierte. Sicher, damit wäre die ungeheuerliche Gefahr des Dimensionsfahrstuhls für alle Zeiten beseitigt, aber niemand auf Pthor würde eine solche Katastrophe überleben. Auch der Planet Loors würde dabei gesprengt werden, und die eben von dem Tyrannen befreiten Brangeln würden aufhören zu existieren. Energisch versuchte Atlan, die schreckliche Vision dieser Katastrophe zu unterdrücken. Dann schon lieber Start und Flug zur Schwarzen Galaxis, die ohnehin sein Ziel war, wenn auch unter anderen und besseren Umständen. Seine geschulten Ohren registrierten die leichte Veränderung des ständigen Brausens in das gleichmäßige Rauschen sofort. Der Startvorgang war endgültig angelaufen. Nun konnte es allerdings nicht mehr lange dauern. Jedoch fehlte noch das letzte und sicherste Anzeichen. Er sah hinauf in den Himmel. Er war bewölkt und grau, aber das war er auch schon vorher gewesen. Erst wenn sich das Grau auf den, ganzen Himmel verteilte und blieb, war es soweit. Das Beben verstärkte sich. Bodenwellen rasten auf Atlan zu und unter ihm hinweg. Das Gehen wurde zu einem wahren Totentanz. Er schien sich auf den Planken eines vom Sturm getriebenen Schiffes aufzuhalten. Mit einiger Mühe hielt er sich auf den Beinen. Immer öfter war er gezwungen, Umwege zu machen, weil das Gelände ungünstig wurde. Bäume und Felsblöcke umging er in großem Bogen. Atemlos erreichte er schließlich den quer zur Marschrichtung verlaufenden Hügelzug und begann mit dem nicht ungefährlichen Aufstieg. Seiner Schätzung nach mußte er
36 vom Kamm aus die FESTUNG sehen können. Der Hang war nicht steil und unter normalen Bedingungen leicht zu bezwingen gewesen. Doch nun herrschten keine normalen Bedingungen mehr. Atlan bekam das bereits nach wenige Metern erneut zu spüren. Ein merkwürdiges, Geräusch von vorn und oben übertönte das Rauschen. Es war ein gewaltiges Poltern, das sich schnell näherte. Zugleich mit dem Poltern wurde auch das Beben unter den Füßen stärker. Atlan ahnte sofort, was da auf ihn zukam. Er sah sich hastig nach einer geeigneten Deckung um, fand aber keine. Da half nur noch gute Berechnung und Schnelligkeit. Es war ein riesiger Felsbrocken, der sich aus dem Erdreich gelöst hatte und nun den Hang herabgerollt kam. Jede Unregelmäßigkeit des Bodens veranlaßte ihn zu gewaltigen Sprüngen, die sein Tempo immer mehr beschleunigten. Er kam genau auf Atlan zu. Dieser wußte, daß ein Ausweichmanöver reine Glückssache war, denn mit jedem Sprung änderte der Felsbrocken auch seine Richtung, mal mehr und mal weniger, aber nicht voraussehbar. Auf seinem Weg hinab in die Ebene hatte er eine richtige Schneise in die Vegetation des Hanges gebrochen, die nur an wenigen Stellen unterbrochen war, dort nämlich, wo er ein Stück durch die Luft geflogen war. Alle diese Dinge nahm Atlan in Bruchteilen von Sekunden wahr und registrierte sie, dann aber handelte er instinktiv und ohne jede überflüssige Berechnung. Erst später wußte er, daß sein Extrasinn sich eingeschaltet hatte. Der Felsbrocken rollte in eine flache Querrinne hinein und auf der anderen Seite wieder hoch. Der eigene Schwung ließ ihn mehrere Meter schräg nach oben steigen, ehe er mit doppelter Geschwindigkeit wieder abstürzte und in weiten Sprüngen auf Atlan zuraste. Extrasinn und Unterbewußtsein hatten den Arkoniden den schrägliegenden Vor-
Clark Darlton sprung bemerken lassen, ohne daß er seine Bedeutung so schnell hätte erkennen können. Als er mit einigen Sätzen nach rechts sprang, geriet er scheinbar direkt in die Bahn des Felsbrockens. Rein optisch sah das auch so aus, aber eben nur optisch. Der Felsbrocken rollte auf der Schräge ein Stück geradeaus, aber dann zwang ihn die Schwerkraft zur Richtungsänderung. Ganz wenig nur bog er nach links ab und schoß dann wie eine gigantische Granate knapp zwei Meter an Atlan vorbei hinab in die Ebene, wo er solange ausrollte, bis er schließlich in einer Mulde zur Ruhe kam. Atlan fiel ein Stein vom Herzen, und es hätte gut dieser Felsbrocken sein können, so erleichtert fühlte er sich, obwohl die eigentlichen Gefahren noch bevorstanden. Er schritt weiter, den Blick immer nach vorn gerichtet, um nicht noch einmal überrascht zu werden. Seiner Schätzung nach mußte es bereits später Nachmittag sein, aber im Osten war noch nichts von der einsetzenden Abenddämmerung zu bemerken. Im Westen fehlte der Schein der untergehenden Sonne. »Die Graufärbung beginnt«, murmelte Atlan und beschleunigte seine Schritte. »Nun kann es nicht mehr lange dauern. Ich werde zu spät kommen …« In der Tat schienen sich die ziehenden Wolken miteinander zu vermischen, um eine einzige zu bilden, die den ganzen Himmel von Pthor gleichmäßig grau überzog. Es war, als lege sich eine Haube über den Dimensionsfahrstuhl, dichter und undurchdringlicher noch als der Wölbmantel. Gleichzeitig verstärkten sich das Rauschen und die Erschütterungen, von denen Atlan wußte, daß sie ganz Pthor erfaßten. Ringsum rollte ein dumpfes Grollen und Donnern über das Land, ein Zittern des Bodens überlagerte das bisherige Vibrieren und verriet den eigentlichen Start. Atlan legte die letzten Meter bis zum Hügelkamm im Laufschritt zurück und blickte erwartungsvoll nach Osten. Zu seiner Erleichterung erkannte er die Spitzen der Pyra-
Der schwarze Kontrolleur miden. In wenigen Stunden konnte er wieder in der FESTUNG sein, die bisher allen Beben und Erdstößen wiederstanden hatte. Ohne Aufenthalt ging er weiter.
