Inmitten eines gr ausamen Krieges gibt es für acht tapfere M änner nur eine Aufgabe: einen einzigen zu retten! 1944, ku...
204 downloads
1185 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Inmitten eines gr ausamen Krieges gibt es für acht tapfere M änner nur eine Aufgabe: einen einzigen zu retten! 1944, kurz nach der Invasion d er Alliierten in der Normandie: Tag für Tag, Stunde für Stunde, M inute für M inute fallen unzählige amerik anische Soldaten im Kampf um die Befr eiung Europas. Doch inmitten der schier endlosen Ver lustlisten sticht ein Schicksal besonders hervor - die Familie Ryan aus Iowa hat bereits drei ihrer vier Söhne ver loren. Die Regierun g beauftragt daher Captain John M iller, den Soldaten James Ryan, der in Frankreich kämpft, zu finden und sicher nach Hause zu bringen. Doch dieser Auftrag wird für M iller und sein zusammen gewürfeltes Team nicht nur ein mörder ischer Wettlauf mit der Zeit, sondern auch eine Zerreißprobe, für ihre Seele und ihren Geist. Der Roman zum Film von Steven Spielberg mit Tom Hanks und M att Damon in den Hauptrollen.
2
Max Allan Collins
Der Soldat James Ryan
Der Roman zum Film von Steven Spielberg
nach dem Drehbuch von Robert Rodat
Aus dem Amerikanischen von
Sven Dörper und Thomas Wollermann
Deutsche Erstausgabe Oktober 1998
™ Paramount Pictures Corporation
© 1998 Paramount Pictures, DreamWorks LLC
and Amblin Entertainment.
All Rights Reserved.
3
Für Master Sgt. Mahlon Collins, U.S. Army, und Lt. (j. g.) Max A. Collins sr., U.S. Navy, ... zwei Brüder aus lowa, die nach Hause zurückgekehrt sind
Redaktion: Boris Heczko,
Kollektiv Druck-Reif
First p ublished in the USA by Signet, 1998.
Published by the Penguin Group.
Copyright © 1998 der deutschsprachigen Ausgab e bei
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., M ünchen
Umschlaggestaltung: A gentur Zero, M ünchen
Scan, Korrekturlesen, Satz & Layout: waldschrat
Druck und Bindung: Ebner Ulm
Printed in Germany
ISBN 3-426-61263-1
4
Mit militärischem Gruß
Ich danke Robert Rodat für sein schönes Drehbuch, das die Landung der Alliierten in der Normandie beschreibt und mit der wahren Geschichte der Niland-Brüder verknüp ft. Einer von ihnen, Fritz Niland, wurde durch die 101. Luftlandedivision nach einer Su chaktion der Army von der Front zurückgeholt. Folgende Quellen habe ich zu Rate gezogen: Richard Goldstein, America at D-Day (1994); Peter Chamberlain und Chris Ellis, Axis Combat Tanks(l977); Anthony Kemp, D-Day and the Invasion of Normandy (1994); Theodore A. Wilson, DDay 1944 (1971, 1994); Stephan E. Ambrose, D-Day June 6, 1944: The Climatic Battle of World War II (1994) ; R. W. Thompson, D-Day: Spearhead of Invasion (1968); Forrest C. Pogue, George C. Marshall: Organizer of Victory (1973); Edwin P. Hoyt, The GIs War(l988); Gerald Astor, The Voices of D-Day (1994); Cornelius Ryan, The Longest Day (1959) [Der längste Tag; deutsche Übersetzung: Adolf Himmel; Fischer Taschenbuch Verlag]; Leon ard M osley, Marshall, Hero of Our Times (1982); .Blythe Foote Finke, No Mission Too Difficult! (1995) ; Robert Hunt und David M ason, The Normandy Campaign (1976); Ron ald J. Drez, Voices of D-Day (1994); M ordecai Richler, Writerson World War II (1991). Die beste Vorstellun g vom Alltagsleben der kämp fenden Truppen wurde mir jedoch von Audie M urphys Klassiker To Hell and Back (1949) vermittelt, auch wenn dieser Roman nicht vom D-Day handelt. M ein Dank gilt außerdem DreamWorks und der Verlegerin Danielle Perez; meinem Agenten Dominick Abel; Joe Collins für technische Infor mationen; und schließlich meiner Frau Barbara, die bei der Recher che half und mir d en Rücken stärkte.
5
PROLOG St.-Laurent Soldatenfriedhof 6. Juni 1998
Der Pfad war von tadellos geschnittenen Hecken gesäumt, so hoch, daß man nicht über sie hinwegsehen konnte. Allen voran ging Grandp a, der in kariertem Hemd, grauen Hosen, Socken und Sandalen rasch den grünen Tunnel entlanglief, so daß der kleine Jimmy - mit seinen sieben Jahren der Jüngste unter den zwei Brüdern und vier Schwestern ( Sue, die Älteste, war zwanzig) - kaum Schritt halten konnte. Jimmy war ganz verblüfft, daß ein alter M ann wie sein Großvater sich so schnell bewegen konnte; er ging tief gebeugt, und in seinem weißen Haar schimmerte das Sonnenlicht. M am und Dad und der Rest der Familie r annten beinahe und versuchten ihn einzuholen (nur Grandma schien sich Zeit zu lassen), als wäre der alte M ann ausgerissen und sie bemühten sich, ihn wieder einzufangen. Plötzlich blieb Großvater stehen. Es war, als wäre er gegen eine unsichtbare M auer ger annt, und Jimmy konnte hören, wie der Atem seines Großvaters heftiger wurde, so als würde er immer noch laufen, immer schneller, noch schneller - allerdings stand er still, und dann fiel Grandpa auf die Knie und sog keuchend die Luft ein, so daß Jimmy einen Schr eck bekam und dachte, er wurde zusammenbrechen. »Dad!« M ams Stimme, die hinter Jimmy ertönte, klang besorgt, aber Jimmy hatte schon verstanden, daß Grandpa nicht hingefallen war; es sah eher so aus, als ob er ... kniete. Und betete. Bald wußte Jimmy auch, warum.
6
Als er neben seinem Großvater ankam, dessen Augen auf der Landschaft ruhten, die sich hinter der Wegb iegun g öffnete, erblickte Jimmy ein phantastisches abstraktes Bild, ein Gemeinschaftswerk von Gott und M ensch. Das Grün des Grases auf dem sanft gewellten Hügel hatte Gott geschaffen, das M eer weißer Kreuze, in dem hier und da au ch ein Davidsstern aufblinkte, war eine Zutat des M enschen. Auf Jimmy, der in seinem siebenjährigen Leben bisher nur ein einziges M al einen Friedhof gesehen hatte (einen ganz gewöhnlichen, ver glich en mit diesem hier), machte es den Eindruck, als ob alle M enschen auf der Welt gestorben und hier begraben seien; wohin er schaute, erstreckte sich eine endlose Weite von Grün und Weiß, weder darüber noch links oder recht davon konnte man den Himmel erkennen, nur Grün, Weiß, Grün, Weiß, Grün, Weiß, bis es dem Jungen schließlich vor den Augen flimmerte. Endlich waren M am und Dad herbeigelaufen und schlossen Grandpa in ihre Arme; Jimmys Bruder und seine Schwestern kamen auch heran, und ganz zum Schluß Großmutter - sie als einzige schien keine Eile zu haben. Grandma, deren Haar nicht so weiß war wie das von Grandp a, hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht; Jimmy hätte nicht sagen können, ob sie fröhlich oder traurig war. Grandpas Gesicht dagegen wirkte völlig ausdruckslos. Seine Augen war en weit geöffnet, als wollte er d ie grünweiße Landschaft ganz in sich aufnehmen. Jimmy hatte diesen besonderen Blick bei Grandpa schon früher bemerkt - sein Gesicht war ansonsten ganz normal, freundlich und runzelig wie das von allen Großvätern. In solchen M omenten erinnerten Grandpas Augen an das Lächeln von Grandma - sie wirkten dann traurig und froh zugleich. Und noch nie war dieser Ausdruck deutlicher sichtbar gewesen als gerade jetzt, da Grandpas Augen auf den geo metrisch angeordneten Reihen d er Kreuze ruhten. Diese
7
Augen mußten in all den Jahren v iel gesehen haben, dachte Jimmy. Der Junge fragte sich, ob Grandpa an die M enschen dachte, die hier beerdigt lagen und die vielleicht seine Freunde gewesen waren. Dad erklärte ihm, Grandpa habe in diesem Krieg gekämpft, doch Jimmy verstand nicht so recht, was er damit meinte. Er hatte vom Vietnamkrieg gehört. Aber hier ging es um Frankreich. Vielleicht hatte es dort ja auch einmal einen Krieg gegeben, vor langer, langer Zeit.
8
TEIL EINS Omaha Beach, Normandie 6. Juni 1944
1
Die eisen graue See zerrte an dem grauen Himmel, aber die fünftausend Schiffe d er Alliierten Armada, die von noch dunklerem Grau waren, b ewegten sich unaufhaltsam vorwärts, durchpflügten mit ihren Bugwellen die eisigen Wasser des Ärmelkanals. Unbeirrt von dem erdrückenden Himmel und der tosenden Gischt bahnten sich über eine Breite von dreißig Kilometern zehn Reihen von Schiffen ihren Weg, schlanke, neue Landungsschiffe, rostübersäte, betagte Frachter, umge baute Ozeanriesen und Dampfer, Tanker und Schlepper, Küstenwachboote, M inensucher, Transp orter, Bojenleger und endlose Verbände von Kreuzern, Zerstörern und Schlacht schiffen. Den eigentlich en Angriff auf die Strände der Normand ie jedoch sollten fünfzehnhundert Landungsboote übernehmen, die die zwanzig Kilometer zwischen d er Armada und dem Land in dreieinhalb endlosen Stunden zurücklegen würden. Zweihundert Boote sollten vorneweg fahren und die erste Angriffswelle bilden, teils LCI (Landing Craft, Infantry), jedes mit ungefähr zweihundert Soldaten besetzt, teils die kleineren LCVP (Landing Craft Vehicle, Personnel), von denen jedes einen Zug mit dreißig So ldaten bzw. zwölf Soldaten und einen Jeep transp ortierte. In einem der letzteren - einem Higgins
9
Boot, benannt nach seinem Erfinder Andrew Jackson Higgins jr., der mit dem Verkauf kleiner, schneller Boote an Schmu gg ler (und noch schnellerer an die Küstenwache) ein Ver mögen verdient hatte - saß Captain John H. M iller aus Addley, Pennsylvania, mit seinen M ännern - »Frischfleisch«, dir ekt von der Grundausbildung. M iller, Charlie-Kompanie, 2. Ranger-Bataillon, war kein Karrieresoldat; er hatte seinen Dienstgr ad auf dem Schlachtfeld erworben, indem er Arzew in Nordafrika, Gela auf Sizilien und Salerno in Italien üb erlebt hatte. M it seinen achtunddreißig Jahren war er bei weitem der Älteste unter den M ännern auf dem flachen Landungsboot, einem Kleintransporter für Kamp f einsätze mit einem einzigen Steuermann. I m Grunde handelte es sich um einen riesigen Trog voller M enschen - mit einer Bugklap pe, die sie auf einen Strand spucken würde, der noch nicht in Sichtweite war. M iller besaß ein ebenso glattrasiertes, weiches Kindergesicht wie seine M änner, seine Augen wirkten nicht mehr jung. Wie alle, die mehrer e Schlachten überlebt hatten, wußte er nur zu gut, daß er bislang den Gesetzen der Statistik ein Schnipp chen geschlagen hatte. Wie oft hintereinander konnte man in einem Spiel die Sechs werfen? M an hätte denken können, daß er in sein er Hand Würf el schüttelte; aber sie zitterte nur. Und dies hier war auch kein Spiel. Hoffentlich hatten seine Jungs das Zittern seiner Hand nicht bemerkt. Er fixierte sie, versuchte sie zur Ruhe zu bringen, sein e An gst zu unterdrücken, und schließlich gehorch te ihm sein Körper. Doch keiner hatte die zitternde Hand des Captain bemerkt. Alle waren zu beschäftigt, eingesp onnen in diesen ganzen Wahnsinn. Währ enddessen durchp flügte der flache Bu g des Bootes weiter Welle um Welle, wobei kaltes Wasser hereinsp rühte, das ihre Uniformen bis auf die olivgrüne
10
wollene Unterwäsche durchnäßte. Jed esmal, wenn d as Boot auf eine Welle traf, wurden die Soldaten wie Lump enp upp en umhergeworfen und f ielen taumelnd übereinander. M it all ihrer schweren Ausrüstung, den aufblasbar en Rettungswesten (die von den Sold aten »M ae West« genannt wurden), Waff en aller Art (Gewehre, M örser, Panzerfäuste, Flammenwerfer), Leinenrucksäcken, Gasmasken, Verbandszeug, Kochgeschirr, dem Schanzzeug, M essern, Drahtscheren, Essensrationen, Granaten, Sprengstoff und M unition, wirkten die schlanken jungen M änner plump und unbeweglich. Ihre Helme, über die Netze gespannt waren, tanzten auf und ab wie die Köp fe von Karnevalspupp en; der Geruch von Diesel und salzigem M etall erfüllte die klare Seeluft. In regelmäß igen Abständen wurde die Besatzung des kleinen Bootes von Übelkeit heimgesucht. Die M änner suchten nach Behältern, da sie ihr e Kotztüten (jeder hatte zu seiner Ausrüstung von der Army seine »Tüte, bei Erbrechen, 1 Stck.« bekommen) schon vor einiger Zeit gefüllt ins M eer geworfen hatten. In ihrer Not nahmen sie ihre Helme ab, die schnell randvoll mit den Überresten der »Henkersmahlzeit« waren, die man ihnen am Abend zuvor serviert hatte - herrliche Steaks, ein Abschiedsgeschenk der Army . Sie hatten es »das letzte Abendmahl« genannt. M it dem Wasser, das ins Boot schwappte, konnten sie wenigstens anschließend ihr e Helme reinigen. Viele der Jungs schöp ften es sowieso mit ihren Helmen, um die Pumpe des Bootes zu unterstützen. Alle hatten auch Pillen gegen Seekrankheit erhalten, aber einige M öchtegernhelden hatten darüber die Nase gerümpft, so daß Private Anthony Cap arzo, zweiundzwanzig, Chicago, Illinois, sie ihnen während ihr er mehrtägigen Wartezeit auf dem Truppentransp orter für fünf Cent das Stück abgekauft hatte. Er hatte davon geträumt, sie später für einen Vierteldollar das
11
Stück zu verkauf en und so ein kleines Vermögen zu machen, aber jetzt - da seine Kumpels um ihn herum stöhnten und kotzten - zeigte sich, daß er dazu ein zu weiches Herz hatte, oder vielleicht selbst nur einen zu schwachen M agen. Cap arzo hatte volle Lippen und eine stump fe Nase, seine Augen saßen wie kleine, schwarze Perlen in seinem bleichen ovalen Gesicht. Feierlich wie ein Priester, der das Abendmahl reicht, begann er d ie Pillen umsonst zu verteilen. Das Boot schlin gerte, und mit ihm Stanley M ellish, zweiundzwanzig, Yonk ers, New York, der gegen Cap arzo stieß und sich dabei die Handvoll Pillen schnappte. »Gib mir noch ein p aar!« sagte M ellish nach diesem Diebstahl. Er hatte das teigige, launische Gesicht und den dunklen, gierigen Blick eines verzogenen Rind es. »Das ist mein Vorrat für den Rest des Krieges, du Sch eißer!« »Schreib's als Kriegsver lust ab.« Das Boot schwankte erneut. »Und überhaupt, wozu brauchst du die denn noch? Glaubst du vielleicht, wir machen no ch mehr solche Bootsausflüge?« Cap arzo wußte darauf nichts zu erwidern, doch statt dessen machte das Boot ein en Satz aus dem Wasser, gen au in dem M oment, als eine Granate aus einem Schiffs geschütz über sie hinwegstrich. Kurz darauf verebbte ihr Pfeifen, und eine Detonation auf dem noch unsichtbaren Strand zeigte ihnen an, daß es nicht mehr weit war. Die Stunde X war geko mmen. Wer nicht kotzen mußte, betete; M ellish wechselte p lötzlich von der letzteren Gruppe in die erste, sein Gesicht wurde grün, als sei es mit Tarnfarbe bemalt, sein Hals richtete sich wie ein Geschützlaufauf, und die Pillen gegen die Seekrankheit schossen aus seinem M und und landeten auf dem Deck. Volltreffer. Während M ellish sich über die Bordwand beugte, schaute sich Caparzo vorsichtig um, und als er sich unb eobachtet
12
glaubte, fischte er die schleimigen, aber kaum auf gelösten Tabletten aus der Brühe, suchte nach einer Tasche, stopfte sie hinein und wischte sich anschließend die Hand an seinem durchnäßten Kamp fanzug ab. Sein Captain hatte dies wohl gesehen, aber M iller verstand, daß M änner im Kamp f ihre geheimen Probleme hatten - wie er selbst seine unruhige Hand. Wieder fixierte er sie, als würde sie einem anderen gehören. Und wieder hörte sie auf zu zittern. Neben ihm stand Ser geant M ichael Horvath, M inneapolis, M innesota, ein vierschrötiger Haudegen voller Kriegsnarben, der auf die Dreißig zuging; wie sein Cap tain war auch der Sergeant verschwiegen, und wenn er M illers zitternde Hand gesehen hatte, so ließ er sich jedenfalls n ichts anmerk en. Der Sarge deutete auf die betenden, kotzenden M änner. »Schätze, die fahren sonst nicht so oft Boot«, meinte er, »daheim in ihren Käffern.« »Und das hier ist auch nicht der gute alte Fischteich«, erwiderte M iller. M iller liebte diese Jungs. Auf dem Truppentransporter hatten sie ein letztes M al Gelegenheit gehabt, ihre Ju gend zu gen ießen. Überall hatten sie gelegen und geschlaf en, auf den Decks, in, auf und unter den Fahrzeugen, hatten geraucht, Karten gesp ielt, waren umherspaziert, hatten von ihren M ädchen zu Hause erzählt. Alle hatten einen persönlichen Brief vom Oberkommandierenden Gen eral Eisenhower erhalten, den sie sich gegenseitig signierten wie ein HighSchool-Jahrbuch. Ihre Unschuld hatte ihn gerührt und ihm fast das Herz gebrochen. Einer der Jun gs war Danny Delancey woher kam er noch gleich, aus Cleveland? Ein netter Kerl, er konnte ziemlich gut Sinatra imitieren, vor allem wenn ihn jemand auf d er Gitarre begleitete. Gerade lugte er über die Bordwand nach einem Higgins-Boot steuerbord. »Köpfe runter!« bellte M iller. »Da gibt's nichts zu sehen!«
13
Aber bevor Delancey dem Bef ehl noch Folge leisten konnte und wie um den Cap tain Lügen zu strafen, lief das HigginsBoot neben ihnen auf eine M ine. Delancey p rallte zurück, als auf ihn und alle anderen Insassen des tanzenden Bootes bren nender Diesel, v ersengtes M enschenfleisch und M etallsplitter herabfielen und glühende Trümmer wie höllisch er Hagel auf Deck aufschlugen. Die Helme, mit denen man ger ade noch Wasser geschöpft hatte, wurden nun zu Löscheimern, mit denen man die Flammen bekämpfte, unterstützt von dem hereinschwappenden eisigen Kanalwasser, das die Explosion aufgewühlt hatte. Die hektische, aber entschlossene Säuberung des Bootes wurde von Flüchen und Schreien begleitet. M iller schleuderte einen Fuß hinaus, d er noch in seinem Stiefel steckte; der Sarge tat das gleiche mit einem verkohlten Arm, dessen Hand sich wie zu einer ungehörten Klage ausstreckte. Als das Boot weiterschoß, wechselten die beiden erf ahrenen Veteranen, d ie immer noch Leichenteile über Bord warf en, einen Blick - in diesem Krieg starb es sich verdammt würdelos -, und die jugendlichen Gesichter um sie herum wandten sich fragend ihren Vorgesetzten zu. »Verwundete?« rief M iller. Alle schüttelten die Köpfe; ein k lein es Wunder bei all den wirr herumfliegenden glühenden Splittern. Die Gesichter wandten sich dem Wasser zu, in dem Leichen und Leichenteile herumschwammen. »Köpfe runter, hab' ich gesagt!« »Cap tain ...« Delanceys Augen sahen aus wie d ie eines kleinen Hündchens. »... werden wir alle sterben?« M iller suchte nach den r ichtigen Worten - er wollte den Jungs nichts vormachen, aber sie brauchten etwas, an dem sie sich festhalten, was sie in den Kampf mitnehmen konnten. Doch Lieutenant Frank Briggs kam ih m zuvor.
14
»Zum Teufel, nein, Delan cey!« sagte er mit einem heraus fordernden Grinsen. »Höchstens zwei Drittel!« Das war nicht die Antwort, nach der M iller gesucht hatte. »Jesus M aria« rief Delancey aus. Im Krieg gehen Fluch und Gebet ineinander über. Briggs - dreiß ig Jahre, Dallas, Texas, ein stämmiger Bursche mit engstehenden blitzenden Augen - legte die Hände wie einen Trichter vor den M und und brüllte so laut, daß man seine Stimme über das Wasser hinweg auf den nächsten HigginsBooten hören konnte. »Schaut euch den M ann links neben euch an! Ihr alle, ihr verdammten Kerle. Jetzt schaut euch den M ann rechts neben euch an!« Alle Jungs im Boot gehor chten wie erstarrt. Briggs grinste. »Sprecht ein Gebet für die beiden Hurensöhne, denn sie werden nicht zurückkommen. Ihr dagegen werdet nicht den kleinsten Kratzer abkriegen!« Delanceys unsicheres Lächeln zeigte, daß die Worte des Lieutenants nur seine Neigung zum Kotzen verstärkt hatten. Diese »Aufmunterung« hatte die Stimmung des Zuges nicht ger ade gehoben. »Lieutenant«, sagte M iller leise zu Briggs
Briggs Au gen strahlten.
»Ja, Sir?«
M iller funkelte ihn an.
»Beantworten Sie in Zukunft bitte nicht mehr Fragen, die an
mich ger ichtet sind. Haben Sie verstanden?« Das Leuchten in den Augen des Lieutenants erlosch. »Jawohl, Sir.« Orangeweißes Licht zuckte über dem Boot, und aller Augen blickten himmelwärts, als suchten sie dort nach einem Schutzengel, doch sie sahen nur Tausende von Granaten, die zischend über ihre Köpfe hinwegzogen, zur Küste hin, wo sie
15
detonierten. Der Donner wirkte nicht allzu entfernt. »Seht ihr das?« rief M iller. »Hört ihr das? Da fahren d ie deutschen Befestigungen zur Hölle, eine n ach der anderen!« »Die Schwimmpanzer vor!« rief Lieutenant Briggs, als würde er von der Tribüne aus die M annschaft in einem wichtigen Spiel anfeuern. »Leuchtet ihnen nach Hause!« »Haltet endlich eur e Köp fe unten«, rief M iller, der selbst über die Bordwand zu der geschwungenen, neb elverhangenen Küstenlinie hinüberspähte, wo undeutlich ein e Steilwand hinter dem Sandstrand und einem hohen Deich aufr agte und gelblicher Pulv erdamp f sich mit dem aufgewirbelten Staub zu einer gespenstischen Szenerie v erband. Aber aus dem Sand h eraus, der bei der jetzigen Ebbe etwa eine M eile breit freilag, ragten wie bizarre Pilze un gleich mäßige Reihen von torartigen Eisenkonstruktionen, hölzerne Pfosten, die Tellerminen als Aufsatz trugen, und gekreuzte Eisenbahnschienen, alle seewärts gerichtet. Die Deutschen hatten sie hier auf gestellt, um den Booten eine Landun g bei Flut unmöglich zu machen. Bei Ebbe würden sie der über den Strand vorrückend en Infanterie Deckun g geben. Wer allerdings hinter einer minenbewehrten Sp erre Schutz suchte, tat im Grunde nichts anderes, als sich bei einem Feuer gefecht hinter einem Pulverfaß zu verstecken. Erneut gefror M iller das Blut in den Adern: Diese Unterwasserhindernisse sollten eigentlich gar nicht mehr da sein ; nach sein en Informationen hätten sie bereits vor dem M orgen gr auen alle von Pionier en beseitigt sein sollen. Aber da waren sie, X-förmige Stahlkonstruktionen, wie groteske Kreuze eines Friedhofs, der darauf wartete, daß sich seine Gräber füllten. Das Sperrfeuer der Schiffe fiel zu kurz aus, schien es M iller. Die großkalibr igen Granaten aus den Sch iffsgeschützen ließen ölschwarze Wasserfontänen aufsp ritzen. Er hoffte inständig,
16
daß der Strand bei ihr er Ankunft von Trichtern übersät sein würde, wie man es ihm v ersp rochen hatte. Das hatte er seinen M ännern beigebracht: sich in Bomb enkrater f allen zu lassen und aus ihnen heraus- und um sie herumzukriechen ... »Das wird ein groß es Fest!« rief einer der Jungs. »Ein Kinderspiel!« meinte ein anderer. Cap arzo lehnte sich an die Bordwand, bemüht, das Gleichgewicht auf dem tanzenden Boot zu halten, dessen Fahrt durch die von Granaten aufgewühlte See noch unruhiger geworden war. »Klingt wie der M itternachtsexpreß!« »Eher wie eine Klospülung«, meinte M ellish mit einem nervösen Lächeln. Neben ihm streichelte der schlacksige Daniel Boone Jackson, dreiundzwanzig, Hickory Valley, Tennessee, sein Scharf schützengewehr und senkte den Kop f. »Am besten macht ihr eur en Fried en mit dem Herrn«, riet Jackson seinen Kumpels in einem beruhigenden Tonfall, der so gar nicht zu dem Aufruhr unter ihnen und um sie herum passen wollte. Als ob der Südstaatenjunge es befohlen hätte, breitete sich urp lötzlich Stille über der auf gewühlten See aus. Das Sperrfeuer der Schlachtschiffe hatte auf gehört, so daß nur noch das Brummen der M otoren der Higgins-Boote zu hören war; ein Geräusch, das ihren Passagieren bereits so vertraut geworden war, daß sie es schon seit einiger Zeit gar n icht mehr wahrnahmen. Die schweren Geschütze richteten sich neu aus, um ihr Feu er ins Hinterland zu richten. Aber für einen M oment entstand der Eindruck, als hätte der Krieg kurz angehalten, um den Jungs eine kurze Atempause zu verschaffen, die sie dringend benötigten. M iller wußte, daß dieser M oment zufällig gewährter Gnade wahrscheinlich der einzige ruhige M oment sein würde, den dieser kalte, gr aue M orgen seinen Jungs an dieser dunstigen
17
Küste gönnen würde. Er schaute zu dem Steuermann rüb er, der drei Finger hochhielt. Seine M änner sahen ihn an. Sie wußten, daß es soweit war; sie warteten nur noch auf das Stichwort. Reden halten war nicht M illers Stärke, also trat er in ihre M itte, nachdem er dem Sarge zugelächelt hatte, was, wie beide wußten, ein endgültiger Abschied sein konnte. Er schritt durch die Reihen der Jungs und sprach mit ruhiger Stimme zu ihnen. »Alles ganz einfach«, sagte er leise, »geht seitlich über d ie Ramp e, trödelt nicht, bildet keine Gruppen ... Viel Glück, Gott mit euch, laden und entsichern.« Den einen oder anderen bedachte er mit einem Läch eln, manchem zwinkerte er sogar zu, wieder anderen klopfte er auf die Schulter. Einigen rückte er ihre aufblasbare Schwimmweste zurecht, denn er wußte, daß diese »M ae West«, wenn sie zu hoch saß und sich plötzlich mit Gas füllte, einen Soldaten, der in tiefes Wasser geriet oder in einen Granattrichter trat, in arge Bedrän gnis brin gen konnte. »Ihr wollt doch nicht mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben im Wasser treiben«, sch impfte M iller väterlich. Er ging weiter, suchte Blickkontakt, nickte ihnen zu, lächelte in die Runde. »Paßt auf, daß euch kein Sand ins Gewehr kommt«, riet er. Etliche der M änner hatten Kondome über ihre Gewehr mündung gestülpt, was einen absurden Anblick bot, aber eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme für die bevorstehende nasse Landung darstellte. »Viel Glück, M änner.« Die schweren Schiffs geschütze fingen wied er an zu feuern, aber hinzu kam ein anderes Geräusch : feindliches Artiller ieund Granatwerferfeuer aus Batterien, von denen man gehofft hatte, daß sie die alliierte Bombardierung nicht überstanden hätten. Nun aber regneten ihre Geschosse auf die heran nahenden Landungsboote herab und ließen Wasserfontänen
18
neben ihnen aufspritzen. Von links und rechts war jetzt auch das unan genehme Tackern von M aschinengewehren zu hören. M iller sah Leuchtsp urmunition über dem Wasser tanzen und von der Rampe und der Bordwand des benachbarten Landungsbootes abprallen, das ein wenig versetzt vor ihnen fuhr. Er wußte nur zu gut, daß auf jedes Leuchtspurgeschoß vier Kugeln kamen, die man nicht sehen konnte. Als die Explosionen der f eindlichen Granaten Wasser ins Boot spritzten, machte es einen Satz und lief auf eine Sandbank. M it einem Ruck wurden alle nach vorne gesch leudert. »Von wegen Kinderspiel«, knurrte Caparzo M ellish zu. »Sieht so aus, als wollten sie Wid erstand leisten«, sagte M ellish düster. Und als die M änner wie gebannt auf die stählerne Frontplatte starrten, jenes Tor, das sich nun gleich als Ramp e herabsenken und sie in die Schlacht schicken würde, hämmerte plötzlich ein metallischer Hagelschauer auf sie ein. Scheiße, dachte M iller. Ihm blieben nur zwei M öglichkeiten: Er konnte seine M änner entweder direkt in das M G-Feuer schicken, das so heftig gegen die Ramp e schlug, oder abwarten, bis ein M örser oder eine Granate sie alle in einem Feuerball hinausschleud erte. Aber das M aschinengewehrfeu er setzte immer wieder aus. Er würde eine Pause abwarten und dann vorwärtsstürmen ... Während d iese Ged anken dur ch seinen Kopf wirbelten, wichen die M änner, seine Jungs, vor den Kugeln zurück, die gegen das Tor trommelten, und versuchten sich auf dem überfüllten Boot in die bestmögliche Position zu bringen. Bei einigen von ihnen entleerte sich die Blase, und ihr war m-feuchter Inhalt vermischte sich mit dem eiskalten Kanalwasser, das sie bereits völlig durchnäßt hatte. »M ir ist so speiübel«, sagte Private Brad Lewis, zwanzig, Bay onne, New Jersey , zu jedem, der es hören wollte, »da wird
19
der Scheißstrand geradezu eine Erleichterun g werden.« Pudgy Brad Lewis, Sohn ein es Lad enbesitzers, hatte bis vor drei M onaten noch nie in seinem Leben das Wort »Scheiße« benutzt; nun mischte sich das Wort in alles, was er sagte oder dachte. Außer wenn er betete. »Noch nicht!« rief M iller dem Steuermann zu, der gerad e die Klappe öffnen wollte, gegen die eine weitere M aschinenge wehrsalve p rasselte. Seinen Jungs schrie er zu: »Wenn das Tor runterkommt, will ich, daß ihr über b eide Seiten der Rampe lauft! Habt ihr verstanden? ... Wir sehen uns am Strand! Viel Glück!« Jeder der Jun gs auf d em Boot hatte denselben bangen Gedanken ... Mich wird es nicht erwischen ... oder doch? Dann ließ das M aschinengewehrf euer nach, M iller schrie: »Jetzt!«, und das Tor senkte sich herab. Und das M aschinengewehr ratterte von neuem los. M iller, der hinten im Boot stand, hörte es mehr, als daß er es sah - das Feuer von genau aus gerichteten 30er-KaliberM aschinengewehren, das sich durch M enschen und M etall fraß, und die Todesschreie seiner Jungs. Alles, was er zunächst sah, waren M etallp artikel, fleischfarbene und graue M aterie, Leichen, Qualm und Funken, d ie an ihm vorbei sp rühten. »Scheiße - Scheiße!« schr ie Priv ate Brad Lewis auf. Es waren seine letzten Worte. M iller sah nur die Rücken seiner Jungs, sah, wie die großka librigen Geschosse sie durchschlu gen und Blutfontänen nach hinten sp ritzten, mehr aber noch Splitter von Schaufeln und Kochgesch irr, auch Unifor mstücke und Gummi von den zerfetzten »M ae West«-Rettungswesten. Obwohl M iller schon viele Schlachten mit gemacht hatte, war er n icht darauf vorbereitet, daß in weniger als zwanzig Sekunden zwei Drittel der M änner seines Zuges wie menschliches Klafterholz aufgestap elt daliegen würden, nur nicht so ordentlich. Die
20
Toten und Sterbenden waren jetzt nur noch Hindernisse, den stählernen Drachenzähnen am Strand gleich, über die hinweg und um die herum ein Dutzend Überlebende sich einen Weg bahnen mußten, um zur Ramp e zu gelangen und sich ins Wasser zu stürzen. M it weitaufgerissenen Augen plumpsten sie hinein wie Steine, d aß das Wasser um sie herum aufspritzte. Hinter ihnen brüllte M iller Kommandos: » Vorwärts! Vor wärts!«, mit seiner Stimme das Rattern der M aschinengewehre übertönend. Private Delancey schrie auf. Er schr ie weder aus Angst noch vor Schmerz, sondern vor Entsetzen, denn er lag eingek lemmt unter einem Stapel toter Soldaten, die eben noch seine Kameraden gewesen war en. Das Stöhnen und Wimmern der Verwundeten war durch das Geknatter des M aschinengewehrs und das Brummen des Schiffsmotors nicht zu hören. M iller, der sich gedu ckt hielt, damit der Stahlhelm seinen Kop f vor dem M aschinengewehrf euer schützte, zog den Jungen aus dem Stapel heraus, indem er ihn beim Rucksack packte und seine eingeklemmten Beine unter den toten Körp ern hervorzog ger ade rechtzeitig, bevor das M aschinengewehrfeu er über die Stelle hinwegstrich, an der Delancey eben noch gelegen hatte. Dann schleppte M iller den Jungen bis zur Ramp e, hielt ihn umklammert und sprang mit ihm ins Wasser, das tiefe Wasser links von der Sandbank, auf d ie das LCVP aufgelaufen war.
2.
Beim Sprung ins Wasser ließ M iller, der die Lun gen mit der frischen M orgenluft gefü llt hatte, den Jungen los und löste die CO2 -Patronen aus, um seine »M ae West« aufzublasen, die ihm
21
zusammen mit dem Behälter für die Gasmaske Auftrieb verlieh; sein Abtauchen wurde dadurch jedoch nicht merklich verlangsamt. Die sechzig Pfund schwere Ausrüstung zog ihn wie ein Stein n ach unten, wo ihn eine starke Strömung nach links riß und ihn durch einen Unterwasseralptraum versinkender, ertrinkender Soldaten schlin gern ließ, darunter Verwundete, die die grünb laue Szenerie mit rötlichen Schlieren trübten. Die M änner um ihn herum ruderten wie wild, ließen im Kamp f um ihr Leben ihre Ausrüstung fahren, aber M iller hielt sein Gewehr fest umklammert, sogar noch, als sein Rucksack ihn auf den sand igen Boden zog. Um ihn herum tanzten in einem Unterwasserballett wie in Zeitlupe Helme, M 1-Gewehre, Flammenwerfer, Sprechfunk geräte, ein M örser, eine Panzerfaust, sogar eine Sturmleiter. Und während er sich von dem schweren Rucksack zu befreien suchte, wobei seine Lun gen zu zerplatzen drohten und ihm Luftblasen aus der Nase aufstiegen, blickte M iller empor zur Wasseroberfläche. Obwohl das Wasser eiskalt war, sah es von hier unten für ihn so aus, als würde er am Boden eines riesigen Top fes gekocht, so aufgewühlt war der Wasserspiegel von den Explosionen der Granaten, dem Aufsp ritzen der Schrap nells und dem besonders bedrohlichen, r egen gleichen Plitsch-Platsch des M aschinengewehrfeuers. Die Kugeln, die die Wasseroberfläche durchsch lugen, zogen eine wirbelnde Spur hinter sich her, bevor sie langsamer wurden und als har mlose, metallene Kieselsteine sachte u m ihn herum auf den trüben, sandigen Grund sanken. Nachdem er seinen Rucksack los geworden war, erkannte M iller in dem Soldaten, der neben ihm umh erruderte, Private Delancey, der gegen den Widerstand des Wassers eine verzweifelte Tarantella zu tanzen schien und sich dabei vergebens abmühte, die Gurte sein es schweren Gepäcks zu öffnen. M iller zo g ein M esser aus seinem Stiefel und kam dem
22
Jungen zu Hilfe, er zerschnitt die Riemen des Tornisters, worauf dieser sich in die Par ade der verstreuten Ausrüstung einreihte, die dem sandigen Grund zustrebte. Aber der Junge war nun in Panik, Luftblasen strömten aus seinem M und, der unhörbare Schreie ausstieß, seine Augen waren vor Angst weit auf ger issen. Der Captain schlang einen Arm fest um den Private und schwamm mit ihm unter Wasser, bemüht, sich weiter unterhalb des Kugelhagels zu halten. Je näher M iller mit Delancey im Schlep ptau und mit berstenden Lungen d er Küste kam, desto mehr stieg der sandige Boden an, so daß sie sich bald dicht unter der von Kugeln aufgewühlten Wasseroberfläche befand en. M iller schlug auf d ie CO2 -Patronen d es Jungen, um seine »M ae West« aufzublasen, worauf der Cap tain und der Private an die Oberfläche getragen wurden. Sie schnap pten nach Luft, und sofort erfüllte ihr e Ohren d ie Kakophonie des Gemetzels von Omaha Beach - das Aufheulen von Granaten und M ännern, das Prasseln des brennenden Treibstoffs auf der Wasseroberfläche, das Gewehrfeuer, das wie ein Feuerwerk aus Knallfröschen k lan g, das Zipp -zipp zipp, mit dem die Geschosse der M aschinengewehre den Sand küßten. Um sie herum schwammen Landun gsboote, Jeep s, DUKW-Amphibienfahrzeuge und mit Gummischwimmgürteln ausgerüstete Panzer, allesamt tote Fahrzeuge, nur noch von Flammen und Rauch belebt. Keines von ihnen hatte die Küste erreicht, als M aschinenleich en trieben sie zwischen d enen aus Fleisch und Blut. M iller wurde von einer Welle erfaßt, und die schreckliche Geräuschkulisse verstummte gnädig unter Wasser; aber dann spürte er wieder Grund unter den Füßen, und Delancey hing an ihm wie ein verängstigtes Kind an seiner M utter und jap ste einen Fluch oder v ielleicht auch ein Gebet: »Jesus ... M aria ... Joseph ...« Der Cap tain watete mit seiner mensch lich en Fracht durch das
23
seichte Wasser, während um sie herum Kugeln aufklatschten und spritzten, zwischen herumtreibenden Leich en hindurch, inmitten anderer Soldaten, die sich denselben h arten Weg vorankämpften, viele ohne Helm und ohne Waffen, gut ausgebildete, erstklassige Infanteristen, die den Strand als erschöp fte, durchnäßte Überlebende eines Schiffbruchs erreichten. M iller zog den halb bewußtlosen Delancey an einem Riemen sein es Rucksacks hinter sich h er und steuerte um die stählern en Drachenzähne herum; manchmal hielt er hinter ihnen an oder hängte sich an sie, um Halt zu finden. In einem solchen M oment schrieb ein M aschinengewehr seinen Namen auf Delancey s Rücken ein; der Private bäumte sich in den Armen des Cap tain auf. Das Gesicht des Jungen entsp annte sich, Überraschung malte sich in seine Züge. Sogar in dieser höllischen Umgebung konnte der Tod noch Erstaunen auslösen. Der leblose Körper fiel auf M iller und stieß ihn einen halben M eter tief ins Wasser zurück. Da er jetzt dem Jungen nicht mehr helf en konnte, faßte der fürsorgliche Cap tain einen brutalen Entschluß -: er würde den toten Delancey als Schild benutzen. Während er sich paddelnd zum Strand vorkämpfte, spürte M iller, wie noch mehr Kugeln in Delanceys Körp er einschlugen, sieben oder acht, so daß er in seinen Armen heftig zuckte und kleine Blutfontänen sich dunstig in die Luft mischten. M iller fragte sich, ob das nicht der passende M oment war, um einfach wahnsinnig zu werden. Vor Erschöpfung keuchend, machte er nun eine Pause, in Deckung hinter dem blutigen Leichnam des Jungen, den er hatte retten wollen. Als er sich umsch aute, stellte er fest, daß er sich nicht allein abmühte: Viele and ere M änner, aus anderen Booten, arbeiteten sich ebenfalls verbissen zu der rauch- und dunstverhangenen Küste vor. Einige benutzten wie er Leichen als Deckung oder bewegten sich hinter den ineinander
24
verkeilten, brennenden Wracks, den Trümmern ihres gut ge planten Angriffs, vorwärts, wobei sie sich mitten durch die von der Brandung umh er getrieben en Toten hindurchschlängeln mußten. Einen absurden Anblick boten unzählige tote Fische, deren friedliche Welt vom Zwist der M enschen aufgestört worden war und die nun zur Küste trieben. Nicht weit von M iller entfernt hob ein Soldat den Kop f und wimmerte, dann rollte er auf den Rücken in das seichte Wasser, das den Sand leckte. M iller verzog das Gesicht, stieß den menschlichen Schild von sich, ließ seine Rettungsweste fallen und lief p latschend durch das Wasser, um dem Verwundeten zu helfen. Jed enfalls dachte er, daß es ein Verwundeter sei. »Hau ab«, knurrte der Soldat, als M iller sich ihm näherte, um ihn an Land zu ziehen. »Nein, nein - verschwind e!« M iller verstand, und er fragte sich, wie viele ander e M änner sich ebenfalls totstellten, in der Hoffnung, die Schützen mit den M aschinengewehren und Karabinern würden statt nach ihnen nach lebenden Zielen suchen. Der Captain, der kein solches Ziel abgeben wollte, warf sich hinter eines der stählernen Sp errkreuze und preßte sich schutzsuchend dagegen, während M aschinengewehrsalv en gegen das M etall klatschten, pfiffen und hämmerten, als poche der Tod an die Tür. Viele Soldaten, die sich zum Strand vorgekämpft hatten, trugen noch ihre »M ae West«, die dort nur hinderlich waren; M iller schrie ihnen zu, sie sollten die Rettungswesten wegwerfen, als eine Artilleriegr anate, ein e große 88er, dir ekt hinter ihm explodierte und ihn ins Wasser schleuderte. Als er Sekunden später wieder zu sich kam, richtete er sich triefend und benommen im seichten Wasser auf und lehnte sich an das Stahlkreuzhindernis wie ein Betrunkener, der sich an der Theke einer Bar festhält. Er schaute ins Wasser, wo ein Helm umhertrieb: es war seiner. Er setzte ihn auf, und sein Blick fiel
25
auf die blaugrün e Wasserfläche, wo ihn ein entfernt bekanntes Gesicht mit leeren Augen ansah: das Gesicht eines M annes am Ende seines Weges, nicht das Gesicht eines Captain, nicht das eines Soldaten, nur d as Gesicht eines M annes, der entschlossen war, sich in seinem Bett zu verkriechen und nie mehr aufzustehen. Seine Uniform war übersät mit kleinen Löchern und versengten Stellen, und überall, wo seine Haut herausschaute, zeigten sich kleine, blutende Wunden, so als hätte er sich am ganzen Körp er beim Rasieren geschnitten. Er fragte sich, warum das Sch ießen auf gehört hatte; war die Schlacht etwa vorüber? Vor sich sah er eine grotesken Stummfilm. Hunderte tote Soldaten lagen am Strand herum, ihr rotes Blut färbte den goldenen Sand, gelber Rauch lag wie Nebel über dem Szenario; unzählige Verwundete schlu gen vor Schmerz und Angst um sich, wanden sich wie Würmer, ihre M ünder bewegten sich, einige riefen stumm um Hilfe oder n ach ihren M üttern, wimmerten, schrien, aber es war nichts zu hören, kein Ton. M iller beobachtete die Schlacht, die als Pantomime weiterging: Vier So ldaten in durchnäßten Uniformen stapften zum Strand - es sah aus, als würden sie gegen schweren Wind ankämp fen -, und plötzlich kippten zwei von ihnen vornüber, wo bereits andere Leichen lagen, offensichtlich von M aschinengewehrfeuer dahin gemäht, aber M iller konnte es nicht hören. Er hörte überhaupt nichts. Sehen konnte er dafür nur zu gut: Überall im Sand verstreut lagen Gewehre, Helme, Gasmasken und Decken; ein Sher man-Panzer hatte es bis zum Strand gesch afft, nur um jetzt seine Kanone ins Leere zu richten, ein unförmiges, brennendes Ungetüm, von dem dicke schwarze Wolken zum Himmel aufstiegen. Einige M änner hatten sich bis auf den Küstenstreifen vorgearbeitet und erwiderten von dort das Feuer des verbor genen Feindes, das
26
vom Steilufer und den Klipp en darüber kam. Ein GI, der sich in den Sand geworfen hatte, versuchte, auf die unsichtbaren Jerrys zu schießen, erwischte aber statt dessen einen seiner Kameraden, der vor ih m lief. Der M ann war auf der Stelle tot. Der Überlebende blickte sich entsetzt um; ganz offensichtlich fragte er sich, ob ihn jemand beobachtet hatte. M iller hatte ihn gesehen, und ihre Blicke kr euzten sich, aber der Captain schaute weg. Er wußte, daß Schuldgefühle und die schr eckliche Erinnerung an diesen fatalen Fehler d en Jungen bis zu seinem Tod verfolgen würden, ob er nun heute oder erst sechzig Jahre später sterben würde. Als er sich umdrehte, sah M iller plötzlich das Gesicht eines Soldaten vor sich, eines blauäugigen Jun gen, dessen erwartungsvolle M iene den Captain verdutzte. Ein paar M eter weiter drückten sich drei weitere blutjunge Priv ates hinter ein Stahlkreuz, bibbernd in dem eisigen Wasser, und schauten ihn mit demselben Blick an. »Heh?« brachte M iller heraus. Der M und des blauäu gigen Privates bewegte sich, und der Ton schien zurückzukehren; schließlich löste sich das wattige Gesp inst in seinen Ohren auf, und M iller wurde klar, daß seine Orientierungslosigk eit und sein gestörtes Gehör davon herrührten, daß hinter ihm eine 88er-Granate hoch gegangen war. »Haben Sie etwas gesagt, Soldat?« fragte M iller. »Was nun, Sir?« sagte der Private, aber M iller sah nur d ie Bewegung seiner Lippen, während der Lärm der Sch lacht um ihn herum langsam wieder zunahm. »Wie?« schrie M iller, ohne es zu bemerken. »Was haben Sie gesagt?« »Ich sagte«, schrie der Private zurück, »was, zum Teufel, sollen wir jetzt machen, Sir?« M iller schaute sich um, nahm die anderen wahr und zwang
27
sich, an die Zeit nach dem Gemetzel, nach der Katastrop he ihrer Landung zu denken. Diese Soldaten und mit ihnen viele hatten überlebt, suchten hinter den eisernen Drachenzähnen Deckung, klammerten sich mit letzter Kraft fest, aber sie waren am Leben. »Captam! Captain!« Die v ertraute Stimme erreichte ihn in dem M oment, als sein Gehör mehr oder weniger vollständig wiederkehrte. Etwas entfernt erblickte M iller Ser geant M ichael Horvath, der sich hinter einer der stählernen Barrikaden duckte; aus dem Gesichtsausdruck des Sar ge schloß M iller, daß er schon eine Weile nach ihm gerufen hatte. Ein Lächeln huschte über M illers Züge, als er sah, daß sein Freund noch am Leben war. Dann sagte er zu ihm im Befehlston: »Brin gen Sie die M änner vom Strand.« Einer aus der Gruppe der jungen Privates quäkte: »Sir, wo ist der Sammelpunkt?« M iller zeigte zu den Klip pen, die in etwa zweihundert M etern Entfernung auf einer Seite der Steilküste aufragten. »Dort, wo ihr nicht im Schußfeld seid!« Jenseits des Rauchs und Nebels und hinter den Drachenzähnen, die aus dem durch die Ebb e freigelegten Sand aufragten, stieg das leichenübersäte Gelände leicht an und ging dann in einen Kiesstrand über, der stufenartig weiter zu einem aus Steinen und M auerwerk errichteten Deich führte. An manchen Stellen des Strandes war dieser Deich vier bis fünf M eter hoch; hier jedoch b etrug die Höhe nicht mehr als einen oder anderthalb M eter. Über die ganze Länge bedeckte ihn ein unheilvolles Gewirr aus Stacheldrahtrollen. Versprengte Grüpp chen von GIs kauerten dicht an der Deichmau er, um den Kugeln der M aschinengewehre und kleinkalibrigen Waff en zu entgehen, die von der Steilwand und den Klip pen herunter prasselten. Einige schaufelten hastig Löcher, andere versorgten Verwundete.
28
»Der Deich!« rief M iller den zwanzig oder dreißig Privates zu, die sich hinter den Sp erren in dem seichten Wasser drängten. »Seht ihr den?« Ein So ldat rief: »I ch bleibe hier!« Es war die Stimme eines verschreckten, sch mollenden Kindes, das von seinen Eltern schon zu oft belogen worden ist. »Bewegt eure Ärsche von d iesem Strand!« brüllte M iller über das von Kugeln auf gewühlte Wasser hinweg. »M acht Platz für die nächste Angr iffswelle!« Ein anderer Private rief mit kläglicher Stimme: »Das ist doch alles, was noch zwischen uns und dem Allmächtigen liegt!« Der Junge meinte damit das Dreiecks gebilde aus Stahl schienen, hinter dem er Deckun g suchte. M illers Stimme schnitt durch das Konzert der exp lodier enden Granaten und die Salven der M aschinengewehre. »Jeder M eter dieses Strandes ist im Visier irgendeines Kraut! Wenn die M aschinengewehre euch nicht erwischen, wird es eine 88er tun! Und die Flut steigt in jeder M inute zwei Zentimeter! Dieser Deich bed eutet Leben ... hier werd et ihr alle krepieren!« M ehr gab es nicht zu sagen. Sie würden ihm entweder folgen oder nicht. Und M iller stürmte hinter der stählernen Barriere hervor, das Gewehr schußbereit, platschte durch das seichte Wasser, bahnte sich einen Weg zwischen den Drachenzähnen und umhertreibenden Leichen. Dutzende von M ännern verließen ihre Deckung und folgten ihm, eben noch verzagte Überleben de, aus denen p lötzlich wieder So ldaten wurden. Aus Kindern wurden M änner, als sie die Todeszone von Omaha Beach üb erquerten, viele von ihnen tote M änner, gewiß, aber M änner; nicht wenige ihrer Väter hatten im vorigen Krieg ein ähnliches Niemandsland unter erbittertem feindlichem Feuer durchqu ert. Rennend, schreiend, rufend, auf allen vieren, springend und im Zickzack, wobei High-School
29
Champ ions ihre Erfahrungen im Geländelauf nutzen konnten, arbeiteten sie sich zum Deich vor. M änner, deren Gewehre mit Sand verstopft waren oder die ihre Waffen im Wasser ver loren h atten, sammelten Ersatz bei den Toten ein. Granattrichter boten vorübergehend Schutz, ein zerschossener Panzer - einer der wenigen, die überhaup t so weit gekommen waren - wurde zur Deckung. Etliche Soldaten wurden gnaden los nieder gemäht und stürzten, nachdem die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihr en Beinen jäh durchschnitten worden war, in den Sand oder den Kies, während die Verwundeten sich in den Armen anderer GIs wiederfanden, die sie mit sich fortzogen. Ander en konnte nicht mehr geholfen werden; die Klagen verwundeter und sterbender M änner, die wieder zu kleinen Jungen wurden, tönten über den rauchverhan genen Strand wie ein unheimliches Wiegenlied: Mama! Mama! Mutter! Mami! M iller kauerte k euchend hinter einer Sp erre; diesmal war es kein stählerner Igel, sondern einer jen er schrägstehenden, minenbewehrten, b aumdicken Holzstämme, d ie sich gut als Deckung eigneten. Direkt neben ihm duckten sich drei Priv ates mit verstörtem Blick und umklammerten Schreibmaschinen und Kartons. »Was, zum Teufel, macht ihr denn da?« schr ie M iller, um das prasselnde Gewehrfeuer zu übertönen. Ein Junge mit einem sommersp rossigen Gesicht antwortete: »104. Sanitätsbataillon, Sir! Wir sollen h ier ein Feldlazarett aufbauen!« »Seht ihr jemanden, der eure verdammten Schreibmaschinen nötig hätte?« »Nein, Sir.« »Schmeißt die Scheißdinger weg, und sucht euch ein e Waffe. M ir nach!« Nun bewegten sie sich jenseits der Brandung auf d em Sandstrand, kamen aber weiterhin nur lan gsam vorwärts.
30
M iller wagte nicht zu schießen, denn zu viele GIs waren vor ihm. Viele der M änner waren so schwer mit ihrer durchnäßten Ausrüstung belad en, daß sie k aum gehen, geschweige denn rennen konnten; einige warfen unterwegs einen Teil ihres Gepäcks weg. Zwei junge Kerle, die ohne Waffen daherk amen und den rettenden Deich ansteuerten, halfen sich gegenseitig aus ihren nassen Uniformen und standen in Hosen und T-Shirts da, als neben ihnen der Kanister eines GI mit einem Flammenwerfer eine Kugel abb ekam. Der Feuerball erfaßte ihn und die beiden Jungs, drei lebende Fackeln, die schreiend über d en Strand liefen. Die anderen Sold aten, an denen sie sich als orange blaues Gebilde vorbeiwälzten, versuchten ihnen auszuweichen, bis M aschinengewehrfeuer ihr em Leiden ein Ende machte und sie niederstreckte. Nun waren es nur noch drei weitere brennende Hindernisse, die man umrunden mußte. Neben M iller murmelte ein Soldat: »Das nenne ich eine schnelle Höllenfahrt.« M iller, dem sich vor Entsetzen der M agen zusammenzog, duckte sich hinter ein Stahlschienenhindernis. Er brauchte einen Au genblick Ruhe. Nur einen Au genblick ... »Hilf mir hier raus«, sagte ein e Stimme. Hinter der nächsten stählernen Barriere lag Lieutenant Frank Briggs, der in den Sand gestürzt war. »Ich hab' unten was abgekriegt«, knirschte Briggs. »Ir gendwas Heiß es ... in mir. Ich habe das Gefühl, als hätte ich eine schweren Stein im Körper ...« Aber Briggs war nicht allein. Zwei Pioniere verkabelten flink und behende den Drachenzahn, hinter d em Br iggs Schutz gefunden hatte. M iller kroch herbei und stupste einen der beiden, der ger ade Sprengstoff an der Basis des Hindernisses befestigte. »Was, zum Teufel, soll das denn werden?« fragte M iller. »M arine-Pionierbataillon, Sir!«
31
Der Soldat war M itte Zwanzig und hatte ein bleiches, längliches Gesicht mit glanzlosen, braunen Augen; er wies mit dem Kinn auf den Drachenzahn. »Ich soll das Scheißding in die Luft jagen.« »Wozu denn das?« »Damit die Panzer freie Bahn haben.« »Welche Panzer denn, verdammt noch mal?« Der Pionier machte sich wieder an die Arbeit. »Befehl, Sir.« »Alle Panzer sind im Kanal abgesoffen! Schauen Sie sich mal um!« »Aus dem Weg, Sir!« Plötzlich hatte der Pionier einen Zünder in der Hand. »Das Ding geht gleich hoch.« Es blieb keine Zeit mehr für Diskussionen; M iller wandte sich von dem absurden Schauspiel ab, p ackte Briggs an d en Riemen seines Rucksacks und zog den Lieutenant vorwärts in Richtung der Rauchwolken und der sintflutartig aus ihnen herabpras selnden Gewehrkugeln. Ein So ldat lief neben M iller heran, und als er ihn schließlich überholte, bemerkte der Cap tain, daß der GI, der ununterbrochen »Sanitäter, Sanitäter, Sanitäter!« schrie, etwas wie ein Gewehr trug, das aber in Wirklichkeit sein Arm war; trotz des frischen Gliedverlustes schaffte er es bis zum Deich und schleuderte den abgetrennten Arm wie eine Granate hinüber und warf sich vor dem Deich zu Boden, wo er fürs erste in Sich erheit war. Während einer Schlacht kann man solche unwirklichen Geschehnisse nur registrieren, aber nicht verarbeiten, und M il lers Hirn war noch dab ei, sich die gräßliche Szene einzuprägen, um sp äter über sie nachdenken zu können, als eine M örsergranate neben ihm einschlu g, ihn in die Luft schleuderte und wieder zu Boden warf. M iller schluckte, in seinem Kopf wirbelte alles durchein ander, seine Ohren klin gelten - aber
32
zumindest hatte er diesmal nicht das Gehör ver loren -, und er untersuchte seine Beine, denn er wußte, daß man es manchmal zuerst gar nicht spürte, wenn man verwundet war, weil der Schock d en Schmerz betäubte. Kugeln u mschwirrten ihn wie auf gestörte Hornissen; in seiner Nase brannte der Geruch des Pulverdampfs, und auch in seinem M und spürte er diesen scharfen, talgigen Geschmack. Aber er war nicht verwundet, die Granatsplitter hatten ihm nur ein paar neu e Kratzer zugefügt, und so schnapp te er Lieutenant Briggs wieder an den Riemen seines Rucksacks, rapp elte sich auf und begann ihn weiter in Richtun g Deich zu ziehen. Allerdings fühlte sich M iller plötzlich stärker, so als hätte die M örsergranate ihn gekräftigt anstatt geschwächt; nein - er war nicht stärker geworden, aber Briggs war leichter ... Der Lieutenant hatte keinen Unterkörper mehr. Benommen setzte M iller den halbierten M enschenkörper wie einen Koffer ab, als plötzlich etwas gegen ihn p rallte, jemand gegen ihn p rallte, der Sarge. Der Sar ge p ackte ihn und schlepp te ihn vorwärts, und M iller faßte Tritt, humpelte mit ihm die letzten M eter durch den zischenden, knatternden Kugelhagel. Sie warfen sich hart am Deich in den Kiesgrund. M iller hatte sich noch n ie in seinem Leben so erschöpft gefühlt, so ausgepumpt, weder im zivilen Leben - was kein Wunder war - noch jemals während einer Schlacht. Seine Augen brannten, er spürte jeden Knochen im Leib, seine M uskeln waren nur noch eine einzige zuckende, schmerzende, widerspenstige M asse. Auf der ganzen Br eite des Strandes warf en sich and ere tapfere, erschöpfte Soldaten vor dem Deich nieder, der ihnen weitgehend Schutz bot. Aus M aschinengewehren und M örsern regnete unvermindert Blei auf den nur wenige Zentimeter entfernten Kies und Sand nieder; d er Lär m dieses Kugel- und Granatenhagels nah m kein Ende, und auch nahe am Deich
33
waren die Verluste hoch. Dort begannen sich regelrecht die Leichen aufzutürmen. »Ich kann die Toten nicht von den Verwundeten unterscheiden«, sagte M iller. »Jedenfalls sieht der Spielstand nicht gut für uns aus«, sagte der Sarge. Sie mußten laut sprechen, um die ununterbrochenen Schreie »Sanitäter!«, »Leichenträger!«, »Hilfe!« zu übertönen. Entlang des Deichs waren d ie Gesichter M iller zugewandt, Gesichter von Soldaten, die den größten Teil ihrer Ausrüstung, ganz zu schweigen von ihrer Kampfmoral, eingebüßt hatten und sich, so gut es ging, in dieser sp ärlichen Deckung zusam mendrängten. Die Überquerung des blutigen Strandes hatte M änner aus ihnen gemacht. Doch jetzt, nachdem sie diesen Abschnitt kriechend überwunden hatten und ihnen fast so etwas wie eine Atemp ause vergönnt war, stieg in ihnen erneut die Angst auf, und sie wurden wied er zu kleinen Jungs. M iller schaute auf die verstörten Kinder, von denen einige hemmungslos schluchzten, und stellte jedem, der ansprechbar war, die ban ge Frage: »Wer hat hier das Kommando?« Zwei Antworten kamen zugleich: Feuer aus M aschinen ge wehren und anderen Waffen, das aus den Bunkern und Gräben über ihnen kam und anzeigte, daß h ier eindeutig die Deutschen das Kommando führten. Aber etliche der jungen Soldaten riefen ihm die ander e schreckliche Antwort auf diese Frage zu: »Sie, Sir!«, »Sie haben d as Kommando, Sir!« M iller blickte auf den Sar ge und flüsterte: »Das habe ich befürchtet.« »Dann lassen Sie sich mal n icht Ihren Arsch wegpusten«, flüsterte der Sar ge zurück, »sonst muß ich das hier überneh men.« »Teufel, so weit kommt es hoffentlich nicht«, sagte M iller und rang sich sogar ein Grinsen dabei ab. »Dann würdet ihr ja schön in der Tinte sitzen ... Können Sie ausmachen, wo wir
34
hier sind?« Der Sarge zuckte mit den Schultern. »Schätze, ungefähr anderthalb Kilometer von der Stelle entfernt, wo wir landen sollten.« Ein Soldat weiter unten am Deich, der das gehört hatte, rief aus: »Niemand ist da, wo er hingehört!« Der Private neben dem Sar ge, ein rundgesichtiger Bursche, sagte: »Er hat recht, Sir, es ist ein völliges Durcheinander. Wir sind die Überreste der Fox-, Able- und George-Kompanie, außerdem ein paar Jungs von einem Räumko mmando und Strandpioniere.« M iller musterte seine zerlump ten, aus verschiedensten Regi mentern und Kompanien zusammengewürfelten M änner, und da ihm klar war, daß sie sich nur kurz hier im Schutz des Deichs aufhalten konnten, wiederholte er noch einmal zu sich selbst: Das ist es, was ich befurchtet hab e.