* Dellsell erhob sich nach einer erregten Diskussion mit Maysie und sagte: »Also gut, ich werde versuchen, noch ein Stück Wild zu finden, damit unsere Vorräte nicht knapp werden. Mit deinem Fuß hast du eine großartige Ausrede, dich vor jeder Arbeit zu drücken.« »Sei froh, daß deine Knochen in Ordnung sind. Ich würde gern für dich gehen.« »Pah!« machte Dellsell und gab damit zu verstehen, daß er seinem Kameraden kein Wort glaubte. »Das Beben ist nicht stärker geworden, und es fallen keine Bäume mehr. Die stehengebliebenen haben zu kräftige Wurzeln.« »Na also, dann begibst du dich wenigstens nicht in Gefahr«, tröstete ihn Maysie. »Mach inzwischen Feuer«, knurrte Dellsell und marschierte auf den nahen Waldrand zu. So unheimlich das Beben und Vibrieren auch anfangs gewesen sein mochte, man gewöhnte sich mit der Zeit daran. Das Ereignis verlor seine Schrecken, mahnte aber noch immer zur Vorsicht. Es war ein Glück, daß die beiden Proluren von den Vorgängen nicht viel begriffen und auch nicht wußten, was noch geschehen würde. Sie wähnten sich auf einer anderen Welt, was ja auch richtig war, aber sie ahnten natürlich nicht, daß diese Welt ein Kontinent war, der durch die Dimensionen reisen konnte. Erst recht wußten sie nichts von den Kontrolleuren in der Schwarzen Galaxis, die sich wie Götter benahmen und Schicksal spielten, indem sie nach Belieben oder nach einem unbekannten Plan Zivilisationen vernichteten. Die Verwüstungen im Wald waren nicht so schlimm, wie es vom Tal her ausgesehen hatte. Einige der entwurzelten Bäume waren
37 nicht erst umgestürzt, weil sie von den anderen gestützt und so gehalten wurden. Dellsell suchte die Quelle auf, trank sich satt und füllte den kleinen Ledersack, den er mitgenommen hatte. Dann ging er weiter, immer vorsichtig von einem Baum zum anderen, um nicht von herabfallenden Ästen getroffen zu werden. Bald fand er, was er suchte. Ein vierbeiniges Tier lag unter einem gestürzten Baumstamm, der es im Stürzen erschlagen hatte. Dellsell war froh, es nicht erst töten zu müssen. Mit dem primitiven Messer, das er den Eingeborenen abgenommen hatte, waidete er die Beute aus und nahm nur die besten Stücke mit. Erleichtert trat er den Rückweg an. Bald mußte es dunkel werden, außerdem verspürte er einen nagenden Hunger. Maysie erwartete ihn bereits neben dem lodernden Feuer. »Ich meine, das Beben wäre stärker geworden«, empfing er seinen Leidensgenossen. »Außerdem bezieht sich der Himmel immer mehr. Es wird bald regnen.« Dellsell warf ihm das Fleisch vor die Füße. »Brate alles, denn roh wird es sich nicht lange halten.« Maysie machte sich an die Arbeit, die seinen kranken Fuß nicht weiter beanspruchte, während Dellsell den Talhang erklomm, um Ausschau zu halten. Maysie hatte recht. Der Himmel bezog sich und wurde bald eintönig grau. Das ferne Brausen war zu einem gleichmäßigen Rauschen geworden, das sich langsam verstärkte. Aus dem Beben wurde ein Zittern des Bodens, so als stünde man in einem Raumschiff dicht über den Antriebsräumen. Der Vergleich kam der Wahrheit sehr nahe, aber das wußte Dellsell nicht. Vergeblich suchte er nach ersten Anzeichen der beginnenden Dämmerung, aber das Grau des Himmels war überall gleich. Wie eine Glocke lag es über der Landschaft. Eine unheimliche Stimmung, die nichts Gutes verhieß.
38 Dellsell schauderte zusammen. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so sehr gewünscht, ein einfacher Volksmann zu sein und Lastzüge zu beladen. Er kehrte zum Feuer zurück. »Mir gefällt das nicht, Maysie«, sagte er, nachdem er sich gesetzt hatte. »Sobald das Fleisch fertig ist, gehen wir los. Wir bleiben nicht hier im Tal und warten auf den Fremden. Wer weiß, ob er überhaupt zurückkommt, er hat es nicht versprochen.« »Aber gesagt hat er es!« »Nicht direkt«, machte Dellsell ihn aufmerksam. Sie schwiegen wieder und starrten unschlüssig in die Flammen. Der Duft des Bratfleischs stieg in ihre Nüstern. Ganz allmählich wurde das eintönige Rauschen von einem anderen Geräusch übertönt, das sich dazwischen mischte. Tief unter der Oberfläche war ein dumpfes Grollen, das erneute Beben auslöste. Das Rauschen wurde zu einem unaufhörlichen Donnern, das von allen Richtungen zu kommen schien und die Luft erzittern ließ. Aber es gab keine Blitze. Auch der übliche Regen blieb aus. Maysie nahm die Holzspieße aus der Glut und ließ das Fleisch abkühlen. Dann packte er die Stücke in die Vorratsbeutel. Dellsell registrierte es mit Befriedigung. Weitere Überredungskünste wurden dadurch überflüssig. Wortlos bereiteten sie alles für den Aufbruch vor, als dieser durch eine unvorhergesehene Intensivierung des Donnerns und Bebens beschleunigt wurde. Der Boden begann zu schwanken, als habe er sich vom Urgestein gelöst und wolle in den Himmel steigen. Das Donnern wurde zu einem ohrenbetäubenden Lärm, der jedes Wort übertönte. Ein plötzlicher Windstoß fegte in das Feuer und jagte die glimmende Asche in allen Richtungen davon. An einigen Stellen fing das trockene Gras Feuer. Das Tal begann zu brennen. Maysie warf sich einen Vorratsbeutel über die Schulter, sprang auf und begann
Clark Darlton trotz seines verstauchten Knöchels zu rennen, als habe er niemals Schmerzen verspürt. Dellsell sah ihm verblüfft nach, dann besann er sich auf seine eigene Rettung. Er hing sich den zweiten Beutel um und folgte Maysie, der einen beachtlichen Vorsprung gewonnen hatte. »Auf einmal kann er laufen!« wunderte sich Dellsell laut und unterdrückte seinen Ärger. Sie hatten unwillkürlich die Richtung nach Westen eingeschlagen, die zurück zur Senke der verlorenen Seelen führte. Die Rundreise durch Pthor war für die beiden Proluren vorläufig beendet. Ein gewaltiger Stoß erschütterte den Kontinent, als er sich von dem Planeten Loors endgültig löste und in den Weltraum stieg. Dellsell und Maysie glaubten, um ihr Leben rennen zu müssen, denn für sie war es der Weltuntergang. Weit hinter ihnen brannte das Tal.
6. Die Brangeln gewöhnten sich nur allmählich daran, daß die tyrannische Herrschaft der Spercoiden beendet war. Die einfachen Nomaden brachten die Befreiung nicht in Zusammenhang mit dem seltsamen Gebilde, das aus dem Nichts zu ihnen gekommen war und von einer gewaltigen und fast durchsichtigen Kuppel von der übrigen Welt isoliert wurde. Pthor war eine Welt für sich und hatte nichts mit Loors zu tun. Der Stamm der beiden Brangeln Rankel und Bortuk bereitete sich auf die Wanderschaft vor. Die Leittiere wurden schon unruhig. Sie nannten ihre Welt mit dem einen Kontinent Loors. Sieben große Ebenen gab es auf diesem Kontinent, und Jell-Cahrmere war die größte von ihnen. Sie bot vielen Stämmen der Brangeln Nahrung und Lebensraum. Vor dem Aufbruch machten Rankel und
Der schwarze Kontrolleur Bortuk noch einen Erkundungsgang. Das Land unter der riesigen Kuppel hatte sie schon lange fasziniert, aber man hatte in jüngster Vergangenheit genug mit den Robotern Spercos zu tun gehabt, als daß man sich um das fremdartige Gebilde hatte kümmern können. Jetzt schien Zeit dazu zu sein, wenn auch nicht mehr viel. Mit ihren kurzen Beinen, die den Wurstkörper trugen, watschelten Rankel und Bortuk durch das flachhügelige Gelände, bis sie einen etwas höheren Berg erklommen hatten. Von hier aus bot sich ihnen ein prächtiger Ausblick. Weit hinter ihnen waren die Zelte des Stammes zu erkennen, die gerade abgebrochen und auf die Tragtiere verladen wurden. Das würde noch den restlichen Tag dauern, vielleicht sogar die Nacht. Der Aufbruch sollte morgen in aller Frühe stattfinden. »Es kam aus dem Himmel«, stellte Rankel eine inzwischen längst bekannte Tatsache fest. »Ob es wieder dorthin zurückkehren wird?« »Wie soll ich das wissen?« murrte Bortuk, der sich immer wieder über die dummen Fragen seines Busenfreundes ärgern konnte. »Wir haben uns schon bald daran gewöhnt, und es tut uns nichts.« »Jetzt nicht mehr«, erinnerte ihn Rankel an die schrecklichen Verwüstungen, die Pthor bei seiner Notlandung auf Loors angerichtet hatte. »Es sieht aus wie ein gewaltiges Gebirge.« »Es ist auch eins. Aber ein sehr merkwürdiges.« Sie hockten auf dem kleinen Bergplateau, ohne so recht zu wissen, was sie nun unternehmen sollten. Beide wagten sie es nicht, näher an das Ding heranzugehen, außerdem wollten sie in Sichtweite ihres Stammes bleiben. Der etwas dickere Bortuk war von der Anstrengung des Marsches müde geworden. Er lag lang auf dem Rücken, die Beine mit den dreizehigen Füßen weit von sich gestreckt.
39 Rankel störte ihn nicht. Er war selbst froh, sich vor der Aufbruchsarbeit erfolgreich gedrückt zu haben. Man hatte ihnen den Erkundungsgang genehmigt, nachdem sie gute Gründe dafür vorgebracht hatten. Daß sie sich in Wirklichkeit viel mehr für Pthor (diese Bezeichnung war ihnen unbekannt) interessierten, war von ihnen klugerweise verschwiegen worden. Während Bortuk einzudösen begann, beobachtete Rankel das in einiger Entfernung gelegene »Himmelsgebirge«, wie er es bei sich nannte. Wenn ihn nicht alles täuschte, gab es dort gewisse Veränderungen. Zuerst glaubte der Brangel, es sei nur Einbildung oder eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die transparent wirkende Kuppel, die sich über dem Gebirge wölbte und alles ein wenig verschwommen erscheinen ließ. Er strengte seine Augen noch mehr an, um Gewißheit zu erlangen. Als das Gebirge damals auf die Oberfläche von Loors stürzte, hatte ihn die Erschütterung und das nachfolgende Beben von seinem Lager geworfen. Niemand wußte, was geschehen war, bis Kundschafter mit den ersten unglaublichen Berichten zurückkehrten. Es gab sogar Erzählungen von Gegenständen und Lebewesen, die angeblich durch die Kuppel gekommen waren, aber Rankel hatte nie etwas davon bemerkt. Sein Stamm hatte die Zelte in einer großen Senke aufgeschlagen, deren Ränder jeden Ausblick verhinderten. Nur wenn man ein gutes Stück wanderte, sah man das Himmelsgebirge. Bortuk gab im Schlaf schmatzende Geräusche von sich, so als rede er mit sich selbst. Rankel versuchte, ein paar Worte zu verstehen, aber es gelang ihm nicht. Vielleicht war sein Freund mal wieder verliebt und unterhielt sich im Traum mit einem jungen brangelischen Mädchen, das er zu betören versuchte. Rankels Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem eigentlichen Objekt seines Interesses zu. Die bisher durchsichtige Kuppel über dem Gebirge schien ganz allmählich an Transpa-
40 renz einzubüßen. Sie schien sich langsam grau zu färben. Während Rankel die Veränderung beobachtete, verspürte er unter seinem Körper ein leichtes Vibrieren. Er richtete sich auf und blickte sich nach allen Seiten um. Er dachte im ersten Augenblick, die Herde des Stammes sei durchgegangen und erschütterte den Boden mit ihren Hufen, aber das war nicht der Fall. Immerhin wurde Bortuk wach. »Was ist denn los? Ein Erdbeben?« »Keine Ahnung. Vielleicht ist das Himmelsgebirge schuld. Der Himmel darüber ist ganz grau geworden.« »Da sehe ich keinen Zusammenhang. Vielleicht regnet es unter der Kuppel.« Sie tauschten weitere Vermutungen aus, ohne zu einem vernünftigen Ergebnis zu gelangen. Immerhin konnten sie etwas anderes feststellen, für das es allerdings noch viel weniger eine Erklärung gab. Während es auf Loors zu dämmern begann, blieb es unter der Kuppel über dem Himmelsgebirge gleichmäßig grau. Dadurch entstand mit fortschreitender Dunkelheit der Effekt, als leuchte das Gebirge von innen heraus. Das geschah nun zum ersten Mal. Gleichzeitig verstärkte sich das Erdbeben. »Ich verschwinde von hier«, schmatzte Bortuk und erhob sich mühsam. »Das ist mir zu unheimlich.« »Jetzt wird es doch erst interessant«, gab Rankel zurück. »Meinst du nicht, daß es gefährlich werden kann?« »Nicht mehr als unten in der Ebene, aber dort kann man nichts sehen. Bleiben wir noch etwas.« Bortuk setzte sich wieder. »Also gut, aber nur, bis es ganz dunkel ist.« Drüben beim Stamm loderten die Lagerfeuer und gaben die Richtung an. Man schien mit den Vorbereitungen fertig zu sein. Sicher erwartete man schon ungeduldig die Rückkehr der beiden Kundschafter.