3
M iller robbte den Deich entlang und inspizierte seine M änner, der Sarge hinter ihm. Inmitten des Durcheinanders von Lebenden, Sterbend en und Verwundeten hatte ein junger Funker klaren Kop f behalten und bellte in sein Funkgerät, das aussah wie ein antennen gespickter Schuhkarton. M iller kroch zu ihm heran und griff nach seiner Schulter. Der Funker, ein blonder Jun ge, fuhr heru m und sah sich einem Captain gegenüber. »Fordern Sie Luftunterstützung an!« überschrie M iller den Feuerlärm. »Sagen Sie ihnen, daß wir h ier kein b ißchen Luft unterstützung kriegen!« Der Junge nickte, wandte sich wieder um und gab den
35
Funkspruch durch, wahrend im Hintergrund die M örser Granaten ausspuckten, die laut krachend exp lodierten und Splitter durch die Luft pfeifen ließ en. M iller faßte den Funker wieder an der Schu lter, worauf der ihn erwartungsvoll ansah. »Und geben Sie durch«, fuhr M iller fort, »daß von den schweren Waff en nichts bis ans Ufer kommt! Die C-3 Angriffsschneise ist nicht frei! Fragen Sie, wo die verdammten Amphibienpanzer bleiben! In der Nähe der Ausfallwege ist kein einziger zu sehen!« Der Funker nickte wieder, drehte sich um und schrie in sein Gerät. Von oberhalb kn atterte M aschinengewehrf euer. Als der Junge seinen Funksp ruch abgesetzt hatte, p ackte M iller ihn erneut an der Schulter. »Und sagen Sie auch ...« Doch die Worte blieben dem Captain im Hals stecken: der junge Funker hörte nicht mehr zu, denn er hatte den Kopf verloren - jedenfalls die eine Hälfte, das Gesicht war weggeschossen. Der Junge sackte leblos in den Sand, und M iller gr iff nach dem Funk gerät. Aber das war ebenfalls durchsiebt und nur noch ein Stück wertloser Schrott. Erschüttert wich M iller vom Strand, wo die einschlagenden Geschosse unaufhörlich Sand aufwirbelten, in Richtung Deich zurück. Begrüßt von M aschinengewehrf euer, stürmte Private Robert Reiben, vierundzwanzig, Brooklyn, New York, über den Strand und warf sich zwischen seinem Captain und seinem Sergeant gegen den Deich. »Na warte, dafür werd' ich mich persönlich bei Eisenhower beschweren«, sagte er. Reiben war ein schlaksiger blonder Klugscheißer mit jüdischem Vater und irischer M utter, was den roten Schimmer in seinen Haaren und die Blässe seines Gesichts erklärte. Der Sar ge fr agte ihn: »Sonst noch jemanden vom Zug gesehen?« »Jackson«, sagte Reiben und wies mit dem Kopf den Deich
36
entlang. Der Sch arfschütze aus dem Süden hatte mit seiner geliebten Springfield in d er Hand vorüber gehend Deckung gefunden. »Aber sonst niemanden.« »M ellish, hier, Sir!« rief eine and ere Stimme aus der anderen Richtung des Deiches. »Cap arzo ebenfalls, Sir!« rief eine weitere Stimme aus derselben Richtung. M iller reckte sich weit genug, um zu sehen, wo die beiden gemeinsam in Deckung lagen; dann du ckte er sich wied er, als Cap arzos Stimme fortfuhr: »Wade ist weiter hinten mit DeForest, aber den ar men Dee hat's schwer erwischt, der blutet aus hundert Löchern.« »Wo ist Wade?« rief M iller zurück. »Unten am Strand«, schrie Caparzo. »Er versucht ihm die Löcher zu stopfen!« Schließlich erkannte M iller zwischen Rauchschwaden und krauchenden M ännern den San itäter der Komp anie, Corporal Edward Wade, San Diego, Kaliforn ien, mit seinen achtund zwanzig Jahren einer der ältesten unter den Jungs des Captain. Der kleine, dunkelhaarige Wade kniete über Private Brian DeForest, einundzwanzig, DeKalb, I llinois, und versuchte ihn zu verarzten, obwohl er eine so stark blutende Brustwunde hatte, daß jede M ühe sinnlos erschien. Wad es Arme waren blutverschmiert bis zu den Ellbogen h inauf, und sein e weiße Binde war völlig bespritzt. Als ein ranghöherer Sanitätsoffizier ihm befahl, sich lieber um den nächsten Verwundeten zu kümmern, gehorchte Wade nicht, sondern erklärte: »Er lebt noch, Sir.« Während in der Todeszone um ihn heru m die M änner nacheinander umfielen, türmte Wade in aller Ruhe Leichen auf, die ihm als menschliche Sandsäck e Schutz für die Versor gun g seines Kumpels gaben.
37
»Wade!« brüllte M iller vom Deich aus. »Wade! Sanitäter! Wade!« Doch entweder hörte Wade sein en Cap tain nicht, oder er verweigerte auch ihm den Gehorsam. M iller rief: »M ellish - Caparzo ... holen Sie mir Wade vom Strand runter! Wir brauchen unseren verdammten Sanitäter noch!« Nach und nach nagte sich das M aschinengewehrfeuer durch die Leichen, wie eine Säge durch Holz, aber Wade ließ sich nicht beirren und verabreichte dem Verwundeten eine Plasmakonserve. Da dur chschlug eine Kugel ein en der leblosen Körp er und bohrte sich seitlich in DeForests Kopf - der Arzt hatte seinen Patienten verloren. »Mist!« schrie Wade und schüttelte seine blutigen Fäuste. »Verfluch te Scheiße!« In diesem M oment kamen Caparzo und M ellish bei ihm an und zerrten ihn vom Strand weg zum Deich. M iller wandte sich zum Sarge. »Das ist alles, was von uns übriggeblieben ist?« »Nicht unbedingt, Sir. Unsere M änner hat es über den ganzen Strand verstreut. Irgendwo sind sicher noch welche von uns.« »Aber nicht genu g. Nicht genug.« M iller dachte noch einmal an das Landungsboot und daran, wie er seine M änner in das mörderische M aschinengewehr feuer hin ausgeschickt hatte. Doch rings um ihn tobte das trockene Bam-bam der M örser, und die Splitter pfiffen ihnen um die Ohren - da blieb keine Zeit für solche Über legungen. »Wo ist DOG-1 ?« fragte er den Sar ge. »Wo, zum Teufel, ist unsere Angriffsschneise?« »M uß der Einschnitt da drüben rechts sein.« »So?« »Oder der linke dort?« »Nein.« M iller dachte nach.
38
»Vierville ist westlich von uns. Es muß der rechte sein.« Eine Granate schlug so dicht am Deich im Sand ein, daß sie drei der dort kauernden Soldaten in Stücke riß. Eine Stimme in der Nähe dieser fur chtbaren Szene schrie hy sterisch: »Die schlachten uns ab! Sch eiße, d ie schlachten uns ab! Wir haben keine Chance! Das ist nicht fair!« M iller schaute in die Richtung, aus der die Stimme kam, sie gehörte einem Corporal, ein em erfahrenen Soldaten wie ihm selbst, etwa Ende Zwanzig. Wenn ein M ann wie er die Nerven verlor, dann mußten all die jün geren, unerfahren en M änner kurz vor dem Durchdrehen sein. Höchste Zeit, von hier wegzukommen. »Sammelt Waffen und M unition ein!« b efahl M iller. »Alles, was ihr habt und was ihr finden könnt! Wenn nötig, zieht sie euch vom Strand herüber! Da draußen nützen die Waffen niemand em!« Der Befehl wurde nach beid en Seiten des Deiches weiter gegeben. Die Kommandos rief en ein Raunen unter den M än nern hervor, denen die Aussicht, endlich aktiv zu werden, sichtlich Auftrieb verlieh. Niemand verspürte Lust, weiter vor diesem Deich zu hocken und darauf zu warten, daß ihn eine exp lodier ende 88er od er ein Querschläger erwischte. Der Sarge wandte sich an Reiben. »Wo ist denn Ihr Browning-Automatikgewehr, Reib en?« »Auf dem M eeresboden, Sar ge.« Reiben grinste. »Das M istding hat vesucht, mich zu ersäufen.« »Suchen Sie sich ein ander es.« »Schon so gut wie geschehen, Sarge.« Und schon huschte der Aufschneider h inaus auf den Strand, um Ersatz für seine Browning zu finden. Überall entlang des Deiches war das gleiche Bild zu sehen. GIs, beflügelt von der Aussicht auf einen Ausfall, sammelten Waffen und M unition,
39
angelten sich Ausrüstungsgegenstände und setzten sich dem Kugelh agel aus, um so wertvolle Beute wie M aschinenpistolen, Bazookas, M 1er und 45er-Automatikgewehre zu er gattern. M iller blickte zu dem Dickicht aus Stacheldraht emp or, der auf dem Deich wie eine r iesige Ziehhar monika ausgebr eitet war. »Wir brauchen Ofenrohr e«, sagte er. »Damit reißen wir ein Loch in den Stacheldr aht und lassen die M inen ringsumher hochgehen.« »Ofenrohre!« rief der Sar ge, und der Befehl wurde entlan g des Deiches weitergegeb en. Etliche Stimmen r iefen: »Ofenrohre!«, »Wir brauchen Bangalore-Torpedos!« »Bangalore-Torpedos!« Dann kam ein Ruf zurück: »Wir suchen, wir suchen! ... Wo sind denn die Feuerwerk er? ... Prima, wir haben welche! Bangalore-Torpedos!« Ein Stück weiter den Deich hinunter beteiligten sich auch die Privates Caparzo und M ellish an der Jagd nach Waffen und beäu gten mit Geierblicken ein 30er-Kaliber-M aschinengewehr, das wie ein ver gessenes Kinderspielzeug im Sand lag. »Los, du rennst schneller als ich«, sagte M ellish. »Dafür gibst du ein kleineres Ziel ab«, erwiderte Cap arzo. »Du bist doch Italiener. Vielleicht halten sie dich für einen Verbündeten.« »So, meinst du?« »Sicher. Außerdem siehst du auch irgendwie d eutsch aus.« »Leck mich doch! Wer als erster da ist, der kriegt das Ding.« Und beide verließen die Deckung, stürmten los, um sich d ie Waffe zu schnapp en. Sie stolp erten im Sand, aber schon ein paar Augenblicke später kehrten sie bereits mit dem M G zurück. Sie trugen es gemeinsam und strahlten einander an wie stolze Eltern mit ihrem Neugeborenen im Arm.
40
Ein Stück weiter hatte Ser geant Horvath seinem Cap tain ger ade eine Thompson-M P samt Ersatzmagazinen üb erreicht. »Hier, nehmen Sie, damit Sie ihnen zeigen könn en, daß wir hier waren«, sagte der Sar ge und deutete auf die Thomp son. Weitere Waffen - und M änner, die entschlossen waren, sie zu benutzen - sammelten sich zu beiden Seiten des Captain und des Ser geant. Ein Private, der immer noch ein en Flammenwerfer auf dem Rücken trug, machte M eldung bei M iller. Dabei bückte er sich aus gutem Grund. »Bin beeindru ckt«, gab M iller mit einem kaum sichtbaren Lächeln zu. »Den haben Sie durch die Hölle bis hierher gebracht?« Auch jetzt noch trafen Landungsboote ein, und d ie Granaten der deutschen 88er ließen das Wasser in Fontänen hoch sp rit zen. »Hatte keine Wahl, Sir«, grinste der Junge. M it seinen vorstehenden Zähnen sah er ein biß chen dümmlich aus. »Die Schnalle hat sich verklemmt, und ich hab' das M istding nicht runtergekriegt!« Zum Beweis zerrte er an dem Gurt. »Das würde ich an Ihrer Stelle aber nicht erwähnen, wenn Sie eine Auszeichnun g b ekommen sollten«, riet M iller dem Private. »Nein, Sir.« Zwei Ser geants vom 149. Pion ierbataillon kamen so tief gebü ckt wie möglich am Deich entlanggekrochen, jeder mit zwei meterlangen, TNT-gefüllten Ban galore-Torpedos. Als sie bei M iller ankamen, befahl der Cap tain, mit der Aktion zu beginnen. Die M inen waren für den Zusammenbau unter Beschuß konstruiert: Die einzelnen Stücke wurden miteinander verbunden, bis ein langes Rohr entstand, das bis zur Höhe des Deiches geschob en und durch das Stacheldr ahtgewirr gefädelt
41
werden konnte. Bei der Detonation würde der Bangalore-Torpedo seitlich aufplatzen und eine Schneise in d en Drahtverhau sprengen. Soweit die Theorie. Viele M änner wurden benötigt, um sie in die Praxis umzusetzen, und M iller wußte eins: Wenn nach all den Fehl planungen und Irrtümern der hohen Tiere dieser Tag und diese Invasion doch noch erfo lgreich sein würden, dann h atte man das solchen bunt zusammengewürfelten Trupps einfacher Soldaten zu verdanken, die mit dem M ut der Verzweiflung improvisierten. Diese Jungs in Khaki komplettierten ihre Ausrüstung, sie entsandeten ihre Waffen so gut es ging, machten die Schlösser gängig, überprüften die M echanik, luden, küßten Rosenkränze. Aus dem Augenwinkel sah er M ellish und Cap arzo grinsen, während sie mit Feuereifer ihr soeben requir iertes M aschinengewehr ölten. Obwohl M iller die meisten dieser M änner nicht kannte, liebte er sie wie die beiden Kinder, die zu Hause auf ihn warteten. Das TNT-Rohr schob sich beim Zusammenbau Stück für Stück seinem Ziel an der Oberkante des Deiches näher, die Spitze ragte schon in das Gewirr des Stacheldrahtes hinein. Gesp annt beobachtete M iller die Fortschritte, als Wade mit einsatzbereiter Sanitäterausrüstung neben ihm eintraf. Er hatte sich das Blut von den Händ en ab gewischt, aber d ie Ärmel seines Hemdes waren schwärzlich-feucht, und seine Handflächen hatten sich in einem schrecklichen, dunkelroten Ton verfärbt. »Freut mich, Sie zu sehen, Sir«, sagte Wade leise. Ihn konnte so leicht nichts aus der Ruhe bringen. »Freut mich, gesehen zu werden«, gab M iller zurück. »Pappi ist ganz verliebt in sein neues Baby«, sagte etwas weiter hinten Reiben. Er war mit dem Laden seiner BrowningAutomatic beschäftigt.
42
Einer der beiden Ser geants vom 149. Pionierbataillon b lickte M iller an und hob den Daumen: Das Rohr war jetzt in Position. »Legen Sie los, Ser geant«, antwortete M iller ihm. Der Ser geant zog den Sp lint aus der Zündkapsel des letzten Rohrstücks und rief: »Volle Deckung!« »Volle Deckung!« rief Reiben, und überall entlan g des Deichs wurde der Ruf weitergegeben, während alle so gut wie möglich Schutz suchten. Die Detonation, nur eine von vielen an diesem verhangenen M orgen, wurde von den hochgejagten M inen verstärkt, die durch die Exp losion ausgelöst wurden. Als Rauch und Staub sich verzogen hatten, gähnte eine breite Lücke in der Stacheldr ahtsperre. Nun konnten sie endlich von diesem blutigen Strand wegkommen. »Jetzt geht's los!« rief der Sarge. »Kommt, alle M ann da durch!« M iller zog sich den Deich hoch, ein Dutzend M änner dicht hinter ihm, darunter Reiben, M ellish, Caparzo, Wade und natürlich der Sarge. Sie rannten hinaus auf die Strandebene hinter dem Deich, wo es Flecken mit hohem Gras und Sumpfland gab - und auch die verkohlten Stellen, an denen die Explosion Landminen aus gelöst hatte. Das durchnäßte, sumpfige Geländ e ver langsamte nur wenig den Sprint der Soldaten zu der steilen, aus gewaschenen Böschung, die mit ihren tiefen Bodenwellen Deckung versp rach. Doch der Kugelhagel aus den deutschen M aschinengewehren änderte seine Richtung und verfolgte nun die dahinstürmenden Soldaten und die M änner, die gerade dur ch d ie Öffnung im Stacheldr aht drängten. Zwei stürzten im Sumpfland zu Boden, ein weiterer starb im Gewirr des Stacheldrahts. Den Soldaten auf der Strandseite des Deiches, die im Begriff waren, durch das Loch in der Ziehharmonika zu spurten, sank der M ut. Dann rief ein Private: »Scheiß drauf, wenn ich schon
43
abkratzen muß, dann wenigstens auf dem Weg nach oben!« und stürmte los. Das riß die übrigen Kämp fer mit. Zwei weitere Wellen mit einem Dutzend oder mehr Soldaten brach en aus der Deckung hervor und folgten M iller und seinen M ännern. Inzwischen waren M iller und der Rest seines Zuges sowie einige andere beherzte Sold aten dabei, d ie Böschung zu erklimmen. Dabei blieben sie immer in den tiefsten Furchen, die ihnen eine natürliche Deckung boten. Es war klar, daß in den Erosionsfurchen genauso gut Deutsche hocken konnten, was sie sicher auch taten, aber noch hatten sich keine gezeigt ... Als die anderen zu ihnen stießen, verstummte das M aschinengewehrfeuer, so daß sie plötzlich eine unheimliche Stille umgab. Die GIs überquerten mehrere der gewundenen Erdfurchen. Sie hatten sich in kleine Gruppen aufgeteilt, die sich, von einer Position zur anderen hüp fend, aber immer gedu ckt, durch das Labyrinth natürlicher Gräben den Abhang nach oben schlichen. Ab und zu hielten sie inne, um eine unübersichtliche Biegung zu insp izieren. Vor Reiben war ger ade eine Grupp e von fünf Soldaten an einer solchen Stelle im Erosionsgr aben angelangt. Sie schauten einander an, zuckten mit den Schultern und bogen um die Ecke. Direkt hinter ihnen folgte eine weitere Grupp e, während Reiben, der M iller und die übrigen Jungs aus seinem Zug verloren hatte, das Schlußlicht bildete. Aber noch bevor die zweite Grupp e um die Kurve bog, wurde die Stille von heftigem Feuer aus kleinkalibrigen Waff en zerrissen. Zwei Soldaten aus der ersten Gruppe, die gerade eingebogen waren, kamen wie von Sinnen kreischend zurück gerannt, die Uniformen waren rot besp ritzt, die Augen traten hervor, die Beine rud erten wild, so daß sie mit M ännern der nächsten Grupp e zusammenprallten und sie wie Kegel umwarfen. Plötzlich lagen alle an der schmalen Stelle übereinander und versperrten sie, es entstand ein Stau aus taumelnden und
44
stolpernden M ännern. Sie waren gefangen zwischen stramp elnden Armen und Beinen, und es sah fast aus, als würden sie zu der Kakophonie aus den Gewehrläufen einen Tanz auffuhren. Dieser schreckliche Stau aus M enschen ließ Reiben anhalten, und sonderbar abwesend sah er zu, wie deutsche StielHandgran aten im Bo gen um d ie Ecke flogen - vier, acht, zwölf der verfluchten Dinger, die wie klein e Bomben aus kleinen Flugzeugen auf sie hinabfielen. Reiben hechtete in die entgegengesetzte Richtung und landete in demselben Augenblick auf dem Boden, als die zwölf kleinen Explosionen sich zu etwas Ohrenbetäubendem, Entsetzlichem verbanden. Als er sich dann auf seinen Ellbo gen aufstützte und feststellte, daß er unverwundet geblieben war, ging eine gelbgraue Wolke aus Erde und Pulver nieder, und ein grausiger roter Regen besp rühte den Graben - und Reiben. Angeekelt, verängstigt und mit Blut und Erde beschmiert, kam er taumelnd wieder auf die Beine und gin g zurück, woher er gekommen war. Da vernahm er eine Stimme, und er folgte ihr, es war die Stimme des Captain, der rief : »Hier entlang! Hier entlang!« M iller, vom Lärm des Gewehrfeuers und der Granaten doppelt angespornt, rannte mit einem halben Dutzend M ännern einen tiefen Einschnitt hinauf: der Sar ge, M ellish und Caparzo waren dabei, und an einer Gabelun g des zerfurchten Geländes stieß auch der er leichterte Reiben wieder zu ihnen. Ein Stück weiter oben vor M iller liefen dr ei Privates. Sie bogen um eine Ecke und waren gerade außer Sicht, als M iller den Donner zweier detonierender Landminen vernahm und so abrupt im Lauf innehielt, daß er strauchelte. Er stützte sich mit dem Handgelenk ab, wobei er ein e Kerbe in der trockenen Seitenwand hinterließ. Dann lu gte er um die Biegun g des Grabens und erblickte die versen gten traurigen
45
Überreste von zwei Soldaten. Wie überfahr ene Tiere am Straßenrand lagen die Toten zu beiden Seiten eines Pfades. Bei ein em eb enso erschütternden Anblick zogen sich M illers Augen zu Schlitzen zusammen: M itten im blau-gelbbraunen Rauch, der ihn und seine toten Kumpel umgab, stand stocksteif der dritte GI mit weit aufgerissenen Augen und v erzerrtem Gesicht, wie angewurzelt, ein menschlicher Baum in mitten eines M inenfeldes. Dann kam ein völlig unerwartetes Geräusch: ein Pfiff. Nicht das Pfeifen von Artilleriegeschossen oder Granatsp littern, sondern der Laut, mit dem ein M ensch seinen Rassehund heranpfeift. Das alltägliche, aber an diesem Ort geradezu gespenstisch anmutende Geräusch hallte die Furche entlang, und dann rief eine Stimme: »Fritz! Fritz!« Die Stimme eines Deutschen. Und richtig, ein Hund kam von hinten durch den Graben angetrabt. Er wirkte auf den überraschten M iller und seine Leute wie eine Erscheinung aus harmloser en, freundlicheren Zeiten. Unwillkürlich lächelten sie ihm zu und dachten noch nicht einmal daran, ihn einzufangen, als er wie Rin Tin Tin, der berühmte Filmhund, mit hellen, wachen Augen und heraushängender Zunge an ihnen vorbeijagte. Die Leine zog er hinter sich her. An einer Gabelung schlu g das Tier ein en Weg ein, der von der Furche wegführte, wo das M inenfeld den verängstigten GI gefangenhielt, und für einen kurzen M oment sah M iller eine Gestalt mit grauem M antel und Topfhelm hinter einer Biegun g hervortreten, die den freudig bellenden und hochsp ringenden Schäferhund in Empfang nah m. Der Deutsche zog den Hund um eine Biegun g, und schon waren sie außer Sicht und in Sicherheit. Für einen Augenblick war M iller gerührt von diesem Anblick der M enschlichkeit: ein Soldat, der seinen Hund liebte - so wie jeder Junge seinen Hund lieben würde. Dieser flüchtige Augenblick brüderlicher Besinnlichkeit kam zu einem jähen Ende, als d er deutsche
46
Soldat wieder auftauchte, sein Gewehr anlegte und dem im M inenfeld gef an genen GI von der Seite in d en Kop f schoß. Die Kugel traf den Jungen ins linke Ohr und durchschlug sein Gehirn. Ohne eine M ine auszulösen, fiel er taumelnd zu Boden. Dann war der Deutsche v erschwunden. Nur das schwächer werdende Bellen des Köters verriet ihnen, daß Herr und Hund sich in eine unbekannte Stellung zurückzogen.
4 Träge zog Rauch vorbei, der säuerlichen Pulverdampf und den entsetzlichen Gestank von verbrannten Haaren und versengtem Fleisch herantrug. M iller blieb an der Gabelung des Grabenlabyrinths stehen. Nach dem Tod, besser gesagt, der Hinrichtung des von M inen eingesch lossenen Private, schwiegen der Captain und die Jungs, die sich hinter ihm drängten - eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus dreck und blutverschmierten GIs, darunter die Überreste seiner eigenen Einheit. Es gibt Din ge, die einfach zu schrecklich sind, um darüber zu reden. Das Schrecklichste daran war vielleicht die Gewißheit, daß alle von ihnen genauso gehandelt hätten wie der Deutsche. »Jetzt haben sie uns am Arsch!« sagte ein Jun ge hinter M iller. Er versuchte wütend zu klingen, aber die Angst schwang deutlich mit. »Die Krauts haben alle Ausgänge ver mint!« Während der leicht gedämp fte Gefechtslärm anhielt, hörten sie irgendwo über sich M aschinengewehre den Strand beharken, und von Zeit zu Zeit bebte der Boden vom Einschlag einer 88er-Granate. Der Sar ge flüsterte M iller zu: »War schon kein Spazier gan g
47
bis hierher, Sir, aber beim Weg hier raus wird's ganz schön Ärger geben.« »Ärger ist gar kein Ausdruck«, gab M iller zurück und wandte sich mit einem Lächeln zu seinen Jungs um. Er hoffte nur, daß es nicht so gezwungen wirkte, wie er es empfand. »Der Hund, dieser Fritz, der kannte den Ausgang.« M ellish, der nervös seinen Kaugummi bearbeitete, fragte: »M einen Sie, daß der Köter weiß, wo die M inen liegen?« »Dieser Hund gehört zur deutschen Truppe«, sagte M iller nüchtern, »und die Deutschen müssen schließlich auch jeden Tag hier rauf- und runtergehen, od er?« Und damit trabte M iller mit schußbereiter Thompson den Pfad entlang, den Fritz eingeschlagen hatte. Nach kurzem Zögern folgten ihm seine M änner, und sie waren schon ein gutes Stück in dem Graben vorangekommen, als M iller ein Handzeichen zum Anhalten gab. Der Pfad stieg hier bis zu einer Lücke in d er Böschung an und führte dort auf freies Gelände. Obwohl sie sich an einer ziemlich niedr igen Stelle und eigentlich in einer Sackgasse befanden, konnten die GIs auf der anderen Seite der zehn M eter breiten, lehmigen Anhöhe eine Erhebun g aus Gestein und Sand ausmachen - eine einladende Zielger ade, d ie allerdings einen Nachteil hatte: Das Hämmern der M aschinengewehre und das Knattern der Handf euerwaffen, die den Strand bestrichen, war beständig lauter geworden, und auch das Bam-Bam-Bam d er Granatwerfer kam nun aus nächster Nähe. Wenn M iller und seine Leute über dieses offene Gelände laufen würden, konnten sie in Sicht- und Schußweite der Deutschen ger aten, die dort oben in Stellung lagen. »Wir haben keine Einsicht von hier«, sagte der Sar ge, als die ganze Grup pe sich zwischen den Wänden des Grabens drängte. »Erst wenn wir die Köp fe rausstecken, wissen wir, was wir da vor uns haben.«
48
»Hat jemand ein Bajonett?« fragte M iller, und man r eichte ihm ein es. »Wer hat einen Sp iegel?« Gleich darauf hielt der Cap tain einen kleinen Rasiersp iegel in d er Hand und wandte sich an M ellish: »Sagen Sie mal >Ah<.« »Häh?« »Reicht schon«, meinte M iller, während er d en Kaugummi aus M ellishs offenem M und nahm. Unter den erstaunten Blicken der M änner befestigte M iller zuerst die klebrige M asse am Ende der Bajonettklinge und dann den Spiegel am Kaugummi. Der Sp iegel saß ziemlich wackelig, doch er würde wohl seinen Zweck erfüllen, glaubte M iller. Die M änner um ihn gr insten und nickten, als er vorsichtig d as Bajonett gerade so weit hob, daß er es ausrichten und etwas durch den Sp iegel sehen konnte. Was er in dem windschief en kleinen Spiegel sah, war erschreckend: Un gefähr zwanzig M eter vor ihnen und weitere dreißig M eter nach links r agte ein steiles Felsenufer empor, das den Strand beherrschte. Aber dieses Felsenufer flankierte auch das freie Gelände zwischen ihrem Graben und der schützenden Erhebun g. Dort oben, etwa acht M eter über ihnen, befanden sich zwei M aschinengewehr e. Es handelte sich um M G 42 auf Dreibein-Stativen, von je zwei M ann bedient, die von ihren sandsackbewehrten Stellungen aus den Strand bestrichen. Außerdem feu erten zwei M örserbesatzungen von dort oben ihre todbringenden Granaten, und eine Handvoll Infanterie soldaten sicherte die Stellung. Ab und an sandten sie aus ihren M aschinenpistolen Salven auf den Strand unter ihnen, so als würden sie Tauben schießen. M iller schluckte. In der Hoffnung, schon alles gesehen zu haben, fuhr er sein improvisiertes Periskop vorsichtig noch etwas weiter aus. Doch das war keineswegs alles gewesen. Zehn M eter hinter dem M aschinengewehrn est erhob sich ein in die Felswand gebauter, getarnter und mit Stacheldraht
49
behän gter flach er Betonbunker. Aus der nicht besonders hohen, dafür aber breiten Schießscharte, die an einen gr insenden M und erinnerte, ragte die lange, dicke, sich vorn verjüngende M ündung einer 88-mm-Kanone hervor. Das schwere Geschütz spuckte nicht nur Feuer und Donner, sondern ließ die Erde so erzittern, daß der kleine Spiegel fast von der Bajonettsp itze fiel. M iller fuhr den Spiegel wieder ein und sch ilderte die Lage: »Also, da oben auf der Felskante haben wir ein Nest mit zwei von Hitlers Reißverschlüssen.« M iller meinte die beiden M G 42, die 1.200 Schuß pro M inute abfeuern konnten. »Außerdem zwei Granatwerfer und dahinter ein Bunker für 'ne 88er mit eigener Schießscharte.« »Genaue Lage?« fragte der Sar ge. »Zwanzig M eter nach vorne und dreißig nach links.« Der Sarge wies mit dem Kop f in Richtung der Erhebung. »Von da drüben h aben wir perfekte Schußp osition, wir könnten sie von der Seite erwischen. Ist bloß kein Sonntags aus flug, da hinzukommen.« M iller verzog den M und zu einem Lächeln, das eher wie eine Grimasse wirkte. »Laßt uns unsere müden Ärsche bewegen und dafür sorgen, daß die Angriffsschneisen endlich passierbar werden.« Er wandte sich zu den vier GIs, die ihm am nächsten standen, und nickte ihnen der Reihe nach zu. Zu den anderen M ännern im Graben sagte er: »Wenn sie losrennen, geben wir ihnen Feuerschutz. Aus diesem Winkel werden wir zwar wahrscheinlich nichts treffen, aber es wird die Krauts ablenken und sie beschäftigen.« Kopfnicken in der ganzen Runde. Reiben streichelte seine neue Brownin g-Automatic, wie um sie zu trösten. »Diese M G 42 sind verdammt schwere Biester«, sagte M iller, zu den vier Jungs gewandt. »Kaum anzunehmen, d aß die Jerrys die rechtzeitig in Schußposition kriegen. Oben sind ab er noch
50
Wachen, das h eißt, es wird auch aus Handf euerwaffen geschossen werden. Lauf en Sie im Zickzack wie Besoffene ... bleiben Sie nicht zusammen. Verstanden?« Vier jun ge Gesichter schauten ihn an und nickten. Zwei der Jungs schluckten. »Dann los!« M it ihren Gewehren in den Händen krabbelten d ie vier Soldaten den Graben ho ch, verschwanden über d ie Kante und sprinteten über das offene Gelände. Vom Graben aus hielt M iller seine Thompson voll auf die Felskante. Die anderen folgten seinem Beispiel und schickten einen Feuersturm in die ungef ähre Richtung der d eutschen Stellung. Von drüben antwortete heftiges Kleinkaliberfeuer, aber kein e der Kugeln schien auf den Graben gerichtet zu sein, von dem aus M iller und die ander en schossen. Das konnte nur bedeuten, daß die Deutschen ihr Blei auf das offene Gelände r egnen ließen, wo die Jungs rannten. Als niemand mehr schoß und die Luft voller Pulverdampf war, rief M iller hinaus: »M eldung!« Schweigen. Der Captain kroch die Anhöhe hinauf und hob den Kopf für einen kurzen Blick über die Böschung. Die vier damp fenden, blutüberströmten Leichen der Jungs lagen hingestreckt im Gelände verteilt, und es sah aus, als würden sie Schneead ler machen. M iller ging in Deckung, nur knapp verfehlt von Gewehr kugeln. Wo sie einschlugen, verwand elten sie die Erde zu Staub. Der Sarge raunte ihm zu: »Das ist ja ein Exekutions kom mando da oben. Wollen Sie nicht Augenbinden verteilen?« M iller zischte zurück: »Haben Sie ir gendeine ander e Idee, wie wir hier rauskommen?« Der Cap tain drehte sich um und wählte die nächsten vier
51
M änner aus. »Sie sind d ie nächsten.« »Cap tain«, sagte der Sarge leise, »die werden jetzt ihre Reißverschlüsse in Position haben ...« M iller überhörte die Bemerkung. Zu den anderen M ännern sagte er : »Wir wollen mal versuchen, einen besseren Schußwinkel zu kriegen ...« Während M iller und seine Leute im Graben wied er in Stellung gingen, bewegte sich die zweite Grupp e mit ernsten Gesichtern zur Böschung vor. »Lauft!« rief M iller. Und die vier Jungs holten tief Atem und rannten die Böschung hoch ins Freie, währ end gleichzeitig M illers Thomp son und Reibens Browning-Automatic feuerten. Auch aus allen anderen Gewehren wurde, wenn auch blind, geschossen. Was aber nicht ausreichte, um den Ku gelhagel, den d ie Deutschen auf das offene Gelände hinabschickten, zu stopp en. Als diesmal das Feuer abebbte und M illers Ruf »M eldung!« wieder unbeantwortet verhallte, machte der Cap tain sich nicht mehr die M ühe nachzusehen, was gescheh en war. Er wußte es. Nur zu gut. M iller betrachtete die verbliebenen acht M änner, und sein Blick fiel auf Reib ens blutbespritztes Gesicht. Der grinste plötzlich und fragte: »Cap tain, kommt es ungelegen, wenn ich Sie jetzt um Versetzung bitte?« »Kein Problem«, gab M iller mit dem Anflug eines Schmun zelns zurück. »Warten Sie drüben auf mich, dann können wir gleich d en Pap ierkram er ledigen.« Er suchte drei weitere Jungs aus. Der Sar ge schaute ihn dab ei mit einer M iene an, die bein ahe anklagend war und dem Cap tain zu verstehen gab, daß das, was sie da taten, reiner Wahnsinn war. Das brachte den Captain aus der Fassung. Er hielt inne und
52
ging im Geiste kurz die M öglichkeiten durch, die ihm blieben. Dann sagte er zu Reiben und den ander en Jungs: » Wartet mal einen M oment... Jackson!« Der schlacksige Scharfschütze trat gemächlich vor. »Sir?« »Sind Sie bereit?« »So bereit wie immer, Sir.« »Gehen Sie genau auf mein Zeichen los«, sagte M iller, kroch die Anhöhe hin auf und stellte sich fr ech ob en hin, ein perfektes Ziel. Oben auf dem Felsen r eagierte die n äher gelegene der beiden M aschinengewehrbesatzungen genau so, wie M iller es erwartet hatte: Sie begannen ihr e unhandliche Waffe auf dem Stativ neu in Stellun g zu bringen. »Jetzt!« brüllte M iller. Und Jackson begann seinen Lauf über das offene Gelände gen au in d em Au genblick, als das M aschinengewehr auf M iller ausgerichtet war. Die Kugeln rissen den Boden auf und ließen Staub auffliegen. Der Cap tain machte einen Hechtsprung zurück in den Graben, aber vorher riß ihm noch eine M aschinengewehrsalve den Hacken eines Stiefels weg. In der Zwischenzeit gelang es Jackson, im Zickzackkurs dem Feu er der kleiner en Waff en zu entgehen, und er näherte sich d er Erhebung aus Fels und Erde. Der Sar ge und Reiben hatten den Cap tain aufgefangen und zogen ihn hinunter in den Graben, in Sicherheit. »Da würde Ihre M utter ganz schön schimp fen«, meinte der Sarge, »wenn sie Sie bei so was erwischen würde.« »Ich dachte, Sie wären meine M utter«, brachte M iller keuchend heraus. Dann rief er : »M eldung!« Jacksons Stimme antwortete: »Hier!« M iller und der Sarge grinsten einander an, und auch andere im Graben lächelten jetzt. Plötzlich hämmerte M aschinengewehrfeuer auf sie nieder, und sie duckten sich so tief sie konnten in den Gelände
53
einschnitt, während ihnen Staub und Steine, vom Sperrfeuer hochgeschleud ert, um die Ohren flogen. Reiben stieß wüste Schimpfwörter aus, und die übrigen schrien ebenfalls - es war, als hätte die Welt sich in ein Tollhaus verwandelt. Doch M iller vermutete, daß die genervten M aschinengewehrschützen auf diese Weise ihren Är ger abreagierten, weil sie ihre Feuerkraft von der Geländeöffnun g am Ende des Grabens ab gezogen hatten. Und er wußte, daß Jackson keine Gefahr lief, diesem Wahnsinn zum Opfer zu fallen. Genau jetzt, in diesem Augenblick, dachte M iller, war Jackson dabei zu beten ... Und Jackson, der nun hinter dem Hügel aus Steinen und Erde stand, zielte mit aufgestütztem Gewehr in Richtung Felswand. Während er sich große M ühe gab, den Lär m und das Toben um ihn herum auszublenden, sprach er tatsächlich gerade mit leiser Stimme: »Steh mir bei, O Herr.« Gleichzeitig zielte er genau auf einen der beiden M aschinengewehrschützen, der neben seinem dreibeingestützten MG 42 hockte. Die Bewegungen und der Pulverdampf verschwammen im Fadenkreuz von Jacksons Präzisionswaffe. Von der anderen Seite des Weges ertönte die Stimme des Cap tains: »Jackson - sind Sie soweit?« M it seinem Ziel im Fad enkreuz rief Jackson zurück: »Schicken Sie 'n paar rüber!« Und der Scharfschütze aus den Südstaaten zog sachte, ganz sachte am Abzug. Das Krachen des Schusses ging im M aschinengewehrf euer unter, welches aber plötzlich verstummte. Der deutsche Schütze hatte aufgehört zu schießen, eine Gewehrku gel hatte seinen Kop f nach hinten geschleudert. Das Geschoß war in die Stirn eingedrungen und hatte beim Austritt den Stahlhelm hinten durchschlagen. Der perp lexe Partner des Schützen räumte die Leiche beiseite und hantierte ungeschickt mit der
54
Waffe herum ... Unten im Graben sagte der Sarge: »Jetzt geht's los!« Drei GIs, unter ihnen Reiben, kletterten aus dem Graben und rannten, was sie konnten. Weitere fo lgten, darunter der Sar ge, M ellish und Caparzo, die ihr schweres 30er MG trugen. Hinter der Erhebung hatte Jackson sein nächstes Ziel im Visier und betete: »Du meine Stärke, steh mir bei.« Und mit einem weiteren Schuß schickte er den zweiten Deutschen, der das M aschinengewehr gerade von seinem toten Partner übernommen hatte, zur Hölle oder ins Himmelr eich. Der Jerry kippte vornüber und stieß dabei das M G 42 von seinem Dreibein. Es hörte auf zu bellen und fiel die Felskante hinunter, wobei sein Lauf einen der unten rennenden GIs am Hinterkopf traf und ihn bewußtlos in den Staub sinken ließ. Reiben packte den M ann und schlep pte ihn hinter die schützende Erhöhung. Von der Felskante oben war eine Stimme zu hören, die auf deutsch rief: »Die Flanke! Die Flanke!« Das waren seine letzten Worte, denn nach einem klassischen Schuß zwischen die Augen wies Jacksons Erfolgsbilanz nun drei Treffer auf. »Amen«, sagte er. Durch den Ver lust des M aschinengewehrs stand die Flanke der Deutschen weit offen. Alle stimmten in M illers Kampf schrei ein, und mit seiner feu ersp eienden Thompson führte er seine M änner aus der Deckung der Erhebun g, die zu erreichen sie so viel gekostet hatte. Sie stürmten die steile, aber begehbare Steigun g hin auf. Die zweite deutsche M aschinengewehrbesatzung, d ie wäh rend der ganzen Ep isode den Strand beschossen hatte, versuchte nun verzweifelt - in Panik -, die klobige Waffe auf ihrem Gestell in eine neue Schußposition zu bringen. Sie brachten sie an ihrer Flanke in Stellun g, wo sich inzwi schen auch die Handvoll Infanteristen eingefunden hatten. Die Besatzungen der Granatwerfer lief en auf der Suche nach
55
Waffen umher. M iller schrie: »Haltet drauf, Leute, mit allem, was ihr habt!« Nachdem sie zwei Drittel der Steigun g überwunden hatten, konnten Caparzo und M ellish ihr M aschinengewehr abstellen und damit feuern; mehr ere Deutsche starben laut aufschreiend im Kugelhagel. Reiben war inzwischen schon oben angekommen und gin g auf die M aschinengewehrstellun g zu, wo die schwere Waffe sich immer noch nicht in der richtigen Stellung befand. Er richtete die tödliche Wucht seiner Brownin g-Automatic auf die Besatzung, wobei er riesige Lö cher in die Sandsäcke schoß und nur unwesentlich kleinere in die beiden Deutschen. Beide fielen tot um, der eine auf das M G 42 und der andere auf die zerschossenen Sandsäcke, so daß Blut und Sand hinab sickerten. Der Kampf war heftig und kurz. M iller und seine Leute besetzten die deutsche Stellung. Wenige GIs gin gen dabei zu Boden, während auf deutscher Seite kein einziger mit dem Leben davonk am. Der Bursche, der den Strand mit seinem Flammenwerfer erreicht hatte, gab der deutschen Stellun g den Rest: Er legte überall Feuer, die Feinde wurden eingeäschert, und die M unition in den Patronengurten der brennenden Leichen exp lodierte wie Knallfrösche. Orangefarbene und blaue Flammen stiegen zum Himmel auf, begleitet von dichten schwarzen Rauchwolken. »Zum Bunker!« rief M iller. Die GIs stürmten weiter zum Bunker, aus dessen Schießscharte in Abständen Gewehr- und M aschinengewehr feuer kam. Zwei Jungs wurden getroffen, aber d ie übr igen waren zu schnell. Tief gebückt err eichten sie den Bunker und warfen sich unterhalb der Öffnung und der Mündung der 88er Kanone gegen die M auer.
56
»Granaten!« sagte M iller, worauf Sicherun gssplinte gezogen wurden und die Eier im Bogen über ihre Köpfe genau in die waagerechte Öffnung gesch leudert wurden. Die Jungs gingen in Deckung, es knallte mehrmals heftig, und schwarzer Rauch strömte aus, so als ob böse Geister den Ort verließen. »Gebt ihnen den Rest!« rief M iller im Aufstehen, dann entleerten er und seine Leute ihre M agazine in das Betonmaul, das jetzt gar nicht mehr zu grinsen schien. Die GIs schickten einen Hagel aus Gewehr- und sogar Pistolenkugeln durch das Betonmaul in den verhaßten Bunker, um absolut sicher zu sein ... Was dann folgte, glich ein em verschwommenen Fiebertraum. Die Lebenden lief en zwischen den Toten umher, Entsetzen, Angst und Adrenalin verwandelten sich beim Nachlassen des Schocks in Benommenheit. Der einzige, der nicht wie ein Schlafwandler wirkte, war Wade, der jetzt seine Pflichten als Sanitäter wahrnahm. Von Stöhnen und Schreien herbeigerufen, eilte er den Ver letzten zu Hilfe, wobei ihm einige der M änner behilflich waren. M iller humpelte, doch nicht auf grund einer Verletzung, sondern wegen seines weggeschossenen Stiefelabsatzes. Während er über das versengte Felsp lateau stolperte, konnte ihn der Gestank von verbranntem Haar, versengtem Fleisch und Schießpulver nicht mehr erschüttern er lebte. Er fühlte kein Glück, eher Erstaunen. Er hätte nie geglaubt, daß er diesen verfluchten Strand lebend verlassen würde. Daß sie jetzt bis hierhin gelangt waren, war mehr, als er oder ir gendeiner sein er M änner erwartet hatten. Obwohl alle das gleich e dachten, redete niemand darüber. Was so offensichtlich war, brauchte nicht ausgesprochen zu werden. Dafür gab es ohnehin nicht die richtigen Worte. Sie waren hier, und sie waren am Leben. Und das genügte. Der Sarge kniete am Boden, um eine Handvoll Erde zusammenzukratzen und in eine kleine Dose einzufüllen.
57
Darauf war ein weißer Papierschnip sel geklebt, auf dem mit verwischter Tinte »Frankreich« stand. M iller lächelte still vor sich hin, als er beobachtete, wie Horvath den Blechdeckel zuschraubte und die Dose wieder in seinen Rucksack stopfte. M iller wußte, daß dort zwei andere, bereits mit Erde gefüllte Büchsen aufbewahrt wurden, ein e trug die Aufschrift »Afrika«, die andere »Italien«. Noch unter dem Schock der Sch lacht, lief Reiben mit baumelnder Browning-Automatic im Kreis und murmelte immer wied er dieselben Worte wie ein M antra vor sich hin: »Ich bin nicht tot. Ich bin nicht tot.« M ellish hatte auf dem Boden ein M esser gefunden und stand nun mit sein em Andenken wieder auf. Die Klinge war von einf acher Qualität, am Griff befand sich ein Hak enkreuz. »Ein Dolch von der Hitlerju gend«, belehrte M iller ihn. M ellish schmunzelte. »Jetzt ist es ein M esser für die Challah am Sabb at.« »Wie bitte?« fragte Caparzo, »du willst mit dem Ding Deutsche beschneiden?« »Brotmesser hab' ich gesagt, du Blödmann«, erwiderte M ellish und steckte es in seinen Gürtel. »Obwohl das keine schlechte Idee wäre ...« »O Gott«, sagte der Sar ge leise, es klang fast wie ein Gebet. M iller ging zu Sergeant Horvath hinüber, der vom Rand des Felsens auf den Strand hinunterblickte. »Wahnsinnsanblick«, sagte der Sarge. Am Horizont stand eine endlose Kette alliierter Schiffe, die stumm darüber wachten, wie unzählige Landungsboote sich durch Verwüstung und Hindernisse hindurchsch län gelten und unaufhaltsam den Strand ansteuerten. Higgins-Boote ließen ihre Rampen her ab, seekr anke Besat zungen kämpften sich durch die Br andun g, strömten auf den Sandstrand, suchten Deckung hinter Drachenzähnen und stürmten in einem Hindernislauf zwischen Flammen, Rauch
58
und den verstreuten Ausrüstungsgegenständen der Gefallenen zu dem schützenden Deich. Entlang des Ufers trieben tote Amerikaner und stießen gegeneinander, daneben brannten die Trümmer zerschossener Landungsboote. Panzer und Bulldozer schienen all das zu versch lafen, sie lagen auf der Seite und pufften Rauch und Flammen in die Luft. Immer no ch exp lodierten Granaten, Wasser spritzte in Fontänen hoch, und weiter an Land regnete es Sand- und Steinschauer. Und trotzdem kamen immer noch amerikanische Soldaten an. Nichts konnte sie aufhalten. Stetig rückten sie vor. Es war eine grauenvolle Landschaft der Zerstörung und des Todes. Und zugleich ein wunderbares Zeugnis von der Entschlossenheit jener, die hier kämpften und starben. »Wahnsinnsanblick«, p flichtete M iller bei. Die Flut war weiter angestiegen, und der Wellengang hatte nach gelassen. Den ganzen verbrannten und zerschossenen Strand entlang brachen sich jetzt sanft die Wellen über den Trümmern. Helme, zerstörte Funkgeräte, Gasmasken, M inensuchgeräte, Drahtrollen, Waffen aller Art - Karabiner, M aschinengewehre, Panzerfäuste - und Gefallene, so viele Gefallen e lagen dort, Treibholz der Schlacht, das in den Wellen dümpelte. Auf dem Rucksack eines der vielen toten Soldaten, die sich an diesem Strand sonnten, war ein Name auf gedruckt: RYAN. Aber natürlich konnte M iller das von dort, wo er stand, nicht sehen.
59
TEIL ZWEI Pentagon, Washington, D. C. 8. Juni 1944
5
Hinter den Kalksteinmauern des lan ggestreckten, festungs ähnlich en Gebäudes des Verteidigun gsministeriums - das vor eineinh alb Jahren fertiggestellte Bauwerk mit seinen fünf Flügeln war das größte Bürohaus der Welt - kämpfte eine andere Art von Streitmacht. Das Rat-ta-ta-tat kam hier nicht aus M aschinengewehren, sondern von Schreibmaschin en, und statt der Schützenlöcher gab es Schreibtische, an denen reihenweise Büroan gestellte mit ernsten Gesichtern ihrem Vaterland dienten, indem sie tippten: »Zu unserem tiefsten Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen ... im Feld gefallen ... heldenhafter Einsatz ...« Auf seine Weise war dieser Dienst genauso aufreib end wie der Kampfeinsatz: Diese M änner und Frauen - die meisten mittleren Alters oder älter, viele hatten Söhne in der Armee und Töchter, deren M änner draußen GI´s waren - schrieben Telegramme, die überall in den achtundvierzig Bundesstaaten M üttern, Vätern, Brüdern und Schwestern, Söhnen und Töchtern das Herz brechen würden. Immer d as gleiche zu tippen kann auf die Dau er abstump fend wirken. Dennoch nahm niemand in diesem r iesigen Büror aum die Arbeit leicht oder wurde gleichgültig gegenüb er der mit dem Tod verbundenen Verwaltun gsarbeit. Hier hörte man weder Plaudereien noch Gelächter, nicht einmal nervöses.
60
Und als die zweiundvierzigjährige Lucy Freemont, die in Washington lebte und deren M ann als Lieutenant zur See im Krieg stand, ein Blatt Papier auf den immer höher anwach senden Stapel des Korbs mit ausgehender Post legte, um die nächste Akte zu bearbeiten, da war ihr der Name »RYAN« in der Eintönigkeit ihrer Tätigkeit zunächst nicht aufgef allen. Sie hatte schon das nächste Blatt in die Schreibmaschine ein gespannt, als ein zweites Wort, »IOWA«, schließlich bei ihr einrastete. Sie runzelte die Stirn, wodurch ihr ohnehin trauriger Gesichtsausdruck nun sorgenvoll wurde. Die furchtbare Langeweile war mit einemmal durchbrochen, als Lucy unter Knistern und Rascheln den Postausgangskorb nach einem Telegr amm dur chsuchte, das sie vor etwas mehr als einer halb en Stunde getip pt hatte. Dann blätterte sie in den braunen Papp -Aktenordnern zurück, um ganz sicher zu gehen. Die Arbeitskolleginnen sahen, wie sie hastig von ihrem Platz aufstand und das Büro verließ. Die erschütternde Nachricht ging von Lucy Freemont an den vorgesetzten Lieutenant, der sie an seinen vor gesetzten Captain weiterleitete. Die beiden So ldaten reagierten ähnlich wie die Zivilbedienstete, denn auch sie war en sichtlich betroffen über das, was Lucy entdeckt hatte. Lucy war schon wieder auf dem Rückweg, als Cap tain John M cRae, achtundzwanzig, Peoria, Illinois, helle Augen, kantiges Kinn, die Nachricht zum nächsten Glied in der Befehlskette brachte. Colonel Richard Wilson, der auf Sizilien ein en Arm verloren hatte, war ein typ isches Beisp iel für General George M arshalls Vorliebe, verwundete Offiziere in seinen Stab zu berufen. Der Colonel befehligte eine geschäftige Kommandozentrale mit Landkarten der Normandie an den Wänden und kompli zierten Truppenaufmarschp länen auf den Tischen. Kaffee und Zigaretten waren der Treibstoff der hin- und hereilenden Soldaten, Zivilisten und Sekretärinn en.
61
Colonel Wilson, siebenundvierzig, Atlanta, Georgia, hatte schon viele Schlachten geschlagen und war bereits leicht ergraut, doch seine Uniform mit dem hochgesteckten linken Ärmel sah überraschend frisch aus, besonders wenn man berücksichtigte, daß ihr Träger anderthalb Tage nicht gesch la fen hatte. Er schenkte sich gerad e wieder ein e Tasse Kaffee ein, die n ächste in ein er endlosen Reihe, als Captain M cRae auf ihn zutrat. »Colonel«, sagte der Captain, »hier ist gerade etwas reinge kommen, das Sie sich ansehen sollten.« Wilson stand neben einer Karte an der Wand, auf der Truppenpositionen mit Stecknadeln mark iert waren, n ippte an seinem Kaff ee und sah auf die drei Blätter, die der Captain wie ein Redemanuskript in beiden Händen hielt. »Was ist es denn, Cap tain?« »Lesen Sie lieber selbst, Sir.« Der Captain überreichte ihm zwei der drei Blätter. Wilson warf einen flüchtigen Blick darauf und sah, daß auf beiden die Wörter »RYAN« und »IOWA« standen. Er setzte sich an einem Tisch in der Näh e nied er, der Captain aber blieb stehen und hielt mit düsterem Blick d as dritte Blatt in der Hand. »Diese beiden M änner sind in der Normandie gefallen«, sagte M cRae etwas vorgebeugt. »Der eine Omaha Beach, der andere Utah Beach.« »Das sehe ich«, sagte Wilson, der die Todesnachrichten studierte. »Thomas Ryan, Peter Ryan. Brüder?« »Ja, Sir. Und dieser M ann hier ...« Er reichte Wilson das dritte Blatt. »... Dieser M ann ist vorige Woche in Neuguinea gefallen.« »Daniel Ryan«, sagte der Colonel. Das Wort »IOWA« stand wieder dabei. »Um Himmels willen ... Brüder? Drei Brüder, und alle drei
62
im Einsatz gef allen?« »Ja, Sir. Und ich habe gerade erfahren, daß ihre M utter heute nachmittag alle drei Telegramme erhalten wird.« Die Farbe wich aus dem Gesicht des Colonels. »M ein Gott!« sagte er. Es war beinahe ein Schrei. Das geschäftige Treib en in dem Raum kam zum Stillstand; die Helfer, die Sekr etärinnen, alle erstarrten bei diesem untyp ischen Ausbruch des Colonel. »M ein Gott«, sagte Wilson noch einmal, diesmal leiser. »Da ist noch ein vierter Bruder in d er Normandie, Sir.« Wilson runzelte die Stirn. »Ich sehe aber keine v ierte Todesmitteilung ...« »Nein. Zumindest noch nicht, Sir. Der vierte Bruder - James, er ist der jüngste, Sir - ist in der Nacht vor d er Invasion mit der 101. Luftlandedivision abgesp rungen.« »Und wo steckt er jetzt?« »Wir wissen es nicht, Sir. Vermutlich irgendwo in der Nor mandie.« »Lebt er?« »Nicht einmal d as wissen wir, Sir.« Wilson saß mit auf gestütztem Ellbogen da und bedeckte d ie Augen mit der Hand. Ob er nachdachte oder betete, konnten die M itarbeiter um ihn herum nicht beurteilen, aber sie schwie gen r esp ektvoll. Als er es schließlich bemerkte, schien es ihm unangen ehm, und er bellte: »Zurück an die Arbeit!« Dann stand er vom Tisch auf, nickte M cRae kurz zu und sagte: »Kommen Sie mit mir.« * In dem M oment, als der Colonel und der Captain eiligen Schrittes die Kommandozentrale in Washington verließen, fuhr
63
in der fruchtbaren Farmgegend bei Peyton im Kreis M ansfield, Iowa, eine schwarze Regierun gslimousine eine ungepflasterte Straße entlan g. Staub wirbelte auf, als der Wagen durch eine Gasse mit reifendem M ais fuhr, die sich im Sonnenlicht endlos grün hinzog. Die Limousine, die in dieser uramerikan ischen Landschaft so deplaziert wirkte wie ein Leichenwagen auf einem Rummelplatz, bog an einem großen M etallbriefkasten mit der Aufschrift RYAN in einen Weg ein, welcher zu einem weißen Farmgebäude mit roter Scheune führte, vor der eine grüne Hecke als Windschutz gep flanzt war. In der M itte lag wie eine Insel in ein em M eer aus M ais - ein sehr gepflegter Hof. Hier waren Kinder - Jungen - aufgewachsen. M anches deutete immer noch darauf hin: eine Reif enschaukel auf dem Hof und vor der Scheune ein Basketballplatz aus festgetretener Erde, über dem ein Getreidemaßkorb an genagelt war. Sicher hatten die Jungen ab und zu in d er Schaukel auf der Veranda gesessen. Jetzt war sie leer, doch der Wind bewegte sie sacht, so als ob ein Liebesp aar dort säße und Zärtlichkeiten austauschte. Im Fenster des Farmgebäudes pran gte die Fahne mit den blauen Sternen; hier waren es vier, einer für jedes Familien mitglied bei der Army . Die M utter der vier Jungen, M argar et, trat auf die Ver anda hinaus. Der leise Wind b ewegte ein wenig ihr blauweißes Baumwollkleid. Die sechzigjährige Frau war allein auf der Farm, ihr M ann William machte Einkäufe in der Stadt. Wie allein sie wirklich war, sollte sie bald erfahren. Als junges M ädchen war sie zart und hübsch gewesen, doch ein hartes Arbeitsleben auf dieser Farm und das Aufziehen von vier Söhnen hatten ihrem Gesicht Falten beschert, die ihre Schönheit jetzt eher männlich-herb wirken ließ en. Sie hatte das Geräusch des her annahenden Autos gehört und ihren M aisbrotTeig stehenlassen, und nun wischte sie sich die Hände an ihrer Schürze ab, während sie auf die Staubfahne hinter der
64
schwarzen Limousine schaute. Der Anblick der Limousine beunruhigte sie, aber an diesem Weg lagen ja vier Farmen. Vielleicht würde der Wagen nicht bei ihr anhalten. Doch er hielt bei ihr. Als die drei M änner - einer von ihnen hatte einen Kragen, wie ihn Geistliche tragen - mit ernsten Gesichtern ausstiegen, brach sie an einem Ver andapfeiler zusammen und umklammerte ihn, als wäre sie ein kleines Kind. Sie fing an zu wein en, denn sie wußte, daß sie einen ihrer Söhn e verlor en hatte. Sie dachte dar an, wie ihr M ann die Nachricht aufneh men würde, aber keinen Au genblick kam ihr in den Sinn, daß es noch schlimmer kommen konnte. Viel schlimmer. * Im Pentagon, am anderen Ende des Landes, traf inzwischen Colonel Wilson mit dem Stabschef der Army, General M arshall, und seinem Adjutanten Colonel Lou is Dy e zusam men. Wilson stand etwas abseits in dem holzgetäfelten, spartanisch eingerichteten Büro des Generals, dessen perfekt aufgeräumter Schreibtisch von der amerikan ischen Flagge und der des District of Columbia - Sitz der Hauptstadt Washington eingerahmt war. Der General und sein Adjutant standen am Konferenztisch und lasen die Akten der Ryan-Brüder. General M arshall, vierundsechzig, ein hochgewachsener, durchtrainierter M ann mit wettergegerbter Haut, engstehenden dunklen Augen und dünnen Lippen, die dem rötlichen, unsymmetrischen und nicht gerade schönen Gesicht einen besonderen Ausdruck verliehen, sagte leise: »Verdammt.« Er ließ d ie Akte auf den Konferenztisch fallen.
65
»Schon wied er Iowa«, murmelte er. Dann fragte er: »Wie konnte uns denn nach der Geschichte mit den Sullivans so etwas passieren?« Die Frage schien an M cRae gerichtet zu sein, also antwortete der Cap tain: »Ursp rünglich waren alle vier in derselben Kompanie der 29. Division, ab er nach dem Fall Sullivan haben wir sie getrennt.« Die Sullivan-Brüder aus Waterloo, Iowa, hatten alle fünf auf demselben Schiff gedient, der Juneau, die im November 1942 vor Guadalcanal torpediert worden war. Die Tragödie hatte damals in der Öffentlichkeit für Unruhe und so gar Emp örung gesor gt. »Sir«, erklärte Colonel Dy e, »es gibt keine offizielle Richt linie der Army, nach der Brüder zu trennen oder sonst in irgendeiner Weise besonders zu schützen sind. Nur die Navy hat diese Regel ein geführt, und auß erdem waren diese Ry ans, wie gesagt, nicht in derselben Einheit ...« »So? Wollen Sie den Vorfall Surles melden?« entfuhr es M arshall. Brigadegeneral Alexander Surles leitete beim Verteidigun gs ministerium die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. »Nicht unbedingt, Sir«, gab Dye zu. »Ich höre ihn schon«, meinte M arshall trocken. >»Die Öffentlichkeit wird denken, die Streitkräfte haben Jungs aus Iowa zum Abschuß freigegeben!< ... Weiß man ir gend etwas von dem vierten ... wie heißt der Junge?« »James«, sagte Wilson. »Nein, Sir. Er ist ungefähr fünfundzwanzig Kilometer land einwärts abgesprungen, in der Nähe von Neuville.« Um die dünnen Lipp en von M arshalls M und zuckte es. »Und ich neh me an, das ist immer noch weit hinter den deutschen Linien, oder?«
66
»Ja, Sir.« »Das wissen wir nicht mit Bestimmtheit, Sir.« Dye trat einen Schritt vor. »In ersten M eldungen von Eisenhowers Stab aus dem Alliier ten Oberkommando der Invasionstruppen heißt es, die 101. Luftlandedivision sei in alle Winde verstreut und existiere praktisch nicht mehr.« Der Colonel zog die Schultern hoch und machte eine hilflose Bewegung. »Überall über der Normandie gab es Fehlabsp rünge. Alles in allem hatten wir schwer e Verluste. Kann sein, d aß er nicht mal den Sprung überlebt hat. Und selbst dann ist er wahrscheinlich inzwischen gef allen.« M arshall erwiderte nichts. In seinem wen ig attraktiven Gesicht lag ein gr immiger Ausdruck. Er gin g hinüb er zu seinem Schreibtisch und schaltete die Sprechan lage ein. »Cap tain Newsome, die Akte Bixby bitte.« »Ja, General«, antwortete eine Frau aus dem Vorzimmer. »Private Ry an könnte überall sein, Sir«, begann Dy e erneut. »Wenn wir da einen Su chtrupp reinschicken, mitten in d ie massiven deutschen Truppenbewegungen und direkt vor die Flinten unserer eigenen vorrückenden Leute ... dann wird es noch ein p aar Tote mehr geben, an deren M ütter wir Benachrichtigungen zu verschicken hätten.« M arshall schüttelte den Kop f, es sah so aus, als seufzte er, doch kein Geräusch war zu hören. Eine nüchtern-attraktive, streng aussehende dunkelblonde Frau in Uniform kam her ein: Captain Florence J. Newsome, M arshalls persönliche Sekretärin. Sie überreichte ihm einen Aktenordner, er bedankte sich, und sie ver ließ d en Raum. Der General ging langsam zu seinem Schreibtisch, setzte sich und entnahm dem Ordner ein Blatt Pap ier, das ziemlich
67
abgegriffen aussah. »Ich habe hier ein en Brief, der schon vor län gerer Zeit an eine M rs. Bixby in Boston geschrieben wurde ... Wenn Sie die Geduld hätten, mir einen Au genblick zuzuhören ...« Der Colonel und der Captain wechselten einen Blick - ein Soldat muß schließlich mit seinem Gener al »Geduld haben« -, während M arshall seine Lesebr ille aufsetzte. »Sehr geehrte M rs. Bixby«, las er vor, »in den Akten des Verteidigungsministeriums wurde ich auf einen Bericht des Generaladjutanten für M assachusetts aufmerksam, dem zufolge Sie die M utter von fünf ruhmreich auf dem Schlachtfeld gef allenen Söhnen sind. Sehr wohl fühle ich, daß alle Worte, mit denen ich versuchen könnte, Ihnen die Trauer über einen derart schrecklichen Ver lust zu erleichtern, nur schwach und fruchtlos sein können. Dennoch ist es mir ein tiefempfundenes Bedürfnis, Ihnen den Trost zu spenden, der im Dank der Rep ublik gefunden werden kann, zu deren Rettung Ihre Söhne durch ihren Tod beigetragen haben.« M arshall legte das abgegriffen e Schriftstück oben auf den Aktenordner. Aber er war noch nicht fertig. »Ich bete zu unserem Vater im Himmel, daß er Ihnen die Pein des Verlustes lindern möge«, fuhr er aus dem Gedächtnis fort. »M öge er Ihnen die teure Er innerung an die geliebten und verlorenen Söhne erhalten sowie den feierlichen Stolz, den Sie darüber empfinden müssen, solch kostbares Op fer auf dem Altar der Freiheit dar gebracht zu haben.« Unterzeichnet: »M it zutiefst emp fundenem M itgefühl und vorzüglicher Hochachtung, Ihr Abraham Linco ln« Der Captain und der Colonel wechselten wieder einen Blick. Beide waren bewegt, tief sogar, doch M arshalls Gefühle zu diesem Thema überr aschten sie n icht. Dieser General hatte schon wiederholt Auszeichnun gen für sein e Dienste an der Heimatfront abgelehnt, solan ge in Übersee immer noch junge
68
M änner ihr Blut vergossen. M arshalls unansehnliche Gesichtszüge hatten sich wieder verhärtet, und die Augen b litzten entschlossen auf. »Wenn dieser Jun ge noch am Leben ist«, sagte der Gener al, »dann werden wir jemand en schicken, um ihn zu suchen ... und um ihn da rauszuholen.« Das war genau das, worauf Captain M cRae gehofft hatte; und das leise Lächeln auf Colonel Dy es Lippen sagte ihm, daß der Adjutant trotz all seiner Versuche, M arshall von diesem Vorhaben abzubringen, genauso emp fand.
69
TEIL DREI Normandie 9. Juni 1944
6
Ein Konvoi aus Jeeps, Panzern und versch iedenen and eren Fahrzeugen r atterte an Cap tain John M iller und den Überresten seines Zuges vorbei - Private Reiben, Caparzo, M ellish und dem Sanitäter der Kompanie, Wade. Nach dem Verzehr einer C-Ration genossen sie im Schütze eines 88er-Granattrichters inmitten eines Kraterfeldes ein paar M inuten Ruhe. In ihren khakifarbenen und grünen Uniformen, d ie sich k aum vom erdigen Braun des Trichters abhoben, erschienen M iller seine Leute nun nicht mehr so jun g; ihre zerrissenen Uniformen, ihre mehrere Tage alten Bärte und ihre halb geschlossenen Augen zeigten an, daß diese Reife teuer erkauft war. Nur Sergeant Horvath hatte schon vor der Schlacht so ausgesehen ; aber selbst er wirkte nun um einiges älter. Oder zumindest müder. »Glaubt ihr, es stimmt«, fragte der schlaksige Reiben, der sich der Länge n ach aus gestreckt hatte und seine Brownin gAutomatic wie ein e Fahnenstange senkrecht hielt, »daß die Jap se den Gefangenen mit Zangen die Zehennägel ausreißen, um sie zum Reden zu bringen?« »Blödsinn«, erwiderte der Sar ge. »M anchmal denke ich«, fuhr Reiben fort, »vielleicht haben wir ja noch Glück, daß wir nicht im Pazifik geland et sind. Ich hab' da Geschichten über Bambussp rößlinge und den Schwanz von einem Typen gehört, die will ich hier in dieser zartbesai
70
teten Runde lieber nicht wiederholen.« M ellish, der Jüngste, empfand das als Beleidigung und brauste auf: »Hey, die haben keinen Sprößlin g, der lang genu g wäre, daß ich ihn überhaup t sp üren könnte.« Alle fingen an zu lachen, aber gedämpfte Detonationen in einiger Entfernung setzten ihrer guten Laune rasch ein Ende und erinnerten sie daran, daß der Krieg ihnen nur eine kurze Atempause gönnte. »Trotzdem«, grübelte Reiben, »es ist wirklich eine Strafe, hier herumzusitzen, acht armselige Kilometer von Caen entfernt.« »Was gibt's denn in Caen so Besonderes?« fragte der Sarge und zündete sich eine Lucky an. »M ann, Sarge«, grinste Reiben, »sag bloß, du weißt nicht, wofür Caen berühmt ist?« »Froscheier á la carte?« Reiben blickte seinen Ser geant mitleid ig an. »Gar nicht so einfach für einen ku ltivierten M enschen wie mich, es mit solchen Barbaren auszuhalten«, meinte er kopfschüttelnd. »Gerade eb en waren wir doch noch >zartbesaitet<«, entgeg nete Caparzo und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, eine Chesterfield. Reiben wählte seine Worte sorgfältig und holte weit aus. »Caen, im Herzen der Normandie, ist berühmt für seine M anufakturen, die ... Herstellung ... von ...« Der Private hob und senkte die Augenbr auen. »... Unterwäsche.« »Ah so?« antwortete der Sar ge und machte ein furzendes Geräusch mit den Lip pen. »Und weiter?« »Stellt euch eine kleine Französin vor, so ein hübsches nettes Ding aus Caen ...« Reiben zeichnete mit einer Hand ihre Kurven in die Luft. »... Rabenschwarzes Haar, blaue Augen,
71
ein kleiner Schönheitsfleck neben den roten Lip pen ... Den ganzen Tag hat sie, wie jeden Tag, cr emef arbene, durchsichtige Nachthemden mit Schnürtaille und leicht stützenden Seidenkörbchen genäht ...« Er deutete es mit hohler Hand an. »Was, zum Teufel, glaubt ihr wohl, hat die nachts an?« »Doppelripp ?« fragte der Sar ge. Reiben runzelte die Stirn. »Sarge, dir fehlt jed er Sinn für Romantik.« »Hey«, verteidigte sich der Sarge, »sie arbeitet schließlich den ganzen Tag mit dem Zeug, vielleicht kann sie es ja nicht mehr sehen.« »Andererseits«, sagte M ellish, ganz im Bann von Reibens blumigen Ausführungen, »vielleicht kriegt sie ja Prozente drauf.« »Reiben«, b egann M iller, sein e Thomp son-M aschinenpistole im Schoß, »woher zum Kuckuck kennen Sie sich so gut mit Damenwäsche aus?« Er schien wirklich neu gierig auf die Antwort zu sein. Der Private reckte sich voller Stolz; unter seinen Bartstoppeln und der ramp onierten Uniform war er ein typischer amerika nischer Junge geblieben. »Liegt in der Familie, Sir. Damenwäsche ist mein Leben. M eine M utter hat einen Laden in Brooklyn; ich bin damit aufgewachsen. Von klein auf wußte ich, was Damenwäsche aus Caen ist. Das Beste, was es gibt, wird häuf ig verlan gt M änner kaufen sie für ihre Frauen oder ihre Freund innen oder für beide und Frauen für ihre Kerle ...« »Falls Sie's noch nicht mitbekommen haben, es ist Krieg«, sagte M iller. »Ich hab' so meine Zweifel, ob die dort immer noch Damenwäsche produzieren.« »Oh, Captain«, widersprach Reiben mit heftigem Kop fschüt teln, »in Caen wird immer Damenwäsch e produziert werden. Es gibt nun mal drei Grundbedürfnisse des M enschen - Essen,
72
ein Dach über dem Kopf und das, worüber man nicht spricht.« Der Rest des Zuges dachte noch über diese Sätze nach und fand nichts dagegen einzuwenden, als M iller einen M elder bemerkte, der anscheinend zu ihnen wollte. Der Captain bedeutete Caparzo, ihm entgegenzugehen und die Nachr icht in Emp fang zu nehmen; Caparzo nickte und kletterte aus dem Krater. »Wenn es am Strand nicht so beschissen gelauf en wäre«, sagte Reiben, »dann wären wir jetzt wahrscheinlich schon in Caen und könnten uns kaum retten vor lauter hübschen M ädchen in Seidenkleidern.« Er schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf. »Welche Intelligenzbestie hat sich das bloß ausgedacht? Tausend Jungs direkt von der Grundausbildung in so einen verfluchten Hexenkessel zu schicken?« »Ihr seid Ran gers«, sagte M iller bestimmt. »Elitetrupp en.« »Jaja, schon richtig«, sagte M ellish. »Nichts für ungut, Sir, aber würde man d enn die Dorfmannschaft gleich zur Weltmeis terschaft schicken?« »Das kann schon vorkommen«, antwortete der Sar ge, »wenn das M usterungsbüro die besseren Teams bereits ein gezogen hat«. »Zu Hause und auf der anderen Seite des Kanals«, fuhr M ellish fort, »da haben sie uns erzählt, wie es werden würde, und wir haben darüber gered et und alles, und wir haben trainiert, Simulation und all dieser M ist. Aber in dem M oment, als ich von d em Higgins-Boot gesp rungen bin, da d achte ich: Verdammte Scheiße! Nichts in der Welt hätte mich darauf vorbereiten können!« Eine entfernte Detonation setzte ein zweites Ausrufezeichen hinter M ellishs Feststellung; dies und seine Worte gaben den M ännern in ihrem Granattrichter reichlich Stoff zum Nachdenken.
73
Schließlich sagte Wade, der Sanitäter: »Auf so ein großes Ding können sie einen nicht vorbereiten.« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht denken sie auch, wenn man nur überrascht genug ist, dann hat man gar n icht erst Zeit, um überhaupt groß Angst zu bekommen.« »Kann sein«, erwiderte M ellish. »Aber wenn das der Plan war, dann ist er ziemlich in die Hose gegangen.« M iller fragte: »Hey , Reiben, sagen Sie doch mal - wenn man Sie noch einmal in das Gemetzel von Omaha Beach schicken würde, was würden Sie beim zweitenmal anders machen?« Reiben zögerte keine Sekund e. »Ich würde mir selbst eine Kugel verp assen, bevor ich mich auch nur einen Schritt von dem verdammten Boot wegbewegen würde.« »Sag mir Bescheid, f alls du dabei Hilf e brauchst«, sagte der Sarge gutmütig, und alle mußten ein wenig lachen. Aber auf das Lachen folgte ein ernstes, gedankenvolles Nicken, denn die M änner begriff en, was Reiben sagen wollte. Cap arzo sprang in den Trichter. »Cap tain«, sagte er. »Der Bataillonskommandant will Sie drüben sprechen, sofort.« »Vielleicht ist der Krieg vorbei«, meinte M iller und kletterte aus dem Loch. »Ver gessen Sie nicht, uns Bescheid zu sagen, wer gewonnen hat«, rief der Sar ge mit einem schiefen Grinsen in seinem stoppligen Gesicht. Über dem Feldhauptquartier oberhalb des Strands lag der aufgewirbelte Staub von zahllosen umherschwirrend en Fahr zeugen und Soldaten, und man hörte das Grollen von Detonationen, zwar nicht in unmittelbarer Nähe, aber auch nicht allzuweit entfernt. M iller bahnte sich einen Weg zwischen den M ännern und Jeeps. Der Boden war mit den
74
Überresten von Granaten jeden Kalibers übersät. Er steuerte eine weitläuf ige, schwer beschädigte Bunkeran lage an, die die Amerikaner zu ihrem Hauptquartier gemacht hatten. Drinnen hatte man die Hinterlassenschaft der früheren Besitzer einfach zusammengefegt und auf einer Seite zu einem Haufen aufgetürmt: Schutt und zurückgelassene Ausrüstung, verbogene M oniereisen, Betontrümmer von Kieselsteingröße bis zu ganzen Platten, ein paar verbeulte deutsche Helme, so gar eine zerfetzte Naziflagge. Ansonsten war der Bunkerkomplex bereits aufgeräumt und bildete mit seiner Ordnung einen starken Kontrast zu dem Chaos draußen. M iller wurde von einem erstaunlich frisch aussehenden M ajor um die Vierzig empfangen. Der Captain salutierte. »M iller, CKompanie, Zweites Ranger-Bataillon, meldet sich wie befohlen zur Stelle, Sir.« »Dort hinten, Cap tain«, sagte der M ajor und wies ihm d ie Richtung. Etwa ein Dutzend Offiziere schwirrten im Bunker umher, und etwa genauso viele Adjutanten, M elder und Funker, deren Uniformen zwar auch nicht mehr taufrisch waren, aber immerhin noch Bü gelf alten hatten. In dieser wohlgeordneten militärischen Szenerie fiel der schmutzige, unrasierte und blutbespritzte Captain völlig aus dem Rahmen; aber sein Erscheinen wurde mit respektvollem Kopfnicken und hier und da mit einem for mlosen Gruß qu ittiert, wie er im Kamp f üblich ist. An einem kleinen, ab gesch abten Holztisch saß Lieutenant Colonel Walter Anderson, zweiundvierzig, Denver, Colorado, der Commanding Officer des Zweiten Ranger-Bataillons. Der schlanke Offizier mit dem schmalen, markanten Gesicht nickte M iller kurz zu und bedeutete ihm, einen M oment zu warten. »Wir haben mit zweiunddreißig Panzern am Strand ger echnet«, sagte Anderson in sein Telefon. »Siebenund
75
zwanzig sind abgesoffen ... Ich verstehe Ihr Problem, aber wenn die Amphibien-Shermans nicht um sechs Uhr morgens am Strand sind, dann steckt bei Carentan eine ganze Division fest - ein gefund enes Fressen für die Deutschen.« Eine d amp fende Tasse Kaffee stand neben ein em angebissenen Sandwich auf dem kleinen Tisch, doch Anderson beachtete sie nicht. »Also gut«, schloß Anderson barsch, »sagen Sie Besch eid, wenn es soweit ist.« Er knallte den Hörer des Feldtelefons auf die Gabel und rief einem vorbeikommenden Adjutanten zu: »Halten Sie die Baker-Kompanie bei Vierville auf, bis wir ihnen ein p aar Panzer schick en können.« »Jawohl, Sir«, sagte der Adjutant und eilte davon. Anderson erhob sich, nickte M iller zu und schlenderte zu einer großen Landkarte hinüber, die an die Betonwand geheftet war. »Die Luftlandetruppen sollten uns eine Bresche schlagen«, sagte der Lieutenant Colonel, währ end seine Augen über die Karte wanderten. »Aber sie verfehlen ihre Absprungzonen und verstreuen ihre Fallschir mjäger im Wind ... Wie ist die Lage bei Ihnen, John?« »Abschnitt vier ist gesichert«, antwortete M iller. Knapp und sachlich fuhr er fort: »Wir haben einige 88er ausgeschaltet, hier, hier und hier ...« Er deutete auf bestimmte Punkte der Karte. »... leider erst, nachdem sie vier Shermans und einige Last wagen erledigt hatten.« Er zeigte auf eine andere Stelle. »Ihre Karte verzeichnet hier zwei M inenfelder, aber in Wirk lichkeit ist es nur eines.« »Wie haben Sie das festgestellt?« »Indem ich versucht habe, zwischen ihnen durchzukommen.« Dies war M illers Art, seinem C.O. mitzuteilen, daß er Verlus
76
te erlitten hatte, die zum Teil auf Fehlinfor mationen der militä rischen Aufklärung beruhten. »Es ist ein gemischtes, sehr dicht belegtes M inenfeld«, rapportierte M iller kühl, beinahe eisig, »44er- Sprengminen, 42er-Schützenminen, Topfminen, A-200er und dazu noch ein paar von diesen ekelhaften kleinen runden Holzdingern, die die Detektoren nicht aufsp üren können.« M iller wies auf eine andere Stelle der Karte. »Auf der Straße haben sie noch ein paar größere Dinger für Panzer vergraben, 43er-Tellerminen, schätze ich, von hier bis zum Rand des Dorfes.« »Haben Sie sie markiert?« »Ja, und die Pionier e verständigt.« »Widerstand?« »Nur vereinzelt. Ich hatte mehr Luftunterstützung erwartet. Allerdings kein Gegenfeuer.« Er deutete auf einen weiteren Punkt der Karte. »Wir sind auf eine deutsche Kompanie unter Sollstärke mit Artillerie gestoßen ... Wehrmacht, 346. Infanterieregiment, Kampfgrupp e >von Luck<.« »Gefangene?« »Dreiundzwanzig. Ich habe sie der M ilitärpolizei von der 29. übergeben.« »Gut gemacht. Unsere Verluste?« »Fünfunddreißig Tote. Doppelt so viele Verwundete, Sir.« Alle hatten es gehört, aber keiner schaute in M illers Richtung. Nur die Stille, die sich plötzlich im Bunker v erbreitete, zeigte, daß alle innerhalb dieser Betonwände von Schreck en und Respekt erfüllt waren. »M ein Gott«, brachte der C.O. schließlich heraus. »Die Jerrys wollten ihre 88er nicht freiwillig auf geben, Sir«, sagte M iller trocken. Andersen verzog den M und.
77
»Es war eine harte, undankbar e Aufgabe. Deshalb habe ich Sie dafür aus gewählt.« »Ja, Sir.« »Und ich habe noch eine für Sie.« »Sir?« »Wieder was Schönes, John.« Anderson schüttelte den Kopf und lachte ein wenig; ab er es klang nicht sonderlich fröhlich. »Und zwar von ganz oben.« M iller war es, als würde ihm ein Stoß in d ie M agen grube versetzt. »Eisenhower, Sir?« »M arshall.« Anderson wies mit dem Kinn zu dem klein en Tisch hinüber. »Nehmen Sie sich einen Stuhl und holen sie sich einen Kaffee. Dann erzähle ich Ihnen alles weitere ...« Als M iller eine halbe Stunde später zu dem Trichterfeld zu rückkehrte, rief ihm Sergeant Horvath nur ein Wort entgegen: »Caen?« »Leider nicht. Wir fuhren einen Stoßtrupp mit Spezialauftrag nach Neuville.« Der Sarge schob seinen Helm in den Nack en und runzelte d ie Stirn. »Ein Captain soll einen Stoßtrupp anführen? Was ist das für ein Auftrag?« M iller lachte trocken. »Öffentlichkeitsarbeit, Ser geant.« »Was, zum Teufel ...?« »Es geht um einen Private von der 101. ... Drei seiner Brüder haben ins Gras gebissen, und er bekommt jetzt den Freifahrschein für d ie Heimreise.« »Nicht zu fassen. Und warum Neuville?« »Weil sie im Hauptquartier glauben, daß er da runtergegan
78
gen ist. Er muß dort irgendwo sein, einer von den armen Teufeln, die in dieser Gegend verstreut worden sind.« Der Sarge stöhnte. »Wird nicht gerade ein Kindersp iel sein, einen einzelnen Soldaten mitten in diesem gottverdammten Krieg zu finden. Das ist wie die Suche nach der Nad el im Heuhaufen.« »Es ist eher ein Heuhaufen voller Nadeln«, meinte M iller düster. Der Sar ge nickte zu dem Trichter hinüber, wo sich die Über lebenden des Zuges immer noch r äkelten. »Was ist mit der Charlie-Kompanie?« »Ich nehme die Besten von denen, die noch da sind. Den Rest übernimmt die Baker-Kompanie.« Der Sar ge machte große Augen, und sein Kinn klappte herunter. »M ein Gott, sie haben Ihnen dafür Ihre Komp anie wegge nommen?« »Zunächst einmal ist es nicht meine Komp anie, sondern die der Army ... Der C.O. hat mich für alle Fälle daran erinn ert. Zweitens, so viele sind von uns ja nicht übriggeblieben. Wie dem auch sei, ich will Reiben mit der Browning-Automatic, Jackson, Wade natürlich, Cap arzo, Beasley ...« »Beasley hat's erwischt.« »Scheiße. Okay, dann den kleinen M ellish. Haben wir jeman den, der Französisch spricht?« »Reiben kennt sich in Damenunterwäsche aus. Sonst wüßte ich kein en.« »Na gut, dann Talbot. Er hat einen furchtbaren Akzent, aber er versteht seine Sach e.« Der Sarge schüttelte den Kopf. »Er auch. Heute morgen.« »Verdammt.«
79
M iller seufzte. »Ich werde mal sehen, ob ich ein anderes Opfer finde. Jeman den, der Französisch spricht ... Bringen Sie den Rest zusammen, wir treffen uns beim Fuhrpark des Bataillons, am Strand.« »Jawohl, Sir.« Nicht weit hinter dem Strand, in der M itte eines Bereitstel lungsrau ms, erhob sich ein schmuck aussehendes Zelt, ein Sinnbild für Ordnung inmitten dieses Durcheinanders von lärmenden Fahrzeugen und schwatzenden GIs. M iller bewegte sich lan gsam, aber zielstrebig und völlig unbeachtet durch das Gewirr der M änner und M aschinen, vorbei an auf gestapelten Vorräten und Ausrüstungsgegenständen. Er betrat das Zelt, das die »M ilitary Intelligence«, die militärische Aufklärung - ein Widerspruch in sich - beherbergte. An drei Tischen saßen drei Corporals, über ihre Karten geb eu gt wie Bücherwürmer, die für eine große Prüfung büff eln. In eintöniger, akkurater Arbeit versahen sie Karten mit M arkierungen und steckten sie in Plastikhüllen. Nicht gerade ein sonderlich gef ährlicher Job, es sei denn, eine verirrte Granate würde ihr en Weg hierher f inden. »Ich suche Corporal Upham«, rief M iller. Einer der Jungs schaute von seiner Karte auf; er war schlank, hatte ein rundes, kindliches Gesicht mit freundlichen, nachdenklichen, grauen Augen h inter dicken Brillengläsern. Blinzelnd blickte er zu M iller hinüber. Das gedämpfte Geräusch einer fernen Detonation genü gte, um ihn aufspringen zu lassen. »Sir«, sagte er, »ich bin Upham.« »Ich habe gehört, Sie sp rechen Französisch und Deutsch.« »Ja, Sir«, antwortete Corporal Tim Upham, vierundzwanzig, Boston, M assachusetts. M iller trat näher. »Wie steht es mit Ihrem Akzent?«
80
Upham drückte den Steg seiner Brille, die auf seiner zu kleinen Nase h eruntergerutscht war, nach oben. »Nur wenig in Franz ösisch. M ein Deutsch ist gut, mit leichtem b ay erischem Akzent.« »Fein. Ich bin Cap tain M iller; Sie sind mir zugeteilt worden. Holen Sie Ihre Sachen.« »Sir?« »Wir gehen n ach Neuville.« Upham lächelte nervös und zeigte auf die Karte, die er wie ein Tischtuch vor sich ausgebreitet hatte. »Aber Sir, in Neuville sind doch die Deutschen.« »Davon habe ich gehört.« »Ziemlich viele sogar, soviel ich weiß.« M iller schaute den Jungen finster an. »Würde es Sie wundern, hinter der Frontlinie auf Deutsche zu stoßen, Corporal?« Upham wirkte entgeistert. »Sir, ich habe noch nie an einem Gefecht teilgenommen. Ich fürchte, ich würde Ihn en zur Last fallen, Sir. Ich b in Karto graph. Ich übersetze.« »Ich brauche einen Übersetzer.« »Ach so?« »M eine Übersetzer sind beide gefallen.« Upham, der ohnehin schon bleich war, wurde nun aschfahl. »Sir, ich habe seit meiner Grundausbildung keinen Schuß mehr abgegeben ...« »Das ist wie Fahrradfahren; man verlernt es nicht.« »Fahrradfahren habe ich auch nie gelernt. Sir ...« »Wo haben Sie Ihr e Sachen?« »Ich meine ... äh ... ich hole sie, Sir.« »Gut.« »Sir?« »Was denn noch?«
81
»Kann ich meine Schreibmasch ine mitnehmen?« »Ihre Schr eibmaschine?« »Ich schreibe gerade ein Buch, und ich ...« M iller starrte ihn nur an. Wollte der Junge sich über ihn lustig machen? Upham lächelte nervös. »Gut, dann vielleicht ... einen Bleistift?« M iller formte mit Daumen und Zeigefinger ein kleines »C«. »Nicht größer als so«, sagte er. Upham nickte bekümmert und verschwand, um seine Sachen zu holen. »Nehmen Sie es von der positiven Seite, Jun ge«, er munterte ihn M iller, als er zurückkam. »Stehen Sie es durch, das ist prima Recher chearbeit. Sp äter werden Sie ein paar gute Stories zu erzählen haben.« Upham schaute ihn nur an. M achte er Witze? »Los, geh en wir«, sa gte M iller und stieß ihn an. Die beiden ander en Corporals, die sich über ihre Karten kau erten, verzogen den M und zu einem dünnen Lächeln, das ihre Erleichterung verr iet. M iller seufzte und ging nach draußen, zurück in den Krieg.
7
Die Toten und Verwundeten waren schon lan ge fortgeschafft, die Wr acks beseitigt, Omaha Beach lag da wie ein weites Tableau, auf dem M ilitärgeschichte geschrieben wurde. Sperrballons schwebten über dem schräg abf allenden Sandstrand, auf dem überall Soldaten u mherschwärmten und stap elweise auf gehäuftes M aterial lag.
82
Direkt an der Küste war ein Trupp von geschäftigen Pionieren damit beschäftigt, die vor gefertigten Teile ein es der großen, künstlichen M ulberry -Häfen zusammenzubauen, die man bei dem trüger ischen Wetter über den Kanal geschlepp t hatte; Schiffskräne ließ en ihre randvoll gefüllten Netze in wartende DUKW-Amphibienfahrzeuge herab, Panzer und Bulldozer krochen schwerfällig über d en Sandstrand. Am Horizont, wo die See nun b lau und nicht mehr grau aussah, wachten Tausende von Schiffen aller Art, aus denen sich die Alliierte Armada zusammensetzte, während landeinwärts das Beben der Detonationen beharrlich daran erinnerte, daß trotz des gewal tigen M aterialeinsatzes die Schlacht noch nicht gewonnen war. Endlose Reihen von Fahrzeugen sch län gelten sich durch die Sanddünen, vom Strand weg. Unter ihnen war ein Jeep voller GIs - Captain M iller und seine siebenköpfige Einheit. M iller stand aufrecht im Wagen und wies den Weg, Ser geant Horvath hatte das Steuer üb ernommen, Corporal Up ham saß zwischen dem Ser geant und dem Cap tain, und hinten, eingeklemmt wie die Ölsardinen, dr ängten sich Wade, der Sanitäter, sowie die Privates Reiben, Caparzo, Jackson und M ellish. Der Jeep preschte voran, überholte verschiedene andere Fahrzeuge und vorrückende Inf anteristen und schien das Gros der amerik ani schen Armee langsam hinter sich zu lassen. Bald jagten sie in einer großen Staubwolke eine unbefestigte Straße entlang, durch eine sonnenbeschienene, fruchtbare Landschaft, wo in regelmäßigen Abständen das schmucke Steingebäud e eines Bauernhofes auftauchte. Links und rechts von dieser malerischen Strecke bot die Hinterlassenschaft des Krieges einen grotesken Anblick: zerschmetterte, ausgebrannte Fahrzeuge, Autos, Lastwagen, Anhän ger, sowohl deutsche als auch amerikanisch e, zurückgelassene Ausrüstung und Gefal lene, die man sor gsam hin gelegt und mit Bettlaken zugedeckt hatte. Hier und da lag ein totes Tier, ein Pferd oder eine Kuh
83
mit heraushängenden Ein geweiden, und der sanfte, im Laubwerk der Straßenbäume raschelnde Wind trug den Gestank von versengtem Haar, verbr anntem Fleisch, entleertem Gedärm zu ihnen herüber. Upham sog diese Eindrücke förmlich in sich auf, mit geweiteten Nasenlöchern und Augen, die hinter seiner Brille weit aus den Höhlen seines blassen Gesichts heraustraten. M it einer tadellos geputzten M1 im Schoß saß er eingequetscht zwischen dem Sarge und dem Cap tain, dem sowohl die heroischen als auch die furchtbaren Aspekte der Landschaft entgingen, d a er in eine auf gefaltete Karte vertieft war. Von der überfüllten Rückbank, wo die Soldaten, ab gehärtet durch den >Bloody Omaha Beach<, ohne besonder e Regung die Landschaft betrachteten, ertönte Reibens Stimme: »Cap tain, gestatten Sie mir eine Frage?« »Hängt von der Frage ab.« »Wo wollen Sie denn Private Ryan unterbringen, Sir? Die Kiste hier hat doch keinen Notsitz.« M iller, der immer noch die Karte studierte, gab keine Antwort. »Ich meine ja nur, Sir. Hier hinten ist es verdammt eng.« M iller schlug die Karte weiter auf, seine Augen verengten sich. Reiben ließ nicht locker. »Ich habe mich nur gefragt, ob Sie vielleicht damit rechnen, daß wir auf dem Rü ckweg mehr Platz haben.« M iller deutete auf eine Abzweigung links vor ihn en. Der Sarge, der der Anweisung des Captain folgte, fragte: »Haben wir zu irgend jemandem hier in der Gegend Funkkontakt?« »Die meisten Funkgeräte sind verloren oder ausgefallen«, sagte M iller. »Jemand hat M ist gebaut und denen, die noch übrig sind, d ie falschen Kristalle b eigelegt. Die paar, die noch funktionieren, werden von den deutschen Störsendern außer
84
Gefecht gesetzt. Wir müssen blind rein.« »Schöner Auftrag. M al wieder ein r ichtiger Sonntags spa ziergan g.« »So sieht's aus. Ein wirklich schöner Auftrag.« Upham räusp erte sich. »Ihr seid, äh, also alle Ran gers?« Reiben, Jackson und Cap arzo schauten zum Vordersitz, als hätte sich dort ein Insekt niedergelassen, als müßten sie jetzt die Frage klär en, ob es sich lohnte, es zu erschlagen. Wade blickte auf die vorüberziehend e Landsch aft. Je weiter sie ins Landesinner e vordrangen, d esto seltener wurden die Spuren des Krieges. »M ein Name ist Upham«, sagte Upham leutselig, schaute nach hinten und streckte die Hand aus, doch niemand reagierte. »Das heißt, Corporal Up ham ... aber ihr braucht mich nicht so anzureden. Ich weiß, daß im Kampf auf Formalitäten kein Wert gelegt wird.« Niemand antwortete ihm. »Ich will sagen«, fuhr Upham fort und schob mit nervösem Lächeln seine Brille auf die Nase, »ich weiß, daß die, äh, ganze militärische Etikette im Kampf lockerer gehandhabt wird ...« M ellish warf dem Neuankömmlin g einen durchdringenden Blick zu. »Es gibt nur ein en Grund, warum du mit von der Partie bist, Upham.« »Ich weiß. Als Übersetzer.« »Nein. Als Proviant. Für den Fall, d aß wir uns verirren oder daß wir die K-Rationen satt haben.« »Amen«, sagte Jackson, der sein Scharfschützengewehr wie ein Baby im Arm hielt. »Niemand wird den Corporal aufessen«, warf M iller beiläufig ein, während er noch immer d ie Karte studierte. »Das wäre ein Verstoß gegen die Genf er Konvention.« »Nicht einmal die Deutschen würden das tun, Corp oral«,
85
beruhigte der Sar ge Upham, wobei er trotz des höllischen Temp os den Blick von der Straße abwandte. »Wie der Captain eben gesagt hat, sie können dich zwar töten, aber sie können dich nicht aufessen. Das ist gegen das Gesetz.« »Übrigens«, fuhr M iller fort, »unser Upham hier sp richt Fran zösisch, und sein Deutsch hat einen bayerischen Einschlag.« Die M änner auf den Rü cksitzen zuckten mit den Schultern und schauten weg. Up ham zog sich wieder in sich selbst zurück wie eine Schildkröte in ihr en Panzer. Sie brausten weiter die Straße entlan g. Da der Wagen ab und zu in ein Schlagloch geriet, wurden sie ordentlich durch geschüttelt. Nach einer Weile beu gte sich Cap arzo nach vorne. »Cap tain, wo kommt denn dieser Ryan eigentlich her?« »Aus Iowa, Private Caparzo. Aus der Weite des M ittleren Westens.« »Iowa?« echote Reiben mit beißender Iron ie. »Na, wenn das so ist! Wer würde denn nicht gerne seinen Arsch riskieren, um einen blöden Far mer zu retten? Die Welt könnte den Verlust von so einem Stoppelhopser nicht verschmerzen, von d iesen Landeiern können wir ja gar nicht genug haben. Das wäre ein Schlag für die gesamte westliche Kultur.« »Kennst du Gleason von der Baker-Kompanie?« fragte Cap arzo Reiben. »Ja, das Arschloch kenne ich.« »Arschloch ist der richtige Ausdruck. Überall, wo es Stunk gibt, hat er seine Finger drin, wenn er nicht gerade in der Nase rump op elt.« »Gleason, der auf den Boden der Kantine gespuckt hat?« fragte M ellish. »Der Gleason?« »Der Gleason«, fragte Jackson, »der nicht zur Kirche geht?« »Genau diesen Vogel meine ich«, bestätigte Caparzo. »Ich bin mir ganz sicher, d aß der aus Iowa kommt.« »Wir sollen aber nicht Private Gleason rausholen«, sagte
86
M iller. Er zögerte, so als würde er einen M oment nachdenken. »Ich erzähle Ihnen jetzt was, das Sie eigentlich gar nicht wissen dürften.« Alle wandten sich M iller zu - sogar der Sar ge, was nicht unbedenklich war angesichts der Geschwindigkeit, mit der sie die löchrige Straße entlan gfegten, auf der sie nun ganz allein waren. Der Donner der Detonationen war immer noch zu hören - nicht allzuweit entfernt. »Ich konnte einen Blick in Ryans Dienstakte werfen«, sagte M iller. »M usterhaft.« »Das ändert natürlich alles«, meinte Reiben. »Aber«, fuhr M iller fort, »es waren auch seine High-SchoolZeugnisse beigelegt - er war der Beste in Staatsbürgerkunde und hat den Staatsbürgerp reis seiner Schule gewonnen ... zwei Jahre in Folge. Nun - ist es das nicht wert, daß Sie Ihren Arsch riskieren?« Upham wußte nicht, was er mit diesem trockenen Sarkasmus anfangen sollte, aber Reib en gin g sofort darauf ein. »War er au ch Pfadfinderführ er, Sir?« fragte der Priv ate. »Der jüngste in der Geschichte des Staates Iowa. Achtundvierzig Verdienstabzeichen.« »Jack Armstrong, der amerikanische Durchschnittsjunge«, sagte Reib en. »Den sollen wir raushauen.« »Sieht so aus.« »Allerdings soll dafür ein Beethoven geopfert werden.« M ellish konnte dem nicht ganz folgen, ebensowenig wie die anderen Insassen des Jeeps, außer Reiben selbst natürlich, der nun erläuternd hinzufu gte: »Beethoven, das bin in diesem Falle ich.« »Unter deinem Helm ist doch kein Platz für zwei Takte M usik«, widersprach Cap arzo. Reiben gestikulierte unbeholf en mit einer Hand, als wolle er ein Orchester dirigieren.
87
»Beethoven war der größte Komponist, der je gelebt hat, und dann wurde er taub. Kap iert ihr die Ironie, die darin liegt, he?« »Was, zum Teufel, ist denn >Ironie« fragte Caparzo. »Das nächste Dorf?« »Nein, du Schafskopf. Ironie, das ist, daß ich, der Beethoven des Stützkorsetts, nur ein paar Schritte entfernt von Caen bin, dem M ekka der Damenwäsche, und statt dessen nach Neuville fahren muß, um einen bescheuerten Farmersohn aufzuspüren, der wahrscheinlich schon längst die Radieschen von unten angu ckt. Das ist Ironie.« »Nehmen Sie's von der positiven Seite, Reiben«, sagte M iller. »Was für eine positive Seite sollte das denn sein? Sir, wissen Sie, wofür Neuville berühmt ist?« »Nein.« »Käse.« »Ach nee!« »Ausnahmslos alle fahren nach Caen, wo nur die heute nacht keinen geblasen kr iegen, denen er schon heute mor gen weggeblasen worden ist, und wir, die tap feren Überlebenden der Charlie-Kompanie, wir f ahren in die Käsemetropole Frankreichs, verflucht noch mal. Da gibt es einfach keine positive Seite, Sir.« »Alles hat eine gute Seite, Reiben.« »Ich höre, Sir.« »Also, erstens, ich mag Käse. Wann haben Sie denn das letztemal ein anständiges Stück gehabt? Käse, mein e ich.« Reiben blickte finster drein und drückte seine BrowningAutomatic an sich. Upham fragte M iller: »Sollten wir nicht besser einen Panzer haben für diesen Auftrag, Sir?« M iller erhielt kein e Gelegenheit, dar auf eine Antwort zu geb en - was er ohn ehin nicht getan h ätte -, denn als der Jeep um die nächste Kurve bog, hatte er plötzlich einen Stau
88
amerikanischer Fahrzeuge, Panzer, Bulldozer und Jeeps vor sich. Der Sar ge bremste, so daß der Wagen schleudernd zum Stehen kam. Durch die Staubwolke, die ihr Wagen aufgewirbelt hatte, kam ein First Lieutenant von der M .P. mit drei Soldaten auf sie zu, die hier am Straßenrand Verkehrsp olizisten sp ielten. »Lieutenant!« rief M iller. Der M .P. sah die Dopp elstreifen des Captain an M illers Helm, kam eilig herbei und beugte sich in den Jeep hinein wie eine Drive- in-Servier erin, die ein e Bestellun g aufn immt. »Sie können hier nicht weiterfahren, Sir. Die 88er feuern, was das Zeug hält.« »Wie sieht's auf der Straße nach Neuville aus?« »Reiner Selbstmord, Sir.« M iller wechselte einen Blick mit dem Sarge. Um ihre Augen und M undwinkel zuckte es, sie wußten, daß sie kein e Wahl hatten. Befehle von General M arshall mußten befolgt werden. »Lassen Sie uns durch, Lieutenant«, sagte M iller. »Sir ...« »Lassen Sie uns durch.« »Ja, Sir.« Der M .P. winkte sie durch, d er Sarge fuhr am Rand der Straße, halb auf dem Seitenstreifen, an der Schlange vorbei. Bald hatten sie die staubige Piste für sich allein. Oder doch beinahe. Über all auf der trichterübersäten Fahrbahn lagen brennende Trümmer, über den en ein Schleier aus Staub, Qualm und Rauch hin g. Sie brausten weiter, und der Sarge steuerte, ohne abzubremsen, erst um einen Jeep, dann einen zweiten herum, die beide ein en Volltreffer abbekommen hatten und nun als verbrannte, schwelende abstrakte Skulpturen die Straße blockierten. Dann röhrte der Jeep mit den GIs um einen umgestürzten, flammenspeienden amerikanisch en Truppentransp orter, der
89
wie eine aufgerissene Papiertüte dalag; er hatte die verkohlten Leichen und glimmenden Überr este von mindestens einem Dutzend Soldaten auf die Fahrbahn gespuckt. »Bosch stellt diese Dinger her«, b emerkte Upham, wie geb annt auf die alptraumartige Szenerie starrend. Niemand in dem Jeep verstand, was er damit meinte, außer M iller, dessen Gesicht jedoch kein e Regung zeigte. »Pst«, sagte M iller. »Ich habe ja gesagt, wir hätten einen Panzer mitnehmen sollen ...«, fuhr Upham fort. »Halten Sie d en M und, bitte.« Sanfte, grüne Hügel stiegen an beiden Seiten der Straße auf, über die M iller langsam seinen Blick schweifen ließ, um herauszubekommen, von wo die 88er-Granate, die den Truppentransp orter zerstört hatte, gekommen war. Der Sarge schaute zum Captain rüber. »Sehen Sie was?« »Nein. Drücken Sie bitte etwas auf die Tube.« »Warum hab en Sie das nicht gleich gesagt?« Und der Sar ge gab Gas, raste über die Schlaglöcher hinweg, knapp an Trichtern vorbei, so daß die Jungs auf der Rückbank wie Gummibälle hochsp rangen; sie hielten sich an der Bordwand und aneinander fest und hatten M ühe zu verhindern, daß sie oder ihre Waffen und ihre Ausrüstung aus dem Wagen geschleudert wurden. »Himmel«, schrie Caparzo auf, »dagegen sind die Achter bahnen von Coney Island doch ein Dreck!« Dann fuhren sie in einen Trichter, bei dem heftigen Sch lag brach das Fahrzeug beinahe entzwei, jede Schraube und jeder Bolzen ächzte, während Reiben wie auf einer Wip pschaukel in die Luft gehoben wurde und wieder in den Wagen zurück knallte. »Scheiße, verdammt noch mal!« heulte Reiben auf. »Ich bin
90
auf dem verfluchten Schanzzeug gelandet!« »Wir versuch en nur, Platz für Private Ryan zu machen«, bemerkte M iller, d er unverwandt zu den Hügeln hinüber blickte. Reiben, der etwas für schwarzen Humor übrig hatte, grinste und zog die Schaufel unter seinem böse gequetschten Hintern hervor. Als sie um die nächste Kurve bogen, sahen sie ein langes, ger ades Stück Straße vor sich, auf dem ein halbes Dutzend aus gebrannter, zertrümmerter Fahrzeuge lag. Dieser Anblick ließ keinen Zweifel dar an, welche Art von Sp ießrutenlaufen ihnen nun bevorstand. Der Sarge gab Vollgas, während alle - außer Corporal Up ham - nervös die umliegenden Hügel absuchten. »Cap tain«, sagte M ellish heiser und mit angestrengter M unterkeit, »mir ist da gerade was eingef allen ...« »Was denn, Private?« »Wir sind doch jetzt die Front. Die Speerspitze sozusagen. Die Vorhut. Wenn wir einen Schritt vorgehen, rückt die Front weiter. Kann man doch so sagen, Sir?« »Das ist richtig. Alle anderen sind hinter uns.« Der Sarge drosselte etwas die Geschwindigkeit und versuchte, den Einschlaglöch ern auszuweichen. »Und mit >alle anderen<«, fuhr M ellish fort, »da meinen Sie natürlich die anderen hundertfünfzigtausend GIs mit ihren viertausend gepanzerten Fahrzeugen, der gesamten M unition, den Vorräten. Stimmt's, Sir?« »So ist es.« »Wollt' ich nur wissen, Sir.« Das unverkennbare Kreischen einer heransausenden 88er Granate schien genau auf sie zuzukommen. Das Geschoß schlug rechts hinter ihnen ein und riß, eine Fontäne aus Erde und Steinsp littern aufwirbelnd, einen neuen Trichter auf, aus
91
dem her aus schmutzig-schwarze Rauchfin ger nach dem Jeep griff en. »Sarge?« stieß M iller zwischen zusammengeb issenen Zähnen hervor. Der Sar ge b eschleun igte das Tempo wieder und kümmerte sich nun nicht weiter um die Einschlaglöcher; alle versuchten, sich so gut es ging f estzuhalten, während das kleine Fahrzeug schleudernd, bockend, bein ahe fliegend weiterschoß. Dann pfiff eine weitere Granate h eran, d ie kn ap p vor ihnen detonierte. Die Erde schien zu beben, als sie direkt auf den schwarzen Rauchp ilz zufuhren, der mit Staub, Dreck und Steinen vermischt war. Irgendwie schaffte es der Sarge, um dieses neue Höllenloch herumzusteuern, und sie stießen aus dem Rauch und dem Staub hervor wie ein Flugzeu g aus einer Wolke. »Haben Sie sie gesehen?« fragte der Sarge den Captain. M iller hatte das Mündungsfeuer bei den Hügeln ausmachen können. Jetzt aber wandten seine Augen sich einer anderen bewaldeten Anhöhe zu, die vielleicht einen Kilometer abseits der Straße lag - eine mö glich e Deckung, die zudem außerh alb der Reichweite des Geschützes lag ... »Verflucht«, sagte M iller. »Die haben sich auf die Straße eingeschossen ... wir sind hier wie auf dem Präsentierteller!« M iller wies mit dem Kinn nach links, auf ein brachliegendes Feld. »Suchen wir uns einen anderen Weg!« Der Sar ge riß das Steuer herum, und der Jeep schoß über die Böschung am Straßenrand hinweg, wobei beinahe alle herausgeschleudert wurden; aber irgendwie gelan g es ihnen doch, sich auf dem Rücken ihres bockenden Bronco zu halten, sie klammerten sich fest und machten sich auf den wirklich harten Teil ihres Ritts gefaßt. Das Getriebe des Jeep s knirschte, als der Sarge auf das brachliegend e Feld steuerte, wo das Fahrzeug bald üb er das holp rige Gelände dahinfegte.
92
Schon riß die nächste kreischende Granate in einer Fontäne aus Erdbrocken und Steinen das Ackerland auf und ließ die Erde wie unter dem Stiefel eines Riesen erbeben. Eine Rauchfahne jagte hinter ihnen her, und ohne im geringsten die Geschwindigkeit zu drosseln, versuchte der Sar ge sein Bestes, um die größten Löcher und die unangenehmsten Erdbuckel zu umkurven; manchmal gelan g es ihm sogar. Links von ihnen schlu g eine weitere Granate ein. Ein Regen aus Erdklump en hämmerte wie Hagelsturm auf den Jeep herab und überzog sie mit Schmutz. Sie bedeckten ihr e Gesichter, aber nicht ihre Augen, um sich vor dem Dreck und d em Rauch zu schützen; Up ham hustete. »Verflucht, die schießen sich ein!« schrie d er Sarge. »Die könn en was, die Scheißkerle!« Schon erschütterte die nächste Detonation den Boden, kippte den Jeep rechts hoch, so daß er eine Weile nur auf den linken Rädern fuhr, und ließ ihn hart zu Boden fallen. Wieder er goß sich ein Regen von Erdbrocken und Splittern über das Fahrzeug und seine Insassen. »Versuch en Sie es im Zickzack«, befahl M iller dem Sarge. Horvath tat, was von ihm verlangt wurde, und fuhr, ohne die Geschwindigkeit zu vermindern, weite Kurven. Das M anöver schien zu glücken, bis sie sich in einer Schlangenlinie einem Bewässerun gsgraben genäh ert hatten. Der Sarge versuchte ein Ausweichmanöver, riß das Steuer herum, bremste, aber es reichte nicht mehr : der Jeep kippte vornüber und seine Schn auze versank zur Hälfte im Schlamm, wodurch sie so abrupt zum Stillstand kamen, daß Reiben, Up ham und Wad e und M ellish wie Spielzeugsoldaten in verschiedene Richtungen aus dem Wagen flogen und unsanft auf der Erde landeten. Keiner von ihnen war ernstlich verletzt. Jackson, Caparzo, M iller und Sar ge, die es geschafft hatten, sich im Wagen zu halten, waren mehr durchgeschüttelt worden als ihre Kameraden, die es hinausgeschleud ert hatte. Noch betäubt von
93
dem plötzlichen Ende ihrer Fahrt, saßen sie wie erstarrt um den Jeep herum, der mit der M otorhaube im Graben steckte. M iller, der sich als erster wieder f aßte, sprang aus dem Wagen und begutachtete ihn flüchtig. »Er ist in Ordnung«, sagte er. »Der Boden ist weich ...« Das heulende Kreischen einer 88er ließ alle in Deckung gehen; die Explosion erfolgte ganz nahe, r iß die Erd e vielleicht dreißig M eter entfernt von ihnen auf und ließ einen milden Schauer aus Erdpartikeln auf sie herabregnen. »Sar ge«, rief M iller, der in den flachen Graben hinabgestiegen war und seine Schulter gegen den Jeep warf. »Rückwärts!« Der Sar ge schüttelte sich, um einen klar en Kopf zu bekommen, und legte den Rückwärtsgang ein. Die Räder begannen durchzudrehen, während M iller sein e Fersen gegen den Boden stemmte und auf der Seite, von der die Granaten kamen, das Fahrzeug zu schieben versuchte. »Los, ihr faulen Hunde!« schrie M iller die M änner im Jeep und die anderen an, die heraus gepurzelt waren und sich gerade mühsam erhoben und den Staub von ihren Uniformen abklop ften. »Wollt ihr fahren oder laufen?« . Noch betäubt, gruppierte sich M illers Einh eit - außer dem Sar ge natürlich, der am Steuer saß - zu beiden Seiten des Jeep s, und alle warfen sich mit der Schulter gegen den Wagen und gaben ihr Bestes, um das verdammte Ding fr eizubekommen; aber wie zum Hohn drehten die Räder weiter durch. Alle duckten sich schutzsuchend, als die nächste 88er heranheulte und ein en weiteren Krater in das zerfurchte Feld riß. Dieses M al jedoch war die große Granate rechts von ihnen detoniert, wieder nur un gefähr dreiß ig M eter entfernt. M iller beachtete sie gar nicht, stemmte die Beine erneut in den Boden und drückte mit der Schulter gegen den Jeep. »Cap tain«, sagte der Sarge, die Hände fest um das Steuer
94
gek lammert, mit ängstlichem Blick. »Die haben uns in der Zange ...« »Ich weiß, was das bedeutet«, sagte Upham, trat vom Jeep zurück und lief hektisch im Kreis herum, »ich hab e schon viel darüber gelesen ...« Die anderen kümmerten sich nicht um den Corporal, sondern halfen ihrem Captain, der nun den Sergeant anwies, erst vorund dann wieder zurückzufahren, um eine schaukelnde Bewegung zu erzeu gen. »Glaubt mir«, sagte Up ham, »die nächste Granate wird uns treffen!« M iller ließ sich nicht beirren, und alle legten sich ins Zeug, schließlich sogar Upham. Aber die Nervosität des Corporal wirkte ansteckend, und alle außer M iller suchten in Erwartung der nächsten heranheu lenden Granate den Himmel ab. »Cap tain ...«, begann der Sarge. »Schiebt!« befahl M iller, und seine M änner gehorchten ihm. Sie machten Fortschritte; der Jeep war schon beinahe aus dem Graben heraus. »Äh, Captain«, rief der Sarge, als das Kreischen der Reifen das Geräusch der nächsten Granate vorwegzunehmen schien. Wade, d er an der Seite des Jeeps schob, lan gte in den Wagen und griff nach seiner Sanitätertasche unter dem Sitz, die er sich fest unter einen Arm klemmte. »Jesus Maria«, jammerte Upham, den Tränen nahe, »sie wird jede Sekunde einschlagen ...« Als der Jeep diesmal hochschaukelte, verlor er den Boden kontakt und sank dann tiefer als zuvor in den Dreck. »Scheiße!« schrie M iller, und in diesem M oment heulte auch schon die Granate heran, dir ekt auf sie zu. Es blieb keine Zeit mehr. Der Captain schnappte sich seine Thomp son vom Boden und rief: »Weg! W eg! Nich ts wie weg!« Sie griffen sich vom Jeep , was sie gerade erwischen konnten,
95
Waffen, Ausrüstung, egal was, und stoben auseinander, rannten davon, versuchten verzweifelt, kostbare M eter Abstand zu gewinn en. »Runter!« rief M iller, und sie gehorchten, warfen sich flach auf den zerfurchten Boden, aus dem k lein e Staubwolken aufstiegen, als die Gran ate heranheulte und einschlug. Volltreffer. Es sah so aus, als würde ein e Bestie den Jeep in ihr M aul nehmen und ihn schütteln; der Wagen wurde von einer gewaltigen Explosion zehn M eter hoch in die Luft geschleud ert und stürzte als brennendes, p lattgedrücktes Wrack wieder zur Erde. Nur knapp außerhalb des Detonationskreises liegend, spürten die M änner, wie die Erde erzitterte, und hielten ihre Helme fest, während eine Sturzflut von M etallteilen, Erde, Steinen und Trümmern sie zu begraben drohte. Langsam hoben sie die Köpfe und richteten sich auf, ihr Blick wanderte zu dem glühenden, flachen M etallhaufen, d er ihr Wagen gewesen war. »Wenigstens ist das Scheißding jetzt aus dem Graben raus«, bemerkte Caparzo. Ein vertrautes, unheilvolles Hüsteln - das verglichen mit dem Bellen der 88er geradezu harmlos klang - brachte M iller und seine Leute so schnell auf die Beine, daß der Dreck ganz von selbst von ihnen abfiel. »Jetzt kommen die Granatwerfer!« schrie M iller, ein überf lüssiger Kommentar, denn alle, außer Upham vielleicht, hatten das trockene Poff-poff-p off-poff erkannt und rannten so schnell sie konnten in Richtung der schützenden Bäume. »M ama hat mich ja gewarnt, daß mir mal so was blühen würde!« rief Reiben im Laufen. Die acht M änner sausten über das offene Feld, während um sie herum schwache Detonationen einsetzten. Alle wußten, daß aus den explodierenden Granaten pfeifende Sp litter seitlich
96
nach oben flogen, ein trichterförmiger Regen, der im schlimmsten Fall den Tod und im günstigsten schmerzhafte Verwundungen bedeutete. Up ham strauchelte und stürzte, aber M iller pflückte ihn wie eine Blume vom Boden und zog ihn halb bis zum Rand des Feldes, wo die Bäume standen. Nacheinander brachen sie in d as Unterholz, rissen Äste und Zweige mit sich, und erst nachdem sie etwa zwanzig M eter in den Wald h inein gelaufen waren, hielten sie an. Das Husten der Granatwerfer verstummte bald darauf. M illers M änner hatten sich kreuz und quer in eine Senke geworfen oder lehnten schwer atmend an Baumstämmen. »Jemand getroffen?« fragte der Sar ge. Keine Antwort. »Niemand?« Der Sar ge sch aute sich ungläub ig um. »Nicht mal ein e Schrap nell-Wunde?« Upham hielt die Hand vors Gesicht. »M eine Nase blutet ein wenig ... Aber ich bin stolz darauf ...« Alle rapp elten sich auf und blickten einander reihum an wie Gesp enster, die sich gegenseitig erschrecken. M it der Angst und der Erregun g fiel langsam au ch die Verwirrun g von ihnen ab. »Keiner getroffen«, stellte M iller fest. »Gut.« Immer noch keu chend begutachteten die M änner ihre Körper und stellten fest, daß nichts fehlte und alles an seinem Platz war. Alle hatten auch noch ihre Waffen; ein Teil der Ausrüstung jedoch war auf d em Jeep zurückgelassen worden oder auf der Flucht verlor engegangen. »Ein Wunder ist das«, sagte Wade leise, immer noch seine Sanitätertasche umklammernd. Wenn das ein anderer als Wade gesagt hätte, wäre es sicher mit Gelächter quittiert worden. Sie wußten alle, daß er recht hatte, wenn man bedachte, wie viele Schrap nells ihn en um die
97
Ohren gef logen waren. »Auch wenn ich wandern muß in finsterer Schlu cht«, rezi tierte Jackson gedehnt, »ich fürchte doch kein Unheil. Danke, O Herr. Von jetzt an bis in Ewigkeit, Amen.« »Vielleicht hatten wir ja einen Schutzengel«, fuhr Wade fort. »Vielleicht bringt uns Private Ryan Glück.« Reiben schaute hinaus aufs Feld, wo das qualmende, zerschmetterte Wrack ihres Jeeps lag. Er schüttelte den Kopf. »Laßt uns diesem Farmersohn nicht so voreilig danken«, meinte er grinsend. »Immerhin müssen wir wegen ihm den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen.«
8
Der Cap tain führte seinen Trupp durch das bewaldete Hügelgelände, bis sich schließlich ein ländliches Panorama vor ihnen öffnete, das noch völlig unberührt vom Krieg sch ien. Nirgends war hier die Erde von 88er-Granaten zerwühlt, nirgends sah man jen e auf ger issenen Stellen, die auf Land minen hindeuten. Was aber n icht bedeutete, daß unter dem friedlich wirkend en Weideland mit den grasend en Kühen keine M inen verborgen waren; die k lein en, tödlichen Willkommens geschenke der Deutschen lauerten fast überall in dieser Gegend. »Bildet eine Kolonne und folgt mir«, wies M iller die M änner an. »Achtet auf unsere Flanken.« »Jawohl, Sir!« rief Upham und salutierte. M iller verdrehte die Augen, und die anderen schüttelten die Köpfe. Wie hatte dieser Idiot nur bis zu diesem Nach mittag überleben könn en?