Clark Darlton Rankel neigte den Kopf, um besser hören zu können. »Ist da nicht ein Rauschen oder etwas Ähnliches?« Auch Bortuk neigte den Kopf. »Ich kann nichts hören.« »Du warst schon immer halb taub, Dicker.« »Dafür kann ich besser sehen«, behauptete Bortuk wütend. Während sie sich herumstritten, nahmen die Ereignisse auf und um Pthor eine dramatische Wende. Die Umrisse des Himmelsgebirges begannen unscharf zu werden, so als erzittere es bis in seine Grundfesten. Aus dem Rauschen war ein Donnern geworden, das über die Ebene Jell-Cahrmere rollte und sich an ihren Unebenheiten brach. Rankel und Bortuk wurden jäh aus ihrem Streit gerissen. Schneller als je zuvor in ihrem Leben kamen sie auf die Füße und starrten hinüber zum Himmelsgebirge, das in der inzwischen angebrochenen nächtlichen Finsternis wie eine mattschimmernde Halbkugel auf der Oberfläche von Loors ruhte. Nein, das Himmelsgebirge ruhte nicht mehr! Fassungslos sahen die beiden Brangeln, daß sich der mächtige Komplex mitsamt der grauschimmernden Kuppel von der Oberfläche des Planeten zu lösen begann. Unsicher und torkelnd begann er langsam zu steigen, hinauf in den nachtschwarzen Himmel von Loors. »Bei allen Zelten des Stammes …!« murmelte Bortuk. »Es verläßt uns wieder …« Pthor wurde nicht fehlerfrei kontrolliert, das wäre jedem technisch Begabten sofort klar gewesen. Die riesige Landmasse gehorchte zwar dem Antrieb, aber nur widerwillig und taumelnd. Sie drohte jeden Augenblick abzustürzen. Erst jetzt erreichten die Druckwelle und der Startdonner den Berg, auf dem die beiden Brangeln standen. Der plötzliche Orkan schleuderte sie quer über das Plateau bis zu
Der schwarze Kontrolleur dessen Rand und darüber hinweg. Sie fielen nicht hart, denn der Hang hinab in die Ebene war mit dichtem Gras bedeckt. Sie rollten und rutschten einige hundert Meter, bis sie endlich liegen blieben, ohne verletzt zu sein. Inzwischen war Pthor höher gestiegen und füllte den halben Nachthimmel aus. Rankel sah unten in der Ebene die Glut der Lagerfeuer auseinanderstieben und das Gras in Brand setzen. Der Stamm eilte zu den beladenen Tieren, um sie in Sicherheit vor dem plötzlichen Orkan zu bringen. Windstöße warfen Tiere und Brangeln zu Boden. Psychologisch verheerender war das ungeheuerliche Donnergeräusch, das Sturm und Beben begleitete. Die zum teil schon bepackten Tragtiere rissen sich los und rasten in einer Stampede in die Ebene, hinein, um sich schnell in der Dunkelheit zu verlieren. Falls Loors in dieser Nacht nicht unterging, würde der Stamm am folgenden Tag genug damit zu tun haben, die schockierten Tiere wieder einzufangen und zu beruhigen. Je höher das Himmelsgebilde stieg, desto schmaler wurde die grauschimmernde Sichel der von unten nicht mehr ganz sichtbaren Kuppel. Der Orkan ließ allmählich nach, der grollende Donner wurde schwächer. Rankel stieß seinen Gefährten an. »Es ist vorbei, Bortuk. Das Himmelsgebirge hat uns verlassen.« »Wenn es jetzt wieder herunterfällt, trifft es uns.« »Es hat uns verlassen!« wiederholte Rankel mit Nachdruck und richtete sich auf. »Wir müssen zurück zur Karawane.« Sie rappelten sich auf. In der Ebene brannte das Gras noch immer an einzelnen Stellen und wies ihnen die Richtung. Im Lager mußte ein heilloses Durcheinander herrschen. Bortuk ging auffällig langsam hinter Rankel her, der ihn zur Eile aufforderte. »Nein, nicht so schnell«, sagte Bortuk. »Es gibt jetzt viel Arbeit im Lager …« »Faulpelz!« schimpfte Rankel, ohne langsamer zu gehen.
41 Wohl oder übel folgte ihm der dicke Bortuk auf seinen Stummelbeinen. Immer wieder sahen sie hinauf in den dunklen Himmel. Aus der anfänglichen Sichel war ein kleiner Lichtpunkt geworden. Der Donner und das Rauschen waren verstummt. Der Boden von Loors bebte nicht mehr. Dann verschwand auch der Lichtpunkt. »Davon werden wir noch lange sprechen«, vermutete Bortuk. »Nicht nur wir, sondern auch unsere Kinder und deren Kinder«, fügte Rankel hinzu. »Und eines Tages, in ferner Zukunft, wird die Geschichte niemand mehr glauben. Ich kann sie fast selbst nicht glauben.« Während sie durch die Ebene marschierten, verloren sie in den Senken immer wieder das Lager aus den Augen, aber der schwächer werdende Lichtschein darüber zeigte ihnen den Weg. Als sie es schließlich erreichten, wurden sie mit Fragen bestürmt, die sie, so gut sie konnten, beantworteten. Nach und nach kehrten auch die Brangeln zurück, die auf der Suche nach der Verstreuten Herde gewesen waren. Einige der Tiere waren gefunden und eingefangen worden. Morgen, wenn es hell war, würde man den Rest holen. Allmählich kehrte Ruhe ein. Der Start von Pthor hatte zwar einige Aufregung verursacht, aber soweit dieser Stamm der Brangeln das beurteilen konnte, war kein großer Schaden entstanden. Sie wußten auch nicht, wie es dort aussah, wo Pthor einst gelandet war …
* Die Dimensionslotung konnte sich täuschen, die Instrumente arbeiteten einwandfrei und ohne jedes Anzeichen eines Defekts. Es war auch für den mathonischen Kundschafter Algonkin-Yatta nicht einfach, den seltsamen Kontinent Pthor-Atlantis wiederzufinden, nachdem er nach seinem plötzlichen Auftauchen auf der Erde ebenso plötz-
42 lich wieder verschwunden war. Aber Algonkin-Yatta hatte Perry Rhodan das Versprechen gegeben, Atlantis und damit Atlan zu suchen – und zu finden. Zuerst galt es, den richtigen Raum aufzuspüren, was mit Hilfe der Dimensionsloter schon gelungen war. Gelangte man dabei in die falsche Zeit, so bedeutete das keine Katastrophe. Die an Bord des Kundschafterschiffs untergebrachte Zeitkapsel würde das schon in Ordnung bringen können. Algonkin-Yatta folgte den Dimensionslinien und vermied nach Möglichkeit die gefährlichen Falten. Wenn jemand die Frage gestellt hätte, wie lange Algonkin-Yatta in seiner Eigenschaft als Kosmischer Kundschafter schon unterwegs sei, so hätte dieser selbst schwerlich darauf eine befriedigende Antwort geben können. Für ihn waren unterschiedliche Zeitebenen und fremde Dimensionen keine nennenswerte Hindernisse. Das über sechzig Meter lange, oval geformte Kundschafterschiff glitt durch die niemals erforschten Regionen des Universums und folgte den Hinweisen, die der Ableger von MYOTEX bekanntgab. Alle in der Galaxis Wolcion entdeckten Hinweise deuteten darauf hin, daß man die Spur von Atlantis gefunden hatte. Dabei war es ziemlich heiß hergegangen. Algonkin-Yatta dachte an seine Begleiterin. Vor vielen Jahren hatte er die zarte Anlytha aus einem havarierten Raumschiff gerettet, das hilflos zwischen den Sternen trieb. Sie war bei ihm geblieben, und sie bildeten ein großartiges Team. Anlytha besaß psionische Fähigkeiten, darunter eine, die den beiden schon oft wertvolle Dienste erwiesen hatte. Das humanoid wirkende Mädchen war in der Lage, anderen Lebewesen ein völlig verändertes Aussehen vorzugaukeln. Einige Male hatte sie damit sogar den Kundschafter in nicht geringe Verwirrung gestürzt. Algonkin-Yatta sammelte Kunstgegenstände und Kitsch aller Zivilisationen. Das