98
M iller bewegte sich langsam und vorsichtig über die Weide, wobei er von einem Kuhfladen in den nächsten trat, als würde er über Trittsteine gehen. »Igitt, wie eklig«, sagte Upham, dessen Stiefel im Dung versanken. Hinter dem Corporal machte Reiben, der ebenfalls von einem Haufen in den nächsten trat, obszöne Bemerkungen und r ief dann dem Captain zu: »Äh, Sir - vielleicht haben Sie es ja noch nicht bemerkt, aber wir stecken hier bis zu den Knien im gestrigen M ittagsmahl der Kühe. Da am Rand der Weide sind Bäume - sollten wir vielleicht nicht besser dort lan ggehen?« »Nein«, sagte M iller. »Haltet euch an den Dung.« »Cap tain, ich habe das Gefühl, er hält sich eher an mich!« »M acht es so wie ich. Ihr alle.« Die M änner wechselten Blicke, es dämmerte ihnen, daß ihr Cap tain absichtlich in die Kuhfladen trat. Caparzo kniff die Augen zusammen und versuchte diese Taktik zu begreifen. Schließlich rief er aus: »Ich hab 's - die Kühe wissen, wo die M inen sind. Sie haben eine Art sechsten Sinn oder so etwas.« »Klar!« sagte M ellish hinter ihm, beeindruckt von dieser bestechenden Logik. »Die Natur stattet alle wehrlosen Geschöpfe mit ein em Verteidigungssystem aus.« Die M änner traten vorsichtig von einem Dunghaufen in den nächsten. Einige waren so frisch, daß sie Blasen warfen. Vorne sagte Reiben: »Das verstehe ich nicht ... wenn sie den sechsten Sinn haben und Landminen orten können, warum lassen sich die blöden Viech er dann widerstandslos ins Schlachthaus treiben?« »Blöde Viecher ist richtig«, r ief der Sarge von hinten. »Ihr lauft in der Kuhscheiße, also lauft ihr genauso wie die Kühe. Keine dieser Kühe ist bislang zu Hackfleisch geworden, also werdet ihr >wehrlosen Geschöpfe< es wohl auch nicht ...
99
das ist der ganze >sechste Sinn<.« M iller, der dies gehört hatte, sagte: »Kühe haben vielleicht nicht den sechsten Sinn, aber sie sind von Natur aus sehr neugierig ... schaut sie euch nur an.« Die statuenhaft dastehenden braun-weißen Kühe hatten langsam die Köp fe nach den GIs gedreht, die ihre Weide überquerten, und schauten sie mit großen Augen an. M iller trat in den nächsten saftigen Fladen und blickte sich grinsend zu seinen M ännern um. »Sie warten darauf, gemo lken zu werden. Jemand von euch durstig?« Nachdem sie die Weide überquert hatten, kamen sie zu einer jener typ ischen hohen Hecken, wie man sie üb erall in der Normandie findet. Hinter jeder von ihnen konnte der Tod lauern. Das saftiggrün e Gewirr aus Ranken, Zweigen, Wurzeln und Stämmen auf dem knapp zwei M eter hohen Erdwall war praktisch undurchdringlich. Sie err eichten die einzige Lücke im Gebüsch, durch die der Bauer, dem die Weide gehörte, sein Vieh und seine Acker geräte hinein- und hinausbrachte; jenseits dieses Durchlasses erblickten sie einen schmalen Feldweg, der zwischen dieser und einer p arallelen Heck e verlief. So wie der Weg zwischen den Hecken eingebettet war, stellte er p raktisch einen Grab en dar, den man sicher p assieren konnte - sofern die Deutschen den Ausgang n icht im Visier eines M aschinen gewehrs hatten. Als M iller vom C.O. sein e Instruktionen erhalten hatte, war er auch über diese besondere Gef ahrenquelle informiert worden und hatte entschieden, ihr auf seine Weise zu begegn en. »Runter mit euch«, rief der Captain seinen M ännern zu, als sie sich dem Durch gan g in der Hecke näh erten. »Ist es okay, wenn wir uns ausnahmsweise nicht in einen Kuhfladen legen?« fragte Reiben. »Bleibt unten, falls es Gegenfeuer aus den Büschen gibt«,
100
sagte M iller. »Wieso >Gegenfeuer< ?« fragte M ellish Reiben, als sie und die ander en flach im Gras lagen. Ihr Cap tain trat einen Schritt in die Öffnun g hinein und ließ seine Thompson sp rechen. Hülsen flogen durch die Luft, als er die tödliche Waffe, deren M ündung Feuer und Projektile ausspuckte, herumschwenkte, so daß sie in einem weiten Bogen wie mit einem Hackmesser große Löcher in die gegenüberliegende Hecke riß. Eilig und in geduckter Haltung kam M iller zurück und warf sich zu Boden. Und wartete. Zehn oder fünfzehn Sekunden ver gin gen, bevor M iller wieder aufstand: »Kein Gegenfeu er - scheint sauber zu sein - alles aufstehen.« Und die M änner, die einander mit wildem Blick anstarrten, während ihnen d er Pulverdampf in die Nase stieg, erhob en sich und folgten ihrem Captain auf den schattigen, heckengesäum ten Weg. »M anchmal habe ich d en Eindruck, der Captain will sich unbedingt das Hölzerne Kreuz verdienen«, bemerkte Reiben. »Der Kerl ist verhext, sage ich euch«, meinte Cap arzo. »Der Herr ist mit ihm«, psalmodierte Jackson feierlich und ged ehnt. M iller ging mit seiner Thomp son im Anschlag die Straße hinunter, wobei ihm sein Trupp vorsichtig folgte. Die Soldaten hatten sich in zwei Grupp en von je drei M ann aufgeteilt; der Sarge b ildete das Schlußlicht. Trotz des kühlenden Schattens rann den erschöp ften M ännern in den dicken Uniformen, die ihre schwere Ausrüstung durch die Junihitze schleppten, der Schweiß h erunter. Der bedauernswerte Upham, der die Auf gabe erhalten hatte, die M unition für Reibens Browning-Automatic zu tragen, war wie ein Packpferd beladen; da schien es nur allzu p assend, daß er sich der Pferdebremsen erwehr en mußte. Nur selten öffneten
101
sich die Hecken zu den Feldern, ab er immer, wenn sie sich einer solchen Stelle näherten, verlan gsamten sie das Tempo und schauten sich vorsichtig um. Zwischen d en Durchlässen unterhielten sich die M änner leise. Sie versuchten sich die Zeit zu verkürzen und ihre gefähr liche Lage erträglich zu gestalten, indem sie sich dem menschlichen Bedürfnis nach Konversation hingaben. »Also, äh«, wandte sich Up ham an M ellish, »wo kommst du denn her?« »Laß mich in Fried en.« Upham schluckte. Fehlanzeige bei M ellish. Er verscheuchte eine Pferdebremse und versuchte es bei Cap arzo. »Und du? Woher kommst du?« »Halt die Klap pe, Blödmann«, sagte Caparzo und spuckte zur Seite. »Und no ch etwas: Jedesmal, wenn du vor dem Captain salutierst, klebst du ihm eine dicke fette Zielscheibe auf den Rücken. Also laß das gef älligst bleiben ... vor allem, wenn ich neben ihm stehe.« »O - okay«, stotterte Upham und setzte ein scheues Lächeln auf. »Fehler sind dazu da, um aus ihn en zu lernen, sage ich immer.« »Halt's M aul.« Von hinten kam eine freundlichere Stimme, d ie von Wade: »Ich habe gehört, du schreibst. Über was denn, Corporal?« Trotz seines schweren Gepäcks schaffte es Upham, mit den Schultern zu zucken. »Weiß ich inzwischen gar nicht mehr.« »Aha?« »Ich wollte über die Bande der Kameradsch aft schreiben, die sich zwischen Soldaten im Kampf entwickeln.« Cap arzo raunte Upham zu: »He Upham, du Scheißer, frag doch mal d en Captain, woher er kommt.« »Warum denn ?« Die M änner, die mit Upham den von grünen M auern
102
gesäumten, schattigen Pfad entlangwanderten, fingen an zu prusten. »Warum denn n icht?« »Kleiner Scherz unter Privates«, sagte M ellish. Upham bemühte sich, Entrüstung zu zeigen. »Hey, ich gehöre auch zu dieser Einheit.« »Ja, schon«, sagte Caparzo, »aber du bist kein Private.« Upham entschied sich, fürs erste nichts mehr zu sagen und weiterzutrotten. Reiben schloß zu M iller auf. »Hören Sie mal, Captain, diese hübsche kleine Exp edition verstößt gegen alle Regeln, die ich bei der Army gelernt habe.« »Wieso denn?« »Ich meine, das alles macht doch keinen Sinn.« »Was macht kein en Sinn, Reiben?« »Rechnerisch, Sir, rein rechnerisch gesehen. Vielleicht kön nen Sie es mir erklär en.« »Klar«, sagte M iller beiläufig, was völlig im Kontrast zu der Art stand, in der er sein M aschinen gewehr hielt. »Dafür bin ich ja da. Damit ihr Jungs immer begreift, daß alles seinen Sinn hat.« »Geben Sie mir eine Chance, Cap.« »Was wollen Sie denn wissen?« »Tja, nun, Sir, wenn man das streng mathematisch betrachtet, welchen Sinn hat das, was steckt da für eine Strategie dahinter, acht M enschenleben zu riskieren, um eines zu retten? Wir sind doch hier nicht unterwegs, um Eisenhower oder Patton rauszu hauen. Der Ker l ist doch schließlich nur ein ganz gewöhnlicher Private, Sir, noch d azu ein Landei.« »Und wir scheinen ja alle zu wissen, daß Privates und Land eier nichts wert sind.« Reiben grinste. »M eine eigenen Eier sind mir jedenfalls wichtiger. Aber wie
103
steht's mit der Sache, Cap? Krieg ich 'ne Antwort?« M iller warf einen kurzen Blick nach hinten und sagte: »Will vielleicht jemand von euch darauf eine Antwort geben?« »Herrgott, Reiben«, rief Wad e wie aus der Pistole geschos sen, »denk doch mal an die M utter von dem armen Kerl.« »Sehr gut, Wade«, sagte M iller erfr eut, so als würde er seinen Klassenprimus loben. »Ausgezeichnet.« »Hey«, gab Reib en zurück, »und was ist mit meiner M utter, Wade? Oder mit deiner? Wir haben alle M ütter, du, ich, der Sarge, so gar unser Scheißer hier, Corp oral Upham.« Reiben fiel es gar nicht so leicht, mit M iller Schritt zu halten. »Cap tain, ich wette, sogar Sie h aben eine M utter.« M iller schmunzelte, ohne jedoch den Blick von der Straße und den Hecken auf beiden Seiten abzuwenden. »Na schön«, sagte Reiben nachdenklich, »wir anderen jeden falls haben M ütter.« »>Nicht zu denken ist ihr Los<«, rezitierte Upham leise und bedrückt, »>sie müssen tun und sterben bloß. <« M iller, der als einziger wußte, woraus das Zitat stammte, warf Upham einen Blick zu. »Was soll das denn heißen?« fragte M ellish ger eizt. »Daß wir alle dr aufgehen ?« »Gar nichts«, sagte Upham. »Hat nichts zu bedeuten.« »Er redet von Pflicht.« M iller erhob ein wenig die Stimme. »Er sagt, daß wir Befeh le haben. Und diese Befehle wichtiger sind als alles andere ... einschließlich eurer M ütter.« »Auch wenn man findet, daß der Auftrag >fubar< ist?« fragte Reiben. »Gerade dann, wenn du denkst, daß der Auftrag >fubar< ist«, antwortete M iller. »Das ist die Definition von Pflicht.« Upham riskierte eine Frage an M ellish. »Was h eißt denn >fubar«
104
M ellish blinzelte Caparzo zu und erwiderte dann, ohne eine M iene zu verziehen: »Das ist ein deutsches Wort. Es wundert mich, daß so ein Übersetzer-As wie du es nicht kennt.« »Ein deutsches Wort? Habe ich noch nie gehört.« Da mischte sich auch Jackson in die Unterhaltung ein. »Sir, ich habe meine eigene Ansicht zu der Sache.« »Schießen Sie los«, sagte M iller, »nur zu.« »Ich glaube, Cap tain«, sp rach Jackson in seinem besänftigenden getragenen Ton, »daß d ieser ganze Auftrag ein e grobe Verschwendung wertvollen militärischen M aterials ist.« »Weiter, Private.« »Nun, Sir, so wie ich das sehe, hat mich Gott mit einer besonderen Gabe ausgestattet, ich kann nämlich eine Fliege auf hundert M eter Entfernung treffen. Der Herr hat mich sozusa gen zum Fein mechaniker im Kriegshandwerk gemacht.« »Reiben«, sagte M iller zu dem Private, der neben ihm gin g, »passen Sie mal auf... So macht man das, wenn man sich beschweren will. Jackson! Weiter.« »Was ich sagen will, Sir, wenn man mich mit meiner Spring field ir gendwo bis auf anderthalb Kilometer an Hitler ranlassen würde und ich freies Schußf eld hätte ... na dann, Feuer fr ei. Der Krieg wär e gelaufen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.« Reiben schaute den Captain neugier ig an; schließlich fragte er: »Und Ihre M einung, Captain? Sie haben mir immer noch nicht meine Frage beantwortet. Ich habe fast den Eindruck, Sie wollen mir keine Antwort geben.« M illers Gesichtsausdruck zeigte gutmütigen Widerwillen. »Reiben, was ist nur mit Ihnen los? Ich werde mich doch nicht bei Ihnen beklagen. Ich bin Captain. Es gibt da bekannt lich so was wie die Befehlskette. Beschwerden gehen nur in eine Richtung - nach oben. Nur nach oben, nie nach unten.« »Ich wollte ja nur Ihre M einung hören, Sir ...«
105
»Die Sache funktioniert so - ihr beschwert euch bei mir, und ich beschwere mich bei meinen vor gesetzten Offizieren. Scheiße schwimmt gegen den Strom, habt ihr verstanden? Aber ich mecker e n icht an euch rum, und ich beklage mich nicht bei euch. Wie lange sind Sie schon bei der Army?« »Sie haben recht, Sir«, gab Reiben zu. »Es tut mir leid.« Verschmitzt fugte er hinzu: »Captain, wenn Sie aber gar kein Cap tain wären, oder wenn ich, sagen wir mal, ein Major wäre ... was würden Sie dann sagen?« M iller dachte nach, wobei er die grünen Hecken keinen M oment aus den Augen ließ. »In diesem Fall würde ich sagen, das ist ein aus gezeichneter Einsatz, Sir, der ein auß erordentlich wichtiges Ziel hat, Sir, für das ich all meine Kraft einsetzen werde, und es ist mir eine Ehre, in dieser Sache meinem Land dienen zu dürfen ... Sir.« Reiben verdr ehte die Augen, schüttelte den Kopf und grinste. »Nicht nur das«, fuhr M iller ruhig, beinahe feierlich, fort, »ich fühle mich der M utter von Private James Ry an aufs tiefste verbunden, und ich brenne geradezu dar auf, für diese Sache mein Leb en und das Leben meiner M änner zu opfern ... und ganz besonders Ihres, Reiben ... um ihren Schmerz zu lindern.« Die M änner hinter ihm hatten viel Spaß an dieser kleinen Vorstellung, sie lachten und klatschten sogar ein wenig, au ch und vielleicht gerad e - Upham. Reiben jedoch, der M eister des Sarkasmus, war verwirrt, wußte er doch nicht, ob er die Worte seines Cap tain für bare M ünze nehmen sollte oder ob er sich eingestehen mußte, daß M iller ihn auf seinem eigenen Gebiet gesch lagen hatte.
106
9.
Nördlich von Sainte-M ere-Eglise - in den umliegenden Hügeln grollte der Donner mittelschwerer Artillerie, und gelegentlich wurde die Spätnachmittagsstimmung von Kleinkaliber-Feuer und Granatenexplosionen unterbrochen lag das Dörfch en Neuville-au-Plain. Vor kurzem noch eine malerische Touristenattraktion, war es jetzt in einen Schutthau fen verwandelt. Ein- und zweigeschossige steinern e Wohnhäuser und sonstige Gebäude, die jahrhund ertelan g der Witterung und der Benutzung durch M enschen standgehalten hatten, lagen in Trümmern. Andere Bauwerke standen nur noch zur Hälfte; hier war eine M auer weggesprengt, dort ein Dach eingestürzt. Holz, Steine und Trümmer bedeckten die Kop fsteinp flaster straße, über die Captain M iller seinen Trupp dirigierte. Vor ihnen lag eine halb weggeschossene M auer, hinter der sich ein sporadisch aufflackerndes Feuergefecht abspielte. M iller winkte seinen M ännern, ihm zu folgen und sich so dicht wie möglich an der M auer entlangzubewegen. Als M iller um die Ecke spähte, sah er, wie gerade eine Handvoll Dorfbewohner über die von Verwüstung gezeichn ete Straße eilte. Allem Anschein nach war es eine Familie: Vater, M utter, vielleicht eine Tante und mehrere Kinder, alle mit dem benommenen Gesichtsausdruck von M enschen, die gerade ein Erdbeben überlebt hatten. Unwillkürlich rührte M iller diese er greifende Szene aus dem nor malen Leb en. Diese alltäglich gekleideten Zivilisten hatten nichts gemein mit seiner von Olivgrün gep rägten Welt - der M ann im dunklen Anzug, d ie beiden Frauen in f arbenfrohen Kleidern, das M ädchen mit kurzem Rock und der Junge in weißem Hemd und kurzen Hosen -, und M iller war erleichtert, als die kleine Familie wohlbehalten in
107
ein halbzerstörtes Gebäude auf der anderen Straßenseite gelan gt war. War das ihr Haus, oder besser, was davon übriggeblieben war ? War dieses Dorf durch feindliches Feuer zerstört worden, oder hatte ihre eigene Artiller ie es in Schutt und Asche gelegt? Er zog den Kopf genau in dem M oment zurück, als eine Kugel ein Stück aus dem M auerstein neben seinem Kop f heraussprengte. Zuvor aber hatte sich M iller im Geiste eingep rägt, wo die mögliche Schuß linie des Heckenschützen verlief, in der amerikanische Fallschirmjäger - sicher von der 101. - hinter Hauseingän gen und Trümmern in Deckung lagen und sich dann und wann mit dem unsichtbaren Feind ein Feuergefecht lieferten. »Donner«, brüllte M iller. Einen Au genblick sp äter folgte die Antwort: »Blitz! Kommt riiber!« M iller schaute sich zu seinen M ännern um. »Wenn ich eu ch rufe, rennt ihr los, immer nur ein er. M acht's wie beim Geländelauf, Jungs, immer im Zickzack.« Die M änner nickten, M iller atmete tief durch und lief los, so schnell und mit so unberechenbarem Kurs, daß die Kugeln der Deutschen immer ein Stück hinter ihm einsch lugen. Sekunden später schon hatte er in einem Hausein gan g Deckung bezogen. Upham, den p raktisch nur noch die Bewunderung für seinen Cap tain aufrecht hielt, war bei M illers M anöver leichenblaß geworden. Jackson, der das bemerkte, meinte: »Keine Sorge, Junge. Die können den Captain gar nicht kriegen.« »Von wegen!« erwid erte der Sar ge. »Doch, da hat Jackson wirklich recht, Sar ge«, mischte sich Reiben ein. »Das ist irgendwas Übernatürliches, oder vielleicht hat es auch was mit Wissenschaft zu tun. Ich kann's mir jedenfalls nicht erklären, aber ich hab's selbst gesehen. Als ob
108
er ein M agnetfeld um sich hätte und die Kugeln einfach abprallen würden.« »Ja, haben wir alle schon gesehen«, sagte Caparzo. Er gr inste und schüttelte den Kopf. »Der hat neun Leben oder so. Jedenfalls br aucht er keine ku gelsicher e Weste - der ist kugelsicher. Wie läßt sich das sonst erklären ...« »Niemand ist kugelsicher«, widersp rach der Sarge. Diese M ischung aus Bewunderung und Flapsigkeit behagte ihm gar nicht. »Redet euch doch nicht so ein en Scheiß ein. Niemand ist kugelsicher!« Auf der ander en Straßenseite k am M iller geduckt aus d em Hauseingang hervor und lief in gebückter Haltung den Häuserblock entlan g, so daß es den Anschein hatte, er ließe sich von der Thompson, die er in den Händen hielt, fortziehen. Schließlich verschwand er in einer Hofeinfahrt, wo ein Trupp Fallschirmjäger ihn ber eits erwartete. Nur knapp außerhalb der Schußlinie - oder besser: darunter, denn die obere Hälfte der Toreinfahrt war weggesp rengt, und was blieb, war eine beschädigte Ziegelmauer - hockten zehn verdr eckte, ar g mitgenommene und erschöp fte Fallschirmjäger mit schußbe reiten Waffen. Unter ihnen befanden sich vier Verwundete mit blutbefleckter Kleidun g und verschmierten Gesichtern, die vom Schock gezeichnet waren. Allerdings schien keiner von ihnen lebens gefähr lich ver letzt zu sein. M iller kniete sich vor sie hin und rief in d ie Richtung, aus der er gekommen war: »Wade! Verwundete!« »Private Goldman, Sir«, stellte sich ein jun ger M ann mit rundem Gesicht vor. »M iller.« Kleinkalibrige Automatikwaffen begannen zu feuern: Wade war unterwegs. »Ihr Anblick ist vielleicht 'ne Erlösung für unsere entzündeten Augen!« r ief Goldman, dreiundzwanzig, Chicago, I llinois. Zu
109
seinem Sergeant gewandt meinte er: »Sarge, unsere Verstär kung ist ein getroffen!« Sergeant William Hill, neunundzwanzig, Pensicola, Florida, lief geduckt an seinen Leuten vorbei bis zu der Stelle, wo M iller, auf seine Thompson gestützt, kniete. »Wieviel M ann haben Sie bei sich?« fragte Sergeant Hill. In seiner Stimme schwang Verzweiflun g mit. Inzwischen erreichte Wade in gebü ckter Haltung die Toreinf ahrt, und M iller schickte ihn zu den Ver letzten, die der Sanitäter sogleich zu versorgen begann. »Ich muß Sie leider enttäuschen«, sagte M iller, » aber wir sind nicht Ihre Verstärkung. Wir sind nur zu acht.« Das Knattern weiterer Schüsse verriet ihnen, daß wieder ein M ann zu ihnen unterwegs war. »Ich höre wohl nicht recht? Verdammte Scheiß e, was ...?« Der Ser geant bemerkte, daß er sich im Ton ver griffen hatte, und korrigierte sich: »Was meinen Sie damit, Sir?« »Wir haben einen Spezialauftrag. Wir suchen einen gewissen Private James Ryan.« »Wen?« fragte Goldman eher verwirrt als enttäuscht. »Private James Ryan«, wiederholte M iller geduldig. »Und wieso?« wollte der verblüffte und leicht genervte Sergeant wissen. Reiben erreichte mit seiner Browning-Automatic die schüt zende Toreinfahrt. M iller nickte ihm zu und wandte sich dann wieder an Sergeant Hill: »Kennen Sie ihn? Ist er hier bei Ihnen?« Hill verdr ehte die Au gen und schüttelte verbittert den Kop f. Dann hatte er sich wieder soweit in der Gewalt, um eine höfliche Antwort zu geben: »Vielleicht in einer gemischten Einheit auf der anderen Seite der Stadt. Ist aber zur Zeit etwas schwierig, dorthin zu kommen ... Durch einen deutschen Angriff ist vor ein paar Stunden jed e Verbindun g zwischen uns
110
abgerissen. Wie war der Name noch mal?« Neuerlich es Geknatter erscholl aus Handfeuerwaffen: Wieder hatte einer seiner M änner den lebensgefährlichen Spurt gewagt. »Ryan«, sagte M iller. »James. Private. Auch einer von der Hundertersten, muß zusammen mit Ihnen abgesp rungen sein.« Sie warteten, bis der Rest von M illers M ännern einer nach dem anderen angekommen war: Alle, sogar der leichenblasse Upham, waren erfolgreich den Kugeln aus gewichen, die ihren Sprint begleitet hatten. Dann erst rief Hill über seine Schulter nach hinten: »M elder! M elder sofort zu mir!« Private Harold Nelson, Omaha, Nebraska, ein drahtiger junger M ann mit Sommerprossen im Gesicht, eilte nach vorne. Als M elder brauchte er kein e lästige Ausrüstung zu tragen, doch dafür stand ihm ein Spießrutenlauf bevor. »Finde heraus, wo Captain Hamill steckt«, befahl ihm der Sergeant. »Hier ist ein Suchtrupp , der nach einem Private Ryan, James Ryan, sucht. Einer von der Hundertersten, ist aber wahrscheinlich falsch abgesprungen.« Der junge M ann nickte, spähte kurz über die M auer, um seine Laufstrecke vorzup lanen, und schon war er um die Ecke gebogen und legte einen Sprint hin, mit dem er sich auf der Stelle für jede College-M annschaft qualifiziert hätte. M iller und die anderen beugten sich gerade weit genu g vor, um beobachten zu können, wie der M elder hinter M auern verschwand, für kurze Zeit in Hauseingänge eintauchte und dann wieder für Sekundenbruchteile in Sicht kam, wenn er in vollem Lauf Straßen überquerte. M illers M änner hatten sich bereits unter die Fallschirmspringer gemischt, als Ser geant Hill einige Erläuterungen zur Lage seiner Trupp e gab. »Wir wurden hier von starkem Feuer aufgehalten, das aus östlicher Richtung kam«, berichtete er. »Die Jerrys sind schon den ganzen Tag dabei, zwei ihrer Regimenter zu verstärken.
111
Die Straßen sind aber ruhig gewesen in der letzten« - er schaute auf seine Armb anduhr - »Dreiv iertelstunde, sagen wir mal. Die Jerrys konzentrieren ihre Feuerkraft jetzt auf den westlichen Teil des Ortes.« »Als ich eben da draußen um die Kugeln herumtanzen mußte, fand ich's aber gar nicht so ruhig«, wandte Reiben ein. Wie zur Bekräftigung d ieser Aussage ließen Handfeuer waffen wieder ihr Knattern hören. Es klang erstaunlich harmlos, wie die Popcornmaschine in einem Kino, doch d ie Soldaten wurden schlagartig an die Gefahr erinnert, in der der M elder schwebte. M iller lugte hervor und sah, wie die h arte Erde der Dorfstraße beim Aufschlag d er Kugeln hochspritzte. Eine erwischte den M elder im Bein, und der Junge stürzte zu Boden, auf sein unverletztes Knie. »Sperrfeuer!« brüllte Hill, worauf seine und M illers Leute sich an der halben Wand in Position brachten und wahllos drauflos schossen, nur nicht auf den am Bod en liegenden M elder. »Scheiße, wohin sch ießen wir eigentlich?« fragte Reiben zwischen zwei Salven aus seiner Browning-Automatic. »Und von wo kommen diese Schüsse?« »Die stehen hinter der Ecke dort, wo wir keine Einsicht haben«, antwortete M iller. »Wir verschwenden M unition, aber es macht wenigstens Krach.« Nach einer Weile sagte Hill mit finsterer M iene: »Feuer einstellen ... Er braucht Platz, um sich zu bewegen.« Was die anderen dort sahen, war nicht mehr der leichtfüßige M elder von vorhin, sondern ein Verwundeter, der mühsam über den Boden kroch. Rings um ihn her ertönte das Geräusch von knackendem Pop corn, und klein e Staubwolken stiegen auf. Die Bewegungen, mit denen er Deckung zu erreichen suchte, erinnerten an einen Schwimmer, d er dem rettenden Ufer
112
entgegenstrebte. Schließlich lag er völlig regungslos da. Das Geräusch von aufplatzendemM ais hatte ebenfalls auf gehört. »Armer Hund«, sagte Reiben. »Vater unser im Himmel«, fin g Jackson an und behielt den Rest für sich. Plötzlich war zum Entsetzen der GIs wieder das Geräusch der Pop cornmaschine zu hören. Der zweifellos bereits tote M elder wurde von Kugeln durchsiebt und dabei durchgeschüttelt wie ein unartiges Kind. Die Geschosse ließen Staub und Blut aufspritzen. »Verfluch te Schweine!« brüllte Cap arzo mit geweiteten Augen. Die Adern und Sehnen an seinem Hals traten deutlich hervor. »Ihr verfluchten sadistischen W ichser!« Die unnütze Schändung der Leich e wollte kein Ende nehmen; Dutzende von Salven schien en dem Gefallenen zuckendes Leben einzuhauchen. »Die wissen genau, daß wir vom Rest unserer Einheit abge schnitten sind«, sagte Ser geant Hill leise. »Sie werd en jetzt jeden M elder aufs Korn nehmen. Wollen uns davon abhalten, weitere zu schicken.« »Himmelherrgott!« schrie Cap arzo. »Warum hören die nicht auf, ihn zu durchlöchern?« »Solange auch nur die ger ingste Chance besteht, daß er noch lebt«, erklärte M iller, »so lange kann er auch noch sein e Bot schaft überbringen.« Eine M ischung aus Wut und Angst malte sich in den Gesichtern der M änner vor ihm, die im Schutz der halben M auer ihre Waff en umklammert hielten. M iller kommentierte trocken: »Wir würden das gleiche tun.« Diese Bemerkung ernüchterte die M änner und ihre Wut ver rauchte. Dann marschierten sie weiter.
113
Upham und Reiben begegneten sich in einem Hauseingan g. »Nun sag mal, woher kommt eigentlich der Captain?« flüsterte Upham. Reiben antwortete: »Wenn du das r auskriegst, geht der Hauptgewinn an dich.« Jackson hatte in einem benachbarten Hauseingan g Deckung gefunden und das leise Gesp räch mit angehört. Die kostbare Präzisionswaffe im Arm, mischte er sich ein: »Der letzte Stand war dreihundert Piep en.« Dann kam M ellish vorbeigesaust, um sich ein Stück weiter hinter einem Trümmerhaufen zu verschanzen. Dabei schaffte er es noch, Upham mitzuteilen: »Wir h aben nämlich eine Kompaniekasse. M it fünf M äusen bist du dabei.« Kurze Zeit sp äter bewegte sich die ganze Grup pe an einer M auer entlang. Da M iller ganz vorne war, bekam er nicht mit, daß die Unterhaltung sich um ihn dr ehte. »Weiß denn niemand, woher er kommt oder was sein Zivilberuf ist?« fragte Upham. Der Sarge packte ihn und zog ihn mit einem Ruck weiter, den Rücken an der M auer. »Bin schon seit dem Kasserine-Paß mit ihm zusammen«, sagte Horvath, »und ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Reiben, der sich ebenfalls mit dem Rück en an der M auer ent langdrückte, schloß zu ihnen auf. »Ist doch ganz einfach. Den haben sie auf der Offiziersschule aus lauter Einzelteilen toter GIs zusamengebaut.« Von weiter vorn meldete sich Caparzo zu Wort: »Leute, ich weiß alles über den Captain. Ich hab' n ämlich mal in seinen Rucksack geguckt.« »Erzähl doch kein en Scheiß, Cap arzo!« sagte Jackson in einem vulgären Ausbruch, wie er bei ihm selten vorkam; bezeichnenderweise entweihte er dabei aber n icht den Namen
114
des Herrn. »Du hast ja keinen blassen Schimmer, M ann.« »Nenn's ruhig Scheiß, du b löder Hinterwäldler«, gab Cap arzo hochnäsig zurück. »Ich warte einfach in aller Ruhe ab, b is so viel in der Spielkasse ist, daß es sich für mich lohnt. Dann zeige ich euch, was ich habe, und ihr könnt es lesen und weinen.« »Seht!« machte der Sar ge vor ihnen. Nun, da die Anspannung immer größer wurde, blieb es auch still, denn der Trupp näherte sich seinem gefahrvollen Ziel, wo die Heck enschützen auf der Lauer lagen. Ihre Stiefel scheuer ten am Kopfsteinpflaster, als M illers Leute hin- und herflitzten wie Darsteller in einem fr anzösischen Lustspiel, die von einem Schlafzimmer zum anderen hasten - nur daß hier trotz der französischen Requisiten alles andere als ein Lustspiel gegeben wurde. Von Stellung zu Stellung schoben sie sich vor, wobei sie sich durch Blicke und Zeichen verständigten. M iller winkte ihnen mit einem Gesichtsausdruck, der soviel bedeutete wie Los, weiter, du als nächster ... Sie kamen zu einem zweistöckigen Gebäude, dessen Fassade halb weggebrochen war, so daß man freien Blick auf das Erdgeschoß und zwei Etagen hatte. Die M öbel standen noch an ihrem Platz, nur die Außenwand fehlte, so daß man glauben konnte, man sei in einer Ausstellung über das bürgerliche Privatleben in einer französischen Kleinstadt gelandet. Da plötzlich knarrte es über ihnen. Der Trupp ging in die Hocke, die Waffen richteten sich schußbereit nach oben. Sergeant Hill rief das Codewort: »Donner!« Lange Sekunden vergingen, ohn e daß ein e Antwort kam. »Donner, verdammt noch mal. Donner! Sonst eröffnen wir das Feuer ...« Von oben wurde eine M ännerstimme hörbar:»Ne tirezpas! On est Frangais!« »Halt, stopp!« rief Up ham. »Das sind Zivilisten!« »So?« sagte Horvath. »Dann würde ich gerne mal die Farbe
115
ihrer Klamotten sehen!« Upham rief: »Montrez-vous!« Oben im ersten Stock zeigte sich ein M ann, ohne Zweifel ein Dorfbewohner: Er war schlank, um die dreißig Jahre alt, trug einen braunen Anzug mit gelber Krawatte und sah sehr err egt aus. Er kam mit erhobenen Händen. »Ne tirez pas!« sagte er mit einer eigen artigen M ischung aus Hoffnung und Verzweif lung in der Stimme. Nun tauchte eine hübsche, etwa fünfundzwanzigjährige Frau im Blümchenkleid auf, d ie ein Baby im Arm trug. Ein flehend er Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. »On n'est pas des soldats et on n'est pas arme«, sagte sie. Gleichzeitig stieß ihr M ann hervor: »Baissez vosfusils, nous sommes vos amis!« In den Ohren der Amerikaner hätte sich dieser Wortschwall auch dann wie Kauderwelsch an gehört, wenn die beiden Franzosen nicht aufgeregt durcheinandergeredet hätten. »Nicht alle gleichzeitig!« rief M iller und machte dazu die überall verständliche Handbewegun g für Stopp. »Immer nur einer!« Der Captain winkte Up ham zu sich und befahl ihm: »Fragen Sie sie, wo die Deutschen liegen.« Upham nickte, schaute zu dem Paar mit Kind hoch und fragte: »Ou sont les Allemands?« Der M ann nickte heftig, und seine Worte überschlugen sich: »Qa va pas! Ils sont partout, vous devez emmener les enfants!« »Was erzählt er von Kindern?« fragte M iller mit Falten auf der Stirn. »M ensch, was sagt er denn?« »Weiß ich auch nicht so genau«, mußte Upham frustriert zugeben. »Er redet so schnell ... irgendwas, daß die Kinder weggebr acht werden sollen ...« Das Paar verschwand einen M oment lang. Als sie wieder auftauchten, hatte der Vater ein M ädchen von höchstens vier Jahren an der Hand, und am Kleid d er M utter hielt sich ein ängstlicher, vielleicht fünfjähriger Junge fest. Der Vater führte seine Tochter an den Rand dessen, was ihr Wohnzimmer
116
gewesen sein mußte, umfaßte ihre Hand gelenke und hievte sie plötzlich nach unten zu den Soldaten. Das M ädchen fing an zu weinen und ruderte unter ihrem blauen Rüschenrö ckchen mit den in der Luft baumelnd en Beinen. »Je vous la passe!« sagte der Vater und hielt sein Töchterchen über sie, als seien sie Feuerwehrleute, die ein brennendes Gebäude evakuierten. »Scheiße!« fluchte M iller. »Ich glaube, hier in der Gegend sagt man eher merde dazu«, meinte Reiben. Diese Wort entsp rach ziemlich genau einem Drittel seiner Kenntnisse der Landessprache. »Sie wollen, daß wir ihre Kinder nehmen«, übersetzte Up ham brav. »Soviel habe ich auch mitbekommen!« erwiderte M iller, während das M ädchen noch immer über ihnen pendelte. »Erklären Sie ihnen, daß wir Kinder hier nicht gebrauchen können ...« »M ußt nicht weinen, meine Süße«, sagte Caparzo zu dem kleinen M ädchen und lächelte sie an. Er schnitt Grimassen, worauf sie zu lachen begann. Jetzt hatte es den Anschein, als ob sie spielten: Vati sch aukelte oben das Kind, und unten standen die lustigen Onkel. Inzwischen dolmetschte Upham: »Nous ne pouvons pas les prendre avec nous!« Doch Cap arzo streckte sich, und als ihr Vater sie losließ und sie in die Arme des amerikan ischen Soldaten fiel, quietschte sie vor Vergnügen. Der Vater v erstand dies als Einwilligung und holte nun lächelnd seinen Sohn, u m ihn ebenf alls an den Handgelenken hinunterzulassen. Der Junge weinte nicht, er war nur verängs tigt und durcheinander, aber das waren auch M ellish und Jackson, als sie d en Kleinen in Empfang nahmen und vorsichtig absetzten. Die M utter über ihnen weinte lautlos; auch ihr Neugeborenes weinte, doch keineswegs leise.
117
M iller atmete tief ein und versuchte, irgendwie die Fassung zu bewahren angesichts des Eindrin gens zweier französischer Kinder in seine Welt. »Je ne veuxpasy aller!« sagte das M ädchen hochrot. M it aufgesetzter Freude rief die M utter zwischen den Tränen: »Tu dois! Vousserez en securite avec les Americains!« Upham übersetzte für M iller: »Sie glauben, daß die Kinder bei uns in Sicherh eit sind.« »Bei uns sind sie nicht in Sicherheit«, knurrte M iller. Er seufzte und fügte dann etwas freundlicher hinzu: »Sagen Sie ihnen, daß es zur Zeit nirgends sicher ist, aber bei uns ist es ganz besonders gefähr lich. Sagen Sie's.« Upham nickte. »Ils ne serontpas en securite avec nous, vous ne comprenez pas, on nepeutpas les emmener!« Unterdessen hatte Cap arzo, der Junge aus Chicago, Illinois, mit dem kleinen M ädchen aus Neuville-au-Plain zu spielen begonn en und wiegte es auf seinen Armen. »Erinnert mich an meine kleine Nichte«, sagte Cap arzo. »Sofie.« »Cap arzo«, sagte M iller, entschlossen, die Kontrolle über die Lage zu behalten. »Setzen Sie das Kind ab.« Doch der Kleinen gefiel es auf Caparzos Arm, und auch Cap arzo schien sich mit ihr verdammt wohl zu fühlen. »Cap tain«, sagte er, »das wär' doch ein e Gelegenheit für 'ne gute Tat.« »Eine gute Tat?« »Ja, eine gute Tat.« Den Ton hatten seine Kampfgenossen noch nie bei d em hartgesottenen Caparzo gehört; diese Sanftheit und Zärtlichkeit waren ein Überbleibsel aus dem Zivilleben d es Italieners. »Lassen Sie uns die Kinder zumindest bis in die n ächste Stadt bringen.«
118
Der Vorschlag ließ M iller keineswegs kalt, doch sein barscher Tonfall verriet nichts davon. Er herrschte Caparzo an: »Unser Auftrag lautet nicht, gute Taten zu vollbringen. Wir haben Be fehlen zu gehorchen. Auch Sie haben Befehlen zu gehorchen.« »Aber Cap tain ...« »So, und jetzt reichen Sie d ieses verdammte Kind wieder zu seinen verdammten Eltern hoch.« Die M änner aus M illers Trupp machten überr aschte Gesich ter. Sie hatten den Cap tain immer für einen anständigen Kerl geh alten, auch wenn er manchmal militärische Strenge an den Tag legte, aber diese Härte schien ihnen völlig überzogen. Auch Ser geant Hills kampferprobte Fallschirmspringer waren verblüfft. Caparzo schaute das M ädchen auf seinem Arm an, die Kleine kich erte und schmiegte sich an ihn. Er schluckte. Seine Augen waren feucht. »Reichen Sie sie wieder hoch, Cap arzo«, sagte M iller. Seine Stimme war leise, aber nicht sanft. »Tun Sie es. Und zwar auf der Stelle.« »Aber Sir«, wandte Cap arzo ein, »ich glaube nicht …« Niemand sollte je erfahren, was Cap arzo nicht glaubte, denn ein Projektil pfiff heran, die Kugel eines Scharfschützen aus einem Präzisionsgewehr drang in Caparzos Körper ein und durchschlu g seine Brust. Blut sp ritzte auf das Familienmobiliar im Erd geschoß des Hauses. Die Wucht des Geschosses warf Cap arzo um und schleuderte ihn auf das Kop fsteinpflaster. Erst in diesem M oment hallte der Knall des Schusses durch die Straße. Jetzt hatte der Private aus Chicago auch das kleine M ädchen aus Neuville los gelassen. Sie fiel, landete aber auf den Füßen - unversehrt, doch völlig entgeistert und verstört. Wie alle anderen rin gsum.
119
10
Entsetzte Rufe und wüste Flüche vermischten sich mit dem angstvollen Plap pern der Eltern, die am Rande ihres nach außen offenen Wohnzimmers standen. All das wurde von Cap arzos Schmerzensschreien übertönt. Der Private lag wie ein Käfer auf dem Rücken und brüllte: »M ich hat's erwischt! M ich hat's erwischt!« Er blutete fürchterlich. Nur wenige Schritte neben ihnen türmte sich in der M itte der Straße ein Schuttberg auf, hinter dem M iller und die meisten seiner Leute Deckung nahmen - Bretter, Steine, Zementbrocken, Trümmer von Backsteinmauern, gekrönt von einem schmiedeeisernen Gewirr, das einmal eine Balkonbrüstung gewesen war. Auch Sergeant Hill und seine Fallschirmjäger suchten hier Schutz, einige h atten sich auch in Hausein gän ge geflüchtet. Doch zwei M änner aus M illers Trupp blieben in der Todeszone: Wade, der Sanitäter, eilte seinem am Boden liegend en Kameraden zu Hilfe, und Upham kümmerte sich um die beiden Kinder. Das M ädchen und der Junge standen mit weit aufger issenen Augen wie gelähmt da. »Cap arzo!« schrie M ellish hinter dem Trümmerhaufen her vor. »M ich hat's erwischt!« brüllte der wild um sich schlagende, blutende Caparzo. »Oh, lieber Gott, hab M itleid! M ich hat's erwischt!« »Das wird schon wieder, Kumpel«, konnte Wade gerade noch sagen, bevor ihn der Sarge eigenh ändig h inter den Schutthaufen zog. Auch M iller war noch einmal aus der Deckung gesprungen, um Upham am Kragen zu p acken. Er zerrte ihn mit solcher Gewalt von den reglos dastehenden Kindern weg, daß dem Corp oral die Luft wegblieb. Ein zweites Geschoß, in dessen Flugbahn sich ger ade eben Up ham noch
120
befunden hatte, schwirrte vorbei und grub sich in eine M auer, und eine Sekund e später folgte der Schall des Schusses. Den Kindern, die immer noch wie angewurzelt dastanden, aber inzwischen weinten, war nichts gesch ehen. Sie waren nicht das Ziel des Scharfschützen. Doch M iller wußte, daß jeder, der ihnen zu helfen v ersuchte, sein nächstes Opfer werden würde. M illers M änner schauten immer wieder über den Rand des Schuttberges zu Caparzo hinüber, der auf dem Rücken lag, sich vor Schmerzen wand und schreiend sein e Freunde und Gott um Hilfe anflehte, während die Blutlach e sich beständig vergrößerte. Caparzos Qualen waren ihre Qualen. »Köpfe runter!« fuhr der Sarge sie an, und sie gehorchten widerwillig. »Teufel noch eins!« Sergeant Hill hatte den Schutthaufen im Rücken und kauerte, das Gewehr in der Hand, neben M iller. »Woher ist dieser verflu chte Schuß gekommen?« M iller schwieg und blickte auf den So ldaten neben sich seinen Scharfschützen Jackson, den Fach mann für solche Fragen. »Ziemliche Entfernung«, meinte Jackson. »Er lag ja schon getroffen da, bevor wir überhaupt den Schuß gehört haben.« Cap arzos Schmerzensschreie p einigten alle M änner des Trupps, und das angsterfüllte Kreischen der Eltern, deren Kinder weinend und ohne sich zu rühren unten in der Schußlinie standen, vereinfachte die Lage auch nicht. Wade kam zu seinem Captain geflitzt; auf dem Gesicht des Sanitäters malten sich Verzweiflung und Sor ge. »Himmelherr gott noch mal! Wie stellen Sie sich das vor - wir müssen Cap arzo da wegholen!« »Sie bleiben hier, Wade«, sagte M iller. »Das ist ein Befehl.« Von einem M oment zum anderen hörte Cap arzo auf zu schreien, als wäre es ihm auf die Dauer zu anstrengend. Er betastete mit der linken Hand sein en Oberkörper, besonders die
121
Wunde auf der rechten Brustseite. Die Einschußstelle blutete gar n icht schlimm, doch aus dem Austrittsloch sp rudelte das Blut: Es sah aus, als sei er in rotes Scheinwerfer licht getaucht. Er versuchte seinen rechten Arm zu bewegen, aber es gelang ihm nicht; reglos lag der Arm da, nicht mehr zu gebrauchen. Dann fand Caparzos linke Hand den Weg unter die Jacke und in die Hemdtasche, von wo sie einen roten, durchnäßten Feldpostbrief hervorzog. Offenbar versuchte er sich aufzu setzen, womit er nicht sehr weit kam. Doch dabei erblickte er die riesige Blutlache. »O Gott ... O ... O Gott«, murmelte er und sah zu, wie das Leben aus ihm herausrann. »Gott ... M ein Gott ...« War es ein Gebet? Ein Fluch? Gab es da überhaupt einen Unterschied in diesem Krieg? In M iller zerbrach etwas, als er diese Szene mit ansah, aber das durfte er nicht zeigen. Zu Jackson gewandt, sagte er: »Geben Sie mir eine Schätzung.« Reiben lugte über den Rand des Trümmerhaufens. Er war schon drauf und dran, Cap arzo ungeachtet der Befeh le M illers in die schützende Deckung zu ziehen, als plötzlich ein Putzbrocken links oben auf dem Haufen wie eine explodie rende Granate auseinanderb arst. M örtelsplitter flogen durch die Luft. Das war der M oment, auf den M iller gewartet hatte, um hervorzuspringen und sich mit jedem Arm ein Kind zu schnappen. Er schleifte sie schon zurück in die Deckung, als der Knall des Schusses bei ihnen ankam und widerhallte. Er setzte die Kinder in einem Hauseingan g hinter sich ab und bedeutete ihnen, unten zu bleiben. »Scheiße!« sagte Reiben überrascht; er hatte sich wieder hinter den Trümmern verschanzt. Blut lief ihm über die linke Wan ge: Ein scharfk antiges Stück Putz hatte ihn getroffen. M iller stand neben Jackson.
122
»Nun, Private?« »Gut vierhundert M eter, Cap tain. Plus minus.« Upham, der mit dem Rücken zu den Trümmern am Boden saß, schaute verwirrt, fast im Schockzustand, zu ihnen hoch. »Ist das weit für einen Schuß?« Auf der anderen Straßenseite, in dem Haus mit der fehlenden Außenwand, drückten sich die Eltern aneinander, die M utter hielt ihr Baby im Arm. Sie schluchzten vor Erleichterung darüber, daß ihre Kinder in Sicherheit waren. »Ich würde sagen, dort hat der Adler sein Nest«, sagte M iller und deutete die Straße entlang auf den grünen Hügel hinter dem Dorf. Siebenhundert M eter von ihnen entfernt erhob sich dort ein Schloß ; man sah den Glockenturm der Schloßkap elle ein alter, maler ischer Bau, strategisch äußerst günstig gelegen. »Genau da würde ich auch Posten beziehen«, stimmte Jackson zu. »Für den einen ist es der Punkt mit dem besten Überblick«, sagte M iller, »und für den anderen ist es die Zielscheibe.« Jackson nickte. »Denke, daß ich dafür mein e sechzig Dollar im M onat bekomme, Sir.« M it diesen Worten zog Jackson ein längliches ledernes Etui aus seinem Rucksack hervor, wie es Billard-Spieler für ihr Lieblin gs-Queue benutzen. Er öffnete es, und ein glänzendes, langgestrecktes Zielfernrohr kam zum Vorschein. Cap arzo schwanden die Sinne. Immer no ch hielt er den blutgetränkten Brief in der linken Hand, so als böte er ihn jedem an, der ihn nehmen wollte. M an hätte meinen können, er treibe auf einem See aus Blut dahin - seinem eigenen Blut. »Helft mir doch ... ir gendwer ... bitte … ich verlier e Blut ... mein Blut ... Hilfe...« M ellish kämp fte gegen die Tränen an und r ief ih m mit geb allten Fäusten zu: »Halt durch, Kumpel! Junge, halt durch!« Jackson hatte sich hingehockt und bef estigte nun das Ziel
123
fernrohr an sein er Sp ringfield. Up ham kauerte neben ihm und fragte: »Wozu dient das?« »Ach, das ist ein Sp ezial-Teleskop für meine Dreißig-NullSechser«, erwiderte Jackson. »Die Sockel hab' ich selber angebracht. Nicht übel für ein Land ei, was?« Jackson zog den Schlagbolzen zurück und legte eine einzelne, übergroße Patrone ein, die ein em Lippenstift nicht unähnlich war (allerdings eher für Damen mit sehr großem M und geeignet). Upham schluckte. »Du mußt ja ein Wahnsinnsschütze sein.« »So Durchschnitt, da wo ich herkomme«, meinte Jackson. Cap arzo zerknüllte den kostbaren Brief in seiner Faust; der Schmerz mußte stärker geworden sein. M iller verzog auch jetzt keine M iene, doch in seinem Inneren fühlte er die gleichen Qualen wie der Verwundete und wie seine M änner, die mit ansehen mußten, wie ihr Bruder verblutete. »Helft mir doch«, wimmerte Caparzo. »Nicht reden!« r ief Wade aus der Deckun g des Trümmer hau fens. »Spar deine Kräfte.« M ellish, der neben Wade kauerte und wie dieser nichts lieber getan hätte, als seinem Kamer aden zu Hilfe zu eilen, rief ihm zu: »Einen Augenblick noch, Kumpel, dann sind wir bei dir! Halte durch!« »Nein ...« Cap arzo versuchte noch einmal sich aufzusetzen. Seine glanzlosen Augen r ichteten sich mit flehendem Ausdruck auf die Gefährten. »... Dieser Brief ... wichtig ... für meinen Vater ... aber er ist ganz blutig ...« »Du bist jetzt sofort still«, sagte Wade fast barsch. Dann wandte sich der Sanitäter an M iller und bat: »Sie müssen mich zu ihm geh en lassen.« »Bleiben Sie, wo Sie sind, Wad e.«
124
»Cap tain, bitte ...« »Der Befehl gilt. Jackson! Wird das heute noch was?« »Gleich soweit, Sir.« Jacksons Scharfschützengewehr war nun fertig zusammen geb aut, er stand hinter dem Schutthaufen, visierte ein Ziel am Hang des Hügels an - es war k lar zu erkenn en, daß es nicht das Schloß oder sein Glock enturm waren - und betätigte den Abzug. Oben am Hügel, schätzungsweise vierhundertfünfzig M eter entfernt, löste sich ein trockener Ast vom Baum und brach in kleine Zweige auseinander. »Überprüfe nur, ob der Schuß abdriftet«, bemerkte Jackson beiläuf ig. Der schlaksige Private lud erneut seine Waff e und setzte sie an. Er hielt sie fast zärtlich, locker und stabilisierte sie mit der Schulter, so daß sein Körper mit ihr eins wurde. Jacksons Namensvetter Daniel Boon e h atte ebenso sorgf ältig gezielt, auch Davy Crockett. Bären, Indianer und M exikaner waren nieder gestreckt worden, wenn amer ikanische Hinterwäldler wie Jackson ihr Ziel aufs Korn genommen hatten. Und jetzt waren die Deutschen an der Reihe. Cap arzo hatte keine Ahnung, daß Jackson im Begriff stand, ihn zu rächen. Ihn beschäftigte etwas ganz anderes. M it aller Kraft, die er nach dem großen Blutverlust noch aufbringen konnte - und das war wenig -, warf er den zusammenge knüllten, blutigen Brief seinen Freunden Wade und M ellish zu. »Is' ganz blutig ... abschreib en ... will nicht, daß Papa und M ama ... das Blut sehen ... Schreibt ihn noch mal ab ...« »Jetzt hör auf!« rief Wade. »Es wird alles gut werden, ich kümmere mich gleich um dich ...« Zu M iller gewandt, flüsterte er verzweifelt: »Cap tain ... er könnte noch durchkommen ...« »Sie bleiben hier«, wiederholte M iller. »Jackson?« »O Herr, mein Gott, auf Dich nur will ich bauen«, sagte
125
Jackson leise, feierlich. Sein Auge bef and sich vor dem Ziel fernrohr. Er wartete. Wartete auf seinen Schuß. »Laß mich nicht verzagen ...« Im Schatten des Glockenturmes lag der Obergefreite Wolfgang Gottberg, ein dreiundzwanzigjähriger Kölner, auf dem Bauch in der Fensteröffnung, von wo aus er das Dorf überblicken konnte. Er hatte eine perfekte Position; etwas bedenklich war lediglich das gähnende Loch im Bod en, durch das er hinaufgeklettert war. Er versuchte ein neues Ziel ins Fadenkreuz zu bekommen. Sein erstes Op fer lebte noch, doch der M ann, der dort drüben in seinem Blut lag und wild u m sich schlug, war keine zweite Kugel wert. Gottberg richtete sein Zielfernrohr auf den Trümmerhaufen, hinter dem die anderen Amerikaner Deckun g gesucht hatten, und nahm einen helmtra gend en Kopf ins Visier, der hinter dem Schutt hervorlugte. Da blitzte etwas im Sonnenschein des Spätnachmittags auf. Etwas M etallenes. Dem Deutschen sträubten sich die Nackenhaare. Es war der Lauf eines Gewehres, unverkennbar, der üb erlan ge Lauf des Präzisionsgewehrs eines Scharfschützen ... Es war Private Daniel Boone Jackson, der da mit der Waffe auf ihn zielte. »O Herr, mein Gott, auf Dich nur will ich bauen. Laß mich nicht wanken ...« Plötzlich erkannte Wolfgang Gottberg, daß der Scharfschütze ihn selbst im Visier hatte. Eilig nahm er den M ann ins Faden kreuz, wußte aber, daß sein Gegner ihn schon längst fixiert hatte. Sein Finger suchte hastig den Abzug, doch er kam nicht mehr dazu, sich zu krümmen. Das Projektil des Amerikaners war bereits in das Zielfernrohr des Deutschen eingedrungen, durchschlu g Gottbergs rechtes Auge wie eine Weintraube, setzte seinen Weg durch den Schädel fort und zerriß in einer Eruption aus Glasscherben, Blut und Gehirnmasse seinen
126
behelmten Hinterkopf. Gottbergs Waffe glitt aus seinen Fingern, die vom Gehirn keine Sign ale mehr erh ielten, fiel durch das Loch im Boden und schlug mit einem trockenen Krachen unten auf, gefolgt von Gottberg selbst, der schon tot war, als der Knall des Schusses durch die Landschaft hallte und den Sch loßhof err eichte. Sein Tod war weitaus humaner als das langsame Sterben, das Gottberg seinem letzten Opfer bereitet hatte. Jackson senkte das Gewehr, nickte M iller und den übrigen zu und sagte: »Amen. M öge die Seele des Sold aten vor dem Herrn Gnade finden.« Es blieb unklar, ob er d amit sich selbst oder den Deutschen meinte. »Jetzt können Sie gehen«, sagte M iller zu Wade. Der Sanitäter hastete mit M ellish im Gefolge zu Cap arzo. Am Rande des Blutsees aber machten sie halt, als wäre es ein Zeichen mangelnder Pietät gegenüber ihr em nun offensichtlich toten Gefährten, wenn sie weitergingen. Cap arzos Kopf war in Richtung der glänzendroten Fläche geneigt, die Augen waren weit geöffnet und starr, und sein glasiger Blick ruhte auf der Blutlache, mit der das Leben aus seinem Körper gewichen war. »Ooh, Scheiß e«, sagte M ellish mit zitternder Stimme. Reiben kam hinter dem Hü gel aus Trümmern hervor, er murmelte: »O verdammt... o verdammt...« M iller trat hinzu, und Wade funkelte ihn an. Doch der Captain hielt dem vorwurfsvollen Blick des Sanitäters stand. »Und das hier«, sagte M iller barsch mit einer Kopfbewegung zu den Dorfkindern hinter ihm, »ist der Grund, weshalb wir nicht auf kleine Kinder aufpassen können.« Diese Bemerkun g war zuviel für den Trupp , sogar für den Sarge. Sie schüttelten den Kopf, rangen nach Luft, lachten nervös und schauten dabei fassun gslos auf ihren Cap tain.
127
Reiben blickte M iller mit einem schiefen Lächeln an. »Na, und nun? Was erwartet ihr denn?« fragte M iller. »Soll ich etwa einen Chor al anstimmen? So llen wir weiter hier rumstehen und schmo llen und warten, bis d er nächste Scharfschütze uns abknallt?« Der Captain watete durch das Blut des toten Soldaten und bückte sich. Er riß eine von Caparzos Hundemarken ab und steckte sie in die Tasche. Dann stand er auf und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der sie ursprünglich unterwegs gewesen war en. »Jackson«, sagte er, »nehmen Sie M ellish mit, und schauen Sie sich im Schloß um. Vergewissern Sie sich, d aß die Gefahr beseitigt ist.« »Ja, Sir«, sagte Jackson, und M ellish schloß sich ihm an. Sie gingen an Reiben vorbei, dessen Stirnwunde ger ade von Wade ger einigt wurde. Reiben meinte mit einem grimmigen Lachen: »M it anderen Worten: Der En gel auf unserer Schulter war ein Scharfschütze.« »Nein, nein, unseren En gel haben wir noch«, erwiderte M ellish im Vorbeimarschieren. »M erkt ihr nicht, wie er uns aufs Hemd scheißt?« »Ich würde sagen, Private James Ryan kann mich mal am Arsch lecken«, sagte Reiben. »Kreuzweise und so oft er will M ensch, laßt mich bloß in Frieden mit diesem Wichser!« »Herrgott im Himmel - Reib en!« sagte Jackson, bevor er außer Hörweite kam, »nun mach mal halblang. Dein Gequat sche geht mir auf den Geist!« »Von wegen Gequatsche, du kleiner Heiliger. Du wirst schon sehen: Caparzo ist nur der erste von uns, der für Private Ry ans Rückfahrschein ins Gras beißt.« Wade, der gerade Reiben verband, bemerkte ruhig: »Private Ryan hat Cap arzo nicht getötet. Das war ein deutscher Scharf schütze.«
128
In der Zwischenzeit stapften Jackson und M ellish zu dem Hügel, wo das Schloß lag. M iller bef ahl Horvath, die Führung des Trupps zu übernehmen, und während seine Soldaten in Richtung Dorfplatz loszogen, betrachtete M iller Caparzos blutdurchtränkten, zerknüllten Brief. Er wollte ihn gerade aufheben, als er Wade neben sich b emerkte; der Blick des Sanitäters wanderte zwischen dem Br ief und d em Cap tain hin und her. Beide zögerten - wie Duellanten in einem Western, die darauflauerten, daß der ander e zuerst zog. Sch ließ lich bückte sich Wade, hob den Brief von der ungep flasterten Straße auf und stopfte ihn in eine Tasche. Dann folgte der Sanitäter den anderen, die sich an M auern drückten, in Hauseingängen niederkau erten und von Deckung zu Deckung f litzten. M iller schaute noch einmal nach oben zu dem M ann und der Frau mit dem Baby im Arm; d as Entsetzen auf ihren Gesichtern zeigte ihm, daß sie nun endlich b egriffen hatten, daß ihre Kinder bei den Amerikan ern nicht in Sicherheit waren. Er lächelte den beiden Kindern im Hauseingang hinter sich zu, und sie winkten zum Abschied. Dann folgte er seinen M ännern. Er tat sein Bestes, um seinen Trupp zu schützen, indem er die Straße und die umliegenden Häuser mit den Au gen absuchte. Er wollte nicht noch einen M ann verlieren ... In der schlichten, verlassenen Sch loßkap elle drang das letzte Sonnenlicht durch die Reste der Buntglasfenster, die d ie Zerstörung überstanden hatten. Der Boden des Gotteshauses war übersät mit Trümmern und Dielenbrettern. Auf den Bankreihen lagen Gip sbrocken, abgebröck elte Farbe und anderer Schutt. Die Waffe mit dem langen Lauf in der knochigen Hand, trat Jackson auf Zehenspitzen ein - nicht so sehr aus Ehrfurcht vor seinem Gott, sondern aus Angst vor eventuell dort lauernden
129
Deutschen. M ellish folgte ihm in die Kapelle, blieb aber unten, als Jackson die Turmtreppe bis zu einer kleinen Plattform erklomm, die ihn zu einer verschlossenen Tür führte. M it schußbereitem Gewehr trat Jackson sie einfach ein - doch die Glockenstube war leer. Das Seil der Glocke hing hinab, und durch die geöffneten Bo genfenster blickte man auf die grüne Landschaft und Neuv ille-au-Plain ... weit und breit kein Scharfschütze, weder ein lebend er noch ein toter. »Jackson!« rief M ellish von unten. »Ich hab' was gefunden, was du liegengelassen hast!« Der hager e Scharfschütze achtete nicht auf seine Bemerkung, sondern trat geduckt in die enge Glockenstube. Er wußte zwar, daß ein Feind hier nicht genug Platz finden würde, um sich zu verbergen, aber er schaute sich trotzdem vorsichtig u m. Dann entdeckte er unter dem Fenster, das dem Dorf zugewandt war, das Loch im Holzfußboden. Er schob sich so weit an die weggebroch ene Stelle heran, bis er ein Stockwerk tiefer den verkrümmt daliegenden Leichnam seines deutschen Widersachers erb lickte. Daneben stand M ellish und blickte zu ihm empor. »Los, Jackson«, sagte er ger eizt. »Laß uns von hier verschwinden, M ann. Die Bude hier ist leer, und dieser Kerl hat seine letzte Kugel verschossen.« Jackson ließ sich durch das Bodenloch hinab und landete neben dem toten Deutschen. Splitter knirschten unter seinen Stiefeln. »Warte noch ganz kurz«, bat Jackson seinen Kameraden. Der hochgewachsene M ann aus Tennessee beugte sich zu seinem Gegner h inunter. »Lieber Gott«, begann Jackson leise. »Jesses«, sagte M ellish, »du wirst doch wohl nicht für den da beten, oder? Wie kann es dir d enn leid tun um so einen?« »Schau d ir doch mal diesen Schießprügel an.«
130
Jackson fin g an, das Gewehr des Deutschen zu untersuchen, dessen zerschossenes Zielfernrohr lose herunterhing, hielt die Waffe hoch, spannte den Bolzen und stieß einen leisen Pfiff aus. »Herr, erbarme Dich ...« »Willst du dir jetzt noch lange die Ausrüstung der Konkur renz angucken? Jackson, wir sind im Krieg! Scheiß auf diesen Kerl! Laß uns verschwinden!« »Ich komme ja schon, M ami«, sagte Jackson, b lieb aber noch stehen. Als M ellish die Kapelle ver lassen hatte, hob Jackson das Revers des Toten an und entdeckte das dort angesteckte Scharfschützenabzeichen des Deutschen. »Bingo«, sagte Jackson, und n achdem er es heraus gezogen und eingesteckt hatte, eilte er seinem Gef ährten hinterher. Bald hatten Jackson und M ellish ihren Trupp, Sergeant Hill und seine M änner am Dorfplatz eingeholt, wo diese in Hauseingängen in Deckung gegangen waren. Ringsumher war das Knattern von Handfeuerwaffen zu hören - nahe genu g, daß die M änner mit dem Finger am Abzug in an gespannter Aufmerksamkeit verharrten. Auf der gegenüberliegenden Seite des von Trümmern übersäten Platzes erhob sich trotzig ein arg mitgenommenes zweistöckiges Backsteinhaus mit Weinranken an den M auern, wahrscheinlich das größte Gebäude des Dor fes. Wie Hill ihnen erläuterte, war es das Rathaus. M iller und Hill standen zusammen in einem Hausein gang. Der Cap tain stieß den Ser geant mit dem Ellbo gen an und wies auf ein Fenster im zweiten Stock, zwischen dessen Läden ein M aschinengewehrlauf hervorlugte. Es war Zeit, von hier wegzukommen, und zwar schnell ... Da aber rief eine Stimme aus dem Fenster: »Donner!« Eine Stimme, die sich sehr amerikanisch anhörte. Eine Woge d er Erleichterun g gin g durch die M änner, und Sergeant Hill antwortete: »Blitz!«
131
Der M aschinengewehrlauf wurde eingezogen, worauf Hill und M iller einander zu grinsten und erleichtert aufatmeten. M it seiner Thompson im Anschlag trat M iller hervor und winkte Los! Alle seine M änner brachen aus der Deckung hervor und eilten üb er d en weitläufigen Platz, ohne daß ein Schuß auf sie abgegeben wurde. Durch zwei riesige Einschuß löcher in der Rathausmauer drangen sie in das Gebäude ein. M illers Grupp e kam durch ein Hinterzimmer herein und bahnte sich ihren Weg durch eine Flucht von Räumen, deren Decken eingestürzt waren, bis zur Eingangshalle, die von einer zweistöckigen Galerie umgeben war. An der Decke hing ein recht p omp öser Kronleuchter, der den Krieg bislan g unbescha det überstanden hatte. Ansonsten bot sich ein Bild des Chaos, das Platzangst auslösen konnte: umgestürztes, demoliertes M obiliar, herabgefallene Balken, verstreute Backsteine und ganze M auerstücke - ein trostloser Anblick, der alles andere als einlad end auf die GIs wirkte. In einem Teil der Eingan gshalle, in den kaum Licht dran g, stand eine Handvoll M änner flüsternd beisammen, aber M iller dachte sich nichts dabei. Schließlich war ihnen gemeldet worden, das Rathaus sei in der Hand von Amer ikanern. Herabgefallener Putz knirschte unter den Stiefeln von M illers Trupp, und sie stiegen gerad e über einen Haufen auf getürmter Deckenbalken, als diese M änner - es waren fünf - sich zu den Neuankömmlingen umwandten. Die fünf So ldaten trugen gr aue Uniformen, keine olivgrünen was nur normal war, denn sie war en Deutsche. Für Sekundenbruchteile standen die M änner auf beiden Seiten wie erstarrt da. Doch dann wich die Lähmung von ihnen, und jeder forderte in seiner M uttersprache die Hurensöhne der Gegenseite schreiend auf, sich zu er geb en. Waffen wurden in Anschlag gebracht, Zeigefinger spannten sich um die Abzüge. Dann brach das Geschrei ab - genauso plötzlich, wie es
132
begonn en hatte. Die Amerik aner und die Deutschen befanden sich in einer Patt-Situation, und beide Seiten waren sich dessen bewußt. Während einer kleinen Ewigkeit - es waren genau fünfzehn Sekunden - sprach niemand, niemand rührte sich. Dann verlor ein junger Deutscher, der seine Lu ger auf die GIs ger ichtet hatte, die Nerven und drückte ab. Nichts tat sich, außer daß ein Nadelbolzen mit einem Klick en auf eine leere Kammer schlu g. Aber in der an gespannten Stille kam das Klicken einem Donnerschlag gleich, und M iller und seine Leute begriffen, d aß der Deutsche sie erschießen wollte ... Noch ehe M iller Gelegenheit hatte, eine Entscheidun g zu treffen - ihm war allerdin gs klar, daß ein Feuerbefehl zu gegenseitigem Gemetzel führen würde -, hagelten M aschinen gewehrsalven von oben herunter. M ündungsfeuer erhellte das Halbdunkel wie aufflammende Streichhölzer, die vom Wind gleich wieder ausgeblasen werden. Stählerne Gewehr läufe spien zwischen Geländerstreben Feuer, Blei und Rauch. M iller und seine Leute warfen sich flach auf den Boden, während das Quintett deutscher Soldaten, vom Ku gelhagel durchsiebt, einen grotesken M arionettentanz aufführte. Blutdunst mischte sich mit säuerlichem Pulverdamp f und dem aufgewirbelten Staub der Trümmer, und auf den grauen Uniformen erschien ein leuchtendrotes Punktmuster. Im Fallen erwiderte ein sterbender Deutscher das Feuer, doch das einzige, was er mit der Salve aus seiner Schmeisser traf, war der Kronleuchter. M it einem Hagel umherfliegend er Glassplitter - M iller und seine Leute rissen schützend die Arme vors Gesicht - krachte der Leuchter zu Boden und begrub den Deutschen unter sich. Die Stille kam ebenso p lötzlich wie das voraus gegangene Sperrfeuer. Teile d es Geländers segelten noch hin ab, Pulver dampf hing in der Luft wie Nebelschwaden. Ser geant Hill und seine M änner betrachteten mit schußbereiten Waffen den Ort des Gemetzels. Über ihnen sagte eine Stimme: »Oben alles
133
klar!« »Unten alles klar!« erwiderte Ser geant Hill. Am Boden sahen sich Horvath und M iller in sprachloser Bestürzung an. »M ensch, da kriegt man ja graue Haar e vor Schreck«, fand der Sarge schließlich die Sp rache wieder. »Wenn's nur das ist«, meinte M iller. Der Cap tain stand auf, und seine M änner folgten sein em Bei spiel. Trümmerstaub und Sch mauch klebten an ihnen wie Schuppen. Sie traten in d ie M itte der Halle, u m zu ihren Ret tern emp orschauen zu können. Entlang des ganzen Geländers besser gesagt, den Überresten, die das M aschinengewehrfeuer überstanden hatten - hockten Fallschirmjäger, zwölf an der Zahl. Sie betrachteten ihr grausiges Werk und nickten den M ännern zu, denen sie gerade das Leben gerettet hatten. Ihr Anführer, Cap tain DeWayne Hamill, einunddr eißig, San Diego, Kaliforn ien, ein blonder M ann mit ausladendem Kinn, blickte völlig verwirrt durch die Wo lke aus Staub und Schießpulver auf M iller und seinen Rangertrupp hinab. »Wir suchen Private Ryan«, erklärte M iller.
11
M it Hilfe von aufgehäuften Trümmern und fr isch aus geho benen Schützenlöchern hatten die Fallsch irmjäger der 101. Luftlandedivision einen Verteidigungsring um den nördlichen Teil des Ortes gelegt. Trotz gelegentlich auff lack erndem Feuer aus Handfeuerwaffen war dieser Teil von Neuville r elativ sicher. Der Anblick von amerikanisch en Panzern im Halbkreis eines von M aschinengewehr en gesicherten Verteidigungs gürtels wirkte sehr beruhigend auf M iller. Er und seine Leute
134
überquerten gerad e zusammen mit Ser geant Hills Trupp und Cap tain Hamills Fallschir mjägern die Bahn gleise. »Wie war der Weg hierher?« wollte Hamill wissen. »M alerisch«, antwortete M iller. »Einen Jeep verloren, Teile der Ausrüstung und M unition.« »Und einen M ann«, ergänzte der Sarge neben M iller trocken. M iller tat so, als hätte er das nicht gehört, doch in Wahrheit störte es ihn gewaltig, daß sich Horvath berufen füh lte, den Gewissensapostel zu sp ielen. Bei jungen Rekruten war er es gewohnt, daß sie sich an seiner scheinbaren Herzlosigkeit stießen; aber von sein em kampferfahrenen Sar ge durfte er etwas anderes erwarten. Hamill steuerte auf einen hageren, jungen Offizier zu, einem von denen, die es in einer dreißig tägigen Blitzkarriere zum Lieutenant gebracht hatten. Er stand schräg gegenüber auf der anderen Seite der Schienen und war dabei, Panzer in ihre Position einzuweisen. M iller und sein Trupp hielten an, als Hamill auf den Soldaten zugin g. »Schicken Sie mir Private Ryan her«, befahl Hamill. »Ryan!« brüllte der Lieutenant in Richtung der Fallsch irm jäger innerhalb des Verteidigun gsrin gs. »Vorne, M itte!« Ein behelmter Kopf tauchte aus einem Schützenloch auf, und der Soldat, der sich unter dem Helm befand, k am anger annt. Dabei ließ er beinah e sein Gewehr fallen und stolperte schließ lich noch üb er ein e Schiene. Als er nahe genug herangekommen war, erkannten sie, daß er gen auso dümmlich aussah, wie er gelaufen war: engstehende Augen, Pickel wie ein p ubertierender Jüngling, Schneidezähne, die einem Biber Ehre gemacht hätten, und ein Kinn wie Andy Gump - besser gesagt: überhaupt kein Kinn. »Sir«, quäkte Ryan und salutierte mit absurd wirkender, übertriebener Korrektheit. »Private James Ryan meldet sich wie befohlen zur Stelle, Sir!« Auf seine Brownin g-Automatic gestützt, verdrehte Reiben die
135
Augen und r aunte M ellish zu: »Na, was hab' ich dir gesagt? - 'n Arschloch.« »Stehen Sie bequem«, erwiderte Hamill derweil. »Captain M iller hier möchte mit Ihnen sprechen.« Ryan zog die Stirn in Falten, so als ob dieses Ansinnen ihn überforderte oder als hätte Hamill ihm gerade b efohlen, eine Extremwertauf gab e zu lösen. »Sir?« »Private«, sagte M iller in militärischem, aber sanftem Ton, »ich habe leider eine sehr schlechte Nachricht für Sie.« Der Junge kniff die Augen zusammen, und er runzelte d ie pickelige Stirn. »Sir?« M iller fühlte sich, als würde er einem entlaufenen Welpen einen Fußtritt verpassen. »Ich kann es Ihnen leid er nicht schonend mitteilen, mein Junge, also raus damit: Ihre Brüder sind tot.« »Waas?« Die Farbe wich aus dem Gesicht des jun gen M annes; er machte ein Gesicht, als hätte man ihm in den M agen geboxt einen sehr schlaffen M agen. »Ihre Brüder sind nicht mehr am Leben ... mein Junge.« Ryan sank auf einen stählernen Schaltkasten, den sein Hintern wie zufällig gefunden hatte. »Tot ... tot, Sir? Alle tot?« M iller nickte düster. »Wir sind hier, um Sie nach Hause zu bringen, mein Sohn. Sie fahren nach Hause.« »O Gott«, sagte der Junge. Klap pernd fiel sein Gewehr auf die Gleise, als er die Hände hochriß und sein Gesicht bedeckte. Aus seinen Augen schossen die Tränen - als hätte er diese Trauer schon lange Zeit unterdrückt. Natürlich hatte jeder in diesem Krieg solche Gefühle, die er zurückhielt ...
136
»M eine Brüder ... o Gott, meine kleinen Brüder ...« Reiben f lüsterte M ellish zu: »Der trägt's echt wie ein M ann, nicht?« Hamill drückte die Schulter des Jungen. »Es tut uns allen entsetzlich leid, James. M ein aufrichtiges Beileid.« »M eine Hämorrhoiden bluten für ihn«, wisperte M ellish Reiben zu. Doch in Wahrh eit emp fand M ellish M itleid mit dem schrägen Vogel; auch er h atte Brüder. M it tränenüberströmtem Gesicht stieß Ryan hervor : »Wie ... wie sind sie denn ... gestorben?« »Sie sind im Kamp f gefallen«, antwortete M iller. Der junge M ann runzelte verwirrt die Stirn. »Gefallen ? ... In was für einem Kampf denn?« »Also ... Einzelheiten weiß ich auch nicht. Es tut mir wirklich leid.« »Das kann nicht sein ...« »Es fällt immer schwer, so etwas zu glauben.« Der Junge hatte aufgehört zu weinen. »Nein, ich meine, das kann gar nicht sein. Ned und Richie geh en doch beide noch zur Schule.« Jetzt hatte M iller das Gefühl, einen Schlag versetzt zu bekom men. »Ist es so was gewesen? Ein Unfall auf dem Schulhof? Viel leicht ein Unglück auf der Rutsche oder eine zusammen gebro chene Wipp e?« M iller musterte sein Gegenüber, als wäre er ein Bakterium unter dem M ikroskop. »Sie sind do ch James Ryan?« »Ja, sicher.« »James F.?« »Ja, genau. Das heißt also, sie sind tot?« Der Junge begann von neuem zu schluchzen.
137
Reiben, den das Ganze belustigte, zischte M ellish zu: »Viel leicht ist ja unter der Provinz-Turnhalle 'ne Landmin e hoch ge gan gen. Oder die Japse haben 'ne Sch aukel angesägt.« M iller machte noch einen Versuch.
»Sie sind wirklich James Francis Ryan?«
Der Angesprochene schüttelte so heftig den Kopf, daß die
Tränen M iller wie Regentropfen besp ritzten. »James Frederick Ryan.« Es hätte immer noch sein können, daß sich jemand beim M ittelnamen vertan hatte, ein Druckfehler. Also fragte M iller nach: »Iowa?« »M innesota. Brainerd.« Der Junge fragte weinend: »Hei ... heißt das, meinen Brüdern ist nichts p assiert?« »Ja, da können Sie sicher sein«, sagte M iller. »Wir suchen einen anderen Ryan.« Dieser Ryan jedoch, James Freder ick, schluchzte weiter. »Sind Sie ganz sicher, daß es meinen Brüdern gutgeht? Woher können Sie d as denn jetzt wissen?« »Es liegt eine Verwechslun g vor, mein Jun ge. Ich muß Sie um Entschuldigung bitten.« »Vielleicht ist ja seinen Brüdern nichts p assiert, und meine sind ... o Gott ...« »Nein, das glaube ich nicht.« Der Junge blinzelte, dabei blieben Tränen wie Perlen in seinen Wimpern hängen. »Das heißt also, Sie br ingen mich nicht nach Hause?« »Nein.« Jetzt flossen die Tränen erst richtig, und Hamill winkte ein ige seiner Leute heran, die den immer noch auf dem Sch altkasten sitzenden Ryan trösten und beruhigen sollten. Die Fallschirmjäger innerhalb des kleinen Verteidigungsrings hatten genug mitbekommen, um d ie Komik der Situation zu
138
erfassen, und nur d as Hohngelächter der gesamten Einheit hielt Reiben d avon ab, selbst herauszuplatzen. M iller kam sich wie ein Trottel vor und redete auf Cap tain Hamill ein: »Himmel, tut mir wirklich leid, diese Verwechslun g.« »Die militärische Aufklärung hat mal wieder zugeschlagen«, bemerkte Hamill nur. In Begleitung von Hamill entfernten sie sich von der Gleisanlage. Der Sar ge schloß zu M iller auf und fr agte: »Wo, zum Teufel, ist dann unser Ry an?« »Fragen Sie mich was Leichteres«, sagte M iller. Er wandte sich zu Hamill. »Können Sie Kontakt zu Ihrem Vorgesetzten herstellen?« »Nein, es sei denn, Sie verstehen was von spiritistischen Sitzungen.« »Hab' ich befürchtet«, brummte M iller. Hamill über legte. »In welcher Einheit ist Ihr Ryan?« »Baker-Kompanie, Fünfhundertsechste.« Hamill wurde hellhörig. Er r ief zu Ser geant Hill hinüber, der mit seinen Leuten eine Zigarette rauchte. »Der Junge, der sich den Fuß gebrochen hat, der war doch in der Fünfhundertsechsten, oder?« »Ja - Charlie-Kompanie, glaub' ich.« Hamill schaute zu M iller. »Zwar nicht Baker-Kompanie, aber zumindest ein Anfang.« »Besser als alles, was ich zu bieten habe. Wo geht's lang?« »Kommen Sie mit ...« Kurz darauf kamen Hamill und M iller zu einem ausgebomb ten Lebensmittelgeschäft, wo die Verwundeten der Hundertersten sich drängten. Einer von ihnen war Lou Oliver, vierundzwanzig, Phoenix, Arizona. Er saß da mit seinem gebrochenen Fuß, der durch d en Verband d as Ausmaß eines Brotlaibs bekommen hatte, schaute zu den beiden Captains auf und sagte: »Ryan? Tut mir leid, den kenne ich nicht.«
139
»Wo sind Sie runtergekommen?« fragte M iller. »Bei Vierville.« M illers Augen zuckten. »M ensch, wie hat es Sie denn dorthin verschlagen?« Oliver machte ein Ger äusch, das halb wie ein Lachen und halb wie ein Seufzer klan g. »Denke, es war Glück. Sir, unsere C-47 ger iet unter heftigen Beschuß, und unser Pilot hat sein Bestes versucht, damit wir die Scheiß e, die die Deutschen uns da hochschickten, nicht abkr iegten. Er flog im Zickzack, aber beim Absprang haben sie wieder auf uns gefeuert ... war 'n ziemlich es Chaos.« M iller nickte. »Was soll's, nun bin ich hier. Bin froh, daß ich's bis jetzt überlebt habe. Aber von meiner ursprünglichen Einh eit habe ich keinen einzigen mehr gesehen. Wer weiß, wo die alle abgeblieben sind.« »Ist irgendeinem Plappermaul von der Baker-Kompanie vielleicht raus gerutscht, wo deren geplante Absp rungzone war? Irgendeiner, der nicht dicht gehalten hat?« »Nein, Sir ... Aber ich weiß, daß die Baker-Kompanie densel ben Sammelpunkt hatte wie wir.« M iller gab ein zufriedenes Stöhnen von sich; endlich eine wirklich heiße Sp ur. Er zog eine Karte hervor und entfaltete sie. »Gut«, sagte er. »Zeigen Sie es mir.« Einige M inuten später trafen M iller und Hamill wieder bei ihren Leuten ein, die es sich vor dem ehemaligen Lebensmittel laden bequem gemacht hatten. »Und?« fragte der Sarge M iller. »Haben wir ein Ziel?« »Und ob«, antwortete M iller. »Wir warten die Dunkelheit ab, dann brechen wir auf.« »Wie lan ge ist es bis dahin ... drei Stunden?« »Ja, kommt hin. Drei Stunden.«
140
M iller drehte sich zu Hamill. »Können Sie uns ein gutes Hotel empfehlen? Saubere Laken, weiche Betten, Zimmerservice?« Gelächter in der ganzen Runde. »Ich denke, da hätten wir was für euch«, sagte Hamill. »Sergeant Hill, brin gen Sie die M änner in die Kirche.« »Ja, Sir«, sagte Hill und zog mit den M ännern im Schlep ptau los. Die beiden Offiziere blieben allein auf d er zerstörten Straße zurück. »Also«, meinte Hamill, zündete sich ein e Lucky Strike aus seiner K-Ration an und setzte sich auf einen Zementblock, »was erzählt man denn so? Wie stehen unsere Chancen?« »Der Strand ist in unserer Hand, aber wir kommen insgesamt nur langsam vor an.« M iller ließ sich auf einem Betonklotz nieder. »M ontgomery braucht verdammt lange, bis er Caen erreicht hat, und bis dahin sind uns die Hände gebunden.« »M onty«, schnaubte Hamill und blies den Zigarettenrauch durch die Nase aus. »Diese britische Flasche wird einfach überschätzt.« »Da haben Sie verdammt recht«, grunzte M iller. Eigentlich waren sie Fremde, diese beiden Captains, und doch redeten sie miteinand er wie alte Freunde, so als ob sie eine Unterhaltung von gestern fortsetzten. Sie war zwar nur ein kleiner Club, diese Bruderschaft der Captains im Fronteinsatz, doch wenn ihre M itglieder einander zufällig begegneten, dann nahmen sie d ie Gelegenheit zu einem Plausch unter Gleichge sinnten gerne wahr. »Wir brauchen Caen, um St.-Lo einn ehmen zu können«, bemerkte Hamill. »Und St.-Lo brauchen wir«, ergänzte M iller, »um Valognes zu kriegen.« Hamill n ickte. »Und ohne Valognes kriegen wir Cherbour g nicht.«
141
»Cherbourg ist unser Tor nach Paris.« »Und Paris das nach Berlin.« »Und wenn wir Berlin haben«, schloß M iller, »dann haben wir uns endlich die Dampferfahrt nach Hause verdient.« Einen M oment lang schwiegen beid e und dachten an zu Hause. Dann schüttelte Hamill den Kop f und sagte: »M ann, dabei könnten wir Ihre Hilf e verdammt gut gebrauchen ...« »Ich würde mich auch verdammt gern hier bei Ihnen ins Zeug legen. Aber Bef ehl ist Befehl.« »Weiß ich ja. Aber mir ist jedenfalls klar, warum man Sie geschickt hat.« »Ach, wirklich? Dann erk lären Sie es mir doch bitte, damit es mir auch klar wird.« Hamill zog an seiner Zigar ette, spürte die Wirkung des Rauchs in der Lunge. »Die Sache mit diesen Sullivans kürzlich - das war schon echt hart für die M amis und Papis in den Staaten. Das gab 'ne schlechte Presse ... außerdem hab' ich auch 'n p aar Brüder.« M iller nickte. »Habe verstanden, laut und deutlich.« »Viel Glück bei deinem Auftrag, Kump el.« »Vielen Dank, Cap tain.« »Spür den Glückspilz auf und setz ihn aufs nächste Schiff.« Sie unterhielten sich no ch etwa eine Stunde, während d ie Abendsonne das zerstörte Dorf in warmes, oran gefarbenes Licht tauchte. Dann ließ sich M iller den Weg zur Kirche beschreiben, und als er in der Dämmerung dur ch den Ort lief, konnte er sich b einahe vorstellen, wie es dort aus gesehen hatte, bevor die Deutschen und die Amerikan er gekommen waren. An der Kirche erblickte er Jackson, der Wache stand, doch nicht am Hauptportal - das war unter Schutt begraben -, son dern an einem Loch in der M auer, das von einer M örsergranate
142
stammte. »Donner!« sagte M iller. »Blitz«, erwiderte Jackson gedehnt, die Springfield liebevoll im Arm. »Willkommen im Ritz, Cap 'n.« »Jackson«, fragte M iller und zögerte einen M oment, »sagen Sie, warum sind Sie eigentlich der einzige aus dem ganzen Trupp, der mich nicht für einen herzlosen Schuft hält?« »Sir, das stimmt nicht. Ich halte Sie auch für einen herzlosen Schuft«, entgegnete Jackson. »Aber das ist eben zur Zeit Ihre Pflicht, und Gott sei Dank erfüllen Sie sie. Und zwar hervor ragend, Sir.« M iller lächelte Jackson zu, nickte und bahnte sich zwischen Steinhaufen, Bauschutt und Trümmern einen Weg ins Innere der Kirche. Viel gab es nicht mehr, was vom ursprünglichen Zweck des Bauwerks zeugte: hier ein einzeln es Buntglas fenster, das den jungen Jesus mit den Schriftgelehrten zeigte, dort ein Engel mit abgebrochenen Flü geln, dem das M ondlicht einen Heiligenschein verlieh, sowie vereinzelte Bankreihen. In einer saß Wade und schrieb. M iller war sofort klar, was Wade da tat: Er schrieb Caparzos Brief ab, übertrug die Wörter von dem zerknüllten, blutdurchtränkten Blatt auf einen frischen, sauberen Bogen Feldp ostp ap ier. »In zwei Stunden rücken wir ab. Versuchen Sie noch etwas zu schlafen.« Wade schaute auf, wobei er M iller f ast mit seinem Blick durchbohrte, und fuhr mit der Abschrift fort. M iller gin g den Gang entlan g und erkannte Upham, der in einer Bankreihe auf seinem Rucksack lag. Er starrte ohne seine Br ille an die bröckelige Decke und zitterte, als wäre er in Trance. Der Captain blieb neben ihm stehen. Ganz leise fragte er: »Wie kommen Sie zurecht, Corp oral?« Upham lächelte; es war ein ziemlich gespenstisches Lächeln,
143
aber doch ein Lächeln. »Das hier tut mir gut, Sir. Das Ganze.« »Wie meinen Sie das, mein Junge?« Upham richtete sich auf und zitierte einen Satz, an dessen Worten er sich festzuhalten schien wie an ein er Rettungsinsel: »>Der Krieg erzieht die Sinne, ruft den Willen auf den Plan, vervollkommnet die körp erliche Verfassung und bringt M änner in gefährlichen Au genblicken so plötzlich und eng zusammen, daß M ann an M ann sich messen muß.<« M iller lachte leise in sich hinein. »Jaja, das ist die positive Seite, die Emerson da b etont.« Upham zwinkerte und starrte dann seinen Captain an. »Sie, äh ... Sie kenn en Emerson, Sir?« »Ralp h Waldo und ich, wir sind gute Bekannte.« Jetzt war Uphams Interesse geweckt. Auch sein Zittern hatte aufgehört, ohne daß er es bemerkt hatte. »Cap tain ... wo kommen Sie eigentlich her?« »Wieso?« »Ach wissen Sie, hab' mich ger ade gefragt... was Sie wohl so beruflich gemacht haben im Zivilleben ... einfach so.« »Wieviel ist jetzt im Topf?« Upham fühlte sich ertappt und grinste. »Äh, irgendwas über dr eihundert.« M iller dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: »Nicht übel ... Wissen Sie was, wenn fünfhundert drin sind, verrate ich Ihnen die Antwort, und wir machen halbeh albe.« Upham kniff die Augen zusammen und flüsterte verschwö rerisch: »Na, wenn das so ist, dann lassen Sie uns doch warten, bis wir einen Riesen zusammenhaben. Was meinen Sie?« M iller schüttelte den Kopf. »Das erlebe ich vielleicht nicht mehr.« Das Grinsen auf Uphams Gesicht erstarb, als er begriff, daß sein Captain keinen Scherz machte.
144
»Okay«, sagte Upham. »Also bleiben wir bei fünfhundert.« »Abgemacht, mein Junge.« M iller zwinkerte ihm noch einmal zu und suchte sich dann ein freies Plätzchen auf dem Boden, wo er sich setzte und seine Karten ausbreitete, die er im Licht seiner Taschenlampe studierte. Hier und dort markierte er etwas. Um ihn schliefen seine M änner, deren Schnarchen das Gotteshaus erfüllte. Es dauerte nicht lange, bis M iller Probleme bekam, die Hand mit der Taschenlampe ruhig zu halten; die verdammte Pfote zitterte schon wieder. »Wie lan ge haben Sie das schon?« Es war die Stimme des Sar ge; leise und nicht unfreundlich. Horvath kroch zu seinem Captain, der ihm zur Antwort gab: »Fing in Portsmouth an, als wir eingeschifft wurden ... mal ist es da, mal wieder weg.« »Sie sollten sich vielleicht einen anderen Job suchen. Der h ier scheint Ihnen nicht mehr so gut zu bekommen.« M iller lachte leise. »Stimmt schon. Diese Beschäftigung verliert langsam wirk lich ihren Reiz.« Der Sar ge k auerte sich neben ihn. M iller verstand es so, wie es gemeint war: als Geste der Versöhnun g. »Wie hieß doch gleich der Junge in Anzio?« fragte M iller. »Da waren doch so viele Jun gs in Anzio - viel zu viele Jungs.« »Ich meine d en, der auf den Händen gelauf en ist und dieses dreckige Lied gesungen hat.« Der Sarge lachte. »Der auch am Trap ez war und den Liedtext >in unbereinigter Form< gebracht hat?« M iller lachte ebenfalls. »Genau den.« »Vecchio.« »Ja - richtig, Vecchio.«
145
M iller schüttelte den Kopf. »So ein verrückter Knabe ... Vecchio. Cap arzo. Jesses ...« »Jesses?« fragte der Sar ge spitz nach. »Wollen Sie sagen, daß Sie für sein en Tod auch verantwortlich sind? Wußte ich noch gar nicht. Aber hier sind Sie ja am r ichtigen Ort, um Buße zu tun.« M iller lächelte über die Bemerkun g des Sar ge und schüttelte den Kop f; er kämpfte mit den Tränen - und er verstand den Tränenausbruch des »falschen« Private Ry an. »Jedesmal wenn du einen von deinen Jungen verlierst«, sagte M iller mit sanfter Stimme, als sp räche er ein Gebet, »dann sagst du dir, du hast gerade zwei, drei, zehn, vielleicht sogar hundert anderen Jungs und M ännern das Leben gerettet.« »Keine schlechte Art, die Sache zu sehen.« »Wissen Sie, wie viele Leute gefallen sind, die unter meinem Befehl standen?« »Nicht aus dem Stegreif.« »Cap arzo war Nummer vierundneunzig. M ann, das heißt, ich habe wahrscheinlich zehn- oder zwanzigmal so vielen d as Leben gerettet. Ist doch ganz einfach, 'ne einfache Rechenaufgab e - und jedesmal stellst du den Auftrag über die M enschen.« »Nur daß diesmal der Auftrag ein M ensch ist«, bemerkte der Sarge. M iller lachte bitter. »Jetzt stellen Sie sich vor, dieser komisch e Junge von vorhin stellen Sie sich vor, der wäre unser Private Ry an gewesen. Wäre der so viel wert gewesen wie Caparzo?« »Für seine M utter wahrscheinlich schon.« »Ich hab' 'ne M utter, Sie haben 'ne M utter, Caparzo hatte 'ne M utter. Gottverdammte Scheiße ...« Er starrte auf das Kirchenfenster, als ford ere er Gott heraus, ihn für seine Lästerworte zu bestrafen.
146
»... Wehe, wenn dieser Private James Francis Ryan nicht ein As ist! Wenn der nach Hause kommt, dann soll er gefälligst Krebs heilen oder eine Glühbirne erfinden, die nie kaputtgeht, oder ein Auto, das mit Wasser fährt. Und wenn Sie meine ehrliche M einung hören wollen: Ich würde zehn Ry ans gegen einen Vecchio oder einen Cap arzo eintauschen.« Horvath ließ das auf sich wirken, dann sagte er: »Wissen Sie, Ryan hat ja nicht nur 'ne M utter ... er hat auch einen Captain, der wahrscheinlich genauso für ihn emp findet wie Sie für d iese Jungs hier.« M illers M und zuckte, doch da war kein Lächeln. »Also gut, dann soll er seinen geliebten Ry an-Arsch nach Hause schicken. Scheiße ... es fängt wieder an.« Seine Hand zitterte, so wie zuvor Up ham gezittert hatte. Er konzentrierte seine ganze Willenskraft darauf, die Hand zur Ruhe zu bringen. Endlich hörte das Zittern auf. Er stand auf, schaute auf seine Uhr, dann bellte er im Befehlston: »Los, in die Klamotten, M änner! Aufgestanden! Euer Schönheitsschlaf ist vorbei. Los! Auf geht's!« Grummelnd und mit knackenden Gelenken verscheuchten sie ihre Träume von zu Hause, von M üttern und von nackten Freundinnen, erhoben sich vom Boden und aus den Bankreihen und schulterten ihre Ausrüstung. Unter der Führung ihres herzlosen Captain verließen sie den Schutz der Kirche und machten sich auf - in die wartende Nacht. Und in den wartenden Krieg.
12
Der M ond stand über der Landschaft und tauchte M iller und
147
seine Leute in elfenbeinfarbenes Licht. Die Stille der Nacht wurde nur vom Zirpen der Grillen, dem gelegentlichen Ruf eines Käuzchens und von den Schritten der sieben Soldaten gestört, die sich vorsichtig am Rand eines Feldes bewegten, das parallel zu den Sp urrillen einer Fahrbahn ver lief. M iller war stolz auf seine Jungs, seine M änner; es war nur ein kleiner Trupp, und sie konnten nicht auf lange Kamp ferfahrung zurückblicken, doch sie hatten die harte Prüfung am Omaha Beach bestanden. Dort waren sie zu erprobten Kämpfern geworden, und mit ihren schweren Waffen und in ihrer Kamp fausrüstung sahen sie einfach p rachtvoll aus. Er bemerkte, daß Jackson und Wade zu wenig Abstand hielten und schnippte mit den Fingern. Alle Blicke ruhten auf ihm, als er unvermittelt auf die beiden zuging und sie anwies, nicht zu eng zusammen zu gehen. Plötzlich zuckte ein Licht über den Himmel, das ein Blitz hätte sein können, aber keiner war, und ein Grollen ließ Himmel und Erd e erzittern. Orangeweißes Licht fegte über den Horizont, und die Erde bebte unter ihren Stiefeln, als die Granaten in der Ferne exp lodierten. Dann entzündete sich auch der Himmel hinter ihnen, und bald stand auf beiden Seiten die Nacht in Flammen; wie eine Flutwelle rollte d er Lärm über und unter ihnen hinweg, und sie sahen die großen Granaten pfeifend über ihren Köpfen vorbeiziehen. Für einige Augenblicke standen die M änner wie gebannt in der neutralen Zone dieses schweren Artillerieduells, im Auge eines von M enschen gesch affenen Orkans. M iller wußte, daß ihnen keine Gefahr drohte, falls nicht durch einen unwahrscheinlichen Zufall dir ekt über ihnen eine ameri kanische 88 er mit einer deutschen Granate zusammenprallte. Er versuchte seine M änner von dem Schauspiel abzulenken, aber ihre Gesichter blickten unverwandt auf die beiden Stellen,
148
wo der Horizont zu brennen schien. Die überirdische Schönheit, mit der sich d er Krieg aus der Ferne zeigte, zo g sie vö llig in ihren Bann. In dem or an gewei ßen Flammenschein, der auf ihren Gesichtern spielte, sahen sie aus wie Kinder, die am Unabhängigkeitstag ein Feuerwerk verfolgen. M iller schnippte wieder mit den Fingern, und diesmal behaup tete sich das leise Geräusch gegen den Donner der Schlacht und brach den Zauber, so daß sie schließlich weiter stap ften. Sie wanderten durch die Nacht, und der Artiller ielärm k lan g nun immer ged ämp fter, bis es am Horizont wieder hell wurde, wo nicht der Widerschein einer Schlacht, sondern die M orgen dämmerung mit ihren Gefahr en heraufzo g. An einer Straßenkr euzung hielt M iller an, um seine Karte zu Rate zu ziehen, während der Sarge mit dem rot abgeblendeten Schein seiner Taschenlamp e einen Wald von Straßenschildern anleuchtete, die ihnen viele Wege zu französischen Orten mit unaussprechlichen Namen wiesen. Der Captain faltete seine Karte zusammen und steckte sie weg. »Es wird bald hell. Laßt uns einen Zahn zulegen.« Sie vermieden nun die heckengesäumten Wege und wander ten über flaches Ackerland, Weiden und Felder. Bald liefen sie durch taunasses Gras, der Sar ge voran, M iller am Schluß; um sie herum b egannen die Vögel zu zwitschern, und ein freundlicher graublauer Himmel sp annte sich über ihnen - ohne die Waffen in ihren Händen wäre es ein geradezu beschau licher M orgensp aziergang gewesen. Reiben, beladen mit seiner Browning-Automatic und der M unition, war schon eine ganze Weile ungewöhnlich still gewesen. Plötzlich stellte er eine Frage: »Wißt ihr, was das Beste wäre, das uns passieren könnte?«
149
»Wie war's damit«, meinte Jackson, »Private Reiben tritt in einen rostigen Nagel, kriegt Wundstarrkrampf und kann nie mehr sprechen, solang er lebt?« M iller lachte, laut genu g, daß seine M änner es hören konnten, nicht weil er die Bemerkun g besonders lustig fand, sondern um seinen Trupp bei Laune zu halten. »Sagen Sie schon, Reiben«, ermunterte ihn M iller, während sie ein ziemliches Tempo vorlegten. »Was ist denn das Beste, das uns passieren könnte?« »Im Idealfall«, sagte Reiben, »ist Ry an schon tot, wenn wir ihn finden.« »Und warum das?« »Sir, bed enken Sie mal die v erschiedenen M öglichkeiten. A: Ryan ist am Leben, und wir müssen d iesen Burschen zum Strand zurückschleifen. Wie wir Sie kennen, Cap , kriegt er nicht ein Stück unser er Ausrüstung auf den Buckel, auch wenn er wie jed er andere Penner seinen Beitrag leisten müßte, sondern wir setzen ihn auf ein Kissen und tragen ihn, damit er und seine M ami wied er zusammenf inden, wie es die Herren Generale befohlen haben. Und wir? Wir gehen alle bei dem Versuch drauf, d en Hurensohn am Leben zu erhalten.« In der Ferne schlug kurz ein Hund an. »Okay«, sagte M iller, als ob er mit allem einverstanden wäre. Seine M änner mußten grinsen. Reiben fuhr fort: »Oder, M öglichkeit 2: Ryan ist tot und …« »M oment mal«, unterbrach M ellish. »Du hast gesagt >A<. Jetzt sagst du >2< ...« »Jaa, gut«, sagte Reiben, »meinetwegen. Also B: Ry an ist tot, zerfetzt, es hat ihn in tausend Stücke gerissen, die jetzt irgendwo in einem Bach treiben. Und Sie, Sir, Sie lassen uns ihn Stück für Stück herausfischen, und wir versuchen ihn dann wieder zusammenzusetzen, damit wir sicher sind, diesmal auch den richtigen Private Ryan gefunden zu haben, während die
150
Krauts uns abknallen, einen nach dem ander en.« »Diese Var iante gefällt mir nicht so gut«, sagte M iller. Sie kamen zu einer Hecke, aber zu einer der niedrigeren, die nicht völlig undur chdringlich war en; sie konnten sich durch sie hindurch auf die ander e Seite quetschen, wo Reiben fortfuhr. »M ir auch nicht, Sir. Also werfen wir einen Blick auf M öglichkeit C: Wir finden Ryan, und er ist verwundet.« »Ganz schlecht«, sagte M iller. »Das Schlimmste überhaupt«, stimmte Reiben zu. »Nicht nur trägt er nichts von unserer Ausrüstung, wir müssen dann seine Ausrüstung tragen. Ganz zu schweigen von Private Ry an selbst und seinem, Pardon, verwundeten Arsch.« »Wäre mö glich«, sagte M iller. »Sag ich doch, Sir. Also wäre doch das Beste: Er ist tot, mau setot, aber mehr oder weniger intakt. Wir greifen uns seine Hundemarke und machen uns so schnell wie möglich auf den Weg zurück zum Strand.« »Und seinen Leichnam nehmen wir nicht mit?« fragte M ellish. »Natürlich nicht! Über den freut sich bestimmt ein Leichen bergungstrupp.« »Ich hab' eine bessere Idee.« Reiben grinste. »Da bin ich sicher, M ellish.« M ellish blickte seine M arschgefährten der Reihe nach an und fragte: »Ist schon mal jemand von euch aufgef allen, wie sehr sich die Namen >Reiben< und >Ry an< ähneln? Reiben, Ryan ...« Der ganze Trupp nickte, grinste - alle außer Reiben. M ellish fuhr fort: »Ich bin dafür, wir knallen Reiben ab, las sen ihn für den Leichenber gungstrupp liegen, kratzen ein bißchen an seiner Hundemarke rum und behaupten dann, es sei Ryan.« »Verführer ische Idee«, sagte Jackson. »Aber was ist, wenn
151
der Schwindel auffliegt?« »Überall können Feh ler passieren«, wehrte M ellish ab. »Schließlich ist Krieg ... das Schlimmste, was dann gesche hen kann, ist, daß wir weitersuchen müssen ... vielleicht sogar noch Tage, nachdem sich die Lage hier schon wieder beruh igt hat.« »Interessant«, sagte M iller mit ernstem Gesicht, »das wäre tatsächlich eine M öglichkeit.« »Seien Sie mir n icht böse, Sir«, bemerkte Reiben, der in seinem eigenen Spiel üb ertrump ft worden war, »aber ich finde meine Idee besser.« Wade, der sich an dem sarkastischen Gespräch nicht beteiligt hatte, meinte: »Ich glaube nicht, daß Ryans M utter damit ein verstanden wäre.« »>Ryans Mutter
152
Versehen die gute alte Bessy umgebracht, die prämierte Hereford-Kuh?« »Wie soll er denn das angestellt haben?« wollte M ellish neugierig wissen. Darauf hatte Jackson nur gewartet: »Er hat mit Streichhölzern rumgespielt und dabei die Scheune ab gefackelt.« M ellishs Augen begannen zu glänzen. »Vielleicht war's ja gar kein Versehen!« »Jaa«, sagte Reiben, der in Fahrt kam, jetzt, da das Spiel wie der in seinem Sinne lief, »vielleicht ist er ja ein er von d iesen sadistischen Bauerntölpeln, von denen man überall hört, die Hühner quälen und sich dann das Blut auf ihren Overall schmieren ...« »Nein«, sagte Upham, »ihr liegt völlig falsch - er ist kein Sadist.« Alle schauten den Corp oral an. »Er ist unmoralisch«, sagte Upham, »prinzip ienlos, sittlich verkommen, unehrlich und versch lagen. Er ist ein hinterhäl tiger, v erlogen er, unzuverlässiger, vö llig nutzloser, bovino sodomistisch veranlagter Farmersjun ge ... das ist ein er, der's mit Kühen treibt, falls es euch interessiert ... aber sadistisch? Sadistisch ist er nicht.« Die anderen M änner mußten grinsen, nickten und betrachte ten den Neuzugang p lötzlich mit Resp ekt. M ellish ließ einen anerkennenden Pfiff hören, und auch Reiben sah den Corporal auf einmal mit ganz anderen Augen und fr agte sich besorgt, ob er in der Schlammschlacht-Arena demnächst mit einem neuen Rivalen zu rechnen hatte. M iller freute sich, er war geradezu erleichtert, als er sah, daß Upham sich durchzusetzen begann und die Gruppe den Corp oral schließlich doch in ihre Reihen aufnahm. Aber die Art, wie sie sich über Ryan das M aul zerrissen, hatte schließlich eine merkwürdige Wendung genommen ...
153
Auf ihrer nächtlichen Wanderun g hatten sie sich fast wie bei einer Exp edition auf einem unbewohnten Planeten gefühlt. Das hatte sich am M orgen nicht geändert, und so waren sie eine Stunde durch die Sonn e und über Felder und Weiden gelaufen, wo sie nur hier und da Kühen, aber nir gends einem M enschen begegnet waren. Als aber jetzt geschäftige Stimmen durch eine Hecke zu ihnen herüberdrangen, warfen sich M iller und seine M änner besorgte Blicke zu. Sie stießen durch das Buschwerk, das hier durchlässiger war als anderswo, und standen p lötzlich vor einem »Hauptbahnhof mitten im Bohnenfeld«, wie Reiben gleich bemerken mußte. Amerikanische Soldaten, hauptsächlich Fallschirmjäger, hatten mit frisch ausgehobenen Schützenlöchern und M aschinengewehrstellungen als Flankenschutz einen Verteidi gungsring angelegt, in dessen M itte Grupp en von GIs ziellos umherliefen und französische Flüchtlin ge plaudernd auf- und absp azierten, wie Darsteller in einer Zirkusarena. An dr ei Seiten war das Areal von Hecken begrenzt, auf der v ierten von einer unbefestigten Straße. Die Soldaten, die sich Geschichten erzählten und dabei rauchten, war en, wie leicht zu erkennen war, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von M ännern, die von ihren Kompanien abgeschnitten worden waren. Die Zivilisten waren teils älter, teils jünger, wobei die Zahl der Frauen und Kinder die d er M änner und alten Leute überstieg. Sie umklammerten ihre geretteten Habseligkeiten, die vom absolut Notwendigen bis zu den allerp ersönlichsten Dingen reichten. Eine der kampierenden Familien veranstaltete eine Art Picknick, das sie mit einem Handwagen in ein em eleganten Korb herbeigeschafft hatte. Eine ältere Dame drückte gerahmte Familienphotos an ihre Brust, und ein kleines M ädchen schob seine Puppe in einem Wägelchen umher. Andere Kinder bestaunten mit großen Au gen die Soldaten, die das Areal bewachten. Das Gelände, auf dem sich die Soldaten und
154
Zivilisten bewegten, war ein Friedhof von Lastenseglern. Ein halbes Dutzend flachgebaute, langgef lügelte Gleiter mit amerikanischen Hoheitsabzeichen lagen verstreut herum wie weggeworfen es Spielzeug. Hinten stand ihr Sp errholz rump fweit offen, hier war die Besatzung hinausgeklettert und ihre Fracht entladen worden. Fünf waren intakt, doch ein sechster Gleiter war in die Hecke am ander en Ende des Feldes gekracht. Zwanzig oder mehr verwundete amerikanische So ldaten lagen dort beisammen, einige im Schatten einer zerbrochenen Tragfläche. Weitere Verwundete kamen beim Stützpunkt in requirierten Zivil fahrzeugen an, unter denen sich auch ein betagter Lastwagen von einem Bauernhof und ein p ferdebespannter M ilchwagen befanden. Andere hatten zu Fuß ihr Ziel erreicht. Als M illers M änner auf das Feld einschwenkten, erb lickten sie Soldaten von d er 506. in abgerissenen Unifor men, die das blaurote Doppel-A der 101. Luftlandedivision trugen. Sie eskortierten gerad e eine Handvo ll deutscher Gefangener zur Sammelstelle. M iller war klar, daß dies für die meisten seiner Leute der erste direkte Kontakt mit feindlichen Soldaten war - jedenfalls mit lebenden Exemplaren. Aus eigener Erf ahrung wußte er, daß es sie sicherlich erschrecken würde, wie normal diese M änner aussahen und wie jung v iele von ihnen waren. Sie verströmten den unverkennbaren Geruch von Schweiß, Leder und ungewaschenen Uniformen, der so typ isch für deut sche Kamp ftruppen war, und wirkten benommen, noch völlig verblüfft über die Tatsache, in Gefangenschaft geraten zu sein. »Sieht mir nicht sehr nach Herrenrasse aus«, murmelte Reiben. Als sie vorbeikamen, offenbarte sich ihnen M ellish als Jude. »Jude«, sagte er wieder und wieder auf deutsch, »Jude«, wobei er auf sich und sein Gewehr deutete. Nur damit sie
155
klarsahen ... Drüben bei dem verunglückten Lastensegler, wo die Verwun deten beisammenlagen, winkte ein junger Luftwaffenpilot und rief M iller zu: »Captain! Captain!« Während sie zu ihm hinüber gingen, wollte M iller Wade sagen, er solle sich um die Verwundeten kümmern, aber Wade hatte sich schon auf den Weg gemacht. M iller blieb vor dem Piloten stehen. »Würden Sie mich über die Lage hier infor mier en, Lieu tenant?« »Dewindt, Sir«, stellte sich der blonde Pilot vor. William Dewindt war fünfundzwanzig und stammte aus Scottsdale, Arizona. »99. Truppentransport-Geschwader, mit dem 325. Infanterie regiment an Bord. Das verunglückte Baby hier war meins ... zweiundzwanzigTote.« M iller verzog mitfühlend das Gesicht. »M ich hat es herausgeschleudert«, sagte Dewindt und zeigte aufs Feld, »als wir hier runtergegangen sind. Habe keinen Kratzer abbekommen. M ein Copilot hat seinen Kopf verloren.« »Was hat er denn gemacht?« fragte M iller. »Ist er in Panik ger aten?« »Nein, nein! Ich hab e mich unklar aus gedrückt. Er wurde enthauptet.« Dazu konnte man nicht viel sagen. Also blieb M iller sachlich und fragte: »Wo ist ihre Einheit? Wer, zum Teufel, sind all diese Leute?« »Die Jungs, die wir hergebr acht haben, Sir, sind in der ersten Nacht davonmarschiert, und wir hab en sie seitdem nicht mehr gesehen. Inzwischen tauchen andere auf, einer, zwei, oder ein halbes Dutzend auf einmal. Früher oder später wird ein Offizier vorbeikommen, eine gemischte Einheit zusammenstellen und losziehen, um vorne mitzumischen. Sie müssen auch große
156
Verluste gehabt haben, Sir.« Dies war eine nah eliegende Vermutung - an gesichts einer so kleinen Gruppe von Soldaten unter Führung eines Captain. »Nein«, sagte M iller, »wir sind eine Spezialeinh eit, Lieuten ant. Wir suchen einen Priv ate James Ryan von der BakerKompanie der 506. Ist er Ihnen begegnet?« Dewindt zuckte mit den Schultern.
»Wäre mir n icht auf gefallen, selbst wenn ich ihn getroffen
hätte. Hier sind eine M enge Leute durch gekommen.« »Verstehe.« M iller schaute zu seinem Sanitäter hinüber. »Haben Sie was erfahren?« Wade sah von d em M ann auf, dem er gerad e ein en Verband anlegte, und sagte: »Hier ist er nicht.« »Herr im Himmel«, rief jemand. Es war der Sarge. »Schaut euch das an«, sagte Horvath, und M iller eilte zu ihm. Die Leiche eines Offiziers war zwischen den Überresten der vorderen Zwischenwand des Gleiters und einem Jeep ein ge klemmt, der dagegengep rallt war. »Wir konnten ihn da nicht rauskriegen«, sagte Dewindt und fugte leicht sarkastisch hinzu: »Ihr habt nicht zufällig eine Winde dabei?« »Bedaure«, sagte M iller.
»Sind das da Sterne an seinem Helm?«
»Sicher«, sagte der Sar ge.
»Das ist General Amend; stellvertretender Kommandeur der
101. Division«, erklärte Dewindt. »Donnerwetter«, stieß der Sar ge h ervor. »Wie hat er es geschafft, so zu sterben?« Dewindt verzog das Gesicht. »Irgendein Volltrottel hatte die glorreiche Idee, Stahlp latten auf unsere Unterseite zu schweißen, um den General vor der Flak zu schützen. Dummerweise hat sich aber niemand die M ühe gemacht, mir von dieser kleinen Vorsichtsmaßnahme zu
157
erzählen, bevor wir gestartet sind.« »Klingt nach einem schlechten Witz«, sagte M iller. »Ungefähr so witzig wie einen Güterzug zu fliegen. Total überladen, vö llig falsch e Trimmun g. Ich habe mir fast den Arm gebrochen bei dem Versuch, d ie Kiste auf Kurs zu halten.« M illers Trupp versammelte sich um den Piloten; alle wollten die Geschichte hören. »Als wir ausgeklinkt haben«, fuhr Dewindt fort, »habe ich versucht, den Vogel hochzuziehen, ein wenig Höhe zu gewin nen, ihn am Durchsacken zu hindern. Wir sind runtergegangen wie ein Safe, d er aus einem Hochhaus geworfen wurde.« Er wies auf die anderen Gleiter. »Alle ander en sind zum Stehen gekommen ... wir waren viel zu schwer. Nasses Gras, abschüssiges Gelände ... zweiund zwanzig Tote ... So wichtig war das Leben von Gener al Amend.« Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Das alles für einen einzigen M ann.« »Hier draußen passieren viele solche Dinge«, nickte Reiben. M iller warf Reiben einen grimmigen Blick zu, aber Reiben sah ihm ungerührt in die Au gen. Dann zuckte der Captain mit den Schultern und schüttelte den Kopf; was sollte er dazu auch sagen? Reiben seufzte und sagte: »Noch ein so typ ischer >fubar<.« »Das kannst du laut sagen«, meinte M ellish. »Hey«, sagte Upham, »wie buchstabierst du das eigentlich?« »F-U«, grinste Reiben und klopfte dann auf sein BrowningAutomatic-Rifle, sein B.A.R. »Das habe ich mir gedacht«, meinte Up ham. »Ich habe in meinem deutschen Wörterbuch nach gesch aut. So ein Wort gibt es gar nicht.« »Upham«, sagte M iller. »Sir?«
158
»Gehen Sie zu allen Fallschirmjägern hier innerh alb der Stel lung. Suchen Sie nach Ryan, fragen Sie, ob jemand ihn kennt.« »Zu Befehl, Sir.« Upham eilte davon. Dewindt schüttelte einen kleinen Beutel, den er an seinen Gürtel geknotet hatte. »Vielleicht sollten Sie die auch durchsehen.« »So?« fragte M iller, der nicht gleich verstand. Der Pilot knotete den Beutel auf und über gab ihn d em Cap tain. »Das ist meine Hundemarken- Sammlung«, sagte er müde. »M ehr, als mir zu zählen lieb ist. Jede M enge Gefallene, Sir. Ihr M ann könnte auch dabei sein.« M iller nahm den Beutel von dem Piloten in Emp fang und gab ihn an Jackson weiter: »Schauen Sie nach, ob d ie M arke von Private Ryan dabei ist.« »Ja, Sir.« »Ich helfe dir«, tönte Reiben. Sie ließen sich im Gras nieder, auch M ellish gesellte sich zu ihnen, und es sah aus, als würden Kinder mit Steinchen oder M urmeln sp ielen. Sie ließen den Sack reihum gehen, jed er griff sich eine Handvoll M arken, schaute sie nacheinander an und stap elte sie auf dem leeren Beutel auf, den sie in ihre M itte gelegt hatten. »Glaubst du, daß er dabei ist?« fragte Reib en. »Ich wette, ja«, sagte Jackson. »Ich wette, dieser Scheunenabfackler und Kuhfick er wartet nur auf uns ...« »Ich wette, ich finde ihn«, rief M ellish. »Fünf Dollar, daß ich ihn habe«, sagte Reiben. »Ich bin dabei«, meinte M ellish. »Ich auch«, erk lärte Jackson. Jetzt war es mehr wie ein Würfelspiel hinter den Kasernen baracken; sie wurden von einem kindlichen Sp ieltrieb ergriffen
159
und untersuchten mit fieberhafter Eile die blechernen Erken nungsmark en. »Komm schon, Junge, komm, ich weiß doch, daß du dabei bist«, sagte M ellish. »Ver giß es, Kump el«, entgegnete Reiben, »er gehört mir!« »Hat doch keinen Sinn, dich zu verstecken«, meinte Jackson. »Einem alten Spürhund wie mir entgehst du nicht...« »Ene mene muh, raus kommst du«, meinte M ellish. »Laßt es uns richtig spannend machen«, sagte Reiben lachend. »Sagen wir zehn Dollar ...« »Einverstanden«, meinte M ellish und rief dann : »Ich hab' ihn!« Er hielt eine M arke hoch, als hätte er in einer Lotterie die Gewinnummer gezo gen. »Hier ist er - Ryan! Ich hab' ihn!« M iller fragte von der Seite: »James Francis?« »Oh ... nein ... Scheiß e. Es ist nicht Ryan, es ist Reyes ... R-E Y-E- S. Verdammt, das war knapp .« »Knapp? Wir sind doch hier nicht beim Hufeisenwerfen«, bemerkte Jackson. »Scheiß drauf«, schimpfte M ellish, warf die M arke auf den Haufen und suchte weiter. »Das nennst du knapp «, lachte Reiben. Auch M iller mußte grinsen, aber plötzlich fin g er einen Blick vom Sarge auf und sah d essen M ißfallen. Auch Dewindt wirkte empört. Da kam Wade mit blutverschmierten Händen von den Verwundeten zu dem kleinen Sp ielerzirkel herüber. Zorn malte sich auf seinem Gesicht, aber er beh errschte sich und sagte mit ged ämp fter Stimme: »Seid ihr noch ganz bei Trost? Die Jungs da drüben können euch hören.« Wade wies mit dem Kop f zu den zusammengekauerten, bleichen Verwundeten hinüber, die unter der kaputten Tragfläche lagerten. »Jede dieser Erkennungsmarken steht für einen Toten, ihr
160
hirnverbrannten Depp en«, zischte er. Die drei Sp ieler verstummten und wurden blaß wie aus ge schimp fte Kinder - Kinder, d ie wissen, daß sie etwas Böses getan haben. M it ernsten Gesichtern fuhren sie langsam fort, die Namen auf den Erkennungsmarken dur chzusehen. M illers Hand begann zu zittern. Er er griff sie mit der and eren, während ihn Selbstzweifel und Schuldgefühle p lagten: Wie hatte er das dulden können? Bisher hatte er sich immer gesagt, daß die Härte, die er seinen M ännern gegenüber an den Tag legte, nur oberf lächlich und letztlich zu ihrem Besten war; sollte er jetzt vielleicht unter dieser Fassade tatsächlich gefühllos geworden sein? Hatte der verdammte Krieg die M enschlichkeit in ihm getötet, so wie er Vecchio, Caparzo und all die ander en getötet hatte? Reiben, M ellish und Jackson hatten ihre Suche beendet und erhoben sich. »Er ist nicht dabei, Sir«, sagte Jackson und gab Dewindt den gefüllten Beutel respektvoll zurück. »Verzeihun g, Sir. Schätze, die letzten Tage haben uns alle ein bißchen mitgeno mmen.« Der Pilot entgegnete nichts. M iller nickte Dewindt zu, und als er Upham vorüberkommen sah, ging er zu ihm in die M itte des Feldes. Seine Leute folgten ihm. »Kein Ryan.« Upham zuckte mit den Schultern und wies auf die Grupp e von Soldaten, mit den en er ger ade gesprochen hatte. M iller ging mit seinen M ännern weiter, dorthin, wo Zivilisten und GIs standen. »Was jetzt, Sir?« fragte ihn der Sar ge. M iller warf ihm einen bösen Blick zu - danke der Nachfrage, halt die Klappe - und stapfte zur Straße, wo weitere Flüchtlinge und Verwundete der »Zirkusarena« zustrebten. »Die verdammten Sp rechfunkgeräte funktionier en nicht«, murmelte M iller. »Die Befehlskette ist unterbrochen ...«
161
Seine M änner warfen einander besor gte Blicke zu. »Ist er sauer«, flüsterte Reiben zu M ellish, »oder dreht er jetzt etwa durch?« Der Captain blieb unvermittelt stehen und mit ihm alle anderen. Sie prallten aufeinander wie Kegel, die ins Torkeln ger aten sind. »M ir kommt da eine Idee«, sagte er. »Wir teilen uns in zwei Grupp en auf und suchen die Gegend ab. Wie Ausrufer, versteht ihr? Wir rufen seinen Namen. Früher oder später muß er uns ja hören.« »Gute Idee, Sir«, sagte der Sar ge, der nicht recht wußte, ob M iller einen Witz machte oder es ernst meinte, »aber das könnte ein Weilchen dauern.« »Ich hoffe, er ist nur sauer«, wisp erte M ellish Reiben zu. »Okay, laßt uns die Einheimischen fragen«, sagte M iller, »vielleicht haben sie ihn gesehen.« Ein altes Ehepaar, das von der Straße in das Feld einbog, wich erschreckt zurück, als der Cap tain mit schnellen Schritten auf sie zuging und r ief: »Parlez vous Ryan? Oui? Non?« Sie wechselten rasch ein paar Worte auf französisch und entfernten sich rasch von M iller, so als hätte er sie tätlich angegriffen. Upham flüsterte zu Reiben und M ellish: »Die zumindest glauben, daß er am Durchdr ehen ist.« Eine weitere Grupp e deutscher Gefangener wurde von der Straße auf das Feld geführt, wieder eskortiert von Fallschirm jägern mit den blauroten Abzeichen der 101. Luftlandedivision. Die Gefangenen sahen frischer aus als ihre Bewacher, die offensichtlich schwere Gefechte hinter sich hatten; viele von ihnen waren verwundet. »Hey!« rief M iller ihnen zu. »Ihr da von der Hundertersten! Kennt jemand von euch einen Private Ryan?« Die M änner, die an ihm vorbeiliefen, schüttelten die Köp fe.