Clark Darlton halbe Raumschiff war damit vollgestopft. Wenn möglich, erwarb er diese Dinge auf möglichst ehrliche Weise, aber seit er Anlytha bei sich hatte, geriet er immer öfter in peinliche Situationen, denn das Mädchen war die geborene Kleptomanin. Sie stahl, was nicht niet- und nagelfest war. So kam es, daß sich die Kunstsammlung des Kundschafters immer mehr vergrößerte und im Schiff bald keinen Platz mehr fand. »Was hast du eigentlich von der letzten Welt mitgenommen?« fragte Algonkin-Yatta, als Anlytha in den Kontrollraum schwebte. Sie war mit ihren 1,22 Meter so graziös gebaut, daß man ihre Bewegungen nicht anders bezeichnen konnte. »Mann war dort zwar nicht immer sehr freundlich zu uns, aber schließlich schieden wir doch in Frieden.« Anlytha lächelte so rätselhaft wie eine Sphinx. »Es gibt einige Dinge, die man mir schenkte, und andere, die ich mitgehen ließ. Jetzt sollten wir uns bald ein größeres Schiff besorgen.« Algonkin-Yatta seufzte. »Du bist unverbesserlich, Anlytha. Ich werde nie vergessen, wie du damals auf dem vierten Planeten des Sternes B-27-X den Traumprojektor mitgehen ließest. So ein Ding hat doch nichts mit Kunst oder Kultur zu tun!« Anlytha ordnete mit geschickten Fingern ihren Federkamm auf dem Kopf, ein sicheres Zeichen, daß sie verlegen war. »Es war technische Kunst«, widersprach sie und studierte die Anzeigeskalen auf der Kontrolltafel. »Gibt es Neuigkeiten?« fragte sie dann, um den Kundschafter abzulenken. Algonkin-Yatta ging willig darauf ein. »Es ist eine Kleinigkeit, einen See oder auch einen Ozean auszuloten, aber das Loten zwischen den Dimensionen ist schon …« »… eine Kunst!« vervollständigte Anlytha und lachte hellauf. Der Kundschafter warf ihr einen verblüfften Blick zu, dann lächelte auch er. Er hatte seine listige Begleiterin schon lange durch-
Der schwarze Kontrolleur schaut und konnte ihr niemals böse sein. »Ja, sicher, es ist eine Art von Kunst. Ihre Ausübung ist sogar meine Pflicht, denn ich bin Kundschafter. Aber das weißt du ja alles.« Er deutete auf die Skalen. »Wir haben die Spur dieses verschwundenen Kontinents gefunden, den die Terraner ›Atlantis‹ nennen. Sein wirklicher Name wird ganz anders lauten, nehme ich an. Und dieser Atlan verschwand mit Atlantis.« »Eine konkrete Spur?« vergewisserte sie sich. »Eine vage, eine angedeutete. Es gibt noch keine Angaben über Richtung oder Entfernung. Auch die Zeitrelation ist nicht ganz definitiv. Ich bin sicher, daß wir kleinere Korrekturen vornehmen müssen.« »Du verstehst mehr davon als ich«, gab sie freimütig zu. »Danke«, sagte er und lächelte. Sie lächelte zurück, während er sich wieder mit den Instrumenten beschäftigte und die Frequenz des Spurensuchers öfter wechselte als bisher. Insgeheim bewunderte sie den Kundschafter und fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen, was nichts mit der Tatsache zu tun hatte, daß er einst ihr Leben gerettet hatte. Ihr Entschluß, stets bei ihm zu bleiben, war von Anfang an der Amnesie zuzuschreiben, die sie bei ihrem Unfall erlitten hatte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, welchem Volk sie angehörte und in welcher Galaxis ihr Heimatsystem lag. »Nun?« fragte sie nach einer Weile, als nichts geschah. Der Kundschafter blickte von seinen Instrumenten auf. »Noch keine definitiven Daten, meine Liebe, wie ich schon betonte, aber Anhaltspunkte. Soviel dürfte gewiß sein: Dieses Atlantis besitzt erstaunliche Eigenschaften. Vielleicht handelt es sich um einen ehemaligen Asteroiden, in den eine unbekannte Superzivilisation einen Dimensionsantrieb baute. Dafür sprechen einige gewichtige Gründe.« »Welche?«
43 »Zuerst einmal der, daß – soweit sich das bisher sagen läßt – der erste Teil des Fluges nach dem Start von der Erde methodisch und durchaus normal verlaufen ist. Der Lotungsspeicher kann sich da kaum irren.« »Wieso nur der erste Teil des Fluges? Was geschah dann?« »Ja, wenn ich das wüßte! Jedenfalls durchbrach Atlantis mehrmals die Grenzen zu anderen Dimensionen, verfolgte jedoch einen ganz bestimmten Kurs, der systematischen Änderungen unterworfen war. Dann passierte etwas, das ich nicht zu deuten weiß.« »Was?« Algonkin-Yatta lehnte sich zurück, um sie besser ansehen zu können. Es war, als wolle er ihre Reaktion beobachten. »Atlantis wurde aus seinem Kurs geworfen.« Sie starrte ihn verständnislos an. »Das läßt sich von hier aus feststellen?« »In einer zeitlichen Rückblende – ja. Der Zeitpunkt selbst ist nicht genau bestimmbar. Atlantis wurde also durch ein uns nicht bekanntes Ereignis von seinem ursprünglichen Kurs abgedrängt, was mit einer Katastrophe zusammenhängen kann. Vielleicht gab es eine Kollision bei einem der Dimensionsschnittpunkte. Fest steht jedenfalls, daß Atlantis dabei nicht zerstört wurde, denn die neue Spur läßt sich weiter verfolgen.« »Wie weit?« »Bis zum Ziel hier in Wolcion, hoffe ich. Die Daten kommen nur zögernd herein, wir müssen Geduld haben.« »Wir haben Geduld – und alle Zeit des Universums«, hauchte Anlytha und schritt graziös aus dem Kontrollraum, um wieder einmal die zusammengetragenen Kunstschätze zu bewundern. Algonkin-Yatta sah ihr nach, um sich dann wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als auf dem Bildschirm des Loters ein winziger hellroter Lichtpunkt erschien.