162
Aber M iller, der offensichtlich immer verzweifelter wurde, hörte nicht auf zu fragen, während die abgerissene Kolonne an ihm vorbeimarschierte, und seine M änner hinter ihm sah en sich zweifelnd an. Auch die Fallschirmsp ringer schüttelten nur die Köpfe - nein. »Kennt jemand James Ryan?« fuhr der Cap tain unbeirrt fort. Da rief jemand am Ende der Kolonne einem Kamer aden hinter ihm zu: »Hey, Joe - ist Ryan nicht der Kumpel von M ichaelson? Dem aus der C-Kompanie?« »Ich glaube, ja!« erwiderte der ander e. »Bring ihn her«, rief der Fallschirmjäger, »bitte.« Bald darauf hatten sich zwei Fallschirmjäger von der Gefangenen eskorte gelöst und standen vor M iller und seiner Einheit. »Kennt einer von euch einen Private Ryan?« fragte M il-ler. »M ichaelson hier kennt einen Ryan, Captain«, antwortete einer der beiden Fallsch irmspringer, Private Joe D'Amato, zweiundzwanzig, Elizabeth, New Jersey. »Aber Sie müssen lauter sprechen, Sir, er hört nicht so gut.« »Mein Gehör ist im Eimer, S ir!« schrie Private Roger M icha elson, dreiundzwanzig, Rock Island, Illinois. »Sie müssen lauter sprechen!« »Eine d eutsche Granate ist neben ihm hochgegangen«, sagte D'Amato. »M al hört er was, dann wieder nichts.« »Eine Granate ist neben mir explod iert!« erklärte M ichael son. »Jaja, hab' schon kapiert!« sagte M iller, dem d as Sp ielchen schon auf die Nerven ging. »Kennen Sie Ryan?« »Wen?« »Ryan! Kennen S ie einen Ryan?« »Jimmy Ryan?« M illers M änner horchten auf. »Er dreht nicht durch, er hat den sechsten Sinn«, flüsterte Reiben M ellish zu.
163
M iller nickte gr insend. »James Francis Ryan?« M ichaelson zuckte zusammen. »Jimmy Ryan? Wie?« M iller wandte sich seinem Trupp zu. »Hat einer einen Bleistift dabei?« Die M änner klop ften ihre Taschen ab. »Irgend jemand wird doch einen Bleistift haben! M acht schon!« »Sir ...« Es war Upham, der ihm einen Bleistiftstummel reichte. »... nur diesen kleinen hier, Sir.« Der Cap tain und der Corporal sahen sich mit unbewegter M iene an, doch in ihren Augen lag ein läch elndes Einver ständnis. Dann fragte M iller: »Auch Papier, Upham?« »Jawohl, Sir«, antwortete der Corporal und hielt ein kleines Notizbuch hoch. »Prima. Schreib en sie: >Kennen Sie James Francis Ryan?«< Upham nickte, kritzelte es hin und hielt dann M ichaelson das Notizbuch unter die Nase. »Klar kenne ich den!« antwortete M ichaelson prompt. »Das ist mein bester Kumpel!« »Fragen Sie ihn, ob er weiß, wo Ryan jetzt ist«, sagte M iller zu Upham, der es notierte und die Seite M ichaelson zeigte. M ichaelson nickte und sagte: »Ja. Wir haben unsere Lande zone um ungefähr dreißig Kilometer verfehlt und sind irgendwo hinter Bummville od er so ähnlich runtergekommen! Jimmy, ich und ein paar andere Jungs haben uns hierher auf den Weg gemacht, zu unserem Sammelpunkt! Unterwegs haben wir einen Colonel getroffen, der Leute gesucht hat, um nach Ramelle zu marschieren ... Das ist das letzte, was ich von ihm weiß!« M illers M änner waren wie elektrisiert von diesen Neuigkei
164
ten, sie lachten und schüttelten triump hierend die Fäuste. Die Suche nach der Stecknadel im Heuh aufen sch ien erfolgreich gewesen zu sein! M iller klopfte M ichaelson auf die Schulter und rief : »Ich danke Ihnen!« »Wie bitte?« Der Cap tain seufzte resigniert und sagte zu dem and eren Fallschirmsp ringer: »Bed anken Sie sich für mich b ei ih m, bitte. Wenn er mal wieder hören kann.« Eine M inute später hatte M iller seine Karte im Gras ausgebreitet und seine M änner scharten sich um ihn, als er ihnen erk lärte: » Wir sind hier - da ist Ramelle an d er M er deret, ungef ähr dreiundzwanzig Kilometer West-Nordwest.« Der Sarge runzelte die Stirn. »Und wieso Ramelle?« M iller faltete die Karte weiter auf und fuhr mit dem Zeigefin ger darüber, während er sprach; er selbst bemerkte die Unruhe seiner Hand nicht, aber seine M änner sahen es wohl sie schauten gar nicht auf die Ortschaften, auf die er zeigte, sondern nur auf seine zitternden Finger. »Das Hauptziel war immer Cherbour g«, sagte M iller. »Wir können nicht nach Paris vorstoßen, ehe wir nicht einen größe ren Hafen eingenommen haben. Rommel weiß d as natürlich, und er wird die M erderet überqueren und unsere Flanke angr eifen, wenn wir nach Cherbourg schwenken ... Daher ist jedes Dorf an diesem Fluß, das über eine Brücke verfü gt, ein wertvoller Trump f.« Und der Captain stieß mit der Fingerspitze auf die Karte. Direkt bei Ramelle war eine Brücke ein gezeichn et. »Hier werden wir Private Ryan finden«, sagte er. Und er schaute in die Gesichter über ihm, um sich zu ver gewissern, ob sie seine Überlegun gen verstanden hatten. Bis er schließlich merkte, daß alle Augen auf seine Hand ger ichtet waren. Auf seine zitternde Hand. Er tat, als ob nichts
165
wäre, und faltete die Karte wieder zusammen. »Laßt uns aufbrechen«, sagte er. Er stand auf, und sie folgten ihm.
13
Inzwischen war es Nachmittag geworden, und die Schatten, die der Trupp in der französischen Landschaft warf, hatten ihre Richtung geändert. Reiben, d er unter der Last seiner Brownin gAutomatic schwitzte, stänkerte wie immer. »Ich sage euch«, meinte er, während sie wieder über ein heckengesäumtes Feld stapften, »die Jungs im Pazifik haben es besser.« »Ich weiß nicht«, sagte M ellish, »die müssen erst mal M alaria kriegen, bevor sie dur chdrehen - wenn man mit dir zusammen ist, ergibt sich das von allein.« »Glaubt mir, es ist leichter, Jap se abzuknallen als Krauts. Die sehen nicht so aus wie normale Leute.« M iller, der an der Spitze lief, lächelte in sich hinein. Es hatte seine Jungs also nicht kaltgelassen, daß sie einmal Deutsche aus der Nähe gesehen h atten. »Ich habe kein Problem damit, Krauts abzuknallen«, sagte M ellish. »Töten ist töten«, sagte Wade, »egal, wie jemand aussieht.« »Es gibt keinen Deutschen, der auch nur einen Furz wert wäre«, bemerkte Reiben. »Alles Schwanzlutscher und Wichser. War'n sie schon immer. Von Natur aus.« M iller drehte sich zu ihnen um. »Wie steht's mit Beethoven? Den haben Sie wohl vergessen.« Alle erinnerten sich an Reibens theatralischen M onolog über
166
die tragische Ironie der Taubheit des großen Komp onisten. »Ein Wichser«, sagte Reiben. M iller hakte noch einmal nach. »Und M artin Luther?« »Ein Schwanzlutscher.« »Hey«, knurrte der Sar ge von hinten, »ich bin Lutheraner!« »Und Immanuel Kant?« fragte Upham. »Wer?« »Das war ein großer Philosop h.« »Ein Wichser.« »Ach ja?« sagte M ellish. »Und was ist mit M arlene Dietrich?« »Auch nur eine Schwanzlutscherin«, sagte Reiben und f ing an zu grinsen. »Allerd ings könnte ich mir d as ganz angenehm vorstellen ...« Alle mußten lachen, so gar Wad e. Ihre Füße schleppten sich über das Gras, ihre Ausrüstung klirrte und rasselte. In der Ferne war das Knattern leichter Waffen zu hören, das ihnen b ei ihr em M arsch durch diese friedliche Landschaft schon so vertraut war wie das Vogelgezwitscher oder das gelegentliche Wiehern eines Pferdes. »Aber«, meinte Up ham, »sie können doch nicht alle Wichser und Schwanzlutscher sein.« »'türlich können sie«, entgegnete Reiben. Wade, der wieder ernst geworden war, schnauz te ihn an: »Hörst du deinem eigenen Schwachsinn überhaupt noch zu?« »Würdest du das denn«, warf M ellish ein, »wenn du er wärest?« Wade, der das alles gar nicht komisch fand, fuhr fort: »Nur damit ich dich richtig v erstanden habe, Reiben ... es gibt also, sagst du, nicht einen anständigen M ann, eine anständige Frau, ein anständiges Kind in diesem ganzen Land.« »Hey, du bist zu nachsichtig«, sagte Reiben und versuchte eine Haltung zu finden, in d er er sich unter der Last seiner
167
Ausrüstung nicht wie ein Packesel vorkam, »ich würde auch noch alle Hunde, Katzen, Eichhörnch en, Pferde, Kühe ... jede sauerkrautfressende, schnitzelkauende, Heil-Hitler-brüllende Kreatur, die dorten atmet, mit einschließen. Alles Wichser.« »Und Schwanzlutscher«, ergänzte M ellish. »Sowieso«, nickte Reiben. »Reiben«, sagte Wade ohne jeden Anflug von Humor, »du bist das rückständigste, bornierteste und dümmste Exemp lar der Gattung M ensch, das mir je über den Weg gelaufen ist.« »Kann schon sein«, antwortete Reiben. »Aber ich bin weder ein Wichser noch ein Schwanzlutscher.« »Laßt uns darüber abstimmen«, rief M ellish. »Ja, ja, okay - nennt mir ein en anständigen Deutschen. Also bitteschön ... nur einen ...« Alle schwiegen. Reiben grinste. »Gar nicht so einfach, oder?« »Wenn auch M artin Luther ein Wichser sein soll«, meinte M ellish, »dann nicht.« »Ein Schwanzlutscher«, berichtigte Reiben. »Albert Schweitzer«, sagte Wad e. »Wer?« »Albert Schweitzer. Ein Deutscher.« Reiben machte ein Gesicht wie jemand, dem der Geruch von saurer M ilch in die Nase steigt. »Wer, zum Teufel, ist das? Nicht daß es mich interessieren würde. Hört sich schon an wie ein Wichser.« Wade schüttelte fassungslos den Kopf. »Albert Schweitzer ist der berühmteste Arzt, der je gelebt hat! Er war die letzten dreißig Jahre in Afrika und hat sich um d ie Ein geborenen gekümmert ...« »Warum denn d as?« fragte Reib en. Wade explodierte: »Weil er etwas für seine Mitmenschen tun wollte! Weil er nicht so ein selbstsüchtiges Arschloch ist wie
168
du, Reiben!« »Hey, glaubst du vielleicht, ich bin wegen des Käses nach Frankreich gekommen?« Der sonst so besonnene Wade redete sich in Rage. »Hör mal zu, Blödmann ... Wegen Alb ert Schweitzer bin ich überhaupt Arzt geworden. Wenn du also demn ächst auf eine M ine trittst, dann bete drum, d aß mir danach ist, für so ein Arschloch wie dich einen Verb and zu verschwenden!« Reiben grinste nur und schüttelte den Kopf. »Wie bitte?« fragte Wade. »Nichts.« »Wie bitte?« Reiben zuckte mit den Schultern. »Hast du nicht mal gesagt, deine Eltern wären beide Ärzte gewesen ?« »Das stimmt, Reiben. Und weiter?« Reiben prallte mit gespieltem Entsetzen zurück. »Und da brauchst du so einen Arsch von Kraut, um in die Fußstapfen deiner Eltern zu treten?« »Gibt mir mal jemand 'ne Knarre«, war die Antwort von Wade. M iller, dem der Streit zu weit ging, rief nach hinten: »Reiben, geb en Sie ausnah msweise mal nach, okay? Albert Schweitzer ist weder ein Wichser noch ein Schwanzlutscher. Sie dagegen sind ein Arschloch.« Der ganze Trupp wurde von Gelächter geschüttelt, außer Reiben natürlich, d er nur »okay, okay« murmelte, mit den Achseln zuckte und dann den M und hielt. »Gehen Sie mal an die Sp itze, Sarge«, sagte M iller, und als Horvath seinen Platz ein genommen hatte, ließ sich der Captain bis zu Wade zurückfallen. Nachdem er sich ver gewissert hatte, daß Reiben sie n icht hören konnte, flüsterte er: »Alb ert Schweitzer wurde im Elsaß geboren.«
169
Wade schaute M iller völlig überr ascht an. »Er ist deutscher Abstammung, stimmt schon«, flüsterte M iller weiter, »aber er ist französischer Staatsbürger.« Wade nahm das schweigend zur Kenntnis. »Bleibt aber unter uns«, versicherte ihm M iller. Ein Lächeln huschte über Wades Gesicht, und dieses Läch eln tat dem Cap tain, der seinen Sanitäter mochte, sehr gut. Es erleichterte ihn, daß er offenbar nicht mehr auf Wades schwarzer Liste stand. Sie kamen zu einem Wald, und nachdem die sieben Soldaten sich vorsichtig einen Weg zwischen den Bäumen gebahnt hatten, ließ M iller sie in dem dichten, hüfthohen Buschwerk, das das nächste Feld säumte, anhalten. Bevor sie sich zeigten, wollte er die ganze Landschaft sorgfältig unter die Lupe nehmen. Auf ein er Anhöhe, die die aus gedehnten Weid en über ragte, waren die Überreste einer zerstörten deutschen Radar station und ihrer zerbombten Schutzbunker zu sehen. Wahrscheinlich waren sie dem schweren Artilleriean griff zum Opfer gefallen, der in der ver gangenen Nacht über die Köpfe des Trupp s hinweggefegt war. Die Weideflächen ringsumher waren von Granattrichtern übersät und sahen aus wie ein e grasbewachsene M ondlandschaft. Überall schienen schlafende Kühe zu liegen; do ch sie waren alle tot, streckten die Beine steif von sich. M iller machte seinen Leuten ein Zeichen, sich nicht von der Stelle zu rühren und unten zu bleiben. Er selbst schlich gedu ckt durch das Unterholz und spähte zu dem Hügel und den Betonruinen hinüber, die an die Überreste eines antiken gr iechischen Tempels erinnerten. Deutlich zeichnete sich d ie zerstörte Radaranlage gegen den Himmel ab. Er winkte Horvath und Jackson, ihm ins hohe Gras zu folgen. Plötzlich stutzte der Sarge. »M ein Gott«, flüsterte er. »Schauen Sie sich das an, Cap ...«
170
M iller drehte sich um und sah, daß einige Sträucher am Wald rand von Kugeln zerfetzt worden waren. »Wann war das?« fragte M iller. Der Sarge sah es sich genau an. »Noch nicht lan ge her.« »Sie meinen, nachdem die Radaranlage und die Bunker zerstört worden sind?« »Denke schon.« Hinter den Bäumen ertönte Wades leiser, ab er eindrin glicher Ruf: »Cap tain! Das müssen Sie sich anseh en ...« In gedu ckter Haltung hasteten M iller, der Ser geant und der Scharfschütze durch das raschelnde Buschwerk. Wade kauerte mit bleichem Gesicht am Boden und deutete auf eine frische Blutsp ur. Sie führte zu ein er Stelle im Gras, wo gefallene Soldaten lagen : amerikanische Fallschirmjäger, die vor kurzem erst von Kugeln durchsiebt worden waren. Eine Patrouille, etwas größer als ihre, und alle tot. M iller spähte über das Unterholz hinweg und ließ d en Blick über den Hügel und die zweifelsfrei nicht mehr betriebsfähigen Anlagen wandern. »Unterhalb des Bunkers, Sar ge - sehen Sie das Loch? Auf halb zwei?« »Ja«, nickte der Sar ge. »Würde ich auch sagen.« »Schau en Sie genau hin - man k ann die Sandsäcke erken nen.« Der Rest des Trupps hatte sich nun versammelt. Upham, mit weit aufger issenen Augen hinter den Brillengläsern, schaute auf die zerfetzten Leichen und fr agte: »Was glaubt ihr, was das war? Ein M aschinengewehr?« Jackson sp uckte zu Boden, nickte. »Ja ... Ein 42er, würde ich sagen.« »Jesus, ein M aschinengewehr hat das angerichtet?« M ellish betrachtete die toten M änner und sagte: »Fallschirm jäger ... einer von den en ist vielleicht Private Ryan.«
171
»Sehen Sie nicht die Abzeichen von der 82., Sie Dumm kopf?« sagte M iller gereizt. »So leicht kommt ihr mir nicht davon.« »Sir«, sagte Reiben und zeigte nach links. »Warum schlagen wir uns nicht einfach in dieser Richtung dur ch, im Schutz des Waldes, und verschwind en schnell und unauff ällig. Sie werden nicht mal merken, daß wir hier waren.« M iller ließ ein volles M agazin in seine Thompson einrasten. »Was ich sagen will, Sir«, fuhr Reiben fort, »warum sollen wir uns Schwierigkeiten auf den Hals laden, wenn wir ihnen ausweichen können?« »Wir weichen ihnen nicht aus«, sagte M iller, »wir schnappen sie uns.« »Vielleicht hat Reiben recht, Sir«, schaltete sich Jackson ein. »Ich meine, wir haben do ch auch die 88er umgangen ...« »Nur, damit sie von unserer Luftwaffe erledigt werden«, sag te M iller. »Aber die Jungs von der fliegenden Truppe können sich nicht um jedes kleine M G-Nest kümmern, oder? Dafür gibt es schließlich die Inf anterie.« »Ich würde gerne noch er leben, daß mein letzter Scheck eingelöst wird, Sir«, sagte Reiben. »Sir, verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, sagte M ellish, »aber wir könnten ihnen ausweichen und trotzdem unseren Auftrag erfüllen ... und wenn man es genau über legt, gehört das hier nicht zu unserem Auftrag.« »Sollen wir vielleicht einfach die nächste Patrouille in dieses MG-Nest hineinstolpern lassen?« fragte M iller. »Eine Patrouille, die die Verwundeten hier im hohen Gras nicht sieht?« »Das habe ich n icht gemeint, Sir. Ich f inde nur... wir gehen ein unnötiges Risiko ein, wenn man an unser Ziel denkt.« »Unser Ziel ist es, den Krieg zu gewinnen, Private.« »Ich denke, wir sind hier, um Ry an zu suchen.«
172
Reibens Gesicht erhellte sich. »Ehrlich«, meinte er, »wär schon 'ne p rima Sache, die Jerry s da fertigzumachen, aber denkt doch mal an Private Ry an. Denkt an seine arme M utter.« »Reiben ...«, sagte M iller drohend. »Ich habe nur ein ungutes Gefühl bei der Sache, Sir.« »So?« M iller warf seinen Rucksack ab und nahm zwei Hand granaten heraus. »Und bei welcher Sache haben Sie jemals ein gutes Gefühl gehabt?« Darauf wußte Reiben nichts mehr zu erwidern. »Okay«, sagte M iller, »drei Läuf er mit Sp errfeuer, die n ach einander losrennen. M ellish, Sie geh en rechts. Ich nehme die M itte. Einer muß links laufen ... Wer übernimmt die linke Seite?« Er hängte sich die Granaten an seine Uniform, ohne zu be merken, daß seine Hand zitterte wie die eines Trinkers, der ein leeres Glas befingert. Als sich niemand freiwillig meldete, runzelte M iller die Stirn und knurrte: »Wer, zum Teufel, übernimmt die linke Seite?« »Ah, ich mache das, Sir«, sagte Jackson. »Gut. Also Jackson links. Schießt und lauft, bis wir nahe ge nug dran sind, d aß wir mit Handgranaten ranko mmen.« »Wie wär's, wenn ich die M itte übernehme, Sir?« fr agte der Sarge. »Wir sollten es nicht riskieren, unseren Scharfschützen ...« »M eine Großmutter würde ja schneller laufen als Sie, und d ie ist tot.« »Dann übernehme ich die linke Seite, Sir.« »Halten Sie die Klappe«, schnauzte M iller. »Das wäre völlig idiotisch, wenn wir beide gin gen ... Reiben, Sie geben uns Deckung.« Reiben nickte, nun ganz sachlich. »Haltet eure Granaten und M agazine in Reichweite«, fuhr
173
M iller fort. »Sie geben den Startschuß ... wenn Ihre BrowningAutomatic losfeuert, laufen wir los.« Reiben nickte wieder. M iller wandte sich an M ellish und Jackson: »Extra Hand granaten für die Läufer.« Reiben und Upham reichten ihnen ihre Handgranaten. Das Läufertrio ging in Position und wartete, M iller nickte Reiben zu. Der Donner der Browning-Automatic zerriß die nachmit tägliche Stille. Unter Reibens Feuerschutz sprintete M ellish geduckt rechts den Hügel hinauf, darauf startete M iller geradeaus, und Jackson stürmte nach links. Alle drei f anden einen Trichter und konnten sich in Deckung werfen, bevor die M G-Schützen überhaupt reagierten. Kaum kau erten sie jedoch in den Löchern, begann die deutsche Stellun g zu feuern. Bevor M iller in den Granattrichter ab getaucht war, hatte er noch einen Blick auf die M annschaft der M G-Stellung erhäsch en können: dr ei Krauts mit breiten Helmen und Tarnung, einer, der feuerte, einer, der M unition nachfütterte, und ein dritter, der Ausschau hielt. Aus dem hohen Gras heraus schoß Reiben mit seiner Browning, was das Zeug hielt, und auch der Sar ge und Upham erwiderten das Feuer. Überall, ober- und unterhalb von ihnen und um sie herum, schlugen Ku geln ein. M iller schaute zu Jackson in dem anderen Trichter rüber. »Sie hatten recht«, sagte der Cap tain zu dem Private. »Es ist ein 42er.« Von der rechten Seite rief M ellish: »Wie zu erwarten. Was sind das für welche?« »Deutsche Fallschirmjäger«, sagte M iller, b einahe schreiend, damit man ihn in d em Feu ersturm, der über ihr en Köpfen hinwegf egte, überhaup t hören konnte. »Elitetruppen. Scheißfanatiker.«
174
»Und ich hatte gehofft, es wäre die Hitlerjugend«, sagte M ellish und drückte seinen Karabiner an sich, als wäre er sein M ädchen. »Wenn wir ihnen ein wenig einheizen«, sagte M iller, »müs sen sie den Lauf des M Gs wechseln.« Er zeigte auf die Handgr anaten, die an seiner Uniform baumelten. »Dann brin gen wir den Ball nach Hause.« »Was meinen sie mit >ihnen einheizen« fr agte M ellish. »Schießt und rennt!« rief M iller. »Raus aus den Löchern!« »Das habe ich befürchtet ...« M ellish kroch ununterbrochen sch ießend zu dem nächsten Loch, das ihm Deckung bieten konnte, hechtete hinein und verschoß dann noch ein ganzes M agazin in Richtun g der Stellung, womit er die Feuer und Blei speiende M ündung des MGs auf sich zog. Als das M aschinengewehr zu M ellish hinüberschwenkte, rannte Jackson zu einem verbogenen Stahlgerüst, das von dem zerstörten Radarturm herab gestürzt war, und ging dort gerade noch rechtzeitig in Deckung, bevor das M G-Feuer abermals die Richtung änderte und die Geschosse nun um ihn herum den Staub aufwirbelten und gegen das M etall hämmerten. Damit hatte M iller Gelegenheit, unter dem Feuerstrahl hindurch zu einem zickzackförmig verlaufenden Graben am Fuße des Hü gels zu sp urten. Das M aschinengewehr senkte sich, um ihn zu erwischen, fand ab er nicht den richtigen Winkel und schwenkte deshalb zu M ellish weiter, der schießend zu einem anderen, kleineren Granattrichter lief. Um ihn herum spritzte Erde auf. M iller rollte sich in den Graben, hastete um die Eck en und schaute nach oben, wo er Jackson, den Sch arfschützen, mit seiner Sp ringfield sah, der sich an dem verbogenen Stahlgerüst vorbeib ewegte, von dem pfeifend und klatschend die Kugeln abprallten, die das M G in seine Richtung sandte.
175
M iller lächelte grimmig; der Lauf des M Gs mußte sich nun bald überhitzt haben - sie hatten eine M enge Feuer auf sich gezo gen, ohne einen einzigen Kratzer abzubekommen. Der Captain schaute zu M ellish zurück, winkte ihm und sprang dann aus seinem Graben in ein en ander en Granat trichter. Der Private folgte ihm, währ end über beiden das Feuer des M aschinengewehrs tobte. Beide M änner ließen sich in das Loch gleiten, wo sie plötzlich feststellen mußten, d aß sie h ier nicht die ersten waren. Zwei amer ikanische Fallschirmjäger waren schon vor ihn en dort angekommen. Sie lagen tot da, ihre weit aufgerissenen Augen starrten ins Leer e, ihre khakifar benen Uniformen war en mit Blut besp ritzt. »Wo, zum Teufel, kommen die denn her?« fragte M ellish und hielt Abstand zu den toten M ännern, so als ob sie eine ansteckende Krankheit verbreiten könnten. »Hier stimmt was nicht«, sagte M iller und wurde bleich. »Das MG 42 kann die Jun gs in diesem Winkel nicht erwischt haben ...« Wie zur Bestätigung von M illers Worten schickte das M GNest einen kurzen Feuerstoß in ihre Richtung, der jedoch über sie hinweggin g. Dann herrschte plötzlich Stille. M iller wartete - tauschten sie jetzt den Lauf aus? Jackson stürmte hinter dem verbogenen Stahlgerüst hervor und feuerte in Richtung des MGs, während er zu einem Graben rannte, als das M G kurz Feuer spuckte und ihn zu Boden streckte. »Jackson!« schrie M ellish. »Sch eiße«, f luchte M iller. Wieder herrschte Stille. Eine lau ernde Stille ... Jetzt wechselten sie den Lauf »Handgran aten«, befahl M iller. M iller zog einen Splint, M ellish ebenso, sie standen auf, beugten sich nach hinten, warfen und gingen wieder in Deckung. »Zu hoch«, sagte M iller, der gesehen hatte, wie die Granaten
176
auf dem Anstieg über dem Lo ch geland et waren, in dem das MG p ositioniert war. Wieder Stille. »Noch mal!« schrie M iller. »Wäre doch gelacht, wenn wir die nicht erwischen würden!« Er zog einen Splint und warf; er konnte hören, wie die Granate gegen einen Sandsack p rallte. Erst eine, dann noch eine Detonation - die ersten zwei Granaten, die sie geworfen hatten, fügten dem M G-Nest keinen Schaden zu. M ellish schleuderte die nächste Granate - ein perfekter Wurf diesmal, allerdings gelan g es einem d er Deutschen, beide Granaten zurückzuschleudern, wie zwei häßliche Feuerwerkskörper exp lodierten sie über der Weide, ohne daß jedoch ein er ihrer scharfkantigen Sp litter M ellish oder M iller getroffen hätte. Da rief jemand: »O mein Gott!« Das war Wades Stimme. Der Sanitäter hatte sich in geduckter Haltung rasch durch d as hohe Gras vor gearbeitet, um dem gestürzten Jackson zu Hilfe zu eilen. »Noch ein Schütze!« Der Sanitäter stand auf, schrie, schwenkte die Arme, und man konnte seine Rot-Kreuz-Armbinde deutlich erkennen. »Sir, ein zweiter Schütze!« M iller wirbelte herum und erkannte links oben einen weiteren, gut getarnten Kraut mit breitem Helm, der sich ger ade aus seiner Deckung erhoben hatte. In der Hand hielt er ein FG-42-M aschinengewehr, aus gerüstet mit einem Seiten magazin. Deshalb konnte er hier flach auf dem Boden liegen und ruhig abwarten, bis sich die Beute in sein Schußf eld bewegte ... Eines seiner vorigen Opfer jedoch, ein toter amerikanischer Fallschirmjäger, hatte ihm die Sicht auf M iller und M ellish geno mmen, weshalb er nun auf gestanden war ... Beinahe gleichzeitig passierten nun drei Din ge. Das M GNest, mit einem frischen Lauf auf der Waffe, fing wieder an zu
177
feuern. M iller sah vo ller Entsetzen, wie der Sanitäter mit überraschtem Gesichtsausdruck zusammenbrach und im hohen Gras versank. Jackson, dessen Unterarm blutete, schaffte es, sein Gewehr aufzustützen und einen Schuß abzugeben, der dem getarnten zweiten M G-Schützen ein Loch in die Stirnseite seines Stahlhelms riß. Der M ann ließ seine Waffe fallen, sackte zusammen, krümmte sich und war tot. Schließlich gelan g es M ellish, eine weitere Granate in die MG-Stellung zu schleudern - ein harter Wurf, wie ihn jeder Fänger beim Baseball für chtet. Die drei Deutschen suchten hektisch nach der Granate, um sie vor der Detonation zurückzuschaudern. Aber dann explodierte sie. Unten im Gras rief der Sarge: »Okay ... jetzt haben wir's geschafft ...« Upham hatte Wade bemerkt, der verstört im Gras saß, schwer atmete und dabei zu dem Hügel und dem Loch hochschaute, wo zwischen den zerbombten Bunkern Rauch aufstieg. »Alles okay«, sagte Wade leise, »alles okay ...« »Wade«, rief Upham angstvoll. »Wade!« »Wade?« fr agte auch der Sar ge, näherkommend. »Hat's dich erwischt, Kumpel?« Schon sprangen M iller und M ellish herbei, über die Krater hinweg, Reiben ließ seine Browning-Automatic im Stich, schließlich kam auch Jackson, der einen Streifschuß abb ekom men hatte und seinen Arm umklammerte. Alle blieben wie angewurzelt stehen. Ihren Augen bot sich ein schrecklicher Anblick: Wade hockte im hohen Gras und schaute erstaunt an sich h erunter, auf die fünf Ku gellöcher in seinem Rumpf, aus denen Blut sickerte.
178
14
M iller hörte, wie jemand »O Wade, o mein Gott« sagte, dann erst merkte er, daß er es selbst war. Er schaute auf die v ier Kugellöcher im Bauch des Sanitäters und auf das fünfte rechts unten in der Brust. Wades Atem gin g stoßweise. Upham murmelte wie vor den Kop f geschlagen: »Es ist doch nicht erlaubt, auf Sanitäter zu schießen, es ist nicht er laubt, auf Sanitäter zu schießen.« Viele Hände, auch d ie M illers, kramten nun hektisch in Wades M edizintasche herum. Der Sar ge und die and eren rissen das Hemd des Sanitäters auf und legten die furchtbaren Verwundungen frei, alle redeten und schrien durcheinander. »Sulfonamid«, sagte M iller zu Jackson, der mit ihm zusammen die San itätertasche durchsuchte, »gib mir das Sulfonamid ...« »Und er wollte mir helfen, verd ammt noch mal«, jammerte Jackson. »Er wollte zu mir rüberkommen.« »Scheiße«, sagte der Sar ge, über den blutenden Sanitäter geb eu gt, »unternehmt etwas, um die Blutung zu stopp en ...« »Hilf mir doch, Up ham!« schrie M ellish, dessen Hände bereits dunkelrot von Wades Blut verfärbt waren, »Scheiße, so hilf mir doch, nimm die Finger!« Upham beeilte sich, ihn zu unterstützen, während Jackson, der selbst am Arm blutete, seine gewohnte ländliche Gelassen heit verloren hatte und erregt in der Sanitäter-Ausrüstung herumwühlte. »O Gott, o Jesus«, rief er. War es ein Geb et? War es ein Fluch? »Sulfonamid, h er mit dem verdammten Sulfonamid«, ver langte M iller. »Scheiß auf das Sulfonamid, er braucht M orphium«, rief der
179
Sarge mit weit aufgerissenen Augen. »M orphium!« Sie gaben Wade die M orphiumspritze, puderten ihn mit Sulfonamid ein, alles war voller Blut, verzweifelt versuchten sie ihm zu helfen. M iller beugte sich über den Sanitäter und fragte: »Wade? Wade? Hörst du mich?« Wades Körper zitterte, so als würde er v ersuchen, ein abstürzendes, berstendes Flugzeug auf Kurs zu halten, und in gewissem Sinne tat er das auch - er flog auf seinen Schmerzen dahin, wobei er seine Kameraden wie aus weiter Entfernung mit einem schwachen Lächeln anschaute. »Wie sieht's aus?« fragte er, mit ruhiger Stimme, aber am ganzen Körp er bebend. »Nicht so schlimm«, sagte M iller. »Du wirst es schaffen ...« Wade streckte den Arm aus und er griff M illers linkes Handgelenk mit überraschender Festigkeit. »Lüg den Doktor nicht an ...« M iller schluckte. »Verdammt, ich weiß doch nicht, Wade. Sieht nicht so gut aus, schätze ich.« Das Zittern hörte auf; das Morphium begann zu wirken. Wade versuchte, den Kopf zu heben und auf seine Wunden zu schauen, aber er schaffte es nicht und begann vor Anstrengung zu keuchen. »Bin ich ... bin ich am Rückgr at getroffen?« »Ich weiß nicht«, gab M iller zu. Dann sagte er zum Sarge: »Hier ... helfen Sie mir mal ...« Sarge und M iller hoben den San itäter ganz vorsichtig auf einer Seite an, während Up ham und M ellish weiterhin die Blutungen abzudrücken v ersuchten. »Was ... was siehst du?« fragte der Sanitäter. M iller schob eine Hand unter Wades Körper und tastete behutsam seinen Rücken ab, bis seine Fingersp itzen die Wunden der Ausschußlöcher fanden. Blut tropfte über seine
180
Finger, klebrig und war m. »Eine Ausschußwunde ist direkt auf dem Rückgrat«, erklärte M iller. »Knapp über dem Hintern.« Wade, der sich reckte, um sehen zu können, jap ste nach Luft. »Wie ... wie groß ... ist das Loch?« »Etwa so groß wie ein e Eichel.« Wade keuchte wieder, aber es klang mehr wie ein Schluch zen. M iller zog seine blutige Hand unter Wade hervor und ließ ihn auf den Grasboden sinken, während die ander en die Blutung abdrückten. Die sprudelnde Wunde unterhalb von Wades rechter Brustwarze schien die schlimmste zu sein, und M ellish und Upham mußten sich ziemlich anstrengen, um den Blutverlust einigermaß en unter Kontrolle zu halten. »Ich ... kann mich nicht bewegen«, sagte Wade. Seine Stimme wurde dünner, erstarb fast. »Du bist noch nicht tot, Wade, verdammt noch mal!« beharrte M ellish, der mit aller Kraft versuchte, das Blut in der Brusthöhle zurückzuhalten. »Das heißt noch lange nicht, daß du stirbst!« »Laßt mich ... laßt es mich fühlen ...« Wade tastete nach seinen Bauchverletzungen, ab er seine Hand rutschte weg, er konnte seine Bewegun gen nicht koor dinieren. »Helft mir ...« M iller er griff den Arm des San itäters und führte seine Hand dorthin, wo der Sarge und Jackson die Wunden abdeckten und die Blutung zu hemmen versuchten. Wade, der immer schwächer wurde, versuchte nun selbst die Schwere d er Wunden abzuschätzen, indem er sie abtastete. »Gibt es ... gibt es ... welche, die stärker bluten als die ande ren ...?« »Ja«, sagte M ellish, »die, auf die Up ham und ich drü cken ... wir lassen besser die Hände dr auf...« »Zeigt es mir ... ich will es selbst fühlen.«
181
Sie warf en sich üb er ihren schwerv erletzten Kameraden hinweg verzweifelte Blicke zu, während sie seine Hand zu der Stelle unterhalb der rechten Brustwarze führten, wo Upham und M ellish die schlimme Wunde freigaben. Wade steckte seine Fin ger tief hinein, und Blut sprudelte an seinen Knöcheln vorbei. Obwohl die M änner in den letzten Tagen viele furchtbare Dinge gesehen hatten, packte sie bei diesem Anblick das nackte Grauen. Plötzlich zeigte Wades Gesicht nicht mehr so sehr Sch merz, sondern den Ausdruck eines traurigen Kindes, eines Kindes, das tapfer die Tränen unterdrückt. »O Gott... es ist meine Leber ... meine Leber ...« Upham, der M ühe hatte, seine Panik zu verbergen, platzte heraus: »Was sollen wir denn machen? Du bist doch der Arzt! Sag uns, wie wir dir helfen können!« Wade blickte auf M iller, und die Augen des Sanitäters gaben dem Captain unmißverständlich zu verstehen: Es ist aus; ihr könnt nichts für mich tun ... Die Hand des Sanitäters löste sich wieder von der Wunde, und M ellish und Upham drückten die Stelle erneut ab. Wade war p lötzlich ganz ruhig; seine Stimme klang weich, so als würde er sich in sein Schicksal fügen. »Ich könnte ... noch ein wenig M orp hium vertragen ...« Der Captain und der Sanitäter sahen sich immer noch in d ie Augen. M iller verstand, worum sein Freund ihn bat. »M orphi um«, sagte M iller zum Sarge. Der Sar ge händigte ihm eine weitere Amp ulle aus. M iller injizierte sie Wade, der sogleich sagte: »Noch eine.« »Geben Sie mir noch ein e«, wandte sich M iller an den Sar ge. »Sir, ich ...« Alle Augen des Trupps waren auf M iller und den Sarge ger ichtet. »Verdammt, muß ich jeden Befehl wiederho len? Noch eine, habe ich gesagt.« »Jawohl, Sir«, antwortete der Sarge und reichte sie ihm.
182
M iller gab Wade die dritte Spritze. »Jackson ...«, murmelte Wade. »Ich bin bei dir, Wade.« »Das ... das Vaterunser.« Jackson nickte und begann: »Vater unser im Himmel ...« Sie v ersuchten weiterhin, die Blutung abzudrücken, obwohl dies nun so vergeblich war wie einfach es Handauflegen - nicht mehr als das Hoffen auf ein Wunder, an das sie nicht mehr glaubten. Sie schwiegen, während Jackson laut betete. Wades Augen verschleierten sich immer wieder. Trotz der Betäubung durch das M orphium gelan g es ihm, den rechten Arm zu heben und M illers Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken: Am Boden, neben dem verstreuten Inhalt der San itätertasche, lag ein Feldpostbrief. Es war der Brief Cap arzos, den Wade abgeschrieben hatte. M iller sah Wade in die Augen und n ickte, ließ den blutüberströmten Sanitäter einen M oment in der Obhut seiner Kameraden und nahm den Brief. Er vergewisserte sich, daß Wade sah, wie er den Brief in seine Brusttasche steckte. »Ich werde dafür sorgen, daß er ankommt«, versicherte M iller. Und Wade, der mit glasigen Au gen auf der Droge hinwegschwamm, blickte seinen Freund, Captain John H. M iller, Addley, Pennsy lvania, mit schwachem Lächeln an. Dann schaute er nach oben, so als würde er dort jemanden sehen, oder jemanden begrüßen, und sagte leise: »M ama ... M ama ...« Die M änner spürten, wie Wades Leben unter ihren blutverschmierten Händen schwand. Wade hatte sie verlassen, und nur seine blutige, geschund ene Hülle war zurückgeblieben. Eine ganze Weile saßen alle wie erstarrt da und blickten auf ihren toten Freund. Keiner sprach ein Gebet, keiner machte seinem Zorn Luft. Keiner warf M iller vor, daß er Wades Tod
183
verschuldet hatte, indem er darauf b eharrte, das M G-Nest zu stürmen. Aber dies war auch gar nicht nötig, denn M iller wußte das selbst am besten. Sie schauten ihr en Captain verstohlen von der Seite an, und alle wußten, daß sein abwesender Gesichtsausdruck einem Schuldbekenntnis gleichkam. Nur Upham weinte ganz offen. Er hatte Wade erst vor zwei Tagen kenn en gelernt, aber selbst wenn er einen Bruder verloren hätte, hätte sein Schmerz nicht größer sein können. »Kameraden!« rief da jemand auf deutsch. Alle Köpfe wandten sich zu der trichterübersäten Weide um, wo ein deutscher Sold at in Tarnuniform vom Hügel herunter gestolp ert kam. Unter seinem Helm sick erte Blut hervor und rann ihm über das Gesicht. »Kameraden! Ich ergebe mich! Nicht schießen!« »Das ist zuviel«, brummte Reiben, schnappte sich die nächste M -1 vom Boden, sprang auf und rannte dem Deutschen entgegen, der angstvoll zurückwich. Als der Priv ate bei ihm angekommen war, schlug er ihm d en Kolben der Waff e ins Gesicht. Der Deutsche sackte zusammen, und Reiben b egann, ihm seinen rechten Stiefel in den Leib zu rammen. Der christliche Südstaatenjunge Jackson beteiligte sich eb enfalls, schließlich kam auch M ellish hinzu. »Du Wichser!« rief Reiben. »Du Schwanzlutscher!« »Warst du das, du Heini?« fr agte M ellish. »Hast du unseren Wade erschossen? Du wirst kein e Sanitäter mehr abknallen, du Stück Scheiße!« M iller stand abseits im Gras und sah ihnen zu. Wenn seine Jungs eine Blechdose über die Weide gek ickt hätten, so hätte er nicht unbeteiligter bleiben können. Oder gefühlloser. Auch der Sarge, der neben ihm stand, blieb stumm und schritt nicht ein. »Ach verdammt«, sagte Jackson, »laßt uns das Vorsp iel beenden, bringen wir's hinter uns ...«
184
M ellish hielt dem verschreckten Deutschen die M ündung seines Karabiners ins Gesicht. »Sprich deine letzten Worte, Kraut. Bevor wir dich zu Moses und meinem Großvater M ax schicken.« Reiben riß den Deutschen hoch, die anderen machten ihre Waffen klar für ein Exekutionskommando, als M iller schließ lich rief: »Erst soll er Wade bedecken, für den Leichenber gungs trupp .« Sie schauten zu M iller hinüber; sein Eingr eifen mißfiel ihnen ganz offensichtlich, aber er war schließlich der Captain. »Und auch die anderen armen Kerle h ier«, sagte M iller und zeigte auf die toten Fallschirmjäger, die in der Nähe im Gras verstreut lagen. Der verzweifelte Deutsche war nun auf den Beinen, blickte wild um sich, seine weitgeöffneten Augen stachen weiß aus seinem blutüberströmten Gesicht hervor; er hielt die Händ e in die Luft. Reib en starrte den feind lich en Soldaten mit leer em Gesicht an; dem ansonsten so schlagfertigen Private schien es die Sprache v erschlagen zu haben. »Durchsucht ihn nach Waffen«, ordnete M iller an. Reiben stand wie gelähmt da und schaute den Gefangenen an - ob Wut oder Scham in seinem Gesicht lag, konnte M iller nicht erkennen; v ielleicht war es beides. »Ich mach e das, Sir«, sagte Jackson. Der Scharfschütze tastete den Deutschen ab, der immer noch die Hände in die Höhe hielt und mit zitternden Beinen dastand. »Frag ihn mal was von mir, Up py«, sagte M ellish bitter. »Frag ihn, ob er es war, der unseren Wade ab geknallt hat.« Aus dem Gras heraus rief der Sar ge: »Laß den Scheiß. Ist doch egal. Wade ist tot, so oder so.« M iller ging zu seinem Scharfschützen, an dessen Arm immer noch Blut herunterlief. »Jackson, alles in Ordnung?«
185
»Die Kugel hat mich nur ein bißchen an gekr atzt«, antwortete Jackson. »Wird schon wieder.« »Säubern Sie die Wunde und verbinden Sie sie. Wir sind jetzt unsere eigenen Sanitäter.« »Jawohl, Sir.« »Dann stehen Sie und ich Wache. Sie übernehmen d ie Süd seite, ich die Nordseite.« »Nicht schießen!« rief der Gefan gene wieder auf deutsch. M iller drehte sich gleichgültig um und sah auf den blutenden Gefangen. »Ich ergebe mich!« Er schien den Tränen nahe. M it leiser Stimme wimmerte er : » ... bitte ... tötet mich nicht ... Ich ergebe mich ...« »Sir«, sagte Upham, »er sagt ...« »Interessiert mich einen Dreck, was er sagt«, gab M iller zurück und lief an dem Deutschen vorbei auf die trichter übersäte Weide h inaus. »Reib en, kommen Sie mit mir ...« Reiben sch loß sich M iller an, und Upham rief hinter ihm her: »Sir, Sie lassen es doch nicht zu, daß sie ihn einfach erschießen?« M iller antwortete nicht. »Sir - das ist nicht richtig, Sir. Es gibt Vorschriften ...« M iller blieb nicht stehen, er blickte nur über die Schulter zurück und sagte: »Helfen Sie dem Ker l mit den Toten.« Der Captain und der Private stiegen den Hügel hin auf und drangen in das M G-Nest ein, wo sie der Geruch von versengtem Haar und verbranntem Fleisch emp fing, d er sich mit dem säuerlichen Pulv erdamp f vermischte. Zwei verkohlte, blutige Leichen, die wie Papier von M etallsp littern zerfetzt worden waren, hingen verkrümmt über dem schweren M aschinengewehr und den aufgeschlitzten Sandsäcken, die rieselnd ihre Füllun g ver loren. In einer Ecke lag ein zerrissener Rucksack, dessen Inhalt am Boden verstreut lag.
186
»Schau en Sie nach, ob Karten dabei sind«, sagte M iller. »Oder sonst irgendwelche brauchbaren Infor mationen.« Reiben gab k eine Antwort; er bewegte sich wie ein Schlafwandler. »Haben Sie mich verstanden, Private?« Der Junge nickte und schaute mit leeren Augen auf d ie Leichen. Dann begann er wie benommen mit M iller in den Trümmern herumzustochern und beu gte sich über den Inhalt des Rucksacks. Deutsche Essensrationen - Büchsen mit Reis, aus denen dicke, gelbliche Hühnerbrühe lief, eine frische Uniform, eine Brieftasche. Der Captain sah sie durch, fand ein paar deutsche Münzen, abgerissene Karten eines M ünchener Konzerts, ein in Folie eingewickeltes Kondom, eine mit einer Schleife zusammengebunden e Haarlocke, die wahrscheinlich von einem M ädchen stammte, mehrere Photos, darunter eines von einem jungen M ann mit einem Fußball und ein anderes, das denselben Jungen mit seinen stolzen, strahlenden Eltern zeigte. Der gr insende junge Soldat auf d em Photo war ihr Gefan gen er. Dicht neben den Leich en fand Reiben eine Einkaufstüte mit einem auf gedruckten Bild des Eiffelturms und einer Pariser Adresse. Unwillkürlich lächelte er, als er mit seinen blutigen Fingern einen teuren rotseidenen Unterrock zum Vorschein brachte. Sein Lächeln er losch sogleich wieder. Er warf das Wäschestück neben die Toten und kletterte aus dem M G-Nest. M iller sagte nichts, als er ihn weggehen sah. Er hielt immer noch das Photo ihres Gefangen en und seiner Eltern in Händen. Er starrte es lan ge an. Dann zerriß er es in kleine Fetzen, die flatternd auf den trümmerübersäten Boden fielen, und verließ ebenfalls die Stellung.
187
15.
Auf einem nahegelegen en, ziemlich kleinen und von einer Hecke eingef aßten Feld bewachte Upham den deutschen Gefangenen. Er klaubte Steine aus den Überresten eines Steinwalls auf, den eine Artilleriegr anate auseinandergesprengt hatte. Der Corporal und der Gefangene hatten die neun toten M änner - die Fallschir mjäger-Patrouille, die in den Hinterhalt ger aten war, und Wade - wie Säcke hierhergeschleppt und widmeten sich nun ihrer schweren, freudlosen und undankbaren Auf gabe. Upham hatte darauf geachtet, daß zuerst für Wade Sor ge getragen wurde, und mittlerweile waren bis auf zwei auch alle Fallschir mjäger mit Steinen bedeckt. Der Atem des Deutschen ging h eftig vor Anstrengung und Furcht, seine Hände waren blutverschmiert. Der Corp oral markierte die provisorischen Grabhügel mit Gewehren, um die amerikanischen Leichenber gungstrupps auf sie aufmerksam zu machen. Von Zeit zu Zeit begegneten die Augen des Deutschen dem kalten Blick Uphams, und der Gefangene legte sich noch mehr ins Zeug, half noch eifriger, die Op fer des M assakers zu bedecken, das er selbst mit angerichtet hatte. Schließlich bedeutete Up ham dem Gefangenen, eine Pause zu machen, und sie ließen sich beide auf der Erde nieder. Upham steckte sich eine Zigarette aus seiner K-Ration an, und der Deutsche warf einen gierigen Blick darauf. Der Corp oral gab ihm auch eine und zündete sie für ihn an. »American cigarette«, sagte der Deutsche, p affend und mit einem dümmlich-verzweifelten Grinsen. »I like America ... Steamboat Willie! Tuuut! Tuuut!« Upham nickte und sagte grimmig: »Jaja, M icky M aus. Steamboat Willie.«
188
»Ja! M icky M aus!« Sie rauchten immer noch, als M iller auf das Feld gestap ft kam, gefolgt von Ser geant Howard und dem Rest des Trupp s, beziehungsweise von denen, die noch übrig war en: Reiben, M ellish, Jackson. »Er soll seinen arischen Hintern hochnehmen«, knurrte M ellish. Upham stand auf und trat seine Zigarette aus; der Deutsche folgte sein em Beispiel. M iller schritt von Grab zu Grab, entfernte die M unition und die Bolzen aus den Waffen, um sie unbrauchb ar zu machen. Der Sarge fo lgte ihm und sammelte die M unition auf. M it dem Gewehr in der Hand gingen Reiben, M ellish und Jackson langsam auf den Gefan genen zu und bauten sich drohend im Halbkreis vor ihm auf. Der Deutsche sah das mit angsterfüllter M iene und machte sich wieder daran, Steine auf eine der übriggebliebenen Leichen zu häufen, so als würde es sein Problem lösen, wenn die Gefallenen bedeckt wären. »Ich brauche mehr Steine«, sagte er auf deutsch und deutete auf die Grabhügel - ein verzweifelter Versuch, durch fieberhaftes Arbeiten seinen Gehorsam und seine Nützlichkeit unter Beweis zu stellen. »Sie sind nicht hoch genug. Ich bin noch nicht fertig ...« »Er sagt, er ist noch nicht fertig«, übersetzte Upham. »Das denkt er vielleicht«, sagte M ellish. Dann rief er in Richtung des Gefangenen: »Wir sind aber gleich fertig mit dir, Adolf, keine Angst!« M ellish p ackte den Deutschen an seinem Tarnhemd, und Jackson half ihm. Als sie ihn von den Gräbern fortzogen, glitt ihm der letzte Stein aus den Fin gern, sein Gesicht begann angstvoll zu zucken, und er schrie: »Nein! I ch bin doch noch nicht fertig!« Und der Deutsche wand sich aus dem Griff seiner Bewacher,
189
hob den Stein auf, d en er fallengelassen h atte, und machte sich hastig wied er daran, die Leiche zu bedecken. Als Reiben jedoch sein Gewehr durchlud, erstarrte der Gefangene, richtete sich langsam auf und wandte ihnen sein Gesicht zu. »Please«, versuchte er es wieder auf amerikanisch, »I like America.« Er sprach mit starkem Akzent, beinahe unverständ lich, und fletschte die Zähne in einem jämmerlichen, verzweifelten Versuch zu lächeln. »Was für eine Visage! M ann, hör schon auf! Hast du dir auf die Zunge gebissen?« Jackson lud sein Gewehr durch. Der Deutsche begann leise und hy sterisch zu lachen. Tränen stürzten aus seinen Augen, als er sagte: »Betty Boop! Klassefrau! Betty Grable? Prima Beine!« Und der Gefangene zog seine Hosenbeine bis zu den Knien hoch und lachte dabei. Auch M ellish lud seinen Karabiner durch. Der Deutsche stand jetzt aufrecht da, seine Beine waren immer noch entblößt. Er sang: »Oh say can y ou see ...« Weiter wußte er nicht, und so sang er wieder und wieder: »Can you? ... Oh say can you see?« Die drei Privates standen dem Gefan genen nun gegenüber wie ein Erschießungskommando. Upham, dem beinahe schlecht wurde, schaute weg. M iller war immer noch damit beschäftigt, Gewehre zu deaktivieren, und der Sar ge sammelte M unition ein. Anscheinend sahen beide nicht, was vor sich ging, oder sie wollten es nicht sehen. Der junge Gefangene spielte nun seinen letzten Trump f aus. »Fuck Hitler«, rief er. »Fuck you«, antwortete Reiben. Der Gefangene taumelte zu Upham, p ackte den Corp oral am Arm und stieß in Panik deutsche Sätze hervor: »Tut mir leid für den Mann, den ihr da verloren habt! Euer Sanitäter. So was passiert halt im Krieg, nicht wahr?«
190
Upham wandte sich an M iller: »Sir, er sagt, daß er Wades Tod bedauert. Ich glaube nicht, daß er der Schütze war, Sir.« »Sag ihm, daß von dem Wörtchen >sorry< noch niemand wieder leb endig geworden ist«, rief Jackson und schwenkte drohend seine große Springf ield. »Und sag ihm, daß mir gleich die Tränen kommen.« »Sagen Sie ihm«, meinte M iller plötzlich, »daß der Krieg für ihn vorbei ist.« Die Soldaten des Trupps nickten. M ellish knurrte: »Das trifft den Nagel auf den Kopf.« M iller ließ das letzte funktionsuntüchtig gemachte Gewehr fallen und ging langsam auf den Deutschen zu. Er zog ein Taschentuch hervor und verband damit dem Deutschen die Augen. »Sir«, sagte Upham mit leiser, eindringlicher Stimme, »das ist nicht richtig.« »Übersetzen Sie, Corporal. Übersetzen Sie, was ich gesagt habe.« Upham tat, was sein Captain ihm befohlen hatte. M iller drehte den Deutschen um, so daß er dem Trupp den Rücken zuwandte. Horvath lud für alle Fälle sein Gewehr durch. Der Gefangene zuckte zusammen. M iller schaute auf seine Leute M ellishs Augen glänzten, Jackson sah ihn mit dem Gleich mut des Jägers an, und Reiben wirkte wie versteinert. M iller befahl Up ham: »Sagen Sie ihm, er soll zweihundert Schritte gehen, bis er uns nicht mehr hör en kann. Er soll sich der ersten alliierten Patrouille er geben, auf die er stößt.« »Wie?« schrie Reiben auf und schüttelte den Kop f, als traute er seinen Ohren nicht. »M oment mal …« »Jawohl, Sir«, sagte Up ham voller Erleichterung und beinahe mit einem Lächeln. Er übersetzte, zu dem jungen Deutschen gewandt: »Lauf zweihundert Schritte, dann kannst du die Binde
191
abnehmen.« M iller prüfte die Augenbinde, zog den Knoten fest und schlug dem Deutschen zweimal auf die Schulter, zum Zeichen, daß er losgehen solle, was dieser sofort tat. »Lucky Strike«, sagte der Deutsche. »Ich danke euch. Ich gehe jetzt los. Schießt mir bitte nicht in den Rücken.« »Sie lassen ihn gehen?« fragte Reib en M iller. Der Private konnte es einfach nicht fassen. Der Deutsche hatte nun zu singen begonnen, seine Stimme entfernte sich lan gsam: »Take me out to the ball game! Take me out to the crowd! Buy me some peanuts ... Ich werde nicht stehenbleiben. Ich drehe mich nicht um. Ich verspreche es!« »Das war's«, sagte M iller. »Alle M ann bereitmachen zum Abmarsch.« Keiner rührte sich von der Stelle. Alle starrten ihn an oder sahen der kleiner werdenden Gestalt des Deutschen nach, die der Hecke am Ende des Feldes zustrebte. M iller seufzte. »Wir können ihn nicht mitschleppen. Er wird uns nur bei der Ausführung unseres Auftrags behindern. In der Richtung, in die ich ihn geschickt habe, wird er von unseren Leuten aufgesammelt werden.« »Wenn er nicht zuerst auf die Wehrmacht trifft«, sagte Reiben b itter, »und wieder in den Kampf geschickt wird. Um noch einen von uns zu erschießen ... Sie lassen einen unserer Feinde einf ach so davonsp azieren, Sir.« M ellish blickte dem Deutschen nach. »Das ist nicht recht«, sagte er. »Recht?« Upham exp lodierte. »Herrgott! Wir richten doch keine Gefangenen h in! Wir sind doch keine Schlächter! Verdammt, das ist gegen die Regeln!« »Wir sind hier nicht beim Kartenspielen«, schnauzte Reiben. »Upham, du Scheißer, d a hinten lauf en die Regeln.«
192
Er deutete auf den Deutschen. »Reiben«, sagte M iller leise, »holen Sie Ihr e Sach en und halten Sie den M und.« Reiben rührte sich nicht. Er atmete tief durch, blickte den Cap tain herausfordernd an und sagte: »Nein, Sir, das werde ich nicht ... Sir.« Alle Augen ruhten nun auf M iller und Reiben - außer d enen des Deutschen, der hinter den Hecken verschwunden war. »Das war keine Bitte, Reiben. Das ist ein Befehl.« »Ach ja? So einer wie der, das M G-Nest zu stürmen? Der war ja wohl ziemlicher Bockmist. Und zwar nicht zu knapp .« M iller verzog keine M iene, aber Horvaths Gesicht verzerrte sich vor Zorn. »Du gehst eindeutig zu weit, Soldat!« Reiben beachtete den Ser geant nicht und sagte zu M iller: »Ja, Sir, Cap, das war ein prima Befehl. Wir haben das Nest ausgehoben und nur einen einzigen M ann dabei verloren. Zum Glück war's ja bloß unser Sanitäter ... denn wer braucht schon unter Ihrer Führung einen Sanitäter? Vor Sonnenuntergang sind wir sowieso alle er ledigt.« »Reiben ...«, sagte der Sarge und trat auf den Private zu. Aber Reiben miß achtete diese deutlich e Warnun g und fuhr zum Cap tain gewandt fort: »Je mehr M änner wir ver lieren, desto mehr kann sich M ama Ryan darüber freuen, wie wertvoll doch das Leben ihres kleinen Jungen ist. Nur daß wir diesen verfluchten Hurensohn bis jetzt noch nicht gefunden haben, aber das ist ja ganz und gar Nebensache ...« Der Sar ge stand nun direkt neben Reiben und schrie beinahe: »Tritt zurück, Private, und hält's M aul!« Reiben lachte ver ächtlich, dr ehte sich auf dem Absatz um und ließ seinen Captain und seinen Ser geant stehen. M iller stand einfach da, reglos, wie erstarrt. Horvath aber war bleich vor Zorn und schüttelte sich, als er Reiben nachschrie: »Komm
193
sofort zu deinem Captain zurück!« »Ach, verdammt«, sagte Jackson. »Laß das Großmaul doch ziehen ... Auf den können wir verzichten.« M iller schaute teilnahmslos zu, wie Reiben davonstap fte, als er plötzlich M ellish vor sich sah, Verzweiflung im Gesicht und in der Stimme. »Hören Sie, Captain, kümmern Sie sich nicht um Reiben, er ist ein Arschloch. Aber wollen Sie wissen, was ich denke, Sir? Ryan ist garantiert tot. Der liegt irgendwo im Gras, wie die toten Fallschirmjäger hier. Ich bin mir da ganz sicher. Wir sollten uns einfach auf den Heimweg machen, Sir.« M iller antwortete nichts, sondern trat nur ein paar Schritte zurück. Er sah in der Nähe einen Baumstumpf und ging dorthin, um sich zu setzen und darüber nachzudenken, wie es so weit hatte kommen können, daß sein Trupp ihm offen den Gehorsam verweigerte ... »Reiben!« schrie der Sar ge dem Priv ate nach, der in d ie gleich e Richtung wie der Deutsche ging, wobei unklar war, ob er desertieren oder den Gefangen en niedermähen wollte. »Komm zurück - sofort!« Reiben rief, ohne sich umzudrehen : »Nein, Sir. Wenn es sein muß, verbrin ge ich den Rest meines Lebens in Leavenworth im Knast. Aber mit dieser Scheiße hier will ich nichts mehr zu tun haben.« »Ich sage es nicht noch einmal«, schrie der Sarge, und der Ton seiner Stimme erschreckte alle. Er zog seine 45er aus dem Holster. »Komm zurück, Soldat!« Als der Sarge die Waffe dur chlud, b lieb Reiben wie angewurzelt stehen. M iller hob den Blick, blieb aber sitzen auch er wirkte wie gelähmt. Reiben machte kehrt und ging auf den Sar ge zu; seine Augen waren geweitet von Furcht, Erstaunen und Wut, und er sagte: »Du würdest mich wegen dieses verfluchten Ryan erschießen?
194
Für einen Typen, dem wir nie begegn et sind?« »Tritt zurück, Soldat«, wiederholte der Sarge, etwas leiser nun, aber die 45er war immer noch auf den näher kommenden Reiben gerichtet. »Na prima! Wunderbar! Na los, mach schon, schieß mir doch ins Bein, bitte, bitte. Verp aß mir den goldenen Schuß, der mich nach Hause bringt. Komm, tu mir diesen Gef allen, Sarge!« »Ich schieß' dir direkt in die Fresse, du Schwein«, knurrte der Sarge, »halt jetzt endlich deine Klapp e!« Reiben warf die Hände in die Höhe und spöttelte weiter: »Na los, mach schon, Sar ge! Trau dich!« Jackson sagte: »Langsam wird's interessant...« »Jesus M aria, Sar ge«, mischte sich da M ellish ein. Er sch ien den Tränen nahe. »Nimm die Knarr e runter, bitte!« Doch der Sar ge schäumte vor Wut, Reiben kam noch ein Stück näher und stichelte: »Nein, nein, hör nicht auf sie ... los, erschieß mich doch, Sarge! Erspar den Deutschen 'ne Kugel!« Die Hand des Sarge zitterte; er war durch Reibens provozierendes Verh alten aufs äuß erste ger eizt. Upham rannte zu der Stelle, wo M iller abseits auf dem Baumstumpf saß. »Sir, Sie müssen etwas unternehmen!« drängte er. M iller schaute Upham mit undurchdringlichem Gesicht an. Reibens höhnisches Geschrei tönte herüber; er war nun fast an den Sar ge und die auf ihn gerichtete 45er her an gekommen. »Wie hoch ist der Einsatz?« fragte M iller Upham abwesend. »Äh? Wie bitte?« »Sie wissen schon, der M iller-Pool. Wieviel ist jetzt drin?« Der Corporal starrte ihn verständnislos an. »Ah ... ich habe keine Ahnung.« Der Sarge schr ie: »Bleib stehen, wo du bist!« »M ach schon, Sar ge! Ins Bein, bitte schön! Schick mich n ach Hause!« »Du Feigling ... du verdammter Hurensohn ...«
195
Reiben baute sich h erausfordernd vor Horvath auf und schaute direkt in die M ündung der großen Automatic. »Du bist hier der Feigling! Erschieß mich doch! Da wird sich M ama Reiben freuen!« Upham, der immer wieder Blicke auf d ie irrwitzige Auseinandersetzung warf, stand vor sein em sitzenden Captain und sagte: »Ah, Sir, wirklich, ich denk e, Sie sollten dr ingend etwas unternehmen …« »Ich bin High-School-Lehrer«, sagte M iller. Er sagte es beiläuf ig, aber mit fester Stimme. M ellish hatte es gehört und schaute herüber. »Ich unterrichte En glisch«, fuhr M iller fort und richtete sich auf, »an der Thomas Edison High Schoo l.« Nun blickte auch Jackson zum Captain hinüber. Ebenso der Sarge. Und Reiben. »In Addley , Pennsy lvania«, fuhr M iller fort. »Wenn mich zu Hause die Leute fragen, was ich von Beruf bin, und ich sag' es ihnen, dann schauen sie mich normalerweise an und antworten: >Hätt' ich mir denken können<, oder so was ähnliches. Aber hier ... Ich fürchte, hier ist es nicht so deutlich ...« Sie starrten ihn alle an. »... Jedenfalls, wenn man in eure Gesichter schaut.« Sie gingen auf ihn zu, lan gsam, und stellten sich im Kreis um ihn auf. »Vielleicht habe ich mich ja verändert«, sagte er leise. Dann lachte er ein wenig. »M anchmal fr age ich mich, ob mein e Frau mich überhaupt wiedererkennen würde.« M ellish drehte sich zu Jackson um und bewegte lautlos die Lipp en: Sein e Frau? Jackson zuckte verblüfft mit den Schultern. Langsam, mit knackenden Gelenken und klapp ernder Ausrüstung, erhob sich M iller und stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann sagte er: »Hört zu ... Ich weiß nichts über diesen Private James Ryan, und er ist mir herzlich egal. Der M ann
196
bedeutet mir gar nichts. Ich will nur nach Hause und meine Kinder wiedersehen.« M ellish blickte zu Jackson und fragte lautlos: Seine Kinder?, worauf dieser wieder nur erstaunt die Achseln zuckte. »Und wenn es mich näher an mein Zuhause bringt, nach Ramelle zu marschier en und dort Ryan einzusammeln«, fuhr M iller fort, »dann werde ich das tun.« Und er schaute ihnen nacheinander ins Gesicht. »Wenn einer von euch zurückwill, um an anderer Stelle weiterzukämpfen, so halte ich ihn nicht auf. Ich werde keine M eldung machen, wenn ich diesen M ist hier überlebe. Wir sind halt einf ach getrennt worden, das ist alles. Im Krieg laufen die Dinge nicht immer so planmäßig, wie sie sollten ... M ehr weiß ich nicht dazu zu sagen, außer, daß ich mich immer weiter von zu Hause weg fühle, je mehr M enschen ich töte.« Der Wind strich sacht durch die Hecken und das hohe Gras, und die M änner standen eine ganze Weile schweigend da, sahen sich gegenseitig an und lauschten dieser M usik. Der Sarge hatte schon lange seine 45er gesenkt und in ihr Holster gesteckt. Schließlich sagte Jackson: »Das gibt's doch nicht - Lehrer ?« »So ist es«, nickte M iller. »Cap arzo hatte es erraten«, sagte Upham. »Er h at es mir gesagt ... Wir sollten das Geld aus dem Pool seiner Familie schicken.« »Gute Idee, Uppy«, stimmte M ellish zu. Reiben musterte den Cap tain. »Ein Lehrer. Und ich habe mich fr eiwillig gemeldet, um diesen Scheißkerlen zu entkommen.« Er grinste. Und M iller grinste ebenfalls. »Und, schmeckt dir der Krieg etwa besser?« fragte M ellish Reiben. »Ich trainiere auch das Baseball-Team«, fügte M iller hinzu. Alle lächelten nun. Es gab keinen Grund zum Jubeln, nicht unter diesen Umständen, aber sie waren froh, wieder eine
197
Einheit zu sein. M iller wies Upham und M ellish an, die beiden übriggebliebenen Fallschir mjäger mit Steinen zu bedecken, während die anderen ihr e Ausrüstung aufnahmen. »Alles in Butter?« fragte der Sar ge und schaute die M änner der Reihe nach an. »Von uns aus schon, Sir«, antwortete Jackson. »Also dann«, meinte der Sar ge, »in Reih und Glied, marsch.« Sie gehorchten und setzten sich in Bewegung. »Nächster Halt: Ramelle«, sagte Reiben.
16
Unter der warmen, nicht zu heißen Nachmittagssonne stapf ten M iller und seine M änner vorsichtig durch das hohe Gras. Das Gelände f iel allmählich zu dem Tal hin ab, wo Ramelle an der M erderet lag. Aber noch konnten sie das Flüßchen und die Brücke, der Ramelle seine besondere strategische Bedeutung verdankte, nicht sehen. In etwa 800 M etern Entfernung erkannten sie jedoch einen eindrucksvollen Schutthaufen: das Dorf, oder besser das, was die alliierte Bo mbardierung daraus gemacht hatte. Verglich en mit diesen Ruinen war Neuville-auPlain praktisch unversehrt gewesen. Einige Gebäude standen allerdings noch, darunter auch der Kirchturm, der wie ein zorniger Fin ger Gottes in den Himmel ragte. »Sieht ziemlich ruhig aus da unten«, bemerkte der Sar ge, der an der Spitze ging. »Keine Zivilisten in Sicht - und ich sehe auch nichts von der Hundertersten.« M iller rief von hinten: »Die werden wir schon no ch zu Gesicht bekommen, wenn wir die Brücke erreichen. Die braven Bürger von Ramelle hab en sich wohl schon vor einer ganzen
198
Weile aus dem Staub gemacht. Es wird hier bestimmt nicht lange so ruhig bleiben.« Wie zur Bestätigun g seiner Worte war p lötzlich hinter ihnen ein M otorengeräusch zu hören. Sie wandten die Köp fe um, waren aber zunächst nicht beunruhigt, denn es klang wie die Traktoren, denen sie hier und da auf ihrem M arsch begegnet waren (noch vertrauter war ihnen jedo ch das Wieh ern von Ackerpferden geworden). Aber das Fahrzeug, das da unvermittelt auf sie zukam, war kein Traktor, auch wenn es hinten auf Ketten und vorne auf Rädern fuhr; was da über das Feld herangejagt kam, war ein bewaffnetes deutsches Halbkettenfahrzeug, mit drei Grenadie ren auf jeder Seite, die im Laufschritt mitzuhalten versuchten und dabei ihr e Gewehre über das hohe Gras hielten. Der deutsche Schütze auf dem Halbkettenfahrzeug eröffnete sofort aus einem aufmontierten M aschinengewehr das Feuer auf M illers M änner, die in Richtung des Dorfes rannten. Ihre Beine wirbelten durch das hohe Gras, überall u m sie h erum pfiffen Kugeln. Sie fanden nicht einmal Zeit, einen einzigen Schuß abzugeben, sie r annten einf ach, so schn ell sie ihre Beine trugen, bis ein Bewässerun gsgraben ihren Weg kreuzte - eine willkommene Deckun g. Die M änner sp rangen oder schlitterten hinein. Kugeln rissen entlang dem Graben die Grasnarbe auf, Gewehrschüsse krachten und das M aschinengewehr tackerte. Auf der anderen Seite des Grab ens waren Eisenbahnschienen, jenseits davon befand sich wahrscheinlich noch ein Graben, und dahinter lag das Dorf. Wenn es M iller und seiner Einheit gelan g, über d ie Schienen zu kriechen, war en sie in Deckung und konnten Gegenwehr leisten. Sie stolperten spritzend durch das trübe Wasser am Grunde des Grabens und begannen an der anderen Seite hochzukriech en, wo die Eisenbahnschienen verliefen, aber das Sperrfeuer aus dem M aschinengewehr zerhackte die hölzernen Eisenbahnschwellen zu Streichhölzern
199
und trieb die M änner in den schlammigen Graben zurück. »Scheiße!« rief der Sar ge. Der M otor des Halbkettenfahrzeugs hörte sich jetzt nicht mehr wie ein Traktor an. Knurrend näherte es sich, das M G schwieg, wartete aber sicher nur darauf, wieder loszuknattern. Und jeden M oment würde über ihren Köpfen ein halbes Dutzend deutscher Soldaten auftauchen ... »Ein graben!« schrie M iller. »Wir zeigen's ihnen!« Sie versuchten, den Graben als überdimensioniertes Schüt zenloch zu nutzten, gin gen an seinem Rand in Stellun g und erwiderten das Feuer. Aber es regnete soviel Blei auf sie herab, daß sie nach unten zurückweichen mußten, von wo aus sie nur noch blind über die Böschung schießen konnten. Rumpeln und Quietschen zeigte ihnen an, daß d as bewaffnete Gefährt näher und immer näher kam ... »Köpfe runter!« schrie jemand. M iller und seine Leute gehorchten, obwohl sie sich erstaunt fragten, wer von ihnen das gerufen hatte. Als ihnen klarge worden war, daß es keiner von ihnen gewesen war, sondern daß die Aufforderung von hinten gekommen war, von den Eisenbahnschienen, sah en sie auch schon über ihren Köpfen die Rohrmündung einer Panzerfaust und die Stichflamme des Projektils, das mit einer Rauchspur über sie hinweg ins Feld hineinzischte. Das Krachen eines Volltreffers ermutigte den Trupp, über den Rand des Deiches zu spähen, wo schwarzer Rauch aus der M otorhaube des Kettenfahrzeugs aufstieg, das stotternd zum Stehen kam. Der M G-Schütze war von seinem Hochsitz weg gepustet worden, und Teile seines zerfetzten Körpers flogen durch die Gegend. Die deutschen Soldaten stolperten durcheinander, völlig überrascht vom plötzlichen Beben der Erde, und wischten sich Rauch aus dem Gesicht. Sie h atten sich noch nicht von ihr em
200
Schock erholt, als sich geister gleich vier amerikan ische Fallschirmjäger links von der Stelle, wo M iller und seine Leute im Graben hockten, aus dem hohen Gras erhoben. Innerhalb von Sekunden wurden die Deutschen von amerik anischem M PFeuer nieder gemäht und versanken schreiend und blutend im Grasmeer. Schließlich hörte auch das Schreien auf; es blieb nichts übrig als Stille, über die schwarzer Qualm driftete. Erschüttert und erleichtert sah der Trupp über sich einen großen, athletisch gebauten Fallschirmjäger auf den Eisenbahn schienen knien, der eine Panzerfaust gegen seinen Ober schenkel gelehnt hatte und zu ihnen herübersah. Es war ein gutaussehender blonder Junge mit einer Stupsnase, runden Wan gen und einem Grübchen im Kinn, blauen, lachenden Au gen, fast ein Comic-Held, jedoch mit einem ernsten, resp ektvollen Ausdruck in dem ovalen Gesicht. »Alle in Ordnung?« fragte er mit rauher Stimme. »Vermißt jemand ir gendwelche Ersatzteile?« »Alles okay«, sagte M iller. »Danke für die kleine Hilf estellung. Wer, zum Teufel, sind Sie, mein Sohn?« »Private First Class Ryan, Sir ... Sir ? Stimmt etwas nicht?« Die fünf GIs in dem schlammigen Graben starrten ihren Retter mit ungläubigen Augen an. Dann b egannen sie ihre Köpfe zu schütteln und lachten, während der dünner werdende Rauch über ihn en abzog. Private James F. Ry an, zwanzig, Peyton, Iowa, fragte sich, ob diese unrasierte, abgerissene Truppe vor ihm, der er gerade das Leben ger ettet hatte, nicht völlig durch gedreht war. Als M illers M änner aus dem Graben auf die Sch ienentrasse gek lettert waren, lachte niemand mehr. Eine Brise wehte den schr ecklichen, b ereits vertrauten Geruch von versengtem Haar und verbranntem Fleisch aus dem hohen Gras herüber, eine allzu ernüchternde Erinnerung an den Grund ihrer Anwesenheit. Dieser helläugige Jun ge vom Lande, der
201
ihnen das Leben gerettet hatte, konnte natürlich nicht wissen, mit welchem Auftrag sie hierher gekommen war en - und daß der Krieg ihm seine Brüder genommen hatte. Private Ryan ließ seine Panzerfaust liegen und geleitete mit den anderen Fallsch irmjägern, die an der Rettungsaktion beteiligt gewesen waren, Captain M iller und seine Einheit durch die Ruinen von Ramelle. Aus den zerstörten Häusern schaute hier und da ein Fallschirmjäger her aus, als die kleine Truppe vorbeikam; Zivilisten gab es keine mehr im Ort. M iller fiel auf, daß die Fallschirmjäger mindestens so abgerissen aussahen wie seine eigenen Leute: überall aus gemergelte, unrasierte Gesichter, nicht wenige waren verwundet. M iller und die M änner seines Trupps warfen Ry an verstoh lene Blick e zu, musterten seine klaren, bäuer lich en Züge, das Erbe seiner Heimat Iowa; die Tatsache, daß er ihnen das Leben ger ettet hatte, hatte ihm einigen Respekt eingebr acht. Die Brücke von Ramelle war schmal, doch die bep flasterte, auf steinernen Pfeilern ruhende Stahlkonstruktion machte einen sehr massiven Eindruck. Darunter floß breit und glitzernd die M erderet, die mehr wie ein See als wie ein Bach aussah - die Deutschen hatten weiter oben, bei Carentan, die Schleusen geöffnet und so eine kleine Überschwemmun g produziert, um feindliche Fallschirmjäger zu ertränken. Der Zugang zur Brücke war von beiden Seiten durch M GStellungen hinter zahllosen Sandsäcken gesich ert. Aus der ersten, näher an der Stadt gelegenen, erhob sich Corporal Fred Henderson, vierundzwanzig, St. Louis, M issouri, ein athleti scher, blonder M ann mit ausladendem Kinn. Beim Anblick der kleinen, abgerissenen Patrouille verzog sich sein Gesicht zu einem b itteren Lächeln. »Sir«, sagte Henderson, als M iller und seine Leute auf ihn zukamen, »wenn Sie die an geforderte Verstärkung sind, werde ich wohl Beschwerde einreichen müssen.«
202
»Kann ich Ihnen nicht verdenken, Corporal«, sagte M iller. »Ich muß Ihrem b efehlshabenden Offizier M eldung machen.« »Das wäre wohl Colonel Jennings gewesen, Sir.« Der Corporal nickte zu der nahen Uferböschun g hin, wo zwei Dutzend Gefallene unter Decken lagen und auf einen Leichen bergungstrupp warteten. »Ich fürchte«, sagte der Corporal, »ich b in der ranghöchste Offizier, den wir Ihnen bieten können. M ein Name ist Hender son, Sir.« »Ich bin Cap tain M iller.« »Was führt Sie in dieses ehemalige Städtchen, Captain?« »Dieser M ann«, sagte M iller und wies auf Ryan, der ihn über rascht ansah. »Wir sind wegen Private Ryan gekommen.« »Wegen mir ?« fragte Ryan völlig verblüfft. »Warum, zum Teufel ...?« Da er nun so etwas wie einen befehlshabend en Offizier vor sich hatte, war M iller entschlossen, die Sache zu Ende zu bringen. »James Francis Ryan? Iowa?« »Ja, Sir«, sagte Ryan verwirrt und ein wenig besorgt, »aus Peyton, Iowa, Sir ... Worum geht es?« »Ich kann es Ihn en leider nicht ersp aren, Soldat«, sagte M iller. »James, alle Ihre Brüder sind im Feld gefallen.« Ryan schluckte; wie alle M änner, die viele Kämp fe erlebt hatten, zeigte er nach außen Härte. Aber seine Stimme klang heiser, als er fragte: »Alle? Doch nicht alle ... da muß ein Irrtum vorliegen.« »Irrrum aus geschlossen, Private. Thomas ist am Omaha Beach gefallen; Peter im Abschnitt Utah. Daniel ist schon vor über einer Woche in Neu Guin ea gefallen ... Tut mir leid, mein Sohn.« Der tapfere Fallschirmjäger, der eben noch vor ihnen gestanden hatte, war nun wieder ein kleiner Jun ge. In seinem
203
Gesicht und seinen Augen f lackerte das Entsetzen über die schreckliche Nachr icht, daß seine Brüder, mit denen er aufgewachsen war, mit denen er sich gebalgt und mit denen er gelacht hatte, die er manchmal verflucht und doch immer geliebt hatte, nicht mehr am Leben war en. Es mochte eine Kugel, ein e Granate oder eine M ine gewesen sein, die sie getötet hatte, aber für James Ryan waren es Worte, die sie ihm raubten, Worte, die sich unwirklich anhörten und doch so real waren wie eine Kugel oder eine Granate oder eine M ine. Seine Brüder waren tot. Er würde sie nie wiedersehen, nicht einmal in einem Sarg. Cap tain M illers Worte hatten sie ausgelöscht. Ryan nahm seinen Helm ab, fuhr sich mit der Hand durch sein dunkelblondes Haar, taumelte zu einem Brücken geländer und lehnte sich dagegen. M iller und sein Trupp senkten die Augen und musterten die Pflastersteine zwischen ihren Stiefeln. Sie blickten n icht auf, als Tränen über Ryans runde Wangen strömten. Die anderen Fallschirmjäger, seine Kameraden, schauten hinaus auf d en schimmernden Fluß und ließen ihn mit seinem Schmerz allein. Nach einer Weile wischte sich der Private die Tränen aus den Augen, trocknete sich die Hand an seiner Hose ab, wandte sich an M iller und fragte: »Von woher kommen Sie mit dieser Nachr icht?« »Omaha Beach.« Ryan runzelte die Stirn. » Sie haben den ganzen weiten Weg auf sich genommen, nur um mir das mitzuteilen? Worum geht es wirklich, Sir?« M iller gin g auf Ryan zu, der sich immer noch am Geländer abstützte. »Sie werden nach Hause beordert, mein Junge. Wir haben den Befehl, Sie zurückzubrin gen.« Ryan starrte ihn mit großen Augen an. »Was soll das heißen - mich zurückbrin gen?« »Genau das, was ich sage. Sie kommen doch aus Iowa. Sie
204
kennen die Geschichte der Sullivans.« Ein schwaches Lächeln huschte über Ryans bedrücktes Gesicht, als er sagte: »Es macht wohl schlechte Schlagzeilen, wenn ich drauf geh e.« »Ihre M utter hat schon genug gelitten ... Sie haben zehn M inuten Zeit, Ihre Sachen zu holen und sich zu verabschie den.« Ryan schwirrte der Kop f - verständlicherweise. M iller wandte sich zu Henderson und fragte: »Erwarten Sie hier draußen Verstärkung?« »M an kann nie wissen, Sir.« »Gibt es einsatzfähige Funkgeräte?« »Sie werden entweder gestört oder sind kaputt. Wir haben keine Ahnun g, was südlich von uns los ist.« Plötzlich sagte Ry an: »Ich habe au ch Befehle, Sir.« Der Private lehnte nun nicht mehr am Brückengeländer - er stand direkt vor M iller, aufrecht, und sprach mit fester Stimme. »Und keiner gibt mir die Anweisung, meinen Posten zu verlas sen.« M iller schluckte, seufzte und sagte: »Ich kann Ihre Gefühle verstehen. Ich würde genauso empfinden, wenn ich Sie wäre. Ich fürchte jedoch, daß meine Befehle über Ihren stehen.« »Das sehe ich nicht so, Sir.« M iller hatte bereits einen lan gen, harten und anstrengenden Tag hinter sich, und trotz der Sy mpathie, die er für d en Jungen empfand, wurde er nun ärgerlich. »Private, ich habe meine Befehle direkt von General M arshall, dem Stabschef der Armee der Ver einigten Staaten.« »Bei allem Resp ekt, Sir«, mischte sich nun auch Henderson kühn ein, »Private Ryan hat vielleicht nicht so unrecht. General M arshall ist nicht hier, und er kann die Lage nicht direkt beurteilen.« M illers M und verzog sich.
205
»Ich bin erst seit fünf M inuten in dieser Stadt, und schon widersprechen mir ein Private und ein Corp oral - bei der Hun dertersten scheint es etwas anders zu laufen als bei uns Rangers.« »Sir«, sagte Henderson, »unser Befehl lautet, die Brücke zu halten - um jeden Preis. Unsere Flugzeuge und die zweiund achtzigste Luftlandedivision hab en alle Brücken über die M erderet zerstört, außer zweien - der bei Valo gn es und dieser hier. Wenn die Deutschen sie nehmen, ist unsere Stellung in Gefahr, und wir müssen uns zurückziehen.« »Ich bin nicht gekommen, um Sie und Ihre M änner von dieser Brücke abzuziehen, Corporal, oder aus der Stadt heraus zuholen. Und ich will Ihn en weder Ihren Job streitig machen, noch bezweifle ich seine Wichtigk eit. Aber Sie werden wohl mit einem M ann weniger auskommen können.« Ryan schüttelte verneinend den Kop f. »Ich kann sie nicht im Stich lassen, Sir. Nicht, bevor die Verstärkung eingetroffen ist.« M illers Lächeln war nun nicht mehr sehr freund lich. »Während mein e Leute und ich hierher unterwegs waren, fröhlich durch die französische Landschaft spaziert sind, Gän seblümchen gepflückt, Picknick gemacht und nebenher die Bauerntöchter flachgelegt haben, muß in der Army wohl die Demokratie aus gebrochen sein.« »Sir«, wandte Ry an weiter ein, »es sind nur noch so wenige von uns übrig ...« »Private, Sie ver gessen, daß ich Ihnen zehn M inuten geben wollte. Sie haben noch genau fünf M inuten, ihr Zeug zu holen und sich bei mir zu melden.« Ryan schüttelte immer noch den Kop f. »Cap tain, was sollen sie denn machen, wenn ich gehe …« »Hey, du Arschloch!« explodierte Reiben. »Zwei von uns sind draufgegan gen, damit wir dir hier den Rückfahrschein
206
überreichen können! Jetzt nimm ihn, zum Teufel! Ich würde sofort zugreifen.« Ryan wirkte wie vom Donner gerührt; das Blut wich aus seinem Gesicht. Er blickte fragend auf M iller, und der Captain nickte. Ryan ging mit schwankendem Schritt zu den Sandsäcken der MG-Stellung, wo er sich hinsetzte. Er murmelte ein e Frage. M iller sagte: »Was wollten Sie sagen, Junge?« »Wie ... wie hießen sie?« M it einem leisen Vorwurf in der Stimme erwiderte M ellish: »Wade und Cap arzo.« Ryan wiederholte: »Wade ... und ...« »Cap arzo«, half ihm M ellish. Der Private wied erholte leise d iese Namen, prägte sie sich ein, versuchte sich die gefallenen M änner vorzustellen. Schließlich sagte Ry an zu M iller: » Sir, das macht doch keinen Sinn. Was habe ich getan, um eine solche Sonderbe handlung zu verdienen?« »Hey, hört euch das an! Ist er nicht klasse?« rief Reiben. M iller warf Reiben einen warnenden Blick zu und sagte dann zu Ry an: »Es geht nicht um Sie, sondern um Politik ... und dann ist da noch Ihre M utter.« Aber Ryan schien gar n icht zu hören. »Ich meine, um Himmels willen, mein Leben ist doch nicht das von zwei anderen wert.« Die M änner von M illers Einheit schauten einander an, verwirrt und ein wenig beschämt, als sie hörten, wie Ryan selbst das aussp rach, was sie schon immer üb er ihr en Auftrag ged acht hatten. Der Private wies auf seine Kameraden ringsum, die Fall schirmjäger, die den Trupp hierher begleitet hatten, die beiden M änner in dem M G-Nest und auf Corp oral Henderson. »Verdammt«, sagte Ryan, »alle hier haben es doch mindes
207
tens genauso wie ich verdient, nach Hause zu kommen. Sie haben genauso lan ge gekämpft wie ich und genauso hart.« »Soll ich das vielleicht Ihrer M utter erzählen?« fragte M iller. »Daß sie vielleicht bald noch eine Flagge aus ihrem Fenster hängen kann?« Ryans Gesicht wurde p lötzlich hart. »Sie hat keinen von uns zum Feigling erzogen.« Der Cap tain starrte den Private an. »Sie hat euch nicht großgezogen, um euch alle zu verlieren!« »Dann sagen Sie ihr eben, d aß ich, als Sie mich gefunden haben, mit den einzigen Brüdern zusammen war, die mir noch geb lieb en sind. Sagen Sie ihr, daß ich sie auf keinen Fall im Stich lassen wollte. Sagen Sie ihr das ... sie wird es verstehen.« Der Private blickte dem Cap tain in die Augen. M iller schwieg. »Ich bleibe bei dieser Brücke, Sir«, sagte Ryan. »Wenn Sie mich dafür ersch ießen wollen, daß ich mein en Posten nicht verlasse, nur zu ... obwohl ich nicht wüßte, wie Sie das meiner M utter erklären wollen.« Ryan ging an M iller und seinen M ännern vorbei in die M GStellung und setzte sich hin. M iller blickte auf den sonnenbeschienenen, von Bäu men gesäumten Fluß. Die Welt sah in diesem Augenblick so friedlich aus. Vielleicht hatte sich der weite Weg hierher für diese Aussicht gelohnt ... »Wie lauten Ihre Befeh le, Sir?« Der Sar ge war nun an sein er Seite. Sein Gesicht wirkte undurchdrin glich, aber seine Au gen leuchteten. Horvath hatte leise gesp rochen, und M iller antwortete mit ged ämp fter Stimme. Doch niemand versuchte ihre vertrauliche Unterredung zu belauschen. »Sergeant«, sagte M iller, »wir haben eine unsichtbare Grenze überschritten. Wir sind über ein e Falle gestolp ert und in ein
208
Kaninchenloch gestürzt.« »Ulkiger und ulkiger, Sir.« M iller mußte über diese kleine literar ische Anspielung seines rauhbeinigen Sergeant lachen. Horvath fuhr fort: »Aber die Frage bleibt, Sir: Wie lauten Ihre Befehle? Sollen wir diesen M ann, den General M arshall bei sein er M utter in Iowa ab gelie fert wissen will, festnehmen oder vielleicht standrechtlich erschießen? Wir könnten ihn verwunden und dorthin zurück schaffen, von wo wir kommen. Allerdings wären wir dann nur halb so schnell, aber wer weiß? Vielleicht sind wir ja schon allen Deutschen in d er Normandie begegnet.« »Was ist Ihre p ersönliche M einung, Sar ge?« Um die Lipp en des Sar ge zuckte ein Lächeln. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie die wirklich hören wollen, Sir.« »Raus damit, M ike.« Horvath zögerte noch immer, aber M iller kniff die Augen zusammen und sah ihn mit durchdringendem Blick an. »Verdammt, ich weiß auch nicht«, seufzte Horvath. »Einerseits denke ich, der Junge hat recht - er verdient keine Sonderbehandlung, und er verdient es auch nicht, daß man ihn zwingt, seinen Posten aufzugeben und seine Kumpel im Stich zu lassen. Er will hierbleiben, okay - verflucht, lassen wir ihn doch hier und geh en nach Hause.« »Ein Teil von Ihnen denkt so.« »Richtig. Andererseits ... wie wäre es, wenn wir selbst hier bleiben und den ar men Teufeln ein b ißchen Verstärkung geben würden? Die können sie doch drin gend gebrauchen. Anschlie ßend könnten wir ja tatsächlich von hier verschwinden, mit Ryan im Schlep ptau.« »So?« Der Sarge zuckte mit den Schultern. »Wenn wir uns dann eines Tages daran erinnern, wie wir
209
Private Ryan ger ettet haben, werden wir daran denken, d aß das die einzige wirklich gute Sache war, die wir in diesem gottverdammten Scheißkrieg gemacht haben.« M iller ließ diese Worte auf sich wirken. Der Sar ge fuhr fort: »Sie haben es selbst gesagt, Cap - wenn wir das geschafft haben, dann haben wir uns vielleicht alle das Recht verdient, nach Hause zu gehen.« Der Cap tain seufzte und lächelte. »Wissen Sie, einen M oment lang ... ich hatte fast den Ein druck, als würde Wade sp rechen.« »Ich, äh, danke für das Kompliment, Sir ... Jedenfalls, so denke ich über die Sache.« Und Horvath stapfte davon, ging zur Einheit zurück und ließ M iller mit seinen Gedanken allein. Dann schlenderte M iller zu Corporal Henderson hinüber, der bei den Sandsäcken der M GStellung stand, und fragte ihn: »Wie sehen Ihre Pläne aus, Corporal?« »M eine Pläne, Sir ?« »Wie wollen Sie die Krauts davon abhalten, die Brücke zu überqueren?« Henderson zeigte in die Runde. »Nun, äh ... wir haben M Gs an beiden Seiten p ostiert, wie Sie sehen ... außerdem hab en wir die Haup tstraße der Stadt ver mint.« M iller nickte und über legte. »M aschinengewehre und M inen halten sie vielleicht dreißig Sekunden lan g auf, vielleicht auch eine M inute. Sonst noch was?« Henderson wirkte verlegen. »Nein, Sir. Nur das, und ein Dutzend M änner, die noch einsatzfähig sind, Sir.« »Denken Sie vielleicht, die greifen mit Eselskarren an? Bislang haben sie euch doch nur ein bißch en gep iekst, mit ein paar Infanteristen, vielleicht mit einem gepanzerten Fahrzeug.
210
Aber wenn sie in die Stadt kommen, um die Brücke zu neh men, dann bringen sie Panzer mit.« »Ich weiß, Sir.« »Vielleicht hat Ihr n euer b efehlshabender Offizier ja eine bessere Idee.« Henderson runzelte verwirrt die Stirn. »Wer, Sir?« »Ihr neuer befehlshabender Offizier«, sagte M iller. »Ich.«
17.
Auf dem Gelände nahe der Brü cke, unterhalb d er Ruin en von Ramelle, inspizierte M iller ein mager es Waffenarsenal: zwei M aschinengewehre Kaliber 30, siebzehn Granaten, dazu elf Hawkins-M inen, zwei Panzerfäuste mit acht Schuß M unition, ein Flammenwerfer und verschied ene leichte Waffen. »Ist das alles?« fragte M iller. Der Sar ge schritt neben ihm, und hinter ihnen drängten sich die Jungs der Einheit wie die Jury eines Schönheitswettbewerbs, die auf hübschere M ädchen gehofft hatte. Auch Ry an war mitgekommen. Die Präsentation des bescheidenen Waff enlagers wurde von den beiden Fallschirmjägern durch geführt, die an dieser Stelle zusammen mit Corp oral Henderson hinter den Sandsäcken des M G-Nestes saßen. Bill Trask, zweiundzwanzig, Dallas, Texas, war dunkelhäutig und schlaksig wie Jackson, während der blonde Ray Rice, Tulsa, Oklahoma, die bullige Figur eines FootballSpielers hatte. »Außer Karabinern und Bajonetten, ja, Sir«, antwortete Trask. Entschuldigend fügte er hinzu: »Wir hatten einen 60er
211
Granatwerfer, aber ein Artillerietreffer hat ihn außer Gefecht gesetzt.« »Wir könnten sie genauso gut mit Papierkugeln beschießen«, sagte Rice düster, »wenn sie uns mit Panzern angreifen.« »Wenn sie uns mit Panzern angreifen«, verbesserte ihn M iller. Der Sar ge schaute auf die Handvoll Waffen und mußte Rice recht geben. M illers Blick jedoch schweifte die Pflasterstraße entlang, d ie von hier aus in die zerstörte Stadt schwenkte. »Was denken Sie, Cap?« fragte der Ser geant. »Ich denke«, sagte M iller, »die Jerrys werden uns in d ie Zange neh men und zerquetschen.« »Ja«, nickte der Sarge. »Und uns dann wie einen Pickel aus drücken.« M iller zeigte nach vorne. »Aber wie wär's, wenn wir ein paar von ihnen auf die Hauptstraße locken ... zwischen diese Gebäude? Es sind genu g Trümmer da, um ein en En gp aß zu bilden.« Ryan entgegnete: »Nicht genug, um d amit einen Panzer aufzuhalten ... es sei denn, wir setzen einen außer Gef echt.« »Genau!« grinste M iller. »Wir verwandeln einen von ihren Panzern in eine sechzig Tonnen schwere Straßensperre. Wenn wir das schaffen, können wir auch unsere Flanken vertei digen.« Die anderen verzogen kein e M iene. Auch wenn sie vielleicht gerne seinen Enthusiasmus geteilt hätten, wußten die Soldaten doch, daß das, was M iller vorschlug, selbst dann eine schwierige Auf gabe gewesen wär e, wenn sie selbst einen oder zwei Panzer gehabt hätten. Und die hatten sie nicht. Aber Corp oral Henderson sah, daß es immerhin eine Chance war. »Gar nicht schlecht ... dann müssen sie sich teilen. Wir müssen verhindern, daß sie zusammen angr eifen.« »Richtig«, sagte M iller. »Dann könnten wir ihnen schwer zusetzen, nach und nach, nicht in einer großen Schlacht,
212
sondern in kleinen Gefechten, die wir ein es nach dem anderen gewinn en, während wir uns Stück für Stück zur Brücke zurückfallen lassen und die übriggebliebenen Krauts hinter uns herziehen.« Auch der Sarge nickte nun und deutete die Straße entlang. »Ein M G könnten wir hier an der Straße aufstellen ...« Sein Zeigefin ger wies auf den Kirchturm. »Das zweite M G dort oben, schön ho ch. Da können wir Blei auf ihre Köpfe herabregnen lassen.« »Gut, gut«, stimmte M iller zu und wandte sich an Jackson: »Wollen Sie dem M aschinengewehr im Kirchturm Gesellsch aft leisten?« »Ist doch Verschwendung, Sir, mich zum Sp äher zu machen«, meinte Jackson, der sich auf seine Sp ringneid stützte. »Nun, ich dachte, Sie könnten vielleicht von dort oben aus ein paar deutschen Offizieren unsere Willkommens grüße ausrich ten.« Jackson salutierte mit seinem verwundeten Arm und sagte: »Freue mich immer, mal wieder in einem Gotteshaus sein zu können.« M iller sah seinen M ännern forschend ins Gesicht. »Wie seht ihr die Sache?« »Sie wollen unsere M einung hören, Sir ?« wunderte sich Reiben. »Sieht so aus, oder?« »Nun ... es gab schon schlechtere Pläne.« M ellish sagte: »Ja - Omaha Beach zum Beispiel.« Grimmiges Lachen und zustimmendes Nicken war die Ant wort; auch M iller mußte grinsen. »Hängt alles davon ab, ob wir einen Panzer dazu bringen können, die Hauptstraße runterzukommen«, sagte Reiben. »Genau«, stimmte M iller zu. »Erstens das, und dann müssen wir ihn noch erledigen.«
213
»Nun, äh ... wie sollen wir das eigentlich anstellen?« Der Sar ge verzo g den M und zu einem freud losen Grinsen. »Ich gebe es ja un gern zu, aber ich finde, diesmal hat Reiben recht.« Er nickte zu den Waffen hinüber. »An der Einschätzung der Fallschirmjäger gibt es nichts zu deuteln. Sie haben recht: Das sind alles nur Papierkü gelchen. Wie sollen wir denn Panzer mit solchen Erbsenp istolen aufhalten? Und wie sollen wir außerdem einen Panzer d azu bringen, dorthin zu fahren, wo wir ihn haben wollen?« »Wir geben ihm ein Kaninchen zu jagen«, sagte M iller, »dann heften wir uns ihm an die Fersen.« »Ein Köder also«, meinte Reiben. »Aber wie setzen wir den Bastard außer Gefecht?« »M it Haftminen.« M illers Leute, die Fallschir mjäger und sogar d er Sar ge starrten den Captain verständnislos an. »Ah«, meinte Reiben, »Haftminen, Sir?« »Wie soll denn das funktionieren?« fragte Henderson. »Steht doch im Feldhandbuch«, bemerkte M iller beiläufig. »Werft mal einen Blick rein.« »Das würden wir sehr gerne, Sir«, sagte Ryan sehr höflich, aber nicht ohne Sarkasmus, »wenn wir eins hätten. Da aber ger ade keins zur Hand ist, könnten Sie uns vielleicht weiterhelfen.« »Gerne. Habt ihr Sprengstoff?« »Sicher«, sagte Henderson. »Comp osition B oder TNT?« »Vielleicht wollen Sie darauf antworten, Private Toynbe?« fragte Henderson einen der Fallschirmjäger, die Ryan und M illers Trupp hierhergeführt hatten. »Toynbe ist nämlich unser Feuerwerker.« »Beides reichlich«, erwiderte Alan Toy nbe, fünfundzwanzig, M aiden, M assachusetts. »Sprengstoff haben wir mehr als genu g. Die Brücke ist mit so viel Comp osition B vermint, daß
214
es für zwei Sprengungen reichen würde.« »Dann nehmen Sie d avon welches weg«, sagte M iller, »und richten Sie sich dar auf ein, sie nur einmal hochzujagen.« »Okay«, sagte Henderson. »Wozu?« »Um daraus Haftminen z u machen. Hier ist das Rezept, Jungs: M an nehme eine normale GI-Socke, stopfe soviel TNT rein wie möglich, statte das Ganze mit einem einf achen Zünder aus, schmiere das Baby mit Achsenfett ein, so daß es kleben bleibt, wenn man es wirft ... und schon hat man eine schöne Haftmine. Und wir werden nicht nur eine davon machen.« Sie schauten ihn immer noch an, als ob er v errückt wäre. »Woher haben Sie d enn dieses schöne Rezep t?« fragte Reiben. » Von der Rückseite ein er Keksdose? Oder aus einem Comic?« »Haben Sie vielleicht eine bessere Idee, wie man einem Panzer die Ketten absprengt, Sie Klugscheißer?« »Nein ... aber denken Sie daran, Cap: Wenn Sie uns dem nächst auffordern, uns auf die Socken zu machen, werden wir keine mehr haben.« »Wenn es weiter keine Einwände gibt«, sagte M iller, und alle lachten. Kurze Zeit später hing Toynbe in einem Geschirr unter der Brücke und n ahm dort TNT-Ladungen her aus, welch e er Trask und Rice reichte, die ebenfalls über dem Wasser schwebten und sie an M ellish und Upham auf der Brücke übergaben. Von dort wanderten sie zu M iller, Ryan, dem Sarge und einigen von den Fallschir mjägern weiter, die eine kleine Fließbandproduk tion für Haftminen aufgebaut hatten. Der Sarge stopfte eine Socke mit TNT voll und gab sie an den nächsten M ann weiter. »Ich fühle mich wie Santa Claus«, sagte er. »Na, seht ihr. Und früher habt ihr geglaubt, es wäre eine Strafe, wenn man euch Kohle in die Socken gestopft hat«,
215
scherzte M iller. In der Kirche, die in der M itte des Dorfes lag, waren ebenf alls Vorbereitungen für die Schlacht im Gange. Jackson stieg durch eine Falltür in den Glockenturm hinauf und nahm dann von unten seine Springf ield und das bedeutend schwerere M G Kaliber 30 in Emp fang. Über eine Leiter wuchteten zwei Fallschirmjäger außer den Waffen auch M unition und Beutel mit Lebensmitteln nach oben: Private Ron Parker, zweiund zwanzig, Sommersville, Ver mont, und der gleichaltrige Private Steve Weller, Omaha, Nebraska - zwei der vier M änner, die aus dem hohen Gras aufgetaucht waren, um M illers Trupp zu retten. Corporal Upham, schwer beladen mit vier M unitions gürteln, kam die trümmerübersäte Straße entlang, wo ihn zerstörte Häuser aus leeren Fensterhöhlen anstarrten. Bei einem Schutthaufen auf der linken Seite gingen zwei Fallschirmjäger in Stellun g - Private Bud Ly le, dreiundzwanzig, Baltimore, M aryland, und Private Bill Fallon, zwanzig, M yrtle Beach, South Carolina - und richteten ihr M aschinengewehr aus. Upham übergab ihnen zwei der vier M unitionsgürtel und ging weiter. In den Ruinen eines eingestürzten Hauses brachten Private M ellish und Corporal Henderson das zweite M aschinengewehr in Position. Seine M ündung lugte aus einer Fensteröffnung hervor. Als Upham vorbeikam, um die anderen beiden M unitionsgürtel hier abzuliefern, war M ellish gerade damit beschäftigt, den Bolzen des schweren Gewehrs zu ölen, und ließ ihn vor- und zurückschnapp en. »Uppy«, sagte M ellish, »hör mir mal gut zu, ja? Dieser nette kleine Aus guck hier ist nur der Startpunkt.« »Ich weiß.« »Wir werden uns ziemlich bald weiter hinten eine n eue Stellung suchen müssen, und dort werden wir auch nicht lange bleiben könn en. Hast du das verstanden?«
216
»Verstanden.« »Also wirst du mit der Munition hier ein bißchen den Laufburschen sp ielen müssen.« Upham atmete tief durch und nickte. »Alles okay, Uppy?« Alles in Ordnung ... Ich frage mich bloß gerade, wie es mich ausgerechnet hierher verschlagen konnte. Das ist alles.« M ellish grinste. »Das ist die Frage die wir uns alle stellen. Hast du so was vorher schon mal erlebt?« »Nein. Unglaublich.« »Bis zum Hals in der Scheiße.« Upham nahm seinen Helm ab und massierte seinen Schäd el. »Ehrlich, h mm ... Fubar!« M ellish grinste und strich dem Corporal über das Haar. »Ja. FUBAR ... Du mußt das so sehen, Up ham. Wo immer wir auch sind, du bist dicht hinter uns ... das heißt, egal wo du bist, bei diesem höllischen Spektakel sitzt du immer in der ersten Reihe.« Als sie bei der Brück e genügend Haftminen hergestellt hatten, ging M iller noch einmal Richtun g Stadt, um die Lage zu inspizieren und letzte Vorbereitungen für die Schlacht zu treffen. Er nahm Toynbe, den Feuerwerker, den Sarge und Private Ryan mit. An der mit Sandsäcken gesicherten M GStellung dir ekt hinter der Brücke blieb er stehen. »Nicht schlecht für eine vorgeschobene Position«, sagte M iller. Er drehte sich u m und schaute zu den Sandsäcken des MG-Nestes auf der anderen Seite der Brücke. »Seht ihr d ie Stellung dort hinten? Das ist unser Alamo, unsere letzte Zuflucht.« Das wollte niemand gerne hören; aber allen war klar, was er meinte. M iller nannte die Dinge wenigstens beim Namen. »Wenn sie uns bis dahin zurücktreiben«, sagte M iller, »dann muß der letzte M ann die Scheißbrücke in die Luft jagen.«
217
»Wir haben den Zünder auf dreißig Sekunden eingestellt«, sagte Toynbe. »Der letzte M ann wird die anderen nicht lange überleben, wenn er nicht die Beine in d ie Hand nimmt und wie Jesse Owens über die Brücke sp rintet.« M iller nickte gr immig; der Sar ge ebenso. Private Ry an fragte den Captain leise: »Wo wird meine Posi tion sein?« »Immer hö chstens zwei Schr itte von mir entfernt. Und das ist ein Befehl, Private. Sie b efolgen doch noch gelegentlich Befehle, oder?« M it einem verlegenen, beinah e scheuen Lächeln mur melte Ryan: »Ja, Sir.« Bei seinem Rund gang konnte M iller feststellen, daß die Vorbereitungen zufried enstellend liefen. Die Feuerwerker versteckten Hawkins-M inen an M auern, hinter Fensterläden und in Fensteröffnungen, wobei sie die Höllenmasch inen so ausrichteten, daß ihre tödliche Ladung zur Straße hin losgehen würde, um so die Infanterie auszuschalten. Fallschirmjäger bezogen hinter Trümmerhaufen Position, nisteten sich in Ruinen ein, suchten sich eine Schuß linie auf der Straße. Droben im Kirchturm hatte Jackson Parker dabei geholfen, ein M G-Nest einzurichten. Die M ündung der Waffe zielte durch die Balustrade auf die Straße. Jackson hatte auch schon einen Ausguck für sich selbst gefunden, von wo er hinter einer Balustrade auftauchen, seine Sp ringfield aufstützen und die Straße von einem Ende bis zum anderen ins Visier nehmen konnte. Das Auge fest am Zielfernrohr, prüfte er seinen Bewe gungsspielraum und fand ihn ausreichend. »Danke, o Herr«, sagte er. Dann übte er noch einmal die Bewegungen. Von unten ertönte M illers Stimme: »Alles in Ordnung dort oben, Private Jackson?« »Ja, Cap'n! Gott ist im Himmel, mit der Welt ist alles in
218
Ordnung ... zumindest wird alles in Ordnun g sein, wenn wir mit diesen Bastarden fertig sind.« »Amen, Private«, sagte M iller und gin g weiter. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Empfangskomitee gut vorbereitet war, wählte M iller - Private Ryan stets im Schlepptau - seinen eigenen Posten: die Ruine eines direkt an der Brücke gelegenen Gebäudes, das kein Dach mehr hatte und offenbar früher ein Cafe gewesen war. M it Hilfe des Private schaffte der Captain genu g Schutt beiseite, um hinter einer Fensteröffnung, deren zerbrochene Sch eiben und zersp litterte Rahmen unter ihren Füßen knirschten, Stellung zu beziehen. Beim Durchstöbern des ehemaligen Cafes stieß M iller auch auf ein Grammophon mit Handaufzug und mehrere Schallplatten; er ging sie durch und freute sich, als er auf einem Label einen vertrauten Namen entdeckte. Bald sandte die verkratzte 78er-Platte die melancholische Stimme von Edith Piaf durch die Fensteröffnung in die heiße, windstille Luft des frühen Nachmittags. Die M usik drang bis zur Brücke, wo der Rest von M illers Leuten neben den Sand säcken des vorderen M G-Nestes eine Zigarettenpause machte. »Worum geht es bei dieser Singerei, Up py?« fragte M ellish. »Die Armee bezahlt dich doch fürs Übersetzen ... also übersetz mal.« Upham, der gegen die Sandsäcke gelehnt dasaß, schaute in die Ferne. >»Du bist das Leben für mich. M anchmal träume ich davon, in deinen Armen zu liegen.«< Der Sar ge, der der eingän gigen M elodie lauschte, sagte: »Was singt sie denn jetzt? Das kam vorher schon mal.« »Das ist der Refrain«, antwortete Up ham. >»Du flüsterst mir ins Ohr. Ich schließe meine Au gen und fühle mich wunder bar.«;« M ellish grinste. »Ich fühle mich p lötzlich so seltsam zu dir hingezogen,
219
Upham.« »Laß das«, antwortete der. »Verstehst du denn gar nichts? Das ist ein trauriges Lied. Sogar tragisch.« »Tragisch, so 'n Quatsch!« meinte M ellish zwischen zwei Zügen an seiner Lucky Strike. »Sie ist glücklich, hörst du das nicht?« »Nein«, beharrte Upham ruhig. »Ganz am Anfang hat sie gesungen: >Eines Tages hast du mich verlassen. Seitdem bin ich verzweifelt ... ich sehe dich üb erall am Himmel. Ich sehe dich auf der ganzen Erde.<« »Wie, ist ihr Liebhaber vielleicht auf eine M ine getreten?« fragte Reiben. Die Stimme, die so eindrin glich in d er unverständlichen Sprache sang, schien nun in trauriges Schlu chzen überzugeh en; selbst M ellish bemerkte das. »Scheiße«, sagte der Sar ge und warf seine Zigar ette in hohem Bogen in den Fluß. »Noch so ein Lied von dieser Heulsuse, und die Krauts können sich ihre Kugeln für mich sparen. Dann schneide ich mir die Pulsadern auf.« Horvath erhob sich und ging zum Dorf hinüber. Der Rest des Trupps stand oder saß herum, alle rauchten und hin gen ihren Gedanken nach. Reiben fin g p lötzlich an, in sich hineinzu lachen. Es war ein leises, verstohlenes Lachen, aber Upham hörte es. »Was ist denn so komisch?« »Nichts«, meinte Reiben. »Komm schon. Ich könnte jetzt was Komisches vertragen.« »Es ist nur wegen Rach el Troubowitz, sonst nichts.« »Rachel wer ?« »Troubowitz. Ich mußte daran denken, was sie zu mir gesagt hat, bevor ich zur Grundausbildung ausgerückt bin.« »M uß ich dir die ganze Geschichte aus der Nase ziehen ?« »Sie ist die Frau unseres Hausmeisters. Sie kam in das
220
Geschäft meiner M utter, an dem Tag, an dem ich zur Grundausbildung sollte. Sie hat ein paar Sachen anprobiert. Hast du schon mal Carole Landis gesehen?« »Ist das nicht die Kleine aus diesem Film?« »Ja, genau! Also, gegen M rs. Troubowitz sieht Carole Landis wie ein Brett aus.« »Wow ...« »Sie hat Größe HOF, mindestens. Ich sitze also da, und sie ist in der Kabine, der Vorhang steht einen Spalt offen, so daß ich alles sehen kann ... vielleicht hat sie es mit Absicht gemacht, vielleicht war das ja eine patriotische Tat. Da bittet sie mich, ihr ein Korsett zu reichen, mit Seidenbänd ern, dreifach geschnürter Taille und Stütz-BH. Ich reiche ihr also eins Größe 38 D, und sie fragt mich: Ist das nicht ein bißchen zu klein? Und ich sage: Nee, M adam, genau richtig ...« »Nett«, sagte M ellish. »Eine hübsche Gesch ichte ...« »Da sitzt sie also, der Vorhang halb offen, und ich schaue ihr zu, wie sie versucht, sich in das Ding zu quetschen, und sie sieht, wie mir fast die Au gen aus dem Kopf sp ringen, und da fängt sie an zu grinsen und sagt: >Robert - das ist einer von jenen M omenten.< Und ich frage: >Was meinen Sie, M a'am?<. Und sie darauf: >Wenn du dort drüben bist und du hast Angst oder du siehst was Schreckliches, dann mach einfach die Augen zu und stell dir mich statt dessen vor. Willst du das für mich tun, Robert?< Und ich sage: >Gerne, Ma'am!<« Immer noch spielte die M usik, aber die Stimme der französischen Sän gerin klang nun weniger traurig, alle hatten die Augen geschlossen und jeder versuchte sich auf seine Weise M rs. Troubowitz vorzustellen. In der Ruine neben der Brücke hatte M iller an der Fensteröffnung Position bezogen. Ryan, der in einer Ecke auf einem Stuhl saß, den er aus den Trümmern gezogen hatte, und etwas aus seinem Eßgeschirr schlürfte, fragte den Cap tain, wer die Frau sei, die da sang.