44
Clark Darlton
* Porquetor-Grizzard stapfte auf der Straße der Mächtigen immer weiter nach Norden und dann mehr nach Nordosten, um die Händlerstadt Orxeya möglichst bald zu erreichen. Er hatte bisher nicht ein einziges Lebewesen angetroffen, das nicht paralysiert gewesen wäre. Die unheimliche Stille, die über der Landschaft lag, wurde nur durch das ferne Rauschen unterbrochen, das ständig näherkommen zu schien. Es war überall und nirgends, und allmählich machte es Grizzard nervös. Ein weiterer Umstand steigerte seine innere Unruhe: Der Boden unter seinen Füßen war nicht mehr so stabil wie bisher. Ein Zittern durchlief ihn in immer kürzer werdenden Abständen, und es wurde merklich stärker, je weiter er sich der Stadt näherte. Dann kamen die ersten Erdstöße und schließlich die grollenden Donnerlaute. Grizzard begriff die Zusammenhänge ebensowenig wie die beiden Proluren, mehr als dreihundert Kilometer entfernt. Er wußte auch nicht, ob die seltsamen Phänomene nur an der Straße der Mächtigen auftraten, oder ganz Pthor betroffen hatten. Und noch etwas geschah: Es wurde nicht dunkel. Statt der Abenddämmerung und den gewohnten roten Streifen am Westhorizont färbte sich der ganze Himmel gleichmäßig grau – und blieb so, auch als es bereits Nacht hätte sein müssen. Das Donnern verstärkte sich, als unvermittelt der Orkan losbrach und selbst die schwere Rüstung Porquetors von den mächtigen Beinen zu fegen drohte. Mühsam kämpfte sich Grizzard vorwärts, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Der Sturm wurde so stark, daß er selbst Felsblöcke aus ihrer Verankerung löste und wie Spielbälle vor sich her trieb. Und dann schien sich der Boden Pthors nach oben zu wölben. Grizzard-Kennon verlor endgültig den
Halt und stürzte. Noch im Fallen entdeckte er rechts von der Straße gewachsene Felsen, denen auch der schlimmste Orkan nichts anzuhaben vermochte. Auf allen vieren kroch er weiter, bis er die Felsen erreichte, die ein Halbrund bildeten und Schutz boten. Aufatmend suchte er die sicherste Stelle, ehe er es wagte, sich wenigstens hinzusetzen. Das Ende von Pthor schien gekommen zu sein. Eine andere Erklärung konnte er nicht finden, und Derartiges hatte er auch noch niemals erlebt. Es fehlte einfach die Erfahrung. Aber es war ihm klar, daß die vorangegangene Lähmung der Lebewesen in engem Zusammenhang mit den jetzt stattfindenden Ereignissen stand. Versuchte jemand, Pthor zu vernichten? Grizzard-Kennon wäre sicherlich weniger beunruhigt gewesen, wenn er gewußt hätte, daß es sich lediglich um einen Start des Dimensionsfahrstuhls gehandelt hätte, wenn dieser auch mit Pannen und Hindernissen erfolgte. Tief unter ihm im Innern Pthors wurde das Donnern gleichmäßiger, aber das Rauschen blieb. Der Sturm ließ nach. Das bisherige Beben der Oberfläche verwandelte sich in ein konstant bleibendes Vibrieren, das nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung fast einschläfernd wirkte. Pthor war unterwegs. Von alldem ahnte Grizzard-Kennon nichts. Er lag geschützt zwischen den Felsen in seiner Rüstung, neben sich die Lanze. Er rollte sich auf den Rücken und blickte hinauf in den grauen und sternenlosen Himmel, der weder Tag noch Nacht anzeigte. Die Müdigkeit war genausogroß wie seine Erschöpfung nach dem anstrengenden Marsch. Ohne daß er es wollte, fielen ihm die Augen schließlich zu. Er schlief ein.
7. Algonkin-Yatta hatte nun die Gewißheit, daß er keine falsche Spur entdeckt hatte. Die
Der schwarze Kontrolleur Psiotronik bestätigte das, konnte aber noch keine endgültigen Daten übermitteln. Das Kundschafterschiff trieb auf der Dimensionslinie dahin, dem nächsten Schnittpunkt entgegen. Dort würde MYOTEX eine Entscheidung treffen müssen, und auf die Psiotronik war Verlaß. Der hellrote Lichtpunkt auf dem Bildschirm blieb konstant. Algonkin-Yatta wußte, daß der Punkt ein Stern war, eine Sonne mit Planeten – und das Ziel, das Atlantis inzwischen erreicht hatte. Die Lotung hatte es gefunden, aber noch fehlten die Koordinaten. Der Kundschafter hoffte, daß ihm auch diesmal Glück und Zufall halfen und er keine Zeitkorrektur vornehmen mußte. Das Schiff näherte sich dem nächsten Schnittpunkt. Es schwenkte in die neue Richtung, und gleichzeitig verschwand der hellrote Stern vom Bildschirm des Loters. Algonkin-Yatta wurde von Panik ergriffen. Wenn MYOTEX einen Fehler beging, begann die Suche erneut. Er nahm Kontakt auf und bat um Korrektur. Die Psiotronik bestätigte emotionslos. Der Kundschafter schaltete den Normalschirm ein, der das Bild der unmittelbaren Raumumgebung wiedergab, die nicht immer optisch wahrnehmbar wurde. An Schnittpunkten war es jedoch der Fall. Es war auch für Algonkin-Yatta nicht möglich, die fremden Konstellationen sofort einzuordnen. Diese Aufgabe übernahm ein spezielles Navigationselement der Psiotronik, und bereits wenige Minuten später lieferte sie das Ergebnis. Die Psiotronik hatte die Spur wiedergefunden. Sekunden später leuchtete der hellrote Lichtpunkt wieder auf. Erleichtert atmete der Kundschafter auf. Er war froh, ein Aufputschmittel genommen zu haben, denn um alles in der Welt wollte er jetzt nicht einschlafen. Aber allein die Anspannung hätte ihn wahrscheinlich schon wachgehalten.