221
M iller befriedigte sein e Neugierde. »Was hat sie für ein Problem?« fragte Ryan. »Ihr Geliebter hat sie v erlassen, und wo immer sie auch ist, sieht sie sein Gesicht.« »Genau so hört es sich an ... Wollen Sie ein en Schluck?« »Gerne.« Ryan schob M iller das Eß gesch irr hin, und d er Captain hob es an die Lipp en, mit zitternder Hand, wie der Private bemerkte. »Geht es Ihnen gut, Sir?« »Ich versuche nur im Rhythmus zu bleiben«, antwortete M iller mit einem schiefen Läch eln und schob das Eßgeschirr zurück. Ryan sah M iller eine Weile forschend an und fragte d ann: »Stimmt es, was sie von Ihnen sagen?« »Nun, da müssen Sie schon etwas deutlicher werden.« »Daß sie Lehrer sind?« »Ja, das stimmt.« Ryan schüttelte den Kop f. »Das könnte ich nie werden. Nicht nach dem, was meine Brüder und ich diesen ar men Kerlen an getan haben. Niemals, Sir.« M iller musterte Ry an und sah, daß der Private in Gedanken versunken war. Der Junge gab sich seiner Trauer hin, wann immer Zeit dafür blieb. »Wissen Sie«, begann er schließlich, »es fällt mir schwer.« »Ja. Ich verstehe Sie.« »Nein, das meine ich nicht. Es ist nur ... ich kann mir ihre Gesichter nicht vorstellen. Ich versuche es immer wied er, aber ich sehe keine Bilder vor mir, wissen Sie, keine Photos, und mein Gedächtnis - ist das möglich? Sie nehmen in meinem Kopf keine Gestalt an.« »Sie müssen in ir gendein em ander en Zusammenhang an sie denken.«
222
»Wie meinen Sie das, Sir?« »Versuchen Sie nicht an ihre Gesichter zu denken, versuchen Sie, sich an etwas zu erinnern, was Sie mit ihnen gemeinsam gemacht haben, oder an einen Ort, wo Sie mit ihnen zusammen waren. Wenn ich an zu Hause denken will, dann stelle ich mir vor, wie ich im Garten in meiner Hängematte liege oder wie meine Frau die Rosen schneid et, mit mein en alten Hand schuhen. Das genügt, und schon bin ich zu Hause.« Ryan setzte sich zurück und schien über diesen Rat nachzu denken; dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht, und seine Augen schienen in die Ferne zu blicken. Seine Stimme aber klang wie zuvor, als er M iller berichtete: »Eines Nachts, als es schon ziemlich dunkel war, haben mich Tom und Pete aus dem Bett gezerrt und gesagt, in der Scheune wär e etwas, das ich mir ansehen müßte. Etwas ganz Besonderes. Ich d achte natürlich sofort, sie wollen mir einen Streich sp ielen ... Sie können sich nicht vorstellen, was älteren Brüdern alles einf ällt, um ein en zu ärgern, vor allem auf einer Farm ... Egal, wir sind also auf den Heuboden geschlichen, und Tom und Pete haben nach unten gezeigt. Ich spähe also runter, sie auch, und da sehe ich Alice Jardins, eine Blondine, die aussieht wie Lana Turner, nur besser, hinten auf dem Heuwagen mit Danny, und der hat ihr schon den Pullover ausgezogen und ist gerade mit ihrem BH beschäftigt, der war rosa und lief vorn e spitz zu, wie zwei wirklich scharfe Artilleriegranaten. In dem M oment hört sie etwas und schaut nach oben und sieht uns dr ei Jun gs mit hechelnden Zungen nach unten glotzen, und Teufel, sie schreit Zeter und M ordio und rennt wie der Blitz davon. Danny war so außer sich, daß er mit einer Heu gabel auf uns losgehen wollte, und plötzlich hat er eine Laterne u mgestoßen, das Heu fing sofort an zu brennen, und da mußte er natürlich das Kriegsbeil schnell begraben, und wir mußten ihm helfen, das Feuer zu löschen, sonst wäre noch die ganze verdammte Scheune abge
223
fackelt.« M iller lachte und sagte: »Erzählen Sie das besser nicht Reiben. Damenunterwäsche ist sein Ressort.« »Am nächsten Tag mußte Danny zum Wehrdienst einrücken«, sagte Ry an. »Ich hoffe, es hat doch noch geklappt mit Alice Jardins in dieser Nacht; ich mag gar nicht daran denken, daß er los gefahren ist ohne ... hmm. Das war das letzte M al, daß wir vier beisammen waren. Vor zwei Jahren.« M iller nickte. Edith Piaf sang immer noch. »Eine Lan gspielplatte«, bemerkte Ryan. »Ja.« »Jetzt erzählen Sie doch mal was. Erzählen Sie mir von der Hängematte, wollen Sie?« »Okay. Sie ist auf der Terrasse.« »Das sagten Sie bereits.« »Na gut. Da liege ich und döse vor mich hin und warte auf das Geräusch von splitterndem Glas. Und das reicht, um mich in die Realität zurückzubringen.« »Was? Wieso splitterndes Glas?« »Dazu müssen Sie wissen, ich habe das beste Haus von ganz Addley. Nicht das größte und auch nicht das teuerste, aber es hat die besten Fenster, die sich ein Baseball-Trainer nur wünschen kann. Wissen Sie, direkt neben uns befindet sich die Junior High School, oder anders aus gedrü ckt, das Haus liegt direkt hinter dem Baseb all-Feld der Schule. Die Fenster der Garage blicken auf d as link e Feld. Der M ann, der vor mir da gewohnt hat, hat Gitter vor den Fenstern anbringen lassen, aber das erste, was ich tat, nachdem ich das Haus gekauft hatte, war, die blöden Gitter wegzumachen.« »Warum das denn?« »Na, denken Sie mal nach. Es sind genau neunhundertsechsundsechzig M eter vom Schlagmal zu meinen Garagenfenstern. Da muß ein Junior
224
High-School- Spieler schon ganz schön gut sein, um den Ball so weit zu schlagen, vor allem so hoch. M it Hilfe meiner Garagenfenster finde ich her aus, wen ich in die M annschaft aufnehme, mit der ich die Schu lmeisterschaften gewinnen werde. Jedesmal wenn ich in meiner Hän gematte liege und höre, wie ein Fenster zu Bruch geht, dann freu e ich mich ... dann weiß ich, daß ich der M eisterschaft ein Stück näher geko mmen b in.« Ryan lächelte. »Prima Geschichte, Captain. Und wie war das mit Ihrer Frau und den Rosen?« M iller überlegte ein en M oment. »Nein, lieber nicht... ich glaub e, diese Geschichte möchte ich lieber für mich b ehalten. Für mich ganz allein.« Die Nadel kratzte inzwischen über das Label, d ie Platte war zu Ende. M iller schaute aus dem Fenster, lauschte der Stille, dachte lächelnd über Ry ans Erzählung nach und gab sich seinen eigenen Erinnerun gen hin. Dann erstarb das Lächeln auf seinem Gesicht. Auf dem Kirchturm sp ähte Jackson in die Ferne, und überall im Dorf hörten es jetzt auch die Fallschirmjäger und M illers M änner: das dumpfe Brummen von Dieselmotoren, das lan gsam näher kam. »Da kommen sie«, sagte M iller und setzte sich auf. »Heiliger Josef, da ko mmen sie.«
18
Die Amerikaner im zerstörten Ramelle hörten von allen Seiten das Dröhnen herannahender Panzer, ein Geräusch, das sie mit Erleichterung, aber auch mit großer Furcht erfüllte. Die
225
M itglied er des Begrüßungskomitees, die im Schutt knieten und hinter zerbrochenen Fensterläden k auerten, luden ihr e Waffen durch und richteten sie aus. Dieselruß wehte über die Dächer der Häuser, die Luft flimmerte von der Hitze der Abgase. Von M illers Posten an der Brücke aus war en diese Abgas schwaden noch nicht zu sehen, doch d as mechanische, immer näher kommende Röhren der Panzer sagte ihm, daß die Schlacht unmittelbar bevorstand. Der Sar ge und Toy nbe, der Feuerwerker, kamen in d as Haus ohne Dach gerannt, in dem sich M iller und Ryan verschanzt hatten. Der Sarge warf dem Cap tain einen Feldstecher zu. M iller ging zu einer der Fensteröffnungen, von der aus er den Kirchturm im Blick hatte, und stellte das Fern glas auf Jackson in seinem Ausguck scharf. Er konnte sehen, wie der Scharfschütze durch sein Zielfernrohr spähte, um sich ein genaues Bild von dem zu machen, was da auf sie zurasselte. Droben im Kirchturm sagte Jackson zu Parker an sein em M aschinengewehr: »I ch kann Tiger erk ennen. Zwei Tiger.« Durch sein Fern glas sah M iller, wie Parker zwei Fin ger hochhielt und dann mit den Händen ein »T« formte. Dann schwenkte der M G-Schütze beide Hände, um M iller zu signalisieren, daß weitere M eldungen folgen würden. Wenig später zeigte Parker nochmals die Zahl zwei, danach formte er ein »P«. »Vier Tanks«, verkündete M iller den M ännern um ihn herum. »Zwei Tiger und zwei kleinere Panzer.« M ellish und Henderson, die von ihrer M G-Stellung in der Ruine eines anderen Gebäudes ebenfalls den Kirchturm sehen konnten, hatten die Verständigun g per Handzeichen beobach tet. »Tiger«, stieß M ellish hervor. Er bebte vor Wut und Angst. »So 'ne Sch eiße, M ann, natürlich müssen es auch noch Tiger sein! Sollen sie doch gleich King Kong schicken!«
226
Der Boden unter M ellish - und unter allen ander en in Ramelle - begann zu zittern, als ob ein Erdbeben ein warnendes Grummeln aussandte. Putz- und Steinteile lösten sich und rieselten vom Gebälk der abgedeckten Häuser auf die wartenden Amerikaner. Zunächst noch etwas verschwommen, doch dann immer deutlicher erkennbar, schob sich ein Tiger die Biegung der Hauptstraße entlang, eine röhrend e, rasselnde Kamp fmaschine, monströs in ihren Ausmaßen und monströs in ihrem Gebaren. Ein solcher Koloß wog zweiundsechzig Tonnen, war gep anzert mit einer achtzehn Zentimeter starken Stahlschicht und bestückt mit einer 88-M illimeter-Kanone sowie nicht weniger als drei M aschinengewehren. Wenn man allerdings seine abgeschrägten Kanten, die sechs häßlichen, stählernen Kettenräder auf jeder Seite und die drohend e, auf Ziele lauernde M ündung seines Geschützrohres betrachtete, erschien die Bezeichnung eher unp assend: All das erinnerte weniger an die gesch meid igen Bewegungen einer Dschungelkatze als an ein wuchtiges Ungetüm der Vorzeit, unter dessen Schritt Kieselsteine zu Sand zermalmt wurden. Oben im Turm stand der Panzerkommandant, ein M ajor der SS mit Habichtsp rofil, der die Ruinen von Ramelle in der hochmütigen Pose eines Eroberers betrachtete - obwohl dieses Dorf durch alliierten Beschuß zerstört worden war. Ein zweiter Tiger tauchte hinter dem ersten auf, und im Gefolge dieser größeren Tanks rasselten die beiden anderen Panzer, die mit je einundzwanzig Tonnen Gewicht viel kleiner waren. In dem auf gewirbelten Staub und dem dunklen Nebel der Dieselab gase, die dieses eindrucksvolle Rüstungsaufgebot hinterließ, marschierte eine Elite-Einheit der Waffen-SSDivision »Das Reich« von schätzungsweise einhundert M ann Stärke. »Herr, gib mir Kraft«, sagte Jackson im Kirchturm, als er auf
227
die furchteinflößende Prozession hinabblickte, die unter ihnen vorbeizog. »Bitte ihn doch, für mich auch noch ein bißchen aufzuheben«, sagte Parker, dem es den Atem verschlug. Unten aber, in dem Haus an d er Brücke, verzog sich M illers M und zu einem leichten Lächeln. »Sieht so aus, als hätten wir fürs erste Glück gehabt«, sagte er. »Die Panzer fahren die Hauptstraße hinunter ...« Ein halbes Dutzend M änner, nämlich Reiben und fünf Fallschir mjäger, waren für das Anbringen der Haftminen ausgewählt worden. Sie lagen an verschied enen Stellen am Ortsrand, jeder von ihnen bereit, aus seinem Versteck hervorzubrechen und den Hasen zu spielen, um die Panzer auf die Hauptstraße zu locken. Doch dieser Teil des Planes hatte sich erübrigt, denn die M onster aus Stahl, unter denen die Erde vibrierte, rollten ganz von allein die Hauptstra ße hinunter, und die M änner hasteten mit ihren M inen - großen, bizarren, klebrigen, mit Zündern besetzten Klumpen aus Schmiere - in neue Stellungen zu beiden Seiten der Haup t straße. M iller spähte durch seinen Feldstecher. Er wartete darauf, daß der vorausfahrende Tiger die trümmerübersäte Sackgasse zwischen den Ruinen mehrerer Häuser erreichte. Die Augen auf M iller geheftet und die Hand an der Zündvorrichtung, wartete Toy nbe auf den Befehl, den Schalter zu betätigen. M iller hatte die Hand erhob en, ber eit, das Signal zu geben, und in dieser Haltung beobachtete er und wartete, beobachtete und wartete. Die Hand senkte sich, Toy nbe legte den Schalter um, und die Parade der Tanks und Soldaten auf der Hauptstraße wurde nicht von Konfetti und Jubelrufen, sondern von dem donnernden Inferno detonierender Hawkins-M inen begrüßt. Häuserwände stürzten ein, und eine todbringende Welle aus Hitze, Feuer und Splittern flog waagerecht auf d ie Deutschen
228
zu. Ein Dutzend SS-M änner fielen zerfetzt zu Boden. Taumelnd durch die Wucht der Explosion und vom Rauch hustend, stoben die übrigen ausein ander, suchten Deckung. Beide M aschinengewehrnester eröffneten nun das Feuer. In ihrem Kreuzfeuer verwandelte sich die Straße in ein Schlachthaus, und die deutschen Infanteristen schrien gellend, duckten sich in Deckung und starben im Schutt, als Kugeln aus scheinbar allen Richtungen auf sie einprasselten. Auch das von Parker bediente M aschinengewehr im Kirchturm sandte seinen Geschoßhagel auf die Straße und ließ Blei auf die SS-M änner hinabregnen. Jackson hatte seine Springfield auf den Panzerkommandanten an gelegt, der Kopf des M ajors war schon im Fadenkr euz. Doch gerade als Jackson abdrückte, verschwand der M ajor, dem von allen Seiten Kugeln um die Ohren flogen, in seinem Turm und zog die Luke zu, so daß Jacksons Projektil surrend am M etall abp rallte. Der Tiger ließ die toten Infanteristen zurück und rollte weiter, ohne daß ihm das M aschinengewehrfeuer das gerin gste anhaben konnte. Reiben und die fünf ander en Haftminen werfer, aus deren entfachten Zündern schon Rauch züngelte, liefen in gebückter Haltung neben dem Tiger her. Sie schleud erten ihre k lebrigen Pakete gegen die Ketten und die Kettenräder, schwenkten dann um wie aus der Hölle aufgestiegene Fledermäuse, um hinter Trümmerh aufen Schutz zu suchen. Der zweite Tiger hatte die flüchtenden Saboteure gesichtet, worauf das vordere M aschinengewehr Kugeln in einen der Laufenden h ämmerte, so daß er in Stücke gerissen wurde und leblos zu Boden fiel. Als die Haftminen explodierten, hörte es sich an wie sechs nacheinander feuernde Kanonen. Blaue und orangefarbene Flammen schossen auf beiden Seiten der Straße seitlich hervor, als wären dem Tank p lötzlich Feuerflügel gewachsen, die aber
229
sofort wieder verschwanden und nur schwarzen Rauch zurückließen ... ... und einen Tiger-Panzer, der unbeirrt weiterrump elte. Hinter einem Schutthaufen fluchte Reib en »Verdammt!« All ihre Anstrengungen - und das Opfer eines M enschen lebens - waren vergeblich gewesen, dachte er. Doch da brachen die Ketten des Tanks entzwei und fielen vom Umlenkrad ab, das riesige Gerät begann zu schlittern und geriet in Schieflage wie ein schlingernder Betrunkener, die stählernen Antriebs räder drehten sich in der Luft. Der Tiger versuchte rückwärts zu fahren, doch dadurch löste sich die Kette nur noch mehr, und schließlich kam er abrupt mit krachendem Getriebe zum Stehen. Jetzt war der riesige Tank, wie M iller es geplant hatte, eine zweiundsechzig Tonnen schwere Straßensperre, und zu sammen mit den nachfolgenden Panzern entstand ein Stau. Bremsen kreischten, Ketten und Antriebsräder ächzten und schabten über den Boden, als die dr ei and eren gep anzerten Fahrzeuge an der Barrikad e, die der erste Tiger nun bildete, steckenblieben. Doch auch dieser manövr ierunfähige Tank war immer noch ein ernstzunehmender Gegner. Sein Geschützturm und die der dahinter ein geklemmten Panzer wurden in Position gekurbelt und schwenkten herum, die M ündungen richteten sich auf die Ruinen ringsum, wo die angreifenden Amerikaner in Stellung lagen. Die großen Kanonen begannen zu feuern, Donnerschläge aus den vier Rohren sp rengten Löcher in einige der Häuser und verwandelten andere in Stürme tödlich heransausender Trümmerpartikel. Selbst in ihrer r elativ weit entfernten Stellung mußten M iller und Ryan vor umherfliegenden Teilchen Deckun g suchen, denn die Panzer geschütze feuerten unablässig. Die überall im Dorf postierten Amerikaner verschanzten sich
230
hinter Schuttbergen und suchten, wenn ihr e alte Deckung zerschossen worden war, mit Hechtsp rüngen neuen Schutz. Reiben sah mit an, wie ein Fallschirmjäger in die Schußlinie eines der monoton feuernden Panzergeschütze kam und wie eine menschliche Bombe barst. Auch die SS-Infanteristen in ihren adretten, nun aber staubbedeckten und blutverschmierten Uniformen suchten eilends Schutz, zogen ihre Verwundeten von der Straße und sammelten sich hinter halb ein gestürzten M auern und Trümmerhaufen. Nachdem sie Deckung bezogen hatten, erwiderten sie das Feuer der Amerikaner. Gleichzeitig zogen sich die drei Panzer hinter dem gestrandeten Tiger unter unvermindertem Geschützfeuer zurück. Hinter einem Schuttberg schnellte der Sar ge mit geschulterter Panzerfaust hervor und schoß die Waff e ab. Die Granate zischte sekundenschnell auf ihr Ziel, den mittleren Panzer, zu, prallte aber vom Geschützturm ab und explodierte dahinter an einer freistehenden Häusermau er. Die M auer stürzte zusammen, wobei eine Lawine von einer Tonne Gesteinstrümmer auf den Panzer nieder gin g. Der Panzer kam ins Sch lingern und versuchte sich im Rückwärtsgang aus dem Steinhaufen zu befreien. Während dessen wurde das Geschützrohr in die Richtung gekurbelt, aus der Horvath gefeuert hatte. Der Sergeant machte sich eilends aus dem Staub. Reiben beob achtete all dies aus seiner Stellung, und er sah auch, wie der Schuttberg, von d em aus der Sarge die Panzerfaust abgeschossen hatte, sich in eine Wolke aus Rauch, Flammen und Splittern auflöste. Nachdem der Qualm sich ein wenig verzo gen hatte, war der Sarge verschwunden. Reiben wußte nicht, ob er noch rechtzeitig entwischt oder pulverisiert worden war. Die Panzer schlingerten derweil rasselnd und quietschend weiter, ließen die Haup tstraße und den manövrierunfähigen
231
Tiger hinter sich und bo gen in verschiedene Richtungen in kleine Straßen ab. Sie bahnten sich so gut sie konnten ihren Weg durch die Verwüstung und strebten auf die Brücke zu. Damit trat genau das ein, worauf M iller gehofft hatte, und als er von sein em vor geschobenen Posten aus die neue Lage durch seinen Feldstecher erkannte, schr ie er Ryan und Toynbe zu: »Los geht's!« In der Todeszone auf der Haup tstraße ließen die beiden auf gegenüberliegenden Seiten p ostierten MG-Nester weiterhin Blei auf die SS-M annschaft hageln. Die Amerikan er hatten ihnen ar g zugesetzt, das Kreuzfeuer hatte sie viele M änner gekostet, doch allein durch ihre große Zahl stellten die durch den zerstörten Ort vorwärtsdrängenden Deutschen eine ernste Gefahr für die M aschinengewehrstellun gen dar. Private Ly le und Private Fallon erkannten, daß es Zeit zum Rückzug war und sie ihr M G-Nest verlagern mußten. Sie benutzten Lappen, um das M aschinengewehr hochzuheben, dessen Lauf so heiß war, daß er den Stoff versengte. Upham kam zwischen sirrenden Kugeln und fliegenden Trümmerteilen im Zickzack angerannt, um zwei neue Patronengurte abzulie fern, als das Nest gerade aufgelöst wurde. In Angst und Schrecken hastete Upham weiter zum zweiten Nest, wo M ellish und Henderson ebenfalls dabei waren, ihr kochendheißes MG von seinem Auflagepunkt auf einem Schutthaufen herunterzunehmen. »Wir verlagern die Stellun g!« brüllte M ellish überflüssiger weise. Er und Henderson waren schon in wilder Eile auf der Flu cht vor dem heftigen Feuer d er vorrückenden Infanteristen. Upham schnappte sich die M unitionsgurte und folgte den beiden, die neue Deckung fanden, ihr e Waffe hinknallten und zurück schossen. Droben im Glockenturm der Kirche ließ Parker sein M G
232
sprechen, und Jacksons Auge klebte am Zielfernrohr und pickte sich wie auf dem Rummelp latz Ziele aus. Kein Schuß ging f ehl, so daß d ie Reihen d er SS-Truppe sich mit tödlicher Präzision lichteten. Dann schlu gen p lötzlich Kugeln in das Geländer ein, an das Jackson sich anlehnte: Geschosse fraßen sich in das splitternde Holz. Der Scharfschütze fuhr zurück, keine Kugel hatte ihn erwischt. Er wechselte einen Blick mit Parker. »Jetzt haben die Nazis da unten doch noch spitzgekriegt, daß wir hier oben sind«, sagte Parker, über das große M G gebeugt. »Wollen nur hoffen, daß sie ihren Freunden in den Panzern nicht Bescheid sagen ...« Einer der kleineren Panzer bahnte sich gerade einen Weg durch Trümmer, die no ch vor wenigen Tagen ein Wohnzimmer gewesen waren. Putz und Leisten gingen zu Bruch, M öbelstücke wurden zermalmt. Aber dann blieb der Panzer stecken, denn er war gegen eine M auer gestoßen, die nicht nachgeben wollte. Er schabte an einem Steinhaufen vorbei und suchte einen Ausweg. M iller, der in der Nähe flach an eine Wand gedrückt stand, erkannte die Lage und gab Private Rice und Private David Garrity, einundzwanzig, Harrisburg, Pennsy lvania, ein Zeichen, daß sie angr eifen sollten. Die beiden Soldaten schnellten hinter den Trümmern hervor und stürmten mit Haftminen in der Hand auf den Panzer zu. Private Ry an schickte sich an, ihnen zu folgen, doch M iller packte seinen Arm und sagte: »Sie nicht!« Vielleicht hätte Ry an sich gegen diesen Befehl gewehrt, doch da tauchten vorrück ende SS-M änner auf. Der Private und der Cap tain gaben Rice und Garrity Feuerschutz - Ryan mit seiner M -1, M iller mit seiner Thompson -, so daß die Deutschen in Deckung gehen mußten. Unter Schaben, Quietschen und Ächzen mühte sich der Panzer fr eizukommen. Er schien kurz davor, die M auer zu durchbrechen, als Rice und Garrity bei ihm anlangten. Sie hielten kurz inne, um die Zündkap seln zu
233
aktivieren ... ... als eine der selbstgeb astelten Bomben verfrüht hochging. Die zwei Sold aten lösten sich auf wie Gehilfen eines Zauberers, nur daß die Rauchsäule rötlich ein gefärbt war und zerfetzte Körperteile mit einem grausigen klatschenden Geräusch durch die Luft wirbelten. Die M auer, die den Panzer aufgehalten hatte, verwandelte sich in einen Hagelsturm aus Steinbröckchen, und die Wu cht der Detonation riß M iller und Ryan zu Boden. Der Panzer jedoch rumpelte unbeirrt weiter. Die Bombe hatte ihm sogar geholfen, wieder freizukommen. Rin gsum in den Trümmern von Ramelle tobte die Schlacht. Rauch und Staub bildeten einen tückischen Nebel, durch d en sich die Deutschen, die nun unaufhörlich feuerten, meterweise vorschoben. Die Schützen der beiden M G-Nester feuerten zwar immer noch ihre Salven auf die SS-Leute, wurden jedoch allein durch deren große Zahl ständig weiter zurück gedrängt, suchten neue Stellungen und eröffneten von dort wieder das Feuer. In dieser Verwüstung, diesem Alptraum aus Schüssen und Rauch, Schreien und spritzendem Blut, rannte Upham wie ein Amokläufer h in und her, um die beiden M G-Besatzungen mit M unition zu versorgen. Gerade verlagerten M ellish und Henderson wieder einmal ihre Stellun g und hielten das große, schwere Gewehr in den Händen, als ein Trupp Deutscher ihnen gef ährlich nahe k am. Da trat Private Trask mit seinem Flammenwerf er hinter einer M auer hervor und tauchte die Angreifer in ein Feuermeer. Die getroffenen Soldaten verfärbten sich orange und b lau und führten inmitten des Rauchp ilzes einen Todestanz auf. Während d ie SS-M änner gegrillt und gekillt wurden, schoben sich die Panzer unerbittlich voran. Sie brachen durch M auern, rissen Gebäude nieder, zermalmten Steine und Trümmer unter ihren Ketten, schwenkten ihre Türme herum, suchten nach Zielen, feuerten und mähten alles n ieder, was ihn en vor die
234
M ündung kam. Durch die Verwüstung kam der zweite der kleiner en Panzer mit knirschenden Ketten daher. Reiben und Toy nbe stürmten los, um ihn anzugr eifen. Jeder von ihnen schleuderte zwei Haftminen mit brenn enden Zündern zwischen Ketten und stählerne Umlenkräder, dann suchten sie das Weite. Hinter ihnen fanden mehrere Explosionen statt. Flammenblitze und Rauchwolken schossen aus der Richtung des Panzers. Die Druckwelle erfaßte Reiben mit solcher Wucht, daß er kop füber durch die Luft flog und flach auf einem Schutthaufen landete. Halb betäubt stützte sich Reiben auf seine Ellbo gen und versuchte die Situation zu erfassen. Als er zu dem Tank hinüberschaute, um die Früchte seiner M ühe zu bewundern, sah er, daß das verdammte Din g unbeschädigt weiterfuhr - so als wäre nichts gewesen! Im Gegenteil, das M onstrum drehte bei und steuerte auf ihn zu. Hektisch kletterte er über Trümmerbrocken, um nicht von dem Panzer überrollt zu werden, aber er war immer noch von seinem Sturz benommen, stolperte und taumelte ... Während Reib en um sein Leben strampelte, konnte er nicht sehen, wie das Geschoß einer Panzerfaust sich in die Ein geweide des Tanks fraß und den M otor sprengte. Reiben hörte nur, wie die M aschine zu stottern begann und das Fahrzeug knirschend zum Stillstand kam. Reiben drehte sich um und sah den gestoppten Panzer hinter sich, und er sah den rußgeschwärzten Sarge, der mit einer Panzerfaust auf einem Steinhaufen stand. Ihre Blicke trafen sich, der Sarge zwinkerte, lächelte Reib en zu und eilte dann gedu ckt weiter, um hinter einer halb zerschossenen M auer zu verschwinden. Reiben drehte sich erleichtert zum Panzer zurück. Gerade öffnete sich die Luke des Geschützturms, und ein Soldat kam mit seiner Luger in d er Hand zum Vorschein. Von seinem erhöhten Punkt aus erschoß der Deutsche Toynbe, der hinter einem Haufen Gerümpel hockte. Die Luger schwenkte ger ade in Reibens
235
Richtung, als ein Projektil sich durch die Brust des Deutschen bohrte, so daß er seitwärts auf den Turm kippte. Für ihn war der Krieg zu Ende. Völlig verdutzt wirbelte Reiben herum und schaute nach oben. Er wußte, daß der Schuß vom Kirchturm gekommen war, und er wußte, daß es Jackson war, der ihn gerettet hatte. So wie auch der Sar ge ihn ger ettet hatte ... Innerhalb weniger Sekunden war ihm zweimal, von zweien seiner Kameraden, das Leben gerettet worden ... Oben auf dem Kirchturm wandte sich Jackson von dem Panzer ab. Er lud seine Waffe nach und spähte auf der Suche nach weiteren Opfern durch das Zielfernrohr. >»Gelobt sei der Herr, meine Stärke<«, mur melte er, >»welcher meine Händ e lehret zu streiten und meine Finger zu kämpfen ...«< Fallschirmjäger eilten nun hinter den Ruinen hervor, um den bewegungsunfähigen Panzer unter Reibens Führung anzugr ei fen. Als ein zweites Besatzungsmitglied an sein em toten Kameraden vorb ei den Kopf herausstreckte, erschoß Reiben ihn mit seiner 45er, dann entsicherten die Amer ikaner ihre Handgran aten und warfen sie durch die Luke. Die GIs rannten noch ein paar Schritte von dem Panzer weg, bevor eine Druckwelle ihn erzittern ließ. Aus dem Geschützturm quollen schwarzer Rauch und züngelnde Flammen. Jackson suchte vom Kirchturm aus ein neues Ziel für seine Springfield und betete halblaut: >»M eine Stärke und meine feste Burg; mein hoher Turm und mein Erlöser; mein Sch ild und der, auf den ich ...<« In seinem Zielfernrohr sah er nun den gestrandeten Tiger, der noch immer die Haup tstraße blockierte. Der Turm schwenkte herum, das Geschützrohr hob sich. Und zielte genau auf den Kirchturm. >»... baue<«, sagte Jackson. Er nahm das Auge vom Zielfernrohr, und für d ie Dauer eines Herzschlags war er wie gelähmt vor Entsetzen.
236
»Parker! Sofort weg hier!« Jackson hatte schon die Falltür erreicht, Parker folgte ihm, aber beid e wußten, daß sie keine Chance mehr hatten. Jackson sagte noch »Jesus« - ein Stoßgebet, kein Fluch -, als auch schon der Donnersch lag aus dem Panzergeschütz den Kirchturm in einen Feuerball mit umherfliegenden Trümmern verwandelte. Der Tiger senkte die M ündung des Rohres und feuerte ern eut, wodurch der Rest der Kirche in hunderttausend Stücke gesprengt wurde. Von ihrer jetzigen M G-Stellung aus waren M ellish und Henderson Zeugen dieser Szene geworden : Sie hatten gesehen, wie Jackson in einem Gotteshaus zu Tode kam und wie auch die Kirche selbst in Flammen und Rauch unterging. »Jackson!« schrie M ellish und starrte entsetzt auf die Trümmer der Kirche. »Verdammt - Jackson!« »Hat nicht gereicht, diesem Bastard die Ketten wegzu sprengen«, sagte Henderson. »Wir müssen den Tiger endgültig unschädlich mach en.« M ellish feuerte eine Salve, die einige SS-M änner in Deckung trieb. »So?« fragte M ellish, der noch ganz benommen von d em Verlust Jacksons war. »Und wie stellst du dir das bitte vor?« »Ich hab' da 'ne Idee«, sagte Henderson und zog eine Hand gra nate von seinem Gurt. »Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist ein Tiger, M ann! Handgran aten können diesen Biestern genausowenig anhaben wie Superman!« Henderson grinste wie ein kleiner Jun ge. »Wohl noch nie was von Kry ptonit gehört, was? So, und jetzt gib mir Feuerschutz ...« Schon f litzte er auf die Straße hinaus und bahnte sich einen Weg zwischen den Ruinen des Ortes, während hinter ihm
237
M ellish das M aschinengewehr hämmern ließ, so daß die Deutschen die Köpfe nicht hochnehmen konnten und Henderson unversehrt den manövrierunf ähigen Tank err eichte. In der Nähe des kettenamputierten Tigers duckte sich Henderson hinter ein em Trümmerhauf en, zog den Splint seiner Granate und hielt sie fest in der Hand. Er wartete, wartete lange und geduldig. Dann drehte sich der Lauf des Geschützes auf der Suche nach ein em neuen Ziel. Henderson p reßte seine Unterarme gegen die Ohren, und gleich daraufdonnerte das Geschütz los. Nun war der Augenblick da, auf den er gewartet hatte. M it einem Satz verließ Henderson die Deckung, rannte direkt auf den Tank zu, sprang in die Höhe und klammerte sich mit einem Arm an das Ende des Geschützlaufes, so daß er daran hing wie ein Affe. Dann schleuderte er die Granate dir ekt in das Rohr ... Henderson warf sich flach auf die Straße. Währenddessen riß er eine weitere Handgranate vom Gürtel, zog den Splint, hielt den Sicherun gshebel fest und wartete, allerdings nicht lange, bis der Panzer von der Explosion geschüttelt wurde. Dann kletterte er auf den Tiger hinauf, wo jetzt die Luke auf ging. Rauch zog durch die Öffnung ab, und das Habicht gesicht des SS-M ajors erschien. Er hustete, Blut floß ihm aus Ohren und Nase, die Augen waren glasig vor Schreck. Henderson stopfte dem M ajor die Granate in die Uniformjacke und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Deckel des Geschützturms, wodurch er den M ajor wieder in den Tank zurückdrückte. Durch die zweite Detonation flog die Luke mit einem so heftigen Ruck auf, daß Henderson vom Panzer hinunterfiel und auf der Straße landete. M ellish war so verblüfft über Hendersons Bravourstück, daß er einen M oment aufhörte zu feuern. Henderson schien unverletzt, er stand auf und gr inste. Jubelnd rannte er zu M ellish zurück.
238
»Hast du das gesehen ?« brüllte Henderson. »Na, wie hat dir das gefallen ?« Doch von irgendwoher schoß ein deutsches M aschinen gewehr, und der Corporal wurde durchlöchert und auf das Straßenpflaster geschleudert, ohne auch nur Zeit für einen Schrei gehabt zu haben - nicht einmal das triumphierende Lächeln war aus sein em Gesicht gewichen. M ellish ab er hatte Zeit zu schreien, und er tat es. Er schrie, und dabei feuerte er pausenlos mit seinem M G. Er beharkte die deutschen Stellungen mit einem Kugelhagel. Bald war M ellishs Patronengurt aufgebraucht. Upham hatte bereits die letzte MG-M unition abgelief ert, während die SS noch über Kugeln verfügte, die nun in die Trümmer r ingsum einschlugen, so daß M ellish in tief geduckter Haltung ausharren mußte. Da packte er sein M -1 und verließ die Stellun g. Er rannte um sein Leben.
19.
M iller und Ry an waren auf der Flucht vor dem verbliebenen Tiger, dessen Rasseln und Quietschen in ihren Ohren immer stärker wurde. Dabei gingen sie immer wieder hinter Ruinen in Deckung. Dabei wären sie fast über Sergeant Horvath gestol pert, der diesem Panzer auflauerte. Er hatte seine Panzerfaust auf einer beschädigten Ziegelsteinmauer aufgestützt. »M ußt auf die Ketten zielen!« überschrie der Sarge den Lärm und führte vor, was er meinte. Das Geschoß zischte mit einem Feuerschwanz auf den nahenden Tiger zu, der gerade eine steinerne Wand durchstieß, als wäre sie aus Pappmache. Das Projektil fraß sich am Ziel f est, exp lodierte mit ein em weithin
239
hörbaren Krachen ... doch der Panzer kam immer noch auf sie zu, überwand mühelos jedes Hindernis ... »Rückzug!« schrie M iller. »Rü ckzug!« »Haut ab!« brüllte der Sar ge z urück. »Los, haut ab!« Der Tiger brach p olternd durch eine Wand und hielt direkt auf sie zu, so daß sie Reißaus nehmen mußten. Der Sar ge ließ seine Panzerfaust zurück, die kurz darauf unter der einstür zenden Ziegelsteinmau er begraben wurde. Ganz in d er Nähe feuerten Lyle und Fallon aus dem verbliebenen M G-Nest auf den Tank. Das M aschinengewehr folgte knatternd der Bewegung des Tigers, konnte ihm jedoch nichts anhaben. Statt dessen wälzte sich der Panzer ger ade üb er einen verwundeten Fallschirmjäger und zerquetschte ihn. Bei diesem Anblick schr ien die beiden M änner am M G auf, feuerten, was das Zeug hielt, und führten Munition zu. Ihnen war klar, daß dies ihr letzter Patronengurt war und sie sich gleich zurückziehen mußten - nur, soweit sollte es nicht kommen. Eine Stielgranate schwirrte durch die Luft auf sie zu und explodierte noch vor ihr er Landung. Als sich der Rauch über den zerfetzten Leichen der beiden Amerikaner lichtete, überrannten die Deutschen bereits die Stellun g. Im Laufen sah M ellish den verwirrten Upham vor sich, der im Dunst aus Rauch und Staub die Orientierun g verlor en hatte. »Upham!« brüllte M ellish, und der Corporal schaute sich zu ihm um. »Die Brücke ist genau vor dir! Lauf, M ann!« Kaum hatte M ellish dies gerufen, als ein jun ger SS-M ann direkt vor ihm aus d em Nebel auftauchte. Einen Augenblick lang blickten die beiden einander in die Augen wie zwei Revolverschützen - ber eit, sofort zu ziehen. Doch sie waren keine Revolverschützen, sie waren nur junge Burschen, die beide ihrem Heimatland dienten. Dennoch war einer von ihnen schneller: der Deutsche. Obwohl beide ihre Waffen gleichzeitig hoben, feuerte die Schmeisser-M aschinenpistole des Deut
240
schen, noch bevor M ellishs Zeigef inger den Abzug seiner M -1 betätigen konnte. Glühende Kugeln drangen in seinen Körper ein; quer über dem Bauch des Private erschien ein blutiges M uster, er taumelte rückwärts und war schon tot, als er auf dem Boden aufsch lug. »M ellish!« schrie Upham. Daraufwirbelte der Deutsche herum, u m seine Schmeisser auf Upham zu richten. Der war wie gelähmt und starrte nur in das leere Au ge des Laufes. Der Corp oral wußte: Dies war der letzte Augenblick seines Lebens. Doch es sollte anders kommen. Eine Browning-Automatic stanzte mit martialischem Klan g ein - zwei - drei Löcher in die Brust des Deutschen. Aus den riesigen Wunden sp ritzten Blut, Knochensplitter und Gewebe. Die Schmeisser bellte erneut, doch diesmal in den Himmel, und der Deutsche fiel hintenüber in einen Schutthaufen, wo er mit weit auf ger issenen Au gen dalag, entsetzt über seinen jähen Tod. Up ham seinerseits konnte es kaum fassen, daß er noch am Leben war, und als Reiben mit seiner Browning-Automatic im Arm neben ih m auftauchte und sagte: »Na komm, Uppy, höchste Zeit, daß wir hier verschwinden«, da bewegte Upham sich wie in Trance. Also zog Reiben ihn mit sich und f euerte dabei einhändig aus seiner großen Browning, um ihnen den Rücken freizuhalten. Vereinbarter Treffp unkt war der trümmerübersäte Dorfp latz, und sie hasteten auf einer Nebenstraße in d iese Richtung. M iller der, gefo lgt von Ryan und dem Sarge, im Zickzack durch die Steinwüste lief, hatte das gleiche Ziel. Nicht weit von ihnen konnten sie den Tiger hören, der alles niederwalzte, was von Ramelle noch übrig war. Trask hatte den Tiger anvisiert und ließ Flammen auf ihn niedergehen, wobei sich ein Pilz aus Feuer und Rauch bildete. Doch dem Tank vermochte das nichts anzuhaben, und Trasks Flammenwerfer war nach kurzer Zeit leer. Er wand sich aus der Ausrüstung, warf den jetzt nutzlosen
241
Flammenwerfer fort und türmte in Richtung des Dorfplatzes. Alle kamen mehr od er weniger gleichzeitig dort an - M iller, Ryan, der Sarge, Trask, schließlich auch Reiben und Upham -, und nun rannten sie auf die Konstruktion aus Stahl und Stein zu, die den blau glitzernden Fluß übersp annte. Vor ihnen konnten sie schon Private Weller erkennen, ein en der Fallschirmjäger, die M illers Trupp vor Ramelle gerettet hatten. Er hatte sich hinter den Sandsäcken des M G-Nests bei der Brückenzufahrt verschanzt und lud die großk alibr ige Waffe durch. Hinter den Flüchtenden schoß der Tiger mit seiner Bord kanone eine M auer in Stücke und kam donnernd und mit alles unter sich zermalmenden Ketten auf den Platz gerollt. Er führte eine scharfe Drehung aus, das vordere M G spie Feuer und Blei und schwenkte, um die zur Brücke hastenden M änner unter Beschuß zu nehmen. Dank ihr es Vorsprungs err eichten die Amerikaner die Sandsäcke, bevor d ie Geschosse aus dem Bord-MG des Panzers einschlugen. Allesamt machten sie einen Hechtsprung über die Barriere und duckten sich. Eine Sekunde später durchlöcherte das M G-Feuer die Säcke, und Sandwolken stiegen auf. Auf dem Hauptp latz schloß sich nun der zweite der kleineren Panzer dem Tiger an, und beide rückten zusammen gegen die Brücke und ihr e Verteidiger vor. Die verbliebenen SS-Leute ihre Zahl war schon ziemlich dezimiert - marschierten neben her. Weller eröffnete das Feuer aus seinem M G, und Ry an ergriff eine der beiden verbliebenen Panzerfäuste. Er legte sie über den Rand der zerfetzten Sandsäcke und zielte auf den näher kommenden Tiger, während M iller die Waffe von hinten lud und dann dem Private auf den Helm k lopfte, um ihm zu signalisieren, daß die Panzerfaust schußbereit war. Und Ry an schoß. Aber die Ladung explodierte in einigem Abstand von
242
den Ketten, ohne eine erkennbare Beschädigung zu hinter lassen. »Neu laden!« r ief Ry an. »Reiben und ich übern ehmen«, erklärte der Sar ge Ryan und blickte M iller vielsagend an, u m ihn daran zu erinnern, weshalb sie gekommen waren. »Ihr b eide zieht euch zurück!« M iller nickte und faßte Ryan am Arm. Zu Horvath sagte er: »Ihr könnt die Stellun g hier nicht länger halten! Kommt gleich nach!« »Okay, machen wir! Und jetzt gehen Sie!« Ryan und M iller verließen den Geschützstand, um über die Brücke zu sprinten. Der Sarge hob die Panzerfaust über die Sandsackbrüstung, während Reiben n achlud. Reib en klop fte dem Sar ge auf die Schulter. Der Schuß ging donn ernd los, doch auch dieses Projektil verfehlte die Ketten des Tigers. Up ham und Trask feuerten derweil aus ihren Gewehren auf die SS-M änner, doch sie trafen nur gelegentlich. Der Tiger und der Panzer in seinem Schlepptau kamen inzwischen immer näher, und der Sarge schrie »Rückzug!«, woraufhin er, Reib en und die beiden anderen alle Waffen er griffen, die sie zusammenraffen konnten, und losrannten. Nur Weller blieb zurück und feuerte Salve um Salve aus sein em M G. Er zwang einige der SSM änner zu Boden und sorgte so für Feuerschutz, während der Sarge und die dr ei Privates, so schnell ihre Beine sie trugen, auf die Sandsäcke am anderen Ende zurannten. Als Weller sah, daß der Tiger die M ündung des Bordgeschützes in seine Richtung drehte, sprang er aus dem M G-Nest und jagte hinter dem Sar ge und den anderen her. Doch der Donnerschlag aus der Kanone des Panzers verwand elte die Verteidigun gsstellung in ein en flirrenden Ball aus Flammen, Sand und Trümmern. Weller wurde wie eine Stoffpupp e durch die Luft geschleudert und knallte mit voller Wucht auf das Straßenp flaster. Doch er war schon tot, bevor er aufschlug - seinen Rücken hatten
243
Geschoßsplitter zerfetzt. M iller und Ry an hatten inzwischen die Sandsackposition am gegenüberliegenden Ende erreicht und hechteten in Sicherheit. Der Captain p ackte sofort die letzte Panzerfaust und brüllte Ryan zu: »Schließen Sie die Drähte an! Wir dürfen nicht zulassen, daß die Brücke d en Deutschen in die Händ e fällt!« Ryan schraubte fieberhaft die Flügelmuttern fest und verband so die Drähte mit der Zündanlage, während M iller die Panzerfaust auf der Sandsackbarrikade aufpflanzte. Er zielte auf den Teil der Brücke, wo gleich der Panzer in Sicht kommen würde. Doch durch die Rauchschwaden tauchten rennende Gestalten auf - erst der Sarge, dann Reiben, Trask und zuletzt Upham. Und gleich hinter ihnen - zunächst noch undeutlich im Nebel, doch dann in seinen furchteinflößenden Umrissen erkennbar tauchte rasselnd, quietschend und rump elnd der Tiger auf. »Scheiße!« brüllte M iller. »Rennt! Verdammt - rennt, was ihr könnt!« Da eröffnete das vordere M aschinengewehr des Tigers das Feuer auf die Flüchtenden. Zuerst zerschmetterte es nur die Pflastersteine der Fahrbahn, doch dann wurden die Läuf er, die zu beiden Seiten d er Brücke den Kugeln auswichen und nach einer Deckung suchten, lan gsam ein geholt. Trask wurde von einem Geschoß ins Bein getroffen, und der Sarge hob ihn, ohne seinen Schritt zu verlangsamen, vom Pflaster auf und zog ihn hinter einen Strebepfeiler. »Deckung!« schr ie M iller. Und er feuerte die Panzerfaust ab. Das Projektil schoß in der M itte der Brücke an den beiden M ännern vorbei, die sich hinter dem Pfeiler verschanzten, und über die Köpfe von Reiben und Upham, die sich flach auf das Pflaster geworfen hatten. Nachdem das Geschoß d ie Brück e in ihrer ganzen Länge entlanggeflogen war, d etonierte es an der abgeschrägten Vorderseite des Tanks, ohne Schaden zu hinterlassen.
244
Während M iller verzweifelt die Panzerfaust neu lud, rief der Sarge, der Trask im vorübergehenden Schutz des Rauchs weiterzerrte, Reiben und Upham zu: »Los! Lauft!« Und sie halfen dem Sar ge, Trask weiterzuziehen. Das vordere PanzerMG begann wieder zu feuern. Zwei Kugeln schlugen in den Körp er des Sarge ein, in seinen Rücken, und er brach zusammen. »Sarge!« schr ie Reiben. »Verdammt! Das darf nicht wahr sein!« sagte M iller. Er plazierte die Panzerfaust erneut auf der Kante des Sandsackwalls und zielte. »Deckung! Runter!« Daraufhin warfen sich Reib en und Upham neben dem gef allenen Sar ge und dem verwundeten Trask zu Boden, so daß M iller ein weiteres M al über ihr e Köp fe feuern konnte. Das Projektil flog zischend auf den Tiger zu, wo es folgen los explodierte. Reiben und Upham wurden durch den Krach und den Rauch ermutigt aufzusp ringen. Reiben zog d en Sarge hinter sich her, und Up ham schleppte Trask, doch obwohl sie alle Kräfte mobilisierten, war es wie ein Lauf im Zeitlup entemp o. Da feuerte der Tiger aus seinem 88er-Geschütz. Durch die Explosion schien die ganze Welt in Stücke gerissen und die Luft zerfetzt zu werden. Hitze und Splitter breiteten sich in alle Richtungen aus, so daß die rennenden M änner und die von ihnen mitgeschleiften Verwundeten auf das Pflaster geschleudert wurden ... M iller war weniger nahe d aran als die anderen, doch die unglaubliche Detonation hatte ihn taub gemacht, so wie jen e andere Exp losion am Omaha Beach. Es schien ih m, als seien alle Geräusche aus der Welt verschwunden, mit Ausnahme einiger kaum hörbarer, losgelöster Töne, die ir gendwie noch durchdrangen ... M iller war sich nicht sicher, wo die 88er-Granate nun eingeschlagen war - er wußte nur, daß er am Leben war und die Brücke noch stand. Ja, und daß Private Ryan am Leben war;
245
der lag inmitten des halb verwüsteten, rauchenden SandsackSchießstandes. Zerschunden, erschrocken und mit einem Sausen im Kopf, das alles zu verlangsamen schien, war M iller dennoch in der Lage, in sein er nahezu ger äuschlosen Welt das ged ämp fte Rasseln und Knirschen des Tigers wahrzunehmen, der auf sie zuhielt. Er spähte hinaus und sah durch den wirbelnden Staub und Rau ch den Leichnam von Sergeant M ichael Horvath. M iller schrie nicht auf und weinte nicht; dafür würde noch genug Zeit bleiben - doch nur, wenn er selbst die kommenden M inuten, vielleicht auch nur Au genblicke, überleben würde. Er sah Upham, der wie ein Baby auf den toten Sarge zukroch und ihn anstarrte. Reib en kauerte hinter einem Brückenpfeiler, und eine Hälfte seines Gesichts war geschwärzt wie bei einem weißen M usiker, der sich als Schwarzer geschminkt und nur einen Teil der Farbe wieder entfernt hatte. Aufgeregt winkte er dem Corporal, damit dieser die M itte der Brücke v erließ. Der Tiger tauchte wieder aus den Rauchschwaden auf. Sein M ündungsrohr war auf M illers Stellung aus gerichtet, zielte also über Upham hinweg, der sich nun wie ein Kind krabb elnd auf Reiben und den schützenden Pfeiler zubewegte. Ryan griff nach dem M aschinengewehr, und dab ei kam ihm M iller zu Hilfe. Aus dem Augenwinkel sah der Cap tain, wie Reiben Uphams Hand nahm und ihn zumindest für ein paar Sekunden in Sicherheit brachte. Die beiden k lammerten sich aneinander wie verängstigte Kinder - wie Brüder, die nach einem gemeinsamen Streich ein elterliches Donnerwetter fürchteten. M it vereinten Kräften wuchteten der Captain und der Private das M G auf die Sandsäcke. Sie begannen zu feuern, doch dieses Geräusch n ahm M iller kaum wahr ; er sah nur den hinund herschnellenden Schlagbolzen vor sich. Ausgestoßene Patronenhülsen fielen mit einem metallischen Klap pern zu
246
Boden, das er wie aus der Ferne vern ahm. Der Tiger rump elte voran, ohne daß die Geschosse ihm etwas anhaben konnten, obwohl die stählerne Bestie vor Schmerz aufzuheulen schien, als sie mit der Seite an der Stahlkonstruktion der Brücke entlangschrammte. Das vordere M aschinengewehr drehte sich in Schußposition und nahm die Sandsackstellung ins Visier. M iller dachte an den bedeutungsvollen Blick des Sar ge, als sie sich auf diese Position zurückgezogen hatten - die Erinnerun g an seinen Auftrag. Und so dachte er in dieser Situation nur noch an die Rettung von Private Ry an: Er warf seine Arme über den jungen M ann und drückte ihn hinunter, so daß die Kugeln üb er ihn hinwegf logen. Auch M iller wurde von keiner dieser Kugeln getroffen. Doch einer der übr iggebliebenen SS-M änner, der neben dem Tiger herlief, erblickte die beiden Gestalten hinter dem Sandsackwall und feuerte aus seiner Schmeisser. Und diese Kugeln jedenfalls zwei von ihnen - trafen den High-School- Lehrer aus Addley, Pennsy lvania. Sie sch lugen in seine Brust ein und traten hinten wieder aus. Sowohl M iller als auch Ry an verschwanden hinter den Sandsäcken. Doch Up ham hatte die Szene mitverfolgt, er hatte alles mit an gesehen, denn er stand immer noch mit Reiben, der jetzt M illers Namen brüllte, hinter dem Brück enp feiler. Ja, Upham hatte es gesehen, klar und deutlich; er hatte sogar den Deutschen erkannt, der auf den Cap tain geschossen hatte. So kam d er Corporal, der eines Tages all diese Erlebnisse in einem Buch niederschr eiben sollte, mit seiner 45 er in der Hand hinter dem Pfeiler hervor und blickte dem deutschen Soldaten ins Gesicht. Es war der jungenhafte Gefangene mit der Vorliebe für Steamboat Willie und M icky M aus, den M iller in seinem M itleid, das sich jetzt als verhängn isvoll her ausstellte, am Leben gelassen hatte. Der Soldat aber, ihr einstiger Gefangener, hatte den M ann, auf den er gefeu ert hatte, nicht
247
erkannt; doch Upham erkannte er jetzt. Denn der Corporal stand ihm beinahe gegenüber. »Upham!« rief der Deutsche, lächelte und senkte für einen kurzen Augenblick die Waffe. Zeit genug für Upham, ihn mit einem Herzschuß niederzustrecken und mit seinem Läch eln auf den Lipp en in den Tod zu schicken. Upham und Reiben arbeiteten sich nun von Pfeiler zu Pfeiler vor, denn sie wollten unbed ingt das MG-Nest aus Sandsäcken erreichen. Der verwundete M iller kam inzwischen wieder hoch; er wollte das Spiel bis zum Ende mitsp ielen. Der Trainer der Baseballmannschaft der High- School von Addley war ganz gewiß niemand, der sich leicht geschlagen gab. Er empfand eigentlich keine Schmerzen, obwohl das brennende Gefühl in seiner Brust ihm sagte, daß er verwundet war. Er tastete nach der einzigen ihm verb lieb enen Waffe, seiner im Halfter steckenden 45er. Captain M iller schoß aus seiner 45er auf den herannahenden Tank, und obgleich er wußte, daß seine Aktion vergeblich war, betätigte er immer wieder den Abzug. Die Pistole machte ruckartige Bewegungen in seiner Faust, der laute Knall drang nur schwach an seine Ohren. M iller leerte sein M agazin bis auf die letzte Kugel. Dann schoß er auch dieses Projektil auf den n äher kommenden Tiger, und der Panzer explodierte. M iller duckte sich und starrte erstaunt auf die Pistole in seiner Hand; wie, zum Teufel, hatte er denn das bewerkstelligen können? Wie konnte eine 45er-Kugel einen Tiger in die Luft jagen? Irgend etwas aber mußte ihn getroffen haben; Flammen schossen aus der Panzerung der Bestie, und nun wurde der Geschützturm des Tigers von einer zweiten Explosion in die Luft geschleud ert, wo er sich wie ein flammend es Windrad drehte. Dann schien der ganze Panzer das Gleich gewicht zu verlieren und krachte seitlich gegen die Brückenkonstruktion.
248
Schab end und kreischend r iß er Brückenteile aus Stahl und Stein mit sich in die Tiefe und fiel wie ein riesiger Stein ins Wasser. M illers Ohren funktionierten f ast wieder normal, und er hörte den platschenden Aufprall - und noch etwas anderes, etwas, das ihn den Blick nach oben richten ließ. Es waren himmlische Stimmen, ein Chor der Engel, der en Lied sich in das markige Dröhnen eines Packard-M otors verwandelte. Und als die P-51 M ustang über die Brücke hinwegflo g, wußte M iller, daß es nicht seine 45er gewesen war, die d en Panzer erledigt hatte. Hinter einem Brückenpfeiler sah en Reiben und Upham zu, wie das Flugzeu g mit Sp ezialbewaffnung gegen Panzer über sie hinwegwischte und wendete, um die Brücke ein zweites M al zu überfliegen. Der k lein ere Panzer, d er dem Tiger gefo lgt war, versuchte verzweifelt, sich rückwärts von der Brücke zu stehlen, um dem Schicksal seines groß en Bruders zu entgehen. Die wenigen verbliebenen SS-M änner traten eilends den Rückzug an. Da der kleinere Tank keine Bedrohun g mehr darstellte, brachen die beid en Privates aus ihrer Deckung hervor und rannten zu der sandsackbefestigten Stellun g. Sie fanden M iller zusammengesunken in den Armen von Ryan. Tränen rannen über Ryans Gesicht; Blut floß über M illers Hemd. »Cap tain«, brachte Reiben hervor. »O mein Gott... Cap tain ...« Reiben und Upham sanken auf die Knie, als wollten sie beten. Sie hielten M iller fest, nahmen ihn in die Arme, so als hofften sie, ihm dadurch etwas von ihrer Lebenskraft abzugeben. Reiben schrie gen Himmel - ein e M ischung aus Flüchen und Gebeten. Up ham heulte wie ein kleines Kind. Am anderen Ende der Brücke detonierte derweil der kleine Panzer. Die M ustang zog an dem Feuerb all vorb ei und stieg steil nach oben.
249
M iller schaute in die Wolken. Er versuchte etwas zu sagen, doch es kam nichts über seine Lipp en. Es gelang ihm aber, eine blutverschmierte Hand zu heben die zitternde - und auf die P-51 zu deuten, die ger ade fast senkrecht in den Himmel stieg. »Panzerknacker, Sir«, sagte Ryan, ohne sich der Tränen auf seinen Wan gen zu schämen. »Es ist eine P-51.« Hinter den abgekämpften Soldaten in ihrem M G-Nest tauchten jetzt Sherman-Panzer auf. Sie wurden begleitet von unterstützender Infanterie. Doch M iller nahm davon nichts wahr. Er sah nur d en Himmel und die P-51 und die Wo lken. »Seht ihr ... Wade ... hatte recht«, brachte M iller heraus. »Engel ... auf unser er Schulter ...« Jemand auf der Brücke trat auf Glas, und es knirschte unter seinem Stiefel. M iller lächelte sie wie aus weiter Entfernung an. »Wird 'ne p rima Saison, Jungs«, sagte er. »Sie sollten jetzt nicht sp rechen, Cap «, sagte Reiben. Doch sein Captain schaute hoch zu Private Ry an, dem M ann, zu dessen Rettung sie gekommen waren. Und den sie ger ettet hatten. »M üssen's verdienen«, sagte M iller leise. »Sir?« fr agte Ry an nach. Der Captain wiederholte das Gesagte mit fester Stimme; es war ein Befehl. »Verdienen Sie es sich.« Das waren seine letzten Worte. M it dem Rasseln und Quietschen der eigenen Panzer in den Ohren trugen Ryan, Reiben und Upham Cap tain John H. M iller von der M aschinengewehrstellung zur M auer der Brücke und setzten ihn dort sanft ab. »Wenigstens hat das Zittern aufgehört«, meinte Up ham und schluckte.
250
»Häh?« fragte Reiben wie betäubt. Upham deutete mit einem Nicken auf M illers leblose Hand, die jetzt neben der M auer ruhte. »Seine Hand.« Reiben beugte sich üb er den Cap tain, fand etwas in seiner Brusttasche, zog es heraus und steckte es in sein eigenes Hemd. Er sagte nichts dazu, aber Upham wußte, daß Reiben die Aufgabe übernommen hatte, den Brief an Caparzos Vater zu überbrin gen. Und dann ging für die Jungs aus M r. M illers Klasse der Krieg weiter.
251
EPILOG St.-Laurent Soldatenfriedhof 6. Juni 1998
James Ry an, vierundsiebzig, Pey ton, Iowa, gin g zwischen den in Reih und Glied angeordneten Gräbern hindurch, bis er den richtigen Stein gefunden hatte. Keiner von seiner Familie, nicht einmal sein kleiner Enkel, konnten mit ihm Schritt halten. Und das war gut so, denn er brauchte einen Augenblick für sich - besser gesagt, einen Au genblick zwischen Private und Cap tain. Er schaute auf das weiße Kreuz und sagte: »Heute h abe ich meine Familie d abei. Sie wollten mitkommen. Es sind Ferien. Was mich betrifft, ich wußte gar nicht, wie ich mich fühlen würde - jetzt, wo ich hierher zurückkomme.« »Opa!« Jimmy kam heran. Ryan sprach weiter mit seinem Captain. »Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke, was damals auf der Brücke geschehen ist. Was wir gemacht haben und was Sie zu mir gesagt haben. Und ich würde gerne einmal wissen ...« »Opa!« Ryan drehte sich um und sah Jimmy in seiner Nähe stehen. Der Junge war sensibel genug, um einen gewissen Abstand zu wahren. Sein Großvater gab seinem Enkel mit einer Handbe wegung zu verstehen, er möge ihn noch ein en M oment lang allein lassen. Dann blickte Ry an das Kreuz an, als wäre es ein M ensch, der vor ihm stand, und fuhr fort: »Ich hab's versucht. Ich habe versucht, mein Leben zu leben, so gut ich konnte. Ich hoffe,
252
das genügt. Ich habe keine Erfindungen gemacht. Ich habe auch kein e Seuchen geheilt. Ich habe nur auf einer Farm gearbeitet. Ich habe eine Familie gegründet und Kinder großge zogen. Ich habe gelebt. Jetzt hoffe ich nur, daß ich in Ihren Augen das verdient habe, was Sie für mich getan haben.« »Jim ...« Dies war nicht die Stimme seines Enkelsohnes, sondern die seiner Frau. Sein Sohn, dessen Frau und die vier Enkel hielten ehrfürchtig Abstand. In ihren Gesichtern lag Verwirrung, denn sie begriffen nicht, was hier vor sich ging. Sie konnten es nicht begr eifen ... Anders die Frau, mit der er jahrzehntelang zusammengelebt hatte, die Frau, die jetzt - wie sonst auch immer - an seiner Seite stand. Er hatte ihr nie von diesem Ort erzählt, auch keine Geschichten aus dem Krieg, außer ein paar Anekdoten. Aber sie war die Frau, die ihn umarmt und getröstet hatte in all den Nächten, in d enen er aufwachte und schr ie oder weinte, manchmal auch beides. Früher war dies häufiger vor gekommen, jetzt nur gelegent lich. So hübsch, dachte er, sie war immer noch so hübsch. Sie nahm seinen Arm und sch aute auf das weiße Kreuz hinunter. »Hast du ihn gekannt?« Ryan seufzte. »Nicht gut.« »Wie fühlst du dich, Jim?« Er schaute sie an, und als sie die Tränen in seinen Augen sah, mußte sie auch wein en. »Alice ... habe ich ein gutes Leben geführt? Bin ich ein guter M ensch?« »Jim ... was ...?« »Sag mir einf ach ... sag mir einfach, ob du find est, daß ich es verdient habe.« Sie betrachtete ihn eindrin glich, dann strich sie ihm zärtlich
253
über das Gesicht. »Ja, ganz bestimmt. Das hast du.« Daraufhin über ließ sie ihn sich selbst, ging zu dem Rest der Familie zurück, um ihm Zeit zu geben, sich zu sammeln, bevor er von diesem Ort Abschied nahm. Er brauchte nicht allzu lange. Aufrecht stand er da und salutierte vor dem Grabmal. Ein Gruß, der von Herzen kam. Dann ging Priv ate James Ryan, Träger des Silver Star, mit dem taktfesten Schritt eines ehemaligen Sold aten zu seiner Familie zurück und ließ den gepflegten Friedhof hinter sich und auch das Grab von Captain John H. M iller, dem p osthum die Ehrenmedaille verliehen worden war und nach dem die Junior High School von Addley, Pennsy lvania, benannt ist. Trotz einer p omp ösen Tafel im Foyer der Schule fragen sich dort heutzutage viele Jugendliche, warum ihr e Schule d iesen Namen trägt.
254