45 Anlytha erschien wieder und nahm Platz. »Nun, wie sieht es aus?« erkundigte sie sich sanft. Algonkin-Yatta deutete auf den kleinen und dann auf den großen Bildschirm. »Gut sieht es aus, meine Liebe. Das Ziel ist gelotet. Wir werden bald die Linie verlassen und das Normaluniversum durchqueren, da die Navigation sonst zu schwierig würde. Aber das weißt du ja inzwischen, nehme ich an. Wir werden den fraglichen Stern direkt optisch anfliegen.« »Wann können wir dort sein?« »Wenn nicht wieder ein Fehler passiert, sehr bald.« »Fehler?« Der Kundschafter berichtete ihr von der kleinen Panne, die keine nennenswerten Folgen gezeitigt hatte und beruhigte sie: »Solche Dinge kommen vor, aber das liegt nicht an unserer Technik, sondern an der Unregelmäßigkeit des Grenzverlaufs zwischen den Dimensionen. Die Linien, auf denen wir entlangfahren, schlagen oft überraschende Haken – und wir schießen dann über das Ziel hinaus und verlieren die Linie. Oft dauert es lange, bis wir sie wiederfinden, meist aber nur Minuten, so wie heute.« »Und wenn wir Atlantis finden – was dann?« Er betrachtete sie und schüttelte den Kopf. »Das weißt du doch! Wir werden Atlan zur Erde zurückbringen, die er mit dem geheimnisvollen Kontinent verließ. Auch diesen Razamon, der ihn begleitete. Wir haben es Perry Rhodan versprochen.« Sie schwiegen. Am Kontrollpult leuchteten mehrere Lämpchen auf. Als der Kundschafter Anlythas fragenden Blick bemerkte, sagte er: »Wir nähern uns jetzt dem Abschwenkpunkt. Dann verlassen wir die Linie, wie ich dir schon erklärte. Der hellrote Stern müßte dann auch bald auf dem Normal-Bildschirm sichtbar werden.« Noch arbeitete der Interdimensionsantrieb gleichmäßig und jagte das Schiff voran.
46 Dann aber registrierten die empfindlichen Ohren Algonkin-Yattas eine kaum wahrnehmbare Annäherung an den entscheidenden Austrittspunkt an, der vorher genau berechnet sein mußte. Anlytha sah nur auf den großen Bildschirm, der noch dunkel und konturlos blieb. Dann aber, langsam und zögernd, erschienen die Lichtpunkte der Sterne auf ihm, einer nach dem anderen, bis er mit ihnen übersät war. »Geschafft!« freute sie sich. »Noch nicht ganz, aber beinahe«, dämpfte der Kundschafter ihren Optimismus. »Es hängt nun alles von der Übertragung der Dimensionswerte in Normalwerte ab, damit wir das Ziel auch finden.« »Ein Kinderspiel für MYOTEX«, behauptete sie fröhlich. Das Schiff flog mit AMAntrieb für Unterlicht, bis die Koordinaten feststanden. Dann erst würde erneut das andere Triebwerk aktiviert werden. Langsam nur vergingen die Minuten und wurden zu Stunden. Endlich teilte die Positronik mit, daß man das Ziel erkannt habe. Der Flug konnte fortgesetzt werden. Algonkin-Yatta genehmigte sich eine Ruhepause, denn nun bestand keine Gefahr mehr, daß die Orientierung verlorenging. Er nahm eine Mahlzeit zu sich, die das Mädchen ihm zubereitet hatte. Doch zum Plaudern blieb keine Zeit. Schnell kehrte er in die Kontrollzentrale zurück, um die letzte Phase des Fluges aktiv mitzuerleben. Auf dem Bildschirm war nun der hellrote Stern zu sehen, der zuvor auf dem Lotungsschirm gestanden hatte. Er besaß Planeten, und auf einem von ihnen mußte Atlantis niedergegangen sein. Es war kaum anzunehmen, daß der Kontinent seine Reise inzwischen fortgesetzt hatte. Und wenn, dann war das jetzt noch nicht festzustellen, denn seine Spur durch die Dimensionen ließ sich nur auf einer Dimensionslinie verfolgen, nicht im Normalraum. Der Stern wurde größer, und nach einer weiteren Ruhepause verlangsamte das
Clark Darlton Kundschafterschiff seinen Flug und drang vorsichtig in das System der hellroten Sonne ein. Mühsam nur konnte Algonkin-Yatta seine Erregung unterdrücken. Obwohl dem Ziel so nahe, stiegen noch immer Zweifel in ihm auf, ob er es je erreichen würde. Zu geheimnisvoll und unglaublich hatten die Berichte der Terraner geklungen. Selbst jetzt noch weigerte sich sein nüchterner Verstand, sie als Tatsachen zu akzeptieren. Aber er kannte das Universum und seine Wunder, und er wußte, daß der Begriff »unmöglich« im Grunde genommen eine sinnlose Wortschöpfung war. Die Psiotronik steuerte einen Planeten an und teilte mit, daß er nach den letzten Messungen der Landeplatz von Atlantis sein müsse. Algonkin-Yatta und Anlytha sahen vor dem Bildschirm, dessen Schärfeneinstellung automatisch erfolgte. Das Schiff glitt in eine Umlaufbahn. Als der Kundschafter den riesigen Krater auf dem einzigen Kontinent erblickte, befahl er der Psiotronik die Startbereitschaft der Pfadfinderkapsel.
* Die Kapsel war ein offener und oval geformter Antigravgleiter von etwa fünf Meter Länge. Im Bedarfsfall konnte um ihn herum eine Energieblase geschaffen werden, die auch den Flug durch ein Vakuum oder eine Fahrt unter Wasser ermöglichte. »Du willst hinunter?« fragte Anlytha. Er lächelte. »Wir haben keine andere Wahl, du hast ja den Krater gesehen. Er entspricht, was die Größe angeht, ungefähr den Angaben, die wir von den Terranern erhielten.« »Du meinst doch nicht etwa …?« Sie stockte. »Möglich ist alles«, wandelte er seinen Leitspruch ein wenig ab. »Jedenfalls werden wir beide uns die Sache aus der Nähe ansehen.«
Der schwarze Kontrolleur Die Scoutkapsel schwebte aus der Schleuse, während das Kundschafterschiff, von der Psiotronik kontrolliert, seinen Flug in der Umlaufbahn fortsetzte. Längst hatte die Datenverarbeitung festgestellt, daß es keine technisch fortgeschrittene Zivilisation auf dem Planeten Loors gab, wohl aber desaktivierte Relikte einer solchen Zivilisation. Das war ein Widerspruch, aber nur ein scheinbarer. Es gab genügend Welten im Universum, die einst eine hochentwickelte Bevölkerung trugen, die sich später selbst zugrunde richtete. Algonkin-Yatta blieb trotzdem vorsichtig, wie immer. Langsam nur begann er mit dem Abstieg und näherte sich so der Oberfläche des Planeten, die aus einem Meer und einem Kontinent bestand. Das Meer war uninteressant, obwohl nach den Berichten von Terra anzunehmen war, daß Atlantis stets in einem Ozean niederging. Das schien diesmal jedoch nicht der Fall zu sein. Der Krater befand sich auf dem einzigen Kontinent. Wer immer diesen flugfähigen Kontinent auch steuerte, er hatte wenig Rücksicht auf die Bewohner des Planeten genommen. Oder war es eine Notlandung gewesen? Algonkin-Yatta entsann sich der Information der Psiotronik. Atlantis war gewaltsam vom Kurs gedrängt worden. Eine Katastrophe? Wenn ja, dann ohne weittragende Folgen für den Kontinent selbst, denn der Krater zeugte davon, daß er wieder gestartet war. Endlich wurde die Küste der Landmasse sichtbar. Die Kapsel flog nicht sehr hoch. Es war dem Kundschafter gleichgültig, ob man ihn bemerkte oder nicht. Die Bewohner des Planeten besaßen allem Anschein nach keine eigene Raumfahrt. Algonkin-Yatta sah tief unter sich dahinziehende Karawanen und riesige Herden vierbeiniger Tiere. Nomaden lebten also auf dieser Welt. Nomaden, die mit einer technischen Zivilisation in Kontakt gekommen
47 waren. Mit einer Zivilisation, die verschwunden schien. »Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Fragen zu beantworten«, sagte Algonkin-Yatta, als Anlytha eine entsprechende Frage stellte. »Wir suchen Atlantis, sonst nichts. Gleich erreichen wir den Rand des gesichteten Kraters.« Unter ihnen lag eine weite Ebene, durch die mehrere Karawanen zogen, ohne den winzigen Gleiter hoch über sich zu bemerken. Am Horizont begann sich der Rand des Kraters abzuzeichnen, der beim Start von Pthor entstanden war. Der Kundschafter ging tiefer, denn in unmittelbarer Nähe des Kraters waren keine Lebewesen mehr zu bemerken. Stumm starrten er und das Mädchen auf die verwüstete Landschaft hinab. Sie berichtete mehr als jede detaillierte Schilderung. Wo noch vor kurzer Zeit Atlantis »gestanden« hatte, klaffte eine Lücke, genauso gewaltig und groß wie der Grundriß des Kontinents. Sie war durch die Abstoßkraft des Antriebs entstanden, der die Oberflächenkruste des Planeten aufgerissen hatte. Beim Start selbst hatte sich rings um den Krater ein Wall gebildet. Bald würde der Krater sich mit Wasser füllen und einen See bilden. Langsam überflog Algonkin-Yatta diesen riesigen Krater, dessen Durchmesser bis zu siebenhundert Kilometer maß. In ihm gab es kein Leben mehr, selbst jede Vegetation war zerstört worden. Der Kundschafter wagte nicht daran zu denken, was bei der Landung von Atlantis hier an dieser Stelle vernichtet worden war. Der Start hatte nur wenig zerstört, aber er offenbarte die vorangegangene Katastrophe und ihre Folgen. »Sie handeln verantwortungslos«, murmelte er in ohnmächtiger Wut. »Wer immer auch diesen Kontinent durch die Dimensionen steuert, er muß schlecht sein, bodenlos schlecht. Er vernichtet Leben, wo es sich eben erst entwickelt hat, und er macht auch
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Clark Darlton
vor bereits fortgeschrittenem Leben nicht halt. Wir werden Atlantis verfolgen und finden, Anlytha! Dieses … dieses Ding ist eine Bedrohung für jeden, der in unserem Universum lebt. Ich beginne zu ahnen, warum dieser Atlan, den wir nicht kennen, das Wagnis einging, zusammen mit Razamon das Geheimnis zu lösen. Die natürliche Ordnung des Universums ist gestört, vielleicht sogar ernsthaft bedroht. Ich will versuchen, das zu verhindern.« Anlytha gab keine Antwort. Sie starrte hinauf auf das verwüstete Land und schwieg. Sie akzeptierte die Absicht des Kundschafters, der seinen friedfertigen Charakter nie verleugnet hatte und immer dort half, wo Leben in Gefahr war. Algonkin-Yatta beschleunigte, und bald erreichte die Scoutkapsel das andere Ende des Kraters. In geringer Höhe wurde der Wall überflogen. Dahinter lag, wie abgeschnitten, fruchtbares Weideland – die ursprüngliche Landschaft des Planeten. Nichts dokumentierte den Kontrast so deutlich wie diese Grenze. »Du glaubst«, fragte Anlytha bedrückt, »das jemand dies alles absichtlich tut? Aber warum denn? Warum?« Der Kundschafter zog die Scoutkapsel steil in die Höhe und schaltete den Generator ein, der die Energieblase wieder aufbaute. »Ich weiß es nicht. Aber ein so riesiges Gebilde kann nicht von selbst durch die Dimensionen reisen, Zeitebenen durchbrechen und Welten an den Rand der Vernichtung bringen. Selbst die Natur brächte das nicht fertig, denn wenn sie schon zerstört, dann tut sie es sinnvoll. Dies aber ist ohne jeden Sinn, wie es auch auf Terra ohne Sinn war. Das muß Atlan erkannt haben.« Er sah auf die Kontrollinstrumente und korrigierte den Kurs, um das Kundschafterschiff auf seiner
Kreisbahn nicht zu verpassen. »Wir werden an Bord sofort neue Lotungen vornehmen, um die neue Spur nicht zu verlieren. Wohin immer auch Atlantis steuern wird, wir werden es finden!« Lautlos glitt der Scout in die weit geöffnete Schleusenkammer des Kundschafterschiffs. Die Luke schloß sich wieder. Die Energieblase erlosch. Mit verbissener Miene setzte sich Algonkin-Yatta vor die Kontrollen der Psiotronik und nahm Kontakt auf. Er programmierte die neuen Anweisungen, und als er die Bestätigung erhielt, daß die neue Spur gefunden sei, schaltete er das Schiff auf Automatik. Erschöpft und müde erhob er sich, um seinen Wohnbezirk aufzusuchen. Unterwegs traf er Anlytha. Als er ihren fragenden Blick bemerkte, strich er ihr sanft über den Federkamm. »Geh jetzt schlafen, meine Liebe. Wir geben die Jagd nicht auf. Wir folgen der neuen Spur. Sie wird uns zum Ziel führen, wie lange es auch dauern mag. Wie sagtest du doch noch kürzlich …? Wir haben alle Zeit des Universums.« »Aber die Welten, die von Atlantis bedroht werden, haben diese Zeit vielleicht nicht«, sagte sie und befolgte seinen Rat. Algonkin-Yatta streckte sich auf seinem Ruhelager aus und schloß die Augen. Er wußte, daß sein Schiff, von der Psiotronik MYOTEX gesteuert, die einmal aufgenommene Spur unerbittlich verfolgen würde, bis der Gegner gestellt war. Und der Gegner war Atlantis.
ENDE
